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authorRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-14 19:56:19 -0700
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+The Project Gutenberg EBook of Der Widerspenstigen Zähmung, by Karl Ettlinger
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Der Widerspenstigen Zähmung
+
+Author: Karl Ettlinger
+
+Release Date: March 22, 2010 [EBook #31733]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG ***
+
+
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+
+Produced by Norbert H. Langkau and the Online Distributed
+Proofreading Team at https://www.pgdp.net.
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+ +--------------------------------------------------------------+
+ | |
+ | Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Textauszeichnungen |
+ | wurden folgendermaßen gekennzeichnet: |
+ | |
+ | Sperrung: #gesperrter Text# |
+ | Antiquaschrift: _Antiquatext_ |
+ | |
+ +--------------------------------------------------------------+
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+
+ Der Widerspenstigen Zähmung
+
+ von Karl Ettlinger
+
+ (Karlchen)
+
+ 1919
+
+ Georg Müller Verlag München
+
+
+
+
+Ich will es lieber gleich sagen, da es sich ja doch im Laufe der
+Geschichte herausstellt: Frau Borges war ein Drache. Keiner von den
+Drachen, die einen Goldschatz oder eine Jungfrau bewachen und die
+dadurch immerhin noch etwas Sympathisches haben, -- nein, sie war ein
+Drache ohne jede höhere Mission, ein Drache, dessen einziger Lebenszweck
+darin bestand, ihrem Gatten das Dasein zu versauern.
+
+Ihr habt gewiß schon den Drachen Fafner auf der Bühne gesehen? O was ist
+das für ein gemütlicher Drache! Er bewegt sich ein bissel auf der
+Drehscheibe, schlägt ein bißchen mit dem Schwanz um sich und speit ein
+bißchen Feuer. Er kann an Frau Borges nicht tippen. Die fährt herum wie
+auf hundert Drehscheiben, schlägt um sich wie mit hundert Schwänzen, und
+mit ihrer Zunge versengt sie mehr gute Rufe als der Dilettant Fafner
+Gräser und Kräuter.
+
+Obendrein wird der Fafner, gottlob, von Siegfried #erschlagen#. Er
+stirbt bekanntlich an den Stabreimen, mit denen Siegfried ihn
+mißhandelt, und von denen der berühmteste lautet: »Eine zierliche Fresse
+zeigst Du mir da!«
+
+Das hätte einmal Herr Borges zu #seinem# Drachen sagen sollen! So viel
+Drachenschwänze gibt es gar nicht! Und Herr Borges war überdies alles
+andere eher als ein Siegfried. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, im
+Walde wilde Bären zu fangen (was ihm im Offenbacher Stadtwald auch
+schwerlich gelungen wäre), er schlug keine Ambosse entzwei, schmiedete
+kein Notung, und das Fürchten brauchte ihm nicht erst von einer
+Brünhilde gelehrt zu werden. Das Einzige, was Adolf aus dem Geschlechte
+Borges mit Siegfried aus dem Geschlechte Wälsungen gemein hatte, waren
+die treuherzigen blauen Augen.
+
+Er sah mit diesen Augen so kindlich unschuldig in die Welt, daß sich
+jede Mücke sagte: »Der kann Dir nichts zu leid tun!«, und sich auf seine
+Nase setzte.
+
+Er war einer von den Gerechten, die viel zu leiden haben, denn ein gutes
+Herz ist wie ein rosiger Apfel, der in stiller Pracht am Baume hängt, --
+und nach dem deshalb alle bösen Buben mit Steinen werfen.
+
+Die Statistik, die der Erzengel Gabriel im Auftrag des lieben Gottes
+führt, hat nachgewiesen, daß es auf Erden bedeutend mehr #böse# Buben
+gibt als gute. Und ich kann deshalb meinen Mitmenschen nur den
+wohlgemeinten Rat geben: »Wenn Du ein gutes Herz hast, so halte es
+geheim wie einen Leberfleck, denn sonst prasselt es von allen Seiten
+Steine auf Dich!«
+
+Auf das Heiligsein steht noch immer die Todesstrafe, und die Gutherzigen
+werden noch immer mit Pfeilen beschossen wie Sebastian, gesteinigt wie
+Stephanus oder geröstet wie Laurentius.
+
+Das hatte auch Adolf Borges in den fünfzig Jahren seines Lebens
+reichlich erfahren müssen. Fast dreißig Jahre war er Ausgeher in dem
+großen Konfektionsgeschäft von Feldmann und Schröder in der
+Schloßstraße. Er hatte das Wachsen des Hauses miterlebt, -- die Firma
+war emporgeblüht, und er selbst war dabei verwelkt.
+
+Nur seine treuherzigen blauen Augen blühten noch immer aus seinem welken
+Gesichtchen hervor wie zwei große Glockenblumen, beschattet von dem
+Gesträuch der Kommis und den mächtigen beiden Stämmen der
+Geschäftsinhaber.
+
+Adolf erinnerte sich noch genau, wie das alte Haus umgebaut worden war,
+um Raum zu schaffen für die zwei großen Schaufenster. Damals waren die
+alten Holzpuppen, die bisher als Modellständer gedient hatten, durch
+pausbäckige Wachsfiguren ersetzt worden. Die Holzpuppen hatte er auf den
+Speicher tragen müssen, und er fühlte dabei eine wehmütige
+Verwandtschaft mit diesen leblosen Dingern.
+
+»Was bistde #mehr# wie so e Holzbubb?« sagte er zu sich. »Genau so, wie
+ich jedz Euch enufftrag uff de Speicher, so wern se aach #mich# eines
+Dags enaustrage uff de große Menschespeicher, unn es werd kaa Hahn nach
+merr krähe unn kaa Hund nach merr belle! Unn an mei Schdell werd aach so
+ebbes Neues, Pausbäckiges komme, unn die Welt dreht sich weider unn werd
+regiert von der ahle Drehkrankheit, unn wann emal erjend e ahler
+Geschäftsfreund frägt: >Herr Feldmann, hawwe Se net emal so en klaane
+Ausläufer gehabbt, de Adolf?<, werd der Herr Feldmann antworte: >De
+Adolf Borges? Der is schonn längst dod! No, es is net besonnersch viel
+an em verlore!<«
+
+Und er erinnerte sich daran, wie die Petroleumlampen waren durch
+Gaslüster ersetzt worden, und später die Gaslüster durch große
+Bogenlampen.
+
+Immer heller war es um ihn geworden, immer herrlicher und größer, und er
+selber kam sich immer kleiner vor.
+
+Er erinnerte sich auch der vielen Angestellten, die im Laufe der Jahre
+in das Geschäft eingetreten und wieder ausgetreten waren, teils
+freiwillig, teils unfreiwillig.
+
+Da war der Herr Bernheim gewesen, der ihm immer nachmittags eines von
+seinen Butterbrötern zur Vesper geschenkt hatte: »Adolf, hastde Hunger?
+Komm her unn freß!« Und er hatte ihm eines Tags zur großen Heiterkeit
+des ganzen Personals erwidert: »Herr Bernheim, ich dank Ihne aach schee!
+Basse Se uff: wann Se emal in de Himmel komme, dann steht der Petrus
+drowwe unn hat de Mond als Pannekuche in der rechte Hand unn säggt:
+>Bernheim, du warst e guder Mensch, -- komm her unn freß!«
+
+Und er hatte nicht verstanden, was es da zu lachen gab.
+
+Da war ferner der Herr Meier gewesen, dem er jeden Abend beim
+Geschäftsschluß den Rock hatte ausbürsten und die Stiefel blankreiben
+müssen; denn der Herr Meier hielt sich für sehr schön und lächelte auf
+der Straße den Mädchen zu, und wenn ihn ein Kollege fragte: »Herr Meier,
+wo waren Sie gestern abend?«, dann grinste er, daß die abstehenden Ohren
+wackelten, und flüsterte: »Geschäftsgeheimnis! Aber schön war's!«
+
+Des Herrn Meier Spezialität war das Bedienen der jungen Mütter gewesen,
+die ihren Buben Schulanzüge kauften; auf die stürzte er zu und
+schwänzelte um sie herum und gebrauchte fünfzehnmal in einem Satz die
+Anrede »Gnädige Frau« und schwatzte ihnen die ältesten Anzüge auf. Und
+wenn sie wieder aus dem Geschäft draußen waren, sagte er stolz: »Adolf,
+haben Sie den Blick gesehen? Den Blick? Adolf, ich sag' Ihnen, wenn ich
+#wollt#', -- aber ich will net!«
+
+Und der alte Adolf Borges dachte sich, indem er den verkauften
+Ladenhüter einwickelte: »Merr sollt em aach als emal de #Schnawwel# mit
+erer Berscht abreiwe! Awwer mit erer #Drahtberscht#!«
+
+Man sieht aus diesen Randglossen, daß Adolf Borges keineswegs ein
+Dummkopf war. O nein, er war ein kluges Männlein, aber seine Klugheit
+war schüchtern wie ein Tanzstundenjüngling; sie getraute sich nicht, die
+schöne Dame Lebensfreude zu engagieren, aus lauter Angst, ihr auf den
+Fuß zu treten, und so kam es, daß die schöne Dame Lebensfreude auch ihn
+nie engagierte, wenn die guten Feen gerade Damenwahl hatten.
+
+Adolf Borges brachte es zu nichts auf der Welt und blieb Ausläufer bei
+Feldmann & Schröder in der Schloßstraße zu Offenbach am Main. Er
+schnürte Pakete und besorgte Gänge, er staubte die Pulte ab und reinigte
+die Tintenfässer. Und jedesmal, wenn er dem ekligen Kassierer das
+Tintenfaß auffüllte, machte er drei Kreuze darüber und bei jedem Kreuz
+murmelte er: »Hunnert Rechefehler solle drin sei, in dere schwarz
+Brieh!«
+
+Denn ein ganz kleines bißchen boshaft konnte er auch sein, -- trotz
+seiner Glockenblumenaugen.
+
+Eigentlich war es wunderlich, daß er, der Gatte Katharinas, nicht #mehr#
+Bosheit besaß. Ein besseres Vorbild konnte es doch unmöglich geben. Oh,
+wie ungerecht ist das Schicksal! Katharina, -- das wäre so die richtige
+Gattin für einen Franz Moor gewesen! Auch Richard der Dritte hätte sie
+getrost freien können, stammte sie doch aus dem uralten Adelsgeschlecht
+der Xantippen. Und nun mußte gerade der arme, kleine Adolf an sie
+geraten!
+
+Wahrlich, das Schicksal ist der gemeingefährlichste Geisteskranke, der
+unentmündigt herumläuft, und schon längst gehörte es unter Kuratel
+gestellt. Wäre das Schicksal nicht rettungslos blind, niemals hätte es
+die Glockenblumen in Adolfs Augen und die Disteln in Katharinas Augen
+kreuzen können.
+
+Katharina, -- ich habe sie bereits mit Fafner verglichen. Aber wirft
+Fafner mit Suppentellern? Steht er mit dem Kehrbesen oder dem Schürhaken
+hinter der Türe, wenn Alberich abends nach Hause kommt? Schreit Fafner
+den Siegfried an: »Du hast iwwerhaapt nix zu sage!!« Öffnete Fafner
+Briefe, die ihn nichts angingen? Sang er ewig die Litanei: »O Gott, o
+Gott, wie konnt ich nor so dumm sei', Dich zu heierate!! Prinze unn
+Korferschte hätt' ich hawwe könne!! Unn so en Schlappschwanz muß ich
+nemme! O Gott, ich unglicklich Fraa!«
+
+Man sehe in der Partitur nach, Siegfried, 2. Akt, ob Fafner so etwas
+singt. Nein, er tut es nicht. In der Urzeit waren die Drachen offenbar
+noch harmloseren Gemüts, und wenn der Drache, den der heilige Georg
+erlegte, nicht #mehr# Ähnlichkeit mit Katharina hatte als Fafner, dann
+sollte man wirklich nicht so viel Aufhebens von der ganzen Affäre
+machen.
+
+Der alte Plato weiß in seinem »Gastmahl« zu berichten, daß Mann und Weib
+ursprünglich ein einziges zusammengewachsenes Wesen gewesen seien, das
+durch irgendeine Macht halbiert wurde, und daß sich die beiden Hälften
+nun ewig in Sehnsucht wieder zu vereinigen suchen. Beruht diese Fabel
+auf Wahrheit, dann wollen wir Gott danken, daß die andere Hälfte
+Katharinas offenbar verloren gegangen ist!
+
+Nun, da sie mit Adolf Borges zusammengewachsen war, glich diese Ehe
+einem jener lustigen Tierbilder, auf denen übermütige Zeichner einen
+Elefanten mit Entenfüßen ausstatten oder einem Storch einen Nashornkopf
+aufsetzen.
+
+Es gibt Ehen, die gleichen einem geruhigen Biedermeierpostwagen; hübsch
+langsam gleiten sie dahin, lassen sich Zeit, alle Schönheiten ringsum zu
+bewundern, auf dem Bock sitzt der Ehemann neben der Gattin und bläst
+Trara, und die ganze Postkutsche ist voll Kinderchen.
+
+Er bläst nicht immer ganz harmonisch, der Herr Ehemann, manchmal giekst
+das Posthorn schauerlich, -- macht nichts, die verzückte Gattin
+behauptet dennoch: »Männe, so wie Du bläst keiner!«
+
+Andere, »modernere« Ehen gleichen einem _D_-Zug; der Ehemann steht als
+abgehetzter, unermüdlicher Führer auf der Lokomotive, hat keine Muse,
+sich die Schönheit ringsum zu betrachten, denn die Räder rattern
+unaufhörlich den einförmigen Rhythmus »Pflicht -- Pflicht -- Pflicht!«
+In einem Abteil erster Klasse sitzt derweil die Gattin, raucht eine
+Zigarette nach der andern, betrachtet sich zwischendurch in einem
+Handspiegelchen und seufzt: »Gott, ist die Fahrt langweilig!« Und der
+abgehetzte Lokomotivführer kann mitunter von Glück sagen, wenn er den
+ehelichen _D_-Zug glücklich an die irdische Endstation gebracht hat,
+ohne daß unterwegs irgendein eleganter Herr in das Abteil erster Klasse
+eingestiegen ist, um die Fahrt unterhaltsamer zu machen.
+
+Andere Ehen wiederum ließen sich mit einer elektrischen Straßenbahn
+vergleichen, in der man vor lauter Klingeln und Hasten sein eigenes Wort
+nicht versteht, und wo Wagenführer und Schaffnerin nach schwerer
+Tagesarbeit nur den einen Wunsch haben: sich einigermaßen gut satt zu
+essen und gesund auszuschlafen.
+
+So lassen sich die verschieden gearteten Ehen mit den verschieden
+gearteten Fahrzeugen vergleichen, und wer Lust hat, mag die Bilderreihe
+zu Tode hetzen.
+
+Adolfs Ehe glich einem Schubkarren. Im Schweiße seines Angesichtes
+drückte er ihn seine steinige, staubige Lebensstraße, und oben auf dem
+Schubkarren saß Frau Katharina, eine derbe Peitsche in der Hand, und
+wenn der arme Adolf einmal eine Schnaufpause machen wollte, pfiff ihm
+die Geißel um die Ohren, und er hörte eine kreischende Stimme: »Prinze
+unn Korferschte hätt' ich heierate könne! O Gott, ich unglicklich
+Fraa!!«
+
+Das war eine der zahlreichen Übertreibungen, derer sich Katharina in den
+durchaus einseitigen Aussprachen mit ihrem Ehemann zu bedienen pflegte.
+Selbst dem entthrontesten Prinzen wäre es niemals eingefallen, um die
+Hand der Drechslermeisterstochter Katharina Bindegerst anzuhalten.
+
+Aber wir wollen gerecht sein und ihr diese Übertreibung nicht zu dick
+ankreiden. Übertreiben ist seit der Urzeit ein Reservatrecht der Frauen,
+der holden wie der unholden. Als Eva gerade eine Minute lang erschaffen
+war, und Adam aus seinem verhängnisvollen Schlafe erwachte, war Evas
+erstes irdisches Wort: »Nun warte ich schon eine #Ewigkeit#!«
+
+Und als sich Adam nun erhob, um das Naturwunder näher zu begucken, und
+als er es vorsichtig betastete, da fuhr Eva auf: »Habe ich Dir nicht
+#schon hundertmal# gesagt, Du sollst mich nicht anrühren?!«
+
+Damals bekam Adam einen Heidenschreck.
+
+Und dieser Schreck hat sich vererbt von Generation zu Generation. Jeder
+junge Ehemann kriegt ihn von Neuem, an jenem Tage, an dem seine Gattin
+zum ersten Male mit ihm zankt, ohne daß er weiß, warum.
+
+Und jeder Ehemann benimmt sich alsdann genau so paradiesisch töricht und
+nachgiebig wie unser Urahn Adam und heftet somit selbst den letzten
+Stich an dem Riesenpantoffel, von dem in der Schöpfungsgeschichte nichts
+steht, und der sich gleichfalls von Generation zu Generation vererbt, --
+und zwar in der #weiblichen# Linie.
+
+Adolf Borges machte es um kein Haar besser. Er war ja schon von Natur
+stets gar schüchtern gegen das weibliche Geschlecht gewesen.
+
+»E Fraa is sicher was Scheenes,« sagte er sich als junger Mann, »awwer
+ich will's gar net so schee hawwe! Die Fraue sin wie Heckeröscher,
+wunnerliebliche Blümercher, die sich um de Mann ranke unn en schmicke
+unn verscheenern, -- awwer ich habb kaa Talent zum Blummestänner! Wann
+sich so e Heckerösche um mich rankt, dann komme doch bloß die Wespe unn
+die Biene unn die Hummele unn steche mich, -- naa, ich bleib liewer
+leddig!«
+
+Man hat das weibliche Geschlecht nicht mit Unrecht die Sonne dieses
+Daseins genannt. Aber Adolf Borges hatte von jung auf eine
+unüberwindliche Angst vor dem Sonnenstich. Wenn er nur von ferne so eine
+liebliche Sonne aufgehen sah, spannte er sogleich abwehrend seinen aus
+Sophismen gewobenen Sonnenschirm auf.
+
+»Gehstde mit danze, Adolf?« frugen ihn Sonntags seine Bekannten und
+Kollegen.
+
+»Ich hipp net, ich bin kaa Laubfrosch!« erwiderte Adolf, denn jeder
+Tanzboden dünkte ihn mehr oder weniger ein Blocksberg.
+
+Seine Freunde fuhren gröberes Geschütz auf.
+
+»Adolf, die dick' Anna, die Köchin von Schmidts in der Krummgaß, hat
+sich nach Derr erkunnigt! Ob De net nächste Sonndag nach der Goedheeruh
+kämst? Se hätt Derr was zu sage! -- No??«
+
+»En scheene Gruß an die dick Anna, unn ich wär net neugierig! Unn se
+soll merr mit ihrer Goedheeruh mei Borgesruh lasse!« sagte er und blieb
+des Sonntags zu Hause.
+
+Oder er bummelte allein im Stadtwald und am Mainufer umher, sah die
+schweren Mainkähne und Flöße ziehen, sah die leichten Amseln schwirren
+und die drolligen Eidechsen huschen. Und empfing dabei mancherlei
+Schönes, was der liebe Gott nur an einsame Spaziergänger zu verschenken
+pflegt.
+
+Einmal fand er ein Vogelnest mit vier Eierchen.
+
+Nachdenklich stand er davor, wiegte den Kopf und sann: »Vier Kinner uff
+aamol, -- naa, ich bleib leddig!«
+
+Ein andermal setzte er sich im Walde ermüdet nieder, legte den Kopf auf
+einen kleinen Hügel, der sich alsbald als Ameisenhaufen entpuppte.
+
+»So is des ganze Lewe!« sprach er und erhob sich betrübt. »E
+Ameisehaufe! Unn da soll merr seine Eltern noch dankbar sei', daß se ein
+in so was eneisetze!«
+
+Und er griff sich melancholisch in den Kragen, um die hurtigen Tierchen,
+die seinen Hals als Tanzplatz benutzten, zu entfernen.
+
+Selten leistete er sich den Genuß, des Abends in einer Kneipe zu einem
+Glas Bier oder einem Schoppen Äpfelwein einzukehren. Friedlich
+schichtete er daheim in der Waschtischschublade die kleinen Ersparnisse
+aus seinem bescheidenen Lohn und aus den Trinkgeldern, die er hie und da
+bei Besorgungen erhielt, zu einem Berg. Es war kein Himalaja, es war
+gleichfalls nur ein Ameisenhäufchen, aber er hoffte, ihn mit der Zeit zu
+einem kleinen Hügel anschwellen zu sehen, von dem aus er in den Zeiten
+des Alters und der Gebrechlichkeit die Welt mit genügsamem Lächeln zu
+betrachten gedachte.
+
+Und das wäre ihm vielleicht auch gelungen, hätte das Schicksal nicht mit
+ihm einen grausamen Scherz vorgehabt und ihn als Untermieter in die
+Wohnung des Drechslermeisters Bindegerst geführt.
+
+Er war damals zweiundvierzig Jahre alt, und sein Herz zählte somit
+bereits zu jenen Zielscheiben, denen gegenüber es sich der kleine Gott
+Cupido erst dreimal überlegt, ehe er noch einen Pfeil daran wagt.
+Entschließt er sich aber dann doch dazu, so nimmt er keinen von den
+kleinen goldenen Pfeilen, die so süß schmerzen, sondern er schnitzt sich
+einen großen, plumpen Kloben zurecht, mit scharfen Widerhaken, und
+versieht dieses vermaledeite Geschoß, damit es auch recht zielsicher
+schwirre, noch eigens mit einem Propeller aus riesigen Eselsohren.
+
+An jenem ersten März, als Adolf Borges mit seinem Handköfferchen die
+Stiege emporschlenderte, um bei dem Drechslermeister das vermietbare
+Dachzimmerchen zu besichtigen, spielte gerade ein Orgelmann im Hof den
+populären Rheinländer:
+
+ »Katharinchen mit dem Selleriekopp,
+ _Allez_ hopphopphopp! _Allez_ hopphopphopp!«
+
+Diesen Drehorgler hatte der hohe Schutzgeist der Junggesellen eigens in
+den Hof gestellt, um Adolf eine letzte Warnung zukommen zu lassen.
+
+Da aber Adolf niemals einen Tanzboden besucht hatte und daher diesen
+Rheinländer nicht kannte, und da er andrerseits nicht wissen konnte, daß
+der Drechslermeister eine Tochter Katharina besaß, fruchtete die Warnung
+leider nichts.
+
+»Gu'n Nachmiddag!« empfing ihn der alte Bindegerst freundlich. »Neun
+Mark dhät des Zimmerche koste! Mit Kaffee zeh' fuffzig! Es is e ruhig
+Zimmerche! Nor dhun als bei Nacht die Katze so kreische! No, da misse Se
+halt mit'm Bandoffel danach schmeiße! Des könne se net verdrage! -- Was
+hawwe Se dann for en Beruf?«
+
+»Ausläufer bei Feldmann & Schröder in der Schloßstraß!«
+
+»E foi Haus!« bekräftigte Vater Bindegerst. »E erstklassig Firma! Ich
+bin aach schonn emal bei're ereigefalle mit eme Aaazug! Wie lang sin Se
+dann schonn bei dene Leut?«
+
+»Zweiunzwanzig Jahr!« seufzte Adolf.
+
+»Des is e Embfehlung!« schmunzelte Bindegerst. »Des is e Embfehlung,
+wann's e Aagestellter so lang mit'm Brinzibal aushält! -- Sin Sie
+eigentlich e Offebächer odder e Frankforder?«
+
+»E Frankforder wär' ich!«
+
+»Ich aach! Unn da sin Se nach Offebach ausgewannert?«
+
+»Ja, ich bin ausgewannert. Amerika war merr zu weit, da bin ich nach
+Offebach.«
+
+»Ich aach. No, steihe merr emal enuff in des Zimmerche! Se misse Ihne am
+Stiegegelänner festhalte, die Trepp is e bissi wackelig!«
+
+Adolf sah sich das Zimmer an und behielt es. Er war ja so bescheiden in
+seinen Ansprüchen, die Gabe des Widerspruchs war ihm versagt, und wenn
+der letzte Teil der Treppe sogar #völlig# gefehlt hätte, und Herr
+Bindegerst hätte gesagt: »Se misse, um in Ihr Zimmerche zu komme,
+jedesmal en Rieseaufschwung mache!«, er hätte auch in diesem Falle nicht
+die Energie gefunden, nein zu sagen.
+
+Und überhaupt war es Adolf ziemlich gleichgültig, wie er wohnte. »Was
+kimmt's dadruff aa?« sagte er sich. »Ich habb schonn Säu geguckt, die
+hawwe in Ställ gewohnt mit Borzellankachele, -- no, am Schluß sin se
+#doch# geschlacht' worn! Unn wann der Herr Feldmann unn der dick Herr
+Schröder ihr Haus noch e dutzendmal umbaue lasse unn dhun so viel
+Bogelampe enei wie in de Frankforder Haaptbahnhof, deshalb bleiwe se
+#doch# zwaa Rindviecher!«
+
+Und er fühlte sich zunächst ganz wohl im neuen Heim. Wenn auch das
+Zimmerchen nichts enthielt als ein einigermaßen erträgliches Bett, einen
+morschen Spiegelschrank, in dem ein falscher Schlüssel steckte, eine arg
+baufällige Waschkommode -- (»Se kriehe evenduell emal e annerne«, hatte
+Herr Bindegerst gegen seine eigene Überzeugung behauptet) -- einen
+durchgesessenen Stuhl und einen Tisch, der, sobald man sich auf ihn
+stützte, von selbst Rheinländer zu tanzen anfing, es war doch so
+lauschig still des Abends da droben, und wenn man den Kopf zum
+Dachfenster hinausstreckte, sah man unten die Menschen wie kleine Käfer
+umherkrabbeln.
+
+Und das erschien Adolf sehr possierlich.
+
+»Wie klaa misse se erscht dem liewe Gott vom Himmel aus vorkomme!«
+meinte er. »Da kann er freilich kaan Brinzibal vom Ausläufer
+unnerscheide, unn kaan Rothschild von eme Schnorrer! Ich glaab werklich,
+es is gar net so schwer, die Mensche gerecht zu beorteile, -- merr muß
+nor weit genuch eweck sei!«
+
+Und des Nachts schien der Mond in das Zimmerchen, der so viel
+demokratischer ist als die Sonne. Denn, wenn dich die Sonne ansieht, so
+mußt du ehrfurchtsvoll, geblendet die Augen schließen; den Mond aber
+kannst du ohne Zwinkern fröhlich und freundlich begrüßen wie
+deinesgleichen.
+
+Man hat nur noch kein genügend großes Fernrohr gebaut, sonst könnte man
+deutlich sehen, wie der Mann im Mond jeden Gruß erwidert; jedesmal
+unterbricht er die Arbeit des Holzhackens und zieht seine Mütze, denn er
+hackt ja das Holz nicht für eigene Rechnung, und deshalb eilt es ihm
+nicht so.
+
+Freilich, wie die Sonne ihren Sonnenstich austeilt, so gibt es auch den
+Mondstich. Aber den kriegen nur die lyrischen Dichter. Und dann hält
+sich der Mann im Mond mit beiden Händen die Ohren zu.
+
+In solchen mondhellen Nächten erhuben auch die von Vater Bindegerst
+bereits angekündigten Katzen ihre Stimmen. Ganze Sinfonie-Konzerte
+führten sie auf. Adolf hätte ein ganzes Schuhwarenlager nach ihnen
+werfen können, es hätte sie nicht gestört. Im Gegenteil: kam ein
+Pantoffel geflogen, so faßten sie das als Beifallsbezeugung, als eine
+Art ledernen Lorbeerkranz auf und gaben noch ein mindestens fünfteiliges
+Tongemälde zu.
+
+»Herr Bindegerst, des soll der Deiwel aushalte, des Katzekonzert!«
+beklagte sich Adolf einmal, als er die ganze Nacht kein Auge hatte
+schließen können. »Was hawwe die Viecher dann bloß?«
+
+»Die Lieb'!« erklärte der Drechslermeister als weltweiser Mann. »Glaawe
+Se, die Mensche gewwe #scheenere# Tön' von sich, wann se verlibbt sin?
+Die Lieb is halt so musikalisch!«
+
+Adolf, der ja die Liebe nicht aus eigener Erfahrung kennen gelernt
+hatte, gab sich mit dieser Erklärung zufrieden.
+
+Aber schon wurden die Saiten gestimmt, um auch ihn musikalisch zu
+machen. Und das Instrument, nach dem er tanzen lernen sollte, hieß
+Katharina.
+
+Allmorgendlich um halb sieben Uhr brachte sie ihm den Kaffee hinauf. Sie
+stand zu diesem Zweck schon um sechs Uhr auf, wusch sich, indem sie mit
+dem feuchten Waschlappen ein paarmal das spitze Vorgebirge ihrer Nase
+umsegelte, kämmte ihr Haar, wobei man nicht an die Loreley zu denken
+braucht, und legte es sich in Strähnen um den Hinterkopf.
+
+Dann schlüpften ihre dürren Glieder in einen oft geflickten Unterrock,
+ihre behenden knochigen Arme fuhren heftig in eine Flanellbluse wie der
+Teufel in die Sauherde, der Oberrock wurde über das Haupt gestülpt, und
+dann begann der Bauchtanz, den die Frauen aufführen müssen, bis endlich
+sämtliche Rückenknöpfe geschlossen sind. Zuletzt schlupfte sie in die
+Strümpfe und in die Schlappen.
+
+Begehrenswert war Katharina nicht; das fanden alle, die sie kannten, mit
+einer einzigen Ausnahme. Und die hieß Katharina Bindegerst. Lichtenberg
+hat unrecht, wenn er behauptet: wenn ein Affe in den Spiegel sieht, kann
+kein Apostel herausschauen. Man frage nur den Affen!
+
+»Gu'n Morsche, Herr Borges!« lächelte Katharina so zauberhaft, als es
+ihr möglich war.
+
+»Gu'n Gugurruru-Morsche, Fräulein Binde-schtscht-ssgstgerst!« entgegnete
+Adolf, der gerade beim Gurgeln und Zähneputzen war.
+
+»Ach Gott, Ihne fehlt ja hinne 'n Knopp!« schrie Katharina auf.
+
+Das hatte Adolf noch nicht bemerkt. Und er hatte es nicht bemerken
+#können#, da in Wirklichkeit an seiner Hose nicht der geringste Knopf
+fehlte. Aber darauf kam es der Offenbächer Circe auch gar nicht an;
+schon hatte sie Nadel und Faden gezückt und markierte auf Adolfs
+Kehrseite das Annähen eines Knopfes.
+
+Und obwohl er in dieser Situation unmöglich ihr Gesicht sehen konnte,
+lächelte sie dabei unausgesetzt verführerisch.
+
+Ob sie ihn liebte? -- Nein. Sie war überhaupt keiner Liebe fähig.
+
+Daß ein altes Holz Blüten treibt, das kommt nur im »Tannhäuser« vor, und
+auch da ganz am Schluß des letzten Aktes, so daß man nicht nachprüfen
+kann, wie lange die Blüte vorhält.
+
+Wohl hatte auch Katharina, wie alle Mädchen, eine Zeit gehabt, in der
+sie von jener naturwidrigen Art Ehe träumte, die zu neunzig Prozent aus
+Liebkosungen besteht, und in der man von Küssen und Anschmachten satt
+wird. Aber längst hatte die Flut der Jahre dieses glückhafte Schifflein
+verschlungen.
+
+Nun war sie praktisch geworden, praktisch wie ein Sklavenhändler, und
+sah im Manne nur eine Versorgungsanstalt. Eine Rentenversicherung, der
+keine Kontrolle erlaubt ist und die obendrein bei der Auszahlung jedes
+Betrages einen Kniefall zu machen hat.
+
+Ein pensionsberechtigter Zwerg Nase wäre ihr als Gatte sympathischer
+gewesen als der Apoll von Belvedere, von dem es ungewiß ist, ob er eine
+Frau ernähren konnte.
+
+Ach, die so nüchternen, trockenen Eheparagraphen des Bürgerlichen
+Gesetzbuches erscheinen wie ein Hohelied auf die Liebe, verglichen mit
+den Eheanschauungen eines Mädchens, das erst einmal angefangen hat,
+»praktisch« zu denken!
+
+»Danke schee!« sagte Adolf Borges, als Katharina mit dem Festnähen des
+ohnehin bereits festgenähten Knopfes fertig war.
+
+»Haww ich Ihne aach net gestoche?« flötete Katharina und warf ihm einen
+Blick zu, bei dessen Empfang der früher erwähnte Herr Meier stolz
+gefragt hätte: »Adolf, haben Sie den Blick gesehen? Den Blick? Ich sag
+Ihnen, Adolf, wenn ich #wollt#' -- aber ich will net!«
+
+Adolf war kein Meier. Er bemerkte den Blick überhaupt nicht.
+
+Noch stimmten die Saiten, nach deren Klang er das Tanzen lernen sollte,
+nicht genau, aber nur noch um kleine Schwankungen waren die Quinten
+unrein, und schon probierte Katharina leise, pizzikato, ob sie das Spiel
+wohl beginnen könne.
+
+Sie hatte das Tablett mit dem Kaffee auf den Tisch gestellt, doch nun
+fand sie, daß es nicht gut stünde. Während ihr Dachzimmerherr den
+Schlips umband und die Jacke anzog, rückte sie an dem Tablett herum und
+stellte die inzwischen kalt gewordene Tasse Kaffee und das
+Butterbrötchen recht handlich hin.
+
+Dabei schwänzelte sie geziert um den Tisch und ließ durch ein paar
+kokette Drehungen ihren gewitterfarbenen Rock ein wenig blähen, so daß
+der Regenbogen ihres oftgeflickten Unterrocks sichtbar ward.
+
+Aber auch an dieser Naturerscheinung ging Adolf achtlos vorüber.
+
+Da ließ sie ihn denn allein, stieg die Treppe hinunter und seufzte:
+»Merr hat's net leicht!«
+
+Adolf schlürfte den kalten Kaffee, griff, noch mit beiden Backen kauend,
+nach seiner Mütze, machte sich auf den Weg zu Herrn Feldmann, um die
+Geschäftsschlüssel zu holen, begab sich in die Schloßstraße, öffnete,
+zog die Rolläden hoch und begann die eintönige Arbeit des Aufwischens
+und Abstaubens.
+
+Und seufzte: »Der liewe Gott hätt' aach gescheider die Welt in #aam# Dag
+erschaffe unn dann #sechs# Däg geruht, schdatt umgekehrt! Dann hätte
+merr sechs Sonndäg in der Woch!«
+
+Er war noch mitten in den Aufräumungsarbeiten, da kamen schon die
+ersten, pünktlichsten Angestellten, und der Briefträger kam und gab die
+Post ab, und die Kommis suchten schnell die Privatbriefe und jene Briefe
+heraus, die wegen falscher Adresse zurückgekommen waren, und zuletzt kam
+der Herr Feldmann, und kaum war er da, da fing er auch schon an zu
+schimpfen und einem Kommis zu versichern: »Zum Schlafe haww ich Se net
+angaschiert! Schlafe kann ich selwer for mei Geld!«
+
+Und das ganze Personal dachte: »Dhät er's nor!«
+
+Und ganz zuletzt kamen die Herren Lehrlinge und behaupteten, ihre Uhren
+gingen nach.
+
+Und Adolf Borges spielte das einförmige Rondo seiner Tagesarbeit, ein
+gar langweiliges Rondo, in dem die beiden Themen »Pakete schnüren« und
+»Gänge besorgen« ewig wiederkehrten; nur die Begleitstimmen zu diesen
+beiden Melodien boten ein wenig Abwechslung, denn wenn er beim
+Paketschnüren war, schrie der nervöse Herr Feldmann: »E halb Jahrhunnert
+sin Se jetz bei merr unn hawwe's immer noch net gelernt!«, und wenn er
+von einem Besorgungsgang zurückkam, spöttelte der gemütlicher
+veranlagte, dicke Herr Schröder: »Es is nor liewenswerdig von Ihne, daß
+Se iwwerhaapts noch zurickkomme! An Ihrer Stell wär' ich iwwer Nacht
+gebliwwe!«
+
+Und Adolf dachte sich: »Grad wie nachts die Katze kreische se! Schad,
+daß merr kaan Bandoffel nach 'ne werfe derf!«
+
+-- Ich muß noch einmal auf den Drachen Fafner zu sprechen kommen. Der
+Leser wird bereits bemerkt haben, daß ich eine Schwäche für dieses Vieh
+besitze. In der Tat, ich habe ihn in mein Herz geschlossen und ich
+bedaure nur, daß man ihn nicht herausklatschen darf wie eine
+italienische Opernprimadonna, auf daß er _da capo_ singe. Er ist der
+bestdisziplinierte Drache, den ich kenne. Geduldig liegt er in seiner
+Höhle und wartet auf sein Opfer. Wer ihn nicht aufsucht, den frißt er
+nicht.
+
+Ganz anders Katharina. Sie hatte sich ihr Opfer ausgesucht, aus der
+reichhaltigen männlichen Speisekarte hatte sie gerade das Gericht Adolf
+Borges gewählt, sie hatte ihn sich bei dem Oberkellner Zukunft bestellt,
+und sie bestand mit aller Hartnäckigkeit darauf, ihn vorgesetzt zu
+bekommen.
+
+Eines Abends klopfte es plötzlich an die Türe des Dachzimmerchens.
+
+»Erei'!« rief Adolf verwundert.
+
+Und herein trat Katharina und sprach mit einem Lächeln, das sie für sehr
+liebreich hielt: »Der Vadder läßt Ihne sage, ob Se net uff e Gläsi Bier
+bei en erunnerkomme dhäte?«
+
+Sie hatte eine frischgewaschene weiße Bluse angezogen, die sie mit
+Parfüm von dem Friseur gegenüber besprengt hatte. Es war das erste mal
+in ihrem Leben, daß sie Parfüm gekauft hatte, und der Figaro von
+nebenan, der blondgelockte Herr Hippenstiel, der wie alle seine
+Fachgenossen ein Schlaukopf war, hatte gleich etwas geahnt und diskret
+gefragt: »Derf merr graduliere?«
+
+Worauf Katharina feuerrot wurde und hauchte: »Sie könne aan werklich in
+Verlegeheit bringe, Herr Hippestiel!«
+
+Zwei Tropfen solle sie nehmen, das genüge vollauf, hatte Herr
+Hippenstiel sie belehrt. Aber Katharina machte es wie die Patientinnen,
+denen der Arzt fünf Tropfen einer Medizin verordnet hat, und die sich
+sagen: »Wenn schon fünf Tropfen gut tun, wie müssen da erst zehn Tropfen
+helfen!«
+
+Sie hatte sich gleich das halbe Fläschchen der öligen Flüssigkeit auf
+die Bluse geschüttet und sie fand, daß sie nun sehr gut roch.
+
+Auch Adolf fand das, denn er sagte: »Fräulein Bindegerst, Se rieche wie
+e Gewächshaus!«
+
+Eigentlich hatte er wenig Lust, der Biereinladung Folge zu leisten.
+Allein seine Schüchternheit sagte ihm, es sei doch zu unhöflich,
+abzulehnen, und so meinte er: »Ich mach merr zwar Awends nix aus Bier,
+aber no, ich wer' net gleich draa sterwe!«
+
+Und Katharina flüsterte holdselig: »Sie sin iwwerhaapts so solid, Herr
+Borges! So'n solide Mann haww ich noch kaan kenne gelernt! Ach, Herr
+Borges!«
+
+Und dabei seufzte sie so tief, daß das ganze Gewächshaus sich zu heben
+und senken anfing.
+
+-- »Des is recht, Herr Borges, daß Se uff'n Schluck Lagerbier komme!«
+begrüßte Vater Bindegerst ihn und lud ihn zum Sitzen ein. »Ich habb
+merrsch schonn oft gedenkt: was dhut der Mensch eigentlich so allaans da
+drowwe in sei'm Leuchttorm? Es is net gut, daß der Mensch allaans sei,
+haaßt's in der Biwel. Ich habb lang net mehr drin gelese, ich les liewer
+Detektivgeschichte, awwer es is e wahr Wort. Wisse Se, wenn ich kaa
+Gesellschaft habb, dann komm ich ins Denke, unn wannn ich erscht emal
+ins Denke komm, dann kimmt nix Gescheides dabei eraus! No, Prost, Herr
+Borges!«
+
+Adolf hob seinen Krug und stieß mit dem Drechslermeister an. Katharina
+hatte ihm das Bier eingeschenkt, in den schönsten Krug des kleinen
+Haushalts. Es war ein recht schmucker Krug, die selige Frau Bindegerst
+hatte ihn vor vielen Jahren ihrem Eheherrn geschenkt, erstens weil er
+Geburtstag gehabt hatte, und zweitens weil gerade in dem
+Porzellangeschäft Ausverkauf gewesen war. Eine alte Ritterburg war auf
+den Krug gemalt, an deren Portal ein Ritter Trompete blies. Man hätte
+ihn unbedingt für den Trompeter von Säckingen halten müssen, hätte nicht
+in goldenen Buchstaben darunter gestanden: Stolzenfels am Rhein.
+
+Auch Katharina stieß mit an, und sie hauchte dabei: »Prost!«
+
+Es klang wie das Piepsen eines Kanarienvogels, denn sie war, wie alle
+Frauen, eine Verwandlungskünstlerin. Noch hatte sie auf das Grammophon
+ihres Antlitzes die schmachtende Platte »O könnt ich noch einmal so
+lieben« aufgelegt, -- aber die Radauplatte »Tararabumdieh!« lag schon
+bereit.
+
+Vater Bindegerst saß auf dem Sofa, ihm gegenüber saß Adolf auf einem
+Stuhl, und auf dem Nachbarstuhl blühte das Gewächshaus Katharina.
+Zunächst war noch ein halber Meter Distanz zwischen ihnen, aber der
+Zwischenraum verringerte sich im Laufe des Abends, obwohl Adolf kein
+Millimeterchen von seinem Platz rückte.
+
+Zunächst schickte sie ihre linke Fußspitze als Patrouille aus. Die
+Fußspitze sondierte das Gelände, fand es »vom Feinde frei«, und rückte
+vorsichtig weiter vor, bis sie ihr Ziel, die Borgessche Fußspitze,
+erreicht hatte.
+
+»Entschuldige Se, Fraulein Katherina!« sagte Adolf und zog seinen Fuß
+zurück.
+
+Katharina errötete, aber innerlich hatte sie sich vorgenommen: »Wenn ich
+ihm erst die kleine Zehe reiche, muß er das ganze Bein nehmen!«
+
+»Des ganze menschliche Lewe is e Gemeinheit!« philosophierte Vater
+Bindegerst, der ins Denken zu kommen schien, denn er redete viel Unsinn.
+Und er fing an zu politisieren und auseinanderzusetzen, wie ungerecht es
+auf der Welt im allgemeinen, und in Offenbach im besonderen zuginge. Es
+war eine lange Rede, die er hielt, es ging ihm weder der Atem noch das
+Lagerbier aus, und er schloß mit der überzeugenden Wendung: »Unnn woher
+kimmt des alls? -- Weil des ganze Lewe e Gemeinheit is!«
+
+»Entschuldige Se, Fräulein Katherina!« sagte Adolf und zog sein Knie
+zurück, denn Katharina war mit ihrem Knie an das seine gekommen. Nachdem
+die Patrouille Fußspitze zum Truppenteil zurückgekehrt war, hatte
+Katharina nämlich beschlossen, eine stärkere Patrouille auszuschicken.
+Auch diese Patrouille wurde zurückgezogen, und die ganze Kompagnie
+begann nun zu manövrieren, indem sie mit ihrem Stuhl zu rutschen anfing.
+
+Vater Bindegerst trug die Hauptkosten der Unterhaltung. Diese Kosten
+trägt man ja gerne, denn sie sind billig. Es fiel ihm durchaus nicht
+auf, daß sein Gast nur hie und da eine kurze verlegene Zwischenbemerkung
+machte, denn der Drechslermeister gab sich die meisten Antworten selbst
+und fand daher diese Antworten sehr treffend.
+
+Sein Zimmerherr ward ihm von Viertelstunde zu Viertelstunde
+sympathischer, er beschloß, ihn öfters einzuladen. Gibt es doch für
+geschwätzige Menschen nichts Angenehmeres als ein Zwiegespräch, bei dem
+nur einer redet.
+
+Er erzählte nun von seinem Geschäft und lobte dabei, wie landesüblich,
+die gute, alte Zeit.
+
+»Ja, frieher«, sagte er, »frieher, da war des Geschäftslewe noch reell!
+Hier die Waar, hier's Geld! Awwer heut! Heut sollstde Kredit gewwe, bis
+De schwarz werst, heut nemme Derr die Leut de halwe Lade mit unn sage:
+Schicke Se merr die Rechnung! Unn wannsde se mahnst, sin se net dahaam!
+Merkwerdig: wannsde ihne die Waar' schickst, da sin se all dahaam, awwer
+wannsde Dei Geld hawwe willst, dann mache se grad en Besuch odder se sin
+in die Sommerfrisch odder se hawwe'n Trauerfall unn die ganz Familie
+erbt ebbes, -- bloß Du kriehst nix!«
+
+»Entschuldige Se, Fräulein Katherina!« sagte Adolf, denn sie lehnte
+ihren Arm an den seinen.
+
+Sie saß jetzt ganz dicht neben ihm, und ihm war, als säße er mitten in
+einem Gewächshaus. Es war recht schwül in dem Gewächshaus, die Luft fing
+an, ihn leise zu benebeln.
+
+Er zog seinen Arm nicht zurück; es tat ihm wohl, sich von den Zweigen
+dieses Gewächshauses fast unmerklich streicheln zu lassen.
+
+Das war so sanft und weich, daß er gar nicht merkte, daß hier Disteln
+statt Rosen wuchsen.
+
+Er hob jetzt seine Augen und besah sich die Botanik näher, und das
+Pflanzenreich gefiel ihm nicht so übel. Machte doch die falsche
+Katharina ihre schönsten Vergißmeinnichtaugen und zog ihr süßestes
+Lilienmäulchen, so daß man wirklich nicht mehr sehen konnte, #was# für
+eine Pflanze sie in Wirklichkeit war. Er fühlte sich im Palmengarten und
+merkte nicht, daß er im Zoologischen war.
+
+»Kättche, hol de Quetschekuche von heut Middag!« befahl der Vater. »Der
+Herr Borges werd Abbeditt hawwe!«
+
+Ach nein, der Herr Borges hatte jetzt gar keinen Appetit. Der Magen
+erschien ihm jetzt als der prosaischste Körperteil, den Gott geschaffen
+hat. Er hatte ein ganz unbestimmbares Gefühl, so ein Mittelding zwischen
+Lachen und Weinen, Wonne und Schmerz, und wenn ihn jetzt ein Kassenarzt
+gefragt hätte: »Herr Borges, wo tut's Ihnen weh?« -- er hätte es beim
+besten Willen nicht sagen können.
+
+Er empfand nur, als Katharina hinausgegangen war, um den
+Zwetschenkuchenrest zu holen, plötzlich eine tiefe Leere neben sich, und
+es kam ihm so vor, als sei die Temperatur im Zimmer plötzlich um zehn
+Grad gesunken.
+
+So ungefähr war ihm zu Mute wie damals, als er den Kopf in den
+Ameisenhaufen gelegt hatte. Die Ameisen kribbelten und bissen, aber als
+Katharina wieder ins Zimmer trat, da verwandelten sich die Ameisen in
+lauter kleine, goldige Leuchtkäferchen und huschten im Zimmer umher und
+schwirrten ihm um die Nase, und es ward so hell, daß er fast ausgerufen
+hätte: »Gott, was e Pracht! Die Sonn is uffgange!«
+
+»E guter Quetschekuche is des, Herr Borges!« versicherte der Gastgeber.
+»Da könne Se weit laafe, bis Se so aan finne! Des Rezept schdammt noch
+von maaner selig Fraa! Unn von der hat's Kättche die Kochkunst geerbt.
+Koche kann des Mädche wie e junger Gott! Die macht Ihne aus Dreck de
+scheenste Pudding! No, fresse Se, -- unn Se wern merr Recht gewwe!«
+
+Ein gewöhnlicher Sterblicher hätte bei diesen Worten beide Ohren
+gespitzt. Denn die Liebe des Mannes geht durch den Magen, und ich bin
+überzeugt, Zeus wäre der solideste Ehemann gewesen, hätte ihm Hera nicht
+immer Nektar und Ambrosia vorgesetzt.
+
+Aber Adolf Borges war kein gewöhnlicher Sterblicher. Dieser kleine
+Konfektionsgeschäftsauslaufer war ein Gefühlsmensch, und diese
+Menschengattung ist unter den Sterblichen in der verschwindenden
+Minderheit. Wenn sie einen hohlen Zahn haben, ja, dann sind sie alle
+Gefühlsmenschen, aber viel weiter reicht ihr Gefühl nicht.
+
+Der Kauf des Parfüms lohnte sich für Katharina. Der Schwerenöter
+Hippenstiel hatte sie nicht betrogen. Adolf atmete den süßen Duft mit
+unbewußtem Wohlbehagen und hätte es unter keinen Umständen geglaubt, daß
+er selbst für zwei Mark fünfzig hätte ganz genau so gut riechen können.
+
+Ach, die Liebe verleiht dem Menschen Schwingen, die ihn emportragen über
+alles Alltagsungemach, die Erde entschwindet dem Blick, der König
+vergißt seinen Palast, der Bettler seine Hütte, der Feinschmecker seinen
+Quetschekuche; im reinen Äther schwimmt er und atmet die wonnigen Düfte,
+die es bei keinem Hippenstiel zu kaufen gibt.
+
+Schon fühlte Adolf die Flügel auf seinem Rücken knospen. Er spürte das
+Bedürfnis, sich den Buckel zu kratzen, aber »des schickt sich doch net!«
+
+»Fresse Se, Herr Borges!« ermunterte Meister Bindegerst.
+
+Und auch Katharina lud ein: »Fresse Se, Herr Borges, -- odder derf ich
+#Herr Adolf# zu Ihne sage?«
+
+Und um jede Antwort abzuschneiden, schob sie ihm ein großes Stück Kuchen
+in den Mund. Und hätten statt der süßen blauen Zwetschen dicke
+Rhizinuspillen auf dem Hefenteig gelegen, Adolf hätte dennoch die Gabe
+mit allen Zeichen des Entzückens geschluckt.
+
+In dieser Nacht schlief der arme Adolf sehr unruhig.
+
+Er träumte von einem Gewächshaus, darin dufteten die herrlichsten Blüten
+und zwitscherten die wunderlichsten Vögel. Adler sangen wie
+Nachtigallen, und auf einem Rosenzweig schaukelte sich eine Gans und
+flötete kwiwitt, kwiwitt. Und mitten in dem Gewächshaus wuchs ein großer
+Baum, das war der Quetschekuchebaum, und wie im Aschenbrödel ließ dieser
+Baum mit sich reden, und Herr Bindegerst stand davor und sang:
+
+ »Bäumche, rüttel Dich unn schüttel Dich,
+ Werf Quetschekuche iwwer mich!«
+
+Und es erschien ihm der Trompeter aus Stolzenfels am Rhein, mit einer
+Pfauenfeder am Hut und frischgeputzten Stulpenstiefeln, und blies auf
+seinem Horn ein herzerweichendes Solo, bis sich das Burgfenster öffnete
+und Katharina heraussah und mit einem Putzlumpen winkte und fragte:
+»Herr Trompeter, derf ich zu Ihne #Herr Adolf# sage?«
+
+Da blies der Trompeter ein so begeistertes Fortissimo, daß Adolf
+erschrocken aus dem Bett hochfuhr. Er hörte noch im Wachwerden das
+schmelzende Lied, -- nur war es kein Trompetensolo, sondern es waren die
+verfluchten »Katzeviecher«, die gerade wieder einmal Sinfoniekonzert
+hatten.
+
+Der Mann im Mond aber schüttelte den Kopf und meinte: »Schon wieder
+einer! Immer das Gleiche! Hoffentlich kommt mir keine Mondfinsternis
+dazwischen, damit ich sehn kann, wie die Geschichte ausgeht!«
+
+Und nun begann für Adolf jener Lebensabschnitt, den Schiller als der
+ersten Liebe goldene Zeit bezeichnet, wobei er freilich schwerlich an
+einen Zweiundvierzigjährigen Offenbacher Ausläufer gedacht haben wird.
+Adolfs welkes Herz erblühte, und er geriet somit in jenen seltsamen
+Zustand, dem gegenüber selbst die erfahrensten Ärzte ratlos sind, und
+den nur die großen #Menschheitsärzte# beschreiben können: nämlich die
+Dichter.
+
+Die Liebe ist jener märchenhafte Fortunatussäckel, aus dem man unendlich
+schöpfen kann, ohne ihn je zu leeren. In einer Märchenwelt taumelt der
+Verliebte, und in dieser Märchenwelt war Adolf Borges der verwunschene
+Prinz, den eine böse Hexe dazu verdammt hatte, unter Mißachtung seiner
+hohen Abkunft bei Feldmann & Schröder Pulte abzustauben und Pakete zu
+schnüren.
+
+Woher sollten es die Herren Feldmann und Schröder wissen, daß sie einen
+leibhaftigen Prinzen beschäftigten?
+
+»Adolf, Se sin e Kamel!« sagte Herr Feldmann. Und Adolf dachte sich:
+»Wann des Kamel nor #glicklich# is!«
+
+»Adolf, Se sin e Rindviech!« versicherte der dicke Herr Schröder. Und
+Adolf lächelte: »O selig, o selig, ein Rindviech zu sein!«
+
+Wie alle Verliebten fing auch er an, kindisch zu werden und selige
+Närrischkeiten zu treiben, und so erwischten ihn die Putzfrauen der
+Firma eines Morgens dabei, wie er vor einer Modellfigur auf den Knieen
+lag und indem er sie mit dem Federbesen abstaubte, verzückt flüsterte:
+»Bistde kitzlich, mei Zuckerschnutche? Ach, Kättche, was bistde for e
+sieß Oos!«
+
+Und weil die Putzfrauen ebensowenig wie die Chefs wußten, daß sie es mit
+einem verzauberten Prinzen zu tun hatten, hielten sie sich die Bäuche
+vor Lachen, und -- klatsch -- hatte Adolf einen nassen Putzlumpen auf
+dem Buckel.
+
+Abends, nach acht Uhr, aber, wenn er von der Post zurückgekommen war und
+die Rolläden herabgelassen hatte, wich der schlimme Zauber von ihm, er
+war nicht mehr das »scheppe Adolfche«, wie ihn der eklige Kassierer
+nannte, sondern Prinz Adolf der Liebeglühende von Träumershausen, und
+Seine Durchlaucht geruhten nach dero Märchenschloß zu wandeln,
+welchselbiges dicht unter dem Dach lag.
+
+Der alte wackelige Stuhl war der Thronsessel, der Schrank mit dem
+kaputenen Schlüssel, die Schatzkammer, in der als funkelndes Geschmeide
+seine Sonntagshose hing. Und vom Dachfenster aus hatte der Prinz die
+herrlichste Aussicht auf sein Reich; da wimmelten seine Untertanen, und
+jeden, den er mit einem Liebchen am Arme spazieren sah, ernannte er zu
+seinem Pagen.
+
+Hörte er aber jemanden das schöne Lied »Du bist verrückt, mein Kind«
+singen, so sagte er mit gutmütiger Selbstironie: »Des is mei
+Nationalhymne!«
+
+Oh, S. Durchlaucht Prinz Adolf hatten einen großen Hofstaat! Der
+Kassierer, der ihm allmonatlich seinen Gehalt auszahlte, war sein
+Finanzminister, der Herr Schröder war sein Zeremonienmeister, der
+Schutzmann unten an der Ecke seine Leibgarde, der Lehrling sein Hofnarr
+und die Aufwaschweiber seine Hofdamen.
+
+Ein Stockwerk unter ihm aber, da war das Allerköstlichste: da residierte
+Prinzessin Katharina, die Märchenfee, die er zu erlösen hatte. Es ist im
+Märchenreich üblich, daß ein Prinz, ehe er die Hand der Holdseligsten
+erringt, erst einige Drachen ins bessere Jenseits befördert, -- in
+#diesem# Märchen begab es sich leider, daß der kurzsichtige Held nicht
+die Prinzessin, sondern den Drachen selbst freite.
+
+Oft des Abends sahen nun die Mainnixen den kleinen Adolf mit Katharina
+am Ufer auf und ab wandeln, sie kicherten zwischen den großen Kähnen
+hervor und zählten die Küsse nach. Es gingen dort viele verliebte
+Pärchen spazieren, aber auf unser Duo hatten es die Nixenfrechdächse
+ganz besonders abgesehen. Denn in der Maingegend haben auch die
+Elementargeister Sinn für Humor. Und wie oft wisperten sich im
+Offenbacher Stadtwald die Sträucher und Büsche verschmitzte
+Randbemerkungen zu, bis eine uralte Tanne sie zurechtwies: »Still, klaa
+Gezäppel! Is ja doch bloß der griene Neid von Euch!« Denn in der
+Offenbacher Gegend sprechen auch die Vegetabilien Dialekt.
+
+Katharina war bei diesen Abendwanderungen viel zu folgsam, schweigsam
+und nachgiebig, als daß diese Tugenden hätten echt sein können. Wenn der
+kleine Adolf zu schwärmen anfing: »Kättche, lieb Kättche, guck nor de
+Mond! Is es net, als ob er extra als Latern hiegehenkt war, damit ich
+Dei sieß Schnutt besser find?« dann entgegnete sie zärtlich: »Ach ja,
+Adolfche, der Mond!!« Und dachte sich heimlich: »Also mondsüchtig is er
+#aach#! No wart nor, ich wer' Derr die Posse schonn ausdreiwe!«
+
+Und wenn er im dunklen Stadtwald fantasierte: »Kättche, wann jedz e
+Räuwer kam, verteidige dhät ich Dich bis zum letzte Blutsdroppe!«, dann
+schmiegte sie sich dicht an ihn und hauchte: »Ich waaß es, Adolf!«
+
+Und dachte bei sich: »Ich möcht net gucke, wiesde laafe dhätst!«
+
+Von diesen Gedanken Katharinas ahnte der harmlose Verliebte nichts. Wohl
+war er in seiner Liebe ein Prinz, ja sogar ein König, -- aber nur ein
+König auf dem Schachbrett, und Katharina war die Königin, die ihn matt
+setzen sollte. Die Küsse, mit denen sie die seinen erwiderte, waren
+zäher Leim, und an diesem Leim blieb das harmlose Vögelchen Borges
+hängen.
+
+Vater Bindegerst sah die Entwicklung der Dinge mit stillem Vergnügen.
+Adolf war ihm lieb und wert, aber noch lieber war ihm der Gedanke, seine
+zänkische, bösartige Tochter auf gute Art los zu werden. Er, der seit
+dem Tode seiner Frau unter #Katharinas# derbem Pantoffel stand, träumte
+in Gedanken von einer neuen Junggesellenzeit, in der er viel Versäumtes
+nachzuholen gedachte.
+
+Er redete Adolf nicht zu, aber er warnte ihn auch nicht, zumal ihm die
+Erfahrung hinreichend bewiesen hatte, daß man leichter einem Nilpferd
+das Ballettanzen beibringt, als einem Verliebten die Wahrheit über seine
+Angebetete.
+
+Es bestand zwischen Vater und Tochter ein stillschweigendes
+Übereinkommen, dieser Angelegenheit ungehemmten Lauf zu lassen. Drohte,
+wie so oft, ein lärmender Streit zwischen Vater und Tochter
+auszubrechen, und fing Katharina nach ihrer Gewohnheit in den höchsten
+Fisteltönen zu keifen und zu schreien an, dann hob Papa Bindegerst nur
+mahnend seinen Finger und deutete nach oben und flüsterte: »Pst! #Er#
+könnt's hörn!« und sofort ging Katharina zum zartesten Pianissimo über.
+
+Wobei ihr Talent anerkannt werden muß, auch im leisesten Tonfall die
+haarsträubendsten Bosheiten und Beschimpfungen von sich zu geben.
+
+Und so kam denn der große Tag, an dem Adolf in aller Form um seiner
+Erwählten Hand anhielt.
+
+Er warf sich zu diesem Zweck in den schwarzen Sonntagsanzug, ergriff den
+Zylinder, und es ging ihm einen Augenblick durch den Kopf: »Es is doch
+merkwerdig, daß der Mensch zor Brautschau genau deselwe Aazug aazieht,
+wie wann er zor'rer Beerdigung geht!«
+
+Und setzte tiefsinnig hinzu: »Besonnersch, wann er nor aan Aazug hat!«
+
+Auch Vater Bindegerst hatte sich in sein Feiertagsgewand gehüllt, und
+Katharina prangte wieder in ihrer weißen Bluse.
+
+Die Bluse war nicht mehr ganz so blütenweiß wie damals, als sie den
+ersten Angriff unternommen hatte: in der Taillengegend zeigte sie
+deutliche Fingerabdrücke von Adolfs Händen.
+
+Und nun saßen sich die beiden Männer gegenüber, während Katharina im
+Nebenzimmer auf des Vaters Ruf wartete, wie die Kinder bei der
+Weihnachtsbescherung auf das Klingelzeichen, und Adolf drehte verlegen
+seinen Zylinder in der Hand und wußte nicht, wie beginnen.
+
+Und dachte: »Genau so sitzt der liewe Gott uff seim Thronsessel unn dhut
+die Erd' zwische seine Händ drehe, unn iwwerall, wo er se mit seine
+Fingerspitze beriehrt, werd's Friehling unn die Blumme sprosse! Unn
+manchmal werft er die Erd' wie e Gummiball in die Luft unn fängt se
+widder uff, unn wann er se emal falle läßt, dann krieht die ganz
+Erdeherrlichkeit die Kränk, unn all die Häuser borzele zusamme, unn dene
+Herrn Feldmann unn Schröder ihr Geschäftshaus aach, unn der dick Herr
+Schröder werd in de Trimmer erumfuhrwerke unn werd kreische: »Adolf, was
+schdehn Se da unn halte Maulaffe feil? Nemme Se die Schipp unn de Besem
+unn kehrn Se de Dreck eweck!«
+
+Und endlich hatte Adolf den Zylinder genug in der Hand gedreht, er
+raffte sich auf und stotterte: »Herr Bindegerst, ich waaß net, ob Se
+vielleicht bemerkt hawwe....«
+
+Und Vater Bindegerst unterbrach würdevoll: »Jawohl, Herr Borges, ich
+#habb# bemerkt!«
+
+Da wurde es ihm schon bedeutend leichter ums Herz, und er fuhr fort: »Se
+hawwe neemlich e Dochter, Herr Bindegerst....«
+
+»Jawohl, ich #habb# e Dochter!« bestätigte Herr Bindegerst.
+
+»Unn Ihne Ihr Dochter ... se is nämlich so e gut Mädche, unn so e
+Engelche....«
+
+»Jawohl, se #is# e Engelche!« bekräftigte Herr Bindegerst. Und dachte:
+Wen die Götter verderwe wolle, den strafe se mit Blindheit.
+
+»Unn Ihne Ihr Fräulein Dochter unn ich ... indem ich'r nämlich in der
+ledzte Zeit nahgetrete bin...«
+
+»Oho!« sagte Vater Bindegerst. »Was muß ich heern? #Wie# nah sin Se err
+getrete?«
+
+Da kam die Weihe des Augenblicks über den kleinen Schwärmer Adolf und er
+rief: »So nah, daß ich ihr Herz deutlich habb schlage heern, unn des
+goldig Herzche hat als gebumbert: »Adolfche! Mei Adolfche!« hat's
+gebumbert, unn #mei# Herz hat #mit#gebumbert: »Kättche, mei
+Silwerkättche«, unn wege dere Bumberei bin ich heut da, unn sag Ihne:
+Lasse Se dere Bumberei de kerchliche Sege gewwe! Ich bin kaa Milljonär,
+ich kann Ihne Ihrer Dochter kaa Audomobil kaafe, awwer Trambahn fahrn
+lasse kann ich se, unn satt zu esse werd se hawwe, unn gucke Se sich
+emal mei Händ aa: uff dene Händ wer' ich se drage. Es sin solide,
+kräftige Händ, unn Ihne Ihr Dochter werd gut druff sitze! Herr
+Bindegerst, Se könne zwaa Mensche glicklich mache, -- sage Se »Ja!«
+
+Vater Bindegerst war ganz paff über die Beredsamkeit seines
+Schwiegersohnes und er dachte sich: »Des werstde Derr aach noch
+abgewöhne!« laut aber sagte er: »Se wisse net, was Se verlange! Awwer,
+wann's Kättche nix dagege hat, mein Sege hawwe Se! Nor aans sag ich
+Ihne: Se misse aus'm Haus ziehe! Ich kann kaa jung Liewespärche um mich
+braache!«
+
+Und er rief: »Kättche, komm emal erei! Der Herr Borges is da unn muß so
+needig emal heierate!«
+
+Und wenige Sekunden später lag Katharina in seinen Armen und Adolf
+glaubte, die ganze Welt erobert zu haben.
+
+Drunten im Hof aber spielte wieder der Orgelmann:
+
+ »Katharinchen mit dem Selleriekopp,
+ _Allez_ hopphopphopp! _Allez_ hopphopphopp!«
+
+In dieser Nacht gab es in dem Hause in drei verschiedenen Zimmern drei
+glückliche Menschen:
+
+In seiner Dachkammer saß Adolf und jauchzte: »Ich habb se! Ich habb se!
+Unn wann der Herr Feldmann hunnertmal Recht hätt unn ich wär e Kamel, so
+gescheit war ich doch, daß ich merr des scheenste Kamelweibche geholt
+habb, was es iwwerhaapts uff dere Welt gibbt!«
+
+Und in ihrem Bett lag Katharina und schmunzelte mit funkelnden Augen:
+»Ich habb'n! Fest haww ich'n! No, wart nor!«
+
+Und vor dem Krug mit dem Trompeter von Stolzenfels am Rhein saß der alte
+Bindegerst und rieb sich die Hände und lachte in sich hinein: »Se hawwe
+sich! Ich bin se los!«
+
+Und nach einer Weile: »Ich hätt's net glaabt, daß se noch aan krieht!«
+
+Und wieder nach einer Weile: »Arm Adolfche! Du werst Aage mache!« ....
+
+Acht Tage später trat Adolf vor Herrn Schröder, an den sich die
+Angestellten mit ihren Bitten lieber wandten als an Herrn Feldmann, und
+sagte: »Herr Schröder, ich dhät um acht Däg Urlaub bitte, ich möcht uff
+die Hochzeitsreis'!«
+
+Und der dicke Herr Schröder sah ihn erschrocken an: »Sin Se meschugge?«
+
+Aber als er Adolfs glückstrahlende Augen sah, dämpfte er die Stimme und
+meinte väterlich: »Es is zwar net schee von Ihne, daß Se grad #mitte in
+der Saison# ans Heierate denke, awwer, no, wern Se glicklich! Se könne
+aach #zeh#' Dag bleiwe! Unn was des Hochzeitsgeschenk betrifft, -- ich
+wer' mit meim Kompanjon redde!«
+
+Und im ganzen Geschäft steckten sie die Köpfe zusammen, und die
+männlichen Angestellten sagten: »Merr wolle zusammelege unn em 'n Wecker
+kaafe, sonst schlaft er in der Hochzeitsnacht ei'!«
+
+Und die Damen sagten: »Wie muß die ausgucke, die #den# genomme hat!«
+
+Denn der Mensch ist ein edles Wesen und freut sich darüber, wenn sein
+Nächster glücklich ist.
+
+Und dann kam die Trauung und eines Montags Morgen geleitete Vater
+Bindegerst das frischgebackene Ehepaar zum Bahnhof, um es zwecks
+Hochzeitsreise der Eisenbahn anzuvertrauen.
+
+Der schöne Odenwald war das Reiseziel, und der glückliche Adolf stand in
+Gedanken bereits auf dem Gipfel des Melibokus und zeigte seiner zarten
+Gattin die Welt und sagte: »Guck, Kättche, des alles geheert uns! Wann's
+aach net unser Eigedum is, merr hawwe doch e Hypothek druff, e
+Herzenshypothek! Unn die Wälder misse uns ihrn Duft unn ihr Anemone als
+Hypothekezinse gewwe, unn die Quelle ihr Rausche unn ihrn silwerige
+Glanz, unn die Vögelcher ihrn Gesang. Guck, lieb Kättche, des Alles, was
+de guckst, haww ich Derr mit in die Eh' gebracht! Die Nadur, die is e
+groß' Sparkass', viel greeßer wie die Offebächer Städtisch' Sparkass',
+unn noch dausendmal sicherer. Und wann merr emal in Not komme dhäte, in
+#Seelennot# maan ich, dann gehn merr eifach enaus in die Nadur unn hewe
+in dere Sparkass' en Poste Erquickung unn Trost ab, -- unn wann merr
+aach noch so viel abhewe, #des# Guthawe nemmt kaa End!«
+
+Solche Träumereien pflegten dem kleinen Adolf schon von Kindsbeinen an
+nicht gut zu bekommen, und auch diesmal führten sie einen unerwünschten
+Zwischenfall herbei. Er stolperte nämlich beim Besteigen des Kupees, und
+das Köfferchen polterte auf den Bahnsteig zurück.
+
+»Kannstde net achtbasse, dappischer Olwel?!« fuhr ihn Katharina heftig
+an. »Net emal e Handtasch' kann der dumm Mensch drage!«
+
+Tieferschrocken sah Adolf sie an. Und blickte in zwei Katzenaugen, die
+höhnisch und unheilkündend funkelten.
+
+Da senkte er den Kopf.
+
+Der alte Bindegerst aber dachte: »Es geht schonn los! Se fängt schonn
+aa! -- No, viel Vergniege!!«
+
+Während Adolf das Köfferchen, das aufgegangen und seinen Inhalt auf den
+Bahnsteig verstreut hatte, zusammenraffte, machte sich Katharina im
+Innern des Abteils zu schaffen. Sie nahm den Herrenhut, mit dem der eine
+Ecksitz belegt war, und warf ihn mit energischer Geste ins Gepäcknetz.
+Dann setzte sie sich selbst auf den Platz.
+
+Und als kurz vor der Abfahrt des Zuges ein älterer Herr einstieg und
+verwundert bemerkte: »Diesen Platz hatte ich mit meinem Hut belegt!«,
+erhielt er mit bösartiger Betonung die Antwort: »Dann hätte Se Ihrn
+Deckel uff den Blatz, unn net da owwe hie lege solle!«
+
+Adolf hielt es für seine Pflicht, seiner Frau beizuspringen, und
+betonte, der Platz sei allerdings unbelegt gewesen. Es war ihm nicht
+wohl bei dieser Lüge.
+
+Aber Katharina hatte keinen Sinn für solche ritterliche Beihilfe. »Halt
+Dei Maul!« herrschte sie ihn gereizt an. »Ich wer' mit dem Herrche da
+schonn allaans fertich! Da bin ich schonn mit ganz annern Leut fertich
+worn!«
+
+Der Herr lächelte und schwieg.
+
+Und auch Adolf schwieg. Aber er lächelte nicht dabei. In seinen
+Kinderaugen standen zwei große Tränen.
+
+Und dann pfiff die Lokomotive, und der Zug fuhr ab.
+
+Vater Bindegerst winkte noch einmal kurz mit der Hand, dann drehte er
+sich um und ging heim. Das Gewissen schlug ihm, er verfiel in
+Selbstvorwürfe und indem er die Bahnsteigkarte abgab, murmelte er, zum
+Erstaunen des Schaffners: »Ich hätt's #doch# net dhun solle!«
+
+Katharina schmiegte sich trotzig in den Eckplatz, starrte die Decke an
+und schmollte. Denn dies ist die Universalwaffe aller Frauen, die im
+Unrecht sind.
+
+Mit diesem Zug fuhr Adolf Borges direkt in die Hölle.
+
+
+
+
+Vater Bindegerst saß einsam in seiner Werkstatt und drechselte an einem
+Spazierstock. Es sollte ein kleines Kunstwerk werden: den Griff bildete
+ein Affenkopf mit fletschenden Zähnen, und gerade war Meister Bindegerst
+dabei, in diesen Kopf die braungelben Glasaugen einzusetzen.
+
+Unser Meister fühlte sich mehr als Künstler denn als Zoologe, und so ist
+es begreiflich, daß man den Affenkopf auch recht gut für einen
+Kaninchenschädel oder eine Bulldogge halten konnte; ja, der
+geschmackvolle Käufer dieses Spazierstockes äußerte sogar, als er ihn
+erstand: »Schad, daß der Rehbock kaa Geweih hat!«
+
+Vier Tage schon war Bindegerst nun Junggeselle. Das junge Paar hatte
+noch nichts von sich hören lassen, und er war darüber keineswegs
+erstaunt. Kannte er doch sein holdes Töchterlein viel zu gut, als daß er
+hätte befürchten können, sie werde die Verschwendung einer
+Ansichtspostkarte an ihn dulden.
+
+Katharina war geizig. Noch viel geiziger, als es die Natur bei der
+Verteilung weiblicher Reize gegen sie gewesen war.
+
+Der liebe Gott und der Teufel sind scharfe Konkurrenten, und hat der
+liebe Gott den Adam nach seinem Ebenbilde geschaffen, so ließ es sich
+der Teufel nicht nehmen, manche Eva nach dem seinigen zu bilden. In der
+Person Katharinas war ihm ein Prachtexemplar gelungen, und alle in der
+Hölle schmorenden Kunstkritiker (und das waren nicht wenige) stimmten
+darin überein, er habe zu Katharina seine eigene Großmutter als Modell
+genommen.
+
+Bindegerst nutzte die Abwesenheit seiner Tochter nach Kräften aus. Er
+ließ an dem Glaslüster seiner Werkstatt sämtliche Flammen brennen, denn
+nun war ja niemand da, der sie ihm bis auf eine vor der Nase
+ausschraubte und dabei keifte: »Du findst wohl Dei Geld uff der Gass'?
+Odder bistde vielleicht an dere Gasgesellschaft #bedeiligt#?! Ei, ich
+dhät merr an Deiner Stell noch e Petroliumlamp uff de #Hinnern# binde,
+daß die Illumination fertich is!«
+
+Gott sei Dank, jetzt war niemand da, der so etwas sagte.
+
+Und er konnte jetzt auch, wie Hans Sachs in den »Meistersingern«, zu
+seiner Arbeit sein Lieblingslied singen, ohne daß sich plötzlich ein
+bissiger Kopf in der Türe zeigte und ihn anschrie: »Hör uff mit dem
+Gegröhl! Sonst laaft die Milch zusamme!«
+
+Und Meister Bindegerst sang doch so schön! Nur konnte man bei seinem
+Lied, wie bei dem Affenkopf des Spazierstocks, nicht recht
+unterscheiden, was es eigentlich vorstellen sollte! Dafür aber sang er
+stets fortissimo. Denn was ein richtiger Musiker ist, der ist nicht
+zimperlich.
+
+Vor allem aber konnte sich der unbeaufsichtigte Herr Papa jetzt einmal
+gründlich seiner heimlichen Geliebten widmen.
+
+Ja, Vater Bindegerst hatte eine stille Liebe. Nicht etwa, wie schlechte
+Menschen vermuten werden, ein weibliches Wesen, -- o nein, seine
+Geliebte war keines der Geschöpfe, die unsere Liebe so oft mit Undank
+lohnen, die einen Herkules an den Spinnrocken demütigen, einem Simson
+die Haare schneiden und als Honorar für ein bißchen Schleiertanz einen
+Heiligenkopf fordern, nein, seine Geliebte war jenes Wesen, das noch
+keinen Anbeter unerhört gelassen hat und dem dennoch jeder Liebhaber
+dauernd treu bleibt: seine Geliebte war der Alkohol.
+
+Was für eine musterhafte Geliebte ist doch der Schnaps! Sie beansprucht
+keine neuen Röckchen, Blusen und Spitzenhemdchen, sie ist jahrein,
+jahraus mit dem schlichten Gewande einer alten Glasflasche zufrieden.
+Sie beansprucht nicht, ins Theater, Kino und Kabarett geführt zu werden,
+sie begnügt sich mit dem dunklen Plätzchen unter einer Drechslerbank.
+Sie sucht sich keine modernen Hüte aus und läßt dir die
+schreckenerregende Rechnung schicken, nein, sie trägt im Frühling,
+Sommer, Herbst und Winter denselben abgebrochenen Korkstopfen.
+
+Und überkommt dich die Stunde der Zärtlichkeit und du kneifst sie zur
+Einleitung in die Wangen, so murrt sie niemals: »Laß mich! Ich bin jetzt
+nicht aufgelegt!«, sondern sie lächelt dich, verführerisch wie immer,
+an: »Trinke merr noch e Tröppche!«
+
+Herr Drechslermeister Bindegerst war nicht der Joseph, einer solchen
+Verführungskunst zu widerstehen. Alle Viertelstunde hörte er es unter
+der Drechslerbank hervorkichern, und galant und ritterlich faßte er
+alsdann die Geliebte um die glatte Taille, hob sie ans Tageslicht oder
+ans Gaslicht, drückte auf ihren Hals seine trockenen Lippen, wischte
+sich nach einem langen, langen Kuß mit dem Handrücken den Schnabel und
+stellte fest: »Es schmeckt scheußlich, awwer 's is nahrhaft! Der Mensch
+is e Maschin unn muß von Zeit zu Zeit geölt wern! No, öle merr noch e
+Tröppche!« ...
+
+Seine Hoffnung, das neue Ehepaar dauernd ausquartieren zu können und
+Alleinherrscher im Hause zu werden, hatte sich freilich nicht erfüllt.
+Wohl hatte Adolf, der Nachgiebige, dem Vorschlag beigestimmt, aber
+Katharina hatte höhnisch erklärt: »Nix do! Die Wohnung nemme #mir#! Unn
+du ziehst enuff ins Dachstibbche!«
+
+Und mit gewohnter Tatkraft hatte sie sogleich mit dem Umräumen begonnen.
+Sie brauchte dazu keinen Dienstmann, ihre robusten Arme bewältigten die
+schwersten Kisten und Kästen mühelos.
+
+Adolfs Habseligkeiten wanderten treppabwärts in die kleine
+Dreizimmerwohnung, und des Vaters kleine Schätze stiegen hinauf in den
+Giebel.
+
+Bei dieser günstigen Gelegenheit unterzog sie das Eigentum ihres Papas
+einer gründlichen Musterung, und sie machte dabei allerhand
+überraschende Entdeckungen. Nicht nur stieß sie zu ihrer Wut in einer
+Westentasche auf zwei Kinobillets, die für den gleichen Tag gültig waren
+und auf zwei nebeneinander gelegene Plätze lauteten, sondern sie fand
+auch die kleine Bibliothek, die sich der verschwenderische »alte Esel«
+zugelegt hatte.
+
+Um ihn nicht in falschen Verdacht zu bringen, sei festgestellt, daß
+diese Bücherei nur aus drei Werken bestand, nämlich: »Der bayrische
+Hiasl«, »Das Geschlechtsleben des Menschen« und »Was muß der Jüngling
+vor der Ehe wissen?«
+
+Und noch etwas anderes fand sie: einen Mahnbrief der Firma, die ihm das
+Holz für seine Drechslerarbeiten lieferte. Wann sie endlich ihr Geld
+bekommen werde, frug sie an und drohte in unerquicklichen Wendungen mit
+einer Klage.
+
+Im ersten Augenblick dachte Katharina, die niemals sprachlose, daran,
+ihrem Vater eine Szene zu machen, eine jener Szenen, die sich bei ihr zu
+einem fünfaktigen Monolog auszuwachsen pflegten und beim geringsten
+Widerspruch sogar zu einer Trilogie anschwollen.
+
+Aber sie befürchtete eine Trübung ihres Brautstandes, denn die weibliche
+Zungenfertigkeit ist etwas, was der Jüngling #nicht# vor der Ehe zu
+wissen braucht.
+
+Sie begnügte sich daher damit, in großen Bleistiftzügen unter den Brief
+zu schreiben: »Gelesen. Katharina.«
+
+Dann legte sie ihn wieder in die Schublade, in der sie ihn gefunden
+hatte. Das genügte. Nun würde der Vater schon merken, daß sie eine neue
+Waffe gegen ihn besaß, und sein Verhalten danach einrichten.
+
+Hierin täuschte sie sich allerdings. Der alte Sünder empfand keineswegs
+das Bedürfnis, den Mahnbrief wiederholt zu lesen, und ließ ihn ruhig in
+der Schublade schlummern, bis ihn die Mäuse fraßen.
+
+So war es gekommen, daß Vater Bindegerst sein eigener Zimmerherr wurde.
+Er hatte damals, als er Adolf die Dachhöhle anpries, viel Gutes von der
+Behausung da droben zu erzählen gewußt und sie »e schee Zimmerche«
+genannt, -- nun, da er selbst darin wohnen mußte, fand er, daß sie ein
+Saustall ersten Ranges sei.
+
+Ihm mangelte die edle Selbstbescheidung seines Schwiegersohnes, er
+verspürte nicht die geringste Lust, seinen Kopf zum Dachfenster
+hinauszustrecken und an den Anblick der kleinen Menschlein da unten
+philosophierende, lächelnde Betrachtungen zu knüpfen. Er benutzte das
+Fenster lediglich dazu, manchmal höchst unbekümmert hinauszuspucken. Für
+den Mondschein hatte er gar nichts übrig, und den musikalischen Katzen
+konnte ein so hervorragender Sänger wie er, schon aus künstlerischem
+Grundsatz nicht wohlgesinnt sein.
+
+»Wann nor der Blitz die ganz Bud' zusammehaage wollt'!« dachte er, wenn
+er in dem wackeligen Bett lag. »Nächstens quardiert mich mei
+liewenswerdig Dochter noch in eme #Luftballon# ei'! Odder se zieht merr
+e Schnor dorch die Nos unn läßt mich als Drache steie! Die Kränk soll se
+kriehe! Awwer gleich!!«
+
+Nun, Gott sei Dank, jetzt hatte er vorerst seine Ruhe vor dem
+vermaledeiten Familienglück!
+
+Gerade hatte Bindegerst in seiner festlich beleuchteten Werkstatt wieder
+traute Zwiesprache mit seiner heimlichen Geliebten gehalten und wischte
+sich den Schnabel ab, um seiner schnapsologischen Ernährungstheorie
+Ausdruck zu geben, als es leise an die Türe klopfte.
+
+»Erei, wer drauße is!« rief er.
+
+Und herein schlich die klägliche Gestalt seines Schwiegersohns.
+
+Quer über der Stirne prangte eine breite Kratzwunde und sein rechtes
+Auge war merkwürdig verschwollen.
+
+Mit gesenktem Kopf blieb er in der Türe stehen.
+
+Erstaunt sah Bindegerst von seiner Arbeit auf und gab heimlich mit dem
+Fuß seiner stillen Liebe einen Tritt, damit sie tiefer unter die
+Drechslerbank schlupfe.
+
+»Ich bin widder da!« seufzte Adolf tonlos.
+
+»Ich guck's!« bestätigte der Alte, und ein boshaftes Lächeln spielte um
+seine Mundwinkel. Er bedurfte keiner Erläuterung, er erriet alles. Nicht
+ohne Spott frug er: »Unn wo is dann 's Kättche?«
+
+Hilflos zuckte Adolf die Achseln.
+
+Ein Engel ging durchs Zimmer, -- eine in dieser Behausung höchst
+ungewohnte Erscheinung. Bindegerst wartete, ob sein Schwiegersohn nicht
+anfangen würde, die Geschichte seiner unterbrochenen Hochzeitsreise zu
+erzählen.
+
+Aber Adolf schien völlig geistesabwesend. Er empfand nicht einmal das
+Beschämende seiner tragikomischen Lage; nur traurig war ihm zu Mute,
+traurig wie einem Kind, dem ein böser Hund die Lieblingspuppe entrissen
+hat und in Fetzen beißt.
+
+Beinahe leid tat er seinem Schwiegervater.
+
+»No, komm nor her!« sagte Bindegerst schließlich. »Vor #mir# braachstde
+kaa Angst zu hawwe: ich kratz net! Unn scheniern braachstde Dich #aach#
+net: die Handschrift is aach schonn uff #mei'm# Kopp zu lese gewese!
+Wann aach net mit so große Aafangsbuchstawe! -- Wie is'n des komme?«
+
+Adolf machte eine müde, abwehrende Handbewegung.
+
+Er wollte nicht darüber sprechen. Er hätte auch gar nicht so genau sagen
+können, wie sich die Unglücksszene entwickelt hatte. Mit einem ganz
+unbedeutenden Wortwechsel war es angegangen, er hatte die
+Unvorsichtigkeit besessen, in einer nebensächlichen Angelegenheit
+anderer Ansicht zu sein als das ihm angetraute Turteltäubchen, und
+plötzlich sah er sich einer tobenden Furie gegenüber und hörte zum
+ersten Mal den Aufschrei: »Prinze unn Korferschte hätt' ich heierate
+könne, unn Dich Schlappschwanz muß ich nemme!!« Und ehe er noch dazu
+kam, einzulenken, die grundlos Erregte zu beruhigen, und alles, was er
+gar nicht gesagt hatte, zurückzunehmen und um Verzeihung zu bitten,
+spürte er schon zehn Fingernägel im Gesicht.
+
+Als er die Augen, seine erschrockenen blauen Kinderaugen, wieder
+öffnete, war Katharina verschwunden.
+
+Da war er traurig zum Bahnhof gewankt und hatte sich eine Fahrkarte nach
+Offenbach gelöst.
+
+Mit dem Wirt hatte er nicht erst abzurechnen brauchen, denn die Kasse
+führte Katharina.
+
+Während der ganzen Eisenbahnfahrt hatte er zum Fenster hinausgestarrt,
+aber er hatte nichts gesehen von den Dörfern, Städten, Wiesen, Wäldern
+und Bergen, die vorbeihuschten.
+
+Wie ein Fiebernder das Buch, das aufgeschlagen auf seiner Bettdecke
+liegt, liest, ohne daß die gedruckten Buchstaben sich seinem wirren
+Geiste zu Worten und Sätzen verbinden, so starrte er in das
+weitaufgeschlagene Bilderbuch der Natur und ward sich keines Schauens
+bewußt.
+
+Ein Riesenspielzeug war die weite Landschaft, aufgestellt von der
+täppischen Hand eines Gigantenjungen, und ein hämischer Kobold blies nun
+das schöne Spielzeug mit dicken Backen um, so daß es in tollem Wirbel an
+dem Eisenbahnzug vorbeisauste.
+
+Ein Traumwandler, ging Adolf durch die Straßen Offenbachs, instinktiv
+den Weg nach Hause findend, und nur einmal, in der Nähe der
+Schloßstraße, war er zu dem erschreckten Gedanken erwacht: »Wann Dich
+nor niemand aus'm Geschäft guckt! Was dhäte die sonst denke!«
+
+Und schnell war er in eine Seitengasse eingebogen.
+
+Und nun stand er in seiner Wohnung, die ihm mit einem Mal so fremd
+vorkam, und wurde von einer unbeschreiblichen Sehnsucht zerrissen, sich
+an eine mitfühlende Brust zu werfen, um sich den Schmerz von der Seele
+zu weinen.
+
+Aber der alte Bindegerst mit seiner heimlichen Geliebten war dazu nicht
+die geeignete Persönlichkeit. Das empfand der arme Adolf nur allzu
+deutlich. Und so harrte er in der Türe, mit den Tränen kämpfend, und ihm
+war, eine eherne Faust würge ihm die Gurgel.
+
+»Mach wenigstens die Dhür zu!« forderte ihn Bindegerst auf und wandte
+sich wieder seiner Arbeit zu. »Zugluft is net gut for so'n
+Schwerverwundete!«
+
+Mechanisch gehorchte Adolf Borges und trat neben ihn an die
+Drechslerbank, stumpf seinem Beginnen zuschauend.
+
+Vater Bindegerst war mit dem Einsetzen der Glasaugen fertig, er gab
+jetzt seinem Meisterwerk den letzten Glanz, indem er den Affenkopf mit
+Sandpapier abrieb. Er ließ sich Zeit dazu, und als er die Arbeit für
+vollendet hielt, hob er stolz den Spazierstock seinem Schwiegersohn
+unter die Nase und frug selbstbewußt: »No, for was for e Viech hältstde
+des?«
+
+Dabei fiel sein Blick in Adolfs Augen und entrüstet fuhr er fort:
+»Bistde iwwergeschnappt? Ich glaab gar, Du willst flenne? Bistde e
+Mannsbild odder bistde e Schulbub, dem der Vadder 's Loch versohlt hat?
+Waastde, was #ich# an deiner Stell dhät?«
+
+Adolf wußte es nicht.
+
+Und deshalb belehrte ihn der alte Bindegerst, der sich dank der
+Abwesenheit seiner Tochter und durch den eingehenden Umgang mit seiner
+stillen Geliebten in sehr heldenhafter Stimmung befand, weiter: »Soll
+ich Derrsch sage? -- Baß emal uff!«
+
+Und er ließ den Spazierstock mit dem
+Affen-Kaninchen-Bulldoggen-Rehbockkopf sausend durch die Luft pfeifen.
+
+»Verschdehstde 's? Bedappelstde 's? #So# mußtde 's mache! Mobilisier
+Dich, Adolf! Des is die aanzig vernimftig Nadurheilmethod! Haag se, daß
+die Lappe fliehe! Mein Sege hastde derrzu! Gebb'r die Prichel zurück,
+net mit fimf Prozent, net mit zeh Prozent, sonnern verdreifach'r des
+Kapital! Verklopp se, bis ihr Buckel schillert wie e Regeboge! Sonst
+kriehstde Dei Lebtag in Deiner Eh' kaan Sonneschei!«
+
+Und er begann eine Schimpfrede auf seine Tochter, eine Racherede, wie
+sie selbst der selige Cato senior in seinen besten Stunden nicht gegen
+Karthago zusammengebracht hat, er ließ kein gutes Haar an Katharina,
+nicht einmal ihren Quetschekuche ließ er mehr gelten, und er schloß
+seine Predigt mit der, durch einen Faustschlag auf die Drechslerbank
+unterstrichenen Pointe: »Hättstde liewer dem Deiwel sei Großmudder
+geheierat' statt dem Satansweib! Ihr ganz Mudder is se! Die war grad so
+aane! Gott, was ich mit der Fraa ausgestanne habb! No, der Deiwel habb
+se selig!«
+
+Adolf Borges verstand von diesem ganzen Vortrag kein Wort.
+
+Seine feuchten Kinderaugen starrten unverwandt auf den Fußboden, als
+erwarte er, daß jeden Augenblick aus einer Ritze des Fußbodens ein Zwerg
+hervorschlüpfen müsse, ein weißbärtiger, greiser Märchenzwerg mit einem
+goldenen Krönlein auf dem Kopf, um zu sprechen: »Adolf, das alles ist
+gar nicht Wirklichkeit! Hokuspokus tickeltackel, geh hinauf ins
+Schlafzimmer, dort wirst Du Dein liebes Weibchen im Bett finden, die
+schon lange auf Dich wartet, um Dich abzuküssen!«
+
+Aber kein Zwerglein kam hervorgekrochen, und als Adolf endlich in das
+Schlafzimmer ging, da war es leer, und ach, so still.
+
+Ein einziges Mal regte sich etwas, aber das war nicht im Schlafzimmer,
+sondern ein Stockwerk tiefer: Vater Bindegerst hatte im Schwips seine
+Schnapsflasche fallen lassen und war gegen die Drechslerbank getaumelt.
+
+Am nächsten Vormittag traf Katharina ein.
+
+Sie tat, als sei gar nichts vorgefallen, stellte das Handköfferchen auf
+den Vorplatzschrank, legte Hut und Mantel ab, schlüpfte in einen alten
+Rock und begann in der Küche zu wirtschaften.
+
+Adolf war schon frühzeitig aufgestanden, er saß zerknirscht im
+Wohnzimmer, nachdenkend darüber, mit welchem Kitt er seine in die Brüche
+gegangene Ehe wieder zusammenheften könne.
+
+»Ach Gott«, sagte er sich bekümmert, »was hilft des jedz alls? Unn wann
+ich se mit der zähste Zärtlichkeit zusammebabb, so hat #doch# en Sprung
+unn bleibt invalid! Ich habb merr die Eh' vorgestellt wie en
+wunnerscheene Borzellandeller, von dem ich mit meim Kättche nix wie
+lauder Sießigkeite fresse wollt', -- unnn jedz is der Deller kapores,
+unn e Eck is abgestumbt, unn merr derf'n vor fremde Leut gar net mehr
+gucke lasse! Unn die Sießigkeite, -- ach, ich glaab als, 's werd nix wie
+Handkäs, unn Handkäs eß ich gar net gern...«
+
+Plötzlich war es ihm, als höre er in der Küche Jemanden hantieren. Ein
+freudiger Schreck elektrisierte ihn, er sprang auf und eilte hinaus.
+
+Da stand Katharina am Herd und rührte einen brodelnden Kochtopf.
+
+»Kättche!« frohlockte er, glückselig, sie wieder zu sehen, »mei lieb
+Kättche, wannstde wißt, was ich for Angst um Dich gehabbt habb! Bistde
+dann gut gefahrn? Willstde Dich net e bissi umlege? Du werst mied sei'!«
+
+Aber Katharina würdigte ihren Gatten keiner Antwort. Mit einem
+verächtlichen Seitenblick auf ihn rührte sie weiter den Kochtopf.
+
+»Willstde merr net wenigstens Gu'n Morsche sage?« bat Adolf.
+
+»Gu'n Morsche, Hansworscht!« sagte Katharina. Aber nicht scherzhaft,
+sondern bissig und gehässig, in einem Tonfall, der keine Fortsetzung des
+Gesprächs zuließ.
+
+Da schlich Adolf geknickt wieder ins Wohnzimmer.
+
+»Was habb ich'r nor gedhaa?« jammerte er vor sich hin. »Ich habb'r doch
+kaa aanzig bees Wörtche gewwe! -- No ja, ich bin kaa Kavalier, ich kann
+kaa so scheene Sprüch mache wie die nowle Leut, ich kann kaa Affedänz
+uffiehrn unn erumhippe wie die Judde ums goldene Kalb, -- awwer des hat
+se doch #vorher# gewißt!
+
+Unn daß ich se lieb habb, des #muß# se doch spiern! Ich habb's doch
+#aach# gespiert, wie se merr uff de Kopp gehaage hat!
+
+Unn die Lieb is doch, waaß Gott, e dausendmal stärker Instrument als wie
+e Faust! Unn ich maan als, so e werklich Lieb als wie die meinigt, die
+#muß# se doch merke!
+
+Wann merr in so e Menscheherz ereiruft: »Ich lieb Dich!«, dann kann doch
+des Echo net zurickrufe: »Steih merr de Buckel enuff!« Des wär doch gege
+die ganz Nadurgeschicht!
+
+Awwer vielleicht habb ich se #doch# beleidigt, unn waaß es gar net?
+Vielleicht is merr doch erjend so e Wörtche erausgerutscht, was ich
+besser erunnergeschluckt hätt, unn was err weh gedhaa hat? Der Mensch
+babbelt ja soviel dumm Zeug, unn aach der Keenig Salomo hat gewiß in
+seim Lewe 'n ganze Haufe Stuß geredt, -- es steht bloß net in der Biwel
+drin. Awwer was kann ich'r bloß Verkehrtes gesacht hawwe?«
+
+Er sann und sann und kam zu keinem Ergebnis. Er trat vor den Spiegel und
+betrachtete wehmütig seine Kratzwunde an der Stirn und das verschwollene
+Auge und flüsterte: »Schee guck ich aus! Wunnerschee! Wann des so
+weitergeht, laß ich mich bei meiner silwerne Hochzeit in Spiritus
+setze!«
+
+Und da Katharina nicht zu ihm hereinkam, tappte er die Treppe hinunter
+in die Werkstatt seines Schwiegervaters und meldete: »Gu'n Morsche,
+Vadder! Unn se wär' widder da!«
+
+»E Erdbewe wär merr liewer!« sagte Bindegerst.
+
+Aber Adolf wunderte sich schon nicht mehr über diese liebenswürdige
+väterliche Äußerung. Er hockte sich auf einen Schemel, stützte den Kopf
+in die Hände und frug erschöpft: »Is se immer so?«
+
+»Immer!« bestätigte der Alte. »Immer! Nor manchmal net! Manchmal is se
+noch schlimmer. Bis jedz hastde se nor Schottisch danze sehe, awwer baß
+emal uff, wann se erscht Galopp danzt! Da kannstde Dei blau Wunner
+erlewe! Des Rezept zu dem Danz hat se von ihrer selig Mudder geerbt,
+grad wie des Rezept zum Quetschekuche! Ich sag Derrsch, Adolf, des Lewe
+is e Gemeinheit! E groß Gemeinheit! Zeit wärsch, daß e neue Sintflut
+komme dhät, awwer #ohne# Arche Noah! Vier Woche sollt's nix als wie
+Schnaps regne, daß merr all drin versaufe, -- des wär wenigstens e
+scheener Dod!«
+
+Es entstand eine Pause, die Bindegerst dazu benutzte, seiner stillen
+Geliebten zuzusprechen. Er genierte sich jetzt gar nicht mehr vor seinem
+Schwiegersohn.
+
+»Warum hastde merr dann des net frieher gesacht?« stöhnte Adolf.
+
+Bindegerst lachte dröhnend. »Warum ich Derr des net frieher gesacht
+habb? -- Guck Derr emal den ahle Schrank in der Eck aa! Des Schloß is
+kabutt, unn in der Rickwand is e Mordsriß, ich habb'n bloß e bissi
+zugebabbt. Wann jedz e Kundschaft käm unn wollt den Bawel kaafe,
+maanstde, ich wer' sage: »Lasse Se die Finger dervoo! Der Schrank is de
+Transbort net wert!« Maanstde, ich bin so meschugge? Naa, mei Liewer!
+Aapreise wer' ich'm de Schrank unn hunnert Jahr Garandie geww ich'm, dem
+Olwel! Unn so mach ich's mit #alle# Möwel, -- aach mit de lewennige!
+Braach ich mit #fremde# Aage zu gucke? Ich guck mit meine eigne nix!«
+
+Da fühlte Adolf Borges, daß er auch von seinem Schwiegervater verlassen
+war.
+
+Das Herz krampfte sich ihm zusammen und er hatte ein bitteres Wort auf
+der Zunge.
+
+Aber noch ehe er es aussprechen konnte, kreischte eine Stimme von oben:
+»Macht, daß'r enuffkimmt! Der Kaffee is fertich!«
+
+Es war Katharina, deren Ahnungsvermögen ihr gesagt hatte, daß sie es
+nicht zu einem Bündnis der beiden Männer kommen lassen dürfe, und daß es
+unklug sei, sie zu lange allein beisammen zu lassen.
+
+Ein schweigsames Frühstück war es. Keines wollte ein Wort sprechen. Nur
+der alte Bindegerst bemerkte einmal zwischen zwei Schlucken Kaffee: »Im
+Odewald soll's frieher Hexe gewwe hawwe!«
+
+Da warf ihm Katharina einen bitterbösen Blick zu. Erst kaute sie den
+Bissen fertig, den sie im Mund hatte, dann erwiderte sie: »Unn in
+Offebach, da gibbts sogar heut noch Rindviecher!«
+
+Jede dieser Bosheiten Katharinas, auch wenn sie nicht gegen ihn selbst
+gerichtet war, verwundete Adolf wie ein Schlangenbiß. Er konnte es
+begreifen, daß ein Mensch in plötzlicher Erregung sich vergaß, schrie
+und tobte, wie das zuweilen der dicke Herr Schröder tat, wenn er seinen
+nervösen Tag hatte, aber unfaßbar war ihm diese sich ewig
+gleichbleibende, kaltblütige Bosheit.
+
+Wie konnte ein Mensch so bis zum Rande vollgeladen sein mit Tücke und
+Streitsucht? Und gar ein weibliches Wesen?
+
+Die wenigen Frauen, die er, der Frauenfremde, bisher hatte beobachten
+können, waren alle ganz anders gewesen.
+
+Da waren die Geschäftsfräuleins, kleine Kücken, die sorglos-heiter
+herumpiepsten und in dem großen Hof des Lebens nach Liebschaften
+pickten; da waren die Gattinnen seiner Chefs, solide gutgenudelte
+Hennen, die würdevoll gackerten und herablassend mit dem Kopf zu nicken
+verstanden; da waren die Damen der Kundschaft, Federvieh von allen
+Sorten, jeden Alters und jeder Rasse, -- aber so ein giftgeschwollener
+Truthahn wie Katharina war ihm noch nie unter die Augen gekommen.
+
+Als das Frühstück abgeräumt war und er wieder allein im Zimmer saß,
+grübelte er von neuem über sein Schicksal nach. Und mit der kindlichen
+Gutmütigkeit, die ihn für jede menschliche Schlechtigkeit eine
+Entschuldigung suchen ließ, redete er sich ein: »Vielleicht kann se gar
+nix dafor, daß se so is? Ihr Mudder soll ja e bees Reibeise' gewese
+sei', unn iwwer ihrn Vadder geht merr aach allmählich e Petroliumlamp
+uff! Wie hätt des arm Mädche da annerschter wern könne? In eme
+Eisschrank kann kaa Veilche gedeihe. Wer waaß, wie se mei Kättche mit
+Schmiß unn Schenne uffgezoge hawwe! Unn jetz hält se die ganz Welt for e
+Generalversammlung von Verbrecher und Bösewichter. Ich muß recht lieb zu
+err sei unn recht gut, dann werd se sich gewiß ännern. Geduld muß ich
+hawwe, daß se Vertraue zu merr krieht! Unn wann se erscht merkt, ich
+maan's werklich gut mit err, ich will se net ausnitze, dann werd
+zuerscht e Wandlung mit ihrm #Herzche# vor sich gehe, unn dann, so Gott
+will, aach e Wandlung mit ihr'm #Schnawwel#!«
+
+Und er begann sogleich, einen Versuch auf diesem Wege zu machen; leise
+schlich er in die Küche hinaus, trippelte auf den Zehenspitzen von
+hinten an Katharina heran und drückte blitzschnell einen Kuß auf ihren
+Nacken.
+
+Ein heftiger Ellbogenstoß in die Magengegend war die Antwort. »Du bist
+wohl net bei Trost? Was soll dann des haaße? Scher dich zum Deiwel,
+Faulenzer!«
+
+Dieses Wort verletzte Adolf Borges tief. Faulenzer hatte ihn noch
+niemand genannt. Daß ihn Herr Feldmann und der eklige Kassierer mit
+allerhand Kosenamen aus Brehms Tierleben belegten, war er gewohnt, aber
+Faulheit, -- nein, dieses Laster hatte ihm noch niemand vorgeworfen.
+
+Hatte er nicht sein Leben lang geschafft wie ein Packesel? Und jetzt
+sagte seine eigene Frau ...
+
+»Ja, glotz mich nor aa!« schrie Katharina. »Du hast mich wohl noch net
+richtich beguckt? Soll ich Derr e Fodografie schenke? -- Jawohl, e
+Fauldier bistde! Was gehstde net in Dei Geschäft?«
+
+»Awwer Kättche«, verteidigte sich Adolf, »awwer Kättche, ich habb doch
+noch fimf Däg Urlaub! Was solle se dann von merr denke, wann ich mitte
+in meiner Hochzeitsreis zurickkomm!«
+
+»Die wern schonn sowieso wisse, was se von Derr zu denke hawwe! Bildste
+Derr vielleicht ei', ich will Dich die fimf Däg hier erumlungern hawwe?
+Zum Nixdhun haww ich Dich net geheierat!«
+
+Und plötzlich im Ton umschlagend fing sie an zu jammern: »O Gott, ich
+unglicklich Fraa! Prinze unn Korferschte hätt ich hawwe könne, unn so en
+Schlappschwanz, so'n draurige, muß ich nemme!«
+
+Adolf wartete nicht, bis der Ton zum zweiten Mal umschlug und wieder die
+keifende Roheit zum Vorschein kam. Er ging hinaus, setzte seine Mütze
+auf und lief ins Geschäft.
+
+Und als er vor dem Geschäftshaus stand und in die großen Schaufenster
+blickte, in denen die Modellpuppen standen, die er so oft abgestaubt
+hatte, da war ihm, als sei dieses Haus seine eigentliche Heimat, als sei
+#hier# seine Familie, und sein Heim bei Katharina sei nur eine
+Schlafstätte, in der er aus Mitleid geduldet wurde.
+
+Er ward beinahe gutgelaunt, als er vor den erstaunten Herrn Schröder
+hintrat, um sich zurück zu melden. Er freute sich auf die erlösende
+Arbeit.
+
+Und es ging ihm durch den Kopf: »Die Arweit is doch des wahre Baradies!
+Unn die ganz Geschicht mit dem Ebbelbaam, die glaaw ich iwwerhaapts net!
+Die Sach werd ganz annerschter gewese sei'. Der Adam-selig hat sich
+aafach #gelangweilt# in dem baradiesische Palmegarte unn hat zum liewe
+Gott gesacht: »Mensch«, hat'r zum liewe Gott gesacht, »Mensch, ich komm
+um vor Langweil! Schmeiß mich enaus aus dem Garte, odder ich vertrampel
+Derr 's Gras!« Unn weil der liewe Gott e gescheider Mann is, hat er
+erwiddert: »Adamche, ich will Derr e Uniwersalmedizin erfinne gege die
+Langweil unn gege jeddes Unbehage unn jedde Unzufriddenheit!« Unn er hat
+die #Arweit# erfunne. Unn da war die Schöpfung erscht richtich fertich!«
+
+»No??« sagte Herr Schröder. »No, schonn widder zurick? Was is dann?«
+
+»Ach, wisse Se«, meinte Adolf verlegen, »es war so schleecht Wetter, da
+bin ich liewer widder haam!«
+
+»Hm!« machte Herr Schröder bedenklich. »Hm ... ich habb immer gemaant,
+bei Regewetter liebt sich's am scheenste!«
+
+Aber weil der dicke Herr Schröder mit Recht fand, Adolfs
+Privatangelegenheiten gingen ihn eigentlich nichts an, forschte er nicht
+weiter.
+
+Weniger zartfühlend waren die Angestellten der Firma. Sie kicherten, als
+sie das »scheppe Adolfche« wieder auftauchen sahen, sie machten Witze,
+daß die Damen rot wurden, und der erste Reisende stichelte, mit einer
+Anspielung auf Adolfs Stirnwunde: »Merr sollt dem Odewald widder emal
+die Fingernägel schneide! Maane Se net aach?«
+
+Der eklige Kassierer aber grinste: »E schee Aussicht misse Se gehabbt
+hawwe vom Melibokus! Ihr Aag is #jedz# noch ganz geschwolle!«
+
+An diesen schmerzhaften Stichelreden beteiligte sich nur ein einziges
+Mitglied der Firma nicht, der zweite Buchhalter Heinrich Baldrian. Das
+war überhaupt ein eigentümliches Männlein, eines von den
+Menschenkindern, denen das Leben so ziemlich alles schuldig geblieben
+ist, und die dennoch mit einer Miene herumlaufen, als seien sie selbst
+jedermann etwas schuldig. Dieses alte Buchhalterchen war ein
+unglückseliges Geschöpf, ein Kunstenthusiast, dessen Talent zu seinem
+großen Schmerz nicht ausreichte, selbstschöpferisch zu sein. Er hatte in
+seinen jungen Jahren dicke Hefte voll Gedichte geschrieben, ja sogar
+Dramen verfaßt, und hatte wohl auch eine Zeitlang, ermuntert durch den
+Beifall kritikloser Freunde, an sich geglaubt wie der Schneider von Ulm
+an seine Flügel.
+
+Bis ihm mit zunehmendem Alter die Erkenntnis dämmerte, daß er in den
+Gärten der Poesie auf geliehenen Stelzen herumstolperte. Da hatte er
+seine sämtlichen Werke verbrannt. Aber seine große Sehnsucht hatte er
+nicht mitverbrennen können.
+
+Heinrich Baldrian war ein einsamer Mensch geworden; stolz und
+unglücklich zugleich in seiner Einsamkeit. Das Wissen, das er sich durch
+fieberhaftes Lesen angeeignet hatte, die stille Würde, die die
+Beschäftigung mit ewiger Kunst dem Jünger verleiht, ließen ihn die
+Beteiligung an den billigen Späßen der übrigen Angestellten verschmähen;
+Adolf Borges war einer der wenigen Menschen, in denen er verwandte
+Anlagen zu ahnen glaubte. Von dem aber trennte ihn die tiefe Kluft des
+Bildungsunterschiedes. Er mußte sich damit begnügen, dem »scheppe
+Adolfche« stets ein freundliches Benehmen zu zeigen und im
+unvermeidlichen geschäftlichen Umgang ihm jene kleinen Höflichkeiten des
+Herzens zu beweisen, die so wohl tun.
+
+Adolf kümmerte sich nicht um die Spötteleien, die ihn empfingen. Mit
+einer wahren Wollust stürzte er sich in seine Arbeit. Noch nie war ihm
+das Paketschnüren so köstlich erschienen.
+
+Ihm war zumute wie einem verlaufenen Hund, der wieder heimgefunden hat.
+
+Und als er bei der Arbeit in einem der hohen Wandspiegel zufällig seine
+Kratzwunde erblickte, lächelte er vor sich hin: »Guck emal: e Kron haww
+ich aach! Mit zwaa Zinke! Der aa Zinke is schonn fast verheilt! Wie
+weit's der Mensch doch bringe kann!«
+
+Und als ihn Herr Feldmann zum ersten Male wieder ein Kamel nannte, da
+war ihm wie einem aus der Fremde Heimgekehrten, der zum ersten Mal die
+Muttersprache wieder hört.
+
+»Alles uff der Welt is Gewohnheit!« sagte er sich. »Unn ich wer' mich
+schonn aach am Kättche sei Grobheite geweehne! Ich habb mich ja aach an
+des Gekrisch von dene Katze geweehnt! Unn wer waaß: vielleicht is es
+beim Kättche gradso wie bei de Katze, unn se kreischt bloß #aus Lieb#
+so? -- Gewohnheit is alles, unn ich bin iwwerzeigt: wann der Mensch mit
+Zahnweh uff die Welt käm', dhät 'r se gar net spiern, sonnern er käm'
+sich krank vor, wann er emal #kaa# Zahnweh hätt'!«
+
+Einige Tage später erlebte Adolf Borges eine neue eheliche Überraschung.
+
+Als er abends aus dem Geschäft heimkam, empfing ihn Katharina mit der
+kurzen, aber vielsagenden Frage: »No??«
+
+»Was is, lieb Kättche?« fragte Adolf.
+
+»Wannsde noch emal »Lieb Kättche« sagst, haag ich Derr 'n Kochlöffel uff
+die Schnut!« gab Katharina diese Zärtlichkeit zurück. »Des dumm Gebabbel
+mecht mich ganz nervös! Nächsdens kimmstde noch mit Glacehandschuh unn
+Frack in die Kich! Des misse ja schee iwwerspannte Weiwer gewese sei',
+mit dene Du Dich frieher erumgedriwwe hast!«
+
+»Awwer Kättche, ich schwör Derrsch: Du bist des erscht weiblich Wese,
+des wo --
+
+»Halt's Maul! Heut is doch Gehaltsdag gewese? Wo is 's Geld?«
+
+»Awwer Kättche, --«
+
+»Gebb's Geld eraus! Maanstde vielleicht, ich kann von der #Luft#
+wertschafte? Mach kaa lange Umschdänd, des kann ich net verdrage!«
+
+Adolf sah ein, daß sie nicht von der Luft wirtschaften könne.
+Widerspruchslos zog er seine Geldbörse hervor und zählte den Inhalt auf
+den Tisch.
+
+»Is des alles?«
+
+»Ja! Mehr haww ich net!«
+
+»For so en schäwige Gehalt dhät ich dene was peife! S' is zum
+Haar-Ausroppe! Prinze unn Korferschte hätt' ich heierate könne! -- Da
+sin fimf Mark, des muß lange! Merk Derrsch!«
+
+So ähnlich muß es den Kaufleuten im 16. Jahrhundert zu Mute gewesen
+sein, wenn Herr Götz von Berlichingen oder ein anderer Raubritter sie
+auf der Landstraße ausplünderte.
+
+Aber lange hielt die Bitterkeit bei Adolf Borges nicht an. Er war ja
+eine der harmlosen Seelen, die sogar zu einem Raubritter gesagt hätten:
+»Von Ihr'm Standpunkt hawwe Se recht! Entschuldige Se nor, daß ich net
+mehr bei merr habb! Könnte Se merr vielleicht sage, Herr Raubridder, wie
+ich am schnellste widder haamkomm?«
+
+»Des Kättche hat vielleicht ganz recht«, dachte er. »Sparsamkeit is e
+Dugend. Vielleicht is des Geld bei ihr besser uffgehowwe wie bei mir. Es
+is ja aach als Mann mei Plicht unn Schuldigkeit, daß ich se ernähr.
+Dadafor soll ich aach ihr Herr sei'!«
+
+Aber unbehaglich war es doch, nicht mehr frei über seine Einnahmen
+verfügen zu können und über jeden Pfennig Rechenschaft ablegen zu
+müssen. Fünf Mark, -- das reichte ja kaum, das Fläschchen Bier zum
+Frühstück und zur Vesper zu bezahlen. Fünf Mark, damit konnte er doch
+unmöglich seine kleinen Ausgaben bestreiten. Wie würde das werden, wenn
+er einmal eine neue Mütze brauchte oder einen neuen Hosenträger? Sollte
+er dann Katharina um Geld bitten? Um das Geld, das er selbst verdient
+hatte?
+
+Er nahm sich vor, nur einen Teil der Trinkgelder, die er hie und da
+bekam, an Katharina abzuliefern und den Rest für sich zu behalten. Die
+ganzen Beträge seinem kleinen Geheimfond einzuverleiben, hätte ihm sein
+Gewissen nie erlaubt. Wie eine Unterschlagung wäre ihm das erschienen.
+
+Und dann hatte er ja auf der Sparkasse noch etwas über viertausend Mark
+stehen. Katharina wußte wohl darum, aber es wurde nie davon gesprochen,
+so wenig, wie je von einer Mitgift die Rede gewesen war.
+
+Und doch kam im dritten Jahre seiner Schmerzensehe die Rede auf diese
+Ersparnisse: der alte Bindegerst war es, der sich plötzlich lebhaft für
+das Sparkassenguthaben Adolfs interessierte.
+
+Ihm bekam die Ehe seines Schwiegersohnes ausgezeichnet. Einen besseren
+Blitzableiter für die häuslichen Gewitter hatte er sich gar nicht
+wünschen können. Mit einer gewissen inneren Befriedigung sah er mit an,
+wie sich alle die Donnerwetter und Hagelschläge, denen bisher er selbst
+preisgegeben gewesen war, auf Adolfs Haupt entluden, während er im
+Trockenen saß. Er machte sich sogar das Vergnügen, heimlich ein bißchen
+zu hetzen, indem er einerseits Katharinas Ansprüche aufstachelte,
+andrerseits seinem Schwiegersohn soufflierte: »Laß Derr nix gefalle!
+Mach en Stormaagriff! Soll ich merr e Trombet' kaafe unn zor Attack
+blose? Mensch, du blamierst unser ganz Geschlecht!«
+
+Da Katharina nicht viel Zeit und Lust fand, sich um den Alten zu
+kümmern, wurde er geradezu übermütig. Eines Tages heftete er an die
+Treppentüre seiner Werkstatt ein Plakat: »Weibern ist der Eintritt
+strengstens verboten!«
+
+Und amüsierte sich königlich, als Katharina diesen, auf sie gemünzten
+Zettel wütend in tausend Fetzen riß.
+
+Aber wenn er der Knechtschaft seiner Tochter entronnen war, so war er
+dafür um so schimpflicher unter eine andere Tyrannei geraten: unter die
+Knute seiner stillen Geliebten. Er trank nicht mehr, er soff.
+
+Er feierte an seiner Drechslerbank und oben im Dachstübchen stille
+Gelage, trank dem Mann im Monde und den Katzen zu und hielt mit sich
+selbst Volksversammlungen ab, in denen er das Thema: »Das Leben ist eine
+Gemeinheit!« von allen Seiten beleuchtete.
+
+Überkam ihn der Weltschmerz, so sang er mit den Katzen Duette, die erst
+ein Ende nahmen, wenn zwei Fäuste an die Türe donnerten und die
+bissigste Katze des Hauses schrie: »Willstde Dei Maul halte, ahl
+Volleul! Schämstde Dich net vor der Nachbarschaft?«
+
+Dann versicherte Bindegerst, die Nachbarschaft könne ihn sonst etwas.
+Aber er stellte seinen Meistersang ein.
+
+»Ich glaab, Du riechst nach Schnaps?« sagte einmal Adolf seinem
+Schwiegervater.
+
+»Hastde gedenkt, ich wer' nach Veilcher rieche?« erwiderte Bindegerst.
+»Wann Derr mei Duft net baßt, hättstde halt in e Bodanisierbüchs
+heierate solle, statt in unser Familje! Steck Dei Nos net in mein
+Privatgeruch, des bitt ich merr aus!«
+
+Und Adolf hatte, wie immer, geschwiegen.
+
+Bindegersts Hände waren jetzt öfters #unter# als #über# der
+Drechslerbank. Und die Affenköpfe seiner Spazierstöcke nahmen immer
+seltsamere Formen an. Die Glasaugen saßen jetzt mitunter an Stellen, an
+denen ein Naturforscher weit eher die Ohren vermutet hätte, und sein
+letztes Meisterwerk besaß sogar wie weiland Polyphem nur ein einziges
+Auge mitten auf der Stirn.
+
+Für solche Mißgeburten von Spazierstöcken fanden sich begreiflicherweise
+wenig Käufer, und dies war der Grund, weshalb sich Bindegerst plötzlich
+für Adolfs Sparkassenbuch zu interessieren begann.
+
+Schon beim Abendessen hatte Bindegerst mit Adolf zu fußeln angefangen.
+Nicht zärtlich und kosend, sondern mit Offenbächer Derbheit. Er trat ihm
+wider das Schienbein, daß sein Schwiegersohn sämtliche Engel im Himmel
+und sämtliche Teufel in der Hölle gleichzeitig _fortissimo_ singen hörte.
+
+Und als Katharina einen Augenblick hinausgegangen war, um eine neue
+Schüssel Kartoffeln zu holen, flüsterte er geschwind: »Adolf, komm
+nachher emal enuff in die Dachstubb, ich habb mit Derr zu redde!«
+
+Währen Katharina das Geschirr abspülte, schlich Adolf hinauf.
+
+»Was is dann, Vadder?«
+
+»Hock dich emal uffs Bett! Da sitzstde weich unn fällst net so leicht
+um!«
+
+Es wurde Adolf unbehaglich. Was konnte sein Schwiegervater von ihm
+wollen? Bindegerst machte ein so feierliches Gesicht. Sicherlich hatte
+er keine erfreuliche Mitteilung in Bereitschaft.
+
+»Wannstde Dich vielleicht erst emal stärke willst?« frug der Alte und
+hielt ihm die Schnapsflasche hin.
+
+»Ich sauf kaan Schnaps, Vadder!«
+
+»Weilsde net waaßt, was gut is! Schnaps is gut for die Cholera, secht e
+ahl Sprichwort. Ich will net draa schuld sei', wann e neu Epidemie
+ausbricht!«
+
+Er hob die Flasche und labte sich. Wischte sich den Mund und zog aus der
+rechten Hosentasche ein zerknittertes Papier.
+
+»Hockstde gut? -- Dann les emal!«
+
+Adolf entfaltete den Wisch, strich ihn glatt und las.
+
+Es war eine gerichtliche Vorladung. Gast & Co. gegen Konrad Bindegerst
+wegen Forderung.
+
+»E Gemeinheit!« erwiderte Bindegerst Adolfs fragenden Blick. »Des ganz
+menschlich Lewe is e Gemeinheit! Wege lumbige dreidausendfimfhunnert
+Mark verklagt aan die Lumbegesellschaft! Da gibbts Barone, die hawwe e
+Milljon Schulde unn kaa Mensch verklagt se! Awwer der Middelstand, der
+muß ja immer draa glaawe! Uff uns solide Berjersleut, da reit' ja der
+Staat erum wie e dressierter Aff uff'me Kamel!«
+
+Und er hielt eine lange Entrüstungsrede über die unerhörten Zustände,
+die nach seiner Ansicht in Mitteleuropa, und zwar #nur# in Mitteleuropa
+herrschten.
+
+»Ja, Vadder, bistde dann des viele Geld #schuldig#?«
+
+»#Nadierlich# bin ich's schuldig! Maanstde, die verklage mich aus Jux?
+Merr hawwe doch kaa Fastnacht! Freilich bin ich's ihne schuldig, dere
+Saubagasch! For Holzlieferunge!«
+
+»Dann mußtde's aach zahle!« entschied Adolf.
+
+Bindegerst beguckte ihn spöttisch. »Merr könnt glaawe, Du hättst
+studiert! Du reddst wie e Amtsrichter! Awwer zahl emal, wannsde kaa Geld
+hast! Kann ich hexe? Hokuspokus, da is e Milljard? Kann ich merr
+Goldsticker aus der Nos ziehe, odder Dausendmarkschei aus 'me ahle
+Zylinner? -- Ich habb 'n Dalles, den könnt merr for Geld gucke lasse!
+Pleite bin ich! Unn da verklagt mich die Saubande uff so en Haufe Geld!
+Kaum zwaa Jahr bin ich'r des bissi Geld schuldig, kaum siwwe Mal hawwe
+se mich gemahnt, unn gleich wern se so ricksichtslos!«
+
+Adolf dachte nach. Das war ja eine schöne Überraschung. Er hatte seinen
+Schwiegervater nie reich geschätzt, er hatte nie auf eine Erbschaft
+spekuliert, aber er hatte es als Selbstverständlichkeit betrachtet, daß
+die Drechslerei gut ging und ihren Mann ernährte. Nie hatte er
+wahrgenommen, daß seinen Schwiegervater Schulden bedrückten, -- und nun
+plötzlich diese Eröffnung.
+
+»Ja, wie is dann des nor meeglich?« stotterte er.
+
+»Bei Gott is kaa Ding unmeeglich!« gab Bindegerst mit Würde zurück.
+»Schuldemache is e ganz aafach Sach: du braachst bloß nix zu bezähle!
+Des annner kimmt dann ganz von selwer!«
+
+Es entstand eine Pause.
+
+Der Alte beobachtete seinen Schwiegersohn mit verschmitzten, lauernden
+Augen. »Wart nor,« dachte er, »wart nor, ich krieh Dich schonn draa!«
+
+»Waaß es des Kättche?« frug Adolf nach einer Weile.
+
+»Kaan Dunst! Dhät se sonst so ruhig des Gescherr spüle? En Schlagaafall
+dhät se kriehe, -- des haaßt: #sie# krieht de Aafall, unn #mir# kriehe
+die Schläg! Nix waaß se, unn se #derf# aach nix wisse!«
+
+»Naa, se derf nix wisse!« echote Adolf. Er hatte es sich zur Pflicht
+gemacht, alle Unannehmlichkeiten, alle Aufregungen von Käthchen
+fernzuhalten.
+
+Bindegerst schmunzelte. Das Gespräch nahm ganz die Wendung, die er ihm
+zu geben beabsichtigt hatte.
+
+Oh, er war ein Schlaufuchs, und Adolf ein gutmütiger Narr!
+
+Er nahm ein bekümmertes Gesicht an und klagte: »Awwer se werd's halt
+#doch# erfahrn! Wann erscht der Gerichtsvollzieher kimmt unn fängt aa,
+unser Möwel als Briefmarke-Album zu benitze, dann merkt se's!«
+
+Er seufzte und beobachtete listig die Wirkung seiner Worte.
+
+»Wann se nor net krank werd von dem Schrecke!« fügte er hinzu.
+
+»Se #derf# nix erfahrn!« sagte Adolf geknickt. »Unner kaane Umständ derf
+se ebbes erfahrn!«
+
+»Ja, des sag ich ja aach! Awwer wie soll ich's verhinnern, Herr
+Rechtsgelehrter? -- Guck, Adolf, ich steh ja gar net so schlecht, -- mei
+Geschäft is unner Brieder immer noch en Batze wert, -- no, unn mei Häusi
+hat aach noch sein Wert, wann merr die Hipotheke abzieht, -- ich bräucht
+halt nor en Mensch, der merr uff die Sicherheit hie so momendan
+vierdausend Mark bumbe dhät!«
+
+Er machte wieder eine Effektpause.
+
+Ganz dicht stand er nun vor seinem Schwiegersohn und sah ihm scharf in
+die Augen, während er sagte: »Dhätst #Du# merr kaan wisse, der wo merr
+so vierdausend Emmcher leihe könnt?«
+
+Adolf erhob sich vom Bett und begann im Zimmer auf und ab zu wandeln.
+
+Viertausend Mark, dachte er. So viel hatte er gerade auf der
+Sparkasse... Und schließlich war es doch sein Schwiegervater... Den
+konnte er doch nicht in der Patsche sitzen lassen... Und das Entsetzen,
+das er Katharina ersparte... Wenn der Gerichtsvollzieher ins Haus
+käme!... Und eine Sicherheit bot ja das Geschäft schließlich auch...
+
+Er dachte in diesem Augenblick nicht daran, wie mühsam er seine
+Ersparnisse gemacht hatte, wieviel Jahre seines armen Lebens er dafür
+gefrohnt hatte, wie er sich jedes Vergnügen versagt hatte, um nur
+pünktlich den programmäßigen kleinen Betrag am Sparkassenschalter
+abliefern zu können.
+
+Er dachte nicht daran, daß er auch jetzt noch sich nicht die kleinste
+Extraausgabe leistete, während Bindegerst in schnapsfröhlichem
+Faulenzertum dahindöste.
+
+Er sah nur, daß er hier helfen konnte, und je mehr er darüber
+nachdachte, desto klarer erschien es ihm eine ganz einfache Pflicht, dem
+Alten seine Ersparnisse anzubieten.
+
+Bindegerst ließ ihm Zeit. Er sagte sich, daß er jetzt die Gedankengänge
+Adolfs nicht stören durfte.
+
+»Da laaft er hie unn her,« kicherte er in sich hinein, »unn bildt sich
+ei', er dhät sich de Fall iwwerlege! Dabei laaft er nor in dem Käfig
+erum, den ich 'm mit meim Gebabbel gebaut habb! Unn was'r sich in seim
+dumme Kopp zusammereimt, des is all grad so, als ob #ich#'s em in die
+Fedder diktiert hätt! Adolf, was bistde e Olwel!«
+
+Ach ja, Adolf #war# ein Olwel. Denn alle guten Menschen sind Olwel. Ein
+gutes Herz ist eine klare, reine Quelle, -- aber aus einer Quelle
+trinken nicht nur die fröhlichen Wanderer, nicht nur die lieben
+Singvöglein, sondern auch die raublüsternen Marder sättigen sich darin,
+und jedes vorbeitrampelnde Schwein steckt seinen Rüssel hinein. Es ist
+nicht wahr, daß man durch Schaden klug wird. Durch Schaden wird man
+höchstens #schlecht#. Und es gibt so gutmütige »Olwels«, daß sie durch
+Schaden immer dummer statt klüger werden, weil sie nie auf Dank
+gerechnet haben, sondern in dem Bewußtsein, etwas Gutes zu tun, eine
+Belohnung empfinden, die kein Schaden mindern kann.
+
+Und so ein Olwel war auch Adolf Borges.
+
+»Ich waaß aan', der wo Derr des Geld bumbe kann!« sagte er und freute
+sich seines Entschlusses. »Adolf Borges haaßt er, unn morje gehn merr
+zusamme uff die Sparkaß!«
+
+»Awwer naa!« sagte Bindegerst. »Des kann ich doch net verlange! Des kann
+ich gar net aanemme!«
+
+»Warum dann net?« sagte Adolf und war beinahe beleidigt. »Es bleibt doch
+in der Familje! Erbt halt emal der Vadder vom Sohn, statt umgekehrt!«
+
+»Awwer des mußtde merr wenigstens zugewwe: ich habb Dich net drum
+#gebete#«, sagte Bindegerst.
+
+»#Nadierlich# hastde mich net drum gebete!« lächelte Adolf herzlich.
+»Ich dhu's aus merr selwer! Unn ich dhu's gern!«
+
+Und der alte Bindegerst dachte: »Der is noch viel dümmer, wie ich
+geglaabt habb! Schad, daß er net #achtdausend# hat!«
+
+Er streckte ihm die Hand hin: »Adolf, des vergeß ich Derr net! Adolf,
+wannsde emal en Mensch braachst, der for Dich dorchs Feuer geht, dann
+braachstde merr nor zu telefoniere!«
+
+Und Adolf war ganz gerührt.
+
+»Jedz muß ich awwer widder erunner bei's Kättche!«
+
+»Unn gell, Dei Fraa braacht nix davoo zu wisse!«
+
+»Naa, se erfeehrt nix! -- Wann se mich awwer freegt, was merr so lang da
+owwe gebabbelt hawwe?«
+
+»Dann sagstde eifach ... dann sagstde halt ... ach was, es werd Derr
+schonn e Ausredd eifalle! Du bist ja verheierat'!«
+
+Adolf bedurfte keiner Ausrede. Als er herunterkam, lag Katharina schon
+schlafend im Bett. Sie sah in ihrer knochigen Dürre, mit dem
+unfrisierten Haar, mit dem schnarchend halbgeöffneten Mund und den
+gelbbraunen Zähnen abstoßend häßlich aus. Aber Adolf betrachtete sie mit
+gerührter Zärtlichkeit.
+
+»Wie e Engelche leiht se da!« murmelte er. »So friedlich! Vielleicht
+fliegt se jedz grad im Draum im Himmel erum odder se bäckt for die
+Heilige Quetschekuche! Se is doch e gudes Weib. Heut hat se mich nor
+zwaamal en Saukerl genennt. Se bessert sich schonn. Langsam, awwer
+sicher.«
+
+Und er zog sich behutsam aus, um sie nicht zu wecken, und schlief in dem
+Bewußtsein einer guten Tat zufrieden ein.
+
+Das Engelchen Katharina aber entwickelte sich immer offenkundiger zum
+Fafner. Sie hätte auf jedem Drachenwettbewerb den ersten Preis
+ergattert.
+
+Ich mag es meiner Schreibmaschine gar nicht zumuten, all die Schikanen,
+die Katharina ersann, aufzuzeichnen. Es genügt zu sagen: gegen sie war
+Edison als Erfinder ein Waisenknabe.
+
+An einem Samstag Mittag wandte sich Heinrich Baldrian, der Buchhalter,
+an Adolf mit der Frage: »Adolf, wollen Se morgen ins Theater?«
+
+»Wieso, Herr Baldrian?«
+
+»Weil ich zwei Billette hab. Aber es is mir was dazwischen gekommen.
+Vielleicht gehn Sie mit Ihrer Frau hin?«
+
+»Ei, mit Vergniege! Ich dank Ihne aach schee, Herr Baldrian!«
+
+»Bitte, bitte!«
+
+-- Auf dem Nachhauseweg malte sich Adolf aus, wie Käthchen sich freuen
+werde.
+
+»Vielleicht geht se mit'm Vadder 'rei?« dachte er. »Ich dhät's zwar gern
+selwer gucke, awwer dem ahle Bindegerst mecht's sicher noch viel mehr
+Spaß wie mir! -- Dheader, -- Gott, wie lang bin ich in kaam Dheader mehr
+gewese! Ich kann doch'm Kättche werklich gar nix biete! Annern Madamme,
+die hocke jed' Woch e baar Mal im Dheader unn kenne die Sänger unn
+Schauspieler schonn von weitem an der Nos. Ja, 's is doch was Scheenes
+um die Bildung! -- Ich freu mich uff'm Kättche sei Gesicht!«
+
+Aber diese Freude war verfrüht.
+
+»Ich geh in kaa Dheader!« fauchte Katharina. »Ich habb dahaam Dheader
+genuch! Mich indressiert der Stuß net!«
+
+So benutzten denn Adolf und Bindegerst die Karten.
+
+Bindegerst machte sich hochfein. Er schien sich den König David zum
+Vorbild genommen zu haben, von dem zweimal geschrieben steht »und sie
+salbten ihm das Haupt«, er ließ sich von Herrn Hippenstiel eine geradezu
+feudale Frisur zurechtkleben, zog den schwarzen Gehrock an und tanzte
+reichlich eine halbe Stunde vor dem Spiegel, ehe er mit sich zufrieden
+war.
+
+»Der Widerspenstigen Zähmung« wurde gegeben.
+
+»Des muß in Amerika spiele,« sagte Bindegerst beim Lesen des
+Theaterzettels. »Nor in Amerika hawwe die Leut so verrickte Name'!
+Vincentio, Lucentio, Petruchio, -- so haaßt in ganz Offebach kaa
+Mensch!«
+
+Plötzlich fing er an zu lachen. »Da, les emal: Katharina, die
+Widerspenstige, Baptistas Tochter. Gut, daß merr's Kättche dahaam
+gelasse hawwe! Die hätt sich am End' noch bedroffe gefiehlt! -- Du, ich
+bin neugierig, ob die mit #unserm# Kättche konkurriern kann?«
+
+Auch Adolf mußte lächeln.
+
+»Adolf, des is sicher e lehrreich Stick! Adolf, da haaßt's die Ohrn
+spitze! Des hat sicher e #Verheierater# geschriwwe!«
+
+Sie hatten zwei gute Plätze im ersten Rang, inmitten vornehmer Leute.
+Bindegerst fühlte sich infolgedessen als Aristokrat, dem kleinen Adolf
+aber war in dieser noblen Umgebung nicht sonderlich wohl. Er hätte
+lieber auf der Galerie gesessen, unter seinesgleichen.
+
+»Ich komm merr vor, wie e Köchin, die ihrer Gnädige ihr Schleppekleid
+aagezoge hat. Da schwebt se drin erum unn dänzelt wie e Wackelpudding,
+awwer wann se de Schnawwel uffmecht, schmeckt's wie Kardoffelschale.«
+
+Doch bald ließ ihn das Stück das Publikum vergessen.
+
+Das Käthchen auf der Bühne war ein schlimmes Frauenzimmer, das sah er
+gleich. Aber ihr Vater war wenigstens so ehrlich, es den Freiern im
+voraus zu sagen. Der pries seine böse Tochter nicht als
+Quetschenkuchenvirtuosin an, wie Bindegerst. Er warnte Heiratslustige.
+Und dennoch hielt Petruchio um ihre Hand an.
+
+Herrgott, gibt's mutige Menschen!
+
+Eines freute Adolf: es wuchsen also auch in den vornehmen, reichen
+Kreisen weibliche Teufel! Nicht nur unter den Proletariern. Das
+Schicksal ist doch nicht so ungerecht, wie man ihm nachsagt. Die höhere
+Töchterbildung tut's also doch nicht!
+
+Er schmunzelte.
+
+Bindegerst stieß ihn wiederholt mit dem Ellbogen an. Jedes Mal, wenn die
+Bühnen-Katharina eine bösartige Antwort gab, oder von ihrer Störrigkeit
+die Rede war, versetzte er dem Schwiegersohn einen Rippenstoß und
+flüsterte: »Wie dahaam!«
+
+Am lieblichsten zeigte sich Katharina im zweiten Akt. Gleich in der
+ersten Szene prügelte sie, ohne Ursache, ihre sanfte Schwester Bianka.
+
+»Wie dahaam!« zischelte Bindegerst und schlug sich vor Freude aufs Knie.
+
+Drei Minuten später haute sie dem Musiklehrer die Laute am Kopf entzwei.
+
+»Die is großartig!« jauchzte Bindegerst. »Ganz wie
+dahaam! So e Kanallje!«
+
+»Psssst!« machten die Umsitzenden.
+
+Adolf kümmerte sich wenig um Katharinas Böswilligkeiten, ihn
+interessierte weit mehr Petruchios Stellungnahme. Mit beifälligem
+Kopfnicken vernahm er dessen Rezept:
+
+ »Schmält sie, so sag' ich ihr ins Angesicht,
+ Sie singe lieblich, gleich der Nachtigall.
+ Blickt sie mit Wut, sag' ich, sie schaut so klar
+ Wie Morgenrosen, frisch vom Tau gewaschen.«
+
+Ja, das war auch seine Ansicht: nur mit Güte ist etwas zu erreichen. So
+wollte auch er es halten.
+
+Aber -- o weh! -- schon beim nächsten Zusammentreffen erntete Petruchio
+eine Backpfeife, die aus dem Vorrat des #Offenbacher# Käthchens hätte
+stammen können.
+
+»Ganz wie dahaam!« jubelte der Drechslermeister. »In des Stick muß 's
+Kättche erei! Unn wann's hunnert Dhaler kost'!«
+
+Trotz der Ohrfeige erklärte Petruchio die Widerspenstige für seine
+Verlobte.
+
+Im dritten Akt aber begann er die Pferdekur.
+
+Bindegerst geriet außer sich vor Entzücken, als Petruchio absichtlich zu
+spät und zerlumpt zur Trauung erschien, in der Kirche wie ein Roßknecht
+fluchte, dem Priester auf die Frage, ob er Katharina heiraten wollte,
+mit einem gebrüllten »Zum Donnerwetter, ja!« antwortete, dem Küster den
+Weinbecher ins Gesicht warf, seine Braut in der Kirche laut abschmatzte,
+kurz die Widerspenstige auf jede erdenkliche Weise demütigte.
+
+»So mußtde's mache!« rief der Drechslermeister. »Des is mei Mann! Der
+krieht se klaa! Baß uff, er krieht se klaa, des Oos!«
+
+Die Logenbesucher begannen, sich über den Begeisterten zu belustigen.
+Aber Bindegerst ließ sich nicht stören.
+
+»Des mißt' merr bei jedder Hochzeit gewwe, des Stick!« schwärmte er in
+der Pause. »Des is mehr wert wie die scheenst Preddigt! Des is aus'm
+Lewe gegriffe! Wannn's aach in Amerika spielt!«
+
+Er zog im Foyer die Schnapsflasche aus dem Gehrock und labte sich.
+
+»Nemm Derr e Beispiel«, hetzte er. »Adolf, mach's wie der Amerikaner!
+Ich garandier Derr for de Erfolg! Ich habb Derrsch schonn emal gesacht:
+haag se, daß die Lappe fliehe!«
+
+Und als im vierten Akte Petruchio sein Käthchen durch Hunger und
+Grobheit vollends zähmte, als sie in ihm ihren Meister erkannte, sich
+aufs Bitten verlegte und zuletzt so mäuschenklein ward, daß sie auf
+Petruchios Befehl die Sonne für den Mond, einen Mann für ein Weib
+erklärte, da kannte Bindegersts Wonne keine Grenzen mehr.
+
+»Adolf, wannsde kaa Hansworscht bist, mechstde's gradso! Adolf, ich guck
+Dich net mehr aa, wannsde's net gradso mechst!«
+
+Adolf war durch das Theaterstück nachdenklich gestimmt worden.
+
+Hatte Petruchio Recht? Mußte der Dichter mit dem seltsamen Namen die
+Frauen nicht besser kennen als er?
+
+Sollte er dem Rat Bindegersts, der unablässig auf dem Heimweg in ihn
+hineinredete, folgen?
+
+Ja, er wollte es versuchen.
+
+Auch wenn es bitter weh tat.
+
+Er beschloß, Petruchios Vorbild nachzuahmen.
+
+An einer Straßenecke verabschiedete sich sein Schwiegervater.
+
+»Ich geh noch e Schöppche drinke! Unn morje frieh geht die Dressur los!
+Adolf, sei e Mann!«
+
+Er verschwand in einer Seitengasse, die sich nicht des besten Rufes
+erfreute.
+
+... Adolf Borges schloß in dieser Nacht kein Auge.
+
+Grob sein sollte er, wie ein Wüterich auftreten, -- wie schwer das sein
+mußte!
+
+Schreien sollte er, -- er, der Sanftmütige.
+
+Und gar schlagen.
+
+Ach Gott! Ach Gott!
+
+Am liebsten wäre er mitten in der Nacht zu dem Schauspieler gelaufen und
+hätte sich Unterricht geben lassen.
+
+Wie würde Käthchen erschrecken! Von dieser Seite kannte sie ihn doch gar
+nicht!
+
+Weinen würde sie, gerade wie die Widerspenstige in dem Theaterstück, --
+und er konnte doch Niemanden weinen sehen!
+
+Oh, welch furchtbare Aufgabe!
+
+Aber es mußte sein. Er konnte sich doch nicht vor Bindegerst lächerlich
+machen und seinen Vorsatz wieder aufgeben? Und vielleicht half die
+bittere Medizin tatsächlich?
+
+Am nächsten Morgen erschien Bindegerst ungewohnt pünktlich zum Kaffee.
+Während Katharina das braune Getränk aus der Küche holte, zwinkerte er
+dem Schwiegersohn vielsagend zu.
+
+»Sei stark!« bedeutete dieser Blick. »Adolf, jetzt gilt's!«
+
+Und Adolf bemühte sich, stark zu sein.
+
+Kaum hatte er einen Schluck getrunken, so setzte er die Tasse energisch
+ab und behauptete: »Des soll Kaffee sei'? E Gesöff is des!«
+
+Bindegerst sekundierte: »E Drecksbrieh' is es, awwer kaa Kaffee!«
+
+Katharina war erstaunt.
+
+»Sieh mal an!« dachte sie.
+
+Und laut sagte sie: »Ei, laßt' s doch stehn, wann's Euch net schmeckt!
+Mir is des schnubbe!«
+
+»Awwer #mir# is es net schnubbe!« begehrte Adolf auf und wunderte sich
+über sich selbst. »Ich verlang 'n #ordentliche# Kaffee!«
+
+»Unn ich verlang aach en ornliche Kaffee!« echote Bindegerst. »Zum
+Donnerwedder noch emal!«
+
+Käthchens Erstaunen wuchs.
+
+»Ihr seid wohl verrickt, Ihr Zwaa? Ihr seid scheint's im Dheater
+iwwergeschnappt?«
+
+»Mir sin noch lang net so meschugge wie Du!« trumpfte Adolf, der
+allmählich in Schwung kam.
+
+»Noch lang net!« bestätigte Bindegerst.
+
+»Unn so e Gesöff kimmt merr net mehr uff'n Disch!« erklärte Adolf.
+
+Und wie er es bei Petruchio gesehen hatte, packte er die Tasse und
+feuerte sie in die Zimmerecke, daß die Scherben flogen.
+
+Er hatte erwartet, daß Käthchen nun in Tränen ausbrechen, daß sie um das
+schöbe Geschirr jammern werde.
+
+Aber es kam ganz, ganz anders.
+
+»Da is noch #mehr# Platz!« sagte Katharina seelenruhig und schmiß
+Kaffeekanne, Milchkanne, Zuckerdose und ihre eigene Tasse gegen die
+Wand.
+
+Dann ging sie hinaus, kam mit einem Arm voll Tellern wieder. »So, des
+könne merr zum Iwwrige lege!« Und knax, holterdipolter, prasselten die
+Teller auf den Boden.
+
+Dann kamen die Gläser an die Reihe.
+
+Und zuletzt hauchte der Ritter von Stolzenfels am Rhein sein Dasein aus.
+
+»Seid'r jedz zufride?« frug Katharina.
+
+Adolf und Bindegerst sahen sich an.
+
+»Ich wer' an mei Arweit gehe!« sagte Bindegerst kleinlaut.
+
+»Unn ich muß ins Geschäft!« fügte Adolf hinzu.
+
+»Unn mir könnt'r de Buckel erunnerrutsche!« schloß Katharina das
+Frühstück.
+
+Mittags wartete Adolf vergebens aufs Essen.
+
+Halb zwei Uhr war es schon geworden, um zwei mußte er im Geschäft sein,
+und noch immer hatte Käthchen nicht angerichtet.
+
+Er schlich in die Küche. »Kriehe merr dann heut nix zu esse?«
+
+»Wodruff? Hastde Deller mitgebracht? Ich habb kaa, die sin all' kabutt.«
+
+Adolf kratzte sich hinter'm Ohr.
+
+»Da haww ich ganz draa vergesse,« stotterte er. »Heut Awend bring ich
+welche mit!«
+
+»Awwer vorher fegstde die Scherwe uff!« befahl Katharina.
+
+Sie band ihm die Küchenschürze um, drückte ihm Besen und Schaufel in die
+Hand.
+
+»Marsch, erei, unn uffgekehrt!«
+
+Und der kleine Adolf kehrte demütig die Scherben zusammen.
+
+Bindegerst sah ihm zu und sprach: »Adolf, Du hast Dei Sach' gut gemacht,
+awwer gege #höchere Mächte# kann der Mensch nix mache!«
+
+»Sei widder gut, Kättche!« bat Adolf abends. »Ich waaß selwer net, was
+ich heut morje gehabbt habb. Gebb merr en Kuß!«
+
+Aber Käthchen drehte ihm den Rücken. »Merr sin noch lang net fertich
+miteinanner, mei Liewer! Ich guck, daß Samftmut bei Dir nix nitzt, --
+gut, ich kann aach annerschter sei'!«
+
+Und sie war fortan so annerschter, daß Adolf auf die Frage des Herrn
+Baldrian, wie ihm das Stück gefallen habe, antwortete: »Gespielt hawwe
+se's ganz schee, -- awwer des Stick daugt nix! Ganz unwahrscheinlich,
+Herr Baldrian! E echt amerikanischer Schwindel!«
+
+
+
+
+Gar viele Liebespärchen, solche mit und solche ohne standesamtliche
+Ambitionen, hatte der Mann im Mond beobachtet, seit er den scheppen
+Adolf hatte in die Falle gehen sehen, in der ein so magerer Köder hing.
+Nun hatte er ihn längst aus den Augen verloren. An einem Winterabend
+aber, als die Luft klar war wie geschliffenes Glas, fielen die Blicke
+des himmlischen Holzarbeiters wieder einmal in das Dachfensterchen und
+blieben erstaunt an dem Bilde haften, das sich bot:
+
+Vater Bindegerst hatte das Ohr an die Türe gelegt und lauschte grinsend
+dem Lärm, der aus dem unteren Stockwerk scholl.
+
+»Se kloppt em de Aazug, ohne daß er'n ausgezoge hat!« schmunzelte er.
+»Jeder Schlag en Treffer! Ich kann de Adolf net verstehe! So e Eh' hätt
+ich schonn hunnertmal gekinnigt. Awwer so is des Lewe: e Gemeinheit von
+hinne bis vorne! Von owwe bis unne. -- Ui, schonn widder! Adolf, Adolf,
+ich ließ merr de Buckel vernickele an Deiner Stell!...«
+
+Er zog den Kopf schnell zurück, denn er hatte unten die Türe gehen
+hören, setzte sich an den Tisch und zündete behaglich eine Pfeife an.
+
+Schlürfende Schritte kamen die Treppe herauf. Adolf trat ein.
+
+»Hat se widder ihrn elektrische Dag?« erkundigte sich Bindegerst und
+schnitt ein teilnehmendes Gesicht.
+
+Adolf ließ sich aufs Bett fallen.
+
+»Ich halt's net mehr aus, Vadder!« stöhnte er. »Kaa friddlich Minut haww
+ich mehr!«
+
+»Der Sultan hält's mit vierhunnert Weiwer aus,« sprach sein
+Schwiegervater großartig, »unn Du willst net emal die aa aushalte?? --
+Mach Derr nix draus, Adolf, du waaßt doch, wie se is!«
+
+Aber diesmal war Adolfs Seele zu tief verwundet, als daß sich der
+Schmerz hätte durch solch schwache Narkotika besänftigen lassen.
+
+»Ich wollt', ich wär dod!« sagte er. »Vier Schuh unner der Erd', -- ich
+glaab, da is's Lewe am scheenste! Da is so still, die Werm unn die
+Maulwerf sin kaa bissi nervös, unn was vier Schuh #iwwer# merr bassiert,
+davoo heer unn seh ich nix mehr... Bloß die Sterncher, die leuchte dorch
+die Erd' dorch, unn dorch de Sargdeckel, unn ich guck se trotz meine
+geschlossene Aage, unn ihr Schei' mecht merr warm wie die best
+Zentralheizung. An en Dodedanz, nachts von zwelf bis um aans, waaßtde
+Vadder, dadraa glaaw ich net. Die Hopserei dhät mich aach nix nitze. Ich
+kann ja gar net danze. Awwer daß alsemal so e Zwerg, so e Gnom kimmt,
+glaaw ich, unn hebt de Sargdeckel uff unn guckt neugierig erei, -- awwer
+ich stell mich, als ob ich nix merke dhät, dann ich habb kaa Lust zu
+babbele. Ich habb im Lewe genuch dumm Zeug geheert. -- Gell, Vadder, Du
+dhust merrsch verspreche, daß De merr Watt in die Ohrn stobbst, wann ich
+dod bin?«
+
+Bindegerst sah ihn erstaunt an.
+
+Was sein Schwiegersohn für komische Gedankenspaziergänge unternahm! Er
+selbst hatte ja auch manchmal Halluzinationen, nämlich wenn er seiner
+Geliebten zu eifrig zugesprochen hatte, aber so verrücktes Zeug kam ihm
+nicht in den Sinn. Ihm erschien höchstens ein Riese und trommelte ihm
+mit einer Keule auf den Schädel, und wenn er sich dann aufrichtete, sah
+er, daß er im Suff mit dem Kopf wider die Drechslerbank geschlagen war,
+und so lösten seine Visionen sich stets natürlich und logisch.
+
+Aber was sein Schwiegersohn in der letzten Zeit mitunter phantasierte,
+das grenzte ja an helle Verrücktheit.
+
+»Es schlägt sich bei em uffs Gehirn!« dachte er und beschloß, dem
+Gespräch wieder eine reale Wendung zu geben. »Was war dann los? Was hat
+se dann gehabbt?«
+
+»Was se jedz #immer# hat! Se hat doch jedz die fix Idee: ich mißt mehr
+verdiene! Da leiht se merr derrmit in de Ohrn, des is ihr
+Leibtrompetestick, wo se merr von frieh bis in die Nacht enei vorbläst!
+Des geht wie e Uhrwerk --
+
+»Unn wannsde widdersprichst, dann fängt die Uhr aa zu #schlage#!«
+ergänzte Bindegerst.
+
+Adolf wischte sich mit der Hand über die Augen. »Wann ich nor wisse
+dhät, ob se mich iwwerhaapts noch lieb hat? Guckstde, Vadder, des frißt
+an merr unn läßt merr kaa Ruh! Ich dhät merr ja gern alles gefalle
+lasse, -- was zwische meine vier Wänd vorgeht, des guckt ja Niemand --.
+Maantswege kratzt se merr die Aage aus, awwer #aus Lieb# muß se kratze!
+Ach Vadder, manchmal, da is merrsch grad, als ob se mich #hasse# dhät,
+als ob se mich net ausstehn könnt, als ob ich'r zuwidder wär wie
+Rizinusöl, unn des mecht mich noch ganz krank!«
+
+Er schwieg verzweifelt. Der Alte legte die Pfeife weg, nahm die Flasche
+unter dem Tisch hervor und stärkte sich durch einen langen Schluck zu
+der Beruhigungsrede, die er jetzt angemessen hielt.
+
+»Du nemmst's zu schwer!« tröstete er. »Iwwer die Weiwer soll merr
+iwwerhaapts net so viel nachdenke! Wie se sin, so sin se, -- ich habb se
+net geschaffe, ich wasch mei Pote in Unschuld. Unn's Kättche, no, wo se
+doch jedz in dem Zustand is ...«
+
+»Was for e Zustand?« frug Adolf Borges mißtrauisch.
+
+Bindegerst feixte verschmitzt. »Awwer verstell Dich doch net, Adolf! Des
+mußtde doch längst gemerkt hawwe!«
+
+»Ich habb nix gemerkt.«
+
+»#Des# hastde net gemerkt? Ei, in #annerne# Zuständ is se doch ...«
+
+Adolf war erregt aufgesprungen und ergriff seines Schwiegervaters Hand.
+»Was hastde da gesacht?!«
+
+»No, bring mich nor net um!! Ich kann doch nix dafor! An mir braachstde
+doch Dein Ärjer net auszulasse!«
+
+»Ärjer?? Ärjer, Du Rindvieh?« jubelte Adolf und lachte vor Glück. »Is es
+sicher? Hastde Dich aach net verguckt? Vadder, wann's nor wahr is!!«
+
+»No, heer emal, ich bin doch net farweblind! Se geht doch schonn uff wie
+Hefeteig! -- Unn des merkt der Schlemihl gar net!«
+
+»In annerne Zuständ!« jauchzte Adolf und fing an, in der Stube
+herumzutanzen.
+
+Er war, nach seinem eigenen Geständnis, in der Kunst Terpsichores ein
+vollkommener Nichtskönner und doch: selbst die Schwestern Wiesenthal und
+die Clotilde Derp haben niemals die Freude so überwältigend getanzt wie
+in diesem Augenblick das scheppe Adolfchen.
+
+»In annerne Zuständ!! Was e Glick, was e Glick! In annerne Zuständ!
+Vadder, ich wer' meschugge! Ich muß Derr en Kuß gewwe! Odder naa, -- ich
+muß doch erscht emal nachgucke, ob's aach werklich so is! In annerne
+Zuständ!!«
+
+Und er tanzte zur Türe hinaus.
+
+Kopfschüttelnd sah Bindegerst ihm nach. »Jetz wer' ich bald e Gummizell
+reserwiern lasse misse!« dachte er. »Hastde schonn so ebbes erlebt! Ich
+glaab, der schreit noch Hurrah, wann's #Drilling# wern!«
+
+Adolf Borges sprang die Treppe hinunter, mit jedem Sprung drei Stufen,
+mit den Händen gestikulierend und immer wieder jauchzend: »In annerne
+Zuständ! In annerne Zuständ!«
+
+Als er aber vor der Schlafzimmertüre stand und gerade die Klinke
+herunterdrücken wollte, da fiel ihm ein, daß sein Käthchen jetzt nicht
+in der Laune war, Begeisterungsausbrüche in Empfang zu nehmen, er wandte
+sich zum Kleiderständer, nahm Hut und Mantel und lief davon.
+
+Der Mann im Mond konnte ihn nun nicht mehr beobachten, denn die Erde
+hatte den dichten Schleier eines Schneegestöbers vor ihr Antlitz
+gezogen. Die dicken Flocken flatterten Adolf ins Gesicht, schmolzen auf
+Nase und Wangen, besäten seinen Mantel mit Sternchen, als wollte der
+Himmel den kleinen Mann mit unzähligen weißen Orden auszeichnen für das
+Verdienst der Vaterschaft.
+
+Wie alle Leute, die nicht wissen, wohin sie eigentlich wollen, hatte
+Adolf es sehr eilig. Er stürmte durch die Straßen, als gelte es, eine
+Wette zu gewinnen, bis er sich auf der Landstraße nach Frankfurt fand.
+Da mäßigte er das Tempo und ergab sich, langsameren Schrittes, seinen
+stillen Betrachtungen.
+
+»Wie schee is doch die Nadur eigericht': merr denkt an nix beeses, unn
+uff aamal is e Kind da! Grad als ob's von selwer komme dhät, so wie die
+Blumme unn die Bäum! Es gibbt Leut, die lasse sich die deuerste Beete in
+ihr Gärte eneiplanze unn lasse de Gärtner dadraa erumkorkse, Gott waaß
+wie lang! Awwer se könne sich uff de Kopp stelle: so e schee
+Zusammestellung, wie se drauße uff de Wiese ganz von selwer werd, bringe
+se net eraus. Unn wie mit de Blumme, werd's aach mit de Kinner sei'. Die
+so unverhofft komme, ohne daß merr sich vorher die Bää drum ausreißt,
+des wern die beste! -- Naa, ich mach merr gar kaa Gedanke drum, ob's
+blond odder schwarz werd, ob's helle oder dunkle Aage hat, ob's e Bub is
+odder e Mädche. Der Storch is doch kaa Gemiesfraa, daß merr mit'm
+#hannelt#! Awwer blond wär merr schonn am liebste, unn wisse dhät ich
+halt gern, ob's helle Aage hat, -- ach so, ich wollt merr ja kaa Gedanke
+driwwer mache!«
+
+Er lächelte in sich hinein und blieb unwillkürlich stehen. Er hörte das
+feine, silberige Geräusch der fallenden Flocken und dachte: »Der liewe
+Gott streichelt die Erd'. Unn er hat waaße Glacehandschuh derrzu
+aagezoge. Unn er fährt mit der Hand iwwer die Schneedeck, wie e Mudder
+iwwer des Wiegedeckche von ihrem Kindche, unn summt »Schlaf, Erdche,
+schlaf! ...«
+
+Wieder lächelte er.
+
+»Ich möcht nor wisse, was ich heut habb, daß ich heut immer an #Kinner#
+denk! -- Ach so, ich soll ja selwer aans kriehe! Ich krieh ja Kinner!«
+
+Und er rief gegen den Sachsenhäuser Berg: »Heerstde's, ahler Berg, ich
+krieh Kinner! Ei, Du Spinat unn gehle Riewe unn Quetschebäum unn was
+sonst da drowwe wachse dhut: Kinner kriehe merr! So dhut doch lache, Ihr
+verrickte Planze, schlagt doch Borzelbäum: Kinner gibbt's!«
+
+Und er fing laut an zu lachen und schnappte im Übermut mit dem Mund nach
+den Schneeflocken wie ein Fisch nach einem Brotbrocken.
+
+Und die Telegraphendrähte summten: »Annerne Zuständ«, »Annerne Zuständ«,
+als würde dieses Ereignis in der ganzen Welt herumdepeschiert.
+
+Eine Kirchturmuhr im nahen Oberrad schlug die zehnte Stunde. Der dumpfe
+Klang weckte Adolf Borges aus seinen fröhlichen Träumereien.
+
+»Wann ich so weider laaf, bin ich morje frieh in Afrika!« sagte er sich
+und machte kehrt.
+
+Mit dem Erwachen aus seiner Seligkeit kam ihm auch die nächtliche Kälte
+zum Bewußtsein. Er fühlte, daß er nasse Füße hatte, und er rieb sich die
+roten Ohren. Eine Weile trabte er nun still und gesittet auf der
+Landstraße dahin, gewissermaßen schon umstrahlt von Vaterwürde.
+
+Dann kam die Freude wieder zum Ausbruch. Er bückte sich, knetete
+Schneeballen und eröffnete ein Bombardement auf Telegraphenpfosten und
+Bäume.
+
+»Wann ich treff,« sagte er sich beim ersten Schneeballwurf, »dann werd's
+e Bub! Geht's danewe, werd's e Mädche!«
+
+Und beim zweiten Wurf probte er aus, ob die Haare blond oder schwarz,
+beim dritten, ob die Äuglein hell oder dunkel werden würden.
+
+Einen blonden Buben mit blauen Augen verhieß ihm dieses Orakel, und er
+war damit sehr zufrieden.
+
+Schneebedeckt und durchnäßt kam er nach Hause. Er schüttelte Mantel und
+Hut vor der Haustüre aus und trampelte sich den Schnee von den Stiefeln,
+um nicht Käthchens Zorn zu erregen.
+
+Recht zärtlich wollte er seine Frau begrüßen und sie gleich befragen, ob
+Vater Bindegersts Behauptung denn auch wirklich wahr sei?
+
+Aber dazu kam er gar nicht, denn sobald er das Schlafzimmer betreten
+hatte, schrie ihn Katharina erbost an, wo er jetzt herkäme, und was das
+für eine neue Mode sei, mitten in der Nacht heimlich aus dem Haus zu
+laufen?
+
+Einen ganz fürchterlichen Krach machte sie, wahrend dessen sich Adolf
+bekümmert auszog und niedergeschmettert ins Bett kroch. Katharina drehte
+ihm den Rücken zu, blies das Licht aus und schlief ein, ohne seinen
+zaghaften Gute-Nacht-Wunsch zu erwidern.
+
+Ein gehöriger Schnupfen war das erste väterliche Opfer Adolfs.
+
+Am nächsten Morgen beim Kaffee hielt er's nicht mehr aus, er mußte
+Gewißheit haben. Er hatte seine Frau genau beim Ankleiden beobachtet,
+aber er, der Unerfahrene, hatte sich kein Urteil bilden können. So
+blickte er denn, als sie am Frühstückstisch saßen, sein Weibchen recht
+innig an, beugte sich zu ihr hinüber und wisperte lächelnd: »Is es so
+weit, lieb Kättche?«
+
+»Mit was?« schrillte es grob zurück. »Kannstde Dich net so ausdricke,
+daß Dich e vernimftiger Mensch versteht?!«
+
+»Ich maan, lieb Kättche, ... es kimmt merr so vor, als ob ... als wie
+wann ebbes Klaanes unnerwegs wär!«
+
+»Unn was weider?«
+
+»Also is es so?« strahlte Adolf. »Is es so?«
+
+Da stand Katharina ärgerlich auf. »Ich habb Derrsch doch schonn gesacht!
+Frag net so dumm! Was is'n weider dabei!«
+
+Und sie ging in die Küche und schien sehr zornig zu sein.
+
+Im ersten Augenblick war Adolf verblüfft. Dann sagte er sich: »Es kimmt
+von ihr'm Zustand. Ich wär wahrscheinlich aach net annerschter, wann ich
+so weit wär!«
+
+Und dies mußte er sich fortan oft sagen. Denn Katharina ward immer
+unleidlicher und reizbarer. Kein Tag verging ohne Lärmszene. Aber Adolf
+beklagte sich nicht mehr bei seinem Schwiegervater, er ertrug die
+geistigen und körperlichen Mißhandlungen mit noch geduldigerer Sanftmut
+als je. Jede Launenhaftigkeit Katharinas war ihm nur ein neuer Beweis
+des Glückes, das er zu erwarten hatte. Denn jetzt wußte er den Zustand
+seiner Frau und dessen Begleiterscheinungen sachverständiger zu
+beurteilen: hatte ihm doch Bindegerst aus seiner dreibändigen Bücherei
+»Das Geschlechtsleben des Menschen« zu lesen gegeben.
+
+Daraus erfuhr Adolf mancherlei, was ihm bisher unbekannt gewesen. Die
+wichtigsten Stellen fielen ihm leicht ins Auge, denn die hatte
+Bindegerst mit Bleistift angestrichen. Und auch einige Randbemerkungen
+von Bindegersts Hand fanden sich in dem Buch, die bewiesen, daß der Alte
+in Bezug auf das Geschlechtsleben des Menschen höchst menschlich dachte.
+
+Bindegerst ließ für einige Zeit das Schnitzen von Affenköpfen sein, er
+zimmerte ein Kinderbettchen. Den Ausmaßen nach schien es für ein
+Riesenkind bestimmt zu sein.
+
+Es wurde Adolfs Lieblingsbeschäftigung, dem Schwiegervater beim Bau
+dieser kleinen Arche Noah zuzuschauen, und schon sah er im Geiste seinen
+Stammhalter in dem Bretterkasten zappeln. Er gewöhnte sich an, schon
+jetzt den alten Bindegerst mit »Großvadder« anzureden, und dieser zeigte
+sich seinerseits durch die Anrede »Herr Babba« erkenntlich.
+
+»Großvadder, maanstde net, merr könnt bei dem Bettche noch so vier
+Engelsköppcher an die Ecke mache?«
+
+»Unn vielleicht aach noch e Oferohr in die Mitt, Herr Babba?« spöttelte
+der Meister. Ihn belustigten Adolfs ewige Anregungen zu Verschönerungen
+des Bettes, und er gefiel sich deshalb darin, ihm die unmöglichsten
+Verzierungen vorzuschlagen.
+
+»Ich maan als, Herr Babba, merr sollt an dem Bettche en Kleiderhake mit
+eme Zylinnerhut aabringe! Daß der Bub aach grieße kann, wann der Dokter
+zum Impfe kimmt!«
+
+»Maanstde net, Herr Babba, merr sollt en Aschebecher draamache? Odder
+werd's e Nichtraacher?«
+
+Katharina rümpfte verächtlich die Nase, wenn sie Brocken solcher
+Gespräche aufschnappte. Sie schien sich nicht im mindesten auf das Kind
+zu freuen, sie nahm ihre Schwangerschaft wie eine etwas lästige
+Selbstverständlichkeit hin, über die Worte zu verlieren nicht lohnt.
+
+Manchmal mußte sie sich, wenn sie das Essen auftrug, plötzlich mit
+leisem Stöhnen setzen. Neigte sich dann Adolf besorgt über sie, so
+knurrte sie böse: »Laß mich! Ich kann des dumm Gedhu net verdrage!«
+
+»Kättche, merr wolle in der Kich' esse, dann braachstde des Esse net
+ereizudrage!«
+
+»Unsinn! Ich bin net krank!«
+
+»Kättche, willstde dich net e bissi umlege?«
+
+»Mei Ruh will ich hawwe! Ich bin net so zimberlich unn faul wie gewisse
+annern Leut!«
+
+Fühlte sie Adolfs zärtliche Blicke auf sich ruhen, so drehte sie ihm in
+spöttischer Verachtung den Rücken. Und einmal sagte sie wütend: »Jedz
+haww ich genuch von dem alwerne Erum-Gescherwenzel! Des is des erste unn
+letzte Kind, was ich krieh! Dadafor wer' ich schonn sorje!«
+
+Adolf hatte eine Heidenangst vor der Entbindung. Immer wieder las er
+»Das Geschlechtsleben des Menschen«, er erkundigte sich eingehend bei
+Bindegerst, wie es denn seinerzeit zugegangen sei, als Katharina auf die
+Welt kam.
+
+Aber der konnte ihm nur die Auskunft geben: »Ich waaß es net, ich bin
+solang spaziere gange!«
+
+Am fünften Mai wurde Adolf vormittags gegen zehn Uhr in das Privatkontor
+seiner Chefs gerufen.
+
+»Adolf,« sagte der dicke Herr Schröder, »es hat nach Ihne delefoniert,
+Se solle aageblicklich haamkomme!«
+
+Da wußte Adolf gleich, was los war.
+
+»Herr Schröder,« stammelte er erregt, »Herr Schröder, merr kriehe
+Kinner!«
+
+»#Merr#??« meinte Herr Schröder. »Merr? -- Net, daß ich wißt'!«
+
+Adolf Borges stürmte davon. Er rannte unterwegs eine alte Dame um, aber
+er hatte keine Zeit, sie um Entschuldigung zu bitten, sondern er fauchte
+nur im Weitersausen: »Ahl Schachtel, kannstde net Blatz mache!«
+
+Als er zu Hause ankam, war schon alles vorbei. Katharina lag erschöpft
+und bleich im Bett, mit zusammengekniffenen Lippen. Er stürzte auf sie
+zu, sie zu umarmen und zu küssen, aber sie runzelte die Stirn und zog
+den Kopf zurück.
+
+Großvater Bindegerst saß am Bett und sagte: »Ich gradulier! Gut is
+gange! Awwer 's nächste Mal geh' ich widder spaziere!«
+
+Adolf suchte das Kind. In dem kunstvoll gezimmerten Bettchen lag ein
+kleines Etwas, das einem gelblichen Affen nicht unähnlich sah. Er wollte
+es an sich reißen, da sagte eine fremde, dicke Frau: »Nix da! Se hawwe
+jedz hier gar nix zu suche! Se könne sich den Bub später noch genuch
+betrachte!«
+
+»Den Bub?« jubelte Adolf. »E Bub is es! Kättche, was e Glick!«
+
+Er wollte wieder zu Katharinas Bett eilen, niederknien, sie küssen; er
+stieß dabei eine kleine Badewanne um, die am Boden stand, und
+verursachte eine Überschwemmung.
+
+»Rindviech!« hauchte Katharina.
+
+Die fremde Frau, die sich offenbar hier als Herrscherin fühlte, packte
+ihn am Ärmel und befahl: »Jedz mache Se awwer, daß Se 'nauskomme! Merr
+braache jedz Ruh!«
+
+Da stieg er hinauf in das Dachzimmerchen, über die Stufen stolpernd, vor
+deren Unzuverlässigkeit ihn Bindegerst schon beim Mieten des Zimmers
+gewarnt harte. Er hatte sich die Nase gehörig aufgeschlagen, aber er
+spürte keinen Schmerz.
+
+Er streckte den Kopf zum Dachfensterchen hinaus und brüllte: »Ich habb
+'n Sohn! 'n Sohn haww ich!«
+
+Aber die Stadt Offenbach nahm keine Notiz von diesem großen Ereignis.
+
+Und plötzlich kniete er vor dem Schrank mit dem kaputenen Schlüssel
+nieder, betete ein Gebet, über dessen Verwirrtheit alle Engel im Himmel
+hellauf lachten, schüttete die ganze Frömmigkeit, die in seinem
+harmlosen Herzen schlummerte, aus.
+
+»Ich dank Derr schee, liewer Gott, daß es so gut
+voriwwergange is! Ich wer' mich schonn revanschiern! Ich will so e guder
+Mensch sei', wie's iwwerhaapt noch kaan gewwe hat! Du werst's schonn
+gucke! Unn laß merr nor des Kättche unn de Bub gesund bleiwe, laß liewer
+#mich# die Cholera kriehe! Was e scheener Bub, liewer Gott! Unn #ich#
+bin der Vadder! Gell, da guckstde? Laß en nor was Gescheides wern,
+liewer Gott, es braacht ja net gleich Brofesser zu sei', awwer so recht
+e aastänniger Mensch! Unn Geld soll er aach verdiene, denn ohne Moses
+unn die Prophete, da schweige alle Fleete! Unn sei net bees, liewer
+Gott, daß ich so 'n Stuß zusammebet', awwer ich bin ja ganz meschugge
+vor Freud! Amen.«
+
+Im Geschäft wurde die Nachricht vom Familienzuwachs des scheppen
+Adolfchens mit großer Heiterkeit aufgenommen. Und wieder machten die
+männlichen Angestellten solche Witze, daß die Damen rot wurden. Aber das
+wurden sie gern.
+
+Und der eklige Kassierer sagte: »Bloß #aans#? No, gewwe Se de Mut net
+uff, des nächste Mal wern's schonn Zwilling wern! Ibung mecht de
+Meister.«
+
+Und der gute Herr Heinrich Baldrian drückte ihm die Hand und sprach in
+seiner besonnenen Art: »Ich gratuliere Ihnen. Aber es ist eine große
+Verantwortung, so ein Menschenkind in diese miserable Welt zu setzen.
+Ich sag's Ihnen offen: #ich# hätte nicht das Gewissen dazu.«
+
+Und der Herr Schröder sagte: »E Bub? Mei' Hochachtung! Dichtige Leut
+hawwe merr im Geschäft! No, Se wern jetz allerlei Ausgawe hawwe, -- vom
+nächste Erschte ab kriehe Se fuffzeh Mark mehr!«
+
+Und bald ging Alles wieder seinen gewohnten Gang.
+
+Katharina war schon nach wenigen Tagen wieder aufgestanden. Ihr Wesen
+blieb zänkisch und bösartig, ihre Streitsucht nahm eher zu als ab. Sie
+bewies dem Kinde keine Zärtlichkeit, sie betrachtete seine Anwesenheit
+einfach als eine Vermehrung ihres Arbeitspensums, das sie mit mürrischer
+Selbstverständlichkeit erledigte. Sie vernachlässigte das kleine
+Gustavchen ebensowenig wie sie je ihren Haushalt vernachlässigt hatte,
+sie erfüllte ihre Pflicht, -- aber wer auf dieser Welt nur seine
+#Pflicht# tut, tut zu wenig.
+
+Pflicht ist ein häßliches Wort, ein Wort des Zwanges, und erst wenn
+dieser Begriff aus dem Denkvermögen der Menschen geschwunden sein wird
+und #dennoch# jedermann »seine Pflicht tut«, werden wir uns rühmen
+dürfen, Kultur zu besitzen.
+
+Adolf empfand tiefschmerzlich die Lieblosigkeit der Mutter. Für alle
+seine glücklich-neckenden Fragen, ob der Kleine ihm oder ihr ähnlicher
+sähe, ob er diesen und jenen Zug von den Borges oder von den Bindegersts
+geerbt habe, hatte sie nur ein frostiges Achselzucken. Er aber war
+hemmungslos vernarrt in den Säugling, der nur das Mäulchen zu einem
+Lachen zu verziehen brauchte, um seinen Vater in einen Taumel des
+Entzückens zu versetzen.
+
+Täglich entdeckte er neue Eigenschaften an ihm, ausnahmslos Tugenden und
+Anzeichen ungewöhnlicher Gescheitheit, über die er zu seinem Kummer nur
+mit dem #Großvater# plaudern konnte, denn Katharina hatte sich ein für
+allemal dieses »dumme Geschwätz« verbeten.
+
+Den Großvater aber konnte der kleine Gustav nicht leiden. Näherte er
+sich nur dem Bettchen, so fing er an zu schreien, als stünde die
+schlimmste Mißhandlung bevor. Weder Adolf noch Bindegerst konnten sich
+dieses seltsame Verhalten erklären, und doch war die Lösung des Rätsels
+so naheliegend: das Büblein konnte einfach den Schnapsgeruch des Alten
+nicht ertragen.
+
+Schrie der Kleine des Nachts, so geriet Adolf in die höchste Aufregung.
+Er verstand nicht, daß Katharina das Plärren Gustavchens kaum beachtete,
+und er zweifelte in solchen Augenblicken ernstlich daran, daß Katharina
+überhaupt Gefühl besäße.
+
+»Heerstde's net?« bat er eines Nachts. »Mach doch 's Licht aa unn gebb
+'m die Brust!«
+
+»Gebb Du se'm!« brummte Käthchen.
+
+Die Strenge der Mutter trug übrigens gute Früchte, der kleine Schreihals
+gewöhnte sich bald das nächtliche Konzertieren ab.
+
+Auch im Geschäft erzählte Adolf von seinem Wunderkind. Er sah nicht die
+ironischen Blicke, die die Angestellten bei seinen begeisterten
+Schilderungen austauschten, er hörte aus den scheinbar teilnehmenden
+Fragen nach Einzelheiten nicht den losen Spott heraus. Er hielt es für
+aufrichtiges Interesse, wenn sie ihn ausforschten, wieviel das
+Gustavchen an Gewicht zugenommen habe, wieviel es getrunken habe, und
+wie es mit seinem Stuhlgang stünde.
+
+Mitten in seiner Arbeit überfielen ihn Zärtlichkeitsanfälle, heftigere
+noch als damals in seiner Bräutigamszeit. Hatten ihn damals die
+Putzfrauen dabei erwischt, wie er vor einer Modellfigur niederkniete, so
+erwischte ihn jetzt der eklige Kassierer dabei, wie er ein
+frischgeschnürtes Paket gleich einem Wickelkinde in den Armen wiegte und
+so tat, als kitzle er's unter dem Kinn: »Du-du-du, -- wie lacht das
+tleine Dustavchen?«
+
+Das war dem Gestrengen doch zu bunt, er ging zu Herrn Schröder, sich zu
+beschweren. »Herr Schröder, des geht net mehr so weider mit'm Adolf! Der
+werd ja ganz verrickt!«
+
+Aber der dicke Herr Schröder gab Denunziationen grundsätzlich kein
+Gehör. »Werd er for #Ihr# Geld meschugge, odder for #meins#? -- No
+also!« fertigte er den Angeber ab.
+
+Da Adolf sich in seinen Gedanken unausgesetzt mit seinem Kinde
+beschäftigte und im Geiste mit ihm die lieblichsten Gespräche führte,
+passierte es ihm, daß er, als ihn Herr Feldmann rief, antwortete:
+»Tleich tomm ich, Herr Feldmann! Tleich!«
+
+Da wollte der Chef ernstlich böse werden, aber sein dicker Teilhaber
+besänftigte ihn: »Lass'n, Hermann! Merr muß Geduld mit'm hawwe: er hat
+noch e bissi 's Wochebettfiewer!«
+
+Adolf erhoffte von dem Kinde eine glücklichere Gestaltung seines
+Ehelebens, er glaubte fest, dieses Kinderherz müsse der paradiesische
+Boden sein, auf dem sich die Eltern nach so langem Mißverstehen finden
+müßten.
+
+Ach, und gerade durch das Kind erhielt ihr Zusammenleben den tiefsten,
+unheilbaren Riß.
+
+Ungefähr ein halbes Jahr war Gustavchen alt, als Katharina Sonntags,
+nach dem Mittagessen, anordnete: »Vadder, geh enuff, Dei
+Middagsschläfche mache, ich habb mit'm Adolf zu redde!«
+
+Es wurde Adolf unbehaglich bei dieser Ankündigung. Was konnte ihm seine
+Frau in Abwesenheit des Großvaters zu sagen haben?
+
+»Heer' emal,« sagte Katharina, als sie allein waren, »'s werd Zeit, daß
+merr uns emal iwwer's Gustavche klar wern!«
+
+Gott sei Dank: um das Gustavchen handelte es sich also! Nun, er würde
+sich gewiß gegen nichts sträuben, was dem Kinde von Nutzen sein konnte.
+
+Katharina trat dicht vor ihn und frug betont: »Du hast doch vierdausend
+Mark uff der Sparkass?«
+
+»Ja, Kättche!« antwortete Adolf unsicher und verlegen. »Was is damit?«
+
+»Ich habb mich bisher nie drum gekimmert, awwer des Geld muß uff'm
+Gustav sein Name geschriwwe wern! Merr sin all nor Mensche unn merr kann
+net wisse, was bassiert. -- Bistde eiverstanne?«
+
+Adolf wußte nicht mehr, was er antworten sollte. Das Geld, ach, das
+hatte er ja gar nicht mehr. Damit hatte ja Bindegerst seinen
+Holzlieferanten bezahlt.
+
+Aber nun mußte das Geld unter allen Umständen wieder herbeigeschafft
+werden. Es #mußte#. Noch heute würde er mit Bindegerst reden ...
+
+»Ich habb gefragt, obsde eiverstanne bist?«
+
+»Nadierlich bin ich's, Kättche.«
+
+Sein Blick irrte ratlos im Zimmer umher, er konnte Katharina nicht in
+die Augen sehen. Ein schrecklicher Gedanke durchrieselte ihn: wenn
+Bindegerst das Geld nicht mehr beschaffen konnte? Der Großvater hatte
+zwar versprochen gehabt, ihm Haus und Geschäft zu verschreiben, aber
+Adolf war viel zu anständig gewesen, ihn jemals an diese Verschreibung
+zu mahnen.
+
+»Also dann gebb merr des Buch!«
+
+Adolf Borges wurde kreidebleich. Nun half nichts mehr, jetzt galt es
+Rede stehen.
+
+»Kättche, des is ... des is so e Sach!« stammelte er und zitterte am
+ganzen Körper. »Des Buch ... des haww ich nämlich ... des haww ich
+nämlich net mehr.«
+
+»Wa--as?!«
+
+»Des Buch, des haww ich nämlich ... 'm Großvadder gewwe ... weil er doch
+Schulde gehabbt hat ... unn da ...«
+
+Die Worte blieben ihm im Hals stecken. Er starrte mit großen,
+ängstlichen Augen sein Weib an.
+
+Katharina stand einen Augenblick mit offenem Mund da. Dann brach sie
+los:
+
+»Du Lump! Du Schuft! Dadafor haww ich mich abgerackert wie e Dier!
+Dadafor haww ich jeden Fennich zusammegekratzt unn merr nix, nix, nix
+gegönnt! Du Schwein, Du! Kinner in die Welt setze unn net sorje dafor!
+Des baßt Derr! Aas!«
+
+»Awwer Kättche ... 's is doch Dei Vadder ... ich konnt doch den ahle
+Mann unmeeglich sitze lasse ...«
+
+»Den Säufer? Des Schwein, des verdammte? Des sich bei uns dorchfrißt unn
+kaan Fennich dafor bezählt?« Sie lachte schrill auf. »Zu #mir# hätt' er
+komme solle! Ich hätt'm was annerscht gebumbt! Unn Du Rindviech gibbst
+unser schee Geld her! Unn frägst mich net! Saukerl! ...«
+
+Sie schlug die Hände vors Gesicht und heulte. In langgezogenen,
+kreischenden Tönen.
+
+Schuldbewußt stand Adolf neben ihr.
+
+Ja, sie hatte recht, er hatte seinen Sohn um das Geld gebracht. Aber
+damals, als er sich von Bindegerst beschwatzen ließ, #hatte# er ja noch
+gar keinen Sohn! Freilich, er hätte dennoch an die Möglichkeit denken
+sollen ...
+
+Katharinas hysterisches Weinen ließ ihm das Herzblut gerinnen. Wie
+gerne, ach wie gerne hätte er sie durch Liebkosungen beruhigt, hätte er
+ihr Haar gestreichelt! Aber er traute sich nicht, sie zu berühren. Er
+wollte ja seinen Leichtsinn wieder gut machen, er wollte den Verlust
+nach und nach wieder ersetzen: keinen Tropfen Bier würde er sich mehr
+gönnen, keinen Pfennig Trinkgeld mehr für sich behalten. Und nichts,
+nichts mehr tun, ohne seine Frau zu befragen.
+
+»Flenn doch net, Kättche! Des dhut merr ja so weh! ... Guck, lieb
+Kättche, der Großvadder hat merr ja des Haus dafor verschriwwe, unn's
+Geschäft ...«
+
+Da schüttelte sie die Wut von neuem. »Des Haus? Des Geschäft? Wo kaan
+rote Batze wert sin? Wo kaa Backstei' mehr davoo ihm geheert? Du
+dreckiger Hund, Du Vieh ...!«
+
+Sie wußte nicht mehr, was sie schrie. Sie riß das Kind aus dem Bettchen,
+hob es hoch, rüttelte es wild in der Luft: »Da, guck Derr Dein Vadder
+aa! Guck Derr'n aa! Dei Geld hat'r zum Fenster nausgeschmisse, der Lump!
+Hätt er Dich doch gleich hinnerher geschmisse! Des wär des Gescheitste!«
+
+Das Kind brüllte unter den krallenden Griffen Katharinas jämmerlich. Mit
+einer instinktiven Angstgebärde entriß Adolf es ihr, wollte es zurück
+legen ins Bettchen, aber Katharina stürzte auf ihn zu, schlug sinnlos
+auf ihn ein, -- und er ließ den Hagel von Faustschlägen stumpf über sich
+ergehen, das kreischende Kind dicht an sich pressend, um es vor den
+wahllos niederprasselnden Hieben zu schützen.
+
+Schließlich hörte er die Türe knallend zuschlagen, er hob verstört den
+Kopf, -- er war allein.
+
+Da küßte er das Gustavchen, legte es ins Bettchen, blieb bei ihm sitzen.
+
+»Sei still, Gustavche,« flüsterte er, »danz brav sei', Dustavche! Danz
+brav is'm Babba sei Liebling!«
+
+Und mitten in diesen zärtlichen Einlullungsversuchen legte er plötzlich
+sein Haupt auf den Rand des Kinderbettes und weinte lange.
+
+Als das Kind endlich schlief, stieg Adolf hinauf in das Dachzimmer, das
+seine Zufluchtsstätte in allen Leiden geworden zu sein schien, und
+sprach zu seinem Schwiegervater: »Nemm Dei Sach, Großvadder, unn zieh
+erunner! Von heut ab wohn #ich# widder hier owwe!«
+
+Und da Bindegerst ihn fragend ansah, fügte er hinzu: »Ich will nix
+weider driwwer redde, awwer 's is besser so!«
+
+Und Bindegerst fügte sich. Aber er dachte in seinem Innern: »Des is der
+Aafang vom End'!«
+
+Von dem Sparkassenbuch wurde nicht mehr gesprochen. Katharina fand sich
+mit dem Verlust als einer gegebenen Tatsache kurz und energisch ab.
+
+Aber sie wußte sich zu rächen. Sie legte sich eine neue, kränkende
+Redensart bei, sie gewöhnte sich neben der Behauptung, sie habe »Prinze
+unn Korferschte heierate« können, den höhnischen Ausruf an: »Merr
+könne's uns ja leiste! Merr hawwe ja's Geld zum Nauswerfe!«
+
+Hatte sie früher jede Münze dreimal in der Hand gedreht, ehe sie sich
+zum Ausgeben entschloß, so schien sie jetzt das Sparen für die größte
+Torheit zu halten. Sie kaufte sich allerhand nichtigen Tand, holte sich
+bei dem blondgelockten Herrn Hippenstiel Parfüms und Haarpfeiler, fuhr
+bei ihren Wirtschaftsbesorgungen die kleinsten Strecken mit der
+Elektrischen und rieb alle diese kleinen Verschwendereien Adolf mit dem
+Hinweis unter die Nase: »Merr hawwe's ja! Leut wie mir!«
+
+Jeden Sonntag, nach dem Mittagessen, begann sie zu sticheln: »Fahr doch
+e bissi in die Umgegend, Adolf! Ich bin froh, wann ich Dich net guck.
+Unn die Koste spiele doch kaa Roll bei uns! Merr hawwe's doch! Leut,
+die's Geld gleich dausendmarkweis verschenke!«
+
+Adolf ertrug alle diese Niederträchtigkeiten widerspruchslos. Nur
+manchmal seufzte er tief, strich sich mit der Hand durch die Haare und
+starrte vor sich hin, aber keine Klage kam über seine Lippen.
+
+Noch immer gab er den Versuch nicht auf, seine Frau durch
+unerschütterliche Geduld zu zähmen. Nicht aus Trotz war er in das
+Dachzimmerchen gezogen, sondern weil er zu der schmerzlichen Einsicht
+gelangt war, daß sein Anblick auf Katharina aufreizend wirkte.
+
+»Wann se mich weniger guckt,« sagte er sich, »wern sich ihr Nerve
+beruhige! Es leiht ja bloß an de Nerve, -- 's Herz is net schlecht.
+#Sie# kann ja doch schließlich nix dafor, daß ich zu arm bin, um se in e
+Nervebad zu schicke, wie's die reiche Leut mit ihre beese Weiwer mache.
+Unn älder werd se ja aach mit der Zeit, unn des Alter, des is die best
+Massag' for nerwöse Leut. Mit'm erschte Schnorrbarthäärche werd der
+Jingling meschugge, unn mit'm erschte #graue# Häärche wern die Weiwer
+vernimftig. Wann merr älder werd, da kimmt aam so vieles ganz wurscht
+vor, wo merr sich frieher driwwer uffgeregt hat, merr werd viel stiller
+unn verdräglicher, es is, als ob uff'm Weg zum Dod unnerwegs uff beide
+Seite Ruhebänkcher uffgestellt wär'n: »Da, ruh Dich e bissi ab unn
+geweehn' Dich langsam an de ewige Dauerschlaf!«
+
+Tückischer als die neue Redensart war das zweite Mittel Katharinas, ihre
+Rache zu kühlen: sie hielt geflissentlich das Kind von seinem Vater
+fern. Sie tat so, als habe er überhaupt keinen Anspruch auf das Kind,
+sie erstattete ihm nie Bericht, was das Kind während seiner Abwesenheit
+getan hatte, sie lobte es nicht und tadelte es nicht.
+
+Selbst die Ankunft des ersten Zähnchens, die doch in allen Familien als
+festliches Ereignis betrachtet wird, überging sie mit Stillschweigen.
+
+Hatte Adolf den Jungen auf dem Schoß, sich an ihm zu erfreuen, so fand
+sie nach wenigen Minuten einen Vorwand, ihm das Kind wegzunehmen.
+
+Aber ihre Taktik, das Kind systematisch dem Vater zu entfremden, blieb
+erfolglos. Kinder sind Menschenkenner. Das kleine Gustavchen zeigte eine
+unverkennbare, unbeirrbare Vorliebe für seinen Papa. Sobald er das
+Zimmer betrat, fing es an zu lachen, streckte die Ärmchen nach ihm aus,
+wollte getätschelt sein. Ja, der kleine Wurm wußte ganz genau die Zeit,
+wann Adolf mittags und abends aus dem Geschäft kam, und fing schon eine
+Weile zuvor an, unruhig zu werden und mit Gesten nach seinem Vater zu
+verlangen.
+
+Dann warf Katharina dem Kind einen bitterbösen Blick zu.
+
+Adolf kam nur noch zu den Mahlzeiten herunter ins gemeinsame Wohnzimmer.
+Den größten Teil seiner freien Zeit verbrachte er in dem Dachstübchen,
+und es war, als sei er wieder wie ehemals der »möblierte Herr« und nicht
+der Gatte, der Ernährer der Familie.
+
+Nun saß er wieder manche Stunde am Dachfensterchen und erneuerte die
+Beziehungen zum Mann im Mond. Er sah wieder von seiner hohen Warte herab
+die Menschlein wie kleine Käfer in den Straßen krabbeln, aber er
+ernannte sie nicht mehr zu Pagen seines Märchenhofstaates. Manchmal
+überwältigte ihn schmerzende Bitterkeit, und er dachte: »Ich wollt, ich
+hätt e groß Insektepulverspritz, so groß wie e Kanon, damit ich euch
+Käwwer da drunne beweise könnt, was ich for e Menschefreund bin!«
+
+Das Schneeball-Orakel hatte richtig prophezeit: Gustav wuchs heran zu
+einem blonden Büblein, seine blauen Augen wurden denen des Vaters immer
+ähnlicher. Er lernte laufen und drollig plappern. Einer der ersten Sätze
+seines Sprachschatzes war die selbstgebildete Beschwerde: »Mama bees!«
+
+Nur allzu deutlich zeigte es sich, daß das Kind seine Mutter fürchtete;
+es beobachtete beim Spielen jede Bewegung Katharinas, als erwarte es
+jeden Augenblick Schelte oder Schläge.
+
+Für Adolf Borges wurde das Kind eine Art Fetisch. Er trieb eine
+abgöttische Verehrung mit ihm, einen Gottesdienst, dessen Zeremoniell in
+der Hauptsache darin bestand, auf allen Vieren vor ihm herumzurutschen
+und dabei zu krähen, zu bellen, zu miauen.
+
+»Mach nor Dei Hose kabutt!« geiferte Katharina. »Mach se nor hie! Merr
+könne's uns ja leiste! Merr hawwe's ja!«
+
+Bei seinen Geschäftsgängen machte Adolf, wenn es irgend möglich war,
+einen kleinen Umweg, um schnell einen Augenblick in die Wohnung
+hinaufspringen und sein Kind sehen zu können. Das trug ihm dann zwei
+Rüffel ein, einen von Katharina und einen von Herrn Feldmann, -- aber
+was lag daran?
+
+Er gewöhnte sich allerlei Fertigkeiten an, dem Kleinen damit eine Freude
+zu bereiten: er lernte aus Zeitungspapier Schiffe und Helme bauen, aus
+Lappen, die er sich im Geschäft von den Flickmamsells schenken ließ, mit
+der Schere Tiere und Menschen schnitzeln, aus Holzstückchen Bausteine
+zimmern.
+
+Mit gespannten Augen und glühenden Bäckchen sah Gustav ihm zu,
+neugierig, was es werde, und lispelte, mit der Zunge leise anstoßend:
+»Was machß'n Du da?«
+
+Und dieses »Was machß'n Du da??« beseligte Adolf stets von neuem. Dieses
+freudige, dankbare, wißbegierige »Was machß'n Du da??« lag ihm Tag und
+Nacht wie eine süße Melodie in den Ohren, ward ihm zum geflügelten Wort.
+
+»Was machß'n Du da??« lispelte er Bindegerst zu, wenn dieser seine
+Schnapsflasche an den Mund setzte. Und dann lachten sie Beide Tränen.
+
+»Was machß'n Du da??« sagte er, wenn der Gasmann kam und den Gasometer
+ablas.
+
+Und wenn des Nachts die Katzen ihre Gesangsproben abhielten, steckte er
+den Kopf zum Fenster hinaus und schmunzelte: »Was machß'n Du da, ahl
+Katzeviech? Willstde still sei'! Wo dhät'n des hieführn, wann #mir
+Mensche# bei der Lieb so e Geschrei mache wollte?!«
+
+In den ersten Monaten der Ehe hatten Katharina und er an den
+Sonntagnachmittagen zuweilen kleine Spaziergänge in den Stadtwald oder
+in eine der benachbarten Ortschaften unternommen. Bald aber hatte sie
+keinen Gefallen mehr an diesen Ausflügen gefunden. In der Regel saß sie
+Sonntag mittags zu Hause und bastelte an irgendeiner Handarbeit, während
+Adolf allein in der Stadt und der Umgegend herumbummelte.
+
+Das Heranwachsen des kleinen Zappelphilipps, der nicht den ganzen Tag
+stillsitzen mochte, machte eine Änderung des Sonntagprogramms notwendig.
+Bindegerst nahm die Angelegenheit in die Hand, indem er einfach bei
+einer günstigen Gelegenheit erklärte: »Adolf, mach's Gustavche fertich!
+Die Sonn' scheint, merr wolle e bissi Luft schnappe!«
+
+Katharina stutzte. Dann sagte sie: »Schert Euch zum Deiwel!«
+
+Sie hatte offenbar ihren Plan, das Kind dem Vater zu entfremden, als
+aussichtslos aufgegeben und begnügte sich damit, Vater und Kind mit
+erprobter Technik #einzeln# zu quälen.
+
+Fortan trippelte Gustavchen Sonntag mittags, rechts und links von
+schwieligen Männerhänden geführt, durch die Stadt und ins Freie. Sein
+Vater erklärte ihm alle die tausend Wunder und Neuigkeiten, die sich den
+Kinderaugen bieten, die Denkmäler, Kirchtürme, Bäume, Blumen, Wiesen,
+Quellen, den Main mit seinen Schiffen, den Himmel mit der Sonne, den
+Wolken, dem Mond und den Sternen, die elektrische Straßenbahn, die
+Eisenbahnen, die Hunde, Katzen, Vögelchen.
+
+Oh, wie viel gab es zu sehen in der Welt! Welche Schätze offenbarte
+allein das Schaufenster des Herrn Hippenstiel! Die zahlreichen
+Fläschchen, Kämme, Bürsten, die Bartbindenplakate mit den unmenschlich
+schneidigen Männerbildnissen, die Zahnwasserplakate mit den süßen
+Grisettenköpfchen, und -- o Wunder! -- da hingen auch Zöpfe, an denen
+gar kein Mensch wuchs!
+
+Adolf, der zu Hause so schweigsam war, redete auf diesen Spaziergängen
+zu Bindegersts Erstaunen wie ein Buch. Und gab es nichts mehr zu
+erklären, dann erzählte er dem Gustavchen Geschichten, gelesene und
+improvisierte, was ihm gerade in den Kopf kam. Was in diesen Geschichten
+alles zusammengehext und zusammengezaubert wurde, das war selbst für
+eine Märchenwelt zu bunt.
+
+Wurde Gustav müde, so trug sein Vater ihn auf den Armen, oder die kleine
+Karawane setzte sich zum Ausruhen auf eine Bank.
+
+Während einer solchen Ruhepause sagte Bindegerst einmal plötzlich, indem
+er Adolfs Hand ergriff: »Adolf, -- mich drickt ebbes! Des war damals
+net schee von merr mit dene vierdausend Mark ... Ich hätt's net dhun
+gesollt .... awwer 's Wasser is merr an der Gorjel gestanne ...«
+
+Ergriffen, gerührt von dieser Selbstanklage schüttelte der überraschte
+Adolf wehmütig den Kopf und lächelte versöhnlich: »Laß gut sei',
+Großvadder! 's is net mehr zu ännern!«
+
+»Awwer leid dhut merrsch! No, vielleicht kimmt doch emal e Gelegeheit,
+wo ich mich erkenntlich zeige kann! Vielleicht!«
+
+»Redde merr net driwwer, Großvadder! Ich war Derr nie bees deswege!
+Werklich net!« schnitt Adolf das Gespräch ab.
+
+Aber es war ihm so vorgekommen, als verschwiege ihm sein Schwiegervater
+irgend etwas, als sei die Selbstanklage eigentlich die Einleitung zu
+einer Selbstentschuldigung wegen irgend eines ganz anderen, ihm noch
+unbekannten Unrechts gewesen.
+
+Und er war auf dem Heimweg sehr nachdenklich und köpfte zerstreut Blumen
+und Pilze, so daß ihn Gustav wiederholt fragen mußte: »Babba, -- was
+machß'n Du da??«
+
+ * * * * *
+
+Die nächsten Jahre in Adolfs Leben leierten sich ab wie ein
+Drehorgellied.
+
+Die Jahreszeiten führten die ewigen Kämpfe miteinander auf, alljährlich
+feierte der Frühling seine Auferstehung, um von neuem gekreuzigt zu
+werden.
+
+Die alte Tante Klio, die ja auch mit der Zeit moderner geworden ist,
+tippte gleichmütig auf ihrer Schreibmaschine Weltgeschichte. Und wie
+alle Schreibmaschinendamen tippte auch sie gelegentlich daneben, und
+daraus entstand mancherlei Unangenehmes für die Menschheit. So hatte sie
+bei der Eintragung von Adolfs Eheschließung den Namen Katharina mit
+lauter großen Buchstaben, den Namen Adolf aber mit kleinem
+Anfangsbuchstaben getippt, und daher stammte das ganze Unglück der
+Borgesschen Ehe.
+
+Gustav war sechs Jahre alt, in einigen Wochen sollte er in die
+Volksschule kommen.
+
+»Gott sei Dank, daß es endlich e Ruh gibbt im Haus!« sagte Katharina.
+»Es is schonn net mehr auszuhalte mit dem miserawele Bub!«
+
+Da erschien an einem Dienstag vormittag Herr Bindegerst aufgeregt im
+Hause Feldmann & Schröder und verlangte nach seinem Schwiegersohn.
+»Adolf, komm gleich, der Bub is krank!«
+
+Adolf Borges ließ das Paket, an dem er herumschnürte, fallen und rannte
+zu Herrn Schröder.
+
+»Ich muß haam, Herr Schröder ... mei Bub, der Gustav ... er is krank,
+Herr Schröder.«
+
+Und dabei liefen ihm schon die Tränen über die Wangen.
+
+»No, 's werd net gleich so schlimm sei', Adolf!« tröstete der dicke
+Chef. »Gehe Se nor! -- Ja, Kinner mache Sorje, ich kann aach e Lied
+dervoo singe, ich habb aach so e Kollektion von Stickerer sechse. Mit
+Schmerze wern se geborn, mit Schmerze wern se großgezoge, unn mit
+Schmerze nemmt merr später de Dank dafor in Empfang! Gehe Se haam! Unn
+ich empfehl Ihne de Dokter Grienebaum, des is e dichtiger Arzt unn net
+so deuer!«
+
+Unterwegs erstattete Bindegerst bruchstückweise Bericht. Das Kind hatte
+schon in der Nacht gefiebert, und morgens hatte es keinen Kaffee trinken
+wollen. »Ich habb Derrsch net gesacht, daß De Dich net uffregst!« Und
+dann hatte es gehustet, über Halsweh geklagt, und nun lag es im Fieber
+und ächzte und erkannte Niemanden. Und wimmerte beständig in seiner
+Bewußtlosigkeit: »Babba, was machß'n Du da??«
+
+»Laaf doch net so, Adolf! Ich komm ja net mit!« pustete der alte
+Bindegerst.
+
+Ein fremder junger Herr, mit einem koketten Schnurrbärtchen und einem
+goldgerahmten Zwicker, stand an Gustavs Bett und fühlte den Puls. Er
+öffnete mit sanfter Gewalt den Mund des fiebernden Kindes, sah in den
+Hals, zog ihm das Hemd herab, beklopfte Brust und Rücken.
+
+Katharina saß am Fußende des Bettes und harrte des Ergebnisses der
+Untersuchung. Ihr war keine Erregung anzusehen, sachlich wie eine
+bezahlte Krankenpflegerin verfolgte sie die Maßnahmen des Arztes.
+
+Adolf hingegen konnte seine Aufregung nicht zügeln, er trat von einem
+Bein aufs andere, seine Augen hingen mit unendlich rührendem,
+verzweifeltem Hilfeflehen am Munde des Arztes, die Untersuchung schien
+eine Ewigkeit zu dauern.
+
+Der Doktor deckte den Kranken wieder zu.
+
+»Es ist ernst,« sagte er. »Zumal das Kind unterernährt ist. Wie alt ist
+der Junge?«
+
+Adolf konnte nicht antworten. Er mußte sich an einen Stuhl klammern, um
+Haltung zu bewahren.
+
+»Sechs Jahr', Herr Dokter!« sagte Katharina mit sicherer Härte.
+
+»War er schon öfters krank?«
+
+»Nein, Herr Dokter.«
+
+»Das Herz ist schwach.«
+
+Der Blick des Arztes fiel zufällig in den Spiegel über dem Sofa, er
+drehte selbstgefällig die Spitzen seines Schnurrbärtchens, rückte den
+Kneifer zurecht. Ein lautes Schluchzen veranlaßte ihn, den Kopf zu
+wenden. »Na, Herr Borges, man braucht die Hoffnung noch nicht
+aufzugeben. Kinder sind manchmal überraschend widerstandsfähig.
+Allerdings --«
+
+Er trat wieder zum Bett, warf noch einen kurzen Blick auf das Kind.
+
+»Sie scheinen sehr an dem Jungen zu hängen, Herr Borges?«
+
+Adolf nickte.
+
+»Es ist wohl Ihr Einziger?«
+
+Adolf sank an dem Bett auf die Knie, ergriff das herabhängende,
+fiebernde Händchen und bedeckte es mit Küssen.
+
+»Tja,« sagte der Arzt, »tja ...!«
+
+Er wartete einen Augenblick, sah ungeduldig auf die Taschenuhr. »Ich
+würde Ihnen empfehlen, den Kleinen ins Spital bringen zu lassen. Er hat
+dort doch eine bessere Pflege. Es ist auch nicht sonderlich gut geheizt
+bei Ihnen. -- Ich werde nachher an die Sanitätskolonne telephonieren.
+Einstweilen können Sie ihm ja diese Tropfen geben.«
+
+Er schrieb ein Rezept und gab es Adolf, der es hastig zusammenknitterte,
+aufsprang und in die Apotheke lief.
+
+Dreiviertel Stunden mußte er warten, bis das Rezept ausgeführt war.
+
+Er saß auf einer Bank an der Wand und sah die Käufer kommen und gehen;
+Leute, die harmlose Dinge kauften wie Hustenbonbons, Watte, Lysoform;
+vergrämte Mütterchen, die gleich ihm auf Arzneien warten mußten; kokette
+Dienstmädchen, die mit dem Provisor poussierten; und alle Menschen kamen
+ihm so beneidenswert, so glücklich vor.
+
+Als er wieder zu Hause eintraf, war das Gustavchen schon abgeholt.
+
+Er wollte wieder davonlaufen, nach dem Krankenhaus, aber Katharina hielt
+ihn gebieterisch zurück.
+
+»Merr derf'n jedz net besuche! Morje Middag von drei bis vier, -- ich
+habb mich erkunnigt.«
+
+Und der alte Bindegerst sagte: »Des war e netter Mensch, der Dokter. So
+mitfiehlend.«
+
+Die ganze Nacht hindurch studierte Adolf in dem Buch aus Bindegersts
+Bibliothek. Es war freilich ausgeschlossen, daß in dem »Geschlechtsleben
+des Menschen« irgend ein Aufschluß über Gustavs Krankheit zu finden war,
+aber Adolf dachte in seiner Verzweiflung, vielleicht stünde doch irgend
+ein Hinweis in dem Buch, der ihn belehre, der ihm Hoffnung geben könne.
+Vielleicht konnte er den Ärzten doch irgend etwas sagen, an das sie
+gerade nicht dachten.
+
+Drei Tage später war Gustavchen tot. Der Scharlach hatte ihn
+dahingerafft.
+
+Wie ein Kriegsverwundeter in den meisten Fällen anfangs nur das Gefühl
+eines dumpfen Schlages hat, ohne wirklichen Schmerz zu verspüren, bis
+dann beim Verbinden, beim Heilungsprozeß die unerträglichen Qualen
+einsetzen, so empfand Adolf zunächst nur eine dumpfe Betäubung. Das
+Unglück war zu groß, um in seiner ganzen Schwere erfaßt werden zu
+können. Er hörte die Worte der Krankenschwester: »Ihr Sohn ist leider
+gestern Abend sanft entschlummert«, aber er konnte sich nichts dabei
+denken.
+
+Bis plötzlich der Gedanke: »Du wirst Dein Kind nie, nie wieder sehen!«
+die Wunde mit glühendem Eisen ausbrannte.
+
+Er fand nicht die Kraft, alle jene Gänge und Meldungen zu erledigen, die
+in unserem geordneten Staatswesen der Tod eines Familienmitgliedes den
+Hinterbliebenen auferlegt. Die, ach so praktische Katharina besorgte
+alle diese Dinge mit der Selbstverständlichkeit und nüchternen Klarheit,
+die sie in jeder Lebenslage bewies. Sie besorgte den Totenschein,
+bestellte den Pfarrer, kaufte den Sarg, die Blumen, nähte an Adolfs
+Kleiderärmel den Trauerflor, telephonierte ins Geschäft, ihr Mann könne
+die nächsten drei Tage nicht kommen, garnierte einen schwarzen Schleier
+auf ihren Hut, schneiderte sich ein Kleid für die Beerdigung.
+
+Nichts vergaß sie; man hätte meinen können, sie hätte seit Jahren
+Bestattungen arrangiert.
+
+Dann kam der Tag der Beisetzung.
+
+Die Firma Feldmann & Schröder hatte einen Kranz geschickt, von den
+Angestellten waren nur Herr Heinrich Baldrian und eine der Putzfrauen
+erschienen, denn der Herbstausverkauf war in vollem Gang. Einige
+Nachbarn hatten sich eingefunden, darunter der blondlockige Herr
+Hippenstiel in einem frischgebügelten, seidengefütterten Überzieher,
+tadellos gebürstetem Zylinder und erstklassigen schwarzen
+Glacéhandschuhen.
+
+Adolf sah nichts, er weinte ununterbrochen, sodaß ihm Katharina während
+der Ansprache des Pfarrers einen Stoß mit dem Ellbogen gab: »Was solle
+dann die Leut denke!«
+
+Zuletzt schritten die Menschen an ihm vorbei, drückten ihm die Hand,
+murmelten irgend etwas, was er nicht verstand und nicht verstehen
+wollte, und dann war er plötzlich wieder zu Hause, im Dachzimmerchen,
+und nach einer Weile hörte er Katharina schreien: »Komm erunner, der
+Kaffee is aagericht!«
+
+Sie hatte für ihn kein Wort des Trostes. Sie hatte ihm bei Lebzeiten des
+Kindes nie erzählt, was der Junge getrieben hatte, sie sprach auch nach
+Gustavs Tode nie mit dem Vater von ihm. Und als Adolf anregte, eine
+Photographie Gustavchens vergrößern und einrahmen zu lassen, sagte sie
+nur: »Des kann merr ja!«
+
+Sie sprach kein Wort, als Adolf das Kinderbettchen aus dem Schlafzimmer
+hinauftrug in seine Dachbehausung und es neben seinem Bett aufstellte.
+Sie ließ ihn ruhig den Matrosenanzug, den Gustav Sonntags getragen
+hatte, hinaufnehmen und in dem Schrank mit dem kaputenen Schlüssel
+verwahren.
+
+Und als dann das vergrößerte Bild vom Photographen kam, hatte sie nichts
+dagegen einzuwenden, daß Adolf es oben in seinem Zimmerchen aufhängte.
+Aber die Rechnung fand sie zu teuer.
+
+Bindegerst, dem der Verlust Gustavchens sehr nahe ging, ersäufte seinen
+Kummer in Schnaps. Er war mitunter sinnlos betrunken und gröhlte dann
+allerhand unanständige Lieder, von denen man nicht recht wußte, wo er
+sie eigentlich her hatte. In seinen nüchternen Stunden arbeitete er an
+einem Grabkreuz für sein Enkelkind.
+
+Und wie ehemals der Entstehung des Kinderbettes sah Adolf nun dem Werden
+des Totenzeichens zu. Aber sie scherzten nicht mehr bei der Arbeit, er
+machte keine Verschönerungsvorschläge, er redete auch den alten
+Bindegerst nicht mehr mit »Großvadder« an, sondern degradierte ihn zum
+»Vadder«.
+
+Und acht Tage nach der Einschaufelung Gustavchens gingen die beiden
+hinaus auf den Kirchhof und richteten das Holzkreuz auf.
+
+Adolf war seltsam ruhig während dieser traurigen Verrichtung, diesmal
+war es der alte Bindegerst, der seine Tränen nicht meistern konnte. Er
+jammerte ein über das andere Mal: »Wie merr der Bub fehlt... wie merr
+der Bub fehlt!«
+
+Adolf konnnte das Jammern nicht mehr ertragen, er schlich während der
+letzten Spatenstiche davon, ging hinaus in den Stadtwald, in dem der
+fröstelnde Herbsttag sein Totenamt hielt.
+
+Man hat auf Gemälden oft die Pest als einen Dämon dargestellt, vor
+dessen Hauch alles Leben dahinsinkt. Solch ein Pestdämon ist auch der
+Herbst. In seinen gelben Mantel gehüllt, schreitet er über die Erde, und
+unter seinem Geschwür-zerfressenen Fuß sterben die Blumen und Gräser. Er
+haucht die Bäume an, und die Zweige verdorren, die Blätter werden
+vergiftet und fallen ab. Verwesung folgt seiner Spur.
+
+Adolf warf sich auf den kalten Boden und stierte in den Himmel.
+
+Vor langer Zeit, als ihn noch fröhliche Träume umgaukelten, hatte er
+inmitten blühenden Sommers hier einmal versehentlich seinen Kopf auf
+einen Ameisenhaufen gebettet und hatte, erschrocken auffahrend, an
+dieses Mißgeschick mit resigniertem Humor lächelnde Betrachtungen
+geknüpft. Diese Episode fiel ihm jetzt, durch eine eigenartige
+Gedankenverbindung, ein. Ach, wie hätte es jetzt seinen Gram gekühlt,
+den Kopf in einen Ameisenhaufen stecken zu können und den Seelenschmerz
+durch körperlichen Schmerz zu betäuben!
+
+Wie riesige Galgen kamen ihm die entlaubten Bäume vor, die ihre leeren
+Äste gleich Querbalken streckten, und er dachte: »Merr sollt sich
+uffhenke! Da drowwe sollt merr sich uffhenke, unn der Wind dhät ein
+schaukele, ganz samft unn schmerzlos, unn lang sollt's dauern, bis se
+ein finne! Unn e Eichhörnche käm' gehippt unn dhät mich aaglotze unn
+dhät denke: >So'n große Tannezappe haww ich meiner Lebdag noch kaan
+geguckt!< Unn e Vögelche käm', unn dhät sich uff mei Schulter hocke, unn
+ließ' sich mitschaukele! Unn wann se mich dann haamgebracht hätte, dann
+hätt' der ahl Bindegerst widder e neu Kreuz zu schnitzele, unn des
+praktisch Kättche dhät sage: >Jedz kann ich mei Trauerkleider gleich
+noch emal benitze unn braach merr kaa neue aazuschaffe<!«
+
+Seine Gedanken verwirrten sich, und plötzlich tauchte aus der Wirrnis
+eine andere Episode seines Lebens auf, und er sah sich im Odenwald
+stehen, auf dem Gipfel des Melibokus, wie er dem Käthchen die Welt
+zeigte: »Guck, lieb Kättche, die Nadur, die is e groß Sparkass, viel
+größer als wie die Offebächer Städtisch Sparkass, unn wann merr emal in
+Seelennot komme, dann hewe merr aafach in dere Sparkass en Poste
+Erquickung unn Trost ab, -- unn wann merr aach noch so viel abhewe,
+#des# Guthawe nemmt kaa End'!«
+
+Und nun war die Seelennot da, aber die Natur spendete keinen Trost, das
+Guthaben war erschöpft, und er fühlte, nie wieder würde ihm diese
+Sparkasse Erquickung auszahlen.
+
+Ja, Bindegerst hatte recht: das Leben ist eine Gemeinheit. Eine so
+unbarmherzige Gemeinheit, daß die guten Kerle, wie Adolf Borges, niemals
+mit ihm zurecht kommen können.
+
+
+
+
+»Wann des so weider geht,« sagte Herr Feldmann, »dann misse merr'n halt
+entlasse. Der packt uns ja die ganz Waar dorchenanner, babbt die
+verkehrte Adresse uff die verkehrte Paketcher, -- es geht net mehr!«
+
+Der dicke Herr Schröder ließ seinen Teilhaber ausschimpfen, dann
+bemerkte er: »Entlasse? 'N Mann, wo so lang im Geschäft is?«
+
+»Wann'r awwer doch Alles verkehrt mecht?«
+
+»Wo so lang im Geschäft is?«
+
+»Wann awwer doch alles Ermahne unn Zuredde nix hilft?«
+
+»Wo so lang im Geschäft is?«
+
+»Solle merr'n vielleicht for's Nixdhun unn Verkehrtmache füttern?«
+schrie nun Herr Feldmann wütend.
+
+»Ja, des solle merr!« sprach der dicke Schröder mit Überzeugung. »Weil e
+Mensch kaa gespalte Fedder is, die merr wegwerft, wann merr se kabutt
+geschriwwe hat. Ich gebb's zu, der Adolf is net mehr, was er war. Seit
+sei Bub dod is, scheint 'm Alles worscht zu sei', unn ich habb mich
+schonn grie unn blau geärjert iwwer die ewig Leichebittermien'. Dann ich
+will #vergniegte# Mensche um mich gucke, mei Lewe is merr selwer mies
+genuch! -- Awwer entlasse? Naa, Hermann, des mache merr net. Wer emal
+bald dreißig Jahr im Geschäft is, der is bei merr pensionsberechtigt.
+Net bei 'ner Pensionsanstalt mit hunnert Paragraphe unn sechshunnert
+Klausle, sonnern bei der Pensionsanstalt da drin!«
+
+Und damit schlug er sich auf den dicken Bauch, ungefähr in die Gegend,
+wo sein Herz saß, das zwar ein Fettherz war, aber ein sehr gutes
+Fettherz.
+
+»Mach, was De willst!« brummte Herr Feldmann.
+
+»Des is e ahl Gewohnheit von merr, daß ich mach, was ich will. Unn se is
+merr bis jedz gut bekomme. Also merr wern de Adolf #net# entlasse. Awwer
+en zweite Auslaafer wern merr dazu angaschiern, en junge, der em so nach
+unn nach die Arweit aus de Finger nemmt. Des werd's Geschäft aach noch
+trage könne, ohne daß es pleite werd!«
+
+So tauchte ein zweiter Ausläufer in der Firma Feldmann & Schröder auf,
+und Adolf, der sich zu Hause so überflüssig vorkam, kam sich bald auch
+im Geschäft überflüssig vor.
+
+»Se sollte mich dodschlage unn ausstoppe unn als Modellfigur ins
+Schaufenster stelle,« dachte er. »Dann dhät ich all die neue Kleider
+trage, viel scheenere Kleider, als wie ich in meim ganze Lewe getrage
+habb. Unn ich dhät e recht liewenswerdig Gesicht mache unn dhät als e
+bissi mit de Aage zwinkere, daß recht viel Kundschaft ereikäm unn kaafe
+dhät, dann der Herr Schröder is immer aastännig zu merr gewese. Nor wann
+der eklig Kassierer vorbeikäm, dhät ich die Zung erausstrecke. Unn
+vielleicht käm aach als des Kättche voriwwer unn dhät dem Prinz odder
+Korferscht, wo se dann geheierat hätt, des Schaufenster zeige: »Guck,
+des is mei erschter Mann!« Unn vielleicht dhät se'm aach sage: »Ich
+unglicklich Fraa! Auslaafer hätt ich hawwe könne, unn en Korferscht muß
+ich kriehe!«
+
+Er lächelte vor sich hin. Ein Lächeln, in dem viel Mitleid mit sich
+selbst lag.
+
+Sein Eheleben war ein unheilbar Kranker, das sah er nun selbst ein.
+Weder mit Gewalt, wie es Petruchio in dem Theaterstück fertig gebracht
+hatte, noch mit Güte war eine Widerspenstige wie Katharina zu zähmen.
+
+»Merr secht, daß aus der ehelich Lieb mit de Jahrn die still
+Freundschaft erausschluppt wie e Hinkelche aus'm Ei, -- awwer mei Eh' is
+e Windei. Da schluppt kaa Freundschaft eraus unn kaa Kameradschaft, unn
+wann ich noch hunnert Jahr druff erumbrüt'! Des Ei, des hat der Deiwel
+gelegt.«
+
+Äußerlich freilich war seine Ehe seit einiger Zeit geruhiger geworden.
+Katharina machte ihm kaum mehr Szenen, sie schien es nicht mehr der Mühe
+wert zu halten. Sie behandelte ihn jetzt mit einem verächtlichen
+Lächeln, sie benahm sich ihm gegenüber etwa wie ein Lehrer, der einen
+Schüler endgültig aufgegeben hat. »Wozu sich noch über solch einen
+Menschen ärgern? Da ist ja doch Hopfen und Malz verloren.«
+
+Adolf bekam pünktlich sein Essen, sein Zimmer wurde aufgeräumt, seine
+Wäsche wurde gewaschen und geflickt, -- mehr hatte er nicht zu
+beanspruchen.
+
+Um so eifriger beschäftigte sich Katharina nun mit sich selbst. In ihr
+war offenbar endlich die weibliche Putzsucht erwacht; sie, die bisher
+stets im Aufzug einer Aufwaschfrau im Hause herumgetobt hatte, begann
+plötzlich Wert auf proppere Kleidung und eine ordentliche Frisur zu
+legen. Sie abonnierte eine billige Modenzeitung, schneiderte sich nette
+Blusen, ja sie fing sogar an, ihre Fingernägel zu pflegen. Sie wurde
+eine gute Kundin des blondgelockten Herrn Hippenstiel.
+
+Das Glanzstück ihrer Ausstattung war ein greller, knalligbunter
+Sonnenschirm, der jedem Negerhäuptling zur Zier gereicht hätte. In der
+Wüste hätte der Sonnenschirm sicherlich sehr dekorativ gewirkt, -- in
+Offenbach blieben die Leute stehen, wenn Käthchen das Monstrum
+spazierentrug, und dachten: »Da muß e Farwe-Fabrik explodiert sei'!«
+
+Katharina aber hatte sich von je wenig um die Meinung anderer
+Sterblicher gekümmert; sie fand den Schirm wundervoll, und sie machte es
+den Kritikern gegenüber wie der Esel in der Fabel, der behauptete, die
+Nachtigall beneide ihn um seine schöne Stimme.
+
+Adolf hatte anfangs die Änderung in Katharinas Kleidung mit freudiger
+Hoffnung gesehen. »Se will mich an sich locke!« sagte er sich. »Se will
+merr widder gefalle.«
+
+Und er beschloß, ihr auf halbem Wege entgegen zu kommen, und dachte
+schon daran, sein Dachstubenexil aufzugeben.
+
+Aber der erste Annäherungsversuch wurde mit so unverkennbarem Hohn
+aufgenommen, daß er keinen zweiten wagte. Obwohl ihn Bindegerst dazu
+ermunterte.
+
+»Du kannst sage, was De willst, Adolf, des war net gut, daß De da enuff
+gezoge bist! E Mann geheert bei sei Fraa! Sonst kimmt se uff dumme
+Gedanke! Odder hastde am End' noch die Absicht unn baust Derr e Nest uff
+de Schornstei' unn haust da drowwe als Klapperstorch?«
+
+»Ich wollt, ich #wär# e Klapperstorch!« seufzte Adolf. »Dann könnt ich
+jeden Herbst nach Afrika ziehe, unn dhät merr die ahle Piramide aagucke
+unn dhät mit de Kamele e bissi polidisiern. Nor Kinner bringe dhät ich
+kaa. Dann ich glaab, ich könnt mich net trenne von dem Storchedeich. All
+die klaane Buwe unn Mädercher, wie se da erumplätschern in dem Deich unn
+uff de Blädder von dene Wasserrose Dambfschiffches fahrn, -- Vadder, muß
+des schee sei'!«
+
+Bindegerst ließ ihn stehen. Auch er hatte Adolf längst aufgegeben. Wenn
+er ihn sah, summte er vor sich hin:
+
+ »O Gummizell, o Gummizell,
+ Wie grien sin Deine Blätter!«
+
+Im übrigen wich er Adolf aus, wo er irgend konnte. Es war, als habe der
+Alte ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen, als fürchte er, das Gespräch
+könne auf ein Thema kommen, über das er nicht reden wollte oder durfte.
+Der ehedem so geschwätzige Drechslermeister wurde immer stiller, die
+Schnapsflasche war seine einzige Ansprache. Sie war von der heimlichen
+Geliebten zur offiziellen Kaiserin gestiegen, und Bindegerst hielt es
+für seine Pflicht, alle zehn Minuten eine Audienz bei ihr zu erbitten.
+
+»Vadder, da steht Dei Schnapsflasch uff'm Disch!« mahnte Adolf einmal
+erschrocken, als er zum Nachtessen herunterkam.
+
+Aber Bindegerst erwiderte: »Des is net die mei'! Die geheert'm Kättche!«
+Das hatte ihm einen tiefen Stich ins Herz gegeben. Also auch Käthchen
+fing an ...
+
+Aber er hatte nichts gesagt. Er wußte ja, sein Wort galt nichts.
+Vielleicht hatte Käthchen ganz recht, und es war tatsächlich das beste,
+das Leben, dieses zweifelhafte Geschenk, von dem man nicht wußte, ob es
+vom lieben Gott oder vom Teufel stammt, im Halbschlaf, in der Narkose
+des Alkohols zu verbringen? Vielleicht haben die Eltern Unrecht, die
+ihre Kinder zu eiserner Pflichterfüllung erziehen, und jene
+Leichtlebigen sind die besseren Eltern, die die Genußsucht ihrer
+Sprößlinge fröhlich und ungehemmt emporschießen lassen? Vielleicht ist
+der Fleiß nur eine törichte Angewohnheit, und die Ehrlichkeit nur eine
+Feigheit?
+
+»Ich wer's #aach# emal mit'm Schnaps browiern!« nahm sich Adolf vor.
+
+Aber er brachte es nicht übers Herz. Ihn ekelte davor. »In meim Alter
+lernt merr nix mehr dazu«, sagte er sich resigniert. »Net emal mehr e
+Laster! Dreißig Jahr frieher hätt ich 's Saufe aafange solle, dann wär
+vielleicht e glicklicher Mensch aus merr worn!«
+
+Und er sann: »Weshalb dhut's Kättche drinke? Hat se'n Schmerz zu
+bedäuwe? Is se unglicklich? Unn #wann# se unglicklich is, wer
+annerschter kann draa schuld sei' wie #ich#? -- Awwer ich dhu err doch
+nix zu leid? Ich redd err doch in nix erei, ich gebb err doch Alles, was
+ich verdien, unn habb noch nie e Abrechnung verlangt? Awwer vielleicht
+is des grad der #Fehler#? Vielleicht faßt se des als Gleichgiltigkeit
+uff?«
+
+Er spann diesen Gedankenfaden weiter, und die Frage überfiel ihn: »Lieb
+ich se eigentlich noch?«
+
+Ach, das war eine schmerzliche Frage, -- viel, viel peinigender als die
+Frage, die er sich ehemals vorgelegt hatte: »Hat se #mich# eigentlich
+noch e bissi lieb?«
+
+Liebte er Katharina noch? Wenn er sie nicht mehr liebte, dann lastete ja
+alle Schuld des Unglücks auf #ihm#, dann war #er# es ja, der die Ehe
+entweiht hatte, dann hatte er sie durch ein Gelübde an sich gelockt, das
+zu halten er nicht imstande war.
+
+Und der arme Adolf Borges, dessen ganzes Wesen lichte Güte war,
+zermürbte sich in Selbstquälerei: kannst Du überhaupt lieben? So lieben,
+daß es nicht nur Dich, sondern auch den Gegenstand Deiner Liebe
+beseligt?
+
+Oder war seine Liebe nur ein süßer Eigennutz? Zuckerzeug der Seele, das
+man behaglich lutscht, sich einen Genuß zu verschaffen?
+
+»Hätt' ich's iwwer 's Herz gebracht, in die Dachstubb zu ziehe, wann ich
+se werklich noch lieb hätt'? Hätt' ich des in de erschte Jahrn von
+unserer Eh' gekönnt? Da haww ich doch net eischlafe könne, wenn ich se
+net newe merr gefiehlt habb!«
+
+Aber ihm kamen selbst Zweifel, ob dies ein Prüfstein der Zuneigung sei.
+
+»Merr werd doch älder, unn immer fordissimo singe, des kann kaa Mensch.
+Außer'm ahle Bindegerst. Is die Lieb werklich wie e geheizt Zimmer, wo
+merr von Zeit zu Zeit nachschürn muß, daß merr net erfriert? Kann merr
+die Lieb iwwerhaapts mit'm Thermometer nachmesse?«
+
+Nein, so konnte er sich nicht über den Zustand seines Herzens klar
+werden. Er begann sich auszumalen, wie sein Leben wohl #ohne# Katharina
+aussehen würde?
+
+Und da mußte er sich gestehen: nein, ohne Katharina konnte er sich sein
+Dasein nicht mehr vorstellen. Der Gedanke, daß sie vor ihm sterben
+könne, daß er sie überleben könne, war unmöglich. Katharinas Tod würde
+auch der seine sein.
+
+Und er jubelte auf: »Ich lieb se noch! Gott sei Dank, ich lieb se! Net
+mit erer Lieb, die sich alle fimf Minute abknutsche muß, awwer mit 'rer
+Lieb, die wo aach des schlimmst häuslich Gewidder net entworzele kann!
+Ich lieb se noch! Unn wer net uffheern, se zu liewe! Grad wie de klaa
+Gustav!«
+
+Er hatte sich von Herrn Schröder eine der ausrangierten Modellpuppen,
+die oben auf dem Speicher moderten, schenken lassen, eine jener
+Holzpuppen, die ehemals zum Ausstellen von Schulanzügen für Knaben
+gedient hatten, bis vornehmere Wachsfiguren ihnen dieses Amt abnahmen.
+
+Diese Holzpuppe hatte er mit heimgenommen, hatte ihr Gustavchens
+Matrosenanzug angezogen.
+
+Nun stand sie neben seinem Bett, und manchen Abend saß er davor, zupfte
+die Joppe zurecht, band ihr den Schlips und führte mit ihr die
+seltsamsten Gespräche.
+
+Oder er rückte seinen Stuhl ganz dicht heran, schnitzelte aus
+Zeitungspapier Schiffchen und Helme, und ihm war, als höre er wieder das
+süße Stimmchen lispeln: »Was machß'n Du da??«
+
+Und der Mann im Mond schüttelte den Kopf und murmelte: »Thät' er lieber
+Schnaps saufen! Das war' immer noch besser!«
+
+Im Geschäft machten sie jetzt kaum mehr Witze über ihn, -- denn Witze
+macht man nur über Menschen und Dinge, die man innerlich ernst nimmt.
+Den kleinen Adolf aber betrachteten die übrigen Angestellten lediglich
+noch als Gnadenbrotempfänger. Der neue Ausläufer, ein fixer,
+mundgewandter Kerl, hatte fast alle Packarbeit an sich gerissen, und an
+Adolf Borges erinnerte man sich eigentlich nur noch am Tage der
+Gehaltszahlung.
+
+Und auch da schien man ihn einmal zu vergessen. Denn der eklige
+Kassierer, der jedem Angestellten am Monatsschluß das Gehalt in
+verschlossenem Briefumschlag aushändigte, überging ihn. Verdutzt wartete
+Adolf, bis es Zeit für ihn war, die Pakete zur Post zu bringen, dann
+klopfte er an die angelehnte Türe des Privatkontors.
+
+»No, Adolf, was is dann?« frug väterlich der dicke Herr Schröder.
+
+»Ich habb kaan Lohn krieht, Herr Schröder. Ich bin vergesse worn.«
+
+Herr Schröder sah ihn erstaunt an. »Awwer Adolf,« sagte er vorwurfsvoll,
+»Se hawwe'n doch schonn längst! Ihne Ihr Fraa hat'n doch vor acht Dag
+perseenlich abgeholt. Unn hat sich aach noch Vorschuß gewwe lasse uff's
+nächste Mal! Wisse Se dann des net?«
+
+»Doch!« stotterte Adolf. »Nadierlich!... Entschuldige Se bloß... mei
+Kobb... mei Gedächtnis läßt mich als im Stich...«
+
+Er lief schnell hinaus. Er fürchtete, man könne ihm seine Bestürzung,
+sein Entsetzen ansehen. Die Kunst der Verstellung hatte er nie
+beherrscht.
+
+Als Adolf an diesem Abend das Postgebäude verließ, trat Herr Heinrich
+Baldrian, der offenbar auf ihn gewartet hatte, auf ihn zu.
+
+»Gu'n Abend, Adolf«, redete er ihn an. »Wollen wir nicht 'n Stückchen
+zusammengehen?«
+
+»Wann Se sich net scheniern, mit so'me schäwige arme Deiwel zu laafe«,
+erwiderte Adolf bitter.
+
+»Reden Se kein' Unsinn!« sprach Herr Baldrian. »Wir können aber auch 'n
+Glas Bier zusammen trinken, wenn Ihnen das lieber ist?«
+
+»Naa, Herr Baldrian, des geht net! Ich habb kaa Zeit, ich muß haam bei's
+Gustavche!«
+
+Heinrich Baldrian sah ihn von der Seite an. Was sagte Adolf da?
+
+Einige Minuten schritten sie schweigend nebeneinander.
+
+Dann hub Herr Baldrian an: »Adolf, ich hab' heut Abend die kleine Szene
+zwischen Herrn Schröder und Ihnen beobachtet, -- hm, wenn Sie vielleicht
+etwas Geld brauchen?«
+
+Unwillkürlich blieb Adolf stehen. Er war leichenblaß geworden.
+
+»Nun ja,« sagte Herr Baldrian, »ich geb's Ihnen gern. Wirklich. Und kein
+Mensch wird's erfahrn. Mein Ehrenwort.«
+
+Er hatte noch mehr sagen wollen, aber erschrocken hielt er inne.
+
+Denn Adolf lehnte an einem Laternenpfahl, das Gesicht in den Händen
+bergend, und haltloses Weinen schüttelte seinen Körper.
+
+»Aber Herr Borges, was ist Ihnen denn? Wenn ich das gewußt hätte... Ich
+wollt' Ihnen ja nicht weh tun...«
+
+Da raffte sich Adolf wieder auf, richtete seine nassen, blauen
+Kinderaugen stumm auf den Begleiter. Und es war Herrn Baldrian, als
+hätte er noch nie in so dankbare, treue Augen geblickt.
+
+Ganz beschämt fühlte er sich, und wie abwehrend meinte er, in
+grenzenloser Verlegenheit: »Aber Adolf, Sie überschätzen das... Das ist
+gar kein so großes Opfer für mich!«
+
+Adolf drückte seine Hand und flüsterte: »Ich waaß, Herr Baldrian, ich
+waaß!... Sage Se nix mehr, sage Se nix mehr... Ich waaß schonn!...«
+
+Und nach einer Weile: »Sin Se froh, Herr Baldrian, daß merr uff der
+Gass' sin, unn daß die Laderne so hell brenne, -- sonst dhät ich jedz
+vor Ihne nidderkniee... Herr Baldrian, Se wisse ja net, wie dankbar so e
+eisamer Mensch sei' kann!«
+
+Oh doch, das wußte Heinrich Baldrian nur zu gut. Und deshalb sprach er
+im Weitergehen: »Adolf, ich bin vielleicht noch viel einsamer gewesen
+als Sie! Aber man muß das Leben nicht so wichtig nehmen. Schattenbilder,
+sonst nichts. Zur Freude am Leben gelangt man erst, wenn einem das Leben
+gleichgültig geworden ist. Der liebe Gott hat den Menschen aus Erde
+gemacht, heißt es -- aber an dem Tag muß es beständig geregnet haben,
+und so ist der Mensch aus lauter Schmutz entstanden. Schmutz, wohin man
+sieht -- vergoldeter Schmutz, versilberter Schmutz oder unbeschönigter,
+purer Schmutz. Aber das macht nichts. Das ist sogar ganz lustig, wenn
+man erst einmal dahinter gekommen ist. Solang man sein Glück von den
+Menschen erhofft, ist man zur Einsamkeit verdammt. Man muß sich jenseits
+des Lebens umsehen und seine arme Seele mit den überirdischen Stationen
+telephonisch verbinden lassen, mit der Religion, oder der Dichtkunst,
+oder der Musik, oder der Philosophie. Und das schönste ist: wenn man so
+mitten im besten Telephongespräch ist, dann merkt man auf einmal, daß
+das Fräulein in der himmlischen Telephonzentrale wieder einmal
+geschlafen hat, und daß man #mit sich selbst# verbunden ist.«
+
+So redete Herr Heinrich Baldrian wohl eine halbe Stunde lang.
+
+Aber Adolf Borges schüttelte verneinend den Kopf. »Se maane's gut, ich
+spier's, unn es dhut merr wohl, so wohl -- awwer des is All zu hoch for
+mich! Ich geheer' scheints zu dem #unbeschönigte# Schmutz. Ich versteh
+nix von der Philosophie unn all dem Zeug, unn #wann# ich ebbes dervoo
+verstehn dhät, dhät merrsch aach nix nitze! Des verseehnt merr mei
+Kättche net, unnn gebbt merr aach mei Gustavche net widder. -- Gu'n
+Nacht, Herr Baldrian! Schlafe Se wohl! Grieße Se merr des himmlisch
+Delefon, -- awwer ich bin e armer Schlucker unn kann merr kaan
+Delefonanschluß leiste!«
+
+Dies war der letzte Abend in Adolfs Leben, an dem die Nächstenliebe
+seinen Weg kreuzte. Und bald dämmerte der Abend, der sein letztes
+bißchen Glückshoffnung in Scherben schlug.
+
+Er saß Katharina gegenüber am Abendtisch und würgte schweigend das
+bescheidene Essen herunter. Das war nicht das beseligende Schweigen, das
+zwischen zwei Freunden webt, die des groben Werkzeugs der Sprache zur
+Sicherung gegenseitiger Hingabe nicht bedürfen, ein verbittertes
+Schweigen war es, hinter dem das Mißtrauen lauerte, ein Schweigen, das
+die Angst vor bösen Worten diktierte.
+
+Katharina hatte sich nach ihrer neuen Gewohnheit so durchdringend
+parfümiert, daß der süßliche Geruch sogar den scharfen Duft der
+marinierten Heringe übertäubte. »Wo nor der Vadder bleibt?« sagte Adolf
+schließlich. »Die Quellkartoffle wern ganz kalt.«
+
+»Dann soll er se #kalt# fresse!« knurrte Katharina. »Ich habb'm schonn
+zwaamal gerufe, die Gorjel kann ich merr net aus'm Hals kreische!«
+
+Adolf aß weiter. Aber als nach einer Viertelstunde Bindegerst noch immer
+nicht erschien, stand er auf. »Ich wer' en hole!«
+
+Er tastete die Treppe hinunter, auf der aus Sparsamkeit kein Licht
+brannte.
+
+Das Geräusch des Holzsägens drang an sein Ohr.
+
+Er schmunzelte. Was mochte der Alte zu so später Stunde noch für ein
+Kunstwerk zusammenzimmern? Welche Arbeit nahm ihn so gefangen, daß er
+sogar das wiederholte Zeichen zum Essen überhört hätte?
+
+Aber plötzlich lief es Adolf eiskalt über den Rücken. Das war kein
+Holzsägen ... das war ein langgezogenes Röcheln...
+
+Er sprang atemlos die Stiege hinab, riß die Türe zur Werkstatt auf.
+
+Da lag der alte Bindegerst mit geschlossenen Augen neben der
+Drechslerbank am Boden. Die Hände griffen mit gekrümmten Fingern nach
+dem Hinterkopf, aus dem das Blut sickerte, und mit dem Schnaps der
+zerbrochenen Flasche eine schmierige Lache bildete.
+
+»Vadder, was is Derr?«
+
+Adolf kniete neben ihm nieder, versuchte den Ächzenden aufzurichten.
+
+»Vadder«, wimmerte er. »Vadder, so redd doch 'n Ton!«
+
+Aber der Alte gab keine Antwort. Nur sein Röcheln klang noch schärfer,
+und sein Gesicht verzerrte sich in doppeltem Schmerz.
+
+Adolf stand auf. Instinktiv erkannnte er, was geschehen war. Der Alte
+hatte, wie so oft, im Schnapsrausch das Gleichgewicht verloren, war
+gegen die Drechslerbank getaumelt und mit dem Hinterkopf in eines der
+geschärften, spitzigen Werkzeuge gefallen.
+
+Wieder kniete er nieder.
+
+»Vadder, kennstde mich dann net? Ich bin doch der Adolf!«
+
+Er rüttelte den Bewußtlosen.
+
+Da schlug Bindegerst die Augen auf. Seine Hände tasteten an Adolfs
+Ärmel. Er richtete den Kopf ein wenig empor, sank aber gleich wieder
+zurück.
+
+»Willstde Wasser, Vadder? So sag doch ebbes ... ich fercht mich ja so!«
+
+Die Lippen des Sterbenden bewegten sich, aber er brachte kein Wort
+hervor.
+
+»Willstde merr was sage, Vadder?«
+
+Ein kaum sichtbares Kopfnicken.
+
+Adolf riß ihm die Joppe auf, nestelte mit zitternden Händen den Kragen
+ab. Das schien dem Verblutenden wohl zu tun.
+
+»Adolf ... Adolf ... ich habb Derrsch versproche ... weilsde merr mit
+dem Sparkassebuch ...«
+
+»Awwer Vadder, des is doch jedz ganz egal, des dhut doch nix ...«
+
+»Adolf ...!«
+
+»Ja, Vadder?«
+
+Er beugte sein Ohr dicht zu Bindegersts Mund. Aber die Worte ertranken
+in rasselndem Stöhnen.
+
+Adolf umarmte den zuckenden Leib, küßte die Stirn verzweifelt.
+
+Noch einmal kehrte das Bewußtsein auf kurze Augenblicke zurück.
+
+»Adolf ... Du bist ... zu gut for se ...«
+
+»Nein, Vadder! Nein!« jammerte Adolf. »Sag des net!«
+
+»... Adolf ... des Kättche unn der Hippestiel ... der Friseer ... schon
+iwwer zwaa Jahr ... Adolf!!«
+
+Er versuchte sich aufzurichten, seine angstvoll geweiteten Augen
+starrten in unbekannte Ferne. »...ich wollt Derrsch schon immer ... die
+zwaa ... des Kättche unn der Hippestiel... die zwaa...«
+
+Er ballte die Faust, sein Leib wälzte sich in der Lache, seine Linke
+griff in die Scherben der Flasche, zerkrallte sie. Aber er fühlte nichts
+mehr.
+
+Adolf rannte die Treppe hinauf. »Kättche, der Vadder sterbt!«
+
+Ein gellender Schrei antwortete ihm.
+
+Dann war er allein.
+
+Er schloß die Türe zur Treppe. Eisige Ruhe überkam ihn. Noch nie in
+seinem Leben hatte er die Dinge so klar gesehen.
+
+Was geschah hier? Sein Schwiegervater starb. Gut, alle Menschen müssen
+sterben. Auch sein Gustavchen hatte sterben müssen. Und war doch so jung
+gewesen.
+
+Aber weshalb hatte Katharina so geschrieen? Das war der Schrei tiefsten
+Schmerzes gewesen. Also liebte sie doch einen Menschen, ihren Vater. --
+Ihren Sohn, ihren Gatten hatte sie nie geliebt. Merkwürdig.
+
+Aber mit dem Vater hatte sie ja unter einer Decke gesteckt. Die Beiden
+hatten ja gemeinsames Spiel gespielt, sie hatte ihn betrogen, und der
+Alte wußte es -- seit zwei Jahren -- --
+
+Plötzlich griff er mit den Händen an den Hinterkopf, so wie es vorhin
+Bindegerst getan hatte.
+
+»Ich will nix wisse!« stöhnte er. »Ich will nix wisse!«
+
+Er ging wieder hinunter in die Werkstatt.
+
+Da lag der alte Bindegerst ganz still. Und Käthchen saß auf dem Schemel,
+auf dem er einst dem Alten beim Schnitzen der Wiege und dann beim
+Zimmern des Grabkreuzes zugeschaut hatte, und weinte, wie er sie noch
+nie hatte weinen sehen.
+
+Es trieb ihn unwillkürlich, sie zu trösten, er hob die Hand, sie zu
+streicheln, aber er zog die Hand wieder zurück, als habe er sie
+glühendem Eisen genähert. Und ging hinaus.
+
+Und wieder kam der Zug zum Friedhof, der Pfarrer redete, die Nachbarn
+drückten ihm beileidsbezeigend die Hand, und Herr Hippenstiel trug
+wieder seinen tadellos gebügelten Zylinder und die erstklassigen
+schwarzen Glacéhandschuhe.
+
+Adolf beobachtete ihn genau. Er lauerte, ob der Friseur und Käthchen
+einen Blick wechseln würden.
+
+Aber Katharina hielt während der ganzen Dauer des Begräbnisses das
+Taschentuch vors Gesicht und schluchzte ununterbrochen.
+
+Und Adolf dachte: »Vielleicht haww ich'n in der Uffregung falsch
+verstanne. Vielleicht hat er aach in der Besoffeheit net gewißt, was er
+redt. Odder vielleicht hat'r ganz was annerscht sage wolle, unn die
+Wörter sin em im Sterwe dorchenanner komme? Könnte ich'n nur aus der
+Erd' kratze unn en noch emal frage!«
+
+Er nahm sich vor, Hippenstiels Laden zu besuchen. Er wollte sich
+rasieren lassen und dabei genau auf das Benehmen Hippenstiels und des
+Gehilfen achten: irgendwie würden sie sich schon verraten, durch ein
+Lächeln, ein Zucken der Mundwinkel, eine unwillkürliche Geste. Oh, ihm
+würde nichts entgehen.
+
+Aber er führte den Plan nicht aus. Ihm fehlte die Tatkraft. Er besaß
+nicht den Mut, dem Unglück entschlossen entgegenzutreten. Er wußte
+nicht, daß das Unglück eines jener Raubtiere ist, die keinen Angriff
+wagen, wenn man ihnen furchtlos ins Auge sieht.
+
+Statt sich durch rasches Zugreifen Gewißheit zu verschaffen, fing er an
+zu grübeln, zu kombinieren, wie es seine Art war.
+
+Er rief sich jene Szene draußen auf der Waldbank ins Gedächtnis zurück,
+als Bindegerst ihn so unvermutet wegen des Sparkassenbuchs um Verzeihung
+gebeten hatte: »Vielleicht kimmt doch emal e Gelegenheit, wo ich mich
+erkenntlich zeige kann! Vielleicht!«
+
+Was hatte der Vater damit gemeint? Hatte er Adolf damals schon die Augen
+öffnen wollen? War das eine Andeutung gewesen, die er nicht verstanden
+hatte?
+
+Er hatte ja auch im Sterben vom Sparkassenbuch zu lallen begonnen.
+Sollte die Enthüllung der versprochene Dank sein?
+
+Und wie ihm Bindegerst in der letzten Zeit ausgewichen war! Und sein
+Vorwurf »des war net gut, daß De da enuffgezoge bist!« Hatte der Alte
+deutlicher sein können? Und das Alles hatte er überhört.
+
+»Ich bin blind«, sagte sich Adolf. »Wie die Kinner, wann se Blindekuh
+spiele, laaf ich mit verbunnene Aage erum, unn dapp nach rechts, unn
+dapp nach links, unn erwisch nix, sonnern reiß merr nor an de Bäum unn
+Hecke die Händ blutig! Ich bin dümmer wie die Bolizei erlaabt, unn grad
+uff #dem# Gebiet erlaabt doch die Bolizei mehr wie uff jeddem annern.
+Ich bin e Kamel, so groß, daß es in der ganze Wüst' kaan Blatz hätt'.
+Wie der Verstand ausgedeilt worn is, muß ich geschlafe hawwe. Awwer ich
+glaab als, der Verstand is iwwerhaapts net #ausgedeilt# worn, sonnern
+der liewe Gott hat'n unner die Mensche geschmisse, wie die reiche Leut
+als Klaageld unner die Buwe schmeiße, unn die Frechste hawwe am meiste
+erwischt.«
+
+Konnte sich der alte Mann nicht überhaupt getäuscht haben? Wenn seine
+Anklage sich nur auf leeren Verdacht gründete? Einen Beweis hatte er ja
+nicht gegeben.
+
+Aber war Katharinas verändertes Wesen nicht Beweis genug? Für wen zierte
+und schmückte sie sich? Und parfümierte sich, daß es kaum auszuhalten
+war? Und behandelte ihn mit offenkundiger Verachtung? Mit der
+Verachtung, die dem Manne, der sich betrügen läßt, nur allzu reichlich
+gebührt?
+
+Adolf wußte nicht, was er glauben sollte. Denn er #wollte# nicht
+glauben. Ihm war zumute wie einem schuldigen Verbrecher vor der
+Urteilsverkündung. Er bebte: gibt es kein Mittel, gar kein Mittel, die
+Entscheidung hinauszuzögern?
+
+Nun wich er Katharina aus, wie ehemals Bindegerst ihm. Er konnte ihr
+nicht in die Augen sehen, nicht mit ihr sprechen. Gleichgültiges brachte
+er nicht über die Lippen, und den Verdacht, der ihm die Seele
+beschwerte, wollte er nicht preisgeben.
+
+Er kannte aus Romanen und Zeitungsgeschichten die heroische Geste, mit
+der sich betrogene Gatten zu rächen pflegen. Aber zu dieser Geste hätte
+er sich nie aufraffen können. Denn er verspürte keinen Rachedurst. Nicht
+einmal richtig »böse sein« konnte er dem Herrn Hippenstiel, -- nur
+traurig war er, trostlos traurig.
+
+Alle Sterne seines Himmels waren erloschen, tiefschwarze Nacht
+umbrodelte ihn.
+
+»Was haww ich eigentlich von mei'm ganze Lewe gehabbt? E Fußball bin
+ich, den wo die Herrn Feldmann unn Schröder vom Geschäft uff die Post,
+von der Post haam, unn von dahaam ins Geschäft gekickt hawwe! Unn wie e
+Fußball bin ich von alle Mensche nor mit Fußtritte beehrt worn. -- Naa,
+daß ich gerecht bleib, e paar aastännige Mensche haww ich #doch# kenne
+gelernt: de Herr Bernheim, der merr immer sei Butterbrod zor Vesper
+gewwe hat, »Da, Adolf, freß!« unn de Schröder, des gutmiedig
+Zwaazentnerferkel, unn de Herr Baldrian, der mich zum himmlische
+Delefonfräulein ausbilde wollt'. Des warn gute Mensche, unn wann die
+groß Schnaps-Sintflut komme dhät, wo der ahl Bindegerst davoo geschwermt
+hat, dann dhät ich de liewe Gott bitte: »Nemm die drei mit in die Arch',
+se verdiene's! Die iwwerig Menschheit kannstde ruhig versaufe lasse!
+Mich zu allererscht! Ich kann sowieso net schwimme! Wann ich aach e
+Fußball bin.
+
+Unn ich habb doch emal Wunner geglaabt, was ich for e Mordskerl bin.
+Damals, wie merr verlobt warn, wie ich mit'm Kättche awends am Mää
+spaziern gange bin. Ach, wär' ich doch damals gestolwert unn
+ereigeborzelt! Da hätte wenigstens die Fisch was zu lache gehabbt! ...«
+
+»Adolf,« sagte Katharina am dritten Tag nach Bindegersts Begräbnis, »des
+Haus geheert jedz uns!«
+
+»Ja,« sagte Adolf, »jedz geheert's uns. Merr könne's verkaafe, wannstde
+maanst.«
+
+»Schafskobb!« fuhr ihn Katharina an. »Des guckt Derr widder ganz
+ähnlich! Nix werd verkaaft! Awwer unne die Werkstatt unn de Lade wer'
+ich vermiete. Verstanne?«
+
+Und sie führte diese Absicht sogleich aus. Als Adolf einige Tage später
+ins Geschäft ging, arbeiteten schon drunten die Handwerker an der
+Auffrischung der Räume.
+
+Und am nächsten Mittag turnte vor dem Schaufenster ein Mann auf einem
+Gestell herum und pinselte in großen Buchstaben den Namen einer Firma
+auf die Glasscheibe.
+
+»Gottlieb« stand da. Der Nachnamen war noch nicht geboren.
+
+Drüben an der Ladentüre stand Herr Hippenstiel und schaute dem
+Malkünstler zu.
+
+»Gu'n Dach, Herr Borges!« rief er hinüber.
+
+Aber Adolf gab keine Antwort.
+
+»Wann ich mich nur e bissi verstelle könnt!« murmelte er. »Wann ich nor
+so e bissi Katzefreundlichkeit heuchele könnt! Awwer ich bring's net
+fertich. So was dummes wie ich werd net zum zweite Mal geborn!«
+
+Er ging geradewegs ins Geschäft, denn auch das Abholen der
+Geschäftsschlüssel in Herrn Feldmanns Wohnung besorgte längst der neue,
+junge Ausläufer.
+
+»Ich glaab, se dhäte's iwwerhaapts net merke, wann ich dahaam bleiwe
+dhät! An mich denkt kaa Mensch!«
+
+Mit dieser Behauptung tat Adolf Borges der Menschheit wieder einmal
+Unrecht. Denn gerade an diesem Nachmittag sagte der dicke Herr Schröder
+zu seinem Teilhaber:
+
+»Hermann, nächste Woch' werd's dreißig Jahr, daß der Adolf bei uns is.
+Maanstde net, merr sollt da erjend ebbes mache?«
+
+»Schreib emal an die Kasern, vielleicht halte se e Parad for en ab!«
+
+»Da werd'r kaan Wert druff lege. Awwer e Geschenk könnt mer'm doch
+gewwe. Es braacht ja net gleich e Milljon koste. Unn aach'm Personal
+sollt merrsch sage, daß se so e klaa Feier veraastalte. Der Herr
+Baldrian könnt die Festredd halte, ich glaab, dem leiht so was! -- Unn
+'s war doch aach e Reklam' fors Geschäft, wann's in die Zeidung käm.«
+
+»Mach, was De willst! Mir is worscht, ich bin kaa' Danzlehrer!«
+
+Als Adolf Abends nach Hause kam, war der Mann mit dem Malgestell
+verschwunden.
+
+Und Adolf las auf der Glasscheibe:
+
+ Gottlieb Hippenstiel
+ Coiffeur und Friseur
+
+Ausführung aller Haararbeiten zu billigsten Preisen.
+
+ * * * * *
+
+Eine unbändige Wut überkam ihn.
+
+Also an #ihn# hatte Katharina den Laden vermietet. So weit trieb sie den
+Zynismus.
+
+Er stürmte hinauf, bereit, Katharina zu prügeln, zu mißhandeln.
+
+Aber schon auf der Treppe wurde er in seinem Entschluß schwankend. Was
+nützte es, eine Szene zu machen? Gar keinen Wert hatte es. Es war ja
+doch Alles aus.
+
+Und als er vor der Wohnungstüre stand, hörte er drinnen zwei lachende
+Stimmen.
+
+Da stieg er langsam zur Dachstube. Er schloß das Fenster, denn draußen
+regnete es.
+
+Er nahm das Bild Gustavchens von der Wand, betrachtete es lange, lange.
+
+Dann drehte er es um, schnitt es aus dem Rahmen, zerriß es in kleine
+Fetzen, stopfte sie in den Ofen und verbrannte sie.
+
+Ganz ruhig und bedächtig tat er das.
+
+Wie ein sorglicher Familienvater, der seine Angelegenheiten ordnet.
+
+Dann zog er der Holzfigur den Matrosenanzug aus. Er rollte ihn zusammen,
+schnürte ihn mit dem Schlips fest.
+
+Nahm das Bündel unter den Arm und stieg langsam, auf den Zehenspitzen,
+die Treppe hinab.
+
+An der Wohnungstüre blieb er einen Augenblick stehen.
+
+Und nun schlich er durch die naßtrüben Straßen, dem Main zu.
+
+Das Bündelchen mit Gustavs Matrosenanzug hielt er dicht an sich gepreßt.
+
+»Babba, was machß'n Du da??« frug plötzlich ein Stimmchen.
+
+»Ich geh ins Wasser, Gustavche! Versaufe dhu ich mich!«
+
+»Warum dann, Babba?«
+
+»Da bistde noch zu jung dazu, des verstehstde noch net, mei Liebling.«
+
+»Awwer 's Wasser is doch so kalt, Babba?«
+
+»Des spier' ich net mehr, mei Kind. Ich habb kaa Gefiehl mehr. Laß' mich
+nor mache!«
+
+Das Zwiegespräch verstummte.
+
+Bis nach einer Weile das Stimmchen wieder begann: »Die Mama is bees!«
+
+»Des mußtde net sage, lieb Gustavche! Die Mama kann nix dafor. Du mußt
+Dei Mama lieb hawwe!«
+
+Der Regen geißelte sein Gesicht. Er eilte, ans Ziel zu kommen.
+
+ * * * * *
+
+Auf einem der großen Mainkähne saßen schwatzend drei Schiffer, in
+dichten Sturmmänteln und Kapuzen. Der Jüngste von ihnen spielte
+Ziehharmonika.
+
+»Hastde nix plumpse heern?« frug der eine.
+
+»Mir war's aach so! 's werd e Bierflasch ins Wasser gefalle sei'!«
+
+»Hoffentlich kaa volle!« lachte der Frager.
+
+Sie wandten sich wieder ihrem unterbrochenen Schwatz zu.
+
+Und die Ziehharmonika spielte gedehnt:
+
+ »Katharinchen mit dem Selleriekopp,
+ _Allez_ hopphopphopp, _Allez_ hopphopphopp... «
+
+
+
+
+=Münchner Buchgewerbehaus M. Müller & Sohn=
+
+
+
+
+
+End of Project Gutenberg's Der Widerspenstigen Zähmung, by Karl Ettlinger
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG ***
+
+***** This file should be named 31733-8.txt or 31733-8.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
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+Produced by Norbert H. Langkau and the Online Distributed
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+set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
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+such as creation of derivative works, reports, performances and
+research. They may be modified and printed and given away--you may do
+practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is
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+redistribution.
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+*** START: FULL LICENSE ***
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+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
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+used on or associated in any way with an electronic work by people who
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+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
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+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
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+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
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+Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the
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+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
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+interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
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+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
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+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
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+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
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+
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+ Dr. Gregory B. Newby
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+Literary Archive Foundation
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+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
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+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
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+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit https://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including including checks, online payments and credit card
+donations. To donate, please visit: https://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
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+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
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+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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