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| author | Roger Frank <rfrank@pglaf.org> | 2025-10-14 20:02:59 -0700 |
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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + + + + +Title: Frauen + Der Prinz--Särö--Frauen--Der Zuschauer + + +Author: Kasimir Edschmid + + + +Release Date: January 26, 2011 [eBook #35085] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + + +***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK FRAUEN*** + + +E-text prepared by Jens Sadowski + + + +KASIMIR EDSCHMID + +FRAUEN + + + + + + + +1922 +Verlegt bei Paul Cassirer in Berlin + +Außer dieser Ausgabe erschien eine vom Verfasser +signierte und numerierte Vorzugsausgabe +in 110 Exemplaren + +Alle Rechte vorbehalten +Copyright 1922 by Paul Cassirer +in Berlin + +Drittes bis fünftes Tausend + +Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig + + + + +Inhalt + + Der Prinz + Särö + Frauen + Der Zuschauer + + + + + + Aber ich bitte Sie . . . Ein Mensch, + der sich zum schöpferischen + Leben bestimmt, hat nicht das Recht + mehr, zu leben wie die andern. + + Flaubert an Maupassant + + + + + + + + + +Der Prinz + + +Als Riny, großäugig, die Schenkel zart und bebend von Linien wie ein +Hirschkalb, einsam aufgewachsen, heißerer Sonne hingegeben, verschwistert +dem Laut eines großen Meeres, das ihr Blut nie vergaß, Vater und Heimat +auch aus der Ferne inbrünstig liebend wie am ersten Tag, als sie auf Männer +stieß, war es Saint-Loux. Er nahm die Sehnsucht von ihr, die sie dann +größer übergoß. Er bedrängte sie lange und reizte sie jedesmal neu. Er war +schlank, ein Franzose, das Gesicht von Pocken zerrissen, die Augen scharf +von Klugheit. Er nahm sie hart und glühend wie ein römischer Ringer. Als er +sich zu sehr an sie verstrickte, daß sie ihm stärker gegenüberstand, nahm +sie einen anderen Mann. + +Doch zog sie es wieder zu Saint-Loux. + +In Paris betrog sie ihn mit einem kleinen Dichter, der Bewegungen hatte wie +ein Aal. Sie reiste mit ihm ab, hob Wechsel ab und hielt ihn aus. Nach +einem halben Jahr schickte sie ihn fort. Sie reiste zu Saint-Loux. Nie war +sie glücklicher. Sie blieben auf dem Lande. Saint-Loux wuchs jedesmal +langsam. Durchbrach er die Kühle, die sie meisterte, vergaß er sich und +sprach seine Geheimnisse aus. Dann kannte sie ihn, schaute ihm auf den +Grund und wurde schlaff. + +Die Hüften eines Winzers rief sie zu sich, der den Geruch der wollüstigen +schwarzen Erde trug. Sie entführte ihn, entwurzelte ihn in die Normandie, +bekam ihn langsam satt und fuhr nach Berlin. In einer peinlichen Sache +setzte sie ihren Ruf aufs Spiel und rettete Saint-Loux, dessen Leben in +vielen Strömungen stand. Es zog sie zu ihm. Sie vereinigte sich mit ihm. + +Sie blieb, wenn sie ihr Dasein nach der Welt zu drehte, Dame. Ihr Vater, +den sie liebte, war reich. In Paris wieder verließ sie den Franzosen. Ein +feiner Künstler gab ihr Stunden der Melancholie und des Schmerzes. Die +flammende Rede eines Schauspielers, sein ungestümes Werben gab ihr andere +Richtung und Ersatz. Nach einem halben Jahr fuhr sie wieder zu Saint-Loux. +Nie gelang es ihr rasch ihn zu verlassen. Nach Wochen von Kämpfen zog es +sie von ihm. Ein Erkalten von ihm hielt sie von tausend Abtrieben entfernt. + +Sie lebte drei Jahre mit ihm, lächelnd auf jede Versuchung nun, +entschlossen, mehr sogar: nicht in der Lage, ihn zu verlassen. Sie zog, ihr +Leben innig dem seinen verkettend, mit ihm, wo er lebte und kämpfte, denn +er nahm nichts von ihr. Sie schweiften zusammen. Ein Auftrag sandte ihn +nach Indien, wo er die Politik seiner Regierung wahrnahm. Ein wenig drin im +Lande, dem Fluß gegenüber, empfing er Botschaft, nahm er sein Geschäft +wahr. Vier Monate, wie im Traum, lebte sie mit ihm, immer glücklicher an +ihm. Denn er besaß Muskel und Hirn. + +In einer Nacht wachte sie auf, sah einen Stern am Himmel, es war als +schlüge ein Mondflügel gegen sie, sie erhob sich, besah das Haus, den +Balkon, den Fluß und sah es schon nicht mehr. + +In dieser Nacht verließ sie Saint-Loux wie ein Blitz, ohne daß etwas in ihr +blieb von irgendeiner seiner Umschlingungen, die ihn in (wie sie glaubte) +unsterblichen Nächten ihr verschmolzen. Sie kleidete sich an und ging +hinaus. Von den mondhellen Blumen machte sie unterwegs einen Strauß. +Träumerisch schritt sie durch die blonden Maisfelder. Als der Morgen kam, +begann sie zu singen. + +Zum erstenmal sah sie tausend Dinge genau. Das Gras erhielt Dasein. Grillen +zogen Laute um sie, der Duft der Blüten erschauerte sie. Der geöffnete +Himmel kam ihr nahe. Sie sah ihn wogen, daß es kein Ende nahm. + +Sie hob die Arme in Bäume. Der Kern gepflückter Früchte schmolz ihr auf der +Zunge und ein ungeheurer Trieb verband sie ungekannten Gefühlen in der +summenden Weite. + +Sie ging durch einen Tamarindenwald. Kupfern schoß Glanz eines Daches durch +die Zweige. Sie lauerte kurz, dann machte sie einen Bogen. Gegen Abend kam +sie an eine Wiese. Seitwärts ein großes Kloster. Die Ebene lag ganz voll +Sonne. Menschen strömten nach ihm zusammen, gleich Tieren, geschart, alle +trugen die Köpfe gesenkt. Rinys Nüstern dehnten sich ein wenig. Sie blieb +sitzen. + +Trupp auf Trupp, gelb gekleidet, immer die Nacken zum Boden gestellt, zogen +hinein. Sie hatten Lederriemen um den Leib und Rosenkränze in den Händen. +In den blauen Abendfarben leuchtete das Gold von hundert kleinen Türmen +unsinnig. In ihrer Mitte stand eine Pyramide mit einem Fortsatz gleich +einer umgestülpten Trompete. Schatten stürzte auf Schatten von oben über +die Terrassen. + +Als der Mond aufging, schlug er wie der Flügel eines Engels durch ihr Herz. +Die Nacht schauerte noch von ferne, es war halb hell. Sie sah hinein und +das Licht drang durch sie wie eine Säule. Dann fiel es auf die Pyramide, +die nach oben sich aufschlug und breiter wurde in den Himmel hinein. + +Ihr Lächeln ging nicht nach ihrer vorgelebten Zeit, nun vor Wundern +stehend, wurde sie sicher und groß und die lockende Stille verführte sie +tief. + +Sie wandte den Kopf. + +Ein Mann kam auf sie zu, hielt und ging weiter. + +Sie warf ihm einen Blick zu, den sein schräges Auge faßte, das gewölbt lag +unter den ungeschorenen Haaren. Die Kette hing um seinen Hals, er trug aus +Seide das gelbe Kleid der anderen Priester. + +Sein Blick zerschnitt ihr Gesicht, als er sie streifte. Aber ihr graues +Auge hob sich ruhig gegen ihn. + +Einen Augenblick zuckte der Fächer, mit dem seine Hand sich Wind zuschlug. +Einen Augenblick streifte gelähmt sein Fuß. Dann trug sein Gang ihn weiter. +Noch in der fallenden Dämmerung sah sie ihn ungenau eintreten durch ein +Tor. + +Noch aber war es nicht ganz dunkel, als er zurückkam. Ihre Pupillen sahen +ihn schon von weitem durch die Schatten. Sie lächelte. + +Er zog sie an der Hand, flüsternd, hochmütig, hinein in das Kloster. + +Auf Treppen folgte sie seinem Schritt von Terrasse zu Terrasse. Viele +Priester begegneten ihnen. Aber keiner sah auf, kein Ohr gab acht auf sie. +Leise murmelnd, die Blicke gesenkt, gingen sie ihnen vorüber. Durch eine +Allee des obersten Pyramidensockels erreichten sie den Gurt der Türme. + +Der Führer öffnete die Türe an einem. Er zog sie hinein . . . . . über eine +Treppe, sie stand in einem Zimmer, von allen Seiten voll Licht. Farbene +Felle lagen darin, geschliffenes Glas hob die Wände. Aus porzellanenen +Schalen wehte dünn das Rosenöl. + +»Bin ich gefangen?« fragte Riny gleich. + +»Nein,« sagte er in einem Englisch, das sich auf seiner Zunge brach. + +Aufatmend sog sie das süße Licht des Abends aus den Fenstern: + +»Warum sieht uns keiner?« + +»Sie sind nicht blind. Sie dienen nur. Einer nur hebt für sie den Kopf.« + +»Du . . .« + +»Ich.« + +Sie atmete heftig in der betäubenden Luft. + +Er bewegte sich von der Tür her auf sie zu. Sie sah die Augen eines tief +erregten Mannes, dessen Gesicht die große Welle schwer nur hielt. Sie ließ +das Auge weitergleiten. Durch die Fenster fuhr es auf die Landschaft. Sie +sah den dunklen Schatten eines Waldes. Dahinter lag das Haus Saint-Loux. + +Sie drehte sich um und gab sich in seinen Arm. + +Seine Liebe war ohne die Begierde, die sich erschöpft in der Berührung der +Haut. Aus seinen Händen drang ein Strom in ihren Geist. Sein Mund erhob den +ihren in die Höhe wie sein Auge. Sein Leib verschmolz dem ihren mit so +mächtigem Drange, als zwinge er die Vereinigung über das Berühren der +Körper hinaus. Seine Worte, die sie um Liebe fragten, waren kurz und +suchten wild in ihrem Blut. Ein Rausch überkam sie unter seinen Armen, sie +sah sein Auge schwer über ihr verzückt. + +Ihr erwachender Blick fiel auf die Spitze der obersten Pyramide. Die Sonne +tanzte mit kleinen Flammen auf einem eisernen Ring, der um sie genietet +war. An Seilen zwischen der Spitze und dem Gürtel hingen kleine Glocken und +erzitterten zu Tausenden in der erfrischten Luft. Unten zogen die Rahaans +aus den Toren. + +Sie schloß die Augen wieder und die Träume der Nacht schaukelten über sie. + +Nach zwei Stunden stand sie auf, unwillig über ihre Einsamkeit. Sie stieg +die Treppe hinunter. Als sie den Turm verlassen hatte, nahten Menschen. Sie +barg sich in einen Winkel. Weiter vorgehend, kam sie an die Allee. Sie war +leer. Als sie zurückschaute, verwirrten sie die hundert Türme. Sie kannte +den ihren nicht mehr. + +Tränen traten ihr in die Augen. Sie bog aus der Allee und stieg hinab. + +Überrascht trat sie in eine Halle mit Reihen von Säulen. Gesumm von Stimmen +überfiel sie. Sie trat heraus aus dem Schatten und sah Hunderte Priester, +die in dem Raume wogten wie Bienen. Sie sprang zurück, erschreckt, aber vor +ihr standen drei andere, die eintraten. Erbleicht hielt sie. + +Aber sie bogen um sie, ohne sie zu beachten. Da ergriff sie ein Schwindel, +dies Gehen wie im Traum erschreckte sie. Niemand beachtete ihren Körper, +sie schwankte. Ihr Blick fiel in einen Spiegel, das gab ihr die Sicherheit +wieder, sie sah ihr wirkliches Gesicht. + +Erregten Herzens, durch Hallen schleichend, traf sie den Abt. Er ging +allein hin und her zwischen den Blumen, manchmal eine erhebend, +hineinschauend in den Kelch und sie zurücksenkend in ihre Lage. Er schritt +das kleine Stück hinunter, das von den Wänden der Pyramide eingeengt war +und über der Gegend schwebte bis an den Rand. Eine Ruhe umgab diesen Ort, +die kein Vogel, keine Fliege unterbrach. + +Er blickte auf und sah sie, verstört noch in ihrem Gesicht. Mit drei +Schritten ging er auf sie zu, die Arme ein wenig gebreitet. Tränen an allen +Wimpern stürzte sie auf ihn wie ein Kind. + +Als er den Garten verließ, folgte sie ihm willenlos. + +Aus jedem seiner Blicke, in jeder Umarmung traf sie eine Macht, die eine +Wolke um sie legte. Sie hing an ihm fest. Sie folgte seinem Schritt, seiner +Bewegung. Nie verließ sie ihn. An jedem Morgen suchte sie ihn durch die +Hallen, jeden Morgen fand sie ihn atemlos wie ein Wunder an einem anderen +Ort. Sie schritt durch die Priester hin mit der nie endenden Bangnis. Wie +von ausschweifendsten Abenteuern erreichte sie seinen Arm. Mit ihm schritt +sie sicher durch die Menge, die ihrer nicht achtete. + +Sie sah sie jeden Morgen das Kloster verlassen, hinaus zur Sammlung die +Ebene betreten. Sie sah sie heimkehren, beladen am Abend. Bebend ging sie +durch die Räume ihrer Andacht, die nie eine Frau betreten. Keiner hob das +Auge nach ihr. Gelübde folgend in Gebeten sammelten sie ihre Seele, deren +große zusammengefaßte Erhebung der Abt weitergab, Auge und Mund frei. + +Aber ihr kam nie die Sehnsucht, die Terrassen zu verlassen. Ihr Blick lag +ohne Lockung auf dem Horizont. + +Monate hier lebend, änderte sich ihr Wesen um. Seinem Dasein, das dies +alles in den Händen hielt, ganz und ohne Besinnung hingegeben, fraglos +ausgeliefert, hatte sie nur Blick und Sinn für ihn. Stärker in jedem Schlaf +erfuhr sie die Inbrunst, die er an sie hingab, dies ging über jeden Rausch, +den sie erfahren. + +Sie wohnte im Kreis die Türme herum. Wind kam ihr von allen Seiten. Sie +kreiste um die Sonne, die täglich aus anderer Richtung auf sie traf. Im +Wechsel der Monde sah sie andere Landschaft, andere Menschen, Feuer kamen +und gingen an den Toren, die Krähen schwebten um andere ausgesetzte Beute. +Ihr Blick nahm es ohne Teilnahme. Was sollte es ihr. Sie lebte nach innen, +suchte den Abt und war glücklich, wenn sie ihn sah. + +Nachts an seinem Herzen frug sie: + +»Wenn jene mich sähen . . .« + +»Sie tun es nicht.« + +»Wenn jene mich sähen, würden sie mich erschlagen, . . .« + +Er legte die Hand auf ihren Mund. + +». . . . . . . würden sie mich zerreißen aus Verzweiflung, über die Mauer +werfen . .« + +Er gab nicht gleich Antwort. + +»Ja.« + +Sie zitterte. + +»Du würdest sie wehren.« + +»Du weißt nicht, was jene verlören: den Glauben. Sie sind Jahre hindurch, +Jahrzehnte gewandert, wortlos, ohne die Welt zu sehen. Sie haben geflucht +früher. Nun weinten sie häufig, bis sie die Ruhe hatten.« + +»Du würdest sie wehren . . . .« + +Eine Falte umzog seinen Mund vor Weh: + +»Ja.« + +An seinem Lächeln erkannte sie: das war sein Tod. + +»Ich will dich begleiten, wenn du das Kloster mit ihnen verlässest am Tage. +Ich will immer bei dir sein.« + +Er hob sie auf zu sich. Sein Gesicht neben ihr vermischte sich in einem +schönen Rausch gleich einem Fieber mit ihrer Wange. Sie aber im Gefühl, +wieviel er um sie spiele, zitterte klein und schwach in seinem Arm. + +Noch Tränen in den Augen fand sie ihn am Morgen. Angeschmiegt an ihn, bat +sie ihn um Kleider, an sein Versprechen ihn erinnernd. Keine andere +Sehnsucht sprach in ihr, als bei ihm zu sein, mit ihm zu wandern, sich +anzuschmiegen an seine Knie. Das war alles. Es ging nichts darüber. + +In dieser Woche zog er nicht mit den Rahaans. An einem Feiertage gab er ihr +die Kleidung: dünnes gewässertes chinesisches Seidenzeug, Sandalen und die +Schere, mit der sie die Haare über den Schulterblättern schnitt. + +Als sie fertig war, sah sie ihn zurückfahren. Er gab ihr einen Spiegel. Nun +glich sie ihm ganz im Aussehn auch des Gesichts. Nur die Falten fehlten von +den Nasenflügeln zu dem Munde, ihr Auge schwamm mehr in unbegrenztem Nebel, +während seines hochmütig dunkel starrte. Es hatte den gleichen Ausdruck bei +ihm, nur an ihr erhielt es ein düsteres Flammen. Er sah sie an voll +Erregung. + +Sie neigte sich und küßte ihm die Hände, doch er legte sein Gesicht in die +Flächen ihrer Finger einen Augenblick. + +An jedem dieser Tage ging der Abt mit einem anderen Trupp. Sie verließen +das Kloster durch die Tür, die Pförtner, Laien warfen sich hin vor ihnen. + +In die Dörfer eintretend gingen sie von Haus zu Haus. In den Städten +vergaßen sie keine Tür. Die Augen gesenkt, in Büchsen aus Blech empfingen +sie die Gaben: Früchte, Reis, getrocknete Fische. Sie warfen es in einen +blauen Karren, der sie begleitete. Fremde Bettler erhielten an den Toren +ihren Überschuß. + +Sie hielt sich neben dem Abt, sie tat keinen Schritt ohne ihn, wenn sein +Blick sie traf, errötete sie in ihrem von der Sonne kupfern gewordenen +Gesicht. + +Einmal sprang sie zurück. Sie sah Saint-Loux vorüberreiten. Seine Schenkel +hielten straff den Bauch seiner Stute. Der Fechterkörper saß gelassen im +Sattel. Nur sein Auge zeigte Trübung wie von Tränen. Seinem Pferde die +Sporen gebend ritt er rasch vorüber. Freude überkam sie, ihn so wohl zu +sehen. Aber schon schwand er aus ihr. + +Das Gefühl ihres kleinen Lebens gegen das große des Abtes aber wuchs mit +jedem Tag in ihr. Sie besah ihn des Nachts. Auch sein Körper war schön, er +hatte junge Jahre noch, schwankend zwischen den Dreißig und der Nähe der +Vierzig, seine Jugend war geschont. Daraus aber, aus dem, was er entsagte, +quoll die Stärke seiner Seele auf sie, daß sie vor Staunen oft sich selbst +vergaß. Je mehr er aber in seinem Rausche auf sie vertraute, je ungestümer +seine Inbrunst an ihr aufschlug, als suche sie durch ihren Leib erst die +Verbindung mit einem größeren Blut als dem ihren, um so tiefer schwankte +sie, seiner Liebe kaum würdig, es nicht ermessend, daß er sich so in sie +ergoß. + +Er aber hob sie immer höher, daß sie ihm mehr noch gleiche, hinter der er +die Vervollkommnung seines Wesens suchte. + +Er brachte ihr, als er die Fahrten der Mönche nach den Festen nicht mehr +teilte, sein Kleid und die ziselierte Kette. + +Sie sollte mit ihnen gehen -- -- für ihn. Er gab ihr alles in die Hand. + +Sie aber wollte ihn nicht verlassen, immer mehr gebunden an seine Gestalt. +Sie sah seinen Mund an, seinen Fuß. Sie weinte. Sie wollte nicht getrennt +davon sein. + +Er senkte den Fächer, den seine Hand nicht verließ. + +Sein Auge sah sie an mit der aufsaugenden Glut, die ihr Blut beherrschte. +Er wollte, daß sie alles mit ihm teile, hineinwachse in seinen Geist und +seine Ausübung, wie sie ihm ähnlich war am Körper. + +Er zog sie an und brachte sie, unscheinbar gekleidet, selbst zum Tor. Das +Gesumm der Mönche trieb in ihr Ohr. Sie kamen auf die Ebene, die sich ihr +weiter wellte an diesem Tage wie je. Das Surren der Rosenkränze betäubte +ihr Ohr, das stärker anwuchs, über die Ungewöhnlichkeit der Begleitung des +Abtes waren die Rahaans verwirrt, sie sahen es nicht, aber sie spürten +seine Gegenwart. + +In großer Schleife zogen sie über die Gegend. Ihr wurde jede Sekunde zur +Ungeduld. Langsam erst gegen Mittag genoß sie die Zeit. Stillglühenden +Gesichtes vor Sehnsucht ging sie unter den anderen. + +Bei ihm die Nacht, erschreckt davor, daß er sein Schicksal wie im Spiel auf +sie setzte, frug sie: + +»Wenn du irrtest.« + +Er sagte schlicht: + +»Ich irre mich nicht.« + +Sein Gesicht war hochmütig vor Glauben. + +Sie lag bleich neben ihm, bedrückt von seiner Sicherheit, die sich über sie +legte so hoch, daß sie darunter verschwand. Der Mond spielte durch blaue +Dämmerung um den Turm und deckte ihre Gesichter. Lange lag sie. + +Dann sagte sie leis: + +»Ich liebe dich.« + +Er sah ihr erschüttert in die Augen. Es wurde Morgen. Sie erhob sich. + +»Wohin gehst du?« frug er. + +Sie deutete auf die Ebene, auf alle Tore. Sie war aus Liebe stärker als +ihre Sehnsucht. Sie zwang es nieder, daß ihr Gefühl in seine Nähe sie band +als schöne Erfüllung. Ihm sich preisgebend in seinem höheren Sinne ging sie +für ihn hinaus nun Tag um Tag. + +Nun zog die Landschaft sie auch an, die sie für ihn besuchte. Aus seinem +Herzen dankte sie für Gaben, die überreich sie empfingen. Mit seinem Auge +sah sie voll Hingabe wieder das Licht sich sanft zerteilen auf Büschen und +Sand. Sie folgte im Wald dem Spiel der Sonnenkringel und hatte Freude +daran. Ein Bach wogte vor ihren Schritten, sprudelnd mit weißen Wellen, die +sich springend überspielten. Lange noch blieb ihr die Musik des leichten +Wassers im Ohr. + +Ihre Ärmel streiften über das feine Mehl der Blütenkätzchen. Durch ihre +liebkosenden Hände zog sie die schweren Ährenkronen des Weizens. Sie bückte +sich zu Blumen, die sie pflückte. Sie unterschied genau die Farben, blau +. . . weiß . . . orange. Sie band sie zusammen und hatte Freude darüber im +Herzen. + +Des Nachts spielte eine Melodie an ihr Ohr. Sie lauschte lange. Dann kam es +durch das wogende Gemach auf sie zu: das Wiegen des hellen Baches. + +Die Musik aber stieg. + +Sie lauschte lange: . . das Meer ihrer Jugend, dessen Geräusch ihr Blut nie +vergaß. + +Ihre Brauen spannten sich lang, sie sah Figuren, Geruch ihrer Heimat, aber +die Liebe des Mannes umgab sie zu mächtig, als daß die Erinnerung den Ring +durchstieß. Es hatte keinen Sinn in der Bedeutung ihres Lebens, das gefüllt +war. + +Es schwand dahin, wohl begleitet von Tränen. + +Aber die wuschen es nur ganz aus ihrer Seele dahin. + +Sie empfand auch im höchsten Rausch die untrennbare Zugehörigkeit ihres +Blutes zu ihrem Vater diese Nacht. Sie wußte, daß ihr Leben tief verwurzelt +zu ihm gehöre. Aber an Saint-Loux dachte sie nicht. + +Aber sie vermochte nicht, den Gestalten und Landschaften ihrer Jugend an +das Herz zu fühlen. Sie sah sie, aber sie traten nicht auf sie zu, +heischend und verlangend. Langsam spielte um sie wieder das Singen des +Baches. + +Auch es erlosch in dem Schlaf, der sie umfiel. + +Aus den Armen des Abtes stieg sie in die Ebene. Aus der letzten Ecke des +Waldes hob sich das rote Segment der Sonne. Langsam wie zum Singen ging sie +hinein in das von süßem Licht angerührte Land. + +Im Laufe der Wochen erreichte sie streifend eines Mittags eine Stadt, die +dunstig zwei Tage weit vor einer Hügelkette hinter dem Kloster lag. + +Das gescharte Volk brach vor ihr auseinander. Sie stand vor dem Einzug +eines Fürsten, der abgesprungen war und gerade auf einem Teppich stand, als +sie vorüberzogen. + +Der Fürst neigte sich weit zurück und hob die Hand über die Augen, gerührt +vor der Schönheit des jungen Abtes. Er grüßte tief. + +Sie blieb stehen und erbleichte. Sie stammelte ein wenig, dann aber legte +sie rasch die Hand auf den Mund. Sie standen sich einen Augenblick +gegenüber. Das weiche, milde Auge des Fürsten flackerte schwer auf ihrem +Gesicht. + +Rasch bog sie zur Seite, mit einem Lockruf ihre Leute sammelnd. Ihr Gesicht +war ohne Stille. + +Sie kehrten zurück und überstiegen die Hügel. Sie sah das Kloster vor sich +wie am ersten Tage in einem pfaublauen Abend mit hellem Golde +hineinwachsend. Wieder stieg Terrasse deutlich abgezirkelt in Terrasse zum +Aufbau der gegürteten Pyramide, die mit Alleen beschattet, vom Kreis der +Türme funkelnd umdreht, fast unerträglich gleißend stand. + +Aber es war, als erreichte sie den Bau nicht an diesem Tag. Abendliche +Lichter wiesen ihr deutlich das Bild. Doch sie erreichte keine Nähe, immer +blieben die Türme wie Striche im Horizont. Und als sie die Füße beeilten, +überspannten sie dennoch nicht den Raum, der zwischen ihnen lag. + +Solange Helligkeit den Abend noch sichtbar füllte, gingen sie darauf zu, +aber der Bau, der wundervoll leuchtete, ging immer vor ihnen her, bewegt +von den Strahlen der Luft. + +Verzweifelt liefen sie mit keuchender Lunge. + +Erst in der Nacht kamen sie an den Bau. + +In der Nacht suchte in der Beleuchtung des Mondes sie des Abtes Gesicht. Er +schlief und sie sah nicht die dumpfe Glut seines Auges. Aber sie fand ihn +schön. Zufrieden erwachte sie am Morgen. Ihr Blick traf die Spitze der +Pyramide. Die Drähte mit den Glocken, die wie Vogelschwärme daran hausten, +klangen erregt in der frischen anziehenden Luft. + +Als sie die Alleen hinunterschritt zu einem der Tore, brausten sie über +ihr, mit einem geheimen Ton der Erregung, den sie nie hier vernahm. Der +Boden roch, daß ihre Nüstern sich spannten, es war der schwere Duft der +Erde nach Regen. Als sie hinaustrat in die Ebene, sah sie sie mit einem +ganzen großen Blick. Ihr Auge faßte alles Einzelne zusammen und blieb an +der Ferne hängen, an der die seidenweiche Luft als lange Bläue hing. + +Sie führte ihren Weg oft nun nicht nur nach den Gaben. Menschen reizten +sie, sie hatte Freude an unbekannter Gegend. Neue Städte mit ihrem Schwarm, +der wechselte, berührend, vergaß sie in der Freude am Augenblick und der +Entdeckung alles, was über und um sie war. + +Eines Tages übersprang sie einen Bach, fiel auf das Knie, und als sie den +Boden schmerzhaft berührte, empfand sie Sehnsucht nach Saint-Loux. Ihr Blut +schuf ihn ihr wieder, der die Sehnsucht zuerst von ihr nahm. Er stand in +einem Busch, den Arm entblößt, wie fechtend. Sein Muskel tanzte. Die Augen +in dem zerrissenen Gesicht funkelten vor Geist. Sein Mund war kühl +gefaltet. So sah sie ihn wieder zum ersten Male, der wie ein +Schicksalsrufer ihr seit jeher die Pausen ihres Daseins wies, der immer nur +kam: nach Vollendetem. + +Ein wilder Schmerz brach in ihr aus. Sie blieb eine Weile liegen. Hob +stumpfe Augen und sah nur langsam die Erscheinung verschwinden und sich +verändern in die Gestalt des Abtes. Tief erschrocken über sich ging sie +durch das Tor. + +Die Nacht ging das Sonnenjahr zu Ende um die Mitte des April. Sie wohnte +schon zum zweiten Male über dem östlichen Tor. + +Da schob eine Armee von Lichtern über die Ebene gegen das Kloster. + +Die Nacht war sternlos. Riny beugte sich weit aus ihrem Fenster. Um die +Mauer des Klosters brannten Holzstöße vor allen Toren. + +Wie durch Nebel gespiegelt kam ein dunkler Zug aus dem Horizont herauf. +Eine leichte Musik ging vor ihm her in der hellen Nacht, durch die Scheine +irrten. Langsamer Gesang erstarb. Indische Gitarren und birmanische Harfen +sangen. Über ihnen grollte das Rollen der Trommel und Gong. Plötzlich war +die ganze Nacht wie Gold. + +In das hellere Licht der Tore tauchten gespenstisch die ersten Gesichte. + +Wagen rollten heran in breiter Linie, vor jedem vier Büffel gespannt, deren +weiße Augen blänkerten in den Fackeln und Scheiterhaufen. Sie ebbten in +Wellen heran, die wilden Nacken gebeugt, haltlos, verschwindend gegen die +Mauer, immer neue Reihen aus dem Dunkel hinter sich in die Helligkeit +nachreißend, es war kein Ende zu sehen des schwarzen Heeres und des +Deichselgedröhns. + +Da aber barst eine Lücke, Tiere schnaubten, ein Zelt entstand zauberhaft. + +Fünf weiße Fahnen kamen angetragen und erstarrten in der Luft. Zwei Neger +mit bunten Fahnen, bewimpelt den Schaft bis zum Ende, pflanzten sich davor. +Mönche hinter ihnen fielen in zwei Reihen ins Knie, eine Gasse, die Köpfe +zueinander. + +In einer Scharlachweste und gespitztem Wollhut stand ein Geistlicher hinter +ihnen, sein Kopf leckte noch nach dem Licht. Hinter Bedienten schritt ein +Gouverneur, auf weißen seidenen Hosen die goldgestickte Weste von blauem +Atlas. + +Da hoben sich Speerträger, oben die Spitzen voll Gold, blutrote Troddeln +rauschten fallend herab, ihre Füße standen im Gegenrhythmus der ganzen +Bewegung, noch im Dunkeln halb befangen, eine Woge, die sich überstürzt. +Aus ihren Schatten schon formten sich die Elefanten. Sie türmten gewaltige +Leiber in die Flammenscheine, die wie eine Meute auf ihre Flanken stürzten. + +Es war eine Mauer. Aber ein Schrei durchbrach sie. + +Ungeduldig drängte ein anderer Elefant vor. Mit poliertem Haken riß ein +schlanker Prinz seinen Hals, über dem ein Diener einen goldenen Schirm +hielt. + +Noch einmal schrie er, da hielt der Elefant. + +Von dunklem Samt sprang der Reiter, warf die Schuhe zur Seite, sprang, +allein, vor bis zum Tore und warf sich aufs linke Knie. + +Vor ihm standen eingebaut in die Mauer groß und gewachsen aus Stein zwei +Bilder: Thasiamis, mit der Feder in der Hand aufschreibend Gutes und die +Laster . . . . . neben ihm das kniende Weib Masumdera, deren hohle Hand, +die Welt schaukelnd, sie schützt bis zum letzten Tag, wo sie sie aufhaut +wie eine Frucht. + +Kaum aber berührte des Prinzen Knie den Boden, schon fuhr es zurück. + +Er verschwand. + +Der Abt kam nicht die Nacht. + +Über dem Singen der Weiber auf der Ebene um die brennenden Sandelhölzer +rauschten Raketen über den Himmel, zogen tiefe goldene Furchen und +zerstoben in großen traurigen Strähnen, die schön wie Haar auf die Dächer +des Klosters sich senkten. Riny am Fenster die ganze Nacht, flog auf mit +jeder, sank mit jeder zurück. Am Morgen war ihr Herz unruhig, sie öffnete +das Fenster und hielt ihre Brust und den Kopf in den leise wehenden Wind. + +Durch die Allee ging sie hinunter, unruhiger noch, weil sie den Abt nicht +fand, der nie außer der Woche ihrer Schmerzen bei ihr fehlte. + +Sie trat um die Ecke der Säulenhalle. + +Da kam in dem Gang der Prinz auf sie zu. + +Sein Auge berührte sie, es war schöner wie das jenes Fürsten, der sie +streifend in einer Stadt anhielt vor Bewunderung. Es war süß und grausam +wie eines Panthers. Er ging auf sie zu mit federndem Schritt, aber kurz vor +ihr drehte er ab. + +Sie lief drei Schritte und sah um den anderen Säulengang. Am Ende stand der +Abt, die Arme geöffnet. Der Prinz ging auf ihn zu. Sie waren beide prächtig +gekleidet und umarmten sich. Sie stand und sah, als die Säulen sie schon +von ihr trennten. + +Sie ging hinaus und sah in einen Spiegel, die Hände an den Brüsten. + +Sie nickte sich zu. + +Sie kam an den kleinen Garten, ein Vogel saß auf dem vorderen Busch. Er +hielt den Schwanz aufgerichtet und sang fein und frisch. Sie beugte sich in +den Hüften vor. + +Ihr Mund spitzte sich. + +Sie pfiff ihm zu. Der Vogel pfiff wieder. Die Sonne lag ganz jung auf dem +Land. Sie hob den Arm, die Augen abschattend. Sie sah soweit hinaus, wie +sie selten sah. + +Ganz am Rand des Horizonts zogen sich zarte schwingende Linien Wolken, die +nun von Gold anfingen zu glänzen, darüber stand kühl das Blau des Morgens. +Das Land begann zu leben. Die Büsche hoben sich ein wenig in die Höhe. Der +Sand erhob ein Gleißen. Der erstarrte Wald zog ein Flüstern durch die +Blätter, die sich bewegten. Dörfer brannten Rauch in die belebende Luft. + +Nun kam von den schwingenden Pflanzen aufgetragen der Duft des Landes +langsam herauf gezogen. + +Sie unterschied alle Blüten. + +Der scharfe Geruch der Palmen, das Ölige der Schlingpflanzen und die +befreiende Zartheit der weißen Dolden. + +Sie hielt an, die Nüstern gespannt. + +Wieder erhob sie den Mund und pfiff. Es wurde immer klarer. Helligkeit +überschwemmte fürstlich den Raum. Die Sonne kam in den Garten. + +Sie machte einen Schritt, dann folgte der andere Fuß. Sie ging hinauf zum +Turm. + +Dann kam sie zurück, ihre Fesseln sicher setzend. + +Im Garten sah sie vorübergehend den Prinz und den Abt. Andächtig sich +beugend sagte der Prinz: + +»Dennoch hast du dich vertieft.« + +Der Abt saß, nicht aufstehend, lächelnd sagte er zurück: »Du bist jünger. +Wie ich dein Alter hatte, da träumte ich, von Wachen und Hungern sehr +vorbereitet, von einem Hügel aus. Ich sah Götter wie Bäume aus der Erde +wachsen, unsichtbar dem wachenden Auge. Sie waren bald grün wie Laub, bald +vom rotesten Gold. Ich habe nun das Unendliche wiedergesehen. Ich vergebe +dir, aber du siehst es, wie ich mich erhöht.« + +Sie schritt vorüber, rasch, keine Silbe drang mehr an ihr Ohr. + +Sie sah nicht viel um sich. Blumen lockten sie wieder, gelbe überall +ausgesät. Es war die Wiese, auf der sie zum erstenmal das Kloster sah. + +Sie ließ sich nieder, träumend. + +Dann nahm sie das gelbe Kleid der Mönche und schob es in eine Grabenrinne, +in einem seidenen Kleid stand sie da wie früher, flocht Perlen in ihr Haar, +das nur zu den Schultern reichte. Eine Strähne fiel zwischen den Brauen ihr +in die Stirn. + +Sie ließ sich nieder, dem Augenblick verwebt in wundersamem Verschmelzen. +Kein Gedanke durchbrach ihr Hirn. Ihr Herz saugte sich voll der Landschaft. +Sie hörte das Ticken des Geländes, den Jubel einer Amsel. Sie sah den +Himmel über sich wogen, daß es kein Ende nahm. + +Dann begann der Boden unter ihr zu schwingen wie eine Welle. Ein dunkler +Fels warf Schatten über die Landschaft, türmte sich und nahm das Licht von +ihr. Ein Elefant in großen Sprüngen durchschoß die Gegend und hielt bei +ihr. + +Sie sah nicht auf. + +Sie sah das Ganze des Tages um sich fluten und schwang mit ihm in einem +gleichen Strom. Die Ebene drang in sie ein, als ob sie sie besäße, und +durchhallte ihr Blut mit einem warmen Geborgensein. Ihre Seele ging auf. +Sie wußte ihren Namen nicht mehr, nicht ihre Heimat, schon vergaß sie den +letzten Tag. Ihre Augen, die größer wurden, erschauten zum ersten Male +wieder die Welt. + +Jede Blume um sie wuchs ein ungeheures Wunder in ihren Sinn. Eine Eidechse +ließ sie die Hände schlagen vor Entzücken. Der große Himmel über ihr aber +sog sie auf in sein Wogen wie einen kleinen Klang in sein unsterbliches +Rauschen. + +Als die Schatten über sie fielen, zogen ihre Brauen sich zusammen. + +Der Prinz wartete eine Weile. + +Dann kniete der Elefant, daß das Land unter ihm sich bewegte vom Andrang +seines warmen Bauches. + +Dann hob sich ihr Kopf, ihr Blick kam und riß ihn herunter. + +Mit beiden Armen trug er sie in seinen Sattel, bewegt vor Zittern, die +heißen Augen wie Samt, schreiend. + +Der Elefant stürmte gegen den Norden, das Kloster verlassend. Wind wühlte +durch ihr Haar. Sie öffnete die Augen. Wie lag der Horizont mächtig vor +ihr! + +Nach zwei Stunden kamen sie zum Fluß. + +Das Wasser war tief gefallen, sie sah die Ebene nicht mehr, zwei große +Schlangen wälzten sich neben ihnen die Ufer, entgegenströmend mit gelben +Wellen kam der Strom. Sie sah auf. + +Vor der Kajüte verteilt lagen dreißig Ruderer, angestemmt die Muskeln im +Fahren. Über ihnen standen an den Flanken Pfauenfedern, glänzend rund, und +tibetanische Kuhschweife. Sie kam mit dem Auge an die Stange des +Vorderteils, sie strich hinauf: ein großer goldener Knopf wie die Sonne. +Dann glitt sie, ohne einzuhalten, in den Himmel, der über dem Flußbett +hing, grenzenlos. + +Ihr Gesicht färbte sich dunkler: + +»Wie heißt du?« + +»Thengo-Tikien.« + +Zu einer großen Katze die Glieder zusammengezogen lag er vor ihr: + +»Du?« + +Ihr Nacken senkte sich nach rückwärts, ihr Auge nahm die Decke der Kajüte +auf, geölt und voll Maserung: + +»Germaine . . . . . . Renée . . . . . . Duse . . . . . .« riet er, der das +Französische wundervoll beherrschte. + +Sie schüttelte den Kopf: + +»Nenne mich!« + +»To,« sagte er. + +Sie lachte leis. + +Er, der jede ihrer Bewegungen gierig einsog, berauschte sich langsam an +ihrem Gesicht. Er badete darin, sie ließ es seinem bewundernden Blick, ohne +Verwirrung. Seine Verehrung war zu deutlich, zu unbefangen, als daß sie ihr +nicht gefiel als Frau. + +Während er sie genoß mit den Blicken, sprach er ihr von Europa, von Gärten +mit Musik und Sälen, sein Auge war nicht ganz sicher diese Zeit. Ein Boy +servierte ihnen auf Porzellan und Silber gebackene Teeblätter. Unmerklich +abschwenkend, kam er aufs Nahe, hob die Hand und zeigte die Landschaft, er +redete von Büchern und Elfenbein, seine Finger prahlten, damit ihr Auge +sich bestürze. + +Sie gähnte und sah ihn an. + +Einen Augenblick wurde seine Pupille hart. Dann wurde er weich, sein +Tonfall kam zu ihr fragend, verehrend, aus großer Entfernung. Er sagte +verwunderliche Dinge, damit sie ihn belehre. Spielend mit seiner +Unkenntnis, gab er sich als Kind, den Mund umzogen von unbefangenen +Gefühlen. + +Indem er sich so preisgab, hielt er dem Rätselhaften stand, das ihn an +ihrem Gesicht verstörte. + +Allein sie gab nicht nach. + +Er sprach von seinen jesuitischen Erziehern, deren frappierende Wirkung er +kannte. Ihre Seltsamkeiten ernst nehmend, wurde seine Lippe ganz kindlich. +Seine Sprache schmollte, derart spielend. + +Sie folgte ihm mit einem Lächeln, das er eintrank. + +Sie folgte ihm bis auf die Höhe dieser Kindlichkeit. + +»To,« sagte er schmeichelnd wie eine Katze und lehnte den Kopf an ihr Knie +und rieb leicht die Wange daran. + +Rasch zog sie das Bein zurück. + +Er schnellte auf, getäuscht. Aber ihr unbefangenes Gesicht, das sie mit +einem Ruck damenhaft unberührbar vor Sicherheit verwandelte, gab ihm die +Erinnerung seiner europäischen Tage, seine Hand fiel zurück. Er lächelte +ebenfalls unbefangen zu ihr. + +Seine Haut aber spannte sich vor Erregung, er war von göttlicher Schönheit +und hielt nur noch schwer. + +Sie reizte ihn, daß er seine Haltung änderte, sie ließ die Augen nicht von +ihm. + +Am Mittag erreichten sie einen Platz, wo Stufen, in die Felswand gehauen, +zeigten, daß Städte hier seien. Anhaltend, entstanden ihnen Bambushäuser in +fliegender Eile. Ein Landschaftsgouverneur erschien, die Gegend bevölkerte +sich. Über ihnen wölbte sich eine Ebene, auf deren Scheitel unbeweglich ein +Schwarm Tauben hing. + +Der Abend war noch weit. Sie nahmen, faul vom Liegen, junge Pferde und +ritten. Je länger sie ritten, um so größer wurde die Geschwindigkeit der +Tiere. Die Pferde warfen Mais und Gras auf mit dem Huf, eine kleine Wolke +von Sand stand an jeden Fuß geheftet. Der Prinz wies ihr seinen Besitz, +sein Finger stieß in die Gegend. Seine Stimme war deutend, erklärend, mit +einfacher Würde. + +Er kam ihr mit Gleichmut, und sie lächelte darüber. + +Der Nagel seiner Hand glänzte. Dahinter standen Berge, die Rubin trugen und +Kupfer. Die Fläche seiner Hand formte eine Quelle, die heiß lief, mit +Nymphen, blond die Haare. Sie gab ihm freundlich das Ohr. + +Die Luft, in die sie tauchten, löste alles um sie auf, so dicht ward ihre +Strahlung. + +In das Rot der unsichtbaren Sonne stieg ein blauer Dampf. Die Reiter hoben +sich mit scharfen Rändern unwirklich aus der Landschaft. + +Vor ihnen ballten sich Umrisse, der Luft seltsam verwoben, wie ein Kreis. + +Die Hufe der Pferde waren in der weichen Wiese kaum hörbar. Kein Ton lag in +der Luft. + +Ein Tor schlug sich ihnen auf, dumpfer Schein von Metall darum, das +zerrissen daran hing. Hinter dem Bogen lag weich im dunklen und +goldfarbenen Raum eine Straße. Sie sahen keinen Menschen in der Einsamkeit +der Gebäude. Es wogte eine samtene Luft, die sie fast faßten mit den +Händen. Sie sprangen ab und banden die Gäule an Penaigobäume. + +Ihr helles Wiehern scholl blendend wie etwas Helles in der weichen +Verlassenheit hinter ihnen. + +Die Fenster der Häuser glänzten wie Milch. Die glanzlose Sonne war lang +verschwunden, aber die Dunkelheit war fast weiß von Licht durchflimmert, +und Silber band sich in jeden Winkel. + +Riny bog in einen Garten, dessen Mauer eingestürzt lag, schon verwachsen, +gegen die Straße. Thengo glitt hinter ihr. In der Ruhe sprang ihr Herz. Sie +fühlte ihn im Rücken, ihr Puls erstickte sie in der Kehle, die Brust +schnürte sich zusammen. Sie sah um. + +Sein Kopf war in dem Licht sehr schmal, mit zarter Haut und gerafften +wilden Brauen . . . . . erregend die Tönung der Lippen. + +Sie nahm ihr Auge aus seinem und trat rasch in das Haus, ohne den Schritt +zu beschleunigen. Zu einem Fenster des verfallenen Hauses sah sie heraus. + +Er stand unten, geduckt. Sein Kopf sah heraus, seine Kehle gab etwas frei, +einen Ton, dann sprang er nach. + +Treppen vor sich aufgetürmt, schon überwunden, Säle, Keller, ein plattes +Dach voll weißer Disteln . . . . . überall spürte sie seinen Atem, +pochender Schläfe, nie fehlte ihr seine Gegenwart. + +In einem Schatten duckend, sah sie seinen gespannten Schenkel, der ihn +vorbeitrug. + +Sie stieß einen leichten Ruf aus, der ihn anhielt, weich und dunkel sich +verirrte weiter in den Gängen. + +Durch das Fenster, den Kopf noch nach seinem Ansprung gewandt, ergriff sie +einen Ast und schwang sich auf den Balkon. + +Schon um die Biegung der Galerie, gerötet, das Herz haltend, sah sie den +Schwung, der den bronzenen Körper hinter ihr herüberwarf auf die Brüstung. + +Von einer Schar Pilaster aufgehalten, verwirrte sich ihr alles. Verlassen, +allein suchte sie den Ausweg. + +Je länger sie den Weg suchte, um so deutlicher suchte, rufend, sie nun ihn +selber. Von Marmor zu Marmor sich windend, kam ihr aus dem Schatten sein +Mund überall entgegen. Unter einem Bogen sah sie Sterne. Sie wand sich +hindurch und trat durch ein zerfallenes Fenster auf eine Terrasse, darüber +den Himmel. + +Sofort spürte sie ihn in der vibrierenden Luft. + +Sie wandte sich die Länge des Baus hinunter. Ohne daß ein Laut ging, fühlte +sie ihn hinter sich. + +Sie fieberte über die ganze Haut. + +Sie lief die halbe Terrasse hinunter. + +Dann faßten seine Hände ihre Schultern. + +Mit gleitenden unentreißbaren Bewegungen riß er sie an sich, ihr Mund heiß +und quellend bog sich an seinen, unter feinen Liebkosungen kam sie wieder +zu sich. Sie waren sanft wie die der wilden Tiere. + +Der Sand der Terrasse war warm von der Sonne noch wie am Meer. + +Sie lehnte den Rücken gegen die Wand des Palastes, an der sich ihr Schatten +groß und gelockert um sie formte. Er lag bäuchlings vor ihr, sein Gesicht +zu ihrem erhoben, die Zähne frei, die Lippen befeuchtet. Seine Muskeln +lebten alle, auch in der Ruhe war er gespannt. Sie sah auf ihn, hingegeben +dem Bezwinger. Seine Gewalt und Wildheit, das Knirschen seiner Zähne, die +Glätte seines Körpers machten sie wanken mit den Lippen nach ihm. Ihr Kopf +war müde, er blieb an die Mauer gelehnt, unsichtbar bebten nur die Lippen. + +Wieder in einer Pause ihres Bewußtseins lag er vor ihr. Sein Blick badete +immer noch in ihrem Gesicht und sog einen Rausch daraus, der langsam seine +Züge überzog. Um seine Pupillen gingen im Wechsel die Gefühle, die Augen +erstarrten in glasigem Email. Seine Lippen bewegten sich einige Male. + +»To.« + +Er wiederholte ihren Namen. + +»To . . . . . . ich liebe dein Gesicht.« + +Seine Stimme ward leis und singend: + +»Es ist nackt,« sagte er. + +Sie legte die Hände unter den Nacken. + +»Du hast es unverhüllt getragen. Nie sah ich Frauen, die so stolz waren in +ihrer Schamlosigleit.« Die Stimme versagte ihm heiser. + +»To . . . wenn andere Frauen ihr Gesicht preisgäben . . . To . . . deines +ist schön und hart. Hast du es durch viele Länder getragen? Viele haben es +gesehen wohl an deinen Seen, in den Städten, wo du fuhrst -- -- Tausende +Männer haben ihre Augen darauf gehabt . . . haben es beschmutzt. Haben +Hunde es gesehen? Frauen haben wohl heiße Blicke darauf gehabt? Aber -- ich +liebe es.« + +Sein Blick flehte an ihr, er zog an jeder Falte ihres Gesichtes, und ihre +Augen stahl seine Glut in die seinen hinein. + +Ihr Kopf stieß gegen die Wand hinter ihr. Sie empfand die Macht ihres +Körpers ausgehen von sich eine Wolke voll Geruch. Noch war ihr Herz tief in +der Gewalt seiner Umarmung, da stieg sie schon, ohne daß sie es wußte, weit +über ihn, der sich wand vor ihr in Wollust. + +Er hob sich auf, schnellend mit allen Sehnen. Lächelnd bog sie den Mund zur +Seite. Sie sah das Fremde aufblitzen in seinen Augen, die grünlich aus dem +Ring um die schwarze Pupille heraustraten. Sie roch seinen Körper, der +duftete nach stürzendem Blut. Süß geschaukelt in der Gefahr seiner wilden +Entfesselung reizte ihr Mund ihn, bis er als Kind an ihren Knien vergehend +lag und sie, es schwer nur ertragend, den Mund hinüberbog an seinen und +klein und schwach unter seinem von Leidenschaften überschwungenen Kopfe +hing. + +Ihr Lächeln, bald hingegeben im Vergehen, lenkte seinen Blick, der sie +zerriß. Ihr erwachender Blick aus dem Taumel zog ihn zu sanften Worten, +hinter denen, die Fesseln gespannt, das Raubtier stand. + +Noch halb in der hellen, aber von Morgenscheinen dunkel versilberten Nacht +trug er sie, mit der Kehle jauchzend, zu den Pferden. + +Ihre Schatten fielen langsam auf die Erde, die fast rot war. Sie erreichten +die Schiffe, die Gäule ritten Kopf an Kopf, kein Zoll fehlte. + +Der Morgen legte die weitaufgebrochene Landschaft vor sie. Mit Licht +ausgefüllt leuchtete sie still von allen Seiten in sich selbst. Wind packte +keiner ihr Haar und Gesicht. Sie lächelte blaß und verzückt, die Ringe +sanft unter die Augen gezogen. + +Die Welt stand eine Kuppel über sie dünn und zart wie aus Glas. + +Der Rhythmus des Fahrens wiegte sie gut. Die Sonne kam bis zu ihr herab und +senkte sich zwischen ihre Brüste, mit mildem Licht von hier aus das Licht +ergießend über die Welt, die sie sah und die sich um sie bewegte, in der +sie tausendfältig in der großen Ruhe war. + +Am Ufer parierte ein Pferd gegen Mittag, die Vorderbeine stiegen in die +Luft, ein Zaum bog das Maul in die Höhe. Sein roter Bauch strahlte auf. +Thengos Augen zogen sich zur Seite. Ein Schwimmer holte die Nachricht und +hob sie in das Boot. Sie mußten sich trennen, es war nur auf Stunden. +Dennoch erbleichte er. Rinys Blick sah ihn tief bewegt, doch sie blieb +kühl. Sie gab ihm die Hand, der er tausendfach sein baldiges Wiederkommen +versicherte. Sie sagte nichts, auf was er lauerte. + +Ruhig, unbefangen nahm sie Abschied von ihm, dessen Gesicht sich grausam +zusammenzog. Seine Augen bewegten sich nicht von ihr, solang als ihn sein +kleines Boot zum Ufer fuhr. + +Weiterfahrend verglitten die Dämme der Küsten in die Landschaft. Vom Ufer +aus sah sie auf das Gelände, das im halben Bogen des Horizonts mit Mais +gefüllt war, und auf der Tiere still dahingingen bis an den Rand. + +Gegen Abend tauchten sie in eine Bucht, Scho--Li--Rua, die Bai der gelben +Boote. Das Wasser stand wie Glas. In einem hohen Bogen hoben sich Häuser +mit kleinen Fahnen und senkten sich wieder über einem Hügel, die Fronten +gegen den Fluß gelehnt. Hier nachteten sie. + +Sie bewohnte das äußerste Bambushaus des Kreises, halb schon an der Bai. +Keinen Augenblick empfand sie Ruhe. Schatten wogten draußen. Durch die +Ritzen spürte sie, unsichtbar, den Glanz spähender Augen. Lautlos trug die +Luft ein erregendes Geschehen, das ihr den Schlaf nahm. + +Sie trat, aufstehend, zur Tür. Davor saßen zwei Wachen, hinter ihnen +glitten Schatten weg in die Nacht. Sie ging hinein und legte sich von +neuem. Lange konnte sie nicht schlafen, von der Hitze der Gegend und der +Bewegung um sie gestört. Auch ihr Hirn versagte. Sie konnte nichts denken. +Langsam fiel sie so in den Halbschlummer hinein. + +Halbnackt, auf seinem Schweiß noch den eines Pferdes wie Schnee, stand +Thengo vor ihr. Sie fuhr auf, noch konnte er nicht reden, als er sie küßte. +Noch versagte sein Mund, als seine Lippen schon ihr Gesicht überwanderten. + +»Du . . . ,« flüsterte er keuchend. Seine Augen wurden lächelnd und klein +vor ihr, als ob sie bäten . . . . . . »ich habe mich sehr geeilt.« + +Tagelang noch fahrend, hielten sie eine Nacht dann nicht an. Mit +Windlichtern ruderten sie durch das Dunkel des immer mehr verengten Flusses +hinauf. Mit dem Morgen hob sich Dunst von der Gegend und in dem noch wirren +Ineinanderschieben des Nebels sah sie goldene Spitzen im schon manchmal +erscheinenden Blau. + +Ein Palankin hielt, wo sie landeten. + +Er, den Schwanenhälse zierten, von zwei Löwen an der Spitze und am Ende +gleich einem Flügel breitenden Vogel überbogen, die fürstliche Türmung gelb +darüber gereckt, empfing sie aus dem Atlas des Inneren mit Moschusgeruch. + +Rasch getragen sah sie durch die flatternden Falten des vorgeschlagenen +Vorhangs, sanft gewiegt im Rhythmus der Laufenden, eine Stadt eine +Hügelkette hinan gelegt und an ihrem Fuß anspülend einen See. + +Dann hielt sie in einem Garten und sah das Schloß mit Galerien, achtstöckig +unter dem chinesischen goldenen Dach, das den obersten Erker überspielte. + +Thengo-Tikien empfing sie im dritten Stock, er nahm gleich ihre Hand und +führte sie durch die Zimmer. Als er neben ihr ging nun, war nichts mehr von +der Würde des Armwinks an ihm, mit dem er vor einem Herzschlag noch die +Diener hinausgeschickt. Stets Neues aufkramend, wies er ihr das Alte +wieder. Er brachte ihr eifrig eine Tasse, an der sie vorbeiging. Kissen hob +er ins Licht, daß die Lamaseide bleicher scheine. Vasen rückte er ihr +zurecht. Seine Hände boten ihr, wühlend in kleinen gehäuften Dingen, von +Tischen Silber und Dosen. + +Sein Auge stahl jeden Ausdruck aus ihrem Gesicht. Mit ihr wurde er +gleichgültig, sein Gesicht ward ausgelassen mit ihrem, verzückte sich wie +sie. + +Die Wände schienen blau herunter, mit in Seide gewebten Figuren durchzogen. +Vor den Fenstern lag der Westen und der große See. + +Sie wandte den Kopf zurück von den schönen geschwungenen Ufern, nahm seinen +Kopf in die Hände, küßte mit langem Kuß seinen guten Mund. + +Seinen Zahn spürend, gab sie sofort ihn aus dem Kuß. + +Er zitterte vor ihrem gleichmütigen Lächeln. Sein Fuß trat auf, doch sofort +wurde er sanft. Da warf sie sich in die Kissen, und nun fuhr die Flamme +wieder ungehemmt über ihn. + +Oft sah sie ihn nun, ohne daß er bei ihr war. Durch das Fenster auf den Hof +schauend, erblickte sie ihn, der Soldaten vorbeiziehen ließ. Das +Laubgewinde des Fensters schnitt seine Figur in viele zarte Teile, in einem +runden Loch schwebte der Kopf. Durch das Gitter einer Galerie sah sie ihn +mit Gesandten verbindlich reden, Europäer verbeugten sich ihm, er verbeugte +sich ihnen, das flüssige kalte Feuer seines Französisch schwirrte zu ihr +herauf. + +Sie verlor sein Gesicht nie aus den Augen über seine Haltung, die alles +ausdrückte. + +Sein Gesicht war gleichmütig, ihr war, sie hätte es nicht gekannt. Es war +ohne Stolz und als hätte es nie gewußt um Demut. Haß und Freude wies es nie +auf, nach innen gekehrt unter halb geschlossenen Lidern. + +So beinahe noch kam er des Morgens zu ihr. Erwacht oben, wo er schlief, der +Sonne am nächsten, empfing er die Masseure, nahm das Bad, währenddem er las +eine halbe Stunde, dann stieg er hinunter. + +Er frühstückte mit Riny, die ihn in heller Matinee, die Arme nackt aus +Tulpenärmeln fallend, empfing. Er griff nach Nüssen und Mandeln, schenkte +Riny Milch ein und reichte ihr die Früchte. Immer stand sie täglich vor dem +ihr unbekannten neuen Gesicht. Nur aus dem Eckschlitz des Auges kam +manchmal ein Blick der Unbeherrschtheit. Aber mit einigem Lächeln legte sie +sein Gesicht frei. Es schmolz hin unter ihrem Gesicht, das sich ihm +zuneigte. Kindlich ihren Augen vertieft lag er, wunschlos, verehrend vor +ihr in den Fellen. Sein Blick legte Andacht und gütige Stille auf sie. Ein +großer Schmetterling summte in das noch sommerkühle Morgenzimmer, vor dem +die Stille des weiten Sees sich breitete. Hin und wieder flüsterte er ein +leises Wort, das ihr gut tat, hinauf, während ihre Augen ineinanderhingen +in einer klaren Vereinigung. + +Widerwillig ging er von ihr den Morgen, noch aus der geöffneten Tür ihr +traurig winkend, zurückkehrend und sie noch einmal zärtlich küssend, sein +Mund dann verzog sich schmollend. »Chéri,« lächelte sie und zog ihn +zärtlich an sich zurück, »bleib hier«. + +Aber dann ging er trotz ihrem Lächeln, diktierte, ließ sich umkleiden, +empfing. Erst am Abend holte er sie, in die beruhigtere Landschaft mit den +Pferden hinauszureiten. + +Am Morgen eines festlichen Tages bat sie ihn, eine Audienz sehen zu dürfen, +aber er wich ihr aus, indem er sie vertröstete, es ging gegen sein Gefühl, +daß eine Frau so sehr eindringe in all seine männlichen Dinge. Er sagte ihr +keine Unwahrheit, aber er belog sie mit jeder Bewegung. Sie sah ihn an und +ging an seinem zugeschlossenen Gesicht hinaus aus dem Zimmer, nahm ein Buch +in dem anstoßenden und pfiff eine leicht wiegende Melodie. + +Er stand in der Rampe des Vorhangs, die Augen grün auf sie gerichtet. + +Sie sah nicht auf, empfand Angst, wie jedesmal, wenn das räuberische Tier +in seinem Blute aufstand. + +Aber sie kannte die Gewalt ihres Körpers. Sie gab nicht nach und spielte +mit ihrer Furcht. Er kam langsam herein und machte sich zu schaffen an +einer Falte des Teppichs. Zweimal ging er auf und ab am Zimmerrand. + +Dann hingekniet neben ihr: + +»To . . .« + +Sie streichelte ihn über den Kopf. Seine Knabenlippe schaute voll Unschuld +zu ihr hinauf. Sie vergab. »Du bist schön,« sagte sie, tief in seine Augen +schauend. Er strahlte. + +Am Mittag sah sie die Audienz, hinter einem großen Schirm aufgestellt. Die +Zeremonie ging rasch vorüber. Als der Saal leer war, ging sie neben ihm +durch den Saal. + +Sie sah ihn von der Seite an, dann stieg sie auf einen Thron und fuhr mit +der Hand über das Polster. Es lag auf einem springenden Jaguar aus Silber, +der nach oben brüllte, wo, abschließend, die Flügelbreitung eines Vogels +stand, aus dessen Schnabel ein Dolch herabfiel, schaukelnd im Gleichgewicht +mit Rubin und Karfunkel. + +Er hielt ihre Hand sie zu stützen, sie fühlte, daß er unmerklich zog. Rasch +sah sie in sein Gesicht. Es war verschlossen, ohne Ausdruck. Ihre Brauen +zogen sich zusammen. Da kam langsam ein heller Schimmer in sein Auge. + +Sie zogen dann im langsamen Trab durch die Gegend den Fluß entlang, dessen +Schilf sacht aufrauschte. Ein Reiher hob sich in den Himmel in langen +sicheren Zügen, die Luft war sehr klar, sie atmeten mit geweiteten Lungen +und sahen sich froh an, wenn sie sprachen. + +Gegen Abend bemalte der Horizont sich rot und die Luft bekam Dichte, die +Dämmerung fiel mit Schwüle, ihre Haut wurde feucht unter den Kleidern, den +Worten benahm die Luft die Sicherheit. Von fern im Bogen anreitend sah Riny +die Lichter einer Niederlassung, zwei Meilen von der Stadt, die sie nicht +kannte, deren Kerzen sich schön im Flusse spiegelten. + +Sie frug darauf deutend, er murmelte einen gleichgültigen Namen. Sie sah +die Lichter flimmern und erstaunte sich über das unbekannte Bild. Sie bat +ihn hindurchzureiten, er schien es nicht zu hören, so lenkte sie die Pferde +von selbst. + +Er sah sie an mit einem unbeschreiblichen Blick. Seine Augen waren so voll +Sehnsucht und leuchtend in der Schwüle, daß er nicht wagte, sie zu reizen, +die ihn mit kühler Miene ansah. Er suchte sie abzubringen vom Wege, er +hoffte, daß sie es vergäße, aber sie folgte seinem Pferd nicht, seines +vielmehr schloß sich an das ihre dicht an. + +Er konnte es nicht sagen. + +Er hatte wenige Geheimnisse vor ihr, aber dies widerstand ihm. Er brachte +seine Zunge nicht dazu. Doch gab er sich Haltung und folgte in +Unabänderliches, führte es durch, schob den Turban ab und band im Reiten +ein Tuch um die Stirne, dann stieg er ab und half ihr herunter und band die +Tiere an einen Pfahl. + +Zu Fuß gingen sie voran, alle Hütten waren erleuchtet, aus dem Stroh und +dem Bambus glitzerten die Kerzen still und andächtig. Schatten bewegten +sich in der Straße. + +Riny blieb lächelnd, den Finger an der Lippe, an einem Fenster stehen und +schlich sich an, spähte hinein und kam wortlos zurück. Er nahm ihren Arm. +Aus den Fenstern schlichen stille lockende Rufe in die Nacht. Sie sah +Frauen herausgelehnt in verschwommenen Umrissen, ihr Herz klopfte mit einem +Male, als sie verstand, wo sie waren. Im Leuchten einer Laterne stand ein +Weib mit bloßen Brüsten auf dem Dach eines Hauses und zog an einer Glocke, +die zart und flüsternd hinausfloß in die Dunkelheit, die immer weicher sich +um sie legte, beladen mit dem Geruch der Körper und der Duftigkeit der +Blumen aus den Gärten. + +Wortlos ging sie weiter, der Arm Thengos stützte sie, und sie empfand mit +Freude seine Haltung. Sie sah zu ihm auf. Sein Mund schwebte geschlossen in +der Luft. Er führte sie bis an ein Haus, das im Schatten eines Gartens lag, +ihre Hand immer streichend, die wärmer und feuchter wurde unter ihm. Sie +drückte seinen Arm. + +Er hob den Klopfer und schlug ihn gegen die Tür. + +Zweimal gongte er durch die Dunkelheit, bis die Flügeltore aufgingen, zwei +weiß gekleidete Frauen sie anstarrten. Er winkte ab. Fett kam ein Chinese, +schickte sie weg und schaute schielend von unten nach Thengos ziselierter +Kette. Sein Bauch knickte ein und schwabbte über die Knie, sein Gesicht +glänzte fett vor Ergebenheit, obwohl er nur den Rang, nicht den Fürsten +erkannte. + +Thengo gab ihm einen Wink mit dem Finger. + +Eilfertig schob er die Gardinen weg und sie traten ein, Riny nahm Thengos +Arm. Ein Zimmer sah sie, mit einer Veranda in den Garten hinausgeschoben. +Die Tür fiel zu. Eine zarte leise Stimme sang zu einer Harfe ein Lied und +von der anderen Seite schwoll gedämpft ein erregtes Flüstern herein. + +»Endlich« . . . . . Thengo umarmte sie, mit beiden Händen ihr Gesicht +streichend, unfähig noch zu schweigen. + +Den Ausschnitt des Fensters säumten Blumen nach dem Garten, ihr Kopf lag +auf dem Binsendiwan und seufzte. Ihre Augen waren beide starr. Rot sank zu +rotgeschweiftem Hügel. Sein Mund tastete über ihren Leib, ihre Blicke lagen +bei den Pflanzen, die golden in dem Nachtausschnitt standen, sie schmolz +hin. Sie rief einmal seinen Namen. Er jubelte ihren dagegen. Dann lobte er +ihren Körper, sein Mund hatte viele Vergleiche, die wild waren oder +dufteten wie Blüten. Er war so angefüllt von verhaltener Sehnsucht, daß er +sie nicht mehr sah, wie sie war. Blind hingegeben seiner Trunkenheit machte +er sie zur Andacht. Was ihn erfüllte, aufgetrieben noch durch den Reiz des +abenteuerlichen Hauses, strömte zu ihr, er heiligte ihre Knie, er weinte +über ihr Auge, seiner unbewußt koste er sie. + +Nie besaß er sie so sehr. + +Sie lag blaß auf dem Lager und gab ihm jedes ihrer Glieder mit einem +hinströmenden Gefühl. Sie gab jeder Stelle ihres Körpers die Kraft, daß sie +jeden Kuß aufnahm und erwiderte und stärkte. + +Erschüttert von ihrem Geben lag er neben ihr und schon wieder verschmolzen +seine Augen mit ihren in einem unzerreißbaren Zusammenhang. + +Er kämpfte, sie in den Armen haltend, um den letzten Rest ihres Leibes mit +allem seinem Gefühl, daß, über ihn gebeugt, sie sagte, was sie noch nie aus +Furcht zum Wort gegeben: + +»Tiger.« + +Sein Auge färbte sich einen Augenblick zarter. + +»Du wirst dich töten,« sagte sie. + +»Es ist besser als anders zu leben.« + +Spät, als der Mond aufging und seine Lippe sich in seinem Licht beruhigte, +streichelte sie ihn. + +Aber dies beruhigte ihn nicht. Sein Gehirn empfand sie anders wie jede +Frau, die er bisher gekannt, die in seinen Harems, ihn erwartend, ihm +hingegeben lagen, ohne Widerstand. Er sah sie, erschöpft, in all ihrer +Freiheit, in allem, womit sie, ihm widerstehend aus ihrem Innersten, ihn +fesselte und erhob. Nie sah er sie anders, als ihr Gesicht auch allen +anderen weisend. Ihn zerschlug der Gedanke, daß sie wie in seinen, in +anderen Armen gelegen. Was er bei anderen Frauen natürlich nahm, ohne einen +Gedanken, verwuchs sich ihm zu Bildern, die sein Erleben in Tiefen trugen, +die ihn in allen Gliedern durchliefen. Sie lag, die Augen frei und sicher +auf ihn geheftet. + +Sie fand ihn schön. + +Allein er empfand die unsägliche Trennung von Geschlecht zu Geschlecht an +ihr zum ersten Male und stand an dem Dunkel, das nicht sein Arm durchbrach, +das sein Herz nicht bebend überbrückte. + +Er küßte ihre Stirn und ihren Mund: »Nie sah ich Frauen wie dich . . . . +To.« + +Sie streichelte ihn wieder. Aber er ließ ihren Mund nicht. + +Noch in der Nacht bog sich sein Auge zur Seite, seine Schläfe wurde braun, +der Mund öffnete sich kurz. + +Dann war er leblos. + +Rinys Liebe brach in Weinen aus. Sie badete sein Gesicht mit dem ihren. +»Thengo,« rief sie, »wir gehen in den Garten, die Luft ist schlecht in dem +Zimmer. Draußen stehen die Blumen und machen kühl.« + +Sie legt das Ohr an seine Brust und rieb die Schläfen. + +Ihr Blick sah verwirrt auf seinem Schenkel einen Tiger tätowiert, den sie +noch nie sah. Ihr feuchtes Gesicht lag an seiner Brust und schmeichelte. +Ihre Wange, gedrückt, hob sich von einem Amulett aus metallischer Substanz +in geblümtem Seidenzeug mit magischen Sentenzen. Sie legte es auf sein +Herz, ihr Lächeln glaubte, daß es half. Ihr Mund kam wieder an sein Ohr, +ihre Finger fuhren langsam zärtlich über seine Schläfe. + +Nach Sekunden glomm Farbe wieder in seinen Mund, sie atmete tief auf, ein +Schluchzen war ihr nahe. + +Sein erwachender Blick traf Riny nicht mehr. + +Sie stand auf der Veranda, als käme sie aus dem Garten, sie rief zu ihm +durch die Blumen: + +»Thengo . . . . . . Schläfer.« + +Ihr Arm wischte die Tränen aus den Augen, die in einem Regenbogen über den +Kies fielen. Von der Nachtluft erfrischt, Blumengeruch noch im Haar, ganz +hingegeben seiner Müdigkeit, schmiegte sie sich an ihn, er glaubte ihren +Augen, die gut über ihm standen, er wache aus dem Schlaf. + +Sie gingen hinaus später in den Garten und legten sich in Stühle, die auf +dem Rasen standen, aus dem Hyazinthen herauswuchsen und sich mit dem +Nachtduft vermischten. Es war ganz still geworden in dem Haus, auch die +Harfe schwieg. + +Sie hielt seine Hand auf ihrem Schenkel, und wie er sie hielt so in der +Stille ihres abgeebbten Blutes, überkam sie eine Zärtlichkeit zu ihm, die +ihn ihr ganz verband. Kein Wort fiel in dieser Stunde. + +Aber die Stunde lag noch in ihnen, als sie vor Morgen zu ihren Pferden +gingen und hinausritten in die Dämmerung. Ihnen war alles vertraut, sie +streichelten ihre Hengste, ließen sie laufen mit kurzem Steigbügel und +losen Zügeln, sahen die purpurn mit goldnen Lasuren bemalten Satteltaschen +an mit vertrauten Blicken und empfanden es innig, wenn in den Reifen ihre +nackten Füße sich berührten. + +Am Abend erfuhr sie, daß er den Mittag sie verlassen hatte für eine +tagelange Reise. Er war vom Gefühl der Nacht noch so sehr voll Güte, daß er +ihr den Abschied ersparte, indem er sich versagte, sie noch einmal zu +sehen. + +Sie lag aber gerührt von solcher Liebe die Tage, die vorüberschwebten mit +langsamen glücklichen Träumen, auf ihren Veranden und sah in die Luft. Sie +sah sein Bild in jeder Straße, er schritt überall schön und still und das +Funkeln seines Auges erlosch, sowie sie lächelnd seinen Namen sagte. + +Sie wandte sich in den Garten, schnitt und goß an den Blumen und spielte +stundenlang mit den Tauben, die samtzart in ihrer Hand lagen, sich mit +warmen stillen Leibern an ihre Wange schmiegten. + +Die letzte Nacht vor seiner Ankunft war die Luft so heiß in den Zimmern, +daß sie im Freien schlief. Dünn bekleidet lag sie auf dem Balkon. Immer +noch hüllte der Mond die Landschaft in eine Glocke von Silber. + +Während sie lag in diesen Stunden, band sich das Land in dem Licht zu einer +bernsteinenen Masse, die sich dem Himmel näherte mit jedem Atemzug. In dem +harzigen Licht aber, in dem die Gegend immer tiefer sich senkte, umwölkten +sich ihre Augen und in den Träumen, die sie überzogen, während sie wachte, +erhoben sich Gesichte und verschwanden wie hingeweht. Das Letzte kam, aus +ihrem Herzen herausgeholt: + +Ihr Vater sah sie an, sie winkte herzlich mit beiden Händen. »Was willst +du?« frug sie. Doch er schwieg. Sie erschrak ein wenig, doch seine Farbe +war braun und gesund und stolz. Sie zog ihr Gesicht zusammen zu Milde, die +sie überströmte: »Du bist sehr fern,« sagte sie, »aber ich kann nicht mich +an dich wenden eben. Habe ich recht Pa . . . . .?« Er gab ihr keine +Antwort. »Pa . . . . . ich weiß nichts von Euch. Euer Haus ist mir ferner +wie etwas. Ich kann nicht zurückdenken an Euch. Aber ich weiß, daß ich Euch +liebe.« Da schien es ihr, sein Auge frage sie: . . . . warum . . . . Sie +erhob sich ein wenig und nun traten ihr Tränen wieder in das Gesicht: »Ich +liebe Thengo,« sagte sie und ihr Lächeln ward so gütig, daß auf seinem +Gesicht ein Lächeln spielte, bis eine weiche Wolke ihn wegnahm aus dem +harzenen Licht. + +Dann kamen andere Träume: + +Sie sah zwischen zwei rosa Wolken Saint-Loux, den Stundenzeiger ihres +Lebens, aber er kam nicht fordernd, kam mit einem Degen, den er hielt in +verschränkten Armen wie eine Bibel. Es schien ihr, er frage traurig in ihr +Gesicht. Aber sie sagte kein Wort, nur ihr Gesicht nahm das an, was ihr +Gefühl bewegte, und in seinem gütigen Glanze löste sich die Erscheinung +sofort zu zartem Dampf. Langsam erst streiften sich die Bilder wieder von +ihr und erst in den Stunden der fallenden Nacht wachte ihr Kopf aus dem +Halbschlaf heraus. + +Da öffneten sich die Lider ganz klar und hell. + +Die gelbe Glocke des Mondes zerflatterte, sie sah Fackeln draußen durch +graue schon rötlich angelaufene Dämpfe qualmen. + +Sie trat rasch hinein. + +Sie schlug eine breite Seide um den Bauch und färbte die Augenlider mit +einem schmalen Strich einer seidigen Salbe. Sie goß Sandelholzpuder in den +Ausschnitt ihrer Brust und, ihn zerreibend, die Handflächen rosig davon, +trat sie hinaus. + +Die Sonne kam gerade mit frühem schönem Licht. Der See lag in ruhigen +quecksilbernen Schatten. + +Da aber lag unter den Rudern eine Flotte, vergoldet bis in die Knäufe der +Masten. Hunderte Boote schäumten den See auf zu einem leichten Glanz, und +die Ruderer sangen, während sie die Schaufeln hoben, ein klares wiegendes +Lied. + +Sie hörte wie im Traum noch Elefanten von dem See herauf den Boden +stampfen, ihre Gläser in den Räumen tanzten. An den Rahmen des Balkons +gelehnt, schwach in den Knien, hörte sie ganz von ferne: + +»To.« + +Sie machte eine kleine Bewegung, aber schon stand er vor ihr. Auch sein +Gesicht war von Liebe so gut, daß es still vor ihr hing. Sie sprachen +nicht. Die Sehnsucht glänzte nur von ihrem Mund, während sie still sich zu +der Landschaft wandten, die sich morgendlich auftat. Sie saßen lange noch +zusammen, überwältigt voneinander zu solcher Stille des Erlebens, und +schauten hinaus, ohne sich zu sehen, bis ihre Augen lächelnd einander +trafen und ihre Körper sich berührten. + +Sie waren sanft in ihren Liebkosungen, ihre Körper vertauschten sich +miteinander, ein jedes wollte das andere beglücken und für es leiden. + +»Hattest du große Sehnsucht?« + +»Ich habe hier alle Tage gesessen und gewartet.« -- -- + +»Und du . . . . hast du dich gesehnt?« + +»Ich habe einen Feind nicht töten lassen, weil ich dich so sehr liebte, To +. . . . .« + +Als sie allein dann blieb, brach der Abend mählich an und eine angstvolle +Ruhe überkam ihr Herz. Aber wie ein Trost kam die Landschaft über sie, die +mit Hügeln sich nach dem Norden hin wellte. + +Jede Erhebung trug eine Pagode, die sich rund erhob und dastand. + +Immer unirdischer stieg das Licht, das Geringste verklärend. Überall +schritten groß und still die Büffel über die aufgelegten Felder, die in +schwarzer Seide glänzten, gegriffen von hellen Pflügen. Indigofelder wogten +schwach aus der Ferne heran, als kämen sie zu ihr wie eine schöne Herde. +Der Fluß bog sich schlicht, in eine Falte der Gegend eingeknittert, vorbei. +In einem nahen Garten mit rotschäumenden Hecken saßen auf Palmen grüne +Papageien und regten sich nicht. Über allem lag das Glänzen wie ein Atem. + +Sie bog die Brust nach vorne und lauschte mit dem Ohr an ihrem Leib. + +Der Segen der Gegend reifte auf sie herein mit einer Güte, daß sie still +das Wunder in sich glaubte. Sie war von Liebe so sanft und klar, daß dies +Gefühl, das ihr wie ein Traum in das Bewußtsein schwebte, sie ruhig machte +und sicher vor Glauben. Noch nie war ihr der Gedanke, daß sie Kinder trüge, +nah gewesen ihrem Herzen. Sie empfing es, das ihr früher Schmerz und +unlieber Einfall nur gewesen und ängstend ihr weibliches Gefühl und ihre +Freiheit, nun mit der Aufnahme der selbstverständlichen Güte, mit der die +Welt um sie voll stand. Ihr Körper verfeinerte sich unter dem Glauben ihrer +Segnung. + +Denn aus der unerklärlichen Stille der auf dem See schon dunkelnden +Fischerboote hörte sie das kleinste Geräusch. Sie unterschied jeden +einzelnen Fischzug. Ja, sie war bei jedem einzelnen Tier, das die Angel dem +See entriß. Bald konnte sie unterscheiden, welche Welle, von welchem Ufer +kommend, den Strand unter ihr traf, und die Schatten einer fernen +Abendwolke fielen wie ein Stoff auf ihr Gemüt. + +Um sie wuchs die Welt aber unerklärlich in Schönheit. + +Sie wurde größer, an der Stadt der gelben Boote wurde der Strom wie +durchsichtige Haut. Viele Städte wuchsen aus der Ebene und glänzten. + +Durch die Steinölquellen erhielt die Dämmerung vom See her einen Schein von +Regenbogen, die sie ohne Pause überzitterten. Unter ihnen überall lagen die +Klöster ganz in mattem Golde badend und in stillen Kreisen umschritten die +Priester sie sacht. + +Sie faltete die Hände: ihr Mund dankte hingegeben an die Klarheit, ihre +Seele aber sog wie einen Atem die Güte ein, die ihre Liebe über dem Land +empfand. + +Wie eine Verkündigung nahm sie den Tag mit in die folgenden. + +In Stille lebend war sie voll Erwartung. Nachts lauschte sie oft auf ihren +Leib. Auch, als das Blut ihren Körper verließ, ließ sie nicht nach im +Glauben, denn die Verheißung nahm sie nicht auf einen einzigen Tag. + +Sie lebte wartend, sanft und schmelzend in der Erwartung. Ihr Gesicht +glättete sich zu mondhafter Weiche. Ihre Glieder formten sich zu +harmonischer Milde der Bewegung. Die Augenbrauen lagen fremd in ihrer +wilden Biegung auf solch den Dingen ergeben hingewandtem Gesicht. + +Sie neigte sich in allen Dingen vor Thengo. Sie sah keine Fehler an ihm +jetzt mehr, lächelnd verzieh sie und war nie voll Widerstand. + +Aber unter dem aufnehmenden Erfüllen ihrer Liebe einte sich nicht mehr das +Bündel widerstrebender Gefühle, das sein Wesen ausmachte und das sie sonst +im Gleichgewicht hielt. + +Einmal, endlich, gereizt, hob sie drohend das Gesicht gegen ihn. + +Er lächelte. Aber ihr Glaube, den sie unverbrüchlich gehalten, löste sich +langsam und schmerzlich seit diesem Augenblick. Wie ihre Hoffnung langsam +nachließ, wichen die sanften mütterlichen Gefühle einer schmerzlichen Ruhe. + +Sie entsagte. Aber sie war jeden Augenblick auf das Wunder bereit. Sie sah +Monat um Monat ihr Erwarten eitel, aber die Sicherheit des Glaubens verließ +sie auch in dem sichtbaren Versagen nicht. + +Thengos Leben hielt sie in ihrer Hand, ihn reizend und gütig beruhigend. +Sein wildes zersprühendes Leben bedurfte ihres Gleichgewichts. Aber ein +Teil ihrer Seele war leer geworden im Warten und mit Hingeben an das Äußere +trat sie, es zu füllen, aus ihrer Stille heraus zu Reiten und Fahrten. Sie +spielte mit Hunden und befragte ihn um die Führung seiner Geschäfte. + +Am Tage des zweiten Geburtstages Thengos fuhren sie in die Dämmerung auf +den See mit wenigen Ruderern. Das Wasser war gefallen, Tausende Inseln +streckten sich mit langen Armen aus der Flut, die, mit Steinöl überzogen, +gleich schillernden großen Tieren sich über sie bäumten. + +Der Mond hob sich langsam und groß. + +Sie lagen still in der einhüllenden Kühle und rauchten wortlos in die +Dämmerung. + +Plötzlich ganz langsam begann Rinys Gesicht sich in Tränen zu lösen. Kleine +Tropfen hingen wie eine Schnur an ihren langen Adern, das Gesicht badete in +einer Feuchtigkeit, die es erfüllte wie ein Mondschein. + +Er sah sie nicht an, klopfenden Herzens. Seine Hand schlich nur herauf und +preßte ihr Knie: ich bin da. + +»Thengo . . . .« + +Er hörte. Die blaue Dunkelheit um sie machte sie freier, die ihren Atem +aufnahm ganz weit und ihre Worte schlürfte. Moskitos senkten sich auf sie +nieder. Sie sogen heftig an den Zigaretten und scheuchten sie mit Rauch. +Aber es war, als lägen sie in einer Säule, so dicht umwanden sie die Tiere. +Die Ruderer hatten die Netze vergessen, Thengo sagte kein Wort zu ihnen, er +schien ihr aufgelöst und gut. + +Aber die süße Schwüle der Luft, die sein Druck zärtlich verstärkte, ließ +ihr Gefühl ganz hinrinnen. Zum erstenmal sprach sie Thengo von ihrer +Sehnsucht. Sie sah ihn erbleichen. Nun begriff sie, daß sie ihn tief damit +kränke, denn seine männliche Eitelkeit trug daran im Glauben, sie mäße ihm +vielleicht die Schuld. + +»Ich bin elend,« sagte sie leise. »Ich kann nicht gebären.« + +Sein Gesicht arbeitete. + +»Nein, To,« sagte er: »Ich trage die Schuld.« + +Sie erschrak. Dann lächelte sie: + +»Thengo . . . . du Tor . . . . mein Narr.« + +Er schüttelte den Kopf. + +»Tiger,« sagte sie. Sein Blick strömte über durch die Luft auf sie mit +einem wilden Jauchzen, das sich aus Liebe dämpfte zu einem berückenden +schwärmerischen Band. + +Sie blies den Rauch heftiger aus. Der Mond war noch groß und lag genau auf +dem Spiegel des Wassers. + +In den Schwärmen der Moskitos tauchten große grüne Fliegen auf, deren +saugende Stiche kleine Hügel an ihren Armen aufschwellen ließen, daß sie +den Arm zum Munde führte, um es zu lindern. Thengo rief, daß man rasch +rudere. + +Sie steckten Zweige an, indem sie zurückfuhren. + +Er aber kam herüber und legte sich auf sie, daß er sie deckte mit seinem +ganzen Körper, mit seinem die Stiche empfangend, sein Nacken war ganz +gerötet. + +Er küßte sie nicht. Sie lagen in einer stillen Vereinigung, wie geboren in +dieser Lage, sie tauschten die Sehnsucht und den Schmerz ihrer Leben aus in +einem Gefühl der großen Harmonie, die sie trug. + +»To . . . . es ist meine Schuld,« flüsterte er. + +Sie lächelte ihm in das Gesicht hinauf: »Thengo . . . . . du Tor.« + +Sie landeten und gingen hinauf auf die Balkone. Ein Feuerwerk entzündete +sich feierlich und getragen über dem See. In langen goldenen Schnüren +hingen die Strähnen zersprühter Kugeln hinab in das Wasser, über dem der +Mond noch rot sich brach. + +Sie speisten auf Rinys Balkon. + +Die Gardinen der Front bewegten sich alle in dem lauen Wind, der den Abend +köstlich trug. Es lag eine Ruhe des Gleichgewichtes in der Luft, daß es +weiter nichts bedurfte wie da zu sein und sich zu sehen, den Atem zu +spüren, nichts zu reden -- -- um glücklich zu sein. + +Während sie speisten, hob Thengo mit einem raschen Schwung eine Kette +schönster orientalischer Perlen um ihren gerade geneigten Hals. Müde und +erregt küßte sie ihn zärtlich über den Tisch. + +Dann stand sie auf, ihm Blumen im Garten zu schneiden. Er hob, als sie +aufstand, sein Gesicht fragend, gestört, daß sie die wortlose Ruhe breche. +Aber sie empfand so tiefe Zärtlichkeit, daß sie den Gegenstand suchte, sie +ihm darin darzugeben. + +Sie hob geheimnisvoll die Hand. + +Ihr Finger fuhr zum Mund, die Lippen zogen sich zusammen rätselvoll und +lächelnd. Sie sah sein Gesicht heiß werden, er nahm ihr die Hand herab und +drückte seinen Mund auf den Ballen. + +Sie lachte winkend schon und entlief. + +Sie wollte allein sein. Wie vieles und welche Höhe sie mit ihm durchlebt, +kam ihr, als sie in den Garten trat und beruhigter stand. Die weiche Luft +umhüllte sie, sie gab sich dankbar hin. Sie schnitt einen Strauß barbarisch +wilder Blumen. Ihr ganzer Arm lag voll davon und währenddem ging ihr Blut +in einer Klarheit, die allen Dingen sich verband, mit jeder Zelle faßte sie +jedes Ding der Welt. + +Sie spürte die Güte, die von Thengos Wildheit ausging und in wunderbarer +Wage die Leidenschaft seines Atems mit ihrer Seele verband. + +Das gab ihr Glück. + +Aber in tiefster Liebe stehend, empfand sie die innere Sicherheit weit über +den Zustand des Glückes hinaus. Die tiefe innere Ruhe war aus der Kraft der +Entsagung in sie eingedrungen. Der Schmerz in der Liebe und die Trauer +hatten sich eingesogen in ihr Blut. Sie trug einen Besitz, der sie abschloß +und vereinte. Sie war gewappnet gegen jedes Schicksal. + +Und damit brach sie zum ersten Male den Ring von Saint-Loux und die +mystische Kraft, mit der er ihr Leben umlagerte, mit dem sie zum ersten +Male schlief, und die seither ihren Weg bestimmte, dessen Lauf sie +zurückriß in das Abenteuer seiner Umarmung jedesmal. Sie lächelte. Sein +Bild schwand und verblaßte. + +Aber in diesen Gefühlen der inneren Ruhe strömte Thengos Liebe auf sie zu. +Sie war ihr ein Sinnbild. Ihr Herz war weit und klar wie nie. Ihr mildes +Herz dachte nur an ihn, da es beruhigt war in sich selbst. Sie ging, fast +eine Erscheinung, körperlos und doch glühend, hingegeben und verzichtend, +großen Schwingungen der Erde im Pulsschlag hemmungslos vereinigt, durch die +Dämmerung der Beete, hob die Arme nach den Büschen, seinen Namen sagend, +bei jeder Blume, die sie für ihn schnitt. + + + + +Särö + + +Es ist der dreiundzwanzigste April, St. Georgstag. Gunnaris sagt, heut +stellten in Nyland und in Karelen bis gegen die Grenze nach Petersburg hin +die Frommen Milch unter die heiligen Bäume und speisten Kuhzungen mit +geschenktem Mehl in den Ställen. + +Es schlägt Acht von der Höhe Lidingös. + +Gegenüber der ersten Stockholmer Schäre gehen wir an Bord. Sirola und +Vehkamäki rudern von der anderen Fjordseite herüber. + +Wir gingen hundemüde gleich in die Kabinen, es ward sehr dunkel. + +Ich kann nicht schlafen, horche auf das Flauschen der großen Segel und bin +voll Unruhe, aber ich begreife nicht, was mich durchzieht. Nach rückwärts +ist alles klar, nach dem Zukünftigen der Weg gerichtet. Ich habe vier +Wochen Zeit, bis ich mit abgelaufenem Paß nach dem Balkan muß. Was kann es +mir nützen, daß ich es überlege? + +Ich habe auf der Brust einen Brief meines Bruders, der mir eine +Dankesschuld für ihn abzutragen aufträgt und der durch viele +Zensurstationen mich nach zwei Jahren in Schweden erreicht hat; ich habe +eine Mission in meinem Beruf außerdem noch und liebe sodann noch Siv. Ich +habe vier Wochen Zeit, bin in Eile und mache doch unbedenklich trotzdem +diese riskante Exkursion. Ich weiß also genau, was ich will, wie ich immer +es wußte. + +In der Pupille, dem Spiegel gegenüber, ist kein Nachlassen der Energie, nur +hin und wieder scheint heut zum erstenmal hinter dem hellen und +herausfordernden Ton der Netzhaut ein noch tiefer im Silber des Glases +liegendes Gesicht heraufzutauchen. + +Doch sehe ich hart danach, bleicht es erschrocken zurück. + +Es gibt nichts, was mich verwirren könnte im Umkreis, Gefahr erschreckt +mich nicht. Ich höre auf zu denken und spüre, wie es irgendwo in mir bebt. +Ich laufe auf und ab. Es ist heiß, ich gehe im Schlafanzug hinauf, höre die +Matrosen, die an ihre Weiber denken, summen. Der Seewind macht müde, ich +schlief am Geländer, bis die Möven kamen. Sirola stand schon vorne und +fütterte sie und lachte, wenn sie, sausend herabgeschossen, vor ihm mit +nach oben gestreckten Beinen erschreckt und gierig am selben Fleck +flatterten. + +Abends sahen wir Leuchtfeuer über der Ostsee und kreuzten, hörten ein +Motorboot einmal, glitten durch ein Gitter von Scheinwerfern, die uns nicht +ganz erreichten und kamen südlich von Abo auf das finnländische Ufer. + +Das Schiff fuhr nach Helsingfors weiter. + +An der St. Heinrichsquelle trafen wir Svinhufvund. Er nahm die drei anderen +Finnen gleich beiseite, Gunnaris winkte mir entschuldigend mit den Augen, +ich blieb eine Weile allein. Mittags erst erfuhr ich, daß deutsche +Battaillone in Hangö und Lovisa gelandet seien, Helsingfors genommen und +die Arbeitertruppen in Haufen erschossen hätten. + +Sirola zog einen Kreis mit dem Finger. + +Die Roten waren zwischen der Linie des General Mannerheim mit der weißen +Garde zwischen dem bottnischen Meerbusen über Tammerfors bis zum Ladogasee +und den Deutschen im Süden eingeklemmt und gegen Rußland zu im Sack. + +Svinhufvund erklärte, die Luft sei rein und unschwedisch, wir bummelten in +Abo, saßen im Café. Plötzlich wandte sich Gunnaris um, zog uns mit ins +Innere und durch den Garten heraus. Durch die Mauer an der Ecke sahen wir +schwedische bürgerliche Freischärler mit den Schafpelzuniformen in das +Lokal stürzen. Wir verbargen uns. + +Abends ritten wir, da die Finnen auf jeden Fall in Verbindung mit Tokoi und +Haapalainen kommen wollten und ich diesen ein Papier mitgeben wollte, +strammen Schritt südlich gegen die russische Grenze zu. Die Finnen hatten +viel Ernst in ihren unbekümmerten Gesichtern. Die Gäule waren bös, aber wir +kamen bis zu dem Gut Mommila, wo wir am Vorwerk abschnallten, im Heuhaufen +etwas ruhten und in der Dunkelheit noch weiterritten. + +Gegen Morgen sahen wir die Pörtten eines Dorfes. Sirola rührte an den +Donnerkeil über dem Eingang und stieß mit dem Absatz die Tür auf. Dreckige +Leute lagen über den Boden hin. Die Wände schwarz vor Rauch. Ein +schwitzender Finne rieb sich die Augen, und als er sah, daß wir den Keil +berührten, stand er, einladend, auf. Sie plauschten mit ihm, hielten die +Finger auf den Mund und nickten ihm zu. Er bejahte und bürgte mit einer +Bewegung für die anderen. Wir hielten uns, da die schwedischen Freischärler +Gunnaris erkannt hatten, versteckt, denn wir waren ohne Zweifel +signalisiert. Unser Aufenthaltsraum in der Hütte war abgesperrt, es stank +entsetzlich. + +Mittags kamen mit Gebrüll Wagen und Reiter, schrieen: »langen Hanf, langen +Flachs«. Wir sahen durch einen Schlitz der Hütte. + +Sie packten aus, hatten Schellen und tanzten und machten Ringelspiele aus +Freude, daß die Roten zurückgeschlagen und in den Mausfallen abgeschossen +wurden. Sie trugen, da es fast Mai, Pluderhosen, keine Röcke mehr und +Strümpfe über den Schuhen. + +Mit der Dämmerung rückten wir ab, trotteten in der Dunkelheit wieder hinter +Svinhufvund, um Mitternacht nahm uns ein Wagen auf, der aus einem Waldpark +herausgepfiffen wurde. Wir kamen bis zu einem großen Gehöft. Der Besitzer +streichelte den Menschenknochen an unserem Bock. Wir kamen in die +Badestube, die aus Ziegelsteinen erhitzt wurde, man sperrte uns wieder ab, +ich konnte nur kurz in der Hitze bleiben, im Nebenraum waren die Weiber +nackt, die zwei Männer in Hemden. + +Wir fuhren im Auto weiter. + +Am Kymmenefluß, nun auf den Spuren der beiden Armeen, sahen wir Hinrichtung +und Brand überall. Hinter Wiborg hatten wir den Bogen um die beiden +irregulären Fronten durchfahren, kamen zweimal in versprengte Rotten der +Roten. Die Finnen orientierten sich, sprachen mit den Führern, wir fuhren +auch bei Tag. Das Kreideland dehnte sich in Fichtenschonungen. In der Nähe +einer der letzten Biegungen hielten wir und gingen, geführt von dem Lehrer +Hannes Uksila, über eine Sumpfwiese, auf der einige Weiber heuten. + +Andere hingen Vogelsprenkel auf. Aus dem Gebüsch trat ein Lachshändler, der +auch Felle führte. Uksila rief ihn an, er schielte und knurrte. + +»Beim Wort den Mann, am Horn den Ochsen«, schrie Gunnaris, der als +Nordländer die feigen und erbärmlichen Tavastaländer des Südens verachtete +und schlug ihm den Hut vom Kopf. + +Die Perücke fiel mit, es stand ein Nordländer mit gelblichen Haaren vor +uns, und die Heuerinnen und Vogelfänger hatten Gewehre auf uns gerichtet. + +Vehkamäki und Sirola hatten seine Hände gefaßt und schüttelten sie mit +einem Singsang des Vergnügens hin und her. Es war Oskari Tokoi, der, früher +Arbeiter in Amerika, den Frontabschnitt der roten Truppen befehligt hatte. +Sie traten beiseite, Gunnaris gab ihm alle Papiere, die er bei sich trug, +auch die meinen. + +Nachts ging Tokoi auf russische Erde über die Grenze. Wir aßen Speck, +Erbsen und Aal in Essig, fuhren bis Lill Ablorfors, wurden an einer +Wegscheide umringt und verhaftet. + +Die Finnen Sirola, Gunnaris, Vehkamäki hatten keine Papiere, ich setzte +durch meine sehr guten deutschen durch, daß der Bürgeroffizier uns in das +Hauptquartier des General Mannerheim fuhr. Er schlief, als wir ankamen. +Posten mit Gewehren waren in unserem Zimmer. Die Finnen schwiegen, es war +mathematisch ausgemacht, was sie protokollieren lassen würden, falsche +Namen, falsche Route, den Zweck. + +In der Nacht wurde ich siebenundzwanzig Jahre, und jene Unruhe, die ich auf +dem Schiff zuerst gespürt, stieg unbegreiflich. Ich war gewohnt, mir über +jeden Zustand Klarheit zu verschaffen, ich versuchte auf und ab zu gehn, +überlegte, schied aus, überging die Situation haarscharf. Aber meine Lage +wiederum störte mich gar nicht und es war nichts aus dem Augenblick heraus +Gewordenes, was mich an die Ränder eines unbekannten Bezirkes anstieß. Es +kam wie von einer fernen, uneinziehbaren, schicksalhaften Beziehung, die +stärker wurde und reifte, ohne daß ich auch nur einen Hauch zu fassen +vermochte. + +Was machte mir der Augenblick . . . Dieser General, der in Oesterbötten die +Gegenrevolution gesammelt, die Bourgeoisie eingekleidet, der nach Wasa +geflohenen Senatorenregierung den krummen Rücken gestählt und das +Proletariat mit Hilfe deutscher Truppen aufgerieben hatte, war er nicht +machtlos, ein Sklave des Kaiserreichs, mußte sich beugen vor meinem +Passepartout der Stockholmer Gesandtschaft . . . Dies alles reizte mich +nur, ich war gespannt, ihn zu sehen, das Lauern seiner Augenbrauen, das +wölfische Nagen der Zähne, die übermenschlich lange, dürre, vorgebeugte +Figur. + +Ich ging darüber weg. Ich dachte an Siv und spürte ein glückliches Ziehen +meines Blutes. Auch das konnte es nicht sein. + +Aber es stieg in der Nacht in mir mit einer verzweifelten dunklen Flut und +wogte in mir, als ob hinter dem Bewußtsein sich Kämpfe abspielten und +Entscheidungen, die mein Leben angingen. Ich lauschte und horchte +stundenlang, ganz still, aber ich faßte es nicht. + +Gegen Morgen wurde ich ruhiger. Ein Offizier rief meinen Namen, ich folgte, +schlenkernd, aber doch gespannt. Ich wartete zwei Stunden. Eine hohe +Gestalt trat ein, ich spürte, eh ich mich umdrehte am Schatten, der über +mich fiel, schon, daß es Mannerheim nicht war. + +»Warum haben Sie kein Visum?« Ich hob die Handflächen ein wenig, ließ sie +auf den Schenkel langsam zurückfallen. Es war nicht nötig, die Frage +idiotisch, ich sah mich im Kreis um. »Die Namen der Finnen.« Ich gab die +ausgemachten Schlagworte. + +Er zögerte. + +Dann wies er rasch auf die Zeitung Työmies: »Waren Sie nicht mit Eero +Haapalainen und Kullervo Manner als Studenten befreundet?« + +Ich zuckte die Achseln. + +»Zweck?«, rief er barsch, verzweifelt. + +Ich war kühl und ruhig wie selten und freute mich eine Sekunde an der +Klarheit und Harmonie, die mich zum erstenmal wieder erfüllte. + +Ich ging bis an den Tisch und wies langsam mit dem Finger auf die Stelle, +wo auf dem Passepartout in Berlin von einer gewissen Stelle gefertigt eine +Passage stand. Drei Sekunden blieb es still. + +Dann hoben sich seine Lider, er warf mir den Raubtierblick entgegen voll +Haß, durchschaute wohl unser Spiel, war machtlos, murmelte: »Der Herr +General ersucht.« Ich trat durch eine Tür. Aber er empfing mich nicht, fuhr +draußen im Auto ab. + +Uns brachte man mit zwei Studentensoldaten im Auto nach Helsingfors. + +Wir durften unser Schiff nicht nehmen, wurden eingeschifft, kamen bei +schlechter See an den sieben Inseln Sweaborgs vorbei nach den Aalandschen +Schären, hatten zwei Tage Gegenwind, kreuzten mit dem Lotsen von Ekerö zwei +Tage an den Markzeigen entlang und waren am neunten Tag der Ausfahrt vor +dem großen Stockholmer Hafen. Die Finnen ließen sich an den Schären +aussetzen. Gunnaris schenkte mir einen Ring. + +Ich schrie ihnen nach ins Boot noch einmal »Te--le--fon« und deutete. Sie +winkten, standen nickend am Ufer, sangen eine Weile, bis man sie nicht mehr +sah. Gegen zehn Uhr ward die Ostsee golden. Der Hafen ein einziger +Mövenschrei. Ich badete. An einem Kriegsschiff vorbei in den inneren Hafen, +das leuchtende Eingeweide Stockholms. + +Siv stand eine Stunde schon am Geländer, stahlschlank, nickte immerzu leise +herüber. »War die Überfahrt gut?« + +Ich spüre fast wie an der Haut ihres Gesichts, die sich langsam rosa färbt +plötzlich, wie Finnland sich entfernt über dem Rudel der Schiffe. Selbst +wie ich mich umdrehe und die Kielfahrt des Schiffes noch ölig und glänzend +im Silberschaum sehe, hört alles auf, wo der Blick endet. + +Wir drehen uns um, gehen Strandvägen hinauf. + +Ich bin merkwürdigerweise mit einem Mal ausgelassen, wir lachen. Ich nehme +Sivs Arm. Vor der Brücke stehen wir und lassen die Wachtparade passieren, +hechtgraue Soldaten sehen wir mit gelben Troddeln um die Taille und Musik +und den Führer, der in erhobenen Armen zwischen den Fingern einen silbernen +Stab hält. Wir schauen und kommen höher auf den Skansen, wir riechen die +wilden Tiere und Siv sieht mit angezogenen Nüstern die See. Ich schenke ihr +die weißen Korallen, die ich mitgebracht. Siv hat den Rhythmus der Musik +noch in den Knien. Wir besuchen die Renntiere, die unter Weidentroddeln ihr +flaumiges Geweih blutig reiben, die Polarwölfe, die Silberfüchse, plötzlich +schweift unser Blick über die vielen Fjorde bis dahin, wo die +schwärmerische Luft des süßesten Frühlings mit der Herbe und dem nackten +Granit der Felsen zusammenprallt. + +Ich verweile eine Sekunde. + +Als ich mich abwende, bin ich voll Trauer und Verzweiflung. In Djurgården +schimmert dunkelgrün der Tau. Üppig schwillt über mir die blaue Fahne mit +dem gelben Kreuz. In Kungsträdgården ist Musik, aus den Fischnetzen des +Mälar fallen langsam die kristallenen Tropfen. + +»Willst du zu Blanche?« + +Ein Orchester sitzt hinter den Crèmegardinen. + +»Nein.« + +Wir gehen auf und ab zwischen den Bäumen und den Matrosen in der Dunkelheit +und hören lang auf die Geigen, dann enden wir auf einer Bank. + +Nachts wache ich auf im Hotel. Siv ist schön, bezaubernd die federnde Größe +ihrer Beine, die Linien, die im Bogen weiß von den Hüftansätzen über die +Brüste laufen. Ich liebe sie und sie ist mir fern. + +Ich fühle nur: Auf der Ostsee fährt irgendwo ein Dampfer. Der Expreß saust +durch Småland. Die Nordsee steht dunkel gegen Christiania gespannt. Der Bär +im Skansen träumt durch die Gitter und die Sterne flirren darüber kalt. Ich +fühle mich in der Gewalt einer Bestimmung, die mein gewohntes Erleben +ablöst, unempfindlich macht mit Auge und Seele gegen die sonst geliebten +Reize. Nun kommt der Morgen. Sivs Feiertag ist zu Ende. + +Als sie sich erhebt, fallen die hellen Haare ihr übers Gesicht, die Frühe +lehnt sich kaum vom Mälar herauf und ist fast nur Duft. Der schmale +biegsame Körper bebt auf den Gardinen. + +»Zwei Tage . . .« + +»Siv, schöne Tage, weil ich an dich denke.« + +Kopfschüttelnd: »Es wird nichts sein, denn du bist nicht da.« + +Ich bleibe zurück. + +Ich fühle, daß mein Leben sich ändert. Aber ich weiß nicht, warum und wie. +Wie zerborsten bin ich und doch wie klar. + + * * * + +Am Morgen später kamen Reporter, ein Photograph. Ich empfing nicht, +leugnete ab. Beim Frühstück las ich, daß die konservativen Blätter aus +Liebe zu Deutschland mich deckten, »Sozialdemokraten« griff mich und +zugleich auch Mannerheim an. Um zehn Uhr rief die Gesandtschaft an. Ich +dementierte. Um halb elf kam der Pressechef. Mannerheim hatte sich +beschwert, ich beruhigte den Beamten, konnte es in der unbestimmten Lage, +die meine Mission umzirkelte. Ich gab ihm eine gute Darstellung des +Lachsfangs in einer nördlichen Schäre. Mannerheim und die Stockholmer +Presse erhielten das Dementi. »Dagens Nyheter« erlaubte sich den Scherz +meiner Vielseitigkeit später. Als ich ausging, hielt vor dem Hotel ein +Bursche ein tänzelndes Pferd. In der Glashalle erhob sich der Reiter, +Erzbischof Sahlström, schlug mir athletenhaft auf die Schulter, ritt neben +mir den Quai entlang, kreiste von Literatur zu den Gäulen in die Politik. + +Ich führte den blauäugigen Fuchs noch verschlungener in die Irre. + +Am Gesicht des Gesandten beim Frühstück empfand ich seinen Ärger: »Wenn wir +auch keineswegs die militärischen Narren im Amt in Berlin stützen . . . +müssen Sie, Herr, sich gerade fangen lassen?« Ich hatte eine kleine grüne +Bronze in der Hand, die Rodin dem Minister geschenkt hatte, ich setzte sie +hin und verbeugte mich: »Die Karambolage mit dem mongolischen +Ludendorffimitator, ach Gott, Exzellenz . . .« ich erzählte ihm leis +einiges, aber nicht alles, denn unser Weg ging nur ein Stück zusammen, und +meiner weit über seinen hinaus. »Ich habe dem Minister des Innern zwei +Lachse senden lassen, die ich offiziell vor drei Tagen im Binnenwasser fing +mit einem Kompliment auf den Reichtum der schwedischen Gewässer.« »Nach dem +Dementi?« Nicken. Die runden Augen sahen fragend aus. Ich sagte: +»angenommen.« Exzellenz trommelte mit den Fingern auf die Kniescheibe, wir +gingen zu anderem über. + +Es gab französische Küche, der Gesandte fing seinen übervollen Geist in den +entzückendsten Anekdoten und führte die Probleme mit anziehendem Geist in +die Form. Es schoß dauernd aus ihm von Aperçus, denen das Frühstück an +Eleganz und Zusammenstellung entsprach. Ich hatte manchmal an dem Mittag +das Gefühl, von einem Parterre meines Inneren aufs andere zu stürzen und +sah andere Ebenen gleichfalls bereit. Bei Schnaps und Zigarren entwickelte +ich den Plan der nächsten Woche, die Beziehungen, die ich anschneiden +wollte und wie ich es zusammenzuführen gedachte. + +Der Marineattaché kam dazu. Exzellenz gab ihm ein in rotes Leder elegant +gebundenes Buch, das er in französischer Sprache früher über deutsche +innere Politik in Paris veröffentlicht hatte, schleuderte die Augen +anklagend gegen den Plafond und begleitete mich durch den Vorraum. + +Ich fuhr in einer Fähre nach dem Saltsjöbadenbahnhof, wechselte die Oere in +ein Kupferblech, warf die Marke in die Messingbüchse, nahm den Motor und +fuhr durch die Schären nach Gunnaris. Wir verhandelten den Mittag, ich +konnte ihm nur die Umrisse erklären, er dachte lange nach, grübelte und +hatte plötzlich einen kühnen Plan. + +Er telefonierte. + +Am Abend kam Almqvist. Mit wundervollen Beinen, elegant, der beste Mann +Schwedens. Er war sehr zurückhaltend. Gunnaris sprach lange auf ihn ein, +Almqvist schien sehr ungehalten, daß Gunnaris ihn kompromittiert habe und +Gunnaris ward verlegen, denn er glaubte nun auch, wenn auch aus Dankbarkeit +und großer Freundschaft zu mir, zu weit gegangen zu sein. + +Ich nahm an, daß Almqvist, der sehr viel zu verlieren hatte (ich wußte +nicht, wie es damals schon in ihm aussah), mißtrauisch auf mich sei als auf +einen Deutschen, wie jedermann damals in der Welt. Doch war es dies nicht. +Er war zornig, daß Gunnaris einer Sache wegen, die nur entfernt ihre +eigenen Ziele berührte, ihn in eine Situation warf, die den Unterschied +zwischen seinem Leben und seiner Tätigkeit leicht verwischen konnte. + +Ich sagte ihm daher frei und offen drei Dinge, die ihn an mich binden +mußten, die ich von ihm wußte. Auch ich hatte einmal in dem Hospiz gewohnt, +in dem er seine vielseitige Rolle spielte. + +Wir fuhren, eifrig redend, in der Dämmerung zurück. Ich kannte sein nach +der Gesellschaft hin gekehrtes Dasein, leicht begeistert, Freund der +Frauen, anständig, mit starkem Aufwand lebend. Ich suchte dies zu +durchbrechen, ihn anzusaugen nach seinem Kern hin, beroch, bespielte jede +Pore, es war ein stilles, langes Sichmessen. In einem kleinen französischen +Restaurant neben dem Hotel Exzelsior sprachen wir, etwas zog uns unbedingt +gegen alle Widerstände zueinander. Wir redeten mit einer halsbrecherischen +Offenheit, in einer Stadt und einer Zeit, wo Geliebte gegeneinander stumm +blieben, aus Furcht vor der verräterischen Atmosphäre. Unsere Ziele +berührten sich, wir wurden, indem wir sie besprachen, ernst und +niedergeschlagen. Wir speisten in der Wohnung seiner Freundin. Almqvist war +bestrickend, sang, spielte zur Laute und umgab die schöne Frau mit einer +hinreißenden Liebenswürdigkeit. + +Den folgenden Morgen berieten wir ganz durch, mittags arbeitete ich +angestrengt, zog mich in der Dämmerung um und ging zu dem +Portefeuilleträger des Inneren speisen, mit dessen Schwager ich freund war. +Seit der Ausbootung der Konservativen waren sie erst seit vier Wochen aus +Lund heraufgekommen, waren noch ungenügend installiert, aber bereit, mir +den Abend so zu beweisen, daß ich kein Stück eines gewählten schwedischen +Mahles auch nur vermissen könnte. Man hielt bei den Staatsmännern +Elsaß-Lothringen für die Achse der Probleme, mein Plan war anders, ich +sprach nicht davon, ich zog mich um elf zurück und gab vor, sehr müd zu +sein. + +Ich ging über zwei Plätze. Der Mond ist tief über Stockholm geflogen, er +geht über meinen Tisch am Fenster der Glasveranda im Grandhotel. Ich schaue +in die Nacht und jeder Klang, jedes Instrument und jeder Gedanke kommt aus +ihr verschwärmt und feuriger zurück. Aber ich denke nicht daran, spüre es +kaum. + +Um halb zwölf tritt an den Tisch der Türken ein bulgarisches Sujet, das +irgendwie Beziehungen zur Gesandtschaft hat, aber als Türke gilt, kurz +darauf der Franzose Boissont. Ich sehe nicht hin. Sie sitzen auffällig +gerade, fast entfernt voneinander auf den Stühlen, reden aber mit gesenkten +Kinnen, sicher fast lautlos. + +Um dreiviertel zwölf kommt Siv. + +Sie legt die großen, schlanken und harten Beine (wie die der +Stadionsläufer) übereinander und schließt die Augen zum Gruß. Das Haar ist +weißblond, mit Öl über den Kopf gescheitelt und tief in einer Schlinge in +die Stirn hineingezogen, an den Ohren quillt es in kleinen Trauben +herunter. + +Ich bin begeistert, ich fühle über den Tisch die Frische der Haut, das +Belebende dieser Gegenwart. Ich rede viel, denn ich beobachte gut. Ich +schweige keine Sekunde, der Hummer ist von klarem Rot, das Fleisch gut an +der Schale angesetzt, viel Saft in den Scheren. Siv neigt den Kopf zurück, +saugt sie aus. Der Aufschlag ihrer Lider macht das Blau frei wie einen +Strahl. Sie steckt den Kopf auf beide Hände, zieht den Mund kraus: »Was +tatest du?« Ich kann erzählen. Ich finde Siv reizend wie nie mit dem +gescheitelten Haar. + +Ich sehe Almqvist in der Portiere, ich fühle jeden Muskel sich spannen in +meinem Körper, ich rede seit Monaten zum erstenmal laut in der +Spionagezentrale des brennenden Europa. Wie leicht fällt mir zu reden: »Ich +will dich an Hedin erinnern, Siv, an Sven Hedin, von dem du viele Bilder +gesehen, und gelesen hast, daß er ein Land in China gefunden hat, Tibet, +Siv. Mit diesem Mann war ich in Upsala, er ist ein Trottel. Die Studenten +tranken die Nacht Punsch, tanzten mit eleganten Damen auf den Schultern. Um +zwölf steckten sie Feuer an vor allen Küsten.« + +Es interessiert Siv nicht, was ich da erzähle, sie hat die Speisekarte und +liest, ich winke mit den Augen den Kellner neben sie. Siv bestellt, schöne, +viele Sachen, die sie nascht und beißt: Sekt, Lachs und Mayonnaise . . . . +Roti . . . . Backelse . . . . Punsch. + +Nun geht Almqvist hochmütig um alle Tische herum, nähert sich dem der +Bulgaren, er beginnt eine Verbeugung, ich muß wegsehn, das dunkle Auge +Boissonts leuchtete gegen meines. + +Ich kann mich totlachen, ich bin von einer Heiterkeit, die mich +durchzittert, wenn ich mit Siv rede. Man hat die geschlossenen Fenster +heruntergelassen, wir sind umhaucht von den letzten Wellen der Geierschreie +der Bahnen, die aus den Fjords längs der Salzküste noch in der Mainacht +schwimmen. Mir fallen Lächerlichkeiten ein, so, daß, als ich Siv zum +erstenmal sah, nicht in der Nordischen Schuhkompagnie, sondern im +Humlegården, wo sie aus dem Break mir hinterm Rücken des Staatsrats winkte, +daß ich das Laub des Busches, an dem ich stand, mitnahm und behütete und +abends beim Umsteigen verlor. Ich neige mich über den Teller, ich küsse ihr +die Hand, ja ich weiß mich vor Narrheit nicht zu fassen, ich küsse Siv die +Hand mitten im Lokal. + +Da fällt mein Blick auf die Ministerin, und im Spiegel sehe ich +gleichzeitig Almqvist bei dem türkisch-bulgarischen Tisch, sie sitzen weit +auseinander und reden mit dem Kinn auf der Brust, also lautlos. + +Die Minister sind also, statt in die Büros, zur Nacht dem Mond und blauen +Kanälen nachgegangen. Der Burgunder hat ihnen die Politik aus dem Hirn +gejagt, sie halten nicht mehr in der Bewegung der Hände das bißchen +Schweden, um es trocken durch die europäischen Wasserspiele zu tragen. Nun +sieht mich der Blick der Frau, zieht sich abgekühlt zurück, weil ich müd zu +sein log, bleibt an Sivs Gesicht hängen und lächelt. + +Ich stehe auf, ich verbeuge mich, ich bin glücklich, ich setze mich wieder, +ich habe im Spiegel gesehen, daß das bulgarische Sujet aufsteht. Ich mache +aus der Serviette Figuren, ich scheine betrunken, denn ich bohre einen +Papierpfeil in Sivs Eis; daß sie mit der Gabel versucht mich zu stechen, +das macht mich fast bersten vor Vergnügen. »Gott möge den Deutschen tausend +Gefangene am Tage geben«, sagt es am Nebentisch. Ich zeige Siv den Mann, es +ist ein Dichter, der Knut Hamsun den Bären schalt. Er wohnt in einem +Landhaus in Sturängen, wo die Mädchen abends am Kamin singen: kom hjärtans +frojd. Er haßt den Strindberg, der die Theaterstücke schrieb und die schöne +Tochter hat. + +Doch gähnt Siv, sie kennt die Männer nicht, der Gehrock nebenan ist ihr zu +dürr. Wie kann ich Siv erheitern, wo auch die Türken durch das Vestibül +vorüberwandern? + +Da fällt mir eine gute Sache ein, ich habe einen Ton mit der Zunge gemacht, +Siv starrt mich an, ich blinzle nach der Seite, sage ihr was ins Ohr. Da +sitzt Rolf, der große Kabarettist, der Sänger des »mit swärmeri . . . i +. . .« Siv ist voll Neugier, wir starren den großen Mann an und vertiefen +uns in ihn. + +Dann lächle ich sanft und sage kokett, ich habe mich geirrt. Siv ist +wütend, stößt den Teller über den Tisch, sie ist sehr schön in dem +Augenblick, und ich kann mich nicht halten vor Vergnügen. + +Plötzlich verläßt mich die Laune, ich werde kühl, gemessen. Ich hebe den +Hörer ab, der Tischapparat hat gesurrt. Der Portier meldet, Tisch +siebenundachtzig will mich sprechen. Almqvist sitzt allein, den Rücken zu +mir, ich sehe es in dem Nickel des Hörers, es ist seine Stimme. + +Schon unterbrochen. + +Ich sehe auf. An seinem Tisch steht ein Fremder. Ich hänge ein. Wir sind +bei Aqvavit wieder, Punsch, Kaffee und Zigaretten, Siv hat sich +zurückgesetzt und betrachtet mich durch halbgeschlossene Augen, zeigt die +Zahnschnur. Almqvist ist plötzlich an seinem Tisch nicht mehr da. + +Der Boy bringt Telegramme, ein Billett. Ich falte es auseinander. Ich setze +mich hoch, ich lasse mich einen Augenblick gehen, hineinfallen in jene Form +der Bewegung, die mir frei und klar aus dem Gefühl kommt. Ich weiß, wir +werden haben, was wir suchen, wir sind auf dem Weg. Da ist es. Endlich. Wir +werden die Generale drücken, Zusammenhänge beweisen. Ich denke es klar und +kühl und fühle mich vorn stehen, wo die Dinge sich entscheiden. + +Ich bringe Siv nach Hause. + +Die Lichter sind im Ausgehn und scheinen rosa aus dem blauen Wasser, das +lautlos Stockholm durchströmt. Weiße Wolken ballen sich höher über +Schlössern und Inseln. Sivs Arm in meinem, ihre Hand. Ich fühle den Tau der +Morgendämmerung, das abenteuerliche Schwinden des Nachtwindes. + +Ich liebe Siv und habe sie zehnmal belogen den Abend. Ich kenne die +Menschen und habe recht gehabt. + +Aber ich spüre irgendwo, welche Klüfte mich trennen, wie ich ausgesperrt +bin von einer Verbindung, die, anders und tiefer als ich es fasse, die +Menschen zusammenbindet. Ich denke lange darüber nach, doch es verschwimmt, +während Sivs Gang und ihre leidenschaftlich kühlen Bewegungen und die +herrlichen Ausfahrten unseres Rausches goldener vor mich treten. + +In der Frühe fahre ich durch Schweden. Zwischen Teichen und Felsen und +dunkelroten Holzhäusern zur Nordsee. Ich fahre zwölf Stunden mit vielen +Menschen. Ich esse Smörgåsbord, wenn der Zug hält, an den Stationen, gehe +auf der Holzdiele langsam, den Reisehut in der Stirn, zurück. Ich lese die +Verlobungen Stockholms, ich kaufe das Blatt »Saisonen« und beschaue die +eleganten Frauen, döse in die Landschaft, schlafe einmal ein. Ich sehe den +Kondukteur eine Fahne an der Lokomotive heraushängen: fünfundzwanzig +Minuten Pause. Ich schlendre auf und ab, die Arme teils in den Taschen, +teils auf dem Rücken, ich bin ein Passagier wie alle anderen, ich langweile +mich mit Maß und Ruhe, ich kaufe keine Lakritzer, die man mir anbietet, ich +sehe einmal, als wir wieder fahren, verwühlte Kissen, Sivs hohes reines +Bein ganz ohne Flaum. Ich beginne in einem schlechten Roman zu lesen, es +ist kein guter Geschmack, daß ich ihn ziehe, aber er amüsiert mich +köstlich, ich versinke ganz darin. Mir gegenüber sitzt der Außenminister. + +Der Zug ist gefüllt mit internationalen Raben, Hyänen, Wölfen. Ich bin sehr +in der Lektüre, wende langsam Blatt um Blatt, ich sehe jeden, der am +Kupeefenster durch den Korridor schleicht, ich sehe jeden Gedanken. + +Ich bade mich in Göteborg, ich ziehe mich um, ich gehe ins Varieté. Ich +gehe an einer holländischen Gracht hinauf, das Wasser riecht faulig, Jasmin +ist dazwischen aufgegangen. Ich nehme in der Holzbaracke die Loge, die +Almqvist mir bezeichnet hat. + +Neben mir sitzt ein Kommis mit goldenem Armband, den steifen Hut im Genick +starrt er offenen Mundes zur Bühne. Neben mir links ist frei. Ein +Riesenorchester hat um die Beine einer Tänzerin geknallt, nun schwenkt ein +gepudertes Schweinsgesicht ententistische Fahnen mit Zauberei dazwischen. +Ein Feuerwerk geht hinterher los und Amerikaner kakewalken auf langen +Bretterstelzen, die Musik hat ein Delirium und schmeißt das Publikum in +einen Rausch. Der Kommis fühlt sich als Achse des Erdballs und gröhlt, +bekommt rote Schläfen und kann kaum mehr sitzen. + +Da zieht links neben mir jemand den Hut, setzt sich an die Brüstung, sieht +gerade aus, nun liegt das Bild Almqvists vor ihm. »Gut«, sage ich. + +Der Agent Krassin mit gelbem Gesicht und runden Augen! Er hat von Gunnaris +und Almqvist Telephongespräche. Almqvist kommt in vier Tagen. Ich bin ein +wenig ungeduldig. Wild riecht die Mainacht draußen. Mit einer Kapelle +kommen tausend Hafenarbeiter vorbei, die rote Nelke der Jungsozialisten im +Knopfloch, mit Schildern: »Friede, Klassenkampf, Brot«. Krassin zittert. +Auf dem Meer Segel wie Glas. Der Marschtritt der Proletarier donnert fern +schon aber deutlich. Im knallweißen Licht der Laternen stehen kleine Huren +mit Zigaretten im Mund, pfeifen mit blutroten Lippen durch die Zähne. + +Das Tor des Varietés klafft mit einem Tusch und Trommeln und speit den +Kommis heraus, er geht steif und schwankend mit einer dicken Sau und schaut +hochmütig um sich. Krassin hat den Hals eingezogen, denkt nach und geht +neben mir, bescheiden, vieles wissend, ein wenig hinkend, bis zu meinem +Hotel. + +Am Morgen kommen drei Schweden, Ek rauh, Lilljeqvist mit faunischem +Adlerkopf und Glatze, Davidson schön. Krassin kommt nicht. + +Wir fahren zwei Stunden, es kommen Wiesen. Am Wald liegen sechs Villen. In +der ersten Wiesenhürde üben Hindus, rösten Kaffee und rauchen. Am dritten +Tor an der dritten Umzäunung legen Ek und Davidson die Oberkleidung ab, +verschwinden in der Villa, kommen in einem knappen Nationalkostüm zurück +und üben mit Geren und Steinen, während Lilljeqvist auf dem Buckel liegt +und raucht. + +Ich gehe beiseite, ziehe einen Brief und lese. Ich erröte, es wird mir warm +plötzlich, ich atme rascher, schaue mich aufnehmend um. Ich schlendre +weiter, Chinesen und Amerikaner rufen sich einen Slang zu, weichen mir aus, +wie ich mit Händen in der Tasche herankomme. Ich gehe durch die Mädchen, +die einen Reigen hin und zurück sich werfen, melodisch, mit einem +Schwedisch, das ich nicht verstand, auf einen Mann zu, der vor der sechsten +Villa stand. + +Er war athletisch, ein Vierziger, und, wie er sich bewegte, zog er die +Hüfte mit herunter. Ich ging auf ihn zu, gab ihm die Hand. »Grüße meines +Bruders«, sage ich. Er hob den Kopf, der ein wenig zitterte beim Hören, +nahm den Namen auf und nickte, drückte mir noch einmal die Hand. + +Nach zwei Stunden, wo wir zusammen waren, wo er mir alles gezeigt, was die +Sportschule seit dreihundert Jahren geleistet, erwähnte er ihn einmal, wies +einen Stab, mit dem er den bekanntesten Chikagoer besiegt. Dann gingen wir +hinüber, wo schwarzweißes Rindvieh mit praller, glänzender Haut uns dicht +umdrängte; wir fahren mit den Händen darüber, es scheint die Sonne immerzu. + +Am Abend lagen wir bei Feuern am Waldrand, tranken Kallskol aus Zitronen, +Wein und Saft. + +Ich muß vielerlei denken, während die Tanzenden zwischen den Lichtflammen +zucken. Ich sehe die dünne Linie des frischen Monds an einer Pappel und ich +muß denken, daß an diesen Bäumen die Tragödie des Bruders begann, hier sich +sein Hirn wund rieb an den Büschen. Ich muß denken, daß Floda nahe liegt, +daß vom Herrenhaus ihm die Rettung kommt, als er mit dem Pferd in den Wald +reitet, daß der Wechsel bezahlt wird, daß alles gut scheint, aber sehr +schlecht ist. + +Ich liege weit zurück und sehe erschüttert und traurig, und doch davon +wieder gehoben, die Nachtscheibe des Himmels sich immer weiter und tiefer +über das Meer hinausschwingen. + +Ich habe seit Jahren wenig gedacht an meinen Bruder, ich habe vieles zu +tun, ich bin beschäftigt gewesen mit mir und tausend Dingen, ich habe nie +begriffen oder versucht es zu fassen, warum er sich selbst, nachdem die +Bagatelle beigelegt, hinausstieß. + +Ich denke darüber nach und fasse es nicht ganz, aber es arbeitet in mir +weiter, auch wenn ich nicht nachdenke, ich fühle es genau. Der Boden, den +er betrat, das Laub früherer Sommer, das er berührte, verbindet mich eng +mit seinem Schicksal. + +Ob er barfuß durch Kalifornien läuft, auf Akkord in Steinbrüchen der +Kordilleren arbeitet, wieder ohne landen zu können als Boy vorm +genuesischen Hafen immerzu liegt, ich spüre sein Leben hier, ich kann ihm +nicht helfen, ich bin unglücklich darüber. Ich habe manches Unrecht an ihm +getan, fällt mir ein. + +Am Morgen holt mich Davidson. Ich fahre froh nach Floda, ich will, kann ich +nichts anderes, wenigstens diese Kleinigkeit des Dankes dem Bruder schön +vollenden. Ich habe die Unruhe zurückgelassen, die die erzwungene Pause mir +auferlegt. Ich fühle mich nur wohl, wenn ich in die Bogen, die ich selbst +gerichtet, von Handlung zu Handlung mich spanne. Aber ich habe diesen Tag +keine Unruhe, ich bin vergnügt fast, ich sitze in der Equipage und schaue +auf den Buchenwald, als sei er mein. + +An einer Bachecke umringen uns Damen, ich springe raus, ich weiß sofort, +wohin ich mich zu wenden habe. Ich grüße die Herrin. Sie geht anmutig über +den Wiesenpfad, steht vor den weißen Säulen des Herrenhauses, hebt die +Hand: »Välkommen«. + +Ich verneige mich. + +Das Land liegt unten mit pastellener Idylle, weichem Teich und Birken. Sie +sagt ein Wort: »Ebba«. + +Es ist die Schwägerin. Der Gang einer Reiterin. Ich sehe ein blaues Kleid. +Ich sage: »Ich freue mich. Ich bin zufrieden, Sie zu sehen.« Die Herrin +winkt, sich entschuldigend, zieht sich zurück, das Souper wird gerüstet. + +Ich gehe mit Ebba weiter, immer im Kreis. Welch ein schöner Tag. Sie trägt +ein blaues Kleid, geht wie eine Reiterin. Ein Kiesweg. Ein Hund. Da steht +die Herrin wieder, als sei sie eine Sekunde nur weg. Sie ist in großer +Toilette. Neben ihr der Gatte: »Välkommen«. + +»God dag, Sir Johnson.« Seine Hand, bescheiden bewegt, sagt +Gastfreundschaft an der Pforte des Schlosses bis zum letzten. Ich danke. + +Ich gehe mit Ebba weiter, immer den Kiesweg, jetzt erst bricht etwas von +dem Duft um mein Hirn, jetzt höre ich ihre Stimme deutlich. Dann ist sie +wieder im Nebel. Warum lähmt mich ein Schicksal, nimmt mir den Mut, mühelos +kühne Sachen zu sagen. Es ist nichts von Angriff in mir. Ich senke den +Kopf. Ich sage: »Als Kind hatten wir denselben Hund.« Ich deute auf das +Gras und mache mich lächerlich mit dieser Bewegung. Mein Blut kocht aus +Zorn über meine Schlappheit in meinem Kopf, ich siede, es wühlt grausam in +mir. Was kann ich machen, was kann ich machen? Ich weiß nichts mehr von +mir. Sie schaut mich an, die Augen sind hart, die Stimme süß und weich. + +Drei Minuten gehen wir wortlos. Immer den Kiesweg. Einmal gelang es mir, +ich sagte leis ihren Namen vor mich hin, es ist ausgeschlossen, daß sie es +hören konnte. Welche Macht das Wort Ebba, es scheint stärker als ich! Eine +Wolke brach vor ihr Auge. Das Gong tönte. Ich fühle, als risse sich die +Seite wund bei mir, an der sie ging, als wir umdrehten. + +Ein Gesicht, ein Männergesicht steht vor mir auf: »Der Lunch.« + +Sie ist ganz weiß, ihre Augen glänzen weiß, glasig, sie hebt die Hand, +deutet, ich verneige mich tief: »Mein Verlobter.« + +Ich verneige mich noch einmal vor Sir Johnsons Sohn. Ich denke, dies Haus +ist heilig. So hatte ich vom Morgen an gedacht. Aber ich fühle, es schlägt +mir die Knochen entzwei, es macht mich kaput, ganz klein. + +Vor mir, an meinem Arm die Herrin, defiliert die Gesellschaft. Ich benutze +die Minute für meinen Bruder, ich flüstere: »Ich bringe den Dank eines, +dessen Leben Sie gut getan.« Sie winkt gütig mit den Augen ab, ich werde +ihr das nächste Mal allein erzählen, sie lächelt. + +Dann geht das Essen wie ein Rad vorüber. Ich sehe das blaue Kleid nicht. Er +sitzt auf derselben Reihe wie ich. Was ist aus mir geworden? Ich kenne mich +nicht. + +Der Kaffee wird auf der Terrasse genommen, da sitzt sie mir gegenüber, das +macht mich frisch, ich rede viel und nicht zerstreut. Es ist eine halbe +Stunde nur noch, man muß sie nehmen und ausfüllen so gut man kann. +Vogelschreie der Bahnen ächzen aus der Dämmerung. Das Auge Ebbas geht nicht +von meinem, ich fühle es, wo ich kaum mehr etwas sehe. + +Ihre Pupille und meine Pupille sind aufeinander gestellt. + +Havannas werden gereicht. Das Glas färbt sich dunkel. Ich bin berauscht, +als ob ich Wein in mir hätte, ich habe einen guten Tag plötzlich, ich wende +mich nach allen Seiten, und wie ein Karussell windet sich alles um mich. +Ich habe so leicht zu reden, »Dozent Lilljeqvist« sage ich, »Sie tun +unrecht, Baron Prittwitz, der die Ehre hat, uns zu vertreten, ist Pazifist, +wenn auch aus bon sens, und hat gegen den Willen Wilhelm II. gearbeitet, +der Ihr Land in den Krieg kommandierte. Als er zu Ihrem früheren +konservativen Premier kam, Wallenberg, dem schlausten Krämer . . . nein«, +ich wende mich ganz herum, »nein, Sir Johnson, ein erschossener Steuermann +ist ein Zufall, aber Sie haben recht: die Tötung jedes Menschen ist ein +ungeheuerliches Verbrechen. Aber kalkulieren Sie damit nicht in Politik. +Tod ist nicht Zähler, nicht Nenner. Was tat Ihre Regierung denn, die keine +andere schöne Wendung sah, als daß sie zwei Tage die ganze schwedische +Presse mit Geheul gegen Deutschland vorließ und dann zurückpfiff. Und +Wallenberg, die Augen schmunzelnd, errechnete, daß mit hunderttausend +Kronen Entschädigung und dreitausend Pension die Steuermannswitwe eine +glänzende Lotterienummer gezogen und etwas verändert die ganze Presse der +gleichen Meinung war. Das ist Verbrechen, Sir . . . Dank für das Feuer +Sverker Ek . . . .« + +Ich setze mich tiefer zurück, mache mich breit, ich habe im Feuer vieles +gesehen, ich rede immerzu: »Hören Sie, wie anekdotisch dieses Regime +arbeitet, bei uns und bei Ihnen, es ist das gleiche furchtbare System: Als +der Gesandte frug, als Ludendorff ihn zwang: ob wir Munition bringen +dürften nach Finnland durch die schwedische Sperrzone, sagte da Wallenberg +nicht, kühl und kaufmännisch in den Bart -- daß einmal ein Mann gekommen +sei und gefragt habe, ob er rauchen dürfe und man habe gesagt: nein. Der +aber wies auf Reste von Zigarren, worauf er die Antwort hört: das taten +solche, die _nicht_ frugen. Man verständigte sich unter Lachen. Stellte ein +schwedisches Torpedo zurecht, ließ die Munitionskolonne beschießen, drei +Tage die Presse heulen, dann war es vorüber. + +Deutschland gab eine Million Weißwein dafür frei. -- -- -- O Malte +Davidson, dreißigtausend Tonnen Schmalz für den Hunger in Deutschland, das +kam, weil eben der Gesandte Euch und sich elastisch hielt im Zusammenprall +solchen Schicksals. Ohne ihn säßen Sie in Sibirien, ich weiß, er wand Ihrem +König manchmal den Entschluß zu den Kanonen aus dem Hirn. Nicht, weil er es +verfluchte, daß Menschen sich töten, aber weil er aus dem neutralen Lande +Essen wollte für die skrophulösen Kinder . . . + +»Nein Sir«, ich lächle, »der Wutschrei des Polizisten am Brandenburger Tor +über Ihren Chauffeur ohne Mütze, das ist nicht das Deutschland unserer +Gesinnung. Aber trotzdem, ich neide Sie nicht, nicht Ihre jungen Männer, so +sehr ich den Frieden begeistert grüße, der Ihr Land beglückt. Sir Johnson«, +sage ich und ich spreche mehr aus, als ich sonst je wage, »Sir Johnson«, +sage ich betont und staune über den Klang, denn ich hätte nie selbst zu Siv +so offen und frei in diesem Lande gesprochen, ich, der ich nie von Plänen +spreche und mit ihnen die anderen anfalle wie ein Weih mit dem Vorstoß +. . . »was ist Krieg Ihrer Jugend, Sir Johnson? Ein Trog, an dem sie fraß +und fett ward. Gulasch nennen sie selbst den neuen Reichtum, der in +falschen Konservenbüchsen kam. Fühlt sie sich nicht krank, ihre Jugend, Ek +und Davidson, vor dem kochenden Gold, das ihre Leidenschaften, ihre +Begeisterungen frißt? Wo habt Ihr jenes Stolzeste, das manche andere und +mehr gequälte Jugend mit einem siegreichen Lächeln als Trotz und Auflehnung +entgegenträgt? Eure Besten leiden daran, Weiber, Pelze, reiche Schiffe zu +haben, aber kein anklagendes Echo Eurer Seele im Ohr der Menschheit. Sie +haben in Schweden keine große Politik getrieben. Blieb Ihr Land neutral, +Sir, war es Vorsicht von uns und von Euren Aktionären, nicht Haß gegen die +Gewalt. Zweitausend Kilometer Etappenstraße nach Rußland, das wog Euch +Erschreckten mehr als humane Überlegung . . . . Im Museum liegt Euer +Imperialismus, Karls Standarten, Wasas Helm, ungefährlich als Rausch für +Eure romantischen Jünglinge. Aber Ihr lerntet nur Vorsicht, noch nicht das +letzte. Eure Gelehrten sinnen und rechnen, machen ballistische Kurven, um +auszurechnen, wer Euren größten Krieger, Karl XII. schmale Abenteurerstirn, +erschoß, die Feinde draußen, die kriegsmüden Schweden innen? Die Narren. +Der Friede erschoß ihn. Verstehen Sie mich wohl gut, Sir Johnson?« + +Ich breche ab. Bis an den Rand der letzten Minute habe ich geredet, es ist +mir frei geworden, ich habe einen Zweck gehabt zu reden. Nichts ging +verloren, es ist, als kenne ich das Dunkel, als verstünde ich es besser mit +den Sinnen plötzlich wie den Tag. + +Schwätzend, wie ein Seiltänzer bebend, die letzte Sekunde. + +Ich erbleiche plötzlich. + +Sie kann nicht gehen. Sie läuft schon hin, reißt ab, ich stehe auf. + +Auf strahlender Diele stehen alle im Halbkreis. »Es lebe das Deutschland +Ihrer Gesinnung.« Ich verbeuge mich ein wenig vor Sir Johnson, ich verbeuge +mich noch einmal tief. Ich bin mir nicht ganz im klaren, was ich tun soll, +wo ich bin, ich verliere alles aus dem Auge, ich weiß nichts anderes, mich +zu retten, daß ich mich noch einmal verbeuge. + +Die Herrin hat den Arm auf Ebbas Schultern. + +Die anderen Gäste verneigen sich. + +»Gnädige Frau, ich werde den Tag nicht vergessen.« »Farväl,« sagt sie und +nickt mit den Augen. + +Nun wage ich Ebba anzusehen, ganz kurz. + +Meine Augen beginnen zu brennen vor Schmerz. Die Zähne in den Lippen. Ich +verbeuge mich, schaue nicht wieder auf, ich erreiche nur ihren Mund mit dem +Blick, er ist weiß, zuckt einmal. + +Ich folge dem Diener zum Wagen. Im Spiegel der Bahn sehe ich mein Gesicht. +Welch ein fremdes Gesicht. Stürbe ich jetzt, wie schön diese Wollust. + + * * * + +Ich gehe gleich zu Bett im Hotel. Ich weiß noch: morgen fahre ich zu +Almqvists Schwester. Nach Särö. Dann schlafe ich ein. Ich weiß nicht, wie +ich schlief, ich schlief wohl sehr fest. + +Das Telephon weckte mich, ich lief ins Badezimmer vor Verwirrung, dann +legte ich mich nieder. + +Ich nahm den Hörer vom Tisch, ich hebe ihn an mein Gesicht. »How do you +do?« + +»Falsch verbunden.« + +Ich hänge ein. Es schellt von neuem. + +»C'est le portier qui parle.« + +Ich fluche, ich rufe ins Telefon, er möge verplatzen. + +Eine andere Stimme kommt, aus Nebel süß und weich: »Kan jag få tala med Nr. +417?« Ich streckte mich lang aus im Bett. Ich zitterte am Körper. Ich bin +Nr. 417. + +Ich will die Stimme noch einmal hören, ehe ich sie für immer verliere. + +Sie wiederholt. Ich genieße es lange. Dann antworte ich; wie klanglos meine +Stimme. Ich antworte nur, was sie sagt: »Ja, Fröken Ebba, ich vergesse die +Bücher nicht zu senden, ich küsse die Hände.« Da geht die Leere ins +Telefon. Doch sie ist noch da, ich weiß, ich spüre es. Ich sehe sie dastehn +mit dem weißen Gesicht, erfroren am Mund, und lauschen. + +Doch ich darf nichts anderes sagen, ich muß es fallen lassen, wenn es mich +auch vernichtet. Ich habe stets gedacht, dies sei ein heiliges Haus. Ich +will keine Verwirrung in diesem Haus. + +Wie unglücklich bin ich und schwach. Und doch wie getröstet. »Ich küsse die +Hände, auf Wiedersehen!« rufe ich steif und hänge ein. Ich kann es nicht +hören, wenn sie den Gruß wiederholt. Ich richte mich auf unter der +Badedusche, hebe die Arme, die Muskeln wiegend im Strahl -- und breche +zusammen: welches Glück, diese Stimme. + +Erst nach dem Mittagessen kam ich in Särö an. + +Vor dem hellen Sandstrand stand die Nordsee. Dann machte der Basalt eine +Welle, die Häuser trug. Davor brannten mit schmalem Rasen die tausend +Obstbäume. Ich ging durch den verschneiten Geruch. + +Auf der Terrasse kam Almqvists Schwester auf mich zu. Ich trat betreten +einen Schritt zurück. Sie lächelte mit einer sich nicht entäußernden +Bewegung, ihre Schönheit streng bei sich behaltend. Ich saß auf der +Klippenbalustrade vor dem kleinen Schloß. Ich frug nach ihrem Bruder, sie +wußte keinen genauen Termin, noch ohne Nachricht. Sie hob die Schultern ein +wenig, ich mußte warten. Ich unterließ nicht, ihr meine Bewunderung für +solche Schönheit schweigend zu bezeugen. + +Aber es war ein Raum zwischen uns, ich durchbrach ihn nicht, ich hatte +einen Schmerz in der Brust, der mich peinigte bei jedem Wort und mich +wegzog, wenn ich die schmetternde Süße der Apfelbäume vor dem aufgestählten +Dunkel der Nordsee empfand. »Sie haben recht,« sage ich hin, »Ihre Bürger +sind Hunde wie alle, gnädige Frau« und ich lächle schief und trotzig, aber +ich will es nicht wissen, was geht es mich an, was liegt mir daran, daß ich +ihren Vornamen gern wüßte. + +Aber ich frage nicht danach. Daß sie in Norwegen skiert mit Meir Elisha, +meinem Partner. O, was liegt mir daran. Ich bin da, um auf Nachricht von +Almqvist zu lauern, es ist keine da. Ich sitze und rede und höre nichts wie +ein phantastisch Knirschen eines Rockes immer im Ohr. + +Auf der Klippe gegenüber stehen Kinder, rufen »Mur«. + +Sie steht auf, nimmt die grün-weiß-orange-schwarze Decke von dem Teetisch, +winkt hoch damit. Die Kinder jauchzen, kriechen wie Ziegen weiter mit den +kleinen Spitzenhosen. + +Auf der geschorenen Steppe ins Land hinein spielen Engländer Golf. Weiße +Männer liegen unten in den Segelyachten. Ich stehe auf, lege die Hand über +die Augen und sehe lang in die gläserne Bläue. Ich vergesse, wo ich bin, +ich drehe mich um: »Ich sah Ihr Stadthaus, gnädige Frau; darf ich es sagen, +die holländische Backsteinrenaissance hat eine asketische Linie, die ich +wenig ertrüge, nie eine Frau damit umgäbe.« Ihr kristallenes blaues Auge +umfährt mich ohne Ironie, sieht über mich weg. + +Ich empfinde, daß alle lügen, daß sie nicht die marmorne schönste Frau +Bohusläns ist; welche Narrheit, sondern, daß sie noch nicht gelebt hat und +ihre Gefühle lawinenhaft hinter dem Herzschlag liegen. + +Aber im Augenblick darauf schon sehe ich das Meer wieder, sie ist +aufgestanden, an die Mauer getreten, was kümmert mich diese Frau, die Ruhe +macht mich glücklich, überempfindsam, die Segel meiner Seele sind groß und +weit gebauscht. Welcher Friede, ich will es sagen, es gelingt mir, fast +werde ich mitteilsam, ein Schwätzer, ich schüttle mich und lache in mich +hinein. + +Die Obstbäume brennen ihr Weiß gegen die besonnte Felswand und schwingen +sich selig über das im Kreis gerundete Meer. In der abgeebbten Seitenbucht +liegen Völker von Möven mit ausgebreiteten Flügeln im Sand. Wir sitzen und +reden und warten auf Almqvist, ich erschrecke, muß lachen, die Teetasse +fiel zu Boden. + +Ich muß lachen, ohne es zu zeigen (wie kühl und höflich ist mein Gesicht), +ich sitze mit der schönsten Frau Westschwedens über den wiegenden Rahen +ihrer drei Segelboote, und ich sehe über ihr hinter den Schaumriffen genau +von den in der Brise schaukelnden Kirschästen bis zu der Spitze des +Granitbergs immer eine Reiterin durch die Luft hinschreiten. + +Die Kinder kommen rufend, werfen sich ihr an die Brust. Wie schön ich mit +Kindern spielen kann, die ich sonst nie sah. Bin ich sechzehn Jahre? O, wie +fühle ich mich von mir selbst verlassen. Sogar den Bärentanz vermag ich auf +der Mauer ihnen vorzuzeigen; wie sie heulen vor Wonne. In welchen Korridor +entfernter Jugendlichkeit habe ich mich mit Geschwärm und Verlieben und +Spielerei schrecklich zurückverirrt? Wie weit lag das hinter mir. + +Ich balle die Faust in der Tasche, ich kann ja doch nichts tun gegen die +süße Gewalt, die mich von allem reißt, mich hier einen Fremden und Kranken +und Unbeteiligten sein läßt, o Gott, wie schön ist die Gewalt dieses +Schmerzes, den ich hasse. + +Ich balle die Faust in der Tasche und greife das farbige Tuch, mit dem sie +den Kindern winkte, das die Kleinen mir hineinbugsierten. Nun gut, es soll +drinnen bleiben, wir lachen, ich küsse die Hand, die es mir schenkt. + +Vom Bahnhof herauf läuft ein Auto. + +Almqvist. + +Ich gebe ihm die Hand. + +Ich stehe mitten in den Dingen, dressiere die Drähte von Plänen und +Absichten und Zielen bewußt und klar. + +Ich schlafe traumlos und gut. Ich habe mich völlig, nichts irrt ab. + +Wir fahren in der Frühe nach Göteborg, nehmen den Russen auf, steigen in +den Dampfer. + +Der Hafen ist stundenlang, die Schiffe haben sich in Herden hineingelagert. +Als wir den äußersten Ring am Mittag passieren, zeigt Krassin auf eine der +vielen flachen Granitinseln. Aus Stollen sausen elektrische Fahrstühle mit +Batterien hoch, schießen, sausen tief unter das Meer zurück. + +Ich lache: »Entwickelt die Erde sich weiter in explosive Kurven, wird man +in zwei Jahren dies von Withe Chapel oder vom Grunewald aus beschießen.« + +Da werde ich verhaftet. + +In der Kajüte verhört mich der Kapitän. Er ist zu dumm, die Vorzüglichkeit +meiner Papiere zu kapieren. Ich kümmre mich nicht um den Ochsen, stehe +wütend an der Wand. Die ganze Mission steht auf der Wippe. In diesem +Augenblick finde ich mich klar zurück, abgeschnitten liegt das Nebelhafte +von mir, ich strecke mich, bin wieder ein Kerl, kühn am Kopf, fühle die +Muskeln um den Rumpf herum sich dehnen, ich trete vor. + +Da klopft es, herein mit der Lässigkeit des Befehlenden kommt Almqvist. Der +Kapitän erhebt sich sofort, das feige Schwein. Der Zwischenfall wird wie +eine Kartenpartie erledigt. Zur Entschuldigung wird Kaffeefrühkost auf dem +Kapitänsverdeck aufgetragen. + +Im Kreis der Offiziere, fettem Fisch und Aquavit fliegen die nackten +Ursteine vorbei, manche haben Häuser blau und rot, andere fahren vorbei mit +singenden trocknen Fischen an Drahtseilen klappernd. Das Nackte der Steine +verblaßt in gespenstische Blasen, das Panische stützt von ihnen gegen den +von Wasserzartgrün und Segel musikalisch tief gefüllten Horizont. Die +Eidern stehen mit Geschrei darin. Aus einem Kessel von Granit, der sich +öffnet, schießt schräg zwischen den moosgrünen glatten Felsen ein dicker, +geschwängerter Segler mit viereckig braunem Tuch, die Metallhörner tuten. + +Um fünf Uhr legen wir an bei Marstrand. + +Von unserem Hotel sehen wir vier Seiten Himmel, überall See. Zwei Tage +studieren wir mit den Gläsern die Gruppen, die Gewohnheiten, die +Lagermulden, die Badeplätze, Frauenbeine, Männerkostüme. Almqvist spricht +mit vielerlei Menschen, läuft in den Garten, macht lange Gänge, schreit zum +Fenster hinaus: »Halo . . . så ni säger,« schickt den Hausburschen in die +kegelhaft gestellte Spielzeugstadt unter uns, läßt Zigaretten holen, setzt +den Panama auf, geht zum westlichen Strand. Manchmal mit Damen, oft allein, +einmal in einem Rudel Männer. Ich sehe, die Arme zum Fenster hinaushängend, +wie Damen ihm zuwinken, wie er vor sich hinschaut, grüßt, in Häuser +hineinblickt, kleine Gärten durchquert. + +Er erfährt sicher vieles, wenn er sich so bekümmert, er erzählt nichts, +bringt Blumen mit, empfängt allerlei Subjekte. + +Im Osten sehen wir einen großen Klüngel immer am Meer, der seltsame Formen +annimmt. Trennen sich Teile davon ab, verlieren die andern nie die +Verbindung mit ihnen, die Figur der Ansammlung läuft aus wie Tinte, +verzogen wie Rosagummi. + +Oft schaue ich nach Norden. Nicht, als ob ich da etwas sähe. Es ist die +Richtung nur, in die ich mich wende. Ich liebe es nicht, wenn ich mich +dabei erwische, ich bin sehr verschlossen dann sicher im Gesicht. + +Auch sehe ich gar nichts wie Netze und Schären. An der grünen Wildheit der +Riffe aber, wenn mein Blick damit zusammenprallt, könnte ein Herz wohl +aufschrein. Ich glaube es bestimmt. + +Mittwochs kamen die Schweden, hörnerschlank, blondgescheitelt. Almqvist +besprach lange jedes Detail mit ihnen. Ich rührte mich nicht sonderlich bei +den Vorbereitungen, prüfte die Klaviatur nur manchmal, ich hatte das Ganze +zu überschauen, ich maß meinen Puls nicht wie Sverker Ek, ich war wie immer +in den drängenden Stunden der Gefahr fast unbeteiligt, als stünde nicht ein +Ruhm ungekannter Größe und Bedeutung auf dem Spiel. + +Ich sprach mit Almqvist lange über diese Frage, die endlose Lüge der +Geschichte, die uns idiotische Führer und geschickte Taktiker als Helden +ewig exerzierte, wo wir aus der Gegenwart im Einblick in alle Verhältnisse +dies Prisma von kleinster Menschlichkeit und Kohl und Lüge und dümmster +Brutalität zu jeden Vergleichen an der Hand hatten und an den Märtyrern und +Tapferen eigenwilligerer Ziele ganz anderes Heldentum beobachten konnten. + +»Es ist Zeit, es ist Zeit,« sagte Almqvist, als er die Fernrohre vom +Hausdach richtete, »mit einem Stierstoß das Epaulettengenie aus der +Historie zu stürzen und die Heiligenscheine steigen zu lassen.« Er lachte +höhnisch, wir hatten am Ostufer den Bienenschwarm Männer in den Gläsern. +Wir kannten jeden einzelnen, die Beziehung jedes einzelnen zu irgend einer +Gesandtschaft und amüsierten uns über das Schachspiel, das sie miteinander +aufführten. + +Um elf Uhr gingen die weißen Hosen des Außenministers vorüber. In +Badekostüm und Tenniskleidern begann die Börse. Alle heben die Nasen nach +seinen politischen Vapeurs, die nach seiner Entfernung bis zu seinem +Abendbummel, wie Rauchschwaden der U-Boote nach dem Tauchen, den ganzen Tag +geballt zurückbleiben. Die Spionagezentrale des Stockholmer Grand-Hotel, +die ihm hierher gefolgt ist, schwitzt, nachrichtgeil, vermanscht die +Atmosphäre zu Meldung, sie langweilen sich und spielen sich weiter die seit +zwei Jahren vorgespielte Rolle vor, der eine Davoser, der andere +staatenlos, der andere Neutraler, refraktär, krank, desertiert. Sie fluchen +auf den Außenminister, daß er die Klippe als Bad nahm, sehnen sich nach den +Bars Stockholms, nach Royal, Hasselbacken, Rosenbad, nach Autos, Kokotten, +Telefonen. + +Sie haben die Nordsee peinlich in den Nüstern, es spielt sich schlechter +vor der wilden Kulisse. Sie kennen jeder einander genau, jeden Atemzug, +alle Vergangenheit, sie lügen sich täglich an und glauben sich täglich neu, +sie sterben vor Gähnen darüber. Hätten sie wenigstens Frauen, es sind keine +Mondänen da. + +Die Schweden klatschen in die Hände vor Vergnügen, wenn das Spiel im Sand, +von uns vorhergesagt, nach den jeweiligen Berichten der Zeitungen, +mechanischer als ein Flohzirkus funktioniert. + +Das Eigentliche vollzieht sich allerdings nur deutlich für den Kenner: wie +zwei sich bewegen oder beobachten, am Lauern, am Ansprechen. Oben in der +Wirklichkeit sind alles nur Ausländer, die sich sonnen. Alles elegante +Gentlemans, die baden und höflich sind und die Formen der Welt +respektieren, im Kopf ein Nichts an Hirn, im Bauch Hunger und Trieb. + +Unter dieser Oberfläche geschieht das eigentliche Techtelmechtel: + +Ein portugiesischer Gestus trifft einen wienerischen, sie feilschen +zusammen: Zigaretten am Balkan, Orangenladungen in Lissabon, die Finger +spreizen sich. Da sagt ein amerikanischer Mund, steif gezogen, Höfliches, +reicht ein Streichholz und ist verbindlich . . . während im Untergrund das +Herz anschreit: »Du Sau der tyska legatione . . . Amerikahund.« Beider +Augen messen sich: wieviel Ladungen Munition im Monat der eine Blick +. . . wieweit die Ernährungsfrage im Herbst der andere. In beiden +Brusttaschen Banknotenbüschel! Ein bulgarischer Kalkül stellt einem +englischen ein Bein, lockt ihn in die Falle, bekommt steife Prügel, saust +heraus, blamiert . . . oben sind die Köpfe der beiden unberührt, der eine +überschlägt, daß er durch die Blamage tausend Pfund verloren, der andere, +wie er den abgeblitzten sich zu Diensten fängt. + +Alle Köpfe haben einen Zug Gier nach Geld, das ist das Gemeinsame. + +Eine türkische Stellung wird beim Zeitunglesen verschachert gegen eine +Nachricht vom Zentrum Lenins. Am Telegraphenamt sind alle bestochen. +Abschriften sämtlicher Telegramme zirkulieren jeden Tag, alle Chiffern sind +bekannt, harmlose Telegramme sind die beliebtesten, da sie drei Deutungen +haben. Zwischendurch Poker, Bar . . . bac . . . ma tante . . . vingt et un +. . . die Karten fluschen. + +Abends ist mancher plötzlich reich, nicht an der Roulette, das Spiel von +Ehrgeiz und Bedeutung geht über dem gesellschaftlichen. Da klotzen die +Köpfe brutaler, stierer sich ins Weiße: Kanonenpräzisionen, Abordnung von +Führern, ein auslaufendes Kriegsschiff, Flammenwerfermodelle, Atmosphäre +des Eßdrucks gehn als Tip. + +Da sitzen die bluffigsten Karten. Zwei Jahre noch Kriegsgewißheit (wie +stehn die Nerven drüben, Freund?) und Industrien schnellen göttlich hoch. +Zusammenbruch pleite, aber welche Chance bei Voraussicht. Eine +Offensivmöglichkeit wird einem schwarzblauen eleganten Conte abgeknöpft, +auf zehntausend Tote kalkuliert, Zurückschrecken, auf siebentausend falsch +frisiert, das zieht, in den Kabel gegeben, den Toten zu einer Mark, am +Abend als Gewißheit weiterverkauft gegen Fettrationsnachweis, +Kupferlösungstabellen, Salvarsanschmuggel. + +Äußerlich schlenkern sie die Arme, schleichen sich gegenseitig unauffällig +nach, wünschen sich die Pest in den Schlund, lächeln süß, duellieren sich +selten, innerlich lauern sie, sind angespannt, aufgezogen, Federn, +Pistolendrücker, Minenexplodeure. + +Am Abend gehen die weißen Hosen des Außenministers am Strand zurück. Die +Blutbörse reguliert sich neu. Die Spionagezentrale sucht die +Telegrammzellen auf. Über Lissabon, London, Berlin, Washington, Wien, +Paris, Mailand, Pest geht ein Nachrichtregen nieder. Sieben Armeen kämpfen +weiter, Tag um Tag, gut informiert, aufs beste bedient. -- -- -- + +Wir scherzen, lachen, zeigen uns dies und jenes, der Tag ist hell, wird +immer weicher. Die Fernrohre kreuzen sich, sehen aus wie Maschinengewehre, +wir trainieren unser Handwerk, wir sind sehr vergnügt, machen Skizzen und +Notizen. »Siebentausend Moslemin,« knirscht Ek ironisch. »Viva el Peru« +rufen wir und machen sie nach. Wir singen, weil es so schön ist: »Happy +day, ha--a--a--ppy day -- --. When Jesus washed my sins away.« + +Lilljeqvist hat eine Segelmütze auf der Glatze, wir sind in bester +Stimmung, unter Scherzen geht der Morgen hin. Ein heller Tag. Auf der +westlichen Klippe gehen wir ins Meer, zweihundert Meter weiter schießt der +Halbbogen der Fjords wieder heraus, da gehen die Frauen ins Meer, kupfern +gewölbte Schatten liegen vor einer Schäre, der Wind hat nachgelassen, +traumhaft abgebogen stehen Segel vor dem sinkenden Kreis des Horizonts. + +Almqvist hat die Unterredung durchbrochen, das Genießende und Schöne ist +aus seinem Gesicht verschwunden, er ist verzweifelt, er geht auf und ab, +die Frauen schauen herüber, er wendet sich an uns alle, das Meer, die +atemblaue Seligkeit der Luft: + +»Ha,« sagt Almqvist, »was Jaurès, was Pétain, was das ganze Schachspiel +. . . Bagatellen für Affen. Die Erde ist in den Äquator der Abrechnung +eingelaufen, was? Die Fahrt in das Dunkel hat begonnen, die Kugel knallt in +das Chaos. Ha . . . wie hängen die Dummen noch ungelöst an ihren +Bettwärmern, ihren Seelenkitzeln, ihren Kompromissen. Der Bruch geht +verflucht durchs Ganze. Schöner Tag, Ek, süße Bläue, Krassin! + +Aus für uns. + +Die Lichter sind ins Dunkle geflaggt. Ha . . . und keiner sieht in +verlogenen Räuschen von heute schon den Schluß. Unerbittlichkeit, i . . . +i, Nachdenken Ek. Nichts wird hinübergerettet. Die Weiber mit kostbaren +Dessous, die lachend vor Spiegeln stehen, von Steinen voll gepflegte Hände, +Salbenhaut, die in Kissen feucht wird. Autofahren, sanfter Luxus, der +reizvoll die zarte Erdoberfläche malt . . . betrügt Euch nicht. Der +Zeitbulle rennt sich seit vier Jahren die Hörner ein, auch die Gazellen +werden damit verrecken müssen. Putzt die Lampen auf für andere Jagd. Ob die +Zeithörner blasen oder Frauenbeine spielen, erschöpft für diesmal die Frage +für das Säkulum. Im Katastrophenschacht der Sternbilder, in den wir +einfahren, ist der Ernst und die Grausamkeit verdammt en vogue. + +Ha . . . süßer Tag, Ek, milchweiße Silberränder in der Luft, man wird den +Schönheitszauber mit Keulen zerschlagen. Ob ich ihn geliebt? Wie habe ich +ihn genossen. Einmal wird Schönheit die zackige, rohe Erde erlösen. Nichts +ist das aber vorderhand für uns. + +Wir werden keine Freudelagerfeuer des Sommers an dunklen Julifjorden +entflammen. Städte werden zum Osiris gefeuert und der Mond auf Leichenhügel +geknallt. Schwelgerische Sternnächte werden ohne Regatten rauschen, Ebenen +nicht mehr verzücken, Meere nicht zu Begeisterung schlagen, Seen zu keinen +Frauenräuschen treiben, dampfende Schneefelder unter flamingoner Röte nur +im Traum noch schweben . . . aufgespreizt dagegen, mit gußeisernen Kolben +wird dem Zeitauge das Plasma ausgeschlagen. Tritt in den Brustkorb dem +schloddrigen Gerippe. Knackt die Schulterblätter der duftenden, innen +verwesten Kokotte. Ab mit dem Geschrei der greisen Äffin Europa. Die Erde +hat . . . hat ein elefantisches Toben angenommen. + +»Nach uns erst, Ek, werden die Nymphen wieder steigen, wir sind leider bei +der Reinigung und der apokalyptischen Dusche.« + +Er hört nicht auf zu lachen, seine eleganten Hände pressen sich immer +wieder auf die Knie, der Oberkörper schüttelt sich, er kann sich nicht +fassen. Er bekommt langsam sein Gesicht wieder, die Maske wächst ihm vom +Kinn zu den Augen. + +Ich sehe durch sein Lachen den Krampf, wie sein wundervolles Leben sich +ablöst von dem Leichten der Zeit, dem es anhing mit allen bei diesen Gaben +und solchen Fasern lebenden Gefühlen. Ich fühle den schicksalshaften Tenor +seines Blutes, etwas steigt, begreift in mir eine Sekunde das Ganze, dann +vergesse ich es wieder, sehe nur das Nahe, spüre mich feig und kneifend, +aber hell und voll Ehrgeiz zusammen, ich kann es nicht ändern, ich kann ja +nicht tauschen, ich höre nichts als immer in jeder Sekunde durch den Granit +den Herzschlag des Meeres herauf mit einem einzigen Klang: Ebba. + +Alles erfüllt es, alles beglückt. + +Ich habe die Bücher nicht einmal gesandt, ich kann ihren Namen nicht nennen +beim Händler, ich kann ihn nicht aussprechen, es ist schon so fast zu viel. +Sie wird am Fenster stehn irgendwo, ich sehe es deutlich, sie wird am +Fenster stehen und warten. Keine, keine Verwirrung in diesem Haus. + +Ich wende mich ab, ich wende mich von ihr, was soll ich mit diesen +Gedanken? Ich schelte mich feig, ich strenge mich an, Almqvist zu +erreichen, ich will seine Klarheit, ich winde mich darum, sie zu fassen, +aber, ach Gott, warum sehe ich immer die Frau da am Fenster? + +Ich kann noch nicht. Ich bin noch nicht so weit. + +Wir gehen über den Steinhügel der Insel. Kanonendonner gespenstisch im +Kattegatt. Ein Fischerboot saust unter englischer Mine vor den Schären in +die Luft. Die Bojen läuten. Leuchtfeuer taumeln durch die mit weißen +Sternen durchzischte Luft. Der Mittag wellt dunkler gegen das Moos, die +Möven rennen tief nach dem Wasser zu. + +Almqvist legt den Finger an den Mund. + +Die Schweden schwenken ab, mit den Händen deuten sie noch einmal nach +verschiedenen Stellen, beschreiben einen Bogen, verziehen den Mund, lachen, +entfernen sich, Steine nach Vögeln werfend. + +Ich liege auf dem Hausdach. + +Mit dem schärfsten Rohr beschaue ich die Sammlung am Ostufer, dann +schleiche ich nach, ich komme hinter einem Felsen her, erwische den Rücken +einer alten Badekabine, deren Dach schräg auffährt, ich drücke mich platt +an. Unter mir bewegt sich das Gekribbel, alle starren ins Land hinein. + +Ich sehe Almqvist kommen, er schlenkert mit den Knien, bewegt die Schultern +lässig, den Mund gespitzt, der Panama schaukelt in seiner Hand. + +Unter mir macht Boissant zwei Winke, in der allgemeinen Verwirrung +entfernen sich die Türken mit dem Bulgaren. Boissant bleibt breitspurig +stehen, die Hände in den Hosentaschen, die pomadisierten Haare in die Stirn +gebürstet. Plötzlich, je näher Almqvist kommt, begrüßt er ihn zuerst mit +einigen Schritten auf ihn zu, und als die anderen nachdrängen, wird er +immer kleiner, unansehnlicher, das brutale Gesicht wird säuerlich weich, +die verdellerte Stirn mit den schrägen Augen versinkt in Falten und einen +weinerlichen Buckel, er benutzt die erste Möglichkeit, mit den beiden +Alliierten ganz allein zu sein, versucht aus dem Nadelkissen der +Spionenschwärme herauszuglitschen, verschwindet nach der Klippe zu . . . . +geht in unsere Falle. + +Ich bekomme Klopfen im Hals, seine Entfernung wird bemerkt, Blicke kreuzen +vieldeutig in der Richtung, der Wiener Beauftragte murmelt »ja schaugts«, +schon heben sich die Beine, manche springen auf. + +Da nimmt Almqvist die Sekunde, gestaltete sie mit seiner Verführerischkeit, +es erweckt keinen Trotz, mit dem ganzen Zauber seines Wesens zieht er +unwiderstehlich die Geliebte eines englischen Geschäftsträgers gegen seine +Hüfte: + +»Frauen«, sagt er erstaunt. Sein Rücken lehnte gegen einen Strandkorb: »Sie +haben wenig Frauen, meine Herren«, sagt er spielerisch und zieht sie in +seinen Tonfall und ich zittere unter seinem Tonfall, weil ich darunter sein +anderes Gesicht immer erblicke. »Sie haben die kleinen Hasen mit Recht +vergessen, die kurzbeinigen, mit denen man spielt, die man nicht liebt. +Welch allersüßestes Kompott von anderen Frauen könnten Sie auf der Klippe +servieren.« + +»Dinieren Sie«, ruft mit steifem Blick der Engländer. + +»Frauen«, sagt Almqvist. »Französinnen, da geht eine Welle von der Gosse +bis zu den royalistischen Dessous. Ich diniere voll Vergnügen. Gekrümmter +Bizeps: man hat sie alle. Sapristi. Schönes Geflügel, doch man fängts nur +vom Blut aus. Nimmt man sie als Weib, vom Weibsenhaften her, hat man jede. +Dann können Sie vornehmen, was Sie wollen, und jede Académie des Dames bei +jedem Essen mit ihnen vollführen. Die Wege sind egal, solang sie so +erfochten werden. Verlieren Sie die Luftschicht, arbeiten Sie mit Gedanken +und Tricks, ist es aus. Narren glauben nur, Liebe sei nicht Talent, weil +Frauen manchmal auf Idioten reagieren. Verhängnisvoller Irrtum, die Idioten +waren einfach die Begabteren. Wüßten die Schreiber sehr erlauchter Bücher, +die oft mit unmöglichen Weibern leben, wieviel trächtige Instinkte es +bedarf, welche Wollustbarometer, welches Training und welche Disziplin, wie +man führen, folgen, verlocken, zurückbleiben, lange zögern muß, dabei immer +in Siedenähe der Seelenatmosphäre der Frau, wie man vorstoßen, mit Maß +überwältigen, göttlich disponieren muß . . . . . . um nur das anonyme +Straßenmädchen Chichette, die kleine Bürgerstochter Anna zu verführen +. . ha . . . . . . . diese Schreiber, deren ich das größte Amüsement bei +ihren Büchern habe, stiegen von ihrem Hochmut sehr rasch zu den +Sansculotten und fühlten sich den dem Blute viel näheren Abenteurern +wahrhaft gegenüber als Nichts und Null. Französinnen. Ich diniere als Hors +d'oevre, Dessert und Entremet. Diese Frau ist ein Meer, der begabte Mann +kann sich Legion der Vielfalt aus ihnen machen, ein gutes Material des +Weiblichen, wo aus der Stimmung der Sekunde das Entsprechende grilliert +wird. Doch man muß gestalterische Phantasie und viel Einfluß haben, Rezepte +aus dem Augenblick saugen und die Soßen genial verrühren können. Der +Unbegabte nur, meine Herren, geht an die Frau wie an ein Schiff, liest den +Namen, betritt es, und es ist ihm gleich, oder er nimmt es für seinen +Verdienst zufrieden, heißt es nun Lutetia 4, ist's Demut, ist's Glückliche +Meerfahrt. Beschränktheit und Trottelei. Casanova beherrschte als letzter +Souverän das weibliche Alphabet, gab seinen Frauen den Namen, den er +beliebte und den Charakter, den er vorzog. Er verstand auch, was aus der +Französin leicht, bei anderen sehr schwer, aus Hüllen von Schmutz und +Silberfuchspelzen, aus Palais und Hafen und Kulisse, Gesellschaft und Gosse +jenes Blasse, ein wenig Stöhnende herauszuholen, immer wohl das Gleiche, +aber jedes anders überspielt, anders gestaltet: das Weibliche, la femmelle, +was man lächelnd, aber nie ohne zu erbleichen, auf dem Grunde des +Frauenhaften suchte.« + +Er hat den Blick fest in dem des Engländers. + +»Dinieren Sie,« sagte der Engländer mit steifem Blick. + +»Ich diniere voll Vergnügen«, sagt Almqvist. »Ich ziehe es vor, +Norwegerinnen mir zu dispensieren, schlimme Knöchel. Däninnen Austern, +feine Hüften, keine große Sache, oft grau im Teint, Salzwasser, man muß +Zitrone hinzutun. Schwedinnen haben Rasse und Charme wie die Französinnen, +sie kommen ihnen am nächsten, sind sogar besser gepflegt, nicht mit Puder +und Rotstift, sondern von Gymnastik, mit ganz famosen Beinen und +Aprikosenteint. Es geht nur ein paar Jahre, dann erkaltet ihr Arom. +Immerhin werden sie komplizierter, weil sie ohne die französischen +Retuschen, Parfüme und Toilettekünste arbeiten. Denn ihr +Falschheitsattribut ist also mehr im Inneren, sozusagen Seele, während bei +den Weibern der Boulevards und Impasse, ungreifbar jedoch zu dressieren, +auf Busenwarze, Fußzehe, Bauchlinie das Seelenhafte sich herrlich +vollzieht. Der Liebhaber und Amateur kann der Skandinavin daher nicht in +Reinkultur der prallen Männlichkeit kommen, es braucht etwas Hirn, ein +wenig Intellekt. Schon braucht es grobe Mittel, dem Amateur wahrlich +Verächtliches: Logik, Strafe, Züchtigung. Wüßten die Frauen, die, statt +groß und frei sich zu geben, dumme Seelenkulissen dazwischen bauen, wie der +seelenvolle Mann gleich Mondschein ihre prüden Bewegungen widerlich findet, +sie kaprizierten sich weniger auf »Werben«, »Sicherringenlassen«, auf +Seelenpflaumen als überraschendes Zwischengericht und Intellektkrebse +zwischen Salat und Huhn. Während sie glauben, raffiniert zu sein, machen +sie nur abscheuliche Rezepte, rühren Ei und Öl und Preißelbeeren an einen +und denselben Fisch. Das fabelhafteste Menu ist das natürlichste, ohne +Hemmungen, aber mit der Lust am Speisen. Seele kommt dann von selbst nicht +als Eis, aber als Atmosphäre, denn wo wäre Seele nicht, wo Harmonie sich +löst. Rutscht der Frau unseres Jahrhunderts und unserer irrsinnigen +Erziehung, meine Herren, die Welt ins Hirn, so können nur Dressuren sie +sanft machen zu Beefsteaks der Liebe. Ich kenne die europäischen Küchen +allesamt, die Art des Klopfens ist überall dieselbe, (lediglich die Nomaden +Ungarns belieben Fleisch manchmal noch unter den Sattel zu legen). Man +treibt das Hirn ihnen so aus, sie erkennen unter Schmerzen das +Schöpferische des Mannes, werden seltsam anschmiegbar für ein paar Stunden. +In Esprit sich und die Liebe verwickelnd, sind sie von Stimme und Gebärden +Hyänen, aber mit welcher Grazie spielt nach der Prozedur des Dressierens +man mit süßen Katzen. Dabei sind die Intellektuellen ohne jede von ihnen so +erstrebte Dämonie, sie sind nur komisch, meistens bös, nie gefährlich. Dazu +sind sie zu dumm, weil ihr ganzer Apparat ja männliche Kopie ist, ihr +Bestreben männlichen Geist mit maskulinen Mitteln zu imitieren, und sie +dabei die typische männliche Dummheit gegen die verstrickendere ihrer +reinen Weiblichkeit eintauschen. Arme Dinger, sie würden nie Schnaps +trinken und Pfeifen rauchen, weil die Männer in Scharen Wettlauf von ihnen +weg begännen, aber in den Regionen des sogenannten Geistes sind sie +instinktlos wie kein Tier. Was Sie dumme Ziege nennen, kann mir Kosmos und +Schicksal sein, Bestimmung und Verhängnis, kann in manchen Momenten mich um +den Finger wickeln, wie einen Wurm. Ich fliehe, weil ich gebildet bin und +Frauennähe brauche, geistvolle Frauen. Die Dame mit Literatur verräuchert, +Kunst weich kauend, geht trotz bestem Magen auf die Darmnerven, macht +totkrank bei halbstündigem Tee. Mit einem Barmädchen Lilly fuhr ich bis +Kairo. Daher sind die Asiaten und Afrikaner so herrlich. Haben Sie schon +einmal mit Abessinierinnen gefrühstückt, Palaumädchen zwischen den Wellen +der Brandung nachts Melonen essen sehen? Das ist pikanteste Küche: Milch, +Honig, Traube und Kokos und Ziegenlende. Haben Sie Negerinnen auf Gäulen +durchs Gras reiten sehen, das sind die schönsten Frauen, gelehrig wie +Papageien fahren schnatternd den Fluß mit einem herunter, während im Wald +es schreit und dröhnt. Auch ist ihr Odeur extravagant, wenn man nicht den +Schlag von Kapstadt nimmt, der ist Bruch. Aber nicht jeder verträgt diese +Atmosphäre, man ist bei uns zu festgelegt auf gebadetes Fleisch, statt das +Wechselspiel von Haut und Luft zu bewundern. Doch muß ich eine Warnung +hinzufügen, sich nicht zu sehr der Biskuitschönheit der Javanerinnen +hinzugeben, deren Talmianmut verderbter europäischer Grazie nahekommt. +Beine und Brüste sind lange nicht so gut wie bei Schwarzen. Das andere ist +Bluff. Sie drehen große Augen auf, das ist alles. Man stirbt vor Langeweile +oder wird Buddhist. Die Spanierinnen sind von ähnlichem Filet, man kann +sich mehr Vollendetes auch in den seltsamsten Kühnheitsstunden der +Phantasie schwer denken, die Caballeros stehen an den Gittern und erregen +sich an den Damen hinter dem Fenster, sodann zünden sie Zigaretten an und +gehen ins Bordell. Haben sie endlich eine Dame durch Heirat, sind sie nach +zwei Monaten wieder dort. Mondaugen und ideale Büste, braune Marmorschenkel +und süße Hüftlinien genügen doch nicht ganz, wenn das Blut stickig +geworden. Wo ist in Europa sonst noch ein Typ? Russinnen verstehe ich +nicht, davon rede ich nicht, hier gar nicht. Italien weich und süchtig wie +Gelee und dunkle Marmelade. Am Balkan Gehetz. Die Cuisinen duften Paprika, +Knobloch und grünen Pfeffer. Sonst wie mit Hunden gebalgt ist alles, +Beißen, ein Knäuel, man läuft auseinander, schimpft. Schöne Spielerei und +immer Getös, man wendet sich bald ab, zieht Fußballspiel und Hockey vor, +welcher Sport auch reinlicher erhält das Gemüt.« + +»Dinieren Sie,« sagte der Engländer mit gehärtetem Stimmuskel. Er saß zum +Sprung. Almqvist hatte seinen Blick in dem seinen wie in einer Fessel. Er +zog das eine Auge herunter. Wie furchtbar spielt er die Komödie! + +»Nur die deutschen Aristokratinnen sind appetissant. Da ist Zucht, zwar +geistlos, aber heftig in Rasse, schmale Hüften, Tennisbeine, dünn und zäh, +ovale Köpfe. Etwas vom elegantesten Tier, der Giraffe, und einiges von +dünnem Stahl. Soviel Federndes ist darin, daß man sehr hohe Ereignisse mit +ihnen erreicht, daß man bis an die Mondhügel und die Milchstraße schwebt, +verzückt. Doch das ist Züchtung, man erreicht es nur im auserwählten Fall, +meine Herren, das Landläufige schlägt Sie mit Entsetzen, ein Schreck +zwischen Sentimentalität und zu kurzen dicken Beinen. Der Schick geht nicht +bis auf die Dessous, wo er erst beginnen sollte. Ein fatales Souper an der +Spree, ein nur durch südlichen Himmel gemildertes in München. Nur +Düsseldorf oder Mainz sind geprickelt, dort mischt sichs mit Niersteiner, +französischen Rotis und Rheinwind. Die anderen verstehen die Soßen nicht zu +präparieren, es klebt aus Wasser und Schmalz und Mehl. Sie wissen nicht +aufzuduften herrlich zugleich nach Apfelblust, Meer, Houbigant, Kirsche, +Roquefort, Chablis. Sie haben nicht Reizsinn, das macht, daß die pikanten +Entremets fehlen. Das Souper ist ohne Würze. International leider als +Kapitalanlage verwandt. Da von Genuß nicht die Rede mehr ist, geht bei der +Dirne daher schon der Zynismus um, daher ist diese Atmosphäre auch jedem, +selbst übelsten Ansinnen offen. Dies Essen allein verläßt jeder ohne Dank, +ohne Erinnerungshauch, der köstlich noch nachschwebt aus der Morgenröte, +dem samtnen Gestammel, kalt wird es verlassen, was selbst den Japanerinnen, +die quälen, nicht passiert. Auf dem Düngerhaufen der Welt modert dies +Überbleibsel, getreten in London, in Bordellen Südfrankreichs, roh, heiser, +in den Anlagen Buenos Aires, auf den Boulevards. Hin und wieder steigert +das Mütterliche hingegen sich zu Güte und Brille. Man steht erschrocken vor +Sympathien, die einem unerträglich sind. Auch gibt's spielerische Abarten, +Blutmischung von Polen, Prag, Elsaß. Da liegen Kegel Luftschicht flüsternd +um die Leiber, was wichtiger wie Frou Frou, Pelz und Seide. Da geht ein +Kampf immer mit Stummheiten, Abwehr, Hieb und Einsinken zwischen Wünschen, +Männerblicken und dem Weib, Lustfächerspiel aus Luft. Besonders aus dem +Österreichischen her, Genies der Haut, Hasen, an denen die Lust sich reibt, +riechen wie Klee, schnuppern. Schwierig, die mit Seele, man will sie nicht, +aber sie möchten auf diesem Umweg bezwungen sein, man hat ein Lazo um den +Hals, ich wage nicht, Sie mit den tollen Einzelheiten der Flucht hiervor zu +langweilen, Sie ziehen eindeutigere Einzelheiten vor. Man speist nicht +Straußeneier, weil sie selten, sondern man speist Kibitzeier, weil sie +selten und dazu sehr gut«. + +»Dinieren Sie,« sagte der Engländer. + +»Asiatische Würze in europäischer Flaconnierung, ich setze mich gern zur +Tafel«, er zog die Engländerin herüber, spielte mit ihrem Haar und übersah +den Rufer. »Heißt das Essen Adler, hat das Exemplar leicht kurze Beine, ist +jüdisch, wird dick. Da hat sich Vorderasien schon ganz an das bürgerliche +Europa angeschlossen, aufgegangene Kaprizen in Sackfett bourgeoiser Ideale. +Heißt's aber etwa Guzman, kommt es aus Spanien über Saloniki, ist schmal, +hat kein Ghetto gehabt, zäh, geistig und voll Charme. Vielleicht das +Höchste, was es gibt: Hirn plus Blut. Aber in der hinreißendsten Grazie +serviert. Internationale Aristokratie. Ihrer Tradition Chefs waren, als +unsere Vorfahren in Pelz und Barett noch schwitzten, gepflegte, untadelige +Gelehrte und Künstler in Katalonien. Serviert man Frauenkompott, darf die +herrlichste Jerichospeise nicht fehlen. Man wird immer wieder zu den +Jüdinnen zurückkehren, zu dem Hafen, den Intellektuellen der Freude. +Erotische der Ideen, Glühende nach Ziel und Triumph. Dasselbe, was +Anarchistinnen treibt, ist ihre Umstrickung. Dazu sind sie einfältig, fast +primitiv, im intimsten Moment. Lasterhaftes und Wille, sich für einen töten +zu lassen, Adel und Ausschweifung, Königin und Dirnengeschwätz, +dolchscharfes Hirn und Akkumulator der Gasseninstinkte -- -- das fließt +fabelhaft ineinander, man vergißt diese Frauen nicht. Sie sind wenig +entdeckt, man degoutiert ihre Männer und sieht sie nicht. Wer sie aber +erfahren hat, läßt nicht die Lieblingsmarke. Sie halten einen nicht. Ihr +Trieb ist, Freiheit geben überallhin und dadurch erst recht zu fesseln. Man +schlägt das Auto, etwas betrunken, mit ihr völlig in Fetzen, im Abfahren +ruft sie »Säufer, du Protz«, man steht eine halbe Stunde auf der Straße, +beschließt, irgendwie anders nun von dieser Nacht ab zu leben, geht zu ihr, +sagt ihr's, und findet keinen Zug, keine Falte, die den Triumph bei ihr +anzeigt. Es soll sogar, so vielfältig ist der Typ geschichtet, chinesische +und negerische Jüdinnen geben. Man hat die Auswahl: runde, ovale, +Suaheliköpfe, Schlitzaugen, mandelgebogene, abbessinische Formung, +überweiße Arme und sehr dunkle Haut, es ist von den klassischen Ragouts bis +zu den bourbonischen Chateaubriands jede Nüance vertreten. Asien wird uns +als Mission in die Adern getragen, Steppen, Jahrhunderte Gold des Jericho +und Euphrat, Schmutz und Begeisterung und Landstraße und Silberhimmel sind +in ihrer Neigung zusammen, es betäubt und man ist immer wieder da zu Hause. +Hier ist das intimste Diner gerichtet, man langweilt sich nicht mit den +Suppen, man will endlich einmal über die Hors d'oevres hinaus, zu Forelle +und Fleisch. Sei es auch à la tatare. Auch wird man Paprika, portugiesische +Sardellen, Anchovis als Würze, persische Pflaumen, Pfirsich und Brüsseler +Trauben als Früchte dazu haben. Man fährt auf solchen Gedanken wie auf +Äroplanen durch den Ozean von Rausch und Erregung. Ein ungemeines Potpourri +von Erlesenheit der Speise ist zu den Kompotten geschichtet. Wer nach +Blutstromwanderung, nach Sehnsuchtsfjorden aus ist, hat hier die +wundervolle Yacht. Auf welcher Regatta es sei, führt der Liebhaber die +palästinensische Göttin, großhüftig und braun, am Fock.« + +»Dinieren Sie. Dinieren Sie,« schrie der Engländer. + +Da zog Almqvist die Frau auf das Knie: »Ich vergaß die Gemüse Ihrer Insel, +ich bin bestrebt, ihre Lendenstücke nicht außer acht zu lassen.« + +Der Körper des Engländers schoß an ihm vorbei, Almqvist hatte die Frau mit +dem rechten Arm an sich gezogen, hochgehoben, war dem Springenden +ausgewichen. + +In der Dämmerung lief er drei Sätze. + +Jagte auf der Galerie des Landungsstegs als Schatten. Eine kleine +Segelyacht kreuzte gegen den Wind, legte sich leewärts an das Geländer, sie +sprangen beide hinein. + +Der Abendwind riß mit einer schaumigen Brise das Boot ins Graue. Am +Geländer fiel der Engländer stumm um, hämmerte die Faust auf das Knie, tac +. . tac. Ich sah ihn noch aufstehn, wanken vor Wut, dann schlich ich in der +Verwirrung der anderen zurück. + +Hinter dem Fels begann ich zu laufen. In dem Spielzeuggarten war eine +Jasminwolke aufgebrochen, Kometenstücke fielen dauernd über die +Granitfelsen der Ostseite tief in die weich flutenden Fjorde. Ich saß +stundenlang am Fenster, wartete, sah mählich die Nacht über den Silberglanz +hingehen, die Düfte immer stärker auf der schweigenden Insel nach oben sich +wölben, die Uhren fielen schwer und flaumig in die dichte Stille. + +Um zwei Uhr kam Krassin. + +Um zehn hatten sie den endlich ungestörten Boissant nach seiner Unterredung +mit den türkischen und bulgarischen Subjekten abgefangen, betäubt, in einen +hollunderzerwachsenen Felshafen getragen, in die kleine Segelyacht gesetzt. +Krassin blieb zurück, öffnete, kopierte die Abmachung, ließ die Kopie +zurück auf dem Holztisch Boissants, genau so verfertigt, gesiegelt, +unterschrieben, wie das Original. + +Er gab mir das Original, verschwand lautlos. Ich ging mit ihm hinüber, las +es, ging zu Bett, schlief ein. + +Die Schweden kreuzten inzwischen mit Boissant bis zum Morgen zwischen der +Küste und der Insel, er hatte sogar die Möglichkeit, sich mit der +Engländerin zu unterhalten, »Englishman?« frug sie mißtrauisch, die Hand in +Almqvists Genick. + +»Allright.« + +Sie setzte sich etwas höher, weil sie schräg lagen, sah ihm ins Gesicht. +»By Jove,« sie erschrak zu Tode über das Affengesicht. + +»Hallo cap, hallo cap,« murmelte der Franzose und stierte ins Wasser. +Morgens setzten sie ihn lachend ans Land. Davidson erzählte ihm, als es +ganz hell ward, man habe ihn mit Krassin verwechselt und bat um +Entschuldigung, indem sie ihn tatsächlich wider Willen beim Wenden am Land +noch durch eine Ruderwelle bespritzten. + +Um elf morgens kam Krassin. Almqvist war in Gefahr, der Text der +Konventionskopie, die Krassin hergestellt, war als Fälschung stark schon in +Verdacht, alles stellte sich im Arrangement natürlich auf Almqvist. + +Ich suchte ihn, irrte mich im Zimmer, trat in ein falsches, da schliefen, +von der Sonne beleuchtet, tiefatmend zwei nackte Menschen. Almqvists Tür +war verschlossen. Ich klopfte, er antwortete nicht, schlief noch. Ich ging +zurück. + +Ich kämpfte den ganzen Vormittag. Ich nahm das Papier, sah es an, legte es +wieder beiseite. Das Papier war von einer Bedeutung, die weit über meine +Verantwortung als Mensch hinausging. Wie hatte ich danach gehetzt und +gejagt. + +Eine Abschrift war für den mißtrauischen Ludendorff nur Gelächter. Das +Original hatte Beweiskraft. Zeigte, wie die Außenposten seiner Politik im +Wind lagen, Konstantinopel nach der Trikolore lauerte, bulgarische Ohren +nach London sich spitzten. Ich hatte für das Schicksal der Monate das +wichtigste Papier, hielt es in der Hand. + +Was war Almqvist dagegen? Das Papier brannte in mein Blut sich ein. +Schicksale, Menschen, Entscheidungen wölbten sich aus ihm heraus, das +Papier ging in die Zukunft. Mein Ehrgeiz öffnete die Akte der folgenden +Wochen. Meine Handlung! + +Ich schwieg, stellte mich vor den Spiegel. Wie kühl, entschlossen bin ich. +Ich schwanke nicht, als es sich regt im Zimmer neben mir. Die Bedeutung des +Momentes schneidet alles ab, es geht weit über die Rücksicht auf einen +Menschen. + +Ich opfere Almqvist. Ich kann ihm das Papier nicht geben. So geht der Weg. +Ich lege die Lippen aufeinander. Ich bin am Schluß. + +Gegen Mittag sah ich plötzlich deutlich, daß ich nur von mir aus empfand +und beschloß. Die Einstellung war zu klein. Ich schämte mich trotz dem +Stolz, der mich füllte. Ich fand mich häßlich, wenig unterschieden von den +Schweinen der Spionagezentrale. + +Dennoch lag meine Hand sicher und freudig auf dem Blatt Papier. Triumph. + +Ich überlegte dann: wenn die Heeresleitung nicht glauben wollte, oder aus +Schicksalszug nicht glauben sollte, half dann das Original, war dann nicht +hinfällig, klein und dünn der Streit zwischen Papier und Papier? Der +Zweifel fraß mich an, ich hielt ihm lange stand, er warf mich auch nicht +um. + +Aber ich verstand mit einem Male, daß gegen alle meine Klugheit und +Entschlossenheit Mächte aufschossen, die eine andere tragische Macht als +die helle Sicherheit meiner kleinen Pläne beherrschte, und wie weggeblasen +und ausgespien diese oder jene Wendung mich machen konnte. + +Ich sah aus dem Fenster. Stundenlang. + +Dann ging ich hinüber, Almqvist das Original zu bringen. + +Er war nicht mehr da. + +Ich fahre nach Stockholm. Über mir schläft ein weißhaariger Priester. Ich +habe die Hand auf dem Brief auf meiner Brust. Am Bahnhof steht Siv. Wolken +steigen wie Ballone rund und dick und porzellanen über den Mälar und das +königliche Schloß. Der Gesandte fährt mit dem Finger über die Tinte des +Schreibens und trommelt amüsiert über die entzückend zugezogene Falle an +seinen verbündeten Kollegen auf dem großen Karo seiner Hose, das das Knie +bedeckt. Er hat den wichtigsten Trumpf, Rechtfertigung seiner in Berlin +geschmähten Politik in der Hand. Seine rasche Zunge hat ein gesalbtes Öl, +in dem sein scharfer Vorstoß seltsam glitzert. + +Wir speisen gut. Ist der schwedische Diener mit den dicken Händen und den +Zwirnhandschuhen, der serviert, draußen, klopft er mir jedesmal auf den +Arm, auch wenn er anders spricht. Ich sage: »Ich trinke auf Ihr Wohl, Herr +Minister, ich trinke gerne auf Ihr Wohl.« Die Gläser stoßen an. Er macht +mit Finger und Sprache das Parkett in Kreuznach, wenn der Brief übergeben +ist, wir lächeln. Noch vor dem Dessert präsentiert sich der beste Kurier, +er fährt sofort nach Deutschland. Im selben Zug sitzt eine Frau, die hat +den Brief. + +Exzellenz erzählt, wie die alte King verwechselt abends, daß er von Pyjamas +sprach und Bananen versteht und das die unanständigsten Folgen in der +Geschichte hat, zerlegt die Nüancen wie den Apfel, springt begeistert nach +Mokka und Schnäpsen zum Rauchzimmer hinauf. Er schenkt mir sein +französisches Buch über innere Politik in rotem Leder. + +Ich habe es dreimal. + +Ich schlafe den Mittag, sitze den Abend mit Siv im Grand-Hotel. Ich sitze +am gleichen Tisch, am selben heruntergelassenen Fenster wie das letztemal. +Der Geierschrei der Fjordbahnen pufft wie damals durch die Luft. + +Es ist eine unheimliche Ruhe in mir. Weiter weiß ich nichts. Bis zur +Beängstigung ist alles klar gezeichnet, still und gut. Ich bin bereit, mich +über alles zu freuen. Vielleicht gefällt mir die Gegenwart so sehr, weil +ich so wenig in ihr bin. + +Ich freue mich, wenn Siv kokett die Spitze ihres Schuhs unter dem Tisch +meine Wade hinaufführt. Ich nehme herzlich auf, wie schön ihr herrliches +pomadisiertes Haar im halben Bogen tief die Stirne ausschneidet. Ich füge +ihr den Stolz an, zu erröten, indem ich frage, ob ein Mann ihr Bein +bewundert, während ich weg war, irgendeiner tags oder abends. Ich weiche +der Gabel aus, die sie nach meinem Handgelenk sticht. »Willst du Rolf sehen +im Varieté, Naima Wifstrand, die Katze, die Hasselqvist tanzen, die Bosse +schreien, Musik, Siv, ich brächte dich gern zu Musik, du mußt mir das +glauben, Siv, wie gerne ginge ich mit dir zu Musik.« Ich will ihr Gutes +sagen, ich verwechsle alles, ich sage das Gegenteil ihr immer von dem, was +auf sie paßt. + +Ich sage ihr plötzlich und nun kann ich wieder lachen, daß es ihr gefällt, +nun sage ich ihr lächelnd, daß wir vor Hofås mit äronautischen Karten +gesegelt sind und alle Klippen getauft haben, eine so, diese anders, eine +aber, ich sage es ganz ernst, eine wie der Bauch einer Stute, die springt, +einer weißen Stute, versteht sich, eine: Siv. + +Ich füge hinzu, ich kann es ruhig ihr sagen, ich füge hinzu, in den +Kniekehlen habe ich gezittert nach ihr beim Baden, denn wer ist schöner wie +Siv? + +Ihre Augen flattern vor blauer Nacht. + +Ich füge sofort hinzu, ich kann es ruhig tun, ich spreche nicht die +Unwahrheit: »Nein, ich sah keine sonst, nein, keine Frau habe ich gesehen, +Siv . . . inte . . . inte . . . .« + +Wir sitzen lange am Fenster meines Zimmers oben. Wir wohnen im dritten +Stock. Siv ist halb entkleidet, in schönen plissierten Hosen und dünnem +Leibchen sitzt sie auf dem Fensterbrett und streckt die Beine nach der +Straße hinaus. Es ist gar nicht dunkel, wir hören das weiche, flutende +Wasser. + +Manchmal erzähle ich Siv. Dann sage ich manchmal: »Mittags sprach Per Geyer +vom Schnee im Lappland, Didring schenkte mir ein Messer von seiner +Expedition. In Saltsjöbaden die bronzene Tür müßtest du sehen, Siv, die +Heiligen sind verrückt geworden darauf, du würdest lachen. Im Schlafwagen +fuhr ein Engländer mit mir, ein alter Herr mit guter Wäsche. Wir waren +beide aufeinander auf der Lauer. Doch eine Frau traf ich, Siv. In Särö. Ich +weiß ihren Vornamen nicht. Ja. Die einzige Frau, die ich traf. Deine Haare +riechen, Siv.« + +Ich schließe die Jalousie. + +Mir ist, ich trüge die fremde und stille Welt, die ich in mir spüre, +irgendwie über diese Nacht in mich hinein, als ich Siv hinüberhebe in die +weißen, dämmernden Kissen. Die Nacht ist lang und zwielichtig. Ich sehe +alles vorüberrauschen, Tage und Wochen und Erinnerungen. + +Ich bin nicht undankbar in meinem Blut. Ich stehe auf. Ihre großen Beine +glänzen. Sterne überall über Stockholm. Unaufhörlicher Mövenschrei auch die +Nacht. Ich ziehe den orangenen Schild der Jalousie auf. Höre +Kungsträdgården brausen. + +Ich schließe die Augen: Ist Mälaren nicht blau, Himmel nicht erschüttert +von noch süßerer Bläue, ist nicht Fanfare das Läuten vom Turm des +Södermalm? Ihre Haare sind weißblond, wie habe ich sie umarmt, Siv. Wie +trägt mein Körper noch auf Jahre das Glück des ihren beruhigt im Blut. Auch +dies verliert man nicht. + +Ich wende den Kopf, ich lege ihn schief und fast bis zum Boden, daß ich +ihren Kopf noch einmal sehe, die Wimpern, daß ich sie noch einmal ganz +sehe, wie sie daliegt auf der Decke, Tochter im Namen Tors, so schön +gestaltet der Leib, daß der Schlag meiner Sehnsucht sie umwarf. Ich bewege +mich lange vor ihr, ich kann mich schwer davon trennen, sie anzusehen. + +Es ist Unsinn, ich habe dumm geträumt, daß sie an Werktagen Schuhe verkauft +in der Nordisca Companiet, es ist eine Farce, eine Lüge gewesen, die ich +betrieb, ein affenhafter Witz. Ihr Vater ist Staatsrat. O wie sie in +Humlegården mir zum erstenmal winkte aus dem Break, ein gelber Handschuh +mit schwarzen Schnüren. Ich weiß es genau noch, ich belüge mich sicher +nicht mit diesem Bilde, ein gelber Handschuh, Siv, ich trenne mich schwer +von deinem Anblick. + +»Ich liebe Ebba, Siv,« sage ich plötzlich, »ich sage es nur, wenn du +schläfst. Ich würde dich nie verlassen, Siv, nie ein Unrecht tun im +Gedanken an dich. Du beglückst mich. + +Jene ist Pein. + +Ich weiß, Siv, ich besaß dich nie ganz, meine Freundin, auch in der +tiefsten Umschlingung . . . wie keine Frau, die ich sehr geliebt, und bei +denen das Unentwirrbare mich anzog und verstrickte. Darum liebe ich das +Dasein, es gibt mir keine Grenze: Städte mit Wolken, Schiffe in Gefahr, +Hauch der Obstbäume, die langen Chausseen, Jagd nach den Tieren, die +unteilbare Wucht des erschütterten Himmels. Was willst du mehr, ich bin +voll Sorge und Liebe für dich, Siv . . . lebe, Siv, daß Geliebtes dir fremd +bleibt, du lebst dann gut . . . + +Aber Ebba, Siv, ich sage es, wenn du schläfst nur, das ruft in der Nacht. +Das preßt die Hände vor Zorn, das bringt zur Verzweiflung, man ringt +lautlos die Hände. Das reißt tiefer hinab zu den Quellen des Bluts als dein +leiser Aufschrei, dein dunkles Erstarren im jagenden Herzschlag. Ich habe +sie nicht einmal umarmt. Nicht einmal dies Geringe. + +Du bist schöner wie Ebba, Siv, ich gab dir mehr Beweise der Liebe wie +vielen. Ich rede nicht laut von der Stimme, die kommt, die fordert. Aber +sie kommt, Siv, sie kommt aus jedem Geräusch; dein Atem bringt sie, das +Auto, das auf Engelbrechtsgatan stöhnt, der Mond, der Stockholm überfliegt, +das silberne Tuten des Fischerhorns nahe Norrström . . . deine Haut selbst, +die atmet -- -- -- alles, besinnungslos dasselbe. + +Schlafe weiter, Siv, höre nicht mein Aufstehn. Dank, Siv.« + +Ich rede noch auf der Treppe, ich würde tagelang reden, wenn Siv so lange +schliefe. Aber ich kann ihre wachen Augen nicht sehen. Ich habe sie zu sehr +gehabt. Ich habe sie zu sehr gehabt, Siv. + +Schon bin ich Stunden entfernt. Östergötland . . . Småland mit Wäldern +. . . Skåne voll Wasserduft und Wiesen. Immer noch Siv. Ob sie lasterhaft +war einmal, in Kaschemmen mit Matrosen geschlafen, Schuhe verkaufte oder +als Ministerstochter auf rosanen Rädern durch die Parks gefahren, wie ist +das eine so gleichgültig als das andere, aber wie ist alles gesammelt in +einen Hauch, kaum Wort, kaum Bild, aber rührend und vollendet weggewandelt +aus dem hellen Leib mit der stolzen Bewegung und unergründlicher +Herrlichkeit und aus ihrer geheimnisvollen Blässe schon unbedingter dann +hinübergewandelt und zum Bild dieser Stadt verwoben, verführerisch und bis +zur letzten Sekunde im Griff lautloser Sehnsucht, spielerisch am Meer jene +unergründlichen Pas tanzend, die unvergeßlich betäuben. + +Ich steige in Lund aus, es ist Nacht. Die Straßen voll betrunkener +Studenten. Ich drücke im Hotelzimmer gegen die Seitentür, sechs Koffer +fallen um, ich lerne den kaukasischen Baron Uxkull kennen, der aus dem Bett +springt, er hat einen Kopf, poliert und oval wie ein Straußenei, die +kleinen überlegenen Elefantenaugen unter der bedeutenden Stirn. Sein +esthnischer Diener macht Tee, wir trinken ihn mit Himbeer. + +Mir ist, als schwebe alles zart und gefügig wie in einem gläsernen +Kugelbauch, die ganze Welt. Ich bemühe mich lange, mich zu entschuldigen um +die Störung, um das Mißverständnis. Die selbstverständlichsten Dinge +bedürfen eines Eingehens heute. + +Ich ziehe mich langsam zurück. + +Fahre in der Frühe nach Barsebäck. + + * * * + +Ich wohne Barsebäckby. Es liegt eine halbe Stunde im Land. Eine halbe +Stunde vom Hafen Barsebäckham und dem Bad Barsebäcksaltsjöbaden. Ich wohne +bei Jöns Holgerson. + +Ich bin allein, habe vierzehn Tage Zeit noch in Schweden. Ich weiß nicht, +warum ich mich hier verkrieche, nachdem meine größte Sehnsucht gelungen +ist. Ich trete oft vor den Spiegel, da steigt etwas aus meinem Auge aus der +Tiefe und ich kann es kaum zurückwerfen, so tief und reif ist es. Ich +fürchte mich vor mir. + +Nun, wo ich nichts will, nichts tue, nichts unternehme, ist wundervolle und +ahnungshafte Flaute in mir. Ich weiß. nicht, wann Ebbe kommt, wann Flut +steigt. Ich sehe den Mond, die Sterne; die Sonne ist immer über mir. + +Nachts kommt Jöns Holgerson, seine Frau ist krank. Ich ziehe ihre Ölhosen +an, er hupft auf einem Bein vor Vergnügen und schlägt die Faust auf die +flache Hand. Wir fahren in der Dunkelheit hinaus, überall paddeln die +Ruder. + +In der Dämmerung ist Jöns verstört, ich bemühe mich, ihn zu trösten wegen +der Frau, allein er grübelt nicht um die Krankheit, sondern nur um den +Grund. Jöns ist viel gefahren auf Kuttern, er hat nachgedacht über die +Wurzeln der Ereignisse. + +In Indien ist rote Ruhr nur zu bekommen von Obst, in Holland bei +wochenlangem Nichtregnen von Pflaumen, in Ungarn vom Liegen auf freiem Feld +nachts. Er weiß dies alles und findet keine Veranlassung; sein Wissen +bürdet ihn schwer, er schüttelt den Kopf. + +Wir ziehen alle aus allen Kräften hoch, stemmen uns nach rückwärts und +winden die Garne auf. + +Nun ist die Bucht eine Silberlawine von Heringen, die in den Netzen +schlagen. Der stille abseitige Strand wird plötzlich in Licht getaucht, ein +Horn tutet dreimal leis herüber. + +Zelte von Käufern werden aufgeschlagen, die Stille wird verknüppelt mit +Radau und Gefeilsch, heulenden Kindern, dem Trott der mit Fischen +abziehenden Wagen. + +Am fünften Tage kommt von Barsebäcksaltsjöbaden der Bote herauf mit meiner +Post. Ich gehe unter der Sonnenuhr hin, der der Blitz in der Nacht die +Zahlen 3 -- 5 ausgeschlagen, in das saftige fette Riedgras. + +Der Gesandte schreibt, daß der Kurier gedrahtet, Ludendorff habe gelacht +trotz aller Beweise, der Balkan sei von ihm schon eingeschüchtert. Gut. +Dies war umsonst. + +Berührt es mich noch? Es ist schemenhaft vorbei, ich fasse es gar nicht +mehr. Die Jagd der letzten Wochen ist abgefallen von mir. Ich weiß, auf +diese Weise kommen wir nicht weiter. Ein anderer Weg ohne Diplomatie, +Überzeugungskünste, ein anderer Weg wird es sein, wir werden ihn gehen, +auch ich werde ihn gehen, wer kann uns helfen aus dieser Not, wir müssen +uns finden, es ist nicht anders, die Welt kracht in Tragik und wir sind +dumm und klein. + +Gunnaris und Vehkamäki sind nach Finnland gefahren, schlagen nach Karelen +via Moskau sich durch. In Finnland ist keine Hoffnung auf Freiheit mehr, +seit und solang in Potsdam ein preußischer Prinz auf die singenden Vokale +dieses Landes gedrillt wird. + +Almqvist ist mit den beiden verschwunden. Ich zweifle nicht daran nach dem +Tag von Marstrand, sein eines Leben löste sich mit einer arithmetischen +Präzision von dem andern, in einer sehr schmerzhaften harten Sekunde aber +mit einem Aufflug ohne Gleichen in dem Schmerz. + +Ich gehe nun auf und ab am Strand, ich gehe auf und ab und lese, daß man +mich nicht ausweist, daß man mir aber ein Agrément verweigern wird in +Zukunft, Schweden wird nicht mehr wünschen, daß ich einreise. + +Das ist der Schluß. + +Ich lächle, ich werfe den Fischen Krabben zu und sehe aufs Meer. Das alles +schlägt mich nicht, das macht mich nur fester. + +Eine Nacht segle ich mit Axel Ahlmann, dem Dichter, der von Lund +herübergekommen ist. Er fährt dann weiter nach Christiania durch die +Schären. Ich winke ihm nach. Er ist ein strammer Bursche, angenehm und +zuverlässig, ein guter Segler. Ich sehe ihm nach ohne Bedauern. + +Von Schloß Borgeby kommt einen Tag Ernst Cederström hinter Bjerred her, wir +singen mit den Mücken, liegen im Sand, trinken den ganzen Tag Meth, +Kallskol, Punsch. + +Er fährt acht Tage vor mir nach Deutschland, »fahren Sie wohl«, sage ich +und drehe mich in die Bläue, ich drehe mich tief in die Bläue und vergesse +zu singen, er stößt mir in die Rippen. + +Ich sehe ihn genau an, er hat einen langen Bart und eine Glatze und den +Atem und die leuchtende Freudigkeit eines Gottes. + +Sonst bin ich einsam. Ich gehe im Badetrikot immer der schlängelnden Welle +nach. Den ganzen Morgen gehe ich am Meer, ich sehe es nicht groß, nicht +stürmisch, ich liebe es nur. + +Gehe ich tief in die Ebbe, komme ich manchmal nahe bis an das dunkle +Dampfersignal. Ich starre auf den Grund, da hat das Meer sich Steine +zurechtgeschliffen: Fasangold gespritzt auf Schwarz, rosa Klammern auf +Dunkelblau, Basalt mit einem weißen ovalen Ring, purpurviolett schraffiert, +gekörnt, Taubengrau mit himmlischer Spiegelung, Ocker und Safran mit +Ziegelrot, Feuerstein, Schnee und Flamme, Hechtblau mit hellen Bändern. + +Alle sind rund, gehen in die Hand, am liebsten hat das Meer sie sich wie +die Muscheln gemacht, oval und handgroß. Nehme ich sie heraus, erlöschen +sie. Ich lerne sehr bald, sie nicht zu berühren. Ich schaue sie nur durch +das Wasser an, das mir manchmal fast bis zur Brust geht. Unter den Knien +ist ein fabelhaftes Geglänz. + +Ich sehe hinein und bin zufrieden. Es wird Mittag manchmal, manchmal Abend. +Wie liebe ich die Steine, wie beschäftige ich mich lange und heftig mit +ihnen. + +Oft kommt mit braunem Segel die Schifferbarke abends zurück, während ich +noch schaue; ich wandere immer weiter, der Leuchtturm funkt, dahinter fällt +die Dämmerung herunter, es verliert sich jeder Umriß, man kann nicht einmal +rufen, so allein ist es. + +Der einzige Kirschfink der Gegend wohnt in unserem Garten. Cuno Adelkranz +legt Dämme an mit kleinen Weiden, setzt dann Berberitzen, Schlehen und +Brombeer. Ich schaue lange zu, er führt den Spaten lässig und fest, seine +Hand ist weniger braun wie die meine. + +Die Bläue über dem Meer steigt immer höher und süßer. Ich fange an zu +blasen; ich habe ein kleines Horn, das an beiden Enden geblasen wird, es +ist der Kuckucksruf. + +Auf einer Erle hinter Barsebäckham ist ein Storchnest, ich schleiche mich +später langsam an, vom Meer am besten her, da glänzt der Baum wie ein +Signal, wenn die Blätter sich drehen von der Brise und die zinnweißen +Unterseiten wirbeln. Die Störchin sieht großmütig zu, wenn eine Wolke +Sperlinge aus dem unteren Nestteil auffliegt, mir wirft sie Überreste +herunter und schnattert bösartig, sie liebt mich nicht. + +Ich fahre langsam wieder hinaus. + +Jöns Holgerson erzählt, hier habe einer seiner Vorfahren einen fetten Abt +vom Bauch erlöst, indem er ihn in Ketten legen und das Faultier mit Hammer +und Esse arbeiten ließ. Es ist sehr lang, dieser Erzählung zu folgen, sie +hatten einen Vertrag gemacht und es war unmöglich, diesen Holgerson zu +strafen; aber sie straften ihn doch und das ergrimmt Holgerson, der es +erzählt. + +Am Abend ist Getös, weil Marye Eyllenkrok die Kühe dreimal gemolken hat, +wie sie soll, aber die Schafe zweimal, statt einmal. Adelkranz hat Tabak im +Mund und spuckt aus Zorn, sie schleicht an den Mauern herum und brummt vor +Wut. + +Als er außer Sichtweite ist, hebt sie die Arme: »Sakramentskade fan«. +Sofort sinkt sie wieder zusammen, hört auf zu fluchen, steckt die Hand in +den Mund vor Schreck. + +Adelkranz nämlich steht im Fenster, hört nicht auf zu donnern, wirft einen +Blumenstock herüber: »Jädrans . . . karibel . . . . . . förbannade djärne +. . . .« + +Sie hebt die Röcke hoch über die Schenkel und läuft vor Schreck so an den +Strand. Sie ist bald verschwunden, wir nicken einander zu, Adelkranz und +ich, wir rauchen beide, ich öffne ihm meine Zigarettentasche, er nimmt, ich +zünde an. + +Wir wechseln kein Wort. + +Ich bin zum erstenmal in meinem Leben einsam. Zum erstenmal habe ich Zeit, +ich weiß nun, was Ruhe ist, mein Schuh, mein Hemd, wir haben es nie gewußt. +Ich sehe, ich staune, welches Wunder kommt aus jeder Ritze, jedem Tang, +jedem Fleck. Um mich blaue Maßliebchen, wilde Petersilien und Sternkraut +und das Riedgras. + +Ich sehe immer auf das Meer, nur selten schaue ich zur Seite, da entdecke +ich neue Sachen, ich entdecke neue Sachen, ganz rund, ganz erfüllte Sachen, +ich erblicke sie nicht nur, ich erlebe sie mit ihrem ganzen unbedingten +Sein. + +Ich sehe auf das Meer und denke an meinen Bruder. + +An diesem Tage verstehe ich meinen Bruder, ich habe ihn früher nie gekannt, +ich begreife meinen Bruder, es fehlt kein kleines Stück an meinem +Verständnis, ich begreife nun auch, warum er, obwohl die Gefahr beiseite +gelegt mit dem Wechsel, obwohl er mit Anstand und freier Brustschwenkung +leben konnte, warum er abbog, warum er beiseite geht und immer sein Gesicht +von den Menschen wendet und es gegen sie verhüllt. + +Wie liebe, wie kenne ich seine Einsamkeit. + +Ich schaue auf das Meer, ich denke an meinen Bruder, ich kenne ihn so +genau, ich liebe ihn so deutlich, es ist kein Unterschied mehr, ich mache +sein Leben mir zu eigen, ich erlebe _sein_ Leben: + +Ich gehe trottelnd den Tippelmarsch der internationalen Kunden, ausgesengt +von Sonne auf der Bahnspur zwischen Kalifornien und Texas, Boston und +Florida, ich sehe nichts als Steppe um mich, sie hebt sich mit jedem Tag, +ich gehe auch in der Nacht. Ich gehe vierzehn Tage, ich erblicke nichts wie +Kaninchen, es ist nicht leicht, sich zu nähren, obwohl das Fleisch sehr +billig, allein die Cents, allein die Centavos sind selten, ich will sie +nicht verdienen, aber ich muß es manchmal; so habe ich nicht viele und ich +habe sie nicht immer. + +Da sehe ich am vierzehnten Tag durch die Steppe auf dem Bahndamm einen +entgegenkommen, er ruft schon von ferne, er ist wie ich gewandert von der +anderen Seite, er freut sich, einen Menschen zu sehen, er hat einen Papyrus +im Mund und schreit: »Hast du ein Streichholz, John?« + +Ich gehe wortlos an ihm vorüber, ich sehe ihn nicht an, ich weiß nicht, ob +er ein Gringo, ob ein Eingeborener, ich weiß nichts von ihm, er ist schon +vergessen, ich sehe nur die Schienen, die sich blutig in den Horizont +schneiden. + +Ich stehe auf, setzt sich aus dem Dunkel heraus an mein Campfeuer einer, +fängt an, sein Fleisch an meinem Feuer zu braten, ich gehe weiter unter der +Nacht; ich suche mir Mist, ich suche Büffelmist und mache mir ein neues +Feuer. + +Ich wickle mich fest in die Lingera, ich gehe, da der Wind stark und rauh, +und mich ein Husten gefaßt hat, daß ich nachts wenig Atem habe, ich gehe in +die Lingera gewickelt, nach den warmen Savannen des Gran Chaco, ich treffe +viele meiner Sorte, ich treffe auf den wochenlang gewälzten grauen Steppen +Strizzis und Kunden und Rowdys und Schiffsköche und Vagabunden und +Abenteurer und jeder fragt, wenn wir aufeinander zuschlendern und einen +Augenblick stehen bleiben zwischen den Schienen, jeder fragt: »Y tu +compagnero?« + +Aber ich habe keinen Gefährten: Ich schüttle den Kopf. Sie starren mich an: +»Verrückt.« Ich gehe weiter. + +Ich liebe es so -- -- -- + +Wie liebe ich meinen Bruder, ich sehe auf das Meer, wie kenne ich ihn +jetzt, keine Falte seiner Seele, die mir fremd ist. Träfe ich ihn wieder, +ich könnte ihm alles sagen von ihm. + +Wenn das Meer steigt, bringt es mir alles. + +Fällt es, bekomme ich Distanz zu meinem Leben. Ich übersehe. + +Das Gras ist fett und milchig, es riecht nach Sand und Torf und Wasser und +den Kräutern. Ich lerne die purpurne Steinhummel anlocken, spiele mit +Eidechsen und Grillen. + +Wenn die kleinen Zangenkäfer die Schnecken angreifen, laure ich +stundenlang. Ich sehe den Schaum, hinter dem die Klebrige sich durch +Rundung und Rundung in die letzte Spirale ihres Hauses zurückzieht, die +wütende Attacke des Millimeterwolfs, der ihr nicht folgen kann. Ich sehe +ihn die Zangen einbeißen in den Kalk des Gehäuses, ich sehe ihn ermatten +und abtrollen. Ich sehe einmal, wie er in der Achse des Gehäuses eine +Lädierung entdeckt, das Loch durch seine Zangen erweitert und die Nackte +überrascht und zersäbelt. + +Ich reibe mich an den Natterwurzeln, ich sehe im Postkraut die Hasen +sitzen, ich scheuche sie nicht, wir sehen uns an und bleiben, ich gehöre +dazu, das ist kein Geheimnis, ich verstehe das um mich so gewaltig, ich +erfahre es so seltsam, ich gehöre dazu. + +Ich sehe auch einmal die Windhunde vor den von blitzenden Wassern umringten +Gütern hinlaufen, das mag eine Jagd sein, ich drehe mich herum, was kümmert +es mich. + +Ich lerne nach den Blumen die Zeit angeben: wie sie sich öffnen, wie sie +sich schließen, wann die Krabben ans Land kriechen, wann die Meerdrachen +die giftigen Rückenflossen aus der Flut heben. + +Ich weiß dann jede Stunde. Ich brauche keine Uhr. + +Am achten Tage erwache ich mit der Unruhe, die zum erstenmal bei der +Abreise nach Abo mich überfallen. Sie kommt jedesmal stärker, ich ertrage +sie kaum mehr. Ich gehe wieder hin und her, ich verehre alles, ich liebe +alles genau so innig, aber ich will fahren, es hilft nichts, ich reise ab. + +Ich gehe hinunter nach Barsebäcksaltsjöbaden, es ist keine Pause, kein Halt +in mir, ich hätte noch acht Tage Zeit, Segelfahrten, o schöne spektrale +Quallen in den Fjorden, wie gern hätte ich mich ihnen noch gewidmet, hätte +Heringe gefangen, hätte mit den Steinen mich eingelassen. + +Mein Paß ist noch nicht abgelaufen, es ist aus mit meiner Zufriedenheit, +ich muß zum Balkan, sofort, ich weiß nicht warum. + +Der Tag, wo dies passiert, ist herrlich, er übertrifft die anderen, er ist +aus Blau und Grün und Silber in einen Sturm gewoben. Ich gehe durch ihn hin +nach Barsebäcksaltsjöbaden, ich telephoniere von der Post mit Ernst +Cederström, er ist bereit, es paßt gerade, er kommt am nächsten Morgen. + +Wir lassen am nächsten Morgen den Aalkutter mit den Segelnetzen auftakeln, +eine Kiste verstauen und fahren gegen den Wind, wir trinken draußen mit +Adelkranz und Jöns Holgerson. Wir trinken lange, aber wir sind in der +weißesten Frühe schon losgefahren; als die Glocken zur Arbeit läuten, sind +wir schon tief im Gesang. + +Ich umfasse alles und trinke nicht wenig. »Es lebe Mannerheim, es lebe +. . . der General Mannerheim,« rufe ich, und Holgerson ruft mit, denn er +kennt den Namen nicht. + +Aber Adelkranz speit aus und Cederström kann sich nicht halten vor Lachen. +Wir haben wenig Wind, aber trotzdem fällt Holgerson und zerreißt im Wasser +Adelkranz' Netz. + +Wir kehren zurück und begrüßen aufgerichtet im Kutter die Küste, indem wir +die Deckel der Bowlengefäße aneinanderschlagen, wir üben uns ein und kommen +in einen schönen Takt. + +Am Strand geben wir einer von Jöns Kühen Kallskol zu trinken und spannen +sie vor einen kleinen Schiebewagen, hui, wie fahren wir durch Barsebäckby, +Cederström liegt auf dem Bauch in dem niederen Bretterwagen und pfeift und +skandiert mit den Händen, und alle Kinder hinter uns her. + +Gegen Mittag kamen wir nach Borgeby in den Park. + +Wir sind ein wenig aus der Richtung gekommen, wir haben auch unterwegs +nicht nur trocken gelegen und gepfiffen, wir sind ein wenig verwirrt, aber +ich suche es auszugleichen, Cederström will, nachdem wir ein Rondell +umfahren haben, mit aller Macht zu dem Tor wieder hinausfahren, durch das +wir hereinkamen. + +Ich pfeife einem Gärtner, und er nimmt die Kuh am Horn und führt uns an die +Hintertreppe des Schlosses. + +Wir baden gemeinsam oben, kommen zusammen herunter, wir sprechen sehr viel, +stehen mitten in der Halle und machen Sermons, wir betrachten die Bilder +Cederströms, fein geschmiedetes Silber, er zitiert seine Verse, aber wir +sind nicht sehr gut auf den Füßen. Nicht, daß wir es spüren oder fürchten, +es sähe jemand, das ist unmöglich, wir haben uns zu sehr in der Hand. + +Wir kommen nur im Reden in immer größere Erregung, wir treten ans Fenster, +da rückt von Bjerred her eine Equipage an. Wir sehen den kaukasischen Baron +Uxkull und zwei junge Schweden darin; ich kenne sie nicht. + +Wir stehen auf der Terrasse und begrüßen sie, machen tiefe Verbeugungen, +erschöpfen uns in Verbeugungen, die Diener machen sie wie Chinesen nach. + +»God dag,« rufe ich und schwenke den Hut, laufe in die Halle zurück, hole +ein Schallrohr und rufe, während sie die große Freitreppe heraufsteigen: +»Välkommen.« Ich denke, ich bin in Floda, ich mache Verbeugungen, wie nie +in meinem Leben, ich lächle innerlich, ich weiß sehr gut, daß ich in +Borgeby bin, aber wer weiß, vielleicht bin ich doch in Floda und grüße +Ebbas Bräutigam, grüße ihn nochmals. + +Cederström schlägt mir in den Rücken, sein Bart steilt sich vor Lachen im +Wind. Ich lasse nichts mehr aus, ich schlage meinerseits dem Baron Uxkull +auf die Schultern, »Sie haben einen Kopf wie ein Straußenei,« sage ich ihm. + +Er kann sich nicht beruhigen, die Elefantenaugen laufen im Kreis, er +beginnt auf der Treppe zu erzählen, wir bleiben alle stehen, er erzählt, +daß ein Kanarienvogel auf einem esthnischen Gut ihm beim Besuche einer +Freundin über die Glatze geschliffen, der es gewohnt war, täglich über +einen Marmortisch im Flug zu schliddern, es war eine offensichtliche +Verwechselung und am Schluß der Geschichte saß Uxkull nach Jahren das Vieh +gelegentlich tot, es war nicht unamüsant, aber wir verbrachten eine +Viertelstunde darüber auf der Treppe und bückten uns vor Vergnügen, und +Cederströms Diener bückten sich mit. + +Die Herrin naht, ich sehe sie zuerst auf den oberen Stufen, ich weiß genau, +daß ich in Borgeby bin, auch wenn ich Dunst vor allen Dingen sehe, ich gehe +ihr rasch entgegen, ich neige mich vor ihr: + +»God dag, schöne Frau, glücklich Cederströms Gattin zu sein, ich grüße Sie +ehrfurchtsvoll.« + +»Välkommen i Borgeby.« + +Wir drehen uns alle herum, Uxkull hat ihre Hand ergriffen: »Auf solchem +Schloß zu wohnen, welches Glück, gute Frau, ich sah in Lund den Sarkophag +des Bischofs, der es baute, ein strenger Priester. Sah er vom Turm, ließ er +Erde erobern, soweit Hörner bliesen. Lagen nicht Dänen einmal davor, +steckten Schwänze der Sperlinge an, setzten zwei Flügel in Brand . . . ,« +wir können nicht mehr lange das anhören, wir müssen unterbrechen, wir sind +sehr hungrig geworden. + +Ich führe die Herrin zum Eßsaal, riesengroß. Sie weist auf den Tisch in der +Ecke. + +Ich verbeuge mich, ich übersehe ihn, ich bin erstaunt und lächle: der beste +Smörgåsbord in ganz Schweden: Frischer gebratener Aal, geräucherter Aal, +fünf Büchsen Fische, verschieden gewürzt, Krabben, gebackene Wurst, +Krebsschwänze in Mayonnaise, geräucherte Saucissons, Omelette mit Spinat in +Terrine, Hummer, Bärenschinken, Ölsardinen, junge Krähen als Ragout, +gebackene Klops, geräucherte Fische, Renntierfilets, Wildschnepfen, Salate, +kaltes Fleisch, Aquavit . . . , wir essen stehend, dann erst führe ich die +Herrin zu Tisch. + +Ich sehe viele Weine, ich sehe jetzt erst Lilian, Cederströms Nichte, wie +ein Tautropfen zart, ich grüße sie. + +Nun erst beginnt der Lunch, er dauert zwei Stunden. Cederström hält vier +Reden, ich antworte zwei, Uxkull redet lange ein Märchen von Andersen +herunter, ich unterbreche ihn nicht, es wäre nicht höflich, aber ich frage +nachher, warum er von Baku nicht spricht, nicht vom Ila von Tapau. + +Da spricht er wieder, und nun müssen Cederström und ich ihn unterbrechen, +nun redet er von den abgeschnittenen Brüsten der Ehebrecherinnen und ich +sehe Lilians Gesicht wie zersprungenes Glas. + +»Sie müssen,« sage ich, »Baron, Sie müssen Ihren esthnischen Diener, der +uns im Hotel den Himbeer in den Tee goß, beauftragen, mir ein Tuch zum +Schuhsack zu nähen, ich bringe es sonst nicht über die Grenze, es fällt mir +ein unwillkürlich, ich erinnerte mich seit Wochen nicht daran, eine schöne +Frau schenkte es mir in Bohuslän.« + +Ich nicke, ich vergesse es wieder, ich erhebe mich und trinke Brüderschaft +mit Cederström. + +»Ja, ich will Brüderschaft mit dir trinken, Ernst Cederström, denn du +liebst das Leben halb wie ein Held und halb wie ein Kind.« + +Wir sind bei Reh schon wieder ein wenig betrunken, wir halten immer längere +Reden, die Fenster sind herrlich hoch in dem Rittersaal mit dem +Cederströmschen Silber. + +Lilian schwebt als ewiges Lächeln zwischen den kreuzenden Gläsern, wir sind +bei Burgunder, wir hatten schon vieles vorher. + +Der junge Mann aus Helsingborg fühlt, daß es an ihm ist, aus Schweigen und +Jugendlichkeit ein wenig herauszutreten: Musik. + +Wir machen ein Konzert von zwei Stunden. Cederström träumt. Ich denke an +Angermanland, mir fällt ein, ich liebe Lappland, ich möchte in Erdhütten +den Winter verbringen, dalarnische Töchter bestaunen, den glühenden Mond, +kaffeegelb zwischen den Skitouren brennen, mir fällt sehr viel ein, ich +denke nicht daran, daß ich nicht mehr erwünscht bin als Einreisender in +Schweden, ich überschlage es rasch, warum daran denken. + +Ich schaukle im Stuhl nach der Musik, von beiden Seiten schaukelt der hohe +Park mit den Fenstern der Halle, genau wie ich schaukle. + +Chopin schwingt ab. + +Eine Pause, ein Diener läuft. + +Lilian gibt jedem von uns Blumen mit einer Verneigung und flüstert uns zu. +Die Saaltüren öffnen sich weit, die Pächter Cederströms erscheinen mit dem +Pfarrer, schlanke Männer füllen die Säle, sie haben die blonden Haare aus +dem Genick scharf geschnitten, sie haben blaue Anzüge und ihre Frauen sind +blond, anständig und adlig in der Haltung gleich ihrer Erde. Sie setzen +sich rasch zu Zwanzig in die hohen gotischen Stühle der Halle an die Wände. + +Das Konzert fährt fort, wieder spielt Musik in breiten Wogen. + +Der Kupferschädel des Pfarrers im Gehrock erhebt sich, tritt heran an den +Spieler, sagt ihm den Dank, er hält uns für einen deutschen Zirkus und +spricht mit dem Landsmann radegebrechtes Deutsch, aber wir kichern nicht, +um ihn nicht zu kränken. + +Wir stehen vielmehr auf, indem wir in der Reihe herantreten und geben die +Blumen dem Generalpächter, der Geburtstag hat. + +Wieder Konzert. + +Lilian schwimmt in der Musik, die aufbricht mit einer träumerischen Flamme. +Jedes Fenster, jede Vase klingt sie aus sich mit. Selbst der Abend nimmt +ihre Tönung. + +Lange bleibt Ruhe dieses Gleitens, dann kommen Rufe, schwedische +Wandervögel rufen Cederströms Namen. Man tut sie in die Seitenflügel, man +zeige ihnen später das Schloß. + +Der Abend steht noch rotblaß mit der Pfirsichblüte unserer Etüde. Wir gehen +die Treppe langsam und majestätisch hinunter in den Park. + +Perlmutten stirbt die Elegie der Konzerte mit dem Abend. + +Was will Lilian mit ihrer Stimme? Bald wird Nacht sein, sind Fackeln +bereit? + +Fest in Borgeby. + +Immer dieser Wind. Immer schaukeln die Parkwipfel tief vor blaustem Himmel, +der kühl steht in klassischer Ruhe. Immer Geschwärme schreiender Raben in +der Luft. Noch liegt die Sonne auf den gewellten Ebenen mit klatschschönem +Vieh in schwarz und weiß. Wir wandern auf und ab durch den Apfelgarten, wo +manches noch blüht. + +Ich bleibe zurück einmal, es war nicht viel, was mich anzog, es war ein +Spruch, auf dem es schon mooste. Da stand über dem Rasen: »Du kalter +Marmor, bewahre die Erinnerung an ein warmes Herz.« + +Wir gehen auf gepflegten Wegen, wir kommen immer wieder in Borgebys +jahrhundertalten Apfelgarten, die Stämme sind nicht sehr hoch, aber die +Zweige haben ein Streben, sich sanft nach unten schwebend aufzulösen, das +mich beschäftigt, immer dies auf und ein wenig ab und immer diese Ruhe. + +Die Dämmerung schwebt durch die Eichen. »Zeigt den Wandervögeln das +Schloß«, ruft Cederström von der Mauer. »Lilian, gib ihnen ein Schreiben +mit für alle Schlösser bis Christiania, schreib, ihr Gesang machte einen +Abend heiter.« Wir gehen mit, man zeigt ihnen die Verliese, die Hitze des +Tags glüht noch von ihren Wangen. Hurras auf Cederström bringen sie aus, +dann schauen sie in die Höhe. + +Lilian schüttet vom Turm Körbe Veilchen auf sie aus. Sie huldigen ihr +schön. + +Aufgang des Mondes. Immer noch Rabenschrei. Ich fühle den Sturm in mir wie +Reinigung, »Skål« rufe ich, »Cederström, wie frei ich atme, ich liebe die +ozeanische Luft«. + +Wir haben nur eine Frau, Lilian, aber sie wird zwanzig ersetzen. + +Nun fällt der Tanz. + +Lilian schwimmt madonnig geneigt in großen von ihrer Sanftheit erfüllten +Bogen aus Arm in Arm. Wir legen den Rhythmus solch traumhaften Gleitens +mitten durch die Ebene der Nacht. + +Nun flackern alle Lichter, nun über dem Strahl der Päan, der Sturm am +Klavier: nun tanzt Ernst Cederström allein, in lederner Ärmelweste, den +Bart bis zum Magen, dionysisch selbst die Glatze, fast Faun, halb Verführer +. . . er macht eine große Wendung, er springt durch das Fenster, er grüßt +herein aus dem Schatten, zwei Diener mit Kerzen springen durch das Fenster, +wir folgen alle, wir jauchzen, der Musiker aus Helsingborg hat Lilian unter +dem Arm im Sprung heruntergebracht. + +Zwei Fackeln nahen, die Schweden folgen dem winkenden Cederström, sie gehen +mit den Dienern, holen Wein herauf und Champagner aus dem Gewölbe. + +Ich habe Lilian neben mir, allein, ich spüre es plötzlich mit einem +zärtlichen Schlagen des Blutes, wir gehen zur Kühlung durch die Boskette. +Wind haust mit zornigen Sternen im Park, keine Wolke schwebt, irgendwo +hinter Windmühlen, die die Nacht stumm zerschlagen, dumpf schweigend die +Ostsee. + +Ich gehe mit Lilian auf und ab, wir reden keine Silbe, was sollen wir uns +sagen, ich weiß, was Lilian denkt und ich sage in meinem Herzen, ohne daß +sie es hört: + +»Nein Lilian, es ist so sinnlos, Sie sind so weich, so träumerisch. Ein +Knabe ist Sinn Ihrer Sehnsucht, irgendeiner, aus dessen Körper Musik kommt. +Meine siebenundzwanzig Jahre, o Lilian, meine siebenundzwanzig Jahre sind +schon viel zu schwer geworden für Ihre gläserne Sanftheit.« + +Ich weiß nicht wie, aber der Schmerz, der alte Schmerz, der mich selig +macht, haust wie ein Wolf in meinem Herzen, ich habe tüchtig getrunken, +vielleicht ist auch mein Schmerz berauscht und liegt in Verzückung, ich +steige alle Treppen bis zur Halle hinauf, ich gebe dem Helsingborger +Lilian, damit er sie betanze, ich falle Cederström um den Hals und ziehe +ihn in eine Nische, ich bin vertrauensselig und liebe ihn und renommiere. + +Ich fange an, ihm von Siv zu erzählen: + +»Ich hatte all Eure schwedischen Frauen in ihr, Cederström. Strandvägen, +leuchtend vor Musikkapellen, die Rotunde des Stadion, die weiche Weißnacht, +das granitne Meergebiß erscheint, wenn ich daran denke, in ihrem Lächeln. +Sähst du ihre Beine, Cederström, du würdest zittern wie ein Hund in deinem +Saal. Sieh dir diese Kurve an, diese verdammte Kurve des Mondes an deinem +Fenster. Nein, Cederström, sonst wollte ich dir nichts erzählen, dies ist +alles, dir vielleicht wenig. Dies ist alles, was mich peinigt.« + +Es ist zwei Uhr nachts, nun stellen wir uns nicht mehr in die Nische, nun +unterbrechen wir den Tanz und machen eine neue Aufstellung. Wir stellen uns +in einer langen Reihe auf, zuerst kommt Cederström. + +Dann marschieren wir über die Terrasse, die Treppe, durch den Hof zu den +Gebäuden des Generalpächters, es ist zwei Uhr nachts, die Generalpächterin +hat um diese Stunde geladen, wir sitzen allesamt nun wieder wie beim +Konzert am Mittag um einen Tisch. + +Ich lasse mir die festeste Magd mit dicken blonden Zöpfen geben, sie ist +meine Nachbarin, ich trinke ihr zu. Mein Herz schmerzt mich selig immer +tiefer, man hat ein großes Mahl uns bereitet mit großen Zeremonien. + +Ich trinke ihr zu, der Frau Verwalterin, ich mache meine Komplimente; es +ist nicht richtig, daß ich ihr zutrinke, ich verstoße gegen die Sitte, aber +ich zeige ihr mein Wohlwollen, ich sage ihr das alles auch. + +Ich wende mich meiner Nachbarin zu, Jungfrau Sara, sie ist ein schönes, +festes Weib; sie hat ein Kind, sie hat einen Mann sehr geliebt, im Sommer, +im Stroh, sie sagt es mir ohne Scham, als ich frage, ich tröste sie. + +Ich sage, es sei nicht schlimm, Jungfrau Sara, ich hätte einmal versuchen +wollen, eine Bremse in die europäische Politik zu legen, ich hätte sie fest +in der Hand gehabt, dies alles sei eitel, sei schwärmerisch, es sei nicht +soviel wert wie eine Rübe, sie solle froh sein, niemand gebe ihr Versäumtes +zurück. + +Ich wende mich zu Uxkull, ich rufe ihn gell an: »Baron, Sie fallen von der +Stange«, da tut er die Augen verwirrt auf wie Vogelgeflatter. Da lache ich +hämisch und laut. Wir danken sodann, verbeugen uns. + +Tücher liegen bis hinüber zum Schloß. + +Polonäse. + +Vor uns tanzt lautlos Ernst Cederström. Kerzenschein umgibt uns durch den +Park über den Hof. Tanz braust dann in der Halle noch einmal, unverlöschbar +auf. + +Borgeby flammt durch die Nacht wie eine Kirche, ich höre einmal, es schlägt +vier Uhr, aber es schlägt an mir vorbei und rollt weiter durch die Bäume, +was gehen mich die Klänge an, sie laufen wie der Teufel irgendwohin. + +In sanftem Schleier schwindet die Nacht, die Frühe kommt mit Gartenduft und +Rosa aus den Büschen hoch in die Fenster, wir durchkurven nur winkend +danach die flaumenweiche Morgenluft. + +Plötzlich steht eine Säule im Zimmer, steife Gehaltenheit durchschlägt die +Schleifen: Der Diener Cederströms. + +Er meldet die Equipage. + +Er hat blanke Knöpfe bis zum Fuß, den Zylinder in der Hand. Er meldet noch +einmal die Equipage. + +Das reißt uns wie an den Haaren, wir gehen ans Fenster, da scharren +dampfende Pferde vor dem Portal. Es ist fünf Uhr des Morgens, ich +vergleiche es mit meiner Uhr, wir haben keine Sekunde zu versäumen, wir +steigen in den Wagen, die Koffer kommen langsam heran. + +Morgen prallt auf die Terrasse stark und wild. Skåne im Morgen, dunkelgrüne +Verlockung. Wir sitzen im Wagen, die Gäule scharren. Immer noch +Krähenschlacht über den brausenden Wipfeln, bei uns unten kein Hauch, keine +Luft. + +Ich sehe mich um, ich denke daran, was Lilian mir sagte, am Rand des Parks +ziehen Seeadler hin, wenn es herbstet, Abenteurer aus Finnland, die mit +Nordwind zum Kaukasus fahren. Ich gebe Lilian die Hand: + +»Heute, Lilian, kommen die ersten Schwalben nach Skåne, sie zischen um +Borgeby«, sage ich. »Denken Sie daran, wenn mein Name vor Ihnen auftaucht.« + +Ich wende mich noch einmal um. Zu Uxkull wende ich mich: + +»Baron, heute fährt seit Jahren der erste Dampfer zwischen Stockholm und +Petersburg, ich las es in Dagens Nyheter heute nacht, welches Leben, +welches Leben, Baron.« + +Wir haben nicht lange auf die Koffer zu warten. Nun ist die Ebene weit um +uns getaut. + +Flädje taucht auf, die Schienen sind wie Schnee. + +Malmö, Trelleborg, wir betreten den Steg, das Schiff. + +Wir schwimmen auf der Ostsee, deutsche Ufer unsichtbar vor uns, wir sind +noch recht betrunken, es legt sich langsam, während das Schiff schon fährt. + + * * * + +Wir werden langsam nüchtern auf dem Schiff. Das Schiff führt mitten in den +Wind hinein, ich glaube, daß das uns kühlt. + +Trelleborg ist verschwunden, die schwedische Küste verblaßt immer mehr, ein +Bogen von flimmerndem Licht liegt das Meer zwischen den beiden Küsten, der +Horizont wölbt sich uns entgegen auf dem Wasser und wir stehen, wir stehen +mit dem Schiff auf der obersten Wölbung wie ein Knauf. + +Wir blicken uns um, ein Schiff steht am Himmel auf dem Kopf, ein Flieger +surrt nach ihm, wir gehen frühstücken, wir sind sehr hungrig mit einem Mal, +wir sind aber keineswegs müde, Cederström hat schwere Augen, es hat einen +anderen Grund, wir trinken wieder Aquavit, es ist das letztemal, man kann +so rasch nicht enden. + +Wir gehen auf und ab mit eiligen Schritten auf dem Verdeck, uns entgegen +immer ein Ungar, katzenhaft um eine Frau. + +Da schießen Hagelwolken herauf, der Frühling klatscht ins Wasser, wo ist +unser früher Sommer mit einem Male? Es wird stürmisch und spritzt herauf +bis zur Takelung. + +In traumhaften Schleifen kommt manchmal die Kurve von Lilians Tanz und der +Mondbewegung über Borgeby vorüber, man kann es nicht mehr aushalten, es ist +zu kalt, es hagelt in Schloßen, die Wolken binden sich in die Schorne und +beschießen uns mit Mitrailleusen, was sollen wir mit Lilian und den +Schwänen und dem skånischen Sommer? Wir laufen und frieren und halten das +Gesicht in die Schloßen. + +Das Schiff schlingert, der Himmel wird schwärzer, Cederström bleibt zurück, +er schaut wie ein Vieh und will in die Kajüte, ich halte ihn nicht, soll er +ruhig schlafen oder speien, er kann tun, was er will. + +Ich laufe weiter, immer auf und ab das Verdeck, ich halte nie an, ich sehe +die Kämme der Wogen an, sehe die Möven zurückschießen überall von dem Meer +zu der schwedischen Küste, sie schreien und schweben stolz auf dem Sturm. +Ich sehe deutlich nach allem, beobachte, wie aus der Mulde sich die +schwarze Welle hebt, aufsteilt und in sich selbst die weiße Krone +aufbricht, die sich heraufschmeißt. + +Ich gehe immer noch hin und her, nun bin ich allein auf Verdeck, ich sehe +oben nur manchmal das Auge des Kapitäns, es ist grau und ironisch. + +Mir ist sehr wohl in der Unruhe, das geht so Stunden, ich rauche immerzu, +ich fühle mich immer wohler, ich erinnere mich nicht, in den letzten Tagen +so glücklich gewesen zu sein wie jetzt, wo ich elend verhagelt auf dem +Schiffsdeck hin und her laufe und lavieren muß, daß mich das Schiff nicht +abkippt. + +Ich schaue auf, an der Gaffel ist ein interessantes Schauspiel, sie ziehen +einen Bündel hoch, er fliegt immer beiseite in dem Wind, wie er oben ist, +entfaltet er sich mächtig, die blaue Fahne mit dem gelben Kreuz weht +knatternd. + +In diesem Augenblick sticht die Sonne durch, die Kreidefelsen Rügens stehen +vor uns, sie stehen so dicht und weiß, daß sie zuerst blenden; als ich die +Augen wieder öffne, schreit jemand: + +»Die Grenze.« + +Ich lächle, die Überfahrt ist zu Ende, die Wolken verzogen, ein guter +Mittag taucht mit Rügen auf, ich zünde eine Zigarette an, und lächle in +mich hinein. + +Plötzlich reißt es mich auf, ich zerfetze vor Schmerz, ich will die Hände +irgendwohin pressen, ich weiß nicht wohin. + +Da macht sich der Mund auf, weit. + +Ich schreie. + +Ich sehe in dem Schrei. + +Ich liebe nicht Ebba, ich liebe nicht Siv. Die Grenze kommt näher, die +Grenze lockt und schlingt. Ich suche Cederström, wo bist du, mein Bruder? +Ich kann nichts mehr sehen, verhängnisvoller Irrtum mein Bruder Cederström, +ich habe umsonst gelebt. + +Ich bin elend, allein, ich halte mich an dem Geländer, meine Lippe hängt +herunter, ich starre auf das Meer. + +Aus dem Meer wächst immer das eine, ich kann es nicht ansehen, es tötet +mich, ich reiße die Augen gierig trotzdem danach, ich kann ja nicht anders, +o wie ich verblute. + +Aus dem Meer wächst Särö, die Obstbäume schmettern das Blühen gegen den +Basalt, zur Terrasse des Schlosses schreien von der Klippe Kinder: »Mur«. +Die Frau erhebt sich, sie winkt, ich spüre jede Linie, ich rieche ihren +Geruch, ich empfinde es jetzt erst, ich will etwas sagen, ich weiß ihren +Vornamen nicht, immer noch nicht. + +Meine Hände gleiten herunter, ich habe keine Macht mehr über den Körper. +Ich laufe weg, ich suche Cederström. Ich finde die Kabine nicht, ich weiß +gar nicht, wohin er sich zurückzog, ich gehe auf Verdeck hin und her, immer +allein, niemand geht sonst auf dem Verdeck, ich rede immerzu. Ich sehe das +Meer nicht, was soll ich das Meer beschauen? + +Ich sehe die geschorene Steppe, ich sehe Engländer, die Golf spielen, es +gibt keine andere Welt, in der ich lebe. In Segelyachten liegen +weißgekleidete Männer, das Blau der Nordsee wiegt die weiße stählerne +Melodie der Blüten. + +»Ich will nicht wissen, daß Ihre Bürger Elende sind wie alle, schöne Frau,« +sage ich lächelnd, jetzt verstehe ich erst meine Stimme, jetzt kommt es mit +einem großen Durchbruch aus der Tiefe, wie woge ich, wie bin ich mächtig +und wundervoll gespannt, aber wie elend geschieht mir, was habe ich von dem +allem, die Grenze liegt vor mir, die Tatze ist schon gegen meine Stirn +gebeugt. + +Ich Armer, wie war ich geblendet, wie war ich geschlagen. + +Wie liebte ich diese Frau und wußte es nicht. + +Die Grenze rückt näher, ich kann mich nicht bewegen, am Reeling steht ganz +unten am Heck Cederström. Ich bin ganz schwach, ich kann mich nicht +bewegen, ich schaue nur immer hin, ob er mich höre, ich stammele: keine +Hilfe von dir, mein Bruder?, nimm meinen Paß, Cederström, laß mir den +deinen, laß mir die Rückkehr. + +Ich muß nach Bohuslän, ich kann dir nicht sagen, warum dies so plötzlich, +es geht um mein Leben. + +Du kommst mit meinem Paß auch nach Deutschland, du bekommst einen anderen +auf Eurer Gesandtschaft, aber ich, aber ich komme so zurück nach Schweden, +hör mich, mein Bruder, o Gott, du kannst mich nicht verstehn. + +Ich hatte Siv, Cederström, ich sagte es dir heute nacht, ich liebte Ebba, +welche Masken machte mein Herz, um sich zu verbergen, wie durchschaue ich +alles, es ist zu spät. Ich hatte noch eine Frau, ich hätte es nie gesagt, +ich sage es in der Verzweiflung, ich schmerze dich damit, Cederström, ich +bin heute ehrlich wie nie, ich will sie nicht nennen, dies alles ist +nichts, ist ohne Bedeutung, aber dies alles hat mich zugedeckt, ich kannte +mich nicht. + +Ich kam lächelnd nach Särö, mein Bruder, ich saß einen Tag vor dem +marmornen Lächeln, ich sah nicht die Tragik, und jetzt kommt sie aus mir +gebrochen, nun kommt sie wie ein Tiger, nun schlägt sie mich entzwei. + +O, du kannst sagen, du kannst fragen, was du willst, Ernst Cederström, die +tödlichen Grüße beim Abschied in Särö, ich sah sie nicht, es ist zu spät +jetzt. + +Aber, wie habe ich diese Frau geliebt und habe es nicht gewußt . . . . . . + +Ich gehe allein auf dem Verdeck, ich sehe Cederström nicht mehr, vielleicht +hat er nie am Geländer gestanden, wie kann ich das jetzt unterscheiden, es +schiebt sich zuviel ineinander. + +Die Sonne fängt an zu scheinen. Ich gehe immer, auf ab, auf ab. Die Sonne +brennt, da ist wieder Sommer und Silber, das Meer beginnt zu riechen. + +Ich ringe die Hände. + +Es kommen Passagiere. Die Grenze rückt näher, ich bin am Zerspringen, im +Hals ist eine Starre, hätte ich nur wenigstens Atem. + +Die Adern der Augen tun mir so weh, daß ich zu weinen beginne, ohne daß ich +es will. + +Da kommt eine Ruhe mit einem Mal, was ist es, was mich so klar macht, ich +schaue mich um, ich sehe nur neugierige Gesichter, ich schere mich gar +nicht darum, ich schwebe, ich bin so selig, ich weiß nicht, warum. + +Nun hat es sich entschieden. Die Frucht ist gefallen. + +Das andere Gesicht ist herausgetreten aus der Tiefe, es beängstigt mich +nicht mehr, es hat sich frei gemacht, ich habe keinen Spiegel, ich kann es +nicht sehen, aber ich weiß es, ich fühle es, es ist da. + +Das andere Gesicht wird verschwinden, das helle, das mich zu Ehrgeiz trieb, +zu Erfolg gepeitscht hat, es wird verschwinden, es wird das neue nicht mehr +besiegen, eine Schlacht ist geschlagen, es hat gesiegt in mir, aber ich, +mein Himmel, aber ich bin kaput. + +Doch bin ich fröhlich, es ist nichts da, was mich verwirrt, ich bin nun +eins seit Wochen zum ersten Male, ich bin eins (aber schaut nicht auf das, +was blieb). + +Wenn ich nach Menschen jagte, nach Handlungen heiß griff, immer war mir, +ich möchte lieber rücklings in Wiesen liegen gleichzeitig und Wolken +wandern sehen mit ihren schönen fliegenden Schatten. Ich spüre das genau, +ich habe das immer empfunden, in jedem Tag der Geschäfte, im Traum, im +Schlaf. + +Das wird mich nun nicht mehr zerteilen, ich werde nicht mehr mit mir im +Streit sein, aber mußte ich es so bezahlen, ist es zuviel nicht, was mich +das kostet? + +Ich habe eine Schlacht in mir gewonnen, aber was habe ich geopfert? Ich +habe mich selbst zur Strecke gebracht. Ich sehe mich um. + +Wie bitter ist mir unter den Menschen. + +Sie schauen mich alle an. Bin ich verwandelt? Ich recke die Schultern +zurecht, ich streiche die locker gewordenen Haare nach hinten zurecht, ich +setze das Bein, daß die Hose gut gekantet darum schwingt. + +Ich lächle vor mich hin, ich bin wirklich nicht verwandelt, ich verlor nur +ein wenig die Balance, es sollte auch das nicht sein. + +Ich lächle vor mich hin, ich werde in keine Wüste gehen, ich habe mich +nicht verändert, ich fahre mit Aufträgen zum Balkan, ich führe sie aus. Ich +werde mich keinen Folgerungen entziehen, meine Wege waren gut, die Ziele +verständig, nur meine Einstellung, nur mein Herz war falsch gerichtet, das +konnte ich nicht wissen, ich konnte es nicht ändern, das änderte sich gar +sehr von selbst. + +Ich liebte die Schwierigkeiten wohl, o wie fliegt mein Leben vorüber, wie +leer, wie rasch ist das abgewickelt, worum ich mich so sehr bemüht, ich +liebte Gefahren, war anständig, auch ohne mich innerlich darum zu mühen. + +Wie sehr bin ich gedemütigt. Wie eitel und gering stürzt das meiste von +früher. + +Wie deutlich sehe ich in dem Schmerz, der mir nichts verdüstert, der alles +wundervoll erhellt. Wie weniges hat heute mehr Macht über mich. + +Bojen schellen, die Schorne pfeifen, die Kreidefelsen sind zum Greifen, da +werde ich noch einmal schwach. + +Ich sehe Cederström nun deutlich, er ist es wahrhaftig, ich gehe zuerst +langsam, dann stürze ich auf ihn zu, ich falle auf die Knie am Verdeck vor +allen Passagieren: + +»Dein Paß, Cederström, Dein Paß, mein Bruder.« + +Ich sehe auf, mein Bruder Cederström wankt, ich sehe sein Auge, er ist +betrunken, er erkennt mich kaum. Ich lächle wieder. So soll es sein. + +Ich gehe ruhig weiter, es war ein Ausgleiten, kann man denken, ein Mißfall +war es. Ich werde nicht mehr schwach sein, ich bin ganz sicher nur auf der +Orangenschale ausgeglitscht. + +Ich werde die Frau nicht mehr sehen. Ich nehme es auf mich, wer sieht es +mir an? + +Ich zahle alles damit ab. + +Ich büße jeden Tau, der mich in Barsebäck erfreute. Ich büße die Vögel, die +mir eine Lust sind zu hören. Ich büße meine graden Glieder. Und daß, wenn +Menschen in meiner Macht waren, ich meistens sauber und verantwortungsvoll +war. Ich büße alle Tage mit Frauen und meine schönen Jugendjahre. Auch daß +ich gläubig bin im Grunde und ungern unrecht tat. Ich büße mich selbst, wer +kann es mir wehren, ich zahle das Schicksal, es nahm sich gutes Honorar. + +Es gibt so viele Dinge noch, auch die schlechten, wenn ich mich besinne, +die ich zahle, es gibt so vieles, was ich alles büßen kann. + +O Gott, wie vieles muß ich heute über mich denken, ich bin es nicht +gewohnt, ein Stein ist in mich gefallen, ich kann es kaum ertragen, was +sich anschwemmt an den Ufern. Ich fasse an die Schläfe, ich ertrage es +kaum. + +Ich schüttle Cederström, führe ihn bis ans Heck, setze ihn neben mich auf +die Bank und halte ihn gerade. Ich schreie ihm ins Ohr: + +»Habe ich keine Zähne mehr, Hochstapler, haarlos, kein Geld, keine Frauen, +verrecke irgendwo, o wie denke ich, glaub mir, verdammt, wie denke ich: +waren diese Tage blau, Borgeby hatte viel Sturm, Bjerred ein gelbes Segel +im Mittag drin, Sivs Schultern, welch hinreißend schöner Gedanke in solcher +Aufmachung gedacht, lache nicht, Cederström: die Pomade ihres Haares. + +Wenn ich sterbe aber, Cederström, gibt es nur einen Gedanken von heut ab: +wie habe ich diese Frau geliebt und wußte es nicht.« + +Ich sehe hinaus auf das Meer, wie glatt, wie zahm. Ich kann Cederström +nicht halten, er hat verglaste Augen, er ist betrunken wie ein Norweger, er +stammelt: »Pomade«; er hat mich nicht verstanden, es soll so sein. + +Ich lasse ihn fallen, er fällt auf die Rolle, er schlägt sich den Kopf auf, +ich kann es nicht ändern, ich schaue immer nach dem Meer. + +Ich fange aber plötzlich an, atemlos zu laufen. + +Der Kapitän kommandiert laut auf seinem Steg, Matrosen huschen barfuß mit +Seilen und Tauen. Die Pfähle starren schwarz aus dem Wasser, wir haben +Gegendampf und drehen uns. + +Ich unterscheide im Laufen jedermann am Land, selbst den österreichischen +Offizier erkenne ich mit dem schiefen Cäppi. Ich höre die Fahne über mir +knattern im Gegenwind. Nun tuten alle Hörner, die Ventile öffnen sich, das +Schiff knirscht und stöhnt. + +Ich komme über Verdeck gelaufen, schleudre die Passagiere beiseite. Ich +sehe Cederström fest wie einen Schlafwandler auf den Ausgang zugehen, renne +vorbei. + +Ich erreiche die Koffer, ich erkenne meine Zeichen. Ich schließe den gelben +Koffer auf, reiße die Sachen auseinander, erwische einen Schuhsack, Baron +Uxkulls Diener hat ihn gut gepackt, der Schuh fällt heraus, ich achte es +nicht. Ich schließe zu, ich hebe mich schwerfällig am Geländer. + +Ich habe ein buntes vielfarbenes Tuch in der Hand, ich reiße die Nähte auf, +ich hebe mich breit in der Höhe, ich winke zweimal mit frischen Rufen, +immer in die Luft. + +Dann führe ich das Tuch über mein Gesicht, mein Gesicht formt sich hinein. +Mein Herz klopft mir aus dem Tuch in mein Gesicht. + +Ich drehe mich langsam ab von der schwedischen Küste. + + + + +Frauen + + +Man stirbt nicht vor Trauer. Man hat das Meer zum Anstarrn, müde der +Herzen, die verführen und peinigen. Die großen Nebelwolken, die mit Sausen +wie Batterien angefahren, haben die Küste verödet. Man hat die Nebel +zwischen sich und den Leidenschaften, das ist Einsamkeit. + +Man leidet an den stumpfen bleiernen Gurten, die das Meer gegen den Himmel +spannt, mit unaufhörlicher glücklicher Monotonie. Die Dunkelheit des +Herbstes hat sich gepaart mit den Gedanken, die die Ruhe durchdringen und +in den Wolken ausbluten, wenn der Abend sie entflammt. Die Sicherheit, +jenseits der Eitelkeit, der Siege, Wunden, Triumphe, all des Geschichteten, +Reibenden, all der Unrast der Menschen, verfallen zu sein einer +Traurigkeit, die man grundlos erleidet, aber die man liebt, das hat einen +unbeschreiblichen Glanz der Melancholie entfacht. + +Da gehen perlmutten graue Nebel und ballen sich starrauf vor den Mond wie +eine Armee. Das Meer blinkt ausgetrocknet, metallen und hart. Die Dünen +haben den Atem der Traurigkeit aufgenommen und tragen sie mit dem Reichtum +einer dunklen Melodie davon. Das ist, wie man lebt, den Kopf in den Händen. + +Da sprengt Kerstin quer durch einen Traum auf ihrem weißen Grey Lad. Man +birgt die Augen in der Einsamkeit. Man kapituliert nicht in der schmerzlich +dampfenden Landschaft vor dem nackten Blitz. Das hohle Schweigen des Windes +hat die Erscheinung an den silberstarren Horizont getrieben. Die Nacht hat +sich mit einem verhaltenen Ton dunkel ausgebreitet, die Ruhe hat sich an +das Fenster geschmiegt. Das herbstliche Klirren der Brandung dämpft das +erlöschende Fieber: fort von den Leidenschaften, die leer machen und +verzehren. + +Da tritt Kerstin aus dem Geruch des Bodens, ihr Bild steigt über die +schrägen Gläser der Türen und, hinaustretend, überfällt ihr Wesen einem, +wie ein Nebel durchdringt sie das Blut, unerschöpflich. Es saugt einem +voll, grenzenlos, wie einen Schwamm voll ihrer Gegenwart. Das Meer ist blaß +geworden. Die Dünen zittern flötenhaft erregt: man geht von neuem aus der +Einsamkeit hinaus. + +Man läßt den Tiefsinn zurück. Tage, Stunden, Wochen, fallen ab gegen den +kristallenen Himmel, die in Traurigkeit sich tief erfüllten. Was war es?: +Glück. + +Man hat das Meer nun nicht mehr zum Anstarrn. Doch man stirbt nicht vor +Trauer. Man stirbt auch nicht vor Freude. + +Aber Kerstin zu sehen nur, welch schöne und bittere Verführung! + + * * * + +In Schwetzingen fand ich ihre Spur. Den Sommer war sie in Schachen. Die +schweizerischen Berge kamen am Abend mit Lichtern über den Bodensee +geflogen. Sie hatte gegen den Herbst in Bocklet gewohnt, das wies in seiner +Verborgenheit auf Männer um sie. Die Barockfiguren des alten Parks begannen +lang und zärtlich mir nachzuschreiten, als ich im Wagen nach Kissingen +hinüberfuhr. In Bamberg sah ich durch jedes Mittelalter sie kommen, von den +Portalen und Kirchen herunter sich neigen. In einem Landhaus bei Bayreuth +kreuzte ihr Name sich mit dem eines Mannes. Obwohl unsere Leben sich +voneinander gelöst und entfernt voneinander trieben, traf es mein Herz +mitten auf die Brust. + +Ich quälte mich weiter. Von nun ab gingen die beiden Spuren zusammen, ihre +Gestalt zog immer tiefer in den Ausdruck des Mannes hinein, der ihr Leben +teilte. Ich begann zu leiden. Zurück? Wozu in die Traurigkeiten, die +verbittern mit Einsamkeit? + +Ich beginne im Gegenteil zu leben an dem Widerstand, mich zu entzünden mit +einer melancholischen unerregten Leidenschaft, die nur sehen will und +überschauen kann. Man stirbt auch nicht aus Leidenschaft. + +Ich habe die Tagbezeichnungen vergessen, werktags abends kam ich ins +Gebirge, fuhr an das Schloß, sie war verreist für eine Tour. Man erwartete +sie. In der Dämmerung ließ ich lenken und besuchte Lil Pax. Ich ließ den +Schlitten angespannt, denn sie war im Begriff in ein Sporting-House zu +fahren, die Glocken schellten. + +Lil Pax fuhr in meinem Wagen. Der Tod hatte Quartier in ihr aufgeschlagen. +Die überschöne Schlankheit der Hände und das fiebrige Feuer der großen +ruhelosen Augen schienen den Knabenkörper mehr in den Ruf des Erlöschens zu +ziehen als in das Muskelgekrach. + +Als wir eintraten, ging der schwarze Boxer Bambula oben an den Ring und +nickte uns zu. Man massierte ihn darauf, der auf den Seilen lag, und führte +ihm Luft zu, während der Saal in Erwartung der Schläge ächzte. Während der +Time-Keeper schellte, der Unparteiische pfiff, Bambula sich aufblies, der +kleine Ukrainer mit Ballettschritten ihn angriff, der Neger ihn Uper Cut +nahm und niederhieb, sah ich dahinter das Meer, aufgebäumt. Grey Lad +preschte davor mit Kerstin. + +Das zweite Matsch erst brachte den Saal in Verwirrung. Aber während Frauen +auf den Stühlen dem Neger zuschrien, die Männer wüteten, Bauernburschen die +Tirolerhüte schwangen, Bambula gleich einer Schnake den Gegner Clinch nahm, +lachend Sawate erhielt und mit grandiosem Bak Spring ihn in die Herzgrube +erledigte, war ich schon tief ergriffen von der Kühle der Frau neben mir. + +Lil Pax war unerregt geblieben. Wir fuhren im Galopp über die Felder +zurück. Mit erschreckender Deutlichkeit kam ihr Wesen aus der schwülen +Ekstase des Saales mit einer überlegenen Deutlichkeit und einem gewissen +hochmütigen Lächeln auf mich zu. Sie hatte die geheimnisvollen Beziehungen +des Verzichtes früher als alle durchstoßen und von der in ihr reisenden +Nähe des Todes eine Ironie um den Mund erhalten, der sie allem entfernte, +obwohl sie nichts floh. + +Das Verzückte war hinter ihr in schwärmerischen Bögen abgeschnitten. Sie +hatte jene Größe, die sich nicht entschied und weder das Gesicht weg von +dem Dasein wandte und es verfluchte, noch in Betäubung stürzte. Sondern sie +ließ, allem hingegeben und allem entfernt, das Dasein, geliebt und +unbegehrt, vorüberfließen, während ihr Mund in schmerzhafter Blässe nicht +zuckte. Welches Blut lag dahinter abgedämpft, wenn sie gütig nickte! +Welcher Sprung, im Haß, federte und ward nicht getan! + +Ich neige mich über ihre Hand. + +Sie erkrankt, heftiger. Ich werde nicht reisen. Ich richte mein Gesicht +nach dieser Frau. Sie beginnt ihren schicksalhaften Zug, tief und weit +entfernt, über mein Zugewandtsein. + +Ihr Leben beginnt über meinen Horizont zu laufen, ruhig und gütig, ohne +deutliche Spur, eine Sonne von Westen her immer der gelben und roten Sonne +entgegen, dunkler und unsichtbar, aber im selben Kreislauf. + +Damit ist mein Leben eingezeichnet. + +Was folgt an Dingen, die Blut, Tag, Rausch bestimmten, ist anders, diesem +Abgewandtes, vielleicht nicht wenig, aber nicht dies. Welche Bedeutung es +hat in meinem Dasein: ob diese Frau das Entscheidende ob das andere, wer +durchschaut das Schicksal? Vielleicht weiß ich es, wenn mein Blut langsam +rinnt und meine blonden Haare so hell geworden sind, daß das Urteil bis an +die Grausamkeit vordringt. Wer kennt sein Herz? Man muß sich unterwerfen. +Stolz ist ein Spielzeug. Bebauen wir unseren Garten. Man lebt sich schon +hinein in sein Schicksal. + +Ich habe die Fahrt nach Kerstin angetreten. Da liegt nun das Leben zum +Anstarrn. Der Kreis öffnet sich. Da sind nun die Tage, Wochen, die +Leidenschaften, die hineinreißen in ihren Bann und entzünden und verzehren. +Haben sie mich erreicht einmal, schwinge ich sie schwärmerisch wie Vögel +auf. Ich bin dabei. Das ist eine Freude. Hallo. Ich lebe in Begeisterung. +Welche Woche! + +Habe ich in dieser Woche nicht zwischen blaugespannten Bergzügen Venus und +Jupiter in bengalischer Konstellation gesehen? In die flamingone Abendröte +den Hausberg aufgereckt wie die Begehrlichkeit einer wilden Sau? Ist die +Natur nicht mit Lawinen und sausenden Gletschern aufgezuckt mit meiner +Bewegung? Hat eine sizilianische Frau nicht unter den Kronleuchtern ihre +Rasse aufgezaubert? Habe ich nicht das Blut der silberblonden Ritterstad +auf der Lippe gespürt, der eine Katze die Schneehaut aufgerissen? Haben die +seidenen Fahnen, als wir im Bob passierten, sich nicht gegen den Wind alle +huldigend auf diese schöne Frau mit dem lachsfarbnen Mund gerichtet? +Schossen wir nicht aus dem Nickelglanz des Starts herunter auf dem Bauch im +Rodel, durch die Kurven auf den Hüften hinunter uns wiegend wie im +Liebesspiel? + +Welche Woche, Lil Pax, während Sie lagen! prall, festgefüllt, aufgestäubt. +Wie bunt. Doch was ist es am Ende? + +Es bewegte sich nur. Aber . . . . alles Getane, alles Erlebte kreiste um +Sie, Lil Pax. Das ist nunmehr von allem die Richtung. + +Ich sehe Margit, Ihren Liebling. Aber ich erblicke sie nur in der +Verbundenheit auf Ihr Wesen hin, gleichwie mit der unentziehbaren Bewegung +der Sonnenblumen, die dem Gestirn mit ihren Mähnen folgen. Es gibt keine +Frage darüber. Das ist Bestimmung. + +Ich sehe Margit. Ihr Hund heißt Lorm. Ihr Lied »O Dolly.« Ihr Herz ist voll +von schönen Schauspielern, von Coquelin, Cyrano, Rolla, von melancholischen +Pianisten, im Lyon reitenden schwarzgeschnürten Offizieren, von Pré-Catlan, +von Speisen bei Spiegeln mit Kerzen, von Bootfahren am Abend, von Lido, von +Sand und Hitze, von einem Mann mit Namen Claessens, von irgendeinem schönen +Capitaine Ettore Cosomati, von einem kriegerischen Colonel Ugolino, von +Melonen, Zirkus, Schokolade mit Zitronen. + +Ich fahre mit Margit, während Sie krank liegen, zwei Tage südlich. Ich +kaufe ihr gelbe Calvils, ich zeige ihr Innsbruck. Ich trinke mit ihr den +serbischen Slivovicza. Ich teile mit ihr den Abend, der mit den schon +südlichen Springbrunnen verzaubert, und die Honigdämmerung unter den +Schneebögen der Hügel und die lauen Schatten der Madonnenlauben unter dem +Golddach. Ich lasse sie Preise verteilen in der Franziskanerkirche an die +Statuen, sie teilt es dem provenzalischen König zu, dessen Erzbrust hundert +Amouretten überspielen, der den Visierschnabel frech, gigantisch, der +Unerschütterliche, Gott ins milde Zinnoberlicht seines Auges hinaufhebt. Es +ist ein rotseidenes Strumpfband, was sie als Preis austeilt, und gibt ihm +ein glückliches Aussehn. + +Ich jage sie durch die Begeisterung bis in die Müdigkeit. Nun laufen die +Berge der Bahn wieder bei unserer Rückfahrt entgegen. Ich sehe sie an +gegenüber, wie sie schläft. Mit zerfleischten Rücken sinken die Berge in +schwarze Seide. Flammend mit Stierblut kreist der Geier des Gestirns noch +einmal über die Grate. + +Sie träumt von Pesaro, von einem Teich und ihrem Lackhut als Kind. Ein +Röntgenologe versichert, sie habe das kleinste Herz. Bäte ich nur, sie +vermachte es mir. Es stünde auf meinem Tisch, kleiner als die Zunge des +Gordon-Setter. Sie wacht plötzlich auf, hinein in Begeisterung. Ich spüre +ihren Atem, sehe sie herübergleiten. Ein schönes Geschenk der Stunde. Ich +versage sie mir ohne Bemühung. Warum? + +Ihr Dasein ist zu nah und zu dicht auf das Ihre gerichtet, Lil Pax. Sie ist +nur etwas wie eine zärtliche sekundenlange Laune, die Sie verloren. Die +Bewegung dieses Mädchens umkreist Sie zu nahe. Was ist ihre Hüfte gegen das +Maßlose Ihres Todes. + + * * * + +Das Dasein hat zwei Seiten für mich nunmehr. Von einer brennt es hell, das +sind die Leidenschaften, die erheben, und die Genüsse, die man erobert. Ich +erhebe mich und erobere, je weiter von Ihnen, um so voller das Ergebnis. +Ich ziehe das Dasein herein aus seinem äußersten Kreis. Ich warte noch +immer auf Kerstin. + +Die andere Seite ist das, was sich an Ihr unaufhaltsames Schicksal bindet. +Man schließt die Augen. Man soll sich nicht ausbrennen vor Schmerz. Aber, +Liebe, kein Lächeln auch nur vergeht, ohne daß seine Deutung sich bezieht +auf Sie, irgendwie. + +Als Rassignac, der in schlechter Zeit mein Freund war, die +Maschinengewehrladung der Polizisten im Bauch, in St. Sulpice lag, spie er +dem Präsidenten der Republik, der das Monstrum des großen Apachen +beschaute, ein Stück Lippe ins Gesicht. Dann sagte er ruhig: »Mon corps est +foutu . . . . hé . . . . non pas mon orgueil.« In der Stille seines +Gesichts lag unterdrückt derselbe Claironklang, der hinter Ihrem Leben +gellt. + +Auch liegt dieselbe Kühnheit der Ideen an der Kurve Ihrer Nase wie bei ihm +eingezeichnet, und daran weiß ich ebenso, wie an der übergroßen Lässigkeit +Ihrer Hände, welch ganz anderes irrsinniges Leben Sie ausfüllt im Grunde. + +Hätte der Verderber sich nicht in Ihr Blut begeben und Sie hingeführt zu +der Harmonie Ihres Geistes mit jener Güte und Milde, . . . . Sie hätten auf +der anderen Seite der Seele ein anderes klirrendes Dasein gelebt: + +Wären unter Scipionen mit ehrgeizigem Herzen in Aulen gewandert. Hätten die +pompejanische Seeschlacht geleitet am Bug. Man hätte zwischen Karlisten und +Rosenroten auf der Barrikade Sie mit der rauchenden Flinte gesehen. Sie +hätten Päpste mit der glatten Stirn beunruhigt. Als Kreuzzugfanatische +hätte ein Pferd über Singenden Sie auf die Mauer Jeruschalaims getragen. Im +Reifrock hätte das Gift Ihres Geistes Politik zerschlissen. Schwertscharf +wären Sie vor Ihren Leuten unter die Elephantenbäuche gerannt, makkabäische +Königin. Ihr Haß hätte geschlagen. Ihre Liebe grausam geflackert. + +Am Ende erst, vielleicht, aussätzig, alternd, verlassen, einen Dolch im +Rücken, wären Sie der liebenden Größe nahgekommen, mit der Sie heut +überschauen, was sich heranwälzt auf dem Schicksal. + +O Sie haben mit Ihrem Finger manche Nacht, Lil Pax, an den Tapetenmustern +von Davos und Arosa jede Zuckung Ihres zurückgeworfenen Blutes +nachgewandert mit den gepflegten Nägeln: + +Sind in afrikanischem Aufstand verschleift, haben als Märtyrin, sich +verschenkend, Weg geebnet, standen hinter den Getto-Feiglingen als +Peitsche, gingen unter Spaniolen steil, die Stolze, hatten Hochmut, +Verachtung. Ach und schwangen in der Inbrunst der Fiebernächte, Steine, +Schmuck, Lächeln um den Mund, da und da und dort, in die Leidenschaften +hinein bis an den bittersten Ehrgeiz. + +Jeden Morgen aber waren Sie zurückgeworfen in den Körper, der, verseucht, +aus allem vertrieb. Sie haben mit einer übermenschlichen Bewegung der Seele +langsam gut gelächelt mit dem Partner Tod. + +Dies Lächeln ist die Lebensrichtung geworden für den, der Ihr Dasein +streift. Man stürbe gern für Sie. Was an Versagtem in das Gefäß Ihres +Körpers zurückfiel, geht in zarter Helle und Herrschaft des Geistes wieder +von Ihnen aus. + +Selbst wie Sie den wilden Regenbögen, die über den Hausberg flattern, +nachsehn, ist eine Leidenschaft, die Sie den Nächten abgerungen. Süß muß +der Tod sein, der im Nahen schon so schön verwandelt. + +Aber zum Erbleichen furchtbar der Abstand zwischen dem Ziel, dem feurig +Ihre Bestimmung einstmals ehrgeizig zugeflogen, und dem Ausdruck, mit dem +Sie nun entsagend lächeln. + +In der Mitte das Leid. Aber welch ein Ausgleich! Als Sie der Bonne Ihre +Tibetgarnitur schenkten, war es dasselbe, als wenn Sie, ohne dies +Schicksal, auf der anderen Seite des Schweifens, Kunstreiterin, dem +englischen Geschäftsträger Vitriol aus dem Sattel in die Loge aufs Gesicht +geschleudert. Ihr unterdrückter Husten bei dem Besuch des alten russischen +Admirals gleicht aus, was Sie an Triumph, Tänzerin, auf die Spitze des +bolognesischen Balletts unter Blumenwürfen gehoben. Der Charme der +Teestunde, der an Ihren Geist anbindet, wäre nichts andres gewesen, als daß +Sie, Dompteuse, das Panthermaul schlössen, mit der Pistole einen +etruskischen Dörfler getötet. Entgleiste Lokomotiven, fliehende Ballone, +aufbrennende Opern haben den Anlaß, aus Ihrem anderen verhinderten Leben zu +springen, wenn Sie mit gleicher Milde, als sähen Sie die sieben Freuden +Mariä, in den Schlaf Ihrer Müdigkeit hinübergleiten. + +Aber, was an Macht über Menschen in Ihnen ruht, wie wenigen der Epoche, was +an Zauber Ihrem Körper, an hingebender Grazie Ihrem Hirn, an +unaussprechlicher Süßigkeit Ihrem Geist gegeben ist und allsamt Sie in eine +Bedeutung erhöht hat, deren Überlegenheit Sie am deutlichsten spüren +. . . ich weiß, Sie gäben es mit eisigem Gesicht, stellten es beiseite mit +dem Madonnigen, dem Zauber, dem Wissen, Sie würfen als Hundebissen in die +Gosse das Milde und Gute, Sie spien aus das Dulden . . ., wenn Ihnen, schon +Jauchzende, dafür getauscht sei: prall, stählern an Leib, vogelhaft atmend +mit den Lungen, eine Woche nur noch einmal in Hölle und Seligkeit, mit +einem Mann, den Sie lieben, durch die Helligkeit Kopenhagens, durch die +Schiffe, den warmen Prater, einen vernarrten Frühling Merans zu toben. + +Doch man soll die Wünsche nicht wecken. Man stirbt an den Wünschen. + +Sie tragen jedoch Ihr Ausgestoßensein mit solchem Gleichmut, daß ich +manchmal in der Gewißheit nicht zweifle, daß Sie zu gleicher Zeit wohl auf +einem anderen Gestirn in einer behenderen muskulösen Figur alle +Leidenschaften, die hinter Ihrem hier abgegrenzten Dasein stürmen, mit +selbstverständlichem Frohsinn und einer gewissen Leichtigkeit in der Größe +des Ausmaßes durchfahren. + +Hier aber sehe ich wie keiner die schmerzliche Zusammengezogenheit Ihres +Lebens. + +Und ich kann sie nicht vergessen. + +Die Leidenschaften haben sich umgedreht. Was mich aus allen Betten und +Fiebern und Längegraden meiner Erde zu Ihnen gerissen, hat sich unter +diesem Schicksal verändert. Das ist zu einer wohltuenden Fremdheit +geworden, die in schwesterlicher Inbrunst meinen Herzschlag begleitet in +einer meinem Blut nicht zugänglichen, schön überglühenden Welt, höher als +jene dieser Dinge, die mich hier hart verzücken und in Begeisterung fangen. +Das ist unser Leben. + +Die Lawinen brüllen durch die Woche und grüßen Sie aus der Mondsteppe wie +wilde Tiere. Der Himmel hat eine amethystene Schaukel um Ihr Haus gelegt. +Morgens stehen mosaische Signale, Säulen feuriger Wolken auf den Spitzen +des Gebirgs. Die Natur bereitet Ihnen Verehrung. + +Auch die Abschiedspolonäse auf Skiern für Marga Ritterstad und Margit, +Ihren Liebling, hat sich als Huldigung gerade Ihrem Haus gegenüber hoch im +Gebirge geeint. Die Midussi hat ihr sizilianisches Gesicht zur Komödie mit +einem roten Turban geschmückt. Alle schauen auf das Zeichen. Der Riemen +Margits löst die Schleife: »Azt a kutja faját.« Die Schnäbel der Skier +haben sich auf Ihr Talhaus gerichtet. Da quillt weißer Wolkenschaum um die +Gipfel des Kessels, die Sonne, aufrauschend dunkel schmeißt ihn zurück. +Schmetternd wie eine Posaune kreuzt sie über dem Tal. + +Mit einem verderbten Schrei wirft die Midussi die Fahne zur Abfahrt und +gibt den Start. Nach Ihrem Haus zu verzischt Ihre Linie im Gebüsch. Die +Ritterstad fährt wie ein stolzer Fasan. Man soll die Diva nicht tadeln, +weil alles sie liebt. Heller Strich auf Strich saust eins nach dem anderen +ab nach Ihrer Villa auf dem bläulichen Schnee. Mit Hagebutten in der Hand +macht Margit noch Telemark und schaut herauf, dann saust sie hinunter zu +Ihnen durch die Latschen. Alle schreien Ihren Namen, die Sie, auf dem +Südbalkon Ihres Hauses, das Glas über den Augen, diesen Herabflug aus den +Hängen auf sich zukommen lassen, beherrschten Mundes wohl, wie jede Ihnen +unaufhaltsam nicht mehr zugehörige Bewegung. + +Ich stürzte, über Heidekraut, sechs Meter ein Hecht durch die Luft, eine +Parade der Arme, ich fiel auf die Erde zurück, der Bergkreis glühte, blau, +dann schwarz. Als ich aus der Ohnmacht aufwachte, sah ich Ihr Haus, Lil +Pax. + +Ich habe mich aufgerichtet, die Stirn ist zwar verdellert, die Knochen aber +sind heil. Ich habe den Fahrtrausch noch im Blut, das Risiko der Stürze +noch im Hirn, der Tod hat mich nicht gedämpft. Ich bin voll Kühnheit und +Begeisterung. Verdoppelt empfinde ich Erregung in mir laufen und Beglückung +aufquellen satt und voll. Das brüllende Tier des Gestirns braust gierig +durch das Blau. Ich fühle mich umschwungen von den Menschen und der Fülle +ihres Atems und der Farbe der starken Empfindung, mit der diese alle ihre +Leben hier gelebt. + +In dieser Sekunde der Höhe aber reißen die Menschen ab aus der Melodie. Die +Woche, die sie füllten, gleitet zurück zu Ihnen, wie zum Mundstück eines +Instrumentes. + +Sie nehmen es, schlank, und scharf aufgerichtet in die Hand, führen es an +die Lippen: da stürzt sich alles in Sie hinein, begierig, daß Ihr Atem ihm +erst Gesicht gibt und es brennend hinauswirft. Was ist um mich all das +Getümmel? Ein Teil von Ihnen. Ich sehne mich in Ihre Einsamkeit aus aller +meiner Fülle. + +Ich spüre Sie in meinem Leben als die Bringerin. Im Seedorf der Vogesen, in +der Entferntheit der Blumengärten Immenstads, in Norrbrö, im fensterlosen +Gemach meiner Heimatjahre spüre ich Sie als die größere Vielfalt. Denn wenn +Sie wollen, werden Figuren und Reihen der Menschen auf der Ebene der Wand +mit der Musik ihres Blutes erscheinen, beherrschter und glänzender als die +meines Erlebens, so als bliesen Sie sie in Wahrheit auf kleinem goldenem +Instrument zart herüber aus der Einsamkeit der Überwindung in meine +Einsamkeit der Fülle. + +Ist dies der Abschied? + +Ich kann, beglückt von dem wilden bronzenen Schild, das die Sonne über die +Steppen schüttelt, sportiv, kräftig, Strapazen überlegen, ich kann meine +barbarische Stärke nicht mehr dem Zauber entgegensetzen, der, aus +Verhängnis und Versagtem gebildet, Ihr Lächeln ist. Es ist zu schwer, wenn +man so Großes durchschaut, an sich zu glauben. + +Sie winken ab mit der Hand: Sie lieben mein Leben. Sie glauben an den +Reichtum selbst meiner Melancholien und sind erfüllt von dem Aufgerichteten +meiner Phantasie. Sie haben Leidenschaft für meine Welt. Sie sind neidlos +entzückt, wenn ich diese Welt in die Hände nehme, mit Fingern und Zähnen +den Saft auspresse, Sie lieben das Bunte, verehren die Stärke, Sie glauben +an die Schönheit des wilden Bildes und die Größe des erregten Blutes. + +Was aber ist es gegen Ihre Welt? Man kann sich nicht finden. Welche Tragik, +daß, was Ihr Elend ist, ich liebe, daß, was mir ein Nichts ist, Ihnen +erhaben scheint. Man soll sich nicht belügen. Wie kann man genießen, was +den anderen quält? Es ist bitter genug, mit Verantwortung zu leben. Bebauen +wir unseren Acker und entfernen wir uns von den Qualen, die wir nicht +mindern können. + +Ich habe mich aufgestellt. Die Augen brennen aus der Ohnmacht noch auf dem +Schnee. + +Als mich die Bretter in weitgeöffneten Schwüngen ins Tal hinunterziehen, +sehe ich keine andere Bewegung als die aus diesem Zustand in den der +Entfernung. + +Ich bin ein törichter Mensch und züchte mir Qualen, statt sie leicht zu +nehmen und mit Selbstverständlichkeit zu bezwingen. Ich mache sie groß, +weil ich sorglos bin. Man könnte leichter leben. + +Wie ich die Skier unten löse, hindert mich nichts mehr am Abschied. + +Am Abend kam Kerstin. + + * * * + +Am Abend kam Kerstin in mein Haus. Musik ging vor ihr her, und die Berge +schimmerten näher von ihrer Blässe. Die Sarabande des Sturzbachs formte +über ihrer Schulter etwas wie undurchsichtigen silbernen Regen. + +Sie griff einen Stuhl bei der Lehne. + +Ich dachte: + + Man solle vor wilde Tiere sie führen und +in Versammlungen, wo der alte Fanatismus der Menschheit ins Böse bricht, +damit das Gleichmaß vom Ineinanderfließen der Beine und des Bauches und die +rührende Schönheit des erschütternd schlanken Gesichts die Stille auslöse. +Brüllende würden lächeln, Tobende demütig werden an diesem Körper. + +Keine der Frauen, deren Hüfte mein Frühling, deren Brust mein Weglager +waren, die ich Jahre hindurch schmerzlich durchwandert, hatten soviel Macht +als dies ledigliche Dastehn. + +Sie hatte, wenn sie lächelte, etwas, was schon zerfloß, und das +orchideenhafte Rosa der Bluse schien aufgelöst über der alabasternen Höhe +der Brust. + +Sie nickte, als sie aufstand. + +Sie ging. + +Und entzog mich mit dieser Bewegung jedem Gedanken und Koffern, die den +Abschied erdrängten, und mit einer märchenhaften Hebung der Achseln beweist +sie, daß ich ihr Haus sehen soll, nicht allein das ihre mehr, und die Luft +behält diese Rundung der Schulter wie einen Abdruck. + +O Sommer, den wir glücklich waren, die Hindin und jener, der mit ihr über +den Rasen lief: + +Als jener See damals nichts war als ein Spiegel für ihre Schlankheit, der +manchmal selbst in seiner blausten Verjüngung zu schwer schien, soviel +Anmut zu tragen, aber mit schwingenden Uferfacetten sie von neuem faßte in +einer Demut und Geduld, die uns überraschte . . . . + +Als Lella neben ihr ging, die ägyptische Königstochter, und von der braunen +Vierzehnjährigkeit ihrer Knie und der Hängelocken über den Ohren die Reiter +hingezogen hielten, und deren Beine so hoch und überlegen standen wie das +schwarzseidene Trikot um ihre engen Hüften -- -- und als ein Rascheln +deines Kleides uns mehr schien als Lellas ganzer Leib, um den zu sehen +selbst die fünfzigjährigen Landräte und Rennstallbesitzer Löcher in das +Damenbad bohrten, und deren Besitz uns doch die tragische Unerreichbarkeit +ihrer Jugend erhöhte . . . . + +Als sie im Stern von Gudrun saß, und wie eine Weiberbrust unser Segel im +Mondschein flauschte und sie plötzlich das Wasser küßte mit einer jähen +Bewegung über Lee und ich tagelang dachte: sie hat den See geküßt, meine +Freundin, was soll nun das Leben, es ist so silbern geworden. Wir ertragen +die Dämmerung nicht mehr . . . . + +Als durch die Dorfstraße auf dem geschmückten Narzissenmotor die Hochzeit +kam mit vielen Offizieren und Orden, und in der Dorfkirche der Sänger im +Requiem stecken blieb, wie er sie an der Säule sah . . . und plötzlich alle +von dem Priester sich umwandten, sie anzustarren, als sei sie aus der Säule +gehauen und flöge mit ihr auf abgesenkten Flügeln in die Höhe, nachdem eine +Sekunde ihnen unwiederbringlich die Hüften des Paradieses gezeigt. + +. . . und als nach einer Woche alle Skiläufer, Dirigenten, Spieler, +Arbeiter, Segler, Fischer, Bauern, Bankiers nichts wollten, als daß ihr +Blick auf kurze Zeit auf ihnen ruhe -- -- und wir den Berg in der Frühe +erstiegen, die Alpen ausgebreitet lagen tief wie die Kolonnen der Engel +. . . und sie gegen die siebenfache blaue Staffel des Horizonts vorging, +die Hand hob und nun kein Blut, kein Fleck der Haut es anders wußte, als +daß ihr Lächeln nur, ihre Hand allein sie weich und schwebend erst formte, +Amaranth hingab und seidige Härte -- -- und als sie bei mir war unter dem +Park und aufschrie, und am Morgen im Pyjama durch den Taugarten ging, und +die vier Nachtigallen wie ein Gewitter rasten zu einer Stunde, wo +bedingungslos sie sonst schwiegen . . . . . + + aber das Trommeln +und Steigen ihres Gesangs so zerschmetternd war, so sehr nahe der Höhe der +Lust, daß ich den Scheitel des Sommers erbebend unter mir fühlte und wußte, +nach so ungeheurem Erfüllen käme nur ein hinab . . . . . . -- -- -- + +Was ist geworden in den Jahren, die ich im Süden ein Hund war und Suchender +und Wüstling und nicht gedachte an deine große Schönheit -- und zwischen +Segelfahrt und hellenischem Frühling nichts die Zeit überbrückte zwischen +mir und unseren zartesten Sekunden -- -- und was hat dich in anderen Armen +verwandelt und hinter welchen Mannes Gefühl ist dein Gesicht verborgen, daß +nicht einmal der irrsinnige Hochmut deiner Mädchenhaftigkeit mir vertraut +und nah ist, mit dem dein Blick mich ans Kreuz schlug, als ich am Ufer dich +ansprach mit dem Wort zu scharf und leicht für deine frauenhafte Bedeutung +. . . . . und daß nun, wenn du fremd in deinen Kleidern hinausgingst, die +Sehnsucht nach deiner Entferntheit und die weite Kühle deines Lächelns mich +tot machen, meine Freundin? + + * * * + +Zwei Tage mied ich Kerstin, zwei Tage lief ich mit der Midussi. + +Wenn sie die Locken schüttelt und feig vor der Schußfahrt in die Knie geht, +und die prinzessinhaft im Nacken geschnittenen Haare ihr in die Zähne +flattern, hören selbst die erregtesten Weiber auf, sie mit Steinen zu +werfen und zu begeifern, ihrer engen Skihosen halber, sie selbst aber ist +nie abgeneigt, mit dem Schrei loszufahren, zu kratzen und die angesammelte +Meute sechs- und achtjähriger Knaben, Eiszapfen schwingend, zu sprengen. +Zehn Männer, die den Kranz ihrer Kali-Syndikat-Millionen anzubeten +lediglich nicht müde zu werden hofften, fiebern nachts nur noch von ihren +spielerischen, lesbischen Beinen. + +Sie hat eine Locke zwischen den Augen in der kleinen Stirn, und das +achtzehnjährige sizilische Gesicht ist krank, bös, schön gespannt in der +aufregenden, von ihren Blicken verdorbenen Luft um sie. + +Sie quält, lächelt und ist kühn genug, im verruchtesten Loch mit der großen +weißen Perlenkette dem Schwarm der Bauernmasken sich zu mischen, die, durch +ihre Holzmasken wie Hunde heulend, im Kilometerradius einen Zirkus von Tanz +um die Gebirgskette schlagen, und aus deren Weiberröcken und wilden Fäusten +sie heiser lachend entgleitet, den Saal hinter sich zurücklassend, +aufgepeitscht bis ans Geheul. + +Ich weiß nicht, ob sie mich haßt, aber es mag sein, daß dies ihre Liebe +ist. + +Die Syrakusanerin läßt den Schlitten voraus fahren, Schellen klirren sacht, +hell. Wir kommen auf den Pfad, wo die Angehörigen eines religiösen Hotels, +mondäne Nonnen, an uns vorüberstreichen. Es geschieht, daß die Midussi, die +Zähne im verbrauchten Gesicht, sagt, daß Picard zum drittenmal ihr an den +Hals gedroht, führe sie nicht nach München -- -- fürchtet sich, schaut +schräg auf. + +Wir lachen. Da es auf diesem Weg ist, erfüllt sich unser Gelächter zu einer +Schleife, die am Hausberg sich hinaufsingt, oben fast donnert. + + * * * + +Samstag kam ein Brief von der großen Diva. + +Marga Ritterstad. + +Lil Pax las ihn. Als gespenstische Schaukel schwingt der +Wachsensteinobelisk sich aus Geschleier und zurück. Unsere Augen treffen +sich dazwischen. + +Die ihren meinen: auch der metallene und schmale Stolz der Spaniolin könne +soviel Blondes liebend anerkennen, denn es sei gut und von gewisser +Bedeutung, und, wenn man vieles leide, sei manchmal auch das Zweckloseste +sehr viel. + +Ich sage: + + »Hat man je den Mut gehabt, das Spiel auf +das Strenge zu richten. Man verzeiht. Man lächelt. Niemand klagt an. O, +wenn ich die Kinos alle hätt in meiner Hand! + +Als ich einmal jene drei Tage mit ihr durch alle Cafés und Theater und +einen unvergeßlich perlmuttenen Frühlingstag geglitten, und aus einer Loge +sie durch plötzliches Schneegestöber in die Bahn gebracht, blieb etwas wie +Verzauberung über den Straßen hängen . . . . denn soviel Liebe sie +empfängt, strahlt sie zurück. + +Man kann ihrer Spur folgen durch die Wüste. Morgens kam ich nach Nürnberg, +lag im Bette, telefonierte dazwischen, durchschlief den leeren Tag. Am +Abend überwogte mein Auto aber die Brücken und Hügel der Stadt, ich fuhr +von Kino zu Kino in der von der Dämmerung entzündeten Sehnsucht, die Blonde +zu suchen, und ich erregte am Egidienplatz einen Auflauf des Volkes, das +dort noch nie einen Wagen gesehen, wo ich in der Baracke sie fand. + +Wie lieben die Menschen die Kostbarkeit ihrer Haut und die erlesene Haltung +ihrer Augen! + +Piccolos zittern knabenhaft und ohne Frechheit, denn ihre Träume haben nie +geglaubt, daß so Herrliches wahrhaft an Restaurationstischen atme und +speise. + +Kellner verbeugen sich gleich vor der selbstgeschaffenen Königin ihrer +Liebe. + +Köche, vom Gerücht im Betrieb elektrisch erreicht, garnieren nur ihren +Fisch mit hingebender Kunst, Portiers eilen, Chauffeure, von anderen +gemietet, unbestechbar, brechen auf unter dem Schlag ihres Namens, rasen +und schmeicheln sich, mit großer Bewegung sie grüßend, keinen Lohn zu +empfangen. + +Nie hätte ich gewagt, zu glauben, daß dies Volk der Sklaven, das vor +verrunzelten Wittelsbachern und leberleidenden Hohenzollernfrauen +erbleichte, so viel Größe habe, sich eine Fürstin ihrer Liebe zu schaffen. + +Sie ist die weiße Göttin der Masse. + +Sie lieben diese Frau um ihres Auges, ihrer Hand, ihres Lächelns willen. +Nichts weiter. Man neigt sich vor der Wahrheit einer Legende. + +Überall, wo ein W. C., eine Kirche, eine Kaserne sich findet, flimmern die +Lichtspiele, durchdringen die Rinde des Erdballs, stehn auf Schiffen, in +Klostern, auf Inseln, in Lazaretten, Bordells, Villegiaturen, Steinbrüchen, +Sanatorien, Irrenhäusern, Auswärtigen Ämtern, Polizeibüros, +Landwirtschaftskammern, Redaktionen, Expeditionen, Luftschiffen und +Völkerkriegen. + +Ihr, die ihr wach seid, die Freiheit fordert, Gerechtigkeit liebt und gegen +den pfaffenhaften Schwindel eurer Volksbildung lächelnd und, moderne +Berserker, anrückt und feuert, die ihr den Erdball aus infamen Achseln +klappt und nicht vergeßt, dabei die Marseillaise eurer schönen Herzen zu +singen, euch, die ihr euch hingebt, duldet und tapfer seid im Blut, schreie +ich hinaus: Nehmt die Waffe. Laßt die Theater, die Intellektuellen nur +spielen und bourgeoisem Geist, der verfettet ist wie ein Alkoholikerherz, +treibt diesen Kreisel durch alle Niveaus, Kreise und Staffeln. + +Schiebt die Erschütterungen auf die Leinwand, von ihr hinein in die Adern, +füllt durch sie den Pulsschlag, schafft einen Riesenkreis der Wirkung. +Treibt die Besitzer der Sauställe aus, baut Kinohallen. Enteignet diese +Gesellschaft. + +Vertreibt das Gesindel aus den Tempeln, denen diese Frau nichts darstellt +als ein Kapital von hundert Millionen, eine Tantieme, und sehr zu +pflegendes Tier. + +Dann wird die weiße Blonde in der Stille kommen. Der Moment der Erfüllung +wird ein Blitz sein. + +Auf daß sie nicht mehr der weiße Vampir sei, die goldene Schlange, das +helle Marderspiel, sondern daß sie eine gewisse Demut ertrage und, von +zehntausend Leinwänden in der gleichen Sekunde herunterwandelnd, von +Rosenheim bis Chikago, Djursholm und Kapstadt, als unsere gute Frau von den +sieben Schwertern und blutroten Rosen die Armen und Geschlagenen in +Wahrheit heraufführe bis zu der sanften Höhe ihres Lächelns aus dem Rausch +der romantikverstunkenen Löcher, in denen selbst die Verwüstetsten, um +ihren Glanz anzubeten, nie erlahmen werden, ihre kargen Abende und die +Dämmerungen des Frühlings hinzugeben. + +Und, die heute täglich suhlt à la boche in den Lachen der von Kocherls und +Ladnerinnen umjauchzten Geschwätze, wird vor ihnen hergehen, wahrhaftig, +Instrument der Gesinnung, Jungfrau von Orleans mit der blonden Krone und +dem liebenden Beispiel, Entfacherin echter Tränen, guter Handlung -- -- -- +.« + +Lil Pax hat die Hand gesenkt, die mit den Haaren Margits spielt, die diesen +Augenblick mit vor innerer Spannung erfrorenen Augen empfindet, und sagt: +»Silberner Vampir«. + +Die Wolke ihrer Augenlider hat einen sehr entfernten Glanz. -- -- -- + +Am vierten Tage kommen Kerstins Pferde, schellen im Garten, treten, +stampfen, werfen auf eine Säule Dampf. Ich trete ans Fenster, fasse den +Laden fest. Nehme die Skier. + +Folge Kerstin in ihr Haus. + +Staune nicht. + + * * * + +Es scheint, als gebe das Klavier Kerstin eine bewundernswürdige Maske von +Kraft und Zorn, und die Vollendung ihrer Hände erreiche in der Berührung +der Tasten eine Erhöhung der Töne, die sich dichter immer zwischen sie und +mein Hören stellte . . . und die langsame Verdunklung ihrer riesigen Diele +sammle aus der florentinischen Seide der Wände und den aus Feuer gefärbten +Bildern Marées eine Stärke, die sie mir wehmütiger und ferner entzog. + +Sie sprang zu Chopin. + +Ihr Rücken bog sich wie ein Coli im Sprung, und jene Süßigkeit der +Weidengerten war dazugegeben, die den März zum schmiegsamsten und +verführerischsten aller Monate macht. + +Ich verstand die Musik nicht, die sie davontrug, und ich fand, man vermöge +wenig Sinn zu finden für dieses, wo die Natur uns täglich säugt und wir +verliebt sind in sie mit unsterblichen Gästen. + +Ich sage: + + »Weißt du, wie Lia von Florenz sprach und +jener Sonne Eures Ateliers und Speyer und Lucius und jener Sinfonie, die +mit Gold und Musik Ihr morgens über die Hügel stürztet -- und ich schwarz, +zerschlagen, gepeinigt vom Bild jener Stadt, in der ich diese Zeit damals +verbrachte (Stadt bestürzender Enge, niederen Behagens, wohlgenährt, aber +ohne Wollust, Stadt, der ein Schicksal Prüfungen nie gab, feist, faul und +bürgerlich und selbst zu feig zur Sünde) -- -- daß ich gepeinigt nicht +sagte: Dulden ist mein Los -- -- sondern ins Gewitterblau der Pflaumenbäume +hinausging, am Bach Gott bat, mich hochzureißen an den Rändern des Gefühls, +mit Zorn mich anzuschwellen, zu tränken und zu stärken, daß ich, unser +dichterisches Schicksal erfüllend, blutigen Mundes den Haß der Vaterstädte +ausrufe . . . . . + + und daß ich, weißt du noch, am gleichen +Abend, als der Berg rot flammte, Vollmond aufsprang zwischen den Ufern, +Hügel violett und bebend sich malten auf die sie kaum ertragende +himmlisch-japanische Seide, daß ich in Eurem Boot dennoch nichts anderes +tat, als dein Gesicht zu preisen. Es war mir nah wie mein Herz, und wie es +heraufstieg aus der illustren Kette der großen Revolutionäre und Helden +Deiner Familie und das Unvereinbare trug der Hingebung _und_ des +grenzenlosen Hochmuts (über den schwarzen Brauen und unter dem rauhen Helm +der roten Haare), traf es mich in einer unbeschreiblichen Erlösung: + + nie habe gemischtes Blut von Franzosen, +Juden, Aristokraten, Dichtern und Deutschen soviel wilde Schlankheit der +Hüften und schmerzliche Verhaltenheit der schönen Nase in eine lückenlosere +Harmonie des guten Weltbildes getragen . . . . . und der See hielt deinen +Leib wie ein Schild mit inbrünstiger Entsagung gegen den von Schwärmen +übersternten Himmel. + +Weißt du . . . . . als an dem Tage, wo draußen an der Notbucht einer +umschlug, und die Kreuzbö uns überfiel, zu dritt wir uns über Backbord +warfen, es drückten, den Gesandten Teherans von zwei Meter Länge im Lee +durch das schwarze Wasser zogen, und Maria, als es ums Sterben ging, das +Focktau in die letzte Messingpumpe sog . . . . . wie dein Gesicht allein +mir lohte. + + . . . . . wie von dem Turm, +wo nach dem Wasser einer wie ein Croupier, einer zum Land wie ein Rabe +malte, jener Reiter, von Entzückung Illuminierter, dir die ganze Nacht +Feuer über die Seezunge brannte. + + . . . . . wie wir durch die Sturmnacht auf +den Rädern um die Seebögen heimwärts rannten, und das Aleppogeträum des +Prinzen und Bagdad und Pera unsere Herzen verband, als lägen wir Gesicht an +Gesicht in deinem Haus zu Fiesole. + + . . . . wie der große Geländeläufer, +in Davos und Edinburgh gefeiert, dich schlafend morgens im Boot entführte +und abends abreiste mit eingesunkener Schläfe + + . . . . . wie der Ritter von Harty, dem die hohen +kriegerischen Medaillen die Brust überschwammen, die Regatta unter deinen +Augen verlor, am Strand saß und heulte + + . . . . . und wie der Arm der Diseuse, die nach dem +Gewitter gedeutet, magnetisch angezogen dem Blitz nachjagte und auf ihn +noch wies nach zwei Stunden auf deinem Balkon und dich ein wenig verwirrte. + + . . . . . weißt du, wie +ich die flachen Hechtsprünge machte, um dir zu gefallen, obwohl die Narbe +mich feurig schmerzte, und deine Hände, die gemacht sind, daß, wenn man +dich liebt, man sie spüren muß oder krepieren, sie sänftigte und meine +Eitelkeit linder tadelten als dein Wort. + + . . . . . weißt du, wie, als wir am +Bach lagen, und die Idylle des Himmels und der Häuser uns verzauberte im +gläsernen Mittagssturz, jene fremde augenmalayische Frau mit dem schönen +Mund und den vielen Steinen, die wir als große Freundin von der +Freundschaft später so sehr noch lieben sollten, das Auto anhalten ließ und +ausstieg und zu dir einfach sagte: »Wie schön sind Sie«, als seiest du eine +Wiese. + +Aber eins, weißt du, kann ich nicht ertragen: + + Du hast +zwischen Tau, Flieder und Vögeln mit deinem Körper getanzt in unserem Park +am Morgen, und nichts blieb uns fremd von deinem Bein und deinem Hals und +den Brüsten -- -- und ich habe jeden Teil durch die Luft genossen und +geliebkost wie ein Irrer . . . . . + + und kein Teil deines Körpers, +Kerstin, vergaß mich (wenn ich anders sprach, log ich) und jeder hielt an +sich, blieb bei mir und besaß mich toll in den Jahren, die sich, während +ich uneingedenk deines Schicksals durch viele Leben dahintrieb, +geheimnisvoll zwischen dein Leben damals und dein heut verhülltes Leben +spannen, meine Freundin.« + +Sie stand auf. + +Die zwei dänischen Doggen gehen vor ihr her. + + * * * + +Ich folge. Ihrem Rücken nach. Ein Fischer, Kerstin, hat mich einer Frau mit +weißen Beinen aufgeladen, hielt mit der einen Hand ihren Hals, mit der +andern die Knie. Ich wurde in einem Boot gemacht. Flog mit Störchen, blies +Frösche auf, vergaß nie, daß der schlagende Horizont einziger Freund. + +Kam, als das Geheimnis der aufgebauten Körper mir noch Erlebnis schien, +wert nachzuspüren dem göttlichen Zusammenhang Eileiter, Sonne, Hoden, Niere +und Leidenschaft, mit der Syphilisexpedition, mit Reagenzen, +Spiritusblasen, Zeichnungen, Wassermann, Abnormitäten, nach Sumatra. +Ätiopinnen liebten mich, wenn wir auf den Schilfbarken fuhren. Tja--ka +. . i lärmten die Papageitaucher hinter Trontje. + +Mein blondes Haar band die schmale Luxemburgerin im September vor ihrer +großen Heirat um ihre Zehen. Habe an Häfen gelungert, war Photomodell, +Araber im Sketsch des Odéon, verkaufte Zeitungen vor der Opéra und quer +über die Boulevards. Wie groß war der Sandwind selbst der Passy-Kloaken! + +Wie stählern flog der Himmel auffeuernd hinter dem Rußschwanz der +Seineschlepper. Ich habe Tierschmalz in den Knochen. Wohne in einem +Bauernhaus, Kerstin, das in der Sonne schaukelt auf einem Bergpfeil. Mit +dem Pfiff auf zwei Fingern hole ich den Himmel runter wie einen Hund. + +Was soll mir hier um dich der Plunder? + +Sag, Antilope, blaugelber Ara, Perlreiher, kleinpupilliger Puma, zahmer +Südleopard . . . . . was soll mein Blut mit dem Angehäuften, Verfaulten, +hinfälligen Zauber, der dich verkapselt, und den, eh die fremden Hände in +diesem Haus ihn um dich zogen wie einen Keuschheitsgürtel um deine Schenkel +und Augen, Jahrhunderte nur blutlos häuften, verehrten, bewunderten, um +allein dich abzuschnüren von mir, von dir. Niemand kann lachen in dieser +Feierlichkeit hier. Doggen erfrieren und gähnen. Mir ist im Hals, als äße +ich Waldkirschen, Galläpfel, Holzbirnen. + +Der Römer aus Bronze glänzt ab auf deinem Rücken. Die sieben Knaben +Donatellos werfen den Marmor auf dich und verkühlen dich zu Ferne. Die +frechen, schmalen Stiele der Orchideen überwuchern dich mit solcher +Geilheit, daß sie der Köstlichkeit des Halses noch verzaubertere Linien +hinzufügen. + +Und die Luft der Gobelins, gebogener Kassetten, der geschlechtlosen Figuren +des marmornen Klassizisten Hildebrandt . . . . saugen dich auf in ein Maß +der Entzogenheit, daß selbst der weiche Staub des Wassernebels vor dir +zurückfüllt. + +Was geschieht, bezaubert, besitzt dich so stark, daß selbst die sechs +Sekunden, die ich dir über die Veranda langsam folge, dich, um die unsere +Statuetten gierig glühten am See, Schmetterlinge und Tücher brannten, +Sträuche wie Wind wehten, daß selbst die sechs Sekunden dich verhüllen und +vermoosen und hineintauchen in dies deinem Wesen Un-Nahe, Verhaßte, langsam +Entfremdende? -- -- -- + +Sie bleibt stehen. + +Ich schaue auf. + +Die Brust des Schlosses stürzt vor meinem Blick mit einer Glaswelle über +den Abgrund. + +Da steigt und bäumt das Gebirge draußen auf hinter dem Glassturz, flammt im +Saublut des Mittag, steigt und brüllt und saust und sinkt hinter die +glitzernde Scheibe wie eine geblasene Spiegelung. + +Eine Sekunde schwebt auf den Wagbalken. + +Welches ist die Welt, die eigentlich mich explodierende, aufschwingende: +draußen das? Hier? Ist draußen das ein Phantom, was ich liebe zum +Verrücktsein, die Brust der Alpen, an denen selbst die Schweine gut wurden, +das Hochkar, das gleich machte, das Menschliche aufschälte wie eine Orange, +Lawinen, dressierte Sturmflocken, die Mutterbrüste der Schneehimmel, an +denen wir hingen, an ihrem fahlen Zinnglanz schmatzend, saufend, mit vollen +Mäulern? Ist das nichts, nicht ein Winterinhalt, ein Leben? Verzuckt es +hinter dem Glas? Hält nicht stand dem Leben hier drinnen, dem wilden Geruch +aus dem Jahrhundert, der Gebärde schrankenlos aufsteigenden Daseins, +verwirrenden Gobelinsprüchen, Waffen, dem Bauch des Michelangelos Tritonen? +Wird es schon Blase. Zerplatzt, abgenutzt, blaß, ein Nichts? Blähung, die +mir ins Gesicht fährt? Spiegelung, die mein Blut betrog. War mein Leben +umsonst? + +Da dreht Kerstin ihre Hüfte in die bebende Sekunde mit einer Bewegung der +Achsel, wie, mit Kristianiaschwung brausend, sie gestern bremste, als neben +mir, in Hosen die schönste Statue, sie in den flamingonen Abend mit mir vom +Gletscher schoß. Die Wagzunge bebt. + +Die Wage schwankt, geht hoch. + +Ich sehe endlich ihr wahres Gesicht, ihr Gesicht. + +Mit leidenschaftlicher Durchdringung durchsüßen die Bogen der Schneefelder, +wie herübergeschienen, ihre Haare, die Brauen. Sie spiegeln sich ineinander +in tiefem Hingegebensein, bis sie, sich vertauschend, vergehen. + +Es war, als mische in einer unlösbaren Sekunde die Landschaft und das Weib +sich, die wir beide nur durcheinander ganz zusammen und vereinigt unendlich +lieben und erfassen können bis zum Tode, auf ihrem Gesicht zu einer +Vollendung, in der die Glut keines Sommers, das Zucken keiner Umarmung, +nicht die Ausschweifung der Mondnacht, keine Gefahr, Demut und Riskieren, +und die blutige Wut keines Eistages fehlte. + +Wie strudeln die Weidenbäume märzlich herein! Suchen Schneeflammen sich an +dir zu zerstören. Tost der Kessel vom Signal des Bobs und erschüttert der +Himmel sich mit Süße! + +Die Wagschale saust in die Höhe. Dein wahrer Kopf kommt herauf. Ich sprenge +die Zeit von deinem Mund, deinem Auge. Breche es auf bis ins Blut. Dein +Gesicht kommt herauf. Ist da. Ist da. Ich sehe jede Spur deines Körpers, +wie an dem Tag, da du tanztest. + + * * * + +Zwei Tage werde ich dein von innen mir zugewandtes Gesicht sehen wie den +segelnden Mond. Ich will dir den Abgesang bereiten, meine Freundin. + +Du wirst die schönste sein auf dem Wege von der Geliebten zu der Kameradin, +und das Geheimnis wird sich in dir bestätigen von der späten Freundschaft +mit den Frauen, an deren Brust wir von der Pilgerfahrt wie an der +Mondflamme uns golden ausgeruht. + +Dein Schritt wird als ein Echo irgendwo lauschend stehen. Aus jedem Spiegel +wird unserem eigenen dein tragischer Stolz entgegenschnellen und +verschwimmen. In großer Brandung wird dein Gedanke mich treffen. + +Selbst unsere seltene Ruhe wird durch dich schwebender und gleich einer +Ballonfahrtschleife, deren Klarheit die Geräusche des Bodens in der Ahnung +nur steigert, aufglänzt, hebt. + +Jedermann weiß, was das Summen einer Goldfliege an Ungeheurem ist in einer +Sommerkuppel. So warst du. + +Als du kamst, sangen die Hunde dir zu in ihren Träumen. Die Sarabande der +Sturzbäche machte eine silberne Wolke hinter dir, und dein jungfräuliches +Herz verlangte nichts andres, als guten Saft deines Lebens meinem +Eindringen entgegenzutreiben. + +Und siehe: + + Dennoch . . . . . bringst du Unheil über mich +und alles, was ich tue. + +Schon im Sommer barst der Riemen, verlor ich die Wette, kenterten wir beim +Halsen, mißlang eine Arbeit von drei Jahren. Heute nacht sprang meine Uhr, +raste ein Wecker, kam ein Todtelegramm. So vieles schon treiben die wenigen +Stunden herauf, seit ich deinen Geruch wieder spüre. Wird morgen der Sprung +vom Skihügel meine Knochen zerknacken, wird mein Schlaf mir entzogen, +erkrankt meine Niere, wird der Geliebte der Midussi, weil sie noch bleibt, +der Locke inmitten ihrer Stirne halber, am Bahnhof mit dem Revolver mir +auflauern, mich erschießen? + +Dann bist du entfernt, und die Geschicke knallen aus den Federn. + +Aber ich lache. + +Siehe den Sinn herauf der Kraft und weiche nicht eine Minute. Gerne hielte +ich, verzaubert von solchem Schicksal-Gegner, die Hand in deinem schönen +Fleisch, entzückte Parade, und mein trommelndes Herz wäre jede Sekunde +bereit, durch die Tranches, die Fahnen, Tanks und die Marne des Schicksals +hindurch sich zu schlagen. Denn siehe: ich kann nicht leben, wenn nicht +mein Ehrgeiz Flamme speit gegen Widerstände, Schicksale abdonnert, sich +riskiert -- und der Condottieri meiner Adern aufbricht, steigt, strömt vor +Stolz. + +Aber du. + +Du hast deine Schönheit in wechselndem Spiele ausgeliehen an die Dinge, die +um dich sind. Es liebt dich jeder Baum, jede Wiese und jeder Himmel. Zu +festes Halten ist Tod aber für die großen Liebenden. Deine blumenhafte +Zartheit abzulenken vom sanften Gleiten deiner fatalen glückhaften Bewegung +in die anderen Zustände deines Verweilens, zerstörte nur deine kostbare +Form. Es heißt zurückgeben dich an das Viele, dem du gehörst, Entzogene den +Leberblumen, dem Kiesweg, dem Hochkar, den Matten des Forellentals und +Weidentroddeln der Bäche, den Dörfern, Gehöften. Sie lieben dich alle, +warten in Sehnsucht. Ich kann sie nicht ersetzen, nicht immer um dich sein, +dich nicht mit tausend Vertauschungen sehnsüchtig halten. + +Wie sollte ich leben? + +Nur auf der Höhe der weit und wie Pfauenräder verwirrend geschwungenen +Gefühle uns begegnen, durchdringen und kulminierend besitzen -- -- wie +schön unser Schicksal. + +Du wirst nicht weinen. + +Der Abendgesang der Berge ist wie Glas. Regenbogen des Mondes spielen +darauf. Die Schweife der Pferde sirren dir nach: Geliebtes. + +Selbst Lil Pax wird in den guten Stunden ihrer Krankheit beten, daß du +sanft durch den Abschied entgleitest und gut es hast, bis idiotische +Schaffner den Morgen aufgellen: Fiume . . . Buccari . . . Czirqueniza +. . . und milde See dein florentinisches Lächeln spiegelnd tragen. + + * * * + +Die Leidenschaften haben sich erfüllt. Selbst die Trennung ist da eine +heitere Bewegung. Man muß zu leben wissen und sich einrichten. Man trägt +den Kopf nicht zwischen den Schultern nach hinten. Hinter Gewesenem +seufzen? Die Sentimentalen haben nie eine Frucht aus der Leidenschaft +gezogen. Daß etwas so war, ist eine Herrlichkeit. Schied es in Harmonie, +welch ein Besitz! + +Als ich mit Lil Pax am Abend um den See fuhr, hatte Uga, die Bronzenymphe +des Grundes, ihre Lage verlassen und es schien, daß sie sich mit Bauch und +Gesicht ein wenig gegen den Wagen hin unter der grassilbernen Oberfläche +bewege. + +Das Grün kam aus der Tiefe um ihre Glieder mit einer Stille herauf, daß +dieser wundervollen Bewegung nur der Mond noch jene gewisse Starre +hinzuzufügen vermochte, mit der er riesenhaft die Fahne der Schneefelder +entrollte. + +Der Mund neben mir lächelte voll Zurückhaltung. + +Es gab nichts mehr in der Dämmerung als die selbstverständliche Bewegung +der Nymphe. Um Baum und Eis und Pferde schwankte ihre Erinnerung. Dem Lauf +der mondmagischen Berge gab sie das Maß ihrer Gegenwart. Wir fuhren durch +die Fichten wie durch ein Spalier dieser Anmut, wenn sie sich in dem Reif +bewegten. + +»Kann man«, sage ich, »jetzt noch den Mut finden zu glauben -- und sei es +nur der Sportlichkeit der Vergleichung halber -- daß eine unter der Masse +jüdischer Rodlerinnen, Danziger Offiziersfrauen, der Filmerinnen, bebuster +Antiquariatsweiber, württembergischer Reichsgräfinnen, der +Pilules-Orientales-Breeches, der Dichterinnen, der A. E. G.-Direktricen +. . . . . daß eine nur vermöchte, dieser göttlichen Bewegung sich +anzugleichen und auch nur annähernd dieser Überlegenheit nahezukommen +. . . . + + daß eine vermöchte, +zwischen dem zarten Rosa der hochgeschwungenen Wade und den breiten dunklen +Schenkeln, Kniescheiben von dieser Kleine und Rundung zu wiegen und die +stählerne Wucht der Jägerin auf so verengten Hüften zu heben, daß Kerstin +selbst diese Linien der Göttin nur in ihren besten Stunden ertrüge . . . . +. . + + daß zwischen hirnlosen gelben Husaren im +Schlitten solch unirdische Geste irgendwo hier aufzustehen vermöchte, und +daß unter der Verbrämung der Pelze der Blick einer solcher Anmut +gleichkommenden Frau den Horizont absuchen könne bei den idiotischen +Foxtrottphrasen der bayrischen Flachstirnen . . . . . . + + daß am Tisch in der Nase bohrender +Tanzdivisionäre, korsettierter Hochstapler, kastrierter Erlauchte, gemalter +Perlenweiber eine so gestaltete Frau die Angst der rasenden +Großkapitalisten umschwirre . . . . . + + daß +sie eintrete in von jüdischem Kommerzienrat mit dunkelbrauner Glatze und +schlechten Knickerbokkers ihr geöffneten ausgehaltenen Appartements . . . . +. . + + daß vielleicht auf dem +Eliteball der geflüchteten Aristokratie sie heimlich ihren Fächer trüge, +und, in weißen Handschuhen und Hofballpantomime in schäbigem Restaurant die +verfallene Zeit in den kleinsten Symbolen aus Trotz betonend, vor +Spartakiden jede Minute erzitternd, zwischen schlecht geratenen fürstlichen +Kuriositäten und vermiesten Exzellenzen in steifen Tänzen stünde . . . . . +. und vielleicht sogar in einer unheilvollen Sekunde dem fehlenden Kinn und +der Grande-Bouche-Chevalerie des hohenzollernschen Reichspinguins +entsetzlich verfiele . . . . . . + + und daß in der plötzlich ausgelöschten +und ohne diese Erinnerung freudlos gewordenen Schneesteppe überhaupt +irgendwo, daß in Hotels, auf Bobs, bei Sonnenaufgängen, in gescheiterten +Schlitten, bei Skistarts sich die grenzenlose Überraschung solch göttlichen +Lächelns zu entfalten vermöchte, an dessen Entzündung die Leidenschaften +erst sich zu entwickeln vermöchten in die märchenhafte Höhe . . . . . . -- +-- -- + + Aber alles in mir wird +nun trotzdem die entsetzliche Bemühung antreten, dennoch ein lebendes +Ebenbild zu finden, das, ebenso erlesen und dieser Gebärde an Schönheit +vergleichbar, der frauenhaften Adligkeit Kerstins auch noch das +Unbegreifliche der Göttin hinzufügte. Suchen wir. Es gibt keine +Phantasien.« + +Aber es kam scharf aus den Pelzen, die einer Wolke gleich über dem +Wagenbord flauschten: + + sie vermöge in Wunsch +und Absicht dieses Planes schon nichts anderes zu sehen als jene maßlose +Überhebung unserer Rasse, die, ohne Übergang der Kulturen, das Herrliche +sofort für sich requiriere . . . . . und die wir glaubten, pathologische +Athleten, neben der Dummheit den Mut der Stiere als Erbschaft tragend, auch +das Gezüchtetste und Überirdische neige ohne Bemühung schon sich unsrer +Ungestalt als natürliche Beute . . . . . . + + und daß das kindische Haschen (und nicht begehrenlos +Ertragenkönnen) nach der göttlichen Spiegelung mit seiner rohen und nur auf +Gewalt gestellten Äußerung in seiner naiven Zufriedenheit schon jener +unendlichen Rührung nahekomme, mit der der Glaube unsres Volkes, Gott habe +vor anderen es auserwählt zur Herrlichkeit (obwohl er es mehr wie irgendein +anderes als Sklaven gestempelt und täglich vor die Tiere warf) seine +schwarz-weiß-roten Patrioten als so besonders arme Akkoucheure des Glückes +erscheinen lasse . . . . . . + + und daß schließlich doch nur Besessene +und Wilde das Unmögliche nicht zurückschrecke, die wir auch nach der +tragischen Lächerlichkeit unserer Revolten seit der Reformation bis zu den +Bolschewiken das Bittre unserer menschlichen Unvollkommenheit immer noch +nicht als Verworfenes erkennten . . . . . und unserer Rasse tiefste +Mischung von Roheit und Sentimentalität auch in den überlegensten Minuten +nicht verleugneten . . . . .: Barbaren der Sehnsucht. -- -- -- + +Wieder überflog ihr Auge und den Mund der Charme, der an ihr Leben +bedingungslos band, und der auch in der Anklage dem Gezüchtigten +Bewunderung nicht entzog: »Immer«, klagte sie, »sind die erstaunlichen +Vögel seewärts gezogen und ins Meer gestürzt. Man kann sie nicht hindern.« + +Ich wende mich den Pferden zu vor Lachen. + +In ihre Kosakenpupillen ist plötzlich das Grün getreten. Auf dem Bach zur +Linken flimmert es in Kreiseln. Der Hohlspiegel der Gletscher wirft es mit +Scheinwerfern herauf über die Schneeprärien. Die Erinnerung der Nymphe ist +aus dem Spalier der bereiften Bäume heraus bis vor den Himmel gedrungen. +Alle Entgegenkommenden haben Seefarbe über den Brauen. -- -- -- + +Da liegt nun das Leben zum Suchen. Die Leidenschaften sind in die größte +Spannung getreten. Man sollte das Unvergleichliche nie erblicken. Man tötet +sich aus Sehnsucht. + +Wann hat das Göttliche je sich heruntergeneigt? + +Ich finde es trotzdem. + +Das Glück ist eine Hure für junge Leute und bereit für die zwischen Zwanzig +und Dreißig den Traum einer Taille zu bestätigen. + +Uga! + +Ich finde deine Bewegung wieder, mit der du das Wasser deines Sees ein +wenig erregtest und ich zittre, du seist es selber, so sehr hat die Frau, +die auf Skiern nun steht und gegen das Gebiß der Gebirgszüge hineinschwebt, +deine Kraft und deine Kühnheit. Sie hat die Hände in den Taschen und fährt +mit karierten Breeches, die die Bluse wie einen Kelch heben. Man muß sie +auf Skiern erreichen. Es ist eine wahrhaftige Jagd. + +Uga! + +Ich hole sie ein. Es ist unmöglich ihr einen anderen Namen zu geben. Ihre +Haltung hat nur etwas Durchbebteres wie von einer Gazelle in den Hüften und +von einem Schwan etwas Kühle um die Schultern. Sie erstaunt. Sie stellt +sich. Ich sehe ihre Hände, ihr Gesicht. Selbst der Unmut ihrer Braue hat +eine Richtung, als vermöge er sich aufzulösen und wegzuschwinden mit ihr in +andere Gegenwart. Ich wische mit leisen Worten ihn weg. + +Wir fahren zugleich ab, ich lasse ihr jeden Vorsprung, bemühe mich, daß sie +auf mich, die Gewandtere, wartet. Aber auch ihr stolzes Lächeln hat keine +festere Begründung als ihr Zürnen. Kein Horizont hinter ihr. Wenn ich ihr +Leben weiß, bin ich soweit wie am Anfang. Um dies Lächeln zu sehen, tausche +ich die Qual es nicht ertragen zu können? Welches Scheitern! + +Mit großen Schwüngen nehme ich die Führung plötzlich. + +Göttinnen lieben zu entgleiten. Aber sie gleiten mit Skiern nicht den Berg +hinauf. Sie folgt geschlagen ins Tal. Eine Woche bleibt vor uns: bebauen +wir unseren Garten! Ball, Pferde, Schlitten, Spieltisch, Bobs, Skijöring, +Musik hinein in die Woche. Heran nun Tag auf Tag! + + * * * + +Wir nähern am dritten Tag uns dem Kloster. Dem Wagen tritt in Parade Stück +auf Stück der Landschaft entgegen. Der Kamelberg mit dem Tagmond schmal +gezeichnet kniet vor das Tal. Die Madonna sieht, mit der großen Zehe den +Zeiger der Sonnenuhr weisend, herüber zu Uga. + +Sie zeigt das Raubtiergebiß, das Lachen der jagenden Diana. + +Wir nähern uns dem Kloster. + +Gold, blau und zärtlich im Weiß summt die barockene Kuppel in das fließende +Hell, im Schweben von dem Aufstieg des Korbinian, Katharinas, Benedikts, +Sebastians und der Heiligen Familie begleitet. + +In der schwelgerischen Bläue steht die lateinische Stimme des Präzeptors +rund und hoch, eine Lobpreisung. + +Der Chor der Pagen, die ciceronische Perioden reiten, geht im Kreis in +sanfter Herde die welligen Raine hinauf über die Zacken bis ins Licht. + +Selbst die Gäule haben die Stille erfahren und traben an der Bergschlucht +zum Brunnen mit einer Übereinstimmung der Hufe, als liefen sie in den St. +Leonhardstag, an dessen Dämmerung die Pferde eintreten in ihre eigne lange +und einsame Prozessuale. + +Aber wo die bayrischen Aristokraten mit Flüchen auf die Revolten, falschen +Pässen und in Mönchssoutanen durch den Hohlweg nach Österreich flohen, +haben die Fahnen der Weidenbäume über dem Schnee sich so gesenkt, daß das +seidene Rot von Ugas Mantel plötzlich von gelben blühenden Fransen umweht +liegt, und selbst der Duft der Seidelbaste heruntersteigt und sich mischt +in die Huldigung, die der frühe Frühling mit Himmelschlüsseln und Krokus um +sie entfacht. + +Selbst die Nässe, die vom Humus den Geruch des Frühjahrs zu der Bewegung +der springenden Knospen hinaufträgt, scheint sich an ihr mit allen Düften, +von denen die Luft sich schüttelt, zu entzünden, und jedes Element und +jedes Ding scheint bereit sie an sich anzugleichen. + +Wenn sie kein Fohlen wäre im Mutwillen ihrer Gelenke, in jedem Traumzustand +der Wünsche würde sie als Forelle mit mir schwimmen in allen Bächen, die +Abfahrt der Hügelfläche zum Haus Chrystophorus mit mir fliegen als mein +Hikory, als mein Motor jubelnd mit mir schweifen über die Pässe. Welch +sichere Gegenwart! Und würde nicht, der ungewissen schattenhaften Wildheit +eines Tieres gleich, das mein Gefährt nur wie auf Sekunden begleitet, erst +durch die scheue Berührung ihres Blickes die Sicherheit eines Lebens und +einer glühenderen Gegenwart mir geben, deren Kühnheit mich erst völlig in +den Rausch des Tages hinein begeistert: + + O ein Holzhacker sein zwischen der Chaussee +und dem Wildbach! Briefträger zwischen den Leberblumen und Gletschern! +Biene über den Kätzchen! Pferd nach dem Bergsee! Die rote Weste des +Postillons, der die Kurven zum Pisaner Gnadenbild fährt, vor dessen +elfenbeinerner Schönheit die Bauernmönche des Klosters täglich erschrecken. + +Da spüre ich den Druck ihres Knies. + +Von nun ab hat sich der Atem des Tages um sie zu einer Süße erhoben, um die +nun alles ohne Abwehr kreist und fliegt. + +Und während wir, in den Schleifen der Straße hängend, herauf und herab uns +bewegen an der Seite des Gebirgs zum Tal, sehen wir, wie die Eisberge +spielerisch sich neigen und heben und, sausend auf der Schaukel der +Seligkeit gewiegt, aus dem Fasanrot der Ebene sich hineinbegeben in den +gleichen Takt. + +Mit gewechselten Pferden geht's in den Abend weiter. Fünf Fackelwagen +liegen über uns in der Spirale. Die Feuerscheine huschen flackernd über +Ugas Gesicht, ich sehe sie nicht deutlich. + +Ich kann jedoch, mit klopfendem Herzen die Pferde nicht in den Umwegkreis +zum See verleiten, wo durch die Konfrontierung mit der bronzenen Schwester +ich den Zweifel, sie sei es selber, verlieren müßte, und, spiegelnd, das +schöne Bild sich vollzogen hätte: + + daß der kühnen Bewegung der +über das Grün des Wassers gebeugten Diana das schwermütige und wilde +Lächeln der Nymphe vom Grund herauf entgegengetaucht wäre in einer +beispiellosen Vollendung. + +Doch unter dem Eindruck ihres lautlos geöffneten Mundes, wie vom Feuer +aufgesprengt, heben die Gäule die Hufe und die weißen Bäuche senkrecht auf +und biegen gegen die Kandare herum in den Lauf der anderen Wagen ein, den +beschwerlicheren Weg mit hingebender Geduld hartnäckig wählend, den +Terrassen zu, um über dem eisern und grau vor das Bergmassiv genieteten See +den Morgen mit der Brandlawine zu erwarten. + +Als das Bankett uns dann trennte, hatte die schöne gipsern geweißte Frau +des Amerikaners neben mir nicht so viel Fähigkeit mich abzulenken, daß mir +auch keine Zuckung an Ugas Arm unter dem Ärmel entging. + +Meine Vermutung weiß, ohne daß ich es sehe, vom Ansatz der Knöchel aus +deutlich, wie braun sie ist bis in die verschwiegensten Falten der +Übergänge des Leibes, und die Haut, die föhnig den Körper überfliegt, hat +nur die eine prächtige Stauung, wo sie den dunklen Hügel der Brust +heraussprengt. + +An ihren Beinen sieht selbst der nur nach schlanken Jünglingen hingewandte +Flieger Sofias, daß, mit solch verschlungen gestählten Sehnen, sie, auf +einer Kugel stehend, Tage verbringt, im Gras über Hügel und Raine +hinspielend. Denn die erlesenen Muskeln, die groß und gedehnt geworden sind +im Streifen durch die Sonnenkringel der Buchwälder und des Jagdparks, gehen +in der Verwegenheit der Spannung so weit, als sei jeder ein junges Tier. + +Aber mein Herz erhebt sich nicht. Von dumpfem und angstvollem Pochen +gefüllt hält es an. Denn wenn das Lächeln ihr Profil erhellt, fällt sie so +sehr über die anderen weg in eine Sphäre, die mich erbleicht, daß auch das +weiße Glänzen ihrer spitzen Zähne nicht die heiße Furcht zu bannen vermag, +daß unter den Kanten des Tischs ihr Leib in einer kristallenen Flosse sich +manchmal vollende. + +Ich sehe, die Nacht steigt herab. Der Mond hat im Zenith den Schnee blau +geflaumt. Ich sehe das Kap des Bergmassivs immer wieder, wenn der +Schlitten, der mit den anderen im Kreis jagt, es umbiegt. Mit tragischer +Maske hält das Gletschergesicht sich monden verhüllt. Dunkel brüllt unter +dem Hufschlag das Wasser gegen das Eis. Ich sehe noch durch den Traum des +Jagens die Männer mit Dolchen und Lampions rufend auf die Leitpferde +springen. Da beginnen die Blaumeisen aus dem Frühlingswald im Tal +unsichtbar die Frühhelle süß zu durchsingen. Ich hole den Wagen Ugas ein, +es fällt mir von den Augen: weg die Betäubung, welche Klarheit! + +Die Sonne zuckt eine Minute, dann schwillt sie vor riesenhafter Bewegung. +Als sie den Gipfel des Gletschers erreicht, verrauscht das Seidene der +Luft. Der Himmel zerbricht, die Lawine gleitet, welche flötenhafte +zerbrechende Musik! + +Ich sehe Ugas Auge zittern. Ich habe Verachtung plötzlich auf meine +Unsicherheit um das Verflüchtigende ihres Wesens. Ich durchdringe ihr Auge, +während die Brandlawine märzgroß im Donner herankommt. Als die Felsen sich +bewegen, hat sich das Dunkel ihrer Pupille geweitet. Wie ich eindringe, +sicher, morgenlich, schön umsungen aus nun erhellten Frühlingswäldern, das +bis zum Weinen verengte Herz von den Vögeln golden erhoben, weiß ich eine +Sekunde lang sicher, daß ich sie nie mehr, die Flüchtende, verfolge, +sondern daß ihr Lauf immer mir entgegen sein wird, und daß eine andre mit +achatnen Augen den See bewohne. + + * * * + +Sie wird nicht über den Strich eines Gedankens, nicht über die Länge der +brodelnden Wiese entweichen. Nachts wird sie manchmal nur schreien. Sie +wird sich der Männlichkeit, die sie einmal besaß, nicht mehr entreißen. Man +flieht nur, was man nicht kennt. Das Blut versöhnt. Man gab den Amazonen +kein Vorrecht. + +Als ich im Schneegestöber sie kommen sah, den Mittag zu durchstreifen, in +Breeches, wie irgendeine schöne Frau, durchfuhr mich Rührung, sie nicht +mehr so sehr hingegeben zu sehen an die Mächte, denen sie mit einer +gewissen Blässe des Auges, wenn ich heftig nach ihr Sehnsucht trug, +bisweilen gehörte. + +Sie trug die Gelenke des untersetzten Jägerinnen-Körpers in einer dunklen +und erlösten Herbe, und langsam, während sie die lange Straße heraufkam, +schlossen mit hängenden Zungen und nach ihr gerichteten Augen an sie, die +den Knäuel leicht nur mit den Fingern wehrte, die Hunde von Tür zu Tür in +Meute sich an. + +Uga! + +An den Riedhängen entging es sogar der knurrenden Gefolgschaft deiner Tiere +nicht, daß, tief grüßend, der Reichspinguin einen Bogen um deinen lärmenden +Einzug schlug und nicht in die Nähe der glühenden Lefzen gelüstete, über +denen deine kleinen Hände spielten. + +Du lachtest noch, als wir auf der Hügelkuppe in das Haus des Matrosen +traten, der, fünfzig Jahre die Welt überwandernd, immer neu hingerissen +nach Äquator und Pol und Wendekreisen seiner bäuerlichen Sehnsucht, das +Seltsame der Erdteile in seine Höhle stapelte . . . . . . und du in einem +Regen dich umschwingender birmanischer Harfen und Phalloswurzeln, Haimaulen +und Palaumasken so im Schatten standest, daß nur das Weiß deiner Iris im +Samtdunkel wie ein Dolch sich bewegte. + +Ich sage: + + »Deine Gefolgschaft . . . . . + + + Graf Cantacuzene +umschleicht dich nur noch fern und Wrede wächst ein Geweih vor Eifersucht, +wenn du, zur Meute gewendet, einem Anderen deutlicher das Gesicht zuneigst. +Dein Park von Edelgetier schweißt gegeneinander und stampft vor Zorn, Bohan +zerschmettert am Meilenzeiger bebend seinen Stock, den seinem Großvater ein +dicker Kurfürst dedizierte aus Gnade und Dank für die Errettung vor einer +Sau, wenn er dich nicht antrifft . . . . und Sailern vermag (oben Lénau, +unten Mikosch) nicht einmal mit seinen gewonnenen Schlachten und der +Zartheit seines von Frauen sehr gerühmten Schulterknochens über seine +Niederlage bei dir sich zu trösten. + +Der rosendünne Morgendiskant Uwaroffs ist unter deinem Zimmer verstummt. +Saluzifsky hat den Zirkel um den Spieltisch in resignierte Enge gezogen. +Und der seltsamerweise deinem Gang geneigte knabenliebende Ski-Dioskure hat +nicht unterlassen, in rotem Sweater und gelben Gamaschen den Falsett seiner +schneidenden Kindlichkeit auf seine Nebenbuhler zu hetzen. + +Aber wie kann selbst die Kläglichkeit solch halbseidener Haltung und die +Kretinerie dieser Drohnen nicht die Würde verletzen, die den wahrhaften +Kern einer gezüchteten Rasse so hoch in die Jahrhunderte begleitet hat, und +wo Hohn und Spott nur immer noch sehr kleine Korrekturen bedeuten können +einer Bedeutsamkeit tiefsten Sinnes! + +Und die zu bekämpfen heute nur die weltfremde Idiotie deutscher +Dichterknaben und orgiastischer Revolutionäre ermöglichen kann, die, trotz +Umsturz und Revolte um hundert Jahre verspätet, durch ihre Ahnungslosigkeit +der Vorgänge die allein feindliche Widerlichkeit arrivierter Bürgersöhne +und Kopisten adliger Gebärden noch nicht zu erfassen die geistlose +Dreistigkeit besaßen. + +Lächerliche Blague! -- -- -- -- + + Wo niemand begreift, mit +welch ahnungsloser und erlauchter Schönheit die wirklich adlige Rasse der +Staufer und Kreuzzüge neben der ihnen unverständlichen Zeit her in den +Abgrund hineingeht, und wo selbst die besten und raffiniertesten Exemplare +nicht einmal soviel Barriere-Mut aufzubringen vermögen, daß (was ihre Sache +immer wieder gerettet) nicht einmal Deserteure zeitweilig ins feindliche +Lager übergingen . . . . . . + + wo zwar +das Gemecker eines ehemaligen Königs über seine eignen Stiefelspitzen in +seiner namenlosen Albernheit von derselben Widerlichkeit berührt wie die +Brillantenschiebungen des süddeutschen Prinzen und die Massierung der +Grenze im amerikanischen Auto (und Diplomatenpaß) voll Antiquitäten . . . . +. . + + wo zwar die Kavallerieattacken des württembergischen +Generals am Bakkarattisch des Kurhauses zwischen Schiebern und +aufgekommenen Zuhältern in ihrer Wurstigkeit um den Brand des ringsum +angezündeten Europas noch glänzender berühren als das schwachsinnige Gekeif +gegen die Republik der ehemaligen popogescheitelten Beamten . . . . . . + + und wo erst recht die theoretische Hingabe +an den neuen Zustand vereinzelter Freunde in seiner Ehrlichkeit, Zögerung, +Bedingtheit nur die ungeheure innere Befremdung und lediglich von adliger +Gebärde überglättete Hilfslosigkeit anzeigt. + + . . . . . . Wo sie bei Eisners Ermordung +zwar Faschingsbälle abhielten, während in München Hunderttausend eine +Blutwolke wie nie seit den Hugenotten zu beschwören nah waren . . . und bei +der Baltikumer und Kapps ungenialer Harlekinade foxtrottend wahrlich +hinlänglich bewiesen ihr Désinteressement an Deutschland, das freilich ihre +Herrschaft nicht nach der französischen Revolution geknickt, sondern nur in +seiner bubenhaften politischen Nachlässigkeit es unter dem zweiten Wilhelm +zu so falscher und maskeradenhafter Herrlichkeit der siebentklassischen +Leute hatte werden lassen. + + . . . . . . Wo die Entfernungen zwischen +den geistigen Trägern der Rasse und den Aristokraten so irrsinnig sich +verzogen haben, daß den meisten adligen Exemplaren in Deutschland sogar der +Künstler, mit dem sie gern früher sich mischten und den sie trugen in die +Höhe der wundervollen Epochen . . . . daß er ihnen ein Wesen geworden, +bestaunbar wie ein Papagei in seiner Fremdheit, ein Pudel, halb blau und +halb grün, und den sie nur fürchten oder hassen oder sich ihm unterwerfen, +wenn seine Breeches besseren Schwung besitzen und seine Ledersachen und +Reitzeug eine noch kühnere Diskretion verraten wie die ihren. + + . . . . . . Und wo schließlich die falsch angesetzte +antisemitische Parole, von rotgemalter alternder Duchesse mit den Pistons +ihrer Zahnplomben aber auch den Pauken ihrer Hüften angegeben, zwar weder +über die Unasiatischkeit ihres Stammbaums noch über die Fragwürdigkeit +ihrer Vergangenheit hinlänglich beruhigen kann . . . . . . wo die Ohnmacht +der ungarischen Gräfin, die alle Mädchen verführte, beim Namen eines der +gehaßtesten revolutionären Führer . . . . . . ebenso wie das goldene +Kettenarmband um den Skistrumpf der Hessin . . . . . . und der meskine +Bürgerwehrschwindel und Antibolschewistenpathos älterer bäurischer +Offiziere in seiner falschen und bourgeoisen Verplamperung + + nichts zwar als unser breites und vollendetstes +Gelächter bereit findet, + + . . . . . . . die wir, auf härteren +Seiten des Sternbogens stehend, aber auch mit Wollust alle Höhen +überschweifend, keine Sekunde unterlassen werden, die Albernheit der +menschlichen Figurinen unerbittlich aufzuzeigen . . . . . . und die wir, +bereit jede Sünde gegen Welt und Freiheit bis auf das Blut zu bekämpfen, +auf keinen Reiz und selbst gegen das Herz hin irgend einen Pakt der +Gemeinsamkeit mit irgendwelchen Obskuren (von welcher Seite auch immer) +schließen würden. + +. . . . . . die wir aber dennoch nie umhin können, hinter den besonders +publiken kleinhirnigen Ausnahmen den großen Blutgeruch der Züchtung und +Erlesenheit triumphal zu spüren und, bejohlt von den Polizisten von links +aber eiskühl bis auf die Nägel darüber, gerade in diesem Versagen das +Erlöschen der Rasse wie langsam gewordene Scheinwerfer auf die tragische +Epoche zu empfinden und zu lieben . . . . . . und bei den Frauen diesen +bewundernswert schlanken Hineinritt in die Röte des Sturms. + +Wie ungewöhnlich unbeträchtlich sind in der Ausübung ihrer Mission und der +Handhabung ihrer Berufung die aristokratischen Wölfe geworden, aber wie +glänzend und liebenswert blitzt noch das Gebiß dieser Feinde der Freiheit! + +Denn auch du, die du zwischen den Dörfern die Schneeobeliske der Hügel, den +Stock mit dem Seidentuch daran in der Hand, gestürmt hast, und in deren +Kehle der Blutruf der Kriegsgötter neben den der großen Jägerin trat, auch +du hast nichts in deiner göttlichen Entferntheit als Unverstehendes und +Gleichgültiges zu Zeit und Qual dieses armen und geschundenen Volkes +. . . . . . denn du bist so sehr von durch die Jahrhunderte erlesenen +Instinkten geleitet, daß du, Zeitlose, die Gesellschaft der Hunde deiner +Wahl jener der nicht gut gezüchteten Menschen unbedenklich vorziehst. + +Und ich liebe dich auch dafür. + +Auch wenn du an einem Fenster einmal stündest, unter dem ich füsiliert +würde oder erschlagen, und von dem Fenster in naiver Laune und unwissend, +in wen der Donner einschlug, dem Sieger mit einem Tuch zuwinktest, das ich +dir einmal schenkte. + +Denn ich liebe dich um deiner Fülle von Rätseln, um deiner Widersprüche und +deiner Entferntheit und nicht zum wenigsten darum, daß du selbst sogar +vielleicht bereit bist die mykenische Lanze gegen meine Brust zu +schleudern. Ich bin ein Kind der Erde und freigiebig auch in der Preisgabe, +aber voll von Lust auch, sie ganz zu umfassen und in der entlegensten +Äußerung zu begehren. Ich bin nicht ihr Affe, nicht ihr Sergeant, sondern +ihr Geliebter, auch im Kampf. -- -- --« + +Sie hat einen Bogen der westlichen Papuas in der Hand, und es ist kein +Unterschied zwischen ihrem Schenkel, dem Bauch, dem Nacken und der Spannung +des Instrumentes. Hinter ihr ist rotes Glas, darüber weicher aufgerißner +Himmel. + +Und während sie den lautlos den Garten durchjagenden Tieren zuwinkt, steht +ihr Gesicht mit der seltsamen kurzen arischen Nase wie eine metallene Maske +in dem Rubin . . . . . . ohne Rührung, als sie der Feinheit der Glieder die +bedeutende Kraft der Lenden zu solcher Bewegung hinzufügt. + +Der alte Matrose hat den dressierten Affen gelöst und ist mit ihm in die +Beete gegangen, wo er, mit Schneeglocken winkend, aus den halslosen breiten +Schultern den eisgrauen Trollkopf erhebt. + +Denn auch er kann nicht ruhig neben ihr bleiben ohne Huldigung, ihr nicht +wie irgend einer anderen um Geld Schlangen aus Peru, Eier vom Sudan, +Mumien, zirkassische Amulette der Liebe und andere Symbole seiner +schweifenden Sehnsucht zeigen, während neben ihm zwischen der weißen Wolle +des Koptiabaums plötzlich sie die Schultern aufzieht und in der Veranda wie +in einem Tigerwagen steht. + +Du willst Lil Pax sehen, Uga. + +Aber ich schüttle den Kopf. + +»Nein.« + +Denn ich kann dieser schrägen Richtung deines Blickes nicht folgen, Uga, +die blühende Sicherheit deines Atems Lil Pax entgegenzuführen, denn ich +weiß nicht, ob sie geneigt ist, soviel tierischer Anmut sich hinzugeben. +Die sie entführende Wolke ihres Schicksals schiebt sich immer tiefer und +geballter unter ihre Füße. Und ich will nicht, daß, von soviel +unübertrefflicher Geschmeidigkeit deines Lebens getroffen die jüdische +Madonna einen Augenblick nur erstarrt vor der kugelbrüstigen Diana. + +Denn du bist von ihr getrennt durch alle Zonen des Blutes und in deiner +fürchterlichen Mischung, die von der Grausamkeit der Göttin bis zur +elastischen Stärke der irdischen Hüften sich wundervoll ausdehnt, zu weit +entfernt von ihrem Pol des Entsagens, als daß du nicht ohne Gefahr der +Zerstörung zu plötzlich mit ihr zusammenstießest. + +Ich liebe dich, Uga. Ich habe mit einem Zittern des Herzens und nicht ohne +demütigen Eifer meine Sehnsucht der deinen genähert. Du begrenzest in einer +unnatürlichen Höhe alles, was nur Wünschbares bis zum Unmöglichen mein Blut +durchfährt. + +Aber Uga, wenn du die weitesten Kreise, die von dieser Frau zu dir gespannt +sind, durchjagst, auch durch die Kreise deiner Vollkommenheit, Uga, +empfinde ich nichts als ihr Schicksal. + + * * * + +Wir fahren nach einer Schneehütte am Gletscher. Die Woche senkt sich. Die +Einsamkeit steht zwischen uns und den Menschen, das ist Glück. + +Brächten Bauern auf ihren Ochsenschlitten Flieder statt Heu auf unsere +Höhe, während sie schläft, in der Sonne vor der Hütte, ich dächte, der +Himmel, der herabkommt auf ihren Busen, habe ihn abgeschneit. Die Lichter +der Taldörfer, der Berghänge unten sind am Hintergrund unserer Einsamkeit +aufgezogene Zeichen der Menschen, die wir geheim verlachen in unserer Ruhe. + +Nur einmal, als dumme Passanten, halb getötet vom Aufstieg aber ihre +Niedrigkeit mit sächsischem Geschrei schamlos preisgebend, uns nahten, +hatte sie Gelegenheit, mild und im Erklären sich neigend, eine Größe zu +beweisen, die weit das mitleidlos spöttische Lachen der Göttin übertraf. + +Die Rührung über das Glück hat die Grenze erreicht, wo das Alberne ein +Geschenk wird, wenn man es gibt. Der Himmel wogt unerbittlich durchblaut. +Hinter dem Gebirg berührt er meine Kindheit: + + »Als ich klein war, Uga, +ward ich krank und bekam den Pudel Fosko. Mein Bruder stahl ihn in einem +Zirkus. Wie lag ich im Bett und verzehrte mich, aufzustehen, um das +Gartenviereck mit ihm zu rennen und ihn zu hetzen, daß er Wildkatzen +zerbeiße. Zehnjährig habe ich auf dem großen Gut Tivolis im Bett meines +Cousins Zigaretten versteckt und in den Matratzen vergessen und erwartete +Monate die Entdeckung, und daß man mich als Verworfenen an den Pranger +schlug. + +Die Neubauten unseres Villenviertels habe ich alle gekannt, die Mädchen +liefen mir nach hinein, wo die Labyrinthe von Keller und Dachstiege +geheimnisvoll sich begegneten. + +Unterm Damm durch den Teich vor unserem Haus beerdigten wir Eichhörner und +bissen die Zähne aufeinander, so bedrückte es uns, daß wir mit Quarzsteinen +sie aus den Lärchenwipfeln geschmissen, aber zum Fest der Vollendung haben +wir eine Dogge, den Feind, in den Maulbeerbaum gehißt. Einem Dobscher, der +von Rennfahren träumte, fuhr ich im Rollwagen des Steinbruchs die +Kniescheibe durch, daß er schneidernd bald bei der Petrollampe flirrte. + +Als die Canneri, die das bezauberndste Lächeln trägt, mit goldnen +kurzverschnittenen Locken mich als Jungen sah, stand sie kerzengrad im +Wagen auf mit dem Lorgnon und rief: quel bel homme. Meine erste Geliebte +quälte ich, als ich noch nicht wußte, daß Liebe kein Gesetz, sondern nur +eine Masse Zufälligkeit, und nicht ahnte, daß man Frauen eher besitzt, wenn +man verstößt, als wenn man bindet, meine erste Geliebte quälte ich durch +Fragen, ob sie mich als Krüppel noch liebe und prügelte die Arme, als sie +entsetzt auswich. + +War etwas gut, etwas schlecht? Es ist eine Kindheit. Sie lebt wie ein Baum, +ein Fuchs. Sie schüttelt und biegt sich vor Wachstum. Sie fliegt auf und +ab, als ob du mit ihr spieltest, und ist in ihrer märchenhaften Gemaltheit +deinem Lächeln dieser Stunde verbunden, dessen Leichtheit so schon gelöst +ist, daß es die Einsamkeit spiegelt. Das ist unsere Brücke. Wie unwichtig +unser Gram. Wie kindisch selbst das Schwerste. + + Verstehst du, Uga . . . . . + + + du bist +nicht Schwan, nicht Gazelle, von denen ich Fieber und Glanz an dir beim +ersten Anblick schaute. Du bist vielmehr mit der scharfen Schmalheit deines +federnhaften Augenlides zu sehr vermählt an das schwingende Brausen des +Blaus, als daß du anderes wie Schwebendes vertrügest. + +Ich habe am Sinai deine Mutter gesehen, die, weiße Adlerin, auf unser Auto +herabstieß. Ihr Geschlecht allein, das drei Jahre lang die Welt +durchfliegt, und dann mit einem Weib ausharrt unerbittlich bis zum Tod, hat +die für dich genug beherrschte Ruhe. + +Nur deine Farbe ist verändert und aus der Helle herausgetreten, als hättest +du, während ich schlief, in Marokko Jagden durchstreift und von einer Hecke +Ginster, die du berührtest, auch den Goldton deiner Kniekehlen auf den Berg +getragen.« + + . . . . . . Der Firnschnee fällt, naß und glatt, +man braucht die Skier nicht mehr zu wachsen, der letzte Schnee. Enzian +flammt auf den Matten überall, als wir hinunterzogen. + +Südlich duften die Veilchen mit Heftigkeit. In tiefen Tälern meiner Heimat +blühen Kirschen, Mirabellen. Die Aprikosen tauen aus rosanem Morgen noch +heller. + +Was hilft es, wo sie scheidet. + +Zinn, ruht die Sonne im Schneegestöber. Nur wenn der Hausberg aus dem +Geflock schaukelt, flattert die Lichtflamme mit. Sekunden geht ein Mai auf, +süß, voll qualvoller Inbrunst spiegelt, grün und hell, der Eisrücken, wie +ein Bergstraßenwald morgens früh. Das gläserne Wunder verschneit. + +Uga. + +Sie kam, den letzten Abend mit Sneeboots, die die weißbeseideten Fesseln +noch schmäler machten und mit ihrem Pelzrand dem Gang das Schleifende der +großen ruhigen Raubtiere gaben. + +Und als sie mit starrem Blick sich gegen den Wind wandte, um noch einmal in +das Tal zu gehen, kamen die Heuschober auf sie zu aus der dunkelsten Breite +wie früher die Hunde. + +Als ich spielend die Leiter anlehnte an die erste Hütte, als Uga +hinaufstieg und die leichte Biegung des Dachs erklimmte, den roten Schirm +über sich, die Knie im Telemark gebogen, die Jägerin, mittel und fest +gebaut und lächelnd, die Hundepeitsche in der Hand, . . . . . . + + schien es, +sie schritte durch das dichter gewordene Geflock über den Scheitel des +Daches mit einer unnachahmlichen Stellung der Füße in den Horizont hinein. + +Sie fuhr erst die Nacht. Aber ich fühlte in dieser Sekunde den Abschied so, +daß mir keine Erinnerung blieb. Es befiel mich in diesem Augenblick nichts +anderes als die Freude der Fische, als hörte ich alle ihre kleinen Herzen +stoßweis schlagen, wie ihre bronzene Freundin zurückkam in den See und sie +wie früher zärtlich zwischen ihren Brüsten und Knien spielten. + + * * * + +Die Brandlawine hat den Frühling frei gemacht, er kommt mit leichten Wolken +nachgeschwommen. In die Freude der Wiesen fallen die Versammlungen der +Enten, die das Geschrei der um die Pfützen gelagerten Hühner übersteigen. +Die Felle der Angorakatzen sammeln am Hauskalk die Sonnenbündel, schnurrend +vor Wonne. Heere von Bienen hängen am Aprikosenbaum und summen mittags in +die Hänge. Die metallen schönen Giftmücken tanzen gegen die Scheibe. Den +Ochsen treibt Glanz ins Fell. Zwischen den Schafherden, die den Horizont +säumen, schleudern junge Bullen die Erde mit den Hinterhufen in die Luft. +Bauern fahren, Lenz in den Nasen, schnuppernd in die verliebte Luft, Mist +auf die Matten. Die Mädchen haben prall mit graden Beinen sich an das +Stöbern gemacht. Die Häuser fangen an zu funkeln. Die Wölbung des +Frühmorgens erhebt sich auf siebzig Vogelmelodien, seidig und langsam, wie +ein Ballon. + +Die Wandlung der Nächte, die Säfte der Erlen, der Glanz der Blumen treibt +in das Blut: man kreist mit ihrem Leben. Man lauscht in sich dem Bach, dem +Samtglanz über den Wächten, dem Blumenduften. Man horcht zurück aus dem +wachsenden Baum, dem Bachgesumm, den Wespen Erinnerung heraus. + +Glutrote Tupfen stehen auf den Knospen der Haselsträuche. An den Gärten +hängen in Schnüren die Wasserperlen der Frühjahrsgewitter. In ihnen hatten +wir am Anfang, einmal, uns getäuscht. Sie hatte, rasch hinlaufend, den +Silbertau für Kätzchen gehalten. Sie kämpfte damals mit den Tränen. + +Aber damals standen auch über ihrem hellen Gesicht die Kurven der +Schneefelder noch unbeschreiblich gespannt. Nie nahm der Winter ein Ende, +solang sie zum Himmel aufsah mit jener Unbedingtheit des Trotzes, der +selbst ihre Melancholie durchkühlte. + +Erst durch den Schleier der Tränen ist sie eingegangen in das schüttelnde +Rund, unerreichbar, des Horizonts. + +Meine Freunde, denen ich in die Traurigkeit der Einsamkeit und Arbeit +auswich, werden sagen, ich habe einen Frühling vertan. + +Die Armen. + +Welche Fülle trug er in mich hinein: + + Du warst die +Frau, die eine Nacht mit mir schlief in Kowno in Lasallis Haus, das +Napoleon bewohnte, und vor dessen Fenster ein elender Winter dann erfror +. . . . . . die aus dem Boot auf den Aalandsinseln mir entgegenlief, +weißblond, im Hemd zwischen den Dünen . . . . . . die aus dem rumänischen +Zirkus herauspreschte in die Pflaumenblüte meines Wagens. Du bist die Hure, +die mich am Pont Neuf in den abscheulichen Monat der Hallen zog. Der +Ritterstad mütterliches Lächeln schwankt manchmal elfenbeinern über deiner +Schulter. Auch von Kerstins blumenhafter Anmut ist etwas deutlich auf deine +Lippe getreten, Uga. + +Du saßest, die Knie zum Kinn gezogen, am Floßrand mit mir zwischen Worms +und Ems, bist die Pastellufer der Lahn schwärmerisch mir nachgezogen, durch +Vogelsberg und Spessartbuchen in die Einsamkeit der Eifel gedrungen, wo +zwischen dem gelben Mattenbrand und den stumpfen Maren dein schwarzes Haar +die Bauern feindlich erregte. + +Du hast in Versoix die Friture der Fische mit mir gegessen, Landwein +getrunken, die gut gerösteten Köpfe und Flossen mit Hasenzähnen geknabbert, +standest am Dampferkreuz genfwärts, sangst befeuert: »Le soir est doux et +parfumé . . . . . .« und hast in der Nacht dir den Kopf zerschossen. + +Du warst Renée, die mich fand, Rue Bonaparte, als mich beim Verkauf des +Intransigeant ein Verkehrsauto überfahren. Als Backfisch, unbekannter, hast +du im Kreis getanzt und die Hände zusammengeschlagen, wie ich das +Schlittschuhrennen als Gymnasiast als zweiter machte. + +Am Thomasstaden Straßburgs stieß ich dich zurück, weil in dem gotischen +Tiefsinn der Stadt deine Schlankheit ergriff wie die steinerne Schönheit +der kreuztragenden Jungfrau der Kathedrale und ich mich nicht entschloß, +dir den übermütigen Stolz und die Herbheit einer Macht, die zu lösen in +meiner Hand lag, abzunehmen. + +Du bist dieselbe, die mich mit in Bonn belogen, im Ruf als Gentleman +geschädigt und ausgeplündert auf die Manschetten im Hotel Royal +nachdenklich auf die entlaubte Allee hinunter erwachen ließ, weißhäutig du +wie keine. + +Du hast im Auto Sekt gefrühstückt, in Neuilly eine Mansarde mit mit +bewohnt, warst der dunkle Tierblick einer Komtesse in einem Schloß des +Maingau, das ich mit dieser Last, Versäumnis eines Sommers, verlassen. An +dich dachte ich, wenn ich allein mit einer Frau leben, Kinder haben, eine +Farm, ein Gut bewohnen, gut grau werden wollte. Du warst tröstend da, wenn +mich das Elend fast krepierte. Du warst die Frau, die ich hatte, begehrte +und die, welche auch mit unvergleichlicher Vielfalt darüber hinaus die Zone +meines Traumes durchflammte. + +O Diana. + +Das Unsichere, in dem du kamst, und das überlegene Lächeln, mit dem du dich +entferntest, haben eine Vollkommenheit in die Spanne dazwischen gesammelt, +die selbst das Unfaßbare des Abschieds nicht verschleiert. + +Einmal war alles geschenkt, alles beschieden. Auf jeder Sekunde, die tief +zu dem Laster und hoch in das Herrliche sich spannte, habe ich den +Kontinent der Abenteuerlichkeit meines Herzens grenzenlos durchlaufen. + +Alles war einmal gesammelt, einmal Figur. + +Es war wohl zu erlesen. Es konnte nicht bleiben. Ich hätte es nicht einmal +gewünscht. -- -- + +Wenn ich im Herbst zurückkomme, ist Einsamkeit. Die großen Nebelwolken, die +mit Sausen wie Batterien angefahren, haben die Landschaft verödet. Man hat +den Blätterfall zum Anstarrn, müde der Herzen, die verführen und peinigen. + +Ich werde, indem ich mit Lil Pax in Pelzen und Shawls zum See fahre, +während sie abwesend lächelt, von der Jägerin erzählen, daß der Teich leer +war einen Frühling, daß ich eine Woche auf der Schneehütte mit einer Nymphe +wohnte, daß der braune Glanz ihrer Schulter mehr wiegt als Ruhm, als +Ehrgeiz, als alles. + +Das Grün des Sees wird uns verfolgen durch den Pferdeschaum und die +Spaliere der Fichten, die auch in der Rotglut des Herbstes die Erinnerung +deiner Anmut manchmal noch tragen, wird versprühen am Bleihimmel und +zuletzt wird ein geringes davon über der Braue der Frau sein, die schweigt: + + wie fern ist mir davon selbst das Nächste, +aber wie grausam ist Glück. + +Du wirst es hören, jeden Laut, wenn ich von dir rede. + +Sommer steigt von der Alpspitze golden herab. Die Sonne schwenkt prasselnd +Glut aufs Heu. Die weißen Krokus sind nicht zu fassen in der Fülle. + +Du hörst, Uga, wo auch immer du, wenn das Wasser du abtatest, vorziehst die +Pause deines Daseins in unserem Bezirk zu verbringen: + + Ob du durch Stadtpaläste feierst, auf +westlichen Schlössern vor einbrechenden Horden nachts fährst . . . . . . +kein Laut, wenn ich rede, der dir entginge, den du nicht schmeichelnd +empfindest. Wir sind nicht getrennt. Du nimmst alles auf, wie immer, die +schmalen Lippen wenig verschoben, den Kopf auf dem kräftig gegossenen Halse +kaum wiegend, manchmal nur nickend. Nie gab ein Gott einer Diana so viel +von einem Kinde. + +Ich träume nun, allein jetzt auf den Matten, in die Hände, wo du seist: + + Jagst du nackt vor Männermeuten +skiernd nach Kautokeino mit hell schreiender Gurgel? Wälzt du in +Osorisschnee das erglühte Gesicht? Funkelst mit nächtlichen Lanzen den +Okzident ab der Sehnsucht? Schwingst auf Delphinen durch violetten +Abendhimmel? Bläst ein Horn auf den Sternbögen? + +Uga. + +Wie gleichgültig dies Rätseln. Es war. Es bleibt. Welches Glück! + + * * * + +Das träumen wir, wenn es uns wohl geht. Aber man stirbt. Aber man gerät in +das Elend. Die Leidenschaften steigen in die Niederung dann, wo sie um +Hunger, Krankheit, Leiden sich bewegen. Wir sind verloren, wenn wir +abstürzen. Wo sind dann die Geliebten? + +Du weißt keine Antwort auf die letzte Frage, Uga! Bist du bei mir, wenn die +Mondsichel tragisch auffliegt. Steht das Zucken deiner Braue als Trost am +Horizont, wenn man mich füsiliert, wenn ich im Straßenkampf stehe, elend in +einer Vorstadt vegetiere, der große Sund meine Malaria nicht mehr +herunterwirft in die Tiefe des Thermometers? + +Man ist allein. Man geht beiseite zugrunde. Wir sind zerborsten in die Welt +gesprengt. Man weiß nichts von den Herzen, an denen man unirdisch gelegen. +Unsere Kraft versagt. Niemand kennt einander, wenn wir krepieren. + +Welcher Mann wird, die Locken verwirrt, in Scheweningen nachts die Midussi +zu Tode quälen? Wer wird mit einer Achselbewegung Margits Frische im Keim +ertöten? Wer gibt der Ritterstad, von einem Auto bedroht, den Tip sich zu +wenden? Stirbt Bambulas Stärke an einem foul blow des giftigen Ukrainers? +Wer rettet Lella vor der Schwermut im Walde? + +Selbst Kerstins tödliche Sekunde zeigt niemand meinem Auge, wenn sie, +verstörten Gesichtes, schön und schmal zum letztenmal ein Bild in dem +Seespiegel sucht. + +Am Ende ist Einsamkeit. Man ist vor dem Ziel betrogen. Alles war umsonst. +Wir sind allein. + +Wir haben wohl Göttliches genossen, aber sind vor dem Tode eine Null. Alles +war Lüge, die wir uns gestatteten. Wir waren einsam im Getümmel. Waren +frauenlos in den heißesten Weibernächten. Wir haben uns mit Kameradschaft +gepanzert, aber, ach, es überließ uns dem Nichts. Die Menschen haben uns +wie Bienenschwärme umschart, aber wir haben uns getäuscht, sie haben nichts +genutzt. + +Die Landschaft, von der wir dachten, sie tränke uns, durchspüle uns mit +Geruch, Fels, Wald und Baum, seliger See, einzigem Meer, weicht aus, wenn +unser tödlicher Blick sie sucht. Die Natur ist feig wie ein Hund, unfähig +dem, der ihr nichts zubringt, zu geben, uneingedenk der Zeit, wo wir, als +wir olympisch zu schweifen glaubten, sie wie eine reife Polle aus der +Ewigkeitstunde schlürften. + +Wir haben sie nicht erlebt, sondern in sie hinein gedacht, was wir +wünschten. Mit den Leidenschaften, die sterben, erlischt auch ihr +Gegenstand. Man ist in Einsamkeit. + +Wir Armen. + +Wenn wir nüchtern sind, sehen wir unsere Spiegel. Wir haben uns an uns +selbst berauscht. Haben unsere Stimme mit Glanz, den nur jugendliche Kraft +so schmerzlich und hallend verlieh, ohne Echo hinausgerufen. Wir haben die +besten Stunden wegen Chimären verlitten. Als wir am schönsten glühten, +waren wir in schweiniger Bitternis. + +Wir haben in der Tat die Welt umschifft, um als Drecksäcke in die Hafen zu +laufen. Ausgestreut haben wir, aber nichts eingenommen. Gegründet haben +wir, die Bilanz ist bankerott. + +Auf Sternpolen haben wir uns wie Dioskuren verschmolzen, aber liegen als +Pack vor die Karren gekehrt. Das ist der Schluß. Man kommt nicht heraus aus +der Einsamkeit. + +Dann aber, Uga, stehen wir allein unter Gewittern, verödet, trostlos, +preisgegeben, und der Fluch zerschlägt auch selbst hinter uns die +Erinnerung unserer Fahrt, die manchmal doch an paradisische Landschaften +kreuzte. Die Blitze sind nüchtern, wenn sie zerstören. Wo bist du? Wir +sehen einander nicht mehr. + + * * * + +Wir Kleinmütigen. Wir Schlucker der Verzweiflung. Dieses Leben. + +Wie herrlich muß es sein, daß auch seine besten Tugenden manchmal selbst +den Kühnsten bezweifelbar scheinen. + +Welches Glück, daß wir erkennen: Bestien sind wir. Belämmert, klein, +Ausgespiene, verdammt von der Geburt auf. Wir haben als Helden uns +maskiert, wenn wir als Hyänen uns fühlten. Wir haben uns Mächte angemaßt, +die wir, nur gedrehte Figuren, nie besaßen. Haben uns empört, die wir +zerbrechlicher sind wie Glas. Wir sind Arme und Trübselige, im Verbrechen +befangen, nach Schmutz sehnsüchtig, Größe abgewandt mit Eifer, und selbst +in unseren Instinkten unverzeihlich mißleitet. + +Denn da beginnt erst unser Anfang, indem wir, ohne die Möglichkeit, tiefer +zu fallen, unser Elend und unsere Wünsche vergleichend, die Sehnsucht nach +der besseren Station wie alles Irdische in uns tragend, die Himmelfahrt +jedes Aases antreten. + +Je tiefer wir uns wissen und je geringer wir uns einschätzen, um so heller +sind noch immer die Montgolfieren der Leidenschaft in unwahrscheinliche +Möglichkeiten geschwebt. + +Wir bekommen langsam die zwei Gesichter, von denen das eine erbleicht über +unser Elend, während gleichzeitig schwärmerisch das andere in graziösen +Minuten Glückshügel überschweift. + +Denn wir sind kühn genug, das Nichts zu überschreiten und an die Tiefe +unserer Erbärmlichkeit die Höhe unserer Leidenschaft anzuschließen, mutig +genug, statt Sklaven uns zu Herren aufzuschwingen in den Spiralen des +Ewigen, in die wir, seltsame Schicksals-Looping-the-loop-Fahrer, gehängt +sind. + +Wir haben kein Anrecht auf Glück. + +Gut. + +Erobern wir es. + +Würden wir nicht gleich platten Fröschen manchmal zusammengeknallt auf die +Tiefe unserer Erbärmlichkeit, wir fänden, Satte, Eitle, nicht die Kraft, +die großen atemlosen Mondaufgänge immer wieder mit erregten Herzen zu +erwarten, die ruhige Sonne über Tulpenbeeten zu genießen und über den +Wäldern geheimnisvoll die wandernden Regenbogen zu suchen. + +Seltsames Leben. + +Wie niederschmetternd muß es im Grund sein, daß selbst die Kühnsten so sehr +sich daran zu begeistern verstehen. + +O wie erinnere ich mich der Sybilla Monti, die aus dem schmalen Hafen von +Antibes mit der gleitenden Bewegung der südlichen Frau, die frische +Syphilis im Körper, verkleidet als Schiffsjunge, gesucht von Polizisten, +mit dem großen Segelschiff in das tödliche Schicksal fuhr . . . . + + aber +gereizt von der unwiederbringlichen Schönheit, mit der von den Seealpen her +über Aloe, Orange und Lorbeer der Mond das Silberrot der Wellen wie Duft in +sein Licht hinaufzog, die Arme in eine große Bewegung des Entzückens vor +dem ersten Segel aufzuheben wagte -- -- -- eh wir sie morgens mit den +tierisch schönen nackten Oberschenkeln an den Strand getrieben sahen. + +Wie ging da sterngleich jener Frühling der Erkenntnis am südlichen Meer +meiner dumpferen Jugend auf: + + O Frau +von Tervani, vor deren weißer Palmvilla und abenteuerlichem Schmerz mir der +Mai die fremde Seelandschaft berauschend versang, wo ich die hellen Stufen +von dem Olivenpark zum Strand Abend um Abend hinuntergehend meinen +verschollenen Bruder als Steward im Hafen des nachbarlichen Genua erwartete +auf einem nie nahenden Schlepper, wo Rosmarin und Buchsbaum und das Licht +des gelben Ölbaumholzes aus dem Kamin Frau von Tervani umrahmten -- -- -- +-- -- bis ich aus dem Erwachen ihrer Arme heraus blitzhaft durch die hohen +aufgegangnen schmalen Läden über der Terrasse unten im Hafen die ägyptische +Fregatte Bonapartes erblickte . . . . + +. . . . . daß von dieser Sekunde ab die Wollust mich mit jeder Segelflaute, +jedem Wolkenschauer über der süßen Bucht, jedem goldnen Pirol, der uns aus +dem Hain herauf weckte, unzähmbar überschwemmte: + + nun in die noch unbekannten +Länder aufzubrechen, Tiere zu suchen fabelhafter Form, Menschen +beispielloser Vielfalt zu erkennen und genießen und belauschen, Städte, +Meere, Kape zu übersteigen, Früchte im Morgen, Dampfer an der Reede, Stürme +an den Antillen und Schmerzen der Sehnsucht zu erblicken . . . . . . und +einmal dann am Ende in Bücher Menschen ohne Zahl und überlegen wie Körner +durch das Sandglas stürzen zu lassen, daß noch vier Generationen der Jugend +nach mir sagen werden: welch ein herrlich Lebendiger hat hier unvergeßlich +gewandert. + + * * * + +Uga, welche Unterwerfungen hat es seither gekostet, Geliebte, bis ich +erkannte, wie begrenzt wir sind in dem Dasein und beschämend eingehürdet in +diese Welt, daß ich schließlich vermochte, auch über die Zweifel unserer +Unzulänglichkeit hinweg so Verflüchtigendes und so göttlich Unerreichbares +wie dich, Uga, ganz zu umfassen und auch wunschlos noch zu genießen und zu +lieben, wo unsere Hände schon im Leeren treiben und unsere Leidenschaften +nicht mehr genügen und fassen. + +Welche Opfer und welche Entbehrungen, um dies Ruhige zu erreichen und nicht +weiter zu trotzen . . . . . du sahst es nicht. Wenige werden sie meinem +Leben und der ihnen zugewandten Fläche meiner Existenz glauben. Niemand +wird es wissen. + +Es muß nicht sein. + + * * * + +In diesen Tagen kam der Föhn unter wolkenlosen Sternen über die Steppen +gefallen. Er wirft sich auf Lil Pax' Herz. + +Sie lächelt. Wenn sie allein ist, stöhnt sie leis. Depeschen kommen. +Menschen fahren heran. Eis, Kaviar, Kompotte . . . . man sendet das +Erdenkliche in die Villa. Sie erhält Kampfer, Veronal, Morphium. Es +vergiftet sie, sie lehnt ab. Die Atemnot kommt. Ich sitze an ihrem Lager. +Die Helferinnen pumpen den Sauerstoff über ihr Gesicht. Das Telephon ist +belagert. Sie empfängt niemand. Eine Rippenfellentzündung trifft in eine +Nacht, sie breitet sich nicht aus. + +Sie sieht wie auf ein Spiel, ob ihr Körper es überwindet, ob er versagt. +Sie hat die uninteressierte Neugier mit leichter Ironie um den Mund. Als +sie keinen Atem mehr bekommt, verliert sie die Teilnahme an der Krankheit +ganz. Sie wendet sich scharfsichtig den Dingen zu, die sie mit der Welt +verbinden. Nichts erleidet eine Störung. Sie diktiert ihre Post. Sie +empfängt, sie unterhält sich. Der Atem versagt. Sie verlacht mit +liebenswürdigem Spott die kleine Nonne, die neben ihrem Kissen den Jesus +verküßt: »Haben Sie keinen anderen Geliebten?« Der schönen Nonne stürzen +die Tränen. So groß ist die Rührung ihres Zaubers. + +Aber als nachts plötzlich die Fieber sanken, das Herz ruhig pumpte, die +Rippeninflammation zurückging, die Krise überschwang . . . . . nahm sie +Lächeln und Maske des irdischen Aufenthalts von den Augen: + + Sie entfernte sich in +einer erschreckenden Anmut. In einem unbeschreiblichen Prozeß der Lösung +schien der Körper immer weiter sich zu verflüchtigen, und ihr Geist allein +beherrschte in quecksilberner Reine die Bögen der Stirn. Ihre Hände +schienen nicht mehr da, die Augen, der Mund waren verloren, aber ich habe +nie sie so deutlich und greifbar in jeder Muskel gespürt. + +Ich hatte falsch gespielt. Ich hatte das Rauschen des knospenden Birkbaums +im Garten zu ihr geführt. Ich habe Äpfel, die noch rochen, ich habe Krokus, +Aprikosenzweige in Blüte gebracht. Ich legte eine Katze an ihr Bett, sie +hörte das Jägerische an ihr. Ich habe einen Wackerstein des Flusses auf +ihre Hand gelegt, daß sie das Murmeln der Wellen wieder höre. + +Sie war zwar gefolgt. + +Der Kern wohl ihres leidenschaftlichen Blutes war dem Glühenden hier wie +immer nachgeschritten und hatte sich angesogen an das Pfeifen des Föhn und +die Wiesen voll Himmelschlüsseln und den betäubenden Heranmarsch des +blühenden Grases von allen Hängen und Matten. + +Aber ihr Geist lächelte: das Spiel zerfiel. + +Sie wollte nicht mehr zurück den Weg über die dreiundzwanzig Nächte der +Qual. Er hatte sie zu weit vom Leben entführt, als daß sie um den Tausch +eines zerbrochenen Körpers die große Sinnlichkeit gegeben hätte. Denn was +geblieben wäre, war Aussicht auf Qualen in einem Nichts an Leben. Sie legte +es zu dem andern: »Meine Mission ist getan. Was bliebe, ist zu gering für +meinen Anspruch.« + +Sie hatte zuviel Stolz in ihrer Milde: das gute Material, aus dem sie +gebaut war, wehrte sich am falschen Platz. Platin und Stahl des schmalen +Körpers hielten bis zum Zersprengen, als sie schon abschloß. Sie erwachte: +»Es ist spät.« + +Die Schwester, geneigt: »Du bist müd Lil.« Sie richtete sich auf: »Man muß +sich nicht gehen lassen.« Die Augen, weit offen, sahen nichts mehr. + +Die schmalen braunen Märtyrerhände lagen auf der gelben Seide der Decke. +Sie lagen schön und körperlos. Die donnernde Sonne des Hochgebirgs wird sie +nicht mehr verbrennen. + +Dann machte sie noch eine Bewegung --: sie wandte, unzwingbar, dem Feind, +der seit Jahren in ihr zerstörte, mit einer unerschreckbaren Größe, gebend, +mild das Gesicht zu, daß er erbleichte. Sie war souverän. Er besiegte sie +nicht. Sie gab sich hin. + +Zum erstenmal ließ sie sich gehen. Ach, es haben viele geweint. + +Was ist nun Sterben? + +Ich habe mit niemand über diese Tage viel und groß gesprochen. Wie +glücklich bin ich. Wie frei. + +Greller, gewaltiger, asiatischen, aber schön gedämpften Musiken gleich +rollt aus dem Westen über mich täglich der schmetternden roten Sonne zu die +heimliche dunkele über meinen Horizont. + +Wenn sie sich schneiden, ists Mittag. Abends erlöschen sie beide an den +Polen der Fläche. Nachts kreisen sie unter mir. Ich spüre sie beide +unauslöschlich, jede in ihrem Kreis. + +Ich fahre. + +Mit abenteuerlicher Fülle wirft mir der Maingau den aufduftenden Sommer mit +allen Prärien und Wassern und Wäldern und Hügeln und Flüssen dazwischen +entgegen. Ich gehe mit festen Schenkeln und der hochgewölbten Brust des +Seglers und Fechters in ihn hinein. + + + + +Der Zuschauer + + +Die Geburt vollzog sich am neunundzwanzigsten Februar auf Schloß Favorit +bei Baden-Baden, als schon heller Frühling war. Sein Vater war der Portier, +der in gelber Livree, rotbehost, die großherzoglichen Farben zur Führung +der Fremden trug, das Kind Cepha Billy nach einem Nick-Carter-Schmöker +nannte und Ehrfurcht vor den Dog-Carts und Autos lehrte, die durch die +viergegliederte Allee heraufstrichen. + +Bald nachher folgte seine Mutter einem feurigen Chauffeur, der sie mit +Glasketten behängte, mit der Pistole den Gatten bedrohte und die +schmalhüftige Frau in fliegenden Kurven zur Rheinebene hinunterknatterte. + +Mit vier Jahren warf Billy einen Stein nach dem Prinzen Schlitz-Glitsch, +der auf der Wiese das Strumpfband einer deutschen Aristokratin zu +befestigen suchte. Der Prinz fuhr herum, begann zu lachen und schenkte ihm +fünf Mark, was den erbleichten Vater so erschreckte, daß er zwei Schritte +gradaus machte und in strammer Haltung, die Mütze auf der flachen Hand: +»Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten . . .« zu singen begann. + +Mit neun Jahren riß Billy aus, indem er sich an ein Auto hängte, was erst +in Karlsruhe entdeckt ward. Ein Gendarm brachte ihn zurück. Gestraft wurde +er nicht, der Portier ließ eine fast furchtsame Verwunderung spüren. + +Mit zehn Jahren leierte Billy eine lebende Katze am Schwanz in den +Kastanienbaum und sagte das Vaterunser auf, während er im Kreis der +Gehöftkinder Steine nach ihr warf. + +Da der Pastor selbst ihn am Ohr herunterschleifte, machte die übermäßige +Angst dem Portier Mut, das Ende einer Komödie zu finden, in der nur sein +Respekt ihn hinderte brutal zu sein. Er schrieb einen Brief nach Kowno, in +dem er alles aufzählte und sich der besten Gnade empfahl. + +Einige Wochen später, als Billy im Bett lag und auf die Mondkringel +lauerte, die durch die Alleen strömten, fuhr ein Wagen herauf, es wurde +angeklopft, geöffnet, eine Stimme rief »mein Sohn«, stieß die Tür auf, kam +her, von einem möderischen Lachen umschwungen, und nahm ihn aus dem Bett. + +Die Nacht schaukelte Billy auf den Knien des Fürsten Wolkowski, der ohne +Unterlaß redete, der Portier sollte Tee machen und von seiner Frau +erzählen, aber er kam immer in die Jahreszahlen der Porzellankabinette +hinein und kaute wie mit dem Mund einer Rüstung schnarrend und sinnlos. Am +Morgen nahm Wolkowski seinen Sohn mit. + +Er schob dieses Niveau, das ihm seiner Mutter nach vielleicht gelegen +hätte, als durch die Ereignisse überholt und des Kindes Blut offensichtlich +nicht entsprechend, rasch von ihm weg, um es einer markierteren Zukunft +entgegenzuführen. + +»Lebewohl«, schrie er dem Portier zu, doch er war nicht zu finden, erst wie +sie rasch das Haus verließen, trat er in den Alleegang, als der Wagen schon +lief, vermochte kein Wort zu sagen, sondern blieb stehen, warf die Arme +»Präsentiert das Gewehr« und den Kopf »Augen links«. So fuhren sie an ihm +vorbei, Billy winkte mit einem Tuch. + +Wolkowski lehrte ihn auf der Fahrt noch, daß er unter allen Umständen keine +Mutter habe und brachte ihn nach Gerolsheim in ein Pensionat. Er behielt +seinen Namen, nur wurde ihm der Vorname Wolkowskis, Harion, hinzugefügt, +man nannte ihn Harri. Wolkowski war ein ungewöhnlich schöner Mensch mit +kleinem dunklem Bart am Kinn und einer Kante an der Stirn, die sein +Interesse am Kleinen mit einem Wachsein für ein langes und weitgespanntes +Dasein verband. + +Ein Jahr später übersiedelte Harri, der seinen Vater nicht mehr sah, auf +seinen Wink in die Odenwaldschule, wo er zwei Jahre lebte mit beiderlei +Geschlecht, wilden Mädchen und klugen Jungen und einer Erziehung, die ihm +Freiheit des Geistes als oberstes Merkmal pries. + +Dann zog der Befehl Wolkowskis ihn nach Ettal. Im Kloster mit der halb +bäurischen, halb besten aristokratischen Jugend Bayerns, lernte er +strengste, kirchlich geheizte Zucht mit dem vereinen, was an der Bergstraße +seine Lehrer ihm als Ziel der Lebensidee an Freiheitsgefühl unausrottbar +ins Blut gesetzt. + +Wolkowski war tot, als er das Kloster verließ, ein Anwalt verwaltete ein +ansehnliches Vermögen, das der Magnat seinem Bastard übermittelt. + +Er ging nach Genf, München, Berlin, sah kurz Warschau und Petersburg und +verbrachte seine Zeit in der üblichen Form seiner Gesellschaftsklasse. +Ausschweifungen bestätigten ihm nur vom Kloster her Bekanntes in größerer +Ungebundenheit, in die niemand mehr hineinsprach. Sonst war nichts Neues +da, außer dem, was das Auge durch Vergleiche ablas. + +Die Zeit begann dagegen, die auf sie Horchenden bereits zwischen ihre schon +heftig mahlenden Mühlräder zu nehmen, und, zwischen fernen Gewittern und +glatter Gegenwart, war ein Mann nur, wer sich entschied. + +Durch ein Mädchen, das er mitnahm, kam ihm das niedere Schicksal in seinen +Gesichtskreis, was man mit einer Handbewegung sonst abtat, was man nicht +wissen und erlebt haben durfte, wenn man heiter weiter leben wollte und ihn +begann das Dasein der anderen tieferen Schichten anzuziehen, jedoch nicht +mehr als mit teilnehmender Neugier. + +Mit glänzenden Beziehungen, reich, schlank und mit blonden Haaren über +dunklen Augen, einen sportlich gewaltigen Rücken zwischen der slavischen +Eleganz tierisch anmutiger Bewegungen auf schmalen Hüften schaukelnd, +angesehen und nicht ohne ererbte Haltung, zog ihn alles eigentlich zu +Erfolgen und Siegen seiner Schicht. + +Aber eine dumpfe Erbschaft, die von der Mutter her sein Blut bewohnte, +zwang ihn immer wieder, eifrig den Ausgleich abzutasten von seiner Klasse +zu der, wo man fern demonstrierte, schuftete und stank. + +Nach jedem Versuch aber, sich dort festzuklammern, flüchtete er zu neuen +Geliebten. Es lockte ihn dunkel aber sofort wieder hinunter. + +In Mons fuhr er in Manchesterhosen in die Braungruben, aß Speck, Brot, +gröhlte und schnapste. Kräftig, braun, erfrischt, aber innerlich erschöpft +kam er nach Köln ins Hotel. + +In München arbeitete er im Wohlfahrtssekretariat, Fürsorge, +Antituberkulose. Sein Lehrer Brentano zeichnete ihn im Seminar aus, wo er +durch kühne Einfälle die besten volkswirtschaftlichen Florette führte. + +Als es anfing ihn zu verwirren, daß bei allem Drang und aller Lust er in +den Tatsachen der Masse fernblieb, ohne Kontakt und selbstverständliche +Gemeinschaft, während das, was er von Natur leicht besaß, ihn in seinen +Möglichkeiten nicht reizte, fuhr er auf der Durchreise zu dem Mann, der +neun Jahre sein Vater zu sein schien. + +Der kannte ihn nicht und begann erschreckt, als der Kavalier über den +Horizont seines in elf Unteroffiziersjahren erreichten und umschlossenen +Weltgefühls sich ihm zärtlich nahte, Hilfe bei seiner vorgesetzten +Autorität zu suchen und knarrte verzweifelt die Namen und Jahreszahlen der +badischen Dynastie herunter. + +Entsetzt fuhr Harri durch die fabelhaften Alleen. + +Zwei Jahre ging das Leben so hin, bis die Operation des Appendix ihn um ein +Haar erledigte. Auch als er genas, geriet er dem Tod nicht aus seinem Bann. + +An der Grenze des Lebens hatte er verlernt, die Wichtigkeit der irdischen +Dinge respektvoll beizubehalten. + +In einer tiefen Melancholie, die allerdings nicht auf die Oberfläche seines +Wesens trat, erlebte er nur noch den spielerischen Reiz im Ungefähr dieses +Existierens und blieb schon durch den Gedanken, daß er bei Unkenntnis +dieser Operation vor wenigen Jahren ein verscharrter Kadaver und eigentlich +nur geschenkt und leihweis dem Leben überlassen sei, lächelnd plötzlich +jenseits der Probleme und Fragen der Zeit aufgestellt. + +Seltsamerweise ging alles Seitherige in seinem Gedächtnis unter, er begann +neu die Eindrücke zu spiegeln, ohne sie aufzunehmen. + +Eine Laune des Todes, verbrannt von der einmaligen Größe seiner Nähe und +nur noch imstande mit diesem furchtbarsten aller Wertmesser noch +einzuschätzen, ein fast uninteressierter Beurlaubter des Sterbens, so +fühlte er sich, obwohl stark und voll fiter Gesundheit, einem Dasein +entgegenschreitend, das er einerseits nicht besonders einzuschätzen +vermochte, das auf der anderen Seite aber mit verzehrenden Lockungen und +dauerndem Wechsel ihm gegenübertrat. + +Noch müd fuhr er, zu reisen, von Baden nach Folkstone, der Himmel war voll +Gewölk und lichter erst über den wollweichen Wiesen von Kent. Zwischen den +Riffen und Blumen und Bächen, Hornissen und Sturmschwalben gingen Wochen, +die nichts gaben, nichts nahmen. + +Bei Angeln, Jagd, bei auf dem Rückenliegen, im Anblick eines Hauses, des +hellen New-Romney, im Anblick von Wight, der Cousine Lyne eines Freundes, +die morgens viel lachte, im Anblick der Grasschur für Hockey, im Anblick +von Bournemouth, von einem Korallenparksee, der Portlandinsel, im Anblick +eines Strandes, der immerzu ihm entgegenzuschwimmen schien, im Anblick von +Weihen und Hasen, von Uplyme Hill, Lyme Bay, von Hunden, von einem +Kerzenbegräbnis, von Cast Looe, Himmel, Birken . . . . . . im Anblick von +Fischschuppen, die ganz neu ihm erschienen, vom Zinnober des Abends über +Kühen, im Anblick von Abteien und Ulmen, Gerrans Bay, Polperro, Gorran +Haven, im Anblick des Hallstroms, wo er ins Gewirr des Meerarms strömte +unter Blattwerk und rudernden schwarzen Enten, im Anblick von Cape +Cornwall, St. Ives, einer Hochzeit im Dorf, im Anblick eines Autos, das in +die Luft sprang und ins Meer stürzte, im Anblick einer dauernden besonnten, +reichen und wundervollen Reise empfand er nur ein gewisses Interesse, das +sich abendlich verdunkelte, in der Frühe immerhin nicht ohne Sympathie war. + +Er stieg vom Dampfer, nahm die Bahn und ging quer durch Cornwall zurück. Am +Waldrand bei Liskeard bettelte ein Vagabund ihn an, Harri bettelte zurück. +Da lief der Störzer wie ein Eber schreiend davon. »Simpelst thing in the +world«, sagte Harri, sah ihm nach, fischte ein paar Tage Forellen mit +Edinburgher Studenten, fuhr durch blühende Grassteppen ans Meer, durch +Sussex, und kam nachts nach Paris. + +Im Hotel neben dem Panthéon schrillte dieselbe Nacht unter einem Dietrich +das Türschloß, sein Schlüssel flog heraus, das Licht ging an, ein Herr im +gelben Pyjama stand vor seinem Bett, verbeugte sich, hielt den Finger auf +die Lippen, deutete auf eine Dame, die hinter ihm stand und glitt lautlos +hinaus. + +»Wie heißt der Mann?« »Gallow.« + +Sie flüsterte zitternd, während draußen der Lift hochschoß, Männer liefen, +ein Zimmer erbrachen, die Stimmen aufkrischen und langsam zurückfliehen und +verschwanden. Harri bot der Dame sein Bett an und verpflichtete sich, im +Lehnstuhl zu schlafen, die hatte einen Kimono über dem Hemd, die nackten +Beine bebten. Nach zwei Stunden entführte sie Gallow mit einer Verbeugung, +eine Limousine nahm sie auf vor dem Hotel, die Vögel sangen bereits in das +Lila einer Dämmerung. + +Mit dem Grafen Shanvady, mit dem er eine Zeitlang in Ettal zusammen war, +fuhr er die ersten Tage nach St. Germain, nach Enghin, nach Calais. Mit +Shanvadys Cousine Mirei fuhr er zum Sonnenaufgang nach Trouville. Im Motor +begleitete er sie durch das Abendrot der Seine am Trokadero. + +Ihre Schläfen waren leicht eingebogen, die lebhaften Nüstern zitterten +scharf und anmutig, das Auge war bedeckt mit einem perlmuttenen Schleier, +unter dem das leidenschaftliche Herz sich kühl verbarg. + +Vor Bildern, im Musée Moreau, vor den Räuschen übergroßer Empfindung, fiel +ihr Gesicht wie eingestürzt noch nach innen. Sie war so unerlöst, daß der +Hauch einer seelischen Bestürzung sie erstarrte, eine Zärtlichkeit der +Stimme sie fiebrig den Blick verschwimmen ließ. + +Auf den Rennen in Auteuil traf er dagegen am Totalisator Gallow wieder, der +eine Bande kommandierte, die zwischen den Buchmachern, Jockeys und +Startrichtern hin- und herschoß und signalisierte. Er setzte auf ihre Tips, +gewann, verlor, gewann. Angezogen durch die Organisation blieb er dabei, +nachts endete er mit einem Umzug durch die Brasserien des lateinischen +Viertels. Da Gallow am nächsten Tag in die Provence verschwand, kam von dem +Räderwerk einiges an Harri heran. + +Er schaffte den holländischen Photographen Visser, der die dunklen Höfe für +drei Sous aufknipste in ein illustriertes Journal, wo Visser die Klischees +an Althändler zu verkaufen vermochte mit siebenfachem Gewinn gegen seine +Gage. Er schob Germaine als Tänzerin in das Ballett, wo beim +achtundzwanzigsten Mal erst ihrer Schenkel Kraft einem Kritiker auffiel und +Germaine auf den Punkt gelangte, ihr gewisses Renommee und diesen Ruhm zu +abenteuerlichen Räubereien an der Gesellschaft zu benutzen. + +Er bugsierte den Juden Blumenthal in den Marstall des Präsidenten, der +dann, von der Opposition bestochen, das Pferdezeug durchgehn, den Wagen auf +der Straße von Neuilly umschmeißen und den wackelnden fetten Mann als +Oberhaupt der Republik von Maulaffen und Verbrechern mit Birnen beschmeißen +und in aller Taghelle besudeln ließ, bis seine glänzende küraßte Kompagnie +herbeikam, aber den Skandal nicht mehr aufspießte, der aus einem Film und +hundert Karikaturen über Europa flitzte. + +Er bewegte sich in dem Milieu politischer Flüchtlinge, bankerotter +Literaten, sozialer Bohèmes und Glücksrittern, in diesem nihilistischen und +auf Karriere bockgeilen Milieu mit der Sicherheit seiner Beziehungen und +seiner Uninteressiertheit. + +Dazwischen sah er Mirei. + +Bald mischte sich sein Leben. + +Er saß mit der Ungarin in der Opernloge, aß mit ihr und Shanvady im Café de +Paris und fuhr im spiegelglatten Auto in den Klub der Rue de Grenelles. + +In derselben Nacht in schiefer Sportmütze und Sweater decouvrierte er den +Rennfahrer Müller, der im Absynthrausch in der Rue Champollion gestürzt +war, als Besitzer eines zerborstenen Holzbeins, Spitzel, und Besitzer von +fünfhundert Francs, die er verschwiegen und sich von den kleinen Kokotten +hatte aushalten lassen. + +Er tastete mit Mirei die Knoten der ältesten Spitzen ab im Musée Cluny und +ging dem Filigran nach in seine jahrhundertalten Verästelungen. + +Er holte Hallboog hingegen aus seiner fensterlosen Baracke, wo er zwischen +dem Bild einer Frau, die ihn betrogen, und dem Glas darüber, eine Brut +Wanzen züchtete, und brachte den gertenschlanken, haarumbauschten Burschen +zum Führer des Chors in eine dramatische Revue des Odéon. + +Er ging im Promenoir der Folies Bergères, den Zylinder im Genick, die Hand +in der Fracktasche neben Mirei, und machte in dem Café der kleinsten Huren +den Kroaten Mitro Petrova aufmerksam auf eine Notiz im Figaro, die einen +phantastisch reichen und abenteuerlichen Sportsmann und Aristokraten seiner +Rasse bei Geschick in seine Hand gab. + +Er fuhr zum Golf auf den graziösen Avenüen zwischen den Idyllen und +Zartheiten der Gebüsche mit Mirei im Bois de Boulogne auf dem +Mail.-Phaeton, und brachte Petrova hingegen unter als Spitzel gleichzeitig +bei dem serbischen und österreichischen Konsulat. + +Er glitt mit dem Räderwerk, das er stellte und spielte, tief in das Milieu, +war im arabischen Viertel heimisch wie ein Zuhälter, kannte und lernte die +Tricks der Polizei, der Gesellschaft, lernte die Finten dagegen, die +Fallstricke, die Betäubungen der Gegnerschaft. Wußte, wie Mädchen verkauft, +Männer ausgetrieben werden, kannte die Führer der Milchdiebe und der +panslawischen Komitees, lebte in dem Rauch der europäisch gemischten +unruhsamen Retorte, wurde von Mirei nicht erkannt, als er ihr als Camelot +ein Abendblatt vor der Oper verkaufte, nicht, als er statt Hallboog dem +Chor im Odéon die Stichworte gab, aber er brachte genug unausgesprochener +fremder Welt an sie heran, daß sie ohne Begreifen aber gefüllt bis zum Rand +mit Instinkten mit ganz weit geöffneter Iris und dem fiebrigen Pochen, +gleich einem dahinter schlagenden Vogelherz, ihm gegenübersaß. + +Als Mitro Petrova, durch das Pech verfolgt, nicht beim Grafen Castiglione, +jenem großen ungarischen Sportsmann, vorgelassen wurde, nahm er selbst, in +Petrovas Maske und ausgefransten Hosen und ohne Kragen die +kompromittierenden Briefe, erreichte, von Petrova gefolgt, in dem Hotel am +Vendômeplatz drei Appartements, ging in das vierte, von der erblaßten +Dienerschaft bestaunt, sah eine Frau im Peignoir halbnackt, aber mit +deutlicher wunderbarer Schulter durch einen Vorhang verschwinden und hielt +mit ruhiger Überlegenheit dem Grafen, einem breiten, nackenschweren +Burschen mit rötlichem Bürstenschnurrbart die Papiere und die Situation vor +und ließ ihn wählen. + +Verwirrt griff der nach dem Schlüssel seines Schranks, um auszuzahlen, da +stürzte Petrova auf die Papiere, warf sie dem Grafen vor die Füße, warf +sich in den Teppich auf die Knie, verzichtete auf die Rente und erbat als +Gegenleistung für die Papiere seine Geliebte für eine Nacht. + +Der Graf riß die Papiere an sich, bekam durch diese Wendung Mut, spannte +eine Pistole, und nur mit schrecklichen Sätzen gelangten die beiden ins +Freie. Der Figaro brachte Castigliones Bericht durch seinen Interviewer, +das Journal sein Bild, der Polizeipräsident setzte eine Belohnung auf die +Erfassung der Attentäter. + +Am folgenden Morgen machte Petrova Harri klar, daß er nichts, Harri alles +zu verlieren habe, und daß er Geld brauche. Harri lachte und schlug ihm +zweimal seine Handschuhe ums Gesicht. Nun tauchte aber Gallow wieder auf, +eifersüchtig und gewandt versuchte er ebenfalls die Erpressung. Harri gab +ihm eine Banknote. »Einmalig . . . . wie der Tod«, sagte er. + +»Yes« -- Gallow. + +Nach drei Tagen begann Gallow die Erpressung von einer anderen Seite. Harri +suchte ihn durch einen Dritten, der zuhörte, zu fassen. Es gelang nicht. +Als er ihm entgegnete, daß er, wie seinerzeit den Störzer am Waldrand bei +Liskeard, ihm auf gleiche Weise Erpressung vor die Brust schießen werde, +fragte Gallow kalt: »Wieso?«. In der Tat gab es gegen diesen eleganten und +gefährlichen Halunken kein sicheres Material. + +Das sagte Harri zu dem Grafen Shanvady, als er mit ihm vor dem Café +d'Harcourt saß, und damit trat Shanvady in sein Leben, in das er tief wie +niemand einschnitt. + +Shanvady frug, ob er ihm das Arrangement überlasse, Harri nickte; Gallow +verschwand. + +Am gleichen Tag fuhr Harri ohne Shanvady mit Mirei nach Fontainebleau. Das +Wasser hatte eine zauberhafte Durchdringung der Luft, die Parke standen +hauchklar und leicht. + +Sie erregten sich aus der Beschwingtheit des federhaften blauen Tags hinein +in die Schönheit des, was sie umgab. Er zeigte ihr den Hof, wo Napoleon +Abschied nahm vor Elba, und Sergeant Dubois durch einen Schrei die ganze +Kompagnie zum Heulen brachte. + +Vom Wagen links und rechts sich neigend, verständigten sie sich, daß hier +der Rousseau gemalt, dort der bauernhafte Millet, da der Daubigny, und am +Ende überall der aus Silber und Flöte die Welt geschaffen: Corot. + +Schon im Schloß lächelten sie sich zu und begannen die Säle zu durchrennen, +immer süßer wie von ihrer eigenen gleichströmenden Harmonie weitergetragen, +bis Mirei neben einer schlanken elfenbeinernen Vase der Marie Antoinette +stehen blieb, errötend, ihn erwartend und die Hand auf der Brust, atemlos: +»Fühlen Sie mein Herz«. + +Alles war nunmehr aus ihr herausgetreten und hatte sich in ihrem Gesicht +aufgestellt, bereit wie mit einer großen und feierlichen Zeremonie ihn zu +empfangen und ihm entgegenzutreten. + +Allein in diesem Augenblick entfernte sie sich unter seinem Blick, er +fühlte keinen Anlaß und keine Begeisterung hineinzutreten in diese Welt, +als sie sich ihm öffnete, er vermochte sich nicht darauf zu spannen, daß +dies ihm etwas sei. Der Tod hatte ihn zu sehr entrückt, er bestand die +erste Probe nicht, mit der das Dasein ihn lockte. + +Flaumenweich, dünn und zwecklos floß es ihm weg, er neigte sich nur +lächelnd und zurückhaltend, als höre er. Abends nahm er im +Luxembourg-Garten eine tschechische Studentin mit, küßte ihre Knie und +lachte über die Nationalbänder, die sie durch ihre Wäsche geflochten. + +Am anderen Abend eröffnete er mit Hallboog das Kabarett in der Rue +Champollion. Er suchte Hallboog damit durch die Varietésensation in die +Literatur hineinzubringen, aus der dieser abgebogen war durch ein +Weiberunglück, und in die dieser ungebrochene und nur zum erstenmal +zusammengeklappte Jüngling mit penetranter Begabung gehörte. + +Den Tag über hatte er alles, was irgendwie ihre Kreise streifte, als +Sandwichmänner mit Plakaten herumgeschickt. Germaine, die er gestartet, war +im Auto mit Herren im hohen Hut angefahren, um als Favorite nun wiederum +diesen Start zu machen. + +Shanvady in grünem Seidensweater, Apachenmütze, Lackpumps und rotem +Halstuch eröffnete, indem er ein Florett durch das Billard stach und, das +sechseckige Monokel eingeklemmt einen dicken Herrn in der ersten Reihe +verhöhnte. In der Hand hatte er zwei Diskusse, die er dröhnen ließ. In der +vierten Nummer sang Germaine, indem sie beinahe nackt auf dem Tisch tanzte: +J'offre ces violettes / Ces lis et ces fleurettes / Et ces roses icy / Ces +vermeillettes roses / Tout freschement écloses / Et ces oelliets aussi. Die +Spanier kamen, warfen ihre spitzen Hüte hoch, schrien ihre Namen: Tomé +. . . Elisabat . . . Camacho . . . Curchuelo. Ein zamoranischer Dudelsack +pfiff dazwischen, aus den Ecken gingen Grammophone wie Böller los, +Überraschungstüren knallten mit aufgebundenen Akteuren um eine wagrechte +Achse. + +Da sprang über einen Tisch der Holländer Visser, streckte sich eine Sekunde +mit dem pockennarbigen Gesicht wie ein Pferd in die Höhe, machte einen +Riesensprung und stieß, ihm in die Augen sehend, Hallboog zwei Messer in +den Rücken. Die Scheiben des Cafés wurden eingedrückt, Sanitätsleute liefen +vom Boulevard herüber, das Polizeirevier sperrte ab. + +Sie frugen Visser: warum. Er vermochte nichts mehr zu sagen als den Namen +seiner Schwester, die verschwunden war, er sagte ihn bis an sein +Lebensende. + +Das Komitee ward verhaftet und zurückbehalten. Shanvady rettete sie, indem +er plötzlich mit dem grauen Torpedoauto der Botschaft vorfuhr. + +Am anderen Morgen traf Harri, aus dem Metro steigend, Mirei. »Wir sind im +selben Wagen gefahren und haben uns nicht gesehen.« Er nickte. Ihr Gesicht +sprang fast wie dünn gewachsenes Glas unter den verhaltenen Tränen. »Ich +fahre am Abend.« Er nickte und schwieg. Sie gaben sich vor ihrem Haus die +Hand. Bald darauf kam Harri an die Seine. + +Ein Dampfer legte bei an dem Steg, er bemerkte jemand, der ihm winkte. Ein +Engländer grüßte von dem Dampfer mit hellen Handschuhen ihm herauf, aber +erst, als dieser die große Reisemütze abtat, erkannte er Petrova, der, +zwischen Lederkoffern und eine Frau neben sich, dem Glück eines Tricks +nachfuhr, der ihn in die Höhe geworfen, und den sofort eine Rauchwolke, die +das wendende Schiff machte, verhüllte. + +Vom Arc de Triomphe sah Harri die Stadt wie einen Stern geordnet und Züge, +die in das gewellte abendblaue Ackerland hinausrollten. In einem der Züge +war Mirei. + +Gegen Mitternacht sprang er über das Gitter des luxemburgischen Gartens, +trat in die Platanenallee und kam in die Nähe des Platzes, wo der Wind auf +fünfzig Meter die Fontäne gleich einer Peitsche herumschlägt. Auf der Bank +saß ein Mann, er erkannte, als dieser aufsprang, Shanvady. + +Harri hatte die Hände vor die Augen geschlagen, um besser zu sehen. Das +verkannte Shanvady und machte eine Bewegung, die aufforderte, sich ihm +vollständig hinzugeben. Als sähe er in ihm einen Zusammengeschlagenen, +sagte er: »Kommen Sie mit mir, schließen Sie sich mir an. Ich führe Sie, zu +was Sie wollen.« Harri starrte ihn an. + +In diesem Augenblick kam die Fontäne armdick angesaust und Harri fing sie +mit der Brust und entgegengeworfenem Gesicht auf. Damit waren sie zu nah in +das mondvolle Rondell getreten, die Wache am Schloß trat ins Gewehr, ein +Trommelwirbel, die Qui vives kamen durch die Bäume. Die beiden sprangen +zurück, machten kehrt, rannten durch die Allee, über die Mauer auf die +Straße und verloren sich dabei. Anderen Morgens trafen sie sich, ohne von +dem Abend zu sprechen, im Zug nach Straßburg, von wo Shanvady auf eine +Besitzung fuhr. + +Harri begleitete ihn nicht, versprach ihn später zu besuchen, reiste +weiter, im übrigen vergaß er diese ganze Epoche rasch, sie blieb ohne +Widerhall in seinem Leben. + +Als er Fische wieder fing, war alles aus ihm heraus mit dem Fluß schon +abgeströmt und nichts da als das pastellne Rosa-Schaukeln der Wolken und +Dächer, das Kuhgebrumm und das Schlafbedürfnis, das von den kräuselnden +Ulmenschatten über die abendlichen Matten herüberwehte. Als er Dover sah, +nahm er es nackt und ungetrübt, ein Spiegel, der zum erstenmal die Welt in +sich spannte. Er sonnte sich wie in sich selbst ruhend, am Strand, auf den +Schiffen, als sei nur pausenloses Leben vor ihm und hinter ihm nichts. + +Es gab viele Genüsse freilich, die ihn leicht erheiterten, aber es hätten +ihn aus seiner entfernten Kühle nicht einmal die Schmerzen getrieben. In +Husum knackten die Fischermotore, in Trouville sangen die Austernverkäufer +weiter, weiter . . ., in Hamburg krischen die Matrosen: »Glorie, glorie, +Hallelujah / Schön sind die Mädchen von Sankt Pauli-Altona.« In dieser Zeit +vermochte er sogar viel zu lesen und zu studieren. + +Von Hamburg fuhr er plötzlich direkt zu Shanvady. + +In einem dampfenden Gewitter an einer Wegkreuzung der Vogesen ließ Shanvady +ihn abholen in einem Wagen des vierzehnten Ludwig, mit sechs Pferden, +karmoisin und golden, und einer Krone als Abschluß. Mit Fackeln kamen sie +abends in den Park eines Rohanschlosses. In einem erleuchteten Fenster +schwamm unregbar die Silhouette Shanvadys, der mit sich selbst Schach +spielte. Am Portal ließ er Harri durch den Hausintendanten begrüßen, es lag +eine Absichtlichkeit wie die Vorbereitung eines heimlichen Ringens in der +Luft. + +Auf der breiten Marmortreppe des Ausgangs bewegten sich eine Dame und ihre +Tochter zwanzig Stufen über ihm. Plötzlich fiel mit glatter Bewegung die +Hose des Mädchens über ihre Schuhe. »Mais . . Juju . .«, entsetzte sich die +Dame. Das Mädchen schlug die Hose dem Hund neben ihr ins Gesicht, erblickte +Harri, streckte die Zunge heraus und folgte ihrer Mutter wieder mit Ruhe. +Sie hatte einen Frottéstoff im Kostüm bis zu den Knien, war etwa +siebenzehnjährig, mit biegsamen Beinen. + +Auf dem Balkon neben Harris Zimmer stand der Hausintendant mit dem Gesicht +einer Dogge. Der Stall war mit einer Lichtschnur erleuchtet. Zwischen den +Gartenbosketts, die dampften, ritten Reiter durch die nächtlich blauen +Schwaden. In einem Springbrunn im Hof, auf dem der Mond lag, standen nackte +Jünglinge und hielten sich, murmelnd, an den Händen. + +Über sie aber kam aus der Ferne des Gartenrings ein Laut, der vor dem +Schloß fast starb, aber noch zitterte in der Luft, weich und süß, spielte +eine Weile, verschwand und kam wieder an, die volle unruhige Nacht +hindurch. + +Beim Erwachen sah er vom Bett aus einen Mann in roter Toga, eine Ziege an +einem Band führend, das Haus verlassen. + +Es war die Zeit, wo Sekten anfingen in Deutschland die geistigen +Leidenschaften der Epoche, die noch kaum donnernd unter der Zeit ihres +Aufbruches lagen, in Vorposten um kuriose Karikaturen zu sammeln, und wo +die Folien der Helden das Land durchstreiften. Ein Adept seltsamer Prägung +erschien bereits voll Bekehrungswallung noch beim Ankleiden, der mit +eingesunkenen Augen deklamierte: Sinnlichem gelte seine und seines Lehrers +Clique Verachtung, worauf in Pyjamahose und nackter Brust nur Harri sein +Gurgeln gerade beendete. + +Als der Diener im Tubbe ihn einseifte, fuhr der Adept unbeweglich fort: +Leben sei der Zweck, durch ewiges Training der Seele zum Spiegel +vergangener gelebter Leben vorzudringen und mit solchen geistigen +Reservedivisionen das läppische Rätsel der Erscheinungen dieser Welt wie +mit Handgranaten aufzuschmeißen . . . . . . worauf mit leichter Bewegung, +den Schwamm hoch auf dem Nacken ausdrückend, Harri freundlich über die +Schulter frug, in wessen fabelhafter Tat und Kühnheit sich diese +Lebensfasson am kräftigsten offenbare. Da geschah das Unvorhergesehene, daß +in das tiefe Schweigen beim raschen Niederbücken dem Diener ein +bestürzender Knall entfuhr. + +Doch erschien glücklicherweise der Hausintendant, half Harri in das über +den Kopf gereichte Hemd und meldete Shanvadys für ganz kurze Weile in der +Nacht stattgefundene Abreise. + +In kurzen, kniefreien Unterkleidern stehend, Manschettenknöpfe einziehend, +meinte Harri, als der Adept nicht wich, daß man beim Lesen feuchte Knie, im +Schlaf hin und wieder Hundeträume habe, im Gewitter grüne Leichen sehe wie +er sage, das sei amüsanter freilich wie manches, aber was helfe es ihm, der +auf das Frühstück aus sei, welches englisch gerichtet mit einem kleinen +Beafsteak und Anchovisfischen, Porter und Marmelade und Lachs der Diener +auf der erhobenen Hand im Hintergrund anbot. + +Als aber darauf der Hausintendant plötzlich nach dem Garten schielte und +mit zitternder Stimme auf eine schöne Junonin neben einem taprigen, elegant +arrangierten alten Gecken wies und, eh er fortfahren konnte, der Adept zum +erstenmal seine verklebten Augen aufriß und mit schüttelnden Verneigungen +den Gaga als jenen Holzer grüßte, der beim Feldzug der deutschen Seele nach +ihrer zeitlichsten Vertiefung die meisten Skalps gestochen, und wedelnd mit +seinem Skelett am Fenster knackte, ergriff statt jeder Kritik und Würdigung +mit Schwung, Harri neben seinem Bett ein rundes Gefäß, drehte sich um: +»Excusez«, worauf der Adept bei dieser Anrufung der Natur wie unter einem +Donnerschlag verschwand. + +Als er gelangweilt durch den Park strich, verirrte er sich zwischen den +barocken Hermen und kam erst durch ein Gezwitscher zu sich, das ihn lockte. +Er folgte um Gebüsche und Steine, kam an den Uferrand und sah gerade noch +Juju. + +Er trieb sie über den Fluß, aber als er um eine tiefere Brücke herankam, +entwich sie zurück, indem sie einen Zweig erwischte und in einen Kirschbaum +sich schwang. + +Im gleichen Augenblick mußte Harri zurück, sich am Ufergebüsch verstecken, +denn aus dem Rondell trat eine Schar Menschen, die teils sehr elegant, +teils aber auch in Ponyfrisuren und offenen Brüsten und Indianerhaaren die +Zeichen der deutschen geistigen Freiheit trugen, und einer baltischen +Weisheitsschule Couleur in Form eines Fürsten bei sich führten, der +unablässig an einem violetten Seidenkissen stickte. + +Ihr jüngster Nachwuchs blieb mit hochmütigen Hälsen unter dem Baum stehen +und versuchte, indem sie ihre Beschwörungsformel »tak . . . tak . . . tak +. . . tak . . . ore« riefen, Juju zu locken, die ihnen Kirschkerne auf die +Köpfe spuckte. + +Da aber das gemessene peripathetische Schreiten dadurch in Unordnung +geriet, wandte sich der adlige Schreiber, der den Turnus führte, herum und +schlug dem Jüngsten Laotses Sprüche heftig auf die Ohren, worauf der Fürst +sich umdrehte und knurrte, weil ihm mißfiel, daß der Aufenthalt der +Damenbeine halber geschah und erbost mit der Stricknadel einen Jüngling +piekte. + +Als sie im nächsten Boskett verschwanden, rannte Harri um die Brücke und +kletterte in den Baum, wobei ein Regen von Kirschen auf ein niederging. + +Als er aber dem Ast nahkam, auf dem die langen schönen Beine baumelten, +ging ein Lärm los, als rausche ein Adler in das Gezweig herunter, aber nach +einigem Lauschen sah er, daß es nur ein Dutzend Jünglinge waren mit +wallenden Togen, die gesenkten Hauptes hinter dem Mann mit der Ziege +herschritten, mit einer gewissen wallenden und stolzen Bewegung der nach +innen gesetzten Füße. + +Harri bemühte sich ruhig zu bleiben, aber es war nicht vonnöten, denn diese +Männer sahen nicht herauf, sie murmelten nur, indem sie zum Takt ihrer Füße +den unteren Rücken schwangen. + +Die jungen Leute schienen noch weniger wie die Vorausgegangenen Frauen zu +lieben, ihnen genügte es immer nur einen Namen zu lispeln, der wie +»Georges« ausklang und, wenn er kein jüdisches Symbol bedeutete, ihn +schließen ließ, daß hier ein balkanischer Stamm sich in Riten übte, worauf +auch die Ziege den Akzent gab und ähnlich versunken mit dem Steiß flog. + +Im Augenblick, wo sie einbogen, ließ sich Juju an den glatten Ästen +heruntersausen, er konnte aber wieder nicht folgen, weil um die Ecke in +großer Erregung Menschen sprangen. + +Die schöne Frau des Vormittags zuerst, die Röcke geschürzt, den Busen +fliegend. Hinter ihr der Greis mit falschen Hüften und Schminke im Gesicht, +der sofort an einer Ritze der Badezelle Posto faßte und der Entkleidung +zusah, die Harri vom Baum der anderen Seite durch das offene Dach noch +freier sah. Hinter einem Baum aber, noch weiter hinter dem spekulierenden +Holzer aber stand, das Gesicht von Tränen überlaufen, der Hausintendant, +trostlos und ohne Hoffnung gegenüber so alter und konkurrenzloser +Leidenschaft. + +Als aber die Dame das Korsett in der Badezelle abnahm, war des Alten +Erregung so gestiegen, daß er »Anastasia« zu rufen anfing und auf den Zehen +hüpfte. In diesem Augenblick zog ein Boot vorüber, am Steuer der Adept des +Vormittags, aber selbst das Gestöhn ihres Meisters, der sich die Haare +raufte und aus der Nase blutete, weil Anastasia das Hemd mit dem Trikot +wechselte, vermochte sie nicht abzuhalten, die Augen niederzuschlagen und +»Heil« zu rufen. + +Durch diese Ablenkung erst vermochte Harri seinen Posten zu verlassen, von +zwei Zwergen verfolgt kam er zum Lunch. + +Aus dem Schlaf weckte ihn das tiefe Geräusch, das den Horizont umspannte +und dabei dünn und weich vor dem Schloß erstarb, wieder ausklang und +verging und jeder Welle der Luft sich tausendmal mitteilte. + +Im dunkelnden Garten rochen die Pechnelken wild herauf. + +Hinter der Herme hörte er einen Pfiff. + +Mit kleinen ängstlichen Schritten hüpfte Juju vor ihm. Sie ergab sich am +Sockel der Niobe, entsetzlich erschreckt, weil im selben Augenblick ihre +entzückende, breit plissierte Hose wieder fiel. Juju auf dem linken Arm, +die Hose als Flagge in der Rechten, lief Harri in die Fliederpergola. + +Sie entwand sich, er fand sie auf einer Schaukel wieder, in der sie hoch +über eine Wiese schwang. An den Füßen zog er sie herunter. Sie schluchzte, +als er sie ins Boot hob. Er mußte zurück, ihr zitterndes Hundevieh Rouge +mit an Bord nehmend. + +Als Wimpel wehte Jujus Hose, wie sie durchs Schilf hinausstrichen. +Plötzlich glitzerten ihre Augen, sie riß ihr Kleid ab und warf sich mit +einer rollenden Bewegung ins Wasser in dem Badeanzug, den sie darunter +trug. Er zog sie wieder hinein. Sie landeten, sie verschwand im Schilf und +kam mit dem Badeanzug zurück, während die Vögel aus dem Schlaf schrien. +Ihre Beine wippten auf dem Landungsbrett, dann flatterte der Trikot im +Wind, sie paddelten weiter. + +Je tiefer sie aber trieben, um so deutlicher kam ihnen das Geräusch +entgegen, weicher und getragener in der Nacht, und um so lockender zog es +das Boot an. + +Juju weckte mit der Blendlaterne die Fische, riß die vom Licht Bezauberten +heraus, drückte sie auf den Bauch, daß sie die Mäuler aufsperrten und warf +sie in das Wasser zurück. + +Nun war es kein Zweifel mehr, daß das Geräusch, das immer dunkler die Nacht +erfüllte, Frauengesang sei und sie fuhren darauf zu. Harri nahm Juju mit +auf die Entdeckungsreise, als er landete. Sie biß ihm vor Vergnügen in die +Lippe: + +»Chéri . . . mon ami.« + +Sie hörte den Gesang zum erstenmal. + +»Wie lange bist du da?« + +Sie wußte es nicht mehr. + +»Wie lange bleibst du?« + +Sie lachte: »Fragen Sie Maman«. + +An einem Teich vorbei, Hügel mit Statuen, die man nicht erkannte. Jujus Arm +an seinen angeklemmt. Immer auf den Gesang zu, der flackernd manchmal +hochstach und dann in leichten Schwingungen sich vernebelte. Brausen in der +Ferne. Plötzlich kam ein Haus. + +Die Tür ging in den Garten. Es wurde vollständig still. Jujus Zittern ging +durch seinen Rock. Im gleichen Augenblick erhellte sich eine Partie des +Gartens wie ein langer silberner Streifen. Harri strebte danach, zuckte +zurück, sie stießen an elektrische Drähte. Die Tür zurück war geschlossen. +Im gleichen Moment begann das Singen wieder. + +Der lichte Teil des Gartens _bewegte sich zu einem Zug, der wie auf einer +Leinwand bebte,_ zu verhüllt, um lebendig, zu sicher, um nur gedeutet zu +sein. + +Er sah den Zug vorüberlaufen, und vergaß Juju, die vor ihm stand: + +Da kamen blonde Tscherkessinnen. Polinnen mit roten Lederstiefeln bis zur +Scham. Im Blusenhemd warme Bornholmerinnen. Provenzalinnen mit +Olivensträußen am Gürtel. Jütische Fischerinnen mit schlanken, sehnigen +Armen. Die Diana von Aleppo. Eine weißblonde Finnin von den Stromschnellen, +eine kleine von den Hochzeitsgütern. Neuseeländerinnen kamen, Kinodiven mit +kurzen Rücken, hochbeschuht. Jüdinnen mit roten Haaren. Kleinasierinnen in +Kleidern Poirets, den Bauch herausgepreßt. Kunstreiterinnen sausten vorbei, +Russinnen mit Madonnenscheiteln, Armenierinnen mit den Hüften der +Wolfshunde. Negerinnen, die schöne Melonenbrüste über der Schulter trugen. +Arabische Frauen auf Pferden, kleine Irinnen, fliegende Frauen aus +Normandie, Zigeunerinnen mit heller Iris, Provinzmädchen aus Krain mit +anmutigen scheuen Knien. Dahinter Winzerinnen vom Elsaß, Sehnsüchtige aus +Madrid, Barcelona, Chinesinnen, die Brustwarzen rot bemalt, Australinnen, +glatt wie Zebufell. + +. . . . . . Augen, Hüften, Beine kamen. Füße schritten, die auf Kies nicht +treten konnten, Zehen, denen Blumen zu schwer waren, Knöchel so +hochgespannte, daß sie die Sandalenschnur verschmähten, Waden, +geschwungener als Kallastengel, entfalteter wie Orchideen, Arme, die besser +als Vögel schwangen, Hälse kühner als Fliegerkurven gezogen, Achseln, die +wie Schwanennester schwebten, Brüste wie Hügel der Bretagne aus der +blausten Abendferne, Leiber, die mit der Bewegung der kühnen Gestirne +aufzogen, Schenkel, die leichter als die erlesensten Tiere auftraten, Knie, +deren Leichtigkeit Reh und Panther und Flamingo verjagte, Hüften, die der +Eleganz der Rennmaschinen den Zauber der Erntefelder und Flüsse +hinzufügten. + +. . . . . Soubretten mit offenen Munden, Autofahrerinnen in +Schleiergesichtern, Huren, die auf die Brust sich wiesen, Verbrecherinnen +mit Quarzaugen, Damen, die wußten, alles sei duftig, reizvoll, sie +angemessen erwartend in ihrer Sicherheit, Seglerinnen mit Nacken wie Katzen +gespannt, Reiterinnen mit bleichen, herrschsüchtigen Gesichtern, Mädchen +mit Gliedern, als trüge jeder Muskel ein Service, Schauspielerinnen mit +roher Träumerei vor dem Auge. Frauen mit Landschaften um sich, Cornwall und +Gibsons Wald, burgundische Täler, der Po, die Rheinflüsse, Verona, der +Ammersee. Frauen, hinter deren Kniebeuge das winterliche Gebirge aufschoß, +unter die der Schwarzwald vom Merkur bis Badenweiler sich unter die Abfahrt +legte, Frauen, um die Schiffe und Signale wuchsen, tropische Städte sich +formten, Abhänge glitten. Frauen, um die der sommerliche Horizont flog, die +über Birkenrinks bei großen Concours wegsetzten, Frauen auf dänischen +Gütern, dalmatinischen Schlössern, Frauen, um die das Meer aufscholl, die +in Jachten bräunten, die durch den Herbstwald hetzten, Frauen, deren Füße +die Liebkosung der Maimatten kannten, Frauen, die durch die afrikanische +Nacht auf Tiere schossen. + +. . . . . . Polinnen aus Krakau, Rumäninnen mit lasterhaften Händen. +Griechinnen von Smyrna, geduckte Frauen aus der Krim. Karthagerinnen. Die +kriegerischen Weiber des Helesponts, Amazonen mit weißen Hengsten, +Negerinnen, gleitend mit Bogen. Frauen mit üppigen Brüsten unter Ketten und +Bronze, rote Haarbüschel über der Stirn. Die säbelschmalen Weiber aus +Damaskus. Frauen mit Lippen, geschlitzt, sanft wie Mondfahrt, Lippen wie +Trompeten geballt. Frauen, windhaft wie Segel, schwirrend wie Pfeile, mit +Fruchtglanz aus Bagdad, Spiegelnde aus Kairo, von Ceylon, Beirut. Frauen +mit großstädtischen langen Schenkeln, die nur Teppiche und Wagentritte +berührten. Mit mozartischen Gelenken. Mit Goldflecken auf dem Rücken. Mit +Niggermusik in dem Bauchmuskel. Kühle Schottinnen. Amerikanerinnen mit +Diamanten in den Zähnen. Dalarnische Baronesse mit Blau wie Blitzen im +Blick. Frauen, die Stirn verschleiert. Frauen, Unzüchtiges im weichen +Blick, Frauen mit aufgesprengten Lippen. Frauen aus Bayreuth, aus den +Starnbergschlössern. Frauen aus den Pyrenäen. Ruteninnen, deren Väter +Franzosen waren. + +. . . . . . Frauen kamen mit harten, glatten Beinen. Frauen, die sich +umarmten und dem Mann noch unergründliches versprachen. Frauen mit +Unterwerfungsgebärden. Frauen, die vorn am Dampfer standen. Frauen von +Sieg. Frauen von Windspielen umgeben. Frauen im Wagen durch die Steppe +gejagt. Frauen mit schimmernder Haut. Frauen, die ihr Gesicht sekündlich +wechselten. Frauen mit grausamen Beinen, mit Madonnenhänden. Frauen mit +tätowierten Armen. Frauen aus Syrakus. Frauen vom Sudan. Ätiopinnen, die +auf Vogelschreie horchten. Frauen aus Eisenbahnen hinausgelegt. Frauen, die +mit ihrem Körper den Erdball versprachen. Frauen, die wie Moos rochen, wie +Klee, wie Neckar, wie Fasane, wie Palermo, wie die Nordseebäder, wie +Borkum, Abwinkel, wie Teer, und Sonne und Sand, wie die Haut der +Vierzehnjährigen im Juli im Inselhotel des Bodensee. + +. . . . . . Es kamen Frauen, die Australien plötzlich auf den Handtellern +trugen. Frauen, in deren Augen tödliche Geschichten eingeschrieben standen. +Frauen, die zwei Meter über dem Netz den Tennisball im Sprung noch hielten. +Bobfahrerinnen, Träumerische vom Engadin, aus der Eifel. Frauen als +Tänzerinnen. Mit Flöten. Frauen, blumenhafte, Frauen, die ein Wort knickt, +Frauen wie Hyänen. Frauen mit Spitzenwolken, belgische Nutten, kleine gelbe +Katzen aus Chile. Pumas, nackte Räuberinnen, Frauen, die einen Fjord +überschwammen. Frauen, die Timbuktu plötzlich entfachten, die +Fidschiinseln, Honolulu malerisch zwischen den Brüsten wiegten. Frauen wie +Luchse, wie Kaninchen, wie Papageien. Pompejanische Jüdinnen, +Katalonierinnen, Frauen vom Roten Meer, von der indischen Bay, heiße Weiber +aus Syrien, antilopenschmale Berberfrauen. Frauen, die den Sternaufgang +über den Schären beschworen. Frauen, die Tod hießen oder Pensée. Erregte +mit verschlossenem Mund. Von Gibraltar. Von Bagomoio. Jungfrauen, von Löwen +antik gejagt. Blonde Maurinnen aus Saragossa. Prinzessinnen mit Pferden an +der Hand. Mimi Pinson, Ruth St. Denis, Aino Akté, die Hasselquist, die +Durieux. -- Isis und Huschnaia. Göttinnen in einem wundervoll vollendeten +griechischen Flug, mit überirdischen Lanzen und menschlichen Leibern. -- -- + +Das Fieber brach ab, wie es kam. Der Garten losch aus, der Zug war aus. In +das Dunkel stachen suchend zwei Laternen. + +Der Garten war leer. + +Sie umgingen torkelnd die Drähte, die mit einem Mal sie nicht mehr hemmten. + +Hinter ihnen hielt Shanvadys perlgrauer Wagen, der Chauffeur stand mit dem +Hut in der Hand am Schlag. Sie stiegen fluchend hinein. In einer großen +Schleife fuhren sie nach dem Schloß. Einmal hielt der Wagen. Da lag ihr +Boot am Fluß. + +Noch zweimal hielt er. + +Jedesmal kam aus der Landschaft ihr erster Dialog. »Chéri . . . mon ami.« +»Wie lange bist du da?« Pause. »Wie lange bleibst du da?« »Fragen Sie +Maman.« + +Dreimal warf entsetzt Juju die Arme um Harris Hals: »Mon ource . . . mon +rigolot . . . mon grand bébé.« Aber sie zitterte nur wegen dem Wort +»Maman«. + +Harri lag im Wagen. Er überlegte nicht, was an Geheimnissen die Nacht +füllte: Welche Frau Shanvady verstecke, welche Technik er zu solchem Bluff +ersonnen, wie er ihn gefangen, wie er ihn gereizt und düpiert. Er ahnte +nicht, wie weit der Kreis um ihn geschlungen, in dem er sich verwirrt. Er +spielte nur mit Jujus Hand, es war ihm gleich. + +Das Schloß war erleuchtet. Auf der Diele erwartete er Juju, die sich umzog, +auf der Treppe küßte er ihrer Mutter die Hand, die sofort hinter dem Fächer +mit ihm kokettierte, was Juju errötete. Im Billardsaal stand winkend +Shanvady. Er sah ihn zum erstenmal jetzt lächelnd. + +Sein Lächeln deutete, daß das Geheimnis, dem sie nachgepirscht nicht +entwirrt werden könne, und daß der Versuch es zu lösen, nur noch stärker an +es verstricke. + +Aber Harri stand kühl beiseite. Er fühlte, nicht beteiligt genug auch +hierbei, daß Shanvady den Reiz, der ihn unbewußt zu ihm geleitet seit jener +Nacht im luxemburgischen Garten, selbst zerreiße, indem er ihn darin zu +fangen suchte, und daß das Messen und Ringen, das Shanvady aufgestellt, +darum für diesen verloren war, nicht für ihn. Ein Sieger wider Willen hob +er die Augen. + +In dem Augenblick, wo Shanvady, der Seelenfänger, ihn unterjocht dachte, +weil er endlich seine Apathie in die Maschen eines unlösbaren Reizes in der +Falle glaubte, riß er den Zauber durch, den Shanvady auf ihn ausübte. + +Es gelüstete ihn nicht, das Geheimnis zu lösen. Er ließ es fahren +ungeöffnet. Es reizte ihn nicht mehr. + +Wie unter einer abgründischen Melodie trieb es weg wie alles wegtrieb, was +an ihm gezogen. Als Zuschauer floß ihm dieser Tag fort wie jeder andere +Tag, er vergaß ihn, vergaß die vorigen. Als sein Auge Shanvady traf, der +mit einer leisen Gebärde seine Überlegenheit hißte, erbleichte Shanvady +unter dieser unbeweglichen Kälte, die nichts rührte. Die Gebärde zerbrach +mitten im Schwung. + +Harri sah schon durch Shanvady hindurch, all der Plunder um ihn zerfiel. + +Es war grauenhaft, mit welcher Leichtigkeit er sich auch aus dieser +Atmosphäre löste. Sein Hirn war plötzlich nur eingestellt von dem Drang +wegzufahren, das erfüllte ihn mit einer wunderbaren Helligkeit, er kam sich +den Abend von solcher Leichtigkeit getragen vor, daß es ihm schien, er +vermöge die Erde auf den Spitzen der Finger zu halten. + +Als er aufwachte, sagte ein Brief Jujus, daß sie abgefahren, aus Eifersucht +auf Maman. Am Tag zauberte Shanvady noch einige spielerische Dinge, die +ihren Kreis um alle Anwesenden spannten. Anastasia war die Nacht +verschwunden. Mittags brachten die Weisheitsschüler ihre Kleider, +widerstrebend, an den Zipfeln, da die Georgesleute sich geweigert hatten, +die Jünglinge Holzers aber unter Weheruf den Ort geflohen seien, wo +Weiberkleider lagen. + +Da sie am Fluß lagen, bedeutete es Anastasias Tod. Eine Zeitlang plauderte +Holzer, dann stand er langsam auf, mit seinem gebräunten Schnurrbart wie +ein ägyptischer General, griff in den Mund, riß das Gebiß mit den vielen +Goldplomben heraus, zerschlug es am Boden, gurgelte nwao . . . uaiii. Sah +um sich, nichts als Jugend und ging an einem Stock hinaus ins Greisenalter, +gehässig, demütig, ein röchelndes Skelett. + +Mit einer zärtlichen Bewegung öffnete nunmehr Shanvady den Ring dieser +Katastrophe, in der er Schicksal gespielt, Anastasia nach Genf beordert, +die Maskerade zur Tragödie getürmt, mit heiterem Nachspiel, indem er den +Hausintendanten mit Halali nun und freiem Pirsch dem Weib nachschickte, in +seinem eigenen Wagen, von Tränen des Glücks überschwemmt und in +himbeerroter Livree. + +Es half Shanvady nichts, diese Kritzeleien. Am Abend fuhr Harri. Im Wagen +des vierzehnten Ludwig, karmoisin und golden, mit sechs Pferden, eine Krone +als Abschluß, Fackelträger, Reiter, vor ihm, hinter sich. Shanvady reizte +ihn mit nichts mehr. Vorbei. + +In Paris lernte er Blériot kennen. Der Meister hatte gerade den Kanal +überflogen, die Welt schien von Möglichkeiten um so tiefer ins Herz +bedroht, als die neuen Waffen noch phantastische Erweiterungen zuließen und +fast noch keine Pioniere hatten. Zweimal fuhr er mit Blériot als Passagier, +schon figurierte sein Bild neben dem Blériots im »Journal«, »Matin«, »Petit +Parisien«. Auf dem Marsfeld stellte des Meisters Handbewegung ihm Maud +Kordelin vor. + +Sie sah ihn nicht an. + +Als er zu Elie Abrahamowitsch nach Neuilly in den Hangar fuhr, sah er sie +wieder. Sie sah ihn wieder nicht. Er schob an ihr vorbei, an Balanceproben +vorüber, durch angekerbte Drähte, deren Wundstellen unter Flammen standen, +an deren Ende elektrische Hebel zogen und Uhren notierten, bei welchem +Druck sie rissen. Elie verbeugte sich etwas vor dem Passagier Blériots, auf +seinen Wunsch brachte Maud Kordelin ihn mit der Zeichnung zurück, um die +Konkurrenz zu ehren. + +Sie lag im Torpedospritzer, führte das Rad über dem Kopf zum Steuern, die +Luft schoß wie unter Wasser kräuselnd gegen das dicke Glas der +Schutzplatte. Als er ausstieg, schob sie den Wagen in eine Sprungkurve, +ohne ihn zu beachten. + +Am nächsten Morgen trat Harri bei Rippère ein, acht Wochen vor dem +Concours, einen Schal um den Hals. + +Vier Tage arbeitete er mit einem mechanischen Hammer in einem +Messingkessel. Der Hammer tat hundertfünfzig Schläge die Minute. Als die +Bänder genietet waren, hörte er nichts mehr, zwei Tage später war er +darüber weg, trainiert auf jedes Geräusch. Im Ausprobraum zwischen +fünfundzwanzig Motoren von pro Stück zweiundzwanzighundert Schlägen +Tourenzahl die Minute, kontrollierte er zwischen farbigen Gasen und +feurigen Säulen über den Ventilen die Auspuffung, den gleichmäßigen +Herzschlag der Eisenkuben. + +Um das Getös, das bald wie etwas Festes und Gefrorenes, fast greifbar, +dastand, rauschten die Thermosiffons der Wasserkühlung an den Wänden +herunter, erhitzten sich auf achtzig Grad in der gleichen Sekunde und +stiegen in langen Schwaden von selbst wieder auf. + +Er kam zu den Einfahrern der neuen Wagen. + +Mit den Stellwagen ohne Karosserie begaben sie sich in die Kilometer. Mit +Kupons, die im Midi, bei Brest, in Marseille testiert wurden, mit +Stechuhren, mit dem Befehl die Maschinen an der Rhone, in Calais, in +Tarascon zu zerlegen und zusammenzusetzen, schnitten sie mit Schußlinie +über die Chausseen. + +Eingedrückt wie Affen, mit der Scheibe der Steuerung spielend, lernten sie +das Verwachsen mit dem Material, beherrschten den Stahl mit dem Hirn, +liebten die Maschinen, wurden wieder geliebt. + +Sie rissen beim Überrunden einem Möbelwagen die eine Seite ab, aber sie +behielten den Auspuff genau im Ohr. Mit zitternden Flanken ließen sie die +Wagen wie Pferde auf der Weide, trafen sich in einem Weiler, einem Gehöft, +würfelten, tranken Absynthe, schlugen sich, machten ein Rennen unter sich. +Stanken nach Benzin wie die Ochsen, trugen gelbe Schuhe, englische Anzüge +unter den Leinenblusen, die Zigarette nie aus dem Mund. + +In der tollkühnsten Gefahr verloren sie nicht die Besinnung. Nur wenn sie +kühl waren, ging der Verstand ihnen in die Lappen. + +Drei Tage blieb Harri im Büro, zwei auf der Rennbahn, zwei bei der +Konstruktion. Auf der Eisenbahn, Compagnie de l'est, lernte die Verstopfung +der Gase, die Qualität der Kohle, der Öle und Benzine. + +Bei Renauld erlernte er die Systeme der Konkurrenz, bei Pairfax die aus +beiden gezogene Essenz. Nun hatte er den Radius abgelaufen, die Intimität +zum Gegenstand erreicht, den Querschnitt durch das Technische gelegt. + +Er beherrschte und liebte. + +Er war imstande, Sympathien vom Schwung eines Tenders, der Flanke einer +stählernen Blitzzuglokomotive, von der Melodie eines angeschirrten +Flugzeugs, das aus allen Seilen sang, zu spüren. + +In der vierten Woche trat er bei Blériot in den Hangar, der Schatten der +ingeniösen Nase und des Vogelkopfs mit der verkehrt gesetzten Mütze lag an +der Wand wie mit Dynamomäulern nach allen Seiten gerissen. Sechs Wochen +übte Harri mit ihm, bediente den Sturmvogel, dem keine Kühnheit nicht +kalkulierbar, kein Tod nicht ausmeßbar und zu überwinden war. + +Er liebte an dem Flieger das Unerschütterliche. Dieser gewöhnte sich bei +Harri an das Nichtmitreißbare. + +Gegenseitig liebten sie ihre Kühle und Distanz, die bei dem einen das +unentrinnbare Erlebnis des Todes geformt, bei dem anderen sein Durchmarsch +durch solch unvorstellbare Kurven der Kühnheit des Geistes und der Gefahr, +daß er die Welt nicht verachtete, sondern sie jenseits des Zynischen schon +wieder verstand. Sie empfanden, daß die nach außen gekehrte Reserve eines +jeden von ihnen kein Manko, sondern der gehärtete Widerhall einer feurigen +Seele sei. + +Harri lernte, daß die Welt als flache Scheibe zurückfiel, wenn er das +Steuerrad zurückriß, und wenn er dann nach hinten sich warf, daß blaue Luft +die Erde tiefer zurückstieß. Er fühlte das Grausen der Vertikalböen als +Musik im Blut. Die Verwindung, die vom Rad nach der Stange des äußersten +rechten Flügels lief, knirschte kurz und rollte. Die Klappe des rechten +Flügels stieg unter seinem Druck. + +Die Schnur lief langsam über den Kreis hinüber nach links, der linke Flügel +senkte sich ein wenig. Die Kreuzung der Schnur verschob sich rasch. + +Nun fühlte er das wunderbare Gefühl des Kreises, den die Libelle machte, +als befreite Bewegung seines Körpers, dann zischte der Renner in kurzen +Spiralen hoch in Blériots Hand. + +Er lehrte Harri das Neigen, den Fall nach vorn, der das Flugzeug senkte, +beim Seitensteuer die Gleichzeitigkeit der Fußbewegung und des +Flügelaufhebens. Er lehrte ihn den Mut der Sicherheit, nicht den der +Gefahr. + +Er bewies ihm die Klarheit in der Berechnung der Tatkraft, das +Überschießende der Sicherheit gegen die verderblichen Möglichkeiten. Er +führte auf Umwegen ihn jederzeit dahin, über das Ungefähre der technischen +Dinge und ihrer begrenzten Beherrschung die ausgerechnete wasserhelle +Sicherheit der Überlegenheit zu halten, der nichts gewachsen war. + +Sieben Tage vor dem Concours wechselte Harri hinüber zu Abrahamowitsch, der +ein neues Modell startete. + +Von Blériot erfolgte nichts, er rührte sich nicht. + +Einen Tag vor dem Concours nur zog er seinen Namen aus der Liste, zwei +seiner Schüler sprangen für ihn ein. + +Auf dem Marsfeld probte Harri zwischen Elie und Maud Kordelin auf dem +dreiteiligen Sitzbogen. Am sechsten Tag plombierten sie die Libelle, ließen +sie durch zwei der besten Monteure Tag und Nacht im Schuppen bewachen. + +In der Nacht gab Harri ein Fest, die Leute tanzten, steif und besessen zum +Takt von Motoren, jagten dann um zwölf, der Herren ledig, weg nach Neuilly. + +Mit einer raschen Bewegung sprang Maud Kordelin in den Wagen, reichte Harri +die Hand. Mit ihren schräg stehenden tatarischen Augen sah sie ihn zum +erstenmal grau an. + +Der Skandal der Buchmacher und Presse, denen Harris Wechsel der zum +erfolgreicheren Konkurrenten war, gab Elie eine erhöhte Reklame, aber sein +blasses und scharfes, auf dem übergroßen Körper immer umnebeltes Gesicht +bemerkte es nicht, nur ausgefüllt von den Kombinationen seiner Modelle. + +Was er vom Äußeren der Welt begriff, vermittelte ihm unbewußt sein +Instinkt. Was er erreichte, gab ihm sein Erfolg. Das Übrige des Daseins war +Arbeit, weiter nichts. Selbst das Weibliche erreichte ihn nur dort, wo das +Schöpferische begann, und mit der Kordelin Fanatismus traf sich nichts von +seinem Wesen in ihrem Haus am Bois, sondern begegnete sich Aufleuchtendes +nur, wenn seine Arbeit sie in das Atelier am Montparnasse hinaufriß. Ein +Leben daneben gab es ihm nicht. + +Bei der Prüfung des Reservemotors warf sich Elie mit einer kühnen Bewegung +auf den Apparat und blieb das Ohr an seinem Auspuff liegen. »Sie traitieren +die Maschinen wie andere die Frauen«, flüsterte Sauerwein vom »Matin« mit +frivol gesträubter Mouche. »Aber wir sehen die Frauen nicht wie Sie die +Maschinen«, sagte Elie. + +Der Motor ward eingebaut in einen Reserveapparat, die Photographen tickten. +Harri gab angeschnallt vor Mauds Kopf den Ruck nach der Signalflagge. + +»Ich bitte Sie wiederholt, kein Korsett zu tragen«, zischte Elie hinter +ihm, als er Maud anband. + +Das Gebrüll der anschiebenden Monteure hallte rhythmisch heraus, schon +schwebten sie auf Rue St. Honoré, die längste Straße Frankreichs. + +Sie befuhren Rue de Courcelles, da fiel Paris ein geöffneter Fächer ihnen +entgegen. Elysée, Rue de Courcelles, Rue de Washington, Rue de Berry, die +Place Vendôme. Sie fuhren Place Concorde, die Tuilerien, die Mairie des +achten Arrondissements, das Ministère de l'intérieur. Sie schwebten auf +einer sanften weißen Kaskade, den Champs Elysés. + +Sie fuhren Arc de Triomphe, fuhren das kochende Silber der Seine, fuhren +dunkelrot gebäumt Trocadéro. Fuhren Quai de Passy, Quai de Grenelles, Rue +Mozart, Porte Molitor, Avenue de Versailles. + +Sie fuhren zurück: Rue de Vaugirard, Boulevard Raspail, gläsern der +Monparnasse. Fuhren Boulevard Port Royal, Boulmich, Bullier, Jardin du +Luxembourg. Notre Dame, Boulevard St. Germain, Jardin des Plantes. + +Sie fuhren Halles Centrales, Quai du Louvre, Rue du Quatre Septembre, die +Börse, Gare de l'est. Fuhren Marcadet, Poissonnières, Porte du canal St. +Denis. Solang sie fuhren, spürte er Mauds Knie. + +Sie fühlten das Herz plötzlich in den Schläfen: das Meer. + +Sie jagten darauf zu. Ein Bienenhelm saß die Sonne auf der Fläche. Der +Rauch der Brandung verging in Mövenschwärmen. Wie eine Wolke hing das Meer +mit wilder Anmut zwischen den Kreidefelsen. + +Harri schaltete aus. In streichelnder Grazie berührten sich die zartesten +Wellenkämme mit dem Gleiten des Flugzeugs, dann stießen sie auf den Strand. + +Der Brandungsstreifen lief nach der Seezunge St. Valérie, mit vielen Booten +davor. Fischerknaben brachten Picknick. Im Anblick der Ruhe und des über +das Blau tief heraufsteigenden frühen Sommers bekam Maud Lust, die Tage der +Langweile und Ruhe vor dem Concours in die Normandie zu fahren. Elie +nickte, während die Fischerjungen anschlichen und ihr bunte Muscheln in den +Schoß warfen. + +Aber als Harri unter dem Glasdach Abrahamowitschs sie holen wollte, sagte +Elie ab. Die Ausbalancierung der Libelle mußte auf ein Fabriktelegramm hin +noch einmal durch einen Rechentrick laufen. + +Sie fuhren zu zweit allein, Maud nahm das Rad, sie fuhren direkt ans Meer, +erreichten es bei Le Tréport. Maud bog von der Landstraße ab und fuhr +direkt hinein, bis die Hinterräder in der Luft rotierten. Als sie die +Strümpfe auszog, stand sie gegen das Meer in Muskeln und Sehnen +geschmeidig, eine junge Athletin. Der Morgen jagte mit hellen dichten +Wolken. In Eu strahlte es schon . . . . . . Gamaches . . . . . . Dieppe. In +St. Valérie tranken sie Schokolade auf der Straße . . . . . . Fécamp +. . . . . . Montvillier . . . . . . Le Havre . . . . . . Harfleur. + +Die Seine wuchs ganz groß ins Meer. Über Deauville mit einem Tulpental nach +Caen. Sie ließ das Steuerrad nicht aus der Hand. Sie fuhren noch lang in +die Dämmerung, hörten den Meerschlag durch das Dunkel dann brechen. In +einem Dorf machten sie Halt mit einem übererhitzten Kühler, es ging nicht +mehr. + +Sie setzten den Apparat in Meerwasser, zogen sich für ein paar Stunden +zurück. Harri hörte nach einiger Zeit, aufs Bett ausgestreckt, die Matrosen +und Fischer unter dem Fenster. Sie grinsten, klopften sich den Bauch, ein +Kupferkopf stopfte einen Tabaksbeutel sich selbst ins Maul, zwischen den +Öllampen und Netzen humpelten fluchende Alte, breimäulig liefen sie nach +dem Meer. + +Als Harri ihnen folgte, sah er Maud aus dem silberüberschütteten Meer auf +den Sand kommen, mit einem tierisch hinreißenden, kaum unterbrochnen Weiß +der Haut und mit amazonenhafter Bewegtheit ihren Bademantel umwerfen. + +Er sicherte, ohne daß sie es sah, ihren Rückweg. Eine Stunde noch lag er in +der Hitze auf seinem Bett. Eine Holzwand trennte sie. Jedes Geräusch kam +durch die Fugen. Dann stand er auf, ging hinüber und klopfte. + +Einen Augenblick zögerte sie an der Tür. Dann öffnete sie. + +»Sind Sie sehr müde?«, sagte er ruhig. + +Sie lächelte. + +»Fahren wir weiter.« + +Sie nahm die Mäntel und Decken: + +»Gut.« + +Mit Pfeifen und Gläsern voll Cidre torkelten die breitbärtigen Fischer im +Hof, die roten Boutons ihrer Mützen schwankten. Sie rissen die Mäuler auf, +rollten die Augen. Zum Schreien waren sie zu sehr betrunken. Sie hatten +einen schwerhörigen Kapitän in der Mitte, der sich bemühte, die Fäuste +unterm Kinn, sie zu verstehn und laut lachte, wenn sie nichts sagten. Er +hatte nicht begriffen, warum sie so erregt waren, aber er verstand, daß sie +besoffen waren und gröhlte am lautesten, als ob er es wüßte, warum. + +Das Auto gab ihm bei der Ausfahrt einen Rand, daß er hinschlug, mitten in +das Geheul der anderen, die schon selbst beim Anblick der Abfahrenden +vergessen hatten vor Schnaps, warum sie verrückt auf die Bäuche sich +schlugen. + +Mit einer silbernen Fahrspur kam ihnen über der Chaussee der Mond +aufgezogen. Sie fuhren zwei Waldwege, fuhren einmal dicht am Meer, fuhren +durch Nebelwiesen, bissen mit vier Laternen Gespenstiges in das Gewoge. + +Als sie wieder frei sahen, schob Harri ihre Hand mit einer +selbstverständlichen Bewegung vom Steuerrad. + +_Er_ fuhr. + +Sie hinderte ihn nicht. Die Küsten fielen in großen Erkühnungen in den +Kanal. Der Vergaserhahn rotierte in seiner Hand. Er fuhr, daß Maud an den +Kurven sich hielt, um nicht hinauszufliegen. Fast träumerisch lagen ihre +Augen, ihre Glieder entspannten sich in einer weichen Gegebenheit, ihre +Blick suchte das Steuer immer, das er führte, suchte den Mond, der +lilienweiß im Tag noch stand, ging die Normandieküste nach Süden hinunter +und fiel wieder auf seine Hand. Sie ließ Grandville . . . . Abranche +vorübergleiten, den elastischen Halbkreis um die Bucht St. Michel. Als +Harri hielt, lag in Orangesonne der Hafen St. Malos unter ihnen. + +Hier endete ihre vorgeschlagene Tour. + +Ihre Lider trugen eine Weichheit, die von der Bai heraufkam und der sie +sich hingab, als kennte sie das nicht. + +»Sie hätten mich lieben sollen«, sagte Harri. + +»Zu spät.« + +Sie wandte sich um. Er hörte nicht auf sie zu küssen. + +Sie jauchzte in jede Umarmung hinein mit einer Kraft, die eine +Verhaltenheit aufriß und in ihr ergoß. Glühend an seiner Seite fuhr sie +zurück. + +Am Tor des Hangars in Neuilly stand Elie. Sie sprangen beide aus dem Wagen. +Die Männer musterten sich einen Augenblick, Elies Pupillen waren sehr weit +geworden: »Die Konferenz hat eine andere Balanceberechnung ergeben. Sie +scheiden aus. Isaac fährt« + +Beide sahen auf Maud. + +Einen Augenblick schwankte sie, ob sie sich hinüberwerfen solle zu dem, der +sie in ein kaum geöffnetes Leben riß, aber als nichts von diesem her +erfolgte, der kühl und aufmerksam beobachtend dastand, wandte sie sich zu +Elie, dem ihr Fanatismus und die Arbeit sich entgegenwandte, und das +Mitleid, daß seine große Kraft einen Augenblick lang zur Entscheidung voll +in ihren Händen lag. + +Beim Start am andern Morgen weigerte sich Elie zu fahren, reagierte auf +keinen Aufruf und blieb nachlässig bei seiner Libelle. Das Publikum +bedrohte die Startrichter aus Angst, daß Intriguen gegen seinen Favorit +dahinter seien. Es war schon gereizt, weil Blériot am Morgen die weiße +Fahne über sein Zelt hatte hissen lassen. + +Die Tribünen schimpften auf Blériot, der, wenn er fuhr, Gott war jederzeit. +Sie warfen mit Tomaten und Äpfeln nach seinem Zelt, nannten ihn Ölsardine, +Lapin, Birnensteiß. + +Als Elie nicht kam, sondern stehn blieb, drückten sie über die Barrieren +und winkten ihm mit Tüchern zu. Beim zweiten Aufruf, als Elie stehn blieb, +als höre er nicht, tobten sie bereits, riefen seinen Namen. Ein Kurier lief +zu Elie hinüber, der sagen ließ, er fliege nur, wenn der Akzent seines +Namens beim Aufruf richtig eine Silbe nach hinten gelegt werde. Es gab eine +Riesenovation, Harri sah dahinter, daß Elie nervös war. + +Kurz darauf stürzten zwei Flugzeuge ab, eines durch eine Vertikalbö, die es +umwendete, das andere, indem es in luftleere Trichter absackte wie ein +Stein. Die Stafette kam von dem kleinen Wald. + +Nichts sei tot, schrie es noch, als Elie aufstieg. + +Zweihundert Meter nahm der Flugrenner gurgelnd vor Wonne in unverständlich +schmalen Kreisen, dann schoß eine Querflamme durch den Apparat, fraß die +Flügel weg, sausend kam die Libelle vor dem seidigen Himmel herunter. Als +sie aufschlug, schrien die Monteure, die Frauen hielten die Augen zu. + +Die Stadtsergeanten sperrten den Hügel ab. + +Isaac brachten sie tot. Elie schlug unter der Schläfenmassage die Augen +auf. Nach kurzem Besinnen frug er: + +»Mein Bruder?« + +Alle schwiegen. + +Er senkte den Kopf. Strecken konnte er sich nicht mehr, der Oberschenkel, +der zerbrochen war, spießte ihm durch die Kleider, die eine Wange fehlte. + +Er wurde ganz bleich: + +»Die Fürstin?«, frug er seltsamerweise. + +Er wagte es kaum, als man ihn nicht verstand, zu sagen: + +»Maud.« + +Man sagte ihm, der Sturz hatte ihr nichts getan, aber die Korsettstäbe +hatten die Lunge durchbohrt. »Frauen bleiben Frauen«, sagte Elie noch, eh +er sich umlegte und zu atmen aufhörte. + +Als Harri aufsah, trat Blériot auf ihn zu. »Sie haben mich umsonst +verlassen. Immerhin haben Sie sich den Tod am Schluß geschenkt.« + +Harri sah ihn an: »Hätte ich ihn bei Ihnen vermieden?« + +»Sie hätten ihn vermieden«, sagte Blériot unerschütterlich, »aber Sie waren +nicht konsequent.« Er zürnte ihm nicht, begriff ihn, sprach sein klares +schneidendes Urteil über die Dinge, womit er sie überwand. + +Da kam ein Auto angefahren, am Kühler stand Shanvady, das Gesicht bedeckt. + +Seine Zähne zuckten in der Lippe. Der Wagen fuhr an den Sprunghügel heran. +Im selben Augenblick wurden die Leichen angetragen. + +Shanvady sprang vom Wagen herunter, an die Bahre Mauds, zog das Tuch +zurück, neigte sich ein wenig, warf es wieder darauf. Ihr Kopf war nicht +entstellt, die Augen geschlossen, schräg und energisch über den Leib +gelegt. Er machte einen Schritt: »In meinen Wagen.« Sie ward +hineingebettet. + +Ein Kommissär erbat seine Legitimierung. Da sagte Shanvady plötzlich mit +einer furchtbaren Blässe: »Meine Frau« und zog den Hut. + +Harri trat an den Wagen und legte die Füße Mauds, die heraussahen, unter +die Decke. »Ich wünsche Ihre Spur nicht wieder zu sehen«, sagte er in +großer Erregung zu Shanvady. Alle hatten die Hüte gezogen. Shanvady stieß +einen rauhen Ruf aus, sah nicht um, als er im Wagen mit der Leiche +davonjagte. + +Mittags mietete Harri das Atelier der Abrahamowitsch, Montparnasse, Ecke +des Boulevard, im sechsten Stock. Die Glaskuppe des Hauses füllte sich +morgens mit Sonne wie mit einem freundlichen Gas. Abends schwamm sie in die +heitere Dämmerung. + +Doch auch der Tod vermochte ihn, der ihn so abgründig erlebt hatte, nicht +hineinzuzwingen in seinen Kreis. Er war nicht gebunden nachträglich an ein +Ding, das er begehrt, aber um das er nicht einmal gekämpft hatte. Er +überwand mit der gleichen Sicherheit. Die Erinnerung trieb immer tiefer und +verblassender in den Hintergrund des Todes hinein, der sie aufnahm in jene +majestätische und entfernte Haltung, an der Harri ablas Wert und Gültigkeit +der Dinge. Es entfernte, verallgemeinerte sich, kam nicht auf ihn zu, +sondern trieb mit den dunklen Melodien unter ihm weg, die ihm jene +Leichtigkeit und Verantwortungslosigkeit gaben, die ihn zu fast +erschreckendem Hochmut erhoben. + +Er hielt diesen Vorgang in sich nicht aus. Am ersten Tag ließ er die bunten +Vorhänge durch die Luken über seinem Kopf hinaus, flaggte das Atelier mit +gelben, roten, blauen Segeln. Am zweiten Tag fuhr er nach Meudon. Als ihn +am dritten vorm Bankschalter ein Hund in die Hand biß, daß er vor +Zähnezusammenbeißen ohnmächtig wurde, sah er aufatmend in Mädchenaugen, +hörte eine Stimme begütigend: »Léon.« + +Das Gebiß des völlig erstarrten Hundes aber war eingeschraubt um die Hand. +Er hielt den Schmerz nur durch, gelähmt und bezaubert durch die Stimme, +während man telephonierte. Mit einer tobenden Schelle vorn gings über den +Boulevard ins Spital St. Lusac. + +Ein seidenschnurrbärtiger Arzt beugte sich über ihn mit einer Phiole: +»Wollen Sie, daß der Hund lebt?« + +»Hätte ich ihn sonst nicht getötet?« + +»Es dauert fünf Minuten länger.« + +»Wie heißen Sie?«, frug er das Mädchen. + +»Aira Belmont«. + +Er wurde ohnmächtig. Aus dem Institut Pasteur erfuhr er direkt, daß keine +Tollwutgefahr sei. Aira Belmont kam ihn zu sehen, vor Trotz und Scham +wortlos. Sie überging seine Verwundung. Sie dankte, daß der Hund lebe. + +Sein Lachen verwirrte sie nicht, sie sah geradeaus und fiel nicht aus der +Haltung der holländischen Dame, die mutig und in aller Jungfräulichkeit von +Java aus Europa bereiste und ihre Gesellschafterin davongejagt hatte, um +unnahbar zu sein. Als, von der schreienden Concièrge verfolgt, der Hund +bellend hereinstürzte, verlor sie diese Geste, machte eine hülflose +Bewegung und jagte ihn mit einer entsetzlichen Ohrfeige hinaus. Lachend +drehte sie sich um. Entgeistert sah sie das Glasdach geflaggt. + +Die Wärme ihres dunkel zitternden Organs zog ihn an. Die weltunwissende +Sicherheit des schlanken Körpers, dessen sachliche Eleganz nach Wiesen und +Klarheit duftete, und dessen junger Spannung gegenüber die Welt unerprobt +und voll phantastischer Neuheit lag, machte ihn zu ihrem Führer. + +Er leitete sie den Rand der harmlosen Entzückungen vorsichtig entlang. +Durch ihn sah sie Paris in idyllischem Format. Er brachte sie zu Rufen der +Freude über die siebenundfünfzig Fruchtläden um Notre Dame de la Lorette. + +An seinem Arm besuchte sie Kirmisse außerhalb der Stadtwälle und bog +zwischen Lampions und dem Schwung illuminierter Schiffschaukeln den Buden +nicht aus, wo sie nach Pfeifen aus Ton und fliegenden Bällen schossen. + +Er lehrte sie den Zauber der Imperiale, wo Meister Levage neben ihnen +murmelte, wenn sich der Omnibus durch dunkle Straßen bewegte, und seinen +Gäulen sein von der Angst der Autobusse, deren Einführung bevorstand, +umwölktes Alter erzählte und wie seit vierzig Jahren die empfindlichen +Stellen der Pferdehälse mit der Peitsche tuschte. + +Schon blieb sie selbst stehen und durchbrach ihre Herkunft, als an den +Straßenecken die Roulettetische aufgeschlagen wurden, und Harri trug das +Glas mit Goldfischen, das sie gewann, auf einem Karussell und dann auf der +Bootfahrt im Bois, wo sie die Tiere befreiten unter den mispelfliegenden +Pappeln. + +Er führte sie wieder in das Gewühl der Seinedampfer und brachte sie hinaus +an die Grenze, wo Wiesen und Wind aus Büschen der Stadt entgegenkam. + +Aus Blumen, Bäumen, Wellen formte sich dann etwas in sie hinein von +seltsamer Kraft. + +Etwas trat plötzlich in ihr Blut, das sie stark machte gegen ihn, ja ihn +manchmal dunkel bedrohte. Staunend sah er, wies das, was er an sie +heranbrachte, sich irgendwie gegen ihn verstärkt zurückwandte und ihn einem +Zustand zuleitete, der ein tiefes Aufmerken und ein Anschlag in seinem +inneren Hören war. + +Ganz anders war Fontainebleau mit ihr, in neuer nie gesehener Landschaft +sproßte St. Germain. Ihre Blicke hatten etwas Unverborgenes selbst für ihre +eigenen Geheimnisse. Aber selbst ihre lässige schlanke Müdigkeit lehnte +sich mit einer wilden Kraft, die ihr von Margueriten und Rosen und der +Abendluft zuströmte, über ihn. + +Als sie seine Geliebte ward, blutrot verschämt, mit dem Gedanken an ihre +verstorbenen Eltern, wie sie gestand, und voll von einem sanften Entsetzen, +war ihre Hingabe dennoch von so hemmungsloser Kraft, daß sie ihn mehr besaß +als er sie. + +Morgens fuhren sie nach Versailles. + +Als er am Ende aller Stufen im Gras am See, der die Terrassen auffing, auf +sie wartete, stand sie noch oben unter den hohen Schloßfenstern und wartete +auf den Wildentenpfiff. + +Dann kam sie. + +Da fühlte er eine Veränderung schon, wie die erste Terrasse sie aufnahm und +er begriff, wie das in sein Leben hineinfaßte und es bestimmte. + +Er sah, wie alles sich plötzlich auf sie hinwandte, wie alle Menschen aus +den Taxushecken, den besonnten Bosketts, den geschlungnen Beeten die Augen +nach ihr hoben, wie die Natur fast in einer aussetzenden Sekunde sich ihr +anschloß, See, Wiese und Guirlanden hineinströmten in diese abendliche +Bewegung. + +Die Marmorstufen, die rot und weiß unter ihren Schuhen sich streckten, +dröhnten leisselig die Minuten, die sie herabkam, von Treppenfall zu +Treppenfall gleich von sanft strömenden Kaskaden heruntergegeben. Es +schien, als treibe alles ihr nach in dieses Gleiten. + +Und ebenso, wie sie den von den quecksilbernen tiefen Schloßfenstern +abgeblendeten roten Himmel mit sich herabzog, schloß sich an allen +Stationen des Herabgangs das Vorhandene an sie an. + +Die Delphine und Tritonen liehen ihr das Ängstliche ihrer kühnen +Bewegungen. Diana drängte nach ihr den Busen. Die Königin der Frösche +wandte die glühende Achsel herüber. Der Flötenbläser sah zitternd in +stummer Betäubung zu ihr hinüber. Der rötliche Marmor Apolls selbst und die +bronzenen wilden Tiere erregten sich in einer fiebrigen Minute und +beruhigten sich wieder. Die Orangenbäume neigten in dem Vogelschweigen sich +in eine flüsternde Brise. + +Schmerzlich und verlassen standen die Göttinnen der unteren Terrassen und +wandten sich hinter ihr in das Dunkel der Laube. + +Und nun begannen in ihrem Rücken die großen Wasserspiele aufzugehen und +sich tief in den Himmel zu drehen. Die Sonne hatte sich auf dem Teich +niedergelassen und schloß mit den schaumigen Köpfen der tanzenden Fontänen +oben zwischen zwei Vorhängen sie ab von der Welt. + +Erschüttert frug er: »Wo ist Léon?« + +Sie machte eine verhüllte Bewegung. + +»Warum?« + +»Weil ich dich liebte.« + +»Tatest du es selbst?« + +»Gestern abend. Ja.« + +Sichere Konturen bekam, was sie besah. Stetigkeit hatte ihr Ausruhn, ihr +Spaziergang, ihre Liebkosung. Sie gliederte den Tag, die Leidenschaft, die +Ruhe mit einer bewegenden Anmut. Die Gegenstände empfingen von ihr Würde +und Haltung. Sie beherrschte einfach, was ihr entgegentrat, ohne es zu +wollen und auch das, was sie nicht begriff, mit der Ungebrochenheit ihres +Wesens. + +Saftigeres schälte sich ihnen nun heraus aus den Museen: Holbein, Ostade, +Bosch, Grünewald, Brueghel, Mäleskirchner. Da flossen Speisen überall, +knackte das Leben mit Orangkiefern sich auf, ward nach Gott explodiert, und +in Lehm und Spelunke, in Fisch, Frucht, Fleisch, Prasserei noch ein Haben +gefordert und endlich nackte Sicherheit gelassen vor das Schicksal +gestellt. + +Airas einfache Einstellung wußte jedes Urteil im Traum. Doch hielt sie auch +Oxygénée, was ein Purgier ist, für einen Vornamen. Unfaßbar, aber auch +nicht zu umspannen, stand sie an den Fenstern, die auf Paris hinabsahen, +das irgendwo in einem apfelgrünen Himmel jäh ertrank. + +Sie ging hinaus, als Petrovas Karte hereinkam, elegant der Mann hinterher. +»Ah?« frug Harri. Petrova nahm einen Liqueur: »Sie sehen keine Veränderung. +Entweder kein Sou oder zwanzigtausend Francs in der Tasche hielt ich stets +als Prinzip.« Harri lachte: »Sie waren nicht so bestimmt«. Petrova lächelte +mit dem Mundwinkel: »Das ist der Vorteil des Besitzes. Für einen +Hungerleider ziemte die unbestimmte, abenteuerlichere Haltung.« Allein +seine Sicherheit war nicht so groß wie sein Auftreten. Er deponierte bei +Harri fünfzigtausend Francs. + +Ihn bangte immer vor dem Schicksal und er legte Reserven, aber sein Glaube +an Menschen war unbedingter wie an das Starre der Institutionen, er +vermied, abergläubisch, den Tresor der Banken wie Pest. + +Mit einer älteren Dame, die im Auto ihn erwartete, entschwand er über den +Boulevard Port Royal aus dem Gesichtskreis. + +Die Hitze fiel ein in Paris. + +Auf den Boulevards kamen nachts Ratten herauf, fraßen die Absynthsäufer an. +Manche ohne Ohren, mit halben Nasen wurden in die Spitäler gerollt. + +Die Seine fauchte wie ein fauler Fisch schillernde Gase aus. Das Viertel +der Großen Hallen stand eine geöffnete Kloake und stürzte Wolken Gestank in +den Himmel. Fein, kaum merkbar fror das Arom der zärtlichen Champs Elysés +zwischen den auf ihren Bänken geräuschlos Winterspeck ausschwitzenden +Rentnern und der erstarrten Verzauberung der sandigen Bäume. Selbst die +Militärmusik der öffentlichen Gärten klapperte nur verzweifelt mit gelben +Flügeln und schleifte doch nie die Töne bis an die erfrischendere +Trommelfülle der Fontänen. + +Sie packten. + +Harri öffnete die Luken, ließ die Windsegel hinaus. Die Kuppel strahlte von +Glas mit feuriger Steigerung. Die Straße unten lag noch voll Schatten. + +Vom Auto, das sie rasch den Boulmich hinunter entführte, sahen sie zurück. +Mit blauen, gelben, roten Ballonen und Segeln gehißt, vom Morgenwind immer +wieder festlich gefüllt, schwamm die Kuppel ihnen weg in die Sonne. + +Sie fuhren nach Holland. + +Schon führte nicht mehr er, schon war in ihrer Heimat sie von keiner +Überlegenheit. Mit gleichen Augen bereits sahen von Nordereiland sie +Rotterdams Hafen, spürten die Viehherden über riesige Drehbrücken in dies +Loch Europas strömen, fühlten die Vorstädte mit Reis, Tabak und Tee sich +füllen wie eine gleichmäßige große Bewegung. + +Mit gleich empfundener Melodie wie auf einer Spieluhr spulte vor ihnen in +s'Gravenhaage im Hotel des Indes das Speisen und Sichbewegen der +bevorzugten Sippen bei Flöten- und Geigenorchester sich ab, fiel abends die +Gegengebärde der saftigen derben Leiber a Spuistraat dröhnend in dieselbe +Kadenz. + +Fiel allabendlich in Amsterdam ein andres Weib in die ölgefleckte Gracht, +zog die Bluse kreischend aus und schüttelte den mächtigen Busen, so trugen +sie mit dem gleichen Lächeln den Vorgang sich zu, ebenso wie wenn vor ihrem +Blick hinter Zorgvliets Parks die Welt in Scheweningen mit Badeeifer den +Strand erhellte. + +Sie fiel auf durch die schlanke Lässigkeit ihrer selbst im geringsten +rassigen Bewegung, er hatte selbst unter Amerikanern noch die beste Figur. + +Der Abend ging vor ihnen von der Seeterrasse zurück und die Lichter der +Seebrücke begleiteten ihn noch eine Weile, bis Gesang aus den Pinken +aufscholl und mit glitzernden Fischnetzen der Lärm in den Hafen zurückkam. +Sie sahen es abebbend mit der Ruhe, vollsaugend sich mit Leben, immer im +gleichen Puls. Sie gewöhnten sich so aneinander, daß sie das gleiche schon +empfanden, eh es in ihren Gesichtskreis trat. + +Erotische Landschaft spürten sie, wenn sie die Dampfer und Fregatten +meilenweit Spalier stehn sahen. Lust auf Kanälen zu fahren machte es ihnen +bereits, übernachteten sie auf Mühlen, duschte der Gastherr sich nackt +morgens im Garten. Wie unter Stichworten tröstete über dem Gestank des +Judenviertels sie der goldene Staub. + +Hinter dem Prinsenhof an der Oute Delft gingen sie sogleich wortlos rasch +in die Wiesen, wo aus den Lindenkanälen und fetten Gräsern bis unter den +letzten erzitternden Horizont die Glocken schlugen. Da stand Aira wieder +mitten in der Frische, von jedem Erdstück, jedem Glockenschwung, die sie +berührten, neu und anders gerichtet. Nichts gab es an Wolke, Blau und +Büschen, das sich nicht auf sie richtete und seinen Reiz neidlos für sie +hingab. + +Aber so nah war sie dem Geheimnis ihrer Natur, die sie nicht kannte, daß +sie gewissermaßen zurück in Herz und Kern der Dinge einfiel und wieder +schlank und sehnig sich aus ihnen spannte. Stand sie zwischen Kühen, die +von weither zu ihr liefen, war etwas von ihrer wilden Anmut in den Weichen +der Tiere, aber die Sanftmut der ruhenden Tiere hatte in ihren Blicken +ebenfalls Sitz. + +Am Abend verließ sie ihn für wenige Tage. Sie kam zurück damit, daß sie, +ihr Vermögen zu regulieren, nach Java fuhr. Er lachte, als sie die Absicht +aussprach, daß sie, deren ganze Verwandtschaft dort unten wohnte, allein +führe. Er plänkelte eine Weile, aber wie ihr verschleierter Blick ihn +warnte, mit Zwingen dahin vorzustoßen, wo in ihren Hintergründen der +Entschluß sich festgesetzt, ließ er die Sache fallen, wie alles, was sich +ihm entzog. + +Obwohl ihn alles an ihr reizte, so lange ihre Herzen auf einem Akkord +hinliefen, überfiel ihn Müdigkeit in dem Augenblick, wo er verfolgen +sollte, was ihn floh, und selbst für diese Frau schien Kampf im Augenblick +ihm noch zuviel. + +Sie setzten einen Termin, sprachen nicht mehr darüber, gaben sich Stunde +und Tag und sich selbst aufatmend einander wieder wie vorher. + +Eine Woche lebten sie in zwei Dörfern, die eine Düne trennte. Auf dem Kamm +trafen sie sich morgens. Der Dünenfuß war mit Makrelen besät, +Vogelgezwitscher und Kuhgebrumm stand dahinter. + +In einem Ewer fuhren sie dann in die schwerrollende See der Morgendünung. +Mittags booteten sie aus, bestiegen eine Eisenbahn, fuhren in einem kleinen +Wagen, bis sie sich zwischen den Dünen kaum mehr auskannten. Dann schlossen +sie eine Lagerhütte auf, rollten ein Boot ins Wasser, ruderten mit langen +Schlägen auf eine kleine Insel und zogen in das einzige Haus. + +Eine Woche bremste weißköpfig das Meer die Welt ab. In der letzten Nacht +brach der gewittergeäderte Himmel unter einem pausenlosen Schlag. Harri +erwachte. Aira war nicht da. Das Haus war leer. Atemlos stürzte er in den +Garten. Da kam sie, umwölkt von dem Bodenduft, geschmeidig in der Haut, das +Hemd voll Blattzeug, auf den schlanken Hüften aus der mattschimmernden +Nacht, wie ein Stück dampfende Erde in seinen Arm. + +Mittags kam ein Motor langsam um die Ecke und holte die Koffer. Abends +sahen sie durch die Rosenhänge der Veranda die Lichter des wartenden Autos +an der Küste. Sie schwammen hinüber, damit sie das Meer noch einmal koste, +das ihnen solange gemeinsam war. Im Schuppen zog sie sich um, küßte ihn. +Auf dem Strand der Insel drüben hörte er noch das Verrauschen des Autos am +Horizont. + +Er gab sich der Ruhe hin, den Fischen, dem Mond, den Wellen, aber er hatte +zu geringes Maß Vertrauens auf sich gesetzt, als er seinen Elan nicht +stählte, um sie zu kämpfen. + +Denn als sie fehlte, verdreifachte sich ihre Kraft, und aus jeder Schnecke, +jeder Muschel, jeder Welle, jedem Segel nahm sie Form an. + +Ja selbst aus Dingen, zu denen er sich rettete, die ihn zerstreuten, aus +Fischen, aus Mond, aus Wellen trat sie heraus. Sie kam aus dem Weiß des +aufgeschlagenen Bettes, sie trat in den Schlaf, in den Traum, sie bezwang +ihn mit jedem Gegenstand, den er berührte. + +In alles, was in Zusammenhang stand mit ihrem Wesen, war sie unverlierbar +gekettet, im Läuten des unsichtbaren Viehs hinter den Dünen klang ihre +Stimme, an den Lämmerwolken des Abends ruhte ihr Auge, im Flüstern des +Schilfs war ihre Stimme. + +Aber sie hatten sich so sehr vertauscht, daß nicht die Dinge nur, die sie +berührt, sie ihm zurückbrachten jede Sekunde, sie war so eingegangen in +seine eigene Figur, daß der Klang seiner Stimme, das Schaukeln seines +Schattens, daß selbst das Zittern seiner Hände nichts war als ihr Ausdruck, +ihre Stimme, ihre Anmut, und daß er, wenn es ihn überfiel vor Sehnsucht, +sich fühlte, als sei in ihn ihr Wesen eingezogen, und als sei sie wiederum +auch er. + +Am Strand, die Augen geschlossen, ertrug er den Schmerz nicht länger: seine +Heimat war von ihm gegangen. Dies Gefühl blieb. Alles andere hatte sich +ganz aus ihm gelöst. + +Das spannte ihn wie ein Fell, auf dem es dröhnte, als er sich zerstreute, +zwischen Städten, Menschen, Schiffen nichts sah als sie. + +Da fühlte er, daß er es nicht ertrüge ohne sie, er beschloß ihr zu folgen, +aber er war so sanft geworden, daß er schon anfing ihre Gedanken nicht nur +zu denken sondern zu leben, und damit er sie nicht störe, von niemand +gesehen werde und ihr nicht schade und sei es nur in ihrer ängstlichen +Einbildung, nahm er, nur im Drang ihr nah zu sein, Zwischendeck. + +Sigfrid Brown, Makler, geboren Odessa, überschiffte er das Meer. Zum ersten +September legten sie in Samarang an. In der Dämmerung kam Aira Belmont mit +ihren Brüdern in einer Barkasse herüber und ging über das Deck in die +Kajüte. Er sprach sie nicht an. + +Als sie zurückkam, stand er am Reeling in der Dunkelheit, die Barkasse +legte wieder an. Aber während sie die Treppe hinabstieg, stiegen ihm die +Tränen in die Augen vor besinnungslosem Schmerz. + +_Im selben Augenblick aber brach der Ring, mit dem der Tod sein Leben +eingekreist_ und ihm sein irrsinniges Erlebnisgrauen neben die nun +spielerischen Dinge stellte. + +Aus dem Schmerz kommt eine wundervolle Klarheit in ihn gezogen, und während +das Liebste seines Lebens verschwindet, erglüht seine Seele zum erstenmal +voll Rausch. Und wie die geheimnisvolle Verbundenheit sich öffnet, mit der +sein Dasein dem Tod verschuldet war, tritt er heraus aus der Rolle des +Zuschauers in den heißen Kreis des Daseins, der schmerzt. + +Sie fuhren nach Ceylon weiter. In dieser Zeit wandte er sich mit +Aufmerksamkeit an die Umgebung. Zwischen Matratzen und Läusen entging ihm +nichts. Bei einem Boxkampf zerschlug einer einem Steward die Nase. Die +Nigger walkten ihn, bis er schwoll. + +Die Stickluft machte ihm eine Entzündung. Nachts brachen sie, wuschen die +Windeln, die Kinder schrien. Ein Ire, stiernackig und groß, fiel auf die +Knie und betete. Es entging ihm nichts. + +Am letzten Tag starb einer an Tuberkulose. »Ausgespien«, schrie sein +Nachfolger in der Matte. Sie schmissen ihn, in einem Sack, mit einer +Kanonenkugel ins Wasser. Oben schossen sie. Unten sang man: + + »Uns rettet nie ein höhres Wesen, + Kein Gott, kein König, kein Tribun, + Uns von dem Elend zu erlösen + Vermag nur unser eignes Tun.« + + +In der letzten Nacht ohrfeigte der Kapitän einen galizischen Rabbi, weil er +öffentlich die Gebetszeremonie machte. + +Als Harri frug, warum er sich nicht empöre, gab er keine Antwort. Vor der +Landung riß er, nachdem er ihn in eine Ecke lockte, Bart und Haar herunter, +er sah Shanvady. Er suchte ihn zu überreden, mit ihm auszuschiffen, seine +Rolle in Europa hatte er hinter sich geworfen. Harri weigerte sich. + +»Sie waren in Ihrer Unbeweglichkeit mein reizvollstes Experiment da +drüben«, sagte giftig Shanvady am Schluß, »was habe ich Ihnen nicht +entgegengeführt? Dies Land ist pleite drüben, denn selbst Sie vermochte ich +nicht zu fesseln, obgleich gerade Ihre Kühle mich reizte, Ihnen alle +Raffinements entgegenzustellen.« Er ging allein von Bord. In der Nacht +starb ein junger Mann über Harri. Harri entschloß sich, zurückzufahren, die +gleiche Tour. + +Nichts trennte ihn mehr von den Kameraden, mit denen er fuhr. Der Strick +war durchgehauen, der ihn hin und her schwanken ließ zwischen den Schichten +mit dem Augenblick, in dem er Aira Belmont gehen ließ und sich darüber so +verändert fand. + +Aus der Entsagung kam ihm eine wilde stete Kraft, die ihn weit über sich +selbst hinaus brachte an die Dinge und Menschen heran, die er früher nur +sah wie Gespenster, und an die er jetzt mit einer zähen Teilnahme sich +geworfen fand. + +Er entschied sich gar nicht, die Sache war völlig klar. Mit Shanvady schied +der Vertreter, glänzend und repräsentativ einer Klasse, die nicht mehr +baute, nicht voran kam, nicht mehr stieg, sondern mit genialen Späßen das +Angesammelte der Jahrhunderte noch einmal mischte und mit Stöcken umdrehte, +bis sie, der Witze müde, floh. + +Ihn aber gelüstete es ganz und neu, arbeitsam, gesichert, in das Verlassene +zurück. + +Noch einmal legten sie in Samarang an. Die Barkasse fuhr herüber mit Aira +Belmont. Sie stieg an Deck mit ihren Brüdern. Die Mütze über das Gesicht +gezogen mußte er es am Reeling noch einmal sehen und ertrug es. + +Währenddem trugen sie eine Frau an ihm vorbei ins Lazarett. Als sie ihn +sah, schrie sie »Harion«. + +Er folgte der durch und durch Verfaulten und erfuhr noch, ehe sie in der +Nacht starb, aus den Papieren, daß es seine Mutter war. + +Die Matrosen bliesen ein Hornsignal, das Schiff wendete. Harri sah zurück, +wo die Barkasse landete, sah Tage, Jahre vor sich voll Bitterkeit und ohne +diese Heimat, aber senkte nicht den Kopf. Durch die Strahlenbrechung des +Lichts, die die Küste weit über den Horizont hob, stob ihm durch das Segel +in der Dämmerung das Rot Schatten wie eine unsterbliche Bestimmung um seine +Schläfen. + + + +***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK FRAUEN*** + + +******* This file should be named 35085-8.txt or 35085-8.zip ******* + + +This and all associated files of various formats will be found in: +http://www.gutenberg.org/dirs/3/5/0/8/35085 + + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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It exists +because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from +people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. +To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation +and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 +and the Foundation web page at http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent +permitted by U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. +Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered +throughout numerous locations. Its business office is located at +809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email +business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact +information can be found at the Foundation's web site and official +page at http://www.gutenberg.org/about/contact + +For additional contact information: + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. 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Thus, we do not necessarily +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +Most people start at our Web site which has the main PG search facility: + + http://www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. + diff --git a/35085-8.zip b/35085-8.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..410e530 --- /dev/null +++ b/35085-8.zip diff --git a/35085-h.zip b/35085-h.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..edfd1da --- /dev/null +++ b/35085-h.zip diff --git a/35085-h/35085-h.htm b/35085-h/35085-h.htm new file mode 100644 index 0000000..f3883e6 --- /dev/null +++ b/35085-h/35085-h.htm @@ -0,0 +1,10150 @@ +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> +<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=ISO-8859-1" /> +<title>The Project Gutenberg eBook of Frauen, by Kasimir Edschmid</title> +<style type='text/css'> +body { margin-left: 10%; margin-right: 10%; } +h1 { text-align: center; margin-top: 5%; margin-bottom: 5%; } +h1.pg { text-align: center; margin-top: 0%; margin-bottom: 0%; } +h2 { text-align: center; margin-top: 5%; margin-bottom: 10%; page-break-before: always} +h3 { text-align: center; margin-top: 5%; margin-bottom: 2%; page-break-before: always} +p { margin-left: 0%; + margin-right: 0%; + margin-top: 0%; + margin-bottom: 0%; + text-align: justify; + text-indent: 4% + } +p.indent2 { text-indent: 10% } +p.indent3 { text-indent: 20% } +p.noindent { text-indent: 0%; } +p.right { text-indent: 0%; + text-align: right; + margin-left: 8%; margin-right: 4%; + margin-top: 0%; margin-bottom: 2%; + } +p.lyrics {text-align:left; + text-indent: 0%; + margin-left: 8%; margin-right: 8%; + margin-top: 2%; margin-bottom: 2%; + } +p.signature {text-indent: 0%; + text-align: left; + margin-left: 20%; margin-right: 8%; + margin-top: 1%; margin-bottom: 2%; + font-size: small; + } +p.blockquote {text-indent: 0%; + margin-left: 8%; margin-right: 4%; + margin-top: 2%; margin-bottom: 2%; + } +p.center { text-indent: 0%; text-align: center; margin-top: 0%; margin-bottom: 0%; } +p.contents { text-indent: 0%; text-align: center; margin-top: 0%; margin-bottom: 2%; } +p.textbox { text-indent:0%; margin: 0% 20% 0% 20%; padding: 1% 1% 1% 1%; border: 1px solid; text-align:center;} + +p.firstwo { text-indent: 0% } +p.first { text-indent: 0% } +p.first:first-letter { +float:left;font-size:50px;line-height:24px;padding-top:4px;padding-bottom:1px;padding-right:2px; +} + +a:link { text-decoration: none; color: rgb(10%,30%,60%); } +a:visited { text-decoration: none; color: rgb(10%,30%,60%); } +a:hover { text-decoration: underline; } +a:active { text-decoration: underline; } + +hr { margin-top: 0em; + margin-bottom: 0em; + margin-left: auto; + margin-right: auto; + clear: both; + color: black;} + + .hr50 { width: 50%; } + + p.pg {line-height: 200%; } + hr.full { width: 100%; + margin-top: 3em; + margin-bottom: 0em; + margin-left: auto; + margin-right: auto; + height: 4px; + border-width: 4px 0 0 0; /* remove all borders except the top one */ + border-style: solid; + border-color: #000000; + clear: both; } + pre {font-size: 85%;} +</style> +</head> +<body> +<h1 class="pg">The Project Gutenberg eBook, Frauen, by Kasimir Edschmid</h1> +<pre> + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at <a href = "http://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a> + +</pre> +<p class="pg">Title: Frauen</p> +<p class="pg"> Der Prinz--Särö--Frauen--Der Zuschauer</p> +<p class="pg">Author: Kasimir Edschmid</p> +<p class="pg">Release Date: January 26, 2011 [eBook #35085]</p> +<p class="pg">Language: German</p> +<p class="pg">Character set encoding: ISO-8859-1</p> +<p class="pg">***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK FRAUEN***</p> +<p> </p> +<h3>E-text prepared by Jens Sadowski</h3> +<p> </p> +<hr class="full" /> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> + +<h1> +<span style="font-size:large;letter-spacing:0.2em"> +Kasimir Edschmid<br /> +</span> +<br /> +<span style="font-size:xx-large;letter-spacing:1.2em"> +Frauen +</span> +</h1> + +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> + +<p class="center" style="font-size:large;letter-spacing:1em;margin-bottom:0.5em"> +1922 +</p> +<p class="center" style="letter-spacing:0.2em"> +<span style="border-top:2px solid"> +Verlegt bei Paul Cassirer in Berlin +</span> +</p> + +<p> </p> +<p> </p> + +<p style="page-break-before:always"> </p> +<p class="center" style="font-size:small;letter-spacing:0.2em"> +Außer dieser Ausgabe erschien eine vom Verfasser<br /> +signierte und numerierte Vorzugsausgabe<br /> +in 110 Exemplaren +</p> + +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> + +<p class="center" style="font-size:small;letter-spacing:0.2em"> +Alle Rechte vorbehalten<br /> +Copyright 1922 by Paul Cassirer<br /> +in Berlin +</p> + +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> + +<p class="center" style="font-size:small;letter-spacing:0.2em"> +Drittes bis fünftes Tausend<br /> +<br /> +Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig +</p> + +<p> </p> +<p> </p> + +<h2 class="chapter">Inhalt</h2> + +<p class="contents"><a href="#chapter-1">Der Prinz</a></p> +<p class="contents"><a href="#chapter-2">Särö</a></p> +<p class="contents"><a href="#chapter-3">Frauen</a></p> +<p class="contents"><a href="#chapter-4">Der Zuschauer</a></p> + +<p> </p> +<p> </p> + +<h2 style="page-break-before:always"> </h2> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> + +<p class="lyrics"> +<span style="float:left;font-size:50px;line-height:24px;padding-top:4px;padding-bottom:1px;padding-right:2px;"> +A</span>ber ich bitte Sie . . . Ein Mensch,<br /> +der sich zum schöpferischen<br /> +Leben bestimmt, hat nicht das Recht<br /> +mehr, zu leben wie die andern. +</p> +<p class="signature"> +Flaubert an Maupassant +</p> + +<p> </p> +<p> </p> + +<p> + +</p> +<h2 class="chapter" id="chapter-1">Der Prinz</h2><p> + +</p><p class="first">Als Riny, großäugig, die Schenkel zart und bebend von +Linien wie ein Hirschkalb, einsam aufgewachsen, heißerer +Sonne hingegeben, verschwistert dem Laut eines großen +Meeres, das ihr Blut nie vergaß, Vater und Heimat auch +aus der Ferne inbrünstig liebend wie am ersten Tag, als +sie auf Männer stieß, war es Saint-Loux. Er nahm die +Sehnsucht von ihr, die sie dann größer übergoß. Er bedrängte +sie lange und reizte sie jedesmal neu. Er war +schlank, ein Franzose, das Gesicht von Pocken zerrissen, die +Augen scharf von Klugheit. Er nahm sie hart und glühend +wie ein römischer Ringer. Als er sich zu sehr an sie verstrickte, +daß sie ihm stärker gegenüberstand, nahm sie einen +anderen Mann. + +</p><p>Doch zog sie es wieder zu Saint-Loux. + +</p><p>In Paris betrog sie ihn mit einem kleinen Dichter, der +Bewegungen hatte wie ein Aal. Sie reiste mit ihm ab, +hob Wechsel ab und hielt ihn aus. Nach einem halben Jahr +schickte sie ihn fort. Sie reiste zu Saint-Loux. Nie war sie +glücklicher. Sie blieben auf dem Lande. Saint-Loux wuchs +jedesmal langsam. Durchbrach er die Kühle, die sie meisterte, +vergaß er sich und sprach seine Geheimnisse aus. +Dann kannte sie ihn, schaute ihm auf den Grund und wurde +schlaff. + +</p><p>Die Hüften eines Winzers rief sie zu sich, der den Geruch +der wollüstigen schwarzen Erde trug. Sie entführte +ihn, entwurzelte ihn in die Normandie, bekam ihn langsam +satt und fuhr nach Berlin. In einer peinlichen Sache +setzte sie ihren Ruf aufs Spiel und rettete Saint-Loux, +dessen Leben in vielen Strömungen stand. Es zog sie zu +ihm. Sie vereinigte sich mit ihm. + +</p><p>Sie blieb, wenn sie ihr Dasein nach der Welt zu drehte, +Dame. Ihr Vater, den sie liebte, war reich. In Paris +wieder verließ sie den Franzosen. Ein feiner Künstler gab +ihr Stunden der Melancholie und des Schmerzes. Die +flammende Rede eines Schauspielers, sein ungestümes +Werben gab ihr andere Richtung und Ersatz. Nach einem +halben Jahr fuhr sie wieder zu Saint-Loux. Nie gelang +es ihr rasch ihn zu verlassen. Nach Wochen von Kämpfen +zog es sie von ihm. Ein Erkalten von ihm hielt sie von +tausend Abtrieben entfernt. + +</p><p>Sie lebte drei Jahre mit ihm, lächelnd auf jede Versuchung +nun, entschlossen, mehr sogar: nicht in der Lage, +ihn zu verlassen. Sie zog, ihr Leben innig dem seinen +verkettend, mit ihm, wo er lebte und kämpfte, denn er +nahm nichts von ihr. Sie schweiften zusammen. Ein Auftrag +sandte ihn nach Indien, wo er die Politik seiner Regierung +wahrnahm. Ein wenig drin im Lande, dem Fluß +gegenüber, empfing er Botschaft, nahm er sein Geschäft wahr. +Vier Monate, wie im Traum, lebte sie mit ihm, immer +glücklicher an ihm. Denn er besaß Muskel und Hirn. + +</p><p>In einer Nacht wachte sie auf, sah einen Stern am +Himmel, es war als schlüge ein Mondflügel gegen sie, sie +erhob sich, besah das Haus, den Balkon, den Fluß und +sah es schon nicht mehr. + +</p><p>In dieser Nacht verließ sie Saint-Loux wie ein Blitz, +ohne daß etwas in ihr blieb von irgendeiner seiner Umschlingungen, +die ihn in (wie sie glaubte) unsterblichen +Nächten ihr verschmolzen. Sie kleidete sich an und ging +hinaus. Von den mondhellen Blumen machte sie unterwegs +einen Strauß. Träumerisch schritt sie durch die blonden +Maisfelder. Als der Morgen kam, begann sie zu singen. + +</p><p>Zum erstenmal sah sie tausend Dinge genau. Das Gras +erhielt Dasein. Grillen zogen Laute um sie, der Duft der +Blüten erschauerte sie. Der geöffnete Himmel kam ihr +nahe. Sie sah ihn wogen, daß es kein Ende nahm. + +</p><p>Sie hob die Arme in Bäume. Der Kern gepflückter +Früchte schmolz ihr auf der Zunge und ein ungeheurer +Trieb verband sie ungekannten Gefühlen in der summenden +Weite. + +</p><p>Sie ging durch einen Tamarindenwald. Kupfern schoß +Glanz eines Daches durch die Zweige. Sie lauerte kurz, +dann machte sie einen Bogen. Gegen Abend kam sie an +eine Wiese. Seitwärts ein großes Kloster. Die Ebene lag +ganz voll Sonne. Menschen strömten nach ihm zusammen, +gleich Tieren, geschart, alle trugen die Köpfe gesenkt. Rinys +Nüstern dehnten sich ein wenig. Sie blieb sitzen. + +</p><p>Trupp auf Trupp, gelb gekleidet, immer die Nacken +zum Boden gestellt, zogen hinein. Sie hatten Lederriemen +um den Leib und Rosenkränze in den Händen. In den +blauen Abendfarben leuchtete das Gold von hundert kleinen +Türmen unsinnig. In ihrer Mitte stand eine Pyramide +mit einem Fortsatz gleich einer umgestülpten Trompete. +Schatten stürzte auf Schatten von oben über die Terrassen. + +</p><p>Als der Mond aufging, schlug er wie der Flügel eines +Engels durch ihr Herz. Die Nacht schauerte noch von +ferne, es war halb hell. Sie sah hinein und das Licht +drang durch sie wie eine Säule. Dann fiel es auf die +Pyramide, die nach oben sich aufschlug und breiter wurde +in den Himmel hinein. + +</p><p>Ihr Lächeln ging nicht nach ihrer vorgelebten Zeit, nun +vor Wundern stehend, wurde sie sicher und groß und die +lockende Stille verführte sie tief. + +</p><p>Sie wandte den Kopf. + +</p><p>Ein Mann kam auf sie zu, hielt und ging weiter. + +</p><p>Sie warf ihm einen Blick zu, den sein schräges Auge +faßte, das gewölbt lag unter den ungeschorenen Haaren. +Die Kette hing um seinen Hals, er trug aus Seide das +gelbe Kleid der anderen Priester. + +</p><p>Sein Blick zerschnitt ihr Gesicht, als er sie streifte. +Aber ihr graues Auge hob sich ruhig gegen ihn. + +</p><p>Einen Augenblick zuckte der Fächer, mit dem seine Hand +sich Wind zuschlug. Einen Augenblick streifte gelähmt sein +Fuß. Dann trug sein Gang ihn weiter. Noch in der fallenden +Dämmerung sah sie ihn ungenau eintreten durch ein Tor. + +</p><p>Noch aber war es nicht ganz dunkel, als er zurückkam. +Ihre Pupillen sahen ihn schon von weitem durch die +Schatten. Sie lächelte. + +</p><p>Er zog sie an der Hand, flüsternd, hochmütig, hinein in +das Kloster. + +</p><p>Auf Treppen folgte sie seinem Schritt von Terrasse zu +Terrasse. Viele Priester begegneten ihnen. Aber keiner sah +auf, kein Ohr gab acht auf sie. Leise murmelnd, die Blicke +gesenkt, gingen sie ihnen vorüber. Durch eine Allee des +obersten Pyramidensockels erreichten sie den Gurt der Türme. + +</p><p>Der Führer öffnete die Türe an einem. Er zog sie +hinein . . . . . über eine Treppe, sie stand in einem Zimmer, +von allen Seiten voll Licht. Farbene Felle lagen darin, +geschliffenes Glas hob die Wände. Aus porzellanenen +Schalen wehte dünn das Rosenöl. + +</p><p>„Bin ich gefangen?“ fragte Riny gleich. + +</p><p>„Nein,“ sagte er in einem Englisch, das sich auf seiner +Zunge brach. + +</p><p>Aufatmend sog sie das süße Licht des Abends aus den +Fenstern: + +</p><p>„Warum sieht uns keiner?“ + +</p><p>„Sie sind nicht blind. Sie dienen nur. Einer nur hebt +für sie den Kopf.“ + +</p><p>„Du . . .“ + +</p><p>„Ich.“ + +</p><p>Sie atmete heftig in der betäubenden Luft. + +</p><p>Er bewegte sich von der Tür her auf sie zu. Sie sah +die Augen eines tief erregten Mannes, dessen Gesicht die +große Welle schwer nur hielt. Sie ließ das Auge weitergleiten. +Durch die Fenster fuhr es auf die Landschaft. Sie +sah den dunklen Schatten eines Waldes. Dahinter lag das +Haus Saint-Loux. + +</p><p>Sie drehte sich um und gab sich in seinen Arm. + +</p><p>Seine Liebe war ohne die Begierde, die sich erschöpft +in der Berührung der Haut. Aus seinen Händen drang +ein Strom in ihren Geist. Sein Mund erhob den ihren +in die Höhe wie sein Auge. Sein Leib verschmolz dem ihren +mit so mächtigem Drange, als zwinge er die Vereinigung +über das Berühren der Körper hinaus. Seine Worte, die +sie um Liebe fragten, waren kurz und suchten wild in ihrem +Blut. Ein Rausch überkam sie unter seinen Armen, sie sah +sein Auge schwer über ihr verzückt. + +</p><p>Ihr erwachender Blick fiel auf die Spitze der obersten +Pyramide. Die Sonne tanzte mit kleinen Flammen auf +einem eisernen Ring, der um sie genietet war. An Seilen +zwischen der Spitze und dem Gürtel hingen kleine Glocken +und erzitterten zu Tausenden in der erfrischten Luft. Unten +zogen die Rahaans aus den Toren. + +</p><p>Sie schloß die Augen wieder und die Träume der Nacht +schaukelten über sie. + +</p><p>Nach zwei Stunden stand sie auf, unwillig über ihre +Einsamkeit. Sie stieg die Treppe hinunter. Als sie den +Turm verlassen hatte, nahten Menschen. Sie barg sich in +einen Winkel. Weiter vorgehend, kam sie an die Allee. +Sie war leer. Als sie zurückschaute, verwirrten sie die +hundert Türme. Sie kannte den ihren nicht mehr. + +</p><p>Tränen traten ihr in die Augen. Sie bog aus der Allee +und stieg hinab. + +</p><p>Überrascht trat sie in eine Halle mit Reihen von Säulen. +Gesumm von Stimmen überfiel sie. Sie trat heraus aus +dem Schatten und sah Hunderte Priester, die in dem Raume +wogten wie Bienen. Sie sprang zurück, erschreckt, aber vor +ihr standen drei andere, die eintraten. Erbleicht hielt sie. + +</p><p>Aber sie bogen um sie, ohne sie zu beachten. Da ergriff +sie ein Schwindel, dies Gehen wie im Traum erschreckte +sie. Niemand beachtete ihren Körper, sie schwankte. Ihr +Blick fiel in einen Spiegel, das gab ihr die Sicherheit +wieder, sie sah ihr wirkliches Gesicht. + +</p><p>Erregten Herzens, durch Hallen schleichend, traf sie den +Abt. Er ging allein hin und her zwischen den Blumen, +manchmal eine erhebend, hineinschauend in den Kelch und +sie zurücksenkend in ihre Lage. Er schritt das kleine Stück +hinunter, das von den Wänden der Pyramide eingeengt +war und über der Gegend schwebte bis an den Rand. Eine +Ruhe umgab diesen Ort, die kein Vogel, keine Fliege +unterbrach. + +</p><p>Er blickte auf und sah sie, verstört noch in ihrem Gesicht. +Mit drei Schritten ging er auf sie zu, die Arme ein +wenig gebreitet. Tränen an allen Wimpern stürzte sie auf +ihn wie ein Kind. + +</p><p>Als er den Garten verließ, folgte sie ihm willenlos. + +</p><p>Aus jedem seiner Blicke, in jeder Umarmung traf sie +eine Macht, die eine Wolke um sie legte. Sie hing an ihm +fest. Sie folgte seinem Schritt, seiner Bewegung. Nie verließ +sie ihn. An jedem Morgen suchte sie ihn durch die +Hallen, jeden Morgen fand sie ihn atemlos wie ein Wunder +an einem anderen Ort. Sie schritt durch die Priester hin +mit der nie endenden Bangnis. Wie von ausschweifendsten +Abenteuern erreichte sie seinen Arm. Mit ihm schritt sie +sicher durch die Menge, die ihrer nicht achtete. + +</p><p>Sie sah sie jeden Morgen das Kloster verlassen, hinaus +zur Sammlung die Ebene betreten. Sie sah sie heimkehren, +beladen am Abend. Bebend ging sie durch die Räume ihrer +Andacht, die nie eine Frau betreten. Keiner hob das Auge +nach ihr. Gelübde folgend in Gebeten sammelten sie ihre +Seele, deren große zusammengefaßte Erhebung der Abt +weitergab, Auge und Mund frei. + +</p><p>Aber ihr kam nie die Sehnsucht, die Terrassen zu verlassen. +Ihr Blick lag ohne Lockung auf dem Horizont. + +</p><p>Monate hier lebend, änderte sich ihr Wesen um. Seinem +Dasein, das dies alles in den Händen hielt, ganz und ohne +Besinnung hingegeben, fraglos ausgeliefert, hatte sie nur +Blick und Sinn für ihn. Stärker in jedem Schlaf erfuhr +sie die Inbrunst, die er an sie hingab, dies ging über jeden +Rausch, den sie erfahren. + +</p><p>Sie wohnte im Kreis die Türme herum. Wind kam ihr +von allen Seiten. Sie kreiste um die Sonne, die täglich aus +anderer Richtung auf sie traf. Im Wechsel der Monde sah +sie andere Landschaft, andere Menschen, Feuer kamen und +gingen an den Toren, die Krähen schwebten um andere +ausgesetzte Beute. Ihr Blick nahm es ohne Teilnahme. +Was sollte es ihr. Sie lebte nach innen, suchte den Abt +und war glücklich, wenn sie ihn sah. + +</p><p>Nachts an seinem Herzen frug sie: + +</p><p>„Wenn jene mich sähen . . .“ + +</p><p>„Sie tun es nicht.“ + +</p><p>„Wenn jene mich sähen, würden sie mich erschlagen, . . .“ + +</p><p>Er legte die Hand auf ihren Mund. + +</p><p>„. . . . . . . würden sie mich zerreißen aus Verzweiflung, +über die Mauer werfen . .“ + +</p><p>Er gab nicht gleich Antwort. + +</p><p>„Ja.“ + +</p><p>Sie zitterte. + +</p><p>„Du würdest sie wehren.“ + +</p><p>„Du weißt nicht, was jene verlören: den Glauben. Sie +sind Jahre hindurch, Jahrzehnte gewandert, wortlos, ohne +die Welt zu sehen. Sie haben geflucht früher. Nun weinten +sie häufig, bis sie die Ruhe hatten.“ + +</p><p>„Du würdest sie wehren . . . .“ + +</p><p>Eine Falte umzog seinen Mund vor Weh: + +</p><p>„Ja.“ + +</p><p>An seinem Lächeln erkannte sie: das war sein Tod. + +</p><p>„Ich will dich begleiten, wenn du das Kloster mit ihnen +verlässest am Tage. Ich will immer bei dir sein.“ + +</p><p>Er hob sie auf zu sich. Sein Gesicht neben ihr vermischte +sich in einem schönen Rausch gleich einem Fieber +mit ihrer Wange. Sie aber im Gefühl, wieviel er um sie +spiele, zitterte klein und schwach in seinem Arm. + +</p><p>Noch Tränen in den Augen fand sie ihn am Morgen. +Angeschmiegt an ihn, bat sie ihn um Kleider, an sein Versprechen +ihn erinnernd. Keine andere Sehnsucht sprach in +ihr, als bei ihm zu sein, mit ihm zu wandern, sich anzuschmiegen +an seine Knie. Das war alles. Es ging nichts +darüber. + +</p><p>In dieser Woche zog er nicht mit den Rahaans. An +einem Feiertage gab er ihr die Kleidung: dünnes gewässertes +chinesisches Seidenzeug, Sandalen und die Schere, mit der +sie die Haare über den Schulterblättern schnitt. + +</p><p>Als sie fertig war, sah sie ihn zurückfahren. Er gab ihr +einen Spiegel. Nun glich sie ihm ganz im Aussehn auch +des Gesichts. Nur die Falten fehlten von den Nasenflügeln +zu dem Munde, ihr Auge schwamm mehr in unbegrenztem +Nebel, während seines hochmütig dunkel starrte. Es hatte +den gleichen Ausdruck bei ihm, nur an ihr erhielt es ein +düsteres Flammen. Er sah sie an voll Erregung. + +</p><p>Sie neigte sich und küßte ihm die Hände, doch er legte +sein Gesicht in die Flächen ihrer Finger einen Augenblick. + +</p><p>An jedem dieser Tage ging der Abt mit einem anderen +Trupp. Sie verließen das Kloster durch die Tür, die Pförtner, +Laien warfen sich hin vor ihnen. + +</p><p>In die Dörfer eintretend gingen sie von Haus zu Haus. +In den Städten vergaßen sie keine Tür. Die Augen gesenkt, +in Büchsen aus Blech empfingen sie die Gaben: +Früchte, Reis, getrocknete Fische. Sie warfen es in einen +blauen Karren, der sie begleitete. Fremde Bettler erhielten +an den Toren ihren Überschuß. + +</p><p>Sie hielt sich neben dem Abt, sie tat keinen Schritt +ohne ihn, wenn sein Blick sie traf, errötete sie in ihrem +von der Sonne kupfern gewordenen Gesicht. + +</p><p>Einmal sprang sie zurück. Sie sah Saint-Loux vorüberreiten. +Seine Schenkel hielten straff den Bauch seiner Stute. +Der Fechterkörper saß gelassen im Sattel. Nur sein Auge +zeigte Trübung wie von Tränen. Seinem Pferde die Sporen +gebend ritt er rasch vorüber. Freude überkam sie, ihn so +wohl zu sehen. Aber schon schwand er aus ihr. + +</p><p>Das Gefühl ihres kleinen Lebens gegen das große des +Abtes aber wuchs mit jedem Tag in ihr. Sie besah ihn +des Nachts. Auch sein Körper war schön, er hatte junge +Jahre noch, schwankend zwischen den Dreißig und der Nähe +der Vierzig, seine Jugend war geschont. Daraus aber, +aus dem, was er entsagte, quoll die Stärke seiner Seele +auf sie, daß sie vor Staunen oft sich selbst vergaß. Je +mehr er aber in seinem Rausche auf sie vertraute, je ungestümer +seine Inbrunst an ihr aufschlug, als suche sie durch +ihren Leib erst die Verbindung mit einem größeren Blut +als dem ihren, um so tiefer schwankte sie, seiner Liebe kaum +würdig, es nicht ermessend, daß er sich so in sie ergoß. + +</p><p>Er aber hob sie immer höher, daß sie ihm mehr noch +gleiche, hinter der er die Vervollkommnung seines Wesens +suchte. + +</p><p>Er brachte ihr, als er die Fahrten der Mönche nach den +Festen nicht mehr teilte, sein Kleid und die ziselierte Kette. + +</p><p>Sie sollte mit ihnen gehen — — für ihn. Er gab ihr +alles in die Hand. + +</p><p>Sie aber wollte ihn nicht verlassen, immer mehr gebunden +an seine Gestalt. Sie sah seinen Mund an, seinen +Fuß. Sie weinte. Sie wollte nicht getrennt davon sein. + +</p><p>Er senkte den Fächer, den seine Hand nicht verließ. + +</p><p>Sein Auge sah sie an mit der aufsaugenden Glut, die +ihr Blut beherrschte. Er wollte, daß sie alles mit ihm +teile, hineinwachse in seinen Geist und seine Ausübung, wie +sie ihm ähnlich war am Körper. + +</p><p>Er zog sie an und brachte sie, unscheinbar gekleidet, selbst +zum Tor. Das Gesumm der Mönche trieb in ihr Ohr. +Sie kamen auf die Ebene, die sich ihr weiter wellte an diesem +Tage wie je. Das Surren der Rosenkränze betäubte ihr +Ohr, das stärker anwuchs, über die Ungewöhnlichkeit der +Begleitung des Abtes waren die Rahaans verwirrt, sie +sahen es nicht, aber sie spürten seine Gegenwart. + +</p><p>In großer Schleife zogen sie über die Gegend. Ihr +wurde jede Sekunde zur Ungeduld. Langsam erst gegen +Mittag genoß sie die Zeit. Stillglühenden Gesichtes vor +Sehnsucht ging sie unter den anderen. + +</p><p>Bei ihm die Nacht, erschreckt davor, daß er sein Schicksal +wie im Spiel auf sie setzte, frug sie: + +</p><p>„Wenn du irrtest.“ + +</p><p>Er sagte schlicht: + +</p><p>„Ich irre mich nicht.“ + +</p><p>Sein Gesicht war hochmütig vor Glauben. + +</p><p>Sie lag bleich neben ihm, bedrückt von seiner Sicherheit, +die sich über sie legte so hoch, daß sie darunter verschwand. +Der Mond spielte durch blaue Dämmerung um den +Turm und deckte ihre Gesichter. Lange lag sie. + +</p><p>Dann sagte sie leis: + +</p><p>„Ich liebe dich.“ + +</p><p>Er sah ihr erschüttert in die Augen. Es wurde Morgen. +Sie erhob sich. + +</p><p>„Wohin gehst du?“ frug er. + +</p><p>Sie deutete auf die Ebene, auf alle Tore. Sie war +aus Liebe stärker als ihre Sehnsucht. Sie zwang es nieder, +daß ihr Gefühl in seine Nähe sie band als schöne Erfüllung. +Ihm sich preisgebend in seinem höheren Sinne +ging sie für ihn hinaus nun Tag um Tag. + +</p><p>Nun zog die Landschaft sie auch an, die sie für ihn besuchte. +Aus seinem Herzen dankte sie für Gaben, die überreich sie +empfingen. Mit seinem Auge sah sie voll Hingabe wieder +das Licht sich sanft zerteilen auf Büschen und Sand. Sie +folgte im Wald dem Spiel der Sonnenkringel und hatte +Freude daran. Ein Bach wogte vor ihren Schritten, sprudelnd +mit weißen Wellen, die sich springend überspielten. +Lange noch blieb ihr die Musik des leichten Wassers im +Ohr. + +</p><p>Ihre Ärmel streiften über das feine Mehl der Blütenkätzchen. +Durch ihre liebkosenden Hände zog sie die schweren +Ährenkronen des Weizens. Sie bückte sich zu Blumen, +die sie pflückte. Sie unterschied genau die Farben, blau . . . +weiß . . . orange. Sie band sie zusammen und hatte Freude +darüber im Herzen. + +</p><p>Des Nachts spielte eine Melodie an ihr Ohr. Sie +lauschte lange. Dann kam es durch das wogende Gemach +auf sie zu: das Wiegen des hellen Baches. + +</p><p>Die Musik aber stieg. + +</p><p>Sie lauschte lange: . . das Meer ihrer Jugend, dessen +Geräusch ihr Blut nie vergaß. + +</p><p>Ihre Brauen spannten sich lang, sie sah Figuren, Geruch +ihrer Heimat, aber die Liebe des Mannes umgab sie +zu mächtig, als daß die Erinnerung den Ring durchstieß. +Es hatte keinen Sinn in der Bedeutung ihres Lebens, das +gefüllt war. + +</p><p>Es schwand dahin, wohl begleitet von Tränen. + +</p><p>Aber die wuschen es nur ganz aus ihrer Seele dahin. + +</p><p>Sie empfand auch im höchsten Rausch die untrennbare +Zugehörigkeit ihres Blutes zu ihrem Vater diese Nacht. +Sie wußte, daß ihr Leben tief verwurzelt zu ihm gehöre. +Aber an Saint-Loux dachte sie nicht. + +</p><p>Aber sie vermochte nicht, den Gestalten und Landschaften +ihrer Jugend an das Herz zu fühlen. Sie sah sie, aber +sie traten nicht auf sie zu, heischend und verlangend. Langsam +spielte um sie wieder das Singen des Baches. + +</p><p>Auch es erlosch in dem Schlaf, der sie umfiel. + +</p><p>Aus den Armen des Abtes stieg sie in die Ebene. Aus +der letzten Ecke des Waldes hob sich das rote Segment +der Sonne. Langsam wie zum Singen ging sie hinein in +das von süßem Licht angerührte Land. + +</p><p>Im Laufe der Wochen erreichte sie streifend eines Mittags +eine Stadt, die dunstig zwei Tage weit vor einer Hügelkette +hinter dem Kloster lag. + +</p><p>Das gescharte Volk brach vor ihr auseinander. Sie +stand vor dem Einzug eines Fürsten, der abgesprungen war +und gerade auf einem Teppich stand, als sie vorüberzogen. + +</p><p>Der Fürst neigte sich weit zurück und hob die Hand über +die Augen, gerührt vor der Schönheit des jungen Abtes. +Er grüßte tief. + +</p><p>Sie blieb stehen und erbleichte. Sie stammelte ein wenig, +dann aber legte sie rasch die Hand auf den Mund. Sie +standen sich einen Augenblick gegenüber. Das weiche, milde +Auge des Fürsten flackerte schwer auf ihrem Gesicht. + +</p><p>Rasch bog sie zur Seite, mit einem Lockruf ihre Leute +sammelnd. Ihr Gesicht war ohne Stille. + +</p><p>Sie kehrten zurück und überstiegen die Hügel. Sie sah +das Kloster vor sich wie am ersten Tage in einem pfaublauen +Abend mit hellem Golde hineinwachsend. Wieder +stieg Terrasse deutlich abgezirkelt in Terrasse zum Aufbau der +gegürteten Pyramide, die mit Alleen beschattet, vom Kreis +der Türme funkelnd umdreht, fast unerträglich gleißend +stand. + +</p><p>Aber es war, als erreichte sie den Bau nicht an diesem +Tag. Abendliche Lichter wiesen ihr deutlich das Bild. Doch +sie erreichte keine Nähe, immer blieben die Türme wie Striche +im Horizont. Und als sie die Füße beeilten, überspannten +sie dennoch nicht den Raum, der zwischen ihnen lag. + +</p><p>Solange Helligkeit den Abend noch sichtbar füllte, gingen +sie darauf zu, aber der Bau, der wundervoll leuchtete, ging +immer vor ihnen her, bewegt von den Strahlen der Luft. + +</p><p>Verzweifelt liefen sie mit keuchender Lunge. + +</p><p>Erst in der Nacht kamen sie an den Bau. + +</p><p>In der Nacht suchte in der Beleuchtung des Mondes +sie des Abtes Gesicht. Er schlief und sie sah nicht die dumpfe +Glut seines Auges. Aber sie fand ihn schön. Zufrieden +erwachte sie am Morgen. Ihr Blick traf die Spitze der +Pyramide. Die Drähte mit den Glocken, die wie Vogelschwärme +daran hausten, klangen erregt in der frischen anziehenden +Luft. + +</p><p>Als sie die Alleen hinunterschritt zu einem der Tore, +brausten sie über ihr, mit einem geheimen Ton der Erregung, +den sie nie hier vernahm. Der Boden roch, daß ihre +Nüstern sich spannten, es war der schwere Duft der Erde +nach Regen. Als sie hinaustrat in die Ebene, sah sie sie +mit einem ganzen großen Blick. Ihr Auge faßte alles Einzelne +zusammen und blieb an der Ferne hängen, an der die +seidenweiche Luft als lange Bläue hing. + +</p><p>Sie führte ihren Weg oft nun nicht nur nach den Gaben. +Menschen reizten sie, sie hatte Freude an unbekannter Gegend. +Neue Städte mit ihrem Schwarm, der wechselte, +berührend, vergaß sie in der Freude am Augenblick und der +Entdeckung alles, was über und um sie war. + +</p><p>Eines Tages übersprang sie einen Bach, fiel auf das +Knie, und als sie den Boden schmerzhaft berührte, empfand +sie Sehnsucht nach Saint-Loux. Ihr Blut schuf ihn ihr +wieder, der die Sehnsucht zuerst von ihr nahm. Er stand +in einem Busch, den Arm entblößt, wie fechtend. Sein +Muskel tanzte. Die Augen in dem zerrissenen Gesicht funkelten +vor Geist. Sein Mund war kühl gefaltet. So sah +sie ihn wieder zum ersten Male, der wie ein Schicksalsrufer +ihr seit jeher die Pausen ihres Daseins wies, der +immer nur kam: nach Vollendetem. + +</p><p>Ein wilder Schmerz brach in ihr aus. Sie blieb eine +Weile liegen. Hob stumpfe Augen und sah nur langsam die +Erscheinung verschwinden und sich verändern in die Gestalt +des Abtes. Tief erschrocken über sich ging sie durch das Tor. + +</p><p>Die Nacht ging das Sonnenjahr zu Ende um die Mitte +des April. Sie wohnte schon zum zweiten Male über dem +östlichen Tor. + +</p><p>Da schob eine Armee von Lichtern über die Ebene gegen +das Kloster. + +</p><p>Die Nacht war sternlos. Riny beugte sich weit aus +ihrem Fenster. Um die Mauer des Klosters brannten Holzstöße +vor allen Toren. + +</p><p>Wie durch Nebel gespiegelt kam ein dunkler Zug aus +dem Horizont herauf. Eine leichte Musik ging vor ihm +her in der hellen Nacht, durch die Scheine irrten. Langsamer +Gesang erstarb. Indische Gitarren und birmanische +Harfen sangen. Über ihnen grollte das Rollen der Trommel +und Gong. Plötzlich war die ganze Nacht wie Gold. + +</p><p>In das hellere Licht der Tore tauchten gespenstisch die +ersten Gesichte. + +</p><p>Wagen rollten heran in breiter Linie, vor jedem vier +Büffel gespannt, deren weiße Augen blänkerten in den Fackeln +und Scheiterhaufen. Sie ebbten in Wellen heran, die wilden +Nacken gebeugt, haltlos, verschwindend gegen die Mauer, +immer neue Reihen aus dem Dunkel hinter sich in die +Helligkeit nachreißend, es war kein Ende zu sehen des schwarzen +Heeres und des Deichselgedröhns. + +</p><p>Da aber barst eine Lücke, Tiere schnaubten, ein Zelt entstand +zauberhaft. + +</p><p>Fünf weiße Fahnen kamen angetragen und erstarrten in +der Luft. Zwei Neger mit bunten Fahnen, bewimpelt den +Schaft bis zum Ende, pflanzten sich davor. Mönche hinter +ihnen fielen in zwei Reihen ins Knie, eine Gasse, die Köpfe +zueinander. + +</p><p>In einer Scharlachweste und gespitztem Wollhut stand +ein Geistlicher hinter ihnen, sein Kopf leckte noch nach dem +Licht. Hinter Bedienten schritt ein Gouverneur, auf weißen +seidenen Hosen die goldgestickte Weste von blauem Atlas. + +</p><p>Da hoben sich Speerträger, oben die Spitzen voll Gold, +blutrote Troddeln rauschten fallend herab, ihre Füße standen +im Gegenrhythmus der ganzen Bewegung, noch im +Dunkeln halb befangen, eine Woge, die sich überstürzt. Aus +ihren Schatten schon formten sich die Elefanten. Sie türmten +gewaltige Leiber in die Flammenscheine, die wie eine +Meute auf ihre Flanken stürzten. + +</p><p>Es war eine Mauer. Aber ein Schrei durchbrach sie. + +</p><p>Ungeduldig drängte ein anderer Elefant vor. Mit poliertem +Haken riß ein schlanker Prinz seinen Hals, über +dem ein Diener einen goldenen Schirm hielt. + +</p><p>Noch einmal schrie er, da hielt der Elefant. + +</p><p>Von dunklem Samt sprang der Reiter, warf die Schuhe +zur Seite, sprang, allein, vor bis zum Tore und warf sich +aufs linke Knie. + +</p><p>Vor ihm standen eingebaut in die Mauer groß und gewachsen +aus Stein zwei Bilder: Thasiamis, mit der Feder +in der Hand aufschreibend Gutes und die Laster . . . . . +neben ihm das kniende Weib Masumdera, deren hohle Hand, +die Welt schaukelnd, sie schützt bis zum letzten Tag, wo sie +sie aufhaut wie eine Frucht. + +</p><p>Kaum aber berührte des Prinzen Knie den Boden, schon +fuhr es zurück. + +</p><p>Er verschwand. + +</p><p>Der Abt kam nicht die Nacht. + +</p><p>Über dem Singen der Weiber auf der Ebene um die +brennenden Sandelhölzer rauschten Raketen über den Himmel, +zogen tiefe goldene Furchen und zerstoben in großen +traurigen Strähnen, die schön wie Haar auf die Dächer +des Klosters sich senkten. Riny am Fenster die ganze Nacht, +flog auf mit jeder, sank mit jeder zurück. Am Morgen +war ihr Herz unruhig, sie öffnete das Fenster und hielt +ihre Brust und den Kopf in den leise wehenden Wind. + +</p><p>Durch die Allee ging sie hinunter, unruhiger noch, weil +sie den Abt nicht fand, der nie außer der Woche ihrer +Schmerzen bei ihr fehlte. + +</p><p>Sie trat um die Ecke der Säulenhalle. + +</p><p>Da kam in dem Gang der Prinz auf sie zu. + +</p><p>Sein Auge berührte sie, es war schöner wie das jenes +Fürsten, der sie streifend in einer Stadt anhielt vor Bewunderung. +Es war süß und grausam wie eines Panthers. +Er ging auf sie zu mit federndem Schritt, aber kurz vor +ihr drehte er ab. + +</p><p>Sie lief drei Schritte und sah um den anderen Säulengang. +Am Ende stand der Abt, die Arme geöffnet. Der +Prinz ging auf ihn zu. Sie waren beide prächtig gekleidet +und umarmten sich. Sie stand und sah, als die Säulen +sie schon von ihr trennten. + +</p><p>Sie ging hinaus und sah in einen Spiegel, die Hände +an den Brüsten. + +</p><p>Sie nickte sich zu. + +</p><p>Sie kam an den kleinen Garten, ein Vogel saß auf dem +vorderen Busch. Er hielt den Schwanz aufgerichtet und +sang fein und frisch. Sie beugte sich in den Hüften vor. + +</p><p>Ihr Mund spitzte sich. + +</p><p>Sie pfiff ihm zu. Der Vogel pfiff wieder. Die Sonne +lag ganz jung auf dem Land. Sie hob den Arm, die Augen +abschattend. Sie sah soweit hinaus, wie sie selten sah. + +</p><p>Ganz am Rand des Horizonts zogen sich zarte schwingende +Linien Wolken, die nun von Gold anfingen zu glänzen, +darüber stand kühl das Blau des Morgens. Das +Land begann zu leben. Die Büsche hoben sich ein wenig +in die Höhe. Der Sand erhob ein Gleißen. Der erstarrte +Wald zog ein Flüstern durch die Blätter, die sich bewegten. +Dörfer brannten Rauch in die belebende Luft. + +</p><p>Nun kam von den schwingenden Pflanzen aufgetragen +der Duft des Landes langsam herauf gezogen. + +</p><p>Sie unterschied alle Blüten. + +</p><p>Der scharfe Geruch der Palmen, das Ölige der Schlingpflanzen +und die befreiende Zartheit der weißen Dolden. + +</p><p>Sie hielt an, die Nüstern gespannt. + +</p><p>Wieder erhob sie den Mund und pfiff. Es wurde immer +klarer. Helligkeit überschwemmte fürstlich den Raum. Die +Sonne kam in den Garten. + +</p><p>Sie machte einen Schritt, dann folgte der andere Fuß. +Sie ging hinauf zum Turm. + +</p><p>Dann kam sie zurück, ihre Fesseln sicher setzend. + +</p><p>Im Garten sah sie vorübergehend den Prinz und den +Abt. Andächtig sich beugend sagte der Prinz: + +</p><p>„Dennoch hast du dich vertieft.“ + +</p><p>Der Abt saß, nicht aufstehend, lächelnd sagte er zurück: +„Du bist jünger. Wie ich dein Alter hatte, da träumte +ich, von Wachen und Hungern sehr vorbereitet, von einem +Hügel aus. Ich sah Götter wie Bäume aus der Erde +wachsen, unsichtbar dem wachenden Auge. Sie waren bald +grün wie Laub, bald vom rotesten Gold. Ich habe nun +das Unendliche wiedergesehen. Ich vergebe dir, aber du +siehst es, wie ich mich erhöht.“ + +</p><p>Sie schritt vorüber, rasch, keine Silbe drang mehr an ihr Ohr. + +</p><p>Sie sah nicht viel um sich. Blumen lockten sie wieder, +gelbe überall ausgesät. Es war die Wiese, auf der sie +zum erstenmal das Kloster sah. + +</p><p>Sie ließ sich nieder, träumend. + +</p><p>Dann nahm sie das gelbe Kleid der Mönche und schob +es in eine Grabenrinne, in einem seidenen Kleid stand sie +da wie früher, flocht Perlen in ihr Haar, das nur zu den +Schultern reichte. Eine Strähne fiel zwischen den Brauen +ihr in die Stirn. + +</p><p>Sie ließ sich nieder, dem Augenblick verwebt in wundersamem +Verschmelzen. Kein Gedanke durchbrach ihr Hirn. +Ihr Herz saugte sich voll der Landschaft. Sie hörte das +Ticken des Geländes, den Jubel einer Amsel. Sie sah +den Himmel über sich wogen, daß es kein Ende nahm. + +</p><p>Dann begann der Boden unter ihr zu schwingen wie +eine Welle. Ein dunkler Fels warf Schatten über die +Landschaft, türmte sich und nahm das Licht von ihr. Ein +Elefant in großen Sprüngen durchschoß die Gegend und +hielt bei ihr. + +</p><p>Sie sah nicht auf. + +</p><p>Sie sah das Ganze des Tages um sich fluten und +schwang mit ihm in einem gleichen Strom. Die Ebene +drang in sie ein, als ob sie sie besäße, und durchhallte ihr +Blut mit einem warmen Geborgensein. Ihre Seele ging +auf. Sie wußte ihren Namen nicht mehr, nicht ihre Heimat, +schon vergaß sie den letzten Tag. Ihre Augen, die +größer wurden, erschauten zum ersten Male wieder die Welt. + +</p><p>Jede Blume um sie wuchs ein ungeheures Wunder in +ihren Sinn. Eine Eidechse ließ sie die Hände schlagen vor +Entzücken. Der große Himmel über ihr aber sog sie auf +in sein Wogen wie einen kleinen Klang in sein unsterbliches +Rauschen. + +</p><p>Als die Schatten über sie fielen, zogen ihre Brauen +sich zusammen. + +</p><p>Der Prinz wartete eine Weile. + +</p><p>Dann kniete der Elefant, daß das Land unter ihm sich +bewegte vom Andrang seines warmen Bauches. + +</p><p>Dann hob sich ihr Kopf, ihr Blick kam und riß ihn +herunter. + +</p><p>Mit beiden Armen trug er sie in seinen Sattel, bewegt +vor Zittern, die heißen Augen wie Samt, schreiend. + +</p><p>Der Elefant stürmte gegen den Norden, das Kloster +verlassend. Wind wühlte durch ihr Haar. Sie öffnete die +Augen. Wie lag der Horizont mächtig vor ihr! + +</p><p>Nach zwei Stunden kamen sie zum Fluß. + +</p><p>Das Wasser war tief gefallen, sie sah die Ebene nicht +mehr, zwei große Schlangen wälzten sich neben ihnen die +Ufer, entgegenströmend mit gelben Wellen kam der Strom. +Sie sah auf. + +</p><p>Vor der Kajüte verteilt lagen dreißig Ruderer, angestemmt +die Muskeln im Fahren. Über ihnen standen an +den Flanken Pfauenfedern, glänzend rund, und tibetanische +Kuhschweife. Sie kam mit dem Auge an die Stange des +Vorderteils, sie strich hinauf: ein großer goldener Knopf +wie die Sonne. Dann glitt sie, ohne einzuhalten, in den +Himmel, der über dem Flußbett hing, grenzenlos. + +</p><p>Ihr Gesicht färbte sich dunkler: + +</p><p>„Wie heißt du?“ + +</p><p>„Thengo-Tikien.“ + +</p><p>Zu einer großen Katze die Glieder zusammengezogen lag +er vor ihr: + +</p><p>„Du?“ + +</p><p>Ihr Nacken senkte sich nach rückwärts, ihr Auge nahm +die Decke der Kajüte auf, geölt und voll Maserung: + +</p><p>„Germaine . . . . . . Renée . . . . . . Duse . . . . . .“ riet er, +der das Französische wundervoll beherrschte. + +</p><p>Sie schüttelte den Kopf: + +</p><p>„Nenne mich!“ + +</p><p>„To,“ sagte er. + +</p><p>Sie lachte leis. + +</p><p>Er, der jede ihrer Bewegungen gierig einsog, berauschte +sich langsam an ihrem Gesicht. Er badete darin, sie ließ +es seinem bewundernden Blick, ohne Verwirrung. Seine +Verehrung war zu deutlich, zu unbefangen, als daß sie ihr +nicht gefiel als Frau. + +</p><p>Während er sie genoß mit den Blicken, sprach er ihr +von Europa, von Gärten mit Musik und Sälen, sein Auge +war nicht ganz sicher diese Zeit. Ein Boy servierte ihnen +auf Porzellan und Silber gebackene Teeblätter. Unmerklich +abschwenkend, kam er aufs Nahe, hob die Hand und zeigte +die Landschaft, er redete von Büchern und Elfenbein, seine +Finger prahlten, damit ihr Auge sich bestürze. + +</p><p>Sie gähnte und sah ihn an. + +</p><p>Einen Augenblick wurde seine Pupille hart. Dann wurde +er weich, sein Tonfall kam zu ihr fragend, verehrend, aus +großer Entfernung. Er sagte verwunderliche Dinge, damit +sie ihn belehre. Spielend mit seiner Unkenntnis, gab er sich +als Kind, den Mund umzogen von unbefangenen Gefühlen. + +</p><p>Indem er sich so preisgab, hielt er dem Rätselhaften +stand, das ihn an ihrem Gesicht verstörte. + +</p><p>Allein sie gab nicht nach. + +</p><p>Er sprach von seinen jesuitischen Erziehern, deren frappierende +Wirkung er kannte. Ihre Seltsamkeiten ernst nehmend, +wurde seine Lippe ganz kindlich. Seine Sprache +schmollte, derart spielend. + +</p><p>Sie folgte ihm mit einem Lächeln, das er eintrank. + +</p><p>Sie folgte ihm bis auf die Höhe dieser Kindlichkeit. + +</p><p>„To,“ sagte er schmeichelnd wie eine Katze und lehnte +den Kopf an ihr Knie und rieb leicht die Wange daran. + +</p><p>Rasch zog sie das Bein zurück. + +</p><p>Er schnellte auf, getäuscht. Aber ihr unbefangenes Gesicht, +das sie mit einem Ruck damenhaft unberührbar vor +Sicherheit verwandelte, gab ihm die Erinnerung seiner +europäischen Tage, seine Hand fiel zurück. Er lächelte ebenfalls +unbefangen zu ihr. + +</p><p>Seine Haut aber spannte sich vor Erregung, er war +von göttlicher Schönheit und hielt nur noch schwer. + +</p><p>Sie reizte ihn, daß er seine Haltung änderte, sie ließ +die Augen nicht von ihm. + +</p><p>Am Mittag erreichten sie einen Platz, wo Stufen, in +die Felswand gehauen, zeigten, daß Städte hier seien. Anhaltend, +entstanden ihnen Bambushäuser in fliegender Eile. +Ein Landschaftsgouverneur erschien, die Gegend bevölkerte +sich. Über ihnen wölbte sich eine Ebene, auf deren Scheitel +unbeweglich ein Schwarm Tauben hing. + +</p><p>Der Abend war noch weit. Sie nahmen, faul vom +Liegen, junge Pferde und ritten. Je länger sie ritten, um +so größer wurde die Geschwindigkeit der Tiere. Die Pferde +warfen Mais und Gras auf mit dem Huf, eine kleine +Wolke von Sand stand an jeden Fuß geheftet. Der Prinz +wies ihr seinen Besitz, sein Finger stieß in die Gegend. +Seine Stimme war deutend, erklärend, mit einfacher +Würde. + +</p><p>Er kam ihr mit Gleichmut, und sie lächelte darüber. + +</p><p>Der Nagel seiner Hand glänzte. Dahinter standen Berge, +die Rubin trugen und Kupfer. Die Fläche seiner Hand +formte eine Quelle, die heiß lief, mit Nymphen, blond die +Haare. Sie gab ihm freundlich das Ohr. + +</p><p>Die Luft, in die sie tauchten, löste alles um sie auf, so +dicht ward ihre Strahlung. + +</p><p>In das Rot der unsichtbaren Sonne stieg ein blauer +Dampf. Die Reiter hoben sich mit scharfen Rändern unwirklich +aus der Landschaft. + +</p><p>Vor ihnen ballten sich Umrisse, der Luft seltsam verwoben, +wie ein Kreis. + +</p><p>Die Hufe der Pferde waren in der weichen Wiese kaum +hörbar. Kein Ton lag in der Luft. + +</p><p>Ein Tor schlug sich ihnen auf, dumpfer Schein von +Metall darum, das zerrissen daran hing. Hinter dem Bogen +lag weich im dunklen und goldfarbenen Raum eine Straße. +Sie sahen keinen Menschen in der Einsamkeit der Gebäude. +Es wogte eine samtene Luft, die sie fast faßten mit den +Händen. Sie sprangen ab und banden die Gäule an Penaigobäume. + +</p><p>Ihr helles Wiehern scholl blendend wie etwas Helles in +der weichen Verlassenheit hinter ihnen. + +</p><p>Die Fenster der Häuser glänzten wie Milch. Die glanzlose +Sonne war lang verschwunden, aber die Dunkelheit +war fast weiß von Licht durchflimmert, und Silber band +sich in jeden Winkel. + +</p><p>Riny bog in einen Garten, dessen Mauer eingestürzt +lag, schon verwachsen, gegen die Straße. Thengo glitt +hinter ihr. In der Ruhe sprang ihr Herz. Sie fühlte ihn +im Rücken, ihr Puls erstickte sie in der Kehle, die Brust +schnürte sich zusammen. Sie sah um. + +</p><p>Sein Kopf war in dem Licht sehr schmal, mit zarter +Haut und gerafften wilden Brauen . . . . . erregend die Tönung +der Lippen. + +</p><p>Sie nahm ihr Auge aus seinem und trat rasch in das +Haus, ohne den Schritt zu beschleunigen. Zu einem Fenster +des verfallenen Hauses sah sie heraus. + +</p><p>Er stand unten, geduckt. Sein Kopf sah heraus, seine +Kehle gab etwas frei, einen Ton, dann sprang er nach. + +</p><p>Treppen vor sich aufgetürmt, schon überwunden, Säle, +Keller, ein plattes Dach voll weißer Disteln . . . . . überall +spürte sie seinen Atem, pochender Schläfe, nie fehlte ihr +seine Gegenwart. + +</p><p>In einem Schatten duckend, sah sie seinen gespannten +Schenkel, der ihn vorbeitrug. + +</p><p>Sie stieß einen leichten Ruf aus, der ihn anhielt, weich +und dunkel sich verirrte weiter in den Gängen. + +</p><p>Durch das Fenster, den Kopf noch nach seinem Ansprung +gewandt, ergriff sie einen Ast und schwang sich auf +den Balkon. + +</p><p>Schon um die Biegung der Galerie, gerötet, das Herz +haltend, sah sie den Schwung, der den bronzenen Körper +hinter ihr herüberwarf auf die Brüstung. + +</p><p>Von einer Schar Pilaster aufgehalten, verwirrte sich +ihr alles. Verlassen, allein suchte sie den Ausweg. + +</p><p>Je länger sie den Weg suchte, um so deutlicher suchte, +rufend, sie nun ihn selber. Von Marmor zu Marmor sich +windend, kam ihr aus dem Schatten sein Mund überall +entgegen. Unter einem Bogen sah sie Sterne. Sie wand +sich hindurch und trat durch ein zerfallenes Fenster auf eine +Terrasse, darüber den Himmel. + +</p><p>Sofort spürte sie ihn in der vibrierenden Luft. + +</p><p>Sie wandte sich die Länge des Baus hinunter. Ohne +daß ein Laut ging, fühlte sie ihn hinter sich. + +</p><p>Sie fieberte über die ganze Haut. + +</p><p>Sie lief die halbe Terrasse hinunter. + +</p><p>Dann faßten seine Hände ihre Schultern. + +</p><p>Mit gleitenden unentreißbaren Bewegungen riß er sie +an sich, ihr Mund heiß und quellend bog sich an seinen, +unter feinen Liebkosungen kam sie wieder zu sich. Sie waren +sanft wie die der wilden Tiere. + +</p><p>Der Sand der Terrasse war warm von der Sonne +noch wie am Meer. + +</p><p>Sie lehnte den Rücken gegen die Wand des Palastes, +an der sich ihr Schatten groß und gelockert um sie formte. +Er lag bäuchlings vor ihr, sein Gesicht zu ihrem erhoben, +die Zähne frei, die Lippen befeuchtet. Seine Muskeln lebten +alle, auch in der Ruhe war er gespannt. Sie sah auf ihn, +hingegeben dem Bezwinger. Seine Gewalt und Wildheit, +das Knirschen seiner Zähne, die Glätte seines Körpers +machten sie wanken mit den Lippen nach ihm. Ihr Kopf +war müde, er blieb an die Mauer gelehnt, unsichtbar bebten +nur die Lippen. + +</p><p>Wieder in einer Pause ihres Bewußtseins lag er vor +ihr. Sein Blick badete immer noch in ihrem Gesicht und +sog einen Rausch daraus, der langsam seine Züge überzog. +Um seine Pupillen gingen im Wechsel die Gefühle, die +Augen erstarrten in glasigem Email. Seine Lippen bewegten +sich einige Male. + +</p><p>„To.“ + +</p><p>Er wiederholte ihren Namen. + +</p><p>„To . . . . . . ich liebe dein Gesicht.“ + +</p><p>Seine Stimme ward leis und singend: + +</p><p>„Es ist nackt,“ sagte er. + +</p><p>Sie legte die Hände unter den Nacken. + +</p><p>„Du hast es unverhüllt getragen. Nie sah ich Frauen, +die so stolz waren in ihrer Schamlosigleit.“ Die Stimme +versagte ihm heiser. + +</p><p>„To . . . wenn andere Frauen ihr Gesicht preisgäben . . . +To . . . deines ist schön und hart. Hast du es durch viele +Länder getragen? Viele haben es gesehen wohl an deinen +Seen, in den Städten, wo du fuhrst — — Tausende Männer +haben ihre Augen darauf gehabt . . . haben es beschmutzt. +Haben Hunde es gesehen? Frauen haben wohl heiße Blicke +darauf gehabt? Aber — ich liebe es.“ + +</p><p>Sein Blick flehte an ihr, er zog an jeder Falte ihres +Gesichtes, und ihre Augen stahl seine Glut in die seinen +hinein. + +</p><p>Ihr Kopf stieß gegen die Wand hinter ihr. Sie empfand +die Macht ihres Körpers ausgehen von sich eine Wolke +voll Geruch. Noch war ihr Herz tief in der Gewalt seiner +Umarmung, da stieg sie schon, ohne daß sie es wußte, +weit über ihn, der sich wand vor ihr in Wollust. + +</p><p>Er hob sich auf, schnellend mit allen Sehnen. Lächelnd +bog sie den Mund zur Seite. Sie sah das Fremde aufblitzen +in seinen Augen, die grünlich aus dem Ring um +die schwarze Pupille heraustraten. Sie roch seinen Körper, +der duftete nach stürzendem Blut. Süß geschaukelt +in der Gefahr seiner wilden Entfesselung reizte ihr Mund +ihn, bis er als Kind an ihren Knien vergehend lag und +sie, es schwer nur ertragend, den Mund hinüberbog an seinen +und klein und schwach unter seinem von Leidenschaften +überschwungenen Kopfe hing. + +</p><p>Ihr Lächeln, bald hingegeben im Vergehen, lenkte seinen +Blick, der sie zerriß. Ihr erwachender Blick aus dem +Taumel zog ihn zu sanften Worten, hinter denen, die Fesseln +gespannt, das Raubtier stand. + +</p><p>Noch halb in der hellen, aber von Morgenscheinen dunkel +versilberten Nacht trug er sie, mit der Kehle jauchzend, zu +den Pferden. + +</p><p>Ihre Schatten fielen langsam auf die Erde, die fast rot +war. Sie erreichten die Schiffe, die Gäule ritten Kopf +an Kopf, kein Zoll fehlte. + +</p><p>Der Morgen legte die weitaufgebrochene Landschaft vor +sie. Mit Licht ausgefüllt leuchtete sie still von allen Seiten +in sich selbst. Wind packte keiner ihr Haar und Gesicht. +Sie lächelte blaß und verzückt, die Ringe sanft unter die +Augen gezogen. + +</p><p>Die Welt stand eine Kuppel über sie dünn und zart wie +aus Glas. + +</p><p>Der Rhythmus des Fahrens wiegte sie gut. Die Sonne +kam bis zu ihr herab und senkte sich zwischen ihre Brüste, +mit mildem Licht von hier aus das Licht ergießend über +die Welt, die sie sah und die sich um sie bewegte, in der +sie tausendfältig in der großen Ruhe war. + +</p><p>Am Ufer parierte ein Pferd gegen Mittag, die Vorderbeine +stiegen in die Luft, ein Zaum bog das Maul in die +Höhe. Sein roter Bauch strahlte auf. Thengos Augen +zogen sich zur Seite. Ein Schwimmer holte die Nachricht +und hob sie in das Boot. Sie mußten sich trennen, es +war nur auf Stunden. Dennoch erbleichte er. Rinys +Blick sah ihn tief bewegt, doch sie blieb kühl. Sie gab +ihm die Hand, der er tausendfach sein baldiges Wiederkommen +versicherte. Sie sagte nichts, auf was er lauerte. + +</p><p>Ruhig, unbefangen nahm sie Abschied von ihm, dessen +Gesicht sich grausam zusammenzog. Seine Augen bewegten +sich nicht von ihr, solang als ihn sein kleines Boot zum +Ufer fuhr. + +</p><p>Weiterfahrend verglitten die Dämme der Küsten in die +Landschaft. Vom Ufer aus sah sie auf das Gelände, das +im halben Bogen des Horizonts mit Mais gefüllt war, und +auf der Tiere still dahingingen bis an den Rand. + +</p><p>Gegen Abend tauchten sie in eine Bucht, Scho—Li—Rua, +die Bai der gelben Boote. Das Wasser stand wie Glas. +In einem hohen Bogen hoben sich Häuser mit kleinen Fahnen +und senkten sich wieder über einem Hügel, die Fronten +gegen den Fluß gelehnt. Hier nachteten sie. + +</p><p>Sie bewohnte das äußerste Bambushaus des Kreises, +halb schon an der Bai. Keinen Augenblick empfand sie +Ruhe. Schatten wogten draußen. Durch die Ritzen spürte +sie, unsichtbar, den Glanz spähender Augen. Lautlos trug +die Luft ein erregendes Geschehen, das ihr den Schlaf +nahm. + +</p><p>Sie trat, aufstehend, zur Tür. Davor saßen zwei Wachen, +hinter ihnen glitten Schatten weg in die Nacht. Sie +ging hinein und legte sich von neuem. Lange konnte sie +nicht schlafen, von der Hitze der Gegend und der Bewegung +um sie gestört. Auch ihr Hirn versagte. Sie konnte nichts +denken. Langsam fiel sie so in den Halbschlummer hinein. + +</p><p>Halbnackt, auf seinem Schweiß noch den eines Pferdes +wie Schnee, stand Thengo vor ihr. Sie fuhr auf, noch +konnte er nicht reden, als er sie küßte. Noch versagte sein +Mund, als seine Lippen schon ihr Gesicht überwanderten. + +</p><p>„Du . . . ,“ flüsterte er keuchend. Seine Augen wurden +lächelnd und klein vor ihr, als ob sie bäten . . . . . . „ich +habe mich sehr geeilt.“ + +</p><p>Tagelang noch fahrend, hielten sie eine Nacht dann nicht +an. Mit Windlichtern ruderten sie durch das Dunkel des +immer mehr verengten Flusses hinauf. Mit dem Morgen +hob sich Dunst von der Gegend und in dem noch wirren +Ineinanderschieben des Nebels sah sie goldene Spitzen im +schon manchmal erscheinenden Blau. + +</p><p>Ein Palankin hielt, wo sie landeten. + +</p><p>Er, den Schwanenhälse zierten, von zwei Löwen an der +Spitze und am Ende gleich einem Flügel breitenden Vogel +überbogen, die fürstliche Türmung gelb darüber gereckt, empfing +sie aus dem Atlas des Inneren mit Moschusgeruch. + +</p><p>Rasch getragen sah sie durch die flatternden Falten des +vorgeschlagenen Vorhangs, sanft gewiegt im Rhythmus der +Laufenden, eine Stadt eine Hügelkette hinan gelegt und an +ihrem Fuß anspülend einen See. + +</p><p>Dann hielt sie in einem Garten und sah das Schloß +mit Galerien, achtstöckig unter dem chinesischen goldenen +Dach, das den obersten Erker überspielte. + +</p><p>Thengo-Tikien empfing sie im dritten Stock, er nahm +gleich ihre Hand und führte sie durch die Zimmer. Als er +neben ihr ging nun, war nichts mehr von der Würde des +Armwinks an ihm, mit dem er vor einem Herzschlag noch +die Diener hinausgeschickt. Stets Neues aufkramend, wies +er ihr das Alte wieder. Er brachte ihr eifrig eine Tasse, +an der sie vorbeiging. Kissen hob er ins Licht, daß die +Lamaseide bleicher scheine. Vasen rückte er ihr zurecht. +Seine Hände boten ihr, wühlend in kleinen gehäuften Dingen, +von Tischen Silber und Dosen. + +</p><p>Sein Auge stahl jeden Ausdruck aus ihrem Gesicht. +Mit ihr wurde er gleichgültig, sein Gesicht ward ausgelassen +mit ihrem, verzückte sich wie sie. + +</p><p>Die Wände schienen blau herunter, mit in Seide gewebten +Figuren durchzogen. Vor den Fenstern lag der +Westen und der große See. + +</p><p>Sie wandte den Kopf zurück von den schönen geschwungenen +Ufern, nahm seinen Kopf in die Hände, küßte mit +langem Kuß seinen guten Mund. + +</p><p>Seinen Zahn spürend, gab sie sofort ihn aus dem Kuß. + +</p><p>Er zitterte vor ihrem gleichmütigen Lächeln. Sein Fuß +trat auf, doch sofort wurde er sanft. Da warf sie sich in +die Kissen, und nun fuhr die Flamme wieder ungehemmt +über ihn. + +</p><p>Oft sah sie ihn nun, ohne daß er bei ihr war. Durch +das Fenster auf den Hof schauend, erblickte sie ihn, der Soldaten +vorbeiziehen ließ. Das Laubgewinde des Fensters +schnitt seine Figur in viele zarte Teile, in einem runden +Loch schwebte der Kopf. Durch das Gitter einer Galerie +sah sie ihn mit Gesandten verbindlich reden, Europäer verbeugten +sich ihm, er verbeugte sich ihnen, das flüssige kalte +Feuer seines Französisch schwirrte zu ihr herauf. + +</p><p>Sie verlor sein Gesicht nie aus den Augen über seine +Haltung, die alles ausdrückte. + +</p><p>Sein Gesicht war gleichmütig, ihr war, sie hätte es nicht +gekannt. Es war ohne Stolz und als hätte es nie gewußt +um Demut. Haß und Freude wies es nie auf, nach innen +gekehrt unter halb geschlossenen Lidern. + +</p><p>So beinahe noch kam er des Morgens zu ihr. Erwacht +oben, wo er schlief, der Sonne am nächsten, empfing er +die Masseure, nahm das Bad, währenddem er las eine +halbe Stunde, dann stieg er hinunter. + +</p><p>Er frühstückte mit Riny, die ihn in heller Matinee, die Arme +nackt aus Tulpenärmeln fallend, empfing. Er griff nach +Nüssen und Mandeln, schenkte Riny Milch ein und reichte +ihr die Früchte. Immer stand sie täglich vor dem ihr unbekannten +neuen Gesicht. Nur aus dem Eckschlitz des Auges +kam manchmal ein Blick der Unbeherrschtheit. Aber mit +einigem Lächeln legte sie sein Gesicht frei. Es schmolz hin +unter ihrem Gesicht, das sich ihm zuneigte. Kindlich ihren +Augen vertieft lag er, wunschlos, verehrend vor ihr in +den Fellen. Sein Blick legte Andacht und gütige Stille +auf sie. Ein großer Schmetterling summte in das noch +sommerkühle Morgenzimmer, vor dem die Stille des weiten +Sees sich breitete. Hin und wieder flüsterte er ein +leises Wort, das ihr gut tat, hinauf, während ihre Augen +ineinanderhingen in einer klaren Vereinigung. + +</p><p>Widerwillig ging er von ihr den Morgen, noch aus der +geöffneten Tür ihr traurig winkend, zurückkehrend und sie +noch einmal zärtlich küssend, sein Mund dann verzog sich +schmollend. „Chéri,“ lächelte sie und zog ihn zärtlich an sich +zurück, „bleib hier“. + +</p><p>Aber dann ging er trotz ihrem Lächeln, diktierte, ließ sich +umkleiden, empfing. Erst am Abend holte er sie, in die +beruhigtere Landschaft mit den Pferden hinauszureiten. + +</p><p>Am Morgen eines festlichen Tages bat sie ihn, eine Audienz +sehen zu dürfen, aber er wich ihr aus, indem er sie +vertröstete, es ging gegen sein Gefühl, daß eine Frau so +sehr eindringe in all seine männlichen Dinge. Er sagte ihr +keine Unwahrheit, aber er belog sie mit jeder Bewegung. +Sie sah ihn an und ging an seinem zugeschlossenen Gesicht +hinaus aus dem Zimmer, nahm ein Buch in dem anstoßenden +und pfiff eine leicht wiegende Melodie. + +</p><p>Er stand in der Rampe des Vorhangs, die Augen grün +auf sie gerichtet. + +</p><p>Sie sah nicht auf, empfand Angst, wie jedesmal, wenn +das räuberische Tier in seinem Blute aufstand. + +</p><p>Aber sie kannte die Gewalt ihres Körpers. Sie gab +nicht nach und spielte mit ihrer Furcht. Er kam langsam +herein und machte sich zu schaffen an einer Falte des Teppichs. +Zweimal ging er auf und ab am Zimmerrand. + +</p><p>Dann hingekniet neben ihr: + +</p><p>„To . . .“ + +</p><p>Sie streichelte ihn über den Kopf. Seine Knabenlippe +schaute voll Unschuld zu ihr hinauf. Sie vergab. „Du bist +schön,“ sagte sie, tief in seine Augen schauend. Er strahlte. + +</p><p>Am Mittag sah sie die Audienz, hinter einem großen +Schirm aufgestellt. Die Zeremonie ging rasch vorüber. Als +der Saal leer war, ging sie neben ihm durch den Saal. + +</p><p>Sie sah ihn von der Seite an, dann stieg sie auf einen +Thron und fuhr mit der Hand über das Polster. Es lag +auf einem springenden Jaguar aus Silber, der nach oben +brüllte, wo, abschließend, die Flügelbreitung eines Vogels +stand, aus dessen Schnabel ein Dolch herabfiel, schaukelnd +im Gleichgewicht mit Rubin und Karfunkel. + +</p><p>Er hielt ihre Hand sie zu stützen, sie fühlte, daß er unmerklich +zog. Rasch sah sie in sein Gesicht. Es war verschlossen, +ohne Ausdruck. Ihre Brauen zogen sich zusammen. +Da kam langsam ein heller Schimmer in sein Auge. + +</p><p>Sie zogen dann im langsamen Trab durch die Gegend +den Fluß entlang, dessen Schilf sacht aufrauschte. Ein Reiher +hob sich in den Himmel in langen sicheren Zügen, die Luft +war sehr klar, sie atmeten mit geweiteten Lungen und sahen +sich froh an, wenn sie sprachen. + +</p><p>Gegen Abend bemalte der Horizont sich rot und die +Luft bekam Dichte, die Dämmerung fiel mit Schwüle, ihre +Haut wurde feucht unter den Kleidern, den Worten benahm +die Luft die Sicherheit. Von fern im Bogen anreitend sah +Riny die Lichter einer Niederlassung, zwei Meilen von der +Stadt, die sie nicht kannte, deren Kerzen sich schön im +Flusse spiegelten. + +</p><p>Sie frug darauf deutend, er murmelte einen gleichgültigen +Namen. Sie sah die Lichter flimmern und erstaunte +sich über das unbekannte Bild. Sie bat ihn hindurchzureiten, +er schien es nicht zu hören, so lenkte sie die Pferde von selbst. + +</p><p>Er sah sie an mit einem unbeschreiblichen Blick. Seine +Augen waren so voll Sehnsucht und leuchtend in der Schwüle, +daß er nicht wagte, sie zu reizen, die ihn mit kühler Miene +ansah. Er suchte sie abzubringen vom Wege, er hoffte, daß +sie es vergäße, aber sie folgte seinem Pferd nicht, seines +vielmehr schloß sich an das ihre dicht an. + +</p><p>Er konnte es nicht sagen. + +</p><p>Er hatte wenige Geheimnisse vor ihr, aber dies widerstand +ihm. Er brachte seine Zunge nicht dazu. Doch gab +er sich Haltung und folgte in Unabänderliches, führte es +durch, schob den Turban ab und band im Reiten ein Tuch +um die Stirne, dann stieg er ab und half ihr herunter und +band die Tiere an einen Pfahl. + +</p><p>Zu Fuß gingen sie voran, alle Hütten waren erleuchtet, +aus dem Stroh und dem Bambus glitzerten die Kerzen +still und andächtig. Schatten bewegten sich in der Straße. + +</p><p>Riny blieb lächelnd, den Finger an der Lippe, an einem +Fenster stehen und schlich sich an, spähte hinein und kam +wortlos zurück. Er nahm ihren Arm. Aus den Fenstern +schlichen stille lockende Rufe in die Nacht. Sie sah Frauen +herausgelehnt in verschwommenen Umrissen, ihr Herz klopfte +mit einem Male, als sie verstand, wo sie waren. Im +Leuchten einer Laterne stand ein Weib mit bloßen Brüsten +auf dem Dach eines Hauses und zog an einer Glocke, +die zart und flüsternd hinausfloß in die Dunkelheit, die +immer weicher sich um sie legte, beladen mit dem Geruch +der Körper und der Duftigkeit der Blumen aus den +Gärten. + +</p><p>Wortlos ging sie weiter, der Arm Thengos stützte sie, +und sie empfand mit Freude seine Haltung. Sie sah zu +ihm auf. Sein Mund schwebte geschlossen in der Luft. Er +führte sie bis an ein Haus, das im Schatten eines Gartens +lag, ihre Hand immer streichend, die wärmer und feuchter +wurde unter ihm. Sie drückte seinen Arm. + +</p><p>Er hob den Klopfer und schlug ihn gegen die Tür. + +</p><p>Zweimal gongte er durch die Dunkelheit, bis die Flügeltore +aufgingen, zwei weiß gekleidete Frauen sie anstarrten. +Er winkte ab. Fett kam ein Chinese, schickte sie weg und +schaute schielend von unten nach Thengos ziselierter Kette. +Sein Bauch knickte ein und schwabbte über die Knie, sein +Gesicht glänzte fett vor Ergebenheit, obwohl er nur den +Rang, nicht den Fürsten erkannte. + +</p><p>Thengo gab ihm einen Wink mit dem Finger. + +</p><p>Eilfertig schob er die Gardinen weg und sie traten ein, +Riny nahm Thengos Arm. Ein Zimmer sah sie, mit einer +Veranda in den Garten hinausgeschoben. Die Tür fiel zu. +Eine zarte leise Stimme sang zu einer Harfe ein Lied und +von der anderen Seite schwoll gedämpft ein erregtes Flüstern +herein. + +</p><p>„Endlich“ . . . . . Thengo umarmte sie, mit beiden Händen +ihr Gesicht streichend, unfähig noch zu schweigen. + +</p><p>Den Ausschnitt des Fensters säumten Blumen nach dem +Garten, ihr Kopf lag auf dem Binsendiwan und seufzte. +Ihre Augen waren beide starr. Rot sank zu rotgeschweiftem +Hügel. Sein Mund tastete über ihren Leib, ihre +Blicke lagen bei den Pflanzen, die golden in dem Nachtausschnitt +standen, sie schmolz hin. Sie rief einmal seinen +Namen. Er jubelte ihren dagegen. Dann lobte er ihren +Körper, sein Mund hatte viele Vergleiche, die wild waren +oder dufteten wie Blüten. Er war so angefüllt von verhaltener +Sehnsucht, daß er sie nicht mehr sah, wie sie +war. Blind hingegeben seiner Trunkenheit machte er sie +zur Andacht. Was ihn erfüllte, aufgetrieben noch durch +den Reiz des abenteuerlichen Hauses, strömte zu ihr, er +heiligte ihre Knie, er weinte über ihr Auge, seiner unbewußt +koste er sie. + +</p><p>Nie besaß er sie so sehr. + +</p><p>Sie lag blaß auf dem Lager und gab ihm jedes ihrer +Glieder mit einem hinströmenden Gefühl. Sie gab jeder +Stelle ihres Körpers die Kraft, daß sie jeden Kuß aufnahm +und erwiderte und stärkte. + +</p><p>Erschüttert von ihrem Geben lag er neben ihr und schon +wieder verschmolzen seine Augen mit ihren in einem unzerreißbaren +Zusammenhang. + +</p><p>Er kämpfte, sie in den Armen haltend, um den letzten +Rest ihres Leibes mit allem seinem Gefühl, daß, über ihn +gebeugt, sie sagte, was sie noch nie aus Furcht zum Wort +gegeben: + +</p><p>„Tiger.“ + +</p><p>Sein Auge färbte sich einen Augenblick zarter. + +</p><p>„Du wirst dich töten,“ sagte sie. + +</p><p>„Es ist besser als anders zu leben.“ + +</p><p>Spät, als der Mond aufging und seine Lippe sich in +seinem Licht beruhigte, streichelte sie ihn. + +</p><p>Aber dies beruhigte ihn nicht. Sein Gehirn empfand +sie anders wie jede Frau, die er bisher gekannt, die in +seinen Harems, ihn erwartend, ihm hingegeben lagen, ohne +Widerstand. Er sah sie, erschöpft, in all ihrer Freiheit, in +allem, womit sie, ihm widerstehend aus ihrem Innersten, ihn +fesselte und erhob. Nie sah er sie anders, als ihr Gesicht +auch allen anderen weisend. Ihn zerschlug der Gedanke, daß +sie wie in seinen, in anderen Armen gelegen. Was er bei +anderen Frauen natürlich nahm, ohne einen Gedanken, +verwuchs sich ihm zu Bildern, die sein Erleben in Tiefen +trugen, die ihn in allen Gliedern durchliefen. Sie lag, die +Augen frei und sicher auf ihn geheftet. + +</p><p>Sie fand ihn schön. + +</p><p>Allein er empfand die unsägliche Trennung von Geschlecht +zu Geschlecht an ihr zum ersten Male und stand an +dem Dunkel, das nicht sein Arm durchbrach, das sein Herz +nicht bebend überbrückte. + +</p><p>Er küßte ihre Stirn und ihren Mund: „Nie sah ich +Frauen wie dich . . . . To.“ + +</p><p>Sie streichelte ihn wieder. Aber er ließ ihren Mund nicht. + +</p><p>Noch in der Nacht bog sich sein Auge zur Seite, seine +Schläfe wurde braun, der Mund öffnete sich kurz. + +</p><p>Dann war er leblos. + +</p><p>Rinys Liebe brach in Weinen aus. Sie badete sein +Gesicht mit dem ihren. „Thengo,“ rief sie, „wir gehen in +den Garten, die Luft ist schlecht in dem Zimmer. Draußen +stehen die Blumen und machen kühl.“ + +</p><p>Sie legt das Ohr an seine Brust und rieb die Schläfen. + +</p><p>Ihr Blick sah verwirrt auf seinem Schenkel einen Tiger +tätowiert, den sie noch nie sah. Ihr feuchtes Gesicht lag +an seiner Brust und schmeichelte. Ihre Wange, gedrückt, +hob sich von einem Amulett aus metallischer Substanz in +geblümtem Seidenzeug mit magischen Sentenzen. Sie legte +es auf sein Herz, ihr Lächeln glaubte, daß es half. Ihr +Mund kam wieder an sein Ohr, ihre Finger fuhren langsam +zärtlich über seine Schläfe. + +</p><p>Nach Sekunden glomm Farbe wieder in seinen Mund, +sie atmete tief auf, ein Schluchzen war ihr nahe. + +</p><p>Sein erwachender Blick traf Riny nicht mehr. + +</p><p>Sie stand auf der Veranda, als käme sie aus dem +Garten, sie rief zu ihm durch die Blumen: + +</p><p>„Thengo . . . . . . Schläfer.“ + +</p><p>Ihr Arm wischte die Tränen aus den Augen, die in +einem Regenbogen über den Kies fielen. Von der Nachtluft +erfrischt, Blumengeruch noch im Haar, ganz hingegeben +seiner Müdigkeit, schmiegte sie sich an ihn, er glaubte ihren +Augen, die gut über ihm standen, er wache aus dem Schlaf. + +</p><p>Sie gingen hinaus später in den Garten und legten sich +in Stühle, die auf dem Rasen standen, aus dem Hyazinthen +herauswuchsen und sich mit dem Nachtduft vermischten. Es +war ganz still geworden in dem Haus, auch die Harfe +schwieg. + +</p><p>Sie hielt seine Hand auf ihrem Schenkel, und wie er +sie hielt so in der Stille ihres abgeebbten Blutes, überkam +sie eine Zärtlichkeit zu ihm, die ihn ihr ganz verband. Kein +Wort fiel in dieser Stunde. + +</p><p>Aber die Stunde lag noch in ihnen, als sie vor Morgen +zu ihren Pferden gingen und hinausritten in die Dämmerung. +Ihnen war alles vertraut, sie streichelten ihre Hengste, +ließen sie laufen mit kurzem Steigbügel und losen Zügeln, +sahen die purpurn mit goldnen Lasuren bemalten Satteltaschen +an mit vertrauten Blicken und empfanden es innig, +wenn in den Reifen ihre nackten Füße sich berührten. + +</p><p>Am Abend erfuhr sie, daß er den Mittag sie verlassen +hatte für eine tagelange Reise. Er war vom Gefühl der +Nacht noch so sehr voll Güte, daß er ihr den Abschied ersparte, +indem er sich versagte, sie noch einmal zu sehen. + +</p><p>Sie lag aber gerührt von solcher Liebe die Tage, die +vorüberschwebten mit langsamen glücklichen Träumen, auf +ihren Veranden und sah in die Luft. Sie sah sein Bild +in jeder Straße, er schritt überall schön und still und das +Funkeln seines Auges erlosch, sowie sie lächelnd seinen +Namen sagte. + +</p><p>Sie wandte sich in den Garten, schnitt und goß an den +Blumen und spielte stundenlang mit den Tauben, die samtzart +in ihrer Hand lagen, sich mit warmen stillen Leibern +an ihre Wange schmiegten. + +</p><p>Die letzte Nacht vor seiner Ankunft war die Luft so heiß +in den Zimmern, daß sie im Freien schlief. Dünn bekleidet +lag sie auf dem Balkon. Immer noch hüllte der Mond +die Landschaft in eine Glocke von Silber. + +</p><p>Während sie lag in diesen Stunden, band sich das Land +in dem Licht zu einer bernsteinenen Masse, die sich dem +Himmel näherte mit jedem Atemzug. In dem harzigen +Licht aber, in dem die Gegend immer tiefer sich senkte, umwölkten +sich ihre Augen und in den Träumen, die sie überzogen, +während sie wachte, erhoben sich Gesichte und verschwanden +wie hingeweht. Das Letzte kam, aus ihrem +Herzen herausgeholt: + +</p><p>Ihr Vater sah sie an, sie winkte herzlich mit beiden +Händen. „Was willst du?“ frug sie. Doch er schwieg. +Sie erschrak ein wenig, doch seine Farbe war braun und gesund +und stolz. Sie zog ihr Gesicht zusammen zu Milde, die sie +überströmte: „Du bist sehr fern,“ sagte sie, „aber ich kann +nicht mich an dich wenden eben. Habe ich recht Pa . . . . .?“ +Er gab ihr keine Antwort. „Pa . . . . . ich weiß nichts +von Euch. Euer Haus ist mir ferner wie etwas. Ich +kann nicht zurückdenken an Euch. Aber ich weiß, daß ich +Euch liebe.“ Da schien es ihr, sein Auge frage sie: . . . . +warum . . . . Sie erhob sich ein wenig und nun traten ihr +Tränen wieder in das Gesicht: „Ich liebe Thengo,“ sagte +sie und ihr Lächeln ward so gütig, daß auf seinem Gesicht +ein Lächeln spielte, bis eine weiche Wolke ihn wegnahm +aus dem harzenen Licht. + +</p><p>Dann kamen andere Träume: + +</p><p>Sie sah zwischen zwei rosa Wolken Saint-Loux, den +Stundenzeiger ihres Lebens, aber er kam nicht fordernd, kam +mit einem Degen, den er hielt in verschränkten Armen wie +eine Bibel. Es schien ihr, er frage traurig in ihr Gesicht. +Aber sie sagte kein Wort, nur ihr Gesicht nahm das an, +was ihr Gefühl bewegte, und in seinem gütigen Glanze +löste sich die Erscheinung sofort zu zartem Dampf. Langsam +erst streiften sich die Bilder wieder von ihr und erst +in den Stunden der fallenden Nacht wachte ihr Kopf aus +dem Halbschlaf heraus. + +</p><p>Da öffneten sich die Lider ganz klar und hell. + +</p><p>Die gelbe Glocke des Mondes zerflatterte, sie sah Fackeln +draußen durch graue schon rötlich angelaufene Dämpfe +qualmen. + +</p><p>Sie trat rasch hinein. + +</p><p>Sie schlug eine breite Seide um den Bauch und färbte +die Augenlider mit einem schmalen Strich einer seidigen +Salbe. Sie goß Sandelholzpuder in den Ausschnitt ihrer +Brust und, ihn zerreibend, die Handflächen rosig davon, +trat sie hinaus. + +</p><p>Die Sonne kam gerade mit frühem schönem Licht. Der +See lag in ruhigen quecksilbernen Schatten. + +</p><p>Da aber lag unter den Rudern eine Flotte, vergoldet bis +in die Knäufe der Masten. Hunderte Boote schäumten den +See auf zu einem leichten Glanz, und die Ruderer sangen, +während sie die Schaufeln hoben, ein klares wiegendes Lied. + +</p><p>Sie hörte wie im Traum noch Elefanten von dem See +herauf den Boden stampfen, ihre Gläser in den Räumen +tanzten. An den Rahmen des Balkons gelehnt, schwach +in den Knien, hörte sie ganz von ferne: + +</p><p>„To.“ + +</p><p>Sie machte eine kleine Bewegung, aber schon stand er +vor ihr. Auch sein Gesicht war von Liebe so gut, daß es +still vor ihr hing. Sie sprachen nicht. Die Sehnsucht +glänzte nur von ihrem Mund, während sie still sich zu der +Landschaft wandten, die sich morgendlich auftat. Sie saßen +lange noch zusammen, überwältigt voneinander zu solcher +Stille des Erlebens, und schauten hinaus, ohne sich zu sehen, +bis ihre Augen lächelnd einander trafen und ihre Körper +sich berührten. + +</p><p>Sie waren sanft in ihren Liebkosungen, ihre Körper vertauschten +sich miteinander, ein jedes wollte das andere beglücken +und für es leiden. + +</p><p>„Hattest du große Sehnsucht?“ + +</p><p>„Ich habe hier alle Tage gesessen und gewartet.“ — — + +</p><p>„Und du . . . . hast du dich gesehnt?“ + +</p><p>„Ich habe einen Feind nicht töten lassen, weil ich dich +so sehr liebte, To . . . . .“ + +</p><p>Als sie allein dann blieb, brach der Abend mählich an +und eine angstvolle Ruhe überkam ihr Herz. Aber wie ein +Trost kam die Landschaft über sie, die mit Hügeln sich nach +dem Norden hin wellte. + +</p><p>Jede Erhebung trug eine Pagode, die sich rund erhob und +dastand. + +</p><p>Immer unirdischer stieg das Licht, das Geringste verklärend. +Überall schritten groß und still die Büffel über +die aufgelegten Felder, die in schwarzer Seide glänzten, +gegriffen von hellen Pflügen. Indigofelder wogten schwach +aus der Ferne heran, als kämen sie zu ihr wie eine schöne +Herde. Der Fluß bog sich schlicht, in eine Falte der Gegend +eingeknittert, vorbei. In einem nahen Garten mit rotschäumenden +Hecken saßen auf Palmen grüne Papageien +und regten sich nicht. Über allem lag das Glänzen wie +ein Atem. + +</p><p>Sie bog die Brust nach vorne und lauschte mit dem Ohr +an ihrem Leib. + +</p><p>Der Segen der Gegend reifte auf sie herein mit einer +Güte, daß sie still das Wunder in sich glaubte. Sie war +von Liebe so sanft und klar, daß dies Gefühl, das ihr wie +ein Traum in das Bewußtsein schwebte, sie ruhig machte +und sicher vor Glauben. Noch nie war ihr der Gedanke, +daß sie Kinder trüge, nah gewesen ihrem Herzen. Sie +empfing es, das ihr früher Schmerz und unlieber Einfall +nur gewesen und ängstend ihr weibliches Gefühl und ihre +Freiheit, nun mit der Aufnahme der selbstverständlichen +Güte, mit der die Welt um sie voll stand. Ihr Körper +verfeinerte sich unter dem Glauben ihrer Segnung. + +</p><p>Denn aus der unerklärlichen Stille der auf dem See +schon dunkelnden Fischerboote hörte sie das kleinste Geräusch. +Sie unterschied jeden einzelnen Fischzug. Ja, sie war bei +jedem einzelnen Tier, das die Angel dem See entriß. Bald +konnte sie unterscheiden, welche Welle, von welchem Ufer +kommend, den Strand unter ihr traf, und die Schatten +einer fernen Abendwolke fielen wie ein Stoff auf ihr Gemüt. + +</p><p>Um sie wuchs die Welt aber unerklärlich in Schönheit. + +</p><p>Sie wurde größer, an der Stadt der gelben Boote wurde +der Strom wie durchsichtige Haut. Viele Städte wuchsen +aus der Ebene und glänzten. + +</p><p>Durch die Steinölquellen erhielt die Dämmerung vom +See her einen Schein von Regenbogen, die sie ohne Pause +überzitterten. Unter ihnen überall lagen die Klöster ganz +in mattem Golde badend und in stillen Kreisen umschritten +die Priester sie sacht. + +</p><p>Sie faltete die Hände: ihr Mund dankte hingegeben an +die Klarheit, ihre Seele aber sog wie einen Atem die Güte +ein, die ihre Liebe über dem Land empfand. + +</p><p>Wie eine Verkündigung nahm sie den Tag mit in die +folgenden. + +</p><p>In Stille lebend war sie voll Erwartung. Nachts +lauschte sie oft auf ihren Leib. Auch, als das Blut ihren +Körper verließ, ließ sie nicht nach im Glauben, denn die +Verheißung nahm sie nicht auf einen einzigen Tag. + +</p><p>Sie lebte wartend, sanft und schmelzend in der Erwartung. +Ihr Gesicht glättete sich zu mondhafter Weiche. Ihre +Glieder formten sich zu harmonischer Milde der Bewegung. +Die Augenbrauen lagen fremd in ihrer wilden Biegung +auf solch den Dingen ergeben hingewandtem Gesicht. + +</p><p>Sie neigte sich in allen Dingen vor Thengo. Sie sah +keine Fehler an ihm jetzt mehr, lächelnd verzieh sie und war +nie voll Widerstand. + +</p><p>Aber unter dem aufnehmenden Erfüllen ihrer Liebe einte +sich nicht mehr das Bündel widerstrebender Gefühle, das sein +Wesen ausmachte und das sie sonst im Gleichgewicht hielt. + +</p><p>Einmal, endlich, gereizt, hob sie drohend das Gesicht +gegen ihn. + +</p><p>Er lächelte. Aber ihr Glaube, den sie unverbrüchlich +gehalten, löste sich langsam und schmerzlich seit diesem Augenblick. +Wie ihre Hoffnung langsam nachließ, wichen die +sanften mütterlichen Gefühle einer schmerzlichen Ruhe. + +</p><p>Sie entsagte. Aber sie war jeden Augenblick auf das +Wunder bereit. Sie sah Monat um Monat ihr Erwarten +eitel, aber die Sicherheit des Glaubens verließ sie auch in +dem sichtbaren Versagen nicht. + +</p><p>Thengos Leben hielt sie in ihrer Hand, ihn reizend und +gütig beruhigend. Sein wildes zersprühendes Leben bedurfte +ihres Gleichgewichts. Aber ein Teil ihrer Seele war leer +geworden im Warten und mit Hingeben an das Äußere +trat sie, es zu füllen, aus ihrer Stille heraus zu Reiten +und Fahrten. Sie spielte mit Hunden und befragte ihn +um die Führung seiner Geschäfte. + +</p><p>Am Tage des zweiten Geburtstages Thengos fuhren +sie in die Dämmerung auf den See mit wenigen Ruderern. +Das Wasser war gefallen, Tausende Inseln streckten sich +mit langen Armen aus der Flut, die, mit Steinöl überzogen, +gleich schillernden großen Tieren sich über sie bäumten. + +</p><p>Der Mond hob sich langsam und groß. + +</p><p>Sie lagen still in der einhüllenden Kühle und rauchten +wortlos in die Dämmerung. + +</p><p>Plötzlich ganz langsam begann Rinys Gesicht sich in +Tränen zu lösen. Kleine Tropfen hingen wie eine Schnur +an ihren langen Adern, das Gesicht badete in einer Feuchtigkeit, +die es erfüllte wie ein Mondschein. + +</p><p>Er sah sie nicht an, klopfenden Herzens. Seine Hand +schlich nur herauf und preßte ihr Knie: ich bin da. + +</p><p>„Thengo . . . .“ + +</p><p>Er hörte. Die blaue Dunkelheit um sie machte sie freier, +die ihren Atem aufnahm ganz weit und ihre Worte schlürfte. +Moskitos senkten sich auf sie nieder. Sie sogen heftig an +den Zigaretten und scheuchten sie mit Rauch. Aber es war, +als lägen sie in einer Säule, so dicht umwanden sie die +Tiere. Die Ruderer hatten die Netze vergessen, Thengo +sagte kein Wort zu ihnen, er schien ihr aufgelöst und gut. + +</p><p>Aber die süße Schwüle der Luft, die sein Druck zärtlich +verstärkte, ließ ihr Gefühl ganz hinrinnen. Zum erstenmal +sprach sie Thengo von ihrer Sehnsucht. Sie sah ihn +erbleichen. Nun begriff sie, daß sie ihn tief damit kränke, +denn seine männliche Eitelkeit trug daran im Glauben, sie +mäße ihm vielleicht die Schuld. + +</p><p>„Ich bin elend,“ sagte sie leise. „Ich kann nicht gebären.“ + +</p><p>Sein Gesicht arbeitete. + +</p><p>„Nein, To,“ sagte er: „Ich trage die Schuld.“ + +</p><p>Sie erschrak. Dann lächelte sie: + +</p><p>„Thengo . . . . du Tor . . . . mein Narr.“ + +</p><p>Er schüttelte den Kopf. + +</p><p>„Tiger,“ sagte sie. Sein Blick strömte über durch die +Luft auf sie mit einem wilden Jauchzen, das sich aus Liebe +dämpfte zu einem berückenden schwärmerischen Band. + +</p><p>Sie blies den Rauch heftiger aus. Der Mond war +noch groß und lag genau auf dem Spiegel des Wassers. + +</p><p>In den Schwärmen der Moskitos tauchten große grüne +Fliegen auf, deren saugende Stiche kleine Hügel an ihren +Armen aufschwellen ließen, daß sie den Arm zum Munde +führte, um es zu lindern. Thengo rief, daß man rasch +rudere. + +</p><p>Sie steckten Zweige an, indem sie zurückfuhren. + +</p><p>Er aber kam herüber und legte sich auf sie, daß er sie +deckte mit seinem ganzen Körper, mit seinem die Stiche +empfangend, sein Nacken war ganz gerötet. + +</p><p>Er küßte sie nicht. Sie lagen in einer stillen Vereinigung, +wie geboren in dieser Lage, sie tauschten die Sehnsucht +und den Schmerz ihrer Leben aus in einem Gefühl +der großen Harmonie, die sie trug. + +</p><p>„To . . . . es ist meine Schuld,“ flüsterte er. + +</p><p>Sie lächelte ihm in das Gesicht hinauf: „Thengo . . . . . +du Tor.“ + +</p><p>Sie landeten und gingen hinauf auf die Balkone. Ein +Feuerwerk entzündete sich feierlich und getragen über dem +See. In langen goldenen Schnüren hingen die Strähnen +zersprühter Kugeln hinab in das Wasser, über dem der +Mond noch rot sich brach. + +</p><p>Sie speisten auf Rinys Balkon. + +</p><p>Die Gardinen der Front bewegten sich alle in dem +lauen Wind, der den Abend köstlich trug. Es lag eine +Ruhe des Gleichgewichtes in der Luft, daß es weiter nichts +bedurfte wie da zu sein und sich zu sehen, den Atem zu +spüren, nichts zu reden — — um glücklich zu sein. + +</p><p>Während sie speisten, hob Thengo mit einem raschen +Schwung eine Kette schönster orientalischer Perlen um ihren +gerade geneigten Hals. Müde und erregt küßte sie ihn +zärtlich über den Tisch. + +</p><p>Dann stand sie auf, ihm Blumen im Garten zu schneiden. +Er hob, als sie aufstand, sein Gesicht fragend, gestört, daß +sie die wortlose Ruhe breche. Aber sie empfand so tiefe +Zärtlichkeit, daß sie den Gegenstand suchte, sie ihm darin +darzugeben. + +</p><p>Sie hob geheimnisvoll die Hand. + +</p><p>Ihr Finger fuhr zum Mund, die Lippen zogen sich zusammen +rätselvoll und lächelnd. Sie sah sein Gesicht heiß +werden, er nahm ihr die Hand herab und drückte seinen +Mund auf den Ballen. + +</p><p>Sie lachte winkend schon und entlief. + +</p><p>Sie wollte allein sein. Wie vieles und welche Höhe +sie mit ihm durchlebt, kam ihr, als sie in den Garten trat +und beruhigter stand. Die weiche Luft umhüllte sie, sie gab +sich dankbar hin. Sie schnitt einen Strauß barbarisch wilder +Blumen. Ihr ganzer Arm lag voll davon und währenddem +ging ihr Blut in einer Klarheit, die allen Dingen +sich verband, mit jeder Zelle faßte sie jedes Ding der Welt. + +</p><p>Sie spürte die Güte, die von Thengos Wildheit ausging +und in wunderbarer Wage die Leidenschaft seines +Atems mit ihrer Seele verband. + +</p><p>Das gab ihr Glück. + +</p><p>Aber in tiefster Liebe stehend, empfand sie die innere Sicherheit +weit über den Zustand des Glückes hinaus. Die tiefe +innere Ruhe war aus der Kraft der Entsagung in sie eingedrungen. +Der Schmerz in der Liebe und die Trauer +hatten sich eingesogen in ihr Blut. Sie trug einen Besitz, +der sie abschloß und vereinte. Sie war gewappnet gegen +jedes Schicksal. + +</p><p>Und damit brach sie zum ersten Male den Ring von +Saint-Loux und die mystische Kraft, mit der er ihr Leben +umlagerte, mit dem sie zum ersten Male schlief, und die +seither ihren Weg bestimmte, dessen Lauf sie zurückriß in +das Abenteuer seiner Umarmung jedesmal. Sie lächelte. +Sein Bild schwand und verblaßte. + +</p><p>Aber in diesen Gefühlen der inneren Ruhe strömte +Thengos Liebe auf sie zu. Sie war ihr ein Sinnbild. +Ihr Herz war weit und klar wie nie. Ihr mildes Herz +dachte nur an ihn, da es beruhigt war in sich selbst. Sie +ging, fast eine Erscheinung, körperlos und doch glühend, +hingegeben und verzichtend, großen Schwingungen der Erde +im Pulsschlag hemmungslos vereinigt, durch die Dämmerung +der Beete, hob die Arme nach den Büschen, seinen +Namen sagend, bei jeder Blume, die sie für ihn schnitt. + +</p> +<h2 class="chapter" id="chapter-2">Särö</h2><p> + + +</p><p class="first">Es ist der dreiundzwanzigste April, St. Georgstag. +Gunnaris sagt, heut stellten in Nyland und in Karelen +bis gegen die Grenze nach Petersburg hin die Frommen +Milch unter die heiligen Bäume und speisten Kuhzungen +mit geschenktem Mehl in den Ställen. + +</p><p>Es schlägt Acht von der Höhe Lidingös. + +</p><p>Gegenüber der ersten Stockholmer Schäre gehen wir an +Bord. Sirola und Vehkamäki rudern von der anderen +Fjordseite herüber. + +</p><p>Wir gingen hundemüde gleich in die Kabinen, es ward +sehr dunkel. + +</p><p>Ich kann nicht schlafen, horche auf das Flauschen der +großen Segel und bin voll Unruhe, aber ich begreife nicht, +was mich durchzieht. Nach rückwärts ist alles klar, nach +dem Zukünftigen der Weg gerichtet. Ich habe vier Wochen +Zeit, bis ich mit abgelaufenem Paß nach dem Balkan muß. +Was kann es mir nützen, daß ich es überlege? + +</p><p>Ich habe auf der Brust einen Brief meines Bruders, +der mir eine Dankesschuld für ihn abzutragen aufträgt +und der durch viele Zensurstationen mich nach zwei Jahren +in Schweden erreicht hat; ich habe eine Mission in +meinem Beruf außerdem noch und liebe sodann noch Siv. +Ich habe vier Wochen Zeit, bin in Eile und mache doch +unbedenklich trotzdem diese riskante Exkursion. Ich weiß +also genau, was ich will, wie ich immer es wußte. + +</p><p>In der Pupille, dem Spiegel gegenüber, ist kein Nachlassen +der Energie, nur hin und wieder scheint heut zum +erstenmal hinter dem hellen und herausfordernden Ton +der Netzhaut ein noch tiefer im Silber des Glases liegendes +Gesicht heraufzutauchen. + +</p><p>Doch sehe ich hart danach, bleicht es erschrocken zurück. + +</p><p>Es gibt nichts, was mich verwirren könnte im Umkreis, +Gefahr erschreckt mich nicht. Ich höre auf zu denken und +spüre, wie es irgendwo in mir bebt. Ich laufe auf und +ab. Es ist heiß, ich gehe im Schlafanzug hinauf, höre die +Matrosen, die an ihre Weiber denken, summen. Der Seewind +macht müde, ich schlief am Geländer, bis die Möven +kamen. Sirola stand schon vorne und fütterte sie und +lachte, wenn sie, sausend herabgeschossen, vor ihm mit nach +oben gestreckten Beinen erschreckt und gierig am selben Fleck +flatterten. + +</p><p>Abends sahen wir Leuchtfeuer über der Ostsee und kreuzten, +hörten ein Motorboot einmal, glitten durch ein Gitter +von Scheinwerfern, die uns nicht ganz erreichten und kamen +südlich von Abo auf das finnländische Ufer. + +</p><p>Das Schiff fuhr nach Helsingfors weiter. + +</p><p>An der St. Heinrichsquelle trafen wir Svinhufvund. +Er nahm die drei anderen Finnen gleich beiseite, Gunnaris +winkte mir entschuldigend mit den Augen, ich blieb eine +Weile allein. Mittags erst erfuhr ich, daß deutsche Battaillone +in Hangö und Lovisa gelandet seien, Helsingfors genommen +und die Arbeitertruppen in Haufen erschossen hätten. + +</p><p>Sirola zog einen Kreis mit dem Finger. + +</p><p>Die Roten waren zwischen der Linie des General Mannerheim +mit der weißen Garde zwischen dem bottnischen +Meerbusen über Tammerfors bis zum Ladogasee und den +Deutschen im Süden eingeklemmt und gegen Rußland zu +im Sack. + +</p><p>Svinhufvund erklärte, die Luft sei rein und unschwedisch, +wir bummelten in Abo, saßen im Café. Plötzlich wandte +sich Gunnaris um, zog uns mit ins Innere und durch den +Garten heraus. Durch die Mauer an der Ecke sahen wir +schwedische bürgerliche Freischärler mit den Schafpelzuniformen +in das Lokal stürzen. Wir verbargen uns. + +</p><p>Abends ritten wir, da die Finnen auf jeden Fall in +Verbindung mit Tokoi und Haapalainen kommen wollten +und ich diesen ein Papier mitgeben wollte, strammen Schritt +südlich gegen die russische Grenze zu. Die Finnen hatten +viel Ernst in ihren unbekümmerten Gesichtern. Die Gäule +waren bös, aber wir kamen bis zu dem Gut Mommila, +wo wir am Vorwerk abschnallten, im Heuhaufen etwas +ruhten und in der Dunkelheit noch weiterritten. + +</p><p>Gegen Morgen sahen wir die Pörtten eines Dorfes. +Sirola rührte an den Donnerkeil über dem Eingang und +stieß mit dem Absatz die Tür auf. Dreckige Leute lagen +über den Boden hin. Die Wände schwarz vor Rauch. +Ein schwitzender Finne rieb sich die Augen, und als er sah, +daß wir den Keil berührten, stand er, einladend, auf. Sie +plauschten mit ihm, hielten die Finger auf den Mund und +nickten ihm zu. Er bejahte und bürgte mit einer Bewegung +für die anderen. Wir hielten uns, da die schwedischen Freischärler +Gunnaris erkannt hatten, versteckt, denn wir waren +ohne Zweifel signalisiert. Unser Aufenthaltsraum in der +Hütte war abgesperrt, es stank entsetzlich. + +</p><p>Mittags kamen mit Gebrüll Wagen und Reiter, schrieen: +„langen Hanf, langen Flachs“. Wir sahen durch einen +Schlitz der Hütte. + +</p><p>Sie packten aus, hatten Schellen und tanzten und +machten Ringelspiele aus Freude, daß die Roten zurückgeschlagen +und in den Mausfallen abgeschossen wurden. +Sie trugen, da es fast Mai, Pluderhosen, keine Röcke +mehr und Strümpfe über den Schuhen. + +</p><p>Mit der Dämmerung rückten wir ab, trotteten in der +Dunkelheit wieder hinter Svinhufvund, um Mitternacht +nahm uns ein Wagen auf, der aus einem Waldpark herausgepfiffen +wurde. Wir kamen bis zu einem großen Gehöft. +Der Besitzer streichelte den Menschenknochen an unserem +Bock. Wir kamen in die Badestube, die aus Ziegelsteinen +erhitzt wurde, man sperrte uns wieder ab, ich konnte nur +kurz in der Hitze bleiben, im Nebenraum waren die Weiber +nackt, die zwei Männer in Hemden. + +</p><p>Wir fuhren im Auto weiter. + +</p><p>Am Kymmenefluß, nun auf den Spuren der beiden +Armeen, sahen wir Hinrichtung und Brand überall. Hinter +Wiborg hatten wir den Bogen um die beiden irregulären +Fronten durchfahren, kamen zweimal in versprengte Rotten +der Roten. Die Finnen orientierten sich, sprachen mit den +Führern, wir fuhren auch bei Tag. Das Kreideland dehnte +sich in Fichtenschonungen. In der Nähe einer der letzten +Biegungen hielten wir und gingen, geführt von dem Lehrer +Hannes Uksila, über eine Sumpfwiese, auf der einige +Weiber heuten. + +</p><p>Andere hingen Vogelsprenkel auf. Aus dem Gebüsch +trat ein Lachshändler, der auch Felle führte. Uksila rief +ihn an, er schielte und knurrte. + +</p><p>„Beim Wort den Mann, am Horn den Ochsen“, schrie +Gunnaris, der als Nordländer die feigen und erbärmlichen +Tavastaländer des Südens verachtete und schlug ihm den +Hut vom Kopf. + +</p><p>Die Perücke fiel mit, es stand ein Nordländer mit gelblichen +Haaren vor uns, und die Heuerinnen und Vogelfänger +hatten Gewehre auf uns gerichtet. + +</p><p>Vehkamäki und Sirola hatten seine Hände gefaßt und +schüttelten sie mit einem Singsang des Vergnügens hin und +her. Es war Oskari Tokoi, der, früher Arbeiter in Amerika, +den Frontabschnitt der roten Truppen befehligt hatte. +Sie traten beiseite, Gunnaris gab ihm alle Papiere, die er +bei sich trug, auch die meinen. + +</p><p>Nachts ging Tokoi auf russische Erde über die Grenze. +Wir aßen Speck, Erbsen und Aal in Essig, fuhren bis +Lill Ablorfors, wurden an einer Wegscheide umringt und +verhaftet. + +</p><p>Die Finnen Sirola, Gunnaris, Vehkamäki hatten keine +Papiere, ich setzte durch meine sehr guten deutschen durch, +daß der Bürgeroffizier uns in das Hauptquartier des General +Mannerheim fuhr. Er schlief, als wir ankamen. +Posten mit Gewehren waren in unserem Zimmer. Die +Finnen schwiegen, es war mathematisch ausgemacht, was +sie protokollieren lassen würden, falsche Namen, falsche Route, +den Zweck. + +</p><p>In der Nacht wurde ich siebenundzwanzig Jahre, und +jene Unruhe, die ich auf dem Schiff zuerst gespürt, stieg +unbegreiflich. Ich war gewohnt, mir über jeden Zustand +Klarheit zu verschaffen, ich versuchte auf und ab zu gehn, +überlegte, schied aus, überging die Situation haarscharf. +Aber meine Lage wiederum störte mich gar nicht und es +war nichts aus dem Augenblick heraus Gewordenes, was +mich an die Ränder eines unbekannten Bezirkes anstieß. +Es kam wie von einer fernen, uneinziehbaren, schicksalhaften +Beziehung, die stärker wurde und reifte, ohne daß ich auch +nur einen Hauch zu fassen vermochte. + +</p><p>Was machte mir der Augenblick . . . Dieser General, +der in Oesterbötten die Gegenrevolution gesammelt, die +Bourgeoisie eingekleidet, der nach Wasa geflohenen Senatorenregierung +den krummen Rücken gestählt und das Proletariat +mit Hilfe deutscher Truppen aufgerieben hatte, war +er nicht machtlos, ein Sklave des Kaiserreichs, mußte sich +beugen vor meinem Passepartout der Stockholmer Gesandtschaft +. . . Dies alles reizte mich nur, ich war gespannt, +ihn zu sehen, das Lauern seiner Augenbrauen, das wölfische +Nagen der Zähne, die übermenschlich lange, dürre, vorgebeugte +Figur. + +</p><p>Ich ging darüber weg. Ich dachte an Siv und spürte +ein glückliches Ziehen meines Blutes. Auch das konnte es +nicht sein. + +</p><p>Aber es stieg in der Nacht in mir mit einer verzweifelten +dunklen Flut und wogte in mir, als ob hinter dem Bewußtsein +sich Kämpfe abspielten und Entscheidungen, die +mein Leben angingen. Ich lauschte und horchte stundenlang, +ganz still, aber ich faßte es nicht. + +</p><p>Gegen Morgen wurde ich ruhiger. Ein Offizier rief +meinen Namen, ich folgte, schlenkernd, aber doch gespannt. +Ich wartete zwei Stunden. Eine hohe Gestalt trat ein, +ich spürte, eh ich mich umdrehte am Schatten, der über +mich fiel, schon, daß es Mannerheim nicht war. + +</p><p>„Warum haben Sie kein Visum?“ Ich hob die Handflächen +ein wenig, ließ sie auf den Schenkel langsam zurückfallen. +Es war nicht nötig, die Frage idiotisch, ich sah +mich im Kreis um. „Die Namen der Finnen.“ Ich gab +die ausgemachten Schlagworte. + +</p><p>Er zögerte. + +</p><p>Dann wies er rasch auf die Zeitung Työmies: „Waren +Sie nicht mit Eero Haapalainen und Kullervo Manner als +Studenten befreundet?“ + +</p><p>Ich zuckte die Achseln. + +</p><p>„Zweck?“, rief er barsch, verzweifelt. + +</p><p>Ich war kühl und ruhig wie selten und freute mich eine +Sekunde an der Klarheit und Harmonie, die mich zum +erstenmal wieder erfüllte. + +</p><p>Ich ging bis an den Tisch und wies langsam mit dem +Finger auf die Stelle, wo auf dem Passepartout in Berlin +von einer gewissen Stelle gefertigt eine Passage stand. +Drei Sekunden blieb es still. + +</p><p>Dann hoben sich seine Lider, er warf mir den Raubtierblick +entgegen voll Haß, durchschaute wohl unser Spiel, +war machtlos, murmelte: „Der Herr General ersucht.“ Ich +trat durch eine Tür. Aber er empfing mich nicht, fuhr +draußen im Auto ab. + +</p><p>Uns brachte man mit zwei Studentensoldaten im Auto +nach Helsingfors. + +</p><p>Wir durften unser Schiff nicht nehmen, wurden eingeschifft, +kamen bei schlechter See an den sieben Inseln Sweaborgs +vorbei nach den Aalandschen Schären, hatten zwei +Tage Gegenwind, kreuzten mit dem Lotsen von Ekerö zwei +Tage an den Markzeigen entlang und waren am neunten +Tag der Ausfahrt vor dem großen Stockholmer Hafen. +Die Finnen ließen sich an den Schären aussetzen. Gunnaris +schenkte mir einen Ring. + +</p><p>Ich schrie ihnen nach ins Boot noch einmal „Te—le—fon“ +und deutete. Sie winkten, standen nickend am Ufer, sangen +eine Weile, bis man sie nicht mehr sah. Gegen zehn Uhr +ward die Ostsee golden. Der Hafen ein einziger Mövenschrei. +Ich badete. An einem Kriegsschiff vorbei in den +inneren Hafen, das leuchtende Eingeweide Stockholms. + +</p><p>Siv stand eine Stunde schon am Geländer, stahlschlank, +nickte immerzu leise herüber. „War die Überfahrt gut?“ + +</p><p>Ich spüre fast wie an der Haut ihres Gesichts, die sich +langsam rosa färbt plötzlich, wie Finnland sich entfernt über +dem Rudel der Schiffe. Selbst wie ich mich umdrehe und +die Kielfahrt des Schiffes noch ölig und glänzend im Silberschaum +sehe, hört alles auf, wo der Blick endet. + +</p><p>Wir drehen uns um, gehen Strandvägen hinauf. + +</p><p>Ich bin merkwürdigerweise mit einem Mal ausgelassen, +wir lachen. Ich nehme Sivs Arm. Vor der Brücke stehen +wir und lassen die Wachtparade passieren, hechtgraue Soldaten +sehen wir mit gelben Troddeln um die Taille und +Musik und den Führer, der in erhobenen Armen zwischen +den Fingern einen silbernen Stab hält. Wir schauen und +kommen höher auf den Skansen, wir riechen die wilden +Tiere und Siv sieht mit angezogenen Nüstern die See. +Ich schenke ihr die weißen Korallen, die ich mitgebracht. +Siv hat den Rhythmus der Musik noch in den Knien. +Wir besuchen die Renntiere, die unter Weidentroddeln ihr +flaumiges Geweih blutig reiben, die Polarwölfe, die Silberfüchse, +plötzlich schweift unser Blick über die vielen Fjorde +bis dahin, wo die schwärmerische Luft des süßesten Frühlings +mit der Herbe und dem nackten Granit der Felsen +zusammenprallt. + +</p><p>Ich verweile eine Sekunde. + +</p><p>Als ich mich abwende, bin ich voll Trauer und Verzweiflung. +In Djurgården schimmert dunkelgrün der Tau. +Üppig schwillt über mir die blaue Fahne mit dem gelben +Kreuz. In Kungsträdgården ist Musik, aus den Fischnetzen +des Mälar fallen langsam die kristallenen Tropfen. + +</p><p>„Willst du zu Blanche?“ + +</p><p>Ein Orchester sitzt hinter den Crèmegardinen. + +</p><p>„Nein.“ + +</p><p>Wir gehen auf und ab zwischen den Bäumen und den +Matrosen in der Dunkelheit und hören lang auf die Geigen, +dann enden wir auf einer Bank. + +</p><p>Nachts wache ich auf im Hotel. Siv ist schön, bezaubernd +die federnde Größe ihrer Beine, die Linien, die im +Bogen weiß von den Hüftansätzen über die Brüste laufen. +Ich liebe sie und sie ist mir fern. + +</p><p>Ich fühle nur: Auf der Ostsee fährt irgendwo ein Dampfer. +Der Expreß saust durch Småland. Die Nordsee steht +dunkel gegen Christiania gespannt. Der Bär im Skansen +träumt durch die Gitter und die Sterne flirren darüber +kalt. Ich fühle mich in der Gewalt einer Bestimmung, +die mein gewohntes Erleben ablöst, unempfindlich macht mit +Auge und Seele gegen die sonst geliebten Reize. Nun +kommt der Morgen. Sivs Feiertag ist zu Ende. + +</p><p>Als sie sich erhebt, fallen die hellen Haare ihr übers Gesicht, +die Frühe lehnt sich kaum vom Mälar herauf und +ist fast nur Duft. Der schmale biegsame Körper bebt auf +den Gardinen. + +</p><p>„Zwei Tage . . .“ + +</p><p>„Siv, schöne Tage, weil ich an dich denke.“ + +</p><p>Kopfschüttelnd: „Es wird nichts sein, denn du bist nicht +da.“ + +</p><p>Ich bleibe zurück. + +</p><p>Ich fühle, daß mein Leben sich ändert. Aber ich weiß +nicht, warum und wie. Wie zerborsten bin ich und doch +wie klar. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Am Morgen später kamen Reporter, ein Photograph. +Ich empfing nicht, leugnete ab. Beim Frühstück las +ich, daß die konservativen Blätter aus Liebe zu Deutschland +mich deckten, „Sozialdemokraten“ griff mich und zugleich +auch Mannerheim an. Um zehn Uhr rief die Gesandtschaft +an. Ich dementierte. Um halb elf kam der Pressechef. +Mannerheim hatte sich beschwert, ich beruhigte den Beamten, +konnte es in der unbestimmten Lage, die meine Mission +umzirkelte. Ich gab ihm eine gute Darstellung des +Lachsfangs in einer nördlichen Schäre. Mannerheim und +die Stockholmer Presse erhielten das Dementi. „Dagens +Nyheter“ erlaubte sich den Scherz meiner Vielseitigkeit später. +Als ich ausging, hielt vor dem Hotel ein Bursche ein +tänzelndes Pferd. In der Glashalle erhob sich der Reiter, +Erzbischof Sahlström, schlug mir athletenhaft auf die Schulter, +ritt neben mir den Quai entlang, kreiste von Literatur +zu den Gäulen in die Politik. + +</p><p>Ich führte den blauäugigen Fuchs noch verschlungener +in die Irre. + +</p><p>Am Gesicht des Gesandten beim Frühstück empfand ich +seinen Ärger: „Wenn wir auch keineswegs die militärischen +Narren im Amt in Berlin stützen . . . müssen Sie, Herr, +sich gerade fangen lassen?“ Ich hatte eine kleine grüne +Bronze in der Hand, die Rodin dem Minister geschenkt +hatte, ich setzte sie hin und verbeugte mich: „Die Karambolage +mit dem mongolischen Ludendorffimitator, ach Gott, +Exzellenz . . .“ ich erzählte ihm leis einiges, aber nicht alles, +denn unser Weg ging nur ein Stück zusammen, und meiner +weit über seinen hinaus. „Ich habe dem Minister des Innern +zwei Lachse senden lassen, die ich offiziell vor drei +Tagen im Binnenwasser fing mit einem Kompliment auf +den Reichtum der schwedischen Gewässer.“ „Nach dem Dementi?“ +Nicken. Die runden Augen sahen fragend aus. +Ich sagte: „angenommen.“ Exzellenz trommelte mit den +Fingern auf die Kniescheibe, wir gingen zu anderem über. + +</p><p>Es gab französische Küche, der Gesandte fing seinen +übervollen Geist in den entzückendsten Anekdoten und führte +die Probleme mit anziehendem Geist in die Form. Es schoß +dauernd aus ihm von Aperçus, denen das Frühstück an +Eleganz und Zusammenstellung entsprach. Ich hatte manchmal +an dem Mittag das Gefühl, von einem Parterre +meines Inneren aufs andere zu stürzen und sah andere +Ebenen gleichfalls bereit. Bei Schnaps und Zigarren entwickelte +ich den Plan der nächsten Woche, die Beziehungen, +die ich anschneiden wollte und wie ich es zusammenzuführen +gedachte. + +</p><p>Der Marineattaché kam dazu. Exzellenz gab ihm ein in +rotes Leder elegant gebundenes Buch, das er in französischer +Sprache früher über deutsche innere Politik in Paris veröffentlicht +hatte, schleuderte die Augen anklagend gegen den +Plafond und begleitete mich durch den Vorraum. + +</p><p>Ich fuhr in einer Fähre nach dem Saltsjöbadenbahnhof, +wechselte die Oere in ein Kupferblech, warf die Marke in +die Messingbüchse, nahm den Motor und fuhr durch die +Schären nach Gunnaris. Wir verhandelten den Mittag, +ich konnte ihm nur die Umrisse erklären, er dachte lange +nach, grübelte und hatte plötzlich einen kühnen Plan. + +</p><p>Er telefonierte. + +</p><p>Am Abend kam Almqvist. Mit wundervollen Beinen, +elegant, der beste Mann Schwedens. Er war sehr zurückhaltend. +Gunnaris sprach lange auf ihn ein, Almqvist +schien sehr ungehalten, daß Gunnaris ihn kompromittiert habe +und Gunnaris ward verlegen, denn er glaubte nun auch, +wenn auch aus Dankbarkeit und großer Freundschaft zu +mir, zu weit gegangen zu sein. + +</p><p>Ich nahm an, daß Almqvist, der sehr viel zu verlieren +hatte (ich wußte nicht, wie es damals schon in ihm aussah), +mißtrauisch auf mich sei als auf einen Deutschen, wie jedermann +damals in der Welt. Doch war es dies nicht. Er +war zornig, daß Gunnaris einer Sache wegen, die nur +entfernt ihre eigenen Ziele berührte, ihn in eine Situation +warf, die den Unterschied zwischen seinem Leben und seiner +Tätigkeit leicht verwischen konnte. + +</p><p>Ich sagte ihm daher frei und offen drei Dinge, die ihn +an mich binden mußten, die ich von ihm wußte. Auch ich +hatte einmal in dem Hospiz gewohnt, in dem er seine vielseitige +Rolle spielte. + +</p><p>Wir fuhren, eifrig redend, in der Dämmerung zurück. +Ich kannte sein nach der Gesellschaft hin gekehrtes Dasein, +leicht begeistert, Freund der Frauen, anständig, mit starkem +Aufwand lebend. Ich suchte dies zu durchbrechen, ihn anzusaugen +nach seinem Kern hin, beroch, bespielte jede Pore, +es war ein stilles, langes Sichmessen. In einem kleinen +französischen Restaurant neben dem Hotel Exzelsior sprachen +wir, etwas zog uns unbedingt gegen alle Widerstände zueinander. +Wir redeten mit einer halsbrecherischen Offenheit, +in einer Stadt und einer Zeit, wo Geliebte gegeneinander +stumm blieben, aus Furcht vor der verräterischen +Atmosphäre. Unsere Ziele berührten sich, wir wurden, indem +wir sie besprachen, ernst und niedergeschlagen. Wir +speisten in der Wohnung seiner Freundin. Almqvist war +bestrickend, sang, spielte zur Laute und umgab die schöne +Frau mit einer hinreißenden Liebenswürdigkeit. + +</p><p>Den folgenden Morgen berieten wir ganz durch, mittags +arbeitete ich angestrengt, zog mich in der Dämmerung um +und ging zu dem Portefeuilleträger des Inneren speisen, +mit dessen Schwager ich freund war. Seit der Ausbootung +der Konservativen waren sie erst seit vier Wochen +aus Lund heraufgekommen, waren noch ungenügend installiert, +aber bereit, mir den Abend so zu beweisen, daß ich +kein Stück eines gewählten schwedischen Mahles auch nur +vermissen könnte. Man hielt bei den Staatsmännern Elsaß-Lothringen für die Achse der Probleme, mein Plan war +anders, ich sprach nicht davon, ich zog mich um elf zurück +und gab vor, sehr müd zu sein. + +</p><p>Ich ging über zwei Plätze. Der Mond ist tief über +Stockholm geflogen, er geht über meinen Tisch am Fenster +der Glasveranda im Grandhotel. Ich schaue in die Nacht +und jeder Klang, jedes Instrument und jeder Gedanke kommt +aus ihr verschwärmt und feuriger zurück. Aber ich denke +nicht daran, spüre es kaum. + +</p><p>Um halb zwölf tritt an den Tisch der Türken ein bulgarisches +Sujet, das irgendwie Beziehungen zur Gesandtschaft +hat, aber als Türke gilt, kurz darauf der Franzose +Boissont. Ich sehe nicht hin. Sie sitzen auffällig gerade, +fast entfernt voneinander auf den Stühlen, reden aber mit +gesenkten Kinnen, sicher fast lautlos. + +</p><p>Um dreiviertel zwölf kommt Siv. + +</p><p>Sie legt die großen, schlanken und harten Beine (wie +die der Stadionsläufer) übereinander und schließt die Augen +zum Gruß. Das Haar ist weißblond, mit Öl über den Kopf +gescheitelt und tief in einer Schlinge in die Stirn hineingezogen, +an den Ohren quillt es in kleinen Trauben herunter. + +</p><p>Ich bin begeistert, ich fühle über den Tisch die Frische +der Haut, das Belebende dieser Gegenwart. Ich rede viel, +denn ich beobachte gut. Ich schweige keine Sekunde, der +Hummer ist von klarem Rot, das Fleisch gut an der Schale +angesetzt, viel Saft in den Scheren. Siv neigt den Kopf +zurück, saugt sie aus. Der Aufschlag ihrer Lider macht +das Blau frei wie einen Strahl. Sie steckt den Kopf +auf beide Hände, zieht den Mund kraus: „Was tatest du?“ +Ich kann erzählen. Ich finde Siv reizend wie nie mit +dem gescheitelten Haar. + +</p><p>Ich sehe Almqvist in der Portiere, ich fühle jeden Muskel +sich spannen in meinem Körper, ich rede seit Monaten zum +erstenmal laut in der Spionagezentrale des brennenden +Europa. Wie leicht fällt mir zu reden: „Ich will dich an +Hedin erinnern, Siv, an Sven Hedin, von dem du viele +Bilder gesehen, und gelesen hast, daß er ein Land in China +gefunden hat, Tibet, Siv. Mit diesem Mann war ich in +Upsala, er ist ein Trottel. Die Studenten tranken die +Nacht Punsch, tanzten mit eleganten Damen auf den +Schultern. Um zwölf steckten sie Feuer an vor allen +Küsten.“ + +</p><p>Es interessiert Siv nicht, was ich da erzähle, sie hat +die Speisekarte und liest, ich winke mit den Augen den +Kellner neben sie. Siv bestellt, schöne, viele Sachen, die +sie nascht und beißt: Sekt, Lachs und Mayonnaise . . . . +Roti . . . . Backelse . . . . Punsch. + +</p><p>Nun geht Almqvist hochmütig um alle Tische herum, +nähert sich dem der Bulgaren, er beginnt eine Verbeugung, +ich muß wegsehn, das dunkle Auge Boissonts leuchtete +gegen meines. + +</p><p>Ich kann mich totlachen, ich bin von einer Heiterkeit, +die mich durchzittert, wenn ich mit Siv rede. Man hat +die geschlossenen Fenster heruntergelassen, wir sind umhaucht +von den letzten Wellen der Geierschreie der Bahnen, die +aus den Fjords längs der Salzküste noch in der Mainacht +schwimmen. Mir fallen Lächerlichkeiten ein, so, daß, als +ich Siv zum erstenmal sah, nicht in der Nordischen Schuhkompagnie, +sondern im Humlegården, wo sie aus dem Break +mir hinterm Rücken des Staatsrats winkte, daß ich das +Laub des Busches, an dem ich stand, mitnahm und behütete +und abends beim Umsteigen verlor. Ich neige mich +über den Teller, ich küsse ihr die Hand, ja ich weiß mich +vor Narrheit nicht zu fassen, ich küsse Siv die Hand mitten +im Lokal. + +</p><p>Da fällt mein Blick auf die Ministerin, und im Spiegel +sehe ich gleichzeitig Almqvist bei dem türkisch-bulgarischen +Tisch, sie sitzen weit auseinander und reden mit dem Kinn +auf der Brust, also lautlos. + +</p><p>Die Minister sind also, statt in die Büros, zur Nacht +dem Mond und blauen Kanälen nachgegangen. Der Burgunder +hat ihnen die Politik aus dem Hirn gejagt, sie +halten nicht mehr in der Bewegung der Hände das bißchen +Schweden, um es trocken durch die europäischen Wasserspiele +zu tragen. Nun sieht mich der Blick der Frau, zieht sich +abgekühlt zurück, weil ich müd zu sein log, bleibt an Sivs +Gesicht hängen und lächelt. + +</p><p>Ich stehe auf, ich verbeuge mich, ich bin glücklich, ich +setze mich wieder, ich habe im Spiegel gesehen, daß das +bulgarische Sujet aufsteht. Ich mache aus der Serviette +Figuren, ich scheine betrunken, denn ich bohre einen Papierpfeil +in Sivs Eis; daß sie mit der Gabel versucht mich +zu stechen, das macht mich fast bersten vor Vergnügen. +„Gott möge den Deutschen tausend Gefangene am Tage +geben“, sagt es am Nebentisch. Ich zeige Siv den Mann, +es ist ein Dichter, der Knut Hamsun den Bären schalt. +Er wohnt in einem Landhaus in Sturängen, wo die Mädchen +abends am Kamin singen: kom hjärtans frojd. Er +haßt den Strindberg, der die Theaterstücke schrieb und die +schöne Tochter hat. + +</p><p>Doch gähnt Siv, sie kennt die Männer nicht, der Gehrock +nebenan ist ihr zu dürr. Wie kann ich Siv erheitern, +wo auch die Türken durch das Vestibül vorüberwandern? + +</p><p>Da fällt mir eine gute Sache ein, ich habe einen Ton +mit der Zunge gemacht, Siv starrt mich an, ich blinzle +nach der Seite, sage ihr was ins Ohr. Da sitzt Rolf, der +große Kabarettist, der Sänger des „mit swärmeri . . . i . . .“ +Siv ist voll Neugier, wir starren den großen Mann an +und vertiefen uns in ihn. + +</p><p>Dann lächle ich sanft und sage kokett, ich habe mich +geirrt. Siv ist wütend, stößt den Teller über den Tisch, +sie ist sehr schön in dem Augenblick, und ich kann mich +nicht halten vor Vergnügen. + +</p><p>Plötzlich verläßt mich die Laune, ich werde kühl, gemessen. +Ich hebe den Hörer ab, der Tischapparat hat gesurrt. +Der Portier meldet, Tisch siebenundachtzig will mich +sprechen. Almqvist sitzt allein, den Rücken zu mir, ich sehe +es in dem Nickel des Hörers, es ist seine Stimme. + +</p><p>Schon unterbrochen. + +</p><p>Ich sehe auf. An seinem Tisch steht ein Fremder. Ich +hänge ein. Wir sind bei Aqvavit wieder, Punsch, Kaffee +und Zigaretten, Siv hat sich zurückgesetzt und betrachtet +mich durch halbgeschlossene Augen, zeigt die Zahnschnur. +Almqvist ist plötzlich an seinem Tisch nicht mehr da. + +</p><p>Der Boy bringt Telegramme, ein Billett. Ich falte es +auseinander. Ich setze mich hoch, ich lasse mich einen +Augenblick gehen, hineinfallen in jene Form der Bewegung, +die mir frei und klar aus dem Gefühl kommt. Ich weiß, +wir werden haben, was wir suchen, wir sind auf dem Weg. +Da ist es. Endlich. Wir werden die Generale drücken, Zusammenhänge +beweisen. Ich denke es klar und kühl und +fühle mich vorn stehen, wo die Dinge sich entscheiden. + +</p><p>Ich bringe Siv nach Hause. + +</p><p>Die Lichter sind im Ausgehn und scheinen rosa aus +dem blauen Wasser, das lautlos Stockholm durchströmt. +Weiße Wolken ballen sich höher über Schlössern und Inseln. +Sivs Arm in meinem, ihre Hand. Ich fühle den Tau +der Morgendämmerung, das abenteuerliche Schwinden des +Nachtwindes. + +</p><p>Ich liebe Siv und habe sie zehnmal belogen den Abend. +Ich kenne die Menschen und habe recht gehabt. + +</p><p>Aber ich spüre irgendwo, welche Klüfte mich trennen, +wie ich ausgesperrt bin von einer Verbindung, die, anders +und tiefer als ich es fasse, die Menschen zusammenbindet. +Ich denke lange darüber nach, doch es verschwimmt, während +Sivs Gang und ihre leidenschaftlich kühlen Bewegungen +und die herrlichen Ausfahrten unseres Rausches goldener +vor mich treten. + +</p><p>In der Frühe fahre ich durch Schweden. Zwischen +Teichen und Felsen und dunkelroten Holzhäusern zur Nordsee. +Ich fahre zwölf Stunden mit vielen Menschen. Ich +esse Smörgåsbord, wenn der Zug hält, an den Stationen, +gehe auf der Holzdiele langsam, den Reisehut in der Stirn, +zurück. Ich lese die Verlobungen Stockholms, ich kaufe +das Blatt „Saisonen“ und beschaue die eleganten Frauen, +döse in die Landschaft, schlafe einmal ein. Ich sehe den +Kondukteur eine Fahne an der Lokomotive heraushängen: +fünfundzwanzig Minuten Pause. Ich schlendre auf und ab, +die Arme teils in den Taschen, teils auf dem Rücken, ich +bin ein Passagier wie alle anderen, ich langweile mich mit +Maß und Ruhe, ich kaufe keine Lakritzer, die man mir anbietet, +ich sehe einmal, als wir wieder fahren, verwühlte +Kissen, Sivs hohes reines Bein ganz ohne Flaum. Ich +beginne in einem schlechten Roman zu lesen, es ist kein +guter Geschmack, daß ich ihn ziehe, aber er amüsiert mich +köstlich, ich versinke ganz darin. Mir gegenüber sitzt der +Außenminister. + +</p><p>Der Zug ist gefüllt mit internationalen Raben, Hyänen, +Wölfen. Ich bin sehr in der Lektüre, wende langsam Blatt +um Blatt, ich sehe jeden, der am Kupeefenster durch den +Korridor schleicht, ich sehe jeden Gedanken. + +</p><p>Ich bade mich in Göteborg, ich ziehe mich um, ich gehe +ins Varieté. Ich gehe an einer holländischen Gracht hinauf, +das Wasser riecht faulig, Jasmin ist dazwischen aufgegangen. +Ich nehme in der Holzbaracke die Loge, die Almqvist mir +bezeichnet hat. + +</p><p>Neben mir sitzt ein Kommis mit goldenem Armband, +den steifen Hut im Genick starrt er offenen Mundes zur +Bühne. Neben mir links ist frei. Ein Riesenorchester hat +um die Beine einer Tänzerin geknallt, nun schwenkt ein +gepudertes Schweinsgesicht ententistische Fahnen mit Zauberei +dazwischen. Ein Feuerwerk geht hinterher los und +Amerikaner kakewalken auf langen Bretterstelzen, die Musik +hat ein Delirium und schmeißt das Publikum in einen +Rausch. Der Kommis fühlt sich als Achse des Erdballs +und gröhlt, bekommt rote Schläfen und kann kaum mehr +sitzen. + +</p><p>Da zieht links neben mir jemand den Hut, setzt sich an +die Brüstung, sieht gerade aus, nun liegt das Bild Almqvists +vor ihm. „Gut“, sage ich. + +</p><p>Der Agent Krassin mit gelbem Gesicht und runden +Augen! Er hat von Gunnaris und Almqvist Telephongespräche. +Almqvist kommt in vier Tagen. Ich bin ein +wenig ungeduldig. Wild riecht die Mainacht draußen. Mit +einer Kapelle kommen tausend Hafenarbeiter vorbei, die +rote Nelke der Jungsozialisten im Knopfloch, mit Schildern: +„Friede, Klassenkampf, Brot“. Krassin zittert. Auf dem +Meer Segel wie Glas. Der Marschtritt der Proletarier +donnert fern schon aber deutlich. Im knallweißen Licht der +Laternen stehen kleine Huren mit Zigaretten im Mund, +pfeifen mit blutroten Lippen durch die Zähne. + +</p><p>Das Tor des Varietés klafft mit einem Tusch und +Trommeln und speit den Kommis heraus, er geht steif und +schwankend mit einer dicken Sau und schaut hochmütig um +sich. Krassin hat den Hals eingezogen, denkt nach und +geht neben mir, bescheiden, vieles wissend, ein wenig hinkend, +bis zu meinem Hotel. + +</p><p>Am Morgen kommen drei Schweden, Ek rauh, Lilljeqvist +mit faunischem Adlerkopf und Glatze, Davidson schön. +Krassin kommt nicht. + +</p><p>Wir fahren zwei Stunden, es kommen Wiesen. Am +Wald liegen sechs Villen. In der ersten Wiesenhürde üben +Hindus, rösten Kaffee und rauchen. Am dritten Tor an +der dritten Umzäunung legen Ek und Davidson die Oberkleidung +ab, verschwinden in der Villa, kommen in einem +knappen Nationalkostüm zurück und üben mit Geren und +Steinen, während Lilljeqvist auf dem Buckel liegt und +raucht. + +</p><p>Ich gehe beiseite, ziehe einen Brief und lese. Ich erröte, +es wird mir warm plötzlich, ich atme rascher, schaue +mich aufnehmend um. Ich schlendre weiter, Chinesen und +Amerikaner rufen sich einen Slang zu, weichen mir aus, +wie ich mit Händen in der Tasche herankomme. Ich gehe +durch die Mädchen, die einen Reigen hin und zurück sich +werfen, melodisch, mit einem Schwedisch, das ich nicht verstand, +auf einen Mann zu, der vor der sechsten Villa stand. + +</p><p>Er war athletisch, ein Vierziger, und, wie er sich bewegte, +zog er die Hüfte mit herunter. Ich ging auf ihn +zu, gab ihm die Hand. „Grüße meines Bruders“, sage +ich. Er hob den Kopf, der ein wenig zitterte beim Hören, +nahm den Namen auf und nickte, drückte mir noch einmal +die Hand. + +</p><p>Nach zwei Stunden, wo wir zusammen waren, wo +er mir alles gezeigt, was die Sportschule seit dreihundert +Jahren geleistet, erwähnte er ihn einmal, wies einen +Stab, mit dem er den bekanntesten Chikagoer besiegt. Dann +gingen wir hinüber, wo schwarzweißes Rindvieh mit praller, +glänzender Haut uns dicht umdrängte; wir fahren mit den +Händen darüber, es scheint die Sonne immerzu. + +</p><p>Am Abend lagen wir bei Feuern am Waldrand, tranken +Kallskol aus Zitronen, Wein und Saft. + +</p><p>Ich muß vielerlei denken, während die Tanzenden zwischen +den Lichtflammen zucken. Ich sehe die dünne Linie +des frischen Monds an einer Pappel und ich muß denken, +daß an diesen Bäumen die Tragödie des Bruders begann, +hier sich sein Hirn wund rieb an den Büschen. Ich muß +denken, daß Floda nahe liegt, daß vom Herrenhaus ihm +die Rettung kommt, als er mit dem Pferd in den Wald +reitet, daß der Wechsel bezahlt wird, daß alles gut scheint, +aber sehr schlecht ist. + +</p><p>Ich liege weit zurück und sehe erschüttert und traurig, +und doch davon wieder gehoben, die Nachtscheibe des Himmels +sich immer weiter und tiefer über das Meer hinausschwingen. + +</p><p>Ich habe seit Jahren wenig gedacht an meinen Bruder, +ich habe vieles zu tun, ich bin beschäftigt gewesen mit mir +und tausend Dingen, ich habe nie begriffen oder versucht +es zu fassen, warum er sich selbst, nachdem die Bagatelle +beigelegt, hinausstieß. + +</p><p>Ich denke darüber nach und fasse es nicht ganz, aber +es arbeitet in mir weiter, auch wenn ich nicht nachdenke, +ich fühle es genau. Der Boden, den er betrat, das Laub +früherer Sommer, das er berührte, verbindet mich eng +mit seinem Schicksal. + +</p><p>Ob er barfuß durch Kalifornien läuft, auf Akkord in +Steinbrüchen der Kordilleren arbeitet, wieder ohne landen +zu können als Boy vorm genuesischen Hafen immerzu liegt, +ich spüre sein Leben hier, ich kann ihm nicht helfen, ich +bin unglücklich darüber. Ich habe manches Unrecht an ihm +getan, fällt mir ein. + +</p><p>Am Morgen holt mich Davidson. Ich fahre froh nach +Floda, ich will, kann ich nichts anderes, wenigstens diese +Kleinigkeit des Dankes dem Bruder schön vollenden. Ich +habe die Unruhe zurückgelassen, die die erzwungene Pause +mir auferlegt. Ich fühle mich nur wohl, wenn ich in die +Bogen, die ich selbst gerichtet, von Handlung zu Handlung +mich spanne. Aber ich habe diesen Tag keine Unruhe, ich +bin vergnügt fast, ich sitze in der Equipage und schaue auf +den Buchenwald, als sei er mein. + +</p><p>An einer Bachecke umringen uns Damen, ich springe +raus, ich weiß sofort, wohin ich mich zu wenden habe. Ich +grüße die Herrin. Sie geht anmutig über den Wiesenpfad, +steht vor den weißen Säulen des Herrenhauses, hebt die +Hand: „Välkommen“. + +</p><p>Ich verneige mich. + +</p><p>Das Land liegt unten mit pastellener Idylle, weichem +Teich und Birken. Sie sagt ein Wort: „Ebba“. + +</p><p>Es ist die Schwägerin. Der Gang einer Reiterin. +Ich sehe ein blaues Kleid. Ich sage: „Ich freue mich. Ich +bin zufrieden, Sie zu sehen.“ Die Herrin winkt, sich entschuldigend, +zieht sich zurück, das Souper wird gerüstet. + +</p><p>Ich gehe mit Ebba weiter, immer im Kreis. Welch ein +schöner Tag. Sie trägt ein blaues Kleid, geht wie eine +Reiterin. Ein Kiesweg. Ein Hund. Da steht die Herrin +wieder, als sei sie eine Sekunde nur weg. Sie ist in großer +Toilette. Neben ihr der Gatte: „Välkommen“. + +</p><p>„God dag, Sir Johnson.“ Seine Hand, bescheiden bewegt, +sagt Gastfreundschaft an der Pforte des Schlosses bis +zum letzten. Ich danke. + +</p><p>Ich gehe mit Ebba weiter, immer den Kiesweg, jetzt +erst bricht etwas von dem Duft um mein Hirn, jetzt höre +ich ihre Stimme deutlich. Dann ist sie wieder im Nebel. +Warum lähmt mich ein Schicksal, nimmt mir den Mut, +mühelos kühne Sachen zu sagen. Es ist nichts von Angriff +in mir. Ich senke den Kopf. Ich sage: „Als Kind +hatten wir denselben Hund.“ Ich deute auf das Gras +und mache mich lächerlich mit dieser Bewegung. Mein +Blut kocht aus Zorn über meine Schlappheit in meinem +Kopf, ich siede, es wühlt grausam in mir. Was kann ich +machen, was kann ich machen? Ich weiß nichts mehr von +mir. Sie schaut mich an, die Augen sind hart, die Stimme +süß und weich. + +</p><p>Drei Minuten gehen wir wortlos. Immer den Kiesweg. +Einmal gelang es mir, ich sagte leis ihren Namen +vor mich hin, es ist ausgeschlossen, daß sie es hören konnte. +Welche Macht das Wort Ebba, es scheint stärker als ich! +Eine Wolke brach vor ihr Auge. Das Gong tönte. Ich +fühle, als risse sich die Seite wund bei mir, an der sie +ging, als wir umdrehten. + +</p><p>Ein Gesicht, ein Männergesicht steht vor mir auf: „Der +Lunch.“ + +</p><p>Sie ist ganz weiß, ihre Augen glänzen weiß, glasig, sie +hebt die Hand, deutet, ich verneige mich tief: „Mein Verlobter.“ + +</p><p>Ich verneige mich noch einmal vor Sir Johnsons Sohn. +Ich denke, dies Haus ist heilig. So hatte ich vom Morgen +an gedacht. Aber ich fühle, es schlägt mir die Knochen +entzwei, es macht mich kaput, ganz klein. + +</p><p>Vor mir, an meinem Arm die Herrin, defiliert die +Gesellschaft. Ich benutze die Minute für meinen Bruder, +ich flüstere: „Ich bringe den Dank eines, dessen Leben Sie +gut getan.“ Sie winkt gütig mit den Augen ab, ich werde +ihr das nächste Mal allein erzählen, sie lächelt. + +</p><p>Dann geht das Essen wie ein Rad vorüber. Ich sehe +das blaue Kleid nicht. Er sitzt auf derselben Reihe wie +ich. Was ist aus mir geworden? Ich kenne mich nicht. + +</p><p>Der Kaffee wird auf der Terrasse genommen, da sitzt +sie mir gegenüber, das macht mich frisch, ich rede viel und +nicht zerstreut. Es ist eine halbe Stunde nur noch, man +muß sie nehmen und ausfüllen so gut man kann. Vogelschreie +der Bahnen ächzen aus der Dämmerung. Das +Auge Ebbas geht nicht von meinem, ich fühle es, wo ich +kaum mehr etwas sehe. + +</p><p>Ihre Pupille und meine Pupille sind aufeinander gestellt. + +</p><p>Havannas werden gereicht. Das Glas färbt sich dunkel. +Ich bin berauscht, als ob ich Wein in mir hätte, ich habe +einen guten Tag plötzlich, ich wende mich nach allen Seiten, +und wie ein Karussell windet sich alles um mich. Ich habe +so leicht zu reden, „Dozent Lilljeqvist“ sage ich, „Sie tun +unrecht, Baron Prittwitz, der die Ehre hat, uns zu vertreten, +ist Pazifist, wenn auch aus bon sens, und hat gegen +den Willen Wilhelm II. gearbeitet, der Ihr Land in den +Krieg kommandierte. Als er zu Ihrem früheren konservativen +Premier kam, Wallenberg, dem schlausten Krämer . . . +nein“, ich wende mich ganz herum, „nein, Sir Johnson, +ein erschossener Steuermann ist ein Zufall, aber Sie haben +recht: die Tötung jedes Menschen ist ein ungeheuerliches +Verbrechen. Aber kalkulieren Sie damit nicht in Politik. +Tod ist nicht Zähler, nicht Nenner. Was tat Ihre Regierung +denn, die keine andere schöne Wendung sah, als daß +sie zwei Tage die ganze schwedische Presse mit Geheul gegen +Deutschland vorließ und dann zurückpfiff. Und Wallenberg, +die Augen schmunzelnd, errechnete, daß mit hunderttausend +Kronen Entschädigung und dreitausend Pension die +Steuermannswitwe eine glänzende Lotterienummer gezogen +und etwas verändert die ganze Presse der gleichen Meinung +war. Das ist Verbrechen, Sir . . . Dank für das Feuer +Sverker Ek . . . .“ + +</p><p>Ich setze mich tiefer zurück, mache mich breit, ich habe +im Feuer vieles gesehen, ich rede immerzu: „Hören +Sie, wie anekdotisch dieses Regime arbeitet, bei uns +und bei Ihnen, es ist das gleiche furchtbare System: +Als der Gesandte frug, als Ludendorff ihn zwang: ob wir +Munition bringen dürften nach Finnland durch die schwedische +Sperrzone, sagte da Wallenberg nicht, kühl und kaufmännisch +in den Bart — daß einmal ein Mann gekommen +sei und gefragt habe, ob er rauchen dürfe und man +habe gesagt: nein. Der aber wies auf Reste von Zigarren, +worauf er die Antwort hört: das taten solche, die <i>nicht</i> +frugen. Man verständigte sich unter Lachen. Stellte ein +schwedisches Torpedo zurecht, ließ die Munitionskolonne +beschießen, drei Tage die Presse heulen, dann war es vorüber. + +</p><p>Deutschland gab eine Million Weißwein dafür frei. +— — — O Malte Davidson, dreißigtausend Tonnen +Schmalz für den Hunger in Deutschland, das kam, weil +eben der Gesandte Euch und sich elastisch hielt im Zusammenprall +solchen Schicksals. Ohne ihn säßen Sie in +Sibirien, ich weiß, er wand Ihrem König manchmal den +Entschluß zu den Kanonen aus dem Hirn. Nicht, weil er +es verfluchte, daß Menschen sich töten, aber weil er aus dem +neutralen Lande Essen wollte für die skrophulösen Kinder . . . + +</p><p>„Nein Sir“, ich lächle, „der Wutschrei des Polizisten +am Brandenburger Tor über Ihren Chauffeur ohne Mütze, +das ist nicht das Deutschland unserer Gesinnung. Aber +trotzdem, ich neide Sie nicht, nicht Ihre jungen Männer, +so sehr ich den Frieden begeistert grüße, der Ihr Land beglückt. +Sir Johnson“, sage ich und ich spreche mehr aus, +als ich sonst je wage, „Sir Johnson“, sage ich betont und +staune über den Klang, denn ich hätte nie selbst zu Siv +so offen und frei in diesem Lande gesprochen, ich, der ich +nie von Plänen spreche und mit ihnen die anderen anfalle wie +ein Weih mit dem Vorstoß . . . „was ist Krieg Ihrer Jugend, +Sir Johnson? Ein Trog, an dem sie fraß und fett ward. +Gulasch nennen sie selbst den neuen Reichtum, der in falschen +Konservenbüchsen kam. Fühlt sie sich nicht krank, +ihre Jugend, Ek und Davidson, vor dem kochenden Gold, +das ihre Leidenschaften, ihre Begeisterungen frißt? Wo +habt Ihr jenes Stolzeste, das manche andere und mehr gequälte +Jugend mit einem siegreichen Lächeln als Trotz und +Auflehnung entgegenträgt? Eure Besten leiden daran, +Weiber, Pelze, reiche Schiffe zu haben, aber kein anklagendes +Echo Eurer Seele im Ohr der Menschheit. Sie haben +in Schweden keine große Politik getrieben. Blieb Ihr Land neutral, +Sir, war es Vorsicht von uns und von Euren Aktionären, +nicht Haß gegen die Gewalt. Zweitausend Kilometer +Etappenstraße nach Rußland, das wog Euch Erschreckten +mehr als humane Überlegung . . . . Im Museum liegt +Euer Imperialismus, Karls Standarten, Wasas Helm, ungefährlich +als Rausch für Eure romantischen Jünglinge. +Aber Ihr lerntet nur Vorsicht, noch nicht das letzte. Eure +Gelehrten sinnen und rechnen, machen ballistische Kurven, +um auszurechnen, wer Euren größten Krieger, Karl XII. +schmale Abenteurerstirn, erschoß, die Feinde draußen, die +kriegsmüden Schweden innen? Die Narren. Der Friede +erschoß ihn. Verstehen Sie mich wohl gut, Sir Johnson?“ + +</p><p>Ich breche ab. Bis an den Rand der letzten Minute +habe ich geredet, es ist mir frei geworden, ich habe einen +Zweck gehabt zu reden. Nichts ging verloren, es ist, als +kenne ich das Dunkel, als verstünde ich es besser mit den +Sinnen plötzlich wie den Tag. + +</p><p>Schwätzend, wie ein Seiltänzer bebend, die letzte Sekunde. + +</p><p>Ich erbleiche plötzlich. + +</p><p>Sie kann nicht gehen. Sie läuft schon hin, reißt ab, +ich stehe auf. + +</p><p>Auf strahlender Diele stehen alle im Halbkreis. „Es +lebe das Deutschland Ihrer Gesinnung.“ Ich verbeuge +mich ein wenig vor Sir Johnson, ich verbeuge mich noch +einmal tief. Ich bin mir nicht ganz im klaren, was ich +tun soll, wo ich bin, ich verliere alles aus dem Auge, ich +weiß nichts anderes, mich zu retten, daß ich mich noch einmal +verbeuge. + +</p><p>Die Herrin hat den Arm auf Ebbas Schultern. + +</p><p>Die anderen Gäste verneigen sich. + +</p><p>„Gnädige Frau, ich werde den Tag nicht vergessen.“ +„Farväl,“ sagt sie und nickt mit den Augen. + +</p><p>Nun wage ich Ebba anzusehen, ganz kurz. + +</p><p>Meine Augen beginnen zu brennen vor Schmerz. Die +Zähne in den Lippen. Ich verbeuge mich, schaue nicht +wieder auf, ich erreiche nur ihren Mund mit dem Blick, +er ist weiß, zuckt einmal. + +</p><p>Ich folge dem Diener zum Wagen. Im Spiegel der +Bahn sehe ich mein Gesicht. Welch ein fremdes Gesicht. +Stürbe ich jetzt, wie schön diese Wollust. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Ich gehe gleich zu Bett im Hotel. Ich weiß noch: +morgen fahre ich zu Almqvists Schwester. Nach Särö. +Dann schlafe ich ein. Ich weiß nicht, wie ich schlief, ich +schlief wohl sehr fest. + +</p><p>Das Telephon weckte mich, ich lief ins Badezimmer vor +Verwirrung, dann legte ich mich nieder. + +</p><p>Ich nahm den Hörer vom Tisch, ich hebe ihn an mein +Gesicht. „How do you do?“ + +</p><p>„Falsch verbunden.“ + +</p><p>Ich hänge ein. Es schellt von neuem. + +</p><p>„C’est le portier qui parle.“ + +</p><p>Ich fluche, ich rufe ins Telefon, er möge verplatzen. + +</p><p>Eine andere Stimme kommt, aus Nebel süß und weich: +„Kan jag få tala med Nr. 417?“ Ich streckte mich lang +aus im Bett. Ich zitterte am Körper. Ich bin Nr. 417. + +</p><p>Ich will die Stimme noch einmal hören, ehe ich sie für +immer verliere. + +</p><p>Sie wiederholt. Ich genieße es lange. Dann antworte +ich; wie klanglos meine Stimme. Ich antworte nur, was +sie sagt: „Ja, Fröken Ebba, ich vergesse die Bücher nicht +zu senden, ich küsse die Hände.“ Da geht die Leere ins +Telefon. Doch sie ist noch da, ich weiß, ich spüre es. +Ich sehe sie dastehn mit dem weißen Gesicht, erfroren am +Mund, und lauschen. + +</p><p>Doch ich darf nichts anderes sagen, ich muß es fallen +lassen, wenn es mich auch vernichtet. Ich habe stets gedacht, +dies sei ein heiliges Haus. Ich will keine Verwirrung +in diesem Haus. + +</p><p>Wie unglücklich bin ich und schwach. Und doch wie getröstet. +„Ich küsse die Hände, auf Wiedersehen!“ rufe ich +steif und hänge ein. Ich kann es nicht hören, wenn sie +den Gruß wiederholt. Ich richte mich auf unter der Badedusche, +hebe die Arme, die Muskeln wiegend im Strahl — +und breche zusammen: welches Glück, diese Stimme. + +</p><p>Erst nach dem Mittagessen kam ich in Särö an. + +</p><p>Vor dem hellen Sandstrand stand die Nordsee. Dann +machte der Basalt eine Welle, die Häuser trug. Davor +brannten mit schmalem Rasen die tausend Obstbäume. Ich +ging durch den verschneiten Geruch. + +</p><p>Auf der Terrasse kam Almqvists Schwester auf mich zu. +Ich trat betreten einen Schritt zurück. Sie lächelte mit +einer sich nicht entäußernden Bewegung, ihre Schönheit +streng bei sich behaltend. Ich saß auf der Klippenbalustrade +vor dem kleinen Schloß. Ich frug nach ihrem Bruder, +sie wußte keinen genauen Termin, noch ohne Nachricht. +Sie hob die Schultern ein wenig, ich mußte warten. Ich +unterließ nicht, ihr meine Bewunderung für solche Schönheit +schweigend zu bezeugen. + +</p><p>Aber es war ein Raum zwischen uns, ich durchbrach +ihn nicht, ich hatte einen Schmerz in der Brust, der mich +peinigte bei jedem Wort und mich wegzog, wenn ich die +schmetternde Süße der Apfelbäume vor dem aufgestählten +Dunkel der Nordsee empfand. „Sie haben recht,“ sage ich +hin, „Ihre Bürger sind Hunde wie alle, gnädige Frau“ und +ich lächle schief und trotzig, aber ich will es nicht wissen, +was geht es mich an, was liegt mir daran, daß ich ihren +Vornamen gern wüßte. + +</p><p>Aber ich frage nicht danach. Daß sie in Norwegen +skiert mit Meir Elisha, meinem Partner. O, was liegt +mir daran. Ich bin da, um auf Nachricht von Almqvist zu +lauern, es ist keine da. Ich sitze und rede und höre nichts +wie ein phantastisch Knirschen eines Rockes immer im Ohr. + +</p><p>Auf der Klippe gegenüber stehen Kinder, rufen „Mur“. + +</p><p>Sie steht auf, nimmt die grün-weiß-orange-schwarze +Decke von dem Teetisch, winkt hoch damit. Die Kinder +jauchzen, kriechen wie Ziegen weiter mit den kleinen Spitzenhosen. + +</p><p>Auf der geschorenen Steppe ins Land hinein spielen +Engländer Golf. Weiße Männer liegen unten in den +Segelyachten. Ich stehe auf, lege die Hand über die Augen +und sehe lang in die gläserne Bläue. Ich vergesse, +wo ich bin, ich drehe mich um: „Ich sah Ihr Stadthaus, +gnädige Frau; darf ich es sagen, die holländische Backsteinrenaissance +hat eine asketische Linie, die ich wenig ertrüge, +nie eine Frau damit umgäbe.“ Ihr kristallenes blaues +Auge umfährt mich ohne Ironie, sieht über mich weg. + +</p><p>Ich empfinde, daß alle lügen, daß sie nicht die marmorne +schönste Frau Bohusläns ist; welche Narrheit, sondern, daß +sie noch nicht gelebt hat und ihre Gefühle lawinenhaft +hinter dem Herzschlag liegen. + +</p><p>Aber im Augenblick darauf schon sehe ich das Meer +wieder, sie ist aufgestanden, an die Mauer getreten, was +kümmert mich diese Frau, die Ruhe macht mich glücklich, +überempfindsam, die Segel meiner Seele sind groß und +weit gebauscht. Welcher Friede, ich will es sagen, es gelingt +mir, fast werde ich mitteilsam, ein Schwätzer, ich +schüttle mich und lache in mich hinein. + +</p><p>Die Obstbäume brennen ihr Weiß gegen die besonnte +Felswand und schwingen sich selig über das im Kreis gerundete +Meer. In der abgeebbten Seitenbucht liegen Völker +von Möven mit ausgebreiteten Flügeln im Sand. Wir +sitzen und reden und warten auf Almqvist, ich erschrecke, +muß lachen, die Teetasse fiel zu Boden. + +</p><p>Ich muß lachen, ohne es zu zeigen (wie kühl und höflich +ist mein Gesicht), ich sitze mit der schönsten Frau Westschwedens +über den wiegenden Rahen ihrer drei Segelboote, +und ich sehe über ihr hinter den Schaumriffen genau +von den in der Brise schaukelnden Kirschästen bis zu der +Spitze des Granitbergs immer eine Reiterin durch die Luft +hinschreiten. + +</p><p>Die Kinder kommen rufend, werfen sich ihr an die Brust. +Wie schön ich mit Kindern spielen kann, die ich sonst nie +sah. Bin ich sechzehn Jahre? O, wie fühle ich mich von +mir selbst verlassen. Sogar den Bärentanz vermag ich +auf der Mauer ihnen vorzuzeigen; wie sie heulen vor Wonne. +In welchen Korridor entfernter Jugendlichkeit habe ich mich +mit Geschwärm und Verlieben und Spielerei schrecklich zurückverirrt? +Wie weit lag das hinter mir. + +</p><p>Ich balle die Faust in der Tasche, ich kann ja doch nichts +tun gegen die süße Gewalt, die mich von allem reißt, mich +hier einen Fremden und Kranken und Unbeteiligten sein läßt, +o Gott, wie schön ist die Gewalt dieses Schmerzes, den +ich hasse. + +</p><p>Ich balle die Faust in der Tasche und greife das farbige +Tuch, mit dem sie den Kindern winkte, das die Kleinen +mir hineinbugsierten. Nun gut, es soll drinnen bleiben, +wir lachen, ich küsse die Hand, die es mir schenkt. + +</p><p>Vom Bahnhof herauf läuft ein Auto. + +</p><p>Almqvist. + +</p><p>Ich gebe ihm die Hand. + +</p><p>Ich stehe mitten in den Dingen, dressiere die Drähte von +Plänen und Absichten und Zielen bewußt und klar. + +</p><p>Ich schlafe traumlos und gut. Ich habe mich völlig, nichts +irrt ab. + +</p><p>Wir fahren in der Frühe nach Göteborg, nehmen den +Russen auf, steigen in den Dampfer. + +</p><p>Der Hafen ist stundenlang, die Schiffe haben sich in +Herden hineingelagert. Als wir den äußersten Ring am +Mittag passieren, zeigt Krassin auf eine der vielen flachen +Granitinseln. Aus Stollen sausen elektrische Fahrstühle +mit Batterien hoch, schießen, sausen tief unter das Meer +zurück. + +</p><p>Ich lache: „Entwickelt die Erde sich weiter in explosive +Kurven, wird man in zwei Jahren dies von Withe Chapel +oder vom Grunewald aus beschießen.“ + +</p><p>Da werde ich verhaftet. + +</p><p>In der Kajüte verhört mich der Kapitän. Er ist zu +dumm, die Vorzüglichkeit meiner Papiere zu kapieren. Ich +kümmre mich nicht um den Ochsen, stehe wütend an der +Wand. Die ganze Mission steht auf der Wippe. In +diesem Augenblick finde ich mich klar zurück, abgeschnitten +liegt das Nebelhafte von mir, ich strecke mich, bin wieder +ein Kerl, kühn am Kopf, fühle die Muskeln um den Rumpf +herum sich dehnen, ich trete vor. + +</p><p>Da klopft es, herein mit der Lässigkeit des Befehlenden +kommt Almqvist. Der Kapitän erhebt sich sofort, das feige +Schwein. Der Zwischenfall wird wie eine Kartenpartie +erledigt. Zur Entschuldigung wird Kaffeefrühkost auf dem +Kapitänsverdeck aufgetragen. + +</p><p>Im Kreis der Offiziere, fettem Fisch und Aquavit fliegen +die nackten Ursteine vorbei, manche haben Häuser blau und +rot, andere fahren vorbei mit singenden trocknen Fischen an +Drahtseilen klappernd. Das Nackte der Steine verblaßt +in gespenstische Blasen, das Panische stützt von ihnen gegen +den von Wasserzartgrün und Segel musikalisch tief gefüllten +Horizont. Die Eidern stehen mit Geschrei darin. Aus einem +Kessel von Granit, der sich öffnet, schießt schräg zwischen den +moosgrünen glatten Felsen ein dicker, geschwängerter Segler +mit viereckig braunem Tuch, die Metallhörner tuten. + +</p><p>Um fünf Uhr legen wir an bei Marstrand. + +</p><p>Von unserem Hotel sehen wir vier Seiten Himmel, +überall See. Zwei Tage studieren wir mit den Gläsern +die Gruppen, die Gewohnheiten, die Lagermulden, die +Badeplätze, Frauenbeine, Männerkostüme. Almqvist spricht +mit vielerlei Menschen, läuft in den Garten, macht lange +Gänge, schreit zum Fenster hinaus: „Halo . . . så ni säger,“ +schickt den Hausburschen in die kegelhaft gestellte Spielzeugstadt +unter uns, läßt Zigaretten holen, setzt den Panama auf, +geht zum westlichen Strand. Manchmal mit Damen, oft +allein, einmal in einem Rudel Männer. Ich sehe, die +Arme zum Fenster hinaushängend, wie Damen ihm zuwinken, +wie er vor sich hinschaut, grüßt, in Häuser hineinblickt, +kleine Gärten durchquert. + +</p><p>Er erfährt sicher vieles, wenn er sich so bekümmert, er +erzählt nichts, bringt Blumen mit, empfängt allerlei Subjekte. + +</p><p>Im Osten sehen wir einen großen Klüngel immer am +Meer, der seltsame Formen annimmt. Trennen sich Teile +davon ab, verlieren die andern nie die Verbindung mit +ihnen, die Figur der Ansammlung läuft aus wie Tinte, +verzogen wie Rosagummi. + +</p><p>Oft schaue ich nach Norden. Nicht, als ob ich da etwas +sähe. Es ist die Richtung nur, in die ich mich wende. +Ich liebe es nicht, wenn ich mich dabei erwische, ich bin +sehr verschlossen dann sicher im Gesicht. + +</p><p>Auch sehe ich gar nichts wie Netze und Schären. An +der grünen Wildheit der Riffe aber, wenn mein Blick damit +zusammenprallt, könnte ein Herz wohl aufschrein. Ich +glaube es bestimmt. + +</p><p>Mittwochs kamen die Schweden, hörnerschlank, blondgescheitelt. +Almqvist besprach lange jedes Detail mit ihnen. +Ich rührte mich nicht sonderlich bei den Vorbereitungen, +prüfte die Klaviatur nur manchmal, ich hatte das Ganze +zu überschauen, ich maß meinen Puls nicht wie Sverker +Ek, ich war wie immer in den drängenden Stunden der +Gefahr fast unbeteiligt, als stünde nicht ein Ruhm ungekannter +Größe und Bedeutung auf dem Spiel. + +</p><p>Ich sprach mit Almqvist lange über diese Frage, die endlose +Lüge der Geschichte, die uns idiotische Führer und geschickte +Taktiker als Helden ewig exerzierte, wo wir aus der +Gegenwart im Einblick in alle Verhältnisse dies Prisma +von kleinster Menschlichkeit und Kohl und Lüge und dümmster +Brutalität zu jeden Vergleichen an der Hand hatten und +an den Märtyrern und Tapferen eigenwilligerer Ziele ganz +anderes Heldentum beobachten konnten. + +</p><p>„Es ist Zeit, es ist Zeit,“ sagte Almqvist, als er die +Fernrohre vom Hausdach richtete, „mit einem Stierstoß +das Epaulettengenie aus der Historie zu stürzen und die +Heiligenscheine steigen zu lassen.“ Er lachte höhnisch, wir +hatten am Ostufer den Bienenschwarm Männer in den Gläsern. +Wir kannten jeden einzelnen, die Beziehung jedes einzelnen +zu irgend einer Gesandtschaft und amüsierten uns über +das Schachspiel, das sie miteinander aufführten. + +</p><p>Um elf Uhr gingen die weißen Hosen des Außenministers +vorüber. In Badekostüm und Tenniskleidern begann +die Börse. Alle heben die Nasen nach seinen politischen +Vapeurs, die nach seiner Entfernung bis zu seinem Abendbummel, +wie Rauchschwaden der U-Boote nach dem Tauchen, +den ganzen Tag geballt zurückbleiben. Die Spionagezentrale +des Stockholmer Grand-Hotel, die ihm hierher gefolgt +ist, schwitzt, nachrichtgeil, vermanscht die Atmosphäre +zu Meldung, sie langweilen sich und spielen sich weiter die +seit zwei Jahren vorgespielte Rolle vor, der eine Davoser, +der andere staatenlos, der andere Neutraler, refraktär, krank, +desertiert. Sie fluchen auf den Außenminister, daß er die +Klippe als Bad nahm, sehnen sich nach den Bars Stockholms, +nach Royal, Hasselbacken, Rosenbad, nach Autos, +Kokotten, Telefonen. + +</p><p>Sie haben die Nordsee peinlich in den Nüstern, es spielt +sich schlechter vor der wilden Kulisse. Sie kennen jeder einander +genau, jeden Atemzug, alle Vergangenheit, sie lügen +sich täglich an und glauben sich täglich neu, sie sterben vor +Gähnen darüber. Hätten sie wenigstens Frauen, es sind +keine Mondänen da. + +</p><p>Die Schweden klatschen in die Hände vor Vergnügen, +wenn das Spiel im Sand, von uns vorhergesagt, nach den +jeweiligen Berichten der Zeitungen, mechanischer als ein Flohzirkus +funktioniert. + +</p><p>Das Eigentliche vollzieht sich allerdings nur deutlich für den +Kenner: wie zwei sich bewegen oder beobachten, am Lauern, +am Ansprechen. Oben in der Wirklichkeit sind alles nur +Ausländer, die sich sonnen. Alles elegante Gentlemans, die +baden und höflich sind und die Formen der Welt respektieren, +im Kopf ein Nichts an Hirn, im Bauch Hunger und Trieb. + +</p><p>Unter dieser Oberfläche geschieht das eigentliche Techtelmechtel: + +</p><p>Ein portugiesischer Gestus trifft einen wienerischen, sie +feilschen zusammen: Zigaretten am Balkan, Orangenladungen +in Lissabon, die Finger spreizen sich. Da sagt ein +amerikanischer Mund, steif gezogen, Höfliches, reicht ein +Streichholz und ist verbindlich . . . während im Untergrund +das Herz anschreit: „Du Sau der tyska legatione . . . +Amerikahund.“ Beider Augen messen sich: wieviel Ladungen +Munition im Monat der eine Blick . . . wieweit die Ernährungsfrage +im Herbst der andere. In beiden Brusttaschen +Banknotenbüschel! Ein bulgarischer Kalkül stellt +einem englischen ein Bein, lockt ihn in die Falle, bekommt +steife Prügel, saust heraus, blamiert . . . oben sind die Köpfe +der beiden unberührt, der eine überschlägt, daß er durch die +Blamage tausend Pfund verloren, der andere, wie er den +abgeblitzten sich zu Diensten fängt. + +</p><p>Alle Köpfe haben einen Zug Gier nach Geld, das ist +das Gemeinsame. + +</p><p>Eine türkische Stellung wird beim Zeitunglesen verschachert +gegen eine Nachricht vom Zentrum Lenins. Am Telegraphenamt +sind alle bestochen. Abschriften sämtlicher Telegramme +zirkulieren jeden Tag, alle Chiffern sind bekannt, +harmlose Telegramme sind die beliebtesten, da sie drei Deutungen +haben. Zwischendurch Poker, Bar . . . bac . . . ma +tante . . . vingt et un . . . die Karten fluschen. + +</p><p>Abends ist mancher plötzlich reich, nicht an der Roulette, +das Spiel von Ehrgeiz und Bedeutung geht über dem +gesellschaftlichen. Da klotzen die Köpfe brutaler, stierer sich +ins Weiße: Kanonenpräzisionen, Abordnung von Führern, +ein auslaufendes Kriegsschiff, Flammenwerfermodelle, Atmosphäre +des Eßdrucks gehn als Tip. + +</p><p>Da sitzen die bluffigsten Karten. Zwei Jahre noch Kriegsgewißheit +(wie stehn die Nerven drüben, Freund?) und Industrien +schnellen göttlich hoch. Zusammenbruch pleite, aber +welche Chance bei Voraussicht. Eine Offensivmöglichkeit +wird einem schwarzblauen eleganten Conte abgeknöpft, auf +zehntausend Tote kalkuliert, Zurückschrecken, auf siebentausend +falsch frisiert, das zieht, in den Kabel gegeben, den Toten +zu einer Mark, am Abend als Gewißheit weiterverkauft +gegen Fettrationsnachweis, Kupferlösungstabellen, Salvarsanschmuggel. + +</p><p>Äußerlich schlenkern sie die Arme, schleichen sich gegenseitig +unauffällig nach, wünschen sich die Pest in den Schlund, +lächeln süß, duellieren sich selten, innerlich lauern sie, sind +angespannt, aufgezogen, Federn, Pistolendrücker, Minenexplodeure. + +</p><p>Am Abend gehen die weißen Hosen des Außenministers +am Strand zurück. Die Blutbörse reguliert sich neu. Die +Spionagezentrale sucht die Telegrammzellen auf. Über Lissabon, +London, Berlin, Washington, Wien, Paris, Mailand, +Pest geht ein Nachrichtregen nieder. Sieben Armeen +kämpfen weiter, Tag um Tag, gut informiert, aufs beste +bedient. — — — + +</p><p>Wir scherzen, lachen, zeigen uns dies und jenes, der Tag +ist hell, wird immer weicher. Die Fernrohre kreuzen sich, +sehen aus wie Maschinengewehre, wir trainieren unser Handwerk, +wir sind sehr vergnügt, machen Skizzen und Notizen. +„Siebentausend Moslemin,“ knirscht Ek ironisch. „Viva el +Peru“ rufen wir und machen sie nach. Wir singen, weil +es so schön ist: „Happy day, ha—a—a—ppy day — —. +When Jesus washed my sins away.“ + +</p><p>Lilljeqvist hat eine Segelmütze auf der Glatze, wir sind +in bester Stimmung, unter Scherzen geht der Morgen hin. +Ein heller Tag. Auf der westlichen Klippe gehen wir ins +Meer, zweihundert Meter weiter schießt der Halbbogen der +Fjords wieder heraus, da gehen die Frauen ins Meer, +kupfern gewölbte Schatten liegen vor einer Schäre, der +Wind hat nachgelassen, traumhaft abgebogen stehen Segel +vor dem sinkenden Kreis des Horizonts. + +</p><p>Almqvist hat die Unterredung durchbrochen, das Genießende +und Schöne ist aus seinem Gesicht verschwunden, er +ist verzweifelt, er geht auf und ab, die Frauen schauen herüber, +er wendet sich an uns alle, das Meer, die atemblaue +Seligkeit der Luft: + +</p><p>„Ha,“ sagt Almqvist, „was Jaurès, was Pétain, was +das ganze Schachspiel . . . Bagatellen für Affen. Die Erde +ist in den Äquator der Abrechnung eingelaufen, was? Die +Fahrt in das Dunkel hat begonnen, die Kugel knallt in +das Chaos. Ha . . . wie hängen die Dummen noch ungelöst +an ihren Bettwärmern, ihren Seelenkitzeln, ihren Kompromissen. +Der Bruch geht verflucht durchs Ganze. Schöner +Tag, Ek, süße Bläue, Krassin! + +</p><p>Aus für uns. + +</p><p>Die Lichter sind ins Dunkle geflaggt. Ha . . . und keiner +sieht in verlogenen Räuschen von heute schon den Schluß. +Unerbittlichkeit, i . . . i, Nachdenken Ek. Nichts wird hinübergerettet. +Die Weiber mit kostbaren Dessous, die lachend +vor Spiegeln stehen, von Steinen voll gepflegte Hände, +Salbenhaut, die in Kissen feucht wird. Autofahren, sanfter +Luxus, der reizvoll die zarte Erdoberfläche malt . . . betrügt +Euch nicht. Der Zeitbulle rennt sich seit vier Jahren die +Hörner ein, auch die Gazellen werden damit verrecken müssen. +Putzt die Lampen auf für andere Jagd. Ob die Zeithörner +blasen oder Frauenbeine spielen, erschöpft für diesmal die +Frage für das Säkulum. Im Katastrophenschacht der Sternbilder, +in den wir einfahren, ist der Ernst und die Grausamkeit +verdammt en vogue. + +</p><p>Ha . . . süßer Tag, Ek, milchweiße Silberränder in der +Luft, man wird den Schönheitszauber mit Keulen zerschlagen. +Ob ich ihn geliebt? Wie habe ich ihn genossen. +Einmal wird Schönheit die zackige, rohe Erde erlösen. +Nichts ist das aber vorderhand für uns. + +</p><p>Wir werden keine Freudelagerfeuer des Sommers an +dunklen Julifjorden entflammen. Städte werden zum Osiris +gefeuert und der Mond auf Leichenhügel geknallt. Schwelgerische +Sternnächte werden ohne Regatten rauschen, Ebenen +nicht mehr verzücken, Meere nicht zu Begeisterung schlagen, +Seen zu keinen Frauenräuschen treiben, dampfende Schneefelder +unter flamingoner Röte nur im Traum noch schweben . . . +aufgespreizt dagegen, mit gußeisernen Kolben wird dem Zeitauge +das Plasma ausgeschlagen. Tritt in den Brustkorb dem +schloddrigen Gerippe. Knackt die Schulterblätter der duftenden, +innen verwesten Kokotte. Ab mit dem Geschrei der +greisen Äffin Europa. Die Erde hat . . . hat ein elefantisches +Toben angenommen. + +</p><p>„Nach uns erst, Ek, werden die Nymphen wieder steigen, +wir sind leider bei der Reinigung und der apokalyptischen +Dusche.“ + +</p><p>Er hört nicht auf zu lachen, seine eleganten Hände pressen +sich immer wieder auf die Knie, der Oberkörper schüttelt +sich, er kann sich nicht fassen. Er bekommt langsam sein +Gesicht wieder, die Maske wächst ihm vom Kinn zu den +Augen. + +</p><p>Ich sehe durch sein Lachen den Krampf, wie sein wundervolles +Leben sich ablöst von dem Leichten der Zeit, dem es +anhing mit allen bei diesen Gaben und solchen Fasern +lebenden Gefühlen. Ich fühle den schicksalshaften Tenor +seines Blutes, etwas steigt, begreift in mir eine Sekunde +das Ganze, dann vergesse ich es wieder, sehe nur das Nahe, +spüre mich feig und kneifend, aber hell und voll Ehrgeiz +zusammen, ich kann es nicht ändern, ich kann ja nicht +tauschen, ich höre nichts als immer in jeder Sekunde durch +den Granit den Herzschlag des Meeres herauf mit einem +einzigen Klang: Ebba. + +</p><p>Alles erfüllt es, alles beglückt. + +</p><p>Ich habe die Bücher nicht einmal gesandt, ich kann ihren +Namen nicht nennen beim Händler, ich kann ihn nicht aussprechen, +es ist schon so fast zu viel. Sie wird am Fenster +stehn irgendwo, ich sehe es deutlich, sie wird am Fenster +stehen und warten. Keine, keine Verwirrung in diesem Haus. + +</p><p>Ich wende mich ab, ich wende mich von ihr, was soll +ich mit diesen Gedanken? Ich schelte mich feig, ich strenge +mich an, Almqvist zu erreichen, ich will seine Klarheit, ich +winde mich darum, sie zu fassen, aber, ach Gott, warum +sehe ich immer die Frau da am Fenster? + +</p><p>Ich kann noch nicht. Ich bin noch nicht so weit. + +</p><p>Wir gehen über den Steinhügel der Insel. Kanonendonner +gespenstisch im Kattegatt. Ein Fischerboot saust +unter englischer Mine vor den Schären in die Luft. Die +Bojen läuten. Leuchtfeuer taumeln durch die mit weißen +Sternen durchzischte Luft. Der Mittag wellt dunkler gegen +das Moos, die Möven rennen tief nach dem Wasser zu. + +</p><p>Almqvist legt den Finger an den Mund. + +</p><p>Die Schweden schwenken ab, mit den Händen deuten +sie noch einmal nach verschiedenen Stellen, beschreiben einen +Bogen, verziehen den Mund, lachen, entfernen sich, Steine +nach Vögeln werfend. + +</p><p>Ich liege auf dem Hausdach. + +</p><p>Mit dem schärfsten Rohr beschaue ich die Sammlung +am Ostufer, dann schleiche ich nach, ich komme hinter einem +Felsen her, erwische den Rücken einer alten Badekabine, +deren Dach schräg auffährt, ich drücke mich platt an. Unter +mir bewegt sich das Gekribbel, alle starren ins Land hinein. + +</p><p>Ich sehe Almqvist kommen, er schlenkert mit den Knien, +bewegt die Schultern lässig, den Mund gespitzt, der Panama +schaukelt in seiner Hand. + +</p><p>Unter mir macht Boissant zwei Winke, in der allgemeinen +Verwirrung entfernen sich die Türken mit dem Bulgaren. +Boissant bleibt breitspurig stehen, die Hände in den Hosentaschen, +die pomadisierten Haare in die Stirn gebürstet. +Plötzlich, je näher Almqvist kommt, begrüßt er ihn zuerst +mit einigen Schritten auf ihn zu, und als die anderen +nachdrängen, wird er immer kleiner, unansehnlicher, das +brutale Gesicht wird säuerlich weich, die verdellerte Stirn +mit den schrägen Augen versinkt in Falten und einen weinerlichen +Buckel, er benutzt die erste Möglichkeit, mit den +beiden Alliierten ganz allein zu sein, versucht aus dem +Nadelkissen der Spionenschwärme herauszuglitschen, verschwindet +nach der Klippe zu . . . . geht in unsere Falle. + +</p><p>Ich bekomme Klopfen im Hals, seine Entfernung wird +bemerkt, Blicke kreuzen vieldeutig in der Richtung, der +Wiener Beauftragte murmelt „ja schaugts“, schon heben sich +die Beine, manche springen auf. + +</p><p>Da nimmt Almqvist die Sekunde, gestaltete sie mit seiner +Verführerischkeit, es erweckt keinen Trotz, mit dem ganzen +Zauber seines Wesens zieht er unwiderstehlich die Geliebte +eines englischen Geschäftsträgers gegen seine Hüfte: + +</p><p>„Frauen“, sagt er erstaunt. Sein Rücken lehnte gegen +einen Strandkorb: „Sie haben wenig Frauen, meine Herren“, +sagt er spielerisch und zieht sie in seinen Tonfall und +ich zittere unter seinem Tonfall, weil ich darunter sein anderes +Gesicht immer erblicke. „Sie haben die kleinen Hasen +mit Recht vergessen, die kurzbeinigen, mit denen man spielt, +die man nicht liebt. Welch allersüßestes Kompott von +anderen Frauen könnten Sie auf der Klippe servieren.“ + +</p><p>„Dinieren Sie“, ruft mit steifem Blick der Engländer. + +</p><p>„Frauen“, sagt Almqvist. „Französinnen, da geht eine +Welle von der Gosse bis zu den royalistischen Dessous. +Ich diniere voll Vergnügen. Gekrümmter Bizeps: man +hat sie alle. Sapristi. Schönes Geflügel, doch man fängts +nur vom Blut aus. Nimmt man sie als Weib, vom +Weibsenhaften her, hat man jede. Dann können Sie vornehmen, +was Sie wollen, und jede Académie des Dames +bei jedem Essen mit ihnen vollführen. Die Wege sind egal, +solang sie so erfochten werden. Verlieren Sie die Luftschicht, +arbeiten Sie mit Gedanken und Tricks, ist es aus. Narren +glauben nur, Liebe sei nicht Talent, weil Frauen manchmal +auf Idioten reagieren. Verhängnisvoller Irrtum, die +Idioten waren einfach die Begabteren. Wüßten die Schreiber +sehr erlauchter Bücher, die oft mit unmöglichen Weibern +leben, wieviel trächtige Instinkte es bedarf, welche Wollustbarometer, +welches Training und welche Disziplin, wie man +führen, folgen, verlocken, zurückbleiben, lange zögern muß, +dabei immer in Siedenähe der Seelenatmosphäre der Frau, +wie man vorstoßen, mit Maß überwältigen, göttlich disponieren +muß . . . . . . um nur das anonyme Straßenmädchen +Chichette, die kleine Bürgerstochter Anna zu verführen . . +ha . . . . . . . diese Schreiber, deren ich das größte Amüsement +bei ihren Büchern habe, stiegen von ihrem Hochmut sehr +rasch zu den Sansculotten und fühlten sich den dem Blute +viel näheren Abenteurern wahrhaft gegenüber als Nichts +und Null. Französinnen. Ich diniere als Hors d’oevre, +Dessert und Entremet. Diese Frau ist ein Meer, der begabte +Mann kann sich Legion der Vielfalt aus ihnen machen, +ein gutes Material des Weiblichen, wo aus der Stimmung +der Sekunde das Entsprechende grilliert wird. Doch man +muß gestalterische Phantasie und viel Einfluß haben, Rezepte +aus dem Augenblick saugen und die Soßen genial +verrühren können. Der Unbegabte nur, meine Herren, +geht an die Frau wie an ein Schiff, liest den Namen, betritt +es, und es ist ihm gleich, oder er nimmt es für seinen +Verdienst zufrieden, heißt es nun Lutetia 4, ist’s Demut, +ist’s Glückliche Meerfahrt. Beschränktheit und Trottelei. Casanova +beherrschte als letzter Souverän das weibliche Alphabet, +gab seinen Frauen den Namen, den er beliebte und +den Charakter, den er vorzog. Er verstand auch, was aus +der Französin leicht, bei anderen sehr schwer, aus Hüllen +von Schmutz und Silberfuchspelzen, aus Palais und Hafen +und Kulisse, Gesellschaft und Gosse jenes Blasse, ein wenig +Stöhnende herauszuholen, immer wohl das Gleiche, aber +jedes anders überspielt, anders gestaltet: das Weibliche, +la femmelle, was man lächelnd, aber nie ohne zu erbleichen, +auf dem Grunde des Frauenhaften suchte.“ + +</p><p>Er hat den Blick fest in dem des Engländers. + +</p><p>„Dinieren Sie,“ sagte der Engländer mit steifem Blick. + +</p><p>„Ich diniere voll Vergnügen“, sagt Almqvist. „Ich +ziehe es vor, Norwegerinnen mir zu dispensieren, schlimme +Knöchel. Däninnen Austern, feine Hüften, keine große +Sache, oft grau im Teint, Salzwasser, man muß Zitrone +hinzutun. Schwedinnen haben Rasse und Charme wie die +Französinnen, sie kommen ihnen am nächsten, sind sogar +besser gepflegt, nicht mit Puder und Rotstift, sondern +von Gymnastik, mit ganz famosen Beinen und Aprikosenteint. +Es geht nur ein paar Jahre, dann erkaltet ihr +Arom. Immerhin werden sie komplizierter, weil sie ohne +die französischen Retuschen, Parfüme und Toilettekünste arbeiten. +Denn ihr Falschheitsattribut ist also mehr im +Inneren, sozusagen Seele, während bei den Weibern der +Boulevards und Impasse, ungreifbar jedoch zu dressieren, +auf Busenwarze, Fußzehe, Bauchlinie das Seelenhafte sich +herrlich vollzieht. Der Liebhaber und Amateur kann der +Skandinavin daher nicht in Reinkultur der prallen Männlichkeit +kommen, es braucht etwas Hirn, ein wenig Intellekt. +Schon braucht es grobe Mittel, dem Amateur wahrlich +Verächtliches: Logik, Strafe, Züchtigung. Wüßten die +Frauen, die, statt groß und frei sich zu geben, dumme +Seelenkulissen dazwischen bauen, wie der seelenvolle Mann +gleich Mondschein ihre prüden Bewegungen widerlich findet, +sie kaprizierten sich weniger auf „Werben“, „Sicherringenlassen“, +auf Seelenpflaumen als überraschendes Zwischengericht +und Intellektkrebse zwischen Salat und Huhn. +Während sie glauben, raffiniert zu sein, machen sie nur +abscheuliche Rezepte, rühren Ei und Öl und Preißelbeeren +an einen und denselben Fisch. Das fabelhafteste Menu +ist das natürlichste, ohne Hemmungen, aber mit der Lust +am Speisen. Seele kommt dann von selbst nicht als Eis, +aber als Atmosphäre, denn wo wäre Seele nicht, wo Harmonie +sich löst. Rutscht der Frau unseres Jahrhunderts +und unserer irrsinnigen Erziehung, meine Herren, die Welt +ins Hirn, so können nur Dressuren sie sanft machen zu +Beefsteaks der Liebe. Ich kenne die europäischen Küchen +allesamt, die Art des Klopfens ist überall dieselbe, (lediglich +die Nomaden Ungarns belieben Fleisch manchmal noch unter +den Sattel zu legen). Man treibt das Hirn ihnen so aus, +sie erkennen unter Schmerzen das Schöpferische des Mannes, +werden seltsam anschmiegbar für ein paar Stunden. In +Esprit sich und die Liebe verwickelnd, sind sie von Stimme +und Gebärden Hyänen, aber mit welcher Grazie spielt +nach der Prozedur des Dressierens man mit süßen Katzen. +Dabei sind die Intellektuellen ohne jede von ihnen so +erstrebte Dämonie, sie sind nur komisch, meistens bös, +nie gefährlich. Dazu sind sie zu dumm, weil ihr ganzer +Apparat ja männliche Kopie ist, ihr Bestreben männlichen +Geist mit maskulinen Mitteln zu imitieren, und sie dabei +die typische männliche Dummheit gegen die verstrickendere +ihrer reinen Weiblichkeit eintauschen. Arme Dinger, +sie würden nie Schnaps trinken und Pfeifen rauchen, weil +die Männer in Scharen Wettlauf von ihnen weg begännen, +aber in den Regionen des sogenannten Geistes sind sie instinktlos +wie kein Tier. Was Sie dumme Ziege nennen, +kann mir Kosmos und Schicksal sein, Bestimmung und +Verhängnis, kann in manchen Momenten mich um den +Finger wickeln, wie einen Wurm. Ich fliehe, weil ich gebildet +bin und Frauennähe brauche, geistvolle Frauen. Die +Dame mit Literatur verräuchert, Kunst weich kauend, geht +trotz bestem Magen auf die Darmnerven, macht totkrank +bei halbstündigem Tee. Mit einem Barmädchen Lilly fuhr +ich bis Kairo. Daher sind die Asiaten und Afrikaner so +herrlich. Haben Sie schon einmal mit Abessinierinnen gefrühstückt, +Palaumädchen zwischen den Wellen der Brandung +nachts Melonen essen sehen? Das ist pikanteste Küche: +Milch, Honig, Traube und Kokos und Ziegenlende. Haben +Sie Negerinnen auf Gäulen durchs Gras reiten sehen, +das sind die schönsten Frauen, gelehrig wie Papageien +fahren schnatternd den Fluß mit einem herunter, während +im Wald es schreit und dröhnt. Auch ist ihr Odeur extravagant, +wenn man nicht den Schlag von Kapstadt nimmt, +der ist Bruch. Aber nicht jeder verträgt diese Atmosphäre, +man ist bei uns zu festgelegt auf gebadetes Fleisch, statt +das Wechselspiel von Haut und Luft zu bewundern. Doch +muß ich eine Warnung hinzufügen, sich nicht zu sehr der +Biskuitschönheit der Javanerinnen hinzugeben, deren Talmianmut +verderbter europäischer Grazie nahekommt. Beine +und Brüste sind lange nicht so gut wie bei Schwarzen. +Das andere ist Bluff. Sie drehen große Augen auf, das +ist alles. Man stirbt vor Langeweile oder wird Buddhist. +Die Spanierinnen sind von ähnlichem Filet, man kann sich +mehr Vollendetes auch in den seltsamsten Kühnheitsstunden +der Phantasie schwer denken, die Caballeros stehen an den +Gittern und erregen sich an den Damen hinter dem Fenster, +sodann zünden sie Zigaretten an und gehen ins Bordell. +Haben sie endlich eine Dame durch Heirat, sind sie +nach zwei Monaten wieder dort. Mondaugen und ideale +Büste, braune Marmorschenkel und süße Hüftlinien genügen +doch nicht ganz, wenn das Blut stickig geworden. +Wo ist in Europa sonst noch ein Typ? Russinnen verstehe +ich nicht, davon rede ich nicht, hier gar nicht. Italien weich +und süchtig wie Gelee und dunkle Marmelade. Am Balkan +Gehetz. Die Cuisinen duften Paprika, Knobloch und +grünen Pfeffer. Sonst wie mit Hunden gebalgt ist alles, +Beißen, ein Knäuel, man läuft auseinander, schimpft. +Schöne Spielerei und immer Getös, man wendet sich bald +ab, zieht Fußballspiel und Hockey vor, welcher Sport auch +reinlicher erhält das Gemüt.“ + +</p><p>„Dinieren Sie,“ sagte der Engländer mit gehärtetem +Stimmuskel. Er saß zum Sprung. Almqvist hatte seinen +Blick in dem seinen wie in einer Fessel. Er zog das eine +Auge herunter. Wie furchtbar spielt er die Komödie! + +</p><p>„Nur die deutschen Aristokratinnen sind appetissant. Da +ist Zucht, zwar geistlos, aber heftig in Rasse, schmale +Hüften, Tennisbeine, dünn und zäh, ovale Köpfe. Etwas +vom elegantesten Tier, der Giraffe, und einiges von dünnem +Stahl. Soviel Federndes ist darin, daß man sehr hohe +Ereignisse mit ihnen erreicht, daß man bis an die Mondhügel +und die Milchstraße schwebt, verzückt. Doch das ist Züchtung, +man erreicht es nur im auserwählten Fall, meine Herren, das +Landläufige schlägt Sie mit Entsetzen, ein Schreck zwischen +Sentimentalität und zu kurzen dicken Beinen. Der Schick +geht nicht bis auf die Dessous, wo er erst beginnen sollte. +Ein fatales Souper an der Spree, ein nur durch südlichen +Himmel gemildertes in München. Nur Düsseldorf oder +Mainz sind geprickelt, dort mischt sichs mit Niersteiner, +französischen Rotis und Rheinwind. Die anderen verstehen +die Soßen nicht zu präparieren, es klebt aus Wasser und +Schmalz und Mehl. Sie wissen nicht aufzuduften herrlich +zugleich nach Apfelblust, Meer, Houbigant, Kirsche, Roquefort, +Chablis. Sie haben nicht Reizsinn, das macht, daß +die pikanten Entremets fehlen. Das Souper ist ohne +Würze. International leider als Kapitalanlage verwandt. +Da von Genuß nicht die Rede mehr ist, geht bei der +Dirne daher schon der Zynismus um, daher ist diese Atmosphäre +auch jedem, selbst übelsten Ansinnen offen. Dies +Essen allein verläßt jeder ohne Dank, ohne Erinnerungshauch, +der köstlich noch nachschwebt aus der Morgenröte, +dem samtnen Gestammel, kalt wird es verlassen, was +selbst den Japanerinnen, die quälen, nicht passiert. Auf dem +Düngerhaufen der Welt modert dies Überbleibsel, getreten +in London, in Bordellen Südfrankreichs, roh, heiser, in den +Anlagen Buenos Aires, auf den Boulevards. Hin und +wieder steigert das Mütterliche hingegen sich zu Güte und +Brille. Man steht erschrocken vor Sympathien, die einem +unerträglich sind. Auch gibt’s spielerische Abarten, Blutmischung +von Polen, Prag, Elsaß. Da liegen Kegel Luftschicht +flüsternd um die Leiber, was wichtiger wie Frou +Frou, Pelz und Seide. Da geht ein Kampf immer mit +Stummheiten, Abwehr, Hieb und Einsinken zwischen Wünschen, +Männerblicken und dem Weib, Lustfächerspiel aus +Luft. Besonders aus dem Österreichischen her, Genies der +Haut, Hasen, an denen die Lust sich reibt, riechen wie Klee, +schnuppern. Schwierig, die mit Seele, man will sie nicht, aber +sie möchten auf diesem Umweg bezwungen sein, man hat ein +Lazo um den Hals, ich wage nicht, Sie mit den tollen +Einzelheiten der Flucht hiervor zu langweilen, Sie ziehen +eindeutigere Einzelheiten vor. Man speist nicht Straußeneier, +weil sie selten, sondern man speist Kibitzeier, weil sie +selten und dazu sehr gut“. + +</p><p>„Dinieren Sie,“ sagte der Engländer. + +</p><p>„Asiatische Würze in europäischer Flaconnierung, ich +setze mich gern zur Tafel“, er zog die Engländerin herüber, +spielte mit ihrem Haar und übersah den Rufer. „Heißt das +Essen Adler, hat das Exemplar leicht kurze Beine, ist jüdisch, +wird dick. Da hat sich Vorderasien schon ganz an das +bürgerliche Europa angeschlossen, aufgegangene Kaprizen in +Sackfett bourgeoiser Ideale. Heißt’s aber etwa Guzman, kommt +es aus Spanien über Saloniki, ist schmal, hat kein Ghetto +gehabt, zäh, geistig und voll Charme. Vielleicht das Höchste, +was es gibt: Hirn plus Blut. Aber in der hinreißendsten +Grazie serviert. Internationale Aristokratie. Ihrer Tradition +Chefs waren, als unsere Vorfahren in Pelz und +Barett noch schwitzten, gepflegte, untadelige Gelehrte und +Künstler in Katalonien. Serviert man Frauenkompott, +darf die herrlichste Jerichospeise nicht fehlen. Man wird +immer wieder zu den Jüdinnen zurückkehren, zu dem Hafen, +den Intellektuellen der Freude. Erotische der Ideen, Glühende +nach Ziel und Triumph. Dasselbe, was Anarchistinnen +treibt, ist ihre Umstrickung. Dazu sind sie einfältig, fast +primitiv, im intimsten Moment. Lasterhaftes und Wille, +sich für einen töten zu lassen, Adel und Ausschweifung, +Königin und Dirnengeschwätz, dolchscharfes Hirn und Akkumulator +der Gasseninstinkte — — das fließt fabelhaft ineinander, +man vergißt diese Frauen nicht. Sie sind wenig +entdeckt, man degoutiert ihre Männer und sieht sie nicht. Wer +sie aber erfahren hat, läßt nicht die Lieblingsmarke. Sie +halten einen nicht. Ihr Trieb ist, Freiheit geben überallhin +und dadurch erst recht zu fesseln. Man schlägt das Auto, +etwas betrunken, mit ihr völlig in Fetzen, im Abfahren +ruft sie „Säufer, du Protz“, man steht eine halbe Stunde +auf der Straße, beschließt, irgendwie anders nun von dieser +Nacht ab zu leben, geht zu ihr, sagt ihr’s, und findet keinen +Zug, keine Falte, die den Triumph bei ihr anzeigt. Es soll +sogar, so vielfältig ist der Typ geschichtet, chinesische und +negerische Jüdinnen geben. Man hat die Auswahl: runde, +ovale, Suaheliköpfe, Schlitzaugen, mandelgebogene, abbessinische +Formung, überweiße Arme und sehr dunkle Haut, +es ist von den klassischen Ragouts bis zu den bourbonischen +Chateaubriands jede Nüance vertreten. Asien wird uns +als Mission in die Adern getragen, Steppen, Jahrhunderte +Gold des Jericho und Euphrat, Schmutz und Begeisterung +und Landstraße und Silberhimmel sind in ihrer Neigung +zusammen, es betäubt und man ist immer wieder da zu +Hause. Hier ist das intimste Diner gerichtet, man langweilt +sich nicht mit den Suppen, man will endlich einmal +über die Hors d’oevres hinaus, zu Forelle und Fleisch. +Sei es auch à la tatare. Auch wird man Paprika, +portugiesische Sardellen, Anchovis als Würze, persische +Pflaumen, Pfirsich und Brüsseler Trauben als Früchte +dazu haben. Man fährt auf solchen Gedanken wie auf +Äroplanen durch den Ozean von Rausch und Erregung. +Ein ungemeines Potpourri von Erlesenheit der Speise ist +zu den Kompotten geschichtet. Wer nach Blutstromwanderung, +nach Sehnsuchtsfjorden aus ist, hat hier die wundervolle +Yacht. Auf welcher Regatta es sei, führt der Liebhaber +die palästinensische Göttin, großhüftig und braun, am Fock.“ + +</p><p>„Dinieren Sie. Dinieren Sie,“ schrie der Engländer. + +</p><p>Da zog Almqvist die Frau auf das Knie: „Ich vergaß +die Gemüse Ihrer Insel, ich bin bestrebt, ihre Lendenstücke +nicht außer acht zu lassen.“ + +</p><p>Der Körper des Engländers schoß an ihm vorbei, Almqvist +hatte die Frau mit dem rechten Arm an sich gezogen, +hochgehoben, war dem Springenden ausgewichen. + +</p><p>In der Dämmerung lief er drei Sätze. + +</p><p>Jagte auf der Galerie des Landungsstegs als Schatten. +Eine kleine Segelyacht kreuzte gegen den Wind, legte sich +leewärts an das Geländer, sie sprangen beide hinein. + +</p><p>Der Abendwind riß mit einer schaumigen Brise das +Boot ins Graue. Am Geländer fiel der Engländer stumm +um, hämmerte die Faust auf das Knie, tac . . tac. Ich +sah ihn noch aufstehn, wanken vor Wut, dann schlich ich +in der Verwirrung der anderen zurück. + +</p><p>Hinter dem Fels begann ich zu laufen. In dem Spielzeuggarten +war eine Jasminwolke aufgebrochen, Kometenstücke +fielen dauernd über die Granitfelsen der Ostseite tief +in die weich flutenden Fjorde. Ich saß stundenlang am +Fenster, wartete, sah mählich die Nacht über den Silberglanz +hingehen, die Düfte immer stärker auf der schweigenden +Insel nach oben sich wölben, die Uhren fielen schwer +und flaumig in die dichte Stille. + +</p><p>Um zwei Uhr kam Krassin. + +</p><p>Um zehn hatten sie den endlich ungestörten Boissant +nach seiner Unterredung mit den türkischen und bulgarischen +Subjekten abgefangen, betäubt, in einen hollunderzerwachsenen +Felshafen getragen, in die kleine Segelyacht gesetzt. +Krassin blieb zurück, öffnete, kopierte die Abmachung, ließ +die Kopie zurück auf dem Holztisch Boissants, genau so +verfertigt, gesiegelt, unterschrieben, wie das Original. + +</p><p>Er gab mir das Original, verschwand lautlos. Ich ging +mit ihm hinüber, las es, ging zu Bett, schlief ein. + +</p><p>Die Schweden kreuzten inzwischen mit Boissant bis +zum Morgen zwischen der Küste und der Insel, er hatte +sogar die Möglichkeit, sich mit der Engländerin zu unterhalten, +„Englishman?“ frug sie mißtrauisch, die Hand in +Almqvists Genick. + +</p><p>„Allright.“ + +</p><p>Sie setzte sich etwas höher, weil sie schräg lagen, sah +ihm ins Gesicht. „By Jove,“ sie erschrak zu Tode über +das Affengesicht. + +</p><p>„Hallo cap, hallo cap,“ murmelte der Franzose und +stierte ins Wasser. Morgens setzten sie ihn lachend ans +Land. Davidson erzählte ihm, als es ganz hell ward, man +habe ihn mit Krassin verwechselt und bat um Entschuldigung, +indem sie ihn tatsächlich wider Willen beim Wenden +am Land noch durch eine Ruderwelle bespritzten. + +</p><p>Um elf morgens kam Krassin. Almqvist war in Gefahr, +der Text der Konventionskopie, die Krassin hergestellt, war +als Fälschung stark schon in Verdacht, alles stellte sich im +Arrangement natürlich auf Almqvist. + +</p><p>Ich suchte ihn, irrte mich im Zimmer, trat in ein falsches, +da schliefen, von der Sonne beleuchtet, tiefatmend +zwei nackte Menschen. Almqvists Tür war verschlossen. Ich +klopfte, er antwortete nicht, schlief noch. Ich ging zurück. + +</p><p>Ich kämpfte den ganzen Vormittag. Ich nahm das +Papier, sah es an, legte es wieder beiseite. Das Papier +war von einer Bedeutung, die weit über meine Verantwortung +als Mensch hinausging. Wie hatte ich danach +gehetzt und gejagt. + +</p><p>Eine Abschrift war für den mißtrauischen Ludendorff nur +Gelächter. Das Original hatte Beweiskraft. Zeigte, wie +die Außenposten seiner Politik im Wind lagen, Konstantinopel +nach der Trikolore lauerte, bulgarische Ohren nach +London sich spitzten. Ich hatte für das Schicksal der Monate +das wichtigste Papier, hielt es in der Hand. + +</p><p>Was war Almqvist dagegen? Das Papier brannte in +mein Blut sich ein. Schicksale, Menschen, Entscheidungen +wölbten sich aus ihm heraus, das Papier ging in die Zukunft. +Mein Ehrgeiz öffnete die Akte der folgenden Wochen. +Meine Handlung! + +</p><p>Ich schwieg, stellte mich vor den Spiegel. Wie kühl, +entschlossen bin ich. Ich schwanke nicht, als es sich regt +im Zimmer neben mir. Die Bedeutung des Momentes +schneidet alles ab, es geht weit über die Rücksicht auf einen +Menschen. + +</p><p>Ich opfere Almqvist. Ich kann ihm das Papier nicht +geben. So geht der Weg. Ich lege die Lippen aufeinander. +Ich bin am Schluß. + +</p><p>Gegen Mittag sah ich plötzlich deutlich, daß ich nur von +mir aus empfand und beschloß. Die Einstellung war zu +klein. Ich schämte mich trotz dem Stolz, der mich füllte. +Ich fand mich häßlich, wenig unterschieden von den Schweinen +der Spionagezentrale. + +</p><p>Dennoch lag meine Hand sicher und freudig auf dem +Blatt Papier. Triumph. + +</p><p>Ich überlegte dann: wenn die Heeresleitung nicht glauben +wollte, oder aus Schicksalszug nicht glauben sollte, half +dann das Original, war dann nicht hinfällig, klein und +dünn der Streit zwischen Papier und Papier? Der Zweifel +fraß mich an, ich hielt ihm lange stand, er warf mich auch +nicht um. + +</p><p>Aber ich verstand mit einem Male, daß gegen alle meine +Klugheit und Entschlossenheit Mächte aufschossen, die eine +andere tragische Macht als die helle Sicherheit meiner +kleinen Pläne beherrschte, und wie weggeblasen und ausgespien +diese oder jene Wendung mich machen konnte. + +</p><p>Ich sah aus dem Fenster. Stundenlang. + +</p><p>Dann ging ich hinüber, Almqvist das Original zu bringen. + +</p><p>Er war nicht mehr da. + +</p><p>Ich fahre nach Stockholm. Über mir schläft ein weißhaariger +Priester. Ich habe die Hand auf dem Brief auf +meiner Brust. Am Bahnhof steht Siv. Wolken steigen +wie Ballone rund und dick und porzellanen über den Mälar +und das königliche Schloß. Der Gesandte fährt mit dem +Finger über die Tinte des Schreibens und trommelt amüsiert +über die entzückend zugezogene Falle an seinen verbündeten +Kollegen auf dem großen Karo seiner Hose, das +das Knie bedeckt. Er hat den wichtigsten Trumpf, Rechtfertigung +seiner in Berlin geschmähten Politik in der Hand. +Seine rasche Zunge hat ein gesalbtes Öl, in dem sein +scharfer Vorstoß seltsam glitzert. + +</p><p>Wir speisen gut. Ist der schwedische Diener mit den +dicken Händen und den Zwirnhandschuhen, der serviert, +draußen, klopft er mir jedesmal auf den Arm, auch wenn +er anders spricht. Ich sage: „Ich trinke auf Ihr Wohl, +Herr Minister, ich trinke gerne auf Ihr Wohl.“ Die Gläser +stoßen an. Er macht mit Finger und Sprache das Parkett +in Kreuznach, wenn der Brief übergeben ist, wir lächeln. +Noch vor dem Dessert präsentiert sich der beste Kurier, er +fährt sofort nach Deutschland. Im selben Zug sitzt eine +Frau, die hat den Brief. + +</p><p>Exzellenz erzählt, wie die alte King verwechselt abends, +daß er von Pyjamas sprach und Bananen versteht und das +die unanständigsten Folgen in der Geschichte hat, zerlegt die +Nüancen wie den Apfel, springt begeistert nach Mokka und +Schnäpsen zum Rauchzimmer hinauf. Er schenkt mir sein +französisches Buch über innere Politik in rotem Leder. + +</p><p>Ich habe es dreimal. + +</p><p>Ich schlafe den Mittag, sitze den Abend mit Siv im +Grand-Hotel. Ich sitze am gleichen Tisch, am selben +heruntergelassenen Fenster wie das letztemal. Der Geierschrei +der Fjordbahnen pufft wie damals durch die Luft. + +</p><p>Es ist eine unheimliche Ruhe in mir. Weiter weiß ich +nichts. Bis zur Beängstigung ist alles klar gezeichnet, still +und gut. Ich bin bereit, mich über alles zu freuen. Vielleicht +gefällt mir die Gegenwart so sehr, weil ich so wenig +in ihr bin. + +</p><p>Ich freue mich, wenn Siv kokett die Spitze ihres Schuhs +unter dem Tisch meine Wade hinaufführt. Ich nehme +herzlich auf, wie schön ihr herrliches pomadisiertes Haar +im halben Bogen tief die Stirne ausschneidet. Ich füge +ihr den Stolz an, zu erröten, indem ich frage, ob ein +Mann ihr Bein bewundert, während ich weg war, irgendeiner +tags oder abends. Ich weiche der Gabel aus, die sie +nach meinem Handgelenk sticht. „Willst du Rolf sehen im +Varieté, Naima Wifstrand, die Katze, die Hasselqvist tanzen, +die Bosse schreien, Musik, Siv, ich brächte dich gern zu Musik, +du mußt mir das glauben, Siv, wie gerne ginge ich mit +dir zu Musik.“ Ich will ihr Gutes sagen, ich verwechsle +alles, ich sage das Gegenteil ihr immer von dem, was auf +sie paßt. + +</p><p>Ich sage ihr plötzlich und nun kann ich wieder lachen, +daß es ihr gefällt, nun sage ich ihr lächelnd, daß wir vor +Hofås mit äronautischen Karten gesegelt sind und alle +Klippen getauft haben, eine so, diese anders, eine aber, ich +sage es ganz ernst, eine wie der Bauch einer Stute, die +springt, einer weißen Stute, versteht sich, eine: Siv. + +</p><p>Ich füge hinzu, ich kann es ruhig ihr sagen, ich füge +hinzu, in den Kniekehlen habe ich gezittert nach ihr beim +Baden, denn wer ist schöner wie Siv? + +</p><p>Ihre Augen flattern vor blauer Nacht. + +</p><p>Ich füge sofort hinzu, ich kann es ruhig tun, ich spreche +nicht die Unwahrheit: „Nein, ich sah keine sonst, nein, keine +Frau habe ich gesehen, Siv . . . inte . . . inte . . . .“ + +</p><p>Wir sitzen lange am Fenster meines Zimmers oben. Wir +wohnen im dritten Stock. Siv ist halb entkleidet, in schönen +plissierten Hosen und dünnem Leibchen sitzt sie auf dem Fensterbrett +und streckt die Beine nach der Straße hinaus. Es ist +gar nicht dunkel, wir hören das weiche, flutende Wasser. + +</p><p>Manchmal erzähle ich Siv. Dann sage ich manchmal: +„Mittags sprach Per Geyer vom Schnee im Lappland, +Didring schenkte mir ein Messer von seiner Expedition. +In Saltsjöbaden die bronzene Tür müßtest du sehen, Siv, +die Heiligen sind verrückt geworden darauf, du würdest +lachen. Im Schlafwagen fuhr ein Engländer mit mir, ein +alter Herr mit guter Wäsche. Wir waren beide aufeinander +auf der Lauer. Doch eine Frau traf ich, Siv. In Särö. +Ich weiß ihren Vornamen nicht. Ja. Die einzige Frau, +die ich traf. Deine Haare riechen, Siv.“ + +</p><p>Ich schließe die Jalousie. + +</p><p>Mir ist, ich trüge die fremde und stille Welt, die ich in +mir spüre, irgendwie über diese Nacht in mich hinein, als +ich Siv hinüberhebe in die weißen, dämmernden Kissen. +Die Nacht ist lang und zwielichtig. Ich sehe alles vorüberrauschen, +Tage und Wochen und Erinnerungen. + +</p><p>Ich bin nicht undankbar in meinem Blut. Ich stehe +auf. Ihre großen Beine glänzen. Sterne überall über +Stockholm. Unaufhörlicher Mövenschrei auch die Nacht. +Ich ziehe den orangenen Schild der Jalousie auf. Höre +Kungsträdgården brausen. + +</p><p>Ich schließe die Augen: Ist Mälaren nicht blau, Himmel +nicht erschüttert von noch süßerer Bläue, ist nicht Fanfare +das Läuten vom Turm des Södermalm? Ihre Haare sind +weißblond, wie habe ich sie umarmt, Siv. Wie trägt +mein Körper noch auf Jahre das Glück des ihren beruhigt +im Blut. Auch dies verliert man nicht. + +</p><p>Ich wende den Kopf, ich lege ihn schief und fast bis +zum Boden, daß ich ihren Kopf noch einmal sehe, die +Wimpern, daß ich sie noch einmal ganz sehe, wie sie daliegt +auf der Decke, Tochter im Namen Tors, so schön +gestaltet der Leib, daß der Schlag meiner Sehnsucht sie +umwarf. Ich bewege mich lange vor ihr, ich kann mich +schwer davon trennen, sie anzusehen. + +</p><p>Es ist Unsinn, ich habe dumm geträumt, daß sie an +Werktagen Schuhe verkauft in der Nordisca Companiet, +es ist eine Farce, eine Lüge gewesen, die ich betrieb, ein +affenhafter Witz. Ihr Vater ist Staatsrat. O wie sie in +Humlegården mir zum erstenmal winkte aus dem Break, +ein gelber Handschuh mit schwarzen Schnüren. Ich weiß +es genau noch, ich belüge mich sicher nicht mit diesem +Bilde, ein gelber Handschuh, Siv, ich trenne mich schwer +von deinem Anblick. + +</p><p>„Ich liebe Ebba, Siv,“ sage ich plötzlich, „ich sage es nur, +wenn du schläfst. Ich würde dich nie verlassen, Siv, nie +ein Unrecht tun im Gedanken an dich. Du beglückst mich. + +</p><p>Jene ist Pein. + +</p><p>Ich weiß, Siv, ich besaß dich nie ganz, meine Freundin, +auch in der tiefsten Umschlingung . . . wie keine Frau, die +ich sehr geliebt, und bei denen das Unentwirrbare mich anzog +und verstrickte. Darum liebe ich das Dasein, es gibt +mir keine Grenze: Städte mit Wolken, Schiffe in Gefahr, +Hauch der Obstbäume, die langen Chausseen, Jagd nach +den Tieren, die unteilbare Wucht des erschütterten Himmels. +Was willst du mehr, ich bin voll Sorge und Liebe +für dich, Siv . . . lebe, Siv, daß Geliebtes dir fremd +bleibt, du lebst dann gut . . . + +</p><p>Aber Ebba, Siv, ich sage es, wenn du schläfst nur, das +ruft in der Nacht. Das preßt die Hände vor Zorn, das +bringt zur Verzweiflung, man ringt lautlos die Hände. +Das reißt tiefer hinab zu den Quellen des Bluts als dein +leiser Aufschrei, dein dunkles Erstarren im jagenden Herzschlag. +Ich habe sie nicht einmal umarmt. Nicht einmal +dies Geringe. + +</p><p>Du bist schöner wie Ebba, Siv, ich gab dir mehr Beweise +der Liebe wie vielen. Ich rede nicht laut von der +Stimme, die kommt, die fordert. Aber sie kommt, Siv, +sie kommt aus jedem Geräusch; dein Atem bringt sie, das +Auto, das auf Engelbrechtsgatan stöhnt, der Mond, der +Stockholm überfliegt, das silberne Tuten des Fischerhorns +nahe Norrström . . . deine Haut selbst, die atmet — — — +alles, besinnungslos dasselbe. + +</p><p>Schlafe weiter, Siv, höre nicht mein Aufstehn. Dank, +Siv.“ + +</p><p>Ich rede noch auf der Treppe, ich würde tagelang reden, +wenn Siv so lange schliefe. Aber ich kann ihre wachen +Augen nicht sehen. Ich habe sie zu sehr gehabt. Ich habe +sie zu sehr gehabt, Siv. + +</p><p>Schon bin ich Stunden entfernt. Östergötland . . . +Småland mit Wäldern . . . Skåne voll Wasserduft und +Wiesen. Immer noch Siv. Ob sie lasterhaft war einmal, +in Kaschemmen mit Matrosen geschlafen, Schuhe verkaufte +oder als Ministerstochter auf rosanen Rädern durch die +Parks gefahren, wie ist das eine so gleichgültig als das +andere, aber wie ist alles gesammelt in einen Hauch, kaum +Wort, kaum Bild, aber rührend und vollendet weggewandelt +aus dem hellen Leib mit der stolzen Bewegung und +unergründlicher Herrlichkeit und aus ihrer geheimnisvollen +Blässe schon unbedingter dann hinübergewandelt und zum +Bild dieser Stadt verwoben, verführerisch und bis zur +letzten Sekunde im Griff lautloser Sehnsucht, spielerisch +am Meer jene unergründlichen Pas tanzend, die unvergeßlich +betäuben. + +</p><p>Ich steige in Lund aus, es ist Nacht. Die Straßen +voll betrunkener Studenten. Ich drücke im Hotelzimmer +gegen die Seitentür, sechs Koffer fallen um, ich lerne den +kaukasischen Baron Uxkull kennen, der aus dem Bett springt, +er hat einen Kopf, poliert und oval wie ein Straußenei, +die kleinen überlegenen Elefantenaugen unter der bedeutenden +Stirn. Sein esthnischer Diener macht Tee, wir trinken +ihn mit Himbeer. + +</p><p>Mir ist, als schwebe alles zart und gefügig wie in einem +gläsernen Kugelbauch, die ganze Welt. Ich bemühe mich +lange, mich zu entschuldigen um die Störung, um das +Mißverständnis. Die selbstverständlichsten Dinge bedürfen +eines Eingehens heute. + +</p><p>Ich ziehe mich langsam zurück. + +</p><p>Fahre in der Frühe nach Barsebäck. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Ich wohne Barsebäckby. Es liegt eine halbe Stunde +im Land. Eine halbe Stunde vom Hafen Barsebäckham +und dem Bad Barsebäcksaltsjöbaden. Ich wohne bei Jöns +Holgerson. + +</p><p>Ich bin allein, habe vierzehn Tage Zeit noch in Schweden. +Ich weiß nicht, warum ich mich hier verkrieche, nachdem +meine größte Sehnsucht gelungen ist. Ich trete oft +vor den Spiegel, da steigt etwas aus meinem Auge aus +der Tiefe und ich kann es kaum zurückwerfen, so tief und +reif ist es. Ich fürchte mich vor mir. + +</p><p>Nun, wo ich nichts will, nichts tue, nichts unternehme, +ist wundervolle und ahnungshafte Flaute in mir. Ich weiß. +nicht, wann Ebbe kommt, wann Flut steigt. Ich sehe den +Mond, die Sterne; die Sonne ist immer über mir. + +</p><p>Nachts kommt Jöns Holgerson, seine Frau ist krank. +Ich ziehe ihre Ölhosen an, er hupft auf einem Bein vor +Vergnügen und schlägt die Faust auf die flache Hand. Wir +fahren in der Dunkelheit hinaus, überall paddeln die Ruder. + +</p><p>In der Dämmerung ist Jöns verstört, ich bemühe mich, +ihn zu trösten wegen der Frau, allein er grübelt nicht um +die Krankheit, sondern nur um den Grund. Jöns ist viel +gefahren auf Kuttern, er hat nachgedacht über die Wurzeln +der Ereignisse. + +</p><p>In Indien ist rote Ruhr nur zu bekommen von Obst, +in Holland bei wochenlangem Nichtregnen von Pflaumen, +in Ungarn vom Liegen auf freiem Feld nachts. Er weiß +dies alles und findet keine Veranlassung; sein Wissen bürdet +ihn schwer, er schüttelt den Kopf. + +</p><p>Wir ziehen alle aus allen Kräften hoch, stemmen uns +nach rückwärts und winden die Garne auf. + +</p><p>Nun ist die Bucht eine Silberlawine von Heringen, die +in den Netzen schlagen. Der stille abseitige Strand wird +plötzlich in Licht getaucht, ein Horn tutet dreimal leis herüber. + +</p><p>Zelte von Käufern werden aufgeschlagen, die Stille wird +verknüppelt mit Radau und Gefeilsch, heulenden Kindern, +dem Trott der mit Fischen abziehenden Wagen. + +</p><p>Am fünften Tage kommt von Barsebäcksaltsjöbaden der +Bote herauf mit meiner Post. Ich gehe unter der Sonnenuhr +hin, der der Blitz in der Nacht die Zahlen 3 — 5 ausgeschlagen, +in das saftige fette Riedgras. + +</p><p>Der Gesandte schreibt, daß der Kurier gedrahtet, Ludendorff +habe gelacht trotz aller Beweise, der Balkan sei von +ihm schon eingeschüchtert. Gut. Dies war umsonst. + +</p><p>Berührt es mich noch? Es ist schemenhaft vorbei, ich +fasse es gar nicht mehr. Die Jagd der letzten Wochen ist +abgefallen von mir. Ich weiß, auf diese Weise kommen +wir nicht weiter. Ein anderer Weg ohne Diplomatie, +Überzeugungskünste, +ein anderer Weg wird es sein, wir werden +ihn gehen, auch ich werde ihn gehen, wer kann uns helfen +aus dieser Not, wir müssen uns finden, es ist nicht anders, +die Welt kracht in Tragik und wir sind dumm und klein. + +</p><p>Gunnaris und Vehkamäki sind nach Finnland gefahren, +schlagen nach Karelen via Moskau sich durch. In Finnland +ist keine Hoffnung auf Freiheit mehr, seit und solang +in Potsdam ein preußischer Prinz auf die singenden Vokale +dieses Landes gedrillt wird. + +</p><p>Almqvist ist mit den beiden verschwunden. Ich zweifle +nicht daran nach dem Tag von Marstrand, sein eines Leben +löste sich mit einer arithmetischen Präzision von dem +andern, in einer sehr schmerzhaften harten Sekunde aber +mit einem Aufflug ohne Gleichen in dem Schmerz. + +</p><p>Ich gehe nun auf und ab am Strand, ich gehe auf und +ab und lese, daß man mich nicht ausweist, daß man mir +aber ein Agrément verweigern wird in Zukunft, Schweden +wird nicht mehr wünschen, daß ich einreise. + +</p><p>Das ist der Schluß. + +</p><p>Ich lächle, ich werfe den Fischen Krabben zu und sehe +aufs Meer. Das alles schlägt mich nicht, das macht mich +nur fester. + +</p><p>Eine Nacht segle ich mit Axel Ahlmann, dem Dichter, +der von Lund herübergekommen ist. Er fährt dann weiter +nach Christiania durch die Schären. Ich winke ihm nach. +Er ist ein strammer Bursche, angenehm und zuverlässig, +ein guter Segler. Ich sehe ihm nach ohne Bedauern. + +</p><p>Von Schloß Borgeby kommt einen Tag Ernst Cederström +hinter Bjerred her, wir singen mit den Mücken, liegen +im Sand, trinken den ganzen Tag Meth, Kallskol, Punsch. + +</p><p>Er fährt acht Tage vor mir nach Deutschland, „fahren +Sie wohl“, sage ich und drehe mich in die Bläue, ich drehe +mich tief in die Bläue und vergesse zu singen, er stößt mir +in die Rippen. + +</p><p>Ich sehe ihn genau an, er hat einen langen Bart und +eine Glatze und den Atem und die leuchtende Freudigkeit +eines Gottes. + +</p><p>Sonst bin ich einsam. Ich gehe im Badetrikot immer +der schlängelnden Welle nach. Den ganzen Morgen gehe +ich am Meer, ich sehe es nicht groß, nicht stürmisch, ich +liebe es nur. + +</p><p>Gehe ich tief in die Ebbe, komme ich manchmal nahe +bis an das dunkle Dampfersignal. Ich starre auf den +Grund, da hat das Meer sich Steine zurechtgeschliffen: Fasangold +gespritzt auf Schwarz, rosa Klammern auf Dunkelblau, +Basalt mit einem weißen ovalen Ring, purpurviolett +schraffiert, gekörnt, Taubengrau mit himmlischer Spiegelung, +Ocker und Safran mit Ziegelrot, Feuerstein, Schnee +und Flamme, Hechtblau mit hellen Bändern. + +</p><p>Alle sind rund, gehen in die Hand, am liebsten hat das +Meer sie sich wie die Muscheln gemacht, oval und handgroß. +Nehme ich sie heraus, erlöschen sie. Ich lerne sehr +bald, sie nicht zu berühren. Ich schaue sie nur durch das +Wasser an, das mir manchmal fast bis zur Brust geht. +Unter den Knien ist ein fabelhaftes Geglänz. + +</p><p>Ich sehe hinein und bin zufrieden. Es wird Mittag +manchmal, manchmal Abend. Wie liebe ich die Steine, +wie beschäftige ich mich lange und heftig mit ihnen. + +</p><p>Oft kommt mit braunem Segel die Schifferbarke abends +zurück, während ich noch schaue; ich wandere immer weiter, +der Leuchtturm funkt, dahinter fällt die Dämmerung herunter, +es verliert sich jeder Umriß, man kann nicht einmal +rufen, so allein ist es. + +</p><p>Der einzige Kirschfink der Gegend wohnt in unserem +Garten. Cuno Adelkranz legt Dämme an mit kleinen Weiden, +setzt dann Berberitzen, Schlehen und Brombeer. Ich +schaue lange zu, er führt den Spaten lässig und fest, seine +Hand ist weniger braun wie die meine. + +</p><p>Die Bläue über dem Meer steigt immer höher und süßer. +Ich fange an zu blasen; ich habe ein kleines Horn, das an +beiden Enden geblasen wird, es ist der Kuckucksruf. + +</p><p>Auf einer Erle hinter Barsebäckham ist ein Storchnest, +ich schleiche mich später langsam an, vom Meer am besten +her, da glänzt der Baum wie ein Signal, wenn die Blätter +sich drehen von der Brise und die zinnweißen Unterseiten +wirbeln. Die Störchin sieht großmütig zu, wenn eine Wolke +Sperlinge aus dem unteren Nestteil auffliegt, mir wirft +sie Überreste herunter und schnattert bösartig, sie liebt mich +nicht. + +</p><p>Ich fahre langsam wieder hinaus. + +</p><p>Jöns Holgerson erzählt, hier habe einer seiner Vorfahren +einen fetten Abt vom Bauch erlöst, indem er ihn in Ketten +legen und das Faultier mit Hammer und Esse arbeiten ließ. +Es ist sehr lang, dieser Erzählung zu folgen, sie hatten +einen Vertrag gemacht und es war unmöglich, diesen Holgerson +zu strafen; aber sie straften ihn doch und das ergrimmt +Holgerson, der es erzählt. + +</p><p>Am Abend ist Getös, weil Marye Eyllenkrok die Kühe +dreimal gemolken hat, wie sie soll, aber die Schafe zweimal, +statt einmal. Adelkranz hat Tabak im Mund und +spuckt aus Zorn, sie schleicht an den Mauern herum und +brummt vor Wut. + +</p><p>Als er außer Sichtweite ist, hebt sie die Arme: „Sakramentskade +fan“. Sofort sinkt sie wieder zusammen, +hört auf zu fluchen, steckt die Hand in den Mund vor +Schreck. + +</p><p>Adelkranz nämlich steht im Fenster, hört nicht auf zu +donnern, wirft einen Blumenstock herüber: „Jädrans . . . +karibel . . . . . . förbannade djärne . . . .“ + +</p><p>Sie hebt die Röcke hoch über die Schenkel und läuft +vor Schreck so an den Strand. Sie ist bald verschwunden, +wir nicken einander zu, Adelkranz und ich, wir rauchen beide, +ich öffne ihm meine Zigarettentasche, er nimmt, ich zünde an. + +</p><p>Wir wechseln kein Wort. + +</p><p>Ich bin zum erstenmal in meinem Leben einsam. Zum +erstenmal habe ich Zeit, ich weiß nun, was Ruhe ist, mein +Schuh, mein Hemd, wir haben es nie gewußt. Ich sehe, +ich staune, welches Wunder kommt aus jeder Ritze, jedem +Tang, jedem Fleck. Um mich blaue Maßliebchen, wilde +Petersilien und Sternkraut und das Riedgras. + +</p><p>Ich sehe immer auf das Meer, nur selten schaue ich zur +Seite, da entdecke ich neue Sachen, ich entdecke neue Sachen, +ganz rund, ganz erfüllte Sachen, ich erblicke sie nicht nur, +ich erlebe sie mit ihrem ganzen unbedingten Sein. + +</p><p>Ich sehe auf das Meer und denke an meinen Bruder. + +</p><p>An diesem Tage verstehe ich meinen Bruder, ich habe +ihn früher nie gekannt, ich begreife meinen Bruder, es fehlt +kein kleines Stück an meinem Verständnis, ich begreife nun +auch, warum er, obwohl die Gefahr beiseite gelegt mit dem +Wechsel, obwohl er mit Anstand und freier Brustschwenkung +leben konnte, warum er abbog, warum er beiseite +geht und immer sein Gesicht von den Menschen wendet +und es gegen sie verhüllt. + +</p><p>Wie liebe, wie kenne ich seine Einsamkeit. + +</p><p>Ich schaue auf das Meer, ich denke an meinen Bruder, +ich kenne ihn so genau, ich liebe ihn so deutlich, es ist kein +Unterschied mehr, ich mache sein Leben mir zu eigen, ich +erlebe <i>sein</i> Leben: + +</p><p>Ich gehe trottelnd den Tippelmarsch der internationalen +Kunden, ausgesengt von Sonne auf der Bahnspur zwischen +Kalifornien und Texas, Boston und Florida, ich sehe +nichts als Steppe um mich, sie hebt sich mit jedem Tag, +ich gehe auch in der Nacht. Ich gehe vierzehn Tage, ich +erblicke nichts wie Kaninchen, es ist nicht leicht, sich zu nähren, +obwohl das Fleisch sehr billig, allein die Cents, allein die +Centavos sind selten, ich will sie nicht verdienen, aber ich +muß es manchmal; so habe ich nicht viele und ich habe sie +nicht immer. + +</p><p>Da sehe ich am vierzehnten Tag durch die Steppe auf +dem Bahndamm einen entgegenkommen, er ruft schon von +ferne, er ist wie ich gewandert von der anderen Seite, er +freut sich, einen Menschen zu sehen, er hat einen Papyrus +im Mund und schreit: „Hast du ein Streichholz, John?“ + +</p><p>Ich gehe wortlos an ihm vorüber, ich sehe ihn nicht an, +ich weiß nicht, ob er ein Gringo, ob ein Eingeborener, ich +weiß nichts von ihm, er ist schon vergessen, ich sehe nur +die Schienen, die sich blutig in den Horizont schneiden. + +</p><p>Ich stehe auf, setzt sich aus dem Dunkel heraus an mein +Campfeuer einer, fängt an, sein Fleisch an meinem Feuer +zu braten, ich gehe weiter unter der Nacht; ich suche mir +Mist, ich suche Büffelmist und mache mir ein neues Feuer. + +</p><p>Ich wickle mich fest in die Lingera, ich gehe, da der Wind +stark und rauh, und mich ein Husten gefaßt hat, daß ich +nachts wenig Atem habe, ich gehe in die Lingera gewickelt, +nach den warmen Savannen des Gran Chaco, ich treffe +viele meiner Sorte, ich treffe auf den wochenlang gewälzten +grauen Steppen Strizzis und Kunden und Rowdys +und Schiffsköche und Vagabunden und Abenteurer und +jeder fragt, wenn wir aufeinander zuschlendern und einen +Augenblick stehen bleiben zwischen den Schienen, jeder fragt: +„Y tu compagnero?“ + +</p><p>Aber ich habe keinen Gefährten: Ich schüttle den Kopf. +Sie starren mich an: „Verrückt.“ Ich gehe weiter. + +</p><p>Ich liebe es so — — — + +</p><p>Wie liebe ich meinen Bruder, ich sehe auf das Meer, +wie kenne ich ihn jetzt, keine Falte seiner Seele, die mir +fremd ist. Träfe ich ihn wieder, ich könnte ihm alles sagen +von ihm. + +</p><p>Wenn das Meer steigt, bringt es mir alles. + +</p><p>Fällt es, bekomme ich Distanz zu meinem Leben. Ich +übersehe. + +</p><p>Das Gras ist fett und milchig, es riecht nach Sand und +Torf und Wasser und den Kräutern. Ich lerne die purpurne +Steinhummel anlocken, spiele mit Eidechsen und +Grillen. + +</p><p>Wenn die kleinen Zangenkäfer die Schnecken angreifen, +laure ich stundenlang. Ich sehe den Schaum, hinter dem +die Klebrige sich durch Rundung und Rundung in die letzte +Spirale ihres Hauses zurückzieht, die wütende Attacke des +Millimeterwolfs, der ihr nicht folgen kann. Ich sehe ihn +die Zangen einbeißen in den Kalk des Gehäuses, ich sehe +ihn ermatten und abtrollen. Ich sehe einmal, wie er in +der Achse des Gehäuses eine Lädierung entdeckt, das Loch +durch seine Zangen erweitert und die Nackte überrascht und +zersäbelt. + +</p><p>Ich reibe mich an den Natterwurzeln, ich sehe im Postkraut +die Hasen sitzen, ich scheuche sie nicht, wir sehen uns +an und bleiben, ich gehöre dazu, das ist kein Geheimnis, +ich verstehe das um mich so gewaltig, ich erfahre es so seltsam, +ich gehöre dazu. + +</p><p>Ich sehe auch einmal die Windhunde vor den von blitzenden +Wassern umringten Gütern hinlaufen, das mag eine +Jagd sein, ich drehe mich herum, was kümmert es mich. + +</p><p>Ich lerne nach den Blumen die Zeit angeben: wie sie +sich öffnen, wie sie sich schließen, wann die Krabben ans +Land kriechen, wann die Meerdrachen die giftigen Rückenflossen +aus der Flut heben. + +</p><p>Ich weiß dann jede Stunde. Ich brauche keine Uhr. + +</p><p>Am achten Tage erwache ich mit der Unruhe, die zum +erstenmal bei der Abreise nach Abo mich überfallen. Sie +kommt jedesmal stärker, ich ertrage sie kaum mehr. Ich +gehe wieder hin und her, ich verehre alles, ich liebe alles +genau so innig, aber ich will fahren, es hilft nichts, ich +reise ab. + +</p><p>Ich gehe hinunter nach Barsebäcksaltsjöbaden, es ist keine +Pause, kein Halt in mir, ich hätte noch acht Tage Zeit, +Segelfahrten, o schöne spektrale Quallen in den Fjorden, +wie gern hätte ich mich ihnen noch gewidmet, hätte Heringe +gefangen, hätte mit den Steinen mich eingelassen. + +</p><p>Mein Paß ist noch nicht abgelaufen, es ist aus mit +meiner Zufriedenheit, ich muß zum Balkan, sofort, ich weiß +nicht warum. + +</p><p>Der Tag, wo dies passiert, ist herrlich, er übertrifft die +anderen, er ist aus Blau und Grün und Silber in einen +Sturm gewoben. Ich gehe durch ihn hin nach Barsebäcksaltsjöbaden, +ich telephoniere von der Post mit Ernst Cederström, +er ist bereit, es paßt gerade, er kommt am nächsten +Morgen. + +</p><p>Wir lassen am nächsten Morgen den Aalkutter mit den +Segelnetzen auftakeln, eine Kiste verstauen und fahren gegen +den Wind, wir trinken draußen mit Adelkranz und +Jöns Holgerson. Wir trinken lange, aber wir sind in der +weißesten Frühe schon losgefahren; als die Glocken zur Arbeit +läuten, sind wir schon tief im Gesang. + +</p><p>Ich umfasse alles und trinke nicht wenig. „Es lebe +Mannerheim, es lebe . . . der General Mannerheim,“ rufe +ich, und Holgerson ruft mit, denn er kennt den Namen +nicht. + +</p><p>Aber Adelkranz speit aus und Cederström kann sich nicht +halten vor Lachen. Wir haben wenig Wind, aber trotzdem +fällt Holgerson und zerreißt im Wasser Adelkranz’ +Netz. + +</p><p>Wir kehren zurück und begrüßen aufgerichtet im Kutter +die Küste, indem wir die Deckel der Bowlengefäße aneinanderschlagen, +wir üben uns ein und kommen in einen +schönen Takt. + +</p><p>Am Strand geben wir einer von Jöns Kühen Kallskol +zu trinken und spannen sie vor einen kleinen Schiebewagen, +hui, wie fahren wir durch Barsebäckby, Cederström liegt +auf dem Bauch in dem niederen Bretterwagen und pfeift +und skandiert mit den Händen, und alle Kinder hinter +uns her. + +</p><p>Gegen Mittag kamen wir nach Borgeby in den Park. + +</p><p>Wir sind ein wenig aus der Richtung gekommen, wir +haben auch unterwegs nicht nur trocken gelegen und gepfiffen, +wir sind ein wenig verwirrt, aber ich suche es auszugleichen, +Cederström will, nachdem wir ein Rondell umfahren +haben, mit aller Macht zu dem Tor wieder hinausfahren, +durch das wir hereinkamen. + +</p><p>Ich pfeife einem Gärtner, und er nimmt die Kuh am +Horn und führt uns an die Hintertreppe des Schlosses. + +</p><p>Wir baden gemeinsam oben, kommen zusammen herunter, +wir sprechen sehr viel, stehen mitten in der Halle und +machen Sermons, wir betrachten die Bilder Cederströms, +fein geschmiedetes Silber, er zitiert seine Verse, aber wir +sind nicht sehr gut auf den Füßen. Nicht, daß wir es +spüren oder fürchten, es sähe jemand, das ist unmöglich, +wir haben uns zu sehr in der Hand. + +</p><p>Wir kommen nur im Reden in immer größere Erregung, +wir treten ans Fenster, da rückt von Bjerred her eine +Equipage an. Wir sehen den kaukasischen Baron Uxkull +und zwei junge Schweden darin; ich kenne sie nicht. + +</p><p>Wir stehen auf der Terrasse und begrüßen sie, machen +tiefe Verbeugungen, erschöpfen uns in Verbeugungen, die +Diener machen sie wie Chinesen nach. + +</p><p>„God dag,“ rufe ich und schwenke den Hut, laufe in +die Halle zurück, hole ein Schallrohr und rufe, während +sie die große Freitreppe heraufsteigen: „Välkommen.“ Ich +denke, ich bin in Floda, ich mache Verbeugungen, wie nie +in meinem Leben, ich lächle innerlich, ich weiß sehr gut, +daß ich in Borgeby bin, aber wer weiß, vielleicht bin ich +doch in Floda und grüße Ebbas Bräutigam, grüße ihn +nochmals. + +</p><p>Cederström schlägt mir in den Rücken, sein Bart steilt +sich vor Lachen im Wind. Ich lasse nichts mehr aus, ich +schlage meinerseits dem Baron Uxkull auf die Schultern, +„Sie haben einen Kopf wie ein Straußenei,“ sage ich ihm. + +</p><p>Er kann sich nicht beruhigen, die Elefantenaugen laufen +im Kreis, er beginnt auf der Treppe zu erzählen, wir +bleiben alle stehen, er erzählt, daß ein Kanarienvogel auf +einem esthnischen Gut ihm beim Besuche einer Freundin +über die Glatze geschliffen, der es gewohnt war, täglich +über einen Marmortisch im Flug zu schliddern, es war +eine offensichtliche Verwechselung und am Schluß der Geschichte +saß Uxkull nach Jahren das Vieh gelegentlich tot, +es war nicht unamüsant, aber wir verbrachten eine Viertelstunde +darüber auf der Treppe und bückten uns vor Vergnügen, +und Cederströms Diener bückten sich mit. + +</p><p>Die Herrin naht, ich sehe sie zuerst auf den oberen +Stufen, ich weiß genau, daß ich in Borgeby bin, auch +wenn ich Dunst vor allen Dingen sehe, ich gehe ihr rasch +entgegen, ich neige mich vor ihr: + +</p><p>„God dag, schöne Frau, glücklich Cederströms Gattin zu +sein, ich grüße Sie ehrfurchtsvoll.“ + +</p><p>„Välkommen i Borgeby.“ + +</p><p>Wir drehen uns alle herum, Uxkull hat ihre Hand ergriffen: +„Auf solchem Schloß zu wohnen, welches Glück, +gute Frau, ich sah in Lund den Sarkophag des Bischofs, +der es baute, ein strenger Priester. Sah er vom Turm, +ließ er Erde erobern, soweit Hörner bliesen. Lagen nicht +Dänen einmal davor, steckten Schwänze der Sperlinge an, +setzten zwei Flügel in Brand . . . ,“ wir können nicht mehr +lange das anhören, wir müssen unterbrechen, wir sind sehr +hungrig geworden. + +</p><p>Ich führe die Herrin zum Eßsaal, riesengroß. Sie weist +auf den Tisch in der Ecke. + +</p><p>Ich verbeuge mich, ich übersehe ihn, ich bin erstaunt und +lächle: der beste Smörgåsbord in ganz Schweden: Frischer +gebratener Aal, geräucherter Aal, fünf Büchsen Fische, verschieden +gewürzt, Krabben, gebackene Wurst, Krebsschwänze +in Mayonnaise, geräucherte Saucissons, Omelette mit Spinat +in Terrine, Hummer, Bärenschinken, Ölsardinen, junge +Krähen als Ragout, gebackene Klops, geräucherte Fische, +Renntierfilets, Wildschnepfen, Salate, kaltes Fleisch, Aquavit +. . . , wir essen stehend, dann erst führe ich die Herrin +zu Tisch. + +</p><p>Ich sehe viele Weine, ich sehe jetzt erst Lilian, Cederströms +Nichte, wie ein Tautropfen zart, ich grüße sie. + +</p><p>Nun erst beginnt der Lunch, er dauert zwei Stunden. +Cederström hält vier Reden, ich antworte zwei, Uxkull redet +lange ein Märchen von Andersen herunter, ich unterbreche +ihn nicht, es wäre nicht höflich, aber ich frage nachher, +warum er von Baku nicht spricht, nicht vom Ila von +Tapau. + +</p><p>Da spricht er wieder, und nun müssen Cederström und +ich ihn unterbrechen, nun redet er von den abgeschnittenen +Brüsten der Ehebrecherinnen und ich sehe Lilians Gesicht +wie zersprungenes Glas. + +</p><p>„Sie müssen,“ sage ich, „Baron, Sie müssen Ihren +esthnischen Diener, der uns im Hotel den Himbeer in den +Tee goß, beauftragen, mir ein Tuch zum Schuhsack zu +nähen, ich bringe es sonst nicht über die Grenze, es fällt +mir ein unwillkürlich, ich erinnerte mich seit Wochen nicht +daran, eine schöne Frau schenkte es mir in Bohuslän.“ + +</p><p>Ich nicke, ich vergesse es wieder, ich erhebe mich und +trinke Brüderschaft mit Cederström. + +</p><p>„Ja, ich will Brüderschaft mit dir trinken, Ernst Cederström, +denn du liebst das Leben halb wie ein Held und +halb wie ein Kind.“ + +</p><p>Wir sind bei Reh schon wieder ein wenig betrunken, +wir halten immer längere Reden, die Fenster sind herrlich +hoch in dem Rittersaal mit dem Cederströmschen Silber. + +</p><p>Lilian schwebt als ewiges Lächeln zwischen den kreuzenden +Gläsern, wir sind bei Burgunder, wir hatten schon +vieles vorher. + +</p><p>Der junge Mann aus Helsingborg fühlt, daß es an +ihm ist, aus Schweigen und Jugendlichkeit ein wenig herauszutreten: +Musik. + +</p><p>Wir machen ein Konzert von zwei Stunden. Cederström +träumt. Ich denke an Angermanland, mir fällt +ein, ich liebe Lappland, ich möchte in Erdhütten den +Winter verbringen, dalarnische Töchter bestaunen, den +glühenden Mond, kaffeegelb zwischen den Skitouren brennen, +mir fällt sehr viel ein, ich denke nicht daran, daß ich nicht +mehr erwünscht bin als Einreisender in Schweden, ich +überschlage es rasch, warum daran denken. + +</p><p>Ich schaukle im Stuhl nach der Musik, von beiden +Seiten schaukelt der hohe Park mit den Fenstern der Halle, +genau wie ich schaukle. + +</p><p>Chopin schwingt ab. + +</p><p>Eine Pause, ein Diener läuft. + +</p><p>Lilian gibt jedem von uns Blumen mit einer Verneigung +und flüstert uns zu. Die Saaltüren öffnen sich weit, +die Pächter Cederströms erscheinen mit dem Pfarrer, schlanke +Männer füllen die Säle, sie haben die blonden Haare aus +dem Genick scharf geschnitten, sie haben blaue Anzüge und +ihre Frauen sind blond, anständig und adlig in der Haltung +gleich ihrer Erde. Sie setzen sich rasch zu Zwanzig +in die hohen gotischen Stühle der Halle an die Wände. + +</p><p>Das Konzert fährt fort, wieder spielt Musik in breiten +Wogen. + +</p><p>Der Kupferschädel des Pfarrers im Gehrock erhebt sich, +tritt heran an den Spieler, sagt ihm den Dank, er hält +uns für einen deutschen Zirkus und spricht mit dem Landsmann +radegebrechtes Deutsch, aber wir kichern nicht, um +ihn nicht zu kränken. + +</p><p>Wir stehen vielmehr auf, indem wir in der Reihe herantreten +und geben die Blumen dem Generalpächter, der +Geburtstag hat. + +</p><p>Wieder Konzert. + +</p><p>Lilian schwimmt in der Musik, die aufbricht mit einer +träumerischen Flamme. Jedes Fenster, jede Vase klingt +sie aus sich mit. Selbst der Abend nimmt ihre Tönung. + +</p><p>Lange bleibt Ruhe dieses Gleitens, dann kommen Rufe, +schwedische Wandervögel rufen Cederströms Namen. Man +tut sie in die Seitenflügel, man zeige ihnen später das +Schloß. + +</p><p>Der Abend steht noch rotblaß mit der Pfirsichblüte unserer +Etüde. Wir gehen die Treppe langsam und majestätisch +hinunter in den Park. + +</p><p>Perlmutten stirbt die Elegie der Konzerte mit dem +Abend. + +</p><p>Was will Lilian mit ihrer Stimme? Bald wird Nacht +sein, sind Fackeln bereit? + +</p><p>Fest in Borgeby. + +</p><p>Immer dieser Wind. Immer schaukeln die Parkwipfel +tief vor blaustem Himmel, der kühl steht in klassischer Ruhe. +Immer Geschwärme schreiender Raben in der Luft. Noch +liegt die Sonne auf den gewellten Ebenen mit klatschschönem +Vieh in schwarz und weiß. Wir wandern auf +und ab durch den Apfelgarten, wo manches noch blüht. + +</p><p>Ich bleibe zurück einmal, es war nicht viel, was mich +anzog, es war ein Spruch, auf dem es schon mooste. Da +stand über dem Rasen: „Du kalter Marmor, bewahre die +Erinnerung an ein warmes Herz.“ + +</p><p>Wir gehen auf gepflegten Wegen, wir kommen immer +wieder in Borgebys jahrhundertalten Apfelgarten, die +Stämme sind nicht sehr hoch, aber die Zweige haben ein +Streben, sich sanft nach unten schwebend aufzulösen, das +mich beschäftigt, immer dies auf und ein wenig ab und +immer diese Ruhe. + +</p><p>Die Dämmerung schwebt durch die Eichen. „Zeigt den +Wandervögeln das Schloß“, ruft Cederström von der Mauer. +„Lilian, gib ihnen ein Schreiben mit für alle Schlösser bis +Christiania, schreib, ihr Gesang machte einen Abend heiter.“ +Wir gehen mit, man zeigt ihnen die Verliese, die Hitze des +Tags glüht noch von ihren Wangen. Hurras auf Cederström +bringen sie aus, dann schauen sie in die Höhe. + +</p><p>Lilian schüttet vom Turm Körbe Veilchen auf sie aus. +Sie huldigen ihr schön. + +</p><p>Aufgang des Mondes. Immer noch Rabenschrei. Ich +fühle den Sturm in mir wie Reinigung, „Skål“ rufe ich, +„Cederström, wie frei ich atme, ich liebe die ozeanische Luft“. + +</p><p>Wir haben nur eine Frau, Lilian, aber sie wird zwanzig +ersetzen. + +</p><p>Nun fällt der Tanz. + +</p><p>Lilian schwimmt madonnig geneigt in großen von ihrer +Sanftheit erfüllten Bogen aus Arm in Arm. Wir legen +den Rhythmus solch traumhaften Gleitens mitten durch die +Ebene der Nacht. + +</p><p>Nun flackern alle Lichter, nun über dem Strahl der +Päan, der Sturm am Klavier: nun tanzt Ernst Cederström +allein, in lederner Ärmelweste, den Bart bis zum Magen, +dionysisch selbst die Glatze, fast Faun, halb Verführer . . . +er macht eine große Wendung, er springt durch das Fenster, +er grüßt herein aus dem Schatten, zwei Diener mit Kerzen +springen durch das Fenster, wir folgen alle, wir jauchzen, +der Musiker aus Helsingborg hat Lilian unter dem Arm +im Sprung heruntergebracht. + +</p><p>Zwei Fackeln nahen, die Schweden folgen dem winkenden +Cederström, sie gehen mit den Dienern, holen Wein +herauf und Champagner aus dem Gewölbe. + +</p><p>Ich habe Lilian neben mir, allein, ich spüre es plötzlich +mit einem zärtlichen Schlagen des Blutes, wir gehen zur +Kühlung durch die Boskette. Wind haust mit zornigen +Sternen im Park, keine Wolke schwebt, irgendwo hinter +Windmühlen, die die Nacht stumm zerschlagen, dumpf +schweigend die Ostsee. + +</p><p>Ich gehe mit Lilian auf und ab, wir reden keine Silbe, +was sollen wir uns sagen, ich weiß, was Lilian denkt und +ich sage in meinem Herzen, ohne daß sie es hört: + +</p><p>„Nein Lilian, es ist so sinnlos, Sie sind so weich, so +träumerisch. Ein Knabe ist Sinn Ihrer Sehnsucht, irgendeiner, +aus dessen Körper Musik kommt. Meine siebenundzwanzig +Jahre, o Lilian, meine siebenundzwanzig Jahre sind +schon viel zu schwer geworden für Ihre gläserne Sanftheit.“ + +</p><p>Ich weiß nicht wie, aber der Schmerz, der alte Schmerz, +der mich selig macht, haust wie ein Wolf in meinem Herzen, +ich habe tüchtig getrunken, vielleicht ist auch mein Schmerz +berauscht und liegt in Verzückung, ich steige alle Treppen +bis zur Halle hinauf, ich gebe dem Helsingborger Lilian, +damit er sie betanze, ich falle Cederström um den Hals und +ziehe ihn in eine Nische, ich bin vertrauensselig und liebe +ihn und renommiere. + +</p><p>Ich fange an, ihm von Siv zu erzählen: + +</p><p>„Ich hatte all Eure schwedischen Frauen in ihr, Cederström. +Strandvägen, leuchtend vor Musikkapellen, die Rotunde +des Stadion, die weiche Weißnacht, das granitne +Meergebiß erscheint, wenn ich daran denke, in ihrem Lächeln. +Sähst du ihre Beine, Cederström, du würdest zittern wie +ein Hund in deinem Saal. Sieh dir diese Kurve an, +diese verdammte Kurve des Mondes an deinem Fenster. +Nein, Cederström, sonst wollte ich dir nichts erzählen, dies +ist alles, dir vielleicht wenig. Dies ist alles, was mich +peinigt.“ + +</p><p>Es ist zwei Uhr nachts, nun stellen wir uns nicht mehr +in die Nische, nun unterbrechen wir den Tanz und machen +eine neue Aufstellung. Wir stellen uns in einer langen +Reihe auf, zuerst kommt Cederström. + +</p><p>Dann marschieren wir über die Terrasse, die Treppe, +durch den Hof zu den Gebäuden des Generalpächters, es +ist zwei Uhr nachts, die Generalpächterin hat um diese +Stunde geladen, wir sitzen allesamt nun wieder wie beim +Konzert am Mittag um einen Tisch. + +</p><p>Ich lasse mir die festeste Magd mit dicken blonden Zöpfen +geben, sie ist meine Nachbarin, ich trinke ihr zu. Mein +Herz schmerzt mich selig immer tiefer, man hat ein großes +Mahl uns bereitet mit großen Zeremonien. + +</p><p>Ich trinke ihr zu, der Frau Verwalterin, ich mache +meine Komplimente; es ist nicht richtig, daß ich ihr zutrinke, +ich verstoße gegen die Sitte, aber ich zeige ihr mein +Wohlwollen, ich sage ihr das alles auch. + +</p><p>Ich wende mich meiner Nachbarin zu, Jungfrau Sara, sie +ist ein schönes, festes Weib; sie hat ein Kind, sie hat einen +Mann sehr geliebt, im Sommer, im Stroh, sie sagt es +mir ohne Scham, als ich frage, ich tröste sie. + +</p><p>Ich sage, es sei nicht schlimm, Jungfrau Sara, ich hätte +einmal versuchen wollen, eine Bremse in die europäische +Politik zu legen, ich hätte sie fest in der Hand gehabt, dies +alles sei eitel, sei schwärmerisch, es sei nicht soviel wert +wie eine Rübe, sie solle froh sein, niemand gebe ihr Versäumtes +zurück. + +</p><p>Ich wende mich zu Uxkull, ich rufe ihn gell an: „Baron, +Sie fallen von der Stange“, da tut er die Augen verwirrt +auf wie Vogelgeflatter. Da lache ich hämisch und +laut. Wir danken sodann, verbeugen uns. + +</p><p>Tücher liegen bis hinüber zum Schloß. + +</p><p>Polonäse. + +</p><p>Vor uns tanzt lautlos Ernst Cederström. Kerzenschein +umgibt uns durch den Park über den Hof. Tanz braust +dann in der Halle noch einmal, unverlöschbar auf. + +</p><p>Borgeby flammt durch die Nacht wie eine Kirche, ich +höre einmal, es schlägt vier Uhr, aber es schlägt an mir +vorbei und rollt weiter durch die Bäume, was gehen mich +die Klänge an, sie laufen wie der Teufel irgendwohin. + +</p><p>In sanftem Schleier schwindet die Nacht, die Frühe +kommt mit Gartenduft und Rosa aus den Büschen hoch +in die Fenster, wir durchkurven nur winkend danach die +flaumenweiche Morgenluft. + +</p><p>Plötzlich steht eine Säule im Zimmer, steife Gehaltenheit +durchschlägt die Schleifen: Der Diener Cederströms. + +</p><p>Er meldet die Equipage. + +</p><p>Er hat blanke Knöpfe bis zum Fuß, den Zylinder in +der Hand. Er meldet noch einmal die Equipage. + +</p><p>Das reißt uns wie an den Haaren, wir gehen ans +Fenster, da scharren dampfende Pferde vor dem Portal. +Es ist fünf Uhr des Morgens, ich vergleiche es mit meiner +Uhr, wir haben keine Sekunde zu versäumen, wir steigen +in den Wagen, die Koffer kommen langsam heran. + +</p><p>Morgen prallt auf die Terrasse stark und wild. Skåne +im Morgen, dunkelgrüne Verlockung. Wir sitzen im Wagen, +die Gäule scharren. Immer noch Krähenschlacht über den +brausenden Wipfeln, bei uns unten kein Hauch, keine Luft. + +</p><p>Ich sehe mich um, ich denke daran, was Lilian mir sagte, +am Rand des Parks ziehen Seeadler hin, wenn es herbstet, +Abenteurer aus Finnland, die mit Nordwind zum Kaukasus +fahren. Ich gebe Lilian die Hand: + +</p><p>„Heute, Lilian, kommen die ersten Schwalben nach Skåne, +sie zischen um Borgeby“, sage ich. „Denken Sie daran, +wenn mein Name vor Ihnen auftaucht.“ + +</p><p>Ich wende mich noch einmal um. Zu Uxkull wende ich +mich: + +</p><p>„Baron, heute fährt seit Jahren der erste Dampfer +zwischen Stockholm und Petersburg, ich las es in Dagens +Nyheter heute nacht, welches Leben, welches Leben, +Baron.“ + +</p><p>Wir haben nicht lange auf die Koffer zu warten. Nun +ist die Ebene weit um uns getaut. + +</p><p>Flädje taucht auf, die Schienen sind wie Schnee. + +</p><p>Malmö, Trelleborg, wir betreten den Steg, das Schiff. + +</p><p>Wir schwimmen auf der Ostsee, deutsche Ufer unsichtbar +vor uns, wir sind noch recht betrunken, es legt sich langsam, +während das Schiff schon fährt. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Wir werden langsam nüchtern auf dem Schiff. Das +Schiff führt mitten in den Wind hinein, ich glaube, +daß das uns kühlt. + +</p><p>Trelleborg ist verschwunden, die schwedische Küste verblaßt +immer mehr, ein Bogen von flimmerndem Licht liegt +das Meer zwischen den beiden Küsten, der Horizont wölbt +sich uns entgegen auf dem Wasser und wir stehen, wir +stehen mit dem Schiff auf der obersten Wölbung wie ein +Knauf. + +</p><p>Wir blicken uns um, ein Schiff steht am Himmel auf +dem Kopf, ein Flieger surrt nach ihm, wir gehen frühstücken, +wir sind sehr hungrig mit einem Mal, wir sind +aber keineswegs müde, Cederström hat schwere Augen, es +hat einen anderen Grund, wir trinken wieder Aquavit, es +ist das letztemal, man kann so rasch nicht enden. + +</p><p>Wir gehen auf und ab mit eiligen Schritten auf dem +Verdeck, uns entgegen immer ein Ungar, katzenhaft um +eine Frau. + +</p><p>Da schießen Hagelwolken herauf, der Frühling klatscht +ins Wasser, wo ist unser früher Sommer mit einem Male? +Es wird stürmisch und spritzt herauf bis zur Takelung. + +</p><p>In traumhaften Schleifen kommt manchmal die Kurve +von Lilians Tanz und der Mondbewegung über Borgeby +vorüber, man kann es nicht mehr aushalten, es ist zu kalt, +es hagelt in Schloßen, die Wolken binden sich in die Schorne +und beschießen uns mit Mitrailleusen, was sollen wir mit +Lilian und den Schwänen und dem skånischen Sommer? +Wir laufen und frieren und halten das Gesicht in die +Schloßen. + +</p><p>Das Schiff schlingert, der Himmel wird schwärzer, Cederström +bleibt zurück, er schaut wie ein Vieh und will in die +Kajüte, ich halte ihn nicht, soll er ruhig schlafen oder speien, +er kann tun, was er will. + +</p><p>Ich laufe weiter, immer auf und ab das Verdeck, ich +halte nie an, ich sehe die Kämme der Wogen an, sehe die +Möven zurückschießen überall von dem Meer zu der schwedischen +Küste, sie schreien und schweben stolz auf dem Sturm. +Ich sehe deutlich nach allem, beobachte, wie aus der Mulde +sich die schwarze Welle hebt, aufsteilt und in sich selbst die +weiße Krone aufbricht, die sich heraufschmeißt. + +</p><p>Ich gehe immer noch hin und her, nun bin ich allein +auf Verdeck, ich sehe oben nur manchmal das Auge des +Kapitäns, es ist grau und ironisch. + +</p><p>Mir ist sehr wohl in der Unruhe, das geht so Stunden, +ich rauche immerzu, ich fühle mich immer wohler, ich erinnere +mich nicht, in den letzten Tagen so glücklich gewesen +zu sein wie jetzt, wo ich elend verhagelt auf dem Schiffsdeck +hin und her laufe und lavieren muß, daß mich das +Schiff nicht abkippt. + +</p><p>Ich schaue auf, an der Gaffel ist ein interessantes Schauspiel, +sie ziehen einen Bündel hoch, er fliegt immer beiseite +in dem Wind, wie er oben ist, entfaltet er sich mächtig, +die blaue Fahne mit dem gelben Kreuz weht knatternd. + +</p><p>In diesem Augenblick sticht die Sonne durch, die Kreidefelsen +Rügens stehen vor uns, sie stehen so dicht und weiß, +daß sie zuerst blenden; als ich die Augen wieder öffne, +schreit jemand: + +</p><p>„Die Grenze.“ + +</p><p>Ich lächle, die Überfahrt ist zu Ende, die Wolken verzogen, +ein guter Mittag taucht mit Rügen auf, ich zünde +eine Zigarette an, und lächle in mich hinein. + +</p><p>Plötzlich reißt es mich auf, ich zerfetze vor Schmerz, ich +will die Hände irgendwohin pressen, ich weiß nicht wohin. + +</p><p>Da macht sich der Mund auf, weit. + +</p><p>Ich schreie. + +</p><p>Ich sehe in dem Schrei. + +</p><p>Ich liebe nicht Ebba, ich liebe nicht Siv. Die Grenze +kommt näher, die Grenze lockt und schlingt. Ich suche +Cederström, wo bist du, mein Bruder? Ich kann nichts +mehr sehen, verhängnisvoller Irrtum mein Bruder Cederström, +ich habe umsonst gelebt. + +</p><p>Ich bin elend, allein, ich halte mich an dem Geländer, +meine Lippe hängt herunter, ich starre auf das Meer. + +</p><p>Aus dem Meer wächst immer das eine, ich kann es +nicht ansehen, es tötet mich, ich reiße die Augen gierig +trotzdem danach, ich kann ja nicht anders, o wie ich verblute. + +</p><p>Aus dem Meer wächst Särö, die Obstbäume schmettern +das Blühen gegen den Basalt, zur Terrasse des Schlosses +schreien von der Klippe Kinder: „Mur“. Die Frau erhebt +sich, sie winkt, ich spüre jede Linie, ich rieche ihren +Geruch, ich empfinde es jetzt erst, ich will etwas sagen, ich +weiß ihren Vornamen nicht, immer noch nicht. + +</p><p>Meine Hände gleiten herunter, ich habe keine Macht +mehr über den Körper. Ich laufe weg, ich suche Cederström. +Ich finde die Kabine nicht, ich weiß gar nicht, +wohin er sich zurückzog, ich gehe auf Verdeck hin und her, +immer allein, niemand geht sonst auf dem Verdeck, ich rede +immerzu. Ich sehe das Meer nicht, was soll ich das Meer +beschauen? + +</p><p>Ich sehe die geschorene Steppe, ich sehe Engländer, die +Golf spielen, es gibt keine andere Welt, in der ich lebe. +In Segelyachten liegen weißgekleidete Männer, das Blau +der Nordsee wiegt die weiße stählerne Melodie der Blüten. + +</p><p>„Ich will nicht wissen, daß Ihre Bürger Elende sind +wie alle, schöne Frau,“ sage ich lächelnd, jetzt verstehe +ich erst meine Stimme, jetzt kommt es mit einem großen +Durchbruch aus der Tiefe, wie woge ich, wie bin ich +mächtig und wundervoll gespannt, aber wie elend geschieht +mir, was habe ich von dem allem, die Grenze liegt vor +mir, die Tatze ist schon gegen meine Stirn gebeugt. + +</p><p>Ich Armer, wie war ich geblendet, wie war ich geschlagen. + +</p><p>Wie liebte ich diese Frau und wußte es nicht. + +</p><p>Die Grenze rückt näher, ich kann mich nicht bewegen, +am Reeling steht ganz unten am Heck Cederström. Ich +bin ganz schwach, ich kann mich nicht bewegen, ich schaue +nur immer hin, ob er mich höre, ich stammele: keine Hilfe +von dir, mein Bruder?, nimm meinen Paß, Cederström, +laß mir den deinen, laß mir die Rückkehr. + +</p><p>Ich muß nach Bohuslän, ich kann dir nicht sagen, warum +dies so plötzlich, es geht um mein Leben. + +</p><p>Du kommst mit meinem Paß auch nach Deutschland, +du bekommst einen anderen auf Eurer Gesandtschaft, aber +ich, aber ich komme so zurück nach Schweden, hör mich, +mein Bruder, o Gott, du kannst mich nicht verstehn. + +</p><p>Ich hatte Siv, Cederström, ich sagte es dir heute nacht, +ich liebte Ebba, welche Masken machte mein Herz, um sich +zu verbergen, wie durchschaue ich alles, es ist zu spät. Ich +hatte noch eine Frau, ich hätte es nie gesagt, ich sage es +in der Verzweiflung, ich schmerze dich damit, Cederström, +ich bin heute ehrlich wie nie, ich will sie nicht nennen, dies +alles ist nichts, ist ohne Bedeutung, aber dies alles hat +mich zugedeckt, ich kannte mich nicht. + +</p><p>Ich kam lächelnd nach Särö, mein Bruder, ich saß einen +Tag vor dem marmornen Lächeln, ich sah nicht die Tragik, +und jetzt kommt sie aus mir gebrochen, nun kommt sie wie +ein Tiger, nun schlägt sie mich entzwei. + +</p><p>O, du kannst sagen, du kannst fragen, was du willst, +Ernst Cederström, die tödlichen Grüße beim Abschied in +Särö, ich sah sie nicht, es ist zu spät jetzt. + +</p><p>Aber, wie habe ich diese Frau geliebt und habe es nicht +gewußt . . . . . . + +</p><p>Ich gehe allein auf dem Verdeck, ich sehe Cederström +nicht mehr, vielleicht hat er nie am Geländer gestanden, +wie kann ich das jetzt unterscheiden, es schiebt sich zuviel +ineinander. + +</p><p>Die Sonne fängt an zu scheinen. Ich gehe immer, +auf ab, auf ab. Die Sonne brennt, da ist wieder Sommer +und Silber, das Meer beginnt zu riechen. + +</p><p>Ich ringe die Hände. + +</p><p>Es kommen Passagiere. Die Grenze rückt näher, ich +bin am Zerspringen, im Hals ist eine Starre, hätte ich +nur wenigstens Atem. + +</p><p>Die Adern der Augen tun mir so weh, daß ich zu +weinen beginne, ohne daß ich es will. + +</p><p>Da kommt eine Ruhe mit einem Mal, was ist es, was +mich so klar macht, ich schaue mich um, ich sehe nur neugierige +Gesichter, ich schere mich gar nicht darum, ich schwebe, +ich bin so selig, ich weiß nicht, warum. + +</p><p>Nun hat es sich entschieden. Die Frucht ist gefallen. + +</p><p>Das andere Gesicht ist herausgetreten aus der Tiefe, +es beängstigt mich nicht mehr, es hat sich frei gemacht, ich +habe keinen Spiegel, ich kann es nicht sehen, aber ich weiß +es, ich fühle es, es ist da. + +</p><p>Das andere Gesicht wird verschwinden, das helle, das +mich zu Ehrgeiz trieb, zu Erfolg gepeitscht hat, es wird +verschwinden, es wird das neue nicht mehr besiegen, eine +Schlacht ist geschlagen, es hat gesiegt in mir, aber ich, mein +Himmel, aber ich bin kaput. + +</p><p>Doch bin ich fröhlich, es ist nichts da, was mich verwirrt, +ich bin nun eins seit Wochen zum ersten Male, ich +bin eins (aber schaut nicht auf das, was blieb). + +</p><p>Wenn ich nach Menschen jagte, nach Handlungen heiß +griff, immer war mir, ich möchte lieber rücklings in Wiesen +liegen gleichzeitig und Wolken wandern sehen mit ihren +schönen fliegenden Schatten. Ich spüre das genau, ich habe +das immer empfunden, in jedem Tag der Geschäfte, im +Traum, im Schlaf. + +</p><p>Das wird mich nun nicht mehr zerteilen, ich werde nicht +mehr mit mir im Streit sein, aber mußte ich es so bezahlen, +ist es zuviel nicht, was mich das kostet? + +</p><p>Ich habe eine Schlacht in mir gewonnen, aber was habe +ich geopfert? Ich habe mich selbst zur Strecke gebracht. +Ich sehe mich um. + +</p><p>Wie bitter ist mir unter den Menschen. + +</p><p>Sie schauen mich alle an. Bin ich verwandelt? Ich +recke die Schultern zurecht, ich streiche die locker gewordenen +Haare nach hinten zurecht, ich setze das Bein, daß die +Hose gut gekantet darum schwingt. + +</p><p>Ich lächle vor mich hin, ich bin wirklich nicht verwandelt, +ich verlor nur ein wenig die Balance, es sollte auch +das nicht sein. + +</p><p>Ich lächle vor mich hin, ich werde in keine Wüste gehen, +ich habe mich nicht verändert, ich fahre mit Aufträgen zum +Balkan, ich führe sie aus. Ich werde mich keinen Folgerungen +entziehen, meine Wege waren gut, die Ziele verständig, +nur meine Einstellung, nur mein Herz war falsch +gerichtet, das konnte ich nicht wissen, ich konnte es nicht +ändern, das änderte sich gar sehr von selbst. + +</p><p>Ich liebte die Schwierigkeiten wohl, o wie fliegt mein +Leben vorüber, wie leer, wie rasch ist das abgewickelt, worum +ich mich so sehr bemüht, ich liebte Gefahren, war anständig, +auch ohne mich innerlich darum zu mühen. + +</p><p>Wie sehr bin ich gedemütigt. Wie eitel und gering +stürzt das meiste von früher. + +</p><p>Wie deutlich sehe ich in dem Schmerz, der mir nichts +verdüstert, der alles wundervoll erhellt. Wie weniges hat +heute mehr Macht über mich. + +</p><p>Bojen schellen, die Schorne pfeifen, die Kreidefelsen +sind zum Greifen, da werde ich noch einmal schwach. + +</p><p>Ich sehe Cederström nun deutlich, er ist es wahrhaftig, +ich gehe zuerst langsam, dann stürze ich auf ihn zu, ich +falle auf die Knie am Verdeck vor allen Passagieren: + +</p><p>„Dein Paß, Cederström, Dein Paß, mein Bruder.“ + +</p><p>Ich sehe auf, mein Bruder Cederström wankt, ich sehe +sein Auge, er ist betrunken, er erkennt mich kaum. Ich +lächle wieder. So soll es sein. + +</p><p>Ich gehe ruhig weiter, es war ein Ausgleiten, kann +man denken, ein Mißfall war es. Ich werde nicht mehr +schwach sein, ich bin ganz sicher nur auf der Orangenschale +ausgeglitscht. + +</p><p>Ich werde die Frau nicht mehr sehen. Ich nehme es +auf mich, wer sieht es mir an? + +</p><p>Ich zahle alles damit ab. + +</p><p>Ich büße jeden Tau, der mich in Barsebäck erfreute. +Ich büße die Vögel, die mir eine Lust sind zu hören. Ich +büße meine graden Glieder. Und daß, wenn Menschen in +meiner Macht waren, ich meistens sauber und verantwortungsvoll +war. Ich büße alle Tage mit Frauen und +meine schönen Jugendjahre. Auch daß ich gläubig bin im +Grunde und ungern unrecht tat. Ich büße mich selbst, wer +kann es mir wehren, ich zahle das Schicksal, es nahm sich +gutes Honorar. + +</p><p>Es gibt so viele Dinge noch, auch die schlechten, wenn +ich mich besinne, die ich zahle, es gibt so vieles, was ich +alles büßen kann. + +</p><p>O Gott, wie vieles muß ich heute über mich denken, ich +bin es nicht gewohnt, ein Stein ist in mich gefallen, ich +kann es kaum ertragen, was sich anschwemmt an den Ufern. +Ich fasse an die Schläfe, ich ertrage es kaum. + +</p><p>Ich schüttle Cederström, führe ihn bis ans Heck, setze +ihn neben mich auf die Bank und halte ihn gerade. Ich +schreie ihm ins Ohr: + +</p><p>„Habe ich keine Zähne mehr, Hochstapler, haarlos, kein +Geld, keine Frauen, verrecke irgendwo, o wie denke ich, +glaub mir, verdammt, wie denke ich: waren diese Tage +blau, Borgeby hatte viel Sturm, Bjerred ein gelbes Segel +im Mittag drin, Sivs Schultern, welch hinreißend schöner +Gedanke in solcher Aufmachung gedacht, lache nicht, Cederström: +die Pomade ihres Haares. + +</p><p>Wenn ich sterbe aber, Cederström, gibt es nur einen +Gedanken von heut ab: wie habe ich diese Frau geliebt +und wußte es nicht.“ + +</p><p>Ich sehe hinaus auf das Meer, wie glatt, wie zahm. +Ich kann Cederström nicht halten, er hat verglaste Augen, +er ist betrunken wie ein Norweger, er stammelt: „Pomade“; +er hat mich nicht verstanden, es soll so sein. + +</p><p>Ich lasse ihn fallen, er fällt auf die Rolle, er schlägt +sich den Kopf auf, ich kann es nicht ändern, ich schaue +immer nach dem Meer. + +</p><p>Ich fange aber plötzlich an, atemlos zu laufen. + +</p><p>Der Kapitän kommandiert laut auf seinem Steg, +Matrosen huschen barfuß mit Seilen und Tauen. Die +Pfähle starren schwarz aus dem Wasser, wir haben Gegendampf +und drehen uns. + +</p><p>Ich unterscheide im Laufen jedermann am Land, selbst +den österreichischen Offizier erkenne ich mit dem schiefen +Cäppi. Ich höre die Fahne über mir knattern im Gegenwind. +Nun tuten alle Hörner, die Ventile öffnen sich, +das Schiff knirscht und stöhnt. + +</p><p>Ich komme über Verdeck gelaufen, schleudre die Passagiere +beiseite. Ich sehe Cederström fest wie einen Schlafwandler +auf den Ausgang zugehen, renne vorbei. + +</p><p>Ich erreiche die Koffer, ich erkenne meine Zeichen. Ich +schließe den gelben Koffer auf, reiße die Sachen auseinander, +erwische einen Schuhsack, Baron Uxkulls Diener +hat ihn gut gepackt, der Schuh fällt heraus, ich achte es +nicht. Ich schließe zu, ich hebe mich schwerfällig am Geländer. + +</p><p>Ich habe ein buntes vielfarbenes Tuch in der Hand, +ich reiße die Nähte auf, ich hebe mich breit in der Höhe, +ich winke zweimal mit frischen Rufen, immer in die Luft. + +</p><p>Dann führe ich das Tuch über mein Gesicht, mein Gesicht +formt sich hinein. Mein Herz klopft mir aus dem +Tuch in mein Gesicht. + +</p><p>Ich drehe mich langsam ab von der schwedischen Küste. + +</p> +<h2 class="chapter" id="chapter-3">Frauen</h2><p> + +</p><p class="first">Man stirbt nicht vor Trauer. Man hat das Meer +zum Anstarrn, müde der Herzen, die verführen und +peinigen. Die großen Nebelwolken, die mit Sausen wie +Batterien angefahren, haben die Küste verödet. Man hat +die Nebel zwischen sich und den Leidenschaften, das ist Einsamkeit. + +</p><p>Man leidet an den stumpfen bleiernen Gurten, die das +Meer gegen den Himmel spannt, mit unaufhörlicher glücklicher +Monotonie. Die Dunkelheit des Herbstes hat sich +gepaart mit den Gedanken, die die Ruhe durchdringen und +in den Wolken ausbluten, wenn der Abend sie entflammt. +Die Sicherheit, jenseits der Eitelkeit, der Siege, Wunden, +Triumphe, all des Geschichteten, Reibenden, all der Unrast +der Menschen, verfallen zu sein einer Traurigkeit, die man +grundlos erleidet, aber die man liebt, das hat einen unbeschreiblichen +Glanz der Melancholie entfacht. + +</p><p>Da gehen perlmutten graue Nebel und ballen sich starrauf +vor den Mond wie eine Armee. Das Meer blinkt +ausgetrocknet, metallen und hart. Die Dünen haben den +Atem der Traurigkeit aufgenommen und tragen sie mit +dem Reichtum einer dunklen Melodie davon. Das ist, wie +man lebt, den Kopf in den Händen. + +</p><p>Da sprengt Kerstin quer durch einen Traum auf ihrem +weißen Grey Lad. Man birgt die Augen in der Einsamkeit. +Man kapituliert nicht in der schmerzlich dampfenden +Landschaft vor dem nackten Blitz. Das hohle Schweigen +des Windes hat die Erscheinung an den silberstarren Horizont +getrieben. Die Nacht hat sich mit einem verhaltenen Ton +dunkel ausgebreitet, die Ruhe hat sich an das Fenster geschmiegt. +Das herbstliche Klirren der Brandung dämpft +das erlöschende Fieber: fort von den Leidenschaften, die +leer machen und verzehren. + +</p><p>Da tritt Kerstin aus dem Geruch des Bodens, ihr Bild +steigt über die schrägen Gläser der Türen und, hinaustretend, +überfällt ihr Wesen einem, wie ein Nebel durchdringt +sie das Blut, unerschöpflich. Es saugt einem voll, +grenzenlos, wie einen Schwamm voll ihrer Gegenwart. +Das Meer ist blaß geworden. Die Dünen zittern flötenhaft +erregt: man geht von neuem aus der Einsamkeit hinaus. + +</p><p>Man läßt den Tiefsinn zurück. Tage, Stunden, Wochen, +fallen ab gegen den kristallenen Himmel, die in Traurigkeit +sich tief erfüllten. Was war es?: Glück. + +</p><p>Man hat das Meer nun nicht mehr zum Anstarrn. +Doch man stirbt nicht vor Trauer. Man stirbt auch nicht +vor Freude. + +</p><p>Aber Kerstin zu sehen nur, welch schöne und bittere +Verführung! + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">In Schwetzingen fand ich ihre Spur. Den Sommer war +sie in Schachen. Die schweizerischen Berge kamen am +Abend mit Lichtern über den Bodensee geflogen. Sie hatte +gegen den Herbst in Bocklet gewohnt, das wies in seiner +Verborgenheit auf Männer um sie. Die Barockfiguren des +alten Parks begannen lang und zärtlich mir nachzuschreiten, +als ich im Wagen nach Kissingen hinüberfuhr. In Bamberg +sah ich durch jedes Mittelalter sie kommen, von den +Portalen und Kirchen herunter sich neigen. In einem +Landhaus bei Bayreuth kreuzte ihr Name sich mit dem +eines Mannes. Obwohl unsere Leben sich voneinander gelöst +und entfernt voneinander trieben, traf es mein Herz +mitten auf die Brust. + +</p><p>Ich quälte mich weiter. Von nun ab gingen die beiden +Spuren zusammen, ihre Gestalt zog immer tiefer in den +Ausdruck des Mannes hinein, der ihr Leben teilte. Ich +begann zu leiden. Zurück? Wozu in die Traurigkeiten, die +verbittern mit Einsamkeit? + +</p><p>Ich beginne im Gegenteil zu leben an dem Widerstand, +mich zu entzünden mit einer melancholischen unerregten +Leidenschaft, die nur sehen will und überschauen kann. Man +stirbt auch nicht aus Leidenschaft. + +</p><p>Ich habe die Tagbezeichnungen vergessen, werktags abends +kam ich ins Gebirge, fuhr an das Schloß, sie war verreist +für eine Tour. Man erwartete sie. In der Dämmerung +ließ ich lenken und besuchte Lil Pax. Ich ließ den +Schlitten angespannt, denn sie war im Begriff in ein +Sporting-House zu fahren, die Glocken schellten. + +</p><p>Lil Pax fuhr in meinem Wagen. Der Tod hatte Quartier +in ihr aufgeschlagen. Die überschöne Schlankheit der +Hände und das fiebrige Feuer der großen ruhelosen Augen +schienen den Knabenkörper mehr in den Ruf des Erlöschens +zu ziehen als in das Muskelgekrach. + +</p><p>Als wir eintraten, ging der schwarze Boxer Bambula +oben an den Ring und nickte uns zu. Man massierte ihn +darauf, der auf den Seilen lag, und führte ihm Luft zu, +während der Saal in Erwartung der Schläge ächzte. +Während der Time-Keeper schellte, der Unparteiische pfiff, +Bambula sich aufblies, der kleine Ukrainer mit Ballettschritten +ihn angriff, der Neger ihn Uper Cut nahm und +niederhieb, sah ich dahinter das Meer, aufgebäumt. Grey +Lad preschte davor mit Kerstin. + +</p><p>Das zweite Matsch erst brachte den Saal in Verwirrung. +Aber während Frauen auf den Stühlen dem Neger +zuschrien, die Männer wüteten, Bauernburschen die Tirolerhüte +schwangen, Bambula gleich einer Schnake den Gegner +Clinch nahm, lachend Sawate erhielt und mit grandiosem +Bak Spring ihn in die Herzgrube erledigte, war ich schon +tief ergriffen von der Kühle der Frau neben mir. + +</p><p>Lil Pax war unerregt geblieben. Wir fuhren im Galopp +über die Felder zurück. Mit erschreckender Deutlichkeit kam +ihr Wesen aus der schwülen Ekstase des Saales mit einer +überlegenen Deutlichkeit und einem gewissen hochmütigen +Lächeln auf mich zu. Sie hatte die geheimnisvollen Beziehungen +des Verzichtes früher als alle durchstoßen und +von der in ihr reisenden Nähe des Todes eine Ironie um +den Mund erhalten, der sie allem entfernte, obwohl sie +nichts floh. + +</p><p>Das Verzückte war hinter ihr in schwärmerischen Bögen +abgeschnitten. Sie hatte jene Größe, die sich nicht entschied +und weder das Gesicht weg von dem Dasein wandte und +es verfluchte, noch in Betäubung stürzte. Sondern sie ließ, +allem hingegeben und allem entfernt, das Dasein, geliebt +und unbegehrt, vorüberfließen, während ihr Mund in schmerzhafter +Blässe nicht zuckte. Welches Blut lag dahinter abgedämpft, +wenn sie gütig nickte! Welcher Sprung, im +Haß, federte und ward nicht getan! + +</p><p>Ich neige mich über ihre Hand. + +</p><p>Sie erkrankt, heftiger. Ich werde nicht reisen. Ich richte +mein Gesicht nach dieser Frau. Sie beginnt ihren schicksalhaften +Zug, tief und weit entfernt, über mein Zugewandtsein. + +</p><p>Ihr Leben beginnt über meinen Horizont zu laufen, ruhig +und gütig, ohne deutliche Spur, eine Sonne von Westen +her immer der gelben und roten Sonne entgegen, dunkler +und unsichtbar, aber im selben Kreislauf. + +</p><p>Damit ist mein Leben eingezeichnet. + +</p><p>Was folgt an Dingen, die Blut, Tag, Rausch bestimmten, +ist anders, diesem Abgewandtes, vielleicht nicht wenig, aber +nicht dies. Welche Bedeutung es hat in meinem Dasein: ob +diese Frau das Entscheidende ob das andere, wer durchschaut +das Schicksal? Vielleicht weiß ich es, wenn mein Blut +langsam rinnt und meine blonden Haare so hell geworden +sind, daß das Urteil bis an die Grausamkeit vordringt. +Wer kennt sein Herz? Man muß sich unterwerfen. Stolz +ist ein Spielzeug. Bebauen wir unseren Garten. Man +lebt sich schon hinein in sein Schicksal. + +</p><p>Ich habe die Fahrt nach Kerstin angetreten. Da liegt +nun das Leben zum Anstarrn. Der Kreis öffnet sich. Da +sind nun die Tage, Wochen, die Leidenschaften, die hineinreißen +in ihren Bann und entzünden und verzehren. Haben +sie mich erreicht einmal, schwinge ich sie schwärmerisch wie +Vögel auf. Ich bin dabei. Das ist eine Freude. Hallo. +Ich lebe in Begeisterung. Welche Woche! + +</p><p>Habe ich in dieser Woche nicht zwischen blaugespannten +Bergzügen Venus und Jupiter in bengalischer Konstellation +gesehen? In die flamingone Abendröte den Hausberg aufgereckt +wie die Begehrlichkeit einer wilden Sau? Ist die +Natur nicht mit Lawinen und sausenden Gletschern aufgezuckt +mit meiner Bewegung? Hat eine sizilianische Frau +nicht unter den Kronleuchtern ihre Rasse aufgezaubert? +Habe ich nicht das Blut der silberblonden Ritterstad auf +der Lippe gespürt, der eine Katze die Schneehaut aufgerissen? +Haben die seidenen Fahnen, als wir im Bob passierten, +sich nicht gegen den Wind alle huldigend auf diese +schöne Frau mit dem lachsfarbnen Mund gerichtet? Schossen +wir nicht aus dem Nickelglanz des Starts herunter auf +dem Bauch im Rodel, durch die Kurven auf den Hüften +hinunter uns wiegend wie im Liebesspiel? + +</p><p>Welche Woche, Lil Pax, während Sie lagen! prall, festgefüllt, +aufgestäubt. Wie bunt. Doch was ist es am Ende? + +</p><p>Es bewegte sich nur. Aber . . . . alles Getane, alles +Erlebte kreiste um Sie, Lil Pax. Das ist nunmehr von +allem die Richtung. + +</p><p>Ich sehe Margit, Ihren Liebling. Aber ich erblicke sie +nur in der Verbundenheit auf Ihr Wesen hin, gleichwie mit +der unentziehbaren Bewegung der Sonnenblumen, die dem +Gestirn mit ihren Mähnen folgen. Es gibt keine Frage +darüber. Das ist Bestimmung. + +</p><p>Ich sehe Margit. Ihr Hund heißt Lorm. Ihr Lied +„O Dolly.“ Ihr Herz ist voll von schönen Schauspielern, +von Coquelin, Cyrano, Rolla, von melancholischen Pianisten, +im Lyon reitenden schwarzgeschnürten Offizieren, von Pré-Catlan, +von Speisen bei Spiegeln mit Kerzen, von Bootfahren +am Abend, von Lido, von Sand und Hitze, von +einem Mann mit Namen Claessens, von irgendeinem schönen +Capitaine Ettore Cosomati, von einem kriegerischen Colonel +Ugolino, von Melonen, Zirkus, Schokolade mit Zitronen. + +</p><p>Ich fahre mit Margit, während Sie krank liegen, zwei +Tage südlich. Ich kaufe ihr gelbe Calvils, ich zeige ihr +Innsbruck. Ich trinke mit ihr den serbischen Slivovicza. +Ich teile mit ihr den Abend, der mit den schon südlichen +Springbrunnen verzaubert, und die Honigdämmerung unter +den Schneebögen der Hügel und die lauen Schatten der +Madonnenlauben unter dem Golddach. Ich lasse sie Preise +verteilen in der Franziskanerkirche an die Statuen, sie teilt +es dem provenzalischen König zu, dessen Erzbrust hundert +Amouretten überspielen, der den Visierschnabel frech, gigantisch, +der Unerschütterliche, Gott ins milde Zinnoberlicht +seines Auges hinaufhebt. Es ist ein rotseidenes Strumpfband, +was sie als Preis austeilt, und gibt ihm ein glückliches +Aussehn. + +</p><p>Ich jage sie durch die Begeisterung bis in die Müdigkeit. +Nun laufen die Berge der Bahn wieder bei unserer +Rückfahrt entgegen. Ich sehe sie an gegenüber, wie sie +schläft. Mit zerfleischten Rücken sinken die Berge in schwarze +Seide. Flammend mit Stierblut kreist der Geier des Gestirns +noch einmal über die Grate. + +</p><p>Sie träumt von Pesaro, von einem Teich und ihrem +Lackhut als Kind. Ein Röntgenologe versichert, sie habe das +kleinste Herz. Bäte ich nur, sie vermachte es mir. Es +stünde auf meinem Tisch, kleiner als die Zunge des Gordon-Setter. +Sie wacht plötzlich auf, hinein in Begeisterung. +Ich spüre ihren Atem, sehe sie herübergleiten. Ein schönes +Geschenk der Stunde. Ich versage sie mir ohne Bemühung. +Warum? + +</p><p>Ihr Dasein ist zu nah und zu dicht auf das Ihre gerichtet, +Lil Pax. Sie ist nur etwas wie eine zärtliche sekundenlange +Laune, die Sie verloren. Die Bewegung +dieses Mädchens umkreist Sie zu nahe. Was ist ihre +Hüfte gegen das Maßlose Ihres Todes. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Das Dasein hat zwei Seiten für mich nunmehr. Von +einer brennt es hell, das sind die Leidenschaften, die +erheben, und die Genüsse, die man erobert. Ich erhebe mich +und erobere, je weiter von Ihnen, um so voller das Ergebnis. +Ich ziehe das Dasein herein aus seinem äußersten +Kreis. Ich warte noch immer auf Kerstin. + +</p><p>Die andere Seite ist das, was sich an Ihr unaufhaltsames +Schicksal bindet. Man schließt die Augen. Man +soll sich nicht ausbrennen vor Schmerz. Aber, Liebe, kein +Lächeln auch nur vergeht, ohne daß seine Deutung sich +bezieht auf Sie, irgendwie. + +</p><p>Als Rassignac, der in schlechter Zeit mein Freund war, +die Maschinengewehrladung der Polizisten im Bauch, in +St. Sulpice lag, spie er dem Präsidenten der Republik, +der das Monstrum des großen Apachen beschaute, ein Stück +Lippe ins Gesicht. Dann sagte er ruhig: „Mon corps +est foutu . . . . hé . . . . non pas mon orgueil.“ In der +Stille seines Gesichts lag unterdrückt derselbe Claironklang, +der hinter Ihrem Leben gellt. + +</p><p>Auch liegt dieselbe Kühnheit der Ideen an der Kurve +Ihrer Nase wie bei ihm eingezeichnet, und daran weiß ich +ebenso, wie an der übergroßen Lässigkeit Ihrer Hände, welch +ganz anderes irrsinniges Leben Sie ausfüllt im Grunde. + +</p><p>Hätte der Verderber sich nicht in Ihr Blut begeben +und Sie hingeführt zu der Harmonie Ihres Geistes mit +jener Güte und Milde, . . . . Sie hätten auf der anderen +Seite der Seele ein anderes klirrendes Dasein gelebt: + +</p><p>Wären unter Scipionen mit ehrgeizigem Herzen in +Aulen gewandert. Hätten die pompejanische Seeschlacht +geleitet am Bug. Man hätte zwischen Karlisten und Rosenroten +auf der Barrikade Sie mit der rauchenden Flinte +gesehen. Sie hätten Päpste mit der glatten Stirn beunruhigt. +Als Kreuzzugfanatische hätte ein Pferd über Singenden +Sie auf die Mauer Jeruschalaims getragen. Im +Reifrock hätte das Gift Ihres Geistes Politik zerschlissen. +Schwertscharf wären Sie vor Ihren Leuten unter die +Elephantenbäuche gerannt, makkabäische Königin. Ihr Haß +hätte geschlagen. Ihre Liebe grausam geflackert. + +</p><p>Am Ende erst, vielleicht, aussätzig, alternd, verlassen, +einen Dolch im Rücken, wären Sie der liebenden Größe +nahgekommen, mit der Sie heut überschauen, was sich +heranwälzt auf dem Schicksal. + +</p><p>O Sie haben mit Ihrem Finger manche Nacht, Lil +Pax, an den Tapetenmustern von Davos und Arosa jede +Zuckung Ihres zurückgeworfenen Blutes nachgewandert mit +den gepflegten Nägeln: + +</p><p>Sind in afrikanischem Aufstand verschleift, haben als +Märtyrin, sich verschenkend, Weg geebnet, standen hinter +den Getto-Feiglingen als Peitsche, gingen unter Spaniolen +steil, die Stolze, hatten Hochmut, Verachtung. Ach und +schwangen in der Inbrunst der Fiebernächte, Steine, Schmuck, +Lächeln um den Mund, da und da und dort, in die Leidenschaften +hinein bis an den bittersten Ehrgeiz. + +</p><p>Jeden Morgen aber waren Sie zurückgeworfen in den +Körper, der, verseucht, aus allem vertrieb. Sie haben mit +einer übermenschlichen Bewegung der Seele langsam gut +gelächelt mit dem Partner Tod. + +</p><p>Dies Lächeln ist die Lebensrichtung geworden für den, +der Ihr Dasein streift. Man stürbe gern für Sie. Was +an Versagtem in das Gefäß Ihres Körpers zurückfiel, geht +in zarter Helle und Herrschaft des Geistes wieder von +Ihnen aus. + +</p><p>Selbst wie Sie den wilden Regenbögen, die über den +Hausberg flattern, nachsehn, ist eine Leidenschaft, die Sie +den Nächten abgerungen. Süß muß der Tod sein, der im +Nahen schon so schön verwandelt. + +</p><p>Aber zum Erbleichen furchtbar der Abstand zwischen dem +Ziel, dem feurig Ihre Bestimmung einstmals ehrgeizig zugeflogen, +und dem Ausdruck, mit dem Sie nun entsagend +lächeln. + +</p><p>In der Mitte das Leid. Aber welch ein Ausgleich! Als +Sie der Bonne Ihre Tibetgarnitur schenkten, war es dasselbe, +als wenn Sie, ohne dies Schicksal, auf der anderen +Seite des Schweifens, Kunstreiterin, dem englischen Geschäftsträger +Vitriol aus dem Sattel in die Loge aufs +Gesicht geschleudert. Ihr unterdrückter Husten bei dem +Besuch des alten russischen Admirals gleicht aus, was +Sie an Triumph, Tänzerin, auf die Spitze des bolognesischen +Balletts unter Blumenwürfen gehoben. Der +Charme der Teestunde, der an Ihren Geist anbindet, wäre +nichts andres gewesen, als daß Sie, Dompteuse, das +Panthermaul schlössen, mit der Pistole einen etruskischen +Dörfler getötet. Entgleiste Lokomotiven, fliehende Ballone, +aufbrennende Opern haben den Anlaß, aus Ihrem anderen +verhinderten Leben zu springen, wenn Sie mit gleicher +Milde, als sähen Sie die sieben Freuden Mariä, in den +Schlaf Ihrer Müdigkeit hinübergleiten. + +</p><p>Aber, was an Macht über Menschen in Ihnen ruht, +wie wenigen der Epoche, was an Zauber Ihrem Körper, +an hingebender Grazie Ihrem Hirn, an unaussprechlicher +Süßigkeit Ihrem Geist gegeben ist und allsamt Sie in eine +Bedeutung erhöht hat, deren Überlegenheit Sie am deutlichsten +spüren . . . ich weiß, Sie gäben es mit eisigem Gesicht, +stellten es beiseite mit dem Madonnigen, dem Zauber, +dem Wissen, Sie würfen als Hundebissen in die Gosse das +Milde und Gute, Sie spien aus das Dulden . . ., wenn +Ihnen, schon Jauchzende, dafür getauscht sei: prall, stählern +an Leib, vogelhaft atmend mit den Lungen, eine Woche +nur noch einmal in Hölle und Seligkeit, mit einem Mann, +den Sie lieben, durch die Helligkeit Kopenhagens, durch +die Schiffe, den warmen Prater, einen vernarrten Frühling +Merans zu toben. + +</p><p>Doch man soll die Wünsche nicht wecken. Man stirbt an +den Wünschen. + +</p><p>Sie tragen jedoch Ihr Ausgestoßensein mit solchem Gleichmut, +daß ich manchmal in der Gewißheit nicht zweifle, daß +Sie zu gleicher Zeit wohl auf einem anderen Gestirn in einer +behenderen muskulösen Figur alle Leidenschaften, die hinter +Ihrem hier abgegrenzten Dasein stürmen, mit selbstverständlichem +Frohsinn und einer gewissen Leichtigkeit in der Größe +des Ausmaßes durchfahren. + +</p><p>Hier aber sehe ich wie keiner die schmerzliche Zusammengezogenheit +Ihres Lebens. + +</p><p>Und ich kann sie nicht vergessen. + +</p><p>Die Leidenschaften haben sich umgedreht. Was mich aus +allen Betten und Fiebern und Längegraden meiner Erde +zu Ihnen gerissen, hat sich unter diesem Schicksal verändert. +Das ist zu einer wohltuenden Fremdheit geworden, die in +schwesterlicher Inbrunst meinen Herzschlag begleitet in einer +meinem Blut nicht zugänglichen, schön überglühenden Welt, +höher als jene dieser Dinge, die mich hier hart verzücken +und in Begeisterung fangen. Das ist unser Leben. + +</p><p>Die Lawinen brüllen durch die Woche und grüßen Sie +aus der Mondsteppe wie wilde Tiere. Der Himmel hat +eine amethystene Schaukel um Ihr Haus gelegt. Morgens +stehen mosaische Signale, Säulen feuriger Wolken auf den +Spitzen des Gebirgs. Die Natur bereitet Ihnen Verehrung. + +</p><p>Auch die Abschiedspolonäse auf Skiern für Marga +Ritterstad und Margit, Ihren Liebling, hat sich als Huldigung +gerade Ihrem Haus gegenüber hoch im Gebirge geeint. +Die Midussi hat ihr sizilianisches Gesicht zur Komödie +mit einem roten Turban geschmückt. Alle schauen +auf das Zeichen. Der Riemen Margits löst die Schleife: +„Azt a kutja faját.“ Die Schnäbel der Skier haben sich +auf Ihr Talhaus gerichtet. Da quillt weißer Wolkenschaum +um die Gipfel des Kessels, die Sonne, aufrauschend +dunkel schmeißt ihn zurück. Schmetternd wie eine Posaune +kreuzt sie über dem Tal. + +</p><p>Mit einem verderbten Schrei wirft die Midussi die +Fahne zur Abfahrt und gibt den Start. Nach Ihrem +Haus zu verzischt Ihre Linie im Gebüsch. Die Ritterstad +fährt wie ein stolzer Fasan. Man soll die Diva nicht +tadeln, weil alles sie liebt. Heller Strich auf Strich saust +eins nach dem anderen ab nach Ihrer Villa auf dem bläulichen +Schnee. Mit Hagebutten in der Hand macht Margit +noch Telemark und schaut herauf, dann saust sie hinunter +zu Ihnen durch die Latschen. Alle schreien Ihren Namen, +die Sie, auf dem Südbalkon Ihres Hauses, das Glas über +den Augen, diesen Herabflug aus den Hängen auf sich zukommen +lassen, beherrschten Mundes wohl, wie jede Ihnen +unaufhaltsam nicht mehr zugehörige Bewegung. + +</p><p>Ich stürzte, über Heidekraut, sechs Meter ein Hecht durch +die Luft, eine Parade der Arme, ich fiel auf die Erde zurück, +der Bergkreis glühte, blau, dann schwarz. Als ich aus der +Ohnmacht aufwachte, sah ich Ihr Haus, Lil Pax. + +</p><p>Ich habe mich aufgerichtet, die Stirn ist zwar verdellert, +die Knochen aber sind heil. Ich habe den Fahrtrausch +noch im Blut, das Risiko der Stürze noch im Hirn, der +Tod hat mich nicht gedämpft. Ich bin voll Kühnheit und +Begeisterung. Verdoppelt empfinde ich Erregung in mir +laufen und Beglückung aufquellen satt und voll. Das brüllende +Tier des Gestirns braust gierig durch das Blau. Ich +fühle mich umschwungen von den Menschen und der Fülle +ihres Atems und der Farbe der starken Empfindung, mit +der diese alle ihre Leben hier gelebt. + +</p><p>In dieser Sekunde der Höhe aber reißen die Menschen +ab aus der Melodie. Die Woche, die sie füllten, gleitet +zurück zu Ihnen, wie zum Mundstück eines Instrumentes. + +</p><p>Sie nehmen es, schlank, und scharf aufgerichtet in die +Hand, führen es an die Lippen: da stürzt sich alles in Sie +hinein, begierig, daß Ihr Atem ihm erst Gesicht gibt und +es brennend hinauswirft. Was ist um mich all das Getümmel? +Ein Teil von Ihnen. Ich sehne mich in Ihre +Einsamkeit aus aller meiner Fülle. + +</p><p>Ich spüre Sie in meinem Leben als die Bringerin. +Im Seedorf der Vogesen, in der Entferntheit der Blumengärten +Immenstads, in Norrbrö, im fensterlosen Gemach +meiner Heimatjahre spüre ich Sie als die größere Vielfalt. +Denn wenn Sie wollen, werden Figuren und Reihen der +Menschen auf der Ebene der Wand mit der Musik ihres +Blutes erscheinen, beherrschter und glänzender als die meines +Erlebens, so als bliesen Sie sie in Wahrheit auf kleinem +goldenem Instrument zart herüber aus der Einsamkeit der +Überwindung in meine Einsamkeit der Fülle. + +</p><p>Ist dies der Abschied? + +</p><p>Ich kann, beglückt von dem wilden bronzenen Schild, +das die Sonne über die Steppen schüttelt, sportiv, kräftig, +Strapazen überlegen, ich kann meine barbarische Stärke +nicht mehr dem Zauber entgegensetzen, der, aus Verhängnis +und Versagtem gebildet, Ihr Lächeln ist. Es ist zu schwer, +wenn man so Großes durchschaut, an sich zu glauben. + +</p><p>Sie winken ab mit der Hand: Sie lieben mein Leben. +Sie glauben an den Reichtum selbst meiner Melancholien +und sind erfüllt von dem Aufgerichteten meiner Phantasie. +Sie haben Leidenschaft für meine Welt. Sie sind neidlos +entzückt, wenn ich diese Welt in die Hände nehme, mit +Fingern und Zähnen den Saft auspresse, Sie lieben das +Bunte, verehren die Stärke, Sie glauben an die Schönheit +des wilden Bildes und die Größe des erregten Blutes. + +</p><p>Was aber ist es gegen Ihre Welt? Man kann sich +nicht finden. Welche Tragik, daß, was Ihr Elend ist, ich +liebe, daß, was mir ein Nichts ist, Ihnen erhaben scheint. +Man soll sich nicht belügen. Wie kann man genießen, was +den anderen quält? Es ist bitter genug, mit Verantwortung +zu leben. Bebauen wir unseren Acker und entfernen +wir uns von den Qualen, die wir nicht mindern können. + +</p><p>Ich habe mich aufgestellt. Die Augen brennen aus der +Ohnmacht noch auf dem Schnee. + +</p><p>Als mich die Bretter in weitgeöffneten Schwüngen ins +Tal hinunterziehen, sehe ich keine andere Bewegung als +die aus diesem Zustand in den der Entfernung. + +</p><p>Ich bin ein törichter Mensch und züchte mir Qualen, +statt sie leicht zu nehmen und mit Selbstverständlichkeit zu +bezwingen. Ich mache sie groß, weil ich sorglos bin. Man +könnte leichter leben. + +</p><p>Wie ich die Skier unten löse, hindert mich nichts mehr +am Abschied. + +</p><p>Am Abend kam Kerstin. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Am Abend kam Kerstin in mein Haus. Musik ging +vor ihr her, und die Berge schimmerten näher von +ihrer Blässe. Die Sarabande des Sturzbachs formte über +ihrer Schulter etwas wie undurchsichtigen silbernen Regen. + +</p><p>Sie griff einen Stuhl bei der Lehne. + +</p><p>Ich dachte: + +</p><p class="indent2"> +Man solle vor wilde Tiere sie führen und +in Versammlungen, wo der alte Fanatismus der Menschheit +ins Böse bricht, damit das Gleichmaß vom Ineinanderfließen +der Beine und des Bauches und die rührende +Schönheit des erschütternd schlanken Gesichts die Stille +auslöse. Brüllende würden lächeln, Tobende demütig werden +an diesem Körper. + +</p><p>Keine der Frauen, deren Hüfte mein Frühling, deren +Brust mein Weglager waren, die ich Jahre hindurch +schmerzlich durchwandert, hatten soviel Macht als dies ledigliche +Dastehn. + +</p><p>Sie hatte, wenn sie lächelte, etwas, was schon zerfloß, +und das orchideenhafte Rosa der Bluse schien aufgelöst +über der alabasternen Höhe der Brust. + +</p><p>Sie nickte, als sie aufstand. + +</p><p>Sie ging. + +</p><p>Und entzog mich mit dieser Bewegung jedem Gedanken +und Koffern, die den Abschied erdrängten, und mit einer +märchenhaften Hebung der Achseln beweist sie, daß ich ihr +Haus sehen soll, nicht allein das ihre mehr, und die Luft +behält diese Rundung der Schulter wie einen Abdruck. + +</p><p>O Sommer, den wir glücklich waren, die Hindin und +jener, der mit ihr über den Rasen lief: + +</p><p>Als jener See damals nichts war als ein Spiegel für +ihre Schlankheit, der manchmal selbst in seiner blausten +Verjüngung zu schwer schien, soviel Anmut zu tragen, aber +mit schwingenden Uferfacetten sie von neuem faßte in einer +Demut und Geduld, die uns überraschte . . . . + +</p><p>Als Lella neben ihr ging, die ägyptische Königstochter, +und von der braunen Vierzehnjährigkeit ihrer Knie und +der Hängelocken über den Ohren die Reiter hingezogen +hielten, und deren Beine so hoch und überlegen standen +wie das schwarzseidene Trikot um ihre engen Hüften — — +und als ein Rascheln deines Kleides uns mehr schien als +Lellas ganzer Leib, um den zu sehen selbst die fünfzigjährigen +Landräte und Rennstallbesitzer Löcher in das Damenbad +bohrten, und deren Besitz uns doch die tragische Unerreichbarkeit +ihrer Jugend erhöhte . . . . + +</p><p>Als sie im Stern von Gudrun saß, und wie eine Weiberbrust +unser Segel im Mondschein flauschte und sie plötzlich +das Wasser küßte mit einer jähen Bewegung über Lee und +ich tagelang dachte: sie hat den See geküßt, meine Freundin, +was soll nun das Leben, es ist so silbern geworden. Wir +ertragen die Dämmerung nicht mehr . . . . + +</p><p>Als durch die Dorfstraße auf dem geschmückten Narzissenmotor +die Hochzeit kam mit vielen Offizieren und +Orden, und in der Dorfkirche der Sänger im Requiem +stecken blieb, wie er sie an der Säule sah . . . und plötzlich +alle von dem Priester sich umwandten, sie anzustarren, +als sei sie aus der Säule gehauen und flöge mit ihr auf +abgesenkten Flügeln in die Höhe, nachdem eine Sekunde +ihnen unwiederbringlich die Hüften des Paradieses gezeigt. + +</p><p>. . . und als nach einer Woche alle Skiläufer, Dirigenten, +Spieler, Arbeiter, Segler, Fischer, Bauern, Bankiers +nichts wollten, als daß ihr Blick auf kurze Zeit auf +ihnen ruhe — — und wir den Berg in der Frühe erstiegen, +die Alpen ausgebreitet lagen tief wie die Kolonnen der +Engel . . . und sie gegen die siebenfache blaue Staffel des +Horizonts vorging, die Hand hob und nun kein Blut, kein +Fleck der Haut es anders wußte, als daß ihr Lächeln nur, +ihre Hand allein sie weich und schwebend erst formte, Amaranth +hingab und seidige Härte — — und als sie bei mir +war unter dem Park und aufschrie, und am Morgen im +Pyjama durch den Taugarten ging, und die vier Nachtigallen +wie ein Gewitter rasten zu einer Stunde, wo bedingungslos +sie sonst schwiegen . . . . . + +</p><p class="indent2"> +aber das Trommeln +und Steigen ihres Gesangs so zerschmetternd war, so sehr +nahe der Höhe der Lust, daß ich den Scheitel des Sommers +erbebend unter mir fühlte und wußte, nach so ungeheurem +Erfüllen käme nur ein hinab . . . . . . — — — + +</p><p>Was ist geworden in den Jahren, die ich im Süden +ein Hund war und Suchender und Wüstling und nicht +gedachte an deine große Schönheit — und zwischen Segelfahrt +und hellenischem Frühling nichts die Zeit überbrückte +zwischen mir und unseren zartesten Sekunden — — und +was hat dich in anderen Armen verwandelt und hinter +welchen Mannes Gefühl ist dein Gesicht verborgen, daß +nicht einmal der irrsinnige Hochmut deiner Mädchenhaftigkeit +mir vertraut und nah ist, mit dem dein Blick mich +ans Kreuz schlug, als ich am Ufer dich ansprach mit dem +Wort zu scharf und leicht für deine frauenhafte Bedeutung +. . . . . und daß nun, wenn du fremd in deinen Kleidern +hinausgingst, die Sehnsucht nach deiner Entferntheit +und die weite Kühle deines Lächelns mich tot machen, +meine Freundin? + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Zwei Tage mied ich Kerstin, zwei Tage lief ich mit der +Midussi. + +</p><p>Wenn sie die Locken schüttelt und feig vor der Schußfahrt +in die Knie geht, und die prinzessinhaft im Nacken +geschnittenen Haare ihr in die Zähne flattern, hören selbst +die erregtesten Weiber auf, sie mit Steinen zu werfen und +zu begeifern, ihrer engen Skihosen halber, sie selbst aber +ist nie abgeneigt, mit dem Schrei loszufahren, zu kratzen +und die angesammelte Meute sechs- und achtjähriger Knaben, +Eiszapfen schwingend, zu sprengen. Zehn Männer, die +den Kranz ihrer Kali-Syndikat-Millionen anzubeten lediglich +nicht müde zu werden hofften, fiebern nachts nur noch +von ihren spielerischen, lesbischen Beinen. + +</p><p>Sie hat eine Locke zwischen den Augen in der kleinen +Stirn, und das achtzehnjährige sizilische Gesicht ist krank, +bös, schön gespannt in der aufregenden, von ihren Blicken +verdorbenen Luft um sie. + +</p><p>Sie quält, lächelt und ist kühn genug, im verruchtesten +Loch mit der großen weißen Perlenkette dem Schwarm +der Bauernmasken sich zu mischen, die, durch ihre Holzmasken +wie Hunde heulend, im Kilometerradius einen +Zirkus von Tanz um die Gebirgskette schlagen, und aus +deren Weiberröcken und wilden Fäusten sie heiser lachend +entgleitet, den Saal hinter sich zurücklassend, aufgepeitscht +bis ans Geheul. + +</p><p>Ich weiß nicht, ob sie mich haßt, aber es mag sein, daß +dies ihre Liebe ist. + +</p><p>Die Syrakusanerin läßt den Schlitten voraus fahren, +Schellen klirren sacht, hell. Wir kommen auf den Pfad, +wo die Angehörigen eines religiösen Hotels, mondäne +Nonnen, an uns vorüberstreichen. Es geschieht, daß die Midussi, +die Zähne im verbrauchten Gesicht, sagt, daß Picard +zum drittenmal ihr an den Hals gedroht, führe sie nicht +nach München — — fürchtet sich, schaut schräg auf. + +</p><p>Wir lachen. Da es auf diesem Weg ist, erfüllt sich +unser Gelächter zu einer Schleife, die am Hausberg sich +hinaufsingt, oben fast donnert. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Samstag kam ein Brief von der großen Diva. + +</p><p>Marga Ritterstad. + +</p><p>Lil Pax las ihn. Als gespenstische Schaukel schwingt der +Wachsensteinobelisk sich aus Geschleier und zurück. Unsere +Augen treffen sich dazwischen. + +</p><p>Die ihren meinen: auch der metallene und schmale Stolz +der Spaniolin könne soviel Blondes liebend anerkennen, +denn es sei gut und von gewisser Bedeutung, und, wenn +man vieles leide, sei manchmal auch das Zweckloseste sehr viel. + +</p><p>Ich sage: + +</p><p class="indent2"> +„Hat man je den Mut gehabt, das Spiel auf +das Strenge zu richten. Man verzeiht. Man lächelt. +Niemand klagt an. O, wenn ich die Kinos alle hätt in +meiner Hand! + +</p><p>Als ich einmal jene drei Tage mit ihr durch alle Cafés +und Theater und einen unvergeßlich perlmuttenen Frühlingstag +geglitten, und aus einer Loge sie durch plötzliches +Schneegestöber in die Bahn gebracht, blieb etwas wie Verzauberung +über den Straßen hängen . . . . denn soviel Liebe +sie empfängt, strahlt sie zurück. + +</p><p>Man kann ihrer Spur folgen durch die Wüste. Morgens +kam ich nach Nürnberg, lag im Bette, telefonierte dazwischen, +durchschlief den leeren Tag. Am Abend überwogte +mein Auto aber die Brücken und Hügel der Stadt, ich +fuhr von Kino zu Kino in der von der Dämmerung entzündeten +Sehnsucht, die Blonde zu suchen, und ich erregte +am Egidienplatz einen Auflauf des Volkes, das dort noch +nie einen Wagen gesehen, wo ich in der Baracke sie fand. + +</p><p>Wie lieben die Menschen die Kostbarkeit ihrer Haut und +die erlesene Haltung ihrer Augen! + +</p><p>Piccolos zittern knabenhaft und ohne Frechheit, denn +ihre Träume haben nie geglaubt, daß so Herrliches wahrhaft +an Restaurationstischen atme und speise. + +</p><p>Kellner verbeugen sich gleich vor der selbstgeschaffenen +Königin ihrer Liebe. + +</p><p>Köche, vom Gerücht im Betrieb elektrisch erreicht, garnieren +nur ihren Fisch mit hingebender Kunst, Portiers +eilen, Chauffeure, von anderen gemietet, unbestechbar, brechen +auf unter dem Schlag ihres Namens, rasen und schmeicheln +sich, mit großer Bewegung sie grüßend, keinen Lohn +zu empfangen. + +</p><p>Nie hätte ich gewagt, zu glauben, daß dies Volk der +Sklaven, das vor verrunzelten Wittelsbachern und leberleidenden +Hohenzollernfrauen erbleichte, so viel Größe habe, +sich eine Fürstin ihrer Liebe zu schaffen. + +</p><p>Sie ist die weiße Göttin der Masse. + +</p><p>Sie lieben diese Frau um ihres Auges, ihrer Hand, ihres +Lächelns willen. Nichts weiter. Man neigt sich vor der +Wahrheit einer Legende. + +</p><p>Überall, wo ein W. C., eine Kirche, eine Kaserne sich findet, +flimmern die Lichtspiele, durchdringen die Rinde des Erdballs, +stehn auf Schiffen, in Klostern, auf Inseln, in Lazaretten, +Bordells, Villegiaturen, Steinbrüchen, Sanatorien, +Irrenhäusern, Auswärtigen Ämtern, Polizeibüros, +Landwirtschaftskammern, Redaktionen, Expeditionen, Luftschiffen +und Völkerkriegen. + +</p><p>Ihr, die ihr wach seid, die Freiheit fordert, Gerechtigkeit +liebt und gegen den pfaffenhaften Schwindel eurer Volksbildung +lächelnd und, moderne Berserker, anrückt und feuert, +die ihr den Erdball aus infamen Achseln klappt und nicht +vergeßt, dabei die Marseillaise eurer schönen Herzen zu +singen, euch, die ihr euch hingebt, duldet und tapfer seid +im Blut, schreie ich hinaus: Nehmt die Waffe. Laßt die +Theater, die Intellektuellen nur spielen und bourgeoisem +Geist, der verfettet ist wie ein Alkoholikerherz, treibt diesen +Kreisel durch alle Niveaus, Kreise und Staffeln. + +</p><p>Schiebt die Erschütterungen auf die Leinwand, von ihr +hinein in die Adern, füllt durch sie den Pulsschlag, schafft +einen Riesenkreis der Wirkung. Treibt die Besitzer der +Sauställe aus, baut Kinohallen. Enteignet diese Gesellschaft. + +</p><p>Vertreibt das Gesindel aus den Tempeln, denen diese +Frau nichts darstellt als ein Kapital von hundert Millionen, +eine Tantieme, und sehr zu pflegendes Tier. + +</p><p>Dann wird die weiße Blonde in der Stille kommen. +Der Moment der Erfüllung wird ein Blitz sein. + +</p><p>Auf daß sie nicht mehr der weiße Vampir sei, die goldene +Schlange, das helle Marderspiel, sondern daß sie eine +gewisse Demut ertrage und, von zehntausend Leinwänden +in der gleichen Sekunde herunterwandelnd, von Rosenheim +bis Chikago, Djursholm und Kapstadt, als unsere gute +Frau von den sieben Schwertern und blutroten Rosen die +Armen und Geschlagenen in Wahrheit heraufführe bis zu +der sanften Höhe ihres Lächelns aus dem Rausch der romantikverstunkenen +Löcher, in denen selbst die Verwüstetsten, +um ihren Glanz anzubeten, nie erlahmen werden, ihre +kargen Abende und die Dämmerungen des Frühlings hinzugeben. + +</p><p>Und, die heute täglich suhlt à la boche in den Lachen +der von Kocherls und Ladnerinnen umjauchzten Geschwätze, +wird vor ihnen hergehen, wahrhaftig, Instrument der Gesinnung, +Jungfrau von Orleans mit der blonden Krone +und dem liebenden Beispiel, Entfacherin echter Tränen, +guter Handlung — — — .“ + +</p><p>Lil Pax hat die Hand gesenkt, die mit den Haaren Margits +spielt, die diesen Augenblick mit vor innerer Spannung +erfrorenen Augen empfindet, und sagt: „Silberner +Vampir“. + +</p><p>Die Wolke ihrer Augenlider hat einen sehr entfernten +Glanz. — — — + +</p><p>Am vierten Tage kommen Kerstins Pferde, schellen im +Garten, treten, stampfen, werfen auf eine Säule Dampf. +Ich trete ans Fenster, fasse den Laden fest. Nehme die +Skier. + +</p><p>Folge Kerstin in ihr Haus. + +</p><p>Staune nicht. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Es scheint, als gebe das Klavier Kerstin eine bewundernswürdige +Maske von Kraft und Zorn, und die Vollendung +ihrer Hände erreiche in der Berührung der Tasten +eine Erhöhung der Töne, die sich dichter immer zwischen +sie und mein Hören stellte . . . und die langsame Verdunklung +ihrer riesigen Diele sammle aus der florentinischen +Seide der Wände und den aus Feuer gefärbten Bildern +Marées eine Stärke, die sie mir wehmütiger und ferner +entzog. + +</p><p>Sie sprang zu Chopin. + +</p><p>Ihr Rücken bog sich wie ein Coli im Sprung, und jene +Süßigkeit der Weidengerten war dazugegeben, die den März +zum schmiegsamsten und verführerischsten aller Monate macht. + +</p><p>Ich verstand die Musik nicht, die sie davontrug, und ich +fand, man vermöge wenig Sinn zu finden für dieses, wo +die Natur uns täglich säugt und wir verliebt sind in sie +mit unsterblichen Gästen. + +</p><p>Ich sage: + +</p><p class="indent2"> +„Weißt du, wie Lia von Florenz sprach und +jener Sonne Eures Ateliers und Speyer und Lucius und +jener Sinfonie, die mit Gold und Musik Ihr morgens über +die Hügel stürztet — und ich schwarz, zerschlagen, gepeinigt +vom Bild jener Stadt, in der ich diese Zeit damals verbrachte +(Stadt bestürzender Enge, niederen Behagens, wohlgenährt, +aber ohne Wollust, Stadt, der ein Schicksal +Prüfungen nie gab, feist, faul und bürgerlich und selbst zu +feig zur Sünde) — — daß ich gepeinigt nicht sagte: Dulden +ist mein Los — — sondern ins Gewitterblau der Pflaumenbäume +hinausging, am Bach Gott bat, mich hochzureißen +an den Rändern des Gefühls, mit Zorn mich anzuschwellen, +zu tränken und zu stärken, daß ich, unser dichterisches +Schicksal erfüllend, blutigen Mundes den Haß der Vaterstädte +ausrufe . . . . . + +</p><p class="indent2"> +und daß ich, weißt du noch, am gleichen +Abend, als der Berg rot flammte, Vollmond aufsprang +zwischen den Ufern, Hügel violett und bebend sich malten +auf die sie kaum ertragende himmlisch-japanische Seide, +daß ich in Eurem Boot dennoch nichts anderes tat, als +dein Gesicht zu preisen. Es war mir nah wie mein Herz, +und wie es heraufstieg aus der illustren Kette der großen +Revolutionäre und Helden Deiner Familie und das Unvereinbare +trug der Hingebung <i>und</i> des grenzenlosen Hochmuts +(über den schwarzen Brauen und unter dem rauhen +Helm der roten Haare), traf es mich in einer unbeschreiblichen +Erlösung: + +</p><p class="indent2"> +nie habe gemischtes Blut von Franzosen, +Juden, Aristokraten, Dichtern und Deutschen soviel wilde +Schlankheit der Hüften und schmerzliche Verhaltenheit der +schönen Nase in eine lückenlosere Harmonie des guten Weltbildes +getragen . . . . . und der See hielt deinen Leib wie +ein Schild mit inbrünstiger Entsagung gegen den von +Schwärmen übersternten Himmel. + +</p><p>Weißt du . . . . . als an dem Tage, wo draußen an +der Notbucht einer umschlug, und die Kreuzbö uns überfiel, +zu dritt wir uns über Backbord warfen, es drückten, +den Gesandten Teherans von zwei Meter Länge im Lee durch +das schwarze Wasser zogen, und Maria, als es ums Sterben +ging, das Focktau in die letzte Messingpumpe sog . . . . . +wie dein Gesicht allein mir lohte. + +</p><p class="indent2"> +. . . . . wie von dem Turm, +wo nach dem Wasser einer wie ein Croupier, einer zum +Land wie ein Rabe malte, jener Reiter, von Entzückung +Illuminierter, dir die ganze Nacht Feuer über die Seezunge +brannte. + +</p><p class="indent2"> +. . . . . wie wir durch die Sturmnacht auf +den Rädern um die Seebögen heimwärts rannten, und +das Aleppogeträum des Prinzen und Bagdad und Pera +unsere Herzen verband, als lägen wir Gesicht an Gesicht +in deinem Haus zu Fiesole. + +</p><p class="indent2"> +. . . . wie der große Geländeläufer, +in Davos und Edinburgh gefeiert, dich schlafend morgens +im Boot entführte und abends abreiste mit eingesunkener +Schläfe + +</p><p class="indent2"> +. . . . . wie der Ritter von Harty, dem die hohen +kriegerischen Medaillen die Brust überschwammen, die Regatta +unter deinen Augen verlor, am Strand saß und +heulte + +</p><p class="indent2"> +. . . . . und wie der Arm der Diseuse, die nach dem +Gewitter gedeutet, magnetisch angezogen dem Blitz nachjagte +und auf ihn noch wies nach zwei Stunden auf deinem +Balkon und dich ein wenig verwirrte. + +</p><p class="indent2"> +. . . . . weißt du, wie +ich die flachen Hechtsprünge machte, um dir zu gefallen, +obwohl die Narbe mich feurig schmerzte, und deine Hände, +die gemacht sind, daß, wenn man dich liebt, man sie spüren +muß oder krepieren, sie sänftigte und meine Eitelkeit linder +tadelten als dein Wort. + +</p><p class="indent2"> +. . . . . weißt du, wie, als wir am +Bach lagen, und die Idylle des Himmels und der Häuser +uns verzauberte im gläsernen Mittagssturz, jene fremde +augenmalayische Frau mit dem schönen Mund und den +vielen Steinen, die wir als große Freundin von der Freundschaft +später so sehr noch lieben sollten, das Auto anhalten +ließ und ausstieg und zu dir einfach sagte: „Wie schön sind +Sie“, als seiest du eine Wiese. + +</p><p>Aber eins, weißt du, kann ich nicht ertragen: + +</p><p class="indent2"> +Du hast +zwischen Tau, Flieder und Vögeln mit deinem Körper getanzt +in unserem Park am Morgen, und nichts blieb uns +fremd von deinem Bein und deinem Hals und den Brüsten +— — und ich habe jeden Teil durch die Luft genossen und +geliebkost wie ein Irrer . . . . . + +</p><p class="indent2"> +und kein Teil deines Körpers, +Kerstin, vergaß mich (wenn ich anders sprach, log +ich) und jeder hielt an sich, blieb bei mir und besaß mich +toll in den Jahren, die sich, während ich uneingedenk deines +Schicksals durch viele Leben dahintrieb, geheimnisvoll zwischen +dein Leben damals und dein heut verhülltes Leben +spannen, meine Freundin.“ + +</p><p>Sie stand auf. + +</p><p>Die zwei dänischen Doggen gehen vor ihr her. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Ich folge. Ihrem Rücken nach. +Ein Fischer, Kerstin, hat mich einer Frau mit weißen +Beinen aufgeladen, hielt mit der einen Hand ihren Hals, +mit der andern die Knie. Ich wurde in einem Boot gemacht. +Flog mit Störchen, blies Frösche auf, vergaß nie, +daß der schlagende Horizont einziger Freund. + +</p><p>Kam, als das Geheimnis der aufgebauten Körper mir +noch Erlebnis schien, wert nachzuspüren dem göttlichen Zusammenhang +Eileiter, Sonne, Hoden, Niere und Leidenschaft, +mit der Syphilisexpedition, mit Reagenzen, +Spiritusblasen, Zeichnungen, Wassermann, Abnormitäten, +nach Sumatra. Ätiopinnen liebten mich, wenn wir auf +den Schilfbarken fuhren. Tja—ka . . i lärmten die Papageitaucher +hinter Trontje. + +</p><p>Mein blondes Haar band die schmale Luxemburgerin im +September vor ihrer großen Heirat um ihre Zehen. Habe +an Häfen gelungert, war Photomodell, Araber im Sketsch +des Odéon, verkaufte Zeitungen vor der Opéra und quer +über die Boulevards. Wie groß war der Sandwind selbst +der Passy-Kloaken! + +</p><p>Wie stählern flog der Himmel auffeuernd hinter dem +Rußschwanz der Seineschlepper. Ich habe Tierschmalz in +den Knochen. Wohne in einem Bauernhaus, Kerstin, das +in der Sonne schaukelt auf einem Bergpfeil. Mit dem +Pfiff auf zwei Fingern hole ich den Himmel runter wie +einen Hund. + +</p><p>Was soll mir hier um dich der Plunder? + +</p><p>Sag, Antilope, blaugelber Ara, Perlreiher, kleinpupilliger +Puma, zahmer Südleopard . . . . . was soll mein Blut mit +dem Angehäuften, Verfaulten, hinfälligen Zauber, der dich +verkapselt, und den, eh die fremden Hände in diesem Haus +ihn um dich zogen wie einen Keuschheitsgürtel um deine +Schenkel und Augen, Jahrhunderte nur blutlos häuften, +verehrten, bewunderten, um allein dich abzuschnüren von +mir, von dir. Niemand kann lachen in dieser Feierlichkeit +hier. Doggen erfrieren und gähnen. Mir ist im Hals, als +äße ich Waldkirschen, Galläpfel, Holzbirnen. + +</p><p>Der Römer aus Bronze glänzt ab auf deinem Rücken. +Die sieben Knaben Donatellos werfen den Marmor auf +dich und verkühlen dich zu Ferne. Die frechen, schmalen +Stiele der Orchideen überwuchern dich mit solcher Geilheit, +daß sie der Köstlichkeit des Halses noch verzaubertere Linien +hinzufügen. + +</p><p>Und die Luft der Gobelins, gebogener Kassetten, der geschlechtlosen +Figuren des marmornen Klassizisten Hildebrandt +. . . . saugen dich auf in ein Maß der Entzogenheit, daß +selbst der weiche Staub des Wassernebels vor dir zurückfüllt. + +</p><p>Was geschieht, bezaubert, besitzt dich so stark, daß selbst +die sechs Sekunden, die ich dir über die Veranda langsam +folge, dich, um die unsere Statuetten gierig glühten am +See, Schmetterlinge und Tücher brannten, Sträuche wie +Wind wehten, daß selbst die sechs Sekunden dich verhüllen +und vermoosen und hineintauchen in dies deinem Wesen +Un-Nahe, Verhaßte, langsam Entfremdende? — — — + +</p><p>Sie bleibt stehen. + +</p><p>Ich schaue auf. + +</p><p>Die Brust des Schlosses stürzt vor meinem Blick mit +einer Glaswelle über den Abgrund. + +</p><p>Da steigt und bäumt das Gebirge draußen auf hinter +dem Glassturz, flammt im Saublut des Mittag, steigt und +brüllt und saust und sinkt hinter die glitzernde Scheibe wie +eine geblasene Spiegelung. + +</p><p>Eine Sekunde schwebt auf den Wagbalken. + +</p><p>Welches ist die Welt, die eigentlich mich explodierende, +aufschwingende: draußen das? Hier? Ist draußen das ein +Phantom, was ich liebe zum Verrücktsein, die Brust der +Alpen, an denen selbst die Schweine gut wurden, das +Hochkar, das gleich machte, das Menschliche aufschälte wie +eine Orange, Lawinen, dressierte Sturmflocken, die Mutterbrüste +der Schneehimmel, an denen wir hingen, an ihrem +fahlen Zinnglanz schmatzend, saufend, mit vollen Mäulern? +Ist das nichts, nicht ein Winterinhalt, ein Leben? Verzuckt +es hinter dem Glas? Hält nicht stand dem Leben +hier drinnen, dem wilden Geruch aus dem Jahrhundert, +der Gebärde schrankenlos aufsteigenden Daseins, verwirrenden +Gobelinsprüchen, Waffen, dem Bauch des Michelangelos +Tritonen? Wird es schon Blase. Zerplatzt, abgenutzt, +blaß, ein Nichts? Blähung, die mir ins Gesicht +fährt? Spiegelung, die mein Blut betrog. War mein +Leben umsonst? + +</p><p>Da dreht Kerstin ihre Hüfte in die bebende Sekunde +mit einer Bewegung der Achsel, wie, mit Kristianiaschwung +brausend, sie gestern bremste, als neben mir, in Hosen die +schönste Statue, sie in den flamingonen Abend mit mir vom +Gletscher schoß. Die Wagzunge bebt. + +</p><p>Die Wage schwankt, geht hoch. + +</p><p>Ich sehe endlich ihr wahres Gesicht, ihr Gesicht. + +</p><p>Mit leidenschaftlicher Durchdringung durchsüßen die Bogen +der Schneefelder, wie herübergeschienen, ihre Haare, die +Brauen. Sie spiegeln sich ineinander in tiefem Hingegebensein, +bis sie, sich vertauschend, vergehen. + +</p><p>Es war, als mische in einer unlösbaren Sekunde die +Landschaft und das Weib sich, die wir beide nur durcheinander +ganz zusammen und vereinigt unendlich lieben und +erfassen können bis zum Tode, auf ihrem Gesicht zu einer +Vollendung, in der die Glut keines Sommers, das Zucken +keiner Umarmung, nicht die Ausschweifung der Mondnacht, +keine Gefahr, Demut und Riskieren, und die blutige Wut +keines Eistages fehlte. + +</p><p>Wie strudeln die Weidenbäume märzlich herein! Suchen +Schneeflammen sich an dir zu zerstören. Tost der Kessel +vom Signal des Bobs und erschüttert der Himmel sich +mit Süße! + +</p><p>Die Wagschale saust in die Höhe. Dein wahrer Kopf +kommt herauf. Ich sprenge die Zeit von deinem Mund, +deinem Auge. Breche es auf bis ins Blut. Dein Gesicht +kommt herauf. Ist da. Ist da. Ich sehe jede Spur deines +Körpers, wie an dem Tag, da du tanztest. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Zwei Tage werde ich dein von innen mir zugewandtes +Gesicht sehen wie den segelnden Mond. Ich will dir +den Abgesang bereiten, meine Freundin. + +</p><p>Du wirst die schönste sein auf dem Wege von der Geliebten +zu der Kameradin, und das Geheimnis wird sich +in dir bestätigen von der späten Freundschaft mit den +Frauen, an deren Brust wir von der Pilgerfahrt wie an +der Mondflamme uns golden ausgeruht. + +</p><p>Dein Schritt wird als ein Echo irgendwo lauschend +stehen. Aus jedem Spiegel wird unserem eigenen dein tragischer +Stolz entgegenschnellen und verschwimmen. In +großer Brandung wird dein Gedanke mich treffen. + +</p><p>Selbst unsere seltene Ruhe wird durch dich schwebender +und gleich einer Ballonfahrtschleife, deren Klarheit die +Geräusche des Bodens in der Ahnung nur steigert, aufglänzt, +hebt. + +</p><p>Jedermann weiß, was das Summen einer Goldfliege an +Ungeheurem ist in einer Sommerkuppel. So warst du. + +</p><p>Als du kamst, sangen die Hunde dir zu in ihren Träumen. +Die Sarabande der Sturzbäche machte eine silberne +Wolke hinter dir, und dein jungfräuliches Herz verlangte +nichts andres, als guten Saft deines Lebens meinem Eindringen +entgegenzutreiben. + +</p><p>Und siehe: + +</p><p class="indent2"> +Dennoch . . . . . bringst du Unheil über mich +und alles, was ich tue. + +</p><p>Schon im Sommer barst der Riemen, verlor ich die +Wette, kenterten wir beim Halsen, mißlang eine Arbeit +von drei Jahren. Heute nacht sprang meine Uhr, raste +ein Wecker, kam ein Todtelegramm. So vieles schon treiben +die wenigen Stunden herauf, seit ich deinen Geruch +wieder spüre. Wird morgen der Sprung vom Skihügel +meine Knochen zerknacken, wird mein Schlaf mir entzogen, +erkrankt meine Niere, wird der Geliebte der Midussi, weil +sie noch bleibt, der Locke inmitten ihrer Stirne halber, +am Bahnhof mit dem Revolver mir auflauern, mich erschießen? + +</p><p>Dann bist du entfernt, und die Geschicke knallen aus +den Federn. + +</p><p>Aber ich lache. + +</p><p>Siehe den Sinn herauf der Kraft und weiche nicht eine +Minute. Gerne hielte ich, verzaubert von solchem Schicksal-Gegner, +die Hand in deinem schönen Fleisch, entzückte +Parade, und mein trommelndes Herz wäre jede Sekunde +bereit, durch die Tranches, die Fahnen, Tanks und die +Marne des Schicksals hindurch sich zu schlagen. Denn +siehe: ich kann nicht leben, wenn nicht mein Ehrgeiz +Flamme speit gegen Widerstände, Schicksale abdonnert, +sich riskiert — und der Condottieri meiner Adern aufbricht, +steigt, strömt vor Stolz. + +</p><p>Aber du. + +</p><p>Du hast deine Schönheit in wechselndem Spiele ausgeliehen +an die Dinge, die um dich sind. Es liebt dich +jeder Baum, jede Wiese und jeder Himmel. Zu festes Halten +ist Tod aber für die großen Liebenden. Deine blumenhafte +Zartheit abzulenken vom sanften Gleiten deiner fatalen +glückhaften Bewegung in die anderen Zustände deines Verweilens, +zerstörte nur deine kostbare Form. Es heißt zurückgeben +dich an das Viele, dem du gehörst, Entzogene den +Leberblumen, dem Kiesweg, dem Hochkar, den Matten des +Forellentals und Weidentroddeln der Bäche, den Dörfern, +Gehöften. Sie lieben dich alle, warten in Sehnsucht. Ich +kann sie nicht ersetzen, nicht immer um dich sein, dich nicht +mit tausend Vertauschungen sehnsüchtig halten. + +</p><p>Wie sollte ich leben? + +</p><p>Nur auf der Höhe der weit und wie Pfauenräder verwirrend +geschwungenen Gefühle uns begegnen, durchdringen +und kulminierend besitzen — — wie schön unser Schicksal. + +</p><p>Du wirst nicht weinen. + +</p><p>Der Abendgesang der Berge ist wie Glas. Regenbogen +des Mondes spielen darauf. Die Schweife der Pferde +sirren dir nach: Geliebtes. + +</p><p>Selbst Lil Pax wird in den guten Stunden ihrer Krankheit +beten, daß du sanft durch den Abschied entgleitest und +gut es hast, bis idiotische Schaffner den Morgen aufgellen: +Fiume . . . Buccari . . . Czirqueniza . . . und milde See +dein florentinisches Lächeln spiegelnd tragen. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Die Leidenschaften haben sich erfüllt. Selbst die Trennung +ist da eine heitere Bewegung. Man muß zu +leben wissen und sich einrichten. Man trägt den Kopf nicht +zwischen den Schultern nach hinten. Hinter Gewesenem +seufzen? Die Sentimentalen haben nie eine Frucht aus +der Leidenschaft gezogen. Daß etwas so war, ist eine Herrlichkeit. +Schied es in Harmonie, welch ein Besitz! + +</p><p>Als ich mit Lil Pax am Abend um den See fuhr, +hatte Uga, die Bronzenymphe des Grundes, ihre Lage verlassen +und es schien, daß sie sich mit Bauch und Gesicht +ein wenig gegen den Wagen hin unter der grassilbernen +Oberfläche bewege. + +</p><p>Das Grün kam aus der Tiefe um ihre Glieder mit einer +Stille herauf, daß dieser wundervollen Bewegung nur der +Mond noch jene gewisse Starre hinzuzufügen vermochte, mit +der er riesenhaft die Fahne der Schneefelder entrollte. + +</p><p>Der Mund neben mir lächelte voll Zurückhaltung. + +</p><p>Es gab nichts mehr in der Dämmerung als die selbstverständliche +Bewegung der Nymphe. Um Baum und Eis +und Pferde schwankte ihre Erinnerung. Dem Lauf der mondmagischen +Berge gab sie das Maß ihrer Gegenwart. Wir +fuhren durch die Fichten wie durch ein Spalier dieser Anmut, +wenn sie sich in dem Reif bewegten. + +</p><p>„Kann man“, sage ich, „jetzt noch den Mut finden zu +glauben — und sei es nur der Sportlichkeit der Vergleichung +halber — daß eine unter der Masse jüdischer Rodlerinnen, +Danziger Offiziersfrauen, der Filmerinnen, bebuster +Antiquariatsweiber, württembergischer Reichsgräfinnen, +der Pilules-Orientales-Breeches, der Dichterinnen, der +A. E. G.-Direktricen . . . . . daß eine nur vermöchte, dieser +göttlichen Bewegung sich anzugleichen und auch nur annähernd +dieser Überlegenheit nahezukommen . . . . + +</p><p class="indent2"> +daß eine vermöchte, +zwischen dem zarten Rosa der hochgeschwungenen Wade +und den breiten dunklen Schenkeln, Kniescheiben von dieser +Kleine und Rundung zu wiegen und die stählerne Wucht +der Jägerin auf so verengten Hüften zu heben, daß Kerstin +selbst diese Linien der Göttin nur in ihren besten Stunden +ertrüge . . . . . . + +</p><p class="indent2"> +daß zwischen hirnlosen gelben Husaren im +Schlitten solch unirdische Geste irgendwo hier aufzustehen +vermöchte, und daß unter der Verbrämung der Pelze der +Blick einer solcher Anmut gleichkommenden Frau den Horizont +absuchen könne bei den idiotischen Foxtrottphrasen der bayrischen +Flachstirnen . . . . . . + +</p><p class="indent2"> +daß am Tisch in der Nase bohrender +Tanzdivisionäre, korsettierter Hochstapler, kastrierter +Erlauchte, gemalter Perlenweiber eine so gestaltete Frau die +Angst der rasenden Großkapitalisten umschwirre . . . . . + +</p><p class="indent2"> +daß +sie eintrete in von jüdischem Kommerzienrat mit dunkelbrauner +Glatze und schlechten Knickerbokkers ihr geöffneten +ausgehaltenen Appartements . . . . . . + +</p><p class="indent2"> +daß vielleicht auf dem +Eliteball der geflüchteten Aristokratie sie heimlich ihren +Fächer trüge, und, in weißen Handschuhen und Hofballpantomime +in schäbigem Restaurant die verfallene Zeit in +den kleinsten Symbolen aus Trotz betonend, vor Spartakiden +jede Minute erzitternd, zwischen schlecht geratenen +fürstlichen Kuriositäten und vermiesten Exzellenzen in steifen +Tänzen stünde . . . . . . und vielleicht sogar in einer unheilvollen +Sekunde dem fehlenden Kinn und der Grande-Bouche-Chevalerie +des hohenzollernschen Reichspinguins +entsetzlich verfiele . . . . . . + +</p><p class="indent2"> +und daß in der plötzlich ausgelöschten +und ohne diese Erinnerung freudlos gewordenen +Schneesteppe überhaupt irgendwo, daß in Hotels, auf Bobs, +bei Sonnenaufgängen, in gescheiterten Schlitten, bei Skistarts +sich die grenzenlose Überraschung solch göttlichen Lächelns +zu entfalten vermöchte, an dessen Entzündung die +Leidenschaften erst sich zu entwickeln vermöchten in die +märchenhafte Höhe . . . . . . — — — + +</p><p class="indent2"> +Aber alles in mir wird +nun trotzdem die entsetzliche Bemühung antreten, dennoch +ein lebendes Ebenbild zu finden, das, ebenso erlesen und +dieser Gebärde an Schönheit vergleichbar, der frauenhaften +Adligkeit Kerstins auch noch das Unbegreifliche der Göttin +hinzufügte. Suchen wir. Es gibt keine Phantasien.“ + +</p><p>Aber es kam scharf aus den Pelzen, die einer Wolke +gleich über dem Wagenbord flauschten: + +</p><p class="indent2"> +sie vermöge in Wunsch +und Absicht dieses Planes schon nichts anderes zu sehen +als jene maßlose Überhebung unserer Rasse, die, ohne Übergang +der Kulturen, das Herrliche sofort für sich requiriere +. . . . . und die wir glaubten, pathologische Athleten, neben +der Dummheit den Mut der Stiere als Erbschaft tragend, +auch das Gezüchtetste und Überirdische neige ohne Bemühung +schon sich unsrer Ungestalt als natürliche Beute +. . . . . . + +</p><p class="indent2"> +und daß das kindische Haschen (und nicht begehrenlos +Ertragenkönnen) nach der göttlichen Spiegelung mit +seiner rohen und nur auf Gewalt gestellten Äußerung in +seiner naiven Zufriedenheit schon jener unendlichen Rührung +nahekomme, mit der der Glaube unsres Volkes, Gott habe +vor anderen es auserwählt zur Herrlichkeit (obwohl er es +mehr wie irgendein anderes als Sklaven gestempelt und +täglich vor die Tiere warf) seine schwarz-weiß-roten Patrioten +als so besonders arme Akkoucheure des Glückes erscheinen +lasse . . . . . . + +</p><p class="indent2"> +und daß schließlich doch nur Besessene +und Wilde das Unmögliche nicht zurückschrecke, die wir auch +nach der tragischen Lächerlichkeit unserer Revolten seit der +Reformation bis zu den Bolschewiken das Bittre unserer +menschlichen Unvollkommenheit immer noch nicht als Verworfenes +erkennten . . . . . und unserer Rasse tiefste Mischung +von Roheit und Sentimentalität auch in den überlegensten +Minuten nicht verleugneten . . . . .: Barbaren der Sehnsucht. +— — — + +</p><p>Wieder überflog ihr Auge und den Mund der Charme, +der an ihr Leben bedingungslos band, und der auch in +der Anklage dem Gezüchtigten Bewunderung nicht entzog: +„Immer“, klagte sie, „sind die erstaunlichen Vögel seewärts +gezogen und ins Meer gestürzt. Man kann sie nicht hindern.“ + +</p><p>Ich wende mich den Pferden zu vor Lachen. + +</p><p>In ihre Kosakenpupillen ist plötzlich das Grün getreten. +Auf dem Bach zur Linken flimmert es in Kreiseln. Der +Hohlspiegel der Gletscher wirft es mit Scheinwerfern herauf +über die Schneeprärien. Die Erinnerung der Nymphe +ist aus dem Spalier der bereiften Bäume heraus bis vor +den Himmel gedrungen. Alle Entgegenkommenden haben +Seefarbe über den Brauen. — — — + +</p><p>Da liegt nun das Leben zum Suchen. Die Leidenschaften +sind in die größte Spannung getreten. Man sollte das +Unvergleichliche nie erblicken. Man tötet sich aus Sehnsucht. + +</p><p>Wann hat das Göttliche je sich heruntergeneigt? + +</p><p>Ich finde es trotzdem. + +</p><p>Das Glück ist eine Hure für junge Leute und bereit +für die zwischen Zwanzig und Dreißig den Traum einer +Taille zu bestätigen. + +</p><p>Uga! + +</p><p>Ich finde deine Bewegung wieder, mit der du das +Wasser deines Sees ein wenig erregtest und ich zittre, du +seist es selber, so sehr hat die Frau, die auf Skiern +nun steht und gegen das Gebiß der Gebirgszüge hineinschwebt, +deine Kraft und deine Kühnheit. Sie hat die +Hände in den Taschen und fährt mit karierten Breeches, +die die Bluse wie einen Kelch heben. Man muß sie auf +Skiern erreichen. Es ist eine wahrhaftige Jagd. + +</p><p>Uga! + +</p><p>Ich hole sie ein. Es ist unmöglich ihr einen anderen +Namen zu geben. Ihre Haltung hat nur etwas Durchbebteres +wie von einer Gazelle in den Hüften und von +einem Schwan etwas Kühle um die Schultern. Sie erstaunt. +Sie stellt sich. Ich sehe ihre Hände, ihr Gesicht. +Selbst der Unmut ihrer Braue hat eine Richtung, als vermöge +er sich aufzulösen und wegzuschwinden mit ihr in andere +Gegenwart. Ich wische mit leisen Worten ihn weg. + +</p><p>Wir fahren zugleich ab, ich lasse ihr jeden Vorsprung, +bemühe mich, daß sie auf mich, die Gewandtere, wartet. +Aber auch ihr stolzes Lächeln hat keine festere Begründung +als ihr Zürnen. Kein Horizont hinter ihr. Wenn ich ihr +Leben weiß, bin ich soweit wie am Anfang. Um dies +Lächeln zu sehen, tausche ich die Qual es nicht ertragen +zu können? Welches Scheitern! + +</p><p>Mit großen Schwüngen nehme ich die Führung plötzlich. + +</p><p>Göttinnen lieben zu entgleiten. Aber sie gleiten mit +Skiern nicht den Berg hinauf. Sie folgt geschlagen ins +Tal. Eine Woche bleibt vor uns: bebauen wir unseren +Garten! Ball, Pferde, Schlitten, Spieltisch, Bobs, Skijöring, +Musik hinein in die Woche. Heran nun Tag auf Tag! + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Wir nähern am dritten Tag uns dem Kloster. +Dem Wagen tritt in Parade Stück auf Stück +der Landschaft entgegen. Der Kamelberg mit dem Tagmond +schmal gezeichnet kniet vor das Tal. Die Madonna +sieht, mit der großen Zehe den Zeiger der Sonnenuhr weisend, +herüber zu Uga. + +</p><p>Sie zeigt das Raubtiergebiß, das Lachen der jagenden +Diana. + +</p><p>Wir nähern uns dem Kloster. + +</p><p>Gold, blau und zärtlich im Weiß summt die barockene +Kuppel in das fließende Hell, im Schweben von dem Aufstieg +des Korbinian, Katharinas, Benedikts, Sebastians und +der Heiligen Familie begleitet. + +</p><p>In der schwelgerischen Bläue steht die lateinische Stimme +des Präzeptors rund und hoch, eine Lobpreisung. + +</p><p>Der Chor der Pagen, die ciceronische Perioden reiten, +geht im Kreis in sanfter Herde die welligen Raine hinauf +über die Zacken bis ins Licht. + +</p><p>Selbst die Gäule haben die Stille erfahren und traben +an der Bergschlucht zum Brunnen mit einer Übereinstimmung +der Hufe, als liefen sie in den St. Leonhardstag, +an dessen Dämmerung die Pferde eintreten in ihre eigne +lange und einsame Prozessuale. + +</p><p>Aber wo die bayrischen Aristokraten mit Flüchen auf die +Revolten, falschen Pässen und in Mönchssoutanen durch den +Hohlweg nach Österreich flohen, haben die Fahnen der +Weidenbäume über dem Schnee sich so gesenkt, daß das +seidene Rot von Ugas Mantel plötzlich von gelben blühenden +Fransen umweht liegt, und selbst der Duft der Seidelbaste +heruntersteigt und sich mischt in die Huldigung, die der +frühe Frühling mit Himmelschlüsseln und Krokus um sie +entfacht. + +</p><p>Selbst die Nässe, die vom Humus den Geruch des +Frühjahrs zu der Bewegung der springenden Knospen +hinaufträgt, scheint sich an ihr mit allen Düften, von +denen die Luft sich schüttelt, zu entzünden, und jedes Element +und jedes Ding scheint bereit sie an sich anzugleichen. + +</p><p>Wenn sie kein Fohlen wäre im Mutwillen ihrer Gelenke, +in jedem Traumzustand der Wünsche würde sie als +Forelle mit mir schwimmen in allen Bächen, die Abfahrt +der Hügelfläche zum Haus Chrystophorus mit mir fliegen als +mein Hikory, als mein Motor jubelnd mit mir schweifen +über die Pässe. Welch sichere Gegenwart! Und würde +nicht, der ungewissen schattenhaften Wildheit eines Tieres +gleich, das mein Gefährt nur wie auf Sekunden begleitet, +erst durch die scheue Berührung ihres Blickes die Sicherheit +eines Lebens und einer glühenderen Gegenwart mir geben, +deren Kühnheit mich erst völlig in den Rausch des Tages +hinein begeistert: + +</p><p class="indent2"> +O ein Holzhacker sein zwischen der Chaussee +und dem Wildbach! Briefträger zwischen den Leberblumen +und Gletschern! Biene über den Kätzchen! Pferd nach dem +Bergsee! Die rote Weste des Postillons, der die Kurven +zum Pisaner Gnadenbild fährt, vor dessen elfenbeinerner +Schönheit die Bauernmönche des Klosters täglich erschrecken. + +</p><p>Da spüre ich den Druck ihres Knies. + +</p><p>Von nun ab hat sich der Atem des Tages um sie zu +einer Süße erhoben, um die nun alles ohne Abwehr kreist +und fliegt. + +</p><p>Und während wir, in den Schleifen der Straße hängend, +herauf und herab uns bewegen an der Seite des Gebirgs +zum Tal, sehen wir, wie die Eisberge spielerisch sich neigen +und heben und, sausend auf der Schaukel der Seligkeit +gewiegt, aus dem Fasanrot der Ebene sich hineinbegeben +in den gleichen Takt. + +</p><p>Mit gewechselten Pferden geht’s in den Abend weiter. +Fünf Fackelwagen liegen über uns in der Spirale. Die +Feuerscheine huschen flackernd über Ugas Gesicht, ich sehe +sie nicht deutlich. + +</p><p>Ich kann jedoch, mit klopfendem Herzen die Pferde nicht +in den Umwegkreis zum See verleiten, wo durch die Konfrontierung +mit der bronzenen Schwester ich den Zweifel, +sie sei es selber, verlieren müßte, und, spiegelnd, das schöne +Bild sich vollzogen hätte: + +</p><p class="indent2"> +daß der kühnen Bewegung der +über das Grün des Wassers gebeugten Diana das schwermütige +und wilde Lächeln der Nymphe vom Grund herauf +entgegengetaucht wäre in einer beispiellosen Vollendung. + +</p><p>Doch unter dem Eindruck ihres lautlos geöffneten Mundes, +wie vom Feuer aufgesprengt, heben die Gäule die +Hufe und die weißen Bäuche senkrecht auf und biegen gegen +die Kandare herum in den Lauf der anderen Wagen ein, +den beschwerlicheren Weg mit hingebender Geduld hartnäckig +wählend, den Terrassen zu, um über dem eisern und +grau vor das Bergmassiv genieteten See den Morgen mit +der Brandlawine zu erwarten. + +</p><p>Als das Bankett uns dann trennte, hatte die schöne +gipsern geweißte Frau des Amerikaners neben mir nicht so +viel Fähigkeit mich abzulenken, daß mir auch keine Zuckung +an Ugas Arm unter dem Ärmel entging. + +</p><p>Meine Vermutung weiß, ohne daß ich es sehe, vom +Ansatz der Knöchel aus deutlich, wie braun sie ist bis in +die verschwiegensten Falten der Übergänge des Leibes, und +die Haut, die föhnig den Körper überfliegt, hat nur die +eine prächtige Stauung, wo sie den dunklen Hügel der +Brust heraussprengt. + +</p><p>An ihren Beinen sieht selbst der nur nach schlanken +Jünglingen hingewandte Flieger Sofias, daß, mit solch +verschlungen gestählten Sehnen, sie, auf einer Kugel stehend, +Tage verbringt, im Gras über Hügel und Raine hinspielend. +Denn die erlesenen Muskeln, die groß und gedehnt +geworden sind im Streifen durch die Sonnenkringel der +Buchwälder und des Jagdparks, gehen in der Verwegenheit +der Spannung so weit, als sei jeder ein junges Tier. + +</p><p>Aber mein Herz erhebt sich nicht. Von dumpfem und +angstvollem Pochen gefüllt hält es an. Denn wenn das +Lächeln ihr Profil erhellt, fällt sie so sehr über die anderen +weg in eine Sphäre, die mich erbleicht, daß auch das weiße +Glänzen ihrer spitzen Zähne nicht die heiße Furcht zu bannen +vermag, daß unter den Kanten des Tischs ihr Leib in +einer kristallenen Flosse sich manchmal vollende. + +</p><p>Ich sehe, die Nacht steigt herab. Der Mond hat im +Zenith den Schnee blau geflaumt. Ich sehe das Kap des +Bergmassivs immer wieder, wenn der Schlitten, der mit +den anderen im Kreis jagt, es umbiegt. Mit tragischer +Maske hält das Gletschergesicht sich monden verhüllt. Dunkel +brüllt unter dem Hufschlag das Wasser gegen das Eis. +Ich sehe noch durch den Traum des Jagens die Männer mit +Dolchen und Lampions rufend auf die Leitpferde springen. +Da beginnen die Blaumeisen aus dem Frühlingswald im +Tal unsichtbar die Frühhelle süß zu durchsingen. Ich hole +den Wagen Ugas ein, es fällt mir von den Augen: weg +die Betäubung, welche Klarheit! + +</p><p>Die Sonne zuckt eine Minute, dann schwillt sie vor +riesenhafter Bewegung. Als sie den Gipfel des Gletschers +erreicht, verrauscht das Seidene der Luft. Der Himmel +zerbricht, die Lawine gleitet, welche flötenhafte zerbrechende +Musik! + +</p><p>Ich sehe Ugas Auge zittern. Ich habe Verachtung plötzlich +auf meine Unsicherheit um das Verflüchtigende ihres +Wesens. Ich durchdringe ihr Auge, während die Brandlawine +märzgroß im Donner herankommt. Als die Felsen +sich bewegen, hat sich das Dunkel ihrer Pupille geweitet. +Wie ich eindringe, sicher, morgenlich, schön umsungen aus +nun erhellten Frühlingswäldern, das bis zum Weinen verengte +Herz von den Vögeln golden erhoben, weiß ich eine +Sekunde lang sicher, daß ich sie nie mehr, die Flüchtende, +verfolge, sondern daß ihr Lauf immer mir entgegen sein +wird, und daß eine andre mit achatnen Augen den See +bewohne. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Sie wird nicht über den Strich eines Gedankens, nicht +über die Länge der brodelnden Wiese entweichen. +Nachts wird sie manchmal nur schreien. Sie wird sich der +Männlichkeit, die sie einmal besaß, nicht mehr entreißen. +Man flieht nur, was man nicht kennt. Das Blut versöhnt. +Man gab den Amazonen kein Vorrecht. + +</p><p>Als ich im Schneegestöber sie kommen sah, den Mittag +zu durchstreifen, in Breeches, wie irgendeine schöne Frau, +durchfuhr mich Rührung, sie nicht mehr so sehr hingegeben +zu sehen an die Mächte, denen sie mit einer gewissen Blässe +des Auges, wenn ich heftig nach ihr Sehnsucht trug, bisweilen +gehörte. + +</p><p>Sie trug die Gelenke des untersetzten Jägerinnen-Körpers +in einer dunklen und erlösten Herbe, und langsam, während +sie die lange Straße heraufkam, schlossen mit hängenden +Zungen und nach ihr gerichteten Augen an sie, die den +Knäuel leicht nur mit den Fingern wehrte, die Hunde von +Tür zu Tür in Meute sich an. + +</p><p>Uga! + +</p><p>An den Riedhängen entging es sogar der knurrenden +Gefolgschaft deiner Tiere nicht, daß, tief grüßend, der +Reichspinguin einen Bogen um deinen lärmenden Einzug +schlug und nicht in die Nähe der glühenden Lefzen gelüstete, +über denen deine kleinen Hände spielten. + +</p><p>Du lachtest noch, als wir auf der Hügelkuppe in das +Haus des Matrosen traten, der, fünfzig Jahre die Welt +überwandernd, immer neu hingerissen nach Äquator und +Pol und Wendekreisen seiner bäuerlichen Sehnsucht, das +Seltsame der Erdteile in seine Höhle stapelte . . . . . . und +du in einem Regen dich umschwingender birmanischer Harfen +und Phalloswurzeln, Haimaulen und Palaumasken so +im Schatten standest, daß nur das Weiß deiner Iris im +Samtdunkel wie ein Dolch sich bewegte. + +</p><p>Ich sage: + +</p><p class="indent2"> +„Deine Gefolgschaft . . . . . + +</p><p class="indent3"> +Graf Cantacuzene +umschleicht dich nur noch fern und Wrede wächst ein Geweih +vor Eifersucht, wenn du, zur Meute gewendet, einem +Anderen deutlicher das Gesicht zuneigst. Dein Park von +Edelgetier schweißt gegeneinander und stampft vor Zorn, +Bohan zerschmettert am Meilenzeiger bebend seinen Stock, +den seinem Großvater ein dicker Kurfürst dedizierte aus +Gnade und Dank für die Errettung vor einer Sau, wenn +er dich nicht antrifft . . . . und Sailern vermag (oben +Lénau, unten Mikosch) nicht einmal mit seinen gewonnenen +Schlachten und der Zartheit seines von Frauen sehr gerühmten +Schulterknochens über seine Niederlage bei dir sich +zu trösten. + +</p><p>Der rosendünne Morgendiskant Uwaroffs ist unter +deinem Zimmer verstummt. Saluzifsky hat den Zirkel +um den Spieltisch in resignierte Enge gezogen. Und der +seltsamerweise deinem Gang geneigte knabenliebende Ski-Dioskure +hat nicht unterlassen, in rotem Sweater und +gelben Gamaschen den Falsett seiner schneidenden Kindlichkeit +auf seine Nebenbuhler zu hetzen. + +</p><p>Aber wie kann selbst die Kläglichkeit solch halbseidener +Haltung und die Kretinerie dieser Drohnen nicht die Würde +verletzen, die den wahrhaften Kern einer gezüchteten Rasse +so hoch in die Jahrhunderte begleitet hat, und wo Hohn +und Spott nur immer noch sehr kleine Korrekturen bedeuten +können einer Bedeutsamkeit tiefsten Sinnes! + +</p><p>Und die zu bekämpfen heute nur die weltfremde Idiotie +deutscher Dichterknaben und orgiastischer Revolutionäre ermöglichen +kann, die, trotz Umsturz und Revolte um hundert +Jahre verspätet, durch ihre Ahnungslosigkeit der Vorgänge +die allein feindliche Widerlichkeit arrivierter Bürgersöhne +und Kopisten adliger Gebärden noch nicht zu erfassen die +geistlose Dreistigkeit besaßen. + +</p><p>Lächerliche Blague! — — — — + +</p><p class="indent2"> +Wo niemand begreift, mit +welch ahnungsloser und erlauchter Schönheit die wirklich +adlige Rasse der Staufer und Kreuzzüge neben der ihnen unverständlichen +Zeit her in den Abgrund hineingeht, und wo +selbst die besten und raffiniertesten Exemplare nicht einmal +soviel Barriere-Mut aufzubringen vermögen, daß (was ihre +Sache immer wieder gerettet) nicht einmal Deserteure zeitweilig +ins feindliche Lager übergingen . . . . . . + +</p><p class="indent2"> +wo zwar +das Gemecker eines ehemaligen Königs über seine eignen +Stiefelspitzen in seiner namenlosen Albernheit von derselben +Widerlichkeit berührt wie die Brillantenschiebungen des süddeutschen +Prinzen und die Massierung der Grenze im +amerikanischen Auto (und Diplomatenpaß) voll Antiquitäten +. . . . . . + +</p><p class="indent2"> +wo zwar die Kavallerieattacken des württembergischen +Generals am Bakkarattisch des Kurhauses zwischen +Schiebern und aufgekommenen Zuhältern in ihrer Wurstigkeit +um den Brand des ringsum angezündeten Europas +noch glänzender berühren als das schwachsinnige Gekeif +gegen die Republik der ehemaligen popogescheitelten Beamten +. . . . . . + +</p><p class="indent2"> +und wo erst recht die theoretische Hingabe +an den neuen Zustand vereinzelter Freunde in seiner Ehrlichkeit, +Zögerung, Bedingtheit nur die ungeheure innere +Befremdung und lediglich von adliger Gebärde überglättete +Hilfslosigkeit anzeigt. + +</p><p class="indent2"> +. . . . . . Wo sie bei Eisners Ermordung +zwar Faschingsbälle abhielten, während in München Hunderttausend +eine Blutwolke wie nie seit den Hugenotten zu beschwören +nah waren . . . und bei der Baltikumer und Kapps +ungenialer Harlekinade foxtrottend wahrlich hinlänglich bewiesen +ihr Désinteressement an Deutschland, das freilich +ihre Herrschaft nicht nach der französischen Revolution geknickt, +sondern nur in seiner bubenhaften politischen Nachlässigkeit +es unter dem zweiten Wilhelm zu so falscher und +maskeradenhafter Herrlichkeit der siebentklassischen Leute +hatte werden lassen. + +</p><p class="indent2"> +. . . . . . Wo die Entfernungen zwischen +den geistigen Trägern der Rasse und den Aristokraten so +irrsinnig sich verzogen haben, daß den meisten adligen +Exemplaren in Deutschland sogar der Künstler, mit dem +sie gern früher sich mischten und den sie trugen in die Höhe +der wundervollen Epochen . . . . daß er ihnen ein Wesen +geworden, bestaunbar wie ein Papagei in seiner Fremdheit, +ein Pudel, halb blau und halb grün, und den sie nur +fürchten oder hassen oder sich ihm unterwerfen, wenn seine +Breeches besseren Schwung besitzen und seine Ledersachen +und Reitzeug eine noch kühnere Diskretion verraten wie +die ihren. + +</p><p class="indent2"> +. . . . . . Und wo schließlich die falsch angesetzte +antisemitische Parole, von rotgemalter alternder Duchesse +mit den Pistons ihrer Zahnplomben aber auch den Pauken +ihrer Hüften angegeben, zwar weder über die Unasiatischkeit +ihres Stammbaums noch über die Fragwürdigkeit +ihrer Vergangenheit hinlänglich beruhigen kann . . . . . . wo +die Ohnmacht der ungarischen Gräfin, die alle Mädchen +verführte, beim Namen eines der gehaßtesten revolutionären +Führer . . . . . . ebenso wie das goldene Kettenarmband +um den Skistrumpf der Hessin . . . . . . und der meskine +Bürgerwehrschwindel und Antibolschewistenpathos älterer +bäurischer Offiziere in seiner falschen und bourgeoisen Verplamperung + +</p><p class="indent2"> +nichts zwar als unser breites und vollendetstes +Gelächter bereit findet, + +</p><p class="indent2"> +. . . . . . . die wir, auf härteren +Seiten des Sternbogens stehend, aber auch mit Wollust +alle Höhen überschweifend, keine Sekunde unterlassen werden, +die Albernheit der menschlichen Figurinen unerbittlich aufzuzeigen +. . . . . . und die wir, bereit jede Sünde gegen Welt +und Freiheit bis auf das Blut zu bekämpfen, auf keinen +Reiz und selbst gegen das Herz hin irgend einen Pakt der +Gemeinsamkeit mit irgendwelchen Obskuren (von welcher +Seite auch immer) schließen würden. + +</p><p>. . . . . . die wir aber dennoch nie umhin können, +hinter den besonders publiken kleinhirnigen Ausnahmen +den großen Blutgeruch der Züchtung und Erlesenheit triumphal +zu spüren und, bejohlt von den Polizisten von +links aber eiskühl bis auf die Nägel darüber, gerade in +diesem Versagen das Erlöschen der Rasse wie langsam gewordene +Scheinwerfer auf die tragische Epoche zu empfinden +und zu lieben . . . . . . und bei den Frauen diesen bewundernswert +schlanken Hineinritt in die Röte des Sturms. + +</p><p>Wie ungewöhnlich unbeträchtlich sind in der Ausübung +ihrer Mission und der Handhabung ihrer Berufung die +aristokratischen Wölfe geworden, aber wie glänzend und +liebenswert blitzt noch das Gebiß dieser Feinde der Freiheit! + +</p><p>Denn auch du, die du zwischen den Dörfern die Schneeobeliske +der Hügel, den Stock mit dem Seidentuch daran +in der Hand, gestürmt hast, und in deren Kehle der Blutruf +der Kriegsgötter neben den der großen Jägerin trat, auch +du hast nichts in deiner göttlichen Entferntheit als Unverstehendes +und Gleichgültiges zu Zeit und Qual dieses armen +und geschundenen Volkes . . . . . . denn du bist so sehr von +durch die Jahrhunderte erlesenen Instinkten geleitet, daß du, +Zeitlose, die Gesellschaft der Hunde deiner Wahl jener der +nicht gut gezüchteten Menschen unbedenklich vorziehst. + +</p><p>Und ich liebe dich auch dafür. + +</p><p>Auch wenn du an einem Fenster einmal stündest, unter +dem ich füsiliert würde oder erschlagen, und von dem Fenster +in naiver Laune und unwissend, in wen der Donner einschlug, +dem Sieger mit einem Tuch zuwinktest, das ich +dir einmal schenkte. + +</p><p>Denn ich liebe dich um deiner Fülle von Rätseln, um +deiner Widersprüche und deiner Entferntheit und nicht zum +wenigsten darum, daß du selbst sogar vielleicht bereit bist die +mykenische Lanze gegen meine Brust zu schleudern. Ich bin +ein Kind der Erde und freigiebig auch in der Preisgabe, +aber voll von Lust auch, sie ganz zu umfassen und in +der entlegensten Äußerung zu begehren. Ich bin nicht ihr +Affe, nicht ihr Sergeant, sondern ihr Geliebter, auch im +Kampf. — — —“ + +</p><p>Sie hat einen Bogen der westlichen Papuas in der +Hand, und es ist kein Unterschied zwischen ihrem Schenkel, +dem Bauch, dem Nacken und der Spannung des Instrumentes. +Hinter ihr ist rotes Glas, darüber weicher aufgerißner +Himmel. + +</p><p>Und während sie den lautlos den Garten durchjagenden +Tieren zuwinkt, steht ihr Gesicht mit der seltsamen kurzen +arischen Nase wie eine metallene Maske in dem Rubin +. . . . . . ohne Rührung, als sie der Feinheit der Glieder +die bedeutende Kraft der Lenden zu solcher Bewegung +hinzufügt. + +</p><p>Der alte Matrose hat den dressierten Affen gelöst und +ist mit ihm in die Beete gegangen, wo er, mit Schneeglocken +winkend, aus den halslosen breiten Schultern den +eisgrauen Trollkopf erhebt. + +</p><p>Denn auch er kann nicht ruhig neben ihr bleiben ohne +Huldigung, ihr nicht wie irgend einer anderen um Geld +Schlangen aus Peru, Eier vom Sudan, Mumien, zirkassische +Amulette der Liebe und andere Symbole seiner schweifenden +Sehnsucht zeigen, während neben ihm zwischen der +weißen Wolle des Koptiabaums plötzlich sie die Schultern +aufzieht und in der Veranda wie in einem Tigerwagen steht. + +</p><p>Du willst Lil Pax sehen, Uga. + +</p><p>Aber ich schüttle den Kopf. + +</p><p>„Nein.“ + +</p><p>Denn ich kann dieser schrägen Richtung deines Blickes nicht +folgen, Uga, die blühende Sicherheit deines Atems Lil Pax +entgegenzuführen, denn ich weiß nicht, ob sie geneigt ist, +soviel tierischer Anmut sich hinzugeben. Die sie entführende +Wolke ihres Schicksals schiebt sich immer tiefer und geballter +unter ihre Füße. Und ich will nicht, daß, von soviel +unübertrefflicher Geschmeidigkeit deines Lebens getroffen +die jüdische Madonna einen Augenblick nur erstarrt vor der +kugelbrüstigen Diana. + +</p><p>Denn du bist von ihr getrennt durch alle Zonen des +Blutes und in deiner fürchterlichen Mischung, die von der +Grausamkeit der Göttin bis zur elastischen Stärke der +irdischen Hüften sich wundervoll ausdehnt, zu weit entfernt +von ihrem Pol des Entsagens, als daß du nicht ohne Gefahr +der Zerstörung zu plötzlich mit ihr zusammenstießest. + +</p><p>Ich liebe dich, Uga. Ich habe mit einem Zittern des +Herzens und nicht ohne demütigen Eifer meine Sehnsucht +der deinen genähert. Du begrenzest in einer unnatürlichen +Höhe alles, was nur Wünschbares bis zum Unmöglichen +mein Blut durchfährt. + +</p><p>Aber Uga, wenn du die weitesten Kreise, die von dieser +Frau zu dir gespannt sind, durchjagst, auch durch die Kreise +deiner Vollkommenheit, Uga, empfinde ich nichts als ihr +Schicksal. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Wir fahren nach einer Schneehütte am Gletscher. +Die Woche senkt sich. Die Einsamkeit steht zwischen +uns und den Menschen, das ist Glück. + +</p><p>Brächten Bauern auf ihren Ochsenschlitten Flieder statt +Heu auf unsere Höhe, während sie schläft, in der Sonne +vor der Hütte, ich dächte, der Himmel, der herabkommt +auf ihren Busen, habe ihn abgeschneit. Die Lichter der Taldörfer, +der Berghänge unten sind am Hintergrund unserer +Einsamkeit aufgezogene Zeichen der Menschen, die wir geheim +verlachen in unserer Ruhe. + +</p><p>Nur einmal, als dumme Passanten, halb getötet vom +Aufstieg aber ihre Niedrigkeit mit sächsischem Geschrei schamlos +preisgebend, uns nahten, hatte sie Gelegenheit, mild +und im Erklären sich neigend, eine Größe zu beweisen, die +weit das mitleidlos spöttische Lachen der Göttin übertraf. + +</p><p>Die Rührung über das Glück hat die Grenze erreicht, +wo das Alberne ein Geschenk wird, wenn man es gibt. +Der Himmel wogt unerbittlich durchblaut. Hinter dem Gebirg +berührt er meine Kindheit: + +</p><p class="indent2"> +„Als ich klein war, Uga, +ward ich krank und bekam den Pudel Fosko. Mein Bruder +stahl ihn in einem Zirkus. Wie lag ich im Bett und verzehrte +mich, aufzustehen, um das Gartenviereck mit ihm zu +rennen und ihn zu hetzen, daß er Wildkatzen zerbeiße. Zehnjährig +habe ich auf dem großen Gut Tivolis im Bett +meines Cousins Zigaretten versteckt und in den Matratzen +vergessen und erwartete Monate die Entdeckung, und daß +man mich als Verworfenen an den Pranger schlug. + +</p><p>Die Neubauten unseres Villenviertels habe ich alle gekannt, +die Mädchen liefen mir nach hinein, wo die Labyrinthe +von Keller und Dachstiege geheimnisvoll sich begegneten. + +</p><p>Unterm Damm durch den Teich vor unserem Haus beerdigten +wir Eichhörner und bissen die Zähne aufeinander, +so bedrückte es uns, daß wir mit Quarzsteinen sie aus +den Lärchenwipfeln geschmissen, aber zum Fest der Vollendung +haben wir eine Dogge, den Feind, in den Maulbeerbaum +gehißt. Einem Dobscher, der von Rennfahren +träumte, fuhr ich im Rollwagen des Steinbruchs die Kniescheibe +durch, daß er schneidernd bald bei der Petrollampe +flirrte. + +</p><p>Als die Canneri, die das bezauberndste Lächeln trägt, +mit goldnen kurzverschnittenen Locken mich als Jungen sah, +stand sie kerzengrad im Wagen auf mit dem Lorgnon und +rief: quel bel homme. Meine erste Geliebte quälte ich, +als ich noch nicht wußte, daß Liebe kein Gesetz, sondern +nur eine Masse Zufälligkeit, und nicht ahnte, daß man +Frauen eher besitzt, wenn man verstößt, als wenn man +bindet, meine erste Geliebte quälte ich durch Fragen, ob sie +mich als Krüppel noch liebe und prügelte die Arme, als +sie entsetzt auswich. + +</p><p>War etwas gut, etwas schlecht? Es ist eine Kindheit. +Sie lebt wie ein Baum, ein Fuchs. Sie schüttelt und +biegt sich vor Wachstum. Sie fliegt auf und ab, als ob +du mit ihr spieltest, und ist in ihrer märchenhaften Gemaltheit +deinem Lächeln dieser Stunde verbunden, dessen Leichtheit +so schon gelöst ist, daß es die Einsamkeit spiegelt. Das +ist unsere Brücke. Wie unwichtig unser Gram. Wie kindisch +selbst das Schwerste. + +</p><p class="indent2"> +Verstehst du, Uga . . . . . + +</p><p class="indent3"> +du bist +nicht Schwan, nicht Gazelle, von denen ich Fieber und +Glanz an dir beim ersten Anblick schaute. Du bist vielmehr +mit der scharfen Schmalheit deines federnhaften Augenlides +zu sehr vermählt an das schwingende Brausen des +Blaus, als daß du anderes wie Schwebendes vertrügest. + +</p><p>Ich habe am Sinai deine Mutter gesehen, die, weiße +Adlerin, auf unser Auto herabstieß. Ihr Geschlecht allein, +das drei Jahre lang die Welt durchfliegt, und dann mit +einem Weib ausharrt unerbittlich bis zum Tod, hat die +für dich genug beherrschte Ruhe. + +</p><p>Nur deine Farbe ist verändert und aus der Helle herausgetreten, +als hättest du, während ich schlief, in Marokko +Jagden durchstreift und von einer Hecke Ginster, die du +berührtest, auch den Goldton deiner Kniekehlen auf den +Berg getragen.“ + +</p><p class="indent2"> +. . . . . . Der Firnschnee fällt, naß und glatt, +man braucht die Skier nicht mehr zu wachsen, der letzte +Schnee. Enzian flammt auf den Matten überall, als wir +hinunterzogen. + +</p><p>Südlich duften die Veilchen mit Heftigkeit. In tiefen +Tälern meiner Heimat blühen Kirschen, Mirabellen. Die +Aprikosen tauen aus rosanem Morgen noch heller. + +</p><p>Was hilft es, wo sie scheidet. + +</p><p>Zinn, ruht die Sonne im Schneegestöber. Nur wenn +der Hausberg aus dem Geflock schaukelt, flattert die +Lichtflamme mit. Sekunden geht ein Mai auf, süß, voll +qualvoller Inbrunst spiegelt, grün und hell, der Eisrücken, +wie ein Bergstraßenwald morgens früh. Das gläserne +Wunder verschneit. + +</p><p>Uga. + +</p><p>Sie kam, den letzten Abend mit Sneeboots, die die +weißbeseideten Fesseln noch schmäler machten und mit ihrem +Pelzrand dem Gang das Schleifende der großen ruhigen +Raubtiere gaben. + +</p><p>Und als sie mit starrem Blick sich gegen den Wind +wandte, um noch einmal in das Tal zu gehen, kamen die +Heuschober auf sie zu aus der dunkelsten Breite wie früher +die Hunde. + +</p><p>Als ich spielend die Leiter anlehnte an die erste Hütte, +als Uga hinaufstieg und die leichte Biegung des Dachs +erklimmte, den roten Schirm über sich, die Knie im Telemark +gebogen, die Jägerin, mittel und fest gebaut und +lächelnd, die Hundepeitsche in der Hand, . . . . . . + +</p><p class="indent2"> +schien es, +sie schritte durch das dichter gewordene Geflock über den +Scheitel des Daches mit einer unnachahmlichen Stellung +der Füße in den Horizont hinein. + +</p><p>Sie fuhr erst die Nacht. Aber ich fühlte in dieser Sekunde +den Abschied so, daß mir keine Erinnerung blieb. +Es befiel mich in diesem Augenblick nichts anderes als die +Freude der Fische, als hörte ich alle ihre kleinen Herzen +stoßweis schlagen, wie ihre bronzene Freundin zurückkam in +den See und sie wie früher zärtlich zwischen ihren Brüsten +und Knien spielten. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Die Brandlawine hat den Frühling frei gemacht, er +kommt mit leichten Wolken nachgeschwommen. In +die Freude der Wiesen fallen die Versammlungen der Enten, +die das Geschrei der um die Pfützen gelagerten Hühner +übersteigen. Die Felle der Angorakatzen sammeln am Hauskalk +die Sonnenbündel, schnurrend vor Wonne. Heere von +Bienen hängen am Aprikosenbaum und summen mittags +in die Hänge. Die metallen schönen Giftmücken tanzen +gegen die Scheibe. Den Ochsen treibt Glanz ins Fell. +Zwischen den Schafherden, die den Horizont säumen, schleudern +junge Bullen die Erde mit den Hinterhufen in die +Luft. Bauern fahren, Lenz in den Nasen, schnuppernd in +die verliebte Luft, Mist auf die Matten. Die Mädchen +haben prall mit graden Beinen sich an das Stöbern gemacht. +Die Häuser fangen an zu funkeln. Die Wölbung +des Frühmorgens erhebt sich auf siebzig Vogelmelodien, +seidig und langsam, wie ein Ballon. + +</p><p>Die Wandlung der Nächte, die Säfte der Erlen, der +Glanz der Blumen treibt in das Blut: man kreist mit +ihrem Leben. Man lauscht in sich dem Bach, dem Samtglanz +über den Wächten, dem Blumenduften. Man horcht +zurück aus dem wachsenden Baum, dem Bachgesumm, den +Wespen Erinnerung heraus. + +</p><p>Glutrote Tupfen stehen auf den Knospen der Haselsträuche. +An den Gärten hängen in Schnüren die Wasserperlen der +Frühjahrsgewitter. In ihnen hatten wir am Anfang, einmal, +uns getäuscht. Sie hatte, rasch hinlaufend, den Silbertau für +Kätzchen gehalten. Sie kämpfte damals mit den Tränen. + +</p><p>Aber damals standen auch über ihrem hellen Gesicht die +Kurven der Schneefelder noch unbeschreiblich gespannt. Nie +nahm der Winter ein Ende, solang sie zum Himmel aufsah +mit jener Unbedingtheit des Trotzes, der selbst ihre Melancholie +durchkühlte. + +</p><p>Erst durch den Schleier der Tränen ist sie eingegangen +in das schüttelnde Rund, unerreichbar, des Horizonts. + +</p><p>Meine Freunde, denen ich in die Traurigkeit der Einsamkeit +und Arbeit auswich, werden sagen, ich habe einen +Frühling vertan. + +</p><p>Die Armen. + +</p><p>Welche Fülle trug er in mich hinein: + +</p><p class="indent2"> +Du warst die +Frau, die eine Nacht mit mir schlief in Kowno in Lasallis +Haus, das Napoleon bewohnte, und vor dessen Fenster ein +elender Winter dann erfror . . . . . . die aus dem Boot auf +den Aalandsinseln mir entgegenlief, weißblond, im Hemd +zwischen den Dünen . . . . . . die aus dem rumänischen Zirkus +herauspreschte in die Pflaumenblüte meines Wagens. +Du bist die Hure, die mich am Pont Neuf in den abscheulichen +Monat der Hallen zog. Der Ritterstad mütterliches +Lächeln schwankt manchmal elfenbeinern über deiner +Schulter. Auch von Kerstins blumenhafter Anmut ist etwas +deutlich auf deine Lippe getreten, Uga. + +</p><p>Du saßest, die Knie zum Kinn gezogen, am Floßrand +mit mir zwischen Worms und Ems, bist die Pastellufer der +Lahn schwärmerisch mir nachgezogen, durch Vogelsberg und +Spessartbuchen in die Einsamkeit der Eifel gedrungen, wo +zwischen dem gelben Mattenbrand und den stumpfen Maren +dein schwarzes Haar die Bauern feindlich erregte. + +</p><p>Du hast in Versoix die Friture der Fische mit mir gegessen, +Landwein getrunken, die gut gerösteten Köpfe und +Flossen mit Hasenzähnen geknabbert, standest am Dampferkreuz +genfwärts, sangst befeuert: „Le soir est doux et +parfumé . . . . . .“ und hast in der Nacht dir den Kopf +zerschossen. + +</p><p>Du warst Renée, die mich fand, Rue Bonaparte, als +mich beim Verkauf des Intransigeant ein Verkehrsauto +überfahren. Als Backfisch, unbekannter, hast du im Kreis +getanzt und die Hände zusammengeschlagen, wie ich das +Schlittschuhrennen als Gymnasiast als zweiter machte. + +</p><p>Am Thomasstaden Straßburgs stieß ich dich zurück, +weil in dem gotischen Tiefsinn der Stadt deine Schlankheit +ergriff wie die steinerne Schönheit der kreuztragenden +Jungfrau der Kathedrale und ich mich nicht entschloß, dir +den übermütigen Stolz und die Herbheit einer Macht, die +zu lösen in meiner Hand lag, abzunehmen. + +</p><p>Du bist dieselbe, die mich mit in Bonn belogen, im +Ruf als Gentleman geschädigt und ausgeplündert auf die +Manschetten im Hotel Royal nachdenklich auf die entlaubte +Allee hinunter erwachen ließ, weißhäutig du wie keine. + +</p><p>Du hast im Auto Sekt gefrühstückt, in Neuilly eine +Mansarde mit mit bewohnt, warst der dunkle Tierblick +einer Komtesse in einem Schloß des Maingau, das ich mit +dieser Last, Versäumnis eines Sommers, verlassen. An +dich dachte ich, wenn ich allein mit einer Frau leben, Kinder +haben, eine Farm, ein Gut bewohnen, gut grau werden +wollte. Du warst tröstend da, wenn mich das Elend fast +krepierte. Du warst die Frau, die ich hatte, begehrte und +die, welche auch mit unvergleichlicher Vielfalt darüber hinaus +die Zone meines Traumes durchflammte. + +</p><p>O Diana. + +</p><p>Das Unsichere, in dem du kamst, und das überlegene +Lächeln, mit dem du dich entferntest, haben eine Vollkommenheit +in die Spanne dazwischen gesammelt, die selbst +das Unfaßbare des Abschieds nicht verschleiert. + +</p><p>Einmal war alles geschenkt, alles beschieden. Auf jeder +Sekunde, die tief zu dem Laster und hoch in das Herrliche +sich spannte, habe ich den Kontinent der Abenteuerlichkeit +meines Herzens grenzenlos durchlaufen. + +</p><p>Alles war einmal gesammelt, einmal Figur. + +</p><p>Es war wohl zu erlesen. Es konnte nicht bleiben. Ich +hätte es nicht einmal gewünscht. — — + +</p><p>Wenn ich im Herbst zurückkomme, ist Einsamkeit. Die +großen Nebelwolken, die mit Sausen wie Batterien angefahren, +haben die Landschaft verödet. Man hat den Blätterfall +zum Anstarrn, müde der Herzen, die verführen und +peinigen. + +</p><p>Ich werde, indem ich mit Lil Pax in Pelzen und Shawls +zum See fahre, während sie abwesend lächelt, von der +Jägerin erzählen, daß der Teich leer war einen Frühling, +daß ich eine Woche auf der Schneehütte mit einer Nymphe +wohnte, daß der braune Glanz ihrer Schulter mehr wiegt +als Ruhm, als Ehrgeiz, als alles. + +</p><p>Das Grün des Sees wird uns verfolgen durch den +Pferdeschaum und die Spaliere der Fichten, die auch in der +Rotglut des Herbstes die Erinnerung deiner Anmut manchmal +noch tragen, wird versprühen am Bleihimmel und zuletzt +wird ein geringes davon über der Braue der Frau +sein, die schweigt: + +</p><p class="indent2"> +wie fern ist mir davon selbst das Nächste, +aber wie grausam ist Glück. + +</p><p>Du wirst es hören, jeden Laut, wenn ich von dir rede. + +</p><p>Sommer steigt von der Alpspitze golden herab. Die +Sonne schwenkt prasselnd Glut aufs Heu. Die weißen +Krokus sind nicht zu fassen in der Fülle. + +</p><p>Du hörst, Uga, wo auch immer du, wenn das Wasser +du abtatest, vorziehst die Pause deines Daseins in unserem +Bezirk zu verbringen: + +</p><p class="indent2"> +Ob du durch Stadtpaläste feierst, auf +westlichen Schlössern vor einbrechenden Horden nachts fährst +. . . . . . kein Laut, wenn ich rede, der dir entginge, den +du nicht schmeichelnd empfindest. Wir sind nicht getrennt. +Du nimmst alles auf, wie immer, die schmalen Lippen +wenig verschoben, den Kopf auf dem kräftig gegossenen +Halse kaum wiegend, manchmal nur nickend. Nie gab ein +Gott einer Diana so viel von einem Kinde. + +</p><p>Ich träume nun, allein jetzt auf den Matten, in die +Hände, wo du seist: + +</p><p class="indent2"> +Jagst du nackt vor Männermeuten +skiernd nach Kautokeino mit hell schreiender Gurgel? Wälzt +du in Osorisschnee das erglühte Gesicht? Funkelst mit nächtlichen +Lanzen den Okzident ab der Sehnsucht? Schwingst +auf Delphinen durch violetten Abendhimmel? Bläst ein +Horn auf den Sternbögen? + +</p><p>Uga. + +</p><p>Wie gleichgültig dies Rätseln. Es war. Es bleibt. +Welches Glück! + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Das träumen wir, wenn es uns wohl geht. Aber man +stirbt. Aber man gerät in das Elend. Die Leidenschaften +steigen in die Niederung dann, wo sie um Hunger, +Krankheit, Leiden sich bewegen. Wir sind verloren, wenn +wir abstürzen. Wo sind dann die Geliebten? + +</p><p>Du weißt keine Antwort auf die letzte Frage, Uga! +Bist du bei mir, wenn die Mondsichel tragisch auffliegt. +Steht das Zucken deiner Braue als Trost am Horizont, +wenn man mich füsiliert, wenn ich im Straßenkampf stehe, +elend in einer Vorstadt vegetiere, der große Sund meine +Malaria nicht mehr herunterwirft in die Tiefe des Thermometers? + +</p><p>Man ist allein. Man geht beiseite zugrunde. Wir sind +zerborsten in die Welt gesprengt. Man weiß nichts von +den Herzen, an denen man unirdisch gelegen. Unsere Kraft +versagt. Niemand kennt einander, wenn wir krepieren. + +</p><p>Welcher Mann wird, die Locken verwirrt, in Scheweningen +nachts die Midussi zu Tode quälen? Wer wird +mit einer Achselbewegung Margits Frische im Keim ertöten? +Wer gibt der Ritterstad, von einem Auto bedroht, den Tip +sich zu wenden? Stirbt Bambulas Stärke an einem foul +blow des giftigen Ukrainers? Wer rettet Lella vor der +Schwermut im Walde? + +</p><p>Selbst Kerstins tödliche Sekunde zeigt niemand meinem +Auge, wenn sie, verstörten Gesichtes, schön und schmal zum +letztenmal ein Bild in dem Seespiegel sucht. + +</p><p>Am Ende ist Einsamkeit. Man ist vor dem Ziel betrogen. +Alles war umsonst. Wir sind allein. + +</p><p>Wir haben wohl Göttliches genossen, aber sind vor dem +Tode eine Null. Alles war Lüge, die wir uns gestatteten. +Wir waren einsam im Getümmel. Waren frauenlos in +den heißesten Weibernächten. Wir haben uns mit Kameradschaft +gepanzert, aber, ach, es überließ uns dem Nichts. +Die Menschen haben uns wie Bienenschwärme umschart, +aber wir haben uns getäuscht, sie haben nichts genutzt. + +</p><p>Die Landschaft, von der wir dachten, sie tränke uns, durchspüle +uns mit Geruch, Fels, Wald und Baum, seliger See, +einzigem Meer, weicht aus, wenn unser tödlicher Blick sie +sucht. Die Natur ist feig wie ein Hund, unfähig dem, +der ihr nichts zubringt, zu geben, uneingedenk der Zeit, +wo wir, als wir olympisch zu schweifen glaubten, sie wie +eine reife Polle aus der Ewigkeitstunde schlürften. + +</p><p>Wir haben sie nicht erlebt, sondern in sie hinein gedacht, +was wir wünschten. Mit den Leidenschaften, die sterben, +erlischt auch ihr Gegenstand. Man ist in Einsamkeit. + +</p><p>Wir Armen. + +</p><p>Wenn wir nüchtern sind, sehen wir unsere Spiegel. Wir +haben uns an uns selbst berauscht. Haben unsere Stimme +mit Glanz, den nur jugendliche Kraft so schmerzlich und +hallend verlieh, ohne Echo hinausgerufen. Wir haben die +besten Stunden wegen Chimären verlitten. Als wir am +schönsten glühten, waren wir in schweiniger Bitternis. + +</p><p>Wir haben in der Tat die Welt umschifft, um als Drecksäcke +in die Hafen zu laufen. Ausgestreut haben wir, aber +nichts eingenommen. Gegründet haben wir, die Bilanz +ist bankerott. + +</p><p>Auf Sternpolen haben wir uns wie Dioskuren verschmolzen, +aber liegen als Pack vor die Karren gekehrt. +Das ist der Schluß. Man kommt nicht heraus aus der +Einsamkeit. + +</p><p>Dann aber, Uga, stehen wir allein unter Gewittern, +verödet, trostlos, preisgegeben, und der Fluch zerschlägt auch +selbst hinter uns die Erinnerung unserer Fahrt, die manchmal +doch an paradisische Landschaften kreuzte. Die Blitze sind +nüchtern, wenn sie zerstören. Wo bist du? Wir sehen +einander nicht mehr. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Wir Kleinmütigen. Wir Schlucker der Verzweiflung. +Dieses Leben. + +</p><p>Wie herrlich muß es sein, daß auch seine besten Tugenden +manchmal selbst den Kühnsten bezweifelbar scheinen. + +</p><p>Welches Glück, daß wir erkennen: Bestien sind wir. Belämmert, +klein, Ausgespiene, verdammt von der Geburt auf. +Wir haben als Helden uns maskiert, wenn wir als Hyänen +uns fühlten. Wir haben uns Mächte angemaßt, die wir, +nur gedrehte Figuren, nie besaßen. Haben uns empört, +die wir zerbrechlicher sind wie Glas. Wir sind Arme und +Trübselige, im Verbrechen befangen, nach Schmutz sehnsüchtig, +Größe abgewandt mit Eifer, und selbst in unseren +Instinkten unverzeihlich mißleitet. + +</p><p>Denn da beginnt erst unser Anfang, indem wir, ohne die +Möglichkeit, tiefer zu fallen, unser Elend und unsere Wünsche +vergleichend, die Sehnsucht nach der besseren Station wie +alles Irdische in uns tragend, die Himmelfahrt jedes Aases +antreten. + +</p><p>Je tiefer wir uns wissen und je geringer wir uns einschätzen, +um so heller sind noch immer die Montgolfieren der +Leidenschaft in unwahrscheinliche Möglichkeiten geschwebt. + +</p><p>Wir bekommen langsam die zwei Gesichter, von denen +das eine erbleicht über unser Elend, während gleichzeitig +schwärmerisch das andere in graziösen Minuten Glückshügel +überschweift. + +</p><p>Denn wir sind kühn genug, das Nichts zu überschreiten +und an die Tiefe unserer Erbärmlichkeit die Höhe unserer +Leidenschaft anzuschließen, mutig genug, statt Sklaven uns +zu Herren aufzuschwingen in den Spiralen des Ewigen, +in die wir, seltsame Schicksals-Looping-the-loop-Fahrer, gehängt +sind. + +</p><p>Wir haben kein Anrecht auf Glück. + +</p><p>Gut. + +</p><p>Erobern wir es. + +</p><p>Würden wir nicht gleich platten Fröschen manchmal zusammengeknallt +auf die Tiefe unserer Erbärmlichkeit, wir +fänden, Satte, Eitle, nicht die Kraft, die großen atemlosen +Mondaufgänge immer wieder mit erregten Herzen zu erwarten, +die ruhige Sonne über Tulpenbeeten zu genießen +und über den Wäldern geheimnisvoll die wandernden +Regenbogen zu suchen. + +</p><p>Seltsames Leben. + +</p><p>Wie niederschmetternd muß es im Grund sein, daß selbst +die Kühnsten so sehr sich daran zu begeistern verstehen. + +</p><p>O wie erinnere ich mich der Sybilla Monti, die aus +dem schmalen Hafen von Antibes mit der gleitenden Bewegung +der südlichen Frau, die frische Syphilis im Körper, +verkleidet als Schiffsjunge, gesucht von Polizisten, mit dem +großen Segelschiff in das tödliche Schicksal fuhr . . . . + +</p><p class="indent2"> +aber +gereizt von der unwiederbringlichen Schönheit, mit der von +den Seealpen her über Aloe, Orange und Lorbeer der +Mond das Silberrot der Wellen wie Duft in sein Licht +hinaufzog, die Arme in eine große Bewegung des Entzückens +vor dem ersten Segel aufzuheben wagte — — — +eh wir sie morgens mit den tierisch schönen nackten Oberschenkeln +an den Strand getrieben sahen. + +</p><p>Wie ging da sterngleich jener Frühling der Erkenntnis +am südlichen Meer meiner dumpferen Jugend auf: + +</p><p class="indent2"> +O Frau +von Tervani, vor deren weißer Palmvilla und abenteuerlichem +Schmerz mir der Mai die fremde Seelandschaft berauschend +versang, wo ich die hellen Stufen von dem +Olivenpark zum Strand Abend um Abend hinuntergehend +meinen verschollenen Bruder als Steward im Hafen des +nachbarlichen Genua erwartete auf einem nie nahenden +Schlepper, wo Rosmarin und Buchsbaum und das Licht +des gelben Ölbaumholzes aus dem Kamin Frau von +Tervani umrahmten — — — — — bis ich aus dem Erwachen +ihrer Arme heraus blitzhaft durch die hohen aufgegangnen +schmalen Läden über der Terrasse unten im +Hafen die ägyptische Fregatte Bonapartes erblickte . . . . + +</p><p>. . . . . daß von dieser Sekunde ab die Wollust mich mit +jeder Segelflaute, jedem Wolkenschauer über der süßen +Bucht, jedem goldnen Pirol, der uns aus dem Hain herauf +weckte, unzähmbar überschwemmte: + +</p><p class="indent2"> +nun in die noch unbekannten +Länder aufzubrechen, Tiere zu suchen fabelhafter +Form, Menschen beispielloser Vielfalt zu erkennen und genießen +und belauschen, Städte, Meere, Kape zu übersteigen, +Früchte im Morgen, Dampfer an der Reede, Stürme +an den Antillen und Schmerzen der Sehnsucht zu erblicken +. . . . . . und einmal dann am Ende in Bücher Menschen +ohne Zahl und überlegen wie Körner durch das Sandglas +stürzen zu lassen, daß noch vier Generationen der Jugend +nach mir sagen werden: welch ein herrlich Lebendiger hat +hier unvergeßlich gewandert. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">Uga, welche Unterwerfungen hat es seither gekostet, Geliebte, +bis ich erkannte, wie begrenzt wir sind in dem +Dasein und beschämend eingehürdet in diese Welt, daß ich +schließlich vermochte, auch über die Zweifel unserer Unzulänglichkeit +hinweg so Verflüchtigendes und so göttlich Unerreichbares +wie dich, Uga, ganz zu umfassen und auch +wunschlos noch zu genießen und zu lieben, wo unsere Hände +schon im Leeren treiben und unsere Leidenschaften nicht +mehr genügen und fassen. + +</p><p>Welche Opfer und welche Entbehrungen, um dies Ruhige +zu erreichen und nicht weiter zu trotzen . . . . . du sahst es +nicht. Wenige werden sie meinem Leben und der ihnen +zugewandten Fläche meiner Existenz glauben. Niemand +wird es wissen. + +</p><p>Es muß nicht sein. + +</p><p class="tb"> + +</p><p class="first">In diesen Tagen kam der Föhn unter wolkenlosen Sternen +über die Steppen gefallen. Er wirft sich auf Lil +Pax’ Herz. + +</p><p>Sie lächelt. Wenn sie allein ist, stöhnt sie leis. Depeschen +kommen. Menschen fahren heran. Eis, Kaviar, Kompotte +. . . . man sendet das Erdenkliche in die Villa. Sie erhält +Kampfer, Veronal, Morphium. Es vergiftet sie, sie lehnt +ab. Die Atemnot kommt. Ich sitze an ihrem Lager. Die +Helferinnen pumpen den Sauerstoff über ihr Gesicht. Das +Telephon ist belagert. Sie empfängt niemand. Eine Rippenfellentzündung +trifft in eine Nacht, sie breitet sich nicht aus. + +</p><p>Sie sieht wie auf ein Spiel, ob ihr Körper es überwindet, +ob er versagt. Sie hat die uninteressierte Neugier +mit leichter Ironie um den Mund. Als sie keinen Atem +mehr bekommt, verliert sie die Teilnahme an der Krankheit +ganz. Sie wendet sich scharfsichtig den Dingen zu, die +sie mit der Welt verbinden. Nichts erleidet eine Störung. +Sie diktiert ihre Post. Sie empfängt, sie unterhält sich. +Der Atem versagt. Sie verlacht mit liebenswürdigem +Spott die kleine Nonne, die neben ihrem Kissen den Jesus +verküßt: „Haben Sie keinen anderen Geliebten?“ Der +schönen Nonne stürzen die Tränen. So groß ist die Rührung +ihres Zaubers. + +</p><p>Aber als nachts plötzlich die Fieber sanken, das Herz +ruhig pumpte, die Rippeninflammation zurückging, die +Krise überschwang . . . . . nahm sie Lächeln und Maske des +irdischen Aufenthalts von den Augen: + +</p><p class="indent2"> +Sie entfernte sich in +einer erschreckenden Anmut. In einem unbeschreiblichen +Prozeß der Lösung schien der Körper immer weiter sich zu +verflüchtigen, und ihr Geist allein beherrschte in quecksilberner +Reine die Bögen der Stirn. Ihre Hände schienen nicht +mehr da, die Augen, der Mund waren verloren, aber +ich habe nie sie so deutlich und greifbar in jeder Muskel +gespürt. + +</p><p>Ich hatte falsch gespielt. Ich hatte das Rauschen des +knospenden Birkbaums im Garten zu ihr geführt. Ich habe +Äpfel, die noch rochen, ich habe Krokus, Aprikosenzweige +in Blüte gebracht. Ich legte eine Katze an ihr Bett, sie +hörte das Jägerische an ihr. Ich habe einen Wackerstein +des Flusses auf ihre Hand gelegt, daß sie das Murmeln +der Wellen wieder höre. + +</p><p>Sie war zwar gefolgt. + +</p><p>Der Kern wohl ihres leidenschaftlichen Blutes war dem +Glühenden hier wie immer nachgeschritten und hatte sich +angesogen an das Pfeifen des Föhn und die Wiesen voll +Himmelschlüsseln und den betäubenden Heranmarsch des +blühenden Grases von allen Hängen und Matten. + +</p><p>Aber ihr Geist lächelte: das Spiel zerfiel. + +</p><p>Sie wollte nicht mehr zurück den Weg über die dreiundzwanzig +Nächte der Qual. Er hatte sie zu weit vom +Leben entführt, als daß sie um den Tausch eines zerbrochenen +Körpers die große Sinnlichkeit gegeben hätte. +Denn was geblieben wäre, war Aussicht auf Qualen in +einem Nichts an Leben. Sie legte es zu dem andern: +„Meine Mission ist getan. Was bliebe, ist zu gering für +meinen Anspruch.“ + +</p><p>Sie hatte zuviel Stolz in ihrer Milde: das gute Material, +aus dem sie gebaut war, wehrte sich am falschen +Platz. Platin und Stahl des schmalen Körpers hielten +bis zum Zersprengen, als sie schon abschloß. Sie erwachte: +„Es ist spät.“ + +</p><p>Die Schwester, geneigt: „Du bist müd Lil.“ Sie richtete +sich auf: „Man muß sich nicht gehen lassen.“ Die +Augen, weit offen, sahen nichts mehr. + +</p><p>Die schmalen braunen Märtyrerhände lagen auf der +gelben Seide der Decke. Sie lagen schön und körperlos. +Die donnernde Sonne des Hochgebirgs wird sie nicht mehr +verbrennen. + +</p><p>Dann machte sie noch eine Bewegung —: sie wandte, +unzwingbar, dem Feind, der seit Jahren in ihr zerstörte, +mit einer unerschreckbaren Größe, gebend, mild das Gesicht +zu, daß er erbleichte. Sie war souverän. Er besiegte sie +nicht. Sie gab sich hin. + +</p><p>Zum erstenmal ließ sie sich gehen. Ach, es haben viele +geweint. + +</p><p>Was ist nun Sterben? + +</p><p>Ich habe mit niemand über diese Tage viel und groß +gesprochen. Wie glücklich bin ich. Wie frei. + +</p><p>Greller, gewaltiger, asiatischen, aber schön gedämpften +Musiken gleich rollt aus dem Westen über mich täglich +der schmetternden roten Sonne zu die heimliche dunkele +über meinen Horizont. + +</p><p>Wenn sie sich schneiden, ists Mittag. Abends erlöschen +sie beide an den Polen der Fläche. Nachts kreisen sie +unter mir. Ich spüre sie beide unauslöschlich, jede in ihrem +Kreis. + +</p><p>Ich fahre. + +</p><p>Mit abenteuerlicher Fülle wirft mir der Maingau den +aufduftenden Sommer mit allen Prärien und Wassern und +Wäldern und Hügeln und Flüssen dazwischen entgegen. +Ich gehe mit festen Schenkeln und der hochgewölbten Brust +des Seglers und Fechters in ihn hinein. + +</p> +<h2 class="chapter" id="chapter-4">Der Zuschauer</h2><p> + + +</p><p class="first">Die Geburt vollzog sich am neunundzwanzigsten Februar +auf Schloß Favorit bei Baden-Baden, als schon +heller Frühling war. Sein Vater war der Portier, der +in gelber Livree, rotbehost, die großherzoglichen Farben zur +Führung der Fremden trug, das Kind Cepha Billy nach +einem Nick-Carter-Schmöker nannte und Ehrfurcht vor den +Dog-Carts und Autos lehrte, die durch die viergegliederte +Allee heraufstrichen. + +</p><p>Bald nachher folgte seine Mutter einem feurigen Chauffeur, +der sie mit Glasketten behängte, mit der Pistole den +Gatten bedrohte und die schmalhüftige Frau in fliegenden +Kurven zur Rheinebene hinunterknatterte. + +</p><p>Mit vier Jahren warf Billy einen Stein nach dem +Prinzen Schlitz-Glitsch, der auf der Wiese das Strumpfband +einer deutschen Aristokratin zu befestigen suchte. Der +Prinz fuhr herum, begann zu lachen und schenkte ihm fünf +Mark, was den erbleichten Vater so erschreckte, daß er zwei +Schritte gradaus machte und in strammer Haltung, die +Mütze auf der flachen Hand: „Wir treten zum Beten vor +Gott den Gerechten . . .“ zu singen begann. + +</p><p>Mit neun Jahren riß Billy aus, indem er sich an ein +Auto hängte, was erst in Karlsruhe entdeckt ward. Ein +Gendarm brachte ihn zurück. Gestraft wurde er nicht, der +Portier ließ eine fast furchtsame Verwunderung spüren. + +</p><p>Mit zehn Jahren leierte Billy eine lebende Katze am +Schwanz in den Kastanienbaum und sagte das Vaterunser +auf, während er im Kreis der Gehöftkinder Steine nach +ihr warf. + +</p><p>Da der Pastor selbst ihn am Ohr herunterschleifte, machte +die übermäßige Angst dem Portier Mut, das Ende einer +Komödie zu finden, in der nur sein Respekt ihn hinderte +brutal zu sein. Er schrieb einen Brief nach Kowno, in dem +er alles aufzählte und sich der besten Gnade empfahl. + +</p><p>Einige Wochen später, als Billy im Bett lag und auf +die Mondkringel lauerte, die durch die Alleen strömten, +fuhr ein Wagen herauf, es wurde angeklopft, geöffnet, eine +Stimme rief „mein Sohn“, stieß die Tür auf, kam her, +von einem möderischen Lachen umschwungen, und nahm ihn +aus dem Bett. + +</p><p>Die Nacht schaukelte Billy auf den Knien des Fürsten +Wolkowski, der ohne Unterlaß redete, der Portier sollte +Tee machen und von seiner Frau erzählen, aber er kam +immer in die Jahreszahlen der Porzellankabinette hinein +und kaute wie mit dem Mund einer Rüstung schnarrend +und sinnlos. Am Morgen nahm Wolkowski seinen Sohn mit. + +</p><p>Er schob dieses Niveau, das ihm seiner Mutter nach +vielleicht gelegen hätte, als durch die Ereignisse überholt +und des Kindes Blut offensichtlich nicht entsprechend, rasch +von ihm weg, um es einer markierteren Zukunft entgegenzuführen. + +</p><p>„Lebewohl“, schrie er dem Portier zu, doch er war nicht +zu finden, erst wie sie rasch das Haus verließen, trat er in +den Alleegang, als der Wagen schon lief, vermochte kein +Wort zu sagen, sondern blieb stehen, warf die Arme „Präsentiert +das Gewehr“ und den Kopf „Augen links“. So +fuhren sie an ihm vorbei, Billy winkte mit einem Tuch. + +</p><p>Wolkowski lehrte ihn auf der Fahrt noch, daß er unter +allen Umständen keine Mutter habe und brachte ihn nach +Gerolsheim in ein Pensionat. Er behielt seinen Namen, +nur wurde ihm der Vorname Wolkowskis, Harion, hinzugefügt, +man nannte ihn Harri. Wolkowski war ein ungewöhnlich +schöner Mensch mit kleinem dunklem Bart am +Kinn und einer Kante an der Stirn, die sein Interesse am +Kleinen mit einem Wachsein für ein langes und weitgespanntes +Dasein verband. + +</p><p>Ein Jahr später übersiedelte Harri, der seinen Vater +nicht mehr sah, auf seinen Wink in die Odenwaldschule, +wo er zwei Jahre lebte mit beiderlei Geschlecht, wilden +Mädchen und klugen Jungen und einer Erziehung, die ihm +Freiheit des Geistes als oberstes Merkmal pries. + +</p><p>Dann zog der Befehl Wolkowskis ihn nach Ettal. Im +Kloster mit der halb bäurischen, halb besten aristokratischen +Jugend Bayerns, lernte er strengste, kirchlich geheizte Zucht +mit dem vereinen, was an der Bergstraße seine Lehrer ihm +als Ziel der Lebensidee an Freiheitsgefühl unausrottbar +ins Blut gesetzt. + +</p><p>Wolkowski war tot, als er das Kloster verließ, ein +Anwalt verwaltete ein ansehnliches Vermögen, das der +Magnat seinem Bastard übermittelt. + +</p><p>Er ging nach Genf, München, Berlin, sah kurz Warschau +und Petersburg und verbrachte seine Zeit in der üblichen +Form seiner Gesellschaftsklasse. Ausschweifungen bestätigten +ihm nur vom Kloster her Bekanntes in größerer +Ungebundenheit, in die niemand mehr hineinsprach. Sonst +war nichts Neues da, außer dem, was das Auge durch +Vergleiche ablas. + +</p><p>Die Zeit begann dagegen, die auf sie Horchenden bereits +zwischen ihre schon heftig mahlenden Mühlräder zu nehmen, +und, zwischen fernen Gewittern und glatter Gegenwart, war +ein Mann nur, wer sich entschied. + +</p><p>Durch ein Mädchen, das er mitnahm, kam ihm das +niedere Schicksal in seinen Gesichtskreis, was man mit einer +Handbewegung sonst abtat, was man nicht wissen und erlebt +haben durfte, wenn man heiter weiter leben wollte +und ihn begann das Dasein der anderen tieferen Schichten +anzuziehen, jedoch nicht mehr als mit teilnehmender +Neugier. + +</p><p>Mit glänzenden Beziehungen, reich, schlank und mit +blonden Haaren über dunklen Augen, einen sportlich gewaltigen +Rücken zwischen der slavischen Eleganz tierisch anmutiger +Bewegungen auf schmalen Hüften schaukelnd, angesehen +und nicht ohne ererbte Haltung, zog ihn alles +eigentlich zu Erfolgen und Siegen seiner Schicht. + +</p><p>Aber eine dumpfe Erbschaft, die von der Mutter her +sein Blut bewohnte, zwang ihn immer wieder, eifrig den +Ausgleich abzutasten von seiner Klasse zu der, wo man +fern demonstrierte, schuftete und stank. + +</p><p>Nach jedem Versuch aber, sich dort festzuklammern, flüchtete +er zu neuen Geliebten. Es lockte ihn dunkel aber sofort +wieder hinunter. + +</p><p>In Mons fuhr er in Manchesterhosen in die Braungruben, +aß Speck, Brot, gröhlte und schnapste. Kräftig, +braun, erfrischt, aber innerlich erschöpft kam er nach Köln +ins Hotel. + +</p><p>In München arbeitete er im Wohlfahrtssekretariat, Fürsorge, +Antituberkulose. Sein Lehrer Brentano zeichnete ihn +im Seminar aus, wo er durch kühne Einfälle die besten +volkswirtschaftlichen Florette führte. + +</p><p>Als es anfing ihn zu verwirren, daß bei allem Drang +und aller Lust er in den Tatsachen der Masse fernblieb, ohne +Kontakt und selbstverständliche Gemeinschaft, während das, +was er von Natur leicht besaß, ihn in seinen Möglichkeiten +nicht reizte, fuhr er auf der Durchreise zu dem Mann, +der neun Jahre sein Vater zu sein schien. + +</p><p>Der kannte ihn nicht und begann erschreckt, als der Kavalier +über den Horizont seines in elf Unteroffiziersjahren erreichten +und umschlossenen Weltgefühls sich ihm zärtlich +nahte, Hilfe bei seiner vorgesetzten Autorität zu suchen +und knarrte verzweifelt die Namen und Jahreszahlen der +badischen Dynastie herunter. + +</p><p>Entsetzt fuhr Harri durch die fabelhaften Alleen. + +</p><p>Zwei Jahre ging das Leben so hin, bis die Operation +des Appendix ihn um ein Haar erledigte. Auch als er genas, +geriet er dem Tod nicht aus seinem Bann. + +</p><p>An der Grenze des Lebens hatte er verlernt, die Wichtigkeit +der irdischen Dinge respektvoll beizubehalten. + +</p><p>In einer tiefen Melancholie, die allerdings nicht auf die +Oberfläche seines Wesens trat, erlebte er nur noch den +spielerischen Reiz im Ungefähr dieses Existierens und blieb +schon durch den Gedanken, daß er bei Unkenntnis dieser +Operation vor wenigen Jahren ein verscharrter Kadaver +und eigentlich nur geschenkt und leihweis dem Leben überlassen +sei, lächelnd plötzlich jenseits der Probleme und +Fragen der Zeit aufgestellt. + +</p><p>Seltsamerweise ging alles Seitherige in seinem Gedächtnis +unter, er begann neu die Eindrücke zu spiegeln, +ohne sie aufzunehmen. + +</p><p>Eine Laune des Todes, verbrannt von der einmaligen +Größe seiner Nähe und nur noch imstande mit diesem furchtbarsten +aller Wertmesser noch einzuschätzen, ein fast uninteressierter +Beurlaubter des Sterbens, so fühlte er sich, +obwohl stark und voll fiter Gesundheit, einem Dasein entgegenschreitend, +das er einerseits nicht besonders einzuschätzen +vermochte, das auf der anderen Seite aber mit verzehrenden +Lockungen und dauerndem Wechsel ihm gegenübertrat. + +</p><p>Noch müd fuhr er, zu reisen, von Baden nach Folkstone, +der Himmel war voll Gewölk und lichter erst über +den wollweichen Wiesen von Kent. Zwischen den Riffen +und Blumen und Bächen, Hornissen und Sturmschwalben +gingen Wochen, die nichts gaben, nichts nahmen. + +</p><p>Bei Angeln, Jagd, bei auf dem Rückenliegen, im Anblick +eines Hauses, des hellen New-Romney, im Anblick von +Wight, der Cousine Lyne eines Freundes, die morgens viel +lachte, im Anblick der Grasschur für Hockey, im Anblick von +Bournemouth, von einem Korallenparksee, der Portlandinsel, +im Anblick eines Strandes, der immerzu ihm entgegenzuschwimmen +schien, im Anblick von Weihen und +Hasen, von Uplyme Hill, Lyme Bay, von Hunden, von +einem Kerzenbegräbnis, von Cast Looe, Himmel, Birken +. . . . . . im Anblick von Fischschuppen, die ganz neu ihm +erschienen, vom Zinnober des Abends über Kühen, im Anblick +von Abteien und Ulmen, Gerrans Bay, Polperro, +Gorran Haven, im Anblick des Hallstroms, wo er ins +Gewirr des Meerarms strömte unter Blattwerk und rudernden +schwarzen Enten, im Anblick von Cape Cornwall, +St. Ives, einer Hochzeit im Dorf, im Anblick eines Autos, +das in die Luft sprang und ins Meer stürzte, im Anblick +einer dauernden besonnten, reichen und wundervollen Reise +empfand er nur ein gewisses Interesse, das sich abendlich verdunkelte, +in der Frühe immerhin nicht ohne Sympathie war. + +</p><p>Er stieg vom Dampfer, nahm die Bahn und ging quer +durch Cornwall zurück. Am Waldrand bei Liskeard bettelte +ein Vagabund ihn an, Harri bettelte zurück. Da lief der +Störzer wie ein Eber schreiend davon. „Simpelst thing +in the world“, sagte Harri, sah ihm nach, fischte ein paar +Tage Forellen mit Edinburgher Studenten, fuhr durch +blühende Grassteppen ans Meer, durch Sussex, und kam +nachts nach Paris. + +</p><p>Im Hotel neben dem Panthéon schrillte dieselbe Nacht unter +einem Dietrich das Türschloß, sein Schlüssel flog heraus, +das Licht ging an, ein Herr im gelben Pyjama stand vor +seinem Bett, verbeugte sich, hielt den Finger auf die Lippen, +deutete auf eine Dame, die hinter ihm stand und glitt +lautlos hinaus. + +</p><p>„Wie heißt der Mann?“ „Gallow.“ + +</p><p>Sie flüsterte zitternd, während draußen der Lift hochschoß, +Männer liefen, ein Zimmer erbrachen, die Stimmen aufkrischen +und langsam zurückfliehen und verschwanden. Harri +bot der Dame sein Bett an und verpflichtete sich, im Lehnstuhl +zu schlafen, die hatte einen Kimono über dem Hemd, die +nackten Beine bebten. Nach zwei Stunden entführte sie +Gallow mit einer Verbeugung, eine Limousine nahm sie +auf vor dem Hotel, die Vögel sangen bereits in das Lila +einer Dämmerung. + +</p><p>Mit dem Grafen Shanvady, mit dem er eine Zeitlang +in Ettal zusammen war, fuhr er die ersten Tage nach +St. Germain, nach Enghin, nach Calais. Mit Shanvadys +Cousine Mirei fuhr er zum Sonnenaufgang nach Trouville. +Im Motor begleitete er sie durch das Abendrot der Seine +am Trokadero. + +</p><p>Ihre Schläfen waren leicht eingebogen, die lebhaften +Nüstern zitterten scharf und anmutig, das Auge war bedeckt +mit einem perlmuttenen Schleier, unter dem das leidenschaftliche +Herz sich kühl verbarg. + +</p><p>Vor Bildern, im Musée Moreau, vor den Räuschen +übergroßer Empfindung, fiel ihr Gesicht wie eingestürzt noch +nach innen. Sie war so unerlöst, daß der Hauch einer +seelischen Bestürzung sie erstarrte, eine Zärtlichkeit der Stimme +sie fiebrig den Blick verschwimmen ließ. + +</p><p>Auf den Rennen in Auteuil traf er dagegen am Totalisator +Gallow wieder, der eine Bande kommandierte, die zwischen +den Buchmachern, Jockeys und Startrichtern hin- und herschoß +und signalisierte. Er setzte auf ihre Tips, gewann, +verlor, gewann. Angezogen durch die Organisation blieb +er dabei, nachts endete er mit einem Umzug durch die +Brasserien des lateinischen Viertels. Da Gallow am +nächsten Tag in die Provence verschwand, kam von dem +Räderwerk einiges an Harri heran. + +</p><p>Er schaffte den holländischen Photographen Visser, der +die dunklen Höfe für drei Sous aufknipste in ein illustriertes +Journal, wo Visser die Klischees an Althändler zu verkaufen +vermochte mit siebenfachem Gewinn gegen seine Gage. +Er schob Germaine als Tänzerin in das Ballett, wo beim +achtundzwanzigsten Mal erst ihrer Schenkel Kraft einem +Kritiker auffiel und Germaine auf den Punkt gelangte, ihr +gewisses Renommee und diesen Ruhm zu abenteuerlichen +Räubereien an der Gesellschaft zu benutzen. + +</p><p>Er bugsierte den Juden Blumenthal in den Marstall +des Präsidenten, der dann, von der Opposition bestochen, +das Pferdezeug durchgehn, den Wagen auf der Straße von +Neuilly umschmeißen und den wackelnden fetten Mann als +Oberhaupt der Republik von Maulaffen und Verbrechern +mit Birnen beschmeißen und in aller Taghelle besudeln ließ, +bis seine glänzende küraßte Kompagnie herbeikam, aber +den Skandal nicht mehr aufspießte, der aus einem Film +und hundert Karikaturen über Europa flitzte. + +</p><p>Er bewegte sich in dem Milieu politischer Flüchtlinge, +bankerotter Literaten, sozialer Bohèmes und Glücksrittern, +in diesem nihilistischen und auf Karriere bockgeilen Milieu +mit der Sicherheit seiner Beziehungen und seiner Uninteressiertheit. + +</p><p>Dazwischen sah er Mirei. + +</p><p>Bald mischte sich sein Leben. + +</p><p>Er saß mit der Ungarin in der Opernloge, aß mit ihr +und Shanvady im Café de Paris und fuhr im spiegelglatten +Auto in den Klub der Rue de Grenelles. + +</p><p>In derselben Nacht in schiefer Sportmütze und Sweater +decouvrierte er den Rennfahrer Müller, der im Absynthrausch +in der Rue Champollion gestürzt war, als Besitzer +eines zerborstenen Holzbeins, Spitzel, und Besitzer von +fünfhundert Francs, die er verschwiegen und sich von den +kleinen Kokotten hatte aushalten lassen. + +</p><p>Er tastete mit Mirei die Knoten der ältesten Spitzen ab +im Musée Cluny und ging dem Filigran nach in seine jahrhundertalten +Verästelungen. + +</p><p>Er holte Hallboog hingegen aus seiner fensterlosen Baracke, +wo er zwischen dem Bild einer Frau, die ihn betrogen, +und dem Glas darüber, eine Brut Wanzen züchtete, und +brachte den gertenschlanken, haarumbauschten Burschen zum +Führer des Chors in eine dramatische Revue des Odéon. + +</p><p>Er ging im Promenoir der Folies Bergères, den Zylinder +im Genick, die Hand in der Fracktasche neben Mirei, und +machte in dem Café der kleinsten Huren den Kroaten +Mitro Petrova aufmerksam auf eine Notiz im Figaro, die +einen phantastisch reichen und abenteuerlichen Sportsmann +und Aristokraten seiner Rasse bei Geschick in seine Hand gab. + +</p><p>Er fuhr zum Golf auf den graziösen Avenüen zwischen +den Idyllen und Zartheiten der Gebüsche mit Mirei im +Bois de Boulogne auf dem Mail.-Phaeton, und brachte +Petrova hingegen unter als Spitzel gleichzeitig bei dem +serbischen und österreichischen Konsulat. + +</p><p>Er glitt mit dem Räderwerk, das er stellte und spielte, tief +in das Milieu, war im arabischen Viertel heimisch wie ein +Zuhälter, kannte und lernte die Tricks der Polizei, der Gesellschaft, +lernte die Finten dagegen, die Fallstricke, die Betäubungen +der Gegnerschaft. Wußte, wie Mädchen verkauft, +Männer ausgetrieben werden, kannte die Führer der Milchdiebe +und der panslawischen Komitees, lebte in dem Rauch +der europäisch gemischten unruhsamen Retorte, wurde von +Mirei nicht erkannt, als er ihr als Camelot ein Abendblatt +vor der Oper verkaufte, nicht, als er statt Hallboog dem Chor +im Odéon die Stichworte gab, aber er brachte genug unausgesprochener +fremder Welt an sie heran, daß sie ohne +Begreifen aber gefüllt bis zum Rand mit Instinkten mit +ganz weit geöffneter Iris und dem fiebrigen Pochen, gleich +einem dahinter schlagenden Vogelherz, ihm gegenübersaß. + +</p><p>Als Mitro Petrova, durch das Pech verfolgt, nicht beim +Grafen Castiglione, jenem großen ungarischen Sportsmann, +vorgelassen wurde, nahm er selbst, in Petrovas Maske und +ausgefransten Hosen und ohne Kragen die kompromittierenden +Briefe, erreichte, von Petrova gefolgt, in dem Hotel +am Vendômeplatz drei Appartements, ging in das vierte, +von der erblaßten Dienerschaft bestaunt, sah eine Frau im +Peignoir halbnackt, aber mit deutlicher wunderbarer Schulter +durch einen Vorhang verschwinden und hielt mit ruhiger +Überlegenheit dem Grafen, einem breiten, nackenschweren +Burschen mit rötlichem Bürstenschnurrbart die Papiere und +die Situation vor und ließ ihn wählen. + +</p><p>Verwirrt griff der nach dem Schlüssel seines Schranks, +um auszuzahlen, da stürzte Petrova auf die Papiere, warf +sie dem Grafen vor die Füße, warf sich in den Teppich +auf die Knie, verzichtete auf die Rente und erbat als +Gegenleistung für die Papiere seine Geliebte für eine Nacht. + +</p><p>Der Graf riß die Papiere an sich, bekam durch diese Wendung +Mut, spannte eine Pistole, und nur mit schrecklichen +Sätzen gelangten die beiden ins Freie. Der Figaro brachte +Castigliones Bericht durch seinen Interviewer, das Journal +sein Bild, der Polizeipräsident setzte eine Belohnung +auf die Erfassung der Attentäter. + +</p><p>Am folgenden Morgen machte Petrova Harri klar, daß +er nichts, Harri alles zu verlieren habe, und daß er Geld +brauche. Harri lachte und schlug ihm zweimal seine Handschuhe +ums Gesicht. Nun tauchte aber Gallow wieder auf, +eifersüchtig und gewandt versuchte er ebenfalls die Erpressung. +Harri gab ihm eine Banknote. „Einmalig . . . . +wie der Tod“, sagte er. + +</p><p>„Yes“ — Gallow. + +</p><p>Nach drei Tagen begann Gallow die Erpressung von +einer anderen Seite. Harri suchte ihn durch einen Dritten, +der zuhörte, zu fassen. Es gelang nicht. Als er ihm entgegnete, +daß er, wie seinerzeit den Störzer am Waldrand +bei Liskeard, ihm auf gleiche Weise Erpressung vor die +Brust schießen werde, fragte Gallow kalt: „Wieso?“. In +der Tat gab es gegen diesen eleganten und gefährlichen +Halunken kein sicheres Material. + +</p><p>Das sagte Harri zu dem Grafen Shanvady, als er +mit ihm vor dem Café d’Harcourt saß, und damit trat +Shanvady in sein Leben, in das er tief wie niemand einschnitt. + +</p><p>Shanvady frug, ob er ihm das Arrangement überlasse, +Harri nickte; Gallow verschwand. + +</p><p>Am gleichen Tag fuhr Harri ohne Shanvady mit Mirei +nach Fontainebleau. Das Wasser hatte eine zauberhafte +Durchdringung der Luft, die Parke standen hauchklar und +leicht. + +</p><p>Sie erregten sich aus der Beschwingtheit des federhaften +blauen Tags hinein in die Schönheit des, was sie umgab. +Er zeigte ihr den Hof, wo Napoleon Abschied nahm vor +Elba, und Sergeant Dubois durch einen Schrei die ganze +Kompagnie zum Heulen brachte. + +</p><p>Vom Wagen links und rechts sich neigend, verständigten +sie sich, daß hier der Rousseau gemalt, dort der bauernhafte +Millet, da der Daubigny, und am Ende überall der aus +Silber und Flöte die Welt geschaffen: Corot. + +</p><p>Schon im Schloß lächelten sie sich zu und begannen +die Säle zu durchrennen, immer süßer wie von ihrer eigenen +gleichströmenden Harmonie weitergetragen, bis Mirei +neben einer schlanken elfenbeinernen Vase der Marie Antoinette +stehen blieb, errötend, ihn erwartend und die Hand +auf der Brust, atemlos: „Fühlen Sie mein Herz“. + +</p><p>Alles war nunmehr aus ihr herausgetreten und hatte +sich in ihrem Gesicht aufgestellt, bereit wie mit einer großen +und feierlichen Zeremonie ihn zu empfangen und ihm entgegenzutreten. + +</p><p>Allein in diesem Augenblick entfernte sie sich unter seinem +Blick, er fühlte keinen Anlaß und keine Begeisterung hineinzutreten +in diese Welt, als sie sich ihm öffnete, er vermochte +sich nicht darauf zu spannen, daß dies ihm etwas +sei. Der Tod hatte ihn zu sehr entrückt, er bestand die +erste Probe nicht, mit der das Dasein ihn lockte. + +</p><p>Flaumenweich, dünn und zwecklos floß es ihm weg, +er neigte sich nur lächelnd und zurückhaltend, als höre er. +Abends nahm er im Luxembourg-Garten eine tschechische +Studentin mit, küßte ihre Knie und lachte über die Nationalbänder, +die sie durch ihre Wäsche geflochten. + +</p><p>Am anderen Abend eröffnete er mit Hallboog das Kabarett +in der Rue Champollion. Er suchte Hallboog damit +durch die Varietésensation in die Literatur hineinzubringen, +aus der dieser abgebogen war durch ein Weiberunglück, +und in die dieser ungebrochene und nur zum erstenmal zusammengeklappte +Jüngling mit penetranter Begabung gehörte. + +</p><p>Den Tag über hatte er alles, was irgendwie ihre +Kreise streifte, als Sandwichmänner mit Plakaten herumgeschickt. +Germaine, die er gestartet, war im Auto mit +Herren im hohen Hut angefahren, um als Favorite nun +wiederum diesen Start zu machen. + +</p><p>Shanvady in grünem Seidensweater, Apachenmütze, +Lackpumps und rotem Halstuch eröffnete, indem er ein +Florett durch das Billard stach und, das sechseckige Monokel +eingeklemmt einen dicken Herrn in der ersten Reihe +verhöhnte. In der Hand hatte er zwei Diskusse, die er +dröhnen ließ. In der vierten Nummer sang Germaine, +indem sie beinahe nackt auf dem Tisch tanzte: J’offre ces +violettes / Ces lis et ces fleurettes / Et ces roses icy / Ces +vermeillettes roses / Tout freschement écloses / Et ces +oelliets aussi. Die Spanier kamen, warfen ihre spitzen +Hüte hoch, schrien ihre Namen: Tomé . . . Elisabat . . . +Camacho . . . Curchuelo. Ein zamoranischer Dudelsack pfiff +dazwischen, aus den Ecken gingen Grammophone wie Böller +los, Überraschungstüren knallten mit aufgebundenen Akteuren +um eine wagrechte Achse. + +</p><p>Da sprang über einen Tisch der Holländer Visser, streckte +sich eine Sekunde mit dem pockennarbigen Gesicht wie ein +Pferd in die Höhe, machte einen Riesensprung und stieß, +ihm in die Augen sehend, Hallboog zwei Messer in den +Rücken. Die Scheiben des Cafés wurden eingedrückt, +Sanitätsleute liefen vom Boulevard herüber, das Polizeirevier +sperrte ab. + +</p><p>Sie frugen Visser: warum. Er vermochte nichts mehr zu +sagen als den Namen seiner Schwester, die verschwunden +war, er sagte ihn bis an sein Lebensende. + +</p><p>Das Komitee ward verhaftet und zurückbehalten. Shanvady +rettete sie, indem er plötzlich mit dem grauen Torpedoauto +der Botschaft vorfuhr. + +</p><p>Am anderen Morgen traf Harri, aus dem Metro steigend, +Mirei. „Wir sind im selben Wagen gefahren und +haben uns nicht gesehen.“ Er nickte. Ihr Gesicht sprang +fast wie dünn gewachsenes Glas unter den verhaltenen +Tränen. „Ich fahre am Abend.“ Er nickte und schwieg. +Sie gaben sich vor ihrem Haus die Hand. Bald darauf +kam Harri an die Seine. + +</p><p>Ein Dampfer legte bei an dem Steg, er bemerkte jemand, +der ihm winkte. Ein Engländer grüßte von dem +Dampfer mit hellen Handschuhen ihm herauf, aber erst, als +dieser die große Reisemütze abtat, erkannte er Petrova, der, +zwischen Lederkoffern und eine Frau neben sich, dem Glück +eines Tricks nachfuhr, der ihn in die Höhe geworfen, und +den sofort eine Rauchwolke, die das wendende Schiff machte, +verhüllte. + +</p><p>Vom Arc de Triomphe sah Harri die Stadt wie einen +Stern geordnet und Züge, die in das gewellte abendblaue +Ackerland hinausrollten. In einem der Züge war Mirei. + +</p><p>Gegen Mitternacht sprang er über das Gitter des +luxemburgischen Gartens, trat in die Platanenallee und kam +in die Nähe des Platzes, wo der Wind auf fünfzig Meter +die Fontäne gleich einer Peitsche herumschlägt. Auf der +Bank saß ein Mann, er erkannte, als dieser aufsprang, +Shanvady. + +</p><p>Harri hatte die Hände vor die Augen geschlagen, um +besser zu sehen. Das verkannte Shanvady und machte +eine Bewegung, die aufforderte, sich ihm vollständig hinzugeben. +Als sähe er in ihm einen Zusammengeschlagenen, +sagte er: „Kommen Sie mit mir, schließen Sie sich mir an. +Ich führe Sie, zu was Sie wollen.“ Harri starrte ihn an. + +</p><p>In diesem Augenblick kam die Fontäne armdick angesaust +und Harri fing sie mit der Brust und entgegengeworfenem +Gesicht auf. Damit waren sie zu nah in das mondvolle +Rondell getreten, die Wache am Schloß trat ins Gewehr, +ein Trommelwirbel, die Qui vives kamen durch die Bäume. +Die beiden sprangen zurück, machten kehrt, rannten durch +die Allee, über die Mauer auf die Straße und verloren +sich dabei. Anderen Morgens trafen sie sich, ohne von dem +Abend zu sprechen, im Zug nach Straßburg, von wo Shanvady +auf eine Besitzung fuhr. + +</p><p>Harri begleitete ihn nicht, versprach ihn später zu besuchen, +reiste weiter, im übrigen vergaß er diese ganze +Epoche rasch, sie blieb ohne Widerhall in seinem Leben. + +</p><p>Als er Fische wieder fing, war alles aus ihm heraus +mit dem Fluß schon abgeströmt und nichts da als das +pastellne Rosa-Schaukeln der Wolken und Dächer, das +Kuhgebrumm und das Schlafbedürfnis, das von den kräuselnden +Ulmenschatten über die abendlichen Matten herüberwehte. +Als er Dover sah, nahm er es nackt und ungetrübt, +ein Spiegel, der zum erstenmal die Welt in sich +spannte. Er sonnte sich wie in sich selbst ruhend, am Strand, +auf den Schiffen, als sei nur pausenloses Leben vor ihm +und hinter ihm nichts. + +</p><p>Es gab viele Genüsse freilich, die ihn leicht erheiterten, +aber es hätten ihn aus seiner entfernten Kühle nicht einmal +die Schmerzen getrieben. In Husum knackten die Fischermotore, +in Trouville sangen die Austernverkäufer weiter, +weiter . . ., in Hamburg krischen die Matrosen: „Glorie, +glorie, Hallelujah / Schön sind die Mädchen von Sankt +Pauli-Altona.“ In dieser Zeit vermochte er sogar viel zu +lesen und zu studieren. + +</p><p>Von Hamburg fuhr er plötzlich direkt zu Shanvady. + +</p><p>In einem dampfenden Gewitter an einer Wegkreuzung +der Vogesen ließ Shanvady ihn abholen in einem Wagen +des vierzehnten Ludwig, mit sechs Pferden, karmoisin und +golden, und einer Krone als Abschluß. Mit Fackeln kamen +sie abends in den Park eines Rohanschlosses. In einem +erleuchteten Fenster schwamm unregbar die Silhouette Shanvadys, +der mit sich selbst Schach spielte. Am Portal ließ +er Harri durch den Hausintendanten begrüßen, es lag eine +Absichtlichkeit wie die Vorbereitung eines heimlichen Ringens +in der Luft. + +</p><p>Auf der breiten Marmortreppe des Ausgangs bewegten +sich eine Dame und ihre Tochter zwanzig Stufen über ihm. +Plötzlich fiel mit glatter Bewegung die Hose des Mädchens +über ihre Schuhe. „Mais . . Juju . .“, entsetzte sich die +Dame. Das Mädchen schlug die Hose dem Hund neben +ihr ins Gesicht, erblickte Harri, streckte die Zunge heraus +und folgte ihrer Mutter wieder mit Ruhe. Sie hatte einen +Frottéstoff im Kostüm bis zu den Knien, war etwa siebenzehnjährig, +mit biegsamen Beinen. + +</p><p>Auf dem Balkon neben Harris Zimmer stand der Hausintendant +mit dem Gesicht einer Dogge. Der Stall war mit +einer Lichtschnur erleuchtet. Zwischen den Gartenbosketts, die +dampften, ritten Reiter durch die nächtlich blauen Schwaden. +In einem Springbrunn im Hof, auf dem der Mond lag, +standen nackte Jünglinge und hielten sich, murmelnd, an +den Händen. + +</p><p>Über sie aber kam aus der Ferne des Gartenrings ein +Laut, der vor dem Schloß fast starb, aber noch zitterte in +der Luft, weich und süß, spielte eine Weile, verschwand und +kam wieder an, die volle unruhige Nacht hindurch. + +</p><p>Beim Erwachen sah er vom Bett aus einen Mann in +roter Toga, eine Ziege an einem Band führend, das Haus +verlassen. + +</p><p>Es war die Zeit, wo Sekten anfingen in Deutschland +die geistigen Leidenschaften der Epoche, die noch kaum +donnernd unter der Zeit ihres Aufbruches lagen, in Vorposten +um kuriose Karikaturen zu sammeln, und wo die +Folien der Helden das Land durchstreiften. Ein Adept +seltsamer Prägung erschien bereits voll Bekehrungswallung +noch beim Ankleiden, der mit eingesunkenen Augen deklamierte: +Sinnlichem gelte seine und seines Lehrers Clique +Verachtung, worauf in Pyjamahose und nackter Brust nur +Harri sein Gurgeln gerade beendete. + +</p><p>Als der Diener im Tubbe ihn einseifte, fuhr der Adept +unbeweglich fort: Leben sei der Zweck, durch ewiges Training +der Seele zum Spiegel vergangener gelebter Leben +vorzudringen und mit solchen geistigen Reservedivisionen +das läppische Rätsel der Erscheinungen dieser Welt wie +mit Handgranaten aufzuschmeißen . . . . . . worauf mit +leichter Bewegung, den Schwamm hoch auf dem Nacken +ausdrückend, Harri freundlich über die Schulter frug, in +wessen fabelhafter Tat und Kühnheit sich diese Lebensfasson +am kräftigsten offenbare. Da geschah das Unvorhergesehene, +daß in das tiefe Schweigen beim raschen Niederbücken dem +Diener ein bestürzender Knall entfuhr. + +</p><p>Doch erschien glücklicherweise der Hausintendant, half +Harri in das über den Kopf gereichte Hemd und meldete +Shanvadys für ganz kurze Weile in der Nacht stattgefundene +Abreise. + +</p><p>In kurzen, kniefreien Unterkleidern stehend, Manschettenknöpfe +einziehend, meinte Harri, als der Adept nicht wich, +daß man beim Lesen feuchte Knie, im Schlaf hin und +wieder Hundeträume habe, im Gewitter grüne Leichen sehe +wie er sage, das sei amüsanter freilich wie manches, aber +was helfe es ihm, der auf das Frühstück aus sei, welches +englisch gerichtet mit einem kleinen Beafsteak und Anchovisfischen, +Porter und Marmelade und Lachs der Diener auf +der erhobenen Hand im Hintergrund anbot. + +</p><p>Als aber darauf der Hausintendant plötzlich nach dem +Garten schielte und mit zitternder Stimme auf eine schöne +Junonin neben einem taprigen, elegant arrangierten alten +Gecken wies und, eh er fortfahren konnte, der Adept zum +erstenmal seine verklebten Augen aufriß und mit schüttelnden +Verneigungen den Gaga als jenen Holzer grüßte, +der beim Feldzug der deutschen Seele nach ihrer zeitlichsten +Vertiefung die meisten Skalps gestochen, und wedelnd mit +seinem Skelett am Fenster knackte, ergriff statt jeder Kritik +und Würdigung mit Schwung, Harri neben seinem Bett +ein rundes Gefäß, drehte sich um: „Excusez“, worauf der +Adept bei dieser Anrufung der Natur wie unter einem +Donnerschlag verschwand. + +</p><p>Als er gelangweilt durch den Park strich, verirrte er sich +zwischen den barocken Hermen und kam erst durch ein Gezwitscher +zu sich, das ihn lockte. Er folgte um Gebüsche +und Steine, kam an den Uferrand und sah gerade noch +Juju. + +</p><p>Er trieb sie über den Fluß, aber als er um eine tiefere +Brücke herankam, entwich sie zurück, indem sie einen Zweig +erwischte und in einen Kirschbaum sich schwang. + +</p><p>Im gleichen Augenblick mußte Harri zurück, sich am Ufergebüsch +verstecken, denn aus dem Rondell trat eine Schar +Menschen, die teils sehr elegant, teils aber auch in Ponyfrisuren +und offenen Brüsten und Indianerhaaren die Zeichen +der deutschen geistigen Freiheit trugen, und einer baltischen +Weisheitsschule Couleur in Form eines Fürsten bei sich führten, +der unablässig an einem violetten Seidenkissen stickte. + +</p><p>Ihr jüngster Nachwuchs blieb mit hochmütigen Hälsen +unter dem Baum stehen und versuchte, indem sie ihre Beschwörungsformel +„tak . . . tak . . . tak . . . tak . . . ore“ riefen, +Juju zu locken, die ihnen Kirschkerne auf die Köpfe spuckte. + +</p><p>Da aber das gemessene peripathetische Schreiten dadurch +in Unordnung geriet, wandte sich der adlige Schreiber, der +den Turnus führte, herum und schlug dem Jüngsten Laotses +Sprüche heftig auf die Ohren, worauf der Fürst sich umdrehte +und knurrte, weil ihm mißfiel, daß der Aufenthalt +der Damenbeine halber geschah und erbost mit der Stricknadel +einen Jüngling piekte. + +</p><p>Als sie im nächsten Boskett verschwanden, rannte Harri +um die Brücke und kletterte in den Baum, wobei ein +Regen von Kirschen auf ein niederging. + +</p><p>Als er aber dem Ast nahkam, auf dem die langen schönen +Beine baumelten, ging ein Lärm los, als rausche ein Adler +in das Gezweig herunter, aber nach einigem Lauschen sah +er, daß es nur ein Dutzend Jünglinge waren mit wallenden +Togen, die gesenkten Hauptes hinter dem Mann mit +der Ziege herschritten, mit einer gewissen wallenden und +stolzen Bewegung der nach innen gesetzten Füße. + +</p><p>Harri bemühte sich ruhig zu bleiben, aber es war nicht +vonnöten, denn diese Männer sahen nicht herauf, sie murmelten +nur, indem sie zum Takt ihrer Füße den unteren +Rücken schwangen. + +</p><p>Die jungen Leute schienen noch weniger wie die Vorausgegangenen +Frauen zu lieben, ihnen genügte es immer nur +einen Namen zu lispeln, der wie „Georges“ ausklang und, +wenn er kein jüdisches Symbol bedeutete, ihn schließen +ließ, daß hier ein balkanischer Stamm sich in Riten übte, +worauf auch die Ziege den Akzent gab und ähnlich versunken +mit dem Steiß flog. + +</p><p>Im Augenblick, wo sie einbogen, ließ sich Juju an den +glatten Ästen heruntersausen, er konnte aber wieder nicht +folgen, weil um die Ecke in großer Erregung Menschen +sprangen. + +</p><p>Die schöne Frau des Vormittags zuerst, die Röcke +geschürzt, den Busen fliegend. Hinter ihr der Greis mit +falschen Hüften und Schminke im Gesicht, der sofort an +einer Ritze der Badezelle Posto faßte und der Entkleidung +zusah, die Harri vom Baum der anderen Seite durch das +offene Dach noch freier sah. Hinter einem Baum aber, +noch weiter hinter dem spekulierenden Holzer aber stand, +das Gesicht von Tränen überlaufen, der Hausintendant, +trostlos und ohne Hoffnung gegenüber so alter und konkurrenzloser +Leidenschaft. + +</p><p>Als aber die Dame das Korsett in der Badezelle abnahm, +war des Alten Erregung so gestiegen, daß er „Anastasia“ +zu rufen anfing und auf den Zehen hüpfte. In +diesem Augenblick zog ein Boot vorüber, am Steuer der +Adept des Vormittags, aber selbst das Gestöhn ihres Meisters, +der sich die Haare raufte und aus der Nase blutete, +weil Anastasia das Hemd mit dem Trikot wechselte, vermochte +sie nicht abzuhalten, die Augen niederzuschlagen +und „Heil“ zu rufen. + +</p><p>Durch diese Ablenkung erst vermochte Harri seinen +Posten zu verlassen, von zwei Zwergen verfolgt kam er +zum Lunch. + +</p><p>Aus dem Schlaf weckte ihn das tiefe Geräusch, das +den Horizont umspannte und dabei dünn und weich vor +dem Schloß erstarb, wieder ausklang und verging und jeder +Welle der Luft sich tausendmal mitteilte. + +</p><p>Im dunkelnden Garten rochen die Pechnelken wild herauf. + +</p><p>Hinter der Herme hörte er einen Pfiff. + +</p><p>Mit kleinen ängstlichen Schritten hüpfte Juju vor ihm. +Sie ergab sich am Sockel der Niobe, entsetzlich erschreckt, +weil im selben Augenblick ihre entzückende, breit plissierte +Hose wieder fiel. Juju auf dem linken Arm, die Hose als +Flagge in der Rechten, lief Harri in die Fliederpergola. + +</p><p>Sie entwand sich, er fand sie auf einer Schaukel wieder, +in der sie hoch über eine Wiese schwang. An den Füßen +zog er sie herunter. Sie schluchzte, als er sie ins Boot +hob. Er mußte zurück, ihr zitterndes Hundevieh Rouge +mit an Bord nehmend. + +</p><p>Als Wimpel wehte Jujus Hose, wie sie durchs Schilf +hinausstrichen. Plötzlich glitzerten ihre Augen, sie riß ihr +Kleid ab und warf sich mit einer rollenden Bewegung ins +Wasser in dem Badeanzug, den sie darunter trug. Er zog +sie wieder hinein. Sie landeten, sie verschwand im Schilf +und kam mit dem Badeanzug zurück, während die Vögel +aus dem Schlaf schrien. Ihre Beine wippten auf dem +Landungsbrett, dann flatterte der Trikot im Wind, sie +paddelten weiter. + +</p><p>Je tiefer sie aber trieben, um so deutlicher kam ihnen +das Geräusch entgegen, weicher und getragener in der +Nacht, und um so lockender zog es das Boot an. + +</p><p>Juju weckte mit der Blendlaterne die Fische, riß die vom +Licht Bezauberten heraus, drückte sie auf den Bauch, daß +sie die Mäuler aufsperrten und warf sie in das Wasser zurück. + +</p><p>Nun war es kein Zweifel mehr, daß das Geräusch, das +immer dunkler die Nacht erfüllte, Frauengesang sei und sie +fuhren darauf zu. Harri nahm Juju mit auf die Entdeckungsreise, +als er landete. Sie biß ihm vor Vergnügen +in die Lippe: + +</p><p>„Chéri . . . mon ami.“ + +</p><p>Sie hörte den Gesang zum erstenmal. + +</p><p>„Wie lange bist du da?“ + +</p><p>Sie wußte es nicht mehr. + +</p><p>„Wie lange bleibst du?“ + +</p><p>Sie lachte: „Fragen Sie Maman“. + +</p><p>An einem Teich vorbei, Hügel mit Statuen, die man +nicht erkannte. Jujus Arm an seinen angeklemmt. Immer +auf den Gesang zu, der flackernd manchmal hochstach und +dann in leichten Schwingungen sich vernebelte. Brausen +in der Ferne. Plötzlich kam ein Haus. + +</p><p>Die Tür ging in den Garten. Es wurde vollständig +still. Jujus Zittern ging durch seinen Rock. Im gleichen +Augenblick erhellte sich eine Partie des Gartens wie ein +langer silberner Streifen. Harri strebte danach, zuckte zurück, +sie stießen an elektrische Drähte. Die Tür zurück war geschlossen. +Im gleichen Moment begann das Singen wieder. + +</p><p>Der lichte Teil des Gartens <i>bewegte sich zu einem +Zug, der wie auf einer Leinwand bebte,</i> zu verhüllt, +um lebendig, zu sicher, um nur gedeutet zu sein. + +</p><p>Er sah den Zug vorüberlaufen, und vergaß Juju, die +vor ihm stand: + +</p><p>Da kamen blonde Tscherkessinnen. Polinnen mit roten +Lederstiefeln bis zur Scham. Im Blusenhemd warme +Bornholmerinnen. Provenzalinnen mit Olivensträußen am +Gürtel. Jütische Fischerinnen mit schlanken, sehnigen Armen. +Die Diana von Aleppo. Eine weißblonde Finnin von den +Stromschnellen, eine kleine von den Hochzeitsgütern. Neuseeländerinnen +kamen, Kinodiven mit kurzen Rücken, hochbeschuht. +Jüdinnen mit roten Haaren. Kleinasierinnen in +Kleidern Poirets, den Bauch herausgepreßt. Kunstreiterinnen +sausten vorbei, Russinnen mit Madonnenscheiteln, +Armenierinnen mit den Hüften der Wolfshunde. Negerinnen, +die schöne Melonenbrüste über der Schulter trugen. +Arabische Frauen auf Pferden, kleine Irinnen, fliegende +Frauen aus Normandie, Zigeunerinnen mit heller Iris, +Provinzmädchen aus Krain mit anmutigen scheuen Knien. +Dahinter Winzerinnen vom Elsaß, Sehnsüchtige aus Madrid, +Barcelona, Chinesinnen, die Brustwarzen rot bemalt, +Australinnen, glatt wie Zebufell. + +</p><p>. . . . . . Augen, Hüften, Beine kamen. Füße schritten, +die auf Kies nicht treten konnten, Zehen, denen Blumen +zu schwer waren, Knöchel so hochgespannte, daß sie die +Sandalenschnur verschmähten, Waden, geschwungener als +Kallastengel, entfalteter wie Orchideen, Arme, die besser als +Vögel schwangen, Hälse kühner als Fliegerkurven gezogen, +Achseln, die wie Schwanennester schwebten, Brüste wie +Hügel der Bretagne aus der blausten Abendferne, Leiber, +die mit der Bewegung der kühnen Gestirne aufzogen, +Schenkel, die leichter als die erlesensten Tiere auftraten, +Knie, deren Leichtigkeit Reh und Panther und Flamingo +verjagte, Hüften, die der Eleganz der Rennmaschinen den +Zauber der Erntefelder und Flüsse hinzufügten. + +</p><p>. . . . . Soubretten mit offenen Munden, Autofahrerinnen +in Schleiergesichtern, Huren, die auf die Brust sich wiesen, +Verbrecherinnen mit Quarzaugen, Damen, die wußten, +alles sei duftig, reizvoll, sie angemessen erwartend in ihrer +Sicherheit, Seglerinnen mit Nacken wie Katzen gespannt, +Reiterinnen mit bleichen, herrschsüchtigen Gesichtern, Mädchen +mit Gliedern, als trüge jeder Muskel ein Service, +Schauspielerinnen mit roher Träumerei vor dem Auge. +Frauen mit Landschaften um sich, Cornwall und Gibsons +Wald, burgundische Täler, der Po, die Rheinflüsse, Verona, +der Ammersee. Frauen, hinter deren Kniebeuge das winterliche +Gebirge aufschoß, unter die der Schwarzwald vom +Merkur bis Badenweiler sich unter die Abfahrt legte, +Frauen, um die Schiffe und Signale wuchsen, tropische +Städte sich formten, Abhänge glitten. Frauen, um die +der sommerliche Horizont flog, die über Birkenrinks bei +großen Concours wegsetzten, Frauen auf dänischen Gütern, +dalmatinischen Schlössern, Frauen, um die das Meer aufscholl, +die in Jachten bräunten, die durch den Herbstwald +hetzten, Frauen, deren Füße die Liebkosung der Maimatten +kannten, Frauen, die durch die afrikanische Nacht auf Tiere +schossen. + +</p><p>. . . . . . Polinnen aus Krakau, Rumäninnen mit lasterhaften +Händen. Griechinnen von Smyrna, geduckte Frauen +aus der Krim. Karthagerinnen. Die kriegerischen Weiber +des Helesponts, Amazonen mit weißen Hengsten, Negerinnen, +gleitend mit Bogen. Frauen mit üppigen Brüsten +unter Ketten und Bronze, rote Haarbüschel über der Stirn. +Die säbelschmalen Weiber aus Damaskus. Frauen mit +Lippen, geschlitzt, sanft wie Mondfahrt, Lippen wie Trompeten +geballt. Frauen, windhaft wie Segel, schwirrend +wie Pfeile, mit Fruchtglanz aus Bagdad, Spiegelnde aus +Kairo, von Ceylon, Beirut. Frauen mit großstädtischen +langen Schenkeln, die nur Teppiche und Wagentritte berührten. +Mit mozartischen Gelenken. Mit Goldflecken auf +dem Rücken. Mit Niggermusik in dem Bauchmuskel. +Kühle Schottinnen. Amerikanerinnen mit Diamanten in +den Zähnen. Dalarnische Baronesse mit Blau wie Blitzen +im Blick. Frauen, die Stirn verschleiert. Frauen, Unzüchtiges +im weichen Blick, Frauen mit aufgesprengten +Lippen. Frauen aus Bayreuth, aus den Starnbergschlössern. +Frauen aus den Pyrenäen. Ruteninnen, deren Väter Franzosen +waren. + +</p><p>. . . . . . Frauen kamen mit harten, glatten Beinen. +Frauen, die sich umarmten und dem Mann noch unergründliches +versprachen. Frauen mit Unterwerfungsgebärden. +Frauen, die vorn am Dampfer standen. Frauen von Sieg. +Frauen von Windspielen umgeben. Frauen im Wagen +durch die Steppe gejagt. Frauen mit schimmernder Haut. +Frauen, die ihr Gesicht sekündlich wechselten. Frauen mit +grausamen Beinen, mit Madonnenhänden. Frauen mit +tätowierten Armen. Frauen aus Syrakus. Frauen vom +Sudan. Ätiopinnen, die auf Vogelschreie horchten. Frauen +aus Eisenbahnen hinausgelegt. Frauen, die mit ihrem +Körper den Erdball versprachen. Frauen, die wie Moos +rochen, wie Klee, wie Neckar, wie Fasane, wie Palermo, +wie die Nordseebäder, wie Borkum, Abwinkel, wie Teer, +und Sonne und Sand, wie die Haut der Vierzehnjährigen +im Juli im Inselhotel des Bodensee. + +</p><p>. . . . . . Es kamen Frauen, die Australien plötzlich auf +den Handtellern trugen. Frauen, in deren Augen tödliche +Geschichten eingeschrieben standen. Frauen, die zwei Meter +über dem Netz den Tennisball im Sprung noch hielten. +Bobfahrerinnen, Träumerische vom Engadin, aus der Eifel. +Frauen als Tänzerinnen. Mit Flöten. Frauen, blumenhafte, +Frauen, die ein Wort knickt, Frauen wie Hyänen. +Frauen mit Spitzenwolken, belgische Nutten, kleine gelbe +Katzen aus Chile. Pumas, nackte Räuberinnen, Frauen, +die einen Fjord überschwammen. Frauen, die Timbuktu +plötzlich entfachten, die Fidschiinseln, Honolulu malerisch +zwischen den Brüsten wiegten. Frauen wie Luchse, wie +Kaninchen, wie Papageien. Pompejanische Jüdinnen, Katalonierinnen, +Frauen vom Roten Meer, von der indischen +Bay, heiße Weiber aus Syrien, antilopenschmale Berberfrauen. +Frauen, die den Sternaufgang über den Schären +beschworen. Frauen, die Tod hießen oder Pensée. Erregte +mit verschlossenem Mund. Von Gibraltar. Von Bagomoio. +Jungfrauen, von Löwen antik gejagt. Blonde Maurinnen +aus Saragossa. Prinzessinnen mit Pferden an der +Hand. Mimi Pinson, Ruth St. Denis, Aino Akté, die +Hasselquist, die Durieux. — Isis und Huschnaia. Göttinnen +in einem wundervoll vollendeten griechischen Flug, +mit überirdischen Lanzen und menschlichen Leibern. — — + +</p><p>Das Fieber brach ab, wie es kam. Der Garten losch +aus, der Zug war aus. In das Dunkel stachen suchend +zwei Laternen. + +</p><p>Der Garten war leer. + +</p><p>Sie umgingen torkelnd die Drähte, die mit einem Mal +sie nicht mehr hemmten. + +</p><p>Hinter ihnen hielt Shanvadys perlgrauer Wagen, der +Chauffeur stand mit dem Hut in der Hand am Schlag. +Sie stiegen fluchend hinein. In einer großen Schleife +fuhren sie nach dem Schloß. Einmal hielt der Wagen. +Da lag ihr Boot am Fluß. + +</p><p>Noch zweimal hielt er. + +</p><p>Jedesmal kam aus der Landschaft ihr erster Dialog. +„Chéri . . . mon ami.“ „Wie lange bist du da?“ Pause. +„Wie lange bleibst du da?“ „Fragen Sie Maman.“ + +</p><p>Dreimal warf entsetzt Juju die Arme um Harris Hals: +„Mon ource . . . mon rigolot . . . mon grand bébé.“ Aber +sie zitterte nur wegen dem Wort „Maman“. + +</p><p>Harri lag im Wagen. Er überlegte nicht, was an Geheimnissen +die Nacht füllte: Welche Frau Shanvady verstecke, +welche Technik er zu solchem Bluff ersonnen, wie +er ihn gefangen, wie er ihn gereizt und düpiert. Er ahnte +nicht, wie weit der Kreis um ihn geschlungen, in dem er +sich verwirrt. Er spielte nur mit Jujus Hand, es war +ihm gleich. + +</p><p>Das Schloß war erleuchtet. Auf der Diele erwartete +er Juju, die sich umzog, auf der Treppe küßte er ihrer +Mutter die Hand, die sofort hinter dem Fächer mit ihm +kokettierte, was Juju errötete. Im Billardsaal stand +winkend Shanvady. Er sah ihn zum erstenmal jetzt +lächelnd. + +</p><p>Sein Lächeln deutete, daß das Geheimnis, dem sie +nachgepirscht nicht entwirrt werden könne, und daß der +Versuch es zu lösen, nur noch stärker an es verstricke. + +</p><p>Aber Harri stand kühl beiseite. Er fühlte, nicht beteiligt +genug auch hierbei, daß Shanvady den Reiz, der ihn unbewußt +zu ihm geleitet seit jener Nacht im luxemburgischen +Garten, selbst zerreiße, indem er ihn darin zu fangen +suchte, und daß das Messen und Ringen, das Shanvady +aufgestellt, darum für diesen verloren war, nicht für ihn. +Ein Sieger wider Willen hob er die Augen. + +</p><p>In dem Augenblick, wo Shanvady, der Seelenfänger, +ihn unterjocht dachte, weil er endlich seine Apathie in die +Maschen eines unlösbaren Reizes in der Falle glaubte, +riß er den Zauber durch, den Shanvady auf ihn ausübte. + +</p><p>Es gelüstete ihn nicht, das Geheimnis zu lösen. Er ließ +es fahren ungeöffnet. Es reizte ihn nicht mehr. + +</p><p>Wie unter einer abgründischen Melodie trieb es weg +wie alles wegtrieb, was an ihm gezogen. Als Zuschauer +floß ihm dieser Tag fort wie jeder andere Tag, er vergaß +ihn, vergaß die vorigen. Als sein Auge Shanvady traf, +der mit einer leisen Gebärde seine Überlegenheit hißte, erbleichte +Shanvady unter dieser unbeweglichen Kälte, die +nichts rührte. Die Gebärde zerbrach mitten im Schwung. + +</p><p>Harri sah schon durch Shanvady hindurch, all der Plunder +um ihn zerfiel. + +</p><p>Es war grauenhaft, mit welcher Leichtigkeit er sich auch +aus dieser Atmosphäre löste. Sein Hirn war plötzlich nur +eingestellt von dem Drang wegzufahren, das erfüllte ihn +mit einer wunderbaren Helligkeit, er kam sich den Abend +von solcher Leichtigkeit getragen vor, daß es ihm schien, er +vermöge die Erde auf den Spitzen der Finger zu halten. + +</p><p>Als er aufwachte, sagte ein Brief Jujus, daß sie abgefahren, +aus Eifersucht auf Maman. Am Tag zauberte +Shanvady noch einige spielerische Dinge, die ihren Kreis +um alle Anwesenden spannten. Anastasia war die Nacht +verschwunden. Mittags brachten die Weisheitsschüler ihre +Kleider, widerstrebend, an den Zipfeln, da die Georgesleute +sich geweigert hatten, die Jünglinge Holzers aber unter +Weheruf den Ort geflohen seien, wo Weiberkleider lagen. + +</p><p>Da sie am Fluß lagen, bedeutete es Anastasias Tod. Eine +Zeitlang plauderte Holzer, dann stand er langsam auf, mit +seinem gebräunten Schnurrbart wie ein ägyptischer General, +griff in den Mund, riß das Gebiß mit den vielen Goldplomben +heraus, zerschlug es am Boden, gurgelte nwao . . . +uaiii. Sah um sich, nichts als Jugend und ging an einem +Stock hinaus ins Greisenalter, gehässig, demütig, ein röchelndes +Skelett. + +</p><p>Mit einer zärtlichen Bewegung öffnete nunmehr Shanvady +den Ring dieser Katastrophe, in der er Schicksal gespielt, +Anastasia nach Genf beordert, die Maskerade zur +Tragödie getürmt, mit heiterem Nachspiel, indem er den +Hausintendanten mit Halali nun und freiem Pirsch dem +Weib nachschickte, in seinem eigenen Wagen, von Tränen +des Glücks überschwemmt und in himbeerroter Livree. + +</p><p>Es half Shanvady nichts, diese Kritzeleien. Am Abend +fuhr Harri. Im Wagen des vierzehnten Ludwig, karmoisin +und golden, mit sechs Pferden, eine Krone als Abschluß, +Fackelträger, Reiter, vor ihm, hinter sich. Shanvady reizte +ihn mit nichts mehr. Vorbei. + +</p><p>In Paris lernte er Blériot kennen. Der Meister hatte +gerade den Kanal überflogen, die Welt schien von Möglichkeiten +um so tiefer ins Herz bedroht, als die neuen Waffen +noch phantastische Erweiterungen zuließen und fast noch +keine Pioniere hatten. Zweimal fuhr er mit Blériot als +Passagier, schon figurierte sein Bild neben dem Blériots +im „Journal“, „Matin“, „Petit Parisien“. Auf dem Marsfeld +stellte des Meisters Handbewegung ihm Maud Kordelin +vor. + +</p><p>Sie sah ihn nicht an. + +</p><p>Als er zu Elie Abrahamowitsch nach Neuilly in den +Hangar fuhr, sah er sie wieder. Sie sah ihn wieder nicht. +Er schob an ihr vorbei, an Balanceproben vorüber, durch +angekerbte Drähte, deren Wundstellen unter Flammen standen, +an deren Ende elektrische Hebel zogen und Uhren notierten, +bei welchem Druck sie rissen. Elie verbeugte sich +etwas vor dem Passagier Blériots, auf seinen Wunsch +brachte Maud Kordelin ihn mit der Zeichnung zurück, um +die Konkurrenz zu ehren. + +</p><p>Sie lag im Torpedospritzer, führte das Rad über dem +Kopf zum Steuern, die Luft schoß wie unter Wasser kräuselnd +gegen das dicke Glas der Schutzplatte. Als er ausstieg, +schob sie den Wagen in eine Sprungkurve, ohne ihn zu +beachten. + +</p><p>Am nächsten Morgen trat Harri bei Rippère ein, acht +Wochen vor dem Concours, einen Schal um den Hals. + +</p><p>Vier Tage arbeitete er mit einem mechanischen Hammer +in einem Messingkessel. Der Hammer tat hundertfünfzig +Schläge die Minute. Als die Bänder genietet waren, +hörte er nichts mehr, zwei Tage später war er darüber +weg, trainiert auf jedes Geräusch. Im Ausprobraum zwischen +fünfundzwanzig Motoren von pro Stück zweiundzwanzighundert +Schlägen Tourenzahl die Minute, kontrollierte +er zwischen farbigen Gasen und feurigen Säulen über +den Ventilen die Auspuffung, den gleichmäßigen Herzschlag +der Eisenkuben. + +</p><p>Um das Getös, das bald wie etwas Festes und Gefrorenes, +fast greifbar, dastand, rauschten die Thermosiffons +der Wasserkühlung an den Wänden herunter, erhitzten sich +auf achtzig Grad in der gleichen Sekunde und stiegen in +langen Schwaden von selbst wieder auf. + +</p><p>Er kam zu den Einfahrern der neuen Wagen. + +</p><p>Mit den Stellwagen ohne Karosserie begaben sie sich in +die Kilometer. Mit Kupons, die im Midi, bei Brest, in +Marseille testiert wurden, mit Stechuhren, mit dem Befehl +die Maschinen an der Rhone, in Calais, in Tarascon zu +zerlegen und zusammenzusetzen, schnitten sie mit Schußlinie +über die Chausseen. + +</p><p>Eingedrückt wie Affen, mit der Scheibe der Steuerung +spielend, lernten sie das Verwachsen mit dem Material, +beherrschten den Stahl mit dem Hirn, liebten die Maschinen, +wurden wieder geliebt. + +</p><p>Sie rissen beim Überrunden einem Möbelwagen die eine +Seite ab, aber sie behielten den Auspuff genau im Ohr. +Mit zitternden Flanken ließen sie die Wagen wie Pferde +auf der Weide, trafen sich in einem Weiler, einem Gehöft, +würfelten, tranken Absynthe, schlugen sich, machten ein Rennen +unter sich. Stanken nach Benzin wie die Ochsen, trugen +gelbe Schuhe, englische Anzüge unter den Leinenblusen, die +Zigarette nie aus dem Mund. + +</p><p>In der tollkühnsten Gefahr verloren sie nicht die Besinnung. +Nur wenn sie kühl waren, ging der Verstand +ihnen in die Lappen. + +</p><p>Drei Tage blieb Harri im Büro, zwei auf der Rennbahn, +zwei bei der Konstruktion. Auf der Eisenbahn, +Compagnie de l’est, lernte die Verstopfung der Gase, die +Qualität der Kohle, der Öle und Benzine. + +</p><p>Bei Renauld erlernte er die Systeme der Konkurrenz, +bei Pairfax die aus beiden gezogene Essenz. Nun hatte er +den Radius abgelaufen, die Intimität zum Gegenstand erreicht, +den Querschnitt durch das Technische gelegt. + +</p><p>Er beherrschte und liebte. + +</p><p>Er war imstande, Sympathien vom Schwung eines +Tenders, der Flanke einer stählernen Blitzzuglokomotive, +von der Melodie eines angeschirrten Flugzeugs, das aus +allen Seilen sang, zu spüren. + +</p><p>In der vierten Woche trat er bei Blériot in den Hangar, +der Schatten der ingeniösen Nase und des Vogelkopfs mit +der verkehrt gesetzten Mütze lag an der Wand wie mit +Dynamomäulern nach allen Seiten gerissen. Sechs Wochen +übte Harri mit ihm, bediente den Sturmvogel, dem keine +Kühnheit nicht kalkulierbar, kein Tod nicht ausmeßbar und +zu überwinden war. + +</p><p>Er liebte an dem Flieger das Unerschütterliche. Dieser +gewöhnte sich bei Harri an das Nichtmitreißbare. + +</p><p>Gegenseitig liebten sie ihre Kühle und Distanz, die bei +dem einen das unentrinnbare Erlebnis des Todes geformt, +bei dem anderen sein Durchmarsch durch solch unvorstellbare +Kurven der Kühnheit des Geistes und der Gefahr, daß er +die Welt nicht verachtete, sondern sie jenseits des Zynischen +schon wieder verstand. Sie empfanden, daß die +nach außen gekehrte Reserve eines jeden von ihnen kein +Manko, sondern der gehärtete Widerhall einer feurigen +Seele sei. + +</p><p>Harri lernte, daß die Welt als flache Scheibe zurückfiel, +wenn er das Steuerrad zurückriß, und wenn er dann nach +hinten sich warf, daß blaue Luft die Erde tiefer zurückstieß. +Er fühlte das Grausen der Vertikalböen als Musik im Blut. +Die Verwindung, die vom Rad nach der Stange des +äußersten rechten Flügels lief, knirschte kurz und rollte. Die +Klappe des rechten Flügels stieg unter seinem Druck. + +</p><p>Die Schnur lief langsam über den Kreis hinüber nach +links, der linke Flügel senkte sich ein wenig. Die Kreuzung +der Schnur verschob sich rasch. + +</p><p>Nun fühlte er das wunderbare Gefühl des Kreises, den +die Libelle machte, als befreite Bewegung seines Körpers, +dann zischte der Renner in kurzen Spiralen hoch in Blériots +Hand. + +</p><p>Er lehrte Harri das Neigen, den Fall nach vorn, der +das Flugzeug senkte, beim Seitensteuer die Gleichzeitigkeit +der Fußbewegung und des Flügelaufhebens. Er lehrte ihn +den Mut der Sicherheit, nicht den der Gefahr. + +</p><p>Er bewies ihm die Klarheit in der Berechnung der Tatkraft, +das Überschießende der Sicherheit gegen die verderblichen +Möglichkeiten. Er führte auf Umwegen ihn jederzeit +dahin, über das Ungefähre der technischen Dinge und ihrer +begrenzten Beherrschung die ausgerechnete wasserhelle Sicherheit +der Überlegenheit zu halten, der nichts gewachsen war. + +</p><p>Sieben Tage vor dem Concours wechselte Harri hinüber +zu Abrahamowitsch, der ein neues Modell startete. + +</p><p>Von Blériot erfolgte nichts, er rührte sich nicht. + +</p><p>Einen Tag vor dem Concours nur zog er seinen Namen +aus der Liste, zwei seiner Schüler sprangen für ihn ein. + +</p><p>Auf dem Marsfeld probte Harri zwischen Elie und +Maud Kordelin auf dem dreiteiligen Sitzbogen. Am sechsten +Tag plombierten sie die Libelle, ließen sie durch zwei der +besten Monteure Tag und Nacht im Schuppen bewachen. + +</p><p>In der Nacht gab Harri ein Fest, die Leute tanzten, +steif und besessen zum Takt von Motoren, jagten dann um +zwölf, der Herren ledig, weg nach Neuilly. + +</p><p>Mit einer raschen Bewegung sprang Maud Kordelin +in den Wagen, reichte Harri die Hand. Mit ihren schräg +stehenden tatarischen Augen sah sie ihn zum erstenmal +grau an. + +</p><p>Der Skandal der Buchmacher und Presse, denen Harris +Wechsel der zum erfolgreicheren Konkurrenten war, gab +Elie eine erhöhte Reklame, aber sein blasses und scharfes, +auf dem übergroßen Körper immer umnebeltes Gesicht bemerkte +es nicht, nur ausgefüllt von den Kombinationen +seiner Modelle. + +</p><p>Was er vom Äußeren der Welt begriff, vermittelte ihm +unbewußt sein Instinkt. Was er erreichte, gab ihm sein +Erfolg. Das Übrige des Daseins war Arbeit, weiter nichts. +Selbst das Weibliche erreichte ihn nur dort, wo das Schöpferische +begann, und mit der Kordelin Fanatismus traf sich +nichts von seinem Wesen in ihrem Haus am Bois, sondern +begegnete sich Aufleuchtendes nur, wenn seine Arbeit sie in +das Atelier am Montparnasse hinaufriß. Ein Leben daneben +gab es ihm nicht. + +</p><p>Bei der Prüfung des Reservemotors warf sich Elie mit +einer kühnen Bewegung auf den Apparat und blieb das +Ohr an seinem Auspuff liegen. „Sie traitieren die Maschinen +wie andere die Frauen“, flüsterte Sauerwein vom +„Matin“ mit frivol gesträubter Mouche. „Aber wir sehen +die Frauen nicht wie Sie die Maschinen“, sagte Elie. + +</p><p>Der Motor ward eingebaut in einen Reserveapparat, +die Photographen tickten. Harri gab angeschnallt vor Mauds +Kopf den Ruck nach der Signalflagge. + +</p><p>„Ich bitte Sie wiederholt, kein Korsett zu tragen“, zischte +Elie hinter ihm, als er Maud anband. + +</p><p>Das Gebrüll der anschiebenden Monteure hallte rhythmisch +heraus, schon schwebten sie auf Rue St. Honoré, die +längste Straße Frankreichs. + +</p><p>Sie befuhren Rue de Courcelles, da fiel Paris ein geöffneter +Fächer ihnen entgegen. Elysée, Rue de Courcelles, +Rue de Washington, Rue de Berry, die Place Vendôme. +Sie fuhren Place Concorde, die Tuilerien, die Mairie des +achten Arrondissements, das Ministère de l’intérieur. Sie +schwebten auf einer sanften weißen Kaskade, den Champs +Elysés. + +</p><p>Sie fuhren Arc de Triomphe, fuhren das kochende Silber +der Seine, fuhren dunkelrot gebäumt Trocadéro. Fuhren +Quai de Passy, Quai de Grenelles, Rue Mozart, Porte +Molitor, Avenue de Versailles. + +</p><p>Sie fuhren zurück: Rue de Vaugirard, Boulevard Raspail, +gläsern der Monparnasse. Fuhren Boulevard Port +Royal, Boulmich, Bullier, Jardin du Luxembourg. Notre +Dame, Boulevard St. Germain, Jardin des Plantes. + +</p><p>Sie fuhren Halles Centrales, Quai du Louvre, Rue +du Quatre Septembre, die Börse, Gare de l’est. Fuhren +Marcadet, Poissonnières, Porte du canal St. Denis. Solang +sie fuhren, spürte er Mauds Knie. + +</p><p>Sie fühlten das Herz plötzlich in den Schläfen: das Meer. + +</p><p>Sie jagten darauf zu. Ein Bienenhelm saß die Sonne +auf der Fläche. Der Rauch der Brandung verging in +Mövenschwärmen. Wie eine Wolke hing das Meer mit +wilder Anmut zwischen den Kreidefelsen. + +</p><p>Harri schaltete aus. In streichelnder Grazie berührten +sich die zartesten Wellenkämme mit dem Gleiten des Flugzeugs, +dann stießen sie auf den Strand. + +</p><p>Der Brandungsstreifen lief nach der Seezunge St. Valérie, +mit vielen Booten davor. Fischerknaben brachten +Picknick. Im Anblick der Ruhe und des über das Blau +tief heraufsteigenden frühen Sommers bekam Maud Lust, +die Tage der Langweile und Ruhe vor dem Concours in +die Normandie zu fahren. Elie nickte, während die Fischerjungen +anschlichen und ihr bunte Muscheln in den Schoß +warfen. + +</p><p>Aber als Harri unter dem Glasdach Abrahamowitschs +sie holen wollte, sagte Elie ab. Die Ausbalancierung der +Libelle mußte auf ein Fabriktelegramm hin noch einmal +durch einen Rechentrick laufen. + +</p><p>Sie fuhren zu zweit allein, Maud nahm das Rad, sie +fuhren direkt ans Meer, erreichten es bei Le Tréport. Maud +bog von der Landstraße ab und fuhr direkt hinein, bis die +Hinterräder in der Luft rotierten. Als sie die Strümpfe +auszog, stand sie gegen das Meer in Muskeln und Sehnen +geschmeidig, eine junge Athletin. Der Morgen jagte mit +hellen dichten Wolken. In Eu strahlte es schon . . . . . . +Gamaches . . . . . . Dieppe. In St. Valérie tranken sie +Schokolade auf der Straße . . . . . . Fécamp . . . . . . Montvillier +. . . . . . Le Havre . . . . . . Harfleur. + +</p><p>Die Seine wuchs ganz groß ins Meer. Über Deauville +mit einem Tulpental nach Caen. Sie ließ das Steuerrad +nicht aus der Hand. Sie fuhren noch lang in die +Dämmerung, hörten den Meerschlag durch das Dunkel +dann brechen. In einem Dorf machten sie Halt mit einem +übererhitzten Kühler, es ging nicht mehr. + +</p><p>Sie setzten den Apparat in Meerwasser, zogen sich für +ein paar Stunden zurück. Harri hörte nach einiger Zeit, +aufs Bett ausgestreckt, die Matrosen und Fischer unter dem +Fenster. Sie grinsten, klopften sich den Bauch, ein Kupferkopf +stopfte einen Tabaksbeutel sich selbst ins Maul, zwischen +den Öllampen und Netzen humpelten fluchende Alte, +breimäulig liefen sie nach dem Meer. + +</p><p>Als Harri ihnen folgte, sah er Maud aus dem silberüberschütteten +Meer auf den Sand kommen, mit einem +tierisch hinreißenden, kaum unterbrochnen Weiß der Haut +und mit amazonenhafter Bewegtheit ihren Bademantel +umwerfen. + +</p><p>Er sicherte, ohne daß sie es sah, ihren Rückweg. Eine +Stunde noch lag er in der Hitze auf seinem Bett. Eine +Holzwand trennte sie. Jedes Geräusch kam durch die Fugen. +Dann stand er auf, ging hinüber und klopfte. + +</p><p>Einen Augenblick zögerte sie an der Tür. Dann öffnete sie. + +</p><p>„Sind Sie sehr müde?“, sagte er ruhig. + +</p><p>Sie lächelte. + +</p><p>„Fahren wir weiter.“ + +</p><p>Sie nahm die Mäntel und Decken: + +</p><p>„Gut.“ + +</p><p>Mit Pfeifen und Gläsern voll Cidre torkelten die breitbärtigen +Fischer im Hof, die roten Boutons ihrer Mützen +schwankten. Sie rissen die Mäuler auf, rollten die Augen. +Zum Schreien waren sie zu sehr betrunken. Sie hatten +einen schwerhörigen Kapitän in der Mitte, der sich bemühte, +die Fäuste unterm Kinn, sie zu verstehn und laut +lachte, wenn sie nichts sagten. Er hatte nicht begriffen, +warum sie so erregt waren, aber er verstand, daß sie besoffen +waren und gröhlte am lautesten, als ob er es wüßte, +warum. + +</p><p>Das Auto gab ihm bei der Ausfahrt einen Rand, daß +er hinschlug, mitten in das Geheul der anderen, die schon +selbst beim Anblick der Abfahrenden vergessen hatten vor +Schnaps, warum sie verrückt auf die Bäuche sich schlugen. + +</p><p>Mit einer silbernen Fahrspur kam ihnen über der Chaussee +der Mond aufgezogen. Sie fuhren zwei Waldwege, fuhren +einmal dicht am Meer, fuhren durch Nebelwiesen, bissen +mit vier Laternen Gespenstiges in das Gewoge. + +</p><p>Als sie wieder frei sahen, schob Harri ihre Hand mit +einer selbstverständlichen Bewegung vom Steuerrad. + +</p><p><i>Er</i> fuhr. + +</p><p>Sie hinderte ihn nicht. Die Küsten fielen in großen +Erkühnungen in den Kanal. Der Vergaserhahn rotierte +in seiner Hand. Er fuhr, daß Maud an den Kurven sich +hielt, um nicht hinauszufliegen. Fast träumerisch lagen ihre +Augen, ihre Glieder entspannten sich in einer weichen Gegebenheit, +ihre Blick suchte das Steuer immer, das er +führte, suchte den Mond, der lilienweiß im Tag noch stand, +ging die Normandieküste nach Süden hinunter und fiel +wieder auf seine Hand. Sie ließ Grandville . . . . Abranche +vorübergleiten, den elastischen Halbkreis um die Bucht +St. Michel. Als Harri hielt, lag in Orangesonne der +Hafen St. Malos unter ihnen. + +</p><p>Hier endete ihre vorgeschlagene Tour. + +</p><p>Ihre Lider trugen eine Weichheit, die von der Bai +heraufkam und der sie sich hingab, als kennte sie das nicht. + +</p><p>„Sie hätten mich lieben sollen“, sagte Harri. + +</p><p>„Zu spät.“ + +</p><p>Sie wandte sich um. Er hörte nicht auf sie zu küssen. + +</p><p>Sie jauchzte in jede Umarmung hinein mit einer Kraft, +die eine Verhaltenheit aufriß und in ihr ergoß. Glühend +an seiner Seite fuhr sie zurück. + +</p><p>Am Tor des Hangars in Neuilly stand Elie. Sie +sprangen beide aus dem Wagen. Die Männer musterten +sich einen Augenblick, Elies Pupillen waren sehr weit geworden: +„Die Konferenz hat eine andere Balanceberechnung +ergeben. Sie scheiden aus. Isaac fährt“ + +</p><p>Beide sahen auf Maud. + +</p><p>Einen Augenblick schwankte sie, ob sie sich hinüberwerfen +solle zu dem, der sie in ein kaum geöffnetes Leben riß, aber +als nichts von diesem her erfolgte, der kühl und aufmerksam +beobachtend dastand, wandte sie sich zu Elie, dem ihr +Fanatismus und die Arbeit sich entgegenwandte, und das +Mitleid, daß seine große Kraft einen Augenblick lang zur +Entscheidung voll in ihren Händen lag. + +</p><p>Beim Start am andern Morgen weigerte sich Elie zu +fahren, reagierte auf keinen Aufruf und blieb nachlässig bei +seiner Libelle. Das Publikum bedrohte die Startrichter +aus Angst, daß Intriguen gegen seinen Favorit dahinter +seien. Es war schon gereizt, weil Blériot am Morgen die +weiße Fahne über sein Zelt hatte hissen lassen. + +</p><p>Die Tribünen schimpften auf Blériot, der, wenn er fuhr, +Gott war jederzeit. Sie warfen mit Tomaten und Äpfeln +nach seinem Zelt, nannten ihn Ölsardine, Lapin, Birnensteiß. + +</p><p>Als Elie nicht kam, sondern stehn blieb, drückten sie über +die Barrieren und winkten ihm mit Tüchern zu. Beim +zweiten Aufruf, als Elie stehn blieb, als höre er nicht, +tobten sie bereits, riefen seinen Namen. Ein Kurier lief +zu Elie hinüber, der sagen ließ, er fliege nur, wenn der +Akzent seines Namens beim Aufruf richtig eine Silbe nach +hinten gelegt werde. Es gab eine Riesenovation, Harri +sah dahinter, daß Elie nervös war. + +</p><p>Kurz darauf stürzten zwei Flugzeuge ab, eines durch +eine Vertikalbö, die es umwendete, das andere, indem es +in luftleere Trichter absackte wie ein Stein. Die Stafette +kam von dem kleinen Wald. + +</p><p>Nichts sei tot, schrie es noch, als Elie aufstieg. + +</p><p>Zweihundert Meter nahm der Flugrenner gurgelnd vor +Wonne in unverständlich schmalen Kreisen, dann schoß eine +Querflamme durch den Apparat, fraß die Flügel weg, sausend +kam die Libelle vor dem seidigen Himmel herunter. Als +sie aufschlug, schrien die Monteure, die Frauen hielten die +Augen zu. + +</p><p>Die Stadtsergeanten sperrten den Hügel ab. + +</p><p>Isaac brachten sie tot. Elie schlug unter der Schläfenmassage +die Augen auf. Nach kurzem Besinnen frug er: + +</p><p>„Mein Bruder?“ + +</p><p>Alle schwiegen. + +</p><p>Er senkte den Kopf. Strecken konnte er sich nicht mehr, +der Oberschenkel, der zerbrochen war, spießte ihm durch +die Kleider, die eine Wange fehlte. + +</p><p>Er wurde ganz bleich: + +</p><p>„Die Fürstin?“, frug er seltsamerweise. + +</p><p>Er wagte es kaum, als man ihn nicht verstand, zu sagen: + +</p><p>„Maud.“ + +</p><p>Man sagte ihm, der Sturz hatte ihr nichts getan, aber +die Korsettstäbe hatten die Lunge durchbohrt. „Frauen +bleiben Frauen“, sagte Elie noch, eh er sich umlegte und +zu atmen aufhörte. + +</p><p>Als Harri aufsah, trat Blériot auf ihn zu. „Sie haben +mich umsonst verlassen. Immerhin haben Sie sich den Tod +am Schluß geschenkt.“ + +</p><p>Harri sah ihn an: „Hätte ich ihn bei Ihnen vermieden?“ + +</p><p>„Sie hätten ihn vermieden“, sagte Blériot unerschütterlich, +„aber Sie waren nicht konsequent.“ Er zürnte ihm +nicht, begriff ihn, sprach sein klares schneidendes Urteil +über die Dinge, womit er sie überwand. + +</p><p>Da kam ein Auto angefahren, am Kühler stand Shanvady, +das Gesicht bedeckt. + +</p><p>Seine Zähne zuckten in der Lippe. Der Wagen fuhr +an den Sprunghügel heran. Im selben Augenblick wurden +die Leichen angetragen. + +</p><p>Shanvady sprang vom Wagen herunter, an die Bahre +Mauds, zog das Tuch zurück, neigte sich ein wenig, warf +es wieder darauf. Ihr Kopf war nicht entstellt, die Augen +geschlossen, schräg und energisch über den Leib gelegt. Er +machte einen Schritt: „In meinen Wagen.“ Sie ward +hineingebettet. + +</p><p>Ein Kommissär erbat seine Legitimierung. Da sagte +Shanvady plötzlich mit einer furchtbaren Blässe: „Meine +Frau“ und zog den Hut. + +</p><p>Harri trat an den Wagen und legte die Füße Mauds, +die heraussahen, unter die Decke. „Ich wünsche Ihre Spur +nicht wieder zu sehen“, sagte er in großer Erregung zu +Shanvady. Alle hatten die Hüte gezogen. Shanvady +stieß einen rauhen Ruf aus, sah nicht um, als er im Wagen +mit der Leiche davonjagte. + +</p><p>Mittags mietete Harri das Atelier der Abrahamowitsch, +Montparnasse, Ecke des Boulevard, im sechsten Stock. Die +Glaskuppe des Hauses füllte sich morgens mit Sonne wie +mit einem freundlichen Gas. Abends schwamm sie in die +heitere Dämmerung. + +</p><p>Doch auch der Tod vermochte ihn, der ihn so abgründig +erlebt hatte, nicht hineinzuzwingen in seinen Kreis. Er war +nicht gebunden nachträglich an ein Ding, das er begehrt, +aber um das er nicht einmal gekämpft hatte. Er überwand +mit der gleichen Sicherheit. Die Erinnerung trieb immer +tiefer und verblassender in den Hintergrund des Todes +hinein, der sie aufnahm in jene majestätische und entfernte +Haltung, an der Harri ablas Wert und Gültigkeit der +Dinge. Es entfernte, verallgemeinerte sich, kam nicht auf +ihn zu, sondern trieb mit den dunklen Melodien unter ihm +weg, die ihm jene Leichtigkeit und Verantwortungslosigkeit +gaben, die ihn zu fast erschreckendem Hochmut erhoben. + +</p><p>Er hielt diesen Vorgang in sich nicht aus. Am ersten Tag +ließ er die bunten Vorhänge durch die Luken über seinem Kopf +hinaus, flaggte das Atelier mit gelben, roten, blauen Segeln. +Am zweiten Tag fuhr er nach Meudon. Als ihn am +dritten vorm Bankschalter ein Hund in die Hand biß, daß +er vor Zähnezusammenbeißen ohnmächtig wurde, sah er +aufatmend in Mädchenaugen, hörte eine Stimme begütigend: +„Léon.“ + +</p><p>Das Gebiß des völlig erstarrten Hundes aber war eingeschraubt +um die Hand. Er hielt den Schmerz nur durch, +gelähmt und bezaubert durch die Stimme, während man +telephonierte. Mit einer tobenden Schelle vorn gings über +den Boulevard ins Spital St. Lusac. + +</p><p>Ein seidenschnurrbärtiger Arzt beugte sich über ihn mit +einer Phiole: „Wollen Sie, daß der Hund lebt?“ + +</p><p>„Hätte ich ihn sonst nicht getötet?“ + +</p><p>„Es dauert fünf Minuten länger.“ + +</p><p>„Wie heißen Sie?“, frug er das Mädchen. + +</p><p>„Aira Belmont“. + +</p><p>Er wurde ohnmächtig. Aus dem Institut Pasteur erfuhr +er direkt, daß keine Tollwutgefahr sei. Aira Belmont +kam ihn zu sehen, vor Trotz und Scham wortlos. Sie überging +seine Verwundung. Sie dankte, daß der Hund lebe. + +</p><p>Sein Lachen verwirrte sie nicht, sie sah geradeaus und +fiel nicht aus der Haltung der holländischen Dame, die +mutig und in aller Jungfräulichkeit von Java aus Europa +bereiste und ihre Gesellschafterin davongejagt hatte, +um unnahbar zu sein. Als, von der schreienden Concièrge +verfolgt, der Hund bellend hereinstürzte, verlor sie diese +Geste, machte eine hülflose Bewegung und jagte ihn mit +einer entsetzlichen Ohrfeige hinaus. Lachend drehte sie sich +um. Entgeistert sah sie das Glasdach geflaggt. + +</p><p>Die Wärme ihres dunkel zitternden Organs zog ihn +an. Die weltunwissende Sicherheit des schlanken Körpers, +dessen sachliche Eleganz nach Wiesen und Klarheit duftete, +und dessen junger Spannung gegenüber die Welt unerprobt +und voll phantastischer Neuheit lag, machte ihn zu +ihrem Führer. + +</p><p>Er leitete sie den Rand der harmlosen Entzückungen +vorsichtig entlang. Durch ihn sah sie Paris in idyllischem +Format. Er brachte sie zu Rufen der Freude über die +siebenundfünfzig Fruchtläden um Notre Dame de la Lorette. + +</p><p>An seinem Arm besuchte sie Kirmisse außerhalb der +Stadtwälle und bog zwischen Lampions und dem Schwung +illuminierter Schiffschaukeln den Buden nicht aus, wo sie +nach Pfeifen aus Ton und fliegenden Bällen schossen. + +</p><p>Er lehrte sie den Zauber der Imperiale, wo Meister Levage +neben ihnen murmelte, wenn sich der Omnibus durch +dunkle Straßen bewegte, und seinen Gäulen sein von der +Angst der Autobusse, deren Einführung bevorstand, umwölktes +Alter erzählte und wie seit vierzig Jahren die +empfindlichen Stellen der Pferdehälse mit der Peitsche tuschte. + +</p><p>Schon blieb sie selbst stehen und durchbrach ihre Herkunft, +als an den Straßenecken die Roulettetische aufgeschlagen +wurden, und Harri trug das Glas mit Goldfischen, +das sie gewann, auf einem Karussell und dann auf +der Bootfahrt im Bois, wo sie die Tiere befreiten unter +den mispelfliegenden Pappeln. + +</p><p>Er führte sie wieder in das Gewühl der Seinedampfer +und brachte sie hinaus an die Grenze, wo Wiesen und +Wind aus Büschen der Stadt entgegenkam. + +</p><p>Aus Blumen, Bäumen, Wellen formte sich dann etwas +in sie hinein von seltsamer Kraft. + +</p><p>Etwas trat plötzlich in ihr Blut, das sie stark machte +gegen ihn, ja ihn manchmal dunkel bedrohte. Staunend sah +er, wies das, was er an sie heranbrachte, sich irgendwie +gegen ihn verstärkt zurückwandte und ihn einem Zustand +zuleitete, der ein tiefes Aufmerken und ein Anschlag in seinem +inneren Hören war. + +</p><p>Ganz anders war Fontainebleau mit ihr, in neuer nie +gesehener Landschaft sproßte St. Germain. Ihre Blicke +hatten etwas Unverborgenes selbst für ihre eigenen Geheimnisse. +Aber selbst ihre lässige schlanke Müdigkeit lehnte +sich mit einer wilden Kraft, die ihr von Margueriten und +Rosen und der Abendluft zuströmte, über ihn. + +</p><p>Als sie seine Geliebte ward, blutrot verschämt, mit dem +Gedanken an ihre verstorbenen Eltern, wie sie gestand, und +voll von einem sanften Entsetzen, war ihre Hingabe dennoch +von so hemmungsloser Kraft, daß sie ihn mehr besaß +als er sie. + +</p><p>Morgens fuhren sie nach Versailles. + +</p><p>Als er am Ende aller Stufen im Gras am See, der +die Terrassen auffing, auf sie wartete, stand sie noch oben +unter den hohen Schloßfenstern und wartete auf den Wildentenpfiff. + +</p><p>Dann kam sie. + +</p><p>Da fühlte er eine Veränderung schon, wie die erste Terrasse +sie aufnahm und er begriff, wie das in sein Leben +hineinfaßte und es bestimmte. + +</p><p>Er sah, wie alles sich plötzlich auf sie hinwandte, wie +alle Menschen aus den Taxushecken, den besonnten Bosketts, +den geschlungnen Beeten die Augen nach ihr hoben, +wie die Natur fast in einer aussetzenden Sekunde sich ihr +anschloß, See, Wiese und Guirlanden hineinströmten in +diese abendliche Bewegung. + +</p><p>Die Marmorstufen, die rot und weiß unter ihren Schuhen +sich streckten, dröhnten leisselig die Minuten, die sie herabkam, +von Treppenfall zu Treppenfall gleich von sanft strömenden +Kaskaden heruntergegeben. Es schien, als treibe +alles ihr nach in dieses Gleiten. + +</p><p>Und ebenso, wie sie den von den quecksilbernen tiefen +Schloßfenstern abgeblendeten roten Himmel mit sich herabzog, +schloß sich an allen Stationen des Herabgangs das +Vorhandene an sie an. + +</p><p>Die Delphine und Tritonen liehen ihr das Ängstliche +ihrer kühnen Bewegungen. Diana drängte nach ihr den +Busen. Die Königin der Frösche wandte die glühende +Achsel herüber. Der Flötenbläser sah zitternd in stummer +Betäubung zu ihr hinüber. Der rötliche Marmor Apolls +selbst und die bronzenen wilden Tiere erregten sich in einer +fiebrigen Minute und beruhigten sich wieder. Die Orangenbäume +neigten in dem Vogelschweigen sich in eine flüsternde +Brise. + +</p><p>Schmerzlich und verlassen standen die Göttinnen der +unteren Terrassen und wandten sich hinter ihr in das +Dunkel der Laube. + +</p><p>Und nun begannen in ihrem Rücken die großen Wasserspiele +aufzugehen und sich tief in den Himmel zu drehen. +Die Sonne hatte sich auf dem Teich niedergelassen und +schloß mit den schaumigen Köpfen der tanzenden Fontänen +oben zwischen zwei Vorhängen sie ab von der Welt. + +</p><p>Erschüttert frug er: „Wo ist Léon?“ + +</p><p>Sie machte eine verhüllte Bewegung. + +</p><p>„Warum?“ + +</p><p>„Weil ich dich liebte.“ + +</p><p>„Tatest du es selbst?“ + +</p><p>„Gestern abend. Ja.“ + +</p><p>Sichere Konturen bekam, was sie besah. Stetigkeit +hatte ihr Ausruhn, ihr Spaziergang, ihre Liebkosung. Sie +gliederte den Tag, die Leidenschaft, die Ruhe mit einer bewegenden +Anmut. Die Gegenstände empfingen von ihr +Würde und Haltung. Sie beherrschte einfach, was ihr +entgegentrat, ohne es zu wollen und auch das, was sie +nicht begriff, mit der Ungebrochenheit ihres Wesens. + +</p><p>Saftigeres schälte sich ihnen nun heraus aus den Museen: +Holbein, Ostade, Bosch, Grünewald, Brueghel, Mäleskirchner. +Da flossen Speisen überall, knackte das Leben +mit Orangkiefern sich auf, ward nach Gott explodiert, und +in Lehm und Spelunke, in Fisch, Frucht, Fleisch, Prasserei +noch ein Haben gefordert und endlich nackte Sicherheit gelassen +vor das Schicksal gestellt. + +</p><p>Airas einfache Einstellung wußte jedes Urteil im Traum. +Doch hielt sie auch Oxygénée, was ein Purgier ist, für +einen Vornamen. Unfaßbar, aber auch nicht zu umspannen, +stand sie an den Fenstern, die auf Paris hinabsahen, das +irgendwo in einem apfelgrünen Himmel jäh ertrank. + +</p><p>Sie ging hinaus, als Petrovas Karte hereinkam, elegant +der Mann hinterher. „Ah?“ frug Harri. Petrova +nahm einen Liqueur: „Sie sehen keine Veränderung. +Entweder kein Sou oder zwanzigtausend Francs in der +Tasche hielt ich stets als Prinzip.“ Harri lachte: „Sie +waren nicht so bestimmt“. Petrova lächelte mit dem Mundwinkel: +„Das ist der Vorteil des Besitzes. Für einen +Hungerleider ziemte die unbestimmte, abenteuerlichere Haltung.“ +Allein seine Sicherheit war nicht so groß wie +sein Auftreten. Er deponierte bei Harri fünfzigtausend +Francs. + +</p><p>Ihn bangte immer vor dem Schicksal und er legte Reserven, +aber sein Glaube an Menschen war unbedingter wie +an das Starre der Institutionen, er vermied, abergläubisch, +den Tresor der Banken wie Pest. + +</p><p>Mit einer älteren Dame, die im Auto ihn erwartete, +entschwand er über den Boulevard Port Royal aus dem +Gesichtskreis. + +</p><p>Die Hitze fiel ein in Paris. + +</p><p>Auf den Boulevards kamen nachts Ratten herauf, +fraßen die Absynthsäufer an. Manche ohne Ohren, mit +halben Nasen wurden in die Spitäler gerollt. + +</p><p>Die Seine fauchte wie ein fauler Fisch schillernde Gase +aus. Das Viertel der Großen Hallen stand eine geöffnete +Kloake und stürzte Wolken Gestank in den Himmel. Fein, +kaum merkbar fror das Arom der zärtlichen Champs Elysés +zwischen den auf ihren Bänken geräuschlos Winterspeck ausschwitzenden +Rentnern und der erstarrten Verzauberung der +sandigen Bäume. Selbst die Militärmusik der öffentlichen +Gärten klapperte nur verzweifelt mit gelben Flügeln und +schleifte doch nie die Töne bis an die erfrischendere Trommelfülle +der Fontänen. + +</p><p>Sie packten. + +</p><p>Harri öffnete die Luken, ließ die Windsegel hinaus. +Die Kuppel strahlte von Glas mit feuriger Steigerung. +Die Straße unten lag noch voll Schatten. + +</p><p>Vom Auto, das sie rasch den Boulmich hinunter entführte, +sahen sie zurück. Mit blauen, gelben, roten Ballonen +und Segeln gehißt, vom Morgenwind immer wieder festlich +gefüllt, schwamm die Kuppel ihnen weg in die Sonne. + +</p><p>Sie fuhren nach Holland. + +</p><p>Schon führte nicht mehr er, schon war in ihrer Heimat sie +von keiner Überlegenheit. Mit gleichen Augen bereits sahen +von Nordereiland sie Rotterdams Hafen, spürten die Viehherden +über riesige Drehbrücken in dies Loch Europas +strömen, fühlten die Vorstädte mit Reis, Tabak und Tee +sich füllen wie eine gleichmäßige große Bewegung. + +</p><p>Mit gleich empfundener Melodie wie auf einer Spieluhr +spulte vor ihnen in s’Gravenhaage im Hotel des Indes +das Speisen und Sichbewegen der bevorzugten Sippen +bei Flöten- und Geigenorchester sich ab, fiel abends die +Gegengebärde der saftigen derben Leiber a Spuistraat +dröhnend in dieselbe Kadenz. + +</p><p>Fiel allabendlich in Amsterdam ein andres Weib in die +ölgefleckte Gracht, zog die Bluse kreischend aus und schüttelte +den mächtigen Busen, so trugen sie mit dem gleichen +Lächeln den Vorgang sich zu, ebenso wie wenn vor ihrem +Blick hinter Zorgvliets Parks die Welt in Scheweningen +mit Badeeifer den Strand erhellte. + +</p><p>Sie fiel auf durch die schlanke Lässigkeit ihrer selbst im +geringsten rassigen Bewegung, er hatte selbst unter Amerikanern +noch die beste Figur. + +</p><p>Der Abend ging vor ihnen von der Seeterrasse zurück +und die Lichter der Seebrücke begleiteten ihn noch eine +Weile, bis Gesang aus den Pinken aufscholl und mit +glitzernden Fischnetzen der Lärm in den Hafen zurückkam. +Sie sahen es abebbend mit der Ruhe, vollsaugend sich mit +Leben, immer im gleichen Puls. Sie gewöhnten sich so +aneinander, daß sie das gleiche schon empfanden, eh es in +ihren Gesichtskreis trat. + +</p><p>Erotische Landschaft spürten sie, wenn sie die Dampfer +und Fregatten meilenweit Spalier stehn sahen. Lust auf +Kanälen zu fahren machte es ihnen bereits, übernachteten +sie auf Mühlen, duschte der Gastherr sich nackt morgens +im Garten. Wie unter Stichworten tröstete über dem +Gestank des Judenviertels sie der goldene Staub. + +</p><p>Hinter dem Prinsenhof an der Oute Delft gingen sie sogleich +wortlos rasch in die Wiesen, wo aus den Lindenkanälen +und fetten Gräsern bis unter den letzten erzitternden Horizont +die Glocken schlugen. Da stand Aira wieder mitten +in der Frische, von jedem Erdstück, jedem Glockenschwung, +die sie berührten, neu und anders gerichtet. Nichts gab es +an Wolke, Blau und Büschen, das sich nicht auf sie richtete +und seinen Reiz neidlos für sie hingab. + +</p><p>Aber so nah war sie dem Geheimnis ihrer Natur, die +sie nicht kannte, daß sie gewissermaßen zurück in Herz und +Kern der Dinge einfiel und wieder schlank und sehnig sich +aus ihnen spannte. Stand sie zwischen Kühen, die von +weither zu ihr liefen, war etwas von ihrer wilden Anmut +in den Weichen der Tiere, aber die Sanftmut der ruhenden +Tiere hatte in ihren Blicken ebenfalls Sitz. + +</p><p>Am Abend verließ sie ihn für wenige Tage. Sie kam +zurück damit, daß sie, ihr Vermögen zu regulieren, nach +Java fuhr. Er lachte, als sie die Absicht aussprach, daß +sie, deren ganze Verwandtschaft dort unten wohnte, allein +führe. Er plänkelte eine Weile, aber wie ihr verschleierter +Blick ihn warnte, mit Zwingen dahin vorzustoßen, wo in +ihren Hintergründen der Entschluß sich festgesetzt, ließ er +die Sache fallen, wie alles, was sich ihm entzog. + +</p><p>Obwohl ihn alles an ihr reizte, so lange ihre Herzen +auf einem Akkord hinliefen, überfiel ihn Müdigkeit in dem +Augenblick, wo er verfolgen sollte, was ihn floh, und +selbst für diese Frau schien Kampf im Augenblick ihm noch +zuviel. + +</p><p>Sie setzten einen Termin, sprachen nicht mehr darüber, +gaben sich Stunde und Tag und sich selbst aufatmend einander +wieder wie vorher. + +</p><p>Eine Woche lebten sie in zwei Dörfern, die eine Düne +trennte. Auf dem Kamm trafen sie sich morgens. Der +Dünenfuß war mit Makrelen besät, Vogelgezwitscher und +Kuhgebrumm stand dahinter. + +</p><p>In einem Ewer fuhren sie dann in die schwerrollende +See der Morgendünung. Mittags booteten sie aus, bestiegen +eine Eisenbahn, fuhren in einem kleinen Wagen, bis +sie sich zwischen den Dünen kaum mehr auskannten. Dann +schlossen sie eine Lagerhütte auf, rollten ein Boot ins +Wasser, ruderten mit langen Schlägen auf eine kleine +Insel und zogen in das einzige Haus. + +</p><p>Eine Woche bremste weißköpfig das Meer die Welt ab. +In der letzten Nacht brach der gewittergeäderte Himmel +unter einem pausenlosen Schlag. Harri erwachte. Aira +war nicht da. Das Haus war leer. Atemlos stürzte er +in den Garten. Da kam sie, umwölkt von dem Bodenduft, +geschmeidig in der Haut, das Hemd voll Blattzeug, +auf den schlanken Hüften aus der mattschimmernden Nacht, +wie ein Stück dampfende Erde in seinen Arm. + +</p><p>Mittags kam ein Motor langsam um die Ecke und holte +die Koffer. Abends sahen sie durch die Rosenhänge der +Veranda die Lichter des wartenden Autos an der Küste. +Sie schwammen hinüber, damit sie das Meer noch einmal +koste, das ihnen solange gemeinsam war. Im Schuppen zog +sie sich um, küßte ihn. Auf dem Strand der Insel drüben +hörte er noch das Verrauschen des Autos am Horizont. + +</p><p>Er gab sich der Ruhe hin, den Fischen, dem Mond, +den Wellen, aber er hatte zu geringes Maß Vertrauens +auf sich gesetzt, als er seinen Elan nicht stählte, um sie zu +kämpfen. + +</p><p>Denn als sie fehlte, verdreifachte sich ihre Kraft, und +aus jeder Schnecke, jeder Muschel, jeder Welle, jedem Segel +nahm sie Form an. + +</p><p>Ja selbst aus Dingen, zu denen er sich rettete, die ihn +zerstreuten, aus Fischen, aus Mond, aus Wellen trat sie +heraus. Sie kam aus dem Weiß des aufgeschlagenen +Bettes, sie trat in den Schlaf, in den Traum, sie bezwang +ihn mit jedem Gegenstand, den er berührte. + +</p><p>In alles, was in Zusammenhang stand mit ihrem Wesen, +war sie unverlierbar gekettet, im Läuten des unsichtbaren +Viehs hinter den Dünen klang ihre Stimme, an den +Lämmerwolken des Abends ruhte ihr Auge, im Flüstern +des Schilfs war ihre Stimme. + +</p><p>Aber sie hatten sich so sehr vertauscht, daß nicht die +Dinge nur, die sie berührt, sie ihm zurückbrachten jede +Sekunde, sie war so eingegangen in seine eigene Figur, +daß der Klang seiner Stimme, das Schaukeln seines +Schattens, daß selbst das Zittern seiner Hände nichts war +als ihr Ausdruck, ihre Stimme, ihre Anmut, und daß er, +wenn es ihn überfiel vor Sehnsucht, sich fühlte, als sei in +ihn ihr Wesen eingezogen, und als sei sie wiederum auch er. + +</p><p>Am Strand, die Augen geschlossen, ertrug er den +Schmerz nicht länger: seine Heimat war von ihm gegangen. +Dies Gefühl blieb. Alles andere hatte sich ganz aus ihm +gelöst. + +</p><p>Das spannte ihn wie ein Fell, auf dem es dröhnte, als +er sich zerstreute, zwischen Städten, Menschen, Schiffen +nichts sah als sie. + +</p><p>Da fühlte er, daß er es nicht ertrüge ohne sie, er beschloß +ihr zu folgen, aber er war so sanft geworden, daß +er schon anfing ihre Gedanken nicht nur zu denken sondern +zu leben, und damit er sie nicht störe, von niemand gesehen +werde und ihr nicht schade und sei es nur in ihrer ängstlichen +Einbildung, nahm er, nur im Drang ihr nah zu +sein, Zwischendeck. + +</p><p>Sigfrid Brown, Makler, geboren Odessa, überschiffte er +das Meer. Zum ersten September legten sie in Samarang +an. In der Dämmerung kam Aira Belmont mit +ihren Brüdern in einer Barkasse herüber und ging über +das Deck in die Kajüte. Er sprach sie nicht an. + +</p><p>Als sie zurückkam, stand er am Reeling in der Dunkelheit, +die Barkasse legte wieder an. Aber während sie die +Treppe hinabstieg, stiegen ihm die Tränen in die Augen +vor besinnungslosem Schmerz. + +</p><p><i>Im selben Augenblick aber brach der Ring, mit +dem der Tod sein Leben eingekreist</i> und ihm sein +irrsinniges Erlebnisgrauen neben die nun spielerischen Dinge +stellte. + +</p><p>Aus dem Schmerz kommt eine wundervolle Klarheit in +ihn gezogen, und während das Liebste seines Lebens verschwindet, +erglüht seine Seele zum erstenmal voll Rausch. +Und wie die geheimnisvolle Verbundenheit sich öffnet, mit +der sein Dasein dem Tod verschuldet war, tritt er heraus +aus der Rolle des Zuschauers in den heißen Kreis des +Daseins, der schmerzt. + +</p><p>Sie fuhren nach Ceylon weiter. In dieser Zeit wandte +er sich mit Aufmerksamkeit an die Umgebung. Zwischen +Matratzen und Läusen entging ihm nichts. Bei einem +Boxkampf zerschlug einer einem Steward die Nase. Die +Nigger walkten ihn, bis er schwoll. + +</p><p>Die Stickluft machte ihm eine Entzündung. Nachts +brachen sie, wuschen die Windeln, die Kinder schrien. Ein +Ire, stiernackig und groß, fiel auf die Knie und betete. +Es entging ihm nichts. + +</p><p>Am letzten Tag starb einer an Tuberkulose. „Ausgespien“, +schrie sein Nachfolger in der Matte. Sie schmissen ihn, +in einem Sack, mit einer Kanonenkugel ins Wasser. Oben +schossen sie. Unten sang man: + +</p><p class="lyrics"> +„Uns rettet nie ein höhres Wesen,<br /> +Kein Gott, kein König, kein Tribun,<br /> +Uns von dem Elend zu erlösen<br /> +Vermag nur unser eignes Tun.“ + + +</p><p class="noindent">In der letzten Nacht ohrfeigte der Kapitän einen galizischen +Rabbi, weil er öffentlich die Gebetszeremonie machte. + +</p><p>Als Harri frug, warum er sich nicht empöre, gab er +keine Antwort. Vor der Landung riß er, nachdem er ihn +in eine Ecke lockte, Bart und Haar herunter, er sah Shanvady. +Er suchte ihn zu überreden, mit ihm auszuschiffen, +seine Rolle in Europa hatte er hinter sich geworfen. Harri +weigerte sich. + +</p><p>„Sie waren in Ihrer Unbeweglichkeit mein reizvollstes +Experiment da drüben“, sagte giftig Shanvady am Schluß, +„was habe ich Ihnen nicht entgegengeführt? Dies Land +ist pleite drüben, denn selbst Sie vermochte ich nicht zu +fesseln, obgleich gerade Ihre Kühle mich reizte, Ihnen alle +Raffinements entgegenzustellen.“ Er ging allein von Bord. +In der Nacht starb ein junger Mann über Harri. Harri +entschloß sich, zurückzufahren, die gleiche Tour. + +</p><p>Nichts trennte ihn mehr von den Kameraden, mit denen +er fuhr. Der Strick war durchgehauen, der ihn hin und +her schwanken ließ zwischen den Schichten mit dem Augenblick, +in dem er Aira Belmont gehen ließ und sich darüber +so verändert fand. + +</p><p>Aus der Entsagung kam ihm eine wilde stete Kraft, die +ihn weit über sich selbst hinaus brachte an die Dinge und +Menschen heran, die er früher nur sah wie Gespenster, +und an die er jetzt mit einer zähen Teilnahme sich geworfen +fand. + +</p><p>Er entschied sich gar nicht, die Sache war völlig klar. +Mit Shanvady schied der Vertreter, glänzend und repräsentativ +einer Klasse, die nicht mehr baute, nicht voran +kam, nicht mehr stieg, sondern mit genialen Späßen das +Angesammelte der Jahrhunderte noch einmal mischte und +mit Stöcken umdrehte, bis sie, der Witze müde, floh. + +</p><p>Ihn aber gelüstete es ganz und neu, arbeitsam, gesichert, +in das Verlassene zurück. + +</p><p>Noch einmal legten sie in Samarang an. Die Barkasse +fuhr herüber mit Aira Belmont. Sie stieg an Deck +mit ihren Brüdern. Die Mütze über das Gesicht gezogen +mußte er es am Reeling noch einmal sehen und ertrug es. + +</p><p>Währenddem trugen sie eine Frau an ihm vorbei ins +Lazarett. Als sie ihn sah, schrie sie „Harion“. + +</p><p>Er folgte der durch und durch Verfaulten und erfuhr +noch, ehe sie in der Nacht starb, aus den Papieren, daß +es seine Mutter war. + +</p><p>Die Matrosen bliesen ein Hornsignal, das Schiff wendete. +Harri sah zurück, wo die Barkasse landete, sah Tage, +Jahre vor sich voll Bitterkeit und ohne diese Heimat, aber +senkte nicht den Kopf. Durch die Strahlenbrechung des +Lichts, die die Küste weit über den Horizont hob, stob ihm +durch das Segel in der Dämmerung das Rot Schatten +wie eine unsterbliche Bestimmung um seine Schläfen. +</p> + +<p> </p> +<p> </p> +<hr class="full" /> +<p>***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK FRAUEN***<br /> </p> +<p>******* This file should be named 35085-h.txt or 35085-h.zip *******<br /> </p> +<p>This and all associated files of various formats will be found in:<br /> +<a href="http://www.gutenberg.org/dirs/3/5/0/8/35085">http://www.gutenberg.org/3/5/0/8/35085</a><br /> </p> +<p>Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed.<br /> </p> + +<p>Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project +Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you +charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you +do not charge anything for copies of this eBook, complying with the +rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose +such as creation of derivative works, reports, performances and +research. They may be modified and printed and given away--you may do +practically ANYTHING with public domain eBooks. 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It exists +because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from +people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. +To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation +and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 +and the Foundation web page at http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent +permitted by U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. +Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered +throughout numerous locations. Its business office is located at +809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email +business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact +information can be found at the Foundation's web site and official +page at http://www.gutenberg.org/about/contact + +For additional contact information: + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. 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Thus, we do not necessarily +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook's +eBook number, often in several formats including plain vanilla ASCII, +compressed (zipped), HTML and others. + +Corrected EDITIONS of our eBooks replace the old file and take over +the old filename and etext number. 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For +example an eBook of filename 10234 would be found at: + +http://www.gutenberg.org/dirs/1/0/2/3/10234 + +or filename 24689 would be found at: +http://www.gutenberg.org/dirs/2/4/6/8/24689 + +An alternative method of locating eBooks: +<a href="http://www.gutenberg.org/dirs/GUTINDEX.ALL">http://www.gutenberg.org/dirs/GUTINDEX.ALL</a> + +*** END: FULL LICENSE *** +</pre> +</body> +</html> diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. 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