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+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44611 ***
+
+ RUDOLF LEONHARD
+ POLNISCHE GEDICHTE
+
+
+ 1918
+ KURT WOLFF VERLAG / LEIPZIG
+
+ BÜCHEREI DER JÜNGSTE TAG BAND 37
+ GEDRUCKT BEI DIETSCH & BRÜCKNER WEIMAR
+
+
+
+
+GESPRÄCH ZWEIER DEUTSCHEN
+
+
+ »-- sei doch froh:
+ Ostern neunzehnhundertsoundso
+ wird die große Stunde schlagen.
+ O, sie kommt schon noch zurecht!«
+
+ »Ich kann es nicht ertragen,
+ wie Ihr über diese Fragen
+ mit verzerrtem Lachen sprecht.
+ Ernst ist alles, wo es sich um Menschen handelt!«
+
+ »Ja, wenn Ihr den Menschen erst verwandelt!
+ Glaubst denn Du, wir lachen, wenn wir lachen?«
+
+ »-- aber Ihr sollt Euch ganz menschlich machen:
+ unfeierlich, gewiß; aber leidenschaftlich rein,
+ eine klingende Sehne sein,
+ tapfer und sanft, ein neues Geschlecht,
+ menschlich: groß und heilig sein!
+ Soll man uns denn noch heißer sieden?
+ Immer steht die Welt in Flammen:
+ werfen wir doch, endlich, unsre Brände zusammen!
+ Reinheit und Kampf -- das heißt uns Frieden!«
+
+ »Wirst Du denn immer wiederholen --«
+
+ »Gewiß, ich werde. Sieh um Dich, sieh die Polen
+ in einen großen Willen sich befrein!«
+
+ »Ich bin kein Pole -- wie soll ich es fühlen?
+ Ich weiß, daß dunkle Kräfte wühlen.
+ Des toten Adalberts Heiligenschein
+ wird -- willst Du das grüßen? -- auferblühn,
+ ich weiß, Sendboten sind entsandt,
+ die Bauern warten, Advokaten mühn
+ sich eilig: und, ich weiß, der Mittelstand --
+ nein, Du, es ist nicht leicht, ein Volk, sogar ein Staat zu sein.«
+
+ »Bei Deinem Werke Du, hörst Du den Tritt von Millionen Füßen
+ Arbeitender. Du bist ein Volk, Du mußt die Völker grüßen.
+ Was Du erreichst, darf jeder doch erstreben --«
+
+ »-- und soll es, wirst Du mich belehren.
+ Aber um fühlen zu können,
+ muß ich mir ein vergewissertes Leben gönnen.
+ Ich bin ein Deutscher. Wird Polen sich gegen mich kehren?«
+
+ »Frage nicht, was sie werden.
+ Wir leben auf Erden.
+ Sie und wir, ein neues Geschlecht.
+ Frag nicht nach Dir, nach ihnen nicht. Frag nach dem Recht!
+ Du, ein Deutscher, sollst elysisch mit ihnen schweben.
+ Sieh herum!«
+
+ »Viele sind stolz. Manche glotzen dumm.
+ Schreie in meiner Brust bleiben stumm.«
+
+ »-- fühle doch, wie sie leben --!«
+
+
+
+
+LIED DER POLEN AN EUROPA
+
+
+ Nicht Liebe sei es, daß Ihr unser Land befreit:
+ zweiundzwanzig Millionen,
+ die im Steinbruch ihrer Städte, im flachen Land geschart um Ströme
+ wohnen,
+ ein Volk schreit
+ Euch zu: Gerechtigkeit!
+
+ Satt von Blut, unter der Schwere
+ Volkes keuchend, zerspalten, geschweißt von Leid
+ liegt ein Land -- aber der Schatten schwankt der Heere.
+ Wir haben nur ein Wort bereit:
+ Gerechtigkeit!
+
+ Die Flüsse schlank durchpeitschen ihr Bette
+ im gleichen Maße der ewigen Zeit.
+ Mit spitzen Dächern starren die Städte.
+ Heute will jeder Stein, jeder Brocken Landes weit
+ ein Verlangen: Gerechtigkeit!
+
+ Wenn in Polen die Schranken
+ fallen, wenn den Polen Freiheit
+ gegnadet würde -- wir haben nicht einmal zu danken.
+ Es ist die Zeit, es ist die Pflicht. Nicht uns -- Ihr seid
+ es selbst, und schuldet Euch: Gerechtigkeit!
+
+
+
+
+DIE POLEN AN IRLAND
+
+
+ Brüder über den Wassern,
+ Hoffende, hört Ihr uns zu Euch singen?
+ Ringende, wißt Ihr Euch mit uns ringen?
+ Waffenfelder voll von Unterdrückern und Hassern
+ können unsre Liebe nicht dämpfen.
+
+ Gaswolken, über Menschen und Meere getragen,
+ schwellen in Schwaden und strömenden Fächern
+ geistig über Eure Insel und sagen
+ von den Rächern Grüße den Rächern:
+ daß wir alle um eines kämpfen!
+
+ Brüder! unsre Stimmen gesellt
+ sausen, daß alle schon befreiten Länder dem Schwange sich beugen:
+ wo zuerst die unnatürliche Mauer zerschellt,
+ eine Freiheit ist in der Welt,
+ alle stehn des einen Rechtes Zeugen!
+
+ Da wir auf einer Kugel alle das ätherne All durchfliegen,
+ wendet Euch nicht, in fremden Kleidern!
+ Wälder wechseln mit Felsen, Wiesen tauschen sich gegen Kohlen.
+ Die schon frei im leuchtenden Lichte liegen!
+ Keiner soll seinen Purpur schneidern.
+
+ Keiner hat sich von der Erde gestohlen.
+ Irland, höre die Stimme von Polen!
+ Eure Schmach wäre unser Leid,
+ unser Recht ist Eure Gerechtigkeit.
+
+
+
+
+AN AMERIKA
+
+
+ Von den genuesischen Hafenmolen
+ drängten bei jedem Sirenenpfiffe
+ Hunderte von Polen
+ schwarz auf die fahrtbereiten Schiffe.
+
+ Männer mit wirren Haaren auf den Backen, Blöcken
+ von Schultern und den runden Lippen dumpf gereizter Tiere,
+ hastig schwatzende Weiber, stiere
+ Blicke unter den Tüchern haltend, lumpige Kinder in den Röcken.
+
+ O die Auswandrer in den Zwischendecken,
+ wenn eng die Menge auf den Koffern hockt,
+ stumpf übers blendende Wasser sieht, verstockt
+ horcht, wie einer, einer nur kläglich die lange Harmonika spielt,
+
+ und zusieht, wie ein Kind sich keuchend auf den Brettern sielt;
+ und ausfährt, um drüben in gleichem Elend zu verrecken!
+
+ Aber keiner soll mehr hungern und verkommen.
+ Die Hallen brennen. Keiner soll verzichten.
+
+ Keiner wird hungern. Freiheit naht. Vernichten
+ wir uns nicht fürder. Leer
+ vom Volke ist der Hafen und das Meer
+ geblieben.
+
+ Alle hat die Urmutter an die Erdenbrust genommen.
+ Jeder wird sie und wird den andern lieben.
+ Wir wollen selbst die neue Welt errichten!
+
+
+
+
+LIED POLNISCHER STUDENTEN
+
+
+ Europa ist ein Garten
+ schwarzer Erde, in den Ozean gebettet,
+ eine verwachsne, verschwommene Insel --
+ o der zerfleischten Völker Gewinsel:
+ dienender Völker, die keiner rettet.
+ Aber wir Polen warten.
+
+ Manchmal knirscht die alte Schicht Europens. Vulkane grollen.
+ Heiße Quellen geifern. Berge bersten, vor Alter gespaltne Täler blasen
+ Rauch.
+ Völker drängen sich in dichteren Kreisen auf dem Erdenbauch.
+ Wir zittern nicht. Wir Polen wollen.
+
+ Über Europa kreisen die Erden
+ goldner Sterne, die lautlos in Ätherströmen rollen.
+ Wir atmen auf. Wißt Ihr, was die Polen wollen?
+ Wir wollen werden. Und wir werden.
+
+ Du Samenbringer! Träger Atems! Bote neuer Zeiten! Wind!
+ Über Europa kommt Begeisterung:
+ Ihr Jünglinge mit herrischen Geberden,
+ mit Euch begeistert sind wir, reif und kindlich mit Euch, wir sind
+ jung:
+ Wir Polen sind!
+
+
+
+
+POLNISCHE ERDE
+
+
+ Stanislaus Landri stürzte, fuhr mit gebrochner Hand
+ in den Boden,
+ grub eine Scholle polnischer Erde vor
+ und rief mit von schwarzer Erde starrenden Lippen:
+
+ »Sie mögen Deine Ströme abdämmen
+ und Dich zu einer Wüste überschwemmen --
+ unter den Wassern bleibst Du!
+ Sie können alle Deine Städte und Wälder verbrennen:
+ Neues bauen wir, neue Schößlinge, dünne, treibst Du
+ vor, sie können Dich, Erde, nicht aus Europa trennen.
+
+ Sie können Dich, Boden, nicht aus der Welt wegheben.
+ Erde aus Erde aller Erde
+ bist Du, weit geschwungen in Deiner ebenen Geberde --
+ die Polen leben!
+
+ Sie können Verfassungen meineidig machen,
+ können Reiche verteilen und Grenzen beschwören.
+ Wir treten die ewige Erde und lachen:
+ Völker sind nicht zu zerstören!«
+
+
+
+
+PONIATOWSKI AUF DEM BALKAN
+
+
+ Zu Horizonten in das Ungemeine!
+ Weit hinter meinem Lachen, hinter meinem stolzen Blick, dem Flug
+ brausender Wagen über Ebenen blieb meine
+ Heimat zurück. Die Räder reißen meinen Zug
+ durch die vom Strom geteilte meilenweite Kammer der Ukraine.
+
+ Dann brach die Donau unterm Schwung des Viadukts vorbei.
+ In Rustschuk wurden Güter umgeladen.
+ Ich lächelte in meines Tages blaue Gnaden
+ und reiste lachend durch die Walachei.
+
+ Die breiten Wagen liefen langsamer und hörten auf zu wiegen.
+ Ich sah im Schoße eines Abendbrandes,
+ steinern und bunt gedehnt, glitzernd vor Meer, Konstantinopel liegen.
+ Stambul! Die Pforte des erträumten Morgenlandes!
+
+ Ich stand umher. Die flachen Wellen schlugen
+ an flache, kurz gesteppte Uferränder,
+ die nah sich schwangen, sich im Meer vertrugen.
+
+ Da faßte mich die Leidenschaft
+ der Heimat und der Rausch der Abendländer.
+ Ich stand in bunten Straßen aufgestrafft.
+ Armenier liefen, Levantiner, Griechen drängten
+ an meine Schulter -- und ich lachte, wißt,
+ weil hier Europa sich am Orient entzündet,
+ weil jedes Land in Welt und Erde eingegründet,
+ weil auch das fernste Meer um Polen ist.
+
+
+
+
+LIED DES JUNGEN WITOLD NAPIEROGOCKI
+
+
+ In Düsseldorf war ich.
+ Wild klingelte in meinen Schlaf das Telephon.
+ Janina sprach
+ davon, daß bald ein Krieg ausbrach.
+ Ihre zerrissne Stimme schüttelte mich.
+ Wild auf entstürmte ich zur Legion.
+
+ Durch die aufwogenden Provinzen dieses Fahren!
+ Fahrt durch den Tag, Fahrt unter grellem Mond;
+ Fahrt mit Verbrüderten, mit fremden Scharen,
+ und über die mit ruhiger Geberde
+ unter des stampfenden Zuges Beschwerde
+ in Ebenen, die unerschütterlich waren,
+ hingebreitete Erde!
+
+ Als ich nach Galizien kam,
+ lag es vom Kriege noch verschont.
+ Die Völker drängten an, sich zu bedrängen.
+
+ Und wundersam
+ in meinem aufgeregten Kopfe wohnt
+ Erinnerung, wie unter Schienensträngen
+ die Ebenen einer, einer Erde dröhnen!
+
+ Nein, noch ist Polen nicht verloren.
+ Mein Volk, Du wirst Dich neugeboren
+ blutend zwischen die blutenden Völker zwängen,
+ Völker, die in Wunden stöhnen,
+ Ostens und Westens zu versöhnen.
+
+
+
+
+GESANG EINES POLNISCHEN DICHTERS
+
+
+ Einsame suchen die Einsamkeit.
+ Weinend gleiten, die schwarzen Flügel
+ hebend, die Schwäne, und ihre Tränen versinken
+ ungesehn in den flimmernden Teich.
+
+ Aber ins Gedränge,
+ um die Wärme menschlich Gestalteter nah zu fühlen,
+ in den singenden Haß hoffender Menge
+ hast Du Dich verstoßen,
+ zerrüttet von Melancholie.
+
+ Sieh, aus dem Scheitel,
+ der lange Stunden gebeugt war,
+ versank das Blut. Aber in mutlose feuchte Nacht
+ über den stummen Scheitel erhebt sich
+ Blut des Mondes.
+
+ Sag dieses Wort: »Mond.« O
+ metallne Schönheit reimloser Verse.
+ Sei monden Deine Stirn, die
+ zerrüttet von Melancholie
+ sich aufhebt.
+
+ Aber Du wanderst mit den Soldaten,
+ zogst erstaunt über schmale Schultern
+ das Kleid der Legion.
+ Die geschliffne Glätte
+ schneidend prunkender Bajonette
+ prüfen eitel Deine waffenlosen Hände.
+
+ Dann klebte Schmutz an Kleidern und Gelenken.
+ Der Leib verfiel vor Hunger. Schreie
+ verröchelten in Schaum und Blut
+ neben Dir. Gewitter fiel
+ wöchentlich in die braunen Zelte.
+
+ Du knietest hin, und gut
+ weitetest Du Dein blindes Herz. Barbarisch erfüllte das Fleisch
+ der Menge Deine Gesänge.
+ Dein hartes Lächeln, Demokrat!
+
+ Du lagst auf mondenen Erden,
+ Du wundertest Dich, allein
+ ein Leib zu sein
+ und nicht die Flutenden alle,
+ Leiber wie Dein Leib,
+ zu werden.
+
+ Du hörtest nicht auf, mit gefalteter Stirn
+ und stumm zu fragen,
+ was Menschen ertragen,
+ wie -- schwoll Dein Herz -- mit Dir die Menschen leben können.
+
+
+
+
+LIED EINES BERITTENEN LEGIONÄRS
+
+
+ Nicht daß wir wieder die bunten Schabracken
+ mit dem weißen Adlerwappen
+ unsern Rappen
+ vor dem Aufsprung eilig auf den Rücken packen,
+ ist meinem Polenvolk ein Zeichen.
+
+ Daß wir die Konfederatka in den Nacken
+ mit den erregten Händen streichen,
+ daß unsre Frauen mit dem alten Kopfputz gehn,
+ ist nicht viel,
+ ist nur ein Spiel
+ und läßt nicht Polen auferstehn.
+
+ Des Jünglings nackter Leichnam aber, aus der Legion,
+ Freund seiner Freunde, einer Mutter Sohn,
+ kaum ausgebildet noch zu schmächtiger Bleiche
+ und auf den aufgewühlten Boden hingeworfen schon --
+
+ Da ich die knabenweiche
+ kalte Haut der toten Hüfte knieend mit der Hand betaste,
+ um den Leib steht eine Wolke:
+ glühnde Hoffnung, verzweifelte Tapferkeit, und Bleiche
+ männlicher Entschlossenheit -- da weiß ich: ich erfaßte
+ Volk mit meinen Händen. Du bist aus dem Volke!
+
+
+
+
+POLNISCHE REITER
+
+
+ Als es abendete, war mit vorsichtigen Schritten
+ ein Soldat den Uferweg heraufgekommen.
+ Er hat sich einen Weg in die Mitte des Gestrüpps geschnitten,
+ hat das Gewehr von der Schulter genommen
+ und hockte, vom Monde überglitten.
+
+ Er sah, wie im Monde die Felder schwammen.
+ Da kamen ein paar geritten,
+ massig hingen sie ihren stampfenden Tieren auf dem breiten Rücken,
+ der Mond warf ihre Schatten zusammen:
+ vor seinem Versteck fielen die Pferde in einen harten Trab.
+
+ Zuckend flogen die Hufe, in den Bügeln wippten die Sohlen,
+ die Reiter sah er tief sich auf die Pferdehälse bücken,
+ daß sie als Buckel auf den schweren Haufen Fleisches fliegen;
+ sie ritten, als hätte ihnen einer ein Himmelreich gestohlen,
+ das wollten sie aus der Hölle wiederholen.
+
+ Dumpf dröhnten die Hufe über das Grab
+ der Straße. Der Boden mußte sich unter den Reitern biegen!
+ Der Posten wußte nicht: waren es Deutsche, Russen, Polen?
+ Er hielt die Flinte in den Händen liegen
+ und schoß nicht ab.
+
+
+
+
+BEGEGNUNG DER BRÜDER
+
+
+ Der eine, eng eingereiht in die Scharen
+ des weißen Zaren,
+ brach in Galizien ein.
+ Die Wege kennt er,
+ die, von Güssen geschwollen, vom Lichte geschwächt,
+ über die Grenze gehn.
+ In einem Gefecht
+ verbrennt er
+ mit zwein oder drein
+ eine von Polen in der Uniform der neuen Insurgentenregimenter
+ besetzte Scheune. Geblendet bleibt er stehn,
+ überzuckt erkennt er
+ im Schein, im Schrein
+ unter den Wankenden der Legion
+ seiner Eltern jüngeren Sohn.
+
+ Eigensinnig stoßen die russischen Soldaten
+ gegen das Tor
+ der brennenden Scheune vor.
+ Die wenigen Legionäre suchen sich mit Handgranaten
+ einen Weg durch die Angreifer zu bahnen.
+
+ Auf allen Seiten flattern höher die Flammenfahnen.
+ Die Gesichter quellen unterm roten Puder
+ des Brandes. Die von der Legion
+ brüllen: »Polen! Ewiges Element,
+ Polen, das wartet, Polen, das brennt,
+ Du Element der Rebellion,
+ gegen den Kaiser, gegen die Welt!«
+ Einer, der die Granate schwingt,
+ der am lautesten mit allen Poren
+ »Noch ist Polen nicht verloren«
+ singt,
+ nun erkennt auch er den Bruder.
+
+ Sie hören beide an ihren Armen die angerissnen Sehnen klingen.
+ Die Handgranaten zerspringen.
+ Als der Legionär stolpert und fällt,
+ laufen seine Augen, von Brand und Blut vewirrt,
+ ein. »Polen! Polen in dieser Welt!
+ Wir müssen sterben, daß für Dich Friede wird.«
+
+ Doch über der Wunde in seiner Schläfe schwebt
+ seines Bruders verwundete Hand,
+ der näher kam,
+ schwebt, ein geröteter Vogel, über ein ganzes Land.
+ Über ihn schluchzt ins Blut einer blutenden Stimme Scham:
+ »Wir müssen leben, daß Polen lebt!«
+
+
+
+
+WEICHSELÜBERGANG
+
+
+ Nicht ganz bis an das Ufer ging der Wald.
+ Schwer wälzten sich die Räder tief im Kote,
+ der nachgab, auffuhr, und die Deichsel überschwemmen,
+ die Pferdehufe zerren wollte. Sie mußten von den Sitzen springen
+ und keuchend in die Speichen ihre Fäuste stemmen:
+ jeder hatte einen Hammer ums rechte Handgelenk geschnallt --
+
+ Im Wasser aber lagen schon die Boote!
+ Mit halblaut unterdrücktem Fluch bedrohte
+ ein Mann die großen überangestrengten Pferde,
+ und kehrte sich: dies war kein Strom, dies war ein Meeresarm,
+ vom Weltmeer breit her durch die ebene Erde
+ geschlungen, Polen an die Welt zu schlingen.
+
+ Da stand der Mann und sah. Trotz dem Verbote
+ entkam aus seiner Brust, ein Stöhnen fast, ein Singen
+ wild abgerissner Polenlieder. Diese Nacht lag warm
+ auf seiner Haut. Im Strom erschaute
+ man Strömung nicht, nur runde Schollen Wassers, das sich schwarz
+ aufstaute
+ zu tintigem Spiegel, oder dunkel sank in seine eigne Lücke.
+
+ Weit drüben gab es wieder weites Land,
+ aus dem die Kronen von geduckten Bäumen
+ in Nacht hinauf schwarz, niedrig, rund aufschäumen.
+ Die Pfeilertrümmer der gesprengten Brücke
+ stehn eisig in den Strom hinausgesandt.
+ Ein Wagen knirschte. Heiser wieherte ein Gaul. Am Himmel wohnt
+ feucht ein bläulicher Mond.
+
+
+
+
+DAS VERLASSNE DORF
+
+
+ Wild stiert der Mond über ein Fensterkreuz.
+ Am eingestürzten Zaune wächst ein Pumpenschwengel
+ Nachthimmels lauer Wüste eingedrückt.
+ Roh klafft das Dach, spitz starren schwarze Sparren.
+
+ Nicht einmal wilde Hunde, die nach Knochen scharren;
+ nicht einmal Ratten. In die Nacht gebückt
+ bleibt das Gehöft, bleibt breit und braun zerstückt,
+ und lautlos, da die Fledermaus nicht fliegt.
+
+ Aber der Mond hört nicht auf zu scheinen;
+ unversiegt
+ stürzt er blaues flutendes Weinen
+ auf einen nackten Leichnam, der mit gespreizten Beinen
+ bleich über aufgerissne Stubendiele liegt.
+
+
+
+
+POLNISCHES BAROCK
+
+
+ Mit Wolkenwülsten steht die Stadt verrammelt.
+ Um Türme klammern hyazinthne Strahlen
+ geisternder Lichter sich. Der Mond versammelt
+ die Schatten, die um schwellende Dächer greifen.
+ Bauchige Rinnen stürzen in die Gassen, an Portalen
+ vorüber, deren Wölbungen ins Leere schweifen.
+
+ Der Mond geht um. Vereinzelt schlagen Uhren.
+ Die Schatten wichen auf die andern Straßenseiten,
+ schwarz hingedrückt. Leichenhafte Figuren
+ mit starren üppig aufgeschwellten Hüften
+ bäumen sich unterm Baldachin der kühnen Nacht in Lüften,
+ die greifbar werden und entfesselt schreiten.
+
+ So viel geschieht. Hier gibt es kein Verweilen.
+ Hingeschlagen zerfallen Tote in den Grüften,
+ und über ihren eingewachsnen Spuren
+ schwingt sich hier alles, in überirdischen Zeilen
+ hinhorchend tatenlosen Qualen
+ in Trotz und Fülle schwer und irdisch zu enteilen.
+
+
+
+
+DER POLNISCHE ADLER
+
+
+ Noch tierisch, Wappentier, und tierisch wirst Du bleiben,
+ mager, unschuldig, sehnig, alterslos im Alter --
+ doch Menschen recken sich als Deine Wappenhalter
+ an beiden Seiten Dir -- Du kannst sie nicht vertreiben.
+
+ Du hörst nicht auf, aus den gesträubten Federklüngeln
+ der Kehle in die Falten, die Dich blutig rot umsäumen,
+ verdrehten Kopfs, gespaltnen Schnabels scharf hineinzuzüngeln;
+ Du starrst, und willst Dich immer weißer bäumen.
+
+ Vergeßt die roten nicht, die blutigen, die Falten,
+ die, wenn der Wind anhob, es schwellend zu verkürzen,
+ ums weiße Tier, erregt mit ihm, in breiten Zügen wallten:
+ O nur bewegter sich, und sei's verzerrt und bleich, in Reinheit
+ stürzen!
+
+ Regen verwusch den Adler nicht. Die Lüfte toben.
+ Du weißt nicht, Adler: schnelle Schritte schallen durch den Garten.
+ Geschärfte Blicke wenden sich nach oben
+ und sehn, helle geblähte menschliche Gedanken,
+ das rot umbrannte weiße Tier gereinigter Standarten
+ im großen Zug irdischen Windes schwanken.
+
+
+
+
+ZUM KÖNIG VON POLEN
+
+
+ Er war nur noch ein Name, nur ein Bild,
+ ein Schatten noch auf einem Wirtshausschild,
+ jeder durfte sich seinen Willkommen holen:
+ Zum König von Polen.
+
+ Einst stieg er Stufen aufwärts zu den Göttern,
+ auf dem Gewirr geschwungner Säbelspitzen
+ war, überblendeter, sein Name schwebend,
+ trunken von Jubelrufen der Schlachzizen.
+
+ Dann ein Gespiel den Spöttern,
+ entthronter Schatten prunkender Leidenschaft,
+ Zaunkönig, Rattenkönig, und ein Bild
+ auf abendlichem Schild,
+ Reisende müden Suchens überhebend.
+ He, polnische Wirtschaft!
+
+ Aber um Polen ist ein Brand gekommen,
+ da sind die Farben abgeblättert.
+ Sie haben alle Wirtshausschilder heruntergenommen,
+ die waren verwaschen und bös verwettert.
+ Flammen fraßen in den Ritzen.
+
+ Im Grabe stöhnen die Schlachzizen.
+ Ein Mann galoppiert sich wendend auf einem blutigen Fohlen,
+ Flammen unter den Sohlen,
+ wo sein zuckender Huf aufschmettert,
+ schreit er in alle Ohren:
+ »Polen ist noch nicht verloren:
+ Polen -- König von Polen!«
+
+
+
+
+BILD EINES REPUBLIKANERS
+
+
+ Er ist sehr sanft. Er steht im Zimmer ganz alleine.
+ Die harte Stirn ist nachdenklich emporgefaltet.
+ Man fühlt, wie ihn die enge Luft umkaltet.
+ Aber seine Augen brennen wie zwei Edelsteine.
+
+ Man fühlt es rasch in seinen schwach erhobnen Adern bluten.
+ Er wendet sich. Er lauscht tief in die Stunde,
+ leicht vorgebogen. Seine Leidenschaft
+ ist umgewandelt bis zum Grunde:
+ sie wurde, reiner, Leidenschaft zum Guten.
+
+ Er tritt zum Schreibtisch und beginnt zu schreiben.
+ Noch weiß er nicht, was er erschafft,
+ er zögert. Plötzlich ist er hitzig übergossen.
+ Er lächelt, während seine Augen streng verbleiben.
+ Ein Zucken zerrt an seinem etwas offnen Munde,
+ er wendet sich, und hält mit leichten Händen seinem Hunde
+ die Schnauze verschlossen.
+
+
+
+
+HEIMKEHR DES VERBANNTEN
+
+
+ Die Gärtenruhe; stumm verwachsenes Gezweige.
+ Lauheit des Mondes. Jähe Maste fragen.
+ Vorquellen in des Himmels fahle Neige,
+ breit ausgeseiht, schwammige Wolkenränder.
+
+ Rasch rollte an, am Gitter hielt der Wagen.
+ Der hat ihn und die Luft der Abendländer
+ in die Bewegung vor dem Hause, dem eröffneten, getragen.
+ Er drang in das gelüftete. Er hat die Tore zugeschlagen.
+ Ihn staunte das vergessne Wehn bunter Gewänder --
+
+ Er kreiste Hände groß zum Gruß. Neu hat er sich verschworen.
+ Und ging nun fremd umher und wußte nicht, was wird,
+ und weinte fast: nein, Polen ist noch nicht verloren,
+ und ließ nicht ab, von einem Saal zum andern,
+ elend ein Fremder, in die Heimat verirrt,
+ lächelnd und voller Angst umherzuwandern.
+
+
+
+
+VERWANDLUNG DES VERSCHWÖRERS
+
+
+ In Warschau, und im Winter war's.
+ In einer heimlichen Sitzung des verfolgten Nationalkomitees
+ trat einer ans Fenster, preßte die Haube schwarzen Haars
+ an die Scheiben und blickte über die Ebene weichen Schnees.
+
+ »O wie sie hinter meinem Rücken weiter raunen!
+ Ich fühle ihre Lippen unter schmalen Bärten zucken,
+ ich weiß, wie sie die Stirnen über raschelnde Papiere ducken,
+ und schon zusammenfahren, wenn einer schnell eintrat.
+
+ Wir können nicht mehr über unser Werk erstaunen,
+ wir fraßen uns hinein, es wurde dick;
+ Tun wurde wichtiger als die Tat.
+ Dies Hocken, Schieben, Flüstern heißt uns Politik!
+
+ Wie lange ist's, daß einer von uns stürmte, bat
+ und litt! Mich würgt der Ekel lange. Scham
+ in unsre Augen! Schmach, daß Ihr uns so verdarbt!
+ Daß nie ein Licht in diese Winkel kam!«
+
+ Er breitete die Hände vor. »Erwarbt
+ Ihr schleichend Euch die Zukunft denn? O nichts als Schein!
+ Sei laut, mein Volk. Blüh auf, mein Volk. O werde Staat!«
+
+ Er stieß das Fenster auf. Kalt strömte Luft herein.
+ Tausende Lichter dieser Stadt verschweben.
+ »O in die Städte treten, unter Menschen, schrein
+ zwischen die Menschen, unter Sonne, Wind und weißem Schnein!
+ Sprich doch, mein Volk. O groß und frei im Hellen bleiben!«
+
+
+
+
+DER MISCHLING
+
+
+ Das blonde Haar ist über seinem schmalen Schädel
+ in hoher Welle schräg zurückgestrichen.
+ Die Stirn, gebuckelt, ist graviert mit Strichen,
+ unter dem Sprung der Brauen unterjochen
+ wilde Augen die gewölbten Backenknochen;
+ kurz sprechend wirft er hastig seinen Schädel.
+
+ Dem wüsten Vaterhause ist er früh entwichen.
+ Auch in der Fremde blieb er unverhohlen
+ unglücklich. Er ist viel in Europa umhergestrichen,
+ tat viel und war sehr vielen Dingen nah,
+ war deutscher als ein Deutscher, polnischer als Polen.
+ Schließlich ging er mit einem Mädel,
+ das ihm ähnlich sah,
+ in die Kolonie,
+ entrann dem Rausch und fand etwas wie Glück.
+ Bei Kriegsausbruch kam er von Pondichéry
+ zurück.
+
+ Er sprang vom Schiff. Er übersprang die Grenzen, die sie trennen,
+ er fühlte sie und fühlte sich mit gespaltner Flamme brennen.
+ Er kannte Krieg und wußte, daß jedes Volk sich selbst bekriegt.
+ Er half zum Siege und war selbst besiegt.
+ Er war geschaffen, ihre Tugenden zu kennen.
+ O wie sein schönes Herz zwischen den Völkern liegt!
+
+
+
+
+POLNISCHE SCHAUSPIELERIN
+
+
+ Zerreißt das Tuch über schmerzender Brust,
+ sticht mit dem spitzen Finger in die taumelnden Brüste,
+ wirft die Augen zum Himmel auf,
+ zum Feste
+ der steifen über ihr prallen blauen Wölbung.
+ Die Gäste
+ lachen und rufen durcheinander.
+ Licht fällt dicht.
+
+ Sie hört sich selber nicht.
+ Sie windet Phantasien in polnischer Sprache.
+ Wogender werden ihre Gebärden.
+ »Keiner weiß, was der andre spricht.
+ Strömender Mantel ist meine Sprache.
+ Aber seht, wie ich ihn Menschen entgegenbreite!
+ Was für Schmerzen ich mir bereite!«
+ Sie sinnt. »O, auf Erden
+ im eignen Wort verstanden werden!«
+
+
+
+
+WORTE ZU EINEM POLNISCHEN TANZ
+
+
+ Da sitzt das Quartett und ist schon müde.
+ Nur einer schwenkt das Kinn und stemmt die Fiedel,
+ und streicht den Bogen zu einer Etüde,
+ streicht, als wollte er ihn zerbrechen,
+ streicht immer die eine, immer die,
+ immer dieselbe Melodie,
+ verdreht zu einem kleinen Liedel --
+ hört auf, wir wollen nicht dazu sprechen!
+
+ Einer legt einem Mädchen die Hand an den Hals
+ und biegt sie. Wie zärtlich! Vor zwei Jahren, als
+ wir nach Jasnagora kamen, erblaßten
+ wir, weil zwei von unsern Damen
+ sich zum Tanzen eng um die Hüften faßten!
+ Hör doch auf. Wir vergaßen
+ alles, als wir tranken und saßen.
+
+ Adam aber wollte reiten.
+ Janina sollte ihn begleiten,
+ er hielt ihr ehrerbietig den Bügel,
+ als sie aber ein Stück
+ weiter waren, zitterte er
+ bis unter die Haut, atmete schwer,
+ ließ den Gaul ansprengen, packte ihren Zügel
+ und riß sie zurück --
+ Nie vergesse ich seine Augen.
+
+ Hör auf, sprich nicht, Du lenkst
+ mit Worten, die Worte aus allen Weiten saugen,
+ mich nicht von dem, woran Du denkst.
+ Daß Du Dich so in die Welt verschenkst!
+ Du hörst nur eines aus den vielen
+ Gängen der einen Melodie,
+ die sie wieder zum Tanze spielen.
+ Fluch Deiner heiligen Melancholie!
+
+ Du sollst keine Worte zum Tanze sprechen,
+ am Ende müssen wir alles blechen.
+ Starr' nicht so widerlich in den Wind!
+ Greif nicht mit so harter Faust in die rankenden Pflanzen.
+ O wie unglücklich wir Menschen sind --
+ was bleibt uns denn übrig, als zu tanzen!
+
+
+
+
+JOHANN KASIMIR LANDRIS ERLEBNIS
+
+
+ Johann Kasimir Landri kam von dem großväterlichen Gute.
+ Er fühlte noch zwischen den Schenkeln die bebenden Flanken der
+ silbernen Stute,
+ und das Wiegen, als unter den Hufen der Sand
+ gerieselt war; und das flüchtige Land,
+ Rausch der Weite seines Landes schwoll noch in seinem Blute.
+
+ Vor der Rampe der Stadtwohnung hielt der Wagen.
+ Ein Diener öffnete den Schlag und hat ihn eilig zugeschlagen,
+ und folgte bepackt. Johann Kasimir sah im Enteilen
+ in der Pförtnerstube, zwischen dem steifen und engen roten Mobiliar,
+ ein junges Stubenmädchen schmal
+ mit tief gesenktem kupfernem Haar
+ verweilen.
+
+ Er zögerte in der Mitte
+ der Treppe. Er behielt ein flüchtiges Bild ihrer Fessel --
+ hinter ihm kamen des Dieners leise zögernde Schritte --
+ und er wußte: oben, allein im räumigen Saal,
+ der eben breit zur Straße erleuchtet war,
+ wartete seine Mutter im Sessel.
+
+ Den Rest der Treppe hat er beklommen
+ langsam erstiegen. Aber das Licht
+ im Vestibül überflog
+ singend das Staunen seiner heiligen Scham.
+ Stürmisch lächelte sein Gesicht,
+ als er die gelassne Hand seiner Mutter nahm
+ und unters klopfende Blut seiner Lippen zog --:
+ »Es werden ganz neue Zeiten kommen!«
+
+
+
+
+EIN STERBENDER MINISTER HINTERLÄSST DEN POLEN:
+
+
+ Es gibt keine Grenze, wo Deutschland an Polen stößt,
+ die Ströme treten ungehindert über in deutsches Land,
+ und der Flissak, der seine Stämme stromabwärts flößt,
+ hat nie erkannt,
+ ob es den heimischen Atem mit feindlicher Luft vertauschen
+ heißt, -- da ihn weiter das Wasser trägt
+ und hier wie dort
+ mit gleichem unverstandnem Wort
+ gluckend eine Welle über die Bretter schlägt,
+ und gleiche Melodie die Uferwälder rauschen.
+
+ Ich hörte an den Grenzsteinen
+ ein schmales Lettenmädchen lachen und weinen,
+ in meine Brust hinein;
+ vor schluchzenden Kadenzen ihrer Stimme versank der Stein --
+ Ich wußte: wo polnische Erde liegt,
+ ist sie in Streifen deutscher und russischer eingeschmiegt.
+ Der Strom von Erde, der um den Globus fließt,
+ ergießt
+ auch in Polen sein Gewicht.
+ Grenzen werden heißen, wo die Völker einander stützen --
+
+ Die besten Deutschen haben geschworen,
+ Polen sei noch nicht verloren;
+ einst werden die besten Russen Dich schützen --
+
+ Wer Dich zwang und besessen
+ hatte, Polen, sollst Du vergessen.
+ Aber, eh nicht der Stern zerfällt,
+ Polen, vergiß die Russen nicht,
+ Polen, vergiß nicht die Deutschen,
+ Polen, vergiß nicht die Welt!
+
+
+
+
+NACHWORT
+
+
+Das Nationalgefühl, wenn es über einen ohne sittliche Qualitäten wirkenden
+Instinkten einer Überzeugung gediehn ist, damit aber anders und höher
+aufrichtig wurde als der bisher geltende Urtrieb, und für sich und andre
+berechtigter, muß, neben andern Tugenden, die freudige Anerkennung jedes
+fremden Nationalgefühls zur Folge haben. Wovon ich überzeugt bin, daß ich
+-- und nicht als der so oder so zufällig Veranlagte, sondern als der
+überhaupt Seiende -- es darf, ja daß ich es soll, dessen Recht und mehr als
+Recht muß ich allen in gleichem Stande Seienden zugestehn. Das Bestehn der
+Nationen ist nicht nur die Voraussetzung des Internationalismus: Folge des
+eignen Nationalgefühls ist die Anerkennung des Prinzips der Nationen, und
+es ist bloße Anwendung, ist nur der letzte Schritt zum Wissen um die
+Vielfalt ihres Reichtums und bis zur Liebe der Nationen, zur Weltliebe. Ja,
+dieser Schritt ist schon getan, -- wie der wahre Individualist, der sich
+nicht nur obenhin fühlt, sondern sich menschlich, warm und interessiert
+liebt, die andern nicht hassen kann (und nur der fragwürdige Hasser sich
+auszunehmen nicht bereit, nicht naiv, sondern unaufmerksam genug ist) und,
+aus gläubiger Achtung vor lauter Individuen, die Menschen lieben muß: ein
+wahrer, ein besserer Sozialist.
+
+Wer nicht andern Völkern das eigne Gute gönnt, nicht das Gedeihn andrer
+Länder wünscht, dem brauchen wir nicht zu glauben, daß er von Ländern und
+Völkern etwas weiß; auch vom eignen nicht -- oder der ist nicht kühn oder
+stark genug, vor sich selbst die moralische Regel zu behaupten. Da uns bei
+der Arbeit die weite Festlichkeit einer prächtigen, sicheren, erregenden
+Melodie russischer dramatischer Musik im Ohr liegt und mehr als nur den
+Blick weitet, haben wir recht, uns sehr deutsch zu wissen. Und es heißt
+deutsche Überlieferung aufnehmen, die beste und deutscheste Überlieferung,
+wenn wir mit den Völkern in die Zukunft gehn, und die Hoffnungen eines
+schönen, stolzen und strebenden Volkes mitfühlen. Auch Deutsche kämpften
+bei Missolunghi und (im Politischen wohl falsch genug eingenommen) bei
+Ladysmith. Der Marquis San Bacco Heinrich Manns, in den Romanen der
+Herzogin von Assy, kämpft in allen Erdteilen für die Völker, die ihre
+Freiheit suchen, ohne Besinnen und Bedenken; so sehr hat der Garibaldianer
+seines Volkes Freiheit geliebt. Wir haben noch San Baccos; ihnen wären,
+wüßte ich sie namentlich zu nennen, diese Gedichte leidenschaftlich
+gewidmet.
+
+Diese Gedichte werden vielleicht einem Vorurteil entgegengehn, da sie der
+übel beleumundeten Gattung der politischen Lyrik angehören. Es bleibt am
+besten ihnen selbst überlassen, sich und ihre Familie zu rechtfertigen und
+diesem Vorurteil zu begegnen. Es werde nur bemerkt -- neben dem Hinweise,
+daß auch alle berühmte Kriegslyrik zur politischen gehört -- es werde nur
+bemerkt, daß die Bezeichnung als »politische Lyrik« eben nur, und zwar in
+stofflicher Hinsicht, eine Gattung bezeichnet und gar nichts über den
+möglichen und wirklichen Wert der politischen Lyrik aussagt. Sie verheißt
+nicht mehr als etwa »Liebeslyrik«, und es wird meistens übersehn, daß es
+auch unter den politischen Gedichten gute und schlechte gibt! Darum braucht
+von der notwendig verführenden Wirkung aller Lyrik hier gar nicht erst
+gesprochen zu werden.
+
+Diese Zeilen aber sollen diese Gedichte nicht etwa entschuldigen, und
+müssen sie, hoffe ich, nicht erläutern. Sie sollen nur bei ihnen stehn wie
+die Bezeichnung von Gang und Art bei der Musik, nur anzeigend: presto alla
+polacca -- der Leser fühle selbst, wo hier das Andante zum Largo erstarrt,
+wo zum Furioso sich aufschleudert.
+
+Göttingen, Ende September 1916
+
+_Rudolf Leonhard_
+
+
+
+
+INHALT
+
+ Seite
+ Gespräch zweier Deutschen 5
+ Lied der Polen an Europa 7
+ Die Polen an Irland 8
+ An Amerika 9
+ Lied polnischer Studenten 10
+ Polnische Erde 11
+ Poniatowski auf dem Balkan 12
+ Lied des jungen Witold Napierogocki 13
+ Gesang eines polnischen Dichters 14
+ Lied eines berittenen Legionärs 16
+ Polnische Reiter 17
+ Begegnung der Brüder 18
+ Weichselübergang 20
+ Das verlassne Dorf 21
+ Polnisches Barock 22
+ Der polnische Adler 23
+ Zum König von Polen 24
+ Bild eines Republikaners 25
+ Heimkehr des Verbannten 26
+ Verwandlung des Verschwörers 27
+ Der Mischling 28
+ Polnische Schauspielerin 29
+ Worte zu einem polnischen Tanz 30
+ Johann Kasimir Landris Erlebnis 32
+ Ein sterbender Minister hinterläßt den Polen 33
+
+ Nachwort des Verfassers 35
+
+Kurt Wolff Verlag, Leipzig
+
+_In der Bücherei »Der Jüngste Tag« erschienen:_
+
+_Barrès_, Maurice / Der Mord an der Jungfrau. (Deutsch von H. Lautensack.)
+
+_Becher_, Johannes R. / Verbrüderung. Gedichte.
+
+_Benn_, Gottfried / Gehirne. Novellen.
+
+_Blaß_, Ernst / Die Gedichte von Sommer und Tod.
+
+_Boldt_, Paul / Junge Pferde! Junge Pferde! Gedichte.
+
+_Brezina_, Ottokar / Hymnen. (Deutsch von Otto Pick.)
+
+_Brod_, Max / Die erste Stunde nach dem Tode. Eine Gespenstergeschichte.
+
+_Claudel_, Paul / Die Musen. Eine Ode. Ins Deutsche übertragen von Franz
+Blei.
+
+_Edschmid_, Kasimir / Das rasende Leben. (Das beschämende Zimmer -- Der
+tödliche Mai.) Zwei Novellen.
+
+_Ehrenstein_, Albert / Nicht da -- nicht dort. Novellen. (Doppelband.)
+
+_Ehrenstein_, Carl / Klagen eines Knaben. Skizzen.
+
+_v. Flesch-Brunningen_, Hans / Das zerstörte Idyll. Novellen. (Doppelband.)
+
+_Gumpert_, Martin / Verkettung. Gedichte.
+
+_Hardekopf_, Ferdinand / Der Abend. Ein Dialog.
+
+_Hasenclever_, Walter / Das unendliche Gespräch. Eine nächtliche Szene.
+
+_Hennings_, Emmy / Die letzte Freude. Gedichte.
+
+_Herrmann_, Max / Empörung, Andacht, Ewigkeit. Gedichte.
+
+_Jammes_, Francis / Gebete der Demut. (Deutsch von E. Stadler.)
+
+_Jung_, Franz / Gnadenreiche, unsere Königin. Novellen.
+
+_Kafka_, Franz / Der Heizer. Eine Erzählung.
+
+_Kafka_, Franz / Das Urteil. Eine Geschichte.
+
+Fortsetzung s. Rückseite!
+
+Jeder Band geheftet Mark --.80
+
+Kurt Wolff Verlag, Leipzig
+
+_Kafka_, Franz / Die Verwandlung. Eine Novelle. (Doppelband.)
+
+_Kokoschka_, Oskar / Der brennende Dornbusch. Mörder. Hoffnung der Frauen.
+Zwei Schauspiele.
+
+_Kölwel_, Gottfried / Gesänge gegen den Tod.
+
+_Kraft_, Paul / Gedichte.
+
+_Leonhard_, Rudolf / Polnische Gedichte.
+
+_Lotz_, Ernst Wilhelm / Wolkenüberflaggt. Gedichte.
+
+_Matthias_, Leo / Der jüngste Tag. Ein groteskes Spiel.
+
+_Mynona_ / Schwarz-Weiß-Rot. Grotesken.
+
+_Reimann_, Hans / Kobolz. Grotesken. (Doppelband.)
+
+_Rubiner_, Ludwig / Das himmlische Licht. Gedichte.
+
+_Schickele_, René / Aissé. (Aus einer indischen Reise.)
+
+_Schwob_, Marcel / Der Kinderkreuzzug. Erzählung. (Deutsch von Arthur
+Seiffhart.)
+
+_Sternheim_, Carl / Busekow. Eine Novelle.
+
+_Sternheim_, Carl / Meta. Eine Erzählung.
+
+_Sternheim_, Carl / Napoleon. Eine Erzählung.
+
+_Sternheim_, Carl / Schuhlin. Eine Erzählung. Mit drei Lithographien von
+Ottomar Starke.
+
+_Sternheim_, Carl / Ulrike. Eine Erzählung.
+
+_Strindberg_, August / Die Schlüssel des Himmelreichs oder Sankt Peters
+Wanderung auf Erden. Märchenspiel in 5 Akten. (Doppelband.) Deutsch von
+Erich Holm.
+
+_Trakl_, Georg / Gedichte. (Doppelband.)
+
+_Viertel_, Berthold / Die Spur. Gedichte.
+
+_Werfel_, Franz / Gesänge aus den drei Reichen. Ausgewählte Gedichte.
+(Doppelband.)
+
+_Werfel_, Franz / Die Versuchung. Ein Gespräch.
+
+_Wolfenstein_, Alfred / Die Nackten. Eine Dichtung.
+
+Die Sammlung wird fortgesetzt!
+
+Jeder Band geheftet Mark --.80
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Polnische Gedichte, by Rudolf Leonhard
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44611 ***
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@@ -2,7 +2,7 @@
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<title>The Project Gutenberg eBook of Polnische Gedichte, by Rudolf Leonhard</title>
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<!-- TITLE="Polnische Gedichte" -->
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<body>
-
-
-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Polnische Gedichte, by Rudolf Leonhard
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org
-
-
-Title: Polnische Gedichte
-
-Author: Rudolf Leonhard
-
-Release Date: January 7, 2014 [EBook #44611]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK POLNISCHE GEDICHTE ***
-
-
-
-
-Produced by Jens Sadowski
-
-
-
-
-
-</pre>
-
+<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44611 ***</div>
<div class="titlematter">
@@ -171,27 +137,27 @@ KURT WOLFF VERLAG / LEIPZIG
<div class="titlematter">
<p class="imp">
-BÜCHEREI DER JÜNGSTE TAG BAND 37<br />
-GEDRUCKT BEI DIETSCH &amp; BRÜCKNER WEIMAR
+BÜCHEREI DER JÜNGSTE TAG BAND 37<br />
+GEDRUCKT BEI DIETSCH &amp; BRÜCKNER WEIMAR
</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-1">
<a id="page-5" class="pagenum" title="5"></a>
-GESPRÄCH ZWEIER DEUTSCHEN
+GESPRÄCH ZWEIER DEUTSCHEN
</h2>
<div class="poem">
<p class="line">&bdquo;&mdash; sei doch froh:</p>
<p class="line">Ostern neunzehnhundertsoundso</p>
- <p class="line">wird die große Stunde schlagen.</p>
+ <p class="line">wird die große Stunde schlagen.</p>
<p class="line">O, sie kommt schon noch zurecht!&ldquo;</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">&bdquo;Ich kann es nicht ertragen,</p>
- <p class="line">wie Ihr über diese Fragen</p>
+ <p class="line">wie Ihr über diese Fragen</p>
<p class="line">mit verzerrtem Lachen sprecht.</p>
<p class="line">Ernst ist alles, wo es sich um Menschen handelt!&ldquo;</p>
</div>
@@ -203,14 +169,14 @@ GESPRÄCH ZWEIER DEUTSCHEN
<div class="poem">
<p class="line">&bdquo;&mdash; aber Ihr sollt Euch ganz menschlich machen:</p>
- <p class="line">unfeierlich, gewiß; aber leidenschaftlich rein,</p>
+ <p class="line">unfeierlich, gewiß; aber leidenschaftlich rein,</p>
<p class="line">eine klingende Sehne sein,</p>
<p class="line">tapfer und sanft, ein neues Geschlecht,</p>
- <p class="line">menschlich: groß und heilig sein!</p>
- <p class="line">Soll man uns denn noch heißer sieden?</p>
+ <p class="line">menschlich: groß und heilig sein!</p>
+ <p class="line">Soll man uns denn noch heißer sieden?</p>
<p class="line">Immer steht die Welt in Flammen:</p>
- <p class="line">werfen wir doch, endlich, unsre Brände zusammen!</p>
- <p class="line">Reinheit und Kampf &mdash; das heißt uns Frieden!&ldquo;</p>
+ <p class="line">werfen wir doch, endlich, unsre Brände zusammen!</p>
+ <p class="line">Reinheit und Kampf &mdash; das heißt uns Frieden!&ldquo;</p>
</div>
<div class="poem">
@@ -218,32 +184,32 @@ GESPRÄCH ZWEIER DEUTSCHEN
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">&bdquo;Gewiß, ich werde. Sieh um Dich, sieh die Polen</p>
- <p class="line">in einen großen Willen sich befrein!&ldquo;</p>
+ <p class="line">&bdquo;Gewiß, ich werde. Sieh um Dich, sieh die Polen</p>
+ <p class="line">in einen großen Willen sich befrein!&ldquo;</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">&bdquo;Ich bin kein Pole &mdash; wie soll ich es fühlen?</p>
- <p class="line">Ich weiß, daß dunkle Kräfte wühlen.</p>
+ <p class="line">&bdquo;Ich bin kein Pole &mdash; wie soll ich es fühlen?</p>
+ <p class="line">Ich weiß, daß dunkle Kräfte wühlen.</p>
<p class="line">Des toten Adalberts Heiligenschein</p>
- <p class="line">wird &mdash; willst Du das grüßen? &mdash; auferblühn,</p>
- <p class="line">ich weiß, Sendboten sind entsandt,</p>
+ <p class="line">wird &mdash; willst Du das grüßen? &mdash; auferblühn,</p>
+ <p class="line">ich weiß, Sendboten sind entsandt,</p>
<a id="page-6" class="pagenum" title="6"></a>
- <p class="line">die Bauern warten, Advokaten mühn</p>
- <p class="line">sich eilig: und, ich weiß, der Mittelstand &mdash;</p>
+ <p class="line">die Bauern warten, Advokaten mühn</p>
+ <p class="line">sich eilig: und, ich weiß, der Mittelstand &mdash;</p>
<p class="line">nein, Du, es ist nicht leicht, ein Volk, sogar ein Staat zu sein.&ldquo;</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">&bdquo;Bei Deinem Werke Du, hörst Du den Tritt von Millionen Füßen</p>
- <p class="line">Arbeitender. Du bist ein Volk, Du mußt die Völker grüßen.</p>
+ <p class="line">&bdquo;Bei Deinem Werke Du, hörst Du den Tritt von Millionen Füßen</p>
+ <p class="line">Arbeitender. Du bist ein Volk, Du mußt die Völker grüßen.</p>
<p class="line">Was Du erreichst, darf jeder doch erstreben &mdash;&ldquo;</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">&bdquo;&mdash; und soll es, wirst Du mich belehren.</p>
- <p class="line">Aber um fühlen zu können,</p>
- <p class="line">muß ich mir ein vergewissertes Leben gönnen.</p>
+ <p class="line">Aber um fühlen zu können,</p>
+ <p class="line">muß ich mir ein vergewissertes Leben gönnen.</p>
<p class="line">Ich bin ein Deutscher. Wird Polen sich gegen mich kehren?&ldquo;</p>
</div>
@@ -262,7 +228,7 @@ GESPRÄCH ZWEIER DEUTSCHEN
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">&bdquo;&mdash; fühle doch, wie sie leben &mdash;!&ldquo;</p>
+ <p class="line">&bdquo;&mdash; fühle doch, wie sie leben &mdash;!&ldquo;</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-2">
@@ -271,25 +237,25 @@ LIED DER POLEN AN EUROPA
</h2>
<div class="poem">
- <p class="line">Nicht Liebe sei es, daß Ihr unser Land befreit:</p>
+ <p class="line">Nicht Liebe sei es, daß Ihr unser Land befreit:</p>
<p class="line">zweiundzwanzig Millionen,</p>
- <p class="line">die im Steinbruch ihrer Städte, im flachen Land geschart um Ströme wohnen,</p>
+ <p class="line">die im Steinbruch ihrer Städte, im flachen Land geschart um Ströme wohnen,</p>
<p class="line">ein Volk schreit</p>
<p class="line">Euch zu: Gerechtigkeit!</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Satt von Blut, unter der Schwere</p>
- <p class="line">Volkes keuchend, zerspalten, geschweißt von Leid</p>
+ <p class="line">Volkes keuchend, zerspalten, geschweißt von Leid</p>
<p class="line">liegt ein Land &mdash; aber der Schatten schwankt der Heere.</p>
<p class="line">Wir haben nur ein Wort bereit:</p>
<p class="line">Gerechtigkeit!</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Die Flüsse schlank durchpeitschen ihr Bette</p>
- <p class="line">im gleichen Maße der ewigen Zeit.</p>
- <p class="line">Mit spitzen Dächern starren die Städte.</p>
+ <p class="line">Die Flüsse schlank durchpeitschen ihr Bette</p>
+ <p class="line">im gleichen Maße der ewigen Zeit.</p>
+ <p class="line">Mit spitzen Dächern starren die Städte.</p>
<p class="line">Heute will jeder Stein, jeder Brocken Landes weit</p>
<p class="line">ein Verlangen: Gerechtigkeit!</p>
</div>
@@ -297,7 +263,7 @@ LIED DER POLEN AN EUROPA
<div class="poem">
<p class="line">Wenn in Polen die Schranken</p>
<p class="line">fallen, wenn den Polen Freiheit</p>
- <p class="line">gegnadet würde &mdash; wir haben nicht einmal zu danken.</p>
+ <p class="line">gegnadet würde &mdash; wir haben nicht einmal zu danken.</p>
<p class="line">Es ist die Zeit, es ist die Pflicht. Nicht uns &mdash; Ihr seid</p>
<p class="line">es selbst, und schuldet Euch: Gerechtigkeit!</p>
</div>
@@ -308,41 +274,41 @@ DIE POLEN AN IRLAND
</h2>
<div class="poem">
- <p class="line">Brüder über den Wassern,</p>
- <p class="line">Hoffende, hört Ihr uns zu Euch singen?</p>
- <p class="line">Ringende, wißt Ihr Euch mit uns ringen?</p>
- <p class="line">Waffenfelder voll von Unterdrückern und Hassern</p>
- <p class="line">können unsre Liebe nicht dämpfen.</p>
+ <p class="line">Brüder über den Wassern,</p>
+ <p class="line">Hoffende, hört Ihr uns zu Euch singen?</p>
+ <p class="line">Ringende, wißt Ihr Euch mit uns ringen?</p>
+ <p class="line">Waffenfelder voll von Unterdrückern und Hassern</p>
+ <p class="line">können unsre Liebe nicht dämpfen.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Gaswolken, über Menschen und Meere getragen,</p>
- <p class="line">schwellen in Schwaden und strömenden Fächern</p>
- <p class="line">geistig über Eure Insel und sagen</p>
- <p class="line">von den Rächern Grüße den Rächern:</p>
- <p class="line">daß wir alle um eines kämpfen!</p>
+ <p class="line">Gaswolken, über Menschen und Meere getragen,</p>
+ <p class="line">schwellen in Schwaden und strömenden Fächern</p>
+ <p class="line">geistig über Eure Insel und sagen</p>
+ <p class="line">von den Rächern Grüße den Rächern:</p>
+ <p class="line">daß wir alle um eines kämpfen!</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Brüder! unsre Stimmen gesellt</p>
- <p class="line">sausen, daß alle schon befreiten Länder dem Schwange sich beugen:</p>
- <p class="line">wo zuerst die unnatürliche Mauer zerschellt,</p>
+ <p class="line">Brüder! unsre Stimmen gesellt</p>
+ <p class="line">sausen, daß alle schon befreiten Länder dem Schwange sich beugen:</p>
+ <p class="line">wo zuerst die unnatürliche Mauer zerschellt,</p>
<p class="line">eine Freiheit ist in der Welt,</p>
<p class="line">alle stehn des einen Rechtes Zeugen!</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Da wir auf einer Kugel alle das ätherne All durchfliegen,</p>
+ <p class="line">Da wir auf einer Kugel alle das ätherne All durchfliegen,</p>
<p class="line">wendet Euch nicht, in fremden Kleidern!</p>
- <p class="line">Wälder wechseln mit Felsen, Wiesen tauschen sich gegen Kohlen.</p>
+ <p class="line">Wälder wechseln mit Felsen, Wiesen tauschen sich gegen Kohlen.</p>
<p class="line">Die schon frei im leuchtenden Lichte liegen!</p>
<p class="line">Keiner soll seinen Purpur schneidern.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Keiner hat sich von der Erde gestohlen.</p>
- <p class="line">Irland, höre die Stimme von Polen!</p>
- <p class="line">Eure Schmach wäre unser Leid,</p>
+ <p class="line">Irland, höre die Stimme von Polen!</p>
+ <p class="line">Eure Schmach wäre unser Leid,</p>
<p class="line">unser Recht ist Eure Gerechtigkeit.</p>
</div>
@@ -353,28 +319,28 @@ AN AMERIKA
<div class="poem">
<p class="line">Von den genuesischen Hafenmolen</p>
- <p class="line">drängten bei jedem Sirenenpfiffe</p>
+ <p class="line">drängten bei jedem Sirenenpfiffe</p>
<p class="line">Hunderte von Polen</p>
<p class="line">schwarz auf die fahrtbereiten Schiffe.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Männer mit wirren Haaren auf den Backen, Blöcken</p>
+ <p class="line">Männer mit wirren Haaren auf den Backen, Blöcken</p>
<p class="line">von Schultern und den runden Lippen dumpf gereizter Tiere,</p>
<p class="line">hastig schwatzende Weiber, stiere</p>
- <p class="line">Blicke unter den Tüchern haltend, lumpige Kinder in den Röcken.</p>
+ <p class="line">Blicke unter den Tüchern haltend, lumpige Kinder in den Röcken.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">O die Auswandrer in den Zwischendecken,</p>
<p class="line">wenn eng die Menge auf den Koffern hockt,</p>
- <p class="line">stumpf übers blendende Wasser sieht, verstockt</p>
- <p class="line">horcht, wie einer, einer nur kläglich die lange Harmonika spielt,</p>
+ <p class="line">stumpf übers blendende Wasser sieht, verstockt</p>
+ <p class="line">horcht, wie einer, einer nur kläglich die lange Harmonika spielt,</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">und zusieht, wie ein Kind sich keuchend auf den Brettern sielt;</p>
- <p class="line">und ausfährt, um drüben in gleichem Elend zu verrecken!</p>
+ <p class="line">und ausfährt, um drüben in gleichem Elend zu verrecken!</p>
</div>
<div class="poem">
@@ -384,7 +350,7 @@ AN AMERIKA
<div class="poem">
<p class="line">Keiner wird hungern. Freiheit naht. Vernichten</p>
- <p class="line">wir uns nicht fürder. Leer</p>
+ <p class="line">wir uns nicht fürder. Leer</p>
<p class="line">vom Volke ist der Hafen und das Meer</p>
<p class="line">geblieben.</p>
</div>
@@ -404,29 +370,29 @@ LIED POLNISCHER STUDENTEN
<p class="line">Europa ist ein Garten</p>
<p class="line">schwarzer Erde, in den Ozean gebettet,</p>
<p class="line">eine verwachsne, verschwommene Insel &mdash;</p>
- <p class="line">o der zerfleischten Völker Gewinsel:</p>
- <p class="line">dienender Völker, die keiner rettet.</p>
+ <p class="line">o der zerfleischten Völker Gewinsel:</p>
+ <p class="line">dienender Völker, die keiner rettet.</p>
<p class="line">Aber wir Polen warten.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Manchmal knirscht die alte Schicht Europens. Vulkane grollen.</p>
- <p class="line">Heiße Quellen geifern. Berge bersten, vor Alter gespaltne Täler blasen Rauch.</p>
- <p class="line">Völker drängen sich in dichteren Kreisen auf dem Erdenbauch.</p>
+ <p class="line">Heiße Quellen geifern. Berge bersten, vor Alter gespaltne Täler blasen Rauch.</p>
+ <p class="line">Völker drängen sich in dichteren Kreisen auf dem Erdenbauch.</p>
<p class="line">Wir zittern nicht. Wir Polen wollen.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Über Europa kreisen die Erden</p>
- <p class="line">goldner Sterne, die lautlos in Ätherströmen rollen.</p>
- <p class="line">Wir atmen auf. Wißt Ihr, was die Polen wollen?</p>
+ <p class="line">Über Europa kreisen die Erden</p>
+ <p class="line">goldner Sterne, die lautlos in Ätherströmen rollen.</p>
+ <p class="line">Wir atmen auf. Wißt Ihr, was die Polen wollen?</p>
<p class="line">Wir wollen werden. Und wir werden.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Du Samenbringer! Träger Atems! Bote neuer Zeiten! Wind!</p>
- <p class="line">Über Europa kommt Begeisterung:</p>
- <p class="line">Ihr Jünglinge mit herrischen Geberden,</p>
+ <p class="line">Du Samenbringer! Träger Atems! Bote neuer Zeiten! Wind!</p>
+ <p class="line">Über Europa kommt Begeisterung:</p>
+ <p class="line">Ihr Jünglinge mit herrischen Geberden,</p>
<p class="line">mit Euch begeistert sind wir, reif und kindlich mit Euch, wir sind jung:</p>
<p class="line">Wir Polen sind!</p>
</div>
@@ -437,33 +403,33 @@ POLNISCHE ERDE
</h2>
<div class="poem">
- <p class="line">Stanislaus Landri stürzte, fuhr mit gebrochner Hand</p>
+ <p class="line">Stanislaus Landri stürzte, fuhr mit gebrochner Hand</p>
<p class="line">in den Boden,</p>
<p class="line">grub eine Scholle polnischer Erde vor</p>
<p class="line">und rief mit von schwarzer Erde starrenden Lippen:</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">&bdquo;Sie mögen Deine Ströme abdämmen</p>
- <p class="line">und Dich zu einer Wüste überschwemmen &mdash;</p>
+ <p class="line">&bdquo;Sie mögen Deine Ströme abdämmen</p>
+ <p class="line">und Dich zu einer Wüste überschwemmen &mdash;</p>
<p class="line">unter den Wassern bleibst Du!</p>
- <p class="line">Sie können alle Deine Städte und Wälder verbrennen:</p>
- <p class="line">Neues bauen wir, neue Schößlinge, dünne, treibst Du</p>
- <p class="line">vor, sie können Dich, Erde, nicht aus Europa trennen.</p>
+ <p class="line">Sie können alle Deine Städte und Wälder verbrennen:</p>
+ <p class="line">Neues bauen wir, neue Schößlinge, dünne, treibst Du</p>
+ <p class="line">vor, sie können Dich, Erde, nicht aus Europa trennen.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Sie können Dich, Boden, nicht aus der Welt wegheben.</p>
+ <p class="line">Sie können Dich, Boden, nicht aus der Welt wegheben.</p>
<p class="line">Erde aus Erde aller Erde</p>
<p class="line">bist Du, weit geschwungen in Deiner ebenen Geberde &mdash;</p>
<p class="line">die Polen leben!</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Sie können Verfassungen meineidig machen,</p>
- <p class="line">können Reiche verteilen und Grenzen beschwören.</p>
+ <p class="line">Sie können Verfassungen meineidig machen,</p>
+ <p class="line">können Reiche verteilen und Grenzen beschwören.</p>
<p class="line">Wir treten die ewige Erde und lachen:</p>
- <p class="line">Völker sind nicht zu zerstören!&ldquo;</p>
+ <p class="line">Völker sind nicht zu zerstören!&ldquo;</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-7">
@@ -474,39 +440,39 @@ PONIATOWSKI AUF DEM BALKAN
<div class="poem">
<p class="line">Zu Horizonten in das Ungemeine!</p>
<p class="line">Weit hinter meinem Lachen, hinter meinem stolzen Blick, dem Flug</p>
- <p class="line">brausender Wagen über Ebenen blieb meine</p>
- <p class="line">Heimat zurück. Die Räder reißen meinen Zug</p>
+ <p class="line">brausender Wagen über Ebenen blieb meine</p>
+ <p class="line">Heimat zurück. Die Räder reißen meinen Zug</p>
<p class="line">durch die vom Strom geteilte meilenweite Kammer der Ukraine.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Dann brach die Donau unterm Schwung des Viadukts vorbei.</p>
- <p class="line">In Rustschuk wurden Güter umgeladen.</p>
- <p class="line">Ich lächelte in meines Tages blaue Gnaden</p>
+ <p class="line">In Rustschuk wurden Güter umgeladen.</p>
+ <p class="line">Ich lächelte in meines Tages blaue Gnaden</p>
<p class="line">und reiste lachend durch die Walachei.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Die breiten Wagen liefen langsamer und hörten auf zu wiegen.</p>
- <p class="line">Ich sah im Schoße eines Abendbrandes,</p>
+ <p class="line">Die breiten Wagen liefen langsamer und hörten auf zu wiegen.</p>
+ <p class="line">Ich sah im Schoße eines Abendbrandes,</p>
<p class="line">steinern und bunt gedehnt, glitzernd vor Meer, Konstantinopel liegen.</p>
- <p class="line">Stambul! Die Pforte des erträumten Morgenlandes!</p>
+ <p class="line">Stambul! Die Pforte des erträumten Morgenlandes!</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Ich stand umher. Die flachen Wellen schlugen</p>
- <p class="line">an flache, kurz gesteppte Uferränder,</p>
+ <p class="line">an flache, kurz gesteppte Uferränder,</p>
<p class="line">die nah sich schwangen, sich im Meer vertrugen.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Da faßte mich die Leidenschaft</p>
- <p class="line">der Heimat und der Rausch der Abendländer.</p>
- <p class="line">Ich stand in bunten Straßen aufgestrafft.</p>
- <p class="line">Armenier liefen, Levantiner, Griechen drängten</p>
- <p class="line">an meine Schulter &mdash; und ich lachte, wißt,</p>
- <p class="line">weil hier Europa sich am Orient entzündet,</p>
- <p class="line">weil jedes Land in Welt und Erde eingegründet,</p>
+ <p class="line">Da faßte mich die Leidenschaft</p>
+ <p class="line">der Heimat und der Rausch der Abendländer.</p>
+ <p class="line">Ich stand in bunten Straßen aufgestrafft.</p>
+ <p class="line">Armenier liefen, Levantiner, Griechen drängten</p>
+ <p class="line">an meine Schulter &mdash; und ich lachte, wißt,</p>
+ <p class="line">weil hier Europa sich am Orient entzündet,</p>
+ <p class="line">weil jedes Land in Welt und Erde eingegründet,</p>
<p class="line">weil auch das fernste Meer um Polen ist.</p>
</div>
@@ -516,43 +482,43 @@ LIED DES JUNGEN WITOLD NAPIEROGOCKI
</h2>
<div class="poem">
- <p class="line">In Düsseldorf war ich.</p>
+ <p class="line">In Düsseldorf war ich.</p>
<p class="line">Wild klingelte in meinen Schlaf das Telephon.</p>
<p class="line">Janina sprach</p>
- <p class="line">davon, daß bald ein Krieg ausbrach.</p>
- <p class="line">Ihre zerrissne Stimme schüttelte mich.</p>
- <p class="line">Wild auf entstürmte ich zur Legion.</p>
+ <p class="line">davon, daß bald ein Krieg ausbrach.</p>
+ <p class="line">Ihre zerrissne Stimme schüttelte mich.</p>
+ <p class="line">Wild auf entstürmte ich zur Legion.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Durch die aufwogenden Provinzen dieses Fahren!</p>
<p class="line">Fahrt durch den Tag, Fahrt unter grellem Mond;</p>
- <p class="line">Fahrt mit Verbrüderten, mit fremden Scharen,</p>
- <p class="line">und über die mit ruhiger Geberde</p>
+ <p class="line">Fahrt mit Verbrüderten, mit fremden Scharen,</p>
+ <p class="line">und über die mit ruhiger Geberde</p>
<p class="line">unter des stampfenden Zuges Beschwerde</p>
- <p class="line">in Ebenen, die unerschütterlich waren,</p>
+ <p class="line">in Ebenen, die unerschütterlich waren,</p>
<p class="line">hingebreitete Erde!</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Als ich nach Galizien kam,</p>
<p class="line">lag es vom Kriege noch verschont.</p>
- <p class="line">Die Völker drängten an, sich zu bedrängen.</p>
+ <p class="line">Die Völker drängten an, sich zu bedrängen.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Und wundersam</p>
<p class="line">in meinem aufgeregten Kopfe wohnt</p>
- <p class="line">Erinnerung, wie unter Schienensträngen</p>
- <p class="line">die Ebenen einer, einer Erde dröhnen!</p>
+ <p class="line">Erinnerung, wie unter Schienensträngen</p>
+ <p class="line">die Ebenen einer, einer Erde dröhnen!</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Nein, noch ist Polen nicht verloren.</p>
<p class="line">Mein Volk, Du wirst Dich neugeboren</p>
- <p class="line">blutend zwischen die blutenden Völker zwängen,</p>
- <p class="line">Völker, die in Wunden stöhnen,</p>
- <p class="line">Ostens und Westens zu versöhnen.</p>
+ <p class="line">blutend zwischen die blutenden Völker zwängen,</p>
+ <p class="line">Völker, die in Wunden stöhnen,</p>
+ <p class="line">Ostens und Westens zu versöhnen.</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-9">
@@ -562,58 +528,58 @@ GESANG EINES POLNISCHEN DICHTERS
<div class="poem">
<p class="line">Einsame suchen die Einsamkeit.</p>
- <p class="line">Weinend gleiten, die schwarzen Flügel</p>
- <p class="line">hebend, die Schwäne, und ihre Tränen versinken</p>
+ <p class="line">Weinend gleiten, die schwarzen Flügel</p>
+ <p class="line">hebend, die Schwäne, und ihre Tränen versinken</p>
<p class="line">ungesehn in den flimmernden Teich.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Aber ins Gedränge,</p>
- <p class="line">um die Wärme menschlich Gestalteter nah zu fühlen,</p>
- <p class="line">in den singenden Haß hoffender Menge</p>
- <p class="line">hast Du Dich verstoßen,</p>
- <p class="line">zerrüttet von Melancholie.</p>
+ <p class="line">Aber ins Gedränge,</p>
+ <p class="line">um die Wärme menschlich Gestalteter nah zu fühlen,</p>
+ <p class="line">in den singenden Haß hoffender Menge</p>
+ <p class="line">hast Du Dich verstoßen,</p>
+ <p class="line">zerrüttet von Melancholie.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Sieh, aus dem Scheitel,</p>
<p class="line">der lange Stunden gebeugt war,</p>
<p class="line">versank das Blut. Aber in mutlose feuchte Nacht</p>
- <p class="line">über den stummen Scheitel erhebt sich</p>
+ <p class="line">über den stummen Scheitel erhebt sich</p>
<p class="line">Blut des Mondes.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Sag dieses Wort: &bdquo;Mond.&ldquo; O</p>
- <p class="line">metallne Schönheit reimloser Verse.</p>
+ <p class="line">metallne Schönheit reimloser Verse.</p>
<p class="line">Sei monden Deine Stirn, die</p>
- <p class="line">zerrüttet von Melancholie</p>
+ <p class="line">zerrüttet von Melancholie</p>
<p class="line">sich aufhebt.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Aber Du wanderst mit den Soldaten,</p>
- <p class="line">zogst erstaunt über schmale Schultern</p>
+ <p class="line">zogst erstaunt über schmale Schultern</p>
<p class="line">das Kleid der Legion.</p>
- <p class="line">Die geschliffne Glätte</p>
+ <p class="line">Die geschliffne Glätte</p>
<p class="line">schneidend prunkender Bajonette</p>
- <p class="line">prüfen eitel Deine waffenlosen Hände.</p>
+ <p class="line">prüfen eitel Deine waffenlosen Hände.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Dann klebte Schmutz an Kleidern und Gelenken.</p>
<p class="line">Der Leib verfiel vor Hunger. Schreie</p>
- <p class="line">verröchelten in Schaum und Blut</p>
+ <p class="line">verröchelten in Schaum und Blut</p>
<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a>
<p class="line">neben Dir. Gewitter fiel</p>
- <p class="line">wöchentlich in die braunen Zelte.</p>
+ <p class="line">wöchentlich in die braunen Zelte.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Du knietest hin, und gut</p>
- <p class="line">weitetest Du Dein blindes Herz. Barbarisch erfüllte das Fleisch</p>
- <p class="line">der Menge Deine Gesänge.</p>
- <p class="line">Dein hartes Lächeln, Demokrat!</p>
+ <p class="line">weitetest Du Dein blindes Herz. Barbarisch erfüllte das Fleisch</p>
+ <p class="line">der Menge Deine Gesänge.</p>
+ <p class="line">Dein hartes Lächeln, Demokrat!</p>
</div>
<div class="poem">
@@ -626,48 +592,48 @@ GESANG EINES POLNISCHEN DICHTERS
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Du hörtest nicht auf, mit gefalteter Stirn</p>
+ <p class="line">Du hörtest nicht auf, mit gefalteter Stirn</p>
<p class="line">und stumm zu fragen,</p>
<p class="line">was Menschen ertragen,</p>
- <p class="line">wie &mdash; schwoll Dein Herz &mdash; mit Dir die Menschen leben können.</p>
+ <p class="line">wie &mdash; schwoll Dein Herz &mdash; mit Dir die Menschen leben können.</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-10">
<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a>
-LIED EINES BERITTENEN LEGIONÄRS
+LIED EINES BERITTENEN LEGIONÄRS
</h2>
<div class="poem">
- <p class="line">Nicht daß wir wieder die bunten Schabracken</p>
- <p class="line">mit dem weißen Adlerwappen</p>
+ <p class="line">Nicht daß wir wieder die bunten Schabracken</p>
+ <p class="line">mit dem weißen Adlerwappen</p>
<p class="line">unsern Rappen</p>
- <p class="line">vor dem Aufsprung eilig auf den Rücken packen,</p>
+ <p class="line">vor dem Aufsprung eilig auf den Rücken packen,</p>
<p class="line">ist meinem Polenvolk ein Zeichen.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Daß wir die Konfederatka in den Nacken</p>
- <p class="line">mit den erregten Händen streichen,</p>
- <p class="line">daß unsre Frauen mit dem alten Kopfputz gehn,</p>
+ <p class="line">Daß wir die Konfederatka in den Nacken</p>
+ <p class="line">mit den erregten Händen streichen,</p>
+ <p class="line">daß unsre Frauen mit dem alten Kopfputz gehn,</p>
<p class="line">ist nicht viel,</p>
<p class="line">ist nur ein Spiel</p>
- <p class="line">und läßt nicht Polen auferstehn.</p>
+ <p class="line">und läßt nicht Polen auferstehn.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Des Jünglings nackter Leichnam aber, aus der Legion,</p>
+ <p class="line">Des Jünglings nackter Leichnam aber, aus der Legion,</p>
<p class="line">Freund seiner Freunde, einer Mutter Sohn,</p>
- <p class="line">kaum ausgebildet noch zu schmächtiger Bleiche</p>
- <p class="line">und auf den aufgewühlten Boden hingeworfen schon &mdash;</p>
+ <p class="line">kaum ausgebildet noch zu schmächtiger Bleiche</p>
+ <p class="line">und auf den aufgewühlten Boden hingeworfen schon &mdash;</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Da ich die knabenweiche</p>
- <p class="line">kalte Haut der toten Hüfte knieend mit der Hand betaste,</p>
+ <p class="line">kalte Haut der toten Hüfte knieend mit der Hand betaste,</p>
<p class="line">um den Leib steht eine Wolke:</p>
- <p class="line">glühnde Hoffnung, verzweifelte Tapferkeit, und Bleiche</p>
- <p class="line">männlicher Entschlossenheit &mdash; da weiß ich: ich erfaßte</p>
- <p class="line">Volk mit meinen Händen. Du bist aus dem Volke!</p>
+ <p class="line">glühnde Hoffnung, verzweifelte Tapferkeit, und Bleiche</p>
+ <p class="line">männlicher Entschlossenheit &mdash; da weiß ich: ich erfaßte</p>
+ <p class="line">Volk mit meinen Händen. Du bist aus dem Volke!</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-11">
@@ -678,71 +644,71 @@ POLNISCHE REITER
<div class="poem">
<p class="line">Als es abendete, war mit vorsichtigen Schritten</p>
<p class="line">ein Soldat den Uferweg heraufgekommen.</p>
- <p class="line">Er hat sich einen Weg in die Mitte des Gestrüpps geschnitten,</p>
+ <p class="line">Er hat sich einen Weg in die Mitte des Gestrüpps geschnitten,</p>
<p class="line">hat das Gewehr von der Schulter genommen</p>
- <p class="line">und hockte, vom Monde überglitten.</p>
+ <p class="line">und hockte, vom Monde überglitten.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Er sah, wie im Monde die Felder schwammen.</p>
<p class="line">Da kamen ein paar geritten,</p>
- <p class="line">massig hingen sie ihren stampfenden Tieren auf dem breiten Rücken,</p>
+ <p class="line">massig hingen sie ihren stampfenden Tieren auf dem breiten Rücken,</p>
<p class="line">der Mond warf ihre Schatten zusammen:</p>
<p class="line">vor seinem Versteck fielen die Pferde in einen harten Trab.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Zuckend flogen die Hufe, in den Bügeln wippten die Sohlen,</p>
- <p class="line">die Reiter sah er tief sich auf die Pferdehälse bücken,</p>
- <p class="line">daß sie als Buckel auf den schweren Haufen Fleisches fliegen;</p>
- <p class="line">sie ritten, als hätte ihnen einer ein Himmelreich gestohlen,</p>
- <p class="line">das wollten sie aus der Hölle wiederholen.</p>
+ <p class="line">Zuckend flogen die Hufe, in den Bügeln wippten die Sohlen,</p>
+ <p class="line">die Reiter sah er tief sich auf die Pferdehälse bücken,</p>
+ <p class="line">daß sie als Buckel auf den schweren Haufen Fleisches fliegen;</p>
+ <p class="line">sie ritten, als hätte ihnen einer ein Himmelreich gestohlen,</p>
+ <p class="line">das wollten sie aus der Hölle wiederholen.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Dumpf dröhnten die Hufe über das Grab</p>
- <p class="line">der Straße. Der Boden mußte sich unter den Reitern biegen!</p>
- <p class="line">Der Posten wußte nicht: waren es Deutsche, Russen, Polen?</p>
- <p class="line">Er hielt die Flinte in den Händen liegen</p>
- <p class="line">und schoß nicht ab.</p>
+ <p class="line">Dumpf dröhnten die Hufe über das Grab</p>
+ <p class="line">der Straße. Der Boden mußte sich unter den Reitern biegen!</p>
+ <p class="line">Der Posten wußte nicht: waren es Deutsche, Russen, Polen?</p>
+ <p class="line">Er hielt die Flinte in den Händen liegen</p>
+ <p class="line">und schoß nicht ab.</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-12">
<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a>
-BEGEGNUNG DER BRÜDER
+BEGEGNUNG DER BRÜDER
</h2>
<div class="poem">
<p class="line">Der eine, eng eingereiht in die Scharen</p>
- <p class="line">des weißen Zaren,</p>
+ <p class="line">des weißen Zaren,</p>
<p class="line">brach in Galizien ein.</p>
<p class="line">Die Wege kennt er,</p>
- <p class="line">die, von Güssen geschwollen, vom Lichte geschwächt,</p>
- <p class="line">über die Grenze gehn.</p>
+ <p class="line">die, von Güssen geschwollen, vom Lichte geschwächt,</p>
+ <p class="line">über die Grenze gehn.</p>
<p class="line">In einem Gefecht</p>
<p class="line">verbrennt er</p>
<p class="line">mit zwein oder drein</p>
<p class="line">eine von Polen in der Uniform der neuen Insurgentenregimenter</p>
<p class="line">besetzte Scheune. Geblendet bleibt er stehn,</p>
- <p class="line">überzuckt erkennt er</p>
+ <p class="line">überzuckt erkennt er</p>
<p class="line">im Schein, im Schrein</p>
<p class="line">unter den Wankenden der Legion</p>
- <p class="line">seiner Eltern jüngeren Sohn.</p>
+ <p class="line">seiner Eltern jüngeren Sohn.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Eigensinnig stoßen die russischen Soldaten</p>
+ <p class="line">Eigensinnig stoßen die russischen Soldaten</p>
<p class="line">gegen das Tor</p>
<p class="line">der brennenden Scheune vor.</p>
- <p class="line">Die wenigen Legionäre suchen sich mit Handgranaten</p>
+ <p class="line">Die wenigen Legionäre suchen sich mit Handgranaten</p>
<p class="line">einen Weg durch die Angreifer zu bahnen.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Auf allen Seiten flattern höher die Flammenfahnen.</p>
+ <p class="line">Auf allen Seiten flattern höher die Flammenfahnen.</p>
<p class="line">Die Gesichter quellen unterm roten Puder</p>
<p class="line">des Brandes. Die von der Legion</p>
- <p class="line">brüllen: &bdquo;Polen! Ewiges Element,</p>
+ <p class="line">brüllen: &bdquo;Polen! Ewiges Element,</p>
<p class="line">Polen, das wartet, Polen, das brennt,</p>
<p class="line">Du Element der Rebellion,</p>
<p class="line">gegen den Kaiser, gegen die Welt!&ldquo;</p>
@@ -755,41 +721,41 @@ BEGEGNUNG DER BRÜDER
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Sie hören beide an ihren Armen die angerissnen Sehnen klingen.</p>
+ <p class="line">Sie hören beide an ihren Armen die angerissnen Sehnen klingen.</p>
<p class="line">Die Handgranaten zerspringen.</p>
- <p class="line">Als der Legionär stolpert und fällt,</p>
+ <p class="line">Als der Legionär stolpert und fällt,</p>
<p class="line">laufen seine Augen, von Brand und Blut vewirrt,</p>
<p class="line">ein. &bdquo;Polen! Polen in dieser Welt!</p>
- <p class="line">Wir müssen sterben, daß für Dich Friede wird.&ldquo;</p>
+ <p class="line">Wir müssen sterben, daß für Dich Friede wird.&ldquo;</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Doch über der Wunde in seiner Schläfe schwebt</p>
+ <p class="line">Doch über der Wunde in seiner Schläfe schwebt</p>
<p class="line">seines Bruders verwundete Hand,</p>
- <p class="line">der näher kam,</p>
- <p class="line">schwebt, ein geröteter Vogel, über ein ganzes Land.</p>
- <p class="line">Über ihn schluchzt ins Blut einer blutenden Stimme Scham:</p>
- <p class="line">&bdquo;Wir müssen leben, daß Polen lebt!&ldquo;</p>
+ <p class="line">der näher kam,</p>
+ <p class="line">schwebt, ein geröteter Vogel, über ein ganzes Land.</p>
+ <p class="line">Über ihn schluchzt ins Blut einer blutenden Stimme Scham:</p>
+ <p class="line">&bdquo;Wir müssen leben, daß Polen lebt!&ldquo;</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-13">
<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a>
-WEICHSELÜBERGANG
+WEICHSELÜBERGANG
</h2>
<div class="poem">
<p class="line">Nicht ganz bis an das Ufer ging der Wald.</p>
- <p class="line">Schwer wälzten sich die Räder tief im Kote,</p>
- <p class="line">der nachgab, auffuhr, und die Deichsel überschwemmen,</p>
- <p class="line">die Pferdehufe zerren wollte. Sie mußten von den Sitzen springen</p>
- <p class="line">und keuchend in die Speichen ihre Fäuste stemmen:</p>
+ <p class="line">Schwer wälzten sich die Räder tief im Kote,</p>
+ <p class="line">der nachgab, auffuhr, und die Deichsel überschwemmen,</p>
+ <p class="line">die Pferdehufe zerren wollte. Sie mußten von den Sitzen springen</p>
+ <p class="line">und keuchend in die Speichen ihre Fäuste stemmen:</p>
<p class="line">jeder hatte einen Hammer ums rechte Handgelenk geschnallt &mdash;</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Im Wasser aber lagen schon die Boote!</p>
- <p class="line">Mit halblaut unterdrücktem Fluch bedrohte</p>
- <p class="line">ein Mann die großen überangestrengten Pferde,</p>
+ <p class="line">Mit halblaut unterdrücktem Fluch bedrohte</p>
+ <p class="line">ein Mann die großen überangestrengten Pferde,</p>
<p class="line">und kehrte sich: dies war kein Strom, dies war ein Meeresarm,</p>
<p class="line">vom Weltmeer breit her durch die ebene Erde</p>
<p class="line">geschlungen, Polen an die Welt zu schlingen.</p>
@@ -797,21 +763,21 @@ WEICHSELÜBERGANG
<div class="poem">
<p class="line">Da stand der Mann und sah. Trotz dem Verbote</p>
- <p class="line">entkam aus seiner Brust, ein Stöhnen fast, ein Singen</p>
+ <p class="line">entkam aus seiner Brust, ein Stöhnen fast, ein Singen</p>
<p class="line">wild abgerissner Polenlieder. Diese Nacht lag warm</p>
<p class="line">auf seiner Haut. Im Strom erschaute</p>
- <p class="line">man Strömung nicht, nur runde Schollen Wassers, das sich schwarz aufstaute</p>
- <p class="line">zu tintigem Spiegel, oder dunkel sank in seine eigne Lücke.</p>
+ <p class="line">man Strömung nicht, nur runde Schollen Wassers, das sich schwarz aufstaute</p>
+ <p class="line">zu tintigem Spiegel, oder dunkel sank in seine eigne Lücke.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Weit drüben gab es wieder weites Land,</p>
- <p class="line">aus dem die Kronen von geduckten Bäumen</p>
- <p class="line">in Nacht hinauf schwarz, niedrig, rund aufschäumen.</p>
- <p class="line">Die Pfeilertrümmer der gesprengten Brücke</p>
+ <p class="line">Weit drüben gab es wieder weites Land,</p>
+ <p class="line">aus dem die Kronen von geduckten Bäumen</p>
+ <p class="line">in Nacht hinauf schwarz, niedrig, rund aufschäumen.</p>
+ <p class="line">Die Pfeilertrümmer der gesprengten Brücke</p>
<p class="line">stehn eisig in den Strom hinausgesandt.</p>
<p class="line">Ein Wagen knirschte. Heiser wieherte ein Gaul. Am Himmel wohnt</p>
- <p class="line">feucht ein bläulicher Mond.</p>
+ <p class="line">feucht ein bläulicher Mond.</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-14">
@@ -820,25 +786,25 @@ DAS VERLASSNE DORF
</h2>
<div class="poem">
- <p class="line">Wild stiert der Mond über ein Fensterkreuz.</p>
- <p class="line">Am eingestürzten Zaune wächst ein Pumpenschwengel</p>
- <p class="line">Nachthimmels lauer Wüste eingedrückt.</p>
+ <p class="line">Wild stiert der Mond über ein Fensterkreuz.</p>
+ <p class="line">Am eingestürzten Zaune wächst ein Pumpenschwengel</p>
+ <p class="line">Nachthimmels lauer Wüste eingedrückt.</p>
<p class="line">Roh klafft das Dach, spitz starren schwarze Sparren.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Nicht einmal wilde Hunde, die nach Knochen scharren;</p>
- <p class="line">nicht einmal Ratten. In die Nacht gebückt</p>
- <p class="line">bleibt das Gehöft, bleibt breit und braun zerstückt,</p>
+ <p class="line">nicht einmal Ratten. In die Nacht gebückt</p>
+ <p class="line">bleibt das Gehöft, bleibt breit und braun zerstückt,</p>
<p class="line">und lautlos, da die Fledermaus nicht fliegt.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Aber der Mond hört nicht auf zu scheinen;</p>
+ <p class="line">Aber der Mond hört nicht auf zu scheinen;</p>
<p class="line">unversiegt</p>
- <p class="line">stürzt er blaues flutendes Weinen</p>
+ <p class="line">stürzt er blaues flutendes Weinen</p>
<p class="line">auf einen nackten Leichnam, der mit gespreizten Beinen</p>
- <p class="line">bleich über aufgerissne Stubendiele liegt.</p>
+ <p class="line">bleich über aufgerissne Stubendiele liegt.</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-15">
@@ -847,30 +813,30 @@ POLNISCHES BAROCK
</h2>
<div class="poem">
- <p class="line">Mit Wolkenwülsten steht die Stadt verrammelt.</p>
- <p class="line">Um Türme klammern hyazinthne Strahlen</p>
+ <p class="line">Mit Wolkenwülsten steht die Stadt verrammelt.</p>
+ <p class="line">Um Türme klammern hyazinthne Strahlen</p>
<p class="line">geisternder Lichter sich. Der Mond versammelt</p>
- <p class="line">die Schatten, die um schwellende Dächer greifen.</p>
- <p class="line">Bauchige Rinnen stürzen in die Gassen, an Portalen</p>
- <p class="line">vorüber, deren Wölbungen ins Leere schweifen.</p>
+ <p class="line">die Schatten, die um schwellende Dächer greifen.</p>
+ <p class="line">Bauchige Rinnen stürzen in die Gassen, an Portalen</p>
+ <p class="line">vorüber, deren Wölbungen ins Leere schweifen.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Der Mond geht um. Vereinzelt schlagen Uhren.</p>
- <p class="line">Die Schatten wichen auf die andern Straßenseiten,</p>
- <p class="line">schwarz hingedrückt. Leichenhafte Figuren</p>
- <p class="line">mit starren üppig aufgeschwellten Hüften</p>
- <p class="line">bäumen sich unterm Baldachin der kühnen Nacht in Lüften,</p>
+ <p class="line">Die Schatten wichen auf die andern Straßenseiten,</p>
+ <p class="line">schwarz hingedrückt. Leichenhafte Figuren</p>
+ <p class="line">mit starren üppig aufgeschwellten Hüften</p>
+ <p class="line">bäumen sich unterm Baldachin der kühnen Nacht in Lüften,</p>
<p class="line">die greifbar werden und entfesselt schreiten.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">So viel geschieht. Hier gibt es kein Verweilen.</p>
- <p class="line">Hingeschlagen zerfallen Tote in den Grüften,</p>
- <p class="line">und über ihren eingewachsnen Spuren</p>
- <p class="line">schwingt sich hier alles, in überirdischen Zeilen</p>
+ <p class="line">Hingeschlagen zerfallen Tote in den Grüften,</p>
+ <p class="line">und über ihren eingewachsnen Spuren</p>
+ <p class="line">schwingt sich hier alles, in überirdischen Zeilen</p>
<p class="line">hinhorchend tatenlosen Qualen</p>
- <p class="line">in Trotz und Fülle schwer und irdisch zu enteilen.</p>
+ <p class="line">in Trotz und Fülle schwer und irdisch zu enteilen.</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-16">
@@ -886,72 +852,72 @@ DER POLNISCHE ADLER
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Du hörst nicht auf, aus den gesträubten Federklüngeln</p>
- <p class="line">der Kehle in die Falten, die Dich blutig rot umsäumen,</p>
- <p class="line">verdrehten Kopfs, gespaltnen Schnabels scharf hineinzuzüngeln;</p>
- <p class="line">Du starrst, und willst Dich immer weißer bäumen.</p>
+ <p class="line">Du hörst nicht auf, aus den gesträubten Federklüngeln</p>
+ <p class="line">der Kehle in die Falten, die Dich blutig rot umsäumen,</p>
+ <p class="line">verdrehten Kopfs, gespaltnen Schnabels scharf hineinzuzüngeln;</p>
+ <p class="line">Du starrst, und willst Dich immer weißer bäumen.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Vergeßt die roten nicht, die blutigen, die Falten,</p>
- <p class="line">die, wenn der Wind anhob, es schwellend zu verkürzen,</p>
- <p class="line">ums weiße Tier, erregt mit ihm, in breiten Zügen wallten:</p>
- <p class="line">O nur bewegter sich, und sei&rsquo;s verzerrt und bleich, in Reinheit stürzen!</p>
+ <p class="line">Vergeßt die roten nicht, die blutigen, die Falten,</p>
+ <p class="line">die, wenn der Wind anhob, es schwellend zu verkürzen,</p>
+ <p class="line">ums weiße Tier, erregt mit ihm, in breiten Zügen wallten:</p>
+ <p class="line">O nur bewegter sich, und sei&rsquo;s verzerrt und bleich, in Reinheit stürzen!</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Regen verwusch den Adler nicht. Die Lüfte toben.</p>
- <p class="line">Du weißt nicht, Adler: schnelle Schritte schallen durch den Garten.</p>
- <p class="line">Geschärfte Blicke wenden sich nach oben</p>
- <p class="line">und sehn, helle geblähte menschliche Gedanken,</p>
- <p class="line">das rot umbrannte weiße Tier gereinigter Standarten</p>
- <p class="line">im großen Zug irdischen Windes schwanken.</p>
+ <p class="line">Regen verwusch den Adler nicht. Die Lüfte toben.</p>
+ <p class="line">Du weißt nicht, Adler: schnelle Schritte schallen durch den Garten.</p>
+ <p class="line">Geschärfte Blicke wenden sich nach oben</p>
+ <p class="line">und sehn, helle geblähte menschliche Gedanken,</p>
+ <p class="line">das rot umbrannte weiße Tier gereinigter Standarten</p>
+ <p class="line">im großen Zug irdischen Windes schwanken.</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-17">
<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a>
-ZUM KÖNIG VON POLEN
+ZUM KÖNIG VON POLEN
</h2>
<div class="poem">
<p class="line">Er war nur noch ein Name, nur ein Bild,</p>
<p class="line">ein Schatten noch auf einem Wirtshausschild,</p>
<p class="line">jeder durfte sich seinen Willkommen holen:</p>
- <p class="line">Zum König von Polen.</p>
+ <p class="line">Zum König von Polen.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Einst stieg er Stufen aufwärts zu den Göttern,</p>
- <p class="line">auf dem Gewirr geschwungner Säbelspitzen</p>
- <p class="line">war, überblendeter, sein Name schwebend,</p>
+ <p class="line">Einst stieg er Stufen aufwärts zu den Göttern,</p>
+ <p class="line">auf dem Gewirr geschwungner Säbelspitzen</p>
+ <p class="line">war, überblendeter, sein Name schwebend,</p>
<p class="line">trunken von Jubelrufen der Schlachzizen.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Dann ein Gespiel den Spöttern,</p>
+ <p class="line">Dann ein Gespiel den Spöttern,</p>
<p class="line">entthronter Schatten prunkender Leidenschaft,</p>
- <p class="line">Zaunkönig, Rattenkönig, und ein Bild</p>
+ <p class="line">Zaunkönig, Rattenkönig, und ein Bild</p>
<p class="line">auf abendlichem Schild,</p>
- <p class="line">Reisende müden Suchens überhebend.</p>
+ <p class="line">Reisende müden Suchens überhebend.</p>
<p class="line">He, polnische Wirtschaft!</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Aber um Polen ist ein Brand gekommen,</p>
- <p class="line">da sind die Farben abgeblättert.</p>
+ <p class="line">da sind die Farben abgeblättert.</p>
<p class="line">Sie haben alle Wirtshausschilder heruntergenommen,</p>
- <p class="line">die waren verwaschen und bös verwettert.</p>
- <p class="line">Flammen fraßen in den Ritzen.</p>
+ <p class="line">die waren verwaschen und bös verwettert.</p>
+ <p class="line">Flammen fraßen in den Ritzen.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Im Grabe stöhnen die Schlachzizen.</p>
+ <p class="line">Im Grabe stöhnen die Schlachzizen.</p>
<p class="line">Ein Mann galoppiert sich wendend auf einem blutigen Fohlen,</p>
<p class="line">Flammen unter den Sohlen,</p>
<p class="line">wo sein zuckender Huf aufschmettert,</p>
<p class="line">schreit er in alle Ohren:</p>
<p class="line">&bdquo;Polen ist noch nicht verloren:</p>
- <p class="line">Polen &mdash; König von Polen!&ldquo;</p>
+ <p class="line">Polen &mdash; König von Polen!&ldquo;</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-18">
@@ -962,12 +928,12 @@ BILD EINES REPUBLIKANERS
<div class="poem">
<p class="line">Er ist sehr sanft. Er steht im Zimmer ganz alleine.</p>
<p class="line">Die harte Stirn ist nachdenklich emporgefaltet.</p>
- <p class="line">Man fühlt, wie ihn die enge Luft umkaltet.</p>
+ <p class="line">Man fühlt, wie ihn die enge Luft umkaltet.</p>
<p class="line">Aber seine Augen brennen wie zwei Edelsteine.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Man fühlt es rasch in seinen schwach erhobnen Adern bluten.</p>
+ <p class="line">Man fühlt es rasch in seinen schwach erhobnen Adern bluten.</p>
<p class="line">Er wendet sich. Er lauscht tief in die Stunde,</p>
<p class="line">leicht vorgebogen. Seine Leidenschaft</p>
<p class="line">ist umgewandelt bis zum Grunde:</p>
@@ -976,11 +942,11 @@ BILD EINES REPUBLIKANERS
<div class="poem">
<p class="line">Er tritt zum Schreibtisch und beginnt zu schreiben.</p>
- <p class="line">Noch weiß er nicht, was er erschafft,</p>
- <p class="line">er zögert. Plötzlich ist er hitzig übergossen.</p>
- <p class="line">Er lächelt, während seine Augen streng verbleiben.</p>
+ <p class="line">Noch weiß er nicht, was er erschafft,</p>
+ <p class="line">er zögert. Plötzlich ist er hitzig übergossen.</p>
+ <p class="line">Er lächelt, während seine Augen streng verbleiben.</p>
<p class="line">Ein Zucken zerrt an seinem etwas offnen Munde,</p>
- <p class="line">er wendet sich, und hält mit leichten Händen seinem Hunde</p>
+ <p class="line">er wendet sich, und hält mit leichten Händen seinem Hunde</p>
<p class="line">die Schnauze verschlossen.</p>
</div>
@@ -990,74 +956,74 @@ HEIMKEHR DES VERBANNTEN
</h2>
<div class="poem">
- <p class="line">Die Gärtenruhe; stumm verwachsenes Gezweige.</p>
- <p class="line">Lauheit des Mondes. Jähe Maste fragen.</p>
+ <p class="line">Die Gärtenruhe; stumm verwachsenes Gezweige.</p>
+ <p class="line">Lauheit des Mondes. Jähe Maste fragen.</p>
<p class="line">Vorquellen in des Himmels fahle Neige,</p>
- <p class="line">breit ausgeseiht, schwammige Wolkenränder.</p>
+ <p class="line">breit ausgeseiht, schwammige Wolkenränder.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Rasch rollte an, am Gitter hielt der Wagen.</p>
- <p class="line">Der hat ihn und die Luft der Abendländer</p>
- <p class="line">in die Bewegung vor dem Hause, dem eröffneten, getragen.</p>
- <p class="line">Er drang in das gelüftete. Er hat die Tore zugeschlagen.</p>
- <p class="line">Ihn staunte das vergessne Wehn bunter Gewänder &mdash;</p>
+ <p class="line">Der hat ihn und die Luft der Abendländer</p>
+ <p class="line">in die Bewegung vor dem Hause, dem eröffneten, getragen.</p>
+ <p class="line">Er drang in das gelüftete. Er hat die Tore zugeschlagen.</p>
+ <p class="line">Ihn staunte das vergessne Wehn bunter Gewänder &mdash;</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Er kreiste Hände groß zum Gruß. Neu hat er sich verschworen.</p>
- <p class="line">Und ging nun fremd umher und wußte nicht, was wird,</p>
+ <p class="line">Er kreiste Hände groß zum Gruß. Neu hat er sich verschworen.</p>
+ <p class="line">Und ging nun fremd umher und wußte nicht, was wird,</p>
<p class="line">und weinte fast: nein, Polen ist noch nicht verloren,</p>
- <p class="line">und ließ nicht ab, von einem Saal zum andern,</p>
+ <p class="line">und ließ nicht ab, von einem Saal zum andern,</p>
<p class="line">elend ein Fremder, in die Heimat verirrt,</p>
- <p class="line">lächelnd und voller Angst umherzuwandern.</p>
+ <p class="line">lächelnd und voller Angst umherzuwandern.</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-20">
<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a>
-VERWANDLUNG DES VERSCHWÖRERS
+VERWANDLUNG DES VERSCHWÖRERS
</h2>
<div class="poem">
<p class="line">In Warschau, und im Winter war&rsquo;s.</p>
<p class="line">In einer heimlichen Sitzung des verfolgten Nationalkomitees</p>
- <p class="line">trat einer ans Fenster, preßte die Haube schwarzen Haars</p>
- <p class="line">an die Scheiben und blickte über die Ebene weichen Schnees.</p>
+ <p class="line">trat einer ans Fenster, preßte die Haube schwarzen Haars</p>
+ <p class="line">an die Scheiben und blickte über die Ebene weichen Schnees.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">&bdquo;O wie sie hinter meinem Rücken weiter raunen!</p>
- <p class="line">Ich fühle ihre Lippen unter schmalen Bärten zucken,</p>
- <p class="line">ich weiß, wie sie die Stirnen über raschelnde Papiere ducken,</p>
+ <p class="line">&bdquo;O wie sie hinter meinem Rücken weiter raunen!</p>
+ <p class="line">Ich fühle ihre Lippen unter schmalen Bärten zucken,</p>
+ <p class="line">ich weiß, wie sie die Stirnen über raschelnde Papiere ducken,</p>
<p class="line">und schon zusammenfahren, wenn einer schnell eintrat.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Wir können nicht mehr über unser Werk erstaunen,</p>
- <p class="line">wir fraßen uns hinein, es wurde dick;</p>
+ <p class="line">Wir können nicht mehr über unser Werk erstaunen,</p>
+ <p class="line">wir fraßen uns hinein, es wurde dick;</p>
<p class="line">Tun wurde wichtiger als die Tat.</p>
- <p class="line">Dies Hocken, Schieben, Flüstern heißt uns Politik!</p>
+ <p class="line">Dies Hocken, Schieben, Flüstern heißt uns Politik!</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Wie lange ist&rsquo;s, daß einer von uns stürmte, bat</p>
- <p class="line">und litt! Mich würgt der Ekel lange. Scham</p>
- <p class="line">in unsre Augen! Schmach, daß Ihr uns so verdarbt!</p>
- <p class="line">Daß nie ein Licht in diese Winkel kam!&ldquo;</p>
+ <p class="line">Wie lange ist&rsquo;s, daß einer von uns stürmte, bat</p>
+ <p class="line">und litt! Mich würgt der Ekel lange. Scham</p>
+ <p class="line">in unsre Augen! Schmach, daß Ihr uns so verdarbt!</p>
+ <p class="line">Daß nie ein Licht in diese Winkel kam!&ldquo;</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Er breitete die Hände vor. &bdquo;Erwarbt</p>
+ <p class="line">Er breitete die Hände vor. &bdquo;Erwarbt</p>
<p class="line">Ihr schleichend Euch die Zukunft denn? O nichts als Schein!</p>
- <p class="line">Sei laut, mein Volk. Blüh auf, mein Volk. O werde Staat!&ldquo;</p>
+ <p class="line">Sei laut, mein Volk. Blüh auf, mein Volk. O werde Staat!&ldquo;</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Er stieß das Fenster auf. Kalt strömte Luft herein.</p>
+ <p class="line">Er stieß das Fenster auf. Kalt strömte Luft herein.</p>
<p class="line">Tausende Lichter dieser Stadt verschweben.</p>
- <p class="line">&bdquo;O in die Städte treten, unter Menschen, schrein</p>
- <p class="line">zwischen die Menschen, unter Sonne, Wind und weißem Schnein!</p>
- <p class="line">Sprich doch, mein Volk. O groß und frei im Hellen bleiben!&ldquo;</p>
+ <p class="line">&bdquo;O in die Städte treten, unter Menschen, schrein</p>
+ <p class="line">zwischen die Menschen, unter Sonne, Wind und weißem Schnein!</p>
+ <p class="line">Sprich doch, mein Volk. O groß und frei im Hellen bleiben!&ldquo;</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-21">
@@ -1066,35 +1032,35 @@ DER MISCHLING
</h2>
<div class="poem">
- <p class="line">Das blonde Haar ist über seinem schmalen Schädel</p>
- <p class="line">in hoher Welle schräg zurückgestrichen.</p>
+ <p class="line">Das blonde Haar ist über seinem schmalen Schädel</p>
+ <p class="line">in hoher Welle schräg zurückgestrichen.</p>
<p class="line">Die Stirn, gebuckelt, ist graviert mit Strichen,</p>
<p class="line">unter dem Sprung der Brauen unterjochen</p>
- <p class="line">wilde Augen die gewölbten Backenknochen;</p>
- <p class="line">kurz sprechend wirft er hastig seinen Schädel.</p>
+ <p class="line">wilde Augen die gewölbten Backenknochen;</p>
+ <p class="line">kurz sprechend wirft er hastig seinen Schädel.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Dem wüsten Vaterhause ist er früh entwichen.</p>
+ <p class="line">Dem wüsten Vaterhause ist er früh entwichen.</p>
<p class="line">Auch in der Fremde blieb er unverhohlen</p>
- <p class="line">unglücklich. Er ist viel in Europa umhergestrichen,</p>
+ <p class="line">unglücklich. Er ist viel in Europa umhergestrichen,</p>
<p class="line">tat viel und war sehr vielen Dingen nah,</p>
<p class="line">war deutscher als ein Deutscher, polnischer als Polen.</p>
- <p class="line">Schließlich ging er mit einem Mädel,</p>
- <p class="line">das ihm ähnlich sah,</p>
+ <p class="line">Schließlich ging er mit einem Mädel,</p>
+ <p class="line">das ihm ähnlich sah,</p>
<p class="line">in die Kolonie,</p>
- <p class="line">entrann dem Rausch und fand etwas wie Glück.</p>
- <p class="line">Bei Kriegsausbruch kam er von Pondichéry</p>
- <p class="line">zurück.</p>
+ <p class="line">entrann dem Rausch und fand etwas wie Glück.</p>
+ <p class="line">Bei Kriegsausbruch kam er von Pondichéry</p>
+ <p class="line">zurück.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Er sprang vom Schiff. Er übersprang die Grenzen, die sie trennen,</p>
- <p class="line">er fühlte sie und fühlte sich mit gespaltner Flamme brennen.</p>
- <p class="line">Er kannte Krieg und wußte, daß jedes Volk sich selbst bekriegt.</p>
+ <p class="line">Er sprang vom Schiff. Er übersprang die Grenzen, die sie trennen,</p>
+ <p class="line">er fühlte sie und fühlte sich mit gespaltner Flamme brennen.</p>
+ <p class="line">Er kannte Krieg und wußte, daß jedes Volk sich selbst bekriegt.</p>
<p class="line">Er half zum Siege und war selbst besiegt.</p>
<p class="line">Er war geschaffen, ihre Tugenden zu kennen.</p>
- <p class="line">O wie sein schönes Herz zwischen den Völkern liegt!</p>
+ <p class="line">O wie sein schönes Herz zwischen den Völkern liegt!</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-22">
@@ -1103,24 +1069,24 @@ POLNISCHE SCHAUSPIELERIN
</h2>
<div class="poem">
- <p class="line">Zerreißt das Tuch über schmerzender Brust,</p>
- <p class="line">sticht mit dem spitzen Finger in die taumelnden Brüste,</p>
+ <p class="line">Zerreißt das Tuch über schmerzender Brust,</p>
+ <p class="line">sticht mit dem spitzen Finger in die taumelnden Brüste,</p>
<p class="line">wirft die Augen zum Himmel auf,</p>
<p class="line">zum Feste</p>
- <p class="line">der steifen über ihr prallen blauen Wölbung.</p>
- <p class="line">Die Gäste</p>
+ <p class="line">der steifen über ihr prallen blauen Wölbung.</p>
+ <p class="line">Die Gäste</p>
<p class="line">lachen und rufen durcheinander.</p>
- <p class="line">Licht fällt dicht.</p>
+ <p class="line">Licht fällt dicht.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Sie hört sich selber nicht.</p>
+ <p class="line">Sie hört sich selber nicht.</p>
<p class="line">Sie windet Phantasien in polnischer Sprache.</p>
- <p class="line">Wogender werden ihre Gebärden.</p>
- <p class="line">&bdquo;Keiner weiß, was der andre spricht.</p>
- <p class="line">Strömender Mantel ist meine Sprache.</p>
+ <p class="line">Wogender werden ihre Gebärden.</p>
+ <p class="line">&bdquo;Keiner weiß, was der andre spricht.</p>
+ <p class="line">Strömender Mantel ist meine Sprache.</p>
<p class="line">Aber seht, wie ich ihn Menschen entgegenbreite!</p>
- <p class="line">Was für Schmerzen ich mir bereite!&ldquo;</p>
+ <p class="line">Was für Schmerzen ich mir bereite!&ldquo;</p>
<p class="line">Sie sinnt. &bdquo;O, auf Erden</p>
<p class="line">im eignen Wort verstanden werden!&ldquo;</p>
</div>
@@ -1131,57 +1097,57 @@ WORTE ZU EINEM POLNISCHEN TANZ
</h2>
<div class="poem">
- <p class="line">Da sitzt das Quartett und ist schon müde.</p>
+ <p class="line">Da sitzt das Quartett und ist schon müde.</p>
<p class="line">Nur einer schwenkt das Kinn und stemmt die Fiedel,</p>
- <p class="line">und streicht den Bogen zu einer Etüde,</p>
+ <p class="line">und streicht den Bogen zu einer Etüde,</p>
<p class="line">streicht, als wollte er ihn zerbrechen,</p>
<p class="line">streicht immer die eine, immer die,</p>
<p class="line">immer dieselbe Melodie,</p>
<p class="line">verdreht zu einem kleinen Liedel &mdash;</p>
- <p class="line">hört auf, wir wollen nicht dazu sprechen!</p>
+ <p class="line">hört auf, wir wollen nicht dazu sprechen!</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Einer legt einem Mädchen die Hand an den Hals</p>
- <p class="line">und biegt sie. Wie zärtlich! Vor zwei Jahren, als</p>
- <p class="line">wir nach Jasnagora kamen, erblaßten</p>
+ <p class="line">Einer legt einem Mädchen die Hand an den Hals</p>
+ <p class="line">und biegt sie. Wie zärtlich! Vor zwei Jahren, als</p>
+ <p class="line">wir nach Jasnagora kamen, erblaßten</p>
<p class="line">wir, weil zwei von unsern Damen</p>
- <p class="line">sich zum Tanzen eng um die Hüften faßten!</p>
- <p class="line">Hör doch auf. Wir vergaßen</p>
- <p class="line">alles, als wir tranken und saßen.</p>
+ <p class="line">sich zum Tanzen eng um die Hüften faßten!</p>
+ <p class="line">Hör doch auf. Wir vergaßen</p>
+ <p class="line">alles, als wir tranken und saßen.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Adam aber wollte reiten.</p>
<p class="line">Janina sollte ihn begleiten,</p>
- <p class="line">er hielt ihr ehrerbietig den Bügel,</p>
- <p class="line">als sie aber ein Stück</p>
+ <p class="line">er hielt ihr ehrerbietig den Bügel,</p>
+ <p class="line">als sie aber ein Stück</p>
<p class="line">weiter waren, zitterte er</p>
<p class="line">bis unter die Haut, atmete schwer,</p>
- <p class="line">ließ den Gaul ansprengen, packte ihren Zügel</p>
- <p class="line">und riß sie zurück &mdash;</p>
+ <p class="line">ließ den Gaul ansprengen, packte ihren Zügel</p>
+ <p class="line">und riß sie zurück &mdash;</p>
<p class="line">Nie vergesse ich seine Augen.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Hör auf, sprich nicht, Du lenkst</p>
+ <p class="line">Hör auf, sprich nicht, Du lenkst</p>
<p class="line">mit Worten, die Worte aus allen Weiten saugen,</p>
<p class="line">mich nicht von dem, woran Du denkst.</p>
- <p class="line">Daß Du Dich so in die Welt verschenkst!</p>
- <p class="line">Du hörst nur eines aus den vielen</p>
+ <p class="line">Daß Du Dich so in die Welt verschenkst!</p>
+ <p class="line">Du hörst nur eines aus den vielen</p>
<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a>
- <p class="line">Gängen der einen Melodie,</p>
+ <p class="line">Gängen der einen Melodie,</p>
<p class="line">die sie wieder zum Tanze spielen.</p>
<p class="line">Fluch Deiner heiligen Melancholie!</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Du sollst keine Worte zum Tanze sprechen,</p>
- <p class="line">am Ende müssen wir alles blechen.</p>
+ <p class="line">am Ende müssen wir alles blechen.</p>
<p class="line">Starr&rsquo; nicht so widerlich in den Wind!</p>
<p class="line">Greif nicht mit so harter Faust in die rankenden Pflanzen.</p>
- <p class="line">O wie unglücklich wir Menschen sind &mdash;</p>
- <p class="line">was bleibt uns denn übrig, als zu tanzen!</p>
+ <p class="line">O wie unglücklich wir Menschen sind &mdash;</p>
+ <p class="line">was bleibt uns denn übrig, als zu tanzen!</p>
</div>
<h2 class="chapter" id="chapter-1-24">
@@ -1190,38 +1156,38 @@ JOHANN KASIMIR LANDRIS ERLEBNIS
</h2>
<div class="poem">
- <p class="line">Johann Kasimir Landri kam von dem großväterlichen Gute.</p>
- <p class="line">Er fühlte noch zwischen den Schenkeln die bebenden Flanken der silbernen Stute,</p>
+ <p class="line">Johann Kasimir Landri kam von dem großväterlichen Gute.</p>
+ <p class="line">Er fühlte noch zwischen den Schenkeln die bebenden Flanken der silbernen Stute,</p>
<p class="line">und das Wiegen, als unter den Hufen der Sand</p>
- <p class="line">gerieselt war; und das flüchtige Land,</p>
+ <p class="line">gerieselt war; und das flüchtige Land,</p>
<p class="line">Rausch der Weite seines Landes schwoll noch in seinem Blute.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Vor der Rampe der Stadtwohnung hielt der Wagen.</p>
- <p class="line">Ein Diener öffnete den Schlag und hat ihn eilig zugeschlagen,</p>
+ <p class="line">Ein Diener öffnete den Schlag und hat ihn eilig zugeschlagen,</p>
<p class="line">und folgte bepackt. Johann Kasimir sah im Enteilen</p>
- <p class="line">in der Pförtnerstube, zwischen dem steifen und engen roten Mobiliar,</p>
- <p class="line">ein junges Stubenmädchen schmal</p>
+ <p class="line">in der Pförtnerstube, zwischen dem steifen und engen roten Mobiliar,</p>
+ <p class="line">ein junges Stubenmädchen schmal</p>
<p class="line">mit tief gesenktem kupfernem Haar</p>
<p class="line">verweilen.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Er zögerte in der Mitte</p>
- <p class="line">der Treppe. Er behielt ein flüchtiges Bild ihrer Fessel &mdash;</p>
- <p class="line">hinter ihm kamen des Dieners leise zögernde Schritte &mdash;</p>
- <p class="line">und er wußte: oben, allein im räumigen Saal,</p>
- <p class="line">der eben breit zur Straße erleuchtet war,</p>
+ <p class="line">Er zögerte in der Mitte</p>
+ <p class="line">der Treppe. Er behielt ein flüchtiges Bild ihrer Fessel &mdash;</p>
+ <p class="line">hinter ihm kamen des Dieners leise zögernde Schritte &mdash;</p>
+ <p class="line">und er wußte: oben, allein im räumigen Saal,</p>
+ <p class="line">der eben breit zur Straße erleuchtet war,</p>
<p class="line">wartete seine Mutter im Sessel.</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Den Rest der Treppe hat er beklommen</p>
<p class="line">langsam erstiegen. Aber das Licht</p>
- <p class="line">im Vestibül überflog</p>
+ <p class="line">im Vestibül überflog</p>
<p class="line">singend das Staunen seiner heiligen Scham.</p>
- <p class="line">Stürmisch lächelte sein Gesicht,</p>
+ <p class="line">Stürmisch lächelte sein Gesicht,</p>
<p class="line">als er die gelassne Hand seiner Mutter nahm</p>
<p class="line">und unters klopfende Blut seiner Lippen zog &mdash;:</p>
<p class="line">&bdquo;Es werden ganz neue Zeiten kommen!&ldquo;</p>
@@ -1229,49 +1195,49 @@ JOHANN KASIMIR LANDRIS ERLEBNIS
<h2 class="chapter" id="chapter-1-25">
<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a>
-EIN STERBENDER MINISTER HINTERLÄSST<br />
+EIN STERBENDER MINISTER HINTERLÄSST<br />
DEN POLEN:
</h2>
<div class="poem">
- <p class="line">Es gibt keine Grenze, wo Deutschland an Polen stößt,</p>
- <p class="line">die Ströme treten ungehindert über in deutsches Land,</p>
- <p class="line">und der Flissak, der seine Stämme stromabwärts flößt,</p>
+ <p class="line">Es gibt keine Grenze, wo Deutschland an Polen stößt,</p>
+ <p class="line">die Ströme treten ungehindert über in deutsches Land,</p>
+ <p class="line">und der Flissak, der seine Stämme stromabwärts flößt,</p>
<p class="line">hat nie erkannt,</p>
<p class="line">ob es den heimischen Atem mit feindlicher Luft vertauschen</p>
- <p class="line">heißt, &mdash; da ihn weiter das Wasser trägt</p>
+ <p class="line">heißt, &mdash; da ihn weiter das Wasser trägt</p>
<p class="line">und hier wie dort</p>
<p class="line">mit gleichem unverstandnem Wort</p>
- <p class="line">gluckend eine Welle über die Bretter schlägt,</p>
- <p class="line">und gleiche Melodie die Uferwälder rauschen.</p>
+ <p class="line">gluckend eine Welle über die Bretter schlägt,</p>
+ <p class="line">und gleiche Melodie die Uferwälder rauschen.</p>
</div>
<div class="poem">
- <p class="line">Ich hörte an den Grenzsteinen</p>
- <p class="line">ein schmales Lettenmädchen lachen und weinen,</p>
+ <p class="line">Ich hörte an den Grenzsteinen</p>
+ <p class="line">ein schmales Lettenmädchen lachen und weinen,</p>
<p class="line">in meine Brust hinein;</p>
<p class="line">vor schluchzenden Kadenzen ihrer Stimme versank der Stein &mdash;</p>
- <p class="line">Ich wußte: wo polnische Erde liegt,</p>
+ <p class="line">Ich wußte: wo polnische Erde liegt,</p>
<p class="line">ist sie in Streifen deutscher und russischer eingeschmiegt.</p>
- <p class="line">Der Strom von Erde, der um den Globus fließt,</p>
- <p class="line">ergießt</p>
+ <p class="line">Der Strom von Erde, der um den Globus fließt,</p>
+ <p class="line">ergießt</p>
<p class="line">auch in Polen sein Gewicht.</p>
- <p class="line">Grenzen werden heißen, wo die Völker einander stützen &mdash;</p>
+ <p class="line">Grenzen werden heißen, wo die Völker einander stützen &mdash;</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Die besten Deutschen haben geschworen,</p>
<p class="line">Polen sei noch nicht verloren;</p>
- <p class="line">einst werden die besten Russen Dich schützen &mdash;</p>
+ <p class="line">einst werden die besten Russen Dich schützen &mdash;</p>
</div>
<div class="poem">
<p class="line">Wer Dich zwang und besessen</p>
<p class="line">hatte, Polen, sollst Du vergessen.</p>
- <p class="line">Aber, eh nicht der Stern zerfällt,</p>
- <p class="line">Polen, vergiß die Russen nicht,</p>
- <p class="line">Polen, vergiß nicht die Deutschen,</p>
- <p class="line">Polen, vergiß nicht die Welt!</p>
+ <p class="line">Aber, eh nicht der Stern zerfällt,</p>
+ <p class="line">Polen, vergiß die Russen nicht,</p>
+ <p class="line">Polen, vergiß nicht die Deutschen,</p>
+ <p class="line">Polen, vergiß nicht die Welt!</p>
</div>
<h2 class="hidden chapter" id="chapter-1-26">
@@ -1280,89 +1246,89 @@ NACHWORT
<p class="first">
<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a>
-<span class="firstchar">D</span>as Nationalgefühl, wenn es über einen ohne sittliche
-Qualitäten wirkenden Instinkten einer Überzeugung
-gediehn ist, damit aber anders und höher
-aufrichtig wurde als der bisher geltende Urtrieb, und für
-sich und andre berechtigter, muß, neben andern Tugenden,
-die freudige Anerkennung jedes fremden Nationalgefühls
-zur Folge haben. Wovon ich überzeugt bin, daß
-ich &mdash; und nicht als der so oder so zufällig Veranlagte,
-sondern als der überhaupt Seiende &mdash; es darf, ja daß ich
-es soll, dessen Recht und mehr als Recht muß ich allen
+<span class="firstchar">D</span>as Nationalgefühl, wenn es über einen ohne sittliche
+Qualitäten wirkenden Instinkten einer Überzeugung
+gediehn ist, damit aber anders und höher
+aufrichtig wurde als der bisher geltende Urtrieb, und für
+sich und andre berechtigter, muß, neben andern Tugenden,
+die freudige Anerkennung jedes fremden Nationalgefühls
+zur Folge haben. Wovon ich überzeugt bin, daß
+ich &mdash; und nicht als der so oder so zufällig Veranlagte,
+sondern als der überhaupt Seiende &mdash; es darf, ja daß ich
+es soll, dessen Recht und mehr als Recht muß ich allen
in gleichem Stande Seienden zugestehn. Das Bestehn
der Nationen ist nicht nur die Voraussetzung des Internationalismus:
-Folge des eignen Nationalgefühls ist die
-Anerkennung des Prinzips der Nationen, und es ist bloße
+Folge des eignen Nationalgefühls ist die
+Anerkennung des Prinzips der Nationen, und es ist bloße
Anwendung, ist nur der letzte Schritt zum Wissen um
die Vielfalt ihres Reichtums und bis zur Liebe der Nationen,
zur Weltliebe. Ja, dieser Schritt ist schon getan,
&mdash; wie der wahre Individualist, der sich nicht nur obenhin
-fühlt, sondern sich menschlich, warm und interessiert
-liebt, die andern nicht hassen kann (und nur der fragwürdige
+fühlt, sondern sich menschlich, warm und interessiert
+liebt, die andern nicht hassen kann (und nur der fragwürdige
Hasser sich auszunehmen nicht bereit, nicht
-naiv, sondern unaufmerksam genug ist) und, aus gläubiger
+naiv, sondern unaufmerksam genug ist) und, aus gläubiger
Achtung vor lauter Individuen, die Menschen lieben
-muß: ein wahrer, ein besserer Sozialist.
+muß: ein wahrer, ein besserer Sozialist.
</p>
<p>
-Wer nicht andern Völkern das eigne Gute gönnt, nicht
-das Gedeihn andrer Länder wünscht, dem brauchen wir
-nicht zu glauben, daß er von Ländern und Völkern etwas
-weiß; auch vom eignen nicht &mdash; oder der ist nicht kühn
+Wer nicht andern Völkern das eigne Gute gönnt, nicht
+das Gedeihn andrer Länder wünscht, dem brauchen wir
+nicht zu glauben, daß er von Ländern und Völkern etwas
+weiß; auch vom eignen nicht &mdash; oder der ist nicht kühn
oder stark genug, vor sich selbst die moralische Regel zu
behaupten. Da uns bei der Arbeit die weite Festlichkeit
<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a>
-einer prächtigen, sicheren, erregenden Melodie russischer
+einer prächtigen, sicheren, erregenden Melodie russischer
dramatischer Musik im Ohr liegt und mehr als nur
den Blick weitet, haben wir recht, uns sehr deutsch zu wissen.
-Und es heißt deutsche Überlieferung aufnehmen, die
-beste und deutscheste Überlieferung, wenn wir mit den
-Völkern in die Zukunft gehn, und die Hoffnungen eines
-schönen, stolzen und strebenden Volkes mitfühlen. Auch
-Deutsche kämpften bei Missolunghi und (im Politischen
+Und es heißt deutsche Überlieferung aufnehmen, die
+beste und deutscheste Überlieferung, wenn wir mit den
+Völkern in die Zukunft gehn, und die Hoffnungen eines
+schönen, stolzen und strebenden Volkes mitfühlen. Auch
+Deutsche kämpften bei Missolunghi und (im Politischen
wohl falsch genug eingenommen) bei Ladysmith. Der
Marquis San Bacco Heinrich Manns, in den Romanen
-der Herzogin von Assy, kämpft in allen Erdteilen für
-die Völker, die ihre Freiheit suchen, ohne Besinnen und
+der Herzogin von Assy, kämpft in allen Erdteilen für
+die Völker, die ihre Freiheit suchen, ohne Besinnen und
Bedenken; so sehr hat der Garibaldianer seines Volkes
Freiheit geliebt. Wir haben noch San Baccos; ihnen
-wären, wüßte ich sie namentlich zu nennen, diese Gedichte
+wären, wüßte ich sie namentlich zu nennen, diese Gedichte
leidenschaftlich gewidmet.
</p>
<p>
Diese Gedichte werden vielleicht einem Vorurteil entgegengehn,
-da sie der übel beleumundeten Gattung
-der politischen Lyrik angehören. Es bleibt am besten
-ihnen selbst überlassen, sich und ihre Familie zu rechtfertigen
+da sie der übel beleumundeten Gattung
+der politischen Lyrik angehören. Es bleibt am besten
+ihnen selbst überlassen, sich und ihre Familie zu rechtfertigen
und diesem Vorurteil zu begegnen. Es werde
-nur bemerkt &mdash; neben dem Hinweise, daß auch alle berühmte
-Kriegslyrik zur politischen gehört &mdash; es werde
-nur bemerkt, daß die Bezeichnung als &bdquo;politische Lyrik&ldquo;
+nur bemerkt &mdash; neben dem Hinweise, daß auch alle berühmte
+Kriegslyrik zur politischen gehört &mdash; es werde
+nur bemerkt, daß die Bezeichnung als &bdquo;politische Lyrik&ldquo;
eben nur, und zwar in stofflicher Hinsicht, eine Gattung
-bezeichnet und gar nichts über den möglichen und wirklichen
-Wert der politischen Lyrik aussagt. Sie verheißt
+bezeichnet und gar nichts über den möglichen und wirklichen
+Wert der politischen Lyrik aussagt. Sie verheißt
nicht mehr als etwa &bdquo;Liebeslyrik&ldquo;, und es wird meistens
-übersehn, daß es auch unter den politischen Gedichten
+übersehn, daß es auch unter den politischen Gedichten
gute und schlechte gibt! Darum braucht von der notwendig
-verführenden Wirkung aller Lyrik hier gar nicht
+verführenden Wirkung aller Lyrik hier gar nicht
erst gesprochen zu werden.
</p>
<p>
Diese Zeilen aber sollen diese Gedichte nicht etwa
-entschuldigen, und müssen sie, hoffe ich, nicht erläutern.
+entschuldigen, und müssen sie, hoffe ich, nicht erläutern.
<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a>
Sie sollen nur bei ihnen stehn wie die Bezeichnung von
Gang und Art bei der Musik, nur anzeigend: presto
-alla polacca &mdash; der Leser fühle selbst, wo hier das Andante
+alla polacca &mdash; der Leser fühle selbst, wo hier das Andante
zum Largo erstarrt, wo zum Furioso sich aufschleudert.
</p>
<p class="date">
-Göttingen, Ende September 1916
+Göttingen, Ende September 1916
</p>
<p class="right">
@@ -1380,7 +1346,7 @@ INHALT
<tbody>
<tr><td class="left">&nbsp;</td><td class="right">Seite</td></tr>
- <tr><td class="left">Gespräch zweier Deutschen</td><td class="right"><a href="#chapter-1-1">5</a></td></tr>
+ <tr><td class="left">Gespräch zweier Deutschen</td><td class="right"><a href="#chapter-1-1">5</a></td></tr>
<tr><td class="left">Lied der Polen an Europa</td><td class="right"><a href="#chapter-1-2">7</a></td></tr>
<tr><td class="left">Die Polen an Irland</td><td class="right"><a href="#chapter-1-3">8</a></td></tr>
<tr><td class="left">An Amerika</td><td class="right"><a href="#chapter-1-4">9</a></td></tr>
@@ -1389,22 +1355,22 @@ INHALT
<tr><td class="left">Poniatowski auf dem Balkan</td><td class="right"><a href="#chapter-1-7">12</a></td></tr>
<tr><td class="left">Lied des jungen Witold Napierogocki</td><td class="right"><a href="#chapter-1-8">13</a></td></tr>
<tr><td class="left">Gesang eines polnischen Dichters</td><td class="right"><a href="#chapter-1-9">14</a></td></tr>
- <tr><td class="left">Lied eines berittenen Legionärs</td><td class="right"><a href="#chapter-1-10">16</a></td></tr>
+ <tr><td class="left">Lied eines berittenen Legionärs</td><td class="right"><a href="#chapter-1-10">16</a></td></tr>
<tr><td class="left">Polnische Reiter</td><td class="right"><a href="#chapter-1-11">17</a></td></tr>
- <tr><td class="left">Begegnung der Brüder</td><td class="right"><a href="#chapter-1-12">18</a></td></tr>
- <tr><td class="left">Weichselübergang</td><td class="right"><a href="#chapter-1-13">20</a></td></tr>
+ <tr><td class="left">Begegnung der Brüder</td><td class="right"><a href="#chapter-1-12">18</a></td></tr>
+ <tr><td class="left">Weichselübergang</td><td class="right"><a href="#chapter-1-13">20</a></td></tr>
<tr><td class="left">Das verlassne Dorf</td><td class="right"><a href="#chapter-1-14">21</a></td></tr>
<tr><td class="left">Polnisches Barock</td><td class="right"><a href="#chapter-1-15">22</a></td></tr>
<tr><td class="left">Der polnische Adler</td><td class="right"><a href="#chapter-1-16">23</a></td></tr>
- <tr><td class="left">Zum König von Polen</td><td class="right"><a href="#chapter-1-17">24</a></td></tr>
+ <tr><td class="left">Zum König von Polen</td><td class="right"><a href="#chapter-1-17">24</a></td></tr>
<tr><td class="left">Bild eines Republikaners</td><td class="right"><a href="#chapter-1-18">25</a></td></tr>
<tr><td class="left">Heimkehr des Verbannten</td><td class="right"><a href="#chapter-1-19">26</a></td></tr>
- <tr><td class="left">Verwandlung des Verschwörers</td><td class="right"><a href="#chapter-1-20">27</a></td></tr>
+ <tr><td class="left">Verwandlung des Verschwörers</td><td class="right"><a href="#chapter-1-20">27</a></td></tr>
<tr><td class="left">Der Mischling</td><td class="right"><a href="#chapter-1-21">28</a></td></tr>
<tr><td class="left">Polnische Schauspielerin</td><td class="right"><a href="#chapter-1-22">29</a></td></tr>
<tr><td class="left">Worte zu einem polnischen Tanz</td><td class="right"><a href="#chapter-1-23">30</a></td></tr>
<tr><td class="left">Johann Kasimir Landris Erlebnis</td><td class="right"><a href="#chapter-1-24">32</a></td></tr>
- <tr><td class="left">Ein sterbender Minister hinterläßt den Polen</td><td class="right"><a href="#chapter-1-25">33</a></td></tr>
+ <tr><td class="left">Ein sterbender Minister hinterläßt den Polen</td><td class="right"><a href="#chapter-1-25">33</a></td></tr>
<tr><td>&nbsp;</td></tr>
<tr><td class="left">Nachwort des Verfassers</td><td class="right"><a href="#chapter-1-26">35</a></td></tr>
@@ -1420,17 +1386,17 @@ Kurt Wolff Verlag, Leipzig
</p>
<p class="center">
-<em class="em">In der Bücherei &bdquo;Der<br />
-Jüngste Tag&ldquo; erschienen:</em>
+<em class="em">In der Bücherei &bdquo;Der<br />
+Jüngste Tag&ldquo; erschienen:</em>
</p>
<p>
-<em class="em">Barrès</em>, Maurice / Der Mord an der Jungfrau. (Deutsch
+<em class="em">Barrès</em>, Maurice / Der Mord an der Jungfrau. (Deutsch
von H. Lautensack.)
</p>
<p>
-<em class="em">Becher</em>, Johannes R. / Verbrüderung. Gedichte.
+<em class="em">Becher</em>, Johannes R. / Verbrüderung. Gedichte.
</p>
<p>
@@ -1438,7 +1404,7 @@ von H. Lautensack.)
</p>
<p>
-<em class="em">Blaß</em>, Ernst / Die Gedichte von Sommer und Tod.
+<em class="em">Blaß</em>, Ernst / Die Gedichte von Sommer und Tod.
</p>
<p>
@@ -1454,13 +1420,13 @@ von H. Lautensack.)
</p>
<p>
-<em class="em">Claudel</em>, Paul / Die Musen. Eine Ode. Ins Deutsche übertragen
+<em class="em">Claudel</em>, Paul / Die Musen. Eine Ode. Ins Deutsche übertragen
von Franz Blei.
</p>
<p>
-<em class="em">Edschmid</em>, Kasimir / Das rasende Leben. (Das beschämende
-Zimmer &mdash; Der tödliche Mai.) Zwei Novellen.
+<em class="em">Edschmid</em>, Kasimir / Das rasende Leben. (Das beschämende
+Zimmer &mdash; Der tödliche Mai.) Zwei Novellen.
</p>
<p>
@@ -1473,7 +1439,7 @@ Zimmer &mdash; Der tödliche Mai.) Zwei Novellen.
</p>
<p>
-<em class="em">v. Flesch-Brunningen</em>, Hans / Das zerstörte Idyll. Novellen.
+<em class="em">v. Flesch-Brunningen</em>, Hans / Das zerstörte Idyll. Novellen.
(Doppelband.)
</p>
@@ -1486,7 +1452,7 @@ Zimmer &mdash; Der tödliche Mai.) Zwei Novellen.
</p>
<p>
-<em class="em">Hasenclever</em>, Walter / Das unendliche Gespräch. Eine nächtliche
+<em class="em">Hasenclever</em>, Walter / Das unendliche Gespräch. Eine nächtliche
Szene.
</p>
@@ -1495,7 +1461,7 @@ Szene.
</p>
<p>
-<em class="em">Herrmann</em>, Max / Empörung, Andacht, Ewigkeit. Gedichte.
+<em class="em">Herrmann</em>, Max / Empörung, Andacht, Ewigkeit. Gedichte.
</p>
<p>
@@ -1504,11 +1470,11 @@ Stadler.)
</p>
<p>
-<em class="em">Jung</em>, Franz / Gnadenreiche, unsere Königin. Novellen.
+<em class="em">Jung</em>, Franz / Gnadenreiche, unsere Königin. Novellen.
</p>
<p>
-<em class="em">Kafka</em>, Franz / Der Heizer. Eine Erzählung.
+<em class="em">Kafka</em>, Franz / Der Heizer. Eine Erzählung.
</p>
<p>
@@ -1516,7 +1482,7 @@ Stadler.)
</p>
<p class="small right">
-Fortsetzung s. Rückseite!
+Fortsetzung s. Rückseite!
</p>
<p class="price">
@@ -1537,12 +1503,12 @@ Kurt Wolff Verlag, Leipzig
</p>
<p>
-<em class="em">Kokoschka</em>, Oskar / Der brennende Dornbusch. Mörder.
+<em class="em">Kokoschka</em>, Oskar / Der brennende Dornbusch. Mörder.
Hoffnung der Frauen. Zwei Schauspiele.
</p>
<p>
-<em class="em">Kölwel</em>, Gottfried / Gesänge gegen den Tod.
+<em class="em">Kölwel</em>, Gottfried / Gesänge gegen den Tod.
</p>
<p>
@@ -1554,15 +1520,15 @@ Hoffnung der Frauen. Zwei Schauspiele.
</p>
<p>
-<em class="em">Lotz</em>, Ernst Wilhelm / Wolkenüberflaggt. Gedichte.
+<em class="em">Lotz</em>, Ernst Wilhelm / Wolkenüberflaggt. Gedichte.
</p>
<p>
-<em class="em">Matthias</em>, Leo / Der jüngste Tag. Ein groteskes Spiel.
+<em class="em">Matthias</em>, Leo / Der jüngste Tag. Ein groteskes Spiel.
</p>
<p>
-<em class="em">Mynona</em> / Schwarz-Weiß-Rot. Grotesken.
+<em class="em">Mynona</em> / Schwarz-Weiß-Rot. Grotesken.
</p>
<p>
@@ -1574,11 +1540,11 @@ Hoffnung der Frauen. Zwei Schauspiele.
</p>
<p>
-<em class="em">Schickele</em>, René / Aissé. (Aus einer indischen Reise.)
+<em class="em">Schickele</em>, René / Aissé. (Aus einer indischen Reise.)
</p>
<p>
-<em class="em">Schwob</em>, Marcel / Der Kinderkreuzzug. Erzählung. (Deutsch
+<em class="em">Schwob</em>, Marcel / Der Kinderkreuzzug. Erzählung. (Deutsch
von Arthur Seiffhart.)
</p>
@@ -1587,25 +1553,25 @@ von Arthur Seiffhart.)
</p>
<p>
-<em class="em">Sternheim</em>, Carl / Meta. Eine Erzählung.
+<em class="em">Sternheim</em>, Carl / Meta. Eine Erzählung.
</p>
<p>
-<em class="em">Sternheim</em>, Carl / Napoleon. Eine Erzählung.
+<em class="em">Sternheim</em>, Carl / Napoleon. Eine Erzählung.
</p>
<p>
-<em class="em">Sternheim</em>, Carl / Schuhlin. Eine Erzählung. Mit drei
+<em class="em">Sternheim</em>, Carl / Schuhlin. Eine Erzählung. Mit drei
Lithographien von Ottomar Starke.
</p>
<p>
-<em class="em">Sternheim</em>, Carl / Ulrike. Eine Erzählung.
+<em class="em">Sternheim</em>, Carl / Ulrike. Eine Erzählung.
</p>
<p>
-<em class="em">Strindberg</em>, August / Die Schlüssel des Himmelreichs
-oder Sankt Peters Wanderung auf Erden. Märchenspiel in
+<em class="em">Strindberg</em>, August / Die Schlüssel des Himmelreichs
+oder Sankt Peters Wanderung auf Erden. Märchenspiel in
5 Akten. (Doppelband.) Deutsch von Erich Holm.
</p>
@@ -1618,12 +1584,12 @@ oder Sankt Peters Wanderung auf Erden. Märchenspiel in
</p>
<p>
-<em class="em">Werfel</em>, Franz / Gesänge aus den drei Reichen. Ausgewählte
+<em class="em">Werfel</em>, Franz / Gesänge aus den drei Reichen. Ausgewählte
Gedichte. (Doppelband.)
</p>
<p>
-<em class="em">Werfel</em>, Franz / Die Versuchung. Ein Gespräch.
+<em class="em">Werfel</em>, Franz / Die Versuchung. Ein Gespräch.
</p>
<p>
@@ -1640,379 +1606,6 @@ Jeder Band geheftet Mark &mdash;.80
</div>
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-
-End of the Project Gutenberg EBook of Polnische Gedichte, by Rudolf Leonhard
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK POLNISCHE GEDICHTE ***
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+<div>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44611 ***</div>
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