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-Project Gutenberg's Josef Dietzgens philosophische Lehren, by Adolf Hepner
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-
-Title: Josef Dietzgens philosophische Lehren
-
-Author: Adolf Hepner
-
-Release Date: November 29, 2015 [EBook #50574]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JOSEF DIETZGENS ***
-
-
-
-
-Produced by Alexander Bauer and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net
-
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-
- Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Das Buch ist original in Fraktur gesetzt.
-
- Im Original gesperrter Text ist +so ausgezeichnet+.
-
- Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so ausgezeichnet~.
-
- Im Original fett gesetzter Text ist =so ausgezeichnet=.
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des
- Buches.
-
-
-
-
-[Illustration: J. Dietzgen]
-
-
-
-
- Josef Dietzgens
- Philosophische Lehren
-
- Von Adolf Hepner
-
- Mit einem Porträt von Josef Dietzgen
-
-
- Stuttgart
- Verlag von J. H. W. Dietz Nachf. G. m. b. H.
- 1916
-
-
-
-
- Alle Rechte vorbehalten.
-
-
- Druck von J. H. W. Dietz Nachf. G. m. b. H. in Stuttgart.
-
-
-
-
-Inhalts-Verzeichnis.
-
-
- Seite
-
- I. Einleitendes 5
-
- II. Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit 9
-
- III. Dietzgens monistische Erkenntnislehre 23
-
- IV. Dietzgens Ethik 29
-
- V. Die Religion der Sozialdemokratie 38
-
- VI. Sozialdemokratische Philosophie 58
-
- VII. Drei polemische Abhandlungen 69
-
- VIII. Briefe über Logik 76
-
- IX. Erkenntnistheoretische Streifzüge 120
-
- X. Das Akquisit der Philosophie 139
-
- XI. Dietzgens pädagogische und Lebensweisheit 158
-
-
-
-
-I.
-
-Einleitendes.
-
-
-Nicht alles ist Gold, was unter dem Namen »Philosophie« bisher
-geglänzt hat. Und nicht einmal ist +alles+ Gold, was die wirklichen
-Philosophen aus dem Schachte ihres tiefen Geistes hervorgeholt und
-vor der wißbegierigen Menschheit ausgebreitet haben. Gar vieles war
-von vornherein gegenstandslos, anderes ist von der Zeit überholt, als
-abgetan durch die moderne Wissenschaft zu betrachten, und von manch
-hochanspruchvollem Satze darf man sagen: »~Lasciate ogni speranza!~
-Laßt die Hoffnung draußen, ihn zu verstehen!«
-
-In noch höherem Grade gilt dies von den Darstellern der philosophischen
-Systeme. An Lehrschriften der Philosophie besitzen wir eine Unzahl
--- strotzend von Gelehrsamkeit, von mehr oder minder verständlichen
-Theorien und Begriffsdefinitionen -- über das Denkergebiet aller
-Zeiten sich erstreckend. So unentbehrlich diese Bücher auch für das
-philosophische Fachstudium sind -- den, der nicht von Hause aus
-besondere Vorliebe für die Wissenschaft der Wissenschaften hegt,
-vermögen sie in den seltensten Fällen zu verlocken, sich ihr mehr als
-dilettantisch zu widmen.
-
-So kommt es denn, daß nur wenige Intellektuelle, deren
-Berufswissenschaft kein eingehendes Studium der Philosophie erfordert,
-ihr ein mehr als oberflächliches Interesse zuwenden.
-
-Die Philosophen und ihre Erklärer haben zum allergrößten Teil
-für die Ausprägung ihrer Gedanken eine Redeweise gewählt, deren
-Aneignung für viele weit schwieriger ist als das Erlernen irgendeiner
-europäischen Sprache. Hierdurch verleideten sie den Lesern die Lust
-zum Eindringen in die Wege und Irrwege der Erkenntnisforschung, so daß
-die Gedankenoperationen der Philosophen eine ~Terra incognita~ (ein
-unbekanntes Land) für diejenigen blieben, die der bescheidenen Ansicht
-sind, daß klares Denken nicht durch unklare Wiedergabe der Gedanken
-bezeugt wird.
-
-Zugegeben, daß das Sichten des Urwalds der menschlichen Erkenntnis
-eine außergewöhnlich schwierige Arbeit war und an die Pioniere dieser
-Bemühungen nicht Ansprüche gestellt werden dürfen, die der moderne
-Literaturgeschmack gezeitigt hat. Immerhin sollten die Philosophen
-unserer Tage wenigstens sich bemühen, in gefälligerem Sprachgewande vor
-uns zu erscheinen als die meisten ihrer großen Vorgänger.
-
-Daß +Anmut+ des Ausdrucks mit Schärfe und Klarheit desselben
-wohl vereinbar ist, daß speziell die +Würde+ der Philosophie
-durch Herabsteigen des Weltweisen vom hohen Kothurn der
-Schwerverständlichkeit keine Einbuße erleidet -- zeigen unter anderem
-die Schriften +Josef Dietzgens+.
-
-Eine Charakteristik des Mannes und seines Lebens liest man besser in
-der von Eugen Dietzgen den nur drei Bände umfassenden »Sämtlichen
-Schriften«[1] seines Vaters beigegebenen Biographie. Ich will lieber
-gleich ans Thema gehen und die wissenschaftliche Arbeit unseres
-Autors, die in seine letzten zwanzig Lebensjahre (1868 bis 1888) fiel,
-skizzieren.
-
-Dietzgens erste und Hauptschrift, die er in seiner Petersburger
-Periode als technischer Fabrikleiter einer Lohgerberei verfaßte und
-auf eigenes Risiko herausgeben ließ, trägt den schlichten Titel:
-»Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit« und den weiteren Vermerk:
-»Eine abermalige Kritik der reinen und praktischen Vernunft«. Mit dem
-letzten Wort im ersten Titel wollte Dietzgen vermutlich andeuten, daß
-er weder »Materialist« im Sinne der französischen Materialisten des
-achtzehnten Jahrhunderts, die den »Stoff« zum Fetisch machten, noch
-der »Ideenlehre« Hegels verfallen ist, der alles aus dem »Gedanken«
-ableitete. Aus dem Nebentitel erfahren wir deutlich, daß Dietzgens
-Weise von der des Königsberger Weisen erheblich abweicht.
-
-Was Dietzgen von den früheren Philosophen in sich aufgenommen, brauchte
-er nicht ausdrücklich aufzuzählen, da das Neue und Originelle,
-das in seiner Behandlung des Gegenstandes sich mit dem Alten,
-Bekannten organisch verknüpft, dem sachkundigen Leser sich direkt
-offenbart. Man vergleiche zum Beispiel, wie Dietzgen vom dogmatischen
-Monismus Spinozas fortzuschreiten wußte zu einem erkenntniskritisch
-nachgewiesenen und erfahrungsmäßig kontrollierbaren Monismus, und
-man vergleiche ferner die Leibnizsche Lehre, daß keine absoluten
-Gegensätze im Weltall vorhanden sind, mit der Dietzgenschen. Leibniz
-wußte aus mystischer Befangenheit gegenüber dem persönlichen
-Gottesdasein keine erfahrungsmäßig nachweisbare Brücke zwischen dem
-Relativen und Absoluten zu finden und daher auch keine Versöhnung
-zwischen gedanklicher und sinnlicher Wirklichkeit aufzudecken; hier
-blieb er in einem absoluten Gegensatz noch stecken. Dietzgen geht mit
-Kant in der Erkenntnistheorie die schon +vor+ Kant wegbar gemachte
-»~a posteriori~«-Strecke, das heißt er hält es mit Kant darin, daß
-Erkenntnis nur durch +Erfahrung+ möglich; er verläßt Kant aber bei
-dessen »~a priori~«-Rückschritten, das heißt bei dessen Lehre, daß es
-auch Erkenntnisse +ohne+ Erfahrung gibt.[2] Ebenso kritisch-induktiv
-steht Dietzgen der Philosophie Hegels gegenüber. Während dieser den
-Seinzusammenhang zum Entwicklungsprodukt der absoluten Erkenntnis
-macht, weist Dietzgen umgekehrt das Denken als ein relatives
-Entwicklungsresultat des absoluten Naturzusammenhangs nach. Aus
-diesem Grunde bleibt Hegels Dialektik[3] eine idealistisch-mystische
-Entwicklungslehre gegenüber der +naturmonistischen+ Dialektik
-Dietzgens, welche induktiv nachweisbar fortschreitet bis zum letzten
-Vermittler aller Widersprüche, dem Universalzusammenhang.
-
-
-
-
-II.
-
-Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit.
-
-(Erkenntnislehre.)
-
-
-In seinem »Wesen der menschlichen Kopfarbeit« zeigt Josef Dietzgen,
-»was die Philosophie positiv Wissenschaftliches gefördert hat«, und
-zwar, wie er sich ausdrückt, »langstielig und größtenteils unbewußt«.
-Er will »die allgemeine Natur des Denkprozesses enthüllen, weil diese
-Erkenntnis uns die Mittel an die Hand gibt, alle die allgemeinen
-Rätsel der Natur und des Lebens wissenschaftlich zu lösen und zu einem
-fundamentalen Standpunkt, zu einer systematischen Weltanschauung
-zu gelangen, welche das langerstrebte, aber nie erreichte Ziel der
-spekulativen Philosophie war«.
-
-Unser Autor behandelt zunächst »die reine Vernunft oder das
-Denkvermögen im allgemeinen«, die allgemeine Natur des Denkprozesses,
-in dessen Erkenntnis, wie er in einer späteren Schrift mit Recht sagen
-darf, »das Fundament aller Wissenschaft liegt«. Dann geht er zum »Wesen
-der Dinge« über unter begründeter Abweisung von Kants »Ding an sich«,
-das heißt der Kantschen Theorie, daß hinter dem von uns Wahrgenommenen,
-hinter seiner Erscheinung, noch ein »Ding an sich« steckt. Dietzgen
-zeigt, daß eine Erscheinung nur vorhanden ist, sofern sie unserem
-Denkvermögen, beziehentlich unseren Sinnen sich offenbart; ein »Ding an
-sich«, das außerhalb der Erscheinungswelt existieren sollte, führt zum
-Köhlerglauben. Dietzgen weist Kants »Ding an sich« überzeugend auf als
-nichts Übersinnliches, beziehentlich von der Sinnlichkeit Unabhängiges
-(wie Kant das »Ding an sich« auffaßte), vielmehr erstens als absolut
-identisch mit dem Universum, dem einzigen »Ding an sich«, das alle
-anderen Dinge in sich trägt und nur absolut »an sich« durch dieses
-»in sich« ist; und zweitens als relativ identisch mit dem allgemeinen
-Bild der Vorstellung oder dem Begriff, die der Mensch mittels Denkens
-aus dem sinnlich Besonderen entwickelt. Dietzgen behandelt dann »die
-Praxis der Vernunft in der physischen Wissenschaft« -- Ursache und
-Wirkung, Geist und Materie, Kraft und Stoff -- und im Schlußabschnitt
-die »praktische Vernunft oder Moral« -- das Weise, Vernünftige, das
-sittlich Rechte, das Heilige.
-
-In folgendem gebe ich, und zwar in Dietzgens Wortlaut, das
-Wesentlichste seiner Erörterungen und Befunde über den +Denkprozeß+:
-
-Der Mensch denkt zunächst nicht, weil er will, sondern weil er muß;
-allgemeiner Zweck des Denkens ist die Erkenntnis ... Der Denkakt
-vollzieht sich in Kontakt mit anderen, mit sinnlichen Erscheinungen und
-ist dadurch selbst eine sinnliche Erscheinung geworden, die in Kontakt
-mit einer Hirnfunktion den +Begriff+ des »Denkvermögens« erzeugt.
-
-Mit der reinen Denkkraft, ohne die Hilfe der Objekte (oder der
-Erfahrung darum), die allgemeinen Rätsel der Natur und des Lebens zu
-erforschen, dieser vergeblichen Mühe widmete sich die spekulative
-Philosophie. Wissenschaftliches Denken heißt nur das Denken, welches
-das Wirkliche, Sinnliche, Natürliche zum bewußten Gegenstand hat.
-Sowenig es ein Denken, eine Erkenntnis gibt ohne Inhalt, sowenig
-existiert ein Denken ohne +Gegenstand+ oder ohne Objekt, ohne ein
-anderes, das gedacht oder erkannt wird. Objektloses Denken ist eine
-Unart der »spekulativen« Philosophie, welche Erkenntnisse ohne
-Begattung mit einem sinnlichen Gegenstand erzeugen will.
-
-Denken ist eine Arbeit und bedarf wie jede andere Arbeit ein Objekt,
-an dem es sich äußert. Das Denken erstreckt sich +allgemein+ auf alle
-Objekte.
-
-Das Denkvermögen erforscht aller Dinge Wesen, wie das Auge alle
-Sichtbarkeit. Wie nun das Sichtbare im allgemeinen in der Theorie des
-Gesichts, so ist das Wesen der Dinge im allgemeinen in der Theorie des
-Denkvermögens zu finden.
-
-Das Denkvermögen trennt Ursache und Wirkung.
-
-Wir erkennen wohl alle Objekte, aber kein Objekt läßt sich ganz
-erkennen, wissen oder begreifen.
-
-Denken ist eine Tätigkeit des Gehirns, wie Gehen eine Tätigkeit der
-Beine. Wir nehmen das Denken, den Geist ebenso sinnlich wahr wie
-den Gang, wie wir die Schmerzen, wie wir unsere Gefühle sinnlich
-wahrnehmen. Das Denken ist uns fühlbar als ein subjektiver Vorgang,
-als innerlicher Prozeß ... Aus einem immateriellen, unfaßbaren Wesen
-wird nunmehr der Geist zu einer körperlichen Tätigkeit. Seinem +Inhalt+
-nach ist der Denkprozeß +verschieden+ in jedem Augenblick und bei jeder
-Persönlichkeit, seiner +Form+ nach bleibt er +überall derselbe+. Beim
-Denkprozeß unterscheiden wir, wie bei allen Prozessen, zwischen dem
-+Besonderen+ oder +Konkreten+ und dem +Allgemeinen+ oder +Abstrakten+.
-
-Hierauf erläutert Dietzgen den Begriff des Denkvermögens.
-Wie die Analyse des Begriffs überhaupt in der Erkenntnis des
-+Gemeinschaftlichen+, dem +Allgemeinen+ der +besonderen+ Teile seines
-Gegenstandes besteht, so ergibt die Analyse des Denkvermögens »das
-letztere als Fähigkeit, aus dem +Besonderen+ das +Allgemeine+ zu
-erfassen«.
-
-Ist die Entwicklung des Allgemeinen aus dem Besonderen die generelle
-Methode, die Art und Weise überhaupt, mit welcher die Vernunft
-Erkenntnisse fördert, so ist die Vernunft vollständig damit erkannt als
-die Fähigkeit, dem Besonderen das Allgemeine zu entnehmen.
-
-Die Vernunft besteht »rein« in der Entwicklung des Allgemeinen aus
-dem Besonderen. Erkenntnisse können nicht wahr an sich, sondern nur
-relativ, nur mit Bezug auf einen Gegenstand, nur auf Grund äußerlicher
-Tatsachen wahr sein; ihre Aufgabe besteht in der Entwicklung des
-+Allgemeinen+ aus dem +Besonderen+. Das Besondere ist das Maß
-(Bedingung, Voraussetzung) des Allgemeinen.
-
-Gedanken, Begriffe, Theorien, Wesen, Wahrheiten stimmen darin überein,
-daß sie einem Objekt angehören. Objekte sind Quanta der mannigfaltigen
-Sinnlichkeit. Ist das Quantum des Seins, das Objekt, das erkannt,
-begriffen oder verstanden werden soll, durch den Sprachgebrauch eines
-Begriffs vorher bestimmt oder begrenzt, so besteht die Wahrheit in der
-Entdeckung des +Allgemeinen+ dieser also gegebenen sinnlichen Quantität.
-
-Entwicklung des Allgemeinen ist die Aufgabe der Vernunft. Der
-Unterschied zwischen dem scheinbar und wahrhaft Vernünftigen reduziert
-sich auf den Unterschied zwischen dem +Besonderen+ und +Allgemeinen+.
-
-Das +Allgemeine+ ist die +Wahrheit+. Das Allgemeine ist das,
-was allgemein ist, das heißt Dasein, Sinnlichkeit. Sein ist das
-allgemeine Kennzeichen der Wahrheit, weil das Allgemeine die Wahrheit
-kennzeichnet. Nun ist aber das Sein nicht da im allgemeinen, das heißt
-das Allgemeine existiert in der Wirklichkeit oder Sinnlichkeit nur auf
-+besondere+ Art und Weise. Die Sinnlichkeit hat ihr wahres sinnliches
-Dasein in den flüchtigen, vielgestaltigen Erscheinungen der Natur und
-des Lebens. Demnach erweisen sich alle Erscheinungen als +relative+
-Wahrheiten, alle Wahrheiten als besondere zeitliche Erscheinungen.
-
-Gegenüber dem Denkvermögen werden alle Eigenschaften zu wesenhaften
-Dingen, alle Dinge zu relativen Eigenschaften.
-
-Der Unterschied zwischen Mittel und Zweck reduziert sich auf den
-Unterschied zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen. Und alle
-abstrakten Unterschiede reduzieren sich auf diesen einen Unterschied,
-weil die Abstraktions- oder die Unterscheidungskraft selbst sich
-reduziert auf das Vermögen, zwischen dem Besonderen und Allgemeinen zu
-unterscheiden.
-
-Wir werden später sehen, wie Dietzgen mit der »Entwicklung des
-Allgemeinen aus dem Besonderen« manche der bisher strittigsten Fragen,
-manches der schwierigsten Probleme löst.
-
-Verweilen wir noch einen Augenblick beim »Denken«. Dietzgen sagt:
-Das Denkvermögen ist der Vermittler aller Gegensätze, weiß in aller
-Verschiedenheit Einheit zu finden.
-
-Das Bewußtsein generalisiert den Widerspruch; es erkennt, daß alle
-Naturstücke in Widerspruch leben, daß alles, was da ist, das, was
-es ist, nur durch Mitwirkung eines andern, eines Gegensatzes ist.
-Die Wissenschaft des Denkvermögens löst, durch Generalisation des
-Widerspruchs, alle besonderen Widersprüche auf. Gegensätze bedingen
-sich wechselseitig; Wahrheit und Irrtum sind wie Sein und Schein, wie
-Tod und Leben, wie alle Dinge der Welt, nur komparativ, nur dem Maße,
-dem Volumen oder Grade nach verschieden.
-
-Die letzten drei Sätze enthalten in Kürze die grundlegende, monistische
-Lehre von der physischen und psychischen +Relativität+ aller Dinge
-im Universum, ihrer Abhängigkeit vom Universum und voneinander; die
-Lehre vom +Universalzusammenhang+ des +Kosmosinhalts+ -- eine Lehre,
-die sich wie ein roter Faden in zahlreichen Variationen durch alle
-Schriften unseres Autors zieht. Diese Wiederholungen der an praktischen
-Beispielen demonstrierten Lehre erweisen sich nicht nur als sehr
-nützlich, sondern erscheinen mir durchaus notwendig zur Verbreitung
-und Festigung der monistischen Weltanschauung, die sich gegen die
-traditionelle dualistische doch nur sehr mühselig durchringt.
-
-Der aufmerksame Leser wird hier schon bei der flüchtigen Erwähnung
-des »Universalzusammenhangs alles Kosmosinhalts« diesen Gedanken
-auf das +soziale+ Gebiet zu übertragen und die hohe Bedeutung der
-Dietzgenschen Lehre für die sozialistische Propaganda zu würdigen
-wissen, insbesondere wenn er aus der Naturwissenschaft mit dem
-kosmischen Universalzusammenhang vertraut ist.[4] Die +Relativität+ der
-Erkenntnis, des Wissens, der Werte, speziell der Wahrheit, des Rechts
-und der Sittlichkeit ist zwar Weisen aller Zeiten bekannt gewesen.
-Schwerlich aber hat vor Dietzgen ein Denker -- und es sind bald
-dritthalbtausend Jahre, seit Heraklit die erste Anregung hierzu gegeben
--- das Ineinanderfließen der Dinge so klar und überzeugend gelehrt und
-auf alles Dasein ohne Ausnahme angewandt; schwerlich hat ein Denker
-vor Dietzgen den im Universalzusammenhang liegenden Grundgedanken des
-Monismus auf das +ökonomisch-soziale+ Gebiet übertragen.
-
-Aber der stärkste Gehalt des Dietzgenschen Naturmonismus (in des Autors
-Darlegungen der +Einheitlichkeit+ alles +Seins+) liegt meines Erachtens
-in seiner Erläuterung des +Zusammenhangs des Geistes mit dem Weltall+:
-
-Die Frage nach dem Wesen des Geistes ist ein populäres Objekt, das
-nicht nur von Philosophen vom Fach, das von der Wissenschaft überhaupt
-kultiviert ist, sagt Dietzgen, und er fährt also fort:
-
-Wir unterscheiden zwischen +Sein+ und +Denken+. Wir unterscheiden den
-sinnlichen Gegenstand von seinem geistigen Begriff. Gleichwohl ist
-doch auch die unsinnliche Vorstellung sinnlich, materiell, das heißt
-+wirklich+. Ich nehme meinen Schreibtischgedanken ebenso materiell
-wahr, das heißt als ein wirkliches Gefühl, wenn auch ein innerliches,
-wie ich den Schreibtisch selbst äußerlich fühle. Allerdings wenn man
-nur das Greifbare materiell nennt, dann ist der Gedanke immateriell.
-Dann ist aber auch der Duft der Rose und die Wärme des Ofens
-immateriell. Wir nennen besser vielleicht den Gedanken +sinnlich+, oder
-noch besser +wirklich+. Der Geist ist +wirklich+, ebenso wirklich wie
-der greifbare Tisch, wie das sichtbare Licht, wie der hörbare Ton. Der
-Geist ist nicht weiter vom Tisch, vom Licht, vom Ton verschieden, wie
-diese Dinge untereinander verschieden sind.
-
-Wir leugnen nicht die Differenz, wir behaupten nur die
-+gemeinschaftliche Natur+ dieser Dinge. Wenigstens wird mich der Leser
-nun nicht mißverstehen, wenn ich das Denkvermögen ein materielles
-Vermögen, eine +sinnliche Erscheinung+ nenne.
-
-Jede Funktion des Geistes setzt einen Gegenstand voraus, von dem sie
-erzeugt ist, der den geistigen Inhalt abgibt.
-
-Der Geist ist eine körperliche Tätigkeit, Denken eine Funktion des
-Gehirns.
-
-Durch Entlarvung des »reinen Geistes« enthüllen wir den letzten Urheber
-alles Spuks.
-
-Die Materie, das heißt das fühlbare Sein überhaupt, ist die Schranke
-des Geistes; er kann nicht über sie hinaus. Sie gibt ihm den
-Hintergrund zu seiner Beleuchtung, aber sie geht nicht auf in der
-Beleuchtung.
-
-Man hat sich gewöhnt, materielle und geistige Interessen als absolute
-Gegensätze zu unterscheiden, obwohl die materiellen Interessen nur der
-abstrakte Ausdruck für unser Dasein sind ... Das Höhere, Geistige,
-Ideale ist nur eine +besondere+ Art der menschlichen Interessen;
-geistige und materielle Interessen unterscheiden sich, wie zum Beispiel
-Kreis und Viereck; letztere sind Gegensätze und doch nur verschiedene
-Klassen der +allgemeineren+ Form ... Der christliche Gegensatz von
-Geist und Fleisch ist im Zeitalter der Naturwissenschaft +praktisch+
-überwunden. Es fehlt die theoretische Lösung, die Vermittlung, der
-Nachweis, daß das Geistige sinnlich und das Sinnliche geistig ist, um
-die materiellen Interessen vom bösen Leumund zu befreien.
-
-Ähnlich beschwert sich Dietzgen an anderer Stelle unseres Buches
-über das Nichtverständnis des Denkprozesses in den Kreisen der
-Naturwissenschafter:
-
-Die Praxis der Vernunft, den Gedanken aus der Materie, die Erkenntnis
-aus der Sinnlichkeit, das Allgemeine aus dem Besonderen zu erzeugen,
-ist in der physischen Forschung auch allgemein, jedoch nur praktisch
-anerkannt. Man verfährt induktiv und ist sich dieses Verfahrens
-bewußt, aber man verkennt, daß das Wesen der Naturwissenschaft das
-Wesen des Wissens, der Vernunft überhaupt ist. Man +mißversteht den
-Denkprozeß+. Man ermangelt der Theorie und gerät daher nur zu oft aus
-dem praktischen Takte. Das Denkvermögen ist der Naturwissenschaft immer
-noch ein unbekanntes, geheimnisvolles, mystisches Wesen. Entweder sie
-verwechselt materialistisch die Funktion mit dem Organ, den Geist
-mit dem Gehirn, oder denkt idealistisch das Denkvermögen als ein
-unsinnliches Objekt außerhalb ihres Gebiets gelegen.
-
-Um die Dinge ganz zu nehmen, müssen wir sie praktisch und theoretisch,
-mit Sinn und Kopf, mit Leib und Geist ergreifen. Mit dem Leibe können
-wir nur das Leibliche, mit dem Geiste nur das Geistige ergreifen. Auch
-die Dinge haben Geist. Der Geist ist dinglich, und die Dinge sind
-geistig. Geist und Dinge sind nur in Relationen (in ihren Beziehungen
-zum Gesamtzusammenhang, auch Natur und Universum genannt) wirklich.
-
-So schrieb Dietzgen 1868, Jahrzehnte vor der monistischen Rebellion von
-Ernst Mach und seiner Physikerschule, gegen den Dualismus.[5]
-
-Allerdings unterstützen die modernen Physiker die Lehre, daß
-wir die geistigen Vorgänge objektiv sinnlich wahrnehmen, durch
-naturwissenschaftliche und physiologische Beweise, die zu Dietzgens
-Zeit nicht vorhanden waren. Siehe zum Beispiel +Verworn+, Die Mechanik
-des Geisteslebens, 1910, der ebenfalls von Dietzgen keine Kenntnis
-hatte. So erhält denn unseres Autors philosophische Genialität durch
-die spätere, von ihm unabhängige, naturwissenschaftliche Forschung eine
-glänzende Anerkennung, wenn auch die Philosophen vom Fach sich noch
-lange besinnen werden, einem Manne, der »nur Lohgerber« gewesen, ein
-Wort der Würdigung, sei es auch oppositioneller, in ihrem Hörsaale zu
-widmen.[6]
-
-Für sehr bedeutend halte ich Dietzgens Behandlung der »Kraft- und
-Stoff«-Frage mittels der Lehre von der Entwicklung des Allgemeinen
-aus dem Besonderen. Ich lasse daher das Wesentlichste in des Autors
-Wortlaut hier folgen:
-
-Der Idealismus sieht nur die +Verschiedenheit+, der Materialismus nur
-die +Einheit+ von Körper und Geist, Erscheinung und Wesen, Inhalt und
-Form, Stoff und Kraft, Sinnlichem und Sittlichem -- alles Unterschiede,
-die in dem +einen Unterschied des Besonderen und Allgemeinen+ ihre
-+gemeinschaftliche+ Gattung finden ...
-
-Wie verhält sich das Abstrakte zum Konkreten? So stellt sich das
-gemeinschaftliche Problem derjenigen, welche in spiritueller Kraft,
-und derjenigen, welche im materiellen Stoff den Impuls der Welt, das
-Wesen der Dinge, das Nonplusultra der Wissenschaft finden zu können
-glauben ... Wir haben da zwei Parteien, welche mit differenten Worten
-sich in einer unbestrittenen Sache herumzanken. Um so lächerlicher ist
-der Streit, je ernsthafter er genommen wird. Wenn jener die Kraft vom
-Stoffe unterscheidet, so will er damit nicht leugnen, daß die wirkliche
-Erscheinung der Kraft unzertrennlich an Stoff gebunden ist. Wenn der
-Materialist behauptet, daß kein Stoff ohne Kraft, keine Kraft ohne
-Stoff ist, so will er damit nicht leugnen, was der Gegner behauptet,
-daß Kraft und Stoff different sind. Der Streit hat seinen guten Grund,
-seinen Gegenstand, aber der Gegenstand kommt im Streite nicht zum
-Vorschein. Er wird von den Parteien instinktiv verhüllt, um sich nicht
-die +gegenseitige+ Unwissenheit gestehen zu müssen. Jeder will dem
-andern beweisen, daß dessen Erklärungen nicht ausreichen -- ein Beweis,
-der von beiden hinreichend dargetan wurde. Büchner gesteht in den
-Schlußbetrachtungen zu »Kraft und Stoff«, daß das empirische Material
-nicht ausreiche, bestimmte Antworten auf transzendente Fragen zu geben,
-um diese Fragen positiv beantworten zu können; dagegen, sagt er ferner,
-»reicht es vollkommen aus, um sie negativ zu beantworten und die
-Hypothese zu verbannen«. Mit anderen Worten heißt das: die Wissenschaft
-der Materialisten reicht zu dem Beweise aus, daß der Gegner nichts weiß.
-
-Der Spiritualist und Idealist +glaubt+ an ein geistiges, das heißt
-gespenstiges, unerklärbares Wesen der Kraft. Die materialistischen
-Forscher sind +ungläubig+. Eine wissenschaftliche Begründung des
-Glaubens oder Unglaubens ist nirgends vorhanden. Was der Materialismus
-voraus hat, besteht darin, daß er das Transzendentale, das Wesen, die
-Ursache, die Kraft nicht +hinter+ der Erscheinung, nicht +außerhalb+
-des Stoffes sucht. Darin jedoch, daß er einen Unterschied zwischen
-Kraft und Stoff verkennt, das Problem leugnet, bleibt er hinter
-dem Idealismus zurück. Der Materialist pocht auf die tatsächliche
-Untrennbarkeit von Kraft und Stoff und will für die Trennung nur
-einen »+äußerlichen+, aus den systematischen Bedürfnissen unseres
-Geistes hervorgegangenen Grund« (Büchner) gelten lassen. Die Trennung
-der Kräfte von den Stoffen ist aber keine »äußerliche«, sondern eine
-innerliche, das heißt wesentliche Notwendigkeit, welche allein uns
-befähigt, die Erscheinungen der Natur zu erhellen und zu verstehen.
-
-Die erste Vermittlung des Gegensatzes zwischen Idealismus und
-Materialismus vollbrachte die +Phantasie+ durch den +Glauben an
-Geister+, welche sie allen natürlichen Erscheinungen als deren
-geheimes ursächliches Wesen substituierte.
-
-Wenn es uns gelungen ist, den Dämon des +reinen+ Geistes zu erklären,
-wird es uns nicht schwer, den besonderen Geist der Kraft überhaupt
-durch die generelle Erkenntnis ihres Wesens auszutreiben und somit
-auch diesen Gegensatz zwischen Spiritualismus und Materialismus
-wissenschaftlich zu vermitteln.
-
-Am +Gegenstand+ der Wissenschaft, am +Objekt+ des Geistes ist Kraft
-und Stoff ungetrennt. In der leibhaften Sinnlichkeit ist Kraft Stoff,
-ist Stoff Kraft. »Die Kraft läßt sich nicht sehen.« Ei doch! Das Sehen
-selbst ist pure Kraft. Das Sehen ist so viel Wirkung des Gegenstandes
-als Wirkung des Auges, eine Doppelwirkung, und Wirkungen sind Kräfte.
-Wir sehen nicht die Dinge selbst, sondern ihre Wirkungen auf unsere
-Augen: wir sehen ihre Kräfte. Und nicht nur sehen läßt sich die Kraft,
-sie läßt sich hören, riechen, schmecken, fühlen. Wer wird leugnen, daß
-er die Kraft der Wärme, der Kälte, der Schwere zu fühlen vermag? ...
-
-Ebenso wahr, wie sich sagen läßt, ich fühle den Stoff und nicht
-die Kraft, läßt sich umgekehrt sagen, ich fühle die Kraft und
-nicht den Stoff. In der Tat, am Objekt, wie gesagt, ist beides
-ungetrennt. Vermöge der Denkkraft aber trennen wir an den neben- und
-nacheinanderfolgenden Erscheinungen das Allgemeine vom Besonderen.
-Aus den verschiedenen Erscheinungen unseres Gesichtes zum Beispiel
-abstrahieren wir den allgemeinen Begriff des Sehens überhaupt und
-unterscheiden ihn als Sehkraft von den besonderen Gegenständen oder
-Stoffen des Gesichtes. Aus sinnlicher Vielfältigkeit entwickeln wir
-mittels der Vernunft das Allgemeine. Das Allgemeine mannigfaltiger
-Wassererscheinungen, das ist die vom Stoffe des Wassers unterschiedene
-Wasserkraft. Wenn stofflich verschiedene Hebel gleicher Länge dieselbe
-Kraft besitzen, ist es wohl augenscheinlich, daß hier die Kraft nur
-so weit vom Stoffe verschieden ist, als sie das Gemeinschaftliche
-verschiedener Stoffe darstellt. Das Pferd zieht nicht ohne Kraft,
-und die Kraft zieht nicht ohne Pferd. In der Tat, in der Praxis ist
-das Pferd die Kraft, ist die Kraft das Pferd. Aber dennoch mögen
-wir die Zugkraft von anderen Eigenschaften des Pferdes als etwas
-Apartes unterscheiden, oder mögen das Gemeinschaftliche verschiedener
-Pferdeleistungen als allgemeine Pferdekraft abtrennen, ohne uns deshalb
-einer anderen Hypothese schuldig zu machen, als wenn wir die Sonne von
-der Erde unterscheiden; obgleich in der Tat die Sonne nicht ohne Erde,
-die Erde nicht ohne Sonne ist.
-
-Die Sinnlichkeit ist uns nur durch das Bewußtsein gegeben, aber das
-Bewußtsein setzt dennoch die Sinnlichkeit voraus. Die Natur, je nachdem
-wir sie, vom Standpunkt des Bewußtseins, als bedingungslose Einheit
-oder, vom Standpunkt der Sinnlichkeit, als unbedingte Mannigfaltigkeit
-gelten lassen, ist grenzenlos vereint und grenzenlos getrennt. Wahr
-ist beides: Einheit und Vielheit, doch jedes nur unter gewissen
-Voraussetzungen, relativ. Es kommt darauf an, ob wir vom Standpunkt
-des Allgemeinen oder des Besonderen, ob wir mit geistigen oder mit
-körperlichen Augen umschauen. Mit geistigen Augen gesehen, ist der
-Stoff Kraft. Mit körperlichen Augen gesehen, ist die Kraft Stoff.
-Der abstrakte Stoff ist Kraft, die konkrete Kraft ist Stoff. Stoffe
-sind Gegenstände der Hand, der Praxis. Kräfte sind Gegenstände der
-Erkenntnis, der Wissenschaft.
-
-Die Wissenschaft ist nicht beschränkt auf die sogenannte
-wissenschaftliche Welt. Sie reicht über alle besonderen Klassen hinaus,
-gehört dem Leben in seiner ganzen Breite und Tiefe. Die Wissenschaft
-gehört dem +denkenden Menschen überhaupt+. So auch die Trennung
-zwischen Kraft und Stoff. Nur die stumpfsinnigste Leidenschaft kann
-sie +praktisch+ verkennen. Der Geizhals, der Geld anhäuft, ohne seinen
-Lebensprozeß zu bereichern, vergißt, daß die vom Stoffe verschiedene
-Kraft des Geldes das wertvolle Element ist; er vergißt, daß nicht der
-Reichtum als solcher, nicht die schlechte goldene Materie, sondern
-ihr geistiger Gehalt, die ihr inwohnende Fähigkeit, Lebensmittel zu
-kaufen; es ist, was das Streben nach ihrem Besitz +vernünftig+ macht.
-Jede wissenschaftliche Praxis, das heißt jedes Tun, welches mit
-vorausbestimmtem Erfolge, mit durchschauten Stoffen agiert, bezeugt,
-daß die Trennung von Stoff und Kraft, wenn auch mit dem Gedanken
-vollzogen, also ein Gedankending, doch deshalb keine leere Phantasie,
-keine Hypothese, sondern eine +sehr wesentliche Idee+ ist. Wenn der
-Landmann sein Feld düngt, geht er insofern mit reiner +Düngkraft+ um,
-als es gleichgültig ist, in welchem Stoffe, ob in Kuhmist, Knochenmehl
-oder Guano sie sich verkörpert. Beim Abwägen eines Warenballens wird
-nicht der Stoff der Gewichtsstücke, nicht das Eisen, Kupfer oder der
-Stein, sondern die +Schwerkraft+ pfundweise gehandhabt.
-
-Allerdings, keine Kraft ohne Stoff, kein Stoff ohne Kraft. Kraftlose
-Stoffe und stofflose Kräfte sind Undinge. Wenn idealistische
-Naturforscher an ein immaterielles Dasein von Kräften glauben, welche
-gleichsam im Stoffe ihren Spuk treiben, die wir nicht sehen, nicht
-sinnlich wahrnehmen und dennoch glauben sollen, so sind es in diesem
-Punkte eben keine Naturforscher, sondern Spekulanten, das heißt
-Geisterseher. Doch ebenso kopflos ist andererseits das Wort des
-Materialisten, das die intellektuelle Scheidung zwischen Kraft und
-Stoff eine Hypothese nennt.
-
-Damit diese Scheidung nach Verdienst gewürdigt sei, damit unser
-Bewußtsein die Kraft weder spiritualistisch verflüchtigt, noch
-materialistisch verleugnet, sondern +wissenschaftlich begreift+,
-dürfen wir nur das Unterscheidungsvermögen überhaupt oder an sich
-begreifen, das heißt seine abstrakte Form erkennen. Der Intellekt
-kann nicht ohne sinnliches Material operieren. Um zwischen Kraft und
-Stoff zu unterscheiden, müssen diese Dinge sinnlich gegeben, müssen
-sie erfahren sein. Auf Grund der Erfahrung nennen wir den Stoff
-kräftig, die Kraft stofflich. Das zu begreifende sinnliche Objekt ist
-also ein Kraftstoff, und da nun +alle+ Objekte in ihrer leiblichen
-Wirklichkeit Kraftstoffe sind, besteht die Unterscheidung, welche
-das Unterscheidungsvermögen daran vollbringt, in der +allgemeinen+
-Art und Weise der Kopfarbeit, in der Entwicklung des Allgemeinen aus
-dem Besonderen. Der Unterschied zwischen Stoff und Kraft summiert
-sich unter den allgemeinen Unterschied des Konkreten und Abstrakten.
-Den Wert dieser Unterscheidung absprechen, heißt also den Wert der
-Unterscheidung, des Intellekts überhaupt verkennen.
-
-Benennen wir die sinnlichen Erscheinungen Kräfte des allgemeinen
-Stoffes, so ist dieser einheitliche Stoff nichts weiter als die
-abstrakte Allgemeinheit. Verstehen wir unter der Sinnlichkeit
-die verschiedenen Stoffe, so ist das Allgemeine, welches die
-Verschiedenheit inbegreift, beherrscht oder durchzieht, die das
-Besondere erwirkende Kraft. Ob Kraft, ob Stoff genannt, das
-Unsinnliche, das, was die Wissenschaft nicht mit den Händen, sondern
-mit dem Kopfe sucht, das Wesenhafte, Ursächliche, Ideale, höhere
-Geistige ist die +Allgemeinheit, welche das Besondere umfaßt+.
-
-
-
-
-III.
-
-Dietzgens monistische Erkenntnislehre.
-
-
-Zeige man mir, wer +vor+ oder +nach+ Dietzgen (1868) das »Stoff- und
-Kraft«-Problem besser oder auch nur ebenso mustergültig behandelt
-hat -- in rein philosophischer und sprachmeisterlicher Beziehung.
-Dietzgens +allgemein verständliche Lösung+ eines der allerschwierigsten
-Menschheitsprobleme gehört zu den erstklassigen +Kunstwerken+ der
-»Kopfarbeit«.
-
-Zur Wertung von Dietzgens Arbeit dürfte das Nachstehende wohl am Platze
-sein:
-
-Daß sinnliche Erfahrung der Erkenntnis zugrunde liegt, haben schon
-viele Philosophen des Altertums angenommen und außerdem vermutlich
-ungezählte Millionen nachdenklicher Menschen, die +vor+ Lockes und
-David Humes Untersuchungen über den menschlichen Verstand (1690
-respektive 1748) an Tieren und kleinen Kindern das allmähliche Wachsen
-des Intellekts der jungen Lebewesen mit Interesse beobachtet haben,
-wie die meisten von uns heute. Gleichwohl wurde uns keine Theorie der
-Bewußtseinsbewegung, keine Theorie der menschlichen Erkenntnis aus
-jener Zeit hinterlassen.
-
-Schuld daran war in erster Linie die aus den frühesten Perioden
-überkommene Vorstellung vom Doppelwesen des Menschen, seiner
-Zusammensetzung aus Leib und Seele. Für »Seele« hielt man des Menschen
-Empfindungs- und Denkvermögen, einschließlich Ausdrucks unserer
-Empfindungen und Gedanken durch Sprache oder Gebärde oder einen
-Willensakt. Die »Seele« hieß auch der »Geist«, ein Ausfluß göttlichen
-Geistes, und deshalb mußte die Seele nach des Menschen Tode fortleben,
-unsterblich sein; daher gab es ein »Jenseits«.
-
-Zum Unterschied von der Menschenseele erhielt das Empfindungs- und
-Denkvermögen der (ebenfalls »von einem Gott erschaffenen«) Tierwelt die
-Bezeichnung »Instinkt«.
-
-Die »Unsterblichkeit der Seele« erstreckte sich über die gesamte
-Menschheit; das eine Stunde nach seiner Geburt verstorbene Kind
-hat ebenso Anteil daran wie die Seele der Kannibalen, obwohl das
-Menschenkind in seinen ersten Daseinstagen viel weniger »Seele«, das
-heißt Intellekt verrät als manches sich rasch entwickelnde Tier, und
-obwohl die Menschen im Urzustand der Wildheit und Wildnis mit dem Tier
-mehr Ähnlichkeit haben als einer »im Ebenbild Gottes« gedachten Kreatur.
-
-Aus der Anatomie und Physiologie von Mensch und Tier kannte man
-zwar schon lange das mehr oder minder Gemeinsame beider; aber die
-kardinalen Verschiedenheiten von Mensch und Tier gestatteten immerhin
-die Voraussetzung einer göttlichen Menschenseele -- als Ursache des
-Denkvermögens -- in der »Krone der Schöpfung«.
-
-Die erste naturwissenschaftliche Begründung der Deszendenz- oder
-Abstammungslehre durch Lamarck ist nur wenig über hundert Jahre alt.
-Bis dahin mußte die Tradition des Seelenglaubens, also die Annahme,
-daß der Mensch nur infolge des ihm eingeflößten göttlichen Geistes
-zu denken vermag, den Wert der Locke-Humeschen Erkenntnislehre als
-sekundär, wenn nicht gar unwesentlich erscheinen lassen.
-
-Was liegt daran, wie der Denkprozeß sich vollzieht, wenn er ganz und
-gar eine göttliche Gnadenerscheinung ist?
-
-Zudem lag vor hundert Jahren die Anatomie und Physiologie des +Gehirns+
-noch sehr im argen. Zwar ist das Gehirn als Sitz des Denkvermögens
-seit mehr als 2200 Jahren anerkannt, wenn auch Aristoteles den Sitz
-der Seele in das Herz verlegte und der hebräische Pentateuch ins
-Blut. Aber der Stand der Gehirnanatomie und -physiologie zu Lamarcks
-Zeit gestattete noch keine genaue Vorstellung von der Mechanik
-des Geisteslebens: wie die Dinge der Außenwelt, die durch unsere
-Sinnesorgane mit uns in Beziehung treten, bestimmte Vorgänge in unserem
-Nervensystem veranlassen. Gegen Mitte des siebzehnten Jahrhunderts
-kannte man erst sieben, am Ende des achtzehnten Jahrhunderts neun, zu
-Beginn des neunzehnten Jahrhunderts zwölf Paare von Gehirnnerven. Die
-Ganglienzellen und Nervenfasern, elementare mikroskopische Bestandteile
-der Nervenzellen, kennt man erst seit etwa siebenundsiebzig Jahren.
-
-»Die Nervenfasern«, sagt Professor Verworn in seinem oben genannten
-Buche: Die Mechanik des Geisteslebens, »haben die Funktion, gewisse
-Vorgänge, die sich in den Zellen der Sinnesorgane und in den Nerv- oder
-Ganglienzellen abspielen, zu übertragen nach anderen Ganglienzellen
-und peripherischen Organen, wie den Muskeln, den Drüsen usw. Man
-kennt jetzt seit vierzig Jahren die Lokalisation in der motorischen
-Sphäre des Gehirns so genau und kann die Reizung so fein lokalisieren,
-daß man mit Sicherheit eine Bewegung im Daumen oder im Augenmuskel
-oder im Fußgelenk vorhersagen kann. Im Anschluß daran sind noch
-weitere Zonen auf der Großhirnrinde bekannt geworden, die mit unseren
-Sinnesempfindungen im engsten Zusammenhang stehen.
-
-Klinische Erfahrungen der Psychiater ergaben, daß Krankheitsprozesse,
-die bestimmte Teile der Gehirnoberfläche zerstört hatten, von
-Ausfallssymptomen im Bewußtsein der betreffenden Menschen begleitet
-waren, und durch Experimente an Tieren -- Exstirpationen gewisser Zonen
-der Gehirnrinde -- lokalisierte man die Seh-, Hör-, Fühl-, Geruchs- und
-Geschmackssphäre.
-
-Vorstellungen sind Bewußtseinsbewegungen, die ihren Ursprung im engsten
-Anschluß an Sinnesempfindungen haben. Ohne Sinnesempfindungen keine
-Vorstellung. Wir können direkt die Vorstellungen als Erinnerungsbilder
-von Empfindungen bezeichnen.«
-
-Dietzgens »Wesen der menschlichen Kopfarbeit« ist somit, obwohl bald
-fünfzig Jahre alt, ein hochmodernes Buch.
-
-Dietzgen behandelt den Geist, das Denkvermögen als »Organ des
-Allgemeinen«, das heißt der Natur, und weil der Geist ein Stück Natur,
-ist er, wie unser Autor sich in einer späteren Schrift ausdrückt, kein
-größeres Naturwunder als der Magnetismus, die Elektrizität usw.
-
-Nach dem heutigen Stande der Naturwissenschaften und in Verbindung
-mit unserer Erkenntnis, daß Kraft Stoff und Stoff Kraft ist, darf man
-Dietzgens Satz, daß das »Denken eine Eigenschaft der Generalnatur« ist,
-ohne Vorbehalt unterschreiben.
-
-Wenn nun das Denkvermögen das »Organ des Allgemeinen« ist, muß es uns
-in erster Linie darum zu tun sein, das Allgemeine herauszufinden,
-das heißt namentlich was allgemein der Menschheit frommt, allen
-zugute kommt; wir sollen mithin Zustände ermöglichen, unter denen
-die Allgemeinheit oder doch die größte Zahl der Menschheit sich
-wohlbefinden kann.
-
-Dietzgens Naturmonismus begnügt sich demnach nicht mit der Anschauung
-von der Einheitlichkeit des Weltalls minus Mensch; +dieser+ mit seinem
-Körper und Geist gehört, wie jedes andere Naturstück aus Stoff und
-Kraft, in die Betrachtung des monistischen Weltorganismus hinein. Wie
-durch das Denkvermögen, als »Organ des Allgemeinen«, beziehungsweise
-des Universalzusammenhangs, die Widersprüche überhaupt vermittelt
-werden -- durch Entwicklung des Allgemeinen aus dem Besonderen --,
-sollten wir dieselbe monistische Denkmethode ganz speziell zur Lösung
-der Ungereimtheiten der +sozialen+ Welt anwenden. Dann erst haben wir
-den Sozialmonismus erreicht. Daraus nun, daß es dem richtigen Denken
-in erster Linie darum zu tun sein muß, das +Allgemeine+ herauszufinden
--- auf das soziale Gebiet angewandt: das allgemein Nützliche zu
-ermitteln --, zieht Dietzgen (in seiner Vorrede) einen Schluß, der auf
-einen für unseres Autors Betrachtungsweise noch nicht vorbereiteten
-Leser verblüffend wirken mag, aber gleichwohl jedes wirklichen
-Monisten Billigung finden muß: daß die wahren Träger des »+Organs des
-Allgemeinen+« nicht in den von Sonderinteressen beherrschten Kreisen
-zu suchen sind, vielmehr in den Reihen der nach Beseitigung aller
-Vorrechte hinstrebenden Arbeiterklasse.
-
-Dietzgen sagt: »Ich entwickle in dieser Schrift das Denkvermögen als
-Organ des Allgemeinen. Der leidende, der vierte, der Arbeiterstand ist
-insoweit erst der wahre Träger dieses Organs, als die herrschenden
-Stände durch ihre besonderen Klasseninteressen verhindert sind, das
-Allgemeine anzuerkennen. Wohl bezieht sich diese Beschränkung zunächst
-auf die Welt der menschlichen Verhältnisse. Aber solange diese
-Verhältnisse nicht allgemein menschlich, sondern Klassenverhältnisse
-sind, muß auch die Anschauung der Dinge von diesem beschränkten
-Standpunkt bedingt sein. Objektive Erkenntnis setzt subjektiv
-theoretische Freiheit voraus. Bevor Kopernikus die Erde sich bewegen
-und die Sonne stehen sah, mußte er von seinem irdischen Standpunkt
-abstrahieren. Da nun dem Denkvermögen alle Verhältnisse Gegenstand
-sind, hat es von allem zu abstrahieren, um sich selbst rein oder
-wahr zu erfassen. Erst eine historische Entwicklung, welche so
-weit fortgeschritten ist, um die Auflösung der letzten Herr- und
-Knechtschaft zu erstreben, kann soweit der Vorurteile entbehren, um
-das Urteil im allgemeinen, das Erkenntnisvermögen, die Kopfarbeit wahr
-oder nackt zu erfassen. Erst eine historische Entwicklung, welche
-die direkte allgemeine Freiheit der Masse im Auge haben kann -- und
-dazu gehören wohl sehr verkannte historische Voraussetzungen -- erst
-die neue Ära des vierten Standes findet den Gespensterglauben soweit
-entbehrlich, um den letzten Urheber alles Spuks, um den reinen Geist
-entlarven zu dürfen. Der Mensch des vierten Standes ist endlich
->+reiner+< Mensch. Sein Interesse ist nicht mehr Klassen- sondern
-Masseninteresse, Interesse der Menschheit. Die Tatsache, daß zu allen
-Zeiten das Interesse der Masse mit dem Interesse der herrschenden
-Klasse verbunden war, daß nicht nur trotz, sondern gerade mittels
-ihrer stetigen Unterdrückung durch jüdische Patriarchen, asiatische
-Eroberer, antike Sklavenhalter, feudale Barone, zünftige Meister,
-besonders durch moderne Kapitalisten und auch selbst noch durch
-kapitalistische Cäsaren die Menschheit stetig >fortgeschritten< --
-diese Tatsache nähert sich ihrem Ende. Jetzt ist diese Entwicklung
-an einem Standpunkt angekommen, wo die Masse selbstbewußt wird. Sie
-ist damit so weit gekommen, daß sie nunmehr sich unmittelbar selbst
-entwickeln will.«
-
-
-
-
-IV.
-
-Dietzgens Ethik.
-
-
-Das Schlußkapitel von Dietzgens »Wesen der menschlichen Kopfarbeit«
-behandelt die +Ethik+: »Praktische Vernunft« oder Moral. (Seite 61 bis
-87, 1. Band der Sämtlichen Schriften.)
-
-Siebenunddreißig Jahre später erschien Kautskys »Ethik« (und
-materialistische Geschichtsauffassung) -- das erste und bis jetzt
-einzige deutsche sozialistische Werk auf diesem Gebiet.[7] In der
-Vorrede sagt Kautsky: »Ich fuße bei meiner Entwicklung der Ethik auf
-der Grundlage der materialistischen Geschichtsauffassung -- auf jener
-materialistischen Philosophie, wie sie einerseits Marx und Engels und,
-in anderer Weise, aber in gleichem Sinne, Josef Dietzgen begründet
-haben.«
-
-Kautskys Arbeit in allen Ehren, aber sie ist im Grunde keine
-erkenntniskritisch begründete, sondern eine historisch-ökonomisch
-orientierende Darlegung, daher macht sie die Lektüre Dietzgens zu
-einer notwendigen Voraussetzung. Bei Kautsky erfahren wir nicht --
-wie bei Dietzgen -- die philosophische Methode, durch welche man
-zur Erforschung der Sinnlichkeit als Grundlage der Moral gelangt.
-Dietzgen kommt zu seinem Befunde -- zum Erkennen des Vernünftigen,
-Weisen, Rechten, Sittlichen -- durch »+Entwicklung des Allgemeinen
-aus dem Besonderen+«. Das gelingt ihm mit seinem Schlüssel -- wie im
-vorangegangenen Kapitel die Lösung des »Stoff-und-Kraft«-Problems
--- sozusagen spielend. Unter tunlichster Beibehaltung des logischen
-Zusammenhangs lasse ich die Hauptstellen des Moral-Kapitels (in
-Auswahl von etwa einem Achtel des Originals) hier folgen:
-
-Das menschliche +Bedürfnis+ gibt der Vernunft das Maß zur Ermessung des
-Guten, Rechten, Schlechten, Vernünftigen usw. Was unserem Bedürfnis
-entspricht, ist gut, das Widersprechende schlecht. +Das leibliche
-Gefühl des Menschen+ ist das Objekt der Moralbestimmung, das Objekt
-der »praktischen Vernunft«. Auf die widerspruchsvolle Verschiedenheit
-menschlicher Bedürfnisse gründet sich die widerspruchsvolle
-Verschiedenheit moralischer Bestimmungen. Weil der feudale Zunftbürger
-in der beschränkten und der moderne Industrieritter in der freien
-Konkurrenz prosperiert, weil sich die Interessen widersprechen,
-widersprechen sich die Anschauungen, und es findet der eine mit Recht
-dieselbe Institution vernünftig, welche dem andern unvernünftig ist.
-Wenn die Vernunft einer Persönlichkeit rein aus sich das Vernünftige
-schlechthin zu bestimmen versucht, kann sie nicht anders, als ihre
-Person zum Maß der allgemeinen Menschheit machen. Wenn man der
-Vernunft das Vermögen zuspricht, in sich selbst die Quelle der
-moralischen Wahrheit zu besitzen, verfällt man in den spekulativen
-Irrtum, ohne Sinnlichkeit, ohne Objekt Erkenntnisse produzieren zu
-wollen ... Sinnliche Bedürfnisse sind das Material, aus welchem die
-Vernunft moralische Wahrheiten anfertigt. Unter sinnlich gegebenen
-Bedürfnissen von verschiedener Dringlichkeit oder verschiedenem Umfang
-das Wesentliche, Wahre vom Individuellen zu scheiden, +Entwicklung des
-Allgemeinen ist die Aufgabe der Vernunft+. Der Unterschied zwischen dem
-scheinbar und wahrhaft Vernünftigen reduziert sich auf den Unterschied
-zwischen dem Besonderen und Allgemeinen.
-
-Wie die Aufgabe der Physik die Erkenntnis des +wahren+, so ist die
-Aufgabe der Weisheit die Erkenntnis des +vernünftigen+ Seins. Überhaupt
-hat die Vernunft zu erkennen, was ist -- als Physik, was wahr, als
-Weisheit, was vernünftig ist. Wie wahr mit allgemein, so übersetzt
-sich vernünftig mit zweckmäßig, so daß wahrhaft vernünftig soviel
-wie +allgemein zweckmäßig+ heißt. Wie das Wahre, das Allgemeine
-die Beziehung auf ein besonderes Objekt, auf ein gegebenes Quantum
-der Erscheinung, bestimmte Grenzen unterstellt, innerhalb deren es
-wahr oder allgemein ist, so setzt das Vernünftige oder Zweckmäßige
-gegebene Verhältnisse voraus, innerhalb deren es vernünftig oder
-zweckmäßig sein kann. Das Wort expliziert sich selbst: Der Zweck ist
-+das Maß+ des Zweckmäßigen. Nur auf Grund eines gegebenen Zweckes
-läßt sich das Zweckmäßige bestimmen. Ist erst der Zweck gegeben, dann
-heißt die Handlungsweise, welche denselben am weitesten, breitesten,
-allgemeinsten verwirklicht, die vernünftige, der gegenüber jede minder
-zweckmäßige Weise unvernünftig wird.
-
-Fordert demnach unsere Aufgabe die Ermittlung des
-Menschlich-Vernünftigen +schlechthin+, so verdienen ein solches
-Prädikat +nur Handlungsweisen, welche ohne Ausnahme allen Menschen,
-zu allen Zeiten und unter allen Verhältnissen zweckmäßig sind+ --
-folglich widerspruchslose und insofern nichtssagende, unbestimmte
-Allgemeinheiten. Daß physisch das Ganze größer ist als der Teil, daß
-moralisch das Gute dem Schlechten vorzuziehen, sind solche allgemeine,
-deshalb bedeutungslose, unpraktische Kenntnisse. Der Gegenstand der
-Vernunft ist das Allgemeine, aber -- das Allgemeine eines besonderen
-Gegenstandes. Die praktizierende Vernunft hat es mit dem Einzelnen,
-Besonderen zu tun, mit dem Gegensatz des Allgemeinen, mit bestimmten,
-besonderen Kenntnissen ... Vernünftig im allgemeinen ist nur das, was
-jede Vernunft anerkennt. Wenn die Vernunft einer Zeit, Klasse oder
-Person vernünftig heißt, wovon anderwärts das Gegenteil anerkannt
-ist, wenn der russische Adelige die Leibeigenschaft und der englische
-Bourgeois die Freiheit seines Arbeiters eine vernünftige Institution
-nennt, so ist etwa keine von beiden schlechthin, sondern jede nur
-+relativ+, nur in ihrem mehr oder minder beschränkten Kreise
-vernünftig ... Die »+absolute+ Wahrheit« ist der Urgrund der Intoleranz.
-
-Die heidnische Moral ist eine andere als die christliche. Die feudale
-Moral unterscheidet sich von der modern bürgerlichen wie Tapferkeit und
-Zahlungsfähigkeit ...
-
-Jedes wirkliche Recht ist ein besonderes. Recht nur unter gewissen
-Umständen, für gewisse Zeiten, diesem oder jenem Volke. »Du sollst
-nicht töten« ist Recht im Frieden, Unrecht im Kriege; Recht für die
-Majorität unserer Gesellschaft, welche ihrem dominierenden Bedürfnis
-die Mucken der Leidenschaft geopfert wissen will, doch Unrecht dem
-Wilden, der nicht so weit gekommen, ein friedliches, geselliges Leben
-zu schätzen, der deshalb das angeführte Recht als unrechte Beschränkung
-seiner Freiheit empfindet.
-
-Wollte ein Gesetz, eine Lehre, eine Handlung absolut recht, Recht
-überhaupt sein, so müßte sie dem Wohle aller Menschen, unter allen
-Verhältnissen, zu allen Zeiten entsprechen. Dieses Wohl ist jedoch so
-verschieden wie die Menschen, ihre Umstände und die Zeit. Was mir gut,
-ist einem anderen schlimm, was in der Regel wohl, tut ausnahmsweise
-leid; was einer Zeit frommt, hemmt eine andere. Das Gesetz, welches
-Anspruch darauf machen wollte, Recht überhaupt zu sein, dürfte
-nie und niemanden widersprechen. Keine Moral, keine Pflicht, kein
-»kategorischer Imperativ«, keine Idee des Guten vermag den Menschen zu
-lehren, was gut, was böse, was recht, was unrecht sei. Gut ist, was
-unserem Bedürfnis entspricht, böse, was ihm widerspricht. Aber was ist
-wohl gut überhaupt?
-
-Der Unterschied zwischen guten und bösen, rechten und schlechten
-Bedürfnissen findet, wie Wahrheit und Irrtum, wie Vernunft und
-Unvernunft, seine Auflösung in dem Unterschied des Besonderen und
-Allgemeinen. Die Vernunft vermag aus sich so wenig positive Rechte,
-absolut moralische Maximen zu entdecken wie irgend eine andere
-spekulative Wahrheit. Erst wenn ihr sinnliches Material gegeben ist,
-wird sie der Zahl nach das Allgemeine und Besondere, dem Grade nach
-das Wesentliche und Unwesentliche zu ermessen wissen. Die Erkenntnis
-des Rechten oder Moralischen will, wie die Erkenntnis überhaupt, das
-Allgemeine.
-
-+Die Moral ist der summarische Inbegriff der verschiedensten einander
-widersprechenden sittlichen Gesetze, welche den gemeinschaftlichen
-Zweck haben, die Handlungsweise des Menschen gegen sich und andere
-derart zu regeln, daß bei der Gegenwart auch die Zukunft, neben dem
-einen das andere, neben dem Individuum auch die Gattung bedacht sei.
-Der einzelne Mensch findet sich mangelhaft, unzulänglich, beschränkt.
-Er bedarf zu seiner Ergänzung des anderen, der Gesellschaft, und muß
-also, um zu leben, leben lassen. Die Rücksichten, welche aus dieser
-gegenseitigen Bedürftigkeit hervorgehen, sind es, was sich mit einem
-Worte Moral nennt.+
-
-Die Unzulänglichkeit des einzelnen, das Bedürfnis der Genossenschaft
-ist Grund oder Ursache der Berücksichtigung des nächsten, der Moral.
-So notwendig nun der Träger dieses Bedürfnisses, so notwendig der
-Mensch immer individuell ist, so notwendig ist auch das Bedürfnis
-ein individuelles, bald mehr und bald minder intensiv. So notwendig
-der nächste verschieden ist, so notwendig sind die erforderlichen
-Rücksichten verschieden ...
-
-In diesem Satze ist eine so bündig überzeugende Klärung des
-Pflichtbegriffes enthalten, wie sie vor Dietzgen keinem Denker
-erkenntniskritisch gelungen ist.
-
-Besagt sie doch, daß es namentlich die Berücksichtigung der Gebote der
-beiden uns regierenden Hauptmächte ist, solche der Gesellschaft und
-Natur, die das Pflichtverhalten des Menschen bedeuten und bestimmen,
-und zwar aus dessen wohlverstandenem Eigeninteresse heraus, sobald er
-seine organische Abhängigkeit von Gesellschaft und Natur einsieht.
-
-Solche Berücksichtigung mag gewiß häufig genug mit unseren momentanen
-Wünschen kollidieren, aber sie ist es, die unser dauerndes Interesse
-fördert, zumal wenn wir freiwillig und bewußt das besondere und
-flüchtigere Bedürfnis dem allgemeinen und dauernderen Wohlergehen
-unterordnen. Kein mystisches »inneres Gefühl«, auch kein »kategorischer
-Imperativ« klärt uns über unsere Pflicht auf, wohl aber Einsicht
-in das »Allgemeine«, das heißt in die Zusammenhänge und Gesetze
-der Gesellschaft und Natur, deren Anordnungen wir nicht einmal
-unbewußt ohne empfindliche Strafe verletzen können, während bewußtes
-Zuwiderhandeln uns außerdem notwendig Einbuße an Selbstachtung
-bringt, sofern wir Gebote übertreten, welche der jeweiligen sozialen
-Entwicklungsstufe entsprechen.
-
-Dietzgens Ethik entspricht offenbar den Anschauungen vieler
-Vertreter der modernen Intelligenz und speziell der allermeisten
-wissenschaftlichen Sozialisten -- mit Ausnahme der auf den Kantschen
-»kategorischen Imperativ«[8] eingeschworenen Revisionisten --, wenn
-auch der philosophische Weg, auf dem unserem Autor seine Schlüsse sich
-ergaben, einem großen Teile derselben fremd geblieben ist. Bekannt ist,
-daß man vor langer Zeit schon in Deutschland durch das Wort »+Mitleid+«
-die Ethik auf den Egoismus zurückführte: »Wir haben Mitgefühl mit dem
-Elenden, weil wir beim Anblick seiner Leiden +mitleiden+ -- durch die
-Reflexion, daß auch wir in seine Lage geraten könnten.«
-
-In starrer Opposition gegen diese utilitarische oder
-Zweckmäßigkeitsmoral finden wir die kantische Ethik (Pflicht) und die
-des religiösen Idealismus (Liebe).
-
-In Wirklichkeit aber stellen Zweckmäßigkeit (rationeller, begrenzter
-Egoismus oder legitimes, persönliches Interesse), Pflicht, Liebe
-+zusammen+ das Moralgebilde dar. Indem (nach Dietzgen) die Moral so
-beschaffen sein soll, daß »neben dem Individuum auch die Gattung
-bedacht ist«, betätigt, wer dieser Morallehre nachlebt, die von Kant
-verlangte »Pflicht«, und indem er ihr dauernd und gern nachkommt, nimmt
-sie ganz automatisch den Charakter der »Liebe« an.
-
-Ich erlaube mir daher zu sagen:
-
-Für die Moral ist die Zweckmäßigkeit die Wurzel, die Pflicht der Baum
-und die Liebe die Frucht.
-
-Am deutlichsten läßt sich der Dreistufenpfad der Moral »Egoismus,
-Pflicht, Liebe« im Verhältnis der Eltern zum Kinde erkennen: Ursprung
-der Freude am Kinde ist die natürliche, elterliche Eigenliebe, der
-gewiß niemand sich zu schämen braucht; sofort tritt das Pflichtgefühl
-an die Eltern heran, und bei Ausübung der Pflicht verwandelt sich die
-Eigenliebe der Eltern in wahre Liebe. So vermag überall -- wenn auch
-nicht so rasch wie in diesem Falle -- die in Zweckmäßigkeit wurzelnde
-Moral durch das Medium der Pflicht sich zu hehrer Sittlichkeit, zur
-Tugend, zur Güte, zur Liebe auszuwachsen.
-
-Es ist keine beleidigende Insinuation, wenn dem Schönsten und
-Erhabensten -- das bisher der Urzeugung in Engelsregionen glaubte sich
-rühmen zu dürfen -- Abkunft aus niederem Stande aufgezeigt wird; daß es
-in zweckmäßigem Egoismus, im Eigeninteresse des Menschen seine Wurzel
-hat und dem Mutualismus, der Gegenseitigkeitspflicht, sein Höhendasein
-verdankt.
-
-Entrüste man sich nicht über diese neue Ethikformel, die Moraltrilogie
-»Egoismus, Pflicht, Liebe«!
-
-Auch der Brotfrucht Wurzeln stecken nicht in balsamisch gedüngtem Boden.
-
-Mit dieser einfachen Korrektur der Kantschen und der religiösen
-Moralbegründung dürfen wir uns hier begnügen, da die letztere, als eine
-theologische, unserer gegenwärtigen Betrachtung allzu fern liegt, und
-der Nachweis von Kants teils fehlerhafter, teils widerspruchsvoller
-Argumentierung seines Sittengesetzes längst von kompetenten Autoren
-(auch in Kautskys »Ethik«) geliefert worden ist.
-
-Nur aus des Monistenführers Ostwald »Sonntagspredigt« vom 20. Dezember
-1913 »Die wissenschaftlichen Grundlagen der Ethik« möchte ich einige
-Zeilen hier anführen, weil sie eine wohlbegründete +Entschuldigung für
-Kants Irrtum+ enthalten:
-
-»Kant glaubte auch die Quelle der Ethik in einem inneren Sittengesetz
-zu finden, welches dem Menschen ~a priori~ eigen ist, und hat damit
-allerdings in etwas versteckter Weise diese Quelle gleichfalls in
-einen irrationalen, der wissenschaftlichen Forschung nicht zugänglichen
-Punkt gelegt. Es läßt sich darum erklären, daß jenem großen Denker
-das +Entwicklungsgesetz+ der Lebewesen nicht nur nicht bekannt war,
-sondern daß er sogar eine ausgesprochene Abneigung dagegen hatte,
-das menschliche Denken unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung
-zu betrachten. So behauptete er das absolute Vorhandensein des
-inneren Sittengesetzes bei dem Menschen und begnügte sich mit diesem
-Vorhandensein, ohne weitere Nachforschungen darüber anzustellen, woher
-es stammte.«
-
-Unsere Revisionisten aber +kennen+ das Entwicklungsgesetz.
-
-
-
-
-V.
-
-Die Religion der Sozialdemokratie.
-
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-»Die Religion der Sozialdemokratie« betitelt sich eine Reihe von
-durch Gedankenfülle und vielfach durch Schönheit der Sprache sich
-auszeichnenden sieben Artikeln, sogenannten »Kanzelreden«, die zuerst
-in dem von Liebknecht redigierten Leipziger »Volksstaat« 1870 bis 1875
-erschienen und seitdem Verbreitung in Zehntausenden von Exemplaren
-gefunden haben. Das auf fünf Jahre verteilte Entstehen dieser
-Abhandlungen schließt naturgemäß Anlage nach einem systematischen
-Plane aus; es sind daher in ihren Fortsetzungen teilweise Ergänzungen
-des Früheren und zu diesem Zwecke Exkurse auf verwandtes Nebengebiet
-enthalten. »Die Religion der Sozialdemokratie« wird dem Leser um so
-mehr Vorteil und Genuß gewähren, je tiefer die Ideen des Sozialismus
-bereits Wurzel in ihm geschlagen haben und je emanzipierter er
-sich vom sogenannten »positiven Glauben« weiß. Denn er begegnet in
-diesen »Kanzelreden« Gedanken, die zum Teil im Unterbewußtsein jedes
-freidenkerischen und geschulten Sozialisten schlummern und nur der
-Erweckung durch den Laut eines Zauberworts bedürfen, das aus dem Munde
-eines philosophischen Hellsehers kommt. Darin liegt der wesentliche
-Reiz von Dietzgens »Kanzelreden« für die Massen der sozialistischen
-Arbeiter; um Dietzgen aber in allen seinen Gedankengängen gründlich
-zu verstehen, sollten Sozialisten unbedingt mit seiner im »Wesen der
-menschlichen Kopfarbeit« niedergelegten Denklehre sich vertraut machen
--- wenn auch die populären Schriften unseres Autors als Einführung in
-das genannte Hauptwerk benutzt werden dürfen.
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-Dietzgen führt in den »Kanzelreden« aus, sagt sein Sohn im Geleitwort
-von 1906, »daß die Religion ein geschichtlich notwendiges Gedankenbild
-ist, welches aus dem menschlichen Bedürfnis nach materieller
-und geistiger Befriedigung und nach einer diesem Glücksstreben
-entsprechenden Gesellschaft und Welt entstehen mußte, und zwar auf
-jeder Kulturstufe, auf der der Mensch in Ermanglung von hinreichendem,
-erfahrungsmäßigem Wissen und Können gegenüber den natürlichen
-Zusammenhängen sich nicht anders als mit phantastischer Spekulation
-helfen konnte. Er weist an der natürlichen Begrenzung des Denkvermögens
-nach, daß alle Religion und jeder Glaube an Übernatürliches auf
-phantastischer Spekulation beruhen, die ihrerseits wiederum in ihrer
-Eigenart bestimmt wird durch den Entwicklungsgrad der sozialen
-Produktivkräfte und Lebensbedingungen.«
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-Das Wort »Religion« in Verbindung mit »Sozialdemokratie« ist natürlich
-nicht im landläufigen Sinne desselben zu verstehen; denn die Tendenzen
-der Sozialdemokratie enthalten, wie Dietzgens einleitende Worte lauten,
-den Stoff zu einer +neuen+ Religion, die nicht, wie alle bisherige,
-nur mit dem Gemüt oder Herzen, sondern zugleich auch mit dem Kopf, dem
-Organ der Wissenschaft, erfaßt sein will.
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-Und die Moral dieser neuen Religion faßt er am Schluß des zweiten
-Artikels in folgenden Satz zusammen: Sie verlangt, und ihr ganzes Wesen
-beruht auf diesem Verlangen, daß wir die Gegensätze der Liebe und
-Selbstsucht miteinander versöhnen, daß sich die Gesellschaft aus dieser
-Versöhnung konstituiere, daß der Mensch dem Menschen die Hand reiche,
-um mit vereinter Kraft und Arbeit die Natur zur reichlichen Hergabe
-unserer Lebensmittel zu zwingen.
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-Da die Sozialdemokratie eine »neue Religion« ist, bedient sie sich
-zur Erreichung ihres Zweckes naturgemäß anderer Methoden als die alte
-Religion. Dies führt unser Autor in folgendem aus:
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-Die Religion, ganz im allgemeinen, hat den Zweck, das bedrängte
-Menschenherz vom Jammer dieses irdischen Lebens zu erlösen. Sie hat das
-bisher nur in idealer, träumerischer Weise vermocht, durch Anweisung
-an einen unsichtbaren Gott und an ein Reich, das nur von Toten bewohnt
-ist. Das Evangelium der Gegenwart verspricht, unser Jammertal endlich
-in realer, wirklicher, greifbarer Weise zu erlösen. »Gott«, das ist
-das Gute, Schöne, Heilige, soll Mensch werden, aus dem Himmel auf die
-Erde kommen, aber nicht wie einst, auf religiöse, wunderbare Art,
-sondern auf natürlichem, irdischem Wege. Wir verlangen den Heiland, wir
-verlangen, daß unser Evangelium, das Wort Gottes, Fleisch werde. Doch
-nicht in einem Individuum, nicht in einer bestimmten Person soll es
-sich verkörpern, sondern wir +alle+ wollen, das +Volk+ will -- +Sohn
-Gottes+ sein.
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-Die Religion war bisher Sache des Proletariats. Jetzt, umgekehrt, fängt
-die Sache des Proletariats an, religiös zu werden, das heißt eine
-Sache, welche die Gläubigen mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit
-ganzem Gemüt ergreift.
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-Im alten Glauben diente der Mensch dem Evangelium, im neuen Glauben ist
-das Evangelium dazu da, der Menschheit zu dienen. Das Evangelium der
-Neuzeit fordert eine Umkehr unserer ganzen Denkweise. Nach der alten
-Offenbarung war das Gesetz das Erste, Höchste, Ewige und der Mensch das
-Zweite. Nach der neuen Offenbarung ist der Mensch das Erste, Höchste,
-Ewige und sein Gesetz, das Zweite, zeitlich und wandelbar.
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-Wir sind heute nicht dazu da, dem Gesetze zu dienen, sondern das Gesetz
-hat den Zweck, uns zu dienen, nach unseren Bedürfnissen modifiziert
-zu werden. Der Alte Bund verlangte Geduld und Ergebung in unsere
-Leiden; der Neue Bund fordert Energie und Tatkraft. An die Stelle der
-Gnade setzt er die bewußte Werktätigkeit. Das alte Buch nannte sich
-»Autoritätsglaube«, das neue setzt die Wissenschaft, die revolutionäre,
-auf sein Titelblatt.
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-Glauben und Wissen, das sind die beiden Gegensätze, welche den Alten
-und Neuen Bund trennen. Einen weiteren Unterschied zwischen der alten
-und der neuen Religion konstatiert Dietzgen wie folgt:
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-Beten und Fasten sind die Heilmittel, welche das Christentum empfiehlt
-wider die angeborene Hilflosigkeit des Menschen ... +Arbeit+ heißt der
-Heiland der neueren Zeit.
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-Wie Christus schon eine große Anzahl Proselyten gemacht hatte, bevor
-sich seine Kirche organisierte, so hat auch der neue Prophet, die
-Arbeit, schon seit Jahrhunderten gewirkt, bevor sie in der Gegenwart
-daran denken kann, sich auf den Thron zu setzen und das Zepter in die
-Hand zu nehmen.
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-Mit den Attributen der Gottheit, mit Macht und Wissenschaft, ist sie
-nunmehr ausgerüstet. Aber nicht auf unbefleckte, wunderbare Weise
-ist sie dazu gekommen. Sie ist unter Schmerzen geboren, unter Kampf
-und Qual und Sorgen groß gewachsen. Obgleich sie es ist, welche den
-Menschen so weit kultiviert hat, welche jetzt mit der Verheißung kommt,
-ihn vollständig aus aller Knechtschaft zu erlösen, und ihn das ersehnte
-Land Kanaan wirklich schon aus der Ferne mit Augen sehen läßt, so liegt
-doch heute noch die Dornenkrone des Elends auf ihrem Haupte, das Kreuz
-der Verachtung auf ihren Schultern.
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-Doch unsere Hoffnung auf Erlösung ist nicht auf ein religiöses Ideal,
-sondern auf einen massiven materiellen Grundstein gebaut.
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-Was das Volk berechtigt, an die Erlösung von tausendjähriger Qual
-nicht nur zu glauben, sondern sie tatkräftig zu erstreben, das ist die
-feenhaft produktive Kraft, die wunderbare Ergiebigkeit seiner Arbeit.
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-+Die Befreiung vom Joche sklavischer Arbeit, die Befreiung von Not,
-Elend und Sorge, von Hunger, Kummer und Unwissenheit, die Befreiung
-von der Plage, Lasttier der »höheren Gesellschaft« zu sein, -- diese
-Freiheit, und zwar für die Masse, für das Volk+, das ist der heilige
-Zweck, den zu erfüllen die so unendlich reich gewordene menschliche
-Arbeitskraft den Beruf hat.
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-Vom Beten und Dulden sind wir übergegangen zum +Denken+ und +Schaffen+.
-Das Resultat dieser veränderten Methode steht vor Augen in den
-Errungenschaften der Industrie, deren Seele die produktive Kraft
-unserer Arbeit ist.
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-Das Volk verlangt nach der realen Erlösung, weil endlich die
-Bedingungen dazu vorhanden sind. Armut, Hunger und Elend der
-Vergangenheit waren vielfach durch Mangel an Lebensmitteln verursacht.
-Gegenwärtig, und seit Dezennien schon, ist es umgekehrt überschüssiger
-Reichtum, wie er sich in Geld-, Handels- oder Industriekrisen
-offenbart, der die Arbeitskraft des Volkes brachlegt. Mögen dann die
-Speicher noch so gefüllt und die Magazine mit Waren gepfropft sein, das
-Volk hungert und friert, weil die besitzenden Klassen, mit Produkten
-übersättigt, seine Arbeitskraft nicht kaufen oder unterkaufen.
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-Die Kultur war bisher Zweck und der Mensch Mittel. Jetzt gilt es die
-Dinge umzukehren, den Menschen zum Zweck und die Kultur zum Mittel zu
-machen. Die erste Bedingung, das Werk der Entwicklung fortzusetzen, ist
-die Freiheit des Volkes, seine Teilnahme am Konsum.
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-Die Sozialdemokratie unterscheidet sich von der bisherigen kopflosen
-Wirtschaft, welche ohne Ziel und Maß produziert, gerade dadurch, daß
-sie den Volkshaushalt mit Bewußtsein organisiert. +Bewußte planmäßige
-Organisation der sozialen Arbeit nennt sich der ersehnte Heiland der
-neueren Zeit+.
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-Die dreieinige Gottheit des Christentums hat die Not des Volkes nur
-dadurch lindern können, daß sie gelehrt hat, daraus eine Tugend zu
-machen. Daß diese Lehre zu ihrer Zeit heilsam war, sei nicht verkannt.
-Wo der Mensch noch die Fähigkeit und Mittel nicht besitzt, sein
-Kreuz abzuwerfen, ist der Geist ergebener Resignation nicht nur ein
-göttlicher Balsam, sondern auch eine triftige Zuchtrute, die wohl
-vermag, ihn vorzubereiten für die sinnige Verstandesarbeit der Kultur.
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-Wirklich und leibhaftig aber wird der Zweck der Religion erst durch
-materielle Kultur, durch Kultur der Materie erreicht. +Arbeit+ nannten
-wir den Heiland, den Erlöser des Menschengeschlechts. Wissenschaft und
-Handwerk, Kopf- und Handarbeit sind nur zwei verschiedene Gestalten
-derselben Wesenheit. Wissenschaft und Handwerk sind wie Gott-Vater und
--Sohn, zwei Dinge und doch nur +eine+ Sache.
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-Das im letzten Satze enthaltene Thema wird in nachstehendem weiter
-behandelt:
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-Ähnlich wie unkultivierte Völker das politische und soziale Gesetz als
-ein übernatürliches Gnadengeschenk abgöttisch verehren und damit sich
-der Macht begeben, es dem Laufe der Entwicklung nach zu gestalten,
-ähnlich betrachtet heute eine verehrungssüchtige, untertänige,
-knechtische Anschauungsweise die Kopfarbeit der Wissenschaft als ein
-höheres Wesen, nicht als den Diener, sondern als den Götzen der Kultur.
-Die Menschen sollen nicht zur Wissenschaft hinaufsehen, sondern sie
-zu sich herabziehen. Wir sollen die geistige zu einem Instrument der
-materiellen Arbeit machen. Die erfahrungsmäßige Resultatlosigkeit
-der spekulativen Forschung, die erwiesene Unfruchtbarkeit der reinen
-Vernunft belehre die Gelehrtenzunft, daß leibliche Sinnentätigkeit
-zur Wissenschaft erfordert ist. Umgekehrt lerne der Handwerker an den
-bewunderten Resultaten der modernen Industrie, daß nur der Verbindung
-mit der Wissenschaft die Wunder der Arbeit zu danken sind.
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-Die gegenseitige Durchdringung der beiden Arbeitsformen hat im Verlauf
-der Jahrhunderte endlich die Menschheit auf den Punkt gebracht, wo
-nunmehr der Grundstein zum Tempel der Sozialdemokratie niedergelegt
-ist. Alle unsere +materiellen+ Reichtümer haben, ebenso wie alle in
-der Literatur deponierten geistigen Errungenschaften, nur mittels
-+gemeinschaftlicher Arbeit+ der verschiedensten Generationen,
-Geschlechter, Länder und Völker produziert werden können. Sie sind
-also, wenn auch individuelles Eigentum, doch ein generelles, ein
-gemeinschaftliches, ein kollektives Produkt.
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-Dann zu seinem eigentlichen Thema zurückkehrend, sagt Dietzgen:
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-Die Lehre unserer sozialdemokratischen Kirche betrachtet den
-aufgehäuften Reichtum, den materiellen sowohl wie den geistigen, als
-ihren Grundstein und lehrt, zu glauben, daß dieser schwere Stein
-wohl nicht ohne, aber auch nicht durch einzelne Herren oder vornehme
-Geschlechter, sondern mit überaus angestrengter Kopf- und Handarbeit
-des gesamten Volkes zutage gefördert ist. Schelme und Narren nennen
-dies Evangelium rohe Gleichmacherei. Nein! Die Gleichheit der
-Sozialdemokratie ist keine phantastische Gleichheit, welche ihren
-Gegensatz, die Verschiedenheit, ausschließt. Unsere menschliche Natur
-hat uns allen das gleiche Bedürfnis gegeben, auf diesem Erdboden
-unseren Hunger zu stillen, unseren Leib zu kleiden, alle unsere
-verschiedenen Kräfte zu entwickeln. Die Menschenkinder haben von Natur
-+alle das gleiche+ Verlangen, ihr Leben zu verbringen in tätiger Lust,
-ohne Elend und Knechtschaft. Die Gleichheit des Verlangens ändert die
-Verschiedenheit nicht, welche jeden von uns mit Kräften und Talenten
-eigener Art ausgerüstet hat. Wie also der Gegensatz zwischen Gleichheit
-und Mannigfaltigkeit in der Natur der Dinge +faktisch+ vereint und
-überwunden ist, so soll auch das soziale Leben der Zukunft die
-Menschen +gleich+ machen an gesellschaftlichem Rang und Wert, ihnen
-den +gleichen+ Anspruch geben auf Genuß des individuellen Lebens, ohne
-deshalb die Verschiedenheit aufzuheben, welche jedem seine besondere
-Aufgabe zuteilt, jedem gestattet, nach seiner eigenen Fasson selig zu
-werden.
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-Solange die Natur als unbezwingbares Verhängnis, als allmächtige
-Gottheit gewaltet hat und die Menschheit mit Armut knechtete, durfte
-einzelnen oder einzelnen Klassen die Herrschaft gestattet sein, um als
-Führer zu dienen. Nun aber ist das Volk durch die errungene reiche
-Ergiebigkeit seiner Arbeit auf dem Punkte angekommen, wo es verlangt,
-daß alle Herrschaft endige. Es fühlt sich berufen, die geschichtliche
-Entwicklung der Dinge fortzusetzen, ohne Beihilfe unumschränkter Führer.
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-Wir fordern von der Gesellschaft, und vermöge des geschichtlich
-erworbenen Reichtums können wir es fordern, daß sie uns nicht nur die
-Arbeit, sondern das »tägliche Brot« garantiere, daß sie die Hungrigen
-speise, die Nackten kleide, die Kranken pflege, kurz, alle Werke der
-Liebe und Barmherzigkeit übe. Wir verlangen von der Gesellschaft, daß
-sie nicht nur menschlich heiße, sondern menschlich sei. An Stelle der
-Religion setzt die Sozialdemokratie +Humanität+, welche fortan nicht
-mehr auf einer moralischen Satzung, sondern auf der Erkenntnis ruhen
-wird, daß nur in der sozialen brüderlichen Arbeit, in der +ökonomischen
-Gemeinschaft+ der Erlöser lebt, der uns vom leibhaftigen Bösen befreien
-kann. Die wahre Erbsünde, an der das Menschengeschlecht bisheran
-leidet, ist die Selbstsucht. Moses und die Propheten, alle Gesetzgeber
-und Moralprediger haben zusammen nicht vermocht, es davon zu befreien.
-»Die Sünde sitzt im Fleische, wie der Nagel in der Mauer«, sagt die
-Bibel. Keine schöne Redensart, keine Theorie und Satzung konnte sie
-ausmerzen, weil die Konstitution der ganzen Gesellschaft an diesem
-Nagel hängt. Die bürgerliche Gesellschaft fußt auf dem selbstsüchtigen
-Unterschiede von +Mein+ und +Dein+, fußt auf dem sozialen Krieg, auf
-der Konkurrenz, auf der Überlistung und Ausbeutung des einen durch den
-anderen.
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-Hieraus ergibt sich der oben bereits zitierte Moralsatz, daß die
-Gesellschaft sich auf einer neuen Grundlage konstituieren muß, welche
-die Gegensätze von Liebe und Selbstsucht miteinander versöhnt und die
-Gemeinsamkeit der Arbeit wie des Genusses involviert.
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-Hiermit schließt der zweite Abschnitt; der dritte nimmt das zu
-Beginn des ersten behandelte Thema wieder auf, daß die Religion
-wie die Sozialdemokratie die Tendenz nach +Erlösung+ hat, um einen
-neuen Gesichtspunkt zu eröffnen: wie die Sehnsucht nach Erlösung
-die +Ursache+ der Religion war, so hat sie auch im Laufe der
-geschichtlichen Entwicklung, durch die neue Auffassung von »Erlösung«
-im Sinne der Sozialdemokratie, zur +Auflösung+ der Religion geführt.
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-Dietzgen sagt: Wir sahen die Sozialdemokratie in ihrer Tendenz nach
-Erlösung darin weiter gehen als die Religion, daß sie die Erlösung
-nicht im Geiste, sondern nur mittels des menschlichen Geistes recht
-eigentlich im Fleische, in der fleischlichen, materiellen Wirklichkeit
-sucht. Das Bedürfnis der Erlösung, die erbärmliche Not des anfänglichen
-unkultivierten Menschen ist der Urschleim der Tiefe, aus dem sich
-die Religion erzeugte. Die unbeholfene Rat- und Hilflosigkeit in
-einer Welt von Drangsal treibt den Menschen, anderwärts Allmacht und
-Vollkommenheit zu suchen, treibt zur Verehrung von Tieren, Gestirnen,
-Bäumen, Blitz, Wind, einzelnen Menschen usw. Die nachfolgende
-unvermeidliche Erfahrung, daß alle diese Dinge selbst macht- und
-hilflos sind, veranlaßte den Fortschritt, das höchste Wesen, statt in
-einem nahen, greifbaren, demnach in einem geistigen Wesen zu suchen,
-das weitab über den Wolken thront. Von dieser, also der Erfahrung
-entrückten Gottheit sich näher zu unterrichten, war schwieriger.
-Die neuere Wissenschaft jedoch, welche hinter so manches verborgene
-Mysterium gekommen ist, hat endlich auch das Geheimnis der Religion
-offenbart.
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-Es ist die Natur der Materie, welche sie, ohne Ansehen der Zeit, zu
-stetiger +Entwicklung+ getrieben hat und forttreibt; durch Feuer-
-und Wasserepochen hindurch zur Bildung des ersten Lebens, das mit
-den geringsten Pflanzen, mit den niedrigsten Tieren begonnen hat und
-weiter hinaufsteigt in unaufhörlicher Veränderung und Erweiterung der
-Formen, bis zur selbsttätigen Zeugung des Menschengeschlechts. Und
-derselbe Naturinstinkt, der die Welt, hat dann auch sein höchstes
-Produkt, das mit Vernunft begabte ~genus homo~, +geschichtlich
-entwickelt+. Was immer nun in diesem geschichtlichen Prozeß zeitweilig
-eine hervorragende Stelle eingenommen, sei es Tier, Pflanze, Gestirn,
-Mensch oder Gesetz, wurde von dem religiösen Gefühl schwärmerisch
-+vergöttert+. Gott, das ist der Inhalt der Religion, hatte also keinen
-bleibenden, ewigen, sondern einen veränderlichen, zeitlichen Charakter.
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-Die Religiösen pochen darauf, daß alle Völker, wilde wie zahme,
-Religion haben, an Gott glauben. Sie halten deshalb dafür, daß der
-Glaube dem Menschen angeboren sei, und wollen darin einen Beweis seiner
-Wahrheit finden. Aber wahr ist nur, daß der Unerfahrene leichtgläubig
-und um so leicht- und vielgläubiger, je unerfahrener und unkultivierter
-er ist. Ein Blick belehrt, daß nicht eine, sondern viele Religionen
-da sind, nicht Gott, sondern Götter geglaubt werden. Weil nur nach
-und nach dem Menschen die Welt verständlich wird, vergöttert er das
-Mannigfaltigste, heute die Sonne und morgen den Mond, bald den Hund,
-wie die Perser, bald die Katze, wie die Ägypter.
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-Die Essenz der Religion besteht darin, diejenige Erscheinung des Natur-
-und Menschenlebens, welche je nach Zeit und Umständen von eminenter
-Bedeutung ist, zu personifizieren und im Glauben auf eine so hohe Säule
-zu stellen, daß sie über alle Zeit und Umstände hinwegsieht.
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-Wie unsere Zeit so nahe daran ist, die Religion gänzlich aufzugeben,
-wird augenfällig an den vagen, im höchsten Grade konfusen Ideen, die
-sie über Gott und seine Eigenschaften hegt. Während von allen anderen
-Dingen die Menschen nur darum wissen, daß sie sind, weil sie vorher
-wissen, wie und was sie sind, wollen sie vom Dasein einer göttlichen
-Persönlichkeit überzeugt sein, ohne irgend zu wissen, welcher Art sie
-ist, ob menschlicher oder unmenschlicher Gestalt, ob klein oder groß,
-ob schwarz- oder blauäugig, ob Mann oder Weib. Ist es nun aber nicht
-schmählich kopflos, von jemand wissen zu wollen, daß er ist, wenn ich
-zugleich eingestehen muß, gar nichts davon zu wissen, wo, wie und
-welcher Art er ist? Je weiter die Gottesidee in der Entwicklung zurück
-ist, um so +leibhaftiger+ ist sie, je moderner die Form der Religion,
-um so konfuser, um so erbärmlicher sind die religiösen Ideen. Die
-geschichtliche Entwicklung der Religion besteht in ihrer allmählichen
-+Auflösung+.
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-Im vierten Abschnitt wird der zu Beginn der sozialdemokratischen
-Agitationsära häufig und heute noch von religiösen Anhängern der
-Arbeitersache manchmal verteidigte Satz, daß »Christus der erste
-Sozialist gewesen«, einer interessanten Kritik unterzogen:
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-Sozialismus und Christentum sind so verschieden wie Tag und Nacht.
-Wohl haben beide übereinstimmendes. Aber was stimmt nicht überein? Was
-ist unähnlich? Tag und Nacht gleichen sich durchaus darin, daß sowohl
-das eine wie das andere ein Stück der allgemeinen Zeit ist. Der Teufel
-und der Erzengel, obgleich der erste eine schwarze und der zweite
-eine weiße Haut hat, sind doch wieder sehr gleich, indem jeder von
-ihnen überhaupt in einer Haut steckt. Es ist die spezielle Kapazität
-unseres Kopfes, +alle+ Mannigfaltigkeit unter einen generellen Hut zu
-bringen. Ob Christentum und Sozialismus noch so viel Gemeinschaftliches
-haben, so verdient doch der, der Christus zum Sozialisten macht, den
-Titel eines gemeinschädlichen Konfusionsrats. Es ist nicht genug,
-das Gemeinschaftliche der Dinge zu kennen, auch der Unterschied will
-verstanden sein. Nicht was der Sozialist mit dem Christen gemein,
-sondern was er eigen hat, was ihn auszeichnet und unterscheidet, sei
-Gegenstand unserer Beachtung.
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-Neuerdings ist das Christentum Religion der Knechtseligkeit genannt
-worden. Das, in der Tat, ist seine treffendste Bezeichnung.
-Knechtselig ist allerdings alle Religion, aber das Christentum ist
-die knechtseligste der knechtseligen. Nehmen wir ein christlich Wort
-von der Straße. An meinem Wege steht ein Kreuz mit der Inschrift:
-»Barmherzigkeit, huldreichster Jesu! H. Maria bitt für uns.« Da
-haben wir die unmäßige Demut des Christentums in ihrer vollen
-Erbärmlichkeit. Denn wer so seine ganze Hoffnung auf Erbarmen baut, ist
-doch in Wahrheit eine erbärmliche Kreatur. Der Mensch, der vom Glauben
-an den allmächtigen Gott ausgeht, vor den Schicksalen und Mächten
-der Natur sich in den Staub wirft und nun im Gefühl der Ohnmacht um
-Erbarmen winselt, ist kein brauchbares Mitglied unserer heutigen Welt.
-Wenn die modernen Christen andere Leute sind, wenn sie den Unwettern,
-die überlegene Mächte herabdonnern, kühn in die Augen sehen und nun
-durch tatkräftige Arbeit das Unheil zu heilen suchen, so bekunden sie
-mit solcher Tat ihren Abfall vom Glauben. Obgleich die Christen ihren
-Namen, ihre Gesangbücher und frommen Gemütsschmerzen beibehalten,
-sind sie doch in ihrem Tun und Treiben vollendete Antichristen. Wir
-religionslose Sozialdemokraten wollen das klare Bewußtsein der Sachlage
-voraus haben. Wir wollen Wissen und Willen, in der Theorie wie in der
-Praxis tatkräftige Widersacher der lammfrommen, gottseligen Ergebenheit
-sein. Das Christentum fordert +Entsagung+, während heute rüstige
-Arbeit zur +Befriedigung+ unserer materiellen Bedürfnisse gefordert
-ist. Gottvertrauen ist die vornehmlichste Qualität eines Christen,
-Selbstvertrauen, das gerade Gegenteil, zu einer erfolgreichen +Arbeit+
-nötig.
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-Eine Charakterisierung der Würde geistiger wie körperlicher +Arbeit+
-gibt unser Autor im zweiten Teil dieses vierten Abschnitts:
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-Nachdem von der Wissenschaft alles Himmlische materialisiert wurde,
-blieb den Professoren übrig, ihre Profession, die Wissenschaft zu
-verhimmeln. Die akademische soll anderer Qualität, anderer Natur
-sein, wie zum Beispiel die Wissenschaft des Bauern, des Färbers oder
-Nagelschmieds. Die wissenschaftliche Agrikultur zeichnet sich von der
-gewöhnlichen Bauernwirtschaft nur dadurch aus, daß ihre Regeln, ihre
-Kenntnisse der sogenannten Naturgesetze genereller oder umfassender
-sind.
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-Das sozialistische Bedürfnis nach gerechter, volkstümlicher Verteilung
-der wirtschaftlichen Produkte verlangt die Demokratie, verlangt die
-politische Herrschaft des Volkes und duldet nicht die Herrschaft
-einer Sippe, die mit der Prätension des Geistes nach dem Löwenanteil
-schnappt. Um diesen anmaßlichen Eigennutz in vernünftige Schranken
-zurückweisen zu können, ist es geboten, das Verhältnis des Geistes zur
-Materie klar zu verstehen. Der eminente Wert der Kopfarbeit wird von
-den Handarbeitern noch vielfach verkannt. Ein unfehlbarer Instinkt
-bezeichnet ihnen die tonangebenden Federfuchser unserer bürgerlichen
-Zeit als natürliche Widersacher. Sie sehen, wie das Handwerk der
-Beutelschneiderei unter dem Rechtstitel der geistigen Arbeit betrieben
-wird. Daher die leicht erklärliche Neigung, die geistige Arbeit
-zu unter- und die körperliche zu überschätzen. Diesem brutalen
-Materialismus ist entgegenzuwirken. Physische Kraft, materielle
-Überlegenheit war von jeher das Vorrecht der arbeitenden Volksklassen.
-Mangels geistiger Ausbildung haben sie bisher sich übertölpeln
-lassen. Die Emanzipation der Arbeiterklasse fordert, daß letztere der
-Wissenschaft unseres Jahrhunderts sich ganz bemächtige. Das Gefühl der
-Entrüstung über die Ungerechtigkeiten, welche wir erleiden, reicht
-trotz unserer Überlegenheit an Zahl und Körperkraft zur Befreiung nicht
-aus. Die Waffen des Geistes müssen Hilfe leisten. Unser Körper ist mit
-seinem Geist derart verbunden, daß physische Arbeit absolut unmöglich
-ist ohne geistige Zutat. Der simpelste Handlangerdienst erfordert die
-Mitbeteiligung des Verstandes. Andererseits ist der Glaube an die
-Unkörperlichkeit der geistigen Arbeit eine Gedankenlosigkeit. Auch die
-reinste Forschung ist unleugbar eine Anstrengung des Körpers. Alle
-menschliche Arbeit ist geistig und körperlich zumal. Am Produkt der
-Arbeit läßt sich nie ermitteln, wieviel davon der Geist und wieviel
-der Körper geschaffen hat; sie schaffen in solidarischer Gemeinschaft,
-einer nicht ohne den anderen. Mag sich eine Arbeit als geistig oder
-körperlich charakterisieren, das Produkt, ich wiederhole, ist von
-Geist und Körper zumal geschaffen. Da läßt sich der Beitrag der Idee
-nicht separieren vom Beitrag des Materials. Wer könnte in einem
-Gemüsegarten die Teile bestimmen, die der Spaten, der Arm des Gärtners,
-der Boden, der Regen und der Dünger gefördert hat?
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-Große Männer, die die Leuchte der Erkenntnis vorantragen, mögen wir
-ehren, aber nur so lange und so weit auf ihre Sprüche bauen, als
-dieselben materiell in der Wirklichkeit begründet sind.
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-So weit 1 bis 4 der Kanzelreden.
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-Die Stücke 5 und 6 sind weniger »populär« gehalten, weil wesentlich
-philosophischen Charakters; sie behandeln der »neuen Religion«, der
-Sozialdemokratie +Denkweise+, im Gegensatz zur altreligiösen, der
-»primitiven Weltweisheit«:
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-Wer das phantastische, das religiöse System der Welterklärung absetzen
-will, der muß doch wieder ein System, diesmal ein rationelles, an die
-Stelle setzen.
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-Wir nennen uns Materialisten. Wie die Religion ein genereller Name
-ist für mannigfache Konfessionen, so ist auch der Materialismus ein
-dehnbarer Begriff.
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-Philosophische Materialisten kennzeichnen sich dadurch, daß sie die
-leibhaftige Welt an den Anfang, an die Spitze und die Idee oder den
-Geist als Folge setzen, während die Gegner nach religiöser Art die
-Sache vom Wort (»Gott sprach, und es ward«), die materielle Welt von
-der Idee ableiten. Wir dürften uns ebenso füglich auch Idealisten
-nennen, weil unser System auf dem Gesamtresultat der Philosophie
-fußt, auf der wissenschaftlichen Erforschung der Idee, auf der klaren
-Einsicht in die Natur des Geistes. Wie wenig die Gegner kapabel sind,
-uns zu begreifen, bezeugen denn auch die widerspruchsvollen Namen, die
-man uns gibt. Bald sind wir grobtastige Materialisten, die nur nach
-Hab und Gut ausgehen, bald, wenn von der kommunistischen Zukunft die
-Rede ist, werden wir unverbesserliche Idealisten genannt. In der Tat
-sind wir beides zugleich. Sinnliche, wahrhaftige Wirklichkeit ist unser
-Ideal, das Ideal der Sozialdemokratie ist materiell.
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-Dietzgen reklamiert nun als Bedingung sozialdemokratischer Denkweise
-dreierlei: die von Bacon gelehrte »+induktive+ Methode« der Forschung
--- des Schlusses vom Besonderen aufs Allgemeine; ferner Gedankenaufbau
-auf Grundlage sinnlichen Materials; drittens die Voraussetzung
-+gegebenen+ Anfangs der Welt -- unter Abweisung der metaphysischen
-Frage Kants nach »Gott, Freiheit und Unsterblichkeit«, und unter
-Ablehnung der transzendentalen Deduktion, das heißt apriorischer
-Grundlegung der objektiven Erfahrung durch den reinen Geist. Dietzgen
-sagt:
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-Anwendung der induktiven Methode auf alle Probleme vom Anfang bis zum
-Ende der Welt, also die systematische Anwendung der Induktion macht
-die sozialdemokratische Weltanschauung zu einem System. »Du sollst«,
-lautet das Gesetz, »nicht anfangen zu grübeln ohne Material, du darfst
-deine Schlüsse, Regeln, Erkenntnisse nur auf Tatsachen, auf sinnliche
-Wahrheit bauen. Zum Denken gehört ein gegebener Anfang.« Wir also
-fangen wohl an zu grübeln, aber grübeln nie über den Anfang. Wir wissen
-ein für allemal, daß alles Denken mit einem Stück der weltlichen
-Erscheinung, mit +gegebenem+ Anfang anfangen muß, daß also die Frage
-nach dem Anfang des Anfangs eine gedankenlose Frage ist, die dem
-allgemeinen Denkgesetz widerspricht. Wer vom Anfang der Welt redet,
-setzt den Weltanfang in die Zeit. Da darf man fragen, was war vor
-der Welt? »Nichts war«, sind zwei Wörter, von denen eines das andere
-ausschließt. Daß jemals etwas gewesen sei, was nicht war, kann nur ein
-schlauer Tollpatsch sagen, der viereckige Kreise zieht. Nichts kann nur
-heißen: nicht dies oder jenes.
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-Unsere Dränger, die Mächtigen und Besitzenden, »Kulturkämpfer« und
-Fortschrittsmänner, Liberale und Freimaurer sind auch Fürsprecher der
-Induktion -- nur soweit sie ihnen zum Kram paßt. Sie teilen alles: Die
-Leute in Herren und Diener, das Leben in Dies- und Jenseits, die Person
-in Leib und Seele und die Wissenschaft in Induktives und Deduktives.
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-Das Teilen ist gut und recht, wenn dabei System, wenn das Geteilte
-unter einem Hut gehalten, wenn die Verschiedenheit als eine nur
-graduelle bekannt ist. Auch die Sozialdemokraten haben Leib und
-Seele. Unser Leib ist die Summe der leiblichen und die Seele Summe
-der seelischen oder geistigen Eigenschaften. Aber, wohlgemerkt! die
-empirische Erscheinung ist das einhellige Material, die gemeinsame
-Rubrik für Leib und Seele, für Körper und Geist. Seele oder Geist ist
-uns ein Attribut der Welt und nicht, wie umgekehrt der Pfaff will, die
-Welt ein Attribut oder Machwerk des Geistes.
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-Nach religiösem System ist der liebe Gott »letzter Grund«.
-Idealistische Freimaurer glauben alles mit der Vernunft begründen zu
-können. Befangene Materialisten suchen in heimlichen Atomen den Grund
-alles Bestehenden, während die Sozialdemokraten alles +induktiv+
-begründen. Wir besitzen die prinzipielle Induktion, das heißt wir
-wissen, daß nicht rein deduktiv, aus der bloßen Vernunft irgendeine
-Belehrung zu schöpfen, sondern nur +mittels Vernunft aus der Erfahrung+
-Kenntnisse zu holen sind.
-
-An Stelle der Religion setzt die Sozialdemokratie systematische
-Weltweisheit.
-
-Diese Weisheit findet ihre Begründung, ihren »letzten Grund« in den
-+faktischen Verhältnissen+. Die Erfahrung, daß sowohl die feudale wie
-die liberale und klerikale Gerechtigkeit und Freiheit und politische
-Wahrheit und Weisheit nach dem leiblichen Interesse der betreffenden
-Parteien modelliert ist, hat uns das Verständnis nahegelegt, daß sich
-überhaupt die Weisheit nicht aus dem Kopfe, sondern nur mittels des
-Kopfes aus empirischem Material ziehen läßt.
-
-Zufolge dessen modellieren wir mit +Bewußtsein+, mit systematischer
-Konsequenz unsere Begriffe über Gerechtigkeit und Freiheit nach
-unseren leiblichen Bedürfnissen, ~nota bene~ sind es die Bedürfnisse
-des Proletariats, der großen Volksmasse. Das faktische leibliche
-Bedürfnis einer »menschenwürdigen« Existenz ist der »letzte
-Grund«, womit wir die Rechtmäßigkeit, Wahrheit, Vernünftigkeit der
-sozialdemokratischen Bestrebungen erweisen. Im System der Induktion
-geht der Leib dem Geiste, das Faktum dem Begriffe voran. Wie die Wärme
-kalt und die Kälte warm, beides sich nur dem Grade nach unterscheidet,
-so relativ ist das Gute bös und das Böse gut. Alles sind Relationen
-desselben Stoffes, Formen oder Arten der physischen Empirie (Erfahrung).
-
-Mancher möchte fragen: Wie ist es möglich, empirisches Material als
-Grundbestandteil aller Objekte der Wissenschaft nachzuweisen? Gibt es
-denn da keine Dinge, wie das Wesen Gottes, reine Vernunft, sittliche
-Weltordnung usw.?
-
-Gott, reine Vernunft, sittliche Weltordnung und viele andere Dinge
-bestehen nicht aus empirischem Material, es sind keine Formen der
-physischen Erscheinung, wir leugnen deshalb auch ihr Dasein. Jedoch die
-Begriffe dieser Gedankendinge sind faktisch vorhanden; sie mögen wir
-sehr wohl unserer induktiven Forschung als Material unterbreiten.
-
-Im Schlußartikel, dem siebten, befaßt sich unser Autor mit dem viel
-ventilierten Religionsthema der »sittlichen Weltordnung«:
-
-Sitte und Ordnung muß sein, nicht weil, wie der Pastor sagt, diese
-Dinge vom Himmel stammen, sondern weil sie ein allgemeines, lebhaftes
-Bedürfnis sind. Da wir Sozialdemokraten alle unsere Gedanken mit
-leibhaftigen oder empirischen Tatsachen begründen, soll auch das
-Sittengesetz nicht weiter gelten, als es sich materialistisch fundiert
-findet.
-
-Die Sittlichkeit beruht auf dem sozialen Trieb des Menschengeschlechts,
-auf der materiellen Notwendigkeit des gesellschaftlichen Lebens.
-Weil die Tendenz der Sozialdemokratie vornehmlich auf ein soziales,
-auf ein gesellschaftliches Leben in höherem Grade gerichtet ist,
-darum kann sie nicht anders, als ganz wahrhaftig eine moralische
-Tendenz sein. Sacken und Packen und der dazu benötigte juristische
-Apparat nennt sich »sittliche Weltordnung«. Menschen, die über Nacht
-reich werden, haben ein anderes Sittengesetz als solche, die noch
-das Brot kümmerlich im Schweiße des Angesichts kneten. Heute weiß
-man nicht, ob fünf, fünfundzwanzig, hundert oder fünfhundert Prozent
-ein »ehrlicher Verdienst« ist. Die kapitalistische Wirtschaft wirkt
-zersetzend auf die Moral und das Vermögen. Wie in der Türkei kauft man
-in höheren Ständen sich der Frauen, soviel man Geld hat. Vielweiberei
-und Mätressenwirtschaft werden Sitte, sind ein sittliches Faktum. Und
-in der Tat und in der Wahrheit ist die »freie Liebe« nicht minder
-sittlich wie auch die christliche Beschränkung auf nur ein einziges
-Ehegesponst. Was uns an der Vielweiberei empört, ist nicht so sehr die
-reiche Mannigfaltigkeit der Liebe, als die Käuflichkeit des Weibes, die
-Degradation des Menschen, die schandbare Herrschaft des Mammons.
-
-In der Weltgeschichte, liebe Mitbürger, geht es mit der Moral wie in
-der Natur mit dem Stoff: die Formen ändern sich, aber das Wesen bleibt.
-
-Hier muß ich kurz und bündig auseinandersetzen, was das eigentliche
-Wesen der Sittlichkeit, was wahre Moral ist. Die Feinde schlachten,
-braten und verspeisen, heißt dort moralisch, und hier: sie lieben und
-ihnen Gutes tun. Wie sollen wir nun unter solchen Widersprüchen die
-Kastanien der Wahrheit aus dem Feuer holen? Einfach, indem wir aus
-dem Verschiedenen das Allgemeine, indem wir extrahieren, was +unter
-allen Umständen+ moralisch, sittlich oder recht ist. Es kann das
-nichts Spezielles, es muß das Generelle, das Abstrakte des gesamten
-moralischen Materials sein. Mittels eines solchen induktiven Verfahrens
-findet sich, daß die sittliche Weltordnung im allgemeinen aus den
-Rücksichten besteht, verschieden je nach Zeit und Umständen, welche
-das gesellschaftliche Bedürfnis der Menschen erheischt. Ferner findet
-sich die unleugbare Tatsache, daß dieses Bedürfnis mit der Kultur
-sich entwickelt, daß der soziale Trieb des Menschen wächst, daß die
-menschliche Assoziation breiter und inniger, daß die Moral moralischer
-wird.
-
-Kein Orakel des Himmels, kein Gewissen der Brust und keine Deduktion
-des Kopfes darf uns die sittliche oder irgend eine andere Wahrheit
-dozieren. Auf diesen idealen Wegen findet sich nur die bekannte
-Schnapperei nach »dem wahren Jakob«. Das einhellige wissenschaftliche
-Resultat wird induktiv gewonnen; es gründet sich immer auf empirische
-Tatsachen, hier auf das exakte Faktum, daß Menschen einander
-dienstlich sind. So ewig wie einer des anderen bedarf, so ewig ist
-dem einen recht, was dem andern billig. Je mehr sich die gegenseitige
-Bedürftigkeit der Menschen entwickelt, um so extensiver und intensiver
-wird ihre Verbindung, um so rücksichtsvoller die Moral, um so größer
-und wahrer die Moral.
-
-Die religiöse Wahrheit ist eine ideale Phantasterei. Sie hat die
-Nächstenliebe auf Gottesglauben und sittliche Freiheit gründen wollen.
-Und was haben wir davon? Den sozialen Krieg. Wir wollen umgekehrt den
-ewigen Frieden bezwecken mittels einer brüderlichen Gestaltung der
-politischen Ökonomie. Wie in der Familie, wo der Mann den Kohl baut,
-die Frau ihn kocht und die Kinder das Reisig herbeiholen, wie da
-die häusliche Liebe gegründet ist auf die häusliche Wirtschaft, die
-geistige auf die materielle Eintracht, so wird sich auch bei uns die
-wahre Nächstenliebe erst einfinden, nachdem die Erwerbsverhältnisse
-sozialistisch gestaltet sind. Gewiß hat die Natur schon dem Menschen
-die Nächstenliebe ins Herz gepflanzt. Aber dies Herz ist ein durchaus
-unzuverlässiger Kompaß, und Wille und Erkenntnis, überhaupt der ganze
-ideale Apparat ist ohne materielle Basis ein sehr niedriger Wegweiser.
-Es müßte sonst besser stehen mit der Nächstenliebe unserer herrschenden
-Klassen.
-
-Mit der faktischen Welt stimmt die sozialdemokratische Moraltheorie
-überein, sie anerkennt im politischen Staate den berechtigten Wächter
-und Hüter der Sittlichkeit, aber fühlt sich auch berufen, dem Staat
-auf die Finger zu sehen, daß er nicht aus einer vergänglichen und
-veränderlichen Institution einen ewigen und heiligen Popanz mache,
-daß er nicht statt dem sittlichen Fortschritt eine unsittliche
-Reaktion, statt kommunistischer Moral egoistische Laster treibe.
-Indem die Sozialdemokratie alle Privatinteressen dem Allgemeinen, der
-sozialistischen Organisation unterordnet, bekundet sie wahre, echte
-Moral.
-
-(Dieses Schlußkapitel der Kanzelreden ist beiläufig als eine populäre
-Erweiterung des Schlußkapitels vom »Wesen der menschlichen Kopfarbeit«
-zu betrachten.)
-
-
-
-
-VI.
-
-Sozialdemokratische Philosophie.
-
-
-»Sozialdemokratische Philosophie« betitelt sich die nun folgende
-Artikelserie (aus dem »Volksstaat« von 1876), der sich drei Aufsätze
-(aus dem »Vorwärts« von 1877 bis 1878) anschließen.
-
-Unter »sozialdemokratischer Philosophie« versteht Dietzgen die
-auf sinnlicher Erfahrung beruhende Erkenntnis -- im Gegensatz zur
-spekulativen Philosophie, zur Metaphysik, zum Übersinnlichen und auch
-zur Ideologie, wie zur »phantastischen Projektmacherei« der frühen
-französischen und englischen Sozialisten zu Ende des achtzehnten und im
-ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts.
-
-Erst unserem Marx und Engels hatte -- sagt Dietzgen -- die Philosophie
-das Fundamentalprinzip offenbart, daß in letzter Instanz sich die
-Welt nicht nach Ideen, sondern umgekehrt die Ideen sich nach der
-Welt zu richten haben. Marx war der erste, welcher erkannte, daß das
-Menschenheil im großen und ganzen nicht von irgendwelchem erleuchteten
-Politiker, sondern von der Produktivität der sozialen Arbeit abhängt.
-
-Da diese teils mechanischer, teils geistiger Art ist, fragt es sich:
-wer von beiden ist Primus?
-
-Wir erkennen in Wissenschaft und Bildung überaus wertvolle Mittel, aber
-nur Mittel, während die Ergiebigkeit der leiblichen Arbeit der höhere
-Zweck ist. Die Bildung wirkt dann allerdings sehr erheblich zurück auf
-die produktive Verwendung der Arbeit.
-
-Der unwiderstehliche Weltprozeß, der die Planeten geballt, aus ihren
-feuerflüssigen Substanzen Kristalle, Pflanzen, Tiere und Menschen
-nacheinander hervorgetrieben, treibt ebenso unwiderstehlich zu einer
-rationellen Verwendung unserer Arbeit, zur stetigen Entwicklung der
-Produktivkraft.[9] Die Produktion verlangt unter allen Umständen
-in rationeller Weise betrieben zu werden. In allen Kulturepochen,
-mögen sie noch so verschieden sein, muß man, so will es die Vernunft
-der Dinge, in möglichst kurzer Zeit das Massenhafteste leisten.
-Dieser von der materiellen Leiblichkeit uns angetane Trieb ist
-also das +Allgemeine+, das Ursächliche, ist Grund oder Fundament
-aller sogenannten höheren, geistigen Entwicklungen, Bildungen und
-Fortschritte. Weil die fortentwickelte Produktivkraft heute nicht
-weiterkommen kann, darum muß dem Volke Teil gegeben werden am Konsum,
-Absatz muß verschafft, die Sittlichkeit, Freiheit, Gleichheit und
-Brüderlichkeit vervollkommnet werden.
-
-Auf dem +Mechanismus+ des Fortschritts beruht die Zuversicht der
-Sozialdemokratie. Wir wissen uns unabhängig vom guten Willen. Unser
-Prinzip ist ein mechanisches, unsere Philosophie materialistisch. Doch
-ist der sozialdemokratische Materialismus viel reicher und positiver
-begründet als irgend ein Vorgänger. Die Idee, seinen Gegensatz, hat
-er mittels klarer Durchschauung in sich aufgenommen, hat die Welt der
-Begriffe bemeistert, den Widerspruch zwischen Mechanik und Spirit
-überwunden. Der Geist der Verneinung ist in uns zugleich positiv, unser
-Element ist dialektisch.[10]
-
-Im zweiten Artikel erklärt unser Autor, wie die »sozialdemokratische
-Philosophie« aus der bürgerlichen, von der sie »legitim abstammt«, sich
-entwickelt hat:
-
-Wer sind wir, woher kommen und wohin gehen wir? Sind die Menschen
-Herren und Gebieter, sind sie die »Krone der Schöpfung« oder hilflose
-Kreaturen, allem Winde, Wetter und Ungemach unterworfen? Wie verhalten
-wir oder wie sollen wir uns verhalten zu den Dingen und Menschen der
-Umgebung? Das ist die große Frage der Philosophie wie der Religion.
-Das Charakteristikum der Philosophie ist es, die »große Frage« dem
-religiösen Gemüt entwunden und sie dem Organ der Wissenschaft,
-dem Erkenntnisvermögen zur Lösung heimgegeben zu haben. Indem die
-Philosophie die große Lebensfrage wissenschaftlich lösen wollte,
-verdrehte sich ihr die Sache, die sie nicht anzugreifen wußte, und die
-wissenschaftliche Lösung, die Theorie der Kopfarbeit, wurde ihr zum
-eigentlichen Gegenstand, zur Lebensfrage.
-
-Aber schockweise sind die Belege, daß das Verständnis kein helles,
-kein konsequentes ist, daß die Professoren und Privatdozenten ganz
-konfus sind in betreff der Aufgabe, des Zweckes oder der Bedeutung der
-Philosophie.
-
-Zum Beweis zitiert Dietzgen einen Philosophen von anerkanntem Ruf,
-Herrn v. Kirchmann, der 1876 in einem Vortrag die Philosophie als
-das beste Schutzmittel für die zurzeit herrschende Autorität und die
-bürgerliche Moral erklärte.
-
-Diese Philosophie kann also die Frage »Woher kommen wir?« sicherlich
-nicht beantworten, zumal sie auf materiallosem oder voraussetzungslosem
-Denken beruht. Ohne Material, wie die Spinne ihre Fäden aus dem
-Hintern, ja noch weit material- oder voraussetzungsloser, will der
-Philosoph seine spekulative Weisheit aus dem Kopfe ziehen. So haben
-denn die philosophischen Hirngespinste auch weniger realen Zusammenhang
-als die Spinngewebe.
-
-Einer der Professoren -- sagt unser Autor im dritten Artikel --
-verlangt von den Sozialisten »statt vager und unklarer Andeutungen ein
-klares Bild von dem Zustand der Gesellschaft, wie er nach ihrer Ansicht
-sein +müßte+ und nach ihren Wünschen eintreten +soll+. Namentlich nach
-seinen praktischen Konsequenzen ausgeführt.«
-
-Wir sind keine Idealisten, die sich einen Zustand der Gesellschaft
-+erträumen+, »wie er sein muß und soll«. Wenn wir unsere Gedanken über
-die künftige Gestaltung spinnen, nehmen wir Material zur Hand. Wir
-denken materialistisch. »Der liebe Gott hatte die Welt im Kopfe, bevor
-er sie machte, seine Ideen waren souverän und hatten sich nach nichts
-Vorhandenem zu richten.« Dieser Aberglaube an die Souveränität der Idee
-spukt den Philosophen im Kopfe; er liegt dem Verlangen zugrunde, daß
-wir die künftige Welt in all ihren Details erst projektieren sollen,
-bevor wir die gegenwärtige angreifen und »zerstören«. Fourier, Cabet
-usw. haben diese Verkehrtheit begangen. Wir behandeln die Zukunft
-nicht wie spekulative Philosophen, sondern wie praktische Männer,
-bauen keine Luftschlösser und machen keine Rechnungen ohne die Wirte.
-Es ist kopflos, in ein Geschäft, in ein Unternehmen, in die Welt zu
-rennen ohne Projekt; aber noch kopfloser und nur die Art sanguinischer
-Phantasten ist es, wenn man die näheren Bestimmungen sich nicht
-reserviert.
-
-Daß die kleine Wirtschaft wenig leistet und der Privatbesitz ~en
-gros~ die Arbeiter ausbeutet, ist eine empirische Spezialkenntnis,
-welche aus der Erfahrung induziert und nicht aus der philosophischen
-blauen Allgemeinheit uns in den Kopf geregnet ist. Daraus folgt als
-»praktische Konsequenz« die Forderung des genossenschaftlichen, des
-staatlichen oder kommunalen Betriebes.
-
-Aber der +Arbeitszwang+ -- »die Beschränkung der persönlichen Freiheit
-verträgt sich nicht mit dem idealen Staate«. +Der Arbeitszwang ist
-ein Naturgesetz+ und ist nur so lange eine Beschränkung unserer
-persönlichen Freiheit, als ein Herr Prinzipal vorhanden ist, der die
-Früchte unserer Arbeit eigennützig einsackt. Sollte wohl der gut
-salarierte Beamte seinen vorschriftsmäßigen Dienst als »Beschränkung
-der persönlichen Freiheit« empfinden?
-
-Dietzgen nimmt nun im vierten Artikel das im zweiten begonnene Thema
-wieder auf »Woher kommen wir?«, das Rätsel des Daseins, das Religion
-und Philosophie zu lösen sich die Aufgabe gestellt.
-
-Die religiöse Schöpfungsgeschichte ist der Philosophie zu kindisch; sie
-wendet sich deshalb an den menschlichen Geist; aber solange der, vom
-religiösen Dunst umnebelt, sich selbst mißversteht, fragt und hantiert
-er verkehrt, voraussetzungslos, spekulativ oder in die unbestimmte
-Allgemeinheit.
-
-Die »Voraussetzungslosigkeit« seiner Methode weiß der Philosoph damit
-zu begründen, daß er auf die vielen Possen oder Täuschungen der Sinne
-hinweist, die uns mannigfach in der Irre herumführen. Folgedessen fragt
-er: Was ist Wahrheit und wie kommen wir zur Wahrheit?
-
-Seine Philosophie sucht nicht, wie alle besonderen Wissenschaften, an
-bestimmten grünen und empirischen Wahrheiten, sondern wie die Religion
-an einer ganz besonderen Art von Wahrheit, an der absoluten, blauen,
-voraussetzungslosen oder übergeschnappten. Was aller Welt wahr ist, was
-wir sehen, fühlen, hören, schmecken und riechen, unsere +leibhaftige
-Empfindung+, ist ihr nicht wahr genug. Naturerscheinungen sind nur
-Erscheinungen oder »Schein«, und davon will sie nichts wissen.
-
-Weil der Philosoph, vom religiösen Wahne befangen, über die
-Naturerscheinung hinaus will, weil er hinter dieser Welt der
-Erscheinung noch eine andere Welt der Wahrheit sucht, mittels deren die
-erstere erklärt werden soll, darum hat er sich die voraussetzungslose
-Methode angeschafft, welche Gedanken ohne bestimmtes Material spinnt
-oder, mit anderen Worten, in die unbestimmte Allgemeinheit fragt.
-Erst ein +unbefangener+ Grübler, der das Cartesianische Experiment
-(»~Cogito, ergo sum~«, ich denke, daher existiere ich) wiederholt,
-findet, daß, wenn sich im Kopfe Gedanken und Zweifel umtreiben, es die
-+leibliche+ Empfindung ist, welche uns das Dasein des Denkprozesses
-versichert.[11] Der Philosoph verdrehte die Sache, er wollte die
-+unleibliche+ Existenz des abstrakten Gedankens bewiesen haben;
-er vermeinte, die übergeschnappte Wahrheit einer religiösen oder
-philosophischen Seele wissenschaftlich beweisen zu können, während in
-der Tat er die gemeine Wahrheit der leiblichen Empfindung konstatierte.
-Aus der Empfindung des profanen Daseins wollte Cartesius ein höheres
-Dasein herleiten. Sein Malheur ist das Generalmalheur der Philosophie,
-sie ist idealistisch.
-
-Idealisten im guten Sinne des Wortes sind alle braven Menschen. Die
-Sozialdemokraten erst recht. Unser Ziel ist ein großes Ideal. Die
-Idealisten im philosophischen Sinne dagegen behaupten, was alles wir
-sehen, hören, fühlen usw., die ganze Welt der Dinge rund um uns sei
-nicht vorhanden, es seien Gedankenspäne. Sie behaupten, unser Intellekt
-sei die einzige Wahrheit, alles andere sollen »Vorstellungen«,
-Phantasmagorien, traumhafte Nebelbilder, Erscheinungen im bösen
-Sinne des Wortes sein. Was immer in der äußeren Welt wir wahrnehmen,
-behaupten sie, sind keine objektiven Wahrheiten, keine wirklichen
-Dinge, sondern ist subjektives Getriebe unseres Intellektes.
-
-Die Dinge der Welt sind nicht »an sich«, sondern besitzen alle ihre
-Beschaffenheiten nur durch den +Zusammenhang+. Im Zusammenhang mit
-dem Sonnenlicht und mit unseren Augen sind die Wälder im Sommer grün.
-In einem anderen Lichte und unter anderen Augen möchten sie dann blau
-oder rot sein. Flüssig ist das Wasser nur im Zusammenhang mit einer
-gewissen Temperatur, in der Kälte wird es hart und fest, in der Hitze
-unsichtbar; läuft gewöhnlich bergab, und wenn es an einen Zuckerhut
-herankommt auch bergauf. Es hat »an sich« keine Eigenschaften, kein
-Dasein, sondern erhält dasselbe durch den +Zusammenhang+. Wie dem
-Wasser ergeht es allen anderen Dingen.
-
-Die ganze Wahrheit und Wirklichkeit beruht auf dem Gefühl, auf der
-leiblichen Empfindung. Seele und Leib oder Subjekt und Objekt, wie der
-alte Witz neuerdings heißt, ist von demselben irdischen, sinnlichen,
-empirischen Kaliber.
-
-Die Wahrheit nicht auf das »Wort Gottes« und nicht auf überkommene
-»Prinzipien«, sondern unsere Prinzipien auf die leibliche Empfindung
-gründen, das ist die philosophische Pointe der Sozialdemokratie.
-
-Der liebe Gott formte des Menschen Leib aus einem Lehmklumpen, und
-die unsterbliche Seele hauchte er hinein. Seit dieser Zeit besteht
-der Dualismus oder die Zweiweltentheorie. Die eine, die leibliche,
-materielle Welt, ist Dreck, und eine andere, geistliche oder geistige
-Geisterwelt, ist Gotteshauch. Dieses Histörchen wurde von der
-Philosophie säkularisiert, das heißt dem Zeitgeist angepaßt. Das
-Sichtbare, das Hör- und Fühlbare, die leibliche Wirklichkeit wird immer
-noch wie dreckiger Lehm behandelt; dem denkenden Geiste dagegen hängt
-man das Reich einer überspannten Wahrheit, Schönheit und Freiheit an.
-Wie in der Bibel »die Welt« einen üblen Beigeschmack hat, so auch in
-der Philosophie. Unter allen Erscheinungen oder Objekten, welche die
-Natur bietet, findet sich nur eines, welches sie ihrer Aufmerksamkeit
-würdigt, den Geist nämlich, den alten Gotteshauch; und das nur darum,
-weil derselbe ihrem vertrackten Sinne wie ein unnatürliches, wie ein
-überweltliches, metaphysisches Ding erscheint.
-
-Es soll der Odem Gottes als eine Wahrheit demonstriert werden. Zwar ist
-der Name in Verruf: von der unsterblichen Seele darf vor aufgeklärten,
-liberalen Leuten keine Rede sein. Man tut materialistisch nüchtern,
-spricht vom Bewußtsein, Denk- oder Vorstellungsvermögen. Aber daß dies
-ein Ding von gemeiner und nicht übergeschnappter Natur ist, darf kein
-»Gebildeter« denken, das denken nur sozialistische Volksaufwiegler.
-Anderen ist die überschwengliche Natur des menschlichen Geistes ein
-ausgemachtes Dogma.
-
-Wir fühlen in uns das leibhaftige Dasein der denkenden Vernunft,
-und ebenso und mit demselben Gefühl empfinden wir außer uns die
-Lehmklumpen, die Bäume und Sträucher. Und das, was wir in uns, und das,
-was wir außer uns fühlen, liegt nicht weit voneinander. Beides gehört
-zur sinnlichen Erscheinung, zum empirischen Material.
-
-Die sozialdemokratische Gleichheit der Natur, des Leibes und der
-Seele ist es, welche den »Philosophen« nicht in den Kopf will. Das
-Erfahrungsmäßige nennen wir Wahrheit und machen es allein zum Objekt
-der Wissenschaft.
-
-Seit Kant sich die Kritik der Vernunft zur Spezialität gemacht,
-ist konstatiert, daß unsere fünf Sinne allein nicht ausreichen, um
-Erfahrungen zu machen, daß der Intellekt dabei sein muß. Und ferner
-hat die Kritik der Vernunft dargetan, daß der alte Gotteshauch künftig
-nur im Gebiet der materiellen, das heißt erfahrungsmäßigen Welt
-funktionieren darf, daß die Vernunft ohne unsere fünf Sinne keinen
-Sinn und Verstand hat und also ein Ding ist von demselben gemeinen
-Zusammenhang wie andere Dinge.
-
-Jedoch ist es dem großen Philosophen zu schwer geworden, die
-Geschichte vom Lehm +ganz+ zu vergessen, den Geist aus der geistlichen
-Nebelkappe ganz zu erlösen, die Wissenschaft total von der Religion
-zu emanzipieren. Die »dreckige« Anschauung von der Materie, das »Ding
-an sich« hat alle Philosophen mehr oder minder gefangen gehalten im
-idealistischen Schwindel, der einzig und allein auf dem Glauben an
-die metaphysische Natur des menschlichen Geistes beruht. Abgötterei,
-Religion und Philosophie sind drei wenig verschiedene Arten von einer
-Sache, welche sich Metaphysik nennt.
-
-Der Schub, durch welchen Kant die Metaphysik zum Tempel hinausbrachte,
-und das Hintertürchen, das er ihr offen ließ, sind bündig in einen
-einzigen Satz gefaßt, er lautet: Unsere Erkenntnis beschränkt sich auf
-die +Erscheinung+ der Dinge. Was sie +an sich+ sind, können wir nicht
-wissen. Gleichwohl müssen auch die Dinge etwas »an sich« sein, denn
-sonst würde der ungereimte Widerspruch folgen, daß Erscheinung wäre,
-ohne etwas, was erscheint.
-
-Nicht zu leugnen: wo Erscheinungen sind, da ist auch ein Etwas, was
-erscheint. Aber wie wäre es, wenn dies Etwas die Erscheinung selbst
-wäre, wenn einfach Erscheinungen erschienen? Es läge doch durchaus
-nichts Unlogisches oder Vernunftwidriges vor, wenn überall in der
-Natur die Subjekte wie die Prädikate von +derselben Art+ wären. Warum
-soll denn das, was erscheint, von einer durchaus anderen Qualität
-sein wie die Erscheinung? Warum können die Dinge »für uns« und die
-Dinge »an sich«, oder Schein und Wahrheit, nicht von demselben
-empirischen Stoffe, von derselben Natur sein? Das Interesse der
-Sozialdemokratie fordert, daß sie mit der Weltweisheit dieselbe
-Prozedur vornimmt, daß sie die Gesamtgattung der Gedanken in zwei Arten
-teilt, in glaubensbedürftige, idealistische Faselei und nüchterne,
-materialistische Denkarbeit.
-
-Wir können mit unserem Intellekt die materielle Welt nur +formell+
-beherrschen. Im Kleinen mögen wir ihre Veränderungen und Bewegungen
-nach dem Willen lenken, aber im Großen ist die Substanz der Sache,
-die Materie ~en général~ erhaben über alle Geister. Es gelingt der
-Wissenschaft, die mechanische Kraft in Wärme, Elektrizität, Licht,
-chemische Kraft usw. zu verwandeln, und es mag ihr gelingen, alles
-Stoffliche und alles Kräftige, eines in das andere überzuführen
-und als verschiedene Formen eines einzigen Wesens darzustellen;
-aber doch vermag sie nur die Form zu verwandeln, das Wesen bleibt
-ewig, unvergänglich und unzerstörbar. Der Intellekt kann die Wege
-der physischen Veränderungen ablauschen, aber es sind +materielle+
-Wege; der stolze Geist kann ihnen nur nachschleichen, sie aber nicht
-vorschreiben. Das religiöse Gebot: Du sollst Gott über alles lieben,
-das heißt in sozialdemokratischem Deutsch: Du sollst die materielle
-Welt, die leibliche Natur oder das sinnliche Dasein lieben und verehren
-als den Urgrund der Dinge, als das Sein ohne Anfang und Ende, welches
-war, ist und sein wird von Ewigkeit zu Ewigkeit.
-
-Wie das Verständnis der Ökonomie, so ist auch unser Materialismus eine
-wissenschaftliche, eine historische Errungenschaft. Wie wir uns scharf
-unterscheiden von den Sozialisten der Vergangenheit, so auch von den
-ehemaligen Materialisten. Mit den letzteren haben wir nur gemein,
-die Materie als Voraussetzung oder Urgrund der Idee zu erkennen. Die
-Materie ist uns die Substanz und der Geist die Akzidenz, die empirische
-Erscheinung ist uns die Gattung und der Intellekt eine Art oder Form
-derselben, während alle religiösen und philosophischen Idealisten in
-der Idee die erste, die ursächliche oder substantielle Kraft erblicken.
-
-Es ist nicht genug, wie die alten Materialisten tun, alles aus wägbaren
-Atomen abzuleiten. Die Materie ist nicht nur schwer, sondern auch
-duftig, hell und klingend, warum nicht intelligent? Wenn das Riech-,
-Sicht- und Hörbare spiritueller ist als das Tastbare, wenn also der
-Komparativ natürlich, warum nicht der Superlativ? Die Schwere läßt sich
-nicht sehen, Licht nicht riechen und der Intellekt nicht betasten,
-aber empfinden läßt sich alles, was da ist. Den Geist oder unsere
-Gedanken fühlen wir doch wohl ebenso physisch wie Schmerzen, Licht,
-Wärme oder Steine. Das Vorurteil, daß die Objekte des Tastgefühls
-begreiflicher seien als die Erscheinungen des Gehörs oder des Gefühls
-überhaupt, verleitete die alten Materialisten zu ihren atomistischen
-Spekulationen, verleitete sie, das Tastbare zum Urgrund der Dinge
-zu machen. Der Begriff der Materie ist weiter zu fassen. Es gehören
-dazu alle Erscheinungen der +Wirklichkeit+, auch unser Begriffs- oder
-Erkenntnisvermögen.
-
-Das Ganze regiert den Teil, die Materie den Geist, wenigstens in der
-Hauptsache, wenn auch nebensächlich wiederum die Welt vom Menschengeist
-regiert wird. In diesem Sinne also mögen wir die materielle Welt als
-höchstes Gut, als erste Ursache lieben und ehren.
-
-Damit ist denn ganz und gar nicht bestritten, daß unter den Objekten
-der Welt wir unserem Intellekt den ersten Rang zuerkennen mögen.
-
-
-
-
-VII.
-
-Drei polemische Abhandlungen.
-
-
-Die nun folgenden, einander ergänzenden drei Aufsätze: »Das
-Unbegreifliche« (Vorwärts 1877), »Die Grenzen der Erkenntnis«
-(Vorwärts 1877), »Unsere Professoren auf den Grenzen der
-Erkenntnis« (Vorwärts 1878) sind zwar in polemischer Form gehalten,
-lediglich aber Illustrationen der im vorhergehenden niedergelegten
-erkenntniskritischen Lehren, insbesondere Beispiele von Metaphysik und
-ihrer Abwehr.
-
-Im ersten Artikel sagt Dietzgen:
-
-Es ist viel Unbegriffenes vorhanden, wer will es bestreiten? Daß aber
-in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die Gelehrten noch
-allen Ernstes von den Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens
-sprechen und an das effektive Dasein von wunderbaren Dingen oder
-Wundern glauben, die nicht mir oder dir, sondern dem Menschengeschlecht
-über den Horizont gehen, das darf ein Ungläubiger wunderbar,
-unbegreiflich und unerklärlich finden.
-
-Die Fähigkeit des menschlichen Intellektes ist so unbegrenzt, daß
-sie im Fortschritt der Zeit stets neue Ermittlungen macht, welche
-regelmäßig alle vergangene Gelehrsamkeit im Lichte der Stümperei
-erscheinen lassen.
-
-Bekanntlich ist der Intellekt ein Organ, mit dem wir wahrnehmen. Von
-den anderen Wahrnehmungsorganen, von Augen, Ohren usw., unterscheidet
-er sich als der +wesentlichste+ Faktor. Ohne Augen läßt sich noch
-hören, schmecken und riechen, aber ohne Bewußtsein, ohne Spiritus im
-Kopfe ist die Welt zu Ende. Ein Bewußtsein jedoch, das keine Sinne
-hätte, würde auch nichts wissen. Also gehört eins zum anderen. Der
-Intellekt mag Hauptmann sein, aber er ist das nur in Verbindung mit den
-Gemeinen, mit unseren fünf Sinnen und den Dingen der Welt.
-
-Allerdings gibt es Unverständliches, Unbegreifliches, es gibt Grenzen
-unseres Erkenntnisvermögens, aber nur in dem hausbackenen Sinne, wie
-es Unsichtbares und Unhörbares, wie es Grenzen für Auge und Ohr gibt.
-Jedes Ding hat seine natürliche Grenze, so auch der Intellekt. Wenn das
-Auge keine Musiktöne, keine Wohlgerüche oder die Schwere der Körper
-nicht zu sehen vermag, so ist das eine verständige Grenze des Auges,
-aber keine Grenze in dem unverständigen Sinne der Metaphysik, welche
-mit dem Namen Grenze oder Schranke einen +Mangel+ ausdrückt. Mangelhaft
-ist das Exemplar einer Sache im Verhältnis zu anderen Exemplaren
-derselben Gattung; aber generaliter sind die Dinge vollkommen. Ein
-vollkommeneres Holz, wie das Holz im +allgemeinen+ auf der Erde ist,
-kann auch in der Metaphysik nicht wachsen.
-
-Um dem gruseligen Gerede vom Unbegreiflichen, von den »Grenzen unseres
-Naturerkennens« ein Ende zu machen, sollen wir uns klar werden über
-die Frage: Was heißt erkennen, erklären, begreifen? Ich wiederhole:
-eine überspannte Idee vom Intellekt, unverständige Anforderungen an
-unser Begriffsvermögen, also erkenntnistheoretische Unwissenheit ist
-der Grund alles Aberglaubens, aller religiösen und philosophischen
-Metaphysik.
-
-Genau so wie der Bauer das Prinzip der Mechanik, genau so mißversteht
-unsere Professoralweisheit das Prinzip der Intelligenz. Alles
-Erkennen, Begreifen oder Erklären ist ein nur ganz formelles Tun.
-Die Erscheinungen der Welt und des Lebens sind erkannt oder erklärt,
-wenn wir sie +einteilen+ in Klassen, Gattungen, Familien, Arten usw.
-und also das, was zueinander gehört und nacheinander folgt, in ein
-formelles wissenschaftliches Schema bringen.
-
-All unsere Vernunft, unser ganzes Erkennen oder Erklären kann nicht
-mehr und darf nicht mehr wollen. Wer vom Intellekt mehr verlangt,
-gleicht dem unwissenden Mechanikus, der das ~Perpetuum mobile~ sucht.
-
-Im zweiten Artikel entscheidet Dietzgen die noch heute sehr vielen
-hervorragenden Führern des Sozialismus unklare Sache, ob sich die
-Sozialdemokratie um den Streit »Metaphysik oder keine?« überhaupt zu
-kümmern brauche.[12]
-
-Dietzgen sagt:
-
-Allerdings gibt es viele wissenschaftliche Disziplinen, die das
-sozialistische Streben nach Befreiung der geknechteten Menschheit
-weniger tangieren. Aber die philosophische Frage, die Frage, ob etwas
-Metaphysisches, »etwas Höheres« hinter oder über der Welt haust,
-welches zu begreifen für unseren Intellekt zu monströs, das zu erklären
-den menschlichen Verstand übersteigt, also die Spezialfrage der
-Philosophie nach den »+Grenzen der Erkenntnis+«, berührt ganz fühlbar
-die Knechtschaft des Volkes.
-
-Die Sozialdemokratie erstrebt keine ewigen Gesetze, keine bleibenden
-Einrichtungen oder festgeronnenen Formen, sondern im allgemeinen
-das Heil des Menschengeschlechts. +Geistige Erleuchtung ist das
-unentbehrliche Mittel dazu.+ Ob das Erkenntnisinstrument ein
-begrenztes, das heißt ein untergeordnetes, ob die wissenschaftlichen
-Erforschungen wahre Begriffe, Wahrheit in höchster Form und letzter
-Instanz liefern, oder ob nur armselige »Surrogate«, welche +das
-Unbegreifliche+ über sich haben -- die +Erkenntnistheorie+ also ist
-eine eminent sozialistische Angelegenheit.
-
-Alle Herrschaften, welche die Völker ausgebeutet haben, stützten sich
-bis heute auf eine höhere Mission, auf eine Abstammung von Gottes
-Gnade, auf heilige Salben und metaphysischen Weihrauch. Und wenn
-sie auch die Aufklärung, die religiöse Freiheit, den politischen
-Fortschritt und die kritische Philosophie im Munde führten, so wußten
-sie doch sehr wohl, daß ohne »etwas Höheres«, etwas Unbegreifliches,
-ohne etwas Metaphysisches, und wäre es auch nur eine »sittliche
-Weltordnung«, die Zügel nicht mehr haltbar sind, welche das Volk in
-Rand und Band und die Herrschaften in Besitz und Würde erhalten.
-
-Nicht als wenn die Sozialdemokratie die Gegnerin der sittlichen
-Weltordnung wäre. Auch wir wollen die Welt sittlich ordnen; aber
-wir wollen die Ordnung nicht von oben, sondern von unten haben, das
-heißt, wir wollen sie selbst machen. Wer mit dem sozialdemokratischen
-Programm die Befreiung der arbeitenden Klasse durch die Arbeiter selbst
-erstrebt, der muß das närrische Harren und Hoffen, das philosophische
-Spintisieren und Forschen, insofern es auf eine +andere Welt+ gerichtet
-ist, gründlich ablegen.
-
-Und zum Thema des »Unbegreiflichen« oder der »Grenze der Erkenntnis«
-zurückkehrend, sagt Dietzgen:
-
-Der Welt ist wohlbekannt, daß nicht nur der Geist, das Bewußtsein
-oder die Empfindung, sondern +alle Dinge+ »im letzten Grunde«
-unbegreiflich sind. »Wir sind nicht imstande, die Atome zu begreifen,
-und wir vermögen nicht, aus den Atomen und ihrer Bewegung auch nur
-die geringste Erscheinung des Bewußtseins zu erklären,« sagt Lange in
-seiner »Geschichte des Materialismus«, oder ein anderer: »das Wesen
-der Materie ist schlechthin unbegreiflich«. Dies Kausalitätsbedürfnis
-nennt sich mit anderem Namen auch »Trieb des Forschens«, der, unbändig,
-es nicht unterlassen kann, auch dem »Unbegreiflichen« an den Federn zu
-rupfen.
-
-Dagegen behaupten wir, was sich möglicherweise begreifen läßt, ist
-nicht unbegreiflich. Wer das Unbegreifliche begreifen will, treibt
-Eulenspiegelei. Wie mit dem Auge nur das Sichtbare, mit dem Ohr nur
-das Hörbare, so kann ich mit dem Begriffsvermögen nur das Begreifliche
-greifen. Und wenn auch die sozialdemokratische Philosophie lehrt, daß
-alles, was da ist, +vollkommen+ zu begreifen ist, so soll doch auch das
-Unbegreifliche nicht geleugnet sein. Das sei anerkannt.
-
-Die sozialdemokratische Philosophie ist mit der »zünftigen«
-einverstanden: »das Sein läßt sich auf keine Weise im Denken auflösen«,
-auch kein Teil des Seins. Aber wir erkennen es auch nicht als Aufgabe
-des Denkens, das Sein aufzulösen, sondern nur formell zu ordnen,
-die Klassen, Regeln und Gesetze zu ermitteln, kurz das zu tun, was
-man »Naturerkennen« nennt. Alles ist begreiflich, insofern es zu
-klassifizieren ist, alles ist unbegreiflich, insofern es sich nicht in
-Gedanken auflösen läßt. Dies können, sollen und wollen wir nicht, und
-bleiben ihm darum fern. Wohl aber können wir das Umgekehrte: das Denken
-in Sein auflösen, das heißt, das Denkvermögen als eine von den vielen
-Arten des Daseins klassifizieren.
-
-Der rationelle Forschungstrieb will das Dasein regeln, die +Gesetze
-des Daseins+ ermitteln. Wo er über das Dasein hinaus soll, soll er
-über seine und über alle Natur hinaus. In dieser Zumutung besteht
-Überschwenglichkeit, die sie von der Religion geerbt hat. Philosophie
-und Religion verkennen die »letzten Gründe« aller Begreiflichkeit:
-nämlich die Empirie oder Tatsache. Auf sinnliche Tatsachen und
-Erfahrungen sollen sich wesentlich die Gedanken gründen. Wer umgekehrt
-auf den Geist oder die Logik Tatsachen gründen will, darf das nur
-+formell+ verstehen. Der letzte Grund, warum der Stein fällt oder die
-Wärme sich ausdehnt, ist die Tatsache, und das Gesetz der Schwere und
-das Gesetz der Wärme sind Abstraktionen, sind +formelle+ Gründe. Nicht
-nur läßt sich das Sein nicht im Denken auflösen, sondern es versteht
-sich klar, daß das philosophische Begehren nach solcher Auflösung eine
-idealistische Überspannnug ist.
-
-Das nämliche Thema wird im dritten Aufsatz, in einer Polemik gegen
-die Professoren v. Nägeli und Du Bois-Reymond, behandelt. Letzterer
-hatte einen anregenden Vortrag über das Naturerkennen und »die letzten
-Gründe« mit den Worten geschlossen: »~ignoramus et ignorabimus~« (wir
-wissen nicht und werden nicht wissen), während ersterer das Nichtwissen
-oder Nichterkennen für ganze Gebiete des Naturlebens voraussetzt: »Über
-die Beschaffenheit, die Zusammensetzung, die Geschichte eines Fixsterns
-letzter Größe, über das organische Leben auf seinen dunklen Trabanten,
-über die stofflichen und geistigen Bewegungen in diesen Organismen
-werden wir nie etwas wissen.«
-
-Dietzgen erwidert hierauf:
-
-Jawohl, die Natur ist dem menschlichen Geiste überlegen, sie ist sein
-unerschöpfliches Objekt. Aber unser Forschungsvermögen ist nur insoweit
-beschränkt, als sein Objekt, die Natur, unbeschränkt ist. Wir können
-an kein Ende kommen, weil kein Ende vorhanden. Wo aber ein Ende ist,
-da kommen wir möglicherweise hin. Kein Professor kann wissen, wie
-vieles von den Fixsternen und ihren Trabanten wir und unsere Nachkommen
-noch ausforschen, wie unendlich tief wir in die Vergangenheit, in die
-Zukunft und in die kleinsten Teilchen hineindringen.
-
-Das Forschen kommt an kein Ende, weder objektiv noch subjektiv,
-das heißt, die Unendlichkeit der Welt läßt es nicht zu und die
-Unendlichkeit des Intellekts auch nicht. Daß aber doch wieder
-der Intellekt nur ein beschränkter Teil der Welt ist, wird der
-sozialdemokratische Materialist nie leugnen. Nur wollen wir aus dem
-Dualismus heraus. Nur eine, nur eine einzige Welt erkennen wir an,
-»wovon uns die sinnlichen Wahrnehmungen Kunde geben«. Wir halten
-dafür, daß wo wir nichts sehen und hören, nichts fühlen, schmecken und
-riechen, da auch nichts wissen können.
-
-Ich will hier nochmals positiv auf die Beschränktheit der menschlichen
-Erkenntnis zurückkommen. Wir können mit diesem Vermögen +nur erkennen+;
-singen und springen und hundert andere Dinge können wir damit nicht;
-insofern ist die Vernunft beschränkt. In ihrem Element aber, im
-Erkennen ist sie unbeschränkt, und so unbeschränkt, daß sie mit ihrer
-Arbeit nie ans Ende kommt. Alles Erkennbare steht ihr offen. Das
-Unerkennbare, das den Sinnen absolut Unerreichbare ist für uns nicht
-vorhanden, und ist auch insofern »an sich« nicht vorhanden, als wir
-ohne Phantasterei nicht einmal davon reden können.
-
-Wer das »geistige Bedürfnis« hat, etwas von Erscheinungen zu erfahren,
-»die uns verborgen bleiben«, uns unserer Natur nach verborgen bleiben
-müssen, der hat kein geistiges, sondern ein mystisches Bedürfnis. Die
-elektrischen Erscheinungen sind nicht zufälliger gefunden worden wie
-der Tabak. Und es ist ein starker Tabak für einen Naturforscher, von
-Erscheinungen zu sprechen, die niemand wahrgenommen hat und niemand
-wahrnehmen wird. Es +ist möglich+, daß Mephisto in Gestalt einer
-unsichtbaren Fledermaus mich umschwirrt; was ich aber nicht weiß, macht
-mich nicht heiß, und sollte auch die Naturforscher nicht heiß machen.
-
-
-
-
-VIII.
-
-Briefe über Logik.
-
-
-Die »Briefe über Logik« -- »Speziell demokratisch-proletarische
-Logik«, Teil I 1883 bis 1884, Teil II 1884 -- sind ein ganz besonders
-eigenartiges Erzeugnis, kein Lehrgebäude der Logik im Routinestil,
-sondern eine, zum Teil (namentlich in den ersten Briefen) mit etwas
-persönlichem Einschlag versehene, Denklehre, die sich an des Autors im
-»Wesen der menschlichen Kopfarbeit« niedergelegte Erkenntnistheorie
-anschließt und sie ergänzt, wie bei Dietzgen jede spätere Schrift die
-früheren in etwas erweitert.
-
-Dietzgens Logik hat demnach ganz und gar einen erkenntnistheoretischen
-Charakter. Und, richtig eingeschätzt, ist der erste, aus 24 Stücken
-bestehende Teil, der in diesem achten Abschnitt behandelt wird, eine
-philosophische Epopöe des Universalzusammenhangs, ein Heldenplädoyer
-des wahren Monismus, das der modernen Weltanschauung eine festere
-Grundlage schafft als irgendein anderes der zahlreichen, sonst
-trefflichen Bücher aus diesem Gebiete, obwohl Dietzgens Briefe nicht
-eigentlich nach einem systematischen Plan angelegt sind.
-
-Dietzgens Vorzug vor allen anderen philosophischen und vor den
-naturwissenschaftlichen Lehrern des Monismus besteht in seiner
-eindringlichen Darlegung des organischen Zusammenhangs des Geistes, des
-Intellekts, mit dem All, dem Gesamtdasein.
-
-Aus diesem Grunde betrachte ich den ersten Teil seiner »Logischen
-Briefe« als die nächst dem »Wesen der menschlichen Kopfarbeit«
-wichtigste seiner Schriften.
-
-Diese Serie von 24 und 18 Artikeln sollte zwar in erster Linie der
-Unterweisung des »auf die Hochschule des Lebens« nach Amerika
-gesandten Sohnes dienen, war aber gleichwohl auch für gelegentlichen
-Druck verfaßt.
-
-Die Definition, Zweck- und Grenzbestimmung der Logik sind bei den
-Philosophen verschieden; Dietzgens Logik hat, hiervon abgesehen,
-einen sehr bestimmt ausgeprägten Sondercharakter als »speziell
-demokratisch-proletarische Logik«.
-
-Was mit dieser Bezeichnung gesagt sein soll, erläutert Dietzgen im
-ersten Brief:
-
-Der Gedanke, auf den sich die proletarischen Forderungen stützen, der
-Gedanke von der Gleichheit alles dessen, was ein Menschenantlitz trägt,
-dieser, wenn ich so sagen darf, letzte proletarische Gedanke findet
-seine volle Begründung durch eine letzte Einsicht in die bis dato sehr
-verworrenen Probleme der Logik. Schließlich verdient die Logik auch
-schon deshalb den proletarischen Beinamen, weil ihr Verständnis die
-Überwindung aller Vorurteile fordert, welche die Bourgeoiswelt im Leime
-halten.
-
-Im zweiten Briefe wird gesagt, was die Logik ist und was sie will:
-
-Die Logik will den Menschengeist über dessen eigenes Tun und
-Treiben unterrichten, sie will unseren inneren Kopf zurechtsetzen.
-Forschungsobjekt der Logik ist der Gedanke, die Natur des Gedankens und
-die rechte Ordnung desselben.
-
-Der Menschenschädel besorgt das Denken so unwillkürlich wie die Brust
-das Atmen. Mit dem Willen jedoch können wir das Atmen eine Zeitlang
-anhalten, können nach Belieben es schneller und langsamer gehen machen.
-So kann auch der Wille die Gedanken regieren; wir können irgendein
-beliebiges Objekt zum Gegenstand unseres Denkens nehmen und sind
-dennoch bald zu überzeugen, daß die Macht des Willens und die Freiheit
-des Geistes nicht weit her sind, nicht weiter reichen wie die Freiheit
-der Brust.
-
-Wenn also die Logik uns den Kopf zurechtsetzen will, so muß sie sich
-doch sagen lassen, daß er von Natur schon zurechtsitzt.
-
-Es ist mit ihr wie mit anderen Wissenschaften: sie schöpfen die
-Weisheit aus der geheimnisvollen Quelle platter Erfahrung. Die
-Agrikultur zum Beispiel will den Landmann lehren, wie er den Acker
-bauen soll; aber die Äcker wurden doch schon bebaut, ehe noch
-irgendeine landwirtschaftliche Akademie ihre Vorlesungen eröffnet
-hatte. So verstehen auch die Menschen das Denken, ohne je etwas von der
-Logik gehört zu haben. Durch den Gebrauch jedoch vergrößern sie das
-angeborene Denktalent, sie machen Fortschritte, lernen es mit der Zeit
-immer mehr benutzen, und wie nun der Landmann zu einer Wissenschaft der
-Agrikultur, so kommt der Denker zur Logik, zum klaren Bewußtsein über
-sein Denktalent und zur kunstmäßigen Verwendung desselben.
-
-Erstaunlich ist es, daß ein so naheliegendes Objekt nicht längst
-allgemein erkannt wurde, und daß darüber nach Studien, die Jahrtausende
-andauerten, noch viel zu lehren und zu erklären blieb. Aber Du weißt
-auch, daß, wie oft das Kleine groß und das Große klein, so oft das
-Nächste verborgen und das Verborgene zunächst ist.
-
-Im letzten Dietzgenschen Satz werden wir an eine der Hauptlehren
-unseres Autors erinnert, uns vor allem Überschwang zu hüten, da im
-Weltprozeß, im Universalzusammenhang das Höchste und Erhabenste ein
-Element des Allgemeinen und aus dessen Bestandteilen sich zusammensetzt.
-
-Dies wird im dritten Brief wie folgt erörtert:
-
-Eine hohe Macht über das Gemüt hat nicht nur die Harmonie der Töne,
-auch die Harmonie der Farben, jede Kunst und jede Wissenschaft hat
-dieselbe Gewalt. Ja, das schlichteste Handwerk und das Prosaischste
-aller Prosa, die Jagd nach Gut und Geld, kann den Menschen hinreißen,
-seine ganze Seele in den einen Abgott aufgehen zu lassen. Allerdings
-ist nicht zu bestreiten, daß Künstler, Erfinder und Forscher den
-würdigsten und hinreißendsten Gegenstand anbeten. Auch sei anerkannt,
-daß ohne den Einsatz unserer ganzen Seele für ein einzelnes keine
-großen Erfolge zu erreichen sind.
-
-Dennoch sollst Du wissen, daß der Gegenstand, der eine Menschenseele so
-beherrscht, seine Hoheit und Erhabenheit mit allen Gegenständen teilt,
-und also zugleich immer auch ein +gemeiner+ Gegenstand ist. Ohne solche
-dialektische Läuterung des Bewußtseins ist alle Anbetung Fetischdienst.
-
-Die tatsächliche Erfahrung also, daß man alles und jedes zu einem
-Fetisch machen kann, muß Dich klärlichst überzeugen, daß kein
-einzelnes, sondern nur das All wahrer Gott oder die Wahrheit und das
-Leben ist.
-
-Ist das nun Logik oder Theologie?
-
-Beides zugleich. Wenn Du näher zusiehst, wirst Du erkennen, daß alle
-großen Logiker sich vielfach mit Göttern und Gottheit befassen, und
-umgekehrt alle ehrbaren Theologen ihre Sache auf logische Ordnung
-gründen wollen. Die Logik ist ihrer ganzen Natur nach +metaphysisch+.
-
-(Unter »metaphysisch« versteht Dietzgen hier: ausdehnbar ins
-Unendliche, wie aus dem Schluß dieses Briefes hervorgeht:)
-
-Den Unterschied zwischen der metaphysischen Logik einerseits, welche
-ihre Sache bis auf die Unendlichkeit ausdehnt, welche die logische
-Ordnung bis in den Himmel hinein, bis auf »die letzten Fragen
-alles Wissens« zu ermitteln sucht, und zwischen der formalen Logik
-andererseits, welche sich ein begrenztes Gebiet setzt und sich mit der
-Forschung nach der logischen Ordnung in der physischen Welt begnügt
--- diesen Unterschied möchte ich Deiner besonderen Aufmerksamkeit
-empfehlen.
-
-Nach dieser Grenzbestimmung der formalen Logik erörtert Dietzgen im
-vierten Brief ihren Hauptzweck:
-
-Die große Volkssache war bisher überall das Lasttier einer kleinen
-vornehmeren Minorität ... Du erkennst doch an, wie die Entlastung,
-die Freiheit der Völker von tierischer Arbeit, von Elend und Not
-das Höchste ist, was der Menschengeist erstrebt. Du wirst auch
-nicht verkennen, daß der Gedanke das wichtigste Instrument zur
-Erreichung dieses hohen Zieles ist. Die Denkleistungen treten in den
-Kulturergebnissen klar zutage. Das intellektuelle Getriebe stellt sich
-mächtiger und prächtiger durch das Räderwerk der Kulturgeschichte als
-durch irgendein Gedankenwerk ~en miniature~ dar.
-
-Wir wollen hier einfach die Tatsache des organischen Zusammenhanges von
-Denken und Sein, von Natur und Geist konstatieren. Die Tatsache des
-Weltzusammenhanges widerspricht dem ungeschulten Vorurteil. Letzteres
-trägt sich mit der Vorstellung, daß die Erde, der Baum darauf und
-über ihnen die Wolke und Sonne, daß alles separate Gegenstände seien.
-Daß aber eines am anderen hängt, Erde, Baum, Wolken und Sonne nur im
-Zusammenhang, nur im Gesamtweltzusammenhang sein können, was sie sind,
-bedarf schon einer geschulten Denkweise.
-
-Da ist ein Wassertröpfchen. Sieh, wie verschieden es ist, je nachdem
-es mit Verschiedenem zusammenhängt. Was es ist, kann es nicht sein
-ohne eine gewisse Temperatur. Je nach Veränderung derselben würde es
-Eis- oder Dampfform annehmen; im Fett verbleibt das Tröpfchen kompakt,
-es verteilt sich im Salz unendlich, läuft gewöhnlich bergab und am
-Zuckerhut bergan. Je nach der spezifischen Schwere einer Flüssigkeit,
-mit der es in Kontakt kommt, schwimmt es oben oder sinkt unter. Ohne
-Zusammenhang mit der Erde, ihrer Temperatur und Schwerkraft, würden der
-und die Tropfen im Bodenlosen verschwinden und kein Dasein haben. Also
-ändern sich die Formen der Dinge, je nach ihrem Zusammenhang, und sie
-sind, was sie sind, nur als Teile des Gesamtdaseins.
-
-Was vom Wassertröpfchen, gilt von allen Dingen, allen Kräften und
-Materien und auch von unserem Gedanken. Der Menschengeist lebt und
-webt nur im Zusammenhang mit der anderweitigen materiellen Welt -- und
-es bildet die Anerkennung der organischen Einheit alles Daseins den
-Angelpunkt meiner Logik.
-
-Der Gedanke, der Intellekt, ist leibhaftig vorhanden, er existiert, und
-sein Dasein hängt als ein Teil des Gesamtdaseins mit der ganzen Welt
-einheitlich zusammen. -- Das ist der Kardinalpunkt der nüchternen Logik.
-
-Die Tatsache, daß die Gedanken mit den anderen Teilen der Welt von
-demselben weltlichen Stoff, daß sie Stücke der gemeinen Natur und keine
-überschwengliche Essenz sind, hat schon Cartesius mit den berühmten
-Worten ausgesprochen: »~Cogito, ergo sum.~«
-
-Wohl verlegt die formale Logik den Geist in viele Teile -- da gibt es
-Vorstellungen, Begriffe, Urteile, Schlüsse; und teilt die Abteilungen
-wieder in Unterabteilungen, die Vorstellungen in verschiedene Arten,
-die Begriffe in konkrete und abstrakte, benennt die Urteile sehr
-mannigfaltig und verzeichnet drei, vier oder mehr Schlußfiguren --
-aber wie sich der gesamte Geist zur Welt verhält, wie er mit dem
-Gesamtdasein zusammenhängt, ob er ein Teil davon oder ob er von
-überschwenglicher Herkunft -- das will sie unerörtert lassen, und das
-gerade ist der interessanteste Teil, der Teil, welcher den Intellekt
-und die Lehre vom Intellekt mit allen anderen Lehren und Dingen in
-logischen Zusammenhang bringt.
-
-Bis hierher hat unser Autor, der dartun wollte, daß der Intellekt mit
-der Volksentwicklung zusammenhängt, nur den organischen Zusammenhang
-des Geistes mit dem Gesamtdasein konstatiert.
-
-Er setzt daher letzteres Thema auch im fünften Briefe fort:
-
-Die Zusammenfassung der Tiere vom kleinsten bis größten in +ein+
-Reich erschien vor Darwin als eine Ordnung, welche der Gedanke allein
-vollzogen, als Gedankenordnung, während sie nunmehr als Naturordnung
-dargelegt ist.
-
-Was der Zoologe dem Tierreich angetan, muß der Logiker dem Dasein
-überhaupt, dem unendlichen Kosmos antun; er muß nachweisen, daß die
-ganze Welt, daß alle Formen des Daseins, den Geist eingerechnet,
-logisch oder einartig verbunden, verwandt, verschweißt sind.
-
-Ein gewisser bornierter Materialismus glaubt, alles sei getan, wenn
-er den Zusammenhang zwischen Denken und Hirn konstatierte. Gewiß
-hängt der Gedanke mit dem Hirn zusammen, so innig wie das Hirn mit dem
-Blute, wie das Blut mit dem Sauerstoff usw.; aber der Gedanke hängt
-auch überhaupt mit allem Dasein so innig zusammen, wie die ganze Physik
-zusammenhängt.
-
-Daß der Apfel nicht nur mit dem Stiel am Baume hängt, sondern auch
-an Sonnenschein und Regen, daß die Dinge nicht einseitig, sondern
-allseitig verbunden sind, das soll die Logik Dich speziell vom Geiste,
-vom Gedanken lehren.
-
-Im Anschluß an diese seine Lehre von der Weltnatur des Gedankens
-erörtert Dietzgen nun die Frage vom +Verhältnis des Gedankens zur
-Wirklichkeit+:
-
-Die alte Logik hat eine Medaille prägen lassen mit der Vorschrift: Der
-Gedanke soll mit der Wirklichkeit übereinstimmen.
-
-Wir schreiben jetzt auf die Rückseite: 1. der Gedanke ist selbst ein
-Stück der Wirklichkeit und 2. die Wirklichkeit ist außerhalb des
-Gedankens zu voluminös und kann auch mit dem kleinsten Stückchen nicht
-hinein.
-
-Gewiß, wie ein Konterfei, so soll auch der Gedanke mit seinem Objekt
-übereinstimmen. Aber was soll einem Maler diese besondere Einschärfung
-seiner Aufgabe nutzen?
-
-Hast Du je ein Porträt oder eine Kopie gesehen, die nicht in
-etwas mit dem Original übereinstimmte? Ich bin überzeugt, das ist
-Dir ebensowenig vorgekommen wie ein Bild, das seinem Gegenstand
-+vollkommen+ ähnlich war. Über das relative Wesen aller Gleichheit,
-Ähnlichkeit und Übereinstimmung ernstlich nachzudenken, möchte ich Dir
-besonders empfehlen. Der weitaus größte Teil der Menschenwelt ist in
-diesem Punkte barbarisch gedankenlos. Daß zwei Tröpfchen Wasser nur
-mehr oder weniger ähnlich und unähnlich sind, daß das ganze Dasein
-ebenso übereinstimmend wie different ist, will schwer in den logisch
-ungeschulten Kopf hinein.
-
-Dem Denker ergeht es wie dem Maler: sie suchen beide ein Konterfei der
-Wirklichkeit und Wahrheit.
-
-Die Wirklichkeit, die Wahrheit, die Gesamtnatur steht auf der Kanzel
-und predigt: »Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst dir kein
-geschnitztes Bild machen, dasselbe anzubeten.« Du sollst also von der
-Wahrheit viel zu erhaben denken, als daß Du glauben dürftest, sie
-könne vom Maler oder Denker in ein, wenn auch noch so gut getroffenes
-Konterfei gesteckt werden.
-
-Der Geist, das Denkvermögen hängt also -- fährt Dietzgen im sechsten
-Briefe fort -- mit dem Gesamtdasein der Welt zusammen, ist ein
-unabtrennbarer Teil des Universums, der wirklichen Wahrheit.
-
-Das Christentum lehrt: Gott ist ein Geist, und wer ihn anbeten will,
-muß ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten.
-
-Und unsere Logik lehrt: der Geist ist ein Stück des Gesamtdaseins;
-wer den Geist vergöttert, ist ein Götzendiener, denn er betet +ein
-Stück+ an und verkennt die ganze Wahrheit. Die Wahrheit selbst ist
-identisch mit dem Gesamtdasein, mit der Welt, wovon alle Dinge nur
-Formen, Erscheinungen, Prädikate, Attribute oder Vergänglichkeiten
-sind. -- Und ob Du auch an Weisheit zunähmst bis an das Ende Deiner
-Tage, so ist doch der Born der Weisheit, der Kosmos, unerschöpflich.
-Ja, so unerschöpflich ist auch das kleinste Weltteilchen, daß der
-Genialste nicht imstande ist, die Kenntnisse zu fassen, welche im
-winzigsten Objekt stecken. Mit dem größten Mikroskop kann man keinem
-Wassertröpfchen ans Ende sehen, und der weiseste der Menschen ist nicht
-einmal fähig, die Schusterei auszulernen.
-
-Daraus ersiehst Du, wie durch vermehrte Spezialkenntnisse der
-kunstgerechte Gebrauch unseres Intellektes nur in den betreffenden
-Details gefördert wird. Deshalb kann es auch nicht befriedigen, wenn
-gewisse Logiker uns lehren, wie viele Arten von Begriffen, Urteilen und
-Schlüssen im Intellekt stecken. Es sind das logische Spezialkenntnisse.
-Zunächst aber handelt es sich für den Studiosus der Logik nicht sowohl
-um Ansammlung wahrer Begriffe, als vielmehr darum, den Generalbegriff
-der Wahrheit erhellt zu sehen.
-
-Vielleicht findest Du Anstoß daran, daß eine Wissenschaft, welche das
-Begriffsvermögen zum Gegenstand hat, von dieser Sache abweicht und
-andere Dinge, wie das Dasein oder die Wahrheit, heranzieht. Doch würde
-eine Logik, die sich auf die Analyse des Denkvermögens beschränkt,
-gegenüber derjenigen, die das Denkvermögen in seiner lebendigen Arbeit
-darstellt, eine beschränkte Logik sein. Wenn die Augenkunde nur die
-verschiedenen Teile des Auges behandelte, dagegen von der Funktion
-und den äußeren Dingen, die damit zusammenhängen, von dem Lichte und
-den Gegenständen, kurzum, vom Gesicht des Auges absehen wollte, wäre
-sie wohl mehr Augenanatomie als Augenkunde. Jedenfalls bietet eine
-Lehre, welche das Auge in seiner lebendigen Tätigkeit, nicht nur
-das subjektive Gesichtsvermögen, sondern auch das davon untrennbare
-objektive Gesichtsvermögen darstellt, eine umfassendere Belehrung, eine
-höhere Erhellung des Menschenkopfes.
-
-Was kann eine Logik viel helfen, welche die Gedanken einteilt
-in analytische und synthetische, von induktiven und deduktiven
-Erkenntnissen und noch zehn anderen Arten spricht und dann die Frage
-ablehnt, wie sich der Gedanke und die Erkenntnis zur Wahrheit verhält,
-und wie wir dazu gelangen.
-
-Hat sich doch bis heute die gesamte Weltweisheit um die Frage gedreht,
-wie unser Kopf zu erhellen ist, wie er der Wahrheit beikommen kann.
-
-Diese Welt, die wir hören, sehen und riechen, in der wir leben und
-atmen, ist die Welt der Wahrheit oder die wahre Welt.
-
-Aber auch mitten in dieser wahren Welt steckt eine ganz vertrackte
-Geschichte, eine Menschenrasse mit verdrehter Logik. Die hat sich von
-einzelnen mißmutigen, hypochondrischen Momenten verleiten lassen, die
-köstliche Wahrheit dieser Welt anzuschwärzen und überschwenglicherweise
-die Wahrheit »transzendent« zu suchen, in der philosophischen
-Metaphysik oder religiösen Phantastik, was beides in einen Topf gehört.
-Aller Streit dreht sich um Seins+formen+. Das Dasein selbst aber bleibt
-unbestreitbare Wahrheit.
-
-Sofern ich Dich bisher überzeugte, daß das Weltall die Wahrheit ist,
-bleibt jetzt besonders noch die Frage: wo denn Phantasmen, Irrtum
-und Unwahrheit Platz finden. Wenn das All die Wahrheit, dann wäre ja
-alles wahr, und scheint es durchaus widerspruchvoll, daß Irrtum und
-Unwahrheit in der Wahrheit oder Welt Raum finden könnten. Ich will nur
-flüchtig andeuten, wie ohne allen Widerspruch das Unkraut zum Kraute
-gehört.
-
-Das Thema, mit dem der sechste Brief eröffnet wird -- der Zusammenhang
-des Geistes mit dem Gesamtdasein der Welt -- wird von einem anderen
-Gesichtspunkt aus auch im siebten Briefe behandelt, dem des »Ursprungs
-der Sprache«.
-
-Die Sprache ist kein fertig fixes Ding, sondern ein flüssiges, welches
-aus rohen Anfängen sich zu einer erhabenen Höhe emporgeschwungen. So
-wenig wir vorwärts an ihr vollendetes Ende sehen können, läßt sich
-rückwärts der Punkt finden, wo sie ihren Anfang genommen. Darum sucht
-man nicht mehr den zeitlichen Ursprung, sondern den +begrifflichen+.
-Man möchte eine feste Marke haben, wo man sagen könnte, so weit heißt
-das Sprachähnliche nur Gegröle, Geschrei, Getöne, und hier beginnt der
-wohlartikulierte Laut, der den Namen »gesprochenes Wort« verdient.
-
-Nun besteht ein anderes Moment, welches die Sache noch mehr verwirrt;
-da heißt es: die Sprache setzt Verstand voraus.
-
-Und dann wieder ist auch der Intellekt kein fixes Ding, sondern ein
-flüssiges Werden, das sich erst an, aus und mittels der Sprache
-entwickelt. So will es einerseits scheinen, als ob der Geist die
-Sprache erzeuge, und andererseits, als ob umgekehrt die Sprache den
-Geist, den Verstand erzeuge. Wo ist da nun Anfang und Ende, und wie
-Ordnung im Zusammenhang zu finden?
-
-Für uns hier geht aus der Sache hervor, daß nicht nur das Wort, daß
-auch die Laute, Töne und Gesten, ja alle Dinge einen Sinn haben
-und eine Sprache sprechen. Nicht nur die Sprache, sondern die Welt
-hängt mit dem Geiste, mit dem Gedanken zusammen. Wohl aber ist
-der Sprachzusammenhang ganz geeignet, uns an einem Beispiel den
-Gedankenzusammenhang der Welt zu zeigen.
-
-Die Einheit alles Seins ist unzweifelhaft klar durch die Tatsache
-erwiesen, daß ein Name ausreicht, um das All zu benennen. Die Sprache
-bedarf wohl +eines+ Namens für das All; bedarf aber auch unendlich
-vieler Namen, um das All zu spezifizieren. Die Sprache oder vielmehr
-der mit der Sprache zusammenhängende Geist will mittels der Sprache
-das Unbegrenzte begrenzen. Der instinktive Sprachgebrauch tut es mehr
-oder minder; die bewußte Wissenschaft verfährt in exakter Weise. Und
-so erklärt denn die Moral der Geschichte, daß die Dinge der Welt, auch
-Geist und Sprache, zusammenhängende und ineinander verfließende Wellen
-eines Stromes sind, der weder Anfang noch Ende hat.
-
-Die Logik, die ich lehre, und der Gedanke, der ihr Objekt ist, sind
-Teile der Welt, der unendlichen, und ist jeder Teil als ein Stück des
-Unendlichen auch ein unendliches Stück. Jedes Stück hat teil an der
-unendlichen Natur des Ganzen.
-
-Ich möchte nur verständlich machen, wie ohne Widerspruch die ganze
-Mannigfaltigkeit des Daseins von einer Natur ist, und wie diese
-Ein-Natur sich in mannigfaltige Formen zerteilt. Die Welt hängt
-zusammen, und der Zusammenhang ist in Abteilungen getrennt.
-
-Befassen wir uns zunächst mit dem Zusammenhang unseres Intellekts.
-Denn die abstraktesten Unterschiede, wie Anfang und Ende, Wort und
-Sinn, Leib und Seele, Mensch und Tier, Kraft und Stoff, Wahrheit und
-Irrtum usw., setzen zu ihrer Aufklärung logische Aufklärung über den
-Zusammenhang unseres Intellekts voraus.
-
-Diese erfolgt im achten Brief:
-
-Die formalen Logiker sind ebenso einfältig wie schelmisch, wenn sie
-nur noch in hergebrachter Weise den Intellekt oder den Gedanken als
-isoliertes Ding abhandeln und den notwendigen Zusammenhang ihres
-Objekts mit der wahren, das heißt empirischen Welt von der logischen
-Disziplin ausschließen. Die Formalen behandeln den Intellekt als eine
-Sache »für sich«, während ich mich in den mannigfachsten Wendungen
-ergehe, um darzutun, daß er nicht für sich ist, sondern mit allem und
-dem All zusammenhängt.
-
-Die formale Logik lehrt, daß unser Intellekt alle Dinge nur
-auseinanderhalten und nicht konfundieren darf. Sie hat darin
-recht und verfehlt doch das Ziel einer klaren Weltanschauung,
-weil sie der überschwenglichen Ader gestattet, die Bedeutung der
-Unterschiede und Unterscheidungen zu übertreiben. Sie verkennt die
-paradoxe beziehungsweise dialektische Natur der Dinge, die nicht nur
-auseinanderliegen, sondern auch zusammenhängen. Es gilt zu begreifen,
-daß -- ganz allgemein -- die Einteilung der Welt nur eine Formalität
-ist. Wir sind wohl berechtigt, Oben und Unten, Links und Rechts, Anfang
-und Ende, Gold und Blech, Gutes und Böses auseinanderzuhalten, aber
-müssen uns auch darüber instruieren, wie die Mannigfaltigkeit eine
-Einheit, das Veränderliche beständig und das Beständige veränderlich
-ist. Die formale Logik hat einen ungerechten Namen; sie ist nicht
-formal, sondern überschwenglich; sie trägt sich mit dem gemeinen
-Vorurteil, daß es kontradiktorische Dinge oder Widersprüche gebe, das
-heißt essentielle Unterschiede, die keine Verbindung, keine Brücke,
-keine Gemeinschaft miteinander haben. Sie lehrt: Widersprüche können
-nicht sein, und widerspricht sich selbst, indem sie an dem Glauben
-festhält, daß unvereinbare Widersprüche existieren. Sie lehrt: was
-sich widerspricht, ist nicht denkbar, ist nicht wahr, und bezeugt
-damit, daß sie über die Formalität der Widersprüche, über die wahre
-Widerspruchlosigkeit und über die universale Wahrheit schlecht
-orientiert ist. Gold ist kein Blech -- das ist wahr genug. Wer Gold
-Blech oder Blech Gold nennt, widerspricht sich. In der Welt der
-Wahrheit ist beides getrennt; aber nicht so getrennt, daß nicht auch
-Gold und Blech eine gemeinschaftliche, nämlich metallene Natur hätten.
-Gold und Blech sind ungleiche Metalle und besitzen doch metallische
-Gleichheit. Daß das Gleiche different und das Differente gleich ist,
-daß es sich überall nur um ein Mehr oder Minder handelt, nur um
-formelle Differenzen, das wird von der »formalen« Logik verkannt,
-verkannt von allen, welche die Wahrheit in irgendeiner logischen
-Schablone oder einem Fetisch und nicht im ewigen, allgegenwärtigen
-Dasein der einen untrennbaren Welt suchen.
-
-Das krasseste und auch wohl das lehrreichste Beispiel von der
-rechten Bedeutung der Widersprüche ist in dem Gegensatz von Wahrheit
-und Unwahrheit gegeben. Diese beiden Pole liegen wohl noch weiter
-auseinander wie Süd- und Nordpol, und doch hängen jene wie diese innig
-zusammen. Der landläufigen Logik darf man es kaum zumuten, ihr eine
-scheinbar so widersinnige Einheit vordemonstrieren zu wollen, wie die
-ist, welche in der Wahrheit und Unwahrheit enthalten.
-
-Die Welt ist die Wahrheit, und Irrtum, Schein und Lüge stecken in ihr,
-sind Teile der wahren Welt, wie die Nacht ein Teil des Tages ist, ohne
-die Logik zu konfundieren. Wir dürfen in ehrbarer Weise von +echtem+
-Scheine und +wahrer+ Lüge sprechen, ohne Widersinn. Wie auch der
-Unverstand noch Verstand hat, so lebt auch die Unwahrheit immer noch
-und unvermeidlich in der Wahrheit, weil letztere das Allumfassende, das
-Universum ist.
-
-Die Wahrheit, welche das Universum ist, die kosmische Welt- oder
-Universalwahrheit wird Dich die Widersinnigkeit der abnormen Demut
-erkennen lassen, die in der zwieschlächtigen Lehre von den zwei
-Geistern enthalten ist. Gewiß hat der Philosoph Kant einen höheren
-Intellekt wie Peter Simpel; aber dennoch besitzen auch alle Geister
-eine Generalgeisternatur, unter welche keine Intelligenz hinabsteigen,
-welche keine übersteigen darf, ohne den Namen, ohne Sinn und Verstand
-zu verlieren. Es ist nicht möglich, von einem anderen, höheren
-Denkvermögen, als dem durch Erfahrung bekannten menschlichen auch
-nur zu sprechen, ohne aus der Logik heraus in die Widersinnigkeit zu
-fallen. Unzweifelhaft besitzt die tierische Brut etwas dem Intellekt
-ähnliches; unzweifelhaft darf der Tiergeist vom Menschengeist mittels
-eines besonderen Namens, etwa durch den »Instinkt«, getrennt werden;
-unzweifelhaft wird unsere Vernunft durch Kultur von Generation zu
-Generation erhöht; aber daß irgendwo und jemals ein Begriffsvermögen
-existieren sollte, welches außer dem Weltzusammenhang steht -- das
-ist ein durchaus sinnloser Begriff und eine verstandlose Sache. So
-notwendig wie alles Wasser +eine+ Natur, eine nasse Natur, so notwendig
-hat jede Intelligenz und jeder Gedanke die generale Gedankennatur und
-muß verstandesgemäß ein Teil, ein bestimmter Teil der einen, gemeinen,
-+empirischen+ Welt sein.
-
-Diese Lehre von der Relativität der Gegensätze und von der Auflösung
-des Widerspruchs wird im neunten Brief durch Beispiele illustriert:
-
-Man macht dem Sozialisten den Vorwurf, er hetze das Volk auf; er
-verspreche mehr, wie er leisten könne, und bringe dadurch den Unfrieden
-in die Menschenbrust. Tatsächlich wohnt und muß beim Frieden auch
-immer der Unfriede wohnen. Ein Volk, dessen Friede nicht mit dem
-entgegengesetzten Unfrieden verquickt oder durchtränkt ist, wäre ein
-Schlaraffenvolk. Dank dem Unfrieden in der Brust sind die Völker
-strebsam und bewegt: Bewegung ist die Essenz der Welt, und die bewegte
-Volkswelt ist nicht denkbar, ohne daß die Menschen begehrlich sind. Der
-Entwicklung oder Kultur wegen müssen die Völker immer mehr begehren,
-wie sie zunächst erlangen. Andererseits ist es mit der Begehrlichkeit
-nicht genug. Man darf nicht mehr begehren, als man zu erreichen vermag,
-nicht mehr versprechen, als man geben kann. Darum soll der logische
-Sozialist gleichzeitig wissen, daß auch im Zukunftsstaat die Bäume
-nicht in den Himmel wachsen, daß der Friede, den wir erstreben und
-erhoffen, immer ein mit Unfrieden verquickter Friede sein wird. Die
-Zukunftsmusik, wenn auch harmonischer wie die Musik der Gegenwart, wird
-doch ewig mit der Disharmonie behaftet bleiben.
-
-Um im wahrhaften Zusammenhang zu denken, darfst Du kein Ding als
-selbständiges Ding ansehen, sondern alles nur als fließende Eigenschaft
-der einen Substanz, welche das Ding aller Dinge, die Welt, die Wahrheit
-und das Leben ist.
-
-Unsere Logik ist also Wahrheitslehre. Die Wahrheit ist nicht oben,
-nicht unten, nicht zu Jerusalem und nicht zu Jericho, weder im Geiste
-noch im Gebein, sondern im All.
-
-Unsere Logik ist Erkenntnislehre. Sie lehrt, daß Du nicht mit Grübelei,
-sondern nur im Zusammenhang mit der Erfahrung, im Gesamtzusammenhang
-nach Erkenntnis forschen darfst.
-
-Da nun der Mensch mit der Erfahrung auch Irrtümer erfährt, so war die
-Wissenschaft jahrhundertelang von der Frage beherrscht, ob Wahrheit und
-Erfahrung nicht zweierlei, ob vielleicht nicht unsere ganze Erfahrung
-ein Gaukelspiel der Sinne sei. Cartesius antwortete darauf: Nein, der
-Glaube an das allervollkommenste, allerwahrhaftigste Wesen kann solche
-Betörung nicht zulassen. Wenn wir nun den Gottesbegriff durch den
-Wahrheitsbegriff ersetzen, dann sind wir wieder sicher, daß die Welt
-der Erfahrung kein Schemen, sondern allerwahrhaftigste Wirklichkeit ist.
-
-Wie unser Gesicht das Sichtbare nie und nirgends erschöpft, das
-Auge also sein Objekt schaut, aber nicht durchschaut, so kann der
-Intellekt das absolute All, die Wahrheit oder Gottheit nicht auskennen
-oder ausgründen; aber was wir kennen und ergründen, sind leibliche
-Wahrheiten, sind Stücke der Generalwahrheit. Was die Erkenntnis
-erkennt, ist nicht die Wahrheit selbst und doch wahre Erkenntnis.
-
-Wir gelangten also zu dem Resultat, beginnt der zehnte Brief, daß
-der Gedanke ein Weltteil ist. Das Weltall ist der Mutterschoß, wie
-überhaupt der Dinge, so auch des Intellekts.
-
-Daß außer dem Weltall nichts existiert, oder im All alles enthalten,
-alle realen und phantastischen Existenzen, daß das All alles, weder
-süß noch sauer, weder groß noch klein, sondern eben alles und jedes
--- dieser Satz ist so selbstverständlich, wie der so lang und oft
-wiederholte Satz der Identität: A = A.
-
-Die Logik soll Dich also lehren, daß alles, was das
-Unterscheidungsvermögen unterscheiden mag, von einer Art ist, alles
-Krethi und Plethi, aber das Ganze über allem Plebs eine himmelhohe
-Erhabenheit. Mit dem frivolen Atheismus, wie ihn die Aufklärer
-gebracht, ist es nicht genug. Dürre Gottesleugnung erzeugt immer wieder
-irgendeinen Götzendienst.
-
-Mit dem Allerhöchsten, Unendlichen oder Absoluten muß die Logik
-beginnen. Alles kunstgerechte, daß heißt zusammenhängende Denken muß
-davon seinen Ausgang nehmen. Das naturwissenschaftliche Forschen nach
-endlichen Ursachen, nach dem Ei, woraus das Küchlein gekrochen, nach
-der Henne, woraus das Ei gekommen, nach den verwandten Organismen,
-welche durch Zuchtwahl und Anpassung ~à la~ Darwin die Henne
-entwickelt, -- das sind überaus schätzbare Forschungen, ohne welche
-wir nie den Weltprozeß verstehen könnten; aber dennoch dürfen solche
-Erkenntnisse dem denkenden Menschen nicht genügen. Die Logik verlangt,
-verlangt von jedem, daß er nach dem Allerhöchsten, nach der Ursache
-aller Ursachen forscht. Wer das Bedürfnis hat, sein Bewußtsein in
-logische Ordnung zu bringen, will und muß wissen, wie das Endliche und
-Unendliche, das Relative und Absolute, die speziellen Wahrheiten und
-die Generalwahrheit ineinanderstecken.
-
-Logisches Denken in dem Maße, wie es die Wissenschaft verlangt,
-heißt weiter nichts, als den letzten Grund, den absoluten Hinterhalt
-kennen, auf den alle Gedanken sich stützen. Dieser Hinterhalt ist das
-Weltall, welches den Menschenkopf, den äußeren und inneren, als Zubehör
-anhängen hat. Der jahrtausendealte Streit zwischen den Materialisten
-und Idealisten stellt die Frage: ob der Geist weltlich oder die Welt
-geistig ist. Unsere Antwort lautet klipp und klar: beides gehört
-zusammen, ist in Summa ein Ding, und das Ding aller Dinge. Der Geist
-und die Welt sind zwei Attribute der einen Natursubstanz. Wenn man
-sie einander entgegensetzt, verhalten sie sich wie Fleisch und Fisch,
-welcher letztere nach Lazar Geiger von afrikanischen Stämmen ganz
-trefflich »Wasserfleisch« genannt wird. Demnach sind Geist und Welt,
-wie Fleisch und Fisch, von verschiedener und doch von einer Art.
-
-Nicht nur ist die Welt das Objekt, sie ist auch das Subjekt der
-Erkenntnis, +sie+ erkennt, +sie+ zerlegt +mittels des Menschenkopfes+
-ihre eigene Mannigfaltigkeit. Unsere Weisheit ist Weltweisheit in
-dem doppelten Sinne: die Welt ist das, was gewußt, unterschieden,
-analysiert wird, und die Welt ist es, welche das Wissen, Unterscheiden
-usw. mittels unseres Intellekts praktiziert. Wenn ich also den
-Menschengeist Weltgeist, Geist des Allerhöchsten nenne, so bitte ich
-wohl zu bemerken, wie damit gar nichts mystifiziert sein, sondern nur
-dargetan werden soll, daß sich das Denken oder die Intelligenz nur
-im Weltzusammenhang betätigen läßt, daß es keine Sache abnormer und
-überschwenglicher Art, sondern ein Ding ist wie andere Dinge.
-
-Die Idee des Weltzusammenhanges wird im elften Brief weiter behandelt
-und speziell auf das soziale Gebiet übertragen:
-
-Allen naturgeschichtlichen Einteilungen soll logischerweise das
-Bewußtsein von der absoluten, universalen Einheit, vom Zusammenhang
-aller Dinge zugrunde liegen. Darum haben fromme Leute durch ihren
-Herrgott, in dem alles lebt und webt, was fleucht und kreucht, mehr
-Logik wie gewisse Freidenker, denn sie fangen mit Gott an und hören mit
-Gott auf. Vollkommen logisch aber vermögen sie nicht zu denken, weil
-sie das Böse und den Teufel, Krankheit, Elend und Sünde, kurzum die
-Leidigkeit und Vergänglichkeit mit ihrem ewigen vollkommenen Allvater
-in keinen rechten Zusammenhang bringen können.
-
-Die Ein-Natur, die unendliche, ist der Logik Quintessenz. Über dies
-Ding der Dinge kann weder die Naturwissenschaft (im engeren Sinne) noch
-die Metaphysik und formale Logik Aufschluß geben, sondern nur eine
-Denklehre, welche Geist und Natur, alle Gegensätze und Widersprüche als
-Formalitäten des All-Einen erkennt. Wie sollte nun jemand, der mit der
-großen Masse der Bevölkerung auf gespanntem Fuße lebt, sich eins fühlen
-können mit dem +Allgemeinen+? Wer eine spezielle Klasse zum echten Volk
-macht, hat keinen Begriff, weder für das allgemeine Volk noch für die
-absolute Allgemeinheit.
-
-Die proletarische Logik lehrt nicht nur Gleichheit alles dessen, was
-Menschenantlitz trägt, sondern die +universelle+ Gleichheit, welcher,
-wohlgemerkt, die Verschiedenheit so wenig widerspricht, wie die
-mannigfaltigen Töpfe und Krüge der Gefäßeinheit widersprechen. Wir
-erkennen, daß jedes Ding, jede Person ein Stück der unendlichen Welt
-ist und an ihrer unendlichen Natur teil hat.
-
-Unsere Logik, welche die Wahrheit, die Weltwahrheit zum Objekt hat,
-ist eine Denklehre des Universums, eine universale Denklehre oder
-Weltanschauung. Sie lehrt, daß der Zusammenhang aller Dinge die
-Wahrheit und das Leben, das Echte, Rechte, Gute und Schöne ist. Alles
-Hohe, was Menschenherz erhebt, alles Süße, was Menschenbrust durchbebt,
-ist die Weltnatur oder das Weltall. Aber dann bleibt immer die kitzlige
-Frage: Wohin mit dem Negativen, dem Häßlichen, Bösen, wohin mit dem
-Irrtum, dem Scheine, dem Stillstand, der Krankheit, dem Tode und dem
-Teufel?
-
-Jawohl, die Welt ist vergänglich, böse und leidig; aber das sind doch
-nur +akzidenzielle+ Erscheinungen, nur Formen und Fransen der Welt.
-Ihre Ewigkeit, Wahrheit, Güte und Schönheit ist substantiell, wesenhaft
-und positiv. Ihr Negatives ist das Dunkel, welches dem Lichte zur
-Verherrlichung dient, daß es überwinde und um so glänzender strahle.
-
-Solcher hohen optimistischen Lehre sind die Wortführer der herrschenden
-Klasse nicht zugänglich, weil sie den umgekehrten pessimistischen Beruf
-haben, das Elend und die Knechtschaft zu verewigen.
-
-Der zwölfte Brief kehrt zum Beginn des zweiten zurück: was die Logik
-ist, was sie will und wie sie es will? Die Beantwortung der Frage
-erfolgt im Geiste der Briefe zehn und elf, das heißt im Sinne des
-Universalzusammenhangs:
-
-Logik, die Lehre eines kunstgemäßen Denkens, verlangt zunächst
-wahrheitsgemäßes, das heißt vernunftmäßiges Denken. Die Logik handelt
-von Vernunft und Wahrheit.
-
-Vernunft und Wahrheit sind keine von den übrigen Dingen getrennte,
-sind keine Dinge an sich. Solche Dinge gibt es überhaupt nicht. Die
-proletarische Logik unterscheidet sich von der herrschenden dadurch,
-daß sie Vernunft und Wahrheit nicht hinter Tempelvorhängen, auch nicht
-in den Köpfen der Gelehrten, sondern im leibhaftigen Zusammenhang sucht
-und findet.
-
-Wir erkennen nicht nur, daß Vernunft und Wahrheit mit der Welt
-verbunden, sondern auch, daß das +Weltganze+ die allerhöchste Vernunft
-und Wahrheit oder das Wesen ist, nach dem Religion und Philosophie
-lange gesucht, das allervollkommenste Wesen -- von Plato das Wahre,
-Gute und Schöne, von Kant Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, von Hegel
-das Absolute genannt.
-
-»Erkennen« ist ein mysteriöses Wort.
-
-Erlaube mir, das Erkenntnisvermögen mit einem photographischen Apparat
-zu vergleichen, mittels dessen Du Dir ein Bild der Weltwahrheit zu
-machen gedenkst. Da siehst Du gleich, wie von diesem Objekt nur ein
-ganz nebelhaftes Bild abzunehmen ist. Der Gegenstand erscheint zu
-grenzenlos, zu unendlich groß und erhaben, als daß er sich kopieren
-ließe. Und doch ist ihm beizukommen. Wenn auch kein klares Bild der
-Wahrheit, können wir doch weltwahre Bilder klar machen, das heißt wir
-können das Unendliche stückweise konterfeien. Du kannst mittels Deines
-Intellekts die Unendlichkeit durch Begrenzung fassen.
-
-Die absolute Wahrheit gibt sich uns in relativen Erscheinungen. Das
-vollkommene Wesen ist aus unvollkommenen Teilen zusammengesetzt.
-Arme und Beine, Kopf und Rumpf sind getrennt und jedes für sich nur
-ein Kadaverstück und doch im Zusammenhang durchaus lebensfähig. In
-der Weltwahrheit ist alles enthalten; sie ist das vollkommene Sein,
-enthält das gesamte Dasein vollkommen, somit auch das Unvollkommene.
-Falsches, Leidiges, Schlechtes und Häßliches steckt im Wahren, Guten,
-Schönen mitten drin. Das Gesamtdasein, das ist die absolute Wahrheit,
-ist aus Relativem, das Ganze aus Stücken, aus Erscheinungen oder
-Scheinbarkeiten zusammengesetzt. Und auch unsere Erkenntnis oder unser
-Denkapparat ist ein unvollkommenes Stück des vollkommenen Wesens.
-Von diesem Absoluten liefert er nur ein dämmeriges, unzulängliches
-Porträt, und von allen Teilen der Weltwahrheit doch treffliche Bilder,
-allerdings nur Bilder, aber treffliche.
-
-Es gibt gute und schlechte, treffende und unzutreffende, wahre und
-irrige Gedanken und Erkenntnisse; aber absolut zutreffende gibt es
-nicht. Alle Vorstellungen und Begriffe sind unvollkommene Bilder des
-allervollkommensten Weltwesens, welches unerschöpflich ist sowohl im
-großen wie im kleinen, im ganzen und in allen Teilen. Jedes Stück der
-Natur ist ein Naturstück des Unbegrenzten.
-
-Die Lehre der Sophisten, daß sich alles be- und verstreiten läßt, hat
-eine gewisse Ähnlichkeit mit der unserigen, welche besagt, daß das
-All die Wahrheit und alle Teile wahre Stücke, also Rauch und Nebel,
-Verstand und Phantasie, Erträumtes und Reales, Subjekt und Objekt
-wahrhaftige Einteilungen der Welt -- nicht die Wahrheit und doch wahr
-sind. Es ist deshalb angezeigt, auf den Unterschied der sophistischen
-und logischen Denkweise aufmerksam zu machen.
-
-Das geschieht im dreizehnten Brief:
-
-Ist die ganze Welt +nur ein+ Ding oder ein Sammelsurium +unendlich
-vieler Dinge+?
-
-Ich sehe durchs Fenster den Fluß und die Straße, Brücke, Häuser und
-Bäume. Jedes ist ein Ding für sich, und doch hängt alles untrennbar
-aneinander. Die Eigenschaften der Welt werden vom Intellekt als
-Subjekte behandelt; aber es soll das intelligente Subjekt auch wissen,
-daß sein Tun und Treiben, sein Unterscheiden und Erkennen eine
-Formalität, eine formelle Zerstücklung des Absoluten ist, welches trotz
-aller Einteilung stets das ungeteilte Ganze bleibt.
-
-Die Erscheinungen der Wahrheit und des Lebens rubrizieren, heißt
-erkennen, heißt den Intellekt gebrauchen und den Kopf erhellen.
-
-Jedoch bleibt nun wohl zu erwägen, +wie weit wir in der Spezifikation
-zu gehen haben+, um die Rubrik zu finden, welche +völlige Klarheit+ und
-Bestimmtheit in die Erkenntnis bringt. Es ist sehr zu beachten, daß
-sowohl das Subjekt, welches erkennt, wie das erkannte Objekt als Stücke
-des Absoluten, auch absolute +unendlich detaillierte+ Stücke sind, die
-sich nimmer auskennen, nimmer erschöpfen lassen.
-
-Es lassen sich neue Erkenntnisse nur mittels alter erwerben. Das heißt:
-Altes und Neues und die Erkenntnis, die ich als Klassifikationsvermögen
-kennbar zu machen suche, haben ihre Existenz nur im +Zusammenhang des
-gesamten Daseins+.
-
-Einteilung, regelrechte Einteilung ist die Sache der Logik oder
-Denkkunst. Dazu gehört in erster Instanz das erweckte Bewußtsein vom
-ungeteilten All, vom Universum und seiner universalen Einheit. Dieses
-Bewußtsein ist mit anderen Worten zugleich auch das Bewußtsein von der
-nur formalen Bedeutung aller wissenschaftlichen Teilung.
-
-Die Einheit aller Welt ist wahr und ist die Wahrheit allein und einzig.
-Daß die alleinige und einzige Weltwahrheit voller Unterschiede steckt,
-ja ebenso absolut verschieden wie absolut gleich ist, widerspricht
-einer verständigen Einheit und Gleichheit ebensowenig, wie es sich
-widerspricht, daß die Käuze mit den verschiedensten Visagen doch alle
-dasselbe Kauzgesicht tragen.
-
-Der rote Faden, der sich durch diese Vorträge schlängelt, betrifft
-folgende Punkte: Der Denkapparat ist ein Ding wie alle gemeinen
-Dinge, ein Stück oder Akzidenz des Weltganzen; er gehört zunächst
-in die allgemeinste Kategorie des Seins und ist ein Apparat, der
-durch kategorische Einteilung oder Unterscheidung ein detailliertes
-Bild der menschlichen Erfahrung zustande bringt. Um ihn kunstgerecht
-zu verwenden, will klar erkannt sein, daß die Welteinheit durchaus
-mannigfaltig und alle Mannigfaltigkeit eine Monas bildet.
-
-Das Rätsel der alten eleatischen Philosophie war: Wie steckt das Eine
-im Vielen, wie das Viele im Einen?
-
-Der vierzehnte Brief handelt vom »Absoluten« und dem Verhältnis des
-Intellekts zu ihm im Weltzusammenhang:
-
-Das Absolute ist die bare Summe alles dessen, was war, ist und sein
-wird.
-
-Sowohl die Subjekte wie Objekte aller Wissenschaft gehören dem
-Absoluten an, das mit trivialem Namen »Welt« heißt.
-
-Alle anderen Wissenschaften haben begrenzte Stücke, haben Relatives zum
-Gegenstand, während die Wissenschaft des Geistes +von allen+ Objekten,
-das heißt vom Unbegrenzten handelt. Ich will die Lehre vom Intellekt
-vortragen und handle von aller Welt, vom Weltall, weil ich darzustellen
-habe, nicht wie sich der Geist in der Schusterei oder Astronomie,
-sondern wie er sich generaliter verhält.
-
-Der Intellekt ist ein spezielles Stück wie jedes andere
-wissenschaftliche oder praktische Objekt. Aber er ist auch dasjenige
-Stück, dem es mit der Stückelei nicht genug, der sich und alles
-einzelne als Attribut oder Prädikat des absoluten Subjektes, der sich
-und alle Welt im +Weltzusammenhang+ weiß.
-
-Seit Jahrhunderten hat man viel davon gehandelt, ob im Intellekt
-angeborene Ideen versteckt sind oder ob er einem unbeschriebenen Blatte
-Papier gleiche, dem die +Erfahrung+ Kenntnisse aufprägt. Es ist das die
-Frage nach Ursprung und Quell der Erkenntnis. Woher kommt die Vernunft,
-wo holen wir unsere Begriffe, Urteile und Schlüsse? Mittels Grübelei
-aus dem Innern des Kopfes, aus der Offenbarung oder aus der Erfahrung?
-Alles, was wir erfahren, samt dem Intellekt, der erfährt, sind
-Offenbarungen des Absoluten. +Alles, wovon wir wissen, ist Erfahrung+.
-Wenn nun auch der Geist ein leeres Blatt ist, so ist zur Beschreibung
-doch dies innere Papier ebenso wesentlich wie die äußere Welt, welche
-Hand, Tinte und Feder zu diesem Schreibprozeß hergibt; das heißt, alle
-Erkenntnis stammt aus dem Weltzusammenhang. Dem Intellekt sind keine
-Kenntnisse, aber doch das Bewußtsein, das Weltbewußtsein angeboren.
-
-Die Wissenschaft vom Intellekt hat sich von alters her an eine
-wunderbare Tatsache gestoßen. Sie fand Kenntnisse vor, die dem Geiste
-von außen zugekommen, sogenannte Erfahrungskenntnisse; aber sie fand
-auch solche, welche scheinbar angeboren sind, sogenannte Erkenntnisse
-~a priori~.
-
-Unsere Logik fragt: Stammt die Weisheit geheimnisvoll aus dem Innern
-des Menschenkopfes oder kommt sie nach Art aller Erfahrung aus der
-äußeren Welt? -- Die Zusendung von oben wollen wir schon außer Frage
-lassen.
-
-Da lautet die Antwort: Zum Wissen, Erkennen, Begreifen, Denken gehört
-Inneres +und+ Äußeres, Subjekt und Objekt, Kopf und Welt.
-
-Aber wie erklären sich nun die wunderbaren, anscheinend aprioristischen
-Kenntnisse, welche alle Erfahrung übersteigen? Antwort: Der Intellekt
-hat nicht nur die Fähigkeit, im allgemeinen zu wissen, sondern
-auch Spezielles vom Ganzen zu trennen und namhaft zu bestimmen.
-Indem wir zum Beispiel den Begriff des Minerals fassen, sehen wir
-ab vom Unterschied zwischen Gold und Blech. Wenn wir dann weiter
-klassifizieren, indem das Goldige und Blechige als besondere Arten dem
-Mineral untergeordnet werden, wissen wir nun genau, wie Gold und Blech
-verschiedene Arten sind von derselben Mineralnatur. Wir wissen, was die
-Namen bedeuten, und solange sie ihren Sinn behalten, wissen wir, daß
-»in Himmel und Hölle« Gold kein Blech, Blech kein Gold ist.
-
-So ist denn der Unterschied zwischen angeborenen und erfahrenen
-Kenntnissen ein nur formeller. Beide verschiedene Arten sind dennoch
-von ein und derselben Art, beide Mischlinge des Inneren und Äußeren.
-Die Erkenntnis ~a priori~ hört auf, Wunder zu sein, wenn erkannt ist,
-daß sie mit den Kenntnissen a posteriori aus demselben Quell der
-Erfahrung stammt, welche das eine Mal wie das andere Mal nur mit Hilfe
-des Intellekts zustande kommt. Demnach ist also der +mit der Welt
-verbundene Intellekt+ die Urquelle aller Wahrheit, und ist sowohl die
-äußere Natur wie unser inneres Begriffsvermögen ein Stücklein der einen
-Generalnatur, welche die Wahrheit und das Absolute ist.
-
-Am Schlusse dieses Briefes kündigt Dietzgen an, daß er im nächsten
-(fünfzehnten) die Kausalität behandeln wolle; statt dessen geht er
-auf Kants Aprioritätenlehre und »Ding an sich« ein, zeigt, wie Kant
-in den Irrtum dieser Theorien verfiel und wie sein Schluß von der
-»Erscheinung« auf eine absolute Wahrheit, die, vom Scheine getrennt,
-dahinter versteckt sei, auf fetischmäßiger Auffassung der Wahrheit
-beruht. Die Erkenntnis, daß das gemeine Wesen der Welt Wahrheit
-ist, ist die erste Bedingung zu einer kunstgerechten Handhabung des
-Schlußvermögens.
-
-Damit gelangt unser Autor zur Erörterung der Kausalität im sechzehnten
-Brief:
-
-»Alle Dinge haben ihre Ursache.« -- Wer ist, was ist »alle Dinge«?
-Es sind Anhängsel, Zubehör des All-Einen. Es ist dem Intellekt
-angeboren, zu wissen, daß die Welt ein Ding ist, daß alle Dinge
-nicht nur +irgendeinem+, sondern alle +einem Subjekt+ angehören. Das
-Bewußtsein der Kausalität ist nichts weiter wie das Bewußtsein vom
-Weltzusammenhang.
-
-Alle Dinge sind +ein+ Ding, hängen zusammen, stehen untereinander im
-Verhältnis von Ursache und Wirkung, von Grund und Folge, von Gattung
-und Exemplar. Alle Dinge haben ihre Ursache, heißt, sie haben eine
-Mutter. Daß nun jede Mutter ihre Mutter hat, +endigt+ in der Weltmutter
-oder Mutterwelt, in der absoluten, die selbst absolut mutterlos und
-doch alle Mütter »aufgehoben« in sich enthält.
-
-Ursachen sind Mütter, Wirkungen sind Töchter. Nicht nur hat jede
-Tochter eine Mutter, Groß- und Urgroßmutter, sondern auch Vater, Groß-
-und Urgroßvater. Der Ursprung oder der Familienzusammenhang der Tochter
-ist nicht ein-, sondern allseitig. So haben auch die Dinge nicht eine,
-sondern viele, unendlich viele Ursachen, welche in die Generalursache
-zusammenfließen.
-
-Dein Intellekt, dem die Wissenschaft angeboren ist, daß alles seine
-Ursache hat, wird sich demnach instruieren lassen, daß alle Ursachen
-der Welt in der absoluten Weltursache begründet sind und zugrunde
-gehen. Es ist die Quintessenz der Logik, nicht nur den wahren Begriff
-des Intellekts zu ermitteln, sondern mittels des Intellekts den Begriff
-der Weltwahrheit, des Weltganzen klarzumachen.
-
-Personen und Dinge, Ursachen und Wirkungen sind keine selbständigen
-Einzelheiten, sondern relative Selbständigkeiten, das heißt
-Zusammenhänge oder Verhältnisse des Absoluten. Der Intellekt ist
-uns angeboren, und durch ihn und mit ihm das Bewußtsein vom Sein
-schlechthin, wenn auch nur so angeboren, wie dem Kinde die Zähne,
-die erst nach der Geburt hervorwachsen. Jedes Stück, das uns zum
-Bewußtsein kommt, wird als Stück des All-Einen gewußt. Insofern das
-wunderbar, ist das Bewußtsein von der Kausalität erstaunlich. In der
-Tat ist die Wissenschaft von der kausalen Abhängigkeit aller Dinge
-mit der Wissenschaft von der Farbe aller Rappen und Schimmel eine
-angeborene Weisheit. Jedoch ist wohl zu beachten, daß sowohl in jeder
-erworbenen Wissenschaft etwas Angeborenes, wie in jeder angeborenen
-etwas Erworbenes steckt, so daß beide Arten ineinanderfließen und eine
-Kategorie bilden.
-
-Im Eingang des siebzehnten Briefes erklärt unser Autor:
-
-Da die Aufgabe der Philosophie in Erforschung der Logik aufgeht,
-aufgeht in der Ergründung des Intellekts und seiner Denkkunst, wirst
-Du, als +in der Sache+ begründet, erkennen, daß meiner Darstellung
-eine gewisse Systematik fehlt; sie hat so recht keinen Anfang und kein
-Ende, weil ihr Objekt, der Intellekt, mit dem Weltganzen verknüpft ist,
-welches eben das Anfang- und Endlose ist, das kein Vor und Nach, kein
-Oben und Unten hat. Jedoch ist leicht zu bemerken, daß Denkkunst und
-Weltweisheit identisch sind. Wenn nun auch der allgemeine Zusammenhang
-für alle Dinge und Themata gilt, so gehört seine Erwägung doch speziell
-nur in die Logik, die von allen Denkobjekten summarisch handelt. Meine
-Sache also (die Denkkunst) beginnt überall, obgleich sie doch nur eine
-Spezialität ist.
-
-So knüpft Dietzgen denn an Zitate aus Trendelenburg an, um an ihnen die
-Notwendigkeit gleichzeitigen philosophischen und empirischen Denkens
-darzutun:
-
-»Es bleibt immer der Trieb alles menschlichen Erkennens darauf
-gerichtet, das Wunder der göttlichen Schöpfung durch ein
-nachschaffendes Denken zu lösen. Wenn diese Aufgabe im einzelnen
-begonnen wird, so treibt das Einzelne von selbst weiter; denn mit
-derselben Macht, mit welcher alles aus dem Grunde hervorgestiegen,
-weisen die Dinge rückwärts zu dem Grunde wieder hin.«
-
-Diese Zitate geben das Problem, das zu lösen ist: sollen wir den
-Intellekt philosophisch, sollen wir ihn empirisch gebrauchen? Man will
-aus dem Einen und Vielen klug werden, welches identisch ist mit der
-Forschung nach systematischer Weltanschauung oder dialektischer Kunst.
-
-Da will zunächst konstatiert sein, daß das Denken in jeder Weise,
-ob philosophisch, ob empirisch, von einer Art, daß in beiden Formen
-dieselbe Sache enthalten ist. Rosen sind andere Blumen wie Nelken,
-doch steckt die Blumennatur in den einen wie in den anderen, und so
-auch die Denknatur gleichmäßig in der philosophischen wie empirischen
-Betrachtungsweise. Das Auseinanderhalten ist recht genug, doch darf die
-Einheit nicht verloren gehen.
-
-»Die Philosophen«, heißt es weiter bei Trendelenburg, »wollen
-aus dem Ganzen das Einzelne erkennen; die Empiristen durchsuchen
-das Einzelne in seiner Zerstreuung.« Beide Forschungsarten sind
-verschiedene Exemplare einer Gattung, die beide einseitig sind, wenn
-sie ihren Zusammenhang verkennen. Der Empirist, der das Einzelne
-in der Zerstreuung sucht, verfährt philosophisch, wenn er seine
-Einzelforschung als Beitrag zum Ganzen gelten läßt, und der Philosoph,
-der aus dem Ganzen das Einzelne erkennen will, verfährt empirisch, wenn
-er, wie recht, +alles+ Einzelne als Zubehör des Ganzen betrachtet.
-
-Die Philosophen fehlen, wenn sie den Intellekt für den einzigen Born
-der Erkenntnis und Wahrheit halten; er ist nur ein Stücklein davon
-und bedarf zu seiner Ergänzung der anderweitigen Welt. Die Empiristen
-fehlen, wenn sie Wahrheit und Erkenntnis einzig in der anderweitigen
-Welt suchen, ohne das geistige Instrument zu beachten, mittels dessen
-sie ihre Schätze heben.
-
-Schon der Gedanke, daß etwas sein könnte, was nicht die Generalnatur
-alles Daseins hat, ist kein Gedanke, ist ein Gedanke ohne Sinn oder
-Unsinn. Das Weltganze ist das ~être suprême~, von dem wir allerdings
-nur einen vagen Begriff haben. Den detaillierten »rechten« Begriff
-davon haben wir nicht; derselbe erwächst uns jedoch im Verlauf der
-Wissenschaft, kann aber nie vollkommen sein, weil das Detail sich in
-die Puppen verliert und das absolute Sein ein unendliches Werden ist.
-
-Und nun Einzelnes? Wir kennen es genauer und doch nicht genau, weil
-auch der kleinste Teil des Unendlichen unendlich ist. Atome sind
-von aller Wissenschaft noch immer vergeblich gesucht worden. Was
-unsere Erkenntnis kennt, waren immer Prädikate oder Erscheinungen der
-Wahrheit. Aber wahre Erscheinungen, wovon wir wahre Kenntnis haben.
-
-Die Welt zum Ausfluß des Gedankens machen -- nach Hegel --, ist eine
-verkehrte Logik; den Intellekt und seine Produkte als Attribute des
-Weltsubjektes erkennen, ist erste Bedingung rationeller, demokratischer
-Denkkunst.
-
-Das Thema wird im achtzehnten Brief fortgesetzt und vertieft:
-
-Wichtige Entdeckungen auf naturwissenschaftlichem Gebiet, das
-Wärmeäquivalent von Robert Mayer, die Entstehung der Arten von Darwin
-usw. stimulieren die Sache, so daß Naturwissenschaft und Philosophie
-mit zwei Bergleuten verglichen werden könnten, welche von zwei Seiten
-an einem Tunnel graben und dem lichten Durchbruch derart nahe sind,
-daß gespannte Ohren hüben und drüben die Hammerschläge pochen und die
-Werkzeuge krachen hören.
-
-Das Bild hat viel Wahres, aber führt leicht auch zu Mißverständnissen.
-Durch Vivisektion der Frösche und Kaninchen, durch Bohren am Gehirn
-wird die Physiologie +den Geist+ nicht erforschen. Kein Mikroskop und
-Teleskop wird das Wesen von Vernunft und Wahrheit aufdecken oder die
-Kunst der Unterscheidung enthüllen.
-
-Ebensowenig wird es in der Sprachwissenschaft den Lazar Geiger, Max
-Müller, Steinthal und Noiré gelingen, mittels irgendeiner Ursprache
-»die letzten Fragen alles Wissens« zu lösen.
-
-Jedoch soll die werte Mitarbeiterschaft dieser Herren nicht bestritten,
-sondern nur darauf hingewiesen sein, daß der Vergleich mit dem Tunnel
-mächtig hinkt. Von den logischen Formen gilt auch, was Marx von den
-ökonomischen sagt: »Bei der Analyse kann weder das Mikroskop dienen,
-noch chemische Reagenzien. Die Abstraktionskraft muß beide ersetzen.«
-
-Die Sache wird zum Durchbruch kommen; aber nicht indem jede Partei
-einseitig vorangräbt, sondern weil die Bergleute außer der Arbeitszeit
-miteinander verkehren und ihre Erfahrungen einander mitteilen. Auch
-verbleiben wohl die Philosophen der entscheidende Teil, da sie die
-Spezialisten in der Logik und als solche bereit sind, alles, was dem
-Werke dient, zu verwenden, von welcher Seite immer es sich darbieten
-mag. Die andere Partei dagegen hat ihre aparten Spezialitäten und
-fördert die Logik mehr nebensächlich und unwillkürlich.
-
-Dietzgen bespricht im Anschluß hieran den naturwissenschaftlichen
-»Monismus« seiner Zeit, der zum Teil noch in unserer sich breit macht,
-wie den von Noiré, der im Grunde ein unklarer Dualist war, indem er
-»Bewegung und Empfindung« für die einzig wahren Attribute der Welt
-erklärte, ohne zu erkennen, daß die Empfindung doch nur eine Art der
-Bewegung ist.
-
-In der »Einleitung und Begründung einer monistischen
-Erkenntnistheorie«, bemerkt Noiré mit höhnischem Akzent, »daß er nicht
-in der Lage sei, neuen Aufschluß über das Absolute zu geben«.
-
-Der naturwissenschaftliche Monismus hat vom Universum einen viel zu
-beschränkten Begriff. Mit seinem »alles ist Bewegung« ist sowenig und
-soviel gesagt wie mit dem Salomonischen »alles ist eitel«. Alles ist
-krumm und gerad, alles groß und klein, alles zeitlich und ewig, alles
-Wahrheit und Leben. Aber wie nun der Unterschied in die Welt, wie Ruhe
-in die Bewegung, Verstand in den Unverstand kommt, davon ist nichts
-gesagt.
-
-Um das Unterscheiden logisch zu praktizieren, will gewußt sein, daß
-das All, das Universum oder +Absolute+ die Ursache seiner selbst und
-der Urgrund aller Dinge ist, welcher alle Unterschiede, auch den der
-Kausalität und den zwischen Geist und Natur, »aufgehoben in sich
-enthält«.
-
-Der Begriff des +Absoluten+ oder des Weltganzen wird nun im neunzehnten
-Brief erörtert:
-
-Das Weltganze ist ein landläufiger Begriff, der jedem bekannt und wovon
-scheinbar wenig zu sagen bleibt. In der Tat ist es der Begriff aller
-Begriffe, das Wesen aller Wesen, die Ursache seiner selbst, das keine
-fremde Ursache und kein fremdes Wesen neben sich hat. Durch Erwägung,
-wie unablässig die Menschheit +außer+ der Welt eine Weltursache,
-einen Weltanfang und eine überschwengliche Wahrheit gesucht hat, muß
-Dir einleuchten, daß sie den Begriff des Weltganzen nicht erfaßt,
-das Universum nicht begriffen hat, und ist dann der Nachweis, daß es
-die Ursache aller Ursachen, Anfang aller Anfänge und Wahrheit aller
-Wahrheiten ist, nicht gerade eine überflüssige Arbeit.
-
-Ich behaupte, die Kenntnis des menschlichen Begriffsvermögens und die
-Kunst seiner Verwendung sind untrennbar vom Weltbegriff. Nicht so,
-als dürfe innerer Geist und äußere Welt nicht unterschieden werden,
-sondern es sind beide nur als formelle Unterschiede des +wesentlich+
-Ununterschiedenen, des absoluten Weltganzen zu fassen.
-
-Das Universum begreifen, heißt sich Klarheit verschaffen, wie dies
-Wesen aller Wesen keinen Anfang, keine Ursache, keine Wahrheit und
-keine +Vernunft außer und neben sich, sondern alles in und bei sich+
-hat. Das Universum begreifen, heißt erkennen, daß man die sogenannten
-logisch-metaphysischen Kategorien, wie Anfang und Ende, Ursache und
-Wirkung, Sein und Nichtsein usw., unlogisch anwendet, den Intellekt
-mißbraucht und durchaus unerbaulich wird, wenn man damit über die
-weltliche Unendlichkeit hinausfährt ins Überschwengliche.
-
-Um Dir also Sinn, universellen Sinn anzueignen, wirst Du Dich um die
-Erkenntnis bemühen, wie das Universum alles Relative einschließt,
-während es im ganzen das Absolute oder die erbauliche Gottheit
-verkörpert.
-
-Und der Begriff des Absoluten als des Weltganzen involviert, daß mit
-solchen Dingen, die man Gegensätze und Widersprüche nennt, es sich
-ganz anders verhält, als die Logik der Götzendiener wähnt und doziert.
-Daß Seele und Leib, Wahrheit und Irrtum, Leben und Tod usw. nicht
-unvereinbare Antipoden sind, die sich abstoßen. Diese Lehre vom Satze
-des Widerspruchs ist eine ganz beschränkte Kirchturmsweisheit, welche
-statt Klärung nur Wirrsal in die Köpfe bringt. Gewiß ist das Tote vom
-Lebendigen, das Vergängliche vom Ewigen, schwarz und weiß, krumm und
-gerad, groß und klein verschieden und entgegengesetzt. Aber auch das
-Allerentgegengesetzte und Widersprechendste geht ebenso leicht in eine
-Gattung, Familie oder Art hinein wie Zwillinge in einen Mutterschoß.
-Was Männchen und Weibchen nicht hindert, in einem Neste zu hocken,
-hindert auch die krasseste Verschiedenheit nicht, trotz der Entzweiung
-zugleich eins und dasselbe, das heißt zwei Stücke von einem Kaliber zu
-sein.
-
-Und wolltest Du gegen die Wahrheit des absolut vollkommenen Weltwesens
-einwenden, daß es mit dieser Vollkommenheit nicht weit her sei, wegen
-der vielen handgreiflichen Unvollkommenheiten, die anhängen, so
-würde ich bitten, nicht spitzfindig zu sein, sondern gesunden Sinnes
-anerkennen zu wollen, daß die Weltmängel so logisch zur Vollkommenheit
-gehören wie die bösen Begierden zur Tugend, die eben erst durch
-die Probe der Überwindung zur Tugend wird. Der Begriff einer
-Vollkommenheit, die nicht das Unvollkommene zu überwinden hätte, wäre
-ein läppischer Begriff.
-
-Hieran schließt sich nun, im zwanzigsten Brief, eine Erörterung des
-+Begriffs+ des Absoluten, der zur logischen Erkenntnis unumgänglich ist:
-
-Der Begriff Weißkohl und Kohl schlechthin, der Gemüse- und
-Pflanzenbegriff usw. sind, wenn auch Spezial-, doch zugleich
-Generalbegriffe; sie sind das eine wie andere nur relativ. Gegenüber
-den verschiedenen Kohlarten, die er einschließt, ist der Kohlbegriff
-generell oder abstrakt; gegenüber dem Gemüsebegriff ist er speziell
-und konkret. Und so steht es mit allen Begriffen, sie sind konkret und
-abstrakt zugleich; nur der letzte, der Weltbegriff ist weder konkret
-noch abstrakt, sondern +absolut+; er ist der Begriff des +Absoluten+.
-
-Der absolute Weltbegriff besteht zunächst aus zwei Teilen, aus der
-Welt und dem Begriff. So besteht das Wasser aus zwei Stoffen, deren
-jeder für sich ganz eigentümlich und kein Wasser ist. ~Ergo~ ist der
-Weltbegriff ein weit erhabeneres Subjekt als alle Teile, aus denen er
-besteht. Um diesen Punkt vor die Augen zu rücken, mag ich das aus Welt
-und Begriff zusammengesetzte Subjekt mit einem besonderen Titel ehren,
-es »Universum« nennen, damit es so von seinen Elementen namentlich
-getrennt sei.
-
-Ich erkläre jetzt, ohne daß ein Sophist das Wort verdrehen kann, daß
-der weltumfassende Gedanke oder das Universum das Absolute ist, welches
-alles und alles einschließt, während Welt und Begriff als gesonderte
-Teile nur Einteilungen oder Relatives darstellen.
-
-Wir wollen den Gedanken erkennen, aber nicht den leeren, sondern den
-universellen weltumfassenden Gedanken, den Gedanken im philosophischen
-Sinne, wo es kein bloßer Gedanke, sondern die lebendige Wahrheit, das
-Universum, Absolute oder Allerhöchste ist.
-
-Der absolute Begriff ist der Begriff des Absoluten, des Allerhöchsten;
-davon gilt nicht nur alles Wahre, Schöne und Gute, was man dem lieben
-Gott nachsagt, er ist auch dasjenige Wesen, welches allem Denken die
-erforderliche Logik, Halt und Gestalt gibt.
-
-Wie die menschlichen Handlungen ihre wahre Begründung nicht im
-+nächsten+ Zweck, sondern im +allgemeinsten+, im Wohlergehen, und
-als sittliche Handlungen ihre Berechtigung nur aus dem menschlichen
-Gesamtheil schöpfen, so finden alle Weltdinge ihre Begründung nicht in
-der nächsten Umgegend, sondern im unendlich weiten Universum. Nicht der
-in die Erde gelegte Samenkeim ist, wie der Bauer denkt, die Ursache,
-daß das Pflänzchen sprießt und wächst und grünt, sondern Erde, Sonne,
-Wind und Wetter, kurz die ganze Natur gehört dazu, welche letztere den
-Samenkern einschließt.
-
-Wenden wir diese Einsicht auf unser Spezialobjekt, auf das Denkvermögen
-an, so ist dasselbe kein menschlich beschränktes, allerdings auch
-kein überschwengliches, sondern ein kosmisches Universalvermögen.
-Wenn Du jetzt den Begriff des Absoluten erfaßt hast, verstehst Du die
-Göttersprache und verstehst, wie der Intellekt für sich allein ein
-wichtiges Partikelchen, aber im Zusammenhang mit dem Universum ein
-universeller absoluter Bestandteil, ein Bestandteil des Absoluten ist.
-
-Wie das Auge Gesichtsinstrument, ist der Intellekt Begriffsinstrument.
-Wie Brillen und Gläser Gesichtsmittel des Auges, so sind Sinne,
-Erfahrungen, Experimente Begriffsmittel des Intellekts.
-
-Man weiß, daß Augen, die um die Ecke, durch ein Brett oder Nelkenduft
-sehen wollen, so unverständig sind wie schwarze Schimmel. Daß wir
-das Unsichtbare nicht sehen können, hindert unsere Augen nicht, ein
-universales Instrument zu sein, welches alles (alles Sichtbare) sehen
-kann.
-
-Sofern das, ist Dir auch die Professorenweisheit klar, welche
-zerknirscht, wie die Methodisten, auf dem Bauche liegt und wie diese
-O Herr! O Herr! so ~à la~ Du Bois-Reymond: »~Ignorabimus~« ruft.
-Allerdings ist der Menschengeist ein Ignorant in dem Sinne, daß er
-beständig lernt, da in der Natur ihm ein unerschöpflich Material
-vorliegt. Auch ist an jedem Naturstückchen etwas Unbegreifliches, wie
-an jeder Nelke etwas Unsichtbares. Die relative Beschränktheit und
-Unbeschränktheit der Vernunft wird nur durch den Begriff des Absoluten
-verständlich.
-
-Die letzten vier Stücke (21 bis 24) sind eine Zusammenfassung des
-bisherigen Entwicklungsganges der Erkenntnislehre und enthalten ihre
-Nutzanwendung. Brief 21 beginnt:
-
-Die demokratische proletarische Volkslogik forscht nach dem
-+Allerhöchsten+. Das Volk weiß, es muß dienen, aber fragt sich, wem?
-Dem Baal oder dem Nabuchodonossor? Wo, wer, was ist das Allerhöchste,
-dem sich alles unterordnet, das System, Konsequenz, Logik in unser
-Denken und Handeln bringt? Zunächst fragt sich noch: Auf welchem Wege
-kommen wir zu seiner +Erkenntnis+? Da mit keiner überschwenglichen
-Offenbarung gedient ist, bleiben nur zwei Wege: +Vernunft+ und
-+Erfahrung+.
-
-Es ist nun der Fehler der landläufigen Denkweise, daß man aus diesen
-Wegen +zwei+ macht, während es in der Tat nur eine, die gemeine Straße
-ist, welche mittels erfahrungsmäßiger Vernunft oder vernunftmäßiger
-Erfahrung dahin führt, wo wir erkennen, wie das Allerhöchste, dem
-alles dient, nichts Besonderes, kein Teil oder Partikel, sondern das
-Universum selbst mit allen Teilen ist.
-
-Sokrates und seine Schule wandelten den aparten Weg der Vernunft, um
-das Allerhöchste, das Wahre, Gute, Schöne, wie sie es nannten, zu
-suchen. Die platonischen Dialoge wissen es überaus prächtig ins Licht
-zu setzen, daß nicht Gesundheit, nicht Reichtum, nicht Tapferkeit noch
-Frömmigkeit »der Güter Höchstes«, sondern wie es bei allen Dingen
-nur auf die Einsicht, nur auf den Gebrauch ankomme, den der Mensch
-davon macht. Je nachdem sind sie bald gut, bald schlecht, es sind nur
-relative Güter. Liebe und Treue, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit sind
-wohl gut, aber nicht das Gute; sie haben nur »teil daran«. Man sucht
-nach dem, was unter allen Umständen absolut gut, wahr und schön ist.
-
-So finden denn die Sokratiker heraus, daß nur die Einsicht oder +der
-Intellekt+ die Umstände ermitteln könne, die zum Absoluten führen.
-
-Aus der alten Philosophie ist endlich nach mehr als
-zweitausendjähriger Vermittlung durch Zwischenglieder die heutige
-demokratisch-proletarische Logik entstanden, welche erkennt, daß
-die Vernunft ein Instrument ist, das zum Allerhöchsten führt, unter
-der Bedingung, daß sie nicht grübelt, sondern aus sich herausgeht
-und mit +aller Welt+ sich verbindet. Solche Verbindung ist eben das
-Allerhöchste, die unvergängliche, ewige Wahrheit, Güte, Schönheit und
-Vernunft. Alle anderen Dinge haben, platonisch zu reden, »nur teil
-daran«.
-
-Wenn auch vielfach noch mit phantastischem Anhängsel behaftet, waren
-die Sokratiker doch auf dem besten Wege zur wahren Logik, indem weder
-Gesundheit noch Reichtum, noch irgendein anderes Gut oder Tugend ihnen
-genügte, da sie nicht die wahren Erscheinungen, sondern die Wahrheit
-selbst zu kennen begehrten. Sie, die Wahrheit, ist das Universum, und
-muß der Mensch sie als solche, als die alleinige kennen, um seine
-Vernunft vernünftig gebrauchen zu können, vernünftig im höchsten,
-klassischen Sinne des Wortes.
-
-Plato und Aristoteles haben ganz vorzüglich daran gearbeitet. Auch
-die neueren Philosophen, Cartesius, Spinoza, Kant. Haupthindernis
-für alle war das hartnäckige Vorurteil, daß der Mensch die Vernunft
-im Kopfe habe. Wenn er auch dergleichen hat, dann ist es doch nicht
-die vernünftige Vernunft. Der im Hirnkasten eingeschlossene Intellekt
-hat nicht, wie die Alten wähnen, die Weisheit bei sich; letztere kann
-deshalb auch nicht durch Grübeln geschöpft werden.
-
-Du wirst den Ausdruck »grübeln« nicht mißverstehen. Ich bin kein Gegner
-sinnigen Nachdenkens, sondern will nur aufmerksam machen, wie man auf
-den verkehrten Weg geraten ist, das Denken vom Sehen, Hören, Fühlen,
-den Geist vom Körper zu trennen. Wie die Christen das Heil außer dem
-Fleische, so suchten die Philosophen die Vernunft oder Erkenntnis außer
-dem Zusammenhang mit der anderweitigen Welt, außerhalb der Erfahrung.
-Besonders die Forschung nach der Beschaffenheit des Intellekts glaubte
-in sich kriechen zu müssen.
-
-Dabei ist zu erwägen, daß die Sokratiker, welche das Absolute unter dem
-Namen des Guten suchten, insofern beschränkt waren, als sie dasselbe
-nur von der moralischen, spezifisch menschlichen Seite erfaßten
-und nicht zuletzt auch von der +kosmischen+. Wie Gesundheit und
-Reichtum zusammengehören, und auch das noch viel zu wenig ist für das
-Menschenheil, wie dazu alle sozialen und politischen Tugenden erfordert
-sind, so steckt das Gute noch nicht im Zusammenhang aller Menschen,
-sondern geht darüber hinaus und hängt mit +aller Welt+ zusammen. Ohne
-letztere ist der Mensch nichtig. Er hat keine Augen ohne Licht, keine
-Ohren ohne Geräppel, keine Moral ohne Physik. Der Mensch ist nicht so
-sehr das Maß aller Dinge, als vielmehr sein mehr oder minder großer
-und intimer Zusammenhang mit allen Dingen das Maß aller Menschlichkeit
-ist. Nicht die beschränkte Moralität, sondern das Universum, das
-Allerhöchste, ist das Gute im allerhöchsten Sinne des Wortes, ist das
-absolute Gut, Recht, Wahrheit und Vernunft.
-
-Die absolute Ein-Natur alles Daseins ist die unbedingte Grundlage einer
-verständigen Vernunftanwendung.
-
-Unsere Volkslogik ist tolerant und nicht fanatisch. Die Volkslogik
-will nicht vernünftig sein ohne Leidenschaft, aber auch nicht
-leidenschaftlich ohne Vernunft. Sie hebt nicht den Unterschied auf
-zwischen Freund und Feind, zwischen Wahrheit und Lug, zwischen
-Verstand und Unverstand, sondern beschwichtigt den Fanatismus, der das
-Unterscheiden übertreibt. Sie stellt den Lehrsatz an ihre Spitze: Es
-gibt nur +ein+ Absolutes, das Welt+all+.
-
-Halte wohl fest, daß der Begriff eines Weltalls, das irgend etwas
-außer oder neben sich hat, womöglich ein noch verrückterer Begriff
-ist wie ein hölzernes Eisen. Daran erkennst Du zugleich, wie alle
-Verschiedenheit eine gemeinschaftliche Natur hat, welche nicht zuläßt,
-daß der Unterschied zwischen zwei Dingen oder Meinungen überschwenglich
-groß sei. Weil das Universum das einzige höchste Wesen ist, darum sind
-alle Unterschiede, auch alle Meinungsunterschiede höchst unwesentlich.
-
-Und nun kommt die Moral von der Geschichte. Die Menschenvernunft, das
-Spezialobjekt der logischen Forschung, partizipiert am Generalwesen;
-sie ist kein Wesen für sich; als isoliertes Wesen ist sie durchaus
-nichtig und unvermögend, irgendeine Erkenntnis zu produzieren. Nur
-im Zusammenhang, nicht nur mit dem materiellen Gehirn, sondern mit
-dem Universum überhaupt ist der Intellekt lebens- und arbeitsfähig.
-Nicht das Gehirn denkt, sondern der ganze Mensch gehört dazu; und
-nicht nur der Mensch, sondern der Universalzusammenhang ist zum Denken
-erfordert. Die Vernunft offenbart keine Wahrheit. Die Wahrheiten,
-welche sich uns +mittels+ der Vernunft offenbaren, sind Offenbarungen
-des Generalwesens, des Absoluten.
-
-Sokrates zeigt, daß er nur noch einen beschränkten, einen
-anthropomorphistischen und keinen kosmischen Begriff vom »Besten und
-Guten« und von der Vernunft hat. Er war von dem Vorurteil beherrscht,
-von dem die unkultivierten Gottgläubigen noch immer beherrscht
-sind, daß die Vernunft älter sei als die übrige Welt, daß sie der
-herrschende und vorausgegangene Planmacher sei. +Unsere+ Vernunftlehre
-dagegen kennt den Geist, den wir im Kopfe haben, nur als Ausfluß des
-Weltgeistes. Letzteren jedoch darfst Du nicht als nebulöses Ungetüm,
-nicht als Monstergeist, sondern als das leibliche Universum erkennen,
-welches trotz allem Wechsel und aller Variation ewig eins, wahr, gut,
-vernünftig, das Allerwirklichste und Allerhöchste ist.
-
-Nachdem das glänzende Dreigestirn Sokrates -- Plato -- Aristoteles
-erloschen, hüllte sich der philosophische Himmel in dunkle Wolken. Die
-Heiden traten von der Bühne ab, und das Christentum und die Dogmen
-seiner Kirche beherrschten die Logik der Menschen, bis endlich am
-Anfang der neueren Zeit hin und wieder ein wissenschaftliches Lichtlein
-aufgeht. Namentlich sind es +Cartesius+ und +Spinoza+, die unter den
-ersten leuchtend auftreten, die ihren Geist natürlich nur schwer und
-relativ zu emanzipieren vermögen. Spinoza ist in seinem Kampfe wider
-den beschränkten und für den universellen Geist besonders interessant.
-
-Das wahre, höchste und beständige Gut entdeckt Spinoza in der
-»Erkenntnis der Einheit«, in der die Seele sich mit der ganzen Natur
-befindet. »Dies ist also«, sagt er weiter, »das Ziel, nach dem ich
-strebe ...«
-
-»Zu diesem Zwecke hat man sich der Moral, Philosophie und der Lehre
-von der Erziehung der Knaben zu befleißigen und damit die ganze
-Arzneiwissenschaft zu verbinden, weil die Gesundheit wesentlich zur
-Erreichung dieses Zieles beiträgt. Auch die Mechanik darf nicht
-übergangen werden, weil vieles Schwere durch die Kunst leicht gemacht
-wird. +Vor allem aber ist ein Weg zur Verbesserung des Verstandes
-aufzusuchen.+«
-
-Da sind wir denn wiederum beim Angelpunkt unseres Themas angekommen.
-Wer, was ist der Intellekt, wo kommt er her, wo führt er hin? Antwort:
-Er ist ein Licht, das nicht in sich hinein, sondern aus sich heraus
-die ganze Welt beleuchtet. Darum ist die Wissenschaft, welche das
-Denkvermögen zum Gegenstand hat, wenn auch eine beschränkte, dennoch
-eine universelle Disziplin oder universelle Weltweisheit.
-
-Wenn +Sokrates+ nach der Tugend und nach dem »Besten« und Spinoza
-nach steter und höchster Heiterkeit sucht, und solche Weisheit nur
-auf den engeren Kreis menschlichen Getriebes ausgeht, sich also zur
-kosmischen Welt noch nicht so recht erhoben hat, so laß Dich das nicht
-beirren. Das Mittel und das Instrument, mit dem sie zum Zwecke streben,
-ist der Intellekt. Es liegt nahe, daß die intellektuelle Forschung
-zur Erforschung des Intellekts führen mußte, zur »Verbesserung des
-Verstandes«, zur »Kritik der Vernunft«, zur »Logik« und so schließlich
-zu der Erkenntnis, daß das Denkvermögen ein unabtrennbarer Teil des
-monistischen Weltalls, des Absoluten ist, welches letztere allem Denken
-Halt, Sinn und Verstand gibt.
-
- * * * * *
-
-Über die aus fünfzehn Briefen bestehende (1883 bis 1884 verfaßte)
-zweite Serie der »Logischen Briefe« ist an dieser Stelle nur zu sagen,
-daß sie eine Kritik von Henry Georges »Fortschritt und Armut« ist,
-des in der ersten Hälfte der achtziger Jahre von den Gebildeten aller
-Nationen am meisten gelesenen populär-nationalökonomischen Buches, das
-noch heute die Bibel der Singletax-Ideologen genannt werden darf, das
-heißt der politischen Theoretiker, die den Schäden des Kapitalismus
-durch eine »einzige Steuer« (auf den Bodenwert) beizukommen wähnen.
-Dietzgen schrieb diese Kritik des Henry George, um seinem Sohne,
-und den späteren Lesern, Einblick in die politische Ökonomie zu
-verschaffen, ihn hierbei in die Marxsche Theorie einzuführen und
-gleichzeitig »die veritable Logik zu demonstrieren«.
-
-Der erste Teil meiner Briefe, sagt er, erläuterte die Logik am
-menschlichen Geiste; der zweite Teil soll sie an der menschlichen
-Arbeit erläutern. Der Geist oder die Denktätigkeit ist das allgemeine
-Gebiet, welches nicht nur mit allem, was menschlich, sondern mit dem
-Universum zusammenhängt. Das Objekt dieses zweiten Teiles, die Arbeit,
-ist nicht minder universell und in ihrem kosmischen Zusammenhang ein
-vorzügliches Erläuterungsmittel unserer Spezialität, der Kopfarbeit.
-
-Weiter bemerkt er: Die Quintessenz aller Denkkunst ist der
-Einheitsbegriff, der Begriff, wie es barer Unsinn ist, sich mit der
-Meinung zu tragen, daß es zwei unterschiedene Dinge geben könne, die
-nicht zugleich gemeinschaftlicher Natur seien. Diesen Begriff von
-der Einheit aller Differenz hat Henry George nicht erfaßt. Er bringt
-deshalb Differenzen in die politische Ökonomie, die der Auflösung
-bedürfen. Ich stelle mir also die Aufgabe, nachzuweisen, daß nicht im
-ökonomischen Sachverhalt, sondern in der Anschauung des Autors von
-»Fortschritt und Armut« Widersprüche oder Differenzen enthalten sind,
-die mit Hilfe besserer Logik leicht zu ordnen.
-
-Die Ökonomie handelt von der Erzeugung und Verteilung des Reichtums.
-Der wesentlichste Produzent oder Hauptfaktor desselben ist die
-menschliche Arbeit. Daß diese Arbeit nicht in der Luft hängt, sondern
-mit zwei Beinen auf der Erde steht, daß sie nicht arbeiten kann ohne
-Gegenstände, Materialien, Mittel und Werkzeuge, ist selbstverständlich.
-Wenn jemand lehrt, die Arbeit ist der Schöpfer des Reichtums, und es
-kommt ein anderer mit: »Nein! Die Arbeit kann nichts schaffen, wenn
-nicht die Natur und ihre Reichtümer schon vorhanden sind«, so ist klar,
-wie dieser andere nur behauptet, was niemand bestreitet.
-
-Nachdem wir ein für allemal wissen, daß es in der Welt nichts
-Besonderes gibt, welches absolut ist, wenn wir wissen, wie das Absolute
-ein Name für das All oder Universum ist, welches gleich dem lieben Gott
-keinen neben sich hat, dann wissen wir auch, daß die Arbeit nur relativ
-»schaffen«, nur in Verbindung mit den Materialien der Natur und den
-Errungenschaften der Geschichte Reichtümer zeugen kann.
-
-Es ist dies der Kernpunkt, weshalb ich mit dem Verfasser von
-»Fortschritt und Armut« hadere. Dieser ist Gegner des Satzes: Arbeit
-allein schafft Reichtümer. Er behauptet, die Natur, die den sauren Wein
-mit der Zeit süß und aus dem Kalb eine Kuh macht (3. Kapitel, 3. Buch),
-arbeite mit. Das bestreiten wir nicht; wir widerstreiten nur, daß
-Kapitalien, die von Natur aus »mitarbeiten«, deshalb auch von Natur aus
-berufen sind, an den Früchten der Arbeit zu partizipieren. Der Streit
-um die Erzeugung der Reichtümer ist in der Tat nur ein Streit um ihre
-Verteilung.
-
-Der bisherige Fortschritt in der Kunst, Reichtümer zu zeugen, ist
-zugleich ein Fortschritt in der Armut der arbeitenden Klasse. Das
-Büchlein zeigt dies so deutlich und mannigfaltig, daß darüber kein
-Wort weiter zu verlieren ist. Wenn auch der Arbeiter des neunzehnten
-Jahrhunderts ebenso gut und wenn er auch besser genährt ist als der des
-achtzehnten, siebzehnten und sechzehnten, so ist doch evidentermaßen
-sein Anteil am Arbeitsertrag viel kleiner. Es handelt sich darum,
-diesem Widerspruch zu steuern. Henry George ist ein Parteigänger der
-irischen Landliga, welche sich mit der Hoffnung trägt, die Verwandlung
-des Grund und Bodens in Gemeineigentum würde die »soziale Frage« lösen.
-
-Die ebenso lehrreiche wie interessante Polemik Dietzgens gegen
-George im einzelnen gehört aber, da sie keine theoretische, sondern
-angewandte Logik ist, nicht in den Rahmen dieses Buches. Wer durch
-die vorliegende Darstellung der Lehre und Weltanschauung Josef
-Dietzgens sich angeregt fühlt, der »Logischen Briefe« ersten Teil in
-der Gesamtausgabe zu lesen, wird sicherlich auch dem zweiten Teil
-sein Interesse zuwenden, selbst wenn er noch jenseits des Marxschen
-Sozialismus seinen Standpunkt hat. Denn auch bei Behandlung von Fragen
-der politischen Ökonomie bekundet unser Autor seine Originalität und
-zeigt uns Gesichtspunkte wie kein anderer marxistischer Sozialist, Karl
-Marx selbst eingeschlossen, von dem Dietzgen seine Ökonomie fertig
-übernommen zu haben mehrfach freudig bekennt.
-
-Hier ein Beispiel. Dietzgen sagt im dritten Brief der zweiten Serie:
-
-Bekanntlich wird von der Naturwissenschaft alles auf Bewegung
-reduziert. Licht, Töne, Wärme, Stoff und Kraft, alles ist Bewegung.
-So berechtigt sie dazu ist, so berechtigt ist die Ökonomie, alles
-als Arbeit zu fassen. Alles ist Bewegung, alles ist Arbeit. Auch ist
-alles Natur. Alles ist das All oder Universum, wovon jeder Teil
-universell ist, jeder Teil die Generalnatur des Ganzen und das Ganze
-die Generalnatur eines jeden Teiles hat. Der Begriff des Universums ist
-der Kardinalbegriff der Logik. Es, das Universum, ist der Inbegriff
-aller Dinge. Das Unterabteilen oder Unterscheiden der universellen
-Einheit ist der logische Springpunkt. Er lehrt: Du sollst keinen
-Unterschied übergroß machen, Du sollst keinen überschwenglichen,
-keinen metaphysischen Unterschied glauben. Alles ist unterschieden,
-aber nur so mäßig, daß die Natur von allem in allem enthalten, daß,
-burschikos ausgedrückt, alles ein einziger Schwamm ist, im Verstand
-auch Unverstand und im Unverstand immer noch Verstand steckt.
-
-Also in solchem Sinne ist die ganze Welt eine Arbeit und die
-menschliche nur ein spezieller Teil der universalen. Es wäre logische
-Beschränktheit, das Objekt der Ökonomie nicht bis »in die Puppen«
-generalisieren zu wollen; es wäre konfus, bei solcher Generalisation
-es bewenden zu lassen und nicht zur Unterabteilung, nicht zur
-Spezifikation fortzuschreiten. Die menschliche Arbeit ist eine
-Unterabteilung, die wieder untergeteilt ist in urwüchsig kommunistische
-Arbeit, Sklavenarbeit, Fronarbeit und Lohnarbeit. Letztere ist
-derjenige partikuläre Teil, der uns speziell interessiert, den ich, der
-Logik wegen, Dir im Zusammenhang mit dem Universum zeige.
-
-Die Arbeit der Konkurrenzgesellschaft teilt sich -- in freie Arbeit,
-die sich selbst lohnt und meist von Nichtstuern geleistet wird, und in
--- »freie Arbeit« (mit Gänsefüßchen), die sich nicht lohnt, sondern
-gelohnt wird und Lohnarbeit heißt.
-
-Daß so von der Arbeit, die sich selbst lohnt, gesagt wird, sie
-sei verrichtet von Nichtstuern,[13] klingt paradox und ist doch
-verständlich, wenn Du aufmerkst, wie vom Ertrag der nationalen Arbeit
-die effektiven Arbeiter für den Kopf einen erbärmlichen und die
-Industrieritter einen solch riesigen Anteil davontragen.
-
-Zunächst jedoch laß uns absehen von den Unterabteilungen der
-Konkurrenzarbeit und im Auge behalten, daß sie mit aller menschlichen
-Arbeit und mit der Natur zusammenhängt, davon Teil oder Abteilung
-ist. Es ist das besonders um deswegen hervorzuheben, weil ökonomische
-Konfusionsräte, wenn später vom Werte die Rede ist, diesen natürlichen
-Zusammenhang als Mittel brauchen, um unsere Werttheorie konfus zu
-machen, welche namentlich von Marx in glänzender Weise klargelegt wurde.
-
-Arbeit schafft Produkte. Naturarbeit schafft wildwachsende Bäume,
-Gräser, Sonnenstrahlen und andere kostenlose Dinge, während
-Menschenarbeit -- natürlich mit Hilfe der Natur -- kostenreiche
-Produkte schafft. So gibt es denn keine reinen menschlichen
-Arbeitsprodukte, sondern all unsere Arbeit muß sich mit dem
-Naturmaterial gleichsam chemisch verbinden. Derart gewinnt die
-menschliche Arbeit materielle Form und läßt sich aufspeichern.
-Aufgespeicherte Arbeit nimmt in der Ökonomie einen hohen Rang ein,
-besonders weil sie als Mittel dient, die lebendige Arbeit immer
-ergiebiger zu machen.
-
-Die Einteilung der menschlichen Arbeit in gegenwärtige, lebendige
-und in vergangene, tote, aufgespeicherte Arbeit ist eine logische
-Operation, die zur ökonomischen Erhellung dient. Die tote Arbeit liegt
-nicht nur in materiellen Stücken umher, sondern hat auch geistige
-Formen. Die Errungenschaft an größerer Einsicht in den Naturprozeß,
-die verbesserten Arbeitsmethoden usw. usw. sind alle aufgespeicherte
-Arbeit. Du darfst nicht glauben, daß zwischen geistiger und
-körperlicher Arbeit kein Unterschied sei, aber auch nicht glauben,
-derselbe sei so exakt, daß man irgendein materielles Stück Arbeit
-haben könne, das nicht mit dem Geiste verquickt, oder irgendeine
-intellektuelle Einsicht, die nicht stofflich geworden. Nicht nur Papier
-und Druckerschwärze, auch alle Instruktionen, welche der Meister dem
-Lehrling mündlich erteilt, sind aufgespeicherte Arbeiten unserer
-Vorfahren.
-
-Meine Logik, die in der ersten Serie den Zusammenhang von Geist
-und Bein behandelte, handelt in diesem zweiten Teile vom geistigen
-und körperlichen und anderweitigen Arbeitszusammenhang, den sie in
-Gattungen und Arten, in Abteilungen und Unterabteilungen trennt und
-teilt, um das Ganze als ein Ungeteiltes darzustellen.
-
-
-
-
-IX.
-
-Erkenntnistheoretische Streifzüge.
-
-
-Die »Streifzüge eines Sozialisten in das Gebiet der Erkenntnistheorie«
-(Chicago 1886) erschienen zuerst in der »Sozialdemokratischen
-Bibliothek« (Hottingen-Zürich 1887). Genaue Kenntnis des »Wesens der
-menschlichen Kopfarbeit« und der »Logischen Briefe« erster Teil ist
-unbedingtes Erfordernis zu leichtem Verständnis und vollem Genuß dieser
-Schrift.
-
-Der erste Abschnitt behandelt die Frage, ob wir +alles+ erkennen
-können? Der Autor wählt als Überschrift dieses Abschnitts den
-»oft zitierten Dichterspruch«: »Ins Innere der Natur dringt kein
-erschaffener Geist.«
-
-Vollständig lautet das Zitat:
-
- »Ins Innere der Natur -- Dringt kein erschaffener Geist.«
- »Glücklich, wem sie nur -- Die äußere Schale weist.«
-
-Es stammt von dem im Jahre 1777 verstorbenen Dichter (und Botaniker,
-Zoologen, Anatomen) Albrecht v. Haller.
-
-Goethe hat (in »Gott und Welt«) sehr ergrimmt folgendes darauf erwidert:
-
-
-+Allerdings.+
-
-Der Physiker.
-
- »+Ins Innere der Natur+ --
- O du Philister! --
- +Dringt kein erschaffener Geist+.«
- Mich und Geschwister
- Mögt ihr an solches Wort
- Nur nicht erinnern;
- Wir denken: Ort für Ort
- Sind wir im Innern.
- »+Glücklich, wem sie nur
- Die äußere Schale weist+.«
- Das hör' ich sechzig Jahre wiederholen,
- Ich fluche drauf, aber verstohlen;
- Sagt mir tausend, tausend Male:
- Alles gibt sie reichlich gern;
- Natur hat weder Kern
- Noch Schale;
- Alles ist sie mit +einem+ Male.
- Dich prüfe du nur allermeist,
- Ob du Kern oder Schale seist.
-
-Auch das nächstfolgende Gedicht Goethes »Ultimatum« bezieht sich
-hierauf.
-
-Ich weiß nicht, ob Dietzgen durch Goethes Polemik gegen Haller angeregt
-wurde, an des letzteren Ausspruch anzuknüpfen; im übrigen ist es völlig
-gleichgültig, da unseres Autors Anschauungen über die pantheistischen
-des Altmeisters weit hinausgehen.
-
-Mit dem angeblich von einem höheren Geist »erschaffenen Geist« des
-Menschen, dem geistigen Organ, das dem Menschen von Natur im Kopfe
-angewachsen ist, hat es Dietzgen hier zunächst zu tun, und sodann mit
-dem Thema des Eindringens unseres Intellekts ins Innere der Natur.
-Unser Autor sagt:
-
-Wie die Fetischdiener die gemeinsten Dinge, Steine und Hölzer,
-verhimmeln, so ist auch der »erschaffene Geist« verhimmelt und
-mystifiziert worden; zuerst religiös und danach philosophisch. Was die
-Religion Glaube und übernatürliche Welt, das nannte die Philosophie
-+Metaphysik+. Bevor die Philosophie in das Innere des erschaffenen
-Geistes eindringen konnte, mußte ihr von der Naturwissenschaft durch
-praktische Betätigung erwiesen werden, wie das geistige Instrument des
-Menschen die bezweifelte Fähigkeit wohl besitzt, das Innere der Natur
-erhellen zu können.
-
-Auch die unbekannteste Welt und die geheimnisvollsten Dinge gehören
-mit allen bekannten Gegenden und Gegenständen in eine und dieselbe
-Kategorie, nämlich in den universellen Naturverband. Der »erschaffene
-Geist« macht keine Ausnahme von diesem wissenschaftlichen Gesetz.
-
-Der alte religiöse Vorstellungskreis ist der Erkenntnis hinderlich,
-daß die Natur nicht nur eine nominelle, sondern eine wahrhaftige Monas
-ist, welche +nichts+ anderes, auch keinen +unerschaffenen Geist+, weder
-über sich, noch in sich, noch neben sich hat. Der Glaube an einen
-unerschaffenen, monströsen, religiösen Geist hindert die Erkenntnis,
-daß der Menschengeist von der Natur selber geschaffen und erzeugt
-wurde, also deren eigenes Kind ist, demgegenüber sie keine besondere
-Sprödigkeit kennt.
-
-Dennoch ist die Natur spröde; sie erschließt sich nie auf einmal
-und nie ganz und gar. Sie kann sich nicht +ganz+ hingeben, weil sie
-+unerschöpflich+ ist an Gaben. Dennoch ist der »erschaffene Geist«,
-dies Kind der Natur, eine Lampe, welche nicht nur das Äußere, sondern
-auch das Innere der Natur erhellt. Inneres und Äußeres sind +gegenüber
-dem physisch unendlichen und unerschöpflichen einzigen Naturwesen+
-verzopfte Begriffe. Ebenso ist der »erschaffene Geist« ein verzopfter
-Begriff, insofern derselbe auf einen unerschaffenen großen, monströsen,
-metaphysischen Geist hinweisen soll, der seinen Sitz über den Wolken
-hat.
-
-»Der große Geist« der Religion ist die Ursache von der Verkleinerung
-des Menschengeistes, welcher sich der Dichter schuldig macht,
-der letzterem die Fähigkeit abspricht, in das »Innere der Natur«
-einzudringen. Und zugleich ist doch der unerschaffene, monströse Geist
-nur ein +phantastisches Abbild+ des »erschaffenen« physischen Geistes.
-
-Die Erkenntnistheorie in ihrer entwickeltsten Gestalt vermag diesen
-Satz gründlichst zu beweisen. Sie zeigt uns, daß der »erschaffene
-Geist« seine sämtlichen Vorstellungen, Gedanken und Begriffe der
-einen monistischen Welt entlehnt, welche die Naturwissenschaft
-»physische« Welt nennt. Die gute Mutter Natur hat ihm etwas von ihrer
-Unerschöpflichkeit angeerbt. Er ist so unbeschränkt und unerschöpflich
-an Erkenntnissen, wie sie unbeschränkt ist in der Willfährigkeit, ihre
-Brust zu öffnen. Beschränkt ist das Kind nur durch den unbeschränkten
-Reichtum der Mutterliebe: es kann die Unerschöpfliche nicht erschöpfen.
-
-Der »erschaffene Geist« dringt mit seiner Wissenschaft bis in das
-Allerinnerste der Natur, aber darüber hinaus kann er nicht dringen,
-nicht weil er ein beschränkter Geist ist, sondern weil die Mutter eine
-unendliche Natur, eine natürliche Unendlichkeit ist, die nichts außer
-sich hat.
-
-Die wunderbare Mutter hat ihrem natürlichen Kinde das +Bewußtsein+
-angeerbt. -- Der erschaffene Geist kommt mit der Anlage zur Welt, sich
-bewußt zu werden, daß er das Kind seiner guten Mutter Natur ist, welche
-ihm die Fähigkeit anerschaffen, sich von allen anderen Kindern seiner
-Mutter, von allen seinen Geschwistern treffliche Bilder zu entwerfen.
-
-Die von der philosophischen Wissenschaft im Laufe der Jahrhunderte
-zusammengetragenen Kenntnisse vom »erschaffenen Geiste« gipfeln in
-der Lehre, daß dieser Geist eine Kraft, eine Naturkraft ist, wie die
-Schwerkraft, wie Wärme, Licht, Elektrizität usw.; und dann auch neben
-seiner allgemeinen Natur, ganz wie die anderen Kräfte, ein spezielles
-Naturell besitzt, welches ihn allein auszeichnet und kennbar macht.
-Prüfen wir diese Spezialnatur des »erschaffenen Geistes« näher, so
-findet sich, daß ihm die, wenn man will »wunderbare« Eigenschaft
-angeboren ist, ohne weiteres und mit zweifellosester Sicherheit zu
-wissen, daß zwei Berge nicht ohne Tal sind, der Teil kleiner ist als
-das Ganze, Kreise nicht viereckig und Bären keine Elefanten sind.
-
-Solche Wissenschaft ist uns durch die objektive Untersuchung des
-»erschaffenen Geistes« gegeben.
-
-Der überschwengliche Geist ist ein phantastischer Begriff.
-
-Ebenso phantastisch ist denn auch der Naturbegriff derjenigen, welche
-von einer Natur reden wollen, die dem »erschaffenen Geist« ihr Inneres
-verschließt. Die Natur ist das Unendliche. Wer das begreift, begreift
-auch, wie man bei ihr nicht vom Inneren oder Äußeren reden kann. Alle
-diese Bezeichnungen gelten nicht von der Natur überhaupt, welche das
-Absolute ist, sondern nur von ihren Teilen, von ihren Produkten, ihren
-Kindern, den einzelnen Dingen.
-
-Wollen wir uns ein rechtes Bild machen von der Natur und ihrem
-»erschaffenen Geiste«, so müssen wir dem letzteren vor allem
-das Bewußtsein beibringen, daß er sich nicht über seine Mutter
-erheben darf, wie er damals getan, als er noch von einem über- und
-außernatürlichen Geist gefabelt. Ein rechter Begriff vom Menschengeist
-ist nur zu gewinnen, wenn wir uns das klare und deutliche Bewußtsein
-von der +Universalität+ der Natur aneignen. Unser Geist ist ihr eigenes
-Produkt. Sie hat ihm die Gabe und die Bestimmung angeerbt, sich
-Einsicht von ihr und allen ihren Erscheinungen zu verschaffen. -- »Von
-allen«, sage ich und spreche im verständig-mäßigen Sinne des Wortes,
-ohne zu verkennen, wie unerschöpflich die Natur in der Produktion ihrer
-Erscheinungen ist, und wie der »erschaffene Geist«, sofern er ein Stück
-der Natur, trotz all seiner Universalität im Begreifen, doch nur ein
-beschränktes Naturgeschöpf sein kann.
-
-Wer sich die Resultate der Naturwissenschaft betrachtet, kann die Natur
-keiner mysteriösen Verschlossenheit beschuldigen, und wer dabei die
-Resultate der Philosophie in Betracht zieht, kann nicht verkennen, daß
-der Menschengeist berufen ist, alle möglichen Rätsel zu lösen. Das
-Unmögliche aber hat weder Sinn noch Verstand und darf also kein Objekt
-unserer Betrachtung und Beachtung sein.
-
-So innig wie das Gesichtsvermögen mit Licht und Farbe, oder das
-subjektive Tastvermögen mit der objektiven Tastbarkeit, so innig
-hängt der »erschaffene Geist« mit dem Rätsel der Natur zusammen.
-Diesen Zusammenhang der Dinge übersehen zu haben, ist der Fehler jener
-rückständigen Erkenntnistheoretiker, welche derart über Geist und Natur
-im unklaren schweben, daß sie Rettung jenseits der Wolken suchen.
-
-Die überschwengliche Verkleinerung des Geistes, dem man abspricht, das
-Innere der Natur erhellen zu können, und ebenso die überschwengliche
-Mystifizierung der Natur, deren Inneres unbegreiflich sein soll --
-beide entspringen einer Denkweise, welche naturwüchsig jahrtausendelang
-den Menschen beherrscht hat, während die philosophische Bemühung
-es endlich dahin gebracht, daß nunmehr umgekehrt der Mensch seine
-Denkweise beherrscht, wenigstens so weit, daß er mehr regel- und
-kunstgerecht die ihm aufgegebenen Rätsel zu lösen weiß.
-
-Es ist ein Gesetz der natürlichen Logik und der logischen Natur, daß
-jedes Ding in seiner Gattung bleiben muß, daß sich die Gattungen und
-ihre Arten zwar verändern können, aber nicht so übermäßig, daß sie aus
-der Generalgattung, aus der natürlichen, herauswachsen. Es kann deshalb
-keinen Geist geben, der so tief in das Innere dringt, daß er die Natur
-zusammenklappen und gleichsam in die Tasche stecken könnte.
-
-Im zweiten Abschnitt »Die absolute Wahrheit und ihre natürlichen
-Erscheinungen« schildert Dietzgen, wie er durch das Studium von
-Feuerbach und Marx' ersten Schriften in seinem Streben unterstützt
-wurde, einen Maßstab zur Beurteilung dessen, was wahr und recht ist, zu
-erlangen.
-
-Zur näheren Erkenntnis der Natur der absoluten Wahrheit ist vor allem
-dem eingewurzelten Vorurteil entgegenzutreten, als sei dieselbe
-geistiger Natur. Nein: die absolute Wahrheit läßt sich sehen, hören,
-riechen, fühlen, allerdings +auch erkennen; aber sie geht nicht auf in
-Erkenntnis+; sie ist kein purer Geist. Die absolute Wahrheit hat keine
-+besondere+ Natur, vielmehr die Natur des Allgemeinen; die allgemeine
-natürliche Natur und die absolute Wahrheit sind identisch. Es gibt
-keine zwei Naturen, eine körperliche und eine geistige; es gibt nur
-eine Natur, worin alle Körper und alle Geister enthalten sind.
-
-Das Universum ist identisch mit der Natur, mit dem Weltall und der
-absoluten Wahrheit.
-
-Was wir +erkennen+, sind Wahrheiten, relative Wahrheiten oder
-Naturerscheinungen. Die Natur selbst, die absolute Wahrheit, läßt sich
-nicht erkennen, nicht direkt, sondern nur +mittels+ ihrer Erscheinungen.
-
-Da die menschliche Erkenntnis nicht das Absolute ist, sondern nur
-ein Künstler, der sich von der Wahrheit Bilder macht, wahre, echte,
-rechte und treffende Bilder, so ist doch selbstredend, daß das Bild
-den Gegenstand nicht erschöpft und der Maler hinter seinem Modell
-zurückbleibt. Es ist niemals etwas Geistloseres von der Wahrheit noch
-von der Erkenntnis gesagt worden, als das, was die gebräuchliche Logik
-seit Jahrtausenden davon sagt: Wahrheit sei die Übereinstimmung unserer
-Erkenntnis mit ihrem Gegenstand. Wie kann das Bild mit seinem Modell
-»übereinstimmen«? -- Annähernd, ja. Welches Bild stimmt nicht annähernd
-mit seinem Gegenstand? Mehr oder minder treffend ist doch jedes
-Porträt. Aber ganz getroffen und ganz trefflich -- abnormer Gedanke!
-
-Also nur relativ können wir die Natur und ihre Teile erkennen; denn
-auch jeder Teil, obgleich nur eine Relation der Natur, hat doch auch
-wieder die Natur des Absoluten, die mit der Erkenntnis nicht zu
-erschöpfende Natur des Naturganzen an sich.
-
-Die wissenschaftliche Erkenntnis darf nicht nach absoluter Wahrheit
-begehren, weil letztere, die absolute Wahrheit, ohne weiteres sowohl
-sinnlich als geistig +gegeben+ ist. Was wir zu erkennen verlangen,
-sind die Erscheinungen, die Besonderheiten der allgemein gegebenen
-Wahrheit. Sie gibt sich uns in ihren Spezialitäten willfährig.
-Was unsere Erkenntnis zu besorgen hat, sind treffliche Bilder,
-Erkenntnisbilder. Dabei handelt es sich nur um relative Trefflichkeit
-oder Vollständigkeit. Mehr darf der Menschenverstand nicht wollen.
-Ein Verlangen nach einer anderen absoluten Wahrheit ist eine von der
-Geschichte der menschlichen Erkenntnis überwundene Schwärmerei; während
-die Bescheidenheit, die sich mit Erkenntnis relativer Wahrheiten
-begnügt, vernünftige Bildung genannt wird.
-
-Die Philosophie hat wie die Religion in dem Glauben an eine
-überschwengliche absolute Wahrheit gelebt. Die Auflösung des Problems
-liegt in der Erkenntnis, daß die absolute nichts weiter als die
-generalisierte Wahrheit ist, daß dieselbe nicht im Geiste wohnt, dort
-wenigstens nicht mehr zu Haus ist als anderswo, sondern im +Objekt+ des
-Geistes, welches wir mit dem Generalnamen »Universum« bezeichnen.
-
-Wie unser Auge alles sehen kann, wenn auch mit Hilfe von Gläsern, und
-doch nicht alles, denn es kann weder Töne noch Gerüche, überhaupt
-nichts Unsichtbares sehen, so kann unser Erkenntnisvermögen alles
-erkennen und doch nicht alles. Das Unerkennbare kann es nicht erkennen.
-Das ist aber auch überschwenglich oder ein überschwengliches Begehren.
-
-Wenn wir erkennen, daß die absolute Wahrheit, woran Religion und
-Philosophie im Überschwenglichen oder Transzendenten gesucht haben,
-realiter als leibliches Universum vorhanden ist, und der Menschengeist
-nur ein leiblicher oder realer oder wirklicher und wirkender Teil
-der Generalwahrheit ist, der den Beruf hat, andere Teile der
-Generalwahrheit wahrhaft abzubilden, so ist damit das Problem des
-Beschränkten und des Unbeschränkten vollkommen gelöst. Absolutes und
-Relatives ist nicht überschwenglich getrennt, beides hängt zusammen, so
-daß das Unbeschränkte aus unendlichen Beschränktheiten zusammengesetzt
-ist und jede beschränkte Erscheinung die Natur des Unendlichen an sich
-hat.
-
-Der dritte Abschnitt »Materialismus kontra Materialismus« zeigt den
-Unterschied des sozialdemokratischen oder dialektischen Materialismus
-vom metaphysischen, speziell französischen des achtzehnten Jahrhunderts
-und den Gegensatz dieser beiden Richtungen zum metaphysischen deutschen
-Idealismus von Kant, Fichte, Schelling, Hegel.
-
-Der Idealismus leitet die Körperwelt aus dem Geiste ab, nach dem
-Vorgang der Religion, wo der große Geist über den Wassern schwebt und
-nur zu sagen hat »es werde!«, auf daß es ward. Solche idealistische
-Ableitung ist metaphysisch. Jedoch waren die letzten berühmten
-Ausläufer des deutschen Idealismus sehr abgeschwächte Metaphysiker.
-Von dem außerweltlichen übernatürlichen, himmlischen Geiste hatten
-sie sich ziemlich emanzipiert, aber nicht von der Schwärmerei für den
-diesseitigen natürlichen Geist. Sie mühen sich unendlich ab, über das
-Verhältnis zwischen unseren geistigen Vorstellungen und den materiellen
-Dingen, welche vorgestellt, begriffen und gedacht werden, ins klare zu
-kommen.
-
-Die metaphysischen Materialisten des achtzehnten Jahrhunderts und
-ihre heutigen Nachzügler unterschätzen den Menschengeist und die
-Forschung nach seiner Beschaffenheit und seiner rechten Anwendung
-ebensosehr, als die Idealisten diese Dinge überschwenglich hochstellen.
-Sie, die Materialisten, erklären zum Beispiel die Naturkräfte als
-+Eigenschaften+ des tastbaren Stoffes und speziell die geistige Kraft,
-die Gedankenkraft, als eine Eigenschaft des Hirns. Die Materie oder
-das Materielle, das heißt das Wägbare und Tastbare, ist in ihren
-Augen die Hauptsache der Welt, das Primäre oder die Substanz, und die
-Denktätigkeit, gleich allen anderen untastbaren Kräften, nur sekundäre
-Eigenschaft. Mit anderen Worten, den alten Materialisten ist die
-Materie das erhabene Subjekt und alles Weitere untergeordnetes Prädikat.
-
-Im dialektischen Materialismus haben die Stoffe nicht mehr zu bedeuten
-als die Kräfte, die Kräfte nicht mehr als die Stoffe.
-
-Das unterscheidende Merkmal zwischen den mechanischen Materialisten
-des achtzehnten Jahrhunderts und den durch die Schule der deutschen
-Idealisten gewitzigten sozialdemokratischen Materialisten besteht
-darin, daß letztere den bornierten Begriff der Materie von der +nur
-tastbaren+ und wägbaren Materie auf alle vorkommenden Materialien
-erweiterten: auf das Sichtbare, Riechbare, Hörbare und, da schließlich
-die ganze Natur Material der Forschung und demnach alles materiell
-genannt werden darf, sogar den Menschengeist; denn auch dieses Objekt
-dient der Erkenntnistheorie als Material.
-
-Wir neueren Materialisten sind nicht der beschränkten Meinung, daß
-die wäg- und tastbare Materie die Materie ~par excellence~ sei; wir
-halten dafür, daß auch der Blumenduft, auch Töne und Gerüche Materien
-seien. Wir fassen nicht die Kräfte als ein bloßes Anhängsel, als pures
-Prädikat des Stoffes auf und den Stoff, den tastbaren, als das »Ding«,
-welches alle Eigenschaften dominiere. Wir denken von Stoffen und
-Kräften demokratisch. Da sind die einen soviel wert als die anderen;
-alle einzelnen sind nichts als Eigenschaften, Anhängsel, Prädikate oder
-Attribute des großen Natur-Ganzen. Da ist nicht das Hirn der Matador
-und die geistige Funktion der untergeordnete Diener. Nein, wir modernen
-Materialisten behaupten, daß die Funktion ebensoviel und ebensowenig
-ein selbständiges Ding ist als die tastbare Hirnmasse oder als
-irgendeine andere Materialität. Auch die Gedanken, ihr Herkommen und
-ihre Beschaffenheit sind ebenso reale Materien und erforschungswerte
-Materialien als irgendwelche.
-
-Materialisten sind wir, weil wir aus dem Geiste keine »metaphysische«
-Monstrosität machen. Die Denkkraft ist uns ebensowenig ein »Ding
-an sich« als die Schwerkraft oder der Erdkloß. Alle Dinge sind nur
-Zusammenhänge des großen Universalzusammenhangs, welcher allein
-dauerhaft, wahrhaft, bleibend, keine Erscheinung, sondern das einzige
-»Ding an sich« und die absolute Wahrheit ist.
-
-Weil wir sozialistische Materialisten nun einen +zusammenhängenden+
-Begriff von der Materie und dem Geiste haben, sind uns auch die
-sogenannten geistigen Verhältnisse, wie die der Politik, der Religion,
-der Moral usw., materielle Verhältnisse, und die materielle Arbeit,
-ihre Stoffe und die Magenfrage sehen wir nur insofern an als die
-Unterlage, als die Voraussetzung und den Grund aller geistigen
-Entwicklung, als das Tierische der Zeit nach früher ist als das
-Menschliche, was nicht hindert, den Menschen mit seinem Intellekt hoch
-und höher zu schätzen.
-
-Der sozialistische Materialismus zeichnet sich dadurch aus, daß er
-den Menschengeist nicht unterschätzt, gleich den Materialisten alter
-Schule, und auch nicht überschätzt, gleich den deutschen Idealisten,
-sondern in seiner Schätzung +mäßig+ verfährt und den Mechanismus
-wie die Philosophie mit kritisch-dialektischem Auge ansieht, als
-Zusammenhänge des untrennbaren Weltprozesses und -progresses.
-
-»Darwin und Hegel« betitelt sich der vierte Abschnitt.
-
-Dietzgen will »dem beinahe verschollenen Hegel, der bei der Nachwelt
-seine verdiente Anerkennung finden wird«, die ihm gebührende Würdigung
-als Vorläufer Darwins zollen:
-
-Darwin ist ein genialer Ausarbeiter der Hegelschen Erkenntnistheorie.
-Letztere ist eine Entwicklungslehre, die nicht nur die Entstehung
-der Arten alles animalischen Lebens, sondern auch die Entstehung und
-Entwicklung aller Dinge umfaßt; sie ist eine kosmische Theorie der
-Entwicklung überhaupt. Die ihr bei Hegel noch anklebenden Dunkelheiten
-fallen der Person des Philosophen so wenig zur Last, als dem Darwin zur
-Last fällt, daß er über seine »Entstehung der Arten« nicht das letzte
-Wort gesagt hat.
-
-Der Darwinsche Gegenstand ist ein ebenso unendlicher und
-unausforschlicher wie der Hegelsche. Der eine suchte nach der
-Entstehung der Arten, der andere nach der Erklärung des menschlichen
-Denkprozesses. Das Resultat beider ist die +Entwicklungslehre+. Sie
-haben die +monistische Weltanschauung+ auf eine Höhe gehoben und mit
-positiven Entdeckungen unterstützt, die vorher unbekannt waren.
-
-Die Darwinsche Entwicklungslehre beschränkt sich auf die Tierarten;
-sie beseitigt die Klüfte, welche die religiöse Weltanschauung zwischen
-den Klassen und Arten der Geschöpfe aufrichtet. Darwin emanzipiert
-die Wissenschaft von dieser religiösen Klassenanschauung und weist
-die göttliche Schöpfung +in bezug auf diesen speziellen Punkt+ aus
-der Wissenschaft hinaus. In diesem Punkt setzt er an die Stelle
-der transzendenten überschwenglichen Schöpfung die hausbackene
-Selbstentwicklung. Um zu zeigen, daß Darwin nicht aus den Wolken
-gefallen, erinnern wir an Lamarck, der bekanntlich Darwin die Priorität
-streitig macht. Damit wird keineswegs das Darwinsche Verdienst
-geschädigt, indem Lamarck nur auf den philosophischen Lichtblick,
-Darwin aber auf spezialisierten Nachweis Anspruch hat.
-
-Hegel gebührt das Verdienst, die Selbstentwicklung der Natur auf
-+umfassendster+ Grundlage aufgestellt, die Wissenschaft in generellster
-Weise von der Klassenanschauung emanzipiert zu haben. Darwin kritisiert
-die überkommene Klassenanschauung zoologisch, Hegel universell.
-
-Hegel lehrt die Entwicklungstheorie; er lehrt, daß die Welt nicht
-gemacht wurde, keine Schöpfung, kein unveränderliches +Sein+, sondern
-ein +Werden+ ist, das sich selbst macht. Wie bei Darwin die Tierklassen
-ineinanderfließen, so fließen bei Hegel alle Klassen der Welt, Nichts
-und Etwas, Sein und Werden, Quantität und Qualität, Zeit und Ewigkeit,
-Bewußtes und Unbewußtes, Fortschritt und Bestand, unvermeidlich
-ineinander. Er lehrt, daß Unterschiede überall bestehen, aber nirgends
-übertriebene, »metaphysische« oder überschwengliche Unterschiede.
-Dinge, die »+wesentlich+« voneinander unterschieden sind, gibt es nach
-Hegel nicht. Das Unterscheiden zwischen wesentlich und unwesentlich ist
-nur auf relativer Stufenleiter zu verstehen. Es gibt nur ein absolutes
-Wesen, das ist der +Kosmos+, und alles, was da drin und drum und dran
-hängt, sind flüssige, vergängliche, wandelbare Formen, Akzidenzen oder
-Eigenschaften des Generalwesens, welches in Hegelscher Sprache den
-Namen des Absoluten führt.
-
-Hegel hat die Entwicklungslehre viel universeller vorgetragen als
-Darwin. Wir wollen deshalb einen nicht dem andern vorziehen oder
-subordinieren, sondern einen mit dem andern ergänzen. Wenn uns
-Darwin lehrt, wie die Amphibien und Vögel keine ewig separierten
-Klassen, sondern Lebewesen sind, die aus einander hervorgehen und
-ineinanderfließen, so lehrt Hegel, wie +alle+ Klassen, wie die ganze
-Welt ein lebendiges Wesen ist, die nirgends feste Grenzen hat, so daß
-selbst das Kennbare und Unkennbare, das Physische und Metaphysische
-ineinanderfließt, und etwas absolut Unbegreifliches eine Sache ist,
-die nicht in die monistische, sondern in die religiöse, dualistische
-Weltanschauung gehört.
-
-Hegel hat viel Verwandtschaft mit dem alten Herakleitos, welcher den
-Beinamen »der Dunkle« führt. Beide lehren, daß die Dinge der Welt nicht
-feststehen, sondern fließen, das heißt, sie entwickeln sich; und beide
-verdienen auch den dunklen Beinamen.
-
-Die Arbeiten von Darwin und Hegel, ob noch so verschieden, haben den
-Kampf wider die Metaphysik, wider das Unsinnliche und Unsinnige gemein.
-Indem wir uns vorsetzen, sowohl den Unterschied als die Gemeinschaft
-der genannten Forscher klarzustellen, können wir nicht umhin, die
-große Seeschlange ernstlich in den Kreis der Erörterung zu ziehen.
-Der Spaß wird aber erschwert durch die vielen Namen, die im Laufe der
-Geschichte dem Ungeheuer beigelegt wurden. -- Was ist Metaphysik?
-Sie ist dem Namen nach eine wissenschaftliche Disziplin -- gewesen,
-die ihre Schatten in die Gegenwart wirft. Was sucht sie, was will
-sie? Natürlich Aufklärung! -- aber worüber? -- Über Gott, Freiheit
-und Unsterblichkeit; -- das klingt in unseren Tagen gar pastoral.
-Und nennen wir ihren Inhalt mit dem klassischen Namen des Wahren,
-Guten und Schönen, so ist dennoch gar viel daran gelegen, daß wir
-uns und dem Leser klarmachen, was denn eigentlich die Metaphysiker
-suchen und wollen; ohne das läßt sich weder Darwin noch Hegel, weder
-was sie geleistet, noch was sie zu leisten unterlassen und was daher
-der Nachkommenschaft zu leisten obliegt, hinlänglich ermessen und
-darstellen.
-
-»Was die Metaphysiker suchen und wollen«, erklärt uns der fünfte und
-letzte Abschnitt »Das Licht der Erkenntnis«:
-
-Wo Erleuchtung hernehmen? Moses hat sie vom Berg Sinai geholt; aber
-nachdem Juden und Christen länger als dreitausend Jahre gebetet:
-»Du sollst nicht stehlen«, stehlen sie heute noch wie die Raben;
-das heißt die +Offenbarung+ hat sich nicht bewährt. Dann kamen die
-+Philosophen+ und wollten die Erleuchtung aus dem Innern des Kopfes,
-~a priori~, wie sie es nennen, herausspekulieren. Was aber der eine
-zutage förderte, wurde vom andern verworfen. Die +Naturwissenschaft+
-beschritt einen dritten, den induktiven Weg, sie schöpfte die Weisheit
-aus der Beobachtung; sie endlich erwarb wahre, wirkliche, dauerhafte
-Wissenschaft, eine Wissenschaft, die alle Welt akzeptiert, die
-niemand bestreitet, niemand bestreiten kann und mag. Daraus folgt
-denn unzweifelhaft klar, daß wir die Erleuchtung auf dem betretenen
-naturwissenschaftlichen Wege zu suchen haben.
-
-Dennoch gibt es viele Leute, viele auch mit gelehrtester Ausrüstung,
-welche mit diesem Lichte sich nicht zufrieden geben. Sie sprechen vom
-»metaphysischen Bedürfnis«, bemühen sich unablässig, darzutun, daß
-alles naturwissenschaftliche Erklären und Erkennen, wie fruchtbar auch
-in den einzelnen Disziplinen, doch im großen und ganzen unzureichend
-ist. »Das Wesen der Materie«, heißt es da, »ist schlechthin
-unbegreiflich; alle mechanische Naturerklärung erstreckt sich nur auf
-die an diesem rätselhaften Substrate wahrzunehmenden +Veränderungen+
-und läßt unser Kausalitätsbedürfnis im letzten Grunde unbefriedigt.«
-
-Der Materialismus, der das Erkennen und Erklären der verschiedensten
-wissenschaftlichen Materien wohl zu praktizieren weiß, hat es bisher
-unterlassen, die +Materie der Erkenntnis+ zu erklären. Das Erkenntnis-
-oder Erklärungsvermögen ist die einzige in der Welt vorhandene Kraft,
-welche immer noch verhimmelt wird. Sie ist in der Welt und soll
-nicht weltlich, nicht physisch, nicht mechanisch sein. Was denn?
-Metaphysisch! Und niemand kann doch Aufklärung geben, was das heißt.
-Alle Bestimmungen, die wir erlangen, sind negativ. Das Metaphysische
-ist nicht physisch, nicht handgreiflich und nicht begreiflich. Was
-sollte es anders sein als ein +Gefühl+, das begnadete Idealisten mit
-sich herumtragen, ohne zu wissen, wo es sitzt.
-
-Alles will der Mensch wissen, und doch hat man etwas, was nicht zu
-wissen, nicht zu erklären, nicht zu begreifen ist. Dann resigniert man
-und zeigt hin auf die Beschränktheit des menschlichen Instruments.
-»Zwei Stellen sind es,« sagt Lange, »wo der Geist haltmachen muß.
-Wir sind nicht imstande, die +Atome+ zu begreifen, und wir vermögen
-nicht, aus den Atomen und ihrer Bewegung auch nur die geringste
-Erscheinung des Bewußtseins zu erklären ... Man mag den Begriff der
-Materie und ihrer Kräfte drehen und wenden, wie man will, immer stößt
-man auf ein letztes Unbegreifliches ... Nicht mit Unrecht geht daher
-Du Bois-Reymond so weit, zu behaupten, daß unser ganzes Naturerkennen
-in Wahrheit noch kein Erkennen ist, daß es nur das +Surrogat+ einer
-Erklärung gibt ... Das ist der Punkt, an welchem die Systematiker und
-Apostel der mechanischen Weltanschauung so unachtsam vorübergehen:
--- die Frage nach den Grenzen des Naturerkennens.« (F. A. Lange,
-Geschichte des Materialismus, 2. Band, S. 148 bis 150.)
-
-Die Sozialdemokraten aber hat Lange nicht gründlich gekannt, sonst
-würde er gewußt haben, daß von ihnen auch in diesem Punkt die
-mechanische Weltanschauung komplettiert ist.
-
-Wo soll es hinführen, wenn unser Wissen und Erkennen, wenn das in
-den letzten Jahrhunderten von der Wissenschaft mit so großem Erfolg
-angewendete Geistes-Instrument nur noch ein »+Surrogat+« sein soll?
-Wo sitzt denn der wahre Jakob? Und wenn wir alle Folianten der
-Philosophie durchstöberten, würden wir darüber keine positive Angabe
-finden, weil gerade die Philosophen es sind, welche den Glauben an
-einen persönlichen Herrscher des Himmels und der Erde soweit zerstört
-haben. Die unphilosophische +religiöse+ Welt besaß in der Tat höheren
-Orts einen wahren Verstandeskasten, welcher dem dreckigen Lehm ein
-Häuchlein hatte mitgeteilt, und waren sie deshalb berechtigt, den
-heiligen vom profanen Geiste, die echte Substanz von ihrem Surrogat zu
-unterscheiden. Aber wie solche Unterscheidung von denen zu verteidigen
-ist, welche den großen All- und Ur-Geist den Köhlern überlassen haben,
-das ist unerfindlich.
-
-Der metaphysische Gedanke von den »Grenzen der Erkenntnis« darf nur
-ein klein wenig auf seinen Inhalt geprüft werden, um sofort als
-gedankenlose Phrasenmacherei erkannt zu werden. »Die Atome sind nicht
-zu begreifen, und das Bewußtsein ist nicht zu erklären.« Nun aber
-besteht die ganze Welt aus Atomen und Bewußtsein, aus Materie und
-Geist. Wenn beides unverständlich ist, was bleibt dann dem Verstande zu
-begreifen und zu erklären übrig?
-
-Das Licht der Erkenntnis macht den Menschen zum Herrn der Natur. Mit
-seiner Hilfe vermag er im Sommer das Eis des Winters und im Winter
-die Früchte und Blumen des Sommers darzustellen. Aber stets bleibt
-die Herrschaft beschränkt. Alles, was man kann, kann man nur mit
-Hilfe der natürlichen Kräfte und Materialien. Die Natur mit bloßen
-Worten, mit einem »es werde!« +unbeschränkt+ beherrschen wollen,
-kann nur dem Phantasten einfallen. Wie Kinder und Naturvölker
-unbeschränkt herrschen, so möchten unsere kindischen Gelehrten
-unbeschränkt erkennen. »Das System des Begnügens mit der gegebenen
-Welt«, meint Lange, »steht im Widerspruch mit den Einheitsbestrebungen
-der Vernunft, mit Kunst, Poesie und Religion, in welchen der Trieb
-liegt, sich über die Grenzen der Erfahrung hinauszuschwingen.« -- Nun
-sind Kunst und Poesie als Phantasien bekannt, wenn auch als schöne
-und anbetungswürdige, und wenn die Religion und der metaphysische
-Trieb nicht mehr sein und in dieselbe Kategorie gehören wollen, so
-hat kein Verständiger etwas dagegen einzuwenden. Der Mensch mag den
-metaphysischen Trieb, über alle Grenzen zu schnappen, wirklich haben,
-wenn er nur einsieht, daß es ein unwissenschaftlicher Trieb ist. Das
-Licht der Vernunft hat durchaus seine Grenzen, wie alle Dinge, wie Holz
-und Stroh, wie Technik und Verstand, also verständige Grenzen, die
-jeder Teil haben muß, wenn er keine Narretei sein will.
-
-Wie der Mensch alles machen kann, so kann er auch alles erkennen
--- innerhalb verständiger Grenzen. Wir können nicht schaffen wie
-der liebe Gott, der die Welt aus Nichts gemacht. Wir müssen uns am
-Gegebenen, an den vorhandenen Kräften und Stoffen halten und ihren
-Eigenschaften Rechnung tragen; sie lenken und leiten, sie formen,
-nennen wir schaffen; die vorhandenen Materialien in Ordnung und Regel
-bringen, generalisieren oder klassifizieren, die mathematischen Formeln
-der natürlichen Wandlungen abstrahieren -- das nennen wir erkennen,
-begreifen, erklären.
-
-Demnach ist unsere ganze geistige Erleuchtung eine formelle Geschichte,
-eine mechanische Wirtschaft. Wie in der technischen Produktion die
-Naturerscheinungen leiblich verwandelt, so sollen in der Wissenschaft
-die Naturwandlungen geistig erscheinen. Wie die Produktion das
-überspannte Schöpfungsbedürfnis, so läßt die Wissenschaft oder das
-»Naturerkennen« das überspannte Kausalitätsbedürfnis im letzten Grunde
-unbefriedigt. Aber sowenig ein verständiger Mensch darüber lamentieren
-wird, daß wir zum Schaffen ewig Materialien bedürfen und aus Nichts
-und frommen Wünschen nichts machen können, sowenig wird derjenige, der
-Einsicht in die Natur des Erkennens hat, damit über die Erfahrungen
-hinausfliegen wollen. Zum Erkennen oder Erklären bedürfen wir, wie zum
-Schaffen, Material. +Demnach kann keine Erkenntnis Aufklärung geben,
-wo das Material herkommt oder anfängt+. Die Erscheinungswelt oder das
-Material ist das Primitive, das Substantielle, das weder Anfang, Ende
-noch Herkommen hat. Das Material ist da, und das Dasein ist materiell
-(im weiteren Sinne des Wortes) und das menschliche Erkenntnisvermögen
-oder Bewußtsein ist ein Teil dieses materiellen Daseins, welches
-wie alle anderen Teile nur ein bestimmte, begrenzte Funktion, das
-Naturerkennen, ausüben kann.
-
-Warum sollte nicht, wie das Erkennen, so auch das Blech, die Bretter
-und das Rindfleisch verhimmelt werden? Die Aufgabe der Radikalen
-besteht in dem Nachweis, daß auch der letzte subtilste metaphysische
-Rest von »etwas Höherem« mit dem abgeschmacktesten Aberglauben in
-dieselbe Rumpelkammer gehört.
-
-Formen, Veränderungen oder Wandelbarkeiten bietet die Welt. Wem das
-zu wenig ist, der sucht Ewiges über den Sternen, wie die Religion,
-oder hinter den Erscheinungen, wie die spekulative Philosophie. Die
-»kritischen« Philosophen aber haben dunkel geahnt, daß das, was man
-sucht, ein Sparren ist, den die Bildung aus dem Menschenkopf zu
-entfernen hat. Die Forschung nach der Substanz haben sie deshalb
-aufgegeben und ihr Interesse dem +Organ+ der Forschung, dem
-Erkenntnisvermögen zugewandt. Da hat man recht kritisch gearbeitet.
-Wenn vormals hinter jedem Busch und Strauch »etwas Höheres« stecken
-mußte, so ist das jetzt doch, wenigstens in den maßgebenden Kreisen,
-bis in die letzte Heimlichkeit, bis hinter die unerfindlichen Atome und
-bis hinter das noch heimlichere Bewußtsein verdrängt.
-
-Dort sind die »Grenzen unseres Erkennens«, und dort steckt der
-Sparren. Sich davon zu befreien, ist um soviel schwerer, weil seit den
-Forderungen des vierten Standes unsere offiziellen Gelehrten angewiesen
-sind, eine konservative, reaktionäre Politik zu verfolgen.
-
-Wenn nun die zeitgenössischen Philosophen mit dem Geschichtschreiber
-des Materialismus (F. A. Lange) an der Spitze herankommen und sagen,
-die Welt bietet Erscheinungen, das sind die Objekte des Naturerkennens;
-letzteres hat es mit den Veränderungen zu tun, wir aber suchen an einer
-höheren Erkenntnis oder an ewigen, wesenhaften Objekten, dann ist klar,
-daß es mystizistisch Unersättliche sind, welche mit sämtlichen Körnern
-eines Sandhaufens sich nicht begnügen wollen, sondern hinter allen
-Körnern extra noch einen körnerlosen Sandhaufen suchen.
-
-Wer mit dem Jammertal der Erscheinungswelt so durchaus zerfallen ist,
-mag sich mit der unsterblichen Seele in einen feurigen Wagen setzen
-und gen Himmel fahren. Wer aber hier bleiben und an das Heil des
-wissenschaftlichen Naturerkennens glauben will, soll sich mit der
-materialistischen Logik vertraut machen. Da lautet
-
-§ 1: Das intellektuelle Reich ist nur von dieser Welt.
-
-§ 2: Die Operation, welche wir Erkennen, Begreifen, Erklären nennen,
-soll und kann nichts als diese Welt des sinnlichen, zusammenhängenden
-Daseins klassifizieren nach Gattungen und Arten, sie soll und kann
-nichts als das formale Naturerkennen praktizieren. Anderes Erkennen
-gibt es nicht.
-
-Aber dann kommt der »metaphysische Trieb«, der mit dem »formalen
-Erkennen« sich nicht begnügt und nun, er weiß selbst nicht wie,
-erkennen will. Ihm ist es nicht genug, mit dem Verstand die Erfahrungen
-zu klassifizieren. Was die Naturforschung Wissenschaft nennt, ist
-ihm nur ein Surrogat, ein armes, begrenztes Wissen; er verlangt nach
-unbegrenzter Vergeistigung, so daß die Dinge rein aufgehen sollen im
-Verständnis. Warum will denn der liebe Trieb nicht einsehen, daß er nur
-eine überspannte Forderung stellt? Die Welt geht nicht aus dem Spiritus
-hervor, sondern umgekehrt. Das Sein ist keine Art des Intellekts,
-sondern der Intellekt eine Art des empirischen Daseins. Dasein ist
-das Absolute, das überall und ewig ist; das Denken nur eine besondere
-beschränkte Form desselben.
-
-Der Trieb, über die Erscheinungen hinauszugehen bis zur Wahrheit
-und zum Wesen, ist wissenschaftlicher Trieb. Aber er darf nicht
-überschnappen; er muß seine Grenzen kennen. Er soll seine Wahrheiten
-und Wesenheiten nicht separieren von der Erscheinung; er darf nur nach
-subjektiven Objekten, nach +relativer+ Wahrheit forschen.
-
-
-
-
-X.
-
-Das Akquisit der Philosophie.
-
-
-Das »Akquisit der Philosophie« ist 1887 -- in Dietzgens letztem
-Lebensjahr -- in Chicago geschrieben. In der Vorrede erzählt unser
-Autor, wie er in den vierziger Jahren aus der Lektüre von Zeitungen
-und Schriften der extremen Lager -- der preußischen Reaktion und
-der freidenkerischen Revolutionäre -- zur Erkenntnis kam, daß »der
-Geist beider Heerlager aus dem Akquisit der Philosophie, zunächst aus
-der Hegelschen Schule stammte«. Damit wollte er wohl sagen, daß die
-fundamentalen Prämissen der Gerlach, Stahl und Leo das historisch
-+Gewordene+ als Bleibendes zur Voraussetzung hatten, während dasselbe
-für Feuerbach, Marx und Engels etwas +fortschreitend+ Veränderliches
-war; das eine wie das andere läßt sich »hegelisch« etikettieren, je
-nachdem man es mit dem +Sein+ oder dem +Werden+ hält; in Hegel ist Raum
-für Konservativismus wie für Fortschritt.
-
-Nach Dietzgens Vorhaben sollte das »Akquisit der Philosophie« eine
-verbesserte Auflage des »Wesens der Kopfarbeit« sein -- alter Wein in
-einem neuen Schlauch; darin hat er sich wohl getäuscht; das »Akquisit«
-ist zwar eine Fortsetzung und Ergänzung, aber kein Ersatz seines ersten
-Werkes, das vielmehr sein Hauptwerk geblieben.
-
-Im ersten Abschnitt »Die Erkenntnis als Spezialobjekt« (der
-Philosophie) sagt er: Im griechischen Altertum hatte das Wort
-Philosophie (Weisheitsliebe) eine andere Bedeutung als heute.
-Bei den Griechen war es gänzlich unentschieden, ob der Philosoph
-(Weisheitsliebender) Mathematiker oder Astronom, ob er sich die
-Arzneiwissenschaft, die Redekunst oder die Lebenskunst zum Gegenstand
-seiner Forschungen machte. Die Fächer lagen da ineinandergerollt wie
-der Embryo im Mutterschoß. Als die Menschheit noch wenig wußte, konnte
-man schon ein Weiser sein; aber heute muß man sich spezialisieren,
-muß man sich einer +speziellen+ Wissenschaft befleißigen, weil das
-Forschungsgebiet zu reich geworden ist. Der Philosoph ist heute kein
-Weiser mehr, sondern ein Spezialist.
-
-Die Philosophie hat auch heute noch die Erkenntnis zu ihrem Gegenstand;
-aber nicht mehr die unbestimmte, welche +alles+ erkennen will, sondern
--- wie soll ich es populär ausdrücken? -- sie hat die Erkenntnis
-als solche, die Methode der Erkenntnis zu ihrem Zwecke erwählt, sie
-will erkennen, +wie es gemacht wird+, andere Objekte mit dem Lichte
-des Verstandes zu durchleuchten. Um es recht deutlich zu sagen:
-nicht mehr die Erkenntnis, die alles wissen will, wie zur Zeit des
-Sokrates, sondern der Verstand als Spezialobjekt, das Denk- oder
-Erkenntnisvermögen ist zum Forschungsgegenstand der Philosophie
-geworden.
-
-Die heutige Erkenntnistheorie ist eine wirkliche Wissenschaft. Die
-Altväter zum Beispiel suchten die Erkenntnis ~à la~ Sokrates und
-Platon, mit Verachtung der äußeren Erfahrung, in den Eingeweiden des
-Menschenkopfes. Sie glaubten durch +Grübeln+ die Wahrheit zu erforschen.
-
-Schon Aristoteles hatte mehr Sinn für die äußere Welt.
-
-Mit der alten Kultur ging natürlich auch die alte Philosophie unter,
-bis sie vor einigen hundert Jahren, im Anfang der neueren Zeit, endlich
-wieder frisch auflebte.
-
-Von Aristoteles bis Bacon hat die Philosophie geschlafen, wenigstens
-kein merkliches Akquisit gefördert. Erst nachdem die gesamte Kultur
-die menschliche Erkenntnis so weit gefördert hat, daß nunmehr das
-intellektuelle Licht von allen Disziplinen der Wissenschaft ausstrahlt,
-wird sich die Philosophie ihres Spezialobjektes bewußt und vermag ihr
-Akquisit aus dem Wuste der Vergangenheit herauszuschälen.
-
-Das Akquisit der Philosophie, die erforschte Erkenntnis oder das
-erforschte Erkenntnisvermögen, ist daher neben den Gütern der
-Wissenschaft ein ebenso wertvoller Schatz der Menschheit wie die
-Methodik der modernen Produktion neben den materiellen Gütern des
-Nationalreichtums.
-
-Im zweiten Abschnitt wird Dietzgens aus den früheren Schriften
-bekannter Hauptlehrsatz »Das Erkenntnisvermögen hängt mit dem Universum
-verwandtschaftlich zusammen« erörtert:
-
-Die +Technik der Erkenntnis+ wurde von der gesamten Kulturbewegung
-zutage gefördert -- als philosophisches Akquisit. Die gesamte
-Kulturbewegung hat den Philosophen auf die Strümpfe geholfen.
-
-Die Geschichte der Philosophie ist ein saures Ringen mit der Frage: was
-ist und was tut, aus welchen Teilen besteht und welcher Natur ist die
-Erkenntnis oder Intelligenz, die Vernunft, der Verstand usw?
-
-Das vornehmlichste Akquisit bei der Lösung dieses Problems ist die sich
-in unseren Tagen immer heller und präziser geltend machende Erkenntnis,
-daß die Natur des menschlichen Intellekts mit der Gesamtnatur von
-+einer+ Gattung, von +einer+ Art oder +einem+ Geschlecht ist; der
-Menschengeist ein bestimmter, begrenzter Teil des unbegrenzten Kosmos,
-der Natur oder des Universums ist.
-
-Wie ein Stück Eichenholz die zwieschlächtige Eigenschaft besitzt, neben
-seiner eichenen Spezialnatur nicht nur an der allgemeinen Holznatur,
-sondern auch +an der unendlichen Allgemeinheit+ der Generalnatur
-teilzunehmen, so ist auch der Intellekt eine begrenzte Spezialität,
-welche zugleich die Eigenschaft besitzt, als ein Teil des Universums
-selbst universal zu sein und sich seiner und aller Universalität
-bewußt zu werden. Die unendliche universelle, kosmische Natur steckt
-im Intellekt, im menschlichen sowohl als im tierischen, wie sie im
-Eichenholz, in allen anderen Hölzern, in allen Stoffen und Kräften
-steckt. Die weltliche, monistische Natur, welche vergänglich und
-unvergänglich, begrenzt und unbegrenzt, speziell und generell zugleich
-ist, befindet sich in allem und alles befindet sich in dieser Natur
--- die Erkenntnis oder das Vermögen der Erkenntnis macht davon keine
-Ausnahme.
-
-»Inwiefern ist der Intellekt beschränkt und unbeschränkt?« lautet die
-Überschrift des dritten Abschnitts.
-
-Die Erkenntnis ist ein Vermögen neben anderen, und alles, was neben
-anderem liegt, ist davon beschränkt und begrenzt. Wir können alles
-erkennen, aber wir können auch alles betasten, sehen, hören, riechen
-und schmecken; wir haben auch das Vermögen herumzuwandeln und
-dergleichen Vermögen noch mehr. Eine Kunst beschränkt die andere,
-und doch ist jede in +ihrem Gebiet+ unbeschränkt. Die verschiedenen
-menschlichen Vermögen gehören zusammen und machen zusammen den
-menschlichen Reichtum aus.
-
-Der Verstand des Menschen ist beschränkt, wie sein Gesicht beschränkt
-ist. Das Auge kann durch eine Glasscheibe hindurchsehen, aber nicht
-durch ein Brett; gleichwohl werden wir es für keine Beschränktheit
-irgendeines Auges halten, wenn es die Bretter nicht durchschauen
-kann. Diese drastischen Gleichnisse sind zeitgemäß, weil es gelehrte
-Herren gibt, die mit der bedächtigsten Miene von der Welt den Finger
-an die Nase legen und auf die Beschränktheit unseres Intellekts +in
-dem Sinne+ aufmerksam machen, als +sei das+ Erkennen, das auf dieser
-Erde wissenschaftlich produziert wird, +nur so ein nominelles, aber
-gar kein eigentliches+ Wissen und Kennen. Der menschliche Intellekt
-wird so zum »Surrogat« irgendeines »höheren« Intellekts herabgewürdigt,
-der ahnungsvoll in dem kleinen Kopfe eines Heinzelmännchens oder in
-dem großen eines allmächtigen Wolkenschiebers nicht entdeckt, aber
-»geglaubt« werden soll. Jetzt ist der Intellekt erkannt als eine
-begrenzte, beschränkte, natürliche Erscheinung, Kraft oder Potenz,
-welche nicht unermeßlich, wohl aber gleich allen anderen Kräften und
-Stoffen ein Teil des Unermeßlichen, Ewigen und Unbegrenzten ist.
-
-Die Kenntnis des Universums, des Unbegrenzten ist uns sowohl angeboren
-als durch Erfahrung gegeben. Angeboren ist dem Menschen diese
-Kenntnis, ähnlich wie ihm die Sprache angeboren ist, nämlich in der
-Keimform, und die Erfahrung gibt uns das Unbegrenzte in negativer
-Weise; wir erfahren nirgends und von keinem Dinge Anfang oder Ende.
-Ganz im Gegenteil hat uns die Erfahrung positiv darüber aufgeklärt,
-daß alle vermeintlichen Anfänge und Enden nur Zusammenhänge des
-unendlichen, unermeßlichen, unerschöpflichen und unauskenntlichen
-Universums sind. Gegenüber dem kosmischen Reichtum ist der Intellekt
-allerdings ein armer Schlucker, was ihn nicht hindert, andererseits das
-vollkommenste Instrument zu sein, um die begrenzten Erscheinungen des
-unbegrenzten Naturwesens in klarster und deutlichster Weise konterfeien
-zu können.
-
-Das Thema wird im vierten Abschnitt »Von der Allgemeinheit der Natur«
-fortgesetzt:
-
-Was sich in der Natur widerspricht, soll unser Kopf auflösen. Wenn er
-so viel Selbstkenntnis besitzt, zu wissen, daß er keine Ausnahme von
-der allgemeinen Natur, sondern ein natürliches Stückchen desselben
-Stoffes ist (trotzdem er sich »Geist« nennt), so weiß er und muß
-er zugleich wissen, daß seine Klarheit sich von der natürlichen
-Verworrenheit, daß sich die Lösung des Rätsels vom Rätsel selbst
-nur ganz mäßig unterscheiden kann. Nur durch mäßige Unterscheidung
-lösen sich die Widersprüche, nur durch die erkenntnistheoretische
-Wissenschaft, daß überschwengliche Grundverschiedenheiten eben nur
-+Überschwenglichkeiten+ sind.
-
-Behufs dessen müssen wir uns vergegenwärtigen, daß es nur +ein+ Wesen
-gibt und alle anderen sogenannten Wesen als unwesentliche Formen des
-Generalwesens zu erkennen sind, welches letztere mit den Namen Natur
-oder Universum bezeichnet wird.
-
-Ursprünglich also zu Übertreibungen im Unterscheiden geneigt, hat
-man das menschliche Erkenntnisvermögen für ein Wesen von anderer
-Natur angesehen als die natürlichen Wesen, welche neben und außer dem
-Intellekt existieren. Nun ist aber zu bemerken, daß jedes Stückchen
-der Natur ein »anderes« individuelles Naturstückchen ist, und ferner,
-daß jeder andere und anders geartete individuelle Teil trotzdem und
-zugleich auch +kein anderer, sondern ein gleichartiges+ Stück der
-Generalnatur ist. Die Sache ist gegenseitig: das allgemeine Naturwesen
-besteht nur mittels der unendlich vielen individuellen Spezialitäten,
-und diese wieder bestehen nur in dem, mit dem und durch das allgemeine
-kosmische Gesamtwesen.
-
-Unser Intellekt ist ein Teil des Unerschöpflichen und hat also auch
-teil an seiner unerschöpflichen Natur. Der Naturteil, welcher den Namen
-Intellekt führt, ist nur insofern beschränkt, wie der Teil kleiner ist
-als das Ganze.
-
-Der fünfte Abschnitt »Wie das Erkenntnisvermögen ein Stück der
-Menschenseele ist« knüpft an die Theorie des Psychophysikers Fechner
-an, nach der alle leblosen wie lebenden Wesen eine Seele haben:
-
-Fechner ist ein Dichter, und der Dichter sieht Ähnlichkeiten, die der
-nüchterne Kopf nicht sieht; dabei müssen wir aber zugeben, wie der
-nüchterne Kopf, der überall +nur die Unterschiede+ sieht, ein sehr
-erbärmlicher Kopf ist.
-
-Wenn der Unterschied zwischen Menschen und Steinen nicht so groß ist,
-daß solch ein genialer Kopf wie Fechner sie als gemeinsam beseelt mit
-Fug und Recht darstellen kann, so wird doch auch -- was Fechner noch
-entgangen -- der Unterschied zwischen Leib und Seele nicht so groß
-sein, daß gar keine Ähnlichkeit, keine Gemeinschaft stattfände. Ist die
-Luft und der Duft nicht ein ätherischer Leib?
-
-Alle Dinge sind so ähnlich, daß ein guter Dichter aus allem alles
-machen kann. Kann das vielleicht auch die Naturwissenschaft? Ah! Diese
-Herren sind auch auf dem besten Wege. Sie machen das Trockene flüssig
-und das Flüssige gasförmig, machen aus der Schwerkraft Wärme und
-aus der Wärme wieder Triebkraft; aber dabei vergessen sie nicht den
-Unterschied der Dinge, wie es unserem Fechner passiert ist.
-
-Es ist nicht genug, zu wissen, daß der Leib beseelt und die Seele
-beleibt ist, nicht genug, zu wissen, daß alles eine Seele hat, es
-wollen auch die Menschen-, Tier-, Pflanzen- usw. Seelen in ihren
-Einzelheiten und Eigentümlichkeiten gehörig getrennt, eingeteilt,
-markiert und unterschieden sein; man hüte sich nur, den Unterschied zu
-übertreiben und exorbitant zu machen, damit er nicht sinnlos werde.
-
-Wir machen es uns nicht zur Aufgabe, der Allerweltsseelentheorie weiter
-zu folgen. Fechner erklärt selbst: »Von vornherein ist zu gestehen, die
-ganze Seelenfrage ist und bleibt eine Glaubensfrage.«
-
-Jedoch steht seit Cartesius fest, wenigstens in der philosophischen
-Welt, daß das Bewußtsein der menschlichen Seele von ihrem Dasein das
-Sicherste ist, das sie weiß. Die positivste Wissenschaft von der Welt
-ist die erfahrungsmäßige Wahrnehmung der denkenden Seele von sich
-selbst. Dieses Subjekt ist das evidenteste Objekt, das sein kann, und
-das Leben und Treiben dieses Seelenstückchens, das sich Bewußtsein
-oder Erkenntnisvermögen nennt, trefflich geschildert zu haben, ist das
-Akquisit der Philosophie.
-
-Hieran reiht sich als sechster Abschnitt das Thema »Dem Bewußtsein
-ist nicht nur die Möglichkeit oder das Vermögen überhaupt zu wissen,
-sondern auch das Bewußtsein von der Universalität der Generalnatur
-angeboren«.
-
-Im geschichtlichen Verlauf der Philosophie ist namentlich viel Disput
-darüber gewesen, wie unsere Kenntnisse zustande kommen, ob und was
-davon angeboren und was durch Erfahrung erworben ist. Ohne +angeborene+
-Fähigkeit war auch mit aller Erfahrung keine Kenntnis zu sammeln, und
-ohne alle Erfahrung mußte das beste Vermögen leer bleiben. Die zustande
-gebrachte Wissenschaft auf allen Gebieten ist also die Folge einer
-Wechselwirkung von Subjekt und Objekt.
-
-Ohne daß etwas Objektives zu sehen vorhanden wäre, könnte auch kein
-subjektives Gesichtsvermögen da sein. Ein Gesichts+vermögen+ besitzen,
-bedeutet zugleich die faktische Ausübung der Gesichtsfunktion. Man
-hat nicht das Vermögen zu sehen, ohne daß man etwas sieht. Zwar läßt
-sich beides trennen, doch nur in der Theorie, nicht in der Praxis, und
-es ist und soll die theoretische Trennung von dem Bewußtsein begleitet
-sein, daß das getrennte Vermögen nur ein von der Ausübung abgeleiteter
-Begriff ist. Vermögen und Ausübung stecken ineinander und gehören
-zusammen.
-
-Der Mensch bekommt erst ein Bewußtsein, ein Vermögen zu wissen, nachdem
-er etwas weiß, und es wächst die Kraft mit der Ausübung.
-
-Wenn wir jetzt behaupten, daß der Begriff des Universums ein
-angeborener Begriff sei, darf der geneigte Leser nicht schließen, daß
-wir deshalb das alte Vorurteil pflegten, wonach der Menschenverstand
-oder die Vernunft gleichsam eine Büchse sei, mit Begriffen gefüllt über
-das Wahre, Schöne, Gute und dergleichen Dinge. Nein, der Intellekt
-kann seine Begriffe, Vorstellungen, Urteile usw. nur selbsttätig durch
-Produktion hervorbringen, wozu die anderweitige Welt das Material
-hergeben muß; aber dies Produzieren setzt die angeborene Fähigkeit dazu
-voraus. Das Bewußtsein, das Wissen vom Sein, muß gegeben sein, bevor
-ein anderes spezielleres Wissen praktiziert werden kann.
-
-Das Bewußtsein ist ~per se~ das Bewußtsein des Grenzenlosen. Das dem
-Menschen angeborene Bewußtsein ist die Wissenschaft des unbegrenzten
-Daseins. Wenn ich weiß, daß ich da bin, weiß ich mich als ein Stück des
-Daseins. Daß nun dies Dasein, diese Welt, wovon ich wie jedes andere
-Partikelchen nur ein Stück bin, eine +unbegrenzte+ Welt sein muß,
-werde ich allerdings erst gewahr, wenn ich den Begriff des Seins mit
-einem gewitzigten Denkinstrument analysiere. Begriffs-, Erkenntnis-,
-Denkvermögen heißt vor allem das Vermögen, den Universalbegriff zu
-fassen. Der Intellekt kann keinen Begriff bilden, keine Vorstellung
-haben, denen nicht die Vorstellung oder der Begriff des Universums mehr
-oder weniger dunkel oder hell zugrunde liegt.
-
-Daß unserem Denkvermögen die Denkfähigkeit, die universale, angeboren,
-ist doch keineswegs unbegreiflicher als auch, daß die Kreise rund,
-zwei Berge mit einem zwischenliegenden Tale, Wasser flüssig und
-Feuer brennend auf die Welt gekommen. Alle Dinge besitzen gewisse
-Beschaffenheit ~per se~; sie sind damit geboren. Bedarf das noch einer
-Erklärung? Die Blumen, welche den Pflanzen mit der Zeit, und die Kräfte
-und Weisheit, welche den Menschen mit den Jahren anwachsen, sind nicht
-erklärlicher als die angeborenen Eigenschaften, und die angeborenen
-nicht wunderbarer als die später erlangten. Die beste Erklärung vermag
-den Wundern der Natur nicht die +natürliche+ Wunderbarkeit zu nehmen.
-
-Ich und mancher meiner Leser finden in unseren Köpfen das tatsächliche
-Bewußtsein, daß die Generalnatur, wovon der Intellekt ein Stück
-ist, eine endlose, unbegrenzte Natur ist. Diesen Begriff von der
-Universalität nenne ich »angeboren«, obgleich er ein erworbener ist.
-Ich versuche nämlich beim Leser geltend zu machen, wie der Unterschied,
-den man gemeiniglich zwischen angeborenen und erworbenen Eigenschaften,
-Fähigkeiten und Besitzungen macht, kein so extravaganter ist, daß nicht
-das Angeborene der Erwerbung bedürfe und das Erworbene eine angeborene
-Natur voraussetze.
-
-Die Philosophie hat sich darum bemüht, den Intellekt zu erkennen.
-Bei der Darstellung ihres Akquisits haben wir zu erläutern, daß die
-Erkenntnis, die philosophische sowohl als jede andere, nicht aus
-dem +isolierten+ Erkenntnisvermögen, sondern aus der Gesamt+natur+
-entspringt. Die Gebärmutter unserer Kenntnisse und Erkenntnisse ist
-nicht nur im Menschenkopf, vielmehr in der Gesamtwelt zu suchen, welche
-nicht nur Universum heißt, sondern auch universal ist.
-
-Das menschliche Bewußtsein ist zunächst ein individuelles. Jedes
-menschliche Individuum hat sein eigenes. Jedoch ist es eine
-Eigentümlichkeit meines, deines und jedes anderen Bewußtseins,
-nicht nur das Bewußtsein des betreffenden Individuums, sondern
-das Generalbewußtsein des Universums zu sein -- wenigstens seinem
-Beruf und der Möglichkeit nach. Nicht jedes Individuum hat sich die
-Universalität der Generalnatur klar gemacht -- woher käme sonst der
-vertrackte Dualismus? Woher die Notwendigkeit, daß erst die bändereiche
-Philosophie uns belehren mußte, wie eine Grenze, ein Ding oder eine
-Welt, außerhalb der universalen, ein unsinniger Gedanke, ein Gedanke
-ist, der sich mit Sinn und Verstand gar nicht verträgt? Wir mögen
-deshalb wohl die positive Erklärung abgeben, daß unser Bewußtsein,
-unser Intellekt nur »+sozusagen+« der unserige, +eigentlich+ und
-wahrhaft jedoch ein Bewußtsein, ein Intellekt ist, welcher der
-universellen Welt oder Generalnatur angehört.
-
-Wenn nicht zu leugnen, daß Sonne, Mond und Sterne eine Zubehör der
-endlosen, unermeßlichen Welt sind, so ist diese Eigenschaft doch auch
-unserem Bewußtsein nicht abzusprechen. Da also dies intellektuelle
-Vermögen dem Unermeßlichen angehört und sein Kind ist, dürften wir
-es nicht wunderlich finden, daß dies der Universalität angehörige
-Begriffsvermögen mit der Möglichkeit des Universalbegriffs zur Welt
-kommt. Und wer das nicht mehr wunderlich findet, muß es doch wohl
-erklärlich finden, muß finden, daß diese Tatsache des Bewußtseins
-erklärt ist.
-
-In logischem Anschluß hieran handelt der siebte Abschnitt »von der
-Verwandtschaft, auch Identität genannt, zwischen Geist und Natur«.
-
-»Es gibt ein Naturgesetz der Analogie, welches erklärt, daß alle
-Dinge, die das Universum vereinigt, zu derselben Familie gehören,
-daß sie durch die Verwandtschaft verbunden sind, welche die größte
-Mannigfaltigkeit individueller Unterschiede verträgt und selbst
-durch den Abstand der Extreme nicht aufgehoben wird.« Wenn wir diese
-Worte bis in ihre letzte Konsequenz begreifen, so ist damit das
-bisherige Akquisit der Philosophie erkannt. Sie belehren uns, wie
-wir den Intellekt gebrauchen sollen, um uns ein treffliches Bild vom
-Universum zu machen. Wenn alle Dinge verwandt, alle, ohne Ausnahme,
-Sprößlinge des Universums sind, so müssen doch auch der Geist und die
-Materie zwei Ellen Zeug von einem +Stoffe+ sein; es darf auch der
-Unterschied zwischen dem menschlichen Erkennen und anderen menschlichen
-und natürlichen Funktionen zu keinem überschwenglichen, keinem
-extravaganten, keinem ~toto coelo~-Unterschied aufgebauscht werden.
-
-Philosophie nennt sich die Bemühung, den menschlichen Denkprozeß
-zu erhellen. Diese Arbeit ist unsagbar erschwert worden durch das
-unvermeidliche Mißverständnis der soeben beschriebenen universalen
-Verwandtschaft. Vor allem sollte, so verlangen die Überschwenglichen,
-das Denken und dessen Produkt, der Gedanke, nicht in die familiäre
-Physik, nicht in die physische Natur gehören, sondern das Geschöpf
-einer anderen Natur sein, welche den mysteriösen Namen Metaphysik führt.
-
-Auch die Materialisten sind einseitig versessen auf ihre »Materie« wie
-die Idealisten auf ihre »Idee«. Streit und Zank ist Wirrsal, nur Friede
-bringt Licht. Der Gegensatz zwischen dem Materiellen und Ideellen
-findet in dem Akquisit der Philosophie seine Versöhnung, welche lehrt,
-daß wir in allen Unterscheidungen mäßig sein müssen, weil weder
-unser Denkinstrument, noch die anderweitige Natur zu extravaganten
-Unterschieden berechtigt. Um Licht in die Streitfrage zu bringen,
-bedarf es nur der Einsicht, daß die Ideen, welche die Natur in den
-Menschenköpfen entwickelt, wenn auch kein Material für unsere Hände, so
-doch ein Material für unsere Erkenntnis sind.
-
-Stoffe, Kräfte, Ideen, Vorstellungen, Begriffe, Urteile, Schlüsse,
-Kenntnisse und Erkenntnisse wollen gemäß der Aufklärung, welche
-die Philosophie zutage förderte, als Verschiedenheiten oder
-Mannigfaltigkeiten +einer+ monistischen Gattung erkannt sein. Die
-Verschiedenheit dieser Dinge widerspricht ebensowenig der Einheit, als
-die Einheit der Verschiedenheit widerspricht.
-
-Um den Wurm und den Elefanten, das niedrigste und das höchste Tier,
-Vegetabilisches und Animalisches, Anorganisches und Organisches als
-Glieder einer Art oder Gattung verständnisinnig zu verbinden, ist
-die Allmählichkeit, die Stufenordnung der Natur, sind die Übergänge,
-die Mitteldinge und Mittelbegriffe vornehmlich zu beachten. Die
-Embryologie, welche zeigt, wie das animalische Leben des höchsten
-Tieres +die Stufen der Tiergattung+ durchläuft, hat das Verständnis
-+der gemeinschaftlichen Art aller Tiere+ besonders gefördert.
-
-Was Darwin für die Tierwelt begreifen lehrte, daß es innerhalb
-derselben keine grundverschiedenen Arten gebe, lehrt die Philosophie in
-betreff des Kosmos. Die Erkenntnis des letzteren wird gehindert durch
-die Gewohnheit, zwischen Materie und Geist einen unmäßigen Unterschied
-zu machen.
-
-Vorstehende Lehre erhält einen prägnanten Ausdruck im Titel des achten
-Abschnitts »Die Erkenntnis ist materiell«.
-
-Gemäß der neueren Naturwissenschaft löst sich das ganze Dasein in
-Bewegung auf. So viel ist ohnehin längst bekannt und notorisch, daß
-selbst die Felsen nicht stillstehen, sondern immer in Tätigkeit, im
-Entstehen und Vergehen sind.
-
-Die Erkenntnis, der Intellekt, ist ein tätiger Gegenstand, eine
-gegenständliche Tätigkeit, wie der Sonnenschein, wie der Wasserfluß,
-wie der wachsende Baum, wie der verwitternde Stein oder irgendein
-anderes Naturphänomen. Auch ist die Erkenntnis, ist das Denken, welches
-im Menschenkopf, gleichviel ob willkürlich oder unwillkürlich, vorgeht,
-+eine Wahrnehmung+, eine Wahrnehmung von ebenso unzweifelhafter
-Gewißheit, als die allermateriellste. Daß wir die erkennende, denkende,
-intellektuelle Tätigkeit durch den inneren Sinn und nicht durch
-den äußeren wahrnehmen, kann unsere Behauptung von der sinnlichen
-Wahrnehmbarkeit der Sache nicht im geringsten erschüttern. Ob der
-Stein äußerlich vorhanden und das Denken innerlich -- was ändert
-diese kleine Differenz an der unverrückbaren Tatsache, daß beide
-Wahrnehmungen gleicher Art, und zwar sinnlicher Art sind? Warum soll
-nicht die Denktätigkeit mit der Herztätigkeit in dieselbe Kategorie
-gehören? Und wenn der Herzschlag auch ein innerer und der Zungenschlag
-der Nachtigall ein äußerer, was kann uns hindern, diese beiden so
-sehr differenten Schläge unter der höheren Einheit natürlicher oder
-materieller Vorgänge zusammenzufassen? Wenn also die Herzfunktion
-mit dem Namen einer materiellen beehrt werden darf, warum nicht die
-Hirnfunktion?[14]
-
-Nicht nur Tastbarkeiten sind »Dinge«, auch Sonnenstrahlen und
-Blumendüfte gehören in diese Kategorie, und Erkenntnisse nicht
-minder. Aber alle diese »Dinge« sind nur relative Dinge, insofern
-sie Eigenschaften des Einen und Absoluten sind, welches das einzige
-Ding, das »Ding an sich« ist, einem jeden wohlbekannt unter dem Namen
-Universum oder Kosmos.
-
-Dietzgen betrachtet nun im neunten Abschnitt, um sich mit der
-schulmäßigen Logik abzufinden, die »vier logischen Grundgesetze«, das
-Gesetz der Identität, des Widerspruchs, des ausgeschlossenen Dritten
-und des zureichenden Grundes. Er bedient sich hierzu eines Lehrbuchs
-des berühmten Wiener Pädagogen Dittes, des damals freigeistigsten unter
-den führenden Schulmännern deutscher Zunge. Zu den traditionellen »vier
-logischen Grundgesetzen« bemerkt Dietzgen unter anderem:
-
-Wenn das erste Gesetz lehrt: die Dinge sind sich selbst gleich, so
-lehrt nun die Dialektik in ihrem ersten Paragraph: die Dinge sind nicht
-nur sich selbst gleich und einerlei vom Anfang bis zum Ende, sondern
-haben auch die widerspruchvolle Natur, einerlei und doch durchaus
-mannigfaltig zu sein. Insofern es ein Denkgesetz ist, daß wir uns
-mittels des Gedankens ein möglichst treffliches Bild von den Dingen
-machen, müssen wir uns auch von dem Denkgesetz belehren lassen, wie
-alle Dinge und Vorgänge ohne Ausnahme keine von jedem Standpunkt
-aus sich gleichbleibende Dinge sind, sondern der Farbe jener Seide
-gleichen, die, obschon sie sich selbst gleich oder einerlei bleibt,
-dennoch sehr ungleich in den verschiedensten Schattierungen schillert.
-Die Dinge, wozu das denkende Ding oder der menschliche Intellekt
-mitgehört, sind sowenig nur einerlei, von Anfang bis Ende, daß sie in
-der Tat und Wahrheit gar keinen Anfang und kein Ende haben, sondern als
-Naturerscheinungen, als Erscheinungen der endlosen Natur +scheinen+ sie
-nur Anfang und Ende zu haben, während es in Wahrheit nur Verwandlungen
-sind, die zeitweise aus dem Unendlichen auftauchen und wieder darin
-verschwinden.
-
-Die anfang- und endlose natürliche Wahrheit oder wahre Natur ist
-so widerspruchvoll beschaffen, daß sie nur in +Erscheinungen+ sich
-äußert, welche dennoch durchaus wahr sind. Der alten Logik erscheint
-dieser Widerspruch unsinnig. Sie steift sich auf ihr erstes, zweites
-und drittes Gesetz, auf ihre Einerleiheit, ihre Widerspruchlosigkeit
-und auf das ausgeschlossene Dritte, welches entweder krumm oder
-gerade, entweder kalt oder warm sein muß und alles Dazwischenliegende
-ausschließt. Sie hat recht! Im Hausgebrauch muß man mit Gedanken und
-Worten so entschieden verfahren. Jedoch ist es zugleich zweckmäßig,
-sich vom Akquisit der Philosophie belehren zu lassen, wie es in der
-Wirklichkeit und Wahrheit nicht so exakt, nicht so ganz idealiter
-zugeht. Die logischen Gesetze denken von den Gedanken und ihren Formen
-und Anwendungen ganz richtig; aber sie erschöpfen das Richtige des
-Denkens und seiner Gedanken nicht; es entgeht ihnen das Bewußtsein von
-der Unerschöpflichkeit aller natürlichen Schöpfungen, wozu das Objekt
-der Logik, das menschliche Erkenntnisvermögen mitgehört. Dies Objekt
-ist nicht vom Himmel gefallen, sondern ist ein endlicher Teil des
-Unendlichen, welcher tatsächlich die widerspruchvolle Natur besitzt,
-in, mit und an seinem besonderen logischen Naturell das allgemeine
-Naturwesen zu haben, welches über alle Logik erhaben ist. Die
-unendliche Natursubstanz ist ein durchaus bewegliches Element, darin
-alles Feste auftaucht und untergeht und deshalb wohl vorübergehend
-etwas Festes und zugleich schließlich doch nichts Festes ist.
-
-Erwägen wir nun noch kurz das vierte Grundgesetz der Logik, demnach
-alles und jedes seinen zureichenden Grund haben muß. Auch dieses Gesetz
-ist wohl achtbar und ehrenswert; aber dennoch sehr unzulänglich, indem
-zu der Frage, wie wir die Welt zu denken haben und wie das höchst
-entwickelte Denkvermögen beschaffen ist, nunmehr die Antwort gehört:
-die Welt, worin alles seinen zureichenden Grund hat, ist dennoch
-mitsamt dem Bewußtsein oder Denkvermögen, wie ein anfang- und endloses,
-so auch ein +grundloses+, das heißt ein in sich und durch sich selbst
-begründetes Wesen. Der Satz vom zureichenden Grunde gilt nur für die
-menschliche Bildmacherei. In unseren logischen Weltbildern muß alles
-seinen zureichenden Grund haben; das Original jedoch, der universale
-Kosmos hat keinen Grund, er ist sich selbst Grund und Folge, Ursache
-und Wirkung. Zu verstehen, daß alle Gründe auf dem Grundlosen fußen,
-ist eine erhebliche dialektische Kenntnis, welche den Grundsatz von der
-Notwendigkeit des zureichenden Grundes erst ins rechte Licht rückt.
-
-Formaliter muß alles seine Ursache und seinen Grund haben; realiter
-jedoch hat jedes Ding nicht einen Grund, sondern unendlich viele
-Gründe. Nicht nur Vater und Mutter ist der Grund und die Ursache
-meines Daseins, sondern auch Groß- und Urgroßeltern, nebst der Luft,
-die sie geatmet, der Nahrung, die sie genossen, der Erde, auf der sie
-gewandelt, der Sonne, welche die Erde bescheint, usw. Kein Ding, kein
-Prozeß, keine Veränderung ist der +zureichende+ Grund eines anderen,
-vielmehr begründet sich alles und jedes mittels des Universums, welches
-+absolut+ ist.
-
-Indem die alte Logik das Denken dem anderweitigen Sein gegenübersetzte,
-hat sie den +Zusammenhang der Gegensätze+ vergessen, vergessen, wie
-das Denken als eine Form, eine Art, eine Individualität ist, welches
-in die Gattung des Seins gehört, wie der Fisch in die Gattung des
-Fleisches, die Nacht in die Gattung des Tages, die Kunst in die Natur,
-das Wort zur Tat und der Tod zum Leben gehört.
-
-Weil also die alte Logik mit ihren vier Grundsätzen zu borniert war,
-mußte von ihrer Fortentwicklung die Dialektik erzeugt werden, welche
-das Akquisit der Philosophie ist. Diese also erweiterte Denklehre
-begreift das Universum als das wahrhaft Universale oder Unendliche,
-worin alle Widersprüche im Mutterschoß der Versöhnung schlummern. Ob
-die neue Logik mit der alten +einen+ Namen oder die aparte Benennung
-der Erkenntnistheorie oder Dialektik führen soll, ist ein Wortstreit,
-der einfach durch Opportunität zu entscheiden ist.
-
-Die Abschnitte zehn und elf, »Die Funktion der Erkenntnis auf
-religiösem Gebiet« und »Die Kategorie der Ursache und Wirkung ist ein
-Hilfsmittel der Erkenntnis«, lehnen an Aussprüche des Psychologen
-Lazarus an, dessen Arbeiten (wie auch die von seinem Kollegen und
-Schwager Steinthal) Dietzgen sehr wertschätzte, weshalb er gegen
-manches Unzutreffende in Lazarus' Aussprüchen polemisierte. Doch von
-größerer Bedeutung ist für uns der zwölfte Abschnitt »Geist und Materie
--- was ist das Primäre?«
-
-Das Akquisit der Philosophie gipfelt in dieser Erkenntnis, daß die
-Welt mannigfaltig und daß die Mannigfaltigkeit eins ist in ihrem
-gemeinschaftlichen weltlichen Naturell. Die Wissenschaften müssen
-uns ihre Objekte in dieser widerspruchvollen Weise darstellen, weil
-eben alle Dinge in diesem Widerspruche tatsächlich leben. Was die
-Museumszoologen und Herbariumsbotaniker auf dem +räumlichen+ Gebiet der
-Tier- und Pflanzenwelt getan haben, akzeptieren die Darwinianer unter
-Zuziehung der +zeitlichen+ Mannigfaltigkeit derselben Gebiete; die
-einen wie die anderen kategorisieren, klassifizieren, systematisieren.
-Dasselbe tun die Chemiker mit Kräften und Stoffen und Hegel mit
-den kategorischen Verhältnissen von Sein und Nichts, Quantität und
-Qualität, Substanz und Akzidenz, Ding und Eigenschaft, Ursache und
-Wirkung usw. Er läßt alles ineinander überlaufen, werden, fließen,
-sich bewegen, und tut sehr recht daran. Die ganze Welt bewegt sich und
-gehört zusammen.
-
-Was jedoch Hegel verfehlte und wir zusetzen, besteht in der weiter
-gewonnenen Einsicht, daß der Fluß und die Beweglichkeit der namhaft
-aufgeführten Denkkategorien nur ein Exempel ist für die notwendige
-Beweglichkeit und den Ineinanderfluß aller Gedanken und Begriffe,
-welche selbst nur ein Exempel und Abbild des universalen Lebens sind,
-sein sollen und wollen.
-
-Die idealistischen Philosophen, die alle wesentlichen Beiträge zu
-dieser schließlichen Spezialkenntnis geliefert haben, sind doch alle
-noch mehr oder minder in dem Wahne befangen, der Denkprozeß sei der
-wahre Prozeß und das wahre Original, die Natur oder das materielle
-Universum, nur ein sekundäres Phänomen. Jetzt ist nun zu begreifen, daß
-der phänomenale kosmische Zusammenhang, die universale lebendige Welt,
-die Wahrheit und das Leben ist.
-
-Die zwei folgenden Abschnitte -- dreizehn und vierzehn -- sind der
-Frage gewidmet, »Inwieweit die Zweifel an der Möglichkeit einer klaren
-und deutlichen Erkenntnis überwunden sind« und »Über den Unterschied
-zwischen zweifelhaften und evidenten Erkenntnissen«.
-
-~Ad~ 1 gelangt Dietzgen zum Resultat:
-
-Das Universum ist da, und zu seinem Dasein gehört alles; nichts oder
-kein Ding ist davon ausgeschlossen, am wenigsten die Erkenntnis.
-Letztere ist also nicht nur möglich, sondern ein Faktum, welches dazu
-noch durch den Begriff des allervollkommensten Wesens bewiesen wird.
-
-Das muß uns doch über den Zweifel der Kritiker und speziell auch über
-den Kantschen Kritizismus oder besser Dualismus hinweghelfen. Kant
-hat das Dogma von der Möglichkeit der Erkenntnis nicht so unbesehen
-hinnehmen, sondern untersuchen wollen. Er hat dann entdeckt, daß wir
-rechtmäßig erkennen können unter der Bedingung, daß wir mit der
-Erkenntnis auf dem Felde der gemeinen Erfahrung bleiben, das heißt
-im physischen Universum, und nicht ins metaphysische Himmelreich
-abschweifen. Er hat aber nicht erkannt, daß die metaphysisch-himmlische
-Gegend, von der er abrät, zu unserer Zeit eine abgetane Sache sein
-würde.
-
-Er läßt diese überschwengliche Möglichkeit noch bestehen und rät wohl
-ab, mit der Erkenntnis dorthin zu gehen, aber nicht, daß wir auch mit
-der +Ahnung+ dort wegbleiben sollen. Kant haspelt zwischen dem »Ding
-als Erscheinung« und dem »Ding an sich«. Jenes ist irdisch und läßt
-sich erkennen, dies ist übermenschlich und darf geglaubt und geahnt
-werden. Mit dieser Lehre macht er wiederum die Erkenntnis, das Objekt
-der neueren Philosophie, zu einem problematischen Wesen, das uns
-auffordert, darüber weiter zu philosophieren.
-
-Das ist geschehen, und ist es jetzt das Akquisit der Philosophie, »klar
-und deutlich« zu wissen und von der Erkenntnis zu erkennen, daß sie
-nicht nur ein Stück ist in dieser Welt der Erscheinungen, sondern ein
-wahres Stück der Generalwahrheit, welch letztere keine andere Wahrheit
-über sich noch neben sich hat und das allervollkommenste Wesen ist.
-
-~Ad 2.~ Um aus dem Erkenntnisproblem klug zu werden, müssen wir davon
-ablassen, den Blick auf +einzelne+ Meinungen, Gedanken, Kenntnisse oder
-Erkenntnisse zu richten; wir müssen uns vielmehr den Erkenntnisprozeß
-im großen ganzen ansehen. Da gewahren wir die Entwicklung vom Zweifel
-zur Evidenz, von den irrigen zu wahren Erkenntnissen. Da gewahren wir
-aber auch, wie töricht es gewesen, von dem Gegensatz zwischen Wahrheit
-und Irrtum eine so überspannte Vorstellung gehabt zu haben.
-
-Wer die Erkenntnis sucht, die wahre und evidente, findet sie nicht
-in Jerusalem, nicht in Jericho, auch nicht im Geiste; in keiner
-Einzelheit, sondern im Universum.
-
-Da geht das Erkannte aus dem Unerkannten so allmählich und stufenweise
-hervor, daß gar kein Anfang zu ermitteln; sie wird und erwächst,
-ist halb irrig und halb trefflich und wird evident und evidenter;
-aber sowenig es jemals eine absolut irrige, sowenig kann es jemals
-eine absolut wahre Erkenntnis geben; absolut, fest, unvergänglich und
-unerschütterlich ist nur das Weltganze, aber keine Spezialität.
-
-Ein +Schlußwort+ unseres Autors ist der +Bejahung des Seins+ gewidmet:
-
-Das Begreifen, das Vermögen zu begreifen, war der modernen Menschheit
-von abergläubischen Altvordern als Ding einer »anderen Welt«
-überkommen. Der Wahn einer »anderen Welt« jedoch ist ein metaphysischer
-Wahn, der den Begriff des Seienden in Mißhelligkeiten brachte.
-
-Das philosophische Akquisit versichert und beweist uns, daß es +nur
-eine+ Welt gibt, daß diese Welt der Inbegriff alles Seins ist, daß dies
-Dasein wohl unendlich viele Arten hat, aber alle Arten dennoch von
-einer gemeinsamen natürlichen Natur sind. So hat die Philosophie den
-Begriff des Seienden zu einem einhelligen Begriff gemacht und mit der
-metaphysischen Mißhelligkeit auch die Metaphysik überwunden.
-
-Das Sein, das allgemeine, hat nur eine Qualität: die natürliche des
-allgemeinen Daseins. Zugleich aber ist diese Eigenschaft der Inbegriff
-aller besonderen Qualitäten. Wie der Begriff des Krautes alle Kräuter
-umfaßt, auch die Unkräuter, so umfaßt der Begriff des Seienden nicht
-nur alles, was ist, sondern auch, was nicht ist, was einstmals war und
-künftig sein wird.
-
-
-
-
-XI.
-
-Dietzgens pädagogische und Lebensweisheit.
-
-
-Der dritte Band von Josef Dietzgens Sämtlichen Schriften führt den
-Titel »Erkenntnis und Wahrheit«, weil er eine erweiterte Ausgabe
-des gleichnamigen Buches ist, das Eugen Dietzgen im Jahre 1908 --
-zum zwanzigsten Todestag seines Vaters -- erscheinen ließ; es ist
-eine Sammlung von Briefen, Zeitschriftartikeln und kleinen Aufsätzen
-vermischten, teils philosophischen, teils nationalökonomischen,
-teils feuilletonistischen Inhalts; ein anderer Teil ist speziell der
-Propaganda des Sozialismus gewidmet. (»Zehn Briefe über Sozialismus
-an eine Jugendfreundin«.) Eine auszugsweise Wiedergabe des dritten
-Bandes in der vorliegenden Publikation erübrigt sich, weil unseres
-Autors naturmonistische Denklehre und Weltanschauung, deren Verbreitung
-dieses Büchlein dienen soll, in den die ersten zwei Bände umfassenden
-Schriften enthalten und in den sie resümierenden Abschnitten dieses
-Buches dargelegt ist. Wer die ersten zwei Bände studiert hat, wird an
-den vermischten Schriften des dritten Bandes um so größeres Vergnügen
-finden, als die Lektüre desselben dem mit des Autors Philosophie
-nunmehr Vertrauten keine schwere Denkarbeit fortan auferlegt, sondern
-ihn befähigt, die Wirksamkeit von Josef Dietzgens Lehren in ihrer
-Anwendung auf das allgemeine Denkgebiet wie auf die Lebenspraxis,
-einschließlich der politischen Taktik, zu beobachten.
-
-Wenn der Marxist Josef Dietzgen nationalökonomische Themata behandelt,
-über die soziale Frage spricht und über den Sozialismus, ist es
-naturgemäß etwas anderes und etwas +mehr+ -- zumindest durch die
-philosophische Beleuchtung --, als was der +Nur+marxist zu geben hat,
-wenn ihm weder Poesie die Flügel beschwingt, noch Philosophie den
-Horizont erweitert. Der Monismus des Alls, der Universalzusammenhang,
-wie ihn Dietzgen lehrt, ist bisher von der sozialdemokratischen Partei
-so gut wie gar nicht fruktifiziert worden, obwohl unser Autor am
-Schluß seiner Vorrede zum »Akquisit« ausdrücklich darauf hingewiesen
-hat, wie »der Zusammenhang und Ineinanderfluß der Dinge auch auf die
-Frage von >mein und dein< einen mächtigen und klärenden Bezug hat«.
-So vernachlässigte man bisher in der sozialdemokratischen Partei eins
-der ausgiebigsten Mittel zur Vertiefung sozialistischer Erkenntnis:
-die Übertragung der monistischen Lehre auf das soziale Gebiet, auf das
-Verhältnis der Menschen zueinander.
-
-Kein Autor ist besser geeignet, als Dietzgen, Sozialisten zu Monisten
--- wenn sie es noch nicht sind -- und aus Monisten Sozialisten zu
-machen. Letzteres gilt nicht zum wenigsten vom dritten Band, dessen
-sämtliche Stücke, was kaum besonders hervorgehoben zu werden braucht,
-in der Auffassung wie im Stil sich durch die Originalität, die unserem
-Autor überhaupt zu eigen ist, auszeichnen und Anregung zum Selbstdenken
-reichlichst bieten.
-
-Als von einer in hervorragender Weise wertvollen Gabe darf hierbei
-die Rede sein von den »Privatbriefen Josef Dietzgens an seinen Sohn
-in Amerika« (1880 bis 1884), die den dritten Band eröffnen, nebst
-dem Geleitwort Eugen Dietzgens hierzu. Es ist anzunehmen, daß jeder,
-der für den Philosophen Josef Dietzgen Interesse gewonnen hat, sich
-freuen wird, daß ihm Gelegenheit geboten ist, den merkwürdigen Menschen
-etwas näher kennen zu lernen, aus dessen »Autodidaktenfeder« die
-unvergleichlich schönen und erhabenen Preisungen der Einheit des Alls
-geflossen sind. In Verbindung mit dem den ersten Band einleitenden
-Lebensabriß Josef Dietzgens durch seinen Sohn Eugen geben jene
-Privatbriefe des Vaters an ihn ein völlig klares Bild des seltenen
-Mannes, der seine Handwerker-Mußestunden der Lösung schwierigster
-philosophischer Probleme erfolgreich gewidmet hat; und sie zeigen uns
-nicht nur das unablässige Ringen des +Philosophen+ um die Erkenntnis,
-sondern auch den +Menschen+ Josef Dietzgen und besonders ihn als
-Familienvater und Musterpädagogen; wir sehen, wie er seine und der
-Seinigen Existenzfrage ventiliert und sie in großzügiger Weise zu lösen
-versteht -- kurz, einen Denker, den die Theorien nicht für die Praxis
-verdorben hatten.
-
-Josef Dietzgen, der Arbeiterphilosoph, war dreimal in Amerika; von Juni
-1849 bis Herbst 1851, von 1859 bis 1861 und von Ende Juni 1884 bis zu
-seinem am 15. April 1888 erfolgten Tode.
-
-Im Frühjahr 1880 schickte er seinen ältesten Sohn Eugen, nachdem dieser
-mit dem Reifezeugnis für die Prima das Progymnasium seiner Heimat
-Siegburg absolviert hatte, als »Quartiermacher« für die Familie nach
-den Vereinigten Staaten. Der junge Mann wäre lieber daheim geblieben,
-um das Gymnasialabiturientenexamen zu machen, die Universität zu
-beziehen und Gymnasiallehrer zu werden. Der Vater aber riet ihm, nach
-Amerika auf »die Hochschule des Lebens« zu gehen; dort könnte er sich
-eine bessere Existenz gründen und zugleich die jüngeren Geschwister
-mitversorgen helfen, um deren Zukunft Josef Dietzgen sehr besorgt
-war, weil sein kleinbürgerliches Geschäft, eine Lohgerberei, von
-Jahr zu Jahr durch kapitalistische Konkurrenz uneinträglicher wurde.
-Eugen sollte in Amerika irgendeinen kaufmännischen oder technischen
-Erwerbszweig erlernen; in einigen Jahren wollte der Vater mit den
-anderen Kindern nachfolgen und ihn eventuell mit dem Rest seines
-Vermögens bei Begründung eines eigenen Geschäfts unterstützen.
-
-Dieser Plan wurde mit glänzendem Erfolg durchgeführt.
-
-Aus den Briefen des Vaters an den Sohn (1880 bis 1884) sollen hier
-einige der wichtigsten Stellen mitgeteilt werden. Wir lernen aus
-ihnen den ganzen +Josef Dietzgen+ kennen: wie er schafft, für seine
-Familie sorgt, seine Kinder erzieht, und wie er das Martyrium des
-philosophischen Forschers trägt, der in seiner schwierigen Denkarbeit
-durch die Notwendigkeit, zunächst die materielle Existenz der Seinigen
-sicherzustellen, sich zeitweilig gehindert sieht, aber keine der beiden
-unerläßlichen Aufgaben über der anderen vergißt.
-
-Voll Rührung und Bewunderung liest man diese Briefe, die uns +die
-pädagogische Kunst und die Lebensweisheit Josef Dietzgens+ zeigen, in
-zweiter Linie aber auch allen denen von Nutzen sein werden, die -- ohne
-die väterliche Fürsorge eines so weisen Ratgebers -- das Experiment
-unternehmen, im fernen Ausland ihr Glück zu suchen.
-
-Der hier vorliegende Auszug bildet etwa den vierten Teil der im
-dritten Band der »Sämtlichen Schriften Josef Dietzgens« abgedruckten
-»Privatbriefe an den Sohn in Amerika«.
-
-
- 27. Mai 1880.
-
-Hoffentlich sind bei Ankunft dieses die Gemütsmucken so ziemlich
-überwunden und die Seele wieder frisch. Ohne alles Weh kann so etwas
-nicht hergehen. Gefühle hat und muß der Mensch haben, aber sie müssen
-dem Verstand unterworfen werden. Wenn Dir also, lieber Eugen, für den
-Augenblick die Fremde nicht blitzt und schimmert und wenig Anregung
-bieten will, wenn Dir die fremden Menschen nicht gefallen wollen
-und nur immer an die Lieben und Bekannten traurig erinnern, die Du
-zurückgelassen, dann vertreibe Dir und kannst Du Dir die Traurigkeit
-recht schnell mit dem Gedanken vertreiben, daß es eben nur Stimmung,
-vorübergehende Stimmung ist; daß das, was Dir monatelang ein guter Plan
-geschienen hat, nicht durch eine momentane Gemütsfarbe schlecht werden
-kann.
-
-Schiffe Dich nur getrost auf meine Verantwortung ein. Wenn Du Dir Land
-und Leute angesehen und dann zurückverlangst, werde ich jederzeit alles
-tun, was möglich ist, um Deine Wünsche zu befriedigen. Wenn mich aber
-meine Hoffnung nicht trügt, wirst Du Quartiermacher für uns alle sein.
-Sieh her! Der Gedanke, daß Du eine Mission hast, muß Dir Mut machen.
-Und es ist eine ernste Mission. Was hilft uns alle Schönheit des
-Vaterlandes, wenn es das tägliche Brot nicht geben will. Mit diesem
-Gedanken mußt und kannst Du der Fremde, den fremden Menschen, dem
-fremden Sonnenschein, den fremden Häusern, Zimmern und Eckchen, worin
-Du Dich kauern mußt, Poesie, Romantik abgewinnen. Ich habe immer viel
-davon gehabt, und Du hast auch davon, ich weiß es, hast von mir davon
-geerbt. Poesie und Romantik verklären das Leben unendlich, verklären
-den Genuß wie die Entbehrung. Nimm sie zur Hilfe, lieber Eugen, und
-lebe wohl und schreibe oft und ausführlich.
-
-
- 23. Juni 1880.
-
-... Du mußt auch wissen, daß die Leute in den großen Städten und im
-bewegten Leben ihren Nebenmenschen nicht so sanguinisch entgegenkommen
-wie die Dorfbewohner. Diese lieben und verehren den Fremden, und jene
-vermuten einen Gauner, bis er sich +selbst+ ehrsam gemacht hat ...
-Einen Rat, den ich nicht oft genug wiederholen kann, den Dir aber auch
-die Verhältnisse jeden Tag predigen: nur möglichst wenig Prätension!
-Davon bringen alle Grünen zu viel nach Amerika.
-
-... Man muß auch zu genießen verstehen, dann ist das Genuß, was
-sonst Widerwärtigkeit. Du müßtest nur wissen, wie elende dreijährige
-Handlangerdienste die Lehrlinge hier in Deutschland leisten müssen, um
-Dich als Amerikaner glücklich zu fühlen. Ich bin der Meinung, daß Du
-dort Deine Lehre in der Hälfte der Zeit absolvierst.[15]
-
-
- 4. Juli 1880.
-
-... Daß Du Dich einsam fühlst in diesem interessierten großstädtischen
-Getriebe, ist sehr natürlich. Ich hoffe aber sehr, daß sich dies
-auch in kurzer Zeit bessern wird; und bis zur Ankunft dieses, denke
-ich, wirst Du schon hin und wieder Bekanntschaft machen, die Dein
-Gemütsleben stärkt und die Trennung von Deinen Lieben in der Heimat
-erleichtert. Gerade solche Trennung und entferntes Voneinanderleben
-läßt den gemütvollen Menschen den Wert eines innigen Familienlebens
-empfinden; es soll uns alle in dem Vorhaben bestärken, dasselbe zu
-pflegen und recht fest zusammen zu streben. Aber zu diesem Zweck will
-durchaus die ökonomische Frage -- diesmal die Familienökonomie --
-befriedigend gelöst sein. Mit diesem Gedanken, daß Du mir helfen willst
-dazu, werden wir hoffentlich unseren Zweck und unsere Wiedervereinigung
-erreichen ...
-
-Du mußt Dir etwas angelegen sein lassen, K.[16] für Dich einzunehmen.
-Darfst nicht verlangen, daß er entgegenkommen oder sich irgend
-bequemen soll; nur immer denken: die Reihe ist an mir. Also nähere
-Dich wiederholt und unablässig; und scheint es Dir, als würdest Du
-abgewiesen, glaube nicht daran. Aus seinen Briefen hast Du ja ersehen,
-daß er mir gewogen, und bin ich überzeugt, wenn für irgend einen, tut
-er auch etwas für Dich, um meinetwillen. Diesen Glauben mußt Du haben,
-daran nicht kleinmütig werden, dann wirst Du auch reüssieren. Du darfst
-die Charaktere der Menschen nicht ändern wollen, sondern nur suchen,
-Deinen eigenen geschmeidig dem notwendigen Bedürfnis zu akkomodieren ...
-
-Dein ganzes Lernen kann zunächst in nichts bestehen wie im Umgang,
-besonders mit Englisch redenden Menschen. Pflege speziell den Verkehr
-mit K.s Kindern und den Damen im Hause.
-
-Auch wenn Du zurückkehrst, wird der Amerikanismus sein Gutes haben. Man
-lernt dort wenigstens gewöhnlich den deutschen Humbug der Vornehmtuerei
-verachten und sein Glück nicht im Dekorum, sondern in sich selbst
-suchen. Wenn wir hier nur über das lächerliche Dekorum weg wären, dann
-könnten wir alle hier und überall leicht und glücklich leben.
-
-Meine Überzeugung ist und bleibt: wenn Du nur kurze Zeit Dich im
-amerikanischen Geschäft umgesehen, wirst Du Deine Kenntnisse und
-Lebensstellung nicht mit einem hiesigen Gymnasiallehrer vertauschen
-wollen.
-
-
- 1. August 1880.
-
-Kommt nun der Herbst, wirst Du drüben auch das schönste Klima der Welt
-kennen lernen.
-
-Weil Du die antiamerikanischen Reden des Bodenseers so gläubig und
-antiamerikanisch aufgenommen, glaubte ich schließen zu müssen, daß
-Deine Stimmung antiamerikanisch geworden. Ich habe vor einigen Jahren
-eine Reisebeschreibung über die Vereinigten Staaten gelesen, in der
-alles, was ich selber dort erfahren und das mein Wohlgefallen erregt
-hatte, ganz wahrheitsgetreu geschildert und doch im abfälligsten
-Sinne beurteilt wurde. Die Sache hat mich damals königlich amüsiert,
-und erzähle ich es nur, um zu sagen und zu zeigen, wie natürlich es
-ist, daß alle Objekte subjektiv angeschaut werden. So ist es auch
-mit dem Kaufmannsstand: hüben wie drüben. Übrigens solche Leute wie
-Deine Reisegefährten, die großartig auftreten und nichts hinter sich
-haben, da ist Europa voll von, und ich bin überzeugt, daß der insoweit
-ehrenhaftere Charakter des Amerikaners, der die Bläherei nicht kennt,
-aber auch nichts davon ahnt, daß irgendeine Arbeit oder ein Erwerb
-unehrenhafter sein könnte wie die gedankenlose Wichtigtuerei, bei
-näherer Bekanntschaft Dir besser zusagt.
-
-
- 10. August 1880.
-
-Die Welt ist überall schön, und wenn Du Dich ein wenig heimisch in
-Amerika gemacht, wird es Dir sicherlich dort gefallen. Deine Aufgabe
-ist gar nicht groß; nur sorgen, daß Du lernst, in irgendeiner Weise
-Dein Brot verdienen, dann habe ich die Kraft, Dir das weitere Verdienen
-leicht zu machen, und da ich Dich nun bis dahin unterstütze, so ist
-ja gar keine Ursache zum Zagen. Von ein paar Wochen der Einsamkeit im
-Menschenmeer von New York mußt Du Dich nicht unterkriegen lassen.
-Mit Mut und Sparsamkeit haben wir beide zusammen alle Mittel, um die
-Verhältnisse zu bändigen.[17] Leiste Dir etwas mehr Zerstreuung,
-benutze die Abende, um Bekannte aus der hiesigen Gegend, deren es genug
-dort gibt, aufzusuchen. Nimm Anteil an allem und an allen, an der Welt
-und nicht nur an Siegburg oder an irgendeinem anderen Krähwinkel.
-
-
- 29. August 1880.
-
-Der Schritt, den wir beide getan, war in Anbetracht unserer
-Verhältnisse +notwendig+. Wenn Du Dir das zu Herzen nimmst, kannst Du
-sehr leicht sentimentale »Gedanken« -- wäre ich da oder dort, hätte
-ich dies oder das ergriffen -- aus dem Sinn schlagen. Die Welt ist
-überall schön und poetisch, und die Erwerbsverhältnisse sind in Amerika
-weit schöner wie hier; sie aber bilden die +Grundlage+ alles Hohen und
-Schönen.
-
-
- 5. September 1880.
-
-Noch ist unser Vermögen so viel, daß, wenn wir uns als
-+Proletarier+ betrachten, es leicht wird, uns eine ganz erträgliche
-Proletarierexistenz zu schaffen. Wenn wir uns aber zur begüterten
-Klasse zählen und danach wirtschaften wollen, geraten wir in eine Lage,
-aus der es keine Rettung gibt. Meine Kinder sind für diese Erkenntnis
-zu kurzsichtig, darum habe ich die Pflicht, entsprechend zu handeln.
-Du sollst mir helfen, lieber Eugen, und wenn Du die Vereinigten
-Staaten kennen gelernt hast, wirst Du sagen, daß Du kannst ... Auch
-was Ohm Philipp vorgeschlagen, wäre nicht gänzlich verfehlt. Wenn
-Du dort in ein paar Monaten die Schriftsetzerei erlerntest, könnten
-wir uns ganz leicht irgendwo ein Zeitungsunternehmen erwerben. Kurz,
-Mannigfaltiges sehen und lernen laß nur Deine Aufgabe sein; dann
-wirst Du nach zwei bis drei Jahren selber sagen, daß Du besser daran
-bist wie ein deutscher Gymnasiallehrer. Das sind ja doch meist arme,
-höchst einseitige, geknechtete Menschen, die über ihre erbärmliche
-Gelehrsamkeit kaum hinaussehen.
-
-
- 26. September 1880.
-
-... Sehe mit Vergnügen, daß Du Dich daran gemacht, praktisch
-anzugreifen (in K.s Fabrikgeschäft). Daß Dir die Handarbeit für den
-Anfang schwer wird und Energie kostet, kann ich mir lebhaft denken.
-Nur Mut und Ausdauer! Wenn Du die rechte Einsicht hast, wie wertvoll
-es für das Leben der Zukunft ist, nicht nur mit dem Kopf, sondern auch
-mit Hand und Arm in die Räder der Volkswirtschaft eingreifen zu können,
-wie solche mannigfaltige Übung für die verschiedensten Lebenslagen
-geschickt macht, eine wie große Unabhängigkeit daraus resultiert,
-dann muß Dir das die Pein versüßen. Du hast ein gutes Beispiel an
-Haug. Wenn der nur im Polytechnikum und nicht auch in der Werkstätte
-gebildet wäre, würde es ihm nicht so leicht werden, von Siegburg nach
-Philadelphia überzusiedeln. Du sollst gewiß nicht das Taglöhnern
-lernen, sondern nur die Fähigkeit, ein halbes Handtagewerk zu leisten;
-das macht geschickt, hundert Dinge anzugreifen, denen der beste
-Federfuchser wie ein Tölpel gegenübersteht ...
-
-
- 3. Oktober 1880.
-
-Laß Dir nur ja recht angelegen sein, K. in jeder Beziehung zu
-befriedigen und ihn und seine Angehörigen[18] möglichst für Dich
-einzunehmen. In solchen Verhältnissen mußt Du etwaige Widerwärtigkeiten
-und Antipathien durch ernsten Willen zu überwinden suchen mit dem
-Gedanken, daß alles Unangenehme wenigstens ebensoviel subjektiv als
-objektiv ist. Man kann ja sowenig die Verhältnisse als die Menschen
-nach +Wunsch+ ändern, sondern muß sie nehmen, wie sie eben sind, und
-aus allem das Beste zu machen streben ...
-
-Immer in der Gegenwart an alle Möglichkeiten der Zukunft denken, aber
-doch die Gegenwart und +dreimal+ die Gegenwart warm halten ...
-
-Offenheit und Zutraulichkeit im Verkehr mit K. glaube ich Dir nicht
-genug empfehlen zu können. Niemals verschlossene Zurückhaltung; die
-führt zu nichts Gutem; lieber Bruch.
-
-
- 16. Oktober 1880.
-
-Dein Gedanke, eventuell auch Anstreicher und Dekorateur werden zu
-können, hat mich froh gemacht. Der Reichtum aller Länder entwickelt
-sich stark und der Amerikas doppelt schnell; das sichert dem
-dekorativen Bedürfnis eine steigende Zukunft. Die Kunst soll dem
-Menschen dienen, mithin praktische Verwendung finden. Wenn Du Dich auf
-solchem gleichsam handwerkmäßigem Wege zum Künstler ausbilden kannst,
-das wäre ein rechter Weg. Aber nur ja nicht voreilig! Der kaufmännische
-Weg, auf dem Du gegenwärtig wandelst, gehört mit dazu und würde auch
-dazu später unberechenbare Vorteile gewähren. Ebenso der Umgang mit der
-Färberei in K.s Fabrik.
-
-Versäume nichts, wo es etwas zu lernen gibt. Auch den mechanischen,
-maschinellen Teil betrachte nicht als außerhalb der Sphäre. In der
-modernen Industrie hängt alles mit den Maschinen zusammen. Denke nicht,
-ich mute Dir zuviel zu. Nur ein paar Handtäste, eben wissen, wie man
-eine Sache angreift, ist oft von großem Wert.
-
-Nun möchte ich Dir noch warm empfehlen, unter allen Umständen wahre
-Bildung, nicht die mit Gänsefüßchen, nicht die »Bildung«, hochzuhalten
-und besonders in Amerika nicht zu vergessen, daß man schachern soll für
-das Leben, aber nicht leben für den Schacher. Auch im Urteil gegen
-und über Deine Umgebung nie hart, sondern stets human zu sein. Um
-liebenswürdig zu handeln, muß man liebenswürdig denken; Tugenden und
-Fehler stecken immer ineinander; auch der Bösewicht ist ein guter Kerl,
-und der Gerechte sündigt des Tages siebenmal.
-
-Mich verfolgt seit früher Jugend ein logisches Problem, »die letzten
-Fragen alles Wissens«. Das sitzt mir wie ein Stein im Kopf. Wenn im
-Laufe meiner vergangenen Jahre die Not herantrat, konnte ich es auf
-ein paar Jahre verlieren; aber nach hergestellter Ordnung der Dinge
-kam es immer wieder, und immer verstärkter und klarer, so daß mir
-erst in den letzten Jahren die Überzeugung gewachsen ist, es sei
-meine Lebensaufgabe, sowohl innerer Seelenfriede wie die sittliche
-Pflicht fordern Hingabe und Arbeit für dasselbe. Daher kommt es auch,
-daß ich immer danach strebe, einen Associé zu finden, der mir helfen
-soll, die ökonomische Bürde zu tragen. Daher meine Unfähigkeit, das
-Detailgeschäft hier ohne Hilfe zu betreiben. Mein Sinnen geht überall
-dahin, den Kopf leer zu halten, damit ich dem Problem nachhängen kann.
-Seit den letzten Jahren bin ich gar übel daran, es steht mit mir auf
-und geht mit mir schlafen, und die leiblichen Sorgen gestatten mir doch
-keine Ruhe, um viel daran zu tun.
-
-
- 23. November 1880.
-
-Du hast sicher noch zuviel des verkehrten europäischen Spleens im
-Kopf. Eugen! Eugen! sei klug! Ich helfe gern, doch hilf Du auch.
-Verschiedenen Arbeiten einen verschiedenen Rang beilegen und nicht das
-für das Höchste halten, was just der Zweck erfordert -- ohne weitere
-Rücksicht --, das ist ein heilloser europäischer Spleen, der noch
-von der alten Gewohnheit herrührt, das Volk in Herren und Knechte
-einzuteilen. Ich merke, Du bist unwillig und räsonierst in Dir über
-Dinge, die doch gar natürlich sind und nicht anders sein können. Daß K.
-seinen Sohn protegiert und ihm mehr glaubt wie Dir, auch dessen Fehler
-leichter übersieht wie die Deinigen, ist gar zu natürlich. Du läßt
-Dich zuviel von Deinen Sympathien und Antipathien mitnehmen. Dem muß
-man widerstehen. Wenn K.s Sohn auch mürrisch und launisch ist, laß ihn
-sein; es ist nicht Deine Aufgabe, ihn zu ändern, sondern zu ertragen
-und das möglichst Beste daraus zu machen.
-
-Du scheinst auch überempfindlich zu sein. Denke doch, daß die Leute
-uns nichts schuldig sind und es immerhin für den Anfang angenehmer
-für Dich ist, unter Bekannten als unter Wildfremden zu sein. Ist K.
-einsilbig und verschlossen, nun, das ist eben seine Weise; die legt er
-ja nicht an, Dich zu verletzen, und kannst nicht verlangen, daß er sie
-um Deinetwillen ablegt. Ich weiß, die Amerikaner sind übermäßig von
-sich eingenommen und sehen auf Europa und speziell auf die Deutschen
-übermütig herab. Das kränkt anfangs, aber Du mußt überwinden und das
-Heilmittel in Dir, nicht an anderen suchen. Stolz und selbstbewußt,
-das ist recht und dabei doch zart sein. Dir selber nichts vergeben und
-anderen alles.
-
-Das kleine mobile Vermögen, das ich noch besitze, sind Blutstropfen,
-die wohl müssen zu Rat gehalten werden. Wenn Du von K. aufbrichst,
-darf es nicht im Trotz geschehen; nicht Dich überwerfen mit K.,
-kein unartiges Wort: ~suaviter in modo, fortiter in re~! Wenn Du
-so handelst, bin ich bei Dir bis zum letzten Cent. Aber nur nicht
-rappelig! Versuch es noch ernstlicher mit dem jungen K. als bisher.
-Nimm Dir vor, durch ein hartes Wort Dich nicht aus dem Konzept bringen
-zu lassen. Ist er unartig, die Unartigkeit fällt auf ihn zurück -- sei
-Du deshalb doppelt artiger. Zeige Dich immer unabhängig, dabei nie
-beleidigt; Du mußt Deinen Stolz demütigen um der Sache willen, und ihn
-doch behalten und ihn gebrauchen, +wenn Du die Macht hast+; aber nie
-etwas wollen, was man nicht kann. Das Recht ist nur ein Begriff, aber
-das Faktum die Wahrheit -- also immer nach dem Faktischen handeln, nie
-nach Gefühlen und Reizbarkeiten. Sprich Dich mit K. aus. Sage ihm
-alles, was Du auf dem Herzen hast, mit Abwälzung alles Kleinlichen.
-Strebe unabhängig und selbständig nach Deinem Zweck, welcher vorerst
-nur dahin geht, eine Stellung zu haben, worin Du 6 oder 8 Dollar
-wöchentlich verdienst; kannst Du das nicht beim jetzigen Prinzipal,
-bei K. erreichen, dann gebe Dir wohl den Anschein der Geduld, aber
-strebe ungeduldig danach, anderweitig Dein Heil zu versuchen, und
-benachrichtige mich zur rechten Zeit, daß ich Dir Geld schicke.
-
-
- 5. Februar 1881.
-
-Bemühe Dich nur, Deinen Prinzipalen gegenüber und bei Deinen
-Mitgehilfen alle etwaigen Antipathien zu überwinden. Lasse Dir
-angelegen sein, nicht nur durch Leistungen, sondern auch durch artige
-Worte Dich festzusetzen in Deiner Stellung. Wenn letzteres zu guten
-Leistungen hinzukommt, ist es ungemein wirksam. Wenn Du nach höherem
-Lohn strebst, so tue das nur, insofern alle anderen Verhältnisse
-zusagen, mit der größten Delikatesse. Wenn Du die deutsche Demut mit
-der amerikanischen Independenz in geschickter Weise zu verbinden weißt,
-das macht den Kapitalkerl!
-
-Ein ordentliches Salär ist eine schöne Sache, jedoch rate ich, lasse
-Dir noch mehr angelegen sein, in das Geschäft, das Du da gefunden, nun
-auch richtig hineinzukommen: vom Verkäufer im Innern auch zum Verkäufer
-nach außen zu gelangen, Waren, Kundschaft und Buchführung kennen zu
-lernen. Aber Eile mit Weile!
-
-
- 30. März 1881.
-
-... Mit dem Gedanken, daß der erste Verkäufer nicht mehr versteht und
-tut wie Du und doch ein vierfaches Salär erhält, darfst Du Dir Deine
-Stellung nicht verleiden lassen. Wie mancher Sekondeleutnant ist ein
-ebenso tüchtiger und noch viel kapablerer Militär wie der General, und
-muß doch seine Zeit abwarten. Wenn auch noch etwas Geld draufgeht,
-laß Dich nicht kümmern, der sichere Gang ist der vorzüglichere. Du
-solltest der Prinzipalität in Bescheidenheit die Vorstellung machen,
-daß Du Dir gerne gerade bei ihr eine Zukunft erarbeiten möchtest, daß
-sie Dir aber wenigstens genug zahlen möchte für Dein notdürftiges
-Auskommen, denn es sei Dir peinlich, jetzt noch um Geld nach Hause zu
-schreiben, und Deine Kasse sei zur Neige. Wenn Du es dann bis zu 15
-Dollar wöchentlich gebracht hast und findest die Vorrückung zu langsam,
-so wirst Du leichter bei irgendeinem Konkurrenten der Firma ankommen.
-Das längere Fungieren aber scheint mir erste Bedingung. Bist Du einmal
-außer Stellung, so ist es zehnfach schwerer ankommen.
-
-
- 25. April 1881.
-
-... Das Schwerste ist jetzt überwunden. Nach drei Monaten trägst Du
-nochmals auf Gehaltserhöhung an, und schon nach zwei, wenn Du fühlst,
-daß Du an Fähigkeiten und Leistungen Fortschritte machst, würde ich
-die Prinzipale in bescheidenster Weise bitten, Dein ernstes Streben
-mit ein paar Dollars wöchentlich zu encouragieren. Aber es so machen
-wie diesmal, mußt Du künftig vermeiden. Ich merke schon, Du hast von
-mir geerbt; mir wird es auch schwer, den Stolz zu beugen und mit guten
-Worten und Bitten das zu erbetteln, was ich für mein Recht halte. Aber
-der richtige, der erfolgreiche Weg ist es nicht, wenn man -- so wie
-Du getan -- und ich habe es auch schon mehr so gemacht -- dem guten
-Freunde die Pistole auf die Brust setzt. Nimm Dir ernstlich vor, solche
-delikate Fragen nächstens weniger ernst und dringlich, sondern mit
-lächelnder Lippe und jüdischer Zähigkeit zum Austrag zu bringen.
-
-
- 15. Juli 1881.
-
-Strebe möglichst mit Behaglichkeit. Ein beruhigtes, wenn auch frugales
-Unterkommen, welches Interesse für alles Schöne, Wahre und Gute übrig
-läßt, ist jeder auch noch so fruchtbaren Jagd nach Geld und Gut
-vorzuziehen. Ich hoffe wohl und freue mich, wenn das amerikanische
-Klima Dich so weit ansteckt, daß Du erwerbslustig und -fähig wirst,
-weil das Erwerben das ~Sine qua non~ von allem ist; aber ich hoffe, daß
-Du Dein besseres Sein darin nicht aufgehen läßt.
-
-
- 3. August 1881.
-
-Du mußt vor allem streben, Dich und Deine subjektiven Anschauungen
-beherrschen zu lernen und Deiner Zukunft oder Vernunft -- wie man es
-nennen will -- die momentanen Gefühle zu opfern. Die Klugheit erfordert
-durchaus, sich der Kunst zu bemeistern, allen Persönlichkeiten, auf
-deren Umgang Du angewiesen bist, liebenswürdig zu erscheinen, ohne
-deshalb auf den eigenen Charakter und die eigenen Rechte zu verzichten.
-Dabei halte immer fest, daß ein Recht, wozu die Macht fehlt, Dich in
-Besitz zu setzen, nur ein ideales Recht ist, dem die »Wirklichkeit«
-fehlt, das man also nicht hat oder doch nur im Kopfe hat, aber erst
-durch zweckmäßige Handlung verwirklichen kann.
-
-Deine Gedanken hängen wohl immer noch mehr und lieber an der
-Vergangenheit wie an der Zukunft? Das kommt aber daher, daß Du in der
-Heimat ganz und gar ein nur ideales Leben geführt hast. Du hast die
-Menschen und Verhältnisse hier nur von der schönen, gemütlichen Seite
-gesehen.
-
-Ich würde bedauern, wenn es anders wäre, aber auch wenn Du den Revers
-zu spät sähest. Was in Amerika so offen zutage liegt: der abgöttische
-Tanz um das eigene Ich, das ist hier noch mehr verbrämt mit Sitten und
-Phrasen, mit Überbleibseln der Vergangenheit. Aber unter der Maske
-der Verwandtschaft, Freundschaft, der Lieb und Treu kommt doch auch
-hier immer nackter und nackter das wahre Gesicht des Eigennutzes zum
-Vorschein. Die Bande der Familie, der Freundschaft und Liebe werden
-täglich mehr zu losen Bändchen, zu Flitter an der Frage nach »barer
-Zahlung«. Ich bin kein Pessimist. Die bösen Erfahrungen, die ich mit
-Geschwistern, Verwandten und Freunden gemacht, haben mir nie die Liebe
-rauben können, -- aber nur darum nicht, weil ich weiß, daß es so
-kommen muß, daß die einzelnen Menschen keine Schuld tragen, sondern
-nur die bösen Verhältnisse, daß nur die kapitalistische Produktion das
-Gift bringt. Darum ist denn auch mein Haß nicht gegen die Eigennützigen
-gerichtet, sondern gegen den Eigennutz; darum erwarte ich keine
-Besserung von der Moralpredigt, sondern von der Entwicklung der
-ökonomischen Verhältnisse. Der handgreifliche, fortwährende Aufschwung
-der Produktion erlöst die Menschen von der Armut, von der Erbsünde und
-vom Teufel.
-
-
- 17. September 1881.
-
-... Was Dich für das Geschäft (in dem Du jetzt arbeitest: Instrumente
-für Ingenieure und Architekten) schätzenswert macht, sind besonders --
-denke ich -- die guten Vorkenntnisse, welche Dich befähigen, leichter
-mit den mathematischen Instrumenten Dich bekannt zu machen; und ohne
-eingehende Bekanntschaft mit dem Gebrauch und Zweck der Dinge kann
-man unmöglich ein +guter+ Verkäufer werden. Ich erinnere mich aus
-meinem früheren Geschäft in Winterscheid, daß die Reisenden kamen
-und Kaffee verkauften. Wenn ich dann fragte, wo der Kaffee herkommt,
-dann wußten sie nur, daß er in Amsterdam gekauft war und Cheribon,
-Java und Menado genannt wurde; aber wie die Holländer dazu gekommen,
-ob er privatim aufgekauft wurde an den Produktionsplätzen, oder ob
-es eine Aktiengesellschaft sei, welche die Auktionen in Holland
-veranstaltete, oder ob die Sache Regierungsangelegenheit, davon wußten
-die Pomadenhengste nie etwas. Und ich habe mich damals schon sehr über
-solche Unwissenheit mokiert, da sich die Leute doch gerade diese und
-keine andere Sache zum Geschäft machten. Möchte Dir deshalb anraten,
-Dich eingehend nach dem Gebrauch, nach Herkommen, Geschichte und allem,
-was Du über Deine Geschäftsartikel erfahren kannst, angelegentlichst zu
-erkundigen. Nur wenn man etwas weiß, kann man auch etwas sprechen, das
-nicht fade und trivial ist ...
-
-
- 22. September 1881.
-
-So angenehm, wie unter guten Umständen das Leben in einem kleinen
-deutschen Landstädtchen ist, so heillos verpestet ist die Luft darin,
-wenn der »Kampf ums Dasein« gefordert wird.
-
-Du schreibst, daß Du gern an das ideale Leben zurückdenkst, das Du hier
-geführt. Es wäre schade, wenn es anders wäre, doch auch schade, wenn
-eine krankhafte Sehnsucht Dir den Reiz der Gegenwart verkümmerte und
-Dein Streben erschlaffte. Muß gestehen, ich habe in diesem Punkte so
-etwas Furcht und Sorge um Dich und freue mich deshalb ungemein, wenn
-ich aus Deinen Briefen zuweilen sehen kann, daß Dein Gemüt heiter und
-Deine Stimmung durchgehends energisch ist. Sentimentale Augenblicke
-hat jeder. Du mußt Dir einmal klar vorstellen, worin der Reiz des
-hiesigen Lebens denn eigentlich besteht. Von den Leuten nach Herkommen,
-Stand und Aufführung gekannt zu sein und dadurch Achtung, Vorzug,
-Teilnahme und Entgegenkommen zu genießen, das ist gleichsam eine Würze
-des Lebens, die einen Pulsschlag hineinbringt, der gewiß nicht zu
-verachten ist. Aber solche Ingredienzien sind auch nur wirksam, wenn
-der +Stoff+ gut ist, dem sie beigemischt werden. Um diesen Stoff zu
-erhalten -- erhalten im Sinne von konservieren +und+ erwerben -- bist
-Du hinausgegangen, und wenn Du nun auch von der Würze einstweilen viel
-entbehren mußt, so sollst Du doch nicht verkennen, daß man, wenn nur
-der Lebens+stoff+ gegeben ist, sich das andere auch anderswo leicht
-verschaffen kann.
-
-
- 25. November 1881.
-
-Vivat der Stadtreisende! Soeben die briefliche Nachricht empfangen, daß
-sich Deine Andeutungen per Postkarte bestätigt haben.
-
-Jetzt, lieber Junge, sind wir wieder alle auf dem Damm. Wenn man weiß
-zu erwerben, ist dies mehr wert als Vermögen.
-
-Über den neuen Wirkungskreis, den Du errungen, freue ich mich noch
-mehr wie über die Gehaltsaufbesserung, doch ist auch letztere ganz
-erfreulich.
-
-Was wird das für eine Freude sein, wenn Du einmal heimkehrst und wir
-uns alle wiedersehen! Das Schönste aber, was ich mir denken kann, ist,
-wenn Du uns alle mitnehmen kannst, ohne daß wir beladen sind mit einer
-ängstlichen Sorge um die Zukunft. Aber auch jetzt bin ich schon froh.
-Das Glück haben nicht viele Familien, daß sie stets zusammenbleiben
-können.
-
-Unser Gehilfe Knöfel ist nach der Heimat gewesen. Hat von dort
-geschrieben, ob er zurückkehren könne. Ich habe ihm dann einen
-annehmbaren Vorschlag gemacht. Er ist wiedergekommen, hat vier Tage
-gesoffen und zwei gearbeitet, und sich nun entschlossen, nach Amerika
-zu gehen. Wahrscheinlich wird er nach sechs oder acht Tagen von
-hier abreisen. Wenn er nach New York kommt, wird er Dich jedenfalls
-aufsuchen. Sein Geist ist stark, aber das Fleisch ist schwach. Ich
-glaube, daß er drüben seine paar hundert Mark verduseln und dann ein
-guter Arbeiter sein wird.
-
-
- 22. Dezember 1881.
-
-... Daß die Amerikaner angespannter arbeiten wie die Leute hier,
-weiß ich wohl aus eigener Erfahrung; aber was die Entschädigung
-durch Vergnügen anbelangt, dünkt mir doch, daß diese Sucht hier noch
-schlimmer ist. Die Bierbank und öde Gesellschaft ist wohl nirgends
-mehr gepflegt wie in unserem deutschen Philisterium. New York und die
-Großstädte machen eine Ausnahme, sonst im Innern des Landes ist nach
-meiner Erfahrung der Amerikaner ein sehr ernster Mann, der mehr die
-Einsamkeit liebt und pflegt wie irgendeine andere Nation.
-
-Leider lebt in aller Welt die Volksmasse noch immer in einer geistigen
-Wüste. Mit der Tatsache, daß Du an Deiner inneren Ausbildung mehr
-arbeiten möchtest, als Dir die Stellung vergönnt, mußt Du Dich eben
-abfinden, so gut es angeht. Es ist das ein Weltleiden. Darum war bisher
-auch alle geistige Entwicklung hauptsächlich das Werk der bevorzugten
-Klassen, und fand die aristokratische Konstitution der Gesellschaft
-früher auch ihre Berechtigung darin, daß die Masse arbeiten mußte,
-damit die wenigen Muße hatten zur Förderung der Kultur. Jetzt darf auch
-die Masse Muße fordern, weil eben die Kultur so weit gediehen ist, daß
-der nötige Proviant in einem Viertel der alten Zeit beschafft werden
-kann.
-
-Das Reisen im Staate New York muß Dir doch Vergnügen machen. Die
-Natur ist da ja wirklich besonders schön, namentlich zwischen Albany
-und Buffalo sind sehr schöne felsige Gebirgspartien. Aber auch die
-Gegend am Hudson hat mir gefallen. Empfehle Dir, Washington Irvings
-»Sketchbook« zu lesen, und wenn Du etwas Ernstes studieren willst,
-rate Dir sehr an, Dich mit der Literaturgeschichte aller Zeiten und
-Völker zu beschäftigen. Die englische Literatur, die Dir am leichtesten
-zugänglich, ist wohl die schönste von allen; aber natürlich hat jedes
-Volk seine besonderen reizvollen Eigentümlichkeiten. Mit Zeitungen und
-dergleichen rate ich Dir nicht, die schöne gute Zeit zu vertrödeln.
-
-
- 1. Januar 1882.
-
-Lege auch einen Abschnitt aus der »Kölnischen Zeitung« bei, aus dem Du
-lernst, wie überfüllt alles und wie schwer hier das Fortkommen für die
-jungen Leute ist.
-
-Du kannst Dir kaum denken, wie deprimierend das auf den Charakter
-der jungen Leute wirkt, so bis an die dreißig Jahre herumzulungern,
-äußerlich den hoffnungsvollen Mann spielen zu müssen, und inwendig
-einen Placken an den anderen setzen, um nur die Blöße decken zu können.
-So sind viele Siegburger Apotheker geworden und finden sich nicht
-besonders wohl dabei. Ohne die Fonds, eine eigene Apotheke erwerben zu
-können, soll das Fach sehr schlechte Stellungen bieten.
-
-»~Homo sum~«[19] habe in den Weihnachtstagen gelesen und mich recht
-dabei amüsiert. Verstand dadurch auch um so viel besser die Philosophie
-Deines letzten Briefes. Es ist mir sehr lieb, wenn Du Dich derart über
-Deine innersten Gedanken öfters aussprichst. Dergleichen vermindert den
-Raum, der zwischen uns liegt.
-
-Der Anachoret Paulus hat mir viel Vergnügen gemacht, aber auch die
-Episode zwischen Polykarp und Vater und Mutter.
-
-Die freiwillige Armut und Abstinenz hat gewiß ihre gute Seite, nur mußt
-Du Dich erinnern, daß sie aus der heidnischen Völlerei hervorgegangen,
-und daß die Armut so einseitig ist wie die Völlerei, die Wahrheit
-oder Vernunft nun aber die Umfassung beider Extreme erfordert, nicht:
-entweder -- oder, sondern: sowohl -- als auch. Sowohl reich wie
-arm. Wir wollen unsere Begierden mäßigen, unsere Lebensart auf das
-einfachste reduzieren, ohne zu vergessen, daß solche Reduktion den
-Zweck hat, uns reicher zu machen, reicher sowohl an materiellen wie an
-geistigen Gütern. Beide Güterarten gehören durchaus zusammen und sind
-nur Formen oder Arten eines Guts, des Guten schlechthin.
-
-
- 16. Januar 1882.
-
-Ich wünschte besonders, daß der Eindruck, den »~Homo sum~« auf Dich
-gemacht, etwas haften bliebe, das heißt die Erkenntnis, daß eine
-gewisse Abstinenz zur Erreichung einer befriedigenden Seelenstimmung
-unumgänglich ist. Du sollst die Welt und das Vergnügen nicht meiden,
-aber auch die Einsamkeit nicht. Der Wechsel zwischen beiden gewährt den
-+höchsten+ Genuß.
-
-Der Kunstsinn liegt bei Euch drüben in Amerika noch im argen; hat sich
-in den letzten Jahrzehnten jedoch sehr gehoben und wird voraussichtlich
-in den nächsten Jahrzehnten riesig steigen, weil nirgends der Reichtum
-so zunimmt wie dort. Und Reichtum muß und wird immer danach streben,
-seinen Genuß durch die Kunst zu erhöhen. Deshalb glaube ich, daß
-eine kunsthandwerkmäßige Ausbildung für eine amerikanische Zukunft
-zweckmäßig sein könnte ...
-
-
- 20. Februar 1882.
-
-Möchte jetzt gern einmal von Dir hören, ob Du auch schon das erworben
-hast, was ich immer als mein bestes Akquisit von meiner ersten
-amerikanischen Tour betrachtet habe: das Gefühl, mit einem Lande und
-mit Verhältnissen bekannt geworden zu sein, wo man die hier allgemein
-so schwer drückenden Sorgen für das tägliche Brot auf die leichte
-Schulter nehmen kann. Wenn das ist, dann hast Du viel, unendlich viel,
-etwas gewonnen, was ein Vermögen wert ist.
-
-
- 3. April 1882.
-
-Deine letzten Nachrichten haben mir nicht nur viel Sorge gemacht,
-sondern waren mir besonders unerfreulich, weil ich sehe, daß Du einen
-so großen Leichtsinn hast, wie ich nie vermutet habe. Die zwölf
-Dollar pro Woche, die Du errungen, waren nötig zur Existenz, und so
-das Notwendige aufs Spiel setzen, um ein übriges zu gewinnen, ist
-unverantwortlich. Ich wünsche nur, daß die Sache sich besser gestaltet,
-wie meine Liebe zu Dir mich fürchten läßt. Also fünfzig Dollar Schulden
-hast Du schon bei Sorge und zehrst wahrscheinlich auf Kredit! Das kann
-nur gut enden, wenn Du nicht manchen Tag nach einem neuen Unterkommen
-zu suchen brauchst. Denke und hoffe optimistisch, aber handle
-pessimistisch. Wenn Du etwas von meiner Kraft hättest, dann würdest
-Du sofort Deine Ausgaben auf das Allernotwendigste einschränken,
-buchstäblich von Brot und Wasser leben und möglichst schnell in Arbeit
-treten, gleichviel ob man zwanzig oder nur drei Dollar dafür zahlt.
-Solche Handlungsweise würde von Verstand zeugen, aber große Ansprüche
-machen, die man nicht zu erringen und zu bestreiten weiß, ist eine
-törichte, eitle Kaprice. Weißt Du auch, daß ich froh wäre, wenn ich
-den Wert von zwölf Dollar wöchentlich nicht nur für mich, sondern für
-uns alle hier zu verzehren hätte? Solange Du mir nicht sagen kannst:
-»ich habe hundert Dollar für einen Notpfennig zurückgelegt«, so lange
-schelte ich dich leichtfertig.
-
-
- 18. April 1882.
-
-... In solchen Lebenslagen wie gegenwärtig mußt Du auf die
-gewohnheitsmäßige Befriedigung Deiner Lebensbedürfnisse verzichten
-können, nach Pittsburg und dem Westen per Emigrantenzug fahren und aus
-der Tasche von Wurst und Brot zehren. Ich habe das xmal wochenlang
-getan und bin dabei so heiter geblieben, als wenn ich an der Table
-d'hote gespeist hätte. Im Gegenteil. Die Kraft der Entsagung ist ein
-wirksames Gegenmittel gegen die Bedrückung des Gemüts, welche die
-sorgenvolle, prekäre Lage notwendig mitbringt.
-
-
- 26. April 1882.
-
-Wir haben die Karte empfangen, worin Du Dein neues Engagement anzeigst.
-Es hat also gut gegangen; aber doch wünschte ich, daß Du so viel
-Freiheit über Dich selbst gewönnest, um einzusehen, daß man zeitweise
-seinen Gefühlen mehr Zwang antun muß.
-
-... Dein stolzer, unabhängiger Sinn ist mir sehr lieb und wert, aber
-um ihn zu realisieren, um wahrhaft unabhängig zu werden, mußt Du auch
-das dialektische Gegenteil, den unterwürfigen Sinn üben und pflegen. Es
-ist das wohl ein Widerspruch, aber ein durchaus sinniger, wie das reale
-Leben ihn überall fordert.
-
-Dafür, daß Du mich so fleißig über die Einzelheiten Deiner Krisis
-unterrichtet hast, bin ich Dir noch besonders dankbar. Es hat mich
-das wohl für einzelne Tage und Stunden recht besorgt gemacht, auch
-wohl eine schlaflose Nacht verschuldet, aber im ganzen sehe ich
-doch, daß die Situation nicht so schlimm ist, daß Deine Aussichten
-mannigfaltiger sind, wie ich sie mir anfangs vorstellte. Laß uns
-nur recht fest zusammenhalten, und wir werden alle Hindernisse
-überwinden ...
-
-
- 14. Juni 1882.
-
-Herrschaft über die Natur ist der Adel des Menschen. Ursprünglich Tier,
-wird er Mensch und Herr erst dadurch, daß er dem Naturwalten hinter
-die Schliche kommt. Der Zweck aller Kultur geht dahin, die natürliche
-Abhängigkeit zu besiegen und Herr zu werden. Nur innerhalb gewisser
-Schranken kann das gelingen. Auch wenn die Menschheit das Errungene
-in der Zukunft verzehnfacht und verhundertfacht, verbleibt sie in
-natürlicher Abhängigkeit. Die menschliche Herrschaft kann immer nur
-eine vernünftig beschränkte sein.
-
-Was also die Aufgabe des ganzen Geschlechts, ist auch Deine
-persönliche, individuelle Aufgabe: Du willst und sollst Herr Deines
-Geschicks werden. Obgleich Du Momente hast, wo Du Dich jetzt schon als
-solcher fühlst, wirst Du auch Momente haben, wo Du Deine Untertänigkeit
-empfindlich merkst. Also bist Du soviel Knecht wie Herr, jedes relativ,
-das heißt einer, der sich emporarbeiten will, der dies Streben als hoch
-und hehr erkennt, ohne zu verkennen, daß er nie einen absoluten Gipfel
-erreichen kann.
-
-Wenn nun die Menschheit des geistigen Scharfsinns zum Kulturfortschritt
-bedarf, so kannst Du im Verkehr mit den Widerwärtigkeiten der List
-nicht entraten. Weder der Wunsch, frei, noch das empfindliche Gefühl,
-Knecht zu sein, kann Dich aus Stricken und Banden erlösen: es gehört
-die »kluge« Tat dazu.
-
-Die Sklaverei (im wörtlichsten Sinne) nennt Hegel eine »List der
-Vernunft« und meint damit, sie sei notwendig gewesen, um die Menschen
-mit der Peitsche zur Arbeit anzuhalten, weil sie ursprünglich eben
-Tiere sind, die der Zuchtrute bedürfen. Und Aristoteles erklärt
-bekanntlich, daß erst, wenn die Weberschiffchen ohne Menschenhand
-und von selbst hin und her schnellten, an Abschaffung der Sklaverei
-zu denken sei. Jetzt erst, wo die Weberschiffchen angefangen haben,
-von selbst zu laufen, und die Ziegelsteine fast ohne Arbeit gebacken
-werden, heute also, wo der Reichtum überhandnehmen will und die
-tierische Plackerei immer mehr durch die Kultur beseitigt werden kann,
-ist die Forderung nach allgemeiner Freiheit berechtigt.
-
-Ich halte diesen breiten Sermon, weil ich Dir eindringlich zureden
-möchte, in der jetzigen Periode Deines individuellen Lebens List,
-Klugheit und Verschlagenheit nicht gering zu achten. Nur dadurch kannst
-Du ein »freier Mann« werden, der seine Absicht jedem offen und ehrlich
-ins Gesicht sagen darf. Um eben die Geradheit zu erreichen, ist Dir
-einstweilen die Hinterlist eine sittliche Notwendigkeit. Ich fürchte
-immer, Dein Naturell möchte Dich verleiten, im Freiheitsdrang die
-Notwendigkeit der Beschränkung und Abstinenz zu übersehen.
-
-
- 23. August 1882.
-
-Ich für meinen Teil bin zwar eingenommen für das Land (der Vereinigten
-Staaten), aber nicht, weil ich die dortigen Verhältnisse so sympathisch
-finde, sondern weil mir die hiesigen schändlich versumpft und beengt
-vorkommen. Dort hat man der absoluten Gewalt der Natur, der eisernen
-Notwendigkeit in die Augen zu sehen und mit ihr zu kämpfen, hier
-sind es Schrullen und Vorurteile, feudale und chinesische Zöpfe und
-anerzogene Nichtswürdigkeiten, die den Geist versklaven. Doch daraus,
-daß so viele verfehlte Existenzen dort herumlaufen, sollst Du Dir kein
-Vorurteil wider das Land und seine Verhältnisse bilden. Was meinst Du
-wohl, wie viele unbefriedigte Leute es denn hier gibt? Den prekären
-Zuständen, wie sie dort herrschen und wie sie die Großindustrie
-mitbringt, gehen wir hier eiligen Schrittes entgegen. Amerika ist uns
-darin wohl sehr voraus. Dafür hat es aber auch durch den Reichtum
-seiner Natur und primitiven Kultur viel mehr Zwischenräume für den
-Mittelstand, dem wir angehören und in dem wir uns möglichst lange
-erhalten wollen. Mit der Zeit muß derselbe allerdings ~nolens volens~
-hier wie dort ins Proletariat hinabsteigen. Aber unterdessen haben auch
-die untersten Volksklassen so viel gewonnen, daß die Sache weniger
-betrübt ist. Wir gehören deshalb praktisch zur Mittelklasse und
-theoretisch zum Proletariat. Soll ich mich hier tatenlos hinuntersinken
-lassen, wenn ich vorsehe, daß drüben die Kampfverhältnisse günstiger
-sind?
-
-Ich möchte Dir gern meine Überzeugung übertragen, damit Du wo mit
-dem Leibe auch mit der Seele stehest. Das Staatsproletariat ist
-eine erbärmliche Sklaverei. Zwar ist das sicherste hier wohl der
-Staatsdienst, aber ich fürchte, Du siehst ihn mit zu idealen Augen.
-Wenn Du als Gymnasiallehrer hier Deinem Herrn und Meister so viel
-Opposition gezeigt hättest wie bei K. & E., dann wärst Du am Ende
-Deines Lateins, aber gründlicher am Ende wie dort, wenn Du auch
-vollkommen mit den New-Yorker Herren zerfällst. Zudem ist es viel
-leichter, einen herrischen Privatmann mit einem schmeichelhaften Worte
-zu befriedigen, als ein herrisches System, das nur mit Deiner völligen
-Unterwerfung auf Lebensdauer zufrieden ist. Lieber Eugen, besieh Dir
-Dein Verhältnis genau, und dann wirst Du -- nach meiner Ansicht der
-Sache von hier aus -- jubeln, daß Du so weit vorgerückt bist ...
-
-
- 25. November 1882.
-
-... Richte Deine Aufmerksamkeit weit mehr auf den sicheren, steten
-Gang als auf großen Erfolg. Auch sitzt in dem vielen Hab und Gut gar
-nicht das Glück; eine bescheidene Existenz ist alles, wonach wir
-streben wollen. Im Hinblick auf den Reichtum, welchen die menschliche
-Entwicklung uns ganz von selbst in den Schoß wirft, dürfen wir dem
-Gang der Dinge mit der größten Genügsamkeit zusehen. Ich meine damit
-die Produktivkraft der Arbeit, welche sich durch die industriellen
-Fortschritte stetig mehrt; damit mehrt sich also auch das lebendige
-Vermögen des einzelnen, mittels seiner Arbeit die Bedürfnisse zu
-befriedigen, wenn auch sein totes Vermögen, sein »Kapital« sich nicht
-mehrt. Weil man aber durch die Abhängigkeit vom Kapitalisten sehr
-leicht aufs Trockene und ins Elend versetzt werden kann, darum ist es
-von allerhöchster Bedeutung, so viel Stock (Vorrat. D. H.) zu besitzen,
-um unter allen Umständen seine Arbeitskraft in Gang erhalten zu können.
-Deshalb ist es für uns jetzt so überaus wichtig, sorgsam zu wachen, daß
-unser kleiner Fonds erhalten bleibt. Ich freue mich ungemein auf Deine
-Herkunft im nächsten Sommer, damit wir uns gründlich verständigen ...
-
-
- 9. März 1883.
-
-... Eine besondere Freude macht es mir, daß ich es fertig gebracht,
-gemäß Deinen Auslassungen, Dich für meine heiligsten Gedanken, für
-meine neue und hohe Weltanschauung zu interessieren. Dadurch hat uns
-die Trennung und Entfernung nicht entfremdet, sondern im höchsten Grade
-genähert. Bleibe, lieber Eugen, der Wissenschaft anhänglich! Werde kein
-Bücherwurm, aber ein Liebhaber der Bücher zum Zweck ihrer praktischen
-Anwendung im Leben!
-
-
- 15. März 1883.
-
-... Der Familienzusammenhang ist mir wie Dir teuer und wert und möchte
-ich uns allen gewiß die Freude des Wiedersehens gönnen. Jedoch geht
-das materielle Gedeihen allen Gemütsbedürfnissen vor. Besser, wir sind
-in fünf Weltteile zerstreut, wenn es jedem gut geht, als im Elend
-vereinigt. Bedenke wohl und ernstlich, wie der Unbemittelte, besonders
-im alten Europa, ein elender Sklave ist. Du lebst an einer Stelle,
-wo der Pulsschlag der Welt recht fühlbar ist, und begreifst meine
-Vorsicht leicht; Deine Geschwister hier leben idyllisch, sanguinisch
-wie die Kinder der Welt vor dem Jüngsten Tage. Ich kann ihnen keine
-Angst anpredigen, weil ich realiter zu nachgiebig bin, und weil ihre
-Umgebung, die Siegburger Dorfgemütlichkeit, die wahre Not des Lebens zu
-sehr verhüllt.
-
-
- 19. September 1883.
-
-In Ermangelung eines sozialen Staates wollen wir (Vater und Kinder)
-wenigstens unter uns Kommunisten sein in beschränktem Maße, für den
-Notfall, und nicht utopistisch. Du sollst -- nach meiner Denkart -- im
-allgemeinen, im großen ganzen egoistisch für Dich und Deine Zukunft
-sorgen, aber nebenbei auch der allgemeinen Menschenliebe Rechnung
-tragen. Die faktischen Weltverhältnisse beruhen noch auf dem Egoismus
-gar ausschließlich, und über das Faktische darf sich auch kein Idealist
-hinwegsetzen, sonst ist er Utopist ...
-
-
- 16. November 1883.
-
-Du sprichst von dem unmoralischen Ton in der Familie M., der Dich und
-auch Eduard S. chokierte. Ich kann mir dabei nichts anderes denken,
-als daß die Ablösung der Bande, welche Bürgermeister, Pastor und
-Nachbarschaft dem Dorfmenschen auflegen, verstärkt durch die Fesseln
-ökonomischer Dürftigkeit und das Gefühl niedriger sozialer Stellung,
-daß der Wegfall dieser Banden die Emporkömmlinge dort drüben außer
-Rand und Band bringt. Ob sie sich da nun mit äußerem Flitter behangen,
-bleibt ihnen doch das Gefühl der Niedrigkeit, welches sie sich durch
-Anmaßung ausreden möchten. Ist es so? Nun, das sollte Dich nicht
-antipathisch stimmen. »Alles erklären, heißt alles verzeihen.« Wenn Du
-von Dir ein höheres Bewußtsein hegen kannst, so freue Dich dessen, aber
-halte auch gewärtig, daß Du in dieser so sehr verbesserungsbedürftigen
-Welt immer Resignation üben und Dein Licht in etwa unter den Scheffel
-halten mußt.
-
-
- 6. Dezember 1883.
-
-... Wenn ich nicht gerade dem Elend ins Auge sehen muß, und +nur eben+,
-+wenn noch so arm+, leben kann, bin ich durch mein heiteres Gemüt
-ungemein reich und besitze eine unverwüstliche Munterkeit.
-
-Auch Deine entschiedene Sprache, mit der Du von neuen
-Geschäftsunternehmungen abrätst, hat mir wohl getan. Mir tut nichts
-wohler, als wenn Ihr alle mitratet bei Gestaltung der Zukunft; nur muß
-es kein Rat sein, wie ihn Deine Schwestern gewöhnlich im Vorrat haben,
-die alles abweisen, aber nichts Neues an die Stelle setzen; immer
-bleiben wollen, wie sie sind, ohne der Zukunft Rechnung zu tragen. Sie
-raten nur negativ: »Tu nicht! Tu nicht!«
-
-Im Briefe vom 22. November sagst Du: »Bin schlimmsten Falls niemals
-um mein Brot verlegen.« Dies Wort hat mich sehr erfreut. Wenn Du Dich
-etwas mit der politischen Ökonomie bekannt gemacht hast, wirst Du
-einsehen: was heute ein Kapital ist, ist morgen keins mehr. Ich bin
-Kleinbürger von Geburt und Stand. Wenn ich kein Betriebskapital habe,
-bin ich am Ende meines Lateins. Darum möchte ich sehen, daß meine
-Kinder sich nicht auf ein kleines und unzulängliches Kapitälchen,
-das mit der Entwicklung der Dinge immer noch unzulänglicher wird,
-stützen sollten, sondern auf ihre Arbeitskraft. Im Anschluß an
-konkurrenzfähiges Kapital sich eine günstige Lohnstellung suchen, ist
-zeitgemäßer als die kleine unzulängliche Selbständigkeit. Ich spreche
-Dir ja meine Gedanken in den »Logischen Briefen« aus.
-
-
- 25. Januar 1884.
-
-Ich will Dich gewiß nicht abhalten, wenn Du die Gelegenheit hast,
-ein eigenes Geschäft zu akquirieren, sondern nur anraten, den
-unvermeidlichen Drang dahin zu mäßigen durch die Erkenntnis, daß das
-Kleingetriebe dem Untergang gewidmet ist; der dienende Anschluß an eine
-große Firma ist freier, leichter, lohnender wie die Kleinkrämerei.
-Solche Selbständigkeit ist doch eine sehr relative, besonders wenn
-die Konkurrenz ihr das Leben sauer macht. Ich glaube gern, daß Du von
-meinem Charakter ein gut Stück geerbt hast, wodurch es Dir schwer
-wird, auf Gleichberechtigung zu verzichten. Indes ist das nun einmal
-nicht anders in unseren Tagen des Privatbesitzes und daraus folgenden
-Standesunterschiedes. Wer kein großes Vermögen hat, kein Kapitalist
-ist, ist unfrei geboren.
-
-Ich glaube, wir, ich, Du und Deine Geschwister, werden am besten
-fahren, wenn wir in etwa resignieren und uns als das betrachten, was
-wir auch in der Tat sind, als Proletarier, die der Regel nach nicht
-imstande sind, sich aus ihrer Klasse herauszuarbeiten, sondern ein
-hoffnungsvolles Leben nur finden können im politischen Streben nach der
-Emanzipation der gesamten Arbeiterklasse. Der Mensch tut gut, nicht zu
-hoch hinauszufliegen und sein Streben mit seinen Mitteln in Einklang zu
-halten. Demnach schlage ich vor, daß wir unser kleines Vermögen nicht
-gebrauchen, um Reichtümer zu erwerben -- insofern diese zu den Trauben
-gehören, die zu hoch hängen --, sondern als Notanker für unabsehbare
-Unglücksfälle.
-
-Bei solcher Lage der Dinge müssen wir »dienen«. Nun sind nach meiner
-Erfahrung die Vereinigten Staaten der Ort, wo die Bitterkeiten des
-Unvermeidlichen noch am leidlichsten sind.
-
-
- 17. März 1884.
-
-Auf Deinen Brief aus Buffalo, worin Du gegen meinen Rat polemisierst,
-Resignation zu üben wider den Trieb, ein reicher Mann zu werden, hätte
-ich viel zu sagen, was aber doch überflüssig ist, indem Du, trotz
-Deiner Polemik, mich doch verstanden hast.
-
-Ich will Dich gewiß nicht veranlassen, +absolut+ zu resignieren,
-sondern möchte nur, daß der Begriff der ökonomischen Entwicklung diesen
-Trieb insoweit mäßige, als zu erkennen ist, +daß der Regel nach+ nichts
-zu holen ist; wenn Dir aber das +Glück+ zwischen die Beine läuft,
-werde ich gewiß einverstanden sein, wenn Du recht wacker für ein Stück
-Kapital arbeitest.
-
-
-
-
-Fußnoten
-
-
-[1] Verlag der Dietzgenschen Philosophie. München 1911.
-
-[2] Siehe hierzu die Abhandlung +Eugen Dietzgens+ »Dietzgen und
-Kant« im Vorwort (S. 4 bis 40) zu seinem »Dietzgen-Brevier für
-Naturmonisten«. München 1915, Verlag der Dietzgenschen Philosophie.
-
-[3] Dialektik = Entwicklungslehre durch Aussöhnen aller
-Gegensätzlichkeit in einer Einheit und durch Fortschreiten im stets neu
-sich bildenden Gegensatzkampf zur immer höheren Aussöhnung und Einheit.
-
-[4] Die gründlichste philosophische Unterweisung über den
-»Universalzusammenhang« findet der Leser in den »Logischen Briefen«, 1.
-Teil, 2. Band, der »Sämtlichen Schriften Josef Dietzgens«.
-
-[5] Auf die nahe Verwandtschaft des erkenntnistheoretischen
-Standpunktes von Dietzgen mit den Anschauungen von Ernst Mach
-und seiner Anhänger hat Max Adler schon 1907 in der Neuen Zeit
-aufmerksam gemacht. Machs Lehrkern habe Dietzgen schon 1868 gleichsam
-vorweggenommen. (Christian Eckert in Schmollers Jahrbuch, Heft 1, 1914.)
-
-Später (1911 und 1913) hat Gustav Eckstein in Aufsätzen der Leipziger
-Volkszeitung und des Vorwärts die erkenntnistheoretische Harmonie von
-Dietzgen und Mach beziehungsweise Stallo gewürdigt.
-
-Es steht übrigens fest, daß die genannten Gelehrten zur Zeit der
-Veröffentlichung ihrer Theorien von Dietzgen nichts wußten. Bis vor
-fünf Jahren war der bloße Name Josef Dietzgen an den Universitäten nur
-sehr wenigen bekannt.
-
-[6] Eine Ausnahme machte inzwischen ~Dr.~ K. Österreich in seiner
-Ausgabe des 4. Bandes (1916) von Überweg-Heinzes Geschichte der
-Philosophie.
-
-[7] In dem von mir übersetzten Buche von Morris Hillquit, New York,
-»Der Sozialismus, seine Theorie und seine Praxis« (München 1911, E.
-Reinhardt) behandelt das dritte Kapitel »Sozialismus und Ethik«, Seite
-28 bis 50.
-
-[8] Kant sagt: »Ich nehme an, daß es wirklich reine moralische
-Gesetze gebe, die völlig ~a priori~ (ohne Rücksicht auf empirische
-Bewegungsgründe, das ist Glückseligkeit) das Tun und Lassen, das
-ist den Gebrauch der Freiheit eines vernünftigen Wesens überhaupt
-bestimmen, und daß diese Gesetze +schlechterdings+ (nicht bloß
-hypothetisch unter Voraussetzung anderer empirischer Zwecke) gebieten
-und also in aller Absicht notwendig sind.« -- Sein »kategorischer
-Imperativ« lautet: »Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit
-zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.«
-
-Woran Sozialisten, angesichts der aus den Verschiedenheiten der
-+Klasseninteressen+ resultierenden Differenzen der »Maxime des
-Willens«, die im vorigen Zitat gedachten »reinen moralischen Gesetze«
--- die jeder normale Mensch angeblich aus seinem Innern (ohne sinnliche
-Erfahrung) schöpft -- zu erkennen vermögen, ist ein Rätsel, dessen
-Lösung die Revisionisten uns bisher vorenthalten haben. Wenn Kants
-ethisches Grundgesetz richtig wäre, müßten doch die Wilden schon
-unsere wichtigsten heutigen Moralanschauungen gehabt haben -- ganz
-zu schweigen von der Sklavenhalterzeit, von der feudalen und von der
-kapitalistischen Welt. Steht doch sogar der letzteren moralisches
-Empfinden -- soweit es den Gütererwerb durch Verelendung der Massen
-betrifft -- in krassem Gegensatz zu dem unsrigen.
-
-Professor Oswald Külpe sagt in seiner Darstellung und Würdigung
-Kants (Aus Natur und Geisteswelt, 146. Band, Seite 121) in bezug
-auf Kants Moralgebot: Liebe aus Neigung kann nicht geboten werden,
-sondern nur die praktische Liebe, das Wohltun aus Pflicht, wenn selbst
-unbezwingliche Abneigung der Ausführung dieser Pflicht entgegensteht.
-Auf solche Beispiele zielt das bekannte Epigramm von Schiller:
-
- Gern dien' ich den Freunden, doch tu ich es lieber mit Neigung,
- Und so wurmt es mich oft, daß ich nicht tugendhaft bin.
- Da ist kein anderer Rat, du mußt suchen sie zu verachten,
- Und mit Abscheu alsdann tun, was die Pflicht dir gebeut.
-
-
-[9] In den letzten Jahren haben allerdings die Ergebnisse der
-Erdbebenforschungen die alte Theorie von ehedem »feuerflüssigen« Gehalt
-des Erdinnern erheblich diskreditiert.
-
-[10] Dialektik im Sinne Dietzgens heißt soviel wie die Erkenntnislehre,
-welche sich gründet auf der erfahrungsmäßig nachgewiesenen Versöhnung
-des Kardinalgegensatzes zwischen Materie und Geist in der Einheit
-des natürlichen Universalzusammenhanges. Dieser bildet die absolut
-einheitliche Gattung, innerhalb welcher alle Gegensätze notwendig nur
-relativ gegensätzliche Arten sind.
-
-Durch solche Überwindung der Gegensätzlichkeit zwischen Materialismus
-und Idealismus verwandelt sich die bislang mit Recht als sophistisch
-diskreditierte Dialektik in eine streng monistische Logik und
-Entwicklungslehre, die auf erfahrungsmäßig kontrollierbare und daher
-wissenschaftlich überzeugende Weise fortschreitend immer besser mit
-jeder dualistischen Unlogik zu räumen versteht.
-
-Noch Hegels Dialektik (Entwicklungslehre im stets sich erneuernden
-Gegensatzkampf zur immer höheren Einheit) nahm ihren letzten Ausgang
-von unvermittelter Begriffsarbeit, welche sich mit ihrem objektiven
-Arbeitsmaterial in keiner Einheit zu versöhnen vermochte, weil ihr
-die Erkenntnis der genannten letzten Einheit mangelte und daher auch
-nicht zur Überwindung des Gegensatzes zwischen Objekt und Subjekt
-fortschreiten konnte.
-
-[11] Ich existiere, daher denke ich.
-
-[12] Erst neulich wurde in den »Sozialistischen Monatsheften« erklärt,
-es sei ganz und gar nicht Aufgabe der Partei, diese oder jene
-Weltanschauung zu fördern.
-
-Ähnlich gleichgültig verhält sich +Kautsky+ gegenüber einer durch
-erfahrungsmäßige Erkenntniskritik begründeten Weltanschauung und
-Denkmethode für die proletarische Bewegung, indem er im »Kampf« vom
-1. Juli 1909 schreibt: »Marx hat keine Philosophie, sondern das Ende
-aller Philosophie verkündet. Der Marxismus will dem Proletariat die
-Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate
-der proletarischen Bewegung beibringen, wie das Kommunistische
-Manifest sagt. Der Ausgangspunkt dabei ist die Erkenntnis, daß
-nicht das Bewußtsein der Menschen ihr Sein, sondern umgekehrt ihr
-gesellschaftliches Sein ihr Bewußtsein bestimmt. Ob man diese
-Auffassung auf den Materialismus des achtzehnten Jahrhunderts oder
-den Machismus oder den Dietzgenschen dialektischen Materialismus oder
-sonstwie stützt, ist ja für die Klarheit und Einheitlichkeit unseres
-Denkens nicht ganz gleichgültig, aber eine Frage, die für die Klarheit
-und Einheitlichkeit der +Partei+ ganz belanglos ist.«
-
-[13] Mit großem Erfolg haben die Aufsichtsräte deutscher
-Aktiengesellschaften ihren Lohn, Tantieme genannt, in den letzten
-Jahren, und ganz besonders wieder 1913/14, erhöht. Auf Grund der
-Einnahmen aus der +Tantiemesteuer+ berechnet die »Frankfurter
-Zeitung« für das Fiskaljahr 1913/14 versteuerte Tantiemen von 88,38
-Millionen Mark gegen 79,38 Millionen für das Jahr 1912/13, 71,50
-Millionen für 1911/12, 65,39 Millionen für 1910/11, 59,30 Millionen
-für 1909/10 und 41,01 Millionen Mark für 1908/09. +Seit 1908/09 hat
-sich die Jahreseinnahme der Aufsichtsräte mehr als verdoppelt+, die
-Aufsichtsratstantiemen sind erheblich schneller gestiegen als die
-Dividenden der Aktionäre. Von einer Steigerung der Arbeitsleistung
-der Aufsichtsräte kann dabei keine Rede sein, schon weil das
-Aufsichtsratsamt in den meisten Fällen überhaupt mit keiner ernsthaften
-Arbeit verknüpft ist. (»Vorwärts«.)
-
-[14] Siehe hierzu das Zitat aus Verworn, Seite 25.
-
-[15] Lehrlingskontrakt (wie in Deutschland) kennt man in den
-Vereinigten Staaten nicht; auch gibt es keine »unentgeltliche«
-Lehrzeit; jeder Lehrling erhält Bezahlung und avanciert nach Maßgabe
-seiner Fähigkeiten und der eintretenden Vakanzen.
-
-[16] Freund des Vater Dietzgen, in dessen Geschäft und Fabrik Eugen als
-Volontär aufgenommen wurde.
-
-[17] An manchen Stellen dieser Korrespondenz ist zu beachten, daß J. D.
-die Vereinigten Staaten vor Einsetzen der großkapitalistischen Periode
-kennen lernte, als sie tatsächlich das Eldorado des Kleinbürgertums
-waren. Dies hat sich inzwischen sehr verändert, so daß der Unterschied
-zwischen der Union und Deutschland von Jahr zu Jahr geringer wird. Auch
-heute noch sind zu Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs die Chancen zum
-Fortkommen drüben bessere als in Europa, dafür aber um so verzweifelter
-und schlechter während einer Periode wirtschaftlichen Niedergangs.
-
-[18] Der junge Dietzgen wurde vom Fabrikherrn K., einem alten Freunde
-und Gesinnungsgenossen Josef Dietzgens, in Pension genommen.
-
-[19] Von Georg Ebers. Der Sohn hatte geschrieben, daß er dies Buch
-gelesen.
-
-
-
-
-Verlag der Dietzgenschen Philosophie in München
-
-
-Durch jede Buchhandlung (nicht von der Verlagsfirma direkt) beziehbar:
-
-Josef Dietzgens sämtliche Schriften
-
-Drei Leinenbände M. 12.-- München 1911.
-
-Erster Band: =Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit und Kleinere
-Schriften.= Ein Abriß von Josef Dietzgens Leben von Eugen Dietzgen.
-Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit. (Eine abermalige Kritik der
-reinen und praktischen Vernunft.) Die Religion der Sozialdemokratie.
-Sozialdemokratische Philosophie. Das Unbegreifliche. Die Grenzen der
-Erkenntnis. Unsere Professoren auf den Grenzen der Erkenntnis.
-
-Zweiter Band: =Das Akquisit der Philosophie.= Einführung in die
-Denklehre und Weltanschauung Josef Dietzgens von Eugen Dietzgen. Briefe
-über Logik, speziell demokratisch-proletarische Logik. (39 Briefe.)
-Streifzüge eines Sozialisten in das Gebiet der Erkenntnistheorie. Das
-Akquisit der Philosophie.
-
-Dritter Band: =Erkenntnis und Wahrheit.= Aus Josef Dietzgens
-Privatbriefen an seinen Sohn in Amerika. 22 Aufsätze und 10 »Briefe
-über Sozialismus an eine Freundin«.
-
-
-Von den Einzelschriften sind noch vorrätig:
-
- =Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit.= M. 1.50, gebd. M. 2.--
-
- =Erkenntnis und Wahrheit.= M. 2.--, gebd. M. 2.50.
-
- =Streifzüge eines Sozialisten in das Gebiet der Erkenntnistheorie.=
- Brosch. M. 1.--
-
- =Sozialdemokratische Philosophie.= Brosch. 75 Pf.
-
- =Die Religion der Sozialdemokratie.= Brosch. 50 Pf.
-
- =Die Zukunft der Sozialdemokratie.= Brosch. 50 Pf.
-
-
-
-
-Verlag der Dietzgenschen Philosophie in München
-
-
-Ernst Untermann: Dialektisches
-
-Volkstümliche Vorträge aus dem Gebiete des proletarischen Monismus.
-
-Aus dem Inhalte heben wir hervor: 1. Was die Handlungen der Menschen
-bestimmt und warum sich die Dinge ändern. -- 2. Der menschliche Geist
-ist ein natürliches Produkt des Weltalls. -- 3. Marxismus, Darwinismus,
-dialektischer Monismus. -- 4. Tier- und Menschengesellschaften. -- 5.
-Biologische und ökonomische Arbeitsteilung. -- 6. Antonio Labriola und
-Josef Dietzgen. Ein Vergleich zwischen dem historischen Materialismus
-und dem dialektischen Monismus.
-
-142 Seiten, broschiert M. 1.--, gebunden M. 1.20.
-
-
-Henriette Roland-Holst:
-
-Josef Dietzgens Philosophie
-
-gemeinverständlich erläutert in ihrer Bedeutung für das Proletariat.
-
-München 1910. 91 Seiten, broschiert M. 1.--
-
-Diese Schrift dürfte sich vorzüglich eignen zur Einführung in die
-Denklehre und Weltanschauung des Arbeiterphilosophen. Die Verfasserin
-sagt in ihrer Vorrede unter anderem: »Ich habe mich in dieser Arbeit
-darauf beschränkt, erstens das Verhältnis Dietzgens zum historischen
-Materialismus und dessen Grundlagen zu untersuchen, zweitens die
-Bedeutung seiner Lehren für den politischen, sozialen und geistigen
-Kampf des Proletariats zu skizzieren. Ich habe geglaubt, dieser
-Untersuchung eine verhältnismäßig ausführliche Zusammenfassung der
-Grundgedanken des dialektischen Materialismus, die, soweit ich weiß,
-bisher fehlt, vorausschicken zu müssen. Soviel wie möglich habe ich
-mich dabei an die eigenen Worte Dietzgens gehalten, damit seine klare,
-populäre, durchaus originelle und anregende Darstellungsweise dem Leser
-tunlichst erhalten bleibe.«
-
-
-Dietzgen-Brevier für Naturmonisten
-
-Herausgegeben und beantwortet von =Eugen Dietzgen=.
-
-Mit ausführlichem Sachregister.
-
-München 1915. 429 Seiten, elegant in Leder gebunden M. 4.--
-
-
-
-
-Inhalt der Internationalen Bibliothek.
-
-(Die fehlenden Nummern sind vergriffen.)
-
- 1
- =~Dr.~ S. Tschulok, Entwicklungstheorie.= (Darwins Lehre.) Mit 49
- Abbildungen im Text. Gebunden M. 3.--
-
- 2
- =Karl Kautsky, Karl Marx' Oekonomische Lehren.= 14. Aufl. Geb. M.
- 2.--
-
- 5
- =Karl Kautsky, Thomas More und seine Utopie.= 3. Auflage. Geb. M.
- 3.--
-
- 6
- =A. Bebel, Charles Fourier. Sein Leben und seine Theorien.= 3.
- Aufl. Geb. M. 2.50.
-
- 8
- =J. Stern, Die Philosophie Spinozas.= Mit Porträt Spinozas. 3.
- Aufl. Geb. M. 2.--
-
- 9
- =A. Bebel, Die Frau und der Sozialismus.= 140. Tausend. Gebunden M.
- 3.--
-
- 10 =Lillagaray, Die Geschichte der Kommune von 1871.= 4. Auflage.
- Illustrierte Ausgabe. Gebunden M. 3.--
-
- 11 =Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums
- und des Staates.= 14. Auflage. Gebunden M. 1.50.
-
- 12 =Karl Marx, Das Elend der Philosophie.= Antwort auf Proudhons
- »Philosophie des Elends«. 5. Aufl. Geb. M. 2.--
-
- 13 =Karl Kautsky, Das Erfurter Programm= in seinem grundsätzlichen
- Teile. 11. Auflage. Gebunden M. 2.--
-
- 14 =Friedrich Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England.= 4.
- Auflage. Gebunden M. 2.50.
-
- 16 =~Dr.~ F. B. Simon, Die Gesundheitspflege des Weibes.= 8. Auflage.
- Mit 34 Abbildungen im Text und einer farbigen Tafel. Gebunden M.
- 2.50.
-
- 17 =Franz Mehring, Die Lessing-Legende.= 3. Auflage. Gebunden M. 3.--
-
- 18 =~Dr.~ H. Lux, Etienne Cabet= und der Ikarische Kommunismus.
- Gebunden M. 2.--
-
- 21 =Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der
- Wissenschaft.= 8. Auflage. Gebunden M. 3.--
-
- 24 =Karl Marx, Revolution u. Konter-Revolution in Deutschland.= 3.
- Auflage. Gebunden M. 2.--
-
- 26 ~a~, ~b~, ~c~ =~Dr.~ A. Dodel, Aus Leben und Wissenschaft.=
- Gesammelte Vorträge und Aufsätze. In drei Teilen.
-
- 26 ~a~ =-- Leben u. Tod.= 4. Aufl. Geb. M. 2.--
-
- 26 ~b~ =-- Kleinere Aufsätze und Vorträge.= 4. Auflage. Gebunden M.
- 2.--
-
- 26 ~c~ =-- Moses oder Darwin?= Eine Schulfrage. 11. Auflage.
- Gebunden M. 1.50.
-
- 27 =Lindemann (C. Hugo), Städteverwaltung und Munizipal-Sozialismus
- in England.= 2. Auflage. Mit einem neuen Vorwort. Gebunden M. 2.50.
-
- 30 =Karl Marx, Zur Kritik der politischen Oekonomie.= 3. Auflage.
- Gebunden M. 2.50.
-
- 33 =Leo Deutsch, Sechzehn Jahre in Sibirien.= Mit 7 Porträts und 6
- Illustrationen. 10. Tausend. Gebunden M. 3.50.
-
- 35 =Karl Marx, Theorien über den Mehrwert.= Aus dem nachgelassenen
- Manuskript »Zur Kritik der politischen Oekonomie« von Karl Marx.
- Herausgegeben von Karl Kautsky. Erster Band. 2. Auflage. Gebunden
- M. 6.--
-
- 36 =-- --=, Zweiter Band, erster Teil. 2. Auflage. Gebunden M. 5.--
-
- 37 =-- --=, Zweiter Band, zweiter Teil. 2. Auflage. Preis gebunden
- M. 5.50.
-
- 37 ~a~ =-- --,= Dritter Band. Gebunden M. 8.--
-
- 38 =Karl Kautsky, Ethik und materialistische Geschichtsauffassung.=
- 6. und 7. Tausend. Gebunden M. 1.50.
-
- 39 =Hillquit, Geschichte des Sozialismus in den Vereinigten Staaten.=
- Gebunden M. 3.--
-
- 40 =K. A. Pashitnow, Die Tage der arbeitenden Klasse in Rußland.=
- Uebersetzt von M. Nachimson. Gebunden M. 3.--
-
- 41 =Leo Deutsch, Viermal entflohen.= 4. und 5. Tausend. Gebunden M.
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- 42 =Peter Maßlow, Die Agrarfrage in Rußland.= Die bäuerliche
- Wirtschaftsform und die ländlichen Arbeiter. Uebersetzung von M.
- Nachimson. Gebunden M. 3.--
-
- 43 =Paul Louis, Geschichte des Sozialismus in Frankreich.= Aus dem
- Französischen übertragen von Hermann Wendel. Gebunden M. 3.--
-
- 44 =Ed. Bernstein, Sozialismus und Demokratie in der großen
- englischen Revolution.= Illustrierte Ausgabe. Gebunden M. 4.--
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- 45 =Karl Kautsky, Der Ursprung des Christentums.= Eine historische
- Untersuchung. 5. und 6. Tausend. Gebunden M. 5.75.
-
- 46 =L. B. Boudin, Das theoretische System von Karl Marx.= Aus dem
- Englischen übersetzt von Luise Kautsky. Mit einem Vorwort zur
- deutschen Ausgabe von Karl Kautsky. Gebunden M. 3.--
-
- 47 =K. Kautsky, Vorläufer des neueren Sozialismus.= 4. Auflage.
- Erster Band: Kommunistische Bewegungen im Mittelalter. Gebunden M.
- 3.--
-
- 48 -- --, Zweiter Band: Der Kommunismus in der deutschen Reformation.
- Geb. M. 3.--
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- 49 =Ph. Buonarroti, Babeuf und die Verschwörung für die Gleichheit.=
- Uebersetzt und eingeleitet von Anna und Wilhelm Blos. Gebunden M.
- 2.50.
-
- 50 =Karl Kautsky, Vermehrung und Entwicklung in Natur und
- Gesellschaft.= Gebunden M. 2.--
-
- 51 =Paul Louis, Geschichte der Gewerkschaftsbewegung in
- Frankreich= (1789 bis 1912). Autorisierte Übersetzung von Hedwig
- Kurucz-Eckstein. Herausgegeben und mit einer Einleitung versehen
- von ~Dr.~ G. Eckstein. Gebunden M. 3.--
-
- 52 =Joseph Salvioli, Der Kapitalismus im Altertum.= Studien über die
- römische Wirtschaftsgeschichte. Nach dem Französischen übersetzt
- von Karl Kautsky jun. Mit einem Vorwort von Karl Kautsky. Gebunden
- M. 3.--
-
- 53 =Max Adler, Marxistische Probleme.= Beiträge zur Theorie der
- materialistischen Geschichtsauffassung. Gebunden M. 3.50.
-
- 54 =Laufenberg, Der politische Streik.= Gebunden M. 2.50.
-
- 55 =Emile Vandervelde, Neutrale und sozialistische
- Genossenschaftsbewegung.= Gebunden M. 1.50.
-
- 56 =Max Adler, Wegweiser.= Studien zur Geistesgeschichte des
- Sozialismus. Gebunden M. 2.50.
-
- 57 =Gust. Noske, Kolonialpolitik und Sozialdemokratie.= Gebunden M.
- 2.--
-
- 58 =A. Hepner, Josef Dietzgens Philosophische Lehren.= Gebunden M.
- 2.50.
-
-
-
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde korrigiert.
-
- Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.
-
- Korrekturen (das korrigierte Wort ist in {} eingeschlossen):
-
- S. 64: vertrakten → vertrackten
- derselbe ihrem {vertrackten} Sinne wie ein unnatürliches
-
- S. 108: ihr → ihre
- menschlichen Handlungen {ihre} wahre Begründung
-
- S. 143: Ende → Enden
- daß alle vermeintlichen Anfänge und {Enden}
-
- S. 144: kam → kann
- beseelt mit Fug und Recht darstellen {kann}
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Josef Dietzgens philosophische Lehren, by
-Adolf Hepner
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JOSEF DIETZGENS ***
-
-***** This file should be named 50574-0.txt or 50574-0.zip *****
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-Produced by Alexander Bauer and the Online Distributed
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-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
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-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of computers
-including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
-because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
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-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
-To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
-and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
-
-
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
-Foundation
-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
-http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
-permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
-
-The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
-Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
-throughout numerous locations. Its business office is located at
-809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
-business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
-information can be found at the Foundation's web site and official
-page at http://pglaf.org
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-For additional contact information:
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- Chief Executive and Director
- gbnewby@pglaf.org
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-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
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-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
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-SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
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-Project Gutenberg's Josef Dietzgens philosophische Lehren, by Adolf Hepner
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-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
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-Title: Josef Dietzgens philosophische Lehren
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-Author: Adolf Hepner
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-Release Date: November 29, 2015 [EBook #50574]
-
-Language: German
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-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JOSEF DIETZGENS ***
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-Produced by Alexander Bauer and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net
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-</pre>
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-<div class="transnote">
-<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Das Buch ist original in Fraktur gesetzt.</p>
-
-<p>Im Original gesperrter Text ist <em class="gesperrt">so ausgezeichnet</em>.</p>
-
-<p>Im Original in Antiqua gesetzter Text ist <em class="antiqua">so ausgezeichnet</em>.</p>
-
-<p>Im Original fett gesetzter Text ist <b>so ausgezeichnet</b>.</p>
-
-<p>Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am <a href="#tnextra">Ende des Buches</a>.</p>
-</div>
-
-<div class="figcenter">
-<img src="images/portrait.jpg" alt="J. Dietzgen" />
-</div>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h1>
-Josef Dietzgens<br />
-Philosophische Lehren</h1>
-</div>
-<p class="h2">
-Von Adolf Hepner</p>
-<p class="center">
-Mit einem Porträt von Josef Dietzgen</p>
-
-<div class="figcenter">
-<img src="images/signet.png" alt="Signet" />
-</div>
-
-<p class="center">
-Stuttgart<br />
-Verlag von J. H. W. Dietz Nachf. G. m. b. H.<br />
-1916
-</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p class="center">
-Alle Rechte vorbehalten.
-</p>
-
-<p class="center p2">
-Druck von J. H. W. Dietz Nachf. G. m. b. H. in Stuttgart.
-</p>
-
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_3">[3]</a></span></p>
-
-<h2><a id="Inhalts-Verzeichnis">Inhalts-Verzeichnis.</a></h2>
-
-<table summary="Inhalt">
-<tr>
-<td></td><td></td><td class="tdr">Seite</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdr">I.</td><td>Einleitendes</td>
- <td class="tdr"><a href="#I">5</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdr">II.</td><td>Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit</td>
- <td class="tdr"><a href="#II">9</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdr">III.</td><td>Dietzgens monistische Erkenntnislehre</td>
- <td class="tdr"><a href="#III">23</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdr">IV.</td><td>Dietzgens Ethik</td>
- <td class="tdr"><a href="#IV">29</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdr">V.</td><td>Die Religion der Sozialdemokratie</td>
- <td class="tdr"><a href="#V">38</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdr">VI.</td><td>Sozialdemokratische Philosophie</td>
- <td class="tdr"><a href="#VI">58</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdr">VII.</td><td>Drei polemische Abhandlungen</td>
- <td class="tdr"><a href="#VII">69</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>VIII.</td><td>Briefe über Logik</td>
- <td class="tdr"><a href="#VIII">76</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdr">IX.</td><td>Erkenntnistheoretische Streifzüge</td>
- <td class="tdr"><a href="#IX">120</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdr">X.</td><td>Das Akquisit der Philosophie</td>
- <td class="tdr"><a href="#X">139</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdr">XI.</td><td>Dietzgens pädagogische und Lebensweisheit</td>
- <td class="tdr"><a href="#XI">158</a></td>
-</tr>
-</table>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_4">[4]</a></span></p>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_5">[5]</a></span></p>
-
-<h2 id="I">I.<br />
-Einleitendes.</h2>
-</div>
-
-<p>Nicht alles ist Gold, was unter dem Namen »Philosophie«
-bisher geglänzt hat. Und nicht einmal ist <em class="gesperrt">alles</em> Gold, was
-die wirklichen Philosophen aus dem Schachte ihres tiefen
-Geistes hervorgeholt und vor der wißbegierigen Menschheit
-ausgebreitet haben. Gar vieles war von vornherein gegenstandslos,
-anderes ist von der Zeit überholt, als abgetan
-durch die moderne Wissenschaft zu betrachten, und von manch
-hochanspruchvollem Satze darf man sagen: »<em class="antiqua">Lasciate ogni
-speranza!</em> Laßt die Hoffnung draußen, ihn zu verstehen!«</p>
-
-<p>In noch höherem Grade gilt dies von den Darstellern der
-philosophischen Systeme. An Lehrschriften der Philosophie
-besitzen wir eine Unzahl &ndash; strotzend von Gelehrsamkeit, von
-mehr oder minder verständlichen Theorien und Begriffsdefinitionen
-&ndash; über das Denkergebiet aller Zeiten sich erstreckend.
-So unentbehrlich diese Bücher auch für das philosophische
-Fachstudium sind &ndash; den, der nicht von Hause aus
-besondere Vorliebe für die Wissenschaft der Wissenschaften
-hegt, vermögen sie in den seltensten Fällen zu verlocken, sich
-ihr mehr als dilettantisch zu widmen.</p>
-
-<p>So kommt es denn, daß nur wenige Intellektuelle, deren
-Berufswissenschaft kein eingehendes Studium der Philosophie
-erfordert, ihr ein mehr als oberflächliches Interesse
-zuwenden.</p>
-
-<p>Die Philosophen und ihre Erklärer haben zum allergrößten
-Teil für die Ausprägung ihrer Gedanken eine Redeweise gewählt,
-deren Aneignung für viele weit schwieriger ist als das
-Erlernen irgendeiner europäischen Sprache. Hierdurch verleideten<span class="pagenum"><a id="Seite_6">[6]</a></span>
-sie den Lesern die Lust zum Eindringen in die Wege
-und Irrwege der Erkenntnisforschung, so daß die Gedankenoperationen
-der Philosophen eine <em class="antiqua">Terra incognita</em> (ein unbekanntes
-Land) für diejenigen blieben, die der bescheidenen
-Ansicht sind, daß klares Denken nicht durch unklare Wiedergabe
-der Gedanken bezeugt wird.</p>
-
-<p>Zugegeben, daß das Sichten des Urwalds der menschlichen
-Erkenntnis eine außergewöhnlich schwierige Arbeit war und
-an die Pioniere dieser Bemühungen nicht Ansprüche gestellt
-werden dürfen, die der moderne Literaturgeschmack gezeitigt
-hat. Immerhin sollten die Philosophen unserer Tage wenigstens
-sich bemühen, in gefälligerem Sprachgewande vor uns
-zu erscheinen als die meisten ihrer großen Vorgänger.</p>
-
-<p>Daß <em class="gesperrt">Anmut</em> des Ausdrucks mit Schärfe und Klarheit
-desselben wohl vereinbar ist, daß speziell die <em class="gesperrt">Würde</em> der
-Philosophie durch Herabsteigen des Weltweisen vom hohen
-Kothurn der Schwerverständlichkeit keine Einbuße erleidet &ndash;
-zeigen unter anderem die Schriften <em class="gesperrt">Josef Dietzgens</em>.</p>
-
-<p>Eine Charakteristik des Mannes und seines Lebens liest
-man besser in der von Eugen Dietzgen den nur drei Bände
-umfassenden »Sämtlichen Schriften«<a id="FNAnker_1_1"></a><a href="#Fussnote_1_1" class="fnanchor">[1]</a> seines Vaters beigegebenen
-Biographie. Ich will lieber gleich ans Thema gehen
-und die wissenschaftliche Arbeit unseres Autors, die in seine
-letzten zwanzig Lebensjahre (1868 bis 1888) fiel, skizzieren.</p>
-
-<p>Dietzgens erste und Hauptschrift, die er in seiner Petersburger
-Periode als technischer Fabrikleiter einer Lohgerberei
-verfaßte und auf eigenes Risiko herausgeben ließ, trägt den
-schlichten Titel: »Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit«
-und den weiteren Vermerk: »Eine abermalige Kritik der reinen
-und praktischen Vernunft«. Mit dem letzten Wort im ersten
-Titel wollte Dietzgen vermutlich andeuten, daß er weder
-»Materialist« im Sinne der französischen Materialisten des
-achtzehnten Jahrhunderts, die den »Stoff« zum Fetisch machten,<span class="pagenum"><a id="Seite_7">[7]</a></span>
-noch der »Ideenlehre« Hegels verfallen ist, der alles aus dem
-»Gedanken« ableitete. Aus dem Nebentitel erfahren wir deutlich,
-daß Dietzgens Weise von der des Königsberger Weisen
-erheblich abweicht.</p>
-
-<p>Was Dietzgen von den früheren Philosophen in sich aufgenommen,
-brauchte er nicht ausdrücklich aufzuzählen, da
-das Neue und Originelle, das in seiner Behandlung des
-Gegenstandes sich mit dem Alten, Bekannten organisch verknüpft,
-dem sachkundigen Leser sich direkt offenbart. Man vergleiche
-zum Beispiel, wie Dietzgen vom dogmatischen Monismus
-Spinozas fortzuschreiten wußte zu einem erkenntniskritisch
-nachgewiesenen und erfahrungsmäßig kontrollierbaren
-Monismus, und man vergleiche ferner die Leibnizsche Lehre,
-daß keine absoluten Gegensätze im Weltall vorhanden sind,
-mit der Dietzgenschen. Leibniz wußte aus mystischer Befangenheit
-gegenüber dem persönlichen Gottesdasein keine
-erfahrungsmäßig nachweisbare Brücke zwischen dem Relativen
-und Absoluten zu finden und daher auch keine Versöhnung
-zwischen gedanklicher und sinnlicher Wirklichkeit aufzudecken;
-hier blieb er in einem absoluten Gegensatz noch
-stecken. Dietzgen geht mit Kant in der Erkenntnistheorie
-die schon <em class="gesperrt">vor</em> Kant wegbar gemachte »<em class="antiqua">a posteriori</em>«-Strecke,
-das heißt er hält es mit Kant darin, daß Erkenntnis nur
-durch <em class="gesperrt">Erfahrung</em> möglich; er verläßt Kant aber bei dessen
-»<em class="antiqua">a priori</em>«-Rückschritten, das heißt bei dessen Lehre, daß es
-auch Erkenntnisse <em class="gesperrt">ohne</em> Erfahrung gibt.<a id="FNAnker_2_2"></a><a href="#Fussnote_2_2" class="fnanchor">[2]</a> Ebenso kritisch-induktiv
-steht Dietzgen der Philosophie Hegels gegenüber.
-Während dieser den Seinzusammenhang zum Entwicklungsprodukt
-der absoluten Erkenntnis macht, weist Dietzgen umgekehrt
-das Denken als ein relatives Entwicklungsresultat des
-absoluten Naturzusammenhangs nach. Aus diesem Grunde<span class="pagenum"><a id="Seite_8">[8]</a></span>
-bleibt Hegels Dialektik<a id="FNAnker_3_3"></a><a href="#Fussnote_3_3" class="fnanchor">[3]</a> eine idealistisch-mystische Entwicklungslehre
-gegenüber der <em class="gesperrt">naturmonistischen</em> Dialektik
-Dietzgens, welche induktiv nachweisbar fortschreitet bis zum
-letzten Vermittler aller Widersprüche, dem Universalzusammenhang.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_9">[9]</a></span></p>
-
-<h2 id="II">II.<br />
-Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit.<br />
-<span class="smaller">(Erkenntnislehre.)</span></h2>
-</div>
-
-<p>In seinem »Wesen der menschlichen Kopfarbeit« zeigt Josef
-Dietzgen, »was die Philosophie positiv Wissenschaftliches gefördert
-hat«, und zwar, wie er sich ausdrückt, »langstielig
-und größtenteils unbewußt«. Er will »die allgemeine Natur
-des Denkprozesses enthüllen, weil diese Erkenntnis uns die
-Mittel an die Hand gibt, alle die allgemeinen Rätsel der
-Natur und des Lebens wissenschaftlich zu lösen und zu einem
-fundamentalen Standpunkt, zu einer systematischen Weltanschauung
-zu gelangen, welche das langerstrebte, aber nie
-erreichte Ziel der spekulativen Philosophie war«.</p>
-
-<p>Unser Autor behandelt zunächst »die reine Vernunft oder
-das Denkvermögen im allgemeinen«, die allgemeine Natur
-des Denkprozesses, in dessen Erkenntnis, wie er in einer
-späteren Schrift mit Recht sagen darf, »das Fundament aller
-Wissenschaft liegt«. Dann geht er zum »Wesen der Dinge«
-über unter begründeter Abweisung von Kants »Ding an
-sich«, das heißt der Kantschen Theorie, daß hinter dem von
-uns Wahrgenommenen, hinter seiner Erscheinung, noch ein
-»Ding an sich« steckt. Dietzgen zeigt, daß eine Erscheinung
-nur vorhanden ist, sofern sie unserem Denkvermögen, beziehentlich
-unseren Sinnen sich offenbart; ein »Ding an sich«,
-das außerhalb der Erscheinungswelt existieren sollte, führt
-zum Köhlerglauben. Dietzgen weist Kants »Ding an sich«
-überzeugend auf als nichts Übersinnliches, beziehentlich von
-der Sinnlichkeit Unabhängiges (wie Kant das »Ding an sich«
-auffaßte), vielmehr erstens als absolut identisch mit dem
-Universum, dem einzigen »Ding an sich«, das alle anderen
-Dinge in sich trägt und nur absolut »an sich« durch dieses<span class="pagenum"><a id="Seite_10">[10]</a></span>
-»in sich« ist; und zweitens als relativ identisch mit dem allgemeinen
-Bild der Vorstellung oder dem Begriff, die der
-Mensch mittels Denkens aus dem sinnlich Besonderen entwickelt.
-Dietzgen behandelt dann »die Praxis der Vernunft
-in der physischen Wissenschaft« &ndash; Ursache und Wirkung,
-Geist und Materie, Kraft und Stoff &ndash; und im Schlußabschnitt
-die »praktische Vernunft oder Moral« &ndash; das Weise,
-Vernünftige, das sittlich Rechte, das Heilige.</p>
-
-<p>In folgendem gebe ich, und zwar in Dietzgens Wortlaut,
-das Wesentlichste seiner Erörterungen und Befunde über den
-<em class="gesperrt">Denkprozeß</em>:</p>
-
-<p>Der Mensch denkt zunächst nicht, weil er will, sondern
-weil er muß; allgemeiner Zweck des Denkens ist die Erkenntnis …
-Der Denkakt vollzieht sich in Kontakt mit anderen,
-mit sinnlichen Erscheinungen und ist dadurch selbst
-eine sinnliche Erscheinung geworden, die in Kontakt mit einer
-Hirnfunktion den <em class="gesperrt">Begriff</em> des »Denkvermögens« erzeugt.</p>
-
-<p>Mit der reinen Denkkraft, ohne die Hilfe der Objekte (oder
-der Erfahrung darum), die allgemeinen Rätsel der Natur
-und des Lebens zu erforschen, dieser vergeblichen Mühe
-widmete sich die spekulative Philosophie. Wissenschaftliches
-Denken heißt nur das Denken, welches das Wirkliche, Sinnliche,
-Natürliche zum bewußten Gegenstand hat. Sowenig
-es ein Denken, eine Erkenntnis gibt ohne Inhalt, sowenig
-existiert ein Denken ohne <em class="gesperrt">Gegenstand</em> oder ohne Objekt,
-ohne ein anderes, das gedacht oder erkannt wird. Objektloses
-Denken ist eine Unart der »spekulativen« Philosophie,
-welche Erkenntnisse ohne Begattung mit einem sinnlichen
-Gegenstand erzeugen will.</p>
-
-<p>Denken ist eine Arbeit und bedarf wie jede andere Arbeit
-ein Objekt, an dem es sich äußert. Das Denken erstreckt sich
-<em class="gesperrt">allgemein</em> auf alle Objekte.</p>
-
-<p>Das Denkvermögen erforscht aller Dinge Wesen, wie das
-Auge alle Sichtbarkeit. Wie nun das Sichtbare im allgemeinen
-in der Theorie des Gesichts, so ist das Wesen der<span class="pagenum"><a id="Seite_11">[11]</a></span>
-Dinge im allgemeinen in der Theorie des Denkvermögens
-zu finden.</p>
-
-<p>Das Denkvermögen trennt Ursache und Wirkung.</p>
-
-<p>Wir erkennen wohl alle Objekte, aber kein Objekt läßt sich
-ganz erkennen, wissen oder begreifen.</p>
-
-<p>Denken ist eine Tätigkeit des Gehirns, wie Gehen eine
-Tätigkeit der Beine. Wir nehmen das Denken, den Geist
-ebenso sinnlich wahr wie den Gang, wie wir die Schmerzen,
-wie wir unsere Gefühle sinnlich wahrnehmen. Das Denken
-ist uns fühlbar als ein subjektiver Vorgang, als innerlicher
-Prozeß … Aus einem immateriellen, unfaßbaren Wesen wird
-nunmehr der Geist zu einer körperlichen Tätigkeit. Seinem <em class="gesperrt">Inhalt</em>
-nach ist der Denkprozeß <em class="gesperrt">verschieden</em> in jedem Augenblick
-und bei jeder Persönlichkeit, seiner <em class="gesperrt">Form</em> nach bleibt er
-<em class="gesperrt">überall derselbe</em>. Beim Denkprozeß unterscheiden wir, wie
-bei allen Prozessen, zwischen dem <em class="gesperrt">Besonderen</em> oder <em class="gesperrt">Konkreten</em>
-und dem <em class="gesperrt">Allgemeinen</em> oder <em class="gesperrt">Abstrakten</em>.</p>
-
-<p>Hierauf erläutert Dietzgen den Begriff des Denkvermögens.
-Wie die Analyse des Begriffs überhaupt in der Erkenntnis
-des <em class="gesperrt">Gemeinschaftlichen</em>, dem <em class="gesperrt">Allgemeinen</em> der <em class="gesperrt">besonderen</em>
-Teile seines Gegenstandes besteht, so ergibt die Analyse
-des Denkvermögens »das letztere als Fähigkeit, aus dem
-<em class="gesperrt">Besonderen</em> das <em class="gesperrt">Allgemeine</em> zu erfassen«.</p>
-
-<p>Ist die Entwicklung des Allgemeinen aus dem Besonderen
-die generelle Methode, die Art und Weise überhaupt, mit
-welcher die Vernunft Erkenntnisse fördert, so ist die Vernunft
-vollständig damit erkannt als die Fähigkeit, dem Besonderen
-das Allgemeine zu entnehmen.</p>
-
-<p>Die Vernunft besteht »rein« in der Entwicklung des Allgemeinen
-aus dem Besonderen. Erkenntnisse können nicht
-wahr an sich, sondern nur relativ, nur mit Bezug auf einen
-Gegenstand, nur auf Grund äußerlicher Tatsachen wahr sein;
-ihre Aufgabe besteht in der Entwicklung des <em class="gesperrt">Allgemeinen</em>
-aus dem <em class="gesperrt">Besonderen</em>. Das Besondere ist das Maß (Bedingung,
-Voraussetzung) des Allgemeinen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_12">[12]</a></span></p>
-
-<p>Gedanken, Begriffe, Theorien, Wesen, Wahrheiten stimmen
-darin überein, daß sie einem Objekt angehören. Objekte sind
-Quanta der mannigfaltigen Sinnlichkeit. Ist das Quantum
-des Seins, das Objekt, das erkannt, begriffen oder verstanden
-werden soll, durch den Sprachgebrauch eines Begriffs
-vorher bestimmt oder begrenzt, so besteht die Wahrheit in
-der Entdeckung des <em class="gesperrt">Allgemeinen</em> dieser also gegebenen sinnlichen
-Quantität.</p>
-
-<p>Entwicklung des Allgemeinen ist die Aufgabe der Vernunft.
-Der Unterschied zwischen dem scheinbar und wahrhaft Vernünftigen
-reduziert sich auf den Unterschied zwischen dem
-<em class="gesperrt">Besonderen</em> und <em class="gesperrt">Allgemeinen</em>.</p>
-
-<p>Das <em class="gesperrt">Allgemeine</em> ist die <em class="gesperrt">Wahrheit</em>. Das Allgemeine
-ist das, was allgemein ist, das heißt Dasein, Sinnlichkeit.
-Sein ist das allgemeine Kennzeichen der Wahrheit, weil das
-Allgemeine die Wahrheit kennzeichnet. Nun ist aber das Sein
-nicht da im allgemeinen, das heißt das Allgemeine existiert
-in der Wirklichkeit oder Sinnlichkeit nur auf <em class="gesperrt">besondere</em>
-Art und Weise. Die Sinnlichkeit hat ihr wahres sinnliches
-Dasein in den flüchtigen, vielgestaltigen Erscheinungen der
-Natur und des Lebens. Demnach erweisen sich alle Erscheinungen
-als <em class="gesperrt">relative</em> Wahrheiten, alle Wahrheiten als besondere
-zeitliche Erscheinungen.</p>
-
-<p>Gegenüber dem Denkvermögen werden alle Eigenschaften
-zu wesenhaften Dingen, alle Dinge zu relativen Eigenschaften.</p>
-
-<p>Der Unterschied zwischen Mittel und Zweck reduziert sich
-auf den Unterschied zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen.
-Und alle abstrakten Unterschiede reduzieren sich
-auf diesen einen Unterschied, weil die Abstraktions- oder die
-Unterscheidungskraft selbst sich reduziert auf das Vermögen,
-zwischen dem Besonderen und Allgemeinen zu unterscheiden.</p>
-
-<p>Wir werden später sehen, wie Dietzgen mit der »Entwicklung
-des Allgemeinen aus dem Besonderen« manche der
-bisher strittigsten Fragen, manches der schwierigsten Probleme
-löst.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_13">[13]</a></span></p>
-
-<p>Verweilen wir noch einen Augenblick beim »Denken«.
-Dietzgen sagt: Das Denkvermögen ist der Vermittler aller
-Gegensätze, weiß in aller Verschiedenheit Einheit zu finden.</p>
-
-<p>Das Bewußtsein generalisiert den Widerspruch; es erkennt,
-daß alle Naturstücke in Widerspruch leben, daß alles, was
-da ist, das, was es ist, nur durch Mitwirkung eines andern,
-eines Gegensatzes ist. Die Wissenschaft des Denkvermögens
-löst, durch Generalisation des Widerspruchs, alle besonderen
-Widersprüche auf. Gegensätze bedingen sich wechselseitig;
-Wahrheit und Irrtum sind wie Sein und Schein, wie Tod
-und Leben, wie alle Dinge der Welt, nur komparativ, nur
-dem Maße, dem Volumen oder Grade nach verschieden.</p>
-
-<p>Die letzten drei Sätze enthalten in Kürze die grundlegende,
-monistische Lehre von der physischen und psychischen <em class="gesperrt">Relativität</em>
-aller Dinge im Universum, ihrer Abhängigkeit
-vom Universum und voneinander; die Lehre vom <em class="gesperrt">Universalzusammenhang</em>
-des <em class="gesperrt">Kosmosinhalts</em> &ndash; eine Lehre, die
-sich wie ein roter Faden in zahlreichen Variationen durch
-alle Schriften unseres Autors zieht. Diese Wiederholungen
-der an praktischen Beispielen demonstrierten Lehre erweisen
-sich nicht nur als sehr nützlich, sondern erscheinen mir durchaus
-notwendig zur Verbreitung und Festigung der monistischen
-Weltanschauung, die sich gegen die traditionelle dualistische
-doch nur sehr mühselig durchringt.</p>
-
-<p>Der aufmerksame Leser wird hier schon bei der flüchtigen
-Erwähnung des »Universalzusammenhangs alles Kosmosinhalts«
-diesen Gedanken auf das <em class="gesperrt">soziale</em> Gebiet zu übertragen
-und die hohe Bedeutung der Dietzgenschen Lehre für
-die sozialistische Propaganda zu würdigen wissen, insbesondere
-wenn er aus der Naturwissenschaft mit dem kosmischen
-Universalzusammenhang vertraut ist.<a id="FNAnker_4_4"></a><a href="#Fussnote_4_4" class="fnanchor">[4]</a> Die <em class="gesperrt">Relativität</em> der
-Erkenntnis, des Wissens, der Werte, speziell der Wahrheit,<span class="pagenum"><a id="Seite_14">[14]</a></span>
-des Rechts und der Sittlichkeit ist zwar Weisen aller Zeiten
-bekannt gewesen. Schwerlich aber hat vor Dietzgen ein Denker
-&ndash; und es sind bald dritthalbtausend Jahre, seit Heraklit die
-erste Anregung hierzu gegeben &ndash; das Ineinanderfließen der
-Dinge so klar und überzeugend gelehrt und auf alles Dasein
-ohne Ausnahme angewandt; schwerlich hat ein Denker vor
-Dietzgen den im Universalzusammenhang liegenden Grundgedanken
-des Monismus auf das <em class="gesperrt">ökonomisch-soziale</em> Gebiet
-übertragen.</p>
-
-<p>Aber der stärkste Gehalt des Dietzgenschen Naturmonismus
-(in des Autors Darlegungen der <em class="gesperrt">Einheitlichkeit</em> alles
-<em class="gesperrt">Seins</em>) liegt meines Erachtens in seiner Erläuterung des
-<em class="gesperrt">Zusammenhangs des Geistes mit dem Weltall</em>:</p>
-
-<p>Die Frage nach dem Wesen des Geistes ist ein populäres
-Objekt, das nicht nur von Philosophen vom Fach, das von
-der Wissenschaft überhaupt kultiviert ist, sagt Dietzgen, und
-er fährt also fort:</p>
-
-<p>Wir unterscheiden zwischen <em class="gesperrt">Sein</em> und <em class="gesperrt">Denken</em>. Wir unterscheiden
-den sinnlichen Gegenstand von seinem geistigen Begriff.
-Gleichwohl ist doch auch die unsinnliche Vorstellung sinnlich,
-materiell, das heißt <em class="gesperrt">wirklich</em>. Ich nehme meinen Schreibtischgedanken
-ebenso materiell wahr, das heißt als ein wirkliches
-Gefühl, wenn auch ein innerliches, wie ich den Schreibtisch
-selbst äußerlich fühle. Allerdings wenn man nur das
-Greifbare materiell nennt, dann ist der Gedanke immateriell.
-Dann ist aber auch der Duft der Rose und die Wärme des
-Ofens immateriell. Wir nennen besser vielleicht den Gedanken
-<em class="gesperrt">sinnlich</em>, oder noch besser <em class="gesperrt">wirklich</em>. Der Geist ist <em class="gesperrt">wirklich</em>,
-ebenso wirklich wie der greifbare Tisch, wie das sichtbare
-Licht, wie der hörbare Ton. Der Geist ist nicht weiter vom
-Tisch, vom Licht, vom Ton verschieden, wie diese Dinge untereinander
-verschieden sind.</p>
-
-<p>Wir leugnen nicht die Differenz, wir behaupten nur die
-<em class="gesperrt">gemeinschaftliche Natur</em> dieser Dinge. Wenigstens wird
-mich der Leser nun nicht mißverstehen, wenn ich das Denkvermögen<span class="pagenum"><a id="Seite_15">[15]</a></span>
-ein materielles Vermögen, eine <em class="gesperrt">sinnliche Erscheinung</em>
-nenne.</p>
-
-<p>Jede Funktion des Geistes setzt einen Gegenstand voraus,
-von dem sie erzeugt ist, der den geistigen Inhalt abgibt.</p>
-
-<p>Der Geist ist eine körperliche Tätigkeit, Denken eine Funktion
-des Gehirns.</p>
-
-<p>Durch Entlarvung des »reinen Geistes« enthüllen wir den
-letzten Urheber alles Spuks.</p>
-
-<p>Die Materie, das heißt das fühlbare Sein überhaupt, ist
-die Schranke des Geistes; er kann nicht über sie hinaus. Sie
-gibt ihm den Hintergrund zu seiner Beleuchtung, aber sie
-geht nicht auf in der Beleuchtung.</p>
-
-<p>Man hat sich gewöhnt, materielle und geistige Interessen
-als absolute Gegensätze zu unterscheiden, obwohl die materiellen
-Interessen nur der abstrakte Ausdruck für unser Dasein
-sind … Das Höhere, Geistige, Ideale ist nur eine
-<em class="gesperrt">besondere</em> Art der menschlichen Interessen; geistige und
-materielle Interessen unterscheiden sich, wie zum Beispiel
-Kreis und Viereck; letztere sind Gegensätze und doch nur verschiedene
-Klassen der <em class="gesperrt">allgemeineren</em> Form … Der christliche
-Gegensatz von Geist und Fleisch ist im Zeitalter der
-Naturwissenschaft <em class="gesperrt">praktisch</em> überwunden. Es fehlt die theoretische
-Lösung, die Vermittlung, der Nachweis, daß das
-Geistige sinnlich und das Sinnliche geistig ist, um die materiellen
-Interessen vom bösen Leumund zu befreien.</p>
-
-<p>Ähnlich beschwert sich Dietzgen an anderer Stelle unseres
-Buches über das Nichtverständnis des Denkprozesses in den
-Kreisen der Naturwissenschafter:</p>
-
-<p>Die Praxis der Vernunft, den Gedanken aus der Materie,
-die Erkenntnis aus der Sinnlichkeit, das Allgemeine aus dem
-Besonderen zu erzeugen, ist in der physischen Forschung auch
-allgemein, jedoch nur praktisch anerkannt. Man verfährt
-induktiv und ist sich dieses Verfahrens bewußt, aber man
-verkennt, daß das Wesen der Naturwissenschaft das Wesen
-des Wissens, der Vernunft überhaupt ist. Man <em class="gesperrt">mißversteht<span class="pagenum"><a id="Seite_16">[16]</a></span>
-den Denkprozeß</em>. Man ermangelt der Theorie und gerät
-daher nur zu oft aus dem praktischen Takte. Das Denkvermögen
-ist der Naturwissenschaft immer noch ein unbekanntes,
-geheimnisvolles, mystisches Wesen. Entweder sie
-verwechselt materialistisch die Funktion mit dem Organ, den
-Geist mit dem Gehirn, oder denkt idealistisch das Denkvermögen
-als ein unsinnliches Objekt außerhalb ihres Gebiets
-gelegen.</p>
-
-<p>Um die Dinge ganz zu nehmen, müssen wir sie praktisch
-und theoretisch, mit Sinn und Kopf, mit Leib und Geist ergreifen.
-Mit dem Leibe können wir nur das Leibliche, mit
-dem Geiste nur das Geistige ergreifen. Auch die Dinge haben
-Geist. Der Geist ist dinglich, und die Dinge sind geistig. Geist
-und Dinge sind nur in Relationen (in ihren Beziehungen
-zum Gesamtzusammenhang, auch Natur und Universum genannt)
-wirklich.</p>
-
-<p>So schrieb Dietzgen 1868, Jahrzehnte vor der monistischen
-Rebellion von Ernst Mach und seiner Physikerschule, gegen
-den Dualismus.<a id="FNAnker_5_5"></a><a href="#Fussnote_5_5" class="fnanchor">[5]</a></p>
-
-<p>Allerdings unterstützen die modernen Physiker die Lehre,
-daß wir die geistigen Vorgänge objektiv sinnlich wahrnehmen,
-durch naturwissenschaftliche und physiologische Beweise, die
-zu Dietzgens Zeit nicht vorhanden waren. Siehe zum Beispiel<span class="pagenum"><a id="Seite_17">[17]</a></span>
-<em class="gesperrt">Verworn</em>, Die Mechanik des Geisteslebens, 1910, der
-ebenfalls von Dietzgen keine Kenntnis hatte. So erhält denn
-unseres Autors philosophische Genialität durch die spätere,
-von ihm unabhängige, naturwissenschaftliche Forschung eine
-glänzende Anerkennung, wenn auch die Philosophen vom
-Fach sich noch lange besinnen werden, einem Manne, der
-»nur Lohgerber« gewesen, ein Wort der Würdigung, sei es
-auch oppositioneller, in ihrem Hörsaale zu widmen.<a id="FNAnker_6_6"></a><a href="#Fussnote_6_6" class="fnanchor">[6]</a></p>
-
-<p>Für sehr bedeutend halte ich Dietzgens Behandlung der
-»Kraft- und Stoff«-Frage mittels der Lehre von der Entwicklung
-des Allgemeinen aus dem Besonderen. Ich lasse daher
-das Wesentlichste in des Autors Wortlaut hier folgen:</p>
-
-<p>Der Idealismus sieht nur die <em class="gesperrt">Verschiedenheit</em>, der Materialismus
-nur die <em class="gesperrt">Einheit</em> von Körper und Geist, Erscheinung
-und Wesen, Inhalt und Form, Stoff und Kraft,
-Sinnlichem und Sittlichem &ndash; alles Unterschiede, die in dem
-<em class="gesperrt">einen Unterschied des Besonderen und Allgemeinen</em>
-ihre <em class="gesperrt">gemeinschaftliche</em> Gattung finden&nbsp;…</p>
-
-<p>Wie verhält sich das Abstrakte zum Konkreten? So stellt
-sich das gemeinschaftliche Problem derjenigen, welche in spiritueller
-Kraft, und derjenigen, welche im materiellen Stoff den
-Impuls der Welt, das Wesen der Dinge, das Nonplusultra
-der Wissenschaft finden zu können glauben … Wir haben
-da zwei Parteien, welche mit differenten Worten sich in einer
-unbestrittenen Sache herumzanken. Um so lächerlicher ist der
-Streit, je ernsthafter er genommen wird. Wenn jener die
-Kraft vom Stoffe unterscheidet, so will er damit nicht leugnen,
-daß die wirkliche Erscheinung der Kraft unzertrennlich an
-Stoff gebunden ist. Wenn der Materialist behauptet, daß
-kein Stoff ohne Kraft, keine Kraft ohne Stoff ist, so will er
-damit nicht leugnen, was der Gegner behauptet, daß Kraft
-und Stoff different sind. Der Streit hat seinen guten Grund,<span class="pagenum"><a id="Seite_18">[18]</a></span>
-seinen Gegenstand, aber der Gegenstand kommt im Streite
-nicht zum Vorschein. Er wird von den Parteien instinktiv
-verhüllt, um sich nicht die <em class="gesperrt">gegenseitige</em> Unwissenheit gestehen
-zu müssen. Jeder will dem andern beweisen, daß dessen
-Erklärungen nicht ausreichen &ndash; ein Beweis, der von beiden
-hinreichend dargetan wurde. Büchner gesteht in den Schlußbetrachtungen
-zu »Kraft und Stoff«, daß das empirische Material
-nicht ausreiche, bestimmte Antworten auf transzendente
-Fragen zu geben, um diese Fragen positiv beantworten zu
-können; dagegen, sagt er ferner, »reicht es vollkommen aus,
-um sie negativ zu beantworten und die Hypothese zu verbannen«.
-Mit anderen Worten heißt das: die Wissenschaft
-der Materialisten reicht zu dem Beweise aus, daß der Gegner
-nichts weiß.</p>
-
-<p>Der Spiritualist und Idealist <em class="gesperrt">glaubt</em> an ein geistiges,
-das heißt gespenstiges, unerklärbares Wesen der Kraft. Die
-materialistischen Forscher sind <em class="gesperrt">ungläubig</em>. Eine wissenschaftliche
-Begründung des Glaubens oder Unglaubens ist
-nirgends vorhanden. Was der Materialismus voraus hat,
-besteht darin, daß er das Transzendentale, das Wesen, die
-Ursache, die Kraft nicht <em class="gesperrt">hinter</em> der Erscheinung, nicht <em class="gesperrt">außerhalb</em>
-des Stoffes sucht. Darin jedoch, daß er einen Unterschied
-zwischen Kraft und Stoff verkennt, das Problem leugnet,
-bleibt er hinter dem Idealismus zurück. Der Materialist
-pocht auf die tatsächliche Untrennbarkeit von Kraft und Stoff
-und will für die Trennung nur einen »<em class="gesperrt">äußerlichen</em>, aus
-den systematischen Bedürfnissen unseres Geistes hervorgegangenen
-Grund« (Büchner) gelten lassen. Die Trennung der
-Kräfte von den Stoffen ist aber keine »äußerliche«, sondern
-eine innerliche, das heißt wesentliche Notwendigkeit, welche
-allein uns befähigt, die Erscheinungen der Natur zu erhellen
-und zu verstehen.</p>
-
-<p>Die erste Vermittlung des Gegensatzes zwischen Idealismus
-und Materialismus vollbrachte die <em class="gesperrt">Phantasie</em> durch
-den <em class="gesperrt">Glauben an Geister</em>, welche sie allen natürlichen<span class="pagenum"><a id="Seite_19">[19]</a></span>
-Erscheinungen als deren geheimes ursächliches Wesen substituierte.</p>
-
-<p>Wenn es uns gelungen ist, den Dämon des <em class="gesperrt">reinen</em> Geistes
-zu erklären, wird es uns nicht schwer, den besonderen Geist
-der Kraft überhaupt durch die generelle Erkenntnis ihres
-Wesens auszutreiben und somit auch diesen Gegensatz zwischen
-Spiritualismus und Materialismus wissenschaftlich zu
-vermitteln.</p>
-
-<p>Am <em class="gesperrt">Gegenstand</em> der Wissenschaft, am <em class="gesperrt">Objekt</em> des Geistes
-ist Kraft und Stoff ungetrennt. In der leibhaften Sinnlichkeit
-ist Kraft Stoff, ist Stoff Kraft. »Die Kraft läßt sich nicht
-sehen.« Ei doch! Das Sehen selbst ist pure Kraft. Das Sehen
-ist so viel Wirkung des Gegenstandes als Wirkung des Auges,
-eine Doppelwirkung, und Wirkungen sind Kräfte. Wir sehen
-nicht die Dinge selbst, sondern ihre Wirkungen auf unsere
-Augen: wir sehen ihre Kräfte. Und nicht nur sehen läßt sich
-die Kraft, sie läßt sich hören, riechen, schmecken, fühlen. Wer
-wird leugnen, daß er die Kraft der Wärme, der Kälte, der
-Schwere zu fühlen vermag?&nbsp;…</p>
-
-<p>Ebenso wahr, wie sich sagen läßt, ich fühle den Stoff und
-nicht die Kraft, läßt sich umgekehrt sagen, ich fühle die Kraft
-und nicht den Stoff. In der Tat, am Objekt, wie gesagt,
-ist beides ungetrennt. Vermöge der Denkkraft aber trennen
-wir an den neben- und nacheinanderfolgenden Erscheinungen
-das Allgemeine vom Besonderen. Aus den verschiedenen Erscheinungen
-unseres Gesichtes zum Beispiel abstrahieren wir
-den allgemeinen Begriff des Sehens überhaupt und unterscheiden
-ihn als Sehkraft von den besonderen Gegenständen
-oder Stoffen des Gesichtes. Aus sinnlicher Vielfältigkeit entwickeln
-wir mittels der Vernunft das Allgemeine. Das Allgemeine
-mannigfaltiger Wassererscheinungen, das ist die vom
-Stoffe des Wassers unterschiedene Wasserkraft. Wenn stofflich
-verschiedene Hebel gleicher Länge dieselbe Kraft besitzen,
-ist es wohl augenscheinlich, daß hier die Kraft nur so weit
-vom Stoffe verschieden ist, als sie das Gemeinschaftliche verschiedener<span class="pagenum"><a id="Seite_20">[20]</a></span>
-Stoffe darstellt. Das Pferd zieht nicht ohne Kraft,
-und die Kraft zieht nicht ohne Pferd. In der Tat, in der
-Praxis ist das Pferd die Kraft, ist die Kraft das Pferd.
-Aber dennoch mögen wir die Zugkraft von anderen Eigenschaften
-des Pferdes als etwas Apartes unterscheiden, oder
-mögen das Gemeinschaftliche verschiedener Pferdeleistungen
-als allgemeine Pferdekraft abtrennen, ohne uns deshalb einer
-anderen Hypothese schuldig zu machen, als wenn wir die
-Sonne von der Erde unterscheiden; obgleich in der Tat die
-Sonne nicht ohne Erde, die Erde nicht ohne Sonne ist.</p>
-
-<p>Die Sinnlichkeit ist uns nur durch das Bewußtsein gegeben,
-aber das Bewußtsein setzt dennoch die Sinnlichkeit
-voraus. Die Natur, je nachdem wir sie, vom Standpunkt
-des Bewußtseins, als bedingungslose Einheit oder, vom
-Standpunkt der Sinnlichkeit, als unbedingte Mannigfaltigkeit
-gelten lassen, ist grenzenlos vereint und grenzenlos getrennt.
-Wahr ist beides: Einheit und Vielheit, doch jedes
-nur unter gewissen Voraussetzungen, relativ. Es kommt
-darauf an, ob wir vom Standpunkt des Allgemeinen oder
-des Besonderen, ob wir mit geistigen oder mit körperlichen
-Augen umschauen. Mit geistigen Augen gesehen, ist der Stoff
-Kraft. Mit körperlichen Augen gesehen, ist die Kraft Stoff.
-Der abstrakte Stoff ist Kraft, die konkrete Kraft ist Stoff.
-Stoffe sind Gegenstände der Hand, der Praxis. Kräfte sind
-Gegenstände der Erkenntnis, der Wissenschaft.</p>
-
-<p>Die Wissenschaft ist nicht beschränkt auf die sogenannte
-wissenschaftliche Welt. Sie reicht über alle besonderen Klassen
-hinaus, gehört dem Leben in seiner ganzen Breite und Tiefe.
-Die Wissenschaft gehört dem <em class="gesperrt">denkenden Menschen überhaupt</em>.
-So auch die Trennung zwischen Kraft und Stoff.
-Nur die stumpfsinnigste Leidenschaft kann sie <em class="gesperrt">praktisch</em> verkennen.
-Der Geizhals, der Geld anhäuft, ohne seinen Lebensprozeß
-zu bereichern, vergißt, daß die vom Stoffe verschiedene
-Kraft des Geldes das wertvolle Element ist; er vergißt,
-daß nicht der Reichtum als solcher, nicht die schlechte<span class="pagenum"><a id="Seite_21">[21]</a></span>
-goldene Materie, sondern ihr geistiger Gehalt, die ihr inwohnende
-Fähigkeit, Lebensmittel zu kaufen; es ist, was das
-Streben nach ihrem Besitz <em class="gesperrt">vernünftig</em> macht. Jede wissenschaftliche
-Praxis, das heißt jedes Tun, welches mit vorausbestimmtem
-Erfolge, mit durchschauten Stoffen agiert, bezeugt,
-daß die Trennung von Stoff und Kraft, wenn auch
-mit dem Gedanken vollzogen, also ein Gedankending, doch
-deshalb keine leere Phantasie, keine Hypothese, sondern eine
-<em class="gesperrt">sehr wesentliche Idee</em> ist. Wenn der Landmann sein Feld
-düngt, geht er insofern mit reiner <em class="gesperrt">Düngkraft</em> um, als es
-gleichgültig ist, in welchem Stoffe, ob in Kuhmist, Knochenmehl
-oder Guano sie sich verkörpert. Beim Abwägen eines
-Warenballens wird nicht der Stoff der Gewichtsstücke, nicht
-das Eisen, Kupfer oder der Stein, sondern die <em class="gesperrt">Schwerkraft</em>
-pfundweise gehandhabt.</p>
-
-<p>Allerdings, keine Kraft ohne Stoff, kein Stoff ohne Kraft.
-Kraftlose Stoffe und stofflose Kräfte sind Undinge. Wenn
-idealistische Naturforscher an ein immaterielles Dasein von
-Kräften glauben, welche gleichsam im Stoffe ihren Spuk
-treiben, die wir nicht sehen, nicht sinnlich wahrnehmen und
-dennoch glauben sollen, so sind es in diesem Punkte eben
-keine Naturforscher, sondern Spekulanten, das heißt Geisterseher.
-Doch ebenso kopflos ist andererseits das Wort des
-Materialisten, das die intellektuelle Scheidung zwischen Kraft
-und Stoff eine Hypothese nennt.</p>
-
-<p>Damit diese Scheidung nach Verdienst gewürdigt sei, damit
-unser Bewußtsein die Kraft weder spiritualistisch verflüchtigt,
-noch materialistisch verleugnet, sondern <em class="gesperrt">wissenschaftlich
-begreift</em>, dürfen wir nur das Unterscheidungsvermögen
-überhaupt oder an sich begreifen, das heißt seine
-abstrakte Form erkennen. Der Intellekt kann nicht ohne sinnliches
-Material operieren. Um zwischen Kraft und Stoff zu
-unterscheiden, müssen diese Dinge sinnlich gegeben, müssen
-sie erfahren sein. Auf Grund der Erfahrung nennen wir
-den Stoff kräftig, die Kraft stofflich. Das zu begreifende<span class="pagenum"><a id="Seite_22">[22]</a></span>
-sinnliche Objekt ist also ein Kraftstoff, und da nun <em class="gesperrt">alle</em>
-Objekte in ihrer leiblichen Wirklichkeit Kraftstoffe sind, besteht
-die Unterscheidung, welche das Unterscheidungsvermögen
-daran vollbringt, in der <em class="gesperrt">allgemeinen</em> Art und Weise der
-Kopfarbeit, in der Entwicklung des Allgemeinen aus dem
-Besonderen. Der Unterschied zwischen Stoff und Kraft summiert
-sich unter den allgemeinen Unterschied des Konkreten
-und Abstrakten. Den Wert dieser Unterscheidung absprechen,
-heißt also den Wert der Unterscheidung, des Intellekts überhaupt
-verkennen.</p>
-
-<p>Benennen wir die sinnlichen Erscheinungen Kräfte des allgemeinen
-Stoffes, so ist dieser einheitliche Stoff nichts weiter
-als die abstrakte Allgemeinheit. Verstehen wir unter der
-Sinnlichkeit die verschiedenen Stoffe, so ist das Allgemeine,
-welches die Verschiedenheit inbegreift, beherrscht oder durchzieht,
-die das Besondere erwirkende Kraft. Ob Kraft, ob
-Stoff genannt, das Unsinnliche, das, was die Wissenschaft
-nicht mit den Händen, sondern mit dem Kopfe sucht, das
-Wesenhafte, Ursächliche, Ideale, höhere Geistige ist die <em class="gesperrt">Allgemeinheit,
-welche das Besondere umfaßt</em>.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_23">[23]</a></span></p>
-
-<h2 id="III">III.<br />
-Dietzgens monistische Erkenntnislehre.</h2>
-</div>
-
-<p>Zeige man mir, wer <em class="gesperrt">vor</em> oder <em class="gesperrt">nach</em> Dietzgen (1868) das
-»Stoff- und Kraft«-Problem besser oder auch nur ebenso
-mustergültig behandelt hat &ndash; in rein philosophischer und
-sprachmeisterlicher Beziehung. Dietzgens <em class="gesperrt">allgemein verständliche
-Lösung</em> eines der allerschwierigsten Menschheitsprobleme
-gehört zu den erstklassigen <em class="gesperrt">Kunstwerken</em> der
-»Kopfarbeit«.</p>
-
-<p>Zur Wertung von Dietzgens Arbeit dürfte das Nachstehende
-wohl am Platze sein:</p>
-
-<p>Daß sinnliche Erfahrung der Erkenntnis zugrunde liegt,
-haben schon viele Philosophen des Altertums angenommen
-und außerdem vermutlich ungezählte Millionen nachdenklicher
-Menschen, die <em class="gesperrt">vor</em> Lockes und David Humes Untersuchungen
-über den menschlichen Verstand (1690 respektive 1748) an
-Tieren und kleinen Kindern das allmähliche Wachsen des
-Intellekts der jungen Lebewesen mit Interesse beobachtet
-haben, wie die meisten von uns heute. Gleichwohl wurde
-uns keine Theorie der Bewußtseinsbewegung, keine Theorie
-der menschlichen Erkenntnis aus jener Zeit hinterlassen.</p>
-
-<p>Schuld daran war in erster Linie die aus den frühesten
-Perioden überkommene Vorstellung vom Doppelwesen des
-Menschen, seiner Zusammensetzung aus Leib und Seele. Für
-»Seele« hielt man des Menschen Empfindungs- und Denkvermögen,
-einschließlich Ausdrucks unserer Empfindungen und
-Gedanken durch Sprache oder Gebärde oder einen Willensakt.
-Die »Seele« hieß auch der »Geist«, ein Ausfluß göttlichen
-Geistes, und deshalb mußte die Seele nach des Menschen
-Tode fortleben, unsterblich sein; daher gab es ein
-»Jenseits«.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_24">[24]</a></span></p>
-
-<p>Zum Unterschied von der Menschenseele erhielt das Empfindungs-
-und Denkvermögen der (ebenfalls »von einem Gott
-erschaffenen«) Tierwelt die Bezeichnung »Instinkt«.</p>
-
-<p>Die »Unsterblichkeit der Seele« erstreckte sich über die gesamte
-Menschheit; das eine Stunde nach seiner Geburt verstorbene
-Kind hat ebenso Anteil daran wie die Seele der
-Kannibalen, obwohl das Menschenkind in seinen ersten Daseinstagen
-viel weniger »Seele«, das heißt Intellekt verrät
-als manches sich rasch entwickelnde Tier, und obwohl die
-Menschen im Urzustand der Wildheit und Wildnis mit dem
-Tier mehr Ähnlichkeit haben als einer »im Ebenbild Gottes«
-gedachten Kreatur.</p>
-
-<p>Aus der Anatomie und Physiologie von Mensch und Tier
-kannte man zwar schon lange das mehr oder minder Gemeinsame
-beider; aber die kardinalen Verschiedenheiten von
-Mensch und Tier gestatteten immerhin die Voraussetzung einer
-göttlichen Menschenseele &ndash; als Ursache des Denkvermögens &ndash;
-in der »Krone der Schöpfung«.</p>
-
-<p>Die erste naturwissenschaftliche Begründung der Deszendenz-
-oder Abstammungslehre durch Lamarck ist nur wenig
-über hundert Jahre alt. Bis dahin mußte die Tradition
-des Seelenglaubens, also die Annahme, daß der Mensch nur
-infolge des ihm eingeflößten göttlichen Geistes zu denken vermag,
-den Wert der Locke-Humeschen Erkenntnislehre als
-sekundär, wenn nicht gar unwesentlich erscheinen lassen.</p>
-
-<p>Was liegt daran, wie der Denkprozeß sich vollzieht, wenn
-er ganz und gar eine göttliche Gnadenerscheinung ist?</p>
-
-<p>Zudem lag vor hundert Jahren die Anatomie und Physiologie
-des <em class="gesperrt">Gehirns</em> noch sehr im argen. Zwar ist das Gehirn
-als Sitz des Denkvermögens seit mehr als 2200 Jahren
-anerkannt, wenn auch Aristoteles den Sitz der Seele in das
-Herz verlegte und der hebräische Pentateuch ins Blut. Aber
-der Stand der Gehirnanatomie und -physiologie zu Lamarcks
-Zeit gestattete noch keine genaue Vorstellung von der Mechanik
-des Geisteslebens: wie die Dinge der Außenwelt, die<span class="pagenum"><a id="Seite_25">[25]</a></span>
-durch unsere Sinnesorgane mit uns in Beziehung treten,
-bestimmte Vorgänge in unserem Nervensystem veranlassen.
-Gegen Mitte des siebzehnten Jahrhunderts kannte man erst
-sieben, am Ende des achtzehnten Jahrhunderts neun, zu Beginn
-des neunzehnten Jahrhunderts zwölf Paare von Gehirnnerven.
-Die Ganglienzellen und Nervenfasern, elementare
-mikroskopische Bestandteile der Nervenzellen, kennt man erst
-seit etwa siebenundsiebzig Jahren.</p>
-
-<p>»Die Nervenfasern«, sagt Professor Verworn in seinem
-oben genannten Buche: Die Mechanik des Geisteslebens,
-»haben die Funktion, gewisse Vorgänge, die sich in den Zellen
-der Sinnesorgane und in den Nerv- oder Ganglienzellen abspielen,
-zu übertragen nach anderen Ganglienzellen und peripherischen
-Organen, wie den Muskeln, den Drüsen usw.
-Man kennt jetzt seit vierzig Jahren die Lokalisation in der
-motorischen Sphäre des Gehirns so genau und kann die
-Reizung so fein lokalisieren, daß man mit Sicherheit eine
-Bewegung im Daumen oder im Augenmuskel oder im Fußgelenk
-vorhersagen kann. Im Anschluß daran sind noch weitere
-Zonen auf der Großhirnrinde bekannt geworden, die mit unseren
-Sinnesempfindungen im engsten Zusammenhang stehen.</p>
-
-<p>Klinische Erfahrungen der Psychiater ergaben, daß Krankheitsprozesse,
-die bestimmte Teile der Gehirnoberfläche zerstört
-hatten, von Ausfallssymptomen im Bewußtsein der betreffenden
-Menschen begleitet waren, und durch Experimente
-an Tieren &ndash; Exstirpationen gewisser Zonen der Gehirnrinde
-&ndash; lokalisierte man die Seh-, Hör-, Fühl-, Geruchs-
-und Geschmackssphäre.</p>
-
-<p>Vorstellungen sind Bewußtseinsbewegungen, die ihren Ursprung
-im engsten Anschluß an Sinnesempfindungen haben.
-Ohne Sinnesempfindungen keine Vorstellung. Wir können
-direkt die Vorstellungen als Erinnerungsbilder von Empfindungen
-bezeichnen.«</p>
-
-<p>Dietzgens »Wesen der menschlichen Kopfarbeit« ist somit,
-obwohl bald fünfzig Jahre alt, ein hochmodernes Buch.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_26">[26]</a></span></p>
-
-<p>Dietzgen behandelt den Geist, das Denkvermögen als »Organ
-des Allgemeinen«, das heißt der Natur, und weil der
-Geist ein Stück Natur, ist er, wie unser Autor sich in einer
-späteren Schrift ausdrückt, kein größeres Naturwunder als
-der Magnetismus, die Elektrizität usw.</p>
-
-<p>Nach dem heutigen Stande der Naturwissenschaften und
-in Verbindung mit unserer Erkenntnis, daß Kraft Stoff und
-Stoff Kraft ist, darf man Dietzgens Satz, daß das »Denken
-eine Eigenschaft der Generalnatur« ist, ohne Vorbehalt unterschreiben.</p>
-
-<p>Wenn nun das Denkvermögen das »Organ des Allgemeinen«
-ist, muß es uns in erster Linie darum zu tun sein,
-das Allgemeine herauszufinden, das heißt namentlich was
-allgemein der Menschheit frommt, allen zugute kommt; wir
-sollen mithin Zustände ermöglichen, unter denen die Allgemeinheit
-oder doch die größte Zahl der Menschheit sich
-wohlbefinden kann.</p>
-
-<p>Dietzgens Naturmonismus begnügt sich demnach nicht mit
-der Anschauung von der Einheitlichkeit des Weltalls minus
-Mensch; <em class="gesperrt">dieser</em> mit seinem Körper und Geist gehört, wie
-jedes andere Naturstück aus Stoff und Kraft, in die Betrachtung
-des monistischen Weltorganismus hinein. Wie durch
-das Denkvermögen, als »Organ des Allgemeinen«, beziehungsweise
-des Universalzusammenhangs, die Widersprüche überhaupt
-vermittelt werden &ndash; durch Entwicklung des Allgemeinen
-aus dem Besonderen &ndash;, sollten wir dieselbe monistische Denkmethode
-ganz speziell zur Lösung der Ungereimtheiten der
-<em class="gesperrt">sozialen</em> Welt anwenden. Dann erst haben wir den Sozialmonismus
-erreicht. Daraus nun, daß es dem richtigen Denken
-in erster Linie darum zu tun sein muß, das <em class="gesperrt">Allgemeine</em>
-herauszufinden &ndash; auf das soziale Gebiet angewandt: das
-allgemein Nützliche zu ermitteln &ndash;, zieht Dietzgen (in seiner
-Vorrede) einen Schluß, der auf einen für unseres Autors
-Betrachtungsweise noch nicht vorbereiteten Leser verblüffend
-wirken mag, aber gleichwohl jedes wirklichen Monisten Billigung<span class="pagenum"><a id="Seite_27">[27]</a></span>
-finden muß: daß die wahren Träger des »<em class="gesperrt">Organs
-des Allgemeinen</em>« nicht in den von Sonderinteressen beherrschten
-Kreisen zu suchen sind, vielmehr in den Reihen
-der nach Beseitigung aller Vorrechte hinstrebenden Arbeiterklasse.</p>
-
-<p>Dietzgen sagt: »Ich entwickle in dieser Schrift das Denkvermögen
-als Organ des Allgemeinen. Der leidende, der
-vierte, der Arbeiterstand ist insoweit erst der wahre Träger
-dieses Organs, als die herrschenden Stände durch ihre besonderen
-Klasseninteressen verhindert sind, das Allgemeine
-anzuerkennen. Wohl bezieht sich diese Beschränkung zunächst
-auf die Welt der menschlichen Verhältnisse. Aber solange
-diese Verhältnisse nicht allgemein menschlich, sondern Klassenverhältnisse
-sind, muß auch die Anschauung der Dinge von
-diesem beschränkten Standpunkt bedingt sein. Objektive Erkenntnis
-setzt subjektiv theoretische Freiheit voraus. Bevor
-Kopernikus die Erde sich bewegen und die Sonne stehen sah,
-mußte er von seinem irdischen Standpunkt abstrahieren. Da
-nun dem Denkvermögen alle Verhältnisse Gegenstand sind,
-hat es von allem zu abstrahieren, um sich selbst rein oder
-wahr zu erfassen. Erst eine historische Entwicklung, welche
-so weit fortgeschritten ist, um die Auflösung der letzten Herr-
-und Knechtschaft zu erstreben, kann soweit der Vorurteile
-entbehren, um das Urteil im allgemeinen, das Erkenntnisvermögen,
-die Kopfarbeit wahr oder nackt zu erfassen. Erst
-eine historische Entwicklung, welche die direkte allgemeine Freiheit
-der Masse im Auge haben kann &ndash; und dazu gehören
-wohl sehr verkannte historische Voraussetzungen &ndash; erst die
-neue Ära des vierten Standes findet den Gespensterglauben
-soweit entbehrlich, um den letzten Urheber alles Spuks, um
-den reinen Geist entlarven zu dürfen. Der Mensch des vierten
-Standes ist endlich &gt;<em class="gesperrt">reiner</em>&lt; Mensch. Sein Interesse ist
-nicht mehr Klassen- sondern Masseninteresse, Interesse der
-Menschheit. Die Tatsache, daß zu allen Zeiten das Interesse
-der Masse mit dem Interesse der herrschenden Klasse verbunden war,<span class="pagenum"><a id="Seite_28">[28]</a></span>
-daß nicht nur trotz, sondern gerade mittels ihrer
-stetigen Unterdrückung durch jüdische Patriarchen, asiatische
-Eroberer, antike Sklavenhalter, feudale Barone, zünftige
-Meister, besonders durch moderne Kapitalisten und auch selbst
-noch durch kapitalistische Cäsaren die Menschheit stetig &gt;fortgeschritten&lt;
-&ndash; diese Tatsache nähert sich ihrem Ende. Jetzt
-ist diese Entwicklung an einem Standpunkt angekommen, wo
-die Masse selbstbewußt wird. Sie ist damit so weit gekommen,
-daß sie nunmehr sich unmittelbar selbst entwickeln will.«</p>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_29">[29]</a></span></p>
-
-<h2 id="IV">IV.<br />
-Dietzgens Ethik.</h2>
-</div>
-
-<p>Das Schlußkapitel von Dietzgens »Wesen der menschlichen
-Kopfarbeit« behandelt die <em class="gesperrt">Ethik</em>: »Praktische Vernunft« oder
-Moral. (Seite 61 bis 87, 1. Band der Sämtlichen Schriften.)</p>
-
-<p>Siebenunddreißig Jahre später erschien Kautskys »Ethik«
-(und materialistische Geschichtsauffassung) &ndash; das erste und
-bis jetzt einzige deutsche sozialistische Werk auf diesem Gebiet.<a id="FNAnker_7_7"></a><a href="#Fussnote_7_7" class="fnanchor">[7]</a>
-In der Vorrede sagt Kautsky: »Ich fuße bei meiner
-Entwicklung der Ethik auf der Grundlage der materialistischen
-Geschichtsauffassung &ndash; auf jener materialistischen Philosophie,
-wie sie einerseits Marx und Engels und, in anderer
-Weise, aber in gleichem Sinne, Josef Dietzgen begründet
-haben.«</p>
-
-<p>Kautskys Arbeit in allen Ehren, aber sie ist im Grunde
-keine erkenntniskritisch begründete, sondern eine historisch-ökonomisch
-orientierende Darlegung, daher macht sie die
-Lektüre Dietzgens zu einer notwendigen Voraussetzung. Bei
-Kautsky erfahren wir nicht &ndash; wie bei Dietzgen &ndash; die philosophische
-Methode, durch welche man zur Erforschung der
-Sinnlichkeit als Grundlage der Moral gelangt. Dietzgen
-kommt zu seinem Befunde &ndash; zum Erkennen des Vernünftigen,
-Weisen, Rechten, Sittlichen &ndash; durch »<em class="gesperrt">Entwicklung
-des Allgemeinen aus dem Besonderen</em>«. Das gelingt
-ihm mit seinem Schlüssel &ndash; wie im vorangegangenen Kapitel
-die Lösung des »Stoff-und-Kraft«-Problems &ndash; sozusagen
-spielend. Unter tunlichster Beibehaltung des logischen Zusammenhangs
-lasse ich die Hauptstellen des Moral-Kapitels<span class="pagenum"><a id="Seite_30">[30]</a></span>
-(in Auswahl von etwa einem Achtel des Originals) hier
-folgen:</p>
-
-<p>Das menschliche <em class="gesperrt">Bedürfnis</em> gibt der Vernunft das Maß
-zur Ermessung des Guten, Rechten, Schlechten, Vernünftigen
-usw. Was unserem Bedürfnis entspricht, ist gut, das
-Widersprechende schlecht. <em class="gesperrt">Das leibliche Gefühl des Menschen</em>
-ist das Objekt der Moralbestimmung, das Objekt der
-»praktischen Vernunft«. Auf die widerspruchsvolle Verschiedenheit
-menschlicher Bedürfnisse gründet sich die widerspruchsvolle
-Verschiedenheit moralischer Bestimmungen. Weil der
-feudale Zunftbürger in der beschränkten und der moderne
-Industrieritter in der freien Konkurrenz prosperiert, weil sich
-die Interessen widersprechen, widersprechen sich die Anschauungen,
-und es findet der eine mit Recht dieselbe Institution
-vernünftig, welche dem andern unvernünftig ist. Wenn die
-Vernunft einer Persönlichkeit rein aus sich das Vernünftige
-schlechthin zu bestimmen versucht, kann sie nicht anders, als
-ihre Person zum Maß der allgemeinen Menschheit machen.
-Wenn man der Vernunft das Vermögen zuspricht, in sich
-selbst die Quelle der moralischen Wahrheit zu besitzen, verfällt
-man in den spekulativen Irrtum, ohne Sinnlichkeit,
-ohne Objekt Erkenntnisse produzieren zu wollen … Sinnliche
-Bedürfnisse sind das Material, aus welchem die Vernunft
-moralische Wahrheiten anfertigt. Unter sinnlich gegebenen
-Bedürfnissen von verschiedener Dringlichkeit oder
-verschiedenem Umfang das Wesentliche, Wahre vom Individuellen
-zu scheiden, <em class="gesperrt">Entwicklung des Allgemeinen ist
-die Aufgabe der Vernunft</em>. Der Unterschied zwischen dem
-scheinbar und wahrhaft Vernünftigen reduziert sich auf den
-Unterschied zwischen dem Besonderen und Allgemeinen.</p>
-
-<p>Wie die Aufgabe der Physik die Erkenntnis des <em class="gesperrt">wahren</em>,
-so ist die Aufgabe der Weisheit die Erkenntnis des <em class="gesperrt">vernünftigen</em>
-Seins. Überhaupt hat die Vernunft zu erkennen,
-was ist &ndash; als Physik, was wahr, als Weisheit, was vernünftig
-ist. Wie wahr mit allgemein, so übersetzt sich vernünftig<span class="pagenum"><a id="Seite_31">[31]</a></span>
-mit zweckmäßig, so daß wahrhaft vernünftig soviel
-wie <em class="gesperrt">allgemein zweckmäßig</em> heißt. Wie das Wahre, das
-Allgemeine die Beziehung auf ein besonderes Objekt, auf ein
-gegebenes Quantum der Erscheinung, bestimmte Grenzen
-unterstellt, innerhalb deren es wahr oder allgemein ist, so
-setzt das Vernünftige oder Zweckmäßige gegebene Verhältnisse
-voraus, innerhalb deren es vernünftig oder zweckmäßig
-sein kann. Das Wort expliziert sich selbst: Der Zweck ist <em class="gesperrt">das
-Maß</em> des Zweckmäßigen. Nur auf Grund eines gegebenen
-Zweckes läßt sich das Zweckmäßige bestimmen. Ist erst der
-Zweck gegeben, dann heißt die Handlungsweise, welche denselben
-am weitesten, breitesten, allgemeinsten verwirklicht, die
-vernünftige, der gegenüber jede minder zweckmäßige Weise
-unvernünftig wird.</p>
-
-<p>Fordert demnach unsere Aufgabe die Ermittlung des
-Menschlich-Vernünftigen <em class="gesperrt">schlechthin</em>, so verdienen ein solches
-Prädikat <em class="gesperrt">nur Handlungsweisen, welche ohne Ausnahme
-allen Menschen, zu allen Zeiten und unter
-allen Verhältnissen zweckmäßig sind</em> &ndash; folglich widerspruchslose
-und insofern nichtssagende, unbestimmte Allgemeinheiten.
-Daß physisch das Ganze größer ist als der Teil,
-daß moralisch das Gute dem Schlechten vorzuziehen, sind
-solche allgemeine, deshalb bedeutungslose, unpraktische Kenntnisse.
-Der Gegenstand der Vernunft ist das Allgemeine,
-aber &ndash; das Allgemeine eines besonderen Gegenstandes. Die
-praktizierende Vernunft hat es mit dem Einzelnen, Besonderen
-zu tun, mit dem Gegensatz des Allgemeinen, mit bestimmten,
-besonderen Kenntnissen … Vernünftig im allgemeinen
-ist nur das, was jede Vernunft anerkennt. Wenn
-die Vernunft einer Zeit, Klasse oder Person vernünftig heißt,
-wovon anderwärts das Gegenteil anerkannt ist, wenn der
-russische Adelige die Leibeigenschaft und der englische Bourgeois
-die Freiheit seines Arbeiters eine vernünftige Institution
-nennt, so ist etwa keine von beiden schlechthin, sondern jede
-nur <em class="gesperrt">relativ</em>, nur in ihrem mehr oder minder beschränkten<span class="pagenum"><a id="Seite_32">[32]</a></span>
-Kreise vernünftig … Die »<em class="gesperrt">absolute</em> Wahrheit« ist der
-Urgrund der Intoleranz.</p>
-
-<p>Die heidnische Moral ist eine andere als die christliche.
-Die feudale Moral unterscheidet sich von der modern bürgerlichen
-wie Tapferkeit und Zahlungsfähigkeit&nbsp;…</p>
-
-<p>Jedes wirkliche Recht ist ein besonderes. Recht nur unter
-gewissen Umständen, für gewisse Zeiten, diesem oder jenem
-Volke. »Du sollst nicht töten« ist Recht im Frieden, Unrecht
-im Kriege; Recht für die Majorität unserer Gesellschaft,
-welche ihrem dominierenden Bedürfnis die Mucken der Leidenschaft
-geopfert wissen will, doch Unrecht dem Wilden, der
-nicht so weit gekommen, ein friedliches, geselliges Leben zu
-schätzen, der deshalb das angeführte Recht als unrechte Beschränkung
-seiner Freiheit empfindet.</p>
-
-<p>Wollte ein Gesetz, eine Lehre, eine Handlung absolut recht,
-Recht überhaupt sein, so müßte sie dem Wohle aller Menschen,
-unter allen Verhältnissen, zu allen Zeiten entsprechen. Dieses
-Wohl ist jedoch so verschieden wie die Menschen, ihre Umstände
-und die Zeit. Was mir gut, ist einem anderen schlimm,
-was in der Regel wohl, tut ausnahmsweise leid; was einer
-Zeit frommt, hemmt eine andere. Das Gesetz, welches Anspruch
-darauf machen wollte, Recht überhaupt zu sein, dürfte
-nie und niemanden widersprechen. Keine Moral, keine Pflicht,
-kein »kategorischer Imperativ«, keine Idee des Guten vermag
-den Menschen zu lehren, was gut, was böse, was recht, was
-unrecht sei. Gut ist, was unserem Bedürfnis entspricht, böse,
-was ihm widerspricht. Aber was ist wohl gut überhaupt?</p>
-
-<p>Der Unterschied zwischen guten und bösen, rechten und
-schlechten Bedürfnissen findet, wie Wahrheit und Irrtum,
-wie Vernunft und Unvernunft, seine Auflösung in dem Unterschied
-des Besonderen und Allgemeinen. Die Vernunft vermag
-aus sich so wenig positive Rechte, absolut moralische
-Maximen zu entdecken wie irgend eine andere spekulative
-Wahrheit. Erst wenn ihr sinnliches Material gegeben ist,
-wird sie der Zahl nach das Allgemeine und Besondere, dem<span class="pagenum"><a id="Seite_33">[33]</a></span>
-Grade nach das Wesentliche und Unwesentliche zu ermessen
-wissen. Die Erkenntnis des Rechten oder Moralischen will,
-wie die Erkenntnis überhaupt, das Allgemeine.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Die Moral ist der summarische Inbegriff der
-verschiedensten einander widersprechenden sittlichen
-Gesetze, welche den gemeinschaftlichen Zweck haben,
-die Handlungsweise des Menschen gegen sich und
-andere derart zu regeln, daß bei der Gegenwart
-auch die Zukunft, neben dem einen das andere,
-neben dem Individuum auch die Gattung bedacht
-sei. Der einzelne Mensch findet sich mangelhaft, unzulänglich,
-beschränkt. Er bedarf zu seiner Ergänzung
-des anderen, der Gesellschaft, und muß also,
-um zu leben, leben lassen. Die Rücksichten, welche
-aus dieser gegenseitigen Bedürftigkeit hervorgehen,
-sind es, was sich mit einem Worte Moral nennt.</em></p>
-
-<p>Die Unzulänglichkeit des einzelnen, das Bedürfnis der
-Genossenschaft ist Grund oder Ursache der Berücksichtigung
-des nächsten, der Moral. So notwendig nun der Träger
-dieses Bedürfnisses, so notwendig der Mensch immer individuell
-ist, so notwendig ist auch das Bedürfnis ein individuelles,
-bald mehr und bald minder intensiv. So notwendig
-der nächste verschieden ist, so notwendig sind die erforderlichen
-Rücksichten verschieden&nbsp;…</p>
-
-<p>In diesem Satze ist eine so bündig überzeugende Klärung
-des Pflichtbegriffes enthalten, wie sie vor Dietzgen keinem
-Denker erkenntniskritisch gelungen ist.</p>
-
-<p>Besagt sie doch, daß es namentlich die Berücksichtigung
-der Gebote der beiden uns regierenden Hauptmächte ist, solche
-der Gesellschaft und Natur, die das Pflichtverhalten des
-Menschen bedeuten und bestimmen, und zwar aus dessen
-wohlverstandenem Eigeninteresse heraus, sobald er seine organische
-Abhängigkeit von Gesellschaft und Natur einsieht.</p>
-
-<p>Solche Berücksichtigung mag gewiß häufig genug mit unseren
-momentanen Wünschen kollidieren, aber sie ist es, die unser<span class="pagenum"><a id="Seite_34">[34]</a></span>
-dauerndes Interesse fördert, zumal wenn wir freiwillig und
-bewußt das besondere und flüchtigere Bedürfnis dem allgemeinen
-und dauernderen Wohlergehen unterordnen. Kein
-mystisches »inneres Gefühl«, auch kein »kategorischer Imperativ«
-klärt uns über unsere Pflicht auf, wohl aber Einsicht
-in das »Allgemeine«, das heißt in die Zusammenhänge
-und Gesetze der Gesellschaft und Natur, deren Anordnungen
-wir nicht einmal unbewußt ohne empfindliche Strafe verletzen
-können, während bewußtes Zuwiderhandeln uns außerdem
-notwendig Einbuße an Selbstachtung bringt, sofern wir
-Gebote übertreten, welche der jeweiligen sozialen Entwicklungsstufe
-entsprechen.</p>
-
-<p>Dietzgens Ethik entspricht offenbar den Anschauungen vieler
-Vertreter der modernen Intelligenz und speziell der allermeisten
-wissenschaftlichen Sozialisten &ndash; mit Ausnahme der
-auf den Kantschen »kategorischen Imperativ«<a id="FNAnker_8_8"></a><a href="#Fussnote_8_8" class="fnanchor">[8]</a> eingeschworenen
-Revisionisten &ndash;, wenn auch der philosophische Weg, auf dem<span class="pagenum"><a id="Seite_35">[35]</a></span>
-unserem Autor seine Schlüsse sich ergaben, einem großen
-Teile derselben fremd geblieben ist. Bekannt ist, daß man
-vor langer Zeit schon in Deutschland durch das Wort »<em class="gesperrt">Mitleid</em>«
-die Ethik auf den Egoismus zurückführte: »Wir haben
-Mitgefühl mit dem Elenden, weil wir beim Anblick seiner
-Leiden <em class="gesperrt">mitleiden</em> &ndash; durch die Reflexion, daß auch wir in
-seine Lage geraten könnten.«</p>
-
-<p>In starrer Opposition gegen diese utilitarische oder Zweckmäßigkeitsmoral
-finden wir die kantische Ethik (Pflicht) und
-die des religiösen Idealismus (Liebe).</p>
-
-<p>In Wirklichkeit aber stellen Zweckmäßigkeit (rationeller,
-begrenzter Egoismus oder legitimes, persönliches Interesse),
-Pflicht, Liebe <em class="gesperrt">zusammen</em> das Moralgebilde dar. Indem
-(nach Dietzgen) die Moral so beschaffen sein soll, daß »neben
-dem Individuum auch die Gattung bedacht ist«, betätigt,
-wer dieser Morallehre nachlebt, die von Kant verlangte
-»Pflicht«, und indem er ihr dauernd und gern nachkommt,
-nimmt sie ganz automatisch den Charakter der »Liebe« an.</p>
-
-<p>Ich erlaube mir daher zu sagen:</p>
-
-<p>Für die Moral ist die Zweckmäßigkeit die Wurzel, die
-Pflicht der Baum und die Liebe die Frucht.</p>
-
-<p>Am deutlichsten läßt sich der Dreistufenpfad der Moral
-»Egoismus, Pflicht, Liebe« im Verhältnis der Eltern zum<span class="pagenum"><a id="Seite_36">[36]</a></span>
-Kinde erkennen: Ursprung der Freude am Kinde ist die natürliche,
-elterliche Eigenliebe, der gewiß niemand sich zu
-schämen braucht; sofort tritt das Pflichtgefühl an die Eltern
-heran, und bei Ausübung der Pflicht verwandelt sich die
-Eigenliebe der Eltern in wahre Liebe. So vermag überall
-&ndash; wenn auch nicht so rasch wie in diesem Falle &ndash; die in
-Zweckmäßigkeit wurzelnde Moral durch das Medium der
-Pflicht sich zu hehrer Sittlichkeit, zur Tugend, zur Güte, zur
-Liebe auszuwachsen.</p>
-
-<p>Es ist keine beleidigende Insinuation, wenn dem Schönsten
-und Erhabensten &ndash; das bisher der Urzeugung in Engelsregionen
-glaubte sich rühmen zu dürfen &ndash; Abkunft aus niederem
-Stande aufgezeigt wird; daß es in zweckmäßigem
-Egoismus, im Eigeninteresse des Menschen seine Wurzel hat
-und dem Mutualismus, der Gegenseitigkeitspflicht, sein Höhendasein
-verdankt.</p>
-
-<p>Entrüste man sich nicht über diese neue Ethikformel, die
-Moraltrilogie »Egoismus, Pflicht, Liebe«!</p>
-
-<p>Auch der Brotfrucht Wurzeln stecken nicht in balsamisch
-gedüngtem Boden.</p>
-
-<p>Mit dieser einfachen Korrektur der Kantschen und der
-religiösen Moralbegründung dürfen wir uns hier begnügen,
-da die letztere, als eine theologische, unserer gegenwärtigen
-Betrachtung allzu fern liegt, und der Nachweis von Kants
-teils fehlerhafter, teils widerspruchsvoller Argumentierung
-seines Sittengesetzes längst von kompetenten Autoren (auch
-in Kautskys »Ethik«) geliefert worden ist.</p>
-
-<p>Nur aus des Monistenführers Ostwald »Sonntagspredigt«
-vom 20. Dezember 1913 »Die wissenschaftlichen Grundlagen
-der Ethik« möchte ich einige Zeilen hier anführen, weil sie
-eine wohlbegründete <em class="gesperrt">Entschuldigung für Kants Irrtum</em>
-enthalten:</p>
-
-<p>»Kant glaubte auch die Quelle der Ethik in einem inneren
-Sittengesetz zu finden, welches dem Menschen <em class="antiqua">a priori</em> eigen
-ist, und hat damit allerdings in etwas versteckter Weise diese<span class="pagenum"><a id="Seite_37">[37]</a></span>
-Quelle gleichfalls in einen irrationalen, der wissenschaftlichen
-Forschung nicht zugänglichen Punkt gelegt. Es läßt sich darum
-erklären, daß jenem großen Denker das <em class="gesperrt">Entwicklungsgesetz</em>
-der Lebewesen nicht nur nicht bekannt war, sondern daß er
-sogar eine ausgesprochene Abneigung dagegen hatte, das
-menschliche Denken unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung
-zu betrachten. So behauptete er das absolute Vorhandensein
-des inneren Sittengesetzes bei dem Menschen und
-begnügte sich mit diesem Vorhandensein, ohne weitere Nachforschungen
-darüber anzustellen, woher es stammte.«</p>
-
-<p>Unsere Revisionisten aber <em class="gesperrt">kennen</em> das Entwicklungsgesetz.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_38">[38]</a></span></p>
-
-<h2 id="V">V.<br />
-Die Religion der Sozialdemokratie.</h2>
-</div>
-
-<p>»Die Religion der Sozialdemokratie« betitelt sich eine Reihe
-von durch Gedankenfülle und vielfach durch Schönheit der
-Sprache sich auszeichnenden sieben Artikeln, sogenannten
-»Kanzelreden«, die zuerst in dem von Liebknecht redigierten
-Leipziger »Volksstaat« 1870 bis 1875 erschienen und seitdem
-Verbreitung in Zehntausenden von Exemplaren gefunden
-haben. Das auf fünf Jahre verteilte Entstehen dieser Abhandlungen
-schließt naturgemäß Anlage nach einem systematischen
-Plane aus; es sind daher in ihren Fortsetzungen
-teilweise Ergänzungen des Früheren und zu diesem Zwecke
-Exkurse auf verwandtes Nebengebiet enthalten. »Die Religion
-der Sozialdemokratie« wird dem Leser um so mehr Vorteil
-und Genuß gewähren, je tiefer die Ideen des Sozialismus
-bereits Wurzel in ihm geschlagen haben und je emanzipierter
-er sich vom sogenannten »positiven Glauben« weiß. Denn er
-begegnet in diesen »Kanzelreden« Gedanken, die zum Teil im
-Unterbewußtsein jedes freidenkerischen und geschulten Sozialisten
-schlummern und nur der Erweckung durch den Laut
-eines Zauberworts bedürfen, das aus dem Munde eines
-philosophischen Hellsehers kommt. Darin liegt der wesentliche
-Reiz von Dietzgens »Kanzelreden« für die Massen der sozialistischen
-Arbeiter; um Dietzgen aber in allen seinen Gedankengängen
-gründlich zu verstehen, sollten Sozialisten unbedingt
-mit seiner im »Wesen der menschlichen Kopfarbeit« niedergelegten
-Denklehre sich vertraut machen &ndash; wenn auch die
-populären Schriften unseres Autors als Einführung in das
-genannte Hauptwerk benutzt werden dürfen.</p>
-
-<p>Dietzgen führt in den »Kanzelreden« aus, sagt sein Sohn
-im Geleitwort von 1906, »daß die Religion ein geschichtlich<span class="pagenum"><a id="Seite_39">[39]</a></span>
-notwendiges Gedankenbild ist, welches aus dem menschlichen
-Bedürfnis nach materieller und geistiger Befriedigung und
-nach einer diesem Glücksstreben entsprechenden Gesellschaft
-und Welt entstehen mußte, und zwar auf jeder Kulturstufe,
-auf der der Mensch in Ermanglung von hinreichendem, erfahrungsmäßigem
-Wissen und Können gegenüber den natürlichen
-Zusammenhängen sich nicht anders als mit phantastischer
-Spekulation helfen konnte. Er weist an der natürlichen
-Begrenzung des Denkvermögens nach, daß alle Religion
-und jeder Glaube an Übernatürliches auf phantastischer
-Spekulation beruhen, die ihrerseits wiederum in ihrer Eigenart
-bestimmt wird durch den Entwicklungsgrad der sozialen
-Produktivkräfte und Lebensbedingungen.«</p>
-
-<p>Das Wort »Religion« in Verbindung mit »Sozialdemokratie«
-ist natürlich nicht im landläufigen Sinne desselben
-zu verstehen; denn die Tendenzen der Sozialdemokratie enthalten,
-wie Dietzgens einleitende Worte lauten, den Stoff
-zu einer <em class="gesperrt">neuen</em> Religion, die nicht, wie alle bisherige, nur
-mit dem Gemüt oder Herzen, sondern zugleich auch mit dem
-Kopf, dem Organ der Wissenschaft, erfaßt sein will.</p>
-
-<p>Und die Moral dieser neuen Religion faßt er am Schluß
-des zweiten Artikels in folgenden Satz zusammen: Sie verlangt,
-und ihr ganzes Wesen beruht auf diesem Verlangen,
-daß wir die Gegensätze der Liebe und Selbstsucht miteinander
-versöhnen, daß sich die Gesellschaft aus dieser Versöhnung
-konstituiere, daß der Mensch dem Menschen die Hand reiche,
-um mit vereinter Kraft und Arbeit die Natur zur reichlichen
-Hergabe unserer Lebensmittel zu zwingen.</p>
-
-<p>Da die Sozialdemokratie eine »neue Religion« ist, bedient
-sie sich zur Erreichung ihres Zweckes naturgemäß anderer
-Methoden als die alte Religion. Dies führt unser Autor
-in folgendem aus:</p>
-
-<p>Die Religion, ganz im allgemeinen, hat den Zweck, das
-bedrängte Menschenherz vom Jammer dieses irdischen Lebens
-zu erlösen. Sie hat das bisher nur in idealer, träumerischer<span class="pagenum"><a id="Seite_40">[40]</a></span>
-Weise vermocht, durch Anweisung an einen unsichtbaren Gott
-und an ein Reich, das nur von Toten bewohnt ist. Das
-Evangelium der Gegenwart verspricht, unser Jammertal endlich
-in realer, wirklicher, greifbarer Weise zu erlösen. »Gott«,
-das ist das Gute, Schöne, Heilige, soll Mensch werden, aus
-dem Himmel auf die Erde kommen, aber nicht wie einst, auf
-religiöse, wunderbare Art, sondern auf natürlichem, irdischem
-Wege. Wir verlangen den Heiland, wir verlangen, daß unser
-Evangelium, das Wort Gottes, Fleisch werde. Doch nicht in
-einem Individuum, nicht in einer bestimmten Person soll es
-sich verkörpern, sondern wir <em class="gesperrt">alle</em> wollen, das <em class="gesperrt">Volk</em> will &ndash;
-<em class="gesperrt">Sohn Gottes</em> sein.</p>
-
-<p>Die Religion war bisher Sache des Proletariats. Jetzt,
-umgekehrt, fängt die Sache des Proletariats an, religiös zu
-werden, das heißt eine Sache, welche die Gläubigen mit
-ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzem Gemüt
-ergreift.</p>
-
-<p>Im alten Glauben diente der Mensch dem Evangelium,
-im neuen Glauben ist das Evangelium dazu da, der Menschheit
-zu dienen. Das Evangelium der Neuzeit fordert eine
-Umkehr unserer ganzen Denkweise. Nach der alten Offenbarung
-war das Gesetz das Erste, Höchste, Ewige und der
-Mensch das Zweite. Nach der neuen Offenbarung ist der
-Mensch das Erste, Höchste, Ewige und sein Gesetz, das
-Zweite, zeitlich und wandelbar.</p>
-
-<p>Wir sind heute nicht dazu da, dem Gesetze zu dienen, sondern
-das Gesetz hat den Zweck, uns zu dienen, nach unseren
-Bedürfnissen modifiziert zu werden. Der Alte Bund verlangte
-Geduld und Ergebung in unsere Leiden; der Neue Bund
-fordert Energie und Tatkraft. An die Stelle der Gnade setzt
-er die bewußte Werktätigkeit. Das alte Buch nannte sich
-»Autoritätsglaube«, das neue setzt die Wissenschaft, die revolutionäre,
-auf sein Titelblatt.</p>
-
-<p>Glauben und Wissen, das sind die beiden Gegensätze,
-welche den Alten und Neuen Bund trennen. Einen weiteren<span class="pagenum"><a id="Seite_41">[41]</a></span>
-Unterschied zwischen der alten und der neuen Religion konstatiert
-Dietzgen wie folgt:</p>
-
-<p>Beten und Fasten sind die Heilmittel, welche das Christentum
-empfiehlt wider die angeborene Hilflosigkeit des Menschen …
-<em class="gesperrt">Arbeit</em> heißt der Heiland der neueren Zeit.</p>
-
-<p>Wie Christus schon eine große Anzahl Proselyten gemacht
-hatte, bevor sich seine Kirche organisierte, so hat auch der
-neue Prophet, die Arbeit, schon seit Jahrhunderten gewirkt,
-bevor sie in der Gegenwart daran denken kann, sich auf
-den Thron zu setzen und das Zepter in die Hand zu
-nehmen.</p>
-
-<p>Mit den Attributen der Gottheit, mit Macht und Wissenschaft,
-ist sie nunmehr ausgerüstet. Aber nicht auf unbefleckte,
-wunderbare Weise ist sie dazu gekommen. Sie ist unter
-Schmerzen geboren, unter Kampf und Qual und Sorgen
-groß gewachsen. Obgleich sie es ist, welche den Menschen
-so weit kultiviert hat, welche jetzt mit der Verheißung kommt,
-ihn vollständig aus aller Knechtschaft zu erlösen, und ihn
-das ersehnte Land Kanaan wirklich schon aus der Ferne
-mit Augen sehen läßt, so liegt doch heute noch die Dornenkrone
-des Elends auf ihrem Haupte, das Kreuz der Verachtung
-auf ihren Schultern.</p>
-
-<p>Doch unsere Hoffnung auf Erlösung ist nicht auf ein religiöses
-Ideal, sondern auf einen massiven materiellen Grundstein
-gebaut.</p>
-
-<p>Was das Volk berechtigt, an die Erlösung von tausendjähriger
-Qual nicht nur zu glauben, sondern sie tatkräftig
-zu erstreben, das ist die feenhaft produktive Kraft, die wunderbare
-Ergiebigkeit seiner Arbeit.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Die Befreiung vom Joche sklavischer Arbeit, die
-Befreiung von Not, Elend und Sorge, von Hunger,
-Kummer und Unwissenheit, die Befreiung von der
-Plage, Lasttier der »höheren Gesellschaft« zu sein,
-&ndash; diese Freiheit, und zwar für die Masse, für das
-Volk</em>, das ist der heilige Zweck, den zu erfüllen die so<span class="pagenum"><a id="Seite_42">[42]</a></span>
-unendlich reich gewordene menschliche Arbeitskraft den Beruf
-hat.</p>
-
-<p>Vom Beten und Dulden sind wir übergegangen zum <em class="gesperrt">Denken</em>
-und <em class="gesperrt">Schaffen</em>. Das Resultat dieser veränderten Methode
-steht vor Augen in den Errungenschaften der Industrie,
-deren Seele die produktive Kraft unserer Arbeit ist.</p>
-
-<p>Das Volk verlangt nach der realen Erlösung, weil endlich
-die Bedingungen dazu vorhanden sind. Armut, Hunger
-und Elend der Vergangenheit waren vielfach durch Mangel
-an Lebensmitteln verursacht. Gegenwärtig, und seit Dezennien
-schon, ist es umgekehrt überschüssiger Reichtum, wie er sich
-in Geld-, Handels- oder Industriekrisen offenbart, der die
-Arbeitskraft des Volkes brachlegt. Mögen dann die Speicher
-noch so gefüllt und die Magazine mit Waren gepfropft sein,
-das Volk hungert und friert, weil die besitzenden Klassen,
-mit Produkten übersättigt, seine Arbeitskraft nicht kaufen
-oder unterkaufen.</p>
-
-<p>Die Kultur war bisher Zweck und der Mensch Mittel.
-Jetzt gilt es die Dinge umzukehren, den Menschen zum Zweck
-und die Kultur zum Mittel zu machen. Die erste Bedingung,
-das Werk der Entwicklung fortzusetzen, ist die Freiheit des
-Volkes, seine Teilnahme am Konsum.</p>
-
-<p>Die Sozialdemokratie unterscheidet sich von der bisherigen
-kopflosen Wirtschaft, welche ohne Ziel und Maß produziert,
-gerade dadurch, daß sie den Volkshaushalt mit Bewußtsein
-organisiert. <em class="gesperrt">Bewußte planmäßige Organisation der
-sozialen Arbeit nennt sich der ersehnte Heiland der
-neueren Zeit</em>.</p>
-
-<p>Die dreieinige Gottheit des Christentums hat die Not des
-Volkes nur dadurch lindern können, daß sie gelehrt hat,
-daraus eine Tugend zu machen. Daß diese Lehre zu ihrer
-Zeit heilsam war, sei nicht verkannt. Wo der Mensch noch
-die Fähigkeit und Mittel nicht besitzt, sein Kreuz abzuwerfen,
-ist der Geist ergebener Resignation nicht nur ein göttlicher
-Balsam, sondern auch eine triftige Zuchtrute, die wohl vermag,<span class="pagenum"><a id="Seite_43">[43]</a></span>
-ihn vorzubereiten für die sinnige Verstandesarbeit der
-Kultur.</p>
-
-<p>Wirklich und leibhaftig aber wird der Zweck der Religion
-erst durch materielle Kultur, durch Kultur der Materie erreicht.
-<em class="gesperrt">Arbeit</em> nannten wir den Heiland, den Erlöser des
-Menschengeschlechts. Wissenschaft und Handwerk, Kopf- und
-Handarbeit sind nur zwei verschiedene Gestalten derselben
-Wesenheit. Wissenschaft und Handwerk sind wie Gott-Vater
-und -Sohn, zwei Dinge und doch nur <em class="gesperrt">eine</em> Sache.</p>
-
-<p>Das im letzten Satze enthaltene Thema wird in nachstehendem
-weiter behandelt:</p>
-
-<p>Ähnlich wie unkultivierte Völker das politische und soziale
-Gesetz als ein übernatürliches Gnadengeschenk abgöttisch verehren
-und damit sich der Macht begeben, es dem Laufe der
-Entwicklung nach zu gestalten, ähnlich betrachtet heute eine
-verehrungssüchtige, untertänige, knechtische Anschauungsweise
-die Kopfarbeit der Wissenschaft als ein höheres Wesen, nicht
-als den Diener, sondern als den Götzen der Kultur. Die
-Menschen sollen nicht zur Wissenschaft hinaufsehen, sondern
-sie zu sich herabziehen. Wir sollen die geistige zu einem Instrument
-der materiellen Arbeit machen. Die erfahrungsmäßige
-Resultatlosigkeit der spekulativen Forschung, die erwiesene
-Unfruchtbarkeit der reinen Vernunft belehre die Gelehrtenzunft,
-daß leibliche Sinnentätigkeit zur Wissenschaft
-erfordert ist. Umgekehrt lerne der Handwerker an den bewunderten
-Resultaten der modernen Industrie, daß nur der
-Verbindung mit der Wissenschaft die Wunder der Arbeit zu
-danken sind.</p>
-
-<p>Die gegenseitige Durchdringung der beiden Arbeitsformen
-hat im Verlauf der Jahrhunderte endlich die Menschheit auf
-den Punkt gebracht, wo nunmehr der Grundstein zum Tempel
-der Sozialdemokratie niedergelegt ist. Alle unsere <em class="gesperrt">materiellen</em>
-Reichtümer haben, ebenso wie alle in der Literatur
-deponierten geistigen Errungenschaften, nur mittels <em class="gesperrt">gemeinschaftlicher
-Arbeit</em> der verschiedensten Generationen, Geschlechter,<span class="pagenum"><a id="Seite_44">[44]</a></span>
-Länder und Völker produziert werden können. Sie
-sind also, wenn auch individuelles Eigentum, doch ein generelles,
-ein gemeinschaftliches, ein kollektives Produkt.</p>
-
-<p>Dann zu seinem eigentlichen Thema zurückkehrend, sagt
-Dietzgen:</p>
-
-<p>Die Lehre unserer sozialdemokratischen Kirche betrachtet
-den aufgehäuften Reichtum, den materiellen sowohl wie den
-geistigen, als ihren Grundstein und lehrt, zu glauben, daß
-dieser schwere Stein wohl nicht ohne, aber auch nicht durch
-einzelne Herren oder vornehme Geschlechter, sondern mit
-überaus angestrengter Kopf- und Handarbeit des gesamten
-Volkes zutage gefördert ist. Schelme und Narren nennen
-dies Evangelium rohe Gleichmacherei. Nein! Die Gleichheit
-der Sozialdemokratie ist keine phantastische Gleichheit, welche
-ihren Gegensatz, die Verschiedenheit, ausschließt. Unsere menschliche
-Natur hat uns allen das gleiche Bedürfnis gegeben, auf
-diesem Erdboden unseren Hunger zu stillen, unseren Leib zu
-kleiden, alle unsere verschiedenen Kräfte zu entwickeln. Die
-Menschenkinder haben von Natur <em class="gesperrt">alle das gleiche</em> Verlangen,
-ihr Leben zu verbringen in tätiger Lust, ohne Elend
-und Knechtschaft. Die Gleichheit des Verlangens ändert die
-Verschiedenheit nicht, welche jeden von uns mit Kräften und
-Talenten eigener Art ausgerüstet hat. Wie also der Gegensatz
-zwischen Gleichheit und Mannigfaltigkeit in der Natur
-der Dinge <em class="gesperrt">faktisch</em> vereint und überwunden ist, so soll auch
-das soziale Leben der Zukunft die Menschen <em class="gesperrt">gleich</em> machen
-an gesellschaftlichem Rang und Wert, ihnen den <em class="gesperrt">gleichen</em>
-Anspruch geben auf Genuß des individuellen Lebens, ohne
-deshalb die Verschiedenheit aufzuheben, welche jedem seine
-besondere Aufgabe zuteilt, jedem gestattet, nach seiner eigenen
-Fasson selig zu werden.</p>
-
-<p>Solange die Natur als unbezwingbares Verhängnis, als
-allmächtige Gottheit gewaltet hat und die Menschheit mit
-Armut knechtete, durfte einzelnen oder einzelnen Klassen die
-Herrschaft gestattet sein, um als Führer zu dienen. Nun aber<span class="pagenum"><a id="Seite_45">[45]</a></span>
-ist das Volk durch die errungene reiche Ergiebigkeit seiner
-Arbeit auf dem Punkte angekommen, wo es verlangt, daß
-alle Herrschaft endige. Es fühlt sich berufen, die geschichtliche
-Entwicklung der Dinge fortzusetzen, ohne Beihilfe unumschränkter
-Führer.</p>
-
-<p>Wir fordern von der Gesellschaft, und vermöge des geschichtlich
-erworbenen Reichtums können wir es fordern, daß
-sie uns nicht nur die Arbeit, sondern das »tägliche Brot«
-garantiere, daß sie die Hungrigen speise, die Nackten kleide,
-die Kranken pflege, kurz, alle Werke der Liebe und Barmherzigkeit
-übe. Wir verlangen von der Gesellschaft, daß sie
-nicht nur menschlich heiße, sondern menschlich sei. An Stelle
-der Religion setzt die Sozialdemokratie <em class="gesperrt">Humanität</em>, welche
-fortan nicht mehr auf einer moralischen Satzung, sondern
-auf der Erkenntnis ruhen wird, daß nur in der sozialen
-brüderlichen Arbeit, in der <em class="gesperrt">ökonomischen Gemeinschaft</em>
-der Erlöser lebt, der uns vom leibhaftigen Bösen befreien
-kann. Die wahre Erbsünde, an der das Menschengeschlecht
-bisheran leidet, ist die Selbstsucht. Moses und die Propheten,
-alle Gesetzgeber und Moralprediger haben zusammen nicht
-vermocht, es davon zu befreien. »Die Sünde sitzt im Fleische,
-wie der Nagel in der Mauer«, sagt die Bibel. Keine schöne
-Redensart, keine Theorie und Satzung konnte sie ausmerzen,
-weil die Konstitution der ganzen Gesellschaft an diesem Nagel
-hängt. Die bürgerliche Gesellschaft fußt auf dem selbstsüchtigen
-Unterschiede von <em class="gesperrt">Mein</em> und <em class="gesperrt">Dein</em>, fußt auf dem sozialen
-Krieg, auf der Konkurrenz, auf der Überlistung und Ausbeutung
-des einen durch den anderen.</p>
-
-<p>Hieraus ergibt sich der oben bereits zitierte Moralsatz, daß
-die Gesellschaft sich auf einer neuen Grundlage konstituieren
-muß, welche die Gegensätze von Liebe und Selbstsucht miteinander
-versöhnt und die Gemeinsamkeit der Arbeit wie des
-Genusses involviert.</p>
-
-<p>Hiermit schließt der zweite Abschnitt; der dritte nimmt das
-zu Beginn des ersten behandelte Thema wieder auf, daß die<span class="pagenum"><a id="Seite_46">[46]</a></span>
-Religion wie die Sozialdemokratie die Tendenz nach <em class="gesperrt">Erlösung</em>
-hat, um einen neuen Gesichtspunkt zu eröffnen: wie
-die Sehnsucht nach Erlösung die <em class="gesperrt">Ursache</em> der Religion war,
-so hat sie auch im Laufe der geschichtlichen Entwicklung,
-durch die neue Auffassung von »Erlösung« im Sinne der
-Sozialdemokratie, zur <em class="gesperrt">Auflösung</em> der Religion geführt.</p>
-
-<p>Dietzgen sagt: Wir sahen die Sozialdemokratie in ihrer
-Tendenz nach Erlösung darin weiter gehen als die Religion,
-daß sie die Erlösung nicht im Geiste, sondern nur mittels
-des menschlichen Geistes recht eigentlich im Fleische, in der
-fleischlichen, materiellen Wirklichkeit sucht. Das Bedürfnis
-der Erlösung, die erbärmliche Not des anfänglichen unkultivierten
-Menschen ist der Urschleim der Tiefe, aus dem sich
-die Religion erzeugte. Die unbeholfene Rat- und Hilflosigkeit
-in einer Welt von Drangsal treibt den Menschen, anderwärts
-Allmacht und Vollkommenheit zu suchen, treibt zur
-Verehrung von Tieren, Gestirnen, Bäumen, Blitz, Wind,
-einzelnen Menschen usw. Die nachfolgende unvermeidliche
-Erfahrung, daß alle diese Dinge selbst macht- und hilflos
-sind, veranlaßte den Fortschritt, das höchste Wesen, statt in
-einem nahen, greifbaren, demnach in einem geistigen Wesen
-zu suchen, das weitab über den Wolken thront. Von dieser,
-also der Erfahrung entrückten Gottheit sich näher zu unterrichten,
-war schwieriger. Die neuere Wissenschaft jedoch, welche
-hinter so manches verborgene Mysterium gekommen ist, hat
-endlich auch das Geheimnis der Religion offenbart.</p>
-
-<p>Es ist die Natur der Materie, welche sie, ohne Ansehen
-der Zeit, zu stetiger <em class="gesperrt">Entwicklung</em> getrieben hat und forttreibt;
-durch Feuer- und Wasserepochen hindurch zur Bildung
-des ersten Lebens, das mit den geringsten Pflanzen,
-mit den niedrigsten Tieren begonnen hat und weiter hinaufsteigt
-in unaufhörlicher Veränderung und Erweiterung
-der Formen, bis zur selbsttätigen Zeugung des Menschengeschlechts.
-Und derselbe Naturinstinkt, der die Welt, hat
-dann auch sein höchstes Produkt, das mit Vernunft begabte<span class="pagenum"><a id="Seite_47">[47]</a></span>
-<em class="antiqua">genus homo</em>, <em class="gesperrt">geschichtlich entwickelt</em>. Was immer nun
-in diesem geschichtlichen Prozeß zeitweilig eine hervorragende
-Stelle eingenommen, sei es Tier, Pflanze, Gestirn, Mensch
-oder Gesetz, wurde von dem religiösen Gefühl schwärmerisch
-<em class="gesperrt">vergöttert</em>. Gott, das ist der Inhalt der Religion, hatte
-also keinen bleibenden, ewigen, sondern einen veränderlichen,
-zeitlichen Charakter.</p>
-
-<p>Die Religiösen pochen darauf, daß alle Völker, wilde wie
-zahme, Religion haben, an Gott glauben. Sie halten deshalb
-dafür, daß der Glaube dem Menschen angeboren sei,
-und wollen darin einen Beweis seiner Wahrheit finden. Aber
-wahr ist nur, daß der Unerfahrene leichtgläubig und um
-so leicht- und vielgläubiger, je unerfahrener und unkultivierter
-er ist. Ein Blick belehrt, daß nicht eine, sondern viele
-Religionen da sind, nicht Gott, sondern Götter geglaubt
-werden. Weil nur nach und nach dem Menschen die Welt
-verständlich wird, vergöttert er das Mannigfaltigste, heute
-die Sonne und morgen den Mond, bald den Hund, wie
-die Perser, bald die Katze, wie die Ägypter.</p>
-
-<p>Die Essenz der Religion besteht darin, diejenige Erscheinung
-des Natur- und Menschenlebens, welche je nach Zeit
-und Umständen von eminenter Bedeutung ist, zu personifizieren
-und im Glauben auf eine so hohe Säule zu stellen,
-daß sie über alle Zeit und Umstände hinwegsieht.</p>
-
-<p>Wie unsere Zeit so nahe daran ist, die Religion gänzlich
-aufzugeben, wird augenfällig an den vagen, im höchsten Grade
-konfusen Ideen, die sie über Gott und seine Eigenschaften
-hegt. Während von allen anderen Dingen die Menschen
-nur darum wissen, daß sie sind, weil sie vorher wissen, wie
-und was sie sind, wollen sie vom Dasein einer göttlichen
-Persönlichkeit überzeugt sein, ohne irgend zu wissen, welcher
-Art sie ist, ob menschlicher oder unmenschlicher Gestalt, ob
-klein oder groß, ob schwarz- oder blauäugig, ob Mann oder
-Weib. Ist es nun aber nicht schmählich kopflos, von jemand
-wissen zu wollen, daß er ist, wenn ich zugleich eingestehen<span class="pagenum"><a id="Seite_48">[48]</a></span>
-muß, gar nichts davon zu wissen, wo, wie und welcher Art
-er ist? Je weiter die Gottesidee in der Entwicklung zurück
-ist, um so <em class="gesperrt">leibhaftiger</em> ist sie, je moderner die Form der
-Religion, um so konfuser, um so erbärmlicher sind die religiösen
-Ideen. Die geschichtliche Entwicklung der Religion
-besteht in ihrer allmählichen <em class="gesperrt">Auflösung</em>.</p>
-
-<p>Im vierten Abschnitt wird der zu Beginn der sozialdemokratischen
-Agitationsära häufig und heute noch von religiösen
-Anhängern der Arbeitersache manchmal verteidigte
-Satz, daß »Christus der erste Sozialist gewesen«, einer interessanten
-Kritik unterzogen:</p>
-
-<p>Sozialismus und Christentum sind so verschieden wie Tag
-und Nacht. Wohl haben beide übereinstimmendes. Aber was
-stimmt nicht überein? Was ist unähnlich? Tag und Nacht
-gleichen sich durchaus darin, daß sowohl das eine wie das
-andere ein Stück der allgemeinen Zeit ist. Der Teufel und
-der Erzengel, obgleich der erste eine schwarze und der zweite
-eine weiße Haut hat, sind doch wieder sehr gleich, indem
-jeder von ihnen überhaupt in einer Haut steckt. Es ist die
-spezielle Kapazität unseres Kopfes, <em class="gesperrt">alle</em> Mannigfaltigkeit
-unter einen generellen Hut zu bringen. Ob Christentum und
-Sozialismus noch so viel Gemeinschaftliches haben, so verdient
-doch der, der Christus zum Sozialisten macht, den Titel
-eines gemeinschädlichen Konfusionsrats. Es ist nicht genug,
-das Gemeinschaftliche der Dinge zu kennen, auch der Unterschied
-will verstanden sein. Nicht was der Sozialist mit dem
-Christen gemein, sondern was er eigen hat, was ihn auszeichnet
-und unterscheidet, sei Gegenstand unserer Beachtung.</p>
-
-<p>Neuerdings ist das Christentum Religion der Knechtseligkeit
-genannt worden. Das, in der Tat, ist seine treffendste
-Bezeichnung. Knechtselig ist allerdings alle Religion, aber das
-Christentum ist die knechtseligste der knechtseligen. Nehmen
-wir ein christlich Wort von der Straße. An meinem Wege
-steht ein Kreuz mit der Inschrift: »Barmherzigkeit, huldreichster
-Jesu! H. Maria bitt für uns.« Da haben wir die<span class="pagenum"><a id="Seite_49">[49]</a></span>
-unmäßige Demut des Christentums in ihrer vollen Erbärmlichkeit.
-Denn wer so seine ganze Hoffnung auf Erbarmen
-baut, ist doch in Wahrheit eine erbärmliche Kreatur. Der
-Mensch, der vom Glauben an den allmächtigen Gott ausgeht,
-vor den Schicksalen und Mächten der Natur sich in
-den Staub wirft und nun im Gefühl der Ohnmacht um
-Erbarmen winselt, ist kein brauchbares Mitglied unserer
-heutigen Welt. Wenn die modernen Christen andere Leute
-sind, wenn sie den Unwettern, die überlegene Mächte herabdonnern,
-kühn in die Augen sehen und nun durch tatkräftige
-Arbeit das Unheil zu heilen suchen, so bekunden sie mit solcher
-Tat ihren Abfall vom Glauben. Obgleich die Christen ihren
-Namen, ihre Gesangbücher und frommen Gemütsschmerzen
-beibehalten, sind sie doch in ihrem Tun und Treiben vollendete
-Antichristen. Wir religionslose Sozialdemokraten wollen das
-klare Bewußtsein der Sachlage voraus haben. Wir wollen
-Wissen und Willen, in der Theorie wie in der Praxis tatkräftige
-Widersacher der lammfrommen, gottseligen Ergebenheit
-sein. Das Christentum fordert <em class="gesperrt">Entsagung</em>, während
-heute rüstige Arbeit zur <em class="gesperrt">Befriedigung</em> unserer materiellen
-Bedürfnisse gefordert ist. Gottvertrauen ist die vornehmlichste
-Qualität eines Christen, Selbstvertrauen, das gerade Gegenteil,
-zu einer erfolgreichen <em class="gesperrt">Arbeit</em> nötig.</p>
-
-<p>Eine Charakterisierung der Würde geistiger wie körperlicher
-<em class="gesperrt">Arbeit</em> gibt unser Autor im zweiten Teil dieses vierten
-Abschnitts:</p>
-
-<p>Nachdem von der Wissenschaft alles Himmlische materialisiert
-wurde, blieb den Professoren übrig, ihre Profession,
-die Wissenschaft zu verhimmeln. Die akademische soll anderer
-Qualität, anderer Natur sein, wie zum Beispiel die Wissenschaft
-des Bauern, des Färbers oder Nagelschmieds. Die
-wissenschaftliche Agrikultur zeichnet sich von der gewöhnlichen
-Bauernwirtschaft nur dadurch aus, daß ihre Regeln,
-ihre Kenntnisse der sogenannten Naturgesetze genereller oder
-umfassender sind.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_50">[50]</a></span></p>
-
-<p>Das sozialistische Bedürfnis nach gerechter, volkstümlicher
-Verteilung der wirtschaftlichen Produkte verlangt die Demokratie,
-verlangt die politische Herrschaft des Volkes und
-duldet nicht die Herrschaft einer Sippe, die mit der Prätension
-des Geistes nach dem Löwenanteil schnappt. Um
-diesen anmaßlichen Eigennutz in vernünftige Schranken zurückweisen
-zu können, ist es geboten, das Verhältnis des
-Geistes zur Materie klar zu verstehen. Der eminente Wert
-der Kopfarbeit wird von den Handarbeitern noch vielfach
-verkannt. Ein unfehlbarer Instinkt bezeichnet ihnen die tonangebenden
-Federfuchser unserer bürgerlichen Zeit als natürliche
-Widersacher. Sie sehen, wie das Handwerk der Beutelschneiderei
-unter dem Rechtstitel der geistigen Arbeit betrieben
-wird. Daher die leicht erklärliche Neigung, die geistige
-Arbeit zu unter- und die körperliche zu überschätzen. Diesem
-brutalen Materialismus ist entgegenzuwirken. Physische Kraft,
-materielle Überlegenheit war von jeher das Vorrecht der arbeitenden
-Volksklassen. Mangels geistiger Ausbildung haben
-sie bisher sich übertölpeln lassen. Die Emanzipation der Arbeiterklasse
-fordert, daß letztere der Wissenschaft unseres Jahrhunderts
-sich ganz bemächtige. Das Gefühl der Entrüstung
-über die Ungerechtigkeiten, welche wir erleiden, reicht trotz
-unserer Überlegenheit an Zahl und Körperkraft zur Befreiung
-nicht aus. Die Waffen des Geistes müssen Hilfe leisten. Unser
-Körper ist mit seinem Geist derart verbunden, daß physische
-Arbeit absolut unmöglich ist ohne geistige Zutat. Der simpelste
-Handlangerdienst erfordert die Mitbeteiligung des Verstandes.
-Andererseits ist der Glaube an die Unkörperlichkeit
-der geistigen Arbeit eine Gedankenlosigkeit. Auch die reinste
-Forschung ist unleugbar eine Anstrengung des Körpers. Alle
-menschliche Arbeit ist geistig und körperlich zumal. Am Produkt
-der Arbeit läßt sich nie ermitteln, wieviel davon der
-Geist und wieviel der Körper geschaffen hat; sie schaffen
-in solidarischer Gemeinschaft, einer nicht ohne den anderen.
-Mag sich eine Arbeit als geistig oder körperlich charakterisieren,<span class="pagenum"><a id="Seite_51">[51]</a></span>
-das Produkt, ich wiederhole, ist von Geist und Körper
-zumal geschaffen. Da läßt sich der Beitrag der Idee nicht
-separieren vom Beitrag des Materials. Wer könnte in einem
-Gemüsegarten die Teile bestimmen, die der Spaten, der Arm
-des Gärtners, der Boden, der Regen und der Dünger gefördert
-hat?</p>
-
-<p>Große Männer, die die Leuchte der Erkenntnis vorantragen,
-mögen wir ehren, aber nur so lange und so weit auf
-ihre Sprüche bauen, als dieselben materiell in der Wirklichkeit
-begründet sind.</p>
-
-<p>So weit 1 bis 4 der Kanzelreden.</p>
-
-<p>Die Stücke 5 und 6 sind weniger »populär« gehalten, weil
-wesentlich philosophischen Charakters; sie behandeln der »neuen
-Religion«, der Sozialdemokratie <em class="gesperrt">Denkweise</em>, im Gegensatz
-zur altreligiösen, der »primitiven Weltweisheit«:</p>
-
-<p>Wer das phantastische, das religiöse System der Welterklärung
-absetzen will, der muß doch wieder ein System,
-diesmal ein rationelles, an die Stelle setzen.</p>
-
-<p>Wir nennen uns Materialisten. Wie die Religion ein genereller
-Name ist für mannigfache Konfessionen, so ist auch der
-Materialismus ein dehnbarer Begriff.</p>
-
-<p>Philosophische Materialisten kennzeichnen sich dadurch, daß
-sie die leibhaftige Welt an den Anfang, an die Spitze und
-die Idee oder den Geist als Folge setzen, während die Gegner
-nach religiöser Art die Sache vom Wort (»Gott sprach, und
-es ward«), die materielle Welt von der Idee ableiten. Wir
-dürften uns ebenso füglich auch Idealisten nennen, weil
-unser System auf dem Gesamtresultat der Philosophie fußt,
-auf der wissenschaftlichen Erforschung der Idee, auf der
-klaren Einsicht in die Natur des Geistes. Wie wenig die
-Gegner kapabel sind, uns zu begreifen, bezeugen denn auch
-die widerspruchsvollen Namen, die man uns gibt. Bald sind
-wir grobtastige Materialisten, die nur nach Hab und Gut
-ausgehen, bald, wenn von der kommunistischen Zukunft die
-Rede ist, werden wir unverbesserliche Idealisten genannt. In<span class="pagenum"><a id="Seite_52">[52]</a></span>
-der Tat sind wir beides zugleich. Sinnliche, wahrhaftige
-Wirklichkeit ist unser Ideal, das Ideal der Sozialdemokratie
-ist materiell.</p>
-
-<p>Dietzgen reklamiert nun als Bedingung sozialdemokratischer
-Denkweise dreierlei: die von Bacon gelehrte »<em class="gesperrt">induktive</em>
-Methode« der Forschung &ndash; des Schlusses vom Besonderen
-aufs Allgemeine; ferner Gedankenaufbau auf Grundlage sinnlichen
-Materials; drittens die Voraussetzung <em class="gesperrt">gegebenen</em>
-Anfangs der Welt &ndash; unter Abweisung der metaphysischen
-Frage Kants nach »Gott, Freiheit und Unsterblichkeit«, und
-unter Ablehnung der transzendentalen Deduktion, das heißt
-apriorischer Grundlegung der objektiven Erfahrung durch
-den reinen Geist. Dietzgen sagt:</p>
-
-<p>Anwendung der induktiven Methode auf alle Probleme
-vom Anfang bis zum Ende der Welt, also die systematische
-Anwendung der Induktion macht die sozialdemokratische Weltanschauung
-zu einem System. »Du sollst«, lautet das Gesetz,
-»nicht anfangen zu grübeln ohne Material, du darfst deine
-Schlüsse, Regeln, Erkenntnisse nur auf Tatsachen, auf sinnliche
-Wahrheit bauen. Zum Denken gehört ein gegebener
-Anfang.« Wir also fangen wohl an zu grübeln, aber grübeln
-nie über den Anfang. Wir wissen ein für allemal, daß
-alles Denken mit einem Stück der weltlichen Erscheinung,
-mit <em class="gesperrt">gegebenem</em> Anfang anfangen muß, daß also die Frage
-nach dem Anfang des Anfangs eine gedankenlose Frage ist,
-die dem allgemeinen Denkgesetz widerspricht. Wer vom Anfang
-der Welt redet, setzt den Weltanfang in die Zeit. Da
-darf man fragen, was war vor der Welt? »Nichts war«,
-sind zwei Wörter, von denen eines das andere ausschließt.
-Daß jemals etwas gewesen sei, was nicht war, kann nur ein
-schlauer Tollpatsch sagen, der viereckige Kreise zieht. Nichts
-kann nur heißen: nicht dies oder jenes.</p>
-
-<p>Unsere Dränger, die Mächtigen und Besitzenden, »Kulturkämpfer«
-und Fortschrittsmänner, Liberale und Freimaurer
-sind auch Fürsprecher der Induktion &ndash; nur soweit sie ihnen<span class="pagenum"><a id="Seite_53">[53]</a></span>
-zum Kram paßt. Sie teilen alles: Die Leute in Herren und
-Diener, das Leben in Dies- und Jenseits, die Person in
-Leib und Seele und die Wissenschaft in Induktives und
-Deduktives.</p>
-
-<p>Das Teilen ist gut und recht, wenn dabei System, wenn
-das Geteilte unter einem Hut gehalten, wenn die Verschiedenheit
-als eine nur graduelle bekannt ist. Auch die Sozialdemokraten
-haben Leib und Seele. Unser Leib ist die Summe
-der leiblichen und die Seele Summe der seelischen oder geistigen
-Eigenschaften. Aber, wohlgemerkt! die empirische Erscheinung
-ist das einhellige Material, die gemeinsame Rubrik
-für Leib und Seele, für Körper und Geist. Seele oder Geist
-ist uns ein Attribut der Welt und nicht, wie umgekehrt der
-Pfaff will, die Welt ein Attribut oder Machwerk des Geistes.</p>
-
-<p>Nach religiösem System ist der liebe Gott »letzter Grund«.
-Idealistische Freimaurer glauben alles mit der Vernunft begründen
-zu können. Befangene Materialisten suchen in heimlichen
-Atomen den Grund alles Bestehenden, während die
-Sozialdemokraten alles <em class="gesperrt">induktiv</em> begründen. Wir besitzen
-die prinzipielle Induktion, das heißt wir wissen, daß nicht
-rein deduktiv, aus der bloßen Vernunft irgendeine Belehrung
-zu schöpfen, sondern nur <em class="gesperrt">mittels Vernunft aus der Erfahrung</em>
-Kenntnisse zu holen sind.</p>
-
-<p>An Stelle der Religion setzt die Sozialdemokratie systematische
-Weltweisheit.</p>
-
-<p>Diese Weisheit findet ihre Begründung, ihren »letzten
-Grund« in den <em class="gesperrt">faktischen Verhältnissen</em>. Die Erfahrung,
-daß sowohl die feudale wie die liberale und klerikale Gerechtigkeit
-und Freiheit und politische Wahrheit und Weisheit
-nach dem leiblichen Interesse der betreffenden Parteien
-modelliert ist, hat uns das Verständnis nahegelegt, daß sich
-überhaupt die Weisheit nicht aus dem Kopfe, sondern nur
-mittels des Kopfes aus empirischem Material ziehen läßt.</p>
-
-<p>Zufolge dessen modellieren wir mit <em class="gesperrt">Bewußtsein</em>, mit
-systematischer Konsequenz unsere Begriffe über Gerechtigkeit<span class="pagenum"><a id="Seite_54">[54]</a></span>
-und Freiheit nach unseren leiblichen Bedürfnissen, <em class="antiqua">nota bene</em>
-sind es die Bedürfnisse des Proletariats, der großen Volksmasse.
-Das faktische leibliche Bedürfnis einer »menschenwürdigen«
-Existenz ist der »letzte Grund«, womit wir die
-Rechtmäßigkeit, Wahrheit, Vernünftigkeit der sozialdemokratischen
-Bestrebungen erweisen. Im System der Induktion
-geht der Leib dem Geiste, das Faktum dem Begriffe voran.
-Wie die Wärme kalt und die Kälte warm, beides sich nur
-dem Grade nach unterscheidet, so relativ ist das Gute bös
-und das Böse gut. Alles sind Relationen desselben Stoffes,
-Formen oder Arten der physischen Empirie (Erfahrung).</p>
-
-<p>Mancher möchte fragen: Wie ist es möglich, empirisches
-Material als Grundbestandteil aller Objekte der Wissenschaft
-nachzuweisen? Gibt es denn da keine Dinge, wie das
-Wesen Gottes, reine Vernunft, sittliche Weltordnung usw.?</p>
-
-<p>Gott, reine Vernunft, sittliche Weltordnung und viele andere
-Dinge bestehen nicht aus empirischem Material, es sind keine
-Formen der physischen Erscheinung, wir leugnen deshalb auch
-ihr Dasein. Jedoch die Begriffe dieser Gedankendinge sind
-faktisch vorhanden; sie mögen wir sehr wohl unserer induktiven
-Forschung als Material unterbreiten.</p>
-
-<p>Im Schlußartikel, dem siebten, befaßt sich unser Autor mit
-dem viel ventilierten Religionsthema der »sittlichen Weltordnung«:</p>
-
-<p>Sitte und Ordnung muß sein, nicht weil, wie der Pastor
-sagt, diese Dinge vom Himmel stammen, sondern weil sie
-ein allgemeines, lebhaftes Bedürfnis sind. Da wir Sozialdemokraten
-alle unsere Gedanken mit leibhaftigen oder empirischen
-Tatsachen begründen, soll auch das Sittengesetz nicht
-weiter gelten, als es sich materialistisch fundiert findet.</p>
-
-<p>Die Sittlichkeit beruht auf dem sozialen Trieb des Menschengeschlechts,
-auf der materiellen Notwendigkeit des gesellschaftlichen
-Lebens. Weil die Tendenz der Sozialdemokratie
-vornehmlich auf ein soziales, auf ein gesellschaftliches Leben
-in höherem Grade gerichtet ist, darum kann sie nicht anders,<span class="pagenum"><a id="Seite_55">[55]</a></span>
-als ganz wahrhaftig eine moralische Tendenz sein. Sacken
-und Packen und der dazu benötigte juristische Apparat nennt
-sich »sittliche Weltordnung«. Menschen, die über Nacht reich
-werden, haben ein anderes Sittengesetz als solche, die noch
-das Brot kümmerlich im Schweiße des Angesichts kneten.
-Heute weiß man nicht, ob fünf, fünfundzwanzig, hundert
-oder fünfhundert Prozent ein »ehrlicher Verdienst« ist. Die
-kapitalistische Wirtschaft wirkt zersetzend auf die Moral und
-das Vermögen. Wie in der Türkei kauft man in höheren
-Ständen sich der Frauen, soviel man Geld hat. Vielweiberei
-und Mätressenwirtschaft werden Sitte, sind ein sittliches Faktum.
-Und in der Tat und in der Wahrheit ist die »freie
-Liebe« nicht minder sittlich wie auch die christliche Beschränkung
-auf nur ein einziges Ehegesponst. Was uns an der Vielweiberei
-empört, ist nicht so sehr die reiche Mannigfaltigkeit
-der Liebe, als die Käuflichkeit des Weibes, die Degradation
-des Menschen, die schandbare Herrschaft des Mammons.</p>
-
-<p>In der Weltgeschichte, liebe Mitbürger, geht es mit der
-Moral wie in der Natur mit dem Stoff: die Formen ändern
-sich, aber das Wesen bleibt.</p>
-
-<p>Hier muß ich kurz und bündig auseinandersetzen, was das
-eigentliche Wesen der Sittlichkeit, was wahre Moral ist. Die
-Feinde schlachten, braten und verspeisen, heißt dort moralisch,
-und hier: sie lieben und ihnen Gutes tun. Wie sollen wir
-nun unter solchen Widersprüchen die Kastanien der Wahrheit
-aus dem Feuer holen? Einfach, indem wir aus dem
-Verschiedenen das Allgemeine, indem wir extrahieren, was
-<em class="gesperrt">unter allen Umständen</em> moralisch, sittlich oder recht ist.
-Es kann das nichts Spezielles, es muß das Generelle, das
-Abstrakte des gesamten moralischen Materials sein. Mittels
-eines solchen induktiven Verfahrens findet sich, daß die sittliche
-Weltordnung im allgemeinen aus den Rücksichten besteht,
-verschieden je nach Zeit und Umständen, welche das
-gesellschaftliche Bedürfnis der Menschen erheischt. Ferner
-findet sich die unleugbare Tatsache, daß dieses Bedürfnis<span class="pagenum"><a id="Seite_56">[56]</a></span>
-mit der Kultur sich entwickelt, daß der soziale Trieb des
-Menschen wächst, daß die menschliche Assoziation breiter und
-inniger, daß die Moral moralischer wird.</p>
-
-<p>Kein Orakel des Himmels, kein Gewissen der Brust und
-keine Deduktion des Kopfes darf uns die sittliche oder irgend
-eine andere Wahrheit dozieren. Auf diesen idealen Wegen
-findet sich nur die bekannte Schnapperei nach »dem wahren
-Jakob«. Das einhellige wissenschaftliche Resultat wird induktiv
-gewonnen; es gründet sich immer auf empirische Tatsachen,
-hier auf das exakte Faktum, daß Menschen einander
-dienstlich sind. So ewig wie einer des anderen bedarf, so
-ewig ist dem einen recht, was dem andern billig. Je mehr
-sich die gegenseitige Bedürftigkeit der Menschen entwickelt,
-um so extensiver und intensiver wird ihre Verbindung, um
-so rücksichtsvoller die Moral, um so größer und wahrer
-die Moral.</p>
-
-<p>Die religiöse Wahrheit ist eine ideale Phantasterei. Sie
-hat die Nächstenliebe auf Gottesglauben und sittliche Freiheit
-gründen wollen. Und was haben wir davon? Den
-sozialen Krieg. Wir wollen umgekehrt den ewigen Frieden
-bezwecken mittels einer brüderlichen Gestaltung der politischen
-Ökonomie. Wie in der Familie, wo der Mann den Kohl
-baut, die Frau ihn kocht und die Kinder das Reisig herbeiholen,
-wie da die häusliche Liebe gegründet ist auf die häusliche
-Wirtschaft, die geistige auf die materielle Eintracht, so
-wird sich auch bei uns die wahre Nächstenliebe erst einfinden,
-nachdem die Erwerbsverhältnisse sozialistisch gestaltet
-sind. Gewiß hat die Natur schon dem Menschen die Nächstenliebe
-ins Herz gepflanzt. Aber dies Herz ist ein durchaus
-unzuverlässiger Kompaß, und Wille und Erkenntnis, überhaupt
-der ganze ideale Apparat ist ohne materielle Basis
-ein sehr niedriger Wegweiser. Es müßte sonst besser stehen
-mit der Nächstenliebe unserer herrschenden Klassen.</p>
-
-<p>Mit der faktischen Welt stimmt die sozialdemokratische
-Moraltheorie überein, sie anerkennt im politischen Staate<span class="pagenum"><a id="Seite_57">[57]</a></span>
-den berechtigten Wächter und Hüter der Sittlichkeit, aber
-fühlt sich auch berufen, dem Staat auf die Finger zu sehen,
-daß er nicht aus einer vergänglichen und veränderlichen Institution
-einen ewigen und heiligen Popanz mache, daß er
-nicht statt dem sittlichen Fortschritt eine unsittliche Reaktion,
-statt kommunistischer Moral egoistische Laster treibe. Indem
-die Sozialdemokratie alle Privatinteressen dem Allgemeinen,
-der sozialistischen Organisation unterordnet, bekundet sie wahre,
-echte Moral.</p>
-
-<p>(Dieses Schlußkapitel der Kanzelreden ist beiläufig als eine
-populäre Erweiterung des Schlußkapitels vom »Wesen der
-menschlichen Kopfarbeit« zu betrachten.)</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_58">[58]</a></span></p>
-
-<h2 id="VI">VI.<br />
-Sozialdemokratische Philosophie.</h2>
-</div>
-
-<p>»Sozialdemokratische Philosophie« betitelt sich die nun folgende
-Artikelserie (aus dem »Volksstaat« von 1876), der sich
-drei Aufsätze (aus dem »Vorwärts« von 1877 bis 1878) anschließen.</p>
-
-<p>Unter »sozialdemokratischer Philosophie« versteht Dietzgen
-die auf sinnlicher Erfahrung beruhende Erkenntnis &ndash; im
-Gegensatz zur spekulativen Philosophie, zur Metaphysik, zum
-Übersinnlichen und auch zur Ideologie, wie zur »phantastischen
-Projektmacherei« der frühen französischen und englischen
-Sozialisten zu Ende des achtzehnten und im ersten
-Drittel des neunzehnten Jahrhunderts.</p>
-
-<p>Erst unserem Marx und Engels hatte &ndash; sagt Dietzgen &ndash;
-die Philosophie das Fundamentalprinzip offenbart, daß in
-letzter Instanz sich die Welt nicht nach Ideen, sondern umgekehrt
-die Ideen sich nach der Welt zu richten haben. Marx
-war der erste, welcher erkannte, daß das Menschenheil im
-großen und ganzen nicht von irgendwelchem erleuchteten
-Politiker, sondern von der Produktivität der sozialen Arbeit
-abhängt.</p>
-
-<p>Da diese teils mechanischer, teils geistiger Art ist, fragt
-es sich: wer von beiden ist Primus?</p>
-
-<p>Wir erkennen in Wissenschaft und Bildung überaus wertvolle
-Mittel, aber nur Mittel, während die Ergiebigkeit der
-leiblichen Arbeit der höhere Zweck ist. Die Bildung wirkt
-dann allerdings sehr erheblich zurück auf die produktive Verwendung
-der Arbeit.</p>
-
-<p>Der unwiderstehliche Weltprozeß, der die Planeten geballt,
-aus ihren feuerflüssigen Substanzen Kristalle, Pflanzen, Tiere
-und Menschen nacheinander hervorgetrieben, treibt ebenso
-unwiderstehlich zu einer rationellen Verwendung unserer Arbeit,<span class="pagenum"><a id="Seite_59">[59]</a></span>
-zur stetigen Entwicklung der Produktivkraft.<a id="FNAnker_9_9"></a><a href="#Fussnote_9_9" class="fnanchor">[9]</a> Die Produktion
-verlangt unter allen Umständen in rationeller Weise
-betrieben zu werden. In allen Kulturepochen, mögen sie noch
-so verschieden sein, muß man, so will es die Vernunft der
-Dinge, in möglichst kurzer Zeit das Massenhafteste leisten.
-Dieser von der materiellen Leiblichkeit uns angetane Trieb
-ist also das <em class="gesperrt">Allgemeine</em>, das Ursächliche, ist Grund oder
-Fundament aller sogenannten höheren, geistigen Entwicklungen,
-Bildungen und Fortschritte. Weil die fortentwickelte
-Produktivkraft heute nicht weiterkommen kann, darum muß
-dem Volke Teil gegeben werden am Konsum, Absatz muß
-verschafft, die Sittlichkeit, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
-vervollkommnet werden.</p>
-
-<p>Auf dem <em class="gesperrt">Mechanismus</em> des Fortschritts beruht die Zuversicht
-der Sozialdemokratie. Wir wissen uns unabhängig
-vom guten Willen. Unser Prinzip ist ein mechanisches, unsere
-Philosophie materialistisch. Doch ist der sozialdemokratische
-Materialismus viel reicher und positiver begründet als irgend
-ein Vorgänger. Die Idee, seinen Gegensatz, hat er mittels
-klarer Durchschauung in sich aufgenommen, hat die Welt
-der Begriffe bemeistert, den Widerspruch zwischen Mechanik
-und Spirit überwunden. Der Geist der Verneinung ist in
-uns zugleich positiv, unser Element ist dialektisch.<a id="FNAnker_10_10"></a><a href="#Fussnote_10_10" class="fnanchor">[10]</a></p>
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_60">[60]</a></span></p>
-<p>Im zweiten Artikel erklärt unser Autor, wie die »sozialdemokratische
-Philosophie« aus der bürgerlichen, von der
-sie »legitim abstammt«, sich entwickelt hat:</p>
-
-<p>Wer sind wir, woher kommen und wohin gehen wir? Sind
-die Menschen Herren und Gebieter, sind sie die »Krone der
-Schöpfung« oder hilflose Kreaturen, allem Winde, Wetter
-und Ungemach unterworfen? Wie verhalten wir oder wie
-sollen wir uns verhalten zu den Dingen und Menschen der
-Umgebung? Das ist die große Frage der Philosophie wie
-der Religion. Das Charakteristikum der Philosophie ist es,
-die »große Frage« dem religiösen Gemüt entwunden und
-sie dem Organ der Wissenschaft, dem Erkenntnisvermögen
-zur Lösung heimgegeben zu haben. Indem die Philosophie
-die große Lebensfrage wissenschaftlich lösen wollte, verdrehte
-sich ihr die Sache, die sie nicht anzugreifen wußte, und die
-wissenschaftliche Lösung, die Theorie der Kopfarbeit, wurde
-ihr zum eigentlichen Gegenstand, zur Lebensfrage.</p>
-
-<p>Aber schockweise sind die Belege, daß das Verständnis kein
-helles, kein konsequentes ist, daß die Professoren und Privatdozenten
-ganz konfus sind in betreff der Aufgabe, des Zweckes
-oder der Bedeutung der Philosophie.</p>
-
-<p>Zum Beweis zitiert Dietzgen einen Philosophen von anerkanntem
-Ruf, Herrn v. Kirchmann, der 1876 in einem
-Vortrag die Philosophie als das beste Schutzmittel für die
-zurzeit herrschende Autorität und die bürgerliche Moral erklärte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_61">[61]</a></span></p>
-
-<p>Diese Philosophie kann also die Frage »Woher kommen
-wir?« sicherlich nicht beantworten, zumal sie auf materiallosem
-oder voraussetzungslosem Denken beruht. Ohne Material,
-wie die Spinne ihre Fäden aus dem Hintern, ja
-noch weit material- oder voraussetzungsloser, will der Philosoph
-seine spekulative Weisheit aus dem Kopfe ziehen. So
-haben denn die philosophischen Hirngespinste auch weniger
-realen Zusammenhang als die Spinngewebe.</p>
-
-<p>Einer der Professoren &ndash; sagt unser Autor im dritten Artikel &ndash; verlangt
-von den Sozialisten »statt vager und unklarer
-Andeutungen ein klares Bild von dem Zustand der
-Gesellschaft, wie er nach ihrer Ansicht sein <em class="gesperrt">müßte</em> und nach
-ihren Wünschen eintreten <em class="gesperrt">soll</em>. Namentlich nach seinen praktischen
-Konsequenzen ausgeführt.«</p>
-
-<p>Wir sind keine Idealisten, die sich einen Zustand der Gesellschaft
-<em class="gesperrt">erträumen</em>, »wie er sein muß und soll«. Wenn
-wir unsere Gedanken über die künftige Gestaltung spinnen,
-nehmen wir Material zur Hand. Wir denken materialistisch.
-»Der liebe Gott hatte die Welt im Kopfe, bevor er sie machte,
-seine Ideen waren souverän und hatten sich nach nichts Vorhandenem
-zu richten.« Dieser Aberglaube an die Souveränität
-der Idee spukt den Philosophen im Kopfe; er liegt
-dem Verlangen zugrunde, daß wir die künftige Welt in all
-ihren Details erst projektieren sollen, bevor wir die gegenwärtige
-angreifen und »zerstören«. Fourier, Cabet usw. haben
-diese Verkehrtheit begangen. Wir behandeln die Zukunft nicht
-wie spekulative Philosophen, sondern wie praktische Männer,
-bauen keine Luftschlösser und machen keine Rechnungen ohne
-die Wirte. Es ist kopflos, in ein Geschäft, in ein Unternehmen,
-in die Welt zu rennen ohne Projekt; aber noch
-kopfloser und nur die Art sanguinischer Phantasten ist es,
-wenn man die näheren Bestimmungen sich nicht reserviert.</p>
-
-<p>Daß die kleine Wirtschaft wenig leistet und der Privatbesitz
-<em class="antiqua">en gros</em> die Arbeiter ausbeutet, ist eine empirische Spezialkenntnis,
-welche aus der Erfahrung induziert und nicht<span class="pagenum"><a id="Seite_62">[62]</a></span>
-aus der philosophischen blauen Allgemeinheit uns in den
-Kopf geregnet ist. Daraus folgt als »praktische Konsequenz«
-die Forderung des genossenschaftlichen, des staatlichen oder
-kommunalen Betriebes.</p>
-
-<p>Aber der <em class="gesperrt">Arbeitszwang</em> &ndash; »die Beschränkung der persönlichen
-Freiheit verträgt sich nicht mit dem idealen Staate«.
-<em class="gesperrt">Der Arbeitszwang ist ein Naturgesetz</em> und ist nur so
-lange eine Beschränkung unserer persönlichen Freiheit, als
-ein Herr Prinzipal vorhanden ist, der die Früchte unserer
-Arbeit eigennützig einsackt. Sollte wohl der gut salarierte
-Beamte seinen vorschriftsmäßigen Dienst als »Beschränkung
-der persönlichen Freiheit« empfinden?</p>
-
-<p>Dietzgen nimmt nun im vierten Artikel das im zweiten
-begonnene Thema wieder auf »Woher kommen wir?«, das
-Rätsel des Daseins, das Religion und Philosophie zu lösen
-sich die Aufgabe gestellt.</p>
-
-<p>Die religiöse Schöpfungsgeschichte ist der Philosophie zu
-kindisch; sie wendet sich deshalb an den menschlichen Geist;
-aber solange der, vom religiösen Dunst umnebelt, sich selbst
-mißversteht, fragt und hantiert er verkehrt, voraussetzungslos,
-spekulativ oder in die unbestimmte Allgemeinheit.</p>
-
-<p>Die »Voraussetzungslosigkeit« seiner Methode weiß der
-Philosoph damit zu begründen, daß er auf die vielen Possen
-oder Täuschungen der Sinne hinweist, die uns mannigfach
-in der Irre herumführen. Folgedessen fragt er: Was ist
-Wahrheit und wie kommen wir zur Wahrheit?</p>
-
-<p>Seine Philosophie sucht nicht, wie alle besonderen Wissenschaften,
-an bestimmten grünen und empirischen Wahrheiten,
-sondern wie die Religion an einer ganz besonderen Art von
-Wahrheit, an der absoluten, blauen, voraussetzungslosen oder
-übergeschnappten. Was aller Welt wahr ist, was wir sehen,
-fühlen, hören, schmecken und riechen, unsere <em class="gesperrt">leibhaftige
-Empfindung</em>, ist ihr nicht wahr genug. Naturerscheinungen
-sind nur Erscheinungen oder »Schein«, und davon will sie
-nichts wissen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_63">[63]</a></span></p>
-
-<p>Weil der Philosoph, vom religiösen Wahne befangen, über
-die Naturerscheinung hinaus will, weil er hinter dieser Welt
-der Erscheinung noch eine andere Welt der Wahrheit sucht,
-mittels deren die erstere erklärt werden soll, darum hat er
-sich die voraussetzungslose Methode angeschafft, welche Gedanken
-ohne bestimmtes Material spinnt oder, mit anderen
-Worten, in die unbestimmte Allgemeinheit fragt. Erst ein
-<em class="gesperrt">unbefangener</em> Grübler, der das Cartesianische Experiment
-(»<em class="antiqua">Cogito, ergo sum</em>«, ich denke, daher existiere ich) wiederholt,
-findet, daß, wenn sich im Kopfe Gedanken und Zweifel
-umtreiben, es die <em class="gesperrt">leibliche</em> Empfindung ist, welche uns das
-Dasein des Denkprozesses versichert.<a id="FNAnker_11_11"></a><a href="#Fussnote_11_11" class="fnanchor">[11]</a> Der Philosoph verdrehte
-die Sache, er wollte die <em class="gesperrt">unleibliche</em> Existenz des abstrakten
-Gedankens bewiesen haben; er vermeinte, die übergeschnappte
-Wahrheit einer religiösen oder philosophischen Seele wissenschaftlich
-beweisen zu können, während in der Tat er die
-gemeine Wahrheit der leiblichen Empfindung konstatierte.
-Aus der Empfindung des profanen Daseins wollte Cartesius
-ein höheres Dasein herleiten. Sein Malheur ist das Generalmalheur
-der Philosophie, sie ist idealistisch.</p>
-
-<p>Idealisten im guten Sinne des Wortes sind alle braven
-Menschen. Die Sozialdemokraten erst recht. Unser Ziel ist
-ein großes Ideal. Die Idealisten im philosophischen Sinne
-dagegen behaupten, was alles wir sehen, hören, fühlen usw.,
-die ganze Welt der Dinge rund um uns sei nicht vorhanden,
-es seien Gedankenspäne. Sie behaupten, unser Intellekt
-sei die einzige Wahrheit, alles andere sollen »Vorstellungen«,
-Phantasmagorien, traumhafte Nebelbilder, Erscheinungen im
-bösen Sinne des Wortes sein. Was immer in der äußeren
-Welt wir wahrnehmen, behaupten sie, sind keine objektiven
-Wahrheiten, keine wirklichen Dinge, sondern ist subjektives
-Getriebe unseres Intellektes.</p>
-
-<p>Die Dinge der Welt sind nicht »an sich«, sondern besitzen
-alle ihre Beschaffenheiten nur durch den <em class="gesperrt">Zusammenhang</em>.<span class="pagenum"><a id="Seite_64">[64]</a></span>
-Im Zusammenhang mit dem Sonnenlicht und mit unseren
-Augen sind die Wälder im Sommer grün. In einem anderen
-Lichte und unter anderen Augen möchten sie dann blau oder
-rot sein. Flüssig ist das Wasser nur im Zusammenhang
-mit einer gewissen Temperatur, in der Kälte wird es hart
-und fest, in der Hitze unsichtbar; läuft gewöhnlich bergab,
-und wenn es an einen Zuckerhut herankommt auch bergauf.
-Es hat »an sich« keine Eigenschaften, kein Dasein, sondern
-erhält dasselbe durch den <em class="gesperrt">Zusammenhang</em>. Wie dem
-Wasser ergeht es allen anderen Dingen.</p>
-
-<p>Die ganze Wahrheit und Wirklichkeit beruht auf dem Gefühl,
-auf der leiblichen Empfindung. Seele und Leib oder
-Subjekt und Objekt, wie der alte Witz neuerdings heißt, ist
-von demselben irdischen, sinnlichen, empirischen Kaliber.</p>
-
-<p>Die Wahrheit nicht auf das »Wort Gottes« und nicht
-auf überkommene »Prinzipien«, sondern unsere Prinzipien
-auf die leibliche Empfindung gründen, das ist die philosophische
-Pointe der Sozialdemokratie.</p>
-
-<p>Der liebe Gott formte des Menschen Leib aus einem Lehmklumpen,
-und die unsterbliche Seele hauchte er hinein. Seit
-dieser Zeit besteht der Dualismus oder die Zweiweltentheorie.
-Die eine, die leibliche, materielle Welt, ist Dreck, und eine
-andere, geistliche oder geistige Geisterwelt, ist Gotteshauch.
-Dieses Histörchen wurde von der Philosophie säkularisiert,
-das heißt dem Zeitgeist angepaßt. Das Sichtbare, das Hör-
-und Fühlbare, die leibliche Wirklichkeit wird immer noch
-wie dreckiger Lehm behandelt; dem denkenden Geiste dagegen
-hängt man das Reich einer überspannten Wahrheit, Schönheit
-und Freiheit an. Wie in der Bibel »die Welt« einen
-üblen Beigeschmack hat, so auch in der Philosophie. Unter
-allen Erscheinungen oder Objekten, welche die Natur bietet,
-findet sich nur eines, welches sie ihrer Aufmerksamkeit würdigt,
-den Geist nämlich, den alten Gotteshauch; und das nur
-darum, weil derselbe ihrem <span id="corr064">vertrackten</span> Sinne wie ein unnatürliches,
-wie ein überweltliches, metaphysisches Ding erscheint.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_65">[65]</a></span></p>
-
-<p>Es soll der Odem Gottes als eine Wahrheit demonstriert
-werden. Zwar ist der Name in Verruf: von der unsterblichen
-Seele darf vor aufgeklärten, liberalen Leuten keine Rede
-sein. Man tut materialistisch nüchtern, spricht vom Bewußtsein,
-Denk- oder Vorstellungsvermögen. Aber daß dies ein
-Ding von gemeiner und nicht übergeschnappter Natur ist,
-darf kein »Gebildeter« denken, das denken nur sozialistische
-Volksaufwiegler. Anderen ist die überschwengliche Natur des
-menschlichen Geistes ein ausgemachtes Dogma.</p>
-
-<p>Wir fühlen in uns das leibhaftige Dasein der denkenden
-Vernunft, und ebenso und mit demselben Gefühl empfinden
-wir außer uns die Lehmklumpen, die Bäume und Sträucher.
-Und das, was wir in uns, und das, was wir außer uns
-fühlen, liegt nicht weit voneinander. Beides gehört zur sinnlichen
-Erscheinung, zum empirischen Material.</p>
-
-<p>Die sozialdemokratische Gleichheit der Natur, des Leibes
-und der Seele ist es, welche den »Philosophen« nicht in den
-Kopf will. Das Erfahrungsmäßige nennen wir Wahrheit
-und machen es allein zum Objekt der Wissenschaft.</p>
-
-<p>Seit Kant sich die Kritik der Vernunft zur Spezialität
-gemacht, ist konstatiert, daß unsere fünf Sinne allein nicht
-ausreichen, um Erfahrungen zu machen, daß der Intellekt
-dabei sein muß. Und ferner hat die Kritik der Vernunft dargetan,
-daß der alte Gotteshauch künftig nur im Gebiet der
-materiellen, das heißt erfahrungsmäßigen Welt funktionieren
-darf, daß die Vernunft ohne unsere fünf Sinne keinen Sinn
-und Verstand hat und also ein Ding ist von demselben gemeinen
-Zusammenhang wie andere Dinge.</p>
-
-<p>Jedoch ist es dem großen Philosophen zu schwer geworden,
-die Geschichte vom Lehm <em class="gesperrt">ganz</em> zu vergessen, den Geist
-aus der geistlichen Nebelkappe ganz zu erlösen, die Wissenschaft
-total von der Religion zu emanzipieren. Die »dreckige«
-Anschauung von der Materie, das »Ding an sich« hat alle
-Philosophen mehr oder minder gefangen gehalten im idealistischen
-Schwindel, der einzig und allein auf dem Glauben<span class="pagenum"><a id="Seite_66">[66]</a></span>
-an die metaphysische Natur des menschlichen Geistes beruht.
-Abgötterei, Religion und Philosophie sind drei wenig verschiedene
-Arten von einer Sache, welche sich Metaphysik nennt.</p>
-
-<p>Der Schub, durch welchen Kant die Metaphysik zum Tempel
-hinausbrachte, und das Hintertürchen, das er ihr offen ließ,
-sind bündig in einen einzigen Satz gefaßt, er lautet: Unsere
-Erkenntnis beschränkt sich auf die <em class="gesperrt">Erscheinung</em> der Dinge.
-Was sie <em class="gesperrt">an sich</em> sind, können wir nicht wissen. Gleichwohl
-müssen auch die Dinge etwas »an sich« sein, denn sonst
-würde der ungereimte Widerspruch folgen, daß Erscheinung
-wäre, ohne etwas, was erscheint.</p>
-
-<p>Nicht zu leugnen: wo Erscheinungen sind, da ist auch ein
-Etwas, was erscheint. Aber wie wäre es, wenn dies Etwas
-die Erscheinung selbst wäre, wenn einfach Erscheinungen erschienen?
-Es läge doch durchaus nichts Unlogisches oder
-Vernunftwidriges vor, wenn überall in der Natur die Subjekte
-wie die Prädikate von <em class="gesperrt">derselben Art</em> wären. Warum
-soll denn das, was erscheint, von einer durchaus anderen
-Qualität sein wie die Erscheinung? Warum können die
-Dinge »für uns« und die Dinge »an sich«, oder Schein
-und Wahrheit, nicht von demselben empirischen Stoffe, von
-derselben Natur sein? Das Interesse der Sozialdemokratie
-fordert, daß sie mit der Weltweisheit dieselbe Prozedur vornimmt,
-daß sie die Gesamtgattung der Gedanken in zwei
-Arten teilt, in glaubensbedürftige, idealistische Faselei und
-nüchterne, materialistische Denkarbeit.</p>
-
-<p>Wir können mit unserem Intellekt die materielle Welt
-nur <em class="gesperrt">formell</em> beherrschen. Im Kleinen mögen wir ihre Veränderungen
-und Bewegungen nach dem Willen lenken, aber
-im Großen ist die Substanz der Sache, die Materie <em class="antiqua">en général</em>
-erhaben über alle Geister. Es gelingt der Wissenschaft,
-die mechanische Kraft in Wärme, Elektrizität, Licht, chemische
-Kraft usw. zu verwandeln, und es mag ihr gelingen, alles
-Stoffliche und alles Kräftige, eines in das andere überzuführen
-und als verschiedene Formen eines einzigen Wesens<span class="pagenum"><a id="Seite_67">[67]</a></span>
-darzustellen; aber doch vermag sie nur die Form zu verwandeln,
-das Wesen bleibt ewig, unvergänglich und unzerstörbar.
-Der Intellekt kann die Wege der physischen Veränderungen
-ablauschen, aber es sind <em class="gesperrt">materielle</em> Wege; der
-stolze Geist kann ihnen nur nachschleichen, sie aber nicht vorschreiben.
-Das religiöse Gebot: Du sollst Gott über alles
-lieben, das heißt in sozialdemokratischem Deutsch: Du sollst
-die materielle Welt, die leibliche Natur oder das sinnliche
-Dasein lieben und verehren als den Urgrund der Dinge,
-als das Sein ohne Anfang und Ende, welches war, ist und
-sein wird von Ewigkeit zu Ewigkeit.</p>
-
-<p>Wie das Verständnis der Ökonomie, so ist auch unser
-Materialismus eine wissenschaftliche, eine historische Errungenschaft.
-Wie wir uns scharf unterscheiden von den
-Sozialisten der Vergangenheit, so auch von den ehemaligen
-Materialisten. Mit den letzteren haben wir nur gemein, die
-Materie als Voraussetzung oder Urgrund der Idee zu erkennen.
-Die Materie ist uns die Substanz und der Geist die
-Akzidenz, die empirische Erscheinung ist uns die Gattung
-und der Intellekt eine Art oder Form derselben, während
-alle religiösen und philosophischen Idealisten in der Idee
-die erste, die ursächliche oder substantielle Kraft erblicken.</p>
-
-<p>Es ist nicht genug, wie die alten Materialisten tun, alles
-aus wägbaren Atomen abzuleiten. Die Materie ist nicht nur
-schwer, sondern auch duftig, hell und klingend, warum nicht
-intelligent? Wenn das Riech-, Sicht- und Hörbare spiritueller
-ist als das Tastbare, wenn also der Komparativ natürlich,
-warum nicht der Superlativ? Die Schwere läßt sich nicht
-sehen, Licht nicht riechen und der Intellekt nicht betasten,
-aber empfinden läßt sich alles, was da ist. Den Geist oder
-unsere Gedanken fühlen wir doch wohl ebenso physisch wie
-Schmerzen, Licht, Wärme oder Steine. Das Vorurteil, daß
-die Objekte des Tastgefühls begreiflicher seien als die Erscheinungen
-des Gehörs oder des Gefühls überhaupt, verleitete
-die alten Materialisten zu ihren atomistischen Spekulationen,<span class="pagenum"><a id="Seite_68">[68]</a></span>
-verleitete sie, das Tastbare zum Urgrund der Dinge
-zu machen. Der Begriff der Materie ist weiter zu fassen.
-Es gehören dazu alle Erscheinungen der <em class="gesperrt">Wirklichkeit</em>, auch
-unser Begriffs- oder Erkenntnisvermögen.</p>
-
-<p>Das Ganze regiert den Teil, die Materie den Geist, wenigstens
-in der Hauptsache, wenn auch nebensächlich wiederum
-die Welt vom Menschengeist regiert wird. In diesem Sinne
-also mögen wir die materielle Welt als höchstes Gut, als
-erste Ursache lieben und ehren.</p>
-
-<p>Damit ist denn ganz und gar nicht bestritten, daß unter
-den Objekten der Welt wir unserem Intellekt den ersten
-Rang zuerkennen mögen.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_69">[69]</a></span></p>
-
-<h2 id="VII">VII.<br />
-Drei polemische Abhandlungen.</h2>
-</div>
-
-<p>Die nun folgenden, einander ergänzenden drei Aufsätze:
-»Das Unbegreifliche« (Vorwärts 1877), »Die Grenzen der
-Erkenntnis« (Vorwärts 1877), »Unsere Professoren auf den
-Grenzen der Erkenntnis« (Vorwärts 1878) sind zwar in
-polemischer Form gehalten, lediglich aber Illustrationen der
-im vorhergehenden niedergelegten erkenntniskritischen Lehren,
-insbesondere Beispiele von Metaphysik und ihrer Abwehr.</p>
-
-<p>Im ersten Artikel sagt Dietzgen:</p>
-
-<p>Es ist viel Unbegriffenes vorhanden, wer will es bestreiten?
-Daß aber in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts
-die Gelehrten noch allen Ernstes von den Grenzen des
-menschlichen Erkenntnisvermögens sprechen und an das effektive
-Dasein von wunderbaren Dingen oder Wundern glauben,
-die nicht mir oder dir, sondern dem Menschengeschlecht
-über den Horizont gehen, das darf ein Ungläubiger wunderbar,
-unbegreiflich und unerklärlich finden.</p>
-
-<p>Die Fähigkeit des menschlichen Intellektes ist so unbegrenzt,
-daß sie im Fortschritt der Zeit stets neue Ermittlungen macht,
-welche regelmäßig alle vergangene Gelehrsamkeit im Lichte
-der Stümperei erscheinen lassen.</p>
-
-<p>Bekanntlich ist der Intellekt ein Organ, mit dem wir wahrnehmen.
-Von den anderen Wahrnehmungsorganen, von Augen,
-Ohren usw., unterscheidet er sich als der <em class="gesperrt">wesentlichste</em> Faktor.
-Ohne Augen läßt sich noch hören, schmecken und riechen,
-aber ohne Bewußtsein, ohne Spiritus im Kopfe ist die Welt
-zu Ende. Ein Bewußtsein jedoch, das keine Sinne hätte,
-würde auch nichts wissen. Also gehört eins zum anderen.
-Der Intellekt mag Hauptmann sein, aber er ist das nur in
-Verbindung mit den Gemeinen, mit unseren fünf Sinnen
-und den Dingen der Welt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_70">[70]</a></span></p>
-
-<p>Allerdings gibt es Unverständliches, Unbegreifliches, es
-gibt Grenzen unseres Erkenntnisvermögens, aber nur in
-dem hausbackenen Sinne, wie es Unsichtbares und Unhörbares,
-wie es Grenzen für Auge und Ohr gibt. Jedes Ding
-hat seine natürliche Grenze, so auch der Intellekt. Wenn
-das Auge keine Musiktöne, keine Wohlgerüche oder die
-Schwere der Körper nicht zu sehen vermag, so ist das eine
-verständige Grenze des Auges, aber keine Grenze in dem
-unverständigen Sinne der Metaphysik, welche mit dem Namen
-Grenze oder Schranke einen <em class="gesperrt">Mangel</em> ausdrückt. Mangelhaft
-ist das Exemplar einer Sache im Verhältnis zu anderen
-Exemplaren derselben Gattung; aber generaliter sind die
-Dinge vollkommen. Ein vollkommeneres Holz, wie das Holz
-im <em class="gesperrt">allgemeinen</em> auf der Erde ist, kann auch in der Metaphysik
-nicht wachsen.</p>
-
-<p>Um dem gruseligen Gerede vom Unbegreiflichen, von den
-»Grenzen unseres Naturerkennens« ein Ende zu machen, sollen
-wir uns klar werden über die Frage: Was heißt erkennen,
-erklären, begreifen? Ich wiederhole: eine überspannte Idee
-vom Intellekt, unverständige Anforderungen an unser Begriffsvermögen,
-also erkenntnistheoretische Unwissenheit ist der
-Grund alles Aberglaubens, aller religiösen und philosophischen
-Metaphysik.</p>
-
-<p>Genau so wie der Bauer das Prinzip der Mechanik, genau
-so mißversteht unsere Professoralweisheit das Prinzip der Intelligenz.
-Alles Erkennen, Begreifen oder Erklären ist ein nur
-ganz formelles Tun. Die Erscheinungen der Welt und des
-Lebens sind erkannt oder erklärt, wenn wir sie <em class="gesperrt">einteilen</em>
-in Klassen, Gattungen, Familien, Arten usw. und also das,
-was zueinander gehört und nacheinander folgt, in ein formelles
-wissenschaftliches Schema bringen.</p>
-
-<p>All unsere Vernunft, unser ganzes Erkennen oder Erklären
-kann nicht mehr und darf nicht mehr wollen. Wer vom Intellekt
-mehr verlangt, gleicht dem unwissenden Mechanikus,
-der das <em class="antiqua">Perpetuum mobile</em> sucht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_71">[71]</a></span></p>
-
-<p>Im zweiten Artikel entscheidet Dietzgen die noch heute
-sehr vielen hervorragenden Führern des Sozialismus unklare
-Sache, ob sich die Sozialdemokratie um den Streit »Metaphysik
-oder keine?« überhaupt zu kümmern brauche.<a id="FNAnker_12_12"></a><a href="#Fussnote_12_12" class="fnanchor">[12]</a></p>
-
-<p>Dietzgen sagt:</p>
-
-<p>Allerdings gibt es viele wissenschaftliche Disziplinen, die
-das sozialistische Streben nach Befreiung der geknechteten
-Menschheit weniger tangieren. Aber die philosophische Frage,
-die Frage, ob etwas Metaphysisches, »etwas Höheres« hinter
-oder über der Welt haust, welches zu begreifen für unseren
-Intellekt zu monströs, das zu erklären den menschlichen Verstand
-übersteigt, also die Spezialfrage der Philosophie nach
-den »<em class="gesperrt">Grenzen der Erkenntnis</em>«, berührt ganz fühlbar
-die Knechtschaft des Volkes.</p>
-
-<p>Die Sozialdemokratie erstrebt keine ewigen Gesetze, keine
-bleibenden Einrichtungen oder festgeronnenen Formen, sondern
-im allgemeinen das Heil des Menschengeschlechts. <em class="gesperrt">Geistige
-Erleuchtung ist das unentbehrliche Mittel dazu.</em>
-Ob das Erkenntnisinstrument ein begrenztes, das heißt<span class="pagenum"><a id="Seite_72">[72]</a></span>
-ein untergeordnetes, ob die wissenschaftlichen Erforschungen
-wahre Begriffe, Wahrheit in höchster Form und letzter Instanz
-liefern, oder ob nur armselige »Surrogate«, welche <em class="gesperrt">das
-Unbegreifliche</em> über sich haben &ndash; die <em class="gesperrt">Erkenntnistheorie</em>
-also ist eine eminent sozialistische Angelegenheit.</p>
-
-<p>Alle Herrschaften, welche die Völker ausgebeutet haben,
-stützten sich bis heute auf eine höhere Mission, auf eine Abstammung
-von Gottes Gnade, auf heilige Salben und metaphysischen
-Weihrauch. Und wenn sie auch die Aufklärung,
-die religiöse Freiheit, den politischen Fortschritt und die kritische
-Philosophie im Munde führten, so wußten sie doch sehr
-wohl, daß ohne »etwas Höheres«, etwas Unbegreifliches, ohne
-etwas Metaphysisches, und wäre es auch nur eine »sittliche
-Weltordnung«, die Zügel nicht mehr haltbar sind, welche das
-Volk in Rand und Band und die Herrschaften in Besitz und
-Würde erhalten.</p>
-
-<p>Nicht als wenn die Sozialdemokratie die Gegnerin der
-sittlichen Weltordnung wäre. Auch wir wollen die Welt
-sittlich ordnen; aber wir wollen die Ordnung nicht von oben,
-sondern von unten haben, das heißt, wir wollen sie selbst
-machen. Wer mit dem sozialdemokratischen Programm die
-Befreiung der arbeitenden Klasse durch die Arbeiter selbst
-erstrebt, der muß das närrische Harren und Hoffen, das
-philosophische Spintisieren und Forschen, insofern es auf eine
-<em class="gesperrt">andere Welt</em> gerichtet ist, gründlich ablegen.</p>
-
-<p>Und zum Thema des »Unbegreiflichen« oder der »Grenze
-der Erkenntnis« zurückkehrend, sagt Dietzgen:</p>
-
-<p>Der Welt ist wohlbekannt, daß nicht nur der Geist, das
-Bewußtsein oder die Empfindung, sondern <em class="gesperrt">alle Dinge</em> »im
-letzten Grunde« unbegreiflich sind. »Wir sind nicht imstande,
-die Atome zu begreifen, und wir vermögen nicht, aus den
-Atomen und ihrer Bewegung auch nur die geringste Erscheinung
-des Bewußtseins zu erklären,« sagt Lange in seiner
-»Geschichte des Materialismus«, oder ein anderer: »das
-Wesen der Materie ist schlechthin unbegreiflich«. Dies Kausalitätsbedürfnis<span class="pagenum"><a id="Seite_73">[73]</a></span>
-nennt sich mit anderem Namen auch »Trieb
-des Forschens«, der, unbändig, es nicht unterlassen kann,
-auch dem »Unbegreiflichen« an den Federn zu rupfen.</p>
-
-<p>Dagegen behaupten wir, was sich möglicherweise begreifen
-läßt, ist nicht unbegreiflich. Wer das Unbegreifliche begreifen
-will, treibt Eulenspiegelei. Wie mit dem Auge nur das Sichtbare,
-mit dem Ohr nur das Hörbare, so kann ich mit dem
-Begriffsvermögen nur das Begreifliche greifen. Und wenn
-auch die sozialdemokratische Philosophie lehrt, daß alles,
-was da ist, <em class="gesperrt">vollkommen</em> zu begreifen ist, so soll doch auch
-das Unbegreifliche nicht geleugnet sein. Das sei anerkannt.</p>
-
-<p>Die sozialdemokratische Philosophie ist mit der »zünftigen«
-einverstanden: »das Sein läßt sich auf keine Weise im Denken
-auflösen«, auch kein Teil des Seins. Aber wir erkennen es
-auch nicht als Aufgabe des Denkens, das Sein aufzulösen,
-sondern nur formell zu ordnen, die Klassen, Regeln und
-Gesetze zu ermitteln, kurz das zu tun, was man »Naturerkennen«
-nennt. Alles ist begreiflich, insofern es zu klassifizieren
-ist, alles ist unbegreiflich, insofern es sich nicht in
-Gedanken auflösen läßt. Dies können, sollen und wollen
-wir nicht, und bleiben ihm darum fern. Wohl aber können
-wir das Umgekehrte: das Denken in Sein auflösen, das
-heißt, das Denkvermögen als eine von den vielen Arten
-des Daseins klassifizieren.</p>
-
-<p>Der rationelle Forschungstrieb will das Dasein regeln,
-die <em class="gesperrt">Gesetze des Daseins</em> ermitteln. Wo er über das Dasein
-hinaus soll, soll er über seine und über alle Natur
-hinaus. In dieser Zumutung besteht Überschwenglichkeit,
-die sie von der Religion geerbt hat. Philosophie und Religion
-verkennen die »letzten Gründe« aller Begreiflichkeit:
-nämlich die Empirie oder Tatsache. Auf sinnliche Tatsachen
-und Erfahrungen sollen sich wesentlich die Gedanken gründen.
-Wer umgekehrt auf den Geist oder die Logik Tatsachen
-gründen will, darf das nur <em class="gesperrt">formell</em> verstehen. Der letzte
-Grund, warum der Stein fällt oder die Wärme sich ausdehnt,<span class="pagenum"><a id="Seite_74">[74]</a></span>
-ist die Tatsache, und das Gesetz der Schwere und
-das Gesetz der Wärme sind Abstraktionen, sind <em class="gesperrt">formelle</em>
-Gründe. Nicht nur läßt sich das Sein nicht im Denken auflösen,
-sondern es versteht sich klar, daß das philosophische
-Begehren nach solcher Auflösung eine idealistische Überspannnug
-ist.</p>
-
-<p>Das nämliche Thema wird im dritten Aufsatz, in einer
-Polemik gegen die Professoren v. Nägeli und Du Bois-Reymond,
-behandelt. Letzterer hatte einen anregenden Vortrag
-über das Naturerkennen und »die letzten Gründe« mit
-den Worten geschlossen: »<em class="antiqua">ignoramus et ignorabimus</em>« (wir
-wissen nicht und werden nicht wissen), während ersterer das
-Nichtwissen oder Nichterkennen für ganze Gebiete des Naturlebens
-voraussetzt: Ȇber die Beschaffenheit, die Zusammensetzung,
-die Geschichte eines Fixsterns letzter Größe, über das
-organische Leben auf seinen dunklen Trabanten, über die stofflichen
-und geistigen Bewegungen in diesen Organismen werden
-wir nie etwas wissen.«</p>
-
-<p>Dietzgen erwidert hierauf:</p>
-
-<p>Jawohl, die Natur ist dem menschlichen Geiste überlegen,
-sie ist sein unerschöpfliches Objekt. Aber unser Forschungsvermögen
-ist nur insoweit beschränkt, als sein Objekt, die
-Natur, unbeschränkt ist. Wir können an kein Ende kommen,
-weil kein Ende vorhanden. Wo aber ein Ende ist, da kommen
-wir möglicherweise hin. Kein Professor kann wissen, wie vieles
-von den Fixsternen und ihren Trabanten wir und unsere
-Nachkommen noch ausforschen, wie unendlich tief wir in die
-Vergangenheit, in die Zukunft und in die kleinsten Teilchen
-hineindringen.</p>
-
-<p>Das Forschen kommt an kein Ende, weder objektiv noch
-subjektiv, das heißt, die Unendlichkeit der Welt läßt es nicht
-zu und die Unendlichkeit des Intellekts auch nicht. Daß aber
-doch wieder der Intellekt nur ein beschränkter Teil der Welt
-ist, wird der sozialdemokratische Materialist nie leugnen. Nur
-wollen wir aus dem Dualismus heraus. Nur eine, nur eine<span class="pagenum"><a id="Seite_75">[75]</a></span>
-einzige Welt erkennen wir an, »wovon uns die sinnlichen
-Wahrnehmungen Kunde geben«. Wir halten dafür, daß wo
-wir nichts sehen und hören, nichts fühlen, schmecken und
-riechen, da auch nichts wissen können.</p>
-
-<p>Ich will hier nochmals positiv auf die Beschränktheit der
-menschlichen Erkenntnis zurückkommen. Wir können mit diesem
-Vermögen <em class="gesperrt">nur erkennen</em>; singen und springen und hundert
-andere Dinge können wir damit nicht; insofern ist die
-Vernunft beschränkt. In ihrem Element aber, im Erkennen
-ist sie unbeschränkt, und so unbeschränkt, daß sie mit ihrer
-Arbeit nie ans Ende kommt. Alles Erkennbare steht ihr offen.
-Das Unerkennbare, das den Sinnen absolut Unerreichbare
-ist für uns nicht vorhanden, und ist auch insofern »an sich«
-nicht vorhanden, als wir ohne Phantasterei nicht einmal
-davon reden können.</p>
-
-<p>Wer das »geistige Bedürfnis« hat, etwas von Erscheinungen
-zu erfahren, »die uns verborgen bleiben«, uns unserer Natur
-nach verborgen bleiben müssen, der hat kein geistiges, sondern
-ein mystisches Bedürfnis. Die elektrischen Erscheinungen
-sind nicht zufälliger gefunden worden wie der Tabak. Und
-es ist ein starker Tabak für einen Naturforscher, von Erscheinungen
-zu sprechen, die niemand wahrgenommen hat
-und niemand wahrnehmen wird. Es <em class="gesperrt">ist möglich</em>, daß Mephisto
-in Gestalt einer unsichtbaren Fledermaus mich umschwirrt;
-was ich aber nicht weiß, macht mich nicht heiß,
-und sollte auch die Naturforscher nicht heiß machen.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_76">[76]</a></span></p>
-
-<h2 id="VIII">VIII.<br />
-Briefe über Logik.</h2>
-</div>
-
-<p>Die »Briefe über Logik« &ndash; »Speziell demokratisch-proletarische
-Logik«, Teil I 1883 bis 1884, Teil II 1884 &ndash; sind
-ein ganz besonders eigenartiges Erzeugnis, kein Lehrgebäude
-der Logik im Routinestil, sondern eine, zum Teil (namentlich
-in den ersten Briefen) mit etwas persönlichem Einschlag
-versehene, Denklehre, die sich an des Autors im »Wesen
-der menschlichen Kopfarbeit« niedergelegte Erkenntnistheorie
-anschließt und sie ergänzt, wie bei Dietzgen jede spätere
-Schrift die früheren in etwas erweitert.</p>
-
-<p>Dietzgens Logik hat demnach ganz und gar einen erkenntnistheoretischen
-Charakter. Und, richtig eingeschätzt, ist der
-erste, aus 24 Stücken bestehende Teil, der in diesem achten
-Abschnitt behandelt wird, eine philosophische Epopöe des
-Universalzusammenhangs, ein Heldenplädoyer des wahren
-Monismus, das der modernen Weltanschauung eine festere
-Grundlage schafft als irgendein anderes der zahlreichen,
-sonst trefflichen Bücher aus diesem Gebiete, obwohl Dietzgens
-Briefe nicht eigentlich nach einem systematischen Plan angelegt
-sind.</p>
-
-<p>Dietzgens Vorzug vor allen anderen philosophischen und
-vor den naturwissenschaftlichen Lehrern des Monismus besteht
-in seiner eindringlichen Darlegung des organischen Zusammenhangs
-des Geistes, des Intellekts, mit dem All, dem
-Gesamtdasein.</p>
-
-<p>Aus diesem Grunde betrachte ich den ersten Teil seiner
-»Logischen Briefe« als die nächst dem »Wesen der menschlichen
-Kopfarbeit« wichtigste seiner Schriften.</p>
-
-<p>Diese Serie von 24 und 18 Artikeln sollte zwar in erster
-Linie der Unterweisung des »auf die Hochschule des Lebens«<span class="pagenum"><a id="Seite_77">[77]</a></span>
-nach Amerika gesandten Sohnes dienen, war aber gleichwohl
-auch für gelegentlichen Druck verfaßt.</p>
-
-<p>Die Definition, Zweck- und Grenzbestimmung der Logik
-sind bei den Philosophen verschieden; Dietzgens Logik hat,
-hiervon abgesehen, einen sehr bestimmt ausgeprägten Sondercharakter
-als »speziell demokratisch-proletarische Logik«.</p>
-
-<p>Was mit dieser Bezeichnung gesagt sein soll, erläutert
-Dietzgen im ersten Brief:</p>
-
-<p>Der Gedanke, auf den sich die proletarischen Forderungen
-stützen, der Gedanke von der Gleichheit alles dessen, was ein
-Menschenantlitz trägt, dieser, wenn ich so sagen darf, letzte
-proletarische Gedanke findet seine volle Begründung durch
-eine letzte Einsicht in die bis dato sehr verworrenen Probleme
-der Logik. Schließlich verdient die Logik auch schon
-deshalb den proletarischen Beinamen, weil ihr Verständnis
-die Überwindung aller Vorurteile fordert, welche die Bourgeoiswelt
-im Leime halten.</p>
-
-<p>Im zweiten Briefe wird gesagt, was die Logik ist und
-was sie will:</p>
-
-<p>Die Logik will den Menschengeist über dessen eigenes Tun
-und Treiben unterrichten, sie will unseren inneren Kopf zurechtsetzen.
-Forschungsobjekt der Logik ist der Gedanke, die
-Natur des Gedankens und die rechte Ordnung desselben.</p>
-
-<p>Der Menschenschädel besorgt das Denken so unwillkürlich
-wie die Brust das Atmen. Mit dem Willen jedoch können
-wir das Atmen eine Zeitlang anhalten, können nach Belieben
-es schneller und langsamer gehen machen. So kann
-auch der Wille die Gedanken regieren; wir können irgendein
-beliebiges Objekt zum Gegenstand unseres Denkens nehmen
-und sind dennoch bald zu überzeugen, daß die Macht des
-Willens und die Freiheit des Geistes nicht weit her sind,
-nicht weiter reichen wie die Freiheit der Brust.</p>
-
-<p>Wenn also die Logik uns den Kopf zurechtsetzen will, so
-muß sie sich doch sagen lassen, daß er von Natur schon
-zurechtsitzt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_78">[78]</a></span></p>
-
-<p>Es ist mit ihr wie mit anderen Wissenschaften: sie schöpfen
-die Weisheit aus der geheimnisvollen Quelle platter Erfahrung.
-Die Agrikultur zum Beispiel will den Landmann lehren,
-wie er den Acker bauen soll; aber die Äcker wurden doch schon
-bebaut, ehe noch irgendeine landwirtschaftliche Akademie ihre
-Vorlesungen eröffnet hatte. So verstehen auch die Menschen
-das Denken, ohne je etwas von der Logik gehört zu haben.
-Durch den Gebrauch jedoch vergrößern sie das angeborene
-Denktalent, sie machen Fortschritte, lernen es mit der Zeit
-immer mehr benutzen, und wie nun der Landmann zu einer
-Wissenschaft der Agrikultur, so kommt der Denker zur Logik,
-zum klaren Bewußtsein über sein Denktalent und zur kunstmäßigen
-Verwendung desselben.</p>
-
-<p>Erstaunlich ist es, daß ein so naheliegendes Objekt nicht
-längst allgemein erkannt wurde, und daß darüber nach Studien,
-die Jahrtausende andauerten, noch viel zu lehren und
-zu erklären blieb. Aber Du weißt auch, daß, wie oft das
-Kleine groß und das Große klein, so oft das Nächste verborgen
-und das Verborgene zunächst ist.</p>
-
-<p>Im letzten Dietzgenschen Satz werden wir an eine der
-Hauptlehren unseres Autors erinnert, uns vor allem Überschwang
-zu hüten, da im Weltprozeß, im Universalzusammenhang
-das Höchste und Erhabenste ein Element des Allgemeinen
-und aus dessen Bestandteilen sich zusammensetzt.</p>
-
-<p>Dies wird im dritten Brief wie folgt erörtert:</p>
-
-<p>Eine hohe Macht über das Gemüt hat nicht nur die Harmonie
-der Töne, auch die Harmonie der Farben, jede Kunst
-und jede Wissenschaft hat dieselbe Gewalt. Ja, das schlichteste
-Handwerk und das Prosaischste aller Prosa, die Jagd
-nach Gut und Geld, kann den Menschen hinreißen, seine ganze
-Seele in den einen Abgott aufgehen zu lassen. Allerdings ist
-nicht zu bestreiten, daß Künstler, Erfinder und Forscher den
-würdigsten und hinreißendsten Gegenstand anbeten. Auch sei
-anerkannt, daß ohne den Einsatz unserer ganzen Seele für
-ein einzelnes keine großen Erfolge zu erreichen sind.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_79">[79]</a></span></p>
-
-<p>Dennoch sollst Du wissen, daß der Gegenstand, der eine
-Menschenseele so beherrscht, seine Hoheit und Erhabenheit
-mit allen Gegenständen teilt, und also zugleich immer auch
-ein <em class="gesperrt">gemeiner</em> Gegenstand ist. Ohne solche dialektische Läuterung
-des Bewußtseins ist alle Anbetung Fetischdienst.</p>
-
-<p>Die tatsächliche Erfahrung also, daß man alles und jedes
-zu einem Fetisch machen kann, muß Dich klärlichst überzeugen,
-daß kein einzelnes, sondern nur das All wahrer Gott
-oder die Wahrheit und das Leben ist.</p>
-
-<p>Ist das nun Logik oder Theologie?</p>
-
-<p>Beides zugleich. Wenn Du näher zusiehst, wirst Du erkennen,
-daß alle großen Logiker sich vielfach mit Göttern
-und Gottheit befassen, und umgekehrt alle ehrbaren Theologen
-ihre Sache auf logische Ordnung gründen wollen. Die
-Logik ist ihrer ganzen Natur nach <em class="gesperrt">metaphysisch</em>.</p>
-
-<p>(Unter »metaphysisch« versteht Dietzgen hier: ausdehnbar ins
-Unendliche, wie aus dem Schluß dieses Briefes hervorgeht:)</p>
-
-<p>Den Unterschied zwischen der metaphysischen Logik einerseits,
-welche ihre Sache bis auf die Unendlichkeit ausdehnt,
-welche die logische Ordnung bis in den Himmel hinein, bis
-auf »die letzten Fragen alles Wissens« zu ermitteln sucht,
-und zwischen der formalen Logik andererseits, welche sich
-ein begrenztes Gebiet setzt und sich mit der Forschung nach
-der logischen Ordnung in der physischen Welt begnügt &ndash;
-diesen Unterschied möchte ich Deiner besonderen Aufmerksamkeit
-empfehlen.</p>
-
-<p>Nach dieser Grenzbestimmung der formalen Logik erörtert
-Dietzgen im vierten Brief ihren Hauptzweck:</p>
-
-<p>Die große Volkssache war bisher überall das Lasttier einer
-kleinen vornehmeren Minorität … Du erkennst doch an, wie
-die Entlastung, die Freiheit der Völker von tierischer Arbeit,
-von Elend und Not das Höchste ist, was der Menschengeist
-erstrebt. Du wirst auch nicht verkennen, daß der Gedanke das
-wichtigste Instrument zur Erreichung dieses hohen Zieles ist.
-Die Denkleistungen treten in den Kulturergebnissen klar zutage.<span class="pagenum"><a id="Seite_80">[80]</a></span>
-Das intellektuelle Getriebe stellt sich mächtiger und
-prächtiger durch das Räderwerk der Kulturgeschichte als
-durch irgendein Gedankenwerk <em class="antiqua">en miniature</em> dar.</p>
-
-<p>Wir wollen hier einfach die Tatsache des organischen Zusammenhanges
-von Denken und Sein, von Natur und Geist
-konstatieren. Die Tatsache des Weltzusammenhanges widerspricht
-dem ungeschulten Vorurteil. Letzteres trägt sich mit
-der Vorstellung, daß die Erde, der Baum darauf und über
-ihnen die Wolke und Sonne, daß alles separate Gegenstände
-seien. Daß aber eines am anderen hängt, Erde, Baum,
-Wolken und Sonne nur im Zusammenhang, nur im Gesamtweltzusammenhang
-sein können, was sie sind, bedarf
-schon einer geschulten Denkweise.</p>
-
-<p>Da ist ein Wassertröpfchen. Sieh, wie verschieden es ist,
-je nachdem es mit Verschiedenem zusammenhängt. Was es
-ist, kann es nicht sein ohne eine gewisse Temperatur. Je
-nach Veränderung derselben würde es Eis- oder Dampfform
-annehmen; im Fett verbleibt das Tröpfchen kompakt,
-es verteilt sich im Salz unendlich, läuft gewöhnlich bergab
-und am Zuckerhut bergan. Je nach der spezifischen Schwere
-einer Flüssigkeit, mit der es in Kontakt kommt, schwimmt
-es oben oder sinkt unter. Ohne Zusammenhang mit der
-Erde, ihrer Temperatur und Schwerkraft, würden der und
-die Tropfen im Bodenlosen verschwinden und kein Dasein
-haben. Also ändern sich die Formen der Dinge, je nach
-ihrem Zusammenhang, und sie sind, was sie sind, nur als
-Teile des Gesamtdaseins.</p>
-
-<p>Was vom Wassertröpfchen, gilt von allen Dingen, allen
-Kräften und Materien und auch von unserem Gedanken.
-Der Menschengeist lebt und webt nur im Zusammenhang
-mit der anderweitigen materiellen Welt &ndash; und es bildet
-die Anerkennung der organischen Einheit alles Daseins den
-Angelpunkt meiner Logik.</p>
-
-<p>Der Gedanke, der Intellekt, ist leibhaftig vorhanden, er
-existiert, und sein Dasein hängt als ein Teil des Gesamtdaseins<span class="pagenum"><a id="Seite_81">[81]</a></span>
-mit der ganzen Welt einheitlich zusammen. &ndash; Das
-ist der Kardinalpunkt der nüchternen Logik.</p>
-
-<p>Die Tatsache, daß die Gedanken mit den anderen Teilen
-der Welt von demselben weltlichen Stoff, daß sie Stücke der
-gemeinen Natur und keine überschwengliche Essenz sind, hat
-schon Cartesius mit den berühmten Worten ausgesprochen:
-»<em class="antiqua">Cogito, ergo sum.</em>«</p>
-
-<p>Wohl verlegt die formale Logik den Geist in viele Teile
-&ndash; da gibt es Vorstellungen, Begriffe, Urteile, Schlüsse; und
-teilt die Abteilungen wieder in Unterabteilungen, die Vorstellungen
-in verschiedene Arten, die Begriffe in konkrete und
-abstrakte, benennt die Urteile sehr mannigfaltig und verzeichnet
-drei, vier oder mehr Schlußfiguren &ndash; aber wie sich
-der gesamte Geist zur Welt verhält, wie er mit dem Gesamtdasein
-zusammenhängt, ob er ein Teil davon oder ob er von
-überschwenglicher Herkunft &ndash; das will sie unerörtert lassen,
-und das gerade ist der interessanteste Teil, der Teil, welcher
-den Intellekt und die Lehre vom Intellekt mit allen anderen
-Lehren und Dingen in logischen Zusammenhang bringt.</p>
-
-<p>Bis hierher hat unser Autor, der dartun wollte, daß der
-Intellekt mit der Volksentwicklung zusammenhängt, nur den
-organischen Zusammenhang des Geistes mit dem Gesamtdasein
-konstatiert.</p>
-
-<p>Er setzt daher letzteres Thema auch im fünften Briefe fort:</p>
-
-<p>Die Zusammenfassung der Tiere vom kleinsten bis größten
-in <em class="gesperrt">ein</em> Reich erschien vor Darwin als eine Ordnung, welche
-der Gedanke allein vollzogen, als Gedankenordnung, während
-sie nunmehr als Naturordnung dargelegt ist.</p>
-
-<p>Was der Zoologe dem Tierreich angetan, muß der Logiker
-dem Dasein überhaupt, dem unendlichen Kosmos antun; er
-muß nachweisen, daß die ganze Welt, daß alle Formen des
-Daseins, den Geist eingerechnet, logisch oder einartig verbunden,
-verwandt, verschweißt sind.</p>
-
-<p>Ein gewisser bornierter Materialismus glaubt, alles sei
-getan, wenn er den Zusammenhang zwischen Denken und<span class="pagenum"><a id="Seite_82">[82]</a></span>
-Hirn konstatierte. Gewiß hängt der Gedanke mit dem Hirn
-zusammen, so innig wie das Hirn mit dem Blute, wie das
-Blut mit dem Sauerstoff usw.; aber der Gedanke hängt
-auch überhaupt mit allem Dasein so innig zusammen, wie
-die ganze Physik zusammenhängt.</p>
-
-<p>Daß der Apfel nicht nur mit dem Stiel am Baume hängt,
-sondern auch an Sonnenschein und Regen, daß die Dinge
-nicht einseitig, sondern allseitig verbunden sind, das soll die
-Logik Dich speziell vom Geiste, vom Gedanken lehren.</p>
-
-<p>Im Anschluß an diese seine Lehre von der Weltnatur
-des Gedankens erörtert Dietzgen nun die Frage vom <em class="gesperrt">Verhältnis
-des Gedankens zur Wirklichkeit</em>:</p>
-
-<p>Die alte Logik hat eine Medaille prägen lassen mit der
-Vorschrift: Der Gedanke soll mit der Wirklichkeit übereinstimmen.</p>
-
-<p>Wir schreiben jetzt auf die Rückseite: 1. der Gedanke ist
-selbst ein Stück der Wirklichkeit und 2. die Wirklichkeit ist
-außerhalb des Gedankens zu voluminös und kann auch mit
-dem kleinsten Stückchen nicht hinein.</p>
-
-<p>Gewiß, wie ein Konterfei, so soll auch der Gedanke mit
-seinem Objekt übereinstimmen. Aber was soll einem Maler
-diese besondere Einschärfung seiner Aufgabe nutzen?</p>
-
-<p>Hast Du je ein Porträt oder eine Kopie gesehen, die nicht
-in etwas mit dem Original übereinstimmte? Ich bin überzeugt,
-das ist Dir ebensowenig vorgekommen wie ein Bild,
-das seinem Gegenstand <em class="gesperrt">vollkommen</em> ähnlich war. Über das
-relative Wesen aller Gleichheit, Ähnlichkeit und Übereinstimmung
-ernstlich nachzudenken, möchte ich Dir besonders
-empfehlen. Der weitaus größte Teil der Menschenwelt ist in
-diesem Punkte barbarisch gedankenlos. Daß zwei Tröpfchen
-Wasser nur mehr oder weniger ähnlich und unähnlich sind,
-daß das ganze Dasein ebenso übereinstimmend wie different
-ist, will schwer in den logisch ungeschulten Kopf hinein.</p>
-
-<p>Dem Denker ergeht es wie dem Maler: sie suchen beide
-ein Konterfei der Wirklichkeit und Wahrheit.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_83">[83]</a></span></p>
-
-<p>Die Wirklichkeit, die Wahrheit, die Gesamtnatur steht auf
-der Kanzel und predigt: »Ich bin der Herr, dein Gott. Du
-sollst dir kein geschnitztes Bild machen, dasselbe anzubeten.«
-Du sollst also von der Wahrheit viel zu erhaben denken,
-als daß Du glauben dürftest, sie könne vom Maler oder
-Denker in ein, wenn auch noch so gut getroffenes Konterfei
-gesteckt werden.</p>
-
-<p>Der Geist, das Denkvermögen hängt also &ndash; fährt Dietzgen
-im sechsten Briefe fort &ndash; mit dem Gesamtdasein der Welt
-zusammen, ist ein unabtrennbarer Teil des Universums, der
-wirklichen Wahrheit.</p>
-
-<p>Das Christentum lehrt: Gott ist ein Geist, und wer ihn
-anbeten will, muß ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten.</p>
-
-<p>Und unsere Logik lehrt: der Geist ist ein Stück des Gesamtdaseins;
-wer den Geist vergöttert, ist ein Götzendiener,
-denn er betet <em class="gesperrt">ein Stück</em> an und verkennt die ganze Wahrheit.
-Die Wahrheit selbst ist identisch mit dem Gesamtdasein,
-mit der Welt, wovon alle Dinge nur Formen, Erscheinungen,
-Prädikate, Attribute oder Vergänglichkeiten sind. &ndash; Und ob
-Du auch an Weisheit zunähmst bis an das Ende Deiner Tage,
-so ist doch der Born der Weisheit, der Kosmos, unerschöpflich.
-Ja, so unerschöpflich ist auch das kleinste Weltteilchen, daß
-der Genialste nicht imstande ist, die Kenntnisse zu fassen,
-welche im winzigsten Objekt stecken. Mit dem größten Mikroskop
-kann man keinem Wassertröpfchen ans Ende sehen, und
-der weiseste der Menschen ist nicht einmal fähig, die Schusterei
-auszulernen.</p>
-
-<p>Daraus ersiehst Du, wie durch vermehrte Spezialkenntnisse
-der kunstgerechte Gebrauch unseres Intellektes nur in den
-betreffenden Details gefördert wird. Deshalb kann es auch
-nicht befriedigen, wenn gewisse Logiker uns lehren, wie viele
-Arten von Begriffen, Urteilen und Schlüssen im Intellekt
-stecken. Es sind das logische Spezialkenntnisse. Zunächst aber
-handelt es sich für den Studiosus der Logik nicht sowohl<span class="pagenum"><a id="Seite_84">[84]</a></span>
-um Ansammlung wahrer Begriffe, als vielmehr darum, den
-Generalbegriff der Wahrheit erhellt zu sehen.</p>
-
-<p>Vielleicht findest Du Anstoß daran, daß eine Wissenschaft,
-welche das Begriffsvermögen zum Gegenstand hat, von dieser
-Sache abweicht und andere Dinge, wie das Dasein oder die
-Wahrheit, heranzieht. Doch würde eine Logik, die sich auf
-die Analyse des Denkvermögens beschränkt, gegenüber derjenigen,
-die das Denkvermögen in seiner lebendigen Arbeit
-darstellt, eine beschränkte Logik sein. Wenn die Augenkunde
-nur die verschiedenen Teile des Auges behandelte, dagegen
-von der Funktion und den äußeren Dingen, die damit zusammenhängen,
-von dem Lichte und den Gegenständen, kurzum,
-vom Gesicht des Auges absehen wollte, wäre sie wohl
-mehr Augenanatomie als Augenkunde. Jedenfalls bietet eine
-Lehre, welche das Auge in seiner lebendigen Tätigkeit, nicht
-nur das subjektive Gesichtsvermögen, sondern auch das davon
-untrennbare objektive Gesichtsvermögen darstellt, eine umfassendere
-Belehrung, eine höhere Erhellung des Menschenkopfes.</p>
-
-<p>Was kann eine Logik viel helfen, welche die Gedanken einteilt
-in analytische und synthetische, von induktiven und deduktiven
-Erkenntnissen und noch zehn anderen Arten spricht
-und dann die Frage ablehnt, wie sich der Gedanke und die
-Erkenntnis zur Wahrheit verhält, und wie wir dazu gelangen.</p>
-
-<p>Hat sich doch bis heute die gesamte Weltweisheit um die
-Frage gedreht, wie unser Kopf zu erhellen ist, wie er der
-Wahrheit beikommen kann.</p>
-
-<p>Diese Welt, die wir hören, sehen und riechen, in der wir
-leben und atmen, ist die Welt der Wahrheit oder die wahre
-Welt.</p>
-
-<p>Aber auch mitten in dieser wahren Welt steckt eine ganz
-vertrackte Geschichte, eine Menschenrasse mit verdrehter Logik.
-Die hat sich von einzelnen mißmutigen, hypochondrischen
-Momenten verleiten lassen, die köstliche Wahrheit dieser
-Welt anzuschwärzen und überschwenglicherweise die Wahrheit<span class="pagenum"><a id="Seite_85">[85]</a></span>
-»transzendent« zu suchen, in der philosophischen Metaphysik
-oder religiösen Phantastik, was beides in einen Topf
-gehört. Aller Streit dreht sich um Seins<em class="gesperrt">formen</em>. Das Dasein
-selbst aber bleibt unbestreitbare Wahrheit.</p>
-
-<p>Sofern ich Dich bisher überzeugte, daß das Weltall die
-Wahrheit ist, bleibt jetzt besonders noch die Frage: wo denn
-Phantasmen, Irrtum und Unwahrheit Platz finden. Wenn
-das All die Wahrheit, dann wäre ja alles wahr, und scheint
-es durchaus widerspruchvoll, daß Irrtum und Unwahrheit
-in der Wahrheit oder Welt Raum finden könnten. Ich will
-nur flüchtig andeuten, wie ohne allen Widerspruch das Unkraut
-zum Kraute gehört.</p>
-
-<p>Das Thema, mit dem der sechste Brief eröffnet wird &ndash;
-der Zusammenhang des Geistes mit dem Gesamtdasein der
-Welt &ndash; wird von einem anderen Gesichtspunkt aus auch im
-siebten Briefe behandelt, dem des »Ursprungs der Sprache«.</p>
-
-<p>Die Sprache ist kein fertig fixes Ding, sondern ein flüssiges,
-welches aus rohen Anfängen sich zu einer erhabenen Höhe
-emporgeschwungen. So wenig wir vorwärts an ihr vollendetes
-Ende sehen können, läßt sich rückwärts der Punkt finden,
-wo sie ihren Anfang genommen. Darum sucht man nicht
-mehr den zeitlichen Ursprung, sondern den <em class="gesperrt">begrifflichen</em>.
-Man möchte eine feste Marke haben, wo man sagen könnte,
-so weit heißt das Sprachähnliche nur Gegröle, Geschrei,
-Getöne, und hier beginnt der wohlartikulierte Laut, der den
-Namen »gesprochenes Wort« verdient.</p>
-
-<p>Nun besteht ein anderes Moment, welches die Sache noch
-mehr verwirrt; da heißt es: die Sprache setzt Verstand voraus.</p>
-
-<p>Und dann wieder ist auch der Intellekt kein fixes Ding,
-sondern ein flüssiges Werden, das sich erst an, aus und mittels
-der Sprache entwickelt. So will es einerseits scheinen,
-als ob der Geist die Sprache erzeuge, und andererseits, als
-ob umgekehrt die Sprache den Geist, den Verstand erzeuge.
-Wo ist da nun Anfang und Ende, und wie Ordnung im
-Zusammenhang zu finden?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_86">[86]</a></span></p>
-
-<p>Für uns hier geht aus der Sache hervor, daß nicht nur
-das Wort, daß auch die Laute, Töne und Gesten, ja alle
-Dinge einen Sinn haben und eine Sprache sprechen. Nicht
-nur die Sprache, sondern die Welt hängt mit dem Geiste,
-mit dem Gedanken zusammen. Wohl aber ist der Sprachzusammenhang
-ganz geeignet, uns an einem Beispiel den
-Gedankenzusammenhang der Welt zu zeigen.</p>
-
-<p>Die Einheit alles Seins ist unzweifelhaft klar durch die
-Tatsache erwiesen, daß ein Name ausreicht, um das All zu
-benennen. Die Sprache bedarf wohl <em class="gesperrt">eines</em> Namens für das
-All; bedarf aber auch unendlich vieler Namen, um das
-All zu spezifizieren. Die Sprache oder vielmehr der mit der
-Sprache zusammenhängende Geist will mittels der Sprache
-das Unbegrenzte begrenzen. Der instinktive Sprachgebrauch
-tut es mehr oder minder; die bewußte Wissenschaft verfährt
-in exakter Weise. Und so erklärt denn die Moral der Geschichte,
-daß die Dinge der Welt, auch Geist und Sprache,
-zusammenhängende und ineinander verfließende Wellen eines
-Stromes sind, der weder Anfang noch Ende hat.</p>
-
-<p>Die Logik, die ich lehre, und der Gedanke, der ihr Objekt
-ist, sind Teile der Welt, der unendlichen, und ist jeder
-Teil als ein Stück des Unendlichen auch ein unendliches
-Stück. Jedes Stück hat teil an der unendlichen Natur des
-Ganzen.</p>
-
-<p>Ich möchte nur verständlich machen, wie ohne Widerspruch
-die ganze Mannigfaltigkeit des Daseins von einer
-Natur ist, und wie diese Ein-Natur sich in mannigfaltige
-Formen zerteilt. Die Welt hängt zusammen, und der Zusammenhang
-ist in Abteilungen getrennt.</p>
-
-<p>Befassen wir uns zunächst mit dem Zusammenhang unseres
-Intellekts. Denn die abstraktesten Unterschiede, wie Anfang
-und Ende, Wort und Sinn, Leib und Seele, Mensch
-und Tier, Kraft und Stoff, Wahrheit und Irrtum usw.,
-setzen zu ihrer Aufklärung logische Aufklärung über den Zusammenhang
-unseres Intellekts voraus.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_87">[87]</a></span></p>
-
-<p>Diese erfolgt im achten Brief:</p>
-
-<p>Die formalen Logiker sind ebenso einfältig wie schelmisch,
-wenn sie nur noch in hergebrachter Weise den Intellekt oder
-den Gedanken als isoliertes Ding abhandeln und den notwendigen
-Zusammenhang ihres Objekts mit der wahren,
-das heißt empirischen Welt von der logischen Disziplin ausschließen.
-Die Formalen behandeln den Intellekt als eine
-Sache »für sich«, während ich mich in den mannigfachsten
-Wendungen ergehe, um darzutun, daß er nicht für sich ist,
-sondern mit allem und dem All zusammenhängt.</p>
-
-<p>Die formale Logik lehrt, daß unser Intellekt alle Dinge
-nur auseinanderhalten und nicht konfundieren darf. Sie hat
-darin recht und verfehlt doch das Ziel einer klaren Weltanschauung,
-weil sie der überschwenglichen Ader gestattet, die
-Bedeutung der Unterschiede und Unterscheidungen zu übertreiben.
-Sie verkennt die paradoxe beziehungsweise dialektische
-Natur der Dinge, die nicht nur auseinanderliegen, sondern
-auch zusammenhängen. Es gilt zu begreifen, daß &ndash; ganz
-allgemein &ndash; die Einteilung der Welt nur eine Formalität
-ist. Wir sind wohl berechtigt, Oben und Unten, Links und
-Rechts, Anfang und Ende, Gold und Blech, Gutes und
-Böses auseinanderzuhalten, aber müssen uns auch darüber
-instruieren, wie die Mannigfaltigkeit eine Einheit, das Veränderliche
-beständig und das Beständige veränderlich ist. Die
-formale Logik hat einen ungerechten Namen; sie ist nicht
-formal, sondern überschwenglich; sie trägt sich mit dem gemeinen
-Vorurteil, daß es kontradiktorische Dinge oder Widersprüche
-gebe, das heißt essentielle Unterschiede, die keine Verbindung,
-keine Brücke, keine Gemeinschaft miteinander haben.
-Sie lehrt: Widersprüche können nicht sein, und widerspricht
-sich selbst, indem sie an dem Glauben festhält, daß unvereinbare
-Widersprüche existieren. Sie lehrt: was sich widerspricht,
-ist nicht denkbar, ist nicht wahr, und bezeugt damit, daß
-sie über die Formalität der Widersprüche, über die wahre
-Widerspruchlosigkeit und über die universale Wahrheit schlecht<span class="pagenum"><a id="Seite_88">[88]</a></span>
-orientiert ist. Gold ist kein Blech &ndash; das ist wahr genug.
-Wer Gold Blech oder Blech Gold nennt, widerspricht sich.
-In der Welt der Wahrheit ist beides getrennt; aber nicht
-so getrennt, daß nicht auch Gold und Blech eine gemeinschaftliche,
-nämlich metallene Natur hätten. Gold und Blech
-sind ungleiche Metalle und besitzen doch metallische Gleichheit.
-Daß das Gleiche different und das Differente gleich
-ist, daß es sich überall nur um ein Mehr oder Minder
-handelt, nur um formelle Differenzen, das wird von der
-»formalen« Logik verkannt, verkannt von allen, welche die
-Wahrheit in irgendeiner logischen Schablone oder einem
-Fetisch und nicht im ewigen, allgegenwärtigen Dasein der
-einen untrennbaren Welt suchen.</p>
-
-<p>Das krasseste und auch wohl das lehrreichste Beispiel von
-der rechten Bedeutung der Widersprüche ist in dem Gegensatz
-von Wahrheit und Unwahrheit gegeben. Diese beiden
-Pole liegen wohl noch weiter auseinander wie Süd- und
-Nordpol, und doch hängen jene wie diese innig zusammen.
-Der landläufigen Logik darf man es kaum zumuten, ihr
-eine scheinbar so widersinnige Einheit vordemonstrieren zu
-wollen, wie die ist, welche in der Wahrheit und Unwahrheit
-enthalten.</p>
-
-<p>Die Welt ist die Wahrheit, und Irrtum, Schein und
-Lüge stecken in ihr, sind Teile der wahren Welt, wie die
-Nacht ein Teil des Tages ist, ohne die Logik zu konfundieren.
-Wir dürfen in ehrbarer Weise von <em class="gesperrt">echtem</em> Scheine
-und <em class="gesperrt">wahrer</em> Lüge sprechen, ohne Widersinn. Wie auch der
-Unverstand noch Verstand hat, so lebt auch die Unwahrheit
-immer noch und unvermeidlich in der Wahrheit, weil letztere
-das Allumfassende, das Universum ist.</p>
-
-<p>Die Wahrheit, welche das Universum ist, die kosmische
-Welt- oder Universalwahrheit wird Dich die Widersinnigkeit
-der abnormen Demut erkennen lassen, die in der zwieschlächtigen
-Lehre von den zwei Geistern enthalten ist.
-Gewiß hat der Philosoph Kant einen höheren Intellekt wie<span class="pagenum"><a id="Seite_89">[89]</a></span>
-Peter Simpel; aber dennoch besitzen auch alle Geister eine
-Generalgeisternatur, unter welche keine Intelligenz hinabsteigen,
-welche keine übersteigen darf, ohne den Namen, ohne
-Sinn und Verstand zu verlieren. Es ist nicht möglich, von
-einem anderen, höheren Denkvermögen, als dem durch Erfahrung
-bekannten menschlichen auch nur zu sprechen, ohne
-aus der Logik heraus in die Widersinnigkeit zu fallen. Unzweifelhaft
-besitzt die tierische Brut etwas dem Intellekt
-ähnliches; unzweifelhaft darf der Tiergeist vom Menschengeist
-mittels eines besonderen Namens, etwa durch den »Instinkt«,
-getrennt werden; unzweifelhaft wird unsere Vernunft
-durch Kultur von Generation zu Generation erhöht; aber
-daß irgendwo und jemals ein Begriffsvermögen existieren
-sollte, welches außer dem Weltzusammenhang steht &ndash; das ist
-ein durchaus sinnloser Begriff und eine verstandlose Sache.
-So notwendig wie alles Wasser <em class="gesperrt">eine</em> Natur, eine nasse
-Natur, so notwendig hat jede Intelligenz und jeder Gedanke
-die generale Gedankennatur und muß verstandesgemäß
-ein Teil, ein bestimmter Teil der einen, gemeinen,
-<em class="gesperrt">empirischen</em> Welt sein.</p>
-
-<p>Diese Lehre von der Relativität der Gegensätze und von
-der Auflösung des Widerspruchs wird im neunten Brief
-durch Beispiele illustriert:</p>
-
-<p>Man macht dem Sozialisten den Vorwurf, er hetze das
-Volk auf; er verspreche mehr, wie er leisten könne, und bringe
-dadurch den Unfrieden in die Menschenbrust. Tatsächlich
-wohnt und muß beim Frieden auch immer der Unfriede
-wohnen. Ein Volk, dessen Friede nicht mit dem entgegengesetzten
-Unfrieden verquickt oder durchtränkt ist, wäre ein
-Schlaraffenvolk. Dank dem Unfrieden in der Brust sind die
-Völker strebsam und bewegt: Bewegung ist die Essenz der
-Welt, und die bewegte Volkswelt ist nicht denkbar, ohne daß
-die Menschen begehrlich sind. Der Entwicklung oder Kultur
-wegen müssen die Völker immer mehr begehren, wie sie zunächst
-erlangen. Andererseits ist es mit der Begehrlichkeit<span class="pagenum"><a id="Seite_90">[90]</a></span>
-nicht genug. Man darf nicht mehr begehren, als man zu
-erreichen vermag, nicht mehr versprechen, als man geben
-kann. Darum soll der logische Sozialist gleichzeitig wissen,
-daß auch im Zukunftsstaat die Bäume nicht in den Himmel
-wachsen, daß der Friede, den wir erstreben und erhoffen,
-immer ein mit Unfrieden verquickter Friede sein wird. Die
-Zukunftsmusik, wenn auch harmonischer wie die Musik der
-Gegenwart, wird doch ewig mit der Disharmonie behaftet
-bleiben.</p>
-
-<p>Um im wahrhaften Zusammenhang zu denken, darfst Du
-kein Ding als selbständiges Ding ansehen, sondern alles
-nur als fließende Eigenschaft der einen Substanz, welche
-das Ding aller Dinge, die Welt, die Wahrheit und das
-Leben ist.</p>
-
-<p>Unsere Logik ist also Wahrheitslehre. Die Wahrheit ist
-nicht oben, nicht unten, nicht zu Jerusalem und nicht zu
-Jericho, weder im Geiste noch im Gebein, sondern im All.</p>
-
-<p>Unsere Logik ist Erkenntnislehre. Sie lehrt, daß Du nicht
-mit Grübelei, sondern nur im Zusammenhang mit der Erfahrung,
-im Gesamtzusammenhang nach Erkenntnis forschen
-darfst.</p>
-
-<p>Da nun der Mensch mit der Erfahrung auch Irrtümer
-erfährt, so war die Wissenschaft jahrhundertelang von der
-Frage beherrscht, ob Wahrheit und Erfahrung nicht zweierlei,
-ob vielleicht nicht unsere ganze Erfahrung ein Gaukelspiel
-der Sinne sei. Cartesius antwortete darauf: Nein, der
-Glaube an das allervollkommenste, allerwahrhaftigste Wesen
-kann solche Betörung nicht zulassen. Wenn wir nun den
-Gottesbegriff durch den Wahrheitsbegriff ersetzen, dann sind
-wir wieder sicher, daß die Welt der Erfahrung kein Schemen,
-sondern allerwahrhaftigste Wirklichkeit ist.</p>
-
-<p>Wie unser Gesicht das Sichtbare nie und nirgends erschöpft,
-das Auge also sein Objekt schaut, aber nicht durchschaut, so
-kann der Intellekt das absolute All, die Wahrheit oder Gottheit
-nicht auskennen oder ausgründen; aber was wir kennen<span class="pagenum"><a id="Seite_91">[91]</a></span>
-und ergründen, sind leibliche Wahrheiten, sind Stücke der
-Generalwahrheit. Was die Erkenntnis erkennt, ist nicht die
-Wahrheit selbst und doch wahre Erkenntnis.</p>
-
-<p>Wir gelangten also zu dem Resultat, beginnt der zehnte
-Brief, daß der Gedanke ein Weltteil ist. Das Weltall ist
-der Mutterschoß, wie überhaupt der Dinge, so auch des Intellekts.</p>
-
-<p>Daß außer dem Weltall nichts existiert, oder im All alles
-enthalten, alle realen und phantastischen Existenzen, daß das
-All alles, weder süß noch sauer, weder groß noch klein, sondern
-eben alles und jedes &ndash; dieser Satz ist so selbstverständlich,
-wie der so lang und oft wiederholte Satz der Identität:
-A = A.</p>
-
-<p>Die Logik soll Dich also lehren, daß alles, was das Unterscheidungsvermögen
-unterscheiden mag, von einer Art ist,
-alles Krethi und Plethi, aber das Ganze über allem Plebs
-eine himmelhohe Erhabenheit. Mit dem frivolen Atheismus,
-wie ihn die Aufklärer gebracht, ist es nicht genug. Dürre
-Gottesleugnung erzeugt immer wieder irgendeinen Götzendienst.</p>
-
-<p>Mit dem Allerhöchsten, Unendlichen oder Absoluten muß
-die Logik beginnen. Alles kunstgerechte, daß heißt zusammenhängende
-Denken muß davon seinen Ausgang nehmen. Das
-naturwissenschaftliche Forschen nach endlichen Ursachen, nach
-dem Ei, woraus das Küchlein gekrochen, nach der Henne,
-woraus das Ei gekommen, nach den verwandten Organismen,
-welche durch Zuchtwahl und Anpassung <em class="antiqua">à la</em> Darwin
-die Henne entwickelt, &ndash; das sind überaus schätzbare Forschungen,
-ohne welche wir nie den Weltprozeß verstehen
-könnten; aber dennoch dürfen solche Erkenntnisse dem denkenden
-Menschen nicht genügen. Die Logik verlangt, verlangt
-von jedem, daß er nach dem Allerhöchsten, nach der
-Ursache aller Ursachen forscht. Wer das Bedürfnis hat, sein
-Bewußtsein in logische Ordnung zu bringen, will und muß
-wissen, wie das Endliche und Unendliche, das Relative und<span class="pagenum"><a id="Seite_92">[92]</a></span>
-Absolute, die speziellen Wahrheiten und die Generalwahrheit
-ineinanderstecken.</p>
-
-<p>Logisches Denken in dem Maße, wie es die Wissenschaft
-verlangt, heißt weiter nichts, als den letzten Grund, den absoluten
-Hinterhalt kennen, auf den alle Gedanken sich stützen.
-Dieser Hinterhalt ist das Weltall, welches den Menschenkopf,
-den äußeren und inneren, als Zubehör anhängen hat.
-Der jahrtausendealte Streit zwischen den Materialisten und
-Idealisten stellt die Frage: ob der Geist weltlich oder die
-Welt geistig ist. Unsere Antwort lautet klipp und klar: beides
-gehört zusammen, ist in Summa ein Ding, und das Ding
-aller Dinge. Der Geist und die Welt sind zwei Attribute
-der einen Natursubstanz. Wenn man sie einander entgegensetzt,
-verhalten sie sich wie Fleisch und Fisch, welcher letztere
-nach Lazar Geiger von afrikanischen Stämmen ganz trefflich
-»Wasserfleisch« genannt wird. Demnach sind Geist und
-Welt, wie Fleisch und Fisch, von verschiedener und doch
-von einer Art.</p>
-
-<p>Nicht nur ist die Welt das Objekt, sie ist auch das Subjekt
-der Erkenntnis, <em class="gesperrt">sie</em> erkennt, <em class="gesperrt">sie</em> zerlegt <em class="gesperrt">mittels des
-Menschenkopfes</em> ihre eigene Mannigfaltigkeit. Unsere Weisheit
-ist Weltweisheit in dem doppelten Sinne: die Welt ist
-das, was gewußt, unterschieden, analysiert wird, und die
-Welt ist es, welche das Wissen, Unterscheiden usw. mittels
-unseres Intellekts praktiziert. Wenn ich also den Menschengeist
-Weltgeist, Geist des Allerhöchsten nenne, so bitte ich
-wohl zu bemerken, wie damit gar nichts mystifiziert sein,
-sondern nur dargetan werden soll, daß sich das Denken oder
-die Intelligenz nur im Weltzusammenhang betätigen läßt,
-daß es keine Sache abnormer und überschwenglicher Art,
-sondern ein Ding ist wie andere Dinge.</p>
-
-<p>Die Idee des Weltzusammenhanges wird im elften Brief
-weiter behandelt und speziell auf das soziale Gebiet übertragen:</p>
-
-<p>Allen naturgeschichtlichen Einteilungen soll logischerweise
-das Bewußtsein von der absoluten, universalen Einheit, vom<span class="pagenum"><a id="Seite_93">[93]</a></span>
-Zusammenhang aller Dinge zugrunde liegen. Darum haben
-fromme Leute durch ihren Herrgott, in dem alles lebt und
-webt, was fleucht und kreucht, mehr Logik wie gewisse Freidenker,
-denn sie fangen mit Gott an und hören mit Gott
-auf. Vollkommen logisch aber vermögen sie nicht zu denken,
-weil sie das Böse und den Teufel, Krankheit, Elend und
-Sünde, kurzum die Leidigkeit und Vergänglichkeit mit ihrem
-ewigen vollkommenen Allvater in keinen rechten Zusammenhang
-bringen können.</p>
-
-<p>Die Ein-Natur, die unendliche, ist der Logik Quintessenz.
-Über dies Ding der Dinge kann weder die Naturwissenschaft
-(im engeren Sinne) noch die Metaphysik und formale Logik
-Aufschluß geben, sondern nur eine Denklehre, welche Geist
-und Natur, alle Gegensätze und Widersprüche als Formalitäten
-des All-Einen erkennt. Wie sollte nun jemand, der
-mit der großen Masse der Bevölkerung auf gespanntem Fuße
-lebt, sich eins fühlen können mit dem <em class="gesperrt">Allgemeinen</em>? Wer
-eine spezielle Klasse zum echten Volk macht, hat keinen Begriff,
-weder für das allgemeine Volk noch für die absolute
-Allgemeinheit.</p>
-
-<p>Die proletarische Logik lehrt nicht nur Gleichheit alles
-dessen, was Menschenantlitz trägt, sondern die <em class="gesperrt">universelle</em>
-Gleichheit, welcher, wohlgemerkt, die Verschiedenheit so wenig
-widerspricht, wie die mannigfaltigen Töpfe und Krüge der
-Gefäßeinheit widersprechen. Wir erkennen, daß jedes Ding,
-jede Person ein Stück der unendlichen Welt ist und an ihrer
-unendlichen Natur teil hat.</p>
-
-<p>Unsere Logik, welche die Wahrheit, die Weltwahrheit zum
-Objekt hat, ist eine Denklehre des Universums, eine universale
-Denklehre oder Weltanschauung. Sie lehrt, daß der
-Zusammenhang aller Dinge die Wahrheit und das Leben,
-das Echte, Rechte, Gute und Schöne ist. Alles Hohe, was
-Menschenherz erhebt, alles Süße, was Menschenbrust durchbebt,
-ist die Weltnatur oder das Weltall. Aber dann bleibt
-immer die kitzlige Frage: Wohin mit dem Negativen, dem<span class="pagenum"><a id="Seite_94">[94]</a></span>
-Häßlichen, Bösen, wohin mit dem Irrtum, dem Scheine,
-dem Stillstand, der Krankheit, dem Tode und dem Teufel?</p>
-
-<p>Jawohl, die Welt ist vergänglich, böse und leidig; aber
-das sind doch nur <em class="gesperrt">akzidenzielle</em> Erscheinungen, nur Formen
-und Fransen der Welt. Ihre Ewigkeit, Wahrheit,
-Güte und Schönheit ist substantiell, wesenhaft und positiv.
-Ihr Negatives ist das Dunkel, welches dem Lichte zur Verherrlichung
-dient, daß es überwinde und um so glänzender
-strahle.</p>
-
-<p>Solcher hohen optimistischen Lehre sind die Wortführer
-der herrschenden Klasse nicht zugänglich, weil sie den umgekehrten
-pessimistischen Beruf haben, das Elend und die
-Knechtschaft zu verewigen.</p>
-
-<p>Der zwölfte Brief kehrt zum Beginn des zweiten zurück:
-was die Logik ist, was sie will und wie sie es will? Die
-Beantwortung der Frage erfolgt im Geiste der Briefe zehn
-und elf, das heißt im Sinne des Universalzusammenhangs:</p>
-
-<p>Logik, die Lehre eines kunstgemäßen Denkens, verlangt zunächst
-wahrheitsgemäßes, das heißt vernunftmäßiges Denken.
-Die Logik handelt von Vernunft und Wahrheit.</p>
-
-<p>Vernunft und Wahrheit sind keine von den übrigen Dingen
-getrennte, sind keine Dinge an sich. Solche Dinge gibt es
-überhaupt nicht. Die proletarische Logik unterscheidet sich
-von der herrschenden dadurch, daß sie Vernunft und Wahrheit
-nicht hinter Tempelvorhängen, auch nicht in den Köpfen
-der Gelehrten, sondern im leibhaftigen Zusammenhang sucht
-und findet.</p>
-
-<p>Wir erkennen nicht nur, daß Vernunft und Wahrheit mit
-der Welt verbunden, sondern auch, daß das <em class="gesperrt">Weltganze</em>
-die allerhöchste Vernunft und Wahrheit oder das Wesen ist,
-nach dem Religion und Philosophie lange gesucht, das allervollkommenste
-Wesen &ndash; von Plato das Wahre, Gute und
-Schöne, von Kant Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, von
-Hegel das Absolute genannt.</p>
-
-<p>»Erkennen« ist ein mysteriöses Wort.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_95">[95]</a></span></p>
-
-<p>Erlaube mir, das Erkenntnisvermögen mit einem photographischen
-Apparat zu vergleichen, mittels dessen Du Dir
-ein Bild der Weltwahrheit zu machen gedenkst. Da siehst
-Du gleich, wie von diesem Objekt nur ein ganz nebelhaftes
-Bild abzunehmen ist. Der Gegenstand erscheint zu grenzenlos,
-zu unendlich groß und erhaben, als daß er sich kopieren
-ließe. Und doch ist ihm beizukommen. Wenn auch kein klares
-Bild der Wahrheit, können wir doch weltwahre Bilder klar
-machen, das heißt wir können das Unendliche stückweise konterfeien.
-Du kannst mittels Deines Intellekts die Unendlichkeit
-durch Begrenzung fassen.</p>
-
-<p>Die absolute Wahrheit gibt sich uns in relativen Erscheinungen.
-Das vollkommene Wesen ist aus unvollkommenen
-Teilen zusammengesetzt. Arme und Beine, Kopf und Rumpf
-sind getrennt und jedes für sich nur ein Kadaverstück und
-doch im Zusammenhang durchaus lebensfähig. In der Weltwahrheit
-ist alles enthalten; sie ist das vollkommene Sein,
-enthält das gesamte Dasein vollkommen, somit auch das
-Unvollkommene. Falsches, Leidiges, Schlechtes und Häßliches
-steckt im Wahren, Guten, Schönen mitten drin. Das Gesamtdasein,
-das ist die absolute Wahrheit, ist aus Relativem,
-das Ganze aus Stücken, aus Erscheinungen oder Scheinbarkeiten
-zusammengesetzt. Und auch unsere Erkenntnis oder
-unser Denkapparat ist ein unvollkommenes Stück des vollkommenen
-Wesens. Von diesem Absoluten liefert er nur ein
-dämmeriges, unzulängliches Porträt, und von allen Teilen
-der Weltwahrheit doch treffliche Bilder, allerdings nur Bilder,
-aber treffliche.</p>
-
-<p>Es gibt gute und schlechte, treffende und unzutreffende,
-wahre und irrige Gedanken und Erkenntnisse; aber absolut
-zutreffende gibt es nicht. Alle Vorstellungen und Begriffe
-sind unvollkommene Bilder des allervollkommensten Weltwesens,
-welches unerschöpflich ist sowohl im großen wie im
-kleinen, im ganzen und in allen Teilen. Jedes Stück der
-Natur ist ein Naturstück des Unbegrenzten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_96">[96]</a></span></p>
-
-<p>Die Lehre der Sophisten, daß sich alles be- und verstreiten
-läßt, hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der unserigen, welche
-besagt, daß das All die Wahrheit und alle Teile wahre
-Stücke, also Rauch und Nebel, Verstand und Phantasie, Erträumtes
-und Reales, Subjekt und Objekt wahrhaftige Einteilungen
-der Welt &ndash; nicht die Wahrheit und doch wahr
-sind. Es ist deshalb angezeigt, auf den Unterschied der sophistischen
-und logischen Denkweise aufmerksam zu machen.</p>
-
-<p>Das geschieht im dreizehnten Brief:</p>
-
-<p>Ist die ganze Welt <em class="gesperrt">nur ein</em> Ding oder ein Sammelsurium
-<em class="gesperrt">unendlich vieler Dinge</em>?</p>
-
-<p>Ich sehe durchs Fenster den Fluß und die Straße, Brücke,
-Häuser und Bäume. Jedes ist ein Ding für sich, und doch
-hängt alles untrennbar aneinander. Die Eigenschaften der
-Welt werden vom Intellekt als Subjekte behandelt; aber
-es soll das intelligente Subjekt auch wissen, daß sein Tun
-und Treiben, sein Unterscheiden und Erkennen eine Formalität,
-eine formelle Zerstücklung des Absoluten ist, welches
-trotz aller Einteilung stets das ungeteilte Ganze bleibt.</p>
-
-<p>Die Erscheinungen der Wahrheit und des Lebens rubrizieren,
-heißt erkennen, heißt den Intellekt gebrauchen und
-den Kopf erhellen.</p>
-
-<p>Jedoch bleibt nun wohl zu erwägen, <em class="gesperrt">wie weit wir in
-der Spezifikation zu gehen haben</em>, um die Rubrik zu
-finden, welche <em class="gesperrt">völlige Klarheit</em> und Bestimmtheit in die
-Erkenntnis bringt. Es ist sehr zu beachten, daß sowohl
-das Subjekt, welches erkennt, wie das erkannte Objekt als
-Stücke des Absoluten, auch absolute <em class="gesperrt">unendlich detaillierte</em>
-Stücke sind, die sich nimmer auskennen, nimmer erschöpfen
-lassen.</p>
-
-<p>Es lassen sich neue Erkenntnisse nur mittels alter erwerben.
-Das heißt: Altes und Neues und die Erkenntnis, die ich
-als Klassifikationsvermögen kennbar zu machen suche, haben
-ihre Existenz nur im <em class="gesperrt">Zusammenhang des gesamten
-Daseins</em>.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_97">[97]</a></span></p>
-
-<p>Einteilung, regelrechte Einteilung ist die Sache der Logik
-oder Denkkunst. Dazu gehört in erster Instanz das erweckte
-Bewußtsein vom ungeteilten All, vom Universum und seiner
-universalen Einheit. Dieses Bewußtsein ist mit anderen Worten
-zugleich auch das Bewußtsein von der nur formalen Bedeutung
-aller wissenschaftlichen Teilung.</p>
-
-<p>Die Einheit aller Welt ist wahr und ist die Wahrheit
-allein und einzig. Daß die alleinige und einzige Weltwahrheit
-voller Unterschiede steckt, ja ebenso absolut verschieden
-wie absolut gleich ist, widerspricht einer verständigen Einheit
-und Gleichheit ebensowenig, wie es sich widerspricht,
-daß die Käuze mit den verschiedensten Visagen doch alle
-dasselbe Kauzgesicht tragen.</p>
-
-<p>Der rote Faden, der sich durch diese Vorträge schlängelt,
-betrifft folgende Punkte: Der Denkapparat ist ein Ding wie
-alle gemeinen Dinge, ein Stück oder Akzidenz des Weltganzen;
-er gehört zunächst in die allgemeinste Kategorie des
-Seins und ist ein Apparat, der durch kategorische Einteilung
-oder Unterscheidung ein detailliertes Bild der menschlichen
-Erfahrung zustande bringt. Um ihn kunstgerecht zu verwenden,
-will klar erkannt sein, daß die Welteinheit durchaus
-mannigfaltig und alle Mannigfaltigkeit eine Monas
-bildet.</p>
-
-<p>Das Rätsel der alten eleatischen Philosophie war: Wie
-steckt das Eine im Vielen, wie das Viele im Einen?</p>
-
-<p>Der vierzehnte Brief handelt vom »Absoluten« und dem
-Verhältnis des Intellekts zu ihm im Weltzusammenhang:</p>
-
-<p>Das Absolute ist die bare Summe alles dessen, was war,
-ist und sein wird.</p>
-
-<p>Sowohl die Subjekte wie Objekte aller Wissenschaft gehören
-dem Absoluten an, das mit trivialem Namen »Welt«
-heißt.</p>
-
-<p>Alle anderen Wissenschaften haben begrenzte Stücke, haben
-Relatives zum Gegenstand, während die Wissenschaft des
-Geistes <em class="gesperrt">von allen</em> Objekten, das heißt vom Unbegrenzten<span class="pagenum"><a id="Seite_98">[98]</a></span>
-handelt. Ich will die Lehre vom Intellekt vortragen und
-handle von aller Welt, vom Weltall, weil ich darzustellen
-habe, nicht wie sich der Geist in der Schusterei oder Astronomie,
-sondern wie er sich generaliter verhält.</p>
-
-<p>Der Intellekt ist ein spezielles Stück wie jedes andere
-wissenschaftliche oder praktische Objekt. Aber er ist auch dasjenige
-Stück, dem es mit der Stückelei nicht genug, der sich
-und alles einzelne als Attribut oder Prädikat des absoluten
-Subjektes, der sich und alle Welt im <em class="gesperrt">Weltzusammenhang</em>
-weiß.</p>
-
-<p>Seit Jahrhunderten hat man viel davon gehandelt, ob
-im Intellekt angeborene Ideen versteckt sind oder ob er einem
-unbeschriebenen Blatte Papier gleiche, dem die <em class="gesperrt">Erfahrung</em>
-Kenntnisse aufprägt. Es ist das die Frage nach Ursprung
-und Quell der Erkenntnis. Woher kommt die Vernunft, wo
-holen wir unsere Begriffe, Urteile und Schlüsse? Mittels
-Grübelei aus dem Innern des Kopfes, aus der Offenbarung
-oder aus der Erfahrung? Alles, was wir erfahren, samt
-dem Intellekt, der erfährt, sind Offenbarungen des Absoluten.
-<em class="gesperrt">Alles, wovon wir wissen, ist Erfahrung</em>. Wenn
-nun auch der Geist ein leeres Blatt ist, so ist zur Beschreibung
-doch dies innere Papier ebenso wesentlich wie die äußere
-Welt, welche Hand, Tinte und Feder zu diesem Schreibprozeß
-hergibt; das heißt, alle Erkenntnis stammt aus dem Weltzusammenhang.
-Dem Intellekt sind keine Kenntnisse, aber
-doch das Bewußtsein, das Weltbewußtsein angeboren.</p>
-
-<p>Die Wissenschaft vom Intellekt hat sich von alters her
-an eine wunderbare Tatsache gestoßen. Sie fand Kenntnisse
-vor, die dem Geiste von außen zugekommen, sogenannte Erfahrungskenntnisse;
-aber sie fand auch solche, welche scheinbar
-angeboren sind, sogenannte Erkenntnisse <em class="antiqua">a priori</em>.</p>
-
-<p>Unsere Logik fragt: Stammt die Weisheit geheimnisvoll
-aus dem Innern des Menschenkopfes oder kommt sie nach
-Art aller Erfahrung aus der äußeren Welt? &ndash; Die Zusendung
-von oben wollen wir schon außer Frage lassen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_99">[99]</a></span></p>
-
-<p>Da lautet die Antwort: Zum Wissen, Erkennen, Begreifen,
-Denken gehört Inneres <em class="gesperrt">und</em> Äußeres, Subjekt und Objekt,
-Kopf und Welt.</p>
-
-<p>Aber wie erklären sich nun die wunderbaren, anscheinend
-aprioristischen Kenntnisse, welche alle Erfahrung übersteigen?
-Antwort: Der Intellekt hat nicht nur die Fähigkeit, im allgemeinen
-zu wissen, sondern auch Spezielles vom Ganzen
-zu trennen und namhaft zu bestimmen. Indem wir zum
-Beispiel den Begriff des Minerals fassen, sehen wir ab vom
-Unterschied zwischen Gold und Blech. Wenn wir dann weiter
-klassifizieren, indem das Goldige und Blechige als besondere
-Arten dem Mineral untergeordnet werden, wissen wir nun
-genau, wie Gold und Blech verschiedene Arten sind von
-derselben Mineralnatur. Wir wissen, was die Namen bedeuten,
-und solange sie ihren Sinn behalten, wissen wir, daß
-»in Himmel und Hölle« Gold kein Blech, Blech kein Gold ist.</p>
-
-<p>So ist denn der Unterschied zwischen angeborenen und erfahrenen
-Kenntnissen ein nur formeller. Beide verschiedene
-Arten sind dennoch von ein und derselben Art, beide Mischlinge
-des Inneren und Äußeren. Die Erkenntnis <em class="antiqua">a priori</em>
-hört auf, Wunder zu sein, wenn erkannt ist, daß sie mit
-den Kenntnissen a posteriori aus demselben Quell der Erfahrung
-stammt, welche das eine Mal wie das andere Mal
-nur mit Hilfe des Intellekts zustande kommt. Demnach ist
-also der <em class="gesperrt">mit der Welt verbundene Intellekt</em> die Urquelle
-aller Wahrheit, und ist sowohl die äußere Natur wie
-unser inneres Begriffsvermögen ein Stücklein der einen
-Generalnatur, welche die Wahrheit und das Absolute ist.</p>
-
-<p>Am Schlusse dieses Briefes kündigt Dietzgen an, daß er
-im nächsten (fünfzehnten) die Kausalität behandeln wolle;
-statt dessen geht er auf Kants Aprioritätenlehre und »Ding
-an sich« ein, zeigt, wie Kant in den Irrtum dieser Theorien
-verfiel und wie sein Schluß von der »Erscheinung« auf
-eine absolute Wahrheit, die, vom Scheine getrennt, dahinter
-versteckt sei, auf fetischmäßiger Auffassung der Wahrheit beruht.<span class="pagenum"><a id="Seite_100">[100]</a></span>
-Die Erkenntnis, daß das gemeine Wesen der Welt
-Wahrheit ist, ist die erste Bedingung zu einer kunstgerechten
-Handhabung des Schlußvermögens.</p>
-
-<p>Damit gelangt unser Autor zur Erörterung der Kausalität
-im sechzehnten Brief:</p>
-
-<p>»Alle Dinge haben ihre Ursache.« &ndash; Wer ist, was ist »alle
-Dinge«? Es sind Anhängsel, Zubehör des All-Einen. Es
-ist dem Intellekt angeboren, zu wissen, daß die Welt ein
-Ding ist, daß alle Dinge nicht nur <em class="gesperrt">irgendeinem</em>, sondern
-alle <em class="gesperrt">einem Subjekt</em> angehören. Das Bewußtsein der Kausalität
-ist nichts weiter wie das Bewußtsein vom Weltzusammenhang.</p>
-
-<p>Alle Dinge sind <em class="gesperrt">ein</em> Ding, hängen zusammen, stehen untereinander
-im Verhältnis von Ursache und Wirkung, von
-Grund und Folge, von Gattung und Exemplar. Alle Dinge
-haben ihre Ursache, heißt, sie haben eine Mutter. Daß nun
-jede Mutter ihre Mutter hat, <em class="gesperrt">endigt</em> in der Weltmutter
-oder Mutterwelt, in der absoluten, die selbst absolut mutterlos
-und doch alle Mütter »aufgehoben« in sich enthält.</p>
-
-<p>Ursachen sind Mütter, Wirkungen sind Töchter. Nicht nur
-hat jede Tochter eine Mutter, Groß- und Urgroßmutter,
-sondern auch Vater, Groß- und Urgroßvater. Der Ursprung
-oder der Familienzusammenhang der Tochter ist nicht ein-,
-sondern allseitig. So haben auch die Dinge nicht eine, sondern
-viele, unendlich viele Ursachen, welche in die Generalursache
-zusammenfließen.</p>
-
-<p>Dein Intellekt, dem die Wissenschaft angeboren ist, daß
-alles seine Ursache hat, wird sich demnach instruieren lassen,
-daß alle Ursachen der Welt in der absoluten Weltursache
-begründet sind und zugrunde gehen. Es ist die Quintessenz
-der Logik, nicht nur den wahren Begriff des Intellekts zu
-ermitteln, sondern mittels des Intellekts den Begriff der
-Weltwahrheit, des Weltganzen klarzumachen.</p>
-
-<p>Personen und Dinge, Ursachen und Wirkungen sind keine
-selbständigen Einzelheiten, sondern relative Selbständigkeiten,<span class="pagenum"><a id="Seite_101">[101]</a></span>
-das heißt Zusammenhänge oder Verhältnisse des Absoluten.
-Der Intellekt ist uns angeboren, und durch ihn und mit
-ihm das Bewußtsein vom Sein schlechthin, wenn auch nur
-so angeboren, wie dem Kinde die Zähne, die erst nach der
-Geburt hervorwachsen. Jedes Stück, das uns zum Bewußtsein
-kommt, wird als Stück des All-Einen gewußt. Insofern
-das wunderbar, ist das Bewußtsein von der Kausalität
-erstaunlich. In der Tat ist die Wissenschaft von der kausalen
-Abhängigkeit aller Dinge mit der Wissenschaft von der
-Farbe aller Rappen und Schimmel eine angeborene Weisheit.
-Jedoch ist wohl zu beachten, daß sowohl in jeder erworbenen
-Wissenschaft etwas Angeborenes, wie in jeder angeborenen
-etwas Erworbenes steckt, so daß beide Arten ineinanderfließen
-und eine Kategorie bilden.</p>
-
-<p>Im Eingang des siebzehnten Briefes erklärt unser Autor:</p>
-
-<p>Da die Aufgabe der Philosophie in Erforschung der Logik
-aufgeht, aufgeht in der Ergründung des Intellekts und
-seiner Denkkunst, wirst Du, als <em class="gesperrt">in der Sache</em> begründet,
-erkennen, daß meiner Darstellung eine gewisse Systematik
-fehlt; sie hat so recht keinen Anfang und kein Ende, weil
-ihr Objekt, der Intellekt, mit dem Weltganzen verknüpft ist,
-welches eben das Anfang- und Endlose ist, das kein Vor
-und Nach, kein Oben und Unten hat. Jedoch ist leicht zu
-bemerken, daß Denkkunst und Weltweisheit identisch sind.
-Wenn nun auch der allgemeine Zusammenhang für alle Dinge
-und Themata gilt, so gehört seine Erwägung doch speziell
-nur in die Logik, die von allen Denkobjekten summarisch
-handelt. Meine Sache also (die Denkkunst) beginnt überall,
-obgleich sie doch nur eine Spezialität ist.</p>
-
-<p>So knüpft Dietzgen denn an Zitate aus Trendelenburg
-an, um an ihnen die Notwendigkeit gleichzeitigen philosophischen
-und empirischen Denkens darzutun:</p>
-
-<p>»Es bleibt immer der Trieb alles menschlichen Erkennens
-darauf gerichtet, das Wunder der göttlichen Schöpfung durch
-ein nachschaffendes Denken zu lösen. Wenn diese Aufgabe<span class="pagenum"><a id="Seite_102">[102]</a></span>
-im einzelnen begonnen wird, so treibt das Einzelne von selbst
-weiter; denn mit derselben Macht, mit welcher alles aus dem
-Grunde hervorgestiegen, weisen die Dinge rückwärts zu dem
-Grunde wieder hin.«</p>
-
-<p>Diese Zitate geben das Problem, das zu lösen ist: sollen
-wir den Intellekt philosophisch, sollen wir ihn empirisch gebrauchen?
-Man will aus dem Einen und Vielen klug werden,
-welches identisch ist mit der Forschung nach systematischer
-Weltanschauung oder dialektischer Kunst.</p>
-
-<p>Da will zunächst konstatiert sein, daß das Denken in jeder
-Weise, ob philosophisch, ob empirisch, von einer Art, daß in
-beiden Formen dieselbe Sache enthalten ist. Rosen sind andere
-Blumen wie Nelken, doch steckt die Blumennatur in den einen
-wie in den anderen, und so auch die Denknatur gleichmäßig
-in der philosophischen wie empirischen Betrachtungsweise.
-Das Auseinanderhalten ist recht genug, doch darf die Einheit
-nicht verloren gehen.</p>
-
-<p>»Die Philosophen«, heißt es weiter bei Trendelenburg,
-»wollen aus dem Ganzen das Einzelne erkennen; die Empiristen
-durchsuchen das Einzelne in seiner Zerstreuung.«
-Beide Forschungsarten sind verschiedene Exemplare einer
-Gattung, die beide einseitig sind, wenn sie ihren Zusammenhang
-verkennen. Der Empirist, der das Einzelne in der
-Zerstreuung sucht, verfährt philosophisch, wenn er seine
-Einzelforschung als Beitrag zum Ganzen gelten läßt, und
-der Philosoph, der aus dem Ganzen das Einzelne erkennen
-will, verfährt empirisch, wenn er, wie recht, <em class="gesperrt">alles</em> Einzelne
-als Zubehör des Ganzen betrachtet.</p>
-
-<p>Die Philosophen fehlen, wenn sie den Intellekt für den
-einzigen Born der Erkenntnis und Wahrheit halten; er ist
-nur ein Stücklein davon und bedarf zu seiner Ergänzung
-der anderweitigen Welt. Die Empiristen fehlen, wenn sie
-Wahrheit und Erkenntnis einzig in der anderweitigen Welt
-suchen, ohne das geistige Instrument zu beachten, mittels
-dessen sie ihre Schätze heben.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_103">[103]</a></span></p>
-
-<p>Schon der Gedanke, daß etwas sein könnte, was nicht die
-Generalnatur alles Daseins hat, ist kein Gedanke, ist ein
-Gedanke ohne Sinn oder Unsinn. Das Weltganze ist das
-<em class="antiqua">être suprême</em>, von dem wir allerdings nur einen vagen Begriff
-haben. Den detaillierten »rechten« Begriff davon haben
-wir nicht; derselbe erwächst uns jedoch im Verlauf der Wissenschaft,
-kann aber nie vollkommen sein, weil das Detail sich
-in die Puppen verliert und das absolute Sein ein unendliches
-Werden ist.</p>
-
-<p>Und nun Einzelnes? Wir kennen es genauer und doch
-nicht genau, weil auch der kleinste Teil des Unendlichen unendlich
-ist. Atome sind von aller Wissenschaft noch immer
-vergeblich gesucht worden. Was unsere Erkenntnis kennt,
-waren immer Prädikate oder Erscheinungen der Wahrheit.
-Aber wahre Erscheinungen, wovon wir wahre Kenntnis haben.</p>
-
-<p>Die Welt zum Ausfluß des Gedankens machen &ndash; nach
-Hegel &ndash;, ist eine verkehrte Logik; den Intellekt und seine
-Produkte als Attribute des Weltsubjektes erkennen, ist erste
-Bedingung rationeller, demokratischer Denkkunst.</p>
-
-<p>Das Thema wird im achtzehnten Brief fortgesetzt und
-vertieft:</p>
-
-<p>Wichtige Entdeckungen auf naturwissenschaftlichem Gebiet,
-das Wärmeäquivalent von Robert Mayer, die Entstehung
-der Arten von Darwin usw. stimulieren die Sache, so daß
-Naturwissenschaft und Philosophie mit zwei Bergleuten verglichen
-werden könnten, welche von zwei Seiten an einem
-Tunnel graben und dem lichten Durchbruch derart nahe sind,
-daß gespannte Ohren hüben und drüben die Hammerschläge
-pochen und die Werkzeuge krachen hören.</p>
-
-<p>Das Bild hat viel Wahres, aber führt leicht auch zu Mißverständnissen.
-Durch Vivisektion der Frösche und Kaninchen,
-durch Bohren am Gehirn wird die Physiologie <em class="gesperrt">den Geist</em>
-nicht erforschen. Kein Mikroskop und Teleskop wird das Wesen
-von Vernunft und Wahrheit aufdecken oder die Kunst der
-Unterscheidung enthüllen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_104">[104]</a></span></p>
-
-<p>Ebensowenig wird es in der Sprachwissenschaft den Lazar
-Geiger, Max Müller, Steinthal und Noiré gelingen, mittels
-irgendeiner Ursprache »die letzten Fragen alles Wissens« zu
-lösen.</p>
-
-<p>Jedoch soll die werte Mitarbeiterschaft dieser Herren nicht
-bestritten, sondern nur darauf hingewiesen sein, daß der Vergleich
-mit dem Tunnel mächtig hinkt. Von den logischen
-Formen gilt auch, was Marx von den ökonomischen sagt:
-»Bei der Analyse kann weder das Mikroskop dienen, noch
-chemische Reagenzien. Die Abstraktionskraft muß beide ersetzen.«</p>
-
-<p>Die Sache wird zum Durchbruch kommen; aber nicht indem
-jede Partei einseitig vorangräbt, sondern weil die Bergleute
-außer der Arbeitszeit miteinander verkehren und ihre
-Erfahrungen einander mitteilen. Auch verbleiben wohl die
-Philosophen der entscheidende Teil, da sie die Spezialisten
-in der Logik und als solche bereit sind, alles, was dem
-Werke dient, zu verwenden, von welcher Seite immer es
-sich darbieten mag. Die andere Partei dagegen hat ihre
-aparten Spezialitäten und fördert die Logik mehr nebensächlich
-und unwillkürlich.</p>
-
-<p>Dietzgen bespricht im Anschluß hieran den naturwissenschaftlichen
-»Monismus« seiner Zeit, der zum Teil noch in
-unserer sich breit macht, wie den von Noiré, der im Grunde
-ein unklarer Dualist war, indem er »Bewegung und Empfindung«
-für die einzig wahren Attribute der Welt erklärte,
-ohne zu erkennen, daß die Empfindung doch nur eine Art
-der Bewegung ist.</p>
-
-<p>In der »Einleitung und Begründung einer monistischen
-Erkenntnistheorie«, bemerkt Noiré mit höhnischem Akzent,
-»daß er nicht in der Lage sei, neuen Aufschluß über das
-Absolute zu geben«.</p>
-
-<p>Der naturwissenschaftliche Monismus hat vom Universum
-einen viel zu beschränkten Begriff. Mit seinem »alles ist
-Bewegung« ist sowenig und soviel gesagt wie mit dem<span class="pagenum"><a id="Seite_105">[105]</a></span>
-Salomonischen »alles ist eitel«. Alles ist krumm und gerad,
-alles groß und klein, alles zeitlich und ewig, alles Wahrheit
-und Leben. Aber wie nun der Unterschied in die Welt,
-wie Ruhe in die Bewegung, Verstand in den Unverstand
-kommt, davon ist nichts gesagt.</p>
-
-<p>Um das Unterscheiden logisch zu praktizieren, will gewußt
-sein, daß das All, das Universum oder <em class="gesperrt">Absolute</em> die Ursache
-seiner selbst und der Urgrund aller Dinge ist, welcher
-alle Unterschiede, auch den der Kausalität und den zwischen
-Geist und Natur, »aufgehoben in sich enthält«.</p>
-
-<p>Der Begriff des <em class="gesperrt">Absoluten</em> oder des Weltganzen wird
-nun im neunzehnten Brief erörtert:</p>
-
-<p>Das Weltganze ist ein landläufiger Begriff, der jedem
-bekannt und wovon scheinbar wenig zu sagen bleibt. In
-der Tat ist es der Begriff aller Begriffe, das Wesen aller
-Wesen, die Ursache seiner selbst, das keine fremde Ursache
-und kein fremdes Wesen neben sich hat. Durch Erwägung,
-wie unablässig die Menschheit <em class="gesperrt">außer</em> der Welt eine Weltursache,
-einen Weltanfang und eine überschwengliche Wahrheit
-gesucht hat, muß Dir einleuchten, daß sie den Begriff
-des Weltganzen nicht erfaßt, das Universum nicht begriffen
-hat, und ist dann der Nachweis, daß es die Ursache aller
-Ursachen, Anfang aller Anfänge und Wahrheit aller Wahrheiten
-ist, nicht gerade eine überflüssige Arbeit.</p>
-
-<p>Ich behaupte, die Kenntnis des menschlichen Begriffsvermögens
-und die Kunst seiner Verwendung sind untrennbar
-vom Weltbegriff. Nicht so, als dürfe innerer Geist und äußere
-Welt nicht unterschieden werden, sondern es sind beide nur
-als formelle Unterschiede des <em class="gesperrt">wesentlich</em> Ununterschiedenen,
-des absoluten Weltganzen zu fassen.</p>
-
-<p>Das Universum begreifen, heißt sich Klarheit verschaffen,
-wie dies Wesen aller Wesen keinen Anfang, keine Ursache,
-keine Wahrheit und keine <em class="gesperrt">Vernunft außer und neben
-sich, sondern alles in und bei sich</em> hat. Das Universum
-begreifen, heißt erkennen, daß man die sogenannten<span class="pagenum"><a id="Seite_106">[106]</a></span>
-logisch-metaphysischen Kategorien, wie Anfang und Ende,
-Ursache und Wirkung, Sein und Nichtsein usw., unlogisch
-anwendet, den Intellekt mißbraucht und durchaus unerbaulich
-wird, wenn man damit über die weltliche Unendlichkeit
-hinausfährt ins Überschwengliche.</p>
-
-<p>Um Dir also Sinn, universellen Sinn anzueignen, wirst
-Du Dich um die Erkenntnis bemühen, wie das Universum
-alles Relative einschließt, während es im ganzen das Absolute
-oder die erbauliche Gottheit verkörpert.</p>
-
-<p>Und der Begriff des Absoluten als des Weltganzen involviert,
-daß mit solchen Dingen, die man Gegensätze und
-Widersprüche nennt, es sich ganz anders verhält, als die
-Logik der Götzendiener wähnt und doziert. Daß Seele und
-Leib, Wahrheit und Irrtum, Leben und Tod usw. nicht
-unvereinbare Antipoden sind, die sich abstoßen. Diese Lehre
-vom Satze des Widerspruchs ist eine ganz beschränkte Kirchturmsweisheit,
-welche statt Klärung nur Wirrsal in die
-Köpfe bringt. Gewiß ist das Tote vom Lebendigen, das Vergängliche
-vom Ewigen, schwarz und weiß, krumm und gerad,
-groß und klein verschieden und entgegengesetzt. Aber auch
-das Allerentgegengesetzte und Widersprechendste geht ebenso
-leicht in eine Gattung, Familie oder Art hinein wie Zwillinge
-in einen Mutterschoß. Was Männchen und Weibchen
-nicht hindert, in einem Neste zu hocken, hindert auch die
-krasseste Verschiedenheit nicht, trotz der Entzweiung zugleich
-eins und dasselbe, das heißt zwei Stücke von einem Kaliber
-zu sein.</p>
-
-<p>Und wolltest Du gegen die Wahrheit des absolut vollkommenen
-Weltwesens einwenden, daß es mit dieser Vollkommenheit
-nicht weit her sei, wegen der vielen handgreiflichen
-Unvollkommenheiten, die anhängen, so würde ich bitten,
-nicht spitzfindig zu sein, sondern gesunden Sinnes anerkennen
-zu wollen, daß die Weltmängel so logisch zur Vollkommenheit
-gehören wie die bösen Begierden zur Tugend, die eben
-erst durch die Probe der Überwindung zur Tugend wird.<span class="pagenum"><a id="Seite_107">[107]</a></span>
-Der Begriff einer Vollkommenheit, die nicht das Unvollkommene
-zu überwinden hätte, wäre ein läppischer Begriff.</p>
-
-<p>Hieran schließt sich nun, im zwanzigsten Brief, eine Erörterung
-des <em class="gesperrt">Begriffs</em> des Absoluten, der zur logischen
-Erkenntnis unumgänglich ist:</p>
-
-<p>Der Begriff Weißkohl und Kohl schlechthin, der Gemüse-
-und Pflanzenbegriff usw. sind, wenn auch Spezial-, doch
-zugleich Generalbegriffe; sie sind das eine wie andere nur
-relativ. Gegenüber den verschiedenen Kohlarten, die er einschließt,
-ist der Kohlbegriff generell oder abstrakt; gegenüber
-dem Gemüsebegriff ist er speziell und konkret. Und so steht
-es mit allen Begriffen, sie sind konkret und abstrakt zugleich;
-nur der letzte, der Weltbegriff ist weder konkret noch abstrakt,
-sondern <em class="gesperrt">absolut</em>; er ist der Begriff des <em class="gesperrt">Absoluten</em>.</p>
-
-<p>Der absolute Weltbegriff besteht zunächst aus zwei Teilen,
-aus der Welt und dem Begriff. So besteht das Wasser aus
-zwei Stoffen, deren jeder für sich ganz eigentümlich und
-kein Wasser ist. <em class="antiqua">Ergo</em> ist der Weltbegriff ein weit erhabeneres
-Subjekt als alle Teile, aus denen er besteht. Um diesen Punkt
-vor die Augen zu rücken, mag ich das aus Welt und Begriff
-zusammengesetzte Subjekt mit einem besonderen Titel ehren,
-es »Universum« nennen, damit es so von seinen Elementen
-namentlich getrennt sei.</p>
-
-<p>Ich erkläre jetzt, ohne daß ein Sophist das Wort verdrehen
-kann, daß der weltumfassende Gedanke oder das
-Universum das Absolute ist, welches alles und alles einschließt,
-während Welt und Begriff als gesonderte Teile
-nur Einteilungen oder Relatives darstellen.</p>
-
-<p>Wir wollen den Gedanken erkennen, aber nicht den leeren,
-sondern den universellen weltumfassenden Gedanken, den
-Gedanken im philosophischen Sinne, wo es kein bloßer Gedanke,
-sondern die lebendige Wahrheit, das Universum,
-Absolute oder Allerhöchste ist.</p>
-
-<p>Der absolute Begriff ist der Begriff des Absoluten, des
-Allerhöchsten; davon gilt nicht nur alles Wahre, Schöne<span class="pagenum"><a id="Seite_108">[108]</a></span>
-und Gute, was man dem lieben Gott nachsagt, er ist auch
-dasjenige Wesen, welches allem Denken die erforderliche
-Logik, Halt und Gestalt gibt.</p>
-
-<p>Wie die menschlichen Handlungen <span id="corr108">ihre</span> wahre Begründung
-nicht im <em class="gesperrt">nächsten</em> Zweck, sondern im <em class="gesperrt">allgemeinsten</em>, im
-Wohlergehen, und als sittliche Handlungen ihre Berechtigung
-nur aus dem menschlichen Gesamtheil schöpfen, so
-finden alle Weltdinge ihre Begründung nicht in der nächsten
-Umgegend, sondern im unendlich weiten Universum. Nicht
-der in die Erde gelegte Samenkeim ist, wie der Bauer denkt,
-die Ursache, daß das Pflänzchen sprießt und wächst und
-grünt, sondern Erde, Sonne, Wind und Wetter, kurz die
-ganze Natur gehört dazu, welche letztere den Samenkern
-einschließt.</p>
-
-<p>Wenden wir diese Einsicht auf unser Spezialobjekt, auf
-das Denkvermögen an, so ist dasselbe kein menschlich beschränktes,
-allerdings auch kein überschwengliches, sondern
-ein kosmisches Universalvermögen. Wenn Du jetzt den Begriff
-des Absoluten erfaßt hast, verstehst Du die Göttersprache
-und verstehst, wie der Intellekt für sich allein ein
-wichtiges Partikelchen, aber im Zusammenhang mit dem
-Universum ein universeller absoluter Bestandteil, ein Bestandteil
-des Absoluten ist.</p>
-
-<p>Wie das Auge Gesichtsinstrument, ist der Intellekt Begriffsinstrument.
-Wie Brillen und Gläser Gesichtsmittel des
-Auges, so sind Sinne, Erfahrungen, Experimente Begriffsmittel
-des Intellekts.</p>
-
-<p>Man weiß, daß Augen, die um die Ecke, durch ein Brett
-oder Nelkenduft sehen wollen, so unverständig sind wie
-schwarze Schimmel. Daß wir das Unsichtbare nicht sehen
-können, hindert unsere Augen nicht, ein universales Instrument
-zu sein, welches alles (alles Sichtbare) sehen kann.</p>
-
-<p>Sofern das, ist Dir auch die Professorenweisheit klar,
-welche zerknirscht, wie die Methodisten, auf dem Bauche
-liegt und wie diese O Herr! O Herr! so <em class="antiqua">à la</em> Du Bois-Reymond:<span class="pagenum"><a id="Seite_109">[109]</a></span>
-»<em class="antiqua">Ignorabimus</em>« ruft. Allerdings ist der Menschengeist
-ein Ignorant in dem Sinne, daß er beständig lernt,
-da in der Natur ihm ein unerschöpflich Material vorliegt.
-Auch ist an jedem Naturstückchen etwas Unbegreifliches, wie
-an jeder Nelke etwas Unsichtbares. Die relative Beschränktheit
-und Unbeschränktheit der Vernunft wird nur durch den
-Begriff des Absoluten verständlich.</p>
-
-<p>Die letzten vier Stücke (21 bis 24) sind eine Zusammenfassung
-des bisherigen Entwicklungsganges der Erkenntnislehre
-und enthalten ihre Nutzanwendung. Brief 21 beginnt:</p>
-
-<p>Die demokratische proletarische Volkslogik forscht nach dem
-<em class="gesperrt">Allerhöchsten</em>. Das Volk weiß, es muß dienen, aber fragt
-sich, wem? Dem Baal oder dem Nabuchodonossor? Wo,
-wer, was ist das Allerhöchste, dem sich alles unterordnet,
-das System, Konsequenz, Logik in unser Denken und Handeln
-bringt? Zunächst fragt sich noch: Auf welchem Wege
-kommen wir zu seiner <em class="gesperrt">Erkenntnis</em>? Da mit keiner überschwenglichen
-Offenbarung gedient ist, bleiben nur zwei
-Wege: <em class="gesperrt">Vernunft</em> und <em class="gesperrt">Erfahrung</em>.</p>
-
-<p>Es ist nun der Fehler der landläufigen Denkweise, daß
-man aus diesen Wegen <em class="gesperrt">zwei</em> macht, während es in der Tat
-nur eine, die gemeine Straße ist, welche mittels erfahrungsmäßiger
-Vernunft oder vernunftmäßiger Erfahrung dahin
-führt, wo wir erkennen, wie das Allerhöchste, dem alles
-dient, nichts Besonderes, kein Teil oder Partikel, sondern
-das Universum selbst mit allen Teilen ist.</p>
-
-<p>Sokrates und seine Schule wandelten den aparten Weg
-der Vernunft, um das Allerhöchste, das Wahre, Gute, Schöne,
-wie sie es nannten, zu suchen. Die platonischen Dialoge
-wissen es überaus prächtig ins Licht zu setzen, daß nicht
-Gesundheit, nicht Reichtum, nicht Tapferkeit noch Frömmigkeit
-»der Güter Höchstes«, sondern wie es bei allen Dingen
-nur auf die Einsicht, nur auf den Gebrauch ankomme, den
-der Mensch davon macht. Je nachdem sind sie bald gut,
-bald schlecht, es sind nur relative Güter. Liebe und Treue,<span class="pagenum"><a id="Seite_110">[110]</a></span>
-Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit sind wohl gut, aber nicht das
-Gute; sie haben nur »teil daran«. Man sucht nach dem,
-was unter allen Umständen absolut gut, wahr und schön ist.</p>
-
-<p>So finden denn die Sokratiker heraus, daß nur die Einsicht
-oder <em class="gesperrt">der Intellekt</em> die Umstände ermitteln könne, die
-zum Absoluten führen.</p>
-
-<p>Aus der alten Philosophie ist endlich nach mehr als zweitausendjähriger
-Vermittlung durch Zwischenglieder die heutige
-demokratisch-proletarische Logik entstanden, welche erkennt,
-daß die Vernunft ein Instrument ist, das zum Allerhöchsten
-führt, unter der Bedingung, daß sie nicht grübelt, sondern
-aus sich herausgeht und mit <em class="gesperrt">aller Welt</em> sich verbindet.
-Solche Verbindung ist eben das Allerhöchste, die unvergängliche,
-ewige Wahrheit, Güte, Schönheit und Vernunft. Alle
-anderen Dinge haben, platonisch zu reden, »nur teil daran«.</p>
-
-<p>Wenn auch vielfach noch mit phantastischem Anhängsel
-behaftet, waren die Sokratiker doch auf dem besten Wege
-zur wahren Logik, indem weder Gesundheit noch Reichtum,
-noch irgendein anderes Gut oder Tugend ihnen genügte, da
-sie nicht die wahren Erscheinungen, sondern die Wahrheit
-selbst zu kennen begehrten. Sie, die Wahrheit, ist das Universum,
-und muß der Mensch sie als solche, als die alleinige
-kennen, um seine Vernunft vernünftig gebrauchen zu können,
-vernünftig im höchsten, klassischen Sinne des Wortes.</p>
-
-<p>Plato und Aristoteles haben ganz vorzüglich daran gearbeitet.
-Auch die neueren Philosophen, Cartesius, Spinoza,
-Kant. Haupthindernis für alle war das hartnäckige Vorurteil,
-daß der Mensch die Vernunft im Kopfe habe. Wenn
-er auch dergleichen hat, dann ist es doch nicht die vernünftige
-Vernunft. Der im Hirnkasten eingeschlossene Intellekt
-hat nicht, wie die Alten wähnen, die Weisheit bei sich; letztere
-kann deshalb auch nicht durch Grübeln geschöpft werden.</p>
-
-<p>Du wirst den Ausdruck »grübeln« nicht mißverstehen. Ich
-bin kein Gegner sinnigen Nachdenkens, sondern will nur aufmerksam
-machen, wie man auf den verkehrten Weg geraten<span class="pagenum"><a id="Seite_111">[111]</a></span>
-ist, das Denken vom Sehen, Hören, Fühlen, den Geist vom
-Körper zu trennen. Wie die Christen das Heil außer dem
-Fleische, so suchten die Philosophen die Vernunft oder Erkenntnis
-außer dem Zusammenhang mit der anderweitigen
-Welt, außerhalb der Erfahrung. Besonders die Forschung
-nach der Beschaffenheit des Intellekts glaubte in sich kriechen
-zu müssen.</p>
-
-<p>Dabei ist zu erwägen, daß die Sokratiker, welche das Absolute
-unter dem Namen des Guten suchten, insofern beschränkt
-waren, als sie dasselbe nur von der moralischen,
-spezifisch menschlichen Seite erfaßten und nicht zuletzt auch
-von der <em class="gesperrt">kosmischen</em>. Wie Gesundheit und Reichtum zusammengehören,
-und auch das noch viel zu wenig ist für
-das Menschenheil, wie dazu alle sozialen und politischen
-Tugenden erfordert sind, so steckt das Gute noch nicht im
-Zusammenhang aller Menschen, sondern geht darüber hinaus
-und hängt mit <em class="gesperrt">aller Welt</em> zusammen. Ohne letztere ist der
-Mensch nichtig. Er hat keine Augen ohne Licht, keine Ohren
-ohne Geräppel, keine Moral ohne Physik. Der Mensch ist
-nicht so sehr das Maß aller Dinge, als vielmehr sein mehr
-oder minder großer und intimer Zusammenhang mit allen
-Dingen das Maß aller Menschlichkeit ist. Nicht die beschränkte
-Moralität, sondern das Universum, das Allerhöchste, ist das
-Gute im allerhöchsten Sinne des Wortes, ist das absolute
-Gut, Recht, Wahrheit und Vernunft.</p>
-
-<p>Die absolute Ein-Natur alles Daseins ist die unbedingte
-Grundlage einer verständigen Vernunftanwendung.</p>
-
-<p>Unsere Volkslogik ist tolerant und nicht fanatisch. Die
-Volkslogik will nicht vernünftig sein ohne Leidenschaft, aber
-auch nicht leidenschaftlich ohne Vernunft. Sie hebt nicht den
-Unterschied auf zwischen Freund und Feind, zwischen Wahrheit
-und Lug, zwischen Verstand und Unverstand, sondern
-beschwichtigt den Fanatismus, der das Unterscheiden übertreibt.
-Sie stellt den Lehrsatz an ihre Spitze: Es gibt nur
-<em class="gesperrt">ein</em> Absolutes, das Welt<em class="gesperrt">all</em>.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_112">[112]</a></span></p>
-
-<p>Halte wohl fest, daß der Begriff eines Weltalls, das
-irgend etwas außer oder neben sich hat, womöglich ein noch
-verrückterer Begriff ist wie ein hölzernes Eisen. Daran erkennst
-Du zugleich, wie alle Verschiedenheit eine gemeinschaftliche
-Natur hat, welche nicht zuläßt, daß der Unterschied
-zwischen zwei Dingen oder Meinungen überschwenglich
-groß sei. Weil das Universum das einzige höchste Wesen
-ist, darum sind alle Unterschiede, auch alle Meinungsunterschiede
-höchst unwesentlich.</p>
-
-<p>Und nun kommt die Moral von der Geschichte. Die Menschenvernunft,
-das Spezialobjekt der logischen Forschung, partizipiert
-am Generalwesen; sie ist kein Wesen für sich; als
-isoliertes Wesen ist sie durchaus nichtig und unvermögend,
-irgendeine Erkenntnis zu produzieren. Nur im Zusammenhang,
-nicht nur mit dem materiellen Gehirn, sondern mit
-dem Universum überhaupt ist der Intellekt lebens- und arbeitsfähig.
-Nicht das Gehirn denkt, sondern der ganze Mensch
-gehört dazu; und nicht nur der Mensch, sondern der Universalzusammenhang
-ist zum Denken erfordert. Die Vernunft
-offenbart keine Wahrheit. Die Wahrheiten, welche sich uns
-<em class="gesperrt">mittels</em> der Vernunft offenbaren, sind Offenbarungen des
-Generalwesens, des Absoluten.</p>
-
-<p>Sokrates zeigt, daß er nur noch einen beschränkten, einen
-anthropomorphistischen und keinen kosmischen Begriff vom
-»Besten und Guten« und von der Vernunft hat. Er war
-von dem Vorurteil beherrscht, von dem die unkultivierten
-Gottgläubigen noch immer beherrscht sind, daß die Vernunft
-älter sei als die übrige Welt, daß sie der herrschende und
-vorausgegangene Planmacher sei. <em class="gesperrt">Unsere</em> Vernunftlehre dagegen
-kennt den Geist, den wir im Kopfe haben, nur als
-Ausfluß des Weltgeistes. Letzteren jedoch darfst Du nicht
-als nebulöses Ungetüm, nicht als Monstergeist, sondern als
-das leibliche Universum erkennen, welches trotz allem Wechsel
-und aller Variation ewig eins, wahr, gut, vernünftig, das
-Allerwirklichste und Allerhöchste ist.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_113">[113]</a></span></p>
-
-<p>Nachdem das glänzende Dreigestirn Sokrates &ndash; Plato &ndash;
-Aristoteles erloschen, hüllte sich der philosophische Himmel in
-dunkle Wolken. Die Heiden traten von der Bühne ab, und
-das Christentum und die Dogmen seiner Kirche beherrschten
-die Logik der Menschen, bis endlich am Anfang der neueren
-Zeit hin und wieder ein wissenschaftliches Lichtlein aufgeht.
-Namentlich sind es <em class="gesperrt">Cartesius</em> und <em class="gesperrt">Spinoza</em>, die unter
-den ersten leuchtend auftreten, die ihren Geist natürlich nur
-schwer und relativ zu emanzipieren vermögen. Spinoza ist
-in seinem Kampfe wider den beschränkten und für den universellen
-Geist besonders interessant.</p>
-
-<p>Das wahre, höchste und beständige Gut entdeckt Spinoza
-in der »Erkenntnis der Einheit«, in der die Seele sich mit
-der ganzen Natur befindet. »Dies ist also«, sagt er weiter,
-»das Ziel, nach dem ich strebe&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Zu diesem Zwecke hat man sich der Moral, Philosophie
-und der Lehre von der Erziehung der Knaben zu befleißigen
-und damit die ganze Arzneiwissenschaft zu verbinden, weil
-die Gesundheit wesentlich zur Erreichung dieses Zieles beiträgt.
-Auch die Mechanik darf nicht übergangen werden, weil
-vieles Schwere durch die Kunst leicht gemacht wird. <em class="gesperrt">Vor
-allem aber ist ein Weg zur Verbesserung des Verstandes
-aufzusuchen.</em>«</p>
-
-<p>Da sind wir denn wiederum beim Angelpunkt unseres
-Themas angekommen. Wer, was ist der Intellekt, wo kommt
-er her, wo führt er hin? Antwort: Er ist ein Licht, das
-nicht in sich hinein, sondern aus sich heraus die ganze Welt
-beleuchtet. Darum ist die Wissenschaft, welche das Denkvermögen
-zum Gegenstand hat, wenn auch eine beschränkte,
-dennoch eine universelle Disziplin oder universelle Weltweisheit.</p>
-
-<p>Wenn <em class="gesperrt">Sokrates</em> nach der Tugend und nach dem »Besten«
-und Spinoza nach steter und höchster Heiterkeit sucht, und
-solche Weisheit nur auf den engeren Kreis menschlichen Getriebes
-ausgeht, sich also zur kosmischen Welt noch nicht so<span class="pagenum"><a id="Seite_114">[114]</a></span>
-recht erhoben hat, so laß Dich das nicht beirren. Das Mittel
-und das Instrument, mit dem sie zum Zwecke streben, ist
-der Intellekt. Es liegt nahe, daß die intellektuelle Forschung
-zur Erforschung des Intellekts führen mußte, zur »Verbesserung
-des Verstandes«, zur »Kritik der Vernunft«, zur
-»Logik« und so schließlich zu der Erkenntnis, daß das Denkvermögen
-ein unabtrennbarer Teil des monistischen Weltalls,
-des Absoluten ist, welches letztere allem Denken Halt,
-Sinn und Verstand gibt.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Über die aus fünfzehn Briefen bestehende (1883 bis 1884
-verfaßte) zweite Serie der »Logischen Briefe« ist an dieser
-Stelle nur zu sagen, daß sie eine Kritik von Henry Georges
-»Fortschritt und Armut« ist, des in der ersten Hälfte der achtziger
-Jahre von den Gebildeten aller Nationen am meisten
-gelesenen populär-nationalökonomischen Buches, das noch
-heute die Bibel der Singletax-Ideologen genannt werden
-darf, das heißt der politischen Theoretiker, die den Schäden
-des Kapitalismus durch eine »einzige Steuer« (auf den Bodenwert)
-beizukommen wähnen. Dietzgen schrieb diese Kritik des
-Henry George, um seinem Sohne, und den späteren Lesern,
-Einblick in die politische Ökonomie zu verschaffen, ihn hierbei
-in die Marxsche Theorie einzuführen und gleichzeitig »die
-veritable Logik zu demonstrieren«.</p>
-
-<p>Der erste Teil meiner Briefe, sagt er, erläuterte die Logik
-am menschlichen Geiste; der zweite Teil soll sie an der menschlichen
-Arbeit erläutern. Der Geist oder die Denktätigkeit ist
-das allgemeine Gebiet, welches nicht nur mit allem, was
-menschlich, sondern mit dem Universum zusammenhängt. Das
-Objekt dieses zweiten Teiles, die Arbeit, ist nicht minder universell
-und in ihrem kosmischen Zusammenhang ein vorzügliches
-Erläuterungsmittel unserer Spezialität, der Kopfarbeit.</p>
-
-<p>Weiter bemerkt er: Die Quintessenz aller Denkkunst ist der
-Einheitsbegriff, der Begriff, wie es barer Unsinn ist, sich mit<span class="pagenum"><a id="Seite_115">[115]</a></span>
-der Meinung zu tragen, daß es zwei unterschiedene Dinge
-geben könne, die nicht zugleich gemeinschaftlicher Natur seien.
-Diesen Begriff von der Einheit aller Differenz hat Henry
-George nicht erfaßt. Er bringt deshalb Differenzen in die
-politische Ökonomie, die der Auflösung bedürfen. Ich stelle
-mir also die Aufgabe, nachzuweisen, daß nicht im ökonomischen
-Sachverhalt, sondern in der Anschauung des Autors
-von »Fortschritt und Armut« Widersprüche oder Differenzen
-enthalten sind, die mit Hilfe besserer Logik leicht zu ordnen.</p>
-
-<p>Die Ökonomie handelt von der Erzeugung und Verteilung
-des Reichtums. Der wesentlichste Produzent oder Hauptfaktor
-desselben ist die menschliche Arbeit. Daß diese Arbeit
-nicht in der Luft hängt, sondern mit zwei Beinen auf der
-Erde steht, daß sie nicht arbeiten kann ohne Gegenstände,
-Materialien, Mittel und Werkzeuge, ist selbstverständlich.
-Wenn jemand lehrt, die Arbeit ist der Schöpfer des Reichtums,
-und es kommt ein anderer mit: »Nein! Die Arbeit
-kann nichts schaffen, wenn nicht die Natur und ihre Reichtümer
-schon vorhanden sind«, so ist klar, wie dieser andere
-nur behauptet, was niemand bestreitet.</p>
-
-<p>Nachdem wir ein für allemal wissen, daß es in der Welt
-nichts Besonderes gibt, welches absolut ist, wenn wir wissen,
-wie das Absolute ein Name für das All oder Universum
-ist, welches gleich dem lieben Gott keinen neben sich hat,
-dann wissen wir auch, daß die Arbeit nur relativ »schaffen«,
-nur in Verbindung mit den Materialien der Natur und den
-Errungenschaften der Geschichte Reichtümer zeugen kann.</p>
-
-<p>Es ist dies der Kernpunkt, weshalb ich mit dem Verfasser
-von »Fortschritt und Armut« hadere. Dieser ist Gegner des
-Satzes: Arbeit allein schafft Reichtümer. Er behauptet, die
-Natur, die den sauren Wein mit der Zeit süß und aus dem
-Kalb eine Kuh macht (3. Kapitel, 3. Buch), arbeite mit. Das
-bestreiten wir nicht; wir widerstreiten nur, daß Kapitalien,
-die von Natur aus »mitarbeiten«, deshalb auch von Natur
-aus berufen sind, an den Früchten der Arbeit zu partizipieren.<span class="pagenum"><a id="Seite_116">[116]</a></span>
-Der Streit um die Erzeugung der Reichtümer ist in
-der Tat nur ein Streit um ihre Verteilung.</p>
-
-<p>Der bisherige Fortschritt in der Kunst, Reichtümer zu zeugen,
-ist zugleich ein Fortschritt in der Armut der arbeitenden
-Klasse. Das Büchlein zeigt dies so deutlich und mannigfaltig,
-daß darüber kein Wort weiter zu verlieren ist. Wenn
-auch der Arbeiter des neunzehnten Jahrhunderts ebenso gut
-und wenn er auch besser genährt ist als der des achtzehnten,
-siebzehnten und sechzehnten, so ist doch evidentermaßen sein
-Anteil am Arbeitsertrag viel kleiner. Es handelt sich darum,
-diesem Widerspruch zu steuern. Henry George ist ein Parteigänger
-der irischen Landliga, welche sich mit der Hoffnung
-trägt, die Verwandlung des Grund und Bodens in Gemeineigentum
-würde die »soziale Frage« lösen.</p>
-
-<p>Die ebenso lehrreiche wie interessante Polemik Dietzgens
-gegen George im einzelnen gehört aber, da sie keine theoretische,
-sondern angewandte Logik ist, nicht in den Rahmen
-dieses Buches. Wer durch die vorliegende Darstellung der
-Lehre und Weltanschauung Josef Dietzgens sich angeregt
-fühlt, der »Logischen Briefe« ersten Teil in der Gesamtausgabe
-zu lesen, wird sicherlich auch dem zweiten Teil sein
-Interesse zuwenden, selbst wenn er noch jenseits des Marxschen
-Sozialismus seinen Standpunkt hat. Denn auch bei
-Behandlung von Fragen der politischen Ökonomie bekundet
-unser Autor seine Originalität und zeigt uns Gesichtspunkte
-wie kein anderer marxistischer Sozialist, Karl Marx selbst
-eingeschlossen, von dem Dietzgen seine Ökonomie fertig übernommen
-zu haben mehrfach freudig bekennt.</p>
-
-<p>Hier ein Beispiel. Dietzgen sagt im dritten Brief der zweiten
-Serie:</p>
-
-<p>Bekanntlich wird von der Naturwissenschaft alles auf Bewegung
-reduziert. Licht, Töne, Wärme, Stoff und Kraft,
-alles ist Bewegung. So berechtigt sie dazu ist, so berechtigt
-ist die Ökonomie, alles als Arbeit zu fassen. Alles ist Bewegung,
-alles ist Arbeit. Auch ist alles Natur. Alles ist das<span class="pagenum"><a id="Seite_117">[117]</a></span>
-All oder Universum, wovon jeder Teil universell ist, jeder
-Teil die Generalnatur des Ganzen und das Ganze die Generalnatur
-eines jeden Teiles hat. Der Begriff des Universums
-ist der Kardinalbegriff der Logik. Es, das Universum, ist
-der Inbegriff aller Dinge. Das Unterabteilen oder Unterscheiden
-der universellen Einheit ist der logische Springpunkt.
-Er lehrt: Du sollst keinen Unterschied übergroß machen, Du
-sollst keinen überschwenglichen, keinen metaphysischen Unterschied
-glauben. Alles ist unterschieden, aber nur so mäßig,
-daß die Natur von allem in allem enthalten, daß, burschikos
-ausgedrückt, alles ein einziger Schwamm ist, im Verstand
-auch Unverstand und im Unverstand immer noch Verstand
-steckt.</p>
-
-<p>Also in solchem Sinne ist die ganze Welt eine Arbeit und
-die menschliche nur ein spezieller Teil der universalen. Es
-wäre logische Beschränktheit, das Objekt der Ökonomie nicht
-bis »in die Puppen« generalisieren zu wollen; es wäre konfus,
-bei solcher Generalisation es bewenden zu lassen und nicht
-zur Unterabteilung, nicht zur Spezifikation fortzuschreiten.
-Die menschliche Arbeit ist eine Unterabteilung, die wieder
-untergeteilt ist in urwüchsig kommunistische Arbeit, Sklavenarbeit,
-Fronarbeit und Lohnarbeit. Letztere ist derjenige partikuläre
-Teil, der uns speziell interessiert, den ich, der Logik
-wegen, Dir im Zusammenhang mit dem Universum zeige.</p>
-
-<p>Die Arbeit der Konkurrenzgesellschaft teilt sich &ndash; in freie
-Arbeit, die sich selbst lohnt und meist von Nichtstuern geleistet
-wird, und in &ndash; »freie Arbeit« (mit Gänsefüßchen),
-die sich nicht lohnt, sondern gelohnt wird und Lohnarbeit
-heißt.</p>
-
-<p>Daß so von der Arbeit, die sich selbst lohnt, gesagt wird,
-sie sei verrichtet von Nichtstuern,<a id="FNAnker_13_13"></a><a href="#Fussnote_13_13" class="fnanchor">[13]</a> klingt paradox und ist doch<span class="pagenum"><a id="Seite_118">[118]</a></span>
-verständlich, wenn Du aufmerkst, wie vom Ertrag der nationalen
-Arbeit die effektiven Arbeiter für den Kopf einen
-erbärmlichen und die Industrieritter einen solch riesigen Anteil
-davontragen.</p>
-
-<p>Zunächst jedoch laß uns absehen von den Unterabteilungen
-der Konkurrenzarbeit und im Auge behalten, daß sie mit aller
-menschlichen Arbeit und mit der Natur zusammenhängt, davon
-Teil oder Abteilung ist. Es ist das besonders um deswegen
-hervorzuheben, weil ökonomische Konfusionsräte, wenn später
-vom Werte die Rede ist, diesen natürlichen Zusammenhang
-als Mittel brauchen, um unsere Werttheorie konfus zu machen,
-welche namentlich von Marx in glänzender Weise klargelegt
-wurde.</p>
-
-<p>Arbeit schafft Produkte. Naturarbeit schafft wildwachsende
-Bäume, Gräser, Sonnenstrahlen und andere kostenlose Dinge,
-während Menschenarbeit &ndash; natürlich mit Hilfe der Natur &ndash;
-kostenreiche Produkte schafft. So gibt es denn keine reinen
-menschlichen Arbeitsprodukte, sondern all unsere Arbeit muß
-sich mit dem Naturmaterial gleichsam chemisch verbinden.
-Derart gewinnt die menschliche Arbeit materielle Form und
-läßt sich aufspeichern. Aufgespeicherte Arbeit nimmt in der
-Ökonomie einen hohen Rang ein, besonders weil sie als
-Mittel dient, die lebendige Arbeit immer ergiebiger zu machen.</p>
-
-<p>Die Einteilung der menschlichen Arbeit in gegenwärtige,
-lebendige und in vergangene, tote, aufgespeicherte Arbeit ist<span class="pagenum"><a id="Seite_119">[119]</a></span>
-eine logische Operation, die zur ökonomischen Erhellung dient.
-Die tote Arbeit liegt nicht nur in materiellen Stücken umher,
-sondern hat auch geistige Formen. Die Errungenschaft
-an größerer Einsicht in den Naturprozeß, die verbesserten
-Arbeitsmethoden usw. usw. sind alle aufgespeicherte Arbeit.
-Du darfst nicht glauben, daß zwischen geistiger und körperlicher
-Arbeit kein Unterschied sei, aber auch nicht glauben,
-derselbe sei so exakt, daß man irgendein materielles Stück
-Arbeit haben könne, das nicht mit dem Geiste verquickt, oder
-irgendeine intellektuelle Einsicht, die nicht stofflich geworden.
-Nicht nur Papier und Druckerschwärze, auch alle Instruktionen,
-welche der Meister dem Lehrling mündlich erteilt,
-sind aufgespeicherte Arbeiten unserer Vorfahren.</p>
-
-<p>Meine Logik, die in der ersten Serie den Zusammenhang
-von Geist und Bein behandelte, handelt in diesem zweiten
-Teile vom geistigen und körperlichen und anderweitigen Arbeitszusammenhang,
-den sie in Gattungen und Arten, in
-Abteilungen und Unterabteilungen trennt und teilt, um das
-Ganze als ein Ungeteiltes darzustellen.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_120">[120]</a></span></p>
-
-<h2 id="IX">IX.<br />
-Erkenntnistheoretische Streifzüge.</h2>
-</div>
-
-<p>Die »Streifzüge eines Sozialisten in das Gebiet der Erkenntnistheorie«
-(Chicago 1886) erschienen zuerst in der
-»Sozialdemokratischen Bibliothek« (Hottingen-Zürich 1887).
-Genaue Kenntnis des »Wesens der menschlichen Kopfarbeit«
-und der »Logischen Briefe« erster Teil ist unbedingtes Erfordernis
-zu leichtem Verständnis und vollem Genuß dieser
-Schrift.</p>
-
-<p>Der erste Abschnitt behandelt die Frage, ob wir <em class="gesperrt">alles</em>
-erkennen können? Der Autor wählt als Überschrift dieses
-Abschnitts den »oft zitierten Dichterspruch«: »Ins Innere
-der Natur dringt kein erschaffener Geist.«</p>
-
-<p>Vollständig lautet das Zitat:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Ins Innere der Natur &ndash; Dringt kein erschaffener Geist.«<br /></span>
-<span class="i0">»Glücklich, wem sie nur &ndash; Die äußere Schale weist.«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Es stammt von dem im Jahre 1777 verstorbenen Dichter
-(und Botaniker, Zoologen, Anatomen) Albrecht v. Haller.</p>
-
-<p>Goethe hat (in »Gott und Welt«) sehr ergrimmt folgendes
-darauf erwidert:</p>
-
-<p class="center"><em class="gesperrt">Allerdings.</em></p>
-
-<p class="center">Der Physiker.</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»<em class="gesperrt">Ins Innere der Natur</em> &ndash;<br /></span>
-<span class="i0">O du Philister! &ndash;<br /></span>
-<span class="i0"><em class="gesperrt">Dringt kein erschaffener Geist</em>.«<br /></span>
-<span class="i0">Mich und Geschwister<br /></span>
-<span class="i0">Mögt ihr an solches Wort<br /></span>
-<span class="i0">Nur nicht erinnern;<br /></span>
-<span class="i0">Wir denken: Ort für Ort<br /></span>
-<span class="i0">Sind wir im Innern.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Seite_121">[121]</a></span>
-<span class="i0">»<em class="gesperrt">Glücklich, wem sie nur</em><br /></span>
-<span class="i0"><em class="gesperrt">Die äußere Schale weist</em>.«<br /></span>
-<span class="i0">Das hör' ich sechzig Jahre wiederholen,<br /></span>
-<span class="i0">Ich fluche drauf, aber verstohlen;<br /></span>
-<span class="i0">Sagt mir tausend, tausend Male:<br /></span>
-<span class="i0">Alles gibt sie reichlich gern;<br /></span>
-<span class="i0">Natur hat weder Kern<br /></span>
-<span class="i0">Noch Schale;<br /></span>
-<span class="i0">Alles ist sie mit <em class="gesperrt">einem</em> Male.<br /></span>
-<span class="i0">Dich prüfe du nur allermeist,<br /></span>
-<span class="i0">Ob du Kern oder Schale seist.<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Auch das nächstfolgende Gedicht Goethes »Ultimatum«
-bezieht sich hierauf.</p>
-
-<p>Ich weiß nicht, ob Dietzgen durch Goethes Polemik gegen
-Haller angeregt wurde, an des letzteren Ausspruch anzuknüpfen;
-im übrigen ist es völlig gleichgültig, da unseres
-Autors Anschauungen über die pantheistischen des Altmeisters
-weit hinausgehen.</p>
-
-<p>Mit dem angeblich von einem höheren Geist »erschaffenen
-Geist« des Menschen, dem geistigen Organ, das dem Menschen
-von Natur im Kopfe angewachsen ist, hat es Dietzgen
-hier zunächst zu tun, und sodann mit dem Thema des Eindringens
-unseres Intellekts ins Innere der Natur. Unser
-Autor sagt:</p>
-
-<p>Wie die Fetischdiener die gemeinsten Dinge, Steine und
-Hölzer, verhimmeln, so ist auch der »erschaffene Geist« verhimmelt
-und mystifiziert worden; zuerst religiös und danach
-philosophisch. Was die Religion Glaube und übernatürliche
-Welt, das nannte die Philosophie <em class="gesperrt">Metaphysik</em>. Bevor die
-Philosophie in das Innere des erschaffenen Geistes eindringen
-konnte, mußte ihr von der Naturwissenschaft durch praktische
-Betätigung erwiesen werden, wie das geistige Instrument des
-Menschen die bezweifelte Fähigkeit wohl besitzt, das Innere
-der Natur erhellen zu können.</p>
-
-<p>Auch die unbekannteste Welt und die geheimnisvollsten
-Dinge gehören mit allen bekannten Gegenden und Gegenständen<span class="pagenum"><a id="Seite_122">[122]</a></span>
-in eine und dieselbe Kategorie, nämlich in den universellen
-Naturverband. Der »erschaffene Geist« macht keine
-Ausnahme von diesem wissenschaftlichen Gesetz.</p>
-
-<p>Der alte religiöse Vorstellungskreis ist der Erkenntnis
-hinderlich, daß die Natur nicht nur eine nominelle, sondern
-eine wahrhaftige Monas ist, welche <em class="gesperrt">nichts</em> anderes, auch
-keinen <em class="gesperrt">unerschaffenen Geist</em>, weder über sich, noch in sich,
-noch neben sich hat. Der Glaube an einen unerschaffenen,
-monströsen, religiösen Geist hindert die Erkenntnis, daß der
-Menschengeist von der Natur selber geschaffen und erzeugt
-wurde, also deren eigenes Kind ist, demgegenüber sie keine
-besondere Sprödigkeit kennt.</p>
-
-<p>Dennoch ist die Natur spröde; sie erschließt sich nie auf
-einmal und nie ganz und gar. Sie kann sich nicht <em class="gesperrt">ganz</em>
-hingeben, weil sie <em class="gesperrt">unerschöpflich</em> ist an Gaben. Dennoch
-ist der »erschaffene Geist«, dies Kind der Natur, eine Lampe,
-welche nicht nur das Äußere, sondern auch das Innere der
-Natur erhellt. Inneres und Äußeres sind <em class="gesperrt">gegenüber dem
-physisch unendlichen und unerschöpflichen einzigen
-Naturwesen</em> verzopfte Begriffe. Ebenso ist der »erschaffene
-Geist« ein verzopfter Begriff, insofern derselbe auf einen
-unerschaffenen großen, monströsen, metaphysischen Geist hinweisen
-soll, der seinen Sitz über den Wolken hat.</p>
-
-<p>»Der große Geist« der Religion ist die Ursache von der
-Verkleinerung des Menschengeistes, welcher sich der Dichter
-schuldig macht, der letzterem die Fähigkeit abspricht, in das
-»Innere der Natur« einzudringen. Und zugleich ist doch der
-unerschaffene, monströse Geist nur ein <em class="gesperrt">phantastisches Abbild</em>
-des »erschaffenen« physischen Geistes.</p>
-
-<p>Die Erkenntnistheorie in ihrer entwickeltsten Gestalt vermag
-diesen Satz gründlichst zu beweisen. Sie zeigt uns, daß
-der »erschaffene Geist« seine sämtlichen Vorstellungen, Gedanken
-und Begriffe der einen monistischen Welt entlehnt,
-welche die Naturwissenschaft »physische« Welt nennt. Die
-gute Mutter Natur hat ihm etwas von ihrer Unerschöpflichkeit<span class="pagenum"><a id="Seite_123">[123]</a></span>
-angeerbt. Er ist so unbeschränkt und unerschöpflich an
-Erkenntnissen, wie sie unbeschränkt ist in der Willfährigkeit,
-ihre Brust zu öffnen. Beschränkt ist das Kind nur durch den
-unbeschränkten Reichtum der Mutterliebe: es kann die Unerschöpfliche
-nicht erschöpfen.</p>
-
-<p>Der »erschaffene Geist« dringt mit seiner Wissenschaft bis
-in das Allerinnerste der Natur, aber darüber hinaus kann
-er nicht dringen, nicht weil er ein beschränkter Geist ist, sondern
-weil die Mutter eine unendliche Natur, eine natürliche
-Unendlichkeit ist, die nichts außer sich hat.</p>
-
-<p>Die wunderbare Mutter hat ihrem natürlichen Kinde das
-<em class="gesperrt">Bewußtsein</em> angeerbt. &ndash; Der erschaffene Geist kommt mit
-der Anlage zur Welt, sich bewußt zu werden, daß er das
-Kind seiner guten Mutter Natur ist, welche ihm die Fähigkeit
-anerschaffen, sich von allen anderen Kindern seiner Mutter,
-von allen seinen Geschwistern treffliche Bilder zu entwerfen.</p>
-
-<p>Die von der philosophischen Wissenschaft im Laufe der
-Jahrhunderte zusammengetragenen Kenntnisse vom »erschaffenen
-Geiste« gipfeln in der Lehre, daß dieser Geist eine
-Kraft, eine Naturkraft ist, wie die Schwerkraft, wie Wärme,
-Licht, Elektrizität usw.; und dann auch neben seiner allgemeinen
-Natur, ganz wie die anderen Kräfte, ein spezielles
-Naturell besitzt, welches ihn allein auszeichnet und kennbar
-macht. Prüfen wir diese Spezialnatur des »erschaffenen
-Geistes« näher, so findet sich, daß ihm die, wenn man will
-»wunderbare« Eigenschaft angeboren ist, ohne weiteres und
-mit zweifellosester Sicherheit zu wissen, daß zwei Berge nicht
-ohne Tal sind, der Teil kleiner ist als das Ganze, Kreise
-nicht viereckig und Bären keine Elefanten sind.</p>
-
-<p>Solche Wissenschaft ist uns durch die objektive Untersuchung
-des »erschaffenen Geistes« gegeben.</p>
-
-<p>Der überschwengliche Geist ist ein phantastischer Begriff.</p>
-
-<p>Ebenso phantastisch ist denn auch der Naturbegriff derjenigen,
-welche von einer Natur reden wollen, die dem »erschaffenen
-Geist« ihr Inneres verschließt. Die Natur ist das<span class="pagenum"><a id="Seite_124">[124]</a></span>
-Unendliche. Wer das begreift, begreift auch, wie man bei
-ihr nicht vom Inneren oder Äußeren reden kann. Alle diese
-Bezeichnungen gelten nicht von der Natur überhaupt, welche
-das Absolute ist, sondern nur von ihren Teilen, von ihren
-Produkten, ihren Kindern, den einzelnen Dingen.</p>
-
-<p>Wollen wir uns ein rechtes Bild machen von der Natur
-und ihrem »erschaffenen Geiste«, so müssen wir dem letzteren
-vor allem das Bewußtsein beibringen, daß er sich nicht über
-seine Mutter erheben darf, wie er damals getan, als er
-noch von einem über- und außernatürlichen Geist gefabelt.
-Ein rechter Begriff vom Menschengeist ist nur zu gewinnen,
-wenn wir uns das klare und deutliche Bewußtsein von der
-<em class="gesperrt">Universalität</em> der Natur aneignen. Unser Geist ist ihr
-eigenes Produkt. Sie hat ihm die Gabe und die Bestimmung
-angeerbt, sich Einsicht von ihr und allen ihren Erscheinungen
-zu verschaffen. &ndash; »Von allen«, sage ich und
-spreche im verständig-mäßigen Sinne des Wortes, ohne zu
-verkennen, wie unerschöpflich die Natur in der Produktion
-ihrer Erscheinungen ist, und wie der »erschaffene Geist«, sofern
-er ein Stück der Natur, trotz all seiner Universalität im
-Begreifen, doch nur ein beschränktes Naturgeschöpf sein kann.</p>
-
-<p>Wer sich die Resultate der Naturwissenschaft betrachtet,
-kann die Natur keiner mysteriösen Verschlossenheit beschuldigen,
-und wer dabei die Resultate der Philosophie in Betracht
-zieht, kann nicht verkennen, daß der Menschengeist
-berufen ist, alle möglichen Rätsel zu lösen. Das Unmögliche
-aber hat weder Sinn noch Verstand und darf also
-kein Objekt unserer Betrachtung und Beachtung sein.</p>
-
-<p>So innig wie das Gesichtsvermögen mit Licht und Farbe,
-oder das subjektive Tastvermögen mit der objektiven Tastbarkeit,
-so innig hängt der »erschaffene Geist« mit dem Rätsel
-der Natur zusammen. Diesen Zusammenhang der Dinge
-übersehen zu haben, ist der Fehler jener rückständigen Erkenntnistheoretiker,
-welche derart über Geist und Natur im
-unklaren schweben, daß sie Rettung jenseits der Wolken suchen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_125">[125]</a></span></p>
-
-<p>Die überschwengliche Verkleinerung des Geistes, dem man
-abspricht, das Innere der Natur erhellen zu können, und
-ebenso die überschwengliche Mystifizierung der Natur, deren
-Inneres unbegreiflich sein soll &ndash; beide entspringen einer
-Denkweise, welche naturwüchsig jahrtausendelang den Menschen
-beherrscht hat, während die philosophische Bemühung
-es endlich dahin gebracht, daß nunmehr umgekehrt der
-Mensch seine Denkweise beherrscht, wenigstens so weit, daß
-er mehr regel- und kunstgerecht die ihm aufgegebenen Rätsel
-zu lösen weiß.</p>
-
-<p>Es ist ein Gesetz der natürlichen Logik und der logischen
-Natur, daß jedes Ding in seiner Gattung bleiben muß, daß
-sich die Gattungen und ihre Arten zwar verändern können,
-aber nicht so übermäßig, daß sie aus der Generalgattung, aus
-der natürlichen, herauswachsen. Es kann deshalb keinen Geist
-geben, der so tief in das Innere dringt, daß er die Natur
-zusammenklappen und gleichsam in die Tasche stecken könnte.</p>
-
-<p>Im zweiten Abschnitt »Die absolute Wahrheit und ihre
-natürlichen Erscheinungen« schildert Dietzgen, wie er durch
-das Studium von Feuerbach und Marx' ersten Schriften in
-seinem Streben unterstützt wurde, einen Maßstab zur Beurteilung
-dessen, was wahr und recht ist, zu erlangen.</p>
-
-<p>Zur näheren Erkenntnis der Natur der absoluten Wahrheit
-ist vor allem dem eingewurzelten Vorurteil entgegenzutreten,
-als sei dieselbe geistiger Natur. Nein: die absolute
-Wahrheit läßt sich sehen, hören, riechen, fühlen, allerdings
-<em class="gesperrt">auch erkennen; aber sie geht nicht auf in Erkenntnis</em>;
-sie ist kein purer Geist. Die absolute Wahrheit hat keine
-<em class="gesperrt">besondere</em> Natur, vielmehr die Natur des Allgemeinen;
-die allgemeine natürliche Natur und die absolute Wahrheit
-sind identisch. Es gibt keine zwei Naturen, eine körperliche
-und eine geistige; es gibt nur eine Natur, worin alle Körper
-und alle Geister enthalten sind.</p>
-
-<p>Das Universum ist identisch mit der Natur, mit dem Weltall
-und der absoluten Wahrheit.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_126">[126]</a></span></p>
-
-<p>Was wir <em class="gesperrt">erkennen</em>, sind Wahrheiten, relative Wahrheiten
-oder Naturerscheinungen. Die Natur selbst, die absolute
-Wahrheit, läßt sich nicht erkennen, nicht direkt, sondern
-nur <em class="gesperrt">mittels</em> ihrer Erscheinungen.</p>
-
-<p>Da die menschliche Erkenntnis nicht das Absolute ist,
-sondern nur ein Künstler, der sich von der Wahrheit Bilder
-macht, wahre, echte, rechte und treffende Bilder, so ist doch
-selbstredend, daß das Bild den Gegenstand nicht erschöpft
-und der Maler hinter seinem Modell zurückbleibt. Es ist
-niemals etwas Geistloseres von der Wahrheit noch von der
-Erkenntnis gesagt worden, als das, was die gebräuchliche
-Logik seit Jahrtausenden davon sagt: Wahrheit sei die Übereinstimmung
-unserer Erkenntnis mit ihrem Gegenstand. Wie
-kann das Bild mit seinem Modell »übereinstimmen«? &ndash;
-Annähernd, ja. Welches Bild stimmt nicht annähernd mit
-seinem Gegenstand? Mehr oder minder treffend ist doch jedes
-Porträt. Aber ganz getroffen und ganz trefflich &ndash; abnormer
-Gedanke!</p>
-
-<p>Also nur relativ können wir die Natur und ihre Teile
-erkennen; denn auch jeder Teil, obgleich nur eine Relation
-der Natur, hat doch auch wieder die Natur des Absoluten,
-die mit der Erkenntnis nicht zu erschöpfende Natur des Naturganzen
-an sich.</p>
-
-<p>Die wissenschaftliche Erkenntnis darf nicht nach absoluter
-Wahrheit begehren, weil letztere, die absolute Wahrheit, ohne
-weiteres sowohl sinnlich als geistig <em class="gesperrt">gegeben</em> ist. Was wir
-zu erkennen verlangen, sind die Erscheinungen, die Besonderheiten
-der allgemein gegebenen Wahrheit. Sie gibt sich uns
-in ihren Spezialitäten willfährig. Was unsere Erkenntnis zu
-besorgen hat, sind treffliche Bilder, Erkenntnisbilder. Dabei
-handelt es sich nur um relative Trefflichkeit oder Vollständigkeit.
-Mehr darf der Menschenverstand nicht wollen. Ein
-Verlangen nach einer anderen absoluten Wahrheit ist eine
-von der Geschichte der menschlichen Erkenntnis überwundene
-Schwärmerei; während die Bescheidenheit, die sich mit Erkenntnis<span class="pagenum"><a id="Seite_127">[127]</a></span>
-relativer Wahrheiten begnügt, vernünftige Bildung
-genannt wird.</p>
-
-<p>Die Philosophie hat wie die Religion in dem Glauben
-an eine überschwengliche absolute Wahrheit gelebt. Die
-Auflösung des Problems liegt in der Erkenntnis, daß die
-absolute nichts weiter als die generalisierte Wahrheit ist, daß
-dieselbe nicht im Geiste wohnt, dort wenigstens nicht mehr
-zu Haus ist als anderswo, sondern im <em class="gesperrt">Objekt</em> des Geistes,
-welches wir mit dem Generalnamen »Universum« bezeichnen.</p>
-
-<p>Wie unser Auge alles sehen kann, wenn auch mit Hilfe
-von Gläsern, und doch nicht alles, denn es kann weder Töne
-noch Gerüche, überhaupt nichts Unsichtbares sehen, so kann
-unser Erkenntnisvermögen alles erkennen und doch nicht alles.
-Das Unerkennbare kann es nicht erkennen. Das ist aber auch
-überschwenglich oder ein überschwengliches Begehren.</p>
-
-<p>Wenn wir erkennen, daß die absolute Wahrheit, woran
-Religion und Philosophie im Überschwenglichen oder Transzendenten
-gesucht haben, realiter als leibliches Universum
-vorhanden ist, und der Menschengeist nur ein leiblicher oder
-realer oder wirklicher und wirkender Teil der Generalwahrheit
-ist, der den Beruf hat, andere Teile der Generalwahrheit
-wahrhaft abzubilden, so ist damit das Problem des
-Beschränkten und des Unbeschränkten vollkommen gelöst.
-Absolutes und Relatives ist nicht überschwenglich getrennt,
-beides hängt zusammen, so daß das Unbeschränkte aus unendlichen
-Beschränktheiten zusammengesetzt ist und jede beschränkte
-Erscheinung die Natur des Unendlichen an sich hat.</p>
-
-<p>Der dritte Abschnitt »Materialismus kontra Materialismus«
-zeigt den Unterschied des sozialdemokratischen oder dialektischen
-Materialismus vom metaphysischen, speziell französischen
-des achtzehnten Jahrhunderts und den Gegensatz
-dieser beiden Richtungen zum metaphysischen deutschen Idealismus
-von Kant, Fichte, Schelling, Hegel.</p>
-
-<p>Der Idealismus leitet die Körperwelt aus dem Geiste ab,
-nach dem Vorgang der Religion, wo der große Geist über<span class="pagenum"><a id="Seite_128">[128]</a></span>
-den Wassern schwebt und nur zu sagen hat »es werde!«, auf
-daß es ward. Solche idealistische Ableitung ist metaphysisch.
-Jedoch waren die letzten berühmten Ausläufer des deutschen
-Idealismus sehr abgeschwächte Metaphysiker. Von dem außerweltlichen
-übernatürlichen, himmlischen Geiste hatten sie sich
-ziemlich emanzipiert, aber nicht von der Schwärmerei für
-den diesseitigen natürlichen Geist. Sie mühen sich unendlich
-ab, über das Verhältnis zwischen unseren geistigen Vorstellungen
-und den materiellen Dingen, welche vorgestellt,
-begriffen und gedacht werden, ins klare zu kommen.</p>
-
-<p>Die metaphysischen Materialisten des achtzehnten Jahrhunderts
-und ihre heutigen Nachzügler unterschätzen den
-Menschengeist und die Forschung nach seiner Beschaffenheit
-und seiner rechten Anwendung ebensosehr, als die Idealisten
-diese Dinge überschwenglich hochstellen. Sie, die Materialisten,
-erklären zum Beispiel die Naturkräfte als <em class="gesperrt">Eigenschaften</em>
-des tastbaren Stoffes und speziell die geistige Kraft, die Gedankenkraft,
-als eine Eigenschaft des Hirns. Die Materie
-oder das Materielle, das heißt das Wägbare und Tastbare,
-ist in ihren Augen die Hauptsache der Welt, das Primäre
-oder die Substanz, und die Denktätigkeit, gleich allen anderen
-untastbaren Kräften, nur sekundäre Eigenschaft. Mit anderen
-Worten, den alten Materialisten ist die Materie das erhabene
-Subjekt und alles Weitere untergeordnetes Prädikat.</p>
-
-<p>Im dialektischen Materialismus haben die Stoffe nicht mehr
-zu bedeuten als die Kräfte, die Kräfte nicht mehr als die Stoffe.</p>
-
-<p>Das unterscheidende Merkmal zwischen den mechanischen
-Materialisten des achtzehnten Jahrhunderts und den durch
-die Schule der deutschen Idealisten gewitzigten sozialdemokratischen
-Materialisten besteht darin, daß letztere den bornierten
-Begriff der Materie von der <em class="gesperrt">nur tastbaren</em> und
-wägbaren Materie auf alle vorkommenden Materialien erweiterten:
-auf das Sichtbare, Riechbare, Hörbare und, da
-schließlich die ganze Natur Material der Forschung und
-demnach alles materiell genannt werden darf, sogar den<span class="pagenum"><a id="Seite_129">[129]</a></span>
-Menschengeist; denn auch dieses Objekt dient der Erkenntnistheorie
-als Material.</p>
-
-<p>Wir neueren Materialisten sind nicht der beschränkten
-Meinung, daß die wäg- und tastbare Materie die Materie
-<em class="antiqua">par excellence</em> sei; wir halten dafür, daß auch der Blumenduft,
-auch Töne und Gerüche Materien seien. Wir fassen
-nicht die Kräfte als ein bloßes Anhängsel, als pures Prädikat
-des Stoffes auf und den Stoff, den tastbaren, als das
-»Ding«, welches alle Eigenschaften dominiere. Wir denken
-von Stoffen und Kräften demokratisch. Da sind die einen
-soviel wert als die anderen; alle einzelnen sind nichts als
-Eigenschaften, Anhängsel, Prädikate oder Attribute des großen
-Natur-Ganzen. Da ist nicht das Hirn der Matador und die
-geistige Funktion der untergeordnete Diener. Nein, wir modernen
-Materialisten behaupten, daß die Funktion ebensoviel
-und ebensowenig ein selbständiges Ding ist als die tastbare
-Hirnmasse oder als irgendeine andere Materialität.
-Auch die Gedanken, ihr Herkommen und ihre Beschaffenheit
-sind ebenso reale Materien und erforschungswerte Materialien
-als irgendwelche.</p>
-
-<p>Materialisten sind wir, weil wir aus dem Geiste keine
-»metaphysische« Monstrosität machen. Die Denkkraft ist uns
-ebensowenig ein »Ding an sich« als die Schwerkraft oder der
-Erdkloß. Alle Dinge sind nur Zusammenhänge des großen
-Universalzusammenhangs, welcher allein dauerhaft, wahrhaft,
-bleibend, keine Erscheinung, sondern das einzige »Ding
-an sich« und die absolute Wahrheit ist.</p>
-
-<p>Weil wir sozialistische Materialisten nun einen <em class="gesperrt">zusammenhängenden</em>
-Begriff von der Materie und dem Geiste haben,
-sind uns auch die sogenannten geistigen Verhältnisse, wie die
-der Politik, der Religion, der Moral usw., materielle Verhältnisse,
-und die materielle Arbeit, ihre Stoffe und die
-Magenfrage sehen wir nur insofern an als die Unterlage,
-als die Voraussetzung und den Grund aller geistigen Entwicklung,
-als das Tierische der Zeit nach früher ist als das<span class="pagenum"><a id="Seite_130">[130]</a></span>
-Menschliche, was nicht hindert, den Menschen mit seinem
-Intellekt hoch und höher zu schätzen.</p>
-
-<p>Der sozialistische Materialismus zeichnet sich dadurch aus,
-daß er den Menschengeist nicht unterschätzt, gleich den Materialisten
-alter Schule, und auch nicht überschätzt, gleich den
-deutschen Idealisten, sondern in seiner Schätzung <em class="gesperrt">mäßig</em>
-verfährt und den Mechanismus wie die Philosophie mit
-kritisch-dialektischem Auge ansieht, als Zusammenhänge des
-untrennbaren Weltprozesses und -progresses.</p>
-
-<p>»Darwin und Hegel« betitelt sich der vierte Abschnitt.</p>
-
-<p>Dietzgen will »dem beinahe verschollenen Hegel, der bei
-der Nachwelt seine verdiente Anerkennung finden wird«, die
-ihm gebührende Würdigung als Vorläufer Darwins zollen:</p>
-
-<p>Darwin ist ein genialer Ausarbeiter der Hegelschen Erkenntnistheorie.
-Letztere ist eine Entwicklungslehre, die nicht
-nur die Entstehung der Arten alles animalischen Lebens,
-sondern auch die Entstehung und Entwicklung aller Dinge
-umfaßt; sie ist eine kosmische Theorie der Entwicklung überhaupt.
-Die ihr bei Hegel noch anklebenden Dunkelheiten
-fallen der Person des Philosophen so wenig zur Last, als
-dem Darwin zur Last fällt, daß er über seine »Entstehung
-der Arten« nicht das letzte Wort gesagt hat.</p>
-
-<p>Der Darwinsche Gegenstand ist ein ebenso unendlicher und
-unausforschlicher wie der Hegelsche. Der eine suchte nach der
-Entstehung der Arten, der andere nach der Erklärung des
-menschlichen Denkprozesses. Das Resultat beider ist die <em class="gesperrt">Entwicklungslehre</em>.
-Sie haben die <em class="gesperrt">monistische Weltanschauung</em>
-auf eine Höhe gehoben und mit positiven Entdeckungen
-unterstützt, die vorher unbekannt waren.</p>
-
-<p>Die Darwinsche Entwicklungslehre beschränkt sich auf die
-Tierarten; sie beseitigt die Klüfte, welche die religiöse Weltanschauung
-zwischen den Klassen und Arten der Geschöpfe
-aufrichtet. Darwin emanzipiert die Wissenschaft von dieser
-religiösen Klassenanschauung und weist die göttliche Schöpfung
-<em class="gesperrt">in bezug auf diesen speziellen Punkt</em> aus der<span class="pagenum"><a id="Seite_131">[131]</a></span>
-Wissenschaft hinaus. In diesem Punkt setzt er an die Stelle
-der transzendenten überschwenglichen Schöpfung die hausbackene
-Selbstentwicklung. Um zu zeigen, daß Darwin nicht
-aus den Wolken gefallen, erinnern wir an Lamarck, der bekanntlich
-Darwin die Priorität streitig macht. Damit wird
-keineswegs das Darwinsche Verdienst geschädigt, indem
-Lamarck nur auf den philosophischen Lichtblick, Darwin aber
-auf spezialisierten Nachweis Anspruch hat.</p>
-
-<p>Hegel gebührt das Verdienst, die Selbstentwicklung der
-Natur auf <em class="gesperrt">umfassendster</em> Grundlage aufgestellt, die Wissenschaft
-in generellster Weise von der Klassenanschauung emanzipiert
-zu haben. Darwin kritisiert die überkommene Klassenanschauung
-zoologisch, Hegel universell.</p>
-
-<p>Hegel lehrt die Entwicklungstheorie; er lehrt, daß die Welt
-nicht gemacht wurde, keine Schöpfung, kein unveränderliches
-<em class="gesperrt">Sein</em>, sondern ein <em class="gesperrt">Werden</em> ist, das sich selbst macht. Wie
-bei Darwin die Tierklassen ineinanderfließen, so fließen bei
-Hegel alle Klassen der Welt, Nichts und Etwas, Sein und
-Werden, Quantität und Qualität, Zeit und Ewigkeit, Bewußtes
-und Unbewußtes, Fortschritt und Bestand, unvermeidlich
-ineinander. Er lehrt, daß Unterschiede überall bestehen,
-aber nirgends übertriebene, »metaphysische« oder überschwengliche
-Unterschiede. Dinge, die »<em class="gesperrt">wesentlich</em>« voneinander
-unterschieden sind, gibt es nach Hegel nicht. Das Unterscheiden
-zwischen wesentlich und unwesentlich ist nur auf relativer
-Stufenleiter zu verstehen. Es gibt nur ein absolutes
-Wesen, das ist der <em class="gesperrt">Kosmos</em>, und alles, was da drin und
-drum und dran hängt, sind flüssige, vergängliche, wandelbare
-Formen, Akzidenzen oder Eigenschaften des Generalwesens,
-welches in Hegelscher Sprache den Namen des Absoluten führt.</p>
-
-<p>Hegel hat die Entwicklungslehre viel universeller vorgetragen
-als Darwin. Wir wollen deshalb einen nicht dem
-andern vorziehen oder subordinieren, sondern einen mit dem
-andern ergänzen. Wenn uns Darwin lehrt, wie die Amphibien
-und Vögel keine ewig separierten Klassen, sondern Lebewesen<span class="pagenum"><a id="Seite_132">[132]</a></span>
-sind, die aus einander hervorgehen und ineinanderfließen,
-so lehrt Hegel, wie <em class="gesperrt">alle</em> Klassen, wie die ganze Welt
-ein lebendiges Wesen ist, die nirgends feste Grenzen hat,
-so daß selbst das Kennbare und Unkennbare, das Physische
-und Metaphysische ineinanderfließt, und etwas absolut Unbegreifliches
-eine Sache ist, die nicht in die monistische, sondern
-in die religiöse, dualistische Weltanschauung gehört.</p>
-
-<p>Hegel hat viel Verwandtschaft mit dem alten Herakleitos,
-welcher den Beinamen »der Dunkle« führt. Beide lehren,
-daß die Dinge der Welt nicht feststehen, sondern fließen, das
-heißt, sie entwickeln sich; und beide verdienen auch den dunklen
-Beinamen.</p>
-
-<p>Die Arbeiten von Darwin und Hegel, ob noch so verschieden,
-haben den Kampf wider die Metaphysik, wider das
-Unsinnliche und Unsinnige gemein. Indem wir uns vorsetzen,
-sowohl den Unterschied als die Gemeinschaft der genannten
-Forscher klarzustellen, können wir nicht umhin, die große
-Seeschlange ernstlich in den Kreis der Erörterung zu ziehen.
-Der Spaß wird aber erschwert durch die vielen Namen, die
-im Laufe der Geschichte dem Ungeheuer beigelegt wurden.
-&ndash; Was ist Metaphysik? Sie ist dem Namen nach eine wissenschaftliche
-Disziplin &ndash; gewesen, die ihre Schatten in die
-Gegenwart wirft. Was sucht sie, was will sie? Natürlich
-Aufklärung! &ndash; aber worüber? &ndash; Über Gott, Freiheit und
-Unsterblichkeit; &ndash; das klingt in unseren Tagen gar pastoral.
-Und nennen wir ihren Inhalt mit dem klassischen Namen
-des Wahren, Guten und Schönen, so ist dennoch gar viel
-daran gelegen, daß wir uns und dem Leser klarmachen,
-was denn eigentlich die Metaphysiker suchen und wollen;
-ohne das läßt sich weder Darwin noch Hegel, weder was
-sie geleistet, noch was sie zu leisten unterlassen und was
-daher der Nachkommenschaft zu leisten obliegt, hinlänglich
-ermessen und darstellen.</p>
-
-<p>»Was die Metaphysiker suchen und wollen«, erklärt uns
-der fünfte und letzte Abschnitt »Das Licht der Erkenntnis«:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_133">[133]</a></span></p>
-
-<p>Wo Erleuchtung hernehmen? Moses hat sie vom Berg
-Sinai geholt; aber nachdem Juden und Christen länger als
-dreitausend Jahre gebetet: »Du sollst nicht stehlen«, stehlen
-sie heute noch wie die Raben; das heißt die <em class="gesperrt">Offenbarung</em>
-hat sich nicht bewährt. Dann kamen die <em class="gesperrt">Philosophen</em> und
-wollten die Erleuchtung aus dem Innern des Kopfes, <em class="antiqua">a priori</em>,
-wie sie es nennen, herausspekulieren. Was aber der eine zutage
-förderte, wurde vom andern verworfen. Die <em class="gesperrt">Naturwissenschaft</em>
-beschritt einen dritten, den induktiven Weg,
-sie schöpfte die Weisheit aus der Beobachtung; sie endlich
-erwarb wahre, wirkliche, dauerhafte Wissenschaft, eine Wissenschaft,
-die alle Welt akzeptiert, die niemand bestreitet, niemand
-bestreiten kann und mag. Daraus folgt denn unzweifelhaft
-klar, daß wir die Erleuchtung auf dem betretenen naturwissenschaftlichen
-Wege zu suchen haben.</p>
-
-<p>Dennoch gibt es viele Leute, viele auch mit gelehrtester
-Ausrüstung, welche mit diesem Lichte sich nicht zufrieden
-geben. Sie sprechen vom »metaphysischen Bedürfnis«, bemühen
-sich unablässig, darzutun, daß alles naturwissenschaftliche
-Erklären und Erkennen, wie fruchtbar auch in den einzelnen
-Disziplinen, doch im großen und ganzen unzureichend
-ist. »Das Wesen der Materie«, heißt es da, »ist schlechthin
-unbegreiflich; alle mechanische Naturerklärung erstreckt sich
-nur auf die an diesem rätselhaften Substrate wahrzunehmenden
-<em class="gesperrt">Veränderungen</em> und läßt unser Kausalitätsbedürfnis
-im letzten Grunde unbefriedigt.«</p>
-
-<p>Der Materialismus, der das Erkennen und Erklären der
-verschiedensten wissenschaftlichen Materien wohl zu praktizieren
-weiß, hat es bisher unterlassen, die <em class="gesperrt">Materie der
-Erkenntnis</em> zu erklären. Das Erkenntnis- oder Erklärungsvermögen
-ist die einzige in der Welt vorhandene Kraft, welche
-immer noch verhimmelt wird. Sie ist in der Welt und soll
-nicht weltlich, nicht physisch, nicht mechanisch sein. Was denn?
-Metaphysisch! Und niemand kann doch Aufklärung geben,
-was das heißt. Alle Bestimmungen, die wir erlangen, sind<span class="pagenum"><a id="Seite_134">[134]</a></span>
-negativ. Das Metaphysische ist nicht physisch, nicht handgreiflich
-und nicht begreiflich. Was sollte es anders sein als
-ein <em class="gesperrt">Gefühl</em>, das begnadete Idealisten mit sich herumtragen,
-ohne zu wissen, wo es sitzt.</p>
-
-<p>Alles will der Mensch wissen, und doch hat man etwas,
-was nicht zu wissen, nicht zu erklären, nicht zu begreifen ist.
-Dann resigniert man und zeigt hin auf die Beschränktheit
-des menschlichen Instruments. »Zwei Stellen sind es,« sagt
-Lange, »wo der Geist haltmachen muß. Wir sind nicht imstande,
-die <em class="gesperrt">Atome</em> zu begreifen, und wir vermögen nicht,
-aus den Atomen und ihrer Bewegung auch nur die geringste
-Erscheinung des Bewußtseins zu erklären … Man mag den
-Begriff der Materie und ihrer Kräfte drehen und wenden,
-wie man will, immer stößt man auf ein letztes Unbegreifliches …
-Nicht mit Unrecht geht daher Du Bois-Reymond
-so weit, zu behaupten, daß unser ganzes Naturerkennen in
-Wahrheit noch kein Erkennen ist, daß es nur das <em class="gesperrt">Surrogat</em>
-einer Erklärung gibt … Das ist der Punkt, an welchem
-die Systematiker und Apostel der mechanischen Weltanschauung
-so unachtsam vorübergehen: &ndash; die Frage nach den Grenzen
-des Naturerkennens.« (F. A. Lange, Geschichte des Materialismus,
-2. Band, S. 148 bis 150.)</p>
-
-<p>Die Sozialdemokraten aber hat Lange nicht gründlich gekannt,
-sonst würde er gewußt haben, daß von ihnen auch in
-diesem Punkt die mechanische Weltanschauung komplettiert ist.</p>
-
-<p>Wo soll es hinführen, wenn unser Wissen und Erkennen,
-wenn das in den letzten Jahrhunderten von der Wissenschaft
-mit so großem Erfolg angewendete Geistes-Instrument nur
-noch ein »<em class="gesperrt">Surrogat</em>« sein soll? Wo sitzt denn der wahre
-Jakob? Und wenn wir alle Folianten der Philosophie durchstöberten,
-würden wir darüber keine positive Angabe finden,
-weil gerade die Philosophen es sind, welche den Glauben an
-einen persönlichen Herrscher des Himmels und der Erde soweit
-zerstört haben. Die unphilosophische <em class="gesperrt">religiöse</em> Welt
-besaß in der Tat höheren Orts einen wahren Verstandeskasten,<span class="pagenum"><a id="Seite_135">[135]</a></span>
-welcher dem dreckigen Lehm ein Häuchlein hatte mitgeteilt,
-und waren sie deshalb berechtigt, den heiligen vom
-profanen Geiste, die echte Substanz von ihrem Surrogat zu
-unterscheiden. Aber wie solche Unterscheidung von denen zu
-verteidigen ist, welche den großen All- und Ur-Geist den
-Köhlern überlassen haben, das ist unerfindlich.</p>
-
-<p>Der metaphysische Gedanke von den »Grenzen der Erkenntnis«
-darf nur ein klein wenig auf seinen Inhalt geprüft
-werden, um sofort als gedankenlose Phrasenmacherei erkannt
-zu werden. »Die Atome sind nicht zu begreifen, und das
-Bewußtsein ist nicht zu erklären.« Nun aber besteht die ganze
-Welt aus Atomen und Bewußtsein, aus Materie und Geist.
-Wenn beides unverständlich ist, was bleibt dann dem Verstande
-zu begreifen und zu erklären übrig?</p>
-
-<p>Das Licht der Erkenntnis macht den Menschen zum Herrn
-der Natur. Mit seiner Hilfe vermag er im Sommer das
-Eis des Winters und im Winter die Früchte und Blumen
-des Sommers darzustellen. Aber stets bleibt die Herrschaft
-beschränkt. Alles, was man kann, kann man nur mit Hilfe
-der natürlichen Kräfte und Materialien. Die Natur mit bloßen
-Worten, mit einem »es werde!« <em class="gesperrt">unbeschränkt</em> beherrschen
-wollen, kann nur dem Phantasten einfallen. Wie Kinder und
-Naturvölker unbeschränkt herrschen, so möchten unsere kindischen
-Gelehrten unbeschränkt erkennen. »Das System des
-Begnügens mit der gegebenen Welt«, meint Lange, »steht
-im Widerspruch mit den Einheitsbestrebungen der Vernunft,
-mit Kunst, Poesie und Religion, in welchen der Trieb liegt,
-sich über die Grenzen der Erfahrung hinauszuschwingen.« &ndash;
-Nun sind Kunst und Poesie als Phantasien bekannt, wenn
-auch als schöne und anbetungswürdige, und wenn die Religion
-und der metaphysische Trieb nicht mehr sein und in
-dieselbe Kategorie gehören wollen, so hat kein Verständiger
-etwas dagegen einzuwenden. Der Mensch mag den metaphysischen
-Trieb, über alle Grenzen zu schnappen, wirklich
-haben, wenn er nur einsieht, daß es ein unwissenschaftlicher<span class="pagenum"><a id="Seite_136">[136]</a></span>
-Trieb ist. Das Licht der Vernunft hat durchaus seine Grenzen,
-wie alle Dinge, wie Holz und Stroh, wie Technik und Verstand,
-also verständige Grenzen, die jeder Teil haben muß,
-wenn er keine Narretei sein will.</p>
-
-<p>Wie der Mensch alles machen kann, so kann er auch alles
-erkennen &ndash; innerhalb verständiger Grenzen. Wir können nicht
-schaffen wie der liebe Gott, der die Welt aus Nichts gemacht.
-Wir müssen uns am Gegebenen, an den vorhandenen Kräften
-und Stoffen halten und ihren Eigenschaften Rechnung tragen;
-sie lenken und leiten, sie formen, nennen wir schaffen; die
-vorhandenen Materialien in Ordnung und Regel bringen,
-generalisieren oder klassifizieren, die mathematischen Formeln
-der natürlichen Wandlungen abstrahieren &ndash; das nennen wir
-erkennen, begreifen, erklären.</p>
-
-<p>Demnach ist unsere ganze geistige Erleuchtung eine formelle
-Geschichte, eine mechanische Wirtschaft. Wie in der
-technischen Produktion die Naturerscheinungen leiblich verwandelt,
-so sollen in der Wissenschaft die Naturwandlungen
-geistig erscheinen. Wie die Produktion das überspannte Schöpfungsbedürfnis,
-so läßt die Wissenschaft oder das »Naturerkennen«
-das überspannte Kausalitätsbedürfnis im letzten
-Grunde unbefriedigt. Aber sowenig ein verständiger Mensch
-darüber lamentieren wird, daß wir zum Schaffen ewig Materialien
-bedürfen und aus Nichts und frommen Wünschen
-nichts machen können, sowenig wird derjenige, der Einsicht
-in die Natur des Erkennens hat, damit über die Erfahrungen
-hinausfliegen wollen. Zum Erkennen oder Erklären bedürfen
-wir, wie zum Schaffen, Material. <em class="gesperrt">Demnach kann keine
-Erkenntnis Aufklärung geben, wo das Material
-herkommt oder anfängt</em>. Die Erscheinungswelt oder das
-Material ist das Primitive, das Substantielle, das weder
-Anfang, Ende noch Herkommen hat. Das Material ist da,
-und das Dasein ist materiell (im weiteren Sinne des Wortes)
-und das menschliche Erkenntnisvermögen oder Bewußtsein
-ist ein Teil dieses materiellen Daseins, welches wie alle anderen<span class="pagenum"><a id="Seite_137">[137]</a></span>
-Teile nur ein bestimmte, begrenzte Funktion, das Naturerkennen,
-ausüben kann.</p>
-
-<p>Warum sollte nicht, wie das Erkennen, so auch das Blech,
-die Bretter und das Rindfleisch verhimmelt werden? Die
-Aufgabe der Radikalen besteht in dem Nachweis, daß auch
-der letzte subtilste metaphysische Rest von »etwas Höherem«
-mit dem abgeschmacktesten Aberglauben in dieselbe Rumpelkammer
-gehört.</p>
-
-<p>Formen, Veränderungen oder Wandelbarkeiten bietet die
-Welt. Wem das zu wenig ist, der sucht Ewiges über den
-Sternen, wie die Religion, oder hinter den Erscheinungen,
-wie die spekulative Philosophie. Die »kritischen« Philosophen
-aber haben dunkel geahnt, daß das, was man sucht, ein
-Sparren ist, den die Bildung aus dem Menschenkopf zu entfernen
-hat. Die Forschung nach der Substanz haben sie deshalb
-aufgegeben und ihr Interesse dem <em class="gesperrt">Organ</em> der Forschung,
-dem Erkenntnisvermögen zugewandt. Da hat man
-recht kritisch gearbeitet. Wenn vormals hinter jedem Busch
-und Strauch »etwas Höheres« stecken mußte, so ist das jetzt
-doch, wenigstens in den maßgebenden Kreisen, bis in die letzte
-Heimlichkeit, bis hinter die unerfindlichen Atome und bis
-hinter das noch heimlichere Bewußtsein verdrängt.</p>
-
-<p>Dort sind die »Grenzen unseres Erkennens«, und dort
-steckt der Sparren. Sich davon zu befreien, ist um soviel
-schwerer, weil seit den Forderungen des vierten Standes
-unsere offiziellen Gelehrten angewiesen sind, eine konservative,
-reaktionäre Politik zu verfolgen.</p>
-
-<p>Wenn nun die zeitgenössischen Philosophen mit dem Geschichtschreiber
-des Materialismus (F. A. Lange) an der Spitze
-herankommen und sagen, die Welt bietet Erscheinungen, das
-sind die Objekte des Naturerkennens; letzteres hat es mit
-den Veränderungen zu tun, wir aber suchen an einer höheren
-Erkenntnis oder an ewigen, wesenhaften Objekten, dann
-ist klar, daß es mystizistisch Unersättliche sind, welche mit
-sämtlichen Körnern eines Sandhaufens sich nicht begnügen<span class="pagenum"><a id="Seite_138">[138]</a></span>
-wollen, sondern hinter allen Körnern extra noch einen körnerlosen
-Sandhaufen suchen.</p>
-
-<p>Wer mit dem Jammertal der Erscheinungswelt so durchaus
-zerfallen ist, mag sich mit der unsterblichen Seele in
-einen feurigen Wagen setzen und gen Himmel fahren. Wer
-aber hier bleiben und an das Heil des wissenschaftlichen Naturerkennens
-glauben will, soll sich mit der materialistischen
-Logik vertraut machen. Da lautet</p>
-
-<p>§ 1: Das intellektuelle Reich ist nur von dieser Welt.</p>
-
-<p>§ 2: Die Operation, welche wir Erkennen, Begreifen, Erklären
-nennen, soll und kann nichts als diese Welt des sinnlichen,
-zusammenhängenden Daseins klassifizieren nach Gattungen
-und Arten, sie soll und kann nichts als das formale
-Naturerkennen praktizieren. Anderes Erkennen gibt es nicht.</p>
-
-<p>Aber dann kommt der »metaphysische Trieb«, der mit dem
-»formalen Erkennen« sich nicht begnügt und nun, er weiß
-selbst nicht wie, erkennen will. Ihm ist es nicht genug, mit
-dem Verstand die Erfahrungen zu klassifizieren. Was die
-Naturforschung Wissenschaft nennt, ist ihm nur ein Surrogat,
-ein armes, begrenztes Wissen; er verlangt nach unbegrenzter
-Vergeistigung, so daß die Dinge rein aufgehen
-sollen im Verständnis. Warum will denn der liebe Trieb
-nicht einsehen, daß er nur eine überspannte Forderung stellt?
-Die Welt geht nicht aus dem Spiritus hervor, sondern umgekehrt.
-Das Sein ist keine Art des Intellekts, sondern der
-Intellekt eine Art des empirischen Daseins. Dasein ist das
-Absolute, das überall und ewig ist; das Denken nur eine
-besondere beschränkte Form desselben.</p>
-
-<p>Der Trieb, über die Erscheinungen hinauszugehen bis zur
-Wahrheit und zum Wesen, ist wissenschaftlicher Trieb. Aber
-er darf nicht überschnappen; er muß seine Grenzen kennen.
-Er soll seine Wahrheiten und Wesenheiten nicht separieren
-von der Erscheinung; er darf nur nach subjektiven Objekten,
-nach <em class="gesperrt">relativer</em> Wahrheit forschen.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_139">[139]</a></span></p>
-
-<h2 id="X">X.<br />
-Das Akquisit der Philosophie.</h2>
-</div>
-
-<p>Das »Akquisit der Philosophie« ist 1887 &ndash; in Dietzgens
-letztem Lebensjahr &ndash; in Chicago geschrieben. In der Vorrede
-erzählt unser Autor, wie er in den vierziger Jahren
-aus der Lektüre von Zeitungen und Schriften der extremen
-Lager &ndash; der preußischen Reaktion und der freidenkerischen
-Revolutionäre &ndash; zur Erkenntnis kam, daß »der Geist beider
-Heerlager aus dem Akquisit der Philosophie, zunächst aus
-der Hegelschen Schule stammte«. Damit wollte er wohl sagen,
-daß die fundamentalen Prämissen der Gerlach, Stahl und
-Leo das historisch <em class="gesperrt">Gewordene</em> als Bleibendes zur Voraussetzung
-hatten, während dasselbe für Feuerbach, Marx und
-Engels etwas <em class="gesperrt">fortschreitend</em> Veränderliches war; das eine
-wie das andere läßt sich »hegelisch« etikettieren, je nachdem
-man es mit dem <em class="gesperrt">Sein</em> oder dem <em class="gesperrt">Werden</em> hält; in Hegel
-ist Raum für Konservativismus wie für Fortschritt.</p>
-
-<p>Nach Dietzgens Vorhaben sollte das »Akquisit der Philosophie«
-eine verbesserte Auflage des »Wesens der Kopfarbeit«
-sein &ndash; alter Wein in einem neuen Schlauch; darin hat er
-sich wohl getäuscht; das »Akquisit« ist zwar eine Fortsetzung
-und Ergänzung, aber kein Ersatz seines ersten Werkes, das
-vielmehr sein Hauptwerk geblieben.</p>
-
-<p>Im ersten Abschnitt »Die Erkenntnis als Spezialobjekt«
-(der Philosophie) sagt er: Im griechischen Altertum hatte
-das Wort Philosophie (Weisheitsliebe) eine andere Bedeutung
-als heute. Bei den Griechen war es gänzlich unentschieden,
-ob der Philosoph (Weisheitsliebender) Mathematiker
-oder Astronom, ob er sich die Arzneiwissenschaft, die Redekunst
-oder die Lebenskunst zum Gegenstand seiner Forschungen
-machte. Die Fächer lagen da ineinandergerollt wie der Embryo<span class="pagenum"><a id="Seite_140">[140]</a></span>
-im Mutterschoß. Als die Menschheit noch wenig wußte,
-konnte man schon ein Weiser sein; aber heute muß man sich
-spezialisieren, muß man sich einer <em class="gesperrt">speziellen</em> Wissenschaft
-befleißigen, weil das Forschungsgebiet zu reich geworden
-ist. Der Philosoph ist heute kein Weiser mehr, sondern ein
-Spezialist.</p>
-
-<p>Die Philosophie hat auch heute noch die Erkenntnis zu
-ihrem Gegenstand; aber nicht mehr die unbestimmte, welche
-<em class="gesperrt">alles</em> erkennen will, sondern &ndash; wie soll ich es populär ausdrücken?
-&ndash; sie hat die Erkenntnis als solche, die Methode
-der Erkenntnis zu ihrem Zwecke erwählt, sie will erkennen,
-<em class="gesperrt">wie es gemacht wird</em>, andere Objekte mit dem Lichte des
-Verstandes zu durchleuchten. Um es recht deutlich zu sagen:
-nicht mehr die Erkenntnis, die alles wissen will, wie zur Zeit
-des Sokrates, sondern der Verstand als Spezialobjekt, das
-Denk- oder Erkenntnisvermögen ist zum Forschungsgegenstand
-der Philosophie geworden.</p>
-
-<p>Die heutige Erkenntnistheorie ist eine wirkliche Wissenschaft.
-Die Altväter zum Beispiel suchten die Erkenntnis <em class="antiqua">à la</em>
-Sokrates und Platon, mit Verachtung der äußeren Erfahrung,
-in den Eingeweiden des Menschenkopfes. Sie glaubten
-durch <em class="gesperrt">Grübeln</em> die Wahrheit zu erforschen.</p>
-
-<p>Schon Aristoteles hatte mehr Sinn für die äußere Welt.</p>
-
-<p>Mit der alten Kultur ging natürlich auch die alte Philosophie
-unter, bis sie vor einigen hundert Jahren, im Anfang
-der neueren Zeit, endlich wieder frisch auflebte.</p>
-
-<p>Von Aristoteles bis Bacon hat die Philosophie geschlafen,
-wenigstens kein merkliches Akquisit gefördert. Erst nachdem
-die gesamte Kultur die menschliche Erkenntnis so weit gefördert
-hat, daß nunmehr das intellektuelle Licht von allen
-Disziplinen der Wissenschaft ausstrahlt, wird sich die Philosophie
-ihres Spezialobjektes bewußt und vermag ihr Akquisit
-aus dem Wuste der Vergangenheit herauszuschälen.</p>
-
-<p>Das Akquisit der Philosophie, die erforschte Erkenntnis
-oder das erforschte Erkenntnisvermögen, ist daher neben den<span class="pagenum"><a id="Seite_141">[141]</a></span>
-Gütern der Wissenschaft ein ebenso wertvoller Schatz der
-Menschheit wie die Methodik der modernen Produktion neben
-den materiellen Gütern des Nationalreichtums.</p>
-
-<p>Im zweiten Abschnitt wird Dietzgens aus den früheren
-Schriften bekannter Hauptlehrsatz »Das Erkenntnisvermögen
-hängt mit dem Universum verwandtschaftlich zusammen« erörtert:</p>
-
-<p>Die <em class="gesperrt">Technik der Erkenntnis</em> wurde von der gesamten
-Kulturbewegung zutage gefördert &ndash; als philosophisches Akquisit.
-Die gesamte Kulturbewegung hat den Philosophen
-auf die Strümpfe geholfen.</p>
-
-<p>Die Geschichte der Philosophie ist ein saures Ringen mit
-der Frage: was ist und was tut, aus welchen Teilen besteht
-und welcher Natur ist die Erkenntnis oder Intelligenz, die
-Vernunft, der Verstand usw?</p>
-
-<p>Das vornehmlichste Akquisit bei der Lösung dieses Problems
-ist die sich in unseren Tagen immer heller und präziser
-geltend machende Erkenntnis, daß die Natur des menschlichen
-Intellekts mit der Gesamtnatur von <em class="gesperrt">einer</em> Gattung,
-von <em class="gesperrt">einer</em> Art oder <em class="gesperrt">einem</em> Geschlecht ist; der Menschengeist
-ein bestimmter, begrenzter Teil des unbegrenzten Kosmos,
-der Natur oder des Universums ist.</p>
-
-<p>Wie ein Stück Eichenholz die zwieschlächtige Eigenschaft
-besitzt, neben seiner eichenen Spezialnatur nicht nur an der
-allgemeinen Holznatur, sondern auch <em class="gesperrt">an der unendlichen
-Allgemeinheit</em> der Generalnatur teilzunehmen, so ist auch
-der Intellekt eine begrenzte Spezialität, welche zugleich die
-Eigenschaft besitzt, als ein Teil des Universums selbst universal
-zu sein und sich seiner und aller Universalität bewußt
-zu werden. Die unendliche universelle, kosmische Natur steckt
-im Intellekt, im menschlichen sowohl als im tierischen, wie
-sie im Eichenholz, in allen anderen Hölzern, in allen Stoffen
-und Kräften steckt. Die weltliche, monistische Natur, welche
-vergänglich und unvergänglich, begrenzt und unbegrenzt,
-speziell und generell zugleich ist, befindet sich in allem und<span class="pagenum"><a id="Seite_142">[142]</a></span>
-alles befindet sich in dieser Natur &ndash; die Erkenntnis oder
-das Vermögen der Erkenntnis macht davon keine Ausnahme.</p>
-
-<p>»Inwiefern ist der Intellekt beschränkt und unbeschränkt?«
-lautet die Überschrift des dritten Abschnitts.</p>
-
-<p>Die Erkenntnis ist ein Vermögen neben anderen, und alles,
-was neben anderem liegt, ist davon beschränkt und begrenzt.
-Wir können alles erkennen, aber wir können auch alles betasten,
-sehen, hören, riechen und schmecken; wir haben auch
-das Vermögen herumzuwandeln und dergleichen Vermögen
-noch mehr. Eine Kunst beschränkt die andere, und doch ist jede
-in <em class="gesperrt">ihrem Gebiet</em> unbeschränkt. Die verschiedenen menschlichen
-Vermögen gehören zusammen und machen zusammen
-den menschlichen Reichtum aus.</p>
-
-<p>Der Verstand des Menschen ist beschränkt, wie sein Gesicht
-beschränkt ist. Das Auge kann durch eine Glasscheibe
-hindurchsehen, aber nicht durch ein Brett; gleichwohl werden
-wir es für keine Beschränktheit irgendeines Auges halten,
-wenn es die Bretter nicht durchschauen kann. Diese drastischen
-Gleichnisse sind zeitgemäß, weil es gelehrte Herren gibt, die
-mit der bedächtigsten Miene von der Welt den Finger an
-die Nase legen und auf die Beschränktheit unseres Intellekts
-<em class="gesperrt">in dem Sinne</em> aufmerksam machen, als <em class="gesperrt">sei das</em> Erkennen,
-das auf dieser Erde wissenschaftlich produziert wird, <em class="gesperrt">nur
-so ein nominelles, aber gar kein eigentliches</em> Wissen
-und Kennen. Der menschliche Intellekt wird so zum »Surrogat«
-irgendeines »höheren« Intellekts herabgewürdigt, der
-ahnungsvoll in dem kleinen Kopfe eines Heinzelmännchens
-oder in dem großen eines allmächtigen Wolkenschiebers nicht
-entdeckt, aber »geglaubt« werden soll. Jetzt ist der Intellekt
-erkannt als eine begrenzte, beschränkte, natürliche Erscheinung,
-Kraft oder Potenz, welche nicht unermeßlich, wohl aber gleich
-allen anderen Kräften und Stoffen ein Teil des Unermeßlichen,
-Ewigen und Unbegrenzten ist.</p>
-
-<p>Die Kenntnis des Universums, des Unbegrenzten ist uns
-sowohl angeboren als durch Erfahrung gegeben. Angeboren<span class="pagenum"><a id="Seite_143">[143]</a></span>
-ist dem Menschen diese Kenntnis, ähnlich wie ihm die Sprache
-angeboren ist, nämlich in der Keimform, und die Erfahrung
-gibt uns das Unbegrenzte in negativer Weise; wir erfahren
-nirgends und von keinem Dinge Anfang oder Ende. Ganz
-im Gegenteil hat uns die Erfahrung positiv darüber aufgeklärt,
-daß alle vermeintlichen Anfänge und <span id="corr143">Enden</span> nur Zusammenhänge
-des unendlichen, unermeßlichen, unerschöpflichen
-und unauskenntlichen Universums sind. Gegenüber dem
-kosmischen Reichtum ist der Intellekt allerdings ein armer
-Schlucker, was ihn nicht hindert, andererseits das vollkommenste
-Instrument zu sein, um die begrenzten Erscheinungen
-des unbegrenzten Naturwesens in klarster und deutlichster
-Weise konterfeien zu können.</p>
-
-<p>Das Thema wird im vierten Abschnitt »Von der Allgemeinheit
-der Natur« fortgesetzt:</p>
-
-<p>Was sich in der Natur widerspricht, soll unser Kopf auflösen.
-Wenn er so viel Selbstkenntnis besitzt, zu wissen, daß
-er keine Ausnahme von der allgemeinen Natur, sondern ein
-natürliches Stückchen desselben Stoffes ist (trotzdem er sich
-»Geist« nennt), so weiß er und muß er zugleich wissen, daß
-seine Klarheit sich von der natürlichen Verworrenheit, daß
-sich die Lösung des Rätsels vom Rätsel selbst nur ganz mäßig
-unterscheiden kann. Nur durch mäßige Unterscheidung lösen
-sich die Widersprüche, nur durch die erkenntnistheoretische
-Wissenschaft, daß überschwengliche Grundverschiedenheiten
-eben nur <em class="gesperrt">Überschwenglichkeiten</em> sind.</p>
-
-<p>Behufs dessen müssen wir uns vergegenwärtigen, daß es
-nur <em class="gesperrt">ein</em> Wesen gibt und alle anderen sogenannten Wesen
-als unwesentliche Formen des Generalwesens zu erkennen
-sind, welches letztere mit den Namen Natur oder Universum
-bezeichnet wird.</p>
-
-<p>Ursprünglich also zu Übertreibungen im Unterscheiden geneigt,
-hat man das menschliche Erkenntnisvermögen für ein
-Wesen von anderer Natur angesehen als die natürlichen
-Wesen, welche neben und außer dem Intellekt existieren. Nun<span class="pagenum"><a id="Seite_144">[144]</a></span>
-ist aber zu bemerken, daß jedes Stückchen der Natur ein
-»anderes« individuelles Naturstückchen ist, und ferner, daß
-jeder andere und anders geartete individuelle Teil trotzdem
-und zugleich auch <em class="gesperrt">kein anderer, sondern ein gleichartiges</em>
-Stück der Generalnatur ist. Die Sache ist gegenseitig:
-das allgemeine Naturwesen besteht nur mittels der
-unendlich vielen individuellen Spezialitäten, und diese wieder
-bestehen nur in dem, mit dem und durch das allgemeine kosmische
-Gesamtwesen.</p>
-
-<p>Unser Intellekt ist ein Teil des Unerschöpflichen und hat
-also auch teil an seiner unerschöpflichen Natur. Der Naturteil,
-welcher den Namen Intellekt führt, ist nur insofern beschränkt,
-wie der Teil kleiner ist als das Ganze.</p>
-
-<p>Der fünfte Abschnitt »Wie das Erkenntnisvermögen ein
-Stück der Menschenseele ist« knüpft an die Theorie des Psychophysikers
-Fechner an, nach der alle leblosen wie lebenden
-Wesen eine Seele haben:</p>
-
-<p>Fechner ist ein Dichter, und der Dichter sieht Ähnlichkeiten,
-die der nüchterne Kopf nicht sieht; dabei müssen wir aber
-zugeben, wie der nüchterne Kopf, der überall <em class="gesperrt">nur die Unterschiede</em>
-sieht, ein sehr erbärmlicher Kopf ist.</p>
-
-<p>Wenn der Unterschied zwischen Menschen und Steinen nicht
-so groß ist, daß solch ein genialer Kopf wie Fechner sie als
-gemeinsam beseelt mit Fug und Recht darstellen <span id="corr144">kann</span>, so wird
-doch auch &ndash; was Fechner noch entgangen &ndash; der Unterschied
-zwischen Leib und Seele nicht so groß sein, daß gar keine
-Ähnlichkeit, keine Gemeinschaft stattfände. Ist die Luft und
-der Duft nicht ein ätherischer Leib?</p>
-
-<p>Alle Dinge sind so ähnlich, daß ein guter Dichter aus
-allem alles machen kann. Kann das vielleicht auch die Naturwissenschaft?
-Ah! Diese Herren sind auch auf dem besten
-Wege. Sie machen das Trockene flüssig und das Flüssige
-gasförmig, machen aus der Schwerkraft Wärme und aus der
-Wärme wieder Triebkraft; aber dabei vergessen sie nicht den
-Unterschied der Dinge, wie es unserem Fechner passiert ist.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_145">[145]</a></span></p>
-
-<p>Es ist nicht genug, zu wissen, daß der Leib beseelt und
-die Seele beleibt ist, nicht genug, zu wissen, daß alles eine
-Seele hat, es wollen auch die Menschen-, Tier-, Pflanzen-
-usw. Seelen in ihren Einzelheiten und Eigentümlichkeiten gehörig
-getrennt, eingeteilt, markiert und unterschieden sein;
-man hüte sich nur, den Unterschied zu übertreiben und exorbitant
-zu machen, damit er nicht sinnlos werde.</p>
-
-<p>Wir machen es uns nicht zur Aufgabe, der Allerweltsseelentheorie
-weiter zu folgen. Fechner erklärt selbst: »Von
-vornherein ist zu gestehen, die ganze Seelenfrage ist und bleibt
-eine Glaubensfrage.«</p>
-
-<p>Jedoch steht seit Cartesius fest, wenigstens in der philosophischen
-Welt, daß das Bewußtsein der menschlichen Seele
-von ihrem Dasein das Sicherste ist, das sie weiß. Die positivste
-Wissenschaft von der Welt ist die erfahrungsmäßige
-Wahrnehmung der denkenden Seele von sich selbst. Dieses
-Subjekt ist das evidenteste Objekt, das sein kann, und das
-Leben und Treiben dieses Seelenstückchens, das sich Bewußtsein
-oder Erkenntnisvermögen nennt, trefflich geschildert zu
-haben, ist das Akquisit der Philosophie.</p>
-
-<p>Hieran reiht sich als sechster Abschnitt das Thema »Dem
-Bewußtsein ist nicht nur die Möglichkeit oder das Vermögen
-überhaupt zu wissen, sondern auch das Bewußtsein von der
-Universalität der Generalnatur angeboren«.</p>
-
-<p>Im geschichtlichen Verlauf der Philosophie ist namentlich
-viel Disput darüber gewesen, wie unsere Kenntnisse zustande
-kommen, ob und was davon angeboren und was durch Erfahrung
-erworben ist. Ohne <em class="gesperrt">angeborene</em> Fähigkeit war
-auch mit aller Erfahrung keine Kenntnis zu sammeln, und
-ohne alle Erfahrung mußte das beste Vermögen leer bleiben.
-Die zustande gebrachte Wissenschaft auf allen Gebieten ist
-also die Folge einer Wechselwirkung von Subjekt und Objekt.</p>
-
-<p>Ohne daß etwas Objektives zu sehen vorhanden wäre,
-könnte auch kein subjektives Gesichtsvermögen da sein. Ein
-Gesichts<em class="gesperrt">vermögen</em> besitzen, bedeutet zugleich die faktische Ausübung<span class="pagenum"><a id="Seite_146">[146]</a></span>
-der Gesichtsfunktion. Man hat nicht das Vermögen
-zu sehen, ohne daß man etwas sieht. Zwar läßt sich beides
-trennen, doch nur in der Theorie, nicht in der Praxis, und
-es ist und soll die theoretische Trennung von dem Bewußtsein
-begleitet sein, daß das getrennte Vermögen nur ein von
-der Ausübung abgeleiteter Begriff ist. Vermögen und Ausübung
-stecken ineinander und gehören zusammen.</p>
-
-<p>Der Mensch bekommt erst ein Bewußtsein, ein Vermögen
-zu wissen, nachdem er etwas weiß, und es wächst die Kraft
-mit der Ausübung.</p>
-
-<p>Wenn wir jetzt behaupten, daß der Begriff des Universums
-ein angeborener Begriff sei, darf der geneigte Leser
-nicht schließen, daß wir deshalb das alte Vorurteil pflegten,
-wonach der Menschenverstand oder die Vernunft gleichsam
-eine Büchse sei, mit Begriffen gefüllt über das Wahre, Schöne,
-Gute und dergleichen Dinge. Nein, der Intellekt kann seine
-Begriffe, Vorstellungen, Urteile usw. nur selbsttätig durch
-Produktion hervorbringen, wozu die anderweitige Welt das
-Material hergeben muß; aber dies Produzieren setzt die angeborene
-Fähigkeit dazu voraus. Das Bewußtsein, das Wissen
-vom Sein, muß gegeben sein, bevor ein anderes spezielleres
-Wissen praktiziert werden kann.</p>
-
-<p>Das Bewußtsein ist <em class="antiqua">per se</em> das Bewußtsein des Grenzenlosen.
-Das dem Menschen angeborene Bewußtsein ist die
-Wissenschaft des unbegrenzten Daseins. Wenn ich weiß, daß
-ich da bin, weiß ich mich als ein Stück des Daseins. Daß
-nun dies Dasein, diese Welt, wovon ich wie jedes andere
-Partikelchen nur ein Stück bin, eine <em class="gesperrt">unbegrenzte</em> Welt
-sein muß, werde ich allerdings erst gewahr, wenn ich den
-Begriff des Seins mit einem gewitzigten Denkinstrument
-analysiere. Begriffs-, Erkenntnis-, Denkvermögen heißt vor
-allem das Vermögen, den Universalbegriff zu fassen. Der
-Intellekt kann keinen Begriff bilden, keine Vorstellung haben,
-denen nicht die Vorstellung oder der Begriff des Universums
-mehr oder weniger dunkel oder hell zugrunde liegt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_147">[147]</a></span></p>
-
-<p>Daß unserem Denkvermögen die Denkfähigkeit, die universale,
-angeboren, ist doch keineswegs unbegreiflicher als
-auch, daß die Kreise rund, zwei Berge mit einem zwischenliegenden
-Tale, Wasser flüssig und Feuer brennend auf die
-Welt gekommen. Alle Dinge besitzen gewisse Beschaffenheit
-<em class="antiqua">per se</em>; sie sind damit geboren. Bedarf das noch einer Erklärung?
-Die Blumen, welche den Pflanzen mit der Zeit,
-und die Kräfte und Weisheit, welche den Menschen mit den
-Jahren anwachsen, sind nicht erklärlicher als die angeborenen
-Eigenschaften, und die angeborenen nicht wunderbarer als
-die später erlangten. Die beste Erklärung vermag den Wundern
-der Natur nicht die <em class="gesperrt">natürliche</em> Wunderbarkeit zu
-nehmen.</p>
-
-<p>Ich und mancher meiner Leser finden in unseren Köpfen
-das tatsächliche Bewußtsein, daß die Generalnatur, wovon
-der Intellekt ein Stück ist, eine endlose, unbegrenzte Natur
-ist. Diesen Begriff von der Universalität nenne ich »angeboren«,
-obgleich er ein erworbener ist. Ich versuche nämlich
-beim Leser geltend zu machen, wie der Unterschied, den man
-gemeiniglich zwischen angeborenen und erworbenen Eigenschaften,
-Fähigkeiten und Besitzungen macht, kein so extravaganter
-ist, daß nicht das Angeborene der Erwerbung bedürfe
-und das Erworbene eine angeborene Natur voraussetze.</p>
-
-<p>Die Philosophie hat sich darum bemüht, den Intellekt zu
-erkennen. Bei der Darstellung ihres Akquisits haben wir zu
-erläutern, daß die Erkenntnis, die philosophische sowohl als
-jede andere, nicht aus dem <em class="gesperrt">isolierten</em> Erkenntnisvermögen,
-sondern aus der Gesamt<em class="gesperrt">natur</em> entspringt. Die Gebärmutter
-unserer Kenntnisse und Erkenntnisse ist nicht nur im Menschenkopf,
-vielmehr in der Gesamtwelt zu suchen, welche nicht nur
-Universum heißt, sondern auch universal ist.</p>
-
-<p>Das menschliche Bewußtsein ist zunächst ein individuelles.
-Jedes menschliche Individuum hat sein eigenes. Jedoch ist
-es eine Eigentümlichkeit meines, deines und jedes anderen
-Bewußtseins, nicht nur das Bewußtsein des betreffenden<span class="pagenum"><a id="Seite_148">[148]</a></span>
-Individuums, sondern das Generalbewußtsein des Universums
-zu sein &ndash; wenigstens seinem Beruf und der Möglichkeit
-nach. Nicht jedes Individuum hat sich die Universalität
-der Generalnatur klar gemacht &ndash; woher käme sonst der vertrackte
-Dualismus? Woher die Notwendigkeit, daß erst die
-bändereiche Philosophie uns belehren mußte, wie eine Grenze,
-ein Ding oder eine Welt, außerhalb der universalen, ein
-unsinniger Gedanke, ein Gedanke ist, der sich mit Sinn und
-Verstand gar nicht verträgt? Wir mögen deshalb wohl die
-positive Erklärung abgeben, daß unser Bewußtsein, unser
-Intellekt nur »<em class="gesperrt">sozusagen</em>« der unserige, <em class="gesperrt">eigentlich</em> und
-wahrhaft jedoch ein Bewußtsein, ein Intellekt ist, welcher
-der universellen Welt oder Generalnatur angehört.</p>
-
-<p>Wenn nicht zu leugnen, daß Sonne, Mond und Sterne
-eine Zubehör der endlosen, unermeßlichen Welt sind, so ist
-diese Eigenschaft doch auch unserem Bewußtsein nicht abzusprechen.
-Da also dies intellektuelle Vermögen dem Unermeßlichen
-angehört und sein Kind ist, dürften wir es nicht
-wunderlich finden, daß dies der Universalität angehörige
-Begriffsvermögen mit der Möglichkeit des Universalbegriffs
-zur Welt kommt. Und wer das nicht mehr wunderlich findet,
-muß es doch wohl erklärlich finden, muß finden, daß diese
-Tatsache des Bewußtseins erklärt ist.</p>
-
-<p>In logischem Anschluß hieran handelt der siebte Abschnitt
-»von der Verwandtschaft, auch Identität genannt, zwischen
-Geist und Natur«.</p>
-
-<p>»Es gibt ein Naturgesetz der Analogie, welches erklärt, daß
-alle Dinge, die das Universum vereinigt, zu derselben Familie
-gehören, daß sie durch die Verwandtschaft verbunden sind,
-welche die größte Mannigfaltigkeit individueller Unterschiede
-verträgt und selbst durch den Abstand der Extreme nicht aufgehoben
-wird.« Wenn wir diese Worte bis in ihre letzte Konsequenz
-begreifen, so ist damit das bisherige Akquisit der
-Philosophie erkannt. Sie belehren uns, wie wir den Intellekt
-gebrauchen sollen, um uns ein treffliches Bild vom Universum<span class="pagenum"><a id="Seite_149">[149]</a></span>
-zu machen. Wenn alle Dinge verwandt, alle, ohne Ausnahme,
-Sprößlinge des Universums sind, so müssen doch auch
-der Geist und die Materie zwei Ellen Zeug von einem <em class="gesperrt">Stoffe</em>
-sein; es darf auch der Unterschied zwischen dem menschlichen
-Erkennen und anderen menschlichen und natürlichen Funktionen
-zu keinem überschwenglichen, keinem extravaganten,
-keinem <em class="antiqua">toto coelo</em>-Unterschied aufgebauscht werden.</p>
-
-<p>Philosophie nennt sich die Bemühung, den menschlichen
-Denkprozeß zu erhellen. Diese Arbeit ist unsagbar erschwert
-worden durch das unvermeidliche Mißverständnis der soeben
-beschriebenen universalen Verwandtschaft. Vor allem sollte,
-so verlangen die Überschwenglichen, das Denken und dessen
-Produkt, der Gedanke, nicht in die familiäre Physik, nicht
-in die physische Natur gehören, sondern das Geschöpf einer
-anderen Natur sein, welche den mysteriösen Namen Metaphysik
-führt.</p>
-
-<p>Auch die Materialisten sind einseitig versessen auf ihre
-»Materie« wie die Idealisten auf ihre »Idee«. Streit und
-Zank ist Wirrsal, nur Friede bringt Licht. Der Gegensatz
-zwischen dem Materiellen und Ideellen findet in dem Akquisit
-der Philosophie seine Versöhnung, welche lehrt, daß wir in
-allen Unterscheidungen mäßig sein müssen, weil weder unser
-Denkinstrument, noch die anderweitige Natur zu extravaganten
-Unterschieden berechtigt. Um Licht in die Streitfrage zu
-bringen, bedarf es nur der Einsicht, daß die Ideen, welche
-die Natur in den Menschenköpfen entwickelt, wenn auch kein
-Material für unsere Hände, so doch ein Material für unsere
-Erkenntnis sind.</p>
-
-<p>Stoffe, Kräfte, Ideen, Vorstellungen, Begriffe, Urteile,
-Schlüsse, Kenntnisse und Erkenntnisse wollen gemäß der Aufklärung,
-welche die Philosophie zutage förderte, als Verschiedenheiten
-oder Mannigfaltigkeiten <em class="gesperrt">einer</em> monistischen
-Gattung erkannt sein. Die Verschiedenheit dieser Dinge widerspricht
-ebensowenig der Einheit, als die Einheit der Verschiedenheit
-widerspricht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_150">[150]</a></span></p>
-
-<p>Um den Wurm und den Elefanten, das niedrigste und
-das höchste Tier, Vegetabilisches und Animalisches, Anorganisches
-und Organisches als Glieder einer Art oder Gattung
-verständnisinnig zu verbinden, ist die Allmählichkeit, die
-Stufenordnung der Natur, sind die Übergänge, die Mitteldinge
-und Mittelbegriffe vornehmlich zu beachten. Die Embryologie,
-welche zeigt, wie das animalische Leben des höchsten
-Tieres <em class="gesperrt">die Stufen der Tiergattung</em> durchläuft, hat das
-Verständnis <em class="gesperrt">der gemeinschaftlichen Art aller Tiere</em>
-besonders gefördert.</p>
-
-<p>Was Darwin für die Tierwelt begreifen lehrte, daß es
-innerhalb derselben keine grundverschiedenen Arten gebe, lehrt
-die Philosophie in betreff des Kosmos. Die Erkenntnis des
-letzteren wird gehindert durch die Gewohnheit, zwischen Materie
-und Geist einen unmäßigen Unterschied zu machen.</p>
-
-<p>Vorstehende Lehre erhält einen prägnanten Ausdruck im
-Titel des achten Abschnitts »Die Erkenntnis ist materiell«.</p>
-
-<p>Gemäß der neueren Naturwissenschaft löst sich das ganze
-Dasein in Bewegung auf. So viel ist ohnehin längst bekannt
-und notorisch, daß selbst die Felsen nicht stillstehen, sondern
-immer in Tätigkeit, im Entstehen und Vergehen sind.</p>
-
-<p>Die Erkenntnis, der Intellekt, ist ein tätiger Gegenstand,
-eine gegenständliche Tätigkeit, wie der Sonnenschein, wie der
-Wasserfluß, wie der wachsende Baum, wie der verwitternde
-Stein oder irgendein anderes Naturphänomen. Auch ist
-die Erkenntnis, ist das Denken, welches im Menschenkopf,
-gleichviel ob willkürlich oder unwillkürlich, vorgeht, <em class="gesperrt">eine
-Wahrnehmung</em>, eine Wahrnehmung von ebenso unzweifelhafter
-Gewißheit, als die allermateriellste. Daß wir die erkennende,
-denkende, intellektuelle Tätigkeit durch den inneren
-Sinn und nicht durch den äußeren wahrnehmen, kann unsere
-Behauptung von der sinnlichen Wahrnehmbarkeit der Sache
-nicht im geringsten erschüttern. Ob der Stein äußerlich vorhanden
-und das Denken innerlich &ndash; was ändert diese kleine
-Differenz an der unverrückbaren Tatsache, daß beide Wahrnehmungen<span class="pagenum"><a id="Seite_151">[151]</a></span>
-gleicher Art, und zwar sinnlicher Art sind? Warum
-soll nicht die Denktätigkeit mit der Herztätigkeit in dieselbe
-Kategorie gehören? Und wenn der Herzschlag auch ein innerer
-und der Zungenschlag der Nachtigall ein äußerer, was kann
-uns hindern, diese beiden so sehr differenten Schläge unter
-der höheren Einheit natürlicher oder materieller Vorgänge
-zusammenzufassen? Wenn also die Herzfunktion mit dem
-Namen einer materiellen beehrt werden darf, warum nicht
-die Hirnfunktion?<a id="FNAnker_14_14"></a><a href="#Fussnote_14_14" class="fnanchor">[14]</a></p>
-
-<p>Nicht nur Tastbarkeiten sind »Dinge«, auch Sonnenstrahlen
-und Blumendüfte gehören in diese Kategorie, und Erkenntnisse
-nicht minder. Aber alle diese »Dinge« sind nur relative
-Dinge, insofern sie Eigenschaften des Einen und Absoluten
-sind, welches das einzige Ding, das »Ding an sich«
-ist, einem jeden wohlbekannt unter dem Namen Universum
-oder Kosmos.</p>
-
-<p>Dietzgen betrachtet nun im neunten Abschnitt, um sich mit
-der schulmäßigen Logik abzufinden, die »vier logischen Grundgesetze«,
-das Gesetz der Identität, des Widerspruchs, des
-ausgeschlossenen Dritten und des zureichenden Grundes. Er
-bedient sich hierzu eines Lehrbuchs des berühmten Wiener
-Pädagogen Dittes, des damals freigeistigsten unter den führenden
-Schulmännern deutscher Zunge. Zu den traditionellen
-»vier logischen Grundgesetzen« bemerkt Dietzgen unter anderem:</p>
-
-<p>Wenn das erste Gesetz lehrt: die Dinge sind sich selbst
-gleich, so lehrt nun die Dialektik in ihrem ersten Paragraph:
-die Dinge sind nicht nur sich selbst gleich und einerlei vom
-Anfang bis zum Ende, sondern haben auch die widerspruchvolle
-Natur, einerlei und doch durchaus mannigfaltig zu
-sein. Insofern es ein Denkgesetz ist, daß wir uns mittels
-des Gedankens ein möglichst treffliches Bild von den Dingen
-machen, müssen wir uns auch von dem Denkgesetz belehren
-lassen, wie alle Dinge und Vorgänge ohne Ausnahme keine<span class="pagenum"><a id="Seite_152">[152]</a></span>
-von jedem Standpunkt aus sich gleichbleibende Dinge sind,
-sondern der Farbe jener Seide gleichen, die, obschon sie sich
-selbst gleich oder einerlei bleibt, dennoch sehr ungleich in
-den verschiedensten Schattierungen schillert. Die Dinge, wozu
-das denkende Ding oder der menschliche Intellekt mitgehört,
-sind sowenig nur einerlei, von Anfang bis Ende, daß sie
-in der Tat und Wahrheit gar keinen Anfang und kein Ende
-haben, sondern als Naturerscheinungen, als Erscheinungen
-der endlosen Natur <em class="gesperrt">scheinen</em> sie nur Anfang und Ende zu
-haben, während es in Wahrheit nur Verwandlungen sind,
-die zeitweise aus dem Unendlichen auftauchen und wieder
-darin verschwinden.</p>
-
-<p>Die anfang- und endlose natürliche Wahrheit oder wahre
-Natur ist so widerspruchvoll beschaffen, daß sie nur in
-<em class="gesperrt">Erscheinungen</em> sich äußert, welche dennoch durchaus wahr
-sind. Der alten Logik erscheint dieser Widerspruch unsinnig.
-Sie steift sich auf ihr erstes, zweites und drittes Gesetz, auf
-ihre Einerleiheit, ihre Widerspruchlosigkeit und auf das ausgeschlossene
-Dritte, welches entweder krumm oder gerade,
-entweder kalt oder warm sein muß und alles Dazwischenliegende
-ausschließt. Sie hat recht! Im Hausgebrauch muß
-man mit Gedanken und Worten so entschieden verfahren.
-Jedoch ist es zugleich zweckmäßig, sich vom Akquisit der
-Philosophie belehren zu lassen, wie es in der Wirklichkeit
-und Wahrheit nicht so exakt, nicht so ganz idealiter zugeht.
-Die logischen Gesetze denken von den Gedanken und ihren
-Formen und Anwendungen ganz richtig; aber sie erschöpfen
-das Richtige des Denkens und seiner Gedanken nicht; es entgeht
-ihnen das Bewußtsein von der Unerschöpflichkeit aller
-natürlichen Schöpfungen, wozu das Objekt der Logik, das
-menschliche Erkenntnisvermögen mitgehört. Dies Objekt ist
-nicht vom Himmel gefallen, sondern ist ein endlicher Teil
-des Unendlichen, welcher tatsächlich die widerspruchvolle
-Natur besitzt, in, mit und an seinem besonderen logischen
-Naturell das allgemeine Naturwesen zu haben, welches über<span class="pagenum"><a id="Seite_153">[153]</a></span>
-alle Logik erhaben ist. Die unendliche Natursubstanz ist ein
-durchaus bewegliches Element, darin alles Feste auftaucht
-und untergeht und deshalb wohl vorübergehend etwas Festes
-und zugleich schließlich doch nichts Festes ist.</p>
-
-<p>Erwägen wir nun noch kurz das vierte Grundgesetz der
-Logik, demnach alles und jedes seinen zureichenden Grund
-haben muß. Auch dieses Gesetz ist wohl achtbar und ehrenswert;
-aber dennoch sehr unzulänglich, indem zu der Frage,
-wie wir die Welt zu denken haben und wie das höchst entwickelte
-Denkvermögen beschaffen ist, nunmehr die Antwort
-gehört: die Welt, worin alles seinen zureichenden Grund hat,
-ist dennoch mitsamt dem Bewußtsein oder Denkvermögen,
-wie ein anfang- und endloses, so auch ein <em class="gesperrt">grundloses</em>, das
-heißt ein in sich und durch sich selbst begründetes Wesen.
-Der Satz vom zureichenden Grunde gilt nur für die menschliche
-Bildmacherei. In unseren logischen Weltbildern muß
-alles seinen zureichenden Grund haben; das Original jedoch,
-der universale Kosmos hat keinen Grund, er ist sich selbst
-Grund und Folge, Ursache und Wirkung. Zu verstehen, daß
-alle Gründe auf dem Grundlosen fußen, ist eine erhebliche
-dialektische Kenntnis, welche den Grundsatz von der Notwendigkeit
-des zureichenden Grundes erst ins rechte Licht rückt.</p>
-
-<p>Formaliter muß alles seine Ursache und seinen Grund
-haben; realiter jedoch hat jedes Ding nicht einen Grund,
-sondern unendlich viele Gründe. Nicht nur Vater und Mutter
-ist der Grund und die Ursache meines Daseins, sondern auch
-Groß- und Urgroßeltern, nebst der Luft, die sie geatmet, der
-Nahrung, die sie genossen, der Erde, auf der sie gewandelt,
-der Sonne, welche die Erde bescheint, usw. Kein Ding, kein
-Prozeß, keine Veränderung ist der <em class="gesperrt">zureichende</em> Grund eines
-anderen, vielmehr begründet sich alles und jedes mittels
-des Universums, welches <em class="gesperrt">absolut</em> ist.</p>
-
-<p>Indem die alte Logik das Denken dem anderweitigen Sein
-gegenübersetzte, hat sie den <em class="gesperrt">Zusammenhang der Gegensätze</em>
-vergessen, vergessen, wie das Denken als eine Form,<span class="pagenum"><a id="Seite_154">[154]</a></span>
-eine Art, eine Individualität ist, welches in die Gattung
-des Seins gehört, wie der Fisch in die Gattung des Fleisches,
-die Nacht in die Gattung des Tages, die Kunst in die Natur,
-das Wort zur Tat und der Tod zum Leben gehört.</p>
-
-<p>Weil also die alte Logik mit ihren vier Grundsätzen zu
-borniert war, mußte von ihrer Fortentwicklung die Dialektik
-erzeugt werden, welche das Akquisit der Philosophie ist. Diese
-also erweiterte Denklehre begreift das Universum als das
-wahrhaft Universale oder Unendliche, worin alle Widersprüche
-im Mutterschoß der Versöhnung schlummern. Ob die neue
-Logik mit der alten <em class="gesperrt">einen</em> Namen oder die aparte Benennung
-der Erkenntnistheorie oder Dialektik führen soll, ist ein
-Wortstreit, der einfach durch Opportunität zu entscheiden ist.</p>
-
-<p>Die Abschnitte zehn und elf, »Die Funktion der Erkenntnis
-auf religiösem Gebiet« und »Die Kategorie der Ursache und
-Wirkung ist ein Hilfsmittel der Erkenntnis«, lehnen an Aussprüche
-des Psychologen Lazarus an, dessen Arbeiten (wie
-auch die von seinem Kollegen und Schwager Steinthal) Dietzgen
-sehr wertschätzte, weshalb er gegen manches Unzutreffende
-in Lazarus' Aussprüchen polemisierte. Doch von größerer Bedeutung
-ist für uns der zwölfte Abschnitt »Geist und Materie
-&ndash; was ist das Primäre?«</p>
-
-<p>Das Akquisit der Philosophie gipfelt in dieser Erkenntnis,
-daß die Welt mannigfaltig und daß die Mannigfaltigkeit
-eins ist in ihrem gemeinschaftlichen weltlichen Naturell. Die
-Wissenschaften müssen uns ihre Objekte in dieser widerspruchvollen
-Weise darstellen, weil eben alle Dinge in diesem Widerspruche
-tatsächlich leben. Was die Museumszoologen und Herbariumsbotaniker
-auf dem <em class="gesperrt">räumlichen</em> Gebiet der Tier- und
-Pflanzenwelt getan haben, akzeptieren die Darwinianer unter
-Zuziehung der <em class="gesperrt">zeitlichen</em> Mannigfaltigkeit derselben Gebiete;
-die einen wie die anderen kategorisieren, klassifizieren,
-systematisieren. Dasselbe tun die Chemiker mit Kräften und
-Stoffen und Hegel mit den kategorischen Verhältnissen von
-Sein und Nichts, Quantität und Qualität, Substanz und<span class="pagenum"><a id="Seite_155">[155]</a></span>
-Akzidenz, Ding und Eigenschaft, Ursache und Wirkung usw.
-Er läßt alles ineinander überlaufen, werden, fließen, sich
-bewegen, und tut sehr recht daran. Die ganze Welt bewegt
-sich und gehört zusammen.</p>
-
-<p>Was jedoch Hegel verfehlte und wir zusetzen, besteht in
-der weiter gewonnenen Einsicht, daß der Fluß und die Beweglichkeit
-der namhaft aufgeführten Denkkategorien nur ein
-Exempel ist für die notwendige Beweglichkeit und den Ineinanderfluß
-aller Gedanken und Begriffe, welche selbst nur
-ein Exempel und Abbild des universalen Lebens sind, sein
-sollen und wollen.</p>
-
-<p>Die idealistischen Philosophen, die alle wesentlichen Beiträge
-zu dieser schließlichen Spezialkenntnis geliefert haben,
-sind doch alle noch mehr oder minder in dem Wahne befangen,
-der Denkprozeß sei der wahre Prozeß und das wahre
-Original, die Natur oder das materielle Universum, nur ein
-sekundäres Phänomen. Jetzt ist nun zu begreifen, daß der
-phänomenale kosmische Zusammenhang, die universale lebendige
-Welt, die Wahrheit und das Leben ist.</p>
-
-<p>Die zwei folgenden Abschnitte &ndash; dreizehn und vierzehn &ndash;
-sind der Frage gewidmet, »Inwieweit die Zweifel an der
-Möglichkeit einer klaren und deutlichen Erkenntnis überwunden
-sind« und »Über den Unterschied zwischen zweifelhaften
-und evidenten Erkenntnissen«.</p>
-
-<p><em class="antiqua">Ad</em> 1 gelangt Dietzgen zum Resultat:</p>
-
-<p>Das Universum ist da, und zu seinem Dasein gehört alles;
-nichts oder kein Ding ist davon ausgeschlossen, am wenigsten
-die Erkenntnis. Letztere ist also nicht nur möglich, sondern
-ein Faktum, welches dazu noch durch den Begriff des allervollkommensten
-Wesens bewiesen wird.</p>
-
-<p>Das muß uns doch über den Zweifel der Kritiker und
-speziell auch über den Kantschen Kritizismus oder besser Dualismus
-hinweghelfen. Kant hat das Dogma von der Möglichkeit
-der Erkenntnis nicht so unbesehen hinnehmen, sondern
-untersuchen wollen. Er hat dann entdeckt, daß wir rechtmäßig<span class="pagenum"><a id="Seite_156">[156]</a></span>
-erkennen können unter der Bedingung, daß wir mit der Erkenntnis
-auf dem Felde der gemeinen Erfahrung bleiben, das
-heißt im physischen Universum, und nicht ins metaphysische
-Himmelreich abschweifen. Er hat aber nicht erkannt, daß die
-metaphysisch-himmlische Gegend, von der er abrät, zu unserer
-Zeit eine abgetane Sache sein würde.</p>
-
-<p>Er läßt diese überschwengliche Möglichkeit noch bestehen
-und rät wohl ab, mit der Erkenntnis dorthin zu gehen, aber
-nicht, daß wir auch mit der <em class="gesperrt">Ahnung</em> dort wegbleiben sollen.
-Kant haspelt zwischen dem »Ding als Erscheinung« und dem
-»Ding an sich«. Jenes ist irdisch und läßt sich erkennen, dies
-ist übermenschlich und darf geglaubt und geahnt werden. Mit
-dieser Lehre macht er wiederum die Erkenntnis, das Objekt
-der neueren Philosophie, zu einem problematischen Wesen,
-das uns auffordert, darüber weiter zu philosophieren.</p>
-
-<p>Das ist geschehen, und ist es jetzt das Akquisit der Philosophie,
-»klar und deutlich« zu wissen und von der Erkenntnis
-zu erkennen, daß sie nicht nur ein Stück ist in dieser Welt
-der Erscheinungen, sondern ein wahres Stück der Generalwahrheit,
-welch letztere keine andere Wahrheit über sich noch
-neben sich hat und das allervollkommenste Wesen ist.</p>
-
-<p><em class="antiqua">Ad 2.</em> Um aus dem Erkenntnisproblem klug zu werden,
-müssen wir davon ablassen, den Blick auf <em class="gesperrt">einzelne</em> Meinungen,
-Gedanken, Kenntnisse oder Erkenntnisse zu richten;
-wir müssen uns vielmehr den Erkenntnisprozeß im großen
-ganzen ansehen. Da gewahren wir die Entwicklung vom
-Zweifel zur Evidenz, von den irrigen zu wahren Erkenntnissen.
-Da gewahren wir aber auch, wie töricht es gewesen,
-von dem Gegensatz zwischen Wahrheit und Irrtum eine so
-überspannte Vorstellung gehabt zu haben.</p>
-
-<p>Wer die Erkenntnis sucht, die wahre und evidente, findet
-sie nicht in Jerusalem, nicht in Jericho, auch nicht im Geiste;
-in keiner Einzelheit, sondern im Universum.</p>
-
-<p>Da geht das Erkannte aus dem Unerkannten so allmählich
-und stufenweise hervor, daß gar kein Anfang zu ermitteln;<span class="pagenum"><a id="Seite_157">[157]</a></span>
-sie wird und erwächst, ist halb irrig und halb trefflich und
-wird evident und evidenter; aber sowenig es jemals eine
-absolut irrige, sowenig kann es jemals eine absolut wahre
-Erkenntnis geben; absolut, fest, unvergänglich und unerschütterlich
-ist nur das Weltganze, aber keine Spezialität.</p>
-
-<p>Ein <em class="gesperrt">Schlußwort</em> unseres Autors ist der <em class="gesperrt">Bejahung des
-Seins</em> gewidmet:</p>
-
-<p>Das Begreifen, das Vermögen zu begreifen, war der modernen
-Menschheit von abergläubischen Altvordern als Ding
-einer »anderen Welt« überkommen. Der Wahn einer »anderen
-Welt« jedoch ist ein metaphysischer Wahn, der den Begriff
-des Seienden in Mißhelligkeiten brachte.</p>
-
-<p>Das philosophische Akquisit versichert und beweist uns, daß
-es <em class="gesperrt">nur eine</em> Welt gibt, daß diese Welt der Inbegriff alles
-Seins ist, daß dies Dasein wohl unendlich viele Arten hat,
-aber alle Arten dennoch von einer gemeinsamen natürlichen
-Natur sind. So hat die Philosophie den Begriff des Seienden
-zu einem einhelligen Begriff gemacht und mit der metaphysischen
-Mißhelligkeit auch die Metaphysik überwunden.</p>
-
-<p>Das Sein, das allgemeine, hat nur eine Qualität: die
-natürliche des allgemeinen Daseins. Zugleich aber ist diese
-Eigenschaft der Inbegriff aller besonderen Qualitäten. Wie
-der Begriff des Krautes alle Kräuter umfaßt, auch die Unkräuter,
-so umfaßt der Begriff des Seienden nicht nur alles,
-was ist, sondern auch, was nicht ist, was einstmals war und
-künftig sein wird.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_158">[158]</a></span></p>
-
-<h2 id="XI">XI.<br />
-Dietzgens pädagogische und Lebensweisheit.</h2>
-</div>
-
-<p>Der dritte Band von Josef Dietzgens Sämtlichen Schriften
-führt den Titel »Erkenntnis und Wahrheit«, weil er eine
-erweiterte Ausgabe des gleichnamigen Buches ist, das Eugen
-Dietzgen im Jahre 1908 &ndash; zum zwanzigsten Todestag seines
-Vaters &ndash; erscheinen ließ; es ist eine Sammlung von Briefen,
-Zeitschriftartikeln und kleinen Aufsätzen vermischten, teils
-philosophischen, teils nationalökonomischen, teils feuilletonistischen
-Inhalts; ein anderer Teil ist speziell der Propaganda
-des Sozialismus gewidmet. (»Zehn Briefe über Sozialismus
-an eine Jugendfreundin«.) Eine auszugsweise Wiedergabe
-des dritten Bandes in der vorliegenden Publikation erübrigt
-sich, weil unseres Autors naturmonistische Denklehre und
-Weltanschauung, deren Verbreitung dieses Büchlein dienen
-soll, in den die ersten zwei Bände umfassenden Schriften
-enthalten und in den sie resümierenden Abschnitten dieses
-Buches dargelegt ist. Wer die ersten zwei Bände studiert hat,
-wird an den vermischten Schriften des dritten Bandes um
-so größeres Vergnügen finden, als die Lektüre desselben dem
-mit des Autors Philosophie nunmehr Vertrauten keine schwere
-Denkarbeit fortan auferlegt, sondern ihn befähigt, die Wirksamkeit
-von Josef Dietzgens Lehren in ihrer Anwendung
-auf das allgemeine Denkgebiet wie auf die Lebenspraxis,
-einschließlich der politischen Taktik, zu beobachten.</p>
-
-<p>Wenn der Marxist Josef Dietzgen nationalökonomische
-Themata behandelt, über die soziale Frage spricht und über
-den Sozialismus, ist es naturgemäß etwas anderes und etwas
-<em class="gesperrt">mehr</em> &ndash; zumindest durch die philosophische Beleuchtung &ndash;,
-als was der <em class="gesperrt">Nur</em>marxist zu geben hat, wenn ihm weder
-Poesie die Flügel beschwingt, noch Philosophie den Horizont
-erweitert. Der Monismus des Alls, der Universalzusammenhang,<span class="pagenum"><a id="Seite_159">[159]</a></span>
-wie ihn Dietzgen lehrt, ist bisher von der sozialdemokratischen
-Partei so gut wie gar nicht fruktifiziert worden,
-obwohl unser Autor am Schluß seiner Vorrede zum »Akquisit«
-ausdrücklich darauf hingewiesen hat, wie »der Zusammenhang
-und Ineinanderfluß der Dinge auch auf die Frage
-von &gt;mein und dein&lt; einen mächtigen und klärenden Bezug
-hat«. So vernachlässigte man bisher in der sozialdemokratischen
-Partei eins der ausgiebigsten Mittel zur Vertiefung
-sozialistischer Erkenntnis: die Übertragung der monistischen
-Lehre auf das soziale Gebiet, auf das Verhältnis der Menschen
-zueinander.</p>
-
-<p>Kein Autor ist besser geeignet, als Dietzgen, Sozialisten
-zu Monisten &ndash; wenn sie es noch nicht sind &ndash; und aus
-Monisten Sozialisten zu machen. Letzteres gilt nicht zum
-wenigsten vom dritten Band, dessen sämtliche Stücke, was
-kaum besonders hervorgehoben zu werden braucht, in der Auffassung
-wie im Stil sich durch die Originalität, die unserem
-Autor überhaupt zu eigen ist, auszeichnen und Anregung
-zum Selbstdenken reichlichst bieten.</p>
-
-<p>Als von einer in hervorragender Weise wertvollen Gabe
-darf hierbei die Rede sein von den »Privatbriefen Josef
-Dietzgens an seinen Sohn in Amerika« (1880 bis 1884), die
-den dritten Band eröffnen, nebst dem Geleitwort Eugen
-Dietzgens hierzu. Es ist anzunehmen, daß jeder, der für den
-Philosophen Josef Dietzgen Interesse gewonnen hat, sich
-freuen wird, daß ihm Gelegenheit geboten ist, den merkwürdigen
-Menschen etwas näher kennen zu lernen, aus dessen
-»Autodidaktenfeder« die unvergleichlich schönen und erhabenen
-Preisungen der Einheit des Alls geflossen sind. In Verbindung
-mit dem den ersten Band einleitenden Lebensabriß
-Josef Dietzgens durch seinen Sohn Eugen geben jene Privatbriefe
-des Vaters an ihn ein völlig klares Bild des seltenen
-Mannes, der seine Handwerker-Mußestunden der Lösung
-schwierigster philosophischer Probleme erfolgreich gewidmet
-hat; und sie zeigen uns nicht nur das unablässige Ringen<span class="pagenum"><a id="Seite_160">[160]</a></span>
-des <em class="gesperrt">Philosophen</em> um die Erkenntnis, sondern auch den
-<em class="gesperrt">Menschen</em> Josef Dietzgen und besonders ihn als Familienvater
-und Musterpädagogen; wir sehen, wie er seine und der
-Seinigen Existenzfrage ventiliert und sie in großzügiger Weise
-zu lösen versteht &ndash; kurz, einen Denker, den die Theorien nicht
-für die Praxis verdorben hatten.</p>
-
-<p>Josef Dietzgen, der Arbeiterphilosoph, war dreimal in
-Amerika; von Juni 1849 bis Herbst 1851, von 1859 bis
-1861 und von Ende Juni 1884 bis zu seinem am 15. April
-1888 erfolgten Tode.</p>
-
-<p>Im Frühjahr 1880 schickte er seinen ältesten Sohn Eugen,
-nachdem dieser mit dem Reifezeugnis für die Prima das
-Progymnasium seiner Heimat Siegburg absolviert hatte, als
-»Quartiermacher« für die Familie nach den Vereinigten
-Staaten. Der junge Mann wäre lieber daheim geblieben,
-um das Gymnasialabiturientenexamen zu machen, die Universität
-zu beziehen und Gymnasiallehrer zu werden. Der
-Vater aber riet ihm, nach Amerika auf »die Hochschule des
-Lebens« zu gehen; dort könnte er sich eine bessere Existenz
-gründen und zugleich die jüngeren Geschwister mitversorgen
-helfen, um deren Zukunft Josef Dietzgen sehr besorgt war,
-weil sein kleinbürgerliches Geschäft, eine Lohgerberei, von
-Jahr zu Jahr durch kapitalistische Konkurrenz uneinträglicher
-wurde. Eugen sollte in Amerika irgendeinen kaufmännischen
-oder technischen Erwerbszweig erlernen; in einigen Jahren
-wollte der Vater mit den anderen Kindern nachfolgen und
-ihn eventuell mit dem Rest seines Vermögens bei Begründung
-eines eigenen Geschäfts unterstützen.</p>
-
-<p>Dieser Plan wurde mit glänzendem Erfolg durchgeführt.</p>
-
-<p>Aus den Briefen des Vaters an den Sohn (1880 bis 1884)
-sollen hier einige der wichtigsten Stellen mitgeteilt werden.
-Wir lernen aus ihnen den ganzen <em class="gesperrt">Josef Dietzgen</em> kennen:
-wie er schafft, für seine Familie sorgt, seine Kinder erzieht,
-und wie er das Martyrium des philosophischen Forschers
-trägt, der in seiner schwierigen Denkarbeit durch die Notwendigkeit,<span class="pagenum"><a id="Seite_161">[161]</a></span>
-zunächst die materielle Existenz der Seinigen
-sicherzustellen, sich zeitweilig gehindert sieht, aber keine der
-beiden unerläßlichen Aufgaben über der anderen vergißt.</p>
-
-<p>Voll Rührung und Bewunderung liest man diese Briefe,
-die uns <em class="gesperrt">die pädagogische Kunst und die Lebensweisheit
-Josef Dietzgens</em> zeigen, in zweiter Linie aber auch
-allen denen von Nutzen sein werden, die &ndash; ohne die väterliche
-Fürsorge eines so weisen Ratgebers &ndash; das Experiment
-unternehmen, im fernen Ausland ihr Glück zu suchen.</p>
-
-<p>Der hier vorliegende Auszug bildet etwa den vierten Teil der
-im dritten Band der »Sämtlichen Schriften Josef Dietzgens«
-abgedruckten »Privatbriefe an den Sohn in Amerika«.</p>
-
-<p class="date">
-27. Mai 1880.
-</p>
-
-<p>Hoffentlich sind bei Ankunft dieses die Gemütsmucken so
-ziemlich überwunden und die Seele wieder frisch. Ohne alles
-Weh kann so etwas nicht hergehen. Gefühle hat und muß
-der Mensch haben, aber sie müssen dem Verstand unterworfen
-werden. Wenn Dir also, lieber Eugen, für den Augenblick
-die Fremde nicht blitzt und schimmert und wenig Anregung
-bieten will, wenn Dir die fremden Menschen nicht
-gefallen wollen und nur immer an die Lieben und Bekannten
-traurig erinnern, die Du zurückgelassen, dann vertreibe Dir
-und kannst Du Dir die Traurigkeit recht schnell mit dem
-Gedanken vertreiben, daß es eben nur Stimmung, vorübergehende
-Stimmung ist; daß das, was Dir monatelang ein
-guter Plan geschienen hat, nicht durch eine momentane Gemütsfarbe
-schlecht werden kann.</p>
-
-<p>Schiffe Dich nur getrost auf meine Verantwortung ein.
-Wenn Du Dir Land und Leute angesehen und dann zurückverlangst,
-werde ich jederzeit alles tun, was möglich ist, um
-Deine Wünsche zu befriedigen. Wenn mich aber meine Hoffnung
-nicht trügt, wirst Du Quartiermacher für uns alle
-sein. Sieh her! Der Gedanke, daß Du eine Mission hast,
-muß Dir Mut machen. Und es ist eine ernste Mission. Was<span class="pagenum"><a id="Seite_162">[162]</a></span>
-hilft uns alle Schönheit des Vaterlandes, wenn es das tägliche
-Brot nicht geben will. Mit diesem Gedanken mußt und
-kannst Du der Fremde, den fremden Menschen, dem fremden
-Sonnenschein, den fremden Häusern, Zimmern und Eckchen,
-worin Du Dich kauern mußt, Poesie, Romantik abgewinnen.
-Ich habe immer viel davon gehabt, und Du hast auch davon,
-ich weiß es, hast von mir davon geerbt. Poesie und
-Romantik verklären das Leben unendlich, verklären den
-Genuß wie die Entbehrung. Nimm sie zur Hilfe, lieber
-Eugen, und lebe wohl und schreibe oft und ausführlich.</p>
-
-<p class="date">
-23. Juni 1880.
-</p>
-
-<p>…&nbsp;Du mußt auch wissen, daß die Leute in den großen
-Städten und im bewegten Leben ihren Nebenmenschen nicht
-so sanguinisch entgegenkommen wie die Dorfbewohner. Diese
-lieben und verehren den Fremden, und jene vermuten einen
-Gauner, bis er sich <em class="gesperrt">selbst</em> ehrsam gemacht hat … Einen
-Rat, den ich nicht oft genug wiederholen kann, den Dir
-aber auch die Verhältnisse jeden Tag predigen: nur möglichst
-wenig Prätension! Davon bringen alle Grünen zu
-viel nach Amerika.</p>
-
-<p>…&nbsp;Man muß auch zu genießen verstehen, dann ist das
-Genuß, was sonst Widerwärtigkeit. Du müßtest nur wissen,
-wie elende dreijährige Handlangerdienste die Lehrlinge hier
-in Deutschland leisten müssen, um Dich als Amerikaner
-glücklich zu fühlen. Ich bin der Meinung, daß Du dort
-Deine Lehre in der Hälfte der Zeit absolvierst.<a id="FNAnker_15_15"></a><a href="#Fussnote_15_15" class="fnanchor">[15]</a></p>
-
-<p class="date">
-4. Juli 1880.
-</p>
-
-<p>…&nbsp;Daß Du Dich einsam fühlst in diesem interessierten
-großstädtischen Getriebe, ist sehr natürlich. Ich hoffe aber
-sehr, daß sich dies auch in kurzer Zeit bessern wird; und<span class="pagenum"><a id="Seite_163">[163]</a></span>
-bis zur Ankunft dieses, denke ich, wirst Du schon hin und
-wieder Bekanntschaft machen, die Dein Gemütsleben stärkt
-und die Trennung von Deinen Lieben in der Heimat erleichtert.
-Gerade solche Trennung und entferntes Voneinanderleben
-läßt den gemütvollen Menschen den Wert eines
-innigen Familienlebens empfinden; es soll uns alle in dem
-Vorhaben bestärken, dasselbe zu pflegen und recht fest zusammen
-zu streben. Aber zu diesem Zweck will durchaus
-die ökonomische Frage &ndash; diesmal die Familienökonomie &ndash;
-befriedigend gelöst sein. Mit diesem Gedanken, daß Du mir
-helfen willst dazu, werden wir hoffentlich unseren Zweck und
-unsere Wiedervereinigung erreichen&nbsp;…</p>
-
-<p>Du mußt Dir etwas angelegen sein lassen, K.<a id="FNAnker_16_16"></a><a href="#Fussnote_16_16" class="fnanchor">[16]</a> für Dich
-einzunehmen. Darfst nicht verlangen, daß er entgegenkommen
-oder sich irgend bequemen soll; nur immer denken: die Reihe
-ist an mir. Also nähere Dich wiederholt und unablässig;
-und scheint es Dir, als würdest Du abgewiesen, glaube nicht
-daran. Aus seinen Briefen hast Du ja ersehen, daß er mir
-gewogen, und bin ich überzeugt, wenn für irgend einen,
-tut er auch etwas für Dich, um meinetwillen. Diesen Glauben
-mußt Du haben, daran nicht kleinmütig werden, dann wirst
-Du auch reüssieren. Du darfst die Charaktere der Menschen
-nicht ändern wollen, sondern nur suchen, Deinen eigenen
-geschmeidig dem notwendigen Bedürfnis zu akkomodieren&nbsp;…</p>
-
-<p>Dein ganzes Lernen kann zunächst in nichts bestehen wie im
-Umgang, besonders mit Englisch redenden Menschen. Pflege
-speziell den Verkehr mit K.s Kindern und den Damen im Hause.</p>
-
-<p>Auch wenn Du zurückkehrst, wird der Amerikanismus sein
-Gutes haben. Man lernt dort wenigstens gewöhnlich den
-deutschen Humbug der Vornehmtuerei verachten und sein
-Glück nicht im Dekorum, sondern in sich selbst suchen. Wenn
-wir hier nur über das lächerliche Dekorum weg wären, dann
-könnten wir alle hier und überall leicht und glücklich leben.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_164">[164]</a></span></p>
-
-<p>Meine Überzeugung ist und bleibt: wenn Du nur kurze
-Zeit Dich im amerikanischen Geschäft umgesehen, wirst Du
-Deine Kenntnisse und Lebensstellung nicht mit einem hiesigen
-Gymnasiallehrer vertauschen wollen.</p>
-
-<p class="date">
-1. August 1880.
-</p>
-
-<p>Kommt nun der Herbst, wirst Du drüben auch das schönste
-Klima der Welt kennen lernen.</p>
-
-<p>Weil Du die antiamerikanischen Reden des Bodenseers
-so gläubig und antiamerikanisch aufgenommen, glaubte ich
-schließen zu müssen, daß Deine Stimmung antiamerikanisch
-geworden. Ich habe vor einigen Jahren eine Reisebeschreibung
-über die Vereinigten Staaten gelesen, in der alles, was
-ich selber dort erfahren und das mein Wohlgefallen erregt
-hatte, ganz wahrheitsgetreu geschildert und doch im abfälligsten
-Sinne beurteilt wurde. Die Sache hat mich damals
-königlich amüsiert, und erzähle ich es nur, um zu sagen und
-zu zeigen, wie natürlich es ist, daß alle Objekte subjektiv angeschaut
-werden. So ist es auch mit dem Kaufmannsstand:
-hüben wie drüben. Übrigens solche Leute wie Deine Reisegefährten,
-die großartig auftreten und nichts hinter sich haben,
-da ist Europa voll von, und ich bin überzeugt, daß der insoweit
-ehrenhaftere Charakter des Amerikaners, der die Bläherei
-nicht kennt, aber auch nichts davon ahnt, daß irgendeine
-Arbeit oder ein Erwerb unehrenhafter sein könnte wie
-die gedankenlose Wichtigtuerei, bei näherer Bekanntschaft Dir
-besser zusagt.</p>
-
-<p class="date">
-10. August 1880.
-</p>
-
-<p>Die Welt ist überall schön, und wenn Du Dich ein wenig
-heimisch in Amerika gemacht, wird es Dir sicherlich dort gefallen.
-Deine Aufgabe ist gar nicht groß; nur sorgen, daß
-Du lernst, in irgendeiner Weise Dein Brot verdienen, dann
-habe ich die Kraft, Dir das weitere Verdienen leicht zu machen,
-und da ich Dich nun bis dahin unterstütze, so ist ja gar keine
-Ursache zum Zagen. Von ein paar Wochen der Einsamkeit
-im Menschenmeer von New York mußt Du Dich nicht unterkriegen<span class="pagenum"><a id="Seite_165">[165]</a></span>
-lassen. Mit Mut und Sparsamkeit haben wir beide
-zusammen alle Mittel, um die Verhältnisse zu bändigen.<a id="FNAnker_17_17"></a><a href="#Fussnote_17_17" class="fnanchor">[17]</a>
-Leiste Dir etwas mehr Zerstreuung, benutze die Abende, um
-Bekannte aus der hiesigen Gegend, deren es genug dort gibt,
-aufzusuchen. Nimm Anteil an allem und an allen, an der
-Welt und nicht nur an Siegburg oder an irgendeinem anderen
-Krähwinkel.</p>
-
-<p class="date">
-29. August 1880.
-</p>
-
-<p>Der Schritt, den wir beide getan, war in Anbetracht unserer
-Verhältnisse <em class="gesperrt">notwendig</em>. Wenn Du Dir das zu Herzen
-nimmst, kannst Du sehr leicht sentimentale »Gedanken« &ndash;
-wäre ich da oder dort, hätte ich dies oder das ergriffen &ndash;
-aus dem Sinn schlagen. Die Welt ist überall schön und
-poetisch, und die Erwerbsverhältnisse sind in Amerika weit
-schöner wie hier; sie aber bilden die <em class="gesperrt">Grundlage</em> alles Hohen
-und Schönen.</p>
-
-<p class="date">
-5. September 1880.
-</p>
-
-<p>Noch ist unser Vermögen so viel, daß, wenn wir uns als
-<em class="gesperrt">Proletarier</em> betrachten, es leicht wird, uns eine ganz erträgliche
-Proletarierexistenz zu schaffen. Wenn wir uns aber
-zur begüterten Klasse zählen und danach wirtschaften wollen,
-geraten wir in eine Lage, aus der es keine Rettung gibt.
-Meine Kinder sind für diese Erkenntnis zu kurzsichtig, darum
-habe ich die Pflicht, entsprechend zu handeln. Du sollst mir
-helfen, lieber Eugen, und wenn Du die Vereinigten Staaten
-kennen gelernt hast, wirst Du sagen, daß Du kannst …
-Auch was Ohm Philipp vorgeschlagen, wäre nicht gänzlich<span class="pagenum"><a id="Seite_166">[166]</a></span>
-verfehlt. Wenn Du dort in ein paar Monaten die Schriftsetzerei
-erlerntest, könnten wir uns ganz leicht irgendwo ein
-Zeitungsunternehmen erwerben. Kurz, Mannigfaltiges sehen
-und lernen laß nur Deine Aufgabe sein; dann wirst Du nach
-zwei bis drei Jahren selber sagen, daß Du besser daran bist
-wie ein deutscher Gymnasiallehrer. Das sind ja doch meist
-arme, höchst einseitige, geknechtete Menschen, die über ihre
-erbärmliche Gelehrsamkeit kaum hinaussehen.</p>
-
-<p class="date">
-26. September 1880.
-</p>
-
-<p>…&nbsp;Sehe mit Vergnügen, daß Du Dich daran gemacht,
-praktisch anzugreifen (in K.s Fabrikgeschäft). Daß Dir die
-Handarbeit für den Anfang schwer wird und Energie kostet,
-kann ich mir lebhaft denken. Nur Mut und Ausdauer! Wenn
-Du die rechte Einsicht hast, wie wertvoll es für das Leben
-der Zukunft ist, nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit
-Hand und Arm in die Räder der Volkswirtschaft eingreifen
-zu können, wie solche mannigfaltige Übung für die verschiedensten
-Lebenslagen geschickt macht, eine wie große Unabhängigkeit
-daraus resultiert, dann muß Dir das die Pein
-versüßen. Du hast ein gutes Beispiel an Haug. Wenn der
-nur im Polytechnikum und nicht auch in der Werkstätte gebildet
-wäre, würde es ihm nicht so leicht werden, von Siegburg
-nach Philadelphia überzusiedeln. Du sollst gewiß nicht
-das Taglöhnern lernen, sondern nur die Fähigkeit, ein halbes
-Handtagewerk zu leisten; das macht geschickt, hundert Dinge
-anzugreifen, denen der beste Federfuchser wie ein Tölpel
-gegenübersteht&nbsp;…</p>
-
-<p class="date">
-3. Oktober 1880.
-</p>
-
-<p>Laß Dir nur ja recht angelegen sein, K. in jeder Beziehung
-zu befriedigen und ihn und seine Angehörigen<a id="FNAnker_18_18"></a><a href="#Fussnote_18_18" class="fnanchor">[18]</a> möglichst
-für Dich einzunehmen. In solchen Verhältnissen mußt
-Du etwaige Widerwärtigkeiten und Antipathien durch ernsten<span class="pagenum"><a id="Seite_167">[167]</a></span>
-Willen zu überwinden suchen mit dem Gedanken, daß alles
-Unangenehme wenigstens ebensoviel subjektiv als objektiv ist.
-Man kann ja sowenig die Verhältnisse als die Menschen nach
-<em class="gesperrt">Wunsch</em> ändern, sondern muß sie nehmen, wie sie eben sind,
-und aus allem das Beste zu machen streben&nbsp;…</p>
-
-<p>Immer in der Gegenwart an alle Möglichkeiten der Zukunft
-denken, aber doch die Gegenwart und <em class="gesperrt">dreimal</em> die
-Gegenwart warm halten&nbsp;…</p>
-
-<p>Offenheit und Zutraulichkeit im Verkehr mit K. glaube
-ich Dir nicht genug empfehlen zu können. Niemals verschlossene
-Zurückhaltung; die führt zu nichts Gutem; lieber
-Bruch.</p>
-
-<p class="date">
-16. Oktober 1880.
-</p>
-
-<p>Dein Gedanke, eventuell auch Anstreicher und Dekorateur
-werden zu können, hat mich froh gemacht. Der Reichtum
-aller Länder entwickelt sich stark und der Amerikas doppelt
-schnell; das sichert dem dekorativen Bedürfnis eine steigende
-Zukunft. Die Kunst soll dem Menschen dienen, mithin praktische
-Verwendung finden. Wenn Du Dich auf solchem
-gleichsam handwerkmäßigem Wege zum Künstler ausbilden
-kannst, das wäre ein rechter Weg. Aber nur ja nicht voreilig!
-Der kaufmännische Weg, auf dem Du gegenwärtig
-wandelst, gehört mit dazu und würde auch dazu später
-unberechenbare Vorteile gewähren. Ebenso der Umgang mit
-der Färberei in K.s Fabrik.</p>
-
-<p>Versäume nichts, wo es etwas zu lernen gibt. Auch den
-mechanischen, maschinellen Teil betrachte nicht als außerhalb
-der Sphäre. In der modernen Industrie hängt alles
-mit den Maschinen zusammen. Denke nicht, ich mute Dir
-zuviel zu. Nur ein paar Handtäste, eben wissen, wie man
-eine Sache angreift, ist oft von großem Wert.</p>
-
-<p>Nun möchte ich Dir noch warm empfehlen, unter allen
-Umständen wahre Bildung, nicht die mit Gänsefüßchen, nicht
-die »Bildung«, hochzuhalten und besonders in Amerika nicht
-zu vergessen, daß man schachern soll für das Leben, aber<span class="pagenum"><a id="Seite_168">[168]</a></span>
-nicht leben für den Schacher. Auch im Urteil gegen und
-über Deine Umgebung nie hart, sondern stets human zu
-sein. Um liebenswürdig zu handeln, muß man liebenswürdig
-denken; Tugenden und Fehler stecken immer ineinander; auch
-der Bösewicht ist ein guter Kerl, und der Gerechte sündigt
-des Tages siebenmal.</p>
-
-<p>Mich verfolgt seit früher Jugend ein logisches Problem,
-»die letzten Fragen alles Wissens«. Das sitzt mir wie ein
-Stein im Kopf. Wenn im Laufe meiner vergangenen Jahre
-die Not herantrat, konnte ich es auf ein paar Jahre verlieren;
-aber nach hergestellter Ordnung der Dinge kam es
-immer wieder, und immer verstärkter und klarer, so daß
-mir erst in den letzten Jahren die Überzeugung gewachsen
-ist, es sei meine Lebensaufgabe, sowohl innerer Seelenfriede
-wie die sittliche Pflicht fordern Hingabe und Arbeit für dasselbe.
-Daher kommt es auch, daß ich immer danach strebe,
-einen Associé zu finden, der mir helfen soll, die ökonomische
-Bürde zu tragen. Daher meine Unfähigkeit, das Detailgeschäft
-hier ohne Hilfe zu betreiben. Mein Sinnen geht
-überall dahin, den Kopf leer zu halten, damit ich dem Problem
-nachhängen kann. Seit den letzten Jahren bin ich gar
-übel daran, es steht mit mir auf und geht mit mir schlafen,
-und die leiblichen Sorgen gestatten mir doch keine Ruhe,
-um viel daran zu tun.</p>
-
-<p class="date">
-23. November 1880.
-</p>
-
-<p>Du hast sicher noch zuviel des verkehrten europäischen
-Spleens im Kopf. Eugen! Eugen! sei klug! Ich helfe gern,
-doch hilf Du auch. Verschiedenen Arbeiten einen verschiedenen
-Rang beilegen und nicht das für das Höchste halten,
-was just der Zweck erfordert &ndash; ohne weitere Rücksicht &ndash;,
-das ist ein heilloser europäischer Spleen, der noch von der
-alten Gewohnheit herrührt, das Volk in Herren und Knechte
-einzuteilen. Ich merke, Du bist unwillig und räsonierst in
-Dir über Dinge, die doch gar natürlich sind und nicht anders
-sein können. Daß K. seinen Sohn protegiert und ihm mehr<span class="pagenum"><a id="Seite_169">[169]</a></span>
-glaubt wie Dir, auch dessen Fehler leichter übersieht wie die
-Deinigen, ist gar zu natürlich. Du läßt Dich zuviel von
-Deinen Sympathien und Antipathien mitnehmen. Dem muß
-man widerstehen. Wenn K.s Sohn auch mürrisch und launisch
-ist, laß ihn sein; es ist nicht Deine Aufgabe, ihn zu
-ändern, sondern zu ertragen und das möglichst Beste daraus
-zu machen.</p>
-
-<p>Du scheinst auch überempfindlich zu sein. Denke doch, daß
-die Leute uns nichts schuldig sind und es immerhin für den
-Anfang angenehmer für Dich ist, unter Bekannten als unter
-Wildfremden zu sein. Ist K. einsilbig und verschlossen, nun,
-das ist eben seine Weise; die legt er ja nicht an, Dich zu
-verletzen, und kannst nicht verlangen, daß er sie um Deinetwillen
-ablegt. Ich weiß, die Amerikaner sind übermäßig von
-sich eingenommen und sehen auf Europa und speziell auf die
-Deutschen übermütig herab. Das kränkt anfangs, aber Du
-mußt überwinden und das Heilmittel in Dir, nicht an anderen
-suchen. Stolz und selbstbewußt, das ist recht und dabei doch
-zart sein. Dir selber nichts vergeben und anderen alles.</p>
-
-<p>Das kleine mobile Vermögen, das ich noch besitze, sind
-Blutstropfen, die wohl müssen zu Rat gehalten werden.
-Wenn Du von K. aufbrichst, darf es nicht im Trotz geschehen;
-nicht Dich überwerfen mit K., kein unartiges Wort:
-<em class="antiqua">suaviter in modo, fortiter in re</em>! Wenn Du so handelst,
-bin ich bei Dir bis zum letzten Cent. Aber nur nicht rappelig!
-Versuch es noch ernstlicher mit dem jungen K. als
-bisher. Nimm Dir vor, durch ein hartes Wort Dich nicht
-aus dem Konzept bringen zu lassen. Ist er unartig, die Unartigkeit
-fällt auf ihn zurück &ndash; sei Du deshalb doppelt
-artiger. Zeige Dich immer unabhängig, dabei nie beleidigt;
-Du mußt Deinen Stolz demütigen um der Sache willen,
-und ihn doch behalten und ihn gebrauchen, <em class="gesperrt">wenn Du die
-Macht hast</em>; aber nie etwas wollen, was man nicht kann.
-Das Recht ist nur ein Begriff, aber das Faktum die Wahrheit
-&ndash; also immer nach dem Faktischen handeln, nie nach<span class="pagenum"><a id="Seite_170">[170]</a></span>
-Gefühlen und Reizbarkeiten. Sprich Dich mit K. aus. Sage
-ihm alles, was Du auf dem Herzen hast, mit Abwälzung
-alles Kleinlichen. Strebe unabhängig und selbständig nach
-Deinem Zweck, welcher vorerst nur dahin geht, eine Stellung
-zu haben, worin Du 6 oder 8 Dollar wöchentlich verdienst;
-kannst Du das nicht beim jetzigen Prinzipal, bei K. erreichen,
-dann gebe Dir wohl den Anschein der Geduld, aber strebe
-ungeduldig danach, anderweitig Dein Heil zu versuchen, und
-benachrichtige mich zur rechten Zeit, daß ich Dir Geld schicke.</p>
-
-<p class="date">
-5. Februar 1881.
-</p>
-
-<p>Bemühe Dich nur, Deinen Prinzipalen gegenüber und bei
-Deinen Mitgehilfen alle etwaigen Antipathien zu überwinden.
-Lasse Dir angelegen sein, nicht nur durch Leistungen, sondern
-auch durch artige Worte Dich festzusetzen in Deiner
-Stellung. Wenn letzteres zu guten Leistungen hinzukommt,
-ist es ungemein wirksam. Wenn Du nach höherem Lohn
-strebst, so tue das nur, insofern alle anderen Verhältnisse
-zusagen, mit der größten Delikatesse. Wenn Du die deutsche
-Demut mit der amerikanischen Independenz in geschickter
-Weise zu verbinden weißt, das macht den Kapitalkerl!</p>
-
-<p>Ein ordentliches Salär ist eine schöne Sache, jedoch rate
-ich, lasse Dir noch mehr angelegen sein, in das Geschäft,
-das Du da gefunden, nun auch richtig hineinzukommen:
-vom Verkäufer im Innern auch zum Verkäufer nach außen
-zu gelangen, Waren, Kundschaft und Buchführung kennen
-zu lernen. Aber Eile mit Weile!</p>
-
-<p class="date">
-30. März 1881.
-</p>
-
-<p>…&nbsp;Mit dem Gedanken, daß der erste Verkäufer nicht mehr
-versteht und tut wie Du und doch ein vierfaches Salär erhält,
-darfst Du Dir Deine Stellung nicht verleiden lassen.
-Wie mancher Sekondeleutnant ist ein ebenso tüchtiger und
-noch viel kapablerer Militär wie der General, und muß doch
-seine Zeit abwarten. Wenn auch noch etwas Geld draufgeht,
-laß Dich nicht kümmern, der sichere Gang ist der vorzüglichere.<span class="pagenum"><a id="Seite_171">[171]</a></span>
-Du solltest der Prinzipalität in Bescheidenheit die
-Vorstellung machen, daß Du Dir gerne gerade bei ihr eine
-Zukunft erarbeiten möchtest, daß sie Dir aber wenigstens
-genug zahlen möchte für Dein notdürftiges Auskommen, denn
-es sei Dir peinlich, jetzt noch um Geld nach Hause zu schreiben,
-und Deine Kasse sei zur Neige. Wenn Du es dann
-bis zu 15 Dollar wöchentlich gebracht hast und findest die
-Vorrückung zu langsam, so wirst Du leichter bei irgendeinem
-Konkurrenten der Firma ankommen. Das längere Fungieren
-aber scheint mir erste Bedingung. Bist Du einmal
-außer Stellung, so ist es zehnfach schwerer ankommen.</p>
-
-<p class="date">
-25. April 1881.
-</p>
-
-<p>…&nbsp;Das Schwerste ist jetzt überwunden. Nach drei Monaten
-trägst Du nochmals auf Gehaltserhöhung an, und schon nach
-zwei, wenn Du fühlst, daß Du an Fähigkeiten und Leistungen
-Fortschritte machst, würde ich die Prinzipale in bescheidenster
-Weise bitten, Dein ernstes Streben mit ein paar Dollars
-wöchentlich zu encouragieren. Aber es so machen wie diesmal,
-mußt Du künftig vermeiden. Ich merke schon, Du hast
-von mir geerbt; mir wird es auch schwer, den Stolz zu
-beugen und mit guten Worten und Bitten das zu erbetteln,
-was ich für mein Recht halte. Aber der richtige, der erfolgreiche
-Weg ist es nicht, wenn man &ndash; so wie Du getan &ndash;
-und ich habe es auch schon mehr so gemacht &ndash; dem guten
-Freunde die Pistole auf die Brust setzt. Nimm Dir ernstlich
-vor, solche delikate Fragen nächstens weniger ernst und dringlich,
-sondern mit lächelnder Lippe und jüdischer Zähigkeit
-zum Austrag zu bringen.</p>
-
-<p class="date">
-15. Juli 1881.
-</p>
-
-<p>Strebe möglichst mit Behaglichkeit. Ein beruhigtes, wenn
-auch frugales Unterkommen, welches Interesse für alles
-Schöne, Wahre und Gute übrig läßt, ist jeder auch noch
-so fruchtbaren Jagd nach Geld und Gut vorzuziehen. Ich
-hoffe wohl und freue mich, wenn das amerikanische Klima<span class="pagenum"><a id="Seite_172">[172]</a></span>
-Dich so weit ansteckt, daß Du erwerbslustig und -fähig wirst,
-weil das Erwerben das <em class="antiqua">Sine qua non</em> von allem ist; aber ich
-hoffe, daß Du Dein besseres Sein darin nicht aufgehen läßt.</p>
-
-<p class="date">
-3. August 1881.
-</p>
-
-<p>Du mußt vor allem streben, Dich und Deine subjektiven
-Anschauungen beherrschen zu lernen und Deiner Zukunft
-oder Vernunft &ndash; wie man es nennen will &ndash; die momentanen
-Gefühle zu opfern. Die Klugheit erfordert durchaus,
-sich der Kunst zu bemeistern, allen Persönlichkeiten, auf deren
-Umgang Du angewiesen bist, liebenswürdig zu erscheinen,
-ohne deshalb auf den eigenen Charakter und die eigenen
-Rechte zu verzichten. Dabei halte immer fest, daß ein Recht,
-wozu die Macht fehlt, Dich in Besitz zu setzen, nur ein ideales
-Recht ist, dem die »Wirklichkeit« fehlt, das man also nicht
-hat oder doch nur im Kopfe hat, aber erst durch zweckmäßige
-Handlung verwirklichen kann.</p>
-
-<p>Deine Gedanken hängen wohl immer noch mehr und lieber
-an der Vergangenheit wie an der Zukunft? Das kommt aber
-daher, daß Du in der Heimat ganz und gar ein nur ideales
-Leben geführt hast. Du hast die Menschen und Verhältnisse
-hier nur von der schönen, gemütlichen Seite gesehen.</p>
-
-<p>Ich würde bedauern, wenn es anders wäre, aber auch
-wenn Du den Revers zu spät sähest. Was in Amerika so
-offen zutage liegt: der abgöttische Tanz um das eigene Ich,
-das ist hier noch mehr verbrämt mit Sitten und Phrasen,
-mit Überbleibseln der Vergangenheit. Aber unter der Maske
-der Verwandtschaft, Freundschaft, der Lieb und Treu kommt
-doch auch hier immer nackter und nackter das wahre Gesicht
-des Eigennutzes zum Vorschein. Die Bande der Familie, der
-Freundschaft und Liebe werden täglich mehr zu losen Bändchen,
-zu Flitter an der Frage nach »barer Zahlung«. Ich
-bin kein Pessimist. Die bösen Erfahrungen, die ich mit Geschwistern,
-Verwandten und Freunden gemacht, haben mir
-nie die Liebe rauben können, &ndash; aber nur darum nicht, weil<span class="pagenum"><a id="Seite_173">[173]</a></span>
-ich weiß, daß es so kommen muß, daß die einzelnen Menschen
-keine Schuld tragen, sondern nur die bösen Verhältnisse,
-daß nur die kapitalistische Produktion das Gift bringt.
-Darum ist denn auch mein Haß nicht gegen die Eigennützigen
-gerichtet, sondern gegen den Eigennutz; darum erwarte
-ich keine Besserung von der Moralpredigt, sondern
-von der Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse. Der
-handgreifliche, fortwährende Aufschwung der Produktion erlöst
-die Menschen von der Armut, von der Erbsünde und
-vom Teufel.</p>
-
-<p class="date">
-17. September 1881.
-</p>
-
-<p>…&nbsp;Was Dich für das Geschäft (in dem Du jetzt arbeitest:
-Instrumente für Ingenieure und Architekten) schätzenswert
-macht, sind besonders &ndash; denke ich &ndash; die guten Vorkenntnisse,
-welche Dich befähigen, leichter mit den mathematischen
-Instrumenten Dich bekannt zu machen; und ohne eingehende
-Bekanntschaft mit dem Gebrauch und Zweck der Dinge kann
-man unmöglich ein <em class="gesperrt">guter</em> Verkäufer werden. Ich erinnere
-mich aus meinem früheren Geschäft in Winterscheid, daß
-die Reisenden kamen und Kaffee verkauften. Wenn ich dann
-fragte, wo der Kaffee herkommt, dann wußten sie nur, daß
-er in Amsterdam gekauft war und Cheribon, Java und
-Menado genannt wurde; aber wie die Holländer dazu gekommen,
-ob er privatim aufgekauft wurde an den Produktionsplätzen,
-oder ob es eine Aktiengesellschaft sei, welche die
-Auktionen in Holland veranstaltete, oder ob die Sache Regierungsangelegenheit,
-davon wußten die Pomadenhengste
-nie etwas. Und ich habe mich damals schon sehr über solche
-Unwissenheit mokiert, da sich die Leute doch gerade diese und
-keine andere Sache zum Geschäft machten. Möchte Dir deshalb
-anraten, Dich eingehend nach dem Gebrauch, nach Herkommen,
-Geschichte und allem, was Du über Deine Geschäftsartikel
-erfahren kannst, angelegentlichst zu erkundigen. Nur
-wenn man etwas weiß, kann man auch etwas sprechen, das
-nicht fade und trivial ist&nbsp;…</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_174">[174]</a></span></p>
-
-<p class="date">
-22. September 1881.
-</p>
-
-<p>So angenehm, wie unter guten Umständen das Leben in
-einem kleinen deutschen Landstädtchen ist, so heillos verpestet
-ist die Luft darin, wenn der »Kampf ums Dasein« gefordert
-wird.</p>
-
-<p>Du schreibst, daß Du gern an das ideale Leben zurückdenkst,
-das Du hier geführt. Es wäre schade, wenn es anders
-wäre, doch auch schade, wenn eine krankhafte Sehnsucht
-Dir den Reiz der Gegenwart verkümmerte und Dein Streben
-erschlaffte. Muß gestehen, ich habe in diesem Punkte so etwas
-Furcht und Sorge um Dich und freue mich deshalb ungemein,
-wenn ich aus Deinen Briefen zuweilen sehen kann,
-daß Dein Gemüt heiter und Deine Stimmung durchgehends
-energisch ist. Sentimentale Augenblicke hat jeder. Du mußt
-Dir einmal klar vorstellen, worin der Reiz des hiesigen Lebens
-denn eigentlich besteht. Von den Leuten nach Herkommen,
-Stand und Aufführung gekannt zu sein und dadurch Achtung,
-Vorzug, Teilnahme und Entgegenkommen zu genießen,
-das ist gleichsam eine Würze des Lebens, die einen Pulsschlag
-hineinbringt, der gewiß nicht zu verachten ist. Aber
-solche Ingredienzien sind auch nur wirksam, wenn der <em class="gesperrt">Stoff</em>
-gut ist, dem sie beigemischt werden. Um diesen Stoff zu erhalten
-&ndash; erhalten im Sinne von konservieren <em class="gesperrt">und</em> erwerben
-&ndash; bist Du hinausgegangen, und wenn Du nun auch
-von der Würze einstweilen viel entbehren mußt, so sollst Du
-doch nicht verkennen, daß man, wenn nur der Lebens<em class="gesperrt">stoff</em>
-gegeben ist, sich das andere auch anderswo leicht verschaffen
-kann.</p>
-
-<p class="date">
-25. November 1881.
-</p>
-
-<p>Vivat der Stadtreisende! Soeben die briefliche Nachricht
-empfangen, daß sich Deine Andeutungen per Postkarte bestätigt
-haben.</p>
-
-<p>Jetzt, lieber Junge, sind wir wieder alle auf dem Damm.
-Wenn man weiß zu erwerben, ist dies mehr wert als Vermögen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_175">[175]</a></span></p>
-
-<p>Über den neuen Wirkungskreis, den Du errungen, freue
-ich mich noch mehr wie über die Gehaltsaufbesserung, doch
-ist auch letztere ganz erfreulich.</p>
-
-<p>Was wird das für eine Freude sein, wenn Du einmal
-heimkehrst und wir uns alle wiedersehen! Das Schönste aber,
-was ich mir denken kann, ist, wenn Du uns alle mitnehmen
-kannst, ohne daß wir beladen sind mit einer ängstlichen Sorge
-um die Zukunft. Aber auch jetzt bin ich schon froh. Das
-Glück haben nicht viele Familien, daß sie stets zusammenbleiben
-können.</p>
-
-<p>Unser Gehilfe Knöfel ist nach der Heimat gewesen. Hat
-von dort geschrieben, ob er zurückkehren könne. Ich habe
-ihm dann einen annehmbaren Vorschlag gemacht. Er ist
-wiedergekommen, hat vier Tage gesoffen und zwei gearbeitet,
-und sich nun entschlossen, nach Amerika zu gehen. Wahrscheinlich
-wird er nach sechs oder acht Tagen von hier abreisen.
-Wenn er nach New York kommt, wird er Dich jedenfalls
-aufsuchen. Sein Geist ist stark, aber das Fleisch ist
-schwach. Ich glaube, daß er drüben seine paar hundert Mark
-verduseln und dann ein guter Arbeiter sein wird.</p>
-
-<p class="date">
-22. Dezember 1881.
-</p>
-
-<p>…&nbsp;Daß die Amerikaner angespannter arbeiten wie die
-Leute hier, weiß ich wohl aus eigener Erfahrung; aber was
-die Entschädigung durch Vergnügen anbelangt, dünkt mir
-doch, daß diese Sucht hier noch schlimmer ist. Die Bierbank
-und öde Gesellschaft ist wohl nirgends mehr gepflegt wie in
-unserem deutschen Philisterium. New York und die Großstädte
-machen eine Ausnahme, sonst im Innern des Landes
-ist nach meiner Erfahrung der Amerikaner ein sehr ernster
-Mann, der mehr die Einsamkeit liebt und pflegt wie irgendeine
-andere Nation.</p>
-
-<p>Leider lebt in aller Welt die Volksmasse noch immer in
-einer geistigen Wüste. Mit der Tatsache, daß Du an Deiner
-inneren Ausbildung mehr arbeiten möchtest, als Dir die<span class="pagenum"><a id="Seite_176">[176]</a></span>
-Stellung vergönnt, mußt Du Dich eben abfinden, so gut es
-angeht. Es ist das ein Weltleiden. Darum war bisher auch
-alle geistige Entwicklung hauptsächlich das Werk der bevorzugten
-Klassen, und fand die aristokratische Konstitution der
-Gesellschaft früher auch ihre Berechtigung darin, daß die
-Masse arbeiten mußte, damit die wenigen Muße hatten zur
-Förderung der Kultur. Jetzt darf auch die Masse Muße
-fordern, weil eben die Kultur so weit gediehen ist, daß der
-nötige Proviant in einem Viertel der alten Zeit beschafft
-werden kann.</p>
-
-<p>Das Reisen im Staate New York muß Dir doch Vergnügen
-machen. Die Natur ist da ja wirklich besonders schön,
-namentlich zwischen Albany und Buffalo sind sehr schöne
-felsige Gebirgspartien. Aber auch die Gegend am Hudson
-hat mir gefallen. Empfehle Dir, Washington Irvings »Sketchbook«
-zu lesen, und wenn Du etwas Ernstes studieren willst,
-rate Dir sehr an, Dich mit der Literaturgeschichte aller Zeiten
-und Völker zu beschäftigen. Die englische Literatur, die
-Dir am leichtesten zugänglich, ist wohl die schönste von allen;
-aber natürlich hat jedes Volk seine besonderen reizvollen
-Eigentümlichkeiten. Mit Zeitungen und dergleichen rate ich
-Dir nicht, die schöne gute Zeit zu vertrödeln.</p>
-
-<p class="date">
-1. Januar 1882.
-</p>
-
-<p>Lege auch einen Abschnitt aus der »Kölnischen Zeitung«
-bei, aus dem Du lernst, wie überfüllt alles und wie schwer
-hier das Fortkommen für die jungen Leute ist.</p>
-
-<p>Du kannst Dir kaum denken, wie deprimierend das auf
-den Charakter der jungen Leute wirkt, so bis an die dreißig
-Jahre herumzulungern, äußerlich den hoffnungsvollen Mann
-spielen zu müssen, und inwendig einen Placken an den anderen
-setzen, um nur die Blöße decken zu können. So sind viele Siegburger
-Apotheker geworden und finden sich nicht besonders
-wohl dabei. Ohne die Fonds, eine eigene Apotheke erwerben
-zu können, soll das Fach sehr schlechte Stellungen bieten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_177">[177]</a></span></p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Homo sum</em>«<a id="FNAnker_19_19"></a><a href="#Fussnote_19_19" class="fnanchor">[19]</a> habe in den Weihnachtstagen gelesen und
-mich recht dabei amüsiert. Verstand dadurch auch um so viel
-besser die Philosophie Deines letzten Briefes. Es ist mir sehr
-lieb, wenn Du Dich derart über Deine innersten Gedanken
-öfters aussprichst. Dergleichen vermindert den Raum, der
-zwischen uns liegt.</p>
-
-<p>Der Anachoret Paulus hat mir viel Vergnügen gemacht,
-aber auch die Episode zwischen Polykarp und Vater und
-Mutter.</p>
-
-<p>Die freiwillige Armut und Abstinenz hat gewiß ihre gute
-Seite, nur mußt Du Dich erinnern, daß sie aus der heidnischen
-Völlerei hervorgegangen, und daß die Armut so einseitig
-ist wie die Völlerei, die Wahrheit oder Vernunft nun
-aber die Umfassung beider Extreme erfordert, nicht: entweder
-&ndash; oder, sondern: sowohl &ndash; als auch. Sowohl reich wie
-arm. Wir wollen unsere Begierden mäßigen, unsere Lebensart
-auf das einfachste reduzieren, ohne zu vergessen, daß
-solche Reduktion den Zweck hat, uns reicher zu machen,
-reicher sowohl an materiellen wie an geistigen Gütern. Beide
-Güterarten gehören durchaus zusammen und sind nur Formen
-oder Arten eines Guts, des Guten schlechthin.</p>
-
-<p class="date">
-16. Januar 1882.
-</p>
-
-<p>Ich wünschte besonders, daß der Eindruck, den »<em class="antiqua">Homo
-sum</em>« auf Dich gemacht, etwas haften bliebe, das heißt die
-Erkenntnis, daß eine gewisse Abstinenz zur Erreichung einer
-befriedigenden Seelenstimmung unumgänglich ist. Du sollst
-die Welt und das Vergnügen nicht meiden, aber auch die
-Einsamkeit nicht. Der Wechsel zwischen beiden gewährt den
-<em class="gesperrt">höchsten</em> Genuß.</p>
-
-<p>Der Kunstsinn liegt bei Euch drüben in Amerika noch
-im argen; hat sich in den letzten Jahrzehnten jedoch sehr
-gehoben und wird voraussichtlich in den nächsten Jahrzehnten<span class="pagenum"><a id="Seite_178">[178]</a></span>
-riesig steigen, weil nirgends der Reichtum so zunimmt
-wie dort. Und Reichtum muß und wird immer danach streben,
-seinen Genuß durch die Kunst zu erhöhen. Deshalb
-glaube ich, daß eine kunsthandwerkmäßige Ausbildung für
-eine amerikanische Zukunft zweckmäßig sein könnte&nbsp;…</p>
-
-<p class="date">
-20. Februar 1882.
-</p>
-
-<p>Möchte jetzt gern einmal von Dir hören, ob Du auch
-schon das erworben hast, was ich immer als mein bestes
-Akquisit von meiner ersten amerikanischen Tour betrachtet
-habe: das Gefühl, mit einem Lande und mit Verhältnissen
-bekannt geworden zu sein, wo man die hier allgemein so
-schwer drückenden Sorgen für das tägliche Brot auf die
-leichte Schulter nehmen kann. Wenn das ist, dann hast Du
-viel, unendlich viel, etwas gewonnen, was ein Vermögen
-wert ist.</p>
-
-<p class="date">
-3. April 1882.
-</p>
-
-<p>Deine letzten Nachrichten haben mir nicht nur viel Sorge
-gemacht, sondern waren mir besonders unerfreulich, weil ich
-sehe, daß Du einen so großen Leichtsinn hast, wie ich nie
-vermutet habe. Die zwölf Dollar pro Woche, die Du errungen,
-waren nötig zur Existenz, und so das Notwendige
-aufs Spiel setzen, um ein übriges zu gewinnen, ist unverantwortlich.
-Ich wünsche nur, daß die Sache sich besser gestaltet,
-wie meine Liebe zu Dir mich fürchten läßt. Also
-fünfzig Dollar Schulden hast Du schon bei Sorge und zehrst
-wahrscheinlich auf Kredit! Das kann nur gut enden, wenn
-Du nicht manchen Tag nach einem neuen Unterkommen zu
-suchen brauchst. Denke und hoffe optimistisch, aber handle
-pessimistisch. Wenn Du etwas von meiner Kraft hättest, dann
-würdest Du sofort Deine Ausgaben auf das Allernotwendigste
-einschränken, buchstäblich von Brot und Wasser leben
-und möglichst schnell in Arbeit treten, gleichviel ob man
-zwanzig oder nur drei Dollar dafür zahlt. Solche Handlungsweise
-würde von Verstand zeugen, aber große Ansprüche<span class="pagenum"><a id="Seite_179">[179]</a></span>
-machen, die man nicht zu erringen und zu bestreiten
-weiß, ist eine törichte, eitle Kaprice. Weißt Du auch, daß ich
-froh wäre, wenn ich den Wert von zwölf Dollar wöchentlich
-nicht nur für mich, sondern für uns alle hier zu verzehren
-hätte? Solange Du mir nicht sagen kannst: »ich habe
-hundert Dollar für einen Notpfennig zurückgelegt«, so lange
-schelte ich dich leichtfertig.</p>
-
-<p class="date">
-18. April 1882.
-</p>
-
-<p>…&nbsp;In solchen Lebenslagen wie gegenwärtig mußt Du auf
-die gewohnheitsmäßige Befriedigung Deiner Lebensbedürfnisse
-verzichten können, nach Pittsburg und dem Westen per
-Emigrantenzug fahren und aus der Tasche von Wurst und
-Brot zehren. Ich habe das xmal wochenlang getan und bin
-dabei so heiter geblieben, als wenn ich an der Table d'hote
-gespeist hätte. Im Gegenteil. Die Kraft der Entsagung ist
-ein wirksames Gegenmittel gegen die Bedrückung des Gemüts,
-welche die sorgenvolle, prekäre Lage notwendig mitbringt.</p>
-
-<p class="date">
-26. April 1882.
-</p>
-
-<p>Wir haben die Karte empfangen, worin Du Dein neues
-Engagement anzeigst. Es hat also gut gegangen; aber doch
-wünschte ich, daß Du so viel Freiheit über Dich selbst gewönnest,
-um einzusehen, daß man zeitweise seinen Gefühlen
-mehr Zwang antun muß.</p>
-
-<p>…&nbsp;Dein stolzer, unabhängiger Sinn ist mir sehr lieb
-und wert, aber um ihn zu realisieren, um wahrhaft unabhängig
-zu werden, mußt Du auch das dialektische Gegenteil,
-den unterwürfigen Sinn üben und pflegen. Es ist das
-wohl ein Widerspruch, aber ein durchaus sinniger, wie das
-reale Leben ihn überall fordert.</p>
-
-<p>Dafür, daß Du mich so fleißig über die Einzelheiten Deiner
-Krisis unterrichtet hast, bin ich Dir noch besonders dankbar.
-Es hat mich das wohl für einzelne Tage und Stunden
-recht besorgt gemacht, auch wohl eine schlaflose Nacht verschuldet,
-aber im ganzen sehe ich doch, daß die Situation<span class="pagenum"><a id="Seite_180">[180]</a></span>
-nicht so schlimm ist, daß Deine Aussichten mannigfaltiger
-sind, wie ich sie mir anfangs vorstellte. Laß uns nur recht
-fest zusammenhalten, und wir werden alle Hindernisse überwinden&nbsp;…</p>
-
-<p class="date">
-14. Juni 1882.
-</p>
-
-<p>Herrschaft über die Natur ist der Adel des Menschen.
-Ursprünglich Tier, wird er Mensch und Herr erst dadurch,
-daß er dem Naturwalten hinter die Schliche kommt. Der
-Zweck aller Kultur geht dahin, die natürliche Abhängigkeit
-zu besiegen und Herr zu werden. Nur innerhalb gewisser
-Schranken kann das gelingen. Auch wenn die Menschheit
-das Errungene in der Zukunft verzehnfacht und verhundertfacht,
-verbleibt sie in natürlicher Abhängigkeit. Die menschliche
-Herrschaft kann immer nur eine vernünftig beschränkte
-sein.</p>
-
-<p>Was also die Aufgabe des ganzen Geschlechts, ist auch
-Deine persönliche, individuelle Aufgabe: Du willst und sollst
-Herr Deines Geschicks werden. Obgleich Du Momente hast,
-wo Du Dich jetzt schon als solcher fühlst, wirst Du auch
-Momente haben, wo Du Deine Untertänigkeit empfindlich
-merkst. Also bist Du soviel Knecht wie Herr, jedes relativ,
-das heißt einer, der sich emporarbeiten will, der dies Streben
-als hoch und hehr erkennt, ohne zu verkennen, daß er nie
-einen absoluten Gipfel erreichen kann.</p>
-
-<p>Wenn nun die Menschheit des geistigen Scharfsinns zum
-Kulturfortschritt bedarf, so kannst Du im Verkehr mit den
-Widerwärtigkeiten der List nicht entraten. Weder der Wunsch,
-frei, noch das empfindliche Gefühl, Knecht zu sein, kann
-Dich aus Stricken und Banden erlösen: es gehört die »kluge«
-Tat dazu.</p>
-
-<p>Die Sklaverei (im wörtlichsten Sinne) nennt Hegel eine
-»List der Vernunft« und meint damit, sie sei notwendig gewesen,
-um die Menschen mit der Peitsche zur Arbeit anzuhalten,
-weil sie ursprünglich eben Tiere sind, die der Zuchtrute
-bedürfen. Und Aristoteles erklärt bekanntlich, daß erst,<span class="pagenum"><a id="Seite_181">[181]</a></span>
-wenn die Weberschiffchen ohne Menschenhand und von selbst
-hin und her schnellten, an Abschaffung der Sklaverei zu denken
-sei. Jetzt erst, wo die Weberschiffchen angefangen haben,
-von selbst zu laufen, und die Ziegelsteine fast ohne Arbeit
-gebacken werden, heute also, wo der Reichtum überhandnehmen
-will und die tierische Plackerei immer mehr durch
-die Kultur beseitigt werden kann, ist die Forderung nach
-allgemeiner Freiheit berechtigt.</p>
-
-<p>Ich halte diesen breiten Sermon, weil ich Dir eindringlich
-zureden möchte, in der jetzigen Periode Deines individuellen
-Lebens List, Klugheit und Verschlagenheit nicht gering
-zu achten. Nur dadurch kannst Du ein »freier Mann«
-werden, der seine Absicht jedem offen und ehrlich ins Gesicht
-sagen darf. Um eben die Geradheit zu erreichen, ist
-Dir einstweilen die Hinterlist eine sittliche Notwendigkeit.
-Ich fürchte immer, Dein Naturell möchte Dich verleiten,
-im Freiheitsdrang die Notwendigkeit der Beschränkung und
-Abstinenz zu übersehen.</p>
-
-<p class="date">
-23. August 1882.
-</p>
-
-<p>Ich für meinen Teil bin zwar eingenommen für das Land
-(der Vereinigten Staaten), aber nicht, weil ich die dortigen
-Verhältnisse so sympathisch finde, sondern weil mir die hiesigen
-schändlich versumpft und beengt vorkommen. Dort hat
-man der absoluten Gewalt der Natur, der eisernen Notwendigkeit
-in die Augen zu sehen und mit ihr zu kämpfen,
-hier sind es Schrullen und Vorurteile, feudale und chinesische
-Zöpfe und anerzogene Nichtswürdigkeiten, die den Geist versklaven.
-Doch daraus, daß so viele verfehlte Existenzen dort
-herumlaufen, sollst Du Dir kein Vorurteil wider das Land
-und seine Verhältnisse bilden. Was meinst Du wohl, wie
-viele unbefriedigte Leute es denn hier gibt? Den prekären
-Zuständen, wie sie dort herrschen und wie sie die Großindustrie
-mitbringt, gehen wir hier eiligen Schrittes entgegen.
-Amerika ist uns darin wohl sehr voraus. Dafür hat es
-aber auch durch den Reichtum seiner Natur und primitiven<span class="pagenum"><a id="Seite_182">[182]</a></span>
-Kultur viel mehr Zwischenräume für den Mittelstand, dem
-wir angehören und in dem wir uns möglichst lange erhalten
-wollen. Mit der Zeit muß derselbe allerdings <em class="antiqua">nolens volens</em>
-hier wie dort ins Proletariat hinabsteigen. Aber unterdessen
-haben auch die untersten Volksklassen so viel gewonnen, daß
-die Sache weniger betrübt ist. Wir gehören deshalb praktisch
-zur Mittelklasse und theoretisch zum Proletariat. Soll ich
-mich hier tatenlos hinuntersinken lassen, wenn ich vorsehe,
-daß drüben die Kampfverhältnisse günstiger sind?</p>
-
-<p>Ich möchte Dir gern meine Überzeugung übertragen, damit
-Du wo mit dem Leibe auch mit der Seele stehest. Das
-Staatsproletariat ist eine erbärmliche Sklaverei. Zwar ist
-das sicherste hier wohl der Staatsdienst, aber ich fürchte,
-Du siehst ihn mit zu idealen Augen. Wenn Du als Gymnasiallehrer
-hier Deinem Herrn und Meister so viel Opposition
-gezeigt hättest wie bei K. &amp; E., dann wärst Du am
-Ende Deines Lateins, aber gründlicher am Ende wie dort,
-wenn Du auch vollkommen mit den New-Yorker Herren zerfällst.
-Zudem ist es viel leichter, einen herrischen Privatmann
-mit einem schmeichelhaften Worte zu befriedigen, als
-ein herrisches System, das nur mit Deiner völligen Unterwerfung
-auf Lebensdauer zufrieden ist. Lieber Eugen, besieh
-Dir Dein Verhältnis genau, und dann wirst Du &ndash; nach
-meiner Ansicht der Sache von hier aus &ndash; jubeln, daß Du
-so weit vorgerückt bist&nbsp;…</p>
-
-<p class="date">
-25. November 1882.
-</p>
-
-<p>…&nbsp;Richte Deine Aufmerksamkeit weit mehr auf den sicheren,
-steten Gang als auf großen Erfolg. Auch sitzt in dem vielen
-Hab und Gut gar nicht das Glück; eine bescheidene Existenz
-ist alles, wonach wir streben wollen. Im Hinblick auf den
-Reichtum, welchen die menschliche Entwicklung uns ganz
-von selbst in den Schoß wirft, dürfen wir dem Gang der
-Dinge mit der größten Genügsamkeit zusehen. Ich meine
-damit die Produktivkraft der Arbeit, welche sich durch die
-industriellen Fortschritte stetig mehrt; damit mehrt sich also<span class="pagenum"><a id="Seite_183">[183]</a></span>
-auch das lebendige Vermögen des einzelnen, mittels seiner
-Arbeit die Bedürfnisse zu befriedigen, wenn auch sein totes
-Vermögen, sein »Kapital« sich nicht mehrt. Weil man aber
-durch die Abhängigkeit vom Kapitalisten sehr leicht aufs
-Trockene und ins Elend versetzt werden kann, darum ist es
-von allerhöchster Bedeutung, so viel Stock (Vorrat. D. H.)
-zu besitzen, um unter allen Umständen seine Arbeitskraft in
-Gang erhalten zu können. Deshalb ist es für uns jetzt so
-überaus wichtig, sorgsam zu wachen, daß unser kleiner Fonds
-erhalten bleibt. Ich freue mich ungemein auf Deine Herkunft
-im nächsten Sommer, damit wir uns gründlich verständigen&nbsp;…</p>
-
-<p class="date">
-9. März 1883.
-</p>
-
-<p>…&nbsp;Eine besondere Freude macht es mir, daß ich es fertig
-gebracht, gemäß Deinen Auslassungen, Dich für meine heiligsten
-Gedanken, für meine neue und hohe Weltanschauung
-zu interessieren. Dadurch hat uns die Trennung und Entfernung
-nicht entfremdet, sondern im höchsten Grade genähert.
-Bleibe, lieber Eugen, der Wissenschaft anhänglich! Werde
-kein Bücherwurm, aber ein Liebhaber der Bücher zum Zweck
-ihrer praktischen Anwendung im Leben!</p>
-
-<p class="date">
-15. März 1883.
-</p>
-
-<p>…&nbsp;Der Familienzusammenhang ist mir wie Dir teuer und
-wert und möchte ich uns allen gewiß die Freude des Wiedersehens
-gönnen. Jedoch geht das materielle Gedeihen allen Gemütsbedürfnissen
-vor. Besser, wir sind in fünf Weltteile zerstreut,
-wenn es jedem gut geht, als im Elend vereinigt. Bedenke
-wohl und ernstlich, wie der Unbemittelte, besonders im
-alten Europa, ein elender Sklave ist. Du lebst an einer Stelle,
-wo der Pulsschlag der Welt recht fühlbar ist, und begreifst
-meine Vorsicht leicht; Deine Geschwister hier leben idyllisch,
-sanguinisch wie die Kinder der Welt vor dem Jüngsten Tage.
-Ich kann ihnen keine Angst anpredigen, weil ich realiter zu
-nachgiebig bin, und weil ihre Umgebung, die Siegburger Dorfgemütlichkeit,
-die wahre Not des Lebens zu sehr verhüllt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_184">[184]</a></span></p>
-
-<p class="date">
-19. September 1883.
-</p>
-
-<p>In Ermangelung eines sozialen Staates wollen wir (Vater
-und Kinder) wenigstens unter uns Kommunisten sein in beschränktem
-Maße, für den Notfall, und nicht utopistisch. Du
-sollst &ndash; nach meiner Denkart &ndash; im allgemeinen, im großen
-ganzen egoistisch für Dich und Deine Zukunft sorgen, aber
-nebenbei auch der allgemeinen Menschenliebe Rechnung tragen.
-Die faktischen Weltverhältnisse beruhen noch auf dem Egoismus
-gar ausschließlich, und über das Faktische darf sich auch
-kein Idealist hinwegsetzen, sonst ist er Utopist&nbsp;…</p>
-
-<p class="date">
-16. November 1883.
-</p>
-
-<p>Du sprichst von dem unmoralischen Ton in der Familie
-M., der Dich und auch Eduard S. chokierte. Ich kann mir
-dabei nichts anderes denken, als daß die Ablösung der Bande,
-welche Bürgermeister, Pastor und Nachbarschaft dem Dorfmenschen
-auflegen, verstärkt durch die Fesseln ökonomischer
-Dürftigkeit und das Gefühl niedriger sozialer Stellung, daß
-der Wegfall dieser Banden die Emporkömmlinge dort drüben
-außer Rand und Band bringt. Ob sie sich da nun mit äußerem
-Flitter behangen, bleibt ihnen doch das Gefühl der Niedrigkeit,
-welches sie sich durch Anmaßung ausreden möchten. Ist
-es so? Nun, das sollte Dich nicht antipathisch stimmen. »Alles
-erklären, heißt alles verzeihen.« Wenn Du von Dir ein höheres
-Bewußtsein hegen kannst, so freue Dich dessen, aber halte auch
-gewärtig, daß Du in dieser so sehr verbesserungsbedürftigen
-Welt immer Resignation üben und Dein Licht in etwa unter
-den Scheffel halten mußt.</p>
-
-<p class="date">
-6. Dezember 1883.
-</p>
-
-<p>…&nbsp;Wenn ich nicht gerade dem Elend ins Auge sehen
-muß, und <em class="gesperrt">nur eben</em>, <em class="gesperrt">wenn noch so arm</em>, leben kann, bin
-ich durch mein heiteres Gemüt ungemein reich und besitze
-eine unverwüstliche Munterkeit.</p>
-
-<p>Auch Deine entschiedene Sprache, mit der Du von neuen
-Geschäftsunternehmungen abrätst, hat mir wohl getan. Mir<span class="pagenum"><a id="Seite_185">[185]</a></span>
-tut nichts wohler, als wenn Ihr alle mitratet bei Gestaltung
-der Zukunft; nur muß es kein Rat sein, wie ihn Deine
-Schwestern gewöhnlich im Vorrat haben, die alles abweisen,
-aber nichts Neues an die Stelle setzen; immer bleiben wollen,
-wie sie sind, ohne der Zukunft Rechnung zu tragen. Sie raten
-nur negativ: »Tu nicht! Tu nicht!«</p>
-
-<p>Im Briefe vom 22. November sagst Du: »Bin schlimmsten
-Falls niemals um mein Brot verlegen.« Dies Wort hat mich
-sehr erfreut. Wenn Du Dich etwas mit der politischen Ökonomie
-bekannt gemacht hast, wirst Du einsehen: was heute
-ein Kapital ist, ist morgen keins mehr. Ich bin Kleinbürger
-von Geburt und Stand. Wenn ich kein Betriebskapital habe,
-bin ich am Ende meines Lateins. Darum möchte ich sehen,
-daß meine Kinder sich nicht auf ein kleines und unzulängliches
-Kapitälchen, das mit der Entwicklung der Dinge immer
-noch unzulänglicher wird, stützen sollten, sondern auf ihre
-Arbeitskraft. Im Anschluß an konkurrenzfähiges Kapital sich
-eine günstige Lohnstellung suchen, ist zeitgemäßer als die kleine
-unzulängliche Selbständigkeit. Ich spreche Dir ja meine Gedanken
-in den »Logischen Briefen« aus.</p>
-
-<p class="date">
-25. Januar 1884.
-</p>
-
-<p>Ich will Dich gewiß nicht abhalten, wenn Du die Gelegenheit
-hast, ein eigenes Geschäft zu akquirieren, sondern
-nur anraten, den unvermeidlichen Drang dahin zu mäßigen
-durch die Erkenntnis, daß das Kleingetriebe dem Untergang
-gewidmet ist; der dienende Anschluß an eine große Firma
-ist freier, leichter, lohnender wie die Kleinkrämerei. Solche
-Selbständigkeit ist doch eine sehr relative, besonders wenn die
-Konkurrenz ihr das Leben sauer macht. Ich glaube gern,
-daß Du von meinem Charakter ein gut Stück geerbt hast,
-wodurch es Dir schwer wird, auf Gleichberechtigung zu verzichten.
-Indes ist das nun einmal nicht anders in unseren
-Tagen des Privatbesitzes und daraus folgenden Standesunterschiedes.
-Wer kein großes Vermögen hat, kein Kapitalist
-ist, ist unfrei geboren.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_186">[186]</a></span></p>
-
-<p>Ich glaube, wir, ich, Du und Deine Geschwister, werden
-am besten fahren, wenn wir in etwa resignieren und uns
-als das betrachten, was wir auch in der Tat sind, als Proletarier,
-die der Regel nach nicht imstande sind, sich aus ihrer
-Klasse herauszuarbeiten, sondern ein hoffnungsvolles Leben
-nur finden können im politischen Streben nach der Emanzipation
-der gesamten Arbeiterklasse. Der Mensch tut gut,
-nicht zu hoch hinauszufliegen und sein Streben mit seinen
-Mitteln in Einklang zu halten. Demnach schlage ich vor,
-daß wir unser kleines Vermögen nicht gebrauchen, um Reichtümer
-zu erwerben &ndash; insofern diese zu den Trauben gehören,
-die zu hoch hängen &ndash;, sondern als Notanker für unabsehbare
-Unglücksfälle.</p>
-
-<p>Bei solcher Lage der Dinge müssen wir »dienen«. Nun
-sind nach meiner Erfahrung die Vereinigten Staaten der Ort,
-wo die Bitterkeiten des Unvermeidlichen noch am leidlichsten
-sind.</p>
-
-<p class="date">
-17. März 1884.
-</p>
-
-<p>Auf Deinen Brief aus Buffalo, worin Du gegen meinen
-Rat polemisierst, Resignation zu üben wider den Trieb, ein
-reicher Mann zu werden, hätte ich viel zu sagen, was aber
-doch überflüssig ist, indem Du, trotz Deiner Polemik, mich
-doch verstanden hast.</p>
-
-<p>Ich will Dich gewiß nicht veranlassen, <em class="gesperrt">absolut</em> zu resignieren,
-sondern möchte nur, daß der Begriff der ökonomischen
-Entwicklung diesen Trieb insoweit mäßige, als zu erkennen
-ist, <em class="gesperrt">daß der Regel nach</em> nichts zu holen ist; wenn Dir aber
-das <em class="gesperrt">Glück</em> zwischen die Beine läuft, werde ich gewiß einverstanden
-sein, wenn Du recht wacker für ein Stück Kapital
-arbeitest.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<div class="footnotes">
-<h2 id="FOOTNOTES">Fußnoten</h2>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_1_1"></a><a href="#FNAnker_1_1"><span class="label">[1]</span></a> Verlag der Dietzgenschen Philosophie. München 1911.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_2_2"></a><a href="#FNAnker_2_2"><span class="label">[2]</span></a> Siehe hierzu die Abhandlung <em class="gesperrt">Eugen Dietzgens</em> »Dietzgen
-und Kant« im Vorwort (S. 4 bis 40) zu seinem »Dietzgen-Brevier
-für Naturmonisten«. München 1915, Verlag der Dietzgenschen
-Philosophie.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_3_3"></a><a href="#FNAnker_3_3"><span class="label">[3]</span></a> Dialektik = Entwicklungslehre durch Aussöhnen aller Gegensätzlichkeit
-in einer Einheit und durch Fortschreiten im stets neu
-sich bildenden Gegensatzkampf zur immer höheren Aussöhnung
-und Einheit.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_4_4"></a><a href="#FNAnker_4_4"><span class="label">[4]</span></a> Die gründlichste philosophische Unterweisung über den »Universalzusammenhang«
-findet der Leser in den »Logischen Briefen«,
-1. Teil, 2. Band, der »Sämtlichen Schriften Josef Dietzgens«.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_5_5"></a><a href="#FNAnker_5_5"><span class="label">[5]</span></a> Auf die nahe Verwandtschaft des erkenntnistheoretischen
-Standpunktes von Dietzgen mit den Anschauungen von Ernst
-Mach und seiner Anhänger hat Max Adler schon 1907 in der
-Neuen Zeit aufmerksam gemacht. Machs Lehrkern habe Dietzgen
-schon 1868 gleichsam vorweggenommen. (Christian Eckert in
-Schmollers Jahrbuch, Heft 1, 1914.)
-</p>
-<p>
-Später (1911 und 1913) hat Gustav Eckstein in Aufsätzen der
-Leipziger Volkszeitung und des Vorwärts die erkenntnistheoretische
-Harmonie von Dietzgen und Mach beziehungsweise Stallo
-gewürdigt.
-</p>
-<p>
-Es steht übrigens fest, daß die genannten Gelehrten zur Zeit
-der Veröffentlichung ihrer Theorien von Dietzgen nichts wußten.
-Bis vor fünf Jahren war der bloße Name Josef Dietzgen an
-den Universitäten nur sehr wenigen bekannt.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_6_6"></a><a href="#FNAnker_6_6"><span class="label">[6]</span></a> Eine Ausnahme machte inzwischen <em class="antiqua">Dr.</em> K. Österreich in seiner
-Ausgabe des 4. Bandes (1916) von Überweg-Heinzes Geschichte
-der Philosophie.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_7_7"></a><a href="#FNAnker_7_7"><span class="label">[7]</span></a> In dem von mir übersetzten Buche von Morris Hillquit,
-New York, »Der Sozialismus, seine Theorie und seine Praxis«
-(München 1911, E. Reinhardt) behandelt das dritte Kapitel
-»Sozialismus und Ethik«, Seite 28 bis 50.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_8_8"></a><a href="#FNAnker_8_8"><span class="label">[8]</span></a> Kant sagt: »Ich nehme an, daß es wirklich reine moralische
-Gesetze gebe, die völlig <em class="antiqua">a priori</em> (ohne Rücksicht auf empirische
-Bewegungsgründe, das ist Glückseligkeit) das Tun und Lassen,
-das ist den Gebrauch der Freiheit eines vernünftigen Wesens
-überhaupt bestimmen, und daß diese Gesetze <em class="gesperrt">schlechterdings</em>
-(nicht bloß hypothetisch unter Voraussetzung anderer empirischer
-Zwecke) gebieten und also in aller Absicht notwendig sind.« &ndash;
-Sein »kategorischer Imperativ« lautet: »Handle so, daß die
-Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen
-Gesetzgebung gelten könne.«
-</p>
-<p>
-Woran Sozialisten, angesichts der aus den Verschiedenheiten
-der <em class="gesperrt">Klasseninteressen</em> resultierenden Differenzen der »Maxime
-des Willens«, die im vorigen Zitat gedachten »reinen moralischen
-Gesetze« &ndash; die jeder normale Mensch angeblich aus seinem
-Innern (ohne sinnliche Erfahrung) schöpft &ndash; zu erkennen vermögen,
-ist ein Rätsel, dessen Lösung die Revisionisten uns bisher
-vorenthalten haben. Wenn Kants ethisches Grundgesetz richtig
-wäre, müßten doch die Wilden schon unsere wichtigsten heutigen
-Moralanschauungen gehabt haben &ndash; ganz zu schweigen von der
-Sklavenhalterzeit, von der feudalen und von der kapitalistischen
-Welt. Steht doch sogar der letzteren moralisches Empfinden &ndash;
-soweit es den Gütererwerb durch Verelendung der Massen betrifft
-&ndash; in krassem Gegensatz zu dem unsrigen.
-</p>
-<p>
-Professor Oswald Külpe sagt in seiner Darstellung und Würdigung
-Kants (Aus Natur und Geisteswelt, 146. Band, Seite 121)
-in bezug auf Kants Moralgebot: Liebe aus Neigung kann nicht
-geboten werden, sondern nur die praktische Liebe, das Wohltun
-aus Pflicht, wenn selbst unbezwingliche Abneigung der Ausführung
-dieser Pflicht entgegensteht. Auf solche Beispiele zielt das
-bekannte Epigramm von Schiller:
-</p>
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Gern dien' ich den Freunden, doch tu ich es lieber mit Neigung,<br /></span>
-<span class="i0">Und so wurmt es mich oft, daß ich nicht tugendhaft bin.<br /></span>
-<span class="i0">Da ist kein anderer Rat, du mußt suchen sie zu verachten,<br /></span>
-<span class="i0">Und mit Abscheu alsdann tun, was die Pflicht dir gebeut.<br /></span>
-</div></div>
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_9_9"></a><a href="#FNAnker_9_9"><span class="label">[9]</span></a> In den letzten Jahren haben allerdings die Ergebnisse der
-Erdbebenforschungen die alte Theorie von ehedem »feuerflüssigen«
-Gehalt des Erdinnern erheblich diskreditiert.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_10_10"></a><a href="#FNAnker_10_10"><span class="label">[10]</span></a> Dialektik im Sinne Dietzgens heißt soviel wie die Erkenntnislehre,
-welche sich gründet auf der erfahrungsmäßig nachgewiesenen
-Versöhnung des Kardinalgegensatzes zwischen Materie
-und Geist in der Einheit des natürlichen Universalzusammenhanges.
-Dieser bildet die absolut einheitliche Gattung, innerhalb
-welcher alle Gegensätze notwendig nur relativ gegensätzliche
-Arten sind.
-</p>
-<p>
-Durch solche Überwindung der Gegensätzlichkeit zwischen Materialismus
-und Idealismus verwandelt sich die bislang mit
-Recht als sophistisch diskreditierte Dialektik in eine streng monistische
-Logik und Entwicklungslehre, die auf erfahrungsmäßig
-kontrollierbare und daher wissenschaftlich überzeugende Weise
-fortschreitend immer besser mit jeder dualistischen Unlogik zu
-räumen versteht.
-</p>
-<p>
-Noch Hegels Dialektik (Entwicklungslehre im stets sich erneuernden
-Gegensatzkampf zur immer höheren Einheit) nahm
-ihren letzten Ausgang von unvermittelter Begriffsarbeit, welche
-sich mit ihrem objektiven Arbeitsmaterial in keiner Einheit zu
-versöhnen vermochte, weil ihr die Erkenntnis der genannten
-letzten Einheit mangelte und daher auch nicht zur Überwindung
-des Gegensatzes zwischen Objekt und Subjekt fortschreiten konnte.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_11_11"></a><a href="#FNAnker_11_11"><span class="label">[11]</span></a> Ich existiere, daher denke ich.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_12_12"></a><a href="#FNAnker_12_12"><span class="label">[12]</span></a> Erst neulich wurde in den »Sozialistischen Monatsheften«
-erklärt, es sei ganz und gar nicht Aufgabe der Partei, diese oder
-jene Weltanschauung zu fördern.
-</p>
-<p>
-Ähnlich gleichgültig verhält sich <em class="gesperrt">Kautsky</em> gegenüber einer durch
-erfahrungsmäßige Erkenntniskritik begründeten Weltanschauung
-und Denkmethode für die proletarische Bewegung, indem er im
-»Kampf« vom 1. Juli 1909 schreibt: »Marx hat keine Philosophie,
-sondern das Ende aller Philosophie verkündet. Der Marxismus
-will dem Proletariat die Einsicht in die Bedingungen, den Gang
-und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung beibringen,
-wie das Kommunistische Manifest sagt. Der Ausgangspunkt
-dabei ist die Erkenntnis, daß nicht das Bewußtsein der
-Menschen ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein
-ihr Bewußtsein bestimmt. Ob man diese Auffassung auf den
-Materialismus des achtzehnten Jahrhunderts oder den Machismus
-oder den Dietzgenschen dialektischen Materialismus oder
-sonstwie stützt, ist ja für die Klarheit und Einheitlichkeit unseres
-Denkens nicht ganz gleichgültig, aber eine Frage, die für die
-Klarheit und Einheitlichkeit der <em class="gesperrt">Partei</em> ganz belanglos ist.«</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_13_13"></a><a href="#FNAnker_13_13"><span class="label">[13]</span></a> Mit großem Erfolg haben die Aufsichtsräte deutscher Aktiengesellschaften
-ihren Lohn, Tantieme genannt, in den letzten Jahren,
-und ganz besonders wieder 1913/14, erhöht. Auf Grund der Einnahmen
-aus der <em class="gesperrt">Tantiemesteuer</em> berechnet die »Frankfurter
-Zeitung« für das Fiskaljahr 1913/14 versteuerte Tantiemen von
-88,38 Millionen Mark gegen 79,38 Millionen für das Jahr 1912/13,
-71,50 Millionen für 1911/12, 65,39 Millionen für 1910/11, 59,30
-Millionen für 1909/10 und 41,01 Millionen Mark für 1908/09.
-<em class="gesperrt">Seit 1908/09 hat sich die Jahreseinnahme der Aufsichtsräte
-mehr als verdoppelt</em>, die Aufsichtsratstantiemen
-sind erheblich schneller gestiegen als die Dividenden der Aktionäre.
-Von einer Steigerung der Arbeitsleistung der Aufsichtsräte kann
-dabei keine Rede sein, schon weil das Aufsichtsratsamt in den
-meisten Fällen überhaupt mit keiner ernsthaften Arbeit verknüpft
-ist. (»Vorwärts«.)</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_14_14"></a><a href="#FNAnker_14_14"><span class="label">[14]</span></a> Siehe hierzu das Zitat aus Verworn, Seite 25.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_15_15"></a><a href="#FNAnker_15_15"><span class="label">[15]</span></a> Lehrlingskontrakt (wie in Deutschland) kennt man in den
-Vereinigten Staaten nicht; auch gibt es keine »unentgeltliche« Lehrzeit;
-jeder Lehrling erhält Bezahlung und avanciert nach Maßgabe
-seiner Fähigkeiten und der eintretenden Vakanzen.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_16_16"></a><a href="#FNAnker_16_16"><span class="label">[16]</span></a> Freund des Vater Dietzgen, in dessen Geschäft und Fabrik
-Eugen als Volontär aufgenommen wurde.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_17_17"></a><a href="#FNAnker_17_17"><span class="label">[17]</span></a> An manchen Stellen dieser Korrespondenz ist zu beachten,
-daß J. D. die Vereinigten Staaten vor Einsetzen der großkapitalistischen
-Periode kennen lernte, als sie tatsächlich das Eldorado
-des Kleinbürgertums waren. Dies hat sich inzwischen sehr verändert,
-so daß der Unterschied zwischen der Union und Deutschland
-von Jahr zu Jahr geringer wird. Auch heute noch sind zu
-Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs die Chancen zum Fortkommen
-drüben bessere als in Europa, dafür aber um so verzweifelter und
-schlechter während einer Periode wirtschaftlichen Niedergangs.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_18_18"></a><a href="#FNAnker_18_18"><span class="label">[18]</span></a> Der junge Dietzgen wurde vom Fabrikherrn K., einem alten
-Freunde und Gesinnungsgenossen Josef Dietzgens, in Pension
-genommen.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_19_19"></a><a href="#FNAnker_19_19"><span class="label">[19]</span></a> Von Georg Ebers. Der Sohn hatte geschrieben, daß er dies
-Buch gelesen.</p></div>
-</div>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p class="h2">Verlag der Dietzgenschen Philosophie in München</p>
-</div>
-
-<p class="center">Durch jede Buchhandlung (nicht von der Verlagsfirma
-direkt) beziehbar:</p>
-
-<p class="h2">Josef Dietzgens sämtliche Schriften</p>
-
-<p class="center">Drei Leinenbände M.&nbsp;12.&ndash; München 1911.</p>
-
-<p>Erster Band: <b>Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit und
-Kleinere Schriften.</b> Ein Abriß von Josef Dietzgens Leben von
-Eugen Dietzgen. Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit. (Eine
-abermalige Kritik der reinen und praktischen Vernunft.) Die
-Religion der Sozialdemokratie. Sozialdemokratische Philosophie.
-Das Unbegreifliche. Die Grenzen der Erkenntnis. Unsere Professoren
-auf den Grenzen der Erkenntnis.</p>
-
-<p>Zweiter Band: <b>Das Akquisit der Philosophie.</b> Einführung
-in die Denklehre und Weltanschauung Josef Dietzgens von Eugen
-Dietzgen. Briefe über Logik, speziell demokratisch-proletarische
-Logik. (39 Briefe.) Streifzüge eines Sozialisten in das Gebiet
-der Erkenntnistheorie. Das Akquisit der Philosophie.</p>
-
-<p>Dritter Band: <b>Erkenntnis und Wahrheit.</b> Aus Josef Dietzgens
-Privatbriefen an seinen Sohn in Amerika. 22 Aufsätze und
-10 »Briefe über Sozialismus an eine Freundin«.</p>
-
-<p class="center larger">Von den Einzelschriften sind noch vorrätig:</p>
-
-<div class="hang">
-
-<p><b>Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit.</b> M.&nbsp;1.50,
-gebd. M.&nbsp;2.&ndash;</p>
-
-<p><b>Erkenntnis und Wahrheit.</b> M.&nbsp;2.&ndash;, gebd. M.&nbsp;2.50.</p>
-
-<p><b>Streifzüge eines Sozialisten in das Gebiet der Erkenntnistheorie.</b>
-Brosch. M.&nbsp;1.&ndash;</p>
-
-<p><b>Sozialdemokratische Philosophie.</b> Brosch. 75 Pf.</p>
-
-<p><b>Die Religion der Sozialdemokratie.</b> Brosch. 50 Pf.</p>
-
-<p><b>Die Zukunft der Sozialdemokratie.</b> Brosch. 50 Pf.</p></div>
-
-<hr class="chap" />
-
-<p class="h2">Verlag der Dietzgenschen Philosophie in München</p>
-
-<p class="h2">Ernst Untermann: Dialektisches</p>
-
-<p class="center">Volkstümliche Vorträge
-aus dem Gebiete des proletarischen Monismus.</p>
-
-<p>Aus dem Inhalte heben wir hervor: 1. Was die Handlungen
-der Menschen bestimmt und warum sich die Dinge ändern. &ndash;
-2. Der menschliche Geist ist ein natürliches Produkt des Weltalls.
-&ndash; 3. Marxismus, Darwinismus, dialektischer Monismus. &ndash;
-4. Tier- und Menschengesellschaften. &ndash; 5. Biologische und ökonomische
-Arbeitsteilung. &ndash; 6. Antonio Labriola und Josef Dietzgen.
-Ein Vergleich zwischen dem historischen Materialismus und dem
-dialektischen Monismus.</p>
-
-<p>142 Seiten, broschiert M.&nbsp;1.&ndash;, gebunden M.&nbsp;1.20.</p>
-
-<p class="h2">Henriette Roland-Holst:<br />
-Josef Dietzgens Philosophie</p>
-
-<p class="center">gemeinverständlich erläutert in ihrer Bedeutung für das
-Proletariat.</p>
-
-<p class="center">München 1910. 91 Seiten, broschiert M.&nbsp;1.&ndash;</p>
-
-<p>Diese Schrift dürfte sich vorzüglich eignen zur Einführung in
-die Denklehre und Weltanschauung des Arbeiterphilosophen. Die
-Verfasserin sagt in ihrer Vorrede unter anderem: »Ich habe mich
-in dieser Arbeit darauf beschränkt, erstens das Verhältnis Dietzgens
-zum historischen Materialismus und dessen Grundlagen zu
-untersuchen, zweitens die Bedeutung seiner Lehren für den politischen,
-sozialen und geistigen Kampf des Proletariats zu skizzieren.
-Ich habe geglaubt, dieser Untersuchung eine verhältnismäßig
-ausführliche Zusammenfassung der Grundgedanken des
-dialektischen Materialismus, die, soweit ich weiß, bisher fehlt,
-vorausschicken zu müssen. Soviel wie möglich habe ich mich dabei
-an die eigenen Worte Dietzgens gehalten, damit seine klare, populäre,
-durchaus originelle und anregende Darstellungsweise dem
-Leser tunlichst erhalten bleibe.«</p>
-
-<p class="h2">Dietzgen-Brevier für Naturmonisten</p>
-
-<p class="center">Herausgegeben und beantwortet von <b>Eugen Dietzgen</b>.</p>
-
-<p class="center">Mit ausführlichem Sachregister.</p>
-
-<p class="center">München 1915. 429 Seiten, elegant in Leder gebunden M.&nbsp;4.&ndash;</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<p class="h2">Inhalt der Internationalen Bibliothek.</p>
-
-<p class="center">(Die fehlenden Nummern sind vergriffen.)</p>
-
-<div class="hang">
-
-<p>1 <b><em class="antiqua">Dr.</em> S. Tschulok, Entwicklungstheorie.</b>
-(Darwins Lehre.) Mit 49 Abbildungen
-im Text. Gebunden M.&nbsp;3.&ndash;</p>
-
-<p>2 <b>Karl Kautsky, Karl Marx' Oekonomische
-Lehren.</b> 14. Aufl. Geb. M.&nbsp;2.&ndash;</p>
-
-<p>5 <b>Karl Kautsky, Thomas More und
-seine Utopie.</b> 3. Auflage. Geb. M.&nbsp;3.&ndash;</p>
-
-<p>6 <b>A. Bebel, Charles Fourier. Sein Leben
-und seine Theorien.</b> 3. Aufl. Geb. M.&nbsp;2.50.</p>
-
-<p>8 <b>J. Stern, Die Philosophie Spinozas.</b>
-Mit Porträt Spinozas. 3. Aufl. Geb. M.&nbsp;2.&ndash;</p>
-
-<p>9 <b>A. Bebel, Die Frau und der Sozialismus.</b>
-140. Tausend. Gebunden M.&nbsp;3.&ndash;</p>
-
-<p>10 <b>Lillagaray, Die Geschichte der
-Kommune von 1871.</b> 4. Auflage. Illustrierte
-Ausgabe. Gebunden M.&nbsp;3.&ndash;</p>
-
-<p>11 <b>Friedrich Engels, Der Ursprung
-der Familie, des Privateigentums
-und des Staates.</b> 14. Auflage. Gebunden
-M.&nbsp;1.50.</p>
-
-<p>12 <b>Karl Marx, Das Elend der Philosophie.</b>
-Antwort auf Proudhons »Philosophie
-des Elends«. 5. Aufl. Geb. M.&nbsp;2.&ndash;</p>
-
-<p>13 <b>Karl Kautsky, Das Erfurter Programm</b>
-in seinem grundsätzlichen Teile.
-11. Auflage. Gebunden M.&nbsp;2.&ndash;</p>
-
-<p>14 <b>Friedrich Engels, Die Lage der
-arbeitenden Klasse in England.</b>
-4. Auflage. Gebunden M.&nbsp;2.50.</p>
-
-<p>16 <b><em class="antiqua">Dr.</em> F. B. Simon, Die Gesundheitspflege
-des Weibes.</b> 8. Auflage. Mit
-34 Abbildungen im Text und einer farbigen
-Tafel. Gebunden M.&nbsp;2.50.</p>
-
-<p>17 <b>Franz Mehring, Die Lessing-Legende.</b>
-3. Auflage. Gebunden M.&nbsp;3.&ndash;</p>
-
-<p>18 <b><em class="antiqua">Dr.</em> H. Lux, Etienne Cabet</b> und der
-Ikarische Kommunismus. Gebunden M.&nbsp;2.&ndash;</p>
-
-<p>21 <b>Friedrich Engels, Herrn Eugen
-Dührings Umwälzung der Wissenschaft.</b>
-8. Auflage. Gebunden M.&nbsp;3.&ndash;</p>
-
-<p>24 <b>Karl Marx, Revolution u. Konter-Revolution
-in Deutschland.</b> 3. Auflage.
-Gebunden M.&nbsp;2.&ndash;</p>
-
-<p>26 <em class="antiqua">a</em>, <em class="antiqua">b</em>, <em class="antiqua">c</em> <b><em class="antiqua">Dr.</em> A. Dodel, Aus Leben und
-Wissenschaft.</b> Gesammelte Vorträge und
-Aufsätze. In drei Teilen.</p>
-
-<p>26 <em class="antiqua">a</em> <b>&ndash; Leben u. Tod.</b> 4. Aufl. Geb. M.&nbsp;2.&ndash;</p>
-
-<p>26 <em class="antiqua">b</em> <b>&ndash; Kleinere Aufsätze und Vorträge.</b>
-4. Auflage. Gebunden M.&nbsp;2.&ndash;</p>
-
-<p>26 <em class="antiqua">c</em> <b>&ndash; Moses oder Darwin?</b> Eine Schulfrage.
-11. Auflage. Gebunden M.&nbsp;1.50.</p>
-
-<p>27 <b>Lindemann (C. Hugo), Städteverwaltung
-und Munizipal-Sozialismus
-in England.</b> 2. Auflage. Mit
-einem neuen Vorwort. Gebunden M.&nbsp;2.50.</p>
-
-<p>30 <b>Karl Marx, Zur Kritik der politischen
-Oekonomie.</b> 3. Auflage. Gebunden
-M.&nbsp;2.50.</p>
-
-<p>33 <b>Leo Deutsch, Sechzehn Jahre in
-Sibirien.</b> Mit 7 Porträts und 6 Illustrationen.
-10. Tausend. Gebunden M.&nbsp;3.50.</p>
-
-<p>35 <b>Karl Marx, Theorien über den
-Mehrwert.</b> Aus dem nachgelassenen
-Manuskript »Zur Kritik der politischen
-Oekonomie« von Karl Marx. Herausgegeben
-von Karl Kautsky. Erster Band.
-2. Auflage. Gebunden M.&nbsp;6.&ndash;</p>
-
-<p>36 <b>&ndash; &ndash;</b>, Zweiter Band, erster Teil. 2. Auflage.
-Gebunden M.&nbsp;5.&ndash;</p>
-
-<p>37 <b>&ndash; &ndash;</b>, Zweiter Band, zweiter Teil.
-2. Auflage. Preis gebunden M.&nbsp;5.50.</p>
-
-<p>37 <em class="antiqua">a</em> <b>&ndash; &ndash;,</b> Dritter Band. Gebunden M.&nbsp;8.&ndash;</p>
-
-<p>38 <b>Karl Kautsky, Ethik und materialistische
-Geschichtsauffassung.</b> 6. und
-7. Tausend. Gebunden M.&nbsp;1.50.</p>
-
-<p>39 <b>Hillquit, Geschichte des Sozialismus
-in den Vereinigten Staaten.</b>
-Gebunden M.&nbsp;3.&ndash;</p>
-
-<p>40 <b>K. A. Pashitnow, Die Tage der arbeitenden
-Klasse in Rußland.</b> Uebersetzt
-von M.&nbsp;Nachimson. Gebunden M.&nbsp;3.&ndash;</p>
-
-<p>41 <b>Leo Deutsch, Viermal entflohen.</b>
-4. und 5. Tausend. Gebunden M.&nbsp;2.&ndash;</p>
-
-<p>42 <b>Peter Maßlow, Die Agrarfrage
-in Rußland.</b> Die bäuerliche Wirtschaftsform
-und die ländlichen Arbeiter. Uebersetzung
-von M. Nachimson. Gebunden M.&nbsp;3.&ndash;</p>
-
-<p>43 <b>Paul Louis, Geschichte des Sozialismus
-in Frankreich.</b> Aus dem
-Französischen übertragen von Hermann
-Wendel. Gebunden M.&nbsp;3.&ndash;</p>
-
-<p>44 <b>Ed. Bernstein, Sozialismus und
-Demokratie in der großen englischen
-Revolution.</b> Illustrierte Ausgabe.
-Gebunden M.&nbsp;4.&ndash;</p>
-
-<p>45 <b>Karl Kautsky, Der Ursprung des
-Christentums.</b> Eine historische Untersuchung.
-5. und 6. Tausend. Gebunden
-M.&nbsp;5.75.</p>
-
-<p>46 <b>L. B. Boudin, Das theoretische
-System von Karl Marx.</b> Aus dem
-Englischen übersetzt von Luise Kautsky.
-Mit einem Vorwort zur deutschen Ausgabe
-von Karl Kautsky. Gebunden M.&nbsp;3.&ndash;</p>
-
-<p>47 <b>K. Kautsky, Vorläufer des neueren
-Sozialismus.</b> 4. Auflage. Erster Band:
-Kommunistische Bewegungen im Mittelalter.
-Gebunden M.&nbsp;3.&ndash;</p>
-
-<p>48 &ndash; &ndash;, Zweiter Band: Der Kommunismus
-in der deutschen Reformation. Geb. M.&nbsp;3.&ndash;</p>
-
-<p>49 <b>Ph. Buonarroti, Babeuf und die
-Verschwörung für die Gleichheit.</b>
-Uebersetzt und eingeleitet von Anna und
-Wilhelm Blos. Gebunden M.&nbsp;2.50.</p>
-
-<p>50 <b>Karl Kautsky, Vermehrung und
-Entwicklung in Natur und Gesellschaft.</b>
-Gebunden M.&nbsp;2.&ndash;</p>
-
-<p>51 <b>Paul Louis, Geschichte der Gewerkschaftsbewegung
-in Frankreich</b>
-(1789 bis 1912). Autorisierte Übersetzung
-von Hedwig Kurucz-Eckstein. Herausgegeben
-und mit einer Einleitung versehen
-von <em class="antiqua">Dr.</em> G. Eckstein. Gebunden M.&nbsp;3.&ndash;</p>
-
-<p>52 <b>Joseph Salvioli, Der Kapitalismus
-im Altertum.</b> Studien über die
-römische Wirtschaftsgeschichte. Nach dem
-Französischen übersetzt von Karl Kautsky
-jun. Mit einem Vorwort von Karl Kautsky.
-Gebunden M.&nbsp;3.&ndash;</p>
-
-<p>53 <b>Max Adler, Marxistische Probleme.</b>
-Beiträge zur Theorie der materialistischen
-Geschichtsauffassung. Gebunden M.&nbsp;3.50.</p>
-
-<p>54 <b>Laufenberg, Der politische Streik.</b>
-Gebunden M.&nbsp;2.50.</p>
-
-<p>55 <b>Emile Vandervelde, Neutrale und
-sozialistische Genossenschaftsbewegung.</b>
-Gebunden M.&nbsp;1.50.</p>
-
-<p>56 <b>Max Adler, Wegweiser.</b> Studien zur
-Geistesgeschichte des Sozialismus. Gebunden
-M.&nbsp;2.50.</p>
-
-<p>57 <b>Gust. Noske, Kolonialpolitik und
-Sozialdemokratie.</b> Gebunden M.&nbsp;2.&ndash;</p>
-
-<p>58 <b>A. Hepner, Josef Dietzgens Philosophische
-Lehren.</b> Gebunden M.&nbsp;2.50.</p></div>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<div class="transnote">
-
-<p class="h2" id="tnextra">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde korrigiert.</p>
-
-<p>Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.</p>
-
-<p>Korrekturen:</p>
-<div class="corr">
-<p>
-S. 64: vertrakten → vertrackten<br />
-derselbe ihrem <a href="#corr064">vertrackten</a> Sinne wie ein unnatürliches</p>
-<p>
-S. 108: ihr → ihre<br />
-menschlichen Handlungen <a href="#corr108">ihre</a> wahre Begründung</p>
-<p>
-S. 143: Ende → Enden<br />
-daß alle vermeintlichen Anfänge und <a href="#corr143">Enden</a></p>
-<p>
-S. 144: kam → kann<br />
-beseelt mit Fug und Recht darstellen <a href="#corr144">kann</a></p>
-</div>
-</div>
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Josef Dietzgens philosophische Lehren, by
-Adolf Hepner
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JOSEF DIETZGENS ***
-
-***** This file should be named 50574-h.htm or 50574-h.zip *****
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-and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
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-or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
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-through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
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-1.E.9.
-
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-must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
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-or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
-work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
-Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
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-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
-
-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of computers
-including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
-because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
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-
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
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-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
-To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
-and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
-
-
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
-Foundation
-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
-http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
-permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
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-The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
-Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
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-809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
-business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
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-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
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-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
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-
-</body>
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