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-The Project Gutenberg EBook of Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen
-aus Religion, Philosophie und Naturerkenntn, by Max Bernhard Weinstein
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-
-Title: Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis
-
-Author: Max Bernhard Weinstein
-
-Release Date: March 28, 2016 [EBook #51586]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WELT- UND LEBENANSCHAUUNGEN ***
-
-
-
-
-Produced by Mark C. Orton, Knujon Mapson, Reiner Ruf, and
-the Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
- ####################################################################
-
- Anmerkungen zur Transkription:
-
- Der vorliegende Text wurde anhand der 1910 erschienenen Buchausgabe
- so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Zeichensetzung
- und offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend
- korrigiert. Verschiedene Schreibweisen, insbesondere hinsichtlich
- Bindestrichen und Akzenten, sowie der Verwendung von Apostrophen
- beim ‚Genitiv-s‘ wurden hingegen dem Originaltext gemäß belassen.
-
- Text in Fettdruck wird durch _Unterstriche_ dargestellt, gesperrte
- Passagen werden durch ~Tilden~ hervorgehoben. Kapitälchen dienen
- nur zu dekorativen Zwecken auf der Titelseite und werden deshalb
- als gewöhnliche Groß- und Kleinbuchstaben wiedergegeben.
-
- ####################################################################
-
-
-
- WELT- UND
- LEBENANSCHAUUNGEN
-
- HERVORGEGANGEN AUS
-
- RELIGION, PHILOSOPHIE
- UND NATURERKENNTNIS
-
- VON
-
- PROF. Dr. _MAX B. WEINSTEIN_
-
- [Illustration]
-
- LEIPZIG
- VERLAG VON JOHANN AMBROSIUS BARTH
- 1910
-
-
-
-
- Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig
-
-
-
-
-Vorwort.
-
-
-Wer sich mit einem Gegenstande lange und eifrig beschäftigt hat,
-hegt unwillkürlich den Wunsch, die Ergebnisse seines Studiums und
-Nachdenkens zu ordnen und für die Dauer festzuhalten. So habe ich
-dieses Buch nicht bloß für den Leser, sondern auch für mich selbst
-geschrieben, und darum wird es bei aller Objektivität, die eine
-wissenschaftliche Veröffentlichung selbstverständlich auszeichnen muß,
-doch auch den Eindruck des Persönlichen machen. Über die Anschauungen
-von der Welt, und auch über die vom Leben, ist schon viel geschrieben;
-das Thema ist ja für Laien und Gelehrte wichtig und interessant genug.
-Ich glaube aber, daß noch kein Buch vorhanden ist, das die Aufgabe
-von so allgemeinen Gesichtspunkten und in so umfassender Darstellung
-behandelt, wie das vorliegende. Meist sind es Ausschnitte aus einzelnen
-Gedankengebieten der Völker und Forscher, die geboten werden, entweder
-vom Standpunkte des Anthropologen, oder des Gottesgelehrten, oder
-des Philosophen und des Naturforschers. Ich habe es versucht, alles
-in eins zusammenzufassen, Anthropologie, Religion, Philosophie und
-Naturwissenschaft, denn nur aus einer Darstellung des Ganzen wird man
-das Bedeutungsvolle des Gegenstandes zu übersehen und das Einzelne
-zu würdigen vermögen. Und nicht nur das ist von Interesse, was
-Große denken und sagen, sondern auch, was Völker, selbst in ihrem
-Naturzustande, erdichten und zur Richtschnur ihres Lebens in sich
-und mit Anderen machen. Es sind wunderliche und wunderbare Bilder,
-die kaleidoskopisch an uns vorüberziehen. Es handelt sich aber, wie
-ich, um Mißverständnissen vorzubeugen, hervorheben muß, nicht um eine
-Geschichte, sondern um eine Schilderung der Anschauungen selbst.
-Darum ist der Inhalt, wie ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis lehrt,
-durchaus nur sachlich geordnet, und wo Raum und Zeit zu entscheiden
-scheinen, hat sich dieses im Rahmen des Tatsächlichen von selbst
-eingestellt. Darum sind auch nur die Hauptmomente behandelt, und
-sollte ein Leser den einen oder anderen Namen vermissen, so hat der
-Verfasser ein Besonderes, das sich an diesen Namen für seine besondere
-Aufgabe knüpft, nicht feststellen können. Manche glauben, daß ein
-Verfasser, was er nicht sagt, auch nicht weiß und nicht gedacht hat.
-Es wäre beschämend, wenn man nicht unendlich viel mehr wüßte und
-dächte, als man in seinen Büchern, so zahlreich sie schon sein mögen,
-niedergelegt hat. Aber es ist nicht angängig, alles, was man weiß und
-denkt, weiterzugeben, denn man muß auch den Leser berücksichtigen. Auch
-ist zwar vielfach das Leben lang genug das wichtigste zu lernen, aber
-leider allzu kurz, was man möchte, zu schaffen.
-
-Ich habe eine rein wissenschaftliche Darstellung gewählt, denn die
-Anschauungen sind nicht bloß geschildert, sondern aufs sorgfältigste
-zergliedert und auf ihren Wert untersucht. Auch sind sie von der hohen
-Warte des allgemeinen Menschengeistes und des großen Wissens unserer
-Zeit betrachtet. Wer über Welt- und Lebenanschauungen umfassend
-schreiben will, muß sich nicht allein mit der Arbeit der Vergangenheit
-vertraut machen, sondern sich auch in die Strömungen der Gegenwart
-versenken können, und bedarf außerordentlich eingehender Kenntnisse
-auf allen Gebieten der menschlichen Betätigung. Der Leser soll
-unterrichtet werden, und zwar sorgfältig und richtig, nicht, wie es
-durch so viele populäre Werke leider geschieht, oberflächlich oder
-gar falsch. Außerdem soll er zum eigenen weiteren Denken angeregt und
-angeleitet werden. Bereicherung mit Kenntnissen und Ideen, Bereicherung
-mit geistigem Streben ist die Aufgabe eines wissenschaftlichen Buches.
-Trotz des großen Ernstes der Behandlung und der sehr erheblichen
-Schwierigkeit der Materie wird die Darstellung, wie ich hoffe, als klar
-und einer guten Prosa angemessen befunden werden. Ich bin keiner noch
-so tiefgründigen Untersuchung aus dem Wege gegangen, habe jedoch, wo
-Sonderkenntnisse erforderlich waren, diese stets mitgeteilt. Kritik
-ist fast auf jeder Seite geübt, ich habe mich bestrebt Objektivität
-und Ruhe des Urteils zu wahren. Das Buch ist für den Fachmann und für
-den Gebildeten, überhaupt für jeden, der sich auf dem wichtigsten
-Gebiete des menschlichen Denkens und Dichtens unterrichten will,
-geschrieben. Das Persönliche kommt in der Darstellungsweise und in der
-Geltendmachung der eigenen Meinungen und Anschauungen zum Vorschein.
-Ich habe vor längerer Zeit zwei Bücher geschrieben, auf die ich mich
-oft berufe: „Philosophische Grundlagen der Wissenschaften“ und „Die
-Entstehung der Welt und der Erde nach Sage und Wissenschaft“. Mit dem
-vorliegenden Buche bilden diese Bücher, wenn auch jedes für sich ein
-selbständiges Ganze darstellt, eine höhere Einheit, die ich freilich
-noch gern durch ein Buch über das Leben selbst ergänzen möchte. Bei
-aller Sorgfalt ist es in umfangreichen Werken nicht immer möglich,
-Unebenheiten und Versehen zu vermeiden. Ein Herr aus Frankreich hat
-mich auf eine Stelle in den „Philosophischen Grundlagen“ aufmerksam
-gemacht, die ich, einem so geschmackvollen und liebenswürdigen Volke
-gegenüber, wie das französische in der Tat gerne nicht geschrieben
-haben möchte.
-
-Die wichtigeren Werke, die ich bei Abfassung meines Buches verwendet
-habe, sind in diesem Buche selbst verzeichnet. Wo es mir nur irgend
-möglich war, habe ich mich an die Originale gehalten; benutzte ich
-bei fremden Sprachen zur Erleichterung Übersetzungen, so paßte
-ich sie möglichst dem Wortlaut der Originale an. Es ist schon ein
-melancholisches Geschäft, aus Arbeiten Anderer Auszüge zu machen, aber
-abstoßend langweilig, Auszüge auszuziehen. Ich habe letzteres nur
-notgedrungen getan, wo mir die Originale nicht zur Verfügung standen
-oder die Sprache mir doch verschlossen war. Abbildungen enthält nur
-der erste Teil des Buches, die übrigen Teile boten keinen Anlaß, sie
-zu schmücken. Ein sehr eingehendes Inhaltsverzeichnis und Namen- und
-Sachregister wird, hoffe ich, die Brauchbarkeit des Buches auch zum
-Nachschlagen erhöhen. Beim Lesen der Korrekturen hat mich mein Freund,
-der Lehrer an der Berliner Baugewerkschule Dr. ~Levy~, formell und
-sachlich unterstützt. Ihm und der Verlagsbuchhandlung, die viel Mühe
-mit dem Buche gehabt und für eine würdige Ausstattung gesorgt hat,
-meinen besten Dank. Möchte der Leser das Buch so gern lesen, wie der
-Verfasser es gern und aus dem Innern heraus geschrieben hat.
-
- ~Charlottenburg~, im Mai 1910.
-
- _Weinstein_.
-
-
-
-
-Inhaltsverzeichnis.
-
-
- ~Vorwort~ III
-
- ~Vorbemerkungen~. Charakteristik, Prinzipe und Einteilung
- der Welt- und Lebenanschauungen.
-
- 1. ~Bedeutung der Welt- und Lebenanschauungen~ 1
-
- Ursprung 1. -- Verhalten der Menschen 2.
-
- 2. ~Naturvölker und Kulturvölker~ 4
-
- Schwierigkeiten bei den Naturvölkern 4. -- Schwierigkeiten
- bei den Kulturvölkern 6.
-
- 3. ~Hauptfragen und Stammannahmen~ 7
-
- Formulierung der Hauptfragen 7. -- Liste der Stammannahmen 9.
-
- 4. ~Vergleichung der Anschauungen, Parallelen~ 10
-
- Gleichartigkeit der Menschheit 10. -- Beispiele für Parallelen
- 12. -- Völkerzusammenhänge 13.
-
- 5. ~Einteilung der Welt- und Lebenanschauungen~ 13
-
- Formelle Einteilung 13. -- Sachliche Einteilung 14.
-
-
- Erstes Buch. Psychisch-religiöse Welt- und Lebenanschauungen.
-
-
- Erstes Kapitel. Anschauungen der Naturvölker.
-
- 6. ~Irdisch-menschliche Anschauungen~ 16
-
- Irdischer Standpunkt des Naturmenschen 16. -- Übertragung
- auf das Himmlische und Kosmogonische 17. -- Naturmenschlicher
- Egoismus und Unverstand 22.
-
- 7. ~Über den Ursprung der Religionen, Vorläufiges~ 23
-
- Bedeutung und Entstammung der Religion 23. -- Ursprung
- aus der Sprache 24. -- Religionsstufen 27. -- Ursprung aus der
- Macht 28. -- Ursprung aus dem Kategorischen 29. -- Ursprung
- aus Offenbarung 30. -- Ursprung aus Lehre 31. -- Verschiedene
- Ursprungsmöglichkeiten 31.
-
- 8. ~Allgemeine Belebung~ 32
-
- Wie der Naturmensch überall Leben sieht 32. -- Behandlung
- der Gegenstände als lebende 35.
-
- 9. ~Seele und Beseelung, Animismus, Fetischismus~ 36
-
- Entdeckung der Seele 36. -- Art der Seele 37. -- Beseelung der
- Gegenstände, Fetischismus, Animismus 39. -- Verhalten der
- Seele 40 -- Die Seele und der Tote 41.
-
- 10. ~Schamanismus, Totemismus, Seelen-, Ahnenkult~ 43
-
- Freiheit der Seele vom Körper 43. -- Die Seele als Gegenstand
- 44. -- Seelen- und Ahnenkult 46. -- Tierseelen 47.
-
- 11. ~Geister- und Dämonenglaube, Götzendienst~ 48
-
- Tabuismus 48. -- Götzen und Götzendienst 48. -- Vergottete
- Gegenstände 50. -- Vergottete Menschen 52.
-
- 12. ~Zauberwesen~ 53
-
- Beschwörungen 53. -- Spuk und Überlebsel 55.
-
- 13. ~Höhere Anschauungen bei Naturvölkern~ 56
-
- Götterglaube, Mythologie 56. -- Höhere Gottheiten 57. --
- Höhere theogonische und kosmogonische Ideen der Ozeanier 62.
-
- 14. ~Seele und Jenseits bei den Naturvölkern~ 71
-
- Unterhaltung und Vernichtung der Seelen 71. -- Aufenthalt
- der Seelen, Jenseits 72. -- Totenvögel, Totenkähne u. ä. 73. --
- Totenwanderung 75. -- Polynesische Hölle 76. -- Schicksal
- der Seele 77. -- Resurrektion 79.
-
-
- Zweites Kapitel. Religiöse Welt- und Lebenanschauungen
- der Kulturvölker.
-
- 15. ~Die Kulturvölker als Naturvölker~ 80
-
- Wann begann die Kultur? 80. -- Unterschied zwischen Kultur-
- und Naturvölkern 82.
-
- 16. ~Allgemeine Religionsanschauungen bei den Kulturvölkern
- im Kreise der Menschheit~ 83
-
- Begriff des Wilden 83. -- Höhere Anschauungen aus
- Naturanschauungen 84. -- Anschauungen der Littauer, Preußen und
- Slawen 85. -- Anschauungen der Germanen 88. -- Anschauungen
- der Kelten 94. -- Anschauungen der Griechen und Römer 95. --
- Anschauungen der Ägypter 100. -- Anschauungen der Hebräer 106.
- -- Anschauungen der Phönizier 108. -- Anschauungen der
- Babylonier und Assyrier 108. -- Anschauungen der Eranier 110.
- -- Anschauungen der Indier 113. -- Anschauungen der Chinesen,
- Tibetaner und Japaner 120. -- Anschauungen der amerikanischen
- Kulturvölker 124.
-
- 17. ~Polytheistische, henotheistische und antagonistische
- Anschauungen~ 127
-
- Die Gottheiten des Polytheismus 127. -- Gegenstandsgottheiten
- und Gottheiten über Gegenstände 128. -- Schöpfer und Leiter
- 131. -- Schicksalsgottheiten 136. -- Ethische Gottheiten 138.
- -- Begriffsgottheiten 140. -- Henotheismus 144. --
- Antagonistische Gottheiten 148.
-
- 18. ~Monotheistische Anschauungen~ 151
-
- Entstehung des Monotheismus 151. -- Monotheistische
- Unterströmungen 153.
-
- 19. ~Anschauungen von Welt, Menschheit und
- Weltkatastrophen~ 155
-
- Entstehung von Welt und Menschheit 155. -- Paradies und
- Sündenfall 159. -- Flutsagen 161. -- Weltuntergang 166. --
- Messiasidee 169.
-
- 20. ~Weltbau~ 170
-
- Stellung der Erde 170. -- Gestaltung der Welt 171.
-
- 21. ~Leben und Gottheit~ 182
-
- Zufall, Freiheit usf. 182. -- Menschenschicksal und Götterneid
- 184. -- Lebensweisheit 186. -- Orakel und Beschwörungen
- 189. -- Glückliche und unglückliche Tage 191.
-
- 22. ~Nachleben und Jenseits (Eschatologie) der Kulturvölker~ 192
-
- Naturmenschliches 192. -- Eschatologie der Hebräer 192. --
- Eschatologie der Babylonier und Assyrier 196. -- Eschatologie
- der Ägypter 198. -- Eschatologie der Eranier 202. --
- Eschatologie der Griechen und Römer 203. -- Eschatologie der
- Germanen 206. -- Eschatologie der Kelten 208. -- Eschatologie
- der Mohammedaner 208. -- Eschatologie der Chinesen und
- Japaner 210.
-
- 23. ~Seelenwanderung und Wiederbekörperung~ 211
-
- Anschauungen der Indier 211. -- Anschauungen des Buddhismus
- 214. -- Anschauungen der Eranier 216. -- Anschauungen
- der Kelten 216. -- Anschauungen der Pythagoräer und Platons
- 217. -- Anschauungen des Lao-tsse 220.
-
- 24. ~Seele und Unsterblichkeit, Leben-Reihe~ 220
-
- Unterteilung der Seele 220. -- Worauf sich die Unsterblichkeit
- bezieht 223. -- Leben-Reihe 224.
-
-
- Zweites Buch. Philosophisch-deistische und theosophische
- Anschauungen.
-
-
- Drittes Kapitel. Pandeistische und Panpsychistische
- Anschauungen.
-
- 25. ~Pandeistische Anschauungen~ 227
-
- Ägypter 228. -- Indier 229. -- Ionische Naturphilosophen 231.
- Stoiker 232. -- Pythagoräer und Platoniker 234. -- Japaner 235.
-
- 26. ~Panpsychistische Anschauungen, Hylopsychismus,
- Hylozoismus~ 235
-
- Ionische Naturphilosophen 236.
-
-
- Viertes Kapitel. Pythagoras, Anaxagoras, Sokrates, Platon,
- Aristoteles.
-
- 27. ~Anschauung aus Gesetz, Harmonie, Weltvernunft, Ideen
- und Formen~ 239
-
- Pythagoras und die Pythagoräer 239. -- Anaxagoras, Weltvernunft
- 243. -- Sokrates und Platon, Ideenlehre, Akademie
- 244. -- Aristoteles und die Peripatetiker 249.
-
-
- Fünftes Kapitel. Anschauungen aus Theosophie, Deismus
- und Emanismus.
-
- 28. ~Orphiker und Neu-Pythagoräer~ 255
-
- Orphiker 255. -- Neu-Pythagoräer 256.
-
- 29. ~Indische Theosophie und Sufismus~ 258
-
- Indische Theosophie 258. -- Sufismus 260.
-
- 30. ~Philon von Alexandrien~ 261
-
- 31. ~Der Logos und die Sophia~ 265
-
- Der Logos 265. -- Die Sophia 266.
-
- 32. ~Die Gnostiker und Manichäer~ 267
-
- Dualistischer Gnostizismus 267. -- Monistischer Gnostizismus
- 271. -- Goethes gnostische Dichtung 275.
-
- 33. ~Der Neuplatonismus~ 277
-
- Plotinos und seine Lehre 277. -- Dionysios der Areopagite 280.
-
- 34. ~Übergang zum Mittelalter~ 281
-
- Zurückdrängung der Gottheit 281. -- Augustinus 282. -- Scotus
- Erigena, Prädestination und doppelte Wahrheit 283.
-
- 35. ~Islamisch-arabische Theosophie~ 286
-
- Koran und Philosophie 286. -- Muatazile und Motakhallim
- 287. -- Avicenna und Averroes 288.
-
- 36. ~Jüdische Theosophie und Kabbala~ 290
-
- Salomon Ben Gabirol 290. -- Die Kabbala 291. -- Maimonides
- und Jehuda Halevi 293.
-
- 37. ~Die mittelalterliche Theosophie der christlichen
- Scholastiker und Mystiker~ 293
-
- Scholastiker, Nominalisten und Realisten 293. -- Albert der
- Große 294. -- Thomas von Aquino 296. -- Dante 297. -- Duns
- Scotus 298. -- Roger Bacon 299. -- Anselm von Canterbury 300.
- -- Hugo und Richard von St. Victor 300. -- Alanus, Bonaventura,
- Gerson 303. -- Meister Eckehart 303. -- Ruysbroek 304.
-
- 38. ~Theosophie und Emanismus in neuerer Zeit~ 305
-
- Untergang der Scholastik 305. -- Nicolaus Cusanus 306. --
- Gemistos Plethon 309. -- Marsilius Ficinus und Giovanni Pico
- 309. -- Reuchlin und Agrippa 311. -- Pomponatius 313. --
- Die Reformatoren und ihre Nachfolger 314. -- Paracelsus 316.
- -- Telesius und Patritius 317. -- Giordano Bruno 317. --
- Campanella 322. -- Jakob Böhme 323. -- Schelling und Krause
- als Böhmianer 327. -- Baptist van Helmont u. a. 328. --
- Ausgang in die moderne Theosophie 330.
-
- 39. ~Deistischer Rationalismus~ 333
-
- Descartes und der Cartesianismus 333. -- Geulincx, Malebranche
- und der Okkasionalismus 336.
-
- 40. ~Prästabilierte Harmonie, Determinismus, Monaden,
- Korpuskeln, Realen, Samen~ 338
-
- Mercurius van Helmont 338. -- Leibniz, Monadologie und
- prästabilierte Harmonie 340. -- Christian Wolff 345. -- Moses
- Mendelssohn 345. -- Lessing 346. -- Herbart und die Realen 347.
-
-
- Drittes Buch. Metaphysische und physische Welt- und
- Lebenanschauungen.
-
-
- Sechstes Kapitel. Welt- und Lebenanschauungen des Idealismus.
-
- 41. ~Phantomismus (Illusionismus), Eleaten, Skeptiker~ 350
-
- Phantomismus und Illusionismus der Indier 350. -- Die
- Eleaten 351. -- Die Skeptiker 355.
-
- 42. ~Phänomenaler Idealismus~ 356
-
- Berkeley 356. -- Fichtes Phänomenalismus 358. -- Humes
- Phänomenalismus 358.
-
- 43. ~Kants transzendentaler Idealismus. Organisierte Wesen
- und Naturzweck~ 359
-
- Kants transzendentaler Idealismus 359. -- Anschauungsformen
- und Kategorien 360. -- Antinomien und Paralogismen
- 362. -- Ideen und Ideale 364. -- Regulative Prinzipe
- 365. -- Teleologie 367. -- Organisierte Wesen und Naturzweck
- 369.
-
- 44. ~Ich, Nicht-Ich; Thesis, Antithesis, Synthesis;
- Naturphilosophie~ 373
-
- Fichtes erste Philosophie 373. -- Schellings Idealismus und
- Naturphilosophie 375. -- Hegel 376. -- Schleiermachers
- spinozistischer Idealismus 378.
-
- 45. ~Die Welt als Wille und Vorstellung, Pessimismus,
- Philosophie des Unbewußten~ 379
-
- Schopenhauer und die Welt als Wille und Vorstellung 379. --
- Der Wille zum Leben, Pessimismus 384. -- Nietzsches
- Willenslehre und Idealismus 385. -- Eduard von Hartmann und
- die Philosophie des Unbewußten 386. -- Weltende 390. -- Andere
- Idealisten 390.
-
-
- Siebentes Kapitel. Spinozismus und Neuspinozismus sowie
- Neuidealismus.
-
- 46. ~Spinozismus~ 390
-
- Spinoza und der Pantheismus, Substanz, Attribute und Modi
- 391. -- Das System 392. -- Parallelität von Geist und Körper
- 393. -- Transzendentalität 394. -- Ethik und Unsterblichkeit
- 395.
-
- 47. ~Neuspinozismus und Neuidealismus~ 396
-
- Lotze 396. -- Fechner, Psychophysik 398. -- Wilhelm Wundt,
- assoziative Psychologie 399. -- Riehl, Lasson u. a. 401.
-
-
- Achtes Kapitel. Empirismus, Sensualismus, Realismus,
- Naturalismus, Positivismus.
-
- 48. ~Die englische Trias: Bacon, Locke, Hume~ 402
-
- Bacon von Verulam und der Empirismus 402. -- John Locke
- und der Empirismus, Sensualismus und Positivismus 402. --
- David Humes sensualistisch-positivistische Anschauung,
- Assoziationsprinzipe 407.
-
- 49. ~Die weitere Entwicklung~ 411
-
- Condillac, Montesquieu, Rousseau u. a. 411. -- Beneke und
- die Prädetermination 413. -- Comte und der Positivismus 415.
- -- Eugen Dührings Wirklichkeitsphilosophie 416. -- Ernst
- Machs sensualistischer Posivitismus 417. -- Herbert Spencer
- und der Agnostizismus 420.
-
-
- Neuntes Kapitel. Physische Welt- und Lebenanschauungen.
-
- Definitionen 421.
-
- 50. ~Materialismus und Mechanismus, Atomistik~ 422
-
- Der griechische Materialismus und die griechische Mechanistik
- 422. -- Atomistik, auch indische und arabische 423. --
- Epikuros, Lucretius Carus 425. -- Materialismus und Mechanismus
- im Mittelalter 428. -- Mechanistischer Monismus 428. --
- Gassendi 431. -- Hobbes 432. -- Boyle, Newton 434. --
- Aufklärungsphilosophie 434. -- Baron Holbach und das Système
- de la nature 435. -- Lamettrie 437. -- Ludwig Feuerbach u. a.
- 438.
-
- 51. ~Allgemeine und besondere Naturgesetze,
- Entwicklungslehre~ 439
-
- Die Weltgesetze 439. -- Die Sondergesetze 443 .--
- Vererbungsgesetz 444. -- Abstammungslehre 445. -- Urwesen 446.
- -- Evolution und Epigenesis 447. -- Panspermie 447. --
- Phylogenie und Ontogenie, biogenetisches Grundgesetz 449. --
- Morphologisch-biologische Vererbungsgesetze, morphologische
- Potenz 450. -- Phylogenetische Evolution 452. -- Restitution
- und Regeneration 453. -- Biologisch-harmonische Gesetze,
- Regulationen 453.
-
- 52. ~Energetische Anschauungen; Ostwald und Häckel~ 454
-
- Ostwalds physische und psychische Energetik 454. --
- Zwiespältigkeit der Energie 457. -- Scheinmonismus 458. --
- Energetik und Mechanistik 459. -- Häckel als Spinozist 461.
- -- Psychom und Psychoplasma 461.
-
- 53. ~Über die physischen Welt- und Lebenanschauungen
- überhaupt; Weltende, Unsterblichkeit~ 463
-
- Gang der physischen Welt und Weltende 463. -- Anfang der
- Welt und Schöpfung 464. -- Endlichkeit der Welt 466. --
- Zehnders Bild der Lebenmechanistik 467. -- Die psychischen
- Energien als auslösende 468. -- Zusammenwirken der physischen
- und psychischen Energien 470. -- Schwierigkeiten aus
- den regulierenden psychischen Tätigkeiten 473. -- Was eine
- physische Theorie des Lebens zu leisten hätte 477. --
- Unmöglichkeit einer physischen Theorie des Lebens 479. --
- Unsterblichkeit aus einem physischen Weltgesetz 479. --
- Auerbachs Ektropismus 480. -- Du Bois Reymonds Welträtsel und
- Ignorabimus 483. -- Letzte Anschauung 484.
-
-
-
-
-VORBEMERKUNGEN.
-
-Charakteristik, Prinzipe und Einteilung der Welt- und Lebenanschauungen.
-
-
-1. ~Bedeutung der Welt- und Lebenanschauungen.~
-
-Es liegt schon in der Natur des Menschen, von sich selbst und von
-allem, was ihn umgibt und störend oder unterstützend in sein Leben
-eingreift, sich eine Ansicht zu bilden. Vielfach und bedeutungsvoll
-sind die Fragen, die dabei gestellt werden, und mit deren Beantwortung
-die Menschheit, seit sie ihrer sich bewußt ist und die Fähigkeiten
-ihrer Seele auch geistig anzuwenden gelernt hat, sich müht und
-plagt. Und diese Beantwortung bildet eine Welt- und Lebenanschauung;
-vollständig, wenn sie alle Fragen betrifft, fragmentarisch, wenn
-sie nur in das Einzelne dringt. Es gibt Anschauungen, die nur aus
-träger Gedankenlosigkeit oder aus trotziger Verbitterung oder gar aus
-pathologischer Denkweise hervorgehen. Diese lassen wir beiseite. Die
-Weltanschauungen, mit denen wir es hier allein zu tun haben, können
-auf naiver Naturbetrachtung und naivem Egoismus beruhen, sodann auf
-Kultgebräuchen und Religionslehren, auf philosophischen Untersuchungen
-und Meinungen, endlich auf naturwissenschaftlichen und soziologischen
-Feststellungen. Alle diese Grundlagen mögen gesondert stehen oder
-miteinander verbunden sein. Bei wenigen Menschen haben die Anschauungen
-nur eine objektive, rein wissenschaftliche Bedeutung. Die meisten
-wollen neben der Erkenntnis auch eine Beruhigung für das Dasein und
-darüber hinaus gewinnen. Indessen bilden sich eine eigene Anschauung
-nur wenige Menschen. Den anderen wird sie durch Erziehung oder
-Religionsvorschriften eingeimpft. Letztere waren ja früher gerade bei
-den Kulturvölkern von so zwingender Gewalt, daß eine andere Anschauung
-als die, welche die Religion allein zuließ, gar nicht gehegt,
-geschweige geäußert werden durfte. Viele standen und stehen freiwillig
-unter dieser zwingenden Gewalt, indem die Glaubenssätze der Religion
-für sie über jeden Zweifel erhaben sind. Andere beugten und beugen
-sich ihr aus Weltklugheit oder weil das Beispiel des Widerstandes sie
-schreckte. Auch Lehren, die gerade mit besonderer Kraft ausgesprochen
-sind oder in Mode stehen, werden gerne ergriffen. Denn es handelt sich,
-wenn man eine Welt- und Lebenanschauung sich bilden will, immer um eine
-tiefe und schwere Gedankenarbeit, und mitunter um einen harten Kampf
-mit sich selbst und mit Anderen. Und bei der Unsicherheit des Kennens
-und Erkennens fällt der Mensch von Zweifeln in Zweifel und nimmt darum
-gerne an, was ihm autoritativ übermittelt ist. Mitunter muß der Name
-an Stelle der Sache treten. Wie wenige von einer Religionsgemeinschaft
-wissen, was eigentlich die Lehren dieser Religion sind, zumal, wenn
-diese Lehren von vornherein als „geoffenbart“ vorgetragen werden. Viele
-wollen sie gar nicht einmal wissen; die symbolischen Formeln genügen
-ihnen, das übrige soll der Seelsorger verantworten. Und was hat für
-die meisten Nietzscheaner Nietzsche eigentlich gelehrt? Man darf nicht
-fragen, ohne auf die hohlsten Redensarten zu stoßen, wenn man überhaupt
-eine Antwort und nicht eine Widerfrage oder eine Abweisung erhält. Am
-ehesten auf eine bestimmte sachliche Welt- und Lebenanschauung stößt
-man bei Naturmenschen und bei unreifer Jugend, nur daß es sich dabei
-teils um widersinnige, teils um töricht übereilte Äußerungen handelt.
-Für die Naturvölker werden wir das später eingehend verfolgen, da
-es ein anthropologisches Interesse hat. Wer die junge Kulturwelt
-belauschen will, braucht nur ihre modernen Dichtungen zu lesen, die bei
-schönen Worten und reizvollen Wendungen gedanklich oft recht blühenden
-Unsinn enthalten und Anschauungen wiedergeben oder erraten lassen,
-bei denen selbst einen mild urteilenden harte Ungeduld ergreift. Die
-ernst und selbständig denken, suchen sich allmählich zu einer sie
-befriedigenden Welt- und Lebenanschauung durchzuringen. Da hierzu
-auch Kenntnisse gehören und namentlich auch Disziplin des Denkens,
-kommen nur sehr wenige Begünstigte schon früh zu einer brauchbaren
-solchen Anschauung. Viele gelangen erst in späten Jahren dazu, und
-noch mehr mühen sich ihr Leben hindurch umsonst ab und müssen sich mit
-einem Stück einer Anschauung oder mit mehreren Anschauungen begnügen,
-zwischen denen sie nicht zu vermitteln vermögen.
-
-Ich habe unbestimmt von einer Welt- und Lebenanschauung gesprochen.
-Die Welt- und Lebenanschauung gibt es noch nicht. Selbst bei den
-Kulturvölkern sind unzählige Anschauungen im Schwange, und eine
-Anschauung wird von der anderen bekämpft, und von jeder Anschauung
-kann man nachweisen, daß sie hier oder da unrichtig sein muß, von
-keiner aber, daß sie richtig ist. Die wichtigsten Dinge, die in einer
-Welt- und Lebenanschauung zur Sprache kommen, sind zeitlich, räumlich
-und sinnlich unerreichbar. So ist niemand bei der Schöpfung zugegen
-gewesen; der eine kann sie also ganz leugnen, der andere ebenso sicher
-absolut bejahen. Daher handelt es sich hier fast ausschließlich um
-Meinungen. Und diejenige Meinung wird die größte Wahrscheinlichkeit
-für sich haben, welche mit den Vorgängen im All, jetzt und früher, am
-besten in Einklang ist. Hier aber spielen subjektive Ansichten mit,
-gerade wie in der Religion; und was dem einen erwiesen scheint, weist
-der andere weit von sich. Und wie oft geradezu Widersinniges für sicher
-genommen wird, werden wir an vielen Beispielen sehen. Ich habe einmal
-in einer sehr wichtig und bedeutend tuenden Broschüre gelesen, unsere
-Welt sei die Schlacken oder auch die Auswurfstoffe aus der vierten
-Dimension. Wie töricht! wird der Leser ausrufen. Aber wir haben noch
-viel seltsamere Ansichten.
-
-
-2. ~Naturvölker und Kulturvölker.~
-
-Wir unterscheiden zunächst die Anschauungen der ~Naturvölker~ von
-denjenigen der ~Kulturvölker~. Die Völker der ~Halbkultur~ folgen
-wesentlich den Naturvölkern. Auch steht so mancher Kulturmensch ganz
-auf dem Standpunkt des Wilden. Trifft er sich dort, so mag er in sich
-gehen und in die ihm gehörige Klasse überwandern.
-
-Einfacher und doch verworrener sind die Anschauungen der Naturvölker
-als die der Kulturvölker. Wie es unendlich viele Mühe gemacht hat,
-in die Religion der Naturvölker einige sichere Einsicht zu erhalten,
-weil auf Befragen nicht bloß fast jedes Dorf, sondern fast jeder
-Befragte etwas besonderes erzählt, so verhält es sich hinsichtlich
-der Weltanschauungen. Gemeinsame Lehren ergaben sich nämlich bald,
-weil ihre praktische Betätigung in unmittelbare Erscheinung trat. Aber
-Meinungen und Anschauungen hatte jeder für sich. Und dabei handelte es
-sich nicht einmal immer um Verlegenheit vor dem Frager und Mißtrauen
-gegen ihn, sondern einfach um Mangel an Ansicht und Unüberlegtheit.
-Wie viele Kulturmenschen würden auf Befragen nach ihrer Weltanschauung
-bestimmt antworten können oder wollen? Und wo sie eine solche
-Anschauung besitzen, würden sie in Staaten mit polizeilichen oder
-kirchlichen Gewalten aus Furcht vor Nachteilen, sonst in dem unbequemen
-Gefühl, etwas Törichtes zu sagen, noch weit mehr mit ihren Meinungen
-zurückhalten als ein Naturmensch, oder sich mit Ausflüchten helfen.
-Als ich mich mit der Religion der ozeanischen Völker beschäftigte,
-fiel es mir auf, daß von den unzähligen Namen für Götter und Helden,
-welche in einem Hauptwerk hierüber, Greys „Polynesian Mythology“,
-enthalten sind, kaum zwei in den sehr vielen Angaben der Seefahrer
-des achtzehnten Jahrhunderts (Cooks, Wilsons, Pokocks u. a.) sich
-finden. Die bei weitem wichtigste Bezeichnung für Götter und Dämonen in
-diesen Angaben, Eatooa oder Atoa oder ähnlich, sucht man in gleicher
-Eigenschaft in Greys Werk vergeblich. Ein anlautender Name kommt
-wohl vor, er bezeichnet aber eine Insel oder einen Distrikt. Nur die
-Namen Tane und Maui scheinen zeitlich und räumlich sehr verbreitet zu
-sein. Frobenius, in seinem Buche „Die Weltanschauung der Naturvölker“
-hat sich der Mühe unterzogen, für die afrikanischen Völker den Namen
-einer der bekanntesten Gottheiten durch die Stämme zu verfolgen. Er
-geht von dem Namen Tschuka aus, der bei den Ibo und in Kalabar einfach
-Gott bedeuten soll, und stellt mehr als fünfzig Namen auf, die jenem
-Namen entsprechen sollen, darunter solche wie Rupe, Ndsakumba und
-ähnliche, die nicht entfernt mehr an den Ausgangsnamen erinnern. Das
-kann und wird zum Teil an den abweichenden Sprachen liegen, wie wir
-ja für unser „Gott“ selbst unter den Indogermanen um eine ähnlich
-lautende Bezeichnung verlegen sind. Dann aber muß man sich wundern,
-daß Hottentotten und Buschmänner, die eine von den eigentlichen
-Bantu-Negern des mittleren Afrika ganz verschiedene Rasse bilden, fast
-den gleichen Namen für Gott besitzen wie die ihnen so fernen Neger des
-oberen Kongo, Touquo und Tuiko gegen Tuku (vermehrt Tuku-Tuku), während
-fast sich berührende Stämme der gleichen Rasse und anscheinend des
-gleichen Sprachstammes ganz abweichende Namen aufweisen. Bei den Yoruba
-an der Nigermündung heißt es Dso oder Zo, wie in dem weit entfernten
-Saumgebiet Ostafrikas. Aber in dem nahen Kamerun soll man das gleiche
-mit Loba, Lebe, Rubi bezeichnen, wie ähnlich mit Lubari in Uganda, wo
-ja auch Dso oder Zo bestehen soll, und wo als eigentlicher Name des
-Schöpfers Kitonda angegeben wird. Vieles muß also an den verschiedenen
-Angaben liegen, die im gleichen Bezirk von verschiedenen Personen
-dem gleichen oder einem anderen Forscher gemacht werden. Anderes an
-der kindlichen Gewohnheit der Naturvölker, Namen beliebig zu ändern
-oder zu verdrehen. Wer Reisewerke miteinander vergleicht oder die
-Namen in Atlanten und anderen Werken sucht, gerät mitunter in helle
-Verzweiflung. Gegenwärtig kommt noch dazu, daß die meisten Naturvölker
-schon mit Kulturmenschen durchsetzt sind und vieles Kulturelle,
-namentlich Religiöse, von ihnen gehört und in sich aufgenommen haben.
-Neuere Mitteilungen über Ansichten von Naturvölkern können darum
-nur mit größtem Mißtrauen benutzt werden, namentlich, wenn sie an
-Kulturansichten erinnern. Und da die älteren Reisenden meist weder
-die Kenntnisse noch das Interesse besaßen, sich wirklich genau über
-die besuchten Völker zu orientieren, sondern nur allzu gerne sich die
-tollsten Lügen aufbinden ließen, um zu Hause die merkwürdigsten Fabeln
-erzählen zu können, so sieht es eigentlich mit Untersuchungen über die
-Welt- und Lebenanschauung der Naturvölker übel aus. In den Märchen
-und Erzählungen, die uns von den Naturvölkern vorgetragen werden,
-sind Züge reinster Empfindung und Tugend und dicht daneben Roheiten
-entsetzlichster Bestialität. Ganz wie in den Sagen der alten Griechen.
-Wer kann die rührende Szene zwischen Hektor und Andromache mit der
-scheußlichen des Totenopfers für Patroklos vereinigen? Wir kommen
-dadurch auf einen Punkt, der von großer Bedeutung ist und uns noch
-beschäftigen wird.
-
-Für die ~Kulturvölker~ scheint die Untersuchung einfacher und sicherer
-zu sein, hier ist ja so vieles durch Tradition und Schrift bekannt.
-Aber das Ungeheuere des Materials wirkt erdrückend. Es prahlte jemand
-mit seinem Fleiße und rechnete so viel Tätigkeit zusammen, daß für den
-Tag 26 Stunden Arbeit herauskamen. Selbst dieser Zauberkünstler wäre
-nicht imstande, das Material auch nur zum vierten Teil zu bewältigen,
-und wenn er Methusalems Alter erreichte. Man muß sich darum auf
-Hauptansichten und Hauptwerke beschränken. Und dieses darf um so
-eher geschehen, als wahrhaft große Meinungen nur spärlich erblüht
-sind, und als unglaublich Viele bewußt und unbewußt die Wege der
-Großen wandeln. Das ist kein Tadel; und wer in mühseliger Arbeit das
-gefunden hat, was einem Großen vor ihm schon als Geschenk des Genies
-eingefallen ist, darf mit Fug und Recht stolz sein und alberne Kritik
-aus Zusammengelesenhaben ablehnen. Eine solche Arbeitsvermehrung nimmt
-man gerne entgegen. Eine andere Schwierigkeit liegt in dem Mangel an
-Bestimmtheit in so vielen Meinungen und Schriften. Wir werden von
-zwei wilden Rossen nach entgegengesetzten Richtungen gezogen, dem
-Verstand und dem Gefühl. Mancher wird innerlich zerrissen, viele geben
-wenigstens dem einen oder dem anderen etwas nach. Kommt noch dazu
-die menschliche Gebundenheit um des bloßen Lebens willen an anderer
-Meinung, etwa die bemerkte an Staat und Kirche, so ergibt sich ein
-weiteres Schwanken. Hat man doch dem großen Kant Inkonsequenzen in
-seinem philosophischen System vorgeworfen. Und wer weiß so recht, was
-Fichtes oder gar Schellings eigentliche Philosophie gewesen ist, da
-man doch von jedem von ihnen mehrere ganz abweichende Philosophien
-hat? Und da bei weitem die meisten Menschen inkonsequent sind, die
-einen aus Anlage, die anderen aus ehrlichem Zweifeln, so berührt uns
-ein ganz konsequenter Mann oder eine ganz konsequente Ansicht fast
-unheimlich. Wir werden sehen, daß auf unserem Gebiete davon nur sehr
-wenig vorhanden ist. Man kann fast sagen: mitunter zum Glück für die
-Menschheit. Denn mit absoluter Konsequenz ist oft Fanatismus und mit
-diesem Verfolgungssucht verbunden, die sich in der konsequentesten
-Religion, der katholischen, in so entsetzlichen Taten geäußert hat,
-und eine Herrschernatur wie Innozenz III., trotz so großer Leistungen,
-durch die Ausmordung Tausender andersdenkender unschuldiger Menschen
-fast fluchbeladen erscheinen läßt.
-
-
-3. ~Hauptfragen und Stammannahmen (principia,~ ἀρχαὶ~) der Welt- und
-Lebenanschauungen.~
-
-Der Leser sieht, welch umfangreiche Arbeit hier zu bewältigen
-ist, und wie alles nur in großen Zügen zur Darstellung kommen
-kann. Doch habe ich die Absicht, weit über die engen Grenzen der
-Spezialbetrachtungen hinauszugehen, die immer nur einzelne Klassen
-der Menschheit betraf. Ich möchte vorführen, was der Mensch allgemein
-an Welt- und Lebenanschauungen geschaffen hat; nicht diese oder jene
-Philosophenschule, diese oder jene Religion, dieses oder jenes Volk.
-Unter solchen Umständen ist eine gewisse Systematik unausweichlich,
-sonst verläuft man sich in der Fülle des Gebotenen und gerät in Gefahr,
-die Darlegung in Phrasen aufzulösen. Und nirgends ist diese Gefahr so
-groß und sind ihr so viele Schriftsteller erlegen als gerade auf dem
-Gebiete, mit dem wir uns hier beschäftigen sollen. Was Prinz Heinz
-von seinem dicken Freunde bei der Musterung seiner Rechnungen gesagt
-hat, und ich einmal einen berühmten Nationalökonomen auf einem Kommers
-auf die Universitätsvorlesungen habe anwenden hören, soll uns zur
-Warnung dienen. Gründlichkeit hier, Schmuckrede dort, zwischen diesen
-Symplegaden müssen wir unser Schifflein hindurchsteuern.
-
-Fast jede Weltanschauung geht von einer Stammannahme oder von mehreren
-Stammannahmen aus. Es muß daher von großer Bedeutung für die Ordnung
-des Vortrags sein, wenn vor allem diese Stammannahmen vorgeführt
-werden. Vollständig dieses zu tun ist für einen beschränkte Zeit
-lebenden Menschen nicht möglich, wegen der unendlichen Menge von
-Büchern, die er lesen müßte. Nachdem ich mich aber durch so viele Jahre
-frei und veranlaßt in so vielen Wissenschaften umgesehen habe, glaube
-ich, daß in der nachfolgenden Aufzählung Wichtigeres nicht fehlen
-wird. Sollte der Leser noch eine und eine andere Annahme wissen, so
-füge er sie gütigst hinzu; wir sind alle gerne Kärrner der Königin
-Wissenschaft. Die Annahmen gehen aber auf
-
- den Grund des Alls und den der Einzelnen,
- den Bestand des Alls,
- das Wesen der Dinge,
- das Wesen und den Grund der Geschehnisse,
- die Entwicklung des Alls,
- das Ende des Alls,
- das Ende der Einzelnen.
-
-Das sind sieben Hauptpunkte. Es ist nicht angängig, die allgemeine
-Liste ganz nach diesen Hauptpunkten einzurichten; die Behandlungen
-müßten vielfach durcheinander gehen und sich verschlingen, wodurch
-viele unnötige und störende Wiederholungen entstehen würden.
-Gleichwohl ist die nachfolgende Liste unterteilt, und zwar derartig,
-daß sie in einiger Beziehung sich den Hauptpunkten anschmiegt. Wenn
-manche Hauptpunkte in der Liste nicht berücksichtigt zu sein scheinen,
-so ist es in der Tat nur ein „scheinen“. Durch gehörige Untersuchung
-der Stammannahmen und namentlich auch durch Verbindung zweier oder
-mehrerer von ihnen werden auch diese Hauptpunkte zur Erledigung
-gebracht.
-
-Die Liste enthält vier Klassen: phantomistische Annahmen,
-wesenheitliche, wesenheitlich-begriffliche, begriffliche. Es kommt auf
-die absolute Richtigkeit der Benennungen nicht an, diese müssen nur
-durchschnittlich zutreffen und können es auch nur. Nun möge die Liste
-selbst folgen.
-
- I. ~Phantomistische~.
-
- 1. Nichts,
- 2. Traum,
- 3. Schein.
-
- II. ~Wesenheitliche~.
-
- 4. Das (indisch Tad),
- 5. Etwas,
- 6. Urwesen, Ding an sich, Substanz,
- 7. Gott,
- 8. Götter (in allen Abstufungen),
- 9. Weltgeist,
- 10. Schöpfer (Schöpfung),
- 11. Vernichter, Satan, Widergott,
- 12. Weltseele,
- 13. Einzelseele,
- 14. Weltvernunft,
- 15. Einzelvernunft,
- 16. Emanation,
- 17. Chaos, Urmaterie,
- 18. Materie (auch Elemente und Körper),
- 19. Energie, Entropie,
- 20. Psychoma.
-
- III. ~Wesenheitlich-begriffliche~.
-
- 21. Sein, Nichtsein,
- 22. Werden, Vergehen,
- 23. Ruhe, Erregung,
- 24. Attribute,
- 25. Ideen,
- 26. Formen,
- 27. Modi (auch Essenzen und Bilder),
- 28. Monaden (auch Realen),
- 29. Zahl,
- 30. Raum (auch Leere),
- 31. Zeit,
- 32. Harmonie,
- 33. Disharmonie (auch Entzweiung in sich).
-
- IV. ~Begriffliche~.
-
- 34. Gut,
- 35. Böse,
- 36. Liebe (auch Anziehung),
- 37. Haß (auch Abstoßung),
- 38. Streit,
- 39. Zwang (absoluter),
- 40. Notwendigkeit,
- 41. Anlage (auch Prädestination, Prästabilisation),
- 42. Unfreiheit, Determinismus,
- 43. Ursächlichkeit,
- 44. Beschränktheit,
- 45. Zweckmäßigkeit (Teleologie, auch Instinkt),
- 46. Entwicklung,
- 47. Produktion und Reaktion (auch Regulative),
- 48. Parallelismus,
- 49. Gelegenheitlichkeit,
- 50. Zufall, Association,
- 51. Freiheit,
- 52. Unbeschränktheit.
-
-Die Liste sieht bunt genug aus; es soll ja aber auch ein allgemeiner
-Überblick über die Welt- und Lebenanschauungen gegeben werden.
-Wir könnten nun weiter so verfahren, daß wir einfach die obigen
-Stammannahmen einzeln und zu zweien oder mehreren nehmen, so würden wir
-schon eine große Zahl aller bisher entwickelten Anschauungen gewinnen.
-Aber die Liste soll uns nur im einzelnen leiten. Die Betrachtung führen
-wir allgemein.
-
-
-4. ~Vergleichung der Anschauungen, Parallelen~.
-
-Drei Hauptaufgaben haben wir zu erfüllen: die Anschauungen einzeln
-oder in Klassen vorzuführen, sie auf ihre theoretische und praktische
-Bedeutung zu untersuchen, sie miteinander zu vergleichen. Über die
-beiden ersten Aufgaben ist nichts besonderes mehr zu sagen. Die dritte
-Aufgabe aber gibt zu einer wichtigen Bemerkung Anlaß. Die Vergleichung
-kann zu zwei Zwecken geschehen. Einmal um die Kulturzustände der Völker
-oder Zeiten, innerhalb deren die Anschauungen geäußert sind, gegen
-einander abzuwägen. Sodann um über die Priorität einer aufgestellten
-Anschauung zu entscheiden. Das erstere gehört nur zu sehr geringem
-Teil hierher, da wir ja keine Kulturgeschichte schreiben, und wird
-sich meist bei den Vorführungen selbst erledigen. Das zweite lassen
-wir fort, sofern es sich um Prioritäten einzelner Personen handelt.
-Diskussionen hierüber haben nur dann einen Wert, wenn mit der Priorität
-auch der Sinn der Anschauung verbunden ist, den wir ja bei einem
-gedankentiefen Manne immer eine Stufe höher verstehen müssen als bei
-einem mittelmäßigen Kopf, wenn der Ausdruck der Ansicht dazu Raum
-läßt. Nun aber werden Anschauungen nicht bloß von einzelnen Personen
-ersonnen, sondern, wie Lieder, von einem ganzen Volke, so daß es
-sich um Volksanschauungen handelt. Dann können Völker miteinander in
-Wettbewerb treten und hat die Frage nach der Priorität doch große
-Bedeutung. Ich darf nur an den Streit Babel und Bibel erinnern, der
-mit so außerordentlicher Heftigkeit in unseren Tagen geführt worden
-ist. Und gerade an diesen Streit kann ich anknüpfen. Er entsprang aus
-behaupteten Ähnlichkeiten zwischen der Literatur der Babylonier und
-gewissen Teilen der Bibel, so daß die erstere Vorläufer und Muster
-für die Erzählungen und die Lehren der Bibel sein sollte. Auch ganz
-abgesehen davon, ob die Ähnlichkeiten wirklich so bedeutend sind, daß
-man es wagen dürfte, ein Werk wie die Bibel in wichtigsten Teilen
-der Originalität zu entkleiden, machte sich in diesem Streit eine
-verblüffende Außerachtlassung aller Errungenschaften der Anthropologie
-geltend. Längst haben die Anthropologen erkannt, daß die Menschheit
-eine auffallend gleichartige Masse bildet, daß Gebräuche, Gedanken
-und Vorstellungen sich oft an den entferntesten Punkten der Erde in
-gleicher Weise vorfinden. Ein so ekelhafter und so seltsamer Brauch
-wie das Auffangen und Verwenden der Fäulnisflüssigkeit des Leichnams
-zeigt sich im Herzen Afrikas und auf weit abliegenden ozeanischen
-Inseln. Die Entstehung der Menschen aus Bäumen oder Steinen wird fast
-auf der ganzen Erde erzählt. Reineckes Streiche und Schlauheiten, nur
-übertragen auf Hasen und Schakale, geben auch den verschiedensten
-Negerstämmen Stoff zum Lachen. Märchen fast des gleichen Inhalts finden
-sich bei Völkern, die weder sprachlich noch stammlich zusammenhängen.
-Ich habe mir mehr als zwanzig Ähnlichkeiten sogar im Einzelnen
-zusammengestellt. Eine sehr seltsame und sehr wichtige, daß nämlich
-die Wasser über dem Himmel der Bibel in Ozeanien sich wiederfinden,
-habe ich schon in meinem Buche „Die Entstehung der Welt und der
-Erde nach Sage und Wissenschaft“ hervorgehoben. Ich kann hier mit
-noch einer, nicht minder bedeutenden, vielleicht noch bedeutenderen
-aufwarten. Nach der Bibel schafft Gott zwischen den Wassern eine
-Dehnung, wodurch die Scheidung zwischen Himmel und Erde bewirkt
-wird. Bei den Neuseeländern sind Himmel und Erde ursprünglich auch
-aufeinander und der Gott Tane-mahuta trennt sie, daß ein Zwischenraum
-zwischen ihnen entsteht. Geschieht letzteres auch grobsinnlich --
-der Gott stemmt den Kopf gegen die Erde, Papa, und die Füße gegen
-den Himmel, Rangi, und drückt so diese Gatten auseinander -- die
-Sache ist doch die gleiche, das Schaffen der Ausdehnung zwischen
-Himmel und Erde. -- Der Neuseeländische Maui wird von seiner Mutter,
-eingewickelt in einen Wulst ihrer Haare, ins Meer geworfen, von
-den Wogen ans Land gespült und dort aufgefunden und erzogen. Damit
-vergleiche man die Kindheitsgeschichte Mose. Der Hauptunterschied
-besteht nur darin, daß Mose von einer Königstochter aufgenommen
-wird, Maui von einem männlichen Vorfahr. -- Die Polynesier haben
-Schwanenjungfrauen wie wir und mit fast den gleichen Erzählungen. -- Ra
-kennzeichnet in Ozeanien den Sonnengott, genau wie im alten Ägypten.
--- Fast noch verwunderlicher ist, was Max Müller mitteilt, daß einem
-Zwillingsgötterpaar der indischen Mythologie, Yama und Yami, ein
-anderes, Yame und Yama, mit gleicher Bedeutung in Peru entspricht. Nun
-denke man, welche wilde Theorien unsere Babylonier darauf gegründet
-haben, daß im Babylonischen, das doch eine Schwestersprache des
-Hebräischen ist, ein Wort sich fand, das an Jehova anklang! Und Indien
-und Peru, Altägypten und Ozeanien! -- Josuas Wunder, daß die Sonne auf
-sein Geheiß stehen bleibt, ist von vielen Ozeaniern nachgeahmt, z. B.
-bis ein Haus fertig ist oder ein Wanderer seinen Weg zurückgelegt hat.
--- Totenschiff und Totenführer kennen nicht bloß die Griechen, sondern
-auch die Polynesier und einige Afrikastämme und Indianer. -- Maui raubt
-das Feuer wie Prometheus. -- Solare Gottheiten der Neger erregen
-Krankheiten durch Wurfgeschosse wie Apollon. -- Gleich den Israeliten
-geht ein Hottentottenheros, Heitsi-Eibibs, durch das Wasser, das sich
-vor ihm spaltet und wie dort über dem Verfolger zusammenschlägt. --
-Ich könnte noch viel mehr anführen, Regenbogen, Weltei, Wahrsagekunst,
-Jonas und anderes betreffend. Aber ich glaube, daß die obige kurze
-Aufzählung schon genügt darzutun, wie außerordentlich vorsichtig man
-bei Schlüssen aus Ähnlichkeiten sein muß. Diese Vorsicht muß aber geübt
-werden, sonst kann man hinsichtlich der Völkerzusammenhänge zu den
-bösesten Schlüssen kommen. Wir werden später noch vieles andere kennen
-lernen, was auf gleichem Gebiete liegt, Ost und West, Nord und Süd
-verbindet und seine Wurzel eben in Zufall oder in der Gleichartigkeit
-des Menschengeschlechts hat. Im allgemeinen kann man sagen, daß alles
-Entlehnte sich ziemlich bald durch Mißverständnis, Unstimmigkeit und
-Gezwungenheit verrät. Echtes, Eingeborenes, geht frei nach rechts
-und links ausgreifend und entwicklungsfähig einher. Doch sollen die
-Schwierigkeiten bei der Scheidung nicht verkannt werden.
-
-
-5. ~Einteilung der Welt- und Lebenanschauungen.~
-
-Man teilt die Welt- und Lebenanschauungen in zwei Klassen ein, in
-~monistische~ und ~pluralistische~ oder ~multistische~ (dualistische,
-trialistische usf.). Die erstere Klasse soll Anschauungen enthalten,
-die, von einem Gesichtspunkt ausgehend, das gesamte All, ohne irgend
-eine Ausnahme darin, als eine Einheit mit zeitlich und räumlich
-unbegrenzt gleichen Eigenschaften betrachten. So z. B. behauptet der
-bekannteste Monismus -- den ich hier nicht mit dem unzureichenden und
-irreführenden Beiwort: materialistischer, sondern allgemeiner und
-treffender: physischer Monismus bezeichnen will --, daß das gesamte
-All, belebt und unbelebt, stets und überall nur von den Erscheinungen,
-die wir in der unbelebten Natur kennen, erfüllt und beherrscht worden
-ist, wird und werden wird. Ihm gegenüber betrachtet der Dualismus die
-Welt von zwei unabhängigen Gesichtspunkten, z. B. indem er das All
-durchaus in Leben und Nichtleben, in Körper und Geist, in Gott und
-Welt usf. teilt. Noch weiter würde die Teilung gehen im Trialismus,
-Tetralismus usf. Dabei käme es eigentlich darauf an, daß die Trennungen
-im Pluralismus absolute sind. Derartige Anschauungen besitzen wir nicht
-recht; es läßt sich nicht vermeiden, daß eines in das andere eingreift.
-Indessen gibt es, wie wir noch sehen werden, einen wirklichen Monismus
-auch noch nicht. Überhaupt bringt es der Gegenstand mit sich, daß keine
-der Anschauungen auch nur theoretisch, geschweige praktisch, durchaus
-konsequent ist, wenigstens wenn man sie sachlich und nicht bloß nach
-den Behauptungen untersucht. Mitunter erscheinen die Anschauungen
-der Wilden, namentlich in ihrer praktischen Anwendung, bei weitem
-konsequenter als die der Kulturmenschen. Und das hat seinen guten
-Grund, den wir noch kennen lernen werden.
-
-Der obigen Einteilung werden wir nur bei den einzelnen Anschauungen
-Rechnung tragen können. Allgemein werden wir drei Hauptklassen
-unterscheiden: psychisch-religiöse, religionsphilosophische,
-philosophisch-physische, und werden darunter finden:
-irdisch-menschliche, irdisch-göttliche, religiöse, psychische
-(auch geistige), philosophische (metaphysische), physische
-(naturwissenschaftliche); phantomistische, theosophische, mystische
-Anschauungen. Die drei letzten sind durch das Semikolon absichtlich
-von den anderen getrennt; sie bedeuten eine eigenartige Gattung
-von Anschauungen diesen gegenüber, in der Phantasie und Grübelei
-eine besonders große Rolle spielen. Aus den ineinandergreifenden
-Benennungen in den Hauptklassen sieht der Leser schon, daß auch
-hier scharfe Scheidungen nicht vorhanden sind. Und wie sollten auch
-solche Scheidungen bestehen! Jede Anschauung wird regiert durch
-Erfahrung, Wunsch, Religion und Nachdenken. Die Erfahrung gibt die
-Welt wie sie ist, oder wenigstens erscheint, das ist das Physische.
-Der Wunsch richtet sich auf den Gang der Welt in bezug auf uns und
-auf andere, als positiver und negativer Egoismus, bedeutet also das
-Irdisch-menschliche. Die Religion ist bei den meisten verdeckter
-Egoismus, und zwar natürlicher Egoismus, der, berechtigt, auf
-Erhaltung seiner selbst und anderer geht, aber auch häßlicher, der
-die Gottheit oder die Weltordnung zur Demütigung, Dienstbarmachung
-oder gar Vernichtung des Anderen sich zum Vorteil oder nur zur
-Schadenfreude herbeiruft. Bei anderen, wie bemerkt, und wiederum
-recht vielen, ist sie lediglich gedankenloses Anhängen an bestimmte
-Satzungen. Verhältnismäßig die Minderzahl faßt die Religion innerlich
-mit tiefem Fühlen und fester Überzeugung auf. Endlich das Nachdenken,
-das philosophische, sucht die unmittelbare Erfahrung der äußeren
-und inneren Welt zu verknüpfen; Widerstrebendes zu vereinigen, das
-Mannigfaltige zu vereinheitlichen und aus allem diesen das Gewirr
-der Welt und des Lebens unter wenige Gesichtspunkte zu bringen, die
-auch Schlüsse auf Unbekanntes und Zukünftiges gestatten. Dazu können
-wir getrost auch das Phantasieren und Grübeln rechnen, die beide
-nur ein Übergreifen des Denkens auf übersinnliche oder unsinnliche
-Objekte darstellen. Das eine oder das andere von diesen vier Steuern
-auf dem Meere der Anschauungen mag hier und dort nicht zur Anwendung
-gelangen, es mag sogar herausgehoben und als unnötig beiseite gelegt
-werden. Das tut nichts und berührt die Bedeutung dieser Steuer für die
-Gesamtbetrachtung nicht.
-
-Und so kennzeichnen die gewählten Namen für die einzelnen Anschauungen
-nur das Vorwiegende in der jeweiligen Anschauung. Denn beispielsweise
-fehlt das Physische in keiner der Anschauungen, aber es gibt
-Anschauungen, in denen es ganz besonders zur Geltung gebracht ist.
-Gleicherweise verhält es sich mit dem Religiösen, wo nur die rein
-materialistischen Anschauungen eine Ausnahme machen, und mit dem
-Philosophischen und Irdisch-menschlichen.
-
-
-
-
-ERSTES BUCH.
-
-Psychisch-religiöse Welt- und Lebenanschauungen.
-
-
-
-
-ERSTES KAPITEL.
-
-Anschauungen der Naturvölker.
-
-
-6. ~Irdisch-menschliche Anschauungen.~
-
-Diese sind bald erledigt. Für sie ist alles, wie es sich den Sinnen
-darstellt. Weder über das Wesen noch über die Ursache des Vorhandenen
-wird nachgedacht. Es wird alles so genommen wie es geboten ist, und
-Kenntnisse und Gesichtsweite richten sich nach dem Wahrgenommenen.
-Damit verbunden ist die Beziehung jeglichen Gegenstandes und Vorganges
-auf die eigene Person. Es ist ein rein anthropozentrischer Standpunkt,
-indem das Ich der entscheidende Inhalt der Welt ist, und Gut und
-Böse sind, was dem Ich dient oder dem Ich schadet. Von vornherein
-werden die Himmelskörper als Gegenstände gleich denen der Erde oder
-gar der nächsten Umgebung angesehen, so als gewöhnliche Körper,
-Menschen oder Tiere oder Früchte. Der Kulturmensch, der die Gelehrten
-sich den Kopf über die Welt zerbrechen läßt, wird die Himmelskörper
-schon als das betrachten, was aus der Wissenschaft auch gegen seine
-Absicht ihm zur Kenntnis gelangt ist. Aber bei Naturvölkern ist es
-eine Selbstverständlichkeit, daß die Welt einheitlich der irdischen
-gleicht. Naiv wird angenommen, was die Forschung mit vieler Mühe,
-wenn auch in ganz anderem Sinne, zum Teil erst erweist. Nichts ist
-charakteristischer als die Anschauung vom Himmel und von dem darüber
-Befindlichen, die wir bei so vielen Naturvölkern vorfinden. Der Himmel
-ist ein Zeltdach, am Horizont an die Erde durch Stricke, Ranken und
-ähnliches befestigt, oder von Bergen, Felsen, Bäumen, Menschen, Tieren
-getragen. So kann ein Mensch auch einfach in den Himmel gelangen.
-Tawhaki, ein neuseeländischer Heros und später Halbgott, hat ein
-dem Himmel entstiegenes Weib Tanga-Tanga oder Hapai und von ihr ein
-Töchterlein. Wie in unseren Märchen verschwindet das Weib jeden Tag mit
-Morgengrauen, bis sie aus Liebe gänzlich bei ihm bleibt. Eines Tages
-aber beleidigt er sie in dem Kind, das er als übelriechend bezeichnet,
-und sie entflieht mit dem Kind in ihre himmlische Heimat. Nun sucht
-er einen Weg, in den Himmel zu gelangen, um sie zurückzuholen. Nach
-einigen Abenteuern gelangt er dahin, wo die Befestigungsseile des
-Himmels die Erde treffen. Dort findet er eine alte Tante von ihm, und
-die gibt ihm den Rat, an dem festgemachten Seil emporzuklettern. Sein
-Bruder Karibi, der ihn begleitet hatte, nimmt ein zu loses Seil und
-wird nun von den Winden Ost und West hin und her geschleudert. Tawhaki
-selbst aber ist vorsichtig, klettert sicher und kommt so in den Himmel.
-Menschen, die auf irgendeine Weise in den Himmel gelangt sind und zur
-Erde zurückwollen, machen ein Loch, binden ein Tau an und lassen sich
-an dem Tau herab. Oder es schießt jemand einen Pfeil in die Höhe, der
-im Himmel stecken bleibt, dann schickt er einen zweiten in den ersten,
-einen dritten in den zweiten usf. So gewannen die Söhne Ajelens in
-Nordamerika eine Pfeilleiter, in den Himmel zu klettern, und einer so
-entstandenen Pfeilleiter bediente sich der polynesische Heros Quat. In
-Australien wirft ein Mann seine Lanze, an die ein Seil gebunden ist,
-gegen den Himmel, die Lanze bleibt dort stecken und er hat so einen
-Weg. Noch einfacher macht es Kasimbaha in Celebes, er benutzt die
-Rottangranke, nachdem die Feldratte ihre Dornen abgenagt hat, um in
-den Himmel zu gelangen. Wenn die Höhe eines Baumes nicht reicht, wird
-ein Zauber angewendet, ihn rasch wachsen zu lassen. Ein Kannibale,
-Quasawara, stellte dem vorhin erwähnten Quat (Banks-Inseln) und seinen
-Brüdern nach. Alle flohen auf die Spitze eines Kasuarinenbaumes. Der
-Verfolger kletterte hinter ihnen her, aber Quat machte den Baum immer
-höher wachsen. Zuletzt reichte dieser bis zum Himmel. Da bog Quat den
-Baum zur Erde, stieg rasch mit seinen Brüdern herab, indem er die
-Spitze festhielt, und als sie alle unten waren, ließ er die Spitze los,
-der Baum schnellte auf und der zurückgebliebene Quasawara zerschlug
-den Kopf an dem Himmel. Wer sich über so kindliche, fast kindische
-Anschauungen verwundern sollte, der denke, daß ja für den Augenschein
-der Himmel in der Tat nicht sehr fern ist, je nach Beschaffenheit der
-Luft und der Vergleichsgegenstände vielleicht 20 bis 80 Meter. Der
-Naturmensch folgt diesem Augenschein und läßt den Himmel über Bergen
-sich entsprechend wölben, mitunter auch die Berge in den Himmel ragen.
-Unwillkürlich denkt man an Astolfs Fahrt mit dem Apostel Johannes zum
-Monde, um Rolands Verstand, der dort in einer Flasche aufbewahrt wird,
-herabzuholen, nach Ariostos Dichterphantasie. Auf dem Monde
-
- Da gibt es andre Flüsse, andre Seen,
- Als sie in unsrer Welt, und andre Auen;
- Da kann er andre Täler, andre Höhen
- Mit ihren Städten, ihren Schlössern schauen,
- Und Häuser, groß, wie er sie nie gesehen,
- Zuvor noch, noch hernach auf Erden bauen;
- Auch weite gibt’s, einsame Waldreviere,
- Allwo die Nymphen jagen ihre Tiere.
-
-Diese Verse führe ich des Folgenden wegen an. Der Naturmensch nimmt
-das gleiche an. Im Himmel ist nämlich für ihn alles wie auf der Erde:
-Wälder, Seen, Berge, selbst Menschen und Häuser. Und die Menschen
-unterscheiden sich an sich in nichts von den Erdenmenschen, nur daß
-man sie, da sie den Himmel bewohnen, etwas höher einschätzt. Tawhaki
-findet zuletzt sein Weib und sein Kind und bleibt bei ihnen, er spielt
-die Rolle eines Gewittergottes, indem es von seinen Fußtritten donnert
-und blitzt. Noch naiver ist die Erzählung von Rupes Himmelaufstieg. Er
-sucht seine Schwester und will darüber seinen Ahnen Rehua befragen. Der
-aber wohnt im zehnten Himmel -- es wird also eine Vielzahl von Himmeln
-angenommen, wie auch anderweitig. -- Rupe durchklettert alle Himmel,
-wie, wird einfach nicht gesagt. In allen ist es wieder genau wie auf
-der Erde. Endlich gelangt er in den zehnten Himmel und findet dort auch
-den gesuchten Rehua. Und wie gemein irdisch es da zugeht, wird fast
-mit Humor geschildert. Rupe verlangt zu essen. Da schüttelt der uralte
-Rehua die Locken, und es fallen eine Menge Vögel heraus, die gebraten
-werden. Auf Rupes verwunderte Frage, warum die Vögel in seinem Haar
-nisten, sagt Rehua, er hätte dort eine so große Menge von -- Insekten,
-daß alle Vögel auf seinem Haupte ihre Nahrung suchen. Ja, Rupe findet,
-daß Rehuas Sklaven diesen schändlich behandelt haben, und muß seine
-Wohnung vom gräßlichsten Schmutz säubern. Und das im zehnten Himmel!
-zu dem der Hochgott der Ozeanier, Tane, die Wege besonders versperrt
-haben soll. In Borneo steigt ein Mann auf die Plejaden und bekommt dort
-Reis vorgesetzt, den er so kennen lernt. Fast gleiche Auffassungen
-finden wir in Australien und in Afrika, bei den Eskimo und bei anderen
-Völkern. Daß die Indianer Jagdgründe im Himmel erwarten, wissen wir
-ja schon aus Coopers Romanen. Aber folgende indianische Sage ist noch
-deutlicher, die ich nach Frobenius, gekürzt, gebe. Der Coyote hatte
-einen Sohn und dieser besaß zwei Frauen, von denen der Coyote eine für
-sich wünschte. Er wollte ihn töten und veranlaßte ihn, um einen Vogel
-zu fangen, auf einen Baum zu klettern. Nun ließ er den Baum höher und
-höher wachsen, bis dieser den Himmel berührte, daß sein Sohn sich
-an der Feste den Kopf einschlage. -- Man vergleiche dazu die vorhin
-mitgeteilte Erzählung von Quat und Quasawara auf den Banks-Inseln.
-Aber der Sohn sprang vom Baum in den Himmel hinein. Was er da findet
-entspricht genau der ozeanischen Auffassung, Männer und Frauen, die
-Holz fällen. Von einem Mann und einer Frau wird er aufgenommen. Wie
-er Sehnsucht nach der Erde bekommt, spinnt ihm die Frau ein Seil und
-läßt ihn in einem Korb zur Erde nieder. Es will schon viel sagen, wenn
-einmal ein Held sich in den Balg eines Vogels tut und in den Himmel
-fliegt. Meist ist der Himmel so nahe und so irdisch, daß sogar Menschen
-ihn zurückschieben, wie in Ozeanien und Australien an vielen Orten
-erzählt wird. Zugleich ist er so derb solide, daß, wenn er herabstürzt,
-er alles zerschlägt und die Menschen tötet. Von einem Herabstürzen des
-Himmels wissen aber afrikanische, ozeanische und australische Stämme
-manches zu erzählen.
-
-Der Himmel wird entweder oben gehalten oder, wie schon mitgeteilt ist,
-als Zelt an die Erde mit Stricken, Ranken befestigt. Bei den Wanyamwesi
-soll, nach Stuhlmann, eine Riesin, Fumyahólo, den Himmel gleich Atlas
-stützen. Ihr Gatte, Niamtitinwa, gleichfalls ein Riese, hält die Erde
-auf einer Seite, die andere Seite der Erde ruht auf einem Berg Lugula
-oder Lugiya. Wenn dieser Riese zu seiner Frau geht, bebt die Erde.
-Andere Afrikaner lassen die Erde auf einem Horn einer Kuh ruhen. Beben
-entsteht, wenn die Kuh die Erde auf das andere Horn umlegt. Ozeanier
-stellen sich die Erde vor als auf ein Netz aufgeschüttet, das im Meere
-schwimmt, oder als Klumpen, den der Held Maui mit einem Netz aus dem
-Meere emporgezogen hat. Weit verbreitet ist die Annahme, daß Erde
-und Himmel von Säulen gestützt werden. Im übrigen wird nicht viel
-nachgedacht, wir wissen ja auch, wieviel Kopfzerbrechen es den klügsten
-Menschen im Altertum gekostet hat, eine Stütze für die Erde zu finden,
-und welch ungetümliche Zurüstungen die geistig so hochstehenden Indier
-getroffen haben, die Erde halten zu lassen (S. 176). Und ich darf
-auch auf mein Buch „Die Entstehung der Welt und der Erde in Sage und
-Wissenschaft“ verweisen. Hier zitiere ich noch nach Max Müller einen
-Vers aus dem Rigveda, bekanntlich dem ältesten Schriftdenkmal der
-Indier: „Ungestützt, nicht befestigt, wie bringt er es fertig, nicht zu
-fallen, wenn er sich erhebt?“ „Er“ ist die Sonne.
-
-Was die Himmelskörper anbetrifft, so werden auch diese rein irdisch,
-oft menschlich oder tierisch aufgefaßt. Ich habe auch dafür in
-meinem obengenannten Buche Beispiele gegeben, die ich nur durch
-einiges ergänzen darf. Bei manchen Indianern werden Sonne und Mond
-so menschlich angesehen, daß sie Kinder haben. Ein Held gelangt
-auf dem bekannten Wege in den Himmel und in das Haus der Sonne und
-heiratet dort eine Tochter der Sonne. Mit seiner Frau in einem Korb
-herabgelassen, muß er sie in einer Hütte versteckt halten, weil
-sie zu stark leuchtet. Der Mond kann in Ozeanien von einem Adler
-verschlungen werden. Aber das Verschlungenwerden von Sonne und Mond
-bei Finsternissen ist ja fast in allen Erdteilen Erzählung und Glaube.
-Und bekannt ist der furchtbare Lärm, den viele Völker gegen den Himmel
-machen, um den Drachen, die Schlange, oder was es für ein Tier sein
-mag, von seinem Opfer zu verscheuchen. In Polynesien ist die Sonne
-selbst ein Ungetüm. Maui, der Herkules oder Simson der Polynesier,
-dem sie zu heiß ist und zu rasch läuft, lauert ihr am Aufgangsorte
-auf, wirft ihr eine Schlinge um den Hals, mit der er sie drosselt,
-während er ihr zugleich mit seiner Keule Wunde über Wunde schlägt. Da
-verliert das Ungetüm durch die Wunden den größten Teil der Hitze und
-von Siechtum matt schleicht sie nun langsam ihres Weges. Daß der Mond
-ein gewöhnliches Licht, eine Lampe, ist, findet sich oft erwähnt, noch
-öfter ist er eine alte Frau. Wunderschön klingt es, liegt aber doch auf
-gleichem Gebiet, wenn amerikanische Indianer die Dämmerröte für den
-Widerschein der Fittige eines roten Schwanes erklären:
-
- Kann’s die Sonne sein, sich neigend
- Überm flachen Wasserspiegel?
- Kann der Schwan es sein, der rote,
- Fließend, fliegend, wundgeschossen
- Mit dem Pfeil, dem Zauberpfeile,
- Rings die Flut mit Purpur färbend,
- Mit dem Purpur seines Herzbluts,
- Rings die Luft mit Glanz erfüllend,
- Mit dem Glanze seiner Federn?
-
-singt Longfellow im „Hiawatha“ nach einer Sage der Odjibwä-Indianer (in
-Freiligraths Übersetzung).
-
-Mit derartigen Anschauungen verbindet sich ein naiver Wunderglaube,
-der das Wunder des Wunderbaren entkleidet. Wie selbstverständlich
-öffnen sich Felsen auf ein Gebot sogar eines Tieres, wachsen Bäume bis
-in den Himmel hinein, bleibt die Sonne auf Wunsch stehen, beleben
-sich Klötze und Häuser. Man wird sagen, das sind Märchen -- und
-solche kann man von den Negern in schöner Auswahl in dem hübschen
-Buche des Fräulein von Held und in sehr vielen Reisebeschreibungen
-und anthropologischen Werken lesen --, aber das Märchen hat für den
-Naturmenschen, wenn es nicht direkt behufs Erzählens erfunden ist,
-die Bedeutung, die es für das Kind besitzt, oder richtiger besaß, ehe
-noch der hypermoderne Realismus das Kind in den Märchen Unsinn zu
-sehen lehrte. Dazu kommt noch ein Umstand, auf den in einem folgenden
-Abschnitt einzugehen ist, und der derartigen „Märchen“ ein ganz anderes
-Aussehen verleiht und sie mit Mythe und Religion in Verbindung bringt.
-Aber diese Selbstverständlichkeit des Wunders bei den Wilden ist
-eines der größten Hindernisse für die Verbreitung des Christentums
-unter den Naturvölkern ohne Gewalt, denn für die höheren Lehren hat
-der Wilde nur selten Verständnis. Der Kampf ums Dasein und der naive
-absolute Egoismus beschäftigt sein ganzes Leben, Tun und Trachten. In
-den Erzählungen, die die Reisenden uns mitteilen, kommen zwar auch
-Züge von Großmut vor, jedoch nur selten, und solche von Menschenliebe,
-wie die Kulturreligionen sie verstehen, existieren kaum, selbst
-bei Naturvölkern, die schon in Berührung mit der Zivilisation sich
-befinden. Diese Tugend scheint der Mensch zu allerletzt zu lernen. Sie
-ist freilich die schwerste von allen, nicht allein, weil sie absolute
-Überwindung des Egoismus erfordert, sondern auch weil der Gegenstand
-der Liebe sich nur sehr selten in liebenswürdiger Gestalt gibt, wo
-nicht zugleich das Mitleid mitspricht. Und die Naturvölker haben
-keine rechte Gelegenheit, von uns auch nur aus Mitleid, geschweige
-aus Fühlen Liebe zu lernen. Gestalten wie Livingstone sind einzig.
-Indessen ist die Gewalttätigkeit, vielfach Roheit und Brutalität, mit
-der die Naturvölker so oft behandelt wurden, allerdings nicht der
-eigentliche Grund für ihren Mangel an unseren Haupttugenden. Die rein
-egoistische Grundlage ihres Wesens ist noch jedem, der mit ihnen in
-Berührung kam, aufgefallen, nicht bloß Fremden gegenüber, sondern
-auch gegen ihre nächsten Angehörigen. Es fehlt ihnen die Schule,
-die bei den Kulturvölkern nun schon Tausende von Jahren dauert, und
-namentlich drückt auf sie unwiderstehlich ihre Umgebung. Ein Wilder,
-der in eine Umgebung versetzt wird, die nach jenen hohen Lehren
-lebt, kann diese sehr wohl annehmen und auch in sich aufnehmen, wie
-die Erfahrung ja hinreichend erwiesen hat. So aber verbietet zum
-Beispiel ein Negerhäuptling, weil es ihm so gefällt (car tel est notre
-plaisir), seinem ganzen Volke den Anbau des notwendigsten Getreides auf
-mehrere Jahre, herrscht bei ganzen Stämmen die Sitte, die Alten und
-Kranken auszusetzen oder zu töten, bildet bei noch anderen die Zahl
-der gemordeten Menschen, in Schädeln, die auf einer Schnur gereiht
-getragen werden, den höchsten Ruhm des Helden, und was der Greuel noch
-mehr sind, an die man nicht denken mag und die man schon als Knabe in
-Coopers Romanen mit einem gewissen Grausen gelesen hat, während sie in
-der Wirklichkeit, wegen des Mangels eines jeden edleren Beweggrundes,
-noch viel entsetzlicher wirken würden. Wenn nicht auch hier ein Motiv
-vorhanden wäre, das in der ganzen Welt bekannt ist, in der ganzen
-Welt zu den abscheulichsten Taten geführt hat, noch jetzt bei den
-Kulturnationen in schönstem Flor steht, hier vielfach mit dem Fluch der
-Lächerlichkeit begabt, aber beim Naturmenschen dessen ganzes Leben und
-Tun erfüllend und lenkend -- der Aberglaube. Hier verflicht sich unsere
-Betrachtung mit der für die nächste Klasse der Anschauungen. Diese
-müssen wir durch eine Sonderbetrachtung einleiten.
-
-
-7. ~Über den Ursprung der Religionen, Vorläufiges.~
-
-Die Bedeutung des Wortes Religion wollen wir hier im allerweitesten
-Sinne fassen; also dazu auch Meinung, Erzählung, Sage, Mythe rechnen,
-sofern sie sich auf nicht jedem zur Verfügung stehende Kräfte und
-Äußerungen beziehen. So weit müssen wir gehen, wenn wir von der
-Religion der Naturvölker sprechen.
-
-Religion entstammt dem Ursächlichkeitsbegriff des Menschen, das heißt
-der Eigenheit der Seele, alles notwendig als die Folge eines anderen
-anzuschauen. Es kann einen Ursächlichkeitsbegriff ohne Religionen
-geben, aber keine Religion ohne diesen Ursächlichkeitsbegriff.
-Das gilt auch für geoffenbarte Religionen, da um eine Offenbarung
-aufzufassen schon der Ursächlichkeitsbegriff vorhanden sein muß,
-indem ohne diesen nichts mit einem anderen verknüpft werden kann.
-Wahrscheinlich gibt es kein Lebewesen ohne den Ursächlichkeitsbegriff,
-wie dunkel er in manchen Lebewesen auch sein mag. Aber außer diesem
-Ursächlichkeitsbegriff dürfte auch der Lebenstrieb ein Großes zur
-Entstehung von Religionen beigetragen haben. Und da dieser Trieb
-sich vornehmlich äußert in Begehren und Fürchten, so werden schon
-am Ursprung der Religionen diese Empfindungen für ihre Richtung
-entscheidend sein. Wie, wann und wo die Religionen ihren Ursprung
-nahmen, darüber bestehen bei den Forschern noch gegenwärtig unendlich
-viele Meinungen. Einige sehen die Religionen als Folgeerscheinung der
-Sprache an. Da auch Tiere in ihrer Weise sprechen können, und wir
-diesen doch nicht gerne religiöse Anschauungen zuschreiben möchten,
-muß es sich schon um eine Sprache handeln, die den Menschen vom Tiere
-unterscheidet. Leider wissen wir nicht recht, wo der Unterschied
-beginnt. Will man aber von uns selbst rückwärts schließen, so wird
-man meinen, daß Namen- und Begriffsbildung die entscheidenden
-Momente in der Sprache waren. Max Müller, der diesen Standpunkt
-mit größter Konsequenz vertritt, bezeichnet es als Tatsache, daß
-dazu die Wortwurzeln dienten, allein dienen konnten, und -- was das
-Wesentlichste ist -- daß diese Wurzeln, „infolge der Art und Weise,
-in der sie zuerst ins Dasein traten, ~Handlungen~ ausdrückten, die
-gewöhnlichen Handlungen, die auf einer früheren Gesellschaftsstufe
-vollführt wurden. Der Himmel war der, der bedeckt, die Sonne die, die
-wärmt, der Mond der, der mißt, die Wolke die, die regnet“ usf. Sah nun
-der Mensch z. B. das Feuer, das für ihn eine so eminente Bedeutung
-hat, so fiel ihm namentlich die Ruhelosigkeit dieses Elementes auf,
-das Flammen, Zucken, Züngeln, Springen usf. Er bezeichnete es also
-mit der Wortwurzel in „bewegen“, in den indogermanischen Sprachen
-mit AG. Da aber diese Wurzel ein Handeln des Menschen ausdrückt,
-eben das „Bewegen“, so kam er allmählich zu der Anschauung, daß in
-der Flamme etwas Bewegendes, ein Agens sei, zu ihrer Natur gehöre,
-„Beweger hier“, „Beweger da“, im sanskritischen AG-ni-s, damit wäre
-zum Beispiel in Sanskrit der Agni gewonnen, der „Beweger“. Im Laufe
-der Jahrhunderte trat dann eine immer weitergehende Vergeistigung
-ein, erst ein beseelter Beweger, wie ein Mensch, dann ein göttlicher
-Beweger usf., bis zuletzt bei einigen Sekten Agni zum höchsten Gott
-und Schöpfer hinaufidealisiert ward. Diese Theorie des großen Sprach-
-und Religionsforschers hat zweifellos etwas sehr Bestechendes. Man
-bedarf nicht einmal der wirklichen Sprache; es genügt ja völlig, wenn
-der Mensch in sich selbst die Handlungen auffaßt, wenn er es auch
-nach außen nicht zum Ausdruck bringt. Er wird dann innerlich das
-Feuer so betrachten, wie er es mittelst der Sprachwurzeln nach außen
-kundgibt. Aber bedeuten auch die ersten Sprachwurzeln nur Handlungen
-des Menschen, ist das auch der Fall mit den ersten bestimmten inneren
-Denkregungen? Werden auch diese sich nur auf Handlungen beziehen? Fast
-möchte man es glauben, da das Leben des Menschen in Handlung aufgeht
-und die Natur ja auch in stetem Geschehen sich befindet. Dinge also,
-die ruhen, würden keinen Anlaß zur Entstehung religiöser Begriffe
-geben. Diesen Schluß zieht auch Max Müller, da er von dem bekannten
-Fetischismus, Animismus und der Personifikation als Grundelemente
-der Religion nichts wissen will. Es ist schwer auf einem Gebiete wie
-dieses, wo jede Tradition und jede Erfahrung mangelt, etwas Bestimmtes
-zu sagen; unter den Völkern, die wir kennen, befindet sich und befand
-sich keines mehr im Ursprung der Religionsbildung, alle hatten und
-haben ein schon ziemlich kompliziertes System religiöser Ansichten. Am
-Kinde aber zu beobachten, wie bei ihm religiöse Anschauung entsteht
-und wächst, würde nur ersprießlich sein können, wenn man es als
-Wilden, gesondert von allem kulturmenschlichen Verkehr, aufwachsen
-ließe. Elterliche Brutalität bringt es manchmal zuwege, daß ein Kind in
-dieser Weise aufwachsen könnte, wenn die Kultur es nicht an sich von
-allen Seiten umgäbe. Und seit dem alten Ägypterkönig, von dem Herodot
-erzählt, daß er, um zu erfahren, welches die eigentlich menschliche
-Sprache sei, ein Kind vom ersten Tage gegen jeden menschlichen
-Verkehr abgeschlossen habe, ist das Experiment nicht wieder gemacht
-worden. Also, es fehlt an Mitteln zur Entscheidung. Nur das, glaube
-ich, muß man sagen, daß es nicht die ~äußere~ Sprache war, die die
-Religionen schuf, sondern die ~innere~, und diese wird der ~äußeren~
-weit vorausgegangen sein. Wenn Max Müller nur die äußere Sprache
-versteht, dann ist meines Erachtens seine Theorie nicht haltbar.
-Begehren und Furcht, ich wiederhole es, sind die Grundpfeiler für
-religiöse Anschauungen. Und wahrscheinlich Furcht zuerst, dem Begehren
-sich später erst anschließt. Die meisten Forscher greifen, wenn
-es sich um religiöse Regungen oder gar Anschauungen handelt, viel
-zu hoch. Man muß, wenigstens wenn man Religion in so weitem Sinne
-faßt, wie es der Anthropolog zu tun gezwungen ist, unter Abstraktion
-von aller ursprünglichen Offenbarung, tief herabsteigen. Sind die
-Menschen aus der Reihe der Lebewesen durch fortschreitende Entwicklung
-hervorgegangen und haben sie ihre seelischen Fähigkeiten allmählich
-erreicht, so wird man in dem Auftreten religiöser Regungen gar nicht
-weit genug zurückgehen können. Und bekanntlich behaupten manche
-Naturforscher, daß Tiere wohl auch etwas haben möchten, was einer
-Religionsanschauung -- im weitesten Sinne des Wortes -- entspricht.
-Sicher ist ja, daß manche Tiere sich vor ungewohnten Dingen und
-Bewegungen fürchten, daß sie unter Umständen Gespenster sehen usf.
-Haben doch sogar manche gemeint, daß der Hund im Menschen eine Art
-göttliches Wesen (göttlich vom Standpunkte des allertiefststehenden
-Wilden) sehe, was freilich mit der Tatsache, daß der Hund jeden anderen
-als seinen Herrn auch ohne Grund anbellt und anfällt, nicht recht
-harmonieren will.
-
-Nun unterscheidet Max Müller allerdings drei Stufen der
-Religionsanschauung: physische, anthropische (Max Müller scheut sich
-vor dieser Wortbildung und sagt anthropologische, ich sehe aber nicht
-ein, warum, um einer ungewohnten und freilich auch anfechtbaren
-Wortbildung zu entgehen, man zu einer anderen, bereits in anderem
-Sinne vergebenen greifen soll) und psychologische. Diese Stufen sind
-sicher für die allgemeine Entwicklung treffend gewählt, sie umfassen
-aber nicht alles. Man darf ferner Lippert in seinem Hauptsatze im
-allgemeinen beistimmen, daß Religion ohne einen gewissen, wenn auch
-noch so niedrigen, rohen und selbst gemeinen Kultus, nicht verstanden
-werden kann. Allein dieser Satz hilft nur die etwaige Religion des
-Tieres von der des ~fortgeschrittenen~ Menschen unterscheiden,
-wenn nicht vielleicht gewisse Tierklassen, wie die bekannten
-Ameisengattungen, auch Kultus besitzen. Die Entwicklungslehre kann
-aber nicht anders als annehmen, daß zuerst die religiösen Anschauungen
-des Menschen sich gar nicht von denen der Tiere unterschieden haben,
-aus welchen er hervorgegangen ist, und daß diese Anschauungen
-allmählich zu Höherem aufstiegen, indem sich gleichzeitig alle Greuel
-entwickelten, die den Namen Religion entweihten und entweihen. Wir
-wissen nicht, ob die geistigen Kräfte des Menschen zunahmen, weil seine
-animalischen Ausrüstungen mehr und mehr verloren gingen, oder ob das
-umgekehrte stattfand, daß seine animalische Ausrüstung zurückging,
-weil die geistigen Fähigkeiten stiegen. Der bequemste Ausweg wird
-sein, wenn wir annehmen, daß beides gleichzeitig stattfand, indem
-immer eins das andere nach sich zog. Dann mußte einerseits die
-Einsicht wachsen, andererseits der Trieb der Selbsterhaltung; und es
-scheint, daß zunächst die ganze zunehmende Einsicht in den Dienst
-der Selbsterhaltung gestellt worden ist. Deshalb hat sich der Mensch
-zunächst soviel furchtbarer als das furchtbarste Tier entwickelt, und
-seine Religionsanschauung ging keineswegs die stillen Wege, die viele
-so gerne annehmen, indem sie alle Greuel auf „Aberglauben“ schieben.
-Wir mögen über den Aberglauben des Kulturmenschen lachen, der auf die
-Türschwelle oder den Türpfosten seiner Behausung ein Hufeisen nagelt,
-wir mögen lachen, wenn gleichfalls Kulturmenschen sich vor dem 13ten
-und dem Freitag fürchten, und was der so zahlreichen Albernheiten noch
-mehr sind. Glauben die betreffenden Leute an sie, so haben sie zu der
-bekannten Religion noch eine andere. Verhalten sie sich neutral, so
-treiben sie all den Unfug aus Affennachahmung, „nützt es nicht, so
-schadet es nicht“. Glauben sie nicht daran, so machen sie sich eines
-Vergehens gegen den geistig schwächeren Teil der Menschheit schuldig.
-Aber dem Naturmenschen ist „Aberglaube“ seine eigentliche Religion, und
-was man bei ihm noch Mystisches und Höheres etwa findet, hat für ihn
-gar keine oder nur Erzählungsbedeutung.
-
-Andere haben den Urgrund aller religiösen Anschauungen in dem Gefühl
-der Schwäche gesucht, das der Mensch der ihn umgebenden Natur gegenüber
-hat. Er soll eine Macht über sich empfinden und diese allmählich
-höher und höher einschätzen lernen. Der Trieb der Selbsterhaltung
-würde ihn dann zur Verehrung und Anbetung dieser Macht durch Worte
-und Taten führen. Irregeleitet, würde der Mensch zunächst nicht eine
-Macht annehmen, sondern viele Mächte, und sie in dem lokalisieren,
-was für ihn besondere Bedeutung hat, also in Sonne, Mond, Feuer,
-Sturm, Gewitter, Strom, Meer u. a. Man kann sehr vieles für diese
-weitverbreitete Ansicht vom Ursprung der Religion beibringen. Das
-Gefühl einer Übermacht über sich ist schon im Tierreich vorhanden;
-ein kleines schwaches Mädchen kann den stärksten Hund zum hündischen
-Gehorsam zwingen, wie wir ja zu unserm Vergnügen oft genug sehen;
-der Hund hat ein Gefühl von der Übermacht des Menschleins. Dahin
-gehören auch solche Tatsachen aus dem Tierleben, die mit ihrem
-eigenen Gesellschaftsleben zusammenhängen, wenn einem Individuum
-selbstverständlich die Übermacht zuerkannt wird, wie bei den Bienen.
-Auch das Verhalten der Blattläuse gewissen Ameisenarten gegenüber
-dürfte auf dem Gefühl einer Übermacht beruhen; denn ohne Widerstand zu
-leisten und ohne einen Fluchtversuch selbst dann zu machen, wenn sie
-beflügelt sind, lassen sich diese Insekten von den Ameisen in deren
-Heim schleppen und tragen, wo sie, wie bei den Menschen das Vieh,
-gehegt und aufgezehrt werden. Fast denkt man an das Verhältnis des
-Volkes zu wilden Häuptlingen oder sinnlosen Despoten. Ist das Gefühl
-der Übermacht beim Menschen nur auf dem der Furcht gegründet, so würde
-es sich wenig von dem der intelligenteren Tiere unterscheiden. Aber
-beim Menschen soll noch hinzukommen, daß er auch Hoffnung auf Gutes
-und Erwartung von Gutem für sich auf diese Übermacht gründet. Und das
-wäre freilich etwas, das im Tierreiche wohl nur selten gefunden wird.
-Die Beispiele von Hunden, die allerhand Künste vollführen in Erwartung
-einer Belohnung, von Vögelchen, die auf den Ruf eines, der ihnen Samen
-oder Bröckchen bietet, ihm beliebig auf Hand und Schulter fliegen,
-dürfen, glaube ich, hier nicht angeführt werden. Es sind Erfahrungen,
-denen die Tiere, namentlich im Zustand der Domestikation, folgen.
-
-Auf dem Wege zur spiritualistischen Ansicht von der Entstehung der
-Religionen treffen wir die Behauptung, daß religiöse Anschauung
-überhaupt zur Eigenheit des Menschen gehöre, gewissermaßen apriorisch
-eine Kategorie, ein Regulativ seines inneren und äußeren Lebens bilde.
-Einen energischen Vertreter dieser Ansicht finden wir in Benjamin
-Constant, der sie schon im ersten Kapitel seines großen Werkes „De la
-réligion“ feststellt. Sofern die religiöse Anschauung in der Kategorie
-der Ursächlichkeit beruht, und diese allerdings eine unumgängliche
-Vorbedingung unseres inneren und äußeren Lebens bedeutet, könnte man
-letzteres auch von der religiösen Anschauung annehmen. Daß indessen
-der Begriff der Ursächlichkeit für sich nicht hinreicht, den Trieb zur
-religiösen Anschauung zu erklären, darf wohl als sicher hingestellt
-werden. Es ist zwar richtig, daß die religiöse Anschauung ein Regulativ
-unseres Lebens ist. Aber es spielt bei ihr noch etwas mit, das
-durchaus dem Bereiche des Fühlens angehört und für das wir im Begriff
-der Ursächlichkeit keinen adäquaten Ausdruck finden. Auch die Tiere
-und selbst die Pflanzen müssen den Begriff der Ursächlichkeit bewußt
-oder unbewußt (instinktiv, wie wir sagen) besitzen, sonst existierten
-sie nicht. Aber religiöse Anschauung schreiben wir ihnen doch nicht
-zu. Ferner gibt es zweifellos Menschen, die jedes religiösen Gefühls
-gänzlich bar sind, nicht einmal einem Aberglauben huldigen. Soll also
-religiöse Anschauung in der Tat eine Eigenschaft der Menschenseele
-sein, so muß sie außer in der Ursächlichkeit noch in anderem eine
-Wurzel haben, oder nur in diesem anderen. Dieses ist wohl auch die
-Meinung von Wilhelm Wundt, daß nämlich die Ursächlichkeit für eine rein
-psychische Entstehung einer religiösen Anschauung nicht hinreicht. Nun
-haben wir schon früher Furcht und Begehren als die Haupttriebfedern
-für religiöse Annahmen hervorgehoben. Von diesen Menscheneigenschaften
-soll aber, als unwürdig, gerade abgesehen werden. Dann würde freilich
-nichts übrig bleiben als die religiöse Anschauung als ~eigene~
-Kategorie zu betrachten, wogegen doch sehr vieles spricht, was bei
-der Vorführung der einzelnen Religionsanschauungen hervortreten wird,
-wo wir den allerniedrigsten Meinungen begegnen, die jeder Kultur und
-jeder Menschlichkeit ins Gesicht schlagen. Soll sich aber jene Ansicht
-auf ~unsere Idee~ von Religion beziehen, so ist eben der Begriff
-Religion viel zu eng gefaßt, und wir brauchen darüber hier noch nicht
-zu diskutieren.
-
-Endlich die rein spiritualistische Ansicht selbst sieht die Religion
-als von höchster Macht geoffenbart an. Das kann, ~absolut genommen~,
-eigentlich nur von der einzigen wahren Religion gemeint sein, denn
-es ist ja ausgeschlossen, daß eine Offenbarung in mehrerer Gestalt
-erfolgen kann. Kein Mensch weiß, welches diese einzige wahre Religion
-ist, jeder gibt die seinige dafür aus. Und irgendein Kriterium zur
-Entscheidung haben wir nicht. Vergangene und gegenwärtige Geschichte
-der Religionen schneiden uns dazu jede Möglichkeit ab. Die beliebte
-Ausrede, daß die Menschen die Offenbarung verdorben hätten, hilft hier
-nichts, sondern schadet nur. Denn was eine ~absolute~ Offenbarung ist,
-muß mit zwingender Gewalt die Menschen leiten und kann sie nicht zu so
-furchtbaren Taten führen, wie die religiösen Verfolgungen sie gezeitigt
-haben. Anders hat eine absolute Offenbarung gar keinen Sinn, denn dem
-Besten im Menschen widersprechend wird man sie doch nicht gestalten
-wollen.
-
-Gibt man den Standpunkt des Absoluten auf, so läßt sich über
-Offenbarung eher reden. Dann wären die Religionen Inspirationen
-einzelner Menschen oder einzelner Völkerschichten und dürfen darum
-unvollkommen sein. Die Offenbarung verliert dadurch freilich die
-Bedeutung, wegen deren sie eigentlich angenommen ist: die absolute
-Richtigkeit jener betreffenden Religionsanschauung unwidersprechbar zu
-machen. Sie geht auf den Standpunkt eines jeden menschlichen Einfalls
-oder Erdenkens oder Fühlens zurück. Dafür haben wir ja allerdings
-Beispiele, und darunter solche gewaltigster Wirkung und edelster
-Lehren. Viele aber auch, die absurd und höchst schädlich sich erwiesen
-haben.
-
-Was ist nun das Ergebnis dieser Betrachtungen? Ich glaube, daß man
-bei der Untersuchung der Entstehung der Religionsanschauungen, wie
-in so vielen anderen Fällen, überhaupt nicht rigoros auf diesem
-oder jenem Standpunkt bestehen kann. Wie die Elektrizität in einem
-Gewitter aus allen möglichen Vorgängen entstanden sein kann und
-tatsächlich entsteht, so werden auch die Religionsanschauungen aus
-den verschiedensten Ursachen hervorgegangen sein. Der Mensch hat
-ein reichliches Kapital an Eigenschaften und Trieben in seinem
-Inneren, um sie bald so, bald anders zu kombinieren und in neue
-Werte umzusetzen. Mitunter ist eines, mitunter ein anderes für seine
-Ansicht entscheidend. Religionen werden aus allen den vorgenannten,
-vielleicht aus noch manchen anderen Quellen hervorgegangen sein. Die
-Entwicklung, die die Religionen genommen haben, weist schon darauf
-hin, daß sie nicht wohl auf ~einen~ Ursprung zurückgeführt werden
-können, sondern daß bei ihnen verschiedene und mitunter mehrere
-Momente wirksam gewesen sind. Auch haben sich viele Religionsforscher
-gezwungen gesehen, einerseits niederen Anschauungen auch höhere Momente
-zuzugestehen, andererseits in höheren auch niedrige anzuerkennen. Eine
-wirkliche „Philosophie der Religion“ müßte alle Momente in Betracht
-ziehen und ihren Einfluß in den einzelnen Religionen verfolgen. Aber
-dazu mangeln uns nur allzusehr die Kenntnisse, sobald wir aus der
-geschichtlichen Kulturwelt heraustreten. Es ist nicht Aufgabe dieses
-Buches, hierauf genauer einzugehen, auf einzelnes und auf andere
-Theorien wird jedoch noch oft genug hingewiesen werden.
-
-
-8. ~Allgemeine Belebung.~
-
-Gehen wir nun zu den einzelnen Religionsformen über, so scheint
-in der Tat die von Max Müller angenommene physische Religion die
-ursprünglichste zu sein, jedoch in ganz niedriger Bedeutung. Über die
-Stufe der stumpfen Selbstverständlichkeit erhoben, wird der Mensch in
-allem, was ihn umgab, etwas gesehen haben, das wir allerdings am besten
-unbestimmt als Agens, Tätiges, Handelndes, Wirkendes bezeichnen können.
-Namentlich in den Vorgängen wie Flamme, Sturm, Gewitter, Regen usf.
-wird dieses zunächst geschehen sein, dann auch in den Gegenständen.
-An den Tieren war eine derartige Betrachtung selbstverständlich,
-ihre Ausdehnung auf Bäume, Blumen, Gräser konnte folgen. Dann mögen
-fließende oder wogende Gewässer und zuletzt Berge, Felsen, Steine
-an die Reihe gekommen sein. Es ist mißlich, solche Serien ex post
-aufzustellen, da bei besonderen Völkern vieles von ihrer besonderen
-Umgebung abhängig gewesen sein wird. Dazu ist zu beachten, daß auf
-Menschen, wie übrigens auch auf Tiere, Gegenstände besonderer Art und
-unter besonderen Umständen auch eine besondere Wirkung ausüben, wie
-überhängende Felsen oder Steine in ebener Gegend, Bäume gewundener
-oder übermäßiger Gestalt, Dämpfe aus der Erde aufsteigend usf. Kein
-Hund hält einer Selterwasserflasche stand, die man vor ihm aufknallen
-läßt, und überhängende oder fast schwebende Steinplatten sind selbst
-einem beherzten Manne ungemütlich. Also mögen gewisse tote Gegenstände
-viel eher mit dem Etwas versehen gedacht worden sein, als harmlose
-Sträucher. Es ist vieles erzählt worden, woraus man schließen möchte,
-daß die Feuerländer sich auf dieser Stufe der Weltanschauung befinden,
-in der in allem ein Etwas Tätiges gesehen wird, ohne daß dieses Etwas
-schon mit dem, was im Menschen das Tätige ist, identifiziert wird.
-
-Wenn der Mensch unter solchen Anschauungen seine Meinung bestimmter zu
-fassen lernt, so wird er in dem in den Gegenständen Handelnden etwas
-Lebendes sehen, sei es, daß die Gegenstände selbst leben, sei es, daß
-etwas in ihnen vorhanden ist, das lebt. Beides finden wir, aber das
-erstere kann offenbar nicht von weitem Umfange sein, da Lebloses von
-Lebendem zu unterscheiden selbst dem Tiere leicht fällt. Max Müller hat
-ein sehr lehrreiches Beispiel auf das sorgfältigste untersucht, die
-Bedeutung Agnis in der altindischen Religion. Wie wir sahen, scheint
-ihm „Agni den Begriff der lebhaften Bewegung ausgedrückt zu haben.
-Am nächsten verwandt würde lateinisch ag-ilis sein“. Im Lateinischen
-haben wir ignis, im Altslawischen ogni, im Littauischen ugnì. Das würde
-noch auf der ersten Stufe stehen. Aber nun kommen Namen, die offenbar
-einen tätigen Gegenstand ausdrücken: Dahana = der Brenner, An-ala
-= der Blaser (mit der Wurzel An, die auch in animus, anima, ἄνεμος
-enthalten ist und hauchen, wehen bedeutet). Max Müller führt noch
-andere Namen auf, die gleichfalls einen tätigen Gegenstand betreffen.
-Und er sagt allgemein: „Wenn dieser Schritt einmal getan war, wenn das
-Wort Agni, Feuer, einmal geprägt war, so war die Versuchung groß, ja
-fast unwiderstehlich, wie Agni als Agens aufgefaßt worden war, so auch
-ihn als etwas aufzufassen, das den einzigen anderen aktiven Subjekten,
-die den Menschen bekannt waren, glich, als tierischen und menschlichen
-Agens.“ Und darin kann man ihm lediglich beistimmen. So führt er denn
-auch an, daß im Rigveda von der Zunge oder den Zungen Agnis gesprochen
-wird, von seinen Zähnen, seinen Kinnbacken, seiner brennenden Stirne,
-seinem flammenden Haar, seinem goldenen Bart. Diese Sprechweisen als
-metaphorisch aufzufassen, würde möglich sein, wenn der erste Begriff
-des Agni ein höherer wäre. So aber möchten sie kaum anders als ad
-verbum genommen werden, als Beschreibung Agnis als eines lebenden Etwas
-(s. jedoch S. 25). Ich habe schon erwähnt, daß die Polynesier die Sonne
-auch als Ungetüm betrachten, die Eskimo nehmen Sonne und Mond als
-Mädchen und Knaben, wie südamerikanische Völker und wie, umgekehrt,
-die Australier als Mann und Frau. Algonkinindianer, die den Mond für
-die Frau der Sonne ansehen, erklären sogar die Finsternis dadurch,
-daß diese Gestirne zuweilen ihr Kind (das also dunkel sein muß) in
-den Armen vor sich halten. Daß man die Arme nicht sieht, kommt daher,
-daß sie ständig einen Bogen gespannt vor sich halten. Hübsch ist eine
-Sage bei den Mexikanern, die Tylor in seinem vorzüglichen Buche „Die
-Anfänge der Kultur“ mitteilt. Die alte Sonne war ausgebrannt und die
-Welt in Finsternis begraben. Da sprang ein Held in ein riesiges Feuer
-und stieg, zum Gott geworden, als Tonatiuh strahlend im Osten als
-neue Sonne auf. Nach ihm sprang ein zweiter Held in das Feuer. Aber
-dieses war schon matt, und so kam er nur als Mond, Metztli, empor. Hier
-sind also Sonne und Mond zwei Männer. Doch steht diese Sage für das
-Gegenwärtige schon zu hoch. Mehr paßt hierher, daß bei den Alëuten der
-Mond mit Steinen nach denen wirft, die ihn beleidigen. Man bedenke,
-daß man in der Tat früher vielfach geglaubt hat, daß die Meteorsteine
-Auswürflinge des Mondes seien. Auch die Sterne werden für Lebewesen,
-Menschen oder Tiere, gehalten, wohl auch für Teile von Lebewesen. Ich
-will nicht die griechischen Katasterismen anführen, die in so schönen
-Sagen erzählt werden und noch in der so späten Zeit der Ptolemäer zu
-der Versetzung des prachtvollen Haares der Berenike an den Himmel
-geführt haben. Aber in Afrika ist die Milchstraße ein Zug Vögel.
-Anderweitig sind die Sterne Menschen, welche in den Himmel geklettert
-sind und nun nicht herabkönnen. In Ozeanien werden die Sterne auch als
-Augen berühmter Häuptlinge ausgegeben, so daß diese letzteren großen
-Wert im Leben auf möglichst glänzende Augen legen und die ihnen von
-Natur verliehenen dadurch zu verbessern suchen, daß sie anderen die
-Augen ausreißen und sie verzehren. Daß der Regenbogen ein lebendes
-Ungetüm ist, das sogar Menschen frißt oder sie vergiftet, wird in
-Polynesien erzählt. Der Gott Perkun soll in Littauen auch den Donner
-selbst bedeutet haben. Stürme werden personifiziert; so sind bei den
-Indianern, von denen Hiawatha erzählt, Wabun, Schawondasee, Kabibonda
-Lebewesen, die Ostwind, Südwind und Nordwind bedeuten, deren Vater,
-der allgemein Sturm, Mudjeekewis, heißt. Bei den Polynesiern finden
-wir ähnlich personifizierte Winde, die Verwandte sind von Göttern.
-Der Hauptwindgott Tawhiri-matea, der den Schimpf, der seinem Vater
-und seiner Mutter, Himmel und Erde, durch ihre gewaltsame Scheidung
-geschehen ist (S. 12), rächen will, läßt seine Kinder, die Stürme,
-auf Meer und Land los, und er selbst wütet in ihrer Mitte, so daß die
-Wälder, die Kinder Tane Mahutas, gestürzt, die Länder überschwemmt
-und die Meere durchwühlt werden. „Den niederen Menschenstämmen,“ sagt
-Tylor in seinem genannten Werke, „werden Sonne und Gestirne, Bäume und
-Flüsse, Wind und Wolken persönliche, belebte Geschöpfe, welche ein nach
-Analogie des menschlichen oder tierischen gedachtes Leben führen und
-ihre besonderen Aufgaben im Universum mit Hilfe ihrer Gliedmaßen wie
-Tiere erfüllen.“ Und er weist mit Recht auf das Verhalten der Kinder
-hin, die zuerst gleichfalls alles beleben. Wie das Kind „schlägt der
-Wilde Brasiliens den Stein, über den er gestolpert ist, oder den Pfeil,
-der ihn verwundet hat.“ Tylor teilt noch andere Beispiele mit. So wird
-bei gewissen südasiatischen Stämmen der Baum gefällt und zu Spänen
-zerhackt, von dem jemand tödlich herabgefallen ist. Entsprechende
-Beispiele finden sich sogar bei Kulturvölkern, ich darf an die Gerichte
-erinnern, die bei den Athenern über leblose Gegenstände gehalten
-wurden, durch die ein Mensch umgekommen war, an die Geißelung des
-Hellesponts durch Xerxes und an anderes aus dem Altertum und selbst aus
-dem Mittelalter Bekannte. Fast möchte man an die „Tücke des Objekts“
-erinnern, die Friedrich Vischer in seinem Roman „Auch einer“ so launig
-beschreibt. Es war früher eine Sitte in Deutschland, wenn der Hausherr
-gestorben war, es allem im Hause mitzuteilen, selbst dem Ackergerät und
-den Vorräten. Wir dürfen uns darum nicht wundern, daß der Naturmensch
-tatsächlich Gegenstände für lebend hält, die ihm doch tot scheinen
-sollten, und sich so überall von Leben umgeben fühlt, dessen Natur er
-nicht kennt, und das ihn infolgedessen beängstigt und bedrückt. Diese
-Allbelebung, der wir auf niedrigster Kulturstufe begegnen, findet sich
-von allem Groben geklärt in höchsten philosophischen Spekulationen
-wieder, wie wir sehen werden. Für die Wildenstufe hat Tylor sie als
-„Animismus“ bezeichnet, diesem Worte jedoch noch eine weitere Bedeutung
-verliehen.
-
-
-9. ~Seele und Beseelung, Animismus, Fetischismus.~
-
-Sobald der Mensch dazu gelangt ist, an sich selbst den Körper von der
-Seele zu unterscheiden, wird er naturgemäß das gleiche auch für alle
-anderen Lebewesen und für die von ihm lebend gedachten Wesen tun.
-Wann der Mensch „seine Seele entdeckt“ hat, entzieht sich unserer
-Kenntnis. Den Unterschied zwischen einem lebenden Tiere und einem
-getöteten kennen anscheinend auch Tiere selbst. Der Mensch aber muß
-zu irgendeiner Zeit diesen Unterschied tiefer aufgefaßt haben und so
-zu einer Zweiteilung seines Ich gekommen sein. Gegenwärtig scheint
-kein Volk zu existieren, das den Begriff der Seele nicht kennt. Und
-man möchte auch glauben, daß, sobald der Mensch die Ursächlichkeit
-hinreichend bewußt anzuwenden gelernt hat, er durch den Anblick des
-Toten neben dem Lebenden zu der Ansicht gezwungen werden mußte,
-jenem fehle etwas, das dieser besitzt und was, eben weil körperlich
-der Tote zunächst sich vom Lebenden noch gar nicht unterscheidet,
-das Leben bedingen muß. Der Tote hat also etwas verloren, das Leben
-in ihm, wir sagen die Seele. Der Naturmensch faßt die Seele als
-körperlich auf, namentlich als Atem. Das tut er ja mit dem Menschen
-überhaupt, man denke an ψυχή, anima, bei den Griechen und Römern, die
-ein „Wehen“ bedeuten, an ruach, nephesch bei den Hebräern, die das
-gleiche aussagen. Das deutsche „Seele“ soll auch mit einer derartigen
-Auffassung zusammenhängen, mit seîvan = sich bewegen, seivs = das Meer,
-in Verbindung stehen. Mitunter wird die Seele auch als „Schatten“
-bezeichnet und zwar nicht metaphorisch, sondern konkret, denn der
-Naturmensch sieht den Schatten für ein Körperliches an, etwa wie die
-Luft, und wir haben ja selbst Sagen, die von dem gleichen Gesichtspunkt
-ausgehen. Der Teufel, erzählt Jakob Grimm, unterhielt in einer Gruft
-zu Salamanca sieben Schüler mit der Bedingung, daß der siebente nach
-Beendigung des Studiums das Gelag zahlen sollte. Als er seine Schule
-entließ, wollte er den letzten Schüler zurückbehalten. Dieser aber
-wies auf seinen Schatten, der wäre der letzte. Da mußte der Teufel den
-Schatten nehmen, und der Schüler blieb ohne Schatten, wie -- Peter
-Schlemihl. Sonst also ist die Seele etwas Luftartiges, und darum kann
-sie auch den ganzen Körper durchdringen und überall in ihm sein,
-während sie andererseits wie Luft nicht gesehen wird. Mitunter freilich
-wird die Seele unmittelbar als ein Lebewesen betrachtet, entweder als
-ein dem Menschen gleichendes Bild -- weshalb die Griechen sie auch
-bildlich als εἴδωλον, kleines, den Verstorbenen, zuweilen sogar in
-der Tracht, nachahmendes Menschlein darstellten --, oder noch derber
-als Schmetterling, Wiesel, Vogel, am meisten als Schlange aufgefaßt.
-Auf anderen Stufen wird die Seele auch als Pflanze betrachtet; Jakob
-Grimm scheint in seiner deutschen Mythologie damit die Metamorphosen
-verfolgter Menschen, namentlich Mädchen, wie Daphne und Syrinx, in
-Verbindung zu bringen. „Ursprünglich,“ sagt er, „mag aber die Idee
-eines unmittelbaren schnellen Übertritts der Seele in die Gestalt
-der Blume (wofür er einige Beispiele aus deutschen, romanischen
-und slawischen Sagen beiträgt) zugrunde liegen, wie aus bloßen
-Blutstropfen, die nur einen kleinen Teil des Lebens enthalten, eine
-Blume entspringt, im Blut hat die Seele Sitz, mit seinem Verströmen
-flieht sie hin.“ Die Tschechen nennen die auf Sandgrabhügeln wachsende
-Quendelblume „Mutterseelchen“. Aber da die Seele dem Körper Leben
-verliehen hat, schreibt der Mensch ihr höhere Eigenschaften zu als der
-Mensch als solcher besitzt.
-
-Übertrug nun der Mensch die Entdeckung an sich auch auf die anderen
-Lebewesen und auf die ihm belebt scheinenden Gegenstände, so gewann
-er rings um sich Seelen, die er im allgemeinen seiner Seele ähnlich
-achten mußte. Und so wurden die Tiere wie er beseelt und füllten
-sich Sonne, Mond, Gestirne, Bäume, Berge, Felsen, Meer, Flüsse und
-Naturerscheinungen mit Seelen. Max Müller sagt zwar: „Ich kann nicht
-umhin, es vernunftwidrig zu nennen, wenn man uns weismachen will,
-daß zu irgendeiner Zeit in der Geschichte der Welt ein Mensch so
-einfältig gewesen sei, daß er nicht imstande war, zwischen leblosen
-und belebten Wesen zu unterscheiden, eine Unterscheidung, bei der
-selbst die höheren Tiere kaum jemals fehlgehen; oder gar, daß sich
-der Mensch darin gefiel, der Sonne und dem Mond, Bäumen und Flüssen
-Leben oder eine Seele zuzuschreiben, obwohl er sich dessen vollkommen
-bewußt war, daß sie weder Leben noch Seele besäßen.“ Aber gerade dieses
-letztere kann angesichts der außerordentlichen Zahl von Tatsachen
-nicht zugegeben werden. Der Mensch war sich eben nicht bewußt, daß
-die Gegenstände weder Leben noch Seele besäßen, er hat eben gerade
-das Gegenteil angenommen. Und man kann sagen, daß die Entdeckung der
-Seele als eines Sonderdinges ihm geholfen hat, die Schwierigkeiten,
-die sich aus der offensichtlichen Leblosigkeit vieler Gegenstände
-ergeben, zu verringern. Denn er sah an sich, daß er zu Zeiten -- im
-Schlaf -- gleichfalls wie leblos erscheint. Da konnten die Seelen der
-Gegenstände ähnlich sich in Schlummer oder Halbschlummer befinden. Er
-sah, daß Menschen leblos sind, sobald die Seele aus ihnen schwindet;
-das konnte auf die Gegenstände gleichfalls Anwendung finden, wo etwa
-der Augenschein gegen ein Leben allzusehr sprach.
-
-Mit der Einführung der Seele als Sonderding und Lebensprinzip, was
-selbstverständlich nur sehr allmählich geschah, nahmen nun die
-Religionen eine neue Wendung. Sie geht nach verschiedenen Richtungen.
-Wir unterscheiden zunächst Fetischglaube, Seelenglaube, einschließlich
-Schamanismus, Ahnenglaube, einschließlich Totemismus, Geister- und
-Dämonenglaube, Götterglaube. Man darf nicht annehmen, daß es sich hier
-um nacheinander entstandene oder -- wenigstens gegenwärtig -- auch nur
-getrennte Religionsgebiete handelt. Alles geht durcheinander, und wir
-haben ein solches Gewirr von Angaben und Meinungen, daß es kaum möglich
-ist, zu sagen, was bei diesem oder jenem Volke das Wesentliche ist.
-Daher auch die sich oft widersprechenden Definitionen und Ergebnisse
-der einzelnen Forscher und die Verschiedenheiten in der Bedeutung, die
-sie, je nach Ansicht, den besonderen Anschauungsformen beimessen. Nur
-allgemeine Grundzüge lassen sich feststellen.
-
-Es entspricht, wie schon bemerkt, der Natur des Menschen, daß
-ungewohnte, neue oder seltene Gegenstände seine besondere
-Aufmerksamkeit erregen. Tritt die Beseelung hinzu, so kann Furcht
-oder Erwartung an diese Gegenstände sich knüpfen. Sie werden als
-zauberkräftig im Schlimmen oder Guten angesehen, und der Mensch sucht
-sie durch Gaben zu versöhnen oder sich günstig zu stimmen. Darauf
-etwa beruht der ~Fetischismus~, wie die Portugiesen ihn in Afrika
-zuerst kennen gelernt und aus ihrer Sprache (feitiço, Zauber) benannt
-haben. Hiernach kann alles Fetisch sein oder werden: Töpfe, Steine,
-Holz, Haar, Geflecht usf. Charakteristisch ist eine Erzählung aus
-Afrika. Es wurde ein Anker gefunden, ein jedenfalls ungewohntes oder
-gar unbekanntes Ding. Einer brach ein Stück davon ab und starb kurze
-Zeit darauf. Sofort heißt es, der Anker wäre ein Fetisch, und der Mann
-hätte sterben müssen, weil er durch Verletzung diesen Fetisch gekränkt
-hätte. In Ozeanien sollen chinesische Töpfe als Fetische verehrt
-werden. Tausende sind der Beispiele, die für den Fetischglauben aus
-allen Teilen der Welt beigebracht und Tausende auch die Fetische, die
-in unsere Museen und Sammlungen versetzt sind. Orte, wo üble Fetische
-sich befinden, werden gemieden und nur zu Kulthandlungen aufgesucht.
-Gute Fetische nimmt man nach Hause oder tut sie in besondere Hütten.
-Erfüllen solche Fetische die Erwartungen nicht, oder zeigen sie
-sich unwirksam, so werden sie mitunter wohl gezüchtigt, und wenn das
-nichts nützt, fortgeworfen, als gänzlich leblos erkannt. Fetische
-können von selbst wirken und ihrem Besitzer Glück und Gesundheit
-bringen und erhalten -- solche haben wir ja in Unzahl ebenfalls z.
-B. in den ~Amuletten~. Oder sie reagieren nur auf Anrufung durch
-einen Sachverständigen. Daraus ergibt sich nun der ganze Unfug des
-Zauberwesens und der Zauberer, der überall auf der Erde sich findet
-und überall die gleichen Züge trägt. Betrügende Betrüger und betrogene
-Betrüger spielen da ihre verhängnisvolle Rolle. Bei der Beurteilung
-darf man nicht vergessen, daß der Wilde so wenig Mittel gegen
-Krankheit, Hungersnot, Tiere usf. besitzt und darum naturgemäß zu allem
-greift, davon er irgend glauben kann, daß es ihm nützen möchte. Wir
-finden das gleiche auch bei uns, wo der Mensch von bessern Hilfsmitteln
-verlassen ist und irgendwelche Beispiele ihm bekannt sind, daß dieses
-oder jenes, wenn auch noch so Absurde, irgendwo und wann geholfen hat.
-Wir sehen aber, daß der Fetischglaube rein auf Furcht und Egoismus
-gebaut ist, und dementsprechend ist der Kult der Fetische eingerichtet.
-Mit dem guten Fetisch wird wie mit einem Liebling verkehrt; er erhält
-Gaben an Essen und Getränk, Sitz und Lager. Manche schaffen sich
-Hunderte und Tausende von Fetischen an; Steine, über die sie stolpern,
-Blätter, die zu ihren Füßen geweht werden, Holzstücke, die ihnen
-auffallen, Figuren usf. Und sie sitzen mitunter in der großen Masse
-von solchen Gegenständen und bitten sie schmeichelnd und verehrend,
-ihre Kraft ihnen zu weihen. Gefürchtete Fetische können zu furchtbaren
-Götzen sich auswachsen, die nur durch blutige Opfer zu versöhnen
-sind, wozu namentlich auch Menschenopfer gehören. Der Fetischismus
-wird vielfach, so von Comte, Lippert, Schultze u. a. in viel weiterem
-Sinne aufgefaßt, was später noch zur Sprache kommt. Ich habe die
-beschränktere Umgrenzung gewählt, um nicht bei einer allgemeinen
-Untersuchung sogleich ins Uferlose zu geraten. Gibt es doch auf der
-anderen Seite Forscher, welche von einem Fetisch~glauben~ überhaupt
-nichts wissen wollen.
-
-Der Seelenglaube erschöpft sich nicht in dem Glauben an eine Seele,
-sondern er geht auch auf die Beschaffenheit und Eigenheit der Seele
-ein. Sie kann ihre Behausung überall nehmen, hält sich jedoch am
-liebsten am gewohnten Orte auf. Da sie immerhin unheimlich wirkt,
-sucht man sie entweder zu bannen oder man überläßt ihr ihren gewohnten
-Aufenthalt. So wird oft ein Topf oder ein Korb hingestellt und die
-Seele des Gestorbenen gebeten, darin ihren Platz zu nehmen. Dem Körper
-entsprechend, den sie bewohnt hat, zieht sie Nachbildungen aus Holz
-oder Ton oder Stein vor. Hat sie sich in eine solche Nachbildung
-begeben, so kann letztere Fetisch werden und darum haben so viele
-Fetische Menschen- und Tiergestalt. In anderen Fällen sucht man sie den
-gewohnten Eingang in die Behausung vergessen zu machen und greift zu
-so kindlichen Mitteln, daß man den Toten rennend mehrmals um die Hütte
-herumträgt, oder daß man den Toten nicht durch die Türe, sondern durch
-ein zu diesem Behufe gemachtes Loch hinausschafft, das nachher wieder
-geschlossen wird.
-
-Lippert erzählt eine tragikomische Geschichte aus unserer eigenen
-Zeit (1879) und unserem eigenen Vaterlande, die ebensogut in Afrika
-hätte passieren können. In einem Dorfe bei Zittau hatte sich ein
-Militärmusiker entleibt. Der Hauswirt gestattete unter keinen Umständen
-die Hinausbeförderung der Leiche durch den gewöhnlichen Ausgang, weil
-„in diesem Falle die Seele des Selbstmörders im Hause bleibe und darin
-spuke“. Die Träger mußten fort und kamen, da es spät war, erst am
-nächsten Tage mit den Gensdarmes wieder. Wie erstaunt waren sie, die
-Leiche vor dem Hause in einer hölzernen Kiste zu finden. Der Hauswirt
-hatte sie in der Nacht mit Hilfe einiger Freunde in die Kiste getan und
-an einem Strick durch das Fenster hinabgelassen. Wie es bei uns auch
-von Spukgeschichten wimmelt, brauche ich kaum hervorzuheben.
-
-Geht man ganz nachsichtig vor, oder hat man besondere Gründe, so wird
-der Tote in der Hütte oder unter dem Eingang der Hütte begraben. Im
-ersteren Fall wird die Hütte wohl auch von den Angehörigen verlassen,
-damit die Seele ungestört bei ihrem Körper verweilen kann. Oder es wird
-der Seele eine besondere Hütte gebaut, in der eben der Tote beigesetzt
-wird. Dieses letztere berührt sich zwar mit Kulturgepflogenheiten,
-hat aber einen anderen Sinn, lediglich den, der Seele einen festen
-Aufenthaltsort zu geben, ohne sie zu kränken. Endlich werden Tote auch
-unter Bäumen und Felsen oder in Höhlen beigesetzt. Ihr Gebiet geht
-dann, soweit der Schatten des Baumes, Felsens oder der Höhle reicht.
-Nach mohammedanischem Glauben bleibt die Seele des Abgeschiedenen noch
-eine Nacht bei ihm. Wilde verlängern die Zeit beliebig. Damit die
-Seele nicht herauskomme, werden dem Toten alle körperlichen Öffnungen
-verstopft, oder es werden die Teile, in denen man die Seele vermutet,
-wie Hirn, Herz und namentlich Niere herausgenommen und vernichtet, oder
-als „Medizin“, als Zaubermittel gegen Unfälle und für Stärkung der
-eigenen Kräfte verwendet. Namentlich Feinden gegenüber, wie Raubtieren
-und menschlichen Feinden, wird so verfahren, wenn die Feinde nicht
-ganz aufgezehrt werden, um ihre Seele in sich aufzunehmen. Der Drang
-nach solcher Medizin ist so groß, daß, wo der Glaube herrscht, die
-Seele gehe mit der Leichenflüssigkeit ab, selbst dieser widerliche
-Saft getrunken wird. Frobenius, der davon als vom ~Fananybrauch~
-spricht, teilt mehrere Beispiele aus Afrika und Polynesien mit. Nicht
-selten führt der Glaube zu gemeinen Mordtaten, und der Mörder hat nur
-den Wunsch, etwa die Niere des Getöteten zu verschlingen; er hat dann
-zwei Seelen, ist also kräftiger und darf auf längeres Leben hoffen.
-Auch der Glaube scheint zu bestehen, daß man die Seele verhindern
-kann, mit dem Toten zurück ans Tageslicht zu kehren, wenn man der
-Leiche Hände und Füße bindet. Der Brauch scheint uralt zu sein, denn
-auch in prähistorischen Gräbern Europas hat man Skelette mit Fesseln
-an Händen und Füßen gefunden. Wie sehr die Körperlichkeit der Seele
-ein Grundgedanke des Naturmenschen ist, ergibt auch die Ansicht, daß
-die Seele in der Form ganz dem Körper folgt. Fehlt einem Menschen ein
-Glied, so besitzt auch die Seele dieses Glied nicht. Daher schneiden
-Wilde den Toten den Daumen der rechten Hand ab, damit die Seele nicht
-nach ihnen ihre Geschosse schleudern kann. Es wird erzählt, daß, als
-auf einer Plantage viele Neger Selbstmord begingen, um im Jenseits als
-freie Seelen zu leben, der Besitzer zuletzt den Leichen Hände und Füße
-abschlagen ließ. Das wirkte: die Neger fürchteten nun, ihr jenseitiges
-Dasein so verstümmelt verbringen zu müssen. Daher die Vernichtung der
-Seele durch absolute Zerstückelung oder besser durch Verbrennen des
-Körpers (S. 71). Die Seele krankt und altert sogar mit dem Körper, und
-darum fürchten so manche Wilde bei Siechtum oder Alterschwäche, im
-Jenseits nicht mehr imstande zu sein, von den dort gebotenen Freuden
-hinreichend genießen zu können. Daraus hat man die grausame Sitte so
-mancher Naturvölker erklären wollen, die Alten und Siechen zu töten;
-man will sie dem Jenseits noch in einiger Kraft erhalten. Eine Sitte,
-die auch bei Germanen, Kelten und Slawen sich nachweisen läßt.
-
-Eine Seele kann auch Ummauerungen nicht durchdringen. Daher muß, wo der
-Körper von einem Grabhügel umschlossen ist, an diesem Hügel ein Loch zu
-ihm gelassen werden, damit Speise und Trank der Seele zugeführt werden
-können; die neben das Grab getane würde die Seele nicht erreichen.
-
-
-10. ~Schamanismus, Totemismus, Seelen-, Ahnenkult.~
-
-Da die Seele eine gewisse Freiheit vom Körper genießt, so kann sie sich
-mitunter aus diesem auch bei Lebzeiten entfernen. Und so glaubt der
-Naturmensch, daß Gestalten, die er im Träumen sieht, entweder Seelen
-dieser sind, die sich von ihnen gelöst haben und nun zu seiner Seele
-gekommen sind, oder daß seine Seele aus seinem Körper gegangen ist und
-jene Seelen aufgesucht hat. Dabei bieten die leblosen Gegenstände keine
-Schwierigkeit, denn diese werden ja auch beseelt gedacht. Es kann nicht
-meine Absicht sein, das unheimliche Kapitel der Träume zu behandeln;
-ich habe nur das hervorzuheben, was für die Anschauung von Bedeutung
-ist. Wie sehr es in der Natur des Menschen liegt, sich mit seinen
-Träumen zu plagen, kann selbst der Vorurteilsfreieste an sich gewahren.
-Und alle Aufklärungen der Physiologen und Biologen nützen nur wenig
-dem, der von einem bösen Traum betroffen ist; er liegt ihm den Tag
-über in allen Gliedern; der Träumer ist froh, wenn dieser Tag vorüber,
-da seltsamerweise im allgemeinen der Wert eines Traumes auf die Zeit
-zwischen Nacht und Nacht beschränkt wird. Nicht wenige Ethnologen und
-Anthropologen sind geneigt, die Seelen- und Religionsanschauungen
-überhaupt aus den Traumerscheinungen abzuleiten. Indessen träumen
-auch Tiere. Etwas Besonderes muß also beim Menschen wohl hinzukommen,
-ihm die Reflexion oder den Einfall aus jenen Anschauungen zu
-erwecken. Manchen Menschen wird die Fähigkeit zugeschrieben, ihre
-Seele nach gewissen Vorbereitungen, die meist auf Hervorrufung einer
-Ekstase oder dumpfen Betäubung abzielen, beliebig aus ihrem Körper
-nach bestimmten Orten hinauszusenden, um dort Erkundigungen über
-Diebstähle, Feindespläne, Heilmittel, Schicksale von Menschen und
-Tieren einzuziehen. Der betreffende Mensch liegt gleich einem Toten,
-seine Seele geht inzwischen, wohin er sie entsandt hat. Nachdem sie das
-Gewünschte erfahren, kehrt sie in ihn zurück, er erwacht und weiß nun
-alles. Unzählig sind die Mitteilungen von solchen Seelenentsendungen
-und den wunderbaren Erfolgen, namentlich bei den Völkern Nordasiens,
-Nordeuropas und Nordamerikas, und auch Afrikas. Und manche davon sind
-so auffallend, daß sie selbst unter gebildeten Reisenden Glauben
-gefunden haben. Die Leute mit solcher Macht über ihre Seele gehören
-meist zur Klasse der Priester und Zauberer, oder, wie wir sie gemeinhin
-heißen, weil sie auch Krankheiten heilen und für alle möglichen
-Fälle Mittel besitzen und verabreichen, „Medizinmänner“. Bei den
-verschiedenen Völkern führen sie verschiedene Namen. Der bekannteste
-ist der der ~Schamanen~ (aus dem indischen Çramana), und in Verbindung
-mit gewissen Geisterkulten sprechen wir von ~Schamanismus~ als einer
-Religionsäußerung.
-
-Solche Ansichten kennen auch die arischen Völker. Odhin soll mitunter
-schlafen und dabei soll seine Seele als Vogel, Fisch oder Schlange die
-Welt durchstreifen, um dem Herrn, was sie erkundet, mitzuteilen. Eine
-seltsame Erzählung hat uns der Geschichtschreiber der Langobarden,
-Paulus Diaconus, aufbewahrt, die ich nach Jakob Grimm (Deutsche
-Mythologie) wiedergebe. „König Gunthram (der bekannte Frankenkönig)
-war im Wald ermüdet auf dem Schoß eines treuen Dieners entschlafen.
-Da sieht der Diener aus des Herrn Munde ein Tierlein, gleich einer
-Schlange, laufen und auf einen Bach zugehen, den es nicht überschreiten
-kann. Jener legt sein Schwert über das Wasser, das Tier läuft darüber
-hin, und jenseits in einen Berg. Nach einiger Zeit kehrt es auf
-demselben Wege in den Schlafenden zurück, der bald erwacht und erzählt,
-wie er im Traum über eine eiserne Brücke in einen mit Gold erfüllten
-Berg gegangen sei.“ Schlangen gehören zu den auf der ganzen Erde
-verbreiteten Bildern und Verkörperlichungen der Seele. Die Schlange
-also war König Gunthrams Seele. Paulus Diaconus teilt übrigens noch
-mit, daß man an der betreffenden Stelle nachgegraben und in der Tat
-viel verstecktes Gold gefunden habe. Die Seele hat also das Richtige
-ermittelt. Von dem Gold ließ der König einen Kelch machen, den er dem
-heiligen Marcellus in seiner Residenz Châlons widmete, wo der König
-selbst begraben wurde.
-
-Auch fremde Seelen vermag der Kundige zu senden, wohin er will. Die
-Könige von Dahome, so oft sie den Rat eines Gottes einholen wollten,
-töteten einen Menschen, dessen Seele zum Gott ziehen und von ihm
-das Nötige in Erfahrung bringen sollte, um es dem Zauberer dann zu
-offenbaren. Ähnliches erzählt bekanntlich Herodot von den thrakischen
-Goten: „Alle fünf Jahre wählen sie einen von ihnen durch das Los, den
-schicken sie als Boten an Zalmoxis und tragen ihm ihr jedesmaliges
-Anliegen auf.“ Die Entsendung geschieht, indem drei Leute Wurfspieße
-halten und der zu Sendende hochgeworfen wird, daß er auf die Spieße
-fällt. Ist er gleich tot, so wird das als gnädiges Zeichen des Gottes
-betrachtet, sonst wird ein anderer Bote in gleicher Weise entsandt.
-Herodot fügt hinzu: „Sie geben ihm aber den Auftrag, wenn er noch
-lebt“. So gleichen sich Anschauungen in voneinander so fernen Landen
-und so weit abstehenden Zeiten, zum Beweise wie gleichartig die
-Menschen denken, schließen und handeln!
-
-Die Anerkennung der Obergewalt mancher Menschen über sich führt
-dazu, daß deren Seelen besonders hoch bewertet werden. An den
-Seelenglauben knüpft sich so der ~Ahnenglaube~ als das Natürliche und
-der ~Übergeordnetenglaube~ als das oft Aufgezwungene. Den Ahnenglauben
-finden wir fast auf der ganzen Welt und zu allen Zeiten verbreitet.
-Vielleicht mangelt er selbst denjenigen Völkern nicht, die ihre alten
-Väter und Mütter aussetzen oder gar töten. Es liegt ja nahe, daß der
-Ernährer der Familie eine eigene Stellung einnimmt und seine Seele
-besonders geachtet wird. Offenbar wird sie besonders geneigt sein,
-den Zurückgebliebenen die gleichen und mehr Wohltaten zu erweisen
-wie im Leben. Da der Wilde absoluter Realist ist, sucht er sich ihre
-Zuneigung zu wahren. Und dieses hat zu einem eigenartigen ~Seelen~-
-und ~Ahnenkultus~ geführt, der sich überall vorfindet und, wie zu
-anmutenden Gebräuchen, so auf der Wildenstufe zu den schändlichsten
-Grausamkeiten geführt hat, die in den merkwürdigsten Formen vertreten
-sind. Alles dieses steigert sich ins Ungemessene, wenn es sich um
-die Seele eines mächtigen Zauberers oder eines Häuptlings handelt,
-so daß hier deren Tod ein wahrer Jammer in des Wortes bösester
-Bedeutung für ein ganzes Volk werden kann. Wir haben schauerliche
-Funde aus prähistorischen Zeiten, und entsetzenvolle Erzählungen aus
-Vergangenheit und Gegenwart. Indessen ist es nicht meine Aufgabe, die
-Kulte zu besprechen, nur die Anschauungen gehören hierher. Diese aber
-führen, wie man sieht, zu einer Stufung in den Seelen. Der niedrige
-Sklave hat eine niedrige Seele, die nichts vermag, der Ahne, Priester
-und Häuptling besitzen bedeutende Seelen. Und je höher der Rang,
-je größer die Gewalt, desto mächtiger auch die Seele im Guten und
-namentlich im Bösen. Diese Differenzierung ist von großer Wichtigkeit;
-sie hat zu Theorien geführt, wonach die Religionen überhaupt aus
-Seelen- und Ahnenglaube (wenn wir unter Ahnen allgemein Übergeordnete
-verstehen) hervorgegangen seien. Ich komme darauf später zu sprechen.
-
-Die Tiere erachtet der Naturmensch als von sich nicht verschieden,
-er verleiht ihnen Seelen, der seinigen gleich. Sprechen doch manche
-afrikanische Stämme davon, daß gewisse Menschen beliebig als Menschen
-oder als wilde Tiere leben können. Und wenn Polynesier von Leuten
-erzählen, die sich beliebig in Raubtiere, Vögel, Fische oder Schlangen
-verwandeln, so meinen sie das nicht nach Art unserer Sagen und Fabeln,
-sondern rein reell. So hat sich neben einem Menschenseelenglauben
-auch ein Tierseelenglaube ausgebildet und daran ein Tierseelenkult
-angeschlossen, der ~Totemismus~. Und wunderlich berührt es, wenn als
-Ahnenseelen auch Tierseelen angenommen werden, wie das namentlich
-bei den Indianern der Fall ist, wo nicht bloß Familien, sondern auch
-ganze Stämme irgendein Tier: Bär, Rabe, Schlange, Schildkröte, Spinne
-usf. als Urahnen bezeichnen. Wenn ich Lippert recht verstehe, will er
-freilich nicht die Tierseele als die Ahnenseele anerkennen, sondern
-eine Menschenahnenseele annehmen, die in das Tier gefahren ist, in
-ihm ihren Wohnsitz aufgeschlagen hat. Damit würde übereinstimmen, daß
-Ahnentiere in der Regel nicht getötet und nicht gegessen werden dürfen,
-aber wiederum nicht dazu passen, daß bei gewissen Festen gerade solche
-Tiere verzehrt werden müssen. Indessen besteht über den Totemismus
-überhaupt keine rechte Sicherheit. Manche wollen in den Ahnentieren
-nichts weiter als Wappenbilder sehen, und zweifellos machen solche
-auch vielfach diesen Eindruck. Oder sie erklären sie lediglich durch
-Tiernamen menschlicher Ahnen, die durch Mißverstand zur Annahme von
-Tieren als Ahnen geführt haben. Das eine oder das andere wird in vielen
-Fällen zutreffen. Sicher aber ist, daß Tierseelen mitunter nicht
-mindere Bedeutung haben wie Menschenseelen und gleichfalls Verehrung
-genießen. Familie und Stamm halten ihr Totem (der Name stammt von den
-Algonkinindianern her, „Dodaim“) hoch und nennen sich nach ihm Bär,
-Wolf, Hirsch usf.
-
-
-11. ~Geister- und Dämonenglaube, Götzendienst.~
-
-Ein unmittelbares Kind des Seelenglaubens ist der ~Geister~- und
-~Dämonenglaube~. Geister und Dämonen sind die Seelen abgeschiedener
-Menschen oder Tiere. Ist es gelungen, diese Seelen an Gegenstände, tote
-oder Lebewesen, zu bannen, so hat man die Fetische, die um so wichtiger
-sind, je bedeutender die Seele. Häuptlinge und Priester können
-erklären, in den und den Gegenstand sei eine besonders wichtige Seele
-gefahren oder gebannt. Der Gegenstand ist dann ~Tabu~, unberührbar
-und unnahbar, die bekannte Plage der ozeanischen Stämme. Gegenstände,
-namentlich menschliche Figuren, aber auch Tiere und tierische Figuren,
-werden besonders gerne zum Sitz einer Seele genommen, und ist die Seele
-von einiger Bedeutung, so haben wir ein ~Götzenbild~ als Fetisch.
-Götzenbilder sind räumlich und zeitlich außerordentlich verbreitet
-und finden sich selbst gegenwärtig sogar bei den Kulturnationen. Sie
-entstammen aber der menschlichen Eigenheit, alles materiell zu fassen.
-Und es mag noch so oft gesagt werden, Männer und Frauen in katholischen
-Ländern sollen durch bekleidete und gekrönte Marien- und Heiligenbilder
-nur an die hohe Gottesmutter und an Menschen frommsten Lebenswandels
-erinnert werden, so faßt das einfache Volk die Sache doch anders auf,
-wenn auch nicht so wie der Neger oder der Gesellschaftsinsulaner,
-der sein Götzenbild absolut sich dienstbar erachtet und es mit einer
-rohen Seele versieht, die unter Umständen gezwungen werden muß,
-Dienste zu leisten, aber doch immerhin beseelt. Wie sollten sonst die
-Wunderbilder, die als solche Wunder tun oder die gar Lebensäußerungen
-von sich geben, wie Weinen, Zunicken, Blutschwitzen zu erklären
-sein, von den Hostien, deren Lebensäußerungen so unendlich vielen
-unschuldigen Menschen den qualvollsten Tod gebracht haben, zu
-schweigen, die nicht einmal menschliche Figur nachahmen. Es kann kaum
-anderes angenommen werden, als daß für den Unaufgeklärten in allen
-diesen Dingen sich mindestens die Kraft der Gottheit oder des Heiligen
-kundgibt, zumal es sich ja immer um ~besondere~ solche Dinge handelt,
-nicht um alle. Anhänger der Lehre, daß alle Religion aus dem Seelenkult
-in Verbindung mit Fetischglaube hervorgegangen ist, würden sogar
-sagen, daß angenommen wird, die Kraft ~stecke~ in den betreffenden
-Dingen. Das geht sicher zu weit, selbst für das Mittelalter; es handelt
-sich nur um eine Manifestation, nicht um Götzendienst im Sinne des
-Naturmenschen. Ob aber der Molochdienst der Phönizier und Karthager,
-der Çiva- und Kalidienst der Indier, der ursprüngliche Götterdienst
-der Griechen und Römer, der Tierdienst der alten Ägypter, der Baum-
-und Bilderdienst der alten Germanen, Kelten, Littauer, Preußen, Slawen
-von jenem Götzendienst sehr weit entfernt gewesen ist, darf mit Recht
-bezweifelt werden. Tylor macht darauf aufmerksam, wie trotz der
-allgemeinen Verbreitung der Götzendienst doch manchen Völkern fehlt,
-während die ganze Umgebung ihm huldigt. Das bekannteste Beispiel ist
-das der Hebräer, denen ja selbst die Anfertigung eines Götzenbildes
-verboten war. Aber wie sehr Fetischgötzendienst im Blute des Menschen
-liegt, sehen wir ja gerade an den Hebräern. Was haben die gewaltigen
-Seher und Propheten predigen und eifern müssen, um das Volk vom
-Götzendienst abzuhalten, und wie viele Rückfälle in diesen Dienst sind
-zu verzeichnen! Die lebhafteste Schilderung haben wir im Buch der
-Richter vom Götzendienst im Hause des Micha, der sogar einen Leviten
-zum Priester der Götzenbilder anstellt, sodann in der Anbetung des
-goldenen Kalbes mit ihrem so verhängnisvollen Ergebnis für das Volk.
-Aber nach dem Exil finden wir keine Spur von Götzendienst mehr vor, und
-wie zuwider und verhaßt dieser Dienst dem Volke war, sehen wir an der
-Heldenzeit der Makkabäer in der Empörung selbst gegen den veredelten
-Bilderdienst der Griechen. Und unmittelbar neben diesem Hebräervolk
-sitzt das ihm doch verschwisterte und dabei götzendienerischeste Volk
-der Phönizier und im Süden hausen die tatsächlich Fetische anbetenden
-Araber und im Osten die, trotz unserer Babylonier, götzendienerischen
-Mesopotamier. Als zweites Beispiel werden die Götzendiener der
-Gesellschaftsinseln und die vom Götzendienst freien Bewohner der
-Tonga- und Fidschiinseln genannt. Selbst Religionen, die überhaupt
-nicht auf Götterverehrung basieren, wie der Buddhismus, haben zuletzt
-doch zu ~Idolatrie~ und Fetischismus geführt, sobald sie zu Völkern
-gelangten, die die hohen Lehren nicht begriffen und nur das aufnahmen,
-was ihrem, ich möchte fast sagen, Wildeninstinkt entsprach. So ist
-die edle Lehre Gotamas bei Tibetanern und Mongolen zu einem elenden
-Götzendienst herabgesunken, mit Geister- und Hexenwesen und allem
-möglichen Beschwörungsunfug. In China ist ein Götze nach einem Prozeß
-gegen ihn aus einer Provinz ausgetrieben worden, weil er einem Mädchen
-durch seinen Priester Heilung versprach und das arme Wesen dennoch
-starb. Mir fällt ein amüsantes Histörchen aus Herodot ein. Der joviale
-Vater der Geschichte erzählt, die Männer von Kaunos, der Vaterstadt des
-großen Malers Protogenes, hätten von ihren Göttern manches erfleht,
-aber es nicht erhalten. Da seien sie mit Lanzen und Schwertern in
-den Tempel gestürzt und hätten mit Schreien und Herumstechen in der
-Luft die Götter aus dem Tempel gejagt, seien in gleicher Weise hinter
-ihnen her gerannt, bis sie sie über ihre Grenze gescheucht hätten.
-Dann hätten sie neue Götter in den Tempel geladen. Als es aber unter
-diesen nicht besser wurde, hätten sie auch diese hinausgetrieben
-und ihre alten Götter zurückgeholt. Völlig negermäßig! Und ähnliche
-Beispiele gibt es in großer Zahl bei Griechen, Römern und anderen
-Völkern, wenn auch nicht so ganz naturnaiv. Sehr lehrreich ist, was
-Curtis in seinem lesenswerten Buche „Ursemitische Religion“ von den
-mohammedanischen Stämmen in Syrien und den angrenzenden Gebieten
-erzählt. Bei vielen dient Mohammeds Lehre kaum als Deckmantel für einen
-Heiligen-Fetischglauben. Die Heiligen, Weli, können in Gräbern -- die
-große Zahl solcher in allen mohammedanischen Ländern ist ja bekannt
--- leben, aber auch in Bäumen, Felsen, Steinen, Quellen, Wassern
-usf. „Theoretisch,“ sagt der genannte Verfasser -- und er beruft sich
-auch auf den bekannten Palästinaforscher Conder -- „werden sie in
-Verbindung mit Gott verehrt; tatsächlich jedoch kennen viele Leute
-keinen anderen Gott als sie. Sie sind die Gottheiten, welche das Volk
-fürchtet, liebt, verehrt und anbetet.“ Ein frommer Moslem erzählte,
-sein Schutzpatron sei in einen in Asâl befindlichen Stein gefahren. Und
-Steine als Aufenthalt scheinen überhaupt bei den Weli nicht unbeliebt
-zu sein, namentlich irgend bemerkenswerte, wie Pfeiler, Denksteine usf.
-Curtis erinnert daran, daß auch im Alten Testament Steine mitunter eine
-besondere Rolle spielen, wie der Stein Jakobs, auf dem sein Haupt bei
-dem schönen Traum geruht hatte und den er salbte und ein Haus Gottes
-nannte. Auch Bäume sind in obigem Sinne heilig. „Offenbar sind nach
-dem Volksglauben heilige Bäume Stätten der Offenbarung von Geistern.“
-„In solchen Bäumen wird Fleisch aufgehängt, gleichsam die Nahrung für
-die darin wohnhaften Geister.“ Besonders seltsam sind die Gewässer,
-in denen Heilige wohnen. Sie werden namentlich von Frauen aufgesucht,
-welche unfruchtbar sind und glauben, daß wenn sie sich dem Wassergeist
-ergaben, sie fruchtbar werden. Sie legen sich darum in den Wasserlauf
-und lassen die Fluten über ihren Schoß spülen. Daß es sich hier um
-etwas anderes handelt als Baden, erhellt aus folgender sonderbaren
-Erzählung Curtis’. Ein reicher Moslem in Damaskus hatte seine Frau im
-Zorn verstoßen und die dreifache Scheidung ausgesprochen. Bald tat
-es ihm leid, er konnte sie aber nach dem Gesetz nunmehr nicht wieder
-heiraten, bevor sie nicht mit einem anderen vermählt gewesen und von
-ihm geschieden war, oder bevor sie nicht wenigstens einem anderen sich
-hingegeben hatte. Die mohammedanischen Ulemas wußten ihm nicht zu
-helfen. Aber der Patriarch (!) gab ihm den Rat, die Frau sollte sich
-in den Rásadafluß niederlegen, „sich vom Wasser umspülen lassen und
-so eine Ehe vollziehen; dann könne er sie wieder heimführen. Damit
-erklärten sich auch die Ulemas einverstanden.“ Einen viel anderen
-Rat als hier erste Priester zweier hoher Religionen gaben, würde ein
-Medizinmann Afrikas auch nicht gegeben haben. Selbst die Bestechung
-fehlt hier nicht, wobei es ganz handelsmäßig zugeht, indem dem
-Heiligenbild mehr und mehr geboten wird, wenn es anscheinend nicht in
-der Laune ist, den Wunsch zu gewähren.
-
-Je bedeutender die Seele, desto höher wertet, wie bemerkt, der
-Fetischgötze, in dem sie wohnte. Und so konnten Häuptlingsseelen Götzen
-für ein ganzes Volk abgeben, so daß manche Volksgötzen nach Häuptlingen
-benannt sind, wie auch umgekehrt Häuptlinge nach Götzen. So müßte die
-Bevölkerung des Olymps der Naturmenschen ins Ungemessene wachsen, wenn
-nicht durch Vergessen oder absichtliches Entfernen für Abgang gesorgt
-würde. Es ist bekannt, daß der Messenier Euemeros zur Zeit Alexanders
-behauptete -- was übrigens andere schon vor ihm angenommen hatten --,
-die griechischen Götter seien lediglich vergötterte Fürsten und Helden.
-Er ist wegen dieser öden Ansicht viel angefeindet worden und wird, mit
-bezug auf die griechischen Götter, die wir kennen, auch im Unrecht
-sein. Daß aber Götter ursprünglich solche Fetischgötzen von Häuptlingen
-sein können, wird man kaum bezweifeln dürfen, und die griechischen
-Sagen tragen selbst viel dazu bei, ihren Göttern Menschenursprung
-zuzuschreiben. Bei den Naturvölkern aber sind solche Vergötterungen
-selbstverständlich. Der Häuptling ist der mächtigste im Stamm, er kann
-zu Lebzeiten Gutes und Übles, und namentlich letzteres, zufügen. Also
-muß seine Seele der gleichen Art sein, und der Gegenstand, in dem sie
-wohnt, ein Menschenbild, ein Tierbild oder auch ein lebendes Tier,
-durch sie besondere Kraft besitzen, gleichfalls Gutes und namentlich
-Übles anzustiften, und muß durch Opfer, oft sogar Menschenopfer,
-bei guter Laune erhalten werden. Selbst in Menschen kann die Seele
-einziehen, dann fallen diese in Raserei. So erzählt Stuhlmann von den
-Waganda. Er erwähnt auch, daß, wenn ein Priester stirbt, bald sich
-jemand zu seinem Nachfolger aufwirft, indem er behauptet, jenes Seele
-sei in ihn gefahren.
-
-
-12. ~Zauberwesen.~
-
-Nun können noch Seelen frei in der Luft leben oder in Bergen, Höhlen,
-Wäldern, Gewässern, Wolken usf. Diese geben das Heer der ~Geister~,
-~Gespenster~, ~Dämonen~, von denen es um den Naturmenschen wimmelt.
-Nichts Unangenehmes kann vorgehen, daran nicht irgendein Geist schuld
-ist. Deshalb ist dem Naturmenschen der Zauberer so unentbehrlich,
-der es versteht, die Dämonen auszutreiben und zu bannen und sie auch
-gegen die Feinde auszusenden. Manaia, so erzählt Grey in seiner
-Polynesian Mythology, hatte die Schwester des Ngatoro-i-Rangi zur
-Frau. Diese kochte ihm eines Tages schlechtes Essen. Da verfluchte er
-ihren Bruder und entsandte so böse Geister gegen ihn und sein Volk.
-Die Frau schickte sofort ihre Tochter aus, den Bruder zu warnen. Das
-Mädchen kam hin und erzählte den Vorfall; darauf grub Ngatoro-i-Rangi,
-nachdem er und seine Angehörigen sich durch Untertauchen in Wasser
-gereinigt hatten, mit diesen eine Grube, und unter Beschwörungen
-schaufelte er die gegen ihn ausgesandten bösen Geister in diese Grube
-hinein, überschüttete sie mit Erde, stampfte diese fest und spannte
-darüber beschwörte Gewänder und zuletzt ein Geflecht. So hatte er die
-Dämonen vernichtet. Später zieht er mit seinen Leuten gegen Manaia
-und gebraucht eine Kriegslist. Sie schlagen sich alle die Nasen wund
-und legen sich für tot, die Waffen verborgen, auf die Erde. Priester
-Manaias kommen und finden sie und meinen nicht anders, als ihre Geister
-hätten sie getötet und hergebracht. Auf ihren Ruf strömt das Volk
-hinzu. Aber während sie noch über die Verteilung der vermeintlich
-Toten streiten, springen diese auf, fallen über sie her und erschlagen
-alle. Dann -- fressen sie sie auf. Noch eigenartiger ist eine zweite
-Erzählung Greys, gleichfalls aus Neuseeland. Zwei Zauberer, Purata und
-Tautohito, besaßen in einer Festung einen holzgeschnitzten Kopf, der
-auf Beschwörung Geister über Geister aussandte, die alles, was sich
-der Festung nahte, töteten, so daß niemand mehr wagte, in die Gegend
-zu kommen, die einem Leichenfelde glich. Da beschließt ein gewaltiger
-Zauberer, Hakawau, hinzugehen und jenen Zauber zu vernichten. Zuerst
-beruft er seine Geister und läßt sich von ihnen im Schlafe sein
-Schicksal zeigen. Dieses ist günstig, denn er träumt, sein Haupt
-berühre den Himmel und seine Füße ständen fest auf der Erde. Nun
-macht er sich auf. Und wie er der Festung sich naht, schickt er mit
-Beschwörung seinerseits Geister wider die feindseligen Geister. Es
-entsteht eine förmliche Schlacht zwischen den zwei Geisterscharen. Die
-Zauberer in der Festung schreien lauter und lauter auf den hölzernen
-Kopf ein, der mehr und mehr Geister entsendet. Hakawau aber ist
-kräftiger, und so siegt sein Geisterheer und erschlägt das feindliche.
-Zuletzt dringt er in die Festung ein, indem er über den Zaun klettert,
-und vernichtet den tödlichen Zauber vollends.
-
-Anrufungen, Beschwörungen und Kulte der Geister und Dämonen wechseln
-ständig miteinander, und so ist der Naturmensch auch der ständige
-Sklave dieses Glaubens und lebt namentlich in der Nacht in jeglicher
-Furcht vor den Schöpfungen seiner eigenen Phantasie, richtiger seiner
-konsequenten, aber von falschen Voraussetzungen ausgehenden Schlüsse.
-In geringerer Fülle, aber immer ja noch reichlich genug, ist der
-Geisterglaube auch bei den Kulturnationen vorhanden. Und zuzeiten nimmt
-er gar gewaltig überhand.
-
- Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll,
- Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll.
- Wenn auch ein Tag uns klar vernünftig lacht,
- In Traumgespinst verwickelt uns die Nacht.
- Wir kehren froh von junger Flur zurück,
- Ein Vogel krächzt; was krächzt er? Mißgeschick.
- Von Aberglauben, früh und spät umgarnt --
- Es eignet sich, es zeigt sich an, es warnt --
- Und so verschüchtert stehen wir allein
-
-sagt Faust, bevor die Sorge ihn erblinden läßt, wohl mit Rücksicht
-auf den gerade blühenden Weinsberger Geisterspuk des so bedeutenden
-Dichters Justinus Kerner. Und was tut der Spiritismus gegenwärtig
-anderes als eine Geisterwelt errichten, und auf demselben Stamme wie
-die Naturvölker, nur, bei den ernsten Anhängern, in edlerer und
-gedankenreicherer Form. Aber der Vampyrglaube der slawischen Völker
-ist grauenvoll genug, daß er uns selbst in der Oper von Marschner noch
-erschreckt. Und ähnliche Gespenster- und Dämonengestalten, wo sind sie
-nicht zu finden? Tote geben überall Anlaß zu Furcht und Wahngebilden,
-nicht minder tut es das Spiel der Natur an abgelegenem Ort oder zu
-mitternächtlicher Stunde. Wir verdanken diesen Gebilden so herrliche
-Dichtungen wie Bürgers „Leonore“ und unzählige Volksballaden. Das sind
-„~Überlebsel~“ aus grauer Vorzeit, sagt man. Und in der Tat schwindet
-bei uns im Volke der Geister- und Gespensterglaube mehr und mehr,
-wogegen er freilich in der Gesellschaft und in einer ganzen Schule
-von Psychologen in gleicher oder anderer Form stark anschwillt, trotz
-der mitunter lächerlichsten Prozesse gegen betrügerische Beschwörer.
-Der Naturmensch faßt die Sache rein materiell auf, wie die beiden
-Beispiele, die durch hunderte zu vermehren keinen Zweck hätte, lehren.
-Die Geister sind für ihn zwar irdisch, sogar vernichtbar. Aber daß sie
-nicht wahrzunehmen sind, das füllt ihn mit banger Furcht vor stetem
-und verderblichem Angriff und zwingt ihn zu steter Abwehr. Unfall,
-Krankheit und Tod sind dem Naturmenschen nicht natürlich, sondern
-Durchbrechung der Natur und immer auf Rechnung böser Geister zu setzen,
-die von selbst oder von irgendeinem Feind gesandt, den Menschen
-befallen. Und so hat er sich ständig zu wahren und zu wehren, und der
-Zauberer muß bald die günstigen Geister zur Hilfe herbeirufen, bald
-die bösen durch Beschwörung und Tanz und Rasseln mit allen möglichen
-Dingen vertreiben und wenn möglich zurück auf den Feind lenken. Wie
-schon der Römer halb Sklave seiner dies fasti und nefasti, seiner
-Träume und Ahnungen, aller Vorfälle und Erzählungen war, so ist das in
-noch viel höherem Grade der Naturmensch. Überall sieht dieser die Hand
-unheimlicher Mächte. Das gilt vielleicht nicht für alle Naturmenschen,
-aber sicher weitaus für die meisten. Selbst Beduinen sind der Ansicht,
-daß Menschen von Geistern im Traume erschlagen werden können. Und
-„von bösen Geistern Besessene“ kennt das Altertum, das ganze
-Mittelalter und ein gutes Stück der Neuzeit. Dieses zu besprechen ist
-unerquicklich, und um so unerquicklicher, als beim Naturmenschen alle
-Mittel angewendet werden, den Besessenen zu heilen, vom bösen Geist zu
-befreien, bei uns aber, in unsinnigem Aberglauben, zuletzt die Heilung
-in Ertränken und Verbrennen der Unglücklichen gesehen wurde.
-
-
-13. ~Höhere Anschauungen bei Naturvölkern; Naturreligionen,
-Naturmythen.~
-
-Indem der Naturmensch alles mit Geistern erfüllt, läßt er auch Himmel,
-Sonne, Mond, Gestirne, Erde, Meer, Flüsse, Quellen, Wolken, Wälder
-nicht von Geistern frei. Diese besonderen Geister aber haben für ihn
-nur zeitweise perniziöse Bedeutung, im allgemeinen jedoch spenden sie
-ihm Wohlleben. Sie treten so nun aus der Reihe der übrigen Geister
-heraus. Und sie sind es, aus denen sich allmählich die ~Naturreligion~
-entwickelt. Vor allem der Himmel, als der Ort der Himmelskörper, dann
-Sonne, Wetter und Erde gewinnen mehr und mehr an Bedeutung. Und indem
-sie für ganze Völker und Länder entscheidend sind und auf lange Zeiten,
-werden sie mit den vornehmsten Geistern bevölkert. Aber dieser Prozeß
-geht langsam vor sich. Und eigentlich muß der ~Pandämonismus~ schon
-bis zu einem gewissen Grade abgeklungen sein, wenn jene höheren Mächte
-hervortreten sollen. In der Tat haben sie auch bei dem Naturmenschen
-bei weitem geringere Bedeutung als die unmittelbaren Geister und
-Dämonen, zumal sie ja ständig sichtbar bleiben und der Mensch so an
-ihren Anblick gewöhnt ist. Mit ihnen aber beginnt der eigentliche
-~Götterglaube~ und die ~Mythologie~, die sich dann zuletzt zum
-~Gottglauben~ steigert. Es ist oft gefragt worden, ob die Wildenstämme
-schon im Besitz solcher höheren und höchsten Ideen sind. Ich habe
-schon hervorgehoben, daß bei ihnen keineswegs nur eine Anschauung
-herrscht, daß ihr Sinnen und Meinen sich vielmehr nach allen möglichen
-Richtungen wendet. Und so ist es schon zu erwarten, daß, wenn nicht
-alle, doch einige Stämme außer den unmittelbaren Geistern und Dämonen
-auch die höheren anerkennen werden, vielleicht den höchsten Geist. Das
-wird auch vielfach behauptet und durch Beispiele zu erweisen gesucht.
-Aber es ist mitunter recht schwer, einzusehen, daß dem wirklich so
-ist. Meist handelt es sich um einen Namen, ohne besondere Angabe der
-Qualitäten, höchstens unter Bezugnahme auf Schöpfung. Wenn man bedenkt,
-wie halbselbstverständlich dem Wilden das Wunder ist, begreift man
-auch, wie wenig die Schöpfung intellektuell für ihn zu bedeuten hat.
-Sie wird ja oft Menschen übertragen. Frobenius sagt, die afrikanischen
-Götter hätten dreierlei Ursprung: Geister als vergötterte Ahnen und
-Herrscher, letztere nicht selten noch zu ihren Lebzeiten. Mystische
-Gottheiten, die zum Menschen gleichgültig stehen. „Sie entsprossen
-dem Gefühl, daß neben den von den Afrikanern so sorgsam beobachteten
-Ausnahmeerscheinungen eine noch unerkannte Regelmäßigkeit in der Natur
-herrscht; sie sind gleichsam die Personifikation des Rhythmus in
-der Natur.“ Götter der hohen Mythologie, wie Sonnengötter usf. Eine
-strenge Scheidung soll es zwischen diesen drei Gruppen nicht geben,
-sie sollen ineinander übergreifen. Die erste Gruppe kennen wir. Was
-man mit der zweiten Gruppe anfangen soll, ist nicht recht ersichtlich,
-zumal sie sich nicht weiter entwickelt hat, wenn wir nicht in die
-Naturwissenschaft übergreifen wollen. Möglicherweise soll aber auch
-diese zweite Gruppe gerade zu den Höchstbegriffen führen, dann wäre die
-dritte Gruppe an die erste anzufügen. Einstweilen können wir in ihr
-nichts weiter als ein dunkles Fühlen und Ahnen sehen, ohne Namen und
-Sage, fast die Götter der Mysterien. Ich bekenne, daß ich für diese
-Götter bei den Naturvölkern keinen rechten Anhalt gefunden habe. Aber
-Geheimbünde bestehen bekanntlich bei ihnen in reichlicher Zahl, und es
-ist nicht ausgeschlossen, daß sie Mysterien pflegen wie die Griechen
-und andere Völker. Wir finden solche Bünde in Nordamerika, Westafrika,
-den ozeanischen Inseln, in Australien usf., von den Kulturvölkern zu
-schweigen. Was man von ihrem Tun und Treiben liest, ist freilich kaum
-geeignet, höhere Begriffe von ihren Geheimnissen einzuflössen; das
-meiste liegt auf dem Gebiete egoistischer Herrschsucht und der Raub-
-und Mordgier, auch des bösen Kannibalismus, und ist bei weitem mehr
-Plage als Wohltat, selbst wenn eine Art Rechtsüberwachung (ähnlich
-der Fehme) stattfindet. Keineswegs sind diese Mysterien mit den
-griechischen zu vergleichen, von denen alle alten Schriftsteller mit so
-hoher Achtung sprechen. Also über die zweite Gruppe weiß ich nichts zu
-sagen, vielleicht weiß ein anderer mehr.
-
-Die dritte Gruppe wird von Frobenius in mehreren Beispielen behandelt.
-Aber hier bedarf es mitunter sehr weitgehender Deutungen, um zu
-höheren Ideen zu gelangen. Nehmen wir einige davon. Schango, bei den
-Yoruba an der Nigermündung, ist Gott des Donners, Blitzes und Feuers.
-Er ist Sohn des Meeres (Yemaja); Oschumare, der Regenbogen, ist sein
-Diener und trägt Wasser von der Erde in seinen Wolkenpalast. Ara, das
-Donnergrollen, ist sein Bote, Biri, die Finsternis, sein Gefolge.
-Er hat drei Frauen, die ihm Schnur, Bogen und Schwert tragen. Das
-alles klingt sehr schön und ganz wie ein hoher Naturmythos. Aber
-das ist nicht der einzige Mythos von Schango. Nach anderen Mythen
-stammt er von sterblichen Menschen. „Er war Herrscher in Oyo, der
-Hauptstadt Yorubas. Er war so grausam, daß Häuptlinge und Volk ihm
-eine Kalebasse voll Papageieneier schickten mit der Botschaft, daß
-er durch die Regierungsgeschäfte müde sei und schlafen gehen solle.“
-Darüber entsteht ein Krieg; er muß fliehen, alles verläßt ihn, selbst
-sein Weib. Da hängt er sich auf. Nun erschrecken alle, sie suchen
-seinen Leichnam und finden eine Kette aus der Erde ragend. Darunter
-aber hören sie Schangos Stimme. Jetzt bauen sie darüber einen Tempel
-für Schango als Gott. Und wie Zweifler sagen, Schango sei doch tot,
-da kommt dieser in einem Gewittersturm und erschlägt die Ungläubigen.
-Hier ist nichts mehr von hohen Ideen, die Geschichte verläuft richtig
-fetischmäßig. Noch andere Mythen von Schango stehen nicht viel höher,
-zumal, wenn man beachtet, was auf S. 16 ff. über die Weltauffassung
-der einfachsten Naturmenschen gesagt ist. Höchstens eine Art Herrentum
-nach Art von Mauis erkennt man noch. Eine andere Gottheit ist Hubeane
-bei den Basuto, hier fehlt eine hohe Sage ganz. Sein Vater war
-Modimo, „der alles gut erschaffen, nur nicht den Menschen, welcher
-bald dem Verderben und dem Tode verfiel.“ Hubeane ergeht sich in
-Nichtswürdigkeiten diesem seinem Vater gegenüber und schlägt ihn sogar.
-Nun will ihn dieser töten und versucht es mit vergiftetem Brei, durch
-Meuchelmörder usf. Allen Nachstellungen entzieht sich Hubeane, und
-zuletzt muß der Vater fliehen. Nach einer anderen Mythe ist Hubeane
-Sohn eines Weibes, das allein noch übrig blieb, nachdem alle Menschen
-von einem Ungeheuer verschlungen sind. Er zieht, plötzlich erstarkt,
-zum Kampf gegen dieses Ungeheuer, wird aber auch verschlungen. Doch
-weiß er sich zu helfen, denn er schneidet ein Loch durch den Leib des
-Ungeheuers und schlüpft heraus, hinter ihm her kommen alle Menschen
-ans Tageslicht. Diese Sage ist in einer anderen, wo Hubeane von einem
-Schmuck, den er bei der Geburt am Halse schon mitbringt, Litaolane
-heißt, genauer ausgeführt; namentlich in den Verfolgungen, die er
-von den durch ihn befreiten Menschen erfährt. So flieht er einmal
-und verwandelt sich an einem Fluß in einen Stein. Seine Verfolger
-ergreifen den Stein und werfen ihn an das andere Flußufer hinüber.
-Dort wird der Stein wieder zu Litaolane, und dieser lacht seine Gegner
-aus. Die Auslegung, die Frobenius der ersten Sage gibt, meint, Hubeane
-wird verschlungen = Sonnenuntergang, er kommt wieder ans Tageslicht
-= Sonnenaufgang. Alle Menschen folgen ihm = erwachen im Schimmer der
-Morgensonne. Das ist aus Analogien erschlossen. Und alles andere,
-die Verfolgung durch die Menschen? Man wird gestehen, es ist nicht
-viel Besonderes an solchen Mythen. Und dabei sagt Frobenius: „Mit
-Schango und Hubeane haben wir den ganzen Vorrat der unverfälschten
-Sonnengötter des negerischen Afrika erschöpft.“ Er erzählt dann von
-dem hottentottischen Heitsi-Eibib, Tsui-Goab, Kauna. Ich kann in allen
-diesen Erzählungen nur mehr oder weniger törichte Märchen sehen und
-vermag den Deutungen von Frobenius nicht zu folgen. Nur in einigen
-Zügen läßt sich etwas Bedeutenderes blicken, wie, daß Heitsi-Eibib
-durch ein Wasser flieht, das sich vor ihm spaltet, über seine Verfolger
-aber zusammenschlägt (S. 13), daß Tsui-Goab in einem weißen Himmel über
-dem blauen Himmel wohnt, und dieser sich, die Menschen zu schützen,
-vorschiebt, so oft Tsui-Goab zürnt.
-
-Ein Beispiel eines echten Fetischscheusals ist der weiter behandelte
-O-dente von der Goldküste. Der in einer Höhle bei Date wohnende
-Geist, er hieß zuerst Konkom, war „ein Mann mit nur einem Auge, einem
-Arm, krebszerfressener Nase und voller Schwären“. Dieser anmutigen
-Erscheinung immer zu opfern, ohne sie zu sehen, wurden die Leute müde
-und bei einem Opferfeste griffen beherzte Männer, als ein Arm aus der
-Höhle sich streckte, die Fleischstücke in Empfang zu nehmen, diesen Arm
-und zogen trotz allen Wimmerns die Gestalt nach. Aber entsetzt liefen
-alle davon unter dem Rufe: „Es ist kein gemeiner Mann, in der Tat, es
-ist ein Gott.“ Völlig entsprechend dem Standpunkte des Naturmenschen!
-Deshalb unterhandelten sie mit ihm. Er zeigte sich versöhnlich und
-legte ihnen als Buße auf, alle Früchte auf dem Felde und im Hause zu
-verbrennen, sie sollten jegliches hundertfältig zurückerhalten. Die
-Leute taten’s, da war Konkom gerächt, denn er floh von ihnen und eine
-Hungersnot brach aus. Er begab sich nach Krakye, wurde dort O-Dente
-genannt, und die Einwohner behielten ihn gerne. Er zog sich wieder
-in eine Höhle zurück und Krakye wuchs mächtig. Indessen gefiel es
-ihm dort nicht, er wollte nach Date zurück. Da erstand in diesem Ort
-ein Weib Koko, das von ihm, O-Dente, besessen wurde und den Datern
-alles mögliche verhieß, wenn sie O-Dentes Befehle erfüllten. Der Gott
-zöge dann selbst wieder zu ihnen. Der Gott verlangte Stiere und Rum,
-verbot dunkelblaues Zeug zu tragen. Ferner sollte niemand nachts mit
-einem Licht über die Straße gehen, „er könnte vielleicht eines der
-Kinder O-Dentes sehen, die im Donner und Windesrauschen gekommen, bei
-Nacht die Stadt durchwandern, sie zu bewachen.“ Nun geschieht ein
-Menschenopfer, das ich in seiner Scheußlichkeit nicht erzählen mag, und
-über diesem Opfer wird ein Altar in Gestalt eines Kegels errichtet. Und
-das geschah nicht etwa vor Jahrhunderten, sondern in unserer Zeit.
-
-Die anderen ähnlichen Gottheiten darf ich übergehen, sie sind übrigens
-alle unilateral. Woraus zu entnehmen ist, daß sie Sonnengottheiten
-bedeuten, kann man nicht immer erfahren. Die Angaben bei den
-Afrikastämmen sind sehr verschieden. Die Namaqua sehen die Sonne für
-eine Scheibe Speck an, wovon man sich sogar ein Stück abschneiden kann.
-Demgegenüber nehmen die Madagassen die Sonne als einen strahlenden
-Körper an. „Sie betrachten sie als die Quelle des irdischen Besitzes,
-Genusses und aller Fruchtbarkeit.“ Bei den Ewara an der Guineaküste ist
-Lisa der Sonnengott, seine Frau ist Gleti, der Mond. Sie haben viele
-Kinder, davon sind die Töchter die Sterne, welche Gleti stets folgen.
-Wenn Lisa Gleti schlägt, wird diese dunkel, daher die Mondfinsternisse.
-Carl Peters in seinem Werke „Im Goldlande des Altertums“ behauptet von
-den Makalanga einen Sonnendienst gleich demjenigen des semitischen
-Baal. Er sieht bekanntlich im Makalangadistrikt das biblische Ophir.
-Max Müller hat nachgewiesen, daß dem Sonnendienst vielfach parallel ein
-Feuerdienst geht. In Afrika scheint dieser jedoch nicht sehr häufig und
-wesentlich auf die südlichen Stämme beschränkt zu sein. Die Hereros
-sollen ein heiliges Feuer, Ukuruo, unterhalten, das von einer Tochter
-des Häuptlings, die den Titel Ondangere führt, gepflegt wird. Also
-eine Art Vestalinnendienst, der auch ganz dem römischen gleicht. Den
-Prometheus spielt ein alter König. Das Feuer erhält auch Opfer, und es
-dient auch um böse Geister zu verjagen.
-
-Bei den Indianern scheint von höheren Ideen etwas vorhanden zu sein,
-das Frobenius’ zweiter Gruppe der afrikanischen Gottheiten entspricht.
-Ratzel, in seiner Völkerkunde, sagt: „Wo sich ein hinreichend
-abstrakter Begriff (nämlich für Gott) findet, deckt er sich doch nur
-mit ‚Seele‘, ‚Geist‘, ‚schalten‘ oder einfach ‚wunderbar‘. Manitus
-(der Algonkins) sind zahllose Geister von bekannter Herkunft, die die
-ganze Natur bevölkern und bald feindlich, bald wohlwollend dem Menschen
-begegnen.“ Gleichwohl kennen einige Stämme einen höchsten Weltschöpfer,
-einen Lichtgott, der die Welt für die Lichtmänner geschaffen hat. Die
-entdeckenden Europäer wurden für diese gehalten. Sonnenkult haben alle
-amerikanischen Stämme; Ratzel meint, soweit der Ackerbau reicht (wohl
-soweit Nutzpflanzen gedeihen). Manche verehren auch Mond und Gestirne.
-Aber nach den Sagen z. B. der Tlinkitindianer, an der Küste von
-Nordwestamerika, die Krause in seinem Buche über diese Stämme mitteilt,
-haben sich Sonne, Mond und Gestirne in drei Kästen befunden, die ein
-Häuptling, der Onkel Yelchs, besaß. Dieser letztere, als Knabe, setzte
-es durch, nacheinander mit allen drei Kästen zu spielen, öffnete sie,
-trotz des Verbots des Onkels, und so flogen erst die Gestirne, dann
-der Mond, zuletzt die Sonne an den Himmel. Und Yelch, wenn auch die
-Indianer sagen: „So wie Yelch handelte und lebte, so müssen auch wir
-handeln und leben“, war keine hohe Gottheit. In den vielen Mythen, die
-Krause von ihm mitteilt, ist die Hauptsache, daß er als Rabe Streiche
-über Streiche machte. Ob er Rabe war oder nur ein Rabengefieder trug,
-er fliegt jedenfalls wie ein Rabe und benimmt sich auch ähnlich. Bei
-anderen Stämmen sind es andere Tiere, die Yelch vertreten, wie Bär,
-Schildkröte, Spinne. Es ist also doch eigentlich nur höherer Totemismus
-und Ahnenglaube, der unter dem Einfluß des Christentums eine neue, mehr
-aufs Ideale gehende Färbung erhalten hat. Der Indianer unterscheidet
-sich in dieser Hinsicht vorteilhaft vom Neger. Und nun gar die
-Kulturvölker des alten Amerika; ich möchte nicht wiederholen, was ich
-in meinem Buche „Die Entstehung der Welt“ ausgeführt habe, und verweise
-darauf.
-
-Unter den Ozeaniern haben es die Polynesier, trotz der sonstigen auf
-Fetisch- und Seelenglauben beruhenden Ansichten, zu einigen hohen
-Ideen gebracht. Die große Begeisterung, die andere ihren Sagen und
-Mythen entgegenbringen, teile ich nicht, weil selbst in den besten
-Kindischheit und Barbarei durchscheinen. Gleichwohl ist nicht zu
-leugnen, daß manches auf der Höhe griechischer Schöpfungen gleicher
-Art steht. Schon das Ehepaar Rangi und Papa, so materiell sie
-aufgefaßt werden, sind doch als höhere, besondere Wesen, Himmel und
-Erde, gekennzeichnet. Sie sind zuerst eng aneinander geschmiegt, so
-daß allgemein Finsternis besteht und ihre Kinder von Licht nichts
-wissen. Die so vergehenden Zeiten, nach Dekaden gerechnet, werden
-als Wesen aufgefaßt, Po. Jene Kinder heißen Tangaroa, Rongo-ma-tane,
-Haumia-tiki-tiki, Tane-mahuta, Tawhiri-ma-tea, Tu-matauenga. Von der
-gewaltsamen Trennung Rangis und Papas habe ich schon gesprochen. Sobald
-sie getrennt sind, ist es Licht. Von Sonne und Gestirnen wird nichts
-gesagt. Aber auch die Bibel kennt Licht ohne Sonne, es ist das erste,
-was Gott schafft. Nun sollte man erwarten, daß die Kinder Rangis und
-Papas etwas ganz Besonderes sind. Aber nein, sie sind rein irdisch.
-Grey, dem ich hier folgen darf, als dem wohl bedeutendsten Kenner
-polynesischer Mythologie, sagt: „Tangaroa bezeichnet (signifies) Fisch
-jeder Art, Rongo-matane bezeichnet Kartoffel und alles vegetabilisch
-als Nahrung Kultivierte, Haumia-tiki-tiki bezeichnet Farnwurzel und
-alles wildwachsende Eßbare, Tane-mahuta bezeichnet Wälder, Vögel und
-Insekten, die darin wohnen, und alle Dinge, die aus Holz gemacht
-werden, Tawhiri-ma-tea bezeichnet Wind und Stürme, Tu-matauenga
-bezeichnet Mensch.“ Damit ist nicht viel anzufangen. Der Realismus
-geht noch weiter. Der Wind und Sturm ist mit der Gewalttat, die gegen
-Himmel und Erde, auf Veranlassung des ersten Menschen, verübt ist,
-nicht einverstanden und rächt Vater und Mutter, indem er seine Brüder
-überfällt. Alles unterliegt ihm. Nur Tu-matauenga widersteht allein
-ohne Hilfe seiner Brüder. Nun zieht er über diese her und zehrt alles
-von ihnen, was irgend eßbar ist, also vom Wald alles Getier, vom Meer
-die Fische usf., auf. Zuletzt macht er noch Beschwörungsformeln, um sie
-zu zwingen, den Menschen immer zur Nahrung zu dienen. Und so wird der
-erste Mensch als Gott bezeichnet, der die Menschen diese Beschwörungen
-lehrte. Außer diesem Tu-matauenga läßt nur noch Tawhiri-ma-tea, das
-Wetter, göttlichere Eigenschaft erkennen. Anderweitig ist Tangaroa
-ein Hauptgott. Die Nachkommen des ersten Menschen sind die Menschen
-überhaupt. Sie erst haben Menschengestalt, die vier ersten Geschöpfe
-gleichen Menschen nicht. Rangi und Papa aber bleiben bis jetzt
-getrennt. Und wenn Papa voll Sehnsucht seufzt, steigen die Seufzer
-als Nebel zum Himmel, und wenn Rangi um die Geliebte weint, fallen
-die Tränen als Tau zur Erde; ein wunderschönes Bild. Rangi und Papa
-sind auch die Wohltäter der Menschen, indem Rangi Hauche, Menschen und
-Pflanzen zu kühlen, sendet, und Nebel, Tau und Regen und klares Wetter,
-damit die Pflanzen wachsen. Papa aber läßt die Pflanzen aus ihrem Schoß
-hervorgehen. Das tun sie, daß ihre Kinder zu essen haben.
-
-Unter den Nachkommen befindet sich der bekannte Maui, mit vollem
-Namen Maui-tiki-tiki-a-Taranga. Er ist eine Frühgeburt und von seiner
-Mutter Taranga in die See geworfen (S. 12). Nach polynesischer Ansicht
-sollte er verderblicher Geist werden und die Menschen quälen, denn
-Frühgeburten müssen unter Beschwörungen vergraben werden. Er ist
-es nicht, zeigt aber in seinem Charakter in der Tat auch bösartige
-Eigenschaften. So tötet er ohne Grund ein junges Mädchen und macht
-ganze Ernten verdorren. Seinen Schwager verwandelt er aus Neid über
-dessen Erfolg beim Fischen in einen Hund, so daß seine Schwester aus
-Gram sich ins Meer stürzt. Er ist an sich ein Heros, der sich vor den
-Göttern fürchtet, aber er vollbringt Taten, die göttlich scheinen. Wie
-er die Sonne zwingt, langsam die Welt zu umgehen und nicht brennend zu
-strahlen, ist schon erwähnt. Seine zweite Haupttat ist das Heraufziehen
-der Nordinsel von Neuseeland an einem Kiefer als Angelhaken, aus dem
-Meere. Er ist aber darum doch nicht Erdschöpfer, da die Erde schon vor
-ihm bestand; er bewohnt schon ein Land mit seinen vier Brüdern. Die
-Insel aber zieht er wie zufällig, beim Fischen mit diesen Brüdern, in
-Gestalt eines Fisches empor. Die dritte Tat, wegen deren man ihn mit
-Prometheus verglichen hat, betrifft den Raub des Feuers. Indessen ist
-Feuer längst schon vorhanden, Maui kommt es mehr darauf an, das Feuer
-seiner Ahnin Mahu-ika zu zerstören. Er löscht aber vorher alles Feuer
-auf der Erde aus. Warum, ist nicht ersichtlich, da er kein anderes
-mitbringt, wenn’s nicht ist, daß er indirekt die Feuergöttin veranlaßt,
-den Rest ihres Feuers in Bäumen zu bergen, denen es die Menschen durch
-Reiben entlocken können. Er treibt mit der Feuergöttin, trotz der
-Warnung seiner Mutter, Spott. Er verlangt von ihr Feuer, sie läßt es
-aus einem Fingernagel hervorsprühen und gibt es ihm. Da löscht er es
-aus und bittet um neues, um es abermals auszulöschen. So fährt er fort,
-bis Mahuika die Kraft aller Finger- und Zehennägel verbraucht hat,
-außer der des Nagels einer großen Zehe. Diesen stampft sie -- da sie
-sich betrogen erkennt -- voll Wut auf den Boden. Alles gerät in Brand,
-Erde, Feld und Wald. Maui flieht als Adler und kann sich zuletzt doch
-nur retten, indem er seinen Vorfahr Tawhiri-ma-tea um Regen anfleht.
-Die Göttin aber behält von ihrem ganzen Feuer nur einige Funken, die
-sie sammelt und mit denen sie verfährt wie angegeben. Wenn diese Mythe
-nicht sinnlos sein soll, so muß die Feuergöttin irgendeinen bösen Dämon
-bedeuten, oder es ist in der Sage etwas verloren gegangen. Anderweitig
-wird der Mythos denn auch anders erzählt, so in Tonga, wo Maui mit
-dem Erdbebengott ringt, ihn überwältigt und das Feuer, an dem er sich
-gewärmt hatte, den Menschen bringt. Noch anders holt er das Feuer als
-Vogel. Sein letztes Abenteuer bringt ihm den Tod und den Tod auch der
-Menschheit. Eine Ahnin von ihm wohnt am Himmelshorizont, Hine-nui-te-po
-ist ihr Name, „große Frau Nacht“. Maui zieht zu ihr, begleitet von
-vielen Vögeln, die seine Genossen sind. Er findet sie schlafend und
-beschließt, in sie hineinzukriechen, sie ganz zu durchziehen und erst
-aus ihrem Munde sie zu verlassen. Er bittet die Vögel, nicht zu lachen,
-bis er wieder heraus ist, damit die Furchtbare nicht erwacht, und
-begiebt sich in sie hinein. Die Vögel verbeißen krampfhaft das Lachen
-über die Szene, aber das kleine Vögelchen Tiwakawaka vermag nicht
-an sich zu halten und lacht plötzlich auf. Da erwacht Hinenui-te-po,
-springt auf und tötet Maui. Hierin ist zweifellos der Sonnenuntergang
-geschildert, zumal Grey festgestellt hat, daß der Vogel Tiwakawaka in
-der Tat nur bei Sonnenuntergang sich hören läßt. Kommt noch dazu, daß
-Mauis Eltern in der Unterwelt leben, und er bei ihnen weilt und von
-Zeit zu Zeit emporsteigt, daß er Kraft über die Sonne Tama-nui-te-Ra
-übt, um verständlich zu machen, daß er als Sonnenheros angesehen wird.
-
-Bastian, in seinem Buche „Die heilige Sage der Polynesier“, teilt aber
-noch viel höhere Anschauungen aus den Maorisagen mit. Vor Rangi und
-Papa haben schon andere Dinge bestanden, die zum Teil wesentlich als
-~Begriffe~ aufzufassen sind. Er zählt deren 17 auf. Zuerst Te-Kore,
-das Nichts, dann Te-Po, die Urnacht, hierauf Te-Rupunga, das Sehnen,
-sodann Empfindung, Ausbreitung, das Luftschnappen, Gedanke usf.,
-zuletzt Hau-Ora, Lebensatem, und Atea, Weltall, gespalten in Rangi und
-Papa. Das geht freilich sehr hoch und weit, und Bastian vergleicht die
-Reihe mit ähnlichen Reihen in buddhistischen Anschauungen. Von Rangi
-und seiner zweiten Liebe Atatuhi (Dämmerungsstrahlen) sollen Mond,
-Sterne, Tagesgrauen, Tag, von ihm und seiner dritten Liebe Werowero
-(Hitzgezitter), Ra, die Sonne, stammen. Papa mit verschiedenen Männern
-bringt hervor Blitzesglanz, Donnergeroll, die Hinenui-te-po, sodann
-Inseln. Hier haben wir eine Kosmogonie in Form einer Theogonie. Noch
-andere Götter werden aufgeführt, deren Nachkommenschaft immer ihrer
-Funktion entspricht. So, wenn Tawhiri-ma-teas Geschlecht Erdbeben,
-Regenbogen, Hagel, Regen, Eis, Sturm, Kälte usf.; Tangaroas Aale,
-Muscheln, Hai, Walfisch, Seevögel usf. ist. Tu-mata-uenga, in Tiki als
-Mensch reproduziert, hat Rangis Tochter Kau-ata-ata zur Frau, das wäre
-also Eva, und von ihr zwei Kinder. Dann entwickelt sich das Geschlecht
-der Menschen weiter, und es findet sich darunter ein Matuika, Vater des
-Feuers, ein Fliegengott, ein Gott der Felssteine, ein Trawaru, Vater
-der Hunde. Die ganze Welt soll aus zehn Himmeln übereinander und zehn
-Erdschichten untereinander bestehen. In jenen sollen die Götter und
-Geister thronen -- im höchsten weilt Rehua (für Rangi?) -- im neunten,
-achten und siebenten die vergötterten Seelen in der Stufenfolge ihrer
-Bedeutung. Dann kommen die Untergötter, die Atua, zu denen auch Tawhaki
-(S. 17) gehört, die Halbgötter. Im vierten Himmel ist ein Lebensquell
-für Embryonen, im dritten (Nga-Roto) das Wasser über dem Firmament,
-im zweiten Regen und Sonnenschein. Der erste Himmel ist der feste
-und das Reich Tawhiri-ma-teas. Wie sich das mit dem auf S. 19 f.
-Mitgeteilten vereinen soll, kann ich nicht sagen. Auf die Schilderung
-der Erdschichten kommen wir zurück.
-
-Fast noch verblüffender ist, was Bastian uns von der hawaischen
-Mythologie erzählt. Er hat auf Hawai in der Bibliothek des Königs
-(Kalakaua) ein aus dem Beginn des vorigen Jahrhunderts stammendes
-Manuskript „He Pule Heiau“ entdeckt, dessen Wortlaut er mitteilt und
-das ein Schöpfungsbild enthält. Die Welt ist mehrmals geschaffen.
-Die jüngste Schöpfung ging in acht Perioden vor sich. Bis zum Schluß
-der achten Periode herrscht Po, Finsternis, jedoch mit abnehmender
-Stärke, indem ein Schimmer stetig wächst. Erst dann tritt Ao,
-Licht, ganz hervor. Innerhalb dieser Perioden aber erscheinen erst
-Intelligenz, dann Abgrund (männlich und weiblich). Hierauf entstehen
-die Lebewesen, von unten nach oben sich entwickelnd. Zugleich füllt
-sich der Abgrund mit Erde, bis der Abgrund ganz verschwunden ist.
-Nun, in der achten Periode kommen der Mensch, als Urweib Lalai,
-indem sie „hervorwächst gleich einem Blatt“, und die persönlichen
-Götter. Das Weib verbindet sich erst mit den Urkräften, dann mit dem
-Sonnengott und mit Kane und Kii und anderen Göttern, woraus zuletzt
-das Heroen- und Menschengeschlecht hervorgeht. Das ganze ist eine
-Entwicklungsgeschichte, wobei immer zuerst das Geistige und dann das
-zugehörige Materielle entsteht, und sie wird bis in die historische
-Zeit hingeführt. Als Probe führe ich nach Bastian die zweite Strophe
-des Gedichtes an:
-
- Geboren in Nacht.
- Geboren Kumuligo, aus der Nacht als männliches,
- Geboren Poele, aus der Nacht als weibliches,
- Geboren die Milben im Gewimmel,
- Geboren das Gewimmel in Reihen,
- Geboren die Würmer, die Grabenden, die Erde aufwerfend,
- Geboren ihre Mengen mit Nachkommenschaft,
- Geboren die im Schmutz sich windenden,
- Geboren ihre zuckenden Reihen,
- Geboren Seeeier ohne Zahl,
- Geboren ihre streifige Nachkommenschaft in Reihen.
-
-Die interessante einleitende Strophe dieser seltsamen Dichtung lautet:
-
- Hier dreht der Zeitumschwung zum Ausgebrannten der Welt,
- Zurück der Zeitumschwung nach aufwärts wieder,
- Noch sonnenlos die zeitverhüllten Lichter,
- Und schwankend nur im matten Mondgeschimmer;
- Aus Makaliis mächtigem Wolkenschleier
- Durchzittert schattenhaft das Grundgebild künft’ger Welt.
- Des Dunkels Beginn aus den Tiefen des Abgrunds,
- Der Uranfang von Nacht in Nacht,
- Von weitesten Fernen her, von weitesten Fernen,
- Weit aus den Fernen der Sonne, weit aus den Fernen der Nacht.
- Noch Nacht ringsumher.
-
-Sehr klar ist das nicht. Es soll aber besagen, daß die neue Welt
-beginnt, nachdem die frühere zugrunde gegangen ist, daß dieses in
-tiefer, nur schwach durchschimmerter Finsternis geschieht, daß durch
-das Plejadengestirn (Makalii) die zukünftige Welt ideell durchleuchtet.
-Die letzten vier Verse, wenn sie nicht die Herkunft des Dunkels und der
-Nacht schildern sollen, verstehe ich nicht. Aber Bastian gibt selbst
-die Übersetzung mit dem größten Vorbehalt. Andere Erzählungen stimmen
-bis auf die Götterzugabe mit biblischen Angaben. Bastian freilich und
-Achelis erklären es lediglich aus der übereinstimmenden Denkweise der
-Menschen. Ich glaube aber nicht, daß das bei so speziellen Angaben, wie
-die Entstehung des Weibes aus der Rippe des Mannes, zulässig ist. Doch
-sei wenigstens hervorgehoben, daß eine Göttertrias, Kane, Ku, Lono,
-vorhanden ist, die alles schafft, Himmel, Erde, Sonne, Mond, Sterne
-und Lebewesen. Anderweitig ist Tangaroa oder Taaroa der Weltschöpfer,
-von dem bei den Marquesasinsulanern das von Moerenhout aufbewahrte
-Gedicht die höchsten Gedanken äußert:
-
- Es weilet hier, Taaroa sein Name, in des Raumes unendlicher Leere;
- Keine Erde noch, kein Himmel noch, keine See war da, keine Menschen.
- Von oben herab Taaroa ruft, in Neugestaltungen wandelnd,
- Taaroa, er als Wurzelgrund, als Unterbau der Felsen,
- Taaroa als der Meeressand, Taaroa in weitester Breitung.
- Taaroa bricht hervor als Licht,
- Taaroa waltet im Inneren, Taaroa im Umkreis, Taaroa hienieden.
- Taaroa die Weisheit,
- Geboren das Land Hawaii.
-
-Und dabei die doch zweifellosen Fetische, Götzen und Geister (Atua).
-Man muß annehmen, daß neben der Volksreligion, die, wie überall, im
-rein Konkreten haftet, auch eine höhere Anschauung vorhanden ist, die
-wenigen zugehört. Auch ist bekannt, daß oft die höheren Stände eine
-andere Religion haben als die niederen, sogar andere Fetische und
-Götzen. Und im übrigen stehen die sonstigen Sagen von jenen Göttern
-keineswegs auf sehr hoher Stufe. Selbst die Sage von Taaroa oder
-Tangaroa endet nicht sehr hoch. Wie es um ihn hell wurde, rief er
-den Sand der Küste zu sich. Dieser konnte aber nicht zu ihm fliegen.
-Dann rief er die Felsen zu sich. Auch diese vermochten es nicht, da
-sie festgewurzelt seien. Nun steigt er selbst zur Erde, und aus der
-Muschelschale, in der er bisher gehaust, macht er die Inseln, darauf
-zeugt er aus seinem Rücken die Menschen, wandelt sich in ein Boot
-und schwimmt auf dem Meere. Dort verspritzt er im Sturme sein Blut,
-worauf sich das Meer und die Wolken färben. Zuletzt wird sein Gerippe,
-„das Rückenbein oben, auf dem Boden liegend, eine Wohnung für alle
-Götter und zugleich das Vorbild für den Tempel.“ „Tangaroa wurde zum
-Himmel“, sagt Ratzel in seiner Völkerkunde. Man kann das zugeben,
-wenn man den Himmel nicht so anschaut wie wir es tun, und wenn man
-über alle Inkonsequenzen hinwegsieht, da ja ohne Tangaroa schon Land,
-Meer und Wolken vorhanden sind und man nicht recht begreift, wie
-dieser Gott da noch zum Himmel werden konnte. Auf Neuseeland ist
-Tangaroa recht indifferent als Gott der Meere, eigentlich der Tiere
-darin, und anderweit erscheint er auch als böser Geist, wie der ihm
-entsprechende Kanaloa. Auf die anderen besonderen Lehren einzugehen ist
-nicht nötig, nachdem wir die Höhen und die Tiefen kennen gelernt und
-gesehen haben, wie naiv große Gedanken mit skurrilsten Torheiten bei
-demselben Naturvolk bestehen können, was wir ja von uns selbst auch
-rühmen müssen. Auch habe ich weiteres Material schon in meinem mehrmals
-genannten Buche mitgeteilt.
-
-Können wir nun sagen, daß die Naturvölker sich bis zu dem Gedanken
-eines Gottes in unserem Sinne durchgerungen haben, auch wenn wir ihre
-sonstigen Anschauungen beiseite lassen? Ich glaube, nein! Sie mögen
-bis zu einer Ahnung von etwas sehr Hohem und Übermächtigem gelangt
-sein. Einige unter ihnen mögen auch, namentlich unter fremdem Einfluß,
-bestimmtere Begriffe davon gefaßt haben. Aber im ganzen sind sie nicht
-einmal zu einem Polytheismus, wie ihn Ägypter oder Griechen hatten,
-gekommen. Der Omnanimismus und Pandämonismus ist die Grundlage ihrer
-Anschauungen, und das Bedeutendste ist eine ~Monolatrie~ innerhalb
-jener und innerhalb einer ~Polylatrie~. Bastian selbst, der am
-meisten geneigt scheint, wenigstens den Polynesiern hohe Begriffe
-von Gott und Welt zuzuschreiben, meint, daß es sich bei ihnen nicht
-um Schöpfungen handelt, sondern um Aufblühen von Vorhandenem. Und
-der ganze Kult, den sie geübt haben und üben, mit allen Albernheiten
-und Grausamkeiten, ist ein greller Widerspruch gegen jeden höheren
-Begriff. Man hat zuerst die Anschauungen der „Wilden“ nicht hoch
-genug stellen können, dann nicht niedrig genug, und jetzt scheint man
-sie wieder erheblich zu überschätzen. Das erste kam aus Unkenntnis
-und theologischer Voreingenommenheit, das zweite aus Enttäuschung
-angesichts der Wirklichkeit, das letzte scheint auf Übertragung
-des Verhaltens des Naturmenschen unter dem Einfluß der Kultur oder
-unter dem Auge des Kulturmenschen auf Verhältnisse des isolierten
-Naturmenschen zu beruhen.
-
-
-14. ~Seele und Jenseits bei den Naturvölkern.~
-
-Wir müssen zu den ursprünglichen Seelenansichten zurückkehren. Die
-Seele bedingt das Leben des Körpers, außerhalb des Körpers kann sie
-also nicht anders existieren, denn als lebend. Folglich lebt sie,
-solange der Mensch oder ein anderes Wesen es zuläßt. Der Mensch kann
-sie vernichten, indem er sie mit der Behausung, in der sie sich
-befindet, etwa dem Blut, dem Herzen, der Niere, dem Auge usf. verzehrt.
-Sie ist dann ganz in ihn aufgegangen, mit seiner Seele verschmolzen
-oder auch von seiner Seele verzehrt. Aus dieser Ansicht haben viele
-die Menschenfresserei erklären wollen, entweder, um seine eigene Seele
-zu stärken, sich zum Fetisch einer verwandten Seele zu machen, oder
-um schädliche und gefürchtete Seelen aus der Welt zu schaffen. Ein
-zweites Verfahren beruht auf Vernichtung des Körpers durch tiefes
-Vergraben oder Verbrennen, solange die Seele noch in ihm weilt, wenn
-auch nicht mehr aktiv. Ein drittes endlich läßt Seelen verkommen,
-indem ihnen die Bedürfnisse nicht gereicht werden, deren sie nicht
-entbehren können, wie Behausung, Speise und Trank. Die Umkehrung
-bedeutet die Konservierung der Seele, indem für ihre Bedürfnisse
-ständig gesorgt wird. Die harmlose Form ist, wenn ihr Behausung, Speise
-und Trank geboten werden. Und wir wissen, daß diese Form, vollständig
-oder unvollständig, bewußt oder unbewußt, bis weit in hohe Kulturen
-hinein zur Anwendung gelangt, bei den Naturvölkern aber jeder Seele,
-die erhalten werden soll, oder die man sich geneigt machen will,
-unmittelbar geboten wird. Noch klingt es harmlos, wenn dem Toten Gerät
-und Schmuck in das Grab getan wird, zum Gebrauch für seine Seele, und
-wenn man die Behausung seiner Behausung auf Erden anpaßt, in Form
-einer Höhle, einer Hütte, eines Palastes, eines Tempels, wie eben die
-Seele, da der Körper noch lebte, es gewohnt war. Beispiele sind auf
-der ganzen Erde verbreitet, von niedrigen Löchern und Hütten bis zu
-den Prunkbauten und Prunkeinrichtungen bei den Etruskern, Ägyptern,
-Chinesen u. a. Nun aber wird dem Toten auch Lebendes beigegeben,
-dessen seine Seele im Leben bedurfte, und hierin kennt die Konsequenz
-des Naturmenschen keine Grenze, außer dem Egoismus, der ihn hindert,
-alles fortzugeben. Tiere, Sklaven, Frauen, gefangene Feinde werden,
-lebend oder vorher getötet, mit begraben oder auf dem Scheiterhaufen
-mit dem Toten verbrannt. Je höherstehend der Verstorbene, desto
-umfangreicher diese Gaben; bei dem Tode eines Häuptlings wird Jagd nach
-Menschen gemacht, um die Gabe so groß als möglich zu gestalten. Mit
-einer armen Polyxena wie Achill würde sich ein Dahomeerhäuptling nicht
-begnügt haben, hier ging die Zahl der Schlachtopfer in die Hunderte
-und mehr. Und wie entsetzlich klingt, was Herodot von den Totengaben
-bei den Skythen erzählt und was wir auch von Germanen, Slawen, Kelten
-u. a. wissen. Die Seele sollte möglichst viele Seelen zum Genuß, zur
-Bedienung und als Gefolge bekommen.
-
-Schwer kann das mit einer Ansicht verbunden werden, daß die Seele
-immer auf Erden verbleibt und im Grabe Hof hält oder in der Luft
-umherschwirrt oder gar in einen Fetisch fährt. Und so sehen wir in
-der Tat die Naturvölker, wenn auch einige wirklich glauben, die
-Seelen blieben auf der Erde so lange, bis diese selbst untergeht, im
-allgemeinen doch auch zu Aufenthaltsorten für Seelen greifen, die
-nicht der Erde selbst angehören. Und dazu eigneten sich vor allem
-Sonne und Mond und dann die Gestirne. Es ist daher ganz richtig, wenn
-gemeint wird, daß auch diese Himmelskörper als Fetische betrachtet
-und entsprechend verehrt werden (S. 39 ff.). Hier dürfen wir schon
-von einem „Jenseits“ sprechen. Aber Naturvölker kennen ein Jenseits
-überhaupt, entweder als Totenstadt, oder als Unterwelt, oder als Welt
-hinter dem Horizont, oder über dem Himmel. Totenstädte haben z. B. die
-Dajaks auf Borneo. Die Erweiterung wären Totenländer. Und Frobenius
-sagt: „Das Totenland liegt nicht nur sehr oft da, woher einst der
-Stamm kam, sondern die Ereignisse auf der Seelenreise entsprechen den
-Vorgängen der einstigen Wanderung. So ziehen die Seelen dieser Völker
-(der Ozeanier), die einst zu Boot über den Ozean kamen, im Kahne über
-das Wasser hin in das Land der Seligen.“ Darum, meint der Genannte,
-werden in Ozeanien die Toten häufig in Kanoes bestattet, was übrigens
-auch von Indianern bekannt ist. Grimm führt in seiner „Deutschen
-Mythologie“ an, daß die Asen „Balders Leiche auf ein Schiff brachten,
-in dem Schiff den Scheiterhaufen errichteten, anzündeten und so der
-flutenden See überließen.“ Und die Nordgermanen verbrannten noch im
-zehnten Jahrhundert ihre toten Seehelden auf dem Schiffe. Auch bei
-den Russen wird von einem Falle erzählt, wo ein Vornehmer in einem
-Kahne verbrannt wurde, und mit ihm, außer Pferden und Hunden, auch
-Mädchen verbrennen mußten. Ein unruhiger Störenfried, ein lästiger
-Geist wird von den Nikobaren im Geisterkorbe eingefangen, dieser auf
-ein Geisterschifflein gelegt und in die See hinausgerudert. Charons
-Totenkahn und das ägyptische Totenschiff sind ja bekannt. Indessen
-werden Seelen in das Jenseits namentlich auch von Vögeln befördert, ein
-Glaube, der auch den Griechen bekannt war, deren Harpyien und Sirenen
-Totenvögel (oder Seelenvögel) sind, wie selbst der Hahn bei ihnen
-Totenvogel sein kann. Die Griechen haben den Totenvogel allmählich zum
-Teil vermenschlicht, indem sie ihm zuerst menschliche Extremitäten,
-später umgekehrt einen menschlichen Kopf, mitunter von wunderbarer
-Schönheit, gaben. Die Naturvölker sind bei der einfachen Vogelgestalt
-geblieben, indessen doch oft unter Beimischung von etwas Menschlichem.
-Ist Yelch, der Rabe, ein Totenvogel der Nordwestamerikaner, wie
-Frobenius meint, so kann es auch ein Mensch in Vogelkleidung sein
-(S. 62). Andererseits holt Maui die Seelen der Vornehmen in die
-Sonne. Er wird aber mit Vögeln in Verbindung gebracht, da er sich
-auf seinen Fahrten so oft in einen Vogel, wie in ein anderes Tier,
-verwandelt. Ich stelle zwei Abbildungen nebeneinander, eine griechische
-„Harpyie“ oder „Sirene“ mit einer Seele als εἴδωλον auf dem Arme und
-einen nordwestindianischen Totenvogel, einen Mann und dessen ihm aus
-dem Munde entfliehende Seele tragend. Die Seele ist auf letzterer
-Darstellung als Schlange (S. 45) wiedergegeben, die aus dem Munde des
-Mannes gleitet. Totenkähne sind auch in Afrika bekannt. Nach der Sage
-der Ewe an der Nordguineaküste werden die Toten von Fährgeistern über
-den Fluß Volta gesetzt. Auf Totenvögel dagegen kann man nur aus den
-Opferungen von Hahn und Henne bei allen Totenfesten und bei manchen
-Fetischfeiern schließen. Den Australiern ist die Krähe Totenvogel, vom
-Totenkahn wissen sie gleichfalls einiges. Übrigens bringt Frobenius
-Totenkahn und Totenvogel in Verbindung, indem er nachweist, daß
-Totenkähne nicht selten mit Vogelschnäbeln und Vogelattributen versehen
-sind.
-
-[Illustration]
-
-[Illustration]
-
-Allein, wo ist das Totenland des Jenseits? Frobenius meint, die Seele
-zieht der Sonne nach, wie bei den Ägyptern. Demnach wäre das Jenseits
-im Sonnenuntergangsland. Aber wie erwähnt, ist auch die Sonne selbst
-Seelenaufenthalt, so nach der Sage der Tahitier und Buschmänner.
-Barotse sollen Livingstone einen Hof um die Sonne folgendermaßen
-erklärt haben: „Die Bavimo (Seelen) halten ein Pitscho (Versammlung)
-ab; siehst du nicht den Herrn (die Sonne) in der Mitte?“ „Wenn
-Sonnenschein von Regen begleitet wird, sagen die Dahomeer, die Seelen
-zögen zu Markte.“ Nach den Ewe soll das Totenland eine Sandebene am
-Flusse Volta sein. Manche Indianerstämme setzen das Totenland weit im
-Westen an. Jede Seele wird an der Grenze von ihren Verwandten und
-Stammesgenossen erwartet und findet im Lande reichlich Wild zum Jagen
-und Flüsse zum Fischen. Andere wieder lassen die Seelen als Vögel
-die Milchstraße entlang ziehen, und nehmen ihren Aufenthalt über dem
-Himmel an. Die Melanesier nennen das Totenland Mbulu und beschreiben
-die Schicksale der Seele auf ihrer Wanderung dahin. Die Damen wird
-es interessieren, daß die Seelen Unverheirateter es ganz besonders
-schlecht dabei haben; ein Totengeist Nangga-Nangga hebt sie hoch und
-schleudert sie gegen einen Felsen, daß sie zerschellen. Aber weniger
-angenehm wird es sie berühren, daß darum auf den Fidschiinseln die
-Witwe erdrosselt wurde, damit sie sogleich mit ihrem Manne gehen
-konnte. Der Mann, wenn seine Frau starb, gab ihr als Beweis der
-Frauenschaft einen Teil seines Bartes unter die Achselhöhle mit. In
-das eigentliche Jenseits gelangt die Seele durch Schwimmen oder in
-einem unsichtbaren Kahn. Doch gelingt dieses fast nur den Seelen der
-Vornehmen, die der misera plebs gehen auf dem langen gefahrvollen
-Wege unter oder kehren zurück zur Erde, um hier planlos herum zu
-irren. Auch bei germanischen Stämmen geht es ins Jenseits über ein
-Wasser. Jakob Grimm führt mehrere Beispiele dafür in seiner „Deutschen
-Mythologie“ an. Eine schwedische Volkssage weiß von einem goldenen
-Schiff, das in Runemad beim Schlüsselberge versenkt liege, und auf
-dem Odhin die Erschlagenen von Bravalla nach Walhall geführt haben
-soll. Ein Unbekannter nimmt Sinfiöltis, Siegmunds Sohn, Leiche in
-einen Kahn und fährt davon. Franken glauben, daß das Totenland im
-(jetzigen) Britannien liegt, wohin die Seelen der Verstorbenen von den
-Uferanwohnern übergefahren werden, die dafür von allen Abgaben befreit
-sind. Die Fährleute sehen niemand, merken nur ihre Kähne voll, wenn sie
-um Mitternacht abstoßen. Angekommen fühlen sie die Kähne allmählich
-entlastet und hören eine Stimme jedem einzelnen Namen und Vaterland
-abfragen. Derartige Sagen müssen auch bei den Kelten bekannt gewesen
-sein, da noch gegenwärtig anklingende Erzählungen in der Bretagne in
-Umlauf sind. Aus dem keltischen Artuskreise bittet im Lanzelot vom See
-die Demoiselle d’Escalot „que son corps fût mis en une nef, richement
-équippée, que l’on laisserait aller au gré du vent sans conduite.“ Ich
-habe dieses gleich hier angeführt, weil ich mich später darauf berufen
-will. Die griechische Sage von der Überfahrt auf Charons Nachen gehört,
-glaube ich, nicht ganz in diesen Kreis, da die Überfahrt schon in der
-Unterwelt, wenn auch noch vor dem Seelenaufenthalt, geschieht.
-
-Ganz abweichend davon, aber wiederum mit anderen weitverbreiteten
-Anschauungen über den Seelenaufenthalt in den großen Zügen in Einklang
-stehend, ist was Bastian von dem Jenseits der Maori erzählt, und was
-sich fast wie eine abgekürzte Dantische Höllenbeschreibung liest.
-Die Erde besteht, wie schon bemerkt, aus zehn Schichten. Die oberste
-Schicht ist die Erde selbst. Die folgende Schicht gehört dem Reiche
-der Wurzeln und Knollen. Mit der dritten Schicht, Reinga, wo auch die
-Nachtgöttin Hine-nui-te-po weilt, hebt das eigentliche Totenreich an.
-Bis dahin sind die Seelen noch lebens- und empfindungsfähig und können
-zur Erde zurück und dort noch viel Unheil anrichten. Aber nun beginnen
-die Kräfte mehr und mehr zu schwinden. In der fünften schon kann die
-Seele zu einem bleichen Schatten geworden sein, alsdann fällt sie der
-rachsüchtigen Göttin Rohe, ursprünglich Mauis Gemahlin, zur Beute und
-wird getötet. Kann sie noch entkommen, so gelangt die Seele mit immer
-weiter abnehmenden Kräften in die sechste, siebente Schicht. Wenige
-taumeln in die achte Schicht, wo sie zum Teil vom Gotte Meru vernichtet
-werden, noch weniger in die neunte, um von da in die letzte Schicht
-Meto = Verwesungsgestank zu stürzen, wo alles endet. „Das waren die
-Aussichten nach dem Tode, also noch trauriger als sie Odysseus bei
-seinen Waffengefährten im Hades fand“, sagt Bastian. Der Eingang zu
-dieser Unterwelt befand sich auf der Nordinsel von Neuseeland, im
-Nordkap, der Weg soll wieder westwärts führen. Freundlicher sehen
-selbst die Australier das Jenseits an, die Guten ziehen zu den guten
-Geistern, die Bösen zu den bösen. Oder die Seelen sitzen auf Bäumen
-oder weilen in einer Höhle. Bei den unkultivierten Malayen führt der
-Weg in das Jenseits über oder unter Meer, und sie müssen mit Waffen und
-Gefolge und mit Bestechungsmitteln ausgerüstet sein, um die Gefahren
-von Geistern und Höllenhunden besiegen zu können, ehe sie in das
-Paradies gelangen. Oder, die eines natürlichen Todes sterben, gehen
-nach Norden und bleiben dort in einem Walde, „dessen Bäume sich beim
-Einbruch der Dunkelheit in Hütten verwandeln.“ Dort leben sie „aus den
-unsichtbaren Bestandteilen der Tiere, aus Reis und den Opfergaben der
-Verwandten“, letzteres wie überall. Die eines unnatürlichen Todes, im
-Kampfe oder während der Entbindung Gestorbenen kommen zu den Göttern.
-
-Fassen wir die Frage vom Schicksal der Seele nach dem Tode ethisch
-auf, so muß es auffallen, wie verschieden die Antworten sind. Dem
-absolut Hoffnungs- und Freudlosen der Maori steht das fast Vergnügliche
-der Indianer gegenüber. „Soviel scheint festzustehen,“ sagt Spieß in
-seinem umfangreichen Werke „Vorstellungen vom Zustande nach dem Tode“,
-„daß alle Elemente von Schrecken oder Furcht vor der anderen Welt der
-ursprünglichen Religion der Indianer fremd waren. Nur einzelne Spuren
-einer notwendigen oder vermutlichen Reinigung und Vergeltung finden
-sich. Meist aber besteht der Unterschied zwischen Guten und Bösen
-nur darin, daß jene ohne alle Schwierigkeit über den See oder Fluß
-gelangen, welchen man vor dem Betreten der anderen Welt passieren muß,
-diese entweder in dem Wasser untergehen oder bis zum Kinn in das Wasser
-sinken, wo sie in alle Ewigkeit vergeblich das nahe lockende Gestade
-zu erreichen sich abquälen, oder aber, daß sie erst nach schwerem
-Ringen an das Gestade kommen.“ Also das Ausbleiben des Gewinnes ist die
-Strafe (Tantalusqual!). Im übrigen hat schon Schiller in Nadowessiers
-Totenlied treffend das indianische Jenseits geschildert. Dazwischen
-liegen vermittelnde Ansichten, wie bei den Eskimo, daß die Seelen
-der Guten in die warme Erde, die der Bösen in den eisigen Himmel
-gelangen. Eine höchst interessante Umkehrung unserer Ansichten, die
-aus der Natur des Landes sich erklärt, das die Eskimo bewohnen, und
-Carus Sternes (Ernst Krauses) Warnung durchaus bestätigt, Mythen ohne
-Rücksicht auf die Lebensverhältnisse zu erklären. Eine entsprechende
-Umkehrung hat man bei den früheren Negersklaven in Amerika beobachtet.
-Während der freie Neger in Afrika das frohe Jenseits im Westen sucht,
-besteht für den amerikanischen Negersklaven dieses Jenseits im Osten,
-in Afrika, und viele haben sich bei zu drückendem Joche getötet, um
-nach Afrika zurückzugelangen und dort frei als Seelen zu leben (S. 43).
-Es läßt sich nicht leugnen, daß manche Naturvölker strenge Bestrafung
-der Bösen im Jenseits oder auf dem Wege dahin allerdings annehmen, und
-Belohnung der Guten. Aber sie definieren Gut und Böse nach ihrer Art.
-Und das kommt, wenn es wohl geht, auf tapfer und feige heraus, wie bei
-den Germanen. Meist steht es mit dem „Gut“ nach unseren Begriffen sehr
-übel. Dazu rechne man noch die selbstverständliche Bevorzugung der
-Vornehmen auch im Jenseits, wovon eine Spur auch im Homer noch erhalten
-ist, wo Achill im Hades, wenn auch Schatten, doch Übergeordneter der
-Schatten ist, um Paradies und Hölle der Naturmenschen von denen der
-Kulturmenschen erheblich zu scheiden. Doch kommt es gedanklich darauf
-nicht an; die Idee entscheidet hier, nicht ihre Übereinstimmung mit
-dem, was wir meinen.
-
-Viel weniger als um das Schicksal der Seele nach dem Tode ist der
-Naturmensch bekümmert um ihr Weilen vor dem Leben. Was mit der
-Seelenwanderung zusammenhängt, werden wir später besprechen, da eine
-solche bei den Naturvölkern nur so weit vorhanden ist, als die Seelen
-an sich beliebig sich von einem Körper in einen anderen begeben können.
-Aber selbst das genügt schon, um zu überzeugen, daß sie schon früher
-auf Erden gewesen sind und nun zurückgekehrt seien. Darum erzählen
-viele Sagen von Menschen, die im Jenseits geweilt haben, und dann
-wieder zur Erde gelangt, eine vollständige Beschreibung des Jenseits
-geben konnten. Manche solcher Beschreibungen verlaufen wie die von
-Orpheus und Eurydike; so eine sehr anmutige Geschichte von einem
-Indianer, der, da seine Geliebte starb, ihr in das Jenseits folgte,
-aber durch den großen Geist wieder auf die Erde geschickt wurde. Und
-irgendwo habe ich gelesen, daß es einem Europäer, der ein Negermädchen
-zur Frau nahm, auf keine Weise gelang, ihr auszureden, sie sei nicht
-schon früher unter gleichem Namen und unter gleichen Verhältnissen auf
-der Erde gewesen. Das ist nicht die bekannte Metempsychose, sondern
-eine dem Naturmenschen mehr passende ~Resurrektion~. Indessen kommen
-die Seelen auch in anderer Weise zur Erde. Und zwar nach dem, was
-Frobenius das Gesetz der Umkehrung nennt. Dieselben Mittel, die die
-Seele ins Jenseits befördern, bringen sie auch auf die Erde. Also
-sind namentlich Vögel zugleich Seelenbringer. Bei den Tonganern und
-Samoanern bringt Tuli als Vogel die Seelen in die Menschenkörper, ja
-sogar in Würmer. Die Neuseeländer erzählen, daß einst ein gewaltiger
-Vogel sich auf das Meer senkte und dabei ein Ei fallen ließ; aus dem
-kamen „ein alter Mann und eine alte Frau, ein Knabe und ein Mägdlein
-mit Hund und Schwein in einem alten Kanoe hervor und landeten an der
-Küste Neuseelands.“ Soviel lebende Kraft wohnt den Vögeln inne, daß
-aus einem Vogel die ganze Erde samt allem Lebenden auf ihr hergestellt
-wurde, erzählen Malaien auf Sumatra. Hierher gehört auch eine Sage bei
-den Australiern, daß die Sonne ursprünglich ein Emuei gewesen sei.
-Ein kleiner Vogel richtete es her und warf es in die Luft, da wurde
-es hell. Darum dienen Vögel und ihr Blut zu Opfern und symbolischen
-Handlungen, wo es sich um Belebung und Befruchtung handelt, so daß
-sogar Fetischbilder, durch Versenken eines Huhnes in ihr Inneres, oder
-durch Bestreichen mit Vogelblut -- man erinnere sich, daß im Blut
-die Seele wohnt -- oder selbst durch Umwinden mit Vogelfedern belebt
-werden. Brautleute werden in Afrika mit Vogelblut bestrichen, um sie
-fruchtbar zu machen, und in Felder werden Vogeleier versenkt, daß sie
-möglichst ertragfähig werden. Und an unseren Freund Storch darf nur
-erinnert werden.
-
-
-
-
-ZWEITES KAPITEL.
-
-Religiöse Welt- und Lebenanschauungen der Kulturvölker.
-
-
-15. ~Die Kulturvölker als Naturvölker.~
-
-Daß die gegenwärtigen und vergangenen Kulturvölker einst auf dem
-Standpunkte der Naturvölker sich befunden haben, kann kaum einem
-Zweifel unterliegen. Freilich treten uns die meisten Kulturvölker,
-sobald ihre Geschichte beginnt, schon wie kulturfertig entgegen. Es
-gehört zu den großen Rätseln der Menschenentwicklung, daß zum Beispiel
-die Ägypter mit einem Schlage als das Volk dastehen, als welches sie
-dann mehrere Jahrtausende die Geschichte kennt. Brugsch hat dieses für
-ihr ganzes Religions- und Mythensystem nachgewiesen. Wir wissen es in
-gleicher Weise für ihre Kunstfertigkeit, für staatliches und soziales
-Leben. Und in dem Moment, da für uns die erste Hieroglyphe geschrieben
-ist, steht sie bis auf Geringfügigkeiten, die nur die Ausführung
-betreffen, vollendet da. Wie das Volk die Hieroglyphe gelernt hat, wie
-seine Bauten, Einmeißelungen, Malereien, Einrichtungen des Staates und
-des Lebens, Meinungen über Gott und Welt begonnen und sich entwickelt
-haben, ist uns nicht bekannt. Wir müssen annehmen, daß die Ägypter
-Tausende von Jahren gebraucht haben, ehe sie es zu der Stufe der Kultur
-gebracht haben, von der aus die ersten und die letzten Kundgebungen
-in fast gleicher Weise sprechen. Warum haben wir aus diesen Tausenden
-von Jahren gar keine Mitteilung? Wir wissen es nicht. Das Volk steht
-fertig da, als wenn es fertig plötzlich geschaffen wäre. Es könnte in
-dem Moment, da der erste König herrschte, das erste Bauwerk errichtet
-wurde, eben eingewandert sein. Davon aber wird nichts erzählt; im
-Gegenteil, wir haben den Eindruck, als wenn Ägypten immer von Ägyptern
-bewohnt gewesen sei, und finden auch sonst nirgends eine Spur, daß
-diese etwa früher in anderen Ländern geweilt hätten. Und doch wissen
-wir aus prähistorischen Funden auch in Ägypten, daß in grauer Zeit,
-vielleicht vor zehn- oder zwanzigtausend Jahren, Menschen auf sehr
-niedriger Kulturstufe im Niltale gelebt haben. Sind es die ältesten
-Ägypter? Ähnlich geht es uns mit den Babyloniern, Phöniziern, Hebräern,
-ja selbst mit den Griechen nach den Ergebnissen der Ausgrabungen der
-letzten Jahrzehnte. Es ist, als wenn die Menschheit vor etwa fünf- bis
-sechstausend Jahren auf einmal auf die Idee gekommen wäre, zu schreiben
-und Denkmäler zu hinterlassen, so fest errichtet, daß sie sich bis auf
-uns erhalten konnten. Ist das die Erfindung eines Mannes bzw. mehrerer
-erleuchteter Männer? Oder wie sollen wir uns das sonst erklären? Max
-Müller bringt einmal als Beweis dafür, daß die Schriften des Alten
-Testaments nicht in sehr früher Zeit verfaßt sein können, die Tatsache
-bei, daß eine der ältesten Inschriften in semitischer Sprache, die
-wir besitzen, die bekannte des Edomiterkönigs Mesa, nur etwa in das
-Jahr 900 v. Chr. hinaufreicht. Aber wenn ein König solche Inschriften
-schon anfertigt, muß er doch voraussetzen, daß man sie allgemein auch
-zu lesen versteht, muß die Schreibkunst doch schon fast Gemeingut
-geworden sein. Und wie viele Jahrhunderte gehören dazu, nach Erfindung
-der Schreibkunst! Aus unserer eigenen Erfahrung müssen wir sagen,
-mindestens zehn, wenn nicht noch mehr.
-
-Hiernach bleibt uns allerdings nichts übrig als anzunehmen, daß die
-Kulturen solcher Völker weit über die geschichtliche Zeit hinaus
-vorhanden waren, wenn wir auch keine Kunde von ihnen aus dieser
-extrapolierten Zeit besitzen und auch nicht anzugeben vermögen, warum
-wir sie nicht besitzen. Die Entwicklung der Menschheit ist mit einer
-Formel zweifellos nicht abgetan. Einzelne stören offenbar den Gang
-der Formel, und wohin dieser Gang Menschen erst in Jahrhunderten oder
-Jahrtausenden bringen würde, dahin versetzt sie überzeugend oder
-gewaltsam eben ein Einzelner. Dürfen wir aber auch nur im Durchschnitt
-sprechen, so ist doch gleichwohl sicher, daß rohere Zustände und selbst
-ganz rohe bestanden haben müssen, falls wir nicht jeden Gedanken
-einer Entwicklung der Menschheit aufgeben wollen. Denn damit ein
-einzelner erfolgreich wirken könne, dazu gehört schon eine gewisse Höhe
-der Kultur. Und die Zeit dazu haben wir, wenn wir bedenken, daß die
-Menschheit als solche, selbst wenn sie mit den jetzigen tiefststehenden
-Wilden verglichen wird, schon seit mindestens zwanzigtausend Jahren,
-wahrscheinlich sogar noch seit sehr viel längerer Zeit besteht, da
-man bereits dem tertiären Menschen auf der Spur ist. Auch kennen wir
-ja Völker, die sich zu Kulturvölkern entwickelt haben, wie Germanen,
-Polen, Littauer usf.
-
-Eine Grenze zwischen dem Naturmenschen und dem Kulturmenschen
-aufzustellen, sind wir nicht in der Lage; die Naturperiode fließt wie
-ein mehr und mehr an Fülle verlierender Strom in die Kulturperiode
-hinein. Und man darf selbst sagen, daß dieser Strom unter eine gewisse
-Fülle überhaupt nicht hinabsinkt, ja auch an Fülle wieder anwächst,
-nachdem er schon stark abgenommen hat. Wir besitzen es mehr im
-Gefühl als in Definitionen, welches ein Kulturvolk ist und welches
-ein Naturvolk. Der Gesamteindruck entscheidet, im einzelnen können
-reine Naturäußerungen im höchsten Kulturvolk vorhanden sein. Daher
-wird der Naturforscher über Kultur anders denken wie der Philosoph
-oder Theologe, oder Ökonom oder Literat usf., und wer Krieg und
-Menschenvernichtung verabscheut, anders als der in seinem Kriegsleben
-einzigen Ruhm und einziges Menschenwürdige sieht. Wir würden uns in ein
-nicht zu entwirrendes Netz von widersprechenden Meinungen verstricken,
-wollten wir ein Merkmal für Kultur aufstellen. Selbst das anscheinend
-Selbstverständlichste: sittliche Höhe und Achtung vor Gottes Ebenbild
-und Gottes Geschöpfen würde fehlschlagen, da wir größte Verkommenheit
-und Nichtswürdigkeit durchaus mit dem, was wir Kultur nennen müssen,
-vereinbar sehen, wie an den Höfen der ersten römischen Kaiser und
-der drei Herrscher vor Ludwig XVI. in Frankreich. Auch genügt es für
-unsere Zwecke, wenn wir als Kulturvölker die sonst als solche namhaft
-gemachten annehmen. Es kommt für unsere Betrachtungen nicht darauf an,
-ob wir ein Volk mehr oder weniger in den Kreis der Kultur einbeziehen.
-
-Nur in einer Hinsicht müssen wir vorsichtig zu Werke gehen, in
-historischer. Mißverstandener Nationalstolz und namentlich Eitelkeit
-im Kreise wirklicher Kulturvölker hat einzelne Nationen verleitet,
-den Anfang ihrer Kultur möglichst weit in die dunkelsten Zeiten
-hinauszuschieben; ein Seitenstück zu dem wunderlichen Bestreben mancher
-Herrschergeschlechter, die Abstammung wenigstens auf die Trojaner
-zurückzuführen. Lippert ist der Ansicht, daß slawische Schriftsteller,
-um ihrem Volk eine Art urarische Mythologie mit daran anknüpfenden
-hohen Anschauungen zu retten, nicht einmal vor Korrigierung von
-Urkunden zurückgeschreckt sind. Ich habe darüber kein Urteil. Aber
-als ich das wohl umfassendste Werk über slawische Mythologie las, das
-von Hanusch, mußte ich gleichfalls staunen, mit welcher Energie und
-Kunst überall Beziehungen zu der altindischen Religion bis in die
-Namen hinein gefunden wurden, während größte Gelehrte noch jetzt sich
-damit plagen, einen oder zwei Götternamen als wenigstens dem größten
-Teil der Arier überhaupt gemeinsam nachzuweisen. Ähnlich verhält es
-sich mit den Ungarn, denen Monotheismus und alle schönen Tugenden
-zugeschrieben werden zu einer Zeit, da sie als wildeste Wildenhorde
-Deutschland, Italien, Frankreich mit Mord, Brand und Schändung
-erfüllten. Auch wir Deutschen sind von solchem Chauvinismus nicht frei;
-viel ist bei uns in bezug auf die alten Germanen gesündigt worden
-und noch mehr wird gegenwärtig gesündigt. Aber wir haben doch einen
-Tacitus als Kronzeugen. Wer über die Anschauungen der Völker schreiben
-will, hat mit nationalistischen Übertreibungen sehr zu kämpfen, daß
-er schließlich fast um jede kritische Beurteilung gebracht wird. Ein
-seltsames Beispiel von fast verwunderlichem Chauvinismus bietet das
-sonst geistvoll geschriebene Buch von Chamberlain, „Die Grundlagen der
-Kultur des 19. Jahrhunderts“.
-
-
-16. ~Allgemeine Religionsanschauungen bei den Kulturvölkern im Kreise
-der Menschheit.~
-
-Man ist früher von dem klassischen Polytheismus und dem Monotheismus
-als von dem Normalfall menschlicher Religionsanschauung ausgegangen
-und hat die Anschauungen der „Wilden“ mehr als Kuriosität oder helle
-Verrücktheit angesehen. Aber mit der wachsenden Ausbildung der
-Ethnologie und Anthropologie hat sich eine Wendung vollzogen, die
-nicht wenige Forscher dahin führte, gerade die Anschauungen der Wilden
-zum Ausgangspunkte der höheren Anschauungen zu wählen und diese aus
-jenen abzuleiten. Das konsequenteste System nach dieser Richtung hat
-Lippert aufgebaut. In mehreren Werken hat er nachzuweisen gesucht,
-wie fast alle Kulturvölker noch in der Zeit, da schon die Geschichte
-von ihnen spricht, im wesentlichen bewußtem oder unbewußtem Seelen-
-und Ahnenglauben gehuldigt haben. Man kann sagen, die Tatsachen,
-die dieser so bedeutende Forscher beigebracht hat, seine Ansicht zu
-begründen, sind nach einer Richtung hin allerdings erdrückend. Es ist
-ganz unmöglich, ihrer Beweiskraft, daß Seelen- und Ahnenglaube in
-allen Religionen der Kulturvölker sich vorfinden und eine mehr oder
-minder wichtige Rolle spielen, sich zu entziehen. Ich habe ja bereits
-manches nach ihm selbst, nach Jakob Grimm und vielen anderen in den
-vorstehenden Abschnitten vergleichend angeführt. Und dieses schon,
-wenn auch nicht vollständig beigebracht, zeigt, wie die gleichen Ideen
-sich auf der ganzen Erde verbreitet finden. Aber, wie bei Ausführung
-einer jeden neuen Idee, gehen Lippert und seine Anhänger, wie ich
-glaube, vielfach zu weit, wenn sie die Religionsanschauungen mit
-Seelen- und Ahnenglaube für erschöpft halten, und alles weitere, was
-die Menschen etwa noch gedacht haben, daraus hervorgegangen ansehen.
-Die Frage spitzt sich zu der zweiteiligen zu: Kann Polytheismus sich
-aus Seelen- und Ahnenglaube entwickeln? Kann Monotheismus auch nur
-aus Polytheismus erwachsen? Ich werde mich mit dieser Doppelfrage
-später beschäftigen. Lippert aber bemüht sich überall den Seelen- und
-Ahnenkult nachzuweisen, entweder als allein bestehend, oder als einzige
-Grundlage der weiteren Anschauungen, oder als neben diesen letzteren
-Anschauungen fortdauernd und oft sie vertretend. Namentlich auf die
-Folgen des Seelen- und Ahnenglaubens kommt es dabei an: auf die
-Annahme von Seelenwesen (Geister, Nixen, Feen, Kobolde, Zwerge, Holde,
-Unholde, Gespenster, Dämonen, Teufel usf.), von Mineral-, Pflanzen-,
-Tier-, Menschenfetischen, von Orakeln, auf den Kult, der allem
-Voraufgenannten gewidmet wird, einschließlich der Bestattungs- und
-Grabgebräuche, und der Toten- und Seelenfeste, auf Menschenopfer und
-Kannibalismus, einschließlich der Blutgebräuche. Schon diese Aufzählung
-lehrt jeden, der Sagen, Märchen und Gebräuche der Völker kennt, daß
-keine Kultur frei von dem einen oder anderen Naturmenschlichen sich
-zeigt. Worauf es aber ankommt, ist der Nachweis des Ganzen, oder doch
-alles Wesentlichen; letzteres, weil Sitte oder Vorteil manches mildert
-oder entfernt, wie zum Beispiel Menschenopfer und Kannibalismus.
-
-Gehen wir nun auf das einzelne ein, so wird von Lippert vielen
-Kulturvölkern in ihrer geschichtlich heidnischen Zeit jeder andere
-Glaube als Seelen- und Ahnenglaube überhaupt abgesprochen. Den
-~Littauern~ soll ein eigentlicher Götterglauben fehlen; was von ihnen
-erzählt wird, weise nur auf reinen Seelen- und Ahnenkult hin. Und es
-sei nicht denkbar, daß, wenn ein Volk, das vor noch nicht sechshundert
-Jahren zum Christentum bekehrt worden ist, eine Götterlehre besessen
-hätte, diese ihm in so kurzer Zeit so ganz aus dem Gedächtnis hätte
-schwinden können, und daß nicht einmal Chronisten und Missionare von
-ihr berichtet hätten. Von den zwei bestimmt überlieferten Gottheiten,
-Perkunas und Zemina, sei die erste wahrscheinlich nordgermanischen
-Ursprungs und importiert, die andere zweifelhafter Qualität.
-
-Von den Anschauungen der heidnischen ~Slawen~ hegt Lippert die gleiche
-Ansicht. Hier ist besonders interessant, was er von dem bekanntesten
-Slawenkult, dem des Swantewit auf Rügen, ausführt. Die genaue
-Beschreibung, die Saxo Grammaticus von diesem Kult gibt, bietet ihm
-selbst die Handhabe, im Swantewit nichts anderes zu sehen als einen
-Ahnen, der in der Weise der Naturvölker verehrt wird, also nicht
-etwa einen Himmels- oder Lichtgott, als der er nach der ersten Silbe
-seines Namens, welches Licht, Welt bezeichnet, von andern gedeutet
-worden ist. Diesen Namen erklärt er als „der der Swantower“, womit
-ebensowohl eine Familie wie eine Familiengemeinschaft bezeichnet sein
-konnte. Und eine Hauptstütze für seine Ansicht ist ihm das mit dem Kult
-verbundene Orakel, bei dem ein Roß, Swantewits Roß, die Hauptrolle
-spielt. Das Roßorakel ist auch bei den Germanen bekannt. Tacitus gibt
-darüber eine Auseinandersetzung, wonach kein anderes Orakel bei ihnen
-ein so großes Vertrauen genießt, denn sie halten sie (die Rosse) für
-die „~Mitwissenden~ der Götter“. Hiernach wird das Roß für eine Art
-Tierfetisch erklärt. Damit vergleiche man aber, was die slawischen
-Mythographen lehren. Hanusch findet also in den Anschauungen der
-Slawen Übereinstimmung mit indischen und eranischen höchsten Lehren.
-Die Trimurti Brahma, Wischnu und Schiwa entsprechen ihm Piorun-Proven,
-Radegast, Porenut (als gutes Prinzip, wie auch die Göttin Siva; die
-Göttinnen Morana und Ubijica als verderbliches) als Triglav. Bei
-den Preußen: Perkun, Potrimbo, Pikollo. Ja die Übereinstimmung gehe
-so sehr ins einzelne, daß Piorun mit dem physischen, Proven mit dem
-geistigen Brahma übereinkomme, Piorun-Proven die physische und geistige
-Lichtgottheit darstelle, Radegast in gleichen Inkarnationen (Awatar)
-erscheine wie Wischnu, und die welterhaltenden und weltzerstörenden
-Eigenschaften Schiwas in entsprechenden Gottheiten nachgewiesen werden!
-Die Gleichheit mit den eranischen Anschauungen soll durch Bjelboh und
-Czernyboh gegeben sein; ersterer Ormuzd, letzterer Ahriman. Der Weiße
-Gott und der Schwarze Gott sind allerdings slawische Gewalten, die dem
-eranischen Dualismus entsprechen, aber nicht entfernt mit der hohen
-Bedeutung wie Ormuzd und Ahriman; sie unterscheiden sich wenig von
-gutem Geist und bösem Geist, immerhin ist die Kongruenz bemerkenswert.
-Swatowit und besondere Kundgebungen von ihm wie Swenteboh, Witislaw,
-Harowit, Rugiewit, Porewit, Jutreboh usf., die teils Friedensgötter,
-teils Tages- und Tageszeitengötter, auch Morgen- und Abendsterngötter
-sein sollen, emanieren von Belboh als dem Lichtgott; Wrag, Zlyboh von
-Czernyboh. Das Zutreffende dieser Parallelisierung wird außer an den
-Eigenschaften der Gottheiten auch an entsprechenden Festen der Eranier
-und der Slawen zu erweisen gesucht. Nun wird noch behauptet, daß die
-slawischen Anschauungen gewissermaßen die Verschmelzung der indischen
-und der eranischen darstellen. Bei den ~Preußen~ und ~Littauern~ soll
-Auschwe die Lichtgottheit, Puskaijtis die Finsternisgottheit bedeuten.
-Und es werden noch die bekannten indischen Göttinnen mit littauischen
-parallelisiert: Maja = Laima, Lakschmi = Lada, Parwati-Bhawani =
-Liethva (slawisch Baba), Saraswati = Perkunatele, Kali = Niola.
-Hanusch erkennt auch eigentlich slawische Elemente in der slawischen
-Götterlehre an. Und diese sollen sich beziehen auf eine Übertragung
-in die Natur der mehr abstrakten Begriffe, die ursprünglich jene
-Gottheiten bedeuteten, also auf eine Art Vermaterialisierung der
-altindisch-eranischen Anschauungen. „Das Äußere der Natur (ὕλη) war
-im Bewußtsein der Slawen das eigentliche Sein und wurde belebt von
-einem allgemeinen Geiste, der in den einzelnen äußeren Individuen als
-individueller Geist erschien. Doch war dieser Geist nichts anderes
-als eine Personifikation des Lebensprozesses, den man der Analogie
-nach zum Unbelebten hinzudachte.“ Das klingt fast wie im Geiste des
-Animismus gesprochen. Und hierher gehört auch das Zugeständnis von
-irdischen (und unterirdischen) Gottheiten neben oberirdischen und
-das der Anthropomorphisierung der Gottheiten (der Sonne, des Mondes,
-der Gestirne, des Wetters usf.), welche letztere in unzähligen
-Sagen und Liedern eine oft recht anmutende Rolle spielt. Das Ganze
-kommt auf einen Naturdienst heraus, mit mehr oder weniger wuchtigen
-Naturgewalten und mit einem unübersehbaren Heer von guten und bösen
-Geistern, dem sich ein Dienst von Schutzgeistern für alle Verhältnisse
-und Tätigkeiten des Lebens anschließt. Aber das alles liegt doch weit
-ab von dem Seelen- und Ahnenglauben, den Lippert den Slawen allein
-zugestehen will. Seelen Verstorbener als Gespenster und Dämonen
-kannten die Slawen auch nach Hanusch. Auch behandelten sie die Seelen
-mitunter wie die eigentlichen Naturvölker, gaben ihnen Grüße an früher
-Verstorbene mit, empfahlen ihnen geselliges Betragen gegeneinander
-usf. Ihre Gottheiten aber sind weder Seelen noch Ahnen. Ich weiß
-den Widerspruch nicht zu lösen; wieviel Unzutreffendes und gewaltsam
-Hineininterpretiertes auch in den Bearbeitungen der slawischen
-Mythologie durch slawische Schriftsteller vorhanden sein mag, ~alles~
-kann unmöglich erfunden sein. Dagegen spricht schon, daß gegen den
-Dualismus Belboh-Czernyboh sich nichts einwenden läßt, er ist zu gut
-durch Schriftsteller und noch vorhandene Sagen und Lieder bezeugt.
-Hanusch hat zu wenig vom Kult (und den Gebräuchen), Lippert zu wenig
-von der Mythologie gesprochen. Bei Berücksichtigung beider, des Kultes
-und der Mythologie, wird man wohl den heidnischen Slawen und Littauern
-mehr die Anschauungen der Naturvölker zuschreiben, jedoch mit nicht
-wenigen höheren Ideen. Ob die letzteren ein Überrest der früheren
-Verbindung mit Indiern und Eraniern sind, wie Hanusch will, oder ob sie
-sich später ausgebildet haben, läßt sich nicht sagen.
-
-Noch schwieriger ist es natürlich mit den ~Germanen~. Cäsar hat im 21.
-Kapitel des VI. Buches seines „Bellum Gallicum“ eine sehr wegwerfende
-Bemerkung über ihre Religionsanschauung gemacht. „Deorum numero eos
-solos ducunt quos cernunt et quorum aperte opibus juvantur, Solem
-Vulcanum et Lunam, reliquos ne fama quidem acceperunt.“ Also nur was
-sie sehen: Sonne, Feuer, Mond, und aus dessen Macht sie offensichtlich
-Nutzen ziehen, verehren sie. Das wäre freilich rein der Standpunkt
-des Naturmenschen, der auch alles nur körperlich auffaßt und es nur
-beschenkt, wenn ihm eine größere Gegengabe geleistet wird. Tacitus
-denkt aber über die Germanen erheblich besser. Er schreibt freilich
-150 Jahre später, als die Germanen schon vieles an Kultur angenommen
-hatten. Allein er bringt auch sehr altes und einheimisches Material
-bei, da er wenigstens einigemal germanische Bezeichnungen benutzt. Er
-sagt nun im zweiten Kapitel seiner „Germania“, die Germanen feierten
-in alten Liedern „Deum Tuisconem, terra editum, et filium Mannum
-originem gentis conditoresque“, und erzählt nun wie Mannus drei Söhne
-hatte, aus denen die bekannten drei deutschen Hauptstämme seiner
-Zeit hervorgingen. Also jedenfalls sind die Germanen Nachkommen von
-Tuisco und Mannus. Von Mannus meint Jakob Grimm: „Kein Name kann
-deutscher klingen“. Aber was er ideell bedeutet, darüber besteht schon
-Streit. Der große Mythologe schreibt ihm einen tieferen Sinn zu: als
-„ein denkendes, seiner bewußtes Wesen“ bezeichnend. „Mannus aber ist
-der erste Helde, der Gottessohn und aller Menschen Vater“, und er
-parallelisiert ihn mit dem indischen Manus, der nach einer Version, auf
-Brahmas Geheiß, alle Geschöpfe, Götter, Asuren und Menschen schaffen
-sollte und alle Welten, Bewegliches und Unbewegliches. Dann wäre also
-der germanische Mannus etwas sehr Hohes. Aber wie paßt der Vater Tuisco
-dazu, der selbst aus der Erde hervorgegangen, also eine Art Erdgeist
-ist? Der Name ist nicht sicher, es bestehen infolgedessen auch viele
-Deutungen für den Gott. Die höchste geht auf den Himmel und setzt
-den Gott, dem Sinn und der Stellung nach, dem Uranos, dem Namen nach
-(Tivisco, Tuisco) dem Zeus an die Seite. Die Erde spielt dann die Rolle
-der Gaia, die auch Uranos und Pontos geboren haben soll. Die niedrigste
-wählt natürlich Lippert. Eine mögliche Lesart ist nämlich auch
-Tiusco. Grimm stellt sie mit Tivisco zusammen, was eben jene höchste
-Bedeutung ergibt. Lippert findet etymologisch als Bedeutung „Geist“
-angemessener. Und indem Mannus einfach als „Mann“ erklärt wird, ist Tiu
-sein Schutzgeist, und somit der aller Germanen, und Tiusco bedeutet ein
-„Geistwesen“, wie Mannisco ein „Mannwesen“, ein „Mensch“. Damit wären
-wir wieder auf den Ahnen und dessen Seele gekommen.
-
-Tacitus sagt ferner: „Deorum maxime Mercurium colunt.“ Es wäre eine
-ganz anmutende Hypothese des genannten Forschers, daß dieser Merkur
-ein Viehschutzgeist ist, da ein Teil der Germanen noch nomadische
-Viehzucht betrieb, und dieser Deutung von seiten der griechischen und
-römischen älteren Mythologie keine Schwierigkeiten entgegenstehen.
-Aber Cäsar erzählt auch von den Kelten, daß ihr höchster Gott Merkur
-gewesen sei, und die Kelten waren keine nomadischen Viehzüchter.
-Herodot teilt mit, daß die Thrakerkönige am meisten Hermes verehren
-und von ihm abzustammen behaupten. Auch hier wird man Viehzucht als
-Motiv nicht annehmen können. Indessen gibt vielleicht Cäsar selbst
-die Erklärung: „Hunc omnium inventorem artium ferunt, hunc viarum
-atque itinerum ducem, hunc ad quaestus pecuniae mercaturasque habere
-vim maximam arbitrantur“. Und da Tacitus zur Einführung Merkurs bei
-den Germanen genau derselben Formel sich bedient wie Cäsar zu der bei
-den Kelten (nur deorum statt deum), so wird er wohl auch an Cäsars
-Erklärung gedacht haben. Bekanntlich wird seit Paulus Diaconus Wotan
-für Merkur genommen, und auf diesen paßt Cäsars Erklärung einigermaßen,
-die sich auf einen Erfindungs-, Wege- und Handelsgott bezieht. Tacitus
-mag auch noch gewußt haben, daß Wotan auch Tote (erschlagene Helden)
-in sein Reich geleitet, also als Psychopompos wirkt, und weiter,
-daß er auch Sturmgott ist, wie Hermes bei den Griechen ursprünglich
-einen Windgott bedeutete. Und daß Wotan der größte Gott war, würde
-auch stimmen; dem Merkur namentlich sollen Menschenopfer gebracht
-worden sein, wie Tacitus erzählt. Gleichwohl braucht darum Lipperts
-Ansicht noch nicht unrichtig zu sein, daß es sich um einen Ahnengott
-handelt, denn alles was aufgezählt ist, als in das Bereich dieses
-Merkur fallend, übertrifft nicht, was auch ein Naturmensch einem
-höchsten Fetisch zuschreibt. Ja, wenn wir sehen, wie Jakob Grimm mit
-so vielen Beispielen belegt hat, daß die Deutschen noch im Mittelalter
-die Neigung hatten, den „Wunsch“, in der umfassendsten Bedeutung, zu
-personifizieren, und daß Wotan auch Wunschgott ist, so wird man noch
-mehr auf die Seite Lipperts zu treten geneigt sein. Es kommt also
-darauf an, ob die Germanen dem Wotan-Merkur noch andere Eigenschaften
-zugeschrieben haben, die in das Hohe gehen und aus dem einfachen
-Seelen- und Ahnenglauben nicht mehr erklärt werden können.
-
-Einmal bemerkt nun Tacitus, die Germanen „schlössen weder die Götter
-zwischen Wände ein, noch stellten sie sie in menschlicher Gestalt
-dar, ~wegen der Größe der Himmlischen~; Lichtungen und Haine heiligen
-sie ihnen. Und mit der Götter Namen nennen sie jenes Geheime, das sie
-nur mit Ehrfurcht (oder Scheu) sehen“. Ist das gesperrt Gedruckte aus
-dem Sinne der Germanen gesprochen, so muß der Streit als entschieden
-gelten. Allein es ist schon von vielen vermutet worden, daß Tacitus,
-was er hier von den Göttern sagt, aus ~seinen~ Ansichten geholt hat.
-Was wir sonst von den germanischen Götteranschauungen kennen, spricht
-nicht immer für so hohe Begriffe. Auch wissen wir, daß mindestens
-später die Germanen sehr wohl Bildnisse ihrer Gottheiten von Holz,
-Stein oder Metall besaßen; dafür sind sehr viele Zeugnisse vorhanden.
-Interessant ist, was Tacitus selbst von der Göttin Nerthus, die er
-als Mutter Erde bezeichnet, erzählt. Ihr Kultort (er wird in der
-Nähe von Rügen gesucht) ist ein jungfräulicher Hain, den niemand
-betreten darf außer dem Priester. Dort sei ein Wagen ganz mit einem
-Gewande (veste!) bedeckt. Der Priester glaubt, daß die Göttin sich
-darin befände. An ihrem Feste wird der Wagen von Kühen in Prozession
-herumgeführt, dann herrscht Freude und Friede ringsum, wohin die
-Göttin gelangt. Zuletzt führt der Priester die „vom Verkehr mit den
-Sterblichen gesättigte“ Göttin nach ihrem Tempel zurück. Dort werden
-alsbald „der Wagen, die Gewänder (vestes!) und, wenn du es glauben
-willst, die Gottheit selbst in einem geheimen See abgewaschen. Diener
-bedienen, die sofort der See verschlingt“. Hiernach muß der Wagen
-ein Kultobjekt enthalten, in dem die Göttin selbst weilt, da sie mit
-den Sterblichen verkehrt (konversiert, sagt sogar Tacitus) und davon
-ermüdet. Dieses Objekt erklärt Lippert für einen Fetisch. Daß hier ein
-weibliches Wesen in Betracht kommt, würde zwanglos aus der auch den
-Germanen früher bekannten Mutterfolge sich ergeben. Außerdem nahmen
-die Germanen in die Schlacht effigies et signa mit. Das sind nach
-Jakob Grimm figurierte Gegenstände, nach Lippert Seelenfetische und
-Gegenstände, die den Fetischen gehören. Von den von Tacitus ferner
-noch genannten Gottheiten finden sich Mars und Herkules überall, wo
-Krieg und Heldengeist herrscht, und Kastor und Pollux vertreten,
-vielleicht irgendein bemerkenswertes Brüderpaar. Doch weiß man mit
-diesem letzteren allerdings nichts anzufangen. Auch die Isis wird
-als von einem Teil der Sueven verehrt angeführt. Der Römer meint, ihr
-Dienst sei importiert, weil wie bei Isisfesten ein Schiff herumgeführt
-wird. Aber Jakob Grimm hat schon nachgewiesen, daß Umzüge mit Schiffen
-in Deutschland noch im Mittelalter geschahen, und er vermutet in Isis
-eine deutsche Göttin und in dem Schiff etwas Ähnliches wie im Wagen der
-Nerthus. Lippert weist noch auf das Totenschiff hin (S. 75). Gleichwohl
-kann man sich der Ansicht Jakob Grimms nicht verschließen, daß, da
-Tacitus so oft und bedeutend von Gott und Göttern der Germanen spricht,
-teils allgemeinen teils vaterländischen und häuslichen, dieses,
-zusammengehalten mit sonstigen Überlieferungen und Überlebseln, bloß
-einen Naturmenschenglauben nicht erlaubt. „Wie läßt sich,“ sagt er,
-„alles andere, was wir von der Sprache, der Freiheit, den Sitten und
-Tugenden der Germanen wissen, hinzugenommen, der Gedanke festhalten,
-sie hätten, in dumpfen Fetischismus versunken, sich vor Klötzen und
-Pfützen niedergeworfen und ihnen rohe Anbetung erwiesen?“ So niedrig
-meint es Lippert ja auch nicht, der Seelen- und Ahnenglaube kann sehr
-wohl mit einer geläuterten Ansicht von Welt und Leben bestehen. Und
-der Götterdienst der Germanen und die Totenbräuche bei ihnen waren
-keineswegs sehr harmlos; und letztere sind durchaus, wofür Jakob Grimm
-selbst viele Beispiele beibringt, auf naturmenschliche Anschauungen
-von der Seele begründet. Also werden wir wenigstens einen Einschlag
-von Seelen- und Ahnenglauben, und auch von Fetischismus (Lippert
-führt mehrere Beispiele an von Bäumen, denen selbst Opfer dargebracht
-wurden), in der Religion der Germanen nicht von der Hand weisen
-können. Wir wissen ja, daß z. B. die Franken, selbst nach Annahme
-des Christentums, noch Menschen beim Übergang über den Po geopfert
-und in diesen Fluß gestürzt haben, und ähnliche aus dem Seelen- und
-Fetischglauben fließende Greuel werden noch manche erzählt.
-
-Von dem großen ~nordisch-germanischen~ Göttersaal ist nicht
-gesprochen. Daß er zum Teil auch den eigentlichen Germanen bekannt
-gewesen ist, darf nicht mehr bezweifelt werden, obwohl die Erzählungen
-der Edda sehr deutliche Spuren fortgeschrittenerer Kultur und
-Weltkenntnis, sowie des Einflusses des Christentums an sich tragen. Die
-nordischen Mythen verstärken den Eindruck, daß die Gesamtgermanen zwar
-eine höhere Naturreligion gehabt haben, etwa im Sinne der Griechen und
-Ägypter, daß aber auch viel Naturmenschliches vorhanden war. Von den
-Menschenopfern bei den Skandinaviern erzählt Adam von Bremen (elftes
-Jahrhundert) nach den Mitteilungen eines Swen Ulfsson, der sich zwölf
-Jahre an dem Hofe des Schwedenkönigs aufgehalten hat. Im Hain am Tempel
-zu Upsala, der Odin, Thor und Freyr geweiht war, hingen mitunter 70 und
-mehr geopferte Menschen neben Hunden und anderen Tieren. Von diesem
-Hain sagt der Genannte: „is enim locus tam est sacra gentilibus, ut
-singulae arbores ejus ex morte vel cibo immolatorum divinae credantur.“
-Also man hielt die Bäume wegen der Opfer oder der Opferspeise für
-göttlich (geheiligt). Die Götter wurden mit Blut versöhnt, die
-Priester hießen auch selbst Götter: Goda, Dior, Asar, Anses; gleich
-lebenden Fetischen. Heilige Haine gab es überall, wie auch sonst auf
-der Welt, einzeln und in der allerverschiedensten Zusammensetzung.
-Der feste Glaube der Skandinavier, nach tapferem Leben in Walhall das
-freudigste Dasein bei Trunk, Speise und Waffenspiel fortzusetzen, ist
-bekannt. Doch muß auch ein Leben der Toten in den Gräbern angenommen
-worden sein. In dem Harbardslied der älteren Edda, in dem Thor vom
-Fährmann Harbard (Graubart) so sehr verspottet wird, fragt Thor seinen
-Quälgeist, woher er solche Spottreden habe, und Harbard antwortet: „Ich
-lernte sie bei Männern, bei jenen uralten, die in den Heimatshügeln
-wohnen.“ Da höhnt Thor: „Wie gibst du den Gräbern anmutige Namen, daß
-du sie Heimatshügel nennst.“ Totenbeschwörung wurde viel geübt. Im
-Hyndlalied ruft Freia die Vala Hyndla aus dem Grabe hervor, daß sie
-ihr wahrsagen solle. Richard Wagner hat daraus wohl den Gedanken zu
-der stürmisch-gewaltigen ersten Szene des dritten Aktes von Siegfried
-geschöpft. Zauberei und Hexerei blühten in Skandinavien mehr noch
-als in Deutschland und müssen sich zuzeiten zu wahrer Kalamität
-ausgewachsen haben, da mehrere Könige Hunderte von Menschen, die diesen
-Gewerben nachgingen, verbrennen ließen. Wälder, Berge, Wasser, Höhlen
-wimmelten von Geistern und Dämonen. Meist waren diese bösartiger
-Natur. Doch hatte jeder Skandinavier auch einen Schutzgeist (Vätten),
-einen „Führer“, Fylgior, dessen Bedeutung der des Mannes entsprach.
-Gleichwohl war das Volk auffallenderweise höchst fatalistisch
-gesonnen: „gegen sein Schicksal kann sich niemand bewahren“ wird in
-Liedern unzählig variiert. Das ist nicht naturmenschlich gedacht.
-Als naturmenschlich aber wiederum muß es bezeichnet werden, wenn
-die Götter, wie es so oft geschieht, kaum höher gestellt werden
-als machtvollere Menschen. Odin spricht von sich im Runenliede des
-eddischen Havamal im gleichen Tone, wie ein Runenzauberer reden würde.
-Er führt sich ein, wie er an einem Baume (wohl an der Weltesche
-Yggdrasil) neun Nächte hing, ohne Speise und Trank. Da lernte er Runen
-und fiel herab. Und dann zählt er alles auf, was er mittelst dieser
-Runen zu vollbringen weiß: Hilfe gegen Sorgen und Seuchen, feindliche
-Waffen stumpfen und weichen, Freiheit dem Gefesselten, Leben dem
-Getöteten usf. Und welch eine Fülle von menschlich Verkommenem unter
-den Asen und Asinnen enthält das Schmählied Lokis, die Lokasenna in
-der Edda. Da erscheinen die Götter und Göttinnen niedriger noch als
-im Nibelungenring; Wagner hat sie noch veredelt. Es scheint, als
-wenn die südlichen Germanen doch höhere Ideen von ihren Gottheiten
-besessen haben als ihre nordischen Brüder. Doch hat man oft Lieder
-wie die Lokasenna als bewußte Begründung zu der so hochtragischen
-Götterdämmerung angesehen.
-
-Von den ~Kelten~ ist nicht viel überliefert. Cäsar sagt, daß die
-Druiden das Volk lehren, die Seele gehe nicht unter, sondern fahre
-nach dem Tode des Menschen in einen anderen Körper. Diodor aus
-Sizilien erzählt das gleiche, fügt aber noch hinzu: „Daher kommt es,
-daß bei ihren Leichenbegängnissen einige Leute Briefe, die sie an
-ihre verstorbenen Väter, Mütter oder Verwandte geschrieben haben,
-in das Feuer werfen, in der Meinung, daß die Toten diese Briefe
-lesen würden.“ Cäsar erzählt auch, daß bei Leichenbegängnissen nicht
-bloß Gegenstände und Tiere, sondern auch Sklaven und Schutzbefohlene
-mitverbrannt wurden. Die Gallier liehen auch Geld, mit Bezahlung
-im Jenseits, wo sie also wie im Diesseits lebten. Lucanus, in der
-Pharsalia, spricht letzteres auch deutlich aus:
-
- ... Ihr lehret dawider, daß nimmer die Schatten
- Wollen zum schweigenden Erebus hin, auch sähen sie nimmer
- Plutos dämmerndes Land, es beherrsche die Glieder derselbe
- Geist noch in anderer Welt: es steht -- wenn euer Gesang wahr --
- In eures Lebens Mitte der Tod. -- --
-
-Das alles ist sicher rein naturmenschlich. Daß die Welt von drei
-Druiden geschaffen oder aus der Tiefe, auch aus dem Meere heraufgeholt
-sei, gehört ebenfalls hierher. Was es mit den Gottheiten Teutates,
-Hesus, Cermunus, Taranis, Belis oder Belenus, Ogmius, Andrate und
-vielen anderen für eine Bewandtnis hatte, können wir nicht sagen.
-Cäsar teilt mit, die Gallier verehrten Merkur, Apollo, Mars, Jupiter,
-Minerva. Damit ist für unsere Zwecke nichts anzufangen. Doch wissen
-wir, daß sie die Gottheiten aus der Materie hervorgegangen ansahen,
-und daß sie auch Flüssen, Quellen, Bergen, Bäumen opferten. Und ihr
-Götterdienst war von solchen Greueln erfüllt, daß Kaiser Claudius,
-nachdem alle Mittel, ihn zu mildern, gescheitert waren, ihn ganz
-unterdrücken mußte. Gleichwohl werden die Gallier wenigstens in der
-Kultur ziemlich hoch gestanden haben, da Cäsar und andere so viel von
-ihren Städten, Tempeln, Schulen und Kenntnissen mitteilen. Von dem,
-was die altgälischen Barden erzählen und was wir im Ossian lesen, hat,
-wegen der mindestens zweifelhaften Originalität, abgesehen werden
-müssen. Einiges ist übrigens von mir an anderer Stelle vorgetragen.
-
-Wir sind gezwungen, die Runde durch die Kulturvölker fortzusetzen.
-Die ~griechische~ Religionsanschauung ist nach allen Richtungen
-durchforscht. Merkmale des Seelen- und Ahnenglaubens, auch des
-Fetischismus, sind in ihr, namentlich in früherer Zeit und bei
-abgelegeneren Stämmen zweifellos vorhanden. Bei Homer führt die Seele
-ganz das Leben wie bei den Naturvölkern; sie entflieht eilig aus der
-klaffenden Wunde, sie zieht wie dampfender Hauch unter die Erde, sie
-erscheint im Traume, um für den Körper Begräbnis zu erflehen, damit
-sie selbst Ruhe finde, sie trinkt Blut und gewinnt dadurch irdisches
-Gedächtnis und Kraft, sie bekommt Gaben und Menschenopfer. Kleidung,
-Schmuck, Waffen wurden den Toten noch bis in die letzte Zeit ins Grab
-getan.
-
- Deinem Weibe trägt die Dienerschar
- Den Schmuck in Händen, dessen sich die Toten freun
-
-sagt der Chor in der Alkestis des Euripides zu Admetos. Und eine
-eingehende Schilderung aller Gaben teilt Atossa in den Persern des
-Aischylos mit. Lukianos noch spottet darüber, daß man den Toten soviel
-mitgebe oder mit ihnen soviel verbrenne, als ob sie sich dessen im
-Jenseits bedienen könnten. Und die überhaupt durch überwältigendes
-Unglück zweifelsüchtig gewordene Hekabe sagt in den Troerinnen des
-Euripides, da sie ihrem so grausam hingemordeten Enkel Astyanax die
-Totenfeier richtet, zu den Dienern:
-
- Geht, übergebt den Toten seinem düstern Grab;
- Denn Totenkränze hat er ja, wie’s ihm gebührt.
- Und wenig kümmert’s, mein’ ich, die dort unten sind,
- Ob einem hier ein reiches Totenopfer wird;
- Das ist nur eitler Übermut der Lebenden.
-
-Und doch glaubt dieselbe Hekabe, daß in der Unterwelt der Vater,
-Hektor, die Wunden des Sohnes heilen wird. Soviel Inkonsequenz herrscht
-bei einer ja ungewissen Sache.
-
-In Ausnahmefällen geschah auch den Gräbern Verehrung. Was der Chor in
-dem vorgenannten Drama Alkestis bei der ergreifenden Totenfeier noch
-spricht:
-
- Nicht wie das Grab anderer sei deiner Gemahlin Grab
- Angesehn; zu ihm wie zu den Göttern,
- Betend ehr’ es der Wanderer!
- Und mancher, die Pfade seitwärts wandelnd, redet das Wort:
- „Sie starb, den Gemahl zu retten;
- Nun ward sie selige Göttin.
- Heil, Holde, dir! Glück gewähr uns!“
-
-ist nicht bloß dichterische Empfindung. Der gleiche Chor ruft der
-toten Alkestis nach: Κούφα σοῖ χθὼν ἐπάνωθεν πέσοι, sit tibi terra
-levis, Leicht sei dir die Erde! wie wir noch jetzt sagen. Von dem
-Seelenphantom, dem εἴδωλον, und den Seelenvögeln habe ich bereits
-gesprochen (S. 73 f.). Daß die Griechen Seelen auch in Schlangen sahen
-und verehrten, wissen wir aus Pausanias. Daß auch Fetische bekannt
-waren, sehen wir aus den vielen Verwandlungen von Menschen in Bäume,
-Sträucher und Felsen. Außerdem ist es hinreichend bezeugt, wie in
-frühen und späten Zeiten Steine und Pfosten Sinnbilder von Göttern
-waren, denen auch Opfer gebracht wurden. Was aber den Ahnenkultus
-anbetrifft, so hat schon Euemeros den ganzen griechischen Götterglauben
-auf ihn zurückgeführt. Und das haben bekanntlich mehr oder weniger
-vollständig viele vor ihm und nach ihm gleichfalls getan. Zu solchen
-Übertreibungen haben die Griechen selbst beigetragen, indem jedes
-Fürstengeschlecht und jedes Völkchen möglichst von einer Gottheit,
-mindestens aber von einer Halbgottheit abstammen wollte, indem von den
-Göttern gar zu menschlich erzählt worden ist, und endlich, indem den
-Mächtigen auf Erden nicht selten göttliche Ehren erwiesen wurden. Dazu
-kommen die noch bis in sehr späte Zeit vorgefallenen Menschenopfer, die
-jeder wahrhaft höheren Gottheitsanschauung so sehr widerstreben. Und
-wenn ein Themistokles oder gar ein Cäsar solche Opfer vollziehen, so
-kann man sich das zwar dadurch erklären, daß sie dem Drängen des Volkes
-(oder Heeres) nachgegeben haben. Aber auf dem Volke bleibt es doch
-haften. In der unheimlichen ersten Szene der Hekabe des Euripides sagt
-der Geist des Polydoros:
-
- Denn über seinem Grab erschien der Thetis Sohn,
- Der Fürst Achilleus hielt Achajas Heer zurück,
- Das nach der Heimat schon die Meeresruder schwang;
- Und meine Schwester fordert er, Polyxena,
- Als teures Grabesopfer sich und Ehrenlohn.
-
-Und dieses Opfer ward ihm ja, Achills Seele erhielt die Braut.
-Gleichwohl überhebt uns einer weiteren Untersuchung die Tatsache,
-daß, so menschlich oft die Götter an Leben, Betragen, Fühlen und
-Leidenschaften sich auch geben, sie doch wirkliche Götter darstellen,
-keineswegs potenzierte Menschen, wie man oft behauptet hat. Namentlich
-aber nicht Ahnen, wogegen schon die allgemeine Verehrung, die sie
-genießen, spricht. Wenn auch gefabelt wurde, Zeus sei König in Kreta
-gewesen, sei dort gestorben und liege dort begraben -- nichts in dem
-Zeus, wie wir ihn kennen, erinnert daran. Apollon und Artemis sind
-Götter trotz ihrer Geburt von einem sterblichen Weibe. Das hängt mit
-der Entstehung der Mythen und Sagen zusammen, die nicht immer von
-religiösen Anschauungen veranlaßt ist. Ein Teil wird aus Vorgängen
-zwischen Menschen, namentlich in Fürstenhäusern, stammen, die zuerst
-bewußt und später, nachdem die Personen vergessen sind, unbewußt, auf
-Gottheiten übertragen wurden. Einen anderen Teil verdankt man der
-dichterischen Erfindung des Volkes und Einzelner. Noch ein anderer
-ist aus Personifizierung von Naturerscheinungen hervorgegangen.
-Sodann spielt eine große Rolle die Deutung der Gottheitennamen, die
-Volksetymologie, indem aus richtiger oder unrichtiger Übersetzung und
-Umschreibung des Namens Tätigkeiten und Wirkungen abgeleitet werden,
-an die sich naturgemäß Erzählungen anschließen. Weiter werden manche
-Sagen mehr oder minder geistreiche Redeblüten und erkünstelte Allegorie
-sein. Zuletzt dürften recht viele als Erklärung von Gebräuchen im Leben
-und im Kult, deren Ursprung und Bedeutung dem Gedächtnis entschwunden
-sind, und andere zur Begründung von Ansprüchen auf Menschen und Besitz
-erfunden sein. Wir haben in den griechischen Sagen und Mythen für alles
-Beispiele und ebenso in den Sagen und Mythen anderer Völker. Bei so
-großer Vielartigkeit des Entstehungsgrundes kann man nicht erwarten,
-ein einheitliches Bild zu bekommen. Und so enthalten die griechischen
-Sagen Schönes und Anmutendes neben Häßlichem und Abstoßendem, Hohes
-neben Niedrigem und Tieferdachtes neben Törichtem und Aberwitzigem.
-Bei Vielem aber tut man dem Volk mehr Ehre an, wenn man es aus
-naturmenschlichen Anschauungen ableitet als aus Allegorien oder
-Naturerklärungen, und wenn man davon absieht, von uns nicht mehr zu
-verstehende Weisheit zu behaupten, wie es früher Mode gewesen ist und
-auch gegenwärtig mitunter noch beliebt wird.
-
-Bei den ~Römern~ liegt der Seelenglaube noch offener als bei den
-Griechen. Die Inferi, in besonderer Bezeichnung Manes oder Lemures,
-sind ganz naturmenschlich gedachte Seelen Verstorbener, die unter
-der Erde weilen. Als Larven fügen sie dem Menschen Böses zu, als
-Lares familiares sorgen sie für die betreffende Familie. Bekanntlich
-schrieben die Römer allem, also auch Menschen, jedem einen Genius
-zu, der im Laufe der Zeit mehr und mehr Funktionen bekam und zuletzt
-alles vorstellte, wodurch der Mensch zu seinem Tun und Lassen im Leben
-bewegt wurde. Es war etwas Göttliches in diesen genii, und sie wurden
-demgemäß auch im Familienkreise oder, wenn es sich um die genii der
-Götter, der Machthaber oder die des Staates, der Stadt, des Ortes usf.
-handelte, öffentlich verehrt, und bei ihnen wurde auch geschworen. Ob
-man die Seelen der Menschen mit den genii zu identifizieren hat, weiß
-ich nicht; von manchen Forschern geschieht es. Jedenfalls haben wir
-es mit einem ausgedehnten Glauben und Kult zu tun, der, ob er sich
-auf die genii, inferi, manes, larvae, lares und welche Namen noch in
-Gebrauch sein mochten, bezog, sich dem allgemeinen Seelenglauben und
-Seelenkult eng anschließt. Die Seelen mußten im Tode versöhnt werden,
-was durch ganz bestimmte Zeremonien und Gaben geschah; sie hatten ein
-Anrecht auf fortgesetzte Verehrung -- Cicero spricht von manium jura,
-den Rechten der Manen, -- seitens der Angehörigen. Geschah das nicht,
-so irrten sie ruhelos auf der Erde umher und sannen und taten Böses.
-An drei Tagen im Jahre: 24. August, 5. Oktober und 8. November öffnete
-man den Seelen absichtlich die Pforte der Unterwelt, den mundus, das
-war ein in der Mitte der Ortschaft befindliches rundes Loch, mit einer
-Kuppel überwölbt, die eine mit einem Steine bedeckte Öffnung hatte. In
-diesen mundus tat man auch die allgemeinen Gaben für die Seelen, in ihn
-wurden auch Menschen gestürzt, „die zu Schutzgeistern der Stadt werden
-sollten.“ Da man einmal vergessen hatte, den Toten ihre Spenden zu
-geben, verließen sie ihre Gräber und man hörte sie durch die Straßen
-der Stadt und der Umgebung schwirren, bis man ihnen die Gaben an die
-Gräber brachte, erzählt Ovid. Und so konnten Zauberer auch die Seelen
-in die Oberwelt beschwören, wovon ja auch die Griechen soviel wußten.
-
-Gleichfalls an Naturmenschliches erinnert die Verehrung des Feuers auf
-dem häuslichen Herde, das wie lebend behandelt wurde und Opfergaben
-empfing. Überhaupt hatte der Römer einen häuslichen Kultus -- seinen
-Penaten, das sind eben die Seelen und das häusliche Feuer, gewidmet --
-der den öffentlichen an Bedeutung weit überragte und einen Kultus des
-Naturmenschen darstellte. Und gleiches gilt wohl auch von den Griechen.
-Wie rührend klingt das von der Sklavin mitgeteilte Gebet der zum
-Sterben bereiten Alkestis vor dem Herdfeuer als Göttin, um Schutz für
-die zu hinterlassenden Waisen:
-
- Laß nicht, wie ich nun, ihre Mutter, enden muß,
- Sie vor der Zeit hinsterben, sondern hochbeglückt
- Im väterlichen Lande laß froh ihr Leben fliehn.
-
-Die römische Religion ist ungemein zusammengesetzt: himmlische
-Götter, Feld-, Berg-, Wald-, Baum- und Quellgötter, Götter der
-Unterwelt, Götter fast für jedes Ereignis und für jede Handlung
-im Leben des Einzelnen und der Gesamtheit. Dazu die unzähligen
-Seelen- und Ahnengötter, denn die manes sind dii und können sogar
-den Himmel erreichen, wie die von Romulus und der Kaiser. Kaum
-ein Volk -- vielleicht mit Ausnahme der Indier und Japaner -- hat
-einen so gefüllten und so bunten Göttersaal. Und aus allem spricht
-eine Art Kindlichkeit und Natürlichkeit, wie aus einem veredelten
-Naturmenschenglauben. Wäre nicht so manches Kindische dabei und so
-manches Rohe, so mutete sie uns vielleicht mehr an als die glanzvolle
-griechische Mythe.
-
-Wie vorsichtig man bei den ~Ägyptern~, wegen ihrer Unart, ihren Worten
-allerlei mystische Bedeutungen zu geben, mit Behauptungen sein muß, hat
-Brugsch in seiner „Religion und Mythologie der alten Ägypter“ erwiesen.
-Man kann die höchsten Ideen herauslesen, wo gar keine vorhanden sind,
-weil ein hohes Wort steht, das gleichwohl in gewöhnlichster Bedeutung
-benutzt ist. Und auch das Umgekehrte wird der Fall sein. Ein zweiter
-Umstand, der die Beurteilung der ägyptischen Anschauungen so sehr
-erschwert, ist die verblüffende Vorliebe für tierische Merkmale.
-Götter werden mit Frosch-, Schlangen-, Widder-, Schakal-, Katzen-,
-Sperber-, Falken- usf. -kopf, oder ganz tierisch als Käfer, Affen,
-Krokodile usw. dargestellt, mitunter sogar in Kombination mehrerer
-Tiere, wie Râ einmal in derselben Gestalt als Mensch, Frosch und Affe.
-Und das geschieht nicht bloß in Bildern, sondern auch in Texten: die
-Seele des Osiris ist der Bock von Mendes, die Seelen der Götter sind
-Krokodile, heißt es in einer Inschrift des Königs Seti I. Der Erdgott
-Qeb sagt von sich: ich pfeife wie der Falke und ich gackere wie die
-Gans. Vieles, vielleicht das meiste, wird symbolisch aufzufassen sein
-aus den Eigenschaften der Tiere oder auch aus ihrem Verhalten gegen
-die Naturerscheinungen. Manches muß aber auf theromorphe Anschauungen,
-auf Totemismus beruhen, da ja die Ägypter tatsächlich gewissen
-Tieren, nicht bloß dem bekannten Apis, Verehrung dargebracht und sie
-nach dem Tode mit Feierlichkeit begraben haben. Herodot, der sehr
-eingehend davon erzählt, weiß warum, aber er sagt es nicht aus Furcht
-vor den göttlichen Dingen. Einmal, wo er sich gehen läßt, teilt er
-ein höchst albernes Märchen über den Widderkopf des Amun (Zeus) mit:
-Zeus hätte ihn vorgesteckt, um sich nicht Herakles, der ihn durchaus
-sehen wollte, in seiner wahren Gestalt zu zeigen. Wir können kaum
-etwas anderes annehmen als naturmenschliche Anschauung. Nach Brugsch
-aber müssen die Ägypter einen sehr hohen Gottesbegriff gehabt haben.
-Die Texte, die er anführt, sind entscheidend. Wir kommen später auf
-sie zurück. Daneben besaßen sie eine kosmogonische, schon Herodot
-bekannte, männlich-weibliche Vierheit, von der ich schon in meinem
-mehrmals genannten Buche gesprochen habe. Sodann eine Hauptgottheit
-und eine Neunheit von Göttern, die den eigentlichen Gegenstand
-der Verehrung bildeten: Râ (auch Tum, Ptah, Amun), Chon, Tafnut,
-Qeb, Nut (auch Hathor), Osiris, Isis (auch Mut), Set, Nephthys,
-Horus. Jede der Gottheiten wurde noch vielfach gespalten nach ihren
-besonderen Verrichtungen oder Erscheinungen, wie die Gottheit Sonne
-als Morgensonne, Mittagsonne, Abendsonne, Sommersonne, Wintersonne.
-Umgekehrt übernahm fast jeder Gott auch die Verrichtungen und
-Erscheinungen aller anderen Götter und vereinigte sie sogar in sich,
-so daß er dann „Gott“ wurde. Aber eigenartig ist, daß die Neunheit
-auch als eine Folge von vorhistorischen Königen Ägyptens aufgefaßt
-wurde, also von Ahnen der Königsgeschlechter. Wie ja umgekehrt den
-Königen Göttlichkeit zugeschrieben wurde, nicht bloß formell, sondern
-mit entsprechenden Folgen. Freilich erzählten die ägyptischen Priester
-Herodot, daß diese Götter-Könige nicht mit den Menschen zusammengelebt
-hätten.
-
-Was aber den Totenkult anbetrifft, so ist bekannt, wie minutiös
-ausgebildet er in Ägypten gewesen ist und wie notwendig er für die
-Fortdauer der Seele nach dem Tode erachtet wurde. Seelen konnten
-zugrunde gehen, wenn ihnen die nötigen Kulte mangelten. Lippert führt
-Beweise dafür an, daß noch nach mehr als dreitausend Jahren nach
-ihrem Tode die ältesten ägyptischen Könige Seelenpfleger hatten.
-Und solche Seelenpfleger schafften sich viele und erhielten viele
-durch Stiftungen. So stiftete Ramses II. seinem Vater Seti einen
-vollständigen königlichen Haushalt, „mit Äckern, Viehweiden, Geflügel,
-Herden, Schiffen, Zinsen aller Art, mit Handwerksleuten, Knechten
-und Mägden.“ Sich selbst stiftete er sogar eine Bibliothek in seinem
-Grabtempel. Und jeder Sohn war verpflichtet, einen Teil der Habe auf
-den Kult seiner Eltern zu verwenden. Der Tote brauchte im Jenseits
-alles, was er im Leben nötig hatte. Ich kann mich nicht enthalten,
-hier schon einen Text aus Brugschs genanntem Werke mitzuteilen. Der
-Tote wendet sich an Osiris und andere Götter mit dem Gesuche „zu
-gewähren: das Leuchten am Himmel, das Vermögen auf der Erde und das
-Wahrwerden der Stimme in der Unterwelt, das Gehen und Kommen nach
-meinem Hause, meine Abkühlung in seinem Schatten, meine Stillung des
-Durstes mit Wasser aus meinem Teiche zu jeder Zeit, das Wohlergehen
-aller meiner Gliedmaßen, das Geschenk des Niles und Hülle und Fülle
-frischen Gemüses der Jahreszeit für mich, meinen Spaziergang am Rande
-meines Teiches zu jeder Zeit, das nicht fehlende Ruheplätzchen für
-meine Vogelseele auf dem Aste des Baumes, den ich gepflanzt habe,
-meine Abkühlung im Schatten meiner Sykomoren, meine Nahrung von ihren
-Früchten, meine Sprache, in welcher ich rede, gleich wie die Diener
-des Horus, meinen Ausgang gen Himmel, meine Rückkehr nach der Erde --
-ohne Hindernisse auf dem Wege, ohne Bereitung von Fallstricken für
-meine Person, ohne Absperrung meiner Seele -- meine Anwesenheit in der
-Schar der Gebenedeiten unter den Hochwürdigen, meine Betauung meines
-Feldes in dem elyseischen Gefilde von Aru, mein Dasein im Friedefeld
-und meine Erscheinung mit Opferkannen und Brotspenden vor dem Gotte
-Onnophris.“ Völlig Leben und Freuden eines Grundherrn, statt der Seele
-eines Toten! Die letztere macht sich bemerkbar in der „Vogelseele“ und
-in der Furcht bei der Rückkehr auf die Erde, durch Hindernisse und
-Fallstricke verloren zu gehen. Die Vogelseele gemahnt an Fetische. Sehr
-charakteristisch ist ein schönes Zwiegespräch eines Menschen mit seiner
-Seele, das wohl vor viertausend Jahren gehalten worden ist. Die Seele
-mahnt zum Ausharren im Leben. Ganz nach dem Grundsatz des Herakles in
-der Alkestis -- „dem Sterblichen geziemt es, sterblich nur gesinnt zu
-sein“ -- sagt sie ihm nach manchen Ausführungen über Gestorbensein:
-„Folge dem frohen Tag, vergiß die Sorgen.“ (Noch genauer ausgeführt ist
-dieser epikureische Gedanke in dem etwa aus Ramses II. Zeit stammenden
-sogenannten Harfnerlied S. 188). Der Mann aber zählt in einer Unzahl
-von Strophen alle Trübsale des Lebens und alle Schlechtigkeiten der
-Menschen auf und schließt mit den Worten (Greßmann, Altorientalische
-Texte):
-
- Der Tod steht heute vor mir ...
- Wie ein Mensch sein Haus zu sehen wünscht,
- Nachdem er viele Jahre in Gefangenschaft verlebt hat.
- Wer dort ist, wird ja ein lebender Gott sein,
- Der die Sünde straft an dem, der sie tut.
- Wer dort ist, wird ja im Sonnenschiff stehen
- Und das Auserlesenste daraus an die Tempel geben lassen.
- Wer dort ist, wird ja ein Wissender sein, dem nicht gewehrt
- worden ist
- Und der zu Ra betet, wenn er spricht.
-
-Die Seele ist nun überzeugt und sagt:
-
- Dein Leib gelangt zur Erde.
- Ich will mich niederlassen, nachdem du ruhst --
- Laß uns zusammen eine Stätte haben.
-
-Also bleibt die Seele und läßt sich an der Stätte des Toten nieder,
-oder -- wie man wohl nach den Worten des Menschen schließen muß -- sie
-ist immer bei dem Toten, wohin er geht.
-
-Fetische sollen den Ägyptern, nach Lippert, sehr vertraut gewesen sein.
-Auf einem Block, der späterhin als Mühlstein verwendet wurde, und
-der eine Inschrift aus der Zeit von etwa 712 v. Chr. trägt, die sich
-jedoch als Erneuerung einer alten Schrift, die „seine Majestät (König
-Schabaka) als ein Werk der Vorfahren gefunden habe, von Würmern ganz
-zerfressen“, gibt, und die nur noch teilweise lesbar ist, deren Inhalt
-also jedenfalls sehr alt sein muß, heißt es: „Ptah war zufrieden,
-nachdem er alle Dinge geschaffen hatte. Er hatte die Götter gebildet,
-die Städte gemacht, die Gaue gegründet. Er hatte die Götter in ihre
-Heiligtümer gesetzt, ihre Opferbrote gedeihen lassen, ihre Heiligtümer
-gegründet, ihre Leiber ähnlich gemacht zu ihrer Zufriedenheit.
-~Die Götter zogen ein in ihre Leiber aus allerlei Holz, kostbaren
-Steinen, aus allerlei Metall und allen Dingen, die wachsen, woraus
-sie entstanden waren.~ Er fügte zusammen alle Götter und ihre Seelen
-im Ptah-Tempel, dem Besitze alles Lebens, in dem das Leben der beiden
-Ägypten gemacht war.“ Das klingt stark fetischistisch, namentlich das
-Unterstrichene läßt schwer andere Deutung zu. Gleichwohl glaube ich,
-daß man doch zu weit geht, wenn man die Gestirne, und namentlich die
-Herrscher unmittelbar als Fetische bezeichnet. Mögen auch die Herrscher
-Söhne der Sonne oder Sitz eines Gottesgeistes gewesen sein, Fetische
-im Sinne des Naturmenschen waren sie nicht. Als Götter bezeichnen sie
-sich nach ihrem Ableben. Aber im Sinne der Ägypter können alle Toten
-Götter sein, sie kehren in Gott zurück, wie wir später sehen werden.
-Die Hofsprache muß von der Anschauung unterschieden werden. Unsere
-Herrscher sind auch von Gottes Gnaden, und niemand hält sie für etwas
-anderes als fehlende, im wesentlichsten machtlose Menschen, obwohl
-manche vom Gottesgnadentum wirklich überzeugt sind. Tiere sind gewiß
-Fetische gewesen, wie der berühmte Apis, wie Schlangen, Krokodile,
-Katzen, Vögel, der Skarabäus usf. Sodann hat man auch Standbilder als
-Aufenthaltsgegenstände von Seelen angesehen. Wie bei uns Heiligen-
-und Marienbilder von Ort zu Ort und von Haus zu Haus geführt werden,
-um ihre Wunderkraft zu spenden, sind schon im grauesten Altertum
-Götterbilder durch weite Lande zu gleichem Zweck versandt worden.
-Wir besitzen Berichte darüber, einen aus der Zeit Ramses II. über
-die Versendung „Chons des Gebieters“ nach Bechten (Baktrien?), um
-eine Prinzessin vom bösen Geist zu befreien, wie Griechen Palladien
-raubten, Römer Götterstandbilder und Embleme entführten. Da aber in der
-späteren Zeit den lebenden Seelen die Wahl des Aufenthaltes freistand,
-mögen allerdings noch mehr Gegenstände als Fetische angesehen worden
-sein, als wir nachweisen können. Belebung toter Dinge ist dem Ägypter
-durchaus geläufig. Ein Text, den Brugsch aus dem 125. Kapitel des
-Totenbuches, den der Tote ins Grab (in die Brusthöhle) bekam, läßt in
-24 Versen Pfosten, Schwelle, Schloß, Schlüsselloch, Getäfel, Türflügel,
-Friesstücke usf. des Totengerichtssaales den Toten nach ihren Namen
-fragen. Er muß sie angeben, bevor er weiter kann. Und diese Namen
-sind zum Teil ganz persönlich lebenbedeutend, wie die linken Pfosten
-„Ausführer dessen, was wahr ist“, die Friesstücke „Schlangenbrut der
-Göttin Ranut“, das Schlüsselloch „Lebensauge des Gottes Sebek“ heißen.
-Kaum wird man hier Allegorien oder tiefsinnige Mystik sehen können. Und
-wem fällt nicht das erste Wunder ein, das Mose vor Pharao vollbringt
-und dessen Zauberer sofort nachahmen, die Verwandlung von Stäben in
-Schlangen? Bei den Ägyptern hat sich der Seelen- und Ahnenglaube
-(wenn letzterer vorhanden gewesen sein sollte) nie zu den Greueln
-entwickelt, die wir anderweit so oft gefunden haben. Herodot sagt:
-„Denn die kein Tier opfern dürfen außer Schweinen, Stieren und Kälbern,
-nämlich die da rein sind, und Gänse -- wie werden die denn Menschen
-opfern?“
-
-Wir wenden uns zu den ~Hebräern~. Es ist bereits von Vielen
-hervorgehoben worden, wie wenig dieses Volk, trotz seines so langen
-Aufenthaltes unter den Ägyptern, von diesen an Anschauungen angenommen
-habe. Der Gott, den Mose das Volk lehrte, war absolut verschieden
-selbst von dem höchsten Gott Ägyptens, denn dieser gehörte so ganz zur
-Materie, daß man den Ägyptern nicht mit Unrecht eine Art Pantheismus
-zugeschrieben hat. Der Gott Mose steht aber ganz außerhalb der Materie.
-Gleichwohl bezeugt es die Bibel selbst, daß den Hebräern vor dem Exil
-dieser Gott nur selten genügte, daß sie sich Götzen schufen, auf Höhen
-opferten und besondere Hausgötter (Theraphim) besaßen und verehrten.
-Das ist so bekannt, daß ich darauf nicht einzugehen brauche. Eine
-andere Frage aber ist, ob die Hebräer auch dem Seelen- und Ahnenglauben
-und dem Fetischglauben huldigten. Lippert hat in Konsequenz seiner
-Theorie das in vollem Umfange bejaht. Aber ich glaube doch, daß der
-Einwand dagegen, über den er zu leicht hinweggeht, entscheidend
-ist. In der Bibel wird nämlich so wenig von dem Leben nach dem Tode
-gesprochen, daß oft und von vielen der Schluß gezogen worden ist, die
-Hebräer hätten ein solches Leben überhaupt nicht gekannt. Ist auch
-dieser Schluß übereilt, so bleibt doch die Tatsache bestehen: die
-Bibel spricht nicht von dem Leben nach dem Tode, oder nur in ganz
-dunklen Ausdrücken (S. 193). Daß die Verfasser und Redaktoren der
-Bibel, um den ägyptischen Seelenkult auszumerzen, absichtlich alle
-Hinweise darauf ferngehalten hätten, wie Lippert annimmt, kann nicht
-zugegeben werden, denn sie hätten mehr Grund und Anlaß gehabt, den
-Götzen- und Theraphimdienst zu übergehen, und das haben sie nicht
-getan. Wie in der Antike, spricht die Bibel überall objektiv von
-ihren Menschen, sie verhehlt nicht einmal bei ihren Lieblingen selbst
-das Schlechteste in ihrem Beginnen. Einen Seelenglauben wird man
-hiernach bei den Hebräern nicht annehmen können. Daß ein Ahnenglaube
-nicht bestand, ist wohl am besten dadurch erwiesen, daß weder einer
-der Patriarchen, noch der Führer -- und Abraham und Mose waren doch
-gewiß verehrungswürdige Gestalten -- irgend einen Kult, auch nur den
-allereinfachsten, geschweige göttlichen, empfingen. Es bleiben also
-noch die Fetische. Diese verlieren eigentlich ohne Seelenglauben ihre
-besondere Bedeutung. Sie werden kleine bequem im Hause aufzubewahrende
-und auf Reisen mitzunehmende Götzenbilder gewesen sein, wie etwa
-die Heiligenbilder, mit denen Ludwig XI. von Frankreich seinen Hut
-gespickt hatte und zu denen er betete, indem er den Hut vor sich
-hinstellte, wenn er eine seiner bekannten Unternehmungen beabsichtigte
-oder ausführte. Mitunter handelte es sich auch um große Götzenbilder,
-wie in Davids Hause und bei Micha. Will man dieses alles Fetische
-nennen, so mag das sein. Aber ich glaube, daß das goldene Kalb und
-die ehernen Schlangen die einzigen Tierfetische sind, die man als
-solche bestimmt deuten kann. Die Stiftshütte mit ihren Einrichtungen
-hält Lippert für eine Fetischbehausung mit zugehörigen Spenden. Als
-was sie in der Bibel gedeutet werden, weiß jeder. Indessen überall,
-wo wir Opfer finden, werden wir auf anthropomorphische Auffassungen
-gestoßen. Daher die Propheten von diesem ganzen Dienst nichts wissen
-wollten. Geisterbeschwörung, Zauberei und Wahrsagung kannten und übten
-die Hebräer in reichem Maße. Man denke an die Beschwörung für den
-tragischen König Saul. Man darf aber wohl wieder auf die Propheten und
-Seher verweisen, um darzutun, daß hier im ganzen doch ein anderer Geist
-herrschte als bei rohen Naturvölkern und selbst als bei den umgebenden
-Kulturvölkern. Was noch aus den Weissagungen geschlossen wird, aus der
-Beschneidung usf., kann aus einem Seelenglauben gerechtfertigt werden.
-Dann aber bezieht sich -- wie doch nun einmal die Bibel zu dem Leben
-nach dem Tode sich verhält -- dieser Glaube allein auf das Lebende
-und hat mit dem eigentlichen naturmenschlichen Seelenglauben, wie er
-geschildert ist und der gerade auf den Tod sich bezieht, nichts zu tun
-und ist von ihm so weit verschieden, wie die Blutsbrüderschaft von dem
-Totenopfer, obwohl beide Ansichten von der Seele betreffen.
-
-Die ~Phönizier~ müssen noch in sehr später Zeit einen ziemlich
-ausgedehnten Fetischglauben, neben ihrer Astral- und Naturreligion
-gehabt haben. Berge werden als Baal genannt und verehrt, wie
-Baal-Hermon, Baal-Libanon, und auch Bäume tragen diese Auszeichnung,
-wie der Baal-Thamar, die Palme. Steine wurden als Beth-el, Heim
-(Aufenthaltsort) der Gottheit (βαίτυλος) angesehen und empfingen, wo
-Phönizier waren und hinkamen, Opfer. Heliogabal war, ehe er Kaiser
-wurde, Priester eines schwarzen Steines zu Emesa, wahrscheinlich eines
-Meteorsteines, da er vom Himmel gefallen sein sollte. Astarte wurde zu
-Byblos als konischer Stein verehrt, eine hier abgebildete Münze aus der
-Zeit des Kaisers Macrinus zeigt ihren Tempel mit Altar und diesem Stein
-im Säulenhofe. Doch wurde sie freilich meist in menschlicher Figur
-dargestellt. Wir wissen von den Anschauungen der Phönizier zu wenig,
-wenn wir auch ihren blutigen und menschenmordenden Molochskult kennen.
-Aus Inschriften in Gräbern und auf Sarkophagen muß man schließen, daß
-die Phönizier sehr besorgt um Erhaltung ihrer sterblichen Reste waren.
-Aber es finden sich auch Verwahrungen dagegen, daß die Toten Schätze
-besäßen, König Eschmunazar sucht sich in dieser Weise gegen Grabräuber
-zu schützen.
-
-[Illustration]
-
-Den ausgesprochenen Fetisch- und Seelenglauben der ~Araber~ habe
-ich bereits in meinem genannten Buche geschildert. Wie es mit den
-~Babyloniern~ und ~Assyriern~ in dieser Beziehung steht, läßt sich nur
-vermuten. Ihre Religion, wesentlich eine Astralreligion, sollen sie
-von dem so rätselhaften Volke der Sumerer überkommen haben; sie steht
-in vieler Beziehung hoch genug. Daß aber bei ihnen Wahrsagekunst,
-Traumdeuterei, Zauber- und Beschwörungswesen, Magie jeder Art,
-Astrologie in höchster Blüte standen, weiß man sicher. Sie hatten
-Geister und Dämonen in reicher Zahl, wie die sieben Hauptdämonen, von
-denen es in einer Legende heißt (Greßmann, Altorientalische Texte):
-
- Anstürmende Wetter, böse Götter sind sie,
- Schonungslose Dämonen, die auf dem Himmelsdamm geboren wurden, sind
- sie usf.
-
-Der Himmelsdamm soll der Tierkreis sein. Vielleicht ist es aber der
-Horizont, wohin es, wie überall, zur Unterwelt geht. Jene Dämonen
-sind Sturm-, Finsternis- und Wettergeister, sie verschlingen auch
-Sin, den Mond. Andere Dämonen in besonders großer Menge bringen Pest,
-Not und alle Krankheiten. Ihre Darstellung ist tierisch und oft
-grotesk-furchtbar; Drachen und Greife spielen eine Hauptrolle, aber
-auch Hunde, Skorpionen, Schlangen, Panther, Wölfe usf. Soviel ich
-jedoch sehen kann, findet sich keine Angabe, die auf eine Beziehung
-zu Seelen Abgeschiedener deutete, wiewohl Hexen und Verhexungen sehr
-bekannt und gefürchtet sind; schon das zweite Gesetz Hammurabis
-behandelt Zauberer und solche, die der Zauberei bezichtigt werden.
-Ein Gottesurteil, Werfen in den Strom, entscheidet. Ein Leben nach
-dem Tode wird durchaus angenommen, und zwar wie bei Naturmenschen
-mit den Bedürfnissen des Diesseits. Gilgames (Jzdubar), der Held des
-gleichbenannten Epos, hat seinen Freund Eabani durch Tod verloren.
-Er denkt nun voll Furcht auch an seinen Tod, und nachdem ihm sich
-unsterblich zu machen oder wenigstens das Jenseits zu schauen
-mißlungen, muß Nergal, der Totengott, auf Eas Befehl ein Loch in der
-Erde öffnen, durch das Eabanis Geist emporsteigen kann. Gilgames
-befragt ihn nun. Wir besitzen nur den Schluß, aber er entscheidet.
-Eabani sagt:
-
- Wer den Tod des Eisens starb -- sahst du einen solchen? -- Ich sah
- ihn --
- Auf dem Ruhebett liegt er und trinkt klares Wasser.
- Wer in der Schlacht getötet ist -- sahst du (einen solchen)? -- Ich
- sah (ihn) --
- Sein Vater und seine Mutter halten sein Haupt und sein Weib (beugt
- sich) über ihn.
- Dessen Leichnam aufs Feld geworfen ist -- sahst du (einen solchen)?
- -- Ich sah (ihn).
- Sein Geist findet keine Ruhe in der Erde.
- Dessen Geist keinen Pfleger hat -- sahst du (einen solchen)? -- Ich
- sah (ihn) --
- Im Topf Zurückgebliebenes, Bissen, die auf die Straße geworfen, ißt
- er.
-
-Das entspricht völlig uns schon bekannten Ansichten. In dem furchtbaren
-Fluch, den Hammurabi auf denjenigen herabbeschwört, der seine
-Gesetze mißachten sollte, findet sich auch: „Unten in der Unterwelt
-möge er (Samas, „der große Richter Himmels und der Erde“) seinen
-Totengeist nach Wasser schmachten lassen!“ Vielleicht ist dieses
-Wasser das Wasser des Lebens, das die Richter der Unterwelt, die
-Anunnaki, in Verwahrung hielten (S. 197). Daß die Geister auch einen
-Kult hatten, sieht man aus den vier letzten Versen des angeführten
-Textes. Daß die Götter Fetische waren, möchte ich nicht behaupten,
-trotz solcher Ausdrücke wie im zweiten Gesetz Hammurabis: „Er (der
-bezichtigte Zauberer) soll zum Stromgott gehen und in den Stromgott
-eintauchen.“ Lippert aber ist naturgemäß dieser Ansicht und erklärt
-den Gestirndienst für Fetischdienst. Es spricht einstweilen dagegen
-der Mangel von Seelengeistern. Die Sitten, mögen sie zum Teil noch so
-sehr „afrikanisch“ sein, haben damit nichts zu schaffen. Was es aber
-mit dem auf assyrisch-babylonischen Denkmälern so oft wiederkehrenden
-heiligen Baum naturmenschlich für eine Bewandtnis hat, kann ich
-nicht sagen. In den Mythen ist der Baum hinreichend bekannt und als
-Weltgegenstand auf der ganzen Erde verbreitet. Als das möchte ich den
-assyrisch-babylonischen nicht ansehen, wegen der Anbetungen und Opfer,
-die ihm sogar von Göttern und Genien dargebracht werden. Doch sei auf
-das schöne Buch des Pfarrers Alfred Jeremias „Das Alte Testament im
-Lichte des alten Orients“ verwiesen.
-
-Sehen wir von dem eigentlichen Zoroastrismus der ~Eranier~ ab, der
-einer anderen Betrachtung angehört, so wissen wir nicht viel von den
-sonstigen Anschauungen dieser Völker, um mehr behaupten zu können,
-als daß Seelen- und Fetischglauben bei ihnen wahrscheinlich bekannt
-und gehegt worden ist. Reste finden wir in den Zarathustrischen
-Lehrwerken. Als der Urstier starb, heißt es im Bundehesh: „Gosurun, das
-ist die Seele des einzigerschaffenen Stieres, ging aus dem Leibe des
-Stieres hervor und stand vor dem Stiere. So stark wie tausend Menschen,
-wenn sie zugleich ihr Geschrei erheben, klagte Gosurun dem Ahura.“ Die
-Klage bezieht sich auf durch Ganamino (Ahriman) in die Welt gebrachte
-Übel. Von Ahura auf die Zukunft verwiesen, klagt die Stierseele weiter
-dem Sternenkreis, dem Mondkreis, dem Sonnenkreis. Nun zeigt ihm Ahura
-den Frohar des Zarathustra. Dieser ~Frohar~ ist aber allgemein die
-Seele, die also präformiert besteht (von Ahura geschaffen, Kap. II) und
-selbständig lebt. An einer anderen Stelle (Kap. VI) treten die „Frohars
-der Krieger und Reinen“ beim Kampf Ahuras gegen Ahriman mit Keulen und
-Lanzen in der Hand auf, also wie die Menschen selbst (S. 43). Und so
-sind überhaupt anscheinend alle Frohars (Seelen) zuvor schon in Ahuras
-Reich vorhanden, etwa wie Platons Ideen. Und selbst die Welt hat einen
-solchen Frohar; lange bevor sie Welt wird, besteht sie schon im Himmel.
-Und auch die höchsten Götter besitzen Frohars. Ahura sagt ausdrücklich
-(Kap. XV): „Die Seele ist zuerst geschaffen und der Leib wurde hernach
-für sie geschaffen, und sie wurde in den Leib gelegt“ (ähnlich Kap.
-XVII). Die Seele wird auch das „Selbsttätige“ genannt.
-
-Weiter wissen wir von wunderbaren Vögeln; wie Karsapt, der dem
-Urmenschen und Paradiesherrscher Yima die mazdaijaçnische Lehre
-von Ahura überbrachte, von Varaghna der demselben Yima, da er die
-Unwahrheit gesagt hatte, die drei Gnaden entnahm, von dem auch aus
-Märchen bekannten Simorg und vielen anderen. Manche von ihnen kämpfen
-gegen die bösen Nachtgebilde, wie, ganz naturgemäß, der Hahn. Auch
-sind Dämonen, Geister, Gespenster usf. in unendlicher Zahl bekannt,
-gute (Yazatas) und böse (Dêvs), menschlich und tierisch geformte,
-wie der furchtbare Dahâka, dem Yima erliegt, und der teuflische
-Vernichter Aesna daeva, den man mit dem Asmodeus verglichen hat. Die
-Vorbedingungen für Seelen- und Fetischkult sind hiernach allerdings
-gegeben. Gleichwohl kann ich nicht ersehen, daß ein solcher Kult in
-der historischen Zeit stattgefunden hat. Zwei Stellen finde ich in
-Windischmanns „Zoroastrische Studien“, die unmittelbar auf Berg- und
-Baumkult sich beziehen, und beide betreffen das unsterblichmachende
-Haoma: „Anrufen will ich den Berg Hukairya, den ganz reinen,
-goldenen, von welchem herabfließt Ardviçura Anâhita, tausend
-Männer hoch besitzt sie Majestät wie alle Wasser, die auf der Erde
-hervorfließen.“ Die Ardviçura Anâhita ist das Lebenswasser, in ihm
-wächst der (weiße) Haoma-Baum Gaskerena (S. 175 f.). Und es heißt:
-„Wir rufen Gaskerena, den starken, von Mazda geschaffenen, an.“ Selbst
-dieses als Fetischismus anzusehen, möchte ich zaudern; es fehlt das
-Charakteristische, da ja die Gegenstände nur vorgestellt sind, nicht
-in Körperlichkeit angebetet werden. Außerdem sind es Lebensspender.
-Auf das irdische Homa, das bei Opfern dienende gelbe Homa, bezieht
-sich die Anbetung nicht. Lippert schreibt dem Fetischismus unter den
-Eraniern eine viel größere Bedeutung zu und rechnet hierher auch
-die Anbetung des Feuers. Der Zarathustrismus verleiht dem Feuer an
-sich keine göttliche Bedeutung; die Erklärungen, die ich darüber im
-Bundehesh aufgesucht habe (von den fünf und den drei Feuern) sind rein
-physisch. Gleichwohl findet eine wirkliche Feuerverehrung bekanntlich
-in so ausgedehntem Maße statt, daß sie vielfach als das Wesentliche
-der „Religion der Magier“ angesehen wurde. Möglich, daß dabei auch
-an einen Geist gedacht ist. Strabo erzählt, die Götter nähmen von
-den Opfern nur die Seele, alles Körperliche werde von den Priestern
-und Opfernden verzehrt. Aber dem Feuer wird Fett und Öl unmittelbar
-gespendet, das eben das Feuer anfacht, wie wenn es einen von der Spende
-sich ernährenden Geist enthielte. Auch dem Wasser wird geopfert, hier
-aber nach Strabos Bericht in der Weise, daß alles ~neben~ dem Wasser
-geschieht, dieses selbst nichts erhält, damit es nicht verunreinigt
-werde. Etwas Bestimmtes läßt sich für die historische Zeit nicht
-behaupten; diese ist zu spät, in Anbetracht der langen Vergangenheit,
-die das Volk schon vor seinem Eintritt in die Geschichte gehabt hat.
-In dieser Vergangenheit aber wird es wohl viel Naturmenschliches
-gedacht und gewirkt haben.
-
-Wir suchen das am besten bei den Indiern auf, deren Anschauungen sich
-vielfach mit denen der Eranier decken, wie sie ja wahrscheinlich mit
-diesen am längsten zusammengelebt haben. Seit den Auseinandersetzungen
-Carus Sternes (Ernst Krause) neigt man von mehreren Seiten der Ansicht
-zu, daß die Wiege der Arier in (Nord-)Europa gestanden hat, die
-~Indier~ der am weitesten nach Osten verschlagene Stamm sind, und
-demgemäß die urarischen Anschauungen nicht bei ihnen zu suchen sind,
-sondern eher an ihrem westlichen Gegenpol. Es läßt sich gegenwärtig
-nicht viel darüber sagen. Nur wäre es sehr merkwürdig, wenn in der
-Heimat noch mehr als tausend Jahre tiefe Barbarei herrschte, da bei
-den östlichst ausgewanderten Stämmen schon hohe eigene, nicht etwa
-von Fremden angenommene, Kultur strahlte. Kein Volk hat eine so
-merkwürdige Reihe von Religionsanschauungen entwickelt wie die Indier.
-Alles ist in diesen Anschauungen vertreten, des Wilden Ansichten,
-des Polytheisten, des Monotheisten und des höchstdenkenden, völlig
-abstrakten Philosophen. Und das Übel ist, daß das meiste nebeneinander
-hergeht, das Absurdeste mit dem Großartigsten sich nahe verträgt.
-Gleichwohl müssen wir annehmen, daß das Naturmenschliche an sich allem
-voraufgegangen ist und sich später neben dem Höheren noch erhalten
-hat, mitunter auch in einer Kraft, daß es dieses Höhere völlig
-überwallt. Als die Indier ihr jetziges Land von Iran aus erwarben
-und in allmählichem Vordringen in Besitz nahmen, was wohl vor mehr
-als viertausend Jahren geschah, fanden sie schon eine, nichtarische,
-Bevölkerung vor, wir nennen sie Dravida, die noch gegenwärtig
-wesentlich auf dem Standpunkte des Naturmenschen sich befindet. L.
-~Feuth~ in seiner interessanten Sammlung „Aus dem Lande der Nibelungen“
-schreibt den Dravida weite Verbreitung, bis nach Persien hin, und
-bedeutende Kultur zu. Ich vermag ihm aber in seinen Argumenten nicht
-zu folgen. Fetisch- und Seelenglaube waren vorherrschend, und böse und
-gute Geister erfüllten das All und wohnten in allen Gegenständen,
-namentlich in Tieren (Schlange), doch auch in Bäumen, Pfählen, Steinen.
-Sollte die Seele eines Verstorbenen in einen Gegenstand einziehen,
-so wurde dieser auf das Grab gesetzt und mit Öl bestrichen. Das
-Priestertum war ein Schamanentum.
-
-Die Indier haben manches von diesen Anschauungen und Kulten angenommen,
-wenn sie es nicht schon selbst mitgebracht haben sollten. Die Schlange
-(Nâgaa) spielt bei ihnen eine große Rolle, sogar als Gewitter- und
-Sturmerregerin. Krischna sieht seines Bruders Râma Seele „als Schlange
-aus seinem Munde hervorgehen und in das Meer gleiten, wo sie von den
-Schlangengöttern mit großen Ehren empfangen wurde“. Das entspricht
-völlig dem, was auf S. 45 gesagt ist. Und so wurde auch den Schlangen
-ein erheblicher Kult gewidmet. Ein anderer Fetisch ist der „weiße
-Elefant“, der mit dem Apis der Ägypter verglichen werden darf und
-der als Regenmacher dient. Gubernatis hat über die Tiere in der
-indogermanischen Mythologie ein umfangreiches Buch verfaßt, auf das
-verwiesen werden muß. Die Deutungen auf Naturerscheinungen, wie Wolken,
-Morgenröte, Blitz, Donner usf., lehnt Lippert ab. Für die Urzeit, wie
-ich glaube, durchaus mit Recht; später haben die betreffenden Tiere in
-der bilderreichen Sprache des Indiers allerdings zur Allegorisierung
-der vergötterten Naturerscheinungen gedient. Auch die Ägypter nannten
-trotz ihres Apis sehr viele Götter „Wildstier“. Und nicht selten ist
-die allegorische Bedeutung völlig vergessen und tritt das Tier an
-Stelle der Erscheinung, wie die Kuh für die Morgenröte, oder Kühe
-für Wolken, das Roß in Vertretung Indras als Sonnen- und Wettergott
-(auch Poseidon wandelt sich in ein Roß), wie ferner die Schlange
-als Wolkenungetüm, das die Wasser zurückhält und von Indra mit dem
-Donnerkeil erschlagen werden muß, bevor die Wasser befreit sind und
-auf die Erde strömen können. Der weiße Elefant wird sogar gewürdigt,
-sich in den Schoß der Prinzessin Maja zu begeben und von ihr als
-Buddha geboren zu werden. Die Seelen bedürfen in der Unterwelt der
-Nahrung. Sie empfangen sie aus den Opfern, den Geschenken, die sie im
-Leben an die Priester der Unterweltsgottheit Yama gespendet haben.
-Lippert erzählt, daß Fürsten Hunderte von Dörfern und ganze Länder an
-Brahmanen vergeben hätten, um dadurch im Jenseits standesgemäß versorgt
-zu sein. Überhaupt soll das „Gib, auf daß ich gebe“ ein Grundzug der
-alten indischen Indrareligion sein; was dem entsprechen würde, was
-von Naturmenschen zu erwarten ist (S. 39 f.). Indessen konnten doch
-arme Leute sich dadurch den Unterhalt im Jenseits sichern, daß sie
-sich auf Erden besondere Entbehrungen und Kasteiungen auferlegten.
-In dem als Bhagavad-Gîtâ (Gottheit-Lied) bezeichneten Zwiegespräch
-des Epos Mahâbharâta, das man schon mit der Ilias verglichen hat,
-das aber gedanklich so viel höher steht als diese, als sie im ganzen
-künstlerisch von ihm übertroffen wird, will der Pandu-Held Ardschuna
-nicht gegen seine Verwandten, die Kuruiden, kämpfen. Er sagt zur
-Begründung (Übersetzung von R. Boxberger):
-
- Wie sollten wir, die Wissenden, nicht scheuen diese Freveltat,
- Da auf Geschlechtesuntergang ein zahllos Heer von Übeln naht?
- Stirbt ein Geschlecht, so höret alsbald auf der Manenopfer Pflicht,
- Und ruhlos wird der ganze Stamm, wenn Ahnenkultus ihm gebricht ...
- Dann gehen Stammesmörder samt dem ganzen Stamm zur Unterwelt,
- Denn aus dem Himmel stürzt der Ahn, sobald das Manenopfer fehlt.
-
-Der Ahn darf also nur so lange im Himmel bleiben, als er Opfer
-empfängt, sobald dieses aufhört, muß er in die Unterwelt. Auch die
-Gottheit Krischna (Wischnu), die eben mit Ardschuna das Zwiegespräch
-hält und die so außerordentlich hohe Ideen vertritt, lehrt:
-
- Zu Göttern geht, wer sie verehrt; zu Ahnen, wer diese ehret, ein;
- Zu Larven, wer die Larven ehrt; zu mir, wer mich verehrt allein.
-
-Und er stellt auch fest, daß der Mensch nach dem Tode mit dem
-vereint wird, woran er im Sterben denkt. Völlig wildenmäßig mutet
-es an, wenn in dem Atharvaveda zu dem Toten gesagt wird: „Kehre
-nicht zurück auf den Götterpfaden, dort bleibe, wache bei den
-Vätern“, und namentlich, wenn den Toten die Fessel angelegt wird:
-„Die Kudifessel, die man den Toten anlegt, die Hemmerin der Füße“
-(S. 42). Selbst der große Sanskritkenner Max Müller gibt das
-Naturmenschliche in den Anschauungen der Indier zu, aber doch nur in
-den allerursprünglichsten. Indem er jedoch den Gang dieser Anschauungen
-an einem Gott, an Agni, dem Feuergott, darlegt, sagt er: „Sie werden
-sehen, daß wir im Veda diesen Gott des Feuers beobachten können lange
-bevor er überhaupt ein Gott ist, und auf der anderen Seite werden wir
-seine weitere Entwicklung bis dahin zu verfolgen imstande sein, wo er
-nicht bloß ein Gott des Feuers, sondern ein höchster Gott, ein Gott
-über allen anderen Göttern, Schöpfer und Lenker der Welt ist.“ Dann
-erzählt er, wie Agni in den Veden oft menschlich und tierisch aufgefaßt
-wird. Dêva wird er zunächst, rein physikalisch, der „Glänzende“,
-genannt, bis dieser Name höhere und höhere Bedeutung gewinnt und
-Gottheit überhaupt bezeichnet. Dabei bleibt das Bewußtsein von der
-eigentlichen Natur des Agni: „Du, o Agni, wirst geboren, zu erstrahlen
-wünschend, du wirst geboren aus den Himmeln, du aus den Wassern, du
-aus dem Steine, du aus dem Holze, du aus den Kräutern, du, o König
-der Menschen, der reine“, heißt es in einem Lied des Rigveda. Daraus
-aber ergibt sich, daß für Max Müller Agni auch in der ursprünglichsten
-Auffassung nicht ein Fetisch im Sinne des Naturmenschen ist. Aus
-solchen Rigvedaversen an Agni, wie: „Du bist dem Menschen immer Vater
-und Mutter“, „Agni halte ich für meinen Vater, ich halte ihn für meinen
-Verwandten, meinen Bruder und meinen beständigen Freund“, könnte Agni
-als Ahn in Anspruch genommen werden, aber dem stehen unzählige andere
-Verse unmittelbar entgegen. Alles was von Agni gesagt wird, er lecke
-mit Zungen, er esse mit scharfen Kinnbacken, er zerkaue und strecke
-nieder die Wälder, er tue den Bäumen Gewalt an, er mache die Pflanzen
-zu seiner Speise, er schere das Haar der Erde, er springe aus dem
-Holz hervor usf., klingt theromorph und anthropomorph, kann aber kaum
-anders denn als sehr prägnante dichterische Ausdrucksweise angesehen
-werden (s. jedoch S. 33 f.). Wenn es dann an einer anderen Stelle des
-Rigveda heißt: „Agni, unser Priester, wird beim Opfer herumgeführt,
-ein Roß seiend“, so könnte man freilich wie bei Swantewit an einen
-Tierfetisch als Vertreter Agnis denken. Max Müller lehnt es aber ab
-und hält auch dieses für bildliche Ausdrucksweise, und nach allem, was
-sonst der Rigveda von Agni sagt, wohl mit Recht. Agni ist freilich kein
-ursprünglicher Gott, der Urgott der Indier scheint Indra zu sein, der
-später von seiner Höhe herabsank, immerhin aber stets Bedeutung hatte,
-während er bei den Eraniern sich nur noch als Geist findet. Der gleiche
-Forscher führt als weiteres Beispiel die Stürme (Marut) an, von denen
-auch im Rigveda ganz persönlich gesprochen wird. Sie schütteln Himmel
-und Erde, gleich dem Saum eines Gewandes, sie erscheinen glänzend auf
-ihren Wagen mit Speeren, Dolchen, Ringen, Äxten und Peitschen, die
-sie in der Luft klatschen lassen, sie schießen Pfeile und schleudern
-Steine, sie haben goldene Kopfbinden rings um den Kopf, sie werden auch
-als Musikanten Sänger, Pfeifer und Tänzer, mitunter auch als Vögel und
-als wilde Eber mit Hauern dargestellt. Man kann nicht irdischer und
-dramatischer sprechen, und weniger fetischmäßig. Wie es sich mit dem
-Soma als Gottheit, als Opfer und als berauschendes Getränk verhält, ist
-nicht ganz klar, so wenig wie bei dem entsprechenden Haoma der Eranier.
-Ursprünglich als höchst bedeutungsvoll, ja Unsterblichkeit verleihend,
-dargestellt, gepriesen und empfohlen, wurde es später verpönt und
-verboten, wahrscheinlich infolge zu großer Anwendung als berauschendes
-Getränk. Einen Fetisch werden wir in der betreffenden Pflanze, die also
-von Soma bewohnt gewesen sein sollte, kaum sehen können.
-
-Nach allem möchte ich glauben, daß zwar die Indier des Rigveda und der
-folgenden Zeiten die Seele und ihr Leben naturmenschlich aufgefaßt
-haben. Dafür spricht schon die angenommene Seelenwanderung, von der
-später die Rede sein wird. Daß sie selbst Götter naturmenschlich als
-mit menschlichen Bedürfnissen und Schwächen behaftet sich dachten. Daß
-aber der Fetischglaube sich nur in vereinzelten Erscheinungen, die für
-das Ganze bedeutungslos waren, geltend machte, selbst wo Tiere wie
-Stier, Schlange, Elefant und der berühmte Affe Hanumann in Betracht
-kommen. Im einfachen Volk und bei Einzelnen wird natürlich, wie ja
-auch bei den höchsten Kulturnationen, sehr viel Fetischismus vorhanden
-gewesen sein. Aber die Religionsanschauungen der Indier nehmen eine so
-merkwürdige Richtung, einerseits in das rein Abstrakte, andererseits
-in das rein Ethisch-Anthropopathische, daß so niedrige Ansichten
-wie die des Fetischismus nicht in ihnen als Wesentliches existiert
-haben können, trotz aller heiligen Tiere und verehrten Erscheinungen.
-Der Fetischismus stellt sich sonst überall mit einer gewissen
-Selbstverständlichkeit dar -- er ist ja dem Naturmenschen in der Tat
-selbstverständlich --, die gegenständliche Ausdrucksweise der Indier
-ist aber meist so dunkel und verstiegen, daß wir uns zu Allegorien
-und Symbolen retten müssen, wenn wir nicht reinen Unsinn und absurdes
-Geschwätz bei einem doch so tief veranlagten, so hoch denkenden und so
-dichterisch empfindenden Volke annehmen wollen. Höchstens furchtbaren
-Dämonenglauben und ins äußerste gegen sich und gegen die Mitmenschen
-getriebene Konsequenz gewisser Götter- und Kultlehren müssen wir bei
-einzelnen Sekten zugestehen, und Leichtgläubigkeit gegenüber von
-Behauptungen anerkannter und nicht anerkannter Priester und Zauberer,
-und endlich einen verblüffenden, spitzfindigen, kleinlichen, das ganze
-Leben wie ein eisernes Gespinst durchziehenden Formalismus gegen die
-höheren Mächte, von denen selbst der so freie Buddha das Volk nicht
-hat lösen können. Solche Ausdrücke wie in dem Rigveda: „Indra hilft
-dem, der reichlich schenkt und opfert; eine heilige Handlung hat keine
-Wirkung, wenn die entsprechende Dakschina nicht gereicht wird“, und
-„Indra wendet sich ab von Dürftigkeit und Hunger“, dazu Verwünschungen
-von Werkfeindlichen und Nichtopfernden, sind freilich schlimm. Dieselbe
-Ansicht findet sich sogar in der Bhagavad-Gîtâ. Krischna sagt daselbst:
-
- Als einst der Herr die Welt erschuf, setzt’ er den Opferdienst auch
- ein,
- Durch diesen pflanzt euch fort, er soll des Vaterfluches Ruh euch
- sein.
- Durch ihn ernährt die Götter all, daß sie erhalten diese Welt;
- Nur so gelanget ihr zum Heil, wenn eins das andere erhält.
- Erwünschtes Gut gewähren sie, wer ihnen Opferdienst gewährt;
- Ein Dieb ist, wer, den Göttern nichts entgeltend, ihr Geschenk
- verzehrt.
- Wer von des Opfers Überrest sich nährt, wird frei von Sündenqual,
- Doch ihr verfällt, der nur für sich bereitet hat das Festesmahl ...
-
-Dabei steht die Bhagavad-Gîtâ im bewußten Gegensatz zu den „heiligen
-Schriften“, also wohl den Veden und ihren Opferkommentaren. Noch
-schlimmer sind die Witwenverbrennungen und gar die tückischen
-Menschenopfer an die Zerstörungsgöttin Kali. Auch zeigen sich
-die bildlichen Darstellungen der Gottheiten meist aufs höchste
-abenteuerlich-grotesk und nicht selten rein götzenhaft. Wir haben aber
-bei den Indiern in Anschauung, Literatur und Kunst eine wunderliche
-Mischung von Edelstem und Rohestem, Schönstem und Abstoßendstem, wie
-kaum bei einem anderen Volke. Das erschwert die richtige Einschätzung
-außerordentlich. Denn wer hört und liest, daß Götterbilder gebadet
-werden sollen, daß Götterbilder mit Leben begabt und des Lebens beraubt
-werden, wird gewiß geneigt sein, in diesen Götterbildern Fetische zu
-sehen. Wer aber an die unglaublichen geistigen Leistungen des Volkes
-denkt, wird jenes auf gleiche Stufe stellen mit dem entsprechenden bei
-der Athene, bei unseren Marien- und Heiligenbildern und bei unseren
-Kirchen, wo ebenfalls Weihung und Entweihung stattfindet, und es mit
-dem Bedürfnis so vieler Menschen erklären: woran sie sich wenden,
-gegenständlich vor sich zu haben, und dieses dann mit Verehrung zu
-behandeln; und der Verehrung zu entkleiden, sobald es profanem Zwecke
-übergeben wird oder übergeben werden muß.
-
-Man hat die ältere Indierreligion, die sich an die Namen Indra, Rudra,
-Yama, Agni, Varuna, Mitra u. a. anschließt, als die ~Vedareligion~
-bezeichnet, die jüngere, um die Trimurti: Brahma, Wischnu, Çiva, mit
-den zugehörigen Frauengestalten, sich bewegende, als ~Hindureligion~.
-Brahma gehört beiden Religionen. Für die jüngere Linie gilt
-hinsichtlich unseres Themas nichts anderes als für die ältere. Die
-Gottheiten sind nur konzentrierter und machtvoller und darum -- bis
-auf Brahma, von dem als von einem Abstraktum nachher zu sprechen ist
--- um so furchtbarer; Çiva gehört zu den grauenvollsten Schöpfungen
-der menschlichen Phantasie. Die dritte und vierte, mit dem Hinduismus
-parallele Religionsanschauung: der höhere ~Brahmaismus~ und der
-~Buddhismus~ gehen schon über eigentliche ~Religions~anschauungen
-hinaus und führen in die philosophische Theosophie und das ethische
-Menschentum. Wir werden ihre Hauptlehren aber gleichwohl noch,
-wenigstens teilweise, mit in diesem Buche behandeln.
-
-Die ~Chinesen~ machen uns die Arbeit leicht, ihre konfuzianischen
-Anschauungen, die der Staatsreligion angehören, sind so völlig
-auf Seelen- und Ahnenglaube begründet, wie kaum selbst bei einem
-Naturvolke. Wie die ganze Welt durch das Zusammenwirken von Yang
-(Wärme, Licht, Männlichkeit) und Yin (Kälte, Finsternis, Weiblichkeit)
-entstanden ist, besteht auch die Seele aus zwei Teilen: einem guten
-Teil, Schen, und einem bösen, Kwei. Nach dem Tode gibt jener Teil
-die guten, dieser die bösen Geister. Der Tote bedarf der Wartung und
-stetiger Gaben. Letztere werden ihm jetzt meist in Attrappen aus Papier
-gereicht, das gilt namentlich von Geld, Menschen und Tieren. Im Hause
-sind auf einem Tisch Seelentafeln aufgestellt, die Namen und Rang der
-Ahnen enthalten, vor ihnen Opfer an Speisen und Trank. Seelentafeln
-besitzen auch die Tempel und Altäre der Götter, Kaiser, Heiligen,
-großen Männer und der Naturgegenstände (Flüsse, Berge, Sterne, Sonne,
-Mond, Himmel usf.), welche verehrt werden. Es wird angenommen, daß
-die Seelen sich zeitweilig in diese Tafeln (oder auch Bilder) begeben
-und von den Opfern genießen. Selbst die höchstverehrten Gegenstände,
-Himmel und Erde, werden als Seelen verehrt. Der Kaiser, „der Sohn des
-Himmels“, ist die Seele des Himmels auf Erden. So durchdringt der
-Seelenglaube und Seelenkult die ganze Staats- und Volksreligion, und
-wie das Volk allen möglichen Seelen opfert, so geschieht es auch vom
-Staat, vom Kaiser und den Mandarinen an bestimmten Tagen, einzeln
-und kollektiv. Seelen, welche sich bewähren, indem sie die Wünsche
-erfüllen, erhalten die ausschweifendste Verehrung; ihnen werden
-Kapellen und Tempel errichtet, das Volk strömt in Massen mit Geschenken
-aller Art herbei. Bleibt die Erfüllung der Wünsche aus, so geraten die
-Seelen in Verruf und werden verlassen. Priester und Priesterinnen sind
-imstande Seelen in sich aufzunehmen und von Ort zu Ort zur Anbetung
-zu transportieren, sie sind lebende und wandelnde Fetische. Indessen
-scheint es, als ob gegen das Verfahren des Wilden der umgekehrte Weg
-eingeschlagen ist. Dieser entnimmt die Seele dem Menschen oder Tiere
-und versetzt sie in die Gegenstände. Die Chinesen dagegen glauben, daß
-die Seele der Lebewesen aus der Seele von Gegenständen, nämlich aus
-der des Himmels (als Schen) und der der Erde (als Kwei) stammt. So
-werden auch folgerichtig Krankheiten daraus abgeleitet, daß Schen den
-Körper ganz oder zum Teil verläßt, und besteht die Kunst des Arztes
-nicht darin, einen bösen Geist aus dem Körper zu bannen, sondern den
-guten in den Körper zurückzuführen. Es ist also nicht richtig, wenn
-die Anschauungen der Chinesen denen der Naturvölker gleichgesetzt
-werden, vielmehr gehören sie eigentlich dem Pandeismus statt dem
-Pananimismus, an, und zwar einem dualistischen. Das Naturmenschliche
-tritt in der Verselbständigung der Seelen hervor und in den materiellen
-Eigenschaften, die den Seelen zugeschrieben werden. Deshalb freilich
-unterscheiden sich selbst die höchsten Seelen, die von Himmel (Tien)
-und Erde (Ki) und die der Kaiser nur graduell von den naturmenschlichen
-Seelen, und können allerdings sie und alle beseelt gedachten
-Gegenstände als Fetische bezeichnet werden. Die ganze Natur besteht aus
-solchen Fetischen. Der Gang der Natur, das Tao, das durch den Planeten
-Jupiter (Tai-sui) geregelt wird, bestimmt den Gang des Menschen; der
-Mensch hat sich genau diesem Gang anzuschließen, und wo er ihn nicht
-ohne weiteres erkennt, durch Orakel ihn zu ermitteln. Kombinationen
-ganzer und gebrochener Linien, die schon von dem 2300 v. Chr. gelebt
-haben sollendem Fohi herrühren, und denen, indem sie für Gottheiten,
-wie Himmel, Erde, Gewässer, Berge, Wind, Donner usf. stehen, dieser
-Gottheiten Seele innewohnt, dienen dazu; und die Enträtselung
-geschieht durch Priester. Die hierher zu rechnenden Lehren, die das
-ganze Leben und alle Handlungen des Chinesen, vom Niedrigsten zum
-Höchsten, regeln, hat Konfuzius im Yih-King gesammelt. Es war dem
-Menschen die Möglichkeit geboten, ganz in die Natur aufzugehen, ein
-Tschen-sjen zu werden und so mit der Welt einig zu leben. Indessen
-bestand ein Mittel, zum Ziele zu gelangen, doch auch darin, möglichst
-viele Schen in sich zu vereinigen; und das geschah ganz naturmenschlich
-durch Verschlucken von möglichst vielen Gegenständen, die man beseelt
-glaubte. Eine ganz andere Auffassung des Taoismus behandeln wir später
-(S. 143, 220).
-
-Der ~Buddhismus~, der als Foismus in China so weite Verbreitung
-gefunden hat, mußte sich solchen Volksansichten fügen und hat sich
-dem Seelenkultus angeschlossen, freilich auf eine ihm eigene, mehr
-geistige Weise, indem der Kultus durch Vorlesen seiner heiligen Bücher
-und Anrufen von Buddhas Namen geschieht. Doch kommt zur Abwendung
-von Unheil auch das Hersagen von Zaubersprüchen und das Opfern von
-Gegenständen in Frage, was ganz den Sinn der Geisterversöhnung hat.
-Gleiche Mittel dienen bei den Seelenmessen, die Seelen zu befreien, sie
-in den Zustand der buddhistischen Seligkeit zu versetzen. Wie aber hier
-die indische Tüftelei hineinspielt, zeigt sich an der Bedeutung des
-Gedankens. Es genügt oft schon, wenn ein Heiliger sich ganz in Wünsche
-für den Toten versenkt, um diesem die Seligkeit zu verschaffen. Wie
-auch in gleicher Weise ein Mensch sich selbst in den Heiligenzustand
-aller Grade versetzen kann, bis zum höchsten des Buddha, wenn er den
-Ordnungen des Hinayana und des Mahayana, die bekanntlich auch so vieles
-Edle und Ideale in sich vereinigen, nachstrebt. Der Buddhismus hat in
-Tibet und einem Teil der Mongolei als ~Lamaismus~ eine beherrschende
-Machtstellung gewonnen. Aber das Volk ist dabei leer ausgegangen. Es
-hat früher einem vollständigen Seelen- und Fetischglauben gehuldigt,
-war ganz dem ~Schamanentum~ ergeben, und jetzt sind Menschen seine
-Götter, die Lama, welche als inkarnierte buddhistische Intelligenzen
-angesehen werden; die beiden Höchstgestellten, der Dalai Lama und der
-Tasi Lama, als inkarnierte Boddhisattwen (historisch und geistig), die
-Unzahl der anderen als inkarnierte buddhistische Heilige vergangener
-Zeiten. Die Inkarnationen sind eine indische Erfindung; Wischnu zählt
-deren, Awatare, eine erhebliche Zahl. Der verkommene Buddhismus hat
-sich ihrer bemächtigt, um Menschenfetische aus einem der größten und
-edelsten Männer aller Länder und Zeiten zu schaffen. Neben den hohen
-Lehren des Meisters, die sich ja nicht verlieren können, wuchert
-greulichster Aberglaube und einfältigster Heiligenkult.
-
-Von den Anschauungen der ~Japaner~ habe ich schon bei anderer
-Gelegenheit gesprochen. Ihre primitive Religion aber, mit
-einigen Änderungen jetzige Staatsreligion, ist der ~Shintoismus~
-(chinesisch: Pfad der Götter, japanisch: Kami no Michi). Beseelung
-alles möglichen spielt wie in China eine Hauptrolle. Dazu die
-Vergöttlichung und der Kult von Herrschern und anderen Menschen
-(für Kriegskunst, Schreibkunst, Sittenlehre usf.) und die Verehrung
-von Tieren, wie Fuchs, Hirsch, Schildkröte Schlange, wesentlich
-wegen ihrer schädlichen Eigenschaften, sowie von gewissen Bäumen
-(Sakaki und Hinoki). Die Sanktuarien der Shintotempel enthalten als
-„Stellvertreter des erlauchten Geistes“, Mitamaschiro (auch Shintai),
-irgendeinen Gegenstand, einen Metallspiegel (in einem Spiegel hat
-die Sonnengottheit Amaterasu ihr Antlitz bewundert), ein Schwert u.
-a., die in Beutel oder Truhen verschlossen sind und als Fetische
-angesprochen werden könnten. Ähnliche Götterembleme in Schreinen haben
-auch die einzelnen Familien in ihrer Behausung auf einem „Göttersims“,
-neben Krügen oder Flaschen mit Maiswein und Vasen mit Zweigen der
-heiligen Bäume oder mit Blumen. Auch Familienahnendienst besteht in
-ausgedehntem Maße, und mitunter ebenfalls im Hause selbst, wo auf dem
-„Sims der erlauchten Seelen“ Seelentäfelchen stehen. Die Toten bekommen
-Gebrauchsgegenstände mit. Weiter an naturmenschliche Anschauungen
-erinnert die Furcht des Shintoisten, sich rituell zu verunreinigen.
-Blut, Tod und Geburt verunreinigen am meisten und nachhaltigsten, und
-wie der Neger die gebärende Frau absperrt, tut es auch der Shintoist.
-Auch Atem verunreinigt. Kein Verunreinigter darf einen Tempel besuchen.
-Und die Priester mußten mit vorgehaltenen Masken opfern, ganz wie Saxo
-Grammaticus von den Priestern des Swantewit erzählt, die im Tempel des
-Gottes nicht atmen durften, sondern zum Atmen jedesmal hinausgehen
-mußten. Lippert meint, da im Atem die Seele sei, solle eine Beleidigung
-der Gottheit, durch aufdringliche Vermischung der Menschenseele mit
-ihrer Seele, verhindert werden. Bei allem ist die vielfach sehr schöne
-Mythologie bemerkenswert, die sich auf Naturgottheiten bezieht.
-Der Shintoismus hat sich später mit dem Buddhismus vereinigt; die
-Gottheiten, Kami, wurden mit den Buddhas, ~Hotoke~, gleichgesetzt,
-sie sollen die Satzungen Buddhas bewahrt haben. Karl Florenz („Die
-Religionen der Japaner“, in dem B. G. Teubnerschen Sammelbuche „Die
-Orientalischen Religionen“), dem ich in obigem zum Teil gefolgt bin,
-sagt: „Die Shintogottheiten werden angerufen in Verbindung mit allem
-Günstigen, Freudigen, Glückverheißenden; Buddha aber in Verbindung mit
-den Kümmernissen des Lebens und beim Tode“. Das letztere entspricht ja
-völlig dem Charakter der Buddhalehre, wie das erstere dem Charakter
-des Shinto (eigentlich des Volkes) angemessen sein wird. Der reine
-Buddhismus soll in Japan eine höhere Stufe einnehmen als in China oder
-Tibet und sich mehr den Lehren des Meisters anschließen. Gleichwohl
-wird das Pantheon des japanischen Buddhismus als das riesenhafteste
-der Welt bezeichnet, wie Japan als das tempelreichste. Doch gehört die
-weitere Schilderung nicht mehr hierher.
-
-Indem wir nun noch ganz über den Stillen Ozean wandern, gelangen wir zu
-den ~amerikanischen Kulturvölkern~. In Amerika überhaupt scheint der
-Sonnenkult besonders verbreitet zu sein; seine größte Ausbildung hat er
-jedoch eben unter den Kulturvölkern dieses Erdteils erfahren. Bei den
-~Mexikanern~, wo der Sonnengott zugleich Kriegsgott (Huitzilopochtli)
-war, nahm dieser Kult die grauseste Form durch die Massenmenschenopfer
-an, die mit Kannibalismus verbunden waren. Blut mußten die Menschen
-den Gottheiten bei jeder Gelegenheit als Gabe bringen; war es nicht
-das eines Opfers, so war es das eigene Blut durch Schlitze in der
-Brust, den Ohren, der Zunge, den Lippen. Im Blut wohnt die Seele, wie
-wir wissen. Die ~Mayavölker~ übten ähnliche Gebräuche, wenn auch nicht
-entfernt in der rücksichtslosen Furchtbarkeit wie die Mexikaner. Und
-bei den ~Peruanern~ hat der Sonnenkult schon einen bedeutenden Adel
-erreicht, der nur selten von Menschenopfern unterbrochen wurde. Die
-Inka waren Sonnensöhne und vertraten die Sonnengottheit auf Erden.
-Vertreter der Gottheit waren auch die Herrscher Mexikos; sie legten
-einen Eid ab, bewirken zu wollen, „daß die Sonne ihren Lauf gehe,
-daß die Wolken regnen, die Flüsse fließen und die Früchte reifen.“
-Wir kennen ähnliche Verpflichtungen der Herrscher auch bei anderen
-Völkern, und ein König der Norweger hat sich selbst zum Opfer bringen
-müssen, als es unter seiner Herrschaft nicht gelang, die Götter dem
-Volke günstig zu stimmen und eine Hungersnot abzuwenden. In Mexiko
-wie in Peru erhielten die Herrscher schon bei Lebzeiten Gottesdienst
-und Opfer, die nach ihrem Tode fortgesetzt wurden. Menschliche
-Schutzgeister fanden sich überall. Zum Teil waren es die Geopferten
-selbst, die man dann schon bei Lebzeiten vor ihrer Opferung mit
-göttlichen Ehren behandelte und mit allen Gaben beschenkte, um sie sich
-günstig zu stimmen. Andere Geister gewann man durch Vermauern oder
-Vergraben von Menschen, namentlich von Kindern. Sonnensäulen und Huacas
--- ein Wort, das auch Geister bedeuten soll -- sind Mäler solcher
-Schutzgeister, oder auch Steine, die sich an den Orten befinden. Viel
-verbreitet in Mexiko war auch die Sitte, Götter selbst zu essen. „Am
-dritten Jahresfeste des Huitzilopochtli verfertigen die Priester ein
-Bild des Gottes, zusammengebacken aus allerlei Sämereien mit dem
-Blute der geopferten Kinder. Nach diesem Bilde schoß ein Priester
-einen Pfeil und durchschoß den Gott. Dann nahm ein Priester an ihm
-die Handlungen vor wie an einem Menschenopfer. Er öffnete die Brust,
-brachte ein Herz hervor und reichte es dem Könige, der es aß. Den
-Leib des Bildes aber verteilte er so an die Quartiere der Stadt, daß
-jeder Einwohner ein Teilchen davon erhalten konnte. Dieses nannte man
-Teocualo, der Gott, den man ißt.“ So erzählt Lippert. Die Handlung läßt
-verschiedene Deutung zu; die einfachste und naheliegendste scheint mir
-doch die zu sein, daß das Bild den Gott darstellte und jeder, aus einer
-Opferhandlung an ihm, einen Teil von ihm in sich aufnehmen wollte.
-Nach dem Genannten wären die Tempel hier, in Peru, und übrigens auch
-anderweitig, lediglich Begräbnisstätten für einen vergötterten Ahnen.
-Zu all diesem Naturmenschlichen kommen nun noch die Tierfetische,
-die Totems. In Mexiko gelten als solche Kolibri, Reiher, Adler,
-Schlange, Bär usf. Und die Götterbilder erhielten sie als Symbole,
-wie aus nebenstehender Darstellung einer Gottheit zu ersehen ist. Im
-Haupttempel wurde sogar eine lebende Klapperschlange gehalten und
-verehrt. In Peru kommt der Kondor hinzu. Wir besitzen durch John L.
-Stephens (Reisen in Zentralamerika, Reisen in Yucatan) eine große Zahl
-von Darstellungen mittelamerikanischer Gottheiten und Kulthandlungen.
-Auf dem seltsamen Kreuz zwischen den beiden anbetenden Figuren im
-Tempel zu Palenque steht ein Hahn oder ein Reiher, die Arme des Kreuzes
-enden wohl in stilisierten Schlangen. Tiere, Alligatoren, Vögel, Affen,
-kommen auf den Bildwerken Mittelamerikas oft vor, nicht selten auch
-Menschen mit eigenartigen Tierköpfen.
-
-[Illustration]
-
-Ich schließe damit die wohl etwas ermüdende Aufzählung. Das
-Naturmenschliche ist für eine Betrachtung der Welt- und
-Lebenanschauungen von außerordentlicher Bedeutung, weil es das
-Allgemeinmenschliche darstellt. Es verleugnet sich zu keiner Zeit und
-bei keinem Volke, selbst nicht bei uns, von denen nicht besonders
-gesprochen zu werden brauchte. Und wo es nicht offen zutage tritt,
-weil mehr Erfahrungen und bessere Einsichten zu anderen Anschauungen
-geführt haben, da wirkt es versteckt durchaus noch mit und lenkt
-die Ansichten weit mehr, als stolze Kultur zugestehen mag. Es ist
-materiell verfeinert und ethisch gehoben worden, aber im Wesen findet
-es sich nicht sehr verändert. Und eigentlich sind es nur der absolute
-Materialismus und absolute Energismus, die aber, wie sich später zeigen
-wird, zu absolutem Zwangssystem führen, sowie der Spinozismus, die das
-Naturmenschliche äußerlich ganz abgestreift haben. Demnach werden wir
-auch in der Folge noch oft an die bisherigen Darlegungen zu erinnern
-haben.
-
-
-17. ~Polytheistische, henotheistische und antagonistische Anschauungen.~
-
-Die Gesamtheit der Gottheiten des ~Polytheismus~ können wir einteilen
-in: irdische Geister- und Gegenstandsgottheiten, Vergötterungen,
-Naturerscheinungen, Herrsch- und Schaffensgottheiten, Schicksals-
-und ethische Gottheiten, Prinzipiengottheiten. Die beiden ersten
-Gottheitenarten sind unmittelbar naturmenschlich, sie gehören
-dem Animismus und dem Seelen-Ahnenglauben an. Sie liefern das
-unübersehbare Heer der Genien, Geister, Feen, Nymphen aller Art,
-Dämonen, Hexen usf., wovon schon die Rede gewesen ist. Auch die
-Naturerscheinungen als persönliche Gottheiten aufgefaßt, enthalten
-sehr viel Naturmenschliches. Ist das Feuer, das Wetter, der Sturm,
-die Sonne, der Mond, ein Stern, der Himmel, die Erde eine Gottheit,
-so muß eine Beseelung angenommen sein, die mit der betreffenden
-Erscheinung so verbunden ist wie bei den Lebewesen. Daraus folgt
-natürlich nicht, daß diese Beseelung aus den Lebewesen herstammen muß,
-sie kann selbständig gesetzt sein und mit besonderen Eigenheiten;
-wie auch eine Pflanze anders beseelt ist, denn ein Tier, und dieses
-anders, denn ein Mensch. Soll also auch nicht bestritten werden,
-daß in gewissen Fällen die Naturgottheiten in der Tat aus Fetischen
-abgeschiedener Seelen hervorgegangen sind, die sich die betreffenden
-Erscheinungen zum Sitze erwählt haben, so glaube ich doch nicht, daß
-dieses in allen Fällen geschehen ist. Weder Zeus als Himmel noch Helios
-als Sonne, noch Wuotan als Wetter, noch Rā, Indra, Mitra, Ahura-Mazda
-und so viele andere enthalten einen Hinweis auf rein Seelenhaftes.
-Wenn Seelen ihren Wohnsitz in Sonne, Wetter, Feuer usf. aufschlagen,
-so geschieht das in den hervorgehobenen Fällen immer, nachdem die
-Gottheit von der Erscheinung schon geschieden, Zeus schon der Gott des
-Himmels, Helios der der Sonne usf. geworden ist. Man muß auch beachten,
-wie in diesen Fällen so ganz anders von den Seelen gesprochen wird
-als von den Göttern. Homer ist für die Griechen Kronzeuge, da er in
-bezug auf die Seelen ganz naturmenschlich denkt, seine Götter aber
-absolut nichts Schattenhaftes, wie doch die Seelen bei ihm, an sich
-haben. Die Vergöttlichung der Naturerscheinungen ist eine Folge des
-Animismus überhaupt, nicht erst der Verselbständigung der Seele und
-ihrer Lokalisierung in der Welt. Auf dieser Stufe des Polytheismus
-gehören die Weltanschauungen einem monistischen Animismus an, der nur
-in der Weise einer Entwicklung fähig ist, daß die Beseelungen, besser
-die beseelten Dinge, mehr und mehr voneinander nach ihrer Bedeutung
-geschieden und geordnet werden, bis Wetter, Himmel, Sonne, Gestirne
-usf. höher bewertet sind als selbst der Mensch. Aber die Welt ist
-einheitlich aus, nach Art der lebenden Menschen, bestehenden Dingen
-zusammengesetzt, und sie war von je so und bleibt so. Ein Polytheismus
-ist nur darin zu sehen, daß eben die höher erachteten, das heißt
-die mächtigeren, Dinge aus egoistischen Gründen verehrt werden, wie
-Menschen auch, die man fürchtet und sich geneigt machen will.
-
-Wie man lernte, die Gottheiten aus den Dingen herauszunehmen und sie
-als ~Herrscher über diese Dinge~ zu setzen, ist schwer zu sagen.
-Die Erkenntnis und die Verselbständigung der Seele kann wohl nicht
-herangezogen werden, weil mit ihrer Entnahme die Ertötung der Dinge
-selbst notwendig verbunden war; beim Himmel und seinen Objekten, der
-Erde, dem Meere usf., aber davon keine Rede sein konnte. Zwar darf man
-von einem Sterben und Aufleben bei wechselnden Erscheinungen sprechen,
-wie bei Wettern, Sonnenunter- und -aufgängen u. ä., und das hat man
-ja auch überall getan. Aber das ist noch durchaus verschieden von der
-Beherrschung durch freie Gottheiten, die das wechselnde Verhalten der
-Dinge nach Belieben leiten. Auf dem rein animistischen Standpunkt
-glauben wirklich viele Völker, daß jeder Tag eine neue Sonne hat, die
-am Morgen geboren wird und am Abend stirbt. Ja, manche leiten daraus
-das Sterben der Lebewesen überhaupt ab. Ich habe die polynesische Sage
-von Maui, dem Sonnenheros, und seinem Tode in der Finsternisgöttin
-erzählt (S. 65); sein Tod brachte, erklären die Neuseeländer, das
-Sterben in die Welt, vorher hat alles unbegrenzt gelebt. Und Osiris,
-ursprünglich ein Sonnengott, ist nach seinem Tode ein Totengott
-geworden. Im siebzehnten Kapitel des Totenbuches heißt es: „Ich bin
-der gestrige Tag, ich kenne auch den morgenden Tag. Das ist Osiris.
-Was ist das? Der gestrige Tag ist Osiris, der morgende Tag ist der
-Lichtgott Rā.“ Hier zeigt sich’s ganz deutlich, daß wir es nicht mit
-von der Erscheinung getrennten Gottheiten zu tun haben; die gestrige
-Sonne ist Osiris, die heutige Rā. Aber ein Volk wie die Ägypter ist
-dabei nicht stehen geblieben, und wo es dem Rā oder Osiris die höchsten
-Eigenschaften zuschreibt, wozu auch ewige Dauer gehört, da hat es
-ihn von der Erscheinung schon abgelöst. Die Römer hatten etwas, das
-die Scheidung der Gottheiten von den Erscheinungen hätte vorbereiten
-können, die genii, die ja außer den Dingen stehen und diese leiten.
-Allein, sie schieben selbst den Gottheiten Genien zu; Jupiter hatte
-seinen genius wie Mars, Minerva, die anderen Götter alle, und wie
-Menschen und Tiere usf. Die genii standen also selbst den Göttern noch
-übergeordnet, die den Erscheinungen übergeordnet standen; wenn auch die
-genii untrennbar von den Göttern waren, daß man sie vielleicht auch als
-ihnen beigeordnet bezeichnen könnte.
-
-Man wird hiernach wohl nicht umhin können, anzunehmen, daß von den
-Erscheinungen getrennte Gottheiten durch ein Gefühl von Höherem als
-die Erscheinungen sich allmählich aufgedrängt haben. Dieses Gefühl
-wird erst sehr dunkel gewesen sein, sich aber bei einem Volke im
-Laufe der Jahrhunderte zu immer größerer Klarheit herausgearbeitet
-haben. Wie sehr Völker zu kämpfen hatten und haben, um sich dieses
-Gefühls stets bewußt zu sein, sehen wir ja daran, daß immer und immer
-wieder die Gottheit mit der Erscheinung verwechselt, trotz schon
-erreichter höherer Auffassung, in die rein animistische Auffassung
-zurückgefallen wird. In demselben Kapitel des Totenbuches, dem obiges
-Zitat entnommen ist, heißt es: „Ich bin der Urgedanke dessen, was da
-ist und was da sein wird. Was ist es? Das ist Osiris.“ Also dieser
-höchste Gedanke betrifft den gleichen Gott, der nur der gestrige Tag
-sein sollte. Ähnliches gilt von Helios, Marduk, Jupiter, Zeus und von
-anderen Gottheiten. Wenn es wahr ist, daß die Namen der Gottheiten
-Appellative sind (was freilich gegenwärtig nur für einige zugestanden
-wird), nur daß wir so viele noch nicht zu übersetzen vermögen, wie
-Istar, Aphrodite u. a., so ist eine derartige zweiseitige Auffassung
-ganz verständlich, die Namen entsprechen den mit den Erscheinungen
-identifizierten Gottheiten, zum Beispiel Dyaus (Zeus, Jovis), „was
-glänzt“, „das Strahlende“. Sie blieben den Gottheiten auch, als diese
-von den Erscheinungen getrennt wurden; und nun waren sie zugleich nur
-Namen, wie von Personen, und Erscheinungsbezeichnungen, sodaß die
-Gottheit bald ein Individuum, bald eine Erscheinung bedeutete. Lippert
-geht von der Ansicht aus, daß ursprünglich dem Seelen-Ahnenglauben
-entsprechend die Namen der Gottheiten Herr, Herrin, Mann, Frau, Geist
-besagen sollten. Zweifellos läßt sich das bei einigen Namen nachweisen.
-Zeus als Ὑπατος ist höchster Herr, Schang-ti der Chinesen für Himmel
-ist das gleiche, Freia ist die Frau, Mannus der Mann usf. Aber andere
-sind ebenso sicher nicht auf solche Bedeutungen zurückführbar. Dyaus,
-Dev, Div als Glanz, nach Max Müller, ist schon erwähnt. Hier freilich
-macht Lippert eine sehr treffende Bemerkung. Bei den Eraniern sind
-die Dev gerade das Entgegengesetzte wie bei den ihnen so nahestehenden
-Indiern, nämlich böse Geister statt gute. Es wäre nicht denkbar,
-daß man die bösen Geister auch als glänzende bezeichnet hätte. Es
-müsse darum Dev ursprünglich eine beiden Völkern gemeinsame neutrale
-Bedeutung besitzen. Und diese findet er nach Worten in slawischen
-Sprachen in der Tat nahestehend den Bezeichnungen seiner Annahme. Die
-Etymologien sind vielfach recht unsicher, er kann in diesem Falle wohl
-recht haben. Amun heißt aber der Verborgene oder Gerufene, Brahma der
-Sprechende, Agni der Flackernde, Apollon der Abwehrende, Helios der
-Brennende, Artemis die Schlachtende (als Todesgöttin), Wuotan der
-Wütende (der Stürmende) usf. Auch wären solche Namen wie Dyauspitar
-(Jupiter), Demeter unnötige Pleonasmen, wenn der erste Teil nichts
-anderes besagte als der zweite. Zu beachten ist endlich, daß umgekehrt
-selbst Personennamen in Würdebezeichnungen übergegangen sind, wie Cäsar
-in den Kaiser. Die Ansicht Lipperts wird sich also wohl kaum allgemein
-aufrecht erhalten lassen. Wo sie aber bei höchsten Auffassungen
-zutrifft, handelt es sich oft lediglich um Anerkennung der höchsten
-Herrschaft, wie bei unserem der HERR, nicht um Ahnenglauben.
-
-Wenn die Gottheiten von den Erscheinungen getrennt sind und nun
-diese beherrschen, so verursachen sie sie auch, wie Poseidon oder
-Wuotan den Sturm, Zeus oder Indra den Donner und Blitz, Osiris die
-Nilüberschwemmungen. Sie treten also nicht bloß als Leiter und
-Herrscher auf, sondern auch als ~Hervorbringer~, und wenn die letztere
-Eigenschaft ausgedehnt wird, können sie auch zu ~Schöpfern~ werden.
-Indessen hängt es wohl mit der ursprünglichen Anschauung von den
-Gottheiten als den Erscheinungen selbst zusammen, daß in vielen Fällen
-sie tatsächlich nicht als Schöpfer dieser Erscheinungen gelten. Im
-Gegenteil finden wir vielfach Kosmogonie mit der Theogonie verbunden;
-Erscheinung und die zugehörige Gottheit erstehen zugleich, oder
-sie sind zugleich vorhanden. Allenfalls werden Menschen, Lebewesen
-überhaupt, von einer Gottheit geschaffen. Und selbst dabei ist oft
-Unsicherheit und Zweideutigkeit vorhanden, indem neben diesen
-Schöpfungen auch spontane Entstehung angenommen wird, oder einfacher,
-Abstammung von Gottheiten auf natürlichem Wege. Es ist fast trivial,
-auf ~Hesiodos’~ Theogonie zu verweisen. Chaos, Ge, Tartaros, Eros
-werden, und nun entwickelt sich die ganze Götterreihe, wobei die
-Erscheinungen als ihnen selbstverständlich zugehörig und mit ihnen
-hervorgehend angesehen sind. Uranos entsteht mit dem Himmel, Helios mit
-der Sonne, Pontos mit dem Meer usf. Ähnlich liegen die Verhältnisse
-bei den ~Ägyptern~. Nun = Thot (Urwasser = Urgeist) sind vorhanden,
-es entwickelt sich die kosmogonische Götter-Vierpaarheit; wodurch
-die Grundlage zu allen Erscheinungen gewonnen ist. Aus einem Ei,
-das das Paar He-Hehet aus dem Urwasser heraufholt, ersteht Rā und
-mit ihm sogleich das Licht, die Sonne. Rā aber differenziert sich
-in neue Gottheiten, welche Naturerscheinungen darstellen. Unter den
-verschiedenen ~indischen~ Kosmogonien entspricht die wichtigste, mit
-den Grundelementen Tad (Das), Tapas (Inbrünstige Betrachtung), aus
-denen Kama (Wille), Ritam (Weltordnung, Kausalität), Satyam (Wahrheit,
-Folge) und der Wechsel von Tag und Nacht, Sonne, Mond, Gestirne usf.
-hervorgehen, gleichfalls diesem Prinzip. Noch mehr hierher gehört
-vielleicht die Kosmogonie, die mit Brahmanaspati (Herr des Gebets oder
-Opfers) als Urprinzip beginnt. Âditi und Dakhsha sind seine Folgen,
-das, woraus entsteht, und das, was entstehen lassen kann. Daraus
-die Âdityas, zu denen Varuna gehört. Dieser nun ist der eigentliche
-Weltschöpfer: er schafft alle Wesen, erhält Himmel und Erde, er setzt
-die Sonne an den Himmel. Die Sonne (Sûrya) wird jedoch auch wie Rā in
-einem Weltei aus dem Urmeere emporgehoben. Nach einem Rigvedahymnus
-stellt Varuna einen Baum „in das Bodenlose“ auf, der wohl ein
-~Weltbaum~ sein soll, wie die Esche Yggdrasil der Germanen. W. Schwartz
-hat ein Buch, „Indogermanischer Volksglaube“, geschrieben, in dem er
-den Weltbaum als Licht- oder Sonnenbaum erklärt und als kosmogonisches
-Prinzip in Anspruch nimmt. „Das aufsteigende Licht erschien .... als
-Lichtsäule oder unter dem Reflex eines Baumes als Stamm; die in den
-Wolken sich verästelnden Sonnenstrahlen als Äste und Zweige, die Wolken
-als Blätter.“ Nach ihm und anderen wären Sonne, Mond, Gestirne Früchte
-dieses Himmelsbaumes. Ich kann diesem und was noch weiter von fast
-allen Erscheinungen als mit dem Weltbaum zusammenhängend gesagt wird,
-nicht folgen, so interessant die Ausführungen im einzelnen sind. Der
-Weltbaum ist, glaube ich, lediglich als Stütze der Welten gedacht,
-oder als Träger, da ja für den wissenschaftlich nicht geschulten
-Geist eine Stütze durchaus nötig ist, so daß eine solche fast auf
-der ganzen Welt als Baum, Berg, Säule, Tier, Mensch usf. angenommen
-wird. Varunas Baum wird nichts anderes sein, wie auch Zeus’ Baum, auf
-den er die Welt gleich einem Gewand gehängt hat. Bei den ~Japanern~
-entstehen wenigstens die Sonnen-, Mond- und Sturmgottheiten (Amaterasu,
-Tsonkiyoumi, Sousano) zugleich mit Sonne, Mond, Gewitter aus dem
-rechten und dem linken Auge und aus dem Atem des Götterpaares Isanami
-und Isanaghi.
-
-In anderen Fällen sind die Gottheiten vorhanden, und besondere von
-ihnen bauen die Welt, wenn nicht einer von ihnen alles bildet. Dann
-werden die Erscheinungen unter die Gottheiten verteilt. Schon die
-~Ägypter~ kennen einen allgemeinen Weltschöpfer, der bald Amun,
-bald Osiris, Rā, Ptah, Atum oder Tum genannt wird. So heißt es in
-dem siebzehnten Kapitel des Totenbuches: „Ich, der Gott Atumu, ich
-bin der Seiende. Ich war allein im Urgewässer (Nun). Ich, der Gott
-Atumu, der Schöpfer des Himmels und Bildner des Seienden, ich bin
-aufgegangen aus dem Urgewässer.“ „Ich bin der Lichtgott Rā in seinen
-ersten Aufgängen. Was ist das? Nämlich der Lichtgott Rā als König am
-Anfang seiner Herrschaft über das, was er erschaffen hat.“ Aber an der
-gleichen Stelle wird doch Rā als Gottheit (Atumu) in der Sonnenscheibe
-bezeichnet: „Ich bin der, welchen keiner unter den Göttern übertrifft.
-Was ist das? Das ist Atumu (wofür auch Rā steht) in seiner Scheibe.“
-Und ferner wird ein solcher Schöpfer zunächst nur Schöpfer der
-Gottheiten dargestellt, die nun ihrerseits weiterschaffen. So heißt es
-in dem sogenannten Apophisbuch von 310 v. Chr., das einem Priester
-Esmin ins Grab gegeben war und ihn in der Unterwelt vor dem Feinde
-Rā’s, dem Drachen Apophis, schützen sollte, und in dem Rā als Allherr
-redet:
-
- Erst als ich entstanden war, entstand das Entstandene,
- Alles Entstandene entstand, nachdem ich entstanden war.
- Zahlreich waren die Gestalten, die aus meinem Munde herauskamen.
-
-Nun wird, wie in babylonischen und anderen Schöpfungsgedichten,
-erzählt, was nicht vorhanden war. Dann lautet es: „Ich schuf alle
-Gestalten, indem ich allein war.“ „Es entstanden viele Gestalten
-der Gestalten, In den Gestalten der Erzeuger Und in den Gestalten
-ihrer Kinder. Ich ergoß Samen in meine Hand, Ich begattete mich mit
-meinem Schatten.“ „Ich spuckte aus den Schu, ich spie aus die Tafêne
-(Tafnut).“ „Sie (diese Götter) brachten mir mein Auge hinter sich
-her, Und nachdem ich es mir eingesetzt hatte, Weinte ich über sie.
-So entstanden die Menschen.“ Bis auf das letzte sehr schöne Bild,
-daß die Menschen aus den Tränen (rîme = weinen, rôme = Mensch) des
-Gottes entstehen, ist alles wunderlich, kraus und zum Teil häßlich.
-Weiter wird erzählt, wie von Schu und Tafnut alle anderen Götter
-hervorgehen. Sie erzeugen Qeb und Nut, diese Osiris, Seth, Isis,
-Nephthys. In einem anderen Text sagt Rā zu Thot: „Ich werde dich aber
-die beiden Himmel mit deiner Schönheit und deinen Strahlen umfassen
-lassen.“ Und als Erklärung wird hinzugefügt: „Das ist die Entstehung
-des Mondes, des Thot.“ Der Wert derartiger Feststellungen wird dadurch
-sehr geschmälert, daß sie so oft auf einem Wortspiel beruhen. Und in
-Wortspielen ist niemand so groß wie die Ägypter, Brugsch gibt eine
-Menge Beispiele dafür.
-
-Bei den ~Babyloniern~ sind die Gottheiten schon vor der Welt vorhanden,
-mindestens die drei: Anu, Ellil und Ea, wohl auch die Istar. Andere
-heißen ihre Söhne, wie Marduk Sohn Ea’s genannt wird. Die Welt ist,
-wenigstens zum Teil, von Marduk gebildet. In dem Schöpfungsepos, Enuma
-Elis, Tafel VI ist leider gerade der diese Bildung beschreibende Text
-fast ganz zerstört. Einiges ersieht man aber aus der Tafel VII, in der
-Marduk unter verschiedenen Namen gepriesen wird. Dort heißt es von ihm
-u. a.:
-
- „Tutu-Ti-Ukkinu, Leben der Götterschar,
- Der für die Götter festsetzte den glänzenden Himmel,
- Der ihre Wege in die Hand nahm, bestimmte ihre Bahnen.“ --
- „Der himmlischen Sterne Bahnen haltet er in Händen.“ --
- „Weil er die Stätte geschaffen, die Feste gebildet,
- Nennt seinen Namen ‚Herr der Länder‘, Vater Ellil.“
-
-Ein anderer Text gibt Anu als Schöpfer des Himmels, Nudimmud, d. i.
-Ea, als Schöpfer des Ozeans an. Letzterer schafft dann auch aus Lehm
-den Ziegelgott, den Schmiedegott, kurz überhaupt die Handwerksgötter,
-und ferner Berge, Meer, Rohr, Wald, Könige, Menschen usf. Nach noch
-einem anderen Text ist es die Göttertrias Anu, Ellil und Ea, die Sonne
-und Mond mit den Gottheiten Samas und Sin hervorbringt. Wunderlich
-klingt folgende Reihe aus einem als „Beschwörung gegen Zahnschmerz“
-bezeichneten Texte. Der Verfasser beginnt mit dem Uranfang, ehe er zu
-seinem Zahnwurm kommt, der ihn plagt:
-
- Nachdem Anu den Himmel erschaffen,
- Der Himmel die Erde erschaffen,
- Die Erde die Ströme erschaffen,
- Die Ströme die Gräben erschaffen,
- Die Gräben den Sumpf erschaffen,
- Der Sumpf den Wurm erschaffen.
-
-Was endlich in einem letzten Text (alle aus „Greßmann, Altorientalische
-Texte“ entnommen) der Strom, „der alles schuf“ und den die großen
-Götter gruben und mit Zyklon, Feuer, Grimm, Schrecken, Furchtbarkeit
-begabten, bedeuten soll, weiß ich nicht. Die babylonischen Texte
-enthalten nicht selten, was uns Aberwitz erscheint. Wir haben ja
-auch unter ihnen reine Schülerarbeiten und Formeln von irgendwelchen
-obskuren Beschwörern; Kundgebungen, die nicht besser ausgefallen sein
-werden, als solche gegenwärtig ausfallen.
-
-Ähnliche Ideen von der unabhängigen Schöpfung der Erscheinungen und
-der Gottheiten finden sich bei den ~Indiern~. Da aber bei diesen ja
-alles vertreten ist, läßt sich eine Scheidung zwischen den einen und
-den anderen Ideen kaum bewirken. So gehört das oben (S. 132) Gesagte
-zum Teil auch hierher, namentlich wenn die Gottheiten so verblaßt sind
-wie dem Varuna (oder wie der schaffende Gott genannt wird) gegenüber.
-Vielleicht hierher gehört auch die ~germanische~ Kosmogonie, denn
-im Eddagedicht Vafthrudnismal werden für Sonne, Mond, Tag, Nacht,
-Jahreszeiten Väter angegeben (Mundilföri für Sonne und Mond, Dallingr
-für den Tag, Norvi für die Nacht, Windswalr für den Winter, Savasudr
-für den Sommer: alle offenbar Appellativnamen). Die Erde ist aus Ymir
-hervorgegangen. Aber das Voluspagedicht, das von letzterem sehr wohl
-weiß, erzählt nichts von Vätern der erstgenannten Dinge; Sonne und Mond
-werden als vorhanden eingeführt, nur ohne Namen und ohne bestimmten
-Sitz, bis beides die Götter verliehen.
-
-Die ~Schicksalsgottheiten~ sollten nach unserem Gefühl mit den
-ethischen Gottheiten verbunden sein. Tatsächlich sind sie es nicht, sie
-stehen neben diesen. Sie sind auch früher als diese, denn Ethik, selbst
-nur Sinn für Recht und Unrecht ist nicht ursprünglich naturmenschlich,
-sondern Folge höherer Gesittung; ein praktisches Regulativ zwischen
-Egoismus und Altruismus, das das wirkliche Zusammenleben der
-Menschen miteinander ermöglicht -- abgesehen von der Kindesliebe,
-die ja überhaupt nicht bloß eine menschliche Eigenschaft ist. Die
-Schicksalsgottheiten entstammen dem dumpfen Gefühl der Ohnmacht des
-Menschen gegen Tod und Unheil. Alle müssen sterben, und vieles Unheil
-läßt sich mit aller Mühe, allem Flehen und allen Gaben an die gewählten
-Gottheiten nicht abwenden. Da der Mensch jedes gegenständlich auffaßt,
-so denkt er sich zuletzt persönliche Mächte, welche unbewegbar walten,
-und deren Willen gegenüber selbst seine Gottheiten ohnmächtig sind.
-So hängt sein Los ab von diesen Gottheiten und vom Schicksal. Erstere
-bewirken alles, sofern jene letzteren indifferent sich verhalten,
-Gutes und Böses; daher ihre Verehrung und Versöhnung mit Gabe und
-Beschwörung. Aber die Schicksalsgötter sind nicht zu beugen, sie werden
-darum sehr gefürchtet, und an ihnen wird möglichst vorbeigegangen.
-Die ~Griechen~ hatten für ihre Moirai: Klotho, Lachesis, Atropos;
-die Spinnerin (des Lebensfadens), die Loserin (der Geschicke), die
-Unabwendbare, einen gewissen, aber nur wenig verbreiteten Kult; die
-Römer für ihre Parcae: Nona, Decima, Morta, gar keinen, obwohl Parca
-ursprünglich Geburtsgöttin war. Ob die ~germanischen~ Nornen, in der
-Edda Urdr, Verdandi, Skuld (aber auch andere) verehrt worden sind,
-steht wohl nicht fest. Je höher die Herrscher- und Schaffensgottheiten
-steigen, um so mehr müssen die Schicksalsgottheiten zurücktreten.
-Sie verhalten sich darum überhaupt mehr passiv; sie herrschen nicht,
-schaffen nicht und leiten nicht. Sie bestimmen nur ein für allemal.
-Was sie bestimmen, geschieht, mitunter freilich (wie bei Homer) unter
-ihrer Mitwirkung. Trotz ihrer unabwendbaren Macht sind sie also nicht
-immer kosmische Gottheiten. Die griechischen ~Moiren~ waren Töchter von
-Zeus und Themis. Daher sind sie von den Unsterblichen den Sterblichen
-gesetzt, wie Penelope sagt. Ja, jedem Sterblichen kann eine Moira
-gesetzt sein. Dann ist Moira einfach das Geschick, und Zeus heißt der
-Moiragetes, wie Apollon der Musagetes. Aber Hesiodos nennt im „Schild
-des Herakles“ Atropos die „älteste und erhabenste Göttin“. Die ~Nornen~
-haben zum Teil noch niedrigere Abkunft, außer von Göttern auch von
-Alben und Zwergen. Mehr der indischen Auffassung von der Allbedeutung
-und Allmacht des Wortes entspricht die griechische Aisa und römische
-Fata für Moira und Parca. Es sind der Spruch des Zeus und des Jupiter,
-als der höchsten Gottheiten, dem aber diese Gottheiten selbst nicht
-mehr sich entziehen können, so daß die Folgen ganz unabwendbar bleiben.
-In dieser Auffassung schwinden die Schicksalsgottheiten als solche
-völlig und gewinnt das Wort bestimmende Kraft, oder der Spruch, oder
-der Gedanke, oder das Opfer. Das gehört schon in die Betrachtung der
-letzten Klasse von Gottheiten. Bei anderen Völkern als den genannten
-habe ich besondere Schicksalsgottheiten, den Moiren entsprechend,
-überhaupt nicht finden können; bei diesen werden also die eigentlichen
-Gottheiten zugleich auch das Geschick bestimmen. Sie haben auch nicht
-solche Sagen wie die Griechen, von dem Sturz ganzer Götterdynastien,
-und wie die Germanen, von der Vernichtung von Göttern in der
-Götterdämmerung, wenn auch Weltvernichtung ihnen bekannt ist.
-
-Ins Äußerste getrieben, führt die Schicksalslehre zum ~Fatalismus~,
-dem ~Kismet~, einem Bruder der rein mechanistischen Weltanschauung.
-Selbst das noch verhältnismäßig frohe Griechentum kennt diese triste
-Seelenberuhigung, der sich später namentlich die stoische Schule
-bemächtigte. Aber wie rührend klagt nicht schon Hekabe in den
-Troerinnen des Euripides:
-
- In die Wechsel des Schicksals füge dich still;
- Schiff hin, wie der Gott, wie die Welle dich treibt,
- Und kehre den Bug nicht wider den Strom;
- Denn du fährst mit dem Steuer des Schicksals.
-
-Von Gottheiten wie Nike, Fortuna, Victoria, Sors usf. braucht hier
-nicht gesprochen zu werden.
-
-„Fast in allen polytheistischen Religionen,“ sagt Twesten in seinen
-„Ideen der asiatischen Kulturvölker und Ägypter“, „welche Spuren ihrer
-älteren Gestaltung in der Überlieferung oder in dem späteren System
-bewahrt haben, bei den indischen und iranischen Ariern, wie bei den
-Ägyptern und bei den Griechen, tritt die Verbindung der Götter mit den
-Körpern oder Kräften der Natur mehr und mehr in den Hintergrund, indem
-bald an denselben Göttern intellektuelle und moralische Eigenschaften
-die Naturseite zurückdrängen, bald ein neues Geschlecht das ältere
-ersetzt, wenn dieses den geistigen Ansprüchen nicht mehr genügt.“ Das
-letztere muß zwar, als zu hoch gedacht, abgelehnt werden, aber mit dem
-voraufgehenden kann man sich nur einverstanden erklären.
-
-Die ~ethischen Gottheiten~, sofern sie mit dem Jenseits in Verbindung
-stehen, werden wir später behandeln. Für das Diesseits ~besondere~
-ethische Gottheiten einzuführen und hoch zu verehren, war nur den
-~Griechen~ vorbehalten. Apollon, Nemesis, Themis haben nirgends ein
-gleiches. Die Furiae der Römer, die den Erinnyen entsprechen, stehen
-gleichwohl in weiter Ferne von ihnen, da sie nur Gespensterseelen
-von Verbrechern sind, deren die Götter sich bedienen, lebende
-Verbrecher zu schrecken und zu strafen. In Apollon hat das, was
-wir als Griechentum bezeichnen, die Kalokagathie, seine blühendste
-Idee erreicht. Sonst werden die verschiedenen Gebiete des Ethos
-von verschiedenen Gottheiten mitverwaltet, insgesamt namentlich
-von der höchsten Gottheit. Die griechische Kalokagathie schließt
-ein: Gerechtigkeit, edles Benehmen, in sich gefaßte Harmonie des
-Lebens, ruhige Milde, Liebe zu Kunst und Kenntnis. Was über diese
-Eigenschaften hinausgeht: die entsagende, tiefgefühlte und stets
-geübte Liebe zur Menschheit, gehört, soweit ich sehen kann, nicht
-zum Kreise der Apollinischen Lehren. Man denke nur, wie als etwas so
-Außerordentliches es hervorgehoben wurde, daß die Athener einen Altar
-des Mitleids hatten, was doch selbstverständlich hätte sein sollen.
-Ein anderes dagegen mutet uns in der Apollinischen Lehre christlich
-und mosaisch an, die Entsühnung von Sünde; Apollon ist auch der
-entsühnende Gott. Er ist überhaupt die Gottheit des höheren inneren
-Lebens, darum auch der Amphiktyonie. Am nächsten den Griechen stehen
-die ~Eranier~; Ahurô Mazdâo ist das Prinzip des Guten, er ist aber
-zugleich ein Weltgott, das Prinzip des Lichtes. Das Gute, das er
-vertritt, bedeutet Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit. Das Schöne fehlt
-bei ihm, das für Apollon so charakteristisch ist: die edle Einfalt und
-stille Größe, wie Winckelmann von der Kunst der Griechen sagt. Wohl
-auch die vorbezeichnete Liebe. Ahurô Mazdâo, Ormuzd, gleicht mehr dem
-Zeus, der ja auch die Gerechtigkeit verwaltet, und nur partiell dem
-Apollon. Die ~Indier~ haben in der Wischnu-Lehre einen wunderlichen
-Ausweg gefunden, um einen Gott in verschiedener Bedeutung für die Welt
-erscheinen zu lassen und ihn zugleich menschlich-persönlich zu machen,
-die Inkarnationen, Awatâras, Wischnus. Von diesen kommen hier die erste
-und neunte in Betracht. Als Krischna ist Wischnu das Ideal alles Edlen,
-Guten und Schönen; halb Gott, halb Mensch, zieht er von Land zu Land
-in stetem Kampfe mit dem Schlechten und Gemeinen. Die schon erwähnte
-Bhagavad-Gîtâ (S. 115) enthält die Lehren dieses Gottes. Sie werden
-unendlich variiert vorgetragen:
-
- Furchtlosigkeit und Lauterkeit, im Wissenstrieb Beharrlichkeit,
- Freigebigkeit, Enthaltsamkeit und Opfer, Buße, Redlichkeit
- Und Unschuld, Güte, Freundlichkeit, Wahrhaftigkeit, Leutseligkeit
- Und Menschenliebe, Milde und Ernst, Schamhaftigkeit und Festigkeit,
- Kraft, Langmut, Würde, Mäßigkeit, Ausdauer, Demut
- Sind Zeichen göttlicher Geburt;
- Stolz, Heuchelei, Zorn, Prahlerei, Schamlosigkeit, Unwissenheit,
- Wer diesen frönet, ist dämonischer Geburt geweiht.
-
-An anderer Stelle werden Wollust, Zorn und Geiz die drei Pforten der
-Unterwelt (Hölle) genannt. Das entspricht alles der Apollinischen
-Lehre. Und doch ist im wesentlichen Krischnas Lehre weit von dieser
-entfernt, denn ihr Grundzug ist die absolute Entsagung; frei von
-Begierden, aber auch frei von Gefühlen. Den Menschen soll kein Leid
-anfechten, aber auch keine Freude erfreuen, die Sinnenwelt soll ihm
-nichts gelten:
-
- In jedem Ding der Sinnenwelt sind stetig Lieb’ und Haß vermählt,
- Die beiden sind des Weisen Feind; drum frön’ er nicht der
- Sinnenwelt.
-
-Und an anderer Stelle:
-
- Dem Eifer geht das Wissen vor, dem Wissen die Beschaulichkeit,
- Entsagung der Beschaulichkeit, und ihr die Unerregbarkeit.
-
-Das ist nichts Apollinisches, Apollon ist der Gott des maßvollen
-Lebens, er ist auch der Gott der schönen Sinnenwelt. Krischnas Lehre
-hat im späteren Buddhismus ihre Höhe erreicht (S. 214 f.). Und wirklich
-wird der Buddha als neunte Inkarnation Wischnus angesehen. Nach der
-Meinung der Wischnuiten gibt es unzählige Buddhas, die jedesmal
-erscheinen, wenn die Welt in Genuß, Sünde und Leiden versunken ist. Der
-geschichtliche Buddha ist einer von ihnen. Und der Zweck der Lehre?
-Nicht die Menschheit apollinisch zu immer höheren und höheren Idealen
-zu führen, sie immer mehr dem Schönen und Guten zu unterordnen, sondern
-ihr den Willen zum Leben zu nehmen, daß die Menschen nicht im Kreise
-der Seelenwanderung wiederkehren, daß sie in das allgemeine Nirwana
--- Krischna, als das Allwesen, sagt: in ihn -- eingehen und aufgehen.
-Davon später.
-
-Andere Völker haben auch Gottheiten, die die Sitte wahren, wie die
-~Germanen~ Freyr, Freia und Fricka, aber nicht ganz von der Bedeutung
-und der Hoheit der behandelten. Bei manchen finden sich „Söhne“
-der Gottheiten, wie Söhne des Rā in Ägypten, die Sonnensöhne des
-Inkalandes, die Himmelssöhne des Reiches der Mitte, die Nachkommen
-der Amaterasu in Japan. Dann haben diese als Fürsten und Herrscher
-die Bedeutung ethischer Gottheiten, neben ihren sonstigen göttlichen
-Eigenschaften. Ethos wird dann freilich meist von diesen Herrschern
-definiert. Und wenn dabei Eigennutz, Grausamkeit, Schwäche und
-Urteilslosigkeit mitspielen, so ist das Volk dieses auch von seinen
-Gottheiten gewöhnt. Aber Ordnung schafft diese Anschauung. Und mitunter
-in so bewunderungswürdiger Weise wie in Peru, da der Mensch über den
-Menschen mehr unmittelbare Macht hat als die Gottheit, er also jeden zu
-seinem willenlosen Sklaven zwingen kann. Später tritt das Gesetz als
-diese Gottheit auf und die gesellschaftliche Sitte; die Gesamtheit ist
-die Exekutive, oder Organe sind es, die bestellt sind. Keine höhere
-Stufe aber gibt es, als wenn das sokratische Daimonion in uns wohnt,
-wir das Ethos aus uns selbst schöpfen.
-
-Wir kommen zu der letzten Klasse von Gottheiten, zu den
-~Begriffsgottheiten~. Es versteht sich von selbst, daß je höher die
-Gedanken von den Gottheiten steigen -- ohne daß diese Gottheiten in das
-All selbst einverleibt werden, was der Pandeismus vollbringt, dessen
-Betrachtung später folgt --, diese um so mehr der irdisch-menschlichen
-Eigenheiten, Eigenschaften entkleidet werden. So nähern sie sich
-stetig dem rein Begrifflichen, und das Persönliche macht sich nur
-noch in der Art des Begrifflichen geltend, und darin, daß auch dem
-Begrifflichen Wirkung zugeschrieben wird. Die Indier allein haben es
-hier zur letzten Konsequenz gebracht. Ihre begriffliche Urgottheit ist
-Tad, nichts weiter als Das ohne jede Eigenschaft; nicht einmal Sein
-oder Nichtsein wird diesem reinen Begriff zugesprochen. Doch weil mit
-einem solchen einzelnen Begriff absolut nichts anzufangen ist, haben
-die Indier freilich noch andere Begriffsgottheiten eingeführt, wir
-das Wort oder der Spruch oder der Gedanke, die Ordnung, das Opfer.
-Ist die Welt vorhanden, so können diese Dinge als weltregierende
-Prinzipe angesehen werden, die Prinzipe sind vergottheitet. Mußte die
-Welt jedoch erst geschaffen werden, so ist den Begriffen eine tätige
-Macht zuzuschreiben. Davor sind die Indier nicht zurückgeschreckt, sie
-sind konsequenter gewesen als Platon, zwischen dessen Ideen und den
-Dingen eine unüberbrückbare Kluft besteht. Die Begriffe wirken wie
-der Logos, λόγος, von dem wir noch zu sprechen haben, und sie werden
-auch so persönlich gefaßt wie dieser λόγος. Andeutungen einer solchen
-Begriffsanschauung finden sich bei den Indiern schon in frühester Zeit.
-So heißt es in den Vedânta-Upanishaden: Am Anfang war das Sat. Max
-Müller übersetzt Sat mit das Seiende, τὸ ὄν; an einer anderen Stelle
-wird gesagt: Am Anfang war das Asat, also das Nichtseiende, τό μὴ ὄν.
-Wie in einer Polemik gegen diese sich anscheinend widersprechenden
-Angaben wird in der Bhagavad-Gîtâ behauptet: „Das anfangslose Brahma
-heißt nicht Sein noch Nichtsein“. Daher auch andere Formeln vorhanden
-sind wie: „Im Anfang war das Selbst“, was wohl Tad bedeutet. Oder
-~Tad twam asi~: „~Das Selbst bist du.~“ Es ist ganz natürlich, daß
-so abgrundtief-abstrakte Auffassungen dem Ausdrucke, der doch immer
-an dem Materiellen hängt, widerstreben, und daß darum selbst noch so
-weitgehende Umschreibungen doch immer an Materielles erinnern. Aber
-freilich kommt hinzu, daß, indem aus dem Immateriellen Materielles
-folgen soll, ersteres selbst auf der höchsten Stufe unwillkürlich
-Materialität gewinnt und so zu dem äußersten Seienden wird, das
-alles umfaßt. Hier nun verschmilzt die Begriffsanschauung einerseits
-mit dem Deismus und Pantheismus, sowie mit der Theosophie und dem
-Emanismus, die bald zu besprechen sind. Andererseits geht sie in den
-Materialismus insofern über, als, sobald sie materialistisch ist,
-sie in die Anschauung einer Allmaterie führt, oder zu etwas, das in
-der materiellen Welt wahrgenommen wird. So heißt es in denselben
-Upanishads, die von dem Selbst als von dem Urding sprechen, auch: Am
-Anfang war Finsternis; und gar: Am Anfang war Wasser; auch: Am Anfang
-war Pragâpati, der Herr alles Geschaffenen.
-
-Sehr nahe den Begriffsreligionen scheint der von Lao tsse (etwa um
-600 v. Chr.) bei den ~Chinesen~ weitergebildete (S. 122) „Taoismus“
-zu stehen. Das Urwesen ist Tao, ein absolutes Sein und absolutes
-Wissen, also etwa wie das indische Tad mit Tapas vereint. Zu diesem
-Tao kommt Yin, das gebärende weibliche Prinzip, und Yang, das tätige,
-gestaltende männliche. Ihnen gesellt sich das Khi, eine Art Eros. Damit
-sind neben Tao noch drei kosmogonische Prinzipe gewonnen. Die ganze
-Welt, bis ins einzelne, existiert von je in Tao. Durch jene drei,
-wohl auch in ihm gedachte Prinzipe, kommt sie zur Wirklichkeit. Und
-so ist Tao auch der höchste Gott, dem aber als abstraktem Wesen weder
-Opfer, noch Gebet, noch Geschenk frommt, sondern nur ein tadelloses
-Leben (S. 122). Eine solche geistige Lehre konnte für die Chinesen so
-wenig bedeuten, wie die entsprechenden hohen Lehren anderen Völkern.
-Sie ist bald in Verfall geraten und hat sich der staatlichen Religion
-gegenüber nicht halten können. Die ~Griechen~ sind spät erst zu
-Abstrakten als kosmogonischen Prinzipen gelangt, wie δύναμις, νοῦς,
-ἀνάγκη, πιστίς; Schaffenskraft, Vernunft, Notwendigkeit, Glaube und
-Ähnliches. Die ~römischen~ Begriffsgottheiten darf man nicht hierher
-rechnen; die Indigetes sind allmählich ersonnene, Tätigkeiten und
-Geschehnisse darstellende, und darum ihnen vorstehende Gewalten, die
-der Römer auf Schritt und Tritt vor sich fand, und die nichts mit den
-höheren Fragen der Menschheit zu tun hatten, sondern nur mit ihren
-Verrichtungen und den Vorgängen in ihrem Leben. Es sind vergeistete
-Begriffe; jeder einem engen Gebiet angehörend und insgesamt, trotz der
-sehr großen und beliebig zu vermehrenden Zahl, für die Weltanschauung
-nicht bedeutender als die Geister selbst. Das sieht man an solchen
-Vergeistungen wie Adeona (für die Rückkehr der Kinder), Afferenda (für
-die Zubringung der Mitgift), Fabulinus (für das Sprechen der Kinder),
-Mutunus Tutunus (für die Begattung und Befruchtung) usf. Nicht wenige
-im Heer der Indigetes sind überhaupt Erscheinungen, wie der berühmte
-Aius Locutius, die mächtige Stimme, welche dem Plebejer M. Caedicius
-in der Nacht verkündete, daß die Gallier auf Rom rückten, und andere.
-Von weiteren Völkern ist in dieser Hinsicht noch weniger zu sagen,
-sofern es sich um Anschauungen im Gebiete des Religiösen handelt.
-Erst in einer monotheistischen Anschauung finden wir eine Bezeichnung
-Gottes, die ganz der begrifflichsten der Indier entspricht. Da Mose
-in der Szene am Dornbusch Gott um seinen Namen fragt, um sich dem
-Volke gegenüber darauf berufen zu können, wird ihm zur Antwort: Eheje
-ascher Eheje, „Ich werde sein, der ich sein werde“, so solle er dem
-Volke sagen. Wie das indische „Tad twam asi“ klingt dieses. Und der
-Name, den wir Jehova lesen, steht ja auch mit Sein in Verbindung. Und
-auch darin ist viel Ähnlichkeit zwischen den in Religionsanschauungen
-von allen Ariern am weitesten gekommenen Indiern und den in gleicher
-Weise unter allen Semiten am meisten sich auszeichnenden Hebräern, daß
-neben dem Abstraktesten als Gottheit auch so Konkretes aufgefaßt und
-ausgesagt wird, nur daß hier das Konkrete bei anthropomorphistischer
-Redeweise endet, dort darunter noch tief hinabgeht. Namentlich aber
-fehlt den Hebräern die Mehrheit der Begriffsgottheiten, die sich bei
-den Indiern in Tad, Tapas, Om, Ritam, Satyam, Brahman, Purusha, Sat,
-Asat usf. kundtut und eben dem Polytheismus angehört, im Gegensatz zum
-Monotheismus.
-
-Die religiösen und die mit ihnen zusammenhängenden Weltanschauungen
-im Polytheismus haben sich noch nach anderer Richtung hin entwickelt,
-nach der des ~Henotheismus~. Ich muß aber hier eine Bemerkung,
-die ich über diese Heraushebung einer gewissen Erscheinung in den
-Religionsansichten in meinem Buche „Die Entstehung der Welt“ gemacht
-habe, zurücknehmen. Ich halte jetzt den von Max Müller betonten
-Unterschied zwischen Henotheismus und Monotheismus für durchaus
-berechtigt, ja notwendig. Bekanntlich hat man früher dazu geneigt, der
-Menschheit den Monotheismus als das Ursprüngliche, den Polytheismus
-als das Spätere zuzuschreiben. Der lange und heftig darüber geführte
-Streit ist im Grunde wesenlos. Wenn ein Mensch mit dem Begriff Gottheit
-nicht das verbindet, was wir damit verbinden, sondern nicht mehr als
-was der Naturmensch darunter versteht, oder höchstens die Annahme
-einer besonderen Übermacht, so ist es ziemlich gleichgültig, ob er
-mehrere Götter setzt oder nur einen Gott. Indessen müssen wir doch
-auch sagen, daß der Naturmensch praktisch sicher sich niemals mit
-einem Gott begnügt. Die Idee, die er von Gott hat, ist so ganz auf
-ihn und seine Bedürfnisse zugeschnitten, daß er immer eine große Zahl
-von Gottheiten braucht. Wie er, wenn er steigern will, einfach die
-Worte wiederholt, zum Beispiel viel-viel für mehr, ferne-ferne (vgl.
-das griechische Tar-Taros) für sehr ausgedehnt, so nimmt er zwei und
-mehr Gottheiten, um sein Ziel desto sicherer zu erreichen. Und da die
-Gottheiten auch so beschränkt sind, wie er selbst sich fühlt, bedarf er
-für jeden besonderen Fall auch eine besondere Gottheit. Ich habe schon
-erwähnt, daß oft in Hütten unzählige Gottheiten vorgefunden werden, und
-daß dem Wilden und dem nicht unterrichteten Volke überhaupt die ganze
-Welt mit Geistern aller Art erfüllt ist. Es mag sein, daß manches Volk
-schon in sehr frühen Kulturzuständen eine reinere Religionsanschauung
-besitzt. Curtius spricht in diesem Sinne von den Pelasgern und ihrem
-Dienst zu Dodona, der sich wesentlich nur auf ein Götterpaar, Zeus und
-Dione, bezogen haben soll. Allein Religionen entwickeln sich in der
-Regel mit steigender Kultur zu immer höheren Anschauungen und immer
-reineren Diensten. Wenigstens von dem Moment ab, wo letztere mit vollem
-Bewußtsein geübt werden; während vorher, da der ursprünglich so rohe
-Dienst fehlt, anscheinend, eine edlere Religion besteht, die aber
-bewußt überhaupt noch nicht vorhanden ist, sondern nur dumpf gefühlt
-oder geahnt wird. Es verhält sich mit solchen Religionsanschauungen,
-die also als Menschen-Gemeingut sich einstellen, wie mit der Kultur
-selbst.
-
-Anders ist es mit den anormal von Einzelnen den Menschen verkündeten
-und ihnen aufgedrängten Lehren. Deren Hoheit freilich geht mit den
-Stiftern zugrunde, oder erhält sich nur kurze Zeit nach ihnen. Und die
-Anschauungen sinken mitunter in erschreckender Weise, bis Propheten
-und Reformatoren kommen, die ihnen für einige Zeit den ursprünglichen
-Sinn wieder verleihen oder wieder zu verleihen sich mühen. An solchen
-Fall des Geistes nur zu denken ist widerwärtig, geschweige darüber
-zu schreiben, zumal in unserer Zeit, wo Menschen und Völker sich
-in Erfindungen überbieten, sich gegenseitig zu vernichten, ganz im
-Gegensatze zu den edelst gemeinten Religionslehren. Von vorgetragenen
-Anschauungen ist aber noch nicht die Rede, sondern von den spontan
-auftretenden. Auch bei diesen ist es möglich, daß die Zahl der
-Gottheiten steigt, statt ständig abzunehmen. Wenn Stämme sich friedlich
-vereinigen, tun sich auch ihre Gottheiten zu einer Gesellschaft
-zusammen. Brugsch hat das für die Ägypter klar erwiesen, deren
-Gaugottheiten, nach Vereinigung der Gaue, alle zu Landesgottheiten
-geworden sind. Selbst wenn Stämme oder Völker durch das Übergewicht
-eines Stammes oder Volkes gewaltsam in eine Herrschaft gezwungen
-werden, gehen ihre Gottheiten im allgemeinen nicht verloren, sobald der
-Zwang nicht eben aus Religionsanschauungen heraus geübt worden ist.
-Die bezwungenen Gottheiten bleiben geduldet, meist sogar anerkannt
-und zu denen der Eroberer kollegial, vielleicht in niederer Stellung,
-gesellt. Welchen Synkretismus haben nicht die Römer geübt! Und gleiches
-zeigt sich bei den Indiern, Mexikanern u. a. Die Hebräer sind in dem
-Lande Kanaan sogleich tief von den Lehren Mose gesunken, indem sie die
-Gottheiten der unterdrückten ersten Besitzer dieses Landes aufnahmen.
-Auch durch einfachen Import können die Götter sich vermehren, wie,
-wahrscheinlich, bei den Griechen aus dem Verkehr namentlich mit den
-semitischen Völkern (Phöniziern, Lydern, Assyrern) und mit Ägyptern,
-sicher bei den Römern; man denke an die einfach aufgenommenen, ja
-herbeigeholten griechischen Gottheiten und an den Isisdienst.
-
-Bei allem aber geht nebenher das unbewußte Bestreben, die Gottheiten
-zu zentralisieren. Daraus erwächst zunächst die Heraushebung gewisser
-Gottheiten als Mittelpunkte, um die sich die anderen Gottheiten
-gruppieren. Gehören diese anderen Gottheiten dem Stamme selbst an, so
-kommt dieses in der Weise zum Ausdruck, daß sie als Söhne, Töchter,
-Enkel, Brüder, Schwestern usf. jener Gottheiten aufgezählt werden.
-Daher die Theogonien. Sind sie feindlichen oder niedergeworfenen
-Stämmen entnommen, so spielen sie die Rollen böser Geister oder
-gestürzter Götter. Die Beispiele bei den Griechen sind jedem Leser
-bekannt. Gesellt sich noch zu den Anschauungen der Kult, so zwingt
-auch dieser zu einer gewissen Ökonomie und Hervorhebung. So kann
-zuletzt ein Volk, ein Stamm, ein Gau, eine Stadt, eine Familie, bei
-voller Anerkennung aller anderen noch vorhandenen Gottheiten, die
-Verehrung auf eine einzige Gottheit beschränken, und damit haben wir
-den ~Henotheismus~. Dem allein verehrten Gott werden dann naturgemäß
-auch alle Eigenschaften zugeschrieben, die auf alle Gottheiten verteilt
-sind. Er nimmt die Stelle des Oberherrschers im Gottheitenkreise ein,
-die zur absoluten werden kann, wenn die anderen Götter nur noch die
-seinen Willen ausführenden Mächte sind, wie die Engelscharen Gottes.
-Einen solchen äußersten Henotheismus hat es nie und nirgends gegeben,
-die Gottheiten haben stets überall ihre persönliche Bedeutung behalten.
-Nicht Zeus, noch Marduk, Rā, Indra, Huitzilopochtli, Wuotan usf.
-konnten je eine solche Stellung in der Religionsanschauung erreichen,
-trotz ihrer Übermacht. Der Henotheismus ist also keine vollendete
-Anschauung, sondern eine solche, der sich Völker mehr oder weniger
-genähert haben, von philosophischen Ansichten natürlich abgesehen.
-Dabei waren freilich die Ideen dem Kult voraus, wie immer. Der
-Grieche mochte also an sich Zeus als den Weltherrscher und Weltlenker
-in der Idee anerkennen. Daneben verehrt hat aber der Athener seine
-herrliche Stadtgöttin Pallas Athene, die Demeter, Dionysos und viele
-andere; der Spartaner seinen Apollon und Herakles usf. Immerhin
-kommt der Henotheismus dem Monotheismus ganz nahe. Am nächsten
-vielleicht ist er ihm bei den Ägyptern, unter dem so seltsamen König
-Amenhotep IV (um 1370 v. Chr.) gekommen, der einzig die Sonne, Rā, als
-Gottheit anerkannt wissen wollte. Wir besitzen aus seiner Zeit eine
-außerordentlich schöne, dem Amenhotep-Echnaton (als Totem) in den Mund
-gelegte Hymne an die Sonne, von der ich es bedaure, daß ich sie wegen
-ihrer Länge nicht wiedergeben kann (in Greßmann, Altorientalische
-Texte, S. 189 ff.). Darin wird Rā als der glänzende Gott gefeiert,
-der alles geschaffen hat, Welt, Menschen, Gebirge, Flüsse, Städte,
-Dörfer, Wege, alles Getier, bis zum niedrigsten Wurm, und der über
-alles machtvoll herrscht. Warum der Henotheismus in Monotheismus nicht
-übergehen kann, und auch nicht übergegangen ist, werden wir im nächsten
-Abschnitt sehen.
-
-Zuletzt müssen wir noch eine sehr bedeutungsvolle Anschauung
-hervorheben, die als ~dualistische~ bezeichnet wird, hier aber
-da sie auf der Annahme von zwei ~Gegengottheiten~ beruht, als
-antagonistische darzustellen ist. Daß gute und böse Geister geglaubt
-und verehrt werden, ist schon hervorgehoben und ausgeführt worden.
-Ein sich bewußt bekämpfendes Götterpaar haben aber die Eranier
-geschaffen. Ormuzd als Prinzip des Guten, des Lichtes, und Ahriman
-als Prinzip des Bösen, der Finsternis, bilden dieses Paar. Sie sind,
-sobald Ahriman die Welt des Lichtes entdeckt, in Kampf und bleiben in
-Kampf. Ormuzd schafft alles Gute, Ahriman vernichtet es oder sucht es
-zu vernichten und schafft alles Böse. Gutes und Böses sind eben in
-der Welt vorhanden und ringen miteinander; Zarathustras Anschauung
-ist eine Übertragung in das Göttliche. Die Welt stammt von Ormuzd,
-von ihm ressortieren alle guten Gottheiten und guten Geister. Die
-Unterwelt ist das Werk Ahrimans, und ihm gehorchen alle Dämonen aller
-Krankheiten und Übel. Der Kampf aber soll mehr und mehr zum Siege des
-Guten führen, und dazu sind die Menschen hervorgebracht. Das folgt
-schon aus der geistigen Höhe der Eranier und mehr wohl noch aus der
-des Zarathustra. Der Entwicklungsgang zeigt, daß erst das Böse so sehr
-überwiegt, daß das Gute kaum in Betracht kommt, wie auch viele Völker
-nur dem bösen Prinzip opfern und schmeicheln, aus Furcht. Dann gewinnt
-das gute Prinzip mehr und mehr an Boden und Einfluß. Es stehen aber
-noch beide Prinzipe indifferent nebeneinander, gute Geister und böse
-Geister wirken getrennt. Im weiteren Verlaufe beginnt der Kampf und das
-Übergewicht des Guten. Ich darf aber nicht unterlassen hervorzuheben,
-daß nach anderen Anschauungen Ormuzd und Ahriman nicht als getrennte
-Gottheiten aufzufassen sind, sondern daß die höchste Gottheit, nennen
-wir sie Ormuzd, zwei Prinzipe in sich vereinigt, nämlich als Vohu manô,
-der „gute Geist“, der alle Wirklichkeit und Güte hervorbrachte, und
-als Akem manô, der „böse Geist“, aus dem alles Unwirkliche und Üble
-entstanden ist. Und diese Prinzipe sind auch im Menschen vereinigt,
-wie in Ahuramazda. Bei letzterem treten sie als sein Çpenta mainyu,
-sein „wohltätiger Geist“, und als Angra mainyu, sein „schädlicher
-Geist“, auf. Das soll die eigentliche Lehre Zarathustras gewesen sein.
-Dann wäre freilich ihr Dualismus kein Antagonismus, sondern Gott
-wäre so dualistisch in seinem Wirken aufgefaßt wie der Mensch. Dem
-Naturmenschlichen liegt dieses sicher bei weitem näher. Max Müller,
-der ebenfalls Zarathustras Lehre so deutet, weist darauf hin, daß oft
-Eigenschaften der Gottheiten von ihnen getrennt und zu besonderen
-Gottheiten gemacht werden; so sei es später mit dem Angra mainyu
-geschehen, und mit allen besonderen Eigenschaften Ormuzds. Jenes wurde
-zum Ahriman, diese gaben das Heer der weiteren Götter und der Engel.
-Wie Ormuzd sei dann auch der von ihm abgetrennte Ahriman gespalten
-und so mit einem Heer von Unterweltgeistern und Dämonen versehen
-worden. Das sind Ideen, die schon oft geäußert und auch auf andere
-Religionsanschauungen angewendet worden sind, wir begegnen ihnen noch
-in der Emanationslehre. Ahriman ist oft als der gefallene Engel, aus
-dem Satan hervorgegangen ist, der Widersacher, gedeutet worden. Es kann
-kaum einem Zweifel unterliegen, daß ein Teil der persischen Lehren in
-das alexandrinische Judentum und in das Christentum eingedrungen ist.
-In der Tat trägt auch Satan alle Züge des Ahriman. Es ist aber dieser
-Satan nicht der im Hiob, welches ja als eines der ältesten Bücher der
-Bibel, vielleicht das älteste, angesehen wird, vorkommende, da der
-letztere nicht als Prinzip des Bösen auftritt, sondern lediglich als
-eine Art Mephistopheles, ein Ankläger. Gott fragt ihn, ob er schon
-einen so gerechten Mann wie Hiob gesehen habe. Da antwortet er, Hiob
-sei ja mit allen Glücksgütern gesegnet. Wenn Gott ihm diese nähme, so
-würde er ihm schon absagen. Auch erscheint dieser Satan im Kreise der
-„Göttlichen“ vor Gott. Ich darf auf den Prolog im Himmel zum Faust
-verweisen. Die Sage von dem gefallenen „Engel“ ist höchst dunkel und
-unbefriedigend. Man sieht, daß sie eigentlich eine Art Erklärung für
-ein angenommenes Fremdes bieten soll, und weder Milton noch Klopstock
-haben im Grunde das Fremde von dieser großartigen Figur des Luzifer
-abstreifen können. Ich habe mich selbst mit ihr beschäftigt und sie
-mir verständlich zu machen versucht; was ich darüber erdichtet habe,
-kann ich aber hier nicht vortragen, ich wills in einem Drama „Adam und
-Lilith“ veröffentlichen.
-
-Indessen ist der Kampf zwischen Gut und Böse so sehr Menschengemeingut,
-daß selbst monotheistische Anschauungen unwillkürlich auch ein
-Prinzip des Bösen einführen; man denke an die Schlange der Bibel.
-Ja, polytheistische Anschauungen können ein Prinzip des Bösen mehr
-entbehren als monotheistische. Denn da ihre Gottheiten beschränkt in
-der Macht sind, vermögen sie schon von selbst nicht alles aus der Natur
-der Dinge und Menschen fließende Böse und Schlimme zu verhindern. Fast
-naiv sagt Zeus gleich im Beginn der Odyssee:
-
- Wunder, wie sehr doch klagen die Sterblichen wider die Götter!
- Nur von uns sei Böses, vermeinen sie; aber sie selber
- Schaffen durch Unverstand, auch gegen Geschick, sich das Elend.
-
-und bezieht sich dann darauf, daß selbst er mit den Warnungen, die
-er durch Hermes hinabsandte, den Aigisthos nicht verhindert habe,
-Klytemnästra zu ehelichen und Agamemnon zu töten. Wenn die Menschen
-außerdem noch das passiv wirkende Schicksal nehmen und Gottheiten,
-die nach Laune entscheiden, so wird eine besondere Gottheit für das
-Schlimme entbehrlich. Bei den Griechen und Römern zeigt sich dieses am
-deutlichsten. Dann bei den Babyloniern, den Germanen (denn Loki ist
-nicht eigentlich das Prinzip des Bösen, nur Wagner hat ihn dazu in
-dem genialen Loge gemacht) u. a. Die Ägypter haben im Set ein solches
-Prinzip, aber nicht entfernt von der Großartigkeit und Bedeutung des
-Ahriman. Er ist auch nicht das Prinzip des moralisch Bösen, eher das
-des Naturverderblichen, wie sein Verhalten gegen Osiris zeigt. Auch der
-Indier Çiva und ihre Kali sind wie Set mehr Prinzipe der Vernichtung
-als des Bösen, und Çivas Natur ist keineswegs eine entschiedene,
-sie zeigt sich auch schaffend, wie Wischnu-Krishna Schöpfer und
-auch Vernichter ist. Überhaupt müssen wir das Vernichtende von dem
-eigentlich Bösen scheiden. Ahriman ist vernichtend und böse, die
-entsprechenden Gottheiten anderer Völker, wo solche vorhanden, sind
-nur oder fast nur vernichtend. Sie sind nicht einmal immer oder nicht
-ausschließlich Unterweltsgottheiten wie Ahriman, sie stehen nur mit
-der Unterwelt in Verbindung. Die Eranier haben das böse Prinzip mit
-als Gottheit anerkannt, weil sie den Monotheismus des guten Prinzips
-nicht durchzuführen wußten. Und sie sind wenigstens konsequent darin
-gewesen, indem sie ihm fast die Größe und Macht gegeben haben wie dem
-guten Prinzip. Unberührt davon bleibt ihr sonstiger Polytheismus,
-der teils die Naturerscheinungen betrifft (Sonne, Wetter, Himmel
-usf.), teils mehr begriffliche Dinge und Dinge der Anschauung, wie
-in den Amesha Çpenta: Herrschaft, Weisheit, Unsterblichkeit usf.;
-Raum, Zeit, Kraft, Stoff usf. Die Bedeutung des Kampfes zwischen Gut
-und Böse wird uns aber später noch viel beschäftigen. Denn auf einer
-anderen Stufe, auf der das Böse in das „Fleisch“ verlegt wird, tritt
-das Leben in Kampf mit der Materie, und die Anschauung gewinnt ein
-philosophisch-naturwissenschaftliches Gepräge, trotz ihrer Bedeutung
-für das Ethische, und sie geht auf das All, seinen Zweck, seine
-Entwicklung und sein Ende.
-
-
-18. ~Monotheistische Anschauungen.~
-
-Der ~Monotheismus~ bildet eine Religionsanschauung, die -- wenn
-außerordentliches Wirken und Walten in Frage kommen soll --, dem
-Gedanken die höchste ist. Die Erfahrung hat aber gelehrt, daß es
-zugleich diejenige Anschauung ist, welcher der Mensch am heftigsten und
-am meisten widerstrebt. Der Einzige ist dem Menschen zu übergeordnet,
-zu unnahbar. Und leitet Einer alles im All, so hat er nicht nur
-Unzähliges zu versorgen, sondern auch Unzähliges nach unzähligen
-Richtungen. Wie sollte das Individuum dabei mit seinen Sonderwünschen
-Berücksichtigung finden! Der Allgott kann nicht Hausgott sein, kaum
-Volksgott. So wenigstens spricht es allgemein im Menschen. Wir sehen
-denn auch geschichtlich, daß keine monotheistische Anschauung auf dem
-Wege der Entwicklung erstanden ist, daß alle, die wir kennen, von
-bestimmten Personen ins Leben gerufen sind (S. 81), von Menschen, die
-gewaltigen Geistes den Gang der Entwicklung ~unterbrochen~ haben und
-die Menschheit in Bahnen leiteten, die ihr ganz fremd gewesen sind,
-denen sie höchst widerwillig folgte, die sie bei jeder Gelegenheit
-verlassen hat, und die sie noch heute scheuend möglichst meidet. Daraus
-schon kann man schließen, daß der Monotheismus nicht aus irgendeinem
-Polytheismus sich sublimiert hat. Aber ein noch stärkeres Argument
-besteht in folgendem. Wir kennen keine einzige polytheistische
-Anschauung, in der nicht neben dem männlichen Prinzip das weibliche
-vertreten wäre, und zwar nicht etwa bloß untergeordnet nebenbei,
-sondern meist durchaus nebengeordnet und hauptsächlich. Istar ist
-ein absolutes Hindernis für eine Monotheisierung der babylonischen
-Anschauungen, Hathor oder Isis für eine solche der ägyptischen, Dione,
-Hera, Athena für eine solche der griechischen, usf. durch ausnahmslos
-alle wirklich polytheistischen Anschauungen. Im ältesten Monotheismus,
-der Grundlage für alle anderen entsprechenden Anschauungen, findet
-sich auch nicht die leiseste Spur eines weiblichen Prinzips neben dem
-männlichen. Ich habe schon bemerkt, daß polytheistische Anschauungen
-nicht einmal zu einem wirklichen Henotheismus geführt haben. Jetzt
-sehen wir, daß sie dahin auch gar nicht führen können. Sie vermögen
-nur bis zu einem Duismus, zu einem Gottheitpaar (unterschieden vom
-Dualismus der Gegengottheiten der Eranier) aufzusteigen, nicht zu einem
-einzigen Gott. Gäbe es polytheistische Anschauungen ohne ein weibliches
-Prinzip, so wäre ein solches Aufsteigen, wenn auch, nach der Art
-des Menschen, nicht wahrscheinlich, doch wenigstens möglich. Solche
-Anschauungen aber hat kein Polytheismus ausgebildet. Das gewaltige
-Hindernis des weiblichen Prinzips für wirklichen Monotheismus hat auch
-der ebenso große Orientalist wie außerordentliche Babylonierbewunderer
-F. Delitzsch anerkannt. Wenn er und andere, wie namentlich der so
-verdienstvolle Pfarrer Jeremias, wenigstens von „monotheistischen
-Unterströmungen“ bei gewissen Völkern, namentlich aber den Babyloniern,
-sprechen, so muß es richtiger „henotheistische Unterströmungen“ heißen.
-Was Friedrich Delitzsch sagt, muß ich anführen („Babel und Bibel“,
-erster Vortrag 1905, S. 81 f., Anmerkung 42). Seine babylonischen
-Zitate gebe ich aber in Übersetzung nach Greßmann („Altbabylonische
-Texte“) und vollständig, damit der Leser selbst urteilen kann. Der
-Text -- als Tafel des Kudurru Sohnes des Mastukku unterzeichnet
-und als kollationierte Kopie eines älteren Textes angegeben -- ist
-neubabylonisch; aus welcher Zeit er stammt, ist nicht entschieden.
-Greßmanns Übersetzung ist insofern nicht vollständig, als vor dem Namen
-die Bezeichnung „Gott“ (il) fehlt. Die Formel lautet immer: „Gott
-(Name) ist Marduk in bezug auf...“ Nur dreizehn Götter sind lesbar:
-Tu, Lugal-Akila, Ninib, Nergal, Zamama, Ellil, Nabium, Sin, Samas,
-Adad, Tishu, Râbu, Sukamuna. Diese also sind Marduk mit Bezug auf:
-Pflanzung, Quelltiefe, Kampf, Schlacht, Herrschaft und Entscheidung,
-Erleuchtung der Nacht, Recht, Regen, Heer,?, Bewässerungsröhren. Auf
-der Rückseite als Fortsetzung können wir noch fünf Zeilen wenigstens
-teilweise lesen, nach der Formel: Eigenschaftsname (Untersucher,
-Üppiger sind noch zu entziffern), Bild, Göttername. Darunter steht:
-„Zusammen acht Bilder der großen Götter“; Zamama, Nabium, Nergal,
-Sulmânu, Pabilsag sind als solche Götter noch zu entziffern. Diese
-Rückseite, die drei Namen enthält, die auch auf der Vorderseite stehen
-und die von demselben Schreiber herrührt, läßt keinen Zweifel, daß
-es sich überall um Götter, mindestens zum Teil sogar um große Götter
-handelt, falls die Vorzeichnung il = Gott zur Feststellung noch nicht
-ausreichen sollte. Also ist Marduk einfach diese Götter, er hat
-ihre Verrichtungen. Friedrich Delitzsch sagt nun: „Marduk ist sowohl
-Ninib als Nergal; sowohl Mondgott wie Sonnengott usw.“ Das von ihm
-sogar gesperrt gesetzte „ist“ steht nicht im Text, bei Greßmann ist
-es als von ihm zugesetzte Erläuterung in Klammern getan. Doch mag
-das sein. Wie darf man aber aus einer solchen Festsetzung schließen,
-daß der biblische Monotheismus babylonisch ist? Es kommt hier nicht
-darauf an, daß es sich gerade um Bibel und Babel handelt, sondern ob
-jene Festsetzung einen Monotheismus bedeutet. Da ist es mir schwer
-begreiflich, wie man den Charakter des Monotheismus so verkennen
-kann. Im Monotheismus ist Gott weder Sonnengott, noch Mondgott, noch
-überhaupt ein Erscheinungsgott. Wir haben hier Jehova als Beispiel.
-Wo steht in der Bibel auch nur ein Wort davon, daß Jehova Sonnengott,
-Mondgott, Pflanzengott, Besitzgott usf., sogar Bewässerungsröhrengott
-ist? Gott steht im Monotheismus über alle Welt, er ist nichts von dem
-in der Welt; er schafft die ganze Welt (in der Bibel einfach durch
-Befehl) und regiert die ganze Welt. Marduk, selbst in der Deutung durch
-Delitzsch, ist nichts weiter als so und so viele Götter bestimmter
-Gegenstände und Erscheinungen, die der betreffende Verfasser des Textes
-sogar sämtlich aufzuführen sich gezwungen sieht, gewisse acht „großen
-Götter“ (als Bilder) ~zusammenzählend~. Das steht tief selbst unter
-der Auffassung, die die Griechen von Zeus hatten, den sie ja auch
-Zeus-Helios, Zeus-Hades nennen und der ihr Gottherrscher gewesen ist.
-Und was sagen alles die Ägypter von fast jedem ihrer Götter aus, und
-wie außerordentlich viel Höheres und Umfassenderes! Delitzsch schwächt
-im Laufe seiner Auseinandersetzung seine Ansicht auch ab, indem er
-meint: „Es läßt sich, soweit dieser Text in Betracht kommt, ~höchstens~
-von einer monotheistischen Unterströmung reden.“ Ich selbst glaube,
-kaum von einer henotheistischen Unterströmung. Ich darf mich mit diesen
-Auseinandersetzungen begnügen, aus denen wohl hinreichend erhellt, was
-unter Monotheismus zu verstehen ist und wie er sich zu Polytheismus
-und Henotheismus verhält. Von den monotheistischen Anschauungen
-braucht nichts gesagt zu werden; wir sind alle in ihnen erzogen.
-Und worin wir dabei mit uns selbst in Kampf geraten, das gehört vor
-das Forum des Philosophisch-Naturwissenschaftlichen. Dahin -- wenn
-nicht in das Gebiet der Gedankenunfähigkeit oder Gedankenträgheit --
-gehört auch, was über Atheismus zu sagen wäre, denn Atheismus als
-Religionsanschauung ist natürlich ein Widerspruch in sich und hat auch
-nie existiert.
-
-
-19. ~Anschauungen von Welt, Menschheit und Weltkatastrophen.~
-
-Die mythischen und sagenhaften Anschauungen über die ~Entstehung der
-Welt und des Menschen~ habe ich in meinem besonderen Buche hierüber
-dargestellt. Manches ist hier wiederholt, ergänzt und weitergeführt,
-jedoch nur soweit der Zweck dieses Buches es erforderte. Von
-allgemeinerer menschlicher Bedeutung ist dabei die Annahme eines
-Urwesens oder mehrerer Urwesen. Wo nur ein Urwesen in Frage kommt, ist
-es Gott, Rā, Jehova oder Brahma. Ob Nun (auch Ptah, Rā, Amun usf.)
-der ~Ägypter~ Gott oder Urmaterie (Urwasser) bedeutet, ist nicht zu
-entscheiden. Als „Vater der Götter“, als das er in einem Tempel aus
-der Zeit Seti I. bezeichnet und mit Federn auf dem Haupte (Zeichen der
-Beseelung) und der Geißel in der Hand (Zeichen der Leitung) dargestellt
-ist, möchte man ihn für Gott halten, zumal er auch „nutr“ heißt.
-Ebenso wenn er der „Herr der Acht“ (S. 132) und unmittelbar „Schöpfer“
-genannt wird. Aber Nun heißt auch der Nil zur Zeit seines höchsten
-Standes, und sogar das Meer; Brugsch bringt Belege dafür. So wird es
-sich wohl um eine Urmaterie in Verbindung mit einem Urgeist handeln,
-was der pandeisierenden Richtung der ägyptischen Anschauungen (S. 228)
-entspricht. Bei zwei und mehr Urwesen kann es sich nur um Gottheiten
-handeln, oder um Gottheiten in Verbindung mit Materie. Auch hier sind
-die Anschauungen nicht immer gesichert. Was sind Okeanos und Tethys,
-Gottheiten oder Urwasser und Urkraft? ~Homer~ spricht von ihnen wie
-von Personen, doch von Okeanos sicher auch wie von einem Weltstrome.
-Und Chaos und Ge, Tartaros und Eros? Chaos möchte man für Urmaterie
-halten, doch zeugt Chaos die Finsternis (ἔρεβος) und die Nacht (νύξ).
-Tartaros scheint mehr ein Begriff zu sein, wie etwa Unendlichkeit;
-später ist es ein Ort. Ge, Gaia, trägt die Züge einer Göttin, außerdem
-ist es freilich auch die klobige Erde. Nur Eros ist lediglich Gottheit
-bei Hesiod, hat aber hier gar keine kosmogonische Bedeutung. Die
-~Eranier~ kannten außer den Gottheiten Ormuzd und Ahriman noch vier
-andere kosmogonische Urwesen: Twasha, Zrwana akarana, Anaghra raocâo,
-Anaghra temâa, die als Raum, Zeit, Licht, Finsternis gedeutet werden;
-die beiden letzteren sollen auch Kraft und Materie darstellen. Sind
-auch die Amesha Çpenta, zu denen Vohumano, Ashavahista, Kshatra,
-Aurwatat, Ameretat, Armaiti gehören, als Urwesen aufzufassen, so kämen
-noch Eigenschaften hinzu: Erhaltung, Wahrheit, Ordnung (Herrschaft),
-Vollkommenheit, Unsterblichkeit, Weisheit. Die Eranier hätten dann
-freilich alles, was zur Schaffung, Ordnung, Wirkung und Leitung
-einer Welt gehört, schon im voraus angenommen. Den ~Germanen~ galten
-als Urwesen ~eine~ Gottheit und Materie, da die Götter Burs Söhne
-heißen, und aus Ymir, dem Riesen, die Welt gebaut wird, wie bei den
-Indiern aus Purusha (Person). Ob die ~Hebräer~ außer Jehova auch die
-Materie als Urwesen ansahen, ist nicht sicher. Es ist nicht nötig,
-den ganzen Erdball zu durchwandern, wir finden immer Urwesen gleich
-den hervorgehobenen, bald in dieser, bald in jener Zusammensetzung.
-Manche Völker haben je nach der Lehre verschiedene Arten von Urwesen
-angenommen, wie besonders die Indier, außer dem absolut Seienden und
-dem absolut Sinnenden, Tad und Tapas, auch persönliche Gottheiten und
-persönliche Weltwerkmeister (z. B. Varuna) und Weltmaterie (was ja
-Purusha ist). Die noch vor zehn Jahren Modernen haben es versucht,
-den alten Indiern nachzutun und dichterisch die Welt aus sich zu
-schaffen. Da wir uns schon so lange mit schwierigen und ernsten Dingen
-beschäftigen und noch schwierigere und ernstere Dinge uns bevorstehen,
-darf ich vielleicht auch für das Vergnügen des Lesers etwas tun, indem
-ich ein Gedicht, das die Kreuzzeitung vor mehreren Jahren aus gleichem
-Grunde mitgeteilt hat, nachdrucke. Der Dichter heißt -- ich will’s
-lieber nicht sagen.
-
- Im Donnersang, da ich erschuf das Meer,
- War seine Schöpfung alt, schon tausend Jahre her,
- Und ich selber uralt,
- Und verlor Halt und Gestalt,
- Verfiel trübsinnig im Traum,
- Überspritzt von weißem Wogenschaum.
- Schreiende Adler, mich beschwirrend,
- Durch die Höhlen meines Mantels wirrend.
- Alle meine Seelen schliefen.
- Da hob sich strahlend die Sonne aus den Tiefen,
- Ich erschauere.
- Merkend, wie ich tigerhaft mich belaure:
- Meine Hand, steil zur Wölbung hochgereckt,
- Und das Himmelsdach schon abgedeckt,
- Die Sonne hinaus zu lassen
- In ihre goldnen Gassen.
- Und die Hand schafft ohne den Geist,
- Ich liege von schreienden Adlern bekreist,
- Es geschieht alles sonder meinen Willen.
-
-Man sieht wie einfach das Schaffen ist, worüber sich die Menschen so
-sehr den Kopf zerbrechen.
-
-Ein zweiter, allgemeinerer kosmogonischer Gedanke betrifft den
-Menschen. Dieser ist nun bei manchen Naturvölkern gleichfalls ein
-Urwesen, und auch ein Schaffensprinzip. Im allgemeinen entsteht er
-nach der Welt, als Abkömmling der Götter, oder von ihnen besonders
-hervorgebracht. In der ~elohistischen~ Schöpfungsgeschichte der Bibel
-wird der Mensch von Gott geschaffen: „Und Gott schuf den Menschen in
-seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn, Mann und Weib schuf er
-sie.“ Der Mensch ist wie Licht, Sonne, Mond usf. geschaffen; es wird
-nicht gesagt woraus. Die jehovistisch-elohistische Erzählung gibt
-aber den Stoff an und fügt den Odem Gottes hinzu. „Und der ewige Gott
-bildete den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase
-Odem des Lebens; da ward der Mensch zu belebtem Wesen.“ Aus Erde
-sind auch alle Tiere gebildet, nur der Odem Gottes fehlt ihnen. Bei
-den ~Babyloniern~ scheint nach Berossos, und übrigens auch nach dem
-Schöpfungsgedicht Enuma Elis, das Blut der Götter in der Erschaffung
-des Menschen eine Rolle zu spielen. Bel läßt sich den Kopf abschlagen,
-und das hervorstürzende Blut wird mit Erde vermischt. Daraus werden
-Menschen und Tiere geformt. Diese Wendung ist recht verschieden von
-der biblischen. Die ~Ägypter~ dachten sich den Menschen gleichfalls
-aus Erde gebildet. Wir haben Darstellungen, wo der Gott vor einer
-Töpferscheibe sitzt und den Menschen formt. ~Hesiod~ nimmt, nach den
-fünf aufeinanderfolgenden Geschlechtern, verschiedene Substanzen an,
-Gold, Silber, Erz oder Esche, Eisen; für das vierte Geschlecht ist der
-Stoff nicht angegeben. Dieses nach der Güte der Menschen symbolisch zu
-deuten liegt nahe, scheint aber nicht ganz zulässig. Bildner sind hier
-die Götter allgemein bei den beiden ersten Geschlechtern, und ist es
-Zeus bei den beiden folgenden Geschlechtern. Vom fünften Geschlecht
-wird ein Bildner nicht genannt, es wird geboren. Nach anderen
-griechischen Sagen wird der Mensch aus Erde, Schlamm, Lehm oder Ton von
-Göttern und besonders bekanntlich von Prometheus geformt, dem Athene
-geistig beisteht; letzteres jedoch erst nach späterer Dichtung. Sonst
-wachsen die Menschen auch aus Bäumen oder Sträuchern hervor, wie bei
-den ~Germanen~, ~Eraniern~, auch ~Griechen~ (Attis aus dem Mandelbaum,
-Adonis aus dem Lorbeer), ~Italikern~ und anderen Völkern, oder aus
-Steinen, Felsen, Eisblöcken. Die Sage, daß nach der Flut die Menschen
-aus Steinen entstanden, die Deukalion und Pyrrha hinter sich warfen,
-gehört nicht hierher; Zeus belebte die Steine. Ebenso begaben Odin,
-Hönir und Lodurr Esche und Ulme mit Seele, Atem, Blut und Farben zu
-lebenden Menschen.
-
-Auch die Anschauung von einer ~Entwicklung der Welt~ ist weit
-verbreitet. Wir haben hier verschiedenes zu betrachten. Das erste
-betrifft den Menschen. Hier spielt die Neigung, die Vergangenheit in
-günstigem Licht der Gegenwart gegenüberzustellen, eine große Rolle. An
-die herrliche ~Paradiesgeschichte der Bibel~ und den verhängnisvollen
-~Sündenfall~ brauche ich nur zu erinnern. Einen Sündenfall kannten
-auch die ~Eranier~. Das erste Menschenpaar, Maschiah und Maschianeh
-(Mensch und Menschin), wird von Ahura Mazda vermahnt, gute Gedanken
-zu denken, gute Worte zu reden, gute Werke zu tun und den Devs (den
-bösen Geistern) nicht zu opfern. Und gehorsam und guten Sinnes sagt es:
-„Ahura hat Wasser, Erde, Bäume und Tiere, Sterne, Mond und Sonne und
-alle Annehmlichkeiten geschaffen, welche von der Reinigkeit offenbar
-sind samt und sonders.“ Hierauf lief der Feind in ihr Denken und
-verfinsterte ihr Denken, und sie logen sodann: „Ahriman hat geschaffen
-Wasser, Erde, Bäume und Tiere und das übrige.“ Durch diese gottlose
-Rede wurden beide Gottlose (Darvand’s) und ihre Seele ist bis zum
-zukünftigen Körper in der Hölle. So lautet es im Bundehesh. Es wird
-dann geschildert, wie ihre Speisen geschmacklos und ihr Leben mühselig
-wird, wie sie in Sünde fortfahren und dadurch die Devs immer mächtiger
-werden. In einer anderen eranischen Sage spielt auch das Paradies
-eine gewisse Rolle. Vîvanhão, den man mit dem indischen Vivasvân
-gleichsetzt, doch ohne das Dunkel, das auf dieser Persönlichkeit ruht,
-zu erhellen, ist der erste Mensch, der den heiligen Haoma grüßt (S.
-112). Sein Sohn ist Yima, entsprechend dem Yama, Sohn des indischen
-Vivasvân. Ihm schon (vor Zarathustra) wird von Ahura die mazdajaçnische
-Lehre kundgetan. Darauf lebt er mit seiner ganzen menschlichen
-Nachkommenschaft auf paradiesischer Erde, bei paradiesischem Klima
-unsterblich und unschuldsvoll. Und wie die Erde zu klein wird,
-sie alle zu fassen, gräbt er die westliche Grenze wiederholt mit
-goldener Schaufel und spricht: „Sei freundlich, Çpenta-Armaiti, gehe
-auseinander und dehne dich aus zum Tragen des Viehes, der Zugtiere und
-der Menschen.“ Und jedesmal dehnt sich die Erde um ein Drittel größer
-als sie war. So lebt Yima mit Allen tausend Jahre. Darauf folgt ein
-Ereignis, das der Flut entspricht, worüber später gesprochen wird.
-Unsterblichkeit und die Gnaden verliert aber Yima mit seiner ganzen
-Nachkommenschaft wegen einer Lüge. Er wird Opfer des Drachen Dahâka.
-Yima ist Firdusis Dschemschid (Dschem der „Glänzende“), der untergeht,
-weil er sich anbeten ließ; Dahâka der arabische Tyrann Dhohhak (Zohak)
-mit Schlangen, die ihm aus den Schultern wuchsen.
-
-[Illustration]
-
-Die ~babylonischen~ Texte kennen zwar die Sünde gegen Gottes Gebote
-und Bußpsalmen, aber der Sündenfall ist bei ihnen nicht erzählt. Ein
-Siegelbild, das hier wiederholt sein mag, ist auf diesen Sündenfall
-gedeutet worden. Zwei Personen sitzen zu beiden Seiten eines Baumes,
-hinter der Person links ringelt eine Schlange in die Höhe. Die Personen
-sind voll bekleidet (sogar mit Hüten), da doch Adam und Eva nackt
-sind, vor und bei dem Sündenfall. Schlangen, zusammen mit Gottheiten,
-finden sich bei den Babyloniern auch sonst. Will man die beiden
-Darstellungen (Fig. 27 und 70) bei Jeremias „Das Alte Testament“,
-S. 81 und 203 nicht gelten lassen, weil die erste vielleicht nicht
-babylonisch, sondern persisch, die zweite vielleicht nicht Original,
-sondern Kopie oder freie moderne Erfindung ist, so bleibt doch noch
-die nach Fig. 35, S. 100, in der Sin (Mondgott) und Istar einander
-gegenüberstehen, und zwischen ihnen, außer anderen Zeichen, zweifellos
-auch das Bild einer sich emporringelnden Schlange sich befindet. Es
-sind im wiedergegebenen Siegelbild zwei Gottheiten -- eine sicher eine
-Gottheit, weil sie eine gehörnte Kopfbedeckung trägt, die, wie Jeremias
-sagt, „bei den Babyloniern ausschließlich göttliches Abzeichen ist“ --
-mit dem bekannten mystischen Baum zwischen ihnen; eine Darstellung, die
-sich so außerordentlich oft und vielfach variiert auf babylonischen,
-assyrischen (auch persischen) Denkmälern findet. Die eine Gottheit hat
-eine Schlange zum Symbol, oder die Schlange kann auch ein feindliches
-Wesen sein, da ja Drachenkämpfe der Gottheiten bei den Babyloniern
-so gewöhnlich sind. Und es kennen sogar die Babylonier einen ewig
-lebenden Menschen, der nach dem Sündenfalle ja nicht möglich sein
-sollte. Wir werden ihm bei der Flutsage begegnen.
-
-Bei anderen Völkern scheint von einem Sündenfall im Sinne der
-biblischen Erzählung ursprünglich überhaupt nicht die Rede
-zu sein. Selbst was Hesiodos von den mehrmals berührten fünf
-Menschengeschlechtern erzählt, gehört nicht hierher. So möchten es
-nur die Hebräer und die Eranier sein, denen ein solcher in allen
-Einzelheiten geläufig war, freilich in ganz verschiedener Ausführung.
-Selbst die nächsten Verwandten der Eranier, die ~Indier~, kennen den
-eigentlichen Sündenfall nicht; das Bewußtsein seiner Göttlichkeit hat
-der Mensch durch Avidyâ, Nichtwissen, verloren. Gerne übergeht man
-die Bedeutung des Sündenfalles eines einzelnen Menschenpaares für die
-ganze Menschheit. Die Bibel kennt als Folge die Mühsale des Lebens und
-den Tod; der Sündenfall ist eine Erklärung dafür, wie viele Völker für
-beides eine Erklärung gesucht und in der mannigfachsten Weise gefunden
-haben. Die unterschiedslose Belastung der Menschheit in alle Zeit
-mit der Sünde als solcher, ist, soweit ich sehen kann, in der Bibel
-nicht vorhanden; bei den Eraniern könnte sie eher nachgewiesen werden.
-Unterschieden davon ist der Sündenfall Luzifers im Engelschore, wovon
-schon gesprochen ist (S. 150).
-
-Aber freilich, die Bosheit und Gewalttat der Menschen auf der Erde
-steigt, und schließlich sendet Gott die Flut, alles Lebende, mit
-Ausnahme des Noah und dessen, das ihm mitzunehmen befohlen ist, zu
-vernichten. ~Flutsagen~ sind bekanntlich überall nachzuweisen. Als
-der Erzählung der Bibel am nächsten stehend, muß man die Sage der
-~Babylonier~ ansehen. Wir haben vier Berichte darüber (die Bibel
-enthält bekanntlich zwei). Einer ist im Gîlgames-Epos enthalten,
-zwei scheinen nur andere Rezensionen dieses Berichtes zu sein, der
-vierte ist der von Berossos überlieferte. Im wesentlichen stimmen
-diese Berichte überein. Der babylonische Noah heißt im ersten Bericht
-Ut-Napistim, den wir oben kennen gelernt haben, mit dem Beinamen
-Atra-hasis (der „Hochgescheite“, nach Greßmann), woraus vielleicht der
-Xisuthros des Berossos entstanden sein möchte, wie sein Vater Opartes
-aus dem babylonischen Ubar-Tutu. Der eigentliche Urheber der Flut ist
-Ellil, Gottheit der Erde, auch des Tierkreises, der früher als Bel
-gelesen wurde. Drei andere Götter (Anu, Ninib, Ennugi) lassen sich
-im Ratschluß der Götter dazu bereden. Den Grund für die Flut können
-wir nur aus den Vorwürfen, die später Ea dem Ellil macht, entnehmen.
-Demnach handelt es sich anscheinend um Sünden einzelner gegen Ellil;
-denn jener sagt, er hätte dem Sünder seine Sünde, dem Frevler seinen
-Frevel auflegen sollen, er hätte ja Löwen, Wölfe, Hungersnot oder Pest
-senden können die Menschen zu verringern, statt der Sintflut, die alle
-vernichtete. Istar ist auf Seiten Ea’s. Aber an einer anderen Stelle
-sagt sie, sie hätte die Sintflut den Göttern geraten. Die Götter
-spielen übrigens dabei eine traurige Rolle. Wie die Sintflut wächst,
-bekommen sie Furcht. „Sie entwichen und stiegen empor zum Himmel Anus.
-Wie ein Hund drückten sich die Götter, an der Mauer lagernd.“ Ea, der
-immer den Menschen Wohlmeinende rettet Ut-Napistim, indem er ihm rät,
-ein Schiff zu bauen. Daß er ihn aber auch veranlaßt, den Anderen eine
-bösartige Lüge zu sagen und sie dadurch in ihr Verderben zu reißen,
-klingt häßlich. Im übrigen stimmt vieles mit der biblischen Erzählung;
-so namentlich das Schiff (in der Bibel ein Kasten, die Arche), seine
-Ausrüstung samt Inhalt, das Landen an oder auf einem Berg (Nisir oder
-Nimus statt Ararat), das Aussenden einer Taube und eines Raben (bei den
-Babyloniern auch noch einer Schwalbe), das Opfer Ut-Napistims, Noahs,
-nach der Flut. Das spätere Schicksal des babylonischen Noah ist aber
-ein ganz anderes als das des biblischen; denn er wird der Menschheit
-entrückt und lebt unsterblich, wie wir gesehen haben, im weiten Westen.
-
-Bei den ~Eraniern~ sagt Ahura Mazda dem Yima die Flut an. Aus hier
-gänzlich fehlenden Gründen soll harter Frost die Erde ergreifen und
-Schnee alles verhüllen. Um sich und alles andere vor den beim Schmelzen
-der Eis- und Schneemassen entstehenden Fluten zu schützen, soll Yima
-sich ein „Varem“, eine Wohnung, machen. Die ~Indier~ haben die
-Flutsage in mehreren Versionen, ihr Noah ist Manu (Manu = Mensch).
-Die Voraussagung der Flut, die Warnung und der Rat, ein Schiff zu
-bauen, wird diesem von einem Fisch (er wird als Gott-Fisch gedeutet,
-wie etwa der Ea der Babylonier), den er klein gefangen hat, und auf
-dessen Bitte, daß er nicht von anderen Fischen verzehrt werde, in einem
-Topf, dann in einem Loch aufwachsen läßt, bis er ihn ins Meer tut. Das
-Schiff wird an das „Horn“ des Fisches gebunden und dieser führt es zum
-nördlichen Gebirge. In einer späteren Sage nimmt Manu, wie Noah, auch
-Pflanzen und Tierpaare in das Schiff, und wird die Flut wie in der
-Bibel sieben Tage voraus verkündet. Als Grund für die Flut ist in der
-Mahabharata die Sühnung der Erde überhaupt angegeben. In einer anderen
-Sage aber, in mir nicht verständlicher Weise, die Rettung der Vedas und
-der sie bewahrenden sieben Rishis (Seher, Sänger). Die Rettung heiliger
-Schriften aus gleichem oder ähnlichem Anlaß spielt auch bei den
-Eraniern, Germanen und Babyloniern eine Rolle. Die von Zeus wegen der
-Frevel des „ehernen“ Geschlechts verhängte Flut, der Kasten (λάρναξ),
-den Deukalion-Noah auf Rat seines Vaters Prometheus baut und in dem er
-sich mit seiner Gattin Pyrrha nach dem Berge Othrys rettet, gehören der
-bekannten ~griechischen~ Flutsage an. Diese deukalionische Flutsage
-ist viel ausgeschmückt und später auch von Plutarchos und Lukianos mit
-orientalischen Zügen bereichert worden, wodurch sie sich der biblischen
-oder babylonischen näherte. Pausanias, in seiner Beschreibung Attikas,
-erzählt auch, daß die Athener im Umkreise ihrer Stadt einen Erdspalt
-zeigten, durch den die Flut abgelaufen sei. Vor die deukalionische Flut
-ist die ogygische zu setzen, die Boiotien betraf und Attika, und in der
-die sonderbaren Städte Athen und Eleusis am Kopaissee untergegangen
-sein sollen. Aber eine Sintflut war es nicht. Der alte Buttmann sieht
-in Ogyges den Okeanos, also den Wassergott überhaupt, und erklärt,
-freilich in seiner Vorliebe für seltsame Etymologien -- z. B. Tubalkain
-ist Vulkan -- auch Noah für einen Wassergott (wegen des hebräischen
-Nahar, das Fluß bedeutet). Eine Flutsage der ~Germanen~ ist schwer zu
-erweisen. Die jüngere Edda erzählt, daß, als die Götter (Odin, Wili,
-We) den Riesen Ymir, den wir schon kennen, töteten, aus ihm soviel Blut
-ausgeflossen sei, daß das ganze Riesengeschlecht ertrank. Ein Riese
-nur rettete sich mit seinem Weibe auf einem Boot (Lûdr) und erzeugte
-das Menschengeschlecht. Dieser Noah heißt Bergelmir. Jakob Grimm nennt
-diese Flutsage gegenüber der biblischen „roh und unausgebildet“. Diese
-germanische Sage erinnert jedoch an eine ähnliche der Babylonier, wo
-Ellil den Löwen Labbu tötet, und dessen Blut „drei Monate, einen Tag
-und zehn Stunden“ fließt. Flutsagen finden sich noch weit auf der
-Erde verbreitet. Bei den ~Litauern~ ist die Arche eine Nußschale, die
-der höchste Gott Pramzinas, der die Flut zur Vertilgung der Bösen
-herabgesandt hatte, da er Nüsse aß, aus dem Himmelsfenster auf die Erde
-warf.
-
-Andere Völker erzählen anderes, so Indianerstämme, Neger, Ozeanier,
-Peruaner usf. Richard Andree hat sich die große Mühe gemacht, alle
-Flutsagen zu sammeln und führt 88 auf. Aber in wirklichem Zusammenhang
-dürften nur die biblische und babylonische stehen, wie auch Andree
-meint. Von diesen wird letztere, wegen ihrer viel roheren Züge, wohl
-die ältere sein. Die dichterische Erzählung vom Regenbogen ist der
-Bibel eigen. Sonst werden Flutsagen zu verschiedensten Zeiten lokal
-entstanden sein, da ja Überflutungen und Überschwemmungen überall
-vorkommen und aus den verschiedensten Ursachen. Das Wesentliche ist das
-ethische Motiv und die Rettung eines Menschenpaares. ~China~ scheint
-eine Flutsage nicht ausgebildet zu haben. Die Überschwemmungen des Nils
-sind der Segen des Landes. Die des Hoangho jedoch der „Fluch Chinas“.
-Sie sind aber von je als natürlich angesehen worden, und uralt sind die
-Versuche, den Fluß einzudämmen. Ob ~Japan~ eine Flutsage hat, weiß ich
-nicht; bei den gewaltigen Beben (Japan ist das erdbebenreichste Land
-der Erde) und den damit oft in Verbindung stehenden Meerüberstürmungen
-sollte man Flutsagen erwarten.
-
-Sehr wunderlich -- wenn der Gegenstand nicht so ernst wäre, fast
-wie eine Spotterzählung -- klingt eine aus etwa 1300 v. Chr. uns
-überlieferte ~ägyptische~ Sage aus dem „Buche von der Himmelskuh.“
-Es ist eine Inschrift in einer Kammer Seti I. in Bibân el Moluk. Die
-Menschen müssen über den Gott Rā schlecht gesprochen und gegen ihn
-Anschläge gemacht haben. Das nimmt er ihnen gewaltig übel. Ganz im
-Stile eines Herrschers versammelt er, Rats zu pflegen, die anderen
-Götter, die sich völlig wie Hofschranzen ihm nähern. Der älteste
-Gott, Rā’s Vater Nun, wird zuerst gefragt und erwidert: „Mein Sohn
-Rā, du Gott, der größer ist als sein Schöpfer und gewaltiger als sein
-Erzeuger, bleib auf deinem Throne sitzen! Die Furcht vor dir ist groß,
-wenn dein Auge (es ist damit die Göttin Hathor gemeint) sich gegen die
-richtet, die dich lästern.“ Rā sagt nun: „Seht, sie laufen davon in die
-Wüste, aus Furcht wegen dessen, was sie gesagt haben.“ „Laß dein Auge
-hingehen, daß es sie für dich schlage, die boshaft gelästert haben“,
-ermahnt Nun. Hathor eilt hinter die Menschen nach der Wüste und tötet
-sie alle. Ein Teil ist aber nach Süden geflüchtet, diesen will Rā
-retten. Er läßt von Elefantine Didi (?) holen, dieses, sowie Getreide,
-von dem „Lockigen“ zu Heliopolis und seinen Dienerinnen mahlen und zu
-Bier verarbeiten und das Bier an den Ort bringen, wo Menschen noch
-weilen. Dann steht „die Majestät des Rā in der Frühe unter dem Schutze
-der Nacht auf, um diesen Schlaftrunk auszugießen.“ „Da wurden die
-Gefilde vier Spannen hoch mit der Flüssigkeit angefüllt, durch die
-Macht der Majestät dieses Gottes.“ Hathor aber, die hinkommt den Rest
-der Menschen zu töten, findet alles mit dem Bier überschwemmt. „Da
-trank sie und es schmeckte ihr gut, und sie kehrte trunken heim, ohne
-die Menschen erkannt zu haben.“ Eine wunderliche Menschenvernichtungs-
-und Flutsage! Die Flut aus Bier und zur Rettung des Menschenrestes!
-Übrigens ist doch Rā’s Weilen auf Erden nicht mehr. Die Göttin Nut als
-Kuh hebt ihn in die Höhe und bildet den Himmel, dort bleibt Rā.
-
-Von viel größerer Bedeutung ist es natürlich, wenn nicht bloß die
-Lebewesen untergehen, sondern die ganze ~Welt~ vernichtet wird.
-
-Bei den ~semitischen Stämmen~ kenne ich nur einen Hinweis des
-Babyloniers Berossos darauf, den Seneca erhalten hat. Die Welt soll
-verbrennen, wenn die Planeten im Krebs sich zusammenfinden, „so
-daß eine gerade Linie durch die Kreise aller gehen kann“. Das ist
-astrologische Ansicht, nicht Mythe, doch weben sich bei den Babyloniern
-freilich Astrologie und Mythos durcheinander. ~Weltuntergang~ und
-~Weltbrand~ sind sonst spezifisch ~arische~ Anschauungen. Denjenigen
-~Indiern~, die die Welt nur als eine Täuschung (Maja) oder als
-einen Traum Brahmas ansehen, ging die Welt unter, sobald der Gott
-die Täuschung erkannte oder vom Traum erwachte. Eine Stelle in der
-Bhagavad-Gîtâ lautet:
-
- Wer weiß, daß schon ein Tag bei Gott der Weltenalter tausend macht,
- Und tausend Alter eine Nacht; der Sterbliche kennt Tag und Nacht.
- Wann einstens Gottes Tag anbricht, dann tritt, was dunkel war ans
- Licht;
- In Finsternis verlischt das Licht, sobald die Gottesnacht anbricht.
- Und jedes Wesen, das entstand, verschwindet, wann die Nacht
- anbricht,
- Doch kehret wieder, was verschwand, wann anbricht Gottes Tageslicht.
-
-So schwer der Sinn zu durchdringen ist, so wird doch zweifellos von
-höheren Weltzeitaltern gesprochen; Zeitaltern des Lichtes wechselnd
-mit Zeitaltern der Finsternis. Die gewöhnlichen Weltenalter betragen
-ein Kalpa, gleich 432 Millionen Jahre. Je nach Verlauf einer solchen
-Kalpa geht die Welt unter und wird neu gebildet. Es ist die Lehre der
-Râmânuga-Schule des Vedânta, die wir noch genauer kennen lernen werden.
-Gottes Tag und Nacht betrügen je tausend solche Kalpa, wenn in der
-obigen Stelle unter Weltenalter die Kalpa verstanden sind. Vielleicht
-aber sollen die tausend Weltenalter selbst eine Kalpa sein, dann
-würde nach der obigen Stelle die Welt abwechselnd eine Kalpa bestehen
-und darauf eine Kalpa nicht bestehen. Der Untergang (Mahapralajas)
-betrifft nicht nur die ganze Welt, sondern auch alle Götter, bis auf
-den Einen und Einzigen. Einen Untergang der Welt kannten auch die
-~Eranier~: der Komet Muspar, indem er auf die Erde stürzt und alles
-schmelzt, verbrennt sie. Es steht dieses allerdings mit der Reinigung
-der Welt von Bösem in Verbindung. Allein, es heißt im Bundehesh
-doch auch ausdrücklich: „Ahura wird auf seinem herrlichen Thron ohne
-Schöpfung sein, denn Werke wird er nicht vollbringen, während jene (die
-Amesha-Çpenta?) den Toten bereiten.“ Den Weltbrand der ~Griechen~ --
-der durch Phaethon veranlaßte, gehört nicht wohl hierher -- werden wir
-später kennen lernen.
-
-Wir wenden uns sogleich zu den ~Germanen~, von denen wir darüber die
-eingehendsten Nachrichten haben. Der Weltuntergang (ragna rök, der
-Waltenden Verrauchung) ist in der Edda als ein Kampf, der Kampf der
-Götter gegen Surtur (der Schwarze, Hüter des Feuerlandes Muspelheim)
-geschildert, in dem jene untergehen und die Welt verbrennt. Die Wala in
-der Voluspa erzählt:
-
- Von Osten fährt der Kiel; Kommen werden Muspills
- Söhne übers Meer, Aber Loki steuert.
- Fifl’s (Loki’s) Söhne fahren Mit dem Wolf allesamt,
- Zugleich ist der Bruder Byleists (Loki’s) bei der Fahrt. --
- Surtur fährt von Süden Mit flammendem Schwert,
- Es blitzt von dem Schwerte Die Sonne der Schlachtgötter;
- Die Felsberge stürzen, Riesinnen schreiten einher,
- Es betreten die Menschen den Helweg; Der Himmel aber klafft.
-
-Nun folgt der Kampf der Götter: Odin steht gegen den Wolf Fenrir, von
-dem er verschlungen wird, Thor gegen die Midgardschlange, die ihn
-vergiftet, Freyr gegen Surtur, von dem er getötet wird. Zuletzt sinkt
-die Erde ins Meer, die Sterne fallen vom Himmel:
-
- Es wütet Feuer und zehrende Flamme,
- Hoch leckt die Lohe gegen den Himmel selbst.
-
-Andere nordische Sagen stimmen mit der obigen Erzählung überein,
-nur daß sie mehr ausführen. In ~Deutschland~ selbst haben wir die
-Götterdämmerung in dem Althochdeutschen, im neunten Jahrhundert
-aufgezeichneten Lied Muspilli. Elias steht anstelle der Asen, der
-Antichrist und Satanas für Loki und Surtur. Elias wird verwundet und
-das weitere lautet in der Übersetzung von Johannes Scherr: „Die Berge
-entbrennen, kein Baum bleibt stehen auf der Erde, die Wasser trocknen
-aus, das Meer verdampft, in Lohen vergeht der Himmel, der Mond fällt
-hernieder, Midgard flammt auf, kein Fels steht fest. Der Tag der
-Vergeltung fährt über die Lande, fährt über die Völker mit Feuer. Da
-kann kein Verwandter dem anderen helfen vor dem Muspille.“ Einzelnes
-stimmt auffallend mit dem Bericht der Wala.
-
-Der zerstörten alten Welt (nur das Meer bleibt) muß eine neue folgen.
-Auch nach germanischer Sage ist diese neue Welt besser als die frühere.
-Die Wala schaut:
-
- Heraufkommen seh ich Zum anderen Male
- Aus dem Meer eine Erde, Eine wieder grüne;
- Es fallen die Fluten, Ein Aar fliegt darüber,
- Welcher am Felsen Nach Fischen jagt.
- Es versammeln sich die Asen Auf Idafelden
- Und von Moldthinur (die Midgardschlange?), Der wuchtigen, sprechen
- sie
- Und erinnern sich da An frühere Taten
- Und an Fimbultyrs (Odins) Uralte Runen
- Da werden sich dann Die wundersamen
- Goldenen Tafeln (Runentafeln?) Im Grase finden,
- Welche sie damals In der Urzeit hatten.
- Es werden ungesät Die Äcker da wachsen,
- Alles Übel wird weichen; Baldr wird kommen;
- Vereint werden Hodr und Baldr Unter den Dächern des Hropt (Odins),
- Die beiden Kampfgötter ...
- Einen Saal sah ich stehen, Schöner als die Sonne,
- Mit Gold gedeckt, Auf Gimles (Himmels-) Flur,
- Da sollen die fröhlichen Scharen (guten Menschen?) wohnen,
- Und Freude genießen Bis ans Ende der Tage.
-
-Nach Vafthrudnismal in der älteren Edda heißen die neuen Asen Vidar
-und Veli, Modi und Magni, Nachkommen von Odin und Thor, die nicht mit
-der Welt untergegangen sind. Aber Baldr ist ja die poetischere und
-höhere Figur mit seinem blinden Bruder Hödr. Das neue Menschenpaar ist
-Lif und Lifthrasir; sie hatten sich während des Weltunterganges (?) in
-Hoddmimirs (der Weltesche) Grün geborgen, ihre Speise war Morgentau.
-Als Sonne leuchtet nach der jüngeren Edda eine Tochter der früheren
-Sonne. Damit vergleiche man den Weltuntergang und Weltneubau nach der
-Offenbarung Johannis, namentlich Kap. 6, 7 und 20, 21. Man wird sehr
-erhebliche Ähnlichkeiten zwischen beiden Erzählungen finden. Auch die
-Sybillinischen Orakel, Buch V, 345 ff., gehören hierher.
-
-Die Menschheit hat immer gerne an kommende bessere Zeiten geglaubt.
-War die Welt in Sünde und Gewalttat versunken und in Ärmlichkeit und
-Verkommenheit, so sollte die Gottheit eingreifen, nicht bloß strafend
-wie früher, sondern helfend und schaffend. Die Indier haben zu diesem
-Behufe die ~Inkarnationen~, ~Awatars~ (S. 139), einer Gottheit
-(Wischnu’s) erdacht, semitische Völker den ~Messias~, andere Völker
-Wiederkehr lange vergangener Wohltäter oder von Göttern auf Erden. An
-diesem Glauben sind die Peruaner und Mexikaner zugrunde gegangen, da
-sie in solchen Bluthunden wie Pizarro und Cortes mit ihrem spanischen
-Gesindel diese erwarteten Wohltäter und Götter (Viracocha bei den
-Peruanern, Quetzalcoatl bei den Mexikanern) sahen. Aber die Juden
-haben sich an dem Messiasglauben gewaltig aufgerichtet und ihm ihre
-Erhaltung durch Jahrtausende zu danken. Und das Christentum ist durch
-ihn Weltreligion geworden. Kaum ein Gedanke der Menschheit hat sich
-von so enormer Bedeutung, ideeller und praktischer, erwiesen, wie
-dieser vom Messias, den der zweite Jesaias so liebevoll ausführt, der
-Indier so phantastisch begabt. Steigen wir von der hohen Messiasidee
-herab, so sind es Helden und Herrscher, deren Wiederkehr vom Volke
-erwartet wird, und die inzwischen irgendwo verborgen oder schlafend
-vorgestellt werden. Unser Friedrich I., Barbarossa (eigentlich nicht
-er, sondern Friedrich II.) gehört hierher als die markanteste Gestalt.
-Aber andere Völker der Erde besitzen ähnliche Gestalten. Stanley --
-„Through the dark Continent“ -- erzählt aus den Sagen von Uganda, daß
-der erste König Kintu als milder und Blutvergießen scheuender Herrscher
-im hohen Alter, da er seine Nachkommen allen Grausamkeiten frönen sah,
-mit seinem Weibe geflohen sei. Das Volk war überzeugt, daß er sich
-verborgen halte, und alle späteren Herrscher suchten ihn. Einem der
-spätesten, dem siebenundzwanzigsten (Mtesa war der fünfunddreißigste),
-Ma’anda ward es zuteil, ihn mit seiner Gefolgschaft in einem tiefen
-Walde sehen zu dürfen. Er sollte nur mit seiner Mutter und dem
-führenden Bauern kommen. Sein treuer Katekiro folgte ihm aber, um
-ihn vor etwaigem Verrat zu schützen. Kintu erkannte des letzteren
-Anwesenheit und machte Ma’anda Vorwürfe. Als Katekiro darauf hinter
-einem Baume vortrat, tötete Ma’anda ihn durch einen Speerwurf. Da
-entschwand Kintu mit allen um ihn.
-
-
-20. ~Weltbau.~
-
-Was die ~Gestaltung der Welt~ betrifft, so hängt diese naturgemäß
-nicht unmittelbar mit der Mythe zusammen, sondern mit dem äußeren
-Schein. Gleichwohl darf man von mythischen Kosmologien sprechen als von
-solchen Anschauungen über die Welt, die nicht auf wissenschaftlicher
-Untersuchung oder Meinung beruhen, sondern, wie die Mythen von den
-Gottheiten, behauptet werden, und die den Mythen und Sagen zugrunde
-gelegt werden. Da ist allen Völkern gemeinsam die ~zentrale Stellung
-der Erde~. Die Erde ist die Mitte der Welt. Meist wird sie von Wasser
-umgeben gedacht. Ihre Gestalt ist die einer Scheibe (rund oder eckig),
-eines Zylinders (auch Würfels) oder eines gewaltigen Gebirges oder
-einer konvexen Schale. Sie schwimmt auf Wasser oder ist durch Säulen,
-Menschen oder Tiere unterstützt, oder hängt an Wurzeln des Weltbaumes.
-Der Himmel ist einfach oder, entsprechend der Zahl der gesondert
-sich bewegenden Gestirne -- sieben Planeten (Merkur, Venus, Mars,
-Jupiter, Saturn, Mond, Sonne) und die Fixsterne insgesamt -- und der
-etwa angenommenen Götterwohnsitze, mehrfach gedacht. Alle Himmel sind
-solide und umgeben die Erde wie Glocken. Die Gestirne sind Leuchten,
-auch Götterwohnsitze oder gar Körperteile der Götter (Augen, Antlitz,
-Leib); sie bewegen sich auf den Himmeln von Ost nach West und kehren
-auf unsichtbaren Wegen von West nach Ost zurück. Es liegt nicht in der
-Natur der Mythe, konsequent zu sein und auf die Einzelheiten in den
-Erscheinungen zu achten. Bemerkt sie Abweichungen gegen die gedachten
-einfachen Verhältnisse, so sind eben die Götter frei und können sie
-beliebig veranlassen. Daher eine Wiedergabe der Erscheinungen nur in
-den großen, allgemein wahrnehmbaren Zügen, und vielfache Verworrenheit
-und unbekümmertes Widersprechen in der Beschreibung.
-
-Der ~Griechen~ mythischen Ansicht erste literarische Mitteilung finden
-wir bei Homer. Die Erde ist eine Scheibe vom Strome Okeanos umflossen
-und vom Himmel überdeckt. Aus dem Okeanos steigen die Gestirne empor
-und in ihn tauchen sie unter, sofern sie überhaupt auf- und untergehen
-und nicht, wie die Bärin, „niemals in Okeanos’ Bad“ sich hinabtauchen.
-Fern im Westen, hinter dem Okeanos, ist der Eingang zu Hades’ Reich,
-das sich jedoch unter die Erde hinziehen muß. Denn wie im Kampfe
-der Götter vor Troja Poseidon die Erde erschüttert, springt „des
-Nachtreichs Fürst Aïdoneus“ voll Schreck in die Höhe und schreit:
-
- Daß ihm von oben
- Nicht die Erd’ aufrisse der Landerschüttrer Poseidon,
- Daß nicht Menschen erschien’ und Unsterblichen seine Behausung.
-
-Diese Behausung ist „Fürchterlich, dumpf, voll Wustes, wovor selbst
-grauet den Göttern“. Weiter, wohl darunter, findet sich Erebos. Und
-noch weiter, und so tief unter Hades’ Reich wie die Erde vom Himmel
-entfernt, der Tartaros, der furchtbarste Ort, wo die Titanen Japetos
-und Kronos, von Zeus verbannt, gefesselt in tiefster Finsternis
-sitzen. Im Westen, am Rande der Erde, jedoch diesseits des Okeanos,
-wenn nicht als Inseln im Okeanos, liegt auch das Elysische Gefild, „wo
-der bräunliche Held Rhadamanthys wohnt, und ganz mühelos in Seligkeit
-leben die Menschen“. Aus allen diesen Angaben hat man entnehmen wollen,
-daß Homer die Welt eigentlich als Kugel ansieht, deren eine Hälfte
-erleuchtet über der Erde, deren andere Hälfte ewig dunkel unter ihr
-liegt. Was den Okeanos anbetrifft, so ist er bei Homer ein Strom.
-Neuere Untersuchungen glauben jedoch, daß die vorhomerische Bedeutung
-den Himmelshorizont gebe, Okeanos früher überhaupt der Himmelsgott
-gewesen sein möchte. Die Etymologie mit der deutschen „Woge“ entfiele
-dann freilich. Es soll Okeanos dem Sanskritwort açayana entsprechen und
-„umfassend“, „anliegend“ heißen. Ich sehe nicht recht, warum das nicht
-auch der homerische Okeanos soll sein können, der ja auch die Erde
-umfaßt, ihr anliegt. Die Götterwohnung ist auf dem Olympos, über den
-Wolken, deren Tore die Horen öffnen und schließen; und Helios leuchtet
-den Göttern wie unten den Menschen. Hesiods Anschauungen von der Welt
-stimmen mit denen Homers im wesentlichen überein, er ist nur in seinen
-Mitteilungen etwas detaillierter. So hinsichtlich des Tartaros, daß
-ein Amboß neun Tage und Nächte fallen müßte, um von der Erde zu ihm
-zu gelangen, daß selbst ein Sturmwind in einem vollen Jahre ihn nicht
-zu durcheilen vermöchte, daß auf ihm die Erde gewurzelt ist und der
-Boden der Meere. Das sind recht stattliche Abmessungen, denn im Sinne
-Hesiods umgerechnet wäre die Weite des Tartaros mehr als dreißig Erden-
-und die Tiefe gar zwanzig Sonnenweiten. Der Himmel wird nach Hesiod
-von Atlas getragen, nach Homer, in einer freilich noch nicht geklärten
-Stelle, trägt Atlas die Säulen, die den Himmel stützen und von der Erde
-ab halten. Diese Säulen laufen wohl rings (ἀμφίς) um die Erde herum.
-Aber dann schwindet freilich Atlas als Person, der doch Kalypso zur
-Tochter besaß. Man hat auch Atlas als das Meer erklärt (etwa Okeanos?).
-Stützen für den Himmel, Gebirge, auch rings umlaufende, finden wir auch
-anderweit. Unerklärlich für die Mythe ist der Aufgang der Gestirne,
-nachdem sie untergegangen sind. Von der Sonne wird erzählt, sie fahre
-nächtlich auf dem Okeanos in einem Nachen, Becher, von Westen über
-Norden um die Erde herum, nach Osten zurück. Es mag aber auch gedacht
-sein, daß die Gestirne unter der Erde zurückkehren. -- Das Weltbild
-der Argonautensage schließt sich dem vorstehend Beschriebenen an; man
-hat noch, was wahrscheinlich auch Homer und Hesiod annahmen, einen
-Meeresarm oder Stromweg vom Schwarzen Meere nach dem atlantischen oder
-arktischen Meer ziehen lassen, so daß Europa für sich zur Insel wird.
-
-Von den ~Römern~ haben wir eine eigentliche mythische Kosmographie
-nicht; die Dichter wandeln in griechischen Bahnen.
-
-Die Welt der ~Germanen~ ist dreiteilig: obere Welt, mittlere Welt,
-untere Welt, jeder Teil wieder aus drei Teilen bestehend; und von
-den neun Teilen spricht die Edda an verschiedenen Stellen. Nach
-Simrock sind diese: Muspelheim (Feuerwelt), Asenheim oder Asgard
-(Götterwelt), Liosalfaheim (Lichtelfenwelt) als obere Welt; Jötunheim
-(Riesenwelt), Midgard oder Mannheim (Menschenwelt), Wanaheim
-(Wanenwelt, Welt der Neben-, Halb- oder Untergötter) als mittlere Welt;
-Swartalfaheim (Schwarzelfenwelt), Niflheim (Nebel-, Eiswelt, Gegenwelt
-zu Muspelheim), Niflhel (Helwelt, Totenwelt) als untere Welt. Die
-drei Hauptwelten werden von je einem Zweige (oder einer Wurzel) des
-Weltbaumes Yggdrasil gestützt; für diesen Baum soll auch die Irminsul,
-deren Nachbild Karl der Große bei den alten Sachsen gestürzt hat,
-stehen. Die Welt der Germanen ist hiernach reicher gegliedert als die
-der Griechen und poetischer gestaltet. Übrigens bestehen zwischen den
-verschiedenen Teilen der Welt auch Verbindungen, wie von Asgard zur
-Erde die Brücke Bifröst (bebende Ruhe), auf der Richard Wagner am
-Schluß des „Rheingold“ unter so wunderbarer Musik die Götter von der
-Erde nach Walhall (eigentlich ein Saal in der Götterburg Gladsheim)
-ziehen läßt. Um die Erde windet sich der Weltwurm, Midgards ormr,
-Jakob Grimm sagt: „offenbar das Weltmeer“. Also der Okeanos? Noch
-sind die drei berühmten Brunnen zu erwähnen, die in den drei Welten
-Asenheim, Jotunheim und Niflhel unter den Zweigen des Weltbaumes
-hervorsprudeln: Urdbrunnen, Mimisbrunnen, Hwergelmir (der rauschende
-Kessel). Am ersten Brunnen „halten die Asen und Nornen ihr Gericht“,
-den zweiten hütet der weise Mimir (nicht der Mime Wagners, sondern
-ein halbgöttliches Wesen, das mit dem Brunnenwasser täglich Weisheit
-trinkt, und dem Odin ein Auge als Pfand in den Brunnen versenken muß,
-bevor er aus diesem gleichfalls Weisheit und Zukunftschauen trinken
-darf), am dritten sitzt Nidhöggr mit anderen Schlangen. Der Himmel wird
-wie bei den Griechen als die Erde deckend oder umfassend gedacht. Die
-Gestirne haben jedes seine Stätte (oder seinen „Stuhl“, oder seinen
-„Tisch“), die wandelnden unter ihnen Rosse und Wagen. Die Sonne ist
-das „Feuerrad“ (fagra-hvel in der Edda) oder der „leuchtende Schild“
-oder „Wuotans Auge“ oder „Gottes Antlitz.“ Der Mond wird auch als
-„Schein“ bezeichnet. Der Sonne und des Mondes Lauf um die Welt wird als
-Flucht vor zwei Wölfen (Sköll und Hati) gedacht, die sie verfolgen und
-sie zuzeiten verschlingen (Finsternisse!). Die Mondveränderungen werden
-Zwergen zugeschrieben, „wir wissen nicht näher wie“, sagt Jakob Grimm.
-Wir wissen auch nicht, wie sich die Germanen die Rückkehr der Gestirne
-von Westen nach Osten gedacht haben.
-
-[Illustration]
-
-Darf man in der zoroastrischen uns überlieferten Literatur alte
-Tradition sehen, so hatte die Mythe der ~Eranier~ bereits eine
-ziemlich richtige Ansicht von der Erde und dem Weltall. Im Minokherd
-heißt es: „Himmel und Erde und Wasser und alles andere unter dem
-Himmel ist so geformt worden wie das Ei der Vögel, der Himmel ist über
-der Erde und unter der Erde einem Ei ähnlich durch das Händewerk des
-Schöpfers Ahura Mazda geformt, die Erde innerhalb des Himmels wie das
-Gelbe im Ei.“ Also das Weltall ist kugelförmig. Noch bedeutungsvoller
-ist eine Stelle im älteren Bundehesh. Dort wird im einunddreißigsten
-Kapitel von Himmel, Erde und den Gestirnen unmittelbar als stützenlos
-gesprochen. Der Himmel ist „ohne Säulen“, die Erde „hat keine Träger“,
-die Gestirne „schweben im Luftraum“. Weiter wird im Bundehesh
-erzählt, die Erde enthalte sieben Quartiere, Keschvaras, eines in
-der Mitte, sechs um dieses herum. Das nachfolgende, aus Windschmanns
-„Zoroastrische Studien“ entnommene Bild (jedoch mit Vertauschung zweier
-Quartiere) gibt die Lage der Quartiere gegeneinander und ihre Namen
-an. Nun wird im sechsten Kapitel, das den Lauf der Sonne in Tag und
-Jahr behandelt, mitgeteilt (ich habe die Ordnung beibehalten): „Wenn
-die Sonne aufgeht, erleuchtet sie das Keschvar Çavahi, Fradatatfsn
-und Vidadatfsn und die Hälfte Qaniras. Wenn sie an jener Seite der
-Finsternis untergeht, erleuchtet sie das Keschvar Arezahi, Vourubaresti
-und Vourazaresti und die Hälfte von Qaniras. Wenn hier Tag, so ist dort
-Nacht.“ Man sieht an der Abbildung, daß eine solche Beleuchtung nicht
-möglich ist, wenn die Erde nicht Zylinderförmig oder kugelförmig ist;
-das letztere würde mit der Angabe im Minokherd stimmen. Noch wird von
-der Erde folgendes erzählt. Es sind auf ihr mehrere wichtige heilige
-mythische Berge. Der Berg Harburc ist um die Erde und an den Himmel
-befestigt, er reicht sogar über die Region der Gestirne hinaus, bis zu
-den „anfangslosen Lichtern“. An ihm gehen Sterne, Sonne und Mond auf
-und unter. Das letztere ist schwer zu verstehen, zumal es im fünften
-Kapitel heißt: „Der Berg Taera ist in der Mitte der Welt, die Sonne
-umkreist ihn wie das Wasser rings um die Welt... Der Taera Harburc ist
-jener, an welchem ich Sonne, Mond und Sterne von zurück wieder kreisen
-lasse... Am Harburc geht jeden Morgen die Sonne auf und am Abend unter,
-der Mond, die Fixsterne und die Planeten haben ihr Band und ihr Gehen
-an ihm.“ Hiernach wäre zu schließen, daß der Harburc ein die Erde etwa
-in Richtung des Äquators umkreisendes Gebirge ist. Er könnte aber auch
-die Erde so umlaufen wie die Stützsäulen der griechischen Mythe. Für
-letzteres spricht, daß das dem Okeanos vergleichbare Meer Frhankart
-oder Voroukasha am Fuße des Harburc läuft und die Erde, anscheinend
-im Süden, zu einem Drittel umgibt. Zwei Flüsse gehen vom Nordpunkt
-(?) des Harburc aus, einer nach Osten, der Arg, der andere, Vas, nach
-Westen; beide münden im Meer Frhankart oder Voroukasha. So wird der
-Wasserring um die Erde (die bewohnte?) vervollständigt. Von Bedeutung
-ist auch der Strom, den die Wunderquelle Ardviçura Anahita (Anahita ist
-auch Göttin des Planeten Venus) aussendet. Letztere kommt vom Himmel
-auf einen aus Rubin bestehenden Berg herab, der bald Hugar Bulvend,
-bald Hukairya, oder Haraiti, oder Hara Berezaiti genannt wird. Auf
-diesem Berg befindet sich der Paradiesbaum und das Paradies, das Mithra
-(früher Yima) bewohnte, und von ihm führt der Weg über die Brücke
-Cinvat in den Himmel. Die Ardviçura strömt durch goldene Kanäle zur
-Erde in das Weltmeer und unter die Erde, und bildet so das belebende
-und reinigende Naß. Der Himmel ist aus Edelstein geformt, die Gestirne
-sind unter ihm, „zwischen Himmel und Erde“, angebracht. Die Sonne heißt
-auch „Rosselenker“, Aurvat-açpa. Tierkreis und viele Sterne sind mit
-Namen bekannt. Im übrigen besteht die Welt aus dem Lichtreich, der
-„bekörperten“ eigentlichen Welt, und dem Finsternisreich unter dieser.
-Diese selbst ist also in der Mitte, im Vai.
-
-[Illustration]
-
-Von den ~Indiern~ weiß ich nichts erheblicheres zu sagen; sie dichten
-eine Menge übereinander angeordnete Oberwelten, fast für jeden Gott
-eine, oder für jede Gestirnklasse eine, außerdem solche für Büßer,
-Fromme, Wahrheit usf. Unter dem Himmel kommt die Luftwelt, Dunstwelt.
-Diese Oberwelten insgesamt werden im Norden (?) von Elefanten getragen.
-Letztere stehen auf der Erde, die ihrerseits auf Elefanten ruht. Die
-Stütze dieser Tiere ist die Weltschildkröte, und diese wieder lagert
-auf der gewaltigen Weltschlange, die das ganze Universum umspannt
-und im unteren Teile im ungeheuren Meere ruht. Zwischen Erde und
-Schildkröte sind die Welten der Verfluchten, untereinander angeordnet.
-Das vorstehende Bild gibt die ganze Phantastik mit dem goldenen Berg
-Meru als Oberwelten. Wer von der Unentwirrbarkeit indischer Kosmogonie
-und Kosmographie einen Begriff haben will, lese den zweiten Abschnitt
-im Werk Adolf Bastians: „Der Buddhismus in seiner Psychologie.“ Es ist
-kaum möglich zu erkennen, was wirklich gedacht wurde. Die Indier haben
-eine schöne Mathematik und Astronomie besessen. Wie sie aber mythisch
-den Lauf der Gestirne erklärten, habe ich nicht erkunden können.
-Wunderlich ist (S. 212), daß die Götter vom Monde speisen, daher seine
-Abnahme, die in Zunahme durch einwandernde Seelen übergeht.
-
-Wir wollen nur noch die Vorstellungen der Hebräer, Babylonier und
-Ägypter betrachten. In der ~Bibel~ wird von der Welt oft gesprochen,
-meist in der Weise wie sie durch die Schöpfungsgeschichte gegeben ist.
-Die Erde aus dem unteren Wasser hervorragend, darüber der Luftraum und
-der Himmel; an dem Himmel die Gestirne, über dem Himmel die oberen
-Wasser. Letzteres entspricht der babylonischen Vorstellung, worauf man
-viel Wert gelegt hat, aber auch Vorstellungen, die wir in Ozeanien (S.
-17) und wohl auch in Ägypten (S. 181) finden, und sie liegen ja nahe.
-Die Erde ist fest. Im 104. kosmographischen Psalm heißt es: „Er hat
-die Erde auf ihre Vesten gegründet, sie wanket nicht in Ewigkeit.“
-Und im Hiob, Kap. 38, spricht der Ewige: „Worauf doch wurden ihre
-(der Erde) Gründe eingesenkt, oder wer legte ihren Eckstein?“ Aber
-gerade in diesem Buche, Kap. 26, haben wir eine merkwürdige Angabe
-Hiobs, daß die Erde frei schwebe: „Den Norden spannte er über Leeres,
-hängte die Erde über das Nichts.“ Dort wird auch von Säulen des
-Himmels gesprochen, ob bildlich oder materiell, ist, wie in poetischen
-Werken so oft, schwer zu entscheiden. Doch steht der Himmel auch auf
-dem Saume des Weltozeans. Von den Wassern sagt der 104. Psalm: „Du
-hattest die Flut wie Gewand darüber (über die Erde) gedeckt, auf Bergen
-standen Gewässer. Vor deinem Dräuen flohen sie, vor deines Donners
-Stimme enteilten sie. Stürmten Berge hinan, Täler hinab, zum Raum,
-den du für sie gegründet; du setztest Grenzen, sie überschreiten sie
-nicht, nicht kehren sie wieder, die Erde zu bedecken.“ Die oberen
-Wasser „bilden das Obergemach“ im Himmel. Auch eine Unterwelt, Tachat,
-Scheol, ist vorhanden, nach Hiob, Kap. 26, unter den Wassern: „Die
-Schatten (Rephaim) entstehen (oder erbeben) unter den Wassern und deren
-Bewohnern. Nackt ist die Unterwelt vor ihm und keine Decke hat der
-Abgrund.“ Ebenso nach Kap. 38, Vers 16, 17: „Kamst du bis zu des Meeres
-Quellen, durchwandeltest den Abgrund der Flut? Sind dir enthüllt des
-Todes Pforten, die Pforten des Todesschattens siehst du?“ Die Gestirne
-kehren unter der Erde nach Osten zurück. Im Prediger (Kap. 1, Vers 5)
-wird von der Sonne gesagt: „Und aufgeht die Sonne und untergeht die
-Sonne, und zu ihrer Stätte keuchend, geht sie daselbst auf“. „Keuchend“
-(wörtlich), weil sie in die Höhe steigen muß.
-
-[Illustration]
-
-Die ~babylonische~ Mythe weiß im Grunde auch nicht mehr von der Welt.
-Ihr allgemeines Weltbild ist, wie schon erwähnt, das der Bibel; es mag
-auch älter sein. Jeremias bringt in seinem Buche „Das Alte Testament
-im Lichte des alten Orients“ eine „babylonische Weltkarte“, die ich
-wiederhole. Er sagt: „Jedenfalls stellen die sieben Dreiecke die sieben
-entsprechenden Teile des den Himmelsdamm und die Erde umströmenden
-Meeres dar, und sie hängen mit den sieben Kreisen (s. unten) des Supuk
-(Supuk samê ist der Tierkreis) zusammen, der in den Himmelsozean
-taucht. Vielleicht sind auch die sieben Meere in Betracht zu ziehen,
-die in der indischen Kosmologie hervortreten, und die sieben Inseln im
-Meere bei Henoch, Kap. 77“, wir können hinzufügen: die sieben Keschvars
-der Eranier. Vom gleichen Autor entnehme ich noch die folgenden
-Angaben: Das All ist ein doppeltes sich entsprechendes. Das himmlische
-All hat die drei Teile: Himmelsozean, Tierkreis (himmlische Erde),
-Nordhimmel. Das irdische All die: Ozean (in der Erde und um die Erde),
-Erde, Lufthimmel (wo Meteore erscheinen und die Geister schweben).
-Die Wandelsterne, innerhalb des Tierkreises sich bewegend (an Zahl
-sieben mit Sonne und Mond), sind die Dolmetscher des göttlichen
-Willens. „Der Fixsternhimmel verhält sich dazu wie ein an den Rand
-des Offenbarungsbuches geschriebener Kommentar.“ Die Sterne heißen
-denn auch Sitir samê, „Schrift des Himmels“. Aus solchen und ähnlichen
-Anschauungen ist die berühmte chaldäische Astrologie hervorgegangen,
-mit allen ihren wissenschaftlichen Leistungen und, bis in unsere Zeit
-nachklingenden, Torheiten. Nach den sieben Planeten wird der Tierkreis
-als aus sieben konzentrisch übereinander gestellten Ringen bestehend
-(die sieben Kreise, von denen oben die Rede war) angesehen, „wie
-eine kreisförmige Treppe, ein riesiger Stufenturm“ (indisch?). „Die
-siebente Stufe führt in den obersten Himmel, den Himmel des Gottes
-Anu.“ Letzterer Himmel wird auch als der Fixsternhimmel betrachtet und
-als erster Himmel gezählt. Dieser Stufenhimmel ist in den Stufentempeln
-Babyloniens mit allen oder einigen Stufen nachgeahmt. Unter den
-sieben Stufen sind drei hervorgehoben, die von Sin (Mondgott), Samas
-(Sonnengott), Istar (Venusgöttin); diese bedeuten die Regenten des
-Tierkreises. Auf Siegelzylindern finden wir häufig Samas zwischen zwei
-Bergspitzen als „Himmelstor“ hervortretend. Aber weder von diesem Tor
-noch von dem Weltberg und dem „Länderberg“ habe ich mir eine Anschauung
-bilden können. Arrhenius („die Vorstellung vom Weltgebäude“) bringt
-nach einer Zeichnung von Faucher-Gudin eine Abbildung der babylonischen
-Welt. „In der Mitte liegt der Kontinent, der nach allen Seiten hin
-sich zum Weltberg Ararat erhebt. Das Land ist rings vom Ozean umgeben,
-auf dessen hinterer Seite die Wohnungen der Götter liegen. Über dem
-Weltberg liegt der Himmel wie eine Glocke (nach der Abbildung auf
-einem um den Ozean herumlaufenden zweiten Gebirge aufruhend). Der
-nördliche Teil war mit einem Rohr versehen (mit zwei Öffnungen). Aus
-der östlichen Öffnung trat die Sonne am Morgen hervor, erhob sich am
-Firmament, um am Nachmittag wieder zu sinken und schließlich beim
-Einbruch der Nacht in die westliche Öffnung des Rohres einzutreten.
-Während der Nacht schob sie sich durch das Rohr und trat am nächsten
-Morgen durch dessen östliche Mündung wieder heraus.“ Woher der gelehrte
-Verfasser den Sonnentubus genommen hat, kann ich nicht sagen. Bequem
-ist er zweifellos, aber in keinem der mir zur Verfügung stehenden Texte
-und Abbildungen finde ich auch nur eine Andeutung davon. Im übrigen
-ist die irdische Welt in allen Teilen ein Abbild der Himmelswelt, was
-auch die Ägypter annahmen und wovon (in Umkehrung) wir ja Beispiele
-bei den Naturvölkern fanden. Das meiste von diesem Besonderen steht,
-wie man sieht, trotz äußerer Ähnlichkeit in striktem Gegensatz zu der
-biblischen Anschauung; der Himmel hat in dieser mit der irdischen Welt
-nicht das geringste zu schaffen, und das ganze All ist nichts Gott
-gegenüber. Gott hat den Gestirnen die „Satzungen“ gegeben.
-
-[Illustration]
-
-Auch der ~Ägypter~ Welt bestand aus den bekannten drei Teilen, Himmel,
-Erde, Tiefe (Pet, Ta, Dat). Der Himmel ist der Ausgespannte, der
-Verhüllende, der Hohe, der Gewölbte (Kapu) usf. Er ruht auf vier Säulen
-oder wird von der Luftregion (Shu) gestützt und trägt die Gestirne und
-ihre Gottheiten. Der Tempel wird als ein Abbild des Himmels angesehen
-und dementsprechend ausgebaut und geschmückt. Brugsch führt viele
-Beispiele an. So ist also „für die auf Erden lebenden Bewohner der
-Himmel eine prächtige Tempelhalle, ein Dom, unter dessen glanzvollem
-Dache sie sich ihres Daseins freuen“. Mit einem Himmel überdacht
-werden auch die Grabkammern; aber dieser Himmel ist schwarz, es ist
-der untere Himmel, an dem die Sonne nächtlich hinzieht. Mitunter
-scheinen sich die Ägypter mehrere Himmel übereinander gedacht zu
-haben; die doppeltgekrümmte Figur in der nächsten Abbildung, welche
-Himmel, Luft und Erde durch Personen darstellt, erscheint zweimal
-oder dreimal wiederholt, als Sonnenhimmel, Mondhimmel usf. Die Sonne
-fährt auf ihrem Himmel auch im Sonnennachen (na-n-Rā), der vom Urgott
-Nun (auf einem Bilde, aus dem Urgewässer hervorragend) getragen wird.
-Im Hiob wird der Himmel als Spiegel bezeichnet, bei den Ägyptern als
-Eisen. Eisen (ba) steht mitunter geradezu für Himmel („Rā fährt oder
-schwimmt oder wandert auf dem Eisen“), wie umgekehrt das „Eisen des
-Himmels (ba-n-pet)“ für Eisen überhaupt benutzt wird. Der mythische
-Name der Erde (Ta) heißt Qeb. Das soll Biegung, Krümmung bedeuten.
-Ob den Ägyptern aber die runde Gestalt der Erde bekannt war, oder
-ob Qeb lediglich die Unebenheiten kennzeichnen soll, ist ungewiß.
-Auch „Schwäche“ soll in dem Worte liegen, und die Erde wird auch
-als schwacher, alter Mann dargestellt (wie in der obigen Abbildung)
-oder als leidendes Weib. Die untere Welt ist das Nachtsonnenreich
-der Welt, unter der Erde und unter den Wassern. Wir kommen auf sie
-zurück. Figürlich wird sie als zusammengekrümmte Gestalt, Osiris,
-gebildet. „Die untere Hemisphäre zusammengekrümmt enthält seine
-(des Osiris) Gestalt“, heißt es in einer Inschrift. Die ganze Welt
-scheint vom Urwasser Nun eingeschlossen zu sein, wie sich aus einer
-Abbildung bei Brugsch, „Religion und Mythologie der alten Ägypter“, S.
-216, entnehmen läßt. Das entspräche etwa der biblisch-babylonischen
-Auffassung. Wenn aber auf der Abbildung auch ein Rand des Wassers
-außerhalb der Welt sichtbar ist, so würde das mehr an den Okeanos der
-Griechen erinnern, hinter dem ja auch die Welt, im Tartaros, sich
-fortsetzt. Indessen kann es sich auch um eine Willkür des Malers
-handeln. Das All wird unter dem Bilde des Skarabäus dargestellt.
-
-
-21. ~Leben und Gottheit.~
-
-Die ~Anschauung vom Leben~ richtet sich nach dem Grade der Freiheit
-Gott oder den Göttern gegenüber und nach dem Grade des Vertrauens. Die
-arischen Stämme scheinen noch am wenigsten abhängig von ihren Göttern
-gewesen zu sein, aber wohl auch am wenigsten vertrauend auf sie. Aus
-ihrer Mitte ist der Buddhismus hervorgegangen, in dem die Götter, wenn
-ihr Dasein nicht geleugnet wird, doch als sehr geringwertig für die
-Menschen angesehen werden. Hier gilt der extremste Grundsatz nach einer
-Seite hin; das Leben des Menschen ist bestimmt durch ihn selbst, er ist
-selbst Meister seines Geschickes (S. 211 ff.).
-
-Fünf Gesichtspunkte sind es vor allem, nach denen das Leben mit seinen
-inneren und äußeren Vorgängen beurteilt wird: ~Zufall~, ~Freiheit~,
-~Fürsorge~, ~Vorausbestimmung~, ~Zwang~. Die genaue Untersuchung
-dieser Gesichtspunkte gehört in die Metaphysik und Ethik. Auch
-entfallen hier, wo wir von den aus der Religion fließenden Anschauungen
-sprechen, der erste und fünfte Gesichtspunkt; es bleiben nur die drei
-mittleren Gesichtspunkte, und sie setzen das Verhältnis des Menschen
-zur Gottheit fest. Wenn bei religiöser Anschauung Willensfreiheit
-herrschen soll, so muß Verantwortlichkeit gegen die Gottheit bestehen.
-Der Egoismus führt dann auch zu Anforderungen an die Gottheit. Beide
-können mit dem Leben abgetan sein, oder auch sich über das Leben hinaus
-fortsetzen. Im ersten Falle hat der Mensch alles Unheil, das ihn im
-Leben betrifft, als Strafe für freiwillige Missetat zu betrachten,
-alles Gute als Belohnung für Wohlverhalten. Das letztere nimmt er
-meist ohne zu danken hin; er wird immer irgendeine schöne Tat finden,
-für die er Belohnung glaubt sich erwarten zu dürfen. Denn das rein
-ethische Wohltun aus Trieb der Seele und Freude daran ist gar selten
-und schaltet eigentlich die Gottheit aus. Aber eine Strafe sieht der
-Mensch nicht immer als verdient an. Dazu gehört wahre, herzensinnige
-Frömmigkeit und Zerknirschung, wie wir sie in den Hymnen, Psalmen und
-Kirchenliedern oft so ergreifend ausgedrückt finden. Hier vermischt
-sich die Anschauung mit der von der Fürsorge der Gottheit für den
-Menschen. Das Leben wird der Gottheit vertrauensvoll überlassen. Was
-diese bietet, wird in Demut angenommen, was sie verhängt, in Demut
-ertragen; vielleicht als Belohnung, vielleicht als Buße, immer aber
-als Ratschluß des Höchsten, der schon weiß, warum. Ich brauche aus dem
-Monotheismus keine Beispiele anzuführen. Aber auch der Polytheismus
-kennt solche Anschauungen:
-
- Zeus, wer du auch seist, Hoher, Unerforschlicher,
- Ob Geist der Menschen, ob Naturnotwendigkeit,
- Ich fleh dich an; denn du lenkst auf stiller Bahn
- Hinwandelnd, alles Menschenlos zum rechten Ziel.
-
-ruft die unglückselige Hekabe bei Euripides aus. Ähnlich heißt es in
-dem schönen babylonischen Klagelied an Istar:
-
- Du schaust auf den Unglücklichen und Zerschlagenen,
- Leitest ihn täglich rüstig.
-
-Damit in Verbindung steht dann die für alle Religion so absolut
-notwendige Anschauung, daß die Gottheit sich erbitten läßt, unverdiente
-Gnaden erweist, verdiente Strafe erläßt. Im Polytheismus wird sogar
-eine Gottheit gegen die andere angerufen. In jenem Istar-Liede sagt der
-Flehende:
-
- Löse meine Brust und schaffe mir Fülle!
- Lenke meinen Schritt, daß ich
- Froh und frei mit den Lebenden die Straße ziehe!
- Gib du Befehl, daß auf deinen Befehl der erzürnte Gott wieder gut
- werde,
- Daß die Göttin, die sich zürnend abgewandt, wieder gut werde.
-
-So wird Istar auch der „Stern der Klagen“ genannt, und dieses trotz
-der Schilderung ihrer willkürlichen, absoluten Übermacht, die
-Freunde verfeindet und auf dem Schlachtfelde herrscht. Seltsam,
-mehr wunderlich, klingt die fast stehende Versöhnungsformel an die
-Gottheiten, daß „ihr Herz sich beruhigen möge“ oder „sie selbst sich
-beruhigen mögen“, wie überhaupt die babylonischen Texte soviel von der
-Unruhe der Gottheiten sprechen, ja von ihrem Lärmen, wodurch auch so
-viel Kampf und Streit zwischen ihnen entsteht; so der kosmogonische
-Kampf Apsus und Tiamats gegen sie. Vielleicht treffen unsere
-Übersetzungen nicht den richtigen Sinn. Es sind auch Kollektivlieder
-für jede beliebige Gottheit gedichtet und bekannt. Wenn der Mensch
-sein Wohlverhalten dem Gotte vor Augen stellt, so geschieht das nicht
-selten in der Weise, daß er sagt, die und die Sünde hätte er nicht
-begangen. Das 125. Kapitel des ägyptischen Totenbuches ist dafür sehr
-charakteristisch. Die Vorschrift lautet: „Was NN (als Toter) spricht,
-wenn man zur Halle der beiden Wahrheiten (S. 189) gelangt, nachdem NN
-sich losgemacht hat von allem Bösen, das NN getan hat, um das Antlitz
-aller Götter zu schauen“. Und nun kommen die Bekenntnisse. „Ich habe
-nicht falsch gehandelt gegen die Menschen“ usf. Dreiundsechzig solche
-negative und kaum zehn positive, unter den letzteren freilich das so
-schöne:
-
- Ich habe dem Hungernden Brot gegeben,
- Und dem Dürstenden Wasser,
- Und dem Nackten Kleider.
-
-Andere Völker sind ähnlich verfahren. Bei allen aber werden nicht
-selten Zweifel an der Hilfe der Gottheit geäußert, entweder weil
-diese dem Menschen zu fern steht und sich um ihn nicht kümmert, oder
-weil der Mensch sich zu niedrig dünkt Gott gegenüber. Wie oft ist dem
-letzteren Gefühl in Psalmen, aber auch in den anderen Schriften der
-Bibel Ausdruck verliehen: „Was ist der Mensch, daß du sein gedenkest“
-usf. Bei den Ariern finden wir mehr den Zweifel an dem Wollen der
-Gottheit; Euripides bietet eine Menge von Beispielen. Hekabes Ausruf:
-„Ihr Götter! Zwar unnütze Helfer seid ihr uns; doch ist es tröstlich
-anzuflehen die Himmlischen, wenn unsereinen heimsucht das Mißgeschick“,
-gehört noch zu den mildesten.
-
-Weit verbreitet ist sogar die Anschauung von der Gottheiten „~Neid und
-Mißgunst~“ gegen die Menschen. Wie sie untereinander Neid und Mißgunst
-hegen und dadurch zum Kampf gegeneinander getrieben werden, daß ein
-Göttergeschlecht das andere stürzt, hat in furchtbaren Worten Aischylos
-im Prometheus geschildert. Dann wie die Gottheiten nach Willkür
-herrschen, ganz wie Tyrannen auf Erden:
-
- Ach, neue Herrn sind im Olymp
- Am Ruder jetzt; neuem Gesetz gemäß regiert
- Ohne Gesetz Zeus jetzt.
- Das früher Gewaltige jetzt vertilgt er’s.
-
-Und dann:
-
- Auf die armen Menschenkinder nahm
- Er keine Rücksicht; ganz zu vertilgen ihr Geschlecht,
- Ein anderes neues dann zu schaffen, war sein Plan.
-
-Prometheus, der dies von Zeus sagt, rettet die Menschen. Das steht
-nicht fern von der Art wie Ellil bei den Babyloniern verfährt, daß
-Ea wenigstens für wenige Retter sein muß. Namentlich erregt Glück
-den Neid der Götter. Und wer etwa sich darin überhebt, muß es schwer
-büßen. Niobes Tragödie spricht noch jetzt zu uns aus den herrlichen
-und rührenden Darstellungen, die wir bewundern. Selbst die Bibel hat
-Anklänge, daß Gott dem Menschen nicht alles gewähren will, wie in der
-Paradiessage und in der Sage vom Turmbau zu Babel. Doch tragen solche
-Erzählungen auch den Stempel der Erklärung für Erscheinungen im Leben
-der Menschheit. Warum der Mensch mühselig sein Leben verbringt, warum
-er stirbt, warum er so zerstreut und vielsprachig auf Erden weilt.
-Andere Völker haben aus gleichem Grunde andere Sagen erfunden.
-
-So ist die Freiheit des Menschen doch keine unbedingte und die Fürsorge
-der Gottheit keine vollkommene. Darum ist es dem Menschen auch ein
-vertrauter Gedanke, daß er über sich überhaupt nicht zu bestimmen
-habe, daß, wie seine Geburt, so auch sein ganzes Leben durch die
-Gottheit vorausbestimmt ist und sein Tod. Was ihm Gutes zukommt, was
-ihn Böses berührt, hat die Gottheit schon vorgewirkt. Dieses entweder
-absolut oder relativ (vom Schicksal S. 136 ff.). Wie weit die absolute
-Vorausbestimmung geht, sehen wir in dem grämlichen „Prediger“: „Denn
-auch daß ein Mensch esse und trinke und Gutes genieße für alle seine
-Mühe, ist eine Gabe Gottes. Ich weiß, daß alles was Gott tut, das wird
-ewig sein, hinzuzufügen ist nichts und davon zu nehmen ist nichts, und
-Gott tat es, daß sie sich fürchten vor ihm.“ „(Ich weiß) daß, was den
-Menschensöhnen begegnet und was dem Vieh begegnet einerlei Begegnis für
-beide sei; wie der Tod dieses, so der Tod jener, und einerlei Geist in
-allem, so daß der Vorzug des Menschen vor dem Viehe nichts sei, denn
-alles ist eitel.“ Daraus folgt dann das berühmte: „Nichtigkeit der
-Nichtigkeiten, alles ist nichtig.“ So scharf wie im „Prediger“ findet
-sich der Pessimismus freilich selten ausgesprochen, außer etwa bei
-Philosophen. Aber über Gebundenheit und Machtlosigkeit klagt der Mensch
-überall.
-
-Die Verzweiflung führt dann zunächst zu der ~Lebensweisheit der
-Unbekümmertheit und des Genießens~. Im „Prediger“ wird sie fortwährend
-empfohlen: „Siehe, was ich gesehen habe, das ist gut, daß es schön
-ist, zu essen und zu trinken und Gutes zu sehen für alle seine Mühe,
-die er sich müht unter der Sonne die Zahl seiner Lebenstage, die Gott
-ihm gegeben, denn das ist sein Teil.“ „Am Tage des Glückes fühle
-dich glücklich, und am Tage des Unglückes sieh’s an.“ „So preise ich
-die Freude, daß nichts gut ist für den Menschen unter der Sonne als
-zu essen und zu trinken und sich zu freun.“ „Denn so viele Jahre
-der Mensch lebt, ihrer aller freue er sich und gedenke der Tage der
-Dunkelheit, daß ihrer viele sein werden; alles was kommt ist nichtig.“
-Gemildert werden diese Lehren durch die ethische Auffassung, daß die
-Freude ein Entgelt für die Mühsal ist, die der Mensch tragen muß, und
-daß bei allem der Mensch doch nichts Böses tun darf, sondern Gutes
-wirken muß. Eine Tradition schrieb den „Prediger“, selbstverständlich
-mit Unrecht, König Salomo zu. Die Azteken hatten im König
-Netzahualcoyotl (1470) einen ähnlichen Salomo: „Allen irdischen Dingen
-ist ihr Ende bereitet. Inmitten der fröhlichen Laufbahn ihres Glanzes
-und ihrer Eitelkeit geht ihnen die Kraft aus und sie werden zu Staube.
-Das ganze Erdenrund ist nichts als ein Grab, und alles, was darauf
-lebt, wird einst darunter begraben werden. Die Dinge von gestern sind
-heute nicht mehr und die Dinge von heute werden vielleicht schon morgen
-nicht mehr sein. Die einst auf Thronen gesessen, Versammlungen gelenkt,
-Heere befehligt, Länder erobert, göttliche Verehrung gefordert, der
-Macht der Herrschaft, dem Ruhm nachgejagt haben, wo sind sie jetzt?
-Verschwunden mit all ihrer Herrlichkeit, gleich dem Rauche, der aus dem
-Krater des Popokatepetl aufsteigt und spurlos verschwindet.“ So lautet
-die triste Weisheit des aztekischen Königs nach Ixtlilxochitl, als
-wenn er das entsetzliche Schicksal seines Volkes und seiner Nachkommen
-geahnt hätte. Und daran schließt er, wie der „Prediger“, die Mahnung:
-„Aber du, mein Freund, so freue dich der Anmut dieser Blumen, freue
-dich mit mir. Wirf nun Furcht und Sorge von dir, die uns den Genuß
-verderben bis ans Ende des Lebens. Sammle ja alle zusammen, welche
-Liebe dir verbindet, welche teuer dir in Freundschaft. Denn auf Erden
-ist nichts sicher als des Todes herbe Schneide. Auch im Wechsel ist
-die Zukunft.“ Phantasiebegabte Ethnologen haben bereits behauptet,
-die Azteken und Mayas wären die verlorenen zehn Stämme Israel. Also
-Tradition! Gleiche Anschauungen sollen sich im alten peruanischen
-Drama „Ollanta“ finden. Sicher haben die Literaturen der meisten
-Völker solche und ähnliche Ausbrüche von Menschenverzweiflung über das
-Leben. Wie die Indier darüber dachten, haben wir an anderer Stelle zu
-erörtern. Von den griechischen und römischen Lehren genügt es, zwei
-Äußerungen hervorzuheben. Herakles sagt in der Alkestis zu dem um seine
-Herrin trauernden Diener:
-
- Den Menschen allen ist verhängt des Todes Los
- Und ihrer keinem noch wurde geoffenbart,
- Ob nur der Tage nächster sie am Leben trifft.
- Denn dunkel ist, wohin des Schicksals Wege gehn,
- Und nicht erlernbar, und die Kunst enthüllt es nicht ...
- Erheitre dich und trinke, rechne diesen Tag
- Für dein, das andre für des Schicksals Eigentum.
-
-Und als Hauptspruch den schon benutzten (ähnlich auch von Epicharmos):
-
- Sterblichen geziemt es, sterblich auch gesinnt zu sein.
-
-Und sicher fällt meinem Leser noch Horatius’ Ermahnung ein: „Quid
-sit futurum cras fuge quaerere, quam fors dierum cunque dabit,
-lucro appone.“ In einer Rezension des Gilgames-Epos der Babylonier
-(vielleicht aus mehr als 2000 v. Chr.) sagt Sabitu (eine Göttin, die am
-Rande der Welt wohnt) zum Helden:
-
- Als die Götter die Menschen schufen,
- Setzten sie den Tod für die Menschen ein,
- Das Leben aber nahmen sie in ihre Hand.
- Du, Gilgames, dein Leib sei gefüllt,
- Tag und Nacht vergnüge dich!
- Täglich mache ein Freudenfest!
- Tag und Nacht tanz und juble usf.
-
-Ähnliche Lehren finden wir in dem ägyptischen sogenannten Harfnerliede,
-dessen Inhalt aus etwa 1700 v. Chr. stammt. Es wird geschildert wie
-Menschen, Städte und Länder vergehen, und dann rät der Dichter:
-
- Folge deinem Herzen, solange du lebst,
- Leg Myrrhen auf dein Haupt und kleide dich in feines Linnen,
- Gesalbt mit den ächten Wundern der Gottesdinge.
- Sei noch fröhlicher, laß dein Herz nicht ermatten,
- Folge deinem Herzen und deinem Vergnügen,
- Verrichte deine Sachen auf Erden und quäle dein Herz nicht,
- Bis jener Tag des Wehgeschrei’s zu dir kommt kommt --
- Denn Osiris hört ihr Schreien nicht --
- Und die Klage errettet niemanden aus dem Grabe.
-
-Alles dieses klingt so allgemein menschlich aus urältester Zeit, und
-klingt noch heute.
-
-Es ist nur ganz natürlich, daß der Mensch gerne sein Schicksal
-erkennen möchte. Die Chaldäer vornehmlich haben dazu die ~Astrologie~
-geschaffen, die sich aber fast überall auf der Erde vorfindet, sei es
-daß die Gestirne, als Gottheiten, in ihrer Stellung bei der Geburt und
-später, ihren Willen kundtun, sei es daß höhere Mächte das Geschick
-wie Schrift am Himmel ordnen (S. 179). Es wird jedem Stern an sich
-eine Bedeutung für das menschliche Wesen und für die Welt beigemessen
--- wer denkt nicht an den Stern bei Christi Geburt! -- und auch in
-Verbindung mit den anderen Sternen. Und es gilt, aus der Kombination
-der Sterne das Wahre zu erraten, oder am Himmel wie in einem Buche
-zu lesen. Das verstehen nicht alle, sondern nur gewisse Leute. Sonst
-hat die Menschheit noch die ~Orakel~ der Gottheiten ausgebildet,
-wofür die Griechen wohl die merkwürdigsten Beispiele besitzen. Oder
-~Wahrsagungen~ durch Geister Verstorbener, oder von weisen Männern und
-Frauen, -- die Beschwörung der Hexe von Endor, zu der der gewaltige
-und unglückliche Saul wandert, gehört hierher. -- Auch Zeichen an
-Tieren, namentlich bei den in dieser Hinsicht recht törichten Römern,
-die sich von ihren eigenen Deutern verspotten lassen mußten, oder
-solche an Gewitter, Wind und allen möglichen Begegnissen spielen eine
-große Rolle. Von diesem allen zu sprechen ist nicht meine Aufgabe. Die
-„Geheimlehre“ ist eine sehr ausgebreitete Wissenschaft mit Horoskop,
-Beschwörung, Hölzchenwerfen, Kartenlegen und allem so sonderbaren
-Unfug, Zauber und Spuk. Sie hat noch jetzt, wie die vielen Prozesse
-zeigen, die dabei doch immer nur flagrante Fälle treffen, eine
-außerordentliche Bedeutung in vielen, nicht selten geistig sehr wenig
-gebildeten oder von Aberglauben durchsetzten Kreisen. Ich wüßte aus
-meinen Kreisen die unglaublichsten Dinge zu erzählen, wie ein, an sich
-ganz verständliches Drängen des Menschen, seine Zukunft und die Folgen
-seines Tuns und Lassens zu erkennen, zu größten Albernheiten ausartet.
-Wieviel Unheil die griechischen Orakel angerichtet haben, meist durch
-Zweideutigkeit, oft auch durch Dienstfertigkeit gegen eine Person oder
-einen Stamm, wie des delphischen Orakels gegen die Spartaner, ist
-bekannt. Aber die erleuchtetsten Geister der Griechen haben doch an
-sie geglaubt. Da ist es nicht zu verwundern, wenn Ägypter, Chinesen,
-Amerikaner, Indier usf. gleichfalls an solche Dinge glaubten, und daß
-Weissagungen zu Staatseinrichtungen wurden. Der delphische Gott hat
-fast die ganze alte Kulturwelt, bis tief nach Asien hinein und bis zu
-den Säulen des Herakles durch seine Aussprüche beherrscht. Wir kennen
-deren eine große Zahl. Und wie gerne denkt man an die Prophezeiungen
-der gewaltigen Propheten mit ihrer so immensen ethischen und
-religiösen Bedeutung! Und, in weitem Abstande freilich, doch zum Teil
-von poetischem Geist getragen, stehen die sibyllinischen Weissagungen,
-aus so viel späterer Zeit. Auch in den babylonischen, ägyptischen
-und anderen Texten haben wir Prophezeiungen, namentlich aber viele
-Beschwörungen von Göttern und Dämonen. So sehr bildeten diese einen
-Bestandteil des Lebens, daß sie sich zu Formeln verdichteten, in die,
-ähnlich wie bei den Bittliedern (S. 184), nur der jedesmalige Name des
-Gottes oder Dämons des ~Beschwörenden~, oder desjenigen für den etwas
-beschwört werden sollte, und die Bitte (z. B. um Heilung von der und
-der Krankheit) einzutragen war. So beginnt ein babylonischer Text:
-
- Ich rufe euch an, ihr großen Götter,
- ... Gott und Göttin, Herrn der Erlösung,
- Wegen NN, Sohnes des NN, dessen Gott NN, dessen Göttin NN ist,
- Der krank und zerschlagen, voll Trauer und Kummer ist.
-
-Und bei solcher Beschwörung wurden, harmlos genug, Blüten, Früchte,
-Wolle usf. verbrannt. Eine der großen babylonischen Beschwörungen
-unter dem Namen Ea und Atrahasis (S. 161), betrifft Unheil und Sünde,
-die das ganze Land ergriffen haben, und Plagen, die Ellil gesandt
-hat, richtet sich aber wesentlich auf Hilfe für schwangere Frauen. Ea
-und Atrahasis scheinen die Helfenden zu sein. Selbst die Gottheiten
-benutzen bei ihrem Tun Beschwörungsformeln; in demselben Text bilden
-(symbolisch?) Ea und die Göttermutter Mami oder Aruru Wesen aus Lehm,
-dabei spricht Mami eine Beschwörung und speit auf den Lehm. Bei dieser
-Beschwörung spielen sieben „Mütter“ (man denkt unwillkürlich an die
-Mütter im „Faust“) eine Rolle. Selbst Ormuzd bedient sich einer
-Beschwörungsformel, des Honover, gegen Ahriman und stürzt ihn dadurch
-zu Grunde. Die ungeheure Bedeutung des Spruches bei den Indiern habe
-ich mehrmals hervorgehoben. Und der Römer konnte ohne ~Abwehrformeln~
-überhaupt nicht leben; wie auch gegenwärtig der Bauer, und nicht bloß
-dieser, gegen Beschreien, bösen Blick, Katzen, die ihm über den Weg
-laufen u. a. Abwehrformeln murmelt oder sich bekreuzigt.
-
-Mit derartigen Anschauungen hängen dann die der ~Dies nefasti~
-zusammen, der Tage, die an sich voll Unheil sind, und an denen nichts
-unternommen werden darf, sowie ihrer Gegensätze, der ~Dies fasti~, der
-guten Tage. Die Kalender in allen Teilen der Erde hatten die Aufgabe,
-diese Tage anzumerken. Und Priester und Wahrsager wurden bei großen und
-kleinen Unternehmungen benutzt, durch Vogelschau, Opfer und sonstige
-Anzeichen festzustellen, ob der betreffende Tag dazu auch geeignet
-sei. Die Geschichte der Völker ist voll von Beispielen dafür. Auch die
-Sabbatvorschriften, für die die Bibel einen so menschenfreundlichen
-und edlen Zweck angibt, die Ruhe von Mühe und Arbeit für sich und alle
-anderen, selbst für das arbeitende Vieh, beziehen sich anderweitig
-vielfach auf schlimme Tage. Ein babylonischer Text, den man als
-Sabbatvorschrift bezeichnet und der in der Tat für den 7., 14., 19.,
-21. und 28. des Schalt-Ellul das Kochen von Fleisch, das Anziehen
-eines Hemdes, das Opfern, das Fahren, das Wahrsagen, das Behandeln von
-Kranken, jede Unternehmung verbietet, wie etwa am Sabbat der Hebräer,
-beginnt aber mit der Überschrift: „Ein böser Tag“. Es ist also kein
-Sabbat, kein Sonntag, der ja ein feierlicher und glücklicher Tag sein
-sollte und war und ist. Auch die Folge im Monat zeigt dieses; zwischen
-dem 14. und 19. sind nur fünf, zwischen dem 19. und 21. gar nur zwei
-Tage. Und unsere „Freitage“ und „Dreizehnten“! Selbst die gleichfalls
-auf der ganzen Erde verbreiteten ~Speiseverbote~ gehören bis zu einem
-gewissen Grade hierher, soweit sie nicht einheimischen Anschauungen
-ihre Entstehung verdanken. Doch kann ich darauf nicht eingehen.
-
-Im ganzen nimmt die Freiheit des Menschen zu, wie die Zahl der
-Gottheiten abnimmt und der monotheistische „Knecht Gottes“ ist sicher
-freier als der polytheistische „Bildner“ seiner Gottheiten. Das liegt
-auch daran, daß nicht, wie unter Menschen, mit der Macht des Einzelnen
-die Unterdrückung und so oft auch die Ausnutzung wächst, sondern daß
-der Glaube an die Fürsorge aus dem donnernden und gefürchteten Gott
-einen, wenn auch strafenden, doch gütigen Vater im Himmel macht, trotz
-der vielen Erfahrungen, die hier so bewegend widersprechen.
-
-
-22. ~Nachleben und Jenseits (Eschatologie) der Kulturvölker.~
-
-Wir kommen zu einer recht schwierigen und umfangreichen Untersuchung,
-aber einer von der höchsten Bedeutung. Wie die Naturvölker über
-~Nachleben~ und ~Jenseits~ denken, habe ich oft und eingehend
-auseinandergesetzt (auch Abschnitt 14). Wir haben es jetzt mit den
-Kulturvölkern zu tun. Daß auch bei ihnen Reste naturmenschlicher
-Anschauungen auf diesem Gebiete in reichlicher Zahl sich finden,
-habe ich gleichfalls schon dargelegt und mitgeteilt. In der Tat ist
-im Grunde jedes Nachleben mit irdischem Fühlen, Denken und Bedürfen
-an sich naturmenschlich, und nur die hinzukommenden ethischen Motive
-und ethischen Veranstaltungen können Kulturelles begründen. So sehen
-wir denn auch im allgemeinen rein Naturmenschliches mit Kulturellem
-gepaart und gemischt. Drei Hauptanschauungen müssen wir vor allem
-unterscheiden. In der einen Anschauung ist der Gestorbene für immer
-tot, höchstens, daß er am Ende der Zeit auferweckt wird. Nach der
-zweiten kann er als Dämon, Gespenst, Geist usf. aus gewissen Gründen
-die Erde noch besuchen. Es handelt sich dann nur um Naturmenschliches,
-das wir schon kennen. In der dritten Anschauung stirbt der Mensch
-nur, um in anderer Gestalt wieder zu kommen. Das allgemeine Leben
-ist kein einmaliges, sondern ein von Ewigkeit her bestehendes
-Kommen und Scheiden der Seele, bis zum Eingehen in die letzte Ruhe
-(Seelenwanderung, Metempsychose). Das ist dem nächsten Abschnitt
-vorbehalten.
-
-Wir betrachten die erste Anschauung und müssen dabei sogleich ein Volk
-gesondert behandeln, weil bei ihm die größten Zweifel noch ungelöst
-vorhanden sind: die alten ~Hebräer~. Der bekannte Pentateuchausdruck
-für das Sterben ist: „Sich zu den Vätern versammeln“. Wie das
-animistisch gedeutet werden kann, ist bereits ausgeführt (S. 106).
-Sonst finden wir die Angabe, die Seele oder der Geist, Nephesch oder
-Ruach, als das von Gott dem Staubgebildeten Eingehauchte, verlasse
-den Menschen im Sterben; der Leib werde zur Erde. Der „Prediger“
-in seinem Pessimismus sagt: „Allen Lebenden ist Hoffnung, denn es
-ist besser um einen lebenden Hund als um einen toten Löwen“. Und er
-spricht den Toten jeden Anteil ab „an allem, was unter der Sonne
-geschieht“. Selbst den Lohn empfangen sie nicht, „sie wissen nicht das
-geringste“. Das wäre also absoluter Tod. Aber wie unsicher sich der
-„Prediger“ fühlt, zeigt die Äußerung: „Alles geht an einen Ort, alles
-ward aus dem Staube und alles kehrt zurück zum Staube. Wer kennt den
-Geist (Ruach) der Menschensöhne, ob er in die Höhe (Maala) steigt,
-und den Geist des Viehs, ob er hinuntersinkt zur Erde (Arez)“. Und
-diese Unsicherheit finden wir fast überall bei den alten Hebräern. Der
-Aufenthaltsort des Toten ist der Scheol, Tachat; aber es ist schon
-nicht gewiß, ob wir darin einen Hades, Orcus zu sehen haben oder nur
-das Grab des Betreffenden. Das erstere scheint das allgemeinere, doch
-sind die Epitheta auf Grab wie auf Totenreich anwendbar: die „Öde“,
-die „Verborgenheit“, „einsame Gruft“ usf. Im Hiob, Kap. 10, wird vom
-„Land der Finsternis und Todesschatten“ gesprochen, auch vom „Land
-des Grauens, ein Dämmerungsdunkel, wo es graut wie Dämmerungsdunkel“.
-Im Jesaias werden die „Pforten der Unterwelt“ (Schaare Scheol)
-genannt. Und die Toten heißen „Bewohner der Nichtigkeit“. Solche und
-ähnliche Angaben deuten wieder mehr auf eine besondere Unterwelt.
-Die Geschiedenen werden meist als Rephaim, die Kraftlosen, Matten
-bezeichnet oder als Zalmaweth, Schatten, Bilder; letzteres fast
-genau den griechischen εἴδωλα entsprechend. Und überhaupt gleichen
-diese Anschauungen in merkwürdiger Weise den griechisch-römischen,
-ohne die späteren Ausschmückungen. Von Lohn oder Strafe sind in den
-alten Schriften keine rechten Spuren zu finden. Bei bewußt- und
-empfindungslosen Seelen würden sie auch keine Bedeutung haben. Um
-so höher muß man eigentlich Anschauungen einschätzen, wenn sie die
-Menschheit Recht, Sitte und Liebe lehren wollen, ohne Drohen mit ewigen
-Strafen und ohne Verheißung ewigen Lohnes. Auf Auferstehung der
-Toten deuten Aussprüche wie Jesaias 26, 19: „So mögen aufleben deine
-Toten, meine Leichen wieder erstehen: Erwachet und jubelt, Bewohner
-des Staubes! Denn Tau auf Pflanzen ist dein Tau, aber die Erde wirft
-Schatten nieder“. Erst nach der Rückkehr vom Exil scheinen sich die
-Ideen von Hölle und Paradies zu bestimmten Anschauungen ausgebildet zu
-haben. Schon solche Stellen wie Psalm 17, 15: „Ich aber werde schauen
-in Gerechtigkeit dein Antlitz, der Wonne Fülle haben, wenn ich erwacht,
-an deinem Bilde“. Psalm 16, 10, 11: „Denn nicht überläßt du meine Seele
-(Naphschi) der Gruft (Scheol), lässest nicht deine Frommen schauen die
-Grube (Tachat). Den Pfad des Lebens wirst du mir kundtun; Fülle der
-Freuden ist vor deinem Antlitz, Wonne in deiner Rechten immerdar“.
-Psalm 26, 9: „Raff meine Seele nicht mit Sündern hin, mit Blutmenschen
-nicht mein Leben“ u. ä. deuten darauf hin. Man weiß nur von wenigen
-Psalmen, wann sie gedichtet sind; manche meinen übertrieben, alle seien
-erst nach dem Exil entstanden. Genauere Angaben finden sich in den
-Apokryphen und den Pseudepigraphen. In dem zweiten Makkabäerbuch (wohl
-kurz vor Christi Geburt geschrieben, vielleicht schon um 100 vor Chr.)
-handelt Kap. 7 von dem Martyrium der sieben Brüder, die die katholische
-Kirche unter ihre Heiligen aufgenommen hat (die Reliquien werden im
-Kölner Dom gezeigt), und dabei von Auferstehung und Leben im Himmel. Im
-Kap. 12 wird erzählt, wie Juda’s Leute bei den bei Adullam gefallenen
-Juden „unter dem Hemde Zaubermittel von den Götzen aus Jamnia gefunden
-hätten“. Um das zu sühnen, sammelte Juda Geld und sandte es als Opfer
-nach Jerusalem, „indem er auf die Auferstehung Bedacht nahm. Denn hätte
-er nicht erwartet, daß die in der Schlacht Gefallenen auferstehen
-würden, so wäre es Torheit gewesen, für Tote zu beten. Sodann zog er
-in Betracht, daß dem in Frömmigkeit Entschlafenen der herrlichste
-Gnadenlohn aufbehalten sei“. Zwischen 150 vor Chr. und 40 nach Chr.
-soll das „Buch der Weisheit Salomonis“ verfaßt sein. Darin heißt es
-von den Gottlosen: „Und nicht erkannten sie Gottes Geheimnisse, Noch
-hofften sie einen Lohn des heiligen Wandels, Und wollten nichts wissen
-von einem Ehrenpreis für makellose Seelen. Denn Gott hat den Menschen
-zur Unvergänglichkeit geschaffen. Und ihn zum Bilde seines eigenen
-Wesens gemacht. Durch den Neid des Teufels aber kam der Tod in die
-Welt. Es erfahren ihn aber die, welche jenem angehören, der Gerechten
-Seelen aber sind in Gottes Hand, und keine Qual kann sie berühren.
-Nach dem Wahne der Unverständigen scheinen sie tot zu sein“. Nun kommt
-etwas, das wie Glaube an Fegefeuer klingt: „Denn wenn sie auch nach
-der Anschauung der Menschen gestraft werden, ist doch ihre Hoffnung
-ganz von der Unsterblichkeit erfüllt. Und nachdem sie eine kurze Qual
-überstanden haben, werden sie große Wohltaten erfahren, denn Gott hat
-sie nur geprüft und hat sie seiner würdig befunden“. Das wird noch
-weiter ausgeführt, und wie sie zuletzt auch die Heiden richten und über
-die Völker herrschen. Es heißt dann: „Die Gottlosen aber werden ihren
-Gesinnungen gemäß Strafe erleiden.“ Hier, und noch an anderen Stellen,
-haben wir also Unsterblichkeit, Auferstehung, Belohnung nach dem Tode,
-Läuterung, Strafe der Sünder. Alle Elemente, aus denen später das
-Christentum die gewaltigen Dichtungen von Paradies, Hölle, Fegefeuer,
-Auferstehung und Jüngstem Gericht geschaffen hat. Die Unsterblichkeit
-ist jedoch noch an die Erfüllung von Gottes Geboten geknüpft. Und schon
-im Daniel (vor 100 vor Chr.) heißt es in Kap. 12: „Und viele, so unter
-der Erde schlafen liegen, werden aufwachen, etliche zum ewigen Leben,
-etliche zu ewiger Schmach und Schande. Die Lehrer aber werden leuchten
-wie des Himmels Glanz, und die so viele Gerechtigkeit weisen, wie
-die Sterne, immer und ewiglich“. Bald ist auch die Hölle als Gehinom
-bekannt und das jüngste Gericht und ebenso die Totenbrücke (S. 192).
-Der Talmud namentlich bildete die Lehren weiter aus. Interessant dafür
-ist eine Legende. Ein römischer Kaiser fragte den berühmten Jehuda
-Hanassi, wie das wäre; der Körper könne doch ohne Seele nichts, und die
-Seele sei doch an sich ohne Leidenschaft; wer büße denn für Missetat.
-Da antwortete der Talmudist mit einer Erzählung: Ein König hatte einen
-Garten mit herrlichen Früchten und ließ ihn, um ganz sicher zu sein,
-von einem Blinden und einem Lahmen bewachen. Aber der Lahme stieg auf
-des Blinden Schultern, und indem er dessen Schritte lenkte, kamen
-sie an die Früchte und stahlen sie. Wer war schuld? Der Blinde, der
-die Früchte nicht sehen oder der Lahme, der nicht zu ihnen gelangen
-konnte? Der König erkannte die List und bestrafte beide. „Ganz so wird
-es auch Gott beim Jüngsten Gericht machen. Er wird die Seele wieder
-in den Körper versetzen, damit sie gemeinsam der Strafe teilhaftig
-werden für die Untaten, die sie eben gemeinsam verübt haben.“ Daß die
-Bibel Menschen kennt, die weggenommen werden, wissen wir von Henoch
-und Elias. Ich habe von dem vielen nur weniges anführen können. Was
-steht nicht alles in dem wunderlichen und zum Teil so schönen Buche
-Henoch (167-64 vor Chr.), an das die Apokalypse so sehr erinnert! Und
-wie vieles in den älteren Büchern noch bis auf Jesaias! Und sicher sind
-die späteren Ideen vom Leben nach dem Tode nicht ohne Anhalt an Lehren
-der Bibel oder von Werken, die uns verloren gegangen sind, entstanden,
-wenn man bedenkt, wie außerordentlich abweisend die Juden gegen
-jedes Fremde, namentlich Heidnische, stets gewesen sind, trotz aller
-äußerlichen Drangsale. Die Ideen des ~Christentums~ vom Leben nach
-dem Tode brauche ich nicht auseinanderzusetzen; wir kennen sie alle,
-haben sie in der gewaltigen „Göttlichen Komödie“ und in unzähligen
-malerischen Darstellungen.
-
-Ea-bani, Gilgames’ Freund, träumt einen schweren Traum; ein Dämon
-führt ihn in die „Behausung der Finsternis, die Wohnung Irkallas (des
-Totengottes)“
-
- Nach der Behausung, die man betritt ohne wiederum hinauszugehen,
- Nach dem Wege, dessen Bahn sich nicht zurückwendet,
- Nach der Wohnung, dessen Bewohner das Licht entbehren,
- Wo Erde ihre Nahrung, Lehm ihre Speise;
- Bekleidet sind sie wie Vögel mit Flügelkleide
- Und das Licht schauen sie nicht, in Finsternis wohnen sie.
-
-Das ist die erste ~babylonische~ Beschreibung der Unterwelt und ihrer
-Toten. Und es finden sich in der Unterwelt alle Menschen: Tiarenträger,
-Hohepriester und Priesterknechte, Beschwörer und Bettelpriester,
-Helden und Feige. Eine fast wörtlich gleiche Beschreibung gibt die
-berühmte „Höllenfahrt der Istar“. Die Unterwelt heißt Kurnugea (Land
-ohne Rückkehr). Und die Todesgöttin Ereskigal selbst sagt, daß das
-Los der Toten bejammernswert ist. Warum Istar die Unterwelt besucht,
-ist nicht gewiß; sie erzwingt sich vom Pförtner Einlaß durch die
-Drohung, die Tore zu sprengen und die Toten herauszulassen. Auf
-Ereskigals Befehl öffnet der Pförtner und soll Istar „gemäß alten
-Geboten“ behandeln. Durch sieben Tore muß sie wandeln und an jedem
-wird ihr vom Pförtner ein Teil ihres Schmuckes und ihrer Bekleidung
-fortgenommen. Als sie vor der Todesgöttin steht, ist sie gänzlich
-entblößt. Sie fährt drohend gegen diese auf, wird aber auf deren Befehl
-vom Vezier Namtar, der auch Krankheitsdämon ist, eingeschlossen und
-mit sechzig Krankheiten behaftet. Da hört alle leibliche Liebe auf
-Erden auf und alle Befruchtung und Fortpflanzung. Samas weint darob vor
-Sin (Mondgott und Istars Vater) und Ea, und letzterer schafft einen
-babylonischen Orpheus, Asusu-namir, einen Spielmann. Dieser soll vor
-Ereskigal spielen, bis sie sich erfreut, und dann den Schlauch mit dem
-Lebenswasser verlangen. So geschieht’s. Ea’s Geschöpf wird zwar wegen
-der angewandten List verflucht, der Niedrigsten Niedrige zu sein.
-Aber er erhält den Schlauch, Istar wird vor die Annunaki (Richter in
-der Unterwelt) geführt, mit dem Lebenswasser besprengt und aus der
-Hölle entlassen. An jedem Tore empfängt sie die ihr dort abgenommenen
-Gegenstände. Das Gedicht ist in starker Unordnung, Greßmann meint,
-durch Schuld des Abschreibers. Am Schluß steht etwas, das darauf
-schließen läßt, daß die Toten auch zur Erde emporsteigen, und zwar in
-den Klagetagen des Tamuz (Dumuzi), des babylonischen Adonis, den seine
-Schwester Belili (eine Unterweltsgöttin, anstatt Aphrodite) beweint.
-Der Unterweltsgott ist Nergal; er ist es in sonderbarer Weise geworden.
-Die Götter veranstalten ein Mahl; da Ereskigal die Unterwelt nicht
-verlassen darf, soll sie sich das Essen holen. Sie sendet ihren Vezier
-Namtar hinauf. Alle Götter erheben sich vor ihm, nur Nergal (Gottheit
-alles Schlimmen, der Sonnenglut, des Krieges, der Pest) bleibt sitzen.
-Darüber ergrimmt die Todesgöttin und verlangt Nergals Auslieferung,
-um ihn zu töten. Nach großem Jammern wird Nergal seinem Schicksal
-entgegengesandt. Aber er nimmt sich vierzehn Geister mit und läßt
-von jedem ein Tor der Hölle bewachen (hier sind also vierzehn Tore
-vorhanden, nicht sieben). Nun stürmt er auf Ereskigal los und will sie
-seinerseits töten. Auf ihr Bitten jedoch läßt er sie leben. Sie gibt
-die „Tafeln der Weisheit“ (?) in seine Hand und wird seine Gattin, er
-wird dadurch Gott der Unterwelt. Nergals Hauptkultort ist Kutha (wie
-Marduks Babylon), danach heißt die Unterwelt auch Kutha. Es gibt noch
-mehr babylonische Unterweltsberichte, aber neues ist nicht zu ersehen.
-Die Unterwelt entspricht etwa dem Hades-Orcus. Totenrichter sind
-vorhanden (die Annunaki), ein Totengott und eine Totengöttin herrschen,
-eine Schreiberin und Dämonen aller Übel stehen ihnen zur Seite. Alfred
-Jeremias sagt: „Die Anzeichen häufen sich, daß die Babylonier mit ihrem
-Unsterblichkeitsglauben die Anschauung von einem Strafgericht bzw.
-von einer Strafbefreiung nach dem Tode verbunden haben“. Und das ist
-wirklich alles, was man einstweilen behaupten kann.
-
-Mehr wissen wir von den ~Ägyptern~. „Pyramidentexte“ (Zaubertexte,
-die zwischen 2600 und 2500 v. Chr. in den Grabkammern der Pyramiden
-eingegraben wurden, die toten Könige für das Jenseits auszurüsten)
-und das „Totenbuch“ (wohl ebenso alt, vielleicht noch älter und dem
-gleichen Zwecke dienend) geben Auskunft. Außerdem unzählige bildliche
-Darstellungen. Das unterirdische Totenreich ist Amenti, das „Westland“,
-oder Achernuti, die „heilige Unterwelt“, oder Aalu, „Schlangenfeld“.
-Außerdem ist eine Art Elysium vorhanden, wie Sonnenberg, Am-Sesennu.
-Doch kann das Totenreich auch jene Tiefe, untere Welt, Dat, sein. Sie
-ist mit Dämonen und Ungetümen erfüllt. Der Tote, der sie von West nach
-Ost zu durchwandern hat, muß sich durch alle Gefahren winden, und
-besteht sie nur bei richtigem Kult auf Erden für ihn (S. 102). Sein
-Geleiter ist Anubis (daher Hermes-Anubis, Hermanubis bei den Griechen).
-Dieser hat ihn auch auf der Totenbarke über ein Wasser (entsprechend
-dem Acheron) zu fahren. Alle Gegenstände, die der Tote trifft, selbst
-die leblosen, muß er auf ihre Anfrage bei Namen nennen (S. 105).
-Ist er zu den „Hallen der Wahrheit“ gelangt, so richten ihn Thot
-und Anubis. Und Osiris, der eigentliche Herrscher der Tiefe, mit 42
-Richtern künden das Urteil. Ein ungünstiges vernichtet den Toten ganz.
-Oder es treibt ihn zu Qualen, oder auf die Erde in Tiere, oder in die
-Luftregion. Dort wird seine Seele von Stürmen gepeitscht und allmählich
-geläutert (also eine Art Fegefeuer). Ein günstiges bringt die Freuden
-des Jenseits. Der Tote zieht zum Sonnenberg (S. 181) im Osten (eine
-Art Paradies), darf aber überhaupt seine Zukunft beliebig wählen (S.
-102 f.). Im Totenbuch heißt es (der Tote spricht): „Ich bin angekommen
-in dieser Welt der leuchtenden Geister, nämlich der Götter neben der
-Sonnenwohnung“. „Offen stehen mir die Türen des Himmels, offen mir
-die Türen der Erde, offen mir die Riegel des Erdgottes Qeb, offen das
-erste Haus (die erste Zone des Sonnenlaufes).“ Bekannt ist, daß der
-Tote sich mit jeder der Gottheiten identifiziert. „Ihr Vordergötter
-reicht mir eure Hände; ich bin nämlich geworden zu dem, was ihr seid.“
-In unendlichen Wiederholungen spricht der Tote: „Ich bin Rā“, „ich
-bin Tum“, „ich bin Osiris“ usf. und vindiziert sich alle Eigenheiten
-des betreffenden Gottes, als sei er selbst dieser Gott. „Ich der Gott
-Atumu, ich bin der Seiende. Ich war allein.“ „Ich bin der Lichtgott Rā
-in seinen ersten Aufgängen.“ „Ich bin Gott, der Große, das Werden, er
-selber.“ „Ich bin der gestrige Tag, ich kenne auch den morgenden Tag,
-das ist Osiris.“ Lepsius sagt: „Der Gedanke lag durchgehends zugrunde,
-daß der reine und gerechte Mensch zugleich ein Einzelwesen und zugleich
-der höchste Gott selber sei, oder nur freiwillig die Existenz und Form
-des einzelnen Menschen angenommen habe, mit dessen Tode aber in seine
-göttliche Existenz zurückkehre... Der Gerechte würde also nach dem Tode
-zum Gotte, er ginge in Gott selbst über.“ Vielleicht eilt das etwas zu
-hoch; es entspräche dem Gedankenkreise der doch bei weitem tiefsinniger
-und ethischer denkenden Indier.
-
-Wenden wir uns zu den ~Ariern~, so haben die eben genannten ~Indier~
-ihr Paradies mit allen Wonnen, ihre Hölle mit allen Qualen aufs
-ausschweifendste ausgestattet. Wo die Gefilde der Seligen liegen,
-und wo die Orte der Schrecken, ist schon erwähnt (S. 176). Das
-höchste Paradies, das rein geistige, ist die Nirvana, von der später
-gesprochen wird. Das göttlich-menschliche Paradies ist angefüllt mit
-Gandharvenjungfrauen, schöngeformten Asparasen, prachtvollen Blumen und
-Bäumen, Eß- und Trinkhäusern; überall Tanz, überall Gesang, Schatten,
-Duft. In Sänften, auf Wagen und Elefanten kommen die Seligen zur
-Behausung Yamas, des Herrschers, dessen Antlitz schöner als Lotos.
-Und viele Paradiese sind übereinander, mit steigender Seligkeit, zu
-denen die Menschen nach ihrem inneren Wert schweben. Die Hölle ist
-grauenvoller, als die Paradiese schön sich bieten. Sie besteht aus mehr
-Abteilungen untereinander als das Paradies übereinander; jeder Art von
-Verbrechen ist eine Hölle zugewiesen. Eigenartig berührt es, daß die
-Frauen den Männern in die Hölle folgen müssen, ob auch in das Paradies,
-weiß ich nicht. Eine hübsche Sage im Krishnajogâras erzählt Wollheim
-da Fonseca: „Einst floh eine von Tigern aufgescheuchte Gazelle aus dem
-Walde, um ihr Leben zu retten, dem Palaste des Königs zu. Als der Fürst
-sie kommen sah, erwachte die Jagdlust, und aufspringend tötete er die
-Gazelle rasch mit dem Schwerte. Also brachte der König die bei ihm
-Schutz Suchende um. Deshalb ist er mit seiner Gattin von dir (nämlich
-dem Totenrichter Yama) zu bestrafen. Darauf ward nun der Fürst samt
-seiner Gemahlin in die Hölle gebracht“. Der gleiche Verfasser teilt
-auch nach dem gleichen Werke eine Schilderung der Höllenstrafen mit,
-die ein erlöster König gibt: Hunger, Durst, Liegen in glühenden oder
-umflammten Eisenbetten, Umarmen von Feuersäulen, Besprengtwerden mit
-Höllenstein, auf Dornen wandeln, von Blutströmen überflossen werden,
-von Tieren fortwährend zerrissen werden sind noch das Mildeste. Dante
-hat nichts Schrecklicheres gesehen als jener indische König. Yama ist
-der Totenrichter, Tschitraguptas der Toten-Staatsanwalt, Zeugen sind
--- außerordentlich schön gedacht -- Sonne, Mond, Feuer, Äther, Erde,
-Wasser, sogar Tageszeiten und Gesetz. Als Diener fungiert Tschandas mit
-andern. Die Dauer der Höllenstrafe richtet sich nach dem Verbrechen,
-die geringste beträgt 26 Jahre, die längste 800 Millionen Kalpas (zu
-432 Millionen Jahre gerechnet), also bei weitem mehr als die Welt
-selbst besteht. Eine vorzeitige Befreiung kann „durch Gebet, Opfer und
-fromme Spenden der Nachkommenschaft“ (oder anderer) erzielt werden,
-was bis zu einem gewissen Grade mit katholischen Lehren übereinstimmt.
-Nach Verbüßung der Strafe tritt die Möglichkeit einer Läuterung ein,
-indem die Seele eine Wanderung durch Körper unternimmt; sie beginnt
-meist mit dem niedrigsten Tier und steigt zum Menschen empor, zunächst
-in die verachtetste Kaste, um dann, wenn sie sich in Tugend bewährt, zu
-den höheren Kasten und zuletzt in das Paradies (S. 181) zu gelangen.
-Doch läutert auch schon ein heiliger Ort. Wie ein Sünderpaar, das aus
-der Hölle entlassen zu Heuschrecken wurde und durch einen Sturm in den
-Ganges geweht und in diesem so heiligen Wasser ertrunken war, sogleich
-in das Paradies einging. Wir kommen darauf zurück. Die Anschauung von
-der Hölle (späterer Name Naraka) ist viel jünger als die vom Paradiese.
-In dem Rigveda wird nur allgemein von jener gesprochen, als von einem
-tiefen Ort, dem Orte der niederen Finsternis, der Grube (Karta).
-So heißt es IX, 73: „Der weise Hüter des Gesetzes läßt sich nicht
-hintergehen, er hat Krinigar (das Gewissen) ins Herz gelegt; wissend
-sieht er auf alle Dinge und schleudert die Bösen und die Ruchlosen in
-die Grube“. Auch von dem Verschlungenwerden durch einen Wolf oder von
-vieräugigen grauen Hunden nach dem Tode ist die Rede. Ebenso allgemein
-sprechen die Upanishaden: „Es gibt in der Tat jene unseligen Welten,
-welche in dichte Finsternis gehüllt sind; Menschen, die unwissend,
-nicht erleuchtet sind (also Frevler), gehen nach ihrem Tode zu diesen
-Welten“. Von Interesse ist, daß hier auch der Totenweg erwähnt sich
-findet, der später als Brücke bezeichnet wird, also Totenbrücke ist.
-„Derselbe Pfad führt entweder zu den Göttern oder zu den Vätern. Auf
-beiden Seiten brennen immerdar zwei Flammen; sie versengen den, der
-verdient versengt zu werden, und lassen den vorübergehen, der verdient
-vorüberzugehen.“
-
-Die Jenseitslehre, Eschatologie, der Indier ist mit dem obigen bei
-weitem nicht abgeschlossen, wir werden ihr bald wieder begegnen. Die
-der ~Eranier~ stellt sich relativ einfach dar. Drei Nächte verweilt
-die Seele bei dem Körper zu seinen Häupten; in Lust und Wonnen, wenn
-der Geschiedene gerecht gelebt hat, in Übelbefinden und Abscheulichem,
-während der Dev Vajis, der Höllenwächter, sie ständig mit Schrecken
-ängstigt, bei dem Ungerechten. Dann geht es auf gefahrvollen Wegen
-zu der noch gefahrvolleren Cinvatbrücke, der Totenbrücke (S. 176).
-Dort wird die Seele von Roshnu, dem Gerechten, nach ihrem Übeltun und
-Wohltun gewogen. Für die gutbefundene Seele weitet sich die Brücke
-viele Speerbreit, und jene geht ein nacheinander in die vier Paradiese
-der guten Gedanken, guten Worte, guten Taten, endlosen Lichter, und
-bleibt im letzten vor Ahuramazda in ewiger Freude. Die Seelen der Guten
-(Ferver, Fravardin, Fravashi) sind die Helfer Ahuramazdas im Kampfe
-gegen das Böse. Der Gott sagt zu Zarathustra (im Fravardin Yasht):
-„Wenn die starken Schutzengel der Tugendhaften mir nicht Beistand
-leisten würden, dann würden Vieh und Menschen, die beiden letzten der
-hundert Klassen von Wesen, für mich nicht mehr existieren, dann würde
-des Teufels Macht, des Teufels Ursprung beginnen, die ganze lebendige
-Schöpfung würde dem Teufel gehören“. Eine so hohe aktive Bedeutung
-haben die Guten. Den Schlechten zieht sich die Brücke fadenbreit
-zusammen und sie stürzen in die Hölle. Der Dämon Vizaresha schleppt sie
-dahin. Die Totenbrücke ist vom späteren Judentum und wahrscheinlich
-auch von den Arabern übernommen. In einem hebräischen Werke des 10.
-Jahrhunderts, das aber, wie Max Müller sagt, „Bruchstücke viel älteren
-Datums enthält“, heißt es: „In dieser Stunde (des Jüngsten Gerichts)
-ruft Gott die Götzen der Völker ins Leben zurück, und er sagt: ‚Jedes
-Volk gehe mit seinem Gott über die Brücke des Gehinom, und wenn sie
-über dieselbe gehen, so wird sie ihnen wie ein Faden erscheinen und sie
-fallen in das Gehinom hinunter‘.“ Diese jüdische Ansicht soll nicht
-von den Mohammedanern entlehnt sein, also wohl von den Persern. Die
-Eranier kannten auch ein jüngstes Gericht und eine ~Auferstehung~,
-~Apokatastase~, die mit dem Weltende (S. 166 f.) verbunden wird. Die
-Auferstehung beginnt mit den Urwesen, Urmenschen und dauert 57 Jahre.
-Sie ist eine körperliche: „Von der Erde werden die Knochen, vom Wasser
-das Blut, von den Bäumen die Haare, vom Feuer der Lebenshauch, wie sie
-in der Schöpfung ergriffen worden sind, zurückgefordert“. Die Seelen
-erkennen die wieder aufgebauten Körper. Dann werden die Frommen von
-den Gottlosen getrennt. Jene kommen in den Himmel, diese erleiden drei
-Tage und drei Nächte körperlich in der Hölle Strafe. Darauf werden
-alle Sünder in den durch den Weltbrand geschmolzenen Metallen (S. 166)
-gereinigt. Die Frommen sollen die Schmelze nur wie warme Milch fühlen,
-die Gottlosen aber wie glühende Schmelze. Und alles lebt vor Ahuras
-Angesicht. Die Weltschlange Dahaka geht in der Schmelze unter, Ahriman
-stürzt in die Tiefe. Ein allgemeines Opfer leitet die neue selige Zeit
-ein. Jedenfalls haben wir es mit einem Unsterblichkeitsglauben zu tun.
-Was Xenophon dem hinscheidenden Kyros in den Mund legt: „Mag ich nun
-bei der Gottheit oder nichts mehr sein“, ist nicht persisch gedacht,
-sondern griechisch-philosophisch.
-
-Die Anschauungen der ~Griechen~ und ~Römer~ von Unterwelt und Paradies
-sind so bekannt, daß nur das Bedeutendste gesagt zu werden braucht.
-Daß sie bis zu einem gewissen Grade den Anschauungen der Hebräer
-gleichen, habe ich schon hervorgehoben (S. 183). Jedenfalls sind sie
-im allgemeinen unerfreulich und wenig von ethischem Geiste getragen.
-Vergehen gegen die Götter und Wohltun gegen die Götter spielen eine bei
-weitem größere Rolle als Böses gegen die Menschen und Gutes gegen sie.
-Indessen büßen die Danaiden doch für Gattenmord, und heißt es von dem
-milden Menelaos in der Odyssee:
-
- Doch dir ist nicht geordnet, du göttlicher, o Menelaos,
- Im roßweidenden Argos den Tod und das Schicksal zu dulden,
- Nein, dich führen die Götter dereinst an die Enden der Erde,
- Zu der elysischen Flur, wo der bräunliche Held Rhadamanthys
- Wohnt und ganz mühelos leben die Menschen;
- Nimmer ist Schnee da, noch Winterorkan, noch Regengewitter;
- Ewig weh’n die Gesäusel des leis anhauchenden Westes,
- Die Okeanos sendet, die Menschen säuselnd zu kühlen.
-
-Maßvoll wie der Grieche immer ist, sind auch seine Höllenstrafen
-nicht so übertrieben und seine Paradiesesfreuden wesentlich Ruhe und
-sorglose Bequemlichkeit. Doch kommen Menschen auch zu den Göttern
-in den Olymp, steigen zu der Höhe der Halbgötter (es genügt, an
-Herakles zu erinnern) oder werden als Gestirne an den Himmel versetzt.
-Andererseits kennen die Griechen eine besondere Hölle sogar für Götter,
-den Tartaros (S. 172). Eine Art Vorhölle ist die Asphodeloswiese, auf
-der die Nichtschlechten = Nichtguten schattenhaft irren (S. 172).
-Daß Menschen aus der Unterwelt auch zum Leben zurückgeführt werden
-können, beweist das Beispiel der Alkestis. Bei Eurydike mißlingt dieses
-nur durch Orpheus’ Unvorsichtigkeit. Erst spätere Zeit faßte das
-Nachleben vom ethischen Standpunkte auf. Pindar hat viele Anspielungen
-darauf. Seltsam berührt darunter die Behauptung, daß Menschen,
-welche unglücklich gelebt haben, und doch rechtlich geblieben sind,
-nach achtjähriger Läuterung im Hades von Persephone zur Welt wieder
-entlassen werden, um dort starke, kluge und glückliche Regenten zu
-werden. Das alles gehört zur Unsterblichkeit der Seele, die übrigens
-Pindar auch ausspricht, und von der ja auch so viele Griechen überzeugt
-waren. Aber darauf kommen wir noch zurück. Die Mysterien scheinen
-wesentlich den Eingeweihten Hoffnung auf ein frohes Jenseits geboten
-zu haben. Aussprüche von Platon, Sokrates, Cicero und anderen deuten
-darauf hin. Polygnotos soll in Delphoi die Unterwelt dargestellt
-haben. Trotz allem ist die Haltung der Griechen in der Frage der
-Unsterblichkeit eine schwankende, selbst wenn wir von gewissen
-überhaupt alles verneinenden Philosophen absehen. Oft schrumpft die
-Unsterblichkeit zu dem bildlichen Bleiben des Ruhmes usf. zusammen.
-Aber gewaltige Verfechter der Unsterblichkeit haben wir in Pythagoras,
-Pindaros, Sokrates, Platon u. a., selbst in den Naturphilosophen (S.
-231 f.).
-
-Die Römer haben manche Anschauung von den ~Etruskern~ übernommen. Diese
-aber müssen eine Unterwelt voll Schauern gehabt haben, wie wir aus
-den Bildern ihrer Grabkammern schließen können, in denen entsetzliche
-Dämonen mit Schwertern, Hämmern, Feuerbränden u. a. die Toten
-verfolgen, und aus der zahlreichen Schar ihrer Unterweltsgottheiten.
-Ich darf auf das so schöne Werk von Dennis, „Cities and Cimeteries
-of Etruria“ und auf das von K. O. Müller „Die Etrusker“ verweisen.
-Wir wissen aber von der eigentlichen Religion der Etrusker gar zu
-wenig und das Wenige gar zu unsicher, da dieses Volk so auffallend
-vieles von den Griechen übernommen hat, selbst Namen der Gottheiten
-(wie Aplu für Apollon). Mantus und Mania sollen Pluton und Persephone
-entsprechen, Charun ist Charon. Vieles ist rein naturmenschlich; und
-naturmenschlich, zum Teil mit allen Greueln, war auch der Totenkult.
-Ich weiß nicht, wo ich einmal gelesen habe, daß Dante seine furchtbare
-Phantasie in der Ausmalung der Hölle seiner toskanischen Abstammung
-zu verdanken habe. Das Elysium der Etrusker scheint im ungestörten
-Genuß der Lebensfreuden -- namentlich Tafelfreuden sind dargestellt --
-bestanden zu haben.
-
-Der Orcus des synkretistischen ~Römers~ ist bald die Unterwelt, bald
-der in schrecklicher Gestalt angenommene Todesgott. Wenn man an den
-griechischen Todesgott, Thanatos, an den milden Bruder des Schlafes
-denkt, wird man kaum umhin können, die an Orcus sich knüpfenden
-Schauer als aus Etrurien überkommen anzusehen. Rom war ja eine
-Zeitlang in Etruskischer Abhängigkeit, fast etruskische Bundesstadt.
-Dis pater und Proserpina sind die römischen Pluton und Persephone.
-Die Menschenopfer, die in Latium dem Dis (auch dem Saturn, Vater des
-Dis), ebenso noch anderen Unterweltsdämonen, gebracht wurden und die
-Herkules durch Opfer von Bildern, Puppen, Mohnköpfen usf. abgelöst
-haben soll, würden vielleicht auch auf etruskische Rechnung zu setzen
-sein, wenn die Römer und Griechen nicht überhaupt Menschenopfer geübt
-hätten (S. 97). Indessen soll in der Tat Dis pater oder Vatis eine
-etruskische Unterweltsgottheit gewesen sein, wie auch die etruskische
-Mania den Römern als Unterweltsgottheit diente. Von den Geistern der
-Verstorbenen habe ich bereits gesprochen (S. 97 f.). Alles andere ist
-fast ganz den griechischen Anschauungen nachgebildet, wenn es nicht
-überhaupt graeco-italischer Gemeinbesitz war. Die Unterweltsfahrt
-des Äneas bei Virgilius weicht, trotz der Nachahmung derjenigen des
-Odysseus, von dieser in manchen Beziehungen ab; der späte Dichter wird
-vieles hinzugeklügelt haben, um seine Erzählung mit neuem Schmuck zu
-durchwinden. Und Virgil ist der Führer Dantes, so weit er als Heide
-gehen darf, bis er von der Engelsgestalt der Geliebten Beatrice
-abgelöst wird. Virgils Paradies ist also auch nicht unser Paradies,
-sondern das griechische, seine Hölle hat aber einige Züge zu Dantes
-Hölle geliefert. Lucanus, der Dichter der Pharsalia, soll einen
-wirklichen Teufel der Unterwelt gekannt haben, einen Beelzebub.
-
-Die Unterwelt, das Niflhel der ~Germanen~, Hels Nebelreich mit den
-Giftströmen kennen wir bereits (S. 173). Nastrand, Leichenstrand, heißt
-diese Welt auch.
-
- Einen Saal sah ich stehen, der Sonne fern,
- Auf Nastrands Flur; nordwärts stehen die Türen,
- Es fallen Gifttropfen hinein durchs Fenster;
- Dieser Saal ist geschmückt mit Schlangenhäuten. --
- Da sah ich waten durch schlammige Ströme
- Meineidige Männer und Mordgesellen
- Und die eines andern Geliebte verführten,
- Da saugt Nidhoggr die Leichen der Toten,
- Es zerfleischt der Wolf die Männer.
-
-Ähnlich sind andere Schilderungen. Die Totenherrscherin Hel, auch
-Hellia, ist Tochter Lokis und der Schwester des Fenriswolfes und
-einer „ungeheuren Schlange“. Und nichts gibt sie zurück, was ihr
-zukommt. Selbst die Götter können ihr niemand entreißen, Baldr war
-ihr verfallen. Übrigens wird die obige Schilderung der Voluspa schon
-von christlichen Elementen durchsetzt sein. Spätere Sagen schmücken
-Hel und Hels Reich weiter mit Furchtbarem aus. Hel ist halb schwarz
-halb weiß; was sie besitzt, drückt unersättliche Gier aus. Zu ihrem
-Reich führt nach neun Tagen Weges, der durch dunkle, tiefe Täler
-geht, die die Dunkelelfen bewohnen, über den Fluß Giöll eine mit Gold
-gedeckte Brücke, die eine Jungfrau Modgudhr, Seelenkampf, bewacht.
-Den Fluß Giöll stellt Jakob Grimm mit der Lethe in Parallele. Die
-Toten fahren oder reiten hin. So haben wir eine wirkliche Höllenfahrt
-der Brunhild, und auch ein „Helreidr“ dieser Walküre, und das
-Sternbild der Wagen (der große Bär) soll zuweilen Helwagen heißen.
-Hel bedeutet übrigens die Göttin wie den Ort, was auch bei Hades und
-Orcus der Fall ist. Die ursprüngliche Anschauung von diesem Reich
-wird wohl einfach die eines Nebellandes gewesen sein, ähnlich der
-homerischen vom Hades, eines Aufenthaltes der Toten allgemein, da
-selbst Gottheiten hinziehen wie Baldr und Brunhild. Die Hölle wird
-sogar als Herberge, Gasthaus, Valhöll, bezeichnet. Doch scheint die
-Absonderung der auf dem Schlachtfelde gefallenen Helden zum Aufenthalt
-im Göttersaal Odins, in Walhall, gleichfalls alt zu sein. Später
-sind die Fürsten noch hinzugefügt, wovon schon die Vala in der Edda
-spricht. Einen eigentlichen Todesgott hatten die Germanen nicht. Doch
-sendet Odin seine Walküren in die Schlacht, die gefallenen Helden zu
-ihm zu geleiten. Daß Wasser- und Meergeister, wie die Meergöttin Rân,
-Menschen in den Tod ziehen, ist ein naheliegender Gedanke. Der Tod als
-tötende Person ist eine späte Anschauung des Christentums; der ihm
-gleichbenannte griechische θάνατος nimmt nur die Toten an sich. Und so
-sind auch unsere so ergreifenden Totentänze ohne Beispiel im Altertum.
-Ebenso ist der Höllenfürst eine späte, vielleicht dem Parsismus unter
-Vermittlung des Judentums entnommene Anschauung (S. 149 f.). Aus allem
-aber ist zu ersehen, daß die Germanen, wenn nicht eine allgemeine,
-doch mindestens eine partielle Unsterblichkeit kannten. Und es ist
-bemerkenswert, daß die Walhall bewohnenden Helden fast die Aufgabe der
-eranischen Fravarshis (S. 192) haben, der Gottheit im letzten Kampfe
-beizustehen.
-
-Von der ~slawischen~ Eschatologie weiß ich nichts zu sagen, bis
-auf das schon erwähnte Naturmenschliche (S. 85 f.).
-
-Den ~Kelten~ werden Anschauungen beigemessen, die denen der Indier von
-der Seelenwanderung entsprechen. Gewährsmann ist freilich Cäsar. Wir
-haben davon schon gehandelt (S. 94), und kommen darauf noch zu sprechen
-(S. 216).
-
-Wir kehren nach Asien zurück, um nur noch einiges zu behandeln. Der
-heidnischen ~Araber~ Anschauungen waren rein naturmenschliche. Mohammed
-jedoch hat unter dem Einfluß des Judentums und Christentums eine Hölle
-und ein Paradies gelehrt; zwischen beiden einen Damm, auf dem sich
-die Nichtschlechten = Nichtguten befinden, wie das Christentum eine
-Hölle für die guten Heiden besitzt. So heißt es in Sure VII, Vers
-39 ff. des Korans von der Sünde: „Ihnen sei Dschahannam, der Pfuhl,
-und über ihnen seine Decken (aus Feuer), und also belehren wir die
-Sünder“. „Diejenigen aber, welche glauben und das Rechte tun -- nicht
-belasten wir eine Seele über Vermögen -- jene sollen des Paradieses
-Gefährten sein und darin ewig verweilen.“ „Und zwischen ihnen ist eine
-Scheide; und auf den Wällen sind Männer, die Alle an ihren Merkmalen
-erkennen (die Höllengefährten sind schwarz, die Paradiesesgefährten
-weiß); und sie rufen den Paradiesesgefährten zu: ‚Friede sei auf
-euch‘, sie können es aber nicht betreten, wiewohl sie es begehren.
-Und so ihre Blicke zu den Gefährten des Feuers gewendet werden,
-sprechen sie: ‚Unser Herr, bring uns nicht zu den Ungerechten‘.“ Der
-Koran kennt auch eine Auferstehung. Die Überlieferung, Sunna, hat
-Mohammeds Lehren viel interpretiert und näher ausgeführt. So wird der
-Tote schon im Grabe von Munkir und Nakir unter Folterung verhört.
-Der dabei Rechtbefundene verbleibt in Ruhe und atmet Paradiesesluft,
-der Sünder wird mit Keulen geschlagen und mit dem Grabe zerdrückt
-(Eranische Sage S. 192). Am Tage des Jüngsten Gerichts wird vom Engel
-Israfil die Posaune des Schreckens und die des Gerichts geblasen, da
-vergeht zunächst alle noch lebende Kreatur. Nun versammeln sich alle
-Seelen und gewinnen jede ihren Körper wieder, Mohammed erscheint an
-ihrer Spitze. Gabriel hält eine Waage mit Schalen: Paradies und Hölle;
-Keiner kann dem Anderen helfen, Jeder muß für sich allein stehen.
-Gnade waltet nicht, nur Gläubigkeit und gute Taten entscheiden. Die
-Ungläubigen verfallen überhaupt ewig der Hölle und Pein. Den Gläubigen
-wird die Strafe nach Maß der Sünden bemessen. Nun müssen die Seelen
-die Totenbrücke Serat beschreiten, sie ist scharf wie ein Messer und
-heißer als Feuer. Sie spannt sich über dem Höllenschlund von der Erde
-zum Himmel. Jeder Ungläubige und Sünder stürzt hinab. Mohammed mit den
-Gläubigen und Rechtschaffenen überschreiten sie, denn ihnen breitet
-und kühlt sie sich, während Engel zu beiden Seiten mit den Flügeln den
-Abgrund verdecken. Im Himmel aber wird der Platz nach der Würdigkeit
-zuerteilt. Der Gedanke der Totenbrücke ist höchst poetisch und von
-Rückert in diesem Sinne bearbeitet. Er ist aber sicher, wie namentlich
-die Einzelheiten zeigen, den Persern entnommen (S. 192). Die Hölle
-hat sieben Stockwerke: je eines für milde Strafen der Mohammedaner
-und für die Juden, zwei für Christen und eine gewisse Sekte von
-ihnen, je eines für die Feueranbeter (Parsen), für Götzenanbeter, für
-Ungläubige und Heuchler aller Religionen. Nur im obersten Stockwerk ist
-die Strafe endlich, in allen anderen Stockwerken währt sie ewig. Vom
-Paradies sagt schon Mohammed in der Sure LXXXIII des Koran: „Siehe, die
-Gerechten werden wahrlich in Wonne sein. Auf Hochzeitsthronen (sitzend)
-werden sie ausschauen. Erkennen kannst du auf ihren Angesichten den
-Glanz der Wonne. Getränkt werden sie von versiegeltem Wein, dessen
-Siegel Moschus ist -- und hiernach mögen die Begehrenden begehren --
-und seine Mischung ist Wasser von Tasnîm, eine Quelle, aus der die
-Allah Nahestehenden trinken.“ Dieses ist dann mit aller derjenigen
-glühenden Sinnlichkeit ausgeschmückt worden, die so großen Eindruck auf
-naturmenschliche Gemüter macht und so außerordentlich zum erstaunlichen
-Erfolg des Mohammedanismus beigetragen hat.
-
-Der ~Chinesen~ naturmenschliche Anschauung vom Nachleben und Jenseits
-ist schon geschildert (S. 120 f.). Ob Konfucius ihr huldigte, ist
-nicht gewiß. Er gebrauchte Fragenden gegenüber Ausflüchte. Wenn er
-jener Anschauung zustimme, fürchte er, daß die Menschen über der
-Pflege der Seele der Verstorbenen ihre eigene Seele vernachlässigen
-möchten; wenn er ihr widerspreche, müsse er besorgen, daß die schöne
-Pietät gegen Verstorbene verloren gehe. So ist denn auch oft behauptet
-worden, daß die Lehre des Konfucius an sich nur das Diesseits betreffe,
-nicht Strafe noch Lohn im Jenseits drohe und verspreche. Die Lehre
-des edleren und geistigeren Lao-tsse ist mehr philosophisch und geht
-auf eine schließliche Vereinigung mit dem Allgeist Tao (S. 220).
-Aber Paradies und Hölle scheint sie gleichfalls nicht zu kennen. Die
-Glückseligkeit beruht für den Guten in der Ruhe, mit der er dem Tode
-entgegensieht, die Strafe des Bösen in der Angst vor dem Tode. Also
-Paradies und Hölle hat jeder in sich, was ja auch die Ansicht sehr
-vieler höchstgeistigen Europäer ist. Die Eschatologie der ~Japaner~
-wird trotz ihres schönen Göttersaales kaum eine andere sein. Von der
-Eschatologie der ~amerikanischen Kulturvölker~ ist mir, abgesehen vom
-Naturmenschlichen, schon Mitgeteilten (S. 124 f.), nichts bekannt
-geworden.
-
-Der Rundgang zeigt, daß, bei aller Ähnlichkeit der Grundideen auf
-der Erde, im einzelnen zwischen den Kulturvölkern doch erhebliche
-Verschiedenheiten vorhanden sind. Selbst so nahe Stämme wie die
-Indier und Eranier, die Hebräer und Babylonier weichen in ihren
-Anschauungen über das Nachleben gar sehr erheblich ab. Und andererseits
-bestehen Übereinstimmungen zwischen so fernen Völkern wie Hebräer und
-Griechen-Römer. Nur das Gefühl von Unsterblichkeit der Seele, von Lohn
-und Strafe findet sich fast überall. Hier mehr, dort weniger deutlich,
-hier real, dort geistig gedacht, immer aber nach dem Leben beurteilt
-und in den höchsten Religionen oft nicht viel anders aufgefaßt als
-in den für uns niedersten. Einbildung auf seine Kultur ist nirgends
-weniger angebracht als hier.
-
-
-23. Seelenwanderung und Wiederbekörperung; Sansara, Nirvana.
-
-Ein höchst merkwürdiges Kapitel in der Lehre von den Anschauungen
-der Menschheit bildet das in der Überschrift gekennzeichnete. Die
-Anschauung von der ~Seelenwanderung~ und ~Wiederbekörperung~ mag
-ihren Ursprung aus dem naturmenschlichen Animismus genommen haben.
-Ihre eigentliche Bedeutung gab ihr jedoch die kulturelle Ethik und
-die eschatologische Metaphysik. Wir tun am besten, sie sogleich
-für dasjenige Volk zu schildern, das diese Anschauung am meisten
-ausgebildet und am tiefsten durchdacht hat, die ~Indier~. Die
-Anschauungen anderer Völker lassen sich leicht daran erklären. Das
-Wesentliche ist, daß die Seele von je war (was auch Platons Ansicht
-ist) und nur ständig die Körper wechselt, bis sie geläutert und
-gereinigt (was das bedeutet, richtet sich nach der Lehre) zum ewigen
-Seelenleben oder zur ewigen absoluten Ruhe eingeht. Danach steht der
-Seele nach dem Tode zweierlei bevor: entweder ein neues körperliches
-Leben oder ein Seelenleben, indem wir noch von der absoluten ewigen
-Ruhe absehen. Sie hat zwei Wege: den Dêvayana, den Götterpfad, und
-den Pitriyana, den Väter-Ahnenpfad. Vom Dêvayana lesen wir in einem
-Upanishad -- die Upanishaden zählen wie die Veden, denen sie an Alter
-fast gleich sind, die sie aber an geistigem Inhalt außerordentlich
-übertreffen, während sie sie teilweise kommentieren, zu den heiligen
-Büchern der Indier. Der Name besagt: „ein Niedersitzen zu Füßen des
-Lehrers“ -- in Max Müllers Übersetzung: „Sie (die die höchste Stufe der
-Vollkommenheit erreicht haben) gehen zum Lichte, vom Lichte zum Tage,
-vom Tage zur Monatshälfte des zunehmenden Mondes, von der Monatshälfte
-des zunehmenden Mondes zu den sechs Monaten, wo die Sonne nach Norden
-geht, von diesen sechs Monaten zu der Welt der Devas (niederen
-Götter), von der Welt der Devas zur Sonne, von der Sonne zur Stätte
-des Blitzes. Wenn sie die Stätte des Blitzes erreicht haben, nähert
-sich ihnen eine Person, nicht ein Mensch, und führt sie in die Welten
-Brahmans. In diesen Welten Brahmans verweilen sie immer und ewig,
-und es gibt keine Rückkehr für sie“. Was der Leser in dieser Angabe
-nicht verstehen sollte, das vom Tage, dem Halbmonat, den Sechsmonaten
-Gesagte, haben andere auch nicht verstanden; es scheinen hier uralte
-Termini technici versteckt, deren Sinn verloren gegangen ist, und den
-die Vedantaphilosophen in ihren Kommentaren (Sûtras) nur mit Zwang
-und Mühe wiederherzustellen versucht haben. Das übrige aber ist klar.
-Das wird in anderen Stellen und anderen Werken noch sinnfälliger und
-genauer geschildert: wie, daß der betreffende Mensch durch die Sonne
-hindurchgeht, ebenso durch den Mond, daß er die Welten der einzelnen
-Götter durchmißt, einen Fluß Vigarâ (Nichtalternd) überschreitet, vor
-die Halle (Vibhu) Brahmans gelangt, deren Hüter Indra und Pragapati
-sind, und vor den Thron Brahmans tritt, dessen einzelne Teile als
-Einsicht, Glanz, Umschau, Verstand, Geist usf. bezeichnet werden. Aber
-das Wesentliche ist immer das gleiche: Eingehen der Seele in den Raum
-zum höchsten Gott.
-
-Von den Nichtvollkommenen aber heißt es: „Sie gehen (bei der
-Verbrennung, die hier vorausgesetzt ist) in den Rauch ein, vom Rauch in
-die Nacht, von der Nacht in die Monatshälfte des abnehmenden Mondes,
-von dieser Monatshälfte zu den sechs Monaten, wo die Sonne nach Süden
-geht. Von den sechs Monaten gehen sie in die Welt der Väter, von der
-Welt der Väter zum Äther, vom Äther zum Monde. -- Das ist Soma, der
-König, das ist die Speise der Götter, die Götter nähren sich davon. --
-Nachdem sie dort solange verweilt als noch ein Rest (von guten Werken)
-übrig ist, kehren sie auf dem Wege, auf dem sie gekommen sind, zum
-Äther zurück, von da zur Luft. Wenn er (der Geist) zu Luft geworden
-ist, wird er zu Rauch, nachdem er zu Rauch geworden ist, wird er zu
-Nebel, nachdem er zu Nebel geworden ist, wird er zur Wolke, nachdem
-er zu einer Wolke geworden ist, fällt er als Regen herab. Dann werden
-sie (die Seelen) als Reis und Korn, Kräuter und Bäume, Sesam und
-Bohnen geboren. Von da ist das Entkommen sehr schwer. Denn, wer immer
-diejenigen, welche diese Speise essen und Samen ausstreuen, sein
-mögen, er wird gleich ihnen. Diejenigen, deren Lebenswandel gut gewesen
-ist, werden wahrscheinlich irgendeine gute Geburt erlangen, wie als
-Brahmana oder als Kshatriya oder als Vaisya. Diejenigen aber, deren
-Lebenswandel schlecht gewesen ist, werden wahrscheinlich eine schlechte
-Geburt erlangen, wie als Hund oder als Schwein oder als Kandâla“. Auch
-hier sind viele Abwandlungen vorhanden, ohne das Wesentliche zu ändern.
-Namentlich haben Manu’s Schriften für jedes Verbrechen, für jede
-Schlechtigkeit und Gedankenlosigkeit genau das Geschöpf angegeben, in
-das die Seele eingehen muß. Diese Wanderung der Seele dauert so lange
-fort, bis der Mensch in einem Leben es zur höchsten Vollkommenheit
-gebracht hat. Die ganze Lehre ist verhältnismäßig einfach. Auch
-wissen wir was Sünde, Vergehen, Gedankenlosigkeit usf. bedeutet. Die
-Schwierigkeit liegt in der Bedingung der Vollkommenheit. Unzählige
-Ausführungen und Bücher haben die Indier darüber geschrieben, aber
-naturgemäß sind die Definitionen sämtlich negative. Als Grundprinzip
-gilt: eine Seele ist von je und bleibt in alle Ewigkeit. Es kann
-Seelen geben, die immer nur von Körper zu Körper gehen, denn es heißt
-am Schluß des letzten Zitats: „Auf keinem dieser zwei Wege (Dêvayana,
-Pitriyana) ziehen jene kleinen, oft wiederkehrenden Geschöpfe fort. Für
-sie gilt der ~dritte~ Zustand, von dem es heißt: leb und stirb.“ Aber
-auch sie haben keinen Anfang und kein Ende.
-
-Diese Lehre hat mehrere Erweiterungen erfahren, die sich alle auf
-den letzten Zustand und auf die Vollkommenheit beziehen. Wir werden
-später sehen, daß die Indier auch den Pandeismus gelehrt haben.
-Der letzte Zustand besteht in dieser Lehre im Eingehen in die
-betreffende Gottheit, Brahma oder Wischnu. So sagt in der Bhgavad-Gîtâ
-Krishna-Wischnu, nach vielen Lehren über ein vollkommenes Dasein:
-
- Und wer zur Todesstunde mein gedenkt und so den Leib verläßt,
- Der gehet in mein Wesen ein, das halte unbezweifelt fest.
-
-und an einer anderen Stelle:
-
- Durch sie wirst du mit mir vereint, befreit von der Geburten Zwang,
- Mag auch die Schöpfung sich erneun, mag droh’n der Weltenuntergang.
-
-Und dieses wird noch in vielen Wendungen dringend eingeschärft.
-Die Seele geht zuletzt dahin zurück, woher sie von je stammt, zur
-Allgottheit. Was aber die Vollkommenheit betrifft, so schließt sie
-nicht allein moralische und ethische Forderungen ein, sondern auch
-solche, die sich auf die Affekte beziehen; es wird Freisein von
-Affekten verlangt. In der gleichen Bhagavad-Gîtâ heißt es:
-
- Wer nie frohlockt und nimmer niemand haßt, wer nichts beklagt und
- nichts begehrt,
- Wen weder Glück noch Unglück rührt, auch der ist meiner Gnade wert.
- (Auch) Wer gleich sich bleibt bei Freund und Feind, gleichgültig
- gegen Freud’ und Leid,
- Verachtung, Ehre, Kalt und Warm, vom Drang der Leidenschaft befreit,
- Wer Lob und Tadel gleich erwägt, wen nicht die Sucht nach mehr
- bewegt,
- Wer keine Sorg um Obdach hegt, wes festen Sinn nichts mehr erregt...
-
-Der Mensch hat sich von den Schlacken des Lebens zu reinigen:
-
- Natur erzeugt die Wesenheit, die Leidenschaft, die Dunkelheit,
- Und diese hemmen stets im Leib der ew’gen Seele Tätigkeit.
-
-Wie der ~Buddhismus~ derartigen Anschauungen noch eine besondere
-Wendung gegeben hat, ist bekannt. Er hat die Lehre von der
-~Metempsychose~ und ~Metensomatose~ zur letzten Ausbildung gebracht
-und gleicherweise die Lehre vom letzten Zustand. Im Buddhismus spielen
-die Gottheiten keine besondere Rolle; ihr Dasein wird nicht geleugnet,
-nur ihre Bedeutung für Welt und Menschen (S. 182). Sie stellen selbst
-nur einen Durchgangszustand dar im Leben des Alls, leben und vergehen
-wie alles im All und haben es so nur mit sich zu tun, gleich jedem
-lebenden Geschöpf. Es vermischt sich nun ein philosophischer Gedanke
-mit ethisch-moralischen Betrachtungen. Das Leben, ganz allgemein, ist
-ein Leiden, ob es unglücklich oder glücklich verläuft. Und ein Leiden
-ist vor allem die Wiedergeburt. Dieses zu erkennen ist die erste Stufe
-des Wissens. Die zweite aber besteht darin, daß man zu erkennen hat,
-wie alles darauf gerichtet sein muß, nicht wiedergeboren zu werden.
-Und dieses wird erreicht durch ein ethisch-moralisches Leben und durch
-Abtötung jedes Willens nach Leben und Wiedergeburt, so zwar, daß ein
-solcher Wille niemals auch nur in das Bewußtsein treten kann. Die
-Taten sollen so sein, daß bei jeder Wiedergeburt der Mensch zu immer
-höherer Stufe sich erhebt, denn es büßt der Mensch mit jeder Geburt
-die Sünden und Mängel, und es genießt der Mensch die Folgen der Tugend
-des voraufgegangenen Lebens: ~Karma-Gesetz~. Die Gedanken aber sollen
-sich ganz in sich versenken, bis alles was das Leben bildet mit seinen
-Leidenschaften, Gefühlen, Begehren, Anschauungen, Erwartungen, kurz
-der ganze Wille im Leben und zum Leben vergangen und verklungen ist.
-Wer so höchste Vollkommenheit und Abwesenheit jedes Lebenswillens
-erreicht hat, geht zur absoluten Ruhe ein, in das Nirvana (ein Wort,
-das schon in den Upanishaden für den letzten Zustand gebraucht wird),
-das „Verwehen“ ein. Nicht daß die Seele sich verliert -- auch dem
-Buddhismus ist alles was ist, ewig -- sie kommt in einen Zustand,
-der dem Tod entspricht, in menschlichem Ermessen, das ja nur das
-Leben kennt. Ein Zustand, in dem nichts vorhanden ist, was das Leben
-ausmachte, zu dessen Einsicht also nur unendliche Abstraktion führt,
-weshalb es auch oft mit „Nein, Nein“ erklärt wird, wie Brahma als
-letzter Begriff. So lehrt die ~Dharma~.
-
-~Buddha~ ist bekanntlich unter dem Namen Gautama Sarvarthasiddha
-als Fürstensohn zu Kapilavastu (um 623 v. Chr.) geboren. Bis zu
-seinem 29. Lebensjahre hat er wie alle Fürstensöhne, wenigstens der
-Volksidee nach, herrlich und in Freuden gelebt. Wie er also zu seiner
-Leidensauffassung und Verneinung des Lebens kam, richtiger, sie
-konsequenter ausbildete als schon vor ihm geschehen war? Er sah auf
-einer Ausfahrt nach einem Lustgarten einen Greis „mit kahlem Haupt,
-gebeugtem Körper und zitternden Gliedern. Bei einer zweiten Ausfahrt
-gewahrte er einen unheilbaren Kranken, von Aussatz und Geschwüren
-bedeckt, vom Fieber geschüttelt, ohne Führer und ohne Hilfe; auf einer
-dritten einen von Würmern zerfressenen, verwesenden Leichnam am Wege.
-Er fragte sich, wozu Lust, Tugend und Freude nützten, wenn sie dem
-Alter, der Krankheit und dem Tod unterworfen seien.“ Da verläßt er
-alles, zieht als Bettler durch die Lande und hört in allen Schulen die
-Lehren der Priester und Forscher. Wie ihn nichts befriedigt, schließt
-er sich in einen Wald ein, lebt in harten Kasteiungen und Bußübungen,
-weshalb er Muni und, unter Hinzufügung seines Geschlechtsnamens,
-Çakjamuni genannt wurde. Als er auch Kasteiung und Bußübung für
-erfolglos erkennt, versinkt er in tiefstes Nachsinnen über den Grund
-der Leiden und den Zweck des Lebens. Jetzt erst blitzt der richtige
-Gedanke in ihm auf, als blitzender Strahl schießt er aus seiner
-Stirne bis an das Ende der Welt. Und nun ist er Buddha (S. 139),
-der „Erleuchtete“. Das ist Legende, aber wie sehr der Indier zu
-Beschaulichkeit und Nichtigerklärung der Welt neigt, hat uns Rudyard
-Kipling in einer seiner reizendsten Geschichten, vom höchstgestellten
-Minister Purun Dass geschildert.
-
-Bei den ~Eraniern~ finden wir, was sehr seltsam berührt, nichts von
-dieser Lehre der Seelenwanderung und Wiederbekörperung. Sie wird also
-bei den Indiern wohl nach der Trennung von ihnen entstanden sein. Aber
-am äußersten Ende Europas soll ein arisches Volk diese Lehre wenigstens
-zu einem Teil besessen haben, die Kelten. Cäsar weiß davon. Er sagt in
-„De bello Gallico“, VI, 14: „In primis hoc volunt (nämlich die Druiden)
-persuadere; non interire animas, sed ab aliis post mortem transire ad
-alios“. Das ist aber wohl das einzig Sichere; alles was sonst noch in
-dieser Hinsicht von den Kelten und Druiden erzählt wird, ist Fabel oder
-aus ungewissen Überlieferungen und späteren Bardenliedern erschlossen.
-Die Seele soll nach dem Tode ihres Besitzers zuerst in die Lüfte zu
-den Wolken schweben, letztere also sollen Sitz von Seelen sein. Wären
-die Ossiangedichte altes Gut, so hätten wir einen Beweis für diese
-Behauptung: „Meine Väter neigen sich herab von ihren Gewölken, zu
-empfangen ihren graulockigen Sohn“, klagt Fingal nach dem Fall seines
-geliebten Sohnes Oscar. Als Wolkengeister schweben sie über kämpfenden
-Heeren und nehmen Teil an der Entscheidung, wie die Walkyren, die
-ebenfalls Wolkengeister sind. Auch auf dem Monde weilen die Seelen,
-ein Glaube, der weit verbreitet ist. Dort hausen sie unter Schnee und
-Eis und vergessen alles vom vergangenen Leben. Bei Sonnenfinsternissen
-kehren sie zur Erde zurück, werden von der Sonne erweckt und beginnen
-ein neues irdisches Dasein.
-
-Von den Griechen haben namentlich die ~Pythagoräer~ und ~Platon~ die
-Wiedergeburt gelehrt. Jene beschränkten die Seelenwanderung auf die
-Tiere und Menschen; Pflanzen sollte eine Seele nicht zukommen. Zwischen
-zwei Leben liegt ein reiner Seelenzustand, wie ja auch bei den Indiern,
-Kelten und bei Platon. Ob dieser Zustand in Verbindung steht mit Lohn
-und Strafe, die die Pythagoräer wie auch Andere lehrten, läßt sich
-schwer entscheiden, denn bekanntlich hat sich durch Pythagoras’ Lehre
-ein Wust von allen möglichen mystischen Ansichten ergossen. Eigenartig
-noch ist die Meinung, daß die Seele nicht in jeden Körper eingehen
-kann, sondern nur in den, der ihrer Harmonie (davon später) gemäß ist.
-Im allgemeinen betrachteten sie, wie die Indier, die Verbindung der
-Seele mit dem Körper als unwillkommen. Indessen sagten sie doch auch,
-daß die Seele durch die Organe, die der Körper ihr bietet, Gelegenheit
-zur Erkenntnis bekomme, und daß sie darum den Körper liebe, ein
-Gedanke, der ganz und gar den Anschauungen der Indier widerspricht.
-Pythagoras selbst soll Waffen im Heratempel zu Argos als die bezeichnet
-haben, die er in einem früheren Dasein vor Troja geführt habe, und in
-einem Hund die Seele eines verstorbenen Freundes erkannt haben; wenn
-ersteres kein Märchen, letzteres kein boshafter Witz ist.
-
-~Platons~ Ideen von der Seelenwanderung sind namentlich in seinem
-Phaidros auseinandergesetzt. Max Müller weist auf die, zum Teil
-allerdings verblüffende, Übereinstimmung mit indischen Ideen hin;
-namentlich die Lehre, daß die Seelenbekörperung neun Stufen hat,
-entspricht der in Manu’s Gesetzbuch, wo gleichfalls neun Stufen
-vorgesehen sind. Auch der Zwischenzustand der Seele zwischen zwei
-Leben und der Endzustand muten stark indisch an. Platon hat alles in
-ein mythisch-dichterisches Bild gekleidet. Er behandelt Menschen und
-Götter in eins, was abermals indischem Verfahren entspricht. Das Bild
-vergleicht die Seele „der zusammengewachsenen Kraft eines befiederten
-Gespannes und seines Führers. Der Götter Rosse und Führer nun sind
-selbst gut und guter Abkunft, die anderen aber vermischt.“ „Die Kraft
-des Gefieders besteht darin, das Schwere emporhebend hinaufzuführen,
-wo das Geschlecht der Götter wohnt.“ Sie wächst vom Göttlichen und
-schwindet vom Bösen. „Der große Herrscher im Himmel, Zeus“ zieht mit
-seinem Gespann den Himmel hinauf voran, ihm folgen alle Götter und
-dann die Seelen, „wer jedesmal will und kann“. Zeus und die Götter
-lenken leicht und sicher und schauen völlig alle Herrlichkeiten. Die
-Gespanne der anderen Seelen aber steigen schwer und in Unordnung, so
-daß die Seelen von den Herrlichkeiten gar keinen oder nur teilweisen
-Genuß haben. Auf des Himmels Rücken angelangt und vom Umschwung
-fortgerissen, blicken die Götter in das, „was außerhalb des Himmels
-ist“ und sehen „farblose, gestaltlose, stofflose, wahrhaft seiende
-Wesen“ und sie „lassen sich wohl sein, bis der Umschwung sie wieder
-an die vorige Stelle zurückgebracht hat“. Die ganze Fahrt vollbringen
-von den Menschenseelen einige, die der Gottheit am nächsten „folgten
-und nachahmten“, wenn auch in Ängsten und Beschwerden und „kaum das
-Seiende erblickend“. Andere erhoben sich bisweilen und tauchten dann
-unter im Sträuben der Rosse. Die übrigen aber werden nur im unteren
-Raume umhergetrieben, einander stoßend und drängend. „Und dieses ist
-das Gesetz der Adrasteia“, sagt der Dichter-Philosoph, daß die Seele,
-welche als des Gottes Begleiterin etwas vom Wahrhaften erblickt hat,
-keinen Schaden erleidet und, soweit an ihr liegt, unverletzt bleibt.
-Die Seele aber, die nichts sieht, fällt zur Erde und beginnt den
-Kreislauf der Wiedergeburten, die also, wie schon bemerkt, neun Stufen
-haben. Die besten können als weise Männer geboren werden, oder als der
-Musen und der Liebe Lieblinge. Die folgenden als verfassungsmäßige oder
-kriegerische Könige, dann die nächsten als Staatsmänner usf., bis zu
-den letzten, welche das dem Griechen Verächtlichste werden -- Tyrannen.
-Eine Seele kann mehrere Wiedergeburten erfahren. Die höchststehende
-kehrt schon nach dreitausend Jahren dorthin zurück, woher sie gekommen
-ist. Anderen Seelen mag dieses nicht unter zehntausend Jahren gelingen.
-Innerhalb der Wiedergeburten, nach jedem Tode, kommt die Seele vor
-das Gericht. Die böse verfällt dem unterirdischen Zuchtorte, wo sie
-tausend Jahre Strafe erleidet, die bessere wird nach einer Stelle
-des Himmels entrückt, wo sie, gleichfalls tausend Jahre, wie im
-letzten Leben verweilt. Dann kann jede der beiden Seelen ihre fernere
-Wiedergeburt frei wählen. Und so ist auch tierische Wiedergeburt
-nicht ausgeschlossen. Der Philosoph leitet aus den Wiedergeburten die
-Tatsache des Erinnerns ab, daß uns so manches, das wir zum erstenmal
-sehen oder lernen, bekannt vorkommt. Die Ähnlichkeit der Platonischen
-Anschauung mit indischer, sowohl in den Zwischenzuständen als im
-Endzustand und in den Verwandlungen, ist nicht zu verkennen. Platon
-ist von dieser Anschauung in anderen Schriften mehrfach abgewichen.
-Gleichwohl muß sie für ihn doch grundlegende Bedeutung gehabt haben.
-Wir sehen das an dem tiefen Ernst, mit dem ~Sokrates~, Platons
-Wortführer, sie vorträgt.
-
-Es ist oft selbst von Griechen behauptet worden, daß Pythagoras und
-Platon ihre Wiedergeburtanschauungen von den ~Ägyptern~ entlehnt haben.
-Auch sagt Herodot von den letzteren: „Auch sind die Ägypter die ersten,
-die den Satz aufgestellt haben, daß des Menschen Seele unsterblich
-ist, und wenn der Leib vergeht, so fährt sie in ein anderes Tier, das
-immer gerade zu der Zeit entstände, und wenn sie herum ist, durch alle
-Tiere des Landes und des Meeres und durch alle Vögel, so fahre sie
-wiederum in einen Menschenleib, der gerade geboren würde, und käme in
-dreitausend Jahren herum.“ Wenn Herodot dann fortfährt: „Diese Meinung
-haben einige Hellenen auch vorgebracht, die einen früher, die anderen
-später. Ihre Namen weiß ich zwar, will sie aber nicht nennen“, so kann
-er damit nur Pythagoräer und Orphiker meinen. Aber es ist immerhin
-eigenartig, daß auch Platon die dreitausend Jahre hat, wenn auch nur
-für die auserwählten Seelen. Eduard Zeller lehnt die Wiedergeburtslehre
-für die Ägypter ab. Es ist für uns schwer, eine Entscheidung zu
-treffen, da die Ägypter sehr viel vom Animismus in ihren Anschauungen
-besaßen. Die außerordentliche Mühe, die die Ägypter sich gaben, ihrer
-Seele Wohnstätten auf Erden zu beschaffen, spricht gegen den Glauben
-einer Wiedergeburt bei ihnen. Der, freilich späte, Pausanias (zur Zeit
-Hadrians und der Antonine) meint, die Griechen hätten ihre Anschauungen
-von den Chaldäern und Indiern erhalten. Vielleicht hat er nicht so
-unrecht. Klingt es nicht ganz indisch, wenn ~Empedokles~ sagt: „Ich
-war bereits einmal Knabe, Mädchen, Pflanze, Vogel und flutentauchender
-stummer Fisch“ und wenn er über das furchtbare Geborenwerden klagt?
-
-Es ist noch zu erwähnen, daß auch bei den ~Chinesen~ eine Schule des
-Lao-tsse (S. 210) bestand, die Seelenwanderung und Wiederbekörperung
-lehrte. Der bedeutende Mann sagt im Tao-te-king: „Wer nicht einsieht,
-daß es eine Fortdauer gibt, und daß auch er fortdauere, der bereitet
-sich durch seine Unüberlegtheit selbst Unheil. Wer aber von der hohen
-Bedeutung der Fortdauer überzeugt und durchdrungen ist, der ist sicher
-auch groß gesinnt, edel und vortrefflich“. Der Tod bedingt Auflösung
-in die Grundstoffe. Aber hiernach erfolgt immer ein Wiederaufleben zu
-einem neuen Zweck, zu einer neuen Bestimmung, zu neuem Leben. Lao-tsse,
-der etwas später als Buddha blühte, ist in Indien gewesen, er wird
-aus den dortigen Philosophenschulen manches gelernt haben. Aber sein
-Taoismus ist doch kein Brahmanismus, geschweige gar ein Buddhismus. Es
-ist, wie schon bemerkt, auch nicht zu ersehen, wie er sich das Ende
-dachte, ob als ein Aufgehen im Tao, oder als überhaupt nicht vorhanden,
-so daß die Wandlungen ins Unendliche fortdauern.
-
-
-24. ~Seele und Unsterblichkeit, Leben-Reihe.~
-
-Leicht erkennt der Mensch, daß das Leben nach zwei Richtungen
-sich abspielt, nach der animalen und nach der geistigen. Früh ist
-deshalb schon zwischen einer ~animalen~ Seele und einer ~geistigen~
-unterschieden worden. Der ersteren Seele Tätigkeit geht auf
-Entwicklung des körperlichen Lebens, Erhaltung dieses Lebens,
-Befriedigung der sinnlichen Begierden und Lüste und auf Zusammenleben
-mit der äußeren Welt. Die zweite Seele hat es mehr mit dem Absehen
-von dem körperlichen und äußeren Leben zu tun, und mit Denken,
-Schließen und Erkennen. Platon hat von dieser zweiten Seele einen Teil
-abgetrennt, den er θυμός (Mut) nennt. Wir wollen ihn mit „Verstand“
-bezeichnen. Er wirkt gegen die bösen und schlechten Triebe der ersten
-Seele und leitet, im Gegensatz, die Wünsche und die Handlungen
-zum Guten. Alsdann bleibt von der zweiten Seele das rein Geistige
-übrig, der νοῦς, Nus, die „Vernunft“. Diese Dreiteilung nach Platon
-(ἐπιθυμητικός, θυμός, νοῦς) erschöpft die Seelentätigkeiten zweifellos
-nicht. Wenn aber die Stoiker eine Siebenteilung der Seele vornahmen
-und davon fünf Teile an die Sinnentätigkeit vergaben (nach den fünf
-Sinnesorganen), einen Teil auf die Fortpflanzung rechneten (wie die
-Pythagoräer) und den letzten auf die Sprache, d. h. das Denken, so kann
-dieses noch weniger befriedigen. Der Leser weiß, daß die Psychologie
-meist eine Dreiteilung vornimmt: in Denken, Fühlen, Begehren, die
-kaum für die Zwecke des reinen rationalen Teiles dieser Wissenschaft
-ausreicht, und auf die übrigens auch nicht viel Wert gelegt wird. In
-der Tat haben wir es hier mit Teilungen der Seele nur mit Rücksicht
-auf die voraufgehenden Unsterblichkeitslehren zu tun. Denn naturgemäß
-entsteht die Frage, was denn von der Seele unsterblich sein soll. Wir
-wollen darum die Tätigkeit der Seele sorgfältiger unterteilen. Eine
-eingehendere Untersuchung aller Seelentätigkeiten zeigt, daß man die
-Seele für unseren Zweck, und wohl auch allgemeiner, in folgende Klassen
-zerlegen kann.
-
-~Animale Seele~, zur Entwicklung, Erhaltung und Bewegung des Körpers.
-
-~Trieb-Seele~, zur Befriedigung von sinnlicher Lust und von Trieben.
-
-~Sinnen-Seele~, zum Wahrnehmen der Außenwelt und aller Reize an und in
-unserem Körper.
-
-~Gefühls-Seele~, zum Empfinden der Affekte, wie Liebe, Haß, Zorn,
-Mitleid usf.
-
-~Regulierende~ oder ~kategorische Seele~ (Bewußtsein, Kategorien,
-Freiheit, Wille; Anschauungsformen).
-
-~Verstandes-Seele~ (Erkennen, Behalten, Erinnern, Wissen, Vorstellen u.
-a.).
-
-~Vernunft-Seele~ (Sinnen, Denken, Schließen usf.).
-
-~Göttliche Seele~, ~Geist~, ~Glaube~, ~Intuition~.
-
-Über die vier erstgenannten Klassen ist nichts zu bemerken. Die
-fünfte Klasse, deren Tätigkeiten wir auch insgesamt als Kategorien,
-Stammtätigkeiten, bezeichnen können, gibt die Normen für alle
-Seelentätigkeit überhaupt und zwar zwangmäßig. Unter dem Gesichtspunkt
-des Bewußtseins kennen wir überhaupt nur die Tätigkeiten der Seele.
-Nur das animale Leben bietet manche und sehr wichtige Tätigkeiten,
-die unserem Bewußtsein sich entziehen. Die eigentlichen Kategorien,
-wie Quantität, Qualität, Ursächlichkeit usf. regeln alle und jede
-Wahrnehmung und Erfahrung und sind selbst für das animale Leben
-unausweichlich. Freiheit wird allerdings als Kategorie von vielen
-geleugnet. Eine Erörterung hierüber ist noch nicht am Platze.
-Hier genügt es, daß alle unsere seelischen Tätigkeiten uns frei
-~erscheinen~, selbst wo wir gezwungen werden. Wille endlich ist
-die Einleitung mindestens zu allen bewußten Tätigkeiten. Welche
-kategorische Bedeutung dem Willen zugeschrieben wird, weiß der Leser
-aus Schopenhauers Philosophie. Endlich die Anschauungsformen, unter
-denen wir und die Welt uns erscheinen, sind Raum und Zeit. Die Wirkung
-der regulierenden Seele erstreckt sich also über alle Tätigkeiten der
-übrigen Seelen. Über die sechste und siebente Klasse ist wiederum
-nichts zu bemerken. Die achte Klasse hat im Sinne namentlich der
-indischen, und überhaupt der theosophischen, Lehren hinzugefügt werden
-müssen; ihre Bedeutung wird durch die Darlegungen im folgenden Buch
-noch klarer als durch die Bezeichnung werden. Und nach den wichtigsten
-Ansichten ist diese Klasse als Intuitionen enthaltend auch von der
-Macht der regulierenden Seele auszunehmen. Die modernen ~Theosophen~
-scheinen diese Seele in drei Seelen abzustufen: Buddhi-Manas, der
-Mensch als höchstes Prinzip; Buddhi, die Welt als höchstes Prinzip;
-Atma, das höchste Prinzip überhaupt. Unsere sieben anderen Klassen
-sind dann in vier untergebracht: Kama-Manas, die intellektuelle Seele,
-Vernunft-, Verstandes- und regulierende Seele einbegreifend; Kama, die
-Triebseele; Prana, die animale Seele; Linga-Scharira (der Ätherleib),
-wohl die Sinnenseele. Die Namen sind indisch wie die Ideen. Der
-Zerlegung der höchsten Seele in die drei Seelen kann man zustimmen.
-Die Zusammenfassung der Vernunft-, Verstandes- und regulierenden
-Seele scheint mir aber unzweckmäßig und lediglich der heiligen
-Siebenzahl wegen erfolgt zu sein. Ich habe übrigens in meinem Werke
-„Philosophische Grundlagen der Wissenschaft“ die Seelentätigkeiten
-einzeln untersucht und sie in eine kanonische Tafel gebracht,
-soweit sie für den dort entscheidenden Zweck nötig war. Die obige
-Klasseneinteilung ist für das Allgemeine spezifizierter.
-
-Worauf bezieht sich nun die Unsterblichkeit? Auf die achte Seele unter
-allen Umständen, und für diese ist die Unsterblichkeit eine absolute.
-Das ist die Auffassung aller bisher behandelten Anschauungen. Der
-Buddhismus scheint die absolute Unsterblichkeit auf diese Seele zu
-beschränken, vermutlich auch der Wischnuismus, soweit er Pandeismus
-ist (S. 229 f.). In diesen beiden Anschauungen würde es sich hiernach
-für die übrigen Seelen nur noch um relative Unsterblichkeit und
-Fortleben nach dem Tode handeln, bis sie nach der abgelaufenen Zahl
-von Inkarnationen, Bekörperungen, annihiliert werden, oder, wohl
-besser, sich selbst annihilieren, in der Weise, daß sie entweder
-in Tat verschwinden oder in ein Anderes übergehen, das nicht mehr
-mit Leben und Individualität in Verbindung steht. Schreiben wir
-den Tieren und Pflanzen keine achte Seele zu, so wären diese von
-der absoluten Unsterblichkeit ausgeschlossen. Das ist, glaube ich,
-auch der Standpunkt unserer modernen Theosophen. Nach Platon bezöge
-sich die absolute Unsterblichkeit auch auf die siebente Seele, da
-er sie mit der achten zu der Vernunft-Seele zusammenfaßt. Jedoch
-diese und die anderen Anschauungen können wohl eine absolute oder
-relative Unsterblichkeit ohne die fünfte Seele nicht behaupten, diese
-müßte immer mit einbegriffen sein. Die, nach Platon, am wenigsten
-konzedierende Ansicht schreibt hiernach auch dieser fünften und dazu
-der sechsten Seele absolute Unsterblichkeit zu, den vier anderen Seelen
-nur relative. Aber Anschauungen wie z. B. die des Mohammedanismus
-und Christentums, soweit sie ewige körperliche Strafen und ewige
-körperliche Freuden als Belohnungen im Jenseits annehmen, müssen auch
-für diese vier Seelen absolute Unsterblichkeit behaupten, also für die
-Seele als Ganzes. Glauben sie, daß eine Seele schon für sich Pein und
-Lust empfinden kann, so mag die erste Seele mit dem Tode schwinden
-oder, bei Behauptung einer Wiederbekörperung, beschränkt fortbestehen.
-Zugleich wird angenommen, daß, was absolut oder beschränkt fortbesteht,
-immer beisammen bleibt, sonst würde ja die Individualität verloren
-gehen. Bei einer Wiederbekörperung ändert sich dann nur die Person.
-Aber die Individualität muß immer freier werden von den Schlacken
-des materiellen, persönlichen Lebens, je mehr von dem nur beschränkt
-Fortbestehenden sich annihiliert oder annihiliert wird, bis absolute
-Freiheit davon eintritt, die Person für immer schwindet und die
-absolute Unsterblichkeit nur noch das höchste Sein bedeutet.
-
-Fassen wir nun in der allgemeinsten Darstellung der oben behandelten
-Anschauungen alle Vor-Leben, Leben, Nach-Leben zu einer ~Leben-Reihe~
-zusammen, mit verschiedenen Einzel-Leben, so träten also die acht
-Seelen in den verschiedenen Leben in verschiedener Weise, Intensität,
-in Tätigkeit. Jede von ihnen kann in einem Leben aufs äußerste
-wirken, und in einem anderen Leben ganz zurückgedrängt sein, daß sie
-wie nicht vorhanden erscheint. Und dieses kann auch im Einzel-Leben
-der Fall sein; wir wissen ja, daß in unserem Körper-Leben in der
-Tat die Seelentätigkeiten fortdauernd wechseln. Daher kann auch der
-Unterschied zwischen Mensch und Tier und Pflanze, überhaupt zwischen
-Mensch und jedem anderen Ding, aufgehoben werden, wie im Menschen
-die verschiedenen Zustände schwinden. Und es ist kein Widerspruch,
-wenn eine Lehre, wie die der Indier von der Metempsychose, die
-Menschenseele auch in Tiere, Pflanzen und andere Dinge wandern und
-ein neues Körper-Leben beginnen läßt. Die Gesamtheit der Seelen
-bleibt, aber sie treten in der Tätigkeit teilweise oder ganz zurück,
-so daß auch eine von ihnen oder zwei von ihnen, wie im Tiere die
-beiden animalischen Seelen, ausschließlich wirken. Die ganze Reihe
-soll aber, wenn sie auch Rückschritte aufweist, im wesentlichen
-in der angegebenen Weise doch nach aufwärts führen, bis zuletzt
-die animalischen Seelen ganz geschwunden sind, wenn auch das
-Gesamtseelenindividuum sich noch bekörpert zeigt. In Buddhas Lehre
-heißt das, bis der Wille zum (Körper-) Leben völlig erloschen ist.
-Alsdann enthält die Leben-Reihe keine Körper-Leben weiter und das
-Nach-Leben ist ein einziges, körperfreies. Diese nähere Ausführung
-unter Spezialisierung der Einzelseelen habe ich zum zusammenfassenden
-Verständnis der voraufgehenden nicht leicht zu durchdringenden
-Anschauungslehren von Welt und Leben unternommen. Will der Leser von
-Einzelseelen nichts wissen, so mag er darunter Tätigkeitsklassen der
-Seele überhaupt verstehen. Das ändert an den Ausführungen nichts.
-Er beachte aber immerhin, wie doch die fünfte Tätigkeitsklasse als
-regulierend und kategorisch so ganz verschieden ist von allen anderen
-Tätigkeitsklassen. Davon werde ich bei Betrachtung der sogenannten
-materialistischen Anschauungen von Welt und Leben eingehend zu sprechen
-haben.
-
-Von je ist danach gefragt worden, warum, wenn das Leben auch Vor-Leben
-hat, wir von diesen nichts wissen, wenigstens nicht Alle etwas davon
-wissen, wenn auch Einzelne, wie Pythagoras und Buddha, volle Kenntnis
-davon gehabt haben wollen. Die schon erwähnte (S. 217) Tatsache, daß
-wir beim Kennenlernen neuer Dinge wohl ~glauben~, sie schon zu kennen,
-reicht, wie jeder sieht, durchaus nicht zum Nachweis hin, daß wir
-etwas von unserem Vor-Leben wissen, ganz abgesehen davon, daß ja die
-Vor-Leben überhaupt voneinander verschieden sein können und auch sein
-sollen. Die einzige einigermaßen befriedigende Antwort haben wiederum
-indische Weise gegeben, die ja, als die energischesten Verfechter der
-Leben-Reihe, die Frage am meisten angeht, und an sie sich anschließend
-unsere Theosophen. Wir können aber Frage und Antwort erst in einem
-späteren Abschnitt behandeln.
-
-Den Eindruck wird aber, glaube ich, der Leser gewonnen haben, daß es
-sich hier, wenn auch um zweifelvolle und vielleicht unrichtige, doch
-um sehr großartige Anschauungen handelt, namentlich bei den in Indien
-erblühten und später nach dem Westen verbreiteten von der Leben-Reihe
-und ihrer Gipfelung im reinen absoluten Geistes- oder Gottes-Leben.
-Wir lernen im nächsten Buch ihre mehr phantastische und im letzten
-Buch ihre metaphysische Ausbildung kennen. Neben solchen Anschauungen
-nimmt sich die von Paradies und Hölle philosophisch freilich recht
-dürftig und derb naturmenschlich aus. Ob auch ethisch und erzieherisch,
-ist allerdings eine andere Frage, denn die Leben-Reihe (~Sansara~ bei
-den Indiern) ist gegen die Ruhe-Ewigkeit (~Nirvana~) aufs äußerste
-herabgesetzt.
-
-
-
-
-ZWEITES BUCH.
-
-Philosophisch-deistische und theosophische Anschauungen.
-
-
-Zu den philosophisch-religiösen Anschauungen rechnen wir diejenigen
-Lehren, bei denen Gott oder die Gottheit, oder eine wie eine Gottheit
-wirkende Seele, den Mittelpunkt der Annahmen bildet, und wo zugleich
-die Ordnung von Welt und Leben nach philosophischen Gesichtspunkten
-betrachtet wird, rein religiöse Willkür ausschließend. Das Religiöse
-lehnt sich an den Glauben, das Philosophische teils an Naturerkenntnis,
-teils an metaphysische Begriffe an und strebt, alles mehr der ruhigen
-Vernunft anzupassen. Manche der Anschauungen, die wir in diesem Buche
-kennen lernen werden, liegen fast ganz im Bereiche der Dichtung. Eigen
-ist ihnen allen aber die Erhöhung des Gottes- und des Seelenbegriffes
-und die Bemühung, zwischen diesen Begriffen und der Welt mit dem
-Menschen eine Verbindung herzustellen, die jenen Begriffen nicht zu
-nahe tritt und doch Welt und Menschheit in keine zu unwürdige Stellung
-bringt, ja im Gegenteil, Welt und Menschheit möglichst an jene Begriffe
-anschließt. Die theosophischen Anschauungen haben ihre Grundlage, außer
-im Glauben, in der Intuition.
-
-
-
-
-DRITTES KAPITEL.
-
-Pandeistische und panpsychistische Anschauungen.
-
-
-25. ~Pandeistische Anschauungen.~
-
-Wenn auch nur durch einen Buchstaben (d statt th), unterscheiden wir
-grundsätzlich ~Pandeismus~ vom Pantheismus. Die letztere Anschauung
-rechnen wir zu den metaphysischen Anschauungen, während die erstere
-noch an der Religion teilhaben soll. Sie ist eine Art gesteigerten,
-vereinheitlichten und in das Göttliche übertragenen Animismus. Die
-ganze Welt ist mit Seelengottheiten erfüllt, und diese Gottheiten
-sind zu einer einzigen Welt-Seelengottheit (mitunter freilich auch
-zu zwei solchen Gottheiten) zusammengeflossen, die alles durchdringt
-und erfüllt und außer der Welt keine Bedeutung hat. Ansätze dazu
-finden sich vielfach. Wir besprechen aber nur die hinreichend deutlich
-hervortretenden Anschauungen. Daß einzelne Gottheiten Teile der Welt
-sind, würde schon aus Naturmenschlichem folgen. Zeus soll ursprünglich
-der Himmel selbst sein, Hera die Luft, Ge die Erde usf., Gottheiten
-und Gegenstände zugleich (S. 127 f.). Hades, Orcus waren immer sowohl
-Gott als Unterwelt, ebenso war Hel Göttin und Totenwelt. Von der
-~ägyptischen~ Himmelsgöttin Nut wird gesagt, sie sei Lichtwohnung
-der Sonnenscheibe, Halle des Mondes, die Sterne träten aus ihren
-Lenden hervor und gingen in ihren Mund hinein, sie spanne und wölbe
-sich über der Erde: alles völlig materiell. Ich verweise auch auf
-das Bild S. 181, wo die Göttin als durchstirnte Frau im Doppelwinkel
-gebogen erscheint, die Füße im Osten, die Hände im Westen auf die
-Erde gestützt, den Rumpf in der Höhe gestreckt. Gleiches gilt auch
-von dem Luftgott (Shu), dem Erdgott (Qeb), sie sind mit ihr auf
-demselben Bilde zu Personen vereinigt. Aber bei den Ägyptern soll
-sich der Pandeismus auch vollständiger ausgedrückt finden. Heinrich
-Brugsch bringt dafür Belege. Er sagt: „Gott und das Weltall erscheinen
-verbunden wie die Seele mit dem Körper. Gott ist ein Geist, der in
-seinem kosmischen Hause wohnt, das er sich selbst gebaut hat“. Der
-Name für Gott soll ägyptisch Nutr, Nuta, Nuti lauten, und dasselbe
-besagen wie physis-natura, „die stets fortwirkende Tätigkeit des
-Erzeugens und Hervorbringens“, zugleich auch das in dem Erzeugten
-Enthaltene einbegreifend, also das Erzeugte und das es Erzeugende. Von
-Gott (ob Amun, Rā, Osiris, Chnum usf.) wird nun in Inschriften außer
-vielem, das ihn als den „Einen“, den „Urgeist“, den „Uranfänglichen“
-(auch „Anfangslosen“?), den „Ewigen“, den „Schöpfer“, die „Wahrheit“,
-das „Leben“, den „Urvater“, die „Urmutter“, den „Barmherzigen“ usf.
-bezeichnet, auch ausgesagt: „er ist der Schöpfer seiner Gestalt und der
-Bildner seines Leibes“, „das Bleibende, das sich mehrt, ohne vernichtet
-zu werden“, „der Eine, der sich millionenfach vervielfältigt“, „der
-Himmel birgt seinen Geist, die Erde seine Gestalt und die Tiefe
-verschließt sein Geheimnis“, „bleibend ist er, das Bleibende in allen
-Dingen“, „das Bleibende aller Dinge (Menchet)“ usf. Diese und ähnliche
-Angaben zeigen allerdings, daß die Ägypter auch einer pandeistischen
-Anschauung sich genähert haben. Da aber Gott und die Gottheiten in
-anderen unzähligen Angaben zweifellos nicht selbst die Welt sind,
-sondern sie und ihre Teile errichten und beherrschen, handelt es sich
-mehr um besondere, nicht einmal genau ausgeführte Ansichten, als um
-allgemein anerkannte.
-
-Entschiedener tritt Pandeismus bei den ~Indiern~ hervor. So ist in der
-Schöpfungsgeschichte, die von Brahmanaspati und Aditi ausgeht, Varuna
-die ganze Welt. Die Erde, der Himmel, die Ozeane sind Varuna; Sonne und
-Mond leuchten als seine Augen, der Himmel ist sein Leib, seine drei
-Zungen sind Himmels-, Luft- und Erdenraum, er geht in seinen eigenen
-Körper ein usf. Seine Gottheit tut er als Schöpfer seines eigenen
-Leibes dar. In der Bhagavad-Gîtâ sagt Krischna-Wischnu dem Ardschuna
-von sich: er sei aller Dinge Ursprung und Untergang, die Kraft in allen
-Dingen und die Erscheinungen, Duft im Wein, Glanz in Sonne, Mond und
-Gestirnen, Laut im Wort, sogar jeder Buchstabe, jedes Lied, Gebirg
-Himalaja, Feigenbaum, Roß, Mensch, Schlange (überhaupt jedes Tier),
-jede Jahreszeit. Wie er sich nachher Ardschuna als Gottheit zeigt, da
-sieht dieser, außer unendlichem Strahlenglanz, „das Weltall in ihm
-vereint:“
-
- Alle Wesen, alle Götter, seh’ an deinem Leib ich hangen,
- Brahma auf dem Lotussitz, samt den Sehern und den Schlangen,
- Viel Gesichter, Arme, Leiber, viele Augen, du Gewaltiger;
- Aber weder Ziel noch Anfang seh ich an dir, Vielgestaltiger...
-
-Dann wird geschildert, wie alles auch seinen Untergang in
-Krischna-Wischnu findet; sein Mund nimmt die Menschenscharen auf, in
-ihn strömen sie hinein wie die Flüsse in das Meer. Gleichwohl ist
-nicht zu verkennen, daß auch hier die Verschmelzung zwischen Gott und
-Welt keine absolute ist. Das Geistige, das Leben wird bei weitem mehr
-betont als das Materielle, und oft wird von Gott wie außer und über
-der Welt gesprochen. In anderen Fällen heißt es, in einem Upanischad,
-vom Purusha als Weltprinzip: aus ihm sei alles entstanden und in
-ihn kehre alles zurück, „aus ihm wird der Atem (Geist) geboren, das
-Denkorgan und alle Sinnesorgane, Äther, Luft, Licht, Wasser, und
-die Erde, die Trägerin von allem“. Auch hier jedoch findet sich ein
-Zwiespalt, denn aus Purusha (Person) wird auch, nachdem er geopfert
-ist, von den Göttern die Welt der Gegenstände und Erscheinungen
-gebildet, wie bei den Germanen aus dem Riesen Ymir. Mehr in das Gebiet
-des Metaphysischen, also mehr zum Pantheismus, gehört, was vom Brahman
-gelehrt wird. Es ist ganz unpersönlich, ein Es, das Selbst der ganzen
-Welt, wozu auch das einzelne Ding, der einzelne Mensch zählt.
-
- Was Eins ist, die Dichter nennen es mit vielen Namen;
- Sie nennen’s Agni, Yama, Mâtarisvan.
-
-sagt ein Rigvedalied (164 des ersten Buches) von diesem Bráhman. Als
-Brahmán wird es persönlich und dann kommen, wie in den anderen Fällen,
-die Zweifel, indem die Welt auch als von ihm geschieden angesehen
-werden kann. Im Atharvaveda wird gefragt: Von wem wurde diese Erde
-geordnet? Von wem der obere Himmel geschaffen? usf. Die Antwort
-lautet von Brahmán. Wenn das nicht alles aus sich heraus geschehen
-ist, wäre Brahmán außerhalb der Welt. Sätze wie in einem Upanishad:
-„Brahmán schwillt durch Hitze, daraus entsteht Nahrung (Stoff), aus
-Nahrung Atem, Geist u. a.“ sprechen für die erstere Auffassung. Ganz
-metaphysisch schon wird Prana (Geist, Atem, Seele, ψυχή) als Welt
-bezeichnet.
-
-Unter den ~Griechen~ finden sich ähnliche Aussprüche erst bei den
-Philosophen (und Orphikern). Auch diese Aussprüche sind insoweit
-zweiseitig, als sie wie für Brahmán und Bráhman theologische und
-metaphysische Bedeutung haben. Pandeistisch ist, wenn der Eleate
-~Xenophanes~ (aus Kolophon um 580-492 v. Chr.) von Gott gesagt haben
-soll: „Er ist ganz und gar Geist und Gedanke und ewig“, „er sieht ganz
-und gar, er denkt ganz und gar, er hört ganz und gar (οὖλος δ’ορᾶ,
-οὖλος δέ νοεῖ, οὖλος δέ τ’ἀκούει)“. „Das Eine und Weltganze (ἒν καὶ
-πᾶν) fällt mit ihm zusammen“. „Gott ist mit allen Dingen mitgeboren.“
-Der Agrigentiner ~Empedokles~ (482-422 v. Chr.), den man auch zu den
-Eleaten zählt, faßte die Welt in ihrem ursprünglichen Zustand als eine
-in sich harmonisch geeinte Kugel auf, und nannte sie persönlich: „der
-Sphairos“.
-
- Also steht er fest, im starken Busen des Einklangs,
- Sphairos, rund und ganz vergnüglicher Ruhe sich freuend.
-
-Sphairos ist darum von manchen als der empedokleische Gott bezeichnet
-worden. Und das gehörte dem Pandeismus an; wenn nicht Aristoteles recht
-hat, wonach die Gottheit später entstanden sei als die Kräfte, die den
-Sphairos sich in die wirkliche Welt umwandeln ließen (Zwietracht und
-Streit). Bekannt ist, daß auch die ~ionischen Naturphilosophen~
-von einem mehr oder weniger belebten Urwesen ausgingen. Da aber dieses
-Urwesen wohl als Seele aufgefaßt werden muß, sprechen wir davon im
-nächsten Abschnitt.
-
-Die griechische Naturphilosophie ist durch die metaphysische
-Spekulation, die Sophistik und die praktische Philosophie aufgehalten
-und unterbrochen worden. Die Götter rückten in weite Ferne oder
-wurden ganz wegdisputiert. Indem jedoch die Volksreligion sich
-ungeschwächt erhielt und eher, aus dem Orient und Ägypten, neue
-Elemente aufnahm als solche verlor, mußte auch die Philosophie zurück
-in das Handgreiflich-religiöse gehen, um dieses so weit als möglich zu
-heben und zu veredeln und dem Gedankenwege anzupassen. Namentlich in
-der späteren Zeit, als durch die Römer ein unabwendbares Verhängnis
-über die Mittelmeerwelt hereinbrach und die Gemüter bedrückte, macht
-sich dieses Zurückgehen auf die Religion bemerkbar, und wir finden
-vollständig ausgebildete pandeistische Lehren, die mit Emanismus und
-Theosophie zuletzt in das Mystische übergreifen und ihren Einfluß bis
-in die Neuzeit hinein fühlbar machen. Noch von heidnischen Gottheiten
-ausgehend, wachsen sie durch das Judentum allmählich in das Christentum
-hinein, ohne dabei ihren hellenistisch-kosmopolitischen Charakter ganz
-zu verlieren. Wie aber die Kenntnisse mehr und mehr schwinden und mit
-ihnen die realen Verknüpfungen der Tatsachen, schweifen die Lehren
-mit Vorliebe ins Uferlose und Phantastische und werden Gegenstand
-mehr der Sentimentalität und des Aberglaubens als der Überlegung und
-des Glaubens. Gleichwohl sind diese Lehren von hohem Interesse, zum
-Teil von dichterischer Gewalt, und für sehr viele ein froher Ersatz
-für das nur so wenigen gegebene und die meisten so abstoßende kühle
-Philosophieren, das schließlich auch noch nichts Entscheidendes geboten
-hatte, weder aus Erfahrung noch aus Denken, und das im Grunde zuletzt
-jeden auf sich selbst verweist, indem es ihm freilich die Mittel zu
-geordnetem Lernen und Schließen an die Hand gibt.
-
-Wir nehmen zuerst die Schule der ~Stoiker~. Zeus ist der Geist (νοῦς)
-der Welt und in der Welt, er ist das Keimende in der Welt (λόγος
-σπερματικός). Er wird sogar materiell vorgestellt, als feiner feuriger
-Dunst und als bildendes Feuer (πῦρ τεχνικὸν), jedoch auch als Hauch
-(πνεῦμα). Welches Etwas er auch sei, so führt er dieses doch selbst
-in jede andere Materie, Luft, Wasser, Erde usf. über. Sein besonderer
-Wohnsitz ist der Umkreis der Welt oder die Sonne, aber von da breitet
-er sich durch die ganze Welt in ihren verschiedenen Erscheinungen
-aus. Wie Zeus die Welt aus seiner Substanz bildet, so nimmt er sie
-auch wieder in sich auf, wandelt sie also wieder in feurigen Dunst
-durch einen Weltbrand, um sie später aus sich neu niederzuschlagen.
-Die Seelen sind Teile des göttlichen feurigen Dunstes, gewissermaßen
-mehr oder weniger bedeutende Konzentrationen dieses Dunstes in
-den Lebewesen. Jede Seele hat, wie die Gottheit im All, so in dem
-betreffenden Leibe einen Sitz, im Herzen, wo sie sich von dem Blute
-nährt; von da breitet sie sich, wie die Gottheit durch das All,
-so durch den Körper aus, namentlich in den Sinnes-, Sprach- und
-Zeugungsorganen. Dieser Pandeismus, der von ~Chrysippos~ (aus Soloi
-280-208 v. Chr.) herrühren soll, ist schon eine Verbindung mit dem
-Emanismus; Gott ist die Welt, insofern als diese aus seiner Substanz
-durch Verdichtung und Abkühlung entstanden ist und entsteht, und er
-sich strahlengleich mit seiner Substanz durch sie noch verbreitet.
-Daß Gott als feurig gedacht wird (jedoch auch als Atem oder Äther)
-ist dem Menschen entnommen, dessen Wärme sein Lebensprinzip bedeutet;
-eine Idee, die sich schon bei den ersten griechischen Philosophen
-und namentlich bei Heraklit findet. Der stoische Pandeismus ist
-namentlich darin ein erklärter Emanismus, daß auch die Götter sich
-nur als Äußerungen und Ausflüsse des Welt-Gott (Zeus) darstellen wie
-die Seelen. Und damit kam er der Volksreligion durchaus entgegen,
-die ja von einer Theogonie ausging. Da die Gottheit die ganze Welt
-durchstrahlt und ihrerseits ein Materielles ist, so war es ganz
-folgerichtig von den Stoikern, wenn sie auch den leblos scheinenden
-Körpern vom göttlichen Odem mitteilten; sie betrachteten die
-Eigenschaften der Körper als materiell und hauchartig. Sie gingen
-noch weiter und erklärten alle Eindrücke auf uns als materiell.
-Und so konnten ihnen selbst Tugend, Gedanken, Stimmungen, ja auch
-Zeitabschnitte wie Jahr, Tag, Jahreszeit usf. in gleicher Weise
-erscheinen, göttlich-materiell. Das geht über alles hinaus, was selbst
-naturmenschlicher Animismus phantasiert hat. Wenn weiter die Stoiker
-dem konsequenten Sensualismus huldigten, daß alles Wissen, im weitesten
-Sinne des Wortes, nur aus sinnlichen Eindrücken stammt, die Seele bei
-ihrem Eintritt in den Körper tabula rasa ist, so hat auch dieses in
-der Annahme des gleichen Göttlich-Materiellen für die Eigenschaften
-der Körperwelt und für die Seele seinen Grund; Materielles wirkt eben
-auf Materielles. Darin begegnen sie sich mit den älteren Atomisten und
-Mechanisten, die ja die Seele gleichfalls als materiell auffaßten.
-Nur das Leere sahen die Stoiker als nichtmateriell an, ferner den
-Raum als solchen (also auch den Ort als solchen), die Zeit als solche
-und den formalen potentiellen Schluß. Von Gott hatten sie trotz der
-angenommenen Materialität einen sehr hohen Begriff. „Er ist die ewige
-Vernunft, welche die ganze Welt regiert und alle Materie durchdringt;
-er ist die gütige Vorsehung, welche das Ganze sowohl wie das Einzelne
-besorgt; er ist weise und Grund des natürlichen Gesetzes, welches das
-Gute befiehlt und das Böse verbietet; er bestraft auch das Böse und
-belohnt das Gute; er ist vollkommen und eines glückseligen Bewußtseins.
-Seiner Naturseite nach ist er die bewegende Kraft der Materie, die
-allgemeine Natur, ohne welche auch nicht das Geringste geschieht, er
-ist das Verhängnis (εἱμαρμένη), welches alles nach notwendigen Gesetzen
-des Zusammenhanges zwingt, und die Notwendigkeit aller Dinge.“ Die
-Heimarmene findet sich gleichfalls bei Herakleitos und ist überhaupt
-ein höchst beliebter Begriff. Aus den letzteren Eigenschaften Gottes
-folgt der für die Stoiker so charakteristische ~Fatalismus~. „Er (Gott)
-ist die belebende Seele der Welt, welche einen natürlichen Trieb
-hat, aus sich wie aus einem Samen alles hervorwachsen zu lassen.“ So
-stellt sich die stoische Anschauung als ein monistischer-deistischer
-Materialismus und Mechanismus dar. Es ist bekannt, von welch
-außerordentlicher Bedeutung der Stoizismus für die spätere Griechen-
-und namentlich für die Römerwelt gewesen ist; seine Ethik und Dialektik
-haben die besten Menschen und größten Staatsmänner beherrscht, trotz
-des ~Indifferentismus~, den er aus dem Fatalismus heraus lehrte.
-
-Die späteren Schüler der ~platonisierenden Pythagoreer~ und der
-~pythagorisierenden Platoniker~ schlossen sich zum Teil diesem
-Pandeismus an. Doch gehören deren Anschauungen in eine andere
-Darlegung (S. 255 ff.). Hier will ich allgemeiner noch hervorheben,
-daß die Griechen, wenigstens in hellenistischer Zeit, auch einem
-~Pantheos~ (~Allgott~) Altäre errichtet haben. Ob dieser Pantheos
-mit der Welt identifiziert wurde, kann ich nicht sagen; er ist als
-eine aber persönliche Einheit aufgefaßt worden, nicht etwa als eine
-Kollektivgottheit, wie aus Inschriften aus Epidauros und Pergamon
-hervorgeht.
-
-Pandeistische Andeutungen finden sich selbstverständlich auch bei
-vielen anderen Völkern. So könnte man den Taoismus der ~Chinesen~, in
-der ihm von Lao-tsse gegebenen Form, hierher rechnen, wenn er nicht
-auch dem Naturalismus zuzuzählen wäre, da bei ihm mehr die Natur als
-die Gottheit in den Vordergrund gestellt wird. Die Erwähnung an dieser
-Stelle muß genügen, zumal mit solchen Sätzen wie: „aus Tao ist alles
-hervorgegangen, in Tao kehrt alles zurück“ nicht viel für unsere Frage
-anzufangen ist. Von den ~Japanern~ soll einer ihrer bedeutendsten
-Philosophen, Yamazaki-Ansai, um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts,
-entwickelt haben: „Gott ist das Wesen aller Dinge und durchdringt
-den Himmel und die Erde.“ Das klingt pandeistisch, kann jedoch auch
-metaphorisch gemeint sein, wie wir ja ähnliche Aussprüche von Gott tun.
-
-Die weiteren Betrachtungen über pandeistische Anschauung schließen sich
-an die in den nächsten Abschnitten zu besprechenden Lehren an.
-
-
-26. ~Panpsychistische Anschauungen; Hylopsychismus, Hylozoismus.~
-
-Von diesen Anschauungen sind die als omnanimistisch bezeichneten
-bereits geschildert. Die der Theosophie angehörenden finden
-später ihre Erledigung. Was übrig bleibt folgt wie von selbst dem
-Pandeismus, und ist im Grunde nur durch Seele und Gott verschieden.
-Eine ~All-Weltseele~ wird statt eines All-Weltgottes angenommen. Die
-Seele steht uns näher als Gott, wir glauben sie besser zu kennen, da
-wir sie uns selbst ja zuschreiben. Es hat darum scheinbar weniger
-Schwierigkeit, sie mit der materiellen Welt verbunden zu denken als
-Gott. Alle Einzelseelen sind dann nur Teile der Weltseele. Und wie
-im Pandeismus von Gott den Dingen nur nach Maßgabe ihrer Stellung in
-der Welt zukommt, so auch von der Seele. Da in unserer Seele Gutes
-und Böses, Edles und Niedriges verbunden ist, entfällt bei Annahme
-einer Allseele auch die Unbequemlichkeit eines Grundes für das Üble
-in der Welt, den wir nicht gerne in Gott suchen, und nicht gerne für
-einen zweiten Gott ausgeben. So gewinnen wir einen, wie man ihn auch
-nennt, ~Hylopsychismus~ (ὕλη, Materie) oder ~Hylozoismus~, der dem
-Pandeismus nur so weit entspricht, als dieser reiner ~Hylodeismus~
-ist und Gott außerhalb der Materie nicht weiter gesucht wird. ~Thales
-von Milet~ (phönizischer Abkunft, wahrscheinlich 624-546 v. Chr.)
-scheint einen solchen Hylozoismus angenommen zu haben. Da er nach
-Aristoteles gemeint haben soll, alle Dinge seien von Göttern voll
-(πάντα πλήρη θεῶν εἶναι), so ist es freilich schwer, zu entscheiden,
-ob seine Anschauung in einem höheren Sinne, als von der Annahme einer
-Weltseele beherrscht, zu verstehen ist, oder lediglich in dem Sinne
-des Naturmenschen. Man möchte fast das letztere glauben, da als
-Beispiel der Magnetstein angeführt wird, der Eisen anzieht. Zeller
-ist dieser Ansicht. Das Feuchte galt dem Thales als Seele, und darum
-das Wasser als Urstoff, aus dem alles andere sich durch Erstarren
-und Sichverflüchtigen bildete. Hiernach sollte in allem das Feuchte
-noch bestehen, in größerem oder geringerem Grade. Daß die Seele im
-Blut gesucht wurde und im feuchten Atem, wissen wir bereits. Es
-macht keinen großen Unterschied, wenn ~Anaximenes~ (wahrscheinlich
-585-528 v. Chr.) statt des Feuchten das Luftartige als Seele, die
-Luft als Urmaterie annahm. „Wie Luft (Atem) unsere Seele ist und uns
-zusammenhält, so umfaßt auch die ganze Welt der wehende Hauch (πνεῦμα)
-und die Luft.“ Thales sah in der Seele, wie aus dem Beispiel des
-Magnets zu erkennen, ein Bewegendes, Anaximenes erkennt in ihr ein
-sich selbst Bewegendes. Im übrigen herrscht Übereinstimmung. Feinste
-Luft (durch Wärme ausgedehnteste) ist das Feuer, also am meisten
-seelisch; dichteste (durch Kälte verdichtetste) ist die Erde, also am
-wenigsten seelisch. Die Gestirne sind (von der Luft) zusammengedrücktes
-Feuer, also jedenfalls hochbeseelt und doch erdenähnlich. Der gleichen
-Anschauung huldigte ~Diogenes von Apollonia~ (von 430 v. Chr.); er
-sprach sie noch schärfer aus, indem er im Luftartigen geradezu ein
-„ungewordenes, unbegrenztes, vernünftiges Wesen, das alles beherrscht
-und ordnet“, behauptete. „Denn gerade dieser Stoff (Luft), dünkt mich,
-ist Gott, ist allgegenwärtig, alles verwaltend und in allem vorhanden.
-Und es gibt auch nicht das Geringste, das nicht an seinem Wesen
-teilhätte.“ Dieser Stoff ist „ewig und unsterblich“, er ist „Seele
-und Geisteskraft“. „Bloße Umwandlungen der Luft sind alle Dinge.“
-Hier schwindet eigentlich die Materie und ist die Welt nur Seele in
-verschiedener Darstellung, Manifestation. Schwierig ist es, die Rolle
-der Wärme und Kälte (sie finden sich auch bei den Scholastikern als
-Prinzipe) zu verstehen, die Diogenes wie auch seine Vorgänger zur
-Bildung der Welt aus der Seelen-Urmaterie heranziehen. Man weiß nicht
-recht, was sie neben der Seele noch sollen. Vielleicht, daß diese die
-Wärme und Kälte aus sich selbst heraus entwickelt und so der eigene
-Grund ihrer Verwandlungen mit der Urmaterie ist. Aber es wird auch von
-äußerer Wärme gesprochen, der Sonnenwärme, welche Pflanzen, Tiere und
-Menschen aus dem Urerdschlamm hervorgelockt haben soll.
-
-Daß der zwischen Thales und Anaximenes lebende Landsmann dieser beiden,
-~Anaximandros~, eine Weltseele angenommen hat, ist wohl nicht sicher,
-aber wahrscheinlich. Er spricht von dem Ersten (ἀρχή) als von einem
-Unbegrenzten (ἄπειρον), Unbestimmten, aus dem alles hervorgeht und in
-das alles zurückkehrt nach der Ordnung der Zeit. Dieses Erste ist ewig
-und ständig in innerer Bewegung, also wohl beseelt, zu denken. Durch
-die Bewegung (also das Leben) treten Scheidungen und Bindungen des im
-Ersten Enthaltenen ein, die so unsere Welt darstellen; wie Warmes und
-Kaltes sich abtrennen und in ihrer Vereinigung das Feuchte bilden, wie
-dann aus diesem durch die weiteren Bewegungen Erde, Luft und Feuer sich
-sondern, letzteres sich zur Höhe begibt und sich in einem Feuerkreis um
-die Luft sammelt, diese in Gewittern durchbrechend. Mit den Scheidungen
-und Bindungen finden zugleich Lösungen und Durchmischungen statt. Und
-so gibt die Bewegung im Ersten eine ständig sich entwickelnde Welt und
-periodisch sich wiederholende Welten. Diese letztere Anschauung ist
-viel bewundert und von vielen aufgenommen und weiter entwickelt worden.
-Die Bewegung als Prinzip hielt auch der Ephesier ~Herakleitos~ (um 504
-v. Chr.) fest, und er präzisierte sie sogar in dem berühmten Ausspruch
-πάντα ρεῖ, „Alles ist in Fluß“. Nirgend ist auch nur für Augenblicke
-Stillstand. „Man kann nicht zweimal in denselben Fluß steigen und
-nicht zweimal eine Substanz berühren.“ Allein das Seelische sah er
-nicht in dieser Bewegung selbst, sondern in einem Feurigen; „diese
-Welt (κόσμος), die Eine für alle Wesen, hat weder der Götter noch der
-Menschen einer gemacht, sondern sie war immer und ist und wird sein ein
-ewig lebendes Feuer, sich entzündend nach Maß und erlöschend nach Maß“.
-Das Feuer wird auch als Hauch (ψυχή) bezeichnet, aus dem uns schon
-bekannten Grunde. Die Welt ist aber stetige Umwandlungen von Feuer. Und
-diese nie stillstehenden noch beharrenden Umwandlungen des eigentlich
-Seelischen geschehen wie ein „Krieg, der ein Recht, Vater und König
-aller Dinge ist“. „Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König. Und
-die Einen macht er zu Göttern, die Anderen zu Menschen, die Einen zu
-Sklaven, die Anderen zu Freien.“ So bildet das Psychisch-Wesentliche
-in Heraklits Lehre die rastlose Tätigkeit der Seele auch im Kleinsten
-der Welt, wodurch alles, wie es entsteht, sofort vergeht, so daß alles
-ist und auch nicht ist. Der Begriff des Lebens ist der absoluter
-Veränderung. Nach solcher steckt im Seelen-Feuer ein stetes,
-unstillbares Verlangen. Und wie die Veränderungen nach der einen
-Richtung gehen, geschehen sie auch nach der entgegengesetzten: „Des
-Feuers Verwandlungen sind zuerst Meer, des Meeres zur Hälfte Erde, zur
-Hälfte Feuer.“ „Für die Seelen ist es Tod: zu Wasser werden, für das
-Wasser Tod: zu Erde werden. Aus Erde wird Wasser, aus Wasser Seele.“
-„Verbindungen sind: Ganzes und Nichtganzes, Eintracht und Zwietracht,
-Einklang und Mißklang, und aus Allem Eins und aus Einem Alles.“ „Der
-Gott ist Tag-Nacht, Winter-Sommer, Krieg-Frieden, Überfluß-Hunger.“
-„Gut und Schlecht ist eins.“ Ganz rein psychisch scheint die Anschauung
-Heraklits nicht gewesen zu sein. Daß noch eine „verborgene Harmonie“
-angenommen wird, die die Gegensätze immer ausgleicht, kann eine
-Eigenheit der Weltseele bedeuten, wie ja auch die Menschenseele sich
-in sich immer ausgleicht, daß trotz der vielen und stetig wechselnden
-Tätigkeiten die Einheit gewahrt bleibt. Allein es wird auch von
-göttlichen Gesetzen, von Weisheit, Vernunft, ja von Verhängnis --
-die Heimarmene --, von Zeus als dem Regenten über alles gesprochen,
-insgesamt von Prinzipien, „daß das Urwesen nach festen Gesetzen sich in
-alle Dinge umsetze und aus ihnen wieder zurücknehme“. „Denn die Sonne
-wird ihre Maße nicht überschreiten, ansonst werden sie die Erinnyen,
-der Dike (als Weltordnung) Schergen ausfindig machen.“ Davon handeln
-wir später. Ebenso von den hohen Anschauungen des Anaxagoras und
-anderer, da sie über das rein Psychische bereits hinausragen.
-
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-VIERTES KAPITEL.
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-Pythagoras, Anaxagoras, Sokrates, Platon, Aristoteles.
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-27. ~Anschauungen aus Gesetz, Harmonie, Weltvernunft, Ideen und Formen.~
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-Der Leser wird mir in den späteren Auseinandersetzungen leichter folgen
-können, wenn ich, die bisherige Systematik scheinbar, jedoch nur
-scheinbar, unterbrechend, zuvor von den Anschauungen spreche, die sich
-an die Namen in der Kapitelüberschrift knüpfen.
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-~Pythagoras~, aus Samos (etwa 571-497 v. Chr.), gehört zu den
-geheimnisvollen Gestalten des Griechentums; und so rätselvoll wie er
-sich darstellt, sind auch seine und seiner Schüler, der ~Pythagoreer~,
-Lehren, mit denen sich schon die Alten abgemüht haben, und die wir
-fortwährend wieder aufgenommen finden. Das Wesentlichste aus diesen
-Lehren verdanken wir hier, wie in so vielen anderen Gebieten, den
-Mitteilungen des Aristoteles. Originales scheint von ~Philolaos~
-(S. 242) überliefert zu sein. Alle Dinge in der Natur bestehen aus
-Begrenzendem und Nichtbegrenztem, „wie denn auch die ganze Weltordnung
-(κόσμος) und alles in ihr aus diesen beiden besteht“. Das Begrenzende
-wird als Punkt oder Punkte aufgefaßt; und sofern jeder Punkt eine
-Einheit bildet, heißt es das Eins und, weiter gedehnt, die Zahl.
-Diese sei das Wesen aller Dinge. „Und in der Tat hat ja alles, was
-man erkennen kann, eine Zahl. Denn ohne sie läßt sich nichts erfassen
-oder erkennen.“ Das Nichtbegrenzte ist, was zwischen den begrenzenden
-Einheiten sich befindet, wie beim Klang das Intervall, bei den Körpern
-die Leere zwischen den einzelnen Punkten. Und so bestehe alles aus
-den Gegensätzen des Begrenzenden und des Nichtbegrenzten, das die
-Pythagoreer auch durch Grade und Ungrade arithmetisch symbolisierten.
-Entstanden nun sei die Welt an sich nicht, sondern nur nach der
-menschlichen Denkweise. Von je sei das ~Ureins~, das Ungrade, gewesen
-und das ~Leere~. Indem dieses Ureins das Leere an sich und in sich sog,
-zerging es in eine Vielheit von Einsen, die durch das Leere getrennt
-wurden. Und so seien die Dinge der Welt gegeben. Das Ureins war also
-eigentlich eine lückenlos zur Einheit zusammengezogene Vielheit. Da
-die Punkte mathematisch angesehen wurden, so konnte diese Urvielheit
-auch als Urpunkt bezeichnet werden, denn sich berührende Punkte, selbst
-in unendlicher Zahl, geben immer nur einen Punkt. Die Dinge entstehen
-erst durch das Zwischentreten des Nichtbegrenzten, der Leere, des
-Intervalls. Daher wird das Ureins „als Grund aller Dinge, als Gott
-gepriesen, welcher alles lenke und führe, ein einiger und ewiger,
-bleibend und unbewegt, sich selbst gleich und verschieden von allen
-anderen Dingen“. Denn alle anderen Dinge enthalten ja noch ein anderes,
-das Leere. Und die Weltentstehung und Weltentwicklung beruht auf einem
-An- und Einatmen des Leeren durch das Ureins, auf einem Lebensprozeß.
-„Das Eins (τὸ ἕν auch ἥ μονάς) ist aller Dinge Anfang.“ So ist die Welt
-dualistisch erwachsen und dualistisch gedacht; das absolut vollkommene
-Ureins ist ihr einer Teil, das völlig negierende Leere der andere
-Teil. Darum die Unvollkommenheit der Welt. Die Verschiedenheit der
-Dinge folgt aus der Verschiedenheit der Menge des Leeren, die sie
-enthalten, wie die Verschiedenheit der Klänge aus der Verschiedenheit
-der Intervalle zwischen den Tönen.
-
-Um auch die Ordnung der Welt zu erklären, gingen die Pythagoreer von
-dem Prinzip aus, daß schon das Eins die Verbindung der Gegensätze
-enthalte, denn zu Gradem addiert gibt es Ungrades, zu Ungradem Grades;
-es vereinige in sich das Wesen des Graden und des ihm entgegengesetzten
-Ungraden. In dieser Vereinigung liege die Grundharmonie. Und so
-seien die Zahlen nicht bloß das Wesen der Dinge, sondern auch das
-Wesen ihrer Zusammenstimmung, die ~Harmonie~. Das Leere aber bedinge
-die Gegenstimmung, die Disharmonie. Zwei Töne für sich wären stets
-harmonisch; nach Maß der Leere zwischen ihnen, ihres Intervalls,
-können sie harmonisch bleiben wie in der Oktave, Quinte usf., oder
-disharmonischen Klang geben, wie in der Sekunde, Septime usf. Im ganzen
-wäre aber die Welt nach bestimmten Zahlenverhältnissen geordnet. „Denn
-nichts von den Dingen wäre irgendwem klar, weder in ihrem Verhältnis
-zu sich noch zu anderen, wenn die Zahl nicht wäre und ihr Wesen.“ So
-richtig der letztere Gedanke an sich ist, so übertrieben verfolgten
-ihn die Vertreter dieser Lehre, die schließlich alles in der Welt
-durch Zahlen ausdrücken zu können glaubten, selbst Begriffe und
-konkrete Gegenstände. In letzterer Hinsicht ist bekannt, wie sie durch
-Zahlenverhältnisse die fünf regelmäßigen Körper: Kubus, Pyramide,
-Oktaeder, Ikosaeder, Dodekaeder, daraus die fünf antiken Elemente:
-Erde, Feuer, Luft, Wasser, Äther, letzteres das „Lastschiff“ der
-Weltkugel, darstellten. Und so hatten sie eine gewaltige Ehrfurcht vor
-den Zahlen, und die Vierzahl (Tetraktys), der sie eine ganz besondere
-Bedeutung beimaßen, war ihnen sogar „die Quelle der nimmer versiegenden
-Natur“.
-
-Das vornehmste, ursprünglichste und eigentlichste Element des Lebens
-ist das Feuer. Es befinde sich in der Mitte der Welt, strahle von
-da in die ganze Welt aus und ernähre so die ganze Welt und halte
-sie zusammen. Um dieses Zentral~feuer~ (die Hestia, die Burg
-des Zeus) drehen sich die zehn Sphären, nämlich, von außen nach
-innen, der Fixsternhimmel, die fünf Planeten (Merkur, Venus, Mars,
-Jupiter, Saturn), Sonne, Mond, Erde und Gegenerde. Die Gegenerde
-(ἀντίχθων) ist eingeführt, um die heilige Zahl Zehn zu erhalten,
-die „alles vollendend, alles wirkend und Anfang und Führerin des
-göttlichen, himmlischen und menschlichen Lebens“ ist. Die leuchtenden
-Gestirne strahlten entweder das Licht der Sonne zurück oder das des
-Zentralfeuers. Letzteres gelte insbesondere von der Sonne, die einem
-spiegelnden Kristall zu vergleichen sei. Zwischen den Abständen der
-Sphären und ihrer Bewegung herrsche musikalische Harmonie; und indem
-jede Sphäre durch ihre Schwingung einen Ton erzeuge, erklänge die Welt
-in der berühmten ~Sphärenharmonie~, die wir nicht wahrnähmen,
-entweder weil die Töne für unsere Wahrnehmung zu hoch liegen, oder weil
-wir sie ständig in gleicher Weise hören. Über der ganzen Welt und sie
-umgebend sei wieder das Feuer. An der Unvollkommenheit der Erde liege
-es, daß wir vom Zentralfeuer nichts direkt bemerkten, sondern unter
-Vermittlung der anderen Weltkörper, welche von ihm Strahlung erhielten.
-Diese anderen Weltkörper werden dann auch für vollkommener als die Erde
-angesehen, so auch als von vollkommeneren Wesen bewohnt. Die Welt aber
-ist einheitlich, und von der Mitte aus begann sie zu entstehen.
-
-Kaum eine Schule ist so konsequent verfahren wie die pythagoreische und
-hat, von trockenen Zahlenbeobachtungen ausgehend (bekanntlich bei den
-Experimenten über die Tonverhältnisse), so phantasievolle Vorstellungen
-entwickelt. Ihr Weltgebäude ist kühn und schön entworfen, und seine
-Entwicklung aus Punkt und Leere ist groß erdacht. Und Pythagoras soll
-ja zuerst für die Welt die Bezeichnung Kosmos benutzt haben, was
-Schmuck, Ordnung und Schönheit bedeutet. Wie die Pythagoreer, deren
-bedeutendste ~Philolaos~ und ~Archytas~ (beide etwas älter als Platon)
-waren, ihre Ideen bis in die feinsten Regungen der Seele harmonisch
-verfolgten, gehört nicht hierher. Die Seele selbst scheinen sie für
-die Harmonie des Körpers gehalten zu haben. Doch unterschieden sie
-die animalische Seele, mit dem Sitz im Herzen, von der Vernunft,
-deren Wurzel im Gehirn liegt. „Hirn ist das Prinzip des Verstandes
-(νοῦς), Herz das des Lebens (ψυχή) und der Empfindung (αἴσθησις)“. Von
-einer dritten Seele, im Nabel, ließen sie Wachstum und Fortpflanzung
-abhängen. Von einer vierten, im Schamglied, Zeugung. Wegen der
-pythagoreischen Seelenwanderung darf ich auf Früheres verweisen (S.
-217).
-
-Wie bei den Pythagoreern die Harmonie die Welt durchdringt, so bei
-~Anaxagoras~ aus Klazomenai (um 500 bis 428 v. Chr.), dem Freunde
-des Perikles und der Aspasia, die ~Weltvernunft~ (Nus, νοῦς). Es ist
-freilich nicht sicher, daß er diese Vernunft durch die ganze Materie
-verbreitet sich gedacht hat. Indessen wirkt sie unmittelbar auf die
-Materie ein. Diese ist ursprünglich, wie bei Anaximandros, eine
-regellose Mischung aller möglichen Dinge. Die Weltvernunft aber bringt
-in dieser Mischung eine Wirbelbewegung hervor, die sich weiter und
-weiter ausbreitet, indem sie sich zugleich erhält. Durch die Bewegung
-aber wird Verwandtes zusammengeführt, Verschiedenes getrennt; so
-entstehen die Dinge. Verbindung und Scheidung ist niemals vollständig,
-sondern nur mehr oder weniger vollständig, so daß jedes Ding von allen
-Dingen an sich etwas enthält; nur von gewissen mehr, von anderen
-weniger, wodurch seine Art bestimmt ist. Z. B. besitze der weiße Schnee
-auch ein Dunkles, denn er löse sich im dunklen Wasser dunkel auf. Die
-Gesamtheit aber kann sich weder vermindern noch vermehren, sondern
-alles bleibt stets gleich. Ein ganz modernes Prinzip! „Der Geist ist
-unendlich und nach eigener Wahl herrschend, und vermischt ist er mit
-keinem Dinge (wiewohl in einigen Dingen enthalten), sondern allein
-selbst ist er für sich“, sagt der Philosoph. Der Geist ist nicht nur
-Ursache des Beginnes der Weltbildung, sondern auch der Entwicklung
-der Welt, ihrer Ordnung, er ist der „Wächter“ der Welt, „er bewege
-und ordne nicht nur das Vergangene, sondern auch das Gegenwärtige
-und Zukünftige“. Schöpfer ist er nicht, die Materie besteht neben
-ihm von je, nicht einmal ihre Bestandteile vermag er zu ändern. Ja
-selbst die Bewegung und Entmischung beherrscht er nur teilweise, da
-diese auch von der Natur der Materie abhängt. Er kann sein Streben nur
-angenähert durchführen. Und so ist die Welt nur im großen und ganzen
-durch ihn geordnet. Daher wohl das Unvollkommene. „Da der Geist anfing
-(„von einem gewissen kleinen Punkte aus“) zu bewegen, sonderte er aus
-dem bewegten All; und so viel der Geist bewegte, alles dieses wurde
-ausgeschieden. Der bewegten, aber ausgesonderten, Dinge Umkreisung
-machte noch um vieles mehr ausscheiden.“ Also die Welt bildet sich
-nach dem Anstoß auch selbst weiter; wiederum ganz modern gedacht!
-Die Griechen aber sahen in seinem Dualismus und der halben Macht der
-Weltvernunft einen erheblichen Mangel seines Systems. Anaxagoras war
-Physiker, Mechanist, nebenbei auch Theosoph. Als solchem werden wir
-ihm noch begegnen. Die Athener nahmen ihm seine Indifferenz gegen die
-Götter übel, die schon aus der halben Wirksamkeit selbst der Vernunft
-folgt; und weil er auch die Gestirne für Steine (von der Erde durch
-die Wirbel losgerissen oder im Äther durch die Entmischung entstanden)
-erklärte, verfiel er der bösen Anklage der Gottlosigkeit, die selbst
-einem Sokrates das Leben kostete. Er mußte trotz des Schutzes des
-gewaltigen Perikles fliehen. ~Euripides~ soll sein Schüler gewesen sein.
-
-Es ist bekanntlich noch nicht gelungen, mit Sicherheit festzustellen,
-was ~Platon~ (427-347 v. Chr.) unter den „~Ideen~“ (εἶδος, ἰδέα)
-verstanden hat, und der Auffassungen gibt es gar viele. Ihre
-Konzeption verdanken die Ideen offenbar der Erkenntnis, daß trotz des
-Mannigfaltigen gewisse Züge ganzen Klassen von Dingen und Erscheinungen
-gleicherweise zukommen. Rein dialektisch wäre also eine Idee das in
-einer Mannigfaltigkeit Gemeinsame. So bedeutete die Idee jedoch nur
-ein Abgezogenes, einfach einen Denkakt ohne jede Realität. Das ist
-aber nicht Platons Meinung. Zunächst behandelt er die Ideen als vor
-der Welt Vorhandenes. Im Timaios heißt es, indem von der Bildung der
-Welt durch Gott (Zeus) gesprochen wird: „So ist denn jene (die Welt)
-nach dem Urbilde dessen entstanden, was der Vernunft und Erkenntnis
-erfaßbar ist und beständig dasselbe bleibt. Schreiten wir nun auf
-diesen Grundlagen zur Betrachtung dieser unserer Welt fort, so ist
-sie eben hiernach ganz notwendigerweise ein Abbild von etwas Ewigem.“
-Dieses „Ewige“, oder auch die „ewigen Götter“, sind eben die Ideen, die
-also vor der Welt vorhanden sein mußten, wenn die Welt ihr Nachbild
-sein sollte. Und von ihnen, als dem „Vorbilde“ (παράδειγμα, Paradigma)
-heißt es weiter: „Von allem nun, was zur Gattung der Teile gehört,
-werden wir sie mit ~Nichts~ in Vergleich bringen wollen, denn was dem
-~Unvollkommenen~ (eben als Teil) gleicht, das kann nicht schön sein.
-Wohl aber werden wir sie ~demjenigen~, wovon die übrigen lebendigen
-Wesen (nämlich nach Platons panpsychistischer Ansicht alle Wesen
-überhaupt) als Einzelne und nach ihren Gattungen bloße Teile sind, als
-am allerähnlichsten setzen“. Im weiteren Verlauf des Gesprächs, an das
-wir uns vorläufig halten, wird dann untersucht, „ob es ein Feuer an und
-für sich gibt und überhaupt alles übrige, wovon wir ein jedes so als
-an und für sich seiend zu bezeichnen pflegen. Oder aber, ob nur das,
-was wir sehen und was wir sonst mit den Sinnen des Körpers wahrnehmen,
-bereits die Wahrheit bedeutet, die wir suchen, und einzig und allein
-Wahrheit hat, und es außerdem schlechthin nichts anderes gibt. So daß
-es nur ein eitler Wahn von uns wäre, wenn wir jedesmal von einem jeden
-Dinge eine nur dem Denken erfaßbare Idee als das Seiende annehmen,
-und dieselbe nichts als ein Name wäre.“ Man kann die Aufgabe nicht
-schärfer stellen. Und Platon entscheidet sich, daß zugestanden werden
-müsse: „das Eine sei die stets auf dieselbe Weise sich verhaltende
-Art, ~unerzeugt~ und ~unvergänglich~, weder in sich ein Anderes von
-anderswoher aufnehmend, noch selber in irgendein Anderes ausgehend,
-unsichtbar und auch sonst mittelst der Sinne nicht wahrnehmbar, das,
-dessen Betrachtung dem vernünftigen Denken zuteil geworden ist. Das
-~Zweite~ aber, jenem gleichnamig und ähnlich, sei sinnlich wahrnehmbar,
-erzeugt, in steter Bewegung, entstehend an einem Ort und wieder von da
-verschwindend.“ Andere Äußerungen Platons in anderen seiner Gespräche
-stimmen damit im wesentlichen überein, daß die Ideen das An-sich-
-und Für-sich-Seiende (οὐσία, αὐτοζῶον) und zugleich, als Urbilder
-(~Paradigmen~) der Dinge, das An-sich dieser Dinge, überhaupt von Allem
-seien. Und indem jede Idee eine Klasse von Dingen in sich verkörpert,
-ist sie eine Einheit, eine Henás oder Monás. Unter diesen Ideen scheint
-Platon eine Rangstellung anerkannt zu haben, vermöge deren sie einander
-untergeordnet, übergeordnet und beigeordnet sind. Ja, indem er von der
-mitgeteilten Behauptung, daß jede Idee für sich sei, abgeht, bringt
-er die Ideen selbst miteinander in Verbindung, so daß in einer Idee
-auch mehrere Ideen sich abspiegeln können und in der Vorstellung jede
-ein Vieles zu sein vermag, wodurch auch die sinnliche Mannigfaltigkeit
-erklärt ist.
-
-Die Nachbilder der Ideen sind in etwas ausgeprägt, das am besten wohl
-mit dem Heraklitischen Apeiron, dem unbegrenzten Etwas, verglichen
-wird. Es ist nicht, was wir Materie heißen. Platon nennt es die
-„~Gattung des Raums~“, „dem Untergange nicht unterworfen, welche
-allem, was ein Werden hat, eine Stätte gewährt, selbst aber den
-Sinnen unzugänglich ist, auch vom Geiste nur sozusagen durch einen
-erschlichenen Schluß erfaßt und kaum zuverlässig bestimmt wird,
-die, welche wir auch im Auge haben, wenn wir träumen, es müsse doch
-notwendig das, was ist, an einem Orte sein und einen Raum einnehmen;
-was aber weder auf der Erde noch sonst im Weltall sich befinde,
-sei überhaupt gar nicht vorhanden“. Dieses also Geträumte ist nach
-Platon auch das „Nichtseiende“, indem ihm eben nur die Ideen das
-wahrhaft Seiende bedeuten. Es ist auffallend, daß Platon den Raum
-als ein Besonderes denkt, da doch die Zeit als Abbild der Idee
-„Ewigkeit“ erklärt wird. Warum ist nicht der Raum ein Abbild der Idee
-„Unbegrenztheit“? Ist der Raum der Ort der Äußerungen (Bilder) der
-Ideen, so gibt die ~Seele~ die Verbindung zwischen diesen Bildern
-und den Ideen. Sie wird hiernach die Vorstellung dieser Ideen sein
-und zugleich das deren Abbilder Belebende und Bewegende. Sie tritt
-im Einzelnen auf, aber auch als Gesamtseele, ~Weltseele~. Sie wird
-als der Grund aller körperlichen Gestalten bezeichnet und als die
-Herrscherin. Ihr Sitz ist in der Mitte der Welt, die kugelförmig
-gedacht ist; sie zieht sich aber durch alle Dinge, und die Einzelseelen
-sind ihr angehörig. „Und so darf man es denn mit Wahrscheinlichkeit
-aussprechen, daß diese Welt als ein wirklich beseeltes und vernünftiges
-Wesen durch Gottes Vorsehung entstanden ist.“ Weltseelen und
-Einzelseelen werden für Götter (zu diesen sind auch die Gestirne als
-selige Wesen, „sichtbare Götter“, und die Götter der Volksreligion
-gezählt) und Menschen von Gott selbst geschaffen, für Tiere, Pflanzen
-und andere Dinge von den Göttern. Doch wird auch gesagt, die Seelen
-seien von je. Davon und von ihren Wanderungen ist bereits gesprochen
-(S. 217 f.). Die Umgebung der Seelen mit dem Leibe erfolgt durch die
-Götter, wenn es nicht, wie es auch den Anschein hat, durch die Seelen
-selbst, wenigstens durch die Weltseele, geschieht. Und indem die Seelen
-das Ewige sind und dem wahren Sein so nahe stehen, haben sie im Leben
-dem Werden und Vergehen, dem Einstürmen der Veränderungen Widerstand
-zu leisten, um ihre ewige Göttlichkeit zu wahren. Das würde freilich
-dem, daß die Seelen auch das Bewegende sein sollen, widersprechen, wenn
-nicht die von der Seele stammende Bewegung ein anderes bedeutet, als
-die von außen kommenden Veränderungen, vielleicht die innere Bewegung
-der Triebe, Gedanken und Gefühle. Dann wären die Veränderungen in
-dem „Raum“ begründet. Und dieser müßte doch etwas mehr bedeuten als
-bloß ein Nichtseiendes, zumal er ungeschaffen neben Gott bestehen und
-dessen Wirken auf Vollkommenheit hinderlich sein soll, daß die Welt nur
-unvollkommen aus den Händen des höchsten Werkmeisters hervorgeht. Trotz
-der Allmacht dieses Werkmeisters und der absoluten Vollkommenheit der
-Vorbilder, der Ideen.
-
-Eine weitere Schwierigkeit besteht in dem Verhältnis der Seele zu der
-Ideenwelt. Sie soll in diese Welt hineinragen. Ist sie geschaffen, so
-kann sie selbst nur Abbild einer Idee sein, also von den Ideen keine
-vollkommene Kenntnis erreichen. Besteht sie seit je, so ist nicht
-zu begreifen, wie sie in ein Abbild der Ideen gerät, da die Ideen es
-doch nicht tun. Und noch weniger, wie sie aus den Abbildern der Ideen
-Kenntnis von den letzteren erlangen soll, da doch die ganze Kenntnis
-nur die aus den Abbildern geschöpfte sein kann, also unvollkommen und
-schattenhaft. Indessen wird auch gesagt, die Seele kenne die Ideenwelt
-aus ihrer Existenz außerhalb des Körpers, und im Leben erinnere sie
-sich dieser Welt (S. 225 f.). Das ist aber doch nur ein Notbehelf,
-trotz dessen ~Ontologie~ und ~Ideologie~ unvermittelt bleiben. So
-ist in Platons Lehre so manches unverständlich und einiges mit
-anderem nicht zu vereinen. Der große Mann hat in seinem langen Leben
-wahrscheinlich seine Ansichten nicht immer festgehalten oder gegenüber
-weiteren Überlegungen nicht immer festhalten können. Und eine letzte
-Zusammenfassung seines Systems besitzen wir nicht. Er hat wohl auch ein
-festes System gar nicht geben wollen. Denn sein eigentliches Bemühen
-gehörte der Sokratischen Ethik an. Das Gute und das Schöne sind ihm die
-eigentlichen Ideen, beide sogar die Gottheit selbst. Und so knüpft sich
-an seinen Namen der ~Sokratische Idealismus~ in seiner eingreifendsten
-Bedeutung. Wir aber haben zunächst seine Reihe: Gott, Ideenwelt, Raum
-(auch Materie), Weltseele (auch Einzelseelen), Welt (mit Einzeldingen).
-Die Welt ist durch die Ideenwelt bestimmt. Gott schafft nach der
-Ideenwelt, er schafft auch die Seelen. Ist der Raum bedeutungslos, so
-bildet das Ganze eine Art Monismus. Allein das geht wohl zu weit, kaum
-kann man in Platons Lehren auch nur einen Dualismus mit Sicherheit
-anerkennen. Plutarch freilich, in seinen Lehrmeinungen der Philosophen,
-sagt: „~Sokrates~, des Sophroniskos Sohn, und ~Platon~, Aristons Sohn,
-haben über das All gleiche Meinung. Sie geben drei Prinzipien an: Gott,
-die Materie und die Idee. Gott ist nämlich der Verstand, die Materie
-der erste Gegenstand des Entstehens und Vergehens, und die Idee ein
-unkörperliches Etwas, das in den Gedanken und Vorstellungen Gottes
-existiert. Gott aber ist die Seele der Welt“. Er meint also in der Tat
-einen Dualismus, indem er die Ideen und die Weltseele in Gott verlegt
-oder als Emanationen Gottes ansieht und neben Gott die Materie bestehen
-läßt. Nach Xenophon hat übrigens ~Sokrates~ es absichtlich vermieden,
-über das Weltganze zu sprechen, und sogar diejenigen für Toren erklärt,
-die darüber grübeln, da noch so viel über den Menschen selbst zu denken
-sei. In seinen späteren Jahren muß Platon die Einfachheit der Ideen
-aufgegeben haben. Pythagorisierend nahm er sie als zusammengesetzt
-an aus dem Eins, als dem Guten, und aus dem Unbegrenzten -- dem
-Großen und dem Kleinen. Das soll wohl heißen, daß jede Idee in sich
-ein unterschiedsloses Gutes einheitlich darstellt, das in seiner Art
-allumfassend ist. Das Umfassende als „unbestimmte Zweiheit“ angesehen,
-wäre jede Idee Einheit und Zweiheit. Diese Darstellung ist von anderen
-übernommen, wir werden ihr wieder begegnen (S. 256).
-
-Platons Schule ist die ~Akademie~, zu der viele hervorragende Männer
-gehörten, die jedoch mehr und mehr in pythagorisierende Zahlenlehre
-verfielen, wie ~Speusippos~, der unmittelbare Nachfolger Platons, alles
-aus Eins und der Vielheit abzuleiten suchte, ohne dabei die Weltseele
-und die Idee des Guten aufzugeben, und ~Xenokrates~, dem das Eins
-oder das Ungrade und das Zwei oder das Grade „Vater“ und „Mutter“ der
-Götter waren, das Eins sogar dem Zeus und dem Nus gleichkam. „Indem zu
-der Zahl das Selbige und das Andere hinzutritt, entsteht die (Welt-)
-Seele.“ Die Kräfte der Natur waren ihm Götter. Die Zahlenangaben sind
-symbolische Ausdrucksweisen, deren Verständnis sich uns meist entzieht.
-Von den Neuplatonikern sprechen wir später. Über Weltzeitalter,
-Seelenwanderung und den Platonischen Ideen ähnliche Dinge bei anderen
-Völkern ist bereits gesprochen (S. 226).
-
-Der größte Schüler des Platon, der große ~Aristoteles~ (384-322 v.
-Chr.), der Sohn des Nikomachos, hat die Lehren seines Meisters vielfach
-sehr scharf kritisiert. Er hat sie auch zu verbessern gesucht. Die
-~Formen~ (εἶδη) der Dinge entsprechen den Platonischen Ideen. Sie sind
-aber bei ihm nicht Wesen für sich, sondern nur das, was die Dinge als
-solche ausmacht. Alle Dinge bestehen zunächst aus Stoff (ὕλη) und Form
-oder Inhalt (μορφή, εἶδος, λόγος, τό τὶ ἐστί usf.). Der Stoff als
-solcher ist nicht die Dinge selbst, wie auch nicht bei Platon, er ist
-eine „erste Materie“. Indem er aber doch Dinge werden kann, muß er dazu
-die Fähigkeit besitzen. So ist er eine ~Dynamis~, eine Möglichkeit,
-~Potentialität~ für Wirkliches. Verwirklicht ist ein Ding in der Form,
-und so bedeutet diese die ~Energie~ oder ~Entelechie~ des Dinges. Und
-sie ist so unveränderlich und ewig wie bei Platon die Idee, nur daß
-sie nicht außerhalb des Dinges etwas, ein Reales, bedeutet. Sie ist
-das, was das Ding zum Dinge macht, also auch dessen Wesen, Begriff und
-Endzweck. „Wenn etwas wird, so wird es nicht nur aus etwas, sondern
-~durch~ etwas“, heißt es in der „Metaphysik“. Auch der Stoff ist ewig;
-er soll auch das Unausweichliche, die ~Ananke~, einbegreifen und den
-Zufall, die Tyche, und darum die Unvollkommenheit der Welt bedingen,
-die Platon in dem „Nichtseienden“ des Stoffes sah. Die Form muß Macht
-haben, den Stoff sich zu unterwerfen. Diese Macht aber wird nicht aktiv
-in der Form gesucht, sondern passiv in dem Stoff, dem ein Verlangen
-(ὁρμή) nach der Form zugeschrieben wird. Das wäre eine dritte Eigenheit
-des Stoffes. Aristoteles faßt also den Stoff realer auf als Platon.
-Indessen kann etwas Stoff mit Bezug auf Eines und Form mit Bezug auf
-ein Anderes bedeuten. So ist Erz Stoff einer Bildsäule, Form aber mit
-Bezug auf die Teile, aus denen es gewonnen ist; dadurch verläuft alles
-freilich ins Begriffliche. Aus Form und Stoff gehen, wie die Dinge, so
-auch die Veränderungen hervor; diese sind Wirklichkeiten von Möglichem
-und als solche gleichfalls Energien oder Entelechien. Das Verändernde
-ist die Form, das Veränderte der Stoff.
-
-Die Veränderung ist so anfang- und endlos wie Form und Stoff. Daher
-(?) muß es ein unveränderliches Veränderndes (unbewegtes Bewegendes)
-geben, also eine Form ohne Stoff, eine reine Aktualität, die, als ohne
-Stoff, auch das absolut Vollkommene ist. Diese Form ist der ~Geist~
-(νοῦς), die ~Gottheit~, die allumfassende, absolute ~Vernunft~, die
-in unaufhörlichem Sich-selbst-Denken (θεωρία) das „Denken des Denkens“
-ist; eine Wendung, die Andere viel benutzt und auch mißbraucht haben.
-Diese letzte Form ist nur in sich tätig; sie wirkt aber durch ihre
-Anwesenheit, daß alles ihr zustrebt, und bedingt dadurch das Leben der
-Welt in seiner bestimmten Ordnung. „Einen auf die Welt gerichteten
-göttlichen Willen, eine schöpferische Tätigkeit oder ein Eingreifen
-der Gottheit in den Weltlauf hat Aristoteles nicht angenommen“, sagt
-Zeller. Man sieht, die ganze Anschauung ist höchst mechanisch, im
-Grunde ist die letzte Form auch überflüssig; sie besagt ja nur, daß
-das Leben der Welt einen bestimmten Lauf von Ewigkeit zu Ewigkeit
-hat. Und so gehörte diese Lehre sachlich nicht hierher, wenn es sich
-nicht sonst empfohlen hätte, sie an Platons lebendige Ideenlehre
-anzuschließen. Auch ist die Stellung des νοῦς, nachdem dieser einmal
-angenommen ist, in der Tat die einer besonderen Gottheit, die nur
-als solche mit der Welt aktiv nichts zu tun hat. Diesen Mangel der
-Gottheit, wenn er ein solcher ist, ersetzt Aristoteles durch Einführung
-der „~Natur~“ (φίσις), die für Leben und Sein in der Welt den Grund
-abgibt, wie eine wirkliche Kraft. Vielleicht hat Aristoteles doch die
-reine Passivität Gottes verlassen und Gottes Vernunft als Weltvernunft
-aufgefaßt. Allein Aristoteles sagt, die Natur sei nicht göttlich (οὔ
-θεία), sondern dämonisch (δαιμονία), sie wirke wie eine nach unbewußten
-Trieben handelnde Künstlerin. Gleichwohl ist seine Anschauung, wie die
-Platons und vieler Philosophen vor und nach ihm, eine ~zweckheitliche~,
-~teleologische~. „Die Natur tut nichts zwecklos“, „sie strebt immer
-nach dem Besten“, „sie macht nach Möglichkeit immer das Schönste“. Und
-insofern die Natur die Welt selbst mit allen Geschehnissen ist, liegt
-die Teleologie in ihr. Ihre Entwicklung ist durch sie selbst bestimmt.
-Das wäre durchaus modern gedacht. Noch sei erwähnt, daß Aristoteles
-als drittes Prinzip den Dingen die ~Beraubung~, ~Privation~ (στέρησις)
-zuschreibt, sicher um die Verschiedenheiten der Dinge dialektisch zum
-Ausdruck zu bringen. Und er denkt sich die Dinge in der Tat auch der
-Art nach verschieden und meidet die mathematischen Konstruktionen der
-Pythagoreer und Platons, sowie die Ableitungen der Atomisten, die wir
-noch kennen lernen werden.
-
-Die Welt hat bei Aristoteles Kugelform; in der Mitte ruht die Erde,
-der Himmel dreht sich in stets gleicher Weise. Alles an diesem ist
-viel vollkommener als auf der Erde, die Gestirne sind vollkommenere
-Wesen als selbst der Mensch. Es gibt einen oberen Himmel der Fixsterne
-und untere Himmel der Planeten. Außer der allgemeinen Bewegung des
-oberen Himmels, der diese unteren Himmel mitführt, haben diese auch
-noch eigene Bewegungen; schwingende und neigende, eben zur Erklärung
-der scheinbaren Bewegungen der Planeten, zu denen auch Sonne und Mond
-gezählt werden. Eine ähnliche Anordnung nimmt auch Platon an, und zwar
-von der Erde aus: Mond, Sonne, Merkur (Stilbon), Venus (Heosphoros),
-Mars (Pyroeis), Jupiter (Phaethon), Saturn (Phainon), Fixsterne. Im
-übrigen ist alles in der Welt möglichst konzentrisch kugelförmig
-geordnet, wie auch die Bewegung der Sphären kreisförmig sich darstellt
-und die Elemente kugelig sich übereinander lagern (Erde, Wasser, Luft,
-Feuer, Äther). In Aristoteles Ansichten liegt es, daß das Bessere
-immer das Schlechtere regiert. So hängen die Winde der Luft von den
-Gestirnen ab, die Wogen des Meeres von den Winden. Je mehr die Zahl der
-Regierenden wächst, desto geringere Einheitlichkeit; und so herrscht in
-allem auf der Erde die größte Unordnung, und diese nimmt ab, je höher
-wir steigen. Aristoteles sah darum auch diejenigen Gestirne als die
-ferneren an, die die geordneteren Bewegungen aufweisen, die Fixsterne
-also als die fernsten. Die Sonderbewegungen der Planeten werden schon
-von Platon und Früheren durch Einführung weiterer Sphärendrehungen
-erklärt. Mit der Fixsternsphäre wird die Zahl aller erforderlichen
-Sphären von Eudoxos auf 23, von Kallippos und Aristoteles auf 34
-geschätzt. Da aber jede höhere Sphäre jede tiefere in ihre Bewegung
-hineinziehen müßte, sind noch 22 Sphären angenommen, die sich entgegen
-jenen drehen. Insgesamt hat man so 56 Sphären. Jede Sphäre muß von
-einem unkörperlichen und unbewußten Geist bewegt werden, davon also
-56 vorhanden sind, zu denen eben die Gestirne zählen. Dieses System,
-in Verbindung mit pythagoreischen Harmonielehren, hat wohl Cicero
-vorgeschwebt, als er seinen wunderlichen Aufsatz „Scipios Traum“
-schrieb. Die Welt ist ewig von je in je, und, indem auch die Formen
-ewig sind, hat es die gleichen Dinge, zum Beispiel Menschen, immer
-gegeben, wie auch Platon annimmt, trotz der stetigen Entwicklung nach
-oben. Das Leben der Wesen hat niemand nach der vitalen wie nach der
-geistigen Seite so eingehend zergliedert wie Aristoteles. Das gehört
-nicht mehr hierher. Nur an seine berühmte, aus seiner Formenlehre
-folgende Definition der ~animalen Seele als der Entelechie des
-organischen Körpers~ sei erinnert. Der Mensch besitzt noch einen Geist
-(νοῦς) außerdem, mit der animalen Seele verbunden. Wie, ist nicht zu
-ersehen, zumal vom Geist mindestens ein Teil, der tätige (ἀίδιος), ewig
-sein soll.
-
-Aristoteles’ Schule ist die der ~Peripatetiker~, seine eigentlichen
-Schüler aber hat er im Mittelalter unter den Arabern und
-abendländischen Scholastikern gehabt, bei denen er Jahrhunderte
-hindurch souverän herrschte, bis nach Anbruch der neueren Zeit diese
-Herrschaft unter harten Kämpfen allmählich gebrochen worden ist, ohne
-doch bisher ganz zu verschwinden. Er war eben ein außerordentlicher
-Mann, der auf dem Gebiete der Dialektik Großes und auch als
-Naturforscher höchst Bedeutendes geleistet hat. Er wird uns noch
-oft begegnen, er und sein Lehrer Platon, die eigentlichen Sterne
-griechischer Idealphilosophie.
-
-
-
-
-FÜNFTES KAPITEL.
-
-Anschauungen aus Theosophie, Deismus und Emanismus.
-
-
-Die ~Theosophie~ und die mit ihr meist verbundene ~Emanationslehre~
-beruhen außer auf dem Glauben, wie an einer anderen Stelle bereits
-hervorgehoben, weniger auf logischen Verstandesfolgerungen und auf
-Naturbetrachtungen, als vielmehr auf Eingebungen, innerem Schauen
-(contemplatio), auf Intuition, meist aus dem Fühlen heraus. Es wird
-dieser Intuition, mitunter höchster Phantasie und Verzückung, ihr Recht
-eingeräumt, selbst gegen den Widerstand der kühlen Vernunft. Zugleich
-tritt die irdische Welt als Selbständigkeit in den Hintergrund. Verband
-der Pandeismus Gott mit der Welt, so schließt die Theosophie umgekehrt
-die Welt an Gott an. Gleichwohl neigt sie meist zu einem gewissen
-~Pandeismus~, wofür wir manche Beispiele kennen lernen werden. So ist
-die Theosophie doppeldeutig zu verstehen, als eine Erkenntnis Gottes
-durch die Welt und als eine Erkenntnis der Welt durch Gott; letzteres
-also als eine Erkenntnis, wie Gott sie besitzt, als eine absolute
-Erkenntnis. Fast alle Schulen und Vereinigungen, die sich in dieser
-Weise mit der Theosophie beschäftigt haben und noch beschäftigen, wie
-unsere modernen Theosophen, haben die zweite Art der Erkenntnis in
-ihren wesentlichen Teilen geheim, esoterisch behandelt. So verband und
-verbindet sich mit der Theosophie ein ~Occultismus~, der, soweit er
-an die Öffentlichkeit tritt, naturgemäß als ~Mystizismus~ erscheint.
-Und sie führt zu ~Supranaturalismus~. Ja in den Auswüchsen zu
-~Theurgie~, ~Nekromantie~ und manchem Spuk, den wir vom ~Spiritismus~
-kennen. Es ist auch vielfach das Gebiet der ~Geheimgesellschaften~,
-deren Lehren nur den Eingeweihten, Mysten, Adepten bekannt waren
-oder bekannt sind. Ob die griechischen Mysterien hierhergehören,
-läßt sich nicht feststellen. Da wir nicht mehr sagen können, als wir
-wissen, beschäftigen wir uns hier nur mit den exoterischen Lehren.
-Sie enthalten viel Bedeutendes und Hohes neben manchem, das wir nur
-kopfschüttelnd vernehmen mögen. Ich erinnere aber zum Verständnis des
-Folgenden, namentlich in nichtheidnischen Kreisen entstandenen, daß,
-frei von allem Mystizismus, schon in der Bibel die Wesensgleichheit des
-Geistes des Menschen mit dem Odem Gottes vorgetragen ist. Um solche
-Wesensgleichheiten in allgemeinerem Sinne handelt es sich in allen zu
-beschreibenden theosophischen Anschauungen. Für Gott werden wir auch
-~Urgeist~ setzen.
-
-
-28. ~Orphiker und Neu-Pythagoreer.~
-
-Die ~Orphiker~ sagten: Vom Geiste (ὅλον, Universum) lösten sich, wie
-vom Winde geweht, Stücke ab. Die lebenden Wesen atmeten sie ein und
-würden dadurch zu belebten Dingen. Doch ist uns von den Neu-Orphikern
-manches Ausführlichere überliefert. Nach der sogenannten Rhapsodischen
-Schule ist eine Trias von drei Urwesen vorhanden: Chronos (wohl Zeit),
-Aither (das allgemein Leuchtende), Chaos (wüste Materie). Aus Chronos
-entsteht im Aither ein leuchtendes (silbernes) Ei. Daraus geht der
-Weltschöpfer, als Trias: Phanes-Erikapaios-Metis, hervor. Der erste
-Name hängt mit Leuchten zusammen, der zweite soll Lebensspender
-bedeuten, der dritte tatkräftige Einsicht. Diese Dreigottheit strahlt
-Sonne, Mond und Tag von sich, damit entsteht auch Nacht, dann Uranos,
-Gaia, Kronos und die übliche Götterreihe mit Zeus. Sie führt auch
-den Namen Eros, als schaffende Kraft, Protogonos als Urgeborener,
-Monogenes als Einziggeborener, Dionysos, Pan usf. Zeus verschlingt
-alles mit Phanes zugleich und bringt nun die eigentliche Welt hervor.
-Eine andere Schule stellt an die Spitze ein „Unaussprechbares“, dann
-ein Dreiwesen Chronos--Herakles--Ananke-Adrasteia und Materie als
-Wasser und Erde, alles zusammen wieder eine Dreiheit. Aus dem Dreiwesen
-geht hervor als zweite Trias: Feuchter Äther, unbegrenztes Chaos,
-nebelartige Finsternis. Nun erst entsteht durch das Dreiwesen in dieser
-Trias das Ei, darin der Same aller Dinge, und aus dem Ei, dem Phanes
-entsprechend, das neue weltschöpferische Wesen Protogonos-Zeus-Pan. Der
-Deutung wird durch die Namen nur wenig nachgeholfen. Gruppe glaubt, daß
-einiges auf den Orient, als Heimat solcher Mythen, hinweise, namentlich
-auf Babylon, und er führt die Istar-Tammuz-Sage (S. 197) als Quelle
-an; ich habe nicht recht ersehen können, in welchem Zusammenhange.
-Einiges sei auch wohl im kleinasiatischen Attiskult zu suchen. Pan
-ist in solche kosmogonische Theorien, wie auch in die stoischen, nur
-seines Namens wegen verschlagen, der als „All“ (τὸ πᾶν) übersetzt
-wurde. Tatsächlich ist Pan lediglich Hirtengott, und der Name bedeutet
-nur Hirt (nach Roscher aus Paon zusammengezogen). Die Anordnung in
-Triaden ist eigentlich neu-platonisch, wie wir noch sehen werden; doch
-mag sie auch den orphischen Systemen eigen gewesen sein. Gruppe hält
-es nicht für ausgeschlossen, daß solche Theosophien schon zur Zeit
-der Peisistratiden in Griechenland (Athen) im Schwange gewesen sind.
-Allerdings werden schon von dem behaupteten Lehrer des Pythagoras,
-~Pherekydes~ aus der Insel Syros, ähnliche Theosophien mitgeteilt,
-mit Zeus-Eros, Chronos, Chthonie (Erde) als erste Trias; Feuer, Luft,
-Wasser (alle aus Chronos hervorgehend) als zweite, aus der dann die
-Götter entstehen und die Welt von Zeus-Eros gebildet wird. Auch von
-~Epimenides~ soll etwas Ähnliches gelehrt worden sein. Wir haben es
-weniger mit Philosophen als mit Theologen zu tun.
-
-Die ~Neu-Pythagoreer~, in ihren verschiedenen Lehren, beschäftigten
-sich insgesamt mit den vier Stammannahmen der Tetras: Gott, Seele,
-Materie, Widergott. Einige Schulen vereinigten Seele mit Gott und
-gewannen so die Dreiheit, Trias: Weltgeist, Materie, Widergeist.
-Entzogen andere Schulen auch noch der Materie ihre Neutralität, indem
-sie den Widergeist in sie versetzten, so ergab sich die Zweiheit,
-Dyas, von Geist und Materie, beide aktiv und widerstreitend. In
-letzterem Sinne sprechen sie in Pythagoras’ Zahlenlehre von dem Eins
-als dem Geist und dem Zwei als der Materie, und das Eins sollte das
-Vollkommene, das Zwei das Unvollkommene sein. Aber das Zwei muß
-zugleich das dem Eins Widerstreitende bilden, sonst ist das Übel in
-der Welt nicht zu erklären. Gleichwohl beherrscht das Eins das Zwei;
-absolut als Urgeist, weniger vollkommen als Seele. Die lebenden Wesen
-haben nun teil am Urgeist als Seele oder Geist und an der Materie,
-samt deren Widergeist. Wie sich aber in ihnen Geist und Widergeist
-bekämpfen, ist nicht recht ersichtlich; nur scheint strengste Ethik
-und Askese als Wirkerin gegen den Widergeist betrachtet zu sein, die
-den Geist frei macht und ihn in seiner Göttlichkeit erscheinen läßt.
-Der seltsame Wundermann ~Apollonios~ von ~Tyana~ (4 v. Chr. bis 96
-n. Chr.), dessen Leben ~Philostratos~ beschrieben hat, gehört den
-Neu-Pythagoreern an. In seinem Wesen gemahnt er sehr an die indischen
-Asketen, die sich sogar Macht über den Beschluß der Götter zuschrieben,
-und die Götter durch Buße und inniges Gebet zwingen zu können glaubten,
-wie unsere Gesundbeter der „Christian Science“. Der Neu-Pythagoreismus
-ist mit Platonischen Lehren durchsetzt und geht schließlich in den
-Neu-Platonismus über. Aber auch stoische Elemente sind ihm nicht
-fremd. Denn manche Neu-Pythagoreer vereinigten Geist und Materie zu
-einer Unität, gleich derjenigen der Stoiker, und unterschieden sich
-von diesen im Grunde nur noch durch das Mystische und durch ihren Hang
-zur Weltentfremdung und Selbstkasteiung. Ihrem Mysticismus entspricht
-ihr weitgehender ~Dämonenglaube~, den wir auch bei den Stoikern
-finden und der hoch in das griechische Altertum hinaufreicht, als
-ein Naturmenschliches. Einige sahen in den Dämonen die eigentlichen
-Regenten, ~Archonten~ der Welt, ganz im Sinne des alten Hesiodos,
-dessen Anschauungen wir hier zur Klarstellung anführen. Nach ihm sind
-die Dämonen Geister dahingeschiedener Menschengeschlechter, wie nach
-dem Naturmenschen. Vom Geschlecht aus dem Goldenen Zeitalter heißt es
-in den „Werken und Tagen“:
-
- Gute, des Wehs Abwehrer, der sterblichen Menschen Behüter,
- Welche die Obhut tragen des Rechts und der schnöden Vergehung,
- Dicht in Nebel gehüllt, ringsum durchwandelnd das Erdreich,
- Geber des Wohls; dies war ihr glänzendes Ehrenamt.
-
-An einer anderen Stelle nennt er sie „heilige Diener des Zeus“
-und gibt ihre Zahl auf drei Myriaden an. Die Seelen der anderen
-Menschengeschlechter werden als „sterbliche Götter der oberen Erde“
-bezeichnet (die des zweiten, Silbernen Geschlechtes), oder als
-indifferente selige Geister (die Halbgötter des vierten Geschlechtes),
-oder sie werden gar nicht genannt. Darauf bezieht sich beispielsweise
-~Plutarchos~ in seiner Schrift über Isis und Osiris (oder wer diese
-Schrift verfaßt hat). Er bringt aber noch eine sehr eigenartige
-Auffassung des Empedokles bei, wonach die Dämonen für ihre Fehler und
-Vergehungen auch gestraft werden, bis sie geläutert ihrem früheren
-Stande zurückgegeben sind. Wir werden diesen Dämonen bald unter
-anderer Gestalt wieder begegnen. Aber solchem Dämonenglauben wird es
-möglicherweise zuzuschreiben sein, wenn einige Neupythagoreer gar nur
-die Materie mit ihrer Gottheit als ursprünglich anerkennen und das Gute
-als eine daraus nachgeborene Gottheit ansehen wollten. Das erklärt dann
-freilich das Unvollkommene der Welt radikal. Einen ähnlichen Gedanken
-in einer sehr viel höheren, und auch umgekehrten, Auffassung finden
-wir bei unserem Jakob Böhme wieder. Zunächst wenden wir uns noch zwei
-morgenländischen Anschauungskreisen zu.
-
-
-29. ~Indische Theosophie und Sufismus.~
-
-Wie die hebräische Philosophie auf der Bibel, beruht die ~indische~ auf
-Veda und Upanishaden, als den heiligen Büchern. Und da die Upanishaden
-wesentlich der Erläuterung der Veden dienen, wird die indische
-Philosophie besonders als die ~Vedantaphilosophie~ bezeichnet. Daß es
-jedoch indische Philosophien gibt, die weit ab von den Lehren der Vedas
-und der Upanishaden führen, beweisen namentlich die buddhistischen und
-manche Philosophien rein materialistischen Charakters, die in Indien
-als das Fremdartigste dastehen. In der Vedantaphilosophie nun, die uns
-hier noch allein angeht, herrscht wesentlich die Anschauung, daß Seele
-und Urgeist das gleiche sind, sei es, daß sie getrennt voneinander
-bestehen, so daß jedes lebende Wesen eine Art Kleingott bedeutet,
-der nur durch die Verbindung mit der Materie gehindert ist, Gott
-gleich zu werden, oder daß die Seelen am Urgeist überhaupt teilhaben.
-Diese Anschauung ist späterhin nach zwei Richtungen weitergebildet
-worden. ~Ramanuga~ und seine Schule betrachteten den Urgeist Brahman
-als wirkliche Gottheit, und für sie war die Gottheit im lebenden
-Wesen real. Ja, ihre Lehre ging bei Vielen in den schon behandelten
-Pandeismus über, wenn auch die Materie mit der Gottheit verbunden
-wurde. Die Welt war eine ~Evolution Brahmas~. Max Müller teilt einen
-interessanten Text aus dem Kandogya-Upanishad mit, der für Ramanugas
-Anschauung spricht. Indra als Führer der glänzenden Götter, Devas,
-Virokana als Führer der den Devas widerstreitenden Âsuras, wollen das
-absolute Selbst, das Atmân, erkennen und wenden sich an Pragâpati,
-den Herrn der Schöpfung. Er erklärt ihnen zuerst, was sie im Auge, im
-Wasser sich spiegeln sähen, das sei das Selbst. Beide fassen danach
-das Bild als das Selbst auf, also ein Anderes. Und Virokana ist
-damit befriedigt und gründet darauf bei seinen Âsuras die Lehre der
-Äußerlichkeiten. Aber Indra merkt bald, daß das Bild nicht das Selbst
-sein kann. Er kommt zu Pragâpati zurück. Und das muß er nun wiederholt
-tun, indem er immer höhere Antworten erhält, die die jedesmaligen
-Zweifel anerkennen und seine Anschauung von Stufe zu Stufe steigen
-lassen. Der letzte Bescheid geht von der Verbindung zwischen Körper und
-Seele aus. „Wie ein Pferd an einen Wagen gespannt ist, so ist der Geist
-(prana) an diesen Körper gespannt.“ Steht der Geist von dem Körper
-absolut frei, so ist er die „höchste Person“ (uttama purusha). Wer
-weiß: ich will denken, der ist das Selbst. Wer weiß: ich will reden,
-ich will sehen, der ist das Selbst usf. Die Organe sind nur Mittel.
-Sogar das Denkorgan ist nur Mittel; wer weiß, daß er denken will oder
-denkt, der ist das Selbst. „Derjenige, welcher dieses Selbst kennt und
-es versteht, erlangt alle Welten und alle Wünsche.“ Letzteres bedeutet,
-daß er die höchste Erkenntnis besitzt, sich selbst und so die Welt
-erkennt. Schon hier ist das Absolute stark verflüchtigt, obwohl es als
-purusha (Person) bezeichnet wird.
-
-Noch mehr geschieht dieses in der zweiten Schule der
-Vedantaphilosophie, der ~Sankhya~. Der Urgeist rückt in unbegreifliche
-Fernen; die Seelen mögen an ihm teilhaben, für die Anschauung ist
-dieses aber nicht von Belang. Dadurch geht die Sankhyaphilosophie in
-einen gewöhnlichen Dualismus zwischen Geist und Materie über, dessen
-Betrachtung nicht mehr ganz hierher gehört. Die Abstammung von oder
-die Verbindung der Seele mit Brahman zeigt sich nur darin, daß sie
-in der realen Welt allen Vorgängen gegenüber das absolut Ruhende,
-reiner Geist ist. Ihr Verhältnis zu der realen Welt kommt nur dadurch
-zustande, daß von ~ihr~ aus Licht auf die Dinge fällt; wie manche
-Griechen geglaubt haben, daß wir dadurch sehen, daß vom Auge Strahlen
-ausgehen, die die Gegenstände betasten. Und die Hemmungen unseres
-Geisteslichtes an den Dingen sind unsere körperlichen Leiden und
-Freuden, wenn wir sie als Hemmungen hinnehmen. Durchschauen wir aber,
-daß Leiden und Freuden doch uns selbst gar nicht berühren, da in uns
-gar nichts vorgeht, so haben wir die Erkenntnis erreicht, die uns von
-der Welt frei macht und die Seele als absoluten Geist bestehen läßt.
-Daß diese Lehre, wie jeder Dualismus, an der Unbegreiflichkeit der
-Wirkung differenter Potenzen aufeinander leidet, sieht der Leser.
-Verdeutlichungen durch Bilder, wie daß ein weißer Kristall rot
-erscheint, wenn hinter ihm ein roter Gegenstand gehalten wird, sind
-üble Notbehelfe, namentlich für uns, die wir die physikalischen Gründe
-kennen. Eine Art Vermittlungsschule zwischen den beiden genannten ist
-die von ~Sankara~ begründete. Die Seele ist Brahman selbst. Und die
-Welt? Diese ist überhaupt nicht. Wir werden diese Lehre im dritten
-Buche behandeln. Hier erwähnen wir nur noch, daß Askese, Selbstquälen
-und Sichversenken wie zur absoluten Erkenntnis, so auch zur Erreichung
-hoher magischer Macht führen soll. Die ~Yoga~-Lehre (Anspannungslehre)
-geht so auch in Okkultismus über. Und wer hat nicht von den
-übermenschlichen Taten indischer Fakire gehört?
-
-Mit den orphischen und den indischen Lehren eine gewisse Ähnlichkeit
-haben die der persisch-mohammedanischen Sekte der ~Sufi~ (die
-Reinen, Frommen). Die Seelen sind auch hier Teile Gottes, in der Art
-Gott gleich, aber dem Grade nach unendlich von ihm verschieden. Im
-letzteren Umstand besteht die Differenz gegen die indischen Lehren,
-nach denen Seele und Brahman überhaupt das gleiche bedeuten. Indessen
-durchdringt auch nach den Sufi Gott alle Materie. Darum sollen die
-Menschen stets der geistigen Wesenseinheit mit ihm eingedenk sein,
-und Gott lieben heißt: sich selbst lieben. Denn zuletzt wird die
-Seele mit Gott vereinigt. Den Sufismus soll zuerst eine Frau,
-Rabia, im 8. Jahrhundert bekannt haben; von ihr werden viele schöne
-Aussprüche mitgeteilt. Die Lehre ist bei vielen ihrer Anhänger in
-einen Pandeismus und eine Theosophie (Arif) übergegangen. Manche
-haben sich mit Gott derart verbunden geglaubt, daß sie sich für
-„Leute der Gewißheit“ hielten und das Studium der heiligen Bücher
-für ein Dreschen leeren Strohes erklärten. Die Derwische werden ein
-Zerrbild der philosophischen Sufi bilden, wie die Fakire ein solches
-der philosophischen Vedantisten. Im Sufismus spielt die Intuition die
-Rolle, wie in der Theosophie überhaupt. Demut und Ergebung ziehen ihr
-voraus, vollständiges Aufgehen in Gott folgt. Die Sufi haben sich
-an der glühend sinnlichen Poesie des Orients in hervorragendstem
-Maße beteiligt. Es wäre schade, wenn alle Schönheiten dieser Poesie
-symbolisch gemeint sein sollten. Und ihr größter Lyriker, Mohammed
-Schemseddin, genannt Hafis (Ehrennamen für jemand, der den Koran
-auswendig weiß), soll Goethe zu seinem Westöstlichen Divan begeistert
-haben.
-
-
-30. ~Philon von Alexandrien.~
-
-Wir kehren zum Abendlande zurück. Den Übergang zu den Neu-Platonikern
-einerseits und den Gnostikern andererseits gibt die Anschauung
-~Philons~, des alexandrinischen Juden (geboren um 30 v. Chr.), die
-zwischen Platons Philosophie und den biblischen Lehren zu vermitteln
-suchte. Man rechnet Philon zu den Eklektikern. Eklektiker waren
-übrigens fast alle hellenistischen Philosophen nach der Stoa. Höchst
-charakteristisch ist schon, was er von der Schöpfung der Welt sagt:
-„Gott sah in seiner Göttlichkeit voraus, daß eine schöne Nachahmung
-nicht würde existieren können, ohne ein schönes Muster, und daß von den
-sinnlichen Dingen keines tadelfrei sein würde, das nicht einem Vorbilde
-und einer geistigen Idee nachgeformt worden wäre. Deshalb schuf er,
-da er diese sichtbare Welt gründen wollte, vorher die nur im Denken
-vorhandene Welt, damit er nach einem unkörperlichen und gottähnlichen
-Muster das Körperliche ausführe, dieses ein späteres Abbild des
-Früheren, ebensoviele sinnliche Dinge umfassend, wie in jenem ideelle
-enthalten sind. Die Ideenwelt (sie entspricht der Platonischen) nun
-dürfen wir nicht als an irgendeinem Ort vorhanden uns vorstellen oder
-bezeichnen.“ Philon nimmt das Beispiel eines Architekten, der eine
-Stadt gründen will, und führt weiter aus: „Ähnlich muß man es sich
-in betreff Gottes vorstellen, der, als er die Gründung dieser seiner
-ungeheuren Stadt überdachte, zuerst die ~Vorbilder~ zu derselben ersann
-und dann eine ~ideelle Welt~ aus ihnen zusammensetzte und endlich nach
-~deren~ Vorbild die ~Sinnes~welt schuf.“ „Es ist offenbar, daß jene
-vorbildliche Abbildung, die wir die ideelle Welt nennen, selbst das
-vorbildliche Muster ist, die Idee der Ideen.“ Er nennt diese Idee der
-Ideen die „Vernunft Gottes“. Gemeint ist eine Idee von den Ideen, so
-daß wir die absteigende Reihe hätten: Gott, Ideen, Zusammenfassung
-der Ideen, sinnliche Welt. Und für diese Ansicht führt er die Genesis
-selbst an: „Es ist dies nämlich die Meinung Mose, nicht die von mir
-herrührende. Indem er uns die Schöpfung des Menschen erzählt, sagt er
-ausdrücklich, daß derselbe ~nach~ dem Bilde Gottes geschaffen ist.
-Wenn aber der Teil (der Mensch) ein Bild des Bildes ist, so ist es
-offenbar auch das Ganze, das heißt die gesamte sinnlich offenbare
-Welt.“ Und so erklärt sich denn die Unvollkommenheit in der Welt durch
-die absteigende Bedeutung in der Schöpfungsreihe, und freilich auch
-dadurch, daß Gott von seiner ~unendlichen~ Güte der ~endlichen~ Welt
-nur einen ~endlichen~ Teil verliehen hat. Gott selbst ist gänzlich
-außerhalb der Welt, zu nichts in der Welt in Beziehung; er ist das
-„Seiende“. Die Idee der Ideen ist der ~Logos~, „der intelligible Ort
-der intelligiblen Welt“ der zusammengefaßten Ideen. Die „Fleischwerdung
-des Logos“, um mit dem Evangelisten Johannes zu sprechen, gibt die
-sinnliche Welt. Und so ist auch der Logos von Philon als Erzengel
-aufgefaßt, der Mittler zwischen der sinnlichen Welt und Gott, indem
-er selbst die „Vernunft Gottes“ ist, eine ~Ausstrahlung~ Gottes, des
-absoluten Lichtes.
-
-Zu diesem und zu allem folgenden wollen wir ein versinnlichendes
-Beispiel aus der Natur nehmen. Die Sonne ist, wie wir metaphorisch
-sagen können, die Lichtgrundquelle, das Licht. Sie sendet mannigfache
-Strahlen aus: rote, grüne, chemische, wärmende, elektrische usf. Die
-Strahlen sind nicht die Sonne, haben aber ihren Ursprung in der Sonne;
-schwindet die Sonne, so vergehen die Strahlen; sie sind ohne sie
-nichts, die Sonne aber besteht auch ohne die Strahlen. Die einzelnen
-Strahlenarten würden den einzelnen Ideen entsprechen. Alle zusammen
-geben sie die Idee der Ideen und entsprechen dem Logos. Denken wir
-uns, daß sie irgendwo im Raume etwas bewirken, das materiell sich neu
-geltend macht (wie etwa die chemische Zusammensetzung von Chlor und
-Wasserstoff zu Salzsäure, oder das Wachsen und Blühen einer Pflanze),
-so haben wir ein Ähnliches für die Hervorbringung der sinnlichen
-Welt durch den Logos. Das Beispiel zeigt, daß der Vorwurf, den man
-Philon und überhaupt allen macht, die zwischen Gott und der Schöpfung
-vermitteln, daß nämlich die Vermittlung selbst, der Logos, doch auch
-nur Gott sei, nicht ganz gerechtfertigt ist. In der Tat sind es die
-Strahlen, welche die Salzsäure zustandebringen, die Pflanze wachsen
-und blühen lassen; nicht die Sonne selbst tut es, sie ist die Ursache
-der Strahlen, wie Gott die Ursache des Logos, und dieser seinerseits
-die Ursache der sinnlichen Welt. Die weitere Entwicklung geht nun
-dahin, daß die verschiedenen Teile der Welt Materialisierungen
-verschiedener Ideen innerhalb des Logos sind, durch den Logos. Der
-Mensch ist Materialisierung der bedeutendsten Ideen; seine Seele
-enthält sogar von den Ideen selbst, und die Zusammenfassung dieser
-Ideen ist der ~Logos im Menschen~, seine ~Intuition~, die hiernach von
-der Denkkraft ein Anderes ist. So enthält der Mensch neben dem Körper
-auch Strahlen Gottes, die einzeln verschiedene Fähigkeiten seiner
-Seele bedeuten, zusammen die absolute Einsicht. Diese Lehre kann als
-~Emanationslehre~ bezeichnet werden, besser aber als ~Radiationslehre~,
-denn bei Emanation denkt man an Ausfluß von dem Gegenstande selbst,
-was ja nicht stattfinden soll. Der Mensch hat nichts von Gott selbst
-in sich, sondern nur von seinen Ideen, seinen Strahlen, wie auch der
-Logos als Zusammenfassung aller Ideen, aller Strahlen. Bis hierher ist,
-glaube ich, das System ganz konsequent. Was außerdem vom Menschen und
-der Seele ausgeführt wird, enthält freilich Schwierigkeiten in reicher
-Zahl. Der Mensch soll als ~Mikrokosmos~ dem ~Makrokosmos~ entsprechen,
-also würde er vom Logos im Kleinen alles enthalten, was der Welt als
-Ganzes zukommt. Darin soll seine Ebenbildlichkeit Gottes bestehen, er
-wäre eine Art inkorporierter, in sich zusammengezogener Logos. Das
-ist schwer zu verstehen; wir müßten denn alle Strahlen, die den Logos
-ausmachen, einzeln hinlänglich geschwächt uns vorstellen. Wenn weiter
-dieser Logos dann als Nus (νοῦς) bezeichnet und von der logischen
-Einsicht abgesondert wird, so müssen wir zwischen der Intuition und
-der logischen Einsicht einen Unterschied annehmen und jene vielleicht
-als ~absolute Einsicht~ (ohne logisches Denken und Schließen), diese
-als ~relative~ bezeichnen. Nun soll der Nus allein unsterblich, die
-übrige Seele, die, wie bei den Stoikern die Seele überhaupt (S. 232),
-materiell gedacht ist, sterblich sein. Die relative Einsicht wird aber
-gleichfalls als Logos bezeichnet, wie soll sie denn sterblich sein?
-Auch daß sich, wie Philon lehrt, der Nus soll von Gott trennen können
--- was offenbar zuliebe denjenigen angenommen ist, die an einen Gott
-überhaupt nicht glauben -- versteht man nicht innerhalb des Systems.
-Wir können freilich auch für diese Trennung physikalisch ein Analogon
-bieten. Wenn die Sonne plötzlich keine Strahlen mehr aussendet, so
-laufen die vorher erregten, wie innen gegen die Sonne zu abgerissen,
-durch den Raum weiter. Indessen behalten sie doch, wenn auch von der
-Sonne getrennt, ihre Qualität bei und schreiten fort, wie wenn sie noch
-mit der Sonne zusammenhingen, nur sich immer weiter innen und nach
-außen von ihr entfernend, nichts aber in ihrer Art noch in ihrem Gange
-ändernd.
-
-Wie die Idee der Ideen als Erzengel personifiziert, individualisiert
-wird, so auch jede Idee oder ein Bündel von Ideen für sich. Daraus
-resultiert das Heer der Engel, Dämonen, Geister. Die letzteren
-sind auch Seelen; gehen sie in Körper ein, so verfallen sie der
-Sinnlichkeit, aus der sie sich in einem Leben oder in mehreren Leben
--- Philon ist also ein Anhänger von Platons Metempsychose -- wieder
-befreien müssen, wenn sie ihre frühere Göttlichkeit erreichen wollen.
-Dieses kann man mit der Hauptlehre allerdings nicht in Einklang
-bringen. Und das liegt eben daran, daß die Strahlen, Kräfte Gottes auch
-als absolut gut behandelt werden. Ist die Materie gänzlich neutral,
-so bleibt hier, wie in allen von den gleichen Voraussetzungen (der
-absoluten Güte Gottes und der Neutralität der Materie) ausgehenden
-Anschauungen, kein Platz für das Böse, und die Einführung beruht auf
-Redewendung ohne Grund. Aber das berührt die allgemeine Anschauung des
-Philosophen nicht.
-
-
-31. ~Der Logos und die Sophia.~
-
-Der Begriff des ~Logos~ ist von so großer Bedeutung geworden, weil der
-vierte Evangelist ihn zur Grundlage seines Systems gemacht hat. Logos
-bedeutet ursprünglich das Wort, und so ist es von Luther übersetzt
-worden. Das „~Wort~“ aber hat bei Johannes die gleiche Rolle wie
-der Logos bei Philon. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei
-Gott, und Gott war das Wort. Dasselbige war im Anfange bei Gott. Alle
-Dinge sind durch dasselbige gemacht, und ohne dasselbige ist nichts
-gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das
-Licht der Menschen. Und das Licht scheinet in der Finsternis, und die
-Finsternis hat es nicht begriffen.“ Das ist alles durchaus im Sinne
-der Philonischen Anschauung; nur daß das „Wort“ noch näher mit Gott
-verknüpft ist als bei Philon. Logos hat schon früh bei den Griechen die
-Nebenbedeutung von Gedanke, logische Ordnung, gehabt. Herakleitos aus
-Ephesos soll bereits gelehrt haben, „das Wesen des Schicksals sei der
-Logos, der die Substanz des Weltalls durchdringe“. „Alles geschieht
-nach dem Logos.“ „Der Logos ist ewig.“ „Der Seele ist der Logos eigen,
-der sich selbst mehrt.“ Letzteres ein Seitenstück zu: „Der Sinn ist
-dem Menschen Dämon (ἦθος ἀθρώπῳ δαίμων).“ Max Müller stellt diesen
-Logos mit dem indischen Ritam in Parallele, eben der zwingenden
-Ordnung. Aber das „Wort“ selbst hatte bei den Indiern kosmogonische
-Bedeutung im Brahma, als Spruch, während der Logos bei Heraklit nicht
-schöpferisch auftritt, sondern nur als von je vorhanden (ἀεὶ ἐῶν).
-Erst die Stoiker faßten den Logos auch als schöpferisch auf, indem er
-bei ihnen die göttliche Vernunft bedeutete. Und so sprachen sie auch
-gemäß ihrem schon gebildeten Pandeismus von einem Logos in jedem Dinge,
-von „bekörperten Logoi“, die den Typus der Dinge, ihre „spezifische
-Qualität“ darstellten; alle die platonischen Ideen real gedacht. So
-hat sich also die später so wichtige Auffassung des Logos allmählich
-vorbereitet. Die eigenartige Zwischenstellung des Logos zwischen Gott
-und der Welt scheint aber vorher nicht gekannt zu sein, denn Platons
-Ideen sind nicht schöpferisch, weder seine eigenen, noch wie sie
-Aristoteles auffaßte; sie treten nicht als Mittler zwischen Gott und
-der Welt auf, daß Gott selbst von der Welt völlig unberührt bliebe.
-Goethe läßt Faust Logos zuletzt mit „Tat“ übersetzen. Das entspricht
-der Auffassung Philons sehr nahe, wohl mehr als „Wort“, da die Ideen
-bei Philon „Kräfte“ Gottes sind („Kraft“ benutzt ja Faust vorher auch).
-Weiter nennt Philon den Logos den „Sohn Gottes“, den „Einziggeborenen“,
-den „Erstgeborenen“. Diese Wendung scheint, wenigstens für den Logos
-(sonst S. 255), vor Philon nicht bekannt gewesen zu sein. Sie ist
-aber später die wichtigste geworden. Im Evangelium Johannis wird sie
-auf Christus übertragen: „Und das Wort ward Fleisch und wohnete unter
-uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des
-eingeborenen Sohnes vom Vater.“
-
-Noch ein zweites Prinzip bei Philon hat in der Folge große Bedeutung
-erlangt: die Sophia, die „~Weisheit~“ Gottes. Während dem „Worte“ in
-der Bibel nur mit Zwang der Sinn des Philonischen Logos beigelegt
-werden kann, das „Wort“ dort vielmehr lediglich soviel wie Ruf,
-Befehl, etwa wie in den ersten Zeilen der Genesis, besagt, nicht
-mehr, scheint die „Weisheit“ eine besondere Stellung einzunehmen. In
-den „Sprüchen“ Salomos sagt die „Weisheit“ (Chachma) von sich: „Mich
-schuf der Ewige als seines Wandels Anfang.“ Sie war, ehe noch die
-Erde, ehe Meer, Wolken, Himmel waren. „Da war ich Wonne Tag für Tag,
-Pflegling, spielend vor ihm (vor Gott) aller Zeit.“ Ähnlich könnte
-man die Aussprüche in Hiob, Kap. 28, interpretieren, wo die Weisheit
-gleichfalls bei der Schöpfung zugegen ist. Doch wird sie hier zuletzt
-als „Fürst des Herrn“ erläutert. Der geistvolle Sirachide aber sagt
-(Sprüche, Kap. 24) ganz sinnfällig von der Weisheit: „Ich ging hervor
-aus dem Munde des Höchsten, und wie ein Nebeldampf bedeckte ich die
-Erde. Ich nahm meinen Wohnsitz in der Höhe und mein Thron war auf einer
-Wolkensäule. Die Himmelswölbung durchkreiste ich allein, und in der
-Tiefe der Fluten des Chaos wandelte ich.“ Sodann: „Von Ewigkeit her,
-von Anfang an schuf er mich, und bis in die Ewigkeit werde ich nicht
-aufhören.“ Dann folgt eine hochpoetische Schilderung, die die Weisheit
-von sich selbst gibt. Bei Philon scheint die Weisheit mit dem Wort
-zusammenzufallen: als „Vernunft Gottes“.
-
-
-32. ~Die Gnostiker und Manichäer.~
-
-Indem wir uns zu den christlichen ~Gnostikern~ (Gnosis = Erkenntnis,
-intuitives Wissen, Offenbarung) wenden, haben wir mit der Schwierigkeit
-zu kämpfen, daß deren Lehren, abgesehen schon von ihrer Dunkelheit,
-uns nur bruchstückweise überliefert sind. Die Theosophie unserer Zeit
-wendet ihnen besondere Aufmerksamkeit zu. Außer den älteren Werken von
-Baur und Harnack (in seiner Dogmatik) besitzen wir ein zweibändiges
-Buch von Heinrich Schmitt, das mit schöner Begeisterung geschrieben
-ist, aber doch auch vieles dunkel läßt, trotz der „Licht“lehre,
-die die Gnosis sein soll, und das manches enthält, das wie ein
-Spätprodukt aussieht, und leider viel Allzuüberschwengliches, womit
-man nichts anzufangen weiß. Es hat in der Gnosis zwei Hauptschulen
-gegeben, ~dualistische~ und ~monistische~. Die ersteren sind von
-zwei Prinzipien, Gott und Widergott (auch Materie, als widersetzlich
-gedacht) ausgegangen, die anderen von Gott allein. Und die Lehren sind
-eine Mischung von Heidentum, Christentum und Philosophie. Sie sollen
-aber freilich wesentlich dem Heiden-Christentum zugute kommen, obwohl
-sie sich besonders der Philonischen Emanationslehre anschließen. Von
-beiden Schulen können nur die bedeutendsten Vertreter hervorgehoben
-werden. Ich werde mich an die trockene Darstellung der älteren Werke
-halten, und was Schmitt ausführt zuletzt erwähnen.
-
-~Basilides~ (ein Alexandriner zur Zeit Hadrians) gehört der
-dualistischen Schule an. Seine Lehre ist eine ~Emanationslehre~.
-Für den höchsten Begriff wollen wir immer Gott sagen. Gott ist das
-Absolute und Unerkennbare im Sinne Philons. Aus ihm ist hervorgegangen
-die Vernunft, aus dieser das Wort und nun in weiterer Reihe: die
-Vernünftigkeit, die Weisheit, die (sittliche) Kraft, die Gerechtigkeit,
-der Frieden. Das sind sieben Stufen nach Gott, alle geistig-ethisch.
-Außerdem sollen Weisheit und Kraft ihrerseits die Tugenden, die
-geistigen Herrscher, die Engel hervorgebracht haben. Alles wird als
-reale ~Emanation~ Gottes angesehen. Die Engel werden auch als die
-Ersten genannt und als die Werkmeister der Welt, die ~Demiurgen~.
-Also Gott schafft selbst die Welt nicht, sondern von ihm emanierte
-Prinzipien bilden sie. Der weltbildenden Engel aber sind, in stetig
-abnehmender Vollkommenheit, so viel als der Tage im Jahre, 365.
-Die weitere Ausführung scheint nun wesentlich in den Bahnen des
-Zarathustrismus zu laufen. Denn es wird offenbar ein böses Prinzip
-vorausgesetzt, das, sobald es, wie Ahriman das Reich Ormuzds, das
-Lichtreich Gottes erblickt, in Widerstreit mit den Engeln gerät.
-Es entsteht eine „Verwirrung und Vermischung“, letztere wohl der
-Lichtkräfte mit den Finsterniskräften. Und dabei bilden die Engel die
-Welt, so gut sie es bei diesem Tohuwabohu vermögen, aus Lichtern mit
-angehängter Finsternis. Den 365 Engeln entsprechen 365 Himmel oder
-Welten. Unseren Himmel und unsere Welt hat der erste unter jenen Engeln
-gewirkt. In diesem für uns eigentlichen ~Demiurgos~ soll Basilides den
-Gott der Bibel gesehen haben, was der Bibel selbst widerspricht, da
-Jehova gar keine Widersacher hat, noch haben kann. Dieser Demiurgos
-habe ein Volk sich auserwählt, die Israeliten, und habe ihnen die
-ganze menschliche Welt unterwerfen wollen. Dagegen hätten sich
-die anderen Engel erhoben. Und den Streit zu schlichten, habe Gott
-~Christus~, seinen ~Mittler~, in die Welt gesandt. Eine andere Wendung
-sagt auch, daß Christus in der Regierung der Welt überhaupt die,
-als nicht hinreichend stark dem Finstern gegenüber erprobten, Engel
-ablösen sollte. So wacht also über der Welt eine Vorsehung, die von
-Gott ausgegangen ist und im Mittler ihre wirkende Kraft gefunden hat.
-Wie die Welt entstanden ist, wird nicht gesagt; die Materie scheint
-eine Art Mischung von Licht und Finsternis zu sein. Es wäre die Welt
-eine doppelte Emanation: der Lichtmächte, von oben nach unten, und der
-Finsternismächte, von unten nach oben. Letztere Emanation ist auch eine
-~Evolution~. Die der Lichtmächte wäre im Menschen die bedeutendere.
-Mit ihr wachse die Intuition. Und die vollkommenen Adepten seien darum
-auch absolut frei, sogar neben den Engeln. Diese Überhebung soll zur
-moralischen Verkommenheit vieler Anhänger dieser Lehre geführt haben.
-Im übrigen wird noch die Seelenwanderung völlig im Sinne der Indier
-und namentlich Buddhas gelehrt, und in dem Körper-Leben die Strafe
-für bewußte Sünden, Anhängen an die finstern Mächte in uns, gesehen.
-Die Läuterung geschieht durch allmähliches Abstreifen der Finsternis,
-wahrscheinlich in eranischem Sinne (S. 203). Für die unverschuldeten
-Leiden hatten die Basilidianer den bekannten Jammertrost, daß sie gegen
-mögliche, in der Anlage vorhandene, Sünden hüten oder warnen sollten.
-
-Dieser Dualismus ist noch in verschiedener Weise durchgeführt worden.
-Eine Schule (des Hermogenes, Arnobius, Synesius u. a.) nahm als zweites
-Urwesen die Materie. In Gott sei alles in größter Ordnung, in der
-Materie in größter Unordnung (beides wie bei Anaximander, Anaxagoras
-und anderen griechischen Philosophen). Was dort in Ordnung, hier in
-Unordnung sich befindet, soll das gleiche sein (Bewegung?). Gott bringt
-nun in die Unordnung der Materie Ordnung hinein; indes, da es sich eben
-um zwei Urwesen handelt, so weit nur, als das Gute in ihm dem Grade
-nach das Böse in der Materie überragt. So entstehe und entwickle sich
-die Welt, indem die Ordnung in Gott für sich schon die Unordnung in
-der Materie zu ordnen beginne, wie ein Gegenstand die Wünsche lenkt.
-Und die Welt sei Unordnung neben Ordnung. Die Seele sei aus dem Etwas
-in der Materie hervorgegangen, oder auch sie sei eine Emanation einer
-höheren Emanation Gottes, die ihrerseits noch weit von Gott abstehe.
-Lactantius’ Dualismus enthält Christus als Prinzip des Guten, den
-Teufel als Prinzip des Bösen, beide von Gott hervorgebracht.
-
-Endlich erwähne ich noch bei den Dualisten den ~Manichäismus~, der
-diesem Gnostizismus nahe steht. Der Stifter Mani (um die Mitte des 3.
-Jahrhund. n. Chr.) war ein Perser. Daraus erklärt sich, daß seine Lehre
-wesentlich alten Zoroastrismus mit verarbeitet. Von Interesse ist, daß
-jeder Schöpfung im Reiche der Finsternis eine gleichgebildete im Reiche
-des Lichtes entspricht, was an die eranischen Fervers und Platons Ideen
-erinnert. Auch die Wendung darf nicht übergangen werden, daß im Kampfe
-zwischen Licht und Finsternis in manchen Stellen des Universums (in
-Sonne und Mond) das Licht in bedeutendem Übergewicht sich befindet.
-Und indem Verwandtes sich anzieht, wirken diese Stellen im Umschwung
-der Welt wie Schöpfräder und führen mehr und mehr von mit Finsternis
-behaftetem Licht in die Lichtsphäre. Dieser Prozeß des Heranlockens
-von Licht durch Licht ist aufgefaßt als eine Kraft des Lichtes (der
-Physik widerspricht er). Und Christus soll der höchste Walter dieser
-Kraft sein. Wenn die Manichäer sonst nicht alles physisch betrachteten,
-würde man die obige Anschauung als eine hübsche Allegorie ansehen,
-um die Tätigkeit Christi in der Seligmachung der Menschen sinnfällig
-auszudrücken. Aber was sollen dabei Sonne und Mond? In der Sonne
-scheinen die Manichäer überhaupt etwas Göttliches gesehen, wenigstens
-ihr Licht als eine göttliche Offenbarung angenommen zu haben. Auch ging
-Mani bei ihnen bald aus einem ~Parakleten~ in den Erlöser über oder
-in den heiligen Geist. Er fiel in Persien als Opfer seiner Lehren, da
-dort gerade die eranische Religion unter dem Einfluß der eben sich
-erhebenden Sassaniden in den Monotheismus geleitet wurde, der in der
-Tat mit dem Zarathustrismus an sich nicht unverträglich ist.
-
-Die Lehre des ~Valentinus~ (um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr.
-in Alexandrien und Zypern), der monistische Gnostizismus, wird als
-idealistische bezeichnet. Der Anfang ist ein Ururwesen, die ~absolute
-Stille~, das ~große Schweigen~ (Sige, σιγή), und ihm zur Seite als
-Urwesen das absolute ~Sich-in-sich-Denken~ (Ennoia, ἔννοια) und die
-unergründliche Tiefe, der ~unergründliche Schoß~ (Bythos, βυθός).
-Unter Vermittlung der beiden Urwesen emaniert aus dem Ururwesen der
-~Nus~, auch ~Monogenes~ (S. 266), der einziggeborene Vater und Grund
-aller Dinge, der zugleich allein seinen Ursprung, das Ururwesen,
-fassen kann. Nus wäre die absolute Vernunft, der absolute Geist,
-Urvernunft, wie wir der Kürze halber sagen wollen. Mit dem Urgeist
-geht die absolute Wahrheit, Urwahrheit (Aletheia, ἀλήθεια) hervor.
-Dieses wird so gedeutet, daß Gott an sich nicht begriffen werden kann,
-sondern nur unter den Gesichtspunkten der Vernunft und der Wahrheit,
-dem man gewiß zustimmen wird. Aus den beiden letzteren nun emaniert
-das Wort (der Logos) und das Leben (Zoê). Und aus diesen der geistige
-Mensch (ἄνθρωπος) und die geistige Gemeinschaft (ἐκκλησία), Kirche.
-So haben wir mit Bythos und Ennoia (oder Sigê, wie manche sagen) vier
-Emanationspaare (~Syzygien~), die die erste Emanationsreihe darstellen,
-die ~Urachtheit~. Jedes der Paare wird als männlich-weiblich
-angesehen; das männliche gab das Wesen, die Substanz, das weibliche
-die Kraft. „Shakespeares Romeo und Julia“, sagt Heinrich Schmitt in
-seinem genannten Buch, „ist in den herrlichsten Szenen auch nur eine
-Umschreibung des heiligen Geheimnisses der Syzygie des Valentinus.“
-Allein Valentinus wird einfach von der gemein-irdischen Beobachtung
-des Zeugens durch Mann und Weib ausgegangen sein, und wird dieses
-Prinzip in die geistige Sphäre erhoben haben. Vielleicht hat er auch
-nur die ägyptische Achtheit (S. 101) neu gedeutet, die ja auch gepaart
-ist. Dieses System wird nun weitergeführt. Jede Emanation wird als
-Aion bezeichnet, ein Name, der Zeitliches bedeutet wie auch Welt.
-Es bringen nun Logos und Zoê fünf physische, Mensch und Gemeinschaft
-sechs ethische Aionenpaare durch Emanation hervor. Die Namen kann ich
-nicht anführen, sie stehen auch nicht alle fest; es finden sich aber
-darunter solche wie Mischung, Durchdringung, Lust u. a. in den fünf
-Paaren; Glaube, Liebe, Hoffnung, Einsicht usf. in den sechs Paaren.
-So haben wir insgesamt jetzt 15 Paare zu 30 Aionen. Diese bilden das
-berühmte geistige ~Lichtreich der Fülle~, das ~Plérôma~ (πλήρωμα). Aber
-schon in diesem Reich geht die Bedeutung herab mit der Entfernung vom
-Ururwesen, obwohl noch jeder Aion sich in voller Seligkeit befindet,
-völlig frei von allem Übel. Die wachsende Beschränktheit bezieht sich
-auf wachsenden Verlust an Einsicht in das Ururwesen. So steht jedem
-Aion der Hóros (ὄρος), die Grenze, zur Seite und hält ihn in sich
-zusammengefaßt.
-
-Nun heißt es, daß der letzte weibliche Aion, die ~himmlische Weisheit~,
-~Sophia~, vor Sehnsucht nach dem Ururwesen in leidenschaftliche
-Wallung geriet, sich von ihrem männlichen Part abwandte und nach dem
-Ururwesen, stürmend, begehrte. Sie wird zwar von ihrem Hóros in sich
-zurückgeführt, aber der Abfall von ihrer Bestimmung bleibt. Jetzt
-bringt das Aionenpaar Vernunft und Wahrheit das neue Paar Christus
-und den Heiligen Geist hervor, die das Reich der Fülle in sich
-festigen, derart, daß jeder Aion das ganze Pleroma in sich erkennt,
-und wenigstens in dieser Beziehung die Sehnsucht gestillt wird,
-wenn auch nicht die nach dem Höchsten. Wie in früheren Systemen ist
-auch hier alles übersinnlich vorgebildet, was der sinnlichen Welt
-angehört, das zeigt sich ja schon in den Paaren. Und so hat auch die
-Leidenschaft der Sophia, ihr Sichvergessen, den Grund alles Übels in
-der Welt. Denn diese Leidenschaft, als ~Achamoth~ von ihr getrennt
-gedacht, geht in die sinnliche Welt. Aus der Sophia also, weil ohne
-Zusammenwirken mit ihrem männlichen Aion, entsteht die sinnliche Welt.
-Diese Welt ist keine rechte Emanation mehr, sondern eher ein Akzidens
-des letzten weiblichen Aion nach dem Abfall. Da sie aber immerhin
-von einem Aion stammt, der das ganze übersinnliche Reich in sich
-vorstellt, so enthält sie alles Übersinnliche in sinnlichen Bildern,
-gleicherweise also auch das Lebende, das Geistige und Wahrheitliche
-usf. und das Leidenschaftlich-Üble. Wie die sinnliche Welt entsteht,
-ist schwer zu ersehen. Eine hübsche Auslegung besagt, daß aus den vier
-Äußerungen der Leidenschaft (Achamoth) die vier Elemente erwachsen
-sind: aus den Tränen das Nasse, aus dem Lachen das Feurige, Lichte,
-aus der Traurigkeit das Dunkle, Starre, aus der Furcht das Bewegliche,
-Luftige. Aber es wird auch sehr vieles andere erzählt; so namentlich
-das Befremdende, daß Christus aus Mitleid die Gedanken des abgefallenen
-Aion in der Materie nachgestaltet habe. Das Wesentliche bleibt: die
-Welt ein Produkt aus Tun und Leiden und aus dem Lichtreich, dem
-Pleroma, als Folge und infolge eines Abfalles hervorgegangen. Achamoth
-spielt die Rolle des Demiurgs, die Weltseele ist ihr Erzeugnis wie
-die Welt. Nach einer anderen Wendung ist sogar erst diese Weltseele,
-und zwar ganz unbewußt, der Weltbildner. Und so sinkt die Welt
-allerdings immer tiefer in der Reihe des Göttlichen, einer blinden
-Naturkraft verdankt sie ihre Entstehung. Und diese Naturkraft führt
-den Plan ihrer Mutter, Achamoth, auch ohne diese und ihren Plan zu
-kennen, aus und pflanzt der Welt auch das Lebende und Geistige ein.
-Mit dem letzteren aber hat der Mensch ein Übersinnliches, wenn auch
-nur im Abbild, gewonnen; insgesamt besteht er aus Materie (ὕλη), Seele
-(ψυχή) und Geist (πνεῦμα). Und es wird von materiellen, psychischen
-und geistigen Menschen (Hylikern, Psychikern und Pneumatikern)
-gesprochen. Heiden, Juden und Eingeweihte bedeuten die Muster für
-diese Dreiteilung. Materie und Seele sind vergänglich, ewig besteht
-nur der Geist. Es scheint, als wenn die rein materiellen Menschen
-als Ausflüsse besonderer Prinzipe angesehen werden, der ~Archonten~
-(Herrscher), die zwischen dem himmlischen Reich des Lichtes und dem
-irdischen weilen und vielleicht tiefere Emanationen des Demiurg sind.
-Zu ihnen wird der Dämon ~Adamas~ gehören (der alte Adam in uns),
-der die Rolle des Teufels im System vertritt. Aber vielleicht hat
-man eine weitere unterweltliche Emanation angenommen, deren Archon
-Adamas ist, höllische Geister und Teufel. Christus, wie er nach dem
-Fall der Weisheit die Äonenwelt geordnet, führt auch die Welt immer
-mehr dem Geistigen zu, dem Lichtreiche. Und am Ende der Tage wird er
-der Welt-Naturkraft das Bewußtsein ihrer Wesenseinheit mit Achamoth
-verleihen, daß der Demiurg in Achamoth aufgeht, Achamoth aber sich
-mit Sophia vereinigt. Und alles Materielle und alle Seelen verglühen
-in einem allgemeinen sich selbst aufzehrenden Weltfeuer. Die Geister
-aber schweben in das Lichtreich zu den ihnen vorgebildeten Aionen und
-verschwimmen mit ihnen zu ewiger Ruhe. Der wahre Schluß wäre erreicht,
-wenn auch diese Aionen in das Universum eingingen, in das große
-Schweigen, bis vielleicht neue Aionen und neue Welten den Kreis der
-Offenbarungen des Ururwesens durchlaufen. So in ewiger Reihe.
-
-Valentinus soll Verfasser des Buches ~Pistis Sophia~ (Glaube Weisheit)
-sein, das Schmitt als das Gnostikerevangelium bezeichnet. In diesem
-Buche läßt er Christus selbst, nach seiner Verklärung, im unendlichen
-Lichte noch einmal seinen Jüngern erscheinen und das Geheimnis des
-Irdischen und Überirdischen offenbaren. ~Adolf Harnack~ denkt von den
-Gnostikern ziemlich hoch. Von ihren Lehren sagt er (Dogmengeschichte):
-„So entstand ein philosophisches dramatisches Gedicht, dem Platonischen
-ähnlich, aber ungleich komplizierter und darum phantastischer, in
-dem gewaltige Mächte, das Geistige und Gute mit dem Materiellen und
-Schlechten, in eine unheilvolle Verbindung gesetzt erscheinen, aus der
-aber schließlich das Geistige, unterstützt durch die stammverwandten
-Mächte, die zu erhaben sind, um je in das Gemeine herabgezogen
-zu werden, doch wieder befreit wird.“ Namentlich das System des
-Valentinus verdient wohl diese bedeutenden Worte des großen Theologen.
-Heinrich Schmitt sieht aber in diesen Lehren überhaupt das Höchste,
-was Menschengeist ersonnen hat: wahre, absolute Offenbarung, und
-in Valentinus den größten intuitiven Denker. „An der lebendigen
-Wirklichkeit und Wahrheit des Pleroma zweifeln,“ sagt er, „bedeutet
-soviel wie an der Wahrheit des mathematischen Bewußtseins zweifeln,
-denn seine höchsten Formen sind nur die vollendete Selbsterkenntnis
-des mathematischen Bewußtseins.“ Das „mathematische Bewußtsein“ steht
-hier wohl für formale Logik, denn die Wahrheit der Mathematik geht nur
-so weit wie die der formalen Logik. Diese allein ist intuitiv absolut
-wahr. Die Grundlagen der Mathematik, die Axiome, sind nur Behauptungen,
-denen die Erfahrung bisher noch nicht widersprochen hat.
-
-Zuletzt möchte ich den Leser auf eine merkwürdige Stelle in Goethes
-„Dichtung und Wahrheit“ hinweisen, fast am Schluß des achten Buches.
-Gott erscheint sich in seiner Produktion zunächst als Zweites, das
-wir den Sohn nennen. Gott und Sohn wieder erscheinen sich im Dritten
-(Heiliger Geist). Nun sagt unser Olympier: „Hiermit war jedoch der
-Kreis der Gottheit geschlossen, und es wäre ihnen selbst nicht möglich
-gewesen, abermals ein ihnen völlig Gleiches hervorzubringen. Da jedoch
-der Produktionstrieb immer fortging, so erschufen sie ein Viertes,
-das aber schon in sich einen Widerspruch hegte, indem es, wie sie,
-unbedingt und doch zugleich in ihnen enthalten und durch sie begrenzt
-sein sollte. Dieses war nun Luzifer, welchem von nun an die ganze
-Schöpfungskraft übertragen war.“ Luzifer schafft die Engel, unbedingte,
-aber nun in ihm enthaltene Wesen. „Umgeben von einer solchen Glorie
-vergaß er seines höheren Ursprunges und glaubte ihn in sich selbst zu
-finden, und aus diesem ersten Undank entsprang alles, was uns nicht mit
-dem Sinne und den Absichten der Gottheit übereinzustimmen scheint.“
-Das Heer der Engel teilt sich, ein Teil konzentriert sich mit Luzifer,
-der andere wendet sich seinem Ursprunge zu. „Aus dieser Konzentration
-der ganzen Schöpfung, denn sie war von Luzifer ausgegangen und mußte
-ihm folgen, entsprang nun alles das, was wir unter der Gestalt der
-Materie gewahr werden, was wir uns als schwer, fest und finster
-vorstellen, welches aber, indem es, wenn auch nicht unmittelbar, doch
-durch Filiation vom göttlichen Wesen herstammt, ebenso unbedingt
-mächtig und ewig ist als der Vater und die Großeltern.“ Goethe meint
-nun, durch die stetige Konzentration ohne die Expansion hätte die
-Welt samt Luzifer sich zuletzt doch aufgerieben. Darum verleihen nun
-die „Elohim“ in einem Augenblick „dem unendlichen Sein die Fähigkeit,
-sich auszudehnen, sich gegen sie zu bewegen; der eigentliche Puls des
-Lebens war wiederhergestellt.“ „Dieses ist die Epoche, wo dasjenige
-hervortrat, was wir als Licht kennen, und wo dasjenige begann, was wir
-mit dem Worte Schöpfung zu bezeichnen pflegen.“ Was von der Expansion
-hier gesagt ist, liegt ganz im Sinne des Valentinus, denn dieser
-nimmt gerade die Sehnsucht (πάθη) nach oben, als den Aionen eigen,
-die zwar Sophia zum Abfall bringt, aber doch zuletzt die Welt zu Gott
-zurückführt. Bewegung nach unten und nach oben ist die Grundidee
-des Gnostikers wie des Dichters, und übrigens auch griechischer
-Naturphilosophen. Der Mensch soll auch nach unserem Dichter das
-Vermittelnde zwischen oben und unten sein. So sicher legte sich der
-junge Goethe, was er von den gnostischen Lehren las, zurecht. Schon in
-den ersten Gesprächen, die wir von ihm noch besitzen, finden sich die
-Ideen der Konzentration und Expansion. Und damit vergleiche man aus dem
-späteren Zyklus „Gott und Welt“ die schöne Strophe:
-
- Was wär’ ein Gott, der nur von Außen stieße,
- Im Kreis das All am Finger laufen ließe!
- Ihm ziemt’s, die Welt im Innern zu bewegen,
- Natur in sich, sich in Natur zu hegen,
- So daß, was in ihm lebt und webt und ist,
- Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt.
-
-Die gnostischen Lehren sollen ihren Ursprung von dem rätselhaften
-samaritanischen Messias ~Simon Magus~ genommen haben. Harnack sagt, daß
-seine Existenz und seine hohe geschichtliche Bedeutung nicht geleugnet
-werden können. Er lebte zugleich mit Petrus, in heftigem Widerstreit
-zu ihm, der seinen Zauber durch Gottes Wort zunichte machte. Übrigens
-gibt es der gnostischen Schulen viele, wie die ~Doketen~, ~Peraten~,
-~Ophiten~ usf. Jede Schule lehrte noch etwas Besonderes. Doch Askese,
-Okkultismus, Astrologie und Magie zeigten sich überall. Darauf habe ich
-nicht einzugehen.
-
-
-33. ~Der Neuplatonismus.~
-
-Wir wenden uns nunmehr den ~neuplatonischen~ Lehren zu, die mit
-den gnostischen eine gewisse Verwandtschaft haben, im Grunde die
-~heidnische Gnosis~ bedeuten. Der Urheber war ein Lastträger, ~Ammonios
-Sakkâs~ zu Alexandrien (Ende des 2. und Anfang des 3. Jahrhunderts
-n. Chr.), der eigentliche Begründer ~Plotinos~ (204-270 n. Chr.), in
-Ägypten geboren und des ersteren Schüler; ~Longinus~, ~Porphyrios~ und
-~Jamblichos~ sind die Emendatoren und Interpreten. Die Philosophie, um
-deren Wiederbelebung es sich handelt, ist zwar die platonische, aber
-das Ganze zeigt sich mit Pythagoreertum und Stoischem gemischt und
-stellt eine Theosophie dar, weshalb die Behandlung hier erfolgt. Gott
-als Urwesen steht über allem Denken und Sein; selbst das Bewußtsein
-gehört nicht zu seinen Eigenschaften, er ist überhaupt absolut
-eigenschaftslos. Ihn zu erkennen ist daher nur Sache der reinen
-Intuition. Daher betrachtet Plotinos alles Wahrnehmen, selbst alles
-Denken, wie wir es kennen, als gänzlich belanglos. „Im Himmel bedürfen
-die Seelen der Worte nicht; dort ist kein verständiges Denken und
-nicht das Vernünftige in unserem Sein.“ Wir werden das im Mittelalter
-wiederfinden, bis zu völliger Verachtung aller Wissenschaft. Und
-von Goethe erzählt Kestner (Gespräche Bd. I, S. 22): „Er strebt
-nach Wahrheit, hält jedoch mehr vom Gefühl derselben, als von ihrer
-Demonstration.“ Das Wahrnehmen ist ein Leiden und eine beschwerliche
-Notwendigkeit für die Seele, hervorgehend aus der allgemeinen
-~Sympathie der Dinge~ in der Welt, und das Leben bedeutet kaum mehr als
-ein Traum. Einzig die Intuition hilft: „Was die übersinnliche Wahrheit
-ist, weiß der, der sie sieht.“ Eben diese Intuition stempelt die
-neuplatonische Philosophie zu einer Theosophie. Und Plotinos behauptet
-selbst, „oftmals das gepriesene Schauen des Göttlichen und die Einigung
-mit ihm erfahren zu haben“. Überhaupt ist der Mensch niemals von Gott
-getrennt. „Wir haben das Eins (Gott), wenn wir es auch nicht sagen“;
-vielleicht auch, wenn wir es nicht bewußt sind. Sind wir es bewußt,
-so hört das Eigenbewußtsein auf. Das ist eigentlich der Standpunkt
-des Indiers der Upanishaden. Die Intuition gilt höher selbst als die
-Vernunft. Gott weilt überall, aber nicht in den Dingen. Es ist eine
-Konzession an das Menschenherz, wenn Gott auch das absolut Gute genannt
-wird, und an die Kausalität, wenn er auch Urgrund (ἀρχή) bedeutet. An
-sich steht Gott in gar keiner Beziehung zu irgend etwas. Es ist dann
-freilich schwer zu verstehen, wie selbst die Intuition ihn fassen und
-mit dem Einen eins sein soll. Nun folgt eine Art Emanationslehre.
-Gleich einer Quelle, die Wasser aussendet und dabei doch Quelle
-unvermindert bleibt, warf das Eins ein Zweites aus sich heraus,
-den Nus, den wir schon kennen, die absolute Vernunft, die absolute
-Intuition. Als Zweites ist es unvollkommener denn das Erste; es ist
-aber ~absolute Vernunft~, weil es das Erste geschaut hat. Sonst ist
-es ein übersinnlich Seiendes, ein Lebendes und Vermögendes. Hier sind
-offenbar mehrere Aionen der Gnostiker in einen Aion vereinigt. Auch
-darin liegt Gnostisches, daß nun der sinnlichen Materie entsprechend
-eine übersinnliche gesetzt wird, welche nichts anderes ist als die
-Allgemeinheit der Vernunft. Die Vernunft ist hiernach eine Einheit in
-sich, aber doch eine Mannigfaltigkeit, ein κόσμος νοητός, gegenüber
-dem Einen, das sie umgibt wie ein Kreis seine Mitte. Eine Emanation
-der Vernunft ist nun die absolute ~Seele~, ein Gedanke, ein Logos von
-ihr. Wie die Vernunft alle Arten des Denkens, so faßt ihre Emanation
-Seele alle Arten des Seins zusammen, sie steht aber schon an der Grenze
-des übersinnlichen Reiches. Plotinos’ Pleroma, um gnostisch zu reden,
-ist also recht beschränkt, denn auch die absolute Seele begreift viele
-Aionen in sich. Und so besteht das erste Universum mit dem Urwesen (τό
-πρῶτον) nur aus dieser Dreiheit: Ureins, Urvernunft, Urseele. Plotinos
-war eben Heide.
-
-Die absolute Seele bringt die ~Weltseele~ hervor. Und diese ist mit
-der Welt so verbunden wie die Menschenseele mit dem Leib. Sie ist
-aber so mannigfaltig wie die absolute Seele, und so gehört sie allen
-Teilen der Welt an. Die Welt wieder, als Materie gedacht, schafft sich
-die zweite Seele selbst, unbewußt, wie der Demiurg der Gnostiker.
-Die Emanation tritt als Drang, Notwendigkeit auf. Da aber die zweite
-Seele doch Emanation der übersinnlichen ersten Seele, und diese
-Emanation der absoluten Vernunft ist, muß sich die Welt immerhin als
-so gut als möglich und so schön als möglich geordnet erweisen. Die
-zweite Seele prägt ihr auch von ihrem Übersinnlichen ein. Das kann
-wegen der Unfähigkeit der Materie nur allmählich geschehen; in diesem
-allmählichen Aufnehmen des Übersinnlichen beruht, was wir Zeit nennen.
-Da ferner alle Seelen die zweite Seele sind, so besteht zwischen ihnen,
-also zwischen den Dingen, ein Zusammenhang, eine „~Sympathie~“, was
-wir noch oft und später, in anderer Form, auch bei den Leibnizschen
-Monaden wiederfinden werden. Diese Sympathie bewirkt es, daß keinem
-Dinge etwas widerfahren kann, das nicht alle Dinge mitempfinden. Ferner
-führen die Seelen, wie bei den Gnostikern, als von oben stammend und
-nach unten (wenn auch passiv) wirkend, ein Doppelleben, zur Höhe
-und zur Tiefe. Die Materie aber ist der Gegenpol im Ganzen zu dem
-Urwesen, und an der Grenze des Seins das Mangelhafte, das Böse. Das
-Leben zeigt verschiedene Grade, aber alles hat Seele. Wir finden so
-einen monistischen Idealismus, der zu einem Panpsychismus geführt hat;
-selbst leblosen Körpern kommt eine Seele zu, wie der Erde, den Steinen.
-Eine Auflösung der Welt erfolgt nicht; die Welt bleibt, nachdem sie
-entstanden, ewig. Ewig strahlen auch die Seelen in die Materie hinein,
-aber ihr Zusammenhang mit der Materie ist nur ein scheinbarer. Da die
-Materie doch auch nur Emanation der Seelen sein soll, muß angenommen
-werden, daß überhaupt die Emanationen miteinander an sich ohne
-Verbindung sind. Nur die Gemeinschaft des letzten Ursprunges hält sie
-zusammen. In der Tat lehrt Plotinos auch eine gewisse Willensfreiheit.
-Und doch wird die Sucht nach Selbständigkeit als Ursprung alles Bösen
-betrachtet (wie in Goethes „Weltbild“) und alles Niedrigen, wie von
-allem Leben die Pflanze das niedrigste sein soll, da jede für sich
-allein steht. Die reinste Seele kommt dem Himmel (Zeus?) zu. Diese ist
-ganz in sich zusammengezogen und folgt nur ihren absoluten ehernen
-Gesetzen. Dann haben wir die Seelen der Gestirne. Und so werden auch
-Himmel und Gestirne wie Götter behandelt; sie haben aber bloß die der
-ersten absoluten Seele nächststehenden Manifestationen der Weltseele.
-Mit der Welt hängen sie nur durch die „Sympathie der Dinge“ zusammen,
-sonst sind sie in bezug auf diese, wie alles, passiv. Tatsächlich liegt
-das Gesetz der Welt, die ~Vorsehung~, nur in der absoluten Vernunft.
-Nach den sichtbaren Göttern kommen die Dämonen und dann die Menschen,
-Tiere, Pflanzen usf. Des Menschen Aufgabe im Leben ist die ~Katharsis~,
-die Reinigung von allem Irdischen, verbunden mit ~Sichversenken~, die
-zur Intuition führt. Jede Seele kann durch Dämonen, Götter und Himmel
-zurück zum Lichtreich gelangen. Die Schule der Neuplatoniker lehrte
-denn auch Seelenwanderung.
-
-Man sieht, wie in den ~Emanationslehren~ die Emanationen so verschieden
-angegeben sich finden. In manchen Systemen werden Urwesen und
-Emanationen nach Triaden als πατήρ, δύναμις, νοῦς geordnet (S. 255).
-Der mit dem Pseudonym ~Dionysios der Areopagite~ (ein unbekannter
-christlicher Neuplatoniker, der um 500 n. Chr. gelebt haben mag)
-bezeichnete Schriftsteller, der einen so merkwürdigen Einfluß auf
-die mittelalterlichen Religionsphilosophen ausgeübt hat, zählt als
-~Hierarchie~ drei Triaden zu je drei Abteilungen von Emanationen
-auf. Die erste Trias besteht aus den ~Seraphim~, die von Gott, den
-~Cherubim~, die von den Seraphim, und den ~Thronen~ (~festen Naturen~),
-die von den Cherubim erleuchtet werden. Dann folgen in den nächsten
-Triaden: die ~Archonten~, ~Tugenden~, ~Mächte~; ~Prinzipes~, ~Erzengel~
-und ~Engel~, die immer weiter das göttliche Licht durch Überlieferung
-verbreiten, aber in immer geschwächterer Form, bis es zum Menschen
-gelangt. Doch kann der Mensch zu den Engeln sich emporheben, ja noch
-höher, bis zu Gott, wie er auch selbst Licht zu verbreiten weiß. Der
-himmlischen Hierarchie sollte die kirchliche entsprechen. Die Kirche
-als Aion hat schon Basilides aufgestellt. Bei Dionysios erscheint das
-ganze Pleroma als übersinnliche Kirche. Fünf Stadien hätte der Mensch
-zu durchlaufen bis zur Vergottung: Reinigung, Erleuchtung, Weihung,
-Vergöttlichung, Aufgehen in Gott. Sie bilden das ~große Mysterium~,
-das, wie man sieht, indisch ausläuft, und zu entsprechenden Mystizismen
-und Verzückungen geführt hat.
-
-
-34. ~Übergang zum Mittelalter; Augustinus, Scotus Erigena.~
-
-Schon lange vor Dionysios mußte die Kirchenlehre mehr und mehr in
-die Anschauungen eingreifen, und nachdem der Evangelist Johannes
-Christus mit dem Logos identifiziert hatte, war es nur folgerichtig,
-daß nun allmählich Christus die weltschöpferische Rolle übernahm.
-Gleichwohl konnte die völlige Hinausschiebung Gottes in das absolut
-Untätige, entgegen dem deutlichen Bibelworte, nicht ohne Widerspruch
-bleiben. Hieraus ist dann der durch das ganze Mittelalter und darüber
-hinaus sich fortsetzende Streit über das Wesen Gottes und über das
-Verhältnis der drei Einheiten zueinander entstanden, der durch ein
-Glaubensbekenntnis allein naturgemäß nicht geschlichtet werden konnte.
-Diesem Streit zu folgen ist nicht meine Aufgabe. Wir finden aber in
-allen theosophischen Lehren die Rolle Gottes bald aktiv, bald passiv
-aufgefaßt. Und seltsamerweise mußte sie für das Volk wie für den
-verstandesmächtigen Philosophen immer passiver werden, für diesen
-aus tiefer Überlegung der Hoheit des Gottesbegriffes, für jenes
-aus Zurückdrängung Gottes durch die Zwischenstufen. Ja auch diese
-Zwischenstufen wurden je höher, je mehr vom Volke in die neutrale Ferne
-gerückt. Und wie die Macht der menschlich so schönen und rührenden
-Gestalt der Himmelskönigin zunahm, und die Heiligen mit ihren Wundern
-im Leben und im Tode sich überall einschoben, mußten zuletzt auch die
-beiden anderen Einheiten der Trinität fast passiv werden, um so mehr
-passiv, je genauer ihre Verbindung mit Gott selbst gedacht und geglaubt
-wurde. Es kam noch ein anderes hinzu, was die poetischen Systeme der
-Theosophen abseits drängte und zersetzte: die ständig wachsende Macht
-der Aristotelischen Lehre, die, an Stelle der lebenden Gestalten
-der Ideen Platons und der Emanationen, in den Formen dialektische
-Bilder brachte und für die lichtgewobenen Schönheiten potentielle
-Realitäten gab. Gleichwohl finden wir Emanationslehren noch das ganze
-Mittelalter hindurch und sehen sie am Beginn der Neuzeit und in unserer
-Zeit mit außerordentlicher Kraft sich wieder beleben. Sie sind eben
-schöne Dichtungen und für den Menschen durch die Stellung, die sie
-ihm im Universum verleihen, auch sehr schmeichelnd und Unendlichkeit
-verheißend. Bringen wir zunächst für das Mittelalter noch einige
-Angaben.
-
-Der große Kirchenvater ~Aurelius Augustinus~ (geb. 354 zu Thagaste in
-Afrika, gest. 430 als Bischof von Hippo Regius ebenda), das Licht der
-~patristischen Philosophie~, gehört nicht eigentlich zu den Theosophen.
-Seine Anschauung muß aber kurz skizziert werden, weil sie von so
-außerordentlichem Einfluß auf die des ganzen Mittelalters gewesen
-ist. Gott hat die Welt geschaffen: Allein nicht aus sich, sondern als
-~Evolution~ in Zeit und Raum aus dem ~Nichts~ (Platons Nichtseiendes?).
-Daher kann die Welt die Vollkommenheit Gottes nicht besitzen. Sie ist
-nur für sich vollkommen, gegen Gott aber unvollkommen. Gleichwohl wird
-für alles und jedes sein Grund in Gott verlegt. Nur ~eine~ Weisheit
-besteht, in dieser sind die unendlichen unbegrenzten Schätze der
-~intelligiblen Dinge~ (Rerum intelligibilium); letztere enthalten alle
-unfehlbaren und unveränderlichen Gründe (rationes) der Dinge, auch der
-sichtbaren und veränderlichen, welche durch sie (die Weisheit Gottes)
-geschaffen sind. Denn Gott hat nichts nichtwissend geschaffen; hat er
-aber wissend geschaffen, so hat er es so weit geschaffen, als er es
-wußte. In der Tat ist ja das Nichts qualitätlos. Es liegt in solchen
-Anschauungen zweifellos etwas Neuplatonisches, Theosophisches, und
-Augustinus ist auch der Ansicht, daß das bloße offenbarende Wort,
-die Schrift, nichts ist ohne die Bestätigung des göttlichen Geistes
-in uns, also durch Intuition erst Realität gewinnt. Aber im Grunde
-läßt er das Problem des Bösen in der Welt doch auch ungelöst;
-Unvollkommenheit ist noch kein Böses, wenigstens sträubt sich unser
-menschliches Gefühl gegen eine solche Ansicht. Denn wenn wir auch
-zugeben, daß aus Passivität Anderen Unheil erwachsen kann, so ist doch
-das Böse für uns ein durchaus aktiver Begriff. Eher vermöchten wir
-das Schlimme, das uns selbst im Leben widerfährt, Krankheit, Verlust
-usf., der Unvollkommenheit der Welt zuzuschreiben. Aber wir können
-nicht umhin, dem Bösen auch eine ethische Bedeutung beizumessen; und
-dann ist es aus einer Unvollkommenheit der Welt nicht abzuleiten,
-namentlich nicht, wenn es ~bewußt~ auftritt. Augustinus’ Lehre ist
-eben optimistisch, und eine solche Lehre hat keine andere Erklärung
-für das Schlechte als die Redewendung: „Das Böse oder das Übel
-bezeichnet nur die Beraubung des Guten (privatio boni)“, welche eben
-nur Redewendung ist für etwas, das wir nicht ergründen können. Wenn
-wir Gott theologisch-religiös auffassen und ihn aktiv allein und
-aus Nichts und gegen Nichts die Welt schaffend annehmen, so bleibt
-mindestens das Bewußt-Schlechte unerklärt. Und das ist es auch in der
-Folge geblieben, die bei weitem theologischer verfährt als der bei
-allem Aberglauben so geistvolle und hochdenkende Kirchenvater. Seine
-Ansicht von der Welt als Einheit mit absoluter Ordnung der Entwicklung
-unterscheidet sich von den reinmaterialistischen Anschauungen, die wir
-noch kennen lernen werden, nur durch den Grund der Einheit und Ordnung,
-denn sogar die Wunder reiht er in diese Ordnung ein, so daß sie zur
-Natur zählen. Der Materialist setzt keinen Grund, für Augustinus ist
-der Grund im Schöpfer und Lenker der Welt. Und so gehören ihm zur Natur
-auch die Engel. Und er hat nicht übel Lust, denen zu folgen, die im
-Himmel und den Gestirnen zwar auch nur Dinge der Natur sehen, aber
-höhergestellte als Mensch und andere Wesen (S. 289). Alles dieses,
-zum Teil vergröbert, aber auch durch den Einfluß der Aristotelischen
-Philosophie mehr ins Abstrakte gewendet, finden wir namentlich auch bei
-den Scholastikern.
-
-~Johannes Scotus Erigena~ (um das 9. Jahrhundert in Irland geboren)
-läßt in einer seiner mehreren Ansichten alles von Gott emaniert sein.
-Gottes Klarheit, welche mit Recht auch Dunkelheit genannt wird, breite
-sich über alles aus. Die ungeformte Materie soll nur das Unendliche
-bedeuten, welches, da es formlos sei, alle Formen in sich enthalte.
-Gott hat die Welt aus seinem eigenen Wesen gebildet. Jedes Geschöpf
-ist eine ~Theophanie~, ein Sichoffenbarmachen Gottes. Gott sei an
-sich vorhanden wie ein Gedanke im Menschen bestehe; er manifestiere
-sich in der Welt durch sich selbst, wie ein Gedanke, der sich denkt,
-sich selbst zur Erkenntnis komme. So sei Gott ohne die Welt absolut
-negativ. Es klingt wie eine Blasphemie, wenn gesagt wird, Gott wisse
-nicht, was er sei, und er werde erst geschaffen mit der Schöpfung,
-indem er sich in seiner Schöpfung offenbart, die Schöpfung so aus
-Nichts hervorbringend. Das ist auch fast so abstrakt wie die indische
-Tad-Anschauung. Freilich bleibt es bei diesem absoluten, und ja
-auch nicht zu durchdringenden, Pandeismus nicht. Wie der Indier muß
-Scotus Gott doch etwas zuschreiben, Willen, und die Geschöpfe sind
-dann Willensakte. Der Wille ist persönlich als Emanation Gottes
-(als Christus) gedacht, wie wohl auch die Ursachen (zusammengefaßt
-als Heiliger Geist), die Scotus von Gott ausgehen läßt, Emanationen
-sind, und die Wirkungen, die wieder von ihnen ausgehen, Emanationen
-ihrer selbst darstellen. So ist Christus der Urheber, und der Heilige
-Geist der Vollender der Welt (Pater vult, filius facit, spiritus
-sanctus perficit, heißt die berühmte Formel). Die Ursachen müssen
-als verschieden voneinander angesehen worden sein, und weil sie
-Emanationen gleicher Ordnung bedeuten sollten, besteht kein Rang
-zwischen ihnen, also auch keine Folge ihrer Wirkungen. Es wird nun
-jedes Geschöpf als eine Art Mikrokosmos angesehen, indem aber die
-Ursachen in ihm sich in beliebiger Folge geltend machen können,
-soll es eine allgemeine Folge auch des Denkens nicht geben. Das ist
-freilich ein Schluß, der den Weg zur absoluten Wahrheit, das heißt zur
-Erkennung des ~Ganzen~ im Mannigfaltigen versperrt; Jeder faßt nach
-~seiner~ Weise sich und die Welt auf. Da Jeder aber eine Theophanie
-darstellt, so ist seine Auffassung eine reale. Die Welt hat so viele
-Gestaltungen als Geschöpfe sind, alle diese Gestaltungen sind die
-ganze Welt. Indessen wird doch auch eine Abstufung in den Geschöpfen
-angenommen. Und als ein unergründliches Geheimnis -- darin verborgen,
-daß Gott alles nach Maß und Zahl und Gewicht geschaffen habe -- wird
-es bezeichnet, daß jedes Geschöpf in der Ekstase, also intuitiv,
-Gott (incomprehensibilem et inintelligibilem causam) in seiner
-nächsthöheren Theophanie (proxima illi theophania) „von Angesicht zu
-Angesicht“ erkenne. So konstatiert Scotus eine Harmonie in der Welt,
-in der alles, selbst die Materie, eben als Theophanie, unvergänglich
-ist, selbst jeder Gedanke, jedes gute oder böse Wollen; aber ohne
-jede „Sympathie der Dinge“. Eine solche Welt würde es eher verstehen
-machen, wenn wir, nachdem Jahrtausende hindurch Menschenliebe gepredigt
-worden ist, uns Vorträge halten lassen über den ethischen Wert des
-gegenseitigen Sichtotschlagens. Da die irdische Welt die letzte aller
-Emanationen ist, so schafft sie selbst nichts wirklich; sie scheint
-nur zu schaffen, und so ist sie auch Nichts, und sie wird mit allem
-untergehen, was in ihr ist. Ewig ist nur das Geistige, und durch das
-Geistige findet die Rückkehr zum Ursprung zurück, die Erkenntnis Gottes
-in uns (als Theophanie). Das System ist idealistisch-monistisch, und
-so fehlt auch eine wirkliche Erklärung des Bösen in der Welt. Es wird
-nur eine indirekte ~doppelte Prädestination~ gelehrt. Gott hat die
-Zahl der Guten und Bösen vorherbestimmt, die letzteren jedoch nur als
-notwendigen Gegensatz zu den Guten. Damit ist der Begriff des Guten und
-Bösen als solcher aufgehoben, es tritt nur die Relativität ein, und
-diese ist vergänglich. Wenn der Leser fragt: wie hat sich der Philosoph
-mit der Kirchenlehre abgefunden? so kann man ihm nur antworten: wie
-ein souveräner Denker, gar nicht! Da er aber gleichwohl dem orthodoxen
-Glaubensbekenntnis angehört, so haben wir ein Beispiel der „~doppelten
-Wahrheit~“, die immer auftritt, wo Glaube und Denken nebeneinander
-wirken, und die so oft gegen herrschende Gewalt aushelfen muß. Auch
-stand Scotus erst am Beginne des ~dunklen~ Mittelalters und blieb auch
-für mehrere Jahrhunderte der bedeutendste Denker der christlichen Welt.
-Seine Emanationslehre hat aber etwas Nordisch-Düsteres, das Universum
-ist für ihn kein „überschäumendes Licht“ wie für die südlichen
-Emanisten.
-
-
-35. ~Islamisch-arabische Theosophien.~
-
-Wir unterbrechen hier die Betrachtung der christlichen Theosophie, um
-uns erst zu der ~islamisch-arabischen~ und der ~jüdischen~ Philosophie
-zu wenden. Beide haben auf den Gang der christlichen Philosophie im
-Mittelalter einen bedeutenden Einfluß gehabt, nicht allein indirekt
-durch Verbreitung namentlich der Aristotelischen Anschauungen, sondern
-auch unmittelbar, indem vieles von ihren Lehren auf jene überging.
-Der Mohammedaner steht dem Koran gegenüber gebundener da als wir der
-Bibel, denn der Koran enthält wenig Erzählung, an die man glauben
-soll, sondern vor allem Lehre. Nimmt der Moslem diese nicht an, so
-ist er eben kein Moslem. Daher können mohammedanische Anschauungen,
-solange sie eben mohammedanisch sind, nur Besonderes betreffen, worin
-der Koran der Deutung Spielraum läßt. Liberal und orthodox kann sich
-hier nur auf die Auslegung gewisser Einzelheiten beziehen. Aber diese
-Einzelheiten gehen wie überall eben auf die Grundfragen der Menschheit.
-Und in diesen hat Mohammed keine andere Lösung vorbereitet, als wir
-sie in unseren heiligen Schriften finden. Daher die Verwandtschaft
-zwischen den mohammedanischen Auslegungen und den unsrigen auch dort,
-wo auf dem Boden des Bekenntnisses stehengeblieben, also von der
-eigentlichen Religionslehre nicht abgewichen wird. Diese Verwandtschaft
-ist naturgemäß größer mit den jüdischen Auslegungen als mit den
-christlichen, da die Trinität dem Islamismus wie dem Mosaismus fehlt,
-beide also nur von Gott Rechenschaft sich zu geben haben, während im
-Christentum noch von der Wesenseinheit Christi und des Heiligen Geistes
-mit Gott die Klarheit gewonnen werden muß. Wir behandeln zunächst
-die Anschauungen zweier islamischen Sekten, die sich in der Tat wie
-Kirchlich-Liberale und Kirchlich-Orthodoxe gegenüberstehen, während
-beide doch kirchlich sind. Wir würden sie nach den Auseinandersetzungen
-über religiöse Anschauungen im voraufgehenden Buche sowenig zu erwähnen
-brauchen wie jüdisch- oder christlich-kirchliche Anschauungen, wenn sie
-nicht einige Wendungen hätten, die gerade hierher gehören.
-
-Zunächst die Anschauungen der freieren Sekte der ~Muatazile~
-(Mu’tazila, die Sichabsondernden). Sie nehmen an, daß Gott bei der
-Erschaffung der Welt, die in ihm mit allen ihren Eigenschaften als
-eine Möglichkeit bestand, alles in sie hineingelegt habe, freilich
-nur alles Gute. In die vernünftigen Wesen habe er auch den freien
-Willen getan; wenn der Mensch diesen zum Bösen anwende, sei Gott
-nicht verantwortlich. Es ist nicht eine Emanationslehre, sondern eine
-Evolutionslehre; aber doch ist in den Dingen Göttliches vorausgesetzt,
-da was jetzt in ihnen vorhanden, vorher als Mögliches in Gott bestanden
-hat. Den Gegensatz zu den Muatazile bildeten die ~Motakallim~
-(Mutakallimun, die Sprechenden) als Orthodoxe. Wir werden ihnen später
-als Atomisten begegnen. Hier haben wir nur zu erwähnen, was sie von der
-Welt und dem Menschen sagten. Alles ist von Gott geschaffen, aber ganz
-nach Willkür. Gott hätte jede andere Welt ebenso schaffen können. Gott
-regiert auch die Welt absolut und ständig; kein Vorgang ohne Gottes
-Veranlassung. Und so entsteht alles in jedem Augenblick aus nichts,
-als wenn die Welt fortwährend, in jedem Zeitmomente -- die Motakallim
-dachten sich die Zeit atomistisch als aus lauter „Jetzt“ sich reihend
--- geschaffen würde. Wenn gleichwohl Naturgesetze gelten, so wird
-Gottes an sich souveräner Wille durch seine Vernunft geleitet. Diese
-Vernunft setze vieles als notwendig, wie die Vereinigung von Seele und
-Leib und die sittliche Ordnung. Und Gottes Vorauswissen hemme ihn,
-Böses und Übel, das eintreten soll, zu hindern; denn täte er es, so
-würde er ja sein Wissen ändern, und Gott ist absolut. So sind denn auch
-die menschlichen Handlungen solche Gottes; doch werde der Mensch auch
-erleuchtet, und dann ist er ein „einsichtiges“ Werkzeug Gottes. Diese
-Lehre, abgesehen von der letzteren Erleichterung, ist um so herber,
-als der Mensch gleichwohl für Missetat bestraft werden soll. Und auch
-das Anthropomorphische in Gottes Eigenschaften wird dadurch nicht
-annehmbarer, daß es mit absoluter unendlicher Macht verbunden auftritt.
-Das Ganze ist auf dem starren Glauben des Mohammedanismus gegründet,
-der ja auch zu dem ~Kismet~ geführt hat. Die Vollendung dieser
-orthodoxen Lehre ist die der ~Aschariten~, die auch jede Kausalität
-leugnen, überhaupt jeden Zusammenhang in der Welt, außer durch Gott,
-ablehnen.
-
-Die mohammedanische Wissenschaft übernahm, wie so vieles andere vom
-Abendlande, auch den Neuplatonismus. Gleich einer ihrer bedeutendsten
-Philosophen, ~Aviçenna~ (Iba Sina 980-1037 n. Chr.), scheint
-Plotins Lehren fast unverändert in seine Anschauungen übertragen zu
-haben, nicht bloß hinsichtlich Gottes und der Emanationen, wo seine
-~Intelligenzen~ der Nus Plotins und die beiden Seelen sind, sondern
-selbst in bezug auf die Ordnung in der Welt und die Stellung des
-Menschen. Ja selbst der große ~Averroes~ (Ibn Roschd 1105-1198 n.
-Chr. zu Cordova) gehört eigentlich hierher. Wir betrachten seine
-Lehre etwas genauer, weil vieles in ihr enthalten ist, das gegen die
-Emanationstheorie zu sprechen scheint, die er auch abgelehnt haben
-soll. Die Welt ist von Gott gebildet, aus Materie. Wesen, Wissen und
-Wirken sind bei Gott absolut und das gleiche mit ihm selbst. Die
-Materie hat Gott nicht geschaffen, sie besteht neben ihm, und zwar
-von vornherein mit allen Fähigkeiten begabt, das zu werden, was sie
-in der Welt ist; also eine Welt mit allen Vorgängen abzugeben. So
-wird die Schöpfung der Welt durch Gott mehr auf einen Auslösungsakt
-zurückgeführt, und ist im Grunde nur in diesem Auslösungsakt
-spiritualistisch, etwa wie bei Anaxagoras, gedacht. Und auch dieses
-wenige Spiritualistische ist noch fast bedeutungslos gemacht, indem
-die Schöpfung in die Unendlichkeit zurückverlegt wird. Allein dieser
-Standpunkt ist offenbar nicht konsequent beibehalten, sonst müßte
-Averroes zu einer rein physischen Anschauung von dem Gang der Welt
-gekommen sein. Davon ist er aber oft weit abgewichen. Schon die
-Sonderstellung, die er dem Himmel zuweist und die in vieler Hinsicht
-an neuplatonische Anschauung erinnert, ist sehr eigenartig. Dieser
-Himmel war nicht und ist nicht vergänglich. Ihm wird eine Seele
-zugeschrieben, die ihn auch bewegt; und diese Seele ist mit Vernunft
-begabt, und zwar mit solcher, wie sie eigentlich sonst Gott beigemessen
-wird. Mit dieser Vernunft regiert der Himmel die Bewegungen aller
-Gestirne. Und sein Erkennen geht nur auf sich und das Höhere; das
-Niedrigere, die eingeschlossene Welt, erkennt der Himmel nicht als
-solches, sondern allein aus dem Höheren. Und so wird ihm, was für die
-Gestirne geschieht, für die Menschheit abgesprochen, wie auch Gott
-selbst: nämlich die Vorsehung. Indessen doch nicht in dem Grade wie
-Gott, über den es ja kein Höheres gibt, woraus ihm etwas offenbar
-werden könnte; während der Himmel eben den Gang der Welt noch aus
-höheren Ursachen entnehmen kann. Man muß nun schließen, daß er diese
-Erkenntnis weiter dem Niederen zu erkennen gibt; wir hätten die
-Astrologie, und alles so Befremdliche, was vom Himmel gesagt ist,
-wäre nur dieser Astrologie wegen gesagt. Aber auch die Rolle Gottes
-ist nicht so allein auf den ersten Anstoß beschränkt, wie aus den
-Annahmen über die Materie sich zu ergeben scheint. Schon die höheren
-Ursachen (Mächte), die der Himmel erkennt, müssen doch Gott ihre
-Entstehung verdanken. Und wenn wir erfahren, daß der Mensch nicht
-bloß sich und was unter ihm, sondern auch das Höchste zu erkennen
-die Fähigkeit haben soll, so muß doch Gottes Geist wenigstens in ihm
-sein. Und dieser Eindruck wird verstärkt, indem der Mensch auch zu
-der letzten Erkenntnis soll gelangen können, worin er sich selbst
-erkennt. Mitunter freilich scheint es, als wenn die Erkenntnis des
-Höchsten nicht die Erkenntnis Gottes zu bedeuten hat, sondern nur die
-Erkenntnis des Höheren und noch Höheren usf. Aber der Vernunft wird
-doch auch Unsterblichkeit zugeschrieben. Nicht dem besonderen Verstande
-des besonderen Menschen, welcher vielmehr mit ihm stirbt, sondern der
-allgemeinen Vernunft, von der der besondere Verstand nur ein Akzidens
-im Leben ist. Und diese allgemeine Vernunft ist eben einheitlich.
-Wir haben also bei Averroes tatsächlich einen Dualismus von Geist und
-Materie, vermehrt durch die Sonderstellung des Himmels, und durch die
-In- und Außerweltstellung Gottes. Vieles aber verliert sich völlig in
-Mystik; schon was vom Himmel gesagt ist, gehört hierher. Noch mehr,
-wenn gar dem Himmel intelligibles Mitwirken bei der Entstehung der
-Dinge zugeschrieben wird; so wird „der besondere Mensch von der Sonne
-hervorgebracht und von der besonderen Materie, welche ein anderer
-besonderer Mensch darbietet, daß sie von der erzeugenden Kraft der
-Sonne belebt werde“. Daß, obwohl die Sonne allgemein Menschen beleben
-kann, sie diesen besonderen Menschen belebt, liege daran, daß ihr eine
-besondere Materie geboten ist, die eben nur Bestimmtes empfangen könne.
-Das alles wird man nur verstehen, wenn Averroes, trotz seiner Ablehnung
-der Emanationslehre, doch nach deren Schema gearbeitet hat; sonst kämen
-Dinge heraus, die man einem so hervorragenden Denker nicht zumuten darf.
-
-Andere Philosophen der mohammedanischen Welt haben von ihrer
-Rechtgläubigkeit hinzugefügt. Aber der große Einfluß der Gnosis auf sie
-zeigt sich bei ihnen in dem so hervortretenden Hang zum Mystizismus
-selbst bei den bedeutendsten unter ihnen. Wir verdanken solchem
-Tüfteln und Forschen nach dem Geheimen der Natur die ~Alchemie~ und
-die feinste und spitzfindigste Ausbildung der ~Astrologie~. Und
-abgesehen von ihren Übersetzungen der griechischen Werke (namentlich
-der aristotelischen), haben sie durch nichts so erheblich auf die
-Forschung des mittelalterlichen Abendlandes gewirkt wie durch ihre
-Geheimwissenschaften. Wir werden übrigens von ihnen noch bei mehreren
-Gelegenheiten zu sprechen haben.
-
-
-36. ~Jüdische Theosophie und Kabbala.~
-
-Da die Gnosis im Grunde aus jüdischen Anschauungen sich entwickelt
-hat, denn das erste konsequente, wenn auch nicht vollständige, System
-ist das von Philon, so darf es nicht wundernehmen, wenn sie auch bei
-jüdischen Forschern sich weitergebildet findet. Hervorzuheben ist
-zunächst der so bedeutende Dichter ~Salomon ben Gabirol~ (1020 n.
-Chr. zu Malaga geboren und in der Philosophie als Avicebron bekannt).
-Ich brauche nur aus einem Hymnus von ihm, „die Königskrone“, die
-entscheidenden Verse anzuführen:
-
- Du bist Gott! Und nicht getrennt ist deine Einheit von deiner
- Göttlichkeit,
- So wenig als dein Dasein von deiner Ursprünglichkeit;
- Denn alles fließt aus ~einer~ Quelle.
- Und wenn auch jedes anders heißt, so ist doch aller Ziel dieselbe
- Stelle.
- Du bist weise! Des „Lebens Quelle“ ist die ~Weisheit~, dir
- entstammend, hell und klar,
- Und deiner Weisheit gegenüber ist der Mensch des Wissens bar.
- Warst früher als alles Frühe, und in deinem Schoß
- Da wuchs die Weisheit groß. -- --
- Du bist weise! Und deine Weisheit strahlte aus die ~Willenskraft~,
- Die wie ein Meister, wie ein Künstler wirkt und schafft,
- Die aus dem Nichts hervor ließ gehn das ~Sein~,
- Wie aus dem Aug’ des Lichtes Schein,
- Die ohne Eimer schöpft des Lichtes Kraft
- Und ohne Werkgang alles schafft.
-
-Also die Emanationen sind Weisheit, Willenskraft, Sein. Und die
-Willenskraft baut die Welt als Emanation.
-
-Das imponierendste System der jüdischen Gnostik und Mystik ist die
-~Kabbala~. Früher mißachtet und verrufen, wird sie jetzt mit Eifer
-hervorgezogen und auf ihren wissenschaftlichen Ideengehalt untersucht.
-Das kabbalistische System ist in sehr vielen Traktaten und Werken
-niedergelegt. Die bedeutendsten Schriften sind das ~Sepher Jezira~
-(Buch der Schöpfung) und das ~Sepher Sohar~ (Buch des Glanzes),
-redigiert von ~Mose de Leon~ um 1300 n. Chr. in Spanien. Es ist eine
-ins Minutiöse durchgeführte Emanationslehre, um die es sich handelt;
-freilich mit Zahlen- und Buchstabenmystik aufs äußerste durchsetzt
-(namentlich im erstgenannten Werk, das alles in der Welt aus Zahlen
-und Buchstaben aufbaut). Das Urwesen ist „das Unendliche“ (~En Soph~),
-oder „der heilige Alte“, oder der „~Alte vom Tage~“, auch das „heilige
-Antlitz“. Es bedeutet ganz Licht. Der Emanationen gibt es zehn in
-absteigender Bedeutung: die höchste Krone oder oberste Höhe, die
-ideelle Weisheit oder ideelle Einsicht, die Liebe oder Gnade, die
-Stärke, das Recht, die Herrlichkeit oder Barmherzigkeit, der Sieg oder
-die Geistesmacht, der Glanz oder die Schönheit, der Grund, der Kranz
-oder das Reich. Es bestehen nun vier Welten in absteigender Folge.
-Der Mensch ist in allen beteiligt, nach den verschiedenen Bedeutungen
-seiner Seele, deren, gemäß der Bibelbezeichnungen, vier angenommen
-werden: Adam mit dem Beiwort Kadmon als Urmenschenseele, Neschamah
-als intuitive, Ruach als denkende, Nephesch als lebende Seele (vgl.
-S. 221 ff.). Daher kann der Mensch sich bis zu dem Höchsten erheben.
-Die vier Welten aber sind: Aziruth, entsprechend dem Pleroma, also das
-absolute Lichtreich, alle Urbilder der Schöpfung enthaltend; Beriah,
-eine intellektuelle Sphäre der Innerlichkeit, die Aionen Weisheit und
-Einsicht herrschen darin; Jezirah, die Welt der Engel, an deren Spitze
-der Erzengel Metathron (also dem Griechischen entnommen, der dem Throne
-Nächststehende), hier waltet die Schönheit. Die letzte Welt zerfällt
-in mehrere Schichten, die oberste Schicht ist die des Demiurgos;
-dann folgt die der Dämonen, die irdische Welt. Und nun geht es
-merkwürdigerweise wieder in die Höhe, denn die weitere Schicht enthält
-Emanationen von Sieg und Glanz, und die letzte Schicht das Reich
-(Malkuth). H. Schmitt sieht darin einen hervorragenden Optimismus, da
-schon in der niedrigsten Welt das Lichtreich erreichbar ist. Weiteres
-anzuführen muß ich mir versagen; meine Leser wissen aber, wie so
-vieles aus der Kabbala als Mystik und Okkultismus in die Nekromantie,
-Theurgie, und was des Spukes mehr, übergegangen ist. Wir haben es nur
-mit dem Gedanklichen zu tun. Und dieses ist bedeutend genug in der
-Reihe der gnostischen und neuplatonischen Systeme. Es führt sogar
-über diese hinaus durch die bezeichnete konsequente Einfügung des
-Menschen in ~alle~ Welten, wodurch sein Anteil am Lichtreiche und
-seine Bestimmung, durch reines Leben und durch Erkenntnis sich zu
-diesem Reiche aufschwingen zu können -- was ja der eigentliche Zweck
-dieser Lehren ist --, noch entschiedener hervortreten. Darin kommt
-diesem System nur die indische und die moderne Theosophie gleich. Die
-kabbalistische Literatur ist unendlich. Unseres Goethe wegen verweise
-ich auf das tüchtige Werk von C. Kiesewetter „Faust in der Geschichte
-und Tradition“, in dem der Leser vieles Hierhergehörige finden wird,
-sowie auf das große Faustbuch von Scheible in der absonderlichen
-Sammlung „Das Kloster“.
-
-Zum Schluß erwähne ich noch, daß unter den Juden auch Sekten wie
-die Muatazile und Muatakallim sich finden; es sind die ~Karaiten~
-oder ~Karäer~, die freiheitlicheren und die ~Rabbaniten~, die
-orthodoxeren. Über die ersteren ist viel geschrieben worden; ich
-kann aber darauf nicht eingehen, das Wesentliche ist schon bei den
-islamischen Sekten gesagt. Unter den jüdischen Philosophen des
-Mittelalters ist aber besonders der allbekannte Arzt der ägyptischen
-Herrscher, ~Maimonides~ (Mose ben Maimûn, abgekürzt Rambam, gestorben
-1205 n. Chr.) hervorzuheben, der den Karaiten zuneigt und so die
-Schrift geistig auszulegen wünscht. In den Geschöpfen macht er einen
-Unterschied zwischen solchen mit vergänglicher Seele, und solchen mit
-unvergänglicher. Ob er zu letzteren ~alle~ Menschen rechnete, oder nur
-die tugendhaften und erleuchteten, kann ich nicht sagen. Die Frage, ob
-die Welt in endlicher Zeit geschaffen ist, oder seit unendlicher, hält
-er für unentscheidbar. Übrigens gehört auch der so außerordentliche und
-edle Dichter ~Jehuda Halevi~ (um 1140) hierher.
-
-
-37. ~Die mittelalterliche Theosophie der christlichen Scholastiker und
-Mystiker.~
-
-Wir wenden uns wieder den christlichen Anschauungen zu, um uns mit
-ihnen ohne Unterbrechung bis zum Schluß dieses Buches zu beschäftigen.
-Die Theosophen und Mystiker stehen in einem gewissen Gegensatz zu
-den ~Scholastikern~, namentlich mußten sie sich den ~Nominalisten~
-unter diesen, die mit Aristoteles den Allgemeinheiten (Universalien,
-Ideen) der Dinge jede Existenz außerhalb des menschlichen Verstandes
-absprechen und die Annahme einer solchen für eine pure Einbildung
-erklären, fernhalten, während sie mit den ~Realisten~, die mit Platon
-gerade jenen Allgemeinheiten absolutes Vorhandensein zusprechen,
-wenigstens einige Berührungspunkte haben konnten. Gleichwohl gehört
-auch die Scholastik hierher, soweit sie Welt- und Lebenanschauung
-betrifft; und seltsamerweise haben gerade die Nominalisten viel
-Übernatürliches geglaubt. Die Lehren der Religion werden möglichst
-dogmatisch aufgefaßt; Philosophisches kommt nur zum Vorschein, wenn
-sie mehr oder weniger frei interpretiert sind. Gott ist Schöpfer und
-Erhalter der Welt fast ganz im biblischen Sinne. Die Welt ist sein Werk
-und real. Der Zweck des Lebens in der Welt ist Vorbereitung für das
-Jenseits, wo Gottes Gnade vollendet, was sie im Diesseits begonnen. Das
-Leben aber ist geregelt durch die religiöse ~Offenbarung~. So mischt
-sich hier Transzendentes mit Realem, und das Realste ist gerade die
-Offenbarung. Daher auch die Lehren über Glauben, Ethik, Moral absolut,
-dogmatisch genommen werden. Und Gott ist nicht bloß Schöpfer, sondern
-auch Erlöser und Vollender, die Trinität. So ist weiter die Welt ein
-„Gottesstaat“ (die Civitas dei des Augustinus) auch den Scholastikern.
-Ein Unterschied in ihr besteht freilich; der Mensch als vernünftiges
-Wesen ist auch Selbstzweck, das Nichtvernunftbegabte ist nur vorhanden.
-Derartige Anschauungen müssen zu schwerzuverstehenden Prädestinationen
-führen, wie schon selbst die Gnade Gottes nicht begriffen werden kann,
-da sie ja in der Welt fehlen dürfte, wenn Gott die Welt vollkommen
-geschaffen hätte. Oder sie müssen in einen Dualismus zwischen Gut und
-Böse, Materie und Geist auslaufen.
-
-Sehr bemerkenswert ist es, daß die beiden größten Scholastiker,
-~Albert der Große~, ~Albertus Magnus~ (1193-1280, zu Lauingen in
-Schwaben geboren) und ~Thomas von Aquino~ (1225-1274) trotz ihrer
-aristotelischen Richtung der Emanationslehre zuneigen. Der erstere
-meint, Gott sei erkennbar durch Intuition, die seine Gnade verleiht,
-und aus der Wahrnehmung in der Natur. Ganz faßbar könne er nicht
-sein, weil er eine Unendlichkeit darstellt. Gott sei der allgemeine
-tätige Verstand (Intellectus universaliter agens). Und dieser ströme
-ständig Intelligenzen aus. Die Welt ist durch Gottes Willen geschaffen.
-Dieser Wille ist frei; in der geschaffenen Natur zeigt er sich in den
-Gesetzen, denen sie folgt, nur scheinbar gebunden. So bildet sich die
-Natur stetig selbst, aber immer unter dem Willen Gottes. Die ganze
-Welt aber ist eine Emanation nach absteigenden Graden; letzteres, weil
-immer die Ursache vollkommener ist als die Wirkung. Darum hat denn
-Gott auf diesem Wege nur eine unvollkommene Welt hervorgehen lassen
-können. Sie bildet aber eine feste Einheit, weil keine Emanationsstufe
-fehlt; die Emanationen sind stetig wie das stetige Strahlen der Sonne.
-In dieser Weise ist also auch Gott in den Seelen wie überhaupt in
-allen Dingen gegenwärtig, da selbst die niedersten Grade der Emanation
-an die höchsten stetig anschließen. Und so geschieht alles aus sich
-heraus, vermöge des Anteils am göttlichen Willen und an der göttlichen
-Intelligenz. Die Dinge als solche sind vergänglich wie die ganze
-sichtbare Welt; aber das in sie Emanierte ist, als gottentstammt,
-unvergänglich. Die Materie ist gleichfalls von Gott geschaffen; sie
-wird nicht als Emanation angesehen, sondern als eine Art Bedingung für
-die sichtbare Schöpfung. Und so enthält ihm die Materie die Keime aller
-Wesen von je und in die Zukunft in sich, so daß die Entwicklung der
-Dinge wie bei Averroes, eine Art Evolution ist, aber doch nur, weil
-Gott diese Keime von vornherein in die Materie gelegt hat, während bei
-Averroes die Keime der Materie an sich gehören sollen. Der Emanation
-von oben nach unten entspricht die Evolution von unten nach oben, wie
-wir es schon von mehreren Systemen kennen. So entwickelt sich auch
-die Menschheit zu immer höheren Graden, wobei sie alles Frühere immer
-beibehält. Wie das geschieht, ist nicht recht verständlich, wenn nicht
-wieder die präformierten Keime zu Hilfe gerufen werden, also Gottes
-Willensakte. Trotz der theosophisch-theologischen Anlage ist ein
-gewisser Mechanismus der Durchführung nicht zu verkennen; er zeigt sich
-in der starren Evolution des einmal in die Materie Gelegten. Wie denn
-auch deshalb Albertus das Wunder, Augustinus nachahmend, ganz natürlich
-erachtete. Die Verschiedenheit der Dinge (die ~Individuation~) folgt
-aus dem gleichen Prinzip. Gott hat sie eingepflanzt, in der Materie
-evolviert sie sich. Albert scheidet aber den Geist von der Materie,
-und ersteren behandelt er wesentlich spiritualistisch; Gott zieht ihn
-unmittelbar aus seinem Lichte heraus, nicht aus etwas der materiellen
-Prinzipe. Daraus leitet er Freiheit des Willens ab, denn Gott ist
-absolut frei. Und so stehen wir hier hinsichtlich des bewußten Bösen
-vor derselben Schwierigkeit wie bei Augustinus und so vielen Anderen.
-
-Wenig verschieden von diesen Anschauungen sind die des größten Schülers
-Alberts, des Scholastikers par excellence, ~Thomas von Aquino~. Nur daß
-Gott eine noch höhere Stelle angewiesen wird und, man möchte sagen,
-eine noch größere Freiheit. Alle möglichen Welten sind Gott offenbar.
-Er wählt eine nach Maßgabe seiner Güte und seiner Vollkommenheit.
-Aber den Geschöpfen ist nur das, und gerade das verliehen, was der
-einmal gewählten Welt gemäß ist. Sollte damit das Unvollkommene und
-Schlechte im einzelnen motiviert sein, so ist also zugleich die
-Verantwortlichkeit aufgehoben. Gleichwohl vindiziert der Philosoph
-den Geschöpfen Willensfreiheit; es bleibt also auch hier bei der
-Unvollkommenheit im Verhältnis zu Gott. Im übrigen wird die Emanation
-ganz so durchgeführt wie bei Albert dem Großen. Dementsprechend
-liegt auch der Vernunftgrund (ratio) der Geschöpfe, insgesamt und im
-einzelnen, in der Idee, die Gott von sich selbst hat, nur daß diese
-Idee als unendlich durch die Vernunftgründe in der Welt nicht erschöpft
-werden kann, viel weniger durch ein Einzelnes. Und in einem ist Thomas
-konsequenter als Albert. Beide betrachten die Materie als durchaus
-zugehörig zu den Wesen, nicht bloß zufällig oder nach Willkür um die
-Seele gehüllt. Aber Thomas, die Seele eben als Göttliches ansehend,
-schreibt ihr auch zu, daß sie sich selbst den Körper aus der sonst
-eigenschaftlosen Materie aufbaut. Das ist eine Durchbrechung der
-absoluten Evolutionslehre Alberts, und nach der spiritualistischen
-Seite hin. Die Vernunft ist aber das oberste Prinzip. Man hat darum
-diese Lehre als den ~intellektualistischen Determinismus~ bezeichnet.
-Auch das verdient noch besonders hervorgehoben zu werden, daß eine
-Schöpfung in der Endlichkeit der Zeit nicht angenommen zu werden
-brauche. Eine solche Schöpfung sei nur Glaubenssache, denkbar sei
-auch eine Schöpfung in der Unendlichkeit. Offenbar wollte der Aquinate
-dadurch der unschönen und vorwitzigen Frage aus dem Wege gehen, was
-denn Gott vor der Erschaffung der Welt getan habe. Daß aber, sobald
-die Schöpfung in die Unendlichkeit hinausgerückt wird, die Idee der
-Schöpfung überhaupt aufhört, liegt auf der Hand. Dann hat eben die Welt
-von je bestanden, sie ist gar nicht erschaffen, und Gottes Tätigkeit
-beschränkt sich allenfalls auf ein Leiten der Welt. Läßt man dieses
-Leiten auch noch fort, so gelangt man zu der rein mechanistischen
-physischen Anschauung von der Welt. Und daran ändert nichts, daß
-man die Schöpfung von ihrer Ursache unterschieden hat, gemeint hat:
-Gott sei ohne Ursache, die Welt aber mit Ursache. Das könnte für die
-Schaffung in der Unendlichkeit einen Sinn nur haben, wenn die Welt
-Emanation Gottes wäre oder zu seinem Wesen gehörte, was ja abgelehnt
-wird. Solchen im Grunde bedeutungslosen Distinktionen begegnet man
-oft. Ich glaube darum, daß Thomas von Aquino nur hat sagen wollen, wir
-vermögen für die Erschaffung der Welt keinen Zeitpunkt anzugeben, und
-das Festhalten oder Nichtfesthalten an der biblischen Angabe hierüber
-dürfe jedem überlassen bleiben. Und das kann vom Standpunkte der
-Wissenschaft, die ja schon bei der Entwicklung der Erde mit Hunderten
-Millionen von Jahren rechnen muß, nur gutgeheißen werden, obwohl
-Thomas davon nichts gewußt hat. Albert der Große (Doctor universalis)
-war auch ein großer Naturforscher, der Aquinate (Doctor angelicus)
-ein gewaltiger Dialektiker. Diesem ist sein noch außerordentlicherer
-Landsmann ~Dante~ in seinen Anschauungen gefolgt. Und die Verse am
-Schluß der ganzen „Göttlichen Komödie“ (übersetzt von König Johann von
-Sachsen)
-
- O ewiges Licht, das, auf dir selbst nur ruhend,
- Allein du selbst dich kennst und, dich erkennend,
- Sowie von dir erkannt dir liebend lächelst!
- Das Kreisen, das in dir also erzeugt schien,
- Wie rückgestrahltes Leuchten, da ich etwas
- Mit meinen Augen es ringsum betrachtet,
- Zeigt’ in dem Innern mir mit unserem Bilde
- Von seiner eigenen Farbe sich bemalet,
- So daß ich mein Gesicht ganz drein versenkte. -- --
- Sehn wollt’ ich, wie das Bild sich mit dem Kreise
- Vereint, und wie’s drin seine Stätte findet;
- Doch gnügten nicht dazu die eignen Schwingen.
- Bis daß mein Geist von einem Blitz durchzuckt ward,
- In welchem sein Verlangen sich ihm nahte.
- Der hehren Phantasie gebrach’s an Kraft hier,
- Doch schon schwang um mein Wünschen und mein Wollen,
- Wie sich gleichförmig dreht ein Rad, die Liebe,
- Die da die Sonne rollt und andre Sterne.
-
-können durchaus auf thomistische wie gnostische Anschauungen
-gedeutet werden. Solcher Verse aber gibt es viele in dem Gedicht des
-Florentiners. Und das Standbild des Dichters vor der Santa Croce
-in seiner Vaterstadt drückt dieses mächtige Hinausschreiten des
-Begeisterten in das Reich des höchsten Schauens über alle Maßen schön
-aus.
-
-Das Übernatürliche als eine notwendige Ergänzung unserer natürlichen
-Erkenntnis sieht auch der große ~Johannes Duns Scotus~ (wahrscheinlich
-ein Schotte von der Grenze Englands, gestorben 1308 zu Köln) an. Und
-dieses Übernatürliche ist das Göttliche in uns. Es ist aber nur der
-Möglichkeit nach in uns. Ob wir zu ihm gelangen, hängt von unseren
-Handlungen ab, die in unserem freien Willen liegen. Hier ist, wie
-auch sonst vielfach, der freie Wille auf das Gute bezogen; bei
-anderen Philosophen findet er sich auf das Schlechte gerichtet, wohin
-er eigentlich mehr gehört, vom ethischen Standpunkt gesehen. Alles
-Übernatürliche ist darum so weit natürlich, als es der vernünftigen
-Seele von vornherein, wenn auch zunächst nur potentiell, vom Schöpfer
-eingepflanzt ist. Außer der Natur steht das Übernatürliche, wenn es in
-den Geschöpfen nicht schon vorhanden ist und jedesmal von Gott ausgeht
-und diesen Geschöpfen erst verliehen wird. Gott ist das schlechthin
-Einfache (simpliciter simplex). Gleichwohl müssen wir in ihm eine
-Vielheit erkennen, nach der Augustinischen Trinitätslehre, als Wissen,
-Verstand und Wille, und als Vorbilder der Mannigfaltigkeit in der Welt.
-So ist die Schöpfung eine doppelte: nach dem Verstand -- die Natur,
-nach dem Willen -- die Vernunft. Die Mannigfaltigkeit in der Welt ist
-an sich zufällig; daher muß in Gott etwas sein, das ihn veranlaßt hat,
-die Welt so zu schaffen, wie sie sich zeigt. Das ist eben der Wille
-Gottes, und dieser ist ja frei in bezug auf alles, was nicht dem Wesen
-Gottes angehört. Für uns die wichtige Folgerung hieraus wäre: die Welt
-gehört nicht zum Wesen Gottes, weder direkt noch indirekt. Scotus ist
-also weder Pandeist noch Emanist, er steht einfach auf dem Boden der
-Bibel. Abweichend aber meint er, daß Gott auch eine dieser Welt, sogar
-sittlich, entgegengesetzte Welt hätte hervorbringen können. Daraus
-würde nun folgen, daß das Böse in der Welt auch durch Gottes Willen
-entstanden ist, da ja alles absolut seinem Willen entspricht. Und so
-sieht alles wie ganz nach Willkür geschaffen aus. Eine Milderung findet
-sich nur darin, daß, nachdem Gott die Welt wie sie ist geschaffen
-hat, er an sie gebunden sein soll, indem Gott neben einem absoluten
-Willen auch einen geordneten Willen haben soll. Warum, sieht man
-nicht ein. Es wird zwar gesagt, daß der Wille Gottes mit seinem Wesen
-zusammenhängt. Aber was ist sein Wesen, wenn er auch Entgegengesetztes
-wollen kann? Und das Ganze wird nicht klarer, wenn der Verstand Gottes
-in zwei Teile zerlegt wird, einen in sein eigenes Wesen gerichteten
-und einen, der die Welt erkennt, weil er sie gewollt hat, und wenn
-ferner gemeint wird, der erste Verstand greife in den zweiten ein und
-so entstehe die Welt dem Wesen Gottes gemäß. Auf diese Weise läuft man
-eigentlich immer im Kreise herum, und das hat seinen Grund in dem ja
-überall im Mittelalter sich zeigenden Wunsche, das Theologische mit dem
-Philosophischen und der Naturerkenntnis, den ~liber scriptus~ mit dem
-~liber vivus~ zu versöhnen, was eben nicht möglich ist. Der Begriff
-von Gott wird dabei immer komplizierter und immer unverständlicher. Im
-übrigen denkt Scotus von der Welt ganz physisch, namentlich ist ihm der
-Himmel nichts besonderes. Und alles ist ihm vergänglich, das Göttliche
-in uns natürlich nicht.
-
-Mit einem Fuße bei den Mystikern steht der Empiriker ~Roger Bacon~
-(Doctor mirabilis, 1214-1292), Landsmann des noch empirischeren Bacon
-von Verulam, insofern er von einem intuitiven absoluten Wissen
-spricht, zu dem man durch verschiedene Grade der Erleuchtung aufsteigt,
-um zuletzt „reiner Spiegel Gottes“ zu werden. In Gott sei der tätige
-Verstand des Menschen, der Verstand des Irdischen sei nur ein leidender
-Verstand, wie auch arabische Philosophen sagen. So bestehe neben der
-sinnlichen Erfahrung eine übersinnliche. Arabisch ist es auch (S. 289
-f.), wenn er die Materie als die Keime aller Entwicklung der Welt
-enthaltend ansieht. Indem er aber die Materie gleichwohl von Gott
-erschaffen sein läßt, nähert er sich dem Standpunkt des Albert, daß
-eben Gott diese Keime in die Materie gelegt hat (S. 295).
-
-Gehen wir zu den ~Mystikern~ selbst über, so haben wir solche
-verstandesklare Größen wie die genannten Scholastiker nicht zu
-verzeichnen. Unser unglücklicher genialer Kaiser Otto III. war eine
-durchaus mystisch veranlagte Natur. Mystiker waren alle großen Mönche
-und Ordensstifter. Aber dieser Mystizismus bezieht sich nur auf die
-bestimmte christliche Religion und die Erscheinungen in ihr, und geht
-dabei stark in das Visionäre über, wie bei dem so sympathisch-milden
-heiligen Franziskus und dem so energischen Bernhard von Clairvaux, der
-trotz seines reinen Wollens so viel unfruchtbares Unheil auf die Welt
-heraufbeschworen hat, weil er die schlechten Instinkte der Massen und
-die niedrige Herrsch- und Goldbegier der Führer nicht in Rechnung zu
-ziehen verstand. Wir haben es hier mit dem philosophischen Mystizismus
-zu tun. Der Begründer dieses mittelalterlichen Mystizismus ist, obwohl
-vor ihm schon ~Anselm von Canterbury~ (in Italien 1033 geboren)
-sich als ein halber Pandeist zeigte, der Deutsche (?) ~Hugo von St.
-Victor~ (gestorben 1140). Die Welt ist eine ~Abspiegelung~ Gottes.
-So ist die Vernunft ein Ebenbild Gottes, und die Offenbarung in ihr
-bedeutet die übernatürliche Offenbarung Gottes. Unser Erkennen ist eine
-Kette, die Glied an Glied bis zum Höchsten führt, der selbst keine
-Wirkung ist und keine Ursache hat. Und wir hören bei ihm auf, weil
-eben unsere Vernunft sich als Spiegel von ihm darstellt. Folgerichtig
-erkennt Victor eine innere Lehre an, also eine Entwicklung aus sich
-selbst heraus. Und diese soll auf der einen Seite zu der Erkenntnis
-Gottes führen, welche allen Menschen gemeinsam ist, auf der anderen
-Seite zu der des Erlösers, welche dem Christentum eigen ist. Da die
-Vernunft aller Menschen gleichen Ursprung hat, muß man annehmen, daß
-in manchen Menschen die zweite Erkenntnis schlummert oder durch eine
-Widersetzlichkeit zurückgehalten wird. Diese ist die Sünde, welche
-die Vernunft in Verwirrung gebracht hat und welche den Menschen
-überhaupt von dem Höchsten entfernt. Woher aber die Sünde kommt, ist
-um so weniger zu verstehen, als die vernünftigen Geschöpfe die ~ganze~
-Idee Gottes spiegeln sollen, nicht bloß einen Teil, wie alle anderen
-Dinge der Welt. Allerdings wird dieser Satz auch eingeschränkt; die
-Vernunft soll sich nach dem Höchsten zu entwickeln. Demnach wäre
-das Ebenbild Gottes nur potentiell und würde allmählich aktuell und
-völlig real, sobald der Mensch sich von allen Schlacken gereinigt hat.
-Alsdann erkennt er Gott durch Anschauen, intuitiv, denn die reine
-verstandesmäßige Ableitung kann das Unendliche nicht begreifen. So
-spricht Hugo von drei Augen der Seele; eines, das Auge des Fleisches,
-für die sinnlichen Dinge und den Körper, eines der Vernunft, für die
-Erkennung ihrer, der Seele selbst, und alles dessen, was in ihr ist,
-und eines der Anschauung (contemplatio) für die Erkennung Gottes in
-sich und in Gott. Gleichwohl ist die Seele einheitlich. In einer uns
-schon bekannten, aber trotz der fortwährenden Wiederholung gleich
-unverständlich bleibenden Wendung soll das Böse zum Guten dienen,
-um letzteres zu durchschauen. Nicht viel verständlicher ist die
-weitere, gleichfalls so oft wiederkehrende Behauptung, daß die Welt
-der Menschen wegen da ist, der Mensch aber Gottes wegen. Letzteres
-könnte doch nur einen Sinn haben, wenn Gott erst im Menschen sich
-selbst offenbart, was Thomas von Aquino vom Verhältnis Christi zu Gott
-aussagt. Sittlich aber scheint mir Hugos Idee bedeutender. Und sie ist
-für ihn der Ausfluß aller Vorschriften für das Leben, die in dem Satz
-gipfeln, daß gegenüber der Einsicht des Menschen in sich selbst und
-seiner Beschäftigung mit sich selbst die Einsicht in die Natur und die
-Beschäftigung mit der Natur ganz zurückzutreten hat, als wenn Gott nur
-in uns, nicht in der Natur zu erkennen wäre. Der Mystiker sieht darum
-sein Heil in Sittenreinheit und frommem Sich-in-sich-Versenken. Die
-äußeren Mittel der Religion unterstützen beides.
-
-Ein Namensvetter unseres Philosophen, der Schotte ~Richard von St.
-Victor~ (gestorben 1173), hat für uns darum noch hervortretende
-Bedeutung, weil er den Wert des Schauens ganz besonders betonte; der
-Glaube steht ihm sehr tief gegenüber dem Schauen, tiefer noch als
-der Verstand, der seinerseits schon tief genug angesetzt wird. Er
-stirbt, wenn das Schauen beginnt; und wenn Gott erscheint, vergehen
-Sinn, Gedächtnis und Vernunft. Das hätte ein Indier sagen können oder
-ein Valentinianer. Und Schauen ist „Ekstase, Entrückung (raptus) des
-Geistes, Herausschreiten (excessus) aus sich selbst“ usf. Wollte man
-das wörtlich nehmen, so käme man zu den visionären Verzückungen der
-Heiligen und Unheiligen oder auf naturmenschliche Denkweise. Und
-wohin soll man die Ansicht bringen, daß Gott den Geschöpfen sich noch
-besonders mitteilen kann? Das ist klarer und echter Mystizismus, in dem
-die Gottheit des Menschen schon im Leben auf die Spitze getrieben ist.
-Doch wird er dadurch gemäßigt, daß auch ein Schauen in der Vernunft
-und in der Einbildungskraft, außer dem in der reinen Intelligenz,
-anerkannt ist. Es dürfte dem Leser aufgefallen sein, daß hier und in
-allem Früheren, obwohl wir im vollen Kirchentum stecken, fast nur
-von Gott die Rede ist. In der Tat haben sich die Philosophen mit der
-Trinität nicht gut abfinden können, oder nur vermittelst der „doppelten
-Wahrheit“. Indessen möchte ich eine Ansicht nicht unterdrücken, die
-hierüber ein Mystiker geäußert hat, der Engländer ~Isaac~ (um 1150),
-und die man allerdings mit Heinrich Ritter (Geschichte der christlichen
-Philosophie) als verständig ansehen darf. „An Gott (dem Vater) hat
-alles teil, sofern es ist, weil er das höchste Sein ist und das
-Sein allgemeines Prinzip aller Dinge ist. Die bestimmte Weise des
-Teilnehmens, nach welcher ein jedes Ding ein besonderes Wesen von Natur
-ist, empfängt aber ein jedes Geschöpf nur durch den Sohn Gottes, indem
-der Vater alles nur durch den Sohn verleiht. Endlich aber muß von der
-natürlichen Verleihung der Gaben der Gebrauch unterschieden werden,
-welchen die vernünftigen Wesen von ihren Gaben machen und durch welchen
-sie erst wahrhaft der Tugend und der Erkenntnis Gottes teilhaftig
-werden. Dieser Gebrauch gelingt ihnen nur durch die Erleuchtung des
-Heiligen Geistes.“ Andere Ganz- oder Halbmystiker, wie den ~Alanus~
-(gegen 1200), seinerzeit ein großes Kirchenlicht und für die unseligen
-Waldenser von verhängnisvoller Bedeutung, den ~Bonaventura~ (1221 im
-Kirchenstaate geboren), der eine Reise des Geistes zu Gott geschrieben
-hat und stark pandeistische Neigungen zeigt, den Franzosen ~Johann
-Gerson~ (zu Gerson bei Rheims 1363 geboren) usf., übergehen wir, es
-kommt Neues nicht zum Vorschein. Eine Erwähnung verdient aber durchaus
-der fromme Dominikaner „~Meister Eckehart~“ (geboren bei Gotha,
-gestorben 1327). Seine Anschauungen sind wesentlich gnostisch, und
-zwar mit den Valentinianischen verwandt. Die Emanation beginnt mit
-Christus, dem Bilde des Vaters, und dem Heiligen Geist, dem umfassenden
-Liebesbunde. Zugleich emanieren alle Gründe der Schöpfung, deren
-Abbild die Schöpfung ist, wie ihr Sein sich als ein Überströmen des
-Seins Gottes darstellt. Gott ist das Sein selbst, für Gott gibt es
-keine Zeit, sondern -- und diese Wendung ist von großem Interesse
--- nur ein Jetzt; Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft sind ihm in das
-Jetzt zusammengezogen, so daß die ganze Welt von je und in je ihm
-zugleich, im Jetzt webend, und nur ist durch dieses Jetzt-Sein. Aber
-freilich nicht in diesem Sein. Denn Gott, als das reine absolute Sein,
-hat nicht Teil an der mannigfaltigen endlichen Welt. So besteht für
-ihn auch keine Mannigfaltigkeit, keine Zahl. Alles ist Eins, es ist
-für ihn auch kein Raum. Im Grunde der Seele ist ein „ungeschaffenes
-und unschaffbares Licht“, ein „Seelenfünklein“, das mit den übrigen
-Seelenkräften nichts gemein hat, ein göttlicher Keim. Dieser leuchtet
-intuitiv in das Lichtreich, und durch ihn kann der Mensch zum Schauen
-des Höchsten gelangen. Damit wohl verträglich ist die Ansicht, daß
-außerhalb dieses „Seelenfünkleins“ die Welt nur Schein und Nichts ist.
-Von dem Gottesfunken in uns sind ja alle idealistischen Denker und
-Dichter überzeugt. „Soll die Seele Gott erkennen,“ sagt Eckehart, „so
-muß sie ihn erkennen oberhalb der Zeit und oberhalb des Raumes. Denn
-Gott ist weder Dieses noch Jenes, wie diese mannigfaltigen Dinge, Gott
-ist Eins! Soll die Seele Gott sehen, so darf sie nicht zugleich den
-Blick auf irgendwelche Dinge richten, die in die Zeit gehören (und in
-den Raum, müssen wir hinzufügen). Denn während Zeit und Raum und sonst
-dergleichen Bilder (Körper) ihr (der Seele) Bewußtsein erfüllen, vermag
-sie unmöglich Gott gewahr zu werden.“ Die Seele muß sogar sich selbst
-vergessen und sich selbst verlieren. In Gott findet sie sich wieder.
-Damit hat freilich die Welt ihre ganze Bedeutung eingebüßt; man weiß
-nicht, wozu sie da ist. Im übrigen schließt sich Eckehart den großen
-Scholastikern an.
-
-Der flämische ~Jan van Ruysbroek~ (1293-1381) muß es in der Verzückung
-sehr weit gebracht haben, da er „doctor ecstaticus“ genannt wurde. In
-der Schilderung des Zustandes eines wahrhaft Gottschauenden geht er so
-weit, daß er von einem „Verschlungenwerden in den grundlosen Abgrund
-unserer ewigen Seligkeit“ spricht, wobei jedes Denken ein Ende hat.
-„Wo wir aber prüfen und erfassen wollen, was wir fühlen, verfallen
-wir in Vernunft. Und da finden wir sogleich Unterschied und Anderheit
-zwischen Gott und uns und finden Gott als ein Unbegreifliches aus uns.“
-Außer dieser seligen Gnadeneinheit mit Gott haben wir im Leben in und
-mit der Natur eine leidende und tätige Einheit, die jedoch gleichfalls
-eine „Begegnung unseres Geistes mit Gott“ bedeutet. Vielleicht ist
-dieser Mann der konsequenteste Theosoph des Mittelalters, trotz seiner
-sonstigen Anhänglichkeit an die kirchlichen Lehren und Gebräuche. Und
-er spricht in schönen Bildern. Maria war und ist ihm die „Morgenröte
-und der Anbruch des Tages aller Gnaden“. „Gott hat unzugängliche Höhe
-und abgründige Tiefe, unbegreifliche Breite und ewige Länge, (er ist)
-ein dunkles Schweigen (Sigê der Gnostiker), eine wilde Wüste, das
-Rufen aller Heiligen in der Einheit, ein allgemeiner Genuß an sich
-selbst und an allen Heiligen in der Ewigkeit.“ Er kennt, wie andere
-Gnostiker, zwei Himmel, den äußeren, ohne Zeit und Ort, für das Reich
-Gottes und seiner Heiligen, „erfüllt mit Glorie und ewiger Freude“,
-ohne jede Veränderung, und den inneren Himmel, „der erste Antrieb“.
-Letzteres klingt averroistisch. Und das Böse und Schlechte? Davon wird
-nur in Gleichnissen gesprochen, die ohne Bedeutung sind.
-
-
-38. Theosophie und Emanismus in neuerer Zeit.
-
-Die Scholastik hatte den Vorrat an zugänglichen Begriffen und
-Distinktionen bis zu einem gewissen Grade erschöpft und war zuletzt
-dahin gelangt, ihr System, wie von ~Raimundus Lullus~ (1235 auf
-Malorca geboren, 1315 von fanatischen Mauren in Afrika gesteinigt)
-geschehen, in Tabellen, Schemata und Reihen zu ordnen, die dem Menschen
-sogar das Denken ersparen sollten. Gleichwohl ist ihre Bedeutung
-nicht zu unterschätzen; die logische Schärfe des Ausdrucks hat ihr
-sehr viel zu verdanken, und würde ihr noch weit mehr zu verdanken
-haben, wenn das Latein wissenschaftliche Sprache geblieben wäre. Viel
-ist uns von der emsigen Forscherarbeit der Scholasten im Gebiete
-der Begriffsbestimmungen verloren gegangen, dadurch, daß wir ihre
-Sprache verlassen und uns zu den Nationalsprachen gewendet haben.
-Auch ist wohl deutlich genug hervorgetreten, daß sie die eigentlichen
-Probleme der Menschheit keineswegs außer acht ließen. Wir haben Welt-
-und Lebenanschauungen von ihnen kennen gelernt, die tief durchdacht
-und durchfühlt sind. Die Scholastik konnte sich aber auf ihrer Höhe
-nicht halten. Als die Wissenschaften erwachten, die Kenntnis der
-Welt wuchs, die Schätze griechischen Geistes erschlossen wurden, als
-die Renaissance mit der Fülle großer Erscheinungen auf fast allen
-Gebieten menschlicher Tätigkeit anbrach, und als die Reformation sich
-vorbereitete, die Geister frei zu machen, war für die Scholastik nur
-noch ein stilles Dasein möglich, das sie lange wie im Verborgenen
-führte, um später allerdings zu neuer Kraft sich aufzuraffen, dann
-rasch zur Vereinzelung zurückzusinken. Sie hatte der Menschheit nicht
-mehr viel Neues zu sagen, und wo sie einen Anlauf nahm, sprang sie
-ihrer Natur nach zu kurz, vor die Naturwissenschaft, oder zu weit über
-diese hinweg, und mußte darum zurückgewiesen werden. Anders verhält
-es sich mit dem theosophischen Mystizismus. Ist er schon wegen seiner
-dichterischen Färbung und schrankenlosen Unbegrenztheit von je ein
-Schoßkind der Menschen gewesen, so eignet ihm noch zu, daß er sich
-so leicht aller Wissenschaft anpaßt. Er kann ihre Ergebnisse in sich
-aufnehmen, und indem er sie ins Hohe und Höchste zu führen vorgibt
-und versucht, scheint er sie sogar zu veredeln. Dazu kommt der große
-Einfluß, den er auf die Kunst ausübt, die ja von Dichtung sich nährt
-und lebt. So darf es nicht wundernehmen, daß der Baum der Theosophie
-mit seinen verschiedenen Zweigen immer reich in Blüten gestanden hat,
-wenn auch diese Blüten nur selten Früchte entwickelten. Auch kommt es
-dem Menschen nicht immer auf die Früchte an.
-
-Am Eingang der neueren Zeit steht die imponierende Gestalt des
-Kardinals ~Nikolaus Cusanus~ (eigentlich Krebs, zu Cues an der Mosel
-1401 geboren, gestorben 1464). Er ist bis zu einem gewissen Grade
-Pandeist. Gott schafft die Welt nur aus sich (de nullo alio creat, sed
-ex se); indem er alles umfaßt, entfaltet er alles aus sich, ohne doch
-sich dabei irgend zu verändern. Im Grunde ist das eine Emanationslehre.
-Doch verwirft der Cusaner die Abstufungen in dieser Lehre, die Welt ist
-als Ganzes aus Gott entstanden. „Gott ist vermittelst des Universums in
-allem, und die Vielheit der Dinge vermittelst des Universums in Gott“
-(Deus est mediante universo in omnibus et pluralitas rerum mediante
-universo in deo). Und so gehört auch ausnahmslos alles zusammen,
-und wir vermögen das Einzelne nur als Glied des Allgemeinen und das
-Allgemeine nur als Ausfluß Gottes zu erkennen. Deshalb entscheidet
-der Cusaner die oft aufgeworfene Frage, ob etwas aus der Wirkung oder
-aus der Ursache erkannt werden kann, dahin, daß dieses nur aus der
-Ursache, in letzter Instanz also nur aus Gott, zu geschehen vermag.
-In der Welt haben wir daher „wie in einem Buche, geistig die Gedanken
-Gottes zu lesen“. Die Idee von dem absoluten Ganzen der Welt, von ihrem
-absoluten inneren Zusammenhange dürfen wir gerne entgegennehmen; sie
-entspricht unserem Wissen von der Welt, und ist übrigens sehr alt, da
-sie sich schon bei den ionischen Naturphilosophen und bei Herakleitos,
-bei Platon u. a. findet. Einer pandeistischen Anschauung ist sie so
-gemäß wie einer rein physischen. Freilich faßt er den Zusammenhang
-der Geschöpfe nicht mechanistisch auf, sondern die allgemeine Liebe
-aus Gott verbindet jedes mit allem, wie in einem Lebewesen, womit
-nach Platon die Welt auch verglichen wird, indem jedes Glied mit
-allen anderen Gliedern sympathisch zusammenhängt, so daß keines
-verletzt werden kann, ohne daß alle Glieder darunter leiden. Wenn nun
-Cusanus dazu kommt, gleichwohl drei Welten zu unterscheiden: eine
-intelligible um Gott, eine intelligible um den menschlichen Geist,
-eine sinnliche um die sinnliche Welt, so kann das eigentlich nur den
-Sinn haben, daß unsere Tätigkeit sich auf Gott, auf unseren Geist,
-auf die sinnliche Welt richtet, so daß es sich nur um drei Stufen der
-Intelligenz handelt, die sich auf drei Verschiedenes in der Einheit
-richten, wie uns schon bekannt. Indem der Mensch nun zunächst von oben
-nach unten geht, findet er unten die Begrenzung und muß umkehren,
-um nach oben zu steigen. So wendet sich alles erst vom Hohen zum
-Sinnlichen und dann vom Sinnlichen zurück zum Hohen. „Dieses ist
-der Kreislauf des Seins und des Denkens. Und so kehrt alles in das
-Prinzip zurück, von welchem es ausgegangen ist.“ Goethes Kontraktion
-und Expansion! die wir auch schon aus anderen Lehren kennen. Schlimm
-ist es aber, daß der Mensch zwar in sich die Welt und sich in der
-Welt erkennt, jedoch nur menschlich und vermittelst der Welt. Gott
-und die Wahrheit unmittelbar zu erkennen, ist ihm nicht gegeben. Er
-kann beides nur durch die Welt erkennen. Auch so noch ist er zuletzt
-nur auf wahrscheinliche Vermutungen (conjecturae) angewiesen. Diese
-Vermutungen, die unsere Vernunft, unsere Gedankenwelt zusammensetzen,
-schaffen wir, wie Gott die Welt schafft. Und so befinden sich alle
-unsere Wissenschaften nur innerhalb der Genauigkeit. Völlig wie ein
-moderner Naturforscher räsoniert, wenn er von der leeren Wahrheit der
-Unvereinbarkeit des Widersprechenden absieht und die Welt nimmt, wie
-sie sich ihm darbietet. Es ist merkwürdig, daß ein Kardinal das sagen
-konnte, denn die Vermutung bezieht sich auch auf unsere Kenntnis von
-Gott und im Grunde auch auf die Sittengesetze. Nur die Vermittelung
-durch Gott selbst gestattet, die Genauigkeit in eine gewisse Wahrheit
-zu wandeln. Es scheint, als ob der Cusaner uns so beschränkt, weil wir
-das Unendliche nicht fassen können. Und das hat seinen guten Grund.
-Das Unendliche als Fertiges liegt allerdings nicht im Bereiche unserer
-Intelligenz, die diskursiv ist. Ein Kreis bleibt für uns ein Kreis;
-mag sein Mittelpunkt noch so weit von uns fortrücken, er wird im
-Fortrücken seines Mittelpunktes niemals etwas anderes für uns als ein
-Kreis. Und so wissen wir vom Kreis immer nur das eine; was ein Kreis
-mit einem vollendet unendlich großen Radius ist, wissen wir nicht, denn
-die Antwort: eine gerade Linie, ist falsch, obwohl der Herr Verfasser
-sie selbst in einem Examen gegeben hat. Aber die Gnostiker behaupten
-ja, daß wir die Unendlichkeit in der Intuition besitzen. Auf diesem
-Standpunkt scheint also Nikolaus Cusanus sich nicht zu befinden. Im
-übrigen ist für ihn die Welt zwar unendlich und für unendliche Zeit,
-aber von Gott in der Endlichkeit geschaffen. Und indem sie von Gott
-doch verschieden ist und nicht sein unendliches Wesen einbegreift,
-ist sie auch „wegen der in ihr liegenden Zufälligkeit der Materie“
-unvollkommen, eine uns schon bekannte Wendung. Da zeigt sie sich denn
-wenigstens als das Vollkommenste, ein bestes Gemeinsames, dem „das
-Bild und das Leben Gottes in unvergänglicher Weise eingeprägt ist“.
-Im Grunde wäre das die Sprache eines religiös-frommen Naturforschers,
-nicht eines Mystikers, wie mitunter gesagt wird. Der Cusaner hat
-uns lediglich auf die unendliche Entwicklung verwiesen, auf die
-asymptotische Annäherung an Wahrheit und Gott, obwohl auch in seinem
-System ein mächtiger Helfer in Christus, als Mittler zwischen Mensch
-und Gott, steht.
-
-Nicht ganz, aber fast Neuplatoniker, durch seinen Kampf gegen
-Aristoteles und die aristotelischen Scholastiker bekannt, und durch
-seinen Einfluß, den er auf Cosmo von Medici und dadurch auf die
-Akademie zu Florenz geübt hat, von Bedeutung ist der Grieche ~Gemistos
-Plethon~ (um 1450), dem man sogar polytheistische Neigungen nachgesagt
-hat. Gott ist das Eins, und in ihm sind Wesen, Energie und Vermögen zu
-einer Einheit verbunden. Erste Emanationen sind die Geister, die das
-ganze Gebiet der Vernunft (νοῦς), Gottheiten, verschiedenen Wesens,
-verschiedener Energie und eines Vermögens, das mit Wesen und Energie
-verbunden ist, bedeuten. Die zweite Emanation ist die Seele als
-Weltseele, in der auch das Vermögen als ein Besonderes sich geltend
-macht. Gott (Zeus, Basileus) schafft die Welt der sinnlichen Dinge,
-die Materie ist als Unbestimmtes nur ein Zeichen der Unvollkommenheit
-dieser sinnlichen Dinge, nicht ein Besonderes, das schon dagewesen wäre
-vor der Welt. Vorsehung und Notwendigkeit beherrschen die Welt, beide
-in Gott begründet und selbst die Gottheiten beugend. Der Notwendigkeit
-ist sogar Gott selbst unterworfen. Die Gottheiten sind Vermittler
-zwischen Gott und der Welt. Das Ganze macht einen verworrenen Eindruck;
-man weiß nicht recht, was die Gottheiten zu tun haben, wenn Gott selbst
-alles schafft, wenn Vorsehung und Notwendigkeit herrschen. Wenn die
-Gottheiten nur Naturkräfte sind, warum wird ihre Verehrung von einem
-Christen polytheistisch empfohlen? Man weiß auch nicht, woher der
-Mensch den freien Willen hat, der von ihm behauptet wird, und davon
-doch seine Verantwortlichkeit abhängt. Ein Anhänger des Plethon war
-sein Schüler, der berühmte Kardinal ~Bessarion~.
-
-Die Akademie zu Florenz hat wohl in Cosmo di Medici ihren Begründer,
-es war eine geistige Gemeinschaft. Platonismus, und vor allem
-Neuplatonismus wurden gepflegt. ~Marsilius Ficinus~ (1433-1499) gehörte
-zu den hervorragendsten Vertretern dieser Akademie. Den Neuplatonikern
-kann er nur bis zu einem gewissen Grade zugezählt werden, denn er
-verwirft die Plotinische Emanationslehre ganz und gar. In vielem steht
-er auf dem Boden der Lehre des Thomas von Aquino, er ist wesentlich
-Theologe. Daß er nebenbei auch Mystik treibt, von Seelen der Gestirne
-spricht, von ihren Einflüssen auf die irdischen Dinge, daher Kabbala
-lehrt und Alchymie, das hebt ihn noch nicht auf die Höhe theosophischer
-Gedanken über die Welt. Doch nimmt er eine Weltseele an, die alles
-belebt, und behauptet, daß wir mitunter schon im Dasein Gott schauen
-können, und daß „die Seele, von den Fesseln des Körpers erlöst und rein
-scheidend, aus einem sicheren Grunde Gott wird (fit deus); Gott aber
-und Gottes Ewigkeit ist das gleiche“. Ganz theologisch ist wieder, wenn
-jedem Wesen eine besondere Seele zugeschrieben wird.
-
-Eine sympathische und durch seinen frühen Tod verklärte Gestalt ist
-der Freund des Ficinus, ~Giovanni Pico~ (1463-1494), jüngster Sohn
-des Fürsten von ~Mirandola~. 900 Streitsätze schlug er nach der Sitte
-der Zeit, nach der ja auch Luther verfuhr, in Rom an und forderte
-alle zum Kampfe um sie heraus. Selbst das Reisegeld für Ferne wollte
-er bezahlen. Aber dreizehn dieser Sätze schienen ketzerisch, und
-Innozenz VIII. verbot den Kampf. Pico war Dichter und Philosoph. Als
-letzterer kam er zu der auch vielen anderen geläufigen Ansicht, daß im
-Grunde die meisten Philosophen doch gar nicht so sehr voneinander in
-ihren Meinungen abwichen. Der Leser wird das schon aus dem Bisherigen
-bestätigen können. Der Mensch ist ein mittlerer Mikrokosmos. „Gott gibt
-dem Menschen bei der Geburt die mannigfaltigen Samen und Sprossen aller
-Art Leben ein.“ Ganz auf sich gestellt, vermag er alles nach unten
-und alles nach oben zu durchleben. Wendet er seinen Blick nach oben
-und zieht sich in die Mitte des Universums, also wohl in sich selbst,
-zurück, so wird er „Eins mit Gott Geist werden, in des Vaters einsamer
-Finsternis (Abgeschiedenheit? Sigê?), der über allem thront, und wird
-allem vorausstehen“. Mit dem Begriffe Gottes plagt sich Pico nicht
-minder, wie alle anderen vor ihm und nach ihm, die diesen Begriff
-auf das Höchste treiben wollten und wollen. Das liegt daran, daß alle
-Ausdrücke der sinnlichen Welt angepaßt sind. Und ob man „Sein“ sagt,
-oder „Eins“, oder „Das“, oder „Selbst“, man bleibt in der sinnlichen
-Welt und mindestens in den Kategorien der menschlichen Vernunft. Was
-wir von Gott bejahen, müssen wir deshalb von ihm verneinen. Und so
-meint in der Tat „Gott sei Alles“ das gleiche wie „Gott sei Eins“,
-„Gott sei das Sein“ nichts anderes wie „Gott sei das Nichtsein“. In
-manchen Lehren erinnert Pico an Nikolaus von Cusa, so namentlich in
-der von der Einheit der Welt, von der Notwendigkeit der Materie für
-das erste Leben und Erkennen, von der Befreiung von dieser Materie
-durch die allumfassende Liebe, und in der Anerkennung und Hervorhebung
-der Freude an der Schönheit der Welt und der Menschenwerke. Angenehm
-berührt seine Toleranz gegen jede Religion bei eigener tiefer
-Religiosität.
-
-Auf dem gleichen Wege treffen wir unseren Landsmann ~Johann Reuchlin~
-(1455 zu Pforzheim geboren, gestorben 1522, er nannte sich gräzisiert
-auch ~Kapnion~). Er war in Italien und kannte Pico persönlich. Das
-ist nun ein Theosoph und Mystiker aus des Herzens Grunde. Er hat
-auch ein höchst umfangreiches Werk über die Kabbala geschrieben. Er
-verwirft manches dieser Lehre, aber das meiste anerkennt er doch. „Denn
-was anderes bezweckt der Kabbalist oder Pythagoras, als die Seelen
-der Menschen in Götter zu beziehen, das heißt, sie zur vollkommenen
-Glückseligkeit zu fördern“, sagt er. Und Gott gleich werden ist sein
-Bestreben, denn der Grund aller Vernunft ist die letzte und höchste
-Wahrheit. Diese Wahrheit kann aber nicht durch Denken erreicht werden,
-das ja nur diskursiv wirkt, sondern allein durch innere Offenbarung.
-Er urteilt darum auch von Denken und Logik sehr gering. Darin tut er
-eigentlich, gerade nach seiner Ansicht, unrecht, denn die Gesetze der
-reinen Logik sind als Selbstverständlichkeiten Offenbarungen, durch
-keinen Schluß zu gewinnen. Ja solche Sätze wie „das Nichtseiende ist
-Seiendes und das Seiende ist Nichtseiendes“ stellen nur scheinbar
-einen logischen Widerspruch dar, wie schon oben bemerkt. Er meint
--- der Leser verzeihe diese Abschweifung -- der obige Satz sei in
-mente richtig, da könne man Entgegengesetztes und Widersprechendes
-vereinigen, aber in ratione würden sie weitest auseinandergehalten.
-Doch nicht, die Worte besagen ja nichts ohne Bezugnahme. Der Satz an
-sich ist in mente gerade so falsch wie in ratione. Wendet man ihn aber
-auf etwas an, dem wir alle positiven und alle negativen Prädikate
-gleicherweise zusprechen oder absprechen, so ist er richtig. Es gehört
-das zu den Antinomien unserer Vernunft. Aber Reuchlin haßt die Logik
--- und das ist sehr bezeichnend -- als „Feind des Glaubens und der
-Theosophen“, was also die arme Logik gar nicht ist, wenn Reuchlin unter
-Logik nicht das Urteil des sogenannten kalten Verstandes meint. Dieses
-können Glaube und Theosophie allerdings nicht brauchen, oder nur in
-dem Sinne des Cusaners. Ganz entgegen dem Cusaner schreibt er jedem
-Dinge sein eigenes besonderes Wesen zu, das es aus den allgemeinen
-Naturgesetzen herausheben kann. Darum muß auch jedes Ding für sich in
-seinen geheimsten Eigenschaften studiert werden. So kommt er also auch
-zur Magie, freilich auch zur Naturwissenschaft.
-
-Ein Genosse Reuchlins in Theosophie und Okkultismus war der Kölner
-~Cornelius Agrippa von Nettesheim~ (1486-1535), ein höchst unruhiger
-und zerfahrener Herr, der alles mögliche trieb und sich mit allen
-Leuten zankte. Und dabei doch ein nicht unbedeutender Mann. Bei allem
-Hang zur Mystik spricht er mitunter wie ein moderner Naturforscher,
-so hinsichtlich der Grundlagen der Wissenschaften, und er hat auch
-die Naturwissenschaft zu fördern versucht. Und obwohl er, ganz wie
-Reuchlin, die Offenbarung in uns sucht und alle Schlußwissenschaften
-als eingebildet und leer abweist, ist doch seine Mystik durch fromme
-Religiosität gemäßigt. „Nicht in der Zunge, sondern im Herzen ist der
-Sitz der Wahrheit; nicht der Verstand, sondern der Wille verbindet
-mit Gott.“ Die Freiheit des Menschen geht ins weiteste, und so darf
-er auch die Schrift auslegen und braucht sich nicht an theologische
-Behauptungen zu halten. Was Agrippa von der Religion sagt, ist
-fast alles vortrefflich; Luther freilich zählt er zu den Ketzern
-und Kupplern, ohne deshalb dem Papste gewogen zu sein. Alle Dinge
-hängen aber in ihrem Urgrunde zusammen. Die Welt ist dreifach: die
-elementare sinnliche (Welt der irdischen Dinge), die himmlische (Welt
-der Gestirne), die übersinnliche (Welt der Intelligenzen). In allen
-Welten findet sich das gleiche, nur in steigender Vergeistigung, ein
-Gedanke, den wir schon von Gnostikern und Kabbalisten kennen. Gott
-aber ist das Urbild von Allem. Was aus ihm hervorgeht ist: bei den
-Intelligenzen die verteilten Gewalten, bei den Gestirnen die Kräfte,
-in der sinnlichen Welt die Körper. Der Mensch hat vom Göttlichen, und
-darum kann er auch das Göttliche schauen. Wie Reuchlin, schreibt er den
-Dingen der Welt besondere Wesenheit, ~qualitates occultae~, zu und mit
-den gleichen Folgen. Was ihn dazu veranlaßt, ist die Bemerkung, daß die
-Körper aufeinander wirken, was aus der Materie nicht erklärbar sei.
-Nun, wir plagen uns noch heute mit dieser Angelegenheit, obwohl wir von
-den qualitates occultae nichts wissen wollen. Agrippa sieht in allen
-Elementen Leben und Seele, er leitet sie aber von einer allgemeinen
-~Weltseele~ ab, zwischen die und die Körper er als Vermittlung einen
-~Welthauch~ (spiritus) setzt, der nicht Körper und nicht Seele sein
-soll, eine Art Äther, nach den drei Welten und der Weltseele auch
-„fünfte Essenz“. Das Ganze hat das Aussehen einer Emanationslehre.
-Und durch einen Sinn der Natur, welcher auch den Tieren innewohnt und
-ihnen einen wahrsagerischen Geist gibt, hängen wir mit der übrigen
-Welt zusammen, in einer Weise, welche die menschliche Wahrheit weit
-übersteigt; „wir vermögen durch ihn die verborgenen Zeichen der Dinge
-zu erkennen und ihre geheimen Kräfte zu gebrauchen.“ Das wieder ist
-hellste Mystik, wenn es nicht naturwissenschaftlich gedeutet wird.
-
-Wie eine starke Abkühlung nimmt sich solcher Schwärmerei gegenüber die
-Lehre des Mantuaners ~Petrus Pomponatius~ (1462-1525 oder 1530) aus,
-den man auch als Atheisten verschrien hat. Der Mensch wird sehr tief
-gestellt nach Verstand und nach Sittlichkeit. Das Wahre zu erkennen,
-ist ihm nicht gegeben. Übel und Sünde aus der Unvollkommenheit der
-Welt zu erklären, lehnt er ab. Er meint, Gott habe die Welt nach
-allen Möglichkeiten geschaffen. Zu diesen Möglichkeiten gehörte aber
-ebenso alles Übel wie alles Gute. „Alles Gute und alles Übel der Natur
-ist von Gott.“ Aber die bewußte Sünde gleichfalls in dem Weltplan zu
-suchen, scheut sich unser Philosoph, wie alle Religionsphilosophen sich
-scheuen. Er meint, diese stamme aus dem freien Willen des Menschen.
-Die Welt ist wie zufällig aus dem Willen Gottes in der Endlichkeit
-hervorgegangen und hört in der Endlichkeit auf. So spielt auch die
-Welt eine nur sehr geringe Rolle. Es ist eine trübselige Anschauung,
-etwas erhellt durch die Abweisung der noch trübseligeren Lehre von der
-Prädestination. Die Gaben Gottes an die Menschen gehen nur nach dem
-Guten, und auch nur ohne Zwang; der Mensch hat die Fähigkeit bekommen,
-nach dem Guten zu streben. Tut er es nicht, wendet er sich zum Bösen,
-so hat er die Folgen im Diesseits und im Jenseits zu gewärtigen.
-Hier spricht er ganz wie ein Theologe, und theologisch ist im Grunde
-auch seine Ansicht von der Unsterblichkeit der Seele. Letztere ohne
-Leib kann er sich nicht denken; die absolute Unsterblichkeit lehnt
-er darum ab. Aber die Auferstehung im Leibe gibt er zu, wie ja auch
-die Lehre vom jüngsten Gericht fordert. Pomponatius ist Aristoteliker
-und dementsprechend reichlich praktisch nüchtern. Er gehört zu den
-Materialisten des Mittelalters.
-
-Den Praeceptor Germaniae und großen Humanisten ~Philipp Melanchthon~
-dürfen wir hier übergehen. Abgesehen von der Theologie und der schönen
-Sittlichkeitslehre, hat er nirgend einen besonderen eigenen festen
-Standpunkt und keine Wendung, die in der Anschauung von Welt und Leben
-etwas Neues besagte. ~Luther~ werden vielfach mystische Neigungen
-zugeschrieben, sein Verhalten gegen Teufel und Hexen spricht wohl
-dafür. Aber der große Reformator hatte zu viel mit der Praxis zu tun,
-als daß er sich der Schwärmerei oder neuen Anschauungen hätte hingeben
-können. Höchstens, daß der Kirchenvater Augustinus, dem der düstere
-~Calvin~ folgte, seine jugendlicheren Jahre beherrschte. ~Zwingli~
-aber ist Neuplatoniker als Philosoph. Überhaupt war die Reformation
-zunächst der Ausbildung größerer Anschauungen nicht günstig. Die
-Religion zu reinigen von Schlacken und Äußerlichkeiten, nahm alles in
-Anspruch, und wo auf die Innerlichkeit zurückgegangen wurde, geschah
-es doch wesentlich auf Grund schon alter Formeln. Wie rasch auch die
-reformierten Kirchen verknöcherten, ist bekannt. Erst die entfesselte
-Forschung der Humanisten, Astronomen und Naturforscher, die plötzliche
-Weitung des Blickes rings um die Erde herum, haben die neue Zeit
-aufgehen lassen. Mit der eindringenden Kenntnis des schönen und freien
-Heidentums, mit der Zertrümmerung des Himmels und der Übertragung
-seiner Gebilde aus der Sphäre der Geister und Engel in die irdische
-Welt, mit den experimental gewonnenen Ergebnissen auf dem Gebiete der
-Mechanik, Physik und Chemie, mit der Einsicht von der frei schwebenden
-Kugel der Erde, von ihren Landen, Bewohnern und Produkten konnten alte
-Probleme mit neuen Ideen in Fülle verarbeitet werden. Ob das aber
-ohne die Reformation so rasch hätte geschehen können, darf nach dem
-Schicksal, das so viele edle Geister unter dem Papsttum noch im 16. und
-17. Jahrhundert betroffen hat, wohl bezweifelt werden. Das Standbild
-auf dem Campo dei fiori redet eine zu deutliche Sprache.
-
-Neben der rein theologischen Festigung der Welt- und Lebenanschauung
-ging die mystische, die sich auch in den bekannten Aufständen Luft
-machte. Es ist natürlich, daß zu einer so bewegten Zeit wie die der
-Reformation viele für sich selbst denken und handeln wollen, zumal
-wenn die Lösung, die man ihnen vom Bisherigen gibt, doch nur wieder
-Fesseln anlegte, und keineswegs solche von Rosen, wenn auch nicht so
-eiserne wie die früheren. Und so zeigt die Reformationszeit Menschen,
-die sich ganz in sich zurückziehen möchten, um dort nach theosophischen
-Lehren Gott und sein Werk zu finden, oder die das Reich Gottes auf
-Erden schon gekommen wähnen und alles Volk zu diesem Reich berufen.
-~Karlstadt~, ~Sebastian Frank~, ~Schwenkfeld~, die ~Wiedertäufer~ sind
-einige Namen und Bezeichnungen. Etwas marktschreierisch, namentlich
-aber verworren, trotz allen Ernstes und aller Tüchtigkeit, wirkte der
-~Bombastus Theophrastus Paracelsus von Hohenheim~ (1493 zu Einsiedeln
-in der Schweiz geboren, 1541 gestorben), ein höchst unruhiger Mann,
-dem Aberglauben aufs äußerste ergeben. Mitunter redet er durchaus wie
-ein moderner Naturforscher und bald darauf wie in verirrter Phantasie.
-Er heilt durch gute chemische Mittel und behauptet doch, daß in den
-Gestirnen das Schicksal des Menschen bestimmt sei. Wie vielen, ist
-ihm der Mensch ein Mikrokosmos, der den Makrokosmos in sich trägt.
-So deutet er die biblische Erzählung, daß der Mensch aus dem Staube
-gemacht sei, dahin, dieser Erdenkloß sei „ein Auszug aus allen Körpern
-und Geschöpfen, aus Himmel und Erde“ gewesen, eine „fünfte Essenz“,
-die wir schon kennen. Das meiste ist trivial, wenn man es aus seiner
-verstiegenen Sprache in einfachen Ausdruck überträgt, oder es ist
-unverständlich. „Und wisse,“ heißt es einmal, „daß die Seele (bei
-Paracelsus der unsterbliche Teil des Menschen) Blut und Fleisch ist
-und in Blut und Fleisch sein muß, und aber, daß da zweierlei Fleisch
-sind, das tödlich und das ewig.“ Das Sterbliche ist der Geist oder
-die Geister im Menschen. Und Geister sieht Paracelsus überall. Höchst
-sonderbar klingt es, wenn er die drei chemischen Elemente, die er mit
-Früheren unterscheidet -- Quecksilber, Schwefel, Salz -- mit Geist,
-Seele und Leib, nicht bloß formell zusammenstellt. Sein Gewährsmann
-ist der Allerweltsgewährsmann Hermes Trismegistos. Die ganze Welt
-ist ein chemischer Prozeß, in dem aus der chaotischen Verwirrung der
-Verbindungen allmählich das Unreine nach einer Seite, zur ewigen Qual
-in der Urmaterie, das Reine nach der anderen Seite, zur Verklärung
-und Freude in Gott, ausgeschieden wird; jenes ist das Böse, dieses
-das Gute. Der chemische Prozeß ist nicht bildlich gemeint, aber
-selbstverständlich nicht in der Beschränkung, in der wir einen solchen
-verstehen. Es ist nicht ohne Interesse, solche Lehren vorzutragen,
-weil aus ihnen doch erhellt, wie sich der Mensch bemüht, den Gang der
-Welt und des Lebens unter ein ihm verständliches Prinzip zu bringen;
-der Chemiker und Arzt, der Paracelsus vornehmlich war, nimmt ein
-chemisch-biologisches Prinzip. Der Cosentiner ~Bernard Telesius~ (1508
-bis 1588) benutzte ein anderes Prinzip, den Kampf zwischen Wärme und
-Kälte (fast möchte man sagen Expansion und Kontraktion). Die Kälte ist
-in der Mitte der Welt, in der Erde, die Wärme ringsum im Himmel und
-in der Sonne. Gott hat sie so angeordnet, und nachdem er es getan,
-bedarf es keines neuen Eingreifens. An der Grenze zwischen der Wärme
-und der Kälte berühren sich beide und bringen dadurch alle Vorgänge
-hervor. Das ist physikalisch gedacht, und Telesius war Physiker,
-sogar mathematischer Physiker. Als solcher leugnete er auch die Leere
-und neigte er gar sehr zum Materialismus. Das gehört aber nicht mehr
-hierher. Ein anderer, wie der Illyrier ~Franz Patritius~ (1529-1597)
-nimmt körperliches und unkörperliches Licht für Kälte und Wärme. Doch
-ist ihm freilich das unkörperliche Licht, das göttliche Licht der
-Gnostiker und Neuplatoniker deren Anschauungen er sich anschließt.
-An die moderne ~Panspermie~ (S. 447) erinnert seine Annahme, daß die
-ganze Welt von Samen des Lebens erfüllt sei, welche vom Lichte getragen
-und verbreitet werden. Die Ähnlichkeit mit der modernen Panspermie
-ist sogar durch den Träger viel größer als es auf den ersten Blick
-scheint. Es gibt wirklich nichts Neues unter der Sonne! Selbst was ein
-neuzeitlichster sonderbarer Vierdimensionenschwärmer ermittelt hat, daß
-die Körper Schlacken (Faeces) sind, hat Patritius schon ausgesprochen.
-Er nennt die Erde den Auswurf (faex) in dem Flusse des Weltlebens.
-
-Der edle Märtyrer ~Giordano Bruno~ (zu Nola um 1548 geboren und zu Rom
-1600 schmachvoll verbrannt) ist hier zunächst wegen seiner Anschauung
-vom Zusammenhange der Welt mit Gott zu nennen. Er schließt sich darin
-Nikolaus von Cusa an, aber mit einer Neigung nach der mehr gnostischen
-Seite hin. Gott ist zwar nur sich selbst erkennbar, aber er ist nicht
-außer uns, und darum haben wir ein Bewußtsein von ihm. „In allen
-Dingen ist das Göttliche in verborgener Weise und die Einheit des alles
-umfassenden Prinzips, wenn auch in der Mannigfaltigkeit zerstreut,
-vorhanden.“ Dieses Prinzip ist nach Bruno die universelle Vernunft,
-„das innerste, wirklichste und eigenste Vermögen und der Teil der
-Weltseele, der ihre Macht bildet. Sie ist ein Identisches, welches das
-All erfüllt, das Universum erleuchtet und die Natur unterweist, ihre
-Gattungen so, wie sie sein sollen, hervorzubringen.“ (Von der Ursache,
-dem Prinzip und dem Einen, Übersetzung von Adolf Lasson.) Diese
-universelle Vernunft wirkt also von Innen heraus. Sie ist der Grund
-aller Bewegung und Entwicklung der Welt und aller Dinge. Sie ist die
-Vernunft, „welche alles ~macht~“, in der Mitte zwischen der Vernunft,
-welche alles ~ist~, und der Vernunft der einzelnen Dinge, welche alles
-~wird~. Wir haben es aber bisher nur mit einem Teil der Weltseele zu
-tun gehabt, der Macht. Der zweite Teil ist die absolute Herrschgewalt;
-sie lenkt die Welt, ohne von ihr irgend beeinflußt zu werden, und
-verleiht ihr Leben und Vollkommenheit, beides stufenweise aufsteigend
-bis zu den vollkommensten Wesen. Die Welt wird als ein „gewaltiger
-Organismus“ bezeichnet und als „ein Abbild des obersten Prinzips“. Und
-es werden diejenigen getadelt, „welche nicht einsehen, noch anerkennen
-wollen, daß die Welt mit ihren Gliedern belebt sei; als ob Gott
-sein Abbild beneidete“. Alle Teile der Welt sind beseelt, und zwar
-„ohne allen Abzug“. Indessen sind viele, eben die, die wir unbelebt
-nennen, nur der Fähigkeit nach beseelt; sie enthalten wenigstens „ein
-Prinzip und einen Keim des Lebens“. Das bedeutet eigentlich, daß diese
-Dinge in ein entstehendes oder vorhandenes beseeltes Wesen eingehen
-können, ohne darin ein Fremdes zu sein; ihre fakultative Beseelung
-geht in wirkliche über, sie beleben sich. Aber doch scheint Bruno dem
-unbelebten Körper eine gewisse andere Beseelung zuzuschreiben, indem
-er sich auf die Wirkungen bezieht, welche sie auf uns, als beseelte
-Wesen, hervorbringen, wie Affekte, Begierden, Gefühle usf. Er beruft
-sich sogar darauf -- und das ist für den so klaren Bruno etwas seltsam
---, daß „die Nekromanten viele Dinge durch Totengebeine zu bewirken
-hoffen, und daß sie glauben, dieselben behielten, wenn auch nicht
-dieselbe, doch eine Art von Lebensfunktion, welche ihnen zu jenen
-außerordentlichen Wirkungen verhelfen können“. Lasson hat dazu eine
-sehr lesenswerte Bemerkung geschrieben. Bruno zahlt seiner Zeit den
-Zoll. So verwirft er auch nicht Krankenbehandlung durch Anhängen von
-Steinen und Murmeln von Beschwörungsformeln, durch Magie oder durch
-Fünftelessenzen neben der Behandlung durch die Apothekerheilmittel,
-aus dem Vernunftsatz, daß es besser ist, auf irgendeine Weise geheilt
-zu werden als gar nicht. Die Hauptsache ist, man weiß jetzt, was
-Bruno unter der Allbeseelung meint: gewisse Funktionen, die auch
-dann noch bestehen, wenn ein Wesen tot ist, und die überhaupt aller
-Materie angehören, höhere Funktionen bei Pflanzen, noch höhere bei
-Tieren, Menschen usf. Die Beseelung ist der Welt „immanent“. Außer
-der Weltseele besteht eine Materie, ein Substrat, die von uns so
-wenig definiert werden kann wie die Weltseele. Die Verbindung mit der
-letzteren gibt die Dinge. Die substanzielle Form der Dinge ist die
-Seele. Materie wie jede Seele „können nicht zerstört und vernichtet
-werden, so daß sie das Sein durchaus und in jedem Sinne verlören“.
-
-So ist die Welt ein dreifaches Unvergängliches: Universelle Vernunft
-oder allgemeine Weltseele, Macht der universellen Vernunft oder
-eigentliche Weltseele, Materie oder Substrat. Bei Gott nun ist Vermögen
-und Wirklichkeit das gleiche, er ist „Urvermögen“ und „Urwirklichkeit“.
-Die Welt aber, deren jeder einzelne Teil ja etwas anderes sein könnte,
-wie ein Stein auch Holz, ein Mensch dieser oder ein anderer, verbindet
-Vermögen und Wirklichkeit nicht; ersteres ist bei weitem umfassender.
-So ist alles expliziert, zerstreut, unterschieden. Darum wird die Welt
-als Schatten, auch Ebenbild, des Urvermögens und der Urwirklichkeit
-bezeichnet. Aber dieses Ebenbild „ist in ~spezifischer~ Wirklichkeit
-alles das, was es seinem ~spezifischen Vermögen~ nach ist“. „Deshalb“,
-wird dann noch gesagt, „wird es nicht schwierig und nicht bedenklich
-sein, schließlich anzunehmen, daß ~das Ganze der Substanz nach eines
-ist~.“ Beim Herabsteigen auf der Stufenleiter der Natur gibt es zwar
-eine doppelte Substanz, eine geistige und eine körperliche; aber
-schließlich gehen beide „auf ein Wesen und eine Wurzel zurück“. Dieses
-wird in der mannigfachsten Weise variiert, so indem in der Materie
-eine körperliche und eine unkörperliche unterschieden wird, die beide
-aber doch nur Materie sind. Die Materie, in diesem Sinne aufgefaßt,
-entfaltet alles, was sie unentfaltet enthält, „darum muß man sie
-ein Göttliches, die gütigste Ahnfrau, die Gebärerin und Mutter der
-natürlichen Dinge, ja der Substanz nach die ganze Natur selber nennen“.
-Sie ist das Universum und ein „Einiges, Unendliches, Unbewegliches“.
-Diese Eigenschaften des Universums werden nach allen Richtungen
-ausgeführt, indem immer das Gegensätzliche als mit dem Universum gleich
-vereinbar dargelegt wird (S. 311). Da es alles vereinigt, kann es nicht
-ein Einzelnes sein. Also hat es keine Gestalt, keine Bewegung, nicht
-Größe noch Kleinheit, nicht Zeit noch Ewigkeit, nicht Zentrum noch
-Umgebung. Es ist unveränderlich; die einzelnen Dinge ändern nur die Art
-des Seins, nicht das Sein selbst, und das Universum umfaßt ~alle~ Arten
-des Seins. So ist das Universum in allem. Von diesem Standpunkt aus
-ist auch das Sterben nur ein Wechsel der Art des Seins oder des Ortes
-im Universum. Und so gibt es auch nichts Neues im Universum; was ist,
-war schon, und was kommt, war schon; ein Gedanke, der sich auch bei dem
-Cusaner findet, und der im „Prediger“ so oft ausgeführt wird. „Da seht
-ihr also wie alle Dinge im Universum sind und das Universum in allen
-Dingen, wir in ihm, es in uns, und so alles in eine vollkommene Einheit
-einmündet.“ Und diese Einheit ist stetig und dauert immer, dieses Eine
-ist ewig. Jedes Ding im Universum, weil es das, was alles in allem ist,
-in sich hat, umfaßt in seiner Art die ganze Weltseele. Diese Weltseele
-ist also in jedem Teile des Universums ganz. Auch sind die Welten
-nicht etwa wie in einer Ausdehnung oder einem Orte, sondern „wie in
-einer umfassenden, erhellenden, bewegenden wirkenden Kraft, welche von
-jeder dieser Welten ebenso umfaßt wird wie die ganze Seele von jedem
-Teile derselben“. Wichtig ist auch die Bemerkung, „daß es eine und
-dieselbe Stufenleiter ist, auf welcher die Natur zur Hervorbringung
-der Dinge herabsteigt, und auf welcher die Vernunft zur Erkenntnis
-derselben emporsteigt, indem sie durch die Vielheit der Mittelglieder
-sich bewegen“. Fast darwinistisch aber klingt es, „daß die Vernunft die
-Vielheit und Verschiedenheit der Arten auf eine und dieselbe Wurzel
-zurückführt“. Und so faßt die Urintelligenz alles aufs vollkommenste
-in ~einer~ Anschauung. Und diesem hat der Mensch nachzustreben, um zum
-„Unterschiedslosen“ zu gelangen.
-
-Es ist schwer zu sagen, in welche Kategorie wir des großen Nolaners
-Lehre einzutragen haben; sie ist ebensowohl theosophisch als
-emanistisch, als panpsychistisch, als physisch (Bruno war Anhänger
-des Kopernikanischen Systems), je nach der Deutung, die man seinen
-Bezeichnungen gibt. In anderen Schriften tritt das Theosophische mehr
-hervor als in der hier besonders benutzten Hauptschrift. Also darf man
-vielleicht glauben, daß das ganze System eine Erhebung des Physischen
-aus seiner Natur in das Göttliche ist oder eine Durchstrahlung des
-Physischen durch das Göttliche; beides eine Art Pandeismus. Und so
-zeigt sich auch der Begriff Gottes von dem des Universums nicht
-getrennt; Gott ist naturierende Natur, Weltseele, Weltkraft. Da Bruno
-durchaus ablehnt, gegen die Religion zu lehren, so hat man solche
-Angaben wohl umgekehrt zu verstehen: Weltkraft, Weltseele, naturierende
-Natur, Universum sind in Gott. ~Gott ist Kraft der Weltkraft, Seele
-der Weltseele, Natur der Natur, Eins des Universums.~ Bruno spricht ja
-auch von mehreren Teilen der universellen Vernunft, des Urvermögens
-und der Urwirklichkeit. Und damit hängt zusammen, daß für ihn die Welt
-unendlich ist und ohne Anfang und Ende; sie ist in demselben Sinne
-allumfassend wie Gott. Aber nicht ganz wie Gott. Gott sei in allem und
-im einzelnen allumfassend, die Welt jedoch wohl in allem, aber nicht
-im einzelnen, da sie ja Teile in sich zuläßt. „Ich sage,“ heißt es in
-einer Schrift über das Unendliche, „das ganze Universum ist unendlich,
-denn es hat weder Rand noch Grenze noch Oberfläche; doch sage ich, daß
-das Universum nicht ganz und gar (totalmente) unendlich ist, daß, was
-wir davon auch nehmen mögen, endlich ist.“ Und an dieser Endlichkeit
-liegt die Verschiedenheit der Dinge und ihr Gegensatz zueinander. Für
-die Übel, Tod und Böses, hat Bruno keine andere Erklärung als Mangel
-und Unvermögen. „Sie finden sich in den explizierten Dingen, weil diese
-nicht alles sind, was sie sein können, und durch äußeren Zwang werden,
-was sie sein können. Da sie daher nicht zugleich und auf einmal so
-vieles sein können, so geben sie das eine Sein auf, um das andere zu
-erlangen.“ Das ist im Grunde nur eine Darlegung des Tatsächlichen.
-
-Bei Giordano Brunos universalistischem Gesinnungsgenossen, dem
-Kalabrier ~Thomas Campanella~ (1568 bis 1639, Dominikaner wie jener;
-wenn auch nicht verbrannt, aber in allen Kerkern Spaniens heimisch, und
-alle Torturen fast gewohnt), tritt das Theosophische etwas stärker in
-den Vordergrund. Die Welt ist eine Mischung aus Sein und Nichts. Dem
-Sein, Gott, wohnen drei ~Primalitäten~ inne: Allmacht, Allweisheit und
-Allwille; dem Nichtsein Unmacht, Unbewußtheit, Bosheit. Die göttlichen
-Primalitäten äußern sich in der Welt als Notwendigkeit, Vorsehung,
-Harmonie. Wie die Mischung zustande kommt, ist ein transzendentes
-Geheimnis. Gott ist das schlechthin Seiende, ein Überseiendes, eine
-Übersubstanz. Er hat von seinem Sein und von seinen Primalitäten (als
-Liebe, Erkennen, Wollen) den Geschöpfen mitgeteilt, wie eine Emanation.
-Und so sind alle Geschöpfe ihrer Wahrheit nach in Gott, nur daß ihnen
-das Nichtsein als ein Mangel anhaftet, davon Gott selbstverständlich
-frei ist. Und es gibt Welten, die sich zu immer höheren Stufen erheben,
-wie Emanationen, und von denen jede die niederen einschließt und
-von den höheren eingeschlossen wird, bis zu Gott, der alles umfaßt.
-Selbst die Engel stehen noch viel näher dem Nichts als Gott. Das
-Unterscheidende der Welt als Welt, da es durch das Nichts gegeben ist,
-bildet also das Übel und das Böse, sonst wären die Geschöpfe Gott,
-und alles bestände unterschiedslos. Der Mensch ist frei zum Guten
-wie zum Bösen. Da jede Primalität von der höheren eingeschlossen ist,
-geht das Tun vom Willen aus, muß gelenkt werden durch das Erkennen und
-seine Richtung nehmen zur Liebe. Alles dieses fließt aus der Natur
-der Geschöpfe. Wie in diesen Rahmen die Materie, die als gänzlich
-eigenschaftslos angesehen wird, paßt, kann ich nicht sagen. Es hat
-aber Gott zuerst den Raum geschaffen, der als die Substanz der Materie
-anzusehen sei, dazu die Materie als solche, als begrenzte Einheit und
-Grundlage für alle Verschiedenheiten. Zuletzt zwei Kräfte, die, wie bei
-Telesius, als Wärme und Kälte angenommen werden, die beide die ganze
-Materie angreifen und so in Streit geraten. Durch sie aber entstehen
-im einzelnen lebendige Wesen, im ganzen die Ordnung und Harmonie der
-Welt unter Leitung Gottes oder der Engel. Dabei müssen den Wesen die
-Primalitäten mitgeteilt werden, direkt oder indirekt. Das Ganze ist
-hier so wenig wie bei Telesius zu durchschauen. Überhaupt sind alle
-allgemeinen Angaben noch verständlich, während die Ausführungen im
-einzelnen für uns wenig mehr als unverständlich verlaufen. Das liegt in
-dem Mangel an Kenntnissen. Und solche und ähnliche Ausführungen fußen
-auch meist auf den Annahmen der ionischen Naturphilosophen, die, weil
-sehr lückenhaft überliefert, nicht anders als unklar wiedergegeben
-werden konnten.
-
-Wir kehren zu unseren deutschen Theosophen zurück. ~Nikolaus Taurellus~
-und ~Valentin Weigel~ übergehen wir, um uns sofort zu unserem größten
-Mystiker ~Jakob Böhme~ zu wenden. Dieser ebenso sonderbare wie höchst
-bedeutende und liebenswerte Mann ist 1575 zu Altseidenberg bei Görlitz
-geboren, hütete erst das Vieh und ward dann ehrsamer Schuster. Als
-solcher lebte er bis 1624, seinem Todesjahre, in Görlitz. Schreiben
-und Lesen verstand er nur notdürftig. Er wurde von wunderbaren
-Gesichten und Verzückungen heimgesucht, war also vielleicht ein
-armer kranker Mensch. Sie gaben ihm aber Anlaß, 1612 seine erste
-Schrift „Morgenröte im Aufgang“ (Aurora) zu verfassen. Die Theologen,
-überall unduldsam, eiferten gegen ihn, und so wurde ihm vom Magistrat
-das Schreiben untersagt. Nach sieben Jahren, da sein Anhang wuchs
-und sein Leben sich als ein frommes und unsträfliches erwies, ließ
-man es zu, daß er weiterschrieb. Der einfache Mann muß viel gehört
-und gelesen haben; er stand auch mit vielen in Verbindung. Wie der
-frühere Schuster Hans Sachs ist er ein gewaltiger Poet, aber in seiner
-innig-tiefen Weise, indem er sich eine außerordentliche Welt erdichtet
-und in außerordentlicher Bildersprache redet. Dabei ist er von allen
-Theosophen der konsequenteste, vielleicht der einzig konsequente.
-
-Mittel zur Erkenntnis ist ihm fast allein das Schauen. Gleich wie
-das Auge des Menschen in die Gestirne sieht, so auch die Seele in
-das göttliche Wesen, darinnen sie lebt. Und aus diesem Schauen hat
-seine „Feder geschrieben“. Und da er eine tiefsittliche Natur ist,
-gewinnt alles bei ihm sittliche oder gegensittliche Bedeutung. So ist
-Licht: Freundlichkeit und Liebe, Wärme: Grimm, ist Haß: Finsternis
-und -- Paracelsistisch -- Begierde: Salz, Angst: Schwefel. Die
-Naturerscheinungen sind Gutes und Böses, und Gutes und Böses sind
-Naturerscheinungen. Geist und Körper gehen durcheinander. Und Gott
-selbst wird körperlich aufgefaßt, nur von ganz außerordentlicher
-Feinheit. „Die harte Qualität, die zeucht das ganze körperliche Wesen
-der Gottheit zusammen und hält es und vertrocknet es, daß es bestehe.“
-Das Auffallende einer solchen Behauptung schwindet, wenn man bedenkt,
-daß ja auch der philosophisch und dialektisch so hochgeschulte Giordano
-Bruno Materie und Seele schließlich in Eins, die allgemeine Substanz,
-auslaufen läßt. Jakob Böhme hat dieses nur sinnlicher ausgedrückt. Und
-so sieht er in der Tat in Gottes Wesen das Nichts; das Unkörperliche
-und Eigenschaftslose, würden wir sagen. Aus diesem seinem Nichts
-schafft Gott die Welt, absteigend sie immer derber verhärtend, indem er
-sich zusammenzieht. In Gott ist zunächst die abgeschlossene Selbstheit,
-die absolute Einheit. Außerdem aber der Drang nach Selbstoffenbarung in
-der Vielheit. Gott bildet hiernach eine ~Polarität~, eine ~Entzweiung~
-mit sich selbst. Und so ist Gott auch Gutes und Böses. „~Denn der
-heiligen Welt Gott und der finsteren Welt Gott sind nicht zween Götter;
-es ist ein einziger Gott; er ist selber alles Wesen; er ist Böses und
-Gutes, Himmel und Hölle, Licht und Finsternis, Ewigkeit und Zeit,
-Anfang und Ende; wo seine Liebe in einem Wesen verborgen ist, als da
-ist sein Zorn offenbar.~“ So zu lesen im Mysterium magnum. Und man kann
-sich nicht deutlicher ausdrücken. Gerade aus dieser Polarität heraus,
-die ja einfach der Welt entnommen ist, erwächst die Welt durch Gott und
-in Gott, mit dem ethischen Endziele -- man denke an einen ähnlichen
-Gedanken der Eranier (S. 202) --, daß im Bereich der Menschheit der
-Kampf zwischen Gut und Böse, Liebe und Haß, Güte und Zorn usf. zum
-Vorteil der ersten Pole entschieden wird. Jakob Böhme einfach den
-Gnostikern und Theosophen üblicher Art zuzurechnen, geht also nicht
-wohl an, obwohl er Ausdrücke der Gnostiker tatsächlich braucht. An ihm
-imponiert die vor nichts zurückschreckende Folgerichtigkeit seines
-Systems, die in Lehren, welche nur das Licht an der höchsten Stelle
-kennen und die absolute Einheit, nicht vorhanden sein kann; die auch
-mangeln muß, wo von der schwächlichen Unvollkommenheit der doch so
-derbe Teufel in der Welt sich herschreiben soll. Als Feuer wird dieses
-Böse bezeichnet, verzehrend und peinigend, wenn es sich im Menschen
-geltend macht. Auch ist der Teufel „in Kraft des Zornes Gottes“. Diese
-Eigenschaft wird in zwei Eigenschaften zerlegt, in Trieb, Begierde und
-in Aufnahme böser Befriedigung.
-
-Wir haben bis jetzt zwei Eigenheiten Gottes kennen gelernt,
-„Quellgeister“, wie Jakob Böhme sie außerordentlich schön und
-bezeichnend nennt. Ein dritter Quellgeist ist das In- und
-Gegeneinanderwirken der beiden ersten Geister, wodurch alles aus der
-Selbstheit drängt und in die Selbstheit zurückfließt, ein ewiger
-Prozeß im Kreise. Hiernach scheint die Welt ständig auszuströmen und
-zurückzuströmen, also immer zu werden und zu vergehen, wie bei den
-Systemen, die in Gott nur das „Jetzt“ anerkennen, nicht Vergangenheit
-noch Zukunft (S. 287, 303). In diesen drei Quellgeistern sieht Jakob
-Böhme furchtbarste Zerrissenheit, Unruhe und Pein, als kosmogonische
-Begriffe. Der vierte Quellgeist, der Feuerblitz, soll die Enge in der
-Welt zersprengen, aus dem Bösen in das Gute, aus dem Übel in das Heil
-führen. Er ist also eine Art Erleuchtung durch Gottes lichte Gnade.
-Als fünfter Quellgeist steht das himmlische Liebesfeuer, „der wahre,
-der heilige Geist, der alles in Liebe eint“. Heinrich Schmitt (S.
-267) vergleicht ihn mit der himmlischen Weisheit der Gnostiker. Den
-sechsten Quellgeist bezeichnet Jakob Böhme als Hall oder Schall. Er
-ist wohl das Wort, der Logos, bedeutet jedoch auch die Harmonie der
-Geister, „gleich einer himmlischen Musik von vieltausend Instrumenten,
-gegen deren göttlichen Schall, der von Ewigkeit zu Ewigkeit aufgeht,
-die künstlichste irdische Musik nur wie ein Hundegebell erscheint.“
-„Hier herzet der Bräutigam die Braut und entstehet das wahre Leben
-aller Kreatur, in jedem Ding nach seiner Eigenschaft.“ Also ist es
-wohl auch die allgemeine Vernunft, die alles in sich in Einklang
-ordnet. Endlich der siebente Quellgeist führt aus dem Himmlischen
-ins Irdische, als irdische Vernunft und irdisches Leben und alles
-Heilige in sich fassend. Aber im Leben sind alle Quellgeister, bis
-auf die Feuer-Quellgeister, geschwächt und verdunkelt, und nur in
-innerlichster Anschauung hinreichend erkennbar. Dem Menschen sollen
-fünf von ihnen als Kampfmittel gegen die Feuer-Quellgeister dienen,
-die in ihm das Böse bedingen. „So sich ein Feuer in einem Quellgeiste
-erhebet, so ist’s der Seele nicht verborgen; sie mag alsbald die
-anderen Quellgeister aufwecken, die dem angezündeten Feuer zuwider
-sind, und mag löschen. Will aber das Feuer zu groß werden, so hat
-sie (die Seele) ihr Gefängnis, da mag sie den angezündeten Geist
-einschließen, als nämlich die herbe, harte Qualität (Entbehrung
-und Kasteiung, Selbstzucht), und die anderen Geister müssen ihre
-Stockmeister sein, bis ihm der Zorn vergehet und das Feuer verlischt.“
-Mitunter freilich scheint es, als wenn das „Feuer“ ein besonderes
-ist, nicht ein Quellgeist. Über das Schauen der Quellgeister heißt
-es: „Du sollt aber nicht denken, daß das himmlische Licht in dieser
-Welt in den Quellgeistern gar erloschen sei; nein, es ist nur eine
-Dunkelheit, welches wir mit unsern verderbten Augen nicht ergreifen
-können. So aber Gott die Dunkelheit wegtäte, die über dem Lichte
-schwebet, und würden dir deine Augen eröffnet, so sähest du auch
-hier an der Stelle, wo du in deinem Gemache stehest, sitzest oder
-liegest, das schöne Angesicht Gottes (ein kabbalistischer Ausdruck,
-oder aus der Daniel-Apokalypse) und die ganze himmlische Pforten. Du
-darfst deine Augen nicht erst in den Himmel schwingen; denn es stehet
-geschrieben: das Wort ist dir nahe, nämlich auf deinen Lippen und an
-deinem Herzen.“ Eine schöne und höchst charakteristische Stelle für die
-reine Innerlichkeit der Anschauung! Der Mensch wird dreifach geboren;
-in der ersten Geburt (der siderischen) voll der Herrlichkeiten der
-guten Quellgeister, in der zweiten (animalischen) gleich einem Tiere;
-in der dritten, am Ende der Tage, zu Himmelreich oder Hölle. Die
-Engel haben nur das Gute, die Teufel nur das Böse. Aber beide nicht
-ausschließlich, da sie von Gott kommen und „Gott wider Gott steht“.
-Eine Art doppelte Prädestination ist nicht zu verkennen, doch liegt
-es in dem umfassenden Quellgeist, daß die Seele das Gute gegen das
-Böse in Kampf rufen kann. Der Weltentstehung geht der Abfall der Engel
-vor. „Das Wesen der verstoßenen Geister entzündet und verdichtet sich,
-um die neue Welt zu gebären.“ Der Mensch tritt an Stelle Luzifers.
-Adams Fall beginnt mit seinem ersten Schlaf im Paradiese, was für Eva
-nicht sehr schmeichelhaft wäre, wenn Böhme nicht meinte, daß schon das
-Sichüberlassen der Untätigkeit ein Zeichen der Fleischlichkeit sei.
-Denn das Leben denkt er sich durchaus energisch geführt, als einen
-Kampf des Guten in uns mit dem Bösen in uns, zum Siege des Guten.
-
-Unter den mehreren Anschauungen ~Schellings~, denen wir später noch
-begegnen werden, finden sich auch solche, die ganz auf dem Boden
-der Anschauungen Jakob Böhmes erwachsen sind. Gott ist die absolute
-„Indifferenz“, der „Ungrund“, ohne jedes Prädikat. Aber Gott ist
-gleichwohl potentiell eine Dualität, weil nämlich Gott auch den
-Grund seines Seins in sich haben muß. Dieser Grund ist in ihm als
-gesonderte Existenz. Und als Grund des Seins ist er zugleich ein
-Begehren nach Sein. Da er aber Gott selbst angehört, so schaut Gott
-hieraus sein Ebenbild, den Logos, eine Vereinigung von Vernunft und
-Seins-Begehren, die sich als Schaffens-Wille äußert und nun die Welt
-schafft und ordnet. Man sieht, wie Schelling die „Selbstentzweiung
-Gottes“ auffaßt. Die Vernunft geht nach oben, dem Vollkommenen, das
-Begehren nach unten, dem Niederen. Das Weitere, das Böhme ethisch
-entwickelt, behandelt Schelling mehr historisch, unter Benutzung seiner
-naturwissenschaftlichen und Geschichtskenntnisse. Erst überwiegt das
-Begehren, und es werden rohe Produkte geschaffen und erhalten, wie die
-ausgestorbene Vorwelt sie zeigt. Allmählich kommt die Vernunft mehr
-und mehr zur Geltung, es entstehen die höheren Wesen; der Mensch tritt
-auf, erst roh, barbarisch, dann edler. Vernunft und Begehren stehen
-immer in Kampf; das Fortschreiten der Vernunft ist kein stetiges,
-aber ihre Wirkung geht, mit Schwankungen, doch aufwärts. Das Endziel
-ist die Oberherrschaft der Vernunft, das Schwinden des Begehrens, die
-Vereinigung der Welt mit dem Göttlichen zu einer Identität.
-
-Auch ~Krause~ (1781-1832) scheint sich dem Hauptprinzip Böhmes
-angeschlossen zu haben, indem er das Dasein der Welt aus einer „inneren
-Entgegensetzung der Wesenheit in Gott“ ableitet. Und obgleich er
-Pantheist ist, überträgt er doch alles in Gott, so daß seine Lehre eine
-All-in-Gott-Lehre sein soll, und verleiht Gott Eigenschaften, die nicht
-weit ab von den Quellgeistern Böhmes liegen. Manches aber freilich paßt
-sich den Anschauungen der Zeit an, und einzelnes, wie es scheint, dem
-Spinozaschen Pantheismus. Überhaupt werden wir sehen, daß Jakob Böhmes
-Entzweiung Gottes mit sich sehr oft benutzt wird, noch bis in die
-neueste Zeit hinein und in Systemen, die vom Böhmeschen weit abzuliegen
-scheinen, wie zum Beispiel in dem dialektischen System Hegels.
-
-Wir gehen in der Zeit stark zurück und führen von anderen Theosophen
-noch besonders an den Brüsseler Arzt ~Johann Baptist van Helmont~
-(1577-1644), der in Visionen und Träumen die Wahrheit suchte und
-Logik und Vernunftwissenschaft, wie alle Intuitiven, verachtete, und
-der dabei doch zugleich ein nicht unbedeutender Naturforscher war,
-indem er das Reich Gottes von dem Reich der Natur scharf trennte.
-Er sah aber überall Leben und glaubte, daß jede natürliche Kraft
-als ~Archeus~ sich selbst ihren Körper bilde. „Aber in der Tat sind
-so viele Arten (species) lebender (von Gott in die Natur gelegter)
-Lichter, als Arten lebender Kreaturen. Und so ist in diesen Lichtern
-selbst alle und jede Unterscheidung der Arten.“ Die Materie ist das
-zweite Prinzip der Natur. In jedem Dinge ist ein Samen, daraus es
-sich entwickelt. Die Entwicklung wird aber durch eine innere Anlage,
-ein „Ferment“, eingeleitet und weitergeleitet. Eigenartig ist seine
-Annahme einer Wirkung in die Ferne, einer Art Strahlung -- er hat dafür
-das wunderliche Wort ~Blas~ geprägt -- die von den Gestirnen nicht
-minder wie von den Wesen ausgeht und nach Außen und Innen wirken soll,
-was ja mit astrologischen und mit modernen Ideen übereinkommt. Außer
-Archeus und Blas wird noch, als an einem Punkt im Körper konzentriert,
-die Seele angenommen. Diese sitzt im Magenmund, der Archeus in der
-Milz. Gehirn und Nerven sind Werkzeuge der Seele, der Archeus ist ihr
-ausführendes Organ, für das körperliche Leben. Dazu kommt der Geist
-als das Gotteslicht. Es sind etwas viel Distinktionen: Archeus, Seele,
-Geist, Samen, Ferment, und man weiß zuletzt doch nicht recht, wie
-all diese Dinge miteinander zusammenhängen. Namentlich konkurrieren
-Archeus und Ferment, Seele und Geist. Zu Jakob Böhme bildet van Helmont
-insofern einen Gegensatz, als er den energischen Kampf in der Natur,
-den jener so dichterisch und geistvoll vertritt, ablehnt. Die Natur
-ist ihm vielmehr ein geordnetes Ganzes mit selbständigen einzelnen
-Wesen. Den Engländer ~Fludd~ (1574-1637), einen ganz gehörigen
-Mystiker, erwähne ich, nicht weil er Wärme und Kälte als weltbildende
-Prinzipe benutzt, wie schon viele vor ihm getan, sondern weil er sich
-auf Versuche mit einem Thermometer beruft, dessen Beschreibung er in
-einem wenigstens 500 Jahre alten Manuskript gefunden haben will. Die
-Ergebnisse der Versuche sind zutreffend. ~Blaise Pascal~ (1623-1662)
-hat mit Jakob Böhme einige Ähnlichkeit, er zeigt sich als tiefsinniger,
-religiöser Mystiker und zugleich doch als Skeptiker. ~Montaigne~
-(1533-1592) ist als Mystiker nur zu erwähnen, mehr noch ist er
-Skeptiker. Aber ~Swedenborg~ (1689-1772) ist ganz und gar Mystiker.
-
-Die Theosophie zieht sich wie ein roter Faden noch lange durch alle
-Systeme, wie wir sehen werden. In unserer Zeit konnte sie sogar
-einen sehr bedeutenden Aufschwung erfahren, mit allem Zubehör von
-Mystizismus und Okkultismus. Dem veränderten Verhalten der Menschen den
-besonderen Religionen gegenüber entspricht es, daß sie sich wesentlich
-der ~indischen~ Auffassung angeschlossen hat. Ein anscheinend für
-die betreffenden Kreise bestimmtes grundlegendes Werk hierüber, „The
-Key to Theosophy“, von der klugen Helene Petrowna Blavatsky (Carl
-Bleibtreu hat über sie ein Buch veröffentlicht, das leider durch
-unnötige Ausfälle gegen Andere und durch Übertreibungen entstellt
-ist), arbeitet ganz im Fahrwasser der schon mitgeteilten Lehren des
-Wundervolkes der Indier. Ebenso im Grunde das Werk von Franz Hartmann
-„Mysterien, Symbole und magisch wirkende Kräfte“. Die Hauptgedanken
-erhellen bereits aus den Seite 223 mitgeteilten Ansichten über die
-Seele, und auch das Prinzip, daß alles, ausnahmslos, Eines ist, der
-Theos, das Brahma usf., ist uns schon bekannt. Ebenso die Lehre von
-der Reinkarnation und das ~Karma-Gesetz~, daß jeder erntet, was er
-gesäet hat. Ferner, daß die Erkennung des „Ich-selbst“ die Erkennung
-von allem bedingt, auch die des Dinges hinter den Erscheinungen, des
-Transzendentalen im Sinne Kants (S. 350). „Das Selbst des Universums
-und das Selbst jeden Wesens im Universum ist ein und dasselbe Selbst“,
-lautet der Hauptsatz dieser Theosophie. Und dieses Selbst ist eben
-der Theos. Wir selbst sind es. Alles dieses entspricht durchaus dem,
-was wir von indischer Theosophie wissen. Die Durchführung dieser
-Hauptgedanken darzulegen muß ich mir versagen, ebenso muß ich die
-Schilderung der sieben Reiche (im Anschluß an die sieben Seelen, S.
-223) und die Erklärung der Symbole und Mysterien übergehen, zumal mir
-sehr vieles allzudunkel geblieben ist. Nur weniges ist gnostischen
-Anschauungen entnommen und noch weniger kirchlich-christlichen. Und es
-läßt sich ja nicht bestreiten, daß, so poetisch schön die letzteren,
-und namentlich die gnostischen, Anschauungen sind, sie philosophisch
-den tiefdurchdachten und bis ins äußerste scharf getriebenen Lehren
-der indischen Schulen zurückstehen. Und nach dem wirklich großen Jakob
-Böhme ist ja auch kein christlicher Theosoph erschienen, der ein
-befriedigendes System hätte aufstellen können. In Böhme aber haben
-wir mehr den sittlich hohen und phantasiebegabten Mann zu verehren
-als den unumwundenen Dialektiker. Er war rücksichtslos in seiner
-Entzweiung Gottes mit sich selbst, sein frommer Sinn aber führte ihn
-auf geschlungenen Pfaden immer wieder zurück zu dem einzig gnädigen
-und gütigen Gott, wie ihn die Fülle der Menschheit ja allein als
-Gott des Trostes und der Verheißung brauchen kann, wie ihn aber der
-spekulative Menschenteil nicht ohne inneren Widerspruch, angesichts des
-so unglaublich verbreiteten und fast unser ganzes Leben durchquälenden
-Schlimmen und Üblen, auf sich wirken lassen kann. Wo die Persönlichkeit
-verloren geht, schwindet die Poesie, und man mag uns Gott noch so
-erhaben schildern, noch so gewaltig und unendlich, er wird uns immer
-fremder und kälter und unverständlicher. Der strafende und der liebende
-Vater geht verloren. Es kommt ein geheimnisvolles Etwas hinter grauen
-Schleiern. Das Leben wird verschwommen, wie die Anschauung zerfließt.
-Es ist überall ein Verstecktes da, nirgend doch ein Greifbares, und
-die Gesellschaft muß sich schließlich mit einem feinen Schatten
-begnügen und einem ethischen Kodex, mit einem ewigen marklosen Leben,
-wenn nicht einem absoluten Tod. Diese Reaktion ist gegenüber den
-unsäglichen Albernheiten, die so viele mit der persönlichen Religion
-treiben, gegenüber den selbstsüchtigen Pachtungen des lieben Gottes,
-dessen sich so viele erdreisten, gewiß durchaus gerechtfertigt. Eine
-solche Reaktion hat die Philosophie von je gegen die Theologie geübt,
-daher die eigentlich so unwahre ~doppelte Wahrheit~. Gegenwärtig
-aber, wo ein dritter gewaltiger Kämpe auf den Plan getreten ist,
-die kalte, beweiskräftige Naturwissenschaft, die allen Glauben
-überhaupt hinwegzuschwemmen droht, ist es nur wohl zu verstehen, wenn
-manche, abhold dem Zerstörlichen, sich in ein Reich flüchten, das der
-Naturwissenschaft nicht angreifbar zu sein, den Gedanken keinen Zwang
-zu tun und für Phantasie und Gefühl Befriedigung zu bieten scheint.
-Kommt noch dazu, daß das Geheimnis vor der Grenze dieses Reiches
-wandelt und jedem Nahenden mit dunklen Reden Wunderbares zu schauen
-verheißt. Indessen scheint der anglo-amerikanische Stamm besonders
-geneigt, sich dort einzubürgern; in Deutschland sind wir noch sehr
-mißtrauisch den Verheißungen gegenüber. Die Menschheit verhält sich
-gegenwärtig fast synkretistisch in bezug auf die Religion. Und wenn
-gar einer Hochreligion, dem Christentum, das Wichtigste, Christi
-Leben und Leiden auf Erden für die Menschheit, also sein persönliches
-Erlöserwerk, fast mit Übereifer abgestritten wird, was bleibt vielen da
-übrig, als zum Unerforschlichen in seiner Unnahbarkeit zurückzukehren
-und, wie Jakob, mit der geheimnisvollen Erscheinung zu ringen, um
-ihren Namen zu erfahren! Oder, unbekümmert um eine Gottheit, ein
-irdisches Leben in ethischen Regeln als den alleinigen Zweck des
-Menschen zu betrachten, wenn man dieses Leben nicht überhaupt als ein
-Übel unter gleicher Voraussetzung zu überwinden hat! Wunderbar ist,
-wie dabei die größten Gegensätze nebeneinander bestehen. Der mitunter
-fast halluzinierende Theosoph und Spiritist hat den kühl abwägenden
-und alles Supernaturalistische abweisenden Ethiker, Optimisten oder
-Pessimisten zum Nachbarn. Wie sich allmählich aber eine Anschauung
-mehr und mehr zur Herrschaft emporringt, die den Theismus (auch als
-Deismus) mit dem sogenannten Atheismus versöhnt und verbindet, der
-spinozistische Pantheismus, der mit der Theosophie die Idee eines
-alles umfassenden, alles begreifenden Etwas, mit dem Atheismus die der
-Selbständigkeit der Welt, ihr Freisein von einem persönlichen außer und
-über ihr stehenden Herrscher, ihr Wurzeln auf sich selbst gemein hat,
-werden wir später sehen. Einstweilen können wir vom Deismus noch nicht
-scheiden.
-
-
-39. Deistischer Rationalismus.
-
-Die weitere Entwicklung der Philosophie und Wissenschaft war jedoch
-zunächst der intuitiv-religiösen Auffassung der Welt und des Lebens an
-sich nicht günstig und mußte zu kühlerer Betrachtung der Dinge führen
-und so an Stelle der Intuition den vernunftgemäßen ~Rationalismus~,
-die festen Regeln der Vernunft, setzen. Rationalistisch ist schon die
-Sokratische Ethik, ebenso zu einem sehr großen Teil die Aristotelische
-Philosophie und vieles andere von dem, was ich schon vorgetragen habe
-(„Nichts Größeres als Vernunft, denn sie ist die Seele der Seele“, soll
-Scaligers Wahlspruch gewesen sein). Der moderne Rationalismus beginnt
-mit dem Urheber der modernen Philosophie, ~René Descartes~, ~Renatus
-Cartesius~ (1596 zu La Haye bei Tours geboren, 1650 zu Stockholm
-gestorben). Er muß aber bei diesem noch durchaus als mit Deismus
-gemischt bezeichnet werden, weil Gott ganz und gar noch in der Mitte
-der Anschauung steht. Sein Rationalismus beruht auf Gottbeweisen.
-„Der formale Grund,“ sagt Descartes, „woraus wir den Glaubenssachen
-zustimmen, besteht in einem gewissen inneren Licht, mit dem, von
-Gott erleuchtet, wir vertrauen, daß was uns zu glauben gelehrt wird,
-von ihm enthüllt ist, und daß er nicht lügen kann, da jenes Licht
-sicherer ist als das ganze Licht der Natur.“ Das ist zunächst noch
-durchaus theosophisch gesprochen. Und Descartes ist gläubiger, sogar
-wundergläubiger Katholik. Gleichwohl ist er Rationalist, er will
-überall mit Vernunftgründen beweisen. Mit dem „Licht der Natur“ will
-er wissenschaftlich in alles Natürliche hineinleuchten und nur beim
-Allerletzten dem übernatürlichen Licht, der inneren Offenbarung,
-Intuition, sein Vertrauen schenken. Dieses lehrt ihn aber, daß Gott in
-jedem Augenblicke Grund der Welt ist, daß diese ins Nichts versinkt,
-sobald er sie verläßt. Und so ist auch das natürliche Licht von Gott
-in der Natur entzündet, denn Gott kann nur wahr sein, selbst in seinen
-Werken. Diese Wahrheit ist an sich eine relative, sofern Gott die Welt
-auch ganz anders hätte schaffen und einrichten können, als geschehen
-ist; für uns jedoch bedeutet sie eine absolute nach unserer Art.
-Unter solchen Umständen nimmt es sich sonderbar aus, daß Descartes
-gleichwohl, mit anderen vor ihm, sich noch nach ~Beweisen~ für das
-Dasein Gottes umschaut. Diese sind eben ein Teil seines Rationalismus.
-Er geht von dem berühmten Satz aus: „Je pense, donc je suis“; cogito,
-ergo sum; Ich denke, also bin ich; einem Satze, der sich lange vor ihm
-schon ausgesprochen findet. Das ist also eine Gewißheit: „Ich bin“.
-Aus dieser Gewißheit schöpft er die weitere: Was ich für sicher weiß,
-oder einfacher, was in mir keinen Widersprüchen begegnet, ist auch
-wahr. Und wie so viele vor ihm und nach ihm vertauscht er das Wahre
-mit der Existenz. Wir haben in uns eine Idee von einem unendlichen,
-absolut vollkommenen und absolut realen Wesen. Nun sind wir selbst
-endlich, unvollkommen und zeitlich beschränkt. Und alles um uns ist
-es gleichfalls. Also können wir jene Idee weder aus uns noch aus der
-Natur geschöpft haben. Und folglich ist sie absolute Wahrheit, und Gott
-besteht. Offenbar ist dieser ~psychologische~ oder ~anthropologische~
-Beweis einzig ein intuitiver. Er ist nicht falsch, wie man oft
-behauptet hat; er ist nur, als intuitiv, unserer discursiven Vernunft,
-die rein logisch schließt und sagt, weder ein Unendliches noch ein
-Absolutes liege ~fertig~ in unserem Geiste, sondern nur als stetig
-fortgeführte Abstraktion, unzugänglich. Der andere Beweis heißt der
-~ontologische~. Im Grunde ist er eine Ergänzung zum psychologischen.
-In diesem wurde die absolute Realität Gottes vorgesetzt. Descartes
-meint, diese gehöre schon zum absolut Vollkommenen; was absolut
-vollkommen ist, muß auch wirklich sein. Die Wurzel steckt in der so
-oft gemachten Annahme, daß alles Unvollkommene aus einer Beimischung
-von Nichtwirklichem, Nichtseiendem herstamme, die der Leser im
-Voraufgehenden so oft hat hinnehmen müssen. Aber dieser Zusatzbeweis
-ist an sich nicht nötig. Der psychologische Beweis genügt für die
-Intuition völlig. Und wer keine Intuition zugibt, dem hilft der
-Zusatzbeweis auch nicht, denn wie Kant nachgewiesen hat, gehört das
-~Dasein~ nicht zu dem Begriff eines Dinges, wie die übrigen Merkmale.
-Hat nun Gott auch keine Merkmale, was bleibt dann übrig, wenn ihm auch
-das Sein entzogen wird?
-
-Im Menschen erkennt Descartes eingeborene Begriffe (ideae innatae,
-apriorische), sodann empirisch erworbene, auch abgezogene Begriffe
-(ideae adventitiae, aposteriorische), zuletzt hervorgebrachte Begriffe
-(ideae factae). Die ersteren umfassen die Hochbegriffe Gott, Wahrheit,
-Freiheit usf.; die mittleren dienen zur Erkenntnis der Natur; die
-letzten zum Hinausgehen über das unmittelbar in der Natur Gegebene,
-im Anschluß daran. Vor allem ist der Mensch ein geistiges Wesen.
-Descartes sieht aber in der Welt, wie Gott sie geschaffen hat, einen
-Dualismus: Geist und Materie. Begrifflich werden beide als „~Substanz~“
-bezeichnet. Jedes von ihnen hat ein „~Attribut~“: der Geist stetiges
-Denken, die Materie Ausdehnung. Die Einzelnen sind „~Modi~“: im Geist
-die Gedanken, in der Materie die Körper mit Figur, Größe, Bewegung,
-Ruhe usf. Diese beiden Substanzen sind absolut getrennt; und jede
-besteht nach ihrer Art, der Geist nach geistiger, die Materie nach
-mechanischer Art. Dinge ohne Geist haben nur mechanistisches (besser
-physisches) Leben. So unser Körper, in dem alles rein mechanisch
-geschieht, wie in unbelebten Körpern, in Maschinen. Tiere und Pflanzen
-sind den unbelebten Dingen gleich, sind Maschinen. Der Mensch hat noch
-den unsterblichen Geist. Die Welt, ohne die Geister, ist hiernach auch
-eine gewaltige Maschine. Geschaffen wurde sie als eine harte Masse.
-Gott zerschlug diese Masse und setzte ihre Teile (wie bei Anaxagoras
-der Nus) in wirbelnde Bewegung. Nun stießen und rieben diese Teile
-aneinander, und es entstand so eine feine, gröbere und ganz grobe
-Materie. Die feine zerstreute sich am weitesten in das All und bildete
-in inneren Wirbeln allmählich die Sonne und die Fixsterne. Die gröbste
-Materie gab Erde, Planeten, Monde, Kometen usf. Die mittlere Materie
-wirbelt noch um Sonnen und Planeten und andere Körper und reißt die
-Planeten um die Sonnen, die Monde um die Planeten herum. Eine gewisse
-Ordnung unter allen Körpern entsteht durch das Stoßen und Reiben;
-wie auch die drei Materien sich durch Stoßen und Reiben voneinander
-geschieden haben. Descartes ist, wie wir sehen, in seinem Dualismus
-theosophischer Deist in bezug auf Gott und Geist, Mechanist in bezug
-auf die Körperwelt nach ihrer Entstehung und der ihr eingeprägten
-Bewegung.
-
-Wie wirkt aber die Seele auf den Körper? An sich kann eine solche
-Wirkung nicht stattfinden. Was Descartes darüber sagt, ist lediglich
-seinen mechanistischen Anschauungen nachgebildet. Die Seele sitzt
-in der Zirbeldrüse, in der Mitte des Gehirns. Die zu dieser Drüse
-führenden Nerven werden von feinstem Blut (spiritus animalis)
-durchströmt. Dadurch kommt die Drüse in Schwingungen, die die Seele
-aufnimmt. Umgekehrt muß diese die Drüse in Schwingungen versetzen,
-die den Gang des feinsten Blutes regulieren und so auf den Körper
-mittelbar wirken. Diese Vergrobsinnlichung kann einen modernsten
-Mechanisten erfreuen, aber die Frage nicht lösen. Darum ruft ~Geulincx~
-(aus Antwerpen 1625-1669) Gott zu Hilfe. Jedem körperlichen Vorgang
-entsprechend veranlaßt Gott einen seelischen, und jedem seelischen
-entsprechend einen körperlichen. So lenkt Gott die Seele nach dem
-Körper und den Körper nach der Seele. Frei ist nur immer je der
-erste Vorgang, je der zweite ist von Gott veranlaßt, ausgelöst.
-Also wirkt Gott ~gelegentlich~, es ist ein ~Okkasionalismus~, der
-eine höhere Bedeutung gewinnt, wenn Gott nicht jedesmal regulierend
-eingreift, sondern von vornherein Seele und Körper so gegeneinander
-abgestimmt hat, daß sie, obwohl sich gegenseitig absolut fremd, doch
-aufeinander antworten. Der Pariser ~Malebranche~ (1638 bis 1715) faßt
-das Verhältnis, nach Geulincx’ Vorgang, in dieser Weise auf. Aber
-beide haben in Descartes’ Philosophie noch die Wendung gebracht, daß
-der Geist überhaupt von Gott ist, die Materie freilich nicht. Dieser
-Dualismus geht dann in einen solchen zwischen Gott und Welt über; und
-er ist wenigstens insoweit pandeistisch, als Gott in den geistigen
-Dingen vorhanden ist, vielleicht auch in den nichtgeistigen, sofern es
-sich um Vorgänge handelt.
-
-Es ist üblich, an diese Betrachtungen Spinozas Lehren anzuschließen,
-gewissermaßen als letzte Ausbildung der Cartesischen. Allein Spinozas
-Anschauungen sind rein monistisch und auch in keiner Weise deistisch.
-Spinoza selbst hat Cartesius’ Schriften interpretiert und mag auch
-sein System als aus dem Cartesischen erwachsen angesehen haben. Es ist
-aber nicht mehr daraus hervorgegangen als des Cartesius’ System aus
-irgendeinem der früheren Systeme mit Gott, Geist und Materie. Und das
-rationalistische ist bei Cartesius kaum wo zu finden als in solchen
-„Beweisen“, deren einer oben angeführt ist und seinen Grund doch allein
-in der Intuition hat. Denn wiewohl Cartesius, wie schon bemerkt, auch
-das natürliche Licht, die Erkenntnis aus dem Vorhandenen, auf Gott
-zurückführt, ist er doch voller Zweifel an der Wirksamkeit dieses
-Lichtes. Fürchtet er doch mitunter, daß dieses Licht von einem bösen
-Dämon herrühren möchte, welcher uns Falsches für Gewisses vorspiegelt.
-So daß ihm zuletzt nur das Intuitive bleibt, als das einzig Sichere,
-wozu zunächst sein Grundsatz vom Dasein Gottes gehört und damit in
-Verbindung der vom eigenen Dasein, der demnach lauten müßte: ~Ich
-schaue Gott, also bin ich~ (contemplor deum, ergo sum). Und in der Tat
-ist Descartes auch nicht übel geneigt, den Geist als eine Emanation
-Gottes anzusehen. Mit Descartes’ Deismus hängt auch zusammen, daß er
-die Welt unendlich im Raume und unendlich in der Dauer, aber endlich
-in der Entstehung auffaßt, und daß, wo er seinem Mechanismus abhold
-wird, er Gott nicht allein die Schaffung der Welt, sondern auch ihre
-stete Erhaltung und Leitung zuschreibt. In der Frage des freien Willens
-verhält er sich sehr unsicher. Als Mechanist muß er ihn leugnen. Als
-Deist kann er ihn bis zu einem gewissen Grade zulassen. Und in dem
-Schwanken zwischen Mechanismus und Deismus ist wohl das Unsichere und
-Sichwidersprechende in Descartes’ Anschauungen überhaupt zu suchen.
-Spinozas System, das wir später kennen lernen werden, ist durchaus
-konsequent. Und die Kunstausdrücke, die er nach Cartesius’ System
-verwendet, besitzen ganz andere Wertgebung.
-
-
-40. ~Prästabilierte Harmonie, Determinismus, Monaden, Korpuskeln,
-Realen, Samen.~
-
-Wir haben bereits an mehreren Stellen von der Anschauung einer
-„Sympathie der Dinge“ gesprochen, durch die der Zusammenhang zwischen
-den Dingen in der Welt erklärt werden sollte. Den Gipfel solcher
-Lehren bildet die ~prästabilierte Harmonie~ in Verbindung mit der
-~Monadologie~. Eine erste Fassung finden wir bei ~Franz Mercurius
-van Helmont~ (1618-1699), dem Sohn des uns schon bekannten Arztes.
-Wie er die Seele stoisch betrachtet, so hat er sich im Grunde auch
-eine Art Pandeismus zurecht gelegt, indem Gott zwar von allen Dingen
-verschieden, aber doch nicht von allen Dingen abgetrennt oder geteilt
-sein soll. Da Gott selbst ohne Zeit, ohne Raum, ohne Änderung, ohne
-Vielheit ist, so läßt sich sein Zusammenhang mit den Dingen nur so
-verstehen, daß er die Welt ständig ohne Ende schafft, indem er immer
-weiter zu dem Vorhandenen Neues hinzubringt und zugleich alles zur
-Veränderlichkeit bestimmt. Gedacht ist dieses emanistisch; der Mittler
-ist das feinste von Gott ausgehende und das All erfüllende Licht, die
-Welt ist ein davon abgeschwächtes. Und Christus ist insofern in der
-Tat die Mitte, als er nur zum Guten veränderlich ist, nicht zum Bösen,
-während die Geschöpfe zum Guten und Bösen sich neigen. Indessen ist
-auch den Geschöpfen verliehen, sich dem Guten unendlich zu nähern,
-und darin beruht die Unendlichkeit der Schöpfung. Die Geschöpfe
-enthalten von Gott das Gute als Keim, und jedes Geschöpf ist eine
-Unendlichkeit für sich, indem es eine geistige Reihe ohne Ende bildet.
-So spiegelt jedes Geschöpf in gewisser Hinsicht Gott selbst ab, nur
-unendlich unvollkommener als Gott. Wie Licht bemerkt wird, wenn es
-an einem Körper reflektiert, (wir müssen sagen in uns, an der Retina
-auftrifft), so kommt Gottes Licht zum Bewußtsein, indem es auf eine
-dunkle Substanz trifft, die Materie des Körpers. Darum ist der Körper
-notwendig auch zum Bewußtsein Gottes; als wenn das Licht seiner selbst
-bewußt wird, indem es auf einen hemmenden Körper stößt. Lehren,
-wonach Gott sich nur in der Schöpfung kennt, sind bereits erwähnt.
-Und von Gott strahlt es auch ins Unendliche nach allen Seiten aus.
-Dadurch ist die Verbindung aller Dinge bewirkt, indem eben jedes Ding
-zu jedem Ding und durch jedes Ding geistige Emanationen sendet. So
-wäre jedoch nur eine Art allgemeine Statik erreicht. Zur Dynamik in
-der Welt kann van Helmont nur durch Mitwirkung Gottes gelangen. Die
-Welt besteht aus unzähligen, unteilbaren ~Monaden~, die das physische
-Leben bedingen, deren jede aber für sich absolut ein Individuum ist.
-Verbunden sind die Monaden durch gottentstammte, allgemeine Sympathie
-(wohl emanistisch so gedacht wie die Verbindung von Gott mit der Welt),
-und ihre Wirkung aufeinander geschieht durch von Gott eingepflanzte
-Bewegungsmöglichkeit der einen Monade zu der anderen. Also rührt alles
-von Gott her, Unendlichkeit jedes Individuums zum Guten, Endlichkeit
-zum Bösen, Sympathie Jedes gegen Jedes, Wirkung Jedes gegen Jedes. Die
-körperlichen und geistigen Dinge sind Aggregate von Monaden, die unter
-der Herrschaft einer Monade, der Seele, stehen, die als Zentralgeist
-alle einzelnen Monaden in sich faßt, insbesondere des betreffenden
-Dinges, aber auch der übrigen Welt (durch Sympathie?). Und wie keine
-Monade, nachdem sie geschaffen, untergehen kann, so erst recht nicht
-die Seele. Was noch von mehreren Welten gesagt wird, reicht ins
-Mystische. Vier sind vorhanden: die oberste Welt ist Christus als
-Lichtall. Die folgende, Welt der Schöpfung, ist wohl als eine Art
-platonischer Ideenwelt gedacht. In der dritten Welt, Welt der Bildung,
-wird in der oberen Schicht das Gute der Ideen verwirklicht, in der
-unteren das Unvollkommene. Die Festigkeit nehmen die unvollkommenen
-Verwirklichungen in der vierten, mechanischen körperlichen Welt der
-Gestaltung. So gehört der Körper der vierten, der Geist der dritten,
-die Seele der zweiten Welt an. Das stellte die eigentliche Welt (Mundus
-factionis) wieder sehr niedrig, wenn eben nicht Gottes Strahlen bis
-in sie hineinreichten und so eine Entwicklung nach oben ermöglichten.
-Diese Entwicklung aber schließt die Seelenwanderung, „Revolution der
-Seelen“, ein. Jede Seele bildet sich ihren Körper aus den Monaden
-nach der durch ihren Zustand bestimmten Herrschermacht. So entwickelt
-sich ihr Leib mit ihrer eigenen Entwicklung, und sie kann so aus den
-niedrigsten Existenzen zu den höchsten steigen, aber auch von höchsten
-zu niedrigsten fallen. Hat sie auf Erden die höchste Existenz erreicht,
-so geht sie in die erste Welt ein und kommt nicht wieder; dort
-entwickelt sie sich noch weiter. Die Seelen der Kinder sind Monaden der
-Eltern, daraus die Vererbung des Guten wie des Bösen. Sehr verständlich
-ist die ganze Lehre offenbar nicht; sie enthält zuviel nach einer
-Seite, der der Vollkommenheit, und zu wenig nach der anderen, der
-des Schlimmen; das letztere ein Mangel, den wir ja überall getroffen
-haben, außer bei Jakob Böhme. Eine wirkliche Harmonie haben wir hier
-nicht, viel weniger eine prästabilierte. Aber die Anlage ist zweifellos
-vorhanden, namentlich in den lebensvoll aufgefaßten Monaden.
-
-Wir kommen zu einem der Größten, ~Gottfried Wilhelm Leibniz~. Er ist
-zu Leipzig am 21. Juni 1646 als Sohn des Moralprofessors Leibniz
-geboren. Gestorben ist er am 14. November 1716. Seine Bedeutung für
-fast alle Zweige der Wissenschaft ist außerordentlich. Hier haben wir
-es nur mit einer seiner Leistungen zu tun, die aus seiner Welt- und
-Lebenanschauung fließt. In einer der vielen Auslassungen über seine
-Anschauung, in der Schrift „De la nature en elle-même“, bezieht sich
-Leibniz auf die bekannten Eigenheiten der Körper, die der „Trägheit“
-zugeschrieben werden, und meint mit Recht, daß diese allein aus der
-Ausdehnung der Dinge oder ihrer Masse nicht zu verstehen sei, daß es
-sich vielmehr um etwas handle, das außerdem den Dingen noch zukomme.
-„Und dieses substantielle Prinzip,“ sagt er, „das in den lebenden
-Wesen Seele heißt, in den anderen substantielle Form, und die zusammen
-mit der Materie eine wirkliche Substanz bildet, aber schon durch sich
-eine Einheit darstellt, dieses Prinzip nenne ich eine ~Monade~.“ Die
-Monaden sind einfach, ohne Teile, nicht bildbar und nicht vernichtbar,
-außer durch Gott. Jede Monade ist ein Gegenstand für sich; irgendeine
-Einwirkung auf ihr Wesen und in ihrem Wesen durch ein Äußeres, außer
-durch Gott, ist absolut ausgeschlossen. „Die Monaden,“ heißt es in
-der Monadologie, „haben keine Fenster, durch die etwas eindringen und
-hinaussteigen könnte.“ Alle Änderungen einer Monade kommen aus ihrem
-eigenen Inneren. Die Monaden sind erschaffen und dabei mit ihren
-Änderungen begabt. Sie sind jede eine Einheit einer Vielheit von
-Einzelheiten, die hiernach eine Beziehung bilden. Diese jedesmalige
-Vielheit in der Einheit, wechselnd in den vorübergehenden Zuständen,
-ist die ~Perzeption~, und was den Wechsel von einer Perzeption zur
-anderen bewirkt, bildet die ~Appetition~. Solches muß aus unserem
-Seelenleben erschlossen sein, da wir uns unserer Einheit bewußt
-sind, zugleich aber auch der Vielheit in unseren Seelentätigkeiten.
-Perzeption wäre also die jeweilige Wahrnehmung aller inneren
-Tätigkeiten, Appetition die des Wechsels der Tätigkeiten. Hiernach
-kann man die Monaden auch als Seelen ansehen oder als Entelechien (S.
-250); letzteres, weil sie eine gewisse Vollkommenheit der Zwecklichkeit
-besitzen. Doch reserviert Leibniz die Bezeichnung „Seele“ für
-diejenigen Monaden, deren Perzeptionen mehr unterschieden und von
-Gedächtnis begleitet sind. Die Monaden weichen nämlich voneinander ab
-in Perzeption und Appetition. Aber selbst jede Seele verhält sich bald
-deutlich, bald undeutlich bewußt, nur daß bei ihr die undeutlichen
-Perzeptionen vorübergehend sind, die bei den einfachsten Monaden
-dauernd. Monaden ohne jede deutliche Perzeption werden als „ganz bloß“
-bezeichnet (Monades toutes nues). So stufen die Monaden sich ab von
-gänzlicher Bloßheit bis zum Menschenseelischen, mit der Kenntnis der
-notwendigen und ewigen Wahrheiten, und mit dem Bewußtsein von sich
-selbst und von Gott. Alle Monaden haben die Gründe ihrer Vollkommenheit
-und Unvollkommenheit in sich. Dem Grade der Vollkommenheit entspricht
-die Tätigkeit (actio), dem der Unvollkommenheit das Leiden (passio).
-Jede Monade hat ein Bewußtsein von demjenigen, was in den anderen
-Monaden enthalten ist; sie gilt um so vollkommener, je mehr sie sich
-a priori Rechenschaft geben kann von dem, was in den anderen Monaden
-vorgeht; und darin besteht ihre Wirkung auf sie. Leidend verhält sie
-sich, sobald der Grund von dem, was in ihr vorgeht, in demjenigen sich
-befindet, das es deutlich in einem anderen, eben in ihr, kennt.
-
-Die gegenseitige Wirkung ist hiernach nur eine ideelle. An sich liegt
-sie in Gott, indem Gott bei Schaffung der Dinge überhaupt für jede
-Monade mit Bezug auf alle anderen Monaden bedacht war. In diesem
-Bedachtsein Gottes bei der Schaffung jeder Monade auf alle anderen
-Monaden, wodurch deren geordnete Wirkungen aufeinander nach ewigen
-Gesetzen sich erklärt, ist die ~prästabilierte Harmonie~ begründet.
-Jede Monade wirkt zwar nur nach ihrer Art, aber diese Art ist von
-vornherein so beschaffen, wie es die Rücksicht auf alle anderen Monaden
-erforderte, so daß jede Monade nach ihrer Art ihre bestimmte Stellung
-in der Welt von vornherein einnimmt. So hat jede Monade Bewußtsein
-vom ganzen All. Indessen doch immer wieder in ihrer Art. Und so
-schaut die Welt vom Gesichtspunkte (point de vue) jeder Monade anders
-und anders aus. Aber wie eine Stadt von verschiedenen Standpunkten
-verschiedene Anblicke bietet und doch nur immer dieselbe Stadt ist, so
-die Welt. Sie ist nur eine, wenn auch von den verschiedenen Monaden
-verschieden aufgefaßt. Gott ist aber der allgemeine Grund aller Dinge,
-in ihm erscheint jedes wie es ist. Und wie es ist, mußte es aus der
-Natur Gottes sein, der die Welt nicht nach einem willkürlichen Plan
-so oder anders hätte schaffen können, sondern wie er sie geschaffen
-hat, als Gott schaffen mußte. Denn Gott ist absolut vollkommen; sein
-Können, sein Wissen, sein Wollen -- bei den Monaden: Subjekt (Eigen),
-Perzeption, Appetition -- sind absolut unbeschränkt. Und weil sie
-absolut sind, konnte es sich nicht um die „Wahl eines Besseren“
-handeln, das ja ein endliches Wissen bedeutet.
-
-Alle Dinge sind aus Monaden zusammengesetzt. Da die Wirkung der Monaden
-aufeinander nur eine gedachte ist, so besagt die Zusammensetzung
-nicht ein Zusammenhalten, sondern ein deutlicheres Bewußtsein
-dieser Monaden von einander als von anderen Monaden, die nicht dem
-betreffenden Dinge angehören. In dem Wechsel des Bewußtseins von dem
-anderen ist es begründet, wenn Monaden aus den Dingen ausscheiden.
-So ist alles Wachsen nur ein Zunehmen von Monaden mit Bewußtsein vom
-Vorhandenen und im Bewußtsein des Vorhandenen. Und umgekehrt, alles
-Schwinden eine Abnahme von Monaden mit solchem Bewußtsein und in
-solchem Bewußtsein. Und so sind auch räumliche Form und Materie nur
-solche Bewußtseinszustände. Alles dieses liegt in den Monaden und
-der prästabilierten Harmonie. Und die Welt ist ein „Phainomenon bene
-fundatum“, eine gewaltige Maschine, deren einzelne Teile, die Monaden,
-gleiche Maschinen sind. Im Kleineren werden wir diese Vergleichung
-später bei dem philosophischen Biologen ~Driesch~ wiederfinden. Die
-Welt ist nirgend und niemals unterbrochen, sie ist kontinuierlich
-und lebt kontinuierlich nach Gottes Harmonie. Die Unvollkommenheiten
-liegen in der Endlichkeit der Monaden, hinsichtlich ihres Subjekts,
-ihrer Perzeption und ihrer Appetition, die ja notwendig war, sollte
-überhaupt eine Welt vorhanden sein, da, wenn diese Endlichkeit
-aufgehoben wird, alles ja Gott ist. Dem Preis Gottes und dem Verhältnis
-des Menschen zu ihm ist die berühmte Théodicée gewidmet. Diejenige
-Monade in einem Ding, welche namentlich Bewußtsein von allen anderen
-Monaden hat, ist die ~Zentralmonade~, bei den Lebewesen die ~Seele~.
-Nur sofern eine solche Zentralmonade vorhanden ist, darf von einem
-„Körper“ gesprochen werden, der im übrigen nichts bedeutet als Monaden,
-hauptsächlich im Bewußtsein der Seele. So gibt es keinen Leib ohne
-Geist. Aber auch keinen Geist ohne Leib, denn das würde bedeuten,
-daß eine Monade überhaupt von anderen Monaden kein Bewußtsein hätte.
-Freilich besagt dieses, daß im Grunde jeder Leib unendlich ist wie das
-All, so daß an sich die ganze Welt, jedes darin Seele und Leib wäre,
-und das was wir Leib nennen, nur den Teil bedeutete, der besonders zum
-Bewußtsein gelangt ist. Dieser Schwierigkeit kann man nur entgehen,
-wenn man annimmt, daß die Monaden von gewissen Monaden so gut wie gar
-kein Bewußtsein haben. Sie ist aber auch allen panpsychistischen und
-pandeistischen Anschauungen inhärent. Da die Monaden keine Ausdehnung
-haben, und da die Welt als Kontinuum besteht, so sind die Dinge nicht
-bloß dem Gedanken nach ins Unendliche teilbar, sondern tatsächlich
-ins Unendliche organisiert. Charakteristisch aber für Leibniz, in
-dem wir ja auch einen großen Mathematiker und Physiker besitzen,
-ist, daß er nach Prästabilierung der Harmonie nur die Weltgesetze
-walten und ein stetes Eingreifen Gottes, wenn es vorhanden ist, immer
-nur in den Weltgesetzen sich äußern läßt. Und seine Naturerklärung
-ist eine mechanische; unvermittelte Wirkungen lehnt er ab, so die
-Newtonsche Attraktionswirkung in die Ferne, die er für ein stetes
-Wunder erklärt. Das gehört schon in das folgende Buch. Wie man von der
-Leibnizschen Anschauung zur Unsterblichkeit der Seele kommen muß und
-zur Seelenwanderung kommen kann, ist klar. Wie aber die Unsterblichkeit
-hier eine ganz andere Bedeutung hat als die theologische, ist ebenso
-klar. Die irdische Persönlichkeit kann ja gar nicht bestehen bleiben,
-wenn die Zentralmonade sich von den anderen Monaden, dem Körper,
-getrennt und so das deutliche Bewußtsein ihrer verloren hat. Sie kann
-dann von ihnen kein anderes inneres Bewußtsein haben als im Leben von
-den ihrem Körper nicht gehörigen Monaden, also nur das allgemeine
-Weltbewußtsein, das gegenüber dem Bewußtsein vom Körper so gut wie gar
-nicht besteht.
-
-Zum Schluß noch eine Bemerkung. Es ist mehrfach behauptet worden,
-daß die von Leibniz eingeführte ~Perzeption~ im Gegensatz zur
-~Apperzeption~ ein rein unbewußtes Vorstellen sein soll. Das ist,
-wie ich glaube, nicht richtig. Leibniz scheint mir unter Perzeption
-nur eine passive, automate Art des Vorstellens zu verstehen, die
-stufenweise von völliger Unbewußtheit zu Höchstbewußtsein steigt.
-Leibniz hat sich freilich nicht bestimmt genug ausgedrückt. Allein
-seine ganze prästabilierte Harmonie hätte ja gar keinen besonderen
-Wert neben der einfacheren Mechanistik, wenn er unter Perzeption
-in der Tat nur ein absolutes Unbewußtes verstanden hätte. Außerdem
-könnte man nicht, wie Leibniz es tut, von verschiedenen Perzeptionen
-sprechen; was unbewußt ist, kann nicht verschieden sein. Ich glaube, es
-ist verwechselt worden das Eintreten der Vorstellung, das allerdings
-unbewußt sein soll, mit der Vorstellung selbst, die alle Stufen der
-Deutlichkeit durchlaufen kann.
-
-Die Monadenlehre Leibniz’s ist von ~Droßbach~ in zwei lesenswerten
-Büchern: „Die persönliche Unsterblichkeit“ und „Die Genesis des
-Bewußtseins“ ins Atomistische übertragen und nicht unerheblich
-ausgebaut worden. Ich muß mich aber auf diesen Hinweis beschränken.
-Eine „Harmonie der Welt“ hat der große ~Kepler~ (1571-1630)
-an die Spitze seiner Anschauungen gestellt, freilich mehr in
-pythagoreisch-mathematischem Sinne.
-
-Daß des „Professors der Menschheit“ und großen philosophischen
-Systematikers und Polyhistors ~Christian Wolff~ (geboren zu Breslau
-1679, gestorben 1754) letzte Elemente, ~Corpuscula~ derivativa,
-der Dinge mit Leibniz’s Monaden und sein Determinismus mit dessen
-prästabilierter Harmonie übereinkommen, ist schon zu Lebzeiten des
-bedeutenden Mannes erkannt worden. Nur will er den Monaden statt
-des geistigen Weltbewußtseins, -vorstellens, -kennens mehr Kräfte
-zuschreiben, durch die sie wirken und leiden; Kräfte jedoch, die
-mit dem, was wir gewöhnlich Kraft nennen, keine Ähnlichkeit haben,
-überhaupt sich nicht aus der physischen Natur verstehen lassen. Es
-findet also gegen Leibniz eigentlich nur ein Namentausch statt, der
-aber nicht zum Vorteil des Systems ausschlägt. Diese Philosophia
-corpuscularis soll aber die wahre Ratio der besonderen Phänomene
-beibringen, denn diese sind begründet in den Qualitäten der Korpuskeln
-und der Art, wie diese untereinander verbunden sind. Die schöne Poesie
-des Leibnizschen Systems fehlt hier, im Grunde auch die Konsequenz.
-Sobald es sich jedoch um die Wirkung zwischen Körper und Seele handelt,
-erkennt Wolff die prästabilierte Harmonie als die beste Erklärung an.
-
-Determinist im Leibnizschen Sinne, soweit seine Rechtgläubigkeit es
-zuließ, war auch ~Moses Mendelssohn~ (1729 zu Dessau geboren, 1786
-in Berlin gestorben). Indessen war er es nur unter der Bedingung der
-Unsterblichkeit. Wenn die Hoffnung dieser nicht wäre, sei der Mensch
-das elendeste Tier auf Erden und bliebe ihm nichts übrig, als in
-Betäubung dahinzuleben und zu verzweifeln. Und wie er bemüht war
-die Unsterblichkeit zu erweisen und zu ihr mit aller Kunst eines
-gottgläubigen und edlen Gemütes zu überreden, zeigt sein ~Phädon~,
-der erst als Übersetzung des gleichnamigen Gesprächs des Platon
-beabsichtigt ist, dann aber das Vorbild verläßt und schärfer noch als
-dieses, und mit besseren Waffen, für unsere Seele kämpft. Aber überall
-tritt bei ihm der Deismus hervor und spielt die Contemplatio eine
-viel größere Rolle als die Ratio. Seltsam ist, daß, obwohl er selbst
-pandeistische Neigungen verrät, die außerordentliche Philosophie seines
-geistesgewaltigen Glaubensgenossen Spinoza ihm so zuwider war, daß
-der Kampf gegen die Meinung, sein Freund Lessing sei in den letzten
-Lebensjahren Spinozist gewesen, ihm das Herz brach und ihn früh ins
-Grab senkte.
-
-Es ist möglich, das ~Lessing~ in der Tat zuletzt sich dem Pantheismus
-Spinozas zugewandt hat; ursprünglich aber war er Leibnizianer,
-namentlich in bezug auf die letzten Wesen und die Harmonie. Was Gott
-denkt, ist; dachte er sich selbst insgesamt, so ward der ihm identische
-Sohn, Christus. Stellte er sich in seinen Vollkommenheiten zerteilt
-vor, so ward die Welt. Diese muß darum von allen möglichen Welten die
-vollkommenste sein, die vollkommene Stufenleiter der Vollkommenheiten
-darstellen. Der unmittelbare Gegenstand dieser schöpferischen Tätigkeit
-sind einfache Wesen, alles Zusammengesetzte ist nur eine Folge dieser
-Schöpfung. Alles was in der Welt vorgeht, ist aus der Harmonie der
-einfachen Wesen zu erklären. Die einfachen Wesen sind „gleichsam
-eingeschränkte Götter“. Sie sind voneinander unterschieden durch
-größeres oder geringeres Bewußtsein ihrer Vollkommenheit. Das Gesetz
-des Menschen sei: „Handle deinen individualischen Vollkommenheiten
-gemäß“. Im Grunde steckt schon hier ein Stück Pandeismus, denn die
-Welt ist: die Vollkommenheiten Gottes zerteilt gedacht. Und Lessing
-sagt auch, daß er sich die Wirklichkeit einer Welt außer Gott nicht
-denken könne. Aber Spinozas Pantheismus ist das gleichwohl nicht. Die
-Unsterblichkeit betrachtet er wie Platon, die Indier u. a., als Mittel
-zur steten Vervollkommnung. Und gleicherweise die Seelenwanderung.
-Paragraph 93 und folgende in „Die Erziehung des Menschengeschlechts“
-heißt es: „Eben die Bahn, auf welcher das Geschlecht zu seiner
-Vollkommenheit gelangt, muß jeder einzelne Mensch (der früher, der
-später) erst durchlaufen haben... Warum könnte jeder einzelne Mensch
-auch nicht mehr als einmal auf dieser Welt gewesen sein?... Warum
-sollte ich nicht so oft wiederkommen, als ich neue Kenntnisse, neue
-Fertigkeiten zu erlangen geschickt bin? Bringe ich auf einmal so viel
-weg, daß es der Mühe, wieder zu kommen, etwa nicht lohnet? Darum nicht?
--- Oder weil ich es vergesse, daß ich schon dagewesen?... Und was ich
-auf jetzt vergessen ~muß~, habe ich denn das auf ewig vergessen? Oder
-weil so zuviel Zeit für mich verloren gehen würde? -- Verloren? -- Und
-was habe ich denn zu versäumen? Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?“ Das
-wiegt tausend Räsonnements eines trockenen Theologen auf. Schwierig
-damit, daß nämlich der Einzelne sich fortschreitend vervollkommnet,
-zu vereinen ist Lessings Ansicht, daß die Vollkommenheit der Welt
-keine fortschreitende sondern eine (durchschnittlich) stabile ist,
-was eben daraus folgen würde, daß Gott sie geschaffen hat. Ob dem
-Fortschritt Rückschritte entsprechen? Daß ein Lessing die Leibnizschen
-Lehren von Himmel und Hölle des Orthodoxen entkleiden mußte, versteht
-sich von selbst. Lessing wird auch zu den ~Popularphilosophen,
-Aufklärungsphilosophen~ gerechnet.
-
-Von ~Herbart~ (1776 in Oldenburg geboren, 1841 gestorben) gehören
-wenigstens die ~Realen~ hierher. Darin, daß sie absolute Einheiten,
-unteilbar, zeitlos, raumlos sein und Aggregate von ihnen die Dinge
-bedeuten sollen, gleichen sie den Leibnizschen Monaden. Sie sind auch
-uranfänglich voneinander verschieden. Jede Reale soll ihre Qualität
-stetig und in Ewigkeit behalten. Das einzige, ihr inneres Leben
-Bedeutende ist lediglich die „~Selbsterhaltung~“. Diese macht sich
-geltend den „~Störungen~“ anderer Realen gegenüber, und in dieser
-Selbsterhaltung besteht alles Leben und Vergehen in der Natur. So
-sind alle unsere seelischen Tätigkeiten wie Denken, Fühlen, Wollen
-usf. nur Selbsterhaltungen gegen Anderes; und das Bewußtsein ist der
-Inbegriff all dieser Selbsterhaltungen. Die Dinge sind wie bei Leibniz
-ein Zusammensein von Realen, aber nicht in dessen geistigem Sinne,
-da die Realen keine Vorstellung haben, sondern ein mehr zufälliges.
-Wenn verschiedene Reihen von Realen einen gleichen Ausgangspunkt
-haben, so fassen wir sie als Ding auf. Gegenüber der Klarheit des
-Leibnizschen Systems weiß man sich hier kaum durchzufinden. Da die
-Realen absolut einfach und ohne jede Vorstellung von Anderem sein
-sollen, namentlich ohne jeden Wechsel in ihrem Inneren, wie erfährt
-da eine Seele die „Störung“, also die Gegenwart einer anderen Seele?
-Was kann Selbsterhaltung anderes bedeuten als Tätigkeit zur Erhaltung
-eines Vorhandenen, eben des Selbst? Wie ist das aber mit der absoluten,
-einfachen Wechsellosigkeit zu vereinigen? Was führt die Realen
-zusammen? Herbart spricht auch von Vorstellungen. Zeller (Geschichte
-der deutschen Philosophie seit Leibniz) meint, die Konsequenz dieses
-Systems wäre, „daß die Form, unter der uns die Realen erscheinen,
-ihre Verbindungen und die Änderung dieser Verbindungen, nicht in
-ihnen selbst und ihrem objektiven Verhältnis, sondern nur in unserer
-subjektiven Auffassung begründet sei“. Aber auch das geht nicht.
-Wir sind ja selbst Reale; wie kommen ~wir~ denn zu Auffassungen, ob
-subjektiven oder objektiven? In Herbarts Naturphilosophie machen sich
-die Übel dieser Unbegreiflichkeiten so schwer geltend, daß zuletzt
--- eben aus absolutem Mangel an jedem ideellen oder wirklichen
-Zusammenhang zwischen den Realen, wodurch auch ein Raum und eine
-Zeit, selbst nur gedacht „intelligibel“, ausgeschlossen wird -- sogar
-~Möglichkeiten~ von Zusammensein von Realen, erst als Bilder und dann
-als Reale selbst, behandelt werden, wie geometrische Konfigurationen,
-und daß auch teilweise Durchdringlichkeit der Realen angenommen wird.
-Ich darf hier aufhören, weil ich doch nicht weiß, wie eine deutliche
-Anschauung zu gewinnen ist. Nur das möchte ich noch erwähnen, daß
-Herbart Gott aus teleologischen Gründen setzt. Bringt Gott den
-Zusammenhang hinein? Und wie?
-
-
-
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-DRITTES BUCH.
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-Metaphysische und physische Welt- und Lebenanschauungen.
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-
-Wir sammeln in diesem Buche alle diejenigen Anschauungen von Welt und
-Leben, bei denen von Gott als Weltschöpfer und Welterhalter entweder
-ganz abgesehen oder der geringst mögliche Gebrauch gemacht wird.
-Vielfach widerstreitet hier die Theorie der Praxis; und so bestehen
-Anschauungen, bei denen von Gott entweder nur nicht gesprochen wird,
-indeß er im Hintergrunde doch mindestens als erste Ursache waltet,
-oder bei denen, was theoretisch wegdisputiert ist, praktisch wieder
-eingeführt wird. Es soll dieses im einzelnen erhellen. Viele aber
-nehmen in der Tat lieber einen blinden Zwangsmechanismus als einen
-unumschränkten Herrn, der so viel Übel in der Welt geschehen läßt. Die
-Gesamtheit der Anschauungen teilt sich in metaphysische und physische.
-Jene erwachsen aus Untersuchungen über die letzten Dinge, über das was
-wahr ist, diese aus der umgebenden Wirklichkeit. Die Unterscheidung
-besteht jedoch nur für die Extreme, sonst geht Metaphysisches und
-Physisches durch und ineinander.
-
-
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-SECHSTES KAPITEL.
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-Welt- und Lebenanschauungen des Idealismus.
-
-
-Wenn wir die Dinge, und uns mit, so nehmen, wie sie uns erscheinen,
-und nichts weiter hinter ihnen als Anderes setzen, so sprechen wir
-von einem ~Realismus~. Betrachten wir aber die Dinge nur als von
-uns verdinglichte Erscheinungen, hinter denen ein Anderes entweder
-gar nicht vorhanden, oder eben als ein Anderes vorhanden ist, so
-sprechen wir von einem ~Idealismus~, und das was etwa hinter den
-Dingen steht, bedeutet das ~Transzendente~. Dinge sind dann für uns
-objektivierte Transzendente; entweder Nichts oder unserem Begreifen
-entzogene Gegenstände, ~transzendente Wirklichkeiten~. Die zahlreichen
-Arten und Abarten des Idealismus besonders zu erklären, darf ich hier
-unterlassen, sie werden bald in der Behandlung hervortreten.
-
-
-41. Phantomismus (Illusionismus), Eleaten, Skeptiker.
-
-Die ~Indier~ hatten auch die Anschauung, daß die ganze Welt,
-einschließlich aller Lebewesen, nur ein Traum Brahmas sei. Mit dem
-Traum ist alles entstanden, und wenn Brahma erwacht, ist alles
-geschwunden, wie die Bilder unserer Träume kommen und spurlos verwehen.
-Denn Traumgestalten sind wir, und Traumgestalten sind Himmel, Gestirne
-und Erde. Eine Milderung dieser Anschauung bedeutet es, wenn, in einer
-anderen Anschauung, dieser Traum nur in den Menschen verlegt wird, es
-also heißt, die Welt ist nur in ~uns~ als ein Traum. Wir bestehen,
-die Welt aber besteht nur in uns. Unser irdisches Leben ist Träumen.
-Sind wir von diesem Leben befreit, so ist keine Welt, nur wir sind. In
-dieser, dem Verständnis aus der Analogie unserer wirklichen Traumwelten
-leichter zugänglichen Form ist die Lehre weit verbreitet. Wir finden
-sie selbst bei den realistischen Chinesen. Lao-tsse sagt, das Leben sei
-ein Gaukelspiel eines wirren Traumes.
-
-Indessen gibt dieses letztere kein philosophisches System, weil
-es gar zu sehr metaphorisch unernst wirkt. In der ersten Wendung
-aber finden wir bei den Indiern Lehren, die durchaus einem solchen
-philosophischen System angehören. Eines nur ist: Brahman (S. 230).
-Dieses Eine ist ewig und unveränderlich, ohne jede Qualität, ein
-absolutes Eins. Zu diesem Eins kommt das Unwissen (Avidyiâ), oder
-das Sichtäuschen (Mâyâ), ein Unbegreifliches; und unter diesem ist
-das Eins Mannigfaltigkeit, Welt geworden, mit allen Dingen und allen
-Veränderungen. Das ist ein Pantheismus, aber nur als Phänomen, nicht
-als Wirklichkeit; die transzendente Wirklichkeit ist allein das Eins,
-Brahman. Die Dinge und die Vorgänge sind als Täuschung praktisch real,
-als transzendente Wirklichkeit Nichts, oder vielmehr Brahman. So lautet
-die ~Illusionslehre~ des ~Sankara~ in der Vedantaphilosophie (S. 259):
-
- „In einem halben Vers will ich erklären, was in Millionen Bänden
- erklärt worden ist;
- Brahman ist wahr, die Welt ist falsch, die Seele ist Brahman und
- nichts anderes.“
-
-Und so besteht ein doppelter Brahman, die absolute transzendente
-Wirklichkeit, das Eins, Param Brahman, und die Illusionswirklichkeit,
-das phänomenale Brahman, Aparam Brahman. Damit hat die Welt Realität
-und hat auch keine. Praktisch ist sie aber durchaus real. Letzteres
-mußte Sankara lehren, denn sonst fielen ja alle ethischen Grundsätze
-und alle Religion mit allen Göttern fort, und für Sankara war die Veda
-eine heilige Schrift. Warum die Illusion hinzukommt, wird nicht gesagt,
-noch woher sie stammt. Sie wird aber mitunter neben Brahman (oder ~in~
-Brahman?) so real bezeichnet, daß sie als Mâyâ Persönlichkeit erlangt,
-gar als Gattin Brahman sich zugesellt.
-
-Der Leser, dem die griechische Philosophie bekannt ist, wird schon
-bemerkt haben, welche außerordentliche Ähnlichkeit die obigen
-Darlegungen mit denen der Schule der sogenannten ~Eleaten~ haben.
-Als Stifter dieser Schule wird ~Xenophanes~ (S. 231) bezeichnet,
-ein Ionier, der sich in Elea in Unteritalien niederließ. Er ist es,
-von dem der berühmte Ausspruch stammt, daß, wenn Rosse und Ochsen
-„malen könnten und Werke bilden wie die Menschen, so würden die Rosse
-roßähnliche, die Ochsen ochsenähnliche Göttergestalten malen und
-Werke bilden, wie jede Art gerade selbst das Aussehen hätte“. Und
-so tadelte er die Griechen nicht bloß wegen ihrer Anthropomorphie
-der Götter, sondern auch wegen ihrer Götter-Vielheit. Nur einen Gott
-gibt es, ein Eins, ein Ewiges, Unvergängliches. Und dieses ist das
-Weltganze. Mehr ist von seinen allgemeinen Lehren mit Zuverlässigkeit
-nicht bekannt. Selbst daß er in Gott das Weltganze gesehen hat,
-dürfte mehr Vermutung sein, da, was er sonst von der Welt sagt, rein
-physisch ist und der Würde der Gottheit kaum entspricht. Sicherer
-ist was ~Parmenides~ (um 544 v. Chr. geboren) aus Elea lehrte:
-„Nötig ist dies zu sagen und zu denken, das Seiende existiert, denn
-das Sein (τὸ ἐόν) ist, das Nicht ist nicht.“ „So bleibt nur noch
-Kunde von einem Wege, daß das Seiende existiert. Darauf stehen gar
-viele Merkpfähle. Weil ungeboren, ist es auch unvergänglich, ganz,
-einziggeboren (μονογενές), unerschütterlich und ohne (zeitliches)
-Ende. Es war nie und wird nicht sein, weil es jetzt ganz alles ist.“
-„Auch teilbar ist es nicht, weil es ganz gleichartig ist. Und es ist
-auch nirgend etwa ein intensiveres, das seinen Zusammenhang hindern
-möchte, noch ein geringeres; es ist ganz vom Seienden erfüllt...
-Sodann liegt es unbeweglich in den Schranken starker Fesseln, ohne
-Anfang, ohne Ende... Als Selbiges in Selbigem verharrend, ruht es in
-sich selbst und verharrt so standhaft alldort. Denn der starke Zwang
-(ἀνάγκη, Ananke) hält es in den Banden der Schranke, die es rings
-umgibt. Darum darf das Seiende nicht unabgeschlossen sein, denn es ist
-mangellos, und es wäre gänzlich mangelhaft, wär’s anders...“ (Diels:
-Fragmente der Vorsokratiker. Ich habe hier und im folgenden, sowie
-im voraufgegangenen, die Übersetzungen dabei benutzt, jedoch, meinem
-Zweck entsprechend, sie möglichst genau an den Wortlaut des Originals
-angepaßt.) Schon der Abschluß zeigt, daß Parmenides sich das Seiende
-als eine Realität dachte. Was er weiter sagt, rückt diese Realität fast
-ins Materielle: „Aber da eine letzte Grenze vorhanden ist, so ist das
-Seiende abgeschlossen nach allen Seiten hin, vergleichbar der Masse
-einer wohlgerundeten Kugel, von der Mitte nach allen Seiten hin gleich
-stark“. Das wäre auch der Sphairos des Empedokles (S. 231). Es ist
-aber nichts weiter als dieses in sich gleiche, in sich ruhende, rings
-umschränkte, zeitlose, absolut Seiende. „Und so ist auch alles leerer
-Schall, wovon die Menschen sprechen, überzeugt, es sei wahr: nämlich
-~Werden sowohl als Vergehen, Sein sowohl als Nichtsein, Veränderung
-des Ortes und Wechsel der Farbe, überhaupt der Eigenschaften~.“ In
-diesem letzteren Satze liegt das Schwergewicht der eigentlichen Lehre.
-Und dieser Satz hat die Philosophen unendlich geplagt, und plagt sie
-noch jetzt. Er besteht im Grunde aus zwei Sätzen: „Aus Nichtsein kann
-kein Sein werden“ und „Aus Sein kann kein Nichtsein hervorgehen“. Indem
-ein jedes Entstehen bedeuten soll, daß vorher Nichtsein war, wo jetzt
-Sein ist, und ein Vergehen, daß jetzt Nichtsein ist, wo vorher Sein
-war, dürfte es überhaupt keine Änderung geben, da nur das Sein da sein
-soll. Es ist bekannt, wie der Hauptdialektiker der Eleaten, ~Zenon~
-(etwa nach 500 v. Chr. geboren), gleichfalls aus Elea, mit diesen
-Sätzen bewies, es gäbe in der Tat nicht die geringste Änderung in der
-Natur. Nicht einmal Bewegung sei möglich, denn alles setze sich aus
-Ruhe zusammen, und Ruhe sei keine Änderung; der Übergang aus einer Ruhe
-in eine andere aber sei undenkbar, weil dabei ein Seiendes schwände
-und ein Nichtseiendes entstehe. „Das Bewegte bewegt sich weder in dem
-Raume, in dem es sich befindet, noch in dem es sich nicht befindet.“
-Das gehört nicht hierher; es kommt im Grunde alles darauf hinaus, daß
-ein „Werden“ und „Vergehen“ als für sich begrifflich nicht faßbar
-angesehen wird und durchaus aus Nichtsein und Sein oder aus Sein und
-Nichtsein soll zusammengesetzt sein müssen. ~Herakleitos~ ist gerade
-vom entgegengesetzten Standpunkt ausgegangen (S. 238), für ihn gab es
-nur „Werden“ und „Vergehen“. Auch die Spitzfindigkeiten der Eleaten
--- wie die berühmte Schlußfolge, Achill könnte nie eine Schildkröte
-einholen, weil, so oft er einen Weg mache, die Schildkröte doch auch
-einen zurücklege, also ihm immer voraus sei -- beruhen auf solchen
-Unfaßbarkeitsannahmen, die dann Zusammensetzungen aus Widersprechendem
-bedingen. Seltsamerweise spukt die Formel: Werden = Sein + Nichtsein
-noch heute in vielen Köpfen. Die Eleaten leugneten auch alle Größe
-und alle Teilung ab, kurz alles, was die Welt als Mannigfaltigkeit in
-Raum und Zeit darstellt. Nur das Sein erkannten sie an. Was ist dann
-die Welt? -- Lediglich Schein, nichts als Schein, ganz im Sinne der
-Indier. Und wenn beispielsweise Parmenides ziemlich eingehend von der
-Entstehung und Ordnung der Welt spricht, so bemerkt er, daß es sich
-doch um ein „Wahngebild“ handelt und um „Wahngedanken“. ~Melissos~ aus
-Samos (um 440) sagt, weil der Dinge viele sind und sie sich ändern.
-Woher aber der Schein, der Wahn? Darüber haben die Eleaten keine
-Vermutung ausgesprochen, und so stehen sie den Indiern erheblich
-nach, die wenigstens ein Prinzip dafür aufgestellt haben, wenn dieses
-auch nichts anderes besagt, als daß der Schein, als Unkenntnis und
-Täuschung, ein Etwas für sich sei, das zusammen mit dem Absoluten die
-Welt gebe. In der Tat ist auch die eleatische Lehre nur nach Worten
-monistisch, an sich verfährt sie dualistisch, denn der Schein ist
-nicht Sein, und doch sind beide vorhanden. Hierher gehört im Grunde
-auch die sogenannte ~Megarisch-Elische Schule~ (von ~Eukleides~ aus
-Megara, einem Verehrer des Sokrates begründet), die nur ein Seiendes
-anerkannte, das ~Gute~, alles andere in der Welt für nichtseiend,
-Schein erklärte und sich der eleatischen Dialektik zum Nachweis einer
-solchen Behauptung bediente. Im übrigen ist der eleatischen Lehre
-Großartigkeit nicht abzusprechen. Melissos sagt: „So ist es (das
-Seiende) denn ewig, und unendlich, und eins, und ein in sich gleiches
-Alles. Und es könnte nicht irgend einmal untergehen, noch empfindet
-es Schmerz oder Leid.“ „Auch gibt es kein Leeres, denn das Leere ist
-nichts; demnach kann das, was ja nichts ist, nicht vorhanden sein.“
-Also Eins nur besteht, zeitlich und räumlich überall, nie sich ändernd,
-in sich ohne jede Unterscheidung.
-
-An diese Lehren schließen sich sachlich die des ~Skeptizismus~
-(Skepsis, Zweifel) an. Sie können hier kurz behandelt werden, da sie
-nicht eigentlich eine Welt- und Lebenanschauung geben. Die Erfahrung,
-wie vieles unsicher und widersprechend ist, führt zu der Meinung, daß
-man nichts mit Bestimmtheit behaupten könne, und in der Übertreibung,
-deren sich die ~Sophisten~ schuldig gemacht haben, daß man von allem
-alles behaupten könne, was sie in ihrer Streitmethode, ~Eristik~, zu
-so scharfsinnigen Auseinandersetzungen, aber auch zu so verderblichen
-Lehren geführt, hat. ~Protagoras~ (480-410 v. Chr.), ~Gorgias~
-(zwischen 484 und 375), ~Prodikos~, ~Hippias~ sind die hervorragendsten
-Vertreter der noch wissenschaftlichen und ethischen Schule der
-Sophistik. Das Heer der übrigen Sophisten darf übergangen werden. Der
-ungeheure Einfluß der Sophisten als Lehrer, namentlich der praktischen
-Staatskunst, ist bekannt. Manche unter ihnen haben Macchiavelli
-nichts nachgegeben. Von Protagoras rührt der Spruch her: „Aller Dinge
-Maß ist der Mensch, das Seiende für sein Sein, das Nichtseiende für
-sein Nichtsein“. Dieser Satz ist offenbar von Wichtigkeit für den
-Idealismus überhaupt, namentlich in dessen Form als ~Kritizismus~.
-Skeptizismus findet sich naturgemäß überall in der Philosophie. In
-die Akademie eingeführt hat ihn ~Pyrrhon~ aus Elis (365-275 v. Chr.).
-Ein bedeutender Vertreter ist ~Arkesilaos~ (315 bis 240 v. Chr.), der
-jede Möglichkeit, durch Erfahrung oder Nachdenken zu Erkenntnissen zu
-gelangen, bestritt, also für die Wahrheit kein Merkmal in der Welt
-fand, und dem so die Wahrscheinlichkeit (Eulogon) als Richtschnur aller
-Behauptungen und Handlungen dienen mußte. Das eigentliche Haupt der so
-genannten ~Neuen Akademie~ war aber ~Karneades~ aus Kyrene (224-155
-v. Chr.), der unerbittliche Kritiker den Dogmatikern gegenüber, die
-sich wesentlich aus der stoischen Schule rekrutierten. Ein höchst
-scharfsinniger Mann, vermochte er alle dogmatischen Lehren von Gott
-und Wahrheit mit guten Gründen anzugreifen und zu bekämpfen, indem er
-überall Widersprüche und nicht zu beweisende Annahmen aufdeckte. Nun,
-die Menschheit leidet ja von je daran. Wäre dem nicht so, so gäbe es
-ja keine Wissenschaft von Welt und Gott, sondern ein Wissen. Darum
-gerade retten sich die einen in die Dogmatik, andere in den Glauben,
-noch andere in die Wahrscheinlichkeit, und viele in die Intuition.
-„Was ist Wahrheit?“ soll Pilatus gefragt haben. Das wird eben immer
-und von je gefragt. Und die Untersuchungen der neueren Philosophie
-richten sich eben auf die Kriterien der Wahrheit, und darauf, eine
-Wahrheit aufzustellen, um alles andere daran anschließen zu können,
-wie Descartes eine solche in dem Ausspruch „Ich denke, also bin ich!“
-gefunden zu haben glaubte und Fichte in seinem Ich-Satz. Wir werden
-noch vielen Skeptikern begegnen.
-
-
-42. Phänomenaler Idealismus.
-
-Die Idee, daß die Dinge nicht so sind wie sie uns scheinen, findet
-sich vom Altertum durch das ganze Mittelalter mehr oder weniger
-deutlich ausgesprochen. In der neueren Zeit zuerst in ein System
-verarbeitet hat sie der in Irland geborene Engländer ~George Berkeley~
-(1684-1753), ein großer Denker und Naturkenner. Er ist ein heftiger
-Gegner des Materialismus und Spinozismus und bezeichnet seine Lehre
-als ~Immaterialismus~. In der Tat hat sie auch viel Theosophisches,
-wie er auch so manches von den mittelalterlichen Theosophen und
-Mystikern einfach übernahm. Er ist von der Wahrhaftigkeit Gottes im
-Cartesischen Sinne überzeugt. Also können Wahrnehmung und Vernunft
-nicht absolut lügen und trügen. Darum ist er auch Nominalist. Nun
-aber meint er, Wahrnehmung sei durchaus von dem Wahrgenommenen zu
-trennen. „Da wir wahrnehmen, daß verschiedene von den Empfindungen
-einander begleiten, so werden diese durch einen Namen umgrenzt und
-so für ein Ding ausgegeben.“ „Sinnliche Dinge sind hiernach nichts
-anderes als so viele sinnliche Qualitäten oder Kombinationen von
-sinnlichen Qualitäten.“ Alle diese Qualitäten sind aber, da ~wir~
-wahrnehmen, nur in unserer Seele. Außerhalb Gottes und der Seele
-gibt es keine Erscheinungen. Da nun eine Erscheinung ganz ein
-Inneres ist, so können die Dinge den Erscheinungen nicht gleichen,
-die Erscheinungen sind keine Kopien der Dinge. Berkeley beruft sich
-überall auf physikalische und physiologische Erkenntnisse, die durchaus
-zutreffend sind. Und so ist es auch richtig, wenn er meint, daß
-wir unsere Wahrnehmung der Ausdehnung nicht den Dingen zuschreiben
-können, denn ein anderes ist die Ausdehnung in den Wahrnehmungen des
-Sehens, ein anderes in denen des Tastens; sie werden nur konfundiert,
-weil sie sich stets begleiten. Berkeleys ~Sensualismus~ ist hiernach
-ein ~innerer~, ein ~Phänomenalismus~. Und so ist zu verstehen, daß
-er Dinge ohne Erscheinungen in uns als Fiktionen bezeichnet, wie
-die abstrakten Figuren und Zahlen in der Mathematik. Ich darf auf
-entsprechende Ausführungen in meinem Buche „Philosophische Grundlagen
-der Wissenschaften“ hinweisen. So kämpft er auch gegen die Annahme
-einer absoluten Substanz, Materie, die niemand kennt und niemand
-kennen kann, und der man, um zu einer Welt zu gelangen, gezwungen ist,
-eine Menge verborgener Eigenschaften zuzuschreiben, die anderweit
-wieder abgestritten werden müssen; so Bewegung aus sich heraus, der
-doch die Trägheit widerspricht. Nur der Geist ist absolute Substanz,
-er allein ist tätig und wo er sich leidend verhält, folgt dieses aus
-der Schranke, die ihm gesetzt ist. Die Körper sind nicht, sondern sie
-werden: durch unsere Wahrnehmungen. Und so existieren sie nur „sekundär
-und abhängig“.
-
-Gleichwohl ist Berkeleys System kein solches des reinen Scheines,
-noch weniger des Nichts. Das Kausalitätsprinzip greift bei ihm ein.
-Die Wahrnehmungen müssen doch irgend einen Grund haben. Diesen sieht
-er nicht wie Indier und Eleaten in uns selbst, sondern außer uns, in
-einem Geist außer unserem Geiste; und das ist der göttliche Geist.
-Seiner sind wir sicher, eben aus den Wahrnehmungen in uns, nämlich
-aus den Naturerscheinungen und ihrer Ordnung. „Der große Beweger und
-Urheber der Natur offenbart sich ständig selbst den Augen der Menschen
-durch sinnliche Intervention willkürlicher Zeichen (wie der Mensch
-durch willkürliche Zeichen, Sprache, seinen Geist offenbart), welche
-keine Ähnlichkeit noch Verbindung mit den bezeichneten Dingen haben.“
-Das ist von vielen vor ihm schon gesagt und wird auch in der Bibel in
-der mannigfachsten Weise variiert. Aber hier handelt es sich um den
-~kosmologischen Beweis Gottes~. Und so ist Gott die naturierende Natur,
-und der überall und jederzeit wirkt. Wahrhaft ist alles nur in Gott als
-Eins. Was wir kennen und erkennen, sind Abbilder dieses Wahrhaften.
-Unser Geist wirkt wie Gott. Nur daß Gott ohne jede Beschränkung ist,
-so daß er beliebig schafft, und was er schafft der Ewigkeit angehört.
-Aus unserer Gottähnlichkeit folgt dann ein gewisser freier Wille.
-Wie aber das bewußt Böse? Das ist nicht gesagt, wenn es nicht als
-zur Ordnung der Dinge gehörig angesehen wird. Trotz allem Schein ist
-die Welt real. „Alle Dinge zusammen mögen ein Universum sein, Eines
-durch die Verbindung, Beziehung und Ordnung zu ihren einzelnen Teilen,
-welches das Werk des Verstandes ist.“ Rein intelligibel betrachtet
-aber sind die Dinge unbeweglich und unveränderlich. Man sieht: nur die
-Intervention Gottes, der absolut wahrhaft ist, macht es, daß hinter
-dem Schein eine transzendente Wirklichkeit vorhanden sein könnte. Und
-aus der gleichen Intervention ergäbe sich Berkeleys Rationalismus
-und die Möglichkeit der Wissenschaften, im Grunde wie bei Descartes.
-Die transzendente Wirklichkeit aber, soweit sie zugestanden sein
-sollte, wird fast pandeistisch aufgefaßt, und unser Verhältnis zu ihr,
-und damit zu Gott theosophisch. Im wesentlichen aber ist Berkeleys
-Phänomenalismus wirklicher Schein. Kant nennt das ~empirischen~ oder
-~dogmatischen Idealismus~.
-
-Mit dieser Berkeleyschen Anschauung hat die spätere ~Fichte~sche große
-Ähnlichkeit. Gott wird unmittelbar gesetzt als das absolute Sein, wie
-die Eleaten sich dieses Sein dachten. Alles andere ist nur Wissen als
-Bild des göttlichen Seins: Ein Sein Gottes außer seinem Sein, nicht
-Gott selbst, sondern sein Schema. In diesem Bilde ist das Sein ein
-Mannigfaltiges. Indem es aber, wenn auch ein Bild, doch ein Göttliches
-ist, muß es eine göttliche Weltordnung darstellen. Gleichwohl ist
-wie bei Berkeley die Natur nur die Schranke des Bewußtseins, und an
-sich eine nichtige und wesenlose Erscheinung, die ihr Dasein nur
-in unserer Vorstellung hat. Wieder ganz wie bei Berkeley steht die
-Natur zwischen Gott und Geist, Bewußtsein. Wir werden später sehen,
-daß in seiner ersten Philosophie Fichte umgekehrt Gott aus der
-Weltordnung abgeleitet, eigentlich die Weltordnung für Gott erklärt
-hat. Dieser Idealismus, der die äußere Welt in einen Schein auflöst
-und sie nur retten kann durch die Annahme Gottes und dessen absoluter
-Wahrhaftigkeit, ist sogleich nach Berkeley von dem Schotten ~David
-Hume~ (1711-1776) vollends auf die Spitze getrieben worden, indem auch
-die Autorität unserer eigenen Vernunft in Zweifel gesetzt ist. Denn
-unsere Vernunft ist nichts Bleibendes, sondern stetig Wechselndes, eine
-~Folge~ von Bewußtseinsinhalten, kein ~seiender~ Bewußtseinsinhalt,
-so daß ein ständiges seiendes Ich nicht behauptet werden kann. Nur
-die zusammenhängende Kette dieser Folge erweckt den Schein eines
-solchen Ich, in Wahrheit leben wir ein solches Leben ohne Ich. Unsere
-Psychologie hat kein Subjekt, keine Seele, sie besteht lediglich aus
-~assoziierten~ inneren Erscheinungen, ein Satz, den wir später bei
-modernen Psychologen wiederfinden werden. Es gibt also nirgend ein
-Wirkliches in der Welt, nicht außer uns, nicht in uns; alles ist
-Schein und Erscheinung, hier wie dort. Was die Erscheinungen und ihre
-Assoziation, Vergesellschaftung, in uns hervorbringt, wissen wir nicht.
-Wie auf einer Schaubühne treten die inneren Erscheinungen auf; Bühne
-und Regisseur sind uns aber unbekannt, von ihnen ist nichts aussagbar.
-Und was darüber ausgesagt wird, ist pure Einbildung. Es ist eine Art
-Deutung der Heraklitischen Lehre in eleatischem Sinne, und Hume kann
-sehr wohl auf diesem Standpunkte seiner Philosophie als Skeptiker
-bezeichnet werden. Gleichwohl hat er auch ein realistisches System
-begründet, das wir später (S. 407 ff.) kennen lernen werden, indem er
-das Unerschaubare beiseite ließ, sich an den Schein hielt, und diesen
-gleich einem festen Gegebenen behandelte.
-
-
-43. Kants transzendentaler Idealismus.
-
-Organisierte Wesen und Naturzweck.
-
-„Wir haben also sagen wollen: daß alle unsere Anschauung nichts
-als die Vorstellung von Erscheinung sei: daß die Dinge, die wir
-anschauen, nicht das an sich selbst sind, wofür wir sie anschauen,
-noch ihre Verhältnisse an sich selbst so beschaffen sind, als sie
-uns erscheinen, und daß, wenn wir unser Subjekt, oder auch nur die
-subjektive Beschaffenheit der Sinne überhaupt aufheben, alle die
-Beschaffenheit, alle Verhältnisse der Objekte in Raum und Zeit, ja
-selbst Raum und Zeit verschwinden würden, und als Erscheinungen nicht
-an sich selbst, sondern nur in uns existieren können. Was es für
-eine Bewandtnis mit den Gegenständen an sich und abgesondert von
-aller dieser Rezeptivität unserer Sinnlichkeit haben möge, bleibt uns
-gänzlich unbekannt. Wir kennen nichts als unsere Art, sie wahrzunehmen,
-die uns eigentümlich ist, die auch nicht notwendig jedem Wesen, obzwar
-jedem Menschen zukommen muß.“ (Kritik der reinen Vernunft, S. 66,
-ich zitiere dieses Werk nach der ausgezeichneten Reclam-Ausgabe).
-Diese Auffassung nennt Kant selbst Idealismus, und sofern gleichwohl
-alles als wirklich angesehen wird, den ~transzendentalen~ oder
-~formalen~ Idealismus, während vom ~materialen~ der ~dogmatische~
-Idealismus die Dinge leugnet, der ~skeptische~ sie bezweifelt.
-Kant ist transzendentaler oder formaler Idealist. Raum und Zeit
-(besser Räumlichkeit und Zeitlichkeit) sind die berühmten beiden
-„Anschauungsformen“ der Vernunft. „Sie hängen unserer Sinnlichkeit
-schlechthin notwendig an, welcher Art auch unsere Empfindungen sein
-mögen.“ Der Raum ist die Anschauungsform des nach Außen gerichteten
-Sinnes, die Zeit die des nach Innen gerichteten Sinnes. Die
-Bedeutung dieser Feststellungen habe ich in meinem früher genannten
-Buche, ich glaube auf das sorgfältigste, zergliedert, und ich habe
-nachgewiesen, daß die Eigenschaften des Raumes sich ohne den Begriff
-der Ursächlichkeit nicht erschöpfen lassen, und daß die Besonderheit
-der Zeit in den Geschehnissen als Projektion des inneren Bewußtseins
-vom Wechsel in unserer Seelentätigkeit nach Außen aufzufassen ist. Ich
-muß auf dieses Buch verweisen, darin der Leser auch gewisse andere
-Distinktionen hinsichtlich der verschiedenen Arten von Raum und Zeit
-finden wird. Obwohl nun Raum und Zeit unausweichliche Formen unserer
-Anschauung nach Außen und nach Innen sein sollen, können sie uns doch
-nichts, weder über die Welt noch über die Seele, lehren. Sie sind als
-Stammbegriffe, Räumlichkeit und Zeitlichkeit, ~a priori~, „das ist, vor
-aller wirklichen Wahrnehmung“, vorhanden; sie sind „reine Anschauung“.
-Wogegen Empfindung ist „das in unserer Erkenntnis, was da macht, daß
-sie Erkenntnis ~a posteriori~, das ist empirische Anschauung heißt“.
-
-Die apriorischen Stammbegriffe, deren Bedeutung als apriorische so oft
-und so energisch geleugnet worden ist und noch geleugnet wird, spielen
-bei Kant eine große Rolle. Ich selbst halte sie für ganz unerläßlich;
-ein äußeres oder inneres Leben ohne beispielsweise den Stammbegriff
-der Ursächlichkeit, scheint mir absolut ausgeschlossen. Kein Tier
-würde essen oder trinken ohne diesen Stammbegriff, kein Tier auf einen
-Reiz irgendeine Wahrnehmung haben. Daß die Stammbegriffe uns nicht
-immer bewußt sind, ist zwar richtig, tut aber nichts zur Sache. Das
-Bewußtsein gehört überhaupt nicht zu allen physischen Handlungen. Wir
-wenden viele Tätigkeiten der Seele, z. B. das Wollen, mehr oder weniger
-bewußt, zuweilen ganz unbewußt an. Zwar geschieht sehr vieles bewußt,
-was uns nachher unbewußt geschehen erscheint, weil wir kein Interesse
-daran hatten, es zu behalten, wie namentlich animalische Handlungen,
-Gehen, Essen usf., und auch logische, wie das Rechnen aus „Gewohnheit“.
-Aber mögen auch die Handlungen vom Tiere oder vom Kinde unbewußt
-geschehen, aus „Instinkt“ oder „Trieb“, so bleibt doch zweifellos der
-~Grund~ für diesen Instinkt oder Trieb. Und will man keinen Grund
-angeben, so sind Instinkt oder Trieb apriorisch, angeboren, und man hat
-nichts gewonnen außer etwas, das man bei entwickeltem Verstande wieder
-fallen läßt. Es ist etwas nötig, das die Wesen animalisch, weltlich
-und geistig überhaupt leben läßt. Damit müssen sie von vornherein
-ausgerüstet sein, sonst ist keines dieser Leben als Leben möglich,
-wenigstens nicht für den, der in den Wesen nicht pure Zwangsmaschinen
-sieht. Dieser braucht allerdings keine apriorischen Seelentätigkeiten.
-Es sind -- ich will mich vorsichtig ausdrücken -- gewisse apriorische
-Seelentätigkeiten nötig, die von den untersten Wesen nach oben und vom
-Geborensein nach dem Alter, phylogenetisch und ontogenetisch, mehr
-und mehr ins Bewußtsein treten, deutlicher und deutlicher werden, wie
-ein Gedanke, eine Vorstellung, ein Wille, eine Empfindung usf., die
-ja auch verschwommen beginnen und zuletzt scharfstrahlig leuchten
-können. „Erworben“, „erlernt“ sind hier nur leere Redewendungen, denn
-man wird immer fragen müssen, woher die ~Fähigkeit~ zum Erwerben,
-Erlernen kommt, und wird dann eben auf das Apriorische zurückgelangen.
-Einer Puppe kann man die menschliche Gestalt geben und sie so oft
-zum Gehen anleiten als man will, sie geht doch nicht von selbst,
-sie hat im Inneren die Fähigkeit dazu nicht. Diejenigen aber, die
-auch in den lebenden Wesen zwangsmäßige äußere und innere Automaten
-sehen, dazu eigentlich auch die Okkasionalisten gehören, brauchen
-freilich, wie bemerkt, Apriorisches nicht, sie brauchen dann auch keine
-~abgeleiteten~ Begriffe, keine Erfahrung, überhaupt gar nichts. Ich
-werde später diese Ausführungen vervollständigen (S. 474 f.), auch
-mich auf sie zu berufen haben, und verweise nur noch auf das früher
-(S. 222 f.) von der kategorischen oder regulativen Seele Gesagte. Denn
-das Apriorische ist kategorisch, regulativ. Es gehört zu den größten
-Verdiensten Kants, daß er das Angeborene von dem Erworbenen so scharf
-zu unterscheiden gelehrt hat, indem er nachwies, wie ersteres durchaus
-die unausweichliche Voraussetzung für letzteres ist. Die Notwendigkeit
-für das Leben überhaupt hat er nicht betont, sie folgt aber unmittelbar.
-
-Also, es besteht eine Welt. Sie ist transzendental. Die Seele faßt
-sie nach ihren Kategorien auf. Welches diese Kategorien außer Raum
-und Zeit noch sind, habe ich hier nicht auseinanderzusetzen. Nach
-der reinen Vernunft gehören die ethisch-religiösen Begriffe, wie
-Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, nicht zu diesen Kategorien. Sie
-unterliegen mit anderem den ~Antinomien~ (Gegensätzlichkeiten) und
-~Paralogismen~ (Vorspiegelungen, Einbildungen, Erschleichungen) der
-Vernunft. Darauf kommen wir noch zurück. Daß die Welt tatsächlich ist
-und sich nicht, wie bei Berkeley, in einen von Gott in uns eingeimpften
-Schein auflöst, hat Kant oft betont. „Wenn ich sage: im Raum und in
-der Zeit stellt die Anschauung, sowohl der äußeren Objekte, als auch
-die Selbstanschauung des Gemüts, beides vor, so wie es unsere Sinne
-affiziert, das ist, wie es erscheint, so will das nicht sagen, daß
-diese Gegenstände ein bloßer ~Schein~ wären. Denn in der Erscheinung
-werden jederzeit die Objekte, ja selbst die Beschaffenheiten, die wir
-ihnen beilegen, als etwas wirklich Gegebenes angesehen, nur daß, sofern
-diese Beschaffenheit nur von der Anschauungsart des Subjekts in der
-Relation des gegebenen Gegenstandes zu ihm abhängt, dieser Gegenstand
-als ~Erscheinung~ von ihm selber als ~Objekt an sich~ unterschieden
-wird. So sage ich nicht, die Körper scheinen bloß außer mir zu sein,
-oder meine Seele scheint nur in meinem Selbstbewußtsein gegeben zu
-sein, wenn ich behaupte, daß die Qualität des Raumes und der Zeit,
-welcher, als Bedingung ihres Daseins, gemäß ich beide setze, in meiner
-Anschauungsart und nicht in diesen Objekten an sich liege. Es wäre
-meine eigne Schuld, wenn ich aus dem, was ich zur Erscheinung zählen
-sollte, bloßen Schein machte. Dieses geschieht aber nicht nach unserem
-Prinzip der Idealität aller unserer sinnlichen Anschauungen“, sondern,
-wie Kant nun weiter ausführt, gerade nach dem Prinzip der objektiven
-Realität der Anschauungsformen. Und er wundert sich nicht, daß Berkeley
-aus Widerspruch gegen diese objektive Realität der Anschauungsformen
-zur Aufhebung aller Objektivität der Gegenstände gekommen sei, indem
-er sie für einen Schein erklärte. Er hätte sogar die eigene Existenz
-für Schein erklären müssen. Kant meint, die letztere Ungereimtheit
-hätte sich noch niemand zu Schulden kommen lassen; den Indiern war sie
-keine Ungereimtheit. Für die Wirklichkeit, wenn auch transzendente,
-von uns nicht zu erfassende, der Welt hat sich Kant oft in gleicher
-und nachdrücklicher Weise ausgesprochen. Der vierte Paralogismus
-bezieht sich ja unmittelbar auf Ablehnung der Schein-Welt (s. unten).
-Es gibt also Dinge-an-sich, ~Noumena~; wie diese uns erscheinen, sind
-sie ~Phänomena~. Alle unsere Erfahrungen beziehen sich auf letztere,
-ob es Dinge außer uns sind oder in uns. Aus der Übertragung unserer
-Kenntnisse und Meinungen von den Phänomena auf die Noumena entstehen
-jene berühmten vier ~kosmologischen Antinomien~, die sich im Satz,
-der Thesis, wie in dem Gegen-Satz, der Antithesis, mit gleicher
-Evidenz beweisen lassen, wie: Die Welt hat einen Anfang in der Zeit
-und Grenzen im Raum; Die Welt hat keinen Anfang in der Zeit und
-keine Grenzen im Raum. Alles besteht aus einfachen Teilen, und nur
-das Einfache ist; Nichts besteht aus einfachen Teilen und nirgend
-existiert Einfaches. Außer Gesetzen ist Freiheit notwendig; Es ist
-keine Freiheit, nur Gesetze sind. Zu der Welt gehört ein schlechthin
-notwendiges Wesen, Gott; Es existiert kein zur Welt schlechthin
-notwendiges Wesen. Im Gebiete des inneren Lebens führt jene Übertragung
-zu den vier ~Paralogismen~, den Erschleichungen wie: Die Seele ist
-etwas, das zur Bestimmung keines Dinges gebraucht werden kann, absolute
-Substanz. Die Seele ist einfach. Die Seele ist persönlich. Das Dasein
-aller Gegenstände äußerer Sinne ist zweifelhaft (skeptischer oder
-dogmatischer Idealismus). Die Antinomien beziehen sich der Reihe nach
-auf: Schöpfung und Ende oder Nicht-Schöpfung und Nichtende der Welt,
-und Nichtgrenzen oder Grenzen der Welt; Eins oder Mannigfaltigkeit der
-Welt; Verantwortlichkeit oder Nicht-Verantwortlichkeit des Menschen
-(oder Gut und Böse und Nicht-Gut und Nicht-Böse) in der Welt; Gott ein
-Schöpfer und Herr der Welt oder Gott Nicht-Schöpfer und Nicht-Herr.
-Und die Paralogismen auf: Vorhandensein einer von allen wahrnehmbaren
-Objekten auszunehmenden Seele; Unsterblichkeit der Seele; Seele als
-Sonderwesen; Nichtwirklichkeit der Welt. Es sind die Kardinalfragen,
-um die es sich handelt. Und nur der vierte Paralogismus führt zu
-einem positiven Ergebnis, daß die Nichtwirklichkeit der Welt nur eine
-Erschleichung des Verstandes ist. Die Antinomien sind nicht lösbar;
-die drei ersten Paralogismen ergeben ein Negatives. In der Tat ist
-auch hier mit der Dialektik nichts auszurichten; die Naturwissenschaft
-aber bietet einiges zur Lösung dieser Fragen in dem einen oder anderen
-Sinne, was später zur Sprache kommt.
-
-Gehen wir noch einmal zurück auf die kosmologischen Verhältnisse.
-Die vier Antinomien betreffen in der Thesis Vollkommenheiten,
-nämlich: der Dauer und Grenzen, der Zusammensetzung, des Daseins, des
-Absoluten. Kant spricht so von vier ~transzendentalen Ideen~. Sie
-sind ~kosmologisch~, solange sie die Vollständigkeit der Bedingungen
-in der Sinnenwelt betreffen, also in der Welt der Erscheinungen,
-Phänomene. Sobald wir sie jedoch auf dasjenige beziehen, was außerhalb
-dieser Sinnenwelt steht, auf die Noumena, so werden sie schlechthin
-~transzendent~. Schon die kosmologischen Ideen sind an keiner
-Erscheinung in concreto vorzustellen, da sie die ~Vollendung~ einer
-empirischen Reihe bedeuten. Die transzendenten aber trennen sich
-überhaupt von der Erfahrung; sie beruhen allein auf Begriffen a priori.
-Gleichwohl, meint Kant, drängt uns vieles zunächst die vierte Idee,
-von Gott, wenigstens auf eine transzendente Wirklichkeit zu beziehen,
-also eine solche anzunehmen. Sofern etwas durch die Idee allein, in
-individuo, also als ein Einzelnes, bestimmbar oder gar schon bestimmt
-ist, nennt Kant es ~Ideal~ oder ~Prototypon~. Gewisse Ideen haben nun,
-wenn auch nicht wie Platons Idee der göttlichen Kraft, ~schöpferische~,
-aber doch ~praktische Kraft~ als ~regulative Prinzipe~, und die ihnen
-entsprechenden Ideale sind „Urbilder“ für diese Regeln. „Diese Ideale,“
-sagt nun Kant (Kritik der reinen Vernunft, S. 453), „ob man ihnen
-gleich nicht objektive Realität (Existenz) zugestehen möchte, sind
-doch um deswillen nicht für Hirngespinste anzusehen, sondern geben ein
-unentbehrliches Richtmaß der Vernunft ab, die des Begriffes von dem,
-was in seiner Art ganz vollständig ist, bedarf, um darnach den Grad
-und die Mängel des Unvollständigen zu schätzen und abzumessen.“ Und er
-warnt ausdrücklich, sie etwa mit den Geschöpfen der Einbildungskraft
-zu verwechseln, „welche mehr eine im Mittel verschiedener Erfahrungen
-gleichsam schwebende Zeichnung, als ein bestimmtes Bild ausmachen“,
-Monogramme, wie er sagt. Ein solches transzendentales Ideal ist nun
-das ~Ding-an-sich~ als Allbesitz der Realität, das ens realissimum,
-indem es der durchgängigen Bestimmung, die notwendig bei allem was
-existiert angetroffen wird, zugrunde liegt. Dieses Ideal „ist aber auch
-das einzige eigentliche Ideal, dessen die menschliche Vernunft fähig;
-weil nur in diesem einzigen Falle ein an sich allgemeiner Begriff
-von einem Dinge durch sich selbst durchgängig bestimmt, und als die
-Vorstellung von einem Individuum erkannt wird.“ So ist dieses Ideal
-das Prototyp aller Dinge, welche insgesamt als Nachbilder (Ektypa) den
-Stoff zu ihrer Möglichkeit von ihm nehmen, und indem sie demselben
-mehr oder weniger nahekommen, dennoch unendlich weit daran fehlen, es
-zu erreichen. Es ist in der Vernunft die „Möglichkeit aller Dinge“,
-und so das „Urwesen (ens originarium)“, „höchste Wesen (ens summum)“,
-„Wesen aller Wesen (ens entium)“. „Der Begriff eines solchen Wesens
-ist der von ~Gott~ in transzendentalem Verstande gedacht.“ Indessen
-doch wieder alles nur in der Vernunft; die objektive Existenz eines
-„Wesens von so ausnehmendem Vorzuge“ ist uns völlig ungewiß. Und nun
-bringt Kant, wiewohl er also in der Vernunft die Notwendigkeit eines
-solchen Ideals, das aber im Grunde nichts anderes ist als die einzige
-Idee aller Realität, zugesteht, seine berühmten Gründe gegen alle
-vermeintlichen „Beweise“ einer Existenz Gottes. Und dabei bleibt es
-der reinen Vernunft gegenüber. Daß wir „diese Idee vom Inbegriffe
-aller Realität hypostasieren, kommt daher, weil wir die ~distributive~
-Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes in die ~kollektive~
-Einheit eines Erfahrungsganzen dialektisch verwandeln, und an diesem
-Ganzen der Erscheinung uns ein einzelnes Ding denken, was alle
-empirische Realität in sich enthält, welches dann vermittelst der...
-transzendentalen Subreption, mit dem Begriffe eines Dinges verwechselt
-wird, was an der Spitze der Möglichkeit aller Dinge steht, zu deren
-durchgängiger Bestimmung es die realen Bedingungen hergibt“. Die Reihe
-ist: Realisierung, Hypostasierung, Personifizierung. „Die Vernunft wird
-durch einen Hang ihrer Natur getrieben, über den Erfahrungsgebrauch
-hinauszugehen, sich in einem reinen Gebrauche und vermittelst bloßer
-Ideen zu den äußersten Grenzen aller Erkenntnis hinaus zu wagen, und
-nur allererst in der Vollendung ihres Kreises, in einem für sich
-bestehenden systematischen Ganzen Ruhe zu finden.“ Damit ist aber eben
-keine objektive Existenz gegeben, das heißt, nicht ~bewiesen~. Manche,
-namentlich Materialisten, haben nun gemeint, Kant hätte Gott, Seele
-usf. überhaupt abgelehnt, er hätte ~bewiesen~, daß sie vor der reinen
-Vernunft nicht existieren. Das ist völliges Mißverständnis. Er hat nur
-erklärt, daß die Existenz dieser Dinge sich aus der reinen Vernunft
-nicht beweisen lasse. Daß diese Dinge auch als Dinge-an-sich überhaupt
-nicht vorhanden sind, hat er nirgend gesagt; es würde auch seinem
-transzendentalen Standpunkt, den er so oft betont, widersprechen.
-Denn dieses alles gehört ja zur transzendenten Wirklichkeit. Wenn
-er daher in der „Kritik der praktischen Vernunft“ davon Gebrauch
-macht, und von jenen Dingen als von praktisch-regulativen Prinzipien
-handelt, so ist er ganz innerhalb seines Systems geblieben und
-keineswegs von ihm abgewichen. Charakteristisch dafür ist, wie er
-vom freien Willen spricht. Wenn wir alle menschlichen Handlungen bis
-auf den Grund verfolgen könnten, würden wir eine stetige Kette von
-Ursache und Wirkung finden, und jede Handlung aus ihren Bedingungen
-als notwendig sogar voraussagen können. Also „in Ansehung unseres
-~empirischen~ Charakters gibt es keine Freiheit“. Allein wir haben auch
-den transzendenten „intelligiblen Charakter“; und da hier von einer
-Naturkausalität keine Rede ist, so können dieselben Handlungen ihrer
-Ursache nach vollkommen frei sein. Wir können nur nicht ~beweisen~,
-daß, so aufgefaßt, sie es sind, weil das Transzendente außerhalb aller
-Erfahrung liegt. Aber beweisen, daß sie es, transzendent aufgefaßt,
-~nicht~ sind, können wir aus gleichem Grunde auch nicht. Und das gilt
-von allen Hoch-Ideen und Hoch-Idealen, und hat auch Bezug auf Kants
-„~Kategorischen Imperativ~“, Schillers „~Du kannst, denn du sollst~“.
-Daß sein System ein Dualismus ist, hat übrigens der große Philosoph
-selbst anerkannt; es ist ein solcher in der Unterscheidung der
-transzendenten Welt von der empirischen, in der Annahme beider Welten,
-praktisch auch in der Annahme von Gott und Welt oder von Geist und Welt
-usf.
-
-Auch die dritte große Kritik, die „Kritik der Urteilskraft“, enthält
-ein kosmologisches Regulativ: die ~Teleologie~, den ~Begriff der
-Zweckmäßigkeit~. Es bezieht sich auf die Ordnung der Dinge -- z.
-B. in Familien, Rassen, Arten, Gattungen usf. -- und den Übergang
-der Abteilungen ineinander, die Ordnung der Geschehnisse -- z. B.
-staatliche, individuelle, elektrische usf. --, endlich die Ordnung
-der Ursachen. Der Begriff bezweckt hiernach wesentlich Vereinfachung
-der Naturübersicht durch Zusammenziehung und Zusammenhang, Auffassung
-der Weltordnung vom Standpunkte einer Einheitlichkeit und eines
-Zweckes. Vom Verstand selbst wird ein solcher Begriff nicht gefordert,
-wohl aber von der ~Urteilskraft~; und sofern er eine Bedingung a
-priori feststellt, unter der allein Dinge Objekte unserer Erkenntnis
-werden können, bedeutet er ein transzendentales Prinzip. Er ist
-aber ein ~subjektives~ Prinzip der Urteilskraft; denn nicht der
-Natur als solcher wird der Begriff der Zweckmäßigkeit unterlegt und
-vorgeschrieben, sondern die Urteilskraft ordnet sich selbst ein Gesetz
-für die Reflexion über die Natur vor. „Es ist nicht ein Prinzip der
-bestimmenden, sondern bloß der reflektierenden Urteilskraft. Man
-will nur, daß man -- die Natur mag ihren allgemeinen Gesetzen nach
-eingerichtet sein wie sie wolle -- durchaus nach jenem Prinzip und den
-sich darauf gründenden Maximen ihren empirischen Gesetzen nachspüren
-müsse, weil wir nur so weit als jenes (Prinzip) stattfindet, mit
-dem Gebrauche unseres Verstandes fortkommen und Erkenntnis erwerben
-können.“ Man sieht, wie außerordentlich vorsichtig Kant dieses Prinzip
-der Teleologie einführt. Keineswegs gibt er es als ein Prinzip der
-Natur selbst aus. Nicht einmal den Kategorien zählt er es zu. Die
-Zweckmäßigkeit ist kein ~konstitutives~ Prinzip der Ableitung der
-Produkte der Natur, keine neue Kausalität, als welche sie der reinen
-Vernunft angehören und zur Anschauung dienen würde, sondern lediglich
-ein ~regulatives~ Prinzip, nur für die reflektierende Beurteilung.
-Unter dem Begriff der Kausalität ~müssen~ wir die Natur betrachten,
-unter dem der Zweckmäßigkeit ~beurteilen~ wir sie nur. Soweit das
-Urteil auf Empfindungen (Lust, Unlust, Schön, Unschön usf.) zurückgeht,
-ist die Zweckmäßigkeit ~subjektiv~ (oder formal) und Gegenstand der
-ästhetischen Urteilskraft. Begründet es sich aber auf Verstand und
-Vernunft, indem es sich um bestimmte Bedingungen handelt, „unter denen
-etwas, (z. B. ein organisierter Körper) nach der Idee eines Zweckes
-der Natur zu beurteilen sei“, so wird die Zweckmäßigkeit ~objektiv~
-(auch ~real~) genannt. Wir wissen, daß die Menschheit sich von je mit
-beiden Arten von Zweckmäßigkeit beschäftigt hat: die Welt und das
-Leben einerseits einer harmonischen Schönheit, andererseits einer
-zielstrebigen Entwicklung und Ordnung zuzuführen. In anderer Form wird
-das Prinzip auch in drei Prinzipe zerlegt: ~Gesetzmäßigkeit~, ~engere
-Zweckmäßigkeit~, ~Zweck~, und wird die Anwendung dem Verstand, der
-Urteilskraft, der Vernunft zugewiesen. Alle fließen aus dem allgemeinen
-transzendentalen Prinzip. Die weiteren, ungemein scharfen und schönen
-Distinktionen muß ich übergehen.
-
-Nur einen Begriff möchte ich hervorheben, den der ~organisierten
-Wesen~, diese sind „Dinge als Naturzwecke“. Ein solches Ding muß „sich
-zu sich selbst wechselseitig als Ursache und Wirkung verhalten“. Ein
-Ding ist aber Natur~zweck~, wenn seine Teile „nur durch ihre Beziehung
-auf das Ganze möglich sind“, so daß ein jeder Teil, „sowie er nur
-~durch~ alle übrigen da ist, auch als ~um~ der anderen und ~des Ganzen
-willen~“, als ein „hervorbringendes Organ“ besteht. Diese Definition
-schließt alle Kunstprodukte aus. Wir können uns eine Maschine
-vorstellen, samt Kessel, Heizung und Regulatoren, die sich selbst in
-Gang erhält, indem sie selbst Wasser in den Kessel nachpumpt, Kohlen
-in die Heizung nachschüttet und auch ihren Gang selbst reguliert;
-ein vollständiger Automat. Sie wirkt und verursacht (indirekt) ihre
-Wirkung. Ja, wir können uns sogar die Maschine so eingerichtet denken,
-daß sie auch physikalisch und chemisch Teile ersetzt, entfernt und
-ansetzt. Ist sie nach der obigen Definition ein organisiertes Wesen?
-Keineswegs! Sie gleicht einem solchen, zum Beispiel dem Menschen,
-in äußeren Tätigkeiten, etwa Gehen, Drehen usf., sodann in der
-Stoffaufnahme und -abgabe, in der Regulierung der äußeren Tätigkeiten,
-obzwar hier schon nur noch, soweit Kraft erforderlich oder überflüssig
-ist und durch die Stoffaufnahme oder -abgabe geregelt wird. Zuletzt
-auch etwa in Dingen wie Ankleidung, Entkleidung, Ersatz von Teilen
-durch künstliche Teile. Aber die Hauptsache fehlt: das Hervorbringen
-jedes Teiles aus sich selbst, die Schaffung der Form, ihr Wachstum
-und ihre Erhaltung an jeder Stelle aus sich selbst. Indem Kant gerade
-dieses fordert, erhebt er den organisierten Körper, der eine Maschine
-ja auch ist, zum organisierten Wesen, zum belebten Wesen, das keine
-Maschine sein kann. Viel unnötiger Streit würde vermieden sein, wenn
-die modernen Automatenanhänger unter Materialisten und Philosophen
-die lichtvollen Darlegungen unseres Kant sich recht zu Gemüte führen
-wollten. Automat ist nicht einmal das geringfügigste Lebewesen,
-geschweige der Mensch. Cartesius hatte durchaus Unrecht, die Pflanzen
-und Tiere dafür zu erklären, und moderne Mechanisten und Sensualisten
-irren bei weitem mehr, auch den Menschen hinzuzuziehen. ~Driesch~
-in seinem belehrenden Buche „Philosophie des Organischen“, ist viel
-zu gelinde verfahren, als er erklärte, daß, wenn ein Lebewesen eine
-Maschine sein sollte, jeder, auch der kleinste ihrer Teile die gleiche
-Maschine sein müßte, und daß, in Verbindung mit dem Zusammenhang
-dieser Teile miteinander, eine solche aus unendlich vielen gleichen
-Maschinen zusammengesetzte, ihnen gleiche Maschine nicht denkbar sei.
-Die Wirksamkeit der organisierten Wesen von ~Innen~ heraus und ~auf
-sich selbst~, auf ihre eigene Form, ihr eigenes Sein, ihr eigenes Leben
--- das ist das Entscheidende; das leisten auch die kleinen Maschinen,
-die man etwa für jede Zelle setzen wollte, oder gar, wie bei den
-einzelligen Wesen, für jeden Teil einer Zelle, nicht, und -- was die
-Hauptsache ist -- eine Maschine, die das leisten müßte -- etwa eine
-Lokomotive, deren Räder, Kolben, Kessel, Regulatoren usf. ganz und in
-jedem Teil gleichfalls Lokomotiven sind --, ist auch nicht vorstellbar
-für uns. Denn, wie wiederum Kant hervorgehoben hat, da unser Denken
-ein diskursives, kein intuitives ist, vermögen wir am Fertigen den
-Aufbau nicht nach Gesetzen abzuleiten. Da tritt eben der Zweck ein,
-und wir haben für die Urteilskraft im Fertigen einen Naturzweck, als
-organisiertes Wesen, wenn es den obigen Bestimmungen Kants entspricht,
-ein nicht organisiertes, wenn Entstehung, Wachstum, Erhaltung von
-außen positiv oder negativ erfolgt, wie bei einem Kristall oder bei
-den Pseudozellen. Es ist immer auf das ~fertige, stabile~ Lebewesen
-Bedacht genommen, nicht auf das ~entstehende~ und ~sich entwickelnde~
-und ~sich erhaltende~. Im Fertigen mag manches maschinenmäßig aussehen,
-Entwicklung und Erhaltung aber schließen die Maschine gänzlich aus.
-
-Diese Betrachtung, die ich an Kants Erklärungen anlehne, ist von
-ungemeiner Wichtigkeit für die grundsätzliche Unterscheidung zwischen
-der lebenden und der unbelebten Welt, mag auch die erstere durchaus
-wie die letztere von äußeren Umständen abhängen, selbst wenn dieses
-nach Darwinschen Prinzipien geschieht, in ihrer allerübertriebensten
-Form. „Aber ~innere Naturvollkommenheit~,“ sagt Kant (Kritik der
-Urteilskraft, Ausgabe von Kirchmann, S. 249), „wie sie diejenigen
-Dinge besitzen, welche nur als ~Naturzwecke~ möglich sind und darum
-organisierte Wesen heißen, ist nach keiner Analogie irgendeines uns
-bekannten physischen, das ist Naturvermögens, ja, da wir selbst zur
-Natur im weitesten Verstande gehören, selbst nicht einmal durch
-eine genau angemessene Analogie mit menschlicher Kunst, denkbar und
-erklärlich.“ Und das gilt, trotz aller Phrasen von mechanistischer und
-anderer Seite und aller Hinweisungen auf Maschinen allerwunderbarster
-Art und Vollkommenheit und auf Kristalle und künstliche Zellen. Das
-~Von-innen-heraus~, das ~Aus-sichselbst-heraus~ (wenn auch unter
-Benutzung aufgenommener Stoffe) fehlt immer und ~kann~ nach unseren
-Begriffen nicht vorhanden sein, wenn nicht ein Neues zu dem Physischen
-hinzukommt, eben das Psychische, das den Naturzweck von innen heraus
-vollbringt. Driesch unterscheidet eine dreifache Harmonie in der
-Entwicklung der Wesen: ~Harmonie der Konstellation~ -- die Teile
-entwickeln sich zu einem individuellen Ganzen, selbst wenn sie sich
-unabhängig voneinander entwickeln, wie bei dem Menschen Muskeln und
-Nerven; ~Harmonie der Kausalität~ -- die bildenden (formativen)
-Ursachen treffen genau die sich entwickelnden Teile nach der Richtung
-der Endform, obwohl diese Teile sich jedes nach ganz verschiedenen
-Richtungen entwickeln können; ~Harmonie der Funktion~ -- alle
-Funktionen greifen ineinander zu einer einheitlichen Wirkung ein. Diese
-drei Harmonien sind Kants Naturzweck. Ihr ~Erfolg~ sieht physisch aus,
-ihren ~Gang~ aber in der Entwicklung und Erhaltung wird man unter
-keinen Umständen als physisch im gewöhnlichen Sinne des Wortes erklären
-können. Selbst eine Maschine ist ein Automat nur als ~fertiger~
-Gegenstand; gebaut aber hat sie sich nicht selbst, der Mensch hat sie
-hergestellt und muß sie auch erhalten. Wenn man das Psychische auch zum
-Physischen rechnen will, so mag das geschehen. Zur Welt gehört es ja.
-Das berührt aber die Sonderstellung des Psychischen nicht, daß es eben
-von Innen heraus schafft, nach Innen und nach Außen schafft, da alles
-andere nur von Außen nach der Oberfläche heranzieht, von der Oberfläche
-nach Außen abgibt. Höchstens spontane physikalische und chemische
-Umsetzungen könnten als ein Ähnliches erwähnt werden. Aber abgesehen
-davon, daß auch hier die Ähnlichkeit nur eine höchst oberflächliche
-ist, wie sich jeder selbst zurechtlegen kann, werden wir später sehen,
-wie grundverschieden der Lebensvorgang ist von den bezeichneten
-Umsetzungen, ja wie er ihm zum Teil geradezu entgegenläuft. Und
-dieses erhellt auch schon daraus, daß jene Umsetzungen eben
-~Umsetzungen~ sind, die Organisierung aber das Gegenteil bezweckt und
-erreicht: fortdauernde Schaffung des ~Gleichen~ und Erhaltung des
-~Gleichen~, wenn auch durch physikalisch-chemische ~Assimilation~ und
-~Dissimilation~. Wir sprechen von dieser Angelegenheit später noch mehr.
-
-Naturzweck darf nicht verwechselt werden mit Zweckmäßigkeit; es kann
-etwas sehr Unzweckmäßiges gleichfalls Naturzweck sein, wie das ohne
-Hilfe gänzlich hilflose Kind der ersten Zeit. Das liegt daran, daß der
-Zweck tatsächlich noch nicht erreicht ist, oder nur so weit erreicht
-ist, als es dieses Ding selbst betrifft, noch nicht aber so weit, als
-sein Verhältnis zur äußeren Welt erfordert. Auch hier drückt sich
-Kant, wenn auch bestimmt, doch sehr vorsichtig aus. Das Beispiel der
-organisierten Natur führt dazu, daß die an sich subjektive Maxime des
-Naturzwecks ausgedehnt und gesagt wird: „Alles in der Welt ist irgend
-wozu gut, nichts ist in ihr umsonst; und man ist durch das Beispiel,
-das die Natur an ihren organischen Produkten gibt, berechtigt, ja
-berufen, von ihr und ihren Gesetzen nichts als was nur zweckmäßig ist
-zu erwarten.“ Und er meint, ~insgesamt~ aufgefaßt; denn er führt als
-Beispiele an, auch was für Einzelnes unzweckmäßig ist, wie Gifte,
-Ungeziefer usf. Also in toto sei man berufen, Zweckmäßigkeit zu
-erwarten. Was Kant zu seiner Zeit vermißte, nämlich die Einbeziehung
-der Zweckmäßigkeit in die Naturwissenschaft, das konnte in unserer
-Zeit zum Teil nachgeholt werden. Er selbst hat ja schon allein durch
-sein unübertroffenes und in seiner Vollständigkeit (soweit selbst
-gegenwärtig nur möglich) und allumfassenden Tiefe noch heute einzig
-stehendes Werk über den Weltbau gewaltig vorgearbeitet. Und er hat
-auch der modernen Entwicklungs-Naturwissenschaft vorgearbeitet, daß er
-sogar als Vorläufer Darwins bezeichnet und in Anspruch genommen werden
-konnte. Wir verlassen diesen Größten, dessen System als Kritisches zu
-jedem System gehört und gehören muß. Was Eugen Dühring von ihm sagt,
-ist eine schwere Unbegreiflichkeit dieses doch geistig selbst so
-bedeutenden Mannes.
-
-
-44. Ich, Nicht-Ich; Thesis, Antithesis, Synthesis; Naturphilosophie.
-
-Unter dieser Überschrift besprechen wir Anschauungen unmittelbarer
-Nach-Kantianer. Wir können aber sehr kurz sein, denn es handelt
-sich nicht um eine fruchtbare Fortbildung der Lehre des Meisters,
-sondern eigentlich um eine Verschleppung in das Gestrüpp der
-Dialektik. ~Fichte~ (1762-1814), in seiner ersten Philosophie, stellt
-sich idealistischer als Kant. Er geht allein vom ~Ich~ aus, als
-erstem Grundsatz; diesem muß ein ~Nicht-Ich~ als zweiter Grundsatz
-entsprechen, und als dritter Grundsatz steht die ~Reaktion~ des Ich
-gegen das Nicht-Ich. Nun haben wir eine unbedingte Wahrheit: ~Ich
-ist Ich~, oder ~Ich bin~. Das gibt die Identität oder Realität;
-die ~Thesis der Identität~ (~Realität~). Diese enthüllt alle innere
-Tätigkeit. Das Ich setzt sich selbst, allein durch sich selbst. Die
-zweite Wahrheit lautet: ~Nicht-Ich ist nicht Ich~, also führt sie zur
-~Verneinung~ (~Negation~). Diese Wahrheit ist nicht mehr, wie die
-erste, unbedingt, da außer dem Nicht-Ich ein Ich gesetzt ist, das
-vorhanden sein muß; sie ist aber unbedingt der Form nach, und dem
-Inhalt nach, sobald eben das Ich gesetzt ist. Die dritte Wahrheit
-gibt die ~Umgrenzung~ (~Limitation~), indem die Gegensätzlichkeit,
-die zwischen den beiden ersten Wahrheiten besteht -- es wird sogar
-Widerspruch gesagt; ich sehe aber nicht einmal eine Gegensätzlichkeit,
-die Wahrheiten sind doch lediglich koordiniert und stehen in gar
-keiner Verbindung zueinander --, aufgehoben wird, sie lautet: ~Ich
-zum Teil Nicht-Ich, wenn Nicht-Ich zum Teil Ich~. Es ist die reine
-symbolische Mathematik. Wert gewinnt sie nur durch die empirischen
-Bestimmungen, und so wird sie auch aus dem empirischen Bewußtsein
-entnommen und versachlicht. Das Nicht-Ich ist entweder ein eigenes
-Tätiges und ~kausal~ der Grund des „Leidens“ des Ich. Oder es ist an
-sich nicht vorhanden, aber das Ich wechselt in seiner Tätigkeit, ist
-begrenzt, und faßt diese Begrenztheit als Leiden durch ein Nicht-Ich
-auf. Der letztere Fall gibt den dogmatischen Idealismus, der erstere
-soll dogmatischer Realismus sein; ich vermag aber nicht einzusehen,
-warum er nicht den transzendentalen Idealismus soll konstruieren
-können. Das Gefühl der Begrenztheit (S. 338) ist wie eine Reflexion der
-Ich-Tätigkeit nach dem Ich zurück. Und dadurch kommt die Anschauung,
-als wenn außer dem Ich noch etwas wäre, gegen das das Ich nicht
-ausgedehnt werden kann. Indem nun Fichte sich für diese Auffassung des
-Idealismus entschließt, verlegt er Kants Ding-an-sich zwar in das Ich
-selbst, bringt aber dafür das Unbegreifliche der Begrenztheit des Ich
-als ein Neues, wodurch für die Vereinfachung der Anschauung nichts
-gewonnen ist. Außerdem fragt man vergeblich, wie ein allein bestehendes
-Ich je von einer solchen Begrenztheit soll Bewußtsein haben können.
-Wenn es allein besteht, ist es ja absolut vollkommen. Wahrscheinlich
-ist Fichte deshalb zuletzt ganz zum Berkeleyschen deistischen
-Idealismus gedrängt worden, seiner späteren Philosophie, von der schon
-gesprochen ist (S. 358). In seiner ersten Philosophie aber geht er
-in mancher Hinsicht noch radikaler vor als Kant; er sieht sogar von
-Gott ganz ab. „Die moralische Weltordnung ist das Göttliche, das wir
-annehmen.“
-
-Von den vielen Anschauungen ~Schellings~ (1775-1854) schließt sich
-die erste, ganz an Fichtes Entwicklungen an. Später gestand er im
-Sinne Kants dem Ding-an-sich eine objektive Existenz zu, und ging
-sogar so weit, die Identität dieses Dinges mit der Vorstellung in uns
-zu behaupten. Richtete er nun die Vorstellung nach dem Ding, so kam
-er zum gewöhnlichen dogmatischen Realismus. Tat er das Umgekehrte,
-indem er das Ding der Vorstellung anpaßte, so folgte der Kantische
-Idealismus; verhielt er sich aber zwischen beiden indifferent, so
-geriet er auf Spinozas Anschauung. Er hat das letztere getan, und so
-in der Identitätsphilosophie auch Spinozas Anschauung, die wir noch
-kennen lernen werden, vertreten. Wir haben gesehen, daß Schelling in
-der weiteren Entwicklung sich auch dem Mystizismus und Jakob Böhmes
-Theosophie angeschlossen hat. Zuletzt ist er auch positiver Philosoph
-geworden. Aus allem darf man ihm keinen Vorwurf machen; es hat ihn eben
-keine Anschauung befriedigt, und selbst eine sich zu schaffen, reichte
-seine Begabung, die wesentlich nach dem Methodischen ging, nicht hin.
-Mehr kann man ihm, wie auch dem bald zu nennenden Hegel und auch
-Herbart, das etwas wüste Wirtschaften mit den naturwissenschaftlichen
-Kenntnissen und die willkürlichen Analogisierungen des Geistigen mit
-dem Physischen verdenken, wodurch bekanntlich diese ganze Philosophie
-und namentlich ihr bedeutendster Teil, die Naturphilosophie, aufs
-höchste in Verruf gekommen ist, so daß gerade die Naturforscher sich
-von ihr voll Widerwillen abwandten, und daß, fast bis in unsere Zeit,
-Naturphilosophie verpönt war. Wertvoll noch jetzt ist, gleichfalls nach
-Fichte, Schellings Unterscheidung zwischen dieser Naturphilosophie
-und der Transzendentalphilosophie. In jener ist die Natur zum Ersten
-gemacht, und es wird gefragt, wie sie in das Intelligente des Subjekts
-dringt; in dieser ist die Intelligenz des Subjekts das Primäre, und es
-ist zu entscheiden, wie aus ihr die Natur entsteht. Die Antwort für
-die erste Frage ist in Kants Prinzip der Urteilskraft enthalten (S.
-367), die für die zweite in dessen transzendentem Idealismus. Schelling
-geht empirischer vor; er erhebt einen Erfahrungssatz, dessen innere
-Notwendigkeit erkannt ist, zu einem apriorischen Satz: „Empirismus,
-zur Unbedingtheit erweitert, ist Naturphilosophie“. Es wird nicht
-viele geben, die mit dieser Definition einverstanden sind. Oder es
-muß eine theoretische Naturphilosophie unterschieden werden von einer
-praktischen; jene ist wieder Transzendentalphilosophie, da überhaupt
-alles Unbedingte transzendent ist. Schelling freilich behauptet, daß
-man in der Natur auch das Absolute erkennen kann. Ich wüßte nicht, wie
-das empirisch geschehen soll. Selbst wir, die wir die Einheitlichkeit
-der Vorgänge und der Stoffe in der Natur so bis ins Einzelne verfolgt
-haben, können keine absolute Einheit in der Natur feststellen;
-nicht einmal für alles, das Psychische eingeschlossen, auch nur
-wahrscheinlich machen. Man denke, wie jetzt sogar das Trägheitsgesetz
-wankt, wie die allgemeine Gravitation zweifelhaft wird, selbst das
-Substanz- und Energiegesetz nicht mehr sichere Wahrheit ist. Wissen von
-der Natur kann eben nie zur Unbedingtheit gelangen; nicht etwa allein,
-weil die Erfahrungen immer unvollständig sind, sondern einfach, weil
-die Welt sich stetig wandelt und uns immer nur das Jetzt zur Verfügung
-steht, nicht das Vor noch das Nach. Eine Naturphilosophie kann also nur
-transzendent oder empirisch sein. Im ersteren Falle gehört sie mit der
-Transzendentalphilosophie überhaupt zusammen, im zweiten ist sie eine
-gewöhnliche empirische Wissenschaft. In unseren „Naturphilosophien“
-vereinigen wir beide Arten, aber nur um möglichst vollständig zu sein,
-und wegen der Zweckmäßigkeitsmaxime der Urteilskraft, die jedoch, wie
-wir wissen, nichts bedingt, sondern nur leitet.
-
-~Hegels~ (1770-1831) Entwicklung der verschiedenen Stufen des Geistes
-ist sehr lehrreich, hat aber auch bei ihm mehr methodischen Wert, wie
-überhaupt sein ganzes philosophisches System im Grunde Methodik ist.
-Die reale und ideale Welt sind auch hier gesetzt. Ihr Wirken für sich
-und ihr Verhalten zueinander wird aber aus der ~logischen Idee~, die
-der Welt zugrunde liegt, und der Entwicklung nach dieser Idee erklärt.
-Diese logische Idee ist nicht der Nus des Anaxagoras, noch der sonst
-bekannte Logos. Er wirkt in besonderer Weise, nämlich zufolge den drei
-Grundsätzen Fichtes, vielleicht richtiger nach denen Jakob Böhmes. Wir
-sahen, wie bei diesem Manne Gott sich mit sich selbst entzweite, und
-wie dann das Entzweite sich in der Entwicklung zur Identität wieder
-erheben sollte. Hegel meint ganz entsprechend, jeder Begriff entzweie
-sich mit sich selbst und schlage so in sein Gegenteil um, um dann in
-einer höheren Einheit sich mit ihm auszugleichen. Der gesetzte Begriff
-ist die ~Thesis~, der durch Umschlagen erzeugte die ~Antithesis~,
-die Ausgleichung in der höheren Einheit die ~Synthesis~. So geht das
-Universum in stetiger Entwicklung von Thesis zur Antithesis, Synthesis,
-von dieser zu neuer Antithesis, Synthesis usf. Solche Kreisvorgänge
-sind dem Naturforscher wohl vertraut. So meinte es aber Hegel nicht.
-Seine Ansicht ist rein transzendent: die Idee schlägt um in Natur,
-ganz oder, soweit in der Natur Nichtnaturgesetzliches vorhanden ist,
-etwa Zufälliges, zum Teil, wobei dieses Zufällige Idee ist. Beide,
-Idee und Natur, vereinigen sich in der höheren Einheit Geist, der von
-der Natur abhängig, zur Natur im Gegensatz und die Natur erkennend
-ist. Der Geist bedeutet hiernach die aus ihrer Entäußerung in sich
-zurückgekehrte Idee. Wie, infolge der Abhängigkeit von der Idee,
-das Wesen der Natur Notwendigkeit und Zufälligkeit ist, so das des
-Geistes Freiheit, Unabhängigkeit von allem Äußeren. Er entwickelt sich
-aber in drei Stufen als: ~subjektiver Geist~, hinsichtlich seines
-Verhaltens zur Natur (neutral, leidend, gegensätzlich); ~objektiver
-Geist~, der das Allgemeine in den Äußerungen menschlichen Zusammenseins
-betrifft (Moral, Sittlichkeit, Recht, Verhalten zu Staat, Gesellschaft
-und Familie usf.), ~absoluter Geist~, der als Anschauung auf Kunst
-und Wissenschaft, als Vorstellung auf Religion, als Vernunft auf
-Begriffsbildung (Philosophie) sich bezieht. So gut diese Distinktionen
-sind, so lehren sie doch für das Wesentliche nichts. Mit Sätzen
-wie: Die Natur ist die „Idee in der Form des Anderssein“ ist nichts
-anzufangen. Woher stammt die Idee? Wie ist sie aufzufassen? Als
-transzendentaler Grund alles Seins und Denkens, etwa wie die „Vernunft
-Gottes“? Wie ist ihr Umschlagen in Natur zu verstehen? Hat man dabei
-die gnostisch-theosophischen Vorstellungen anzuwenden oder ist das
-Ganze einfach ein Gesetztes? Mehr bedeutet es, wenn Religion als
-Denken des Absoluten, als „Inseinswissen mit Gott“ bezeichnet wird,
-so daß ein ~Wissen~ von Gott erfolgt. Wenn dann noch näher bestimmt
-wird, Religion sei „Wissen des göttlichen Geistes von sich durch
-Vermittlung des endlichen Geistes“, so muß der göttliche Geist in uns
-stecken; und wäre nicht die „Idee“, die so unvermittelt steht, so hätte
-man einen üblichen Pandeismus. Ich habe schon hervorgehoben, daß im
-Hegelschen System die Methodik die Hauptsache ist, und in dieser hat
-Hegel höchst Bedeutendes geleistet. Auch seine naturwissenschaftlichen
-Systematisierungen sind nicht von der Hand zu weisen. Das gehört aber
-alles nicht hierher.
-
-Den edlen ~Schleiermacher~ (1768-1834) erwähne ich sogleich hier.
-Denn er spricht gleichfalls von etwas wie These und Antithese, jedoch
-empirischer, indem er meint, daß, da unser Denken an Wahrnehmungen
-gebunden ist, es sich immer in Gegensätzen bewegt und das
-Gegensatzlose, also die letzte Synthese in Hegels Sinn, nie erreicht.
-Einen transzendentalen Grund alles Seins und Denkens erkennt er mit
-Kant an, doch weiter mehr in der Bedeutung von Spinozas System, das er
-sehr hochstellt. Seine Individualitätslehre ist aber wie ein Ausschnitt
-aus Leibniz’ Monadologie. Jedes Individuum, jeder Mensch bedeutet ein
-Wesen für sich, eine „eigentümliche und ursprüngliche Darstellung
-der Welt“. Deshalb ist der Mensch aber auch ein „Kompendium“ seiner
-ganzen Gattung, der Menschheit, so daß er in dieser Menschheit „sein
-eigenes vervielfältigtes, deutlicher ausgezeichnetes und in allen
-seinen Veränderungen gleichsam verewigtes Ich anschaut“. „Der Geist
-ist das Erste und Einzige, die ganze Welt nur sein selbstgeschaffener
-Spiegel (S. 370), nur der große gemeinschaftliche Leib der Menschheit.“
-Es ist schwer zu verstehen, was das besagen soll, vielleicht ist es
-spinozistisch zu deuten.
-
-
-45. ~Die Welt als Wille und Vorstellung; Pessimismus, Philosophie des
-Unbewußten, moderner Idealismus.~
-
-~Arthur Schopenhauer~, dieser ganz außerordentliche Mann (1788 in
-Danzig geboren, 1860 zu Frankfurt a. M. gestorben), ist eigentlich der
-einzige, der Kants System erfolgreich bereichert hat. Die Welt ist
-wie bei Kant ein transzendentes Objekt. Wir haben von ihr nur unsere
-Vorstellungen. Diesen Standpunkt glaubt Schopenhauer energischer
-zu vertreten als Kant. Die Vorwürfe, die er diesem macht, er hätte
-in der zweiten Ausgabe seiner Kritik der reinen Vernunft seinen
-transzendental-idealistischen Standpunkt verlassen, sind jedoch
-ungerechtfertigt. Auch in der zweiten Auflage des Grundwerkes ist das
-Ding-an-sich kein Objekt, das je an Anschauung und Kategorien gebunden
-ist, sondern das Transzendentale hinter den Vorstellungen, und das
-Wirkliche. Schopenhauer reduziert alle Kategorien auf Kausalität,
-Ursächlichkeit; es ist in der Tat die Grundkategorie (S. 361).
-Ursächlichkeit mit Raum und Zeit sind so die Bedingungen a priori
-aller Vorstellungen. Und die Welt ist zunächst Vorstellung unter
-diesen Bedingungen. „Die Welt ist meine Vorstellung“, leitet sich
-das Hauptwerk Schopenhauers: „Die Welt als Wille und Vorstellung“
-ein. Indessen damit kann der Gegenstand nicht erschöpft sein. Der
-Philosoph geht als Naturforscher, der er zugleich ist, auf den Teil
-der Welt zurück, der unser Leib ist. Und da findet er denn, daß
-diesem gegenüber, außer der Vorstellung, doch noch etwas anderes
-vorhanden ist, wodurch er in toto genere verschiedener Art aufgefaßt
-wird. In meinem Buche „Philosophische Grundlagen usf.“ habe ich für
-diese Auffassung die Bezeichnung „Körperbewußtsein“ gewählt. Nach
-Schopenhauer ist es ~Wille~. Der Körper ist durchaus dem unterworfen,
-was wir in uns als Wille kennen, namentlich: er bewegt sich, und
-Teile von ihm bewegen sich. Aber dieses ist nicht so zu verstehen,
-daß der Wille als Ursache die Bewegung des Körpers zur Folge hat,
-keineswegs, sondern beide sind absolut miteinander verbunden; Bewegung
-und Wille sind ein Akt. „Der Willensakt und die Aktion des Körpers
-sind nicht zwei objektiv erkannte verschiedene Zustände, die das Band
-der Kausalität verknüpft, stehen nicht im Verhältnis der Ursache und
-Wirkung; sondern sie sind eins und dasselbe, nur auf zwei gänzlich
-verschiedene Weisen gegeben: einmal ganz unmittelbar und einmal in der
-Anschauung für den Verstand. Die Aktion des Leibes ist nichts weiter
-als der objektivierte, das heißt in die Anschauung getretene Akt des
-Willens.“ Ja, der ganze Leib ist nichts anderes als der objektivierte,
-das heißt zur Vorstellung (= Anschauung) gewordene Wille. Und so
-erklärt Schopenhauer den Leib als die „~Objektität des Willens~“.
-Der Leib ist also ein Doppeltes: eine bloße Vorstellung in Raum,
-Zeit und nach Kausalität, und eine Objektität des Willens. In diese
-Objektität des Willens zieht Schopenhauer auch anderes hinein, denn
-er rechnet zu der Objektivation des Willens auch Gefühle wie Lust und
-Unlust, Schmerz, Behagen usf. „Man hat aber gänzlich Unrecht, wenn
-man Schmerz und Wollust Vorstellungen nennt: das sind sie keineswegs,
-sondern unmittelbare Affektionen des Willens in seiner Erscheinung, dem
-Leibe: ein erzwungenes augenblickliches Wollen oder Nichtwollen des
-Eindruckes, den dieser erleidet“. Vorher meint er: es ist „andererseits
-jede Einwirkung auf den Leib, unmittelbar auch Einwirkung auf den
-Willen: sie heißt als solche Schmerz, wenn sie dem Willen zuwider;
-Wohlbehagen, Wollust, wenn sie dem Willen gemäß ist“. Ich gestehe, daß
-ich nicht recht folgen kann; mir scheint das Nichtwollen und Wollen
-des Eindruckes, das zweifellos vorhanden ist, doch sehr verschieden
-zu sein von der Empfindung selbst, mehr eine Begleiterscheinung als
-der Gegenstand selbst. Doch mag das sein, da Schopenhauer offenbar
-Wille in einer sehr weiten Bedeutung faßt, neben Verstand, der die
-Vorstellungen ist, als ein Zweites im Ich. Ob die Objektität zwischen
-Leib und Willen nicht auch als eine gegenseitige angesehen wird: Leib
-Objektität des Willens, Wille Objektität des Leibes, weiß ich nicht. Es
-dürfte aber wohl anzunehmen sein. Denn es heißt weiter: „Ich erkenne
-meinen Willen nicht im Ganzen, nicht als Einheit, nicht vollkommen
-seinem Wesen nach, sondern ich erkenne ihn allein in seinen einzelnen
-Akten, also in der Zeit, welche die Form der Erscheinung meines Leibes,
-wie jedes Objektes, ist: daher ist der Leib Bedingung der Erkenntnis
-meines Willens. Diesen Willen ohne meinen Leib kann ich demnach
-eigentlich nicht vorstellen.“ Und so wären Leib und Wille allerdings
-eines des anderen Objektität, oder doch Bedingung. Diese Erkenntnis
-kann nur nachgewiesen, „zum Wissen der Vernunft erhoben, oder in die
-Erkenntnis in abstracto übertragen werden“. Sie kann aber ihrer Natur
-nach nicht bewiesen werden, da sie selbst „die unmittelbarste ist“.
-Und sie ist um so bedeutender als sie zwei ganz inkommensurable Dinge
-betrifft: den Leib, der „eine anschauliche Vorstellung“ ist, und den
-Willen, der „gar nicht Vorstellung ist, sondern ein von dieser toto
-genere Verschiedenes“. Wie sonst das Verhältnis zwischen Körper und
-Geist. Er nennt jene Erkenntnis „die philosophische Wahrheit κὰτ’
-ἐξοχήν“. Mit der Objektität des Willens bringt er auch, was Kant als
-Naturzweck bezeichnet hat, in Verbindung; und es ergibt sich hieraus
-vielleicht noch schärfer, wie gar nicht zu vergleichen Maschinen mit
-organisierten Wesen sind (S. 369). „Die Teile des Leibes müssen den
-Hauptbegehrungen, durch welche der Wille sich manifestiert, vollkommen
-entsprechen, müssen der sichtbare Ausdruck desselben sein: Zähne,
-Schlund und Darmkanal sind der objektivierte Hunger; die Genitalien der
-objektivierte Geschlechtstrieb; die greifenden Hände, die raschen Füße
-entsprechen dem schon mehr mittelbaren Streben des Willens, welches
-sie darstellen. Wie die allgemeine menschliche Form dem allgemeinen
-menschlichen Willen, so entspricht dem individuell modifizierten
-Willen, dem Charakter des Einzelnen die individuelle Korporisation,
-welche daher durchaus und in allen Teilen charakteristisch und
-ausdrucksvoll ist.“ Noch mehr gilt letzteres natürlich bei Übergang
-von Art zu Art, von Gattung zu Gattung usf.
-
-Es ist bis jetzt von Dingen gesprochen mit Vorstellung und Willen.
-Wie verhält es sich mit den anderen Dingen, die wir unbelebt nennen?
-Dazu bedarf es einer genaueren Auseinandersetzung dessen, was
-„Wille“ bedeutet. Wille ist ein absolut Unbedingtes, Grundloses.
-Er ist weder der Kausalität noch einer Anschauung unterworfen
-außerhalb seiner Objektivation. „~Ding-an-sich~ aber ist allein der
-~Wille~.“ „Er ist es, wovon alle Vorstellung, alles Objekt, die
-Erscheinung, die Sichtbarkeit, die ~Objektität~ ist.“ Wille ist also
-das Transzendente Kants. Objektiv möglichst deutlich gedacht ist
-er das, was wir gewöhnlich Wille nennen, Wille des Menschen. Diese
-Unterscheidung zwischen Willen an sich und objektivem Willen in der
-Objektivität gibt Schopenhauer die Möglichkeit, in der gleichen Weise
-wie Kant die transzendente Freiheit mit der objektiven Unfreiheit zu
-vereinen. Ferner, da Wille an sich grundlos ist, so wird er nicht von
-Vorstellungen geleitet, obzwar von ihnen begleitet. Wille-an-sich darf
-also nicht mit dem objektiven bewußten Willen verwechselt werden.
-Er ist Wille, ob in bewußten oder unbewußten Handlungen. Das ist
-von großer Bedeutung wenn wir bedenken, wie viel in unserem Körper
-unbewußt vor sich geht und selbst in unseren geistigen Tätigkeiten.
-Was wir also Trieb und Instinkt nennen, ist auch nur in Erscheinung
-getretener Wille-an-sich. Nun hat man immer den objektiven Willen mit
-den Kräften in der Natur verglichen. Schopenhauer kehrt das Verhältnis
-um und stellt die Kräfte unter die Erscheinungen des transzendenten
-Willens. Er will „jede Kraft in der Natur als Wille gedacht wissen“.
-Er meint damit ein Unbekannteres auf ein Bekannteres zurückgeführt
-zu haben. Das muß man ohne weiteres zugestehen. Indem nun, wiewohl
-beim transzendenten Willen weder von Freiheit noch von Unfreiheit
-gesprochen werden kann, doch bei dem objektivierten Willen Freiheit
-ausgeschlossen ist, da er ja das Objekt eines Anderen ist, wirken auch
-die Kräfte unfrei nach festen Gesetzen. Nun ist der Weg zu der übrigen
-Natur offen. Wie der Leib sich zu dem Willen verhält, so verhält sich
-die Natur überhaupt zu dem Willen, der in Erscheinung als objektiver
-Wille oder als Kräfte auftritt. Also die ganze Natur ist Objektität
-des Willens in seinen verschiedenen Erscheinungen. Und wie Leib und
-Wille an sich inkommensurabel sind, so auch die Natur überhaupt und
-Wille. „Denn in jedem Ding in der Natur ist etwas, davon kein Grund je
-angegeben werden kann, keine Erklärung möglich, keine Ursache weiter
-zu suchen ist; es ist die spezifische Art seines Wirkens, das heißt
-eben die Art seines Daseins, sein Wesen. Zwar von jeder einzelnen
-Wirkung des Dinges ist eine Ursache nachzuweisen, aus welcher folgt,
-daß es gerade jetzt, gerade hier wirken mußte; aber davon, daß es
-überhaupt und gerade so wirkt, nie.“ Ein Ding zeigt als Schwere,
-Undurchdringlichkeit, Magnetisierung usf. „jenes unergründliche Etwas“:
-„dieses (Etwas) aber, sage ich, ist ihm (dem Ding), was dem Menschen
-sein Wille (der transzendente) ist, und ist, so wie dieser, seinem
-inneren Wesen nach, der Erklärung nicht unterworfen, ja, ist an sich
-mit diesem identisch“. Der Philosoph vergleicht dann den Charakter des
-einzelnen Menschen mit der wesentlichen Qualität (forma substantialis)
-eines einzelnen Dinges und erklärt letztere wie ersteren. Der Wille
-ist nur eins, das Ding-an-sich, „das Wesen-an-sich“, sagt Schopenhauer
-auch; die Vielheit in unserer Anschauung, die Erscheinungen, sind
-aus den Anschauungsformen Raum und Zeit gegeben. Und so hat die
-Objektivation des Willens unzählige Stufen, die in den zahllosen
-Individuen ausgedrückt sind, und die „als die unerreichten Musterbilder
-dieser oder als die ewigen Formen der Dinge dastehen, nicht selbst
-in Zeit und Raum, das Medium der Individuen, austretend, sondern
-feststehend, keinem Wechsel unterworfen, immer seiend, nie geworden;
-während jene (Individuen) entstehen und vergehen, immer werden und
-nie sind“. Und diese Stufen der Objektivation, sagt Schopenhauer,
-sind nichts anderes als ~Platons Ideen~, was er des Genauern noch
-ausführt. Die ~Stufen der Objektivation~ aber führen vom Tiefsten zum
-Höchsten, vom Leblosen durch Pflanze, Tier zum Menschen. Und die
-Weltordnung, im Einzelnen wie in bezug Jedes zu Jedem, rührt daher,
-daß es ja ein Wille ist, dem alle Stufen der Objektivation angehören,
-der sich in allem objektiviert. Von diesem Wesen, „was immer es auch
-sein möchte“, wird gesagt, daß die unendliche Ausdehnung der Welt ganz
-allein seiner ~Erscheinung~ angehört, „es selbst hingegen in jeglichem
-Dinge der Natur, in jedem Lebenden, ganz und ungeteilt, gegenwärtig
-ist“. Schopenhauer steht nicht weit von den drei größten Metaphysikern
-Platon, Spinoza, Kant. Sein unsterblicher Ruhm aber ist, daß er dem
-transzendenten Wesen ~bekanntes~ Leben einhauchte durch den „Willen“.
-
-Und so ist die ganze Natur ein gewaltiges Leben, und durch und
-durch erfüllt von ~Willen zum Leben~. „Alles drängt und treibt zum
-~Dasein~“, heißt es. Namentlich an der tierischen Natur wird es
-augenscheinlich, „daß Wille zum Leben der Grundton ihres Wesens, die
-einzige unwandelbare und unbedingte Eigenschaft derselben ist“. Sogar
-eine generatio aequivoca, nach den Kenntnissen seiner Zeit, schreibt
-Schopenhauer diesem ungestümen Drange, namentlich zum organischen
-Leben, zu. Und gleichfalls „den entsetzlichen Alarm und wilden Aufruhr
-desselben (des Stoffes), wenn er in irgendeiner einzelnen Erscheinung
-aus dem Dasein weichen soll, zumal, wo dieses bei deutlichem Bewußtsein
-eintritt. Da ist es nicht anders, als ob in dieser einzelnen
-Erscheinung die ganze Welt auf immer vernichtet werden sollte“. So
-ist der Wille zum Leben „das nicht weiter Erklärliche, sondern jeder
-Erscheinung zugrunde zu Legende“. Und dieser Wille ist weit entfernt,
-„wie das Absolutum, das Unendliche, die Idee und ähnliche Ausdrücke
-mehr, ein leerer Wortschwall zu sein“. Er ist das „Allerrealste“, das
-wir kennen, ja der „Kern der Realität selbst“. Aber grundlos wie der
-Wille, ist auch dieses Streben und Hasten zum Leben. Und so wirkt die
-Lebenswut nie befriedigt, nie zu befriedigen, und blind drängend durch
-die Flut der Erscheinungen. Daher ist die Welt unvollkommen. Noch
-mehr, sie ist ein ~Übel~, nicht die beste, nach Leibniz, sondern die
-allerschlechteste. So tönt diese Philosophie in den so eigenartigen
-~Pessimismus~ Schopenhauers aus, in seinen Lebenshaß. Er ist scheinbar
-durch sein System begründet, aber doch wohl namentlich durch seine
-trübe Gemütsverfassung, die er ja mit so vielen Großen teilt, welche
-das Treiben der Welt anwidert und die darum einsam ihre Wege durch
-die Tage gehen. Auch seine Bekanntschaft mit den Upanishadenlehren
-muß zu diesem Pessimismus beigetragen haben. Er war von diesen Lehren
-hochbegeistert, wie jeder es sein muß, der ihre Tiefe erkennt. Aber in
-seinem System kann er keinen Trost gefunden haben, wie der Indier und
-namentlich der Buddhist. Denn wenn er auch Bekämpfung des Willens zum
-Leben lehrte, sein System zeigt, daß diese Bekämpfung aussichtslos ist.
-Die Welt ist eben Wille zum Leben, von je in je. Und das „Wunder“, das
-diesen Willen zur Ruhe brächte, kann nur die Vernichtung des Willens
-selbst sein, die ja bei einem transzendenten Ding-an-sich ohne ein noch
-höheres Wesen, davon Schopenhauer aber die Welt nicht abhängen läßt,
-unmöglich ist.
-
-Die Schopenhauersche Lehre ist ~Identitätsphilosophie~, aber kein
-wirklicher Monismus. Beziehungen zu Fichtes Philosophie, die behauptet
-worden sind, kann ich überall nicht finden. Auch ist bekannt,
-wie ablehnend sich Schopenhauer zur Trias Fichte-Schelling-Hegel
-verhalten hat und mit seiner Leben-Philosophie gegenüber der fast
-inhaltleeren Dialektik dieser Vorgänger, über die er oft genug
-spottet, sich verhalten mußte. Der gewaltige ~Richard Wagner~ darf als
-Schopenhauerianer bezeichnet werden.
-
-In ~Fr. Nietzsches~ (1844 zu Röcken geboren, gest. 1900) System spielt
-bekanntlich der Wille eine sehr hervorragende Rolle. Aber wie dieser
-Dichter unter den Philosophen fast ausschließlich sich mit dem Menschen
-und dem Leben beschäftigt, hat der Wille bei ihm nur Bedeutung mit
-Bezug auf den Menschen und mit Bezug auf das Leben. Und selbst hier
-betrifft er nur das ~Verhalten~ des Menschen im Leben und das Verhalten
-der gesamten Menschheit. Was der Große hier Außerordentliches gedichtet
-hat, gehört jedoch nicht zu unserem Thema. Im rein Philosophischen
-rechnet man Nietzsche wohl auch zu den Phänomenalisten und zu den
-Naturalisten, von denen wir später sprechen werden. Er hat sogar
-die innere Welt für phänomenalistisch (S. 356) erklärt, falls das
-nicht bildlich dichterisch gemeint ist. Mir jedoch scheint er mehr
-zu den Mystikern nach indischer Art, namentlich in der Auffassung
-Schopenhauers, zu neigen. Was er von der periodischen Wiederholung der
-Welt sagt, klingt dahin. Freilich nicht ganz in dem Sinne der Indier,
-den wir kennen, denn nach ihm soll die Welt sich in genau ~derselben~
-Weise ständig wiederholen, so daß alles die gleiche Existenz innerhalb
-der Ewigkeit immer und immer würde durchmachen. Auf seinem eigentlichen
-Gebiete wird ihm ~Max Stirner~ (für Kaspar Schmitt, gest. 1856) als
-Vorläufer zugewiesen.
-
-In der Einleitung zu seiner „Philosophie des Unbewußten“ sagt ~Eduard
-v. Hartmann~ (geboren zu Berlin 1842, gestorben 1906): „Ich bekenne
-freudig, daß die Lektüre des Leibniz es war, was mich zuerst zu
-den hier niedergelegten Untersuchungen angeregt hat“. Wenn das ad
-verbum zu verstehen ist, so würden wir, nach dem was auf S. 344 vom
-Unbewußten in Leibniz’ Lehre gesagt ist, Hartmanns Philosophie einem
-Mißverständnis zu verdanken haben. In der Tat ist diese Philosophie
-auch keine Fortbildung der Leibnizschen Lehre, namentlich nicht in dem
-Hauptpunkte; sie ist die Lehre Schopenhauers, mit einem, allerdings bei
-diesem nicht enthaltenen, aber darum sie gerade sehr komplizierenden,
-weiteren Prinzip, dem der Zweckmäßigkeit des ~Ganzen~, während der
-volle Ausdruck des Willens im ~Einzelnen~ durchaus Schopenhauerisch
-ist, da er ja diesen Ausdruck auch den Platonschen Ideen gleichsetzt
-(S. 383). Die beiden Prinzipe Schopenhauers, ~Vorstellung~ und ~Wille~,
-sind auch Hartmanns Prinzipe. Nun unterscheidet er in der Welt das
-~Bewußte~ und das ~Unbewußte~ und findet, daß das Bewußtsein „die
-Möglichkeit der Emanzipation des Intellektes vom Willen“ ist, während
-im Unbewußten Vorstellung und Wille „in untrennbarer Einheit verbunden“
-sind. Es kann im Unbewußten „nichts gewollt werden, was nicht
-vorgestellt wird, und nichts vorgestellt werden, was nicht gewollt
-ist“. ~Dabei sind Wollen und Vorstellung beide unbewußt~. Es bedeutet
-ein zweifellos hohes Verdienst Hartmanns, die Rolle des Unbewußten
-so sorgfältig durch die organische Welt, die ja hier hauptsächlich
-in Betracht kommt, verfolgt und untersucht zu haben. Alle Kenntnisse
-der Physiologie, Biologie, Anatomie, Physik usf. werden dabei zu Rate
-gezogen und mit größter Gründlichkeit verarbeitet. Das Ergebnis ist:
-1. Das Unbewußte bildet, erhält und ergänzt den Organismus und leitet
-alle seine Tätigkeiten und den Gebrauch für den bewußten Willen. 2.
-Es gibt dem Lebewesen die Instinkte zur Sinneswahrnehmung, Sprach-
-und Staatenbildung usf., wozu ein bewußtes Denken nicht ausreicht.
-3. Es erhält das Geschlecht durch den Geschlechtstrieb, paßt die
-Lebewesen ihren Bedingungen und den Menschen insbesondere seiner
-Geschichte an und führt zur möglichsten Vollkommenheit. 4. Es leitet
-oft die Handlungen durch Ahnungen und Gefühle. 5. Es fördert das
-bewußte Denken durch Eingebungen (Intuition?). 6. Es beglückt durchs
-Gefühl für das Schöne und durch künstlerische Produktion. Es kommt
-darauf an, ob dieses alles zutrifft, denn wir sind oft genug in
-Zweifel, was an uns unbewußt geschieht, was bewußt. Und wenn Hartmann
-meint, das Bewußte werde von Gedächtnis begleitet, das Unbewußte
-nicht, so ist das selbstverständlich ein sehr täuschendes Kriterium.
-Die anderen Kriterien aber können wir entweder nicht brauchen, als
-unkontrollierbar, wie z. B., daß das unbewußte Denken nur unsinnlicher
-Art sein kann. Oder sie sind nicht zutreffend, wie „das Unbewußte irrt
-nicht“. Es irrt sehr oft, wie wir an Fehlgeburten, Fehlbildungen,
-Fehlschlüssen im Traum, Fehleingebungen im Wachen usf. reichlich sehen.
-Ist aber gemeint: es irrt nicht unter den gegebenen Verhältnissen,
-so ist das zwar richtig, aber dann haben wir nur wieder ein
-Unkontrollierbares. Und so sind alle Kriterien nicht immer zutreffend
-oder nicht kontrollierbar. Und wenn nun gar gesagt wird (Philosophie
-des Unbewußten, 9. Aufl. Bd. II, S. 4), „das unbewußte Denken kann
-nur von ~unsinnlicher~ Art sein“, und dann (S. 30) „denn auch das
-Unbewußte muß die Form der ~Sinnlichkeit~ gedacht haben“, sonst hätte
-es nämlich diese Form „nicht so zweckmäßig schaffen können“, so weiß
-man eigentlich nicht mehr, was nun das Unbewußte ist. Sein Denken soll
-unsinnlich sein, und es soll doch die Form der Sinnlichkeit gedacht
-haben? Und so zieht Hartmann zwischen dem Bewußtsein und dem Unbewußten
-zuletzt die grobe materialistische Grenze: „die Gehirnschwingungen,
-allgemeiner die materielle Bewegung, als conditio sine qua non des
-Bewußtseins“. Während das Unbewußte „notwendig als ein Immaterielles
-angesehen werden muß“.
-
-Die Sache wird aber noch dadurch verwickelter, daß „Wille und
-Vorstellung“ zwar im Unbewußten sind, aber nicht ~das~ Unbewußte. Es
-wird angenommen, daß Wille und Vorstellung „das unbewußter und bewußter
-Vorstellung Gemeinschaftliche“ sind. Die Form des Unbewußten wird als
-„das Ursprüngliche“ gesetzt, „das des Bewußtseins aber als ein Produkt
-des unbewußten Geistes und der materiellen Einwirkung auf denselben“.
-Hartmann entscheidet sich aus einer Alternative für diese Annahme. Das
-zweite Glied dieser Alternative ist: „daß zwar der unbewußte Geist ein
-von der Materie unabhängiges selbständiges Dasein habe, der bewußte
-aber ein ausschließliches Produkt materieller Vorgänge ohne jede
-Mitwirkung unbewußten Geistes sei“. Dieses Glied lehnt er ab, wegen
-der „Wesensgleichheit der bewußten und unbewußten Geistestätigkeit“,
-übersieht aber, daß er dafür Materie auf ein Immaterielles wirken
-läßt. Wenn er dann später die „Wesensgleichheit von Geist und Materie“
-dartut, so hebt er eben jeden wirklichen Unterschied zwischen Bewußtem
-und Unbewußtem, außer in Worten, auf. Es ist, wie ich glaube, nicht
-möglich, in diese Distinktionen Hartmanns Konsequenz und Schärfe
-hineinzubringen; das System läuft im Kreise in sich zurück. Und das
-folgt eben, weil das Unbewußte für das Bewußte und das Bewußte für
-das Unbewußte als Kriterium benutzt werden muß. Läßt man also das
-alles fort, so bleibt nur der transzendente „unbewußte Geist“ als, im
-Schopenhauerschen Sinne, weltbildend. Aber während bei Schopenhauer für
-diesen Geist nur Wille steht, ist ihm hier Vorstellung hinzugenommen,
-die, bewußt oder unbewußt, kaum anders als sinnlich gedacht werden
-kann. Vielleicht ist das der Grund, daß Hartmann sein System als
-~transzendentalen Realismus~ ausgibt. Nach Kant ist solcher Realismus
-dogmatisch.
-
-Es wäre damit eine ganz bedeutende Verschlechterung des
-Schopenhauerschen Systems herbeigeführt, wenn es sich nicht um die
-„Zweckmäßigkeit“ und den „Zweck“ der Welt handelte. Für Hartmann ist
-zwar die Welt auch so schlecht als möglich, sie ist eine „unselige“.
-Allein sie ist hervorgetreten, wenn auch nicht als Selbstzweck, doch
-als Zweck, und zwar das zu erreichen, was, wie wir gesehen haben, im
-Schopenhauerschen System nicht möglich ist, nämlich, „den Willen von
-der Unseligkeit seines Wollens zu erlösen“. Es wird nämlich im Willen
-selbst ein Blindes, ein „Alogisches“ gesehen, im Vorstellen dagegen
-ein „Logisches“, das in der höchsten Potenz als bewußte Vernunft
-die höchste Intelligenz wird. Der Weltprozeß erscheint hiernach
-„als ein ~fortdauernder Kampf des Logischen mit dem Unlogischen~,
-~der mit der Besiegung des letzteren endet~“. Diese Besiegung kann
-aber erst „mit dem zeitlichen Ende des Weltprozesses, dem jüngsten
-Tage, zusammenfallen“. Die Weltdauer ist begrenzt; am Ende der Tage
-kommt die ~Welterlösung~, das Ende der Illusion, „die Aufhebung
-alles Wollens ins absolute Nichtwollen“. Dazu ist erforderlich, daß
-möglichst viel Menschheit vorhanden sei, weil diese allein imstande
-ist, Willensverneinung durchzuführen, die Vernunft über den Willen
-zu erheben. Und ferner, daß diese Menschheit mehr und mehr „von der
-Torheit des Wollens und dem Elend des Daseins ~durchdrungen~ sei,
-daß dieselbe eine so ~tiefe Sehnsucht~ nach dem Frieden und der
-Schmerzlosigkeit des Nichtseins erfaßt habe“, und so alles für Wollen
-und Dasein Sprechende als Eitelkeit und Nichtigkeit erkannt werde.
-Das ist alles offenbar aus der Menschheit selbst entnommen. Wie das
-auf den transzendentalen unbewußten Geist Anwendung finden soll,
-kann man nicht einsehen, wenn man nicht die ganze Lehre in die reine
-pandeistische Theosophie überträgt, aus dem unbewußten Geist Gott
-macht und aus Wille und Vorstellung zwei Manifestationen von ihm,
-über die er besonders schaltet. Sobald der Welt ein Ende gegen ein
-~Anderes~ vorausgesagt wird, muß eben etwas da sein, das dieses Ende
-herbeiführt. Außerdem bemerkt man übrigens, daß, wenn nicht die Welt
-zuletzt ~ganz~ aus vernünftigen Wesen besteht, alles Leblose überhaupt
-in Vernunftbegabtes übergegangen ist, ein solches Ende nicht möglich
-ist. Oder soll das Ende der Welt ein gemeiner Kadaver sein? Dann wäre
-diese ganze Philosophie überhaupt nur auf die belebte Welt zu beziehen.
-Im letzten Kapitel aber werden wir das Ende der Welt von ganz anderen
-Gesichtspunkten betrachten und sehen, daß eine allmähliche Entwicklung
-des Alls nach reiner Beseelung in der Tat nicht ausgeschlossen ist (S.
-479 f.). Die Hartmannsche Philosophie aber ist inkonsequent und im
-ganzen keine Verbesserung der Schopenhauerschen, in mancher Hinsicht
-sogar eine Trübung dieser.
-
-Auf dem Boden des Idealismus stehen auch viele von den modernen
-Philosophen, wir werden sie im folgenden kennen lernen. Ihr Verfahren
-ist ein mehr naturwissenschaftlich-induktives, das, im Gegensatz
-zu dem analytischen, deduktiven Vorgehen der älteren Metaphysiker,
-Kant schon eingeleitet und oft angewendet hat. Gleichwohl wird dem
-Geist, wie z. B. von R. ~Eucken~ geschieht, eine außerordentliche
-Vormacht eingeräumt, vermöge deren er zum Absoluten aufsteigt, als ein
-Selbständiges in der Welt.
-
-
-
-
-SIEBENTES KAPITEL.
-
-Spinozismus und Neuspinozismus sowie Neuidealismus.
-
-
-Der ~Spinozismus~ ist im Wesen aufs äußerste getriebener Idealismus.
-Er hat trotz seiner Bezeichnung als ~Pantheismus~ mit religiösen
-Überzeugungen nichts zu tun. ~Gott ist hier allein das transzendente
-Ding-an-sich~. Und wenn man sich vor dem Spinozismus als einem
-~Atheismus~ gefürchtet hat und von gewissen Seiten noch fürchtet,
-so hat das seine Berechtigung für diejenigen, welche sich Gott
-nur mit persönlichen Eigenschaften begabt denken konnten und nur
-denken können. Der Spinozismus in seiner reinen Form schließt einen
-~persönlichen~ Gott völlig aus. Aber gerade deshalb konnte sich ihm
-die moderne Naturwissenschaft anpassen. Und so hat er in unserer Zeit
-eine Bedeutung erlangt, die in Verbindung mit Kants und Schopenhauers
-transzendenten Anschauungen die aller anderen Philosophien weit
-überragt und in der Form des ~Neuspinozismus~ allmählich sich zur
-wissenschaftlichen Herrschaft aufschwingt. Dieses ist auch mit ein
-Grund, warum der Spinozismus erst an dieser Stelle behandelt wird.
-Außerdem wollte ich ihn auch äußerlich vom Cartesianismus ablösen, mit
-dem er, wie früher ausgeführt (S. 337), gar keine Beziehung hat, außer
-etwa, daß er auf ihn folgt und daß der Urheber sich mit ihm eifrig
-beschäftigt hat und seiner öfter gedenkt und seiner Nomenklatur sich
-bedient.
-
-Der Neuidealismus ist vom Spinozismus schwer zu trennen, er ist darum
-mit diesem zusammen behandelt.
-
-
-46. ~Spinoza und der Pantheismus.~
-
-~Baruch~ (~Benedikt~) ~Spinoza~ ist 1632 in Amsterdam geboren und 1677
-im Haag gestorben. Er ist Sohn eines portugiesisch (oder spanisch,
-aus Espinoza stammend?) -jüdischen Mannes und gehört zu den nicht
-vielen, von denen Eugen Dühring in seiner zwar sehr scharfsinnigen,
-aber mitunter überscharfen Geschichte der Philosophie mit hoher Achtung
-auch vor dem Menschen spricht. Das für uns in Betracht kommende
-Hauptwerk (ich benutze die Ausgabe von Berthold Auerbach) Spinozas ist
-die „Ethik“; sie ist nach seinem Tode von seinem Lebensfreunde, dem
-Arzt Ludwig Meyer, herausgegeben und enthält eine Darstellung seines
-Systems in völlig mathematischer Form. Sie beginnt mit Definitionen der
-wichtigsten Begriffe. ~Ursache seiner selbst~ ist das, dessen Wesen
-das Dasein in sich schließt, oder das, dessen Natur nicht anders als
-daseiend begriffen werden kann. ~Substanz~ ist, was in sich ist und
-aus sich begriffen wird, das also keines anderen bedarf, um daraus
-gebildet zu werden. ~Attribut~ ist, was der Verstand von der Substanz
-als ihr Wesen ausmachend erkennt. Modi sind die Affektionen der
-Substanz, oder das was in einem Anderen ist, wodurch man dieses Andere
-auch begreift. ~Gott~ ist das schlechthin unendlich Seiende, „das heißt
-die Substanz, die aus ~unendlichen~ Attributen besteht, von denen
-jedes ein ~ewiges~ und ~unendliches Wesen~ ausdrückt.“ Das sind die
-fünf Hauptbegriffe des Spinozaschen Systems. Was ~unendlich~ ist, wird
-negativ durch das, was endlich ist, festgestellt: dasjenige heißt in
-seiner ~Art endlich~, was durch ein anderes von gleicher Natur begrenzt
-werden kann. ~Ewigkeit~ ist das Dasein selbst, sofern es allein aus
-der Definition des ewigen Dinges begriffen wird. Die Attribute Gottes
-sind hiernach durch nichts begrenzt, und ewig aus dem Sein Gottes.
-~Frei~ ist ein Ding, wenn es allein aus der Notwendigkeit seiner Natur
-da ist, und allein von sich zum Handeln bestimmt wird; ~unfrei~,
-was von einem anderen zu sein, oder in bestimmter Weise zu sein und
-zu wirken gezwungen ist. Nach den Definitionen folgen Axiome; eines
-enthält den Satz der Kausalität: Eine bestimmte ~Ursache~ hat notwendig
-eine ~Wirkung~, eine Wirkung ohne Ursache kann nicht erfolgen. Die
-Erkenntnis der Wirkung schließt die Erkenntnis der Ursache in sich.
-Von den Sätzen müssen wir gleichfalls einige anführen. Dinge, die
-nichts miteinander gemein haben, können nicht gegenseitige Ursache
-sein. Eduard v. Hartmann, wenn er diesen so klaren Satz beachtet hätte,
-wäre nie zu seiner so inkonsequenten Weltendetheorie gekommen. Zu der
-Natur einer Substanz gehört notwendig das Dasein und die Unendlichkeit
-(Nicht-Begrenztheit durch ein anderes gleicher Natur). Attribute einer
-Substanz können nur aus sich begriffen werden.
-
-~Gott ist notwendig da. Außer Gott kann es keine Substanz geben und
-läßt sich keine begreifen. Alles was ist, ist in Gott, und nichts
-kann ohne Gott sein oder begriffen werden. Gott ist absolut frei,
-handelt nur aus den Gesetzen seiner Natur. Gottes Dasein, Gottes Macht
-und Gottes Wesenheit sind ein und dasselbe, Gott ist nicht nur die
-wirkende Ursache des Daseins, sondern auch der Wesenheit der Dinge. Die
-Welt ist notwendig so wie sie ist, kein Ding ist frei, nichts in der
-Welt geschieht frei, noch zufällig. Alles ist aus der Notwendigkeit
-der göttlichen Natur bestimmt, auf gewisse Weise da zu sein und zu
-wirken. Die Dinge sind die Modi, Existenzweisen Gottes, nach zwei
-Attributen: Ausdehnung (Körperlichkeit) und Vorstellung (Geist), die
-ihre formale Wesenheit sind.~ Diese gesperrt gedruckten Sätze enthalten
-das gewaltige, so konsequente und darum in seiner Starrheit fast
-unheimliche System Spinozas. Es ist, wie der Leser sieht, in der Tat
-pantheistisch; ein jedes Ding wird nur begriffen aus den Attributen
-Gottes, und bedeutet nur eine Existenzweise Gottes. Dabei handelt es
-sich um ein Zwangsystem; daß nichts anders ist als es sein muß, nichts
-anders wirkt als es wirken muß; und die Kette der Ursachen wird ins
-Unendliche geführt. Ein Zweck findet in der Welt nicht statt. ~Die
-Ordnung und Verknüpfung der Vorstellungen ist dieselbe wie die Ordnung
-und Verknüpfung der Dinge.~ Aus diesem wichtigen Satz ergibt sich
-die ~Parallelität zwischen Körper und Geist~. Es ist an sich kein
-Zusammenhang zwischen den beiden formalen Wesenheiten der Welt und
-des Menschen vorhanden, außer daß die entsprechenden Attribute, deren
-Existenzweisen die Dinge sind, Attribute Gottes, der einen und einzigen
-Substanz, sind. Weil sie aber dieser einen Wesenheit angehören, können
-sie nur in paralleler Art Existenzweisen sein. ~Und so sind Körper
-und Geist parallele Erscheinungen und wirken parallel.~ Dieses ist so
-streng ausgedrückt, daß sogar gesagt wird: „Der Körper kann den Geist
-nicht zum Denken, noch der Geist den Körper zur Bewegung oder Ruhe,
-noch zu etwas anderem bestimmen“. Nur die Parallelität zeigt Körper
-und Geist als in Abhängigkeit voneinander. An sich ist der Geist nur
-Geist, der Körper nur Körper. Aber vermöge der Parallelität und der
-Zugehörigkeit der Attribute zu dem Einen, sind im Geiste adäquate
-Vorstellungen von dem Körper und der Körperwelt vorhanden. Darum
-konnte Spinoza auch behaupten: der Gegenstand der Vorstellung, welche
-den menschlichen Geist ausmacht, ist der Körper, oder ein gewisser, in
-der Wirklichkeit vorhandener Modus der Ausdehnung. Und darum konnte
-er weiter feststellen, daß alles wirklich da ist, insbesondere auch
-unser Körper da ist, wie wir ihn wahrnehmen. Hier berührt sich Spinozas
-Philosophie mit der der ~Positivisten~, der ~Wirklichkeitsphilosophen~.
-Und wenn Spinoza weiter folgert: Der menschliche Geist faßt einen
-äußeren Körper nur durch die Vorstellungen der Affektionen seines
-Körpers als wirklich daseiend auf, so haben wir einen Hauptsatz der
-~Sensualisten~ vor uns. Auch das ~Transzendentale~ finden wir in
-diesem System, sofern die Vorstellungen in Gott der Existenzweisen
-als ~Essenzen~ (essentia) von den tatsächlichen Existenzweisen als
-~Existenzen~ (existentia) und damit ~Ideal~dinge von ~Real~dingen
-getrennt werden. Die Dinge unterscheiden sich in der formalen Wesenheit
-gar nicht voneinander, sondern nur in ihren Existenzweisen. So ist
-also der Geist überall wie der menschliche, der Körper überall wie der
-menschliche; nur die Weise, wie beide die Dinge ausmachen, ist von Ding
-zu Ding abweichend. ~Also ist die Welt an sich durchaus einheitlich.~
-Spinozas System ist hiernach ein ~Monismus~. Es werden zwar Körper und
-Geist unterschieden und sogar absolut auseinandergehalten; sie sind
-jedoch Parallel-Existenzweisen des gleichen einen Urwesens, um so zu
-sprechen, nach absoluten Gesetzen, so daß sie durchaus wie eine Einheit
-bilden, und ihre formalen Wesenheiten fließen aus den Attributen des
-gleichen einen Urwesens. Auch ist der Mensch nur ein Teil der Natur und
-leidet auch als ein solcher, und lebt und stirbt als ein solcher. Nur
-aus sich heraus sich zu verändern, ist ihm nicht gegeben, da er ja bloß
-eine Existenz~weise~ bedeutet.
-
-Spinozas System ist die einleitende Begründung zu seinem eigentlichen
-Thema, eben der Ethik. Von dieser zu sprechen, ist nicht unsere
-Aufgabe. Sie ist viel angegriffen und viel geschmäht worden, wegen
-des kühlen Verstandes, der in ihrer Auffassung herrscht. In seinem
-stillen Kämmerlein wird aber kaum jemand umhin können, zu gestehen,
-daß sie das enthält, was eine von Phrasen und leeren Einbildungen freie
-Menschenethik enthalten muß. Eher kann man ihr den Vorwurf machen,
-daß sie dem System selbst nicht immer folgt und aus dem Pantheismus
-zuweilen in einen Deismus übergeht. Wer hat in solchen Dingen je ganz
-konsequent gedacht? Für uns von Bedeutung ist, daß Spinoza auch die
-Unsterblichkeit lehrt. Er sagt: „Der menschliche Geist kann mit dem
-Körper (d. h. mit dem Leben des Körpers) nicht gänzlich vernichtet
-werden, sondern es bleibt etwas von ihm übrig, das ewig ist“.
-Dieses folgt schon daraus, daß eben der Geist, wenn auch nur eine
-Existenzweise, doch jedenfalls in einem Attribut, in einer Vorstellung
-Gottes enthalten ist. Und es gilt selbstverständlich ebenso für den
-Körper. Weil aber der Geist im Dasein eben nur eine Existenzweise ist,
-kann er sich dessen, was er vorher gewesen, nicht erinnern können. „Die
-Vorstellung,“ sagt Spinoza, „welche die Wesenheit des Körpers unter
-der Form der Ewigkeit ausdrückt, ist ein gewisser Modus des Denkens,
-der zum Wesen des Geistes gehört und notwendig ewig ist. Demnach ist
-es unmöglich, daß wir uns erinnern, vor dem Körper dagewesen zu sein,
-da es ja in dem Körper keine Spuren davon geben, noch die Ewigkeit
-durch die Zeit definiert werden oder irgendeine Beziehung auf die Zeit
-haben kann“. Das hebt die ~persönliche~ Unsterblichkeit auf. Aber
-„nichtsdestoweniger denken und erfahren wir, daß der Geist ewig ist.
-Denn der Geist bemerkt diejenigen Dinge, die er durch den Verstand
-begreift, nicht minder als diejenigen, die er im Gedächtnis hat. Denn
-die Augen des Geistes, womit er die Dinge sieht und beobachtet, sind
-eben die Beweise. Wenn wir uns daher auch nicht erinnern, vor dem
-Körper dagewesen zu sein, so bemerken wir doch, daß unser Geist ewig
-ist, insofern er die Wesenheit des Körpers unter der Form der Ewigkeit
-enthält, und daß dieses sein Dasein (des Körpers) nicht durch die Zeit
-definiert oder durch Dauer erklärt werden könne“. Es ist nicht leicht,
-sich in diesen Gedankengang hineinzufinden. Er soll aber wohl besagen,
-daß, weil wir den Begriff der Ewigkeit der Materie als zu ihrem Wesen
-gehörig in uns haben, auch die Ewigkeit des Geistes gewährleistet ist,
-wohl aus dem Parallelverhalten der zwei in Einem zusammenlaufenden
-Attribute in den Existenzweisen. Die Ethik faßt auch Gott persönlicher
-auf, als dem System entspricht. Sie hat jedoch aus den Grundlagen
-recht, wenn sie alle Erkenntnis auf die Erkenntnis Gottes richtet und
-diese Erkenntnis als wahr ansieht. Wir sind ja Existenzweisen Gottes,
-die Seele ist eine begrenzte Weise des allgemeinen Denkens als Attribut
-Gottes.
-
-
-47. ~Neuspinozismus und Neuidealismus.~
-
-Spinozas System hat wegen seiner unerbittlichen Strenge und Konsequenz,
-wie bemerkt, der Menschheit lange widerstrebt. Es ist wohl auch
-nicht immer recht verstanden worden. Daß aber große Geister zu ihm
-neigten, sehen wir an ~Goethes~ Beispiel, der schon früh sich mit
-ihm beschäftigte. Lavater erzählt (Gespräche Goethes, Bd. I, S. 75)
-vom 28. Juni 1774, wie eifrig Goethe ihn von Spinoza und Spinozismus
-unterhalten und wie bedeutend er von ihm gesprochen habe. Später hat
-Goethe dem Spinozismus mehr und mehr seine interessierte Aufmerksamkeit
-geschenkt, so daß er sogar als Spinozist bezeichnet worden ist. In
-der neuesten Zeit hat der Spinozismus großen Zuzug aus den Kreisen
-namentlich der Naturforscher und seltsamerweise auch aus den Kreisen
-der Materialisten unter ihnen erfahren. Ich kann hier nur auf einiges
-eingehen, da Entscheidendes dem letzten Kapitel vorbehalten bleiben
-muß. Schon von Schleiermacher habe ich erwähnt, daß er in wesentlichen
-Anschauungen Spinozist gewesen ist. Der Neuspinozismus aber knüpft sich
-vor allem an die Namen Fechner, Wundt und Häckel. Zuerst jedoch ein
-~spiritualistischer Spinozist~.
-
-~Lotze~ (1817 in Bautzen geboren, gestorben in Berlin 1881) ist, als
-Naturforscher und Mediziner, Atomistiker und Physiker, jedoch nur,
-soweit es sich um die Körper, auch unseren Körper, und die Vorgänge
-zwischen und in ihnen handelt. Die Seele ist aber vom Körper
-durchaus verschieden, obzwar Körper und Seele aufeinanderwirken.
-Letzteres müßte unverständlich bleiben, wenn die Dinge nicht Modi
-einer ~Allsubstanz~, eines ~Weltgeistes~ wären. Dessen Verhalten
-zu den Dingen entspricht unserem Verhalten zu unseren inneren
-Tätigkeiten; es ist also immanent, Eigenheit des Weltgeistes. Der
-Weltgeist ist in sich folgerichtig, und dieses bedeutet in der Welt
-der Erscheinungen die Ordnung. So ist die Einheit der Dinge trotz
-der Vielheit ihrer Eigenschaften in dem ~Gesetz~ begründet. Das wäre
-alles allenfalls noch Spinozistisch. Spinozistisch ist auch noch die
-Korrespondenz der Zustände und Änderungen in den Dingen an Stelle der
-Abhängigkeiten, denn sie erinnert an Spinozas Parallelismus, zumal auch
-alle einheitlichen Dinge als Seelen oder Geister aufgefaßt werden.
-Abweichend wird jedoch einerseits der Weltgeist, Gott, über die Dinge
-erhoben, und andererseits werden die Dinge mehr verselbständigt. So
-geht der straffe Monismus Spinozas fast in einen theistisch-deistischen
-Dualismus über. Und indem noch Leibniz’ Monadenlehre Verwendung findet,
-haben wir mehr einen geistvollen Eklektizismus von Materialismus,
-Spinozismus, Cartesianismus und Monadenlehre als ein einheitliches
-festes System. Aber alles ist innig und fein verarbeitet. Das zeigt
-sich namentlich darin, daß die Monaden einerseits mehr physikalisch
-aufgefaßt werden mit wirklichen Wechselwirkungen zwischen ihnen, die
-bei den Leibnizschen Monaden als wirklich nicht vorhanden sind, auch
-nicht bei Spinozas Modi, andererseits sie in Spinozas Art als Modi
-der Allsubstanz betrachtet werden, so daß sie nach drei Richtungen
-strahlen würden. In jeder Monade sind beide Attribute der Allsubstanz
-zu erkennen. Die Seele ist nur eine Monas, der Körper besteht aus
-vielen Monaden. Aus der teilweisen Unabhängigkeit der Monaden von der
-Allsubstanz -- wie diese Unabhängigkeit entsteht, soll eine nicht zu
-beantwortende Frage sein -- ergibt sich eine gewisse Freiheit des
-Willens und damit eine freiere Ethik, die in Verbindung mit einer
-Zwecklichkeit der Welt den ~teleologischen Idealismus~ bildet. Die
-Einheit wird dadurch gegeben, daß alles sich auf die Ethik beziehen
-soll, selbst Logik und Metaphysik. Darin spricht sich der Zug der
-modernen Zeit aus.
-
-~G. Th. Fechner~ (1801-1887) ist Naturforscher, induktiver Idealist,
-Spinozist und Mystiker in einer Person. Mit dem als Astrophysiker
-so bedeutenden ~Zöllner~ hat er eine Zeitlang auch dem Spiritismus
-gehuldigt. Das tut nichts. Er war ein hervorragender Forscher und
-hat die Wissenschaft der ~Psychophysik~ begründet und mit einem
-berühmt gewordenen Gesetz bereichert. Seele und Körper sind Formen
-einer Substanz, eines Realen. Er führt aber diesen Spinozismus in das
-Kant-Schopenhauersche Transzendentale. Die Welt ist für uns nicht die
-Modi selbst, sondern die ~Erscheinungen~ dieser in unserem Bewußtsein.
-Spinoza hatte schon zwischen Essenzen und Existenzen unterschieden. Die
-letzteren wären die Erscheinungen. Gleichwohl ist die Welt nicht etwa
-ein Traumbild, ein Phantom, sondern eine Wirklichkeit, wenn auch eine
-transzendente. Das wird erwiesen durch die in unserem Bewußtsein von
-der Welt vorhandene Ordnung und Gesetzmäßigkeit. Ordnung und Gesetz
-sind das Wesen der Erscheinungen. Das Bewußtsein davon ist das höhere
-Bewußtsein, die Vernunft. Und da wir in Spinozas Sinn Existenzweisen
-Gottes sind, so ist Gott das höchste Wesen, dessen Bewußtsein alle
-Erscheinungen und alle Zusammenhänge umfaßt. In der von Fechner
-verfolgten Wechselbeziehung von Körper und Seele, die auch ~Wilhelm
-Wundt~ (S. 399) lehrt, sehen manche einen Widerspruch gegen Spinozas
-System. Das ist nicht der Fall, da ja eine solche Wechselbeziehung als
-Parallelsein von Körper und Seele gerade nach Spinozas Anschauung, eben
-der ~psychophysische Parallelismus~, unvermeidlich ist. Es ist nur
-ein Streit um Worte, wenn man Wechselbeziehung von Parallelbeziehung
-unterscheiden und trennen will. Ist jene so unveränderlich wie diese,
-so gelten beide gleich viel. Spinozas Theorie hat ja gerade darin ihren
-Vorzug, daß wirkliche Beziehungen zwischen zwei absolut verschiedenen
-Attributen nicht angenommen werden, sondern Parallelbeziehungen, aus
-der Zugehörigkeit der Attribute zu dem All-Einen. Fechner freilich
-bezeichnet seine Lehre wegen dieser Wechselbeziehungen auch als
-materialistisch. Überdem soll nicht nur kein Geist ohne Körper
-sein, sondern auch kein Gott ohne Welt, ein Gedanke, dem wir schon
-öfter begegnet sind. Sein Mystizismus drückt sich in der Annahme
-von Wesen höher als der Mensch aus, von Geistern. Solche sollten
-zum Teil mit den Weltkörpern Wesen bilden, oder noch höher, mit den
-Weltsystemen. Die Erde als großes Tier hat auch der französische
-Astronom Flammarion angesehen. Man bemerkt aber, daß man so zuletzt
-überhaupt die Welt als Ganzes, wie ein Lebewesen betrachten würde,
-mit untergeordneten Weltsystemen, Welten usf. als Einzel-Lebewesen,
-die die Welt zusammensetzen, wie ja die organischen Wesen in der
-Tat aus Lebewesen, sichtlich oder verborgen, aufgebaut sind. Diese
-Konsequenz hat, auf die Erde, auch Fechner gezogen; und weiter, daß
-immer die umfassendere Seele von den eingeschlossenen Seelen weiß,
-während sich ausschließende Seelen voneinander ohne Wissen sind. Die
-Bedeutung einer Seele aber richtet sich nicht nach dem Umfang, und
-so bleibt die Menschenseele auf ihrer Höhe auch den umfangreicheren
-Seelen gegenüber. Denn entscheidend ist die Größe des Bewußtseins, im
-Leibnizschen Sinne: ihre Deutlichkeit, und diese braucht mit dem Umfang
-nicht zusammenzuhängen. Es kommt hier die Lehre von der ~Schwelle~ des
-Bewußtseins in Betracht, aus der eine Art ~Bewußtseinsleiter~, wie eine
-Tonleiter aufgebaut wird. Fechner hat auch über die Pflanzenseele eine
-Schrift: „Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen“ verfaßt, deren
-Ideen sich gerade jetzt mehr und mehr Bahn brechen. Aber den kleinsten
-Teilen der Materie, den Atomen, hat Fechner Leibniz’ Monadenleben doch
-abgesprochen.
-
-~Wilhelm Wundt~ (geb. 1832 zu Neckarau), der geistvolle Führer in
-der Psychophysiologie, den wir schon genannt haben, steht, abgesehen
-vom Mystizismus Fechners, ungefähr auf gleichem Boden. Er ist als
-Physiolog und Psycholog sehr ins Einzelne gegangen und hat in allen
-Seelenfunktionen nachzuweisen versucht, daß sie mit Körperfunktionen
-zusammenhängen. Persönlich halte ich einen solchen Nachweis nur im
-Gröbsten für möglich, und namentlich den Hauptnachweis, als Ursache
-und Folge, überhaupt nicht für erbringbar, da in solchen transzendenten
-Fragen die Zeit ausscheidet. Für die Erfahrung ist aber sehr viel
-durch solche Untersuchungen gewonnen, und der Nachweis, daß Körper und
-Geist als Erscheinungen in der Tat untrennbar sind, ist von höchster
-Bedeutung. Wir kommen im letzten Kapitel noch darauf zu sprechen. Das
-gesamte ~Leben~ sieht Wundt als nie rastendes inneres ~Geschehen~ an,
-das kein ~Beharrendes~ besitzt. Zum Beharrenden glaubt er, kommen wir
-lediglich durch Projektion der Außenwelt in unsere innere Welt; zum
-~Bewußtsein~ wie für die Außenwelt zum Raum, indem wir für das aus
-jener Projektion fälschlich gewonnene Beharrende einen Ort brauchen
-und ihn uns einbilden, eben das Bewußtsein. An sich drückt Bewußtsein
-nichts aus, als daß wir ein inneres Leben führen, und es ist nicht
-von den anderen inneren Erscheinungen des Lebens verschieden. Kaum
-daß der Wille herausgehoben wird. Offenbar kann ebenso auf das ganze
-Gebiet dessen, was auf S. 222 f. als regulative oder kategorische
-Seele bezeichnet ist, geschlossen werden. Eine solche Seele wäre also
-nicht ein Besonderes, und wir hätten eine ~assoziative Psychologie~
-(S. 359). Die Verneinung alles Beharrenden ist heraklitisch. Ich
-weiß aber nicht, wie sie sich für das innere Leben soll durchführen
-lassen, ohne dieses in ein völliges Schattenspiel aufzulösen, denn
-mit der Verneinung des Bewußtseins als eines Beharrenden -- ich
-glaube eines Organs für die innere Welt, wie die Sinnesorgane für
-die äußere -- ist auch die Verneinung der Individualität gegeben,
-damit auch die Verneinung der Anschauungsformen. Und so wäre auch
-die Welt zu verneinen. Dann bliebe nur noch die indische Maja. Wir
-haben auch davon noch zu sprechen. Gleichwohl wird die Welt als eine
-Totalität aufgefaßt, nämlich als Ganzheit der Willenstätigkeiten.
-Diesen entsprechen die Vorstellungstätigkeiten und ordnen sich
-nach ihnen. Der Gedanke ist spinozistisch mit genauerer Angabe der
-Attribute. Allein die ~Gottesidee~ scheint gesondert behandelt zu
-sein. Von Bedeutung ist noch Wundts Unterscheidung zwischen einer
-~quantitativen Transzendenz~, wie wenn der Umfang eines Gegenstandes
-oder einer Vorstellung über die Grenzen hinaus erweitert wird, und
-der ~qualitativen Transzendenz~, wenn das Hinausgehen zu überhaupt
-Verschiedenem erfolgt. In allen metaphysischen Problemen haben wir
-es mit beiden Transzendenzen zu tun. Offenbar hängen sie mit den
-Attributen zusammen. Die große Bedeutung Wundts als Ordner der
-philosophischen Wissenschaften habe ich nur zu erwähnen. Zu den
-Neu-Spinozisten ist wohl auch A. ~Riehl~ (geb. 1844) zu rechnen, jedoch
-mit einer starken Neigung zum Transzendental-Idealistischen, da er die
-„gemeinsame Quelle von Natur und Verstand“ für transzendent erklärt
-und außerdem die psychische Welt durchaus von der physischen scheidet.
-Aber der Parallelismus vermittelt ihm einen „philosophischen Monismus“.
-Ähnlich verhält es sich mit dem freundlichen ~Adolf Lasson~ (geb.
-1832). Über ~Häckels~ Spinozismus kann ich nur im Zusammenhange mit dem
-Energismus reden.
-
-
-
-
-ACHTES KAPITEL.
-
-Empirismus, Sensualismus, Realismus, Naturalismus, Positivismus.
-
-
-Wir nähern uns der physischen Anschauung von Welt und Leben. Den wenn
-auch nicht zeitlichen, aber sachlichen Übergang bilden die in der
-Überschrift verzeichneten Anschauungen. Die Namen besagen schon, um was
-es sich dabei handelt. Nur ist hervorzuheben, daß unter Sensualismus
-der ~äußere~ Sensualismus verstanden ist, nicht der innere, der der
-Phänomenalismus ist, und den wir schon untersucht haben (S. 356 ff.).
-Diese Anschauungsweisen sind die sich von selbst darbietenden; eine
-Besprechung verdienen sie nur, soweit sie philosophisch durchdacht
-sind. Wir finden sie selbstverständlich bei allen Völkern und
-zu allen Zeiten, so auch bei den Griechen (unter den Zynikern,
-Epikureern, Stoikern usf.). Zu einem System ausgebildet sind sie
-jedoch erst in den neueren Zeiten, und von denen allein wollen wir
-hier sprechen. Den Idealismus haben wir fast ganz in Deutschland
-behandeln können; was wir jetzt vortragen werden, betrifft wesentlich
-englische und französische Denker, deutsche kommen erst in neuerer
-Zeit und, hinsichtlich der Originalität, in zweiter Reihe in Betracht.
-Dafür haben wir freilich in ~Ernst Mach~ einen der konsequentesten
-Sensualisten.
-
-
-48. ~Die englische Trias: Bacon, Locke, Hume.~
-
-Von dem englischen Dreigestirn ist ~Francis Bacon von Verulam~
-(1561-1626), der bekannte Begründer der naturwissenschaftlichen
-Erfahrungsmethoden, für uns von geringerer Bedeutung; er hat eine
-neue, besondere Anschauung von Welt und Leben nicht entwickelt. Nur
-auf die Notwendigkeit der Beurteilung der Welt und ihrer Geschehnisse
-auf Grund der Erfahrung hat er scharf hingewiesen. Die neuere
-~Empirie~, als Untersuchungsmethode, nimmt mit ihm namentlich in den
-Naturwissenschaften ihren eigentlichen Anfang. Endursachen lehnt
-er ab, weil mit ihnen nichts anzufangen sei, sie gehörten in die
-Gotteslehre, nicht in die eigentliche Wissenschaft. Die Natur müsse aus
-ihren eigenen Vorgängen und Ursachen erklärt werden, also empirisch,
-nicht metaphysisch, ein Standpunkt, den schon viele vor ihm vertreten
-haben, auf dem wir auch Aristoteles finden. Seine Methode ist die der
-~Induktion~. Reiner Empirist ist aber Bacon nicht, eher empirischer
-Panpsychist, da er die ganze Materie belebt sein läßt. Auch nimmt er
-ein allgemeines Gesetz an, das die Natur beherrschen soll. Er gesteht
-sogar Intuition zu. Und doch schreckt er uns mit den Trugbildern,
-Idolen, die uns aus unserer allgemeinen Natur, doch auch aus unserer
-individuellen Art und aus gedankenloser Einbildung, als Tradition und
-Anlernung, stetig verfolgen sollen.
-
-~John Locke~ (1632 in Wrington geboren, gestorben 1704) gehört zu den
-Größten im Reiche des Gedankens. Sein Meisterwerk: „An essay concerning
-human understanding“ (ich zitiere nach der Reclam-Ausgabe) ist das
-Hauptalles des Empirismus. Locke ist aber nicht bloß Empirist; wir
-finden auch Idealismus, Sensualismus und Realismus bei ihm vertreten.
-Empirist ist er hinsichtlich unserer Ideen, Idealist in bezug auf
-die Materie, und zwar transzendentaler, Sensualist, wo es sich um
-Verbindung der Ideen mit der Erfahrung handelt, Realist in bezug auf
-Körper und Vorgänge. Die Ideen (Empfindung, Vorstellung, Begriff
-usf.) sind sämtlich aus der Erscheinung erworben; keine Idee ist
-uns angeboren, ist a priori, alle sind a posteriori. „Bei manchen
-Leuten,“ sagt er, „steht die Ansicht fest, daß der Verstand gewisse ihm
-angeborene Grundbegriffe enthalte, gewisse ursprüngliche Vorstellungen,
-κοιναὶ ἔννοιαι, dem menschlichen Bewußtsein gewissermaßen aufgeprägte
-Schriftzüge, die die Seele bei ihrem ersten Eintritt in das Dasein
-empfange und mit sich in die Welt bringe.“ Das soll also nicht der
-Fall sein: „Sie sind dem Geiste nicht von Natur eingeprägt, weil sie
-den Kindern, Idioten usw. nicht bekannt sind.“ Alle Kinder und Idioten
-hätten nicht den geringsten Begriff von ihnen. Und es scheint ihm „fast
-ein Widerspruch darin zu liegen, wenn man sagen wollte, es gäbe der
-Seele eingeprägte Wahrheiten, die sie nicht bemerke oder verstehe.“
-„Denn daß dem Geiste etwas eingeprägt werde, ohne daß es ihm zum
-Bewußtsein käme, scheint mir kaum verständlich zu sein.“ Die Vernunft
-entdeckt auch die Ideen nicht, sie bildet sie nur allmählich aus den
-Eindrücken, die sie empfängt. Locke unterscheidet nun die innere
-Erfahrung (reflection) von der äußeren (sensation). Aber eine innere
-Erfahrung ohne äußere erkennt er nicht an. Wie bei den Stoikern und
-vielen andern, ist die Seele für ihn erst eine tabula rasa, ein „leeres
-Kabinet“. Die Sinne lassen „erst Vorstellungen ein, der Verstand
-einverleibt sie dem Gedächtnis und versieht sie mit Zeichen, Namen.
-Dann, im weiteren Fortschreiten abstrahiert er aus ihnen Begriffe
-und lernt allmählich allgemeinere Namen. So gewinnt er Materialien
-für sein Denkvermögen.“ Wir haben also nur die Fähigkeit Ideen zu
-bilden, nicht besitzen wir diese Ideen von vornherein. Nicht einmal
-die logischen Begriffe sind angeboren; Kinder kennen weder den Satz
-der Identität, noch den des Widerspruchs. Die Idee Gottes ist nicht
-angeboren. Ebensowenig die Idee der Materie. Das Kind und der Idiot
-wissen von beiden nichts. Alles an Ideen ist allein aus den Eindrücken
-abgeleitet, die Ideen sind empirisch gewonnen. Das wird nun auch mit
-stärkerem Grunde von den praktischen Grundsätzen behauptet, ebenfalls
-zum Teil von den moralischen und ethischen. Diese sind erst recht nicht
-angeboren. Die Beweise dafür werden aus dem Leben des Einzelnen und
-der Menschen eingehend geführt. In der Tat ist ja das Material für
-solche Beweise scheinbar groß genug. Alle Ideen sind aus Sensation
-und Reflexion gewonnen. „Äußere Gegenstände versehen den Geist mit
-den Ideen sinnlicher Eigenschaften, die aus allen den verschiedenen
-Wahrnehmungen bestehen, die sie in uns hervorbringen, und der Geist
-versieht den Verstand mit den Ideen seiner eigenen Tätigkeit.“ Die
-Ideen der Reflexion werden aber später erworben, und die Seele
-fängt an, Ideen zu haben, wenn sie mit der Wahrnehmung beginnt. Die
-Wahrnehmung ist das eine, das der Geist tut, und die Reflexion an
-diesen Wahrnehmungen ist das zweite. Aber ohne Wahrnehmungen gibt es
-auch keine Reflexion. So sind die Wahrnehmungen das Grundlegende.
-Das ist reiner ~Empirismus~. Nun aber sind Wahrnehmungen solche doch
-nur insoweit, als wir sie bewußt erfassen. Daher ist unsere innere
-Tätigkeit Voraussetzung der Wahrnehmungen. Und so entsteht ein
-gegenseitiges Sichbedingen: ohne Sensation keine Reflexion, und ohne
-Reflexion keine Sensation. Das letztere aber liegt auf dem Gebiete des
-~Sensualismus~. Unser Inneres erst macht die Wahrnehmungen zu dem, was
-sie sind. Und als solche sind sie in unserem Inneren durchaus real.
-
-Ob sie auch objektive Realität haben, muß die Verbindung der
-Wahrnehmungen unter dem Einfluß der Reflexion entscheiden. Dann zeigt
-sich, daß manche Wahrnehmungen nicht den Dingen selbst anhaften,
-sondern nur durch Eindrücke von ihnen auf uns hervorgebracht werden,
-wie Farben, Töne, Gerüche, Wärme, Kälte usf. Anderen dagegen, wie
-Festigkeit, Ausdehnung, Figur, Ruhe, Bewegung, schreibt Locke
-~objektive~ Wahrheit zu, sie sind wirklich. Selbst Raum, Zeit und Zahl
-gehören dazu. Hier haben wir einen ~Realismus~ und ~Positivismus~.
-„Weil unsere Sinne außerstande sind, irgendwelche Ungleichheit
-zwischen der in uns entstandenen Idee und der Beschaffenheit des sie
-hervorbringenden Objekts (das Objekt selbst, nicht das Ding-an-sich,
-wie der Herausgeber meint) zu entdecken, so sind wir zu der Vorstellung
-geneigt, daß unsere Vorstellungen Ebenbilder von etwas in den Objekten
-Enthaltenem und nicht die Wirkungen gewisser in der Modalität ihrer
-primären Eigenschaften liegender Kräfte seien, mit welchen primären
-Eigenschaften die in uns entstandenen Ideen keine Ähnlichkeit haben.“
-Das letztere klingt freilich idealistisch gesprochen. Und an einer
-weit davon entfernten Stelle wird gesagt: „Offenbar erkennt der Geist
-die Dinge nicht unmittelbar, sondern nur vermittelst der Ideen, die
-er von ihnen hat. Unser Wissen ist deshalb nur so weit real, als
-eine Übereinstimmung zwischen unseren Ideen und der Realität der
-Dinge besteht. Was soll aber hierfür als Kriterium dienen? Woran soll
-der Geist, wenn er nichts als seine eigenen Ideen wahrnimmt, deren
-Übereinstimmung mit den Dingen selbst erkennen?“ Locke glaubt sich
-helfen zu können, indem er die Art der Ideen in Betracht zieht. Er
-hatte gleich im Anfang seines Werkes ~einfache~ Ideen (simple ideas)
-von komplexen (complex ideas) unterschieden und zu jenen alle Ideen
-gerechnet, denen Wahrnehmung durch die äußeren Sinne (einen Sinn oder
-mehrere Sinne zugleich) entspricht, oder durch den inneren Sinn allein
-(Denken, Fühlen usf.), oder durch beide Sinnenarten zusammen (Lust,
-Schmerz, Kraft, Existenz, Einheit). Auf diese einfachen Ideen stützt
-er sich. Nach seiner Lehre kann der Geist keine von ihnen aus sich
-selbst hervorbringen; er ist nur reflexiv beteiligt, ihre Entstehung
-verdanken sie Eindrücken (s. oben). Also müssen sie „notwendigerweise
-das Erzeugnis von Dingen sein,“ „die auf natürlichem Wege auf den
-Geist einwirken und an ihm eben die Wahrnehmung hervorbringen,
-wofür sie durch die Weisheit und den Willen des Schöpfers bestimmt
-und eingerichtet sind. Daraus folgt, daß die einfachen Ideen
-nicht Erdichtungen unserer Phantasie, sondern die natürlichen und
-regelmäßigen Erzeugnisse von Dingen außer uns sind, die tatsächlich
-auf uns einwirken, und daß sie also die ganze beabsichtigte oder
-für unseren Zustand erforderliche Ähnlichkeit an sich tragen.“ Die
-Einführung Gottes zum Beweise der Realität der Dinge entspricht dem
-Verfahren des Descartes (S. 337). Selbst die komplexen Ideen, mit
-Ausnahme der Idee von der Substanz (Materie) sollen zu dem gleichen
-Schluß führen. Unserer eigenen Existenz sind wir intuitiv gewiß.
-Gottes Dasein können wir mit Gewißheit erkennen. Und der Beweis dafür
-wird wie immer aus den ihm zugeschriebenen Eigenschaften entnommen.
-Indessen auch von der Welt; er ist also ontologisch und kosmologisch.
-Sonst entscheidet überall einzig die Vernunft in Verbindung mit der
-Wahrnehmung.
-
-Der Raum wird als ein eigenes Reales angesehen, also ist auch ein von
-Körpern freier Raum zugestanden. Die Zeit wird durch die Folge unserer
-eigenen Ideen gewonnen. Hier ist der Gedankengang von hohem Interesse.
-Erst haben wir in unserem Inneren die Idee der Sukzession; in unser
-Bewußtsein kommt einiges, anderes verschwindet. Ein Abstand zwischen
-den Teilen der Sukzession ist die Dauer. Indem wir ferner „gewisse
-Erscheinungen in bestimmten regelmäßigen Dauern sinnlich wahrnehmen,
-erlangen wir die Ideen von bestimmten Längen oder Maßen der Dauer, wie
-Minuten, Stunden, Tagen, Jahren usf.“ Nun können wir in unserem Sinn
-Dauern wiederholen, so kommen wir dazu, „uns eine Dauer vorzustellen,
-wo nichts wirklich fortdauert oder besteht“. Indem wir Maße von Dauern
-immer weiter aneinanderfügen, gelangen wir zu dem Begriff der Ewigkeit.
-Endlich: „durch die Betrachtung irgendeines Teiles der unendlichen
-Dauer, als abgegrenzt durch periodische Maße, kommen wir zu der Idee
-dessen, was wir im allgemeinen die Zeit nennen“. Hier wirkt Inneres und
-Äußeres. Und ich glaube, nichts zeigt so klar, wie wenig angeborene
-Ideen entbehrt werden können, als diese mühsame und nach Außen und
-nach Innen schwingende Ableitung der Zeit. Sofern die Reflexion nur an
-Wahrnehmung anschließen soll, möchte man der Zeit Realität zusprechen.
-Aber sie scheint mit gleichem Rechte auch idealistisch aufzufassen
-zu sein, da ja die Reflexion wieder Bedingung der Wahrnehmung ist,
-also auch der Folge in den Wahrnehmungen. Von der Materie (Substanz)
-wird gesagt, daß wir von ihr „im allgemeinen keine klare Idee“ haben.
-Weil wir von körperlichen Substanzen, „wie Pferd, Stein usf. reden und
-an sie denken, so ist zwar unsere Idee von jeder derselben nur die
-Verknüpfung oder Zusammenfassung einer Mehrzahl einfacher Ideen von
-sinnlichen Eigenschaften, die wir gewohnt sind in dem Pferd oder Stein
-genannten Dinge vereinigt zu finden; weil wir uns aber nicht denken
-können, wie sie jede für sich oder eine durch die andere bestehen
-sollten, so setzen wir voraus, daß sie durch ein gemeinschaftliches
-Subjekt existieren und getragen werden, und diese Stütze bezeichnen
-wir mit dem Namen „Substanz“, obgleich wir sicherlich von dem Dinge,
-das wir voraussetzen, keine klare oder deutliche Idee haben.“ Also
-ist die Substanz als solche idealistisch gedacht. Dagegen haben wir
-vom „Geiste“ „eine ebenso klare Idee wie vom Körper“. Mit demselben
-Recht, mit dem wir dem Körper Realität zuschreiben, können wir auch die
-Realität des Geistes behaupten. Der Geist scheint fast substantiell
-gedacht zu sein, denn es wird ihm Bewegungsfähigkeit zugeschrieben. Es
-heißt: „Denn da meine Seele, so gut wie mein Körper, ein reales Wesen
-ist, so ist sie gewiß ebensogut wie der Körper imstande, ihren Abstand
-von einem anderen Körper oder Wesen zu verändern, und also der Bewegung
-fähig.“
-
-Von ~David Hume~ (bei Edinburg 1711 geboren, 1776 gestorben), der
-als der bedeutendste Philosoph Englands anerkannt wird, haben wir
-in anderem Zusammenhange bereits gesprochen (S. 358). Hier kommt
-es auf seinen ~Empirismus~ und ~Sensualismus~ an. Er geht insofern
-nicht so weit wie Locke, als er Begriffe auch a priori anerkennt.
-Sein für uns in Betracht kommendes Hauptwerk ist „Enquiry concerning
-human understanding“ (ich zitiere nach der deutschen Ausgabe der
-Philosophischen Bibliothek). Für Humes Anschauungen von Wichtigkeit
-ist seine Unterscheidung zwischen Eindrücken und Gedanken oder
-Vorstellungen. Eindrücke (impressions) sind „alle unsere lebhafteren
-Auffassungen, wenn wir hören, sehen, tasten, drücken, wünschen,
-wollen.“ ~Gedanken~ oder ~Vorstellungen~ (ideas, perceptions) sind die
-weniger lebhaften Auffassungen, „deren wir uns bewußt werden, wenn
-wir uns auf eine jener oben erwähnten Wahrnehmungen oder Regungen
-besinnen“. Vorstellungen sind also immer „einem gleichartigen
-Eindruck nachgebildet“. Es gibt Ausnahmen von dieser Regel, indem
-die Einbildung Vorstellungen in einer Reihe von Vorstellungen auch
-ohne voraufgegangenen Eindruck aus benachbarten Vorstellungen zu
-ergänzen vermag, zum Beispiel eine besondere, nie gesehene Farbe in
-einer Farbenskala, wo sie fehlt. Hume führt diesen Fall selbst an;
-aber er legt diesen Ausnahmen kein Gewicht bei, vielleicht weil die
-Ergänzung lediglich eine Mittelung aus den einschließenden bekannten
-Vorstellungen ist. Versteht man nun unter angeboren das, „was
-ursprünglich, das heißt von keiner vorangegangenen Auffassung das
-Abbild ist, dann können wir wohl behaupten, daß alle unsere Eindrücke
-angeboren und unsere Vorstellungen nicht angeboren sind“. Wir würden
-uns im Kreise bewegen, wenn wir nicht umgekehrt sagen wollten: Es
-gibt Seelentätigkeiten, die angeboren sind, wie die Wahrnehmungen,
-der Wunsch, der Wille (Humes Ausdrucksweise ist zu unbestimmt, um
-die Reihe in seinem Sinne selbst fortsetzen zu können), diese nennen
-wir Eindrücke; und es gibt weiter Tätigkeiten, die nicht angeboren,
-sondern Abbilder jener Tätigkeiten sind, diese heißen Gedanken oder
-Vorstellungen. Hume legt aber auf die Unterscheidung zwischen angeboren
-und nichtangeboren anscheinend gar keinen Wert. Wie Eindrücke die
-Grundlage der Vorstellungen sind, so können sie ihrerseits wieder
-Eindrücke hervorrufen, diese wieder Vorstellungen veranlassen usf.
-Aus den Eindrücken folgen die Tatsachen. Alle Denkakte, die Tatsachen
-betreffen, „scheinen sich auf die Beziehung von Ursache und Wirkung
-zu gründen“. Aber Hume sagt: „Ich wage es, als einen ausnahmlosen
-Satz hinzustellen, daß die Kenntnis dieser Beziehung in keinem Falle
-durch Denkakte a priori gewonnen wird; sondern daß sie ganz und gar
-aus der Erfahrung stammt, indem wir finden, daß gewisse Gegenstände
-beständig in Zusammenhang stehen.“ Die Beispiele, die Hume wählt --
-ein Mann, dem ein gänzlich fremder Gegenstand vorgelegt wird, würde
-nicht imstande sein, trotz genauester Prüfung, „irgendwelche von seinen
-Ursachen oder Wirkungen zu entdecken“. Adam hätte „aus der Flüssigkeit
-und Durchsichtigkeit des Wassers nicht herleiten können, daß es ihn
-ersticken, noch aus der Helligkeit und Wärme des Feuers, daß es ihn
-verzehren würde“ -- zeigen aber deutlich, daß es sich für Hume nicht
-um den Ursächlichkeitsbegriff handelte, sondern allein um objektive
-Ursache und Wirkung. Seine Behauptungen enthalten also keineswegs eine
-Ableugnung des Kausalitätsbegriffes, sondern nur der Möglichkeit,
-~besondere~ Ursachen und Wirkungen allein aus der Vernunft zu erkennen.
-Und darin muß jeder beistimmen. Die Kausalität außer der Erfahrung sagt
-ja nicht, das und das ~wird~ aus ~dem~ und ~dem~ geschehen, sondern:
-was geschieht, geschah und geschehen wird, ist eine Folge von irgend
-etwas; wir sehen alles als Folge von etwas an; nicht, wir erwarten
-Dieses als Folge von Jenem. Letzteres kann selbstverständlich nur durch
-Erfahrung gerechtfertigt werden. Ja, man muß Hume beipflichten, wenn
-er weiter meint, wir hätten auch aus der Erfahrung noch kein Recht,
-aus bestimmten Ursachen auf bestimmte Wirkungen zu schließen, selbst
-wenn wir so und so oft die Wirkungen haben eintreten sehen. „Vergeblich
-behauptet man, die Natur der Körper aus vergangener Erfahrung kennen
-gelernt zu haben. Ihre verborgene Natur und alle ihre Wirkungen können
-wechseln, ohne jeden Wechsel in ihren sinnlichen Eigenschaften“. Und
-er sagt ferner: „Diese Verknüpfung also (daß wir in einer Reihe von
-Fällen Ereignisse stets im Zusammenhange sehen), die wir im Geist
-~empfinden~, dieser gewohnheitsmäßige Übergang von einem Gegenstand
-zu seinem üblichen Begleiter, ist das Gefühl oder der Eindruck,
-nach dem wir die Vorstellung von Kraft oder notwendiger Verknüpfung
-bilden. Weiter steckt nichts dahinter“. Gleichwohl glaube ich, daß
-diejenigen zu weit gehen, welche Hume den Ursächlichkeitsbegriff
-als solchen ablehnen lassen; von diesem Begriff ist bei ihm, wie
-bemerkt, gar keine Rede; er lehnt nur ab, daß wir je ohne Erfahrung
-Verknüpfung zwischen Erscheinungen ermitteln können, und daß wir je,
-wo wir Verknüpfungen festgestellt haben, mit Gewißheit sie auch für
-nicht festgestellte Fälle in der Vergangenheit oder für die Zukunft
-behaupten können. Deshalb wird Ursache auch noch anders definiert,
-als ein „Gegenstand, dem ein anderer folgt, und dessen Erscheinen
-stets das ~Denken~ zu jenem anderen führt“. Somit ist das Verhältnis
-zwischen Ursache und Wirkung entweder reine Tatsachenbehauptung --
-auf diese Schwingung folgt dieser Ton, und allen gleichgearteten
-Schwingungen sind gleichgeartete Töne gefolgt -- oder eine Denkfolge
--- auf diese Schwingung folgt dieser Ton, beim Erscheinen dieser
-Schwingung greift der Geist vor und bildet die Vorstellung des Tones
---. Außer diesen beiden Gesichtspunkten, meint Hume, haben wir
-für die Beziehung von Ursache und Wirkung keine Vorstellung. Der
-erste Gesichtspunkt geht auf unmittelbar Erfahrenes, der zweite auf
-Erwartetes. Letzterer betrifft selbst nach Hume einen geistigen Akt.
-Die beiden Gesichtspunkte sollen in gleicher Weise auch für psychische
-Erscheinungen gelten. Eine Art ~gewohnheitsmäßiges~ Schließen des
-Geistes sei es, das beide Fälle umfaßt. Von denselben Gesichtspunkten
-aus ist, was Hume über das „Wunder“ sagt, höchst interessant und
-bedeutend. Die Vernunft spricht hier gar nicht mit, sondern nur der
-Glaube. Er nennt die Leute gefährliche Freunde oder versteckte Feinde,
-die es unternommen haben und unternehmen, die christliche Religion
-mit den Prinzipien der menschlichen Vernunft zu verteidigen. „Unsere
-allerheiligste Religion gründet sich auf Glauben, nicht auf Vernunft.“
-Die gleiche Ruhe des Denkens trägt die Untersuchungen über Vorsehung
-und zukünftiges Dasein. Beides wird in das Gebiet des Glaubens
-verwiesen. Vernünftigerweise haben wir kein Recht, sie zu behaupten.
-Bei der Vorsehung, die die Weltordnung umfaßt, sind es nur Tatsachen,
-die wir vor uns haben, und die zurück auf eine allgemeine Ursache zu
-führen wir durch nichts rechtfertigen können. Zu der Annahme eines
-Jenseits veranlassen uns gleichfalls nur Tatsachen, daß nämlich vieles
-nicht genügend belohnt oder bestraft wird, sogar Gutes bestraft,
-Übles belohnt sich findet. „Daher all die fruchtlosen Bemühungen,
-Rechenschaft über die Erscheinungen des Übels in der Natur zu geben
-und die Ehre der Götter zu retten (Hume läßt einen Athener sprechen),
-während wir doch die Tatsache des Bösen und des Wirrens, woran die
-Welt so überreich ist, anerkennen müssen.“ Außer ~Ursache und Wirkung~
-haben wir als Vorstellungsverknüpfungen noch ~Ähnlichkeit~ (und
-~Kontrast~) und ~Berührung in Zeit oder Raum~. Es sind dieses die drei
-~Assoziationsprinzipe~.
-
-Die ganze Anschauung ist eine ~Tatsachen~anschauung, sowohl in bezug
-auf das äußere wie auf das innere Leben, ein ~Positivismus~. Der
-reinen Vernunft wird fast nichts eingeräumt. Alles ist eine Häufung
-von äußeren assoziierten Erscheinungen und inneren assoziierten
-Erscheinungen. Wie für die äußeren Tatsachen keine allgemeine Ursache
-behauptet wird, so für die inneren keine allgemeine Seele. Von dieser
-subjektlosen Psychologie habe ich bereits gesprochen (S. 359, 400). Nur
-eine Art „Ich“ wird anerkannt und die Welt so gesetzt, wie sie sich
-bietet. Sensualistisch ist diese Anschauung, weil alle Vorstellungen
-durchaus nicht ohne Eindrücke sein sollen. Freilich werden zu diesen
-Eindrücken auch psychische gerechnet, so daß der Sensualismus in der
-Tat kein vollständiger ist, sondern mit Idealismus sich überdeckt.
-
-
-49. ~Die weitere Entwicklung.~
-
-Die in gewaltigen Strömen sich ergießenden Anschauungen des
-Materialismus und des Idealismus hemmten die weitere Entwicklung der
-vorstehend behandelten Ansichten. So haben wir denn aus früherer
-Zeit nur noch einen namhafteren Sensualisten vorzuführen, der nicht
-zugleich Materialist gewesen ist, ~Etienne Bonnot de Condillac~ (in
-Grenoble 1715 geboren, 1780 gestorben). Und selbst er gehört nicht ganz
-hierher, da er nicht allein sensualistisch, sondern auch idealistisch
-urteilt. Unser Geist entwickelt sich aus unseren Lebensbedürfnissen,
-zu denen noch das Bedürfnis der Erfüllung unserer Neugier kommt.
-Angeborene Begriffe haben wir nicht; die Begriffe dienen überhaupt
-nur zur Klassifikation der Dinge. Eigenheiten unseres Geistes, wie
-Wahrnehmen, Denken, Wollen usf., als Ursprüngliches gibt es nicht,
-nur erworbene Fertigkeiten, Gewohnheiten (habitudes acquises). Unsere
-Sinne sind das Prinzip unserer Kenntnisse; mit den Sinnen beginnen
-sie und durch die Sinne vervollkommnen sie sich. Die Aufmerksamkeit
-ist eine im Gewirr von Empfindungen hervortretende Empfindung, also
-ein höherer Grad der Lebhaftigkeit einer Empfindung. Das ist auch
-das Bewußtsein in seinen beliebigen Abtönungen. Unsere Empfindungen
-können nicht bloß einmal zugleich sein, sondern auch beisammen
-hintereinander, indem eine ihre Spur zurückläßt; alsdann haben wir die
-Erinnerung. Diese aber ist eine Vergleichung. Und so kommen wir zu
-Lockes Reflexion neben der Sensation. Condillac will also über Locke
-hinaus vereinfachen, die Reflexion aus der Sensation entstehen lassen.
-Daß dieser Versuch als ein mißglückter bezeichnet werden muß, ist klar,
-denn: „eine lebhafte Empfindung ist Aufmerksamkeit“ und „Empfindungen
-lassen Spuren zurück“ sind doch nur Redewendungen. Das erhellt noch
-mehr, wenn unserem Geist Freiheit in der Kombination der Empfindungen
-gelassen wird. Wir haben aber nur den Sinnen und dem, was sie uns
-zuführen, der Natur, zu folgen. Somit können wir nie auf den Grund
-der Erscheinungen kommen; die einzigen Grundlagen aller Wissenschaft
-sind nur Tatsachen. Auch unsere Empfindungen durch die Sinne sind nur
-solche Tatsachen; die einfachen Ideen, die sie bieten, lassen sich
-nicht erklären. Nur die komplexen Ideen können wir auseinanderwickeln,
-analysieren. Alle Empfindungen sind nur Modifikationen unseres Ich.
-Hier spielt ein ~innerer~ Sensualismus als Phänomenalismus hinein, „die
-Seele ist es, die empfindet, ihr allein gehören die Empfindungen an“.
-„Unsere Empfindungen existieren außer uns nicht.“ Und so verbindet
-sich Condillacs Positivismus auch mit Dualismus, sogar mit Deismus,
-da einerseits zwischen Körper und Geist unterschieden wird und
-andererseits alles Bestimmende, der Materie wie der Seele, von Gott
-kommen soll. Da nun Körper und Geist absolut verschieden sein sollen
-und in Gott auch nicht Vereinigung finden, so gelangt Condillac zu
-einem ~okkasionalistischen~ (S. 336) ~Sensualismus~ und einem ~freien
-Psychismus~. Man sollte nun glauben, daß das Ich eine besondere
-Bedeutung hat. Keineswegs! Das Ich wird erst erkannt aus der Folge der
-Empfindungen, und es ist nur „eine Sammlung von Empfindungen, die es
-erfährt, und solcher, die das Gedächtnis ihm in Erinnerung bringt“. Für
-die Erkenntnis der Außenwelt hat er sein berühmtes Beispiel der Statue
-erfunden, die er allmählich mit allen Sinnen begabt. Er findet, daß nur
-das Tastgefühl uns eine Außenwelt gewiß macht, die übrigen Empfindungen
-können es nicht tun. Nicht einmal unser eigenes Körperbewußtsein
-vermöge uns unseren Körper zu sichern; nur wenn wir ihn betasten, haben
-wir ihn. Trotz dieser sehr mangelhaften Erweisung der Körperwelt, sieht
-Condillac diese als sicher an; er ist darin dogmatischer Realist.
-Es ist erstaunlich, was man alles als Sensualist sein kann! Selbst
-wenn man ein so methodischer Kopf ist, wie Condillac sich anscheinend
-überall durch seine fast minutiösen Analysen und Synthesen zeigt.
-
-Zu den Sensualisten werden noch ~Hemsterhuis~, ~Montesquieu~,
-ja ~Rousseau~ gezählt, aber mehr in der Weise wie Männer, die
-sensualistisch denken, nicht sensualistische Systeme errichten.
-Vielleicht ist bei Rousseau (1712 zu Genf geb., 1778 gest.) aus seinem
-Sensualismus seine berühmte Vorliebe für den Naturzustand abzuleiten
-und seine Feindschaft gegen die Reflexion, die er weit gegen die
-Sensation zurückstellt und der er doch bei jeder Gelegenheit so
-huldigt, wie dem menschlichen Gefühl und Hochdenken. Im 19. Jahrhundert
-haben wir zunächst in ~Beneke~ (1798-1854) einen Realisten nach Art der
-vorgeführten zu sehen. Auch für ihn gibt es keine angeborenen Begriffe
-an sich, wohl aber die Fähigkeit, Begriffe herzustellen. Man hat bisher
-darin gefehlt, meint er, „daß man die in der ausgebildeten Seele
-hervortretenden Formen als schon vor der Erfahrung, oder bestimmter,
-vor der Entwicklung der Seele gegebene (angeborene) voraussetzt. Dies
-ist falsch: Die Formen, welche für die Erkenntnis zunächst vorliegen,
-~sind erst in der Entwicklung der Seele entstanden~, vor derselben nur
-~prädeterminiert~ in angeborenen Anlagen und Verhältnissen, welche ganz
-andere Formen an sich tragen“.
-
-Diese, übrigens nicht neue, Auffassung hat viele begeisterte Anhänger
-gefunden, namentlich in der neuesten Zeit, da der Führer der modernen
-Sensualisten, Ernst Mach, sie anerkannt hat. Aber wie wenig sie erklärt
-und wie sehr sie eigentlich nur ein Spiel mit Worten ist, erhellt,
-glaube ich, genügend aus dem bisher Vorgetragenen. Seit Aristoteles
-seine ~potentiellen Eigenschaften~ erfunden und in die Welt gebracht
-hat, spuken sie in allen Wissenschaften, selbst in den exakten, trotz
-der so bestimmten Aufklärungen, die Kant uns über sie gegeben hat.
-Ich setze mit einem Wirklichen nicht mehr als mit einem Potentiellen,
-das Wirklichkeit wird. Und ein Potentielles, das Wirklichkeit nicht
-wird, hat für Erklärungen, für Einsichten gar keinen Wert. Es ist nur
-ein Streit um Worte, veranlaßt durch das Mißverständnis, als wenn wir
-von allem, was wir enthalten, in jedem Moment durchaus die gleiche
-intensive Kenntnis haben müßten. Auf diese Weise ist für uns alles
-potentiell, und zwar in jedem Moment; wir, die Welt, die Eindrücke,
-unser Gehen, Stehen usf., denn dies alles ist uns durchaus nicht immer
-in gleicher Weise gegenwärtig, und es lohnt nicht, überhaupt über
-etwas nachzudenken. Wir wenden im ausgebildetsten Zustand immer nur
-einzelnes an, sind uns mitunter unseres Körpers, der ganzen Umgebung
-nicht bewußt, folgen einem fremden Wollen, einem verborgenen Fühlen.
-Gleichwohl ist doch alles in unserer Seele da, und wir benutzen es
-sofort, sobald wir dazu gezwungen werden oder es wollen. Sofort
-empfinden wir dann, und empfinden wir räumlich und zeitlich und kausal.
-Sofort bei der Geburt empfindet das Kind Hunger, Durst, Schmerz,
-Sättigung usf. Es urteilt noch nicht logisch, aber schon kausal; es
-hat den Raumbegriff, denn es führt Gegenstände zum Mund und sucht die
-Brust der Mutter. Das gilt alles für das Kind wie für das Tier, und
-das nennt man eben angeboren. Die Fähigkeiten würden dem Kinde gar
-nichts nützen, es wüßte selbst nach dem ersten Schluck aus der Mutter
-Brust nicht, daß es weitersaugen soll, um den Hunger zu stillen, wenn
-es den Kausalbegriff nicht hätte. Daß wir lange Zeit nicht darauf
-kommen, was wir besitzen anzuwenden, hat mit dem Besitz nichts zu
-schaffen. Erwerbung sagt rein gar nichts, sondern drückt nur die
-Tatsache aus, daß Gleiches allgemein Gleichem gleicht. Es gibt eben
-Dinge in der Welt, die man ~nicht~ ableiten kann, weil sie schon das
-Einfachste sind. Etwas muß doch da sein; wenn auch nur die Mittel,
-daß wir überhaupt existieren, überhaupt wahrnehmen, fühlen, denken
-usf. Wenn dieses Etwas nicht von vornherein vorhanden ist, so kann ja
-niemals ein Anfang gemacht werden, denn zu diesem Anfang, so unbestimmt
-und dunkel er sein mag, gehört ja schon das Etwas. Es mag einer noch
-so schlecht gehen, so muß er seine Beine doch dazu haben; hat er sie
-nicht, oder nur potentiell, indem sie ihm im Körper stecken, so kann er
-nicht einmal auf die miserabelste Weise auch nur den kleinsten Schritt
-tun. Ohne angeborene Eigenheiten gibt es gar keinen Anfang des Lebens,
-das Leben würde sofort zu Grunde gehen. Welche Eigenheiten man als
-angeboren annehmen soll, und ob bei allen Wesen die gleichen, darüber
-kann gestritten werden; aber nicht, ob überhaupt Eigenheiten als
-angeboren anzunehmen sind (S. 362).
-
-Um auf unseren Philosophen zurückzukommen, so leitete er alle
-psychischen Vorgänge aus Grundvorgängen ab: aus Reizaneignung,
-das heißt Empfindung und Wahrnehmung, den „Urvermögen“ der Seele;
-aus Umbildung zu neuen Urvermögen; aus Assoziation und Nachklang
-der Reizaneignung; aus Kombination. Diese Vermögen, ihr Wirken
-und Zusammenwirken sind die Seele. Es ist also abermals eine Art
-assoziative Psychologie, aber doch mit einem, wenn auch im Hintergrund
-wirkenden Ich.
-
-In dem gleichen Jahre wie Beneke ist auch ~Auguste Comte~ (zu
-Montpellier) geboren, der eigentliche Positivist des 19. Jahrhunderts,
-ehe er durch Krankheit in Mystizismus verfiel, in dem er 1859
-zu Paris starb. Seine „Philosophie positive“ ist ein Grundwerk.
-Die Metaphysik mit ihren Ideen und Kategorien wird von vornherein
-abgelehnt; sie ist nur eine Scheinwissenschaft, eine Art Theologie.
-Drei Folgen des Denkens nennt Comte. Zuerst sieht der Mensch in und
-hinter den Dingen Persönlichkeiten. Wir kennen diesen Zustand schon
-und haben ihn im ersten Buch eingehend dargelegt. Später verlieren
-die Persönlichkeiten das Persönliche allmählich und gehen zuletzt,
-soweit sie noch übrig gelassen werden, in metaphysische Begriffe über.
-„Sie (die Scheinwissenschaft) setzt ihre Kategorien an die Stelle der
-Dämonen; aber sie hört nicht auf, Entitäten, das heißt erdichtete
-Wesenheiten, im Hintergrunde der Erscheinungen vorauszusetzen“ (E.
-Dühring, Geschichte der Philosophie). Das soll sich wohl auf die
-Dinge-an-sich beziehen. Im dritten Stadium wendet sich das Denken dem
-zu, was ist, der rein positiven Betrachtung der Welt. Comte hat von
-diesem Gesichtspunkt aus die bekanntesten Wissenschaften: Mathematik,
-Mechanik, Physik, Chemie, Astronomie, Physiologie, Gesellschaftslehre
-behandelt. Es ist eine „Hierarchie der positiven Wissenschaften“, die
-Wissenschaften werden positiv-induktiv vorgeführt. Für die Welt- und
-Lebenanschauung ergibt sich fast nichts; nur daß Comte das geistige
-Leben von der Physik und Chemie doch geschieden hat, verdient besondere
-Erwähnung. Er erkennt bloß an, daß in diesem Leben physische Vorgänge
-als Momente eintreten. Das Leben selbst aber ist etwas anderes als
-diese Vorgänge, aus ihnen nicht zu begreifen und als etwas für sich
-nach seinen Positiven zu studieren. Comte hat viele Nachfolger in
-Frankreich, England wie Deutschland gehabt.
-
-Bei uns der bedeutendste Positivist ist ~Eugen Dühring~ (geb.
-1833) ein Mann, so scharfsinnig in kritischen Untersuchungen wie
-wissenschaftlichen Entdeckungen; die Physik verdankt ihm eines ihrer
-sichersten und schönsten Gesetze. Seine „Wirklichkeitsphilosophie“
-betrachtet alles: Raum, Zeit, Welt wie wir es uns vorstellen, nach
-Maßgabe wohl des Zusammenwirkens aller Sinne. Aus dem „Gesetz der
-bestimmten Anzahl“ wird geschlossen, daß, wenn der Raum unbegrenzt
-sein sollte, doch die Welt der Dinge begrenzt ist, und auch, daß sie
-zeitlich einen Anfang gehabt hat, soweit wenigstens es sich um Vorgänge
-handelt. Vor diesem Anfang bestand also ein vorgangloses Sein. In
-diesem Urzustande können gleichwohl Verschiedenheiten in den Dingen
-und Zuständen vorhanden gewesen sein, nur zeitliche Folgen davon
-nicht. Diese sind aus diesem Zustande heraus entstanden und entwickeln
-sich nun immer weiter. Aber alles Beharrliche oder nach Beharrung
-strebende haben wir als aus diesem Urzustande noch überkommen oder
-zurückgeblieben anzusehen. War einmal ein Anfang zu den Geschehnissen
-unserer Welt, so können sich Anfänge zu neuartigen Geschehnissen noch
-einstellen. Das Ganze stellt aber eine Entwicklungsreihe dar, und zwar
-aus der Natur selbst heraus, ohne Zuhilfenahme einer höheren Macht.
-Und die ganze Natur ist eine Einheit. Man wird unwillkürlich an die
-Anschauungen der ionischen Naturphilosophen erinnert. Dem Anfang kann
-ein Ende entsprechen, etwa ein Zustand analog dem Urzustand. Jedoch
-sei ewige Wiederholung des Gewesenen nicht ausgeschlossen. Eine Seele
-als Sondergegenstand wird nicht zugestanden, wohl aber werden Kräfte
-in der Natur angenommen. Zwischen der inneren Welt und der äußeren
-Welt besteht ein Parallelismus. Manches wird mechanistisch aufgefaßt,
-wie daß alle Subjektivität aus Widerstandsempfindungen und das
-Bewußtsein aus einem Antagonismus mechanischer Kräfte stammen soll. Das
-eigenartigste ist der „Urzustand“. In einer Wirklichkeitsphilosophie
-darf man über ihn nicht hinausgehen. Aber wer kann sich dabei
-beruhigen? Wir sprechen noch davon. Auf weiteres in Dührings
-Philosophie einzugehen, muß ich mir versagen, sie betrifft mehr die
-Lebensbetrachtung.
-
-Von den modernsten Sensualisten und Positivisten nenne ich nur ~Ernst
-Mach~ (geb. 1838) als den tonangebenden. Seine Schriften sind, wie
-die des ihm ähnlichen ~Poincaré~, voll Geist und einer erdrückenden
-Menge von Tatsachen. Worin er bestimmt ist, folgt er namentlich Hume,
-Kant, Beneke und Wundt. Indem er aber die tieferen Untersuchungen
-als „Scheinprobleme“ ablehnt, kann er trotz seines Positivismus und
-Sensualismus doch kein befriedigendes System geben. Und wenn er so
-viele Nachbeter hat, so ist der Grund, daß seine „wissenschaftliche
-Ökonomie“ so bequem ist. Der Mann selbst hat sie gar nicht geübt; er
-ist nicht einmal den Scheinproblemen aus dem Wege gegangen -- das
-kann nämlich überhaupt kein ernst denkender Mensch, der nicht einfach
-Heusammler sein will --. Aber es folgt eine Koterie seinen Spuren,
-die, den Lehrer mißverstehend und übertreibend, fast alles verdammt,
-was wie Verletzung der „wissenschaftlichen Ökonomie“ ausschaut, und
-alle Theorie und Spekulation mit der törichtesten Ironie verfolgt,
-weil sie den Freipaß des Meisters zu haben glaubt, nicht über das
-Positive hinaus gehen zu brauchen, ja nicht hinaus gehen zu sollen.
-In der Beurteilung des Machschen Positivismus und Sensualismus kann
-ich mich nur ~Max Planck~ (S. 442) anschließen. Wir wollen aber erst
-einiges darüber sagen. Das meiste werde ich der Hauptschrift Machs
-„Erkenntnis und Irrtum“ entnehmen. „Wir sind ebensolche Dinge wie die
-Dinge der ~physikalischen~ Umgebung, die wir durch ~uns selbst auch~
-kennen lernen.“ Es wird uns aber eine gewisse Stabilität zugeschrieben,
-also eine Art Ich. Dieses Ich ist die Gesamtheit der untereinander
-zusammenhängenden Vorstellungen, also „dasjenige, was nur für uns
-allein vorhanden ist“. Das wäre innere, assoziative Auffassung. Die
-Stabilität der Gedanken, also das Ich, aber wird erklärt, indem sie
-auf die Stabilität der Tatsachen schließen läßt, diese Stabilität
-voraussetzt, von dieser Stabilität ein Teil ist. Daß diese drei
-Bestimmungen nicht das gleiche besagen, ist klar. Die dritte steht
-sogar im Gegensatz zu den beiden ersten, denn wenn etwas ein Teil
-von einem anderen ist, so kann es dieses nicht voraussetzen, noch
-darauf schließen lassen. Ein Stück eines Körpers ist ein Teil von
-ihm; aber von dem Stück kann ich weder auf den Körper schließen, noch
-ihn voraussetzen. Die Schwierigkeit und Unbegreiflichkeit liegt hier
-genau da, wo sie sich bei den materialistischen Anschauungen allgemein
-befindet. Ich verweise, um nicht zweimal dasselbe zu sagen, auf die
-Ausführungen im letzten Abschnitt dieses Buches.
-
-Ich und die Welt werden in Eins betrachtet: „Ein ~isoliertes Ich~
-gibt es ebensowenig, als ein ~isoliertes Ding~.“ ~Ding~ und ~Ich~ sind
-provisorische Fiktionen gleicher Art. Das Physische und Psychische
-enthalten gemeinsame Elemente. Zwar wird die „solipsistische
-Position“, das heißt der Phänomenalismus als solcher abgelehnt. Aber
-wir haben „die Elemente der realen Welt und die Elemente des Ich
-zugleich vor uns. Was uns allein noch weiter interessieren kann,
-ist die ~funktionale Abhängigkeit~ (in mathematischem Sinne) dieser
-Elemente ~voneinander~“. Diese funktionale Abhängigkeit kann ein
-~Ding~ genannt werden. Also wir und die ganze Welt, wir können beides
-Dinge nennen, sind eine funktionale Abhängigkeitsreihe. Die Grundlage
-bilden die Sinnesempfindungen; von ihnen geht alles intellektuelle
-Leben aus, und zu ihnen kehrt es zurück. Die sinnlichen Vorstellungen
-sind die „psychischen Arbeiter“; die Begriffe, aus ihnen und ihrem
-Zusammenhang stammend (sie sind auch Zusammenfassung der Tatsachen),
-sind die „Ordner und Aufseher“, welche die Scharen jener Arbeiter
-„auf ihren Platz stellen und ihnen ihr Geschäft anweisen“. „Die
-Sinnesempfindungen sind eben die eigentlichen ~ursprünglichen Motoren~,
-während die Begriffe sich nur auf jene (die Sinnesempfindungen), oft
-nur durch andere begriffliche Zwischenglieder berufen.“ Wenn das
-nicht bloß Poesie sein soll, so muß das innere Leben mit dem äußeren
-~automatisch~ aufgefaßt werden. In der Tat sagt auch Mach: „Das fest
-Bestimmte, Regelmäßige, Automatische ist der Grundzug des tierischen
-und menschlichen Verhaltens“, a fortiori natürlich des Verhaltens
-der Welt. Automatisches paßt sich an Automatisches, das es durch die
-Sinne zugeleitet erhält, automatisch an. Eine freie Seele läßt sich
-zwar nicht widerlegen, aber sie als „wissenschaftliche Hypothese“
-anzunehmen oder nach ihr zu forschen, ist eine „methodologische
-Verkehrtheit“. Über angeborene Ideen und Kausalität denkt Mach ganz
-wie Hume. Über Raum und Zeit, soweit ich zu sehen vermag, wie Kant.
-Seine Unterscheidung der verschiedenen Raum- und Zeitauffassungen,
-begrifflich, physiologisch, mathematisch usf. ist von Interesse;
-ich habe darüber in meinem Buche „Philosophische Grundlagen usf.“
-eingehend gehandelt. Die Folgen der Machschen Lehren sind die jedes
-übertriebenen Sensualismus; es ist alles rein subjektiv, niemand kann
-für sich, noch weniger natürlich für einen anderen etwas behaupten,
-noch ihm widersprechen. Jeder reine Sensualismus vernichtet sich
-notwendig selbst. Und das tut der Machsche durchaus. ~Verworn~, dessen
-Auseinandersetzungen über Nerven und Gehirn man mit Interesse liest,
-scheint ihm philosophisch nachzufolgen.
-
-Wir haben es mit einem ~Agnostizismus~ zu tun von der Art etwa des
-von ~Herbert Spencer~ vertretenen. Aber dieser steht in seinem, trotz
-Positivismus und Materialismus fast kirchlichen Deismus weit ab von
-Mach. Als Positivist ist er Evolutionist im Sinne Darwins, jedoch in
-bezug auf die ganze Natur, und mit starker Neigung zu den Ansichten der
-ionischen Naturphilosophen, indem bei ihm Konzentration und Dissipation
-(auch Evolution und Dissolution) eine große Rolle spielen. Das Absolute
-ist das Unerkennbare, eine transzendente Substanz an sich. Überhaupt
-ist das Wesen der Welt unerkennbar.
-
-
-
-
-NEUNTES KAPITEL.
-
-Physische Welt- und Lebenanschauungen.
-
-
-Trennen wir Welt und Leben, so haben wir also eine Anschauung in bezug
-auf die Welt und eine solche in bezug auf das Leben. Wenn wir aber die
-ganze Natur, unbelebt und belebt, nur unter dem einen Gesichtspunkt des
-Materiellen und der in und zwischen den Materien wirkenden Kräfte und
-Vorgänge betrachten, so schließen wir uns an die allgemeine ~physische
-Welt- und Lebenanschauung~ an. Übernatürliche und geistige Wirkungen
-und Vorgänge werden weder für die Welt noch für das Leben angenommen,
-ebensowenig Stoffe, die andere Eigenschaften besitzen, als die wir an
-der Materie kennen. Sollten Elektrizität, Magnetismus und elektrischer
-Strom nicht unter der gewöhnlichen trägen Materie einzubegreifen sein,
-so fügen wir sie trotzdem an diese an, indem wir unter Materie als
-Stoff alles das verstehen, wovon wir rein physische Eigenschaften,
-also physikalisch-chemische, kennen und in unveränderlicher Weise
-finden. Was aber die Vorgänge anbetrifft, so dürfen wir sie zunächst
-in drei Typen einreihen: ~Bewegungen~, ~Induktionen~, ~chemische
-Umsetzungen~. Über Bewegungen und chemische Umsetzungen ist nichts
-zu sagen. Zu den Induktionen rechnen wir solche Vorgänge, wie das
-Hervorrufen oder Vernichten von Elektrizität, Magnetismus, Strom. Indem
-wir von ~Umsetzungen~ allgemein sprechen, wollen wir diese Induktionen
-mit den chemischen Umsetzungen vereint denken. Und sollten wir alle
-drei Typen zusammen nehmen, so sprechen wir von mechanistischen
-Vorgängen, ohne damit sagen zu wollen, daß sie der gewöhnlichen
-Mechanik angehören, sie könnten auch dem Elektromagnetismus oder einem
-anderen Erscheinungsgebiet zuzuschreiben sein. Neuerdings hat man auch
-die Energien in Rücksicht gezogen, und so müssen wir von einem weiteren
-Typus handeln, dem der ~Energieumwandlungen~. Ob diese, nun vier,
-Typen in einen Typus übergeführt werden können und in welchen, etwa
-in den der Bewegung oder der Energieumwandlung, hat die Wissenschaft
-zu ermitteln; einstweilen wissen wir noch nichts Sicheres und bleiben
-die Typen besser noch getrennt. Es macht auch für die folgenden
-Untersuchungen nichts aus, ob wir von einem Typus oder von allen Typen
-ausgehen. Das allein Wesentliche ist das Physische. Indessen bietet
-der Typus der Energieumwandlungen soviele Besonderheiten, und hat er
-in der Wissenschaft eine so umfassende Eigenwichtigkeit erlangt, daß
-wir ihn später für sich untersuchen werden. Und so wollen wir, jene
-drei ersten Typen vereinigend, von einer ~mechanistischen~ Welt- und
-Lebenanschauung sprechen, hinsichtlich des vierten Typus aber von
-einer ~energetischen~, und, wo beide Anschauungen verbunden sind, von
-einer ~mechanistisch-energetischen~. ~Materialistisch~ nennen wir
-eine Anschauung, in der alles auf Materie begründet ist. Eine solche
-Anschauung müssen wir, je nachdem die Seele als ein Besonderes, wenn
-auch gleichwohl Stoffliches, behandelt wird oder nicht, indem im
-letzteren Falle eine Seele überhaupt nicht in Frage kommt, in zwei
-Klassen trennen, in ~psychischen~ und in ~physischen Materialismus~.
-Alle diese Namen sind nicht sehr bezeichnend; aber da sie eben erklärt
-sind, mögen sie, als gewohnt, so stehen bleiben. Die Geschichte des
-reinen Materialismus ist bekanntlich von F. A. ~Lange~ (1828-1875)
-in einem umfangreichen Werke behandelt. Ich darf mich darum auf die
-allerwichtigsten Angaben beschränken und den Raum mehr zu kritischen
-Bemerkungen verwenden.
-
-
-50. ~Materialismus und Mechanismus, Atomistik.~
-
-Als bereits untersucht ist derjenige psychische Materialismus
-auszuscheiden, der aus naturmenschlichen Anschauungen entspringt.
-Wissenschaftlichen solchen Materialismus finden wir zuerst bei den
-~Griechen~. Auch davon habe ich bei mehreren Gelegenheiten schon
-gesprochen, und es genügt hervorzuheben, daß die Seele als stofflich
-angesehen wird, wie der Körper, wenn auch als feiner stofflich. So sind
-alle Wirkungen zwischen Seele und Welt die gleichen wie zwischen den
-Körpern der Welt. Und indem noch die Wirkungen zwischen den letzteren
-als rein mechanistisch betrachtet werden, ohne jede unmittelbare
-oder mittelbare Beeinflussung durch ein außer- oder übernatürliches
-Wesen, auch ohne jeden Vernunftgrund, erhalten wir das konsequenteste
-materialistische System, das von ~Demokritos~ (aus ~Abdera~, geboren
-um 470, gestorben um 390 v. Chr.) begründete, einen fast vollständigen
-~materialistischen Monismus~. Stoß und Druck sind die Kräfte, Lösung
-und Verbindung, zusammen mit Bewegung, sind die Vorgänge. Nicht Zweck
-noch Zufall sind vorhanden, einzig Grund (λόγος) und Notwendigkeit
-(ἀνάγκη) herrschen. Andere Griechen haben Liebe und Haß, Anziehung und
-Abstoßung als wirkende Ursachen angenommen und Verhängnis (εἰμαρμένη)
-als Grund. Die Angaben sind meist sehr dunkel und unbestimmt. Da die
-Griechen für keine Kraft eine Regel ihrer Wirkung kannten, waren die
-Namen schließlich nicht mehr als Namen, wenn sie nicht aus einem
-allgemeinen Prinzip flossen, wie bei Empedokles, Heraklit, Anaxagoras
-u. a. Demokrits Druck und Stoß, oder auch Stoß allein, ist der modernen
-Wissenschaft wohlbekannt und dient noch jetzt als Grundlage für die
-fremdesten Kraftberechnungen.
-
-Ehe wir weitergehen, müssen wir jedoch von der ~Atomistik~ sprechen.
-Sie scheint fast gleichzeitig, wenn auch in verschiedener Ausbildung,
-von mehreren ~Forschern~ eingeführt worden zu sein. Es ist schon von
-Bedeutung, daß ~Empedokles~ (aus Akragas 483-423) die Stoffe in vier
-~Elemente~ (Stoicheia) Feuer, Luft, Wasser, Erde einteilte, die ihrer
-Beschaffenheit nach verschieden voneinander sein sollten, und aus
-deren Mischung er alle Körper bestehen ließ, während er die Vorgänge
-als Mischungen und Entmischungen ansah, veranlaßt durch Liebe und Haß.
-„Denn zuerst vernimm die vierfache Wurzel aller Dinge: Zeus (Feuer) der
-Schimmernde und Here (Luft) die Lebenspendende und Aidoneus (Erde) und
-Nestis (Wasser), die ihren Tränen sterblichen Lebensquell entfließen
-läßt.“ „Denn aus diesen Elementen entsproßt alles, was da war, ist
-und sein wird, Bäume und Männer und Weiber und Tiere, Vögel und
-wassergenährte Fische.“ Sogar Götter „langlebige an Ehren reichste.“
-„Geburt gibt es bei keinem einzigen von allen sterblichen Dingen und
-kein Ende in verderblichem Tod. Nur Mischung gibt es vielmehr und
-Austausch des Gemischten“: Wäre Empedokles nicht zugleich ein großer
-Mystiker, so könnte er für die Welt- und Lebenanschauung als der erste
-ganz klare mechanistische Materialist angesehen werden. Denn Mischung
-und Entmischung sind mechanische Vorgänge, und Liebe und Haß (oder
-Streit) bedeuten kaum etwas anderes als Anziehung und Abstoßung. Das
-alles soll aber die Grundlage der ganzen Weltentwicklung bilden, das
-Leben eingeschlossen. Indessen, die Elemente wie die Kräfte werden
-eben mystisch dargestellt, wie ja im Grunde auch die sogenannte
-Ionische Naturphilosophie eine mystische ist (S. 231). ~Anaxagoras~
-(S. 243) ging in der Unterteilung der Körper viel weiter. Alle Stoffe
-sollten aus kleinsten Teilchen zusammengesetzt sein. Diese Teilchen,
-~Samenteilchen~ (Spermata, σπέρματα), später ~Homoiomerien~ (ὁμοιομερῆ)
-genannt, sollten alle gleich groß sein, in der Beschaffenheit
-aber den Körpern gleichen, denen sie angehörten; also bei Fleisch
-Fleischteilchen, bei Luft Luftteilchen usf. sein. ~Leukippos~
-(Zeitgenosse des Anaxagoras) faßte diese Teilchen entgegengesetzt
-auf; sie sollten in der Beschaffenheit gleich, in den Massen und
-Formen verschieden sein. Er setzte auch für sie Unteilbarkeit fest
-und gewann so die Atome, deren wir uns noch jetzt bedienen, und aus
-denen, wenn auch in ganz neuer Wendung, auch die Monaden, Realen
-usf. hervorgegangen sind, falls sie nicht eher den Anaxagorischen
-Samenteilchen entsprechen. Ich darf nicht vergessen hinzuzufügen, daß
-auch in ~Indien~ Atome (Paramanu) bekannt gewesen sind; das Lehrsystem
-des Vaiseshika führt sie als die wahrnehmbaren Körper zusammensetzend
-auf. Auch diese scheinen jedoch den Anaxagorischen Homoiomerien zu
-gleichen. Die Atomistik ist von arabischen und anderen Forschern sogar
-auf die Zeit übertragen worden (S. 287).
-
-Kehren wir zu Demokritos zurück. Die Atome sind durch ~Leere~ getrennt.
-Ihre Zahl ist unendlich, ebenso unendlich verschieden ist ihre Schwere
-und ihre Form. Die feinsten Atome sind kugelig. Aus solchen feinsten
-Atomen ist die Seele zusammengesetzt, die darum ein äußerst Dünnes
-und Bewegliches darstellt. Die eigentlichen Körper sind Aggregate von
-Atomen, auch Mischungen von solchen, selbst mit jenen feinsten Atomen,
-daher auch die Körper überhaupt als mehr oder weniger belebt angesehen
-werden. Die Atome halten sich durch Rauheiten, Zacken, Ärmchen usf.
-zusammen, da Molekularkräfte noch nicht bekannt waren. Alle Wirkungen
-beruhen auf Bewegungen der Atome gegeneinander, also in Stoß und Druck.
-Auch die Wirkung des Körpers auf die Seele und der Seele auf den Körper
-ist keine andere. ~Demokritos~ soll sehr viel geschrieben haben; wir
-besitzen auch einiges von ihm, namentlich zum Teil sehr schöne Sprüche
-(Diels Fragmente der Vorsokratiker I², S. 398 ff.), aber leider fast
-nichts von seiner Naturphilosophie. Und so sind wir auf die Berichte
-Anderer angewiesen, die zwar reichlich fließen, aber das Wichtigste
-doch unentschieden lassen, namentlich die Frage, woher die Atome ihre
-unregelmäßige seitliche Bewegung haben, da die ungleichen Massen nur
-geregelte Bewegungen in parallelen Linien oder nach Zentren ergeben,
-nicht beliebige nach allen möglichen Richtungen, die ja angenommen
-werden müssen, weil wir Wahrnehmungen aus allen möglichen Richtungen
-empfangen, und weil wir nach allen möglichen Richtungen wirken, und
-ja auch Bewegungen nach allen möglichen Richtungen sehen. Demokrits
-System, mit oder ohne Seele aus besonderen Atomen, hat im Altertum sehr
-viele Anhänger gefunden, namentlich unter den Sophisten und Epikureern.
-~Epikuros~, ein Samier (341-271 v. Chr.), und durchaus edel denkend und
-edel lehrend, übernahm zur Stütze seiner bekannten Lebensansicht jenes
-System fast unverändert. Doch brachte er einige Verbesserungen an. Wir
-sahen, daß zur Wirkung die Stöße der Atome notwendig sind. Nun kannten
-die Alten die allgemeine Gravitation nicht, ebensowenig die molekularen
-Anziehungen, sondern nur den Fall der Körper. Da aber dieser Fall im
-leeren Raum, wie der scharfsinnige Naturforscher Aristoteles erkannte
-und einwandte, für alle Atome, trotz ihrer abweichenden Massen und
-Formen, gleich schnell vor sich gehen muß, so können Zusammenstöße
-nicht erfolgen, also gerade das kann nicht stattfinden, was notwendig
-ist. Epikuros verlieh deshalb den Atomen eine Neigung, aus sich
-heraus von der geraden Bahn ein wenig abzuweichen. Alsdann können sie
-allerdings zusammenstoßen, Wirbel bilden usf. Der Lehre Demokrits
-angehörig war es auch, wenn er eine unendliche Zahl von Welten für
-zulässig hielt, da ja bei unendlich vielen Atomen unendlich viele
-Bewegungsverteilungen und Aggregationen möglich sind, nicht bloß solche
-wie sie unsere Welt zusammensetzen. Teleologisches schlägt Epikur so
-sorgfältig aus wie sein Vorgänger. Die Entstehung der Lebewesen aus
-der Erde, dem Schlamm, lehrte er mit so vielen anderen. Im übrigen ist
-er reinster Sensualist, so daß er sogar nicht anstand, Sonne und Mond
-für gerade so groß oder nur wenig größer, als sie gesehen werden, zu
-behaupten.
-
-Seine Vollendung hat das empedokleisch-demokritisch-epikureische System
-durch den römischen Dichter ~Titus Lucretius Carus~ (wahrscheinlich
-99-55 v. Chr.) erhalten, der in seinem Lehrgedicht „De rerum natura“
-Anschauungen entwickelt, die von denen der modernen kinetischen Theorie
-der Körper sich nur noch in wenigem unterscheiden. Bernhardy, in seiner
-Geschichte der römischen Literatur, erklärt jenes Lehrgedicht für
-„eins der edelsten Denkmäler jener Literatur“, den Dichter als „einen
-Geist, den an Reichtum der Gedanken und der Tiefe wenige übertreffen“.
-Der Begriff der Zweckmäßigkeit, des Anfanges und des Endes ist völlig
-entfernt, entfernt ist auch der Begriff einer außer- und überweltlichen
-Macht und einer besonderen Seele. Einzig und allein die Atome mit
-ihren ewigen Bewegungen und Zusammenstößen bilden die Welt. Die Atome
-werden wie von Demokritos angenommen, Trennungen und Verbindungen wie
-von Empedokles, die Körperzusammenballungen wie von Epikuros. Alle
-Unterschiede zwischen den Körpern werden aus der Zahl der Atome, ihren
-Formen und ihren Aneinanderlagerungen erklärt. Die Atome sind auch in
-den Körpern in steter Bewegung, die wir nur wegen der Kleinheit dieser
-Atome nicht sehen; ähnlich, wie wir auch bei einer Herde aus weiter
-Entfernung die Bewegung der einzelnen Tiere nicht unterscheiden. Auch
-hinsichtlich der Entwicklung und Auflösung von Welten nach Welten,
-infolge der ständigen Bewegung der Atome, folgt der Römer dem Griechen.
-Er läßt die Welten sich stetig weiter bilden, denn im Raume überall
-um uns und neben uns und zwischen uns sind noch unzählige Atome, die
-noch nicht zu Körpern sich zusammengefunden haben. So bilden die Welten
-eine unendliche Kette von stetem Werden und Vergehen, wie wir das
-auch bei Herakleitos und anderen gesehen haben. Unendlichkeiten und
-Unendlichkeiten streiten gegeneinander und führen zu Unendlichkeiten.
-Die Seele (anima) und der Geist (animus) sind selbst körperlich, aus
-den feinsten, rundesten und beweglichsten Atomen bestehend. Die Seele
-ist in der Wärme und Lebensluft des Körpers enthalten, der Geist
-bedeutet einen besonders feinen Teil von ihr. Im Tode verlassen diese
-Atome den Körper ganz oder größtenteils; im Leben nehmen sie besonders
-alle Atomstöße von außen auf und geben ihrerseits Stöße nach außen.
-Da die Atome nur physikalisch betrachtet werden, so kann kein Atom
-für sich seelische oder geistige Eigenschaften aufweisen, also auch
-nicht Empfindungen haben. Woher nun die Empfindung der Lebewesen?
-Das wird allein aus der Ansammlung der Atome zum Körper erklärt.
-Diese Ansammlung erhält Eigenschaften, die den einzelnen Atomen nicht
-zukommen, wie auch ein Atom keine Farbe hat, ein Körper aus Atomen aber
-Farbe aufweist. Solche und viele ähnliche Analogien kann man allerdings
-anführen. Dann muß alles aus den Ansammlungen selbst erklärt werden.
-Da sogar unsere Wissenschaft solche Erklärungen kaum für einige der
-einfachsten Eigenschaften der Körper aus der Atomlehre abzuleiten weiß
-und sich meist mit der Angabe begnügen muß, daß Bewegung und Verteilung
-der Atome und Atomverbände diese Eigenschaften bewirken, wie schon die
-alten Atomisten behaupteten, so darf es nicht wundernehmen, wenn diese
-schließlich einfach auch sagten: ~Bewegung der Atome ist Empfindung~.
-Auf dieses Hauptdogma kommen wir noch zu sprechen. Daß Lucretius die
-persönliche Unsterblichkeit ablehnen mußte, versteht sich von selbst.
-Der Tod hebt die Persönlichkeit, die ja durch den besonderen Komplex
-des Körpers mit den feinen Seelenatomen begründet ist, vollständig
-auf. Sobald die Seelenatome ausgetreten sind, können sie nicht mehr
-auf den Körper und kann der Körper nicht mehr auf sie wirken. Beide
-bedeuten nun zwei getrennte Atomhaufen. Nur als sich diese Atomhaufen
-durchdrangen, zeigte das Ganze was wir Leben nennen, eben als Ganzes.
-Und so gibt es auch kein Jenseits. Alle Furcht, alles Bangen, aller
-Schmerz und alles Leid, mit dem Tode sind sie vorbei, nichts bleibt
-vom Leben im Leben zurück. Daher ist die Todesfurcht so töricht und
-zu verwerfen. Ein Trost ist die Einsicht in den Gang der Natur, in
-ihre unausweichliche Notwendigkeit und absolute Gleichgültigkeit
-gegen alles ohne Ausnahme. Selbstverständlich gibt es weder Gott noch
-Götter in irgendeiner persönlichen Gestalt. Die Menschen sind nur aus
-Unkenntnis der wahren Grundlagen der Welt zur Annahme der Götter
-gekommen. Lucretius ist geneigt, die Religion aus der Naturbewunderung
-abzuleiten, und schreibt darum der ursprünglichen Religion große
-Reinheit zu. Die Verschlechterung sei erst später hervorgetreten. Wie
-weit das richtig sein kann, wissen wir bereits. Vieles andere, was
-sein Gedicht noch sehr Schönes und Tiefgedachtes enthält, müssen wir
-übergehen.
-
-Was im ~Mittelalter~ von materialistischen und mechanistischen
-Anschauungen geäußert worden ist, habe ich bereits im zweiten Buche
-angeführt. Ein System ist nicht ausgebildet worden, weder unter
-Christen noch unter Arabern oder Juden; Religion und Mystizismus waren
-gleich hinderlich. Daß aber manche Systeme stark ans Mechanistische
-streiften, haben wir dort gesehen. Die neuere und die moderne Zeit
-haben an der Grundlage des alten Materialismus und Mechanismus nur
-wenig geändert und sie, und die sich anschließenden Betrachtungen, nur
-mehr den mittlerweile gewonnenen naturwissenschaftlichen Kenntnissen
-angepaßt. Hier müssen wir nun den Unterschied zwischen belebter und
-unbelebter Welt schärfer betonen. Seit der großen Anschauung des
-Kopernikus vom Bau der Welt, seit Keplers und Newtons Berechnungen
-der Himmelsbewegungen sind für die unbelebte Welt der Materialismus
-und Mechanismus zu immer allgemeinerer Anerkennung gelangt, soweit
-sie das Bestehende betreffen. Gegenwärtig hält es wohl jeder, der
-die Natur kennt, für töricht, unkontrollierbare außerirdische und
-überirdische Eingriffe in ihren Gang anzunehmen. Aber schon für die
-unbelebte Welt werden die Verhältnisse andere, sobald es sich um ihren
-Anfang und ihren Plan handelt. Kennzeichnend für den Materialismus ist
-dann, daß ein Anfang überhaupt nicht zugegeben wird und ebensowenig
-ein Plan. Das erstere besagt, die Welt ist von je, sie ist nicht
-entstanden. Das zweite lehnt jede Zwecklichkeit ab, die Welt ist
-ein Mechanismus, der ewig läuft. Es ist mit ihr und in ihr nichts
-beabsichtigt, und sie führt nicht zu einem Ziele. Wir würden bei
-einer ewiggehenden Uhr, ohne Zeiger und Stundenblatt, auch nicht von
-Plan und Zwecklichkeit sprechen. Und wenn wir gleichwohl sehen, daß
-Ordnung in der Welt herrscht, Vorgänge nach bestimmten Regeln sich
-richten, Welten sich entwickeln usf., so gehört das eben alles zur
-Welt und ihrem Gange, gerade so wie die regelrechte Anordnung der
-Räder, Federn usf. einer Uhr, wie das Eingreifen aller ihrer Teile
-ineinander, wie das von Zeit zu Zeit in Wirksamkeittreten besonderer
-Teile u. a. Es ist nur konsequent, wenn aus einer solchen Anschauung
-heraus auch das Vorhandensein von besonderen Kräften abgelehnt wird.
-Die Welt ist eine Anordnung und ein Vorgang; alle Einzelvorgänge sind
-nur dieser eine Vorgang, wie alle Teile der Uhr die Uhr sind und
-Einzeldrehungen, Schwingungen usf. darin, der Gang der Uhr. So wie
-die Räder sich drehen, müssen sie sich drehen, so wie andere Teile
-schwingen, müssen sie schwingen, alles aus dem Gang der Uhr. Und das
-ist ohne weiteres auf die Welt zu übertragen. Manche möchten im Gang
-selbst den Plan und die Zwecklichkeit sehen. Allein das verfliegt
-ebenfalls, wenn kein Anfang und kein Ende vorhanden ist. Auch diesem
-mechanistischen Monismus in bezug auf die unbelebte Welt haben sich
-vom Altertum ab sehr viele angeschlossen. Und ein unverkennbarer und
-sehr schwerwiegender Vorzug von ihr ist, daß sie eben keiner Kräfte
-bedarf, auch nicht derjenigen, die wir natürliche, physische Kräfte
-nennen. Die Kräfte werden nur symbolisch zugelassen, Zufälligkeiten
-kommen überhaupt nicht in Frage. Wenn wir so manches voraussehen und
-voraussagen können, so verhält es sich damit, um beim Beispiel zu
-bleiben, wie mit der Uhr, wo wir auch vorher wissen, welche Zähne
-der Räder in welche andere Zähne eingreifen werden, daß und wann ein
-Stift irgendwo etwas mitnehmen oder auslösen oder hemmen wird, weil
-wir die Teile kennen und den Zwang durchschaut haben. So kennen wir
-auch die uns erreichbaren Teile der Welt und haben den Zwang in ihnen
-durchschaut. Und damit operieren wir. Wir stehen der Welt wie einer
-Uhr gegenüber; sie ist bei weitem komplizierter als eine Uhr, sie ist
-unendlich an Vorgängen und Körpern. Aber das berührt das Wesentliche
-nicht. Wir können sie gleichwohl wie einen Zwangsmechanismus ansehen.
-
-Nun aber wir, die Lebewesen. Hier scheiden sich die Wege der nur
-Welt-Mechanisten von den Wegen auch der Leben-Mechanisten. Jene
-sehen im Leben, wie wir schon wissen, doch ein Besonderes, das nicht
-mechanisch ist; diese einbeziehen das Leben in den Mechanismus der
-Welt überhaupt. Das Leben ist gleichfalls der Vorgang der Welt, ein
-Zwangsvorgang wie alle anderen Einzelvorgänge dieses Allvorganges,
-und von diesen Einzelvorgängen nicht im Wesen, sondern nur in der
-Erscheinung verschieden; letzteres ganz so, wie wir unzählige
-Bewegungsarten haben, die doch alle nur Bewegung sind, sogar solche,
-die nicht im geringsten mehr wie Bewegung erscheinen -- zum Beispiel
-die molekularen Bewegungen in den Körpern als Wärme u. a. Was wir
-als freie Lebensäußerungen ansehen, sind nur Einzelvorgänge, die im
-Vorgang der Welt kommen und gehen müssen, wie die Weltkörper sich
-bewegen müssen. Was wir Denken, Wollen und Fühlen nennen, sind auch
-nur solche Vorgänge, etwa -- und das haben fast alle Materialisten
-und Scheinidealisten, wie Eduard von Hartmann (S. 388), bis auf
-unsere Zeit, wo die energetische Auffassung vorwiegt, von den alten
-Mechanisten dogmatisch übernommen -- Bewegungen bestimmter Teile in
-unserem Körper, im Gehirn, in den Ganglien. Daß wir nicht imstande
-sind, hier wie in der unbelebten Welt, den Zwang aufzuweisen, daß
-wir hier noch von Zweckmäßigkeiten und von Freiheit reden müssen,
-liegt an der Unvollständigkeit unserer Kenntnisse, wie wir auch den
-gewöhnlichen Zufall noch stehen lassen, weil wir die Gründe seines
-Eintretens nicht überschauen, obwohl selbst ein Psychist Zufälle
-als solche nicht zugestehen mag. Daß weiter uns die Erkenntnis der
-Welt zwar wie selbstverständlich erscheint, die Nichterkenntnis des
-Lebens aber gleichfalls, ist nur Einbildung. Die Welt ist trotz
-ihrer Ungeheuerlichkeit als Ganzes einfach, das Leben aber schon für
-sich überkompliziert. Sobald wir jedoch ins Einzelne gehen, scheint
-uns auch von der Welt vieles nicht erkennbar zu sein, zum Beispiel
-ihr atomistischer Bau. Und derartige Aufstellungen sind um so
-entscheidender, als ein fundamentaler Unterschied zwischen Lebewesen
-und nichtbelebten Dingen überhaupt nicht zugegeben wird; die Lebewesen
-sollen auf der niedrigsten Stufe in die nichtbelebten Wesen übergehen.
-Oder das Leben beginnt unendlich schwach und uncharakterisiert, so
-daß es vom Nichtleben nicht mehr zu unterscheiden sei; die Reihe
-der unbelebten Dinge bilde mit der der belebten eine Folge. Nur
-die Extreme unterschieden sich so sehr; aber sie seien gleichwohl
-durch eine stetige Kette verbunden, die nach unten allmählich zu
-Dingen wie Steine führt, nach oben in wachsender Komplikation und
-Verzweigung zu so gearteten Vorgängen, die als seelische und geistige
-Tätigkeiten erscheinen, wie Bewußtsein und Denken, die abwärts jedoch
-allmählich auf nichts zusammenschrumpfen. Das ungefähr ist die
-Anschauung der konsequenten Welt- und Leben-Mechanisten. Wir werden
-sie später besprechen und dann auch sehen, welcher Annahmen sie noch
-bedarf. Daß auch ideale Philosophien, wenn auch nicht in physischen
-Zwangsmechanismus, doch in einen Welt- und Leben-Zwang auslaufen können
-und ausgelaufen sind, wissen wir schon. Selbst die rein religiöse
-Anschauung, konsequent aufgefaßt, führt zu einem solchen Zwang und
-muß dazu führen. Hier handelt es sich aber um den ~physischen~
-Zwangsmechanismus, nicht um den göttlichen oder geistigen oder
-transzendentalen.
-
-~Pierre Gassendi~ (1592 in der Provence geboren, gestorben 1655) ist
-noch kein vollständiger Materialist im vorbezeichneten Sinne. Wie sehr
-er bibelgläubig sich verhält, zeigt, daß er trotz besserer Einsicht das
-tychonische Weltsystem dem Kopernikanischen vorzog, weil nach der Bibel
-die Sonne sich bewegen soll. Und so läßt er auch die Welt mit Allem
-von Gott erschaffen sein. Nach der Erschaffung jedoch gibt er allein
-physische Vorgänge zu, namentlich nach Muster der Alten: Verbindungen
-und Trennungen der Atome. Diesen teilt er eine innere Fähigkeit mit,
-sich zu bewegen. Ebenso verhält er sich zu der Welt des Lebens.
-Er gesteht einen unsterblichen Geist zu, nimmt aber zugleich eine
-Demokritische Seele an und sucht sogar zu erweisen, daß diese in der
-Tat das leisten kann, was von ihr gefordert wird. Also teilt er mit
-der einen Hand aus und nimmt mit der anderen; eine wunderliche Mischung
-von Spiritualistischem und Materio-Mechanistischem aus der „doppelten
-Wahrheit“. Sein Hauptkampf galt dem Cartesianismus; hier ist er
-erfolgreich. Seine eigene Lehre ist aber so inkonsequent als möglich,
-wahrscheinlich, weil er sie nicht konsequent aussprechen durfte. Das
-Kopernikanische System verdankt ihm ein schönes Experiment. Die Gegner
-hatten eingewandt, wenn die Erde sich bewegte, könnte ein in die Höhe
-geworfener Stein nicht auf dieselbe Stelle herabfallen, von der aus
-er geworfen ist. Der Einwand ist zutreffend, wenn von der Trägheit
-abgesehen wird, die es veranlaßt, daß der Stein die Bewegung der Erde
-auch dann noch mitmacht, wenn er in die Höhe fliegt und zurückkehrt.
-Gassendi aber bewies das, indem er einen Gegenstand auf einem in der
-Tat sich bewegenden anderen Gegenstand, einem Schiff, aus der Höhe, von
-der Mastspitze, herabfallen ließ, mit dem erwarteten Erfolg, daß der
-Gegenstand am Fuße des Mastes ankam, nicht hinter ihm.
-
-In diesem Zusammenhang ist auch der in seiner Staatsraisonauffassung
-noch den harten Vormund der Antigone übertreffende ~Thomas Hobbes~
-(geboren in Malmesbury 1588, gestorben 1679) zu nennen. Die
-Wahrnehmungen werden mechanistisch so erklärt, wie die klassischen
-Materialisten sie auffaßten: Bewegungen pflanzen sich zu den
-Sinnesorganen fort und verursachen dort Bewegungen, die ins Gehirn
-und von da ins Herz gehen. Erinnerung und Gedächtnis sind nur Reste
-der Bewegungsaffektion, ebenso ist Ideenassoziation Verkettung
-solcher Bewegungsaffektionen. Jede Materie hat in sich Anlage zur
-Empfindung. So ist es wohl zu verstehen, wenn Hobbes, was vielen ein
-Widerspruch gegen seine mechanistische Ansicht zu sein scheint, die
-Vernunft auch als etwas ~Angeborenes~ erklärt. Angeborenheit einer
-Fähigkeit steht durchaus nicht im Gegensatz zu Mechanismus; sie ruht
-ja schon in der Grundannahme einer besonderen atomistischen Seele; die
-belebten Wesen haben mit dieser körperlichen Seele eben die Anlage zum
-„Leben“ bekommen. Und so brauchte Hobbes selbst angeborene Begriffe
-und Fähigkeit, solche zu fassen und zu bilden, nicht ohne weiteres
-abzulehnen. Die Angeborenheit liegt in den Atomen, die sich zu Seele
-und Geist vereinigt haben, in ihrer Form, Bewegung und Anordnung
--- wenn man das versteht. Doch mag Hobbes selbst in der Tat in
-Inkonsequenzen verfallen sein. Alle Materialisten, gerade die ernsten
-und ernst denkenden, können den Faden nicht ganz festhalten, ebenso
-wie die Idealisten ihren Faden mitunter fallen lassen, sobald sie
-hinreichend Naturforscher sind. Beurteilung von Empfindungen beruhe
-auf Wechsel der Bewegungen bei gleichzeitiger Fortdauer, Erfahrung auf
-Beurteilung von solchen Bewegungen nach Gleichheit oder Ungleichheit
-mit früher in die Seele Gedrungenem und dort an den Atomen noch nicht
-Verklungenem. Ein Bewegungssystem muß ein anderes als sich gleich
-erkennen oder ungleich; vielleicht, indem es sich zu ihm widerstandslos
-addiert oder Widerstand leistet. Solche Beurteilungen fixieren wir in
-Namen, und diese erst geben uns die Mittel einer geordneten Folge von
-Vorstellungen. Wie, ist eigentlich nicht zu verstehen. Jedenfalls ist
-alles Seelische und Geistige aus Veränderungen im Körper abzuleiten
-(Mens nihil aliud erit praeterquam motus in partibus quibusdam corporis
-organici; die Vernunft wird nichts weiter sein, denn eine Bewegung
-in gewissen Teilen des organischen Körpers). Und so ist auch alles
-von ~außen~ durch Bewegung verursacht. „Nichts nimmt von sich selbst
-Beginnen, sondern von der Wirkung eines unmittelbaren Tätigen außerhalb
-seiner.“ Die Fähigkeit dazu hat aber Alles in sich selbst, sofern
-Bewegung nur Bewegung hervorruft. So ist denn Erkenntnis Erkennen
-der Bewegungen und ihres Zusammenhanges. Wir müssen wohl sagen,
-~Sich~erkennen. Raum und Zeit werden von Materialisten im allgemeinen
-als real angesehen. Hobbes aber sagt: „Raum ist das Phantasma eines
-existierenden Dinges, als existierend“. „Zeit das Phantasma einer
-existierenden Bewegung, als existierend.“ Also beständen beide außer
-den Dingen nicht. Wenn nun Hobbes weitergehend behauptet: ein Mensch
-würde die Welt aus sich, aus den Bewegungen seiner Seelenatome heraus
-nach außen projizieren, auch wenn eine solche Welt nicht da wäre, so
-kann er das nur für den Fall meinen, daß der Mensch Bewegungen aus
-einer Welt schon empfangen hat, sonst würde sich sein Materialismus in
-reinen Phantomismus auflösen, und er könnte von den Bewegungen ganz
-absehen, die ja gerade zum Verständnis des Zusammenhanges unserer mit
-einer wirklichen ~Außenwelt~ nötig sein sollen. Weiter läßt Hobbes
-noch Gott gelten als ein besonders feines und reines, unendliches
-körperliches Wesen. Und mit dieser Annahme ist eine Art Deismus
-verbunden. Ein solcher Deismus kann auch unbeschadet des Materialismus
-bestehen, da ja Gott als körperliches Wesen nur selbst zur Welt
-gehört. Ob das freilich die Ansicht von Hobbes war, möchte ich nicht
-entscheiden. Aber zuzutrauen wäre es schon diesem rücksichtslosen
-Forscher. So erklärt er ja auch: „Die Furcht vor unsichtbaren
-Mächten sei es, daß diese aus Erdichtungen oder aus Erzählungen ihre
-Öffentlichkeit hernehmen, diese Furcht ist ~Religion~; sind die Mächte
-nicht öffentlich angenommen, so ist die Furcht ~Aberglaube~“. Die
-Religion hat also kein Kennzeichen, außer daß sie vom Staat anerkannt
-ist, sonst ist sie eben purer Aberglaube. Rücksichtsloser denkt der
-modernste Materialist auch nicht. Nur daß dieser nicht wie Hobbes
-jeden hängen würde, der die Staatsreligion abweist. Gleichwohl ist der
-Gottesbegriff bei Hobbes ein hoher. Die Atome sah Hobbes nicht bloß als
-nach Form und Größe verschieden an, sondern auch im Wesen, so daß sogar
-Atome ohne Schwere, Imponderabilien, vorhanden sein sollten, als die
-feinsten für Geist und Gott körperlich in Betracht kommenden.
-
-~Robert Boyle~ (1627-1691) gehört hierher nur als Atomist, der die
-Atome in die Chemie und Physik in exakter Weise eingeführt hat. Seine
-Atome sind, wie die Descartes’, Trümmer einer zersplitterten Materie.
-~Newton~ (1642-1727) haben wir lediglich als den großen Begründer der
-Mechanik des Weltalls zu nennen. Beide waren keine materialistischen
-Mechanisten.
-
-Die übertriebenste Ausbildung hat der materialistische Mechanismus
-im 18. Jahrhundert erfahren. Die ~Aufklärungsphilosophie~, die in
-Deutschland in Lessing, Herder u. a. zu so schönen idealen Blüten
-ersproßte, zeitigte in Frankreich, dicht neben den so bedeutenden
-Bestrebungen ~Rousseaus~ und ~Voltaires~, auch den ~Enzyklopädismus~.
-~Diderot~ und ~d’Alembert~ sind noch gemäßigte Naturalisten und
-Materialisten. Aber der Pfälzer Baron ~Holbach~ und die Franzosen
-~Mirabaud~ und ~de la Mettrie~ gehören zu den extremsten Materialisten,
-ohne daß die Naturkenntnisse der damaligen Zeit sie dazu eigentlich
-berechtigte. Materialistische Werke schossen damals wie Pilze aus der
-Erde. Sie wären nicht so schlimm gewesen, wenn sie sich nicht zum
-Teil auch bemüht hätten, die Lebensanschauungen auf fast gemeinen
-~Egoismus~ und ~Utilismus~ zu lenken, die an sich gar nichts mit
-einer materialistischen Betrachtung von Welt und Leben zu tun haben.
-War der Materialismus bei denen, die ihn nicht kannten, schon oft
-in den Verdacht eine Lehre der Unmoral und des Eigennutzes zu sein,
-geraten, so schien er gegen Ende des 18. Jahrhunderts diesen Verdacht
-zu rechtfertigen. Aber die Revolution schwemmte mit anderem auch
-diesen ethischen Materialismus hinweg; und die Menschheit hat ihr
-zweifellos dafür zu danken. Der Materialismus konnte wieder reine
-Wissenschaft werden, was er im Altertum war und in unserer Zeit
-ist. Als ernsteres Hauptwerk des enzyklopädischen Materialismus
-wird das „Système de la nature ou des lois du monde physique et du
-monde morale“, 1770 in London gedruckt, angesehen. Als Verfasser ist
-Mirabaud angegeben; aber es ist längst fest ausgemacht, daß der Pfälzer
-Baron ~Holbach~ der Verfasser war. Die Schrift ist zwar gegen die
-übliche Religion gerichtet, scheint aber im übrigen weder Eigennutz
-noch Unmoral zu lehren, sie bricht sogar für die Tugend eine Lanze.
-Der Materialismus darin bewegt sich in den Bahnen, die wir schon
-kennen; er folgt anscheinend namentlich Hobbes. Doch ist er stark mit
-Mystizismus versehen, denn die Atome werden nicht bloß mit Ausdehnung
-und Masse begabt, sondern auch mit besonderen geheimnisvollen Kräften
-und Eigenheiten, wie Sympathie und Antipathie, Liebe und Haß. Die
-Atome sind selbst noch zusammengesetzt aus kleinsten Körperchen; in
-diese werden wohl die Besonderheiten verlegt. Übrigens hat unsere
-Wissenschaft die Atome zwar der Häkchen, Vorsprünge, Ärmchen usf. zum
-gegenseitigen Anhalten und Verketten beraubt, aber dafür notgedrungen
-Eigenschaften bei ihnen eingeführt, die nicht weit ab von den eben
-genannten liegen, wie Anziehung, Abstoßung, Polarität, Affinität
-usf. Und noch sind unsere Bemühungen, für diese Eigenschaften einen
-allgemeinen Ausdruck zu finden, nicht gelungen, obwohl wir überzeugt
-sind, daß ein solcher vorhanden sein wird, und wir auch den Weg, der
-zu ihm führt, zu kennen glauben dürfen. Auch die Zerteilung der Atome
-in noch kleinere Teilchen, wir nennen sie Corpusceln, entspricht
-modernen Anschauungen. Mystischer ist, wenn den Atomen auch eigenes
-inneres Streben zur Bewegung zugeschrieben wird. Hier kommt auch etwas
-wie die Herbartsche „Selbsterhaltung“ zum Vorschein. Es heißt: „Die
-Erhaltung ist also der allgemeine Zweck, nach dem alle Energien, alle
-Kräfte, alle Fähigkeiten der Wesen ständig gerichtet zu sein scheinen.“
-Sie wird mit der Trägheit identifiziert und gehört tatsächlich einem
-allgemeinen großen Naturgesetz an. Die Natur ist ganz Leben, Leben
-aus den materiellen Kräften der Natur, wofür auch das berühmte
-Phlogiston herangezogen wird. Denn nur Materie und Bewegung sind da;
-ohne Anfang, ohne Ende, ohne Zufall, ohne Freiheit, ohne Schöpfer,
-wie es bei einem Materialisten strenger Observanz sein muß. Und
-keine Ausnahme gibt es; der Mensch bildet sich nur ein, ein anderes
-zu sein als die Natur überhaupt. Auch er und alle seine körperliche
-und seelische und geistige Tätigkeit ist nur Materie und Bewegung,
-und ganz nach der gleichen Notwendigkeit geregelt wie bei jedem Ding
-der Natur. Götter und Gott hat nur der Aberglaube erdacht, und damit
-Gedankenträgheit, Vorurteil, Unduldsamkeit und Verfolgungssucht in der
-Welt heraufbeschworen. Wer die Natur kennt, braucht keine Gottheit, so
-wenig wie er einer Seele und eines Geistes als etwas Besonderen bedarf.
-Spricht man aber von einer bewegenden Ursache in der Natur, so mag man
-wohl Gott meinen. „Wenn wir dem Worte „Gott“ einen Sinn unterlegen
-wollen, so werden wir finden, daß es nichts anderes bezeichnen kann
-als die Summe der unbekannten Kräfte, welche das Universum beleben.“
-So ist denn die Natur auch „die Notwendigkeit ihrer selbst“, was sonst
-genau so von Gott ausgesagt wird. Und von gleichem Standpunkt werden
-Tugend, Vernunft und Wahrheit die „verehrungswürdigen Töchter der
-Natur, der Souveränin aller Wesen“ genannt und als „unsere einzigen
-Gottheiten für immer“ bezeichnet. Es ist also eine Hypostasie der
-Natur, bei aller Auffassung als nur Materie und Bewegung. Aus dieser
-Natur heraus fließen alle sittlichen Vorschriften als auf Selbstliebe
-begründet. Hier geht das Ganze in eine Art edlen Epikureismus über,
-und unter Wahrung des frohen Lebensgenusses. Holbach spricht in dieser
-Beziehung wie unsere modernen Materialisten, die eine Ethik aus sich
-selbst heraus lehren, welche neben gesundem Egoismus verbindlichen
-Altruismus enthält, nicht die fast zuchthausmäßig zwingenden Religionen
-von Hobbes, oder einen Krieg aller gegen alle. So ist dieses Système
-ein ganz modernes Werk, und ein menschlich gesundes dazu, wo nicht die
-Grenzen nach der einen und der anderen Seite überschritten werden. Und
-wo nicht solche Unentschiedenheiten herrschen wie in der wichtigsten
-Frage, ob die Atome auf sich selbst beruhen und die Natur ein Vieles
-aus diesen Einzelnen darstellt, oder ob die Natur eine absolute Einheit
-ist, von der noch die Atome eine Art Scheinleben haben, so daß für
-Eigenleben nirgend Platz und, wie im Pandeismus und Pantheismus, alles
-Zwang und Fatalismus ist.
-
-Rücksichtslose Krönung fand das Werk des mechanistischen Materialismus
-in ~Julien Offraye de la Mettries~ Werk: „L’homme machine“, der
-Mensch eine Maschine. Sein System ist älter als das eben behandelte
-Holbachsche, aber fast noch konsequenter. Der Mensch ist durchaus von
-seinem Körper abhängig. „Ein Nichts, eine kleine Fiber, irgend etwas,
-das die subtilste Anatomie nicht entdecken kann, hätte aus Erasmus und
-Fontanella zwei Toren gemacht“. Das ist Binsenwahrheit, die Lamettrie
-durch eine Unzahl von Beispielen in der oben genannten Schrift und dem
-älteren Werke: „Histoire naturelle de l’âme“ oder „Traité de l’âme“
-belegt hat. Und in dieser Hinsicht unterscheidet sich der Mensch vom
-Tiere (oder der Pflanze) in keiner Weise. Sind nach Descartes die Tiere
-Maschinen, so sind es auch die Menschen. Und nun wird das Maschinelle
-des Menschen im einzelnen verfolgt. Wir brauchen das nicht genauer
-darzutun. Indessen scheint Lamettrie nicht den Menschen als Ganzes
-als Maschine angesehen zu haben, sondern in allen seinen Teilen;
-denn er findet das Leben in ~allen~ Teilen des Organismus und gibt
-Erläuterungen dazu, wie das Weiterleben von abgetrennten tierischen
-Teilen, die Ergänzung zerschnittener Polypen usf. Zu der hieraus
-folgenden Idee, daß ein Lebewesen eine in jedem Teile gleiche Maschine
-ist (S. 369 f.), gelangt er aber nicht; er unterscheidet die Wesen
-nur nach Kompliziertheit der maschinellen Einrichtung. „Der Mensch
-verhält sich zu den Tieren, wie eine Planetenuhr von Huyghens zu einem
-gemeinen Uhrwerk.“ Auf die Zahl der Teile, Räder usf. kommt es bei ihm
-an. Wir wissen aber, daß es darauf allein nicht ankommt. Keine noch so
-komplizierte Maschine kann einem Lebewesen verglichen werden; gerade
-aus Lamettries Gründen für das Leben überall im Körper. Was er sonst
-in seiner Schrift noch mit gewisser „absichtlicher Frechheit“ (Lange,
-Geschichte des Materialismus) ethisch vorbringt, müssen wir übergehen.
-Im übrigen darf ich auf die eingehende Würdigung dieses, immerhin sehr
-merkwürdigen, Mannes in dem genannten Werk von Lange hinweisen, dem
-hiernach in der Tat viel bitter Unrecht geschehen ist, als eine Art
-„Prügeljungen des französischen Materialismus“.
-
-Ganz im Sinne Lamettries klingt der Satz ~Ludwig Feuerbachs~: „Was der
-Mensch ißt, das ist er“, obwohl Feuerbach mehr Positivist und Empirist,
-als Materialist gewesen ist, trotz Ablehnung der Unsterblichkeitslehre.
-Im übrigen brauchen wir den modernen mechanistischen Materialismus
-nicht weiter zu verfolgen. Er knüpft sich an die Namen ~Karl Vogt~,
-~Büchner~, ~Moleschott~, ~Czolbe~, ~Dubois-Reymond~ in seiner
-ersten Zeit usf. Weder ist er so konsequent wie der klassische oder
-englisch-französische, noch bietet er neue Gesichtspunkte, oder
-konnte er solche bieten. Lediglich aus den vermehrten Kenntnissen
-in Astronomie, Physik, Chemie, Physiologie und beschreibenden
-Naturwissenschaften sind festere Stützen für die materialistische
-Anschauung gewonnen worden. Wir sprechen davon im Zusammenhang mit
-dem folgenden. Was aber allzu seicht ist, wie beispielsweise die
-Belehrungen von Büchner, werden wir übergehen. Des geistvollen und
-tiefen ~David Friedrich Strauß~’ Materialismus in „Der alte und der
-neue Glaube“ kann ich nur aus einer Art Vergnügen an Errungenschaft
-aus fremdem Gebiete und aus Überschätzung der, ihm naturgemäß nicht
-hinreichend geläufigen, Ergebnisse der Naturwissenschaften erklären.
-
-
-51. ~Allgemeine und besondere Naturgesetze, Entwicklungslehre.~
-
-Die Erfahrung hat gelehrt, daß alle Erscheinungen und Vorgänge der
-physischen Welt zunächst von drei allgemeinen Gesetzen beherrscht
-werden, die wir als ~kosmische Regulative~ bezeichnen wollen: dem
-Gesetz der Erhaltung der Massen, dem der Erhaltung der Energien und
-dem der Trägheit und des gleichsinnigen Strebens nach einem bestimmten
-Endzustande. Die beiden ersten Gesetze sind einfach, wenn man die
-Begriffe von Masse und Energie aufgefaßt hat. Ich muß diese Begriffe
-als bekannt voraussetzen. Der dritte Satz, soweit er von Trägheit
-spricht, ist ebenfalls einfach; er besagt nur, daß Zustände, welche
-bestehen, sich nur durch Anlaß oder dauernde Kraft ändern. Wenn
-ein Anlaß schon ausreicht, den Zustand dauernd zu ändern, in einen
-anderen überzuführen, so ist jener Zustand ~labil~ gewesen. Bedarf
-es einer stetig wirkenden Kraft, so daß die Änderung immer nur der
-Kraft nachgebend geschieht, so war jener Zustand ~stabil~. Ob ein
-Zustand stabil oder labil ist, hängt ab sowohl von diesem Zustand
-selbst als auch von dem, der in der Umgebung, also allgemein in der
-Welt herrscht, wenn wir die Welt als eine Einheit auffassen. Hiernach
-ist auch der zweite Teil des dritten Satzes leicht zu verstehen, denn
-der darin enthaltene Endzustand wird ein stabiler Zustand sein. Daß
-es kein labiler sein kann, folgt daraus, daß ein stabiler Zustand
-sich wiederherstellen kann, wenn die ihn ändernde Kraft aufgehört
-hat zu wirken, ein labiler Zustand dagegen nicht. Eine Kugel in dem
-tiefsten Punkt eines vertikal gestellten Kreiskanals ist in stabilem
-Zustand; schiebt man sie aus diesem Punkt heraus, so kehrt sie in ihn
-zurück oder schwingt um ihn hin und her. Die gleiche Kugel auf den
-höchsten Punkt des Kanals gelegt, kann dort ebenfalls ruhen, beim
-geringsten Anlaß aber fällt sie herab und kehrt nicht wieder zurück.
-Die Wissenschaft hat für den Endzustand auch eine gewisse mathematische
-Bestimmung gefunden, nämlich, daß etwas, das ~Entropie~ genannt
-wird, den höchstmöglichen Wert erreicht, so daß alle Änderungen in
-der Natur zur ~Vermehrung~ dieser Entropie dienen, wenn sie dieselbe
-nicht ungeändert lassen. Es heißt darum der dritte Satz auch der
-~Entropiesatz~. Der Satz wird noch in anderer Weise ausgesprochen. Die
-Vorgänge in der Natur vermögen wir uns so vorzustellen, daß sie auch
-rückwärts durchlaufen werden können, wie ein Körper in die Höhe steigen
-und von da herabfallen kann; oder so, daß dieses nicht zulässig ist,
-wie der Ofen einen Raum erwärmt, aber dieser Raum seine Wärme an den
-Ofen nicht zurückzugeben vermag. Demnach sind die Vorgänge ~umkehrbar~,
-~reversibel~, oder ~nicht umkehrbar~, ~irreversibel~. An sich kennen
-wir keinen Vorgang, der vollständig umkehrbar ist. Genau genommen sind
-alle Vorgänge in der Natur nicht umkehrbar. Aber wie dem auch sein mag,
-so besagt jener dritte Satz, daß aus allen Vorgängen immer ein Rest
-bleibt, der nicht umgekehrt werden kann. Die Welt kommt also allmählich
-in einen Zustand, der sich nicht redressieren läßt.
-
-Endlich sei noch ein Ausspruch des Satzes erwähnt, der von ~Boltzmann~
-und ~Planck~ herrührt, nämlich: Die Natur führt alle Änderungen in der
-Weise, daß zu jeder Zeit derjenige Zustand herrscht, der unter den
-gegebenen Verhältnissen der wahrscheinlichste ist. Von allen Zuständen,
-die die Welt erreichen könnte, strebt sie demjenigen zu, der für sie,
-wie sie sich nun einmal eingerichtet zeigt, der wahrscheinlichste ist.
-Es kommt also darauf an, wie wir sie eben als eingerichtet ansehen
-müssen. Tiefe Untersuchungen der genannten Forscher haben ergeben,
-daß diese Einrichtung so angenommen werden muß, daß in den ~letzten
-Einzelnen~ räumlich wie zeitlich absolute ~Nichtordnung~ besteht.
-Die letzten Einzelnen sind die Atome oder Molekeln der Materie in
-ihrer Bewegung, oder auch solche Erscheinungen, wie eine Unzahl von
-unendlich rasch aufeinanderfolgenden Lichtschwingungen aller möglichen
-Art, welche einen Strahl natürlichen Lichtes ausmachen u. ä. Bei den
-Atomen oder Molekeln bezieht sich die Nichtordnung auf die Bewegungen
-in den Körpern, Atom- und Molekularbewegungen; diese Bewegungen dürfen
-für alle Atome oder Molekeln im Raume, sowie für ~eine~ Molekel in
-der Zeit, keine Ordnung aufweisen, weder in der Richtung noch in der
-Geschwindigkeit. Bei Erscheinungen wie dem natürlichen Licht müssen die
-unzähligen es zusammensetzenden, unendlich rasch aufeinanderfolgenden
-Einzelstrahlen in keiner ihrer Eigenschaften, wie Farbe, Polarisation,
-Schwingungskurve, Stärke usf. Ordnung zeigen. Absolute Nichtordnung muß
-herrschen, so daß alles zu erwarten und nichts vorauszusetzen ist. Das
-betrifft aber, um es nochmals hervorzuheben, die letzten Einzelnen, die
-ein Ganzes (Körper, natürlicher Strahl, Wärme usf.) zusammensetzen.
-Daher von ~elementarer Nichtordnung~ gesprochen werden kann. Das ist
-ein etwas wunderliches Ergebnis für die Einrichtung unserer Welt:
-Ordnung in den Ganzen, Nichtordnung in den Elementen. Aber Lucretius
-Carus hat schon für die Atome von der Nichtordnung gesprochen, und
-Bernouilli, Krönig, Clausius, Maxwell u. a. haben diese besondere
-Nichtordnung zur Begründung der bekannten kinetischen Theorie der
-Körper und der Wärme benutzt, wie sie für Strahlen schon von Fresnel
-in der Theorie des natürlichen Lichtes Anwendung gefunden hat. Alle
-elementaren Einzelnen sollen in ihrer Nichtordnung auch voneinander
-völlig ~unabhängig~ sein. Findet das nicht statt, sind Systeme von
-ihnen zusammenhängend im Wechsel ihrer Zustände, ~kohärent~, wie zwei
-Strahlen, die von derselben Lichtquellenstelle ausgehen, so bleibt zwar
-auch für sie im gesamten der Erscheinungen und Vorgänge das dritte
-Gesetz bestehen, aber im besonderen kommen Änderungen hinzu, welche
-den Erfolg dieses Gesetzes aufhalten, also verzögern, indem sie gegen
-dieses Gesetz verlaufen. Zwei Lichtstrahlen gleicher Temperatur sollten
-nach diesem Gesetz, wenn man sie in andere Strahlen umwandelt, auch
-dann keinen Temperaturunterschied zeigen; sie lassen jedoch gleichwohl
-einen solchen hervortreten, falls sie kohärent sind. Ich darf auf den
-kurzen, aber sehr gehaltvollen Aufsatz von Max Planck, „Die Einheit des
-physikalischen Weltbildes“ verweisen.
-
-Das Recht, diese Sätze, die selbstverständlich nur auf der Erde
-geprüft werden können, auf das ganze uns bekannte Weltall auszudehnen,
-nehmen wir aus der, namentlich durch die Spektralanalyse erwiesenen
-Tatsache, daß die Himmelskörper aus den Stoffen bestehen, die auch
-unsere Erde bietet. Es wäre ein Verfahren ins Blaue hinein und
-ganz unwissenschaftlich, wenn jemand behaupten wollte, daß die
-Grundeigenschaften der Stoffe und der Vorgänge zwischen ihnen auf den
-Himmelskörpern andere sind und anderen Gesetzen folgen als auf der
-Erde. Freilich müssen wir zugeben, daß wir gewisse Zustände, unter
-denen sie sich auf den Himmelskörpern befinden, auf der Erde noch
-nicht herzustellen vermögen. Aber jene Gesetze nehmen wir eben als
-von den besonderen Zuständen unabhängig an, da sie sich so auf der
-Erde erweisen, soweit hier Prüfung möglich ist. Das Bestehen etwaiger
-Kohärenz hat auf diese Gesetze keinen Einfluß, auf die beiden ersten
-Gesetze in keiner Beziehung, auf das dritte Gesetz in seinem Enderfolge
-nicht, wenn es auch, wie bemerkt, den Gang nach diesem Gesetz aufhalten
-und verzögern kann.
-
-Regieren diese drei Gesetze alle physischen Erscheinungen und Vorgänge
-der Welt ausnahmslos, so bestehen für die Einzelerscheinungen und
-Einzelvorgänge noch besondere Gesetze und Regeln. Manche von diesen
-sind von so allgemeiner Bedeutung, daß sie wieder die ganze Welt
-betreffen. So die Massenanziehung nach der Newtonschen Formel,
-von der keine greifbare Substanz ausgenommen ist und die absolut
-unveränderlich scheint. So die Regel, wonach für alle nicht kohärenten
-Systeme die Wärme immer nach den kälteren Körpern von selbst hinströmt
-und strahlt, und nie umgekehrt nach den wärmeren. Andere dagegen sind
-Spezialgesetze, wie die Formeln, nach denen Körper sich anziehen
-oder abstoßen oder drehen, wenn elektrische oder magnetische oder
-Stromeinflüsse sich geltend machen, oder wie diejenigen, welche die
-Beugung, Reflexion und Brechung von Licht- und Schallstrahlen, die
-Zusammendrückbarkeit der Körper, zum Beispiel der Gase, feststellen
-usf. Solche Gesetze können in ihrer Wirkung auch von der Umgebung
-abhängen. Wie dem aber auch sei, so nehmen wir uns doch die Freiheit,
-auch sie auf das Weltall auszudehnen, das heißt, ihre Gültigkeit
-überall anzusetzen, wo sich Gelegenheit zu ihrer Geltendmachung bietet,
-nicht bloß auf der Erde. Von dem Gesetz der Massenanziehung und dem
-der Zerstreuung der Wärme nach den kälteren Stellen sind wir ja der
-Allgemeingültigkeit fast sicher.
-
-So können wir uns hiernach die Welt aufbauen, so daß sie unserer
-irdischen entspricht, und dürfen aus dem, was wir für diese wissen, auf
-das All übertragen: alle Stoffe, alle Erscheinungen, alle Vorgänge,
-alle Gesetze. Und in dieser Weise ist der mechanistische Materialismus
-für das physische All zunächst zu verstehen. Aus dem gleichen Grunde
-dürfen wir die systematische Ordnung am Himmel, in Raum und Zeit,
-wiederum aus irdischen Erfahrungen ableiten. So ist die gewaltige
-Lehre Kants vom Weltsystem und seiner Entwicklung entstanden, nachdem
-seit dem Altertum ein solches System aufzubauen die Bemühungen nicht
-geruht haben und Descartes schon ein sehr eigenartiges, aber nicht den
-Tatsachen hinreichend entsprechendes System aus seiner Theorie der
-Himmelswirbel abgeleitet hatte. Wir haben hier die Geburt, das Leben,
-den Untergang, das Wiederaufleben usf. der einzelnen Systeme im Weltall
-nach bestimmten Prinzipien.
-
-Das alles gilt von der physischen Welt. Wie steht es mit der lebenden
-Welt? Soweit die Körper der Lebewesen in Betracht kommen, nicht anders
-als mit der physischen Welt; sie sind den Weltgesetzen unterworfen wie
-allen Einzelgesetzen, und kein lebendes Wesen kann seinen Körper diesen
-Gesetzen entziehen, sie gelten hier so streng wie in der unbelebten
-Natur. Hinsichtlich der Körper dürfen wir die lebenden Wesen dem All
-ohne weiteres einverleiben. Wie es hinsichtlich der Psyche steht,
-wird später besprochen. Hier erwähnen wir nur das, für die Psyche
-Unbedeutende, aber für das Leben und seine Entwicklung sehr Bedeutende.
-Im Bereiche dieser Erscheinungen kennen wir außer jenen kategorischen
-Gesetzen noch zwei andere Gesetze: das der ~Selbsterhaltung~ und das
-der ~Erhaltung der Art~ (~Vererbung~), das heißt der Erhaltung des
-individuellen Körpers und Geistes und der Erhaltung der Nachkommen
-in der besonderen Gestaltung dieses Körpers und Geistes. Sehen wir
-von allen psychischen Wirkungen ab, so würden in einer absolut
-unveränderlichen Umgebung beide Gesetze streng zur Ausführung
-gelangen können. Wir vermögen uns sehr wohl einen Zustand zu denken,
-in dem ein Wesen nach seiner Einrichtung lebt und vergeht und genau
-entsprechende Wesen produziert, so daß die Kette der Wesen immer aus
-gleichen Ringen zusammengesetzt ist. Alsdann ist auch nur eine einzige
-Wesenart vorstellbar, und von je in je. Ob das irgendwo in der Welt
-stattfindet, wissen wir nicht; sollte das der Fall sein, so dürfte es
-sich entweder auf Wesen beschränken ohne geistige Tätigkeit, oder auf
-solche mit höchster Vernunft. Die Gründe sind leicht einzusehen. Genug,
-ein solcher Zustand ist durchaus vorstellbar. Wie nun die Verhältnisse
-auf der Erde sind, steht die Selbsterhaltung wie die Erhaltung der Art
-in einem steten Kampf mit der ganzen Umgebung. Die Lebewesen suchen
-instinktiv oder planmäßig die Umgebung ihrer Art anzupassen, aber auch
-sich selbst der Umgebung anzupassen. Letzteres geschieht größtenteils
-nur instinktiv, unbewußt -- wir werden später die Bedeutung davon
-kennen lernen. Unter Umgebung ist dabei nicht allein die unbelebte
-Natur verstanden, sondern auch die belebte. Aus der Anpassung an die
-Umgebung aber folgt, daß die beiden Erhaltungsgesetze nur bedingt
-erfüllt werden können, nämlich mit Rücksicht auf diese Umgebung. Und
-so treten schon im Leben des Individuums Änderungen seines Selbst ein
-und folglich nach dem zweiten Erhaltungsgesetz Änderungen der Art. Auf
-diesen Grundgedanken -- von den Einzelheiten müssen wir hier absehen
--- ist die ~Entwicklungslehre der belebten Wesen~ aufgebaut worden,
-namentlich von Lamarck und Darwin, nachdem Geister wie die ionischen
-Naturphilosophen, Kant, Goethe und andere sie schon mehr oder weniger
-bestimmt gedacht haben. Ob diese Entwicklungslehre, ~Phylogenie~,
-in der ~Paläontologie~ und in der Wachstumslehre, ~Ontogenie~, eine
-durchaus sichere Stütze hat, ist gegenwärtig wieder etwas zweifelhaft
-geworden. Daß aber die Arten sich ändern müssen, wo die Umgebung sich
-ändert, ist ganz unausweichlich, wenn auch daraus noch lange nicht
-folgt, daß alle Arten wie die Zweige eines Baumes aus einem Lebewesen
-hervorgegangen sein müssen. Das hängt mit der Entstehung der Lebewesen
-überhaupt zusammen.
-
-Ich will darüber und über die ~Abstammungs~-, ~Deszendenzlehre~ nur
-einiges sagen. Erstens ist es sehr wohl möglich, daß große Klassen von
-Lebewesen aus verschiedenen Urwesen ihren Ursprung genommen haben. Der
-Bau eines Insektes ist trotz der entsprechenden Organe, wie Magen,
-Lunge, Füße, Augen usf. so himmelweit von dem eines Säugetieres
-verschieden, daß, wenn nicht absolut zwingende Gründe der Paläontologie
-vorhanden sind, die irgendwann in der Geschichte der Erde ein Wesen
-nachweisen, das sich ebensogut zu der Stufe der Säugetiere wie zu der
-der Insekten entwickeln konnte, man noch wissenschaftlicher verfährt,
-Insekt und Säugetier auf verschiedene Urwesen zurückzuführen. Man
-verliert ja dadurch gar nichts hinsichtlich des Hauptsächlichen, der
-Entwicklungslehre. Auch eingeschränkt auf Arten, die wirklich einander
-entsprechen, hat sie immer noch ihre hohe Bedeutung und braucht auch
-nicht so sehr mit dem Mangel an Zeit zu kämpfen. Doch mag das sein,
-es hat mehr ein Interesse des Kennens als des Erkennens, denn das
-Psychische berührt es gar nicht. Und die törichten Exklamationen
-von Leuten, die fürchten, ihre Gottähnlichkeit würde ihnen durch
-die Entwicklungslehre genommen werden, beruhen auf zu geringer
-Überlegung. Wir sind Gott ähnlich mit und ohne Entwicklung, wenn
-wir uns dessen bewußt sind. Die Entwicklungslehre für sich kann den
-Geist, die Seele nicht aus der Welt schaffen. Und wenn sie eine Art
-Mechanistik darstellt aus den physischen Einwirkungen von außen, so
-sagt sie damit an sich nichts Neues, sondern etwas, das der Mensch
-seit je gewußt hat, daß er nämlich von solchen Einwirkungen durchaus
-abhängig ist. Wir können also die Entwicklungslehre ruhig bestehen
-lassen, ohne unserer Seele etwas anzutun. Selbst ein Nachweis, daß die
-seelische Organisation mit der körperlichen in der Entwicklungsreihe
-wächst, würde von keinem Belang sein. Aber ein solcher Nachweis, wie
-soll er wohl geführt werden, ohne auf die auffälligsten Widersprüche
-und Unbegreiflichkeiten zu stoßen? Die Pflanzenwelt besteht so lange
-wie die Tierwelt; hat aber die höchste Pflanze -- mögen auch die
-Pflanzen, wie die neusten Untersuchungen gelehrt haben, nicht ohne
-Sinnesorgane und Nerven, vielleicht auch nicht ohne Vorstellungen sein
--- psychisch Ähnlichkeit auch nur mit einer Schnecke? Eine Ameise, die
-in der körperlichen Organisation so vielen Insekten nachsteht, von den
-Säugetieren gar nicht zu reden, besitzt eine viel größere geistige
-Rührigkeit als manches höchste Säugetier. Körperlich ganz benachbarte
-Arten zeigen durchaus verschiedene geistige Äußerungen. Die geistigen
-Verschiedenheiten selbst innerhalb derselben Art sind auch dann noch
-ungeheuer, wenn wir von pathologischen Verhältnissen absehen, nur das
-Normale nehmen.
-
-Viel wichtiger ist das zweite. Woher kam das Urwesen, oder woher
-kamen die Urwesen? Die beiden Hauptansichten darüber sind schon
-im Altertum geäußert worden. Nach den Mechanisten müßte es sich
-gerade so gebildet haben wie jeder unbelebte Körper. Damit hängt die
-sogenannte generatio equivoca, die Selbstzeugung, zusammen, an die noch
-Schopenhauer geglaubt hat. Ließen doch manche Griechen die Lebewesen
-einfach aus Schlamm oder Erde unter der Einwirkung der Hitze der Sonne
-auf diesen Schlamm oder die Erde erwachsen sein. Gerade die moderne
-Naturwissenschaft hat die Selbstzeugung als nichtig erwiesen. Unter den
-Umständen, die wir nur herzustellen vermögen, sagen die Materialisten
-strenger Observanz; aber unter anderen Umständen? -- Darüber läßt sich
-nicht streiten, es liegt außerhalb der wissenschaftlichen Methode.
-Ich verweise aber, um Mißverständnissen vorzubeugen, durchaus auf
-die Definition der Lebewesen, wie wir sie unserem Kant verdanken und
-die wohl auch für den Materialisten allerstrengster Observanz gültig
-sein wird. Die zweite, schon im Altertum bekannte Annahme ist die
-neuerdings als ~Panspermie~ bezeichnete. Keime aller Dinge, auch der
-belebten Wesen, sollten durch das ganze Weltall verteilt sein, und
-wenn letztere in geeignete Verhältnisse kamen, sollten sie sich zu
-den betreffenden Lebewesen entwickeln. Die Entwicklung wurde mitunter
-nach der ~Evolutionslehre~ gedacht, deren neuerer intensiver Vertreter
-~Albrecht von Haller~ gewesen ist. In jedem Keim (nach der Hauptansicht
-in der Eizelle, nach anderen Ansichten in der Samenzelle) steckt schon
-das Wesen in kleinster Gestalt, in diesem eingehüllten Wesen ein von
-ihm eingehülltes usf., so daß jeder Keim eine unendliche Zahl immer
-ineinander eingekapselter Wesen einer Art enthielte. Ein Keim ist so
-in der Lage, durch stete Fortpflanzung eine unbegrenzte Reihe von
-Wesen einer Art herauszuwickeln, und es genügte, wenn von jeder Art
-auch nur ein Keim von je vorhanden war. Wir wissen jetzt (bereits seit
-~Caspar Friedrich Wolff~ 1759), daß diese Evolutionslehre in dieser
-Form nicht zutrifft. Auch in einer anderen Form, die ~Weismann~ ihr
-gegeben hat, und die lange in der Biologie großes Ansehen genoß, daß
-nämlich zwar nicht die vollständigen Wesen, aber doch die letzten
-Teile, aus denen sie sich bilden, in den Keimen schon vorhanden seien,
-so daß es sich um eine Trennung dieser Teile und dann um ein Wachstum
-handelt, muß die Evolutionslehre gegenwärtig abgelehnt werden. Denn
-gegenwärtig meint man: die Wesen entwickeln sich durch Sprossung oder
-Teilung aus einer Zelle, unter sehr verwickelten Erscheinungen auf
-Grund des Stoffwechsels, eine Lehre, die als ~Epigenesis~ bezeichnet
-wird, indem alles erst in der Entwicklung entsteht, aus gewissen
-Eigenschaften der Keimteile. Aber die Panspermie behält gleichwohl ihre
-Bedeutung. Eine Hauptschwierigkeit für sie kannten die Alten nicht,
-nämlich die sehr tiefe Temperatur des Weltalls, die wohl 150° C unter
-Null beträgt. Moderne Forscher, wie W. ~Thomson~ und ~Helmholtz~,
-haben darum mehr gelegentlichen Transport von Keimen durch Meteorite
-für nicht ausgeschlossen gehalten und so Verbreitung von Weltkörper zu
-Weltkörper. ~Arrhenius~ hat dann, nach den Forschungen der neuesten
-Zeit über Strahlen- und Elektrizitätsdruck, gezeigt, daß kleine Keime
-auch ohne Meteorite von Weltkörper zu Weltkörper geschleudert werden
-können, und daß die Fluggeschwindigkeit dabei so groß sein kann,
-daß die Keime zwischen Körper und Körper die furchtbare Kälte des
-Weltraumes überdauern können. Das alles muß man jetzt zugeben; und so
-ist in der Tat die Verbreitung von Leben durch das Weltall möglich,
-zumal wenn man Keime aller Art zuläßt, namentlich auch solche, die
-unter ganz anderen Verhältnissen sich entwickeln können als auf der
-Erde herrschen, etwa unter solchen auf dem Monde, wo atmende Wesen in
-unserem Sinne nicht vorhanden sein können usf. Ich wüßte nicht, was dem
-entgegenstehen sollte. Atome werden ja auch von allen möglichen Arten
-angenommen, und wie wenig bei Keimen in ihrer Struktur dazu gehört, sie
-nach ganz verschiedenen Richtungen sich entwickeln zu lassen, ist ja
-bekannt; die Keimzellen (z. B. Ei und Sperma) differentester Lebewesen
-sind für uns mitunter kaum zu unterscheiden. Gleichwohl müssen sie jede
-ein Eigenes haben, das sie veranlaßt, sich gerade zu dem bestimmten
-Wesen zu entwickeln. Sind einmal Keimzellen gegeben, so hat es weiter
-keine Not, denn nun entwickeln sich solche Zellen im Laufe des
-Lebensprozesses immer weiter, wie gesagt, durch Sprossung oder Teilung;
-der Intervention einer neuen Urzelle bedarf es dann nicht.
-
-Das alles betrifft die Entwicklung der ~Wesen-Reihe~, die ~Phylogenie~.
-Die Entwicklung der ~Einzelwesen~, die Ontogenie, wäre sehr einfach,
-wenn die Evolutionstheorie sich als zutreffend erwiesen hätte; die
-Keime mit ihren ins Unendliche ineinandergekapselten Wesen gleicher Art
-wären von je, oder geschaffen, das Weitere beträfe nur die Auswicklung,
-sozusagen aus der Hülle, wobei der betreffende Urkeim von Geschlecht
-zu Geschlecht weiter und weiter gegeben würde. Nur die Umstände,
-unter denen die Auswicklung erfolgt und die Art, wie sie erfolgt
-und wie das Wachstum geschieht, böten, freilich recht bedeutende,
-Schwierigkeiten. Allein wir sollen es mit der Epigenesis zu tun haben,
-und da handelt es sich nicht bloß um diese Schwierigkeiten, sondern
-auch um die Frage, warum sich aus Ei und gegebenenfalls Samenzelle
-jedesmal ein den Eltern gleiches Wesen entwickelt. Hier gilt nun,
-wie man sagt, das ~Gesetz der Vererbung~; und es wird darum als
-erwiesen angesehen, daß die Entwicklung der Einzelwesen in den ersten
-Stadien die der Wesenreihe bis zu einem gewissen Grade wiederholt.
-~Die Phylogenie spiegelt sich in der Ontogenie wieder~, oder noch
-schärfer: ~Die Ontogenie ist eine Rekapitulation der Phylogenie~.
-Die Untersuchungen darüber sind außerordentlich verwickelt. Ich darf
-wegen dieses ~biogenetischen Grundgesetzes~ namentlich auf unseres
-greisen, dem Vaterlande zum Stolz gereichenden Forschers ~Häckel~
-Schriften verweisen, denen nur grobe Unbedachtheit, um nicht ein
-härteres Wort zu benutzen, aus kleinen Irrtümern und Versehen, wie sie
-bei sorgfältigster Arbeit sich nicht vermeiden lassen, absichtliche
-Unrichtigkeiten unterschieben konnte. Wie weit die Ontogenie als
-~Palingenesie~ in der Tat Phylogenetisches wiederholt, ist wohl noch
-strittig. Häckel selbst hat hervorgehoben, daß manche Stufen in
-der Ontogenie fehlen, andere abgekürzt auftreten und viele Stufen
-nachträgliche Erwerbungen, ~zenogenetisch~ sind, die sich in der
-Phylogenie nicht finden. Aber alles würde immer nur beweisen, daß
-Bestehendes möglichst erhalten wird, selbst wenn es längst vergangen
-ist, um so mehr, wenn es noch blüht. Tatsachen der Vererbung gibt
-es aber unzählige, sie sind durch die ~Deszendenztheorie~ fast
-Gemeingut geworden. Was veranlaßt aber die Vererbung, daß Wesen
-verschiedener Art nicht einmal Nachkommen hervorbringen können? Der
-Grund muß in den Elementen, aus denen die Lebewesen sich entwickeln,
-liegen, in Ei und Samen. Aber worin er besteht, wissen wir nicht.
-Der Inhalt von Ei und Samenzelle (Protoplasma, Nukleus, Chromatin,
-Zentrosom und vielleicht noch anderes) ist außerordentlich kompliziert
-gebaut. Noch komplizierter, abgesehen von den Einzelligen und den
-Amöben, trotz Feststellung typischer Vorgänge, wie namentlich der
-~Gastrulation~, ist die Entwicklung selbst. Es scheinen auch polare
-Kräfte mitzuspielen, für die wir noch keinen Ausdruck haben, und
-Struktur- und Beschaffenheitsdifferenzen in den Inhalten der Elemente.
-So ist das Gesetz der Vererbung einstweilen nur eine Umschreibung
-für eine Reihe von Tatsachen. Es muß aber mit außerordentlicher
-Energie wirken, da es aus einer unendlichen Zahl von Möglichkeiten
-immer nur ein Bestimmtes zuläßt und selbst noch Dinge, ~rudimentäre
-Organe~, erhält, die für das Wesen nutzlos oder gar schädlich
-sind, worüber Darwin so eingehend geschrieben hat. Und dabei wirkt
-die Vererbung, indem sie sich nicht bloß auf das Ganze erstreckt,
-sondern sogar auf die kleinsten Einzelheiten; alle Organe, alle
-Gliedmaßen, alle Nerven, Muskeln, Knochen usf., und alles dieses in den
-feinsten histologischen Feinheiten, werden vererbt. Wir wollen diese
-Vererbung die ~morphologische~ nennen und setzen ihr an die Seite die
-~biologische~, indem die Vererbung auch die ~Folge~ in der Entwicklung
-der einzelnen Teile betrifft, sowie die ~funktionale~, welche sich auf
-die ~Tätigkeiten~ der einzelnen Teile bezieht.
-
-Allein die Vererbung geht selbst auf die ~Stellen~ des Eies, aus
-denen die Entwicklung geschieht; bestimmte Stellen entwickeln sich
-in bestimmter, immer gleicher Weise, wenn die Entwicklung ungestört
-geschieht. Das ist eine ~Lokalisationsvererbung~. Driesch spricht
-darum von einer ~morphologischen Bedeutung~ der einzelnen Stellen
-im Ei, indem die Bedeutung dasjenige ist, was aus dieser Stelle bei
-ungestörter Entwicklung hervorgeht. Die Vererbung sorgt, daß auch hier
-immer das gleiche folgt; das nun ist um so wunderbarer, als die neuere
-Biologie wohl unzweifelhaft nachgewiesen hat, daß aus derselben Stelle
-sich sehr vieles andere entwickeln kann und unter Umständen in der Tat
-sich entwickelt, daß Stellen die Entwicklung anderer Stellen übernehmen
-und durchführen können. Der gleiche Forscher spricht deshalb auch von
-einer ~morphologischen Potenz~ dieser Stellen, welche viel umfassender
-ist als die morphologische Bedeutung. ~Unter allen Potenzen einer
-Stelle treibt die Vererbung bei normalen Verhältnissen also immer nur
-eine in die Aktualität, in die Bedeutung hinaus.~ Und nun kommt noch
-das weitere Wunderbare, daß, wenn die Verhältnisse bei der Entwicklung
-anormal sind, diese Entwicklung, trotz des dadurch bedingten Wechsels
-der in die Wirklichkeit gebrachten Potenzen der einzelnen Stellen
-des Eies, ~doch ein durchschnittlich normales richtiges Wesen zutage
-fördert~. So mächtig ist das Gesetz der Vererbung im Kleinsten wie im
-Großen. Es ist ein ~morphologisches Gesetz~ von zwingender Gewalt.
-Also regelt die Vererbung Gestalt, Entwicklung aus dem Kleinsten in
-das Kleinste und Große, und in das Ganze, den Gang der Entwicklung,
-die Wirksamkeit aller Teile, ja auch Geistestätigkeit, wie jeder weiß.
-Es ist ein großzügiges Gesetz, da es Abweichungen zuläßt, ohne das
-Wesentliche zu beeinträchtigen. Als Erhaltungsgesetz steht es in einem
-gewissen Gegensatz zu dem Anpassungsgesetz, wirkt aber auch mit ihm
-zusammen, indem es immer das erhält, was nach dem Anpassungsgesetz
-eingetreten ist.
-
-Zu der morphologischen Potenz möchte ich selbst noch folgende Bemerkung
-machen. Sie ist zunächst ~ontogenetisch~ verstanden, bezieht sich
-also auf dieselbe Wesensart, eigentlich auf eine bestimmte Zelle.
-Wenn man aber beachtet, daß die Ontogenie der Phylogenie entspricht,
-so möchte man fast glauben, daß die morphologische Potenz noch eine
-viel allgemeinere Bedeutung hat, nämlich auch eine ~phylogenetische~.
-Alsdann würde sie besagen, daß aus dem Eiinhalt an sich überhaupt jedes
-mögliche Wesen entstehen kann. Von vornherein hätte der Eiinhalt die
-Eigenschaft, nicht bloß aus jeder Stelle jedes zu dem betreffenden
-Individuum Gehörige hervorzubringen, sondern auch jedes beliebige
-Individuum jeder beliebigen Art. Er sei morphogenetisch gänzlich
-universell, und die phylogenetische Entwicklung bedeute lediglich ein
-immer weiteres Zutagetreten der Potenzen des Eiinhaltes zu immer neuen
-Formen. Es wäre dieses eine Art ~phylogenetische Evolution~, jedoch
-nicht vorhandener Formen, auch nicht von Differenzierungen vorhandener
-Bausteine, sondern von Potenzen, die dem protoplasmatischen Stoffe,
-der den Eiinhalt bildet, von vornherein innewohnen, ~Potenzen~, wie
-~im Individuum zu allen seinen Teilen~, ~so in der Wesenreihe zu allen
-Wesen beliebiger Art~. Eine derartige Anschauung würde den Zusammenhang
-zwischen Ontogenie und Phylogenie ins klare setzen und die Entstehung
-der verschiedenen Wesenformen in den Gang der Entwicklung eines Wesens
-und den durch äußere oder andere Einflüsse herbeigeführten Abschluß
-dieser Entwicklung verlegen. Die bestehenden Wesen wären nicht die
-~vollendeten~ Entwicklungen, sondern ~Stufen~ in der allgemeineren
-Entwicklung der Gesamtpotenz des protoplasmatischen Stoffes. Und das
-Steigen in der Reihe der Wesen wäre bedingt durch das immer später
-eintretende Abschließen der Stufen. Kennen wir doch Lebewesen, die
-unmittelbar Stufen in einer bestimmten Entwicklung sind und als solche
-ihr ganzes Dasein verbringen, wenn sie nicht später die Entwicklung
-fortsetzen. Manche halten sogar das Weib für ein Wesen, das gegenüber
-dem Mann auf einer früheren Stufe der Entwicklung stehen geblieben ist.
-Vielleicht ist nicht bloß eine Art des betreffenden Stoffes vorhanden,
-sondern es bestehen zwei Arten, mit abweichenden phylogenetischen
-Potenzen; eine für die Reihe der Tiere, die andere für die Reihe der
-Pflanzen. Vielleicht sind auch selbst für die Reihe der Tiere mehrere
-Arten des protoplasmatischen Stoffes anzunehmen. In einer so ungemein
-verwickelten Sache hat man das Recht, auch allgemeine Ideen zu äußern.
-Doch mag es bei dieser Äußerung selbst verbleiben; der Phantasie sei
-es überlassen zu träumen, wie viele neuartige Wesen noch als weiterer,
-später eintretender Abschluß der Entwicklung aus dem protoplasmatischen
-Stoff entstehen können.
-
-Ein ferneres Erhaltungsgesetz können wir in der ~Restitution~, die
-als Sonderfall die ~Regeneration~ enthält, sehen, wonach Lebewesen
-ihren Körper ergänzen und erneuen, vollständig oder wenigstens zum
-Teil. Die Beispiele hierfür streifen mitunter das Verblüffende; so
-wenn von manchen Tieren abgeschnittene Stücke sich zu ganzen, gleichen
-Tieren wieder auswachsen, unmittelbar oder nachdem sie zuvor eine
-Rückverwandlung fast in den ersten Zustand erfahren haben, so weiter,
-wenn von gewissen Zellen einer Pflanze neue Zweige oder Blätter oder
-gar eine ganze neue gleiche Pflanze hervorwächst usf. Je höher wir in
-die Reihe der Lebewesen kommen, desto mehr verliert allerdings der
-Körper die Fähigkeit, sich zu ergänzen. Aber selbst bei dem Menschen
-ist sie noch nicht ganz erloschen. Und wo die unmittelbare körperliche
-Restitution, hier oder bei anderen Wesen, fehlt, tritt wenigstens
-Nebenbildung, Umbildung, Weiterbildung oder Funktionsübertragung ein.
-Für Nebenbildung sind Beispiele die adventiven Restitutionen, indem in
-der Nähe eines verlorenen Organs ein anderes entsteht wie bei Pflanzen,
-wozu auch die Bildung von neuen Organen neben nur teilweise entfernten
-Organen gehört wie „der Gliedmaßen und des Schwanzes bei Amphibien, des
-Kopfes der Planarien, der Wurzelspitze der Pflanzen“; für Umbildung bei
-Pflanzen die Umwandlung von Schuppen in Blätter oder die Umbildung von
-verletzten Augen bei gewissen Krebstieren in Antennen; Weiterbildung
-durch kompensatorische Hypertrophie zeigt sich in der Vergrößerung von
-Organen, wenn das Gegenorgan verloren ist, wie einer Niere nach Verlust
-der zweiten Niere; endlich Funktionsübertragung finden wir oft bei
-Gehirnkrankheiten, wenn zum Beispiel bei Lähmung des Sprechzentrums
-andere Stellen des Gehirns allmählich die Sprechermöglichung übernehmen.
-
-Zu diesen Erhaltungsgesetzen kommt noch ein ~morphologisch-biologisches
-Ordnungsgesetz~, das schon erwähnte und in Kants Auseinandersetzungen
-vom Naturzweck (S. 369) behandelte ~Gesetz der Harmonie~, das
-die Zusammenstimmung aller Teile in der Ordnung, der Ursache und
-Folge und in der Wirksamkeit vermittelt. Doch es ist in einem so
-außerordentlich dunkeln und schwierigen Gebiet, auf dem sogar die
-speziellen Fachleute, weil eben die Beobachtungen noch nicht entfernt
-hinreichen und darum die mannigfachste Deutung zulassen, gefährlich,
-von bestimmten Gesetzen nach bestimmten Richtungen zu sprechen.
-
-Ich habe darum nur dasjenige vorgebracht, was mir gegenwärtig noch
-am sichersten zu sein scheint, wenngleich es wohl sehr vieles andere
-gibt, das nicht minder bedeutungsvoll ist. Und alles betrifft, wie
-der Leser sieht, meist den Körper und dessen Funktionen. Und die
-Gesetze sind ~Regulation~ für den Körper und dessen Funktionen,
-~morphologisch-biologische Regulation~, und zwar nicht bloß für die
-Einzelwesen, sondern auch für die Wesenreihe, also ontogenetisch und
-phylogenetisch. Wie es sich mit der Psyche verhält, werden wir noch
-sehen. Aber auch das obige wird noch zu ergänzen sein.
-
-
-52. ~Energetische Anschauungen; Ostwald und Häckel.~
-
-Es muß hervorgehoben werden, daß kein Vorgang in der Natur ohne
-Änderung von Energien in ihrer Menge oder Umwandlung in andere
-Energien vorhanden ist. Wir sprechen allgemein von Umwandlung von
-Energien. Ein Stein, den ich halte, hat Schwereenergie; lasse ich
-ihn fallen, so geht ein Teil dieser Energie in Bewegungsenergie
-über, ist der Stein auf die Erde gestürzt, so wandelt sich die
-Bewegungsenergie in Wärme oder Energie beim Zerschlagen usf. um.
-Die Schule der ~Energetiker~, deren Führer Wilhelm Ostwald ist,
-setzt an Stelle aller Vorgänge Energieumwandlungen. Die Welt enthält
-eine gewisse Zahl von Energien in bestimmter Gesamtmenge; das Leben
-der Welt bedeutet die stetige Umwandlung dieser Energien hier und
-überall, unter Wahrung der Gesamtmenge, die unveränderlich ist.
-Bewegungsvorgänge, Lichtvorgänge, Wärmevorgänge, chemische Vorgänge
-usf., alles ist nur Energieumwandlung. Das soll nun ebenso für die
-Vorgänge des Lebens gelten, und zwar nicht bloß des animalischen,
-sondern auch des seelischen und geistigen. Ostwald, in seinem Buche
-„Die Energie“, sagt: „Dieses Verhältnis (des Begriffes der Energie
-zu dem des Geistes) glaube ich so auffassen zu dürfen, daß die
-geistigen Geschehnisse ebenso sich als energetische auffassen und
-deuten lassen, wie alle übrigen Geschehnisse auch.“ Diese Theorie wird
-an den Tatsachen des Lebens erläutert. Zunächst das rein Animalische
-bietet keine Schwierigkeit, die Vorgänge im Körper sind ja die gleichen
-wie sonst in und an beliebigen Körpern. Sind die Vorgänge in der
-physischen Welt überhaupt nur Energieumwandlungen, so sind sie es auch
-im Körper der Lebewesen. Die Sinneswahrnehmungen sollen gleichfalls
-nur solche Umwandlungen bedeuten. Energien gelangen an und in unsere
-Sinnesorgane, dort werden sie in andere Energien umgewandelt (z. B. wie
-die Lichtenergie im Sehpurpur des Auges auch in chemische Energie),
-dann findet eine Leitung durch den Nerv (seinen Achsenzylinder)
-statt, als „Nervenenergie“, deren Art Ostwald selbst als noch nicht
-bestimmbar angibt. Im Zentralorgan, Gehirn oder Rückenmark (in den
-Ganglien) angelangt, erfährt die Energie eine abermalige Umwandlung
-in „psychische Energie“ (vielleicht Energie chemischer Zersetzung,
-Dissimilation). Ein Teil wird Wahrnehmung, der andere geht als
-Nervenenergie zurück, wandelt sich in den Organen des Körpers um und
-veranlaßt dort die Energieumwandlungen, die wir in der Bewegung,
-Ausscheidung usf. sehen. Also nur Umwandlung von Energien in Energien.
-Und Ostwald sagt ausdrücklich: „Daß die geistigen Vorgänge in all ihrer
-Mannigfaltigkeit eben nicht als ~Begleiterscheinungen~ der betreffenden
-Energie, sondern ~als diese Energie selbst~ aufgefaßt werden müssen“.
-Also die ganze psychische Tätigkeit ist Energie und deren Umwandlung.
-(Übrigens behaupten die Mechanisten das gleiche in bezug auf Bewegung:
-die psychistische Tätigkeit ist Bewegung und deren Umwandlung. Ostwald
-faßt die Mechanistik anders auf: die psychistische Tätigkeit soll
-danach Begleiterscheinung der Bewegung sein; das ist aber, wie ich
-glaube, nicht die Ansicht Demokrits und seiner Nachfolger.) Was dazu zu
-sagen ist, werde ich im nächsten Abschnitt beibringen.
-
-Hier will ich nur einen der interessantesten Punkte dieser Energetik
-hervorheben. Ostwald meint, die wesentlichste Energie in uns sei
-die chemische. Nun lassen sich chemische Anordnungen ersinnen und
-aufweisen, welche wiederholte Vorgänge leichter ausführen als
-erstmalige. Dieses vergleicht Ostwald mit dem Gedächtnis in den
-Lebewesen sowohl hinsichtlich des Eigenlebens als hinsichtlich
-der Vererbung, also die chemische Erinnerungsfähigkeit mit der
-psychischen. Indem er dann weiter das Bewußtsein des Ich gleichfalls
-in die Erinnerung und die Erinnerungsmöglichkeit setzt, gewinnt er
-einen Zusammenhang dieses Bewußtseins mit der chemischen Erinnerung.
-So sagt er dann: „Hier schützt uns die Energetik alsbald gegen die
-kindliche Vorstellung von der ‚Aufbewahrung der Erinnerungsbilder‘
-in den Zellen des Gehirns, indem sie an die Stelle der ~Bilder~ die
-entsprechenden Vorgänge, das heißt an die Stelle einer gedachten
-~räumlichen~ Mannigfaltigkeit, für welche kein Substrat nachzuweisen
-ist, eine ~zeitliche Reaktionsfolge~ setzt, die allein dem zeitlichen
-Charakter der geistigen Vorgänge gerecht wird“. Ostwald hat mit der
-Ersetzung des Raumes durch die Zeit sicher recht, wenn jemand die
-Bilder im Raume annehmen würde. Der Psychiker tut das aber nicht; er
-setzt sie in die Seele, die mit dem Raum gar nichts zu tun hat. Der
-Mechanist muß freilich die Bewegungen im Gehirn verteilt annehmen.
-Der Energetiker hebt -- so muß man wohl Ostwald verstehen -- den
-Begriff des Raumes überhaupt auf, da er den der Masse auflöst.
-Darüber später. Gleichwohl ist es schwer einzusehen, wie aus der
-Reaktionsfolge Erinnerung und Erinnerungsvermögen sich ergeben sollen.
-Jeder Schritt in einer Reaktion ist ja geschwunden, sobald er beendet
-ist; er hat ja kein Bleibendes eben als Folge. Wie soll da im Laufe
-einer Reaktionsfolge ein vergangener Schritt zum Vorschein kommen?
-Wir entwickeln einen Gedankengang, das wäre eine Reaktionsfolge. Wir
-können ihn nur entwickeln, wenn wir alle Schritte dieses Ganges uns
-fortwährend vorhalten; sobald ein Schritt uns nicht gegenwärtig ist,
-haben wir den Faden verloren, wie wir sagen. Also soll eine physische
-Reaktionsfolge bei jedem Schritt die ganze voraufgegangene Reaktion
-zugleich darstellen. Das ist notwendig; die einfache Nachwirkung von
-Reaktionen, wie sie in der Physik und Chemie bekannt sind -- ein
-Kautschukfaden dehnt sich anders, wenn er vorher schon gedehnt gewesen
-ist, als wenn er das nicht war -- genügt nicht. Die ganze verflossene
-Reaktion muß bei jedem Schritt der Reaktion immer wieder da sein. Es
-ist dieses ein Seitenstück zu der Darlegung der organisierten Körper
-als Maschinen mit ganz gleichen Maschinen als kleinsten Teilchen
-derselben. Ich weiß nicht, wie man das verstehen soll. Nun gar das
-Erinnerungs~vermögen~. Hier soll irgendeine Reaktion längst verflossene
-Reaktionsfolgen hervorrufen, die mitunter mit ihr nicht die geringste
-Ähnlichkeit haben, wie wenn man einen Ton hört und sich dabei einer
-Farbe erinnert oder eines Gegenstandes oder einer Begebenheit. Die
-Vorstellungen ohne Substrat müssen ja nach dieser Theorie gleichfalls
-Reaktionsfolgen von Energien sein. Ich hebe diese Bedenken schon hier
-hervor. Über die Auffassung unserer geistigen Tätigkeiten, unserer
-Gefühle, unserer Anschauungsformen, unserer Kategorien (ob erworben
-oder nicht erworben) im Sinne der Energetik, hat sich Ostwald nicht
-ausgesprochen; er hat selbst anerkannt, daß das meiste noch sehr dunkel
-sei.
-
-Ostwald hat in seiner Energetik den Begriff der Materie in den der
-Energien aufgelöst. Ich muß auch darauf hier schon eingehen, da wir
-wissen müssen, was diese Auflösung eigentlich bedeutet. Auch ist
-sie für seine Theorie von größter Wichtigkeit. Jede Energie ist
-~zwiespältig~, ein Produkt von zwei Faktoren, der ~Intensität~ und der
-~Kapazität~. Der nicht physikalisch vorgebildete Leser wird mich am
-besten an einem Beispiel verstehen. Lebendige Kraft (Masse mal Quadrat
-einer Geschwindigkeit) ist eine Energie. Steigen wir auf einen Turm
-und lassen da ein Kilogramm aus freier Hand herunterfallen, so bekommt
-dieses, an der Erde angelangt, eine bestimmte Geschwindigkeit und eine
-bestimmte lebendige Kraft, Energie. Nehmen wir statt ein Kilogramm ein
-Stück von zwei Kilogramm, so langt dieses an der Erde mit der gleichen
-Geschwindigkeit an, aber seine lebendige Kraft ist doppelt so groß.
-Bei drei Kilogramm ist die Geschwindigkeit wiederum die nämliche,
-aber die lebendige Kraft dreimal so groß usf. Also richtet sich die
-Aufnahmefähigkeit, Kapazität, für diese Energie nach der Masse. Diese
-ist der eine Faktor. Nun besteigen wir einen anderen, viermal so hohen
-Turm und lassen wieder das eine Kilogramm frei fallen. Wir finden
-jetzt die Energie unten am Boden, indem die Geschwindigkeit, mit der
-das Kilogramm dort anlangt, jetzt doppelt so groß ist, aufs vierfache
-gesteigert. Bei einem neunmal so hohen Turm würden wir unten am Boden
-das Kilogramm mit der dreifachen Geschwindigkeit ankommen sehen
-und bei ihm eine neunfache Energie bemerken usf. Also ist hier die
-Geschwindigkeit entscheidend. Diese, oder vielmehr ihr Quadrat, ist
-das zweite an der Energie, ihr Intensitätsfaktor. Was hat nun Masse
-mit Geschwindigkeit zu tun? Wir können jeder Masse jede beliebige
-Geschwindigkeit erteilen. In der behandelten Energie sind aber Masse
-und Geschwindigkeit zu einem Produkt vereint. Entsprechendes gilt für
-alle Energien ausnahmslos. Alle führen ein zwiespältiges Dasein nach
-zwei Richtungen.
-
-Wir haben gewissermaßen eine Spinozasche Substanz mit zwei Attributen:
-Intensität, Kapazität. Das wäre ganz gut. Aber diese Attribute sind
-voneinander ~absolut unabhängig~; jedes kann für sich beliebig
-konstant bleiben, wenn das andere variiert, oder variieren, wenn das
-andere konstant ist; und variieren beide, so variiert jedes durchaus
-nur für sich, ohne jede Beziehung zum anderen. Nicht einmal eine
-Parallelvariation, wie bei den Spinozaschen Attributen der Substanz,
-ist hier vorhanden. Auch die Abhängigkeit von der Energie ist nur eine
-relative, denn wenn letztere variiert, braucht nur eines der Attribute
-mit zu variieren, und wenn beide Attribute reziprok variieren, bleibt
-die Energie konstant. Daraus folgt, daß keines der Attribute in Energie
-aufgelöst ist. Beide Attribute, Kapazität und Intensität, stehen neben
-Energie durchaus selbständig da. Nun ist in den wichtigsten Vorgängen
-Masse eine solche Kapazität. Somit ~bleibt~ die Masse. Sie hat nur
-ihren Namen geändert; sie ist als Kapazität einem allgemeinen Begriff
-untergeordnet, zu dem Volumen, Form, Elektrizitätsmenge usf. gehört.
-Eine wirkliche Vereinfachung hat so wenig stattgefunden, wie bei
-mechanischen Vorgängen, wenn man das Bewegungsmoment einführt, das
-gleichfalls Kapazität und Intensität hat, Masse und Geschwindigkeit.
-Und alle Schwierigkeiten, die aus dem Begriff der Masse erwachsen,
-namentlich alle Dualismen, sind in der Energetik nicht vermieden; sie
-bleiben als solche und müssen sofort zutage treten, sowie man die
-Energieumwandlungen in physischen Vorgängen wirklich verfolgt. Was
-wandelt sich da, Kapazität oder Intensität? Oder wandeln sich beide?
-Was bedeuten im einzelnen Vorgang Kapazität und Intensität? Fragt man
-darnach nicht, so weiß man nicht, wie die Energie sich wandelt; ob
-sie in ihrer Art unverändert bleibt oder in eine neue Art übergeht,
-das heißt, ob wir innerhalb der einen Erscheinung bleiben, und diese
-nur intensiv steigt oder fällt, oder ob wir überhaupt eine andere
-Erscheinung erhalten. Also vom Wichtigsten bleibt man ununterrichtet.
-Geht man aber in das Einzelne, so sitzt man sofort wieder fest mit
-der Kapazität und Intensität, zum Beispiel der Masse und dem Quadrat
-der Geschwindigkeit usf. Und das ewige Problem: wie kann Variation
-einer Masse psychische Vorgänge auch nur beeinflussen, zum Beispiel
-sie stärken oder schwächen? bleibt so ungelöst, wie überhaupt in der
-materialistischen Theorie. Denn die Antwort: weil die Masse Kapazität
-der Energie ist, besagt gar nichts für das Problem, sie ändert nur
-den Namen, Kapazität für Masse. Die Energetik leistet, von diesem
-Gesichtspunkte betrachtet, nicht mehr als die Mechanistik; die
-Hauptfragen läßt sie offen.
-
-Gleichwohl darf man zugestehen, daß, wenn sonst nichts gegen sie
-vorläge, sie der Mechanistik vorzuziehen ist, da sie ja bei weitem
-allgemeiner sich darstellt und alles Physische umfaßt, und da
-Arbeit, Energie viel mehr an Psychisches anklingt als Bewegung. Nur
-was sie zu leisten verspricht, das leistet sie tatsächlich nicht:
-Kapazität (darunter auch Masse) und Intensität bleiben jede für
-sich und jede neben der Energie, ganz so, wie in der Mechanistik
-Masse und Geschwindigkeit jede für sich stehen und jede neben dem
-Bewegungsmoment. Sagt der Mechanistiker, alle psychischen Vorgänge
-sind Umwandlungen von Bewegungsmomenten, so spricht er gerade so wie
-der Energetiker. Aber das Erhaltungsprinzip, das doch für Energien
-immer, für Bewegungsmomente nur ausnahmsweise gilt? Das Prinzip hat
-für die ~Art~ der Vorgänge gar keine Bedeutung. Man kann aus ihm
-für diese Art absolut nichts entnehmen. Es ist für die Grundfrage
-völlig irrelevant. Die Energetik sagt: psychische Vorgänge sind
-Energieumwandlungen. Wir erfahren damit, daß sie dem Prinzip der
-Erhaltung unterworfen sind. Aber was da wandelt, wie es wandelt,
-erfahren wir durchaus nicht, da wir es doch erfahren müssen, wenn
-wir nicht ein Wort für ein anderes setzen, und wenn wir zwischen
-den verschiedenen psychischen Vorgängen unterscheiden wollen. Meint
-man, daß wir das jetzt noch nicht können und daß die Zukunft uns
-das aufdecken muß -- wohl! Aber die Rollen der Kapazitäten und der
-Intensitäten muß die Energetik so gut wie die Mechanistik sogleich
-aufdecken. Sogleich muß sie zeigen, warum, wenn im Gehirn eine Masse
-variiert, zum Beispiel Wasser austritt, Ermüdung und Bewußtlosigkeit
-entstehen können. Die Antwort, weil damit eine Energieänderung
-verbunden ist, belehrt nicht. Denn erstens braucht das gar nicht der
-Fall zu sein, da der zweite Faktor, die Intensität, die Energieänderung
-durch die Stoffänderung sowohl nach Stärke als nach Art aufheben kann.
-Zweitens ist eine solche Antwort nur eine Antwort in Worten, gerade so
-wie in der Mechanistik. Über der Energie sind ihre beiden Faktoren zu
-sehr vergessen worden. Obwohl sie doch so variieren können, daß die
-Energie überhaupt nicht variiert, weder nach Stärke noch nach Art. Was
-dann wirklich geschieht, werden wir uns ja leicht vorstellen, es kann
-das ganze Leben zerstört werden. Was geschieht dann aber psychisch nach
-der Energetik? Gar nichts!
-
-Ich habe dieses alles erwähnen müssen, nicht um die Mechanistik
-gegenüber der Energetik hervorzuheben -- die Mechanistik ist meines
-Erachtens noch bei weitem unbrauchbarer auf psychischem Gebiete als
-die Energetik --, sondern um klarzulegen, was wir an der etwas stark
-prätentiös auftretenden Lehre der Energetik haben, worin sie uns
-gerade so in Stich läßt wie alle physischen Theorien. Was im nächsten
-Abschnitt zu sagen ist, wird das Vorstehende noch sehr verstärken.
-
-~Häckel~ ist nicht so weit gegangen wie Ostwald, er hat der Materie
-ihr Recht gelassen und möchte alles aus Umwandlungen von Materie
-und Energie erklären. Häckel ist materialistischer Spinozist. Mit
-Spinoza nimmt er ein Ding-an-sich an, und an diesem Ding Attribute.
-Für das eine Attribut setzt er, entsprechend der Ausdehnung nach
-Spinoza, die Materie. Als zweites Attribut nimmt er die Energie an.
-Indessen fühlt er selbst sich gezwungen, dieses Attribut in zwei
-Attribute zu zerlegen: in Energie, nach Art dessen, was wir gewöhnlich
-Energie nennen, nämlich die gewöhnliche physikalisch-chemische, oder
-physische, wie wir kürzer sagen, und in Energie, die er als ~Psychom~
-bezeichnet. Letztere ist etwa die psychische Energie nach Ostwald.
-Allein während Ostwald diese Energie nur so bezeichnet, weil er frei
-lassen will, daß in psychischen Vorgängen auch andere Arten von Energie
-mitwirken als die wir vorläufig kennen, haben Häckels Psychome eine
-selbständigere Bedeutung. Sie wandeln wie die anderen Energien und
-mit den anderen Energien, jedoch sie erhalten sich selbst, ohne diese
-anderen Energien. Dadurch aber sind sie scharf von ihnen geschieden,
-und sie sind ein ~drittes~ Attribut des Ding-an-sich, der allgemeinen
-Substanz. Häckel sagt in seinem an Sich ausgezeichneten und höchst
-edel geschriebenen Buche „Die Welträtsel“, einem Buche, das übrigens
-den einzigen wirklichen Versuch einer Enträtselung der Welt auf Grund
-der modernen Naturwissenschaft unternimmt: „Die drei fundamentalen
-Attribute der Substanz (des Ding-an-sich): a. Raumerfüllung oder
-Ausdehnung, Stoff (= Materie); b. Bewegung oder Mechanik, Kraft (=
-Energie); und c. Empfindung oder Weltseele, Geist (= Psychom) sind
-demnach ganz allgemeine Grundeigenschaften aller Körper.“ Und --
-was also besonders bedeutungsvoll ist -- das Erhaltungsgesetz, das
-er für die beiden ersten Attribute, Materie und Energie, für jedes
-besonders, annimmt, läßt er in ganz gleicher Weise für das dritte
-Attribut, das Psychom abermals besonders, gelten, denn gesperrt
-gedruckt stellt er den Satz hin: „~Die Summe der Empfindung im
-unendlichen Weltraum ist unveränderlich.~“ Also die drei Attribute
-stehen nebeneinander; es handelt sich um eine ~Trinität~ der Welt, die
-Häckel auch nennt. Materialist ist er nur darin, daß er dem dritten
-Attribut die Eigenschaft der zwei anderen Attribute zuschreibt, was
-aber gleichfalls Spinoza entsprechen würde. Indem er aber bei diesem
-dritten Attribut von stufenweiser Verschiedenheit in der Reihe der
-Körper spricht, von Erwerbung in der Entwicklung (der ontogenetischen
-wie der phylogenetischen) und von Vererbung, stellt er es noch weiter
-ab von der physischen Energie, bei der nichts von derartigem zu finden
-ist, als allein aus der Verselbständigung folgen würde. Seine Lehre ist
-aber durchaus eine Entwicklungslehre. Was also von dieser gesagt ist
-und von ihrem Verhältnis zu den psychischen Eigenheiten, trifft hier
-in jeder Hinsicht völlig zu. Und Häckel selbst kommt ja dem entgegen
-durch die Sonderstellung des Psychomattributs. In allem aber, was er
-von der Entwicklung des Bewußtseins spricht, so schön es ist, kann
-man im Grunde nur eine Verfolgung der Bewußtseinszustände durch die
-organische Reihe sehen. Wie aber diese Zustände ~physisch~ entstanden
-sind, wie sie sich ~physisch~ entwickeln, davon wird nichts gesagt. Und
-das gerade ist doch für uns die Hauptsache. Die geringste seelische
-Regung zeigt sich so grundverschieden von jeder physischen Kraft, jedem
-physischen Vorgang, jeder physischen Umwandlung, daß sie schon ein
-Wunder dünkt, und daß es uns gar nichts hilft, wenn man uns erklärt,
-daß zwischen unserer geistigen Tätigkeit und der der tiefststehenden
-Lebewesen eine kontinuierliche Stufenleiter ist. Wir können das
-zugeben. Aber woher selbst nur die erste tiefste Seelentätigkeit?
-Die Frage bleibt unbeantwortet wie die: woher das erste tiefste
-organisierte Wesen (nach Kant)? Hätte Häckel das nicht selbst gefühlt,
-so würde er das Psychom als drittes Attribut nicht von der Energie
-absolut abgesondert haben in seinem Wesen, es sogar für vererblich
-erklärt haben.
-
-Ostwald und Häckel sind die originalen Schöpfer der Energetik der
-Psyche, nach zwei recht verschiedenen Richtungen. Ihre Schüler haben
-nichts Wesentliches hinzugefügt, nicht selten aber die Lehren ihrer
-Meister höchst mißverstehend angewendet. Nur den bekannten Physiker
-~Felix Auerbach~ muß ich hervorheben, doch spreche ich von ihm später.
-
-
-53. ~Über die physischen Welt- und Lebenanschauungen überhaupt;
-Weltende, Unsterblichkeit.~
-
-Wir kommen zu einer letzten Besprechung der vorstehend dargelegten
-Anschauungen und nehmen erst die unbelebte Welt. Es handelt sich
-allein um den Anfang, da nur hier etwas Außer- und Übernatürliches
-in Frage kommen kann, für alles Folgende aber wir auf dem physischen
-Standpunkt durchaus bleiben dürfen. Von dem Anfang nun wissen wir,
-bestimmt, nichts. Aber wir können auf ihn schließen aus dem Ende,
-falls wir annehmen, daß die Welt nicht unendlich ist an Stoff und
-Energie. Diese Annahme der Begrenztheit an Stoff und Energie -- sie
-entspricht der Anschauung von E. Dühring (S. 417) -- wollen wir
-machen; ob sie sich rechtfertigen läßt, ist später untersucht. Wir
-haben drei regulative Prinzipe kennen gelernt, nur das dritte kommt in
-Betracht. Dieses Prinzip hat zur Folge, daß alle Vorgänge, erzwungene
-und freie zusammen, die in einem absolut abgeschlossenen System
-stattfinden, dahin gerichtet sind, in diesem System einen bestimmten
-Zustand herzustellen, in dem nur noch in sich genau zurücklaufende und
-rückgängig zu machende Vorgänge möglich sind, wie zum Beispiel Bewegung
-von Körpern in stets gleichen Bahnen. Wo nun Widerstände vorhanden
-sind und wo Energien mitspielen, die nur beschränkt sich in andere
-Energien umwandeln, besteht keine Möglichkeit für genau rückgängig
-zu machende Vorgänge. In diesen Fällen geht der Endzustand in einen
-solchen über, in dem überhaupt keine Vorgänge mehr vorhanden sind;
-das System ist, wie wir sagen können, physisch tot. Und -- das ist
-das Wichtigste -- ~allein aus sich heraus kann dieses System niemals
-wieder zu Leben gelangen, es bleibt in Ewigkeit in dem gleichen
-Beharrungszustand, wenn von außen nicht etwas eingreift~. Dehnen wir
-diesen Satz auf das Universum aus, so würde er bedeuten, daß, wenn jene
-genannten Bedingungen erfüllt sind, auch das Universum einmal physisch
-absterben, in einen bestimmten Beharrungszustand übergehen muß. Nun
-kennen wir in der Tat Energien, die, nach den Verhältnissen, wie sie
-eben im Weltall bestehen, nur beschränkt verwandelbar sind. Dazu gehört
-als die wichtigste Energie die Wärme. Ob auch im Weltenraume überall
-Widerstände vorhanden sind oder nur in beschränkter Zahl auftreten,
-wissen wir natürlich nicht. Wir wissen aber, daß überall ungeheure
-Massen von kleinen Körpern und von Staubwolken verbreitet sich finden.
-Wir wissen, daß sehr oft Himmelskörper zusammenstoßen. Endlich sind
-wir mehr und mehr gezwungen, anzunehmen, daß der Weltenraum mit einem
-Stoff erfüllt ist, dem Äther, der ganz außerhalb alles Materiellen
-stünde, wenn er nicht der Bewegung der Körper durch ihn einen -- wenn
-auch noch so geringen -- Widerstand leistete. Über die Natur des Äthers
-wird freilich noch viel zwischen den Gelehrten gestritten. Jedenfalls
-haben wir Widerstände im Weltall, und wenn etwa irgendwo ein System
-sich in der Tat absolut widerstandslos in Ewigkeit bewegen sollte,
-wofür aber kaum eine Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, so würde eben
-der Endbeharrungszustand die Bewegung dieses Systems einbegreifen.
-Von den verlorenen Vorgängen könnte aber keiner allein aus der Welt
-heraus wieder erstehen. Ich habe mich hier absichtlich sehr vorsichtig
-ausgedrückt. Andere fassen das „Ende der Welt“ viel schärfer. Hier
-betrifft das Ende entweder alle Vorgänge oder wenigstens gewisse
-Vorgänge.
-
-Wenn aber ein Vorgang ein Ende hat, so muß er in einer endlichen Welt
-einmal begonnen haben. Er kann aus anderen Vorgängen erwachsen sein,
-wie Wärmebewegung aus dem Zusammenstoß von Körpern. Dann sind es diese
-anderen Vorgänge, an die wir uns zu halten haben. So können wir in
-der Reihe weiter zurückgehen. Ist nun die Welt endlich, so müssen wir
-in endlicher Zeit auf etwas gelangen, hinter dem die Reihe nicht
-mehr fortgesetzt werden kann, da in einer endlichen Welt die Zahl der
-Zustände nicht unendlich sein kann. Das bedeutet aber, daß irgend wann
-Vorgänge geschaffen sein müssen, aus denen heraus sich alle Vorgänge
-unserer Welt entwickelt haben, die zuletzt wieder zur Beharrung führen.
-Wieviele Vorgänge geschaffen sein sollen, ist gleichgültig, denn eine
-Schöpfung ist eine solche, ob es sich um Millionen von Vorgängen
-handelt oder nur um einen Vorgang. Das gilt für die gesamte Welt, auch
-wenn Kohärenzen (S. 441) stattfinden. Also für eine endliche Welt
-kommt man -- so lehrt die Naturwissenschaft -- nicht ohne einen Anfang
-aus, das heißt, nicht ohne einen Schöpfungsakt der Vorgänge. Eugen
-Dühring nimmt, wie wir wissen (S. 417), gleichfalls einen vorgangslosen
-Urzustand der Welt an. Er lehnt einen Schöpfungsakt für die Vorgänge,
-oder wenigstens für einen Vorgang, ab. Wie er aber dann zu einer Welt
-mit Vorgängen kommen will, ist rein naturwissenschaftlich absolut nicht
-zu ersehen. Eine Schöpfung, ob durch Gott oder eine Weltseele, ist ganz
-unausweichlich. Ein absoluter Ruhezustand kann aus sich niemals einen
-Vorgang hervorbringen. Es bedarf dazu durchaus eines Einwirkens von
-Außen.
-
-Es ist begrifflich gleichgültig, ob wir von einer Schöpfung der
-Vorgänge, oder der Körper, oder einer Materie im Sinne eines Chaos
-sprechen. Doch ist es zweckmäßig, nicht mehr zu sagen als die Lehre
-ergibt. Gleichwohl möchte ich noch folgendes hinzufügen. Die neuere
-Wissenschaft führt mehr und mehr zu der Anschauung, daß, was man letzte
-Teilchen der Materie nennt, Atome, Korpuskeln usf., Ungleichheiten
-im Weltäther bedeuten, wie kleine Wirbel Ungleichheiten in einem
-Wasser. Die Körper wären Ansammlungen solcher Ungleichheiten.
-Ungleichheiten aber können entstehen und vergehen. Sind in dem Stoff,
-in dem sie sich finden, hier der Weltäther, Widerstände vorhanden,
-so müssen die Ungleichheiten einmal entstanden, das heißt geschaffen
-sein. Dann reduzierte sich der Anfang auf den Äther allein, außer
-der Schöpferkraft. Und zuletzt müssen die Ungleichheiten schwinden.
-Zusammen bedeutet dieses, daß die Welt der Materie geschaffen ist und
-allmählich sich auflöst. Mit dem Prinzip der Erhaltung der Materie
-steht das nicht im Widerspruch, wenn wir den Äther in Rücksicht
-ziehen, denn die Ungleichheiten lösen sich eben nur auf, der Äther in
-ihnen bleibt. Was die Energien anbetrifft, so müssen sie am Anfang
-alle sogenannte Spannungsenergien gewesen sein, und zwar, wenn auch
-die Materie geschaffen ist, solche im Äther. Der große englische
-Physiker Maxwell hat derartige Energien im Äther angenommen. An die
-Materie knüpfen sie sich entweder nur scheinbar oder tatsächlich, wenn
-die Materie selbst nur Äther in besonderem Zustand ist. Aus diesen
-ursprünglichen Spannungsenergien sind dann durch die Geschehnisse
-die anderen Energien hervorgegangen, und in diese Spannungsenergien
-werden diese anderen Energien zurückkehren, wenn die körperliche Welt
-das bezeichnete Ende, auch der Körper, gefunden hat. Das Ende ist der
-Anfang. Eine Idee, die übrigens schon bei den Alten sich findet.
-
-Ist nun die Welt wirklich endlich? Darüber kann man nur Vermutungen
-anstellen. Die meisten werden der Ansicht sein, daß das nicht der
-Fall ist. Indessen haben William Thomson (Lord Kelvin) und Ritter
-Berechnungen über die möglichen Geschwindigkeiten der Himmelskörper im
-Weltall aufgestellt, aus denen sich ergibt, daß die materielle Welt
-nicht wohl unendlich angenommen werden kann. Ich darf auf mein Buch
-„Die Entstehung der Welt“ usf. verweisen. Wäre diese Welt unendlich,
-so müßte sie entweder erst seit endlicher Zeit bestehen, geschaffen
-sein, oder die Himmelskörper sollten außerordentlich viel größere
-durchschnittliche Geschwindigkeiten aufweisen, als sie solche zeigen.
-William Thomson geht so weit, die Zahl der Himmelskörper, an der
-Größe der Sonne gemessen, auf höchstens Tausend oder zehntausend
-Millionen zu schätzen. Selbstverständlich ist eine solche Schätzung
-nicht entscheidend, da wir einerseits nicht bis in die unendlichen
-Tiefen des Raumes tauchen können, andererseits unsere Kenntnisse von
-den Geschwindigkeiten der Gestirne doch nur sehr beschränkt sind.
-Aber während die Antinomie der Vernunft an sich Unendlichkeit und
-Endlichkeit gleich wahrscheinlich läßt, ist für die Endlichkeit doch
-wenigstens ein Argument aus der Wirklichkeit beigebracht, während
-die Unendlichkeit nur durch eine Meinung vertreten werden kann. Das
-Argument müssen wir anerkennen. Und so ist die Endlichkeit der Welt
-wahrscheinlicher als die Unendlichkeit, und damit die Schöpfung
-wahrscheinlicher als die Anfangslosigkeit.
-
-Um einer solchen, für den Materialismus ja verhängnisvollen, Schöpfung
-(als Folge des Endes) zu entgehen, hat Häckel gemeint, jenes dritte
-Weltprinzip gelte zwar für isolierte endliche Systeme, nicht aber für
-das Universum, denn in der Unendlichkeit könne manches vorkommen,
-was das Prinzip durchbricht. (Ich weiß nicht, ob er dabei an die
-Boltzmann-Planckschen Kohärenzen gedacht hat, die ja aber das Prinzip
-gerade im Universum nicht durchbrechen.) Das heißt doch eigentlich,
-Vorgänge im Universum zugestehen, die man für irgendwelche endliche
-Teile der Welt absolut leugnet. Nun wissen wir freilich nicht viel
-vom Universum, aber seine Einheitlichkeit ist doch gut erwiesen.
-Und ferner: will man hier besondere, in dem uns bekannten Teil der
-Welt verbotene Vorgänge zugestehen, dann fallen alle Naturgesetze,
-namentlich auch die beiden Erhaltungsgesetze für Materie und Energie,
-die wir doch auch nur in sehr beschränktem Gebiete prüfen können.
-Es liegt also hier eine arge Inkonsequenz vor. Man kann nicht
-monistisch-materialistisch auf einer Seite die absolute Gleichheit in
-der Natur behaupten, und auf der anderen Seite ein Gesetz, das für noch
-so große und noch so gelegene Systeme der Welt Geltung haben soll, für
-die ~ganze~ Welt ableugnen, ohne gerade das einzuführen, was ja der
-Materialist am meisten bekämpft, außerweltliche Eingriffe.
-
-Wir wenden uns zu der ~belebten Welt~. Über die Mechanistik selbst,
-wie sie vorzustellen sein möchte, ist nichts zu sagen; Bewegung,
-Stoß, Druck, Strahlung sind allen bekannt. ~Zehnder~ hat in einer
-Schrift: „Das Leben im Weltall“ vielleicht das vollständigste und
-durchgearbeitetste materialistisch-mechanistische System für die
-Struktur und die Bildung der Lebewesen gegeben. Ich kann die
-Lektüre dieser ausgezeichneten und anregenden Arbeit nur auf das
-angelegentlichste empfehlen. Doch wird der Leser an der Hand der
-vorstehenden und der noch folgenden Auseinandersetzungen bald ersehen,
-daß für die Lösung unserer Fragen, trotz der tiefen Untersuchung,
-nichts gewonnen ist, wie meines Erachtens auf diesem Wege auch
-gar nichts gewonnen werden kann. Den Ansichten Zehnders über die
-~Fistillen(Röhrchen-)struktur~ der kleinsten Elemente der organischen
-Gewebe dürfte aber neben der von Quincke und anderen vermuteten
-~Schaumstruktur~ des Protoplasma vielleicht dauernder Wert zukommen.
-
-Eingehender muß ich von der Energetik sprechen. Was da zu entwickeln
-ist, werden wir auf die Mechanistik anwenden, soweit über diese
-noch etwas bemerkt werden muß. Das physische Leben soll also
-Energieumwandlungen sein. Über die Art der Energien und ihrer
-Umwandlung ist nichts gesagt. Etwas kann aber darüber festgesetzt
-werden, und muß es auch, wenn die Energetik nicht von vornherein
-abgewiesen werden soll. Es stehen nämlich die Folgen der einwirkenden
-Energien mitunter in gar keinem Verhältnis zu der Stärke dieser
-Energien, was sie doch nach dem Prinzip der Erhaltung tun müßten.
-Hier hilft nur die Erfahrung aus, daß ungeheure Wirkungen durch
-geringe Ursachen ausgelöst werden können, wie die Explosion eines
-Pulverfasses durch einen Funken. Der Funke reißt vielleicht nur zwei
-Atome des Pulverhaufens auseinander, aber das genügt, daß nunmehr alle
-Atome des Haufens auseinanderfahren. Der Funke hat mit seiner Energie
-die Spannungsenergie im Pulverhaufen frei gemacht, daß sie sich in
-furchtbare Explosionsenergie verwandelt.
-
-Ich glaube nun, daß, wenn man die Seelentätigkeiten überhaupt als
-Energien ansehen will, man sie als ~auslösende Energien~ betrachten
-muß. Daß der Wille wie eine auslösende Tätigkeit wirkt, ist schon
-lange vermutet und behauptet worden. Ich meine aber, daß alle anderen
-Seelentätigkeiten gleichfalls nur auslösend sich kundtun. Es seien
-zur Klarstellung einige Beispiele angeführt. Ein Riß, ein Schnitt
-in unseren Körper kann keine größere physikalisch-chemische Energie
-bedeuten, als zum Zerteilen des betreffenden Gewebes erforderlich
-ist. Diese Energie bringt das Gefühl Schmerz hervor. Und welche
-enormen physikalisch-chemischen Energien kann dieser Schmerz zur
-Äußerung bringen: Schreien, Weinen, Umsichschlagen, Krampf aller
-Muskeln, selbst Selbstverletzung usf., Energien, die schon jede für
-sich die ursprünglich angewandte Energie beim Riß oder Schnitt bei
-weitem überragen. Fände nur eine Umwandlung statt, so dürften sie
-alle zusammen nur höchstens so intensiv sein wie diese letztere
-Energie. Also sind durch die Seelentätigkeit Schmerz ganz neue
-physikalisch-chemische Energiemengen ins Leben gerufen, sie können
-nur ausgelöst sein. Dazu denke man noch, daß wir diese Energien bis
-zu einem gewissen Grade durch unseren Willen ja auch zu unterdrücken
-vermögen; wir halten uns tapfer oder wir schämen uns, uns so gehen
-zu lassen, die Energien sind dann nicht ausgelöst, ein Antagonist
-gegen den Schmerz, der Wille, hat ihre Auslösung gehemmt. Beispiele
-entsprechender Art ließen sich unzählige anführen; man denke an die
-ungeheuren Energieentwicklungen, welche das Ehrgefühl, das Rachegefühl,
-die Liebe usf. im Gefolge haben können und haben, während die auf
-uns einwirkende physikalisch-chemische Energie -- ein Wort, also
-ein Schall, der unser Gehör trifft, oder Licht, von der Geliebten
-Gestalt in unser Auge gestrahlt, und ähnliches -- äußerst geringfügig
-sein kann. Ferner, wir sind imstande, eine Unzahl von Bewegungen mit
-demselben Willen gleichzeitig auszuführen. Als Knabe habe ich in meinem
-Heimatorte fahrende Musikanten bewundert, die ein ganzes Orchester
-waren; Hand und Fuß, Kopf und Mund, kurz, fast jeder Körperteil
-bearbeitete ein Instrument, und nicht selten klangen alle Instrumente
-zugleich und machten einen Heidenlärm. Wir vermögen ja auch von
-einer Zentrale beliebig viele Sprengungen zugleich zu vollführen,
-alles auslösend. Man könnte im letzten Beispiel freilich sagen, um
-mehr oder viel zu tun, bedarf es einer entsprechend vergrößerten
-Willensleistung, wie in dem analogen physikalischen Beispiel die
-Zahl der erforderlichen elektrischen Funken wächst wie die Zahl der
-Sprengungen. Wir besitzen noch kein entscheidendes objektives Maß
-für die Intensität unserer Seelentätigkeiten; was davon nach außen
-zum Vorschein kommt, steht in gar keinem Verhältnis zu ihnen, wie ja
-schon daraus erhellt, daß wir bei noch so heftiger innerer Erregung
-jede Äußerung unterdrücken können, so daß wir wie innerlich völlig
-tatlos erscheinen. Es ist möglich, daß man noch Mittel und Wege
-finden wird, auch die im Inneren verlaufenden Seelentätigkeiten
-physikalisch-chemisch festzustellen und zu verfolgen. Die Wirkungen von
-Reizen auf das Zentralnervensystem werden ja bereits nach geistvollen
-Methoden untersucht. Einstweilen aber wenden wir uns noch am besten an
-uns selbst. Und da glaube ich, daß man zwar seinen Willen stärken und
-schwächen kann, aber nicht, indem man ihn verdoppelt, verdreifacht,
-vervierfacht usf. oder unterteilt, sondern indem man mit dem gleichen
-Willen andere Seelentätigkeiten wie Gleichgültigkeit, Trägheit,
-Abschweifung, Bedenken, Furcht usf., kurz, Antagonisten oder Hemmer
-aus dem Wege schafft. Der „Geübte“ braucht ja auch nur eines relativ
-kleinen Willens, um die physikalisch-chemische äußere Energie zu
-entwickeln, die der Ungeübte bei noch so heftigem Wollen nicht zustande
-bringt, weil eben die Seelentätigkeiten einander nicht beliebig
-weichen, von den bekannten physiologischen Verhältnissen zu schweigen,
-da sie im letzten Grunde -- selbst wenn für „gewohnte Nervenbahnen“
-andere histologische Struktur oder chemische Zusammensetzung oder
-physikalisches Verhalten nachgewiesen sein sollten, wie für die
-ungewohnten -- doch wieder auf psychologische Verhältnisse zurückführen.
-
-Die obigen Auseinandersetzungen mögen noch Zweifel lassen, im ganzen
-werden sie aber wohl die aufgestellte Behauptung rechtfertigen, daß die
-psychischen Energien ~auslösende~ sind. Über die Frage, wie sich die
-psychischen Energien gegeneinander verhalten, wird später gesprochen
-werden.
-
-Indessen haben die psychischen Energien noch ganz andere Aufgaben
-zu erfüllen, als nur Energien auszulösen. Vier Klassen von
-Zusammenwirkungen zwischen physischen und psychischen Energien sind zu
-unterscheiden: physische Energien gegen physische, psychische Energien
-gegen physische, physische Energien gegen psychische, psychische
-Energien gegen psychische.
-
-Die erste Klasse bietet gegenwärtig grundsätzlich kein besonderes
-Interesse mehr. Es besteht, wie schon oft hervorgehoben, kein Zweifel,
-daß alle physikalischen und chemischen Vorgänge im Körper der Lebewesen
-ganz nach den Gesetzen der physikalisch-chemischen Vorgänge überhaupt,
-wie sie in der unbelebten Welt sich abspielen, erfolgen. Das haben
-unsere großen Physiko-Physiologen Johannes Müller, du Bois-Reymond,
-Helmholtz und viele andere unzweideutig nachgewiesen.
-
-Die zweite Klasse ist schon schwieriger zu übersehen. Es handelt sich
-hier um die Wirkungen der Psyche auf den Körper. Wir nennen sie, nur
-dem Brauch folgend, motorische Wirkungen. An sich sind sie nicht bloß
-bewegend, sondern überhaupt auch der Art nach sehr mannigfaltig.
-Wir haben Bewegungen, wie die der einzelnen Gliedmaßen, mancher
-Eingeweide, des Herzens, der Augen usf. Der Wille löst hier lebendige
-Kräfte aus. Dann kommen Ausscheidungen, Sekretionen, wie die in den
-Verdauungsorganen und den Drüsen. Mit solchen Wirkungen verbinden
-sich die Vorgänge bei der Aufnahme von Stoffen in den Körper, durch
-unmittelbare Einführung, durch Absorption, Osmose usf. Kurz, alles was
-zum Wachstum, zur Ernährung und zur Erhaltung des Körpers dient. Diese
-Wirkungen sind nicht mehr rein motorischer Art, hier spielen chemische
-und besondere physikalische Energien mit, aber immerhin handelt es sich
-noch um Auslösung von Energien. Nun aber kommen Wirkungen der Psyche
-auf den Körper, die rein ~regulierend~ sind. Wir können hierher schon
-Hunger, Durst, Atemnot, Sekretionsdrang und ähnliches rechnen, die
-analog den Zentrifugalregulatoren unserer Dampfmaschinen wirken. Sie
-regulieren den Stoffgehalt, also auch den Energieinhalt des Körpers.
-Noch wichtiger ist, daß Seelentätigkeiten die physischen Energien
-zwingen, sich in ganz bestimmter Weise zu äußern und zu wandeln. Das
-wichtigste Beispiel der morphologisch-biologischen Regulierung haben
-wir behandelt (S. 453 f.). Andere Beispiele geben die regulierenden
-Tätigkeiten mittels des Nervus vagus und anderer Nerven auf Herz,
-Zwerchfell, Drüsen, Eingeweide usf. Hier handelt es sich also nicht
-mehr um Umwandlungen von Energien ineinander, sondern um Herbeiführung
-von bestimmten Verhältnissen in diesen Umwandlungen. Die Psyche,
-so können wir zunächst sagen, verhält sich hier dem Energieprinzip
-gegenüber ganz so wie das physische Regulativ, welches gleichfalls
-die Energieumwandlungen innerhalb jenes Prinzips beherrscht. Die
-Energien als solche regulieren ihre Umwandlungen selbst nicht, nur daß
-ihre Summe konstant bleibt, ist gesichert. Aber eine Summe kann aus
-den verschiedensten Summandenreihen hervorgehen; daß eine bestimmte
-Summandenreihe sie bildet, erfordert ein eingreifendes Prinzip. Das
-ist in der Physik und Chemie eben das dritte physische Prinzip. Man
-könnte sagen, in die Lebenserscheinungen greife ebenfalls das dritte
-Weltprinzip ein. Das tut es gewiß. Allein wozu sind die regulierenden
-Gefühle und Nerven vorhanden? Die äußeren Umstände sollten doch,
-wie in physikalischen und chemischen Vorgängen, allein genügen, die
-Umwandlungen zu regulieren. Aber immer, wenn die Umwandlungen einen
-für die Entwicklung oder Erhaltung des Lebens ungeeigneten Verlauf
-einschlagen, tritt die Regulierung durch besondere Seelentätigkeiten
-ein. Wir haben eben zwei Regulierungen, eine rein physische Regulierung
-nach dem physischen Prinzip, bestimmt durch den Zustand des Körpers,
-die rein mechanisch wirkt, wie in einem unbelebten Körper, ganz ohne
-Bezugnahme auf das Leben, und eine Regulierung, die unmittelbar auf das
-Leben gerichtet ist. Diese kommt bei belebten Wesen als neue hinzu.
-Unser Denken ist diskursiv, nicht intuitiv. Wenn wir Teile haben, die
-sich vor uns zu einem Ganzen zusammensetzen, so wissen wir, wie das
-Ganze aus ihnen hervorgegangen ist, haben wir aber nur ein Ganzes,
-so ist uns die Entstehung aus den Teilen verborgen. Kant begründet
-damit in der Kritik der Urteilskraft das Prinzip der Zweckmäßigkeit.
-Das wollen nun die Materialisten nicht anerkennen, sie lehnen es als
-Einbildung ab. Aber ich weiß nicht, wie man rein mechanistisch oder
-energetisch die psychische Regulierung bei Entwicklung des Körpers aus
-den unzähligen Möglichkeiten nach der ganz bestimmten Richtung (S. 450
-f.), und im Körper sich verständlich machen will, ~die zweifellos ein
-Besonderes neben der physischen ist~, die, ich möchte sagen, immer die
-Umstände so wandelt, daß das physische Regulativ so reguliert, wie es
-für die Erhaltung des Körpers erforderlich ist. Das zeigt sich ja schon
-bei der chemisch-physikalischen Assimilation und Dissimilation der
-Stoffe in den Zellen (z. B. den Ganglien), die immer im Gleichgewicht
-gehalten werden, und bei dem Ruhebedürfnis, sobald durch körperliche
-oder geistige Tätigkeit die Dissimilation vorherrschend geworden ist.
-Wenn also die psychischen Tätigkeiten physische Energien auslösen,
-so würden sie auch das physische Regulativ für die Vorgänge zwischen
-den Energien stetig auslösen. Kann man da die psychischen Tätigkeiten
-überhaupt noch als physische Energien ansehen? In der Physik und Chemie
-tun Energien, wie bemerkt, ~nichts~ dergleichen. Nur ~auszulösen~
-vermögen sie und sich ineinander zu wandeln, ~weiter nichts~. Das ist
-noch der entgegenkommendste Ausdruck für das Verhältnis der psychischen
-Regulierung zur physischen. Manche werden sogar geneigt sein, die
-erstere als Kampfregulierung gegen die letztere zu betrachten. Und
-sie hätten recht, da, sobald die psychische Regulierung fehlt und die
-physische frei waltet, der Körper zugrunde geht.
-
-Zu dieser Klasse gehören auch noch diejenigen Auslösungen, welche
-als Ausdruck unserer Seelentätigkeiten nach Außen dienen, wie die
-der physischen Energien beim Sprechen zum Ausdruck der Gedanken und
-Wünsche, beim Wechseln der Gesichtszüge zum Ausdruck der Empfindungen,
-bei vielen anderen Bewegungen zum Ausdruck der Triebe, Gefühle usf.
-Hier liegen die Verhältnisse anscheinend wieder einfach, physische
-Energien treten als Folge von psychischen auf. Die Bedeutung, die diese
-Vorgänge haben, beruht zum großen Teil auf Übereinkommen, wie bei
-der Sprache. In anderen Fällen ist es naturgemäße Abwehr oder Flucht.
-In noch anderen, wie bei Schreien aus Schmerz, das so weit in der
-Tierreihe verbreitet ist, bei Lachen und Singen aus Vergnügen und bei
-Weinen ist es schwer, die Bedeutung abzuleiten.
-
-Wir kommen zur dritten Klasse; sie umfaßt das Tätigkeitsgebiet der
-sensiblen Nerven; Reize der physischen Energien bringen psychische
-Erscheinungen, und zwar fast alle -- die Physizisten sagen,
-überhaupt alle -- hervor. Teilen wir die psychischen Erscheinungen
-ein in: Wahrnehmen (physisch und psychisch), Vorstellen (Anschauen,
-Phantasieren, Erkennen, Erinnern usf.), Empfinden (Fühlen, Begehren
-usf.), Denken (Schließen, Glauben usf.), Wollen, so würden also im
-Extrem alle diese Erscheinungen von physischen Energien hervorgerufen
-werden können. Dagegen läßt sich nichts sagen, jeder weiß es. Und
-wenn der Körper mit der Außenwelt in Verbindung sein soll, muß es ja
-auch selbstverständlich so sein. Es fragt sich nur wie? Wenn jemand
-unsere zur Faust geschlossene Hand ergreift und öffnen will, so löst
-diese Energie unseren Willen aus, und dieser löst die physische
-Gegenwirkung unserer Muskeln gegen den Angriff aus. Das ist einfach:
-ein explodierender Pulverhaufen kann von Feuererscheinungen begleitet
-sein, die den erloschenen Funken, der ihn zur Explosion gebracht
-hat, wieder entzünden. Ähnlich brächten physische Energien in den
-Sinnesorganen psychische Sinneswahrnehmungen hervor, wie die fünf
-bekannten, dazu noch Kälte- und Wärmeempfindung, Schmerzempfindung,
-Gleichgewichtsgefühl, Körpergefühl usf., wobei nicht entschieden zu
-werden braucht, ob spezifische oder nur graduelle Verschiedenheiten
-zwischen einigen dieser Wahrnehmungen bestehen. Schwieriger ist
-es schon, zu begreifen, wenn Reize Erkennen, Erinnern, Denken,
-Fühlen auslösen, und noch mühevoller, wenn dieses mit mehreren
-Seelentätigkeiten der verschiedensten Art zugleich geschieht.
-
-Ich habe bei den bisherigen Betrachtungen die unbewußten
-Seelentätigkeiten von den bewußten nicht getrennt; um so mehr aber muß
-jetzt ein Unterschied gemacht werden. Über das Verhältnis der ersteren
-zu den physischen Energien kann man die Behauptungen nicht prüfen,
-denn es fehlt hier auch die ~innere~ Untersuchung, von der äußeren
-ganz zu schweigen. Bei den bewußten Seelentätigkeiten aber haben wir
-die innere Prüfung zur Verfügung. Hier glaube ich nun behaupten zu
-dürfen, daß zwischen Reiz und ausgelöster Seelentätigkeit stets ein
-anderes sich schiebt, die Kausalität. Es ist bekannt, daß die physische
-Anschauung apriorische Eigenschaften der Psyche nicht anerkennt. Mit
-allen Kategorien soll die Kausalität erworben, aus der Erfahrung
-jedes einzelnen oder ganzer Geschlechter erschlossen, abstrahiert
-sein. Die Kausalität ist dann, wie alle Kategorien, selbst psychisch
-wesenlos, denn die Seelentätigkeit ist das Schließen, nicht das Ende
-des Schließens, der Schluß. Und eine andere Ansicht kann die physische
-Anschauung vom Leben auch gar nicht haben. Von diesem Standpunkte aus
-~folgt~ die Kausalität, wie jede Kategorie, den durch Reize ausgelösten
-Seelentätigkeiten. Der Gegenstand ist außerordentlich schwierig.
-Ich glaube aber, wie schon bemerkt, in meinem Buche „Philosophische
-Grundlagen der Wissenschaften“ naturwissenschaftlich das getan zu
-haben, was Kant philosophisch geleistet hat: erwiesen zu haben, daß
-Reize bewußte Seelentätigkeiten gar nicht auslösen ohne Mitwirkung
-der Kausalität, daß diese Mitwirkung -- wenn nicht gar ~Vor~wirkung
--- die unausweichliche Bedingung ist für jedes bewußte Leben in der
-physischen Welt. In dieser Hinsicht nimmt die Kausalität für das Leben
-die gleiche Stellung ein wie das Bewußtsein selbst. Ja, man könnte
-wohl sagen: es gibt gar kein Bewußtsein von der Einheit des Ich im
-Verhältnis zur äußeren Welt und zu der Mannigfaltigkeit der inneren
-Welt ohne Kausalität, denn ohne Kausalität ist ein Erkennen sowohl
-des Verschiedenen als des Gleichen völlig ausgeschlossen, also das
-Erkennen überhaupt und jeder Zusammenhang. Ich glaube sogar erwiesen zu
-haben, daß selbst die Anschauung, die wir von den Besonderheiten des
-Raumes haben, nicht ohne die Kausalität hat gewonnen werden können,
-gerade wenn naturwissenschaftlich gesprochen wird. Ist dies aber
-alles zutreffend (man vgl. auch S. 409, 414 f.), wie soll man sich
-dann die Verbindung zwischen Kausalität -- und das gilt auch für alle
-anderen Kategorien -- und physischen Energien vorstellen? Kann da auch
-nur von einer Auslösung gesprochen werden? Ich glaube, so wenig wie
-bei der Zeit- und Raumanschauung. Und diese haben wir ununterbrochen
-im bewußten Zustande, die Kausalität tritt aber hier jedesmal erst
-auf, wenn ein Reiz ausgeübt wird, und dann folgt die betreffende
-Seelentätigkeit als Erkennung des Reizes.
-
-Endlich die vierte Klasse, die Verbindung der psychischen Tätigkeiten
-miteinander. Häckel sagt geradezu: „Jede Psychomform kann in eine
-andere übergeführt werden“. Also Umwandlung der psychischen Energien
-ineinander. Hierfür scheint manches zu sprechen. Wir haben die
-Empfindung „Hunger“; wir essen, und allmählich schwindet diese
-Empfindung, und es wächst die Empfindung „satt“ heran, die bis zu
-„übersatt“ steigen kann, die eine oder andere als Äquivalent für die
-verlorene Empfindung Hunger. So wandelt sich auch mitunter das Gefühl
-der Verehrung in das der Gleichgültigkeit oder gar der Verachtung,
-das der Liebe in Haß usf. Indessen kennen wir auch Fälle, in denen
-von einer Umwandlung des einen in das andere doch wohl nicht die
-Rede sein kann. Es scheint, als ob die Seelentätigkeiten in Gruppen
-zu teilen sind, die sich getrennt voneinander halten, sich nicht
-ineinander wandeln. Worin soll sich das Bewußtsein wandeln, da es
-doch überall dabei sein muß und, wie das Auge die Gegenstände, so die
-anderen Seelentätigkeiten wie ganz außer und über ihnen betrachtet?
-Wer Kategorien, wie die Kausalität, anerkennt, wird auch wegen ihrer
-in Verlegenheit sein. Sie sind die Regulative für alle inneren
-Seelentätigkeiten, wie Wahrnehmen, Denken usf. Nehmen wir noch ein
-handgreiflicheres Beispiel. Es meint ein Mensch, aus Unwissenheit oder
-aus Aberglauben, oder aus besonderer Stimmung heraus, ein Gespenst
-zu sehen. Es ist eine innere Wahrnehmung. Bangen, Furcht und Angst
-ergreifen ihn und dauern mit der Wahrnehmung. Eine Umwandlung der
-Wahrnehmung in diese Gefühle hat nicht stattgefunden, die Wahrnehmung
-kann diese Gefühle sogar überdauern. Aus solchen und ähnlichen
-Beispielen glaube ich entnehmen zu sollen, daß auch die psychischen
-Energien, um wieder energetisch zu reden, sich nur auslösen, und daß
-die Umwandlungen nur scheinbar sind, indem immer ein anderes dazwischen
-tritt, so der Reiz, den die Speisen ausüben, der die eine Empfindung,
-Hunger, aufhebt und die andere, „satt“ oder „übersatt“, auslöst, neue
-Wahrnehmungen über den Gegenstand der Verehrung oder Liebe usf. Daß
-aber außerdem, auch hier wie bei der dritten Klasse, Erscheinungen
-auftreten, Regulierungen, die keiner physischen Energie zukommen.
-
-Überblicken wir alles bisher Gesagte, so ergibt sich folgendes:
-
-1. Werden die Seelentätigkeiten als physische Energien betrachtet, so
-hat man sie als auslösende Energien anzusehen. Sie können dann ihr
-Äquivalent nur ineinander finden, was allgemein nicht zutrifft. Oder
-sie haben ihr Äquivalent in den physischen Energien der betreffenden
-Nervenzellen (Ganglien und Ganglienanhäufungen im Gehirn, Rückenmark,
-Sonnengeflecht), im ~Psychoplasma~, wie Häckel sagt. Das letztere
-zu behaupten sind die Materialisten und Energetiker naturgemäß am
-meisten geneigt. Aber haben sie die Behauptung auch schon experimentell
-bewiesen? Man kann darauf nur mit Nein antworten. Die feststehende
-Tatsache, auf die sie sich immer berufen, daß Körper und Geist sich
-stets beeinflussen, ist kein Beweis. Es ist richtig, daß das Gehirn
-eines müden Menschen durch Dissimilation gewisse Stoffe mehr enthält
-und andere weniger als das eines nicht müden. Müssen darum diese
-Umwandlungen Äquivalente der Gedanken- oder Gefühlsenergien sein,
-können sie nicht indirekt entstanden sein? Man denke an folgenden
-Fall. Der Wille zwingt einen Muskel, sich zusammenzuziehen oder zu
-strecken. Während des Zustandes der Kontraktion oder Streckung bildet
-sich im Muskel als störender Stoff Milchsäure aus, und der Muskel
-ermüdet und zehrt zuletzt gewissermaßen den Willen auf. Aber unter
-wie anderen Ernährungsverhältnissen steht der kontrahierte oder
-gestreckte Muskel gegenüber dem normal liegenden! Diese Änderung der
-Ernährungsverhältnisse hat die Änderung in der Zusammensetzung des
-Muskels herbeigeführt, die Änderung ist kein Äquivalent des Willens.
-Ähnlich ist kaum eine Seelentätigkeit ohne Beeinflussung des Herzens
-und anderer Teile des Körpers vorhanden. Die dadurch herbeigeführten
-physischen Änderungen müssen auch die Ernährung der Zellen ändern. Dies
-alles kann man, wie ich glaube, mit großem Rechte jener apodiktischen
-Behauptung so lange entgegenhalten, als nicht Beweise im einzelnen
-beigebracht sind. Und diese fehlen noch, wenn auch zugestanden werden
-kann, daß die Untersuchung namentlich der Stromschwankungen in den
-Nerven und der Stoffumsetzungen in den Ganglien einiges in Aussicht
-stellen mag.
-
-2. Die Seelentätigkeiten bieten Erscheinungen, die bei keiner
-physischen Energie anzutreffen sind, indem sie namentlich, zur
-Entwicklung und Erhaltung des Körpers als ~lebenden~ Gegenstandes,
-auch ~regulierend~ wirken. Hierüber ist nach dem Gesagten nichts
-hinzuzufügen.
-
-3. Es gibt Seelentätigkeiten, denen der Charakter von Energien
-beizumessen nicht angängig ist. Dahin gehört vor allem die Anschauung
-der Zeit und gehören die Kategorien, wie namentlich die Kausalität,
-Regulative des inneren Lebens und des Lebens in und mit der äußeren
-Welt. Auch das Bewußtsein würde ich hierher rechnen als Organ zur
-~Wahrnehmung~ des inneren Lebens.
-
-Endlich bedenke man noch folgendes: Was haben wir von den physischen
-Erklärungen der psychischen Tätigkeiten noch außerdem zu verlangen?
-
-4. Alle physischen Vorgänge müssen sich zusammengefaßt als ein
-~Gesamtes~ erkennen; es entspricht das unserem Bewußtsein von
-unserem Ich und dem was auf S. 455 f. davon und von den Ostwaldschen
-Reaktionsfolgen gesagt ist.
-
-5. Jeder physische Vorgang muß sich außerdem für sich ~in sich~
-erkennen.
-
-6. Jeder physische Vorgang muß ~jeden anderen~ Vorgang kennen und
-erkennen, da jeder jeden anderen hervorruft und korrigiert, zum
-Beispiel die Empfindung Schmerz den Willen Schreien.
-
-7. Kein physischer Vorgang darf durch Hinzutreten neuer Vorgänge oder
-durch Schwinden vorhandener ~gestört~ werden. Das könnte man physisch
-noch am ehesten verstehen.
-
-8. Jeder physische Vorgang muß andere Vorgänge, beliebiger Art, selbst
-entgegengesetzte, ~voraussehen~, denn wir kennen unsere inneren und
-äußeren Handlungen und wissen, was auf jeden Vorgang in uns folgt, bis
-zu bestimmter Vorstellung oder gar Wahrnehmung.
-
-Wer das alles von physischen Vorgängen glaubt zugestehen zu können, mag
-die Welt der Psyche der Welt der Physis gleich machen. Ich persönlich
-halte ein solches Zugeständnis für ganz undenkbar. Automaten, selbst
-solche unseres phantastischesten Dichters E. T. A. Hoffmann wird
-wohl niemand mehr als Beispiele anführen. Oberflächliche Analogien
-kann man überall finden. Darum handelt es sich nicht. Um bestimmte
-Verständlichmachung handelt es sich, daß man mit Einsicht sagen
-kann: Jawohl, so kann es sich in der Tat verhalten. Davon aber sind
-Mechanistik und Energetik unendlich weit entfernt, selbst wenn man von
-den Widersprüchen absieht, in die sie sich gegen sich selbst verwickeln
-und von denen der bedeutendste der der Gegenwirkung des physischen und
-des psychischen Regulativs ist. Die physikalisch-chemischen Gesetze
-wirken im Leben ganz so wie in der unbelebten Welt. Aber sie sind im
-Leben nicht die einzigen Gesetze, es kommen noch andere Gesetze hinzu,
-namentlich regulierende, die in der unbelebten Welt nicht bestehen,
-soviel wir wissen, und deren Aufgabe in Gegenwirkungen gerade gegen
-jene physikalischen Gesetze besteht. Auch die physikalisch-chemischen
-Erscheinungen erschöpfen das Leben nicht; es sind im Leben noch
-andere Erscheinungen vorhanden, die wir in der unbelebten Welt nicht
-treffen, wie die wunderbaren der phylogenetischen und ontogenetischen
-Entwicklung aus den unzähligen Möglichkeiten (S. 448 ff.). Das Leben
-enthält eben mehr als das Unbelebte, und zwar Eigenes, Besonderes.
-
-Nun noch einige Worte. Die physischen Anschauungen bringen es
-anscheinend mit sich, daß weder von Gott noch von Freiheit oder
-Unsterblichkeit gesprochen werden kann. Ich will nur über das letztere
-etwas sagen, die Unsterblichkeit. Als Ganzes kommt sie physisch nicht
-in Betracht. Aber vielleicht zum Teil? Wir wissen, daß in der Natur
-Wärme unsterblich ist. Alle Vorgänge in der Natur sind irgendwo
-mit Wärmeentwicklung verbunden. Wärme ist nur beschränkt in andere
-Energie verwandelbar, also muß insgesamt immer eine Wärmezunahme
-erfolgen. Und so steigt die Menge Wärme im Weltall zu bestimmtem
-Höchstbetrag, der dann bleiben muß (vgl. jedoch S. 440). Wenn in den
-psychischen Energien solche vorhanden sein sollten, die gleichfalls
-nur beschränkt verwandelbar sind, so müssen diese stetig zunehmen.
-Ohne Umwandlungen sind solche Energien Leben ohne Tätigkeit; also
-dieses Leben muß im Weltall stetig wachsen. Am Ende sind diese Energien
-allein von allen psychischen Energien vorhanden, und wir haben nur
-Leben ohne Tätigkeit, kein anderes. Das erinnert frappierend an das
-buddhistische Nirwana-Leben. Es ist ein Leben, nur ohne Tätigkeit.
-Und sollten etwa gar selbst die sonst beschränkt verwandelbaren
-Energien der Natur diesen psychischen Energien gegenüber unbeschränkt
-verwandelbar sein, was ja in keiner Weise ausgeschlossen ist, so würden
-überhaupt die letzten Energien nur Leben sein, ohne Tätigkeit. Das
-Nirwana-Leben würde in den Äther versinken, wo es zum Beginn der Welt
-war und durch einen gewaltigen Akt in physisches Leben übergeführt
-worden ist, um am Ende der Tage in den Äther zurückzukehren. Kaum
-brauche ich hervorzuheben, daß diese Unsterblichkeitslehre nicht
-die spiritualistische ist, die sich ja auf das Individuum bezieht,
-während es sich hier um das Gesamte handelt, wofür Häckel in seinem
-Psychom-Erhaltungsgesetz sie unmittelbar feststellt. Aber etwas
-Individuelles haftet ihr doch auch an, wenn die Psychome eben nur
-beschränkt verwandelbar sind. Fast ist es schade, daß man eine Theorie
-ablehnen muß, die zu so bedeutenden Unsterblichkeitsfolgerungen führen
-kann. Aber gegenwärtig scheint mir jede Anschauung auf rein physischer
-Grundlage aussichtslos.
-
-In letzter Stunde ist mir eine Schrift von ~Felix Auerbach~ bekannt
-geworden, „Ektropismus oder die physikalische Theorie des Lebens“.
-Der zweite Titel hätte besser fortgelassen werden sollen, denn eine
-physikalische Theorie des Lebens wird nicht gegeben, nicht einmal
-angedeutet. Nur daß der Verfasser der Ostwaldschen Energetik anhängt,
-möchte aus der Schrift hervorgehen. Doch spricht er von Geist und
-Willen wie von etwas Besonderem -- er nennt sie das „Göttliche“ im
-Menschen -- gegenüber den Erscheinungen in der unbelebten Natur. Es
-handelt sich also nur um den Ektropismus. Ektropismus nun ist der
-Gegensatz zum Entropismus. Letzterer bedeutet, wie wir wissen, und
-Auerbach namentlich feststellt, die ~Ausgleichung~, ~Zerstreuung~
-und ~Entwertung~ der Energie. ~Ektropismus~ bezieht sich also auf
-~Sonderung~, ~Konzentrierung~ und ~Werthebung~ der Energie. Von selbst
-tritt allein Entropismus ein, Ektropismus dagegen immer nur durch
-Wirkung von außen. So ist der Vorgang des Falles schwerer Körper
-entropisch, die Körper fallen von selbst. Das Steigen schwerer Körper
-aber ist ektropisch, in jeder höheren Lage haben sie mehr Energie.
-Und von selbst steigen sie nicht, sie müssen von außen gehoben oder
-heraufgedrückt werden. Auerbach ist nun der Ansicht, daß die belebten
-Wesen ektropisch wirken. Das ist an sich nicht neu; denn daß die
-lebenden Wesen Energien vor der Zerstreuung wahren und aufspeichern,
-z. B. die Pflanzen in ihrem Körper, wer weiß es nicht? Aber Auerbach
-gibt dieser Tatsache eine höhere Bedeutung, und zwar analog derjenigen
-der Regulation (S. 451). Das Leben ist eine Regulation gegen den Tod
-des Weltalls, der nach dem Entropieprinzip unvermeidlich eintreten
-soll; ist es kein absolut abhelfendes Prinzip -- verstehe ich Auerbach
-recht, so möchte er sogar so weit gehen -- so ist es doch jedenfalls
-ein retardirendes. Daß Anfang und Ende aufs genaueste zusammenhängen,
-stellt auch er fest, und so will ich seinen Hauptsatz, soweit er hier
-in Betracht kommt, im Wortlaut anführen. Er setzt einen Urzustand etwa
-im Sinne Eugen Dührings voraus, Chaos nennt er ihn, in dem also alle
-Energie entropisch war (oder war gar keine Energie da?), da keine
-Vorgänge bestanden. Dieser Urzustand wurde plötzlich durch einen
-Schöpfungsakt zur höchstmöglichen Ektropie gebracht: „Am Anfange wurde
-aus dem Chaos der Kosmos (also die Welt der Vorgänge). Das Chaos war
-schlaff und träge, der Kosmos ist gespannt und bewegt. Das Chaos ist
-leer, der Kosmos ist gefüllt mit Energie. Ihre Quantität bleibt immer
-dieselbe, aber ihre Qualität unterliegt fortwährendem Wandel; und was
-die Rolle der Wandlungen durchgemacht hat, ist für den Kosmos verloren.
-Spannung und Bewegung lassen nach, die Energie wird gebunden und
-zerstreut, verwirrt und entwertet, die Energie strebt einem Maximum zu.
-Da tritt eine neue Erscheinung auf den Plan: das Leben. In der leblosen
-Natur herrscht der Ablauf, nur schwach gedämpft durch den Aufzug. In
-der lebendigen Natur herrscht die Entwickelung, und sie versucht, dem
-auch hier tätigen Ablauf die Spitze zu bieten. Der Versuch gelingt
-nur allmählich und nur in bescheidenen Grenzen. Aber die ordnende,
-auslösende und ektropische Begabung kommt und reift mählich und
-heimlich. Und im Menschengeschlechte feiert sie mit strahlendem
-Glanze das Fest ihrer Befreiung.“ Das Leben ist wie ein „Wächter“,
-der unablässig eingreift und das „Schädliche“ (das Entropische)
-„absiebt“. Wenn der Leser das in unsere einfache Sprache überträgt,
-so findet er es nicht weit von den hier geäußerten Ideen, wenigstens
-nach ~einer~ Richtung, denn die anderen, fast noch bedeutungsvolleren
-Regulationen kommen bei Auerbach nicht zur Behandlung. Eigenartig
-ist noch, daß Auerbach an die Entstehung des Kosmos aus dem Chaos
-die Entstehung auch der größten Ordnung anschließt, die allmählich
-entropisch in die Un-Ordnung übergeht (S. 441). Das Leben greift wieder
-regulierend ein, es schafft Ordnungen aus den Un-Ordnungen. Wie das
-Leben dieses tut, wie es überhaupt den Kampf gegen den Entropismus
-durch Ektropismus führt, darüber sagt der Verfasser nichts Bestimmtes.
-Aus einigen Nebenäußerungen möchte man schließen, daß er das Leben in
-gewissen selektiven Eigenschaften der protoplasmatischen Stoffe sucht,
-analog etwa der selektiven Eigenschaft mancher als halbdurchlässig
-bezeichneten Stoffe, die zum Teil von einer Zuckerlösung wohl das
-Wasser, aber nicht den Zucker durchlassen. Aber freilich sollte die
-grobe Mechanistik seinem System sehr fern stehen. Wegen der weiteren
-Schlüsse in bezug auf das Verhalten des Menschen und der Menschheit,
-darf ich auf die sehr interessante Schrift verweisen. Der Satz „Der
-Kosmos -- und mit ihm sein Vertreter, der Staat -- hat ein direktes
-Interesse nur an dem starken und ektropischen Individuum“, klingt ganz
-nach Nietzsche.
-
-Alles was in diesem Abschnitt ausgeführt ist, hängt mit dem
-~Vitalismus~ und ~Neuvitalismus~, z. B. nach ~Reinke~, zusammen. Ich
-habe diese Bezeichnungen zu benutzen vermieden; ihre Bedeutung geht
-nach der einen Seite, nach der physischen, zu weit, nach der anderen
-Seite, nach der psychischen, hier geistigen, viel zu sehr in die Enge.
-Man soll auch keine Worte auffrischen, die nun einmal, und mit Recht,
-eine so unwissenschaftliche Nebenbedeutung bekommen haben wie der
-Vitalismus. Ich schließe dieses Buch mit einigen Bemerkungen über die
-Welträtsel im allgemeinen.
-
-~Du Bois-Reymond~, in seiner berühmt gewordenen Ignorabimusrede,
-die Häckel einer psychologischen Metamorphose zuschreibt, die aber
-aus einer allmählich gewachsenen Erkenntnis geflossen ist, daß der
-Materialismus in keiner Form ausreicht, die „Welträtsel“ zu lösen,
-wie sie ja bei vielen anderen Forschern gleichfalls allmählich sich
-geltend machen mußte, hat sieben solche Welträtsel aufgestellt. Drei
-davon sollen überhaupt unlösbar, „transzendent“ sein: der Ursprung
-der Materie und der Kraft, der Ursprung der Bewegung, die Entstehung
-der einfachen Sinnesempfindung und des Bewußtseins. Drei andere
-sollen lösbar sein, wenn auch schwer: die Entstehung des Lebens, die
-(anscheinend absichtsvolle) Zweckmäßigkeit der Natur, das vernünftige
-Denken und der Ursprung der damit verbundenen Sprache. Eines bleibt
-unentschieden: die Frage nach der Willensfreiheit. Hat die spätere
-Entwicklung der physischen Anschauungen dem Manne Unrecht gegeben?
-Ich glaube nein! Im Gegenteil, mir scheint sie die Rätsel noch
-mehr transzendent gemacht zu haben als er sie auffaßte. Wir sehen,
-selbst mit den bei weitem besseren Mitteln der Energetik kommt man
-der Lösung jener Rätsel nicht einen Schritt näher, höchstens, daß
-man sie auf andere Dinge bezieht, etwa das erste Welträtsel statt
-auf Materie und Kraft, auf Energie mit seinen beiden Faktoren; das
-zweite Rätsel statt auf Bewegung auf Energieumwandlung. Nur das
-Ignorabimus möchte ich ablehnen. Es ist gar kein Ignorare, wenn man
-sich davon überzeugt hat, daß es in der Welt doch etwas mehr gibt als
-ein Einzelnes im ewigen Einerlei der Existenz und des Wechsels. Wir
-suchen zwar überall nach Vereinfachung und sollen danach suchen. Wenn
-aber Vereinfachungen zu nichts führen als zu Redewendungen, ohne die
-Einsicht in das Wesen der Sache irgend zu fördern, und nur Rätsel
-und Unverständliches zu Rätseln häufen, so sind sie kein Gewinn und
-müssen fallen gelassen werden, sobald ihre Untauglichkeit erkannt
-ist. Bei den rein physischen Anschauungen ist dieses, glaube ich,
-der Fall. Die rein materialistische mag schon kein Mensch mehr. Die
-energetische, so bestechend sie ist, wird, davon bin ich überzeugt,
-ihr Schicksal teilen. Spinozas Anschauung in Verbindung mit Kants
-Transzendentalismus, scheint mir allem am besten gerecht zu werden,
-soweit menschliche Voraussicht und Einsicht etwas behaupten darf. Sie
-bietet noch den ungeheuren Vorteil, daß wir sie so leicht fortführen
-und erweitern können, wie Häckels Beispiel zeigt. In der Tat müssen
-wir jetzt schon sagen, daß der allgemeinen Substanz für unsere Welt
-mindestens drei Attribute zukommen: Geist, Energie, Materie (oder was
-für Materie stehen kann). Die allgemeine Substanz soll ja unendlich
-viele Attribute haben. So ist es durch nichts ausgeschlossen, daß
-unsere Welt in der Tat diese drei oder vielleicht noch mehr Attribute
-ausmacht. Und andere Welten, von denen schon die Alten träumten,
-können mit diesen noch andere Attribute bedeuten in beliebiger Zahl.
-Wer also ein Ding-an-sich mit unendlich vielen Attributen annimmt,
-muß unendlich viele Welten zugestehen und vielleicht noch Übergänge
-und Überdeckungen zwischen ihnen. Und er darf sogar die Leben-Reihe
-(S. 221) durch diese verschiedenen Welten führen. Auch eine solche
-Auffassung bildet einen Monismus und gehörte in die Anschauungen des so
-umfassenden ~Monistenbundes~. Aber freilich verirrt sich schon manches
-ins Mystische, wohin Kant auch seine „Träume eines Geistersehers“
-geführt haben, da wir von nichts wissen als allein von unserer Welt.
-
-
-
-
-Namen- und Sachregister.
-
-
- A
-
- Aberglaube 27, 434.
-
- Abspiegelung, die Welt als 300, 379.
-
- Abwehrformeln 190.
-
- Achamoth 273 ff.
-
- Adam 150.
-
- Adam von Bremen 93.
-
- Afrika 20 ff., 57 ff. u. a. a. O.
-
- Agnostizismus 420.
-
- Agrippa Cornelius 312.
-
- Ägypter 100 ff., 129, 132, 155, 158, 165, 180, 184, 188, 198, 219,
- 228 u. a. a. O.
-
- Ahnenkult 43 ff., 46 u. a. a. O.
-
- Aion 271 u. a. a. O.
-
- Akademie 248, 355.
-
- Akzidens 289.
-
- Alanus 303.
-
- Albertus Magnus 294.
-
- Alchemie 290.
-
- d’Alembert 435.
-
- Allegorie 98.
-
- Alte vom Tage 291.
-
- Altruismus 437 u. a. a. O.
-
- Amerika 17 ff. u. a. a. O.
-
- Ammonios Sakkâs 277.
-
- Amulett 40.
-
- Ananke, ἀνάγκη 250, 352, 422.
-
- Anaxagoras 243, 269, 423.
-
- Anaximandros 237, 269.
-
- Anaximenes 236.
-
- Andrée 164.
-
- Animismus 36 ff. u. a. a. O.
-
- Anschauungsformen 360 ff., 475 f. u. a. a. O.
-
- Anselm 300.
-
- Antinomien 363 ff.
-
- Apokastase 253.
-
- Apollonios von Tyana 256.
-
- A posteriori 360 ff.
-
- Appetition 341 ff.
-
- A priori 360 ff.
-
- Araber 108, 208.
-
- Archeus 329.
-
- Archonten 257, 273.
-
- Archytas 242.
-
- Ariost 18.
-
- Aristoteles 249 ff. u. a. a. O.
-
- Arkesilaos 355.
-
- Arnobios 269.
-
- Arrhenius 179, 448.
-
- ἀρχαί 7 ff.
-
- Aschariten 288.
-
- Äschylos 185.
-
- Assimilation 372, 473.
-
- Assoziationsprinzipe 359, 400, 411, 415, 418.
-
- Assyrier 108 ff.; s. a. Babylonier.
-
- Astrologie 109, 188, 290.
-
- Atheismus 154.
-
- Äther 465 f.
-
- Atomistik 422 ff., 465 f. u. a. a. O.
-
- Attribute 335, 392 ff., 461 f., 484 u. a. a. O.
-
- Auerbach, Felix 463, 482 f.
-
- Auferstehung 192 ff.
-
- Aufklärungsphilosophie 347, 434 ff.
-
- Augustinus 281, 315.
-
- Australien 17 u. a. a. O.
-
- Automatisches 419, 428, 479 u. a. a. O.
-
- Averroes 288, 295.
-
- Avicebrol 291.
-
- Avicenna 288.
-
- Avidyia 350.
-
- Awatars 169.
-
-
- B
-
- Babylonier 108 ff., 130, 134, 153, 158, 160, 161, 178, 183, 196.
-
- Bacon Roger 299.
-
- -- von Verulam 402 ff.
-
- Barden 95.
-
- Basilides 268 ff.
-
- Bastian Adolf 66 ff.
-
- Baur 267.
-
- Begriffsgottheiten 141 f.
-
- Belebung 32 ff., 424, 436 u. a. a. O.
-
- Beneke 413.
-
- Berkeley 356 ff.
-
- Bernhardy 426.
-
- Bernouilli 441.
-
- Beschwörung 54, 190.
-
- Beseelung 36 ff., 319, 382 ff., 390, 424, 436 u. a. a. O.
-
- Besessene 56.
-
- Bessarion 309.
-
- Bewegungsmoment 459.
-
- Bewußtsein 400, 474 ff. u. a. a. O.
-
- Bewußtseinsleiter 399.
-
- Bewußtseinsschwelle 399.
-
- Bhagavad-Gîtâ 115 u. a. a. O.
-
- Bibel 106 f., 157, 177, 184 u. a. a. O.
-
- Biogenetisches Grundgesetz 449.
-
- Blavatsky, Helene Petrowna 330.
-
- Böhme, Jakob 323 ff. u. a. a. O.
-
- Boltzmann 440.
-
- Bonaventura 303.
-
- Boyle, Robert 434.
-
- Brahmaismus 120.
-
- Brugsch 100, 146 u. a. a. O.
-
- Bruno Giordano 317 ff. u. a. a. O.
-
- Büchner 438.
-
- Buddha 215 u. a. a. O.
-
- Buddhismus 120, 122, 214.
-
- Bürger 55.
-
-
- C
-
- Calvin 315.
-
- Campanella 322.
-
- Cartesius 333 ff.
-
- Cäsar 88 f., 94, 97, 216.
-
- Centrosom 450.
-
- Chachma 266.
-
- Chamberlain 83.
-
- Chauvinismus 83.
-
- Cherubim 280.
-
- Chinesen 120 f., 143, 164, 210, 235.
-
- Christian Science 257.
-
- Chromatin 450.
-
- Chrysippos 233.
-
- Cicero 99, 253.
-
- Civitas dei 294.
-
- Claudius, Kaiser 95.
-
- Clausius 441.
-
- Comte 40, 415 ff.
-
- Condillac 411.
-
- Constant, Benjamin 29.
-
- Contemplatio 304.
-
- Cooper 23.
-
- Curtis 50 f.
-
- Cusanus, Nikolaus 306.
-
- Czolbe 438.
-
-
- D
-
- Dämonenglaube 43 ff., 53, 257.
-
- Dante 206, 297.
-
- Darwin 445 ff., 450 ff.
-
- Deismus 253 ff.
-
- Delitzsch, F. 153.
-
- Demiurg 268 f. u. a. a. O.
-
- Demokritos 423 f.
-
- Dennis 205.
-
- Derwische 261.
-
- Descartes 333 ff. u. a. a. O.
-
- Deszendenzlehre 445 ff., 449.
-
- Determinismus 296.
-
- Dharma 215.
-
- Diderot 435.
-
- Diels 352 u. a. a. O.
-
- Dies fasti et nefasti 191.
-
- Ding-an-sich 365, 390 ff., 461 ff. u. a. a. O.
-
- Diogenes von Apollonia 236.
-
- Dionysios Areopagita 280.
-
- Dissimilation 372, 455.
-
- Doketen 276.
-
- Driesch 343, 370, 450 f.
-
- Droßbach 345.
-
- Dualismus 13, 148, 267, 458 ff. u. a. a. O.
-
- Dubois Reymond 438, 471, 483.
-
- Dühring, Eugen 416 ff., 463, 481.
-
- Duns Scotus 298.
-
-
- E
-
- Eckehart, Meister 303.
-
- Edda 93 f.
-
- Egoismus 435.
-
- Ei 450 ff.
-
- εἴδωλον 37, 193.
-
- Einheitlichkeit der Welt 16 ff.
-
- Eklektiker 261.
-
- Ektropie 480 ff.
-
- Eleaten 351 u. a. a. O.
-
- Elemente 423.
-
- Elysium 204.
-
- Emanationslehre 253 ff., 263 f., 278 u. a. a. O.
-
- Empedokles 220, 423.
-
- Empirismus 376, 401 ff., 454 ff., 483.
-
- Endlichkeit 363 f., 464 f.
-
- Energetiker 454, 483.
-
- Energie 421 ff., 454 ff. u. a. a. O.
-
- -- psychische 455 ff.
-
- Energismus 420 ff.
-
- Engel 261 u. a. a. O.
-
- Entelechie 250 u. a. a. O.
-
- Entropie 440 u. a. a O.
-
- Entwicklungslehre 443 ff.
-
- Enzyklopädismus 435.
-
- Epigenesis 448.
-
- Epikuros 425.
-
- Eranier 110, 131, 139, 148, 159, 162, 166, 174, 202, 216.
-
- Erhaltungsprinzipe 440.
-
- Eristik 354.
-
- Eschatologie 71 ff., 192 ff.
-
- Eschmunazar, König 108.
-
- Essäer 276.
-
- Ethische Gottheiten 138 f.
-
- Etrusker 205.
-
- Eucken 390.
-
- Euemeros 52, 97.
-
- Eukleides aus Megara 354.
-
- Euripides 96 f., 183, 244.
-
- Evolution 258, 269, 282, 295, 420, 447 f., 452.
-
-
- F
-
- Fakire 261.
-
- Fananybrauch 42.
-
- Fatalismus 138, 234, 437.
-
- Faust 54, 266.
-
- Fechner 398 f.
-
- Fegefeuer 192 ff.
-
- Ferment 329.
-
- Fervers 111, 208.
-
- Fetische 39 ff., 90, 104 u. a. a. O.
-
- Fetischismus 36 ff.
-
- Feuerbach, Ludwig 438.
-
- Feuth, Ludwig 113.
-
- Fichte 358, 373 f.
-
- Flammarion 399.
-
- Florenz, Karl 124.
-
- Fludd 329.
-
- Flutsagen 161 ff.
-
- Fohi 121.
-
- Foismus 122.
-
- Formen 249, 383 u. a. a. O.
-
- Frank, Sebastian 316.
-
- Franziskus der Heilige 300.
-
- Freiheit 182 ff., 367, 393, 479 u. a. a. O.
-
- Fresnel 441.
-
- Frobenius 5, 42, 57 ff., 74, 79.
-
- Frohars 111, 208.
-
- Funktionsübertragung 453.
-
-
- G
-
- Ganglien 455, 473.
-
- Gassendi 431.
-
- Gastrulation 450.
-
- Gegengottheiten 148 f.
-
- Gegenstandsgottheiten 127 ff.
-
- Geheimbünde 57, 254.
-
- Geheimlehre 189.
-
- Geister 55.
-
- Geisterglaube 48 ff., 53.
-
- Geistige Vorgänge 455 ff.
-
- Generatio equivoca 384, 446.
-
- Germanen 88 ff., 136 f., 140, 156, 158, 167, 173, 206.
-
- -- Nord- 92 ff.
-
- Gerson, Johann 303.
-
- Gespenster 53.
-
- Geulincx 336.
-
- Gilgamesepos 109, 188, 196.
-
- Gleichartigkeit der Menschheit 11 f.
-
- Gnostiker 267 ff., 277 u. a. a. O.
-
- Goethe 266, 275, 277, 307, 396, 445.
-
- Gorgias 355.
-
- Götterglaube 56.
-
- Götterneid 185.
-
- Götzenbilder 48.
-
- Götzendienst 43 ff.
-
- Graßmann 103 u. a. a. O.
-
- Grey 4, 53.
-
- Griechen 50, 95 ff., 130, 137 f., 143, 162, 167, 171, 203, 230
- u. a. a. O.
-
- Grimm, Jakob 37, 45, 73, 75, 90 ff.
-
- Gruppe 255 f.
-
- Gubernatis 114.
-
-
- H
-
- Häckel 401, 449, 461 ff.
-
- Hades 204.
-
- Hafis 261.
-
- Halbkulturvölker 4.
-
- Haller, Albrecht v. 447.
-
- Hammurabi 110.
-
- Hanusch 86.
-
- Harmonie 241.
-
- -- Gesetz der 453.
-
- -- Prästabilierte 338 ff.
-
- Harnack, Adolf 267 ff., 274.
-
- Harpyen 73.
-
- Hartmann, Eduard v. 386 ff.
-
- -- Franz 330.
-
- Hebräer 49, 106 ff., 144, 156, 177, 192.
-
- Hegel 376.
-
- Heimarmene, εἰμαρμένη, 239, 422.
-
- Hel 206 f.
-
- Helmholtz 448, 471.
-
- Helmont, Baptist van 328.
-
- -- Franz van 338.
-
- Hemsterhuis 413.
-
- Henotheismus 144, 147 ff.
-
- Herakleitos 238, 353.
-
- Herbart 347.
-
- Herder 435.
-
- Hermogenes 269.
-
- Herodot 45 f., 50, 89, 106.
-
- Hesiod 158, 172.
-
- Hexen 53 ff.
-
- Hierarchie 280.
-
- Himmel der Erde gleich 17 ff.
-
- Himmelskörper 466 u. a. a. O.
-
- Hinduismus 119.
-
- Hippias 355.
-
- Hobbes 432 f.
-
- Hoffmann, E. T. A. 479.
-
- Holbach 435 ff.
-
- Hölle 78, 192 ff., 208.
-
- Homa 96, 155 f., 171.
-
- Homer 112.
-
- Homoiomerien 423.
-
- Horatius 188.
-
- Hugo von St. Victor 300.
-
- Hume 358, 407 ff.
-
- Hylodeismus 236 ff.
-
- Hylopsychismus 235 ff.
-
- Hylozoismus 235 ff.
-
- Hypostasie 366, 437.
-
-
- I
-
- Ideale 365.
-
- Idealismus 349 ff., 360 ff. u. a. a. O.
-
- Idealphilosophie 253, 349 u. a. a. O.
-
- Ideen 244 ff., 264, 335, 364, 405 u. a. a. O.
-
- Ideenassoziation 432 u. a. a. O.
-
- Identitätsphilosophie 385 ff. u. a. a. O.
-
- Idololatrie 50 f.
-
- Illusionslehre 350.
-
- Indier 113 ff., 132, 135, 139, 156 f., 161, 162, 166, 176, 187, 200,
- 211, 228, 258, 350 f., 424.
-
- Indifferentismus 234.
-
- Individuation 295.
-
- Induktion 402.
-
- Inkarnationen 169.
-
- Intelligenzen 288.
-
- Intelligible Dinge 282 u. a. a. O.
-
- Intensität 457.
-
- Intuition 263 u. a. a. O.
-
- Irreversibilität 440 f.
-
- Isaak 302.
-
- Istars Höllenfahrt 197.
-
- Italiker 158.
-
-
- J
-
- Jamblichos 277.
-
- Japaner 123 f., 133, 164, 210, 235.
-
- Jehuda Halevi 293.
-
- Jenseits der Kulturvölker 192 ff.
-
- -- -- Naturvölker 71 ff.
-
- Jeremias, Alfred 110 u. a. a. O.
-
- Jezira 291.
-
- Johannes, Apostel 265.
-
-
- K
-
- Kabbala 290 ff.
-
- Kalpa 201.
-
- Kant, Immanuel 359 ff., 484 u. a. a. O.
-
- Kapazität 457.
-
- Karäer 293.
-
- Karlstadt 316.
-
- Karma 215, 330.
-
- Karneades 355.
-
- Katasterismen 34.
-
- Kategorien 222 f., 360 ff. u. a. a. O.
-
- Kategorischer Imperativ 367.
-
- Kausalität 409, 414 f., 474 ff. u. a. a. O.; s. auch Kategorien,
- Regulative.
-
- Keimteilchen 423, 447.
-
- Kelten 94 ff., 208, 216.
-
- Kepler 345.
-
- Kiesewetter 293.
-
- Kismet 138, 288.
-
- Klopstock 150.
-
- Kohärente Systeme 441, 467.
-
- Konstitutionsprinzip 366 ff.
-
- Kopernikus 321, 428, 432.
-
- Kosmos, κόσμος 238, 240, 481 u. a. a. O.
-
- Kräfte als Wille 382 ff.
-
- Krause 328.
-
- Kritizismus 355 u. a. a. O.
-
- Krönig 441.
-
- Kultur 80 ff.
-
- Kulturvölker 4, 6, 80 ff.
-
- Kyrenaiker 355 f.
-
-
- L
-
- Labilität 439 ff.
-
- Lactantius 270.
-
- Lamaismus 122.
-
- Lamarck 445.
-
- Lamettrie 435 ff.
-
- Lange, F. A. 422, 438.
-
- Lao-tsse 210, 220, 235, 350.
-
- Lasson, Adolf 319, 401.
-
- Lavater 396.
-
- Leben 16 ff., 482 u. a. a. O.
-
- Lebenanschauung, Erklärung 1 ff.
-
- Leben-Reihe 220 ff.
-
- Lebensschicksal 182 ff.
-
- Leere 240, 424.
-
- Leibniz 340 ff. u. a. a. O.
-
- Lessing 346, 434.
-
- Leukippos 424.
-
- Liber scriptus 299.
-
- Liber vivus 299.
-
- Lichtreich 272.
-
- Lilith 150.
-
- Lippert 40 ff., 84 ff., 90 ff., 102 f., 112, 124 ff., 131.
-
- Littauer 85, 87, 164.
-
- Livingstone 74.
-
- Locke, John 402 ff.
-
- Logos 142, 262, 265 ff., 422 u. a. a. O.
-
- Longfellow 21.
-
- Longinus 277.
-
- Lotze 396 f.
-
- Lucanus 95.
-
- Lucretius Carus 426 ff., 441.
-
- Lullus, Raimundus 305.
-
- Luther 265, 314.
-
-
- M
-
- Mach, Ernst 414, 417 ff.
-
- Magier 112.
-
- Maimonides 293.
-
- Malebranche 336.
-
- Mandäer 276.
-
- Manichäer 270 ff.
-
- Manu 213, 217.
-
- Märchen 22.
-
- Marsilius Ficinus 309.
-
- Maschinen 369, 457.
-
- Materialismus 420 ff., 467 f., 477 ff. u. a. a. O.
-
- Materie 246, 279 u. a. a. O.
-
- Maui 4 ff., 21.
-
- Maxwell 441, 466.
-
- Maya 350.
-
- Mayavölker 125.
-
- Mechanismus 420 ff. u. a. a. O.
-
- „Medizin“ 42 ff.
-
- Melanchthon 314.
-
- Melissos aus Samos 354.
-
- Mendelssohn, Moses 345.
-
- Menschenopfer 46 u. a. a. O.
-
- Messiasidee 169.
-
- Metamorphosen 37.
-
- Metempsychose 214 f.
-
- Metensomatose 214 ff.
-
- Mexikaner 124.
-
- Meyer, Ludwig 391.
-
- Milton 150.
-
- Mirabaud 435.
-
- Modus 335, 392.
-
- Mohammedanismus 208.
-
- Moleschott 13 u. a. a. O.
-
- Monaden 339, 340 ff., 397 u. a. a. O.
-
- Monismus 13 u. a. a. O.
-
- Monistenbund 484.
-
- Monolatrie 70.
-
- Monotheismus 151 ff.
-
- Montaigne 330.
-
- Montesquieu 413.
-
- Morphologisch-Biologisches Ordnungsgesetz 453.
-
- Morphologisches Gesetz 451.
-
- Mose de Leon 291.
-
- Motakhallim 287.
-
- Muatazile 287.
-
- Müller, Johannes 470.
-
- -- K. O. 205.
-
- -- Max 20, 24 ff., 33 f., 38, 81, 115, 211, 217, 265.
-
- Multismus 13.
-
- Mysterien 57.
-
- Mystiker 290 f., 293 ff., 300 ff. u. a. a. O.
-
- Mystizismus 254 u. a. a. O.
-
- Mythologie 56.
-
-
- N
-
- Natur 251.
-
- Naturalismus 401 ff.
-
- Naturgesetze 439 ff.
-
- Naturphilosophen 231 u. a. a. O.
-
- Naturphilosophie 376.
-
- Naturreligion 56 f.
-
- Naturvölker 4, 16 ff.
-
- Naturzweck 369 ff.
-
- Nekromantie 254.
-
- Nephesch 292.
-
- Neschamah 292.
-
- Neuplatonismus 277 ff.
-
- Neupythagoräer 255 ff.
-
- Neuspinozismus 396.
-
- Neuvitalismus 483.
-
- Newton 428, 434.
-
- Nichtordnung, elementare 441, 482.
-
- Nichtumkehrbarkeit 440 f.
-
- Nietzsche 385.
-
- Nikolaus Cusanus 306.
-
- Nirvana 211 ff., 226, 480 u. a. a. O.
-
- Nominalisten 293 f. u. a. a. O.
-
- Noumena 363.
-
- Nukleus 450.
-
- Nus, νοῦς 243 u. a. a. O.
-
-
- O
-
- Objektivation 379 ff.
-
- Occasionalismus 336, 413 u. a. a. O.
-
- Occultismus 254.
-
- Offenbarung 30, 294.
-
- Ontogenie 445 ff., 449.
-
- Ophir 61.
-
- Ophiten 276.
-
- Orakel 189.
-
- Orcus 205.
-
- Organisierte Dinge 369.
-
- -- Wesen 369 ff.
-
- Orphiker 255 f.
-
- Ossian 95.
-
- Ostwald, Wilhelm 454 ff., 462 u. a. a. O.
-
- Otto III., Kaiser 300.
-
- Ovid 100.
-
- Ozeanier 17 ff.
-
-
- P
-
- Palingenesie 449.
-
- πᾶν, τό 231, 255.
-
- Pan 255.
-
- Pandämonismus 56.
-
- Pandeismus 227 ff., 254 u. a. a. O.
-
- Panpsychismus 235 ff. u. a. a. O.
-
- Panspermie 317, 447.
-
- Pantheismus 227, 390 ff.
-
- Pantheos 234.
-
- Paracelsus 316.
-
- Paradies 78, 159, 192 ff., 208.
-
- Paraklet 270.
-
- Parallelen, anthropologische 10 ff.
-
- Parallelismus, psychophysischer 393, 397 ff. u. a. a. O.
-
- Paralogismen 363 ff.
-
- Parmenides 352.
-
- Pascal, Blaise 329.
-
- Patristische Philosophie 281.
-
- Patritius 317.
-
- Paulus Diaconus 45.
-
- Pausanias 97.
-
- Peraten 276.
-
- Peripatetiker 253.
-
- Peruaner 125.
-
- Perzeption 341.
-
- Pessimismus 384 ff.
-
- Peters, Carl 61.
-
- Phänomenalismus 356 ff. u. a. a. O.
-
- Pherekydes 256.
-
- Philolaos 242.
-
- Philon 261 ff.
-
- Philostratos 257.
-
- Phönizier 108.
-
- Phylogenetische Evolution 452.
-
- Phylogenie 445 ff., 449.
-
- Physische Energien 468 ff., 473 u. a. a. O.
-
- Physizismus 420 ff.
-
- Pico Giovanni 310 f.
-
- Pistis Sophia 274.
-
- Planck, Max 418, 440, 442.
-
- Platon 217 f., 221, 244 ff. u. a. a. O.
-
- Pleroma 272.
-
- Plethon Gemistos 309.
-
- Plotinos 277 ff.
-
- Pluralismus 13.
-
- Plutarchos 257.
-
- Poincaré 417.
-
- Polarität 324, 450.
-
- Polygnotos 204.
-
- Polylatrie 70 f.
-
- Polynesier 66 u. a. a. O.
-
- Polytheismus 127 ff.
-
- Porphyrios 277.
-
- Positivismus 394, 401 ff.
-
- Potentialität 250, 414.
-
- Potenz, morphologische 451.
-
- Prana 223, 230.
-
- Prädestination 285 u. a. a. O.
-
- Prädetermination 414 u. a. a. O.
-
- Prediger 186.
-
- Preußen 87.
-
- Primalitäten 322.
-
- Prinzipe 7 ff., 367 ff.
-
- Prodikos 355.
-
- Propheten 107.
-
- Protagoras 355.
-
- Protoplasma 450 ff., 468.
-
- ψυχή 36 ff. u. a. a. O.
-
- Psychische Energien 454 ff., 468.
-
- Psychologie, assoziative 359, 397, 400, 411, 415, 418 u. a. a. O.
-
- Psychom 461.
-
- Psychophysik 398.
-
- Psychophysiologie 399.
-
- Psychoplasma 477.
-
- Pyramidentexte 198.
-
- Pyrrhon 355.
-
- Pythagoräer 217, 239.
-
- Pythagoras 239.
-
-
- Q
-
- Qualitates occultae 313.
-
- Quellgeister 325 ff.
-
- Quincke 468.
-
- Quinta essentia 313, 316.
-
-
- R
-
- Rabbaniten 293.
-
- Ramanuga 258.
-
- Rationalismus 333.
-
- Ratzel 61.
-
- Raum 246, 360, 433 u. a. a. O.
-
- Realen 347.
-
- Realismus 349 ff., 401 ff. u. a. a. O.
-
- Realisten 293 f. u. a. a. O.
-
- Regeneration 453.
-
- Regulation 454, 481.
-
- -- biologische 454.
-
- -- morphologische 454.
-
- Regulative 360 ff., 365 ff., 439 ff. 471.
-
- Reinkarnation 211 ff.
-
- Reinke 483.
-
- Religionsursprung 23 ff., 434 ff.
-
- Rephaim 193.
-
- Restitution 452 f.
-
- Resurrektion 79.
-
- Reuchlin, Johann 311.
-
- Reversibilität 440 f.
-
- Richard von St. Victor 302.
-
- Riehl 401.
-
- Rigveda 20 u. a. a. O.
-
- Ritter, Heinrich 466.
-
- Römer 50, 98 ff., 129, 143, 172, 203.
-
- Rousseau 413.
-
- Ruach 292.
-
- Rudimentäre Organe 450.
-
- Runen 94.
-
- Ruysbroek 304.
-
-
- S
-
- Salomon ben Gabirol 291.
-
- Samenteilchen, Keimteilchen 423 ff.
-
- Sankara 260, 351.
-
- Sankhya 259.
-
- Satan 149 ff.
-
- Schamanismus 39, 44 ff., 122.
-
- Scheible 293.
-
- Schelling 327, 375.
-
- Schicksalsgottheiten 136 ff.
-
- Schiller 367.
-
- Schleiermacher 378.
-
- Schmitt, Heinrich 267, 271, 274.
-
- Scholastiker 293 f., 305 u. a. a. O.
-
- Schopenhauer 379 ff.
-
- Schöpfer 131 u. a. a. O.
-
- Schöpfung 464 u. a. a. O.
-
- Schwartz, W. 132.
-
- Schwenkfeld 316.
-
- Scotus Erigena 283 f.
-
- Seele 36 ff., 45, 71 ff., 343 u. a. a. O.
-
- Seelenarten 221 ff.
-
- Seelenkult 43 ff. u. a. a. O.
-
- Seelentätigkeiten 221 ff., 473 ff. u. a. a. O.
-
- Seelenwanderung 211 ff. u. a. a. O.
-
- Selbsterhaltung 347, 436, 444.
-
- Sensualismus 356, 394, 401 ff., 425 u. a. a. O.
-
- Seraphim 280.
-
- Shintoismus 123.
-
- Sigê 271.
-
- Simon Magus 276.
-
- Sirenen 73 f.
-
- Skeptizismus 354 ff. u. a. a. O.
-
- Slawen 85 ff., 208 u. a. a. O.
-
- Sohar 294.
-
- Sokrates 219, 248.
-
- Soma 117.
-
- Sophia 267 ff., 272.
-
- Sophisten 354 f.
-
- Speiseverbote 191.
-
- Spektralanalyse 442.
-
- Spencer, Herbert 420.
-
- Speusippos 249.
-
- Sphärenharmonie 242.
-
- Spieß 77.
-
- Spinoza 337, 390 ff., 484 u. a. a. O.
-
- Spinozismus 390 ff. u. a. a. O.
-
- Spiritismus 254.
-
- Stabilität 439 ff.
-
- Stammannahmen 7 ff.
-
- Stammbegriffe 360 ff.; s. auch Kategorien.
-
- Stephens, John 126.
-
- Steresis 251.
-
- Sterne, Carus 113 u. a. a. O.
-
- Stirner, Max 386.
-
- Stoff 250.
-
- Stoiker 232 ff.
-
- Strabon 112.
-
- Stuhlmann 52.
-
- Substanz 335, 392 ff.; s. auch Ding-an-sich.
-
- Sufismus 258.
-
- Sundainseln 17 f. u. a. a. O.
-
- Sündenfall 159 f.
-
- Supranaturalismus 254.
-
- Swedenborg 330.
-
- Sympathie der Dinge 277 u. a. a. O.
-
- Synesius 269.
-
- Syzygien 271.
-
-
- T
-
- Tabu 48.
-
- Tacitus 88 ff.
-
- Tangaroa 69 ff.
-
- Tao 121, 143, 210.
-
- Taurellus 323.
-
- Teleologie 251 f., 367, 397.
-
- Telesius 317.
-
- Teufel 37 u. a. a. O.
-
- Thales 236.
-
- Themistokles 97.
-
- Theogonie 131 u. a. a. O.
-
- Theosophie 223, 253 ff., 286 ff., 330 u. a. a. O.
-
- Therapeuten 276.
-
- Theophanie 284.
-
- Theromorphie 101 ff.
-
- Theurgie 254.
-
- Thomas von Aquino 296.
-
- Thomson, William 448, 466.
-
- Thronen 280.
-
- Totemismus 39, 47.
-
- Totenbehandlung 41 f. u. a. a. O.
-
- Totenbuch 199 u. a. a. O.
-
- Totenkahn 72 ff.
-
- Totenkult 72 ff. u. a. a. O.
-
- Totenland 73 ff.
-
- Totenrichter 192 ff.
-
- Totenvögel 73 ff.
-
- Trägheit 340, 436, 439 ff.
-
- Transzendentalismus 359 ff., 484 u. a. a. O.
-
- Transzendenz 350 ff., 400 f. u. a. a. O.
-
- Träume 43 ff.
-
- Twesten 138.
-
- Tylor 34 f., 49.
-
-
- U
-
- Überlebsel 55.
-
- Umkehrbarkeit 440.
-
- Unbewußtes 386 ff., 474 ff.
-
- Unendlichkeit 363 f., 464.
-
- Universalien 293.
-
- Unsterblichkeit 192 ff., 204, 220 ff., 395, 479 u. a. a. O.
-
- Unterwelt 171 ff., 192 ff.
-
- Upanishaden 201, 211 f., 385.
-
- Urwesen 446 ff.
-
- Urzustand 417, 481.
-
- Utilismus 435.
-
-
- V
-
- Vaiseshika 424.
-
- Valentinus 271.
-
- Vedantaphilosophie 212 f., 258 ff.
-
- Vedareligion 119.
-
- Vererbung 444 ff.
-
- -- biologische 450.
-
- -- funktionale 450.
-
- -- Lokalisations- 450.
-
- -- morphologische 450.
-
- Verworn 420.
-
- Virgil 206.
-
- Vischer, Friedrich 35.
-
- Vitalismus 483.
-
- Vogt, Karl 438.
-
- Volksetymologie 98.
-
- Voltaire 435.
-
- Vorstellung, die Welt als 379 ff.
-
-
- W
-
- Wahrheit, doppelte 285, 331.
-
- Wahrsagung 189.
-
- Walhalla 207.
-
- Weigel 323.
-
- Weinstein 150.
-
- Weismann 447.
-
- Weissagungen 107.
-
- Weltanfang 416 ff., 464 ff. u. a. a. O.
-
- Weltanschauung, Erklärung 1 ff.
-
- Weltbau 170 ff., 252.
-
- Weltbaum 110, 132.
-
- Weltentstehung 63, 67 ff., 155, 240, 335.
-
- Welterlösung 389 u. a. a. O.
-
- Weltgang 440 ff.
-
- Weltgesetze 439 ff., 467.
-
- Welträtsel 461 ff., 483.
-
- Weltseele 247, 278, 313, 321.
-
- Weltuntergang 166 ff.
-
- Weltvernunft 243, 278 u. a. a. O.
-
- Weltwiederholung 237, 346, 386, 416, 425 f. u. a. a. O.
-
- Widergott 267.
-
- Wiedertäufer 316.
-
- „Wilde“ 70.
-
- Wille, die Welt als 379 ff.
-
- Windischmann 174.
-
- Wirklichkeitsphilosophie 398, 416.
-
- Wirklichkeit, transzendente 350 ff., 360 ff. u. a. a. O.
-
- Wolff, Caspar Friedrich 447.
-
- -- Christian 345.
-
- Wollheim da Fonseca 200.
-
- „Wort“ 265, s. Logos.
-
- Wunderglaube 21, 283.
-
- Wundt, Wilh. 399 ff.
-
-
- X
-
- Xenokrates 249.
-
- Xenophanes 231, 351.
-
-
- Y
-
- Yamazaki-Ansai 235.
-
- Yelch 62, 73.
-
- ὕλη 236.
-
- Yoga 260.
-
-
- Z
-
- Zahl 240 ff.
-
- Zalmaweth 193.
-
- Zauberer und Zauberwesen 53 ff.
-
- Zehnder 46 ff.
-
- Zeit 360, 406 u. a. a. O.
-
- Zeitatome 287.
-
- Zenogenesie 449.
-
- Zenon 353 f.
-
- Zöllner, Friedrich 398.
-
- Zufall 182 ff.
-
- Zwangsmechanismus 428 ff., 435 f. u. a. a. O.
-
- Zweckmäßigkeit 372, 472 f.
-
- Zwingli 315.
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Welt- und Lebenanschauungen;
-hervorgegangen aus Religion,, by Max Bernhard Weinstein
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WELT- UND LEBENANSCHAUUNGEN ***
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- The Project Gutenberg eBook of Welt- und Lebenanschauungen hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis, by Max B. Weinstein.
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-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen
-aus Religion, Philosophie und Naturerkenntn, by Max Bernhard Weinstein
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-
-Title: Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis
-
-Author: Max Bernhard Weinstein
-
-Release Date: March 28, 2016 [EBook #51586]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WELT- UND LEBENANSCHAUUNGEN ***
-
-
-
-
-Produced by Mark C. Orton, Knujon Mapson, Reiner Ruf, and
-the Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
-</pre>
-
-
-<h1>WELT- UND<br />
-LEBENANSCHAUUNGEN<br />
-
-<span class="s7 center">HERVORGEGANGEN AUS</span><br />
-
-<span class="s6">RELIGION, PHILOSOPHIE<br />
-UND NATURERKENNTNIS</span></h1>
-
-<p class="s4 center mtop3 mbot3">VON</p>
-
-<p class="s3 center">PROF. D<span class="smaller">R</span>. <b>MAX B. WEINSTEIN</b></p>
-
-<div class="figcenter">
- <a id="signet" name="signet">
- <img class="mtop2 logo" src="images/signet.jpg"
- alt="Signet des Verlages" /></a>
-</div>
-
-<p class="s3 center">LEIPZIG</p>
-
-<p class="s4 center">VERLAG VON JOHANN AMBROSIUS BARTH</p>
-<p class="s4 center">1910</p>
-
-<hr class="r50" />
-
-<p class="smaller mbot3 center">Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_iii" id="Seite_iii">[S. III]</a></span></p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="nobreak" id="Vorwort">Vorwort.</h2>
-
-</div>
-
-<p>Wer sich mit einem Gegenstande lange und eifrig beschäftigt hat,
-hegt unwillkürlich den Wunsch, die Ergebnisse seines Studiums und
-Nachdenkens zu ordnen und für die Dauer festzuhalten. So habe ich
-dieses Buch nicht bloß für den Leser, sondern auch für mich selbst
-geschrieben, und darum wird es bei aller Objektivität, die eine
-wissenschaftliche Veröffentlichung selbstverständlich auszeichnen muß,
-doch auch den Eindruck des Persönlichen machen. Über die Anschauungen
-von der Welt, und auch über die vom Leben, ist schon viel geschrieben;
-das Thema ist ja für Laien und Gelehrte wichtig und interessant genug.
-Ich glaube aber, daß noch kein Buch vorhanden ist, das die Aufgabe
-von so allgemeinen Gesichtspunkten und in so umfassender Darstellung
-behandelt, wie das vorliegende. Meist sind es Ausschnitte aus einzelnen
-Gedankengebieten der Völker und Forscher, die geboten werden, entweder
-vom Standpunkte des Anthropologen, oder des Gottesgelehrten, oder
-des Philosophen und des Naturforschers. Ich habe es versucht, alles
-in eins zusammenzufassen, Anthropologie, Religion, Philosophie und
-Naturwissenschaft, denn nur aus einer Darstellung des Ganzen wird man
-das Bedeutungsvolle des Gegenstandes zu übersehen und das Einzelne
-zu würdigen vermögen. Und nicht nur das ist von Interesse, was
-Große denken und sagen, sondern auch, was Völker, selbst in ihrem
-Naturzustande, erdichten und zur Richtschnur ihres Lebens in sich
-und mit Anderen machen. Es sind wunderliche und wunderbare Bilder,
-die kaleidoskopisch an uns vorüberziehen. Es handelt sich aber, wie
-ich, um Mißverständnissen vorzubeugen, hervorheben muß, nicht um eine
-Geschichte,<span class="pagenum"><a name="Seite_iv" id="Seite_iv">[S. IV]</a></span> sondern um eine Schilderung der Anschauungen selbst.
-Darum ist der Inhalt, wie ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis lehrt,
-durchaus nur sachlich geordnet, und wo Raum und Zeit zu entscheiden
-scheinen, hat sich dieses im Rahmen des Tatsächlichen von selbst
-eingestellt. Darum sind auch nur die Hauptmomente behandelt, und
-sollte ein Leser den einen oder anderen Namen vermissen, so hat der
-Verfasser ein Besonderes, das sich an diesen Namen für seine besondere
-Aufgabe knüpft, nicht feststellen können. Manche glauben, daß ein
-Verfasser, was er nicht sagt, auch nicht weiß und nicht gedacht hat.
-Es wäre beschämend, wenn man nicht unendlich viel mehr wüßte und
-dächte, als man in seinen Büchern, so zahlreich sie schon sein mögen,
-niedergelegt hat. Aber es ist nicht angängig, alles, was man weiß und
-denkt, weiterzugeben, denn man muß auch den Leser berücksichtigen. Auch
-ist zwar vielfach das Leben lang genug das wichtigste zu lernen, aber
-leider allzu kurz, was man möchte, zu schaffen.</p>
-
-<p>Ich habe eine rein wissenschaftliche Darstellung gewählt, denn die
-Anschauungen sind nicht bloß geschildert, sondern aufs sorgfältigste
-zergliedert und auf ihren Wert untersucht. Auch sind sie von der hohen
-Warte des allgemeinen Menschengeistes und des großen Wissens unserer
-Zeit betrachtet. Wer über Welt- und Lebenanschauungen umfassend
-schreiben will, muß sich nicht allein mit der Arbeit der Vergangenheit
-vertraut machen, sondern sich auch in die Strömungen der Gegenwart
-versenken können, und bedarf außerordentlich eingehender Kenntnisse
-auf allen Gebieten der menschlichen Betätigung. Der Leser soll
-unterrichtet werden, und zwar sorgfältig und richtig, nicht, wie es
-durch so viele populäre Werke leider geschieht, oberflächlich oder
-gar falsch. Außerdem soll er zum eigenen weiteren Denken angeregt und
-angeleitet werden. Bereicherung mit Kenntnissen und Ideen, Bereicherung
-mit geistigem Streben ist die Aufgabe eines wissenschaftlichen Buches.
-Trotz des großen Ernstes der Be<span class="pagenum"><a name="Seite_v" id="Seite_v">[S. V]</a></span>handlung und der sehr erheblichen
-Schwierigkeit der Materie wird die Darstellung, wie ich hoffe, als klar
-und einer guten Prosa angemessen befunden werden. Ich bin keiner noch
-so tiefgründigen Untersuchung aus dem Wege gegangen, habe jedoch, wo
-Sonderkenntnisse erforderlich waren, diese stets mitgeteilt. Kritik
-ist fast auf jeder Seite geübt, ich habe mich bestrebt Objektivität
-und Ruhe des Urteils zu wahren. Das Buch ist für den Fachmann und für
-den Gebildeten, überhaupt für jeden, der sich auf dem wichtigsten
-Gebiete des menschlichen Denkens und Dichtens unterrichten will,
-geschrieben. Das Persönliche kommt in der Darstellungsweise und in der
-Geltendmachung der eigenen Meinungen und Anschauungen zum Vorschein.
-Ich habe vor längerer Zeit zwei Bücher geschrieben, auf die ich mich
-oft berufe: „Philosophische Grundlagen der Wissenschaften“ und „Die
-Entstehung der Welt und der Erde nach Sage und Wissenschaft“. Mit dem
-vorliegenden Buche bilden diese Bücher, wenn auch jedes für sich ein
-selbständiges Ganze darstellt, eine höhere Einheit, die ich freilich
-noch gern durch ein Buch über das Leben selbst ergänzen möchte. Bei
-aller Sorgfalt ist es in umfangreichen Werken nicht immer möglich,
-Unebenheiten und Versehen zu vermeiden. Ein Herr aus Frankreich hat
-mich auf eine Stelle in den „Philosophischen Grundlagen“ aufmerksam
-gemacht, die ich, einem so geschmackvollen und liebenswürdigen Volke
-gegenüber, wie das französische in der Tat gerne nicht geschrieben
-haben möchte.</p>
-
-<p>Die wichtigeren Werke, die ich bei Abfassung meines Buches verwendet
-habe, sind in diesem Buche selbst verzeichnet. Wo es mir nur irgend
-möglich war, habe ich mich an die Originale gehalten; benutzte ich
-bei fremden Sprachen zur Erleichterung Übersetzungen, so paßte
-ich sie möglichst dem Wortlaut der Originale an. Es ist schon ein
-melancholisches Geschäft, aus Arbeiten Anderer Auszüge zu machen, aber
-abstoßend langweilig, Auszüge auszuziehen. Ich habe letzteres<span class="pagenum"><a name="Seite_vi" id="Seite_vi">[S. VI]</a></span> nur
-notgedrungen getan, wo mir die Originale nicht zur Verfügung standen
-oder die Sprache mir doch verschlossen war. Abbildungen enthält nur
-der erste Teil des Buches, die übrigen Teile boten keinen Anlaß, sie
-zu schmücken. Ein sehr eingehendes Inhaltsverzeichnis und Namen- und
-Sachregister wird, hoffe ich, die Brauchbarkeit des Buches auch zum
-Nachschlagen erhöhen. Beim Lesen der Korrekturen hat mich mein Freund,
-der Lehrer an der Berliner Baugewerkschule Dr. <span class="gesperrt">Levy</span>, formell
-und sachlich unterstützt. Ihm und der Verlagsbuchhandlung, die viel
-Mühe mit dem Buche gehabt und für eine würdige Ausstattung gesorgt hat,
-meinen besten Dank. Möchte der Leser das Buch so gern lesen, wie der
-Verfasser es gern und aus dem Innern heraus geschrieben hat.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Charlottenburg</span>, im Mai 1910.</p>
-
-<p class="tdr mright2"><b>Weinstein</b>.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_vii" id="Seite_vii">[S. VII]</a></span></p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="nobreak" id="Inhaltsverzeichnis">Inhaltsverzeichnis.</h2>
-
-</div>
-
-<table class="toc" summary="Inhaltsverzeichnis">
- <tr>
- <td class="ukap">
- <span class="gesperrt">Vorwort</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_iii">III</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kap" colspan="2">
- <span class="gesperrt">Vorbemerkungen.</span> Charakteristik, Prinzipe und
- Einteilung der Welt- und Lebenanschauungen.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 1. <span class="gesperrt">Bedeutung der Welt- und Lebenanschauungen</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_1">1</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Ursprung <a href="#Seite_1">1</a>. &mdash; Verhalten der Menschen <a href="#Seite_2">2</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 2. <span class="gesperrt">Naturvölker und Kulturvölker</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_4">4</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Schwierigkeiten bei den Naturvölkern <a href="#Seite_4">4</a>. &mdash; Schwierigkeiten bei
- den Kulturvölkern <a href="#Seite_6">6</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 3. <span class="gesperrt">Hauptfragen und Stammannahmen</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_7">7</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Formulierung der Hauptfragen <a href="#Seite_7">7</a>. &mdash; Liste der Stammannahmen <a href="#Seite_9">9</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 4. <span class="gesperrt">Vergleichung der Anschauungen, Parallelen</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_10">10</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Gleichartigkeit der Menschheit <a href="#Seite_10">10</a>. &mdash; Beispiele für Parallelen <a href="#Seite_12">12</a>.
- &mdash; Völkerzusammenhänge <a href="#Seite_13">13</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 5. <span class="gesperrt">Einteilung der Welt- und Lebenanschauungen</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_13">13</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Formelle Einteilung <a href="#Seite_13">13</a>. &mdash; Sachliche Einteilung <a href="#Seite_14">14</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="buch" colspan="2">
- Erstes Buch. Psychisch-religiöse Welt- und Lebenanschauungen.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kap" colspan="2">
- Erstes Kapitel. Anschauungen der Naturvölker.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 6. <span class="gesperrt">Irdisch-menschliche Anschauungen</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_16">16</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Irdischer Standpunkt des Naturmenschen <a href="#Seite_16">16</a>. &mdash; Übertragung
- auf das Himmlische und Kosmogonische <a href="#Seite_17">17</a>. &mdash; Naturmenschlicher
- Egoismus und Unverstand <a href="#Seite_22">22</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 7. <span class="gesperrt">Über den Ursprung der Religionen, Vorläufiges</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_23">23</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Bedeutung und Entstammung der Religion <a href="#Seite_23">23</a>. &mdash; Ursprung aus der Sprache
- <a href="#Seite_24">24</a>. &mdash; Religionsstufen <a href="#Seite_27">27</a>. &mdash; Ursprung aus der Macht <a href="#Seite_28">28</a>. &mdash;
- Ursprung aus dem Kategorischen <a href="#Seite_29">29</a>. &mdash; Ursprung aus Offenbarung <a href="#Seite_30">30</a>.
- &mdash; Ursprung aus Lehre <a href="#Seite_31">31</a>. &mdash; Verschiedene Ursprungsmöglichkeiten <a href="#Seite_31">31</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 8. <span class="gesperrt">Allgemeine Belebung</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_32">32</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Wie der Naturmensch überall Leben sieht <a href="#Seite_32">32</a>. &mdash; Behandlung
- der Gegenstände als lebende <a href="#Seite_35">35</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 9. <span class="gesperrt">Seele und Beseelung, Animismus, Fetischismus</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_36">36</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Entdeckung der Seele <a href="#Seite_36">36</a>. &mdash; Art der Seele <a href="#Seite_37">37</a>. &mdash; Beseelung der
- Gegenstände, Fetischismus, Animismus <a href="#Seite_39">39</a>. &mdash; Verhalten der
- Seele <a href="#Seite_40">40</a> &mdash; Die Seele und der Tote <a href="#Seite_41">41</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
-<span class="pagenum"><a name="Seite_viii" id="Seite_viii">[S. VIII]</a></span>
- 10. <span class="gesperrt">Schamanismus, Totemismus, Seelen-, Ahnenkult</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_43">43</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Freiheit der Seele vom Körper <a href="#Seite_43">43</a>. &mdash; Die Seele als Gegenstand
- <a href="#Seite_44">44</a>. &mdash; Seelen- und Ahnenkult <a href="#Seite_46">46</a>. &mdash; Tierseelen <a href="#Seite_47">47</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 11. <span class="gesperrt">Geister- und Dämonenglaube, Götzendienst</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_48">48</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Tabuismus <a href="#Seite_48">48</a>. &mdash; Götzen und Götzendienst <a href="#Seite_48">48</a>. &mdash; Vergottete
- Gegenstände <a href="#Seite_50">50</a>. &mdash; Vergottete Menschen <a href="#Seite_52">52</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 12. <span class="gesperrt">Zauberwesen</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_53">53</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Beschwörungen <a href="#Seite_53">53</a>. &mdash; Spuk und Überlebsel <a href="#Seite_55">55</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 13. <span class="gesperrt">Höhere Anschauungen bei Naturvölkern</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_56">56</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Götterglaube, Mythologie <a href="#Seite_56">56</a>. &mdash; Höhere Gottheiten <a href="#Seite_57">57</a>. &mdash;
- Höhere theogonische und kosmogonische Ideen der Ozeanier <a href="#Seite_62">62</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 14. <span class="gesperrt">Seele und Jenseits bei den Naturvölkern</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_71">71</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Unterhaltung und Vernichtung der Seelen <a href="#Seite_71">71</a>. &mdash; Aufenthalt
- der Seelen, Jenseits <a href="#Seite_72">72</a>. &mdash; Totenvögel, Totenkähne u. ä. <a href="#Seite_73">73</a>. &mdash;
- Totenwanderung <a href="#Seite_75">75</a>. &mdash; Polynesische Hölle <a href="#Seite_76">76</a>. &mdash; Schicksal
- der Seele <a href="#Seite_77">77</a>. &mdash; Resurrektion <a href="#Seite_79">79</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kap" colspan="2">
- Zweites Kapitel. Religiöse Welt- und Lebenanschauungen der Kulturvölker.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 15. <span class="gesperrt">Die Kulturvölker als Naturvölker</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_80">80</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Wann begann die Kultur? <a href="#Seite_80">80</a>. &mdash; Unterschied zwischen Kultur-
- und Naturvölkern <a href="#Seite_82">82</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 16. <span class="gesperrt">Allgemeine Religionsanschauungen bei den Kulturvölkern
- im Kreise der Menschheit</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_83">83</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Begriff des Wilden <a href="#Seite_83">83</a>. &mdash; Höhere Anschauungen aus Naturanschauungen
- <a href="#Seite_84">84</a>. &mdash; Anschauungen der Littauer, Preußen und Slawen <a href="#Seite_85">85</a>. &mdash;
- Anschauungen der Germanen <a href="#Seite_88">88</a>. &mdash; Anschauungen der Kelten <a href="#Seite_94">94</a>. &mdash;
- Anschauungen der Griechen und Römer <a href="#Seite_95">95</a>. &mdash; Anschauungen der Ägypter
- <a href="#Seite_100">100</a>. &mdash; Anschauungen der Hebräer <a href="#Seite_106">106</a>. &mdash; Anschauungen der Phönizier
- <a href="#Seite_108">108</a>. &mdash; Anschauungen der Babylonier und Assyrier <a href="#Seite_108">108</a>. &mdash;
- Anschauungen der Eranier <a href="#Seite_110">110</a>. &mdash; Anschauungen der Indier
- <a href="#Seite_113">113</a>. &mdash; Anschauungen der Chinesen, Tibetaner und Japaner
- <a href="#Seite_120">120</a>. &mdash; Anschauungen der amerikanischen Kulturvölker <a href="#Seite_124">124</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 17. <span class="gesperrt">Polytheistische, henotheistische und
- antagonistische Anschauungen</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_127">127</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Die Gottheiten des Polytheismus <a href="#Seite_127">127</a>. &mdash; Gegenstandsgottheiten
- und Gottheiten über Gegenstände <a href="#Seite_128">128</a>. &mdash; Schöpfer und Leiter
- <a href="#Seite_131">131</a>. &mdash; Schicksalsgottheiten <a href="#Seite_136">136</a>. &mdash; Ethische Gottheiten <a href="#Seite_138">138</a>.
- &mdash; Begriffsgottheiten <a href="#Seite_140">140</a>. &mdash; Henotheismus <a href="#Seite_144">144</a>. &mdash; Antagonistische
- Gottheiten <a href="#Seite_148">148</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 18. <span class="gesperrt">Monotheistische Anschauungen</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_151">151</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Entstehung des Monotheismus <a href="#Seite_151">151</a>. &mdash; Monotheistische Unterströmungen <a href="#Seite_153">153</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 19. <span class="gesperrt">Anschauungen von Welt, Menschheit und Weltkatastrophen</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_155">155</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Entstehung von Welt und Menschheit <a href="#Seite_155">155</a>. &mdash; Paradies und Sündenfall <a href="#Seite_159">159</a>.
- &mdash; Flutsagen <a href="#Seite_161">161</a>. &mdash; Weltuntergang <a href="#Seite_166">166</a>. &mdash; Messiasidee <a href="#Seite_169">169</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
-<span class="pagenum"><a name="Seite_ix" id="Seite_ix">[S. IX]</a></span>
- 20. <span class="gesperrt">Weltbau</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_170">170</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Stellung der Erde <a href="#Seite_170">170</a>. &mdash; Gestaltung der Welt <a href="#Seite_171">171</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 21. <span class="gesperrt">Leben und Gottheit</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_182">182</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Zufall, Freiheit usf. <a href="#Seite_182">182</a>. &mdash; Menschenschicksal und Götterneid
- <a href="#Seite_184">184</a>. &mdash; Lebensweisheit <a href="#Seite_186">186</a>. &mdash; Orakel und Beschwörungen
- <a href="#Seite_189">189</a>. &mdash; Glückliche und unglückliche Tage <a href="#Seite_191">191</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 22. <span class="gesperrt">Nachleben und Jenseits (Eschatologie) der Kulturvölker</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_192">192</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Naturmenschliches <a href="#Seite_192">192</a>. &mdash; Eschatologie der Hebräer <a href="#Seite_192">192</a>. &mdash;
- Eschatologie der Babylonier und Assyrier <a href="#Seite_196">196</a>. &mdash; Eschatologie
- der Ägypter <a href="#Seite_198">198</a>. &mdash; Eschatologie der Eranier <a href="#Seite_202">202</a>. &mdash; Eschatologie
- der Griechen und Römer <a href="#Seite_203">203</a>. &mdash; Eschatologie der Germanen
- <a href="#Seite_206">206</a>. &mdash; Eschatologie der Kelten <a href="#Seite_208">208</a>. &mdash; Eschatologie
- der Mohammedaner <a href="#Seite_208">208</a>. &mdash; Eschatologie der Chinesen und Japaner <a href="#Seite_210">210</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 23. <span class="gesperrt">Seelenwanderung und Wiederbekörperung</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_211">211</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Anschauungen der Indier <a href="#Seite_211">211</a>. &mdash; Anschauungen des Buddhismus
- <a href="#Seite_214">214</a>. &mdash; Anschauungen der Eranier <a href="#Seite_216">216</a>. &mdash; Anschauungen
- der Kelten <a href="#Seite_216">216</a>. &mdash; Anschauungen der Pythagoräer und Platons
- <a href="#Seite_217">217</a>. &mdash; Anschauungen des Lao-tsse <a href="#Seite_220">220</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 24. <span class="gesperrt">Seele und Unsterblichkeit, Leben-Reihe</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_220">220</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Unterteilung der Seele <a href="#Seite_220">220</a>. &mdash; Worauf sich die Unsterblichkeit
- bezieht <a href="#Seite_223">223</a>. &mdash; Leben-Reihe <a href="#Seite_224">224</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="buch" colspan="2">
- Zweites Buch. Philosophisch-deistische und theosophische Anschauungen.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kap" colspan="2">
- Drittes Kapitel. Pandeistische und Panpsychistische Anschauungen.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 25. <span class="gesperrt">Pandeistische Anschauungen</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_227">227</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Ägypter <a href="#Seite_228">228</a>. &mdash; Indier <a href="#Seite_229">229</a>. &mdash; Ionische Naturphilosophen <a href="#Seite_231">231</a>.
- Stoiker <a href="#Seite_232">232</a>. &mdash; Pythagoräer und Platoniker <a href="#Seite_234">234</a>. &mdash; Japaner <a href="#Seite_235">235</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 26. <span class="gesperrt">Panpsychistische Anschauungen, Hylopsychismus,
- Hylozoismus</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_235">235</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Ionische Naturphilosophen <a href="#Seite_236">236</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kap" colspan="2">
- Viertes Kapitel. Pythagoras, Anaxagoras, Sokrates, Platon, Aristoteles.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 27. <span class="gesperrt">Anschauung aus Gesetz, Harmonie, Weltvernunft, Ideen
- und Formen</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_239">239</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Pythagoras und die Pythagoräer <a href="#Seite_239">239</a>. &mdash; Anaxagoras, Weltvernunft
- <a href="#Seite_243">243</a>. &mdash; Sokrates und Platon, Ideenlehre, Akademie
- <a href="#Seite_244">244</a>. &mdash; Aristoteles und die Peripatetiker <a href="#Seite_249">249</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kap" colspan="2">
- Fünftes Kapitel. Anschauungen aus Theosophie, Deismus und Emanismus.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 28. <span class="gesperrt">Orphiker und Neu-Pythagoräer</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_255">255</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Orphiker <a href="#Seite_255">255</a>. &mdash; Neu-Pythagoräer <a href="#Seite_256">256</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 29. <span class="gesperrt">Indische Theosophie und Sufismus</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_258">258</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Indische Theosophie <a href="#Seite_258">258</a>. &mdash; Sufismus <a href="#Seite_260">260</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
-<span class="pagenum"><a name="Seite_x" id="Seite_x">[S. X]</a></span>
- 30. <span class="gesperrt">Philon von Alexandrien</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_261">261</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 31. <span class="gesperrt">Der Logos und die Sophia</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_265">265</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Der Logos <a href="#Seite_265">265</a>. &mdash; Die Sophia <a href="#Seite_266">266</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 32. <span class="gesperrt">Die Gnostiker und Manichäer</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_267">267</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Dualistischer Gnostizismus <a href="#Seite_267">267</a>. &mdash; Monistischer Gnostizismus
- <a href="#Seite_271">271</a>. &mdash; Goethes gnostische Dichtung <a href="#Seite_275">275</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 33. <span class="gesperrt">Der Neuplatonismus</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_277">277</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Plotinos und seine Lehre <a href="#Seite_277">277</a>. &mdash; Dionysios der Areopagite <a href="#Seite_280">280</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 34. <span class="gesperrt">Übergang zum Mittelalter</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_281">281</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Zurückdrängung der Gottheit <a href="#Seite_281">281</a>. &mdash; Augustinus <a href="#Seite_282">282</a>. &mdash; Scotus
- Erigena, Prädestination und doppelte Wahrheit <a href="#Seite_283">283</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 35. <span class="gesperrt">Islamisch-arabische Theosophie</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_286">286</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Koran und Philosophie <a href="#Seite_286">286</a>. &mdash; Muatazile und Motakhallim
- <a href="#Seite_287">287</a>. &mdash; Avicenna und Averroes <a href="#Seite_288">288</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 36. <span class="gesperrt">Jüdische Theosophie und Kabbala</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_290">290</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Salomon Ben Gabirol <a href="#Seite_290">290</a>. &mdash; Die Kabbala <a href="#Seite_291">291</a>. &mdash; Maimonides
- und Jehuda Halevi <a href="#Seite_293">293</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 37. <span class="gesperrt">Die mittelalterliche Theosophie der christlichen
- Scholastiker und Mystiker</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_293">293</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Scholastiker, Nominalisten und Realisten <a href="#Seite_293">293</a>. &mdash; Albert der
- Große <a href="#Seite_294">294</a>. &mdash; Thomas von Aquino <a href="#Seite_296">296</a>. &mdash; Dante <a href="#Seite_297">297</a>. &mdash; Duns
- Scotus <a href="#Seite_298">298</a>. &mdash; Roger Bacon <a href="#Seite_299">299</a>. &mdash; Anselm von Canterbury <a href="#Seite_300">300</a>.
- &mdash; Hugo und Richard von St. Victor <a href="#Seite_300">300</a>. &mdash; Alanus, Bonaventura,
- Gerson <a href="#Seite_303">303</a>. &mdash; Meister Eckehart <a href="#Seite_303">303</a>. &mdash; Ruysbroek <a href="#Seite_304">304</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 38. <span class="gesperrt">Theosophie und Emanismus in neuerer Zeit</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_305">305</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Untergang der Scholastik <a href="#Seite_305">305</a>. &mdash; Nicolaus Cusanus <a href="#Seite_306">306</a>. &mdash;
- Gemistos Plethon <a href="#Seite_309">309</a>. &mdash; Marsilius Ficinus und Giovanni Pico
- <a href="#Seite_309">309</a>. &mdash; Reuchlin und Agrippa <a href="#Seite_311">311</a>. &mdash; Pomponatius <a href="#Seite_313">313</a>. &mdash;
- Die Reformatoren und ihre Nachfolger <a href="#Seite_314">314</a>. &mdash; Paracelsus <a href="#Seite_316">316</a>.
- &mdash; Telesius und Patritius <a href="#Seite_317">317</a>. &mdash; Giordano Bruno <a href="#Seite_317">317</a>. &mdash; Campanella
- <a href="#Seite_322">322</a>. &mdash; Jakob Böhme <a href="#Seite_323">323</a>. &mdash; Schelling und Krause
- als Böhmianer <a href="#Seite_327">327</a>. &mdash; Baptist van Helmont u. a. <a href="#Seite_328">328</a>. &mdash; Ausgang
- in die moderne Theosophie <a href="#Seite_330">330</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 39. <span class="gesperrt">Deistischer Rationalismus</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_333">333</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Descartes und der Cartesianismus <a href="#Seite_333">333</a>. &mdash; Geulincx, Malebranche
- und der Okkasionalismus <a href="#Seite_336">336</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 40. <span class="gesperrt">Prästabilierte Harmonie, Determinismus,
- Monaden, Korpuskeln, Realen, Samen</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_338">338</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Mercurius van Helmont <a href="#Seite_338">338</a>. &mdash; Leibniz, Monadologie und
- prästabilierte Harmonie <a href="#Seite_340">340</a>. &mdash; Christian Wolff <a href="#Seite_345">345</a>. &mdash; Moses
- Mendelssohn <a href="#Seite_345">345</a>. &mdash; Lessing <a href="#Seite_346">346</a>. &mdash; Herbart und die Realen <a href="#Seite_347">347</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="buch" colspan="2">
- Drittes Buch. Metaphysische und physische Welt- und Lebenanschauungen.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kap" colspan="2">
- Sechstes Kapitel. Welt- und Lebenanschauungen des Idealismus.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 41. <span class="gesperrt">Phantomismus (Illusionismus), Eleaten, Skeptiker</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_350">350</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Phantomismus und Illusionismus der Indier <a href="#Seite_350">350</a>. &mdash; Die
- Eleaten <a href="#Seite_351">351</a>. &mdash; Die Skeptiker <a href="#Seite_355">355</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
-<span class="pagenum"><a name="Seite_xi" id="Seite_xi">[S. XI]</a></span>
- 42. <span class="gesperrt">Phänomenaler Idealismus</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_356">356</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Berkeley <a href="#Seite_356">356</a>. &mdash; Fichtes Phänomenalismus <a href="#Seite_358">358</a>. &mdash; Humes
- Phänomenalismus <a href="#Seite_358">358</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 43. <span class="gesperrt">Kants transzendentaler Idealismus. Organisierte
- Wesen und Naturzweck</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_359">359</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Kants transzendentaler Idealismus <a href="#Seite_359">359</a>. &mdash; Anschauungsformen
- und Kategorien <a href="#Seite_360">360</a>. &mdash; Antinomien und Paralogismen
- <a href="#Seite_362">362</a>. &mdash; Ideen und Ideale <a href="#Seite_364">364</a>. &mdash; Regulative Prinzipe
- <a href="#Seite_365">365</a>. &mdash; Teleologie <a href="#Seite_367">367</a>. &mdash; Organisierte Wesen und Naturzweck <a href="#Seite_369">369</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 44. <span class="gesperrt">Ich, Nicht-Ich; Thesis, Antithesis,
- Synthesis; Naturphilosophie</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_373">373</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Fichtes erste Philosophie <a href="#Seite_373">373</a>. &mdash; Schellings Idealismus und
- Naturphilosophie <a href="#Seite_375">375</a>. &mdash; Hegel <a href="#Seite_376">376</a>. &mdash; Schleiermachers spinozistischer
- Idealismus <a href="#Seite_378">378</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 45. <span class="gesperrt">Die Welt als Wille und Vorstellung, Pessimismus,
- Philosophie des Unbewußten</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_379">379</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Schopenhauer und die Welt als Wille und Vorstellung <a href="#Seite_379">379</a>. &mdash;
- Der Wille zum Leben, Pessimismus <a href="#Seite_384">384</a>. &mdash; Nietzsches Willenslehre
- und Idealismus <a href="#Seite_385">385</a>. &mdash; Eduard von Hartmann und die
- Philosophie des Unbewußten <a href="#Seite_386">386</a>. &mdash; Weltende <a href="#Seite_390">390</a>. &mdash; Andere
- Idealisten <a href="#Seite_390">390</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kap" colspan="2">
- Siebentes Kapitel. Spinozismus und Neuspinozismus sowie Neuidealismus.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 46. <span class="gesperrt">Spinozismus</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_390">390</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Spinoza und der Pantheismus, Substanz, Attribute und Modi <a href="#Seite_391">391</a>. &mdash;
- Das System <a href="#Seite_392">392</a>. &mdash; Parallelität von Geist und Körper <a href="#Seite_393">393</a>. &mdash;
- Transzendentalität <a href="#Seite_394">394</a>. &mdash; Ethik und Unsterblichkeit <a href="#Seite_395">395</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 47. <span class="gesperrt">Neuspinozismus und Neuidealismus</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_396">396</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Lotze <a href="#Seite_396">396</a>. &mdash; Fechner, Psychophysik <a href="#Seite_398">398</a>. &mdash; Wilhelm Wundt,
- assoziative Psychologie <a href="#Seite_399">399</a>. &mdash; Riehl, Lasson u. a. <a href="#Seite_401">401</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kap" colspan="2">
- Achtes Kapitel. Empirismus, Sensualismus, Realismus, Naturalismus, Positivismus.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 48. <span class="gesperrt">Die englische Trias: Bacon, Locke, Hume</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_402">402</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Bacon von Verulam und der Empirismus <a href="#Seite_402">402</a>. &mdash; John Locke
- und der Empirismus, Sensualismus und Positivismus <a href="#Seite_402">402</a>. &mdash;
- David Humes sensualistisch-positivistische Anschauung, Assoziationsprinzipe <a href="#Seite_407">407</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 49. <span class="gesperrt">Die weitere Entwicklung</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_411">411</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Condillac, Montesquieu, Rousseau u. a. <a href="#Seite_411">411</a>. &mdash; Beneke und
- die Prädetermination <a href="#Seite_413">413</a>. &mdash; Comte und der Positivismus <a href="#Seite_415">415</a>.
- &mdash; Eugen Dührings Wirklichkeitsphilosophie <a href="#Seite_416">416</a>. &mdash; Ernst
- Machs sensualistischer Posivitismus <a href="#Seite_417">417</a>. &mdash; Herbert Spencer
- und der Agnostizismus <a href="#Seite_420">420</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kap" colspan="2">
- Neuntes Kapitel. Physische Welt- und Lebenanschauungen.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Definitionen <a href="#Seite_421">421</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
-<span class="pagenum"><a name="Seite_xii" id="Seite_xii">[S. XII]</a></span>
- 50. <span class="gesperrt">Materialismus und Mechanismus, Atomistik</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_422">422</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Der griechische Materialismus und die griechische Mechanistik
- <a href="#Seite_422">422</a>. &mdash; Atomistik, auch indische und arabische <a href="#Seite_423">423</a>. &mdash; Epikuros,
- Lucretius Carus <a href="#Seite_425">425</a>. &mdash; Materialismus und Mechanismus im
- Mittelalter <a href="#Seite_428">428</a>. &mdash; Mechanistischer Monismus <a href="#Seite_428">428</a>. &mdash; Gassendi
- <a href="#Seite_431">431</a>. &mdash; Hobbes <a href="#Seite_432">432</a>. &mdash; Boyle, Newton <a href="#Seite_434">434</a>. &mdash; Aufklärungsphilosophie
- <a href="#Seite_434">434</a>. &mdash; Baron Holbach und das Système de la nature
- <a href="#Seite_435">435</a>. &mdash; Lamettrie <a href="#Seite_437">437</a>. &mdash; Ludwig Feuerbach u. a. <a href="#Seite_438">438</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 51. <span class="gesperrt">Allgemeine und besondere Naturgesetze,
- Entwicklungslehre</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_439">439</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Die Weltgesetze <a href="#Seite_439">439</a>. &mdash; Die Sondergesetze <a href="#Seite_443">443</a> .&mdash; Vererbungsgesetz
- <a href="#Seite_444">444</a>. &mdash; Abstammungslehre <a href="#Seite_445">445</a>. &mdash; Urwesen <a href="#Seite_446">446</a>. &mdash;
- Evolution und Epigenesis <a href="#Seite_447">447</a>. &mdash; Panspermie <a href="#Seite_447">447</a>. &mdash; Phylogenie
- und Ontogenie, biogenetisches Grundgesetz <a href="#Seite_449">449</a>. &mdash; Morphologisch-biologische
- Vererbungsgesetze, morphologische Potenz <a href="#Seite_450">450</a>. &mdash; Phylogenetische Evolution
- <a href="#Seite_452">452</a>. &mdash; Restitution und Regeneration <a href="#Seite_453">453</a>. &mdash; Biologisch-harmonische
- Gesetze, Regulationen <a href="#Seite_453">453</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 52. <span class="gesperrt">Energetische Anschauungen; Ostwald und Häckel</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_454">454</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Ostwalds physische und psychische Energetik <a href="#Seite_454">454</a>. &mdash; Zwiespältigkeit
- der Energie <a href="#Seite_457">457</a>. &mdash; Scheinmonismus <a href="#Seite_458">458</a>. &mdash; Energetik
- und Mechanistik <a href="#Seite_459">459</a>. &mdash; Häckel als Spinozist <a href="#Seite_461">461</a>. &mdash; Psychom
- und Psychoplasma <a href="#Seite_461">461</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="ukap">
- 53. <span class="gesperrt">Über die physischen Welt- und Lebenanschauungen
- überhaupt; Weltende, Unsterblichkeit</span>
- </td>
- <td class="ste">
- <a href="#Seite_463">463</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="thema">
- Gang der physischen Welt und Weltende <a href="#Seite_463">463</a>. &mdash; Anfang der
- Welt und Schöpfung <a href="#Seite_464">464</a>. &mdash; Endlichkeit der Welt <a href="#Seite_466">466</a>. &mdash;
- Zehnders Bild der Lebenmechanistik <a href="#Seite_467">467</a>. &mdash; Die psychischen
- Energien als auslösende <a href="#Seite_468">468</a>. &mdash; Zusammenwirken der physischen
- und psychischen Energien <a href="#Seite_470">470</a>. &mdash; Schwierigkeiten aus
- den regulierenden psychischen Tätigkeiten <a href="#Seite_473">473</a>. &mdash; Was eine
- physische Theorie des Lebens zu leisten hätte <a href="#Seite_477">477</a>. &mdash; Unmöglichkeit
- einer physischen Theorie des Lebens <a href="#Seite_479">479</a>. &mdash; Unsterblichkeit
- aus einem physischen Weltgesetz <a href="#Seite_479">479</a>. &mdash; Auerbachs Ektropismus
- <a href="#Seite_480">480</a>. &mdash; Du Bois Reymonds Welträtsel und Ignorabimus
- <a href="#Seite_483">483</a>. &mdash; Letzte Anschauung <a href="#Seite_484">484</a>.
- </td>
- <td class="ste">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_1" id="Seite_1">[S. 1]</a></span></p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="nobreak" id="VORBEMERKUNGEN"><span class="s5">VORBEMERKUNGEN.</span><br />
-
-Charakteristik, Prinzipe und Einteilung der Welt- und
-Lebenanschauungen.</h2>
-
-</div>
-
-<h4>1. <span class="gesperrt">Bedeutung der Welt- und
-Lebenanschauungen</span>.</h4>
-
-<p>Es liegt schon in der Natur des Menschen, von sich selbst und von
-allem, was ihn umgibt und störend oder unterstützend in sein Leben
-eingreift, sich eine Ansicht zu bilden. Vielfach und bedeutungsvoll
-sind die Fragen, die dabei gestellt werden, und mit deren Beantwortung
-die Menschheit, seit sie ihrer sich bewußt ist und die Fähigkeiten
-ihrer Seele auch geistig anzuwenden gelernt hat, sich müht und
-plagt. Und diese Beantwortung bildet eine Welt- und Lebenanschauung;
-vollständig, wenn sie alle Fragen betrifft, fragmentarisch, wenn
-sie nur in das Einzelne dringt. Es gibt Anschauungen, die nur aus
-träger Gedankenlosigkeit oder aus trotziger Verbitterung oder gar aus
-pathologischer Denkweise hervorgehen. Diese lassen wir beiseite. Die
-Weltanschauungen, mit denen wir es hier allein zu tun haben, können
-auf naiver Naturbetrachtung und naivem Egoismus beruhen, sodann auf
-Kultgebräuchen und Religionslehren, auf philosophischen Untersuchungen
-und Meinungen, endlich auf naturwissenschaftlichen und soziologischen
-Feststellungen. Alle diese Grundlagen mögen gesondert stehen oder
-miteinander verbunden sein. Bei wenigen Menschen haben die Anschauungen
-nur eine objektive, rein wissenschaftliche Bedeutung. Die meisten
-wollen neben der Erkenntnis auch eine Beruhigung für das<span class="pagenum"><a name="Seite_2" id="Seite_2">[S. 2]</a></span> Dasein und
-darüber hinaus gewinnen. Indessen bilden sich eine eigene Anschauung
-nur wenige Menschen. Den anderen wird sie durch Erziehung oder
-Religionsvorschriften eingeimpft. Letztere waren ja früher gerade bei
-den Kulturvölkern von so zwingender Gewalt, daß eine andere Anschauung
-als die, welche die Religion allein zuließ, gar nicht gehegt,
-geschweige geäußert werden durfte. Viele standen und stehen freiwillig
-unter dieser zwingenden Gewalt, indem die Glaubenssätze der Religion
-für sie über jeden Zweifel erhaben sind. Andere beugten und beugen
-sich ihr aus Weltklugheit oder weil das Beispiel des Widerstandes sie
-schreckte. Auch Lehren, die gerade mit besonderer Kraft ausgesprochen
-sind oder in Mode stehen, werden gerne ergriffen. Denn es handelt sich,
-wenn man eine Welt- und Lebenanschauung sich bilden will, immer um eine
-tiefe und schwere Gedankenarbeit, und mitunter um einen harten Kampf
-mit sich selbst und mit Anderen. Und bei der Unsicherheit des Kennens
-und Erkennens fällt der Mensch von Zweifeln in Zweifel und nimmt darum
-gerne an, was ihm autoritativ übermittelt ist. Mitunter muß der Name
-an Stelle der Sache treten. Wie wenige von einer Religionsgemeinschaft
-wissen, was eigentlich die Lehren dieser Religion sind, zumal, wenn
-diese Lehren von vornherein als „geoffenbart“ vorgetragen werden. Viele
-wollen sie gar nicht einmal wissen; die symbolischen Formeln genügen
-ihnen, das übrige soll der Seelsorger verantworten. Und was hat für
-die meisten Nietzscheaner Nietzsche eigentlich gelehrt? Man darf nicht
-fragen, ohne auf die hohlsten Redensarten zu stoßen, wenn man überhaupt
-eine Antwort und nicht eine Widerfrage oder eine Abweisung erhält. Am
-ehesten auf eine bestimmte sachliche Welt- und Lebenanschauung stößt
-man bei Naturmenschen und bei unreifer Jugend, nur daß es sich dabei
-teils um widersinnige, teils um töricht übereilte Äußerungen handelt.
-Für die Naturvölker werden wir das später eingehend verfolgen, da
-es ein anthropologisches Interesse hat. Wer die junge Kulturwelt
-belauschen will, braucht nur ihre modernen Dichtungen zu lesen, die bei
-schönen Worten und reizvollen Wendungen<span class="pagenum"><a name="Seite_3" id="Seite_3">[S. 3]</a></span> gedanklich oft recht blühenden
-Unsinn enthalten und Anschauungen wiedergeben oder erraten lassen,
-bei denen selbst einen mild urteilenden harte Ungeduld ergreift. Die
-ernst und selbständig denken, suchen sich allmählich zu einer sie
-befriedigenden Welt- und Lebenanschauung durchzuringen. Da hierzu
-auch Kenntnisse gehören und namentlich auch Disziplin des Denkens,
-kommen nur sehr wenige Begünstigte schon früh zu einer brauchbaren
-solchen Anschauung. Viele gelangen erst in späten Jahren dazu, und
-noch mehr mühen sich ihr Leben hindurch umsonst ab und müssen sich mit
-einem Stück einer Anschauung oder mit mehreren Anschauungen begnügen,
-zwischen denen sie nicht zu vermitteln vermögen.</p>
-
-<p>Ich habe unbestimmt von einer Welt- und Lebenanschauung gesprochen.
-Die Welt- und Lebenanschauung gibt es noch nicht. Selbst bei den
-Kulturvölkern sind unzählige Anschauungen im Schwange, und eine
-Anschauung wird von der anderen bekämpft, und von jeder Anschauung
-kann man nachweisen, daß sie hier oder da unrichtig sein muß, von
-keiner aber, daß sie richtig ist. Die wichtigsten Dinge, die in einer
-Welt- und Lebenanschauung zur Sprache kommen, sind zeitlich, räumlich
-und sinnlich unerreichbar. So ist niemand bei der Schöpfung zugegen
-gewesen; der eine kann sie also ganz leugnen, der andere ebenso sicher
-absolut bejahen. Daher handelt es sich hier fast ausschließlich um
-Meinungen. Und diejenige Meinung wird die größte Wahrscheinlichkeit
-für sich haben, welche mit den Vorgängen im All, jetzt und früher, am
-besten in Einklang ist. Hier aber spielen subjektive Ansichten mit,
-gerade wie in der Religion; und was dem einen erwiesen scheint, weist
-der andere weit von sich. Und wie oft geradezu Widersinniges für sicher
-genommen wird, werden wir an vielen Beispielen sehen. Ich habe einmal
-in einer sehr wichtig und bedeutend tuenden Broschüre gelesen, unsere
-Welt sei die Schlacken oder auch die Auswurfstoffe aus der vierten
-Dimension. Wie töricht! wird der Leser ausrufen. Aber wir haben noch
-viel seltsamere Ansichten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_4" id="Seite_4">[S. 4]</a></span></p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>2. <span class="gesperrt">Naturvölker und Kulturvölker</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Wir unterscheiden zunächst die Anschauungen der <span class="gesperrt">Naturvölker</span> von
-denjenigen der <span class="gesperrt">Kulturvölker</span>. Die Völker der <span class="gesperrt">Halbkultur</span>
-folgen wesentlich den Naturvölkern. Auch steht so mancher Kulturmensch
-ganz auf dem Standpunkt des Wilden. Trifft er sich dort, so mag er in
-sich gehen und in die ihm gehörige Klasse überwandern.</p>
-
-<p>Einfacher und doch verworrener sind die Anschauungen der Naturvölker
-als die der Kulturvölker. Wie es unendlich viele Mühe gemacht hat,
-in die Religion der Naturvölker einige sichere Einsicht zu erhalten,
-weil auf Befragen nicht bloß fast jedes Dorf, sondern fast jeder
-Befragte etwas besonderes erzählt, so verhält es sich hinsichtlich
-der Weltanschauungen. Gemeinsame Lehren ergaben sich nämlich bald,
-weil ihre praktische Betätigung in unmittelbare Erscheinung trat. Aber
-Meinungen und Anschauungen hatte jeder für sich. Und dabei handelte es
-sich nicht einmal immer um Verlegenheit vor dem Frager und Mißtrauen
-gegen ihn, sondern einfach um Mangel an Ansicht und Unüberlegtheit.
-Wie viele Kulturmenschen würden auf Befragen nach ihrer Weltanschauung
-bestimmt antworten können oder wollen? Und wo sie eine solche
-Anschauung besitzen, würden sie in Staaten mit polizeilichen oder
-kirchlichen Gewalten aus Furcht vor Nachteilen, sonst in dem unbequemen
-Gefühl, etwas Törichtes zu sagen, noch weit mehr mit ihren Meinungen
-zurückhalten als ein Naturmensch, oder sich mit Ausflüchten helfen.
-Als ich mich mit der Religion der ozeanischen Völker beschäftigte,
-fiel es mir auf, daß von den unzähligen Namen für Götter und Helden,
-welche in einem Hauptwerk hierüber, Greys „Polynesian Mythology“,
-enthalten sind, kaum zwei in den sehr vielen Angaben der Seefahrer
-des achtzehnten Jahrhunderts (Cooks, Wilsons, Pokocks u. a.) sich
-finden. Die bei weitem wichtigste Bezeichnung für Götter und Dämonen in
-diesen Angaben, Eatooa oder Atoa oder ähnlich, sucht man in gleicher
-Eigenschaft in Greys Werk vergeblich. Ein anlautender Name kommt<span class="pagenum"><a name="Seite_5" id="Seite_5">[S. 5]</a></span>
-wohl vor, er bezeichnet aber eine Insel oder einen Distrikt. Nur die
-Namen Tane und Maui scheinen zeitlich und räumlich sehr verbreitet zu
-sein. Frobenius, in seinem Buche „Die Weltanschauung der Naturvölker“
-hat sich der Mühe unterzogen, für die afrikanischen Völker den Namen
-einer der bekanntesten Gottheiten durch die Stämme zu verfolgen. Er
-geht von dem Namen Tschuka aus, der bei den Ibo und in Kalabar einfach
-Gott bedeuten soll, und stellt mehr als fünfzig Namen auf, die jenem
-Namen entsprechen sollen, darunter solche wie Rupe, Ndsakumba und
-ähnliche, die nicht entfernt mehr an den Ausgangsnamen erinnern. Das
-kann und wird zum Teil an den abweichenden Sprachen liegen, wie wir
-ja für unser „Gott“ selbst unter den Indogermanen um eine ähnlich
-lautende Bezeichnung verlegen sind. Dann aber muß man sich wundern,
-daß Hottentotten und Buschmänner, die eine von den eigentlichen
-Bantu-Negern des mittleren Afrika ganz verschiedene Rasse bilden, fast
-den gleichen Namen für Gott besitzen wie die ihnen so fernen Neger des
-oberen Kongo, Touquo und Tuiko gegen Tuku (vermehrt Tuku-Tuku), während
-fast sich berührende Stämme der gleichen Rasse und anscheinend des
-gleichen Sprachstammes ganz abweichende Namen aufweisen. Bei den Yoruba
-an der Nigermündung heißt es Dso oder Zo, wie in dem weit entfernten
-Saumgebiet Ostafrikas. Aber in dem nahen Kamerun soll man das gleiche
-mit Loba, Lebe, Rubi bezeichnen, wie ähnlich mit Lubari in Uganda, wo
-ja auch Dso oder Zo bestehen soll, und wo als eigentlicher Name des
-Schöpfers Kitonda angegeben wird. Vieles muß also an den verschiedenen
-Angaben liegen, die im gleichen Bezirk von verschiedenen Personen
-dem gleichen oder einem anderen Forscher gemacht werden. Anderes an
-der kindlichen Gewohnheit der Naturvölker, Namen beliebig zu ändern
-oder zu verdrehen. Wer Reisewerke miteinander vergleicht oder die
-Namen in Atlanten und anderen Werken sucht, gerät mitunter in helle
-Verzweiflung. Gegenwärtig kommt noch dazu, daß die meisten Naturvölker
-schon mit Kulturmenschen durchsetzt sind und vieles Kulturelle,
-namentlich Religiöse,<span class="pagenum"><a name="Seite_6" id="Seite_6">[S. 6]</a></span> von ihnen gehört und in sich aufgenommen haben.
-Neuere Mitteilungen über Ansichten von Naturvölkern können darum
-nur mit größtem Mißtrauen benutzt werden, namentlich, wenn sie an
-Kulturansichten erinnern. Und da die älteren Reisenden meist weder
-die Kenntnisse noch das Interesse besaßen, sich wirklich genau über
-die besuchten Völker zu orientieren, sondern nur allzu gerne sich die
-tollsten Lügen aufbinden ließen, um zu Hause die merkwürdigsten Fabeln
-erzählen zu können, so sieht es eigentlich mit Untersuchungen über die
-Welt- und Lebenanschauung der Naturvölker übel aus. In den Märchen
-und Erzählungen, die uns von den Naturvölkern vorgetragen werden,
-sind Züge reinster Empfindung und Tugend und dicht daneben Roheiten
-entsetzlichster Bestialität. Ganz wie in den Sagen der alten Griechen.
-Wer kann die rührende Szene zwischen Hektor und Andromache mit der
-scheußlichen des Totenopfers für Patroklos vereinigen? Wir kommen
-dadurch auf einen Punkt, der von großer Bedeutung ist und uns noch
-beschäftigen wird.</p>
-
-<p>Für die <span class="gesperrt">Kulturvölker</span> scheint die Untersuchung einfacher und
-sicherer zu sein, hier ist ja so vieles durch Tradition und Schrift
-bekannt. Aber das Ungeheuere des Materials wirkt erdrückend. Es
-prahlte jemand mit seinem Fleiße und rechnete so viel Tätigkeit
-zusammen, daß für den Tag 26 Stunden Arbeit herauskamen. Selbst dieser
-Zauberkünstler wäre nicht imstande, das Material auch nur zum vierten
-Teil zu bewältigen, und wenn er Methusalems Alter erreichte. Man muß
-sich darum auf Hauptansichten und Hauptwerke beschränken. Und dieses
-darf um so eher geschehen, als wahrhaft große Meinungen nur spärlich
-erblüht sind, und als unglaublich Viele bewußt und unbewußt die Wege
-der Großen wandeln. Das ist kein Tadel; und wer in mühseliger Arbeit
-das gefunden hat, was einem Großen vor ihm schon als Geschenk des
-Genies eingefallen ist, darf mit Fug und Recht stolz sein und alberne
-Kritik aus Zusammengelesenhaben ablehnen. Eine solche Arbeitsvermehrung
-nimmt man gerne entgegen. Eine andere Schwierigkeit liegt in dem Mangel
-an Bestimmtheit in so vielen Meinungen<span class="pagenum"><a name="Seite_7" id="Seite_7">[S. 7]</a></span> und Schriften. Wir werden von
-zwei wilden Rossen nach entgegengesetzten Richtungen gezogen, dem
-Verstand und dem Gefühl. Mancher wird innerlich zerrissen, viele geben
-wenigstens dem einen oder dem anderen etwas nach. Kommt noch dazu
-die menschliche Gebundenheit um des bloßen Lebens willen an anderer
-Meinung, etwa die bemerkte an Staat und Kirche, so ergibt sich ein
-weiteres Schwanken. Hat man doch dem großen Kant Inkonsequenzen in
-seinem philosophischen System vorgeworfen. Und wer weiß so recht, was
-Fichtes oder gar Schellings eigentliche Philosophie gewesen ist, da
-man doch von jedem von ihnen mehrere ganz abweichende Philosophien
-hat? Und da bei weitem die meisten Menschen inkonsequent sind, die
-einen aus Anlage, die anderen aus ehrlichem Zweifeln, so berührt uns
-ein ganz konsequenter Mann oder eine ganz konsequente Ansicht fast
-unheimlich. Wir werden sehen, daß auf unserem Gebiete davon nur sehr
-wenig vorhanden ist. Man kann fast sagen: mitunter zum Glück für die
-Menschheit. Denn mit absoluter Konsequenz ist oft Fanatismus und mit
-diesem Verfolgungssucht verbunden, die sich in der konsequentesten
-Religion, der katholischen, in so entsetzlichen Taten geäußert hat,
-und eine Herrschernatur wie Innozenz III., trotz so großer Leistungen,
-durch die Ausmordung Tausender andersdenkender unschuldiger Menschen
-fast fluchbeladen erscheinen läßt.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>3. <span class="gesperrt">Hauptfragen und Stammannahmen (principia,</span>
-ἀρχαὶ<span class="gesperrt">) der Welt- und Lebenanschauungen</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Der Leser sieht, welch umfangreiche Arbeit hier zu bewältigen
-ist, und wie alles nur in großen Zügen zur Darstellung kommen
-kann. Doch habe ich die Absicht, weit über die engen Grenzen der
-Spezialbetrachtungen hinauszugehen, die immer nur einzelne Klassen
-der Menschheit betraf. Ich möchte vorführen, was der Mensch allgemein
-an Welt- und Lebenanschauungen geschaffen hat; nicht diese oder jene
-Philosophenschule, diese oder jene Religion,<span class="pagenum"><a name="Seite_8" id="Seite_8">[S. 8]</a></span> dieses oder jenes Volk.
-Unter solchen Umständen ist eine gewisse Systematik unausweichlich,
-sonst verläuft man sich in der Fülle des Gebotenen und gerät in Gefahr,
-die Darlegung in Phrasen aufzulösen. Und nirgends ist diese Gefahr so
-groß und sind ihr so viele Schriftsteller erlegen als gerade auf dem
-Gebiete, mit dem wir uns hier beschäftigen sollen. Was Prinz Heinz
-von seinem dicken Freunde bei der Musterung seiner Rechnungen gesagt
-hat, und ich einmal einen berühmten Nationalökonomen auf einem Kommers
-auf die Universitätsvorlesungen habe anwenden hören, soll uns zur
-Warnung dienen. Gründlichkeit hier, Schmuckrede dort, zwischen diesen
-Symplegaden müssen wir unser Schifflein hindurchsteuern.</p>
-
-<p>Fast jede Weltanschauung geht von einer Stammannahme oder von mehreren
-Stammannahmen aus. Es muß daher von großer Bedeutung für die Ordnung
-des Vortrags sein, wenn vor allem diese Stammannahmen vorgeführt
-werden. Vollständig dieses zu tun ist für einen beschränkte Zeit
-lebenden Menschen nicht möglich, wegen der unendlichen Menge von
-Büchern, die er lesen müßte. Nachdem ich mich aber durch so viele Jahre
-frei und veranlaßt in so vielen Wissenschaften umgesehen habe, glaube
-ich, daß in der nachfolgenden Aufzählung Wichtigeres nicht fehlen
-wird. Sollte der Leser noch eine und eine andere Annahme wissen, so
-füge er sie gütigst hinzu; wir sind alle gerne Kärrner der Königin
-Wissenschaft. Die Annahmen gehen aber auf</p>
-
-<ul class="aufz1">
- <li>den Grund des Alls und den der Einzelnen,</li>
- <li>den Bestand des Alls,</li>
- <li>das Wesen der Dinge,</li>
- <li>das Wesen und den Grund der Geschehnisse,</li>
- <li>die Entwicklung des Alls,</li>
- <li>das Ende des Alls,</li>
- <li>das Ende der Einzelnen.</li>
-</ul>
-
-<p>Das sind sieben Hauptpunkte. Es ist nicht angängig, die allgemeine
-Liste ganz nach diesen Hauptpunkten einzurichten; die Behandlungen
-müßten vielfach durcheinander gehen und sich verschlingen, wodurch
-viele unnötige und störende<span class="pagenum"><a name="Seite_9" id="Seite_9">[S. 9]</a></span> Wiederholungen entstehen würden.
-Gleichwohl ist die nachfolgende Liste unterteilt, und zwar derartig,
-daß sie in einiger Beziehung sich den Hauptpunkten anschmiegt. Wenn
-manche Hauptpunkte in der Liste nicht berücksichtigt zu sein scheinen,
-so ist es in der Tat nur ein „scheinen“. Durch gehörige Untersuchung
-der Stammannahmen und namentlich auch durch Verbindung zweier oder
-mehrerer von ihnen werden auch diese Hauptpunkte zur Erledigung
-gebracht.</p>
-
-<p>Die Liste enthält vier Klassen: phantomistische Annahmen,
-wesenheitliche, wesenheitlich-begriffliche, begriffliche. Es kommt auf
-die absolute Richtigkeit der Benennungen nicht an, diese müssen nur
-durchschnittlich zutreffen und können es auch nur. Nun möge die Liste
-selbst folgen.</p>
-
-<ol class="aufz2a">
- <li><span class="gesperrt">Phantomistische</span>.<br />
- <div class="mleft-05">
- 1. Nichts,<br />
- 2. Traum,<br />
- 3. Schein.
- </div></li>
- <li><span class="gesperrt">Wesenheitliche</span>.<br />
- <div class="mleft-05">
- 4. Das (indisch Tad),<br />
- 5. Etwas,<br />
- 6. Urwesen, Ding an sich, Substanz,<br />
- 7. Gott,<br />
- 8. Götter (in allen Abstufungen),<br />
- 9. Weltgeist,<br />
- 10. Schöpfer (Schöpfung),<br />
- 11. Vernichter, Satan, Widergott,<br />
- 12. Weltseele,<br />
- 13. Einzelseele,<br />
- 14. Weltvernunft,<br />
- 15. Einzelvernunft,<br />
- 16. Emanation,<br />
- 17. Chaos, Urmaterie,<br />
- 18. Materie (auch Elemente und Körper),<br />
- 19. Energie, Entropie,<br />
- 20. Psychoma.
- </div></li>
- <li><span class="gesperrt">Wesenheitlich-begriffliche</span>.
- <div class="mleft-05">
- 21. Sein, Nichtsein,<br />
- 22. Werden, Vergehen,<br />
- 23. Ruhe, Erregung,<br />
- 24. Attribute,<br />
- 25. Ideen,<br />
- 26. Formen,<br />
- 27. Modi (auch Essenzen und Bilder),<br />
- 28. Monaden (auch Realen),<br />
- 29. Zahl,<br />
- 30. Raum (auch Leere),<br />
- 31. Zeit,<br />
- 32. Harmonie,<br />
- 33. Disharmonie (auch Entzweiung in sich).
- </div></li>
- <li><span class="gesperrt">Begriffliche</span>.
- <div class="mleft-05">
- 34. Gut,<br />
- 35. Böse,<br />
-<span class="pagenum"><a name="Seite_10" id="Seite_10">[S. 10]</a></span>
- 36. Liebe (auch Anziehung),<br />
- 37. Haß (auch Abstoßung),<br />
- 38. Streit,<br />
- 39. Zwang (absoluter),<br />
- 40. Notwendigkeit,<br />
- 41. Anlage (auch Prädestination, Prästabilisation),<br />
- 42. Unfreiheit, Determinismus,<br />
- 43. Ursächlichkeit,<br />
- 44. Beschränktheit,<br />
- 45. Zweckmäßigkeit (Teleologie, auch Instinkt),<br />
- 46. Entwicklung,<br />
- 47. Produktion und Reaktion (auch Regulative),<br />
- 48. Parallelismus,<br />
- 49. Gelegenheitlichkeit,<br />
- 50. Zufall, Association,<br />
- 51. Freiheit,<br />
- 52. Unbeschränktheit.
- </div></li>
-</ol>
-
-<p>Die Liste sieht bunt genug aus; es soll ja aber auch ein allgemeiner
-Überblick über die Welt- und Lebenanschauungen gegeben werden.
-Wir könnten nun weiter so verfahren, daß wir einfach die obigen
-Stammannahmen einzeln und zu zweien oder mehreren nehmen, so würden wir
-schon eine große Zahl aller bisher entwickelten Anschauungen gewinnen.
-Aber die Liste soll uns nur im einzelnen leiten. Die Betrachtung führen
-wir allgemein.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>4. <span class="gesperrt">Vergleichung der Anschauungen,
-Parallelen</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Drei Hauptaufgaben haben wir zu erfüllen: die Anschauungen einzeln
-oder in Klassen vorzuführen, sie auf ihre theoretische und praktische
-Bedeutung zu untersuchen, sie miteinander zu vergleichen. Über die
-beiden ersten Aufgaben ist nichts besonderes mehr zu sagen. Die dritte
-Aufgabe aber gibt zu einer wichtigen Bemerkung Anlaß. Die Vergleichung
-kann zu zwei Zwecken geschehen. Einmal um die Kulturzustände der Völker
-oder Zeiten, innerhalb deren die Anschauungen geäußert sind, gegen
-einander abzuwägen. Sodann um über die Priorität einer aufgestellten
-Anschauung zu entscheiden. Das erstere gehört nur zu sehr geringem
-Teil hierher, da wir ja keine Kulturgeschichte schreiben, und wird
-sich meist bei den Vorführungen selbst erledigen. Das zweite lassen
-wir fort, sofern es sich um Prioritäten einzelner Personen handelt.
-Diskussionen hierüber haben nur dann einen Wert, wenn mit der Priorität
-auch der Sinn<span class="pagenum"><a name="Seite_11" id="Seite_11">[S. 11]</a></span> der Anschauung verbunden ist, den wir ja bei einem
-gedankentiefen Manne immer eine Stufe höher verstehen müssen als bei
-einem mittelmäßigen Kopf, wenn der Ausdruck der Ansicht dazu Raum
-läßt. Nun aber werden Anschauungen nicht bloß von einzelnen Personen
-ersonnen, sondern, wie Lieder, von einem ganzen Volke, so daß es
-sich um Volksanschauungen handelt. Dann können Völker miteinander in
-Wettbewerb treten und hat die Frage nach der Priorität doch große
-Bedeutung. Ich darf nur an den Streit Babel und Bibel erinnern, der
-mit so außerordentlicher Heftigkeit in unseren Tagen geführt worden
-ist. Und gerade an diesen Streit kann ich anknüpfen. Er entsprang aus
-behaupteten Ähnlichkeiten zwischen der Literatur der Babylonier und
-gewissen Teilen der Bibel, so daß die erstere Vorläufer und Muster
-für die Erzählungen und die Lehren der Bibel sein sollte. Auch ganz
-abgesehen davon, ob die Ähnlichkeiten wirklich so bedeutend sind, daß
-man es wagen dürfte, ein Werk wie die Bibel in wichtigsten Teilen
-der Originalität zu entkleiden, machte sich in diesem Streit eine
-verblüffende Außerachtlassung aller Errungenschaften der Anthropologie
-geltend. Längst haben die Anthropologen erkannt, daß die Menschheit
-eine auffallend gleichartige Masse bildet, daß Gebräuche, Gedanken
-und Vorstellungen sich oft an den entferntesten Punkten der Erde in
-gleicher Weise vorfinden. Ein so ekelhafter und so seltsamer Brauch
-wie das Auffangen und Verwenden der Fäulnisflüssigkeit des Leichnams
-zeigt sich im Herzen Afrikas und auf weit abliegenden ozeanischen
-Inseln. Die Entstehung der Menschen aus Bäumen oder Steinen wird fast
-auf der ganzen Erde erzählt. Reineckes Streiche und Schlauheiten, nur
-übertragen auf Hasen und Schakale, geben auch den verschiedensten
-Negerstämmen Stoff zum Lachen. Märchen fast des gleichen Inhalts finden
-sich bei Völkern, die weder sprachlich noch stammlich zusammenhängen.
-Ich habe mir mehr als zwanzig Ähnlichkeiten sogar im Einzelnen
-zusammengestellt. Eine sehr seltsame und sehr wichtige, daß nämlich
-die Wasser über dem Himmel der Bibel in Ozeanien sich wiederfinden,<span class="pagenum"><a name="Seite_12" id="Seite_12">[S. 12]</a></span>
-habe ich schon in meinem Buche „Die Entstehung der Welt und der
-Erde nach Sage und Wissenschaft“ hervorgehoben. Ich kann hier mit
-noch einer, nicht minder bedeutenden, vielleicht noch bedeutenderen
-aufwarten. Nach der Bibel schafft Gott zwischen den Wassern eine
-Dehnung, wodurch die Scheidung zwischen Himmel und Erde bewirkt
-wird. Bei den Neuseeländern sind Himmel und Erde ursprünglich auch
-aufeinander und der Gott Tane-mahuta trennt sie, daß ein Zwischenraum
-zwischen ihnen entsteht. Geschieht letzteres auch grobsinnlich &mdash;
-der Gott stemmt den Kopf gegen die Erde, Papa, und die Füße gegen
-den Himmel, Rangi, und drückt so diese Gatten auseinander &mdash; die
-Sache ist doch die gleiche, das Schaffen der Ausdehnung zwischen
-Himmel und Erde. &mdash; Der Neuseeländische Maui wird von seiner Mutter,
-eingewickelt in einen Wulst ihrer Haare, ins Meer geworfen, von
-den Wogen ans Land gespült und dort aufgefunden und erzogen. Damit
-vergleiche man die Kindheitsgeschichte Mose. Der Hauptunterschied
-besteht nur darin, daß Mose von einer Königstochter aufgenommen
-wird, Maui von einem männlichen Vorfahr. &mdash; Die Polynesier haben
-Schwanenjungfrauen wie wir und mit fast den gleichen Erzählungen. &mdash; Ra
-kennzeichnet in Ozeanien den Sonnengott, genau wie im alten Ägypten.
-&mdash; Fast noch verwunderlicher ist, was Max Müller mitteilt, daß einem
-Zwillingsgötterpaar der indischen Mythologie, Yama und Yami, ein
-anderes, Yame und Yama, mit gleicher Bedeutung in Peru entspricht. Nun
-denke man, welche wilde Theorien unsere Babylonier darauf gegründet
-haben, daß im Babylonischen, das doch eine Schwestersprache des
-Hebräischen ist, ein Wort sich fand, das an Jehova anklang! Und Indien
-und Peru, Altägypten und Ozeanien! &mdash; Josuas Wunder, daß die Sonne auf
-sein Geheiß stehen bleibt, ist von vielen Ozeaniern nachgeahmt, z. B.
-bis ein Haus fertig ist oder ein Wanderer seinen Weg zurückgelegt hat.
-&mdash; Totenschiff und Totenführer kennen nicht bloß die Griechen, sondern
-auch die Polynesier und einige Afrikastämme und Indianer. &mdash; Maui raubt
-das Feuer wie Prometheus. &mdash; Solare Gottheiten<span class="pagenum"><a name="Seite_13" id="Seite_13">[S. 13]</a></span> der Neger erregen
-Krankheiten durch Wurfgeschosse wie Apollon. &mdash; Gleich den Israeliten
-geht ein Hottentottenheros, Heitsi-Eibibs, durch das Wasser, das sich
-vor ihm spaltet und wie dort über dem Verfolger zusammenschlägt. &mdash;
-Ich könnte noch viel mehr anführen, Regenbogen, Weltei, Wahrsagekunst,
-Jonas und anderes betreffend. Aber ich glaube, daß die obige kurze
-Aufzählung schon genügt darzutun, wie außerordentlich vorsichtig man
-bei Schlüssen aus Ähnlichkeiten sein muß. Diese Vorsicht muß aber geübt
-werden, sonst kann man hinsichtlich der Völkerzusammenhänge zu den
-bösesten Schlüssen kommen. Wir werden später noch vieles andere kennen
-lernen, was auf gleichem Gebiete liegt, Ost und West, Nord und Süd
-verbindet und seine Wurzel eben in Zufall oder in der Gleichartigkeit
-des Menschengeschlechts hat. Im allgemeinen kann man sagen, daß alles
-Entlehnte sich ziemlich bald durch Mißverständnis, Unstimmigkeit und
-Gezwungenheit verrät. Echtes, Eingeborenes, geht frei nach rechts
-und links ausgreifend und entwicklungsfähig einher. Doch sollen die
-Schwierigkeiten bei der Scheidung nicht verkannt werden.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>5. <span class="gesperrt">Einteilung der Welt- und
-Lebenanschauungen</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Man teilt die Welt- und Lebenanschauungen in zwei Klassen ein, in
-<span class="gesperrt">monistische</span> und <span class="gesperrt">pluralistische</span> oder <span class="gesperrt">multistische</span>
-(dualistische, trialistische usf.). Die erstere Klasse soll
-Anschauungen enthalten, die, von einem Gesichtspunkt ausgehend, das
-gesamte All, ohne irgend eine Ausnahme darin, als eine Einheit mit
-zeitlich und räumlich unbegrenzt gleichen Eigenschaften betrachten. So
-z. B. behauptet der bekannteste Monismus &mdash; den ich hier nicht mit dem
-unzureichenden und irreführenden Beiwort: materialistischer, sondern
-allgemeiner und treffender: physischer Monismus bezeichnen will &mdash;,
-daß das gesamte All, belebt und unbelebt, stets und überall nur von
-den Erscheinungen, die wir in der unbelebten Natur kennen, erfüllt und
-beherrscht worden ist, wird und werden wird. Ihm gegenüber<span class="pagenum"><a name="Seite_14" id="Seite_14">[S. 14]</a></span> betrachtet
-der Dualismus die Welt von zwei unabhängigen Gesichtspunkten, z. B.
-indem er das All durchaus in Leben und Nichtleben, in Körper und Geist,
-in Gott und Welt usf. teilt. Noch weiter würde die Teilung gehen im
-Trialismus, Tetralismus usf. Dabei käme es eigentlich darauf an, daß
-die Trennungen im Pluralismus absolute sind. Derartige Anschauungen
-besitzen wir nicht recht; es läßt sich nicht vermeiden, daß eines in
-das andere eingreift. Indessen gibt es, wie wir noch sehen werden,
-einen wirklichen Monismus auch noch nicht. Überhaupt bringt es der
-Gegenstand mit sich, daß keine der Anschauungen auch nur theoretisch,
-geschweige praktisch, durchaus konsequent ist, wenigstens wenn man sie
-sachlich und nicht bloß nach den Behauptungen untersucht. Mitunter
-erscheinen die Anschauungen der Wilden, namentlich in ihrer praktischen
-Anwendung, bei weitem konsequenter als die der Kulturmenschen. Und das
-hat seinen guten Grund, den wir noch kennen lernen werden.</p>
-
-<p>Der obigen Einteilung werden wir nur bei den einzelnen Anschauungen
-Rechnung tragen können. Allgemein werden wir drei Hauptklassen
-unterscheiden: psychisch-religiöse, religionsphilosophische,
-philosophisch-physische, und werden darunter finden:
-irdisch-menschliche, irdisch-göttliche, religiöse, psychische
-(auch geistige), philosophische (metaphysische), physische
-(naturwissenschaftliche); phantomistische, theosophische, mystische
-Anschauungen. Die drei letzten sind durch das Semikolon absichtlich
-von den anderen getrennt; sie bedeuten eine eigenartige Gattung
-von Anschauungen diesen gegenüber, in der Phantasie und Grübelei
-eine besonders große Rolle spielen. Aus den ineinandergreifenden
-Benennungen in den Hauptklassen sieht der Leser schon, daß auch
-hier scharfe Scheidungen nicht vorhanden sind. Und wie sollten auch
-solche Scheidungen bestehen! Jede Anschauung wird regiert durch
-Erfahrung, Wunsch, Religion und Nachdenken. Die Erfahrung gibt die
-Welt wie sie ist, oder wenigstens erscheint, das ist das Physische.
-Der Wunsch richtet sich auf den Gang der Welt in bezug auf uns und
-auf andere, als positiver und negativer Egoismus, bedeutet also das
-Irdisch-menschliche.<span class="pagenum"><a name="Seite_15" id="Seite_15">[S. 15]</a></span> Die Religion ist bei den meisten verdeckter
-Egoismus, und zwar natürlicher Egoismus, der, berechtigt, auf
-Erhaltung seiner selbst und anderer geht, aber auch häßlicher, der
-die Gottheit oder die Weltordnung zur Demütigung, Dienstbarmachung
-oder gar Vernichtung des Anderen sich zum Vorteil oder nur zur
-Schadenfreude herbeiruft. Bei anderen, wie bemerkt, und wiederum
-recht vielen, ist sie lediglich gedankenloses Anhängen an bestimmte
-Satzungen. Verhältnismäßig die Minderzahl faßt die Religion innerlich
-mit tiefem Fühlen und fester Überzeugung auf. Endlich das Nachdenken,
-das philosophische, sucht die unmittelbare Erfahrung der äußeren
-und inneren Welt zu verknüpfen; Widerstrebendes zu vereinigen, das
-Mannigfaltige zu vereinheitlichen und aus allem diesen das Gewirr
-der Welt und des Lebens unter wenige Gesichtspunkte zu bringen, die
-auch Schlüsse auf Unbekanntes und Zukünftiges gestatten. Dazu können
-wir getrost auch das Phantasieren und Grübeln rechnen, die beide
-nur ein Übergreifen des Denkens auf übersinnliche oder unsinnliche
-Objekte darstellen. Das eine oder das andere von diesen vier Steuern
-auf dem Meere der Anschauungen mag hier und dort nicht zur Anwendung
-gelangen, es mag sogar herausgehoben und als unnötig beiseite gelegt
-werden. Das tut nichts und berührt die Bedeutung dieser Steuer für die
-Gesamtbetrachtung nicht.</p>
-
-<p>Und so kennzeichnen die gewählten Namen für die einzelnen Anschauungen
-nur das Vorwiegende in der jeweiligen Anschauung. Denn beispielsweise
-fehlt das Physische in keiner der Anschauungen, aber es gibt
-Anschauungen, in denen es ganz besonders zur Geltung gebracht ist.
-Gleicherweise verhält es sich mit dem Religiösen, wo nur die rein
-materialistischen Anschauungen eine Ausnahme machen, und mit dem
-Philosophischen und Irdisch-menschlichen.</p>
-
-<hr class="book" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_16" id="Seite_16">[S. 16]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="ERSTES_BUCH"><span class="s5">ERSTES BUCH.</span><br />
-
-Psychisch-religiöse Welt- und Lebenanschauungen.</h2>
-
-<h3 class="nobreak" id="ERSTES_KAPITEL"><span class="s5">ERSTES KAPITEL.</span><br />
-
-Anschauungen der Naturvölker.</h3>
-
-</div>
-
-<h4>6. <span class="gesperrt">Irdisch-menschliche Anschauungen</span>.</h4>
-
-<p>Diese sind bald erledigt. Für sie ist alles, wie es sich den Sinnen
-darstellt. Weder über das Wesen noch über die Ursache des Vorhandenen
-wird nachgedacht. Es wird alles so genommen wie es geboten ist, und
-Kenntnisse und Gesichtsweite richten sich nach dem Wahrgenommenen.
-Damit verbunden ist die Beziehung jeglichen Gegenstandes und Vorganges
-auf die eigene Person. Es ist ein rein anthropozentrischer Standpunkt,
-indem das Ich der entscheidende Inhalt der Welt ist, und Gut und
-Böse sind, was dem Ich dient oder dem Ich schadet. Von vornherein
-werden die Himmelskörper als Gegenstände gleich denen der Erde oder
-gar der nächsten Umgebung angesehen, so als gewöhnliche Körper,
-Menschen oder Tiere oder Früchte. Der Kulturmensch, der die Gelehrten
-sich den Kopf über die Welt zerbrechen läßt, wird die Himmelskörper
-schon als das betrachten, was aus der Wissenschaft auch gegen seine
-Absicht ihm zur Kenntnis gelangt ist. Aber bei Naturvölkern ist es
-eine Selbstverständlichkeit, daß die Welt einheitlich der irdischen
-gleicht. Naiv wird angenommen, was die Forschung mit vieler Mühe,
-wenn auch in ganz anderem Sinne, zum Teil erst erweist. Nichts ist
-charakteristischer als die An<span class="pagenum"><a name="Seite_17" id="Seite_17">[S. 17]</a></span>schauung vom Himmel und von dem darüber
-Befindlichen, die wir bei so vielen Naturvölkern vorfinden. Der Himmel
-ist ein Zeltdach, am Horizont an die Erde durch Stricke, Ranken und
-ähnliches befestigt, oder von Bergen, Felsen, Bäumen, Menschen, Tieren
-getragen. So kann ein Mensch auch einfach in den Himmel gelangen.
-Tawhaki, ein neuseeländischer Heros und später Halbgott, hat ein
-dem Himmel entstiegenes Weib Tanga-Tanga oder Hapai und von ihr ein
-Töchterlein. Wie in unseren Märchen verschwindet das Weib jeden Tag mit
-Morgengrauen, bis sie aus Liebe gänzlich bei ihm bleibt. Eines Tages
-aber beleidigt er sie in dem Kind, das er als übelriechend bezeichnet,
-und sie entflieht mit dem Kind in ihre himmlische Heimat. Nun sucht
-er einen Weg, in den Himmel zu gelangen, um sie zurückzuholen. Nach
-einigen Abenteuern gelangt er dahin, wo die Befestigungsseile des
-Himmels die Erde treffen. Dort findet er eine alte Tante von ihm, und
-die gibt ihm den Rat, an dem festgemachten Seil emporzuklettern. Sein
-Bruder Karibi, der ihn begleitet hatte, nimmt ein zu loses Seil und
-wird nun von den Winden Ost und West hin und her geschleudert. Tawhaki
-selbst aber ist vorsichtig, klettert sicher und kommt so in den Himmel.
-Menschen, die auf irgendeine Weise in den Himmel gelangt sind und zur
-Erde zurückwollen, machen ein Loch, binden ein Tau an und lassen sich
-an dem Tau herab. Oder es schießt jemand einen Pfeil in die Höhe, der
-im Himmel stecken bleibt, dann schickt er einen zweiten in den ersten,
-einen dritten in den zweiten usf. So gewannen die Söhne Ajelens in
-Nordamerika eine Pfeilleiter, in den Himmel zu klettern, und einer so
-entstandenen Pfeilleiter bediente sich der polynesische Heros Quat. In
-Australien wirft ein Mann seine Lanze, an die ein Seil gebunden ist,
-gegen den Himmel, die Lanze bleibt dort stecken und er hat so einen
-Weg. Noch einfacher macht es Kasimbaha in Celebes, er benutzt die
-Rottangranke, nachdem die Feldratte ihre Dornen abgenagt hat, um in
-den Himmel zu gelangen. Wenn die Höhe eines Baumes nicht reicht, wird
-ein Zauber angewendet, ihn rasch wachsen zu lassen. Ein Kannibale,
-Quasawara, stellte dem<span class="pagenum"><a name="Seite_18" id="Seite_18">[S. 18]</a></span> vorhin erwähnten Quat (Banks-Inseln) und seinen
-Brüdern nach. Alle flohen auf die Spitze eines Kasuarinenbaumes. Der
-Verfolger kletterte hinter ihnen her, aber Quat machte den Baum immer
-höher wachsen. Zuletzt reichte dieser bis zum Himmel. Da bog Quat den
-Baum zur Erde, stieg rasch mit seinen Brüdern herab, indem er die
-Spitze festhielt, und als sie alle unten waren, ließ er die Spitze los,
-der Baum schnellte auf und der zurückgebliebene Quasawara zerschlug
-den Kopf an dem Himmel. Wer sich über so kindliche, fast kindische
-Anschauungen verwundern sollte, der denke, daß ja für den Augenschein
-der Himmel in der Tat nicht sehr fern ist, je nach Beschaffenheit der
-Luft und der Vergleichsgegenstände vielleicht 20 bis 80 Meter. Der
-Naturmensch folgt diesem Augenschein und läßt den Himmel über Bergen
-sich entsprechend wölben, mitunter auch die Berge in den Himmel ragen.
-Unwillkürlich denkt man an Astolfs Fahrt mit dem Apostel Johannes zum
-Monde, um Rolands Verstand, der dort in einer Flasche aufbewahrt wird,
-herabzuholen, nach Ariostos Dichterphantasie. Auf dem Monde</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Da gibt es andre Flüsse, andre Seen,</div>
- <div class="verse">Als sie in unsrer Welt, und andre Auen;</div>
- <div class="verse">Da kann er andre Täler, andre Höhen</div>
- <div class="verse">Mit ihren Städten, ihren Schlössern schauen,</div>
- <div class="verse">Und Häuser, groß, wie er sie nie gesehen,</div>
- <div class="verse">Zuvor noch, noch hernach auf Erden bauen;</div>
- <div class="verse">Auch weite gibt’s, einsame Waldreviere,</div>
- <div class="verse">Allwo die Nymphen jagen ihre Tiere.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Diese Verse führe ich des Folgenden wegen an. Der Naturmensch nimmt
-das gleiche an. Im Himmel ist nämlich für ihn alles wie auf der Erde:
-Wälder, Seen, Berge, selbst Menschen und Häuser. Und die Menschen
-unterscheiden sich an sich in nichts von den Erdenmenschen, nur daß
-man sie, da sie den Himmel bewohnen, etwas höher einschätzt. Tawhaki
-findet zuletzt sein Weib und sein Kind und bleibt bei ihnen, er spielt
-die Rolle eines Gewittergottes, indem es von seinen Fußtritten donnert
-und blitzt. Noch naiver ist die Erzählung von Rupes Himmelaufstieg. Er
-sucht seine Schwester und will darüber seinen Ahnen Rehua befragen. Der
-aber wohnt<span class="pagenum"><a name="Seite_19" id="Seite_19">[S. 19]</a></span> im zehnten Himmel &mdash; es wird also eine Vielzahl von Himmeln
-angenommen, wie auch anderweitig. &mdash; Rupe durchklettert alle Himmel,
-wie, wird einfach nicht gesagt. In allen ist es wieder genau wie auf
-der Erde. Endlich gelangt er in den zehnten Himmel und findet dort auch
-den gesuchten Rehua. Und wie gemein irdisch es da zugeht, wird fast
-mit Humor geschildert. Rupe verlangt zu essen. Da schüttelt der uralte
-Rehua die Locken, und es fallen eine Menge Vögel heraus, die gebraten
-werden. Auf Rupes verwunderte Frage, warum die Vögel in seinem Haar
-nisten, sagt Rehua, er hätte dort eine so große Menge von &mdash; Insekten,
-daß alle Vögel auf seinem Haupte ihre Nahrung suchen. Ja, Rupe findet,
-daß Rehuas Sklaven diesen schändlich behandelt haben, und muß seine
-Wohnung vom gräßlichsten Schmutz säubern. Und das im zehnten Himmel!
-zu dem der Hochgott der Ozeanier, Tane, die Wege besonders versperrt
-haben soll. In Borneo steigt ein Mann auf die Plejaden und bekommt dort
-Reis vorgesetzt, den er so kennen lernt. Fast gleiche Auffassungen
-finden wir in Australien und in Afrika, bei den Eskimo und bei anderen
-Völkern. Daß die Indianer Jagdgründe im Himmel erwarten, wissen wir
-ja schon aus Coopers Romanen. Aber folgende indianische Sage ist noch
-deutlicher, die ich nach Frobenius, gekürzt, gebe. Der Coyote hatte
-einen Sohn und dieser besaß zwei Frauen, von denen der Coyote eine für
-sich wünschte. Er wollte ihn töten und veranlaßte ihn, um einen Vogel
-zu fangen, auf einen Baum zu klettern. Nun ließ er den Baum höher und
-höher wachsen, bis dieser den Himmel berührte, daß sein Sohn sich
-an der Feste den Kopf einschlage. &mdash; Man vergleiche dazu die vorhin
-mitgeteilte Erzählung von Quat und Quasawara auf den Banks-Inseln.
-Aber der Sohn sprang vom Baum in den Himmel hinein. Was er da findet
-entspricht genau der ozeanischen Auffassung, Männer und Frauen, die
-Holz fällen. Von einem Mann und einer Frau wird er aufgenommen. Wie
-er Sehnsucht nach der Erde bekommt, spinnt ihm die Frau ein Seil und
-läßt ihn in einem Korb zur Erde nieder. Es will schon viel sagen, wenn
-einmal ein Held sich in den Balg eines Vogels<span class="pagenum"><a name="Seite_20" id="Seite_20">[S. 20]</a></span> tut und in den Himmel
-fliegt. Meist ist der Himmel so nahe und so irdisch, daß sogar Menschen
-ihn zurückschieben, wie in Ozeanien und Australien an vielen Orten
-erzählt wird. Zugleich ist er so derb solide, daß, wenn er herabstürzt,
-er alles zerschlägt und die Menschen tötet. Von einem Herabstürzen des
-Himmels wissen aber afrikanische, ozeanische und australische Stämme
-manches zu erzählen.</p>
-
-<p>Der Himmel wird entweder oben gehalten oder, wie schon mitgeteilt ist,
-als Zelt an die Erde mit Stricken, Ranken befestigt. Bei den Wanyamwesi
-soll, nach Stuhlmann, eine Riesin, Fumyahólo, den Himmel gleich Atlas
-stützen. Ihr Gatte, Niamtitinwa, gleichfalls ein Riese, hält die Erde
-auf einer Seite, die andere Seite der Erde ruht auf einem Berg Lugula
-oder Lugiya. Wenn dieser Riese zu seiner Frau geht, bebt die Erde.
-Andere Afrikaner lassen die Erde auf einem Horn einer Kuh ruhen. Beben
-entsteht, wenn die Kuh die Erde auf das andere Horn umlegt. Ozeanier
-stellen sich die Erde vor als auf ein Netz aufgeschüttet, das im Meere
-schwimmt, oder als Klumpen, den der Held Maui mit einem Netz aus dem
-Meere emporgezogen hat. Weit verbreitet ist die Annahme, daß Erde
-und Himmel von Säulen gestützt werden. Im übrigen wird nicht viel
-nachgedacht, wir wissen ja auch, wieviel Kopfzerbrechen es den klügsten
-Menschen im Altertum gekostet hat, eine Stütze für die Erde zu finden,
-und welch ungetümliche Zurüstungen die geistig so hochstehenden Indier
-getroffen haben, die Erde halten zu lassen (<a href="#Seite_176">S. 176</a>). Und ich darf
-auch auf mein Buch „Die Entstehung der Welt und der Erde in Sage und
-Wissenschaft“ verweisen. Hier zitiere ich noch nach Max Müller einen
-Vers aus dem Rigveda, bekanntlich dem ältesten Schriftdenkmal der
-Indier: „Ungestützt, nicht befestigt, wie bringt er es fertig, nicht zu
-fallen, wenn er sich erhebt?“ „Er“ ist die Sonne.</p>
-
-<p>Was die Himmelskörper anbetrifft, so werden auch diese rein irdisch,
-oft menschlich oder tierisch aufgefaßt. Ich habe auch dafür in
-meinem obengenannten Buche Beispiele gegeben, die ich nur durch
-einiges ergänzen darf. Bei manchen Indianern werden Sonne und Mond
-so menschlich angesehen,<span class="pagenum"><a name="Seite_21" id="Seite_21">[S. 21]</a></span> daß sie Kinder haben. Ein Held gelangt
-auf dem bekannten Wege in den Himmel und in das Haus der Sonne und
-heiratet dort eine Tochter der Sonne. Mit seiner Frau in einem Korb
-herabgelassen, muß er sie in einer Hütte versteckt halten, weil
-sie zu stark leuchtet. Der Mond kann in Ozeanien von einem Adler
-verschlungen werden. Aber das Verschlungenwerden von Sonne und Mond
-bei Finsternissen ist ja fast in allen Erdteilen Erzählung und Glaube.
-Und bekannt ist der furchtbare Lärm, den viele Völker gegen den Himmel
-machen, um den Drachen, die Schlange, oder was es für ein Tier sein
-mag, von seinem Opfer zu verscheuchen. In Polynesien ist die Sonne
-selbst ein Ungetüm. Maui, der Herkules oder Simson der Polynesier,
-dem sie zu heiß ist und zu rasch läuft, lauert ihr am Aufgangsorte
-auf, wirft ihr eine Schlinge um den Hals, mit der er sie drosselt,
-während er ihr zugleich mit seiner Keule Wunde über Wunde schlägt. Da
-verliert das Ungetüm durch die Wunden den größten Teil der Hitze und
-von Siechtum matt schleicht sie nun langsam ihres Weges. Daß der Mond
-ein gewöhnliches Licht, eine Lampe, ist, findet sich oft erwähnt, noch
-öfter ist er eine alte Frau. Wunderschön klingt es, liegt aber doch auf
-gleichem Gebiet, wenn amerikanische Indianer die Dämmerröte für den
-Widerschein der Fittige eines roten Schwanes erklären:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Kann’s die Sonne sein, sich neigend</div>
- <div class="verse">Überm flachen Wasserspiegel?</div>
- <div class="verse">Kann der Schwan es sein, der rote,</div>
- <div class="verse">Fließend, fliegend, wundgeschossen</div>
- <div class="verse">Mit dem Pfeil, dem Zauberpfeile,</div>
- <div class="verse">Rings die Flut mit Purpur färbend,</div>
- <div class="verse">Mit dem Purpur seines Herzbluts,</div>
- <div class="verse">Rings die Luft mit Glanz erfüllend,</div>
- <div class="verse">Mit dem Glanze seiner Federn?</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">singt Longfellow im „Hiawatha“ nach einer Sage der Odjibwä-Indianer (in
-Freiligraths Übersetzung).</p>
-
-<p>Mit derartigen Anschauungen verbindet sich ein naiver Wunderglaube,
-der das Wunder des Wunderbaren entkleidet. Wie selbstverständlich
-öffnen sich Felsen auf ein Gebot sogar eines Tieres, wachsen Bäume bis
-in den Himmel hinein,<span class="pagenum"><a name="Seite_22" id="Seite_22">[S. 22]</a></span> bleibt die Sonne auf Wunsch stehen, beleben
-sich Klötze und Häuser. Man wird sagen, das sind Märchen &mdash; und
-solche kann man von den Negern in schöner Auswahl in dem hübschen
-Buche des Fräulein von Held und in sehr vielen Reisebeschreibungen
-und anthropologischen Werken lesen &mdash;, aber das Märchen hat für den
-Naturmenschen, wenn es nicht direkt behufs Erzählens erfunden ist,
-die Bedeutung, die es für das Kind besitzt, oder richtiger besaß, ehe
-noch der hypermoderne Realismus das Kind in den Märchen Unsinn zu
-sehen lehrte. Dazu kommt noch ein Umstand, auf den in einem folgenden
-Abschnitt einzugehen ist, und der derartigen „Märchen“ ein ganz anderes
-Aussehen verleiht und sie mit Mythe und Religion in Verbindung bringt.
-Aber diese Selbstverständlichkeit des Wunders bei den Wilden ist
-eines der größten Hindernisse für die Verbreitung des Christentums
-unter den Naturvölkern ohne Gewalt, denn für die höheren Lehren hat
-der Wilde nur selten Verständnis. Der Kampf ums Dasein und der naive
-absolute Egoismus beschäftigt sein ganzes Leben, Tun und Trachten. In
-den Erzählungen, die die Reisenden uns mitteilen, kommen zwar auch
-Züge von Großmut vor, jedoch nur selten, und solche von Menschenliebe,
-wie die Kulturreligionen sie verstehen, existieren kaum, selbst
-bei Naturvölkern, die schon in Berührung mit der Zivilisation sich
-befinden. Diese Tugend scheint der Mensch zu allerletzt zu lernen. Sie
-ist freilich die schwerste von allen, nicht allein, weil sie absolute
-Überwindung des Egoismus erfordert, sondern auch weil der Gegenstand
-der Liebe sich nur sehr selten in liebenswürdiger Gestalt gibt, wo
-nicht zugleich das Mitleid mitspricht. Und die Naturvölker haben
-keine rechte Gelegenheit, von uns auch nur aus Mitleid, geschweige
-aus Fühlen Liebe zu lernen. Gestalten wie Livingstone sind einzig.
-Indessen ist die Gewalttätigkeit, vielfach Roheit und Brutalität, mit
-der die Naturvölker so oft behandelt wurden, allerdings nicht der
-eigentliche Grund für ihren Mangel an unseren Haupttugenden. Die rein
-egoistische Grundlage ihres Wesens ist noch jedem, der mit ihnen in
-Berührung kam, aufgefallen, nicht bloß Fremden<span class="pagenum"><a name="Seite_23" id="Seite_23">[S. 23]</a></span> gegenüber, sondern
-auch gegen ihre nächsten Angehörigen. Es fehlt ihnen die Schule,
-die bei den Kulturvölkern nun schon Tausende von Jahren dauert, und
-namentlich drückt auf sie unwiderstehlich ihre Umgebung. Ein Wilder,
-der in eine Umgebung versetzt wird, die nach jenen hohen Lehren
-lebt, kann diese sehr wohl annehmen und auch in sich aufnehmen, wie
-die Erfahrung ja hinreichend erwiesen hat. So aber verbietet zum
-Beispiel ein Negerhäuptling, weil es ihm so gefällt (car tel est notre
-plaisir), seinem ganzen Volke den Anbau des notwendigsten Getreides auf
-mehrere Jahre, herrscht bei ganzen Stämmen die Sitte, die Alten und
-Kranken auszusetzen oder zu töten, bildet bei noch anderen die Zahl
-der gemordeten Menschen, in Schädeln, die auf einer Schnur gereiht
-getragen werden, den höchsten Ruhm des Helden, und was der Greuel noch
-mehr sind, an die man nicht denken mag und die man schon als Knabe in
-Coopers Romanen mit einem gewissen Grausen gelesen hat, während sie in
-der Wirklichkeit, wegen des Mangels eines jeden edleren Beweggrundes,
-noch viel entsetzlicher wirken würden. Wenn nicht auch hier ein Motiv
-vorhanden wäre, das in der ganzen Welt bekannt ist, in der ganzen
-Welt zu den abscheulichsten Taten geführt hat, noch jetzt bei den
-Kulturnationen in schönstem Flor steht, hier vielfach mit dem Fluch der
-Lächerlichkeit begabt, aber beim Naturmenschen dessen ganzes Leben und
-Tun erfüllend und lenkend &mdash; der Aberglaube. Hier verflicht sich unsere
-Betrachtung mit der für die nächste Klasse der Anschauungen. Diese
-müssen wir durch eine Sonderbetrachtung einleiten.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>7. <span class="gesperrt">Über den Ursprung der Religionen,
-Vorläufiges</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Die Bedeutung des Wortes Religion wollen wir hier im allerweitesten
-Sinne fassen; also dazu auch Meinung, Erzählung, Sage, Mythe rechnen,
-sofern sie sich auf nicht jedem zur Verfügung stehende Kräfte und
-Äußerungen beziehen. So weit müssen wir gehen, wenn wir von der
-Religion der Naturvölker sprechen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_24" id="Seite_24">[S. 24]</a></span></p>
-
-<p>Religion entstammt dem Ursächlichkeitsbegriff des Menschen, das heißt
-der Eigenheit der Seele, alles notwendig als die Folge eines anderen
-anzuschauen. Es kann einen Ursächlichkeitsbegriff ohne Religionen
-geben, aber keine Religion ohne diesen Ursächlichkeitsbegriff.
-Das gilt auch für geoffenbarte Religionen, da um eine Offenbarung
-aufzufassen schon der Ursächlichkeitsbegriff vorhanden sein muß,
-indem ohne diesen nichts mit einem anderen verknüpft werden kann.
-Wahrscheinlich gibt es kein Lebewesen ohne den Ursächlichkeitsbegriff,
-wie dunkel er in manchen Lebewesen auch sein mag. Aber außer diesem
-Ursächlichkeitsbegriff dürfte auch der Lebenstrieb ein Großes zur
-Entstehung von Religionen beigetragen haben. Und da dieser Trieb
-sich vornehmlich äußert in Begehren und Fürchten, so werden schon
-am Ursprung der Religionen diese Empfindungen für ihre Richtung
-entscheidend sein. Wie, wann und wo die Religionen ihren Ursprung
-nahmen, darüber bestehen bei den Forschern noch gegenwärtig unendlich
-viele Meinungen. Einige sehen die Religionen als Folgeerscheinung der
-Sprache an. Da auch Tiere in ihrer Weise sprechen können, und wir
-diesen doch nicht gerne religiöse Anschauungen zuschreiben möchten,
-muß es sich schon um eine Sprache handeln, die den Menschen vom Tiere
-unterscheidet. Leider wissen wir nicht recht, wo der Unterschied
-beginnt. Will man aber von uns selbst rückwärts schließen, so wird
-man meinen, daß Namen- und Begriffsbildung die entscheidenden
-Momente in der Sprache waren. Max Müller, der diesen Standpunkt
-mit größter Konsequenz vertritt, bezeichnet es als Tatsache, daß
-dazu die Wortwurzeln dienten, allein dienen konnten, und &mdash; was das
-Wesentlichste ist &mdash; daß diese Wurzeln, „infolge der Art und Weise,
-in der sie zuerst ins Dasein traten, <span class="gesperrt">Handlungen</span> ausdrückten,
-die gewöhnlichen Handlungen, die auf einer früheren Gesellschaftsstufe
-vollführt wurden. Der Himmel war der, der bedeckt, die Sonne die, die
-wärmt, der Mond der, der mißt, die Wolke die, die regnet“ usf. Sah nun
-der Mensch z. B. das Feuer, das für ihn eine so eminente Bedeutung
-hat, so fiel ihm namentlich<span class="pagenum"><a name="Seite_25" id="Seite_25">[S. 25]</a></span> die Ruhelosigkeit dieses Elementes auf,
-das Flammen, Zucken, Züngeln, Springen usf. Er bezeichnete es also
-mit der Wortwurzel in „bewegen“, in den indogermanischen Sprachen
-mit AG. Da aber diese Wurzel ein Handeln des Menschen ausdrückt,
-eben das „Bewegen“, so kam er allmählich zu der Anschauung, daß in
-der Flamme etwas Bewegendes, ein Agens sei, zu ihrer Natur gehöre,
-„Beweger hier“, „Beweger da“, im sanskritischen AG-ni-s, damit wäre
-zum Beispiel in Sanskrit der Agni gewonnen, der „Beweger“. Im Laufe
-der Jahrhunderte trat dann eine immer weitergehende Vergeistigung
-ein, erst ein beseelter Beweger, wie ein Mensch, dann ein göttlicher
-Beweger usf., bis zuletzt bei einigen Sekten Agni zum höchsten Gott
-und Schöpfer hinaufidealisiert ward. Diese Theorie des großen Sprach-
-und Religionsforschers hat zweifellos etwas sehr Bestechendes. Man
-bedarf nicht einmal der wirklichen Sprache; es genügt ja völlig, wenn
-der Mensch in sich selbst die Handlungen auffaßt, wenn er es auch
-nach außen nicht zum Ausdruck bringt. Er wird dann innerlich das
-Feuer so betrachten, wie er es mittelst der Sprachwurzeln nach außen
-kundgibt. Aber bedeuten auch die ersten Sprachwurzeln nur Handlungen
-des Menschen, ist das auch der Fall mit den ersten bestimmten inneren
-Denkregungen? Werden auch diese sich nur auf Handlungen beziehen? Fast
-möchte man es glauben, da das Leben des Menschen in Handlung aufgeht
-und die Natur ja auch in stetem Geschehen sich befindet. Dinge also,
-die ruhen, würden keinen Anlaß zur Entstehung religiöser Begriffe
-geben. Diesen Schluß zieht auch Max Müller, da er von dem bekannten
-Fetischismus, Animismus und der Personifikation als Grundelemente
-der Religion nichts wissen will. Es ist schwer auf einem Gebiete wie
-dieses, wo jede Tradition und jede Erfahrung mangelt, etwas Bestimmtes
-zu sagen; unter den Völkern, die wir kennen, befindet sich und befand
-sich keines mehr im Ursprung der Religionsbildung, alle hatten und
-haben ein schon ziemlich kompliziertes System religiöser Ansichten. Am
-Kinde aber zu beobachten, wie bei ihm religiöse Anschauung entsteht
-und wächst, würde nur ersprießlich sein können,<span class="pagenum"><a name="Seite_26" id="Seite_26">[S. 26]</a></span> wenn man es als
-Wilden, gesondert von allem kulturmenschlichen Verkehr, aufwachsen
-ließe. Elterliche Brutalität bringt es manchmal zuwege, daß ein Kind in
-dieser Weise aufwachsen könnte, wenn die Kultur es nicht an sich von
-allen Seiten umgäbe. Und seit dem alten Ägypterkönig, von dem Herodot
-erzählt, daß er, um zu erfahren, welches die eigentlich menschliche
-Sprache sei, ein Kind vom ersten Tage gegen jeden menschlichen
-Verkehr abgeschlossen habe, ist das Experiment nicht wieder gemacht
-worden. Also, es fehlt an Mitteln zur Entscheidung. Nur das, glaube
-ich, muß man sagen, daß es nicht die <span class="gesperrt">äußere</span> Sprache war, die
-die Religionen schuf, sondern die <span class="gesperrt">innere</span>, und diese wird der
-<span class="gesperrt">äußeren</span> weit vorausgegangen sein. Wenn Max Müller nur die
-äußere Sprache versteht, dann ist meines Erachtens seine Theorie nicht
-haltbar. Begehren und Furcht, ich wiederhole es, sind die Grundpfeiler
-für religiöse Anschauungen. Und wahrscheinlich Furcht zuerst, dem
-Begehren sich später erst anschließt. Die meisten Forscher greifen,
-wenn es sich um religiöse Regungen oder gar Anschauungen handelt, viel
-zu hoch. Man muß, wenigstens wenn man Religion in so weitem Sinne
-faßt, wie es der Anthropolog zu tun gezwungen ist, unter Abstraktion
-von aller ursprünglichen Offenbarung, tief herabsteigen. Sind die
-Menschen aus der Reihe der Lebewesen durch fortschreitende Entwicklung
-hervorgegangen und haben sie ihre seelischen Fähigkeiten allmählich
-erreicht, so wird man in dem Auftreten religiöser Regungen gar nicht
-weit genug zurückgehen können. Und bekanntlich behaupten manche
-Naturforscher, daß Tiere wohl auch etwas haben möchten, was einer
-Religionsanschauung &mdash; im weitesten Sinne des Wortes &mdash; entspricht.
-Sicher ist ja, daß manche Tiere sich vor ungewohnten Dingen und
-Bewegungen fürchten, daß sie unter Umständen Gespenster sehen usf.
-Haben doch sogar manche gemeint, daß der Hund im Menschen eine Art
-göttliches Wesen (göttlich vom Standpunkte des allertiefststehenden
-Wilden) sehe, was freilich mit der Tatsache, daß der Hund jeden anderen
-als seinen Herrn auch ohne Grund anbellt und anfällt, nicht recht
-harmonieren will.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_27" id="Seite_27">[S. 27]</a></span></p>
-
-<p>Nun unterscheidet Max Müller allerdings drei Stufen der
-Religionsanschauung: physische, anthropische (Max Müller scheut sich
-vor dieser Wortbildung und sagt anthropologische, ich sehe aber nicht
-ein, warum, um einer ungewohnten und freilich auch anfechtbaren
-Wortbildung zu entgehen, man zu einer anderen, bereits in anderem
-Sinne vergebenen greifen soll) und psychologische. Diese Stufen sind
-sicher für die allgemeine Entwicklung treffend gewählt, sie umfassen
-aber nicht alles. Man darf ferner Lippert in seinem Hauptsatze im
-allgemeinen beistimmen, daß Religion ohne einen gewissen, wenn auch
-noch so niedrigen, rohen und selbst gemeinen Kultus, nicht verstanden
-werden kann. Allein dieser Satz hilft nur die etwaige Religion des
-Tieres von der des <span class="gesperrt">fortgeschrittenen</span> Menschen unterscheiden,
-wenn nicht vielleicht gewisse Tierklassen, wie die bekannten
-Ameisengattungen, auch Kultus besitzen. Die Entwicklungslehre kann
-aber nicht anders als annehmen, daß zuerst die religiösen Anschauungen
-des Menschen sich gar nicht von denen der Tiere unterschieden haben,
-aus welchen er hervorgegangen ist, und daß diese Anschauungen
-allmählich zu Höherem aufstiegen, indem sich gleichzeitig alle Greuel
-entwickelten, die den Namen Religion entweihten und entweihen. Wir
-wissen nicht, ob die geistigen Kräfte des Menschen zunahmen, weil seine
-animalischen Ausrüstungen mehr und mehr verloren gingen, oder ob das
-umgekehrte stattfand, daß seine animalische Ausrüstung zurückging,
-weil die geistigen Fähigkeiten stiegen. Der bequemste Ausweg wird
-sein, wenn wir annehmen, daß beides gleichzeitig stattfand, indem
-immer eins das andere nach sich zog. Dann mußte einerseits die
-Einsicht wachsen, andererseits der Trieb der Selbsterhaltung; und es
-scheint, daß zunächst die ganze zunehmende Einsicht in den Dienst
-der Selbsterhaltung gestellt worden ist. Deshalb hat sich der Mensch
-zunächst soviel furchtbarer als das furchtbarste Tier entwickelt, und
-seine Religionsanschauung ging keineswegs die stillen Wege, die viele
-so gerne annehmen, indem sie alle Greuel auf „Aberglauben“ schieben.
-Wir mögen über den Aberglauben des<span class="pagenum"><a name="Seite_28" id="Seite_28">[S. 28]</a></span> Kulturmenschen lachen, der auf die
-Türschwelle oder den Türpfosten seiner Behausung ein Hufeisen nagelt,
-wir mögen lachen, wenn gleichfalls Kulturmenschen sich vor dem 13ten
-und dem Freitag fürchten, und was der so zahlreichen Albernheiten noch
-mehr sind. Glauben die betreffenden Leute an sie, so haben sie zu der
-bekannten Religion noch eine andere. Verhalten sie sich neutral, so
-treiben sie all den Unfug aus Affennachahmung, „nützt es nicht, so
-schadet es nicht“. Glauben sie nicht daran, so machen sie sich eines
-Vergehens gegen den geistig schwächeren Teil der Menschheit schuldig.
-Aber dem Naturmenschen ist „Aberglaube“ seine eigentliche Religion, und
-was man bei ihm noch Mystisches und Höheres etwa findet, hat für ihn
-gar keine oder nur Erzählungsbedeutung.</p>
-
-<p>Andere haben den Urgrund aller religiösen Anschauungen in dem Gefühl
-der Schwäche gesucht, das der Mensch der ihn umgebenden Natur gegenüber
-hat. Er soll eine Macht über sich empfinden und diese allmählich
-höher und höher einschätzen lernen. Der Trieb der Selbsterhaltung
-würde ihn dann zur Verehrung und Anbetung dieser Macht durch Worte
-und Taten führen. Irregeleitet, würde der Mensch zunächst nicht eine
-Macht annehmen, sondern viele Mächte, und sie in dem lokalisieren,
-was für ihn besondere Bedeutung hat, also in Sonne, Mond, Feuer,
-Sturm, Gewitter, Strom, Meer u. a. Man kann sehr vieles für diese
-weitverbreitete Ansicht vom Ursprung der Religion beibringen. Das
-Gefühl einer Übermacht über sich ist schon im Tierreich vorhanden;
-ein kleines schwaches Mädchen kann den stärksten Hund zum hündischen
-Gehorsam zwingen, wie wir ja zu unserm Vergnügen oft genug sehen;
-der Hund hat ein Gefühl von der Übermacht des Menschleins. Dahin
-gehören auch solche Tatsachen aus dem Tierleben, die mit ihrem
-eigenen Gesellschaftsleben zusammenhängen, wenn einem Individuum
-selbstverständlich die Übermacht zuerkannt wird, wie bei den Bienen.
-Auch das Verhalten der Blattläuse gewissen Ameisenarten gegenüber
-dürfte auf dem Gefühl einer Übermacht beruhen; denn ohne Widerstand zu
-leisten und ohne einen<span class="pagenum"><a name="Seite_29" id="Seite_29">[S. 29]</a></span> Fluchtversuch selbst dann zu machen, wenn sie
-beflügelt sind, lassen sich diese Insekten von den Ameisen in deren
-Heim schleppen und tragen, wo sie, wie bei den Menschen das Vieh,
-gehegt und aufgezehrt werden. Fast denkt man an das Verhältnis des
-Volkes zu wilden Häuptlingen oder sinnlosen Despoten. Ist das Gefühl
-der Übermacht beim Menschen nur auf dem der Furcht gegründet, so würde
-es sich wenig von dem der intelligenteren Tiere unterscheiden. Aber
-beim Menschen soll noch hinzukommen, daß er auch Hoffnung auf Gutes
-und Erwartung von Gutem für sich auf diese Übermacht gründet. Und das
-wäre freilich etwas, das im Tierreiche wohl nur selten gefunden wird.
-Die Beispiele von Hunden, die allerhand Künste vollführen in Erwartung
-einer Belohnung, von Vögelchen, die auf den Ruf eines, der ihnen Samen
-oder Bröckchen bietet, ihm beliebig auf Hand und Schulter fliegen,
-dürfen, glaube ich, hier nicht angeführt werden. Es sind Erfahrungen,
-denen die Tiere, namentlich im Zustand der Domestikation, folgen.</p>
-
-<p>Auf dem Wege zur spiritualistischen Ansicht von der Entstehung der
-Religionen treffen wir die Behauptung, daß religiöse Anschauung
-überhaupt zur Eigenheit des Menschen gehöre, gewissermaßen apriorisch
-eine Kategorie, ein Regulativ seines inneren und äußeren Lebens bilde.
-Einen energischen Vertreter dieser Ansicht finden wir in Benjamin
-Constant, der sie schon im ersten Kapitel seines großen Werkes „De la
-réligion“ feststellt. Sofern die religiöse Anschauung in der Kategorie
-der Ursächlichkeit beruht, und diese allerdings eine unumgängliche
-Vorbedingung unseres inneren und äußeren Lebens bedeutet, könnte man
-letzteres auch von der religiösen Anschauung annehmen. Daß indessen
-der Begriff der Ursächlichkeit für sich nicht hinreicht, den Trieb zur
-religiösen Anschauung zu erklären, darf wohl als sicher hingestellt
-werden. Es ist zwar richtig, daß die religiöse Anschauung ein Regulativ
-unseres Lebens ist. Aber es spielt bei ihr noch etwas mit, das
-durchaus dem Bereiche des Fühlens angehört und für das wir im Begriff
-der Ursächlichkeit keinen adäquaten Ausdruck finden. Auch die Tiere
-und<span class="pagenum"><a name="Seite_30" id="Seite_30">[S. 30]</a></span> selbst die Pflanzen müssen den Begriff der Ursächlichkeit bewußt
-oder unbewußt (instinktiv, wie wir sagen) besitzen, sonst existierten
-sie nicht. Aber religiöse Anschauung schreiben wir ihnen doch nicht
-zu. Ferner gibt es zweifellos Menschen, die jedes religiösen Gefühls
-gänzlich bar sind, nicht einmal einem Aberglauben huldigen. Soll also
-religiöse Anschauung in der Tat eine Eigenschaft der Menschenseele
-sein, so muß sie außer in der Ursächlichkeit noch in anderem eine
-Wurzel haben, oder nur in diesem anderen. Dieses ist wohl auch die
-Meinung von Wilhelm Wundt, daß nämlich die Ursächlichkeit für eine rein
-psychische Entstehung einer religiösen Anschauung nicht hinreicht. Nun
-haben wir schon früher Furcht und Begehren als die Haupttriebfedern
-für religiöse Annahmen hervorgehoben. Von diesen Menscheneigenschaften
-soll aber, als unwürdig, gerade abgesehen werden. Dann würde freilich
-nichts übrig bleiben als die religiöse Anschauung als <span class="gesperrt">eigene</span>
-Kategorie zu betrachten, wogegen doch sehr vieles spricht, was bei
-der Vorführung der einzelnen Religionsanschauungen hervortreten wird,
-wo wir den allerniedrigsten Meinungen begegnen, die jeder Kultur und
-jeder Menschlichkeit ins Gesicht schlagen. Soll sich aber jene Ansicht
-auf <span class="gesperrt">unsere Idee</span> von Religion beziehen, so ist eben der Begriff
-Religion viel zu eng gefaßt, und wir brauchen darüber hier noch nicht
-zu diskutieren.</p>
-
-<p>Endlich die rein spiritualistische Ansicht selbst sieht die Religion
-als von höchster Macht geoffenbart an. Das kann, <span class="gesperrt">absolut
-genommen</span>, eigentlich nur von der einzigen wahren Religion gemeint
-sein, denn es ist ja ausgeschlossen, daß eine Offenbarung in mehrerer
-Gestalt erfolgen kann. Kein Mensch weiß, welches diese einzige
-wahre Religion ist, jeder gibt die seinige dafür aus. Und irgendein
-Kriterium zur Entscheidung haben wir nicht. Vergangene und gegenwärtige
-Geschichte der Religionen schneiden uns dazu jede Möglichkeit ab. Die
-beliebte Ausrede, daß die Menschen die Offenbarung verdorben hätten,
-hilft hier nichts, sondern schadet nur. Denn was eine <span class="gesperrt">absolute</span>
-Offenbarung ist, muß mit zwingender Gewalt die Menschen leiten und
-kann sie nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_31" id="Seite_31">[S. 31]</a></span> zu so furchtbaren Taten führen, wie die religiösen
-Verfolgungen sie gezeitigt haben. Anders hat eine absolute Offenbarung
-gar keinen Sinn, denn dem Besten im Menschen widersprechend wird man
-sie doch nicht gestalten wollen.</p>
-
-<p>Gibt man den Standpunkt des Absoluten auf, so läßt sich über
-Offenbarung eher reden. Dann wären die Religionen Inspirationen
-einzelner Menschen oder einzelner Völkerschichten und dürfen darum
-unvollkommen sein. Die Offenbarung verliert dadurch freilich die
-Bedeutung, wegen deren sie eigentlich angenommen ist: die absolute
-Richtigkeit jener betreffenden Religionsanschauung unwidersprechbar zu
-machen. Sie geht auf den Standpunkt eines jeden menschlichen Einfalls
-oder Erdenkens oder Fühlens zurück. Dafür haben wir ja allerdings
-Beispiele, und darunter solche gewaltigster Wirkung und edelster
-Lehren. Viele aber auch, die absurd und höchst schädlich sich erwiesen
-haben.</p>
-
-<p>Was ist nun das Ergebnis dieser Betrachtungen? Ich glaube, daß man
-bei der Untersuchung der Entstehung der Religionsanschauungen, wie
-in so vielen anderen Fällen, überhaupt nicht rigoros auf diesem
-oder jenem Standpunkt bestehen kann. Wie die Elektrizität in einem
-Gewitter aus allen möglichen Vorgängen entstanden sein kann und
-tatsächlich entsteht, so werden auch die Religionsanschauungen aus
-den verschiedensten Ursachen hervorgegangen sein. Der Mensch hat
-ein reichliches Kapital an Eigenschaften und Trieben in seinem
-Inneren, um sie bald so, bald anders zu kombinieren und in neue
-Werte umzusetzen. Mitunter ist eines, mitunter ein anderes für seine
-Ansicht entscheidend. Religionen werden aus allen den vorgenannten,
-vielleicht aus noch manchen anderen Quellen hervorgegangen sein. Die
-Entwicklung, die die Religionen genommen haben, weist schon darauf
-hin, daß sie nicht wohl auf <span class="gesperrt">einen</span> Ursprung zurückgeführt werden
-können, sondern daß bei ihnen verschiedene und mitunter mehrere
-Momente wirksam gewesen sind. Auch haben sich viele Religionsforscher
-gezwungen gesehen, einerseits niederen Anschauungen auch höhere Momente
-zuzugestehen, andererseits in höheren auch niedrige<span class="pagenum"><a name="Seite_32" id="Seite_32">[S. 32]</a></span> anzuerkennen. Eine
-wirkliche „Philosophie der Religion“ müßte alle Momente in Betracht
-ziehen und ihren Einfluß in den einzelnen Religionen verfolgen. Aber
-dazu mangeln uns nur allzusehr die Kenntnisse, sobald wir aus der
-geschichtlichen Kulturwelt heraustreten. Es ist nicht Aufgabe dieses
-Buches, hierauf genauer einzugehen, auf einzelnes und auf andere
-Theorien wird jedoch noch oft genug hingewiesen werden.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>8. <span class="gesperrt">Allgemeine Belebung</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Gehen wir nun zu den einzelnen Religionsformen über, so scheint
-in der Tat die von Max Müller angenommene physische Religion die
-ursprünglichste zu sein, jedoch in ganz niedriger Bedeutung. Über die
-Stufe der stumpfen Selbstverständlichkeit erhoben, wird der Mensch in
-allem, was ihn umgab, etwas gesehen haben, das wir allerdings am besten
-unbestimmt als Agens, Tätiges, Handelndes, Wirkendes bezeichnen können.
-Namentlich in den Vorgängen wie Flamme, Sturm, Gewitter, Regen usf.
-wird dieses zunächst geschehen sein, dann auch in den Gegenständen.
-An den Tieren war eine derartige Betrachtung selbstverständlich,
-ihre Ausdehnung auf Bäume, Blumen, Gräser konnte folgen. Dann mögen
-fließende oder wogende Gewässer und zuletzt Berge, Felsen, Steine
-an die Reihe gekommen sein. Es ist mißlich, solche Serien ex post
-aufzustellen, da bei besonderen Völkern vieles von ihrer besonderen
-Umgebung abhängig gewesen sein wird. Dazu ist zu beachten, daß auf
-Menschen, wie übrigens auch auf Tiere, Gegenstände besonderer Art und
-unter besonderen Umständen auch eine besondere Wirkung ausüben, wie
-überhängende Felsen oder Steine in ebener Gegend, Bäume gewundener
-oder übermäßiger Gestalt, Dämpfe aus der Erde aufsteigend usf. Kein
-Hund hält einer Selterwasserflasche stand, die man vor ihm aufknallen
-läßt, und überhängende oder fast schwebende Steinplatten sind selbst
-einem beherzten Manne ungemütlich. Also mögen gewisse tote Gegenstände
-viel eher mit dem Etwas versehen gedacht worden sein, als harmlose<span class="pagenum"><a name="Seite_33" id="Seite_33">[S. 33]</a></span>
-Sträucher. Es ist vieles erzählt worden, woraus man schließen möchte,
-daß die Feuerländer sich auf dieser Stufe der Weltanschauung befinden,
-in der in allem ein Etwas Tätiges gesehen wird, ohne daß dieses Etwas
-schon mit dem, was im Menschen das Tätige ist, identifiziert wird.</p>
-
-<p>Wenn der Mensch unter solchen Anschauungen seine Meinung bestimmter zu
-fassen lernt, so wird er in dem in den Gegenständen Handelnden etwas
-Lebendes sehen, sei es, daß die Gegenstände selbst leben, sei es, daß
-etwas in ihnen vorhanden ist, das lebt. Beides finden wir, aber das
-erstere kann offenbar nicht von weitem Umfange sein, da Lebloses von
-Lebendem zu unterscheiden selbst dem Tiere leicht fällt. Max Müller hat
-ein sehr lehrreiches Beispiel auf das sorgfältigste untersucht, die
-Bedeutung Agnis in der altindischen Religion. Wie wir sahen, scheint
-ihm „Agni den Begriff der lebhaften Bewegung ausgedrückt zu haben.
-Am nächsten verwandt würde lateinisch ag-ilis sein“. Im Lateinischen
-haben wir ignis, im Altslawischen ogni, im Littauischen ugnì. Das würde
-noch auf der ersten Stufe stehen. Aber nun kommen Namen, die offenbar
-einen tätigen Gegenstand ausdrücken: Dahana = der Brenner, An-ala
-= der Blaser (mit der Wurzel An, die auch in animus, anima, ἄνεμος
-enthalten ist und hauchen, wehen bedeutet). Max Müller führt noch
-andere Namen auf, die gleichfalls einen tätigen Gegenstand betreffen.
-Und er sagt allgemein: „Wenn dieser Schritt einmal getan war, wenn das
-Wort Agni, Feuer, einmal geprägt war, so war die Versuchung groß, ja
-fast unwiderstehlich, wie Agni als Agens aufgefaßt worden war, so auch
-ihn als etwas aufzufassen, das den einzigen anderen aktiven Subjekten,
-die den Menschen bekannt waren, glich, als tierischen und menschlichen
-Agens.“ Und darin kann man ihm lediglich beistimmen. So führt er denn
-auch an, daß im Rigveda von der Zunge oder den Zungen Agnis gesprochen
-wird, von seinen Zähnen, seinen Kinnbacken, seiner brennenden Stirne,
-seinem flammenden Haar, seinem goldenen Bart. Diese Sprechweisen als
-metaphorisch aufzufassen, würde möglich sein, wenn der erste Begriff
-des Agni ein höherer wäre.<span class="pagenum"><a name="Seite_34" id="Seite_34">[S. 34]</a></span> So aber möchten sie kaum anders als ad
-verbum genommen werden, als Beschreibung Agnis als eines lebenden Etwas
-(s. jedoch <a href="#Seite_25">S. 25</a>). Ich habe schon erwähnt, daß die Polynesier die Sonne
-auch als Ungetüm betrachten, die Eskimo nehmen Sonne und Mond als
-Mädchen und Knaben, wie südamerikanische Völker und wie, umgekehrt,
-die Australier als Mann und Frau. Algonkinindianer, die den Mond für
-die Frau der Sonne ansehen, erklären sogar die Finsternis dadurch,
-daß diese Gestirne zuweilen ihr Kind (das also dunkel sein muß) in
-den Armen vor sich halten. Daß man die Arme nicht sieht, kommt daher,
-daß sie ständig einen Bogen gespannt vor sich halten. Hübsch ist eine
-Sage bei den Mexikanern, die Tylor in seinem vorzüglichen Buche „Die
-Anfänge der Kultur“ mitteilt. Die alte Sonne war ausgebrannt und die
-Welt in Finsternis begraben. Da sprang ein Held in ein riesiges Feuer
-und stieg, zum Gott geworden, als Tonatiuh strahlend im Osten als
-neue Sonne auf. Nach ihm sprang ein zweiter Held in das Feuer. Aber
-dieses war schon matt, und so kam er nur als Mond, Metztli, empor. Hier
-sind also Sonne und Mond zwei Männer. Doch steht diese Sage für das
-Gegenwärtige schon zu hoch. Mehr paßt hierher, daß bei den Alëuten der
-Mond mit Steinen nach denen wirft, die ihn beleidigen. Man bedenke,
-daß man in der Tat früher vielfach geglaubt hat, daß die Meteorsteine
-Auswürflinge des Mondes seien. Auch die Sterne werden für Lebewesen,
-Menschen oder Tiere, gehalten, wohl auch für Teile von Lebewesen. Ich
-will nicht die griechischen Katasterismen anführen, die in so schönen
-Sagen erzählt werden und noch in der so späten Zeit der Ptolemäer zu
-der Versetzung des prachtvollen Haares der Berenike an den Himmel
-geführt haben. Aber in Afrika ist die Milchstraße ein Zug Vögel.
-Anderweitig sind die Sterne Menschen, welche in den Himmel geklettert
-sind und nun nicht herabkönnen. In Ozeanien werden die Sterne auch als
-Augen berühmter Häuptlinge ausgegeben, so daß diese letzteren großen
-Wert im Leben auf möglichst glänzende Augen legen und die ihnen von
-Natur verliehenen dadurch zu verbessern suchen, daß sie anderen die
-Augen ausreißen<span class="pagenum"><a name="Seite_35" id="Seite_35">[S. 35]</a></span> und sie verzehren. Daß der Regenbogen ein lebendes
-Ungetüm ist, das sogar Menschen frißt oder sie vergiftet, wird in
-Polynesien erzählt. Der Gott Perkun soll in Littauen auch den Donner
-selbst bedeutet haben. Stürme werden personifiziert; so sind bei den
-Indianern, von denen Hiawatha erzählt, Wabun, Schawondasee, Kabibonda
-Lebewesen, die Ostwind, Südwind und Nordwind bedeuten, deren Vater,
-der allgemein Sturm, Mudjeekewis, heißt. Bei den Polynesiern finden
-wir ähnlich personifizierte Winde, die Verwandte sind von Göttern.
-Der Hauptwindgott Tawhiri-matea, der den Schimpf, der seinem Vater
-und seiner Mutter, Himmel und Erde, durch ihre gewaltsame Scheidung
-geschehen ist (<a href="#Seite_12">S. 12</a>), rächen will, läßt seine Kinder, die Stürme,
-auf Meer und Land los, und er selbst wütet in ihrer Mitte, so daß die
-Wälder, die Kinder Tane Mahutas, gestürzt, die Länder überschwemmt
-und die Meere durchwühlt werden. „Den niederen Menschenstämmen,“ sagt
-Tylor in seinem genannten Werke, „werden Sonne und Gestirne, Bäume und
-Flüsse, Wind und Wolken persönliche, belebte Geschöpfe, welche ein nach
-Analogie des menschlichen oder tierischen gedachtes Leben führen und
-ihre besonderen Aufgaben im Universum mit Hilfe ihrer Gliedmaßen wie
-Tiere erfüllen.“ Und er weist mit Recht auf das Verhalten der Kinder
-hin, die zuerst gleichfalls alles beleben. Wie das Kind „schlägt der
-Wilde Brasiliens den Stein, über den er gestolpert ist, oder den Pfeil,
-der ihn verwundet hat.“ Tylor teilt noch andere Beispiele mit. So wird
-bei gewissen südasiatischen Stämmen der Baum gefällt und zu Spänen
-zerhackt, von dem jemand tödlich herabgefallen ist. Entsprechende
-Beispiele finden sich sogar bei Kulturvölkern, ich darf an die Gerichte
-erinnern, die bei den Athenern über leblose Gegenstände gehalten
-wurden, durch die ein Mensch umgekommen war, an die Geißelung des
-Hellesponts durch Xerxes und an anderes aus dem Altertum und selbst aus
-dem Mittelalter Bekannte. Fast möchte man an die „Tücke des Objekts“
-erinnern, die Friedrich Vischer in seinem Roman „Auch einer“ so launig
-beschreibt. Es war früher eine Sitte in Deutschland, wenn der Hausherr<span class="pagenum"><a name="Seite_36" id="Seite_36">[S. 36]</a></span>
-gestorben war, es allem im Hause mitzuteilen, selbst dem Ackergerät und
-den Vorräten. Wir dürfen uns darum nicht wundern, daß der Naturmensch
-tatsächlich Gegenstände für lebend hält, die ihm doch tot scheinen
-sollten, und sich so überall von Leben umgeben fühlt, dessen Natur er
-nicht kennt, und das ihn infolgedessen beängstigt und bedrückt. Diese
-Allbelebung, der wir auf niedrigster Kulturstufe begegnen, findet sich
-von allem Groben geklärt in höchsten philosophischen Spekulationen
-wieder, wie wir sehen werden. Für die Wildenstufe hat Tylor sie als
-„Animismus“ bezeichnet, diesem Worte jedoch noch eine weitere Bedeutung
-verliehen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>9. <span class="gesperrt">Seele und Beseelung, Animismus,
-Fetischismus</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Sobald der Mensch dazu gelangt ist, an sich selbst den Körper von der
-Seele zu unterscheiden, wird er naturgemäß das gleiche auch für alle
-anderen Lebewesen und für die von ihm lebend gedachten Wesen tun.
-Wann der Mensch „seine Seele entdeckt“ hat, entzieht sich unserer
-Kenntnis. Den Unterschied zwischen einem lebenden Tiere und einem
-getöteten kennen anscheinend auch Tiere selbst. Der Mensch aber muß
-zu irgendeiner Zeit diesen Unterschied tiefer aufgefaßt haben und so
-zu einer Zweiteilung seines Ich gekommen sein. Gegenwärtig scheint
-kein Volk zu existieren, das den Begriff der Seele nicht kennt. Und
-man möchte auch glauben, daß, sobald der Mensch die Ursächlichkeit
-hinreichend bewußt anzuwenden gelernt hat, er durch den Anblick des
-Toten neben dem Lebenden zu der Ansicht gezwungen werden mußte,
-jenem fehle etwas, das dieser besitzt und was, eben weil körperlich
-der Tote zunächst sich vom Lebenden noch gar nicht unterscheidet,
-das Leben bedingen muß. Der Tote hat also etwas verloren, das Leben
-in ihm, wir sagen die Seele. Der Naturmensch faßt die Seele als
-körperlich auf, namentlich als Atem. Das tut er ja mit dem Menschen
-überhaupt, man denke an ψυχή, anima, bei den Griechen und Römern, die
-ein „Wehen“ bedeuten, an ruach,<span class="pagenum"><a name="Seite_37" id="Seite_37">[S. 37]</a></span> nephesch bei den Hebräern, die das
-gleiche aussagen. Das deutsche „Seele“ soll auch mit einer derartigen
-Auffassung zusammenhängen, mit seîvan = sich bewegen, seivs = das Meer,
-in Verbindung stehen. Mitunter wird die Seele auch als „Schatten“
-bezeichnet und zwar nicht metaphorisch, sondern konkret, denn der
-Naturmensch sieht den Schatten für ein Körperliches an, etwa wie die
-Luft, und wir haben ja selbst Sagen, die von dem gleichen Gesichtspunkt
-ausgehen. Der Teufel, erzählt Jakob Grimm, unterhielt in einer Gruft
-zu Salamanca sieben Schüler mit der Bedingung, daß der siebente nach
-Beendigung des Studiums das Gelag zahlen sollte. Als er seine Schule
-entließ, wollte er den letzten Schüler zurückbehalten. Dieser aber
-wies auf seinen Schatten, der wäre der letzte. Da mußte der Teufel den
-Schatten nehmen, und der Schüler blieb ohne Schatten, wie &mdash; Peter
-Schlemihl. Sonst also ist die Seele etwas Luftartiges, und darum kann
-sie auch den ganzen Körper durchdringen und überall in ihm sein,
-während sie andererseits wie Luft nicht gesehen wird. Mitunter freilich
-wird die Seele unmittelbar als ein Lebewesen betrachtet, entweder als
-ein dem Menschen gleichendes Bild &mdash; weshalb die Griechen sie auch
-bildlich als εἴδωλον, kleines, den Verstorbenen, zuweilen sogar in
-der Tracht, nachahmendes Menschlein darstellten &mdash;, oder noch derber
-als Schmetterling, Wiesel, Vogel, am meisten als Schlange aufgefaßt.
-Auf anderen Stufen wird die Seele auch als Pflanze betrachtet; Jakob
-Grimm scheint in seiner deutschen Mythologie damit die Metamorphosen
-verfolgter Menschen, namentlich Mädchen, wie Daphne und Syrinx, in
-Verbindung zu bringen. „Ursprünglich,“ sagt er, „mag aber die Idee
-eines unmittelbaren schnellen Übertritts der Seele in die Gestalt
-der Blume (wofür er einige Beispiele aus deutschen, romanischen
-und slawischen Sagen beiträgt) zugrunde liegen, wie aus bloßen
-Blutstropfen, die nur einen kleinen Teil des Lebens enthalten, eine
-Blume entspringt, im Blut hat die Seele Sitz, mit seinem Verströmen
-flieht sie hin.“ Die Tschechen nennen die auf Sandgrabhügeln wachsende
-Quendelblume „Mutterseelchen“. Aber da die Seele dem<span class="pagenum"><a name="Seite_38" id="Seite_38">[S. 38]</a></span> Körper Leben
-verliehen hat, schreibt der Mensch ihr höhere Eigenschaften zu als der
-Mensch als solcher besitzt.</p>
-
-<p>Übertrug nun der Mensch die Entdeckung an sich auch auf die anderen
-Lebewesen und auf die ihm belebt scheinenden Gegenstände, so gewann
-er rings um sich Seelen, die er im allgemeinen seiner Seele ähnlich
-achten mußte. Und so wurden die Tiere wie er beseelt und füllten
-sich Sonne, Mond, Gestirne, Bäume, Berge, Felsen, Meer, Flüsse und
-Naturerscheinungen mit Seelen. Max Müller sagt zwar: „Ich kann nicht
-umhin, es vernunftwidrig zu nennen, wenn man uns weismachen will,
-daß zu irgendeiner Zeit in der Geschichte der Welt ein Mensch so
-einfältig gewesen sei, daß er nicht imstande war, zwischen leblosen
-und belebten Wesen zu unterscheiden, eine Unterscheidung, bei der
-selbst die höheren Tiere kaum jemals fehlgehen; oder gar, daß sich
-der Mensch darin gefiel, der Sonne und dem Mond, Bäumen und Flüssen
-Leben oder eine Seele zuzuschreiben, obwohl er sich dessen vollkommen
-bewußt war, daß sie weder Leben noch Seele besäßen.“ Aber gerade dieses
-letztere kann angesichts der außerordentlichen Zahl von Tatsachen
-nicht zugegeben werden. Der Mensch war sich eben nicht bewußt, daß
-die Gegenstände weder Leben noch Seele besäßen, er hat eben gerade
-das Gegenteil angenommen. Und man kann sagen, daß die Entdeckung der
-Seele als eines Sonderdinges ihm geholfen hat, die Schwierigkeiten,
-die sich aus der offensichtlichen Leblosigkeit vieler Gegenstände
-ergeben, zu verringern. Denn er sah an sich, daß er zu Zeiten &mdash; im
-Schlaf &mdash; gleichfalls wie leblos erscheint. Da konnten die Seelen der
-Gegenstände ähnlich sich in Schlummer oder Halbschlummer befinden. Er
-sah, daß Menschen leblos sind, sobald die Seele aus ihnen schwindet;
-das konnte auf die Gegenstände gleichfalls Anwendung finden, wo etwa
-der Augenschein gegen ein Leben allzusehr sprach.</p>
-
-<p>Mit der Einführung der Seele als Sonderding und Lebensprinzip, was
-selbstverständlich nur sehr allmählich geschah, nahmen nun die
-Religionen eine neue Wendung. Sie geht nach verschiedenen Richtungen.
-Wir unterscheiden zunächst<span class="pagenum"><a name="Seite_39" id="Seite_39">[S. 39]</a></span> Fetischglaube, Seelenglaube, einschließlich
-Schamanismus, Ahnenglaube, einschließlich Totemismus, Geister- und
-Dämonenglaube, Götterglaube. Man darf nicht annehmen, daß es sich hier
-um nacheinander entstandene oder &mdash; wenigstens gegenwärtig &mdash; auch nur
-getrennte Religionsgebiete handelt. Alles geht durcheinander, und wir
-haben ein solches Gewirr von Angaben und Meinungen, daß es kaum möglich
-ist, zu sagen, was bei diesem oder jenem Volke das Wesentliche ist.
-Daher auch die sich oft widersprechenden Definitionen und Ergebnisse
-der einzelnen Forscher und die Verschiedenheiten in der Bedeutung, die
-sie, je nach Ansicht, den besonderen Anschauungsformen beimessen. Nur
-allgemeine Grundzüge lassen sich feststellen.</p>
-
-<p>Es entspricht, wie schon bemerkt, der Natur des Menschen, daß
-ungewohnte, neue oder seltene Gegenstände seine besondere
-Aufmerksamkeit erregen. Tritt die Beseelung hinzu, so kann Furcht
-oder Erwartung an diese Gegenstände sich knüpfen. Sie werden als
-zauberkräftig im Schlimmen oder Guten angesehen, und der Mensch sucht
-sie durch Gaben zu versöhnen oder sich günstig zu stimmen. Darauf etwa
-beruht der <span class="gesperrt">Fetischismus</span>, wie die Portugiesen ihn in Afrika
-zuerst kennen gelernt und aus ihrer Sprache (feitiço, Zauber) benannt
-haben. Hiernach kann alles Fetisch sein oder werden: Töpfe, Steine,
-Holz, Haar, Geflecht usf. Charakteristisch ist eine Erzählung aus
-Afrika. Es wurde ein Anker gefunden, ein jedenfalls ungewohntes oder
-gar unbekanntes Ding. Einer brach ein Stück davon ab und starb kurze
-Zeit darauf. Sofort heißt es, der Anker wäre ein Fetisch, und der Mann
-hätte sterben müssen, weil er durch Verletzung diesen Fetisch gekränkt
-hätte. In Ozeanien sollen chinesische Töpfe als Fetische verehrt
-werden. Tausende sind der Beispiele, die für den Fetischglauben aus
-allen Teilen der Welt beigebracht und Tausende auch die Fetische, die
-in unsere Museen und Sammlungen versetzt sind. Orte, wo üble Fetische
-sich befinden, werden gemieden und nur zu Kulthandlungen aufgesucht.
-Gute Fetische nimmt man nach Hause oder tut sie in besondere Hütten.
-Erfüllen solche Fetische die Erwartungen<span class="pagenum"><a name="Seite_40" id="Seite_40">[S. 40]</a></span> nicht, oder zeigen sie
-sich unwirksam, so werden sie mitunter wohl gezüchtigt, und wenn das
-nichts nützt, fortgeworfen, als gänzlich leblos erkannt. Fetische
-können von selbst wirken und ihrem Besitzer Glück und Gesundheit
-bringen und erhalten &mdash; solche haben wir ja in Unzahl ebenfalls z.
-B. in den <span class="gesperrt">Amuletten</span>. Oder sie reagieren nur auf Anrufung
-durch einen Sachverständigen. Daraus ergibt sich nun der ganze Unfug
-des Zauberwesens und der Zauberer, der überall auf der Erde sich
-findet und überall die gleichen Züge trägt. Betrügende Betrüger und
-betrogene Betrüger spielen da ihre verhängnisvolle Rolle. Bei der
-Beurteilung darf man nicht vergessen, daß der Wilde so wenig Mittel
-gegen Krankheit, Hungersnot, Tiere usf. besitzt und darum naturgemäß
-zu allem greift, davon er irgend glauben kann, daß es ihm nützen
-möchte. Wir finden das gleiche auch bei uns, wo der Mensch von bessern
-Hilfsmitteln verlassen ist und irgendwelche Beispiele ihm bekannt sind,
-daß dieses oder jenes, wenn auch noch so Absurde, irgendwo und wann
-geholfen hat. Wir sehen aber, daß der Fetischglaube rein auf Furcht
-und Egoismus gebaut ist, und dementsprechend ist der Kult der Fetische
-eingerichtet. Mit dem guten Fetisch wird wie mit einem Liebling
-verkehrt; er erhält Gaben an Essen und Getränk, Sitz und Lager. Manche
-schaffen sich Hunderte und Tausende von Fetischen an; Steine, über die
-sie stolpern, Blätter, die zu ihren Füßen geweht werden, Holzstücke,
-die ihnen auffallen, Figuren usf. Und sie sitzen mitunter in der
-großen Masse von solchen Gegenständen und bitten sie schmeichelnd und
-verehrend, ihre Kraft ihnen zu weihen. Gefürchtete Fetische können
-zu furchtbaren Götzen sich auswachsen, die nur durch blutige Opfer
-zu versöhnen sind, wozu namentlich auch Menschenopfer gehören. Der
-Fetischismus wird vielfach, so von Comte, Lippert, Schultze u. a. in
-viel weiterem Sinne aufgefaßt, was später noch zur Sprache kommt.
-Ich habe die beschränktere Umgrenzung gewählt, um nicht bei einer
-allgemeinen Untersuchung sogleich ins Uferlose zu geraten. Gibt es doch
-auf der anderen Seite Forscher, welche von einem Fetisch<span class="gesperrt">glauben</span>
-überhaupt nichts wissen wollen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_41" id="Seite_41">[S. 41]</a></span></p>
-
-<p>Der Seelenglaube erschöpft sich nicht in dem Glauben an eine Seele,
-sondern er geht auch auf die Beschaffenheit und Eigenheit der Seele
-ein. Sie kann ihre Behausung überall nehmen, hält sich jedoch am
-liebsten am gewohnten Orte auf. Da sie immerhin unheimlich wirkt,
-sucht man sie entweder zu bannen oder man überläßt ihr ihren gewohnten
-Aufenthalt. So wird oft ein Topf oder ein Korb hingestellt und die
-Seele des Gestorbenen gebeten, darin ihren Platz zu nehmen. Dem Körper
-entsprechend, den sie bewohnt hat, zieht sie Nachbildungen aus Holz
-oder Ton oder Stein vor. Hat sie sich in eine solche Nachbildung
-begeben, so kann letztere Fetisch werden und darum haben so viele
-Fetische Menschen- und Tiergestalt. In anderen Fällen sucht man sie den
-gewohnten Eingang in die Behausung vergessen zu machen und greift zu
-so kindlichen Mitteln, daß man den Toten rennend mehrmals um die Hütte
-herumträgt, oder daß man den Toten nicht durch die Türe, sondern durch
-ein zu diesem Behufe gemachtes Loch hinausschafft, das nachher wieder
-geschlossen wird.</p>
-
-<p>Lippert erzählt eine tragikomische Geschichte aus unserer eigenen
-Zeit (1879) und unserem eigenen Vaterlande, die ebensogut in Afrika
-hätte passieren können. In einem Dorfe bei Zittau hatte sich ein
-Militärmusiker entleibt. Der Hauswirt gestattete unter keinen Umständen
-die Hinausbeförderung der Leiche durch den gewöhnlichen Ausgang, weil
-„in diesem Falle die Seele des Selbstmörders im Hause bleibe und darin
-spuke“. Die Träger mußten fort und kamen, da es spät war, erst am
-nächsten Tage mit den Gensdarmes wieder. Wie erstaunt waren sie, die
-Leiche vor dem Hause in einer hölzernen Kiste zu finden. Der Hauswirt
-hatte sie in der Nacht mit Hilfe einiger Freunde in die Kiste getan und
-an einem Strick durch das Fenster hinabgelassen. Wie es bei uns auch
-von Spukgeschichten wimmelt, brauche ich kaum hervorzuheben.</p>
-
-<p>Geht man ganz nachsichtig vor, oder hat man besondere Gründe, so wird
-der Tote in der Hütte oder unter dem Eingang der Hütte begraben. Im
-ersteren Fall wird die Hütte wohl<span class="pagenum"><a name="Seite_42" id="Seite_42">[S. 42]</a></span> auch von den Angehörigen verlassen,
-damit die Seele ungestört bei ihrem Körper verweilen kann. Oder es wird
-der Seele eine besondere Hütte gebaut, in der eben der Tote beigesetzt
-wird. Dieses letztere berührt sich zwar mit Kulturgepflogenheiten,
-hat aber einen anderen Sinn, lediglich den, der Seele einen festen
-Aufenthaltsort zu geben, ohne sie zu kränken. Endlich werden Tote auch
-unter Bäumen und Felsen oder in Höhlen beigesetzt. Ihr Gebiet geht
-dann, soweit der Schatten des Baumes, Felsens oder der Höhle reicht.
-Nach mohammedanischem Glauben bleibt die Seele des Abgeschiedenen noch
-eine Nacht bei ihm. Wilde verlängern die Zeit beliebig. Damit die
-Seele nicht herauskomme, werden dem Toten alle körperlichen Öffnungen
-verstopft, oder es werden die Teile, in denen man die Seele vermutet,
-wie Hirn, Herz und namentlich Niere herausgenommen und vernichtet, oder
-als „Medizin“, als Zaubermittel gegen Unfälle und für Stärkung der
-eigenen Kräfte verwendet. Namentlich Feinden gegenüber, wie Raubtieren
-und menschlichen Feinden, wird so verfahren, wenn die Feinde nicht
-ganz aufgezehrt werden, um ihre Seele in sich aufzunehmen. Der Drang
-nach solcher Medizin ist so groß, daß, wo der Glaube herrscht, die
-Seele gehe mit der Leichenflüssigkeit ab, selbst dieser widerliche
-Saft getrunken wird. Frobenius, der davon als vom <span class="gesperrt">Fananybrauch</span>
-spricht, teilt mehrere Beispiele aus Afrika und Polynesien mit. Nicht
-selten führt der Glaube zu gemeinen Mordtaten, und der Mörder hat nur
-den Wunsch, etwa die Niere des Getöteten zu verschlingen; er hat dann
-zwei Seelen, ist also kräftiger und darf auf längeres Leben hoffen.
-Auch der Glaube scheint zu bestehen, daß man die Seele verhindern
-kann, mit dem Toten zurück ans Tageslicht zu kehren, wenn man der
-Leiche Hände und Füße bindet. Der Brauch scheint uralt zu sein, denn
-auch in prähistorischen Gräbern Europas hat man Skelette mit Fesseln
-an Händen und Füßen gefunden. Wie sehr die Körperlichkeit der Seele
-ein Grundgedanke des Naturmenschen ist, ergibt auch die Ansicht, daß
-die Seele in der Form ganz dem Körper folgt. Fehlt einem Menschen ein
-Glied, so besitzt<span class="pagenum"><a name="Seite_43" id="Seite_43">[S. 43]</a></span> auch die Seele dieses Glied nicht. Daher schneiden
-Wilde den Toten den Daumen der rechten Hand ab, damit die Seele nicht
-nach ihnen ihre Geschosse schleudern kann. Es wird erzählt, daß, als
-auf einer Plantage viele Neger Selbstmord begingen, um im Jenseits als
-freie Seelen zu leben, der Besitzer zuletzt den Leichen Hände und Füße
-abschlagen ließ. Das wirkte: die Neger fürchteten nun, ihr jenseitiges
-Dasein so verstümmelt verbringen zu müssen. Daher die Vernichtung der
-Seele durch absolute Zerstückelung oder besser durch Verbrennen des
-Körpers (<a href="#Seite_71">S. 71</a>). Die Seele krankt und altert sogar mit dem Körper, und
-darum fürchten so manche Wilde bei Siechtum oder Alterschwäche, im
-Jenseits nicht mehr imstande zu sein, von den dort gebotenen Freuden
-hinreichend genießen zu können. Daraus hat man die grausame Sitte so
-mancher Naturvölker erklären wollen, die Alten und Siechen zu töten;
-man will sie dem Jenseits noch in einiger Kraft erhalten. Eine Sitte,
-die auch bei Germanen, Kelten und Slawen sich nachweisen läßt.</p>
-
-<p>Eine Seele kann auch Ummauerungen nicht durchdringen. Daher muß, wo der
-Körper von einem Grabhügel umschlossen ist, an diesem Hügel ein Loch zu
-ihm gelassen werden, damit Speise und Trank der Seele zugeführt werden
-können; die neben das Grab getane würde die Seele nicht erreichen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>10. <span class="gesperrt">Schamanismus, Totemismus, Seelen-,
-Ahnenkult</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Da die Seele eine gewisse Freiheit vom Körper genießt, so kann sie sich
-mitunter aus diesem auch bei Lebzeiten entfernen. Und so glaubt der
-Naturmensch, daß Gestalten, die er im Träumen sieht, entweder Seelen
-dieser sind, die sich von ihnen gelöst haben und nun zu seiner Seele
-gekommen sind, oder daß seine Seele aus seinem Körper gegangen ist
-und jene Seelen aufgesucht hat. Dabei bieten die leblosen Gegenstände
-keine Schwierigkeit, denn diese werden ja auch beseelt gedacht. Es
-kann nicht meine Absicht sein, das unheimliche Kapitel der Träume zu
-behandeln; ich habe nur das hervorzuheben, was für die Anschauung von
-Be<span class="pagenum"><a name="Seite_44" id="Seite_44">[S. 44]</a></span>deutung ist. Wie sehr es in der Natur des Menschen liegt, sich
-mit seinen Träumen zu plagen, kann selbst der Vorurteilsfreieste an
-sich gewahren. Und alle Aufklärungen der Physiologen und Biologen
-nützen nur wenig dem, der von einem bösen Traum betroffen ist; er
-liegt ihm den Tag über in allen Gliedern; der Träumer ist froh,
-wenn dieser Tag vorüber, da seltsamerweise im allgemeinen der Wert
-eines Traumes auf die Zeit zwischen Nacht und Nacht beschränkt wird.
-Nicht wenige Ethnologen und Anthropologen sind geneigt, die Seelen-
-und Religionsanschauungen überhaupt aus den Traumerscheinungen
-abzuleiten. Indessen träumen auch Tiere. Etwas Besonderes muß also
-beim Menschen wohl hinzukommen, ihm die Reflexion oder den Einfall aus
-jenen Anschauungen zu erwecken. Manchen Menschen wird die Fähigkeit
-zugeschrieben, ihre Seele nach gewissen Vorbereitungen, die meist auf
-Hervorrufung einer Ekstase oder dumpfen Betäubung abzielen, beliebig
-aus ihrem Körper nach bestimmten Orten hinauszusenden, um dort
-Erkundigungen über Diebstähle, Feindespläne, Heilmittel, Schicksale
-von Menschen und Tieren einzuziehen. Der betreffende Mensch liegt
-gleich einem Toten, seine Seele geht inzwischen, wohin er sie entsandt
-hat. Nachdem sie das Gewünschte erfahren, kehrt sie in ihn zurück,
-er erwacht und weiß nun alles. Unzählig sind die Mitteilungen von
-solchen Seelenentsendungen und den wunderbaren Erfolgen, namentlich
-bei den Völkern Nordasiens, Nordeuropas und Nordamerikas, und auch
-Afrikas. Und manche davon sind so auffallend, daß sie selbst unter
-gebildeten Reisenden Glauben gefunden haben. Die Leute mit solcher
-Macht über ihre Seele gehören meist zur Klasse der Priester und
-Zauberer, oder, wie wir sie gemeinhin heißen, weil sie auch Krankheiten
-heilen und für alle möglichen Fälle Mittel besitzen und verabreichen,
-„Medizinmänner“. Bei den verschiedenen Völkern führen sie verschiedene
-Namen. Der bekannteste ist der der <span class="gesperrt">Schamanen</span> (aus dem indischen
-Çramana), und in Verbindung mit gewissen Geisterkulten sprechen wir von
-<span class="gesperrt">Schamanismus</span> als einer Religionsäußerung.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_45" id="Seite_45">[S. 45]</a></span></p>
-
-<p>Solche Ansichten kennen auch die arischen Völker. Odhin soll mitunter
-schlafen und dabei soll seine Seele als Vogel, Fisch oder Schlange die
-Welt durchstreifen, um dem Herrn, was sie erkundet, mitzuteilen. Eine
-seltsame Erzählung hat uns der Geschichtschreiber der Langobarden,
-Paulus Diaconus, aufbewahrt, die ich nach Jakob Grimm (Deutsche
-Mythologie) wiedergebe. „König Gunthram (der bekannte Frankenkönig)
-war im Wald ermüdet auf dem Schoß eines treuen Dieners entschlafen.
-Da sieht der Diener aus des Herrn Munde ein Tierlein, gleich einer
-Schlange, laufen und auf einen Bach zugehen, den es nicht überschreiten
-kann. Jener legt sein Schwert über das Wasser, das Tier läuft darüber
-hin, und jenseits in einen Berg. Nach einiger Zeit kehrt es auf
-demselben Wege in den Schlafenden zurück, der bald erwacht und erzählt,
-wie er im Traum über eine eiserne Brücke in einen mit Gold erfüllten
-Berg gegangen sei.“ Schlangen gehören zu den auf der ganzen Erde
-verbreiteten Bildern und Verkörperlichungen der Seele. Die Schlange
-also war König Gunthrams Seele. Paulus Diaconus teilt übrigens noch
-mit, daß man an der betreffenden Stelle nachgegraben und in der Tat
-viel verstecktes Gold gefunden habe. Die Seele hat also das Richtige
-ermittelt. Von dem Gold ließ der König einen Kelch machen, den er dem
-heiligen Marcellus in seiner Residenz Châlons widmete, wo der König
-selbst begraben wurde.</p>
-
-<p>Auch fremde Seelen vermag der Kundige zu senden, wohin er will. Die
-Könige von Dahome, so oft sie den Rat eines Gottes einholen wollten,
-töteten einen Menschen, dessen Seele zum Gott ziehen und von ihm
-das Nötige in Erfahrung bringen sollte, um es dem Zauberer dann zu
-offenbaren. Ähnliches erzählt bekanntlich Herodot von den thrakischen
-Goten: „Alle fünf Jahre wählen sie einen von ihnen durch das Los, den
-schicken sie als Boten an Zalmoxis und tragen ihm ihr jedesmaliges
-Anliegen auf.“ Die Entsendung geschieht, indem drei Leute Wurfspieße
-halten und der zu Sendende hochgeworfen wird, daß er auf die Spieße
-fällt. Ist er gleich tot, so wird das als gnädiges Zeichen des Gottes<span class="pagenum"><a name="Seite_46" id="Seite_46">[S. 46]</a></span>
-betrachtet, sonst wird ein anderer Bote in gleicher Weise entsandt.
-Herodot fügt hinzu: „Sie geben ihm aber den Auftrag, wenn er noch
-lebt“. So gleichen sich Anschauungen in voneinander so fernen Landen
-und so weit abstehenden Zeiten, zum Beweise wie gleichartig die
-Menschen denken, schließen und handeln!</p>
-
-<p>Die Anerkennung der Obergewalt mancher Menschen über sich führt dazu,
-daß deren Seelen besonders hoch bewertet werden. An den Seelenglauben
-knüpft sich so der <span class="gesperrt">Ahnenglaube</span> als das Natürliche und der
-<span class="gesperrt">Übergeordnetenglaube</span> als das oft Aufgezwungene. Den Ahnenglauben
-finden wir fast auf der ganzen Welt und zu allen Zeiten verbreitet.
-Vielleicht mangelt er selbst denjenigen Völkern nicht, die ihre alten
-Väter und Mütter aussetzen oder gar töten. Es liegt ja nahe, daß der
-Ernährer der Familie eine eigene Stellung einnimmt und seine Seele
-besonders geachtet wird. Offenbar wird sie besonders geneigt sein, den
-Zurückgebliebenen die gleichen und mehr Wohltaten zu erweisen wie im
-Leben. Da der Wilde absoluter Realist ist, sucht er sich ihre Zuneigung
-zu wahren. Und dieses hat zu einem eigenartigen <span class="gesperrt">Seelen</span>- und
-<span class="gesperrt">Ahnenkultus</span> geführt, der sich überall vorfindet und, wie zu
-anmutenden Gebräuchen, so auf der Wildenstufe zu den schändlichsten
-Grausamkeiten geführt hat, die in den merkwürdigsten Formen vertreten
-sind. Alles dieses steigert sich ins Ungemessene, wenn es sich um
-die Seele eines mächtigen Zauberers oder eines Häuptlings handelt,
-so daß hier deren Tod ein wahrer Jammer in des Wortes bösester
-Bedeutung für ein ganzes Volk werden kann. Wir haben schauerliche
-Funde aus prähistorischen Zeiten, und entsetzenvolle Erzählungen aus
-Vergangenheit und Gegenwart. Indessen ist es nicht meine Aufgabe, die
-Kulte zu besprechen, nur die Anschauungen gehören hierher. Diese aber
-führen, wie man sieht, zu einer Stufung in den Seelen. Der niedrige
-Sklave hat eine niedrige Seele, die nichts vermag, der Ahne, Priester
-und Häuptling besitzen bedeutende Seelen. Und je höher der Rang,
-je größer die Gewalt, desto mächtiger auch die Seele im Guten und
-nament<span class="pagenum"><a name="Seite_47" id="Seite_47">[S. 47]</a></span>lich im Bösen. Diese Differenzierung ist von großer Wichtigkeit;
-sie hat zu Theorien geführt, wonach die Religionen überhaupt aus
-Seelen- und Ahnenglaube (wenn wir unter Ahnen allgemein Übergeordnete
-verstehen) hervorgegangen seien. Ich komme darauf später zu sprechen.</p>
-
-<p>Die Tiere erachtet der Naturmensch als von sich nicht verschieden,
-er verleiht ihnen Seelen, der seinigen gleich. Sprechen doch manche
-afrikanische Stämme davon, daß gewisse Menschen beliebig als Menschen
-oder als wilde Tiere leben können. Und wenn Polynesier von Leuten
-erzählen, die sich beliebig in Raubtiere, Vögel, Fische oder Schlangen
-verwandeln, so meinen sie das nicht nach Art unserer Sagen und Fabeln,
-sondern rein reell. So hat sich neben einem Menschenseelenglauben
-auch ein Tierseelenglaube ausgebildet und daran ein Tierseelenkult
-angeschlossen, der <span class="gesperrt">Totemismus</span>. Und wunderlich berührt es, wenn
-als Ahnenseelen auch Tierseelen angenommen werden, wie das namentlich
-bei den Indianern der Fall ist, wo nicht bloß Familien, sondern auch
-ganze Stämme irgendein Tier: Bär, Rabe, Schlange, Schildkröte, Spinne
-usf. als Urahnen bezeichnen. Wenn ich Lippert recht verstehe, will er
-freilich nicht die Tierseele als die Ahnenseele anerkennen, sondern
-eine Menschenahnenseele annehmen, die in das Tier gefahren ist, in
-ihm ihren Wohnsitz aufgeschlagen hat. Damit würde übereinstimmen, daß
-Ahnentiere in der Regel nicht getötet und nicht gegessen werden dürfen,
-aber wiederum nicht dazu passen, daß bei gewissen Festen gerade solche
-Tiere verzehrt werden müssen. Indessen besteht über den Totemismus
-überhaupt keine rechte Sicherheit. Manche wollen in den Ahnentieren
-nichts weiter als Wappenbilder sehen, und zweifellos machen solche
-auch vielfach diesen Eindruck. Oder sie erklären sie lediglich durch
-Tiernamen menschlicher Ahnen, die durch Mißverstand zur Annahme von
-Tieren als Ahnen geführt haben. Das eine oder das andere wird in vielen
-Fällen zutreffen. Sicher aber ist, daß Tierseelen mitunter nicht
-mindere Bedeutung haben wie Menschenseelen und gleichfalls Verehrung
-genießen. Familie und Stamm<span class="pagenum"><a name="Seite_48" id="Seite_48">[S. 48]</a></span> halten ihr Totem (der Name stammt von den
-Algonkinindianern her, „Dodaim“) hoch und nennen sich nach ihm Bär,
-Wolf, Hirsch usf.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>11. <span class="gesperrt">Geister- und Dämonenglaube,
-Götzendienst</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Ein unmittelbares Kind des Seelenglaubens ist der <span class="gesperrt">Geister</span>-
-und <span class="gesperrt">Dämonenglaube</span>. Geister und Dämonen sind die Seelen
-abgeschiedener Menschen oder Tiere. Ist es gelungen, diese Seelen an
-Gegenstände, tote oder Lebewesen, zu bannen, so hat man die Fetische,
-die um so wichtiger sind, je bedeutender die Seele. Häuptlinge
-und Priester können erklären, in den und den Gegenstand sei eine
-besonders wichtige Seele gefahren oder gebannt. Der Gegenstand ist
-dann <span class="gesperrt">Tabu</span>, unberührbar und unnahbar, die bekannte Plage der
-ozeanischen Stämme. Gegenstände, namentlich menschliche Figuren,
-aber auch Tiere und tierische Figuren, werden besonders gerne zum
-Sitz einer Seele genommen, und ist die Seele von einiger Bedeutung,
-so haben wir ein <span class="gesperrt">Götzenbild</span> als Fetisch. Götzenbilder sind
-räumlich und zeitlich außerordentlich verbreitet und finden sich selbst
-gegenwärtig sogar bei den Kulturnationen. Sie entstammen aber der
-menschlichen Eigenheit, alles materiell zu fassen. Und es mag noch so
-oft gesagt werden, Männer und Frauen in katholischen Ländern sollen
-durch bekleidete und gekrönte Marien- und Heiligenbilder nur an die
-hohe Gottesmutter und an Menschen frommsten Lebenswandels erinnert
-werden, so faßt das einfache Volk die Sache doch anders auf, wenn
-auch nicht so wie der Neger oder der Gesellschaftsinsulaner, der sein
-Götzenbild absolut sich dienstbar erachtet und es mit einer rohen Seele
-versieht, die unter Umständen gezwungen werden muß, Dienste zu leisten,
-aber doch immerhin beseelt. Wie sollten sonst die Wunderbilder,
-die als solche Wunder tun oder die gar Lebensäußerungen von sich
-geben, wie Weinen, Zunicken, Blutschwitzen zu erklären sein, von den
-Hostien, deren Lebensäußerungen so unendlich vielen unschuldigen
-Menschen den qualvollsten Tod gebracht haben,<span class="pagenum"><a name="Seite_49" id="Seite_49">[S. 49]</a></span> zu schweigen, die nicht
-einmal menschliche Figur nachahmen. Es kann kaum anderes angenommen
-werden, als daß für den Unaufgeklärten in allen diesen Dingen sich
-mindestens die Kraft der Gottheit oder des Heiligen kundgibt, zumal
-es sich ja immer um <span class="gesperrt">besondere</span> solche Dinge handelt, nicht um
-alle. Anhänger der Lehre, daß alle Religion aus dem Seelenkult in
-Verbindung mit Fetischglaube hervorgegangen ist, würden sogar sagen,
-daß angenommen wird, die Kraft <span class="gesperrt">stecke</span> in den betreffenden
-Dingen. Das geht sicher zu weit, selbst für das Mittelalter; es handelt
-sich nur um eine Manifestation, nicht um Götzendienst im Sinne des
-Naturmenschen. Ob aber der Molochdienst der Phönizier und Karthager,
-der Çiva- und Kalidienst der Indier, der ursprüngliche Götterdienst
-der Griechen und Römer, der Tierdienst der alten Ägypter, der Baum-
-und Bilderdienst der alten Germanen, Kelten, Littauer, Preußen, Slawen
-von jenem Götzendienst sehr weit entfernt gewesen ist, darf mit Recht
-bezweifelt werden. Tylor macht darauf aufmerksam, wie trotz der
-allgemeinen Verbreitung der Götzendienst doch manchen Völkern fehlt,
-während die ganze Umgebung ihm huldigt. Das bekannteste Beispiel ist
-das der Hebräer, denen ja selbst die Anfertigung eines Götzenbildes
-verboten war. Aber wie sehr Fetischgötzendienst im Blute des Menschen
-liegt, sehen wir ja gerade an den Hebräern. Was haben die gewaltigen
-Seher und Propheten predigen und eifern müssen, um das Volk vom
-Götzendienst abzuhalten, und wie viele Rückfälle in diesen Dienst sind
-zu verzeichnen! Die lebhafteste Schilderung haben wir im Buch der
-Richter vom Götzendienst im Hause des Micha, der sogar einen Leviten
-zum Priester der Götzenbilder anstellt, sodann in der Anbetung des
-goldenen Kalbes mit ihrem so verhängnisvollen Ergebnis für das Volk.
-Aber nach dem Exil finden wir keine Spur von Götzendienst mehr vor, und
-wie zuwider und verhaßt dieser Dienst dem Volke war, sehen wir an der
-Heldenzeit der Makkabäer in der Empörung selbst gegen den veredelten
-Bilderdienst der Griechen. Und unmittelbar neben diesem Hebräervolk
-sitzt das ihm doch verschwisterte und dabei götzendienerischeste<span class="pagenum"><a name="Seite_50" id="Seite_50">[S. 50]</a></span> Volk
-der Phönizier und im Süden hausen die tatsächlich Fetische anbetenden
-Araber und im Osten die, trotz unserer Babylonier, götzendienerischen
-Mesopotamier. Als zweites Beispiel werden die Götzendiener der
-Gesellschaftsinseln und die vom Götzendienst freien Bewohner der
-Tonga- und Fidschiinseln genannt. Selbst Religionen, die überhaupt
-nicht auf Götterverehrung basieren, wie der Buddhismus, haben zuletzt
-doch zu <span class="gesperrt">Idolatrie</span> und Fetischismus geführt, sobald sie zu
-Völkern gelangten, die die hohen Lehren nicht begriffen und nur das
-aufnahmen, was ihrem, ich möchte fast sagen, Wildeninstinkt entsprach.
-So ist die edle Lehre Gotamas bei Tibetanern und Mongolen zu einem
-elenden Götzendienst herabgesunken, mit Geister- und Hexenwesen und
-allem möglichen Beschwörungsunfug. In China ist ein Götze nach einem
-Prozeß gegen ihn aus einer Provinz ausgetrieben worden, weil er einem
-Mädchen durch seinen Priester Heilung versprach und das arme Wesen
-dennoch starb. Mir fällt ein amüsantes Histörchen aus Herodot ein.
-Der joviale Vater der Geschichte erzählt, die Männer von Kaunos, der
-Vaterstadt des großen Malers Protogenes, hätten von ihren Göttern
-manches erfleht, aber es nicht erhalten. Da seien sie mit Lanzen
-und Schwertern in den Tempel gestürzt und hätten mit Schreien und
-Herumstechen in der Luft die Götter aus dem Tempel gejagt, seien in
-gleicher Weise hinter ihnen her gerannt, bis sie sie über ihre Grenze
-gescheucht hätten. Dann hätten sie neue Götter in den Tempel geladen.
-Als es aber unter diesen nicht besser wurde, hätten sie auch diese
-hinausgetrieben und ihre alten Götter zurückgeholt. Völlig negermäßig!
-Und ähnliche Beispiele gibt es in großer Zahl bei Griechen, Römern und
-anderen Völkern, wenn auch nicht so ganz naturnaiv. Sehr lehrreich ist,
-was Curtis in seinem lesenswerten Buche „Ursemitische Religion“ von
-den mohammedanischen Stämmen in Syrien und den angrenzenden Gebieten
-erzählt. Bei vielen dient Mohammeds Lehre kaum als Deckmantel für einen
-Heiligen-Fetischglauben. Die Heiligen, Weli, können in Gräbern &mdash; die
-große Zahl solcher in allen mohammedanischen Ländern ist ja bekannt
-&mdash;<span class="pagenum"><a name="Seite_51" id="Seite_51">[S. 51]</a></span> leben, aber auch in Bäumen, Felsen, Steinen, Quellen, Wassern
-usf. „Theoretisch,“ sagt der genannte Verfasser &mdash; und er beruft sich
-auch auf den bekannten Palästinaforscher Conder &mdash; „werden sie in
-Verbindung mit Gott verehrt; tatsächlich jedoch kennen viele Leute
-keinen anderen Gott als sie. Sie sind die Gottheiten, welche das Volk
-fürchtet, liebt, verehrt und anbetet.“ Ein frommer Moslem erzählte,
-sein Schutzpatron sei in einen in Asâl befindlichen Stein gefahren. Und
-Steine als Aufenthalt scheinen überhaupt bei den Weli nicht unbeliebt
-zu sein, namentlich irgend bemerkenswerte, wie Pfeiler, Denksteine usf.
-Curtis erinnert daran, daß auch im Alten Testament Steine mitunter eine
-besondere Rolle spielen, wie der Stein Jakobs, auf dem sein Haupt bei
-dem schönen Traum geruht hatte und den er salbte und ein Haus Gottes
-nannte. Auch Bäume sind in obigem Sinne heilig. „Offenbar sind nach
-dem Volksglauben heilige Bäume Stätten der Offenbarung von Geistern.“
-„In solchen Bäumen wird Fleisch aufgehängt, gleichsam die Nahrung für
-die darin wohnhaften Geister.“ Besonders seltsam sind die Gewässer,
-in denen Heilige wohnen. Sie werden namentlich von Frauen aufgesucht,
-welche unfruchtbar sind und glauben, daß wenn sie sich dem Wassergeist
-ergaben, sie fruchtbar werden. Sie legen sich darum in den Wasserlauf
-und lassen die Fluten über ihren Schoß spülen. Daß es sich hier um
-etwas anderes handelt als Baden, erhellt aus folgender sonderbaren
-Erzählung Curtis’. Ein reicher Moslem in Damaskus hatte seine Frau im
-Zorn verstoßen und die dreifache Scheidung ausgesprochen. Bald tat
-es ihm leid, er konnte sie aber nach dem Gesetz nunmehr nicht wieder
-heiraten, bevor sie nicht mit einem anderen vermählt gewesen und von
-ihm geschieden war, oder bevor sie nicht wenigstens einem anderen sich
-hingegeben hatte. Die mohammedanischen Ulemas wußten ihm nicht zu
-helfen. Aber der Patriarch (!) gab ihm den Rat, die Frau sollte sich
-in den Rásadafluß niederlegen, „sich vom Wasser umspülen lassen und
-so eine Ehe vollziehen; dann könne er sie wieder heimführen. Damit
-erklärten sich auch die Ulemas einverstanden.“ Einen viel anderen
-Rat<span class="pagenum"><a name="Seite_52" id="Seite_52">[S. 52]</a></span> als hier erste Priester zweier hoher Religionen gaben, würde ein
-Medizinmann Afrikas auch nicht gegeben haben. Selbst die Bestechung
-fehlt hier nicht, wobei es ganz handelsmäßig zugeht, indem dem
-Heiligenbild mehr und mehr geboten wird, wenn es anscheinend nicht in
-der Laune ist, den Wunsch zu gewähren.</p>
-
-<p>Je bedeutender die Seele, desto höher wertet, wie bemerkt, der
-Fetischgötze, in dem sie wohnte. Und so konnten Häuptlingsseelen Götzen
-für ein ganzes Volk abgeben, so daß manche Volksgötzen nach Häuptlingen
-benannt sind, wie auch umgekehrt Häuptlinge nach Götzen. So müßte die
-Bevölkerung des Olymps der Naturmenschen ins Ungemessene wachsen, wenn
-nicht durch Vergessen oder absichtliches Entfernen für Abgang gesorgt
-würde. Es ist bekannt, daß der Messenier Euemeros zur Zeit Alexanders
-behauptete &mdash; was übrigens andere schon vor ihm angenommen hatten &mdash;,
-die griechischen Götter seien lediglich vergötterte Fürsten und Helden.
-Er ist wegen dieser öden Ansicht viel angefeindet worden und wird, mit
-bezug auf die griechischen Götter, die wir kennen, auch im Unrecht
-sein. Daß aber Götter ursprünglich solche Fetischgötzen von Häuptlingen
-sein können, wird man kaum bezweifeln dürfen, und die griechischen
-Sagen tragen selbst viel dazu bei, ihren Göttern Menschenursprung
-zuzuschreiben. Bei den Naturvölkern aber sind solche Vergötterungen
-selbstverständlich. Der Häuptling ist der mächtigste im Stamm, er kann
-zu Lebzeiten Gutes und Übles, und namentlich letzteres, zufügen. Also
-muß seine Seele der gleichen Art sein, und der Gegenstand, in dem sie
-wohnt, ein Menschenbild, ein Tierbild oder auch ein lebendes Tier,
-durch sie besondere Kraft besitzen, gleichfalls Gutes und namentlich
-Übles anzustiften, und muß durch Opfer, oft sogar Menschenopfer,
-bei guter Laune erhalten werden. Selbst in Menschen kann die Seele
-einziehen, dann fallen diese in Raserei. So erzählt Stuhlmann von den
-Waganda. Er erwähnt auch, daß, wenn ein Priester stirbt, bald sich
-jemand zu seinem Nachfolger aufwirft, indem er behauptet, jenes Seele
-sei in ihn gefahren.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_53" id="Seite_53">[S. 53]</a></span></p>
-
-<h4>12. <span class="gesperrt">Zauberwesen</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Nun können noch Seelen frei in der Luft leben oder in Bergen,
-Höhlen, Wäldern, Gewässern, Wolken usf. Diese geben das Heer der
-<span class="gesperrt">Geister</span>, <span class="gesperrt">Gespenster</span>, <span class="gesperrt">Dämonen</span>, von denen es um
-den Naturmenschen wimmelt. Nichts Unangenehmes kann vorgehen, daran
-nicht irgendein Geist schuld ist. Deshalb ist dem Naturmenschen der
-Zauberer so unentbehrlich, der es versteht, die Dämonen auszutreiben
-und zu bannen und sie auch gegen die Feinde auszusenden. Manaia, so
-erzählt Grey in seiner Polynesian Mythology, hatte die Schwester des
-Ngatoro-i-Rangi zur Frau. Diese kochte ihm eines Tages schlechtes
-Essen. Da verfluchte er ihren Bruder und entsandte so böse Geister
-gegen ihn und sein Volk. Die Frau schickte sofort ihre Tochter aus,
-den Bruder zu warnen. Das Mädchen kam hin und erzählte den Vorfall;
-darauf grub Ngatoro-i-Rangi, nachdem er und seine Angehörigen sich
-durch Untertauchen in Wasser gereinigt hatten, mit diesen eine Grube,
-und unter Beschwörungen schaufelte er die gegen ihn ausgesandten bösen
-Geister in diese Grube hinein, überschüttete sie mit Erde, stampfte
-diese fest und spannte darüber beschwörte Gewänder und zuletzt ein
-Geflecht. So hatte er die Dämonen vernichtet. Später zieht er mit
-seinen Leuten gegen Manaia und gebraucht eine Kriegslist. Sie schlagen
-sich alle die Nasen wund und legen sich für tot, die Waffen verborgen,
-auf die Erde. Priester Manaias kommen und finden sie und meinen nicht
-anders, als ihre Geister hätten sie getötet und hergebracht. Auf ihren
-Ruf strömt das Volk hinzu. Aber während sie noch über die Verteilung
-der vermeintlich Toten streiten, springen diese auf, fallen über sie
-her und erschlagen alle. Dann &mdash; fressen sie sie auf. Noch eigenartiger
-ist eine zweite Erzählung Greys, gleichfalls aus Neuseeland. Zwei
-Zauberer, Purata und Tautohito, besaßen in einer Festung einen
-holzgeschnitzten Kopf, der auf Beschwörung Geister über Geister
-aussandte, die alles, was sich der Festung nahte, töteten, so daß
-niemand mehr wagte, in die Gegend zu kommen,<span class="pagenum"><a name="Seite_54" id="Seite_54">[S. 54]</a></span> die einem Leichenfelde
-glich. Da beschließt ein gewaltiger Zauberer, Hakawau, hinzugehen und
-jenen Zauber zu vernichten. Zuerst beruft er seine Geister und läßt
-sich von ihnen im Schlafe sein Schicksal zeigen. Dieses ist günstig,
-denn er träumt, sein Haupt berühre den Himmel und seine Füße ständen
-fest auf der Erde. Nun macht er sich auf. Und wie er der Festung
-sich naht, schickt er mit Beschwörung seinerseits Geister wider die
-feindseligen Geister. Es entsteht eine förmliche Schlacht zwischen den
-zwei Geisterscharen. Die Zauberer in der Festung schreien lauter und
-lauter auf den hölzernen Kopf ein, der mehr und mehr Geister entsendet.
-Hakawau aber ist kräftiger, und so siegt sein Geisterheer und erschlägt
-das feindliche. Zuletzt dringt er in die Festung ein, indem er über den
-Zaun klettert, und vernichtet den tödlichen Zauber vollends.</p>
-
-<p>Anrufungen, Beschwörungen und Kulte der Geister und Dämonen wechseln
-ständig miteinander, und so ist der Naturmensch auch der ständige
-Sklave dieses Glaubens und lebt namentlich in der Nacht in jeglicher
-Furcht vor den Schöpfungen seiner eigenen Phantasie, richtiger seiner
-konsequenten, aber von falschen Voraussetzungen ausgehenden Schlüsse.
-In geringerer Fülle, aber immer ja noch reichlich genug, ist der
-Geisterglaube auch bei den Kulturnationen vorhanden. Und zuzeiten nimmt
-er gar gewaltig überhand.</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll,</div>
- <div class="verse">Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll.</div>
- <div class="verse">Wenn auch ein Tag uns klar vernünftig lacht,</div>
- <div class="verse">In Traumgespinst verwickelt uns die Nacht.</div>
- <div class="verse">Wir kehren froh von junger Flur zurück,</div>
- <div class="verse">Ein Vogel krächzt; was krächzt er? Mißgeschick.</div>
- <div class="verse">Von Aberglauben, früh und spät umgarnt &mdash;</div>
- <div class="verse">Es eignet sich, es zeigt sich an, es warnt &mdash;</div>
- <div class="verse">Und so verschüchtert stehen wir allein</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">sagt Faust, bevor die Sorge ihn erblinden läßt, wohl mit Rücksicht
-auf den gerade blühenden Weinsberger Geisterspuk des so bedeutenden
-Dichters Justinus Kerner. Und was tut der Spiritismus gegenwärtig
-anderes als eine Geisterwelt errichten, und auf demselben Stamme wie
-die Natur<span class="pagenum"><a name="Seite_55" id="Seite_55">[S. 55]</a></span>völker, nur, bei den ernsten Anhängern, in edlerer und
-gedankenreicherer Form. Aber der Vampyrglaube der slawischen Völker
-ist grauenvoll genug, daß er uns selbst in der Oper von Marschner noch
-erschreckt. Und ähnliche Gespenster- und Dämonengestalten, wo sind sie
-nicht zu finden? Tote geben überall Anlaß zu Furcht und Wahngebilden,
-nicht minder tut es das Spiel der Natur an abgelegenem Ort oder zu
-mitternächtlicher Stunde. Wir verdanken diesen Gebilden so herrliche
-Dichtungen wie Bürgers „Leonore“ und unzählige Volksballaden. Das
-sind „<span class="gesperrt">Überlebsel</span>“ aus grauer Vorzeit, sagt man. Und in der Tat
-schwindet bei uns im Volke der Geister- und Gespensterglaube mehr und
-mehr, wogegen er freilich in der Gesellschaft und in einer ganzen
-Schule von Psychologen in gleicher oder anderer Form stark anschwillt,
-trotz der mitunter lächerlichsten Prozesse gegen betrügerische
-Beschwörer. Der Naturmensch faßt die Sache rein materiell auf, wie die
-beiden Beispiele, die durch hunderte zu vermehren keinen Zweck hätte,
-lehren. Die Geister sind für ihn zwar irdisch, sogar vernichtbar.
-Aber daß sie nicht wahrzunehmen sind, das füllt ihn mit banger Furcht
-vor stetem und verderblichem Angriff und zwingt ihn zu steter Abwehr.
-Unfall, Krankheit und Tod sind dem Naturmenschen nicht natürlich,
-sondern Durchbrechung der Natur und immer auf Rechnung böser Geister zu
-setzen, die von selbst oder von irgendeinem Feind gesandt, den Menschen
-befallen. Und so hat er sich ständig zu wahren und zu wehren, und der
-Zauberer muß bald die günstigen Geister zur Hilfe herbeirufen, bald
-die bösen durch Beschwörung und Tanz und Rasseln mit allen möglichen
-Dingen vertreiben und wenn möglich zurück auf den Feind lenken. Wie
-schon der Römer halb Sklave seiner dies fasti und nefasti, seiner
-Träume und Ahnungen, aller Vorfälle und Erzählungen war, so ist das in
-noch viel höherem Grade der Naturmensch. Überall sieht dieser die Hand
-unheimlicher Mächte. Das gilt vielleicht nicht für alle Naturmenschen,
-aber sicher weitaus für die meisten. Selbst Beduinen sind der Ansicht,
-daß Menschen von Geistern im Traume erschlagen werden können. Und
-„von bösen Geistern<span class="pagenum"><a name="Seite_56" id="Seite_56">[S. 56]</a></span> Besessene“ kennt das Altertum, das ganze
-Mittelalter und ein gutes Stück der Neuzeit. Dieses zu besprechen ist
-unerquicklich, und um so unerquicklicher, als beim Naturmenschen alle
-Mittel angewendet werden, den Besessenen zu heilen, vom bösen Geist zu
-befreien, bei uns aber, in unsinnigem Aberglauben, zuletzt die Heilung
-in Ertränken und Verbrennen der Unglücklichen gesehen wurde.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>13. <span class="gesperrt">Höhere Anschauungen bei Naturvölkern;
-Naturreligionen, Naturmythen</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Indem der Naturmensch alles mit Geistern erfüllt, läßt er auch
-Himmel, Sonne, Mond, Gestirne, Erde, Meer, Flüsse, Quellen, Wolken,
-Wälder nicht von Geistern frei. Diese besonderen Geister aber haben
-für ihn nur zeitweise perniziöse Bedeutung, im allgemeinen jedoch
-spenden sie ihm Wohlleben. Sie treten so nun aus der Reihe der übrigen
-Geister heraus. Und sie sind es, aus denen sich allmählich die
-<span class="gesperrt">Naturreligion</span> entwickelt. Vor allem der Himmel, als der Ort
-der Himmelskörper, dann Sonne, Wetter und Erde gewinnen mehr und mehr
-an Bedeutung. Und indem sie für ganze Völker und Länder entscheidend
-sind und auf lange Zeiten, werden sie mit den vornehmsten Geistern
-bevölkert. Aber dieser Prozeß geht langsam vor sich. Und eigentlich muß
-der <span class="gesperrt">Pandämonismus</span> schon bis zu einem gewissen Grade abgeklungen
-sein, wenn jene höheren Mächte hervortreten sollen. In der Tat haben
-sie auch bei dem Naturmenschen bei weitem geringere Bedeutung als
-die unmittelbaren Geister und Dämonen, zumal sie ja ständig sichtbar
-bleiben und der Mensch so an ihren Anblick gewöhnt ist. Mit ihnen aber
-beginnt der eigentliche <span class="gesperrt">Götterglaube</span> und die <span class="gesperrt">Mythologie</span>,
-die sich dann zuletzt zum <span class="gesperrt">Gottglauben</span> steigert. Es ist oft
-gefragt worden, ob die Wildenstämme schon im Besitz solcher höheren
-und höchsten Ideen sind. Ich habe schon hervorgehoben, daß bei ihnen
-keineswegs nur eine Anschauung herrscht, daß ihr Sinnen und Meinen
-sich vielmehr nach allen möglichen Richtungen wendet. Und so ist es
-schon<span class="pagenum"><a name="Seite_57" id="Seite_57">[S. 57]</a></span> zu erwarten, daß, wenn nicht alle, doch einige Stämme außer
-den unmittelbaren Geistern und Dämonen auch die höheren anerkennen
-werden, vielleicht den höchsten Geist. Das wird auch vielfach behauptet
-und durch Beispiele zu erweisen gesucht. Aber es ist mitunter recht
-schwer, einzusehen, daß dem wirklich so ist. Meist handelt es sich um
-einen Namen, ohne besondere Angabe der Qualitäten, höchstens unter
-Bezugnahme auf Schöpfung. Wenn man bedenkt, wie halbselbstverständlich
-dem Wilden das Wunder ist, begreift man auch, wie wenig die Schöpfung
-intellektuell für ihn zu bedeuten hat. Sie wird ja oft Menschen
-übertragen. Frobenius sagt, die afrikanischen Götter hätten dreierlei
-Ursprung: Geister als vergötterte Ahnen und Herrscher, letztere
-nicht selten noch zu ihren Lebzeiten. Mystische Gottheiten, die zum
-Menschen gleichgültig stehen. „Sie entsprossen dem Gefühl, daß neben
-den von den Afrikanern so sorgsam beobachteten Ausnahmeerscheinungen
-eine noch unerkannte Regelmäßigkeit in der Natur herrscht; sie sind
-gleichsam die Personifikation des Rhythmus in der Natur.“ Götter der
-hohen Mythologie, wie Sonnengötter usf. Eine strenge Scheidung soll
-es zwischen diesen drei Gruppen nicht geben, sie sollen ineinander
-übergreifen. Die erste Gruppe kennen wir. Was man mit der zweiten
-Gruppe anfangen soll, ist nicht recht ersichtlich, zumal sie sich
-nicht weiter entwickelt hat, wenn wir nicht in die Naturwissenschaft
-übergreifen wollen. Möglicherweise soll aber auch diese zweite Gruppe
-gerade zu den Höchstbegriffen führen, dann wäre die dritte Gruppe an
-die erste anzufügen. Einstweilen können wir in ihr nichts weiter als
-ein dunkles Fühlen und Ahnen sehen, ohne Namen und Sage, fast die
-Götter der Mysterien. Ich bekenne, daß ich für diese Götter bei den
-Naturvölkern keinen rechten Anhalt gefunden habe. Aber Geheimbünde
-bestehen bekanntlich bei ihnen in reichlicher Zahl, und es ist nicht
-ausgeschlossen, daß sie Mysterien pflegen wie die Griechen und
-andere Völker. Wir finden solche Bünde in Nordamerika, Westafrika,
-den ozeanischen Inseln, in Australien usf., von den Kulturvölkern zu
-schweigen. Was man von ihrem Tun und<span class="pagenum"><a name="Seite_58" id="Seite_58">[S. 58]</a></span> Treiben liest, ist freilich kaum
-geeignet, höhere Begriffe von ihren Geheimnissen einzuflössen; das
-meiste liegt auf dem Gebiete egoistischer Herrschsucht und der Raub-
-und Mordgier, auch des bösen Kannibalismus, und ist bei weitem mehr
-Plage als Wohltat, selbst wenn eine Art Rechtsüberwachung (ähnlich
-der Fehme) stattfindet. Keineswegs sind diese Mysterien mit den
-griechischen zu vergleichen, von denen alle alten Schriftsteller mit so
-hoher Achtung sprechen. Also über die zweite Gruppe weiß ich nichts zu
-sagen, vielleicht weiß ein anderer mehr.</p>
-
-<p>Die dritte Gruppe wird von Frobenius in mehreren Beispielen behandelt.
-Aber hier bedarf es mitunter sehr weitgehender Deutungen, um zu
-höheren Ideen zu gelangen. Nehmen wir einige davon. Schango, bei den
-Yoruba an der Nigermündung, ist Gott des Donners, Blitzes und Feuers.
-Er ist Sohn des Meeres (Yemaja); Oschumare, der Regenbogen, ist sein
-Diener und trägt Wasser von der Erde in seinen Wolkenpalast. Ara, das
-Donnergrollen, ist sein Bote, Biri, die Finsternis, sein Gefolge.
-Er hat drei Frauen, die ihm Schnur, Bogen und Schwert tragen. Das
-alles klingt sehr schön und ganz wie ein hoher Naturmythos. Aber
-das ist nicht der einzige Mythos von Schango. Nach anderen Mythen
-stammt er von sterblichen Menschen. „Er war Herrscher in Oyo, der
-Hauptstadt Yorubas. Er war so grausam, daß Häuptlinge und Volk ihm
-eine Kalebasse voll Papageieneier schickten mit der Botschaft, daß
-er durch die Regierungsgeschäfte müde sei und schlafen gehen solle.“
-Darüber entsteht ein Krieg; er muß fliehen, alles verläßt ihn, selbst
-sein Weib. Da hängt er sich auf. Nun erschrecken alle, sie suchen
-seinen Leichnam und finden eine Kette aus der Erde ragend. Darunter
-aber hören sie Schangos Stimme. Jetzt bauen sie darüber einen Tempel
-für Schango als Gott. Und wie Zweifler sagen, Schango sei doch tot,
-da kommt dieser in einem Gewittersturm und erschlägt die Ungläubigen.
-Hier ist nichts mehr von hohen Ideen, die Geschichte verläuft richtig
-fetischmäßig. Noch andere Mythen von Schango stehen nicht viel höher,
-zumal, wenn man beachtet, was auf <a href="#Seite_16">S. 16</a> ff. über die<span class="pagenum"><a name="Seite_59" id="Seite_59">[S. 59]</a></span> Weltauffassung
-der einfachsten Naturmenschen gesagt ist. Höchstens eine Art Herrentum
-nach Art von Mauis erkennt man noch. Eine andere Gottheit ist Hubeane
-bei den Basuto, hier fehlt eine hohe Sage ganz. Sein Vater war
-Modimo, „der alles gut erschaffen, nur nicht den Menschen, welcher
-bald dem Verderben und dem Tode verfiel.“ Hubeane ergeht sich in
-Nichtswürdigkeiten diesem seinem Vater gegenüber und schlägt ihn sogar.
-Nun will ihn dieser töten und versucht es mit vergiftetem Brei, durch
-Meuchelmörder usf. Allen Nachstellungen entzieht sich Hubeane, und
-zuletzt muß der Vater fliehen. Nach einer anderen Mythe ist Hubeane
-Sohn eines Weibes, das allein noch übrig blieb, nachdem alle Menschen
-von einem Ungeheuer verschlungen sind. Er zieht, plötzlich erstarkt,
-zum Kampf gegen dieses Ungeheuer, wird aber auch verschlungen. Doch
-weiß er sich zu helfen, denn er schneidet ein Loch durch den Leib des
-Ungeheuers und schlüpft heraus, hinter ihm her kommen alle Menschen
-ans Tageslicht. Diese Sage ist in einer anderen, wo Hubeane von einem
-Schmuck, den er bei der Geburt am Halse schon mitbringt, Litaolane
-heißt, genauer ausgeführt; namentlich in den Verfolgungen, die er
-von den durch ihn befreiten Menschen erfährt. So flieht er einmal
-und verwandelt sich an einem Fluß in einen Stein. Seine Verfolger
-ergreifen den Stein und werfen ihn an das andere Flußufer hinüber.
-Dort wird der Stein wieder zu Litaolane, und dieser lacht seine Gegner
-aus. Die Auslegung, die Frobenius der ersten Sage gibt, meint, Hubeane
-wird verschlungen = Sonnenuntergang, er kommt wieder ans Tageslicht
-= Sonnenaufgang. Alle Menschen folgen ihm = erwachen im Schimmer der
-Morgensonne. Das ist aus Analogien erschlossen. Und alles andere,
-die Verfolgung durch die Menschen? Man wird gestehen, es ist nicht
-viel Besonderes an solchen Mythen. Und dabei sagt Frobenius: „Mit
-Schango und Hubeane haben wir den ganzen Vorrat der unverfälschten
-Sonnengötter des negerischen Afrika erschöpft.“ Er erzählt dann von
-dem hottentottischen Heitsi-Eibib, Tsui-Goab, Kauna. Ich kann in allen
-diesen Erzählungen nur mehr oder weniger törichte<span class="pagenum"><a name="Seite_60" id="Seite_60">[S. 60]</a></span> Märchen sehen und
-vermag den Deutungen von Frobenius nicht zu folgen. Nur in einigen
-Zügen läßt sich etwas Bedeutenderes blicken, wie, daß Heitsi-Eibib
-durch ein Wasser flieht, das sich vor ihm spaltet, über seine Verfolger
-aber zusammenschlägt (<a href="#Seite_13">S. 13</a>), daß Tsui-Goab in einem weißen Himmel über
-dem blauen Himmel wohnt, und dieser sich, die Menschen zu schützen,
-vorschiebt, so oft Tsui-Goab zürnt.</p>
-
-<p>Ein Beispiel eines echten Fetischscheusals ist der weiter behandelte
-O-dente von der Goldküste. Der in einer Höhle bei Date wohnende
-Geist, er hieß zuerst Konkom, war „ein Mann mit nur einem Auge, einem
-Arm, krebszerfressener Nase und voller Schwären“. Dieser anmutigen
-Erscheinung immer zu opfern, ohne sie zu sehen, wurden die Leute müde
-und bei einem Opferfeste griffen beherzte Männer, als ein Arm aus der
-Höhle sich streckte, die Fleischstücke in Empfang zu nehmen, diesen Arm
-und zogen trotz allen Wimmerns die Gestalt nach. Aber entsetzt liefen
-alle davon unter dem Rufe: „Es ist kein gemeiner Mann, in der Tat, es
-ist ein Gott.“ Völlig entsprechend dem Standpunkte des Naturmenschen!
-Deshalb unterhandelten sie mit ihm. Er zeigte sich versöhnlich und
-legte ihnen als Buße auf, alle Früchte auf dem Felde und im Hause zu
-verbrennen, sie sollten jegliches hundertfältig zurückerhalten. Die
-Leute taten’s, da war Konkom gerächt, denn er floh von ihnen und eine
-Hungersnot brach aus. Er begab sich nach Krakye, wurde dort O-Dente
-genannt, und die Einwohner behielten ihn gerne. Er zog sich wieder
-in eine Höhle zurück und Krakye wuchs mächtig. Indessen gefiel es
-ihm dort nicht, er wollte nach Date zurück. Da erstand in diesem Ort
-ein Weib Koko, das von ihm, O-Dente, besessen wurde und den Datern
-alles mögliche verhieß, wenn sie O-Dentes Befehle erfüllten. Der Gott
-zöge dann selbst wieder zu ihnen. Der Gott verlangte Stiere und Rum,
-verbot dunkelblaues Zeug zu tragen. Ferner sollte niemand nachts mit
-einem Licht über die Straße gehen, „er könnte vielleicht eines der
-Kinder O-Dentes sehen, die im Donner und Windesrauschen gekommen, bei
-Nacht die<span class="pagenum"><a name="Seite_61" id="Seite_61">[S. 61]</a></span> Stadt durchwandern, sie zu bewachen.“ Nun geschieht ein
-Menschenopfer, das ich in seiner Scheußlichkeit nicht erzählen mag, und
-über diesem Opfer wird ein Altar in Gestalt eines Kegels errichtet. Und
-das geschah nicht etwa vor Jahrhunderten, sondern in unserer Zeit.</p>
-
-<p>Die anderen ähnlichen Gottheiten darf ich übergehen, sie sind übrigens
-alle unilateral. Woraus zu entnehmen ist, daß sie Sonnengottheiten
-bedeuten, kann man nicht immer erfahren. Die Angaben bei den
-Afrikastämmen sind sehr verschieden. Die Namaqua sehen die Sonne für
-eine Scheibe Speck an, wovon man sich sogar ein Stück abschneiden kann.
-Demgegenüber nehmen die Madagassen die Sonne als einen strahlenden
-Körper an. „Sie betrachten sie als die Quelle des irdischen Besitzes,
-Genusses und aller Fruchtbarkeit.“ Bei den Ewara an der Guineaküste ist
-Lisa der Sonnengott, seine Frau ist Gleti, der Mond. Sie haben viele
-Kinder, davon sind die Töchter die Sterne, welche Gleti stets folgen.
-Wenn Lisa Gleti schlägt, wird diese dunkel, daher die Mondfinsternisse.
-Carl Peters in seinem Werke „Im Goldlande des Altertums“ behauptet von
-den Makalanga einen Sonnendienst gleich demjenigen des semitischen
-Baal. Er sieht bekanntlich im Makalangadistrikt das biblische Ophir.
-Max Müller hat nachgewiesen, daß dem Sonnendienst vielfach parallel ein
-Feuerdienst geht. In Afrika scheint dieser jedoch nicht sehr häufig und
-wesentlich auf die südlichen Stämme beschränkt zu sein. Die Hereros
-sollen ein heiliges Feuer, Ukuruo, unterhalten, das von einer Tochter
-des Häuptlings, die den Titel Ondangere führt, gepflegt wird. Also
-eine Art Vestalinnendienst, der auch ganz dem römischen gleicht. Den
-Prometheus spielt ein alter König. Das Feuer erhält auch Opfer, und es
-dient auch um böse Geister zu verjagen.</p>
-
-<p>Bei den Indianern scheint von höheren Ideen etwas vorhanden zu sein,
-das Frobenius’ zweiter Gruppe der afrikanischen Gottheiten entspricht.
-Ratzel, in seiner Völkerkunde, sagt: „Wo sich ein hinreichend
-abstrakter Begriff (nämlich für Gott) findet, deckt er sich doch nur
-mit ‚Seele‘,<span class="pagenum"><a name="Seite_62" id="Seite_62">[S. 62]</a></span> ‚Geist‘, ‚schalten‘ oder einfach ‚wunderbar‘. Manitus
-(der Algonkins) sind zahllose Geister von bekannter Herkunft, die die
-ganze Natur bevölkern und bald feindlich, bald wohlwollend dem Menschen
-begegnen.“ Gleichwohl kennen einige Stämme einen höchsten Weltschöpfer,
-einen Lichtgott, der die Welt für die Lichtmänner geschaffen hat. Die
-entdeckenden Europäer wurden für diese gehalten. Sonnenkult haben alle
-amerikanischen Stämme; Ratzel meint, soweit der Ackerbau reicht (wohl
-soweit Nutzpflanzen gedeihen). Manche verehren auch Mond und Gestirne.
-Aber nach den Sagen z. B. der Tlinkitindianer, an der Küste von
-Nordwestamerika, die Krause in seinem Buche über diese Stämme mitteilt,
-haben sich Sonne, Mond und Gestirne in drei Kästen befunden, die ein
-Häuptling, der Onkel Yelchs, besaß. Dieser letztere, als Knabe, setzte
-es durch, nacheinander mit allen drei Kästen zu spielen, öffnete sie,
-trotz des Verbots des Onkels, und so flogen erst die Gestirne, dann
-der Mond, zuletzt die Sonne an den Himmel. Und Yelch, wenn auch die
-Indianer sagen: „So wie Yelch handelte und lebte, so müssen auch wir
-handeln und leben“, war keine hohe Gottheit. In den vielen Mythen, die
-Krause von ihm mitteilt, ist die Hauptsache, daß er als Rabe Streiche
-über Streiche machte. Ob er Rabe war oder nur ein Rabengefieder trug,
-er fliegt jedenfalls wie ein Rabe und benimmt sich auch ähnlich. Bei
-anderen Stämmen sind es andere Tiere, die Yelch vertreten, wie Bär,
-Schildkröte, Spinne. Es ist also doch eigentlich nur höherer Totemismus
-und Ahnenglaube, der unter dem Einfluß des Christentums eine neue, mehr
-aufs Ideale gehende Färbung erhalten hat. Der Indianer unterscheidet
-sich in dieser Hinsicht vorteilhaft vom Neger. Und nun gar die
-Kulturvölker des alten Amerika; ich möchte nicht wiederholen, was ich
-in meinem Buche „Die Entstehung der Welt“ ausgeführt habe, und verweise
-darauf.</p>
-
-<p>Unter den Ozeaniern haben es die Polynesier, trotz der sonstigen auf
-Fetisch- und Seelenglauben beruhenden Ansichten, zu einigen hohen
-Ideen gebracht. Die große Begeisterung, die andere ihren Sagen und
-Mythen entgegen<span class="pagenum"><a name="Seite_63" id="Seite_63">[S. 63]</a></span>bringen, teile ich nicht, weil selbst in den besten
-Kindischheit und Barbarei durchscheinen. Gleichwohl ist nicht zu
-leugnen, daß manches auf der Höhe griechischer Schöpfungen gleicher
-Art steht. Schon das Ehepaar Rangi und Papa, so materiell sie
-aufgefaßt werden, sind doch als höhere, besondere Wesen, Himmel und
-Erde, gekennzeichnet. Sie sind zuerst eng aneinander geschmiegt, so
-daß allgemein Finsternis besteht und ihre Kinder von Licht nichts
-wissen. Die so vergehenden Zeiten, nach Dekaden gerechnet, werden
-als Wesen aufgefaßt, Po. Jene Kinder heißen Tangaroa, Rongo-ma-tane,
-Haumia-tiki-tiki, Tane-mahuta, Tawhiri-ma-tea, Tu-matauenga. Von der
-gewaltsamen Trennung Rangis und Papas habe ich schon gesprochen. Sobald
-sie getrennt sind, ist es Licht. Von Sonne und Gestirnen wird nichts
-gesagt. Aber auch die Bibel kennt Licht ohne Sonne, es ist das erste,
-was Gott schafft. Nun sollte man erwarten, daß die Kinder Rangis und
-Papas etwas ganz Besonderes sind. Aber nein, sie sind rein irdisch.
-Grey, dem ich hier folgen darf, als dem wohl bedeutendsten Kenner
-polynesischer Mythologie, sagt: „Tangaroa bezeichnet (signifies) Fisch
-jeder Art, Rongo-matane bezeichnet Kartoffel und alles vegetabilisch
-als Nahrung Kultivierte, Haumia-tiki-tiki bezeichnet Farnwurzel und
-alles wildwachsende Eßbare, Tane-mahuta bezeichnet Wälder, Vögel und
-Insekten, die darin wohnen, und alle Dinge, die aus Holz gemacht
-werden, Tawhiri-ma-tea bezeichnet Wind und Stürme, Tu-matauenga
-bezeichnet Mensch.“ Damit ist nicht viel anzufangen. Der Realismus
-geht noch weiter. Der Wind und Sturm ist mit der Gewalttat, die gegen
-Himmel und Erde, auf Veranlassung des ersten Menschen, verübt ist,
-nicht einverstanden und rächt Vater und Mutter, indem er seine Brüder
-überfällt. Alles unterliegt ihm. Nur Tu-matauenga widersteht allein
-ohne Hilfe seiner Brüder. Nun zieht er über diese her und zehrt alles
-von ihnen, was irgend eßbar ist, also vom Wald alles Getier, vom Meer
-die Fische usf., auf. Zuletzt macht er noch Beschwörungsformeln, um sie
-zu zwingen, den Menschen immer zur Nahrung zu dienen. Und so wird der
-erste Mensch als<span class="pagenum"><a name="Seite_64" id="Seite_64">[S. 64]</a></span> Gott bezeichnet, der die Menschen diese Beschwörungen
-lehrte. Außer diesem Tu-matauenga läßt nur noch Tawhiri-ma-tea, das
-Wetter, göttlichere Eigenschaft erkennen. Anderweitig ist Tangaroa
-ein Hauptgott. Die Nachkommen des ersten Menschen sind die Menschen
-überhaupt. Sie erst haben Menschengestalt, die vier ersten Geschöpfe
-gleichen Menschen nicht. Rangi und Papa aber bleiben bis jetzt
-getrennt. Und wenn Papa voll Sehnsucht seufzt, steigen die Seufzer
-als Nebel zum Himmel, und wenn Rangi um die Geliebte weint, fallen
-die Tränen als Tau zur Erde; ein wunderschönes Bild. Rangi und Papa
-sind auch die Wohltäter der Menschen, indem Rangi Hauche, Menschen und
-Pflanzen zu kühlen, sendet, und Nebel, Tau und Regen und klares Wetter,
-damit die Pflanzen wachsen. Papa aber läßt die Pflanzen aus ihrem Schoß
-hervorgehen. Das tun sie, daß ihre Kinder zu essen haben.</p>
-
-<p>Unter den Nachkommen befindet sich der bekannte Maui, mit vollem
-Namen Maui-tiki-tiki-a-Taranga. Er ist eine Frühgeburt und von seiner
-Mutter Taranga in die See geworfen (<a href="#Seite_12">S. 12</a>). Nach polynesischer Ansicht
-sollte er verderblicher Geist werden und die Menschen quälen, denn
-Frühgeburten müssen unter Beschwörungen vergraben werden. Er ist
-es nicht, zeigt aber in seinem Charakter in der Tat auch bösartige
-Eigenschaften. So tötet er ohne Grund ein junges Mädchen und macht
-ganze Ernten verdorren. Seinen Schwager verwandelt er aus Neid über
-dessen Erfolg beim Fischen in einen Hund, so daß seine Schwester aus
-Gram sich ins Meer stürzt. Er ist an sich ein Heros, der sich vor den
-Göttern fürchtet, aber er vollbringt Taten, die göttlich scheinen. Wie
-er die Sonne zwingt, langsam die Welt zu umgehen und nicht brennend zu
-strahlen, ist schon erwähnt. Seine zweite Haupttat ist das Heraufziehen
-der Nordinsel von Neuseeland an einem Kiefer als Angelhaken, aus dem
-Meere. Er ist aber darum doch nicht Erdschöpfer, da die Erde schon vor
-ihm bestand; er bewohnt schon ein Land mit seinen vier Brüdern. Die
-Insel aber zieht er wie zufällig, beim Fischen mit diesen Brüdern, in
-Gestalt eines Fisches empor. Die dritte Tat,<span class="pagenum"><a name="Seite_65" id="Seite_65">[S. 65]</a></span> wegen deren man ihn mit
-Prometheus verglichen hat, betrifft den Raub des Feuers. Indessen ist
-Feuer längst schon vorhanden, Maui kommt es mehr darauf an, das Feuer
-seiner Ahnin Mahu-ika zu zerstören. Er löscht aber vorher alles Feuer
-auf der Erde aus. Warum, ist nicht ersichtlich, da er kein anderes
-mitbringt, wenn’s nicht ist, daß er indirekt die Feuergöttin veranlaßt,
-den Rest ihres Feuers in Bäumen zu bergen, denen es die Menschen durch
-Reiben entlocken können. Er treibt mit der Feuergöttin, trotz der
-Warnung seiner Mutter, Spott. Er verlangt von ihr Feuer, sie läßt es
-aus einem Fingernagel hervorsprühen und gibt es ihm. Da löscht er es
-aus und bittet um neues, um es abermals auszulöschen. So fährt er fort,
-bis Mahuika die Kraft aller Finger- und Zehennägel verbraucht hat,
-außer der des Nagels einer großen Zehe. Diesen stampft sie &mdash; da sie
-sich betrogen erkennt &mdash; voll Wut auf den Boden. Alles gerät in Brand,
-Erde, Feld und Wald. Maui flieht als Adler und kann sich zuletzt doch
-nur retten, indem er seinen Vorfahr Tawhiri-ma-tea um Regen anfleht.
-Die Göttin aber behält von ihrem ganzen Feuer nur einige Funken, die
-sie sammelt und mit denen sie verfährt wie angegeben. Wenn diese Mythe
-nicht sinnlos sein soll, so muß die Feuergöttin irgendeinen bösen Dämon
-bedeuten, oder es ist in der Sage etwas verloren gegangen. Anderweitig
-wird der Mythos denn auch anders erzählt, so in Tonga, wo Maui mit
-dem Erdbebengott ringt, ihn überwältigt und das Feuer, an dem er sich
-gewärmt hatte, den Menschen bringt. Noch anders holt er das Feuer als
-Vogel. Sein letztes Abenteuer bringt ihm den Tod und den Tod auch der
-Menschheit. Eine Ahnin von ihm wohnt am Himmelshorizont, Hine-nui-te-po
-ist ihr Name, „große Frau Nacht“. Maui zieht zu ihr, begleitet von
-vielen Vögeln, die seine Genossen sind. Er findet sie schlafend und
-beschließt, in sie hineinzukriechen, sie ganz zu durchziehen und erst
-aus ihrem Munde sie zu verlassen. Er bittet die Vögel, nicht zu lachen,
-bis er wieder heraus ist, damit die Furchtbare nicht erwacht, und
-begiebt sich in sie hinein. Die Vögel verbeißen krampfhaft das Lachen
-über die Szene,<span class="pagenum"><a name="Seite_66" id="Seite_66">[S. 66]</a></span> aber das kleine Vögelchen Tiwakawaka vermag nicht
-an sich zu halten und lacht plötzlich auf. Da erwacht Hinenui-te-po,
-springt auf und tötet Maui. Hierin ist zweifellos der Sonnenuntergang
-geschildert, zumal Grey festgestellt hat, daß der Vogel Tiwakawaka in
-der Tat nur bei Sonnenuntergang sich hören läßt. Kommt noch dazu, daß
-Mauis Eltern in der Unterwelt leben, und er bei ihnen weilt und von
-Zeit zu Zeit emporsteigt, daß er Kraft über die Sonne Tama-nui-te-Ra
-übt, um verständlich zu machen, daß er als Sonnenheros angesehen wird.</p>
-
-<p>Bastian, in seinem Buche „Die heilige Sage der Polynesier“, teilt
-aber noch viel höhere Anschauungen aus den Maorisagen mit. Vor
-Rangi und Papa haben schon andere Dinge bestanden, die zum Teil
-wesentlich als <span class="gesperrt">Begriffe</span> aufzufassen sind. Er zählt deren
-17 auf. Zuerst Te-Kore, das Nichts, dann Te-Po, die Urnacht,
-hierauf Te-Rupunga, das Sehnen, sodann Empfindung, Ausbreitung, das
-Luftschnappen, Gedanke usf., zuletzt Hau-Ora, Lebensatem, und Atea,
-Weltall, gespalten in Rangi und Papa. Das geht freilich sehr hoch
-und weit, und Bastian vergleicht die Reihe mit ähnlichen Reihen in
-buddhistischen Anschauungen. Von Rangi und seiner zweiten Liebe Atatuhi
-(Dämmerungsstrahlen) sollen Mond, Sterne, Tagesgrauen, Tag, von ihm
-und seiner dritten Liebe Werowero (Hitzgezitter), Ra, die Sonne,
-stammen. Papa mit verschiedenen Männern bringt hervor Blitzesglanz,
-Donnergeroll, die Hinenui-te-po, sodann Inseln. Hier haben wir
-eine Kosmogonie in Form einer Theogonie. Noch andere Götter werden
-aufgeführt, deren Nachkommenschaft immer ihrer Funktion entspricht. So,
-wenn Tawhiri-ma-teas Geschlecht Erdbeben, Regenbogen, Hagel, Regen,
-Eis, Sturm, Kälte usf.; Tangaroas Aale, Muscheln, Hai, Walfisch,
-Seevögel usf. ist. Tu-mata-uenga, in Tiki als Mensch reproduziert,
-hat Rangis Tochter Kau-ata-ata zur Frau, das wäre also Eva, und von
-ihr zwei Kinder. Dann entwickelt sich das Geschlecht der Menschen
-weiter, und es findet sich darunter ein Matuika, Vater des Feuers,
-ein Fliegengott, ein Gott der Felssteine, ein Trawaru, Vater der
-Hunde. Die ganze Welt<span class="pagenum"><a name="Seite_67" id="Seite_67">[S. 67]</a></span> soll aus zehn Himmeln übereinander und zehn
-Erdschichten untereinander bestehen. In jenen sollen die Götter und
-Geister thronen &mdash; im höchsten weilt Rehua (für Rangi?) &mdash; im neunten,
-achten und siebenten die vergötterten Seelen in der Stufenfolge ihrer
-Bedeutung. Dann kommen die Untergötter, die Atua, zu denen auch Tawhaki
-(<a href="#Seite_17">S. 17</a>) gehört, die Halbgötter. Im vierten Himmel ist ein Lebensquell
-für Embryonen, im dritten (Nga-Roto) das Wasser über dem Firmament,
-im zweiten Regen und Sonnenschein. Der erste Himmel ist der feste
-und das Reich Tawhiri-ma-teas. Wie sich das mit dem auf <a href="#Seite_19">S. 19</a> f.
-Mitgeteilten vereinen soll, kann ich nicht sagen. Auf die Schilderung
-der Erdschichten kommen wir zurück.</p>
-
-<p>Fast noch verblüffender ist, was Bastian uns von der hawaischen
-Mythologie erzählt. Er hat auf Hawai in der Bibliothek des Königs
-(Kalakaua) ein aus dem Beginn des vorigen Jahrhunderts stammendes
-Manuskript „He Pule Heiau“ entdeckt, dessen Wortlaut er mitteilt und
-das ein Schöpfungsbild enthält. Die Welt ist mehrmals geschaffen.
-Die jüngste Schöpfung ging in acht Perioden vor sich. Bis zum Schluß
-der achten Periode herrscht Po, Finsternis, jedoch mit abnehmender
-Stärke, indem ein Schimmer stetig wächst. Erst dann tritt Ao,
-Licht, ganz hervor. Innerhalb dieser Perioden aber erscheinen erst
-Intelligenz, dann Abgrund (männlich und weiblich). Hierauf entstehen
-die Lebewesen, von unten nach oben sich entwickelnd. Zugleich füllt
-sich der Abgrund mit Erde, bis der Abgrund ganz verschwunden ist.
-Nun, in der achten Periode kommen der Mensch, als Urweib Lalai,
-indem sie „hervorwächst gleich einem Blatt“, und die persönlichen
-Götter. Das Weib verbindet sich erst mit den Urkräften, dann mit dem
-Sonnengott und mit Kane und Kii und anderen Göttern, woraus zuletzt
-das Heroen- und Menschengeschlecht hervorgeht. Das ganze ist eine
-Entwicklungsgeschichte, wobei immer zuerst das Geistige und dann das
-zugehörige Materielle entsteht, und sie wird bis in die historische
-Zeit hingeführt. Als Probe führe ich nach Bastian die zweite Strophe
-des Gedichtes an:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_68" id="Seite_68">[S. 68]</a></span></p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse mleft3">Geboren in Nacht.</div>
- <div class="verse">Geboren Kumuligo, aus der Nacht als männliches,</div>
- <div class="verse">Geboren Poele, aus der Nacht als weibliches,</div>
- <div class="verse">Geboren die Milben im Gewimmel,</div>
- <div class="verse">Geboren das Gewimmel in Reihen,</div>
- <div class="verse">Geboren die Würmer, die Grabenden, die Erde aufwerfend,</div>
- <div class="verse">Geboren ihre Mengen mit Nachkommenschaft,</div>
- <div class="verse">Geboren die im Schmutz sich windenden,</div>
- <div class="verse">Geboren ihre zuckenden Reihen,</div>
- <div class="verse">Geboren Seeeier ohne Zahl,</div>
- <div class="verse">Geboren ihre streifige Nachkommenschaft in Reihen.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Die interessante einleitende Strophe dieser seltsamen Dichtung lautet:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Hier dreht der Zeitumschwung zum Ausgebrannten der Welt,</div>
- <div class="verse">Zurück der Zeitumschwung nach aufwärts wieder,</div>
- <div class="verse">Noch sonnenlos die zeitverhüllten Lichter,</div>
- <div class="verse">Und schwankend nur im matten Mondgeschimmer;</div>
- <div class="verse">Aus Makaliis mächtigem Wolkenschleier</div>
- <div class="verse">Durchzittert schattenhaft das Grundgebild künft’ger Welt.</div>
- <div class="verse">Des Dunkels Beginn aus den Tiefen des Abgrunds,</div>
- <div class="verse">Der Uranfang von Nacht in Nacht,</div>
- <div class="verse">Von weitesten Fernen her, von weitesten Fernen,</div>
- <div class="verse">Weit aus den Fernen der Sonne, weit aus den Fernen der Nacht.</div>
- <div class="verse mleft3">Noch Nacht ringsumher.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Sehr klar ist das nicht. Es soll aber besagen, daß die neue Welt
-beginnt, nachdem die frühere zugrunde gegangen ist, daß dieses in
-tiefer, nur schwach durchschimmerter Finsternis geschieht, daß durch
-das Plejadengestirn (Makalii) die zukünftige Welt ideell durchleuchtet.
-Die letzten vier Verse, wenn sie nicht die Herkunft des Dunkels und der
-Nacht schildern sollen, verstehe ich nicht. Aber Bastian gibt selbst
-die Übersetzung mit dem größten Vorbehalt. Andere Erzählungen stimmen
-bis auf die Götterzugabe mit biblischen Angaben. Bastian freilich und
-Achelis erklären es lediglich aus der übereinstimmenden Denkweise der
-Menschen. Ich glaube aber nicht, daß das bei so speziellen Angaben, wie
-die Entstehung des Weibes aus der Rippe des Mannes, zulässig ist. Doch
-sei wenigstens hervorgehoben, daß eine Göttertrias, Kane, Ku, Lono,
-vorhanden ist, die<span class="pagenum"><a name="Seite_69" id="Seite_69">[S. 69]</a></span> alles schafft, Himmel, Erde, Sonne, Mond, Sterne
-und Lebewesen. Anderweitig ist Tangaroa oder Taaroa der Weltschöpfer,
-von dem bei den Marquesasinsulanern das von Moerenhout aufbewahrte
-Gedicht die höchsten Gedanken äußert:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Es weilet hier, Taaroa sein Name, in des Raumes unendlicher Leere;</div>
- <div class="verse">Keine Erde noch, kein Himmel noch, keine See war da, keine Menschen.</div>
- <div class="verse">Von oben herab Taaroa ruft, in Neugestaltungen wandelnd,</div>
- <div class="verse">Taaroa, er als Wurzelgrund, als Unterbau der Felsen,</div>
- <div class="verse">Taaroa als der Meeressand, Taaroa in weitester Breitung.</div>
- <div class="verse">Taaroa bricht hervor als Licht,</div>
- <div class="verse">Taaroa waltet im Inneren, Taaroa im Umkreis, Taaroa hienieden.</div>
- <div class="verse">Taaroa die Weisheit,</div>
- <div class="verse">Geboren das Land Hawaii.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Und dabei die doch zweifellosen Fetische, Götzen und Geister (Atua).
-Man muß annehmen, daß neben der Volksreligion, die, wie überall, im
-rein Konkreten haftet, auch eine höhere Anschauung vorhanden ist, die
-wenigen zugehört. Auch ist bekannt, daß oft die höheren Stände eine
-andere Religion haben als die niederen, sogar andere Fetische und
-Götzen. Und im übrigen stehen die sonstigen Sagen von jenen Göttern
-keineswegs auf sehr hoher Stufe. Selbst die Sage von Taaroa oder
-Tangaroa endet nicht sehr hoch. Wie es um ihn hell wurde, rief er
-den Sand der Küste zu sich. Dieser konnte aber nicht zu ihm fliegen.
-Dann rief er die Felsen zu sich. Auch diese vermochten es nicht, da
-sie festgewurzelt seien. Nun steigt er selbst zur Erde, und aus der
-Muschelschale, in der er bisher gehaust, macht er die Inseln, darauf
-zeugt er aus seinem Rücken die Menschen, wandelt sich in ein Boot
-und schwimmt auf dem Meere. Dort verspritzt er im Sturme sein Blut,
-worauf sich das Meer und die Wolken färben. Zuletzt wird sein Gerippe,
-„das Rückenbein oben, auf dem Boden liegend, eine Wohnung für alle
-Götter und zugleich das Vorbild für den Tempel.“ „Tangaroa wurde zum
-Himmel“, sagt Ratzel in seiner Völkerkunde. Man kann das zugeben,
-wenn man den Himmel nicht so anschaut wie wir es tun, und wenn man
-über alle Inkonsequenzen hinwegsieht, da ja ohne Tangaroa schon Land,
-Meer und Wolken vorhanden sind und man nicht recht begreift, wie<span class="pagenum"><a name="Seite_70" id="Seite_70">[S. 70]</a></span>
-dieser Gott da noch zum Himmel werden konnte. Auf Neuseeland ist
-Tangaroa recht indifferent als Gott der Meere, eigentlich der Tiere
-darin, und anderweit erscheint er auch als böser Geist, wie der ihm
-entsprechende Kanaloa. Auf die anderen besonderen Lehren einzugehen ist
-nicht nötig, nachdem wir die Höhen und die Tiefen kennen gelernt und
-gesehen haben, wie naiv große Gedanken mit skurrilsten Torheiten bei
-demselben Naturvolk bestehen können, was wir ja von uns selbst auch
-rühmen müssen. Auch habe ich weiteres Material schon in meinem mehrmals
-genannten Buche mitgeteilt.</p>
-
-<p>Können wir nun sagen, daß die Naturvölker sich bis zu dem Gedanken
-eines Gottes in unserem Sinne durchgerungen haben, auch wenn wir ihre
-sonstigen Anschauungen beiseite lassen? Ich glaube, nein! Sie mögen
-bis zu einer Ahnung von etwas sehr Hohem und Übermächtigem gelangt
-sein. Einige unter ihnen mögen auch, namentlich unter fremdem Einfluß,
-bestimmtere Begriffe davon gefaßt haben. Aber im ganzen sind sie nicht
-einmal zu einem Polytheismus, wie ihn Ägypter oder Griechen hatten,
-gekommen. Der Omnanimismus und Pandämonismus ist die Grundlage ihrer
-Anschauungen, und das Bedeutendste ist eine <span class="gesperrt">Monolatrie</span> innerhalb
-jener und innerhalb einer <span class="gesperrt">Polylatrie</span>. Bastian selbst, der am
-meisten geneigt scheint, wenigstens den Polynesiern hohe Begriffe
-von Gott und Welt zuzuschreiben, meint, daß es sich bei ihnen nicht
-um Schöpfungen handelt, sondern um Aufblühen von Vorhandenem. Und
-der ganze Kult, den sie geübt haben und üben, mit allen Albernheiten
-und Grausamkeiten, ist ein greller Widerspruch gegen jeden höheren
-Begriff. Man hat zuerst die Anschauungen der „Wilden“ nicht hoch
-genug stellen können, dann nicht niedrig genug, und jetzt scheint man
-sie wieder erheblich zu überschätzen. Das erste kam aus Unkenntnis
-und theologischer Voreingenommenheit, das zweite aus Enttäuschung
-angesichts der Wirklichkeit, das letzte scheint auf Übertragung
-des Verhaltens des Naturmenschen unter dem Einfluß der Kultur oder
-unter dem Auge des Kulturmenschen auf Verhältnisse des isolierten
-Naturmenschen zu beruhen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_71" id="Seite_71">[S. 71]</a></span></p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>14. <span class="gesperrt">Seele und Jenseits bei den
-Naturvölkern</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Wir müssen zu den ursprünglichen Seelenansichten zurückkehren. Die
-Seele bedingt das Leben des Körpers, außerhalb des Körpers kann sie
-also nicht anders existieren, denn als lebend. Folglich lebt sie,
-solange der Mensch oder ein anderes Wesen es zuläßt. Der Mensch kann
-sie vernichten, indem er sie mit der Behausung, in der sie sich
-befindet, etwa dem Blut, dem Herzen, der Niere, dem Auge usf. verzehrt.
-Sie ist dann ganz in ihn aufgegangen, mit seiner Seele verschmolzen
-oder auch von seiner Seele verzehrt. Aus dieser Ansicht haben viele
-die Menschenfresserei erklären wollen, entweder, um seine eigene Seele
-zu stärken, sich zum Fetisch einer verwandten Seele zu machen, oder
-um schädliche und gefürchtete Seelen aus der Welt zu schaffen. Ein
-zweites Verfahren beruht auf Vernichtung des Körpers durch tiefes
-Vergraben oder Verbrennen, solange die Seele noch in ihm weilt, wenn
-auch nicht mehr aktiv. Ein drittes endlich läßt Seelen verkommen,
-indem ihnen die Bedürfnisse nicht gereicht werden, deren sie nicht
-entbehren können, wie Behausung, Speise und Trank. Die Umkehrung
-bedeutet die Konservierung der Seele, indem für ihre Bedürfnisse
-ständig gesorgt wird. Die harmlose Form ist, wenn ihr Behausung, Speise
-und Trank geboten werden. Und wir wissen, daß diese Form, vollständig
-oder unvollständig, bewußt oder unbewußt, bis weit in hohe Kulturen
-hinein zur Anwendung gelangt, bei den Naturvölkern aber jeder Seele,
-die erhalten werden soll, oder die man sich geneigt machen will,
-unmittelbar geboten wird. Noch klingt es harmlos, wenn dem Toten Gerät
-und Schmuck in das Grab getan wird, zum Gebrauch für seine Seele, und
-wenn man die Behausung seiner Behausung auf Erden anpaßt, in Form
-einer Höhle, einer Hütte, eines Palastes, eines Tempels, wie eben die
-Seele, da der Körper noch lebte, es gewohnt war. Beispiele sind auf
-der ganzen Erde verbreitet, von niedrigen Löchern und Hütten bis zu
-den Prunkbauten und Prunkeinrichtungen bei den Etruskern, Ägyptern,
-Chinesen u. a. Nun aber wird dem Toten auch<span class="pagenum"><a name="Seite_72" id="Seite_72">[S. 72]</a></span> Lebendes beigegeben,
-dessen seine Seele im Leben bedurfte, und hierin kennt die Konsequenz
-des Naturmenschen keine Grenze, außer dem Egoismus, der ihn hindert,
-alles fortzugeben. Tiere, Sklaven, Frauen, gefangene Feinde werden,
-lebend oder vorher getötet, mit begraben oder auf dem Scheiterhaufen
-mit dem Toten verbrannt. Je höherstehend der Verstorbene, desto
-umfangreicher diese Gaben; bei dem Tode eines Häuptlings wird Jagd nach
-Menschen gemacht, um die Gabe so groß als möglich zu gestalten. Mit
-einer armen Polyxena wie Achill würde sich ein Dahomeerhäuptling nicht
-begnügt haben, hier ging die Zahl der Schlachtopfer in die Hunderte
-und mehr. Und wie entsetzlich klingt, was Herodot von den Totengaben
-bei den Skythen erzählt und was wir auch von Germanen, Slawen, Kelten
-u. a. wissen. Die Seele sollte möglichst viele Seelen zum Genuß, zur
-Bedienung und als Gefolge bekommen.</p>
-
-<p>Schwer kann das mit einer Ansicht verbunden werden, daß die Seele
-immer auf Erden verbleibt und im Grabe Hof hält oder in der Luft
-umherschwirrt oder gar in einen Fetisch fährt. Und so sehen wir in
-der Tat die Naturvölker, wenn auch einige wirklich glauben, die
-Seelen blieben auf der Erde so lange, bis diese selbst untergeht, im
-allgemeinen doch auch zu Aufenthaltsorten für Seelen greifen, die
-nicht der Erde selbst angehören. Und dazu eigneten sich vor allem
-Sonne und Mond und dann die Gestirne. Es ist daher ganz richtig, wenn
-gemeint wird, daß auch diese Himmelskörper als Fetische betrachtet
-und entsprechend verehrt werden (<a href="#Seite_39">S. 39</a> ff.). Hier dürfen wir schon
-von einem „Jenseits“ sprechen. Aber Naturvölker kennen ein Jenseits
-überhaupt, entweder als Totenstadt, oder als Unterwelt, oder als Welt
-hinter dem Horizont, oder über dem Himmel. Totenstädte haben z. B. die
-Dajaks auf Borneo. Die Erweiterung wären Totenländer. Und Frobenius
-sagt: „Das Totenland liegt nicht nur sehr oft da, woher einst der
-Stamm kam, sondern die Ereignisse auf der Seelenreise entsprechen den
-Vorgängen der einstigen Wanderung. So ziehen die Seelen dieser Völker
-(der Ozeanier), die einst zu Boot über den Ozean kamen,<span class="pagenum"><a name="Seite_73" id="Seite_73">[S. 73]</a></span> im Kahne über
-das Wasser hin in das Land der Seligen.“ Darum, meint der Genannte,
-werden in Ozeanien die Toten häufig in Kanoes bestattet, was übrigens
-auch von Indianern bekannt ist. Grimm führt in seiner „Deutschen
-Mythologie“ an, daß die Asen „Balders Leiche auf ein Schiff brachten,
-in dem Schiff den Scheiterhaufen errichteten, anzündeten und so der
-flutenden See überließen.“ Und die Nordgermanen verbrannten noch im
-zehnten Jahrhundert ihre toten Seehelden auf dem Schiffe. Auch bei
-den Russen wird von einem Falle erzählt, wo ein Vornehmer in einem
-Kahne verbrannt wurde, und mit ihm, außer Pferden und Hunden, auch
-Mädchen verbrennen mußten. Ein unruhiger Störenfried, ein lästiger
-Geist wird von den Nikobaren im Geisterkorbe eingefangen, dieser auf
-ein Geisterschifflein gelegt und in die See hinausgerudert. Charons
-Totenkahn und das ägyptische Totenschiff sind ja bekannt. Indessen
-werden Seelen in das Jenseits namentlich auch von Vögeln befördert, ein
-Glaube, der auch den Griechen bekannt war, deren Harpyien und Sirenen
-Totenvögel (oder Seelenvögel) sind, wie selbst der Hahn bei ihnen
-Totenvogel sein kann. Die Griechen haben den Totenvogel allmählich zum
-Teil vermenschlicht, indem sie ihm zuerst menschliche Extremitäten,
-später umgekehrt einen menschlichen Kopf, mitunter von wunderbarer
-Schönheit, gaben. Die Naturvölker sind bei der einfachen Vogelgestalt
-geblieben, indessen doch oft unter Beimischung von etwas Menschlichem.
-Ist Yelch, der Rabe, ein Totenvogel der Nordwestamerikaner, wie
-Frobenius meint, so kann es auch ein Mensch in Vogelkleidung sein
-(<a href="#Seite_62">S. 62</a>). Andererseits holt Maui die Seelen der Vornehmen in die
-Sonne. Er wird aber mit Vögeln in Verbindung gebracht, da er sich
-auf seinen Fahrten so oft in einen Vogel, wie in ein anderes Tier,
-verwandelt. Ich stelle zwei Abbildungen nebeneinander, eine griechische
-„Harpyie“ oder „Sirene“ mit einer Seele als εἴδωλον auf dem Arme und
-einen nordwestindianischen Totenvogel, einen Mann und dessen ihm aus
-dem Munde entfliehende Seele tragend. Die Seele ist auf letzterer
-Darstellung als Schlange (<a href="#Seite_45">S. 45</a>) wiedergegeben, die aus dem Munde des
-Mannes<span class="pagenum"><a name="Seite_74" id="Seite_74">[S. 74]</a></span> gleitet. Totenkähne sind auch in Afrika bekannt. Nach der Sage
-der Ewe an der Nordguineaküste werden die Toten von Fährgeistern über
-den Fluß Volta gesetzt. Auf Totenvögel dagegen kann man nur aus den
-Opferungen von Hahn und Henne bei allen Totenfesten und bei manchen
-Fetischfeiern schließen. Den Australiern ist die Krähe Totenvogel, vom
-Totenkahn wissen sie gleichfalls einiges. Übrigens bringt Frobenius
-Totenkahn und Totenvogel in Verbindung, indem er nachweist, daß
-Totenkähne nicht selten mit Vogelschnäbeln und Vogelattributen versehen
-sind.</p>
-
-<div class="figcenter">
- <a id="illus-086_a" name="illus-086_a">
- <img class="mtop2" src="images/illus-086_a.jpg"
- alt="Griechische Harpyie mit einer Seele" /></a>
-</div>
-
-<div class="figcenter">
- <a id="illus-086_b" name="illus-086_b">
- <img class="mtop1 mbot2" src="images/illus-086_b.jpg"
- alt="Nordwestindianischer Totenvogel" /></a>
-</div>
-
-<p>Allein, wo ist das Totenland des Jenseits? Frobenius meint, die Seele
-zieht der Sonne nach, wie bei den Ägyptern. Demnach wäre das Jenseits
-im Sonnenuntergangsland. Aber wie erwähnt, ist auch die Sonne selbst
-Seelenaufenthalt, so nach der Sage der Tahitier und Buschmänner.
-Barotse sollen Livingstone einen Hof um die Sonne folgendermaßen
-erklärt haben: „Die Bavimo (Seelen) halten ein Pitscho (Versammlung)
-ab; siehst du nicht den Herrn (die Sonne) in der Mitte?“ „Wenn
-Sonnenschein von Regen begleitet wird, sagen die Dahomeer, die Seelen
-zögen zu Markte.“ Nach den Ewe soll das Totenland eine Sandebene am
-Flusse Volta sein. Manche Indianerstämme setzen das Totenland weit im
-Westen an.<span class="pagenum"><a name="Seite_75" id="Seite_75">[S. 75]</a></span> Jede Seele wird an der Grenze von ihren Verwandten und
-Stammesgenossen erwartet und findet im Lande reichlich Wild zum Jagen
-und Flüsse zum Fischen. Andere wieder lassen die Seelen als Vögel
-die Milchstraße entlang ziehen, und nehmen ihren Aufenthalt über dem
-Himmel an. Die Melanesier nennen das Totenland Mbulu und beschreiben
-die Schicksale der Seele auf ihrer Wanderung dahin. Die Damen wird
-es interessieren, daß die Seelen Unverheirateter es ganz besonders
-schlecht dabei haben; ein Totengeist Nangga-Nangga hebt sie hoch und
-schleudert sie gegen einen Felsen, daß sie zerschellen. Aber weniger
-angenehm wird es sie berühren, daß darum auf den Fidschiinseln die
-Witwe erdrosselt wurde, damit sie sogleich mit ihrem Manne gehen
-konnte. Der Mann, wenn seine Frau starb, gab ihr als Beweis der
-Frauenschaft einen Teil seines Bartes unter die Achselhöhle mit. In
-das eigentliche Jenseits gelangt die Seele durch Schwimmen oder in
-einem unsichtbaren Kahn. Doch gelingt dieses fast nur den Seelen der
-Vornehmen, die der misera plebs gehen auf dem langen gefahrvollen
-Wege unter oder kehren zurück zur Erde, um hier planlos herum zu
-irren. Auch bei germanischen Stämmen geht es ins Jenseits über ein
-Wasser. Jakob Grimm führt mehrere Beispiele dafür in seiner „Deutschen
-Mythologie“ an. Eine schwedische Volkssage weiß von einem goldenen
-Schiff, das in Runemad beim Schlüsselberge versenkt liege, und auf
-dem Odhin die Erschlagenen von Bravalla nach Walhall geführt haben
-soll. Ein Unbekannter nimmt Sinfiöltis, Siegmunds Sohn, Leiche in
-einen Kahn und fährt davon. Franken glauben, daß das Totenland im
-(jetzigen) Britannien liegt, wohin die Seelen der Verstorbenen von den
-Uferanwohnern übergefahren werden, die dafür von allen Abgaben befreit
-sind. Die Fährleute sehen niemand, merken nur ihre Kähne voll, wenn sie
-um Mitternacht abstoßen. Angekommen fühlen sie die Kähne allmählich
-entlastet und hören eine Stimme jedem einzelnen Namen und Vaterland
-abfragen. Derartige Sagen müssen auch bei den Kelten bekannt gewesen
-sein, da noch gegenwärtig anklingende Erzählungen in der<span class="pagenum"><a name="Seite_76" id="Seite_76">[S. 76]</a></span> Bretagne in
-Umlauf sind. Aus dem keltischen Artuskreise bittet im Lanzelot vom See
-die Demoiselle d’Escalot „que son corps fût mis en une nef, richement
-équippée, que l’on laisserait aller au gré du vent sans conduite.“ Ich
-habe dieses gleich hier angeführt, weil ich mich später darauf berufen
-will. Die griechische Sage von der Überfahrt auf Charons Nachen gehört,
-glaube ich, nicht ganz in diesen Kreis, da die Überfahrt schon in der
-Unterwelt, wenn auch noch vor dem Seelenaufenthalt, geschieht.</p>
-
-<p>Ganz abweichend davon, aber wiederum mit anderen weitverbreiteten
-Anschauungen über den Seelenaufenthalt in den großen Zügen in Einklang
-stehend, ist was Bastian von dem Jenseits der Maori erzählt, und was
-sich fast wie eine abgekürzte Dantische Höllenbeschreibung liest.
-Die Erde besteht, wie schon bemerkt, aus zehn Schichten. Die oberste
-Schicht ist die Erde selbst. Die folgende Schicht gehört dem Reiche
-der Wurzeln und Knollen. Mit der dritten Schicht, Reinga, wo auch die
-Nachtgöttin Hine-nui-te-po weilt, hebt das eigentliche Totenreich an.
-Bis dahin sind die Seelen noch lebens- und empfindungsfähig und können
-zur Erde zurück und dort noch viel Unheil anrichten. Aber nun beginnen
-die Kräfte mehr und mehr zu schwinden. In der fünften schon kann die
-Seele zu einem bleichen Schatten geworden sein, alsdann fällt sie der
-rachsüchtigen Göttin Rohe, ursprünglich Mauis Gemahlin, zur Beute und
-wird getötet. Kann sie noch entkommen, so gelangt die Seele mit immer
-weiter abnehmenden Kräften in die sechste, siebente Schicht. Wenige
-taumeln in die achte Schicht, wo sie zum Teil vom Gotte Meru vernichtet
-werden, noch weniger in die neunte, um von da in die letzte Schicht
-Meto = Verwesungsgestank zu stürzen, wo alles endet. „Das waren die
-Aussichten nach dem Tode, also noch trauriger als sie Odysseus bei
-seinen Waffengefährten im Hades fand“, sagt Bastian. Der Eingang zu
-dieser Unterwelt befand sich auf der Nordinsel von Neuseeland, im
-Nordkap, der Weg soll wieder westwärts führen. Freundlicher sehen
-selbst die Australier das Jenseits an, die Guten ziehen zu den guten
-Geistern, die Bösen zu den bösen.<span class="pagenum"><a name="Seite_77" id="Seite_77">[S. 77]</a></span> Oder die Seelen sitzen auf Bäumen
-oder weilen in einer Höhle. Bei den unkultivierten Malayen führt der
-Weg in das Jenseits über oder unter Meer, und sie müssen mit Waffen und
-Gefolge und mit Bestechungsmitteln ausgerüstet sein, um die Gefahren
-von Geistern und Höllenhunden besiegen zu können, ehe sie in das
-Paradies gelangen. Oder, die eines natürlichen Todes sterben, gehen
-nach Norden und bleiben dort in einem Walde, „dessen Bäume sich beim
-Einbruch der Dunkelheit in Hütten verwandeln.“ Dort leben sie „aus den
-unsichtbaren Bestandteilen der Tiere, aus Reis und den Opfergaben der
-Verwandten“, letzteres wie überall. Die eines unnatürlichen Todes, im
-Kampfe oder während der Entbindung Gestorbenen kommen zu den Göttern.</p>
-
-<p>Fassen wir die Frage vom Schicksal der Seele nach dem Tode ethisch
-auf, so muß es auffallen, wie verschieden die Antworten sind. Dem
-absolut Hoffnungs- und Freudlosen der Maori steht das fast Vergnügliche
-der Indianer gegenüber. „Soviel scheint festzustehen,“ sagt Spieß in
-seinem umfangreichen Werke „Vorstellungen vom Zustande nach dem Tode“,
-„daß alle Elemente von Schrecken oder Furcht vor der anderen Welt der
-ursprünglichen Religion der Indianer fremd waren. Nur einzelne Spuren
-einer notwendigen oder vermutlichen Reinigung und Vergeltung finden
-sich. Meist aber besteht der Unterschied zwischen Guten und Bösen
-nur darin, daß jene ohne alle Schwierigkeit über den See oder Fluß
-gelangen, welchen man vor dem Betreten der anderen Welt passieren muß,
-diese entweder in dem Wasser untergehen oder bis zum Kinn in das Wasser
-sinken, wo sie in alle Ewigkeit vergeblich das nahe lockende Gestade
-zu erreichen sich abquälen, oder aber, daß sie erst nach schwerem
-Ringen an das Gestade kommen.“ Also das Ausbleiben des Gewinnes ist die
-Strafe (Tantalusqual!). Im übrigen hat schon Schiller in Nadowessiers
-Totenlied treffend das indianische Jenseits geschildert. Dazwischen
-liegen vermittelnde Ansichten, wie bei den Eskimo, daß die Seelen
-der Guten in die warme Erde, die der Bösen in den eisigen Himmel
-gelangen. Eine höchst interessante Umkehrung unserer An<span class="pagenum"><a name="Seite_78" id="Seite_78">[S. 78]</a></span>sichten, die
-aus der Natur des Landes sich erklärt, das die Eskimo bewohnen, und
-Carus Sternes (Ernst Krauses) Warnung durchaus bestätigt, Mythen ohne
-Rücksicht auf die Lebensverhältnisse zu erklären. Eine entsprechende
-Umkehrung hat man bei den früheren Negersklaven in Amerika beobachtet.
-Während der freie Neger in Afrika das frohe Jenseits im Westen sucht,
-besteht für den amerikanischen Negersklaven dieses Jenseits im Osten,
-in Afrika, und viele haben sich bei zu drückendem Joche getötet, um
-nach Afrika zurückzugelangen und dort frei als Seelen zu leben (<a href="#Seite_43">S. 43</a>).
-Es läßt sich nicht leugnen, daß manche Naturvölker strenge Bestrafung
-der Bösen im Jenseits oder auf dem Wege dahin allerdings annehmen, und
-Belohnung der Guten. Aber sie definieren Gut und Böse nach ihrer Art.
-Und das kommt, wenn es wohl geht, auf tapfer und feige heraus, wie bei
-den Germanen. Meist steht es mit dem „Gut“ nach unseren Begriffen sehr
-übel. Dazu rechne man noch die selbstverständliche Bevorzugung der
-Vornehmen auch im Jenseits, wovon eine Spur auch im Homer noch erhalten
-ist, wo Achill im Hades, wenn auch Schatten, doch Übergeordneter der
-Schatten ist, um Paradies und Hölle der Naturmenschen von denen der
-Kulturmenschen erheblich zu scheiden. Doch kommt es gedanklich darauf
-nicht an; die Idee entscheidet hier, nicht ihre Übereinstimmung mit
-dem, was wir meinen.</p>
-
-<p>Viel weniger als um das Schicksal der Seele nach dem Tode ist der
-Naturmensch bekümmert um ihr Weilen vor dem Leben. Was mit der
-Seelenwanderung zusammenhängt, werden wir später besprechen, da eine
-solche bei den Naturvölkern nur so weit vorhanden ist, als die Seelen
-an sich beliebig sich von einem Körper in einen anderen begeben können.
-Aber selbst das genügt schon, um zu überzeugen, daß sie schon früher
-auf Erden gewesen sind und nun zurückgekehrt seien. Darum erzählen
-viele Sagen von Menschen, die im Jenseits geweilt haben, und dann
-wieder zur Erde gelangt, eine vollständige Beschreibung des Jenseits
-geben konnten. Manche solcher Beschreibungen verlaufen wie die von
-Orpheus und Eurydike; so eine sehr anmutige Geschichte von einem
-Indianer,<span class="pagenum"><a name="Seite_79" id="Seite_79">[S. 79]</a></span> der, da seine Geliebte starb, ihr in das Jenseits folgte,
-aber durch den großen Geist wieder auf die Erde geschickt wurde. Und
-irgendwo habe ich gelesen, daß es einem Europäer, der ein Negermädchen
-zur Frau nahm, auf keine Weise gelang, ihr auszureden, sie sei nicht
-schon früher unter gleichem Namen und unter gleichen Verhältnissen auf
-der Erde gewesen. Das ist nicht die bekannte Metempsychose, sondern
-eine dem Naturmenschen mehr passende <span class="gesperrt">Resurrektion</span>. Indessen
-kommen die Seelen auch in anderer Weise zur Erde. Und zwar nach dem,
-was Frobenius das Gesetz der Umkehrung nennt. Dieselben Mittel, die
-die Seele ins Jenseits befördern, bringen sie auch auf die Erde. Also
-sind namentlich Vögel zugleich Seelenbringer. Bei den Tonganern und
-Samoanern bringt Tuli als Vogel die Seelen in die Menschenkörper, ja
-sogar in Würmer. Die Neuseeländer erzählen, daß einst ein gewaltiger
-Vogel sich auf das Meer senkte und dabei ein Ei fallen ließ; aus dem
-kamen „ein alter Mann und eine alte Frau, ein Knabe und ein Mägdlein
-mit Hund und Schwein in einem alten Kanoe hervor und landeten an der
-Küste Neuseelands.“ Soviel lebende Kraft wohnt den Vögeln inne, daß
-aus einem Vogel die ganze Erde samt allem Lebenden auf ihr hergestellt
-wurde, erzählen Malaien auf Sumatra. Hierher gehört auch eine Sage bei
-den Australiern, daß die Sonne ursprünglich ein Emuei gewesen sei.
-Ein kleiner Vogel richtete es her und warf es in die Luft, da wurde
-es hell. Darum dienen Vögel und ihr Blut zu Opfern und symbolischen
-Handlungen, wo es sich um Belebung und Befruchtung handelt, so daß
-sogar Fetischbilder, durch Versenken eines Huhnes in ihr Inneres, oder
-durch Bestreichen mit Vogelblut &mdash; man erinnere sich, daß im Blut
-die Seele wohnt &mdash; oder selbst durch Umwinden mit Vogelfedern belebt
-werden. Brautleute werden in Afrika mit Vogelblut bestrichen, um sie
-fruchtbar zu machen, und in Felder werden Vogeleier versenkt, daß sie
-möglichst ertragfähig werden. Und an unseren Freund Storch darf nur
-erinnert werden.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_80" id="Seite_80">[S. 80]</a></span></p>
-
-<h3 class="nobreak" id="ZWEITES_KAPITEL"><span class="s5">ZWEITES KAPITEL.</span><br />
-
-Religiöse Welt- und Lebenanschauungen der Kulturvölker.</h3>
-
-</div>
-
-<h4>15. <span class="gesperrt">Die Kulturvölker als Naturvölker</span>.</h4>
-
-<p>Daß die gegenwärtigen und vergangenen Kulturvölker einst auf dem
-Standpunkte der Naturvölker sich befunden haben, kann kaum einem
-Zweifel unterliegen. Freilich treten uns die meisten Kulturvölker,
-sobald ihre Geschichte beginnt, schon wie kulturfertig entgegen. Es
-gehört zu den großen Rätseln der Menschenentwicklung, daß zum Beispiel
-die Ägypter mit einem Schlage als das Volk dastehen, als welches sie
-dann mehrere Jahrtausende die Geschichte kennt. Brugsch hat dieses für
-ihr ganzes Religions- und Mythensystem nachgewiesen. Wir wissen es in
-gleicher Weise für ihre Kunstfertigkeit, für staatliches und soziales
-Leben. Und in dem Moment, da für uns die erste Hieroglyphe geschrieben
-ist, steht sie bis auf Geringfügigkeiten, die nur die Ausführung
-betreffen, vollendet da. Wie das Volk die Hieroglyphe gelernt hat, wie
-seine Bauten, Einmeißelungen, Malereien, Einrichtungen des Staates und
-des Lebens, Meinungen über Gott und Welt begonnen und sich entwickelt
-haben, ist uns nicht bekannt. Wir müssen annehmen, daß die Ägypter
-Tausende von Jahren gebraucht haben, ehe sie es zu der Stufe der Kultur
-gebracht haben, von der aus die ersten und die letzten Kundgebungen
-in fast gleicher Weise sprechen. Warum haben wir aus diesen Tausenden
-von Jahren gar keine Mitteilung? Wir wissen es nicht. Das Volk steht
-fertig da, als wenn es fertig plötzlich geschaffen wäre. Es könnte in
-dem Moment, da der erste König herrschte, das erste Bauwerk errichtet
-wurde, eben eingewandert sein. Davon aber wird nichts erzählt; im
-Gegenteil, wir haben den Eindruck, als wenn Ägypten immer von Ägyptern
-bewohnt gewesen sei, und finden auch sonst nirgends eine Spur, daß
-diese etwa früher in anderen Ländern geweilt hätten. Und doch<span class="pagenum"><a name="Seite_81" id="Seite_81">[S. 81]</a></span> wissen
-wir aus prähistorischen Funden auch in Ägypten, daß in grauer Zeit,
-vielleicht vor zehn- oder zwanzigtausend Jahren, Menschen auf sehr
-niedriger Kulturstufe im Niltale gelebt haben. Sind es die ältesten
-Ägypter? Ähnlich geht es uns mit den Babyloniern, Phöniziern, Hebräern,
-ja selbst mit den Griechen nach den Ergebnissen der Ausgrabungen der
-letzten Jahrzehnte. Es ist, als wenn die Menschheit vor etwa fünf- bis
-sechstausend Jahren auf einmal auf die Idee gekommen wäre, zu schreiben
-und Denkmäler zu hinterlassen, so fest errichtet, daß sie sich bis auf
-uns erhalten konnten. Ist das die Erfindung eines Mannes bzw. mehrerer
-erleuchteter Männer? Oder wie sollen wir uns das sonst erklären? Max
-Müller bringt einmal als Beweis dafür, daß die Schriften des Alten
-Testaments nicht in sehr früher Zeit verfaßt sein können, die Tatsache
-bei, daß eine der ältesten Inschriften in semitischer Sprache, die
-wir besitzen, die bekannte des Edomiterkönigs Mesa, nur etwa in das
-Jahr 900 v. Chr. hinaufreicht. Aber wenn ein König solche Inschriften
-schon anfertigt, muß er doch voraussetzen, daß man sie allgemein auch
-zu lesen versteht, muß die Schreibkunst doch schon fast Gemeingut
-geworden sein. Und wie viele Jahrhunderte gehören dazu, nach Erfindung
-der Schreibkunst! Aus unserer eigenen Erfahrung müssen wir sagen,
-mindestens zehn, wenn nicht noch mehr.</p>
-
-<p>Hiernach bleibt uns allerdings nichts übrig als anzunehmen, daß die
-Kulturen solcher Völker weit über die geschichtliche Zeit hinaus
-vorhanden waren, wenn wir auch keine Kunde von ihnen aus dieser
-extrapolierten Zeit besitzen und auch nicht anzugeben vermögen, warum
-wir sie nicht besitzen. Die Entwicklung der Menschheit ist mit einer
-Formel zweifellos nicht abgetan. Einzelne stören offenbar den Gang
-der Formel, und wohin dieser Gang Menschen erst in Jahrhunderten oder
-Jahrtausenden bringen würde, dahin versetzt sie überzeugend oder
-gewaltsam eben ein Einzelner. Dürfen wir aber auch nur im Durchschnitt
-sprechen, so ist doch gleichwohl sicher, daß rohere Zustände und selbst
-ganz rohe bestanden haben müssen, falls wir nicht jeden Gedanken
-einer Entwicklung der Menschheit aufgeben wollen.<span class="pagenum"><a name="Seite_82" id="Seite_82">[S. 82]</a></span> Denn damit ein
-einzelner erfolgreich wirken könne, dazu gehört schon eine gewisse Höhe
-der Kultur. Und die Zeit dazu haben wir, wenn wir bedenken, daß die
-Menschheit als solche, selbst wenn sie mit den jetzigen tiefststehenden
-Wilden verglichen wird, schon seit mindestens zwanzigtausend Jahren,
-wahrscheinlich sogar noch seit sehr viel längerer Zeit besteht, da
-man bereits dem tertiären Menschen auf der Spur ist. Auch kennen wir
-ja Völker, die sich zu Kulturvölkern entwickelt haben, wie Germanen,
-Polen, Littauer usf.</p>
-
-<p>Eine Grenze zwischen dem Naturmenschen und dem Kulturmenschen
-aufzustellen, sind wir nicht in der Lage; die Naturperiode fließt wie
-ein mehr und mehr an Fülle verlierender Strom in die Kulturperiode
-hinein. Und man darf selbst sagen, daß dieser Strom unter eine gewisse
-Fülle überhaupt nicht hinabsinkt, ja auch an Fülle wieder anwächst,
-nachdem er schon stark abgenommen hat. Wir besitzen es mehr im
-Gefühl als in Definitionen, welches ein Kulturvolk ist und welches
-ein Naturvolk. Der Gesamteindruck entscheidet, im einzelnen können
-reine Naturäußerungen im höchsten Kulturvolk vorhanden sein. Daher
-wird der Naturforscher über Kultur anders denken wie der Philosoph
-oder Theologe, oder Ökonom oder Literat usf., und wer Krieg und
-Menschenvernichtung verabscheut, anders als der in seinem Kriegsleben
-einzigen Ruhm und einziges Menschenwürdige sieht. Wir würden uns in ein
-nicht zu entwirrendes Netz von widersprechenden Meinungen verstricken,
-wollten wir ein Merkmal für Kultur aufstellen. Selbst das anscheinend
-Selbstverständlichste: sittliche Höhe und Achtung vor Gottes Ebenbild
-und Gottes Geschöpfen würde fehlschlagen, da wir größte Verkommenheit
-und Nichtswürdigkeit durchaus mit dem, was wir Kultur nennen müssen,
-vereinbar sehen, wie an den Höfen der ersten römischen Kaiser und
-der drei Herrscher vor Ludwig XVI. in Frankreich. Auch genügt es für
-unsere Zwecke, wenn wir als Kulturvölker die sonst als solche namhaft
-gemachten annehmen. Es kommt für unsere Betrachtungen nicht darauf an,
-ob wir ein Volk mehr oder weniger in den Kreis der Kultur einbeziehen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_83" id="Seite_83">[S. 83]</a></span></p>
-
-<p>Nur in einer Hinsicht müssen wir vorsichtig zu Werke gehen, in
-historischer. Mißverstandener Nationalstolz und namentlich Eitelkeit
-im Kreise wirklicher Kulturvölker hat einzelne Nationen verleitet,
-den Anfang ihrer Kultur möglichst weit in die dunkelsten Zeiten
-hinauszuschieben; ein Seitenstück zu dem wunderlichen Bestreben mancher
-Herrschergeschlechter, die Abstammung wenigstens auf die Trojaner
-zurückzuführen. Lippert ist der Ansicht, daß slawische Schriftsteller,
-um ihrem Volk eine Art urarische Mythologie mit daran anknüpfenden
-hohen Anschauungen zu retten, nicht einmal vor Korrigierung von
-Urkunden zurückgeschreckt sind. Ich habe darüber kein Urteil. Aber
-als ich das wohl umfassendste Werk über slawische Mythologie las, das
-von Hanusch, mußte ich gleichfalls staunen, mit welcher Energie und
-Kunst überall Beziehungen zu der altindischen Religion bis in die
-Namen hinein gefunden wurden, während größte Gelehrte noch jetzt sich
-damit plagen, einen oder zwei Götternamen als wenigstens dem größten
-Teil der Arier überhaupt gemeinsam nachzuweisen. Ähnlich verhält es
-sich mit den Ungarn, denen Monotheismus und alle schönen Tugenden
-zugeschrieben werden zu einer Zeit, da sie als wildeste Wildenhorde
-Deutschland, Italien, Frankreich mit Mord, Brand und Schändung
-erfüllten. Auch wir Deutschen sind von solchem Chauvinismus nicht frei;
-viel ist bei uns in bezug auf die alten Germanen gesündigt worden
-und noch mehr wird gegenwärtig gesündigt. Aber wir haben doch einen
-Tacitus als Kronzeugen. Wer über die Anschauungen der Völker schreiben
-will, hat mit nationalistischen Übertreibungen sehr zu kämpfen, daß
-er schließlich fast um jede kritische Beurteilung gebracht wird. Ein
-seltsames Beispiel von fast verwunderlichem Chauvinismus bietet das
-sonst geistvoll geschriebene Buch von Chamberlain, „Die Grundlagen der
-Kultur des 19. Jahrhunderts“.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>16. <span class="gesperrt">Allgemeine Religionsanschauungen bei den
-Kulturvölkern im Kreise der Menschheit</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Man ist früher von dem klassischen Polytheismus und dem Monotheismus
-als von dem Normalfall menschlicher<span class="pagenum"><a name="Seite_84" id="Seite_84">[S. 84]</a></span> Religionsanschauung ausgegangen
-und hat die Anschauungen der „Wilden“ mehr als Kuriosität oder helle
-Verrücktheit angesehen. Aber mit der wachsenden Ausbildung der
-Ethnologie und Anthropologie hat sich eine Wendung vollzogen, die
-nicht wenige Forscher dahin führte, gerade die Anschauungen der Wilden
-zum Ausgangspunkte der höheren Anschauungen zu wählen und diese aus
-jenen abzuleiten. Das konsequenteste System nach dieser Richtung hat
-Lippert aufgebaut. In mehreren Werken hat er nachzuweisen gesucht,
-wie fast alle Kulturvölker noch in der Zeit, da schon die Geschichte
-von ihnen spricht, im wesentlichen bewußtem oder unbewußtem Seelen-
-und Ahnenglauben gehuldigt haben. Man kann sagen, die Tatsachen,
-die dieser so bedeutende Forscher beigebracht hat, seine Ansicht zu
-begründen, sind nach einer Richtung hin allerdings erdrückend. Es ist
-ganz unmöglich, ihrer Beweiskraft, daß Seelen- und Ahnenglaube in
-allen Religionen der Kulturvölker sich vorfinden und eine mehr oder
-minder wichtige Rolle spielen, sich zu entziehen. Ich habe ja bereits
-manches nach ihm selbst, nach Jakob Grimm und vielen anderen in den
-vorstehenden Abschnitten vergleichend angeführt. Und dieses schon,
-wenn auch nicht vollständig beigebracht, zeigt, wie die gleichen Ideen
-sich auf der ganzen Erde verbreitet finden. Aber, wie bei Ausführung
-einer jeden neuen Idee, gehen Lippert und seine Anhänger, wie ich
-glaube, vielfach zu weit, wenn sie die Religionsanschauungen mit
-Seelen- und Ahnenglaube für erschöpft halten, und alles weitere, was
-die Menschen etwa noch gedacht haben, daraus hervorgegangen ansehen.
-Die Frage spitzt sich zu der zweiteiligen zu: Kann Polytheismus sich
-aus Seelen- und Ahnenglaube entwickeln? Kann Monotheismus auch nur
-aus Polytheismus erwachsen? Ich werde mich mit dieser Doppelfrage
-später beschäftigen. Lippert aber bemüht sich überall den Seelen- und
-Ahnenkult nachzuweisen, entweder als allein bestehend, oder als einzige
-Grundlage der weiteren Anschauungen, oder als neben diesen letzteren
-Anschauungen fortdauernd und oft sie vertretend. Namentlich auf die
-Folgen des Seelen- und Ahnenglaubens kommt es dabei an: auf die<span class="pagenum"><a name="Seite_85" id="Seite_85">[S. 85]</a></span>
-Annahme von Seelenwesen (Geister, Nixen, Feen, Kobolde, Zwerge, Holde,
-Unholde, Gespenster, Dämonen, Teufel usf.), von Mineral-, Pflanzen-,
-Tier-, Menschenfetischen, von Orakeln, auf den Kult, der allem
-Voraufgenannten gewidmet wird, einschließlich der Bestattungs- und
-Grabgebräuche, und der Toten- und Seelenfeste, auf Menschenopfer und
-Kannibalismus, einschließlich der Blutgebräuche. Schon diese Aufzählung
-lehrt jeden, der Sagen, Märchen und Gebräuche der Völker kennt, daß
-keine Kultur frei von dem einen oder anderen Naturmenschlichen sich
-zeigt. Worauf es aber ankommt, ist der Nachweis des Ganzen, oder doch
-alles Wesentlichen; letzteres, weil Sitte oder Vorteil manches mildert
-oder entfernt, wie zum Beispiel Menschenopfer und Kannibalismus.</p>
-
-<p>Gehen wir nun auf das einzelne ein, so wird von Lippert vielen
-Kulturvölkern in ihrer geschichtlich heidnischen Zeit jeder andere
-Glaube als Seelen- und Ahnenglaube überhaupt abgesprochen. Den
-<span class="gesperrt">Littauern</span> soll ein eigentlicher Götterglauben fehlen; was
-von ihnen erzählt wird, weise nur auf reinen Seelen- und Ahnenkult
-hin. Und es sei nicht denkbar, daß, wenn ein Volk, das vor noch
-nicht sechshundert Jahren zum Christentum bekehrt worden ist, eine
-Götterlehre besessen hätte, diese ihm in so kurzer Zeit so ganz
-aus dem Gedächtnis hätte schwinden können, und daß nicht einmal
-Chronisten und Missionare von ihr berichtet hätten. Von den zwei
-bestimmt überlieferten Gottheiten, Perkunas und Zemina, sei die erste
-wahrscheinlich nordgermanischen Ursprungs und importiert, die andere
-zweifelhafter Qualität.</p>
-
-<p>Von den Anschauungen der heidnischen <span class="gesperrt">Slawen</span> hegt Lippert die
-gleiche Ansicht. Hier ist besonders interessant, was er von dem
-bekanntesten Slawenkult, dem des Swantewit auf Rügen, ausführt. Die
-genaue Beschreibung, die Saxo Grammaticus von diesem Kult gibt, bietet
-ihm selbst die Handhabe, im Swantewit nichts anderes zu sehen als
-einen Ahnen, der in der Weise der Naturvölker verehrt wird, also nicht
-etwa einen Himmels- oder Lichtgott, als der er nach der ersten Silbe
-seines Namens, welches Licht, Welt bezeichnet, von andern gedeutet
-worden ist. Diesen Namen erklärt er<span class="pagenum"><a name="Seite_86" id="Seite_86">[S. 86]</a></span> als „der der Swantower“, womit
-ebensowohl eine Familie wie eine Familiengemeinschaft bezeichnet sein
-konnte. Und eine Hauptstütze für seine Ansicht ist ihm das mit dem Kult
-verbundene Orakel, bei dem ein Roß, Swantewits Roß, die Hauptrolle
-spielt. Das Roßorakel ist auch bei den Germanen bekannt. Tacitus gibt
-darüber eine Auseinandersetzung, wonach kein anderes Orakel bei ihnen
-ein so großes Vertrauen genießt, denn sie halten sie (die Rosse) für
-die „<span class="gesperrt">Mitwissenden</span> der Götter“. Hiernach wird das Roß für eine
-Art Tierfetisch erklärt. Damit vergleiche man aber, was die slawischen
-Mythographen lehren. Hanusch findet also in den Anschauungen der
-Slawen Übereinstimmung mit indischen und eranischen höchsten Lehren.
-Die Trimurti Brahma, Wischnu und Schiwa entsprechen ihm Piorun-Proven,
-Radegast, Porenut (als gutes Prinzip, wie auch die Göttin Siva; die
-Göttinnen Morana und Ubijica als verderbliches) als Triglav. Bei
-den Preußen: Perkun, Potrimbo, Pikollo. Ja die Übereinstimmung gehe
-so sehr ins einzelne, daß Piorun mit dem physischen, Proven mit dem
-geistigen Brahma übereinkomme, Piorun-Proven die physische und geistige
-Lichtgottheit darstelle, Radegast in gleichen Inkarnationen (Awatar)
-erscheine wie Wischnu, und die welterhaltenden und weltzerstörenden
-Eigenschaften Schiwas in entsprechenden Gottheiten nachgewiesen werden!
-Die Gleichheit mit den eranischen Anschauungen soll durch Bjelboh
-und Czernyboh gegeben sein; ersterer Ormuzd, letzterer Ahriman. Der
-Weiße Gott und der Schwarze Gott sind allerdings slawische Gewalten,
-die dem eranischen Dualismus entsprechen, aber nicht entfernt mit
-der hohen Bedeutung wie Ormuzd und Ahriman; sie unterscheiden sich
-wenig von gutem Geist und bösem Geist, immerhin ist die Kongruenz
-bemerkenswert. Swatowit und besondere Kundgebungen von ihm wie
-Swenteboh, Witislaw, Harowit, Rugiewit, Porewit, Jutreboh usf.,
-die teils Friedensgötter, teils Tages- und Tageszeitengötter, auch
-Morgen- und Abendsterngötter sein sollen, emanieren von Belboh als
-dem Lichtgott; Wrag, Zlyboh von Czernyboh. Das Zutreffende dieser
-Parallelisierung wird außer an den Eigenschaften der Gottheiten auch an
-entsprechenden Festen<span class="pagenum"><a name="Seite_87" id="Seite_87">[S. 87]</a></span> der Eranier und der Slawen zu erweisen gesucht.
-Nun wird noch behauptet, daß die slawischen Anschauungen gewissermaßen
-die Verschmelzung der indischen und der eranischen darstellen. Bei den
-<span class="gesperrt">Preußen</span> und <span class="gesperrt">Littauern</span> soll Auschwe die Lichtgottheit,
-Puskaijtis die Finsternisgottheit bedeuten. Und es werden noch die
-bekannten indischen Göttinnen mit littauischen parallelisiert: Maja
-= Laima, Lakschmi = Lada, Parwati-Bhawani = Liethva (slawisch Baba),
-Saraswati = Perkunatele, Kali = Niola. Hanusch erkennt auch eigentlich
-slawische Elemente in der slawischen Götterlehre an. Und diese sollen
-sich beziehen auf eine Übertragung in die Natur der mehr abstrakten
-Begriffe, die ursprünglich jene Gottheiten bedeuteten, also auf eine
-Art Vermaterialisierung der altindisch-eranischen Anschauungen. „Das
-Äußere der Natur (ὕλη) war im Bewußtsein der Slawen das eigentliche
-Sein und wurde belebt von einem allgemeinen Geiste, der in den
-einzelnen äußeren Individuen als individueller Geist erschien.
-Doch war dieser Geist nichts anderes als eine Personifikation des
-Lebensprozesses, den man der Analogie nach zum Unbelebten hinzudachte.“
-Das klingt fast wie im Geiste des Animismus gesprochen. Und hierher
-gehört auch das Zugeständnis von irdischen (und unterirdischen)
-Gottheiten neben oberirdischen und das der Anthropomorphisierung
-der Gottheiten (der Sonne, des Mondes, der Gestirne, des Wetters
-usf.), welche letztere in unzähligen Sagen und Liedern eine oft
-recht anmutende Rolle spielt. Das Ganze kommt auf einen Naturdienst
-heraus, mit mehr oder weniger wuchtigen Naturgewalten und mit einem
-unübersehbaren Heer von guten und bösen Geistern, dem sich ein Dienst
-von Schutzgeistern für alle Verhältnisse und Tätigkeiten des Lebens
-anschließt. Aber das alles liegt doch weit ab von dem Seelen- und
-Ahnenglauben, den Lippert den Slawen allein zugestehen will. Seelen
-Verstorbener als Gespenster und Dämonen kannten die Slawen auch nach
-Hanusch. Auch behandelten sie die Seelen mitunter wie die eigentlichen
-Naturvölker, gaben ihnen Grüße an früher Verstorbene mit, empfahlen
-ihnen geselliges Betragen gegeneinander usf. Ihre Gottheiten aber
-sind weder<span class="pagenum"><a name="Seite_88" id="Seite_88">[S. 88]</a></span> Seelen noch Ahnen. Ich weiß den Widerspruch nicht zu
-lösen; wieviel Unzutreffendes und gewaltsam Hineininterpretiertes
-auch in den Bearbeitungen der slawischen Mythologie durch slawische
-Schriftsteller vorhanden sein mag, <span class="gesperrt">alles</span> kann unmöglich erfunden
-sein. Dagegen spricht schon, daß gegen den Dualismus Belboh-Czernyboh
-sich nichts einwenden läßt, er ist zu gut durch Schriftsteller und noch
-vorhandene Sagen und Lieder bezeugt. Hanusch hat zu wenig vom Kult
-(und den Gebräuchen), Lippert zu wenig von der Mythologie gesprochen.
-Bei Berücksichtigung beider, des Kultes und der Mythologie, wird man
-wohl den heidnischen Slawen und Littauern mehr die Anschauungen der
-Naturvölker zuschreiben, jedoch mit nicht wenigen höheren Ideen. Ob die
-letzteren ein Überrest der früheren Verbindung mit Indiern und Eraniern
-sind, wie Hanusch will, oder ob sie sich später ausgebildet haben, läßt
-sich nicht sagen.</p>
-
-<p>Noch schwieriger ist es natürlich mit den <span class="gesperrt">Germanen</span>. Cäsar hat
-im 21. Kapitel des VI. Buches seines „Bellum Gallicum“ eine sehr
-wegwerfende Bemerkung über ihre Religionsanschauung gemacht. „Deorum
-numero eos solos ducunt quos cernunt et quorum aperte opibus juvantur,
-Solem Vulcanum et Lunam, reliquos ne fama quidem acceperunt.“ Also
-nur was sie sehen: Sonne, Feuer, Mond, und aus dessen Macht sie
-offensichtlich Nutzen ziehen, verehren sie. Das wäre freilich rein der
-Standpunkt des Naturmenschen, der auch alles nur körperlich auffaßt
-und es nur beschenkt, wenn ihm eine größere Gegengabe geleistet wird.
-Tacitus denkt aber über die Germanen erheblich besser. Er schreibt
-freilich 150 Jahre später, als die Germanen schon vieles an Kultur
-angenommen hatten. Allein er bringt auch sehr altes und einheimisches
-Material bei, da er wenigstens einigemal germanische Bezeichnungen
-benutzt. Er sagt nun im zweiten Kapitel seiner „Germania“, die Germanen
-feierten in alten Liedern „Deum Tuisconem, terra editum, et filium
-Mannum originem gentis conditoresque“, und erzählt nun wie Mannus
-drei Söhne hatte, aus denen die bekannten drei deutschen Hauptstämme
-seiner Zeit hervorgingen. Also jedenfalls sind<span class="pagenum"><a name="Seite_89" id="Seite_89">[S. 89]</a></span> die Germanen Nachkommen
-von Tuisco und Mannus. Von Mannus meint Jakob Grimm: „Kein Name kann
-deutscher klingen“. Aber was er ideell bedeutet, darüber besteht schon
-Streit. Der große Mythologe schreibt ihm einen tieferen Sinn zu: als
-„ein denkendes, seiner bewußtes Wesen“ bezeichnend. „Mannus aber ist
-der erste Helde, der Gottessohn und aller Menschen Vater“, und er
-parallelisiert ihn mit dem indischen Manus, der nach einer Version, auf
-Brahmas Geheiß, alle Geschöpfe, Götter, Asuren und Menschen schaffen
-sollte und alle Welten, Bewegliches und Unbewegliches. Dann wäre also
-der germanische Mannus etwas sehr Hohes. Aber wie paßt der Vater Tuisco
-dazu, der selbst aus der Erde hervorgegangen, also eine Art Erdgeist
-ist? Der Name ist nicht sicher, es bestehen infolgedessen auch viele
-Deutungen für den Gott. Die höchste geht auf den Himmel und setzt
-den Gott, dem Sinn und der Stellung nach, dem Uranos, dem Namen nach
-(Tivisco, Tuisco) dem Zeus an die Seite. Die Erde spielt dann die Rolle
-der Gaia, die auch Uranos und Pontos geboren haben soll. Die niedrigste
-wählt natürlich Lippert. Eine mögliche Lesart ist nämlich auch
-Tiusco. Grimm stellt sie mit Tivisco zusammen, was eben jene höchste
-Bedeutung ergibt. Lippert findet etymologisch als Bedeutung „Geist“
-angemessener. Und indem Mannus einfach als „Mann“ erklärt wird, ist Tiu
-sein Schutzgeist, und somit der aller Germanen, und Tiusco bedeutet ein
-„Geistwesen“, wie Mannisco ein „Mannwesen“, ein „Mensch“. Damit wären
-wir wieder auf den Ahnen und dessen Seele gekommen.</p>
-
-<p>Tacitus sagt ferner: „Deorum maxime Mercurium colunt.“ Es wäre eine
-ganz anmutende Hypothese des genannten Forschers, daß dieser Merkur
-ein Viehschutzgeist ist, da ein Teil der Germanen noch nomadische
-Viehzucht betrieb, und dieser Deutung von seiten der griechischen und
-römischen älteren Mythologie keine Schwierigkeiten entgegenstehen.
-Aber Cäsar erzählt auch von den Kelten, daß ihr höchster Gott Merkur
-gewesen sei, und die Kelten waren keine nomadischen Viehzüchter.
-Herodot teilt mit, daß die Thrakerkönige am meisten Hermes verehren
-und von ihm abzustammen behaupten. Auch<span class="pagenum"><a name="Seite_90" id="Seite_90">[S. 90]</a></span> hier wird man Viehzucht als
-Motiv nicht annehmen können. Indessen gibt vielleicht Cäsar selbst
-die Erklärung: „Hunc omnium inventorem artium ferunt, hunc viarum
-atque itinerum ducem, hunc ad quaestus pecuniae mercaturasque habere
-vim maximam arbitrantur“. Und da Tacitus zur Einführung Merkurs bei
-den Germanen genau derselben Formel sich bedient wie Cäsar zu der bei
-den Kelten (nur deorum statt deum), so wird er wohl auch an Cäsars
-Erklärung gedacht haben. Bekanntlich wird seit Paulus Diaconus Wotan
-für Merkur genommen, und auf diesen paßt Cäsars Erklärung einigermaßen,
-die sich auf einen Erfindungs-, Wege- und Handelsgott bezieht. Tacitus
-mag auch noch gewußt haben, daß Wotan auch Tote (erschlagene Helden)
-in sein Reich geleitet, also als Psychopompos wirkt, und weiter,
-daß er auch Sturmgott ist, wie Hermes bei den Griechen ursprünglich
-einen Windgott bedeutete. Und daß Wotan der größte Gott war, würde
-auch stimmen; dem Merkur namentlich sollen Menschenopfer gebracht
-worden sein, wie Tacitus erzählt. Gleichwohl braucht darum Lipperts
-Ansicht noch nicht unrichtig zu sein, daß es sich um einen Ahnengott
-handelt, denn alles was aufgezählt ist, als in das Bereich dieses
-Merkur fallend, übertrifft nicht, was auch ein Naturmensch einem
-höchsten Fetisch zuschreibt. Ja, wenn wir sehen, wie Jakob Grimm mit
-so vielen Beispielen belegt hat, daß die Deutschen noch im Mittelalter
-die Neigung hatten, den „Wunsch“, in der umfassendsten Bedeutung, zu
-personifizieren, und daß Wotan auch Wunschgott ist, so wird man noch
-mehr auf die Seite Lipperts zu treten geneigt sein. Es kommt also
-darauf an, ob die Germanen dem Wotan-Merkur noch andere Eigenschaften
-zugeschrieben haben, die in das Hohe gehen und aus dem einfachen
-Seelen- und Ahnenglauben nicht mehr erklärt werden können.</p>
-
-<p>Einmal bemerkt nun Tacitus, die Germanen „schlössen weder die Götter
-zwischen Wände ein, noch stellten sie sie in menschlicher Gestalt dar,
-<span class="gesperrt">wegen der Größe der Himmlischen</span>; Lichtungen und Haine heiligen
-sie ihnen. Und mit der Götter Namen nennen sie jenes Geheime, das sie
-nur<span class="pagenum"><a name="Seite_91" id="Seite_91">[S. 91]</a></span> mit Ehrfurcht (oder Scheu) sehen“. Ist das gesperrt Gedruckte aus
-dem Sinne der Germanen gesprochen, so muß der Streit als entschieden
-gelten. Allein es ist schon von vielen vermutet worden, daß Tacitus,
-was er hier von den Göttern sagt, aus <span class="gesperrt">seinen</span> Ansichten geholt
-hat. Was wir sonst von den germanischen Götteranschauungen kennen,
-spricht nicht immer für so hohe Begriffe. Auch wissen wir, daß
-mindestens später die Germanen sehr wohl Bildnisse ihrer Gottheiten
-von Holz, Stein oder Metall besaßen; dafür sind sehr viele Zeugnisse
-vorhanden. Interessant ist, was Tacitus selbst von der Göttin Nerthus,
-die er als Mutter Erde bezeichnet, erzählt. Ihr Kultort (er wird in
-der Nähe von Rügen gesucht) ist ein jungfräulicher Hain, den niemand
-betreten darf außer dem Priester. Dort sei ein Wagen ganz mit einem
-Gewande (veste!) bedeckt. Der Priester glaubt, daß die Göttin sich
-darin befände. An ihrem Feste wird der Wagen von Kühen in Prozession
-herumgeführt, dann herrscht Freude und Friede ringsum, wohin die
-Göttin gelangt. Zuletzt führt der Priester die „vom Verkehr mit den
-Sterblichen gesättigte“ Göttin nach ihrem Tempel zurück. Dort werden
-alsbald „der Wagen, die Gewänder (vestes!) und, wenn du es glauben
-willst, die Gottheit selbst in einem geheimen See abgewaschen. Diener
-bedienen, die sofort der See verschlingt“. Hiernach muß der Wagen
-ein Kultobjekt enthalten, in dem die Göttin selbst weilt, da sie mit
-den Sterblichen verkehrt (konversiert, sagt sogar Tacitus) und davon
-ermüdet. Dieses Objekt erklärt Lippert für einen Fetisch. Daß hier ein
-weibliches Wesen in Betracht kommt, würde zwanglos aus der auch den
-Germanen früher bekannten Mutterfolge sich ergeben. Außerdem nahmen
-die Germanen in die Schlacht effigies et signa mit. Das sind nach
-Jakob Grimm figurierte Gegenstände, nach Lippert Seelenfetische und
-Gegenstände, die den Fetischen gehören. Von den von Tacitus ferner
-noch genannten Gottheiten finden sich Mars und Herkules überall, wo
-Krieg und Heldengeist herrscht, und Kastor und Pollux vertreten,
-vielleicht irgendein bemerkenswertes Brüderpaar. Doch weiß man mit
-diesem letzteren allerdings nichts anzufangen. Auch<span class="pagenum"><a name="Seite_92" id="Seite_92">[S. 92]</a></span> die Isis wird
-als von einem Teil der Sueven verehrt angeführt. Der Römer meint, ihr
-Dienst sei importiert, weil wie bei Isisfesten ein Schiff herumgeführt
-wird. Aber Jakob Grimm hat schon nachgewiesen, daß Umzüge mit Schiffen
-in Deutschland noch im Mittelalter geschahen, und er vermutet in Isis
-eine deutsche Göttin und in dem Schiff etwas Ähnliches wie im Wagen der
-Nerthus. Lippert weist noch auf das Totenschiff hin (<a href="#Seite_75">S. 75</a>). Gleichwohl
-kann man sich der Ansicht Jakob Grimms nicht verschließen, daß, da
-Tacitus so oft und bedeutend von Gott und Göttern der Germanen spricht,
-teils allgemeinen teils vaterländischen und häuslichen, dieses,
-zusammengehalten mit sonstigen Überlieferungen und Überlebseln, bloß
-einen Naturmenschenglauben nicht erlaubt. „Wie läßt sich,“ sagt er,
-„alles andere, was wir von der Sprache, der Freiheit, den Sitten und
-Tugenden der Germanen wissen, hinzugenommen, der Gedanke festhalten,
-sie hätten, in dumpfen Fetischismus versunken, sich vor Klötzen und
-Pfützen niedergeworfen und ihnen rohe Anbetung erwiesen?“ So niedrig
-meint es Lippert ja auch nicht, der Seelen- und Ahnenglaube kann sehr
-wohl mit einer geläuterten Ansicht von Welt und Leben bestehen. Und
-der Götterdienst der Germanen und die Totenbräuche bei ihnen waren
-keineswegs sehr harmlos; und letztere sind durchaus, wofür Jakob Grimm
-selbst viele Beispiele beibringt, auf naturmenschliche Anschauungen
-von der Seele begründet. Also werden wir wenigstens einen Einschlag
-von Seelen- und Ahnenglauben, und auch von Fetischismus (Lippert
-führt mehrere Beispiele an von Bäumen, denen selbst Opfer dargebracht
-wurden), in der Religion der Germanen nicht von der Hand weisen
-können. Wir wissen ja, daß z. B. die Franken, selbst nach Annahme
-des Christentums, noch Menschen beim Übergang über den Po geopfert
-und in diesen Fluß gestürzt haben, und ähnliche aus dem Seelen- und
-Fetischglauben fließende Greuel werden noch manche erzählt.</p>
-
-<p>Von dem großen <span class="gesperrt">nordisch-germanischen</span> Göttersaal ist nicht
-gesprochen. Daß er zum Teil auch den eigentlichen Germanen bekannt
-gewesen ist, darf nicht mehr bezweifelt<span class="pagenum"><a name="Seite_93" id="Seite_93">[S. 93]</a></span> werden, obwohl die Erzählungen
-der Edda sehr deutliche Spuren fortgeschrittenerer Kultur und
-Weltkenntnis, sowie des Einflusses des Christentums an sich tragen. Die
-nordischen Mythen verstärken den Eindruck, daß die Gesamtgermanen zwar
-eine höhere Naturreligion gehabt haben, etwa im Sinne der Griechen und
-Ägypter, daß aber auch viel Naturmenschliches vorhanden war. Von den
-Menschenopfern bei den Skandinaviern erzählt Adam von Bremen (elftes
-Jahrhundert) nach den Mitteilungen eines Swen Ulfsson, der sich zwölf
-Jahre an dem Hofe des Schwedenkönigs aufgehalten hat. Im Hain am Tempel
-zu Upsala, der Odin, Thor und Freyr geweiht war, hingen mitunter 70 und
-mehr geopferte Menschen neben Hunden und anderen Tieren. Von diesem
-Hain sagt der Genannte: „is enim locus tam est sacra gentilibus, ut
-singulae arbores ejus ex morte vel cibo immolatorum divinae credantur.“
-Also man hielt die Bäume wegen der Opfer oder der Opferspeise für
-göttlich (geheiligt). Die Götter wurden mit Blut versöhnt, die
-Priester hießen auch selbst Götter: Goda, Dior, Asar, Anses; gleich
-lebenden Fetischen. Heilige Haine gab es überall, wie auch sonst auf
-der Welt, einzeln und in der allerverschiedensten Zusammensetzung.
-Der feste Glaube der Skandinavier, nach tapferem Leben in Walhall das
-freudigste Dasein bei Trunk, Speise und Waffenspiel fortzusetzen, ist
-bekannt. Doch muß auch ein Leben der Toten in den Gräbern angenommen
-worden sein. In dem Harbardslied der älteren Edda, in dem Thor vom
-Fährmann Harbard (Graubart) so sehr verspottet wird, fragt Thor seinen
-Quälgeist, woher er solche Spottreden habe, und Harbard antwortet: „Ich
-lernte sie bei Männern, bei jenen uralten, die in den Heimatshügeln
-wohnen.“ Da höhnt Thor: „Wie gibst du den Gräbern anmutige Namen, daß
-du sie Heimatshügel nennst.“ Totenbeschwörung wurde viel geübt. Im
-Hyndlalied ruft Freia die Vala Hyndla aus dem Grabe hervor, daß sie
-ihr wahrsagen solle. Richard Wagner hat daraus wohl den Gedanken zu
-der stürmisch-gewaltigen ersten Szene des dritten Aktes von Siegfried
-geschöpft. Zauberei und Hexerei blühten in Skandinavien mehr noch
-als in<span class="pagenum"><a name="Seite_94" id="Seite_94">[S. 94]</a></span> Deutschland und müssen sich zuzeiten zu wahrer Kalamität
-ausgewachsen haben, da mehrere Könige Hunderte von Menschen, die diesen
-Gewerben nachgingen, verbrennen ließen. Wälder, Berge, Wasser, Höhlen
-wimmelten von Geistern und Dämonen. Meist waren diese bösartiger
-Natur. Doch hatte jeder Skandinavier auch einen Schutzgeist (Vätten),
-einen „Führer“, Fylgior, dessen Bedeutung der des Mannes entsprach.
-Gleichwohl war das Volk auffallenderweise höchst fatalistisch
-gesonnen: „gegen sein Schicksal kann sich niemand bewahren“ wird in
-Liedern unzählig variiert. Das ist nicht naturmenschlich gedacht.
-Als naturmenschlich aber wiederum muß es bezeichnet werden, wenn
-die Götter, wie es so oft geschieht, kaum höher gestellt werden
-als machtvollere Menschen. Odin spricht von sich im Runenliede des
-eddischen Havamal im gleichen Tone, wie ein Runenzauberer reden würde.
-Er führt sich ein, wie er an einem Baume (wohl an der Weltesche
-Yggdrasil) neun Nächte hing, ohne Speise und Trank. Da lernte er Runen
-und fiel herab. Und dann zählt er alles auf, was er mittelst dieser
-Runen zu vollbringen weiß: Hilfe gegen Sorgen und Seuchen, feindliche
-Waffen stumpfen und weichen, Freiheit dem Gefesselten, Leben dem
-Getöteten usf. Und welch eine Fülle von menschlich Verkommenem unter
-den Asen und Asinnen enthält das Schmählied Lokis, die Lokasenna in
-der Edda. Da erscheinen die Götter und Göttinnen niedriger noch als
-im Nibelungenring; Wagner hat sie noch veredelt. Es scheint, als
-wenn die südlichen Germanen doch höhere Ideen von ihren Gottheiten
-besessen haben als ihre nordischen Brüder. Doch hat man oft Lieder
-wie die Lokasenna als bewußte Begründung zu der so hochtragischen
-Götterdämmerung angesehen.</p>
-
-<p>Von den <span class="gesperrt">Kelten</span> ist nicht viel überliefert. Cäsar sagt, daß
-die Druiden das Volk lehren, die Seele gehe nicht unter, sondern
-fahre nach dem Tode des Menschen in einen anderen Körper. Diodor aus
-Sizilien erzählt das gleiche, fügt aber noch hinzu: „Daher kommt es,
-daß bei ihren Leichenbegängnissen einige Leute Briefe, die sie an
-ihre verstorbenen Väter, Mütter oder Verwandte geschrieben haben,
-in das Feuer<span class="pagenum"><a name="Seite_95" id="Seite_95">[S. 95]</a></span> werfen, in der Meinung, daß die Toten diese Briefe
-lesen würden.“ Cäsar erzählt auch, daß bei Leichenbegängnissen nicht
-bloß Gegenstände und Tiere, sondern auch Sklaven und Schutzbefohlene
-mitverbrannt wurden. Die Gallier liehen auch Geld, mit Bezahlung
-im Jenseits, wo sie also wie im Diesseits lebten. Lucanus, in der
-Pharsalia, spricht letzteres auch deutlich aus:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">... Ihr lehret dawider, daß nimmer die Schatten</div>
- <div class="verse">Wollen zum schweigenden Erebus hin, auch sähen sie nimmer</div>
- <div class="verse">Plutos dämmerndes Land, es beherrsche die Glieder derselbe</div>
- <div class="verse">Geist noch in anderer Welt: es steht &mdash; wenn euer Gesang wahr &mdash;</div>
- <div class="verse">In eures Lebens Mitte der Tod. &mdash; &mdash;</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Das alles ist sicher rein naturmenschlich. Daß die Welt von drei
-Druiden geschaffen oder aus der Tiefe, auch aus dem Meere heraufgeholt
-sei, gehört ebenfalls hierher. Was es mit den Gottheiten Teutates,
-Hesus, Cermunus, Taranis, Belis oder Belenus, Ogmius, Andrate und
-vielen anderen für eine Bewandtnis hatte, können wir nicht sagen.
-Cäsar teilt mit, die Gallier verehrten Merkur, Apollo, Mars, Jupiter,
-Minerva. Damit ist für unsere Zwecke nichts anzufangen. Doch wissen
-wir, daß sie die Gottheiten aus der Materie hervorgegangen ansahen,
-und daß sie auch Flüssen, Quellen, Bergen, Bäumen opferten. Und ihr
-Götterdienst war von solchen Greueln erfüllt, daß Kaiser Claudius,
-nachdem alle Mittel, ihn zu mildern, gescheitert waren, ihn ganz
-unterdrücken mußte. Gleichwohl werden die Gallier wenigstens in der
-Kultur ziemlich hoch gestanden haben, da Cäsar und andere so viel von
-ihren Städten, Tempeln, Schulen und Kenntnissen mitteilen. Von dem,
-was die altgälischen Barden erzählen und was wir im Ossian lesen, hat,
-wegen der mindestens zweifelhaften Originalität, abgesehen werden
-müssen. Einiges ist übrigens von mir an anderer Stelle vorgetragen.</p>
-
-<p>Wir sind gezwungen, die Runde durch die Kulturvölker fortzusetzen.
-Die <span class="gesperrt">griechische</span> Religionsanschauung ist nach allen Richtungen
-durchforscht. Merkmale des Seelen- und Ahnenglaubens, auch des
-Fetischismus, sind in ihr, namentlich in früherer Zeit und bei
-abgelegeneren Stämmen zweifellos<span class="pagenum"><a name="Seite_96" id="Seite_96">[S. 96]</a></span> vorhanden. Bei Homer führt die Seele
-ganz das Leben wie bei den Naturvölkern; sie entflieht eilig aus der
-klaffenden Wunde, sie zieht wie dampfender Hauch unter die Erde, sie
-erscheint im Traume, um für den Körper Begräbnis zu erflehen, damit
-sie selbst Ruhe finde, sie trinkt Blut und gewinnt dadurch irdisches
-Gedächtnis und Kraft, sie bekommt Gaben und Menschenopfer. Kleidung,
-Schmuck, Waffen wurden den Toten noch bis in die letzte Zeit ins Grab
-getan.</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Deinem Weibe trägt die Dienerschar</div>
- <div class="verse">Den Schmuck in Händen, dessen sich die Toten freun</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">sagt der Chor in der Alkestis des Euripides zu Admetos. Und eine
-eingehende Schilderung aller Gaben teilt Atossa in den Persern des
-Aischylos mit. Lukianos noch spottet darüber, daß man den Toten soviel
-mitgebe oder mit ihnen soviel verbrenne, als ob sie sich dessen im
-Jenseits bedienen könnten. Und die überhaupt durch überwältigendes
-Unglück zweifelsüchtig gewordene Hekabe sagt in den Troerinnen des
-Euripides, da sie ihrem so grausam hingemordeten Enkel Astyanax die
-Totenfeier richtet, zu den Dienern:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Geht, übergebt den Toten seinem düstern Grab;</div>
- <div class="verse">Denn Totenkränze hat er ja, wie’s ihm gebührt.</div>
- <div class="verse">Und wenig kümmert’s, mein’ ich, die dort unten sind,</div>
- <div class="verse">Ob einem hier ein reiches Totenopfer wird;</div>
- <div class="verse">Das ist nur eitler Übermut der Lebenden.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Und doch glaubt dieselbe Hekabe, daß in der Unterwelt der Vater,
-Hektor, die Wunden des Sohnes heilen wird. Soviel Inkonsequenz herrscht
-bei einer ja ungewissen Sache.</p>
-
-<p>In Ausnahmefällen geschah auch den Gräbern Verehrung. Was der Chor in
-dem vorgenannten Drama Alkestis bei der ergreifenden Totenfeier noch
-spricht:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Nicht wie das Grab anderer sei deiner Gemahlin Grab</div>
- <div class="verse">Angesehn; zu ihm wie zu den Göttern,</div>
- <div class="verse">Betend ehr’ es der Wanderer!</div>
- <div class="verse">Und mancher, die Pfade seitwärts wandelnd, redet das Wort:</div>
- <div class="verse">„Sie starb, den Gemahl zu retten;</div>
- <div class="verse">Nun ward sie selige Göttin.</div>
- <div class="verse">Heil, Holde, dir! Glück gewähr uns!“</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_97" id="Seite_97">[S. 97]</a></span></p>
-
-<p class="p0">ist nicht bloß dichterische Empfindung. Der gleiche Chor ruft der
-toten Alkestis nach: Κούφα σοῖ χθὼν ἐπάνωθεν πέσοι, sit tibi terra
-levis, Leicht sei dir die Erde! wie wir noch jetzt sagen. Von dem
-Seelenphantom, dem εἴδωλον, und den Seelenvögeln habe ich bereits
-gesprochen (<a href="#Seite_73">S. 73</a> f.). Daß die Griechen Seelen auch in Schlangen sahen
-und verehrten, wissen wir aus Pausanias. Daß auch Fetische bekannt
-waren, sehen wir aus den vielen Verwandlungen von Menschen in Bäume,
-Sträucher und Felsen. Außerdem ist es hinreichend bezeugt, wie in
-frühen und späten Zeiten Steine und Pfosten Sinnbilder von Göttern
-waren, denen auch Opfer gebracht wurden. Was aber den Ahnenkultus
-anbetrifft, so hat schon Euemeros den ganzen griechischen Götterglauben
-auf ihn zurückgeführt. Und das haben bekanntlich mehr oder weniger
-vollständig viele vor ihm und nach ihm gleichfalls getan. Zu solchen
-Übertreibungen haben die Griechen selbst beigetragen, indem jedes
-Fürstengeschlecht und jedes Völkchen möglichst von einer Gottheit,
-mindestens aber von einer Halbgottheit abstammen wollte, indem von den
-Göttern gar zu menschlich erzählt worden ist, und endlich, indem den
-Mächtigen auf Erden nicht selten göttliche Ehren erwiesen wurden. Dazu
-kommen die noch bis in sehr späte Zeit vorgefallenen Menschenopfer, die
-jeder wahrhaft höheren Gottheitsanschauung so sehr widerstreben. Und
-wenn ein Themistokles oder gar ein Cäsar solche Opfer vollziehen, so
-kann man sich das zwar dadurch erklären, daß sie dem Drängen des Volkes
-(oder Heeres) nachgegeben haben. Aber auf dem Volke bleibt es doch
-haften. In der unheimlichen ersten Szene der Hekabe des Euripides sagt
-der Geist des Polydoros:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Denn über seinem Grab erschien der Thetis Sohn,</div>
- <div class="verse">Der Fürst Achilleus hielt Achajas Heer zurück,</div>
- <div class="verse">Das nach der Heimat schon die Meeresruder schwang;</div>
- <div class="verse">Und meine Schwester fordert er, Polyxena,</div>
- <div class="verse">Als teures Grabesopfer sich und Ehrenlohn.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Und dieses Opfer ward ihm ja, Achills Seele erhielt die Braut.
-Gleichwohl überhebt uns einer weiteren Untersuchung die Tatsache,
-daß, so menschlich oft die Götter an Leben, Be<span class="pagenum"><a name="Seite_98" id="Seite_98">[S. 98]</a></span>tragen, Fühlen und
-Leidenschaften sich auch geben, sie doch wirkliche Götter darstellen,
-keineswegs potenzierte Menschen, wie man oft behauptet hat. Namentlich
-aber nicht Ahnen, wogegen schon die allgemeine Verehrung, die sie
-genießen, spricht. Wenn auch gefabelt wurde, Zeus sei König in Kreta
-gewesen, sei dort gestorben und liege dort begraben &mdash; nichts in dem
-Zeus, wie wir ihn kennen, erinnert daran. Apollon und Artemis sind
-Götter trotz ihrer Geburt von einem sterblichen Weibe. Das hängt mit
-der Entstehung der Mythen und Sagen zusammen, die nicht immer von
-religiösen Anschauungen veranlaßt ist. Ein Teil wird aus Vorgängen
-zwischen Menschen, namentlich in Fürstenhäusern, stammen, die zuerst
-bewußt und später, nachdem die Personen vergessen sind, unbewußt, auf
-Gottheiten übertragen wurden. Einen anderen Teil verdankt man der
-dichterischen Erfindung des Volkes und Einzelner. Noch ein anderer
-ist aus Personifizierung von Naturerscheinungen hervorgegangen.
-Sodann spielt eine große Rolle die Deutung der Gottheitennamen, die
-Volksetymologie, indem aus richtiger oder unrichtiger Übersetzung und
-Umschreibung des Namens Tätigkeiten und Wirkungen abgeleitet werden,
-an die sich naturgemäß Erzählungen anschließen. Weiter werden manche
-Sagen mehr oder minder geistreiche Redeblüten und erkünstelte Allegorie
-sein. Zuletzt dürften recht viele als Erklärung von Gebräuchen im Leben
-und im Kult, deren Ursprung und Bedeutung dem Gedächtnis entschwunden
-sind, und andere zur Begründung von Ansprüchen auf Menschen und Besitz
-erfunden sein. Wir haben in den griechischen Sagen und Mythen für alles
-Beispiele und ebenso in den Sagen und Mythen anderer Völker. Bei so
-großer Vielartigkeit des Entstehungsgrundes kann man nicht erwarten,
-ein einheitliches Bild zu bekommen. Und so enthalten die griechischen
-Sagen Schönes und Anmutendes neben Häßlichem und Abstoßendem, Hohes
-neben Niedrigem und Tieferdachtes neben Törichtem und Aberwitzigem.
-Bei Vielem aber tut man dem Volk mehr Ehre an, wenn man es aus
-naturmenschlichen Anschauungen ableitet als aus Allegorien oder
-Naturerklärungen, und wenn man davon absieht, von uns nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_99" id="Seite_99">[S. 99]</a></span> mehr zu
-verstehende Weisheit zu behaupten, wie es früher Mode gewesen ist und
-auch gegenwärtig mitunter noch beliebt wird.</p>
-
-<p>Bei den <span class="gesperrt">Römern</span> liegt der Seelenglaube noch offener als bei den
-Griechen. Die Inferi, in besonderer Bezeichnung Manes oder Lemures,
-sind ganz naturmenschlich gedachte Seelen Verstorbener, die unter
-der Erde weilen. Als Larven fügen sie dem Menschen Böses zu, als
-Lares familiares sorgen sie für die betreffende Familie. Bekanntlich
-schrieben die Römer allem, also auch Menschen, jedem einen Genius
-zu, der im Laufe der Zeit mehr und mehr Funktionen bekam und zuletzt
-alles vorstellte, wodurch der Mensch zu seinem Tun und Lassen im Leben
-bewegt wurde. Es war etwas Göttliches in diesen genii, und sie wurden
-demgemäß auch im Familienkreise oder, wenn es sich um die genii der
-Götter, der Machthaber oder die des Staates, der Stadt, des Ortes usf.
-handelte, öffentlich verehrt, und bei ihnen wurde auch geschworen. Ob
-man die Seelen der Menschen mit den genii zu identifizieren hat, weiß
-ich nicht; von manchen Forschern geschieht es. Jedenfalls haben wir
-es mit einem ausgedehnten Glauben und Kult zu tun, der, ob er sich
-auf die genii, inferi, manes, larvae, lares und welche Namen noch in
-Gebrauch sein mochten, bezog, sich dem allgemeinen Seelenglauben und
-Seelenkult eng anschließt. Die Seelen mußten im Tode versöhnt werden,
-was durch ganz bestimmte Zeremonien und Gaben geschah; sie hatten ein
-Anrecht auf fortgesetzte Verehrung &mdash; Cicero spricht von manium jura,
-den Rechten der Manen, &mdash; seitens der Angehörigen. Geschah das nicht,
-so irrten sie ruhelos auf der Erde umher und sannen und taten Böses.
-An drei Tagen im Jahre: 24. August, 5. Oktober und 8. November öffnete
-man den Seelen absichtlich die Pforte der Unterwelt, den mundus, das
-war ein in der Mitte der Ortschaft befindliches rundes Loch, mit einer
-Kuppel überwölbt, die eine mit einem Steine bedeckte Öffnung hatte. In
-diesen mundus tat man auch die allgemeinen Gaben für die Seelen, in ihn
-wurden auch Menschen gestürzt, „die zu Schutzgeistern der Stadt werden
-sollten.“ Da man einmal vergessen hatte, den Toten ihre Spenden zu
-geben, verließen<span class="pagenum"><a name="Seite_100" id="Seite_100">[S. 100]</a></span> sie ihre Gräber und man hörte sie durch die Straßen
-der Stadt und der Umgebung schwirren, bis man ihnen die Gaben an die
-Gräber brachte, erzählt Ovid. Und so konnten Zauberer auch die Seelen
-in die Oberwelt beschwören, wovon ja auch die Griechen soviel wußten.</p>
-
-<p>Gleichfalls an Naturmenschliches erinnert die Verehrung des Feuers auf
-dem häuslichen Herde, das wie lebend behandelt wurde und Opfergaben
-empfing. Überhaupt hatte der Römer einen häuslichen Kultus &mdash; seinen
-Penaten, das sind eben die Seelen und das häusliche Feuer, gewidmet &mdash;
-der den öffentlichen an Bedeutung weit überragte und einen Kultus des
-Naturmenschen darstellte. Und gleiches gilt wohl auch von den Griechen.
-Wie rührend klingt das von der Sklavin mitgeteilte Gebet der zum
-Sterben bereiten Alkestis vor dem Herdfeuer als Göttin, um Schutz für
-die zu hinterlassenden Waisen:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Laß nicht, wie ich nun, ihre Mutter, enden muß,</div>
- <div class="verse">Sie vor der Zeit hinsterben, sondern hochbeglückt</div>
- <div class="verse">Im väterlichen Lande laß froh ihr Leben fliehn.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Die römische Religion ist ungemein zusammengesetzt: himmlische
-Götter, Feld-, Berg-, Wald-, Baum- und Quellgötter, Götter der
-Unterwelt, Götter fast für jedes Ereignis und für jede Handlung
-im Leben des Einzelnen und der Gesamtheit. Dazu die unzähligen
-Seelen- und Ahnengötter, denn die manes sind dii und können sogar
-den Himmel erreichen, wie die von Romulus und der Kaiser. Kaum
-ein Volk &mdash; vielleicht mit Ausnahme der Indier und Japaner &mdash; hat
-einen so gefüllten und so bunten Göttersaal. Und aus allem spricht
-eine Art Kindlichkeit und Natürlichkeit, wie aus einem veredelten
-Naturmenschenglauben. Wäre nicht so manches Kindische dabei und so
-manches Rohe, so mutete sie uns vielleicht mehr an als die glanzvolle
-griechische Mythe.</p>
-
-<p>Wie vorsichtig man bei den <span class="gesperrt">Ägyptern</span>, wegen ihrer Unart, ihren
-Worten allerlei mystische Bedeutungen zu geben, mit Behauptungen
-sein muß, hat Brugsch in seiner „Religion und Mythologie der alten
-Ägypter“ erwiesen. Man kann die höchsten Ideen herauslesen, wo gar
-keine vorhanden sind,<span class="pagenum"><a name="Seite_101" id="Seite_101">[S. 101]</a></span> weil ein hohes Wort steht, das gleichwohl in
-gewöhnlichster Bedeutung benutzt ist. Und auch das Umgekehrte wird der
-Fall sein. Ein zweiter Umstand, der die Beurteilung der ägyptischen
-Anschauungen so sehr erschwert, ist die verblüffende Vorliebe für
-tierische Merkmale. Götter werden mit Frosch-, Schlangen-, Widder-,
-Schakal-, Katzen-, Sperber-, Falken- usf. -kopf, oder ganz tierisch
-als Käfer, Affen, Krokodile usw. dargestellt, mitunter sogar in
-Kombination mehrerer Tiere, wie Râ einmal in derselben Gestalt als
-Mensch, Frosch und Affe. Und das geschieht nicht bloß in Bildern,
-sondern auch in Texten: die Seele des Osiris ist der Bock von Mendes,
-die Seelen der Götter sind Krokodile, heißt es in einer Inschrift des
-Königs Seti I. Der Erdgott Qeb sagt von sich: ich pfeife wie der Falke
-und ich gackere wie die Gans. Vieles, vielleicht das meiste, wird
-symbolisch aufzufassen sein aus den Eigenschaften der Tiere oder auch
-aus ihrem Verhalten gegen die Naturerscheinungen. Manches muß aber auf
-theromorphe Anschauungen, auf Totemismus beruhen, da ja die Ägypter
-tatsächlich gewissen Tieren, nicht bloß dem bekannten Apis, Verehrung
-dargebracht und sie nach dem Tode mit Feierlichkeit begraben haben.
-Herodot, der sehr eingehend davon erzählt, weiß warum, aber er sagt es
-nicht aus Furcht vor den göttlichen Dingen. Einmal, wo er sich gehen
-läßt, teilt er ein höchst albernes Märchen über den Widderkopf des Amun
-(Zeus) mit: Zeus hätte ihn vorgesteckt, um sich nicht Herakles, der ihn
-durchaus sehen wollte, in seiner wahren Gestalt zu zeigen. Wir können
-kaum etwas anderes annehmen als naturmenschliche Anschauung. Nach
-Brugsch aber müssen die Ägypter einen sehr hohen Gottesbegriff gehabt
-haben. Die Texte, die er anführt, sind entscheidend. Wir kommen später
-auf sie zurück. Daneben besaßen sie eine kosmogonische, schon Herodot
-bekannte, männlich-weibliche Vierheit, von der ich schon in meinem
-mehrmals genannten Buche gesprochen habe. Sodann eine Hauptgottheit
-und eine Neunheit von Göttern, die den eigentlichen Gegenstand
-der Verehrung bildeten: Râ (auch Tum, Ptah, Amun), Chon, Tafnut,
-Qeb, Nut (auch Hathor), Osiris, Isis (auch Mut),<span class="pagenum"><a name="Seite_102" id="Seite_102">[S. 102]</a></span> Set, Nephthys,
-Horus. Jede der Gottheiten wurde noch vielfach gespalten nach ihren
-besonderen Verrichtungen oder Erscheinungen, wie die Gottheit Sonne
-als Morgensonne, Mittagsonne, Abendsonne, Sommersonne, Wintersonne.
-Umgekehrt übernahm fast jeder Gott auch die Verrichtungen und
-Erscheinungen aller anderen Götter und vereinigte sie sogar in sich,
-so daß er dann „Gott“ wurde. Aber eigenartig ist, daß die Neunheit
-auch als eine Folge von vorhistorischen Königen Ägyptens aufgefaßt
-wurde, also von Ahnen der Königsgeschlechter. Wie ja umgekehrt den
-Königen Göttlichkeit zugeschrieben wurde, nicht bloß formell, sondern
-mit entsprechenden Folgen. Freilich erzählten die ägyptischen Priester
-Herodot, daß diese Götter-Könige nicht mit den Menschen zusammengelebt
-hätten.</p>
-
-<p>Was aber den Totenkult anbetrifft, so ist bekannt, wie minutiös
-ausgebildet er in Ägypten gewesen ist und wie notwendig er für die
-Fortdauer der Seele nach dem Tode erachtet wurde. Seelen konnten
-zugrunde gehen, wenn ihnen die nötigen Kulte mangelten. Lippert führt
-Beweise dafür an, daß noch nach mehr als dreitausend Jahren nach
-ihrem Tode die ältesten ägyptischen Könige Seelenpfleger hatten.
-Und solche Seelenpfleger schafften sich viele und erhielten viele
-durch Stiftungen. So stiftete Ramses II. seinem Vater Seti einen
-vollständigen königlichen Haushalt, „mit Äckern, Viehweiden, Geflügel,
-Herden, Schiffen, Zinsen aller Art, mit Handwerksleuten, Knechten
-und Mägden.“ Sich selbst stiftete er sogar eine Bibliothek in seinem
-Grabtempel. Und jeder Sohn war verpflichtet, einen Teil der Habe auf
-den Kult seiner Eltern zu verwenden. Der Tote brauchte im Jenseits
-alles, was er im Leben nötig hatte. Ich kann mich nicht enthalten,
-hier schon einen Text aus Brugschs genanntem Werke mitzuteilen. Der
-Tote wendet sich an Osiris und andere Götter mit dem Gesuche „zu
-gewähren: das Leuchten am Himmel, das Vermögen auf der Erde und das
-Wahrwerden der Stimme in der Unterwelt, das Gehen und Kommen nach
-meinem Hause, meine Abkühlung in seinem Schatten, meine Stillung des
-Durstes mit Wasser aus meinem Teiche zu jeder Zeit,<span class="pagenum"><a name="Seite_103" id="Seite_103">[S. 103]</a></span> das Wohlergehen
-aller meiner Gliedmaßen, das Geschenk des Niles und Hülle und Fülle
-frischen Gemüses der Jahreszeit für mich, meinen Spaziergang am Rande
-meines Teiches zu jeder Zeit, das nicht fehlende Ruheplätzchen für
-meine Vogelseele auf dem Aste des Baumes, den ich gepflanzt habe,
-meine Abkühlung im Schatten meiner Sykomoren, meine Nahrung von ihren
-Früchten, meine Sprache, in welcher ich rede, gleich wie die Diener
-des Horus, meinen Ausgang gen Himmel, meine Rückkehr nach der Erde &mdash;
-ohne Hindernisse auf dem Wege, ohne Bereitung von Fallstricken für
-meine Person, ohne Absperrung meiner Seele &mdash; meine Anwesenheit in der
-Schar der Gebenedeiten unter den Hochwürdigen, meine Betauung meines
-Feldes in dem elyseischen Gefilde von Aru, mein Dasein im Friedefeld
-und meine Erscheinung mit Opferkannen und Brotspenden vor dem Gotte
-Onnophris.“ Völlig Leben und Freuden eines Grundherrn, statt der Seele
-eines Toten! Die letztere macht sich bemerkbar in der „Vogelseele“ und
-in der Furcht bei der Rückkehr auf die Erde, durch Hindernisse und
-Fallstricke verloren zu gehen. Die Vogelseele gemahnt an Fetische. Sehr
-charakteristisch ist ein schönes Zwiegespräch eines Menschen mit seiner
-Seele, das wohl vor viertausend Jahren gehalten worden ist. Die Seele
-mahnt zum Ausharren im Leben. Ganz nach dem Grundsatz des Herakles in
-der Alkestis &mdash; „dem Sterblichen geziemt es, sterblich nur gesinnt zu
-sein“ &mdash; sagt sie ihm nach manchen Ausführungen über Gestorbensein:
-„Folge dem frohen Tag, vergiß die Sorgen.“ (Noch genauer ausgeführt ist
-dieser epikureische Gedanke in dem etwa aus Ramses II. Zeit stammenden
-sogenannten Harfnerlied <a href="#Seite_188">S. 188</a>). Der Mann aber zählt in einer Unzahl
-von Strophen alle Trübsale des Lebens und alle Schlechtigkeiten der
-Menschen auf und schließt mit den Worten (Greßmann, Altorientalische
-Texte):</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Der Tod steht heute vor mir ...</div>
- <div class="verse">Wie ein Mensch sein Haus zu sehen wünscht,</div>
- <div class="verse">Nachdem er viele Jahre in Gefangenschaft verlebt hat.</div>
- <div class="verse">Wer dort ist, wird ja ein lebender Gott sein,</div>
- <div class="verse">Der die Sünde straft an dem, der sie tut.</div>
-<span class="pagenum"><a name="Seite_104" id="Seite_104">[S. 104]</a></span>
- <div class="verse">Wer dort ist, wird ja im Sonnenschiff stehen</div>
- <div class="verse">Und das Auserlesenste daraus an die Tempel geben lassen.</div>
- <div class="verse">Wer dort ist, wird ja ein Wissender sein, dem nicht gewehrt worden ist</div>
- <div class="verse">Und der zu Ra betet, wenn er spricht.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Die Seele ist nun überzeugt und sagt:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Dein Leib gelangt zur Erde.</div>
- <div class="verse">Ich will mich niederlassen, nachdem du ruhst &mdash;</div>
- <div class="verse">Laß uns zusammen eine Stätte haben.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Also bleibt die Seele und läßt sich an der Stätte des Toten nieder,
-oder &mdash; wie man wohl nach den Worten des Menschen schließen muß &mdash; sie
-ist immer bei dem Toten, wohin er geht.</p>
-
-<p>Fetische sollen den Ägyptern, nach Lippert, sehr vertraut gewesen sein.
-Auf einem Block, der späterhin als Mühlstein verwendet wurde, und
-der eine Inschrift aus der Zeit von etwa 712 v. Chr. trägt, die sich
-jedoch als Erneuerung einer alten Schrift, die „seine Majestät (König
-Schabaka) als ein Werk der Vorfahren gefunden habe, von Würmern ganz
-zerfressen“, gibt, und die nur noch teilweise lesbar ist, deren Inhalt
-also jedenfalls sehr alt sein muß, heißt es: „Ptah war zufrieden,
-nachdem er alle Dinge geschaffen hatte. Er hatte die Götter gebildet,
-die Städte gemacht, die Gaue gegründet. Er hatte die Götter in ihre
-Heiligtümer gesetzt, ihre Opferbrote gedeihen lassen, ihre Heiligtümer
-gegründet, ihre Leiber ähnlich gemacht zu ihrer Zufriedenheit.
-<span class="gesperrt">Die Götter zogen ein in ihre Leiber aus allerlei Holz, kostbaren
-Steinen, aus allerlei Metall und allen Dingen, die wachsen, woraus sie
-entstanden waren.</span> Er fügte zusammen alle Götter und ihre Seelen
-im Ptah-Tempel, dem Besitze alles Lebens, in dem das Leben der beiden
-Ägypten gemacht war.“ Das klingt stark fetischistisch, namentlich das
-Unterstrichene läßt schwer andere Deutung zu. Gleichwohl glaube ich,
-daß man doch zu weit geht, wenn man die Gestirne, und namentlich die
-Herrscher unmittelbar als Fetische bezeichnet. Mögen auch die Herrscher
-Söhne der Sonne oder Sitz eines Gottesgeistes gewesen sein, Fetische
-im Sinne des Naturmenschen waren sie nicht. Als Götter bezeichnen sie
-sich nach ihrem Ableben. Aber im Sinne der Ägypter können<span class="pagenum"><a name="Seite_105" id="Seite_105">[S. 105]</a></span> alle Toten
-Götter sein, sie kehren in Gott zurück, wie wir später sehen werden.
-Die Hofsprache muß von der Anschauung unterschieden werden. Unsere
-Herrscher sind auch von Gottes Gnaden, und niemand hält sie für etwas
-anderes als fehlende, im wesentlichsten machtlose Menschen, obwohl
-manche vom Gottesgnadentum wirklich überzeugt sind. Tiere sind gewiß
-Fetische gewesen, wie der berühmte Apis, wie Schlangen, Krokodile,
-Katzen, Vögel, der Skarabäus usf. Sodann hat man auch Standbilder als
-Aufenthaltsgegenstände von Seelen angesehen. Wie bei uns Heiligen-
-und Marienbilder von Ort zu Ort und von Haus zu Haus geführt werden,
-um ihre Wunderkraft zu spenden, sind schon im grauesten Altertum
-Götterbilder durch weite Lande zu gleichem Zweck versandt worden.
-Wir besitzen Berichte darüber, einen aus der Zeit Ramses II. über
-die Versendung „Chons des Gebieters“ nach Bechten (Baktrien?), um
-eine Prinzessin vom bösen Geist zu befreien, wie Griechen Palladien
-raubten, Römer Götterstandbilder und Embleme entführten. Da aber in der
-späteren Zeit den lebenden Seelen die Wahl des Aufenthaltes freistand,
-mögen allerdings noch mehr Gegenstände als Fetische angesehen worden
-sein, als wir nachweisen können. Belebung toter Dinge ist dem Ägypter
-durchaus geläufig. Ein Text, den Brugsch aus dem 125. Kapitel des
-Totenbuches, den der Tote ins Grab (in die Brusthöhle) bekam, läßt in
-24 Versen Pfosten, Schwelle, Schloß, Schlüsselloch, Getäfel, Türflügel,
-Friesstücke usf. des Totengerichtssaales den Toten nach ihren Namen
-fragen. Er muß sie angeben, bevor er weiter kann. Und diese Namen
-sind zum Teil ganz persönlich lebenbedeutend, wie die linken Pfosten
-„Ausführer dessen, was wahr ist“, die Friesstücke „Schlangenbrut der
-Göttin Ranut“, das Schlüsselloch „Lebensauge des Gottes Sebek“ heißen.
-Kaum wird man hier Allegorien oder tiefsinnige Mystik sehen können. Und
-wem fällt nicht das erste Wunder ein, das Mose vor Pharao vollbringt
-und dessen Zauberer sofort nachahmen, die Verwandlung von Stäben in
-Schlangen? Bei den Ägyptern hat sich der Seelen- und Ahnenglaube
-(wenn letzterer vorhanden gewesen sein sollte) nie zu den Greueln
-entwickelt,<span class="pagenum"><a name="Seite_106" id="Seite_106">[S. 106]</a></span> die wir anderweit so oft gefunden haben. Herodot sagt:
-„Denn die kein Tier opfern dürfen außer Schweinen, Stieren und Kälbern,
-nämlich die da rein sind, und Gänse &mdash; wie werden die denn Menschen
-opfern?“</p>
-
-<p>Wir wenden uns zu den <span class="gesperrt">Hebräern</span>. Es ist bereits von Vielen
-hervorgehoben worden, wie wenig dieses Volk, trotz seines so langen
-Aufenthaltes unter den Ägyptern, von diesen an Anschauungen angenommen
-habe. Der Gott, den Mose das Volk lehrte, war absolut verschieden
-selbst von dem höchsten Gott Ägyptens, denn dieser gehörte so ganz zur
-Materie, daß man den Ägyptern nicht mit Unrecht eine Art Pantheismus
-zugeschrieben hat. Der Gott Mose steht aber ganz außerhalb der Materie.
-Gleichwohl bezeugt es die Bibel selbst, daß den Hebräern vor dem Exil
-dieser Gott nur selten genügte, daß sie sich Götzen schufen, auf Höhen
-opferten und besondere Hausgötter (Theraphim) besaßen und verehrten.
-Das ist so bekannt, daß ich darauf nicht einzugehen brauche. Eine
-andere Frage aber ist, ob die Hebräer auch dem Seelen- und Ahnenglauben
-und dem Fetischglauben huldigten. Lippert hat in Konsequenz seiner
-Theorie das in vollem Umfange bejaht. Aber ich glaube doch, daß der
-Einwand dagegen, über den er zu leicht hinweggeht, entscheidend
-ist. In der Bibel wird nämlich so wenig von dem Leben nach dem Tode
-gesprochen, daß oft und von vielen der Schluß gezogen worden ist, die
-Hebräer hätten ein solches Leben überhaupt nicht gekannt. Ist auch
-dieser Schluß übereilt, so bleibt doch die Tatsache bestehen: die
-Bibel spricht nicht von dem Leben nach dem Tode, oder nur in ganz
-dunklen Ausdrücken (<a href="#Seite_193">S. 193</a>). Daß die Verfasser und Redaktoren der
-Bibel, um den ägyptischen Seelenkult auszumerzen, absichtlich alle
-Hinweise darauf ferngehalten hätten, wie Lippert annimmt, kann nicht
-zugegeben werden, denn sie hätten mehr Grund und Anlaß gehabt, den
-Götzen- und Theraphimdienst zu übergehen, und das haben sie nicht
-getan. Wie in der Antike, spricht die Bibel überall objektiv von
-ihren Menschen, sie verhehlt nicht einmal bei ihren Lieblingen selbst
-das Schlechteste in ihrem Beginnen. Einen Seelenglauben wird man<span class="pagenum"><a name="Seite_107" id="Seite_107">[S. 107]</a></span>
-hiernach bei den Hebräern nicht annehmen können. Daß ein Ahnenglaube
-nicht bestand, ist wohl am besten dadurch erwiesen, daß weder einer
-der Patriarchen, noch der Führer &mdash; und Abraham und Mose waren doch
-gewiß verehrungswürdige Gestalten &mdash; irgend einen Kult, auch nur den
-allereinfachsten, geschweige göttlichen, empfingen. Es bleiben also
-noch die Fetische. Diese verlieren eigentlich ohne Seelenglauben ihre
-besondere Bedeutung. Sie werden kleine bequem im Hause aufzubewahrende
-und auf Reisen mitzunehmende Götzenbilder gewesen sein, wie etwa
-die Heiligenbilder, mit denen Ludwig XI. von Frankreich seinen Hut
-gespickt hatte und zu denen er betete, indem er den Hut vor sich
-hinstellte, wenn er eine seiner bekannten Unternehmungen beabsichtigte
-oder ausführte. Mitunter handelte es sich auch um große Götzenbilder,
-wie in Davids Hause und bei Micha. Will man dieses alles Fetische
-nennen, so mag das sein. Aber ich glaube, daß das goldene Kalb und
-die ehernen Schlangen die einzigen Tierfetische sind, die man als
-solche bestimmt deuten kann. Die Stiftshütte mit ihren Einrichtungen
-hält Lippert für eine Fetischbehausung mit zugehörigen Spenden. Als
-was sie in der Bibel gedeutet werden, weiß jeder. Indessen überall,
-wo wir Opfer finden, werden wir auf anthropomorphische Auffassungen
-gestoßen. Daher die Propheten von diesem ganzen Dienst nichts wissen
-wollten. Geisterbeschwörung, Zauberei und Wahrsagung kannten und übten
-die Hebräer in reichem Maße. Man denke an die Beschwörung für den
-tragischen König Saul. Man darf aber wohl wieder auf die Propheten und
-Seher verweisen, um darzutun, daß hier im ganzen doch ein anderer Geist
-herrschte als bei rohen Naturvölkern und selbst als bei den umgebenden
-Kulturvölkern. Was noch aus den Weissagungen geschlossen wird, aus der
-Beschneidung usf., kann aus einem Seelenglauben gerechtfertigt werden.
-Dann aber bezieht sich &mdash; wie doch nun einmal die Bibel zu dem Leben
-nach dem Tode sich verhält &mdash; dieser Glaube allein auf das Lebende
-und hat mit dem eigentlichen naturmenschlichen Seelenglauben, wie er
-geschildert ist und der gerade auf den Tod sich bezieht, nichts<span class="pagenum"><a name="Seite_108" id="Seite_108">[S. 108]</a></span> zu tun
-und ist von ihm so weit verschieden, wie die Blutsbrüderschaft von dem
-Totenopfer, obwohl beide Ansichten von der Seele betreffen.</p>
-
-<p>Die <span class="gesperrt">Phönizier</span> müssen noch in sehr später Zeit einen ziemlich
-ausgedehnten Fetischglauben, neben ihrer Astral- und Naturreligion
-gehabt haben. Berge werden als Baal genannt und verehrt, wie
-Baal-Hermon, Baal-Libanon, und auch Bäume tragen diese Auszeichnung,
-wie der Baal-Thamar, die Palme. Steine wurden als Beth-el, Heim
-(Aufenthaltsort) der Gottheit (βαίτυλος) angesehen und empfingen, wo
-Phönizier waren und hinkamen, Opfer. Heliogabal war, ehe er Kaiser
-wurde, Priester eines schwarzen Steines zu Emesa, wahrscheinlich eines
-Meteorsteines, da er vom Himmel gefallen sein sollte. Astarte wurde zu
-Byblos als konischer Stein verehrt, eine hier abgebildete Münze aus der
-Zeit des Kaisers Macrinus zeigt ihren Tempel mit Altar und diesem Stein
-im Säulenhofe. Doch wurde sie freilich meist in menschlicher Figur
-dargestellt. Wir wissen von den Anschauungen der Phönizier zu wenig,
-wenn wir auch ihren blutigen und menschenmordenden Molochskult kennen.
-Aus Inschriften in Gräbern und auf Sarkophagen muß man schließen, daß
-die Phönizier sehr besorgt um Erhaltung ihrer sterblichen Reste waren.
-Aber es finden sich auch Verwahrungen dagegen, daß die Toten Schätze
-besäßen, König Eschmunazar sucht sich in dieser Weise gegen Grabräuber
-zu schützen.</p>
-
-<div class="figcenter">
- <a id="illus-120" name="illus-120">
- <img class="mtop2 mbot2" src="images/illus-120.jpg"
- alt="Münze mit Astarte-Stein zu Byblos" /></a>
-</div>
-
-<p>Den ausgesprochenen Fetisch- und Seelenglauben der <span class="gesperrt">Araber</span> habe
-ich bereits in meinem genannten Buche geschildert. Wie es mit den
-<span class="gesperrt">Babyloniern</span> und <span class="gesperrt">Assyriern</span> in dieser Beziehung steht,
-läßt sich nur vermuten. Ihre Religion, wesentlich eine Astralreligion,
-sollen sie von dem so rätselhaften Volke der Sumerer überkommen
-haben; sie steht in vieler Beziehung hoch genug. Daß aber bei
-ihnen<span class="pagenum"><a name="Seite_109" id="Seite_109">[S. 109]</a></span> Wahrsagekunst, Traumdeuterei, Zauber- und Beschwörungswesen,
-Magie jeder Art, Astrologie in höchster Blüte standen, weiß man
-sicher. Sie hatten Geister und Dämonen in reicher Zahl, wie die
-sieben Hauptdämonen, von denen es in einer Legende heißt (Greßmann,
-Altorientalische Texte):</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Anstürmende Wetter, böse Götter sind sie,</div>
- <div class="verse">Schonungslose Dämonen, die auf dem Himmelsdamm geboren wurden, sind sie usf.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Der Himmelsdamm soll der Tierkreis sein. Vielleicht ist es aber der
-Horizont, wohin es, wie überall, zur Unterwelt geht. Jene Dämonen
-sind Sturm-, Finsternis- und Wettergeister, sie verschlingen auch
-Sin, den Mond. Andere Dämonen in besonders großer Menge bringen Pest,
-Not und alle Krankheiten. Ihre Darstellung ist tierisch und oft
-grotesk-furchtbar; Drachen und Greife spielen eine Hauptrolle, aber
-auch Hunde, Skorpionen, Schlangen, Panther, Wölfe usf. Soviel ich
-jedoch sehen kann, findet sich keine Angabe, die auf eine Beziehung
-zu Seelen Abgeschiedener deutete, wiewohl Hexen und Verhexungen sehr
-bekannt und gefürchtet sind; schon das zweite Gesetz Hammurabis
-behandelt Zauberer und solche, die der Zauberei bezichtigt werden.
-Ein Gottesurteil, Werfen in den Strom, entscheidet. Ein Leben nach
-dem Tode wird durchaus angenommen, und zwar wie bei Naturmenschen
-mit den Bedürfnissen des Diesseits. Gilgames (Jzdubar), der Held des
-gleichbenannten Epos, hat seinen Freund Eabani durch Tod verloren.
-Er denkt nun voll Furcht auch an seinen Tod, und nachdem ihm sich
-unsterblich zu machen oder wenigstens das Jenseits zu schauen
-mißlungen, muß Nergal, der Totengott, auf Eas Befehl ein Loch in der
-Erde öffnen, durch das Eabanis Geist emporsteigen kann. Gilgames
-befragt ihn nun. Wir besitzen nur den Schluß, aber er entscheidet.
-Eabani sagt:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Wer den Tod des Eisens starb &mdash; sahst du einen solchen? &mdash; Ich sah ihn &mdash;</div>
- <div class="verse">Auf dem Ruhebett liegt er und trinkt klares Wasser.</div>
- <div class="verse">Wer in der Schlacht getötet ist &mdash; sahst du (einen solchen)? &mdash; Ich sah (ihn) &mdash;</div>
- <div class="verse">Sein Vater und seine Mutter halten sein Haupt und sein Weib (beugt sich) über ihn.</div>
-<span class="pagenum"><a name="Seite_110" id="Seite_110">[S. 110]</a></span>
- <div class="verse">Dessen Leichnam aufs Feld geworfen ist &mdash; sahst du (einen solchen)? &mdash; Ich sah (ihn).</div>
- <div class="verse">Sein Geist findet keine Ruhe in der Erde.</div>
- <div class="verse">Dessen Geist keinen Pfleger hat &mdash; sahst du (einen solchen)? &mdash; Ich sah (ihn) &mdash;</div>
- <div class="verse">Im Topf Zurückgebliebenes, Bissen, die auf die Straße geworfen, ißt er.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Das entspricht völlig uns schon bekannten Ansichten. In dem furchtbaren
-Fluch, den Hammurabi auf denjenigen herabbeschwört, der seine
-Gesetze mißachten sollte, findet sich auch: „Unten in der Unterwelt
-möge er (Samas, „der große Richter Himmels und der Erde“) seinen
-Totengeist nach Wasser schmachten lassen!“ Vielleicht ist dieses
-Wasser das Wasser des Lebens, das die Richter der Unterwelt, die
-Anunnaki, in Verwahrung hielten (<a href="#Seite_197">S. 197</a>). Daß die Geister auch einen
-Kult hatten, sieht man aus den vier letzten Versen des angeführten
-Textes. Daß die Götter Fetische waren, möchte ich nicht behaupten,
-trotz solcher Ausdrücke wie im zweiten Gesetz Hammurabis: „Er (der
-bezichtigte Zauberer) soll zum Stromgott gehen und in den Stromgott
-eintauchen.“ Lippert aber ist naturgemäß dieser Ansicht und erklärt
-den Gestirndienst für Fetischdienst. Es spricht einstweilen dagegen
-der Mangel von Seelengeistern. Die Sitten, mögen sie zum Teil noch so
-sehr „afrikanisch“ sein, haben damit nichts zu schaffen. Was es aber
-mit dem auf assyrisch-babylonischen Denkmälern so oft wiederkehrenden
-heiligen Baum naturmenschlich für eine Bewandtnis hat, kann ich
-nicht sagen. In den Mythen ist der Baum hinreichend bekannt und als
-Weltgegenstand auf der ganzen Erde verbreitet. Als das möchte ich den
-assyrisch-babylonischen nicht ansehen, wegen der Anbetungen und Opfer,
-die ihm sogar von Göttern und Genien dargebracht werden. Doch sei auf
-das schöne Buch des Pfarrers Alfred Jeremias „Das Alte Testament im
-Lichte des alten Orients“ verwiesen.</p>
-
-<p>Sehen wir von dem eigentlichen Zoroastrismus der <span class="gesperrt">Eranier</span> ab,
-der einer anderen Betrachtung angehört, so wissen wir nicht viel von
-den sonstigen Anschauungen dieser Völker, um mehr behaupten zu können,
-als daß Seelen- und Fetischglauben bei ihnen wahrscheinlich bekannt
-und gehegt worden<span class="pagenum"><a name="Seite_111" id="Seite_111">[S. 111]</a></span> ist. Reste finden wir in den Zarathustrischen
-Lehrwerken. Als der Urstier starb, heißt es im Bundehesh: „Gosurun, das
-ist die Seele des einzigerschaffenen Stieres, ging aus dem Leibe des
-Stieres hervor und stand vor dem Stiere. So stark wie tausend Menschen,
-wenn sie zugleich ihr Geschrei erheben, klagte Gosurun dem Ahura.“ Die
-Klage bezieht sich auf durch Ganamino (Ahriman) in die Welt gebrachte
-Übel. Von Ahura auf die Zukunft verwiesen, klagt die Stierseele weiter
-dem Sternenkreis, dem Mondkreis, dem Sonnenkreis. Nun zeigt ihm Ahura
-den Frohar des Zarathustra. Dieser <span class="gesperrt">Frohar</span> ist aber allgemein die
-Seele, die also präformiert besteht (von Ahura geschaffen, Kap. II) und
-selbständig lebt. An einer anderen Stelle (Kap. VI) treten die „Frohars
-der Krieger und Reinen“ beim Kampf Ahuras gegen Ahriman mit Keulen und
-Lanzen in der Hand auf, also wie die Menschen selbst (<a href="#Seite_43">S. 43</a>). Und so
-sind überhaupt anscheinend alle Frohars (Seelen) zuvor schon in Ahuras
-Reich vorhanden, etwa wie Platons Ideen. Und selbst die Welt hat einen
-solchen Frohar; lange bevor sie Welt wird, besteht sie schon im Himmel.
-Und auch die höchsten Götter besitzen Frohars. Ahura sagt ausdrücklich
-(Kap. XV): „Die Seele ist zuerst geschaffen und der Leib wurde hernach
-für sie geschaffen, und sie wurde in den Leib gelegt“ (ähnlich Kap.
-XVII). Die Seele wird auch das „Selbsttätige“ genannt.</p>
-
-<p>Weiter wissen wir von wunderbaren Vögeln; wie Karsapt, der dem
-Urmenschen und Paradiesherrscher Yima die mazdaijaçnische Lehre
-von Ahura überbrachte, von Varaghna der demselben Yima, da er die
-Unwahrheit gesagt hatte, die drei Gnaden entnahm, von dem auch aus
-Märchen bekannten Simorg und vielen anderen. Manche von ihnen kämpfen
-gegen die bösen Nachtgebilde, wie, ganz naturgemäß, der Hahn. Auch
-sind Dämonen, Geister, Gespenster usf. in unendlicher Zahl bekannt,
-gute (Yazatas) und böse (Dêvs), menschlich und tierisch geformte,
-wie der furchtbare Dahâka, dem Yima erliegt, und der teuflische
-Vernichter Aesna daeva, den man mit dem Asmodeus verglichen hat. Die
-Vorbedingungen für Seelen- und Fetischkult sind hiernach aller<span class="pagenum"><a name="Seite_112" id="Seite_112">[S. 112]</a></span>dings
-gegeben. Gleichwohl kann ich nicht ersehen, daß ein solcher Kult in
-der historischen Zeit stattgefunden hat. Zwei Stellen finde ich in
-Windischmanns „Zoroastrische Studien“, die unmittelbar auf Berg- und
-Baumkult sich beziehen, und beide betreffen das unsterblichmachende
-Haoma: „Anrufen will ich den Berg Hukairya, den ganz reinen,
-goldenen, von welchem herabfließt Ardviçura Anâhita, tausend
-Männer hoch besitzt sie Majestät wie alle Wasser, die auf der Erde
-hervorfließen.“ Die Ardviçura Anâhita ist das Lebenswasser, in ihm
-wächst der (weiße) Haoma-Baum Gaskerena (<a href="#Seite_175">S. 175</a> f.). Und es heißt:
-„Wir rufen Gaskerena, den starken, von Mazda geschaffenen, an.“ Selbst
-dieses als Fetischismus anzusehen, möchte ich zaudern; es fehlt das
-Charakteristische, da ja die Gegenstände nur vorgestellt sind, nicht
-in Körperlichkeit angebetet werden. Außerdem sind es Lebensspender.
-Auf das irdische Homa, das bei Opfern dienende gelbe Homa, bezieht
-sich die Anbetung nicht. Lippert schreibt dem Fetischismus unter den
-Eraniern eine viel größere Bedeutung zu und rechnet hierher auch
-die Anbetung des Feuers. Der Zarathustrismus verleiht dem Feuer an
-sich keine göttliche Bedeutung; die Erklärungen, die ich darüber im
-Bundehesh aufgesucht habe (von den fünf und den drei Feuern) sind rein
-physisch. Gleichwohl findet eine wirkliche Feuerverehrung bekanntlich
-in so ausgedehntem Maße statt, daß sie vielfach als das Wesentliche der
-„Religion der Magier“ angesehen wurde. Möglich, daß dabei auch an einen
-Geist gedacht ist. Strabo erzählt, die Götter nähmen von den Opfern
-nur die Seele, alles Körperliche werde von den Priestern und Opfernden
-verzehrt. Aber dem Feuer wird Fett und Öl unmittelbar gespendet,
-das eben das Feuer anfacht, wie wenn es einen von der Spende sich
-ernährenden Geist enthielte. Auch dem Wasser wird geopfert, hier aber
-nach Strabos Bericht in der Weise, daß alles <span class="gesperrt">neben</span> dem Wasser
-geschieht, dieses selbst nichts erhält, damit es nicht verunreinigt
-werde. Etwas Bestimmtes läßt sich für die historische Zeit nicht
-behaupten; diese ist zu spät, in Anbetracht der langen Vergangenheit,
-die das Volk schon vor seinem Eintritt in die<span class="pagenum"><a name="Seite_113" id="Seite_113">[S. 113]</a></span> Geschichte gehabt hat.
-In dieser Vergangenheit aber wird es wohl viel Naturmenschliches
-gedacht und gewirkt haben.</p>
-
-<p>Wir suchen das am besten bei den Indiern auf, deren Anschauungen sich
-vielfach mit denen der Eranier decken, wie sie ja wahrscheinlich mit
-diesen am längsten zusammengelebt haben. Seit den Auseinandersetzungen
-Carus Sternes (Ernst Krause) neigt man von mehreren Seiten der
-Ansicht zu, daß die Wiege der Arier in (Nord-)Europa gestanden hat,
-die <span class="gesperrt">Indier</span> der am weitesten nach Osten verschlagene Stamm
-sind, und demgemäß die urarischen Anschauungen nicht bei ihnen zu
-suchen sind, sondern eher an ihrem westlichen Gegenpol. Es läßt sich
-gegenwärtig nicht viel darüber sagen. Nur wäre es sehr merkwürdig, wenn
-in der Heimat noch mehr als tausend Jahre tiefe Barbarei herrschte,
-da bei den östlichst ausgewanderten Stämmen schon hohe eigene,
-nicht etwa von Fremden angenommene, Kultur strahlte. Kein Volk hat
-eine so merkwürdige Reihe von Religionsanschauungen entwickelt wie
-die Indier. Alles ist in diesen Anschauungen vertreten, des Wilden
-Ansichten, des Polytheisten, des Monotheisten und des höchstdenkenden,
-völlig abstrakten Philosophen. Und das Übel ist, daß das meiste
-nebeneinander hergeht, das Absurdeste mit dem Großartigsten sich nahe
-verträgt. Gleichwohl müssen wir annehmen, daß das Naturmenschliche
-an sich allem voraufgegangen ist und sich später neben dem Höheren
-noch erhalten hat, mitunter auch in einer Kraft, daß es dieses
-Höhere völlig überwallt. Als die Indier ihr jetziges Land von Iran
-aus erwarben und in allmählichem Vordringen in Besitz nahmen, was
-wohl vor mehr als viertausend Jahren geschah, fanden sie schon eine,
-nichtarische, Bevölkerung vor, wir nennen sie Dravida, die noch
-gegenwärtig wesentlich auf dem Standpunkte des Naturmenschen sich
-befindet. L. <span class="gesperrt">Feuth</span> in seiner interessanten Sammlung „Aus dem
-Lande der Nibelungen“ schreibt den Dravida weite Verbreitung, bis
-nach Persien hin, und bedeutende Kultur zu. Ich vermag ihm aber in
-seinen Argumenten nicht zu folgen. Fetisch- und Seelenglaube waren
-vorherrschend, und böse und gute Geister erfüllten das All und wohn<span class="pagenum"><a name="Seite_114" id="Seite_114">[S. 114]</a></span>ten
-in allen Gegenständen, namentlich in Tieren (Schlange), doch auch in
-Bäumen, Pfählen, Steinen. Sollte die Seele eines Verstorbenen in einen
-Gegenstand einziehen, so wurde dieser auf das Grab gesetzt und mit Öl
-bestrichen. Das Priestertum war ein Schamanentum.</p>
-
-<p>Die Indier haben manches von diesen Anschauungen und Kulten angenommen,
-wenn sie es nicht schon selbst mitgebracht haben sollten. Die Schlange
-(Nâgaa) spielt bei ihnen eine große Rolle, sogar als Gewitter- und
-Sturmerregerin. Krischna sieht seines Bruders Râma Seele „als Schlange
-aus seinem Munde hervorgehen und in das Meer gleiten, wo sie von den
-Schlangengöttern mit großen Ehren empfangen wurde“. Das entspricht
-völlig dem, was auf <a href="#Seite_45">S. 45</a> gesagt ist. Und so wurde auch den Schlangen
-ein erheblicher Kult gewidmet. Ein anderer Fetisch ist der „weiße
-Elefant“, der mit dem Apis der Ägypter verglichen werden darf und
-der als Regenmacher dient. Gubernatis hat über die Tiere in der
-indogermanischen Mythologie ein umfangreiches Buch verfaßt, auf das
-verwiesen werden muß. Die Deutungen auf Naturerscheinungen, wie Wolken,
-Morgenröte, Blitz, Donner usf., lehnt Lippert ab. Für die Urzeit, wie
-ich glaube, durchaus mit Recht; später haben die betreffenden Tiere in
-der bilderreichen Sprache des Indiers allerdings zur Allegorisierung
-der vergötterten Naturerscheinungen gedient. Auch die Ägypter nannten
-trotz ihres Apis sehr viele Götter „Wildstier“. Und nicht selten ist
-die allegorische Bedeutung völlig vergessen und tritt das Tier an
-Stelle der Erscheinung, wie die Kuh für die Morgenröte, oder Kühe
-für Wolken, das Roß in Vertretung Indras als Sonnen- und Wettergott
-(auch Poseidon wandelt sich in ein Roß), wie ferner die Schlange
-als Wolkenungetüm, das die Wasser zurückhält und von Indra mit dem
-Donnerkeil erschlagen werden muß, bevor die Wasser befreit sind und
-auf die Erde strömen können. Der weiße Elefant wird sogar gewürdigt,
-sich in den Schoß der Prinzessin Maja zu begeben und von ihr als
-Buddha geboren zu werden. Die Seelen bedürfen in der Unterwelt der
-Nahrung. Sie empfangen sie aus den Opfern, den Geschenken, die sie im
-Leben an die Priester der Unterwelts<span class="pagenum"><a name="Seite_115" id="Seite_115">[S. 115]</a></span>gottheit Yama gespendet haben.
-Lippert erzählt, daß Fürsten Hunderte von Dörfern und ganze Länder an
-Brahmanen vergeben hätten, um dadurch im Jenseits standesgemäß versorgt
-zu sein. Überhaupt soll das „Gib, auf daß ich gebe“ ein Grundzug der
-alten indischen Indrareligion sein; was dem entsprechen würde, was
-von Naturmenschen zu erwarten ist (<a href="#Seite_39">S. 39</a> f.). Indessen konnten doch
-arme Leute sich dadurch den Unterhalt im Jenseits sichern, daß sie
-sich auf Erden besondere Entbehrungen und Kasteiungen auferlegten.
-In dem als Bhagavad-Gîtâ (Gottheit-Lied) bezeichneten Zwiegespräch
-des Epos Mahâbharâta, das man schon mit der Ilias verglichen hat,
-das aber gedanklich so viel höher steht als diese, als sie im ganzen
-künstlerisch von ihm übertroffen wird, will der Pandu-Held Ardschuna
-nicht gegen seine Verwandten, die Kuruiden, kämpfen. Er sagt zur
-Begründung (Übersetzung von R. Boxberger):</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Wie sollten wir, die Wissenden, nicht scheuen diese Freveltat,</div>
- <div class="verse">Da auf Geschlechtesuntergang ein zahllos Heer von Übeln naht?</div>
- <div class="verse">Stirbt ein Geschlecht, so höret alsbald auf der Manenopfer Pflicht,</div>
- <div class="verse">Und ruhlos wird der ganze Stamm, wenn Ahnenkultus ihm gebricht ...</div>
- <div class="verse">Dann gehen Stammesmörder samt dem ganzen Stamm zur Unterwelt,</div>
- <div class="verse">Denn aus dem Himmel stürzt der Ahn, sobald das Manenopfer fehlt.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Der Ahn darf also nur so lange im Himmel bleiben, als er Opfer
-empfängt, sobald dieses aufhört, muß er in die Unterwelt. Auch die
-Gottheit Krischna (Wischnu), die eben mit Ardschuna das Zwiegespräch
-hält und die so außerordentlich hohe Ideen vertritt, lehrt:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Zu Göttern geht, wer sie verehrt; zu Ahnen, wer diese ehret, ein;</div>
- <div class="verse">Zu Larven, wer die Larven ehrt; zu mir, wer mich verehrt allein.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Und er stellt auch fest, daß der Mensch nach dem Tode mit dem
-vereint wird, woran er im Sterben denkt. Völlig wildenmäßig mutet
-es an, wenn in dem Atharvaveda zu dem Toten gesagt wird: „Kehre
-nicht zurück auf den Götterpfaden, dort bleibe, wache bei den
-Vätern“, und namentlich, wenn den Toten die Fessel angelegt wird:
-„Die Kudifessel, die man den Toten anlegt, die Hemmerin der Füße“
-(<a href="#Seite_42">S. 42</a>). Selbst der große Sanskritkenner Max Müller gibt das
-Naturmenschliche in den An<span class="pagenum"><a name="Seite_116" id="Seite_116">[S. 116]</a></span>schauungen der Indier zu, aber doch nur in
-den allerursprünglichsten. Indem er jedoch den Gang dieser Anschauungen
-an einem Gott, an Agni, dem Feuergott, darlegt, sagt er: „Sie werden
-sehen, daß wir im Veda diesen Gott des Feuers beobachten können lange
-bevor er überhaupt ein Gott ist, und auf der anderen Seite werden wir
-seine weitere Entwicklung bis dahin zu verfolgen imstande sein, wo er
-nicht bloß ein Gott des Feuers, sondern ein höchster Gott, ein Gott
-über allen anderen Göttern, Schöpfer und Lenker der Welt ist.“ Dann
-erzählt er, wie Agni in den Veden oft menschlich und tierisch aufgefaßt
-wird. Dêva wird er zunächst, rein physikalisch, der „Glänzende“,
-genannt, bis dieser Name höhere und höhere Bedeutung gewinnt und
-Gottheit überhaupt bezeichnet. Dabei bleibt das Bewußtsein von der
-eigentlichen Natur des Agni: „Du, o Agni, wirst geboren, zu erstrahlen
-wünschend, du wirst geboren aus den Himmeln, du aus den Wassern, du
-aus dem Steine, du aus dem Holze, du aus den Kräutern, du, o König
-der Menschen, der reine“, heißt es in einem Lied des Rigveda. Daraus
-aber ergibt sich, daß für Max Müller Agni auch in der ursprünglichsten
-Auffassung nicht ein Fetisch im Sinne des Naturmenschen ist. Aus
-solchen Rigvedaversen an Agni, wie: „Du bist dem Menschen immer Vater
-und Mutter“, „Agni halte ich für meinen Vater, ich halte ihn für meinen
-Verwandten, meinen Bruder und meinen beständigen Freund“, könnte Agni
-als Ahn in Anspruch genommen werden, aber dem stehen unzählige andere
-Verse unmittelbar entgegen. Alles was von Agni gesagt wird, er lecke
-mit Zungen, er esse mit scharfen Kinnbacken, er zerkaue und strecke
-nieder die Wälder, er tue den Bäumen Gewalt an, er mache die Pflanzen
-zu seiner Speise, er schere das Haar der Erde, er springe aus dem
-Holz hervor usf., klingt theromorph und anthropomorph, kann aber kaum
-anders denn als sehr prägnante dichterische Ausdrucksweise angesehen
-werden (s. jedoch <a href="#Seite_33">S. 33</a> f.). Wenn es dann an einer anderen Stelle des
-Rigveda heißt: „Agni, unser Priester, wird beim Opfer herumgeführt,
-ein Roß seiend“, so könnte man freilich wie bei Swantewit an einen
-Tierfetisch als Ver<span class="pagenum"><a name="Seite_117" id="Seite_117">[S. 117]</a></span>treter Agnis denken. Max Müller lehnt es aber ab
-und hält auch dieses für bildliche Ausdrucksweise, und nach allem, was
-sonst der Rigveda von Agni sagt, wohl mit Recht. Agni ist freilich kein
-ursprünglicher Gott, der Urgott der Indier scheint Indra zu sein, der
-später von seiner Höhe herabsank, immerhin aber stets Bedeutung hatte,
-während er bei den Eraniern sich nur noch als Geist findet. Der gleiche
-Forscher führt als weiteres Beispiel die Stürme (Marut) an, von denen
-auch im Rigveda ganz persönlich gesprochen wird. Sie schütteln Himmel
-und Erde, gleich dem Saum eines Gewandes, sie erscheinen glänzend auf
-ihren Wagen mit Speeren, Dolchen, Ringen, Äxten und Peitschen, die
-sie in der Luft klatschen lassen, sie schießen Pfeile und schleudern
-Steine, sie haben goldene Kopfbinden rings um den Kopf, sie werden auch
-als Musikanten Sänger, Pfeifer und Tänzer, mitunter auch als Vögel und
-als wilde Eber mit Hauern dargestellt. Man kann nicht irdischer und
-dramatischer sprechen, und weniger fetischmäßig. Wie es sich mit dem
-Soma als Gottheit, als Opfer und als berauschendes Getränk verhält, ist
-nicht ganz klar, so wenig wie bei dem entsprechenden Haoma der Eranier.
-Ursprünglich als höchst bedeutungsvoll, ja Unsterblichkeit verleihend,
-dargestellt, gepriesen und empfohlen, wurde es später verpönt und
-verboten, wahrscheinlich infolge zu großer Anwendung als berauschendes
-Getränk. Einen Fetisch werden wir in der betreffenden Pflanze, die also
-von Soma bewohnt gewesen sein sollte, kaum sehen können.</p>
-
-<p>Nach allem möchte ich glauben, daß zwar die Indier des Rigveda und der
-folgenden Zeiten die Seele und ihr Leben naturmenschlich aufgefaßt
-haben. Dafür spricht schon die angenommene Seelenwanderung, von der
-später die Rede sein wird. Daß sie selbst Götter naturmenschlich als
-mit menschlichen Bedürfnissen und Schwächen behaftet sich dachten. Daß
-aber der Fetischglaube sich nur in vereinzelten Erscheinungen, die für
-das Ganze bedeutungslos waren, geltend machte, selbst wo Tiere wie
-Stier, Schlange, Elefant und der berühmte Affe Hanumann in Betracht<span class="pagenum"><a name="Seite_118" id="Seite_118">[S. 118]</a></span>
-kommen. Im einfachen Volk und bei Einzelnen wird natürlich, wie ja
-auch bei den höchsten Kulturnationen, sehr viel Fetischismus vorhanden
-gewesen sein. Aber die Religionsanschauungen der Indier nehmen eine so
-merkwürdige Richtung, einerseits in das rein Abstrakte, andererseits
-in das rein Ethisch-Anthropopathische, daß so niedrige Ansichten
-wie die des Fetischismus nicht in ihnen als Wesentliches existiert
-haben können, trotz aller heiligen Tiere und verehrten Erscheinungen.
-Der Fetischismus stellt sich sonst überall mit einer gewissen
-Selbstverständlichkeit dar &mdash; er ist ja dem Naturmenschen in der Tat
-selbstverständlich &mdash;, die gegenständliche Ausdrucksweise der Indier
-ist aber meist so dunkel und verstiegen, daß wir uns zu Allegorien
-und Symbolen retten müssen, wenn wir nicht reinen Unsinn und absurdes
-Geschwätz bei einem doch so tief veranlagten, so hoch denkenden und so
-dichterisch empfindenden Volke annehmen wollen. Höchstens furchtbaren
-Dämonenglauben und ins äußerste gegen sich und gegen die Mitmenschen
-getriebene Konsequenz gewisser Götter- und Kultlehren müssen wir bei
-einzelnen Sekten zugestehen, und Leichtgläubigkeit gegenüber von
-Behauptungen anerkannter und nicht anerkannter Priester und Zauberer,
-und endlich einen verblüffenden, spitzfindigen, kleinlichen, das ganze
-Leben wie ein eisernes Gespinst durchziehenden Formalismus gegen die
-höheren Mächte, von denen selbst der so freie Buddha das Volk nicht
-hat lösen können. Solche Ausdrücke wie in dem Rigveda: „Indra hilft
-dem, der reichlich schenkt und opfert; eine heilige Handlung hat keine
-Wirkung, wenn die entsprechende Dakschina nicht gereicht wird“, und
-„Indra wendet sich ab von Dürftigkeit und Hunger“, dazu Verwünschungen
-von Werkfeindlichen und Nichtopfernden, sind freilich schlimm. Dieselbe
-Ansicht findet sich sogar in der Bhagavad-Gîtâ. Krischna sagt daselbst:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Als einst der Herr die Welt erschuf, setzt’ er den Opferdienst auch ein,</div>
- <div class="verse">Durch diesen pflanzt euch fort, er soll des Vaterfluches Ruh euch sein.</div>
- <div class="verse">Durch ihn ernährt die Götter all, daß sie erhalten diese Welt;</div>
- <div class="verse">Nur so gelanget ihr zum Heil, wenn eins das andere erhält.</div>
-<span class="pagenum"><a name="Seite_119" id="Seite_119">[S. 119]</a></span>
- <div class="verse">Erwünschtes Gut gewähren sie, wer ihnen Opferdienst gewährt;</div>
- <div class="verse">Ein Dieb ist, wer, den Göttern nichts entgeltend, ihr Geschenk verzehrt.</div>
- <div class="verse">Wer von des Opfers Überrest sich nährt, wird frei von Sündenqual,</div>
- <div class="verse">Doch ihr verfällt, der nur für sich bereitet hat das Festesmahl ...</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Dabei steht die Bhagavad-Gîtâ im bewußten Gegensatz zu den „heiligen
-Schriften“, also wohl den Veden und ihren Opferkommentaren. Noch
-schlimmer sind die Witwenverbrennungen und gar die tückischen
-Menschenopfer an die Zerstörungsgöttin Kali. Auch zeigen sich
-die bildlichen Darstellungen der Gottheiten meist aufs höchste
-abenteuerlich-grotesk und nicht selten rein götzenhaft. Wir haben aber
-bei den Indiern in Anschauung, Literatur und Kunst eine wunderliche
-Mischung von Edelstem und Rohestem, Schönstem und Abstoßendstem, wie
-kaum bei einem anderen Volke. Das erschwert die richtige Einschätzung
-außerordentlich. Denn wer hört und liest, daß Götterbilder gebadet
-werden sollen, daß Götterbilder mit Leben begabt und des Lebens beraubt
-werden, wird gewiß geneigt sein, in diesen Götterbildern Fetische zu
-sehen. Wer aber an die unglaublichen geistigen Leistungen des Volkes
-denkt, wird jenes auf gleiche Stufe stellen mit dem entsprechenden bei
-der Athene, bei unseren Marien- und Heiligenbildern und bei unseren
-Kirchen, wo ebenfalls Weihung und Entweihung stattfindet, und es mit
-dem Bedürfnis so vieler Menschen erklären: woran sie sich wenden,
-gegenständlich vor sich zu haben, und dieses dann mit Verehrung zu
-behandeln; und der Verehrung zu entkleiden, sobald es profanem Zwecke
-übergeben wird oder übergeben werden muß.</p>
-
-<p>Man hat die ältere Indierreligion, die sich an die Namen Indra,
-Rudra, Yama, Agni, Varuna, Mitra u. a. anschließt, als die
-<span class="gesperrt">Vedareligion</span> bezeichnet, die jüngere, um die Trimurti: Brahma,
-Wischnu, Çiva, mit den zugehörigen Frauengestalten, sich bewegende,
-als <span class="gesperrt">Hindureligion</span>. Brahma gehört beiden Religionen. Für die
-jüngere Linie gilt hinsichtlich unseres Themas nichts anderes als für
-die ältere. Die Gottheiten sind nur konzentrierter und machtvoller
-und darum &mdash; bis auf Brahma, von dem als von einem Abstraktum<span class="pagenum"><a name="Seite_120" id="Seite_120">[S. 120]</a></span>
-nachher zu sprechen ist &mdash; um so furchtbarer; Çiva gehört zu den
-grauenvollsten Schöpfungen der menschlichen Phantasie. Die dritte
-und vierte, mit dem Hinduismus parallele Religionsanschauung: der
-höhere <span class="gesperrt">Brahmaismus</span> und der <span class="gesperrt">Buddhismus</span> gehen schon über
-eigentliche <span class="gesperrt">Religions</span>anschauungen hinaus und führen in die
-philosophische Theosophie und das ethische Menschentum. Wir werden ihre
-Hauptlehren aber gleichwohl noch, wenigstens teilweise, mit in diesem
-Buche behandeln.</p>
-
-<p>Die <span class="gesperrt">Chinesen</span> machen uns die Arbeit leicht, ihre konfuzianischen
-Anschauungen, die der Staatsreligion angehören, sind so völlig
-auf Seelen- und Ahnenglaube begründet, wie kaum selbst bei einem
-Naturvolke. Wie die ganze Welt durch das Zusammenwirken von Yang
-(Wärme, Licht, Männlichkeit) und Yin (Kälte, Finsternis, Weiblichkeit)
-entstanden ist, besteht auch die Seele aus zwei Teilen: einem guten
-Teil, Schen, und einem bösen, Kwei. Nach dem Tode gibt jener Teil
-die guten, dieser die bösen Geister. Der Tote bedarf der Wartung und
-stetiger Gaben. Letztere werden ihm jetzt meist in Attrappen aus Papier
-gereicht, das gilt namentlich von Geld, Menschen und Tieren. Im Hause
-sind auf einem Tisch Seelentafeln aufgestellt, die Namen und Rang der
-Ahnen enthalten, vor ihnen Opfer an Speisen und Trank. Seelentafeln
-besitzen auch die Tempel und Altäre der Götter, Kaiser, Heiligen,
-großen Männer und der Naturgegenstände (Flüsse, Berge, Sterne, Sonne,
-Mond, Himmel usf.), welche verehrt werden. Es wird angenommen, daß
-die Seelen sich zeitweilig in diese Tafeln (oder auch Bilder) begeben
-und von den Opfern genießen. Selbst die höchstverehrten Gegenstände,
-Himmel und Erde, werden als Seelen verehrt. Der Kaiser, „der Sohn des
-Himmels“, ist die Seele des Himmels auf Erden. So durchdringt der
-Seelenglaube und Seelenkult die ganze Staats- und Volksreligion, und
-wie das Volk allen möglichen Seelen opfert, so geschieht es auch vom
-Staat, vom Kaiser und den Mandarinen an bestimmten Tagen, einzeln
-und kollektiv. Seelen, welche sich bewähren, indem sie die Wünsche
-erfüllen, erhalten die ausschweifendste Verehrung; ihnen werden<span class="pagenum"><a name="Seite_121" id="Seite_121">[S. 121]</a></span>
-Kapellen und Tempel errichtet, das Volk strömt in Massen mit Geschenken
-aller Art herbei. Bleibt die Erfüllung der Wünsche aus, so geraten die
-Seelen in Verruf und werden verlassen. Priester und Priesterinnen sind
-imstande Seelen in sich aufzunehmen und von Ort zu Ort zur Anbetung
-zu transportieren, sie sind lebende und wandelnde Fetische. Indessen
-scheint es, als ob gegen das Verfahren des Wilden der umgekehrte Weg
-eingeschlagen ist. Dieser entnimmt die Seele dem Menschen oder Tiere
-und versetzt sie in die Gegenstände. Die Chinesen dagegen glauben, daß
-die Seele der Lebewesen aus der Seele von Gegenständen, nämlich aus
-der des Himmels (als Schen) und der der Erde (als Kwei) stammt. So
-werden auch folgerichtig Krankheiten daraus abgeleitet, daß Schen den
-Körper ganz oder zum Teil verläßt, und besteht die Kunst des Arztes
-nicht darin, einen bösen Geist aus dem Körper zu bannen, sondern den
-guten in den Körper zurückzuführen. Es ist also nicht richtig, wenn
-die Anschauungen der Chinesen denen der Naturvölker gleichgesetzt
-werden, vielmehr gehören sie eigentlich dem Pandeismus statt dem
-Pananimismus, an, und zwar einem dualistischen. Das Naturmenschliche
-tritt in der Verselbständigung der Seelen hervor und in den materiellen
-Eigenschaften, die den Seelen zugeschrieben werden. Deshalb freilich
-unterscheiden sich selbst die höchsten Seelen, die von Himmel (Tien)
-und Erde (Ki) und die der Kaiser nur graduell von den naturmenschlichen
-Seelen, und können allerdings sie und alle beseelt gedachten
-Gegenstände als Fetische bezeichnet werden. Die ganze Natur besteht aus
-solchen Fetischen. Der Gang der Natur, das Tao, das durch den Planeten
-Jupiter (Tai-sui) geregelt wird, bestimmt den Gang des Menschen; der
-Mensch hat sich genau diesem Gang anzuschließen, und wo er ihn nicht
-ohne weiteres erkennt, durch Orakel ihn zu ermitteln. Kombinationen
-ganzer und gebrochener Linien, die schon von dem 2300 v. Chr. gelebt
-haben sollendem Fohi herrühren, und denen, indem sie für Gottheiten,
-wie Himmel, Erde, Gewässer, Berge, Wind, Donner usf. stehen, dieser
-Gottheiten Seele innewohnt, dienen dazu; und die Enträtselung
-geschieht<span class="pagenum"><a name="Seite_122" id="Seite_122">[S. 122]</a></span> durch Priester. Die hierher zu rechnenden Lehren, die das
-ganze Leben und alle Handlungen des Chinesen, vom Niedrigsten zum
-Höchsten, regeln, hat Konfuzius im Yih-King gesammelt. Es war dem
-Menschen die Möglichkeit geboten, ganz in die Natur aufzugehen, ein
-Tschen-sjen zu werden und so mit der Welt einig zu leben. Indessen
-bestand ein Mittel, zum Ziele zu gelangen, doch auch darin, möglichst
-viele Schen in sich zu vereinigen; und das geschah ganz naturmenschlich
-durch Verschlucken von möglichst vielen Gegenständen, die man beseelt
-glaubte. Eine ganz andere Auffassung des Taoismus behandeln wir später
-(<a href="#Seite_143">S. 143</a>, <a href="#Seite_220">220</a>).</p>
-
-<p>Der <span class="gesperrt">Buddhismus</span>, der als Foismus in China so weite Verbreitung
-gefunden hat, mußte sich solchen Volksansichten fügen und hat sich
-dem Seelenkultus angeschlossen, freilich auf eine ihm eigene, mehr
-geistige Weise, indem der Kultus durch Vorlesen seiner heiligen Bücher
-und Anrufen von Buddhas Namen geschieht. Doch kommt zur Abwendung
-von Unheil auch das Hersagen von Zaubersprüchen und das Opfern von
-Gegenständen in Frage, was ganz den Sinn der Geisterversöhnung hat.
-Gleiche Mittel dienen bei den Seelenmessen, die Seelen zu befreien,
-sie in den Zustand der buddhistischen Seligkeit zu versetzen. Wie
-aber hier die indische Tüftelei hineinspielt, zeigt sich an der
-Bedeutung des Gedankens. Es genügt oft schon, wenn ein Heiliger sich
-ganz in Wünsche für den Toten versenkt, um diesem die Seligkeit zu
-verschaffen. Wie auch in gleicher Weise ein Mensch sich selbst in
-den Heiligenzustand aller Grade versetzen kann, bis zum höchsten
-des Buddha, wenn er den Ordnungen des Hinayana und des Mahayana,
-die bekanntlich auch so vieles Edle und Ideale in sich vereinigen,
-nachstrebt. Der Buddhismus hat in Tibet und einem Teil der Mongolei
-als <span class="gesperrt">Lamaismus</span> eine beherrschende Machtstellung gewonnen. Aber
-das Volk ist dabei leer ausgegangen. Es hat früher einem vollständigen
-Seelen- und Fetischglauben gehuldigt, war ganz dem <span class="gesperrt">Schamanentum</span>
-ergeben, und jetzt sind Menschen seine Götter, die Lama, welche als
-inkarnierte buddhistische Intelligenzen angesehen werden; die beiden<span class="pagenum"><a name="Seite_123" id="Seite_123">[S. 123]</a></span>
-Höchstgestellten, der Dalai Lama und der Tasi Lama, als inkarnierte
-Boddhisattwen (historisch und geistig), die Unzahl der anderen als
-inkarnierte buddhistische Heilige vergangener Zeiten. Die Inkarnationen
-sind eine indische Erfindung; Wischnu zählt deren, Awatare, eine
-erhebliche Zahl. Der verkommene Buddhismus hat sich ihrer bemächtigt,
-um Menschenfetische aus einem der größten und edelsten Männer aller
-Länder und Zeiten zu schaffen. Neben den hohen Lehren des Meisters, die
-sich ja nicht verlieren können, wuchert greulichster Aberglaube und
-einfältigster Heiligenkult.</p>
-
-<p>Von den Anschauungen der <span class="gesperrt">Japaner</span> habe ich schon bei anderer
-Gelegenheit gesprochen. Ihre primitive Religion aber, mit einigen
-Änderungen jetzige Staatsreligion, ist der <span class="gesperrt">Shintoismus</span>
-(chinesisch: Pfad der Götter, japanisch: Kami no Michi). Beseelung
-alles möglichen spielt wie in China eine Hauptrolle. Dazu die
-Vergöttlichung und der Kult von Herrschern und anderen Menschen
-(für Kriegskunst, Schreibkunst, Sittenlehre usf.) und die Verehrung
-von Tieren, wie Fuchs, Hirsch, Schildkröte Schlange, wesentlich
-wegen ihrer schädlichen Eigenschaften, sowie von gewissen Bäumen
-(Sakaki und Hinoki). Die Sanktuarien der Shintotempel enthalten als
-„Stellvertreter des erlauchten Geistes“, Mitamaschiro (auch Shintai),
-irgendeinen Gegenstand, einen Metallspiegel (in einem Spiegel hat
-die Sonnengottheit Amaterasu ihr Antlitz bewundert), ein Schwert u.
-a., die in Beutel oder Truhen verschlossen sind und als Fetische
-angesprochen werden könnten. Ähnliche Götterembleme in Schreinen haben
-auch die einzelnen Familien in ihrer Behausung auf einem „Göttersims“,
-neben Krügen oder Flaschen mit Maiswein und Vasen mit Zweigen der
-heiligen Bäume oder mit Blumen. Auch Familienahnendienst besteht in
-ausgedehntem Maße, und mitunter ebenfalls im Hause selbst, wo auf dem
-„Sims der erlauchten Seelen“ Seelentäfelchen stehen. Die Toten bekommen
-Gebrauchsgegenstände mit. Weiter an naturmenschliche Anschauungen
-erinnert die Furcht des Shintoisten, sich rituell zu verunreinigen.
-Blut, Tod und Geburt verunreinigen am meisten und nachhaltigsten, und
-wie der Neger die gebärende<span class="pagenum"><a name="Seite_124" id="Seite_124">[S. 124]</a></span> Frau absperrt, tut es auch der Shintoist.
-Auch Atem verunreinigt. Kein Verunreinigter darf einen Tempel besuchen.
-Und die Priester mußten mit vorgehaltenen Masken opfern, ganz wie Saxo
-Grammaticus von den Priestern des Swantewit erzählt, die im Tempel des
-Gottes nicht atmen durften, sondern zum Atmen jedesmal hinausgehen
-mußten. Lippert meint, da im Atem die Seele sei, solle eine Beleidigung
-der Gottheit, durch aufdringliche Vermischung der Menschenseele mit
-ihrer Seele, verhindert werden. Bei allem ist die vielfach sehr schöne
-Mythologie bemerkenswert, die sich auf Naturgottheiten bezieht.
-Der Shintoismus hat sich später mit dem Buddhismus vereinigt; die
-Gottheiten, Kami, wurden mit den Buddhas, <span class="gesperrt">Hotoke</span>, gleichgesetzt,
-sie sollen die Satzungen Buddhas bewahrt haben. Karl Florenz („Die
-Religionen der Japaner“, in dem B. G. Teubnerschen Sammelbuche „Die
-Orientalischen Religionen“), dem ich in obigem zum Teil gefolgt bin,
-sagt: „Die Shintogottheiten werden angerufen in Verbindung mit allem
-Günstigen, Freudigen, Glückverheißenden; Buddha aber in Verbindung mit
-den Kümmernissen des Lebens und beim Tode“. Das letztere entspricht ja
-völlig dem Charakter der Buddhalehre, wie das erstere dem Charakter
-des Shinto (eigentlich des Volkes) angemessen sein wird. Der reine
-Buddhismus soll in Japan eine höhere Stufe einnehmen als in China oder
-Tibet und sich mehr den Lehren des Meisters anschließen. Gleichwohl
-wird das Pantheon des japanischen Buddhismus als das riesenhafteste
-der Welt bezeichnet, wie Japan als das tempelreichste. Doch gehört die
-weitere Schilderung nicht mehr hierher.</p>
-
-<div class="figleft">
- <a id="illus-138" name="illus-138">
- <img src="images/illus-138.jpg"
- alt="Mexikanisches Götterbild" /></a>
-</div>
-
-<p>Indem wir nun noch ganz über den Stillen Ozean wandern, gelangen wir zu
-den <span class="gesperrt">amerikanischen Kulturvölkern</span>. In Amerika überhaupt scheint
-der Sonnenkult besonders verbreitet zu sein; seine größte Ausbildung
-hat er jedoch eben unter den Kulturvölkern dieses Erdteils erfahren.
-Bei den <span class="gesperrt">Mexikanern</span>, wo der Sonnengott zugleich Kriegsgott
-(Huitzilopochtli) war, nahm dieser Kult die grauseste Form durch die
-Massenmenschenopfer an, die mit Kannibalismus verbunden waren. Blut
-mußten die Menschen den Gottheiten bei jeder Ge<span class="pagenum"><a name="Seite_125" id="Seite_125">[S. 125]</a></span>legenheit als Gabe
-bringen; war es nicht das eines Opfers, so war es das eigene Blut
-durch Schlitze in der Brust, den Ohren, der Zunge, den Lippen. Im
-Blut wohnt die Seele, wie wir wissen. Die <span class="gesperrt">Mayavölker</span> übten
-ähnliche Gebräuche, wenn auch nicht entfernt in der rücksichtslosen
-Furchtbarkeit wie die Mexikaner. Und bei den <span class="gesperrt">Peruanern</span> hat
-der Sonnenkult schon einen bedeutenden Adel erreicht, der nur selten
-von Menschenopfern unterbrochen wurde. Die Inka waren Sonnensöhne
-und vertraten die Sonnengottheit auf Erden. Vertreter der Gottheit
-waren auch die Herrscher Mexikos; sie legten einen Eid ab, bewirken
-zu wollen, „daß die Sonne ihren Lauf gehe, daß die Wolken regnen,
-die Flüsse fließen und die Früchte reifen.“ Wir kennen ähnliche
-Verpflichtungen der Herrscher auch bei anderen Völkern, und ein König
-der Norweger hat sich selbst zum Opfer bringen müssen, als es unter
-seiner Herrschaft nicht gelang, die Götter dem Volke günstig zu stimmen
-und eine Hungersnot abzuwenden. In Mexiko wie in Peru erhielten die
-Herrscher schon bei Lebzeiten Gottesdienst und Opfer, die nach ihrem
-Tode fortgesetzt wurden. Menschliche Schutzgeister fanden sich überall.
-Zum Teil waren es die Geopferten selbst, die man dann schon bei
-Lebzeiten vor ihrer Opferung mit göttlichen Ehren behandelte und mit
-allen Gaben beschenkte, um sie sich günstig zu stimmen. Andere Geister
-gewann man durch Vermauern oder Vergraben von Menschen, namentlich von
-Kindern. Sonnensäulen und Huacas &mdash; ein Wort, das auch Geister bedeuten
-soll &mdash; sind Mäler solcher Schutzgeister, oder auch Steine, die sich
-an den Orten befinden. Viel verbreitet in Mexiko war auch die Sitte,
-Götter selbst zu essen. „Am dritten Jahresfeste des Huitzilopochtli
-verfertigen die Priester ein Bild des Gottes, zusammengebacken aus
-allerlei Sämereien mit dem Blute der geopferten Kinder. Nach diesem
-Bilde schoß ein Priester einen Pfeil und durchschoß den Gott. Dann nahm
-ein Priester an ihm die Handlungen vor wie an einem Menschenopfer.
-Er öffnete die Brust, brachte ein Herz hervor und reichte es dem
-Könige, der es aß. Den Leib des Bildes aber verteilte er so an die
-Quartiere der Stadt, daß jeder Einwohner<span class="pagenum"><a name="Seite_126" id="Seite_126">[S. 126]</a></span> ein Teilchen davon erhalten
-konnte. Dieses nannte man Teocualo, der Gott, den man ißt.“ So erzählt
-Lippert. Die Handlung läßt verschiedene Deutung zu; die einfachste und
-naheliegendste scheint mir doch die zu sein, daß das Bild den Gott
-darstellte und jeder, aus einer Opferhandlung an ihm, einen Teil von
-ihm in sich aufnehmen wollte. Nach dem Genannten wären die Tempel hier,
-in Peru, und übrigens auch anderweitig, lediglich Begräbnisstätten für
-einen vergötterten Ahnen. Zu all diesem Naturmenschlichen kommen nun
-noch die Tierfetische, die Totems. In Mexiko gelten als solche Kolibri,
-Reiher, Adler, Schlange, Bär usf. Und die Götterbilder erhielten sie
-als Symbole, wie aus nebenstehender Darstellung einer Gottheit zu
-ersehen ist. Im Haupttempel wurde sogar eine lebende Klapperschlange
-gehalten und verehrt. In Peru kommt der Kondor hinzu. Wir besitzen
-durch John L. Stephens (Reisen in Zentralamerika, Reisen in Yucatan)
-eine große Zahl von Darstellungen mittelamerikanischer Gottheiten und
-Kulthandlungen. Auf dem seltsamen Kreuz zwischen den beiden anbetenden
-Figuren im Tempel zu Palenque steht ein Hahn oder ein Reiher, die Arme
-des Kreuzes enden wohl in stilisierten Schlangen. Tiere, Alligatoren,
-Vögel, Affen, kommen auf den Bildwerken Mittelamerikas oft vor, nicht
-selten auch Menschen mit eigenartigen Tierköpfen.</p>
-
-<p>Ich schließe damit die wohl etwas ermüdende Aufzählung. Das
-Naturmenschliche ist für eine Betrachtung der Welt- und
-Lebenanschauungen von außerordentlicher Bedeutung, weil<span class="pagenum"><a name="Seite_127" id="Seite_127">[S. 127]</a></span> es das
-Allgemeinmenschliche darstellt. Es verleugnet sich zu keiner Zeit und
-bei keinem Volke, selbst nicht bei uns, von denen nicht besonders
-gesprochen zu werden brauchte. Und wo es nicht offen zutage tritt,
-weil mehr Erfahrungen und bessere Einsichten zu anderen Anschauungen
-geführt haben, da wirkt es versteckt durchaus noch mit und lenkt
-die Ansichten weit mehr, als stolze Kultur zugestehen mag. Es ist
-materiell verfeinert und ethisch gehoben worden, aber im Wesen findet
-es sich nicht sehr verändert. Und eigentlich sind es nur der absolute
-Materialismus und absolute Energismus, die aber, wie sich später zeigen
-wird, zu absolutem Zwangssystem führen, sowie der Spinozismus, die das
-Naturmenschliche äußerlich ganz abgestreift haben. Demnach werden wir
-auch in der Folge noch oft an die bisherigen Darlegungen zu erinnern
-haben.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>17. <span class="gesperrt">Polytheistische, henotheistische und
-antagonistische Anschauungen</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Die Gesamtheit der Gottheiten des <span class="gesperrt">Polytheismus</span> können
-wir einteilen in: irdische Geister- und Gegenstandsgottheiten,
-Vergötterungen, Naturerscheinungen, Herrsch- und Schaffensgottheiten,
-Schicksals- und ethische Gottheiten, Prinzipiengottheiten. Die
-beiden ersten Gottheitenarten sind unmittelbar naturmenschlich, sie
-gehören dem Animismus und dem Seelen-Ahnenglauben an. Sie liefern
-das unübersehbare Heer der Genien, Geister, Feen, Nymphen aller Art,
-Dämonen, Hexen usf., wovon schon die Rede gewesen ist. Auch die
-Naturerscheinungen als persönliche Gottheiten aufgefaßt, enthalten
-sehr viel Naturmenschliches. Ist das Feuer, das Wetter, der Sturm,
-die Sonne, der Mond, ein Stern, der Himmel, die Erde eine Gottheit,
-so muß eine Beseelung angenommen sein, die mit der betreffenden
-Erscheinung so verbunden ist wie bei den Lebewesen. Daraus folgt
-natürlich nicht, daß diese Beseelung aus den Lebewesen herstammen muß,
-sie kann selbständig gesetzt sein und mit besonderen Eigenheiten;
-wie auch eine Pflanze anders beseelt ist, denn ein<span class="pagenum"><a name="Seite_128" id="Seite_128">[S. 128]</a></span> Tier, und dieses
-anders, denn ein Mensch. Soll also auch nicht bestritten werden,
-daß in gewissen Fällen die Naturgottheiten in der Tat aus Fetischen
-abgeschiedener Seelen hervorgegangen sind, die sich die betreffenden
-Erscheinungen zum Sitze erwählt haben, so glaube ich doch nicht, daß
-dieses in allen Fällen geschehen ist. Weder Zeus als Himmel noch Helios
-als Sonne, noch Wuotan als Wetter, noch Rā, Indra, Mitra, Ahura-Mazda
-und so viele andere enthalten einen Hinweis auf rein Seelenhaftes.
-Wenn Seelen ihren Wohnsitz in Sonne, Wetter, Feuer usf. aufschlagen,
-so geschieht das in den hervorgehobenen Fällen immer, nachdem die
-Gottheit von der Erscheinung schon geschieden, Zeus schon der Gott des
-Himmels, Helios der der Sonne usf. geworden ist. Man muß auch beachten,
-wie in diesen Fällen so ganz anders von den Seelen gesprochen wird
-als von den Göttern. Homer ist für die Griechen Kronzeuge, da er in
-bezug auf die Seelen ganz naturmenschlich denkt, seine Götter aber
-absolut nichts Schattenhaftes, wie doch die Seelen bei ihm, an sich
-haben. Die Vergöttlichung der Naturerscheinungen ist eine Folge des
-Animismus überhaupt, nicht erst der Verselbständigung der Seele und
-ihrer Lokalisierung in der Welt. Auf dieser Stufe des Polytheismus
-gehören die Weltanschauungen einem monistischen Animismus an, der nur
-in der Weise einer Entwicklung fähig ist, daß die Beseelungen, besser
-die beseelten Dinge, mehr und mehr voneinander nach ihrer Bedeutung
-geschieden und geordnet werden, bis Wetter, Himmel, Sonne, Gestirne
-usf. höher bewertet sind als selbst der Mensch. Aber die Welt ist
-einheitlich aus, nach Art der lebenden Menschen, bestehenden Dingen
-zusammengesetzt, und sie war von je so und bleibt so. Ein Polytheismus
-ist nur darin zu sehen, daß eben die höher erachteten, das heißt
-die mächtigeren, Dinge aus egoistischen Gründen verehrt werden, wie
-Menschen auch, die man fürchtet und sich geneigt machen will.</p>
-
-<p>Wie man lernte, die Gottheiten aus den Dingen herauszunehmen und sie
-als <span class="gesperrt">Herrscher über diese Dinge</span> zu setzen, ist schwer zu sagen.
-Die Erkenntnis und die Verselbständigung der Seele kann wohl nicht
-herangezogen werden, weil mit ihrer<span class="pagenum"><a name="Seite_129" id="Seite_129">[S. 129]</a></span> Entnahme die Ertötung der Dinge
-selbst notwendig verbunden war; beim Himmel und seinen Objekten, der
-Erde, dem Meere usf., aber davon keine Rede sein konnte. Zwar darf man
-von einem Sterben und Aufleben bei wechselnden Erscheinungen sprechen,
-wie bei Wettern, Sonnenunter- und -aufgängen u. ä., und das hat man
-ja auch überall getan. Aber das ist noch durchaus verschieden von der
-Beherrschung durch freie Gottheiten, die das wechselnde Verhalten der
-Dinge nach Belieben leiten. Auf dem rein animistischen Standpunkt
-glauben wirklich viele Völker, daß jeder Tag eine neue Sonne hat, die
-am Morgen geboren wird und am Abend stirbt. Ja, manche leiten daraus
-das Sterben der Lebewesen überhaupt ab. Ich habe die polynesische Sage
-von Maui, dem Sonnenheros, und seinem Tode in der Finsternisgöttin
-erzählt (<a href="#Seite_65">S. 65</a>); sein Tod brachte, erklären die Neuseeländer, das
-Sterben in die Welt, vorher hat alles unbegrenzt gelebt. Und Osiris,
-ursprünglich ein Sonnengott, ist nach seinem Tode ein Totengott
-geworden. Im siebzehnten Kapitel des Totenbuches heißt es: „Ich bin
-der gestrige Tag, ich kenne auch den morgenden Tag. Das ist Osiris.
-Was ist das? Der gestrige Tag ist Osiris, der morgende Tag ist der
-Lichtgott Rā.“ Hier zeigt sich’s ganz deutlich, daß wir es nicht mit
-von der Erscheinung getrennten Gottheiten zu tun haben; die gestrige
-Sonne ist Osiris, die heutige Rā. Aber ein Volk wie die Ägypter ist
-dabei nicht stehen geblieben, und wo es dem Rā oder Osiris die höchsten
-Eigenschaften zuschreibt, wozu auch ewige Dauer gehört, da hat es
-ihn von der Erscheinung schon abgelöst. Die Römer hatten etwas, das
-die Scheidung der Gottheiten von den Erscheinungen hätte vorbereiten
-können, die genii, die ja außer den Dingen stehen und diese leiten.
-Allein, sie schieben selbst den Gottheiten Genien zu; Jupiter hatte
-seinen genius wie Mars, Minerva, die anderen Götter alle, und wie
-Menschen und Tiere usf. Die genii standen also selbst den Göttern noch
-übergeordnet, die den Erscheinungen übergeordnet standen; wenn auch die
-genii untrennbar von den Göttern waren, daß man sie vielleicht auch als
-ihnen beigeordnet bezeichnen könnte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_130" id="Seite_130">[S. 130]</a></span></p>
-
-<p>Man wird hiernach wohl nicht umhin können, anzunehmen, daß von den
-Erscheinungen getrennte Gottheiten durch ein Gefühl von Höherem als
-die Erscheinungen sich allmählich aufgedrängt haben. Dieses Gefühl
-wird erst sehr dunkel gewesen sein, sich aber bei einem Volke im
-Laufe der Jahrhunderte zu immer größerer Klarheit herausgearbeitet
-haben. Wie sehr Völker zu kämpfen hatten und haben, um sich dieses
-Gefühls stets bewußt zu sein, sehen wir ja daran, daß immer und immer
-wieder die Gottheit mit der Erscheinung verwechselt, trotz schon
-erreichter höherer Auffassung, in die rein animistische Auffassung
-zurückgefallen wird. In demselben Kapitel des Totenbuches, dem obiges
-Zitat entnommen ist, heißt es: „Ich bin der Urgedanke dessen, was da
-ist und was da sein wird. Was ist es? Das ist Osiris.“ Also dieser
-höchste Gedanke betrifft den gleichen Gott, der nur der gestrige Tag
-sein sollte. Ähnliches gilt von Helios, Marduk, Jupiter, Zeus und von
-anderen Gottheiten. Wenn es wahr ist, daß die Namen der Gottheiten
-Appellative sind (was freilich gegenwärtig nur für einige zugestanden
-wird), nur daß wir so viele noch nicht zu übersetzen vermögen, wie
-Istar, Aphrodite u. a., so ist eine derartige zweiseitige Auffassung
-ganz verständlich, die Namen entsprechen den mit den Erscheinungen
-identifizierten Gottheiten, zum Beispiel Dyaus (Zeus, Jovis), „was
-glänzt“, „das Strahlende“. Sie blieben den Gottheiten auch, als diese
-von den Erscheinungen getrennt wurden; und nun waren sie zugleich nur
-Namen, wie von Personen, und Erscheinungsbezeichnungen, sodaß die
-Gottheit bald ein Individuum, bald eine Erscheinung bedeutete. Lippert
-geht von der Ansicht aus, daß ursprünglich dem Seelen-Ahnenglauben
-entsprechend die Namen der Gottheiten Herr, Herrin, Mann, Frau, Geist
-besagen sollten. Zweifellos läßt sich das bei einigen Namen nachweisen.
-Zeus als Ὑπατος ist höchster Herr, Schang-ti der Chinesen für Himmel
-ist das gleiche, Freia ist die Frau, Mannus der Mann usf. Aber andere
-sind ebenso sicher nicht auf solche Bedeutungen zurückführbar. Dyaus,
-Dev, Div als Glanz, nach Max Müller, ist schon erwähnt. Hier freilich
-macht Lippert eine sehr treffende Bemerkung. Bei den<span class="pagenum"><a name="Seite_131" id="Seite_131">[S. 131]</a></span> Eraniern sind
-die Dev gerade das Entgegengesetzte wie bei den ihnen so nahestehenden
-Indiern, nämlich böse Geister statt gute. Es wäre nicht denkbar,
-daß man die bösen Geister auch als glänzende bezeichnet hätte. Es
-müsse darum Dev ursprünglich eine beiden Völkern gemeinsame neutrale
-Bedeutung besitzen. Und diese findet er nach Worten in slawischen
-Sprachen in der Tat nahestehend den Bezeichnungen seiner Annahme. Die
-Etymologien sind vielfach recht unsicher, er kann in diesem Falle wohl
-recht haben. Amun heißt aber der Verborgene oder Gerufene, Brahma der
-Sprechende, Agni der Flackernde, Apollon der Abwehrende, Helios der
-Brennende, Artemis die Schlachtende (als Todesgöttin), Wuotan der
-Wütende (der Stürmende) usf. Auch wären solche Namen wie Dyauspitar
-(Jupiter), Demeter unnötige Pleonasmen, wenn der erste Teil nichts
-anderes besagte als der zweite. Zu beachten ist endlich, daß umgekehrt
-selbst Personennamen in Würdebezeichnungen übergegangen sind, wie Cäsar
-in den Kaiser. Die Ansicht Lipperts wird sich also wohl kaum allgemein
-aufrecht erhalten lassen. Wo sie aber bei höchsten Auffassungen
-zutrifft, handelt es sich oft lediglich um Anerkennung der höchsten
-Herrschaft, wie bei unserem der HERR, nicht um Ahnenglauben.</p>
-
-<p>Wenn die Gottheiten von den Erscheinungen getrennt sind und nun
-diese beherrschen, so verursachen sie sie auch, wie Poseidon oder
-Wuotan den Sturm, Zeus oder Indra den Donner und Blitz, Osiris
-die Nilüberschwemmungen. Sie treten also nicht bloß als Leiter
-und Herrscher auf, sondern auch als <span class="gesperrt">Hervorbringer</span>, und
-wenn die letztere Eigenschaft ausgedehnt wird, können sie auch zu
-<span class="gesperrt">Schöpfern</span> werden. Indessen hängt es wohl mit der ursprünglichen
-Anschauung von den Gottheiten als den Erscheinungen selbst zusammen,
-daß in vielen Fällen sie tatsächlich nicht als Schöpfer dieser
-Erscheinungen gelten. Im Gegenteil finden wir vielfach Kosmogonie
-mit der Theogonie verbunden; Erscheinung und die zugehörige Gottheit
-erstehen zugleich, oder sie sind zugleich vorhanden. Allenfalls
-werden Menschen, Lebewesen überhaupt, von einer Gottheit geschaffen.
-Und selbst dabei ist oft Unsicherheit und Zweideutigkeit vorhanden,
-indem<span class="pagenum"><a name="Seite_132" id="Seite_132">[S. 132]</a></span> neben diesen Schöpfungen auch spontane Entstehung angenommen
-wird, oder einfacher, Abstammung von Gottheiten auf natürlichem Wege.
-Es ist fast trivial, auf <span class="gesperrt">Hesiodos’</span> Theogonie zu verweisen.
-Chaos, Ge, Tartaros, Eros werden, und nun entwickelt sich die ganze
-Götterreihe, wobei die Erscheinungen als ihnen selbstverständlich
-zugehörig und mit ihnen hervorgehend angesehen sind. Uranos entsteht
-mit dem Himmel, Helios mit der Sonne, Pontos mit dem Meer usf. Ähnlich
-liegen die Verhältnisse bei den <span class="gesperrt">Ägyptern</span>. Nun = Thot (Urwasser
-= Urgeist) sind vorhanden, es entwickelt sich die kosmogonische
-Götter-Vierpaarheit; wodurch die Grundlage zu allen Erscheinungen
-gewonnen ist. Aus einem Ei, das das Paar He-Hehet aus dem Urwasser
-heraufholt, ersteht Rā und mit ihm sogleich das Licht, die Sonne. Rā
-aber differenziert sich in neue Gottheiten, welche Naturerscheinungen
-darstellen. Unter den verschiedenen <span class="gesperrt">indischen</span> Kosmogonien
-entspricht die wichtigste, mit den Grundelementen Tad (Das), Tapas
-(Inbrünstige Betrachtung), aus denen Kama (Wille), Ritam (Weltordnung,
-Kausalität), Satyam (Wahrheit, Folge) und der Wechsel von Tag und
-Nacht, Sonne, Mond, Gestirne usf. hervorgehen, gleichfalls diesem
-Prinzip. Noch mehr hierher gehört vielleicht die Kosmogonie, die mit
-Brahmanaspati (Herr des Gebets oder Opfers) als Urprinzip beginnt.
-Âditi und Dakhsha sind seine Folgen, das, woraus entsteht, und das,
-was entstehen lassen kann. Daraus die Âdityas, zu denen Varuna gehört.
-Dieser nun ist der eigentliche Weltschöpfer: er schafft alle Wesen,
-erhält Himmel und Erde, er setzt die Sonne an den Himmel. Die Sonne
-(Sûrya) wird jedoch auch wie Rā in einem Weltei aus dem Urmeere
-emporgehoben. Nach einem Rigvedahymnus stellt Varuna einen Baum „in das
-Bodenlose“ auf, der wohl ein <span class="gesperrt">Weltbaum</span> sein soll, wie die Esche
-Yggdrasil der Germanen. W. Schwartz hat ein Buch, „Indogermanischer
-Volksglaube“, geschrieben, in dem er den Weltbaum als Licht- oder
-Sonnenbaum erklärt und als kosmogonisches Prinzip in Anspruch nimmt.
-„Das aufsteigende Licht erschien .... als Lichtsäule oder unter dem
-Reflex eines<span class="pagenum"><a name="Seite_133" id="Seite_133">[S. 133]</a></span> Baumes als Stamm; die in den Wolken sich verästelnden
-Sonnenstrahlen als Äste und Zweige, die Wolken als Blätter.“ Nach ihm
-und anderen wären Sonne, Mond, Gestirne Früchte dieses Himmelsbaumes.
-Ich kann diesem und was noch weiter von fast allen Erscheinungen
-als mit dem Weltbaum zusammenhängend gesagt wird, nicht folgen, so
-interessant die Ausführungen im einzelnen sind. Der Weltbaum ist,
-glaube ich, lediglich als Stütze der Welten gedacht, oder als Träger,
-da ja für den wissenschaftlich nicht geschulten Geist eine Stütze
-durchaus nötig ist, so daß eine solche fast auf der ganzen Welt als
-Baum, Berg, Säule, Tier, Mensch usf. angenommen wird. Varunas Baum wird
-nichts anderes sein, wie auch Zeus’ Baum, auf den er die Welt gleich
-einem Gewand gehängt hat. Bei den <span class="gesperrt">Japanern</span> entstehen wenigstens
-die Sonnen-, Mond- und Sturmgottheiten (Amaterasu, Tsonkiyoumi,
-Sousano) zugleich mit Sonne, Mond, Gewitter aus dem rechten und dem
-linken Auge und aus dem Atem des Götterpaares Isanami und Isanaghi.</p>
-
-<p>In anderen Fällen sind die Gottheiten vorhanden, und besondere von
-ihnen bauen die Welt, wenn nicht einer von ihnen alles bildet. Dann
-werden die Erscheinungen unter die Gottheiten verteilt. Schon die
-<span class="gesperrt">Ägypter</span> kennen einen allgemeinen Weltschöpfer, der bald Amun,
-bald Osiris, Rā, Ptah, Atum oder Tum genannt wird. So heißt es in
-dem siebzehnten Kapitel des Totenbuches: „Ich, der Gott Atumu, ich
-bin der Seiende. Ich war allein im Urgewässer (Nun). Ich, der Gott
-Atumu, der Schöpfer des Himmels und Bildner des Seienden, ich bin
-aufgegangen aus dem Urgewässer.“ „Ich bin der Lichtgott Rā in seinen
-ersten Aufgängen. Was ist das? Nämlich der Lichtgott Rā als König am
-Anfang seiner Herrschaft über das, was er erschaffen hat.“ Aber an der
-gleichen Stelle wird doch Rā als Gottheit (Atumu) in der Sonnenscheibe
-bezeichnet: „Ich bin der, welchen keiner unter den Göttern übertrifft.
-Was ist das? Das ist Atumu (wofür auch Rā steht) in seiner Scheibe.“
-Und ferner wird ein solcher Schöpfer zunächst nur Schöpfer der
-Gottheiten dargestellt, die nun ihrerseits weiterschaffen. So heißt es
-in dem sogenannten<span class="pagenum"><a name="Seite_134" id="Seite_134">[S. 134]</a></span> Apophisbuch von 310 v. Chr., das einem Priester
-Esmin ins Grab gegeben war und ihn in der Unterwelt vor dem Feinde
-Rā’s, dem Drachen Apophis, schützen sollte, und in dem Rā als Allherr
-redet:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Erst als ich entstanden war, entstand das Entstandene,</div>
- <div class="verse">Alles Entstandene entstand, nachdem ich entstanden war.</div>
- <div class="verse">Zahlreich waren die Gestalten, die aus meinem Munde herauskamen.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Nun wird, wie in babylonischen und anderen Schöpfungsgedichten,
-erzählt, was nicht vorhanden war. Dann lautet es: „Ich schuf alle
-Gestalten, indem ich allein war.“ „Es entstanden viele Gestalten
-der Gestalten, In den Gestalten der Erzeuger Und in den Gestalten
-ihrer Kinder. Ich ergoß Samen in meine Hand, Ich begattete mich mit
-meinem Schatten.“ „Ich spuckte aus den Schu, ich spie aus die Tafêne
-(Tafnut).“ „Sie (diese Götter) brachten mir mein Auge hinter sich
-her, Und nachdem ich es mir eingesetzt hatte, Weinte ich über sie.
-So entstanden die Menschen.“ Bis auf das letzte sehr schöne Bild,
-daß die Menschen aus den Tränen (rîme = weinen, rôme = Mensch) des
-Gottes entstehen, ist alles wunderlich, kraus und zum Teil häßlich.
-Weiter wird erzählt, wie von Schu und Tafnut alle anderen Götter
-hervorgehen. Sie erzeugen Qeb und Nut, diese Osiris, Seth, Isis,
-Nephthys. In einem anderen Text sagt Rā zu Thot: „Ich werde dich aber
-die beiden Himmel mit deiner Schönheit und deinen Strahlen umfassen
-lassen.“ Und als Erklärung wird hinzugefügt: „Das ist die Entstehung
-des Mondes, des Thot.“ Der Wert derartiger Feststellungen wird dadurch
-sehr geschmälert, daß sie so oft auf einem Wortspiel beruhen. Und in
-Wortspielen ist niemand so groß wie die Ägypter, Brugsch gibt eine
-Menge Beispiele dafür.</p>
-
-<p>Bei den <span class="gesperrt">Babyloniern</span> sind die Gottheiten schon vor der Welt
-vorhanden, mindestens die drei: Anu, Ellil und Ea, wohl auch die Istar.
-Andere heißen ihre Söhne, wie Marduk Sohn Ea’s genannt wird. Die Welt
-ist, wenigstens zum Teil, von Marduk gebildet. In dem Schöpfungsepos,
-Enuma Elis, Tafel VI ist leider gerade der diese Bildung beschreibende
-Text fast ganz zerstört. Einiges ersieht man aber aus der Tafel VII, in
-der<span class="pagenum"><a name="Seite_135" id="Seite_135">[S. 135]</a></span> Marduk unter verschiedenen Namen gepriesen wird. Dort heißt es von
-ihm u. a.:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">„Tutu-Ti-Ukkinu, Leben der Götterschar,</div>
- <div class="verse">Der für die Götter festsetzte den glänzenden Himmel,</div>
- <div class="verse">Der ihre Wege in die Hand nahm, bestimmte ihre Bahnen.“ &mdash;</div>
- <div class="verse">„Der himmlischen Sterne Bahnen haltet er in Händen.“ &mdash;</div>
- <div class="verse">„Weil er die Stätte geschaffen, die Feste gebildet,</div>
- <div class="verse">Nennt seinen Namen ‚Herr der Länder‘, Vater Ellil.“</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Ein anderer Text gibt Anu als Schöpfer des Himmels, Nudimmud, d. i.
-Ea, als Schöpfer des Ozeans an. Letzterer schafft dann auch aus Lehm
-den Ziegelgott, den Schmiedegott, kurz überhaupt die Handwerksgötter,
-und ferner Berge, Meer, Rohr, Wald, Könige, Menschen usf. Nach noch
-einem anderen Text ist es die Göttertrias Anu, Ellil und Ea, die Sonne
-und Mond mit den Gottheiten Samas und Sin hervorbringt. Wunderlich
-klingt folgende Reihe aus einem als „Beschwörung gegen Zahnschmerz“
-bezeichneten Texte. Der Verfasser beginnt mit dem Uranfang, ehe er zu
-seinem Zahnwurm kommt, der ihn plagt:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Nachdem Anu den Himmel erschaffen,</div>
- <div class="verse">Der Himmel die Erde erschaffen,</div>
- <div class="verse">Die Erde die Ströme erschaffen,</div>
- <div class="verse">Die Ströme die Gräben erschaffen,</div>
- <div class="verse">Die Gräben den Sumpf erschaffen,</div>
- <div class="verse">Der Sumpf den Wurm erschaffen.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Was endlich in einem letzten Text (alle aus „Greßmann, Altorientalische
-Texte“ entnommen) der Strom, „der alles schuf“ und den die großen
-Götter gruben und mit Zyklon, Feuer, Grimm, Schrecken, Furchtbarkeit
-begabten, bedeuten soll, weiß ich nicht. Die babylonischen Texte
-enthalten nicht selten, was uns Aberwitz erscheint. Wir haben ja
-auch unter ihnen reine Schülerarbeiten und Formeln von irgendwelchen
-obskuren Beschwörern; Kundgebungen, die nicht besser ausgefallen sein
-werden, als solche gegenwärtig ausfallen.</p>
-
-<p>Ähnliche Ideen von der unabhängigen Schöpfung der Erscheinungen und der
-Gottheiten finden sich bei den <span class="gesperrt">Indiern</span>. Da aber bei diesen ja
-alles vertreten ist, läßt sich eine Scheidung zwischen den einen und
-den anderen Ideen kaum be<span class="pagenum"><a name="Seite_136" id="Seite_136">[S. 136]</a></span>wirken.
-So gehört das oben (<a href="#Seite_132">S. 132</a>) Gesagte
-zum Teil auch hierher, namentlich wenn die Gottheiten so verblaßt sind
-wie dem Varuna (oder wie der schaffende Gott genannt wird) gegenüber.
-Vielleicht hierher gehört auch die <span class="gesperrt">germanische</span> Kosmogonie, denn
-im Eddagedicht Vafthrudnismal werden für Sonne, Mond, Tag, Nacht,
-Jahreszeiten Väter angegeben (Mundilföri für Sonne und Mond, Dallingr
-für den Tag, Norvi für die Nacht, Windswalr für den Winter, Savasudr
-für den Sommer: alle offenbar Appellativnamen). Die Erde ist aus Ymir
-hervorgegangen. Aber das Voluspagedicht, das von letzterem sehr wohl
-weiß, erzählt nichts von Vätern der erstgenannten Dinge; Sonne und Mond
-werden als vorhanden eingeführt, nur ohne Namen und ohne bestimmten
-Sitz, bis beides die Götter verliehen.</p>
-
-<p>Die <span class="gesperrt">Schicksalsgottheiten</span> sollten nach unserem Gefühl mit den
-ethischen Gottheiten verbunden sein. Tatsächlich sind sie es nicht, sie
-stehen neben diesen. Sie sind auch früher als diese, denn Ethik, selbst
-nur Sinn für Recht und Unrecht ist nicht ursprünglich naturmenschlich,
-sondern Folge höherer Gesittung; ein praktisches Regulativ zwischen
-Egoismus und Altruismus, das das wirkliche Zusammenleben der
-Menschen miteinander ermöglicht &mdash; abgesehen von der Kindesliebe,
-die ja überhaupt nicht bloß eine menschliche Eigenschaft ist. Die
-Schicksalsgottheiten entstammen dem dumpfen Gefühl der Ohnmacht des
-Menschen gegen Tod und Unheil. Alle müssen sterben, und vieles Unheil
-läßt sich mit aller Mühe, allem Flehen und allen Gaben an die gewählten
-Gottheiten nicht abwenden. Da der Mensch jedes gegenständlich auffaßt,
-so denkt er sich zuletzt persönliche Mächte, welche unbewegbar walten,
-und deren Willen gegenüber selbst seine Gottheiten ohnmächtig sind.
-So hängt sein Los ab von diesen Gottheiten und vom Schicksal. Erstere
-bewirken alles, sofern jene letzteren indifferent sich verhalten,
-Gutes und Böses; daher ihre Verehrung und Versöhnung mit Gabe und
-Beschwörung. Aber die Schicksalsgötter sind nicht zu beugen, sie werden
-darum sehr gefürchtet, und an ihnen wird möglichst vorbeigegangen. Die
-<span class="gesperrt">Griechen</span> hatten für ihre<span class="pagenum"><a name="Seite_137" id="Seite_137">[S. 137]</a></span> Moirai: Klotho, Lachesis, Atropos;
-die Spinnerin (des Lebensfadens), die Loserin (der Geschicke), die
-Unabwendbare, einen gewissen, aber nur wenig verbreiteten Kult; die
-Römer für ihre Parcae: Nona, Decima, Morta, gar keinen, obwohl Parca
-ursprünglich Geburtsgöttin war. Ob die <span class="gesperrt">germanischen</span> Nornen, in
-der Edda Urdr, Verdandi, Skuld (aber auch andere) verehrt worden sind,
-steht wohl nicht fest. Je höher die Herrscher- und Schaffensgottheiten
-steigen, um so mehr müssen die Schicksalsgottheiten zurücktreten.
-Sie verhalten sich darum überhaupt mehr passiv; sie herrschen nicht,
-schaffen nicht und leiten nicht. Sie bestimmen nur ein für allemal.
-Was sie bestimmen, geschieht, mitunter freilich (wie bei Homer) unter
-ihrer Mitwirkung. Trotz ihrer unabwendbaren Macht sind sie also nicht
-immer kosmische Gottheiten. Die griechischen <span class="gesperrt">Moiren</span> waren
-Töchter von Zeus und Themis. Daher sind sie von den Unsterblichen den
-Sterblichen gesetzt, wie Penelope sagt. Ja, jedem Sterblichen kann
-eine Moira gesetzt sein. Dann ist Moira einfach das Geschick, und
-Zeus heißt der Moiragetes, wie Apollon der Musagetes. Aber Hesiodos
-nennt im „Schild des Herakles“ Atropos die „älteste und erhabenste
-Göttin“. Die <span class="gesperrt">Nornen</span> haben zum Teil noch niedrigere Abkunft,
-außer von Göttern auch von Alben und Zwergen. Mehr der indischen
-Auffassung von der Allbedeutung und Allmacht des Wortes entspricht die
-griechische Aisa und römische Fata für Moira und Parca. Es sind der
-Spruch des Zeus und des Jupiter, als der höchsten Gottheiten, dem aber
-diese Gottheiten selbst nicht mehr sich entziehen können, so daß die
-Folgen ganz unabwendbar bleiben. In dieser Auffassung schwinden die
-Schicksalsgottheiten als solche völlig und gewinnt das Wort bestimmende
-Kraft, oder der Spruch, oder der Gedanke, oder das Opfer. Das gehört
-schon in die Betrachtung der letzten Klasse von Gottheiten. Bei anderen
-Völkern als den genannten habe ich besondere Schicksalsgottheiten, den
-Moiren entsprechend, überhaupt nicht finden können; bei diesen werden
-also die eigentlichen Gottheiten zugleich auch das Geschick bestimmen.
-Sie haben auch nicht solche Sagen wie die Griechen, von dem Sturz
-ganzer Götter<span class="pagenum"><a name="Seite_138" id="Seite_138">[S. 138]</a></span>dynastien, und wie die Germanen, von der Vernichtung von
-Göttern in der Götterdämmerung, wenn auch Weltvernichtung ihnen bekannt
-ist.</p>
-
-<p>Ins Äußerste getrieben, führt die Schicksalslehre zum
-<span class="gesperrt">Fatalismus</span>, dem <span class="gesperrt">Kismet</span>, einem Bruder der rein
-mechanistischen Weltanschauung. Selbst das noch verhältnismäßig frohe
-Griechentum kennt diese triste Seelenberuhigung, der sich später
-namentlich die stoische Schule bemächtigte. Aber wie rührend klagt
-nicht schon Hekabe in den Troerinnen des Euripides:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">In die Wechsel des Schicksals füge dich still;</div>
- <div class="verse">Schiff hin, wie der Gott, wie die Welle dich treibt,</div>
- <div class="verse">Und kehre den Bug nicht wider den Strom;</div>
- <div class="verse">Denn du fährst mit dem Steuer des Schicksals.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Von Gottheiten wie Nike, Fortuna, Victoria, Sors usf. braucht hier
-nicht gesprochen zu werden.</p>
-
-<p>„Fast in allen polytheistischen Religionen,“ sagt Twesten in seinen
-„Ideen der asiatischen Kulturvölker und Ägypter“, „welche Spuren ihrer
-älteren Gestaltung in der Überlieferung oder in dem späteren System
-bewahrt haben, bei den indischen und iranischen Ariern, wie bei den
-Ägyptern und bei den Griechen, tritt die Verbindung der Götter mit den
-Körpern oder Kräften der Natur mehr und mehr in den Hintergrund, indem
-bald an denselben Göttern intellektuelle und moralische Eigenschaften
-die Naturseite zurückdrängen, bald ein neues Geschlecht das ältere
-ersetzt, wenn dieses den geistigen Ansprüchen nicht mehr genügt.“ Das
-letztere muß zwar, als zu hoch gedacht, abgelehnt werden, aber mit dem
-voraufgehenden kann man sich nur einverstanden erklären.</p>
-
-<p>Die <span class="gesperrt">ethischen Gottheiten</span>, sofern sie mit dem Jenseits in
-Verbindung stehen, werden wir später behandeln. Für das Diesseits
-<span class="gesperrt">besondere</span> ethische Gottheiten einzuführen und hoch zu verehren,
-war nur den <span class="gesperrt">Griechen</span> vorbehalten. Apollon, Nemesis, Themis
-haben nirgends ein gleiches. Die Furiae der Römer, die den Erinnyen
-entsprechen, stehen gleichwohl in weiter Ferne von ihnen, da sie
-nur Gespensterseelen von Verbrechern sind, deren die Götter sich
-bedienen, lebende<span class="pagenum"><a name="Seite_139" id="Seite_139">[S. 139]</a></span> Verbrecher zu schrecken und zu strafen. In Apollon
-hat das, was wir als Griechentum bezeichnen, die Kalokagathie, seine
-blühendste Idee erreicht. Sonst werden die verschiedenen Gebiete des
-Ethos von verschiedenen Gottheiten mitverwaltet, insgesamt namentlich
-von der höchsten Gottheit. Die griechische Kalokagathie schließt ein:
-Gerechtigkeit, edles Benehmen, in sich gefaßte Harmonie des Lebens,
-ruhige Milde, Liebe zu Kunst und Kenntnis. Was über diese Eigenschaften
-hinausgeht: die entsagende, tiefgefühlte und stets geübte Liebe zur
-Menschheit, gehört, soweit ich sehen kann, nicht zum Kreise der
-Apollinischen Lehren. Man denke nur, wie als etwas so Außerordentliches
-es hervorgehoben wurde, daß die Athener einen Altar des Mitleids
-hatten, was doch selbstverständlich hätte sein sollen. Ein anderes
-dagegen mutet uns in der Apollinischen Lehre christlich und mosaisch
-an, die Entsühnung von Sünde; Apollon ist auch der entsühnende Gott.
-Er ist überhaupt die Gottheit des höheren inneren Lebens, darum auch
-der Amphiktyonie. Am nächsten den Griechen stehen die <span class="gesperrt">Eranier</span>;
-Ahurô Mazdâo ist das Prinzip des Guten, er ist aber zugleich ein
-Weltgott, das Prinzip des Lichtes. Das Gute, das er vertritt, bedeutet
-Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit. Das Schöne fehlt bei ihm, das für
-Apollon so charakteristisch ist: die edle Einfalt und stille Größe,
-wie Winckelmann von der Kunst der Griechen sagt. Wohl auch die
-vorbezeichnete Liebe. Ahurô Mazdâo, Ormuzd, gleicht mehr dem Zeus, der
-ja auch die Gerechtigkeit verwaltet, und nur partiell dem Apollon. Die
-<span class="gesperrt">Indier</span> haben in der Wischnu-Lehre einen wunderlichen Ausweg
-gefunden, um einen Gott in verschiedener Bedeutung für die Welt
-erscheinen zu lassen und ihn zugleich menschlich-persönlich zu machen,
-die Inkarnationen, Awatâras, Wischnus. Von diesen kommen hier die erste
-und neunte in Betracht. Als Krischna ist Wischnu das Ideal alles Edlen,
-Guten und Schönen; halb Gott, halb Mensch, zieht er von Land zu Land
-in stetem Kampfe mit dem Schlechten und Gemeinen. Die schon erwähnte
-Bhagavad-Gîtâ (<a href="#Seite_115">S. 115</a>) enthält die Lehren dieses Gottes. Sie werden
-unendlich variiert vorgetragen:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_140" id="Seite_140">[S. 140]</a></span></p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Furchtlosigkeit und Lauterkeit, im Wissenstrieb Beharrlichkeit,</div>
- <div class="verse">Freigebigkeit, Enthaltsamkeit und Opfer, Buße, Redlichkeit</div>
- <div class="verse">Und Unschuld, Güte, Freundlichkeit, Wahrhaftigkeit, Leutseligkeit</div>
- <div class="verse">Und Menschenliebe, Milde und Ernst, Schamhaftigkeit und Festigkeit,</div>
- <div class="verse">Kraft, Langmut, Würde, Mäßigkeit, Ausdauer, Demut</div>
- <div class="verse">Sind Zeichen göttlicher Geburt;</div>
- <div class="verse">Stolz, Heuchelei, Zorn, Prahlerei, Schamlosigkeit, Unwissenheit,</div>
- <div class="verse">Wer diesen frönet, ist dämonischer Geburt geweiht.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">An anderer Stelle werden Wollust, Zorn und Geiz die drei Pforten der
-Unterwelt (Hölle) genannt. Das entspricht alles der Apollinischen
-Lehre. Und doch ist im wesentlichen Krischnas Lehre weit von dieser
-entfernt, denn ihr Grundzug ist die absolute Entsagung; frei von
-Begierden, aber auch frei von Gefühlen. Den Menschen soll kein Leid
-anfechten, aber auch keine Freude erfreuen, die Sinnenwelt soll ihm
-nichts gelten:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">In jedem Ding der Sinnenwelt sind stetig Lieb’ und Haß vermählt,</div>
- <div class="verse">Die beiden sind des Weisen Feind; drum frön’ er nicht der Sinnenwelt.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Und an anderer Stelle:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Dem Eifer geht das Wissen vor, dem Wissen die Beschaulichkeit,</div>
- <div class="verse">Entsagung der Beschaulichkeit, und ihr die Unerregbarkeit.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Das ist nichts Apollinisches, Apollon ist der Gott des maßvollen
-Lebens, er ist auch der Gott der schönen Sinnenwelt. Krischnas Lehre
-hat im späteren Buddhismus ihre Höhe erreicht (<a href="#Seite_214">S. 214</a> f.). Und wirklich
-wird der Buddha als neunte Inkarnation Wischnus angesehen. Nach der
-Meinung der Wischnuiten gibt es unzählige Buddhas, die jedesmal
-erscheinen, wenn die Welt in Genuß, Sünde und Leiden versunken ist. Der
-geschichtliche Buddha ist einer von ihnen. Und der Zweck der Lehre?
-Nicht die Menschheit apollinisch zu immer höheren und höheren Idealen
-zu führen, sie immer mehr dem Schönen und Guten zu unterordnen, sondern
-ihr den Willen zum Leben zu nehmen, daß die Menschen nicht im Kreise
-der Seelenwanderung wiederkehren, daß sie in das allgemeine Nirwana
-&mdash; Krischna, als das Allwesen, sagt: in ihn &mdash; eingehen und aufgehen.
-Davon später.</p>
-
-<p>Andere Völker haben auch Gottheiten, die die Sitte wahren, wie die
-<span class="gesperrt">Germanen</span> Freyr, Freia und Fricka, aber nicht ganz<span class="pagenum"><a name="Seite_141" id="Seite_141">[S. 141]</a></span> von der
-Bedeutung und der Hoheit der behandelten. Bei manchen finden sich
-„Söhne“ der Gottheiten, wie Söhne des Rā in Ägypten, die Sonnensöhne
-des Inkalandes, die Himmelssöhne des Reiches der Mitte, die Nachkommen
-der Amaterasu in Japan. Dann haben diese als Fürsten und Herrscher
-die Bedeutung ethischer Gottheiten, neben ihren sonstigen göttlichen
-Eigenschaften. Ethos wird dann freilich meist von diesen Herrschern
-definiert. Und wenn dabei Eigennutz, Grausamkeit, Schwäche und
-Urteilslosigkeit mitspielen, so ist das Volk dieses auch von seinen
-Gottheiten gewöhnt. Aber Ordnung schafft diese Anschauung. Und mitunter
-in so bewunderungswürdiger Weise wie in Peru, da der Mensch über den
-Menschen mehr unmittelbare Macht hat als die Gottheit, er also jeden zu
-seinem willenlosen Sklaven zwingen kann. Später tritt das Gesetz als
-diese Gottheit auf und die gesellschaftliche Sitte; die Gesamtheit ist
-die Exekutive, oder Organe sind es, die bestellt sind. Keine höhere
-Stufe aber gibt es, als wenn das sokratische Daimonion in uns wohnt,
-wir das Ethos aus uns selbst schöpfen.</p>
-
-<p>Wir kommen zu der letzten Klasse von Gottheiten, zu den
-<span class="gesperrt">Begriffsgottheiten</span>. Es versteht sich von selbst, daß je
-höher die Gedanken von den Gottheiten steigen &mdash; ohne daß diese
-Gottheiten in das All selbst einverleibt werden, was der Pandeismus
-vollbringt, dessen Betrachtung später folgt &mdash;, diese um so mehr der
-irdisch-menschlichen Eigenheiten, Eigenschaften entkleidet werden. So
-nähern sie sich stetig dem rein Begrifflichen, und das Persönliche
-macht sich nur noch in der Art des Begrifflichen geltend, und
-darin, daß auch dem Begrifflichen Wirkung zugeschrieben wird. Die
-Indier allein haben es hier zur letzten Konsequenz gebracht. Ihre
-begriffliche Urgottheit ist Tad, nichts weiter als Das ohne jede
-Eigenschaft; nicht einmal Sein oder Nichtsein wird diesem reinen
-Begriff zugesprochen. Doch weil mit einem solchen einzelnen Begriff
-absolut nichts anzufangen ist, haben die Indier freilich noch andere
-Begriffsgottheiten eingeführt, wir das Wort oder der Spruch oder der
-Gedanke, die Ordnung, das Opfer. Ist die Welt vorhanden, so können<span class="pagenum"><a name="Seite_142" id="Seite_142">[S. 142]</a></span>
-diese Dinge als weltregierende Prinzipe angesehen werden, die Prinzipe
-sind vergottheitet. Mußte die Welt jedoch erst geschaffen werden, so
-ist den Begriffen eine tätige Macht zuzuschreiben. Davor sind die
-Indier nicht zurückgeschreckt, sie sind konsequenter gewesen als
-Platon, zwischen dessen Ideen und den Dingen eine unüberbrückbare
-Kluft besteht. Die Begriffe wirken wie der Logos, λόγος, von dem wir
-noch zu sprechen haben, und sie werden auch so persönlich gefaßt wie
-dieser λόγος. Andeutungen einer solchen Begriffsanschauung finden
-sich bei den Indiern schon in frühester Zeit. So heißt es in den
-Vedânta-Upanishaden: Am Anfang war das Sat. Max Müller übersetzt
-Sat mit das Seiende, τὸ ὄν; an einer anderen Stelle wird gesagt: Am
-Anfang war das Asat, also das Nichtseiende, τό μὴ ὄν. Wie in einer
-Polemik gegen diese sich anscheinend widersprechenden Angaben wird
-in der Bhagavad-Gîtâ behauptet: „Das anfangslose Brahma heißt nicht
-Sein noch Nichtsein“. Daher auch andere Formeln vorhanden sind wie:
-„Im Anfang war das Selbst“, was wohl Tad bedeutet. Oder <span class="gesperrt">Tad twam
-asi</span>: „<span class="gesperrt">Das Selbst bist du.</span>“ Es ist ganz natürlich, daß so
-abgrundtief-abstrakte Auffassungen dem Ausdrucke, der doch immer an
-dem Materiellen hängt, widerstreben, und daß darum selbst noch so
-weitgehende Umschreibungen doch immer an Materielles erinnern. Aber
-freilich kommt hinzu, daß, indem aus dem Immateriellen Materielles
-folgen soll, ersteres selbst auf der höchsten Stufe unwillkürlich
-Materialität gewinnt und so zu dem äußersten Seienden wird, das
-alles umfaßt. Hier nun verschmilzt die Begriffsanschauung einerseits
-mit dem Deismus und Pantheismus, sowie mit der Theosophie und dem
-Emanismus, die bald zu besprechen sind. Andererseits geht sie in den
-Materialismus insofern über, als, sobald sie materialistisch ist,
-sie in die Anschauung einer Allmaterie führt, oder zu etwas, das in
-der materiellen Welt wahrgenommen wird. So heißt es in denselben
-Upanishads, die von dem Selbst als von dem Urding sprechen, auch: Am
-Anfang war Finsternis; und gar: Am Anfang war Wasser; auch: Am Anfang
-war Pragâpati, der Herr alles Geschaffenen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_143" id="Seite_143">[S. 143]</a></span></p>
-
-<p>Sehr nahe den Begriffsreligionen scheint der von Lao tsse (etwa um 600
-v. Chr.) bei den <span class="gesperrt">Chinesen</span> weitergebildete (<a href="#Seite_122">S. 122</a>) „Taoismus“
-zu stehen. Das Urwesen ist Tao, ein absolutes Sein und absolutes
-Wissen, also etwa wie das indische Tad mit Tapas vereint. Zu diesem
-Tao kommt Yin, das gebärende weibliche Prinzip, und Yang, das tätige,
-gestaltende männliche. Ihnen gesellt sich das Khi, eine Art Eros. Damit
-sind neben Tao noch drei kosmogonische Prinzipe gewonnen. Die ganze
-Welt, bis ins einzelne, existiert von je in Tao. Durch jene drei,
-wohl auch in ihm gedachte Prinzipe, kommt sie zur Wirklichkeit. Und
-so ist Tao auch der höchste Gott, dem aber als abstraktem Wesen weder
-Opfer, noch Gebet, noch Geschenk frommt, sondern nur ein tadelloses
-Leben (<a href="#Seite_122">S. 122</a>). Eine solche geistige Lehre konnte für die Chinesen so
-wenig bedeuten, wie die entsprechenden hohen Lehren anderen Völkern.
-Sie ist bald in Verfall geraten und hat sich der staatlichen Religion
-gegenüber nicht halten können. Die <span class="gesperrt">Griechen</span> sind spät erst zu
-Abstrakten als kosmogonischen Prinzipen gelangt, wie δύναμις, νοῦς,
-ἀνάγκη, πιστίς; Schaffenskraft, Vernunft, Notwendigkeit, Glaube und
-Ähnliches. Die <span class="gesperrt">römischen</span> Begriffsgottheiten darf man nicht
-hierher rechnen; die Indigetes sind allmählich ersonnene, Tätigkeiten
-und Geschehnisse darstellende, und darum ihnen vorstehende Gewalten,
-die der Römer auf Schritt und Tritt vor sich fand, und die nichts mit
-den höheren Fragen der Menschheit zu tun hatten, sondern nur mit ihren
-Verrichtungen und den Vorgängen in ihrem Leben. Es sind vergeistete
-Begriffe; jeder einem engen Gebiet angehörend und insgesamt, trotz der
-sehr großen und beliebig zu vermehrenden Zahl, für die Weltanschauung
-nicht bedeutender als die Geister selbst. Das sieht man an solchen
-Vergeistungen wie Adeona (für die Rückkehr der Kinder), Afferenda (für
-die Zubringung der Mitgift), Fabulinus (für das Sprechen der Kinder),
-Mutunus Tutunus (für die Begattung und Befruchtung) usf. Nicht wenige
-im Heer der Indigetes sind überhaupt Erscheinungen, wie der berühmte
-Aius Locutius, die mächtige Stimme, welche dem Plebejer M. Caedicius
-in der Nacht verkündete, daß die<span class="pagenum"><a name="Seite_144" id="Seite_144">[S. 144]</a></span> Gallier auf Rom rückten, und andere.
-Von weiteren Völkern ist in dieser Hinsicht noch weniger zu sagen,
-sofern es sich um Anschauungen im Gebiete des Religiösen handelt.
-Erst in einer monotheistischen Anschauung finden wir eine Bezeichnung
-Gottes, die ganz der begrifflichsten der Indier entspricht. Da Mose
-in der Szene am Dornbusch Gott um seinen Namen fragt, um sich dem
-Volke gegenüber darauf berufen zu können, wird ihm zur Antwort: Eheje
-ascher Eheje, „Ich werde sein, der ich sein werde“, so solle er dem
-Volke sagen. Wie das indische „Tad twam asi“ klingt dieses. Und der
-Name, den wir Jehova lesen, steht ja auch mit Sein in Verbindung. Und
-auch darin ist viel Ähnlichkeit zwischen den in Religionsanschauungen
-von allen Ariern am weitesten gekommenen Indiern und den in gleicher
-Weise unter allen Semiten am meisten sich auszeichnenden Hebräern, daß
-neben dem Abstraktesten als Gottheit auch so Konkretes aufgefaßt und
-ausgesagt wird, nur daß hier das Konkrete bei anthropomorphistischer
-Redeweise endet, dort darunter noch tief hinabgeht. Namentlich aber
-fehlt den Hebräern die Mehrheit der Begriffsgottheiten, die sich bei
-den Indiern in Tad, Tapas, Om, Ritam, Satyam, Brahman, Purusha, Sat,
-Asat usf. kundtut und eben dem Polytheismus angehört, im Gegensatz zum
-Monotheismus.</p>
-
-<p>Die religiösen und die mit ihnen zusammenhängenden Weltanschauungen
-im Polytheismus haben sich noch nach anderer Richtung hin entwickelt,
-nach der des <span class="gesperrt">Henotheismus</span>. Ich muß aber hier eine Bemerkung,
-die ich über diese Heraushebung einer gewissen Erscheinung in den
-Religionsansichten in meinem Buche „Die Entstehung der Welt“ gemacht
-habe, zurücknehmen. Ich halte jetzt den von Max Müller betonten
-Unterschied zwischen Henotheismus und Monotheismus für durchaus
-berechtigt, ja notwendig. Bekanntlich hat man früher dazu geneigt, der
-Menschheit den Monotheismus als das Ursprüngliche, den Polytheismus
-als das Spätere zuzuschreiben. Der lange und heftig darüber geführte
-Streit ist im Grunde wesenlos. Wenn ein Mensch mit dem Begriff Gottheit
-nicht das verbindet, was wir damit<span class="pagenum"><a name="Seite_145" id="Seite_145">[S. 145]</a></span> verbinden, sondern nicht mehr als
-was der Naturmensch darunter versteht, oder höchstens die Annahme
-einer besonderen Übermacht, so ist es ziemlich gleichgültig, ob er
-mehrere Götter setzt oder nur einen Gott. Indessen müssen wir doch
-auch sagen, daß der Naturmensch praktisch sicher sich niemals mit
-einem Gott begnügt. Die Idee, die er von Gott hat, ist so ganz auf
-ihn und seine Bedürfnisse zugeschnitten, daß er immer eine große Zahl
-von Gottheiten braucht. Wie er, wenn er steigern will, einfach die
-Worte wiederholt, zum Beispiel viel-viel für mehr, ferne-ferne (vgl.
-das griechische Tar-Taros) für sehr ausgedehnt, so nimmt er zwei und
-mehr Gottheiten, um sein Ziel desto sicherer zu erreichen. Und da die
-Gottheiten auch so beschränkt sind, wie er selbst sich fühlt, bedarf er
-für jeden besonderen Fall auch eine besondere Gottheit. Ich habe schon
-erwähnt, daß oft in Hütten unzählige Gottheiten vorgefunden werden, und
-daß dem Wilden und dem nicht unterrichteten Volke überhaupt die ganze
-Welt mit Geistern aller Art erfüllt ist. Es mag sein, daß manches Volk
-schon in sehr frühen Kulturzuständen eine reinere Religionsanschauung
-besitzt. Curtius spricht in diesem Sinne von den Pelasgern und ihrem
-Dienst zu Dodona, der sich wesentlich nur auf ein Götterpaar, Zeus und
-Dione, bezogen haben soll. Allein Religionen entwickeln sich in der
-Regel mit steigender Kultur zu immer höheren Anschauungen und immer
-reineren Diensten. Wenigstens von dem Moment ab, wo letztere mit vollem
-Bewußtsein geübt werden; während vorher, da der ursprünglich so rohe
-Dienst fehlt, anscheinend, eine edlere Religion besteht, die aber
-bewußt überhaupt noch nicht vorhanden ist, sondern nur dumpf gefühlt
-oder geahnt wird. Es verhält sich mit solchen Religionsanschauungen,
-die also als Menschen-Gemeingut sich einstellen, wie mit der Kultur
-selbst.</p>
-
-<p>Anders ist es mit den anormal von Einzelnen den Menschen verkündeten
-und ihnen aufgedrängten Lehren. Deren Hoheit freilich geht mit den
-Stiftern zugrunde, oder erhält sich nur kurze Zeit nach ihnen. Und die
-Anschauungen sinken mitunter in erschreckender Weise, bis Propheten
-und Reforma<span class="pagenum"><a name="Seite_146" id="Seite_146">[S. 146]</a></span>toren kommen, die ihnen für einige Zeit den ursprünglichen
-Sinn wieder verleihen oder wieder zu verleihen sich mühen. An solchen
-Fall des Geistes nur zu denken ist widerwärtig, geschweige darüber
-zu schreiben, zumal in unserer Zeit, wo Menschen und Völker sich
-in Erfindungen überbieten, sich gegenseitig zu vernichten, ganz im
-Gegensatze zu den edelst gemeinten Religionslehren. Von vorgetragenen
-Anschauungen ist aber noch nicht die Rede, sondern von den spontan
-auftretenden. Auch bei diesen ist es möglich, daß die Zahl der
-Gottheiten steigt, statt ständig abzunehmen. Wenn Stämme sich friedlich
-vereinigen, tun sich auch ihre Gottheiten zu einer Gesellschaft
-zusammen. Brugsch hat das für die Ägypter klar erwiesen, deren
-Gaugottheiten, nach Vereinigung der Gaue, alle zu Landesgottheiten
-geworden sind. Selbst wenn Stämme oder Völker durch das Übergewicht
-eines Stammes oder Volkes gewaltsam in eine Herrschaft gezwungen
-werden, gehen ihre Gottheiten im allgemeinen nicht verloren, sobald der
-Zwang nicht eben aus Religionsanschauungen heraus geübt worden ist.
-Die bezwungenen Gottheiten bleiben geduldet, meist sogar anerkannt
-und zu denen der Eroberer kollegial, vielleicht in niederer Stellung,
-gesellt. Welchen Synkretismus haben nicht die Römer geübt! Und gleiches
-zeigt sich bei den Indiern, Mexikanern u. a. Die Hebräer sind in dem
-Lande Kanaan sogleich tief von den Lehren Mose gesunken, indem sie die
-Gottheiten der unterdrückten ersten Besitzer dieses Landes aufnahmen.
-Auch durch einfachen Import können die Götter sich vermehren, wie,
-wahrscheinlich, bei den Griechen aus dem Verkehr namentlich mit den
-semitischen Völkern (Phöniziern, Lydern, Assyrern) und mit Ägyptern,
-sicher bei den Römern; man denke an die einfach aufgenommenen, ja
-herbeigeholten griechischen Gottheiten und an den Isisdienst.</p>
-
-<p>Bei allem aber geht nebenher das unbewußte Bestreben, die Gottheiten
-zu zentralisieren. Daraus erwächst zunächst die Heraushebung gewisser
-Gottheiten als Mittelpunkte, um die sich die anderen Gottheiten
-gruppieren. Gehören diese anderen Gottheiten dem Stamme selbst an, so
-kommt dieses in der Weise zum Ausdruck, daß sie als Söhne, Töchter,
-Enkel,<span class="pagenum"><a name="Seite_147" id="Seite_147">[S. 147]</a></span> Brüder, Schwestern usf. jener Gottheiten aufgezählt werden.
-Daher die Theogonien. Sind sie feindlichen oder niedergeworfenen
-Stämmen entnommen, so spielen sie die Rollen böser Geister oder
-gestürzter Götter. Die Beispiele bei den Griechen sind jedem Leser
-bekannt. Gesellt sich noch zu den Anschauungen der Kult, so zwingt
-auch dieser zu einer gewissen Ökonomie und Hervorhebung. So kann
-zuletzt ein Volk, ein Stamm, ein Gau, eine Stadt, eine Familie, bei
-voller Anerkennung aller anderen noch vorhandenen Gottheiten, die
-Verehrung auf eine einzige Gottheit beschränken, und damit haben
-wir den <span class="gesperrt">Henotheismus</span>. Dem allein verehrten Gott werden dann
-naturgemäß auch alle Eigenschaften zugeschrieben, die auf alle
-Gottheiten verteilt sind. Er nimmt die Stelle des Oberherrschers im
-Gottheitenkreise ein, die zur absoluten werden kann, wenn die anderen
-Götter nur noch die seinen Willen ausführenden Mächte sind, wie die
-Engelscharen Gottes. Einen solchen äußersten Henotheismus hat es
-nie und nirgends gegeben, die Gottheiten haben stets überall ihre
-persönliche Bedeutung behalten. Nicht Zeus, noch Marduk, Rā, Indra,
-Huitzilopochtli, Wuotan usf. konnten je eine solche Stellung in der
-Religionsanschauung erreichen, trotz ihrer Übermacht. Der Henotheismus
-ist also keine vollendete Anschauung, sondern eine solche, der sich
-Völker mehr oder weniger genähert haben, von philosophischen Ansichten
-natürlich abgesehen. Dabei waren freilich die Ideen dem Kult voraus,
-wie immer. Der Grieche mochte also an sich Zeus als den Weltherrscher
-und Weltlenker in der Idee anerkennen. Daneben verehrt hat aber der
-Athener seine herrliche Stadtgöttin Pallas Athene, die Demeter,
-Dionysos und viele andere; der Spartaner seinen Apollon und Herakles
-usf. Immerhin kommt der Henotheismus dem Monotheismus ganz nahe. Am
-nächsten vielleicht ist er ihm bei den Ägyptern, unter dem so seltsamen
-König Amenhotep IV (um 1370 v. Chr.) gekommen, der einzig die Sonne,
-Rā, als Gottheit anerkannt wissen wollte. Wir besitzen aus seiner Zeit
-eine außerordentlich schöne, dem Amenhotep-Echnaton (als Totem) in den
-Mund gelegte Hymne an die Sonne, von der ich es bedaure, daß<span class="pagenum"><a name="Seite_148" id="Seite_148">[S. 148]</a></span> ich sie
-wegen ihrer Länge nicht wiedergeben kann (in Greßmann, Altorientalische
-Texte, S. 189 ff.). Darin wird Rā als der glänzende Gott gefeiert,
-der alles geschaffen hat, Welt, Menschen, Gebirge, Flüsse, Städte,
-Dörfer, Wege, alles Getier, bis zum niedrigsten Wurm, und der über
-alles machtvoll herrscht. Warum der Henotheismus in Monotheismus nicht
-übergehen kann, und auch nicht übergegangen ist, werden wir im nächsten
-Abschnitt sehen.</p>
-
-<p>Zuletzt müssen wir noch eine sehr bedeutungsvolle Anschauung
-hervorheben, die als <span class="gesperrt">dualistische</span> bezeichnet wird, hier aber
-da sie auf der Annahme von zwei <span class="gesperrt">Gegengottheiten</span> beruht, als
-antagonistische darzustellen ist. Daß gute und böse Geister geglaubt
-und verehrt werden, ist schon hervorgehoben und ausgeführt worden.
-Ein sich bewußt bekämpfendes Götterpaar haben aber die Eranier
-geschaffen. Ormuzd als Prinzip des Guten, des Lichtes, und Ahriman
-als Prinzip des Bösen, der Finsternis, bilden dieses Paar. Sie sind,
-sobald Ahriman die Welt des Lichtes entdeckt, in Kampf und bleiben in
-Kampf. Ormuzd schafft alles Gute, Ahriman vernichtet es oder sucht es
-zu vernichten und schafft alles Böse. Gutes und Böses sind eben in
-der Welt vorhanden und ringen miteinander; Zarathustras Anschauung
-ist eine Übertragung in das Göttliche. Die Welt stammt von Ormuzd,
-von ihm ressortieren alle guten Gottheiten und guten Geister. Die
-Unterwelt ist das Werk Ahrimans, und ihm gehorchen alle Dämonen aller
-Krankheiten und Übel. Der Kampf aber soll mehr und mehr zum Siege des
-Guten führen, und dazu sind die Menschen hervorgebracht. Das folgt
-schon aus der geistigen Höhe der Eranier und mehr wohl noch aus der
-des Zarathustra. Der Entwicklungsgang zeigt, daß erst das Böse so sehr
-überwiegt, daß das Gute kaum in Betracht kommt, wie auch viele Völker
-nur dem bösen Prinzip opfern und schmeicheln, aus Furcht. Dann gewinnt
-das gute Prinzip mehr und mehr an Boden und Einfluß. Es stehen aber
-noch beide Prinzipe indifferent nebeneinander, gute Geister und böse
-Geister wirken getrennt. Im weiteren Verlaufe beginnt der Kampf und das
-Übergewicht des Guten. Ich darf aber<span class="pagenum"><a name="Seite_149" id="Seite_149">[S. 149]</a></span> nicht unterlassen hervorzuheben,
-daß nach anderen Anschauungen Ormuzd und Ahriman nicht als getrennte
-Gottheiten aufzufassen sind, sondern daß die höchste Gottheit, nennen
-wir sie Ormuzd, zwei Prinzipe in sich vereinigt, nämlich als Vohu manô,
-der „gute Geist“, der alle Wirklichkeit und Güte hervorbrachte, und
-als Akem manô, der „böse Geist“, aus dem alles Unwirkliche und Üble
-entstanden ist. Und diese Prinzipe sind auch im Menschen vereinigt,
-wie in Ahuramazda. Bei letzterem treten sie als sein Çpenta mainyu,
-sein „wohltätiger Geist“, und als Angra mainyu, sein „schädlicher
-Geist“, auf. Das soll die eigentliche Lehre Zarathustras gewesen sein.
-Dann wäre freilich ihr Dualismus kein Antagonismus, sondern Gott
-wäre so dualistisch in seinem Wirken aufgefaßt wie der Mensch. Dem
-Naturmenschlichen liegt dieses sicher bei weitem näher. Max Müller,
-der ebenfalls Zarathustras Lehre so deutet, weist darauf hin, daß oft
-Eigenschaften der Gottheiten von ihnen getrennt und zu besonderen
-Gottheiten gemacht werden; so sei es später mit dem Angra mainyu
-geschehen, und mit allen besonderen Eigenschaften Ormuzds. Jenes wurde
-zum Ahriman, diese gaben das Heer der weiteren Götter und der Engel.
-Wie Ormuzd sei dann auch der von ihm abgetrennte Ahriman gespalten
-und so mit einem Heer von Unterweltgeistern und Dämonen versehen
-worden. Das sind Ideen, die schon oft geäußert und auch auf andere
-Religionsanschauungen angewendet worden sind, wir begegnen ihnen noch
-in der Emanationslehre. Ahriman ist oft als der gefallene Engel, aus
-dem Satan hervorgegangen ist, der Widersacher, gedeutet worden. Es kann
-kaum einem Zweifel unterliegen, daß ein Teil der persischen Lehren in
-das alexandrinische Judentum und in das Christentum eingedrungen ist.
-In der Tat trägt auch Satan alle Züge des Ahriman. Es ist aber dieser
-Satan nicht der im Hiob, welches ja als eines der ältesten Bücher der
-Bibel, vielleicht das älteste, angesehen wird, vorkommende, da der
-letztere nicht als Prinzip des Bösen auftritt, sondern lediglich als
-eine Art Mephistopheles, ein Ankläger. Gott fragt ihn, ob er schon
-einen so gerechten<span class="pagenum"><a name="Seite_150" id="Seite_150">[S. 150]</a></span> Mann wie Hiob gesehen habe. Da antwortet er, Hiob
-sei ja mit allen Glücksgütern gesegnet. Wenn Gott ihm diese nähme, so
-würde er ihm schon absagen. Auch erscheint dieser Satan im Kreise der
-„Göttlichen“ vor Gott. Ich darf auf den Prolog im Himmel zum Faust
-verweisen. Die Sage von dem gefallenen „Engel“ ist höchst dunkel und
-unbefriedigend. Man sieht, daß sie eigentlich eine Art Erklärung für
-ein angenommenes Fremdes bieten soll, und weder Milton noch Klopstock
-haben im Grunde das Fremde von dieser großartigen Figur des Luzifer
-abstreifen können. Ich habe mich selbst mit ihr beschäftigt und sie
-mir verständlich zu machen versucht; was ich darüber erdichtet habe,
-kann ich aber hier nicht vortragen, ich wills in einem Drama „Adam und
-Lilith“ veröffentlichen.</p>
-
-<p>Indessen ist der Kampf zwischen Gut und Böse so sehr Menschengemeingut,
-daß selbst monotheistische Anschauungen unwillkürlich auch ein
-Prinzip des Bösen einführen; man denke an die Schlange der Bibel.
-Ja, polytheistische Anschauungen können ein Prinzip des Bösen mehr
-entbehren als monotheistische. Denn da ihre Gottheiten beschränkt in
-der Macht sind, vermögen sie schon von selbst nicht alles aus der Natur
-der Dinge und Menschen fließende Böse und Schlimme zu verhindern. Fast
-naiv sagt Zeus gleich im Beginn der Odyssee:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Wunder, wie sehr doch klagen die Sterblichen wider die Götter!</div>
- <div class="verse">Nur von uns sei Böses, vermeinen sie; aber sie selber</div>
- <div class="verse">Schaffen durch Unverstand, auch gegen Geschick, sich das Elend.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">und bezieht sich dann darauf, daß selbst er mit den Warnungen, die
-er durch Hermes hinabsandte, den Aigisthos nicht verhindert habe,
-Klytemnästra zu ehelichen und Agamemnon zu töten. Wenn die Menschen
-außerdem noch das passiv wirkende Schicksal nehmen und Gottheiten,
-die nach Laune entscheiden, so wird eine besondere Gottheit für das
-Schlimme entbehrlich. Bei den Griechen und Römern zeigt sich dieses am
-deutlichsten. Dann bei den Babyloniern, den Germanen (denn Loki ist
-nicht eigentlich das Prinzip des Bösen, nur Wagner hat ihn dazu in
-dem genialen Loge gemacht) u. a. Die Ägypter haben im Set ein solches
-Prinzip, aber nicht entfernt<span class="pagenum"><a name="Seite_151" id="Seite_151">[S. 151]</a></span> von der Großartigkeit und Bedeutung des
-Ahriman. Er ist auch nicht das Prinzip des moralisch Bösen, eher das
-des Naturverderblichen, wie sein Verhalten gegen Osiris zeigt. Auch der
-Indier Çiva und ihre Kali sind wie Set mehr Prinzipe der Vernichtung
-als des Bösen, und Çivas Natur ist keineswegs eine entschiedene,
-sie zeigt sich auch schaffend, wie Wischnu-Krishna Schöpfer und
-auch Vernichter ist. Überhaupt müssen wir das Vernichtende von dem
-eigentlich Bösen scheiden. Ahriman ist vernichtend und böse, die
-entsprechenden Gottheiten anderer Völker, wo solche vorhanden, sind
-nur oder fast nur vernichtend. Sie sind nicht einmal immer oder nicht
-ausschließlich Unterweltsgottheiten wie Ahriman, sie stehen nur mit
-der Unterwelt in Verbindung. Die Eranier haben das böse Prinzip mit
-als Gottheit anerkannt, weil sie den Monotheismus des guten Prinzips
-nicht durchzuführen wußten. Und sie sind wenigstens konsequent darin
-gewesen, indem sie ihm fast die Größe und Macht gegeben haben wie dem
-guten Prinzip. Unberührt davon bleibt ihr sonstiger Polytheismus,
-der teils die Naturerscheinungen betrifft (Sonne, Wetter, Himmel
-usf.), teils mehr begriffliche Dinge und Dinge der Anschauung, wie
-in den Amesha Çpenta: Herrschaft, Weisheit, Unsterblichkeit usf.;
-Raum, Zeit, Kraft, Stoff usf. Die Bedeutung des Kampfes zwischen Gut
-und Böse wird uns aber später noch viel beschäftigen. Denn auf einer
-anderen Stufe, auf der das Böse in das „Fleisch“ verlegt wird, tritt
-das Leben in Kampf mit der Materie, und die Anschauung gewinnt ein
-philosophisch-naturwissenschaftliches Gepräge, trotz ihrer Bedeutung
-für das Ethische, und sie geht auf das All, seinen Zweck, seine
-Entwicklung und sein Ende.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>18. <span class="gesperrt">Monotheistische Anschauungen</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Der <span class="gesperrt">Monotheismus</span> bildet eine Religionsanschauung, die &mdash; wenn
-außerordentliches Wirken und Walten in Frage kommen soll &mdash;, dem
-Gedanken die höchste ist. Die Erfahrung hat aber gelehrt, daß es
-zugleich diejenige Anschauung ist, welcher der Mensch am heftigsten und
-am meisten<span class="pagenum"><a name="Seite_152" id="Seite_152">[S. 152]</a></span> widerstrebt. Der Einzige ist dem Menschen zu übergeordnet,
-zu unnahbar. Und leitet Einer alles im All, so hat er nicht nur
-Unzähliges zu versorgen, sondern auch Unzähliges nach unzähligen
-Richtungen. Wie sollte das Individuum dabei mit seinen Sonderwünschen
-Berücksichtigung finden! Der Allgott kann nicht Hausgott sein, kaum
-Volksgott. So wenigstens spricht es allgemein im Menschen. Wir sehen
-denn auch geschichtlich, daß keine monotheistische Anschauung auf dem
-Wege der Entwicklung erstanden ist, daß alle, die wir kennen, von
-bestimmten Personen ins Leben gerufen sind (<a href="#Seite_81">S. 81</a>), von Menschen,
-die gewaltigen Geistes den Gang der Entwicklung <span class="gesperrt">unterbrochen</span>
-haben und die Menschheit in Bahnen leiteten, die ihr ganz fremd
-gewesen sind, denen sie höchst widerwillig folgte, die sie bei jeder
-Gelegenheit verlassen hat, und die sie noch heute scheuend möglichst
-meidet. Daraus schon kann man schließen, daß der Monotheismus nicht aus
-irgendeinem Polytheismus sich sublimiert hat. Aber ein noch stärkeres
-Argument besteht in folgendem. Wir kennen keine einzige polytheistische
-Anschauung, in der nicht neben dem männlichen Prinzip das weibliche
-vertreten wäre, und zwar nicht etwa bloß untergeordnet nebenbei,
-sondern meist durchaus nebengeordnet und hauptsächlich. Istar ist
-ein absolutes Hindernis für eine Monotheisierung der babylonischen
-Anschauungen, Hathor oder Isis für eine solche der ägyptischen, Dione,
-Hera, Athena für eine solche der griechischen, usf. durch ausnahmslos
-alle wirklich polytheistischen Anschauungen. Im ältesten Monotheismus,
-der Grundlage für alle anderen entsprechenden Anschauungen, findet
-sich auch nicht die leiseste Spur eines weiblichen Prinzips neben dem
-männlichen. Ich habe schon bemerkt, daß polytheistische Anschauungen
-nicht einmal zu einem wirklichen Henotheismus geführt haben. Jetzt
-sehen wir, daß sie dahin auch gar nicht führen können. Sie vermögen
-nur bis zu einem Duismus, zu einem Gottheitpaar (unterschieden vom
-Dualismus der Gegengottheiten der Eranier) aufzusteigen, nicht zu
-einem einzigen Gott. Gäbe es polytheistische Anschauungen ohne ein
-weibliches Prinzip, so wäre ein solches<span class="pagenum"><a name="Seite_153" id="Seite_153">[S. 153]</a></span> Aufsteigen, wenn auch,
-nach der Art des Menschen, nicht wahrscheinlich, doch wenigstens
-möglich. Solche Anschauungen aber hat kein Polytheismus ausgebildet.
-Das gewaltige Hindernis des weiblichen Prinzips für wirklichen
-Monotheismus hat auch der ebenso große Orientalist wie außerordentliche
-Babylonierbewunderer F. Delitzsch anerkannt. Wenn er und andere, wie
-namentlich der so verdienstvolle Pfarrer Jeremias, wenigstens von
-„monotheistischen Unterströmungen“ bei gewissen Völkern, namentlich
-aber den Babyloniern, sprechen, so muß es richtiger „henotheistische
-Unterströmungen“ heißen. Was Friedrich Delitzsch sagt, muß ich
-anführen („Babel und Bibel“, erster Vortrag 1905, S. 81 f., Anmerkung
-42). Seine babylonischen Zitate gebe ich aber in Übersetzung nach
-Greßmann („Altbabylonische Texte“) und vollständig, damit der Leser
-selbst urteilen kann. Der Text &mdash; als Tafel des Kudurru Sohnes des
-Mastukku unterzeichnet und als kollationierte Kopie eines älteren
-Textes angegeben &mdash; ist neubabylonisch; aus welcher Zeit er stammt,
-ist nicht entschieden. Greßmanns Übersetzung ist insofern nicht
-vollständig, als vor dem Namen die Bezeichnung „Gott“ (il) fehlt. Die
-Formel lautet immer: „Gott (Name) ist Marduk in bezug auf...“ Nur
-dreizehn Götter sind lesbar: Tu, Lugal-Akila, Ninib, Nergal, Zamama,
-Ellil, Nabium, Sin, Samas, Adad, Tishu, Râbu, Sukamuna. Diese also
-sind Marduk mit Bezug auf: Pflanzung, Quelltiefe, Kampf, Schlacht,
-Herrschaft und Entscheidung, Erleuchtung der Nacht, Recht, Regen,
-Heer,?, Bewässerungsröhren. Auf der Rückseite als Fortsetzung können
-wir noch fünf Zeilen wenigstens teilweise lesen, nach der Formel:
-Eigenschaftsname (Untersucher, Üppiger sind noch zu entziffern), Bild,
-Göttername. Darunter steht: „Zusammen acht Bilder der großen Götter“;
-Zamama, Nabium, Nergal, Sulmânu, Pabilsag sind als solche Götter noch
-zu entziffern. Diese Rückseite, die drei Namen enthält, die auch auf
-der Vorderseite stehen und die von demselben Schreiber herrührt,
-läßt keinen Zweifel, daß es sich überall um Götter, mindestens zum
-Teil sogar um große Götter handelt, falls die Vorzeichnung il = Gott
-zur Feststellung noch nicht ausreichen sollte. Also ist Marduk<span class="pagenum"><a name="Seite_154" id="Seite_154">[S. 154]</a></span>
-einfach diese Götter, er hat ihre Verrichtungen. Friedrich Delitzsch
-sagt nun: „Marduk ist sowohl Ninib als Nergal; sowohl Mondgott wie
-Sonnengott usw.“ Das von ihm sogar gesperrt gesetzte „ist“ steht nicht
-im Text, bei Greßmann ist es als von ihm zugesetzte Erläuterung in
-Klammern getan. Doch mag das sein. Wie darf man aber aus einer solchen
-Festsetzung schließen, daß der biblische Monotheismus babylonisch
-ist? Es kommt hier nicht darauf an, daß es sich gerade um Bibel
-und Babel handelt, sondern ob jene Festsetzung einen Monotheismus
-bedeutet. Da ist es mir schwer begreiflich, wie man den Charakter
-des Monotheismus so verkennen kann. Im Monotheismus ist Gott weder
-Sonnengott, noch Mondgott, noch überhaupt ein Erscheinungsgott. Wir
-haben hier Jehova als Beispiel. Wo steht in der Bibel auch nur ein
-Wort davon, daß Jehova Sonnengott, Mondgott, Pflanzengott, Besitzgott
-usf., sogar Bewässerungsröhrengott ist? Gott steht im Monotheismus
-über alle Welt, er ist nichts von dem in der Welt; er schafft die
-ganze Welt (in der Bibel einfach durch Befehl) und regiert die ganze
-Welt. Marduk, selbst in der Deutung durch Delitzsch, ist nichts weiter
-als so und so viele Götter bestimmter Gegenstände und Erscheinungen,
-die der betreffende Verfasser des Textes sogar sämtlich aufzuführen
-sich gezwungen sieht, gewisse acht „großen Götter“ (als Bilder)
-<span class="gesperrt">zusammenzählend</span>. Das steht tief selbst unter der Auffassung, die
-die Griechen von Zeus hatten, den sie ja auch Zeus-Helios, Zeus-Hades
-nennen und der ihr Gottherrscher gewesen ist. Und was sagen alles
-die Ägypter von fast jedem ihrer Götter aus, und wie außerordentlich
-viel Höheres und Umfassenderes! Delitzsch schwächt im Laufe seiner
-Auseinandersetzung seine Ansicht auch ab, indem er meint: „Es läßt
-sich, soweit dieser Text in Betracht kommt, <span class="gesperrt">höchstens</span> von
-einer monotheistischen Unterströmung reden.“ Ich selbst glaube, kaum
-von einer henotheistischen Unterströmung. Ich darf mich mit diesen
-Auseinandersetzungen begnügen, aus denen wohl hinreichend erhellt, was
-unter Monotheismus zu verstehen ist und wie er sich zu Polytheismus
-und Henotheismus verhält.<span class="pagenum"><a name="Seite_155" id="Seite_155">[S. 155]</a></span> Von den monotheistischen Anschauungen
-braucht nichts gesagt zu werden; wir sind alle in ihnen erzogen.
-Und worin wir dabei mit uns selbst in Kampf geraten, das gehört vor
-das Forum des Philosophisch-Naturwissenschaftlichen. Dahin &mdash; wenn
-nicht in das Gebiet der Gedankenunfähigkeit oder Gedankenträgheit &mdash;
-gehört auch, was über Atheismus zu sagen wäre, denn Atheismus als
-Religionsanschauung ist natürlich ein Widerspruch in sich und hat auch
-nie existiert.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>19. <span class="gesperrt">Anschauungen von Welt, Menschheit und
-Weltkatastrophen</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Die mythischen und sagenhaften Anschauungen über die <span class="gesperrt">Entstehung
-der Welt und des Menschen</span> habe ich in meinem besonderen Buche
-hierüber dargestellt. Manches ist hier wiederholt, ergänzt und
-weitergeführt, jedoch nur soweit der Zweck dieses Buches es erforderte.
-Von allgemeinerer menschlicher Bedeutung ist dabei die Annahme eines
-Urwesens oder mehrerer Urwesen. Wo nur ein Urwesen in Frage kommt, ist
-es Gott, Rā, Jehova oder Brahma. Ob Nun (auch Ptah, Rā, Amun usf.) der
-<span class="gesperrt">Ägypter</span> Gott oder Urmaterie (Urwasser) bedeutet, ist nicht zu
-entscheiden. Als „Vater der Götter“, als das er in einem Tempel aus
-der Zeit Seti I. bezeichnet und mit Federn auf dem Haupte (Zeichen
-der Beseelung) und der Geißel in der Hand (Zeichen der Leitung)
-dargestellt ist, möchte man ihn für Gott halten, zumal er auch „nutr“
-heißt. Ebenso wenn er der „Herr der Acht“ (<a href="#Seite_132">S. 132</a>) und unmittelbar
-„Schöpfer“ genannt wird. Aber Nun heißt auch der Nil zur Zeit seines
-höchsten Standes, und sogar das Meer; Brugsch bringt Belege dafür. So
-wird es sich wohl um eine Urmaterie in Verbindung mit einem Urgeist
-handeln, was der pandeisierenden Richtung der ägyptischen Anschauungen
-(<a href="#Seite_228">S. 228</a>) entspricht. Bei zwei und mehr Urwesen kann es sich nur um
-Gottheiten handeln, oder um Gottheiten in Verbindung mit Materie. Auch
-hier sind die Anschauungen nicht immer gesichert. Was sind Okeanos und
-Tethys, Gottheiten oder Urwasser und Urkraft? <span class="gesperrt">Homer</span><span class="pagenum"><a name="Seite_156" id="Seite_156">[S. 156]</a></span> spricht
-von ihnen wie von Personen, doch von Okeanos sicher auch wie von einem
-Weltstrome. Und Chaos und Ge, Tartaros und Eros? Chaos möchte man
-für Urmaterie halten, doch zeugt Chaos die Finsternis (ἔρεβος) und
-die Nacht (νύξ). Tartaros scheint mehr ein Begriff zu sein, wie etwa
-Unendlichkeit; später ist es ein Ort. Ge, Gaia, trägt die Züge einer
-Göttin, außerdem ist es freilich auch die klobige Erde. Nur Eros ist
-lediglich Gottheit bei Hesiod, hat aber hier gar keine kosmogonische
-Bedeutung. Die <span class="gesperrt">Eranier</span> kannten außer den Gottheiten Ormuzd
-und Ahriman noch vier andere kosmogonische Urwesen: Twasha, Zrwana
-akarana, Anaghra raocâo, Anaghra temâa, die als Raum, Zeit, Licht,
-Finsternis gedeutet werden; die beiden letzteren sollen auch Kraft und
-Materie darstellen. Sind auch die Amesha Çpenta, zu denen Vohumano,
-Ashavahista, Kshatra, Aurwatat, Ameretat, Armaiti gehören, als Urwesen
-aufzufassen, so kämen noch Eigenschaften hinzu: Erhaltung, Wahrheit,
-Ordnung (Herrschaft), Vollkommenheit, Unsterblichkeit, Weisheit.
-Die Eranier hätten dann freilich alles, was zur Schaffung, Ordnung,
-Wirkung und Leitung einer Welt gehört, schon im voraus angenommen. Den
-<span class="gesperrt">Germanen</span> galten als Urwesen <span class="gesperrt">eine</span> Gottheit und Materie, da
-die Götter Burs Söhne heißen, und aus Ymir, dem Riesen, die Welt gebaut
-wird, wie bei den Indiern aus Purusha (Person). Ob die <span class="gesperrt">Hebräer</span>
-außer Jehova auch die Materie als Urwesen ansahen, ist nicht sicher.
-Es ist nicht nötig, den ganzen Erdball zu durchwandern, wir finden
-immer Urwesen gleich den hervorgehobenen, bald in dieser, bald in jener
-Zusammensetzung. Manche Völker haben je nach der Lehre verschiedene
-Arten von Urwesen angenommen, wie besonders die Indier, außer dem
-absolut Seienden und dem absolut Sinnenden, Tad und Tapas, auch
-persönliche Gottheiten und persönliche Weltwerkmeister (z. B. Varuna)
-und Weltmaterie (was ja Purusha ist). Die noch vor zehn Jahren Modernen
-haben es versucht, den alten Indiern nachzutun und dichterisch die Welt
-aus sich zu schaffen. Da wir uns schon so lange mit schwierigen und
-ernsten Dingen beschäftigen und noch schwierigere und<span class="pagenum"><a name="Seite_157" id="Seite_157">[S. 157]</a></span> ernstere Dinge
-uns bevorstehen, darf ich vielleicht auch für das Vergnügen des Lesers
-etwas tun, indem ich ein Gedicht, das die Kreuzzeitung vor mehreren
-Jahren aus gleichem Grunde mitgeteilt hat, nachdrucke. Der Dichter
-heißt &mdash; ich will’s lieber nicht sagen.</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Im Donnersang, da ich erschuf das Meer,</div>
- <div class="verse">War seine Schöpfung alt, schon tausend Jahre her,</div>
- <div class="verse">Und ich selber uralt,</div>
- <div class="verse">Und verlor Halt und Gestalt,</div>
- <div class="verse">Verfiel trübsinnig im Traum,</div>
- <div class="verse">Überspritzt von weißem Wogenschaum.</div>
- <div class="verse">Schreiende Adler, mich beschwirrend,</div>
- <div class="verse">Durch die Höhlen meines Mantels wirrend.</div>
- <div class="verse">Alle meine Seelen schliefen.</div>
- <div class="verse">Da hob sich strahlend die Sonne aus den Tiefen,</div>
- <div class="verse">Ich erschauere.</div>
- <div class="verse">Merkend, wie ich tigerhaft mich belaure:</div>
- <div class="verse">Meine Hand, steil zur Wölbung hochgereckt,</div>
- <div class="verse">Und das Himmelsdach schon abgedeckt,</div>
- <div class="verse">Die Sonne hinaus zu lassen</div>
- <div class="verse">In ihre goldnen Gassen.</div>
- <div class="verse">Und die Hand schafft ohne den Geist,</div>
- <div class="verse">Ich liege von schreienden Adlern bekreist,</div>
- <div class="verse">Es geschieht alles sonder meinen Willen.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Man sieht wie einfach das Schaffen ist, worüber sich die Menschen so
-sehr den Kopf zerbrechen.</p>
-
-<p>Ein zweiter, allgemeinerer kosmogonischer Gedanke betrifft den
-Menschen. Dieser ist nun bei manchen Naturvölkern gleichfalls ein
-Urwesen, und auch ein Schaffensprinzip. Im allgemeinen entsteht er
-nach der Welt, als Abkömmling der Götter, oder von ihnen besonders
-hervorgebracht. In der <span class="gesperrt">elohistischen</span> Schöpfungsgeschichte
-der Bibel wird der Mensch von Gott geschaffen: „Und Gott schuf den
-Menschen in seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn, Mann und Weib
-schuf er sie.“ Der Mensch ist wie Licht, Sonne, Mond usf. geschaffen;
-es wird nicht gesagt woraus. Die jehovistisch-elohistische Erzählung
-gibt aber den Stoff an und fügt den Odem Gottes hinzu. „Und der ewige
-Gott bildete den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase
-Odem des Lebens; da ward<span class="pagenum"><a name="Seite_158" id="Seite_158">[S. 158]</a></span> der Mensch zu belebtem Wesen.“ Aus Erde sind
-auch alle Tiere gebildet, nur der Odem Gottes fehlt ihnen. Bei den
-<span class="gesperrt">Babyloniern</span> scheint nach Berossos, und übrigens auch nach dem
-Schöpfungsgedicht Enuma Elis, das Blut der Götter in der Erschaffung
-des Menschen eine Rolle zu spielen. Bel läßt sich den Kopf abschlagen,
-und das hervorstürzende Blut wird mit Erde vermischt. Daraus werden
-Menschen und Tiere geformt. Diese Wendung ist recht verschieden von der
-biblischen. Die <span class="gesperrt">Ägypter</span> dachten sich den Menschen gleichfalls
-aus Erde gebildet. Wir haben Darstellungen, wo der Gott vor einer
-Töpferscheibe sitzt und den Menschen formt. <span class="gesperrt">Hesiod</span> nimmt, nach
-den fünf aufeinanderfolgenden Geschlechtern, verschiedene Substanzen
-an, Gold, Silber, Erz oder Esche, Eisen; für das vierte Geschlecht ist
-der Stoff nicht angegeben. Dieses nach der Güte der Menschen symbolisch
-zu deuten liegt nahe, scheint aber nicht ganz zulässig. Bildner sind
-hier die Götter allgemein bei den beiden ersten Geschlechtern, und ist
-es Zeus bei den beiden folgenden Geschlechtern. Vom fünften Geschlecht
-wird ein Bildner nicht genannt, es wird geboren. Nach anderen
-griechischen Sagen wird der Mensch aus Erde, Schlamm, Lehm oder Ton von
-Göttern und besonders bekanntlich von Prometheus geformt, dem Athene
-geistig beisteht; letzteres jedoch erst nach späterer Dichtung. Sonst
-wachsen die Menschen auch aus Bäumen oder Sträuchern hervor, wie bei
-den <span class="gesperrt">Germanen<span class="gesperrt">, </span>Eraniern</span>, auch <span class="gesperrt">Griechen</span> (Attis aus
-dem Mandelbaum, Adonis aus dem Lorbeer), <span class="gesperrt">Italikern</span> und anderen
-Völkern, oder aus Steinen, Felsen, Eisblöcken. Die Sage, daß nach der
-Flut die Menschen aus Steinen entstanden, die Deukalion und Pyrrha
-hinter sich warfen, gehört nicht hierher; Zeus belebte die Steine.
-Ebenso begaben Odin, Hönir und Lodurr Esche und Ulme mit Seele, Atem,
-Blut und Farben zu lebenden Menschen.</p>
-
-<p>Auch die Anschauung von einer <span class="gesperrt">Entwicklung der Welt</span> ist weit
-verbreitet. Wir haben hier verschiedenes zu betrachten. Das erste
-betrifft den Menschen. Hier spielt die Neigung, die Vergangenheit
-in günstigem Licht der Gegenwart gegenüberzustellen, eine große
-Rolle. An die herrliche<span class="pagenum"><a name="Seite_159" id="Seite_159">[S. 159]</a></span> <span class="gesperrt">Paradiesgeschichte der Bibel</span> und den
-verhängnisvollen <span class="gesperrt">Sündenfall</span> brauche ich nur zu erinnern. Einen
-Sündenfall kannten auch die <span class="gesperrt">Eranier</span>. Das erste Menschenpaar,
-Maschiah und Maschianeh (Mensch und Menschin), wird von Ahura Mazda
-vermahnt, gute Gedanken zu denken, gute Worte zu reden, gute Werke zu
-tun und den Devs (den bösen Geistern) nicht zu opfern. Und gehorsam
-und guten Sinnes sagt es: „Ahura hat Wasser, Erde, Bäume und Tiere,
-Sterne, Mond und Sonne und alle Annehmlichkeiten geschaffen, welche
-von der Reinigkeit offenbar sind samt und sonders.“ Hierauf lief der
-Feind in ihr Denken und verfinsterte ihr Denken, und sie logen sodann:
-„Ahriman hat geschaffen Wasser, Erde, Bäume und Tiere und das übrige.“
-Durch diese gottlose Rede wurden beide Gottlose (Darvand’s) und ihre
-Seele ist bis zum zukünftigen Körper in der Hölle. So lautet es im
-Bundehesh. Es wird dann geschildert, wie ihre Speisen geschmacklos
-und ihr Leben mühselig wird, wie sie in Sünde fortfahren und dadurch
-die Devs immer mächtiger werden. In einer anderen eranischen Sage
-spielt auch das Paradies eine gewisse Rolle. Vîvanhão, den man mit
-dem indischen Vivasvân gleichsetzt, doch ohne das Dunkel, das auf
-dieser Persönlichkeit ruht, zu erhellen, ist der erste Mensch, der
-den heiligen Haoma grüßt (<a href="#Seite_112">S. 112</a>). Sein Sohn ist Yima, entsprechend
-dem Yama, Sohn des indischen Vivasvân. Ihm schon (vor Zarathustra)
-wird von Ahura die mazdajaçnische Lehre kundgetan. Darauf lebt er
-mit seiner ganzen menschlichen Nachkommenschaft auf paradiesischer
-Erde, bei paradiesischem Klima unsterblich und unschuldsvoll. Und wie
-die Erde zu klein wird, sie alle zu fassen, gräbt er die westliche
-Grenze wiederholt mit goldener Schaufel und spricht: „Sei freundlich,
-Çpenta-Armaiti, gehe auseinander und dehne dich aus zum Tragen des
-Viehes, der Zugtiere und der Menschen.“ Und jedesmal dehnt sich die
-Erde um ein Drittel größer als sie war. So lebt Yima mit Allen tausend
-Jahre. Darauf folgt ein Ereignis, das der Flut entspricht, worüber
-später gesprochen wird. Unsterblichkeit und die Gnaden verliert aber
-Yima mit seiner ganzen Nachkommen<span class="pagenum"><a name="Seite_160" id="Seite_160">[S. 160]</a></span>schaft wegen einer Lüge. Er wird
-Opfer des Drachen Dahâka. Yima ist Firdusis Dschemschid (Dschem der
-„Glänzende“), der untergeht, weil er sich anbeten ließ; Dahâka der
-arabische Tyrann Dhohhak (Zohak) mit Schlangen, die ihm aus den
-Schultern wuchsen.</p>
-
-<div class="figleft">
- <a id="illus-172" name="illus-172">
- <img src="images/illus-172.jpg"
- alt="Babylonisches Siegelbild" /></a>
-</div>
-
-<p>Die <span class="gesperrt">babylonischen</span> Texte kennen zwar die Sünde gegen Gottes
-Gebote und Bußpsalmen, aber der Sündenfall ist bei ihnen nicht erzählt.
-Ein Siegelbild, das hier wiederholt sein mag, ist auf diesen Sündenfall
-gedeutet worden. Zwei Personen sitzen zu beiden Seiten eines Baumes,
-hinter der Person links ringelt eine Schlange in die Höhe. Die Personen
-sind voll bekleidet (sogar mit Hüten), da doch Adam und Eva nackt
-sind, vor und bei dem Sündenfall. Schlangen, zusammen mit Gottheiten,
-finden sich bei den Babyloniern auch sonst. Will man die beiden
-Darstellungen (Fig. 27 und 70) bei Jeremias „Das Alte Testament“,
-S. 81 und 203 nicht gelten lassen, weil die erste vielleicht nicht
-babylonisch, sondern persisch, die zweite vielleicht nicht Original,
-sondern Kopie oder freie moderne Erfindung ist, so bleibt doch noch
-die nach Fig. 35, S. 100, in der Sin (Mondgott) und Istar einander
-gegenüberstehen, und zwischen ihnen, außer anderen Zeichen, zweifellos
-auch das Bild einer sich emporringelnden Schlange sich befindet. Es
-sind im wiedergegebenen Siegelbild zwei Gottheiten &mdash; eine sicher eine
-Gottheit, weil sie eine gehörnte Kopfbedeckung trägt, die, wie Jeremias
-sagt, „bei den Babyloniern ausschließlich göttliches Abzeichen ist“ &mdash;
-mit dem bekannten mystischen Baum zwischen ihnen; eine Darstellung, die
-sich so außerordentlich oft und vielfach variiert auf babylonischen,
-assyrischen (auch persischen) Denkmälern findet. Die eine Gottheit hat
-eine Schlange zum Symbol, oder die Schlange kann auch ein feindliches
-Wesen sein, da ja Drachenkämpfe der Gottheiten bei den Babyloniern
-so gewöhnlich sind. Und es kennen<span class="pagenum"><a name="Seite_161" id="Seite_161">[S. 161]</a></span> sogar die Babylonier einen ewig
-lebenden Menschen, der nach dem Sündenfalle ja nicht möglich sein
-sollte. Wir werden ihm bei der Flutsage begegnen.</p>
-
-<p>Bei anderen Völkern scheint von einem Sündenfall im Sinne der
-biblischen Erzählung ursprünglich überhaupt nicht die Rede
-zu sein. Selbst was Hesiodos von den mehrmals berührten fünf
-Menschengeschlechtern erzählt, gehört nicht hierher. So möchten es
-nur die Hebräer und die Eranier sein, denen ein solcher in allen
-Einzelheiten geläufig war, freilich in ganz verschiedener Ausführung.
-Selbst die nächsten Verwandten der Eranier, die <span class="gesperrt">Indier</span>, kennen
-den eigentlichen Sündenfall nicht; das Bewußtsein seiner Göttlichkeit
-hat der Mensch durch Avidyâ, Nichtwissen, verloren. Gerne übergeht man
-die Bedeutung des Sündenfalles eines einzelnen Menschenpaares für die
-ganze Menschheit. Die Bibel kennt als Folge die Mühsale des Lebens und
-den Tod; der Sündenfall ist eine Erklärung dafür, wie viele Völker für
-beides eine Erklärung gesucht und in der mannigfachsten Weise gefunden
-haben. Die unterschiedslose Belastung der Menschheit in alle Zeit
-mit der Sünde als solcher, ist, soweit ich sehen kann, in der Bibel
-nicht vorhanden; bei den Eraniern könnte sie eher nachgewiesen werden.
-Unterschieden davon ist der Sündenfall Luzifers im Engelschore, wovon
-schon gesprochen ist (<a href="#Seite_150">S. 150</a>).</p>
-
-<p>Aber freilich, die Bosheit und Gewalttat der Menschen auf der Erde
-steigt, und schließlich sendet Gott die Flut, alles Lebende, mit
-Ausnahme des Noah und dessen, das ihm mitzunehmen befohlen ist, zu
-vernichten. <span class="gesperrt">Flutsagen</span> sind bekanntlich überall nachzuweisen.
-Als der Erzählung der Bibel am nächsten stehend, muß man die Sage
-der <span class="gesperrt">Babylonier</span> ansehen. Wir haben vier Berichte darüber (die
-Bibel enthält bekanntlich zwei). Einer ist im Gîlgames-Epos enthalten,
-zwei scheinen nur andere Rezensionen dieses Berichtes zu sein, der
-vierte ist der von Berossos überlieferte. Im wesentlichen stimmen
-diese Berichte überein. Der babylonische Noah heißt im ersten Bericht
-Ut-Napistim, den wir oben kennen gelernt haben, mit dem Beinamen
-Atra-hasis (der „Hochgescheite“, nach Greßmann), woraus vielleicht<span class="pagenum"><a name="Seite_162" id="Seite_162">[S. 162]</a></span> der
-Xisuthros des Berossos entstanden sein möchte, wie sein Vater Opartes
-aus dem babylonischen Ubar-Tutu. Der eigentliche Urheber der Flut ist
-Ellil, Gottheit der Erde, auch des Tierkreises, der früher als Bel
-gelesen wurde. Drei andere Götter (Anu, Ninib, Ennugi) lassen sich
-im Ratschluß der Götter dazu bereden. Den Grund für die Flut können
-wir nur aus den Vorwürfen, die später Ea dem Ellil macht, entnehmen.
-Demnach handelt es sich anscheinend um Sünden einzelner gegen Ellil;
-denn jener sagt, er hätte dem Sünder seine Sünde, dem Frevler seinen
-Frevel auflegen sollen, er hätte ja Löwen, Wölfe, Hungersnot oder Pest
-senden können die Menschen zu verringern, statt der Sintflut, die alle
-vernichtete. Istar ist auf Seiten Ea’s. Aber an einer anderen Stelle
-sagt sie, sie hätte die Sintflut den Göttern geraten. Die Götter
-spielen übrigens dabei eine traurige Rolle. Wie die Sintflut wächst,
-bekommen sie Furcht. „Sie entwichen und stiegen empor zum Himmel Anus.
-Wie ein Hund drückten sich die Götter, an der Mauer lagernd.“ Ea, der
-immer den Menschen Wohlmeinende rettet Ut-Napistim, indem er ihm rät,
-ein Schiff zu bauen. Daß er ihn aber auch veranlaßt, den Anderen eine
-bösartige Lüge zu sagen und sie dadurch in ihr Verderben zu reißen,
-klingt häßlich. Im übrigen stimmt vieles mit der biblischen Erzählung;
-so namentlich das Schiff (in der Bibel ein Kasten, die Arche), seine
-Ausrüstung samt Inhalt, das Landen an oder auf einem Berg (Nisir oder
-Nimus statt Ararat), das Aussenden einer Taube und eines Raben (bei den
-Babyloniern auch noch einer Schwalbe), das Opfer Ut-Napistims, Noahs,
-nach der Flut. Das spätere Schicksal des babylonischen Noah ist aber
-ein ganz anderes als das des biblischen; denn er wird der Menschheit
-entrückt und lebt unsterblich, wie wir gesehen haben, im weiten Westen.</p>
-
-<p>Bei den <span class="gesperrt">Eraniern</span> sagt Ahura Mazda dem Yima die Flut an. Aus hier
-gänzlich fehlenden Gründen soll harter Frost die Erde ergreifen und
-Schnee alles verhüllen. Um sich und alles andere vor den beim Schmelzen
-der Eis- und Schneemassen entstehenden Fluten zu schützen, soll Yima
-sich ein „Varem“, eine Wohnung, machen. Die <span class="gesperrt">Indier</span> haben die<span class="pagenum"><a name="Seite_163" id="Seite_163">[S. 163]</a></span>
-Flutsage in mehreren Versionen, ihr Noah ist Manu (Manu = Mensch).
-Die Voraussagung der Flut, die Warnung und der Rat, ein Schiff zu
-bauen, wird diesem von einem Fisch (er wird als Gott-Fisch gedeutet,
-wie etwa der Ea der Babylonier), den er klein gefangen hat, und auf
-dessen Bitte, daß er nicht von anderen Fischen verzehrt werde, in einem
-Topf, dann in einem Loch aufwachsen läßt, bis er ihn ins Meer tut. Das
-Schiff wird an das „Horn“ des Fisches gebunden und dieser führt es zum
-nördlichen Gebirge. In einer späteren Sage nimmt Manu, wie Noah, auch
-Pflanzen und Tierpaare in das Schiff, und wird die Flut wie in der
-Bibel sieben Tage voraus verkündet. Als Grund für die Flut ist in der
-Mahabharata die Sühnung der Erde überhaupt angegeben. In einer anderen
-Sage aber, in mir nicht verständlicher Weise, die Rettung der Vedas und
-der sie bewahrenden sieben Rishis (Seher, Sänger). Die Rettung heiliger
-Schriften aus gleichem oder ähnlichem Anlaß spielt auch bei den
-Eraniern, Germanen und Babyloniern eine Rolle. Die von Zeus wegen der
-Frevel des „ehernen“ Geschlechts verhängte Flut, der Kasten (λάρναξ),
-den Deukalion-Noah auf Rat seines Vaters Prometheus baut und in dem er
-sich mit seiner Gattin Pyrrha nach dem Berge Othrys rettet, gehören
-der bekannten <span class="gesperrt">griechischen</span> Flutsage an. Diese deukalionische
-Flutsage ist viel ausgeschmückt und später auch von Plutarchos und
-Lukianos mit orientalischen Zügen bereichert worden, wodurch sie
-sich der biblischen oder babylonischen näherte. Pausanias, in seiner
-Beschreibung Attikas, erzählt auch, daß die Athener im Umkreise
-ihrer Stadt einen Erdspalt zeigten, durch den die Flut abgelaufen
-sei. Vor die deukalionische Flut ist die ogygische zu setzen, die
-Boiotien betraf und Attika, und in der die sonderbaren Städte Athen
-und Eleusis am Kopaissee untergegangen sein sollen. Aber eine Sintflut
-war es nicht. Der alte Buttmann sieht in Ogyges den Okeanos, also den
-Wassergott überhaupt, und erklärt, freilich in seiner Vorliebe für
-seltsame Etymologien &mdash; z. B. Tubalkain ist Vulkan &mdash; auch Noah für
-einen Wassergott (wegen des hebräischen Nahar, das Fluß bedeutet). Eine
-Flutsage der <span class="gesperrt">Germanen</span> ist<span class="pagenum"><a name="Seite_164" id="Seite_164">[S. 164]</a></span> schwer zu erweisen. Die jüngere Edda
-erzählt, daß, als die Götter (Odin, Wili, We) den Riesen Ymir, den wir
-schon kennen, töteten, aus ihm soviel Blut ausgeflossen sei, daß das
-ganze Riesengeschlecht ertrank. Ein Riese nur rettete sich mit seinem
-Weibe auf einem Boot (Lûdr) und erzeugte das Menschengeschlecht. Dieser
-Noah heißt Bergelmir. Jakob Grimm nennt diese Flutsage gegenüber der
-biblischen „roh und unausgebildet“. Diese germanische Sage erinnert
-jedoch an eine ähnliche der Babylonier, wo Ellil den Löwen Labbu
-tötet, und dessen Blut „drei Monate, einen Tag und zehn Stunden“
-fließt. Flutsagen finden sich noch weit auf der Erde verbreitet. Bei
-den <span class="gesperrt">Litauern</span> ist die Arche eine Nußschale, die der höchste Gott
-Pramzinas, der die Flut zur Vertilgung der Bösen herabgesandt hatte, da
-er Nüsse aß, aus dem Himmelsfenster auf die Erde warf.</p>
-
-<p>Andere Völker erzählen anderes, so Indianerstämme, Neger, Ozeanier,
-Peruaner usf. Richard Andree hat sich die große Mühe gemacht, alle
-Flutsagen zu sammeln und führt 88 auf. Aber in wirklichem Zusammenhang
-dürften nur die biblische und babylonische stehen, wie auch Andree
-meint. Von diesen wird letztere, wegen ihrer viel roheren Züge, wohl
-die ältere sein. Die dichterische Erzählung vom Regenbogen ist der
-Bibel eigen. Sonst werden Flutsagen zu verschiedensten Zeiten lokal
-entstanden sein, da ja Überflutungen und Überschwemmungen überall
-vorkommen und aus den verschiedensten Ursachen. Das Wesentliche ist
-das ethische Motiv und die Rettung eines Menschenpaares. <span class="gesperrt">China</span>
-scheint eine Flutsage nicht ausgebildet zu haben. Die Überschwemmungen
-des Nils sind der Segen des Landes. Die des Hoangho jedoch der „Fluch
-Chinas“. Sie sind aber von je als natürlich angesehen worden, und
-uralt sind die Versuche, den Fluß einzudämmen. Ob <span class="gesperrt">Japan</span> eine
-Flutsage hat, weiß ich nicht; bei den gewaltigen Beben (Japan ist
-das erdbebenreichste Land der Erde) und den damit oft in Verbindung
-stehenden Meerüberstürmungen sollte man Flutsagen erwarten.</p>
-
-<p>Sehr wunderlich &mdash; wenn der Gegenstand nicht so ernst wäre, fast
-wie eine Spotterzählung &mdash; klingt eine aus etwa<span class="pagenum"><a name="Seite_165" id="Seite_165">[S. 165]</a></span> 1300 v. Chr. uns
-überlieferte <span class="gesperrt">ägyptische</span> Sage aus dem „Buche von der Himmelskuh.“
-Es ist eine Inschrift in einer Kammer Seti I. in Bibân el Moluk. Die
-Menschen müssen über den Gott Rā schlecht gesprochen und gegen ihn
-Anschläge gemacht haben. Das nimmt er ihnen gewaltig übel. Ganz im
-Stile eines Herrschers versammelt er, Rats zu pflegen, die anderen
-Götter, die sich völlig wie Hofschranzen ihm nähern. Der älteste
-Gott, Rā’s Vater Nun, wird zuerst gefragt und erwidert: „Mein Sohn
-Rā, du Gott, der größer ist als sein Schöpfer und gewaltiger als sein
-Erzeuger, bleib auf deinem Throne sitzen! Die Furcht vor dir ist groß,
-wenn dein Auge (es ist damit die Göttin Hathor gemeint) sich gegen die
-richtet, die dich lästern.“ Rā sagt nun: „Seht, sie laufen davon in die
-Wüste, aus Furcht wegen dessen, was sie gesagt haben.“ „Laß dein Auge
-hingehen, daß es sie für dich schlage, die boshaft gelästert haben“,
-ermahnt Nun. Hathor eilt hinter die Menschen nach der Wüste und tötet
-sie alle. Ein Teil ist aber nach Süden geflüchtet, diesen will Rā
-retten. Er läßt von Elefantine Didi (?) holen, dieses, sowie Getreide,
-von dem „Lockigen“ zu Heliopolis und seinen Dienerinnen mahlen und zu
-Bier verarbeiten und das Bier an den Ort bringen, wo Menschen noch
-weilen. Dann steht „die Majestät des Rā in der Frühe unter dem Schutze
-der Nacht auf, um diesen Schlaftrunk auszugießen.“ „Da wurden die
-Gefilde vier Spannen hoch mit der Flüssigkeit angefüllt, durch die
-Macht der Majestät dieses Gottes.“ Hathor aber, die hinkommt den Rest
-der Menschen zu töten, findet alles mit dem Bier überschwemmt. „Da
-trank sie und es schmeckte ihr gut, und sie kehrte trunken heim, ohne
-die Menschen erkannt zu haben.“ Eine wunderliche Menschenvernichtungs-
-und Flutsage! Die Flut aus Bier und zur Rettung des Menschenrestes!
-Übrigens ist doch Rā’s Weilen auf Erden nicht mehr. Die Göttin Nut als
-Kuh hebt ihn in die Höhe und bildet den Himmel, dort bleibt Rā.</p>
-
-<p>Von viel größerer Bedeutung ist es natürlich, wenn nicht bloß die
-Lebewesen untergehen, sondern die ganze <span class="gesperrt">Welt</span> vernichtet wird.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_166" id="Seite_166">[S. 166]</a></span></p>
-
-<p>Bei den <span class="gesperrt">semitischen Stämmen</span> kenne ich nur einen Hinweis des
-Babyloniers Berossos darauf, den Seneca erhalten hat. Die Welt soll
-verbrennen, wenn die Planeten im Krebs sich zusammenfinden, „so
-daß eine gerade Linie durch die Kreise aller gehen kann“. Das ist
-astrologische Ansicht, nicht Mythe, doch weben sich bei den Babyloniern
-freilich Astrologie und Mythos durcheinander. <span class="gesperrt">Weltuntergang</span> und
-<span class="gesperrt">Weltbrand</span> sind sonst spezifisch <span class="gesperrt">arische</span> Anschauungen.
-Denjenigen <span class="gesperrt">Indiern</span>, die die Welt nur als eine Täuschung (Maja)
-oder als einen Traum Brahmas ansehen, ging die Welt unter, sobald der
-Gott die Täuschung erkannte oder vom Traum erwachte. Eine Stelle in der
-Bhagavad-Gîtâ lautet:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Wer weiß, daß schon ein Tag bei Gott der Weltenalter tausend macht,</div>
- <div class="verse">Und tausend Alter eine Nacht; der Sterbliche kennt Tag und Nacht.</div>
- <div class="verse">Wann einstens Gottes Tag anbricht, dann tritt, was dunkel war ans Licht;</div>
- <div class="verse">In Finsternis verlischt das Licht, sobald die Gottesnacht anbricht.</div>
- <div class="verse">Und jedes Wesen, das entstand, verschwindet, wann die Nacht anbricht,</div>
- <div class="verse">Doch kehret wieder, was verschwand, wann anbricht Gottes Tageslicht.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">So schwer der Sinn zu durchdringen ist, so wird doch zweifellos von
-höheren Weltzeitaltern gesprochen; Zeitaltern des Lichtes wechselnd
-mit Zeitaltern der Finsternis. Die gewöhnlichen Weltenalter betragen
-ein Kalpa, gleich 432 Millionen Jahre. Je nach Verlauf einer solchen
-Kalpa geht die Welt unter und wird neu gebildet. Es ist die Lehre der
-Râmânuga-Schule des Vedânta, die wir noch genauer kennen lernen werden.
-Gottes Tag und Nacht betrügen je tausend solche Kalpa, wenn in der
-obigen Stelle unter Weltenalter die Kalpa verstanden sind. Vielleicht
-aber sollen die tausend Weltenalter selbst eine Kalpa sein, dann würde
-nach der obigen Stelle die Welt abwechselnd eine Kalpa bestehen und
-darauf eine Kalpa nicht bestehen. Der Untergang (Mahapralajas) betrifft
-nicht nur die ganze Welt, sondern auch alle Götter, bis auf den Einen
-und Einzigen. Einen Untergang der Welt kannten auch die <span class="gesperrt">Eranier</span>:
-der Komet Muspar, indem er auf die Erde stürzt und alles schmelzt,
-verbrennt sie. Es steht dieses allerdings mit der Reinigung der Welt
-von Bösem in Ver<span class="pagenum"><a name="Seite_167" id="Seite_167">[S. 167]</a></span>bindung. Allein, es heißt im Bundehesh doch auch
-ausdrücklich: „Ahura wird auf seinem herrlichen Thron ohne Schöpfung
-sein, denn Werke wird er nicht vollbringen, während jene (die
-Amesha-Çpenta?) den Toten bereiten.“ Den Weltbrand der <span class="gesperrt">Griechen</span>
-&mdash; der durch Phaethon veranlaßte, gehört nicht wohl hierher &mdash; werden
-wir später kennen lernen.</p>
-
-<p>Wir wenden uns sogleich zu den <span class="gesperrt">Germanen</span>, von denen wir darüber
-die eingehendsten Nachrichten haben. Der Weltuntergang (ragna rök, der
-Waltenden Verrauchung) ist in der Edda als ein Kampf, der Kampf der
-Götter gegen Surtur (der Schwarze, Hüter des Feuerlandes Muspelheim)
-geschildert, in dem jene untergehen und die Welt verbrennt. Die Wala in
-der Voluspa erzählt:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Von Osten fährt der Kiel; Kommen werden Muspills</div>
- <div class="verse">Söhne übers Meer, Aber Loki steuert.</div>
- <div class="verse">Fifl’s (Loki’s) Söhne fahren Mit dem Wolf allesamt,</div>
- <div class="verse">Zugleich ist der Bruder Byleists (Loki’s) bei der Fahrt. &mdash;</div>
- <div class="verse">Surtur fährt von Süden Mit flammendem Schwert,</div>
- <div class="verse">Es blitzt von dem Schwerte Die Sonne der Schlachtgötter;</div>
- <div class="verse">Die Felsberge stürzen, Riesinnen schreiten einher,</div>
- <div class="verse">Es betreten die Menschen den Helweg; Der Himmel aber klafft.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Nun folgt der Kampf der Götter: Odin steht gegen den Wolf Fenrir, von
-dem er verschlungen wird, Thor gegen die Midgardschlange, die ihn
-vergiftet, Freyr gegen Surtur, von dem er getötet wird. Zuletzt sinkt
-die Erde ins Meer, die Sterne fallen vom Himmel:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Es wütet Feuer und zehrende Flamme,</div>
- <div class="verse">Hoch leckt die Lohe gegen den Himmel selbst.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Andere nordische Sagen stimmen mit der obigen Erzählung überein,
-nur daß sie mehr ausführen. In <span class="gesperrt">Deutschland</span> selbst haben wir
-die Götterdämmerung in dem Althochdeutschen, im neunten Jahrhundert
-aufgezeichneten Lied Muspilli. Elias steht anstelle der Asen, der
-Antichrist und Satanas für Loki und Surtur. Elias wird verwundet und
-das weitere lautet in der Übersetzung von Johannes Scherr: „Die Berge
-entbrennen, kein Baum bleibt stehen auf der Erde, die Wasser trocknen
-aus, das Meer verdampft, in Lohen vergeht der<span class="pagenum"><a name="Seite_168" id="Seite_168">[S. 168]</a></span> Himmel, der Mond fällt
-hernieder, Midgard flammt auf, kein Fels steht fest. Der Tag der
-Vergeltung fährt über die Lande, fährt über die Völker mit Feuer. Da
-kann kein Verwandter dem anderen helfen vor dem Muspille.“ Einzelnes
-stimmt auffallend mit dem Bericht der Wala.</p>
-
-<p>Der zerstörten alten Welt (nur das Meer bleibt) muß eine neue folgen.
-Auch nach germanischer Sage ist diese neue Welt besser als die frühere.
-Die Wala schaut:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Heraufkommen seh ich Zum anderen Male</div>
- <div class="verse">Aus dem Meer eine Erde, Eine wieder grüne;</div>
- <div class="verse">Es fallen die Fluten, Ein Aar fliegt darüber,</div>
- <div class="verse">Welcher am Felsen Nach Fischen jagt.</div>
- <div class="verse">Es versammeln sich die Asen Auf Idafelden</div>
- <div class="verse">Und von Moldthinur (die Midgardschlange?), Der wuchtigen, sprechen sie</div>
- <div class="verse">Und erinnern sich da An frühere Taten</div>
- <div class="verse">Und an Fimbultyrs (Odins) Uralte Runen</div>
- <div class="verse">Da werden sich dann Die wundersamen</div>
- <div class="verse">Goldenen Tafeln (Runentafeln?) Im Grase finden,</div>
- <div class="verse">Welche sie damals In der Urzeit hatten.</div>
- <div class="verse">Es werden ungesät Die Äcker da wachsen,</div>
- <div class="verse">Alles Übel wird weichen; Baldr wird kommen;</div>
- <div class="verse">Vereint werden Hodr und Baldr Unter den Dächern des Hropt (Odins),</div>
- <div class="verse">Die beiden Kampfgötter ...</div>
- <div class="verse">Einen Saal sah ich stehen, Schöner als die Sonne,</div>
- <div class="verse">Mit Gold gedeckt, Auf Gimles (Himmels-) Flur,</div>
- <div class="verse">Da sollen die fröhlichen Scharen (guten Menschen?) wohnen,</div>
- <div class="verse">Und Freude genießen Bis ans Ende der Tage.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Nach Vafthrudnismal in der älteren Edda heißen die neuen Asen Vidar
-und Veli, Modi und Magni, Nachkommen von Odin und Thor, die nicht mit
-der Welt untergegangen sind. Aber Baldr ist ja die poetischere und
-höhere Figur mit seinem blinden Bruder Hödr. Das neue Menschenpaar ist
-Lif und Lifthrasir; sie hatten sich während des Weltunterganges (?) in
-Hoddmimirs (der Weltesche) Grün geborgen, ihre Speise war Morgentau.
-Als Sonne leuchtet nach der jüngeren Edda eine Tochter der früheren
-Sonne. Damit vergleiche man den Weltuntergang und Weltneubau nach der
-Offenbarung Johannis, namentlich Kap. 6, 7 und 20, 21. Man wird sehr
-erhebliche Ähnlichkeiten zwischen beiden Er<span class="pagenum"><a name="Seite_169" id="Seite_169">[S. 169]</a></span>zählungen finden. Auch die
-Sybillinischen Orakel, Buch V, 345 ff., gehören hierher.</p>
-
-<p>Die Menschheit hat immer gerne an kommende bessere Zeiten geglaubt.
-War die Welt in Sünde und Gewalttat versunken und in Ärmlichkeit und
-Verkommenheit, so sollte die Gottheit eingreifen, nicht bloß strafend
-wie früher, sondern helfend und schaffend. Die Indier haben zu diesem
-Behufe die <span class="gesperrt">Inkarnationen</span>, <span class="gesperrt">Awatars</span> (<a href="#Seite_139">S. 139</a>), einer
-Gottheit (Wischnu’s) erdacht, semitische Völker den <span class="gesperrt">Messias</span>,
-andere Völker Wiederkehr lange vergangener Wohltäter oder von Göttern
-auf Erden. An diesem Glauben sind die Peruaner und Mexikaner zugrunde
-gegangen, da sie in solchen Bluthunden wie Pizarro und Cortes mit ihrem
-spanischen Gesindel diese erwarteten Wohltäter und Götter (Viracocha
-bei den Peruanern, Quetzalcoatl bei den Mexikanern) sahen. Aber die
-Juden haben sich an dem Messiasglauben gewaltig aufgerichtet und ihm
-ihre Erhaltung durch Jahrtausende zu danken. Und das Christentum ist
-durch ihn Weltreligion geworden. Kaum ein Gedanke der Menschheit hat
-sich von so enormer Bedeutung, ideeller und praktischer, erwiesen, wie
-dieser vom Messias, den der zweite Jesaias so liebevoll ausführt, der
-Indier so phantastisch begabt. Steigen wir von der hohen Messiasidee
-herab, so sind es Helden und Herrscher, deren Wiederkehr vom Volke
-erwartet wird, und die inzwischen irgendwo verborgen oder schlafend
-vorgestellt werden. Unser Friedrich I., Barbarossa (eigentlich nicht
-er, sondern Friedrich II.) gehört hierher als die markanteste Gestalt.
-Aber andere Völker der Erde besitzen ähnliche Gestalten. Stanley &mdash;
-„Through the dark Continent“ &mdash; erzählt aus den Sagen von Uganda, daß
-der erste König Kintu als milder und Blutvergießen scheuender Herrscher
-im hohen Alter, da er seine Nachkommen allen Grausamkeiten frönen sah,
-mit seinem Weibe geflohen sei. Das Volk war überzeugt, daß er sich
-verborgen halte, und alle späteren Herrscher suchten ihn. Einem der
-spätesten, dem siebenundzwanzigsten (Mtesa war der fünfunddreißigste),
-Ma’anda ward es zuteil, ihn mit seiner Gefolgschaft in einem tiefen
-Walde sehen zu dürfen.<span class="pagenum"><a name="Seite_170" id="Seite_170">[S. 170]</a></span> Er sollte nur mit seiner Mutter und dem
-führenden Bauern kommen. Sein treuer Katekiro folgte ihm aber, um
-ihn vor etwaigem Verrat zu schützen. Kintu erkannte des letzteren
-Anwesenheit und machte Ma’anda Vorwürfe. Als Katekiro darauf hinter
-einem Baume vortrat, tötete Ma’anda ihn durch einen Speerwurf. Da
-entschwand Kintu mit allen um ihn.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>20. <span class="gesperrt">Weltbau</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Was die <span class="gesperrt">Gestaltung der Welt</span> betrifft, so hängt diese naturgemäß
-nicht unmittelbar mit der Mythe zusammen, sondern mit dem äußeren
-Schein. Gleichwohl darf man von mythischen Kosmologien sprechen als von
-solchen Anschauungen über die Welt, die nicht auf wissenschaftlicher
-Untersuchung oder Meinung beruhen, sondern, wie die Mythen von den
-Gottheiten, behauptet werden, und die den Mythen und Sagen zugrunde
-gelegt werden. Da ist allen Völkern gemeinsam die <span class="gesperrt">zentrale Stellung
-der Erde</span>. Die Erde ist die Mitte der Welt. Meist wird sie von
-Wasser umgeben gedacht. Ihre Gestalt ist die einer Scheibe (rund oder
-eckig), eines Zylinders (auch Würfels) oder eines gewaltigen Gebirges
-oder einer konvexen Schale. Sie schwimmt auf Wasser oder ist durch
-Säulen, Menschen oder Tiere unterstützt, oder hängt an Wurzeln des
-Weltbaumes. Der Himmel ist einfach oder, entsprechend der Zahl der
-gesondert sich bewegenden Gestirne &mdash; sieben Planeten (Merkur, Venus,
-Mars, Jupiter, Saturn, Mond, Sonne) und die Fixsterne insgesamt &mdash;
-und der etwa angenommenen Götterwohnsitze, mehrfach gedacht. Alle
-Himmel sind solide und umgeben die Erde wie Glocken. Die Gestirne
-sind Leuchten, auch Götterwohnsitze oder gar Körperteile der Götter
-(Augen, Antlitz, Leib); sie bewegen sich auf den Himmeln von Ost nach
-West und kehren auf unsichtbaren Wegen von West nach Ost zurück. Es
-liegt nicht in der Natur der Mythe, konsequent zu sein und auf die
-Einzelheiten in den Erscheinungen zu achten. Bemerkt sie Abweichungen
-gegen die gedachten einfachen Verhältnisse, so sind eben die Götter
-frei und können sie beliebig ver<span class="pagenum"><a name="Seite_171" id="Seite_171">[S. 171]</a></span>anlassen. Daher eine Wiedergabe
-der Erscheinungen nur in den großen, allgemein wahrnehmbaren Zügen,
-und vielfache Verworrenheit und unbekümmertes Widersprechen in der
-Beschreibung.</p>
-
-<p>Der <span class="gesperrt">Griechen</span> mythischen Ansicht erste literarische Mitteilung
-finden wir bei Homer. Die Erde ist eine Scheibe vom Strome Okeanos
-umflossen und vom Himmel überdeckt. Aus dem Okeanos steigen die
-Gestirne empor und in ihn tauchen sie unter, sofern sie überhaupt auf-
-und untergehen und nicht, wie die Bärin, „niemals in Okeanos’ Bad“ sich
-hinabtauchen. Fern im Westen, hinter dem Okeanos, ist der Eingang zu
-Hades’ Reich, das sich jedoch unter die Erde hinziehen muß. Denn wie im
-Kampfe der Götter vor Troja Poseidon die Erde erschüttert, springt „des
-Nachtreichs Fürst Aïdoneus“ voll Schreck in die Höhe und schreit:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse mleft12">Daß ihm von oben</div>
- <div class="verse">Nicht die Erd’ aufrisse der Landerschüttrer Poseidon,</div>
- <div class="verse">Daß nicht Menschen erschien’ und Unsterblichen seine Behausung.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Diese Behausung ist „Fürchterlich, dumpf, voll Wustes, wovor selbst
-grauet den Göttern“. Weiter, wohl darunter, findet sich Erebos. Und
-noch weiter, und so tief unter Hades’ Reich wie die Erde vom Himmel
-entfernt, der Tartaros, der furchtbarste Ort, wo die Titanen Japetos
-und Kronos, von Zeus verbannt, gefesselt in tiefster Finsternis
-sitzen. Im Westen, am Rande der Erde, jedoch diesseits des Okeanos,
-wenn nicht als Inseln im Okeanos, liegt auch das Elysische Gefild, „wo
-der bräunliche Held Rhadamanthys wohnt, und ganz mühelos in Seligkeit
-leben die Menschen“. Aus allen diesen Angaben hat man entnehmen wollen,
-daß Homer die Welt eigentlich als Kugel ansieht, deren eine Hälfte
-erleuchtet über der Erde, deren andere Hälfte ewig dunkel unter ihr
-liegt. Was den Okeanos anbetrifft, so ist er bei Homer ein Strom.
-Neuere Untersuchungen glauben jedoch, daß die vorhomerische Bedeutung
-den Himmelshorizont gebe, Okeanos früher überhaupt der Himmelsgott
-gewesen sein möchte. Die Etymologie mit der deutschen „Woge“ entfiele
-dann freilich. Es soll Okeanos dem Sanskritwort açayana entsprechen und
-„um<span class="pagenum"><a name="Seite_172" id="Seite_172">[S. 172]</a></span>fassend“, „anliegend“ heißen. Ich sehe nicht recht, warum das nicht
-auch der homerische Okeanos soll sein können, der ja auch die Erde
-umfaßt, ihr anliegt. Die Götterwohnung ist auf dem Olympos, über den
-Wolken, deren Tore die Horen öffnen und schließen; und Helios leuchtet
-den Göttern wie unten den Menschen. Hesiods Anschauungen von der Welt
-stimmen mit denen Homers im wesentlichen überein, er ist nur in seinen
-Mitteilungen etwas detaillierter. So hinsichtlich des Tartaros, daß
-ein Amboß neun Tage und Nächte fallen müßte, um von der Erde zu ihm
-zu gelangen, daß selbst ein Sturmwind in einem vollen Jahre ihn nicht
-zu durcheilen vermöchte, daß auf ihm die Erde gewurzelt ist und der
-Boden der Meere. Das sind recht stattliche Abmessungen, denn im Sinne
-Hesiods umgerechnet wäre die Weite des Tartaros mehr als dreißig Erden-
-und die Tiefe gar zwanzig Sonnenweiten. Der Himmel wird nach Hesiod
-von Atlas getragen, nach Homer, in einer freilich noch nicht geklärten
-Stelle, trägt Atlas die Säulen, die den Himmel stützen und von der Erde
-ab halten. Diese Säulen laufen wohl rings (ἀμφίς) um die Erde herum.
-Aber dann schwindet freilich Atlas als Person, der doch Kalypso zur
-Tochter besaß. Man hat auch Atlas als das Meer erklärt (etwa Okeanos?).
-Stützen für den Himmel, Gebirge, auch rings umlaufende, finden wir auch
-anderweit. Unerklärlich für die Mythe ist der Aufgang der Gestirne,
-nachdem sie untergegangen sind. Von der Sonne wird erzählt, sie fahre
-nächtlich auf dem Okeanos in einem Nachen, Becher, von Westen über
-Norden um die Erde herum, nach Osten zurück. Es mag aber auch gedacht
-sein, daß die Gestirne unter der Erde zurückkehren. &mdash; Das Weltbild
-der Argonautensage schließt sich dem vorstehend Beschriebenen an; man
-hat noch, was wahrscheinlich auch Homer und Hesiod annahmen, einen
-Meeresarm oder Stromweg vom Schwarzen Meere nach dem atlantischen oder
-arktischen Meer ziehen lassen, so daß Europa für sich zur Insel wird.</p>
-
-<p>Von den <span class="gesperrt">Römern</span> haben wir eine eigentliche mythische Kosmographie
-nicht; die Dichter wandeln in griechischen Bahnen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_173" id="Seite_173">[S. 173]</a></span></p>
-
-<p>Die Welt der <span class="gesperrt">Germanen</span> ist dreiteilig: obere Welt, mittlere
-Welt, untere Welt, jeder Teil wieder aus drei Teilen bestehend;
-und von den neun Teilen spricht die Edda an verschiedenen Stellen.
-Nach Simrock sind diese: Muspelheim (Feuerwelt), Asenheim oder
-Asgard (Götterwelt), Liosalfaheim (Lichtelfenwelt) als obere Welt;
-Jötunheim (Riesenwelt), Midgard oder Mannheim (Menschenwelt), Wanaheim
-(Wanenwelt, Welt der Neben-, Halb- oder Untergötter) als mittlere Welt;
-Swartalfaheim (Schwarzelfenwelt), Niflheim (Nebel-, Eiswelt, Gegenwelt
-zu Muspelheim), Niflhel (Helwelt, Totenwelt) als untere Welt. Die
-drei Hauptwelten werden von je einem Zweige (oder einer Wurzel) des
-Weltbaumes Yggdrasil gestützt; für diesen Baum soll auch die Irminsul,
-deren Nachbild Karl der Große bei den alten Sachsen gestürzt hat,
-stehen. Die Welt der Germanen ist hiernach reicher gegliedert als die
-der Griechen und poetischer gestaltet. Übrigens bestehen zwischen den
-verschiedenen Teilen der Welt auch Verbindungen, wie von Asgard zur
-Erde die Brücke Bifröst (bebende Ruhe), auf der Richard Wagner am
-Schluß des „Rheingold“ unter so wunderbarer Musik die Götter von der
-Erde nach Walhall (eigentlich ein Saal in der Götterburg Gladsheim)
-ziehen läßt. Um die Erde windet sich der Weltwurm, Midgards ormr,
-Jakob Grimm sagt: „offenbar das Weltmeer“. Also der Okeanos? Noch
-sind die drei berühmten Brunnen zu erwähnen, die in den drei Welten
-Asenheim, Jotunheim und Niflhel unter den Zweigen des Weltbaumes
-hervorsprudeln: Urdbrunnen, Mimisbrunnen, Hwergelmir (der rauschende
-Kessel). Am ersten Brunnen „halten die Asen und Nornen ihr Gericht“,
-den zweiten hütet der weise Mimir (nicht der Mime Wagners, sondern
-ein halbgöttliches Wesen, das mit dem Brunnenwasser täglich Weisheit
-trinkt, und dem Odin ein Auge als Pfand in den Brunnen versenken muß,
-bevor er aus diesem gleichfalls Weisheit und Zukunftschauen trinken
-darf), am dritten sitzt Nidhöggr mit anderen Schlangen. Der Himmel wird
-wie bei den Griechen als die Erde deckend oder umfassend gedacht. Die
-Gestirne haben jedes seine Stätte (oder seinen „Stuhl“, oder seinen
-„Tisch“),<span class="pagenum"><a name="Seite_174" id="Seite_174">[S. 174]</a></span> die wandelnden unter ihnen Rosse und Wagen. Die Sonne ist
-das „Feuerrad“ (fagra-hvel in der Edda) oder der „leuchtende Schild“
-oder „Wuotans Auge“ oder „Gottes Antlitz.“ Der Mond wird auch als
-„Schein“ bezeichnet. Der Sonne und des Mondes Lauf um die Welt wird als
-Flucht vor zwei Wölfen (Sköll und Hati) gedacht, die sie verfolgen und
-sie zuzeiten verschlingen (Finsternisse!). Die Mondveränderungen werden
-Zwergen zugeschrieben, „wir wissen nicht näher wie“, sagt Jakob Grimm.
-Wir wissen auch nicht, wie sich die Germanen die Rückkehr der Gestirne
-von Westen nach Osten gedacht haben.</p>
-
-<div class="figright">
- <a id="illus-187" name="illus-187">
- <img src="images/illus-187.jpg"
- alt="Eranische Ansicht von Himmel und Erde" /></a>
-</div>
-
-<p>Darf man in der zoroastrischen uns überlieferten Literatur alte
-Tradition sehen, so hatte die Mythe der <span class="gesperrt">Eranier</span> bereits eine
-ziemlich richtige Ansicht von der Erde und dem Weltall. Im Minokherd
-heißt es: „Himmel und Erde und Wasser und alles andere unter dem
-Himmel ist so geformt worden wie das Ei der Vögel, der Himmel ist über
-der Erde und unter der Erde einem Ei ähnlich durch das Händewerk des
-Schöpfers Ahura Mazda geformt, die Erde innerhalb des Himmels wie das
-Gelbe im Ei.“ Also das Weltall ist kugelförmig. Noch bedeutungsvoller
-ist eine Stelle im älteren Bundehesh. Dort wird im einunddreißigsten
-Kapitel von Himmel, Erde und den Gestirnen unmittelbar als stützenlos
-gesprochen. Der Himmel ist „ohne Säulen“, die Erde „hat keine Träger“,
-die Gestirne „schweben im Luftraum“. Weiter wird im Bundehesh
-erzählt, die Erde enthalte sieben Quartiere, Keschvaras, eines in
-der Mitte, sechs um dieses herum. Das nachfolgende, aus Windschmanns
-„Zoroastrische Studien“ entnommene Bild (jedoch mit Vertauschung zweier
-Quartiere) gibt die Lage der Quartiere gegeneinander und ihre Namen
-an. Nun wird im sechsten Kapitel, das den Lauf der Sonne in Tag und
-Jahr behandelt, mitgeteilt (ich habe die Ordnung beibehalten): „Wenn
-die Sonne aufgeht, erleuchtet sie das Keschvar Çavahi, Fradatatfsn
-und Vidadatfsn und die Hälfte Qaniras. Wenn sie an jener Seite der
-Finsternis untergeht, erleuchtet sie das Keschvar Arezahi, Vourubaresti
-und Vourazaresti und die Hälfte von Qaniras. Wenn hier Tag, so ist dort
-Nacht.“<span class="pagenum"><a name="Seite_175" id="Seite_175">[S. 175]</a></span>
-Man sieht an der Abbildung, daß eine solche Beleuchtung nicht
-möglich ist, wenn die Erde nicht Zylinderförmig oder kugelförmig ist;
-das letztere würde mit der Angabe im Minokherd stimmen. Noch wird von
-der Erde folgendes erzählt. Es sind auf ihr mehrere wichtige heilige
-mythische Berge. Der Berg Harburc ist um die Erde und an den Himmel
-befestigt, er reicht sogar über die Region der Gestirne hinaus, bis zu
-den „anfangslosen Lichtern“. An ihm gehen Sterne, Sonne und Mond auf
-und unter. Das letztere ist schwer zu verstehen, zumal es im fünften
-Kapitel heißt: „Der Berg Taera ist in der Mitte der Welt, die Sonne
-umkreist ihn wie das Wasser rings um die Welt... Der Taera Harburc ist
-jener, an welchem ich Sonne, Mond und Sterne von zurück wieder kreisen
-lasse... Am Harburc geht jeden Morgen die Sonne auf und am Abend unter,
-der Mond, die Fixsterne und die Planeten haben ihr Band und ihr Gehen
-an ihm.“ Hiernach wäre zu schließen, daß der Harburc ein die Erde etwa
-in Richtung des Äquators umkreisendes Gebirge ist. Er könnte aber auch
-die Erde so umlaufen wie die Stützsäulen der griechischen Mythe. Für
-letzteres spricht, daß das dem Okeanos vergleichbare Meer Frhankart
-oder Voroukasha am Fuße des Harburc läuft und die Erde, anscheinend
-im Süden, zu einem Drittel umgibt. Zwei Flüsse gehen vom Nordpunkt
-(?) des Harburc aus, einer nach Osten, der Arg, der andere, Vas, nach
-Westen; beide münden im Meer Frhankart oder Voroukasha. So wird der
-Wasserring um die Erde (die bewohnte?) vervollständigt. Von Bedeutung
-ist auch der Strom, den die Wunderquelle Ardviçura Anahita (Anahita ist
-auch Göttin des Planeten Venus) aussendet. Letztere kommt vom Himmel
-auf einen aus Rubin bestehenden Berg herab, der bald Hugar Bulvend,
-bald Hukairya, oder Haraiti, oder<span class="pagenum"><a name="Seite_176" id="Seite_176">[S. 176]</a></span> Hara Berezaiti genannt wird. Auf
-diesem Berg befindet sich der Paradiesbaum und das Paradies, das Mithra
-(früher Yima) bewohnte, und von ihm führt der Weg über die Brücke
-Cinvat in den Himmel. Die Ardviçura strömt durch goldene Kanäle zur
-Erde in das Weltmeer und unter die Erde, und bildet so das belebende
-und reinigende Naß. Der Himmel ist aus Edelstein geformt, die Gestirne
-sind unter ihm, „zwischen Himmel und Erde“, angebracht. Die Sonne heißt
-auch „Rosselenker“, Aurvat-açpa. Tierkreis und viele Sterne sind mit
-Namen bekannt. Im übrigen besteht die Welt aus dem Lichtreich, der
-„bekörperten“ eigentlichen Welt, und dem Finsternisreich unter dieser.
-Diese selbst ist also in der Mitte, im Vai.</p>
-
-<div class="figcenter">
- <a id="illus-188" name="illus-188">
- <img class="mtop2 mbot2" src="images/illus-188.jpg"
- alt="Indisches Weltbild" /></a>
-</div>
-
-<p>Von den <span class="gesperrt">Indiern</span> weiß ich nichts erheblicheres zu sagen; sie
-dichten eine Menge übereinander angeordnete Oberwelten, fast für jeden
-Gott eine, oder für jede Gestirnklasse eine, außerdem solche für Büßer,
-Fromme, Wahrheit usf. Unter dem Himmel kommt die Luftwelt, Dunstwelt.
-Diese Oberwelten insgesamt werden im Norden (?) von Elefanten getragen.
-Letztere stehen auf der Erde, die ihrerseits auf Elefanten ruht. Die
-Stütze dieser Tiere ist die Weltschildkröte, und diese wieder lagert
-auf der gewaltigen Weltschlange, die das ganze Universum umspannt
-und im unteren Teile im un<span class="pagenum"><a name="Seite_177" id="Seite_177">[S. 177]</a></span>geheuren Meere ruht. Zwischen Erde und
-Schildkröte sind die Welten der Verfluchten, untereinander angeordnet.
-Das vorstehende Bild gibt die ganze Phantastik mit dem goldenen Berg
-Meru als Oberwelten. Wer von der Unentwirrbarkeit indischer Kosmogonie
-und Kosmographie einen Begriff haben will, lese den zweiten Abschnitt
-im Werk Adolf Bastians: „Der Buddhismus in seiner Psychologie.“ Es ist
-kaum möglich zu erkennen, was wirklich gedacht wurde. Die Indier haben
-eine schöne Mathematik und Astronomie besessen. Wie sie aber mythisch
-den Lauf der Gestirne erklärten, habe ich nicht erkunden können.
-Wunderlich ist (<a href="#Seite_212">S. 212</a>), daß die Götter vom Monde speisen, daher seine
-Abnahme, die in Zunahme durch einwandernde Seelen übergeht.</p>
-
-<p>Wir wollen nur noch die Vorstellungen der Hebräer, Babylonier und
-Ägypter betrachten. In der <span class="gesperrt">Bibel</span> wird von der Welt oft
-gesprochen, meist in der Weise wie sie durch die Schöpfungsgeschichte
-gegeben ist. Die Erde aus dem unteren Wasser hervorragend, darüber der
-Luftraum und der Himmel; an dem Himmel die Gestirne, über dem Himmel
-die oberen Wasser. Letzteres entspricht der babylonischen Vorstellung,
-worauf man viel Wert gelegt hat, aber auch Vorstellungen, die wir in
-Ozeanien (<a href="#Seite_17">S. 17</a>) und wohl auch in Ägypten (<a href="#Seite_181">S. 181</a>) finden, und sie
-liegen ja nahe. Die Erde ist fest. Im 104. kosmographischen Psalm heißt
-es: „Er hat die Erde auf ihre Vesten gegründet, sie wanket nicht in
-Ewigkeit.“ Und im Hiob, Kap. 38, spricht der Ewige: „Worauf doch wurden
-ihre (der Erde) Gründe eingesenkt, oder wer legte ihren Eckstein?“
-Aber gerade in diesem Buche, Kap. 26, haben wir eine merkwürdige
-Angabe Hiobs, daß die Erde frei schwebe: „Den Norden spannte er über
-Leeres, hängte die Erde über das Nichts.“ Dort wird auch von Säulen des
-Himmels gesprochen, ob bildlich oder materiell, ist, wie in poetischen
-Werken so oft, schwer zu entscheiden. Doch steht der Himmel auch auf
-dem Saume des Weltozeans. Von den Wassern sagt der 104. Psalm: „Du
-hattest die Flut wie Gewand darüber (über die Erde) gedeckt, auf Bergen
-standen Gewässer. Vor deinem Dräuen flohen sie, vor deines Donners
-Stimme enteilten sie.<span class="pagenum"><a name="Seite_178" id="Seite_178">[S. 178]</a></span> Stürmten Berge hinan, Täler hinab, zum Raum,
-den du für sie gegründet; du setztest Grenzen, sie überschreiten sie
-nicht, nicht kehren sie wieder, die Erde zu bedecken.“ Die oberen
-Wasser „bilden das Obergemach“ im Himmel. Auch eine Unterwelt, Tachat,
-Scheol, ist vorhanden, nach Hiob, Kap. 26, unter den Wassern: „Die
-Schatten (Rephaim) entstehen (oder erbeben) unter den Wassern und deren
-Bewohnern. Nackt ist die Unterwelt vor ihm und keine Decke hat der
-Abgrund.“ Ebenso nach Kap. 38, Vers 16, 17: „Kamst du bis zu des Meeres
-Quellen, durchwandeltest den Abgrund der Flut? Sind dir enthüllt des
-Todes Pforten, die Pforten des Todesschattens siehst du?“ Die Gestirne
-kehren unter der Erde nach Osten zurück. Im Prediger (Kap. 1, Vers 5)
-wird von der Sonne gesagt: „Und aufgeht die Sonne und untergeht die
-Sonne, und zu ihrer Stätte keuchend, geht sie daselbst auf“. „Keuchend“
-(wörtlich), weil sie in die Höhe steigen muß.</p>
-
-<div class="figleft">
- <a id="illus-190" name="illus-190">
- <img src="images/illus-190.jpg"
- alt="Babylonische Weltkarte" /></a>
-</div>
-
-<p>Die <span class="gesperrt">babylonische</span> Mythe weiß im Grunde auch nicht mehr von der
-Welt. Ihr allgemeines Weltbild ist, wie schon erwähnt, das der Bibel;
-es mag auch älter sein. Jeremias bringt in seinem Buche „Das Alte
-Testament im Lichte des alten Orients“ eine „babylonische Weltkarte“,
-die ich wiederhole. Er sagt: „Jedenfalls stellen die sieben Dreiecke
-die sieben entsprechenden Teile des den Himmelsdamm und die Erde
-umströmenden Meeres dar, und sie hängen mit den sieben Kreisen (s.
-unten) des Supuk (Supuk samê ist der Tierkreis) zusammen, der in den
-Himmelsozean taucht. Vielleicht sind auch die sieben Meere in Betracht
-zu ziehen, die in der indischen Kosmologie hervortreten, und die sieben
-Inseln im Meere bei Henoch, Kap. 77“, wir können hinzufügen: die
-sieben Keschvars der Eranier. Vom gleichen<span class="pagenum"><a name="Seite_179" id="Seite_179">[S. 179]</a></span> Autor entnehme ich noch
-die folgenden Angaben: Das All ist ein doppeltes sich entsprechendes.
-Das himmlische All hat die drei Teile: Himmelsozean, Tierkreis
-(himmlische Erde), Nordhimmel. Das irdische All die: Ozean (in der
-Erde und um die Erde), Erde, Lufthimmel (wo Meteore erscheinen und die
-Geister schweben). Die Wandelsterne, innerhalb des Tierkreises sich
-bewegend (an Zahl sieben mit Sonne und Mond), sind die Dolmetscher
-des göttlichen Willens. „Der Fixsternhimmel verhält sich dazu wie
-ein an den Rand des Offenbarungsbuches geschriebener Kommentar.“
-Die Sterne heißen denn auch Sitir samê, „Schrift des Himmels“. Aus
-solchen und ähnlichen Anschauungen ist die berühmte chaldäische
-Astrologie hervorgegangen, mit allen ihren wissenschaftlichen
-Leistungen und, bis in unsere Zeit nachklingenden, Torheiten. Nach
-den sieben Planeten wird der Tierkreis als aus sieben konzentrisch
-übereinander gestellten Ringen bestehend (die sieben Kreise, von
-denen oben die Rede war) angesehen, „wie eine kreisförmige Treppe,
-ein riesiger Stufenturm“ (indisch?). „Die siebente Stufe führt in
-den obersten Himmel, den Himmel des Gottes Anu.“ Letzterer Himmel
-wird auch als der Fixsternhimmel betrachtet und als erster Himmel
-gezählt. Dieser Stufenhimmel ist in den Stufentempeln Babyloniens
-mit allen oder einigen Stufen nachgeahmt. Unter den sieben Stufen
-sind drei hervorgehoben, die von Sin (Mondgott), Samas (Sonnengott),
-Istar (Venusgöttin); diese bedeuten die Regenten des Tierkreises. Auf
-Siegelzylindern finden wir häufig Samas zwischen zwei Bergspitzen als
-„Himmelstor“ hervortretend. Aber weder von diesem Tor noch von dem
-Weltberg und dem „Länderberg“ habe ich mir eine Anschauung bilden
-können. Arrhenius („die Vorstellung vom Weltgebäude“) bringt nach
-einer Zeichnung von Faucher-Gudin eine Abbildung der babylonischen
-Welt. „In der Mitte liegt der Kontinent, der nach allen Seiten hin
-sich zum Weltberg Ararat erhebt. Das Land ist rings vom Ozean umgeben,
-auf dessen hinterer Seite die Wohnungen der Götter liegen. Über dem
-Weltberg liegt der Himmel wie eine Glocke (nach der Abbildung auf
-einem um den Ozean herumlaufenden<span class="pagenum"><a name="Seite_180" id="Seite_180">[S. 180]</a></span> zweiten Gebirge aufruhend). Der
-nördliche Teil war mit einem Rohr versehen (mit zwei Öffnungen). Aus
-der östlichen Öffnung trat die Sonne am Morgen hervor, erhob sich am
-Firmament, um am Nachmittag wieder zu sinken und schließlich beim
-Einbruch der Nacht in die westliche Öffnung des Rohres einzutreten.
-Während der Nacht schob sie sich durch das Rohr und trat am nächsten
-Morgen durch dessen östliche Mündung wieder heraus.“ Woher der gelehrte
-Verfasser den Sonnentubus genommen hat, kann ich nicht sagen. Bequem
-ist er zweifellos, aber in keinem der mir zur Verfügung stehenden Texte
-und Abbildungen finde ich auch nur eine Andeutung davon. Im übrigen
-ist die irdische Welt in allen Teilen ein Abbild der Himmelswelt, was
-auch die Ägypter annahmen und wovon (in Umkehrung) wir ja Beispiele
-bei den Naturvölkern fanden. Das meiste von diesem Besonderen steht,
-wie man sieht, trotz äußerer Ähnlichkeit in striktem Gegensatz zu der
-biblischen Anschauung; der Himmel hat in dieser mit der irdischen Welt
-nicht das geringste zu schaffen, und das ganze All ist nichts Gott
-gegenüber. Gott hat den Gestirnen die „Satzungen“ gegeben.</p>
-
-<p>Auch der <span class="gesperrt">Ägypter</span> Welt bestand aus den bekannten drei Teilen,
-Himmel, Erde, Tiefe (Pet, Ta, Dat). Der Himmel ist der Ausgespannte,
-der Verhüllende, der Hohe, der Gewölbte (Kapu) usf. Er ruht auf vier
-Säulen oder wird von der Luftregion (Shu) gestützt und trägt die
-Gestirne und ihre Gottheiten. Der Tempel wird als ein Abbild des
-Himmels angesehen und dementsprechend ausgebaut und geschmückt. Brugsch
-führt viele Beispiele an. So ist also „für die auf Erden lebenden
-Bewohner der Himmel eine prächtige Tempelhalle, ein Dom, unter dessen
-glanzvollem Dache sie sich ihres Daseins freuen“. Mit einem Himmel
-überdacht werden auch die Grabkammern; aber dieser Himmel ist schwarz,
-es ist der untere Himmel, an dem die Sonne nächtlich hinzieht. Mitunter
-scheinen sich die Ägypter mehrere Himmel übereinander gedacht zu
-haben; die doppeltgekrümmte Figur in der nächsten Abbildung, welche
-Himmel, Luft und Erde durch Personen darstellt, erscheint zweimal
-oder dreimal wieder<span class="pagenum"><a name="Seite_181" id="Seite_181">[S. 181]</a></span>holt, als Sonnenhimmel, Mondhimmel usf. Die Sonne
-fährt auf ihrem Himmel auch im Sonnennachen (na-n-Rā), der vom Urgott
-Nun (auf einem Bilde, aus dem Urgewässer hervorragend) getragen wird.
-Im Hiob wird der Himmel als Spiegel bezeichnet, bei den Ägyptern als
-Eisen. Eisen (ba) steht mitunter geradezu für Himmel („Rā fährt oder
-schwimmt oder wandert auf dem Eisen“), wie umgekehrt das „Eisen des
-Himmels (ba-n-pet)“ für Eisen überhaupt benutzt wird. Der mythische
-Name der Erde (Ta) heißt Qeb. Das soll Biegung, Krümmung bedeuten.
-Ob den Ägyptern aber die runde Gestalt der Erde bekannt war, oder
-ob Qeb lediglich die Unebenheiten kennzeichnen soll, ist ungewiß.
-Auch „Schwäche“ soll in dem Worte liegen, und die Erde wird auch
-als schwacher, alter Mann dargestellt (wie in der obigen Abbildung)
-oder als leidendes Weib. Die untere Welt ist das Nachtsonnenreich
-der Welt, unter der Erde und unter den Wassern. Wir kommen auf sie
-zurück. Figürlich wird sie als zusammengekrümmte Gestalt, Osiris,
-gebildet. „Die untere Hemisphäre zusammengekrümmt enthält seine
-(des Osiris) Gestalt“, heißt es in einer Inschrift. Die ganze Welt
-scheint vom Urwasser Nun eingeschlossen zu sein, wie sich aus einer
-Abbildung bei Brugsch, „Religion und Mythologie der alten Ägypter“, <a href="#Seite_216">S.
-216</a>, ent<span class="pagenum"><a name="Seite_182" id="Seite_182">[S. 182]</a></span>nehmen läßt. Das entspräche etwa der biblisch-babylonischen
-Auffassung. Wenn aber auf der Abbildung auch ein Rand des Wassers
-außerhalb der Welt sichtbar ist, so würde das mehr an den Okeanos der
-Griechen erinnern, hinter dem ja auch die Welt, im Tartaros, sich
-fortsetzt. Indessen kann es sich auch um eine Willkür des Malers
-handeln. Das All wird unter dem Bilde des Skarabäus dargestellt.</p>
-
-<div class="figcenter">
- <a id="illus-193" name="illus-193">
- <img class="mtop2 mbot2" src="images/illus-193.jpg"
- alt="Ägyptische Abbildung von Himmel, Luft und Erde" /></a>
-</div>
-
-<div class="section">
-
-<h4>21. <span class="gesperrt">Leben und Gottheit</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Die <span class="gesperrt">Anschauung vom Leben</span> richtet sich nach dem Grade der
-Freiheit Gott oder den Göttern gegenüber und nach dem Grade des
-Vertrauens. Die arischen Stämme scheinen noch am wenigsten abhängig von
-ihren Göttern gewesen zu sein, aber wohl auch am wenigsten vertrauend
-auf sie. Aus ihrer Mitte ist der Buddhismus hervorgegangen, in dem
-die Götter, wenn ihr Dasein nicht geleugnet wird, doch als sehr
-geringwertig für die Menschen angesehen werden. Hier gilt der extremste
-Grundsatz nach einer Seite hin; das Leben des Menschen ist bestimmt
-durch ihn selbst, er ist selbst Meister seines Geschickes (<a href="#Seite_211">S. 211</a> ff.).</p>
-
-<p>Fünf Gesichtspunkte sind es vor allem, nach denen das Leben mit
-seinen inneren und äußeren Vorgängen beurteilt wird: <span class="gesperrt">Zufall</span>,
-<span class="gesperrt">Freiheit</span>, <span class="gesperrt">Fürsorge</span>, <span class="gesperrt">Vorausbestimmung</span>,
-<span class="gesperrt">Zwang</span>. Die genaue Untersuchung dieser Gesichtspunkte gehört
-in die Metaphysik und Ethik. Auch entfallen hier, wo wir von den aus
-der Religion fließenden Anschauungen sprechen, der erste und fünfte
-Gesichtspunkt; es bleiben nur die drei mittleren Gesichtspunkte,
-und sie setzen das Verhältnis des Menschen zur Gottheit fest. Wenn
-bei religiöser Anschauung Willensfreiheit herrschen soll, so muß
-Verantwortlichkeit gegen die Gottheit bestehen. Der Egoismus führt
-dann auch zu Anforderungen an die Gottheit. Beide können mit dem Leben
-abgetan sein, oder auch sich über das Leben hinaus fortsetzen. Im
-ersten Falle hat der Mensch alles Unheil, das ihn im Leben betrifft,
-als Strafe für freiwillige Missetat zu betrachten, alles Gute als
-Belohnung für Wohlverhalten.<span class="pagenum"><a name="Seite_183" id="Seite_183">[S. 183]</a></span> Das letztere nimmt er meist ohne zu
-danken hin; er wird immer irgendeine schöne Tat finden, für die er
-Belohnung glaubt sich erwarten zu dürfen. Denn das rein ethische
-Wohltun aus Trieb der Seele und Freude daran ist gar selten und
-schaltet eigentlich die Gottheit aus. Aber eine Strafe sieht der
-Mensch nicht immer als verdient an. Dazu gehört wahre, herzensinnige
-Frömmigkeit und Zerknirschung, wie wir sie in den Hymnen, Psalmen und
-Kirchenliedern oft so ergreifend ausgedrückt finden. Hier vermischt
-sich die Anschauung mit der von der Fürsorge der Gottheit für den
-Menschen. Das Leben wird der Gottheit vertrauensvoll überlassen. Was
-diese bietet, wird in Demut angenommen, was sie verhängt, in Demut
-ertragen; vielleicht als Belohnung, vielleicht als Buße, immer aber
-als Ratschluß des Höchsten, der schon weiß, warum. Ich brauche aus dem
-Monotheismus keine Beispiele anzuführen. Aber auch der Polytheismus
-kennt solche Anschauungen:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Zeus, wer du auch seist, Hoher, Unerforschlicher,</div>
- <div class="verse">Ob Geist der Menschen, ob Naturnotwendigkeit,</div>
- <div class="verse">Ich fleh dich an; denn du lenkst auf stiller Bahn</div>
- <div class="verse">Hinwandelnd, alles Menschenlos zum rechten Ziel.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">ruft die unglückselige Hekabe bei Euripides aus. Ähnlich heißt es in
-dem schönen babylonischen Klagelied an Istar:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Du schaust auf den Unglücklichen und Zerschlagenen,</div>
- <div class="verse">Leitest ihn täglich rüstig.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Damit in Verbindung steht dann die für alle Religion so absolut
-notwendige Anschauung, daß die Gottheit sich erbitten läßt, unverdiente
-Gnaden erweist, verdiente Strafe erläßt. Im Polytheismus wird sogar
-eine Gottheit gegen die andere angerufen. In jenem Istar-Liede sagt der
-Flehende:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Löse meine Brust und schaffe mir Fülle!</div>
- <div class="verse">Lenke meinen Schritt, daß ich</div>
- <div class="verse">Froh und frei mit den Lebenden die Straße ziehe!</div>
- <div class="verse">Gib du Befehl, daß auf deinen Befehl der erzürnte Gott wieder gut werde,</div>
- <div class="verse">Daß die Göttin, die sich zürnend abgewandt, wieder gut werde.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">So wird Istar auch der „Stern der Klagen“ genannt, und dieses trotz
-der Schilderung ihrer willkürlichen, absoluten Übermacht, die
-Freunde verfeindet und auf dem Schlacht<span class="pagenum"><a name="Seite_184" id="Seite_184">[S. 184]</a></span>felde herrscht. Seltsam,
-mehr wunderlich, klingt die fast stehende Versöhnungsformel an die
-Gottheiten, daß „ihr Herz sich beruhigen möge“ oder „sie selbst sich
-beruhigen mögen“, wie überhaupt die babylonischen Texte soviel von der
-Unruhe der Gottheiten sprechen, ja von ihrem Lärmen, wodurch auch so
-viel Kampf und Streit zwischen ihnen entsteht; so der kosmogonische
-Kampf Apsus und Tiamats gegen sie. Vielleicht treffen unsere
-Übersetzungen nicht den richtigen Sinn. Es sind auch Kollektivlieder
-für jede beliebige Gottheit gedichtet und bekannt. Wenn der Mensch
-sein Wohlverhalten dem Gotte vor Augen stellt, so geschieht das nicht
-selten in der Weise, daß er sagt, die und die Sünde hätte er nicht
-begangen. Das 125. Kapitel des ägyptischen Totenbuches ist dafür sehr
-charakteristisch. Die Vorschrift lautet: „Was NN (als Toter) spricht,
-wenn man zur Halle der beiden Wahrheiten (<a href="#Seite_189">S. 189</a>) gelangt, nachdem NN
-sich losgemacht hat von allem Bösen, das NN getan hat, um das Antlitz
-aller Götter zu schauen“. Und nun kommen die Bekenntnisse. „Ich habe
-nicht falsch gehandelt gegen die Menschen“ usf. Dreiundsechzig solche
-negative und kaum zehn positive, unter den letzteren freilich das so
-schöne:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Ich habe dem Hungernden Brot gegeben,</div>
- <div class="verse">Und dem Dürstenden Wasser,</div>
- <div class="verse">Und dem Nackten Kleider.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Andere Völker sind ähnlich verfahren. Bei allen aber werden nicht
-selten Zweifel an der Hilfe der Gottheit geäußert, entweder weil
-diese dem Menschen zu fern steht und sich um ihn nicht kümmert, oder
-weil der Mensch sich zu niedrig dünkt Gott gegenüber. Wie oft ist dem
-letzteren Gefühl in Psalmen, aber auch in den anderen Schriften der
-Bibel Ausdruck verliehen: „Was ist der Mensch, daß du sein gedenkest“
-usf. Bei den Ariern finden wir mehr den Zweifel an dem Wollen der
-Gottheit; Euripides bietet eine Menge von Beispielen. Hekabes Ausruf:
-„Ihr Götter! Zwar unnütze Helfer seid ihr uns; doch ist es tröstlich
-anzuflehen die Himmlischen, wenn unsereinen heimsucht das Mißgeschick“,
-gehört noch zu den mildesten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_185" id="Seite_185">[S. 185]</a></span></p>
-
-<p>Weit verbreitet ist sogar die Anschauung von der Gottheiten „<span class="gesperrt">Neid
-und Mißgunst</span>“ gegen die Menschen. Wie sie untereinander Neid und
-Mißgunst hegen und dadurch zum Kampf gegeneinander getrieben werden,
-daß ein Göttergeschlecht das andere stürzt, hat in furchtbaren Worten
-Aischylos im Prometheus geschildert. Dann wie die Gottheiten nach
-Willkür herrschen, ganz wie Tyrannen auf Erden:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Ach, neue Herrn sind im Olymp</div>
- <div class="verse">Am Ruder jetzt; neuem Gesetz gemäß regiert</div>
- <div class="verse mleft2">Ohne Gesetz Zeus jetzt.</div>
- <div class="verse mleft2">Das früher Gewaltige jetzt vertilgt er’s.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Und dann:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse mleft2">Auf die armen Menschenkinder nahm</div>
- <div class="verse">Er keine Rücksicht; ganz zu vertilgen ihr Geschlecht,</div>
- <div class="verse">Ein anderes neues dann zu schaffen, war sein Plan.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Prometheus, der dies von Zeus sagt, rettet die Menschen. Das steht
-nicht fern von der Art wie Ellil bei den Babyloniern verfährt, daß
-Ea wenigstens für wenige Retter sein muß. Namentlich erregt Glück
-den Neid der Götter. Und wer etwa sich darin überhebt, muß es schwer
-büßen. Niobes Tragödie spricht noch jetzt zu uns aus den herrlichen
-und rührenden Darstellungen, die wir bewundern. Selbst die Bibel hat
-Anklänge, daß Gott dem Menschen nicht alles gewähren will, wie in der
-Paradiessage und in der Sage vom Turmbau zu Babel. Doch tragen solche
-Erzählungen auch den Stempel der Erklärung für Erscheinungen im Leben
-der Menschheit. Warum der Mensch mühselig sein Leben verbringt, warum
-er stirbt, warum er so zerstreut und vielsprachig auf Erden weilt.
-Andere Völker haben aus gleichem Grunde andere Sagen erfunden.</p>
-
-<p>So ist die Freiheit des Menschen doch keine unbedingte und die Fürsorge
-der Gottheit keine vollkommene. Darum ist es dem Menschen auch ein
-vertrauter Gedanke, daß er über sich überhaupt nicht zu bestimmen
-habe, daß, wie seine Geburt, so auch sein ganzes Leben durch die
-Gottheit vorausbestimmt ist und sein Tod. Was ihm Gutes zukommt, was
-ihn Böses berührt, hat die Gottheit schon vorgewirkt. Dieses<span class="pagenum"><a name="Seite_186" id="Seite_186">[S. 186]</a></span> entweder
-absolut oder relativ (vom Schicksal <a href="#Seite_136">S. 136</a> ff.). Wie weit die absolute
-Vorausbestimmung geht, sehen wir in dem grämlichen „Prediger“: „Denn
-auch daß ein Mensch esse und trinke und Gutes genieße für alle seine
-Mühe, ist eine Gabe Gottes. Ich weiß, daß alles was Gott tut, das wird
-ewig sein, hinzuzufügen ist nichts und davon zu nehmen ist nichts, und
-Gott tat es, daß sie sich fürchten vor ihm.“ „(Ich weiß) daß, was den
-Menschensöhnen begegnet und was dem Vieh begegnet einerlei Begegnis für
-beide sei; wie der Tod dieses, so der Tod jener, und einerlei Geist in
-allem, so daß der Vorzug des Menschen vor dem Viehe nichts sei, denn
-alles ist eitel.“ Daraus folgt dann das berühmte: „Nichtigkeit der
-Nichtigkeiten, alles ist nichtig.“ So scharf wie im „Prediger“ findet
-sich der Pessimismus freilich selten ausgesprochen, außer etwa bei
-Philosophen. Aber über Gebundenheit und Machtlosigkeit klagt der Mensch
-überall.</p>
-
-<p>Die Verzweiflung führt dann zunächst zu der <span class="gesperrt">Lebensweisheit der
-Unbekümmertheit und des Genießens</span>. Im „Prediger“ wird sie
-fortwährend empfohlen: „Siehe, was ich gesehen habe, das ist gut, daß
-es schön ist, zu essen und zu trinken und Gutes zu sehen für alle seine
-Mühe, die er sich müht unter der Sonne die Zahl seiner Lebenstage,
-die Gott ihm gegeben, denn das ist sein Teil.“ „Am Tage des Glückes
-fühle dich glücklich, und am Tage des Unglückes sieh’s an.“ „So preise
-ich die Freude, daß nichts gut ist für den Menschen unter der Sonne
-als zu essen und zu trinken und sich zu freun.“ „Denn so viele Jahre
-der Mensch lebt, ihrer aller freue er sich und gedenke der Tage der
-Dunkelheit, daß ihrer viele sein werden; alles was kommt ist nichtig.“
-Gemildert werden diese Lehren durch die ethische Auffassung, daß die
-Freude ein Entgelt für die Mühsal ist, die der Mensch tragen muß, und
-daß bei allem der Mensch doch nichts Böses tun darf, sondern Gutes
-wirken muß. Eine Tradition schrieb den „Prediger“, selbstverständlich
-mit Unrecht, König Salomo zu. Die Azteken hatten im König
-Netzahualcoyotl (1470) einen ähnlichen Salomo: „Allen irdischen Dingen
-ist ihr Ende bereitet. Inmitten der fröhlichen Laufbahn ihres Glanzes
-und<span class="pagenum"><a name="Seite_187" id="Seite_187">[S. 187]</a></span> ihrer Eitelkeit geht ihnen die Kraft aus und sie werden zu Staube.
-Das ganze Erdenrund ist nichts als ein Grab, und alles, was darauf
-lebt, wird einst darunter begraben werden. Die Dinge von gestern sind
-heute nicht mehr und die Dinge von heute werden vielleicht schon morgen
-nicht mehr sein. Die einst auf Thronen gesessen, Versammlungen gelenkt,
-Heere befehligt, Länder erobert, göttliche Verehrung gefordert, der
-Macht der Herrschaft, dem Ruhm nachgejagt haben, wo sind sie jetzt?
-Verschwunden mit all ihrer Herrlichkeit, gleich dem Rauche, der aus dem
-Krater des Popokatepetl aufsteigt und spurlos verschwindet.“ So lautet
-die triste Weisheit des aztekischen Königs nach Ixtlilxochitl, als
-wenn er das entsetzliche Schicksal seines Volkes und seiner Nachkommen
-geahnt hätte. Und daran schließt er, wie der „Prediger“, die Mahnung:
-„Aber du, mein Freund, so freue dich der Anmut dieser Blumen, freue
-dich mit mir. Wirf nun Furcht und Sorge von dir, die uns den Genuß
-verderben bis ans Ende des Lebens. Sammle ja alle zusammen, welche
-Liebe dir verbindet, welche teuer dir in Freundschaft. Denn auf Erden
-ist nichts sicher als des Todes herbe Schneide. Auch im Wechsel ist
-die Zukunft.“ Phantasiebegabte Ethnologen haben bereits behauptet,
-die Azteken und Mayas wären die verlorenen zehn Stämme Israel. Also
-Tradition! Gleiche Anschauungen sollen sich im alten peruanischen
-Drama „Ollanta“ finden. Sicher haben die Literaturen der meisten
-Völker solche und ähnliche Ausbrüche von Menschenverzweiflung über das
-Leben. Wie die Indier darüber dachten, haben wir an anderer Stelle zu
-erörtern. Von den griechischen und römischen Lehren genügt es, zwei
-Äußerungen hervorzuheben. Herakles sagt in der Alkestis zu dem um seine
-Herrin trauernden Diener:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Den Menschen allen ist verhängt des Todes Los</div>
- <div class="verse">Und ihrer keinem noch wurde geoffenbart,</div>
- <div class="verse">Ob nur der Tage nächster sie am Leben trifft.</div>
- <div class="verse">Denn dunkel ist, wohin des Schicksals Wege gehn,</div>
- <div class="verse">Und nicht erlernbar, und die Kunst enthüllt es nicht ...</div>
- <div class="verse">Erheitre dich und trinke, rechne diesen Tag</div>
- <div class="verse">Für dein, das andre für des Schicksals Eigentum.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_188" id="Seite_188">[S. 188]</a></span></p>
-
-<p class="p0">Und als Hauptspruch den schon benutzten (ähnlich auch von Epicharmos):</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Sterblichen geziemt es, sterblich auch gesinnt zu sein.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Und sicher fällt meinem Leser noch Horatius’ Ermahnung ein: „Quid
-sit futurum cras fuge quaerere, quam fors dierum cunque dabit,
-lucro appone.“ In einer Rezension des Gilgames-Epos der Babylonier
-(vielleicht aus mehr als 2000 v. Chr.) sagt Sabitu (eine Göttin, die am
-Rande der Welt wohnt) zum Helden:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Als die Götter die Menschen schufen,</div>
- <div class="verse">Setzten sie den Tod für die Menschen ein,</div>
- <div class="verse">Das Leben aber nahmen sie in ihre Hand.</div>
- <div class="verse">Du, Gilgames, dein Leib sei gefüllt,</div>
- <div class="verse">Tag und Nacht vergnüge dich!</div>
- <div class="verse">Täglich mache ein Freudenfest!</div>
- <div class="verse">Tag und Nacht tanz und juble usf.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Ähnliche Lehren finden wir in dem ägyptischen sogenannten Harfnerliede,
-dessen Inhalt aus etwa 1700 v. Chr. stammt. Es wird geschildert wie
-Menschen, Städte und Länder vergehen, und dann rät der Dichter:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Folge deinem Herzen, solange du lebst,</div>
- <div class="verse">Leg Myrrhen auf dein Haupt und kleide dich in feines Linnen,</div>
- <div class="verse">Gesalbt mit den ächten Wundern der Gottesdinge.</div>
- <div class="verse">Sei noch fröhlicher, laß dein Herz nicht ermatten,</div>
- <div class="verse">Folge deinem Herzen und deinem Vergnügen,</div>
- <div class="verse">Verrichte deine Sachen auf Erden und quäle dein Herz nicht,</div>
- <div class="verse">Bis jener Tag des Wehgeschrei’s zu dir kommt kommt &mdash;</div>
- <div class="verse">Denn Osiris hört ihr Schreien nicht &mdash;</div>
- <div class="verse">Und die Klage errettet niemanden aus dem Grabe.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Alles dieses klingt so allgemein menschlich aus urältester Zeit, und
-klingt noch heute.</p>
-
-<p>Es ist nur ganz natürlich, daß der Mensch gerne sein Schicksal erkennen
-möchte. Die Chaldäer vornehmlich haben dazu die <span class="gesperrt">Astrologie</span>
-geschaffen, die sich aber fast überall auf der Erde vorfindet, sei es
-daß die Gestirne, als Gottheiten, in ihrer Stellung bei der Geburt
-und später, ihren Willen kundtun, sei es daß höhere Mächte das
-Geschick wie Schrift am Himmel ordnen (<a href="#Seite_179">S. 179</a>). Es wird jedem Stern
-an sich eine Bedeutung für das menschliche Wesen und für die Welt
-beigemessen &mdash; wer denkt nicht an den Stern bei Christi Geburt!<span class="pagenum"><a name="Seite_189" id="Seite_189">[S. 189]</a></span> &mdash;
-und auch in Verbindung mit den anderen Sternen. Und es gilt, aus der
-Kombination der Sterne das Wahre zu erraten, oder am Himmel wie in
-einem Buche zu lesen. Das verstehen nicht alle, sondern nur gewisse
-Leute. Sonst hat die Menschheit noch die <span class="gesperrt">Orakel</span> der Gottheiten
-ausgebildet, wofür die Griechen wohl die merkwürdigsten Beispiele
-besitzen. Oder <span class="gesperrt">Wahrsagungen</span> durch Geister Verstorbener, oder
-von weisen Männern und Frauen, &mdash; die Beschwörung der Hexe von Endor,
-zu der der gewaltige und unglückliche Saul wandert, gehört hierher. &mdash;
-Auch Zeichen an Tieren, namentlich bei den in dieser Hinsicht recht
-törichten Römern, die sich von ihren eigenen Deutern verspotten lassen
-mußten, oder solche an Gewitter, Wind und allen möglichen Begegnissen
-spielen eine große Rolle. Von diesem allen zu sprechen ist nicht meine
-Aufgabe. Die „Geheimlehre“ ist eine sehr ausgebreitete Wissenschaft
-mit Horoskop, Beschwörung, Hölzchenwerfen, Kartenlegen und allem so
-sonderbaren Unfug, Zauber und Spuk. Sie hat noch jetzt, wie die vielen
-Prozesse zeigen, die dabei doch immer nur flagrante Fälle treffen, eine
-außerordentliche Bedeutung in vielen, nicht selten geistig sehr wenig
-gebildeten oder von Aberglauben durchsetzten Kreisen. Ich wüßte aus
-meinen Kreisen die unglaublichsten Dinge zu erzählen, wie ein, an sich
-ganz verständliches Drängen des Menschen, seine Zukunft und die Folgen
-seines Tuns und Lassens zu erkennen, zu größten Albernheiten ausartet.
-Wieviel Unheil die griechischen Orakel angerichtet haben, meist durch
-Zweideutigkeit, oft auch durch Dienstfertigkeit gegen eine Person oder
-einen Stamm, wie des delphischen Orakels gegen die Spartaner, ist
-bekannt. Aber die erleuchtetsten Geister der Griechen haben doch an
-sie geglaubt. Da ist es nicht zu verwundern, wenn Ägypter, Chinesen,
-Amerikaner, Indier usf. gleichfalls an solche Dinge glaubten, und daß
-Weissagungen zu Staatseinrichtungen wurden. Der delphische Gott hat
-fast die ganze alte Kulturwelt, bis tief nach Asien hinein und bis zu
-den Säulen des Herakles durch seine Aussprüche beherrscht. Wir kennen
-deren eine große Zahl. Und wie gerne denkt man an die Prophezeiungen
-der gewaltigen Propheten<span class="pagenum"><a name="Seite_190" id="Seite_190">[S. 190]</a></span> mit ihrer so immensen ethischen und
-religiösen Bedeutung! Und, in weitem Abstande freilich, doch zum Teil
-von poetischem Geist getragen, stehen die sibyllinischen Weissagungen,
-aus so viel späterer Zeit. Auch in den babylonischen, ägyptischen
-und anderen Texten haben wir Prophezeiungen, namentlich aber viele
-Beschwörungen von Göttern und Dämonen. So sehr bildeten diese einen
-Bestandteil des Lebens, daß sie sich zu Formeln verdichteten, in die,
-ähnlich wie bei den Bittliedern (<a href="#Seite_184">S. 184</a>), nur der jedesmalige Name des
-Gottes oder Dämons des <span class="gesperrt">Beschwörenden</span>, oder desjenigen für den
-etwas beschwört werden sollte, und die Bitte (z. B. um Heilung von der
-und der Krankheit) einzutragen war. So beginnt ein babylonischer Text:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Ich rufe euch an, ihr großen Götter,</div>
- <div class="verse">... Gott und Göttin, Herrn der Erlösung,</div>
- <div class="verse">Wegen NN, Sohnes des NN, dessen Gott NN, dessen Göttin NN ist,</div>
- <div class="verse">Der krank und zerschlagen, voll Trauer und Kummer ist.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Und bei solcher Beschwörung wurden, harmlos genug, Blüten, Früchte,
-Wolle usf. verbrannt. Eine der großen babylonischen Beschwörungen
-unter dem Namen Ea und Atrahasis (<a href="#Seite_161">S. 161</a>), betrifft Unheil und Sünde,
-die das ganze Land ergriffen haben, und Plagen, die Ellil gesandt
-hat, richtet sich aber wesentlich auf Hilfe für schwangere Frauen. Ea
-und Atrahasis scheinen die Helfenden zu sein. Selbst die Gottheiten
-benutzen bei ihrem Tun Beschwörungsformeln; in demselben Text bilden
-(symbolisch?) Ea und die Göttermutter Mami oder Aruru Wesen aus Lehm,
-dabei spricht Mami eine Beschwörung und speit auf den Lehm. Bei
-dieser Beschwörung spielen sieben „Mütter“ (man denkt unwillkürlich
-an die Mütter im „Faust“) eine Rolle. Selbst Ormuzd bedient sich
-einer Beschwörungsformel, des Honover, gegen Ahriman und stürzt ihn
-dadurch zu Grunde. Die ungeheure Bedeutung des Spruches bei den
-Indiern habe ich mehrmals hervorgehoben. Und der Römer konnte ohne
-<span class="gesperrt">Abwehrformeln</span> überhaupt nicht leben; wie auch gegenwärtig der
-Bauer, und nicht bloß dieser, gegen Beschreien, bösen Blick, Katzen,
-die ihm über den Weg laufen u. a. Abwehrformeln murmelt oder sich
-bekreuzigt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_191" id="Seite_191">[S. 191]</a></span></p>
-
-<p>Mit derartigen Anschauungen hängen dann die der <span class="gesperrt">Dies nefasti</span>
-zusammen, der Tage, die an sich voll Unheil sind, und an denen nichts
-unternommen werden darf, sowie ihrer Gegensätze, der <span class="gesperrt">Dies fasti</span>,
-der guten Tage. Die Kalender in allen Teilen der Erde hatten die
-Aufgabe, diese Tage anzumerken. Und Priester und Wahrsager wurden bei
-großen und kleinen Unternehmungen benutzt, durch Vogelschau, Opfer
-und sonstige Anzeichen festzustellen, ob der betreffende Tag dazu
-auch geeignet sei. Die Geschichte der Völker ist voll von Beispielen
-dafür. Auch die Sabbatvorschriften, für die die Bibel einen so
-menschenfreundlichen und edlen Zweck angibt, die Ruhe von Mühe und
-Arbeit für sich und alle anderen, selbst für das arbeitende Vieh,
-beziehen sich anderweitig vielfach auf schlimme Tage. Ein babylonischer
-Text, den man als Sabbatvorschrift bezeichnet und der in der Tat für
-den 7., 14., 19., 21. und 28. des Schalt-Ellul das Kochen von Fleisch,
-das Anziehen eines Hemdes, das Opfern, das Fahren, das Wahrsagen, das
-Behandeln von Kranken, jede Unternehmung verbietet, wie etwa am Sabbat
-der Hebräer, beginnt aber mit der Überschrift: „Ein böser Tag“. Es ist
-also kein Sabbat, kein Sonntag, der ja ein feierlicher und glücklicher
-Tag sein sollte und war und ist. Auch die Folge im Monat zeigt dieses;
-zwischen dem 14. und 19. sind nur fünf, zwischen dem 19. und 21. gar
-nur zwei Tage. Und unsere „Freitage“ und „Dreizehnten“! Selbst die
-gleichfalls auf der ganzen Erde verbreiteten <span class="gesperrt">Speiseverbote</span>
-gehören bis zu einem gewissen Grade hierher, soweit sie nicht
-einheimischen Anschauungen ihre Entstehung verdanken. Doch kann ich
-darauf nicht eingehen.</p>
-
-<p>Im ganzen nimmt die Freiheit des Menschen zu, wie die Zahl der
-Gottheiten abnimmt und der monotheistische „Knecht Gottes“ ist sicher
-freier als der polytheistische „Bildner“ seiner Gottheiten. Das liegt
-auch daran, daß nicht, wie unter Menschen, mit der Macht des Einzelnen
-die Unterdrückung und so oft auch die Ausnutzung wächst, sondern daß
-der Glaube an die Fürsorge aus dem donnernden und gefürchteten Gott
-einen, wenn auch strafenden, doch gütigen Vater im<span class="pagenum"><a name="Seite_192" id="Seite_192">[S. 192]</a></span> Himmel macht, trotz
-der vielen Erfahrungen, die hier so bewegend widersprechen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>22. <span class="gesperrt">Nachleben und Jenseits (Eschatologie)
-der Kulturvölker</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Wir kommen zu einer recht schwierigen und umfangreichen Untersuchung,
-aber einer von der höchsten Bedeutung. Wie die Naturvölker über
-<span class="gesperrt">Nachleben</span> und <span class="gesperrt">Jenseits</span> denken, habe ich oft und eingehend
-auseinandergesetzt (auch Abschnitt 14). Wir haben es jetzt mit den
-Kulturvölkern zu tun. Daß auch bei ihnen Reste naturmenschlicher
-Anschauungen auf diesem Gebiete in reichlicher Zahl sich finden,
-habe ich gleichfalls schon dargelegt und mitgeteilt. In der Tat ist
-im Grunde jedes Nachleben mit irdischem Fühlen, Denken und Bedürfen
-an sich naturmenschlich, und nur die hinzukommenden ethischen Motive
-und ethischen Veranstaltungen können Kulturelles begründen. So sehen
-wir denn auch im allgemeinen rein Naturmenschliches mit Kulturellem
-gepaart und gemischt. Drei Hauptanschauungen müssen wir vor allem
-unterscheiden. In der einen Anschauung ist der Gestorbene für immer
-tot, höchstens, daß er am Ende der Zeit auferweckt wird. Nach der
-zweiten kann er als Dämon, Gespenst, Geist usf. aus gewissen Gründen
-die Erde noch besuchen. Es handelt sich dann nur um Naturmenschliches,
-das wir schon kennen. In der dritten Anschauung stirbt der Mensch
-nur, um in anderer Gestalt wieder zu kommen. Das allgemeine Leben
-ist kein einmaliges, sondern ein von Ewigkeit her bestehendes
-Kommen und Scheiden der Seele, bis zum Eingehen in die letzte Ruhe
-(Seelenwanderung, Metempsychose). Das ist dem nächsten Abschnitt
-vorbehalten.</p>
-
-<p>Wir betrachten die erste Anschauung und müssen dabei sogleich ein
-Volk gesondert behandeln, weil bei ihm die größten Zweifel noch
-ungelöst vorhanden sind: die alten <span class="gesperrt">Hebräer</span>. Der bekannte
-Pentateuchausdruck für das Sterben ist: „Sich zu den Vätern
-versammeln“. Wie das animistisch gedeutet werden kann, ist bereits
-ausgeführt (<a href="#Seite_106">S. 106</a>). Sonst finden wir die Angabe, die Seele oder der
-Geist, Nephesch<span class="pagenum"><a name="Seite_193" id="Seite_193">[S. 193]</a></span> oder Ruach, als das von Gott dem Staubgebildeten
-Eingehauchte, verlasse den Menschen im Sterben; der Leib werde zur
-Erde. Der „Prediger“ in seinem Pessimismus sagt: „Allen Lebenden ist
-Hoffnung, denn es ist besser um einen lebenden Hund als um einen toten
-Löwen“. Und er spricht den Toten jeden Anteil ab „an allem, was unter
-der Sonne geschieht“. Selbst den Lohn empfangen sie nicht, „sie wissen
-nicht das geringste“. Das wäre also absoluter Tod. Aber wie unsicher
-sich der „Prediger“ fühlt, zeigt die Äußerung: „Alles geht an einen
-Ort, alles ward aus dem Staube und alles kehrt zurück zum Staube. Wer
-kennt den Geist (Ruach) der Menschensöhne, ob er in die Höhe (Maala)
-steigt, und den Geist des Viehs, ob er hinuntersinkt zur Erde (Arez)“.
-Und diese Unsicherheit finden wir fast überall bei den alten Hebräern.
-Der Aufenthaltsort des Toten ist der Scheol, Tachat; aber es ist schon
-nicht gewiß, ob wir darin einen Hades, Orcus zu sehen haben oder nur
-das Grab des Betreffenden. Das erstere scheint das allgemeinere, doch
-sind die Epitheta auf Grab wie auf Totenreich anwendbar: die „Öde“,
-die „Verborgenheit“, „einsame Gruft“ usf. Im Hiob, Kap. 10, wird vom
-„Land der Finsternis und Todesschatten“ gesprochen, auch vom „Land
-des Grauens, ein Dämmerungsdunkel, wo es graut wie Dämmerungsdunkel“.
-Im Jesaias werden die „Pforten der Unterwelt“ (Schaare Scheol)
-genannt. Und die Toten heißen „Bewohner der Nichtigkeit“. Solche und
-ähnliche Angaben deuten wieder mehr auf eine besondere Unterwelt.
-Die Geschiedenen werden meist als Rephaim, die Kraftlosen, Matten
-bezeichnet oder als Zalmaweth, Schatten, Bilder; letzteres fast
-genau den griechischen εἴδωλα entsprechend. Und überhaupt gleichen
-diese Anschauungen in merkwürdiger Weise den griechisch-römischen,
-ohne die späteren Ausschmückungen. Von Lohn oder Strafe sind in den
-alten Schriften keine rechten Spuren zu finden. Bei bewußt- und
-empfindungslosen Seelen würden sie auch keine Bedeutung haben. Um
-so höher muß man eigentlich Anschauungen einschätzen, wenn sie die
-Menschheit Recht, Sitte und Liebe lehren wollen, ohne Drohen mit ewigen
-Strafen und ohne<span class="pagenum"><a name="Seite_194" id="Seite_194">[S. 194]</a></span> Verheißung ewigen Lohnes. Auf Auferstehung der
-Toten deuten Aussprüche wie Jesaias 26, 19: „So mögen aufleben deine
-Toten, meine Leichen wieder erstehen: Erwachet und jubelt, Bewohner
-des Staubes! Denn Tau auf Pflanzen ist dein Tau, aber die Erde wirft
-Schatten nieder“. Erst nach der Rückkehr vom Exil scheinen sich die
-Ideen von Hölle und Paradies zu bestimmten Anschauungen ausgebildet zu
-haben. Schon solche Stellen wie Psalm 17, 15: „Ich aber werde schauen
-in Gerechtigkeit dein Antlitz, der Wonne Fülle haben, wenn ich erwacht,
-an deinem Bilde“. Psalm 16, 10, 11: „Denn nicht überläßt du meine Seele
-(Naphschi) der Gruft (Scheol), lässest nicht deine Frommen schauen die
-Grube (Tachat). Den Pfad des Lebens wirst du mir kundtun; Fülle der
-Freuden ist vor deinem Antlitz, Wonne in deiner Rechten immerdar“.
-Psalm 26, 9: „Raff meine Seele nicht mit Sündern hin, mit Blutmenschen
-nicht mein Leben“ u. ä. deuten darauf hin. Man weiß nur von wenigen
-Psalmen, wann sie gedichtet sind; manche meinen übertrieben, alle seien
-erst nach dem Exil entstanden. Genauere Angaben finden sich in den
-Apokryphen und den Pseudepigraphen. In dem zweiten Makkabäerbuch (wohl
-kurz vor Christi Geburt geschrieben, vielleicht schon um 100 vor Chr.)
-handelt Kap. 7 von dem Martyrium der sieben Brüder, die die katholische
-Kirche unter ihre Heiligen aufgenommen hat (die Reliquien werden im
-Kölner Dom gezeigt), und dabei von Auferstehung und Leben im Himmel. Im
-Kap. 12 wird erzählt, wie Juda’s Leute bei den bei Adullam gefallenen
-Juden „unter dem Hemde Zaubermittel von den Götzen aus Jamnia gefunden
-hätten“. Um das zu sühnen, sammelte Juda Geld und sandte es als Opfer
-nach Jerusalem, „indem er auf die Auferstehung Bedacht nahm. Denn hätte
-er nicht erwartet, daß die in der Schlacht Gefallenen auferstehen
-würden, so wäre es Torheit gewesen, für Tote zu beten. Sodann zog er
-in Betracht, daß dem in Frömmigkeit Entschlafenen der herrlichste
-Gnadenlohn aufbehalten sei“. Zwischen 150 vor Chr. und 40 nach Chr.
-soll das „Buch der Weisheit Salomonis“ verfaßt sein. Darin heißt es
-von<span class="pagenum"><a name="Seite_195" id="Seite_195">[S. 195]</a></span> den Gottlosen: „Und nicht erkannten sie Gottes Geheimnisse, Noch
-hofften sie einen Lohn des heiligen Wandels, Und wollten nichts wissen
-von einem Ehrenpreis für makellose Seelen. Denn Gott hat den Menschen
-zur Unvergänglichkeit geschaffen. Und ihn zum Bilde seines eigenen
-Wesens gemacht. Durch den Neid des Teufels aber kam der Tod in die
-Welt. Es erfahren ihn aber die, welche jenem angehören, der Gerechten
-Seelen aber sind in Gottes Hand, und keine Qual kann sie berühren.
-Nach dem Wahne der Unverständigen scheinen sie tot zu sein“. Nun kommt
-etwas, das wie Glaube an Fegefeuer klingt: „Denn wenn sie auch nach
-der Anschauung der Menschen gestraft werden, ist doch ihre Hoffnung
-ganz von der Unsterblichkeit erfüllt. Und nachdem sie eine kurze Qual
-überstanden haben, werden sie große Wohltaten erfahren, denn Gott hat
-sie nur geprüft und hat sie seiner würdig befunden“. Das wird noch
-weiter ausgeführt, und wie sie zuletzt auch die Heiden richten und über
-die Völker herrschen. Es heißt dann: „Die Gottlosen aber werden ihren
-Gesinnungen gemäß Strafe erleiden.“ Hier, und noch an anderen Stellen,
-haben wir also Unsterblichkeit, Auferstehung, Belohnung nach dem Tode,
-Läuterung, Strafe der Sünder. Alle Elemente, aus denen später das
-Christentum die gewaltigen Dichtungen von Paradies, Hölle, Fegefeuer,
-Auferstehung und Jüngstem Gericht geschaffen hat. Die Unsterblichkeit
-ist jedoch noch an die Erfüllung von Gottes Geboten geknüpft. Und schon
-im Daniel (vor 100 vor Chr.) heißt es in Kap. 12: „Und viele, so unter
-der Erde schlafen liegen, werden aufwachen, etliche zum ewigen Leben,
-etliche zu ewiger Schmach und Schande. Die Lehrer aber werden leuchten
-wie des Himmels Glanz, und die so viele Gerechtigkeit weisen, wie
-die Sterne, immer und ewiglich“. Bald ist auch die Hölle als Gehinom
-bekannt und das jüngste Gericht und ebenso die Totenbrücke (<a href="#Seite_192">S. 192</a>).
-Der Talmud namentlich bildete die Lehren weiter aus. Interessant dafür
-ist eine Legende. Ein römischer Kaiser fragte den berühmten Jehuda
-Hanassi, wie das wäre; der Körper könne doch ohne Seele nichts, und die
-Seele sei doch an sich ohne Leidenschaft;<span class="pagenum"><a name="Seite_196" id="Seite_196">[S. 196]</a></span> wer büße denn für Missetat.
-Da antwortete der Talmudist mit einer Erzählung: Ein König hatte einen
-Garten mit herrlichen Früchten und ließ ihn, um ganz sicher zu sein,
-von einem Blinden und einem Lahmen bewachen. Aber der Lahme stieg auf
-des Blinden Schultern, und indem er dessen Schritte lenkte, kamen
-sie an die Früchte und stahlen sie. Wer war schuld? Der Blinde, der
-die Früchte nicht sehen oder der Lahme, der nicht zu ihnen gelangen
-konnte? Der König erkannte die List und bestrafte beide. „Ganz so wird
-es auch Gott beim Jüngsten Gericht machen. Er wird die Seele wieder
-in den Körper versetzen, damit sie gemeinsam der Strafe teilhaftig
-werden für die Untaten, die sie eben gemeinsam verübt haben.“ Daß die
-Bibel Menschen kennt, die weggenommen werden, wissen wir von Henoch
-und Elias. Ich habe von dem vielen nur weniges anführen können. Was
-steht nicht alles in dem wunderlichen und zum Teil so schönen Buche
-Henoch (167&ndash;64 vor Chr.), an das die Apokalypse so sehr erinnert! Und
-wie vieles in den älteren Büchern noch bis auf Jesaias! Und sicher sind
-die späteren Ideen vom Leben nach dem Tode nicht ohne Anhalt an Lehren
-der Bibel oder von Werken, die uns verloren gegangen sind, entstanden,
-wenn man bedenkt, wie außerordentlich abweisend die Juden gegen
-jedes Fremde, namentlich Heidnische, stets gewesen sind, trotz aller
-äußerlichen Drangsale. Die Ideen des <span class="gesperrt">Christentums</span> vom Leben nach
-dem Tode brauche ich nicht auseinanderzusetzen; wir kennen sie alle,
-haben sie in der gewaltigen „Göttlichen Komödie“ und in unzähligen
-malerischen Darstellungen.</p>
-
-<p>Ea-bani, Gilgames’ Freund, träumt einen schweren Traum; ein Dämon
-führt ihn in die „Behausung der Finsternis, die Wohnung Irkallas (des
-Totengottes)“</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Nach der Behausung, die man betritt ohne wiederum hinauszugehen,</div>
- <div class="verse">Nach dem Wege, dessen Bahn sich nicht zurückwendet,</div>
- <div class="verse">Nach der Wohnung, dessen Bewohner das Licht entbehren,</div>
- <div class="verse">Wo Erde ihre Nahrung, Lehm ihre Speise;</div>
- <div class="verse">Bekleidet sind sie wie Vögel mit Flügelkleide</div>
- <div class="verse">Und das Licht schauen sie nicht, in Finsternis wohnen sie.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_197" id="Seite_197">[S. 197]</a></span></p>
-
-<p class="p0">Das ist die erste <span class="gesperrt">babylonische</span> Beschreibung der Unterwelt
-und ihrer Toten. Und es finden sich in der Unterwelt alle Menschen:
-Tiarenträger, Hohepriester und Priesterknechte, Beschwörer und
-Bettelpriester, Helden und Feige. Eine fast wörtlich gleiche
-Beschreibung gibt die berühmte „Höllenfahrt der Istar“. Die Unterwelt
-heißt Kurnugea (Land ohne Rückkehr). Und die Todesgöttin Ereskigal
-selbst sagt, daß das Los der Toten bejammernswert ist. Warum Istar
-die Unterwelt besucht, ist nicht gewiß; sie erzwingt sich vom
-Pförtner Einlaß durch die Drohung, die Tore zu sprengen und die Toten
-herauszulassen. Auf Ereskigals Befehl öffnet der Pförtner und soll
-Istar „gemäß alten Geboten“ behandeln. Durch sieben Tore muß sie
-wandeln und an jedem wird ihr vom Pförtner ein Teil ihres Schmuckes
-und ihrer Bekleidung fortgenommen. Als sie vor der Todesgöttin steht,
-ist sie gänzlich entblößt. Sie fährt drohend gegen diese auf, wird
-aber auf deren Befehl vom Vezier Namtar, der auch Krankheitsdämon ist,
-eingeschlossen und mit sechzig Krankheiten behaftet. Da hört alle
-leibliche Liebe auf Erden auf und alle Befruchtung und Fortpflanzung.
-Samas weint darob vor Sin (Mondgott und Istars Vater) und Ea, und
-letzterer schafft einen babylonischen Orpheus, Asusu-namir, einen
-Spielmann. Dieser soll vor Ereskigal spielen, bis sie sich erfreut,
-und dann den Schlauch mit dem Lebenswasser verlangen. So geschieht’s.
-Ea’s Geschöpf wird zwar wegen der angewandten List verflucht, der
-Niedrigsten Niedrige zu sein. Aber er erhält den Schlauch, Istar
-wird vor die Annunaki (Richter in der Unterwelt) geführt, mit dem
-Lebenswasser besprengt und aus der Hölle entlassen. An jedem Tore
-empfängt sie die ihr dort abgenommenen Gegenstände. Das Gedicht ist
-in starker Unordnung, Greßmann meint, durch Schuld des Abschreibers.
-Am Schluß steht etwas, das darauf schließen läßt, daß die Toten
-auch zur Erde emporsteigen, und zwar in den Klagetagen des Tamuz
-(Dumuzi), des babylonischen Adonis, den seine Schwester Belili (eine
-Unterweltsgöttin, anstatt Aphrodite) beweint. Der Unterweltsgott
-ist Nergal; er ist es in sonderbarer Weise geworden. Die Götter
-veranstalten ein<span class="pagenum"><a name="Seite_198" id="Seite_198">[S. 198]</a></span> Mahl; da Ereskigal die Unterwelt nicht verlassen
-darf, soll sie sich das Essen holen. Sie sendet ihren Vezier Namtar
-hinauf. Alle Götter erheben sich vor ihm, nur Nergal (Gottheit alles
-Schlimmen, der Sonnenglut, des Krieges, der Pest) bleibt sitzen.
-Darüber ergrimmt die Todesgöttin und verlangt Nergals Auslieferung,
-um ihn zu töten. Nach großem Jammern wird Nergal seinem Schicksal
-entgegengesandt. Aber er nimmt sich vierzehn Geister mit und läßt
-von jedem ein Tor der Hölle bewachen (hier sind also vierzehn Tore
-vorhanden, nicht sieben). Nun stürmt er auf Ereskigal los und will sie
-seinerseits töten. Auf ihr Bitten jedoch läßt er sie leben. Sie gibt
-die „Tafeln der Weisheit“ (?) in seine Hand und wird seine Gattin, er
-wird dadurch Gott der Unterwelt. Nergals Hauptkultort ist Kutha (wie
-Marduks Babylon), danach heißt die Unterwelt auch Kutha. Es gibt noch
-mehr babylonische Unterweltsberichte, aber neues ist nicht zu ersehen.
-Die Unterwelt entspricht etwa dem Hades-Orcus. Totenrichter sind
-vorhanden (die Annunaki), ein Totengott und eine Totengöttin herrschen,
-eine Schreiberin und Dämonen aller Übel stehen ihnen zur Seite. Alfred
-Jeremias sagt: „Die Anzeichen häufen sich, daß die Babylonier mit ihrem
-Unsterblichkeitsglauben die Anschauung von einem Strafgericht bzw.
-von einer Strafbefreiung nach dem Tode verbunden haben“. Und das ist
-wirklich alles, was man einstweilen behaupten kann.</p>
-
-<p>Mehr wissen wir von den <span class="gesperrt">Ägyptern</span>. „Pyramidentexte“ (Zaubertexte,
-die zwischen 2600 und 2500 v. Chr. in den Grabkammern der Pyramiden
-eingegraben wurden, die toten Könige für das Jenseits auszurüsten)
-und das „Totenbuch“ (wohl ebenso alt, vielleicht noch älter und dem
-gleichen Zwecke dienend) geben Auskunft. Außerdem unzählige bildliche
-Darstellungen. Das unterirdische Totenreich ist Amenti, das „Westland“,
-oder Achernuti, die „heilige Unterwelt“, oder Aalu, „Schlangenfeld“.
-Außerdem ist eine Art Elysium vorhanden, wie Sonnenberg, Am-Sesennu.
-Doch kann das Totenreich auch jene Tiefe, untere Welt, Dat, sein. Sie
-ist mit Dämonen und Ungetümen erfüllt. Der Tote, der sie von West nach
-Ost zu durchwandern hat, muß sich durch<span class="pagenum"><a name="Seite_199" id="Seite_199">[S. 199]</a></span> alle Gefahren winden, und
-besteht sie nur bei richtigem Kult auf Erden für ihn (<a href="#Seite_102">S. 102</a>). Sein
-Geleiter ist Anubis (daher Hermes-Anubis, Hermanubis bei den Griechen).
-Dieser hat ihn auch auf der Totenbarke über ein Wasser (entsprechend
-dem Acheron) zu fahren. Alle Gegenstände, die der Tote trifft, selbst
-die leblosen, muß er auf ihre Anfrage bei Namen nennen (<a href="#Seite_105">S. 105</a>).
-Ist er zu den „Hallen der Wahrheit“ gelangt, so richten ihn Thot
-und Anubis. Und Osiris, der eigentliche Herrscher der Tiefe, mit 42
-Richtern künden das Urteil. Ein ungünstiges vernichtet den Toten ganz.
-Oder es treibt ihn zu Qualen, oder auf die Erde in Tiere, oder in die
-Luftregion. Dort wird seine Seele von Stürmen gepeitscht und allmählich
-geläutert (also eine Art Fegefeuer). Ein günstiges bringt die Freuden
-des Jenseits. Der Tote zieht zum Sonnenberg (<a href="#Seite_181">S. 181</a>) im Osten (eine
-Art Paradies), darf aber überhaupt seine Zukunft beliebig wählen (<a href="#Seite_102">S.
-102</a> f.). Im Totenbuch heißt es (der Tote spricht): „Ich bin angekommen
-in dieser Welt der leuchtenden Geister, nämlich der Götter neben der
-Sonnenwohnung“. „Offen stehen mir die Türen des Himmels, offen mir
-die Türen der Erde, offen mir die Riegel des Erdgottes Qeb, offen das
-erste Haus (die erste Zone des Sonnenlaufes).“ Bekannt ist, daß der
-Tote sich mit jeder der Gottheiten identifiziert. „Ihr Vordergötter
-reicht mir eure Hände; ich bin nämlich geworden zu dem, was ihr seid.“
-In unendlichen Wiederholungen spricht der Tote: „Ich bin Rā“, „ich
-bin Tum“, „ich bin Osiris“ usf. und vindiziert sich alle Eigenheiten
-des betreffenden Gottes, als sei er selbst dieser Gott. „Ich der Gott
-Atumu, ich bin der Seiende. Ich war allein.“ „Ich bin der Lichtgott Rā
-in seinen ersten Aufgängen.“ „Ich bin Gott, der Große, das Werden, er
-selber.“ „Ich bin der gestrige Tag, ich kenne auch den morgenden Tag,
-das ist Osiris.“ Lepsius sagt: „Der Gedanke lag durchgehends zugrunde,
-daß der reine und gerechte Mensch zugleich ein Einzelwesen und zugleich
-der höchste Gott selber sei, oder nur freiwillig die Existenz und Form
-des einzelnen Menschen angenommen habe, mit dessen Tode aber in seine
-göttliche Existenz zurückkehre... Der Gerechte würde also nach dem Tode
-zum<span class="pagenum"><a name="Seite_200" id="Seite_200">[S. 200]</a></span> Gotte, er ginge in Gott selbst über.“ Vielleicht eilt das etwas zu
-hoch; es entspräche dem Gedankenkreise der doch bei weitem tiefsinniger
-und ethischer denkenden Indier.</p>
-
-<p>Wenden wir uns zu den <span class="gesperrt">Ariern</span>, so haben die eben genannten
-<span class="gesperrt">Indier</span> ihr Paradies mit allen Wonnen, ihre Hölle mit allen
-Qualen aufs ausschweifendste ausgestattet. Wo die Gefilde der Seligen
-liegen, und wo die Orte der Schrecken, ist schon erwähnt (<a href="#Seite_176">S. 176</a>). Das
-höchste Paradies, das rein geistige, ist die Nirvana, von der später
-gesprochen wird. Das göttlich-menschliche Paradies ist angefüllt mit
-Gandharvenjungfrauen, schöngeformten Asparasen, prachtvollen Blumen und
-Bäumen, Eß- und Trinkhäusern; überall Tanz, überall Gesang, Schatten,
-Duft. In Sänften, auf Wagen und Elefanten kommen die Seligen zur
-Behausung Yamas, des Herrschers, dessen Antlitz schöner als Lotos.
-Und viele Paradiese sind übereinander, mit steigender Seligkeit, zu
-denen die Menschen nach ihrem inneren Wert schweben. Die Hölle ist
-grauenvoller, als die Paradiese schön sich bieten. Sie besteht aus mehr
-Abteilungen untereinander als das Paradies übereinander; jeder Art von
-Verbrechen ist eine Hölle zugewiesen. Eigenartig berührt es, daß die
-Frauen den Männern in die Hölle folgen müssen, ob auch in das Paradies,
-weiß ich nicht. Eine hübsche Sage im Krishnajogâras erzählt Wollheim
-da Fonseca: „Einst floh eine von Tigern aufgescheuchte Gazelle aus dem
-Walde, um ihr Leben zu retten, dem Palaste des Königs zu. Als der Fürst
-sie kommen sah, erwachte die Jagdlust, und aufspringend tötete er die
-Gazelle rasch mit dem Schwerte. Also brachte der König die bei ihm
-Schutz Suchende um. Deshalb ist er mit seiner Gattin von dir (nämlich
-dem Totenrichter Yama) zu bestrafen. Darauf ward nun der Fürst samt
-seiner Gemahlin in die Hölle gebracht“. Der gleiche Verfasser teilt
-auch nach dem gleichen Werke eine Schilderung der Höllenstrafen mit,
-die ein erlöster König gibt: Hunger, Durst, Liegen in glühenden oder
-umflammten Eisenbetten, Umarmen von Feuersäulen, Besprengtwerden mit
-Höllenstein, auf Dornen wandeln, von Blutströmen überflossen werden,
-von Tieren fortwährend zerrissen<span class="pagenum"><a name="Seite_201" id="Seite_201">[S. 201]</a></span> werden sind noch das Mildeste. Dante
-hat nichts Schrecklicheres gesehen als jener indische König. Yama ist
-der Totenrichter, Tschitraguptas der Toten-Staatsanwalt, Zeugen sind
-&mdash; außerordentlich schön gedacht &mdash; Sonne, Mond, Feuer, Äther, Erde,
-Wasser, sogar Tageszeiten und Gesetz. Als Diener fungiert Tschandas mit
-andern. Die Dauer der Höllenstrafe richtet sich nach dem Verbrechen,
-die geringste beträgt 26 Jahre, die längste 800 Millionen Kalpas (zu
-432 Millionen Jahre gerechnet), also bei weitem mehr als die Welt
-selbst besteht. Eine vorzeitige Befreiung kann „durch Gebet, Opfer und
-fromme Spenden der Nachkommenschaft“ (oder anderer) erzielt werden,
-was bis zu einem gewissen Grade mit katholischen Lehren übereinstimmt.
-Nach Verbüßung der Strafe tritt die Möglichkeit einer Läuterung ein,
-indem die Seele eine Wanderung durch Körper unternimmt; sie beginnt
-meist mit dem niedrigsten Tier und steigt zum Menschen empor, zunächst
-in die verachtetste Kaste, um dann, wenn sie sich in Tugend bewährt, zu
-den höheren Kasten und zuletzt in das Paradies (<a href="#Seite_181">S. 181</a>) zu gelangen.
-Doch läutert auch schon ein heiliger Ort. Wie ein Sünderpaar, das aus
-der Hölle entlassen zu Heuschrecken wurde und durch einen Sturm in den
-Ganges geweht und in diesem so heiligen Wasser ertrunken war, sogleich
-in das Paradies einging. Wir kommen darauf zurück. Die Anschauung von
-der Hölle (späterer Name Naraka) ist viel jünger als die vom Paradiese.
-In dem Rigveda wird nur allgemein von jener gesprochen, als von einem
-tiefen Ort, dem Orte der niederen Finsternis, der Grube (Karta).
-So heißt es IX, 73: „Der weise Hüter des Gesetzes läßt sich nicht
-hintergehen, er hat Krinigar (das Gewissen) ins Herz gelegt; wissend
-sieht er auf alle Dinge und schleudert die Bösen und die Ruchlosen in
-die Grube“. Auch von dem Verschlungenwerden durch einen Wolf oder von
-vieräugigen grauen Hunden nach dem Tode ist die Rede. Ebenso allgemein
-sprechen die Upanishaden: „Es gibt in der Tat jene unseligen Welten,
-welche in dichte Finsternis gehüllt sind; Menschen, die unwissend,
-nicht erleuchtet sind (also Frevler), gehen nach ihrem Tode zu diesen
-Welten“. Von Interesse ist,<span class="pagenum"><a name="Seite_202" id="Seite_202">[S. 202]</a></span> daß hier auch der Totenweg erwähnt sich
-findet, der später als Brücke bezeichnet wird, also Totenbrücke ist.
-„Derselbe Pfad führt entweder zu den Göttern oder zu den Vätern. Auf
-beiden Seiten brennen immerdar zwei Flammen; sie versengen den, der
-verdient versengt zu werden, und lassen den vorübergehen, der verdient
-vorüberzugehen.“</p>
-
-<p>Die Jenseitslehre, Eschatologie, der Indier ist mit dem obigen bei
-weitem nicht abgeschlossen, wir werden ihr bald wieder begegnen.
-Die der <span class="gesperrt">Eranier</span> stellt sich relativ einfach dar. Drei Nächte
-verweilt die Seele bei dem Körper zu seinen Häupten; in Lust und
-Wonnen, wenn der Geschiedene gerecht gelebt hat, in Übelbefinden
-und Abscheulichem, während der Dev Vajis, der Höllenwächter, sie
-ständig mit Schrecken ängstigt, bei dem Ungerechten. Dann geht es
-auf gefahrvollen Wegen zu der noch gefahrvolleren Cinvatbrücke, der
-Totenbrücke (<a href="#Seite_176">S. 176</a>). Dort wird die Seele von Roshnu, dem Gerechten,
-nach ihrem Übeltun und Wohltun gewogen. Für die gutbefundene Seele
-weitet sich die Brücke viele Speerbreit, und jene geht ein nacheinander
-in die vier Paradiese der guten Gedanken, guten Worte, guten Taten,
-endlosen Lichter, und bleibt im letzten vor Ahuramazda in ewiger
-Freude. Die Seelen der Guten (Ferver, Fravardin, Fravashi) sind
-die Helfer Ahuramazdas im Kampfe gegen das Böse. Der Gott sagt zu
-Zarathustra (im Fravardin Yasht): „Wenn die starken Schutzengel der
-Tugendhaften mir nicht Beistand leisten würden, dann würden Vieh und
-Menschen, die beiden letzten der hundert Klassen von Wesen, für mich
-nicht mehr existieren, dann würde des Teufels Macht, des Teufels
-Ursprung beginnen, die ganze lebendige Schöpfung würde dem Teufel
-gehören“. Eine so hohe aktive Bedeutung haben die Guten. Den Schlechten
-zieht sich die Brücke fadenbreit zusammen und sie stürzen in die
-Hölle. Der Dämon Vizaresha schleppt sie dahin. Die Totenbrücke ist vom
-späteren Judentum und wahrscheinlich auch von den Arabern übernommen.
-In einem hebräischen Werke des 10. Jahrhunderts, das aber, wie Max
-Müller sagt, „Bruch<span class="pagenum"><a name="Seite_203" id="Seite_203">[S. 203]</a></span>stücke viel älteren Datums enthält“, heißt es:
-„In dieser Stunde (des Jüngsten Gerichts) ruft Gott die Götzen der
-Völker ins Leben zurück, und er sagt: ‚Jedes Volk gehe mit seinem Gott
-über die Brücke des Gehinom, und wenn sie über dieselbe gehen, so
-wird sie ihnen wie ein Faden erscheinen und sie fallen in das Gehinom
-hinunter‘.“ Diese jüdische Ansicht soll nicht von den Mohammedanern
-entlehnt sein, also wohl von den Persern. Die Eranier kannten auch ein
-jüngstes Gericht und eine <span class="gesperrt">Auferstehung</span>, <span class="gesperrt">Apokatastase</span>,
-die mit dem Weltende (<a href="#Seite_166">S. 166</a> f.) verbunden wird. Die Auferstehung
-beginnt mit den Urwesen, Urmenschen und dauert 57 Jahre. Sie ist
-eine körperliche: „Von der Erde werden die Knochen, vom Wasser das
-Blut, von den Bäumen die Haare, vom Feuer der Lebenshauch, wie sie
-in der Schöpfung ergriffen worden sind, zurückgefordert“. Die Seelen
-erkennen die wieder aufgebauten Körper. Dann werden die Frommen von
-den Gottlosen getrennt. Jene kommen in den Himmel, diese erleiden drei
-Tage und drei Nächte körperlich in der Hölle Strafe. Darauf werden
-alle Sünder in den durch den Weltbrand geschmolzenen Metallen (<a href="#Seite_166">S. 166</a>)
-gereinigt. Die Frommen sollen die Schmelze nur wie warme Milch fühlen,
-die Gottlosen aber wie glühende Schmelze. Und alles lebt vor Ahuras
-Angesicht. Die Weltschlange Dahaka geht in der Schmelze unter, Ahriman
-stürzt in die Tiefe. Ein allgemeines Opfer leitet die neue selige Zeit
-ein. Jedenfalls haben wir es mit einem Unsterblichkeitsglauben zu tun.
-Was Xenophon dem hinscheidenden Kyros in den Mund legt: „Mag ich nun
-bei der Gottheit oder nichts mehr sein“, ist nicht persisch gedacht,
-sondern griechisch-philosophisch.</p>
-
-<p>Die Anschauungen der <span class="gesperrt">Griechen</span> und <span class="gesperrt">Römer</span> von Unterwelt und
-Paradies sind so bekannt, daß nur das Bedeutendste gesagt zu werden
-braucht. Daß sie bis zu einem gewissen Grade den Anschauungen der
-Hebräer gleichen, habe ich schon hervorgehoben (<a href="#Seite_183">S. 183</a>). Jedenfalls
-sind sie im allgemeinen unerfreulich und wenig von ethischem Geiste
-getragen. Vergehen gegen die Götter und Wohltun gegen die Götter
-spielen eine bei weitem größere Rolle als Böses gegen die Menschen und
-Gutes gegen sie. Indessen büßen die<span class="pagenum"><a name="Seite_204" id="Seite_204">[S. 204]</a></span> Danaiden doch für Gattenmord, und
-heißt es von dem milden Menelaos in der Odyssee:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Doch dir ist nicht geordnet, du göttlicher, o Menelaos,</div>
- <div class="verse">Im roßweidenden Argos den Tod und das Schicksal zu dulden,</div>
- <div class="verse">Nein, dich führen die Götter dereinst an die Enden der Erde,</div>
- <div class="verse">Zu der elysischen Flur, wo der bräunliche Held Rhadamanthys</div>
- <div class="verse">Wohnt und ganz mühelos leben die Menschen;</div>
- <div class="verse">Nimmer ist Schnee da, noch Winterorkan, noch Regengewitter;</div>
- <div class="verse">Ewig weh’n die Gesäusel des leis anhauchenden Westes,</div>
- <div class="verse">Die Okeanos sendet, die Menschen säuselnd zu kühlen.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Maßvoll wie der Grieche immer ist, sind auch seine Höllenstrafen
-nicht so übertrieben und seine Paradiesesfreuden wesentlich Ruhe und
-sorglose Bequemlichkeit. Doch kommen Menschen auch zu den Göttern
-in den Olymp, steigen zu der Höhe der Halbgötter (es genügt, an
-Herakles zu erinnern) oder werden als Gestirne an den Himmel versetzt.
-Andererseits kennen die Griechen eine besondere Hölle sogar für Götter,
-den Tartaros (<a href="#Seite_172">S. 172</a>). Eine Art Vorhölle ist die Asphodeloswiese, auf
-der die Nichtschlechten = Nichtguten schattenhaft irren (<a href="#Seite_172">S. 172</a>).
-Daß Menschen aus der Unterwelt auch zum Leben zurückgeführt werden
-können, beweist das Beispiel der Alkestis. Bei Eurydike mißlingt dieses
-nur durch Orpheus’ Unvorsichtigkeit. Erst spätere Zeit faßte das
-Nachleben vom ethischen Standpunkte auf. Pindar hat viele Anspielungen
-darauf. Seltsam berührt darunter die Behauptung, daß Menschen,
-welche unglücklich gelebt haben, und doch rechtlich geblieben sind,
-nach achtjähriger Läuterung im Hades von Persephone zur Welt wieder
-entlassen werden, um dort starke, kluge und glückliche Regenten zu
-werden. Das alles gehört zur Unsterblichkeit der Seele, die übrigens
-Pindar auch ausspricht, und von der ja auch so viele Griechen überzeugt
-waren. Aber darauf kommen wir noch zurück. Die Mysterien scheinen
-wesentlich den Eingeweihten Hoffnung auf ein frohes Jenseits geboten
-zu haben. Aussprüche von Platon, Sokrates, Cicero und anderen deuten
-darauf hin. Polygnotos soll in Delphoi die Unterwelt dargestellt
-haben. Trotz allem ist die Haltung der Griechen in der Frage der
-Unsterblichkeit eine schwankende, selbst wenn wir von gewissen<span class="pagenum"><a name="Seite_205" id="Seite_205">[S. 205]</a></span>
-überhaupt alles verneinenden Philosophen absehen. Oft schrumpft die
-Unsterblichkeit zu dem bildlichen Bleiben des Ruhmes usf. zusammen.
-Aber gewaltige Verfechter der Unsterblichkeit haben wir in Pythagoras,
-Pindaros, Sokrates, Platon u. a., selbst in den Naturphilosophen
-(<a href="#Seite_231">S. 231</a> f.).</p>
-
-<p>Die Römer haben manche Anschauung von den <span class="gesperrt">Etruskern</span>
-übernommen. Diese aber müssen eine Unterwelt voll Schauern gehabt
-haben, wie wir aus den Bildern ihrer Grabkammern schließen können,
-in denen entsetzliche Dämonen mit Schwertern, Hämmern, Feuerbränden
-u. a. die Toten verfolgen, und aus der zahlreichen Schar ihrer
-Unterweltsgottheiten. Ich darf auf das so schöne Werk von Dennis,
-„Cities and Cimeteries of Etruria“ und auf das von K. O. Müller „Die
-Etrusker“ verweisen. Wir wissen aber von der eigentlichen Religion
-der Etrusker gar zu wenig und das Wenige gar zu unsicher, da dieses
-Volk so auffallend vieles von den Griechen übernommen hat, selbst
-Namen der Gottheiten (wie Aplu für Apollon). Mantus und Mania sollen
-Pluton und Persephone entsprechen, Charun ist Charon. Vieles ist rein
-naturmenschlich; und naturmenschlich, zum Teil mit allen Greueln,
-war auch der Totenkult. Ich weiß nicht, wo ich einmal gelesen habe,
-daß Dante seine furchtbare Phantasie in der Ausmalung der Hölle
-seiner toskanischen Abstammung zu verdanken habe. Das Elysium der
-Etrusker scheint im ungestörten Genuß der Lebensfreuden &mdash; namentlich
-Tafelfreuden sind dargestellt &mdash; bestanden zu haben.</p>
-
-<p>Der Orcus des synkretistischen <span class="gesperrt">Römers</span> ist bald die Unterwelt,
-bald der in schrecklicher Gestalt angenommene Todesgott. Wenn man an
-den griechischen Todesgott, Thanatos, an den milden Bruder des Schlafes
-denkt, wird man kaum umhin können, die an Orcus sich knüpfenden
-Schauer als aus Etrurien überkommen anzusehen. Rom war ja eine
-Zeitlang in Etruskischer Abhängigkeit, fast etruskische Bundesstadt.
-Dis pater und Proserpina sind die römischen Pluton und Persephone.
-Die Menschenopfer, die in Latium dem Dis (auch dem Saturn, Vater des
-Dis), ebenso noch anderen Unterweltsdämonen, gebracht wurden und die
-Herkules durch<span class="pagenum"><a name="Seite_206" id="Seite_206">[S. 206]</a></span> Opfer von Bildern, Puppen, Mohnköpfen usf. abgelöst
-haben soll, würden vielleicht auch auf etruskische Rechnung zu setzen
-sein, wenn die Römer und Griechen nicht überhaupt Menschenopfer geübt
-hätten (<a href="#Seite_97">S. 97</a>). Indessen soll in der Tat Dis pater oder Vatis eine
-etruskische Unterweltsgottheit gewesen sein, wie auch die etruskische
-Mania den Römern als Unterweltsgottheit diente. Von den Geistern der
-Verstorbenen habe ich bereits gesprochen (<a href="#Seite_97">S. 97</a> f.). Alles andere ist
-fast ganz den griechischen Anschauungen nachgebildet, wenn es nicht
-überhaupt graeco-italischer Gemeinbesitz war. Die Unterweltsfahrt
-des Äneas bei Virgilius weicht, trotz der Nachahmung derjenigen des
-Odysseus, von dieser in manchen Beziehungen ab; der späte Dichter wird
-vieles hinzugeklügelt haben, um seine Erzählung mit neuem Schmuck zu
-durchwinden. Und Virgil ist der Führer Dantes, so weit er als Heide
-gehen darf, bis er von der Engelsgestalt der Geliebten Beatrice
-abgelöst wird. Virgils Paradies ist also auch nicht unser Paradies,
-sondern das griechische, seine Hölle hat aber einige Züge zu Dantes
-Hölle geliefert. Lucanus, der Dichter der Pharsalia, soll einen
-wirklichen Teufel der Unterwelt gekannt haben, einen Beelzebub.</p>
-
-<p>Die Unterwelt, das Niflhel der <span class="gesperrt">Germanen</span>, Hels Nebelreich mit den
-Giftströmen kennen wir bereits (<a href="#Seite_173">S. 173</a>). Nastrand, Leichenstrand, heißt
-diese Welt auch.</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Einen Saal sah ich stehen, der Sonne fern,</div>
- <div class="verse">Auf Nastrands Flur; nordwärts stehen die Türen,</div>
- <div class="verse">Es fallen Gifttropfen hinein durchs Fenster;</div>
- <div class="verse">Dieser Saal ist geschmückt mit Schlangenhäuten. &mdash;</div>
- <div class="verse">Da sah ich waten durch schlammige Ströme</div>
- <div class="verse">Meineidige Männer und Mordgesellen</div>
- <div class="verse">Und die eines andern Geliebte verführten,</div>
- <div class="verse">Da saugt Nidhoggr die Leichen der Toten,</div>
- <div class="verse">Es zerfleischt der Wolf die Männer.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Ähnlich sind andere Schilderungen. Die Totenherrscherin Hel, auch
-Hellia, ist Tochter Lokis und der Schwester des Fenriswolfes und
-einer „ungeheuren Schlange“. Und nichts gibt sie zurück, was ihr
-zukommt. Selbst die Götter können ihr niemand entreißen, Baldr war
-ihr verfallen. Übrigens wird die<span class="pagenum"><a name="Seite_207" id="Seite_207">[S. 207]</a></span> obige Schilderung der Voluspa schon
-von christlichen Elementen durchsetzt sein. Spätere Sagen schmücken
-Hel und Hels Reich weiter mit Furchtbarem aus. Hel ist halb schwarz
-halb weiß; was sie besitzt, drückt unersättliche Gier aus. Zu ihrem
-Reich führt nach neun Tagen Weges, der durch dunkle, tiefe Täler
-geht, die die Dunkelelfen bewohnen, über den Fluß Giöll eine mit Gold
-gedeckte Brücke, die eine Jungfrau Modgudhr, Seelenkampf, bewacht.
-Den Fluß Giöll stellt Jakob Grimm mit der Lethe in Parallele. Die
-Toten fahren oder reiten hin. So haben wir eine wirkliche Höllenfahrt
-der Brunhild, und auch ein „Helreidr“ dieser Walküre, und das
-Sternbild der Wagen (der große Bär) soll zuweilen Helwagen heißen.
-Hel bedeutet übrigens die Göttin wie den Ort, was auch bei Hades und
-Orcus der Fall ist. Die ursprüngliche Anschauung von diesem Reich
-wird wohl einfach die eines Nebellandes gewesen sein, ähnlich der
-homerischen vom Hades, eines Aufenthaltes der Toten allgemein, da
-selbst Gottheiten hinziehen wie Baldr und Brunhild. Die Hölle wird
-sogar als Herberge, Gasthaus, Valhöll, bezeichnet. Doch scheint die
-Absonderung der auf dem Schlachtfelde gefallenen Helden zum Aufenthalt
-im Göttersaal Odins, in Walhall, gleichfalls alt zu sein. Später
-sind die Fürsten noch hinzugefügt, wovon schon die Vala in der Edda
-spricht. Einen eigentlichen Todesgott hatten die Germanen nicht. Doch
-sendet Odin seine Walküren in die Schlacht, die gefallenen Helden zu
-ihm zu geleiten. Daß Wasser- und Meergeister, wie die Meergöttin Rân,
-Menschen in den Tod ziehen, ist ein naheliegender Gedanke. Der Tod als
-tötende Person ist eine späte Anschauung des Christentums; der ihm
-gleichbenannte griechische θάνατος nimmt nur die Toten an sich. Und so
-sind auch unsere so ergreifenden Totentänze ohne Beispiel im Altertum.
-Ebenso ist der Höllenfürst eine späte, vielleicht dem Parsismus unter
-Vermittlung des Judentums entnommene Anschauung (<a href="#Seite_149">S. 149</a> f.). Aus allem
-aber ist zu ersehen, daß die Germanen, wenn nicht eine allgemeine,
-doch mindestens eine partielle Unsterblichkeit kannten. Und es ist
-bemerkenswert, daß die Walhall bewohnenden Helden fast die<span class="pagenum"><a name="Seite_208" id="Seite_208">[S. 208]</a></span> Aufgabe der
-eranischen Fravarshis (<a href="#Seite_192">S. 192</a>) haben, der Gottheit im letzten Kampfe
-beizustehen.</p>
-
-<p>Von der <span class="gesperrt">slawischen</span> Eschatologie weiß ich nichts zu sagen, bis
-auf das schon erwähnte Naturmenschliche (<a href="#Seite_85">S. 85</a> f.).</p>
-
-<p>Den <span class="gesperrt">Kelten</span> werden Anschauungen beigemessen, die denen der Indier
-von der Seelenwanderung entsprechen. Gewährsmann ist freilich Cäsar.
-Wir haben davon schon gehandelt (<a href="#Seite_94">S. 94</a>), und kommen darauf noch zu
-sprechen (<a href="#Seite_216">S. 216</a>).</p>
-
-<p>Wir kehren nach Asien zurück, um nur noch einiges zu behandeln. Der
-heidnischen <span class="gesperrt">Araber</span> Anschauungen waren rein naturmenschliche.
-Mohammed jedoch hat unter dem Einfluß des Judentums und Christentums
-eine Hölle und ein Paradies gelehrt; zwischen beiden einen Damm, auf
-dem sich die Nichtschlechten = Nichtguten befinden, wie das Christentum
-eine Hölle für die guten Heiden besitzt. So heißt es in Sure VII, Vers
-39 ff. des Korans von der Sünde: „Ihnen sei Dschahannam, der Pfuhl,
-und über ihnen seine Decken (aus Feuer), und also belehren wir die
-Sünder“. „Diejenigen aber, welche glauben und das Rechte tun &mdash; nicht
-belasten wir eine Seele über Vermögen &mdash; jene sollen des Paradieses
-Gefährten sein und darin ewig verweilen.“ „Und zwischen ihnen ist eine
-Scheide; und auf den Wällen sind Männer, die Alle an ihren Merkmalen
-erkennen (die Höllengefährten sind schwarz, die Paradiesesgefährten
-weiß); und sie rufen den Paradiesesgefährten zu: ‚Friede sei auf
-euch‘, sie können es aber nicht betreten, wiewohl sie es begehren.
-Und so ihre Blicke zu den Gefährten des Feuers gewendet werden,
-sprechen sie: ‚Unser Herr, bring uns nicht zu den Ungerechten‘.“ Der
-Koran kennt auch eine Auferstehung. Die Überlieferung, Sunna, hat
-Mohammeds Lehren viel interpretiert und näher ausgeführt. So wird der
-Tote schon im Grabe von Munkir und Nakir unter Folterung verhört.
-Der dabei Rechtbefundene verbleibt in Ruhe und atmet Paradiesesluft,
-der Sünder wird mit Keulen geschlagen und mit dem Grabe zerdrückt
-(Eranische Sage <a href="#Seite_192">S. 192</a>). Am Tage des Jüngsten Gerichts wird vom Engel
-Israfil die Posaune des Schreckens und die des Gerichts geblasen, da
-vergeht zunächst alle noch lebende<span class="pagenum"><a name="Seite_209" id="Seite_209">[S. 209]</a></span> Kreatur. Nun versammeln sich alle
-Seelen und gewinnen jede ihren Körper wieder, Mohammed erscheint an
-ihrer Spitze. Gabriel hält eine Waage mit Schalen: Paradies und Hölle;
-Keiner kann dem Anderen helfen, Jeder muß für sich allein stehen.
-Gnade waltet nicht, nur Gläubigkeit und gute Taten entscheiden. Die
-Ungläubigen verfallen überhaupt ewig der Hölle und Pein. Den Gläubigen
-wird die Strafe nach Maß der Sünden bemessen. Nun müssen die Seelen
-die Totenbrücke Serat beschreiten, sie ist scharf wie ein Messer und
-heißer als Feuer. Sie spannt sich über dem Höllenschlund von der Erde
-zum Himmel. Jeder Ungläubige und Sünder stürzt hinab. Mohammed mit den
-Gläubigen und Rechtschaffenen überschreiten sie, denn ihnen breitet
-und kühlt sie sich, während Engel zu beiden Seiten mit den Flügeln den
-Abgrund verdecken. Im Himmel aber wird der Platz nach der Würdigkeit
-zuerteilt. Der Gedanke der Totenbrücke ist höchst poetisch und von
-Rückert in diesem Sinne bearbeitet. Er ist aber sicher, wie namentlich
-die Einzelheiten zeigen, den Persern entnommen (<a href="#Seite_192">S. 192</a>). Die Hölle
-hat sieben Stockwerke: je eines für milde Strafen der Mohammedaner
-und für die Juden, zwei für Christen und eine gewisse Sekte von
-ihnen, je eines für die Feueranbeter (Parsen), für Götzenanbeter, für
-Ungläubige und Heuchler aller Religionen. Nur im obersten Stockwerk ist
-die Strafe endlich, in allen anderen Stockwerken währt sie ewig. Vom
-Paradies sagt schon Mohammed in der Sure LXXXIII des Koran: „Siehe, die
-Gerechten werden wahrlich in Wonne sein. Auf Hochzeitsthronen (sitzend)
-werden sie ausschauen. Erkennen kannst du auf ihren Angesichten den
-Glanz der Wonne. Getränkt werden sie von versiegeltem Wein, dessen
-Siegel Moschus ist &mdash; und hiernach mögen die Begehrenden begehren &mdash;
-und seine Mischung ist Wasser von Tasnîm, eine Quelle, aus der die
-Allah Nahestehenden trinken.“ Dieses ist dann mit aller derjenigen
-glühenden Sinnlichkeit ausgeschmückt worden, die so großen Eindruck auf
-naturmenschliche Gemüter macht und so außerordentlich zum erstaunlichen
-Erfolg des Mohammedanismus beigetragen hat.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_210" id="Seite_210">[S. 210]</a></span></p>
-
-<p>Der <span class="gesperrt">Chinesen</span> naturmenschliche Anschauung vom Nachleben und
-Jenseits ist schon geschildert (<a href="#Seite_120">S. 120</a> f.). Ob Konfucius ihr huldigte,
-ist nicht gewiß. Er gebrauchte Fragenden gegenüber Ausflüchte. Wenn
-er jener Anschauung zustimme, fürchte er, daß die Menschen über der
-Pflege der Seele der Verstorbenen ihre eigene Seele vernachlässigen
-möchten; wenn er ihr widerspreche, müsse er besorgen, daß die schöne
-Pietät gegen Verstorbene verloren gehe. So ist denn auch oft behauptet
-worden, daß die Lehre des Konfucius an sich nur das Diesseits betreffe,
-nicht Strafe noch Lohn im Jenseits drohe und verspreche. Die Lehre
-des edleren und geistigeren Lao-tsse ist mehr philosophisch und geht
-auf eine schließliche Vereinigung mit dem Allgeist Tao (<a href="#Seite_220">S. 220</a>).
-Aber Paradies und Hölle scheint sie gleichfalls nicht zu kennen.
-Die Glückseligkeit beruht für den Guten in der Ruhe, mit der er dem
-Tode entgegensieht, die Strafe des Bösen in der Angst vor dem Tode.
-Also Paradies und Hölle hat jeder in sich, was ja auch die Ansicht
-sehr vieler höchstgeistigen Europäer ist. Die Eschatologie der
-<span class="gesperrt">Japaner</span> wird trotz ihres schönen Göttersaales kaum eine andere
-sein. Von der Eschatologie der <span class="gesperrt">amerikanischen Kulturvölker</span> ist
-mir, abgesehen vom Naturmenschlichen, schon Mitgeteilten (<a href="#Seite_124">S. 124</a> f.),
-nichts bekannt geworden.</p>
-
-<p>Der Rundgang zeigt, daß, bei aller Ähnlichkeit der Grundideen auf
-der Erde, im einzelnen zwischen den Kulturvölkern doch erhebliche
-Verschiedenheiten vorhanden sind. Selbst so nahe Stämme wie die
-Indier und Eranier, die Hebräer und Babylonier weichen in ihren
-Anschauungen über das Nachleben gar sehr erheblich ab. Und andererseits
-bestehen Übereinstimmungen zwischen so fernen Völkern wie Hebräer und
-Griechen-Römer. Nur das Gefühl von Unsterblichkeit der Seele, von Lohn
-und Strafe findet sich fast überall. Hier mehr, dort weniger deutlich,
-hier real, dort geistig gedacht, immer aber nach dem Leben beurteilt
-und in den höchsten Religionen oft nicht viel anders aufgefaßt als
-in den für uns niedersten. Einbildung auf seine Kultur ist nirgends
-weniger angebracht als hier.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_211" id="Seite_211">[S. 211]</a></span></p>
-
-<h4>23. <span class="gesperrt">Seelenwanderung und Wiederbekörperung;
-Sansara, Nirvana</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Ein höchst merkwürdiges Kapitel in der Lehre von den Anschauungen
-der Menschheit bildet das in der Überschrift gekennzeichnete. Die
-Anschauung von der <span class="gesperrt">Seelenwanderung</span> und <span class="gesperrt">Wiederbekörperung</span>
-mag ihren Ursprung aus dem naturmenschlichen Animismus genommen
-haben. Ihre eigentliche Bedeutung gab ihr jedoch die kulturelle Ethik
-und die eschatologische Metaphysik. Wir tun am besten, sie sogleich
-für dasjenige Volk zu schildern, das diese Anschauung am meisten
-ausgebildet und am tiefsten durchdacht hat, die <span class="gesperrt">Indier</span>. Die
-Anschauungen anderer Völker lassen sich leicht daran erklären. Das
-Wesentliche ist, daß die Seele von je war (was auch Platons Ansicht
-ist) und nur ständig die Körper wechselt, bis sie geläutert und
-gereinigt (was das bedeutet, richtet sich nach der Lehre) zum ewigen
-Seelenleben oder zur ewigen absoluten Ruhe eingeht. Danach steht der
-Seele nach dem Tode zweierlei bevor: entweder ein neues körperliches
-Leben oder ein Seelenleben, indem wir noch von der absoluten ewigen
-Ruhe absehen. Sie hat zwei Wege: den Dêvayana, den Götterpfad, und
-den Pitriyana, den Väter-Ahnenpfad. Vom Dêvayana lesen wir in einem
-Upanishad &mdash; die Upanishaden zählen wie die Veden, denen sie an Alter
-fast gleich sind, die sie aber an geistigem Inhalt außerordentlich
-übertreffen, während sie sie teilweise kommentieren, zu den heiligen
-Büchern der Indier. Der Name besagt: „ein Niedersitzen zu Füßen des
-Lehrers“ &mdash; in Max Müllers Übersetzung: „Sie (die die höchste Stufe der
-Vollkommenheit erreicht haben) gehen zum Lichte, vom Lichte zum Tage,
-vom Tage zur Monatshälfte des zunehmenden Mondes, von der Monatshälfte
-des zunehmenden Mondes zu den sechs Monaten, wo die Sonne nach Norden
-geht, von diesen sechs Monaten zu der Welt der Devas (niederen
-Götter), von der Welt der Devas zur Sonne, von der Sonne zur Stätte
-des Blitzes. Wenn sie die Stätte des Blitzes erreicht haben, nähert
-sich ihnen eine Person, nicht ein Mensch, und führt sie in<span class="pagenum"><a name="Seite_212" id="Seite_212">[S. 212]</a></span> die Welten
-Brahmans. In diesen Welten Brahmans verweilen sie immer und ewig,
-und es gibt keine Rückkehr für sie“. Was der Leser in dieser Angabe
-nicht verstehen sollte, das vom Tage, dem Halbmonat, den Sechsmonaten
-Gesagte, haben andere auch nicht verstanden; es scheinen hier uralte
-Termini technici versteckt, deren Sinn verloren gegangen ist, und den
-die Vedantaphilosophen in ihren Kommentaren (Sûtras) nur mit Zwang
-und Mühe wiederherzustellen versucht haben. Das übrige aber ist klar.
-Das wird in anderen Stellen und anderen Werken noch sinnfälliger und
-genauer geschildert: wie, daß der betreffende Mensch durch die Sonne
-hindurchgeht, ebenso durch den Mond, daß er die Welten der einzelnen
-Götter durchmißt, einen Fluß Vigarâ (Nichtalternd) überschreitet, vor
-die Halle (Vibhu) Brahmans gelangt, deren Hüter Indra und Pragapati
-sind, und vor den Thron Brahmans tritt, dessen einzelne Teile als
-Einsicht, Glanz, Umschau, Verstand, Geist usf. bezeichnet werden. Aber
-das Wesentliche ist immer das gleiche: Eingehen der Seele in den Raum
-zum höchsten Gott.</p>
-
-<p>Von den Nichtvollkommenen aber heißt es: „Sie gehen (bei der
-Verbrennung, die hier vorausgesetzt ist) in den Rauch ein, vom Rauch in
-die Nacht, von der Nacht in die Monatshälfte des abnehmenden Mondes,
-von dieser Monatshälfte zu den sechs Monaten, wo die Sonne nach Süden
-geht. Von den sechs Monaten gehen sie in die Welt der Väter, von der
-Welt der Väter zum Äther, vom Äther zum Monde. &mdash; Das ist Soma, der
-König, das ist die Speise der Götter, die Götter nähren sich davon. &mdash;
-Nachdem sie dort solange verweilt als noch ein Rest (von guten Werken)
-übrig ist, kehren sie auf dem Wege, auf dem sie gekommen sind, zum
-Äther zurück, von da zur Luft. Wenn er (der Geist) zu Luft geworden
-ist, wird er zu Rauch, nachdem er zu Rauch geworden ist, wird er zu
-Nebel, nachdem er zu Nebel geworden ist, wird er zur Wolke, nachdem
-er zu einer Wolke geworden ist, fällt er als Regen herab. Dann werden
-sie (die Seelen) als Reis und Korn, Kräuter und Bäume, Sesam und
-Bohnen geboren. Von da ist das Entkommen sehr schwer. Denn, wer immer
-diejenigen,<span class="pagenum"><a name="Seite_213" id="Seite_213">[S. 213]</a></span> welche diese Speise essen und Samen ausstreuen, sein
-mögen, er wird gleich ihnen. Diejenigen, deren Lebenswandel gut gewesen
-ist, werden wahrscheinlich irgendeine gute Geburt erlangen, wie als
-Brahmana oder als Kshatriya oder als Vaisya. Diejenigen aber, deren
-Lebenswandel schlecht gewesen ist, werden wahrscheinlich eine schlechte
-Geburt erlangen, wie als Hund oder als Schwein oder als Kandâla“. Auch
-hier sind viele Abwandlungen vorhanden, ohne das Wesentliche zu ändern.
-Namentlich haben Manu’s Schriften für jedes Verbrechen, für jede
-Schlechtigkeit und Gedankenlosigkeit genau das Geschöpf angegeben, in
-das die Seele eingehen muß. Diese Wanderung der Seele dauert so lange
-fort, bis der Mensch in einem Leben es zur höchsten Vollkommenheit
-gebracht hat. Die ganze Lehre ist verhältnismäßig einfach. Auch
-wissen wir was Sünde, Vergehen, Gedankenlosigkeit usf. bedeutet. Die
-Schwierigkeit liegt in der Bedingung der Vollkommenheit. Unzählige
-Ausführungen und Bücher haben die Indier darüber geschrieben, aber
-naturgemäß sind die Definitionen sämtlich negative. Als Grundprinzip
-gilt: eine Seele ist von je und bleibt in alle Ewigkeit. Es kann
-Seelen geben, die immer nur von Körper zu Körper gehen, denn es heißt
-am Schluß des letzten Zitats: „Auf keinem dieser zwei Wege (Dêvayana,
-Pitriyana) ziehen jene kleinen, oft wiederkehrenden Geschöpfe fort. Für
-sie gilt der <span class="gesperrt">dritte</span> Zustand, von dem es heißt: leb und stirb.“
-Aber auch sie haben keinen Anfang und kein Ende.</p>
-
-<p>Diese Lehre hat mehrere Erweiterungen erfahren, die sich alle auf
-den letzten Zustand und auf die Vollkommenheit beziehen. Wir werden
-später sehen, daß die Indier auch den Pandeismus gelehrt haben.
-Der letzte Zustand besteht in dieser Lehre im Eingehen in die
-betreffende Gottheit, Brahma oder Wischnu. So sagt in der Bhgavad-Gîtâ
-Krishna-Wischnu, nach vielen Lehren über ein vollkommenes Dasein:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Und wer zur Todesstunde mein gedenkt und so den Leib verläßt,</div>
- <div class="verse">Der gehet in mein Wesen ein, das halte unbezweifelt fest.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">und an einer anderen Stelle:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_214" id="Seite_214">[S. 214]</a></span></p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Durch sie wirst du mit mir vereint, befreit von der Geburten Zwang,</div>
- <div class="verse">Mag auch die Schöpfung sich erneun, mag droh’n der Weltenuntergang.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Und dieses wird noch in vielen Wendungen dringend eingeschärft.
-Die Seele geht zuletzt dahin zurück, woher sie von je stammt, zur
-Allgottheit. Was aber die Vollkommenheit betrifft, so schließt sie
-nicht allein moralische und ethische Forderungen ein, sondern auch
-solche, die sich auf die Affekte beziehen; es wird Freisein von
-Affekten verlangt. In der gleichen Bhagavad-Gîtâ heißt es:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Wer nie frohlockt und nimmer niemand haßt, wer nichts beklagt und nichts begehrt,</div>
- <div class="verse">Wen weder Glück noch Unglück rührt, auch der ist meiner Gnade wert.</div>
- <div class="verse">(Auch) Wer gleich sich bleibt bei Freund und Feind, gleichgültig gegen Freud’ und Leid,</div>
- <div class="verse">Verachtung, Ehre, Kalt und Warm, vom Drang der Leidenschaft befreit,</div>
- <div class="verse">Wer Lob und Tadel gleich erwägt, wen nicht die Sucht nach mehr bewegt,</div>
- <div class="verse">Wer keine Sorg um Obdach hegt, wes festen Sinn nichts mehr erregt...</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Der Mensch hat sich von den Schlacken des Lebens zu reinigen:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Natur erzeugt die Wesenheit, die Leidenschaft, die Dunkelheit,</div>
- <div class="verse">Und diese hemmen stets im Leib der ew’gen Seele Tätigkeit.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Wie der <span class="gesperrt">Buddhismus</span> derartigen Anschauungen noch eine
-besondere Wendung gegeben hat, ist bekannt. Er hat die Lehre von der
-<span class="gesperrt">Metempsychose</span> und <span class="gesperrt">Metensomatose</span> zur letzten Ausbildung
-gebracht und gleicherweise die Lehre vom letzten Zustand. Im Buddhismus
-spielen die Gottheiten keine besondere Rolle; ihr Dasein wird nicht
-geleugnet, nur ihre Bedeutung für Welt und Menschen (<a href="#Seite_182">S. 182</a>). Sie
-stellen selbst nur einen Durchgangszustand dar im Leben des Alls,
-leben und vergehen wie alles im All und haben es so nur mit sich
-zu tun, gleich jedem lebenden Geschöpf. Es vermischt sich nun ein
-philosophischer Gedanke mit ethisch-moralischen Betrachtungen. Das
-Leben, ganz allgemein, ist ein Leiden, ob es unglücklich oder glücklich
-verläuft. Und ein Leiden ist vor allem die Wiedergeburt. Dieses zu
-erkennen ist die erste Stufe des Wissens. Die zweite aber besteht
-darin, daß man zu erkennen hat, wie alles darauf gerichtet sein muß,
-nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_215" id="Seite_215">[S. 215]</a></span> wiedergeboren zu werden. Und dieses wird erreicht durch ein
-ethisch-moralisches Leben und durch Abtötung jedes Willens nach Leben
-und Wiedergeburt, so zwar, daß ein solcher Wille niemals auch nur in
-das Bewußtsein treten kann. Die Taten sollen so sein, daß bei jeder
-Wiedergeburt der Mensch zu immer höherer Stufe sich erhebt, denn
-es büßt der Mensch mit jeder Geburt die Sünden und Mängel, und es
-genießt der Mensch die Folgen der Tugend des voraufgegangenen Lebens:
-<span class="gesperrt">Karma-Gesetz</span>. Die Gedanken aber sollen sich ganz in sich
-versenken, bis alles was das Leben bildet mit seinen Leidenschaften,
-Gefühlen, Begehren, Anschauungen, Erwartungen, kurz der ganze Wille
-im Leben und zum Leben vergangen und verklungen ist. Wer so höchste
-Vollkommenheit und Abwesenheit jedes Lebenswillens erreicht hat, geht
-zur absoluten Ruhe ein, in das Nirvana (ein Wort, das schon in den
-Upanishaden für den letzten Zustand gebraucht wird), das „Verwehen“
-ein. Nicht daß die Seele sich verliert &mdash; auch dem Buddhismus ist alles
-was ist, ewig &mdash; sie kommt in einen Zustand, der dem Tod entspricht,
-in menschlichem Ermessen, das ja nur das Leben kennt. Ein Zustand, in
-dem nichts vorhanden ist, was das Leben ausmachte, zu dessen Einsicht
-also nur unendliche Abstraktion führt, weshalb es auch oft mit „Nein,
-Nein“ erklärt wird, wie Brahma als letzter Begriff. So lehrt die
-<span class="gesperrt">Dharma</span>.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Buddha</span> ist bekanntlich unter dem Namen Gautama Sarvarthasiddha
-als Fürstensohn zu Kapilavastu (um 623 v. Chr.) geboren. Bis zu
-seinem 29. Lebensjahre hat er wie alle Fürstensöhne, wenigstens der
-Volksidee nach, herrlich und in Freuden gelebt. Wie er also zu seiner
-Leidensauffassung und Verneinung des Lebens kam, richtiger, sie
-konsequenter ausbildete als schon vor ihm geschehen war? Er sah auf
-einer Ausfahrt nach einem Lustgarten einen Greis „mit kahlem Haupt,
-gebeugtem Körper und zitternden Gliedern. Bei einer zweiten Ausfahrt
-gewahrte er einen unheilbaren Kranken, von Aussatz und Geschwüren
-bedeckt, vom Fieber geschüttelt, ohne Führer und ohne Hilfe; auf einer
-dritten einen von Würmern zerfressenen, verwesenden Leichnam am Wege.
-Er fragte sich, wozu Lust, Tugend und Freude nützten,<span class="pagenum"><a name="Seite_216" id="Seite_216">[S. 216]</a></span> wenn sie dem
-Alter, der Krankheit und dem Tod unterworfen seien.“ Da verläßt er
-alles, zieht als Bettler durch die Lande und hört in allen Schulen die
-Lehren der Priester und Forscher. Wie ihn nichts befriedigt, schließt
-er sich in einen Wald ein, lebt in harten Kasteiungen und Bußübungen,
-weshalb er Muni und, unter Hinzufügung seines Geschlechtsnamens,
-Çakjamuni genannt wurde. Als er auch Kasteiung und Bußübung für
-erfolglos erkennt, versinkt er in tiefstes Nachsinnen über den Grund
-der Leiden und den Zweck des Lebens. Jetzt erst blitzt der richtige
-Gedanke in ihm auf, als blitzender Strahl schießt er aus seiner
-Stirne bis an das Ende der Welt. Und nun ist er Buddha (<a href="#Seite_139">S. 139</a>),
-der „Erleuchtete“. Das ist Legende, aber wie sehr der Indier zu
-Beschaulichkeit und Nichtigerklärung der Welt neigt, hat uns Rudyard
-Kipling in einer seiner reizendsten Geschichten, vom höchstgestellten
-Minister Purun Dass geschildert.</p>
-
-<p>Bei den <span class="gesperrt">Eraniern</span> finden wir, was sehr seltsam berührt, nichts
-von dieser Lehre der Seelenwanderung und Wiederbekörperung. Sie wird
-also bei den Indiern wohl nach der Trennung von ihnen entstanden sein.
-Aber am äußersten Ende Europas soll ein arisches Volk diese Lehre
-wenigstens zu einem Teil besessen haben, die Kelten. Cäsar weiß davon.
-Er sagt in „De bello Gallico“, VI, 14: „In primis hoc volunt (nämlich
-die Druiden) persuadere; non interire animas, sed ab aliis post mortem
-transire ad alios“. Das ist aber wohl das einzig Sichere; alles was
-sonst noch in dieser Hinsicht von den Kelten und Druiden erzählt
-wird, ist Fabel oder aus ungewissen Überlieferungen und späteren
-Bardenliedern erschlossen. Die Seele soll nach dem Tode ihres Besitzers
-zuerst in die Lüfte zu den Wolken schweben, letztere also sollen Sitz
-von Seelen sein. Wären die Ossiangedichte altes Gut, so hätten wir
-einen Beweis für diese Behauptung: „Meine Väter neigen sich herab von
-ihren Gewölken, zu empfangen ihren graulockigen Sohn“, klagt Fingal
-nach dem Fall seines geliebten Sohnes Oscar. Als Wolkengeister schweben
-sie über kämpfenden Heeren und nehmen Teil an der Entscheidung, wie
-die Walkyren, die ebenfalls Wolkengeister sind. Auch auf<span class="pagenum"><a name="Seite_217" id="Seite_217">[S. 217]</a></span> dem Monde
-weilen die Seelen, ein Glaube, der weit verbreitet ist. Dort hausen sie
-unter Schnee und Eis und vergessen alles vom vergangenen Leben. Bei
-Sonnenfinsternissen kehren sie zur Erde zurück, werden von der Sonne
-erweckt und beginnen ein neues irdisches Dasein.</p>
-
-<p>Von den Griechen haben namentlich die <span class="gesperrt">Pythagoräer</span> und
-<span class="gesperrt">Platon</span> die Wiedergeburt gelehrt. Jene beschränkten die
-Seelenwanderung auf die Tiere und Menschen; Pflanzen sollte eine Seele
-nicht zukommen. Zwischen zwei Leben liegt ein reiner Seelenzustand,
-wie ja auch bei den Indiern, Kelten und bei Platon. Ob dieser Zustand
-in Verbindung steht mit Lohn und Strafe, die die Pythagoräer wie auch
-Andere lehrten, läßt sich schwer entscheiden, denn bekanntlich hat
-sich durch Pythagoras’ Lehre ein Wust von allen möglichen mystischen
-Ansichten ergossen. Eigenartig noch ist die Meinung, daß die Seele
-nicht in jeden Körper eingehen kann, sondern nur in den, der ihrer
-Harmonie (davon später) gemäß ist. Im allgemeinen betrachteten sie, wie
-die Indier, die Verbindung der Seele mit dem Körper als unwillkommen.
-Indessen sagten sie doch auch, daß die Seele durch die Organe, die der
-Körper ihr bietet, Gelegenheit zur Erkenntnis bekomme, und daß sie
-darum den Körper liebe, ein Gedanke, der ganz und gar den Anschauungen
-der Indier widerspricht. Pythagoras selbst soll Waffen im Heratempel
-zu Argos als die bezeichnet haben, die er in einem früheren Dasein vor
-Troja geführt habe, und in einem Hund die Seele eines verstorbenen
-Freundes erkannt haben; wenn ersteres kein Märchen, letzteres kein
-boshafter Witz ist.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Platons</span> Ideen von der Seelenwanderung sind namentlich in
-seinem Phaidros auseinandergesetzt. Max Müller weist auf die, zum
-Teil allerdings verblüffende, Übereinstimmung mit indischen Ideen
-hin; namentlich die Lehre, daß die Seelenbekörperung neun Stufen
-hat, entspricht der in Manu’s Gesetzbuch, wo gleichfalls neun Stufen
-vorgesehen sind. Auch der Zwischenzustand der Seele zwischen zwei
-Leben und der Endzustand muten stark indisch an. Platon hat alles in
-ein mythisch-dichterisches Bild gekleidet. Er behandelt Menschen<span class="pagenum"><a name="Seite_218" id="Seite_218">[S. 218]</a></span> und
-Götter in eins, was abermals indischem Verfahren entspricht. Das Bild
-vergleicht die Seele „der zusammengewachsenen Kraft eines befiederten
-Gespannes und seines Führers. Der Götter Rosse und Führer nun sind
-selbst gut und guter Abkunft, die anderen aber vermischt.“ „Die Kraft
-des Gefieders besteht darin, das Schwere emporhebend hinaufzuführen,
-wo das Geschlecht der Götter wohnt.“ Sie wächst vom Göttlichen und
-schwindet vom Bösen. „Der große Herrscher im Himmel, Zeus“ zieht mit
-seinem Gespann den Himmel hinauf voran, ihm folgen alle Götter und
-dann die Seelen, „wer jedesmal will und kann“. Zeus und die Götter
-lenken leicht und sicher und schauen völlig alle Herrlichkeiten. Die
-Gespanne der anderen Seelen aber steigen schwer und in Unordnung, so
-daß die Seelen von den Herrlichkeiten gar keinen oder nur teilweisen
-Genuß haben. Auf des Himmels Rücken angelangt und vom Umschwung
-fortgerissen, blicken die Götter in das, „was außerhalb des Himmels
-ist“ und sehen „farblose, gestaltlose, stofflose, wahrhaft seiende
-Wesen“ und sie „lassen sich wohl sein, bis der Umschwung sie wieder
-an die vorige Stelle zurückgebracht hat“. Die ganze Fahrt vollbringen
-von den Menschenseelen einige, die der Gottheit am nächsten „folgten
-und nachahmten“, wenn auch in Ängsten und Beschwerden und „kaum das
-Seiende erblickend“. Andere erhoben sich bisweilen und tauchten dann
-unter im Sträuben der Rosse. Die übrigen aber werden nur im unteren
-Raume umhergetrieben, einander stoßend und drängend. „Und dieses ist
-das Gesetz der Adrasteia“, sagt der Dichter-Philosoph, daß die Seele,
-welche als des Gottes Begleiterin etwas vom Wahrhaften erblickt hat,
-keinen Schaden erleidet und, soweit an ihr liegt, unverletzt bleibt.
-Die Seele aber, die nichts sieht, fällt zur Erde und beginnt den
-Kreislauf der Wiedergeburten, die also, wie schon bemerkt, neun Stufen
-haben. Die besten können als weise Männer geboren werden, oder als der
-Musen und der Liebe Lieblinge. Die folgenden als verfassungsmäßige oder
-kriegerische Könige, dann die nächsten als Staatsmänner usf., bis zu
-den letzten, welche das dem Griechen Verächtlichste werden &mdash; Tyrannen.
-Eine<span class="pagenum"><a name="Seite_219" id="Seite_219">[S. 219]</a></span> Seele kann mehrere Wiedergeburten erfahren. Die höchststehende
-kehrt schon nach dreitausend Jahren dorthin zurück, woher sie gekommen
-ist. Anderen Seelen mag dieses nicht unter zehntausend Jahren gelingen.
-Innerhalb der Wiedergeburten, nach jedem Tode, kommt die Seele vor
-das Gericht. Die böse verfällt dem unterirdischen Zuchtorte, wo sie
-tausend Jahre Strafe erleidet, die bessere wird nach einer Stelle
-des Himmels entrückt, wo sie, gleichfalls tausend Jahre, wie im
-letzten Leben verweilt. Dann kann jede der beiden Seelen ihre fernere
-Wiedergeburt frei wählen. Und so ist auch tierische Wiedergeburt
-nicht ausgeschlossen. Der Philosoph leitet aus den Wiedergeburten die
-Tatsache des Erinnerns ab, daß uns so manches, das wir zum erstenmal
-sehen oder lernen, bekannt vorkommt. Die Ähnlichkeit der Platonischen
-Anschauung mit indischer, sowohl in den Zwischenzuständen als im
-Endzustand und in den Verwandlungen, ist nicht zu verkennen. Platon
-ist von dieser Anschauung in anderen Schriften mehrfach abgewichen.
-Gleichwohl muß sie für ihn doch grundlegende Bedeutung gehabt haben.
-Wir sehen das an dem tiefen Ernst, mit dem <span class="gesperrt">Sokrates</span>, Platons
-Wortführer, sie vorträgt.</p>
-
-<p>Es ist oft selbst von Griechen behauptet worden, daß Pythagoras und
-Platon ihre Wiedergeburtanschauungen von den <span class="gesperrt">Ägyptern</span> entlehnt
-haben. Auch sagt Herodot von den letzteren: „Auch sind die Ägypter
-die ersten, die den Satz aufgestellt haben, daß des Menschen Seele
-unsterblich ist, und wenn der Leib vergeht, so fährt sie in ein anderes
-Tier, das immer gerade zu der Zeit entstände, und wenn sie herum ist,
-durch alle Tiere des Landes und des Meeres und durch alle Vögel, so
-fahre sie wiederum in einen Menschenleib, der gerade geboren würde,
-und käme in dreitausend Jahren herum.“ Wenn Herodot dann fortfährt:
-„Diese Meinung haben einige Hellenen auch vorgebracht, die einen
-früher, die anderen später. Ihre Namen weiß ich zwar, will sie aber
-nicht nennen“, so kann er damit nur Pythagoräer und Orphiker meinen.
-Aber es ist immerhin eigenartig, daß auch Platon die dreitausend Jahre
-hat, wenn auch nur für die auserwählten Seelen. Eduard Zeller lehnt die
-Wiedergeburtslehre für die Ägypter ab. Es<span class="pagenum"><a name="Seite_220" id="Seite_220">[S. 220]</a></span> ist für uns schwer, eine
-Entscheidung zu treffen, da die Ägypter sehr viel vom Animismus in
-ihren Anschauungen besaßen. Die außerordentliche Mühe, die die Ägypter
-sich gaben, ihrer Seele Wohnstätten auf Erden zu beschaffen, spricht
-gegen den Glauben einer Wiedergeburt bei ihnen. Der, freilich späte,
-Pausanias (zur Zeit Hadrians und der Antonine) meint, die Griechen
-hätten ihre Anschauungen von den Chaldäern und Indiern erhalten.
-Vielleicht hat er nicht so unrecht. Klingt es nicht ganz indisch,
-wenn <span class="gesperrt">Empedokles</span> sagt: „Ich war bereits einmal Knabe, Mädchen,
-Pflanze, Vogel und flutentauchender stummer Fisch“ und wenn er über das
-furchtbare Geborenwerden klagt?</p>
-
-<p>Es ist noch zu erwähnen, daß auch bei den <span class="gesperrt">Chinesen</span> eine
-Schule des Lao-tsse (<a href="#Seite_210">S. 210</a>) bestand, die Seelenwanderung und
-Wiederbekörperung lehrte. Der bedeutende Mann sagt im Tao-te-king: „Wer
-nicht einsieht, daß es eine Fortdauer gibt, und daß auch er fortdauere,
-der bereitet sich durch seine Unüberlegtheit selbst Unheil. Wer aber
-von der hohen Bedeutung der Fortdauer überzeugt und durchdrungen ist,
-der ist sicher auch groß gesinnt, edel und vortrefflich“. Der Tod
-bedingt Auflösung in die Grundstoffe. Aber hiernach erfolgt immer
-ein Wiederaufleben zu einem neuen Zweck, zu einer neuen Bestimmung,
-zu neuem Leben. Lao-tsse, der etwas später als Buddha blühte, ist
-in Indien gewesen, er wird aus den dortigen Philosophenschulen
-manches gelernt haben. Aber sein Taoismus ist doch kein Brahmanismus,
-geschweige gar ein Buddhismus. Es ist, wie schon bemerkt, auch nicht zu
-ersehen, wie er sich das Ende dachte, ob als ein Aufgehen im Tao, oder
-als überhaupt nicht vorhanden, so daß die Wandlungen ins Unendliche
-fortdauern.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>24. <span class="gesperrt">Seele und Unsterblichkeit, Leben-Reihe</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Leicht erkennt der Mensch, daß das Leben nach zwei Richtungen sich
-abspielt, nach der animalen und nach der geistigen. Früh ist deshalb
-schon zwischen einer <span class="gesperrt">animalen</span> Seele und einer <span class="gesperrt">geistigen</span>
-unterschieden worden. Der<span class="pagenum"><a name="Seite_221" id="Seite_221">[S. 221]</a></span> ersteren Seele Tätigkeit geht auf
-Entwicklung des körperlichen Lebens, Erhaltung dieses Lebens,
-Befriedigung der sinnlichen Begierden und Lüste und auf Zusammenleben
-mit der äußeren Welt. Die zweite Seele hat es mehr mit dem Absehen
-von dem körperlichen und äußeren Leben zu tun, und mit Denken,
-Schließen und Erkennen. Platon hat von dieser zweiten Seele einen Teil
-abgetrennt, den er θυμός (Mut) nennt. Wir wollen ihn mit „Verstand“
-bezeichnen. Er wirkt gegen die bösen und schlechten Triebe der ersten
-Seele und leitet, im Gegensatz, die Wünsche und die Handlungen
-zum Guten. Alsdann bleibt von der zweiten Seele das rein Geistige
-übrig, der νοῦς, Nus, die „Vernunft“. Diese Dreiteilung nach Platon
-(ἐπιθυμητικός, θυμός, νοῦς) erschöpft die Seelentätigkeiten zweifellos
-nicht. Wenn aber die Stoiker eine Siebenteilung der Seele vornahmen
-und davon fünf Teile an die Sinnentätigkeit vergaben (nach den fünf
-Sinnesorganen), einen Teil auf die Fortpflanzung rechneten (wie die
-Pythagoräer) und den letzten auf die Sprache, d. h. das Denken, so kann
-dieses noch weniger befriedigen. Der Leser weiß, daß die Psychologie
-meist eine Dreiteilung vornimmt: in Denken, Fühlen, Begehren, die
-kaum für die Zwecke des reinen rationalen Teiles dieser Wissenschaft
-ausreicht, und auf die übrigens auch nicht viel Wert gelegt wird. In
-der Tat haben wir es hier mit Teilungen der Seele nur mit Rücksicht
-auf die voraufgehenden Unsterblichkeitslehren zu tun. Denn naturgemäß
-entsteht die Frage, was denn von der Seele unsterblich sein soll. Wir
-wollen darum die Tätigkeit der Seele sorgfältiger unterteilen. Eine
-eingehendere Untersuchung aller Seelentätigkeiten zeigt, daß man die
-Seele für unseren Zweck, und wohl auch allgemeiner, in folgende Klassen
-zerlegen kann.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Animale Seele</span>, zur Entwicklung, Erhaltung und Bewegung des
-Körpers.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Trieb-Seele</span>, zur Befriedigung von sinnlicher Lust und von
-Trieben.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Sinnen-Seele</span>, zum Wahrnehmen der Außenwelt und aller Reize an
-und in unserem Körper.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_222" id="Seite_222">[S. 222]</a></span></p>
-
-<p><span class="gesperrt">Gefühls-Seele</span>, zum Empfinden der Affekte, wie Liebe, Haß, Zorn,
-Mitleid usf.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Regulierende</span> oder <span class="gesperrt">kategorische Seele</span> (Bewußtsein,
-Kategorien, Freiheit, Wille; Anschauungsformen).</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Verstandes-Seele</span> (Erkennen, Behalten, Erinnern, Wissen,
-Vorstellen u. a.).</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Vernunft-Seele</span> (Sinnen, Denken, Schließen usf.).</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Göttliche Seele</span>, <span class="gesperrt">Geist</span>, <span class="gesperrt">Glaube</span>, <span class="gesperrt">Intuition</span>.</p>
-
-<p>Über die vier erstgenannten Klassen ist nichts zu bemerken. Die
-fünfte Klasse, deren Tätigkeiten wir auch insgesamt als Kategorien,
-Stammtätigkeiten, bezeichnen können, gibt die Normen für alle
-Seelentätigkeit überhaupt und zwar zwangmäßig. Unter dem Gesichtspunkt
-des Bewußtseins kennen wir überhaupt nur die Tätigkeiten der Seele.
-Nur das animale Leben bietet manche und sehr wichtige Tätigkeiten,
-die unserem Bewußtsein sich entziehen. Die eigentlichen Kategorien,
-wie Quantität, Qualität, Ursächlichkeit usf. regeln alle und jede
-Wahrnehmung und Erfahrung und sind selbst für das animale Leben
-unausweichlich. Freiheit wird allerdings als Kategorie von vielen
-geleugnet. Eine Erörterung hierüber ist noch nicht am Platze.
-Hier genügt es, daß alle unsere seelischen Tätigkeiten uns frei
-<span class="gesperrt">erscheinen</span>, selbst wo wir gezwungen werden. Wille endlich
-ist die Einleitung mindestens zu allen bewußten Tätigkeiten. Welche
-kategorische Bedeutung dem Willen zugeschrieben wird, weiß der Leser
-aus Schopenhauers Philosophie. Endlich die Anschauungsformen, unter
-denen wir und die Welt uns erscheinen, sind Raum und Zeit. Die Wirkung
-der regulierenden Seele erstreckt sich also über alle Tätigkeiten der
-übrigen Seelen. Über die sechste und siebente Klasse ist wiederum
-nichts zu bemerken. Die achte Klasse hat im Sinne namentlich der
-indischen, und überhaupt der theosophischen, Lehren hinzugefügt
-werden müssen; ihre Bedeutung wird durch die Darlegungen im folgenden
-Buch noch klarer als durch die Bezeichnung werden. Und nach den
-wichtigsten Ansichten ist diese Klasse als Intuitionen enthaltend
-auch von der Macht der regulierenden Seele aus<span class="pagenum"><a name="Seite_223" id="Seite_223">[S. 223]</a></span>zunehmen. Die modernen
-<span class="gesperrt">Theosophen</span> scheinen diese Seele in drei Seelen abzustufen:
-Buddhi-Manas, der Mensch als höchstes Prinzip; Buddhi, die Welt
-als höchstes Prinzip; Atma, das höchste Prinzip überhaupt. Unsere
-sieben anderen Klassen sind dann in vier untergebracht: Kama-Manas,
-die intellektuelle Seele, Vernunft-, Verstandes- und regulierende
-Seele einbegreifend; Kama, die Triebseele; Prana, die animale Seele;
-Linga-Scharira (der Ätherleib), wohl die Sinnenseele. Die Namen
-sind indisch wie die Ideen. Der Zerlegung der höchsten Seele in die
-drei Seelen kann man zustimmen. Die Zusammenfassung der Vernunft-,
-Verstandes- und regulierenden Seele scheint mir aber unzweckmäßig und
-lediglich der heiligen Siebenzahl wegen erfolgt zu sein. Ich habe
-übrigens in meinem Werke „Philosophische Grundlagen der Wissenschaft“
-die Seelentätigkeiten einzeln untersucht und sie in eine kanonische
-Tafel gebracht, soweit sie für den dort entscheidenden Zweck nötig war.
-Die obige Klasseneinteilung ist für das Allgemeine spezifizierter.</p>
-
-<p>Worauf bezieht sich nun die Unsterblichkeit? Auf die achte Seele unter
-allen Umständen, und für diese ist die Unsterblichkeit eine absolute.
-Das ist die Auffassung aller bisher behandelten Anschauungen. Der
-Buddhismus scheint die absolute Unsterblichkeit auf diese Seele zu
-beschränken, vermutlich auch der Wischnuismus, soweit er Pandeismus
-ist (<a href="#Seite_229">S. 229</a> f.). In diesen beiden Anschauungen würde es sich hiernach
-für die übrigen Seelen nur noch um relative Unsterblichkeit und
-Fortleben nach dem Tode handeln, bis sie nach der abgelaufenen Zahl
-von Inkarnationen, Bekörperungen, annihiliert werden, oder, wohl
-besser, sich selbst annihilieren, in der Weise, daß sie entweder
-in Tat verschwinden oder in ein Anderes übergehen, das nicht mehr
-mit Leben und Individualität in Verbindung steht. Schreiben wir
-den Tieren und Pflanzen keine achte Seele zu, so wären diese von
-der absoluten Unsterblichkeit ausgeschlossen. Das ist, glaube ich,
-auch der Standpunkt unserer modernen Theosophen. Nach Platon bezöge
-sich die absolute Unsterblichkeit auch auf die siebente Seele, da
-er sie mit der achten zu der Vernunft-<span class="pagenum"><a name="Seite_224" id="Seite_224">[S. 224]</a></span>Seele zusammenfaßt. Jedoch
-diese und die anderen Anschauungen können wohl eine absolute oder
-relative Unsterblichkeit ohne die fünfte Seele nicht behaupten, diese
-müßte immer mit einbegriffen sein. Die, nach Platon, am wenigsten
-konzedierende Ansicht schreibt hiernach auch dieser fünften und dazu
-der sechsten Seele absolute Unsterblichkeit zu, den vier anderen Seelen
-nur relative. Aber Anschauungen wie z. B. die des Mohammedanismus
-und Christentums, soweit sie ewige körperliche Strafen und ewige
-körperliche Freuden als Belohnungen im Jenseits annehmen, müssen auch
-für diese vier Seelen absolute Unsterblichkeit behaupten, also für die
-Seele als Ganzes. Glauben sie, daß eine Seele schon für sich Pein und
-Lust empfinden kann, so mag die erste Seele mit dem Tode schwinden
-oder, bei Behauptung einer Wiederbekörperung, beschränkt fortbestehen.
-Zugleich wird angenommen, daß, was absolut oder beschränkt fortbesteht,
-immer beisammen bleibt, sonst würde ja die Individualität verloren
-gehen. Bei einer Wiederbekörperung ändert sich dann nur die Person.
-Aber die Individualität muß immer freier werden von den Schlacken
-des materiellen, persönlichen Lebens, je mehr von dem nur beschränkt
-Fortbestehenden sich annihiliert oder annihiliert wird, bis absolute
-Freiheit davon eintritt, die Person für immer schwindet und die
-absolute Unsterblichkeit nur noch das höchste Sein bedeutet.</p>
-
-<p>Fassen wir nun in der allgemeinsten Darstellung der oben
-behandelten Anschauungen alle Vor-Leben, Leben, Nach-Leben zu einer
-<span class="gesperrt">Leben-Reihe</span> zusammen, mit verschiedenen Einzel-Leben, so träten
-also die acht Seelen in den verschiedenen Leben in verschiedener
-Weise, Intensität, in Tätigkeit. Jede von ihnen kann in einem Leben
-aufs äußerste wirken, und in einem anderen Leben ganz zurückgedrängt
-sein, daß sie wie nicht vorhanden erscheint. Und dieses kann auch
-im Einzel-Leben der Fall sein; wir wissen ja, daß in unserem
-Körper-Leben in der Tat die Seelentätigkeiten fortdauernd wechseln.
-Daher kann auch der Unterschied zwischen Mensch und Tier und Pflanze,
-überhaupt<span class="pagenum"><a name="Seite_225" id="Seite_225">[S. 225]</a></span> zwischen Mensch und jedem anderen Ding, aufgehoben
-werden, wie im Menschen die verschiedenen Zustände schwinden. Und es
-ist kein Widerspruch, wenn eine Lehre, wie die der Indier von der
-Metempsychose, die Menschenseele auch in Tiere, Pflanzen und andere
-Dinge wandern und ein neues Körper-Leben beginnen läßt. Die Gesamtheit
-der Seelen bleibt, aber sie treten in der Tätigkeit teilweise oder
-ganz zurück, so daß auch eine von ihnen oder zwei von ihnen, wie
-im Tiere die beiden animalischen Seelen, ausschließlich wirken.
-Die ganze Reihe soll aber, wenn sie auch Rückschritte aufweist, im
-wesentlichen in der angegebenen Weise doch nach aufwärts führen, bis
-zuletzt die animalischen Seelen ganz geschwunden sind, wenn auch das
-Gesamtseelenindividuum sich noch bekörpert zeigt. In Buddhas Lehre
-heißt das, bis der Wille zum (Körper-) Leben völlig erloschen ist.
-Alsdann enthält die Leben-Reihe keine Körper-Leben weiter und das
-Nach-Leben ist ein einziges, körperfreies. Diese nähere Ausführung
-unter Spezialisierung der Einzelseelen habe ich zum zusammenfassenden
-Verständnis der voraufgehenden nicht leicht zu durchdringenden
-Anschauungslehren von Welt und Leben unternommen. Will der Leser von
-Einzelseelen nichts wissen, so mag er darunter Tätigkeitsklassen der
-Seele überhaupt verstehen. Das ändert an den Ausführungen nichts.
-Er beachte aber immerhin, wie doch die fünfte Tätigkeitsklasse als
-regulierend und kategorisch so ganz verschieden ist von allen anderen
-Tätigkeitsklassen. Davon werde ich bei Betrachtung der sogenannten
-materialistischen Anschauungen von Welt und Leben eingehend zu sprechen
-haben.</p>
-
-<p>Von je ist danach gefragt worden, warum, wenn das Leben auch Vor-Leben
-hat, wir von diesen nichts wissen, wenigstens nicht Alle etwas davon
-wissen, wenn auch Einzelne, wie Pythagoras und Buddha, volle Kenntnis
-davon gehabt haben wollen. Die schon erwähnte (<a href="#Seite_217">S. 217</a>) Tatsache, daß
-wir beim Kennenlernen neuer Dinge wohl <span class="gesperrt">glauben</span>, sie schon zu
-kennen, reicht, wie jeder sieht, durchaus nicht zum Nachweis hin,
-daß wir etwas von unserem Vor-Leben wissen, ganz abgesehen davon,
-daß ja die Vor-Leben überhaupt vonein<span class="pagenum"><a name="Seite_226" id="Seite_226">[S. 226]</a></span>ander verschieden sein können
-und auch sein sollen. Die einzige einigermaßen befriedigende Antwort
-haben wiederum indische Weise gegeben, die ja, als die energischesten
-Verfechter der Leben-Reihe, die Frage am meisten angeht, und an sie
-sich anschließend unsere Theosophen. Wir können aber Frage und Antwort
-erst in einem späteren Abschnitt behandeln.</p>
-
-<p>Den Eindruck wird aber, glaube ich, der Leser gewonnen haben, daß es
-sich hier, wenn auch um zweifelvolle und vielleicht unrichtige, doch
-um sehr großartige Anschauungen handelt, namentlich bei den in Indien
-erblühten und später nach dem Westen verbreiteten von der Leben-Reihe
-und ihrer Gipfelung im reinen absoluten Geistes- oder Gottes-Leben. Wir
-lernen im nächsten Buch ihre mehr phantastische und im letzten Buch
-ihre metaphysische Ausbildung kennen. Neben solchen Anschauungen nimmt
-sich die von Paradies und Hölle philosophisch freilich recht dürftig
-und derb naturmenschlich aus. Ob auch ethisch und erzieherisch, ist
-allerdings eine andere Frage, denn die Leben-Reihe (<span class="gesperrt">Sansara</span> bei
-den Indiern) ist gegen die Ruhe-Ewigkeit (<span class="gesperrt">Nirvana</span>) aufs äußerste
-herabgesetzt.</p>
-
-<hr class="book" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_227" id="Seite_227">[S. 227]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="ZWEITES_BUCH"><span class="s5">ZWEITES BUCH.</span><br />
-
-Philosophisch-deistische und theosophische Anschauungen.</h2>
-
-</div>
-
-<p>Zu den philosophisch-religiösen Anschauungen rechnen wir diejenigen
-Lehren, bei denen Gott oder die Gottheit, oder eine wie eine Gottheit
-wirkende Seele, den Mittelpunkt der Annahmen bildet, und wo zugleich
-die Ordnung von Welt und Leben nach philosophischen Gesichtspunkten
-betrachtet wird, rein religiöse Willkür ausschließend. Das Religiöse
-lehnt sich an den Glauben, das Philosophische teils an Naturerkenntnis,
-teils an metaphysische Begriffe an und strebt, alles mehr der ruhigen
-Vernunft anzupassen. Manche der Anschauungen, die wir in diesem Buche
-kennen lernen werden, liegen fast ganz im Bereiche der Dichtung. Eigen
-ist ihnen allen aber die Erhöhung des Gottes- und des Seelenbegriffes
-und die Bemühung, zwischen diesen Begriffen und der Welt mit dem
-Menschen eine Verbindung herzustellen, die jenen Begriffen nicht zu
-nahe tritt und doch Welt und Menschheit in keine zu unwürdige Stellung
-bringt, ja im Gegenteil, Welt und Menschheit möglichst an jene Begriffe
-anschließt. Die theosophischen Anschauungen haben ihre Grundlage, außer
-im Glauben, in der Intuition.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<h3 class="nobreak" id="DRITTES_KAPITEL"><span class="s5">DRITTES KAPITEL.</span><br />
-
-Pandeistische und panpsychistische Anschauungen.</h3>
-
-</div>
-
-<h4>25. <span class="gesperrt">Pandeistische Anschauungen</span>.</h4>
-
-<p>Wenn auch nur durch einen Buchstaben (d statt th), unterscheiden
-wir grundsätzlich <span class="gesperrt">Pandeismus</span> vom Pantheismus.<span class="pagenum"><a name="Seite_228" id="Seite_228">[S. 228]</a></span> Die letztere
-Anschauung rechnen wir zu den metaphysischen Anschauungen, während
-die erstere noch an der Religion teilhaben soll. Sie ist eine Art
-gesteigerten, vereinheitlichten und in das Göttliche übertragenen
-Animismus. Die ganze Welt ist mit Seelengottheiten erfüllt, und diese
-Gottheiten sind zu einer einzigen Welt-Seelengottheit (mitunter
-freilich auch zu zwei solchen Gottheiten) zusammengeflossen, die alles
-durchdringt und erfüllt und außer der Welt keine Bedeutung hat. Ansätze
-dazu finden sich vielfach. Wir besprechen aber nur die hinreichend
-deutlich hervortretenden Anschauungen. Daß einzelne Gottheiten Teile
-der Welt sind, würde schon aus Naturmenschlichem folgen. Zeus soll
-ursprünglich der Himmel selbst sein, Hera die Luft, Ge die Erde usf.,
-Gottheiten und Gegenstände zugleich (<a href="#Seite_127">S. 127</a> f.). Hades, Orcus waren
-immer sowohl Gott als Unterwelt, ebenso war Hel Göttin und Totenwelt.
-Von der <span class="gesperrt">ägyptischen</span> Himmelsgöttin Nut wird gesagt, sie sei
-Lichtwohnung der Sonnenscheibe, Halle des Mondes, die Sterne träten
-aus ihren Lenden hervor und gingen in ihren Mund hinein, sie spanne
-und wölbe sich über der Erde: alles völlig materiell. Ich verweise
-auch auf das Bild <a href="#Seite_181">S. 181</a>, wo die Göttin als durchstirnte Frau im
-Doppelwinkel gebogen erscheint, die Füße im Osten, die Hände im Westen
-auf die Erde gestützt, den Rumpf in der Höhe gestreckt. Gleiches gilt
-auch von dem Luftgott (Shu), dem Erdgott (Qeb), sie sind mit ihr auf
-demselben Bilde zu Personen vereinigt. Aber bei den Ägyptern soll
-sich der Pandeismus auch vollständiger ausgedrückt finden. Heinrich
-Brugsch bringt dafür Belege. Er sagt: „Gott und das Weltall erscheinen
-verbunden wie die Seele mit dem Körper. Gott ist ein Geist, der in
-seinem kosmischen Hause wohnt, das er sich selbst gebaut hat“. Der
-Name für Gott soll ägyptisch Nutr, Nuta, Nuti lauten, und dasselbe
-besagen wie physis-natura, „die stets fortwirkende Tätigkeit des
-Erzeugens und Hervorbringens“, zugleich auch das in dem Erzeugten
-Enthaltene einbegreifend, also das Erzeugte und das es Erzeugende. Von
-Gott (ob Amun, Rā, Osiris, Chnum usf.) wird nun in Inschriften außer
-vielem, das ihn als den „Einen“, den „Ur<span class="pagenum"><a name="Seite_229" id="Seite_229">[S. 229]</a></span>geist“, den „Uranfänglichen“
-(auch „Anfangslosen“?), den „Ewigen“, den „Schöpfer“, die „Wahrheit“,
-das „Leben“, den „Urvater“, die „Urmutter“, den „Barmherzigen“ usf.
-bezeichnet, auch ausgesagt: „er ist der Schöpfer seiner Gestalt und der
-Bildner seines Leibes“, „das Bleibende, das sich mehrt, ohne vernichtet
-zu werden“, „der Eine, der sich millionenfach vervielfältigt“, „der
-Himmel birgt seinen Geist, die Erde seine Gestalt und die Tiefe
-verschließt sein Geheimnis“, „bleibend ist er, das Bleibende in allen
-Dingen“, „das Bleibende aller Dinge (Menchet)“ usf. Diese und ähnliche
-Angaben zeigen allerdings, daß die Ägypter auch einer pandeistischen
-Anschauung sich genähert haben. Da aber Gott und die Gottheiten in
-anderen unzähligen Angaben zweifellos nicht selbst die Welt sind,
-sondern sie und ihre Teile errichten und beherrschen, handelt es sich
-mehr um besondere, nicht einmal genau ausgeführte Ansichten, als um
-allgemein anerkannte.</p>
-
-<p>Entschiedener tritt Pandeismus bei den <span class="gesperrt">Indiern</span> hervor. So ist
-in der Schöpfungsgeschichte, die von Brahmanaspati und Aditi ausgeht,
-Varuna die ganze Welt. Die Erde, der Himmel, die Ozeane sind Varuna;
-Sonne und Mond leuchten als seine Augen, der Himmel ist sein Leib,
-seine drei Zungen sind Himmels-, Luft- und Erdenraum, er geht in seinen
-eigenen Körper ein usf. Seine Gottheit tut er als Schöpfer seines
-eigenen Leibes dar. In der Bhagavad-Gîtâ sagt Krischna-Wischnu dem
-Ardschuna von sich: er sei aller Dinge Ursprung und Untergang, die
-Kraft in allen Dingen und die Erscheinungen, Duft im Wein, Glanz in
-Sonne, Mond und Gestirnen, Laut im Wort, sogar jeder Buchstabe, jedes
-Lied, Gebirg Himalaja, Feigenbaum, Roß, Mensch, Schlange (überhaupt
-jedes Tier), jede Jahreszeit. Wie er sich nachher Ardschuna als
-Gottheit zeigt, da sieht dieser, außer unendlichem Strahlenglanz, „das
-Weltall in ihm vereint:“</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Alle Wesen, alle Götter, seh’ an deinem Leib ich hangen,</div>
- <div class="verse">Brahma auf dem Lotussitz, samt den Sehern und den Schlangen,</div>
- <div class="verse">Viel Gesichter, Arme, Leiber, viele Augen, du Gewaltiger;</div>
- <div class="verse">Aber weder Ziel noch Anfang seh ich an dir, Vielgestaltiger...</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_230" id="Seite_230">[S. 230]</a></span></p>
-
-<p class="p0">Dann wird geschildert, wie alles auch seinen Untergang in
-Krischna-Wischnu findet; sein Mund nimmt die Menschenscharen auf, in
-ihn strömen sie hinein wie die Flüsse in das Meer. Gleichwohl ist
-nicht zu verkennen, daß auch hier die Verschmelzung zwischen Gott und
-Welt keine absolute ist. Das Geistige, das Leben wird bei weitem mehr
-betont als das Materielle, und oft wird von Gott wie außer und über
-der Welt gesprochen. In anderen Fällen heißt es, in einem Upanischad,
-vom Purusha als Weltprinzip: aus ihm sei alles entstanden und in
-ihn kehre alles zurück, „aus ihm wird der Atem (Geist) geboren, das
-Denkorgan und alle Sinnesorgane, Äther, Luft, Licht, Wasser, und
-die Erde, die Trägerin von allem“. Auch hier jedoch findet sich ein
-Zwiespalt, denn aus Purusha (Person) wird auch, nachdem er geopfert
-ist, von den Göttern die Welt der Gegenstände und Erscheinungen
-gebildet, wie bei den Germanen aus dem Riesen Ymir. Mehr in das Gebiet
-des Metaphysischen, also mehr zum Pantheismus, gehört, was vom Brahman
-gelehrt wird. Es ist ganz unpersönlich, ein Es, das Selbst der ganzen
-Welt, wozu auch das einzelne Ding, der einzelne Mensch zählt.</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Was Eins ist, die Dichter nennen es mit vielen Namen;</div>
- <div class="verse">Sie nennen’s Agni, Yama, Mâtarisvan.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">sagt ein Rigvedalied (164 des ersten Buches) von diesem Bráhman. Als
-Brahmán wird es persönlich und dann kommen, wie in den anderen Fällen,
-die Zweifel, indem die Welt auch als von ihm geschieden angesehen
-werden kann. Im Atharvaveda wird gefragt: Von wem wurde diese Erde
-geordnet? Von wem der obere Himmel geschaffen? usf. Die Antwort
-lautet von Brahmán. Wenn das nicht alles aus sich heraus geschehen
-ist, wäre Brahmán außerhalb der Welt. Sätze wie in einem Upanishad:
-„Brahmán schwillt durch Hitze, daraus entsteht Nahrung (Stoff), aus
-Nahrung Atem, Geist u. a.“ sprechen für die erstere Auffassung. Ganz
-metaphysisch schon wird Prana (Geist, Atem, Seele, ψυχή) als Welt
-bezeichnet.</p>
-
-<p>Unter den <span class="gesperrt">Griechen</span> finden sich ähnliche Aussprüche erst bei
-den Philosophen (und Orphikern). Auch diese Aussprüche sind insoweit
-zweiseitig, als sie wie für Brahmán<span class="pagenum"><a name="Seite_231" id="Seite_231">[S. 231]</a></span> und Bráhman theologische und
-metaphysische Bedeutung haben. Pandeistisch ist, wenn der Eleate
-<span class="gesperrt">Xenophanes</span> (aus Kolophon um 580&ndash;492 v. Chr.) von Gott gesagt
-haben soll: „Er ist ganz und gar Geist und Gedanke und ewig“, „er
-sieht ganz und gar, er denkt ganz und gar, er hört ganz und gar (οὖλος
-δ’ορᾶ, οὖλος δέ νοεῖ, οὖλος δέ τ’ἀκούει)“. „Das Eine und Weltganze
-(ἒν καὶ πᾶν) fällt mit ihm zusammen“. „Gott ist mit allen Dingen
-mitgeboren.“ Der Agrigentiner <span class="gesperrt">Empedokles</span> (482&ndash;422 v. Chr.), den
-man auch zu den Eleaten zählt, faßte die Welt in ihrem ursprünglichen
-Zustand als eine in sich harmonisch geeinte Kugel auf, und nannte sie
-persönlich: „der Sphairos“.</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Also steht er fest, im starken Busen des Einklangs,</div>
- <div class="verse">Sphairos, rund und ganz vergnüglicher Ruhe sich freuend.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Sphairos ist darum von manchen als der empedokleische Gott bezeichnet
-worden. Und das gehörte dem Pandeismus an; wenn nicht Aristoteles recht
-hat, wonach die Gottheit später entstanden sei als die Kräfte, die den
-Sphairos sich in die wirkliche Welt umwandeln ließen (Zwietracht und
-Streit). Bekannt ist, daß auch die <span class="gesperrt">ionischen Naturphilosophen</span>
-von einem mehr oder weniger belebten Urwesen ausgingen. Da aber dieses
-Urwesen wohl als Seele aufgefaßt werden muß, sprechen wir davon im
-nächsten Abschnitt.</p>
-
-<p>Die griechische Naturphilosophie ist durch die metaphysische
-Spekulation, die Sophistik und die praktische Philosophie aufgehalten
-und unterbrochen worden. Die Götter rückten in weite Ferne oder
-wurden ganz wegdisputiert. Indem jedoch die Volksreligion sich
-ungeschwächt erhielt und eher, aus dem Orient und Ägypten, neue
-Elemente aufnahm als solche verlor, mußte auch die Philosophie zurück
-in das Handgreiflich-religiöse gehen, um dieses so weit als möglich zu
-heben und zu veredeln und dem Gedankenwege anzupassen. Namentlich in
-der späteren Zeit, als durch die Römer ein unabwendbares Verhängnis
-über die Mittelmeerwelt hereinbrach und die Gemüter bedrückte, macht
-sich dieses Zurückgehen auf die Religion bemerkbar, und wir finden
-vollständig ausgebildete pandeistische Lehren, die mit Emanis<span class="pagenum"><a name="Seite_232" id="Seite_232">[S. 232]</a></span>mus und
-Theosophie zuletzt in das Mystische übergreifen und ihren Einfluß bis
-in die Neuzeit hinein fühlbar machen. Noch von heidnischen Gottheiten
-ausgehend, wachsen sie durch das Judentum allmählich in das Christentum
-hinein, ohne dabei ihren hellenistisch-kosmopolitischen Charakter ganz
-zu verlieren. Wie aber die Kenntnisse mehr und mehr schwinden und mit
-ihnen die realen Verknüpfungen der Tatsachen, schweifen die Lehren
-mit Vorliebe ins Uferlose und Phantastische und werden Gegenstand
-mehr der Sentimentalität und des Aberglaubens als der Überlegung und
-des Glaubens. Gleichwohl sind diese Lehren von hohem Interesse, zum
-Teil von dichterischer Gewalt, und für sehr viele ein froher Ersatz
-für das nur so wenigen gegebene und die meisten so abstoßende kühle
-Philosophieren, das schließlich auch noch nichts Entscheidendes geboten
-hatte, weder aus Erfahrung noch aus Denken, und das im Grunde zuletzt
-jeden auf sich selbst verweist, indem es ihm freilich die Mittel zu
-geordnetem Lernen und Schließen an die Hand gibt.</p>
-
-<p>Wir nehmen zuerst die Schule der <span class="gesperrt">Stoiker</span>. Zeus ist der Geist
-(νοῦς) der Welt und in der Welt, er ist das Keimende in der Welt
-(λόγος σπερματικός). Er wird sogar materiell vorgestellt, als feiner
-feuriger Dunst und als bildendes Feuer (πῦρ τεχνικὸν), jedoch auch als
-Hauch (πνεῦμα). Welches Etwas er auch sei, so führt er dieses doch
-selbst in jede andere Materie, Luft, Wasser, Erde usf. über. Sein
-besonderer Wohnsitz ist der Umkreis der Welt oder die Sonne, aber
-von da breitet er sich durch die ganze Welt in ihren verschiedenen
-Erscheinungen aus. Wie Zeus die Welt aus seiner Substanz bildet, so
-nimmt er sie auch wieder in sich auf, wandelt sie also wieder in
-feurigen Dunst durch einen Weltbrand, um sie später aus sich neu
-niederzuschlagen. Die Seelen sind Teile des göttlichen feurigen
-Dunstes, gewissermaßen mehr oder weniger bedeutende Konzentrationen
-dieses Dunstes in den Lebewesen. Jede Seele hat, wie die Gottheit
-im All, so in dem betreffenden Leibe einen Sitz, im Herzen, wo
-sie sich von dem Blute nährt; von da breitet sie sich, wie die
-Gottheit durch das All, so durch den Körper aus, namentlich in<span class="pagenum"><a name="Seite_233" id="Seite_233">[S. 233]</a></span> den
-Sinnes-, Sprach- und Zeugungsorganen. Dieser Pandeismus, der von
-<span class="gesperrt">Chrysippos</span> (aus Soloi 280&ndash;208 v. Chr.) herrühren soll, ist schon
-eine Verbindung mit dem Emanismus; Gott ist die Welt, insofern als
-diese aus seiner Substanz durch Verdichtung und Abkühlung entstanden
-ist und entsteht, und er sich strahlengleich mit seiner Substanz
-durch sie noch verbreitet. Daß Gott als feurig gedacht wird (jedoch
-auch als Atem oder Äther) ist dem Menschen entnommen, dessen Wärme
-sein Lebensprinzip bedeutet; eine Idee, die sich schon bei den ersten
-griechischen Philosophen und namentlich bei Heraklit findet. Der
-stoische Pandeismus ist namentlich darin ein erklärter Emanismus, daß
-auch die Götter sich nur als Äußerungen und Ausflüsse des Welt-Gott
-(Zeus) darstellen wie die Seelen. Und damit kam er der Volksreligion
-durchaus entgegen, die ja von einer Theogonie ausging. Da die Gottheit
-die ganze Welt durchstrahlt und ihrerseits ein Materielles ist, so
-war es ganz folgerichtig von den Stoikern, wenn sie auch den leblos
-scheinenden Körpern vom göttlichen Odem mitteilten; sie betrachteten
-die Eigenschaften der Körper als materiell und hauchartig. Sie gingen
-noch weiter und erklärten alle Eindrücke auf uns als materiell.
-Und so konnten ihnen selbst Tugend, Gedanken, Stimmungen, ja auch
-Zeitabschnitte wie Jahr, Tag, Jahreszeit usf. in gleicher Weise
-erscheinen, göttlich-materiell. Das geht über alles hinaus, was selbst
-naturmenschlicher Animismus phantasiert hat. Wenn weiter die Stoiker
-dem konsequenten Sensualismus huldigten, daß alles Wissen, im weitesten
-Sinne des Wortes, nur aus sinnlichen Eindrücken stammt, die Seele bei
-ihrem Eintritt in den Körper tabula rasa ist, so hat auch dieses in
-der Annahme des gleichen Göttlich-Materiellen für die Eigenschaften
-der Körperwelt und für die Seele seinen Grund; Materielles wirkt eben
-auf Materielles. Darin begegnen sie sich mit den älteren Atomisten und
-Mechanisten, die ja die Seele gleichfalls als materiell auffaßten.
-Nur das Leere sahen die Stoiker als nichtmateriell an, ferner den
-Raum als solchen (also auch den Ort als solchen), die Zeit als solche
-und den formalen potentiellen Schluß. Von Gott hatten sie trotz<span class="pagenum"><a name="Seite_234" id="Seite_234">[S. 234]</a></span> der
-angenommenen Materialität einen sehr hohen Begriff. „Er ist die ewige
-Vernunft, welche die ganze Welt regiert und alle Materie durchdringt;
-er ist die gütige Vorsehung, welche das Ganze sowohl wie das Einzelne
-besorgt; er ist weise und Grund des natürlichen Gesetzes, welches das
-Gute befiehlt und das Böse verbietet; er bestraft auch das Böse und
-belohnt das Gute; er ist vollkommen und eines glückseligen Bewußtseins.
-Seiner Naturseite nach ist er die bewegende Kraft der Materie, die
-allgemeine Natur, ohne welche auch nicht das Geringste geschieht, er
-ist das Verhängnis (εἱμαρμένη), welches alles nach notwendigen Gesetzen
-des Zusammenhanges zwingt, und die Notwendigkeit aller Dinge.“ Die
-Heimarmene findet sich gleichfalls bei Herakleitos und ist überhaupt
-ein höchst beliebter Begriff. Aus den letzteren Eigenschaften Gottes
-folgt der für die Stoiker so charakteristische <span class="gesperrt">Fatalismus</span>. „Er
-(Gott) ist die belebende Seele der Welt, welche einen natürlichen Trieb
-hat, aus sich wie aus einem Samen alles hervorwachsen zu lassen.“ So
-stellt sich die stoische Anschauung als ein monistischer-deistischer
-Materialismus und Mechanismus dar. Es ist bekannt, von welch
-außerordentlicher Bedeutung der Stoizismus für die spätere Griechen-
-und namentlich für die Römerwelt gewesen ist; seine Ethik und Dialektik
-haben die besten Menschen und größten Staatsmänner beherrscht, trotz
-des <span class="gesperrt">Indifferentismus</span>, den er aus dem Fatalismus heraus lehrte.</p>
-
-<p>Die späteren Schüler der <span class="gesperrt">platonisierenden Pythagoreer</span> und
-der <span class="gesperrt">pythagorisierenden Platoniker</span> schlossen sich zum Teil
-diesem Pandeismus an. Doch gehören deren Anschauungen in eine andere
-Darlegung (<a href="#Seite_255">S. 255</a> ff.). Hier will ich allgemeiner noch hervorheben,
-daß die Griechen, wenigstens in hellenistischer Zeit, auch einem
-<span class="gesperrt">Pantheos</span> (<span class="gesperrt">Allgott</span>) Altäre errichtet haben. Ob dieser
-Pantheos mit der Welt identifiziert wurde, kann ich nicht sagen; er
-ist als eine aber persönliche Einheit aufgefaßt worden, nicht etwa als
-eine Kollektivgottheit, wie aus Inschriften aus Epidauros und Pergamon
-hervorgeht.</p>
-
-<p>Pandeistische Andeutungen finden sich selbstverständlich<span class="pagenum"><a name="Seite_235" id="Seite_235">[S. 235]</a></span> auch bei
-vielen anderen Völkern. So könnte man den Taoismus der <span class="gesperrt">Chinesen</span>,
-in der ihm von Lao-tsse gegebenen Form, hierher rechnen, wenn er nicht
-auch dem Naturalismus zuzuzählen wäre, da bei ihm mehr die Natur als
-die Gottheit in den Vordergrund gestellt wird. Die Erwähnung an dieser
-Stelle muß genügen, zumal mit solchen Sätzen wie: „aus Tao ist alles
-hervorgegangen, in Tao kehrt alles zurück“ nicht viel für unsere Frage
-anzufangen ist. Von den <span class="gesperrt">Japanern</span> soll einer ihrer bedeutendsten
-Philosophen, Yamazaki-Ansai, um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts,
-entwickelt haben: „Gott ist das Wesen aller Dinge und durchdringt
-den Himmel und die Erde.“ Das klingt pandeistisch, kann jedoch auch
-metaphorisch gemeint sein, wie wir ja ähnliche Aussprüche von Gott tun.</p>
-
-<p>Die weiteren Betrachtungen über pandeistische Anschauung schließen sich
-an die in den nächsten Abschnitten zu besprechenden Lehren an.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>26. <span class="gesperrt">Panpsychistische Anschauungen; Hylopsychismus,
-Hylozoismus</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Von diesen Anschauungen sind die als omnanimistisch bezeichneten
-bereits geschildert. Die der Theosophie angehörenden finden später
-ihre Erledigung. Was übrig bleibt folgt wie von selbst dem Pandeismus,
-und ist im Grunde nur durch Seele und Gott verschieden. Eine
-<span class="gesperrt">All-Weltseele</span> wird statt eines All-Weltgottes angenommen. Die
-Seele steht uns näher als Gott, wir glauben sie besser zu kennen, da
-wir sie uns selbst ja zuschreiben. Es hat darum scheinbar weniger
-Schwierigkeit, sie mit der materiellen Welt verbunden zu denken als
-Gott. Alle Einzelseelen sind dann nur Teile der Weltseele. Und wie im
-Pandeismus von Gott den Dingen nur nach Maßgabe ihrer Stellung in der
-Welt zukommt, so auch von der Seele. Da in unserer Seele Gutes und
-Böses, Edles und Niedriges verbunden ist, entfällt bei Annahme einer
-Allseele auch die Unbequemlichkeit eines Grundes für das Üble in der
-Welt, den wir nicht gerne in Gott suchen, und nicht gerne für einen
-zweiten Gott<span class="pagenum"><a name="Seite_236" id="Seite_236">[S. 236]</a></span> ausgeben. So gewinnen wir einen, wie man ihn auch nennt,
-<span class="gesperrt">Hylopsychismus</span> (ὕλη, Materie) oder <span class="gesperrt">Hylozoismus</span>, der dem
-Pandeismus nur so weit entspricht, als dieser reiner <span class="gesperrt">Hylodeismus</span>
-ist und Gott außerhalb der Materie nicht weiter gesucht wird. <span class="gesperrt">Thales
-von Milet</span> (phönizischer Abkunft, wahrscheinlich 624&ndash;546 v. Chr.)
-scheint einen solchen Hylozoismus angenommen zu haben. Da er nach
-Aristoteles gemeint haben soll, alle Dinge seien von Göttern voll
-(πάντα πλήρη θεῶν εἶναι), so ist es freilich schwer, zu entscheiden,
-ob seine Anschauung in einem höheren Sinne, als von der Annahme einer
-Weltseele beherrscht, zu verstehen ist, oder lediglich in dem Sinne
-des Naturmenschen. Man möchte fast das letztere glauben, da als
-Beispiel der Magnetstein angeführt wird, der Eisen anzieht. Zeller
-ist dieser Ansicht. Das Feuchte galt dem Thales als Seele, und darum
-das Wasser als Urstoff, aus dem alles andere sich durch Erstarren
-und Sichverflüchtigen bildete. Hiernach sollte in allem das Feuchte
-noch bestehen, in größerem oder geringerem Grade. Daß die Seele im
-Blut gesucht wurde und im feuchten Atem, wissen wir bereits. Es macht
-keinen großen Unterschied, wenn <span class="gesperrt">Anaximenes</span> (wahrscheinlich
-585&ndash;528 v. Chr.) statt des Feuchten das Luftartige als Seele, die
-Luft als Urmaterie annahm. „Wie Luft (Atem) unsere Seele ist und uns
-zusammenhält, so umfaßt auch die ganze Welt der wehende Hauch (πνεῦμα)
-und die Luft.“ Thales sah in der Seele, wie aus dem Beispiel des
-Magnets zu erkennen, ein Bewegendes, Anaximenes erkennt in ihr ein
-sich selbst Bewegendes. Im übrigen herrscht Übereinstimmung. Feinste
-Luft (durch Wärme ausgedehnteste) ist das Feuer, also am meisten
-seelisch; dichteste (durch Kälte verdichtetste) ist die Erde, also am
-wenigsten seelisch. Die Gestirne sind (von der Luft) zusammengedrücktes
-Feuer, also jedenfalls hochbeseelt und doch erdenähnlich. Der gleichen
-Anschauung huldigte <span class="gesperrt">Diogenes von Apollonia</span> (von 430 v. Chr.);
-er sprach sie noch schärfer aus, indem er im Luftartigen geradezu ein
-„ungewordenes, unbegrenztes, vernünftiges Wesen, das alles beherrscht
-und ordnet“, behauptete. „Denn gerade dieser Stoff (Luft), dünkt mich,
-ist Gott, ist<span class="pagenum"><a name="Seite_237" id="Seite_237">[S. 237]</a></span> allgegenwärtig, alles verwaltend und in allem vorhanden.
-Und es gibt auch nicht das Geringste, das nicht an seinem Wesen
-teilhätte.“ Dieser Stoff ist „ewig und unsterblich“, er ist „Seele
-und Geisteskraft“. „Bloße Umwandlungen der Luft sind alle Dinge.“
-Hier schwindet eigentlich die Materie und ist die Welt nur Seele in
-verschiedener Darstellung, Manifestation. Schwierig ist es, die Rolle
-der Wärme und Kälte (sie finden sich auch bei den Scholastikern als
-Prinzipe) zu verstehen, die Diogenes wie auch seine Vorgänger zur
-Bildung der Welt aus der Seelen-Urmaterie heranziehen. Man weiß nicht
-recht, was sie neben der Seele noch sollen. Vielleicht, daß diese die
-Wärme und Kälte aus sich selbst heraus entwickelt und so der eigene
-Grund ihrer Verwandlungen mit der Urmaterie ist. Aber es wird auch von
-äußerer Wärme gesprochen, der Sonnenwärme, welche Pflanzen, Tiere und
-Menschen aus dem Urerdschlamm hervorgelockt haben soll.</p>
-
-<p>Daß der zwischen Thales und Anaximenes lebende Landsmann dieser beiden,
-<span class="gesperrt">Anaximandros</span>, eine Weltseele angenommen hat, ist wohl nicht
-sicher, aber wahrscheinlich. Er spricht von dem Ersten (ἀρχή) als von
-einem Unbegrenzten (ἄπειρον), Unbestimmten, aus dem alles hervorgeht
-und in das alles zurückkehrt nach der Ordnung der Zeit. Dieses Erste
-ist ewig und ständig in innerer Bewegung, also wohl beseelt, zu denken.
-Durch die Bewegung (also das Leben) treten Scheidungen und Bindungen
-des im Ersten Enthaltenen ein, die so unsere Welt darstellen; wie
-Warmes und Kaltes sich abtrennen und in ihrer Vereinigung das Feuchte
-bilden, wie dann aus diesem durch die weiteren Bewegungen Erde, Luft
-und Feuer sich sondern, letzteres sich zur Höhe begibt und sich in
-einem Feuerkreis um die Luft sammelt, diese in Gewittern durchbrechend.
-Mit den Scheidungen und Bindungen finden zugleich Lösungen und
-Durchmischungen statt. Und so gibt die Bewegung im Ersten eine ständig
-sich entwickelnde Welt und periodisch sich wiederholende Welten. Diese
-letztere Anschauung ist viel bewundert und von vielen aufgenommen und
-weiter entwickelt worden. Die Bewegung als Prinzip hielt auch der<span class="pagenum"><a name="Seite_238" id="Seite_238">[S. 238]</a></span>
-Ephesier <span class="gesperrt">Herakleitos</span> (um 504 v. Chr.) fest, und er präzisierte
-sie sogar in dem berühmten Ausspruch πάντα ρεῖ, „Alles ist in Fluß“.
-Nirgend ist auch nur für Augenblicke Stillstand. „Man kann nicht
-zweimal in denselben Fluß steigen und nicht zweimal eine Substanz
-berühren.“ Allein das Seelische sah er nicht in dieser Bewegung selbst,
-sondern in einem Feurigen; „diese Welt (κόσμος), die Eine für alle
-Wesen, hat weder der Götter noch der Menschen einer gemacht, sondern
-sie war immer und ist und wird sein ein ewig lebendes Feuer, sich
-entzündend nach Maß und erlöschend nach Maß“. Das Feuer wird auch als
-Hauch (ψυχή) bezeichnet, aus dem uns schon bekannten Grunde. Die Welt
-ist aber stetige Umwandlungen von Feuer. Und diese nie stillstehenden
-noch beharrenden Umwandlungen des eigentlich Seelischen geschehen wie
-ein „Krieg, der ein Recht, Vater und König aller Dinge ist“. „Krieg
-ist aller Dinge Vater, aller Dinge König. Und die Einen macht er zu
-Göttern, die Anderen zu Menschen, die Einen zu Sklaven, die Anderen zu
-Freien.“ So bildet das Psychisch-Wesentliche in Heraklits Lehre die
-rastlose Tätigkeit der Seele auch im Kleinsten der Welt, wodurch alles,
-wie es entsteht, sofort vergeht, so daß alles ist und auch nicht ist.
-Der Begriff des Lebens ist der absoluter Veränderung. Nach solcher
-steckt im Seelen-Feuer ein stetes, unstillbares Verlangen. Und wie die
-Veränderungen nach der einen Richtung gehen, geschehen sie auch nach
-der entgegengesetzten: „Des Feuers Verwandlungen sind zuerst Meer, des
-Meeres zur Hälfte Erde, zur Hälfte Feuer.“ „Für die Seelen ist es Tod:
-zu Wasser werden, für das Wasser Tod: zu Erde werden. Aus Erde wird
-Wasser, aus Wasser Seele.“ „Verbindungen sind: Ganzes und Nichtganzes,
-Eintracht und Zwietracht, Einklang und Mißklang, und aus Allem
-Eins und aus Einem Alles.“ „Der Gott ist Tag-Nacht, Winter-Sommer,
-Krieg-Frieden, Überfluß-Hunger.“ „Gut und Schlecht ist eins.“ Ganz rein
-psychisch scheint die Anschauung Heraklits nicht gewesen zu sein. Daß
-noch eine „verborgene Harmonie“ angenommen wird, die die<span class="pagenum"><a name="Seite_239" id="Seite_239">[S. 239]</a></span> Gegensätze
-immer ausgleicht, kann eine Eigenheit der Weltseele bedeuten, wie ja
-auch die Menschenseele sich in sich immer ausgleicht, daß trotz der
-vielen und stetig wechselnden Tätigkeiten die Einheit gewahrt bleibt.
-Allein es wird auch von göttlichen Gesetzen, von Weisheit, Vernunft,
-ja von Verhängnis &mdash; die Heimarmene &mdash;, von Zeus als dem Regenten
-über alles gesprochen, insgesamt von Prinzipien, „daß das Urwesen
-nach festen Gesetzen sich in alle Dinge umsetze und aus ihnen wieder
-zurücknehme“. „Denn die Sonne wird ihre Maße nicht überschreiten,
-ansonst werden sie die Erinnyen, der Dike (als Weltordnung) Schergen
-ausfindig machen.“ Davon handeln wir später. Ebenso von den hohen
-Anschauungen des Anaxagoras und anderer, da sie über das rein
-Psychische bereits hinausragen.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<h3 class="nobreak" id="VIERTES_KAPITEL"><span class="s5">VIERTES KAPITEL.</span><br />
-
-Pythagoras, Anaxagoras, Sokrates, Platon, Aristoteles.</h3>
-
-</div>
-
-<h4>27. <span class="gesperrt">Anschauungen aus Gesetz, Harmonie,
-Weltvernunft, Ideen und Formen</span>.</h4>
-
-<p>Der Leser wird mir in den späteren Auseinandersetzungen leichter folgen
-können, wenn ich, die bisherige Systematik scheinbar, jedoch nur
-scheinbar, unterbrechend, zuvor von den Anschauungen spreche, die sich
-an die Namen in der Kapitelüberschrift knüpfen.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Pythagoras</span>, aus Samos (etwa 571&ndash;497 v. Chr.), gehört zu
-den geheimnisvollen Gestalten des Griechentums; und so rätselvoll
-wie er sich darstellt, sind auch seine und seiner Schüler, der
-<span class="gesperrt">Pythagoreer</span>, Lehren, mit denen sich schon die Alten abgemüht
-haben, und die wir fortwährend wieder aufgenommen finden. Das
-Wesentlichste aus diesen Lehren verdanken wir hier, wie in so vielen
-anderen Gebieten, den Mitteilungen des Aristoteles. Originales scheint
-von <span class="gesperrt">Philolaos</span> (<a href="#Seite_242">S. 242</a>) überliefert zu sein. Alle Dinge in der
-Natur bestehen<span class="pagenum"><a name="Seite_240" id="Seite_240">[S. 240]</a></span> aus Begrenzendem und Nichtbegrenztem, „wie denn auch
-die ganze Weltordnung (κόσμος) und alles in ihr aus diesen beiden
-besteht“. Das Begrenzende wird als Punkt oder Punkte aufgefaßt; und
-sofern jeder Punkt eine Einheit bildet, heißt es das Eins und, weiter
-gedehnt, die Zahl. Diese sei das Wesen aller Dinge. „Und in der Tat
-hat ja alles, was man erkennen kann, eine Zahl. Denn ohne sie läßt
-sich nichts erfassen oder erkennen.“ Das Nichtbegrenzte ist, was
-zwischen den begrenzenden Einheiten sich befindet, wie beim Klang das
-Intervall, bei den Körpern die Leere zwischen den einzelnen Punkten.
-Und so bestehe alles aus den Gegensätzen des Begrenzenden und des
-Nichtbegrenzten, das die Pythagoreer auch durch Grade und Ungrade
-arithmetisch symbolisierten. Entstanden nun sei die Welt an sich
-nicht, sondern nur nach der menschlichen Denkweise. Von je sei das
-<span class="gesperrt">Ureins</span>, das Ungrade, gewesen und das <span class="gesperrt">Leere</span>. Indem dieses
-Ureins das Leere an sich und in sich sog, zerging es in eine Vielheit
-von Einsen, die durch das Leere getrennt wurden. Und so seien die Dinge
-der Welt gegeben. Das Ureins war also eigentlich eine lückenlos zur
-Einheit zusammengezogene Vielheit. Da die Punkte mathematisch angesehen
-wurden, so konnte diese Urvielheit auch als Urpunkt bezeichnet werden,
-denn sich berührende Punkte, selbst in unendlicher Zahl, geben immer
-nur einen Punkt. Die Dinge entstehen erst durch das Zwischentreten
-des Nichtbegrenzten, der Leere, des Intervalls. Daher wird das Ureins
-„als Grund aller Dinge, als Gott gepriesen, welcher alles lenke und
-führe, ein einiger und ewiger, bleibend und unbewegt, sich selbst
-gleich und verschieden von allen anderen Dingen“. Denn alle anderen
-Dinge enthalten ja noch ein anderes, das Leere. Und die Weltentstehung
-und Weltentwicklung beruht auf einem An- und Einatmen des Leeren durch
-das Ureins, auf einem Lebensprozeß. „Das Eins (τὸ ἕν auch ἥ μονάς)
-ist aller Dinge Anfang.“ So ist die Welt dualistisch erwachsen und
-dualistisch gedacht; das absolut vollkommene Ureins ist ihr einer Teil,
-das völlig negierende Leere der andere Teil. Darum die Unvollkommenheit
-der<span class="pagenum"><a name="Seite_241" id="Seite_241">[S. 241]</a></span> Welt. Die Verschiedenheit der Dinge folgt aus der Verschiedenheit
-der Menge des Leeren, die sie enthalten, wie die Verschiedenheit der
-Klänge aus der Verschiedenheit der Intervalle zwischen den Tönen.</p>
-
-<p>Um auch die Ordnung der Welt zu erklären, gingen die Pythagoreer von
-dem Prinzip aus, daß schon das Eins die Verbindung der Gegensätze
-enthalte, denn zu Gradem addiert gibt es Ungrades, zu Ungradem Grades;
-es vereinige in sich das Wesen des Graden und des ihm entgegengesetzten
-Ungraden. In dieser Vereinigung liege die Grundharmonie. Und so seien
-die Zahlen nicht bloß das Wesen der Dinge, sondern auch das Wesen
-ihrer Zusammenstimmung, die <span class="gesperrt">Harmonie</span>. Das Leere aber bedinge
-die Gegenstimmung, die Disharmonie. Zwei Töne für sich wären stets
-harmonisch; nach Maß der Leere zwischen ihnen, ihres Intervalls,
-können sie harmonisch bleiben wie in der Oktave, Quinte usf., oder
-disharmonischen Klang geben, wie in der Sekunde, Septime usf. Im ganzen
-wäre aber die Welt nach bestimmten Zahlenverhältnissen geordnet. „Denn
-nichts von den Dingen wäre irgendwem klar, weder in ihrem Verhältnis
-zu sich noch zu anderen, wenn die Zahl nicht wäre und ihr Wesen.“ So
-richtig der letztere Gedanke an sich ist, so übertrieben verfolgten
-ihn die Vertreter dieser Lehre, die schließlich alles in der Welt
-durch Zahlen ausdrücken zu können glaubten, selbst Begriffe und
-konkrete Gegenstände. In letzterer Hinsicht ist bekannt, wie sie durch
-Zahlenverhältnisse die fünf regelmäßigen Körper: Kubus, Pyramide,
-Oktaeder, Ikosaeder, Dodekaeder, daraus die fünf antiken Elemente:
-Erde, Feuer, Luft, Wasser, Äther, letzteres das „Lastschiff“ der
-Weltkugel, darstellten. Und so hatten sie eine gewaltige Ehrfurcht vor
-den Zahlen, und die Vierzahl (Tetraktys), der sie eine ganz besondere
-Bedeutung beimaßen, war ihnen sogar „die Quelle der nimmer versiegenden
-Natur“.</p>
-
-<p>Das vornehmste, ursprünglichste und eigentlichste Element des Lebens
-ist das Feuer. Es befinde sich in der Mitte der Welt, strahle von
-da in die ganze Welt aus und ernähre so die ganze Welt und halte
-sie zusammen. Um dieses Zentral<span class="pagenum"><a name="Seite_242" id="Seite_242">[S. 242]</a></span><span class="gesperrt">feuer</span> (die Hestia, die Burg
-des Zeus) drehen sich die zehn Sphären, nämlich, von außen nach
-innen, der Fixsternhimmel, die fünf Planeten (Merkur, Venus, Mars,
-Jupiter, Saturn), Sonne, Mond, Erde und Gegenerde. Die Gegenerde
-(ἀντίχθων) ist eingeführt, um die heilige Zahl Zehn zu erhalten,
-die „alles vollendend, alles wirkend und Anfang und Führerin des
-göttlichen, himmlischen und menschlichen Lebens“ ist. Die leuchtenden
-Gestirne strahlten entweder das Licht der Sonne zurück oder das des
-Zentralfeuers. Letzteres gelte insbesondere von der Sonne, die einem
-spiegelnden Kristall zu vergleichen sei. Zwischen den Abständen der
-Sphären und ihrer Bewegung herrsche musikalische Harmonie; und indem
-jede Sphäre durch ihre Schwingung einen Ton erzeuge, erklänge die Welt
-in der berühmten <span class="gesperrt">Sphärenharmonie</span>, die wir nicht wahrnähmen,
-entweder weil die Töne für unsere Wahrnehmung zu hoch liegen, oder weil
-wir sie ständig in gleicher Weise hören. Über der ganzen Welt und sie
-umgebend sei wieder das Feuer. An der Unvollkommenheit der Erde liege
-es, daß wir vom Zentralfeuer nichts direkt bemerkten, sondern unter
-Vermittlung der anderen Weltkörper, welche von ihm Strahlung erhielten.
-Diese anderen Weltkörper werden dann auch für vollkommener als die Erde
-angesehen, so auch als von vollkommeneren Wesen bewohnt. Die Welt aber
-ist einheitlich, und von der Mitte aus begann sie zu entstehen.</p>
-
-<p>Kaum eine Schule ist so konsequent verfahren wie die pythagoreische und
-hat, von trockenen Zahlenbeobachtungen ausgehend (bekanntlich bei den
-Experimenten über die Tonverhältnisse), so phantasievolle Vorstellungen
-entwickelt. Ihr Weltgebäude ist kühn und schön entworfen, und seine
-Entwicklung aus Punkt und Leere ist groß erdacht. Und Pythagoras soll
-ja zuerst für die Welt die Bezeichnung Kosmos benutzt haben, was
-Schmuck, Ordnung und Schönheit bedeutet. Wie die Pythagoreer, deren
-bedeutendste <span class="gesperrt">Philolaos</span> und <span class="gesperrt">Archytas</span> (beide etwas älter
-als Platon) waren, ihre Ideen bis in die feinsten Regungen der Seele
-harmonisch verfolgten, gehört nicht hierher. Die Seele selbst scheinen
-sie für die Harmonie des Körpers gehalten zu haben. Doch<span class="pagenum"><a name="Seite_243" id="Seite_243">[S. 243]</a></span> unterschieden
-sie die animalische Seele, mit dem Sitz im Herzen, von der Vernunft,
-deren Wurzel im Gehirn liegt. „Hirn ist das Prinzip des Verstandes
-(νοῦς), Herz das des Lebens (ψυχή) und der Empfindung (αἴσθησις)“. Von
-einer dritten Seele, im Nabel, ließen sie Wachstum und Fortpflanzung
-abhängen. Von einer vierten, im Schamglied, Zeugung. Wegen der
-pythagoreischen Seelenwanderung darf ich auf Früheres verweisen (<a href="#Seite_217">S.
-217</a>).</p>
-
-<p>Wie bei den Pythagoreern die Harmonie die Welt durchdringt, so bei
-<span class="gesperrt">Anaxagoras</span> aus Klazomenai (um 500 bis 428 v. Chr.), dem Freunde
-des Perikles und der Aspasia, die <span class="gesperrt">Weltvernunft</span> (Nus, νοῦς).
-Es ist freilich nicht sicher, daß er diese Vernunft durch die ganze
-Materie verbreitet sich gedacht hat. Indessen wirkt sie unmittelbar auf
-die Materie ein. Diese ist ursprünglich, wie bei Anaximandros, eine
-regellose Mischung aller möglichen Dinge. Die Weltvernunft aber bringt
-in dieser Mischung eine Wirbelbewegung hervor, die sich weiter und
-weiter ausbreitet, indem sie sich zugleich erhält. Durch die Bewegung
-aber wird Verwandtes zusammengeführt, Verschiedenes getrennt; so
-entstehen die Dinge. Verbindung und Scheidung ist niemals vollständig,
-sondern nur mehr oder weniger vollständig, so daß jedes Ding von allen
-Dingen an sich etwas enthält; nur von gewissen mehr, von anderen
-weniger, wodurch seine Art bestimmt ist. Z. B. besitze der weiße Schnee
-auch ein Dunkles, denn er löse sich im dunklen Wasser dunkel auf. Die
-Gesamtheit aber kann sich weder vermindern noch vermehren, sondern
-alles bleibt stets gleich. Ein ganz modernes Prinzip! „Der Geist ist
-unendlich und nach eigener Wahl herrschend, und vermischt ist er mit
-keinem Dinge (wiewohl in einigen Dingen enthalten), sondern allein
-selbst ist er für sich“, sagt der Philosoph. Der Geist ist nicht nur
-Ursache des Beginnes der Weltbildung, sondern auch der Entwicklung
-der Welt, ihrer Ordnung, er ist der „Wächter“ der Welt, „er bewege
-und ordne nicht nur das Vergangene, sondern auch das Gegenwärtige
-und Zukünftige“. Schöpfer ist er nicht, die Materie besteht neben
-ihm von je, nicht einmal<span class="pagenum"><a name="Seite_244" id="Seite_244">[S. 244]</a></span> ihre Bestandteile vermag er zu ändern. Ja
-selbst die Bewegung und Entmischung beherrscht er nur teilweise, da
-diese auch von der Natur der Materie abhängt. Er kann sein Streben nur
-angenähert durchführen. Und so ist die Welt nur im großen und ganzen
-durch ihn geordnet. Daher wohl das Unvollkommene. „Da der Geist anfing
-(„von einem gewissen kleinen Punkte aus“) zu bewegen, sonderte er aus
-dem bewegten All; und so viel der Geist bewegte, alles dieses wurde
-ausgeschieden. Der bewegten, aber ausgesonderten, Dinge Umkreisung
-machte noch um vieles mehr ausscheiden.“ Also die Welt bildet sich
-nach dem Anstoß auch selbst weiter; wiederum ganz modern gedacht!
-Die Griechen aber sahen in seinem Dualismus und der halben Macht der
-Weltvernunft einen erheblichen Mangel seines Systems. Anaxagoras war
-Physiker, Mechanist, nebenbei auch Theosoph. Als solchem werden wir
-ihm noch begegnen. Die Athener nahmen ihm seine Indifferenz gegen die
-Götter übel, die schon aus der halben Wirksamkeit selbst der Vernunft
-folgt; und weil er auch die Gestirne für Steine (von der Erde durch
-die Wirbel losgerissen oder im Äther durch die Entmischung entstanden)
-erklärte, verfiel er der bösen Anklage der Gottlosigkeit, die selbst
-einem Sokrates das Leben kostete. Er mußte trotz des Schutzes des
-gewaltigen Perikles fliehen. <span class="gesperrt">Euripides</span> soll sein Schüler gewesen
-sein.</p>
-
-<p>Es ist bekanntlich noch nicht gelungen, mit Sicherheit festzustellen,
-was <span class="gesperrt">Platon</span> (427&ndash;347 v. Chr.) unter den „<span class="gesperrt">Ideen</span>“ (εἶδος,
-ἰδέα) verstanden hat, und der Auffassungen gibt es gar viele. Ihre
-Konzeption verdanken die Ideen offenbar der Erkenntnis, daß trotz des
-Mannigfaltigen gewisse Züge ganzen Klassen von Dingen und Erscheinungen
-gleicherweise zukommen. Rein dialektisch wäre also eine Idee das in
-einer Mannigfaltigkeit Gemeinsame. So bedeutete die Idee jedoch nur
-ein Abgezogenes, einfach einen Denkakt ohne jede Realität. Das ist
-aber nicht Platons Meinung. Zunächst behandelt er die Ideen als vor
-der Welt Vorhandenes. Im Timaios heißt es, indem von der Bildung
-der Welt durch Gott (Zeus) gesprochen wird: „So ist denn jene (die
-Welt) nach dem Urbilde dessen<span class="pagenum"><a name="Seite_245" id="Seite_245">[S. 245]</a></span> entstanden, was der Vernunft und
-Erkenntnis erfaßbar ist und beständig dasselbe bleibt. Schreiten wir
-nun auf diesen Grundlagen zur Betrachtung dieser unserer Welt fort,
-so ist sie eben hiernach ganz notwendigerweise ein Abbild von etwas
-Ewigem.“ Dieses „Ewige“, oder auch die „ewigen Götter“, sind eben die
-Ideen, die also vor der Welt vorhanden sein mußten, wenn die Welt ihr
-Nachbild sein sollte. Und von ihnen, als dem „Vorbilde“ (παράδειγμα,
-Paradigma) heißt es weiter: „Von allem nun, was zur Gattung der Teile
-gehört, werden wir sie mit <span class="gesperrt">Nichts</span> in Vergleich bringen wollen,
-denn was dem <span class="gesperrt">Unvollkommenen</span> (eben als Teil) gleicht, das kann
-nicht schön sein. Wohl aber werden wir sie <span class="gesperrt">demjenigen</span>, wovon
-die übrigen lebendigen Wesen (nämlich nach Platons panpsychistischer
-Ansicht alle Wesen überhaupt) als Einzelne und nach ihren Gattungen
-bloße Teile sind, als am allerähnlichsten setzen“. Im weiteren Verlauf
-des Gesprächs, an das wir uns vorläufig halten, wird dann untersucht,
-„ob es ein Feuer an und für sich gibt und überhaupt alles übrige, wovon
-wir ein jedes so als an und für sich seiend zu bezeichnen pflegen.
-Oder aber, ob nur das, was wir sehen und was wir sonst mit den Sinnen
-des Körpers wahrnehmen, bereits die Wahrheit bedeutet, die wir suchen,
-und einzig und allein Wahrheit hat, und es außerdem schlechthin nichts
-anderes gibt. So daß es nur ein eitler Wahn von uns wäre, wenn wir
-jedesmal von einem jeden Dinge eine nur dem Denken erfaßbare Idee als
-das Seiende annehmen, und dieselbe nichts als ein Name wäre.“ Man
-kann die Aufgabe nicht schärfer stellen. Und Platon entscheidet sich,
-daß zugestanden werden müsse: „das Eine sei die stets auf dieselbe
-Weise sich verhaltende Art, <span class="gesperrt">unerzeugt</span> und <span class="gesperrt">unvergänglich</span>,
-weder in sich ein Anderes von anderswoher aufnehmend, noch selber in
-irgendein Anderes ausgehend, unsichtbar und auch sonst mittelst der
-Sinne nicht wahrnehmbar, das, dessen Betrachtung dem vernünftigen
-Denken zuteil geworden ist. Das <span class="gesperrt">Zweite</span> aber, jenem gleichnamig
-und ähnlich, sei sinnlich wahrnehmbar, erzeugt, in steter Bewegung,
-entstehend an einem Ort und wieder von da verschwindend.“ Andere
-Äußerungen<span class="pagenum"><a name="Seite_246" id="Seite_246">[S. 246]</a></span> Platons in anderen seiner Gespräche stimmen damit im
-wesentlichen überein, daß die Ideen das An-sich- und Für-sich-Seiende
-(οὐσία, αὐτοζῶον) und zugleich, als Urbilder (<span class="gesperrt">Paradigmen</span>) der
-Dinge, das An-sich dieser Dinge, überhaupt von Allem seien. Und indem
-jede Idee eine Klasse von Dingen in sich verkörpert, ist sie eine
-Einheit, eine Henás oder Monás. Unter diesen Ideen scheint Platon
-eine Rangstellung anerkannt zu haben, vermöge deren sie einander
-untergeordnet, übergeordnet und beigeordnet sind. Ja, indem er von der
-mitgeteilten Behauptung, daß jede Idee für sich sei, abgeht, bringt
-er die Ideen selbst miteinander in Verbindung, so daß in einer Idee
-auch mehrere Ideen sich abspiegeln können und in der Vorstellung jede
-ein Vieles zu sein vermag, wodurch auch die sinnliche Mannigfaltigkeit
-erklärt ist.</p>
-
-<p>Die Nachbilder der Ideen sind in etwas ausgeprägt, das am besten wohl
-mit dem Heraklitischen Apeiron, dem unbegrenzten Etwas, verglichen
-wird. Es ist nicht, was wir Materie heißen. Platon nennt es die
-„<span class="gesperrt">Gattung des Raums</span>“, „dem Untergange nicht unterworfen, welche
-allem, was ein Werden hat, eine Stätte gewährt, selbst aber den
-Sinnen unzugänglich ist, auch vom Geiste nur sozusagen durch einen
-erschlichenen Schluß erfaßt und kaum zuverlässig bestimmt wird,
-die, welche wir auch im Auge haben, wenn wir träumen, es müsse doch
-notwendig das, was ist, an einem Orte sein und einen Raum einnehmen;
-was aber weder auf der Erde noch sonst im Weltall sich befinde,
-sei überhaupt gar nicht vorhanden“. Dieses also Geträumte ist nach
-Platon auch das „Nichtseiende“, indem ihm eben nur die Ideen das
-wahrhaft Seiende bedeuten. Es ist auffallend, daß Platon den Raum
-als ein Besonderes denkt, da doch die Zeit als Abbild der Idee
-„Ewigkeit“ erklärt wird. Warum ist nicht der Raum ein Abbild der Idee
-„Unbegrenztheit“? Ist der Raum der Ort der Äußerungen (Bilder) der
-Ideen, so gibt die <span class="gesperrt">Seele</span> die Verbindung zwischen diesen Bildern
-und den Ideen. Sie wird hiernach die Vorstellung dieser Ideen sein
-und zugleich das deren Abbilder Belebende und Bewegende. Sie tritt
-im Ein<span class="pagenum"><a name="Seite_247" id="Seite_247">[S. 247]</a></span>zelnen auf, aber auch als Gesamtseele, <span class="gesperrt">Weltseele</span>. Sie
-wird als der Grund aller körperlichen Gestalten bezeichnet und als
-die Herrscherin. Ihr Sitz ist in der Mitte der Welt, die kugelförmig
-gedacht ist; sie zieht sich aber durch alle Dinge, und die Einzelseelen
-sind ihr angehörig. „Und so darf man es denn mit Wahrscheinlichkeit
-aussprechen, daß diese Welt als ein wirklich beseeltes und vernünftiges
-Wesen durch Gottes Vorsehung entstanden ist.“ Weltseelen und
-Einzelseelen werden für Götter (zu diesen sind auch die Gestirne als
-selige Wesen, „sichtbare Götter“, und die Götter der Volksreligion
-gezählt) und Menschen von Gott selbst geschaffen, für Tiere, Pflanzen
-und andere Dinge von den Göttern. Doch wird auch gesagt, die Seelen
-seien von je. Davon und von ihren Wanderungen ist bereits gesprochen
-(<a href="#Seite_217">S. 217</a> f.). Die Umgebung der Seelen mit dem Leibe erfolgt durch die
-Götter, wenn es nicht, wie es auch den Anschein hat, durch die Seelen
-selbst, wenigstens durch die Weltseele, geschieht. Und indem die Seelen
-das Ewige sind und dem wahren Sein so nahe stehen, haben sie im Leben
-dem Werden und Vergehen, dem Einstürmen der Veränderungen Widerstand
-zu leisten, um ihre ewige Göttlichkeit zu wahren. Das würde freilich
-dem, daß die Seelen auch das Bewegende sein sollen, widersprechen, wenn
-nicht die von der Seele stammende Bewegung ein anderes bedeutet, als
-die von außen kommenden Veränderungen, vielleicht die innere Bewegung
-der Triebe, Gedanken und Gefühle. Dann wären die Veränderungen in
-dem „Raum“ begründet. Und dieser müßte doch etwas mehr bedeuten als
-bloß ein Nichtseiendes, zumal er ungeschaffen neben Gott bestehen und
-dessen Wirken auf Vollkommenheit hinderlich sein soll, daß die Welt nur
-unvollkommen aus den Händen des höchsten Werkmeisters hervorgeht. Trotz
-der Allmacht dieses Werkmeisters und der absoluten Vollkommenheit der
-Vorbilder, der Ideen.</p>
-
-<p>Eine weitere Schwierigkeit besteht in dem Verhältnis der Seele zu der
-Ideenwelt. Sie soll in diese Welt hineinragen. Ist sie geschaffen, so
-kann sie selbst nur Abbild einer Idee sein, also von den Ideen keine
-vollkommene Kenntnis er<span class="pagenum"><a name="Seite_248" id="Seite_248">[S. 248]</a></span>reichen. Besteht sie seit je, so ist nicht
-zu begreifen, wie sie in ein Abbild der Ideen gerät, da die Ideen es
-doch nicht tun. Und noch weniger, wie sie aus den Abbildern der Ideen
-Kenntnis von den letzteren erlangen soll, da doch die ganze Kenntnis
-nur die aus den Abbildern geschöpfte sein kann, also unvollkommen und
-schattenhaft. Indessen wird auch gesagt, die Seele kenne die Ideenwelt
-aus ihrer Existenz außerhalb des Körpers, und im Leben erinnere sie
-sich dieser Welt (<a href="#Seite_225">S. 225</a> f.). Das ist aber doch nur ein Notbehelf,
-trotz dessen <span class="gesperrt">Ontologie</span> und <span class="gesperrt">Ideologie</span> unvermittelt
-bleiben. So ist in Platons Lehre so manches unverständlich und einiges
-mit anderem nicht zu vereinen. Der große Mann hat in seinem langen
-Leben wahrscheinlich seine Ansichten nicht immer festgehalten oder
-gegenüber weiteren Überlegungen nicht immer festhalten können. Und eine
-letzte Zusammenfassung seines Systems besitzen wir nicht. Er hat wohl
-auch ein festes System gar nicht geben wollen. Denn sein eigentliches
-Bemühen gehörte der Sokratischen Ethik an. Das Gute und das Schöne
-sind ihm die eigentlichen Ideen, beide sogar die Gottheit selbst. Und
-so knüpft sich an seinen Namen der <span class="gesperrt">Sokratische Idealismus</span> in
-seiner eingreifendsten Bedeutung. Wir aber haben zunächst seine Reihe:
-Gott, Ideenwelt, Raum (auch Materie), Weltseele (auch Einzelseelen),
-Welt (mit Einzeldingen). Die Welt ist durch die Ideenwelt bestimmt.
-Gott schafft nach der Ideenwelt, er schafft auch die Seelen. Ist der
-Raum bedeutungslos, so bildet das Ganze eine Art Monismus. Allein das
-geht wohl zu weit, kaum kann man in Platons Lehren auch nur einen
-Dualismus mit Sicherheit anerkennen. Plutarch freilich, in seinen
-Lehrmeinungen der Philosophen, sagt: „<span class="gesperrt">Sokrates</span>, des Sophroniskos
-Sohn, und <span class="gesperrt">Platon</span>, Aristons Sohn, haben über das All gleiche
-Meinung. Sie geben drei Prinzipien an: Gott, die Materie und die Idee.
-Gott ist nämlich der Verstand, die Materie der erste Gegenstand des
-Entstehens und Vergehens, und die Idee ein unkörperliches Etwas, das
-in den Gedanken und Vorstellungen Gottes existiert. Gott aber ist die
-Seele der Welt“. Er meint also in der Tat einen Dualismus,<span class="pagenum"><a name="Seite_249" id="Seite_249">[S. 249]</a></span> indem
-er die Ideen und die Weltseele in Gott verlegt oder als Emanationen
-Gottes ansieht und neben Gott die Materie bestehen läßt. Nach Xenophon
-hat übrigens <span class="gesperrt">Sokrates</span> es absichtlich vermieden, über das
-Weltganze zu sprechen, und sogar diejenigen für Toren erklärt, die
-darüber grübeln, da noch so viel über den Menschen selbst zu denken
-sei. In seinen späteren Jahren muß Platon die Einfachheit der Ideen
-aufgegeben haben. Pythagorisierend nahm er sie als zusammengesetzt
-an aus dem Eins, als dem Guten, und aus dem Unbegrenzten &mdash; dem
-Großen und dem Kleinen. Das soll wohl heißen, daß jede Idee in sich
-ein unterschiedsloses Gutes einheitlich darstellt, das in seiner Art
-allumfassend ist. Das Umfassende als „unbestimmte Zweiheit“ angesehen,
-wäre jede Idee Einheit und Zweiheit. Diese Darstellung ist von anderen
-übernommen, wir werden ihr wieder begegnen (<a href="#Seite_256">S. 256</a>).</p>
-
-<p>Platons Schule ist die <span class="gesperrt">Akademie</span>, zu der viele hervorragende
-Männer gehörten, die jedoch mehr und mehr in pythagorisierende
-Zahlenlehre verfielen, wie <span class="gesperrt">Speusippos</span>, der unmittelbare
-Nachfolger Platons, alles aus Eins und der Vielheit abzuleiten suchte,
-ohne dabei die Weltseele und die Idee des Guten aufzugeben, und
-<span class="gesperrt">Xenokrates</span>, dem das Eins oder das Ungrade und das Zwei oder das
-Grade „Vater“ und „Mutter“ der Götter waren, das Eins sogar dem Zeus
-und dem Nus gleichkam. „Indem zu der Zahl das Selbige und das Andere
-hinzutritt, entsteht die (Welt-) Seele.“ Die Kräfte der Natur waren
-ihm Götter. Die Zahlenangaben sind symbolische Ausdrucksweisen, deren
-Verständnis sich uns meist entzieht. Von den Neuplatonikern sprechen
-wir später. Über Weltzeitalter, Seelenwanderung und den Platonischen
-Ideen ähnliche Dinge bei anderen Völkern ist bereits gesprochen (<a href="#Seite_226">S.
-226</a>).</p>
-
-<p>Der größte Schüler des Platon, der große <span class="gesperrt">Aristoteles</span> (384&ndash;322 v.
-Chr.), der Sohn des Nikomachos, hat die Lehren seines Meisters vielfach
-sehr scharf kritisiert. Er hat sie auch zu verbessern gesucht. Die
-<span class="gesperrt">Formen</span> (εἶδη) der Dinge entsprechen den Platonischen Ideen. Sie
-sind aber bei ihm nicht Wesen für sich, sondern nur das, was die Dinge
-als<span class="pagenum"><a name="Seite_250" id="Seite_250">[S. 250]</a></span> solche ausmacht. Alle Dinge bestehen zunächst aus Stoff (ὕλη) und
-Form oder Inhalt (μορφή, εἶδος, λόγος, τό τὶ ἐστί usf.). Der Stoff
-als solcher ist nicht die Dinge selbst, wie auch nicht bei Platon,
-er ist eine „erste Materie“. Indem er aber doch Dinge werden kann,
-muß er dazu die Fähigkeit besitzen. So ist er eine <span class="gesperrt">Dynamis</span>,
-eine Möglichkeit, <span class="gesperrt">Potentialität</span> für Wirkliches. Verwirklicht
-ist ein Ding in der Form, und so bedeutet diese die <span class="gesperrt">Energie</span>
-oder <span class="gesperrt">Entelechie</span> des Dinges. Und sie ist so unveränderlich und
-ewig wie bei Platon die Idee, nur daß sie nicht außerhalb des Dinges
-etwas, ein Reales, bedeutet. Sie ist das, was das Ding zum Dinge
-macht, also auch dessen Wesen, Begriff und Endzweck. „Wenn etwas wird,
-so wird es nicht nur aus etwas, sondern <span class="gesperrt">durch</span> etwas“, heißt
-es in der „Metaphysik“. Auch der Stoff ist ewig; er soll auch das
-Unausweichliche, die <span class="gesperrt">Ananke</span>, einbegreifen und den Zufall, die
-Tyche, und darum die Unvollkommenheit der Welt bedingen, die Platon
-in dem „Nichtseienden“ des Stoffes sah. Die Form muß Macht haben, den
-Stoff sich zu unterwerfen. Diese Macht aber wird nicht aktiv in der
-Form gesucht, sondern passiv in dem Stoff, dem ein Verlangen (ὁρμή)
-nach der Form zugeschrieben wird. Das wäre eine dritte Eigenheit
-des Stoffes. Aristoteles faßt also den Stoff realer auf als Platon.
-Indessen kann etwas Stoff mit Bezug auf Eines und Form mit Bezug auf
-ein Anderes bedeuten. So ist Erz Stoff einer Bildsäule, Form aber mit
-Bezug auf die Teile, aus denen es gewonnen ist; dadurch verläuft alles
-freilich ins Begriffliche. Aus Form und Stoff gehen, wie die Dinge, so
-auch die Veränderungen hervor; diese sind Wirklichkeiten von Möglichem
-und als solche gleichfalls Energien oder Entelechien. Das Verändernde
-ist die Form, das Veränderte der Stoff.</p>
-
-<p>Die Veränderung ist so anfang- und endlos wie Form und Stoff. Daher
-(?) muß es ein unveränderliches Veränderndes (unbewegtes Bewegendes)
-geben, also eine Form ohne Stoff, eine reine Aktualität, die, als
-ohne Stoff, auch das absolut Vollkommene ist. Diese Form ist der
-<span class="gesperrt">Geist</span> (νοῦς), die <span class="gesperrt">Gottheit</span>, die allumfassende, absolute
-<span class="gesperrt">Ver<span class="pagenum"><a name="Seite_251" id="Seite_251">[S. 251]</a></span>nunft</span>, die in unaufhörlichem Sich-selbst-Denken (θεωρία) das
-„Denken des Denkens“ ist; eine Wendung, die Andere viel benutzt und
-auch mißbraucht haben. Diese letzte Form ist nur in sich tätig; sie
-wirkt aber durch ihre Anwesenheit, daß alles ihr zustrebt, und bedingt
-dadurch das Leben der Welt in seiner bestimmten Ordnung. „Einen auf
-die Welt gerichteten göttlichen Willen, eine schöpferische Tätigkeit
-oder ein Eingreifen der Gottheit in den Weltlauf hat Aristoteles nicht
-angenommen“, sagt Zeller. Man sieht, die ganze Anschauung ist höchst
-mechanisch, im Grunde ist die letzte Form auch überflüssig; sie besagt
-ja nur, daß das Leben der Welt einen bestimmten Lauf von Ewigkeit
-zu Ewigkeit hat. Und so gehörte diese Lehre sachlich nicht hierher,
-wenn es sich nicht sonst empfohlen hätte, sie an Platons lebendige
-Ideenlehre anzuschließen. Auch ist die Stellung des νοῦς, nachdem
-dieser einmal angenommen ist, in der Tat die einer besonderen Gottheit,
-die nur als solche mit der Welt aktiv nichts zu tun hat. Diesen
-Mangel der Gottheit, wenn er ein solcher ist, ersetzt Aristoteles
-durch Einführung der „<span class="gesperrt">Natur</span>“ (φίσις), die für Leben und Sein
-in der Welt den Grund abgibt, wie eine wirkliche Kraft. Vielleicht
-hat Aristoteles doch die reine Passivität Gottes verlassen und Gottes
-Vernunft als Weltvernunft aufgefaßt. Allein Aristoteles sagt, die Natur
-sei nicht göttlich (οὔ θεία), sondern dämonisch (δαιμονία), sie wirke
-wie eine nach unbewußten Trieben handelnde Künstlerin. Gleichwohl ist
-seine Anschauung, wie die Platons und vieler Philosophen vor und nach
-ihm, eine <span class="gesperrt">zweckheitliche</span>, <span class="gesperrt">teleologische</span>. „Die Natur
-tut nichts zwecklos“, „sie strebt immer nach dem Besten“, „sie macht
-nach Möglichkeit immer das Schönste“. Und insofern die Natur die Welt
-selbst mit allen Geschehnissen ist, liegt die Teleologie in ihr. Ihre
-Entwicklung ist durch sie selbst bestimmt. Das wäre durchaus modern
-gedacht. Noch sei erwähnt, daß Aristoteles als drittes Prinzip den
-Dingen die <span class="gesperrt">Beraubung</span>, <span class="gesperrt">Privation</span> (στέρησις) zuschreibt,
-sicher um die Verschiedenheiten der Dinge dialektisch zum Ausdruck
-zu bringen. Und er denkt sich die Dinge in der Tat auch<span class="pagenum"><a name="Seite_252" id="Seite_252">[S. 252]</a></span> der Art
-nach verschieden und meidet die mathematischen Konstruktionen der
-Pythagoreer und Platons, sowie die Ableitungen der Atomisten, die wir
-noch kennen lernen werden.</p>
-
-<p>Die Welt hat bei Aristoteles Kugelform; in der Mitte ruht die Erde,
-der Himmel dreht sich in stets gleicher Weise. Alles an diesem ist
-viel vollkommener als auf der Erde, die Gestirne sind vollkommenere
-Wesen als selbst der Mensch. Es gibt einen oberen Himmel der Fixsterne
-und untere Himmel der Planeten. Außer der allgemeinen Bewegung des
-oberen Himmels, der diese unteren Himmel mitführt, haben diese auch
-noch eigene Bewegungen; schwingende und neigende, eben zur Erklärung
-der scheinbaren Bewegungen der Planeten, zu denen auch Sonne und Mond
-gezählt werden. Eine ähnliche Anordnung nimmt auch Platon an, und zwar
-von der Erde aus: Mond, Sonne, Merkur (Stilbon), Venus (Heosphoros),
-Mars (Pyroeis), Jupiter (Phaethon), Saturn (Phainon), Fixsterne. Im
-übrigen ist alles in der Welt möglichst konzentrisch kugelförmig
-geordnet, wie auch die Bewegung der Sphären kreisförmig sich darstellt
-und die Elemente kugelig sich übereinander lagern (Erde, Wasser, Luft,
-Feuer, Äther). In Aristoteles Ansichten liegt es, daß das Bessere
-immer das Schlechtere regiert. So hängen die Winde der Luft von den
-Gestirnen ab, die Wogen des Meeres von den Winden. Je mehr die Zahl der
-Regierenden wächst, desto geringere Einheitlichkeit; und so herrscht in
-allem auf der Erde die größte Unordnung, und diese nimmt ab, je höher
-wir steigen. Aristoteles sah darum auch diejenigen Gestirne als die
-ferneren an, die die geordneteren Bewegungen aufweisen, die Fixsterne
-also als die fernsten. Die Sonderbewegungen der Planeten werden schon
-von Platon und Früheren durch Einführung weiterer Sphärendrehungen
-erklärt. Mit der Fixsternsphäre wird die Zahl aller erforderlichen
-Sphären von Eudoxos auf 23, von Kallippos und Aristoteles auf 34
-geschätzt. Da aber jede höhere Sphäre jede tiefere in ihre Bewegung
-hineinziehen müßte, sind noch 22 Sphären angenommen, die sich entgegen
-jenen drehen. Insgesamt hat man so 56 Sphären. Jede Sphäre muß von
-einem unkörperlichen und unbewußten<span class="pagenum"><a name="Seite_253" id="Seite_253">[S. 253]</a></span> Geist bewegt werden, davon also
-56 vorhanden sind, zu denen eben die Gestirne zählen. Dieses System,
-in Verbindung mit pythagoreischen Harmonielehren, hat wohl Cicero
-vorgeschwebt, als er seinen wunderlichen Aufsatz „Scipios Traum“
-schrieb. Die Welt ist ewig von je in je, und, indem auch die Formen
-ewig sind, hat es die gleichen Dinge, zum Beispiel Menschen, immer
-gegeben, wie auch Platon annimmt, trotz der stetigen Entwicklung nach
-oben. Das Leben der Wesen hat niemand nach der vitalen wie nach der
-geistigen Seite so eingehend zergliedert wie Aristoteles. Das gehört
-nicht mehr hierher. Nur an seine berühmte, aus seiner Formenlehre
-folgende Definition der <span class="gesperrt">animalen Seele als der Entelechie des
-organischen Körpers</span> sei erinnert. Der Mensch besitzt noch einen
-Geist (νοῦς) außerdem, mit der animalen Seele verbunden. Wie, ist nicht
-zu ersehen, zumal vom Geist mindestens ein Teil, der tätige (ἀίδιος),
-ewig sein soll.</p>
-
-<p>Aristoteles’ Schule ist die der <span class="gesperrt">Peripatetiker</span>, seine
-eigentlichen Schüler aber hat er im Mittelalter unter den Arabern
-und abendländischen Scholastikern gehabt, bei denen er Jahrhunderte
-hindurch souverän herrschte, bis nach Anbruch der neueren Zeit diese
-Herrschaft unter harten Kämpfen allmählich gebrochen worden ist, ohne
-doch bisher ganz zu verschwinden. Er war eben ein außerordentlicher
-Mann, der auf dem Gebiete der Dialektik Großes und auch als
-Naturforscher höchst Bedeutendes geleistet hat. Er wird uns noch
-oft begegnen, er und sein Lehrer Platon, die eigentlichen Sterne
-griechischer Idealphilosophie.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<h3 class="nobreak" id="FUENFTES_KAPITEL"><span class="s5">FÜNFTES KAPITEL.</span><br />
-
-Anschauungen aus Theosophie, Deismus und Emanismus.</h3>
-
-</div>
-
-<p>Die <span class="gesperrt">Theosophie</span> und die mit ihr meist verbundene
-<span class="gesperrt">Emanationslehre</span> beruhen außer auf dem Glauben, wie an
-einer anderen Stelle bereits hervorgehoben, weniger auf logischen
-Verstandesfolgerungen und auf Naturbetrachtungen,<span class="pagenum"><a name="Seite_254" id="Seite_254">[S. 254]</a></span> als vielmehr auf
-Eingebungen, innerem Schauen (contemplatio), auf Intuition, meist
-aus dem Fühlen heraus. Es wird dieser Intuition, mitunter höchster
-Phantasie und Verzückung, ihr Recht eingeräumt, selbst gegen den
-Widerstand der kühlen Vernunft. Zugleich tritt die irdische Welt als
-Selbständigkeit in den Hintergrund. Verband der Pandeismus Gott mit
-der Welt, so schließt die Theosophie umgekehrt die Welt an Gott an.
-Gleichwohl neigt sie meist zu einem gewissen <span class="gesperrt">Pandeismus</span>, wofür
-wir manche Beispiele kennen lernen werden. So ist die Theosophie
-doppeldeutig zu verstehen, als eine Erkenntnis Gottes durch die Welt
-und als eine Erkenntnis der Welt durch Gott; letzteres also als eine
-Erkenntnis, wie Gott sie besitzt, als eine absolute Erkenntnis.
-Fast alle Schulen und Vereinigungen, die sich in dieser Weise mit
-der Theosophie beschäftigt haben und noch beschäftigen, wie unsere
-modernen Theosophen, haben die zweite Art der Erkenntnis in ihren
-wesentlichen Teilen geheim, esoterisch behandelt. So verband und
-verbindet sich mit der Theosophie ein <span class="gesperrt">Occultismus</span>, der, soweit
-er an die Öffentlichkeit tritt, naturgemäß als <span class="gesperrt">Mystizismus</span>
-erscheint. Und sie führt zu <span class="gesperrt">Supranaturalismus</span>. Ja in den
-Auswüchsen zu <span class="gesperrt">Theurgie</span>, <span class="gesperrt">Nekromantie</span> und manchem Spuk,
-den wir vom <span class="gesperrt">Spiritismus</span> kennen. Es ist auch vielfach das Gebiet
-der <span class="gesperrt">Geheimgesellschaften</span>, deren Lehren nur den Eingeweihten,
-Mysten, Adepten bekannt waren oder bekannt sind. Ob die griechischen
-Mysterien hierhergehören, läßt sich nicht feststellen. Da wir nicht
-mehr sagen können, als wir wissen, beschäftigen wir uns hier nur mit
-den exoterischen Lehren. Sie enthalten viel Bedeutendes und Hohes neben
-manchem, das wir nur kopfschüttelnd vernehmen mögen. Ich erinnere aber
-zum Verständnis des Folgenden, namentlich in nichtheidnischen Kreisen
-entstandenen, daß, frei von allem Mystizismus, schon in der Bibel
-die Wesensgleichheit des Geistes des Menschen mit dem Odem Gottes
-vorgetragen ist. Um solche Wesensgleichheiten in allgemeinerem Sinne
-handelt es sich in allen zu beschreibenden theosophischen Anschauungen.
-Für Gott werden wir auch <span class="gesperrt">Urgeist</span> setzen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_255" id="Seite_255">[S. 255]</a></span></p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>28. <span class="gesperrt">Orphiker und Neu-Pythagoreer</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Die <span class="gesperrt">Orphiker</span> sagten: Vom Geiste (ὅλον, Universum) lösten sich,
-wie vom Winde geweht, Stücke ab. Die lebenden Wesen atmeten sie ein und
-würden dadurch zu belebten Dingen. Doch ist uns von den Neu-Orphikern
-manches Ausführlichere überliefert. Nach der sogenannten Rhapsodischen
-Schule ist eine Trias von drei Urwesen vorhanden: Chronos (wohl Zeit),
-Aither (das allgemein Leuchtende), Chaos (wüste Materie). Aus Chronos
-entsteht im Aither ein leuchtendes (silbernes) Ei. Daraus geht der
-Weltschöpfer, als Trias: Phanes-Erikapaios-Metis, hervor. Der erste
-Name hängt mit Leuchten zusammen, der zweite soll Lebensspender
-bedeuten, der dritte tatkräftige Einsicht. Diese Dreigottheit strahlt
-Sonne, Mond und Tag von sich, damit entsteht auch Nacht, dann Uranos,
-Gaia, Kronos und die übliche Götterreihe mit Zeus. Sie führt auch
-den Namen Eros, als schaffende Kraft, Protogonos als Urgeborener,
-Monogenes als Einziggeborener, Dionysos, Pan usf. Zeus verschlingt
-alles mit Phanes zugleich und bringt nun die eigentliche Welt hervor.
-Eine andere Schule stellt an die Spitze ein „Unaussprechbares“, dann
-ein Dreiwesen Chronos&mdash;Herakles&mdash;Ananke-Adrasteia und Materie als
-Wasser und Erde, alles zusammen wieder eine Dreiheit. Aus dem Dreiwesen
-geht hervor als zweite Trias: Feuchter Äther, unbegrenztes Chaos,
-nebelartige Finsternis. Nun erst entsteht durch das Dreiwesen in dieser
-Trias das Ei, darin der Same aller Dinge, und aus dem Ei, dem Phanes
-entsprechend, das neue weltschöpferische Wesen Protogonos-Zeus-Pan. Der
-Deutung wird durch die Namen nur wenig nachgeholfen. Gruppe glaubt, daß
-einiges auf den Orient, als Heimat solcher Mythen, hinweise, namentlich
-auf Babylon, und er führt die Istar-Tammuz-Sage (<a href="#Seite_197">S. 197</a>) als Quelle
-an; ich habe nicht recht ersehen können, in welchem Zusammenhange.
-Einiges sei auch wohl im kleinasiatischen Attiskult zu suchen. Pan
-ist in solche kosmogonische Theorien, wie auch in die stoischen, nur
-seines Namens wegen verschlagen, der als „All“ (τὸ πᾶν) übersetzt
-wurde. Tatsächlich ist Pan<span class="pagenum"><a name="Seite_256" id="Seite_256">[S. 256]</a></span> lediglich Hirtengott, und der Name bedeutet
-nur Hirt (nach Roscher aus Paon zusammengezogen). Die Anordnung in
-Triaden ist eigentlich neu-platonisch, wie wir noch sehen werden; doch
-mag sie auch den orphischen Systemen eigen gewesen sein. Gruppe hält
-es nicht für ausgeschlossen, daß solche Theosophien schon zur Zeit
-der Peisistratiden in Griechenland (Athen) im Schwange gewesen sind.
-Allerdings werden schon von dem behaupteten Lehrer des Pythagoras,
-<span class="gesperrt">Pherekydes</span> aus der Insel Syros, ähnliche Theosophien mitgeteilt,
-mit Zeus-Eros, Chronos, Chthonie (Erde) als erste Trias; Feuer, Luft,
-Wasser (alle aus Chronos hervorgehend) als zweite, aus der dann die
-Götter entstehen und die Welt von Zeus-Eros gebildet wird. Auch von
-<span class="gesperrt">Epimenides</span> soll etwas Ähnliches gelehrt worden sein. Wir haben
-es weniger mit Philosophen als mit Theologen zu tun.</p>
-
-<p>Die <span class="gesperrt">Neu-Pythagoreer</span>, in ihren verschiedenen Lehren,
-beschäftigten sich insgesamt mit den vier Stammannahmen der Tetras:
-Gott, Seele, Materie, Widergott. Einige Schulen vereinigten Seele
-mit Gott und gewannen so die Dreiheit, Trias: Weltgeist, Materie,
-Widergeist. Entzogen andere Schulen auch noch der Materie ihre
-Neutralität, indem sie den Widergeist in sie versetzten, so ergab
-sich die Zweiheit, Dyas, von Geist und Materie, beide aktiv und
-widerstreitend. In letzterem Sinne sprechen sie in Pythagoras’
-Zahlenlehre von dem Eins als dem Geist und dem Zwei als der Materie,
-und das Eins sollte das Vollkommene, das Zwei das Unvollkommene sein.
-Aber das Zwei muß zugleich das dem Eins Widerstreitende bilden, sonst
-ist das Übel in der Welt nicht zu erklären. Gleichwohl beherrscht
-das Eins das Zwei; absolut als Urgeist, weniger vollkommen als
-Seele. Die lebenden Wesen haben nun teil am Urgeist als Seele oder
-Geist und an der Materie, samt deren Widergeist. Wie sich aber in
-ihnen Geist und Widergeist bekämpfen, ist nicht recht ersichtlich;
-nur scheint strengste Ethik und Askese als Wirkerin gegen den
-Widergeist betrachtet zu sein, die den Geist frei macht und ihn
-in seiner Göttlichkeit erscheinen läßt. Der seltsame Wundermann
-<span class="gesperrt">Apollonios</span> von <span class="gesperrt">Tyana</span> (4 v. Chr. bis<span class="pagenum"><a name="Seite_257" id="Seite_257">[S. 257]</a></span> 96 n. Chr.), dessen
-Leben <span class="gesperrt">Philostratos</span> beschrieben hat, gehört den Neu-Pythagoreern
-an. In seinem Wesen gemahnt er sehr an die indischen Asketen, die
-sich sogar Macht über den Beschluß der Götter zuschrieben, und die
-Götter durch Buße und inniges Gebet zwingen zu können glaubten, wie
-unsere Gesundbeter der „Christian Science“. Der Neu-Pythagoreismus
-ist mit Platonischen Lehren durchsetzt und geht schließlich in den
-Neu-Platonismus über. Aber auch stoische Elemente sind ihm nicht
-fremd. Denn manche Neu-Pythagoreer vereinigten Geist und Materie zu
-einer Unität, gleich derjenigen der Stoiker, und unterschieden sich
-von diesen im Grunde nur noch durch das Mystische und durch ihren Hang
-zur Weltentfremdung und Selbstkasteiung. Ihrem Mysticismus entspricht
-ihr weitgehender <span class="gesperrt">Dämonenglaube</span>, den wir auch bei den Stoikern
-finden und der hoch in das griechische Altertum hinaufreicht, als
-ein Naturmenschliches. Einige sahen in den Dämonen die eigentlichen
-Regenten, <span class="gesperrt">Archonten</span> der Welt, ganz im Sinne des alten Hesiodos,
-dessen Anschauungen wir hier zur Klarstellung anführen. Nach ihm sind
-die Dämonen Geister dahingeschiedener Menschengeschlechter, wie nach
-dem Naturmenschen. Vom Geschlecht aus dem Goldenen Zeitalter heißt es
-in den „Werken und Tagen“:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Gute, des Wehs Abwehrer, der sterblichen Menschen Behüter,</div>
- <div class="verse">Welche die Obhut tragen des Rechts und der schnöden Vergehung,</div>
- <div class="verse">Dicht in Nebel gehüllt, ringsum durchwandelnd das Erdreich,</div>
- <div class="verse">Geber des Wohls; dies war ihr glänzendes Ehrenamt.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">An einer anderen Stelle nennt er sie „heilige Diener des Zeus“
-und gibt ihre Zahl auf drei Myriaden an. Die Seelen der anderen
-Menschengeschlechter werden als „sterbliche Götter der oberen Erde“
-bezeichnet (die des zweiten, Silbernen Geschlechtes), oder als
-indifferente selige Geister (die Halbgötter des vierten Geschlechtes),
-oder sie werden gar nicht genannt. Darauf bezieht sich beispielsweise
-<span class="gesperrt">Plutarchos</span> in seiner Schrift über Isis und Osiris (oder wer
-diese Schrift verfaßt hat). Er bringt aber noch eine sehr eigenartige
-Auffassung des Empedokles bei, wonach die Dämonen für ihre Fehler und
-Vergehungen auch gestraft werden, bis sie ge<span class="pagenum"><a name="Seite_258" id="Seite_258">[S. 258]</a></span>läutert ihrem früheren
-Stande zurückgegeben sind. Wir werden diesen Dämonen bald unter
-anderer Gestalt wieder begegnen. Aber solchem Dämonenglauben wird es
-möglicherweise zuzuschreiben sein, wenn einige Neupythagoreer gar nur
-die Materie mit ihrer Gottheit als ursprünglich anerkennen und das Gute
-als eine daraus nachgeborene Gottheit ansehen wollten. Das erklärt dann
-freilich das Unvollkommene der Welt radikal. Einen ähnlichen Gedanken
-in einer sehr viel höheren, und auch umgekehrten, Auffassung finden
-wir bei unserem Jakob Böhme wieder. Zunächst wenden wir uns noch zwei
-morgenländischen Anschauungskreisen zu.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>29. <span class="gesperrt">Indische Theosophie und Sufismus</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Wie die hebräische Philosophie auf der Bibel, beruht die
-<span class="gesperrt">indische</span> auf Veda und Upanishaden, als den heiligen Büchern. Und
-da die Upanishaden wesentlich der Erläuterung der Veden dienen, wird
-die indische Philosophie besonders als die <span class="gesperrt">Vedantaphilosophie</span>
-bezeichnet. Daß es jedoch indische Philosophien gibt, die weit ab von
-den Lehren der Vedas und der Upanishaden führen, beweisen namentlich
-die buddhistischen und manche Philosophien rein materialistischen
-Charakters, die in Indien als das Fremdartigste dastehen. In der
-Vedantaphilosophie nun, die uns hier noch allein angeht, herrscht
-wesentlich die Anschauung, daß Seele und Urgeist das gleiche sind,
-sei es, daß sie getrennt voneinander bestehen, so daß jedes lebende
-Wesen eine Art Kleingott bedeutet, der nur durch die Verbindung mit
-der Materie gehindert ist, Gott gleich zu werden, oder daß die Seelen
-am Urgeist überhaupt teilhaben. Diese Anschauung ist späterhin nach
-zwei Richtungen weitergebildet worden. <span class="gesperrt">Ramanuga</span> und seine Schule
-betrachteten den Urgeist Brahman als wirkliche Gottheit, und für sie
-war die Gottheit im lebenden Wesen real. Ja, ihre Lehre ging bei
-Vielen in den schon behandelten Pandeismus über, wenn auch die Materie
-mit der Gottheit verbunden wurde. Die Welt war eine <span class="gesperrt">Evolution
-Brahmas</span>. Max Müller teilt einen interessanten Text aus dem
-Kandogya-<span class="pagenum"><a name="Seite_259" id="Seite_259">[S. 259]</a></span>Upanishad mit, der für Ramanugas Anschauung spricht. Indra
-als Führer der glänzenden Götter, Devas, Virokana als Führer der den
-Devas widerstreitenden Âsuras, wollen das absolute Selbst, das Atmân,
-erkennen und wenden sich an Pragâpati, den Herrn der Schöpfung. Er
-erklärt ihnen zuerst, was sie im Auge, im Wasser sich spiegeln sähen,
-das sei das Selbst. Beide fassen danach das Bild als das Selbst auf,
-also ein Anderes. Und Virokana ist damit befriedigt und gründet darauf
-bei seinen Âsuras die Lehre der Äußerlichkeiten. Aber Indra merkt
-bald, daß das Bild nicht das Selbst sein kann. Er kommt zu Pragâpati
-zurück. Und das muß er nun wiederholt tun, indem er immer höhere
-Antworten erhält, die die jedesmaligen Zweifel anerkennen und seine
-Anschauung von Stufe zu Stufe steigen lassen. Der letzte Bescheid geht
-von der Verbindung zwischen Körper und Seele aus. „Wie ein Pferd an
-einen Wagen gespannt ist, so ist der Geist (prana) an diesen Körper
-gespannt.“ Steht der Geist von dem Körper absolut frei, so ist er die
-„höchste Person“ (uttama purusha). Wer weiß: ich will denken, der ist
-das Selbst. Wer weiß: ich will reden, ich will sehen, der ist das
-Selbst usf. Die Organe sind nur Mittel. Sogar das Denkorgan ist nur
-Mittel; wer weiß, daß er denken will oder denkt, der ist das Selbst.
-„Derjenige, welcher dieses Selbst kennt und es versteht, erlangt alle
-Welten und alle Wünsche.“ Letzteres bedeutet, daß er die höchste
-Erkenntnis besitzt, sich selbst und so die Welt erkennt. Schon hier
-ist das Absolute stark verflüchtigt, obwohl es als purusha (Person)
-bezeichnet wird.</p>
-
-<p>Noch mehr geschieht dieses in der zweiten Schule der
-Vedantaphilosophie, der <span class="gesperrt">Sankhya</span>. Der Urgeist rückt in
-unbegreifliche Fernen; die Seelen mögen an ihm teilhaben, für die
-Anschauung ist dieses aber nicht von Belang. Dadurch geht die
-Sankhyaphilosophie in einen gewöhnlichen Dualismus zwischen Geist und
-Materie über, dessen Betrachtung nicht mehr ganz hierher gehört. Die
-Abstammung von oder die Verbindung der Seele mit Brahman zeigt sich
-nur darin, daß sie in der realen Welt allen Vorgängen gegenüber das
-absolut<span class="pagenum"><a name="Seite_260" id="Seite_260">[S. 260]</a></span> Ruhende, reiner Geist ist. Ihr Verhältnis zu der realen Welt
-kommt nur dadurch zustande, daß von <span class="gesperrt">ihr</span> aus Licht auf die Dinge
-fällt; wie manche Griechen geglaubt haben, daß wir dadurch sehen, daß
-vom Auge Strahlen ausgehen, die die Gegenstände betasten. Und die
-Hemmungen unseres Geisteslichtes an den Dingen sind unsere körperlichen
-Leiden und Freuden, wenn wir sie als Hemmungen hinnehmen. Durchschauen
-wir aber, daß Leiden und Freuden doch uns selbst gar nicht berühren, da
-in uns gar nichts vorgeht, so haben wir die Erkenntnis erreicht, die
-uns von der Welt frei macht und die Seele als absoluten Geist bestehen
-läßt. Daß diese Lehre, wie jeder Dualismus, an der Unbegreiflichkeit
-der Wirkung differenter Potenzen aufeinander leidet, sieht der Leser.
-Verdeutlichungen durch Bilder, wie daß ein weißer Kristall rot
-erscheint, wenn hinter ihm ein roter Gegenstand gehalten wird, sind
-üble Notbehelfe, namentlich für uns, die wir die physikalischen Gründe
-kennen. Eine Art Vermittlungsschule zwischen den beiden genannten
-ist die von <span class="gesperrt">Sankara</span> begründete. Die Seele ist Brahman selbst.
-Und die Welt? Diese ist überhaupt nicht. Wir werden diese Lehre im
-dritten Buche behandeln. Hier erwähnen wir nur noch, daß Askese,
-Selbstquälen und Sichversenken wie zur absoluten Erkenntnis, so auch
-zur Erreichung hoher magischer Macht führen soll. Die <span class="gesperrt">Yoga</span>-Lehre
-(Anspannungslehre) geht so auch in Okkultismus über. Und wer hat nicht
-von den übermenschlichen Taten indischer Fakire gehört?</p>
-
-<p>Mit den orphischen und den indischen Lehren eine gewisse Ähnlichkeit
-haben die der persisch-mohammedanischen Sekte der <span class="gesperrt">Sufi</span> (die
-Reinen, Frommen). Die Seelen sind auch hier Teile Gottes, in der Art
-Gott gleich, aber dem Grade nach unendlich von ihm verschieden. Im
-letzteren Umstand besteht die Differenz gegen die indischen Lehren,
-nach denen Seele und Brahman überhaupt das gleiche bedeuten. Indessen
-durchdringt auch nach den Sufi Gott alle Materie. Darum sollen die
-Menschen stets der geistigen Wesenseinheit mit ihm eingedenk sein,
-und Gott lieben heißt: sich selbst lieben. Denn zuletzt wird die
-Seele mit Gott vereinigt. Den Sufismus soll<span class="pagenum"><a name="Seite_261" id="Seite_261">[S. 261]</a></span> zuerst eine Frau,
-Rabia, im 8. Jahrhundert bekannt haben; von ihr werden viele schöne
-Aussprüche mitgeteilt. Die Lehre ist bei vielen ihrer Anhänger in
-einen Pandeismus und eine Theosophie (Arif) übergegangen. Manche
-haben sich mit Gott derart verbunden geglaubt, daß sie sich für
-„Leute der Gewißheit“ hielten und das Studium der heiligen Bücher
-für ein Dreschen leeren Strohes erklärten. Die Derwische werden ein
-Zerrbild der philosophischen Sufi bilden, wie die Fakire ein solches
-der philosophischen Vedantisten. Im Sufismus spielt die Intuition die
-Rolle, wie in der Theosophie überhaupt. Demut und Ergebung ziehen ihr
-voraus, vollständiges Aufgehen in Gott folgt. Die Sufi haben sich
-an der glühend sinnlichen Poesie des Orients in hervorragendstem
-Maße beteiligt. Es wäre schade, wenn alle Schönheiten dieser Poesie
-symbolisch gemeint sein sollten. Und ihr größter Lyriker, Mohammed
-Schemseddin, genannt Hafis (Ehrennamen für jemand, der den Koran
-auswendig weiß), soll Goethe zu seinem Westöstlichen Divan begeistert
-haben.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>30. <span class="gesperrt">Philon von Alexandrien</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Wir kehren zum Abendlande zurück. Den Übergang zu den Neu-Platonikern
-einerseits und den Gnostikern andererseits gibt die Anschauung
-<span class="gesperrt">Philons</span>, des alexandrinischen Juden (geboren um 30 v. Chr.), die
-zwischen Platons Philosophie und den biblischen Lehren zu vermitteln
-suchte. Man rechnet Philon zu den Eklektikern. Eklektiker waren
-übrigens fast alle hellenistischen Philosophen nach der Stoa. Höchst
-charakteristisch ist schon, was er von der Schöpfung der Welt sagt:
-„Gott sah in seiner Göttlichkeit voraus, daß eine schöne Nachahmung
-nicht würde existieren können, ohne ein schönes Muster, und daß von den
-sinnlichen Dingen keines tadelfrei sein würde, das nicht einem Vorbilde
-und einer geistigen Idee nachgeformt worden wäre. Deshalb schuf er,
-da er diese sichtbare Welt gründen wollte, vorher die nur im Denken
-vorhandene Welt, damit er nach einem unkörperlichen und gottähnlichen
-Muster das Körperliche ausführe, dieses ein späteres<span class="pagenum"><a name="Seite_262" id="Seite_262">[S. 262]</a></span> Abbild des
-Früheren, ebensoviele sinnliche Dinge umfassend, wie in jenem ideelle
-enthalten sind. Die Ideenwelt (sie entspricht der Platonischen) nun
-dürfen wir nicht als an irgendeinem Ort vorhanden uns vorstellen oder
-bezeichnen.“ Philon nimmt das Beispiel eines Architekten, der eine
-Stadt gründen will, und führt weiter aus: „Ähnlich muß man es sich
-in betreff Gottes vorstellen, der, als er die Gründung dieser seiner
-ungeheuren Stadt überdachte, zuerst die <span class="gesperrt">Vorbilder</span> zu derselben
-ersann und dann eine <span class="gesperrt">ideelle Welt</span> aus ihnen zusammensetzte und
-endlich nach <span class="gesperrt">deren</span> Vorbild die <span class="gesperrt">Sinnes</span>welt schuf.“ „Es
-ist offenbar, daß jene vorbildliche Abbildung, die wir die ideelle
-Welt nennen, selbst das vorbildliche Muster ist, die Idee der Ideen.“
-Er nennt diese Idee der Ideen die „Vernunft Gottes“. Gemeint ist eine
-Idee von den Ideen, so daß wir die absteigende Reihe hätten: Gott,
-Ideen, Zusammenfassung der Ideen, sinnliche Welt. Und für diese Ansicht
-führt er die Genesis selbst an: „Es ist dies nämlich die Meinung Mose,
-nicht die von mir herrührende. Indem er uns die Schöpfung des Menschen
-erzählt, sagt er ausdrücklich, daß derselbe <span class="gesperrt">nach</span> dem Bilde
-Gottes geschaffen ist. Wenn aber der Teil (der Mensch) ein Bild des
-Bildes ist, so ist es offenbar auch das Ganze, das heißt die gesamte
-sinnlich offenbare Welt.“ Und so erklärt sich denn die Unvollkommenheit
-in der Welt durch die absteigende Bedeutung in der Schöpfungsreihe,
-und freilich auch dadurch, daß Gott von seiner <span class="gesperrt">unendlichen</span> Güte
-der <span class="gesperrt">endlichen</span> Welt nur einen <span class="gesperrt">endlichen</span> Teil verliehen
-hat. Gott selbst ist gänzlich außerhalb der Welt, zu nichts in der
-Welt in Beziehung; er ist das „Seiende“. Die Idee der Ideen ist der
-<span class="gesperrt">Logos</span>, „der intelligible Ort der intelligiblen Welt“ der
-zusammengefaßten Ideen. Die „Fleischwerdung des Logos“, um mit dem
-Evangelisten Johannes zu sprechen, gibt die sinnliche Welt. Und so ist
-auch der Logos von Philon als Erzengel aufgefaßt, der Mittler zwischen
-der sinnlichen Welt und Gott, indem er selbst die „Vernunft Gottes“
-ist, eine <span class="gesperrt">Ausstrahlung</span> Gottes, des absoluten Lichtes.</p>
-
-<p>Zu diesem und zu allem folgenden wollen wir ein ver<span class="pagenum"><a name="Seite_263" id="Seite_263">[S. 263]</a></span>sinnlichendes
-Beispiel aus der Natur nehmen. Die Sonne ist, wie wir metaphorisch
-sagen können, die Lichtgrundquelle, das Licht. Sie sendet mannigfache
-Strahlen aus: rote, grüne, chemische, wärmende, elektrische usf. Die
-Strahlen sind nicht die Sonne, haben aber ihren Ursprung in der Sonne;
-schwindet die Sonne, so vergehen die Strahlen; sie sind ohne sie
-nichts, die Sonne aber besteht auch ohne die Strahlen. Die einzelnen
-Strahlenarten würden den einzelnen Ideen entsprechen. Alle zusammen
-geben sie die Idee der Ideen und entsprechen dem Logos. Denken wir
-uns, daß sie irgendwo im Raume etwas bewirken, das materiell sich neu
-geltend macht (wie etwa die chemische Zusammensetzung von Chlor und
-Wasserstoff zu Salzsäure, oder das Wachsen und Blühen einer Pflanze),
-so haben wir ein Ähnliches für die Hervorbringung der sinnlichen
-Welt durch den Logos. Das Beispiel zeigt, daß der Vorwurf, den man
-Philon und überhaupt allen macht, die zwischen Gott und der Schöpfung
-vermitteln, daß nämlich die Vermittlung selbst, der Logos, doch auch
-nur Gott sei, nicht ganz gerechtfertigt ist. In der Tat sind es die
-Strahlen, welche die Salzsäure zustandebringen, die Pflanze wachsen
-und blühen lassen; nicht die Sonne selbst tut es, sie ist die Ursache
-der Strahlen, wie Gott die Ursache des Logos, und dieser seinerseits
-die Ursache der sinnlichen Welt. Die weitere Entwicklung geht nun
-dahin, daß die verschiedenen Teile der Welt Materialisierungen
-verschiedener Ideen innerhalb des Logos sind, durch den Logos. Der
-Mensch ist Materialisierung der bedeutendsten Ideen; seine Seele
-enthält sogar von den Ideen selbst, und die Zusammenfassung dieser
-Ideen ist der <span class="gesperrt">Logos im Menschen</span>, seine <span class="gesperrt">Intuition</span>, die
-hiernach von der Denkkraft ein Anderes ist. So enthält der Mensch neben
-dem Körper auch Strahlen Gottes, die einzeln verschiedene Fähigkeiten
-seiner Seele bedeuten, zusammen die absolute Einsicht. Diese Lehre
-kann als <span class="gesperrt">Emanationslehre</span> bezeichnet werden, besser aber als
-<span class="gesperrt">Radiationslehre</span>, denn bei Emanation denkt man an Ausfluß von
-dem Gegenstande selbst, was ja nicht stattfinden soll. Der Mensch hat
-nichts von Gott selbst in sich, sondern nur von seinen Ideen,<span class="pagenum"><a name="Seite_264" id="Seite_264">[S. 264]</a></span> seinen
-Strahlen, wie auch der Logos als Zusammenfassung aller Ideen, aller
-Strahlen. Bis hierher ist, glaube ich, das System ganz konsequent. Was
-außerdem vom Menschen und der Seele ausgeführt wird, enthält freilich
-Schwierigkeiten in reicher Zahl. Der Mensch soll als <span class="gesperrt">Mikrokosmos</span>
-dem <span class="gesperrt">Makrokosmos</span> entsprechen, also würde er vom Logos im Kleinen
-alles enthalten, was der Welt als Ganzes zukommt. Darin soll seine
-Ebenbildlichkeit Gottes bestehen, er wäre eine Art inkorporierter, in
-sich zusammengezogener Logos. Das ist schwer zu verstehen; wir müßten
-denn alle Strahlen, die den Logos ausmachen, einzeln hinlänglich
-geschwächt uns vorstellen. Wenn weiter dieser Logos dann als Nus (νοῦς)
-bezeichnet und von der logischen Einsicht abgesondert wird, so müssen
-wir zwischen der Intuition und der logischen Einsicht einen Unterschied
-annehmen und jene vielleicht als <span class="gesperrt">absolute Einsicht</span> (ohne
-logisches Denken und Schließen), diese als <span class="gesperrt">relative</span> bezeichnen.
-Nun soll der Nus allein unsterblich, die übrige Seele, die, wie bei den
-Stoikern die Seele überhaupt (<a href="#Seite_232">S. 232</a>), materiell gedacht ist, sterblich
-sein. Die relative Einsicht wird aber gleichfalls als Logos bezeichnet,
-wie soll sie denn sterblich sein? Auch daß sich, wie Philon lehrt, der
-Nus soll von Gott trennen können &mdash; was offenbar zuliebe denjenigen
-angenommen ist, die an einen Gott überhaupt nicht glauben &mdash; versteht
-man nicht innerhalb des Systems. Wir können freilich auch für diese
-Trennung physikalisch ein Analogon bieten. Wenn die Sonne plötzlich
-keine Strahlen mehr aussendet, so laufen die vorher erregten, wie
-innen gegen die Sonne zu abgerissen, durch den Raum weiter. Indessen
-behalten sie doch, wenn auch von der Sonne getrennt, ihre Qualität bei
-und schreiten fort, wie wenn sie noch mit der Sonne zusammenhingen, nur
-sich immer weiter innen und nach außen von ihr entfernend, nichts aber
-in ihrer Art noch in ihrem Gange ändernd.</p>
-
-<p>Wie die Idee der Ideen als Erzengel personifiziert, individualisiert
-wird, so auch jede Idee oder ein Bündel von Ideen für sich. Daraus
-resultiert das Heer der Engel, Dämonen, Geister. Die letzteren
-sind auch Seelen; gehen sie in Körper<span class="pagenum"><a name="Seite_265" id="Seite_265">[S. 265]</a></span> ein, so verfallen sie der
-Sinnlichkeit, aus der sie sich in einem Leben oder in mehreren Leben
-&mdash; Philon ist also ein Anhänger von Platons Metempsychose &mdash; wieder
-befreien müssen, wenn sie ihre frühere Göttlichkeit erreichen wollen.
-Dieses kann man mit der Hauptlehre allerdings nicht in Einklang
-bringen. Und das liegt eben daran, daß die Strahlen, Kräfte Gottes auch
-als absolut gut behandelt werden. Ist die Materie gänzlich neutral,
-so bleibt hier, wie in allen von den gleichen Voraussetzungen (der
-absoluten Güte Gottes und der Neutralität der Materie) ausgehenden
-Anschauungen, kein Platz für das Böse, und die Einführung beruht auf
-Redewendung ohne Grund. Aber das berührt die allgemeine Anschauung des
-Philosophen nicht.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>31. <span class="gesperrt">Der Logos und die Sophia</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Der Begriff des <span class="gesperrt">Logos</span> ist von so großer Bedeutung geworden,
-weil der vierte Evangelist ihn zur Grundlage seines Systems gemacht
-hat. Logos bedeutet ursprünglich das Wort, und so ist es von Luther
-übersetzt worden. Das „<span class="gesperrt">Wort</span>“ aber hat bei Johannes die gleiche
-Rolle wie der Logos bei Philon. „Im Anfang war das Wort, und das Wort
-war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbige war im Anfange bei
-Gott. Alle Dinge sind durch dasselbige gemacht, und ohne dasselbige ist
-nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben
-war das Licht der Menschen. Und das Licht scheinet in der Finsternis,
-und die Finsternis hat es nicht begriffen.“ Das ist alles durchaus
-im Sinne der Philonischen Anschauung; nur daß das „Wort“ noch näher
-mit Gott verknüpft ist als bei Philon. Logos hat schon früh bei den
-Griechen die Nebenbedeutung von Gedanke, logische Ordnung, gehabt.
-Herakleitos aus Ephesos soll bereits gelehrt haben, „das Wesen des
-Schicksals sei der Logos, der die Substanz des Weltalls durchdringe“.
-„Alles geschieht nach dem Logos.“ „Der Logos ist ewig.“ „Der Seele ist
-der Logos eigen, der sich selbst mehrt.“ Letzteres ein Seitenstück zu:
-„Der Sinn ist dem Menschen Dämon (ἦθος ἀθρώπῳ δαίμων).“ Max Müller
-stellt diesen Logos mit dem indischen Ritam in Pa<span class="pagenum"><a name="Seite_266" id="Seite_266">[S. 266]</a></span>rallele, eben der
-zwingenden Ordnung. Aber das „Wort“ selbst hatte bei den Indiern
-kosmogonische Bedeutung im Brahma, als Spruch, während der Logos bei
-Heraklit nicht schöpferisch auftritt, sondern nur als von je vorhanden
-(ἀεὶ ἐῶν). Erst die Stoiker faßten den Logos auch als schöpferisch auf,
-indem er bei ihnen die göttliche Vernunft bedeutete. Und so sprachen
-sie auch gemäß ihrem schon gebildeten Pandeismus von einem Logos in
-jedem Dinge, von „bekörperten Logoi“, die den Typus der Dinge, ihre
-„spezifische Qualität“ darstellten; alle die platonischen Ideen real
-gedacht. So hat sich also die später so wichtige Auffassung des Logos
-allmählich vorbereitet. Die eigenartige Zwischenstellung des Logos
-zwischen Gott und der Welt scheint aber vorher nicht gekannt zu sein,
-denn Platons Ideen sind nicht schöpferisch, weder seine eigenen, noch
-wie sie Aristoteles auffaßte; sie treten nicht als Mittler zwischen
-Gott und der Welt auf, daß Gott selbst von der Welt völlig unberührt
-bliebe. Goethe läßt Faust Logos zuletzt mit „Tat“ übersetzen. Das
-entspricht der Auffassung Philons sehr nahe, wohl mehr als „Wort“,
-da die Ideen bei Philon „Kräfte“ Gottes sind („Kraft“ benutzt ja
-Faust vorher auch). Weiter nennt Philon den Logos den „Sohn Gottes“,
-den „Einziggeborenen“, den „Erstgeborenen“. Diese Wendung scheint,
-wenigstens für den Logos (sonst <a href="#Seite_255">S. 255</a>), vor Philon nicht bekannt
-gewesen zu sein. Sie ist aber später die wichtigste geworden. Im
-Evangelium Johannis wird sie auf Christus übertragen: „Und das Wort
-ward Fleisch und wohnete unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit,
-eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater.“</p>
-
-<p>Noch ein zweites Prinzip bei Philon hat in der Folge große Bedeutung
-erlangt: die Sophia, die „<span class="gesperrt">Weisheit</span>“ Gottes. Während dem
-„Worte“ in der Bibel nur mit Zwang der Sinn des Philonischen Logos
-beigelegt werden kann, das „Wort“ dort vielmehr lediglich soviel wie
-Ruf, Befehl, etwa wie in den ersten Zeilen der Genesis, besagt, nicht
-mehr, scheint die „Weisheit“ eine besondere Stellung einzunehmen. In
-den „Sprüchen“ Salomos sagt die „Weisheit“ (Chachma) von sich: „Mich
-schuf der Ewige als seines Wandels Anfang.“ Sie war, ehe<span class="pagenum"><a name="Seite_267" id="Seite_267">[S. 267]</a></span> noch die
-Erde, ehe Meer, Wolken, Himmel waren. „Da war ich Wonne Tag für Tag,
-Pflegling, spielend vor ihm (vor Gott) aller Zeit.“ Ähnlich könnte
-man die Aussprüche in Hiob, Kap. 28, interpretieren, wo die Weisheit
-gleichfalls bei der Schöpfung zugegen ist. Doch wird sie hier zuletzt
-als „Fürst des Herrn“ erläutert. Der geistvolle Sirachide aber sagt
-(Sprüche, Kap. 24) ganz sinnfällig von der Weisheit: „Ich ging hervor
-aus dem Munde des Höchsten, und wie ein Nebeldampf bedeckte ich die
-Erde. Ich nahm meinen Wohnsitz in der Höhe und mein Thron war auf einer
-Wolkensäule. Die Himmelswölbung durchkreiste ich allein, und in der
-Tiefe der Fluten des Chaos wandelte ich.“ Sodann: „Von Ewigkeit her,
-von Anfang an schuf er mich, und bis in die Ewigkeit werde ich nicht
-aufhören.“ Dann folgt eine hochpoetische Schilderung, die die Weisheit
-von sich selbst gibt. Bei Philon scheint die Weisheit mit dem Wort
-zusammenzufallen: als „Vernunft Gottes“.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>32. <span class="gesperrt">Die Gnostiker und Manichäer</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Indem wir uns zu den christlichen <span class="gesperrt">Gnostikern</span> (Gnosis =
-Erkenntnis, intuitives Wissen, Offenbarung) wenden, haben wir mit
-der Schwierigkeit zu kämpfen, daß deren Lehren, abgesehen schon von
-ihrer Dunkelheit, uns nur bruchstückweise überliefert sind. Die
-Theosophie unserer Zeit wendet ihnen besondere Aufmerksamkeit zu.
-Außer den älteren Werken von Baur und Harnack (in seiner Dogmatik)
-besitzen wir ein zweibändiges Buch von Heinrich Schmitt, das mit
-schöner Begeisterung geschrieben ist, aber doch auch vieles dunkel
-läßt, trotz der „Licht“lehre, die die Gnosis sein soll, und das
-manches enthält, das wie ein Spätprodukt aussieht, und leider viel
-Allzuüberschwengliches, womit man nichts anzufangen weiß. Es hat
-in der Gnosis zwei Hauptschulen gegeben, <span class="gesperrt">dualistische</span> und
-<span class="gesperrt">monistische</span>. Die ersteren sind von zwei Prinzipien, Gott und
-Widergott (auch Materie, als widersetzlich gedacht) ausgegangen,
-die anderen von Gott allein. Und die Lehren sind eine Mischung von
-Heidentum, Christentum und Philosophie. Sie sollen aber<span class="pagenum"><a name="Seite_268" id="Seite_268">[S. 268]</a></span> freilich
-wesentlich dem Heiden-Christentum zugute kommen, obwohl sie sich
-besonders der Philonischen Emanationslehre anschließen. Von beiden
-Schulen können nur die bedeutendsten Vertreter hervorgehoben werden.
-Ich werde mich an die trockene Darstellung der älteren Werke halten,
-und was Schmitt ausführt zuletzt erwähnen.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Basilides</span> (ein Alexandriner zur Zeit Hadrians) gehört der
-dualistischen Schule an. Seine Lehre ist eine <span class="gesperrt">Emanationslehre</span>.
-Für den höchsten Begriff wollen wir immer Gott sagen. Gott ist das
-Absolute und Unerkennbare im Sinne Philons. Aus ihm ist hervorgegangen
-die Vernunft, aus dieser das Wort und nun in weiterer Reihe: die
-Vernünftigkeit, die Weisheit, die (sittliche) Kraft, die Gerechtigkeit,
-der Frieden. Das sind sieben Stufen nach Gott, alle geistig-ethisch.
-Außerdem sollen Weisheit und Kraft ihrerseits die Tugenden, die
-geistigen Herrscher, die Engel hervorgebracht haben. Alles wird als
-reale <span class="gesperrt">Emanation</span> Gottes angesehen. Die Engel werden auch als die
-Ersten genannt und als die Werkmeister der Welt, die <span class="gesperrt">Demiurgen</span>.
-Also Gott schafft selbst die Welt nicht, sondern von ihm emanierte
-Prinzipien bilden sie. Der weltbildenden Engel aber sind, in stetig
-abnehmender Vollkommenheit, so viel als der Tage im Jahre, 365.
-Die weitere Ausführung scheint nun wesentlich in den Bahnen des
-Zarathustrismus zu laufen. Denn es wird offenbar ein böses Prinzip
-vorausgesetzt, das, sobald es, wie Ahriman das Reich Ormuzds, das
-Lichtreich Gottes erblickt, in Widerstreit mit den Engeln gerät.
-Es entsteht eine „Verwirrung und Vermischung“, letztere wohl der
-Lichtkräfte mit den Finsterniskräften. Und dabei bilden die Engel die
-Welt, so gut sie es bei diesem Tohuwabohu vermögen, aus Lichtern mit
-angehängter Finsternis. Den 365 Engeln entsprechen 365 Himmel oder
-Welten. Unseren Himmel und unsere Welt hat der erste unter jenen Engeln
-gewirkt. In diesem für uns eigentlichen <span class="gesperrt">Demiurgos</span> soll Basilides
-den Gott der Bibel gesehen haben, was der Bibel selbst widerspricht,
-da Jehova gar keine Widersacher hat, noch haben kann. Dieser Demiurgos
-habe ein Volk sich auserwählt, die Israeliten, und habe ihnen die ganze
-mensch<span class="pagenum"><a name="Seite_269" id="Seite_269">[S. 269]</a></span>liche Welt unterwerfen wollen. Dagegen hätten sich die anderen
-Engel erhoben. Und den Streit zu schlichten, habe Gott <span class="gesperrt">Christus</span>,
-seinen <span class="gesperrt">Mittler</span>, in die Welt gesandt. Eine andere Wendung sagt
-auch, daß Christus in der Regierung der Welt überhaupt die, als nicht
-hinreichend stark dem Finstern gegenüber erprobten, Engel ablösen
-sollte. So wacht also über der Welt eine Vorsehung, die von Gott
-ausgegangen ist und im Mittler ihre wirkende Kraft gefunden hat.
-Wie die Welt entstanden ist, wird nicht gesagt; die Materie scheint
-eine Art Mischung von Licht und Finsternis zu sein. Es wäre die Welt
-eine doppelte Emanation: der Lichtmächte, von oben nach unten, und
-der Finsternismächte, von unten nach oben. Letztere Emanation ist
-auch eine <span class="gesperrt">Evolution</span>. Die der Lichtmächte wäre im Menschen die
-bedeutendere. Mit ihr wachse die Intuition. Und die vollkommenen
-Adepten seien darum auch absolut frei, sogar neben den Engeln. Diese
-Überhebung soll zur moralischen Verkommenheit vieler Anhänger dieser
-Lehre geführt haben. Im übrigen wird noch die Seelenwanderung völlig
-im Sinne der Indier und namentlich Buddhas gelehrt, und in dem
-Körper-Leben die Strafe für bewußte Sünden, Anhängen an die finstern
-Mächte in uns, gesehen. Die Läuterung geschieht durch allmähliches
-Abstreifen der Finsternis, wahrscheinlich in eranischem Sinne (<a href="#Seite_203">S. 203</a>).
-Für die unverschuldeten Leiden hatten die Basilidianer den bekannten
-Jammertrost, daß sie gegen mögliche, in der Anlage vorhandene, Sünden
-hüten oder warnen sollten.</p>
-
-<p>Dieser Dualismus ist noch in verschiedener Weise durchgeführt worden.
-Eine Schule (des Hermogenes, Arnobius, Synesius u. a.) nahm als zweites
-Urwesen die Materie. In Gott sei alles in größter Ordnung, in der
-Materie in größter Unordnung (beides wie bei Anaximander, Anaxagoras
-und anderen griechischen Philosophen). Was dort in Ordnung, hier in
-Unordnung sich befindet, soll das gleiche sein (Bewegung?). Gott bringt
-nun in die Unordnung der Materie Ordnung hinein; indes, da es sich eben
-um zwei Urwesen handelt, so weit nur, als das Gute in ihm dem Grade
-nach das Böse in der Materie überragt. So entstehe und entwickle<span class="pagenum"><a name="Seite_270" id="Seite_270">[S. 270]</a></span> sich
-die Welt, indem die Ordnung in Gott für sich schon die Unordnung in
-der Materie zu ordnen beginne, wie ein Gegenstand die Wünsche lenkt.
-Und die Welt sei Unordnung neben Ordnung. Die Seele sei aus dem Etwas
-in der Materie hervorgegangen, oder auch sie sei eine Emanation einer
-höheren Emanation Gottes, die ihrerseits noch weit von Gott abstehe.
-Lactantius’ Dualismus enthält Christus als Prinzip des Guten, den
-Teufel als Prinzip des Bösen, beide von Gott hervorgebracht.</p>
-
-<p>Endlich erwähne ich noch bei den Dualisten den <span class="gesperrt">Manichäismus</span>, der
-diesem Gnostizismus nahe steht. Der Stifter Mani (um die Mitte des 3.
-Jahrhund. n. Chr.) war ein Perser. Daraus erklärt sich, daß seine Lehre
-wesentlich alten Zoroastrismus mit verarbeitet. Von Interesse ist, daß
-jeder Schöpfung im Reiche der Finsternis eine gleichgebildete im Reiche
-des Lichtes entspricht, was an die eranischen Fervers und Platons Ideen
-erinnert. Auch die Wendung darf nicht übergangen werden, daß im Kampfe
-zwischen Licht und Finsternis in manchen Stellen des Universums (in
-Sonne und Mond) das Licht in bedeutendem Übergewicht sich befindet.
-Und indem Verwandtes sich anzieht, wirken diese Stellen im Umschwung
-der Welt wie Schöpfräder und führen mehr und mehr von mit Finsternis
-behaftetem Licht in die Lichtsphäre. Dieser Prozeß des Heranlockens
-von Licht durch Licht ist aufgefaßt als eine Kraft des Lichtes (der
-Physik widerspricht er). Und Christus soll der höchste Walter dieser
-Kraft sein. Wenn die Manichäer sonst nicht alles physisch betrachteten,
-würde man die obige Anschauung als eine hübsche Allegorie ansehen,
-um die Tätigkeit Christi in der Seligmachung der Menschen sinnfällig
-auszudrücken. Aber was sollen dabei Sonne und Mond? In der Sonne
-scheinen die Manichäer überhaupt etwas Göttliches gesehen, wenigstens
-ihr Licht als eine göttliche Offenbarung angenommen zu haben. Auch ging
-Mani bei ihnen bald aus einem <span class="gesperrt">Parakleten</span> in den Erlöser über
-oder in den heiligen Geist. Er fiel in Persien als Opfer seiner Lehren,
-da dort gerade die eranische Religion unter dem Einfluß der eben sich
-erhebenden Sassaniden in den<span class="pagenum"><a name="Seite_271" id="Seite_271">[S. 271]</a></span> Monotheismus geleitet wurde, der in der
-Tat mit dem Zarathustrismus an sich nicht unverträglich ist.</p>
-
-<p>Die Lehre des <span class="gesperrt">Valentinus</span> (um die Mitte des 2. Jahrhunderts n.
-Chr. in Alexandrien und Zypern), der monistische Gnostizismus, wird als
-idealistische bezeichnet. Der Anfang ist ein Ururwesen, die <span class="gesperrt">absolute
-Stille</span>, das <span class="gesperrt">große Schweigen</span> (Sige, σιγή), und ihm zur Seite
-als Urwesen das absolute <span class="gesperrt">Sich-in-sich-Denken</span> (Ennoia, ἔννοια)
-und die unergründliche Tiefe, der <span class="gesperrt">unergründliche Schoß</span> (Bythos,
-βυθός). Unter Vermittlung der beiden Urwesen emaniert aus dem Ururwesen
-der <span class="gesperrt">Nus</span>, auch <span class="gesperrt">Monogenes</span>
-(<a href="#Seite_266">S. 266</a>), der einziggeborene Vater und
-Grund aller Dinge, der zugleich allein seinen Ursprung, das Ururwesen,
-fassen kann. Nus wäre die absolute Vernunft, der absolute Geist,
-Urvernunft, wie wir der Kürze halber sagen wollen. Mit dem Urgeist
-geht die absolute Wahrheit, Urwahrheit (Aletheia, ἀλήθεια) hervor.
-Dieses wird so gedeutet, daß Gott an sich nicht begriffen werden kann,
-sondern nur unter den Gesichtspunkten der Vernunft und der Wahrheit,
-dem man gewiß zustimmen wird. Aus den beiden letzteren nun emaniert
-das Wort (der Logos) und das Leben (Zoê). Und aus diesen der geistige
-Mensch (ἄνθρωπος) und die geistige Gemeinschaft (ἐκκλησία), Kirche.
-So haben wir mit Bythos und Ennoia (oder Sigê, wie manche sagen) vier
-Emanationspaare (<span class="gesperrt">Syzygien</span>), die die erste Emanationsreihe
-darstellen, die <span class="gesperrt">Urachtheit</span>. Jedes der Paare wird als
-männlich-weiblich angesehen; das männliche gab das Wesen, die Substanz,
-das weibliche die Kraft. „Shakespeares Romeo und Julia“, sagt Heinrich
-Schmitt in seinem genannten Buch, „ist in den herrlichsten Szenen
-auch nur eine Umschreibung des heiligen Geheimnisses der Syzygie des
-Valentinus.“ Allein Valentinus wird einfach von der gemein-irdischen
-Beobachtung des Zeugens durch Mann und Weib ausgegangen sein, und
-wird dieses Prinzip in die geistige Sphäre erhoben haben. Vielleicht
-hat er auch nur die ägyptische Achtheit (<a href="#Seite_101">S. 101</a>) neu gedeutet, die ja
-auch gepaart ist. Dieses System wird nun weitergeführt. Jede Emanation
-wird als Aion bezeichnet, ein Name, der Zeitliches bedeutet<span class="pagenum"><a name="Seite_272" id="Seite_272">[S. 272]</a></span> wie
-auch Welt. Es bringen nun Logos und Zoê fünf physische, Mensch und
-Gemeinschaft sechs ethische Aionenpaare durch Emanation hervor. Die
-Namen kann ich nicht anführen, sie stehen auch nicht alle fest; es
-finden sich aber darunter solche wie Mischung, Durchdringung, Lust
-u. a. in den fünf Paaren; Glaube, Liebe, Hoffnung, Einsicht usf. in
-den sechs Paaren. So haben wir insgesamt jetzt 15 Paare zu 30 Aionen.
-Diese bilden das berühmte geistige <span class="gesperrt">Lichtreich der Fülle</span>, das
-<span class="gesperrt">Plérôma</span> (πλήρωμα). Aber schon in diesem Reich geht die Bedeutung
-herab mit der Entfernung vom Ururwesen, obwohl noch jeder Aion sich in
-voller Seligkeit befindet, völlig frei von allem Übel. Die wachsende
-Beschränktheit bezieht sich auf wachsenden Verlust an Einsicht in das
-Ururwesen. So steht jedem Aion der Hóros (ὄρος), die Grenze, zur Seite
-und hält ihn in sich zusammengefaßt.</p>
-
-<p>Nun heißt es, daß der letzte weibliche Aion, die <span class="gesperrt">himmlische
-Weisheit</span>, <span class="gesperrt">Sophia</span>, vor Sehnsucht nach dem Ururwesen in
-leidenschaftliche Wallung geriet, sich von ihrem männlichen Part
-abwandte und nach dem Ururwesen, stürmend, begehrte. Sie wird zwar von
-ihrem Hóros in sich zurückgeführt, aber der Abfall von ihrer Bestimmung
-bleibt. Jetzt bringt das Aionenpaar Vernunft und Wahrheit das neue
-Paar Christus und den Heiligen Geist hervor, die das Reich der Fülle
-in sich festigen, derart, daß jeder Aion das ganze Pleroma in sich
-erkennt, und wenigstens in dieser Beziehung die Sehnsucht gestillt
-wird, wenn auch nicht die nach dem Höchsten. Wie in früheren Systemen
-ist auch hier alles übersinnlich vorgebildet, was der sinnlichen Welt
-angehört, das zeigt sich ja schon in den Paaren. Und so hat auch die
-Leidenschaft der Sophia, ihr Sichvergessen, den Grund alles Übels in
-der Welt. Denn diese Leidenschaft, als <span class="gesperrt">Achamoth</span> von ihr getrennt
-gedacht, geht in die sinnliche Welt. Aus der Sophia also, weil ohne
-Zusammenwirken mit ihrem männlichen Aion, entsteht die sinnliche Welt.
-Diese Welt ist keine rechte Emanation mehr, sondern eher ein Akzidens
-des letzten weiblichen Aion nach dem Abfall. Da sie aber immerhin
-von einem Aion stammt, der das ganze übersinnliche<span class="pagenum"><a name="Seite_273" id="Seite_273">[S. 273]</a></span> Reich in sich
-vorstellt, so enthält sie alles Übersinnliche in sinnlichen Bildern,
-gleicherweise also auch das Lebende, das Geistige und Wahrheitliche
-usf. und das Leidenschaftlich-Üble. Wie die sinnliche Welt entsteht,
-ist schwer zu ersehen. Eine hübsche Auslegung besagt, daß aus den vier
-Äußerungen der Leidenschaft (Achamoth) die vier Elemente erwachsen
-sind: aus den Tränen das Nasse, aus dem Lachen das Feurige, Lichte,
-aus der Traurigkeit das Dunkle, Starre, aus der Furcht das Bewegliche,
-Luftige. Aber es wird auch sehr vieles andere erzählt; so namentlich
-das Befremdende, daß Christus aus Mitleid die Gedanken des abgefallenen
-Aion in der Materie nachgestaltet habe. Das Wesentliche bleibt: die
-Welt ein Produkt aus Tun und Leiden und aus dem Lichtreich, dem
-Pleroma, als Folge und infolge eines Abfalles hervorgegangen. Achamoth
-spielt die Rolle des Demiurgs, die Weltseele ist ihr Erzeugnis wie
-die Welt. Nach einer anderen Wendung ist sogar erst diese Weltseele,
-und zwar ganz unbewußt, der Weltbildner. Und so sinkt die Welt
-allerdings immer tiefer in der Reihe des Göttlichen, einer blinden
-Naturkraft verdankt sie ihre Entstehung. Und diese Naturkraft führt
-den Plan ihrer Mutter, Achamoth, auch ohne diese und ihren Plan zu
-kennen, aus und pflanzt der Welt auch das Lebende und Geistige ein.
-Mit dem letzteren aber hat der Mensch ein Übersinnliches, wenn auch
-nur im Abbild, gewonnen; insgesamt besteht er aus Materie (ὕλη), Seele
-(ψυχή) und Geist (πνεῦμα). Und es wird von materiellen, psychischen
-und geistigen Menschen (Hylikern, Psychikern und Pneumatikern)
-gesprochen. Heiden, Juden und Eingeweihte bedeuten die Muster für
-diese Dreiteilung. Materie und Seele sind vergänglich, ewig besteht
-nur der Geist. Es scheint, als wenn die rein materiellen Menschen als
-Ausflüsse besonderer Prinzipe angesehen werden, der <span class="gesperrt">Archonten</span>
-(Herrscher), die zwischen dem himmlischen Reich des Lichtes und dem
-irdischen weilen und vielleicht tiefere Emanationen des Demiurg sind.
-Zu ihnen wird der Dämon <span class="gesperrt">Adamas</span> gehören (der alte Adam in uns),
-der die Rolle des Teufels im System vertritt. Aber vielleicht hat
-man eine weitere unterweltliche Emanation angenommen, deren Archon
-Adamas ist,<span class="pagenum"><a name="Seite_274" id="Seite_274">[S. 274]</a></span> höllische Geister und Teufel. Christus, wie er nach dem
-Fall der Weisheit die Äonenwelt geordnet, führt auch die Welt immer
-mehr dem Geistigen zu, dem Lichtreiche. Und am Ende der Tage wird er
-der Welt-Naturkraft das Bewußtsein ihrer Wesenseinheit mit Achamoth
-verleihen, daß der Demiurg in Achamoth aufgeht, Achamoth aber sich
-mit Sophia vereinigt. Und alles Materielle und alle Seelen verglühen
-in einem allgemeinen sich selbst aufzehrenden Weltfeuer. Die Geister
-aber schweben in das Lichtreich zu den ihnen vorgebildeten Aionen und
-verschwimmen mit ihnen zu ewiger Ruhe. Der wahre Schluß wäre erreicht,
-wenn auch diese Aionen in das Universum eingingen, in das große
-Schweigen, bis vielleicht neue Aionen und neue Welten den Kreis der
-Offenbarungen des Ururwesens durchlaufen. So in ewiger Reihe.</p>
-
-<p>Valentinus soll Verfasser des Buches <span class="gesperrt">Pistis Sophia</span> (Glaube
-Weisheit) sein, das Schmitt als das Gnostikerevangelium bezeichnet.
-In diesem Buche läßt er Christus selbst, nach seiner Verklärung,
-im unendlichen Lichte noch einmal seinen Jüngern erscheinen und
-das Geheimnis des Irdischen und Überirdischen offenbaren. <span class="gesperrt">Adolf
-Harnack</span> denkt von den Gnostikern ziemlich hoch. Von ihren
-Lehren sagt er (Dogmengeschichte): „So entstand ein philosophisches
-dramatisches Gedicht, dem Platonischen ähnlich, aber ungleich
-komplizierter und darum phantastischer, in dem gewaltige Mächte,
-das Geistige und Gute mit dem Materiellen und Schlechten, in eine
-unheilvolle Verbindung gesetzt erscheinen, aus der aber schließlich
-das Geistige, unterstützt durch die stammverwandten Mächte, die zu
-erhaben sind, um je in das Gemeine herabgezogen zu werden, doch wieder
-befreit wird.“ Namentlich das System des Valentinus verdient wohl diese
-bedeutenden Worte des großen Theologen. Heinrich Schmitt sieht aber
-in diesen Lehren überhaupt das Höchste, was Menschengeist ersonnen
-hat: wahre, absolute Offenbarung, und in Valentinus den größten
-intuitiven Denker. „An der lebendigen Wirklichkeit und Wahrheit des
-Pleroma zweifeln,“ sagt er, „bedeutet soviel wie an der Wahrheit des<span class="pagenum"><a name="Seite_275" id="Seite_275">[S. 275]</a></span>
-mathematischen Bewußtseins zweifeln, denn seine höchsten Formen sind
-nur die vollendete Selbsterkenntnis des mathematischen Bewußtseins.“
-Das „mathematische Bewußtsein“ steht hier wohl für formale Logik, denn
-die Wahrheit der Mathematik geht nur so weit wie die der formalen
-Logik. Diese allein ist intuitiv absolut wahr. Die Grundlagen der
-Mathematik, die Axiome, sind nur Behauptungen, denen die Erfahrung
-bisher noch nicht widersprochen hat.</p>
-
-<p>Zuletzt möchte ich den Leser auf eine merkwürdige Stelle in Goethes
-„Dichtung und Wahrheit“ hinweisen, fast am Schluß des achten Buches.
-Gott erscheint sich in seiner Produktion zunächst als Zweites, das
-wir den Sohn nennen. Gott und Sohn wieder erscheinen sich im Dritten
-(Heiliger Geist). Nun sagt unser Olympier: „Hiermit war jedoch der
-Kreis der Gottheit geschlossen, und es wäre ihnen selbst nicht möglich
-gewesen, abermals ein ihnen völlig Gleiches hervorzubringen. Da jedoch
-der Produktionstrieb immer fortging, so erschufen sie ein Viertes,
-das aber schon in sich einen Widerspruch hegte, indem es, wie sie,
-unbedingt und doch zugleich in ihnen enthalten und durch sie begrenzt
-sein sollte. Dieses war nun Luzifer, welchem von nun an die ganze
-Schöpfungskraft übertragen war.“ Luzifer schafft die Engel, unbedingte,
-aber nun in ihm enthaltene Wesen. „Umgeben von einer solchen Glorie
-vergaß er seines höheren Ursprunges und glaubte ihn in sich selbst zu
-finden, und aus diesem ersten Undank entsprang alles, was uns nicht mit
-dem Sinne und den Absichten der Gottheit übereinzustimmen scheint.“
-Das Heer der Engel teilt sich, ein Teil konzentriert sich mit Luzifer,
-der andere wendet sich seinem Ursprunge zu. „Aus dieser Konzentration
-der ganzen Schöpfung, denn sie war von Luzifer ausgegangen und mußte
-ihm folgen, entsprang nun alles das, was wir unter der Gestalt der
-Materie gewahr werden, was wir uns als schwer, fest und finster
-vorstellen, welches aber, indem es, wenn auch nicht unmittelbar, doch
-durch Filiation vom göttlichen Wesen herstammt, ebenso unbedingt
-mächtig und ewig ist als der Vater und die Großeltern.“ Goethe meint
-nun, durch die stetige Konzentration ohne die<span class="pagenum"><a name="Seite_276" id="Seite_276">[S. 276]</a></span> Expansion hätte die
-Welt samt Luzifer sich zuletzt doch aufgerieben. Darum verleihen nun
-die „Elohim“ in einem Augenblick „dem unendlichen Sein die Fähigkeit,
-sich auszudehnen, sich gegen sie zu bewegen; der eigentliche Puls des
-Lebens war wiederhergestellt.“ „Dieses ist die Epoche, wo dasjenige
-hervortrat, was wir als Licht kennen, und wo dasjenige begann, was wir
-mit dem Worte Schöpfung zu bezeichnen pflegen.“ Was von der Expansion
-hier gesagt ist, liegt ganz im Sinne des Valentinus, denn dieser
-nimmt gerade die Sehnsucht (πάθη) nach oben, als den Aionen eigen,
-die zwar Sophia zum Abfall bringt, aber doch zuletzt die Welt zu Gott
-zurückführt. Bewegung nach unten und nach oben ist die Grundidee
-des Gnostikers wie des Dichters, und übrigens auch griechischer
-Naturphilosophen. Der Mensch soll auch nach unserem Dichter das
-Vermittelnde zwischen oben und unten sein. So sicher legte sich der
-junge Goethe, was er von den gnostischen Lehren las, zurecht. Schon in
-den ersten Gesprächen, die wir von ihm noch besitzen, finden sich die
-Ideen der Konzentration und Expansion. Und damit vergleiche man aus dem
-späteren Zyklus „Gott und Welt“ die schöne Strophe:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Was wär’ ein Gott, der nur von Außen stieße,</div>
- <div class="verse">Im Kreis das All am Finger laufen ließe!</div>
- <div class="verse">Ihm ziemt’s, die Welt im Innern zu bewegen,</div>
- <div class="verse">Natur in sich, sich in Natur zu hegen,</div>
- <div class="verse">So daß, was in ihm lebt und webt und ist,</div>
- <div class="verse">Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Die gnostischen Lehren sollen ihren Ursprung von dem rätselhaften
-samaritanischen Messias <span class="gesperrt">Simon Magus</span> genommen haben. Harnack
-sagt, daß seine Existenz und seine hohe geschichtliche Bedeutung nicht
-geleugnet werden können. Er lebte zugleich mit Petrus, in heftigem
-Widerstreit zu ihm, der seinen Zauber durch Gottes Wort zunichte
-machte. Übrigens gibt es der gnostischen Schulen viele, wie die
-<span class="gesperrt">Doketen</span>, <span class="gesperrt">Peraten</span>, <span class="gesperrt">Ophiten</span> usf. Jede Schule lehrte
-noch etwas Besonderes. Doch Askese, Okkultismus, Astrologie und Magie
-zeigten sich überall. Darauf habe ich nicht einzugehen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_277" id="Seite_277">[S. 277]</a></span></p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>33. <span class="gesperrt">Der Neuplatonismus</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Wir wenden uns nunmehr den <span class="gesperrt">neuplatonischen</span> Lehren zu, die mit
-den gnostischen eine gewisse Verwandtschaft haben, im Grunde die
-<span class="gesperrt">heidnische Gnosis</span> bedeuten. Der Urheber war ein Lastträger,
-<span class="gesperrt">Ammonios Sakkâs</span> zu Alexandrien (Ende des 2. und Anfang des
-3. Jahrhunderts n. Chr.), der eigentliche Begründer <span class="gesperrt">Plotinos</span>
-(204&ndash;270 n. Chr.), in Ägypten geboren und des ersteren Schüler;
-<span class="gesperrt">Longinus</span>, <span class="gesperrt">Porphyrios</span> und <span class="gesperrt">Jamblichos</span> sind die
-Emendatoren und Interpreten. Die Philosophie, um deren Wiederbelebung
-es sich handelt, ist zwar die platonische, aber das Ganze zeigt sich
-mit Pythagoreertum und Stoischem gemischt und stellt eine Theosophie
-dar, weshalb die Behandlung hier erfolgt. Gott als Urwesen steht über
-allem Denken und Sein; selbst das Bewußtsein gehört nicht zu seinen
-Eigenschaften, er ist überhaupt absolut eigenschaftslos. Ihn zu
-erkennen ist daher nur Sache der reinen Intuition. Daher betrachtet
-Plotinos alles Wahrnehmen, selbst alles Denken, wie wir es kennen,
-als gänzlich belanglos. „Im Himmel bedürfen die Seelen der Worte
-nicht; dort ist kein verständiges Denken und nicht das Vernünftige
-in unserem Sein.“ Wir werden das im Mittelalter wiederfinden, bis zu
-völliger Verachtung aller Wissenschaft. Und von Goethe erzählt Kestner
-(Gespräche Bd. I, S. 22): „Er strebt nach Wahrheit, hält jedoch mehr
-vom Gefühl derselben, als von ihrer Demonstration.“ Das Wahrnehmen
-ist ein Leiden und eine beschwerliche Notwendigkeit für die Seele,
-hervorgehend aus der allgemeinen <span class="gesperrt">Sympathie der Dinge</span> in der
-Welt, und das Leben bedeutet kaum mehr als ein Traum. Einzig die
-Intuition hilft: „Was die übersinnliche Wahrheit ist, weiß der, der sie
-sieht.“ Eben diese Intuition stempelt die neuplatonische Philosophie
-zu einer Theosophie. Und Plotinos behauptet selbst, „oftmals das
-gepriesene Schauen des Göttlichen und die Einigung mit ihm erfahren
-zu haben“. Überhaupt ist der Mensch niemals von Gott getrennt. „Wir
-haben das Eins (Gott), wenn wir es auch nicht sagen“; vielleicht
-auch, wenn wir es nicht bewußt sind. Sind wir es bewußt, so hört das
-Eigen<span class="pagenum"><a name="Seite_278" id="Seite_278">[S. 278]</a></span>bewußtsein auf. Das ist eigentlich der Standpunkt des Indiers der
-Upanishaden. Die Intuition gilt höher selbst als die Vernunft. Gott
-weilt überall, aber nicht in den Dingen. Es ist eine Konzession an das
-Menschenherz, wenn Gott auch das absolut Gute genannt wird, und an die
-Kausalität, wenn er auch Urgrund (ἀρχή) bedeutet. An sich steht Gott in
-gar keiner Beziehung zu irgend etwas. Es ist dann freilich schwer zu
-verstehen, wie selbst die Intuition ihn fassen und mit dem Einen eins
-sein soll. Nun folgt eine Art Emanationslehre. Gleich einer Quelle,
-die Wasser aussendet und dabei doch Quelle unvermindert bleibt, warf
-das Eins ein Zweites aus sich heraus, den Nus, den wir schon kennen,
-die absolute Vernunft, die absolute Intuition. Als Zweites ist es
-unvollkommener denn das Erste; es ist aber <span class="gesperrt">absolute Vernunft</span>,
-weil es das Erste geschaut hat. Sonst ist es ein übersinnlich Seiendes,
-ein Lebendes und Vermögendes. Hier sind offenbar mehrere Aionen der
-Gnostiker in einen Aion vereinigt. Auch darin liegt Gnostisches, daß
-nun der sinnlichen Materie entsprechend eine übersinnliche gesetzt
-wird, welche nichts anderes ist als die Allgemeinheit der Vernunft.
-Die Vernunft ist hiernach eine Einheit in sich, aber doch eine
-Mannigfaltigkeit, ein κόσμος νοητός, gegenüber dem Einen, das sie
-umgibt wie ein Kreis seine Mitte. Eine Emanation der Vernunft ist
-nun die absolute <span class="gesperrt">Seele</span>, ein Gedanke, ein Logos von ihr. Wie
-die Vernunft alle Arten des Denkens, so faßt ihre Emanation Seele
-alle Arten des Seins zusammen, sie steht aber schon an der Grenze des
-übersinnlichen Reiches. Plotinos’ Pleroma, um gnostisch zu reden, ist
-also recht beschränkt, denn auch die absolute Seele begreift viele
-Aionen in sich. Und so besteht das erste Universum mit dem Urwesen (τό
-πρῶτον) nur aus dieser Dreiheit: Ureins, Urvernunft, Urseele. Plotinos
-war eben Heide.</p>
-
-<p>Die absolute Seele bringt die <span class="gesperrt">Weltseele</span> hervor. Und diese ist
-mit der Welt so verbunden wie die Menschenseele mit dem Leib. Sie ist
-aber so mannigfaltig wie die absolute Seele, und so gehört sie allen
-Teilen der Welt an. Die Welt wieder, als Materie gedacht, schafft sich
-die zweite Seele selbst, unbewußt, wie der<span class="pagenum"><a name="Seite_279" id="Seite_279">[S. 279]</a></span> Demiurg der Gnostiker.
-Die Emanation tritt als Drang, Notwendigkeit auf. Da aber die zweite
-Seele doch Emanation der übersinnlichen ersten Seele, und diese
-Emanation der absoluten Vernunft ist, muß sich die Welt immerhin als
-so gut als möglich und so schön als möglich geordnet erweisen. Die
-zweite Seele prägt ihr auch von ihrem Übersinnlichen ein. Das kann
-wegen der Unfähigkeit der Materie nur allmählich geschehen; in diesem
-allmählichen Aufnehmen des Übersinnlichen beruht, was wir Zeit nennen.
-Da ferner alle Seelen die zweite Seele sind, so besteht zwischen ihnen,
-also zwischen den Dingen, ein Zusammenhang, eine „<span class="gesperrt">Sympathie</span>“,
-was wir noch oft und später, in anderer Form, auch bei den Leibnizschen
-Monaden wiederfinden werden. Diese Sympathie bewirkt es, daß keinem
-Dinge etwas widerfahren kann, das nicht alle Dinge mitempfinden. Ferner
-führen die Seelen, wie bei den Gnostikern, als von oben stammend und
-nach unten (wenn auch passiv) wirkend, ein Doppelleben, zur Höhe
-und zur Tiefe. Die Materie aber ist der Gegenpol im Ganzen zu dem
-Urwesen, und an der Grenze des Seins das Mangelhafte, das Böse. Das
-Leben zeigt verschiedene Grade, aber alles hat Seele. Wir finden so
-einen monistischen Idealismus, der zu einem Panpsychismus geführt hat;
-selbst leblosen Körpern kommt eine Seele zu, wie der Erde, den Steinen.
-Eine Auflösung der Welt erfolgt nicht; die Welt bleibt, nachdem sie
-entstanden, ewig. Ewig strahlen auch die Seelen in die Materie hinein,
-aber ihr Zusammenhang mit der Materie ist nur ein scheinbarer. Da die
-Materie doch auch nur Emanation der Seelen sein soll, muß angenommen
-werden, daß überhaupt die Emanationen miteinander an sich ohne
-Verbindung sind. Nur die Gemeinschaft des letzten Ursprunges hält sie
-zusammen. In der Tat lehrt Plotinos auch eine gewisse Willensfreiheit.
-Und doch wird die Sucht nach Selbständigkeit als Ursprung alles Bösen
-betrachtet (wie in Goethes „Weltbild“) und alles Niedrigen, wie von
-allem Leben die Pflanze das niedrigste sein soll, da jede für sich
-allein steht. Die reinste Seele kommt dem Himmel (Zeus?) zu. Diese ist
-ganz in sich zusammen<span class="pagenum"><a name="Seite_280" id="Seite_280">[S. 280]</a></span>gezogen und folgt nur ihren absoluten ehernen
-Gesetzen. Dann haben wir die Seelen der Gestirne. Und so werden auch
-Himmel und Gestirne wie Götter behandelt; sie haben aber bloß die der
-ersten absoluten Seele nächststehenden Manifestationen der Weltseele.
-Mit der Welt hängen sie nur durch die „Sympathie der Dinge“ zusammen,
-sonst sind sie in bezug auf diese, wie alles, passiv. Tatsächlich
-liegt das Gesetz der Welt, die <span class="gesperrt">Vorsehung</span>, nur in der absoluten
-Vernunft. Nach den sichtbaren Göttern kommen die Dämonen und dann die
-Menschen, Tiere, Pflanzen usf. Des Menschen Aufgabe im Leben ist die
-<span class="gesperrt">Katharsis</span>, die Reinigung von allem Irdischen, verbunden mit
-<span class="gesperrt">Sichversenken</span>, die zur Intuition führt. Jede Seele kann durch
-Dämonen, Götter und Himmel zurück zum Lichtreich gelangen. Die Schule
-der Neuplatoniker lehrte denn auch Seelenwanderung.</p>
-
-<p>Man sieht, wie in den <span class="gesperrt">Emanationslehren</span> die Emanationen so
-verschieden angegeben sich finden. In manchen Systemen werden Urwesen
-und Emanationen nach Triaden als πατήρ, δύναμις, νοῦς geordnet (<a href="#Seite_255">S.
-255</a>). Der mit dem Pseudonym <span class="gesperrt">Dionysios der Areopagite</span> (ein
-unbekannter christlicher Neuplatoniker, der um 500 n. Chr. gelebt haben
-mag) bezeichnete Schriftsteller, der einen so merkwürdigen Einfluß auf
-die mittelalterlichen Religionsphilosophen ausgeübt hat, zählt als
-<span class="gesperrt">Hierarchie</span> drei Triaden zu je drei Abteilungen von Emanationen
-auf. Die erste Trias besteht aus den <span class="gesperrt">Seraphim</span>, die von Gott,
-den <span class="gesperrt">Cherubim</span>, die von den Seraphim, und den <span class="gesperrt">Thronen</span>
-(<span class="gesperrt">festen Naturen</span>), die von den Cherubim erleuchtet werden. Dann
-folgen in den nächsten Triaden: die <span class="gesperrt">Archonten</span>, <span class="gesperrt">Tugenden</span>,
-<span class="gesperrt">Mächte</span>; <span class="gesperrt">Prinzipes</span>, <span class="gesperrt">Erzengel</span> und <span class="gesperrt">Engel</span>,
-die immer weiter das göttliche Licht durch Überlieferung verbreiten,
-aber in immer geschwächterer Form, bis es zum Menschen gelangt. Doch
-kann der Mensch zu den Engeln sich emporheben, ja noch höher, bis zu
-Gott, wie er auch selbst Licht zu verbreiten weiß. Der himmlischen
-Hierarchie sollte die kirchliche entsprechen. Die Kirche als Aion hat
-schon Basilides aufgestellt. Bei Dionysios erscheint das ganze Pleroma
-als über<span class="pagenum"><a name="Seite_281" id="Seite_281">[S. 281]</a></span>sinnliche Kirche. Fünf Stadien hätte der Mensch zu durchlaufen
-bis zur Vergottung: Reinigung, Erleuchtung, Weihung, Vergöttlichung,
-Aufgehen in Gott. Sie bilden das <span class="gesperrt">große Mysterium</span>, das, wie
-man sieht, indisch ausläuft, und zu entsprechenden Mystizismen und
-Verzückungen geführt hat.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>34. <span class="gesperrt">Übergang zum Mittelalter; Augustinus,
-Scotus Erigena</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Schon lange vor Dionysios mußte die Kirchenlehre mehr und mehr in
-die Anschauungen eingreifen, und nachdem der Evangelist Johannes
-Christus mit dem Logos identifiziert hatte, war es nur folgerichtig,
-daß nun allmählich Christus die weltschöpferische Rolle übernahm.
-Gleichwohl konnte die völlige Hinausschiebung Gottes in das absolut
-Untätige, entgegen dem deutlichen Bibelworte, nicht ohne Widerspruch
-bleiben. Hieraus ist dann der durch das ganze Mittelalter und darüber
-hinaus sich fortsetzende Streit über das Wesen Gottes und über das
-Verhältnis der drei Einheiten zueinander entstanden, der durch ein
-Glaubensbekenntnis allein naturgemäß nicht geschlichtet werden konnte.
-Diesem Streit zu folgen ist nicht meine Aufgabe. Wir finden aber in
-allen theosophischen Lehren die Rolle Gottes bald aktiv, bald passiv
-aufgefaßt. Und seltsamerweise mußte sie für das Volk wie für den
-verstandesmächtigen Philosophen immer passiver werden, für diesen
-aus tiefer Überlegung der Hoheit des Gottesbegriffes, für jenes
-aus Zurückdrängung Gottes durch die Zwischenstufen. Ja auch diese
-Zwischenstufen wurden je höher, je mehr vom Volke in die neutrale Ferne
-gerückt. Und wie die Macht der menschlich so schönen und rührenden
-Gestalt der Himmelskönigin zunahm, und die Heiligen mit ihren Wundern
-im Leben und im Tode sich überall einschoben, mußten zuletzt auch die
-beiden anderen Einheiten der Trinität fast passiv werden, um so mehr
-passiv, je genauer ihre Verbindung mit Gott selbst gedacht und geglaubt
-wurde. Es kam noch ein anderes hinzu, was die poetischen Systeme der
-Theosophen abseits drängte und<span class="pagenum"><a name="Seite_282" id="Seite_282">[S. 282]</a></span> zersetzte: die ständig wachsende Macht
-der Aristotelischen Lehre, die, an Stelle der lebenden Gestalten
-der Ideen Platons und der Emanationen, in den Formen dialektische
-Bilder brachte und für die lichtgewobenen Schönheiten potentielle
-Realitäten gab. Gleichwohl finden wir Emanationslehren noch das ganze
-Mittelalter hindurch und sehen sie am Beginn der Neuzeit und in unserer
-Zeit mit außerordentlicher Kraft sich wieder beleben. Sie sind eben
-schöne Dichtungen und für den Menschen durch die Stellung, die sie
-ihm im Universum verleihen, auch sehr schmeichelnd und Unendlichkeit
-verheißend. Bringen wir zunächst für das Mittelalter noch einige
-Angaben.</p>
-
-<p>Der große Kirchenvater <span class="gesperrt">Aurelius Augustinus</span> (geb. 354 zu Thagaste
-in Afrika, gest. 430 als Bischof von Hippo Regius ebenda), das Licht
-der <span class="gesperrt">patristischen Philosophie</span>, gehört nicht eigentlich zu den
-Theosophen. Seine Anschauung muß aber kurz skizziert werden, weil
-sie von so außerordentlichem Einfluß auf die des ganzen Mittelalters
-gewesen ist. Gott hat die Welt geschaffen: Allein nicht aus sich,
-sondern als <span class="gesperrt">Evolution</span> in Zeit und Raum aus dem <span class="gesperrt">Nichts</span>
-(Platons Nichtseiendes?). Daher kann die Welt die Vollkommenheit
-Gottes nicht besitzen. Sie ist nur für sich vollkommen, gegen Gott
-aber unvollkommen. Gleichwohl wird für alles und jedes sein Grund
-in Gott verlegt. Nur <span class="gesperrt">eine</span> Weisheit besteht, in dieser sind
-die unendlichen unbegrenzten Schätze der <span class="gesperrt">intelligiblen Dinge</span>
-(Rerum intelligibilium); letztere enthalten alle unfehlbaren und
-unveränderlichen Gründe (rationes) der Dinge, auch der sichtbaren und
-veränderlichen, welche durch sie (die Weisheit Gottes) geschaffen sind.
-Denn Gott hat nichts nichtwissend geschaffen; hat er aber wissend
-geschaffen, so hat er es so weit geschaffen, als er es wußte. In der
-Tat ist ja das Nichts qualitätlos. Es liegt in solchen Anschauungen
-zweifellos etwas Neuplatonisches, Theosophisches, und Augustinus
-ist auch der Ansicht, daß das bloße offenbarende Wort, die Schrift,
-nichts ist ohne die Bestätigung des göttlichen Geistes in uns, also
-durch Intuition erst Realität gewinnt. Aber im Grunde läßt er das
-Problem des Bösen in der<span class="pagenum"><a name="Seite_283" id="Seite_283">[S. 283]</a></span> Welt doch auch ungelöst; Unvollkommenheit
-ist noch kein Böses, wenigstens sträubt sich unser menschliches
-Gefühl gegen eine solche Ansicht. Denn wenn wir auch zugeben, daß aus
-Passivität Anderen Unheil erwachsen kann, so ist doch das Böse für
-uns ein durchaus aktiver Begriff. Eher vermöchten wir das Schlimme,
-das uns selbst im Leben widerfährt, Krankheit, Verlust usf., der
-Unvollkommenheit der Welt zuzuschreiben. Aber wir können nicht umhin,
-dem Bösen auch eine ethische Bedeutung beizumessen; und dann ist es
-aus einer Unvollkommenheit der Welt nicht abzuleiten, namentlich
-nicht, wenn es <span class="gesperrt">bewußt</span> auftritt. Augustinus’ Lehre ist eben
-optimistisch, und eine solche Lehre hat keine andere Erklärung für
-das Schlechte als die Redewendung: „Das Böse oder das Übel bezeichnet
-nur die Beraubung des Guten (privatio boni)“, welche eben nur
-Redewendung ist für etwas, das wir nicht ergründen können. Wenn wir
-Gott theologisch-religiös auffassen und ihn aktiv allein und aus Nichts
-und gegen Nichts die Welt schaffend annehmen, so bleibt mindestens das
-Bewußt-Schlechte unerklärt. Und das ist es auch in der Folge geblieben,
-die bei weitem theologischer verfährt als der bei allem Aberglauben
-so geistvolle und hochdenkende Kirchenvater. Seine Ansicht von der
-Welt als Einheit mit absoluter Ordnung der Entwicklung unterscheidet
-sich von den reinmaterialistischen Anschauungen, die wir noch kennen
-lernen werden, nur durch den Grund der Einheit und Ordnung, denn
-sogar die Wunder reiht er in diese Ordnung ein, so daß sie zur Natur
-zählen. Der Materialist setzt keinen Grund, für Augustinus ist der
-Grund im Schöpfer und Lenker der Welt. Und so gehören ihm zur Natur
-auch die Engel. Und er hat nicht übel Lust, denen zu folgen, die im
-Himmel und den Gestirnen zwar auch nur Dinge der Natur sehen, aber
-höhergestellte als Mensch und andere Wesen (<a href="#Seite_289">S. 289</a>). Alles dieses,
-zum Teil vergröbert, aber auch durch den Einfluß der Aristotelischen
-Philosophie mehr ins Abstrakte gewendet, finden wir namentlich auch bei
-den Scholastikern.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Johannes Scotus Erigena</span> (um das 9. Jahrhundert in<span class="pagenum"><a name="Seite_284" id="Seite_284">[S. 284]</a></span> Irland
-geboren) läßt in einer seiner mehreren Ansichten alles von Gott
-emaniert sein. Gottes Klarheit, welche mit Recht auch Dunkelheit
-genannt wird, breite sich über alles aus. Die ungeformte Materie soll
-nur das Unendliche bedeuten, welches, da es formlos sei, alle Formen
-in sich enthalte. Gott hat die Welt aus seinem eigenen Wesen gebildet.
-Jedes Geschöpf ist eine <span class="gesperrt">Theophanie</span>, ein Sichoffenbarmachen
-Gottes. Gott sei an sich vorhanden wie ein Gedanke im Menschen bestehe;
-er manifestiere sich in der Welt durch sich selbst, wie ein Gedanke,
-der sich denkt, sich selbst zur Erkenntnis komme. So sei Gott ohne die
-Welt absolut negativ. Es klingt wie eine Blasphemie, wenn gesagt wird,
-Gott wisse nicht, was er sei, und er werde erst geschaffen mit der
-Schöpfung, indem er sich in seiner Schöpfung offenbart, die Schöpfung
-so aus Nichts hervorbringend. Das ist auch fast so abstrakt wie die
-indische Tad-Anschauung. Freilich bleibt es bei diesem absoluten, und
-ja auch nicht zu durchdringenden, Pandeismus nicht. Wie der Indier
-muß Scotus Gott doch etwas zuschreiben, Willen, und die Geschöpfe
-sind dann Willensakte. Der Wille ist persönlich als Emanation Gottes
-(als Christus) gedacht, wie wohl auch die Ursachen (zusammengefaßt
-als Heiliger Geist), die Scotus von Gott ausgehen läßt, Emanationen
-sind, und die Wirkungen, die wieder von ihnen ausgehen, Emanationen
-ihrer selbst darstellen. So ist Christus der Urheber, und der Heilige
-Geist der Vollender der Welt (Pater vult, filius facit, spiritus
-sanctus perficit, heißt die berühmte Formel). Die Ursachen müssen als
-verschieden voneinander angesehen worden sein, und weil sie Emanationen
-gleicher Ordnung bedeuten sollten, besteht kein Rang zwischen ihnen,
-also auch keine Folge ihrer Wirkungen. Es wird nun jedes Geschöpf als
-eine Art Mikrokosmos angesehen, indem aber die Ursachen in ihm sich in
-beliebiger Folge geltend machen können, soll es eine allgemeine Folge
-auch des Denkens nicht geben. Das ist freilich ein Schluß, der den
-Weg zur absoluten Wahrheit, das heißt zur Erkennung des <span class="gesperrt">Ganzen</span>
-im Mannigfaltigen versperrt; Jeder faßt nach <span class="gesperrt">seiner</span> Weise
-sich und die Welt auf. Da Jeder aber eine Theophanie darstellt, so<span class="pagenum"><a name="Seite_285" id="Seite_285">[S. 285]</a></span>
-ist seine Auffassung eine reale. Die Welt hat so viele Gestaltungen
-als Geschöpfe sind, alle diese Gestaltungen sind die ganze Welt.
-Indessen wird doch auch eine Abstufung in den Geschöpfen angenommen.
-Und als ein unergründliches Geheimnis &mdash; darin verborgen, daß Gott
-alles nach Maß und Zahl und Gewicht geschaffen habe &mdash; wird es
-bezeichnet, daß jedes Geschöpf in der Ekstase, also intuitiv, Gott
-(incomprehensibilem et inintelligibilem causam) in seiner nächsthöheren
-Theophanie (proxima illi theophania) „von Angesicht zu Angesicht“
-erkenne. So konstatiert Scotus eine Harmonie in der Welt, in der
-alles, selbst die Materie, eben als Theophanie, unvergänglich ist,
-selbst jeder Gedanke, jedes gute oder böse Wollen; aber ohne jede
-„Sympathie der Dinge“. Eine solche Welt würde es eher verstehen machen,
-wenn wir, nachdem Jahrtausende hindurch Menschenliebe gepredigt
-worden ist, uns Vorträge halten lassen über den ethischen Wert des
-gegenseitigen Sichtotschlagens. Da die irdische Welt die letzte aller
-Emanationen ist, so schafft sie selbst nichts wirklich; sie scheint
-nur zu schaffen, und so ist sie auch Nichts, und sie wird mit allem
-untergehen, was in ihr ist. Ewig ist nur das Geistige, und durch das
-Geistige findet die Rückkehr zum Ursprung zurück, die Erkenntnis Gottes
-in uns (als Theophanie). Das System ist idealistisch-monistisch, und
-so fehlt auch eine wirkliche Erklärung des Bösen in der Welt. Es wird
-nur eine indirekte <span class="gesperrt">doppelte Prädestination</span> gelehrt. Gott hat
-die Zahl der Guten und Bösen vorherbestimmt, die letzteren jedoch nur
-als notwendigen Gegensatz zu den Guten. Damit ist der Begriff des
-Guten und Bösen als solcher aufgehoben, es tritt nur die Relativität
-ein, und diese ist vergänglich. Wenn der Leser fragt: wie hat sich
-der Philosoph mit der Kirchenlehre abgefunden? so kann man ihm nur
-antworten: wie ein souveräner Denker, gar nicht! Da er aber gleichwohl
-dem orthodoxen Glaubensbekenntnis angehört, so haben wir ein Beispiel
-der „<span class="gesperrt">doppelten Wahrheit</span>“, die immer auftritt, wo Glaube und
-Denken nebeneinander wirken, und die so oft gegen herrschende Gewalt
-aushelfen muß. Auch stand Scotus erst am Beginne des <span class="gesperrt">dunklen</span>
-Mittelalters und<span class="pagenum"><a name="Seite_286" id="Seite_286">[S. 286]</a></span> blieb auch für mehrere Jahrhunderte der bedeutendste
-Denker der christlichen Welt. Seine Emanationslehre hat aber etwas
-Nordisch-Düsteres, das Universum ist für ihn kein „überschäumendes
-Licht“ wie für die südlichen Emanisten.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>35. <span class="gesperrt">Islamisch-arabische Theosophien</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Wir unterbrechen hier die Betrachtung der christlichen Theosophie, um
-uns erst zu der <span class="gesperrt">islamisch-arabischen</span> und der <span class="gesperrt">jüdischen</span>
-Philosophie zu wenden. Beide haben auf den Gang der christlichen
-Philosophie im Mittelalter einen bedeutenden Einfluß gehabt, nicht
-allein indirekt durch Verbreitung namentlich der Aristotelischen
-Anschauungen, sondern auch unmittelbar, indem vieles von ihren
-Lehren auf jene überging. Der Mohammedaner steht dem Koran gegenüber
-gebundener da als wir der Bibel, denn der Koran enthält wenig
-Erzählung, an die man glauben soll, sondern vor allem Lehre. Nimmt
-der Moslem diese nicht an, so ist er eben kein Moslem. Daher können
-mohammedanische Anschauungen, solange sie eben mohammedanisch sind,
-nur Besonderes betreffen, worin der Koran der Deutung Spielraum läßt.
-Liberal und orthodox kann sich hier nur auf die Auslegung gewisser
-Einzelheiten beziehen. Aber diese Einzelheiten gehen wie überall eben
-auf die Grundfragen der Menschheit. Und in diesen hat Mohammed keine
-andere Lösung vorbereitet, als wir sie in unseren heiligen Schriften
-finden. Daher die Verwandtschaft zwischen den mohammedanischen
-Auslegungen und den unsrigen auch dort, wo auf dem Boden des
-Bekenntnisses stehengeblieben, also von der eigentlichen Religionslehre
-nicht abgewichen wird. Diese Verwandtschaft ist naturgemäß größer mit
-den jüdischen Auslegungen als mit den christlichen, da die Trinität
-dem Islamismus wie dem Mosaismus fehlt, beide also nur von Gott
-Rechenschaft sich zu geben haben, während im Christentum noch von der
-Wesenseinheit Christi und des Heiligen Geistes mit Gott die Klarheit
-gewonnen werden muß. Wir behandeln zunächst die Anschauungen zweier
-islamischen Sekten, die sich in der Tat<span class="pagenum"><a name="Seite_287" id="Seite_287">[S. 287]</a></span> wie Kirchlich-Liberale und
-Kirchlich-Orthodoxe gegenüberstehen, während beide doch kirchlich
-sind. Wir würden sie nach den Auseinandersetzungen über religiöse
-Anschauungen im voraufgehenden Buche sowenig zu erwähnen brauchen wie
-jüdisch- oder christlich-kirchliche Anschauungen, wenn sie nicht einige
-Wendungen hätten, die gerade hierher gehören.</p>
-
-<p>Zunächst die Anschauungen der freieren Sekte der <span class="gesperrt">Muatazile</span>
-(Mu’tazila, die Sichabsondernden). Sie nehmen an, daß Gott bei der
-Erschaffung der Welt, die in ihm mit allen ihren Eigenschaften als
-eine Möglichkeit bestand, alles in sie hineingelegt habe, freilich
-nur alles Gute. In die vernünftigen Wesen habe er auch den freien
-Willen getan; wenn der Mensch diesen zum Bösen anwende, sei Gott
-nicht verantwortlich. Es ist nicht eine Emanationslehre, sondern eine
-Evolutionslehre; aber doch ist in den Dingen Göttliches vorausgesetzt,
-da was jetzt in ihnen vorhanden, vorher als Mögliches in Gott bestanden
-hat. Den Gegensatz zu den Muatazile bildeten die <span class="gesperrt">Motakallim</span>
-(Mutakallimun, die Sprechenden) als Orthodoxe. Wir werden ihnen später
-als Atomisten begegnen. Hier haben wir nur zu erwähnen, was sie von der
-Welt und dem Menschen sagten. Alles ist von Gott geschaffen, aber ganz
-nach Willkür. Gott hätte jede andere Welt ebenso schaffen können. Gott
-regiert auch die Welt absolut und ständig; kein Vorgang ohne Gottes
-Veranlassung. Und so entsteht alles in jedem Augenblick aus nichts,
-als wenn die Welt fortwährend, in jedem Zeitmomente &mdash; die Motakallim
-dachten sich die Zeit atomistisch als aus lauter „Jetzt“ sich reihend
-&mdash; geschaffen würde. Wenn gleichwohl Naturgesetze gelten, so wird
-Gottes an sich souveräner Wille durch seine Vernunft geleitet. Diese
-Vernunft setze vieles als notwendig, wie die Vereinigung von Seele und
-Leib und die sittliche Ordnung. Und Gottes Vorauswissen hemme ihn,
-Böses und Übel, das eintreten soll, zu hindern; denn täte er es, so
-würde er ja sein Wissen ändern, und Gott ist absolut. So sind denn
-auch die menschlichen Handlungen solche Gottes; doch werde der Mensch
-auch erleuchtet, und dann ist er ein „einsichtiges“ Werkzeug Gottes.
-Diese Lehre, ab<span class="pagenum"><a name="Seite_288" id="Seite_288">[S. 288]</a></span>gesehen von der letzteren Erleichterung, ist um so
-herber, als der Mensch gleichwohl für Missetat bestraft werden soll.
-Und auch das Anthropomorphische in Gottes Eigenschaften wird dadurch
-nicht annehmbarer, daß es mit absoluter unendlicher Macht verbunden
-auftritt. Das Ganze ist auf dem starren Glauben des Mohammedanismus
-gegründet, der ja auch zu dem <span class="gesperrt">Kismet</span> geführt hat. Die Vollendung
-dieser orthodoxen Lehre ist die der <span class="gesperrt">Aschariten</span>, die auch jede
-Kausalität leugnen, überhaupt jeden Zusammenhang in der Welt, außer
-durch Gott, ablehnen.</p>
-
-<p>Die mohammedanische Wissenschaft übernahm, wie so vieles andere vom
-Abendlande, auch den Neuplatonismus. Gleich einer ihrer bedeutendsten
-Philosophen, <span class="gesperrt">Aviçenna</span> (Iba Sina 980&ndash;1037 n. Chr.), scheint
-Plotins Lehren fast unverändert in seine Anschauungen übertragen
-zu haben, nicht bloß hinsichtlich Gottes und der Emanationen, wo
-seine <span class="gesperrt">Intelligenzen</span> der Nus Plotins und die beiden Seelen
-sind, sondern selbst in bezug auf die Ordnung in der Welt und die
-Stellung des Menschen. Ja selbst der große <span class="gesperrt">Averroes</span> (Ibn
-Roschd 1105&ndash;1198 n. Chr. zu Cordova) gehört eigentlich hierher. Wir
-betrachten seine Lehre etwas genauer, weil vieles in ihr enthalten
-ist, das gegen die Emanationstheorie zu sprechen scheint, die er auch
-abgelehnt haben soll. Die Welt ist von Gott gebildet, aus Materie.
-Wesen, Wissen und Wirken sind bei Gott absolut und das gleiche mit
-ihm selbst. Die Materie hat Gott nicht geschaffen, sie besteht neben
-ihm, und zwar von vornherein mit allen Fähigkeiten begabt, das zu
-werden, was sie in der Welt ist; also eine Welt mit allen Vorgängen
-abzugeben. So wird die Schöpfung der Welt durch Gott mehr auf
-einen Auslösungsakt zurückgeführt, und ist im Grunde nur in diesem
-Auslösungsakt spiritualistisch, etwa wie bei Anaxagoras, gedacht.
-Und auch dieses wenige Spiritualistische ist noch fast bedeutungslos
-gemacht, indem die Schöpfung in die Unendlichkeit zurückverlegt wird.
-Allein dieser Standpunkt ist offenbar nicht konsequent beibehalten,
-sonst müßte Averroes zu einer rein physischen Anschauung von dem
-Gang der Welt gekommen sein. Davon ist er aber oft weit abgewichen.<span class="pagenum"><a name="Seite_289" id="Seite_289">[S. 289]</a></span>
-Schon die Sonderstellung, die er dem Himmel zuweist und die in vieler
-Hinsicht an neuplatonische Anschauung erinnert, ist sehr eigenartig.
-Dieser Himmel war nicht und ist nicht vergänglich. Ihm wird eine
-Seele zugeschrieben, die ihn auch bewegt; und diese Seele ist mit
-Vernunft begabt, und zwar mit solcher, wie sie eigentlich sonst Gott
-beigemessen wird. Mit dieser Vernunft regiert der Himmel die Bewegungen
-aller Gestirne. Und sein Erkennen geht nur auf sich und das Höhere;
-das Niedrigere, die eingeschlossene Welt, erkennt der Himmel nicht
-als solches, sondern allein aus dem Höheren. Und so wird ihm, was
-für die Gestirne geschieht, für die Menschheit abgesprochen, wie
-auch Gott selbst: nämlich die Vorsehung. Indessen doch nicht in dem
-Grade wie Gott, über den es ja kein Höheres gibt, woraus ihm etwas
-offenbar werden könnte; während der Himmel eben den Gang der Welt
-noch aus höheren Ursachen entnehmen kann. Man muß nun schließen, daß
-er diese Erkenntnis weiter dem Niederen zu erkennen gibt; wir hätten
-die Astrologie, und alles so Befremdliche, was vom Himmel gesagt ist,
-wäre nur dieser Astrologie wegen gesagt. Aber auch die Rolle Gottes
-ist nicht so allein auf den ersten Anstoß beschränkt, wie aus den
-Annahmen über die Materie sich zu ergeben scheint. Schon die höheren
-Ursachen (Mächte), die der Himmel erkennt, müssen doch Gott ihre
-Entstehung verdanken. Und wenn wir erfahren, daß der Mensch nicht
-bloß sich und was unter ihm, sondern auch das Höchste zu erkennen
-die Fähigkeit haben soll, so muß doch Gottes Geist wenigstens in ihm
-sein. Und dieser Eindruck wird verstärkt, indem der Mensch auch zu
-der letzten Erkenntnis soll gelangen können, worin er sich selbst
-erkennt. Mitunter freilich scheint es, als wenn die Erkenntnis des
-Höchsten nicht die Erkenntnis Gottes zu bedeuten hat, sondern nur die
-Erkenntnis des Höheren und noch Höheren usf. Aber der Vernunft wird
-doch auch Unsterblichkeit zugeschrieben. Nicht dem besonderen Verstande
-des besonderen Menschen, welcher vielmehr mit ihm stirbt, sondern der
-allgemeinen Vernunft, von der der besondere Verstand nur ein Akzidens
-im Leben ist. Und diese allgemeine Vernunft ist eben einheitlich.<span class="pagenum"><a name="Seite_290" id="Seite_290">[S. 290]</a></span>
-Wir haben also bei Averroes tatsächlich einen Dualismus von Geist und
-Materie, vermehrt durch die Sonderstellung des Himmels, und durch die
-In- und Außerweltstellung Gottes. Vieles aber verliert sich völlig in
-Mystik; schon was vom Himmel gesagt ist, gehört hierher. Noch mehr,
-wenn gar dem Himmel intelligibles Mitwirken bei der Entstehung der
-Dinge zugeschrieben wird; so wird „der besondere Mensch von der Sonne
-hervorgebracht und von der besonderen Materie, welche ein anderer
-besonderer Mensch darbietet, daß sie von der erzeugenden Kraft der
-Sonne belebt werde“. Daß, obwohl die Sonne allgemein Menschen beleben
-kann, sie diesen besonderen Menschen belebt, liege daran, daß ihr eine
-besondere Materie geboten ist, die eben nur Bestimmtes empfangen könne.
-Das alles wird man nur verstehen, wenn Averroes, trotz seiner Ablehnung
-der Emanationslehre, doch nach deren Schema gearbeitet hat; sonst kämen
-Dinge heraus, die man einem so hervorragenden Denker nicht zumuten darf.</p>
-
-<p>Andere Philosophen der mohammedanischen Welt haben von ihrer
-Rechtgläubigkeit hinzugefügt. Aber der große Einfluß der Gnosis auf sie
-zeigt sich bei ihnen in dem so hervortretenden Hang zum Mystizismus
-selbst bei den bedeutendsten unter ihnen. Wir verdanken solchem Tüfteln
-und Forschen nach dem Geheimen der Natur die <span class="gesperrt">Alchemie</span> und die
-feinste und spitzfindigste Ausbildung der <span class="gesperrt">Astrologie</span>. Und
-abgesehen von ihren Übersetzungen der griechischen Werke (namentlich
-der aristotelischen), haben sie durch nichts so erheblich auf die
-Forschung des mittelalterlichen Abendlandes gewirkt wie durch ihre
-Geheimwissenschaften. Wir werden übrigens von ihnen noch bei mehreren
-Gelegenheiten zu sprechen haben.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>36. <span class="gesperrt">Jüdische Theosophie und Kabbala</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Da die Gnosis im Grunde aus jüdischen Anschauungen sich entwickelt
-hat, denn das erste konsequente, wenn auch nicht vollständige, System
-ist das von Philon, so darf es nicht wundernehmen, wenn sie auch bei
-jüdischen Forschern sich weitergebildet findet. Hervorzuheben ist
-zunächst der so bedeutende Dichter <span class="gesperrt">Salomon ben Gabirol</span> (1020 n.
-Chr.<span class="pagenum"><a name="Seite_291" id="Seite_291">[S. 291]</a></span> zu Malaga geboren und in der Philosophie als Avicebron bekannt).
-Ich brauche nur aus einem Hymnus von ihm, „die Königskrone“, die
-entscheidenden Verse anzuführen:</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Du bist Gott! Und nicht getrennt ist deine Einheit von deiner Göttlichkeit,</div>
- <div class="verse">So wenig als dein Dasein von deiner Ursprünglichkeit;</div>
- <div class="verse">Denn alles fließt aus <span class="gesperrt">einer</span> Quelle.</div>
- <div class="verse">Und wenn auch jedes anders heißt, so ist doch aller Ziel dieselbe Stelle.</div>
- <div class="verse">Du bist weise! Des „Lebens Quelle“ ist die <span class="gesperrt">Weisheit</span>, dir entstammend, hell und klar,</div>
- <div class="verse">Und deiner Weisheit gegenüber ist der Mensch des Wissens bar.</div>
- <div class="verse">Warst früher als alles Frühe, und in deinem Schoß</div>
- <div class="verse">Da wuchs die Weisheit groß. &mdash; &mdash;</div>
- <div class="verse">Du bist weise! Und deine Weisheit strahlte aus die <span class="gesperrt">Willenskraft</span>,</div>
- <div class="verse">Die wie ein Meister, wie ein Künstler wirkt und schafft,</div>
- <div class="verse">Die aus dem Nichts hervor ließ gehn das <span class="gesperrt">Sein</span>,</div>
- <div class="verse">Wie aus dem Aug’ des Lichtes Schein,</div>
- <div class="verse">Die ohne Eimer schöpft des Lichtes Kraft</div>
- <div class="verse">Und ohne Werkgang alles schafft.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Also die Emanationen sind Weisheit, Willenskraft, Sein. Und die
-Willenskraft baut die Welt als Emanation.</p>
-
-<p>Das imponierendste System der jüdischen Gnostik und Mystik ist die
-<span class="gesperrt">Kabbala</span>. Früher mißachtet und verrufen, wird sie jetzt mit
-Eifer hervorgezogen und auf ihren wissenschaftlichen Ideengehalt
-untersucht. Das kabbalistische System ist in sehr vielen Traktaten und
-Werken niedergelegt. Die bedeutendsten Schriften sind das <span class="gesperrt">Sepher
-Jezira</span> (Buch der Schöpfung) und das <span class="gesperrt">Sepher Sohar</span> (Buch
-des Glanzes), redigiert von <span class="gesperrt">Mose de Leon</span> um 1300 n. Chr. in
-Spanien. Es ist eine ins Minutiöse durchgeführte Emanationslehre,
-um die es sich handelt; freilich mit Zahlen- und Buchstabenmystik
-aufs äußerste durchsetzt (namentlich im erstgenannten Werk, das
-alles in der Welt aus Zahlen und Buchstaben aufbaut). Das Urwesen
-ist „das Unendliche“ (<span class="gesperrt">En Soph</span>), oder „der heilige Alte“, oder
-der „<span class="gesperrt">Alte vom Tage</span>“, auch das „heilige Antlitz“. Es bedeutet
-ganz Licht. Der Emanationen gibt es zehn in absteigender Bedeutung:
-die höchste Krone oder oberste Höhe, die ideelle Weisheit oder
-ideelle Einsicht, die Liebe oder Gnade, die Stärke, das Recht, die
-Herrlichkeit<span class="pagenum"><a name="Seite_292" id="Seite_292">[S. 292]</a></span> oder Barmherzigkeit, der Sieg oder die Geistesmacht,
-der Glanz oder die Schönheit, der Grund, der Kranz oder das Reich. Es
-bestehen nun vier Welten in absteigender Folge. Der Mensch ist in allen
-beteiligt, nach den verschiedenen Bedeutungen seiner Seele, deren,
-gemäß der Bibelbezeichnungen, vier angenommen werden: Adam mit dem
-Beiwort Kadmon als Urmenschenseele, Neschamah als intuitive, Ruach als
-denkende, Nephesch als lebende Seele (vgl. <a href="#Seite_221">S. 221</a> ff.). Daher kann der
-Mensch sich bis zu dem Höchsten erheben. Die vier Welten aber sind:
-Aziruth, entsprechend dem Pleroma, also das absolute Lichtreich, alle
-Urbilder der Schöpfung enthaltend; Beriah, eine intellektuelle Sphäre
-der Innerlichkeit, die Aionen Weisheit und Einsicht herrschen darin;
-Jezirah, die Welt der Engel, an deren Spitze der Erzengel Metathron
-(also dem Griechischen entnommen, der dem Throne Nächststehende), hier
-waltet die Schönheit. Die letzte Welt zerfällt in mehrere Schichten,
-die oberste Schicht ist die des Demiurgos; dann folgt die der Dämonen,
-die irdische Welt. Und nun geht es merkwürdigerweise wieder in die
-Höhe, denn die weitere Schicht enthält Emanationen von Sieg und
-Glanz, und die letzte Schicht das Reich (Malkuth). H. Schmitt sieht
-darin einen hervorragenden Optimismus, da schon in der niedrigsten
-Welt das Lichtreich erreichbar ist. Weiteres anzuführen muß ich mir
-versagen; meine Leser wissen aber, wie so vieles aus der Kabbala als
-Mystik und Okkultismus in die Nekromantie, Theurgie, und was des
-Spukes mehr, übergegangen ist. Wir haben es nur mit dem Gedanklichen
-zu tun. Und dieses ist bedeutend genug in der Reihe der gnostischen
-und neuplatonischen Systeme. Es führt sogar über diese hinaus durch
-die bezeichnete konsequente Einfügung des Menschen in <span class="gesperrt">alle</span>
-Welten, wodurch sein Anteil am Lichtreiche und seine Bestimmung, durch
-reines Leben und durch Erkenntnis sich zu diesem Reiche aufschwingen
-zu können &mdash; was ja der eigentliche Zweck dieser Lehren ist &mdash;, noch
-entschiedener hervortreten. Darin kommt diesem System nur die indische
-und die moderne Theosophie gleich. Die kabbalistische Literatur ist
-unendlich.<span class="pagenum"><a name="Seite_293" id="Seite_293">[S. 293]</a></span> Unseres Goethe wegen verweise ich auf das tüchtige Werk
-von C. Kiesewetter „Faust in der Geschichte und Tradition“, in dem der
-Leser vieles Hierhergehörige finden wird, sowie auf das große Faustbuch
-von Scheible in der absonderlichen Sammlung „Das Kloster“.</p>
-
-<p>Zum Schluß erwähne ich noch, daß unter den Juden auch Sekten wie die
-Muatazile und Muatakallim sich finden; es sind die <span class="gesperrt">Karaiten</span>
-oder <span class="gesperrt">Karäer</span>, die freiheitlicheren und die <span class="gesperrt">Rabbaniten</span>,
-die orthodoxeren. Über die ersteren ist viel geschrieben worden;
-ich kann aber darauf nicht eingehen, das Wesentliche ist schon bei
-den islamischen Sekten gesagt. Unter den jüdischen Philosophen des
-Mittelalters ist aber besonders der allbekannte Arzt der ägyptischen
-Herrscher, <span class="gesperrt">Maimonides</span> (Mose ben Maimûn, abgekürzt Rambam,
-gestorben 1205 n. Chr.) hervorzuheben, der den Karaiten zuneigt und
-so die Schrift geistig auszulegen wünscht. In den Geschöpfen macht
-er einen Unterschied zwischen solchen mit vergänglicher Seele, und
-solchen mit unvergänglicher. Ob er zu letzteren <span class="gesperrt">alle</span> Menschen
-rechnete, oder nur die tugendhaften und erleuchteten, kann ich nicht
-sagen. Die Frage, ob die Welt in endlicher Zeit geschaffen ist, oder
-seit unendlicher, hält er für unentscheidbar. Übrigens gehört auch der
-so außerordentliche und edle Dichter <span class="gesperrt">Jehuda Halevi</span> (um 1140)
-hierher.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>37. <span class="gesperrt">Die mittelalterliche Theosophie der
-christlichen Scholastiker und Mystiker</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Wir wenden uns wieder den christlichen Anschauungen zu, um uns
-mit ihnen ohne Unterbrechung bis zum Schluß dieses Buches zu
-beschäftigen. Die Theosophen und Mystiker stehen in einem gewissen
-Gegensatz zu den <span class="gesperrt">Scholastikern</span>, namentlich mußten sie sich
-den <span class="gesperrt">Nominalisten</span> unter diesen, die mit Aristoteles den
-Allgemeinheiten (Universalien, Ideen) der Dinge jede Existenz außerhalb
-des menschlichen Verstandes absprechen und die Annahme einer solchen
-für eine pure Einbildung erklären, fernhalten, während sie mit den
-<span class="gesperrt">Realisten</span>, die mit Platon gerade jenen Allgemeinheiten absolutes
-Vorhandensein zusprechen, wenigstens einige Be<span class="pagenum"><a name="Seite_294" id="Seite_294">[S. 294]</a></span>rührungspunkte haben
-konnten. Gleichwohl gehört auch die Scholastik hierher, soweit sie
-Welt- und Lebenanschauung betrifft; und seltsamerweise haben gerade die
-Nominalisten viel Übernatürliches geglaubt. Die Lehren der Religion
-werden möglichst dogmatisch aufgefaßt; Philosophisches kommt nur zum
-Vorschein, wenn sie mehr oder weniger frei interpretiert sind. Gott
-ist Schöpfer und Erhalter der Welt fast ganz im biblischen Sinne. Die
-Welt ist sein Werk und real. Der Zweck des Lebens in der Welt ist
-Vorbereitung für das Jenseits, wo Gottes Gnade vollendet, was sie im
-Diesseits begonnen. Das Leben aber ist geregelt durch die religiöse
-<span class="gesperrt">Offenbarung</span>. So mischt sich hier Transzendentes mit Realem,
-und das Realste ist gerade die Offenbarung. Daher auch die Lehren
-über Glauben, Ethik, Moral absolut, dogmatisch genommen werden. Und
-Gott ist nicht bloß Schöpfer, sondern auch Erlöser und Vollender, die
-Trinität. So ist weiter die Welt ein „Gottesstaat“ (die Civitas dei
-des Augustinus) auch den Scholastikern. Ein Unterschied in ihr besteht
-freilich; der Mensch als vernünftiges Wesen ist auch Selbstzweck, das
-Nichtvernunftbegabte ist nur vorhanden. Derartige Anschauungen müssen
-zu schwerzuverstehenden Prädestinationen führen, wie schon selbst die
-Gnade Gottes nicht begriffen werden kann, da sie ja in der Welt fehlen
-dürfte, wenn Gott die Welt vollkommen geschaffen hätte. Oder sie müssen
-in einen Dualismus zwischen Gut und Böse, Materie und Geist auslaufen.</p>
-
-<p>Sehr bemerkenswert ist es, daß die beiden größten Scholastiker,
-<span class="gesperrt">Albert der Große</span>, <span class="gesperrt">Albertus Magnus</span> (1193&ndash;1280, zu Lauingen
-in Schwaben geboren) und <span class="gesperrt">Thomas von Aquino</span> (1225&ndash;1274) trotz
-ihrer aristotelischen Richtung der Emanationslehre zuneigen. Der
-erstere meint, Gott sei erkennbar durch Intuition, die seine Gnade
-verleiht, und aus der Wahrnehmung in der Natur. Ganz faßbar könne
-er nicht sein, weil er eine Unendlichkeit darstellt. Gott sei der
-allgemeine tätige Verstand (Intellectus universaliter agens). Und
-dieser ströme ständig Intelligenzen aus. Die Welt ist durch Gottes
-Willen geschaffen. Dieser Wille ist frei; in der geschaffenen Natur
-zeigt er sich in den Gesetzen, denen sie folgt, nur scheinbar<span class="pagenum"><a name="Seite_295" id="Seite_295">[S. 295]</a></span>
-gebunden. So bildet sich die Natur stetig selbst, aber immer unter dem
-Willen Gottes. Die ganze Welt aber ist eine Emanation nach absteigenden
-Graden; letzteres, weil immer die Ursache vollkommener ist als die
-Wirkung. Darum hat denn Gott auf diesem Wege nur eine unvollkommene
-Welt hervorgehen lassen können. Sie bildet aber eine feste Einheit,
-weil keine Emanationsstufe fehlt; die Emanationen sind stetig wie das
-stetige Strahlen der Sonne. In dieser Weise ist also auch Gott in
-den Seelen wie überhaupt in allen Dingen gegenwärtig, da selbst die
-niedersten Grade der Emanation an die höchsten stetig anschließen. Und
-so geschieht alles aus sich heraus, vermöge des Anteils am göttlichen
-Willen und an der göttlichen Intelligenz. Die Dinge als solche sind
-vergänglich wie die ganze sichtbare Welt; aber das in sie Emanierte
-ist, als gottentstammt, unvergänglich. Die Materie ist gleichfalls
-von Gott geschaffen; sie wird nicht als Emanation angesehen, sondern
-als eine Art Bedingung für die sichtbare Schöpfung. Und so enthält
-ihm die Materie die Keime aller Wesen von je und in die Zukunft in
-sich, so daß die Entwicklung der Dinge wie bei Averroes, eine Art
-Evolution ist, aber doch nur, weil Gott diese Keime von vornherein in
-die Materie gelegt hat, während bei Averroes die Keime der Materie an
-sich gehören sollen. Der Emanation von oben nach unten entspricht die
-Evolution von unten nach oben, wie wir es schon von mehreren Systemen
-kennen. So entwickelt sich auch die Menschheit zu immer höheren
-Graden, wobei sie alles Frühere immer beibehält. Wie das geschieht,
-ist nicht recht verständlich, wenn nicht wieder die präformierten
-Keime zu Hilfe gerufen werden, also Gottes Willensakte. Trotz der
-theosophisch-theologischen Anlage ist ein gewisser Mechanismus der
-Durchführung nicht zu verkennen; er zeigt sich in der starren Evolution
-des einmal in die Materie Gelegten. Wie denn auch deshalb Albertus
-das Wunder, Augustinus nachahmend, ganz natürlich erachtete. Die
-Verschiedenheit der Dinge (die <span class="gesperrt">Individuation</span>) folgt aus dem
-gleichen Prinzip. Gott hat sie eingepflanzt, in der Materie evolviert
-sie sich. Albert scheidet aber den Geist von der<span class="pagenum"><a name="Seite_296" id="Seite_296">[S. 296]</a></span> Materie, und ersteren
-behandelt er wesentlich spiritualistisch; Gott zieht ihn unmittelbar
-aus seinem Lichte heraus, nicht aus etwas der materiellen Prinzipe.
-Daraus leitet er Freiheit des Willens ab, denn Gott ist absolut frei.
-Und so stehen wir hier hinsichtlich des bewußten Bösen vor derselben
-Schwierigkeit wie bei Augustinus und so vielen Anderen.</p>
-
-<p>Wenig verschieden von diesen Anschauungen sind die des größten
-Schülers Alberts, des Scholastikers par excellence, <span class="gesperrt">Thomas von
-Aquino</span>. Nur daß Gott eine noch höhere Stelle angewiesen wird
-und, man möchte sagen, eine noch größere Freiheit. Alle möglichen
-Welten sind Gott offenbar. Er wählt eine nach Maßgabe seiner Güte und
-seiner Vollkommenheit. Aber den Geschöpfen ist nur das, und gerade
-das verliehen, was der einmal gewählten Welt gemäß ist. Sollte damit
-das Unvollkommene und Schlechte im einzelnen motiviert sein, so ist
-also zugleich die Verantwortlichkeit aufgehoben. Gleichwohl vindiziert
-der Philosoph den Geschöpfen Willensfreiheit; es bleibt also auch
-hier bei der Unvollkommenheit im Verhältnis zu Gott. Im übrigen
-wird die Emanation ganz so durchgeführt wie bei Albert dem Großen.
-Dementsprechend liegt auch der Vernunftgrund (ratio) der Geschöpfe,
-insgesamt und im einzelnen, in der Idee, die Gott von sich selbst
-hat, nur daß diese Idee als unendlich durch die Vernunftgründe in der
-Welt nicht erschöpft werden kann, viel weniger durch ein Einzelnes.
-Und in einem ist Thomas konsequenter als Albert. Beide betrachten
-die Materie als durchaus zugehörig zu den Wesen, nicht bloß zufällig
-oder nach Willkür um die Seele gehüllt. Aber Thomas, die Seele eben
-als Göttliches ansehend, schreibt ihr auch zu, daß sie sich selbst
-den Körper aus der sonst eigenschaftlosen Materie aufbaut. Das ist
-eine Durchbrechung der absoluten Evolutionslehre Alberts, und nach
-der spiritualistischen Seite hin. Die Vernunft ist aber das oberste
-Prinzip. Man hat darum diese Lehre als den <span class="gesperrt">intellektualistischen
-Determinismus</span> bezeichnet. Auch das verdient noch besonders
-hervorgehoben zu werden, daß eine Schöpfung in der Endlichkeit der Zeit
-nicht angenommen zu werden brauche. Eine<span class="pagenum"><a name="Seite_297" id="Seite_297">[S. 297]</a></span> solche Schöpfung sei nur
-Glaubenssache, denkbar sei auch eine Schöpfung in der Unendlichkeit.
-Offenbar wollte der Aquinate dadurch der unschönen und vorwitzigen
-Frage aus dem Wege gehen, was denn Gott vor der Erschaffung der Welt
-getan habe. Daß aber, sobald die Schöpfung in die Unendlichkeit
-hinausgerückt wird, die Idee der Schöpfung überhaupt aufhört, liegt
-auf der Hand. Dann hat eben die Welt von je bestanden, sie ist gar
-nicht erschaffen, und Gottes Tätigkeit beschränkt sich allenfalls
-auf ein Leiten der Welt. Läßt man dieses Leiten auch noch fort, so
-gelangt man zu der rein mechanistischen physischen Anschauung von der
-Welt. Und daran ändert nichts, daß man die Schöpfung von ihrer Ursache
-unterschieden hat, gemeint hat: Gott sei ohne Ursache, die Welt aber
-mit Ursache. Das könnte für die Schaffung in der Unendlichkeit einen
-Sinn nur haben, wenn die Welt Emanation Gottes wäre oder zu seinem
-Wesen gehörte, was ja abgelehnt wird. Solchen im Grunde bedeutungslosen
-Distinktionen begegnet man oft. Ich glaube darum, daß Thomas von
-Aquino nur hat sagen wollen, wir vermögen für die Erschaffung der Welt
-keinen Zeitpunkt anzugeben, und das Festhalten oder Nichtfesthalten
-an der biblischen Angabe hierüber dürfe jedem überlassen bleiben.
-Und das kann vom Standpunkte der Wissenschaft, die ja schon bei der
-Entwicklung der Erde mit Hunderten Millionen von Jahren rechnen muß,
-nur gutgeheißen werden, obwohl Thomas davon nichts gewußt hat. Albert
-der Große (Doctor universalis) war auch ein großer Naturforscher, der
-Aquinate (Doctor angelicus) ein gewaltiger Dialektiker. Diesem ist sein
-noch außerordentlicherer Landsmann <span class="gesperrt">Dante</span> in seinen Anschauungen
-gefolgt. Und die Verse am Schluß der ganzen „Göttlichen Komödie“
-(übersetzt von König Johann von Sachsen)</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">O ewiges Licht, das, auf dir selbst nur ruhend,</div>
- <div class="verse">Allein du selbst dich kennst und, dich erkennend,</div>
- <div class="verse">Sowie von dir erkannt dir liebend lächelst!</div>
- <div class="verse">Das Kreisen, das in dir also erzeugt schien,</div>
- <div class="verse">Wie rückgestrahltes Leuchten, da ich etwas</div>
- <div class="verse">Mit meinen Augen es ringsum betrachtet,</div>
- <div class="verse">Zeigt’ in dem Innern mir mit unserem Bilde</div>
-<span class="pagenum"><a name="Seite_298" id="Seite_298">[S. 298]</a></span>
- <div class="verse">Von seiner eigenen Farbe sich bemalet,</div>
- <div class="verse">So daß ich mein Gesicht ganz drein versenkte. &mdash; &mdash;</div>
- <div class="verse">Sehn wollt’ ich, wie das Bild sich mit dem Kreise</div>
- <div class="verse">Vereint, und wie’s drin seine Stätte findet;</div>
- <div class="verse">Doch gnügten nicht dazu die eignen Schwingen.</div>
- <div class="verse">Bis daß mein Geist von einem Blitz durchzuckt ward,</div>
- <div class="verse">In welchem sein Verlangen sich ihm nahte.</div>
- <div class="verse">Der hehren Phantasie gebrach’s an Kraft hier,</div>
- <div class="verse">Doch schon schwang um mein Wünschen und mein Wollen,</div>
- <div class="verse">Wie sich gleichförmig dreht ein Rad, die Liebe,</div>
- <div class="verse">Die da die Sonne rollt und andre Sterne.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">können durchaus auf thomistische wie gnostische Anschauungen
-gedeutet werden. Solcher Verse aber gibt es viele in dem Gedicht des
-Florentiners. Und das Standbild des Dichters vor der Santa Croce
-in seiner Vaterstadt drückt dieses mächtige Hinausschreiten des
-Begeisterten in das Reich des höchsten Schauens über alle Maßen schön
-aus.</p>
-
-<p>Das Übernatürliche als eine notwendige Ergänzung unserer natürlichen
-Erkenntnis sieht auch der große <span class="gesperrt">Johannes Duns Scotus</span>
-(wahrscheinlich ein Schotte von der Grenze Englands, gestorben 1308 zu
-Köln) an. Und dieses Übernatürliche ist das Göttliche in uns. Es ist
-aber nur der Möglichkeit nach in uns. Ob wir zu ihm gelangen, hängt
-von unseren Handlungen ab, die in unserem freien Willen liegen. Hier
-ist, wie auch sonst vielfach, der freie Wille auf das Gute bezogen; bei
-anderen Philosophen findet er sich auf das Schlechte gerichtet, wohin
-er eigentlich mehr gehört, vom ethischen Standpunkt gesehen. Alles
-Übernatürliche ist darum so weit natürlich, als es der vernünftigen
-Seele von vornherein, wenn auch zunächst nur potentiell, vom Schöpfer
-eingepflanzt ist. Außer der Natur steht das Übernatürliche, wenn es in
-den Geschöpfen nicht schon vorhanden ist und jedesmal von Gott ausgeht
-und diesen Geschöpfen erst verliehen wird. Gott ist das schlechthin
-Einfache (simpliciter simplex). Gleichwohl müssen wir in ihm eine
-Vielheit erkennen, nach der Augustinischen Trinitätslehre, als Wissen,
-Verstand und Wille, und als Vorbilder der Mannigfaltigkeit in der Welt.
-So ist die Schöpfung eine doppelte: nach dem Verstand &mdash; die Natur,
-nach dem Willen &mdash; die Vernunft. Die Mannigfaltigkeit in<span class="pagenum"><a name="Seite_299" id="Seite_299">[S. 299]</a></span> der Welt ist
-an sich zufällig; daher muß in Gott etwas sein, das ihn veranlaßt hat,
-die Welt so zu schaffen, wie sie sich zeigt. Das ist eben der Wille
-Gottes, und dieser ist ja frei in bezug auf alles, was nicht dem Wesen
-Gottes angehört. Für uns die wichtige Folgerung hieraus wäre: die Welt
-gehört nicht zum Wesen Gottes, weder direkt noch indirekt. Scotus ist
-also weder Pandeist noch Emanist, er steht einfach auf dem Boden der
-Bibel. Abweichend aber meint er, daß Gott auch eine dieser Welt, sogar
-sittlich, entgegengesetzte Welt hätte hervorbringen können. Daraus
-würde nun folgen, daß das Böse in der Welt auch durch Gottes Willen
-entstanden ist, da ja alles absolut seinem Willen entspricht. Und so
-sieht alles wie ganz nach Willkür geschaffen aus. Eine Milderung findet
-sich nur darin, daß, nachdem Gott die Welt wie sie ist geschaffen
-hat, er an sie gebunden sein soll, indem Gott neben einem absoluten
-Willen auch einen geordneten Willen haben soll. Warum, sieht man
-nicht ein. Es wird zwar gesagt, daß der Wille Gottes mit seinem Wesen
-zusammenhängt. Aber was ist sein Wesen, wenn er auch Entgegengesetztes
-wollen kann? Und das Ganze wird nicht klarer, wenn der Verstand Gottes
-in zwei Teile zerlegt wird, einen in sein eigenes Wesen gerichteten
-und einen, der die Welt erkennt, weil er sie gewollt hat, und wenn
-ferner gemeint wird, der erste Verstand greife in den zweiten ein und
-so entstehe die Welt dem Wesen Gottes gemäß. Auf diese Weise läuft man
-eigentlich immer im Kreise herum, und das hat seinen Grund in dem ja
-überall im Mittelalter sich zeigenden Wunsche, das Theologische mit
-dem Philosophischen und der Naturerkenntnis, den <span class="gesperrt">liber scriptus</span>
-mit dem <span class="gesperrt">liber vivus</span> zu versöhnen, was eben nicht möglich
-ist. Der Begriff von Gott wird dabei immer komplizierter und immer
-unverständlicher. Im übrigen denkt Scotus von der Welt ganz physisch,
-namentlich ist ihm der Himmel nichts besonderes. Und alles ist ihm
-vergänglich, das Göttliche in uns natürlich nicht.</p>
-
-<p>Mit einem Fuße bei den Mystikern steht der Empiriker <span class="gesperrt">Roger Bacon</span>
-(Doctor mirabilis, 1214&ndash;1292), Landsmann des noch empirischeren Bacon
-von Verulam, insofern er von einem<span class="pagenum"><a name="Seite_300" id="Seite_300">[S. 300]</a></span> intuitiven absoluten Wissen
-spricht, zu dem man durch verschiedene Grade der Erleuchtung aufsteigt,
-um zuletzt „reiner Spiegel Gottes“ zu werden. In Gott sei der tätige
-Verstand des Menschen, der Verstand des Irdischen sei nur ein leidender
-Verstand, wie auch arabische Philosophen sagen. So bestehe neben der
-sinnlichen Erfahrung eine übersinnliche. Arabisch ist es auch (<a href="#Seite_289">S. 289</a>
-f.), wenn er die Materie als die Keime aller Entwicklung der Welt
-enthaltend ansieht. Indem er aber die Materie gleichwohl von Gott
-erschaffen sein läßt, nähert er sich dem Standpunkt des Albert, daß
-eben Gott diese Keime in die Materie gelegt hat (<a href="#Seite_295">S. 295</a>).</p>
-
-<p>Gehen wir zu den <span class="gesperrt">Mystikern</span> selbst über, so haben wir solche
-verstandesklare Größen wie die genannten Scholastiker nicht zu
-verzeichnen. Unser unglücklicher genialer Kaiser Otto III. war eine
-durchaus mystisch veranlagte Natur. Mystiker waren alle großen Mönche
-und Ordensstifter. Aber dieser Mystizismus bezieht sich nur auf die
-bestimmte christliche Religion und die Erscheinungen in ihr, und geht
-dabei stark in das Visionäre über, wie bei dem so sympathisch-milden
-heiligen Franziskus und dem so energischen Bernhard von Clairvaux, der
-trotz seines reinen Wollens so viel unfruchtbares Unheil auf die Welt
-heraufbeschworen hat, weil er die schlechten Instinkte der Massen und
-die niedrige Herrsch- und Goldbegier der Führer nicht in Rechnung zu
-ziehen verstand. Wir haben es hier mit dem philosophischen Mystizismus
-zu tun. Der Begründer dieses mittelalterlichen Mystizismus ist, obwohl
-vor ihm schon <span class="gesperrt">Anselm von Canterbury</span> (in Italien 1033 geboren)
-sich als ein halber Pandeist zeigte, der Deutsche (?) <span class="gesperrt">Hugo von St.
-Victor</span> (gestorben 1140). Die Welt ist eine <span class="gesperrt">Abspiegelung</span>
-Gottes. So ist die Vernunft ein Ebenbild Gottes, und die Offenbarung in
-ihr bedeutet die übernatürliche Offenbarung Gottes. Unser Erkennen ist
-eine Kette, die Glied an Glied bis zum Höchsten führt, der selbst keine
-Wirkung ist und keine Ursache hat. Und wir hören bei ihm auf, weil
-eben unsere Vernunft sich als Spiegel von ihm darstellt. Folgerichtig
-erkennt Victor eine innere Lehre an, also eine Entwicklung aus sich
-selbst heraus. Und diese soll auf der einen<span class="pagenum"><a name="Seite_301" id="Seite_301">[S. 301]</a></span> Seite zu der Erkenntnis
-Gottes führen, welche allen Menschen gemeinsam ist, auf der anderen
-Seite zu der des Erlösers, welche dem Christentum eigen ist. Da die
-Vernunft aller Menschen gleichen Ursprung hat, muß man annehmen, daß
-in manchen Menschen die zweite Erkenntnis schlummert oder durch eine
-Widersetzlichkeit zurückgehalten wird. Diese ist die Sünde, welche die
-Vernunft in Verwirrung gebracht hat und welche den Menschen überhaupt
-von dem Höchsten entfernt. Woher aber die Sünde kommt, ist um so
-weniger zu verstehen, als die vernünftigen Geschöpfe die <span class="gesperrt">ganze</span>
-Idee Gottes spiegeln sollen, nicht bloß einen Teil, wie alle anderen
-Dinge der Welt. Allerdings wird dieser Satz auch eingeschränkt; die
-Vernunft soll sich nach dem Höchsten zu entwickeln. Demnach wäre
-das Ebenbild Gottes nur potentiell und würde allmählich aktuell und
-völlig real, sobald der Mensch sich von allen Schlacken gereinigt hat.
-Alsdann erkennt er Gott durch Anschauen, intuitiv, denn die reine
-verstandesmäßige Ableitung kann das Unendliche nicht begreifen. So
-spricht Hugo von drei Augen der Seele; eines, das Auge des Fleisches,
-für die sinnlichen Dinge und den Körper, eines der Vernunft, für die
-Erkennung ihrer, der Seele selbst, und alles dessen, was in ihr ist,
-und eines der Anschauung (contemplatio) für die Erkennung Gottes in
-sich und in Gott. Gleichwohl ist die Seele einheitlich. In einer uns
-schon bekannten, aber trotz der fortwährenden Wiederholung gleich
-unverständlich bleibenden Wendung soll das Böse zum Guten dienen,
-um letzteres zu durchschauen. Nicht viel verständlicher ist die
-weitere, gleichfalls so oft wiederkehrende Behauptung, daß die Welt
-der Menschen wegen da ist, der Mensch aber Gottes wegen. Letzteres
-könnte doch nur einen Sinn haben, wenn Gott erst im Menschen sich
-selbst offenbart, was Thomas von Aquino vom Verhältnis Christi zu Gott
-aussagt. Sittlich aber scheint mir Hugos Idee bedeutender. Und sie ist
-für ihn der Ausfluß aller Vorschriften für das Leben, die in dem Satz
-gipfeln, daß gegenüber der Einsicht des Menschen in sich selbst und
-seiner Beschäftigung mit sich selbst die Einsicht in die Natur und die
-Beschäftigung<span class="pagenum"><a name="Seite_302" id="Seite_302">[S. 302]</a></span> mit der Natur ganz zurückzutreten hat, als wenn Gott nur
-in uns, nicht in der Natur zu erkennen wäre. Der Mystiker sieht darum
-sein Heil in Sittenreinheit und frommem Sich-in-sich-Versenken. Die
-äußeren Mittel der Religion unterstützen beides.</p>
-
-<p>Ein Namensvetter unseres Philosophen, der Schotte <span class="gesperrt">Richard von St.
-Victor</span> (gestorben 1173), hat für uns darum noch hervortretende
-Bedeutung, weil er den Wert des Schauens ganz besonders betonte; der
-Glaube steht ihm sehr tief gegenüber dem Schauen, tiefer noch als
-der Verstand, der seinerseits schon tief genug angesetzt wird. Er
-stirbt, wenn das Schauen beginnt; und wenn Gott erscheint, vergehen
-Sinn, Gedächtnis und Vernunft. Das hätte ein Indier sagen können oder
-ein Valentinianer. Und Schauen ist „Ekstase, Entrückung (raptus) des
-Geistes, Herausschreiten (excessus) aus sich selbst“ usf. Wollte man
-das wörtlich nehmen, so käme man zu den visionären Verzückungen der
-Heiligen und Unheiligen oder auf naturmenschliche Denkweise. Und
-wohin soll man die Ansicht bringen, daß Gott den Geschöpfen sich noch
-besonders mitteilen kann? Das ist klarer und echter Mystizismus, in dem
-die Gottheit des Menschen schon im Leben auf die Spitze getrieben ist.
-Doch wird er dadurch gemäßigt, daß auch ein Schauen in der Vernunft
-und in der Einbildungskraft, außer dem in der reinen Intelligenz,
-anerkannt ist. Es dürfte dem Leser aufgefallen sein, daß hier und in
-allem Früheren, obwohl wir im vollen Kirchentum stecken, fast nur
-von Gott die Rede ist. In der Tat haben sich die Philosophen mit der
-Trinität nicht gut abfinden können, oder nur vermittelst der „doppelten
-Wahrheit“. Indessen möchte ich eine Ansicht nicht unterdrücken, die
-hierüber ein Mystiker geäußert hat, der Engländer <span class="gesperrt">Isaac</span> (um
-1150), und die man allerdings mit Heinrich Ritter (Geschichte der
-christlichen Philosophie) als verständig ansehen darf. „An Gott (dem
-Vater) hat alles teil, sofern es ist, weil er das höchste Sein ist
-und das Sein allgemeines Prinzip aller Dinge ist. Die bestimmte Weise
-des Teilnehmens, nach welcher ein jedes Ding ein besonderes Wesen von
-Natur ist,<span class="pagenum"><a name="Seite_303" id="Seite_303">[S. 303]</a></span> empfängt aber ein jedes Geschöpf nur durch den Sohn Gottes,
-indem der Vater alles nur durch den Sohn verleiht. Endlich aber muß
-von der natürlichen Verleihung der Gaben der Gebrauch unterschieden
-werden, welchen die vernünftigen Wesen von ihren Gaben machen und
-durch welchen sie erst wahrhaft der Tugend und der Erkenntnis Gottes
-teilhaftig werden. Dieser Gebrauch gelingt ihnen nur durch die
-Erleuchtung des Heiligen Geistes.“ Andere Ganz- oder Halbmystiker, wie
-den <span class="gesperrt">Alanus</span> (gegen 1200), seinerzeit ein großes Kirchenlicht
-und für die unseligen Waldenser von verhängnisvoller Bedeutung, den
-<span class="gesperrt">Bonaventura</span> (1221 im Kirchenstaate geboren), der eine Reise
-des Geistes zu Gott geschrieben hat und stark pandeistische Neigungen
-zeigt, den Franzosen <span class="gesperrt">Johann Gerson</span> (zu Gerson bei Rheims 1363
-geboren) usf., übergehen wir, es kommt Neues nicht zum Vorschein. Eine
-Erwähnung verdient aber durchaus der fromme Dominikaner „<span class="gesperrt">Meister
-Eckehart</span>“ (geboren bei Gotha, gestorben 1327). Seine Anschauungen
-sind wesentlich gnostisch, und zwar mit den Valentinianischen verwandt.
-Die Emanation beginnt mit Christus, dem Bilde des Vaters, und dem
-Heiligen Geist, dem umfassenden Liebesbunde. Zugleich emanieren alle
-Gründe der Schöpfung, deren Abbild die Schöpfung ist, wie ihr Sein
-sich als ein Überströmen des Seins Gottes darstellt. Gott ist das Sein
-selbst, für Gott gibt es keine Zeit, sondern &mdash; und diese Wendung
-ist von großem Interesse &mdash; nur ein Jetzt; Vergangenheit, Gegenwart,
-Zukunft sind ihm in das Jetzt zusammengezogen, so daß die ganze Welt
-von je und in je ihm zugleich, im Jetzt webend, und nur ist durch
-dieses Jetzt-Sein. Aber freilich nicht in diesem Sein. Denn Gott, als
-das reine absolute Sein, hat nicht Teil an der mannigfaltigen endlichen
-Welt. So besteht für ihn auch keine Mannigfaltigkeit, keine Zahl. Alles
-ist Eins, es ist für ihn auch kein Raum. Im Grunde der Seele ist ein
-„ungeschaffenes und unschaffbares Licht“, ein „Seelenfünklein“, das
-mit den übrigen Seelenkräften nichts gemein hat, ein göttlicher Keim.
-Dieser leuchtet intuitiv in das Lichtreich, und durch ihn kann der
-Mensch zum Schauen des Höchsten gelangen. Damit<span class="pagenum"><a name="Seite_304" id="Seite_304">[S. 304]</a></span> wohl verträglich ist
-die Ansicht, daß außerhalb dieses „Seelenfünkleins“ die Welt nur Schein
-und Nichts ist. Von dem Gottesfunken in uns sind ja alle idealistischen
-Denker und Dichter überzeugt. „Soll die Seele Gott erkennen,“ sagt
-Eckehart, „so muß sie ihn erkennen oberhalb der Zeit und oberhalb des
-Raumes. Denn Gott ist weder Dieses noch Jenes, wie diese mannigfaltigen
-Dinge, Gott ist Eins! Soll die Seele Gott sehen, so darf sie nicht
-zugleich den Blick auf irgendwelche Dinge richten, die in die Zeit
-gehören (und in den Raum, müssen wir hinzufügen). Denn während Zeit und
-Raum und sonst dergleichen Bilder (Körper) ihr (der Seele) Bewußtsein
-erfüllen, vermag sie unmöglich Gott gewahr zu werden.“ Die Seele muß
-sogar sich selbst vergessen und sich selbst verlieren. In Gott findet
-sie sich wieder. Damit hat freilich die Welt ihre ganze Bedeutung
-eingebüßt; man weiß nicht, wozu sie da ist. Im übrigen schließt sich
-Eckehart den großen Scholastikern an.</p>
-
-<p>Der flämische <span class="gesperrt">Jan van Ruysbroek</span> (1293&ndash;1381) muß es in der
-Verzückung sehr weit gebracht haben, da er „doctor ecstaticus“ genannt
-wurde. In der Schilderung des Zustandes eines wahrhaft Gottschauenden
-geht er so weit, daß er von einem „Verschlungenwerden in den grundlosen
-Abgrund unserer ewigen Seligkeit“ spricht, wobei jedes Denken ein Ende
-hat. „Wo wir aber prüfen und erfassen wollen, was wir fühlen, verfallen
-wir in Vernunft. Und da finden wir sogleich Unterschied und Anderheit
-zwischen Gott und uns und finden Gott als ein Unbegreifliches aus uns.“
-Außer dieser seligen Gnadeneinheit mit Gott haben wir im Leben in und
-mit der Natur eine leidende und tätige Einheit, die jedoch gleichfalls
-eine „Begegnung unseres Geistes mit Gott“ bedeutet. Vielleicht ist
-dieser Mann der konsequenteste Theosoph des Mittelalters, trotz seiner
-sonstigen Anhänglichkeit an die kirchlichen Lehren und Gebräuche. Und
-er spricht in schönen Bildern. Maria war und ist ihm die „Morgenröte
-und der Anbruch des Tages aller Gnaden“. „Gott hat unzugängliche Höhe
-und abgründige Tiefe, unbegreifliche Breite und ewige Länge, (er ist)
-ein dunkles Schweigen (Sigê der Gnostiker),<span class="pagenum"><a name="Seite_305" id="Seite_305">[S. 305]</a></span> eine wilde Wüste, das
-Rufen aller Heiligen in der Einheit, ein allgemeiner Genuß an sich
-selbst und an allen Heiligen in der Ewigkeit.“ Er kennt, wie andere
-Gnostiker, zwei Himmel, den äußeren, ohne Zeit und Ort, für das Reich
-Gottes und seiner Heiligen, „erfüllt mit Glorie und ewiger Freude“,
-ohne jede Veränderung, und den inneren Himmel, „der erste Antrieb“.
-Letzteres klingt averroistisch. Und das Böse und Schlechte? Davon wird
-nur in Gleichnissen gesprochen, die ohne Bedeutung sind.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>38. <span class="gesperrt">Theosophie und Emanismus in neuerer
-Zeit</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Die Scholastik hatte den Vorrat an zugänglichen Begriffen und
-Distinktionen bis zu einem gewissen Grade erschöpft und war zuletzt
-dahin gelangt, ihr System, wie von <span class="gesperrt">Raimundus Lullus</span> (1235 auf
-Malorca geboren, 1315 von fanatischen Mauren in Afrika gesteinigt)
-geschehen, in Tabellen, Schemata und Reihen zu ordnen, die dem Menschen
-sogar das Denken ersparen sollten. Gleichwohl ist ihre Bedeutung
-nicht zu unterschätzen; die logische Schärfe des Ausdrucks hat ihr
-sehr viel zu verdanken, und würde ihr noch weit mehr zu verdanken
-haben, wenn das Latein wissenschaftliche Sprache geblieben wäre. Viel
-ist uns von der emsigen Forscherarbeit der Scholasten im Gebiete
-der Begriffsbestimmungen verloren gegangen, dadurch, daß wir ihre
-Sprache verlassen und uns zu den Nationalsprachen gewendet haben.
-Auch ist wohl deutlich genug hervorgetreten, daß sie die eigentlichen
-Probleme der Menschheit keineswegs außer acht ließen. Wir haben Welt-
-und Lebenanschauungen von ihnen kennen gelernt, die tief durchdacht
-und durchfühlt sind. Die Scholastik konnte sich aber auf ihrer Höhe
-nicht halten. Als die Wissenschaften erwachten, die Kenntnis der
-Welt wuchs, die Schätze griechischen Geistes erschlossen wurden, als
-die Renaissance mit der Fülle großer Erscheinungen auf fast allen
-Gebieten menschlicher Tätigkeit anbrach, und als die Reformation sich
-vorbereitete, die Geister frei zu machen, war für die Scholastik nur
-noch ein stilles Dasein möglich,<span class="pagenum"><a name="Seite_306" id="Seite_306">[S. 306]</a></span> das sie lange wie im Verborgenen
-führte, um später allerdings zu neuer Kraft sich aufzuraffen, dann
-rasch zur Vereinzelung zurückzusinken. Sie hatte der Menschheit nicht
-mehr viel Neues zu sagen, und wo sie einen Anlauf nahm, sprang sie
-ihrer Natur nach zu kurz, vor die Naturwissenschaft, oder zu weit über
-diese hinweg, und mußte darum zurückgewiesen werden. Anders verhält
-es sich mit dem theosophischen Mystizismus. Ist er schon wegen seiner
-dichterischen Färbung und schrankenlosen Unbegrenztheit von je ein
-Schoßkind der Menschen gewesen, so eignet ihm noch zu, daß er sich
-so leicht aller Wissenschaft anpaßt. Er kann ihre Ergebnisse in sich
-aufnehmen, und indem er sie ins Hohe und Höchste zu führen vorgibt
-und versucht, scheint er sie sogar zu veredeln. Dazu kommt der große
-Einfluß, den er auf die Kunst ausübt, die ja von Dichtung sich nährt
-und lebt. So darf es nicht wundernehmen, daß der Baum der Theosophie
-mit seinen verschiedenen Zweigen immer reich in Blüten gestanden hat,
-wenn auch diese Blüten nur selten Früchte entwickelten. Auch kommt es
-dem Menschen nicht immer auf die Früchte an.</p>
-
-<p>Am Eingang der neueren Zeit steht die imponierende Gestalt des
-Kardinals <span class="gesperrt">Nikolaus Cusanus</span> (eigentlich Krebs, zu Cues an der
-Mosel 1401 geboren, gestorben 1464). Er ist bis zu einem gewissen Grade
-Pandeist. Gott schafft die Welt nur aus sich (de nullo alio creat, sed
-ex se); indem er alles umfaßt, entfaltet er alles aus sich, ohne doch
-sich dabei irgend zu verändern. Im Grunde ist das eine Emanationslehre.
-Doch verwirft der Cusaner die Abstufungen in dieser Lehre, die Welt ist
-als Ganzes aus Gott entstanden. „Gott ist vermittelst des Universums in
-allem, und die Vielheit der Dinge vermittelst des Universums in Gott“
-(Deus est mediante universo in omnibus et pluralitas rerum mediante
-universo in deo). Und so gehört auch ausnahmslos alles zusammen,
-und wir vermögen das Einzelne nur als Glied des Allgemeinen und das
-Allgemeine nur als Ausfluß Gottes zu erkennen. Deshalb entscheidet
-der Cusaner die oft aufgeworfene Frage, ob etwas aus der Wirkung oder
-aus der Ursache erkannt werden kann,<span class="pagenum"><a name="Seite_307" id="Seite_307">[S. 307]</a></span> dahin, daß dieses nur aus der
-Ursache, in letzter Instanz also nur aus Gott, zu geschehen vermag.
-In der Welt haben wir daher „wie in einem Buche, geistig die Gedanken
-Gottes zu lesen“. Die Idee von dem absoluten Ganzen der Welt, von ihrem
-absoluten inneren Zusammenhange dürfen wir gerne entgegennehmen; sie
-entspricht unserem Wissen von der Welt, und ist übrigens sehr alt, da
-sie sich schon bei den ionischen Naturphilosophen und bei Herakleitos,
-bei Platon u. a. findet. Einer pandeistischen Anschauung ist sie so
-gemäß wie einer rein physischen. Freilich faßt er den Zusammenhang
-der Geschöpfe nicht mechanistisch auf, sondern die allgemeine Liebe
-aus Gott verbindet jedes mit allem, wie in einem Lebewesen, womit
-nach Platon die Welt auch verglichen wird, indem jedes Glied mit
-allen anderen Gliedern sympathisch zusammenhängt, so daß keines
-verletzt werden kann, ohne daß alle Glieder darunter leiden. Wenn nun
-Cusanus dazu kommt, gleichwohl drei Welten zu unterscheiden: eine
-intelligible um Gott, eine intelligible um den menschlichen Geist,
-eine sinnliche um die sinnliche Welt, so kann das eigentlich nur den
-Sinn haben, daß unsere Tätigkeit sich auf Gott, auf unseren Geist,
-auf die sinnliche Welt richtet, so daß es sich nur um drei Stufen der
-Intelligenz handelt, die sich auf drei Verschiedenes in der Einheit
-richten, wie uns schon bekannt. Indem der Mensch nun zunächst von oben
-nach unten geht, findet er unten die Begrenzung und muß umkehren,
-um nach oben zu steigen. So wendet sich alles erst vom Hohen zum
-Sinnlichen und dann vom Sinnlichen zurück zum Hohen. „Dieses ist
-der Kreislauf des Seins und des Denkens. Und so kehrt alles in das
-Prinzip zurück, von welchem es ausgegangen ist.“ Goethes Kontraktion
-und Expansion! die wir auch schon aus anderen Lehren kennen. Schlimm
-ist es aber, daß der Mensch zwar in sich die Welt und sich in der
-Welt erkennt, jedoch nur menschlich und vermittelst der Welt. Gott
-und die Wahrheit unmittelbar zu erkennen, ist ihm nicht gegeben. Er
-kann beides nur durch die Welt erkennen. Auch so noch ist er zuletzt
-nur auf wahrscheinliche Vermutungen (conjecturae) angewiesen. Diese
-Ver<span class="pagenum"><a name="Seite_308" id="Seite_308">[S. 308]</a></span>mutungen, die unsere Vernunft, unsere Gedankenwelt zusammensetzen,
-schaffen wir, wie Gott die Welt schafft. Und so befinden sich alle
-unsere Wissenschaften nur innerhalb der Genauigkeit. Völlig wie ein
-moderner Naturforscher räsoniert, wenn er von der leeren Wahrheit der
-Unvereinbarkeit des Widersprechenden absieht und die Welt nimmt, wie
-sie sich ihm darbietet. Es ist merkwürdig, daß ein Kardinal das sagen
-konnte, denn die Vermutung bezieht sich auch auf unsere Kenntnis von
-Gott und im Grunde auch auf die Sittengesetze. Nur die Vermittelung
-durch Gott selbst gestattet, die Genauigkeit in eine gewisse Wahrheit
-zu wandeln. Es scheint, als ob der Cusaner uns so beschränkt, weil wir
-das Unendliche nicht fassen können. Und das hat seinen guten Grund.
-Das Unendliche als Fertiges liegt allerdings nicht im Bereiche unserer
-Intelligenz, die diskursiv ist. Ein Kreis bleibt für uns ein Kreis;
-mag sein Mittelpunkt noch so weit von uns fortrücken, er wird im
-Fortrücken seines Mittelpunktes niemals etwas anderes für uns als ein
-Kreis. Und so wissen wir vom Kreis immer nur das eine; was ein Kreis
-mit einem vollendet unendlich großen Radius ist, wissen wir nicht, denn
-die Antwort: eine gerade Linie, ist falsch, obwohl der Herr Verfasser
-sie selbst in einem Examen gegeben hat. Aber die Gnostiker behaupten
-ja, daß wir die Unendlichkeit in der Intuition besitzen. Auf diesem
-Standpunkt scheint also Nikolaus Cusanus sich nicht zu befinden. Im
-übrigen ist für ihn die Welt zwar unendlich und für unendliche Zeit,
-aber von Gott in der Endlichkeit geschaffen. Und indem sie von Gott
-doch verschieden ist und nicht sein unendliches Wesen einbegreift,
-ist sie auch „wegen der in ihr liegenden Zufälligkeit der Materie“
-unvollkommen, eine uns schon bekannte Wendung. Da zeigt sie sich denn
-wenigstens als das Vollkommenste, ein bestes Gemeinsames, dem „das
-Bild und das Leben Gottes in unvergänglicher Weise eingeprägt ist“.
-Im Grunde wäre das die Sprache eines religiös-frommen Naturforschers,
-nicht eines Mystikers, wie mitunter gesagt wird. Der Cusaner hat
-uns lediglich auf die unendliche Entwicklung verwiesen, auf die
-asymptotische An<span class="pagenum"><a name="Seite_309" id="Seite_309">[S. 309]</a></span>näherung an Wahrheit und Gott, obwohl auch in seinem
-System ein mächtiger Helfer in Christus, als Mittler zwischen Mensch
-und Gott, steht.</p>
-
-<p>Nicht ganz, aber fast Neuplatoniker, durch seinen Kampf gegen
-Aristoteles und die aristotelischen Scholastiker bekannt, und
-durch seinen Einfluß, den er auf Cosmo von Medici und dadurch auf
-die Akademie zu Florenz geübt hat, von Bedeutung ist der Grieche
-<span class="gesperrt">Gemistos Plethon</span> (um 1450), dem man sogar polytheistische
-Neigungen nachgesagt hat. Gott ist das Eins, und in ihm sind Wesen,
-Energie und Vermögen zu einer Einheit verbunden. Erste Emanationen sind
-die Geister, die das ganze Gebiet der Vernunft (νοῦς), Gottheiten,
-verschiedenen Wesens, verschiedener Energie und eines Vermögens, das
-mit Wesen und Energie verbunden ist, bedeuten. Die zweite Emanation ist
-die Seele als Weltseele, in der auch das Vermögen als ein Besonderes
-sich geltend macht. Gott (Zeus, Basileus) schafft die Welt der
-sinnlichen Dinge, die Materie ist als Unbestimmtes nur ein Zeichen
-der Unvollkommenheit dieser sinnlichen Dinge, nicht ein Besonderes,
-das schon dagewesen wäre vor der Welt. Vorsehung und Notwendigkeit
-beherrschen die Welt, beide in Gott begründet und selbst die Gottheiten
-beugend. Der Notwendigkeit ist sogar Gott selbst unterworfen. Die
-Gottheiten sind Vermittler zwischen Gott und der Welt. Das Ganze macht
-einen verworrenen Eindruck; man weiß nicht recht, was die Gottheiten
-zu tun haben, wenn Gott selbst alles schafft, wenn Vorsehung und
-Notwendigkeit herrschen. Wenn die Gottheiten nur Naturkräfte sind,
-warum wird ihre Verehrung von einem Christen polytheistisch empfohlen?
-Man weiß auch nicht, woher der Mensch den freien Willen hat, der von
-ihm behauptet wird, und davon doch seine Verantwortlichkeit abhängt.
-Ein Anhänger des Plethon war sein Schüler, der berühmte Kardinal
-<span class="gesperrt">Bessarion</span>.</p>
-
-<p>Die Akademie zu Florenz hat wohl in Cosmo di Medici ihren Begründer,
-es war eine geistige Gemeinschaft. Platonismus, und vor allem
-Neuplatonismus wurden gepflegt. <span class="gesperrt">Marsilius Ficinus</span> (1433&ndash;1499)
-gehörte zu den hervorragend<span class="pagenum"><a name="Seite_310" id="Seite_310">[S. 310]</a></span>sten Vertretern dieser Akademie. Den
-Neuplatonikern kann er nur bis zu einem gewissen Grade zugezählt
-werden, denn er verwirft die Plotinische Emanationslehre ganz und gar.
-In vielem steht er auf dem Boden der Lehre des Thomas von Aquino, er
-ist wesentlich Theologe. Daß er nebenbei auch Mystik treibt, von Seelen
-der Gestirne spricht, von ihren Einflüssen auf die irdischen Dinge,
-daher Kabbala lehrt und Alchymie, das hebt ihn noch nicht auf die Höhe
-theosophischer Gedanken über die Welt. Doch nimmt er eine Weltseele an,
-die alles belebt, und behauptet, daß wir mitunter schon im Dasein Gott
-schauen können, und daß „die Seele, von den Fesseln des Körpers erlöst
-und rein scheidend, aus einem sicheren Grunde Gott wird (fit deus);
-Gott aber und Gottes Ewigkeit ist das gleiche“. Ganz theologisch ist
-wieder, wenn jedem Wesen eine besondere Seele zugeschrieben wird.</p>
-
-<p>Eine sympathische und durch seinen frühen Tod verklärte Gestalt ist
-der Freund des Ficinus, <span class="gesperrt">Giovanni Pico</span> (1463&ndash;1494), jüngster
-Sohn des Fürsten von <span class="gesperrt">Mirandola</span>. 900 Streitsätze schlug er nach
-der Sitte der Zeit, nach der ja auch Luther verfuhr, in Rom an und
-forderte alle zum Kampfe um sie heraus. Selbst das Reisegeld für Ferne
-wollte er bezahlen. Aber dreizehn dieser Sätze schienen ketzerisch, und
-Innozenz VIII. verbot den Kampf. Pico war Dichter und Philosoph. Als
-letzterer kam er zu der auch vielen anderen geläufigen Ansicht, daß im
-Grunde die meisten Philosophen doch gar nicht so sehr voneinander in
-ihren Meinungen abwichen. Der Leser wird das schon aus dem Bisherigen
-bestätigen können. Der Mensch ist ein mittlerer Mikrokosmos. „Gott gibt
-dem Menschen bei der Geburt die mannigfaltigen Samen und Sprossen aller
-Art Leben ein.“ Ganz auf sich gestellt, vermag er alles nach unten
-und alles nach oben zu durchleben. Wendet er seinen Blick nach oben
-und zieht sich in die Mitte des Universums, also wohl in sich selbst,
-zurück, so wird er „Eins mit Gott Geist werden, in des Vaters einsamer
-Finsternis (Abgeschiedenheit? Sigê?), der über allem thront, und wird
-allem vorausstehen“. Mit dem Begriffe Gottes plagt sich Pico nicht
-minder, wie alle anderen<span class="pagenum"><a name="Seite_311" id="Seite_311">[S. 311]</a></span> vor ihm und nach ihm, die diesen Begriff
-auf das Höchste treiben wollten und wollen. Das liegt daran, daß alle
-Ausdrücke der sinnlichen Welt angepaßt sind. Und ob man „Sein“ sagt,
-oder „Eins“, oder „Das“, oder „Selbst“, man bleibt in der sinnlichen
-Welt und mindestens in den Kategorien der menschlichen Vernunft. Was
-wir von Gott bejahen, müssen wir deshalb von ihm verneinen. Und so
-meint in der Tat „Gott sei Alles“ das gleiche wie „Gott sei Eins“,
-„Gott sei das Sein“ nichts anderes wie „Gott sei das Nichtsein“. In
-manchen Lehren erinnert Pico an Nikolaus von Cusa, so namentlich in
-der von der Einheit der Welt, von der Notwendigkeit der Materie für
-das erste Leben und Erkennen, von der Befreiung von dieser Materie
-durch die allumfassende Liebe, und in der Anerkennung und Hervorhebung
-der Freude an der Schönheit der Welt und der Menschenwerke. Angenehm
-berührt seine Toleranz gegen jede Religion bei eigener tiefer
-Religiosität.</p>
-
-<p>Auf dem gleichen Wege treffen wir unseren Landsmann <span class="gesperrt">Johann
-Reuchlin</span> (1455 zu Pforzheim geboren, gestorben 1522, er nannte
-sich gräzisiert auch <span class="gesperrt">Kapnion</span>). Er war in Italien und kannte
-Pico persönlich. Das ist nun ein Theosoph und Mystiker aus des
-Herzens Grunde. Er hat auch ein höchst umfangreiches Werk über die
-Kabbala geschrieben. Er verwirft manches dieser Lehre, aber das
-meiste anerkennt er doch. „Denn was anderes bezweckt der Kabbalist
-oder Pythagoras, als die Seelen der Menschen in Götter zu beziehen,
-das heißt, sie zur vollkommenen Glückseligkeit zu fördern“, sagt
-er. Und Gott gleich werden ist sein Bestreben, denn der Grund aller
-Vernunft ist die letzte und höchste Wahrheit. Diese Wahrheit kann
-aber nicht durch Denken erreicht werden, das ja nur diskursiv wirkt,
-sondern allein durch innere Offenbarung. Er urteilt darum auch von
-Denken und Logik sehr gering. Darin tut er eigentlich, gerade nach
-seiner Ansicht, unrecht, denn die Gesetze der reinen Logik sind
-als Selbstverständlichkeiten Offenbarungen, durch keinen Schluß zu
-gewinnen. Ja solche Sätze wie „das Nichtseiende ist Seiendes und das
-Seiende ist Nichtseiendes“ stellen<span class="pagenum"><a name="Seite_312" id="Seite_312">[S. 312]</a></span> nur scheinbar einen logischen
-Widerspruch dar, wie schon oben bemerkt. Er meint &mdash; der Leser verzeihe
-diese Abschweifung &mdash; der obige Satz sei in mente richtig, da könne
-man Entgegengesetztes und Widersprechendes vereinigen, aber in ratione
-würden sie weitest auseinandergehalten. Doch nicht, die Worte besagen
-ja nichts ohne Bezugnahme. Der Satz an sich ist in mente gerade so
-falsch wie in ratione. Wendet man ihn aber auf etwas an, dem wir
-alle positiven und alle negativen Prädikate gleicherweise zusprechen
-oder absprechen, so ist er richtig. Es gehört das zu den Antinomien
-unserer Vernunft. Aber Reuchlin haßt die Logik &mdash; und das ist sehr
-bezeichnend &mdash; als „Feind des Glaubens und der Theosophen“, was also
-die arme Logik gar nicht ist, wenn Reuchlin unter Logik nicht das
-Urteil des sogenannten kalten Verstandes meint. Dieses können Glaube
-und Theosophie allerdings nicht brauchen, oder nur in dem Sinne des
-Cusaners. Ganz entgegen dem Cusaner schreibt er jedem Dinge sein
-eigenes besonderes Wesen zu, das es aus den allgemeinen Naturgesetzen
-herausheben kann. Darum muß auch jedes Ding für sich in seinen
-geheimsten Eigenschaften studiert werden. So kommt er also auch zur
-Magie, freilich auch zur Naturwissenschaft.</p>
-
-<p>Ein Genosse Reuchlins in Theosophie und Okkultismus war der Kölner
-<span class="gesperrt">Cornelius Agrippa von Nettesheim</span> (1486&ndash;1535), ein höchst
-unruhiger und zerfahrener Herr, der alles mögliche trieb und sich
-mit allen Leuten zankte. Und dabei doch ein nicht unbedeutender
-Mann. Bei allem Hang zur Mystik spricht er mitunter wie ein moderner
-Naturforscher, so hinsichtlich der Grundlagen der Wissenschaften,
-und er hat auch die Naturwissenschaft zu fördern versucht. Und
-obwohl er, ganz wie Reuchlin, die Offenbarung in uns sucht und alle
-Schlußwissenschaften als eingebildet und leer abweist, ist doch seine
-Mystik durch fromme Religiosität gemäßigt. „Nicht in der Zunge, sondern
-im Herzen ist der Sitz der Wahrheit; nicht der Verstand, sondern der
-Wille verbindet mit Gott.“ Die Freiheit des Menschen geht ins weiteste,
-und so darf er auch die Schrift auslegen und braucht<span class="pagenum"><a name="Seite_313" id="Seite_313">[S. 313]</a></span> sich nicht an
-theologische Behauptungen zu halten. Was Agrippa von der Religion
-sagt, ist fast alles vortrefflich; Luther freilich zählt er zu den
-Ketzern und Kupplern, ohne deshalb dem Papste gewogen zu sein. Alle
-Dinge hängen aber in ihrem Urgrunde zusammen. Die Welt ist dreifach:
-die elementare sinnliche (Welt der irdischen Dinge), die himmlische
-(Welt der Gestirne), die übersinnliche (Welt der Intelligenzen). In
-allen Welten findet sich das gleiche, nur in steigender Vergeistigung,
-ein Gedanke, den wir schon von Gnostikern und Kabbalisten kennen. Gott
-aber ist das Urbild von Allem. Was aus ihm hervorgeht ist: bei den
-Intelligenzen die verteilten Gewalten, bei den Gestirnen die Kräfte,
-in der sinnlichen Welt die Körper. Der Mensch hat vom Göttlichen, und
-darum kann er auch das Göttliche schauen. Wie Reuchlin, schreibt er den
-Dingen der Welt besondere Wesenheit, <span class="gesperrt">qualitates occultae</span>, zu und
-mit den gleichen Folgen. Was ihn dazu veranlaßt, ist die Bemerkung, daß
-die Körper aufeinander wirken, was aus der Materie nicht erklärbar sei.
-Nun, wir plagen uns noch heute mit dieser Angelegenheit, obwohl wir von
-den qualitates occultae nichts wissen wollen. Agrippa sieht in allen
-Elementen Leben und Seele, er leitet sie aber von einer allgemeinen
-<span class="gesperrt">Weltseele</span> ab, zwischen die und die Körper er als Vermittlung
-einen <span class="gesperrt">Welthauch</span> (spiritus) setzt, der nicht Körper und nicht
-Seele sein soll, eine Art Äther, nach den drei Welten und der Weltseele
-auch „fünfte Essenz“. Das Ganze hat das Aussehen einer Emanationslehre.
-Und durch einen Sinn der Natur, welcher auch den Tieren innewohnt und
-ihnen einen wahrsagerischen Geist gibt, hängen wir mit der übrigen
-Welt zusammen, in einer Weise, welche die menschliche Wahrheit weit
-übersteigt; „wir vermögen durch ihn die verborgenen Zeichen der Dinge
-zu erkennen und ihre geheimen Kräfte zu gebrauchen.“ Das wieder ist
-hellste Mystik, wenn es nicht naturwissenschaftlich gedeutet wird.</p>
-
-<p>Wie eine starke Abkühlung nimmt sich solcher Schwärmerei gegenüber
-die Lehre des Mantuaners <span class="gesperrt">Petrus Pomponatius</span> (1462&ndash;1525 oder
-1530) aus, den man auch als Atheisten<span class="pagenum"><a name="Seite_314" id="Seite_314">[S. 314]</a></span> verschrien hat. Der Mensch
-wird sehr tief gestellt nach Verstand und nach Sittlichkeit. Das
-Wahre zu erkennen, ist ihm nicht gegeben. Übel und Sünde aus der
-Unvollkommenheit der Welt zu erklären, lehnt er ab. Er meint, Gott habe
-die Welt nach allen Möglichkeiten geschaffen. Zu diesen Möglichkeiten
-gehörte aber ebenso alles Übel wie alles Gute. „Alles Gute und alles
-Übel der Natur ist von Gott.“ Aber die bewußte Sünde gleichfalls
-in dem Weltplan zu suchen, scheut sich unser Philosoph, wie alle
-Religionsphilosophen sich scheuen. Er meint, diese stamme aus dem
-freien Willen des Menschen. Die Welt ist wie zufällig aus dem Willen
-Gottes in der Endlichkeit hervorgegangen und hört in der Endlichkeit
-auf. So spielt auch die Welt eine nur sehr geringe Rolle. Es ist eine
-trübselige Anschauung, etwas erhellt durch die Abweisung der noch
-trübseligeren Lehre von der Prädestination. Die Gaben Gottes an die
-Menschen gehen nur nach dem Guten, und auch nur ohne Zwang; der Mensch
-hat die Fähigkeit bekommen, nach dem Guten zu streben. Tut er es nicht,
-wendet er sich zum Bösen, so hat er die Folgen im Diesseits und im
-Jenseits zu gewärtigen. Hier spricht er ganz wie ein Theologe, und
-theologisch ist im Grunde auch seine Ansicht von der Unsterblichkeit
-der Seele. Letztere ohne Leib kann er sich nicht denken; die absolute
-Unsterblichkeit lehnt er darum ab. Aber die Auferstehung im Leibe gibt
-er zu, wie ja auch die Lehre vom jüngsten Gericht fordert. Pomponatius
-ist Aristoteliker und dementsprechend reichlich praktisch nüchtern. Er
-gehört zu den Materialisten des Mittelalters.</p>
-
-<p>Den Praeceptor Germaniae und großen Humanisten <span class="gesperrt">Philipp
-Melanchthon</span> dürfen wir hier übergehen. Abgesehen von der Theologie
-und der schönen Sittlichkeitslehre, hat er nirgend einen besonderen
-eigenen festen Standpunkt und keine Wendung, die in der Anschauung
-von Welt und Leben etwas Neues besagte. <span class="gesperrt">Luther</span> werden vielfach
-mystische Neigungen zugeschrieben, sein Verhalten gegen Teufel und
-Hexen spricht wohl dafür. Aber der große Reformator hatte zu viel
-mit der Praxis zu tun, als daß er sich der Schwärmerei<span class="pagenum"><a name="Seite_315" id="Seite_315">[S. 315]</a></span> oder neuen
-Anschauungen hätte hingeben können. Höchstens, daß der Kirchenvater
-Augustinus, dem der düstere <span class="gesperrt">Calvin</span> folgte, seine jugendlicheren
-Jahre beherrschte. <span class="gesperrt">Zwingli</span> aber ist Neuplatoniker als Philosoph.
-Überhaupt war die Reformation zunächst der Ausbildung größerer
-Anschauungen nicht günstig. Die Religion zu reinigen von Schlacken und
-Äußerlichkeiten, nahm alles in Anspruch, und wo auf die Innerlichkeit
-zurückgegangen wurde, geschah es doch wesentlich auf Grund schon alter
-Formeln. Wie rasch auch die reformierten Kirchen verknöcherten, ist
-bekannt. Erst die entfesselte Forschung der Humanisten, Astronomen
-und Naturforscher, die plötzliche Weitung des Blickes rings um die
-Erde herum, haben die neue Zeit aufgehen lassen. Mit der eindringenden
-Kenntnis des schönen und freien Heidentums, mit der Zertrümmerung des
-Himmels und der Übertragung seiner Gebilde aus der Sphäre der Geister
-und Engel in die irdische Welt, mit den experimental gewonnenen
-Ergebnissen auf dem Gebiete der Mechanik, Physik und Chemie, mit der
-Einsicht von der frei schwebenden Kugel der Erde, von ihren Landen,
-Bewohnern und Produkten konnten alte Probleme mit neuen Ideen in Fülle
-verarbeitet werden. Ob das aber ohne die Reformation so rasch hätte
-geschehen können, darf nach dem Schicksal, das so viele edle Geister
-unter dem Papsttum noch im 16. und 17. Jahrhundert betroffen hat, wohl
-bezweifelt werden. Das Standbild auf dem Campo dei fiori redet eine zu
-deutliche Sprache.</p>
-
-<p>Neben der rein theologischen Festigung der Welt- und Lebenanschauung
-ging die mystische, die sich auch in den bekannten Aufständen Luft
-machte. Es ist natürlich, daß zu einer so bewegten Zeit wie die der
-Reformation viele für sich selbst denken und handeln wollen, zumal
-wenn die Lösung, die man ihnen vom Bisherigen gibt, doch nur wieder
-Fesseln anlegte, und keineswegs solche von Rosen, wenn auch nicht so
-eiserne wie die früheren. Und so zeigt die Reformationszeit Menschen,
-die sich ganz in sich zurückziehen möchten, um dort nach theosophischen
-Lehren Gott und sein Werk zu finden, oder die das Reich Gottes auf
-Erden schon gekommen<span class="pagenum"><a name="Seite_316" id="Seite_316">[S. 316]</a></span> wähnen und alles Volk zu diesem Reich berufen.
-<span class="gesperrt">Karlstadt</span>, <span class="gesperrt">Sebastian Frank</span>, <span class="gesperrt">Schwenkfeld</span>, die
-<span class="gesperrt">Wiedertäufer</span> sind einige Namen und Bezeichnungen. Etwas
-marktschreierisch, namentlich aber verworren, trotz allen Ernstes und
-aller Tüchtigkeit, wirkte der <span class="gesperrt">Bombastus Theophrastus Paracelsus
-von Hohenheim</span> (1493 zu Einsiedeln in der Schweiz geboren, 1541
-gestorben), ein höchst unruhiger Mann, dem Aberglauben aufs äußerste
-ergeben. Mitunter redet er durchaus wie ein moderner Naturforscher und
-bald darauf wie in verirrter Phantasie. Er heilt durch gute chemische
-Mittel und behauptet doch, daß in den Gestirnen das Schicksal des
-Menschen bestimmt sei. Wie vielen, ist ihm der Mensch ein Mikrokosmos,
-der den Makrokosmos in sich trägt. So deutet er die biblische
-Erzählung, daß der Mensch aus dem Staube gemacht sei, dahin, dieser
-Erdenkloß sei „ein Auszug aus allen Körpern und Geschöpfen, aus Himmel
-und Erde“ gewesen, eine „fünfte Essenz“, die wir schon kennen. Das
-meiste ist trivial, wenn man es aus seiner verstiegenen Sprache in
-einfachen Ausdruck überträgt, oder es ist unverständlich. „Und wisse,“
-heißt es einmal, „daß die Seele (bei Paracelsus der unsterbliche
-Teil des Menschen) Blut und Fleisch ist und in Blut und Fleisch sein
-muß, und aber, daß da zweierlei Fleisch sind, das tödlich und das
-ewig.“ Das Sterbliche ist der Geist oder die Geister im Menschen. Und
-Geister sieht Paracelsus überall. Höchst sonderbar klingt es, wenn er
-die drei chemischen Elemente, die er mit Früheren unterscheidet &mdash;
-Quecksilber, Schwefel, Salz &mdash; mit Geist, Seele und Leib, nicht bloß
-formell zusammenstellt. Sein Gewährsmann ist der Allerweltsgewährsmann
-Hermes Trismegistos. Die ganze Welt ist ein chemischer Prozeß, in dem
-aus der chaotischen Verwirrung der Verbindungen allmählich das Unreine
-nach einer Seite, zur ewigen Qual in der Urmaterie, das Reine nach
-der anderen Seite, zur Verklärung und Freude in Gott, ausgeschieden
-wird; jenes ist das Böse, dieses das Gute. Der chemische Prozeß
-ist nicht bildlich gemeint, aber selbstverständlich nicht in der
-Beschränkung, in der wir einen solchen verstehen. Es ist nicht ohne
-Interesse, solche Lehren<span class="pagenum"><a name="Seite_317" id="Seite_317">[S. 317]</a></span> vorzutragen, weil aus ihnen doch erhellt,
-wie sich der Mensch bemüht, den Gang der Welt und des Lebens unter
-ein ihm verständliches Prinzip zu bringen; der Chemiker und Arzt, der
-Paracelsus vornehmlich war, nimmt ein chemisch-biologisches Prinzip.
-Der Cosentiner <span class="gesperrt">Bernard Telesius</span> (1508 bis 1588) benutzte ein
-anderes Prinzip, den Kampf zwischen Wärme und Kälte (fast möchte man
-sagen Expansion und Kontraktion). Die Kälte ist in der Mitte der
-Welt, in der Erde, die Wärme ringsum im Himmel und in der Sonne. Gott
-hat sie so angeordnet, und nachdem er es getan, bedarf es keines
-neuen Eingreifens. An der Grenze zwischen der Wärme und der Kälte
-berühren sich beide und bringen dadurch alle Vorgänge hervor. Das ist
-physikalisch gedacht, und Telesius war Physiker, sogar mathematischer
-Physiker. Als solcher leugnete er auch die Leere und neigte er gar sehr
-zum Materialismus. Das gehört aber nicht mehr hierher. Ein anderer,
-wie der Illyrier <span class="gesperrt">Franz Patritius</span> (1529&ndash;1597) nimmt körperliches
-und unkörperliches Licht für Kälte und Wärme. Doch ist ihm freilich
-das unkörperliche Licht, das göttliche Licht der Gnostiker und
-Neuplatoniker deren Anschauungen er sich anschließt. An die moderne
-<span class="gesperrt">Panspermie</span> (<a href="#Seite_447">S. 447</a>) erinnert seine Annahme, daß die ganze
-Welt von Samen des Lebens erfüllt sei, welche vom Lichte getragen
-und verbreitet werden. Die Ähnlichkeit mit der modernen Panspermie
-ist sogar durch den Träger viel größer als es auf den ersten Blick
-scheint. Es gibt wirklich nichts Neues unter der Sonne! Selbst was ein
-neuzeitlichster sonderbarer Vierdimensionenschwärmer ermittelt hat, daß
-die Körper Schlacken (Faeces) sind, hat Patritius schon ausgesprochen.
-Er nennt die Erde den Auswurf (faex) in dem Flusse des Weltlebens.</p>
-
-<p>Der edle Märtyrer <span class="gesperrt">Giordano Bruno</span> (zu Nola um 1548 geboren und
-zu Rom 1600 schmachvoll verbrannt) ist hier zunächst wegen seiner
-Anschauung vom Zusammenhange der Welt mit Gott zu nennen. Er schließt
-sich darin Nikolaus von Cusa an, aber mit einer Neigung nach der mehr
-gnostischen Seite hin. Gott ist zwar nur sich selbst erkennbar, aber
-er ist nicht außer uns, und darum haben wir ein Bewußtsein von<span class="pagenum"><a name="Seite_318" id="Seite_318">[S. 318]</a></span> ihm.
-„In allen Dingen ist das Göttliche in verborgener Weise und die Einheit
-des alles umfassenden Prinzips, wenn auch in der Mannigfaltigkeit
-zerstreut, vorhanden.“ Dieses Prinzip ist nach Bruno die universelle
-Vernunft, „das innerste, wirklichste und eigenste Vermögen und der Teil
-der Weltseele, der ihre Macht bildet. Sie ist ein Identisches, welches
-das All erfüllt, das Universum erleuchtet und die Natur unterweist,
-ihre Gattungen so, wie sie sein sollen, hervorzubringen.“ (Von der
-Ursache, dem Prinzip und dem Einen, Übersetzung von Adolf Lasson.)
-Diese universelle Vernunft wirkt also von Innen heraus. Sie ist der
-Grund aller Bewegung und Entwicklung der Welt und aller Dinge. Sie
-ist die Vernunft, „welche alles <span class="gesperrt">macht</span>“, in der Mitte zwischen
-der Vernunft, welche alles <span class="gesperrt">ist</span>, und der Vernunft der einzelnen
-Dinge, welche alles <span class="gesperrt">wird</span>. Wir haben es aber bisher nur mit
-einem Teil der Weltseele zu tun gehabt, der Macht. Der zweite Teil ist
-die absolute Herrschgewalt; sie lenkt die Welt, ohne von ihr irgend
-beeinflußt zu werden, und verleiht ihr Leben und Vollkommenheit,
-beides stufenweise aufsteigend bis zu den vollkommensten Wesen. Die
-Welt wird als ein „gewaltiger Organismus“ bezeichnet und als „ein
-Abbild des obersten Prinzips“. Und es werden diejenigen getadelt,
-„welche nicht einsehen, noch anerkennen wollen, daß die Welt mit
-ihren Gliedern belebt sei; als ob Gott sein Abbild beneidete“. Alle
-Teile der Welt sind beseelt, und zwar „ohne allen Abzug“. Indessen
-sind viele, eben die, die wir unbelebt nennen, nur der Fähigkeit nach
-beseelt; sie enthalten wenigstens „ein Prinzip und einen Keim des
-Lebens“. Das bedeutet eigentlich, daß diese Dinge in ein entstehendes
-oder vorhandenes beseeltes Wesen eingehen können, ohne darin ein
-Fremdes zu sein; ihre fakultative Beseelung geht in wirkliche über,
-sie beleben sich. Aber doch scheint Bruno dem unbelebten Körper eine
-gewisse andere Beseelung zuzuschreiben, indem er sich auf die Wirkungen
-bezieht, welche sie auf uns, als beseelte Wesen, hervorbringen, wie
-Affekte, Begierden, Gefühle usf. Er beruft sich sogar darauf &mdash; und
-das ist für den so klaren Bruno etwas seltsam &mdash;, daß „die Nekromanten
-viele<span class="pagenum"><a name="Seite_319" id="Seite_319">[S. 319]</a></span> Dinge durch Totengebeine zu bewirken hoffen, und daß sie
-glauben, dieselben behielten, wenn auch nicht dieselbe, doch eine Art
-von Lebensfunktion, welche ihnen zu jenen außerordentlichen Wirkungen
-verhelfen können“. Lasson hat dazu eine sehr lesenswerte Bemerkung
-geschrieben. Bruno zahlt seiner Zeit den Zoll. So verwirft er auch
-nicht Krankenbehandlung durch Anhängen von Steinen und Murmeln von
-Beschwörungsformeln, durch Magie oder durch Fünftelessenzen neben der
-Behandlung durch die Apothekerheilmittel, aus dem Vernunftsatz, daß
-es besser ist, auf irgendeine Weise geheilt zu werden als gar nicht.
-Die Hauptsache ist, man weiß jetzt, was Bruno unter der Allbeseelung
-meint: gewisse Funktionen, die auch dann noch bestehen, wenn ein Wesen
-tot ist, und die überhaupt aller Materie angehören, höhere Funktionen
-bei Pflanzen, noch höhere bei Tieren, Menschen usf. Die Beseelung ist
-der Welt „immanent“. Außer der Weltseele besteht eine Materie, ein
-Substrat, die von uns so wenig definiert werden kann wie die Weltseele.
-Die Verbindung mit der letzteren gibt die Dinge. Die substanzielle Form
-der Dinge ist die Seele. Materie wie jede Seele „können nicht zerstört
-und vernichtet werden, so daß sie das Sein durchaus und in jedem Sinne
-verlören“.</p>
-
-<p>So ist die Welt ein dreifaches Unvergängliches: Universelle Vernunft
-oder allgemeine Weltseele, Macht der universellen Vernunft oder
-eigentliche Weltseele, Materie oder Substrat. Bei Gott nun ist Vermögen
-und Wirklichkeit das gleiche, er ist „Urvermögen“ und „Urwirklichkeit“.
-Die Welt aber, deren jeder einzelne Teil ja etwas anderes sein könnte,
-wie ein Stein auch Holz, ein Mensch dieser oder ein anderer, verbindet
-Vermögen und Wirklichkeit nicht; ersteres ist bei weitem umfassender.
-So ist alles expliziert, zerstreut, unterschieden. Darum wird die Welt
-als Schatten, auch Ebenbild, des Urvermögens und der Urwirklichkeit
-bezeichnet. Aber dieses Ebenbild „ist in <span class="gesperrt">spezifischer</span>
-Wirklichkeit alles das, was es seinem <span class="gesperrt">spezifischen Vermögen</span> nach
-ist“. „Deshalb“, wird dann noch gesagt, „wird es nicht schwierig und
-nicht bedenklich sein, schließlich anzunehmen, daß <span class="gesperrt">das<span class="pagenum"><a name="Seite_320" id="Seite_320">[S. 320]</a></span> Ganze der
-Substanz nach eines ist</span>.“ Beim Herabsteigen auf der Stufenleiter
-der Natur gibt es zwar eine doppelte Substanz, eine geistige und eine
-körperliche; aber schließlich gehen beide „auf ein Wesen und eine
-Wurzel zurück“. Dieses wird in der mannigfachsten Weise variiert,
-so indem in der Materie eine körperliche und eine unkörperliche
-unterschieden wird, die beide aber doch nur Materie sind. Die Materie,
-in diesem Sinne aufgefaßt, entfaltet alles, was sie unentfaltet
-enthält, „darum muß man sie ein Göttliches, die gütigste Ahnfrau, die
-Gebärerin und Mutter der natürlichen Dinge, ja der Substanz nach die
-ganze Natur selber nennen“. Sie ist das Universum und ein „Einiges,
-Unendliches, Unbewegliches“. Diese Eigenschaften des Universums werden
-nach allen Richtungen ausgeführt, indem immer das Gegensätzliche als
-mit dem Universum gleich vereinbar dargelegt wird (<a href="#Seite_311">S. 311</a>). Da es alles
-vereinigt, kann es nicht ein Einzelnes sein. Also hat es keine Gestalt,
-keine Bewegung, nicht Größe noch Kleinheit, nicht Zeit noch Ewigkeit,
-nicht Zentrum noch Umgebung. Es ist unveränderlich; die einzelnen Dinge
-ändern nur die Art des Seins, nicht das Sein selbst, und das Universum
-umfaßt <span class="gesperrt">alle</span> Arten des Seins. So ist das Universum in allem. Von
-diesem Standpunkt aus ist auch das Sterben nur ein Wechsel der Art des
-Seins oder des Ortes im Universum. Und so gibt es auch nichts Neues im
-Universum; was ist, war schon, und was kommt, war schon; ein Gedanke,
-der sich auch bei dem Cusaner findet, und der im „Prediger“ so oft
-ausgeführt wird. „Da seht ihr also wie alle Dinge im Universum sind
-und das Universum in allen Dingen, wir in ihm, es in uns, und so alles
-in eine vollkommene Einheit einmündet.“ Und diese Einheit ist stetig
-und dauert immer, dieses Eine ist ewig. Jedes Ding im Universum, weil
-es das, was alles in allem ist, in sich hat, umfaßt in seiner Art die
-ganze Weltseele. Diese Weltseele ist also in jedem Teile des Universums
-ganz. Auch sind die Welten nicht etwa wie in einer Ausdehnung oder
-einem Orte, sondern „wie in einer umfassenden, erhellenden, bewegenden
-wirkenden Kraft, welche von jeder dieser Welten ebenso umfaßt wird
-wie die<span class="pagenum"><a name="Seite_321" id="Seite_321">[S. 321]</a></span> ganze Seele von jedem Teile derselben“. Wichtig ist auch die
-Bemerkung, „daß es eine und dieselbe Stufenleiter ist, auf welcher
-die Natur zur Hervorbringung der Dinge herabsteigt, und auf welcher
-die Vernunft zur Erkenntnis derselben emporsteigt, indem sie durch
-die Vielheit der Mittelglieder sich bewegen“. Fast darwinistisch
-aber klingt es, „daß die Vernunft die Vielheit und Verschiedenheit
-der Arten auf eine und dieselbe Wurzel zurückführt“. Und so faßt die
-Urintelligenz alles aufs vollkommenste in <span class="gesperrt">einer</span> Anschauung. Und
-diesem hat der Mensch nachzustreben, um zum „Unterschiedslosen“ zu
-gelangen.</p>
-
-<p>Es ist schwer zu sagen, in welche Kategorie wir des großen Nolaners
-Lehre einzutragen haben; sie ist ebensowohl theosophisch als
-emanistisch, als panpsychistisch, als physisch (Bruno war Anhänger
-des Kopernikanischen Systems), je nach der Deutung, die man seinen
-Bezeichnungen gibt. In anderen Schriften tritt das Theosophische mehr
-hervor als in der hier besonders benutzten Hauptschrift. Also darf man
-vielleicht glauben, daß das ganze System eine Erhebung des Physischen
-aus seiner Natur in das Göttliche ist oder eine Durchstrahlung des
-Physischen durch das Göttliche; beides eine Art Pandeismus. Und so
-zeigt sich auch der Begriff Gottes von dem des Universums nicht
-getrennt; Gott ist naturierende Natur, Weltseele, Weltkraft. Da Bruno
-durchaus ablehnt, gegen die Religion zu lehren, so hat man solche
-Angaben wohl umgekehrt zu verstehen: Weltkraft, Weltseele, naturierende
-Natur, Universum sind in Gott. <span class="gesperrt">Gott ist Kraft der Weltkraft, Seele
-der Weltseele, Natur der Natur, Eins des Universums.</span> Bruno spricht
-ja auch von mehreren Teilen der universellen Vernunft, des Urvermögens
-und der Urwirklichkeit. Und damit hängt zusammen, daß für ihn die Welt
-unendlich ist und ohne Anfang und Ende; sie ist in demselben Sinne
-allumfassend wie Gott. Aber nicht ganz wie Gott. Gott sei in allem und
-im einzelnen allumfassend, die Welt jedoch wohl in allem, aber nicht
-im einzelnen, da sie ja Teile in sich zuläßt. „Ich sage,“ heißt es in
-einer Schrift über das Unendliche, „das ganze Uni<span class="pagenum"><a name="Seite_322" id="Seite_322">[S. 322]</a></span>versum ist unendlich,
-denn es hat weder Rand noch Grenze noch Oberfläche; doch sage ich, daß
-das Universum nicht ganz und gar (totalmente) unendlich ist, daß, was
-wir davon auch nehmen mögen, endlich ist.“ Und an dieser Endlichkeit
-liegt die Verschiedenheit der Dinge und ihr Gegensatz zueinander. Für
-die Übel, Tod und Böses, hat Bruno keine andere Erklärung als Mangel
-und Unvermögen. „Sie finden sich in den explizierten Dingen, weil diese
-nicht alles sind, was sie sein können, und durch äußeren Zwang werden,
-was sie sein können. Da sie daher nicht zugleich und auf einmal so
-vieles sein können, so geben sie das eine Sein auf, um das andere zu
-erlangen.“ Das ist im Grunde nur eine Darlegung des Tatsächlichen.</p>
-
-<p>Bei Giordano Brunos universalistischem Gesinnungsgenossen, dem
-Kalabrier <span class="gesperrt">Thomas Campanella</span> (1568 bis 1639, Dominikaner wie
-jener; wenn auch nicht verbrannt, aber in allen Kerkern Spaniens
-heimisch, und alle Torturen fast gewohnt), tritt das Theosophische
-etwas stärker in den Vordergrund. Die Welt ist eine Mischung aus
-Sein und Nichts. Dem Sein, Gott, wohnen drei <span class="gesperrt">Primalitäten</span>
-inne: Allmacht, Allweisheit und Allwille; dem Nichtsein Unmacht,
-Unbewußtheit, Bosheit. Die göttlichen Primalitäten äußern sich in der
-Welt als Notwendigkeit, Vorsehung, Harmonie. Wie die Mischung zustande
-kommt, ist ein transzendentes Geheimnis. Gott ist das schlechthin
-Seiende, ein Überseiendes, eine Übersubstanz. Er hat von seinem
-Sein und von seinen Primalitäten (als Liebe, Erkennen, Wollen) den
-Geschöpfen mitgeteilt, wie eine Emanation. Und so sind alle Geschöpfe
-ihrer Wahrheit nach in Gott, nur daß ihnen das Nichtsein als ein Mangel
-anhaftet, davon Gott selbstverständlich frei ist. Und es gibt Welten,
-die sich zu immer höheren Stufen erheben, wie Emanationen, und von
-denen jede die niederen einschließt und von den höheren eingeschlossen
-wird, bis zu Gott, der alles umfaßt. Selbst die Engel stehen noch viel
-näher dem Nichts als Gott. Das Unterscheidende der Welt als Welt, da
-es durch das Nichts gegeben ist, bildet also das Übel und das Böse,
-sonst wären die Geschöpfe Gott, und alles bestände<span class="pagenum"><a name="Seite_323" id="Seite_323">[S. 323]</a></span> unterschiedslos.
-Der Mensch ist frei zum Guten wie zum Bösen. Da jede Primalität von der
-höheren eingeschlossen ist, geht das Tun vom Willen aus, muß gelenkt
-werden durch das Erkennen und seine Richtung nehmen zur Liebe. Alles
-dieses fließt aus der Natur der Geschöpfe. Wie in diesen Rahmen die
-Materie, die als gänzlich eigenschaftslos angesehen wird, paßt, kann
-ich nicht sagen. Es hat aber Gott zuerst den Raum geschaffen, der als
-die Substanz der Materie anzusehen sei, dazu die Materie als solche,
-als begrenzte Einheit und Grundlage für alle Verschiedenheiten. Zuletzt
-zwei Kräfte, die, wie bei Telesius, als Wärme und Kälte angenommen
-werden, die beide die ganze Materie angreifen und so in Streit geraten.
-Durch sie aber entstehen im einzelnen lebendige Wesen, im ganzen die
-Ordnung und Harmonie der Welt unter Leitung Gottes oder der Engel.
-Dabei müssen den Wesen die Primalitäten mitgeteilt werden, direkt oder
-indirekt. Das Ganze ist hier so wenig wie bei Telesius zu durchschauen.
-Überhaupt sind alle allgemeinen Angaben noch verständlich, während
-die Ausführungen im einzelnen für uns wenig mehr als unverständlich
-verlaufen. Das liegt in dem Mangel an Kenntnissen. Und solche und
-ähnliche Ausführungen fußen auch meist auf den Annahmen der ionischen
-Naturphilosophen, die, weil sehr lückenhaft überliefert, nicht anders
-als unklar wiedergegeben werden konnten.</p>
-
-<p>Wir kehren zu unseren deutschen Theosophen zurück. <span class="gesperrt">Nikolaus
-Taurellus</span> und <span class="gesperrt">Valentin Weigel</span> übergehen wir, um uns sofort
-zu unserem größten Mystiker <span class="gesperrt">Jakob Böhme</span> zu wenden. Dieser ebenso
-sonderbare wie höchst bedeutende und liebenswerte Mann ist 1575 zu
-Altseidenberg bei Görlitz geboren, hütete erst das Vieh und ward dann
-ehrsamer Schuster. Als solcher lebte er bis 1624, seinem Todesjahre, in
-Görlitz. Schreiben und Lesen verstand er nur notdürftig. Er wurde von
-wunderbaren Gesichten und Verzückungen heimgesucht, war also vielleicht
-ein armer kranker Mensch. Sie gaben ihm aber Anlaß, 1612 seine erste
-Schrift „Morgenröte im Aufgang“ (Aurora) zu verfassen. Die Theologen,
-überall unduldsam, eiferten gegen ihn, und so wurde ihm vom Magistrat
-das<span class="pagenum"><a name="Seite_324" id="Seite_324">[S. 324]</a></span> Schreiben untersagt. Nach sieben Jahren, da sein Anhang wuchs
-und sein Leben sich als ein frommes und unsträfliches erwies, ließ
-man es zu, daß er weiterschrieb. Der einfache Mann muß viel gehört
-und gelesen haben; er stand auch mit vielen in Verbindung. Wie der
-frühere Schuster Hans Sachs ist er ein gewaltiger Poet, aber in seiner
-innig-tiefen Weise, indem er sich eine außerordentliche Welt erdichtet
-und in außerordentlicher Bildersprache redet. Dabei ist er von allen
-Theosophen der konsequenteste, vielleicht der einzig konsequente.</p>
-
-<p>Mittel zur Erkenntnis ist ihm fast allein das Schauen. Gleich wie
-das Auge des Menschen in die Gestirne sieht, so auch die Seele in
-das göttliche Wesen, darinnen sie lebt. Und aus diesem Schauen hat
-seine „Feder geschrieben“. Und da er eine tiefsittliche Natur ist,
-gewinnt alles bei ihm sittliche oder gegensittliche Bedeutung. So ist
-Licht: Freundlichkeit und Liebe, Wärme: Grimm, ist Haß: Finsternis
-und &mdash; Paracelsistisch &mdash; Begierde: Salz, Angst: Schwefel. Die
-Naturerscheinungen sind Gutes und Böses, und Gutes und Böses sind
-Naturerscheinungen. Geist und Körper gehen durcheinander. Und Gott
-selbst wird körperlich aufgefaßt, nur von ganz außerordentlicher
-Feinheit. „Die harte Qualität, die zeucht das ganze körperliche Wesen
-der Gottheit zusammen und hält es und vertrocknet es, daß es bestehe.“
-Das Auffallende einer solchen Behauptung schwindet, wenn man bedenkt,
-daß ja auch der philosophisch und dialektisch so hochgeschulte Giordano
-Bruno Materie und Seele schließlich in Eins, die allgemeine Substanz,
-auslaufen läßt. Jakob Böhme hat dieses nur sinnlicher ausgedrückt. Und
-so sieht er in der Tat in Gottes Wesen das Nichts; das Unkörperliche
-und Eigenschaftslose, würden wir sagen. Aus diesem seinem Nichts
-schafft Gott die Welt, absteigend sie immer derber verhärtend, indem er
-sich zusammenzieht. In Gott ist zunächst die abgeschlossene Selbstheit,
-die absolute Einheit. Außerdem aber der Drang nach Selbstoffenbarung
-in der Vielheit. Gott bildet hiernach eine <span class="gesperrt">Polarität</span>, eine
-<span class="gesperrt">Entzweiung</span> mit sich selbst. Und so ist Gott auch Gutes und
-Böses. „<span class="gesperrt">Denn der<span class="pagenum"><a name="Seite_325" id="Seite_325">[S. 325]</a></span> heiligen Welt Gott und der finsteren Welt Gott
-sind nicht zween Götter; es ist ein einziger Gott; er ist selber alles
-Wesen; er ist Böses und Gutes, Himmel und Hölle, Licht und Finsternis,
-Ewigkeit und Zeit, Anfang und Ende; wo seine Liebe in einem Wesen
-verborgen ist, als da ist sein Zorn offenbar.</span>“ So zu lesen im
-Mysterium magnum. Und man kann sich nicht deutlicher ausdrücken. Gerade
-aus dieser Polarität heraus, die ja einfach der Welt entnommen ist,
-erwächst die Welt durch Gott und in Gott, mit dem ethischen Endziele
-&mdash; man denke an einen ähnlichen Gedanken der Eranier (<a href="#Seite_202">S. 202</a>) &mdash;,
-daß im Bereich der Menschheit der Kampf zwischen Gut und Böse, Liebe
-und Haß, Güte und Zorn usf. zum Vorteil der ersten Pole entschieden
-wird. Jakob Böhme einfach den Gnostikern und Theosophen üblicher Art
-zuzurechnen, geht also nicht wohl an, obwohl er Ausdrücke der Gnostiker
-tatsächlich braucht. An ihm imponiert die vor nichts zurückschreckende
-Folgerichtigkeit seines Systems, die in Lehren, welche nur das
-Licht an der höchsten Stelle kennen und die absolute Einheit, nicht
-vorhanden sein kann; die auch mangeln muß, wo von der schwächlichen
-Unvollkommenheit der doch so derbe Teufel in der Welt sich herschreiben
-soll. Als Feuer wird dieses Böse bezeichnet, verzehrend und peinigend,
-wenn es sich im Menschen geltend macht. Auch ist der Teufel „in Kraft
-des Zornes Gottes“. Diese Eigenschaft wird in zwei Eigenschaften
-zerlegt, in Trieb, Begierde und in Aufnahme böser Befriedigung.</p>
-
-<p>Wir haben bis jetzt zwei Eigenheiten Gottes kennen gelernt,
-„Quellgeister“, wie Jakob Böhme sie außerordentlich schön und
-bezeichnend nennt. Ein dritter Quellgeist ist das In- und
-Gegeneinanderwirken der beiden ersten Geister, wodurch alles aus der
-Selbstheit drängt und in die Selbstheit zurückfließt, ein ewiger
-Prozeß im Kreise. Hiernach scheint die Welt ständig auszuströmen und
-zurückzuströmen, also immer zu werden und zu vergehen, wie bei den
-Systemen, die in Gott nur das „Jetzt“ anerkennen, nicht Vergangenheit
-noch Zukunft (<a href="#Seite_287">S. 287</a>, <a href="#Seite_303">303</a>). In diesen drei Quellgeistern sieht<span class="pagenum"><a name="Seite_326" id="Seite_326">[S. 326]</a></span> Jakob
-Böhme furchtbarste Zerrissenheit, Unruhe und Pein, als kosmogonische
-Begriffe. Der vierte Quellgeist, der Feuerblitz, soll die Enge in der
-Welt zersprengen, aus dem Bösen in das Gute, aus dem Übel in das Heil
-führen. Er ist also eine Art Erleuchtung durch Gottes lichte Gnade.
-Als fünfter Quellgeist steht das himmlische Liebesfeuer, „der wahre,
-der heilige Geist, der alles in Liebe eint“. Heinrich Schmitt (<a href="#Seite_267">S.
-267</a>) vergleicht ihn mit der himmlischen Weisheit der Gnostiker. Den
-sechsten Quellgeist bezeichnet Jakob Böhme als Hall oder Schall. Er
-ist wohl das Wort, der Logos, bedeutet jedoch auch die Harmonie der
-Geister, „gleich einer himmlischen Musik von vieltausend Instrumenten,
-gegen deren göttlichen Schall, der von Ewigkeit zu Ewigkeit aufgeht,
-die künstlichste irdische Musik nur wie ein Hundegebell erscheint.“
-„Hier herzet der Bräutigam die Braut und entstehet das wahre Leben
-aller Kreatur, in jedem Ding nach seiner Eigenschaft.“ Also ist es
-wohl auch die allgemeine Vernunft, die alles in sich in Einklang
-ordnet. Endlich der siebente Quellgeist führt aus dem Himmlischen
-ins Irdische, als irdische Vernunft und irdisches Leben und alles
-Heilige in sich fassend. Aber im Leben sind alle Quellgeister, bis
-auf die Feuer-Quellgeister, geschwächt und verdunkelt, und nur in
-innerlichster Anschauung hinreichend erkennbar. Dem Menschen sollen
-fünf von ihnen als Kampfmittel gegen die Feuer-Quellgeister dienen,
-die in ihm das Böse bedingen. „So sich ein Feuer in einem Quellgeiste
-erhebet, so ist’s der Seele nicht verborgen; sie mag alsbald die
-anderen Quellgeister aufwecken, die dem angezündeten Feuer zuwider
-sind, und mag löschen. Will aber das Feuer zu groß werden, so hat
-sie (die Seele) ihr Gefängnis, da mag sie den angezündeten Geist
-einschließen, als nämlich die herbe, harte Qualität (Entbehrung
-und Kasteiung, Selbstzucht), und die anderen Geister müssen ihre
-Stockmeister sein, bis ihm der Zorn vergehet und das Feuer verlischt.“
-Mitunter freilich scheint es, als wenn das „Feuer“ ein besonderes
-ist, nicht ein Quellgeist. Über das Schauen der Quellgeister heißt
-es: „Du sollt aber nicht denken, daß das himmlische Licht in dieser
-Welt<span class="pagenum"><a name="Seite_327" id="Seite_327">[S. 327]</a></span> in den Quellgeistern gar erloschen sei; nein, es ist nur eine
-Dunkelheit, welches wir mit unsern verderbten Augen nicht ergreifen
-können. So aber Gott die Dunkelheit wegtäte, die über dem Lichte
-schwebet, und würden dir deine Augen eröffnet, so sähest du auch
-hier an der Stelle, wo du in deinem Gemache stehest, sitzest oder
-liegest, das schöne Angesicht Gottes (ein kabbalistischer Ausdruck,
-oder aus der Daniel-Apokalypse) und die ganze himmlische Pforten. Du
-darfst deine Augen nicht erst in den Himmel schwingen; denn es stehet
-geschrieben: das Wort ist dir nahe, nämlich auf deinen Lippen und an
-deinem Herzen.“ Eine schöne und höchst charakteristische Stelle für die
-reine Innerlichkeit der Anschauung! Der Mensch wird dreifach geboren;
-in der ersten Geburt (der siderischen) voll der Herrlichkeiten der
-guten Quellgeister, in der zweiten (animalischen) gleich einem Tiere;
-in der dritten, am Ende der Tage, zu Himmelreich oder Hölle. Die
-Engel haben nur das Gute, die Teufel nur das Böse. Aber beide nicht
-ausschließlich, da sie von Gott kommen und „Gott wider Gott steht“.
-Eine Art doppelte Prädestination ist nicht zu verkennen, doch liegt
-es in dem umfassenden Quellgeist, daß die Seele das Gute gegen das
-Böse in Kampf rufen kann. Der Weltentstehung geht der Abfall der Engel
-vor. „Das Wesen der verstoßenen Geister entzündet und verdichtet sich,
-um die neue Welt zu gebären.“ Der Mensch tritt an Stelle Luzifers.
-Adams Fall beginnt mit seinem ersten Schlaf im Paradiese, was für Eva
-nicht sehr schmeichelhaft wäre, wenn Böhme nicht meinte, daß schon das
-Sichüberlassen der Untätigkeit ein Zeichen der Fleischlichkeit sei.
-Denn das Leben denkt er sich durchaus energisch geführt, als einen
-Kampf des Guten in uns mit dem Bösen in uns, zum Siege des Guten.</p>
-
-<p>Unter den mehreren Anschauungen <span class="gesperrt">Schellings</span>, denen wir später
-noch begegnen werden, finden sich auch solche, die ganz auf dem Boden
-der Anschauungen Jakob Böhmes erwachsen sind. Gott ist die absolute
-„Indifferenz“, der „Ungrund“, ohne jedes Prädikat. Aber Gott ist
-gleichwohl potentiell eine Dualität, weil nämlich Gott auch den
-Grund seines Seins in sich haben muß. Dieser Grund ist in ihm als<span class="pagenum"><a name="Seite_328" id="Seite_328">[S. 328]</a></span>
-gesonderte Existenz. Und als Grund des Seins ist er zugleich ein
-Begehren nach Sein. Da er aber Gott selbst angehört, so schaut Gott
-hieraus sein Ebenbild, den Logos, eine Vereinigung von Vernunft und
-Seins-Begehren, die sich als Schaffens-Wille äußert und nun die Welt
-schafft und ordnet. Man sieht, wie Schelling die „Selbstentzweiung
-Gottes“ auffaßt. Die Vernunft geht nach oben, dem Vollkommenen, das
-Begehren nach unten, dem Niederen. Das Weitere, das Böhme ethisch
-entwickelt, behandelt Schelling mehr historisch, unter Benutzung seiner
-naturwissenschaftlichen und Geschichtskenntnisse. Erst überwiegt das
-Begehren, und es werden rohe Produkte geschaffen und erhalten, wie die
-ausgestorbene Vorwelt sie zeigt. Allmählich kommt die Vernunft mehr
-und mehr zur Geltung, es entstehen die höheren Wesen; der Mensch tritt
-auf, erst roh, barbarisch, dann edler. Vernunft und Begehren stehen
-immer in Kampf; das Fortschreiten der Vernunft ist kein stetiges,
-aber ihre Wirkung geht, mit Schwankungen, doch aufwärts. Das Endziel
-ist die Oberherrschaft der Vernunft, das Schwinden des Begehrens, die
-Vereinigung der Welt mit dem Göttlichen zu einer Identität.</p>
-
-<p>Auch <span class="gesperrt">Krause</span> (1781&ndash;1832) scheint sich dem Hauptprinzip Böhmes
-angeschlossen zu haben, indem er das Dasein der Welt aus einer „inneren
-Entgegensetzung der Wesenheit in Gott“ ableitet. Und obgleich er
-Pantheist ist, überträgt er doch alles in Gott, so daß seine Lehre eine
-All-in-Gott-Lehre sein soll, und verleiht Gott Eigenschaften, die nicht
-weit ab von den Quellgeistern Böhmes liegen. Manches aber freilich paßt
-sich den Anschauungen der Zeit an, und einzelnes, wie es scheint, dem
-Spinozaschen Pantheismus. Überhaupt werden wir sehen, daß Jakob Böhmes
-Entzweiung Gottes mit sich sehr oft benutzt wird, noch bis in die
-neueste Zeit hinein und in Systemen, die vom Böhmeschen weit abzuliegen
-scheinen, wie zum Beispiel in dem dialektischen System Hegels.</p>
-
-<p>Wir gehen in der Zeit stark zurück und führen von anderen Theosophen
-noch besonders an den Brüsseler Arzt <span class="gesperrt">Johann Baptist van Helmont</span>
-(1577&ndash;1644), der in Visionen und Träumen die Wahrheit suchte und
-Logik und Vernunft<span class="pagenum"><a name="Seite_329" id="Seite_329">[S. 329]</a></span>wissenschaft, wie alle Intuitiven, verachtete, und
-der dabei doch zugleich ein nicht unbedeutender Naturforscher war,
-indem er das Reich Gottes von dem Reich der Natur scharf trennte. Er
-sah aber überall Leben und glaubte, daß jede natürliche Kraft als
-<span class="gesperrt">Archeus</span> sich selbst ihren Körper bilde. „Aber in der Tat sind
-so viele Arten (species) lebender (von Gott in die Natur gelegter)
-Lichter, als Arten lebender Kreaturen. Und so ist in diesen Lichtern
-selbst alle und jede Unterscheidung der Arten.“ Die Materie ist das
-zweite Prinzip der Natur. In jedem Dinge ist ein Samen, daraus es sich
-entwickelt. Die Entwicklung wird aber durch eine innere Anlage, ein
-„Ferment“, eingeleitet und weitergeleitet. Eigenartig ist seine Annahme
-einer Wirkung in die Ferne, einer Art Strahlung &mdash; er hat dafür das
-wunderliche Wort <span class="gesperrt">Blas</span> geprägt &mdash; die von den Gestirnen nicht
-minder wie von den Wesen ausgeht und nach Außen und Innen wirken soll,
-was ja mit astrologischen und mit modernen Ideen übereinkommt. Außer
-Archeus und Blas wird noch, als an einem Punkt im Körper konzentriert,
-die Seele angenommen. Diese sitzt im Magenmund, der Archeus in der
-Milz. Gehirn und Nerven sind Werkzeuge der Seele, der Archeus ist ihr
-ausführendes Organ, für das körperliche Leben. Dazu kommt der Geist
-als das Gotteslicht. Es sind etwas viel Distinktionen: Archeus, Seele,
-Geist, Samen, Ferment, und man weiß zuletzt doch nicht recht, wie
-all diese Dinge miteinander zusammenhängen. Namentlich konkurrieren
-Archeus und Ferment, Seele und Geist. Zu Jakob Böhme bildet van Helmont
-insofern einen Gegensatz, als er den energischen Kampf in der Natur,
-den jener so dichterisch und geistvoll vertritt, ablehnt. Die Natur
-ist ihm vielmehr ein geordnetes Ganzes mit selbständigen einzelnen
-Wesen. Den Engländer <span class="gesperrt">Fludd</span> (1574&ndash;1637), einen ganz gehörigen
-Mystiker, erwähne ich, nicht weil er Wärme und Kälte als weltbildende
-Prinzipe benutzt, wie schon viele vor ihm getan, sondern weil er sich
-auf Versuche mit einem Thermometer beruft, dessen Beschreibung er
-in einem wenigstens 500 Jahre alten Manuskript gefunden haben will.
-Die Ergebnisse der Versuche sind zutreffend. <span class="gesperrt">Blaise Pascal</span><span class="pagenum"><a name="Seite_330" id="Seite_330">[S. 330]</a></span>
-(1623&ndash;1662) hat mit Jakob Böhme einige Ähnlichkeit, er zeigt sich als
-tiefsinniger, religiöser Mystiker und zugleich doch als Skeptiker.
-<span class="gesperrt">Montaigne</span> (1533&ndash;1592) ist als Mystiker nur zu erwähnen, mehr
-noch ist er Skeptiker. Aber <span class="gesperrt">Swedenborg</span> (1689&ndash;1772) ist ganz und
-gar Mystiker.</p>
-
-<p>Die Theosophie zieht sich wie ein roter Faden noch lange durch alle
-Systeme, wie wir sehen werden. In unserer Zeit konnte sie sogar einen
-sehr bedeutenden Aufschwung erfahren, mit allem Zubehör von Mystizismus
-und Okkultismus. Dem veränderten Verhalten der Menschen den besonderen
-Religionen gegenüber entspricht es, daß sie sich wesentlich der
-<span class="gesperrt">indischen</span> Auffassung angeschlossen hat. Ein anscheinend für
-die betreffenden Kreise bestimmtes grundlegendes Werk hierüber, „The
-Key to Theosophy“, von der klugen Helene Petrowna Blavatsky (Carl
-Bleibtreu hat über sie ein Buch veröffentlicht, das leider durch
-unnötige Ausfälle gegen Andere und durch Übertreibungen entstellt
-ist), arbeitet ganz im Fahrwasser der schon mitgeteilten Lehren des
-Wundervolkes der Indier. Ebenso im Grunde das Werk von Franz Hartmann
-„Mysterien, Symbole und magisch wirkende Kräfte“. Die Hauptgedanken
-erhellen bereits aus den <a href="#Seite_223">S. 223</a> mitgeteilten Ansichten über die
-Seele, und auch das Prinzip, daß alles, ausnahmslos, Eines ist, der
-Theos, das Brahma usf., ist uns schon bekannt. Ebenso die Lehre von der
-Reinkarnation und das <span class="gesperrt">Karma-Gesetz</span>, daß jeder erntet, was er
-gesäet hat. Ferner, daß die Erkennung des „Ich-selbst“ die Erkennung
-von allem bedingt, auch die des Dinges hinter den Erscheinungen, des
-Transzendentalen im Sinne Kants (<a href="#Seite_350">S. 350</a>). „Das Selbst des Universums
-und das Selbst jeden Wesens im Universum ist ein und dasselbe Selbst“,
-lautet der Hauptsatz dieser Theosophie. Und dieses Selbst ist eben
-der Theos. Wir selbst sind es. Alles dieses entspricht durchaus dem,
-was wir von indischer Theosophie wissen. Die Durchführung dieser
-Hauptgedanken darzulegen muß ich mir versagen, ebenso muß ich die
-Schilderung der sieben Reiche (im Anschluß an die sieben Seelen, <a href="#Seite_223">S.
-223</a>) und die Erklärung der Symbole und Mysterien übergehen, zumal mir
-sehr vieles allzudunkel<span class="pagenum"><a name="Seite_331" id="Seite_331">[S. 331]</a></span> geblieben ist. Nur weniges ist gnostischen
-Anschauungen entnommen und noch weniger kirchlich-christlichen. Und es
-läßt sich ja nicht bestreiten, daß, so poetisch schön die letzteren,
-und namentlich die gnostischen, Anschauungen sind, sie philosophisch
-den tiefdurchdachten und bis ins äußerste scharf getriebenen Lehren
-der indischen Schulen zurückstehen. Und nach dem wirklich großen Jakob
-Böhme ist ja auch kein christlicher Theosoph erschienen, der ein
-befriedigendes System hätte aufstellen können. In Böhme aber haben
-wir mehr den sittlich hohen und phantasiebegabten Mann zu verehren
-als den unumwundenen Dialektiker. Er war rücksichtslos in seiner
-Entzweiung Gottes mit sich selbst, sein frommer Sinn aber führte ihn
-auf geschlungenen Pfaden immer wieder zurück zu dem einzig gnädigen
-und gütigen Gott, wie ihn die Fülle der Menschheit ja allein als
-Gott des Trostes und der Verheißung brauchen kann, wie ihn aber der
-spekulative Menschenteil nicht ohne inneren Widerspruch, angesichts des
-so unglaublich verbreiteten und fast unser ganzes Leben durchquälenden
-Schlimmen und Üblen, auf sich wirken lassen kann. Wo die Persönlichkeit
-verloren geht, schwindet die Poesie, und man mag uns Gott noch so
-erhaben schildern, noch so gewaltig und unendlich, er wird uns immer
-fremder und kälter und unverständlicher. Der strafende und der liebende
-Vater geht verloren. Es kommt ein geheimnisvolles Etwas hinter grauen
-Schleiern. Das Leben wird verschwommen, wie die Anschauung zerfließt.
-Es ist überall ein Verstecktes da, nirgend doch ein Greifbares, und
-die Gesellschaft muß sich schließlich mit einem feinen Schatten
-begnügen und einem ethischen Kodex, mit einem ewigen marklosen Leben,
-wenn nicht einem absoluten Tod. Diese Reaktion ist gegenüber den
-unsäglichen Albernheiten, die so viele mit der persönlichen Religion
-treiben, gegenüber den selbstsüchtigen Pachtungen des lieben Gottes,
-dessen sich so viele erdreisten, gewiß durchaus gerechtfertigt. Eine
-solche Reaktion hat die Philosophie von je gegen die Theologie geübt,
-daher die eigentlich so unwahre <span class="gesperrt">doppelte Wahrheit</span>. Gegenwärtig
-aber, wo ein dritter gewaltiger Kämpe auf<span class="pagenum"><a name="Seite_332" id="Seite_332">[S. 332]</a></span> den Plan getreten ist,
-die kalte, beweiskräftige Naturwissenschaft, die allen Glauben
-überhaupt hinwegzuschwemmen droht, ist es nur wohl zu verstehen, wenn
-manche, abhold dem Zerstörlichen, sich in ein Reich flüchten, das der
-Naturwissenschaft nicht angreifbar zu sein, den Gedanken keinen Zwang
-zu tun und für Phantasie und Gefühl Befriedigung zu bieten scheint.
-Kommt noch dazu, daß das Geheimnis vor der Grenze dieses Reiches
-wandelt und jedem Nahenden mit dunklen Reden Wunderbares zu schauen
-verheißt. Indessen scheint der anglo-amerikanische Stamm besonders
-geneigt, sich dort einzubürgern; in Deutschland sind wir noch sehr
-mißtrauisch den Verheißungen gegenüber. Die Menschheit verhält sich
-gegenwärtig fast synkretistisch in bezug auf die Religion. Und wenn
-gar einer Hochreligion, dem Christentum, das Wichtigste, Christi
-Leben und Leiden auf Erden für die Menschheit, also sein persönliches
-Erlöserwerk, fast mit Übereifer abgestritten wird, was bleibt vielen da
-übrig, als zum Unerforschlichen in seiner Unnahbarkeit zurückzukehren
-und, wie Jakob, mit der geheimnisvollen Erscheinung zu ringen, um
-ihren Namen zu erfahren! Oder, unbekümmert um eine Gottheit, ein
-irdisches Leben in ethischen Regeln als den alleinigen Zweck des
-Menschen zu betrachten, wenn man dieses Leben nicht überhaupt als ein
-Übel unter gleicher Voraussetzung zu überwinden hat! Wunderbar ist,
-wie dabei die größten Gegensätze nebeneinander bestehen. Der mitunter
-fast halluzinierende Theosoph und Spiritist hat den kühl abwägenden
-und alles Supernaturalistische abweisenden Ethiker, Optimisten oder
-Pessimisten zum Nachbarn. Wie sich allmählich aber eine Anschauung
-mehr und mehr zur Herrschaft emporringt, die den Theismus (auch als
-Deismus) mit dem sogenannten Atheismus versöhnt und verbindet, der
-spinozistische Pantheismus, der mit der Theosophie die Idee eines
-alles umfassenden, alles begreifenden Etwas, mit dem Atheismus die der
-Selbständigkeit der Welt, ihr Freisein von einem persönlichen außer und
-über ihr stehenden Herrscher, ihr Wurzeln auf sich selbst gemein hat,
-werden wir später sehen. Einstweilen können wir vom Deismus noch nicht
-scheiden.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_333" id="Seite_333">[S. 333]</a></span></p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>39. <span class="gesperrt">Deistischer Rationalismus</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Die weitere Entwicklung der Philosophie und Wissenschaft war jedoch
-zunächst der intuitiv-religiösen Auffassung der Welt und des
-Lebens an sich nicht günstig und mußte zu kühlerer Betrachtung der
-Dinge führen und so an Stelle der Intuition den vernunftgemäßen
-<span class="gesperrt">Rationalismus</span>, die festen Regeln der Vernunft, setzen.
-Rationalistisch ist schon die Sokratische Ethik, ebenso zu einem sehr
-großen Teil die Aristotelische Philosophie und vieles andere von
-dem, was ich schon vorgetragen habe („Nichts Größeres als Vernunft,
-denn sie ist die Seele der Seele“, soll Scaligers Wahlspruch gewesen
-sein). Der moderne Rationalismus beginnt mit dem Urheber der modernen
-Philosophie, <span class="gesperrt">René Descartes</span>, <span class="gesperrt">Renatus Cartesius</span> (1596 zu
-La Haye bei Tours geboren, 1650 zu Stockholm gestorben). Er muß aber
-bei diesem noch durchaus als mit Deismus gemischt bezeichnet werden,
-weil Gott ganz und gar noch in der Mitte der Anschauung steht. Sein
-Rationalismus beruht auf Gottbeweisen. „Der formale Grund,“ sagt
-Descartes, „woraus wir den Glaubenssachen zustimmen, besteht in einem
-gewissen inneren Licht, mit dem, von Gott erleuchtet, wir vertrauen,
-daß was uns zu glauben gelehrt wird, von ihm enthüllt ist, und daß er
-nicht lügen kann, da jenes Licht sicherer ist als das ganze Licht der
-Natur.“ Das ist zunächst noch durchaus theosophisch gesprochen. Und
-Descartes ist gläubiger, sogar wundergläubiger Katholik. Gleichwohl
-ist er Rationalist, er will überall mit Vernunftgründen beweisen. Mit
-dem „Licht der Natur“ will er wissenschaftlich in alles Natürliche
-hineinleuchten und nur beim Allerletzten dem übernatürlichen Licht,
-der inneren Offenbarung, Intuition, sein Vertrauen schenken. Dieses
-lehrt ihn aber, daß Gott in jedem Augenblicke Grund der Welt ist, daß
-diese ins Nichts versinkt, sobald er sie verläßt. Und so ist auch das
-natürliche Licht von Gott in der Natur entzündet, denn Gott kann nur
-wahr sein, selbst in seinen Werken. Diese Wahrheit ist an sich eine
-relative, sofern Gott die Welt auch ganz anders hätte schaffen und
-einrichten können, als<span class="pagenum"><a name="Seite_334" id="Seite_334">[S. 334]</a></span> geschehen ist; für uns jedoch bedeutet sie
-eine absolute nach unserer Art. Unter solchen Umständen nimmt es sich
-sonderbar aus, daß Descartes gleichwohl, mit anderen vor ihm, sich
-noch nach <span class="gesperrt">Beweisen</span> für das Dasein Gottes umschaut. Diese sind
-eben ein Teil seines Rationalismus. Er geht von dem berühmten Satz
-aus: „Je pense, donc je suis“; cogito, ergo sum; Ich denke, also bin
-ich; einem Satze, der sich lange vor ihm schon ausgesprochen findet.
-Das ist also eine Gewißheit: „Ich bin“. Aus dieser Gewißheit schöpft
-er die weitere: Was ich für sicher weiß, oder einfacher, was in mir
-keinen Widersprüchen begegnet, ist auch wahr. Und wie so viele vor ihm
-und nach ihm vertauscht er das Wahre mit der Existenz. Wir haben in
-uns eine Idee von einem unendlichen, absolut vollkommenen und absolut
-realen Wesen. Nun sind wir selbst endlich, unvollkommen und zeitlich
-beschränkt. Und alles um uns ist es gleichfalls. Also können wir jene
-Idee weder aus uns noch aus der Natur geschöpft haben. Und folglich
-ist sie absolute Wahrheit, und Gott besteht. Offenbar ist dieser
-<span class="gesperrt">psychologische</span> oder <span class="gesperrt">anthropologische</span> Beweis einzig ein
-intuitiver. Er ist nicht falsch, wie man oft behauptet hat; er ist nur,
-als intuitiv, unserer discursiven Vernunft, die rein logisch schließt
-und sagt, weder ein Unendliches noch ein Absolutes liege <span class="gesperrt">fertig</span>
-in unserem Geiste, sondern nur als stetig fortgeführte Abstraktion,
-unzugänglich. Der andere Beweis heißt der <span class="gesperrt">ontologische</span>. Im
-Grunde ist er eine Ergänzung zum psychologischen. In diesem wurde die
-absolute Realität Gottes vorgesetzt. Descartes meint, diese gehöre
-schon zum absolut Vollkommenen; was absolut vollkommen ist, muß auch
-wirklich sein. Die Wurzel steckt in der so oft gemachten Annahme,
-daß alles Unvollkommene aus einer Beimischung von Nichtwirklichem,
-Nichtseiendem herstamme, die der Leser im Voraufgehenden so oft hat
-hinnehmen müssen. Aber dieser Zusatzbeweis ist an sich nicht nötig. Der
-psychologische Beweis genügt für die Intuition völlig. Und wer keine
-Intuition zugibt, dem hilft der Zusatzbeweis auch nicht, denn wie Kant
-nachgewiesen hat, gehört das <span class="gesperrt">Dasein</span> nicht zu dem Begriff eines
-Dinges,<span class="pagenum"><a name="Seite_335" id="Seite_335">[S. 335]</a></span> wie die übrigen Merkmale. Hat nun Gott auch keine Merkmale,
-was bleibt dann übrig, wenn ihm auch das Sein entzogen wird?</p>
-
-<p>Im Menschen erkennt Descartes eingeborene Begriffe (ideae innatae,
-apriorische), sodann empirisch erworbene, auch abgezogene Begriffe
-(ideae adventitiae, aposteriorische), zuletzt hervorgebrachte Begriffe
-(ideae factae). Die ersteren umfassen die Hochbegriffe Gott, Wahrheit,
-Freiheit usf.; die mittleren dienen zur Erkenntnis der Natur; die
-letzten zum Hinausgehen über das unmittelbar in der Natur Gegebene, im
-Anschluß daran. Vor allem ist der Mensch ein geistiges Wesen. Descartes
-sieht aber in der Welt, wie Gott sie geschaffen hat, einen Dualismus:
-Geist und Materie. Begrifflich werden beide als „<span class="gesperrt">Substanz</span>“
-bezeichnet. Jedes von ihnen hat ein „<span class="gesperrt">Attribut</span>“: der Geist
-stetiges Denken, die Materie Ausdehnung. Die Einzelnen sind
-„<span class="gesperrt">Modi</span>“: im Geist die Gedanken, in der Materie die Körper
-mit Figur, Größe, Bewegung, Ruhe usf. Diese beiden Substanzen sind
-absolut getrennt; und jede besteht nach ihrer Art, der Geist nach
-geistiger, die Materie nach mechanischer Art. Dinge ohne Geist haben
-nur mechanistisches (besser physisches) Leben. So unser Körper, in
-dem alles rein mechanisch geschieht, wie in unbelebten Körpern, in
-Maschinen. Tiere und Pflanzen sind den unbelebten Dingen gleich, sind
-Maschinen. Der Mensch hat noch den unsterblichen Geist. Die Welt, ohne
-die Geister, ist hiernach auch eine gewaltige Maschine. Geschaffen
-wurde sie als eine harte Masse. Gott zerschlug diese Masse und setzte
-ihre Teile (wie bei Anaxagoras der Nus) in wirbelnde Bewegung. Nun
-stießen und rieben diese Teile aneinander, und es entstand so eine
-feine, gröbere und ganz grobe Materie. Die feine zerstreute sich am
-weitesten in das All und bildete in inneren Wirbeln allmählich die
-Sonne und die Fixsterne. Die gröbste Materie gab Erde, Planeten, Monde,
-Kometen usf. Die mittlere Materie wirbelt noch um Sonnen und Planeten
-und andere Körper und reißt die Planeten um die Sonnen, die Monde um
-die Planeten herum. Eine gewisse Ordnung unter allen Körpern<span class="pagenum"><a name="Seite_336" id="Seite_336">[S. 336]</a></span> entsteht
-durch das Stoßen und Reiben; wie auch die drei Materien sich durch
-Stoßen und Reiben voneinander geschieden haben. Descartes ist, wie wir
-sehen, in seinem Dualismus theosophischer Deist in bezug auf Gott und
-Geist, Mechanist in bezug auf die Körperwelt nach ihrer Entstehung und
-der ihr eingeprägten Bewegung.</p>
-
-<p>Wie wirkt aber die Seele auf den Körper? An sich kann eine solche
-Wirkung nicht stattfinden. Was Descartes darüber sagt, ist lediglich
-seinen mechanistischen Anschauungen nachgebildet. Die Seele sitzt
-in der Zirbeldrüse, in der Mitte des Gehirns. Die zu dieser Drüse
-führenden Nerven werden von feinstem Blut (spiritus animalis)
-durchströmt. Dadurch kommt die Drüse in Schwingungen, die die Seele
-aufnimmt. Umgekehrt muß diese die Drüse in Schwingungen versetzen, die
-den Gang des feinsten Blutes regulieren und so auf den Körper mittelbar
-wirken. Diese Vergrobsinnlichung kann einen modernsten Mechanisten
-erfreuen, aber die Frage nicht lösen. Darum ruft <span class="gesperrt">Geulincx</span>
-(aus Antwerpen 1625&ndash;1669) Gott zu Hilfe. Jedem körperlichen Vorgang
-entsprechend veranlaßt Gott einen seelischen, und jedem seelischen
-entsprechend einen körperlichen. So lenkt Gott die Seele nach dem
-Körper und den Körper nach der Seele. Frei ist nur immer je der erste
-Vorgang, je der zweite ist von Gott veranlaßt, ausgelöst. Also wirkt
-Gott <span class="gesperrt">gelegentlich</span>, es ist ein <span class="gesperrt">Okkasionalismus</span>, der
-eine höhere Bedeutung gewinnt, wenn Gott nicht jedesmal regulierend
-eingreift, sondern von vornherein Seele und Körper so gegeneinander
-abgestimmt hat, daß sie, obwohl sich gegenseitig absolut fremd, doch
-aufeinander antworten. Der Pariser <span class="gesperrt">Malebranche</span> (1638 bis 1715)
-faßt das Verhältnis, nach Geulincx’ Vorgang, in dieser Weise auf. Aber
-beide haben in Descartes’ Philosophie noch die Wendung gebracht, daß
-der Geist überhaupt von Gott ist, die Materie freilich nicht. Dieser
-Dualismus geht dann in einen solchen zwischen Gott und Welt über; und
-er ist wenigstens insoweit pandeistisch, als Gott in den geistigen
-Dingen vorhanden ist, vielleicht auch in den nichtgeistigen, sofern es
-sich um Vorgänge handelt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_337" id="Seite_337">[S. 337]</a></span></p>
-
-<p>Es ist üblich, an diese Betrachtungen Spinozas Lehren anzuschließen,
-gewissermaßen als letzte Ausbildung der Cartesischen. Allein Spinozas
-Anschauungen sind rein monistisch und auch in keiner Weise deistisch.
-Spinoza selbst hat Cartesius’ Schriften interpretiert und mag auch
-sein System als aus dem Cartesischen erwachsen angesehen haben. Es ist
-aber nicht mehr daraus hervorgegangen als des Cartesius’ System aus
-irgendeinem der früheren Systeme mit Gott, Geist und Materie. Und das
-rationalistische ist bei Cartesius kaum wo zu finden als in solchen
-„Beweisen“, deren einer oben angeführt ist und seinen Grund doch allein
-in der Intuition hat. Denn wiewohl Cartesius, wie schon bemerkt, auch
-das natürliche Licht, die Erkenntnis aus dem Vorhandenen, auf Gott
-zurückführt, ist er doch voller Zweifel an der Wirksamkeit dieses
-Lichtes. Fürchtet er doch mitunter, daß dieses Licht von einem bösen
-Dämon herrühren möchte, welcher uns Falsches für Gewisses vorspiegelt.
-So daß ihm zuletzt nur das Intuitive bleibt, als das einzig Sichere,
-wozu zunächst sein Grundsatz vom Dasein Gottes gehört und damit in
-Verbindung der vom eigenen Dasein, der demnach lauten müßte: <span class="gesperrt">Ich
-schaue Gott, also bin ich</span> (contemplor deum, ergo sum). Und in der
-Tat ist Descartes auch nicht übel geneigt, den Geist als eine Emanation
-Gottes anzusehen. Mit Descartes’ Deismus hängt auch zusammen, daß er
-die Welt unendlich im Raume und unendlich in der Dauer, aber endlich
-in der Entstehung auffaßt, und daß, wo er seinem Mechanismus abhold
-wird, er Gott nicht allein die Schaffung der Welt, sondern auch ihre
-stete Erhaltung und Leitung zuschreibt. In der Frage des freien Willens
-verhält er sich sehr unsicher. Als Mechanist muß er ihn leugnen. Als
-Deist kann er ihn bis zu einem gewissen Grade zulassen. Und in dem
-Schwanken zwischen Mechanismus und Deismus ist wohl das Unsichere und
-Sichwidersprechende in Descartes’ Anschauungen überhaupt zu suchen.
-Spinozas System, das wir später kennen lernen werden, ist durchaus
-konsequent. Und die Kunstausdrücke, die er nach Cartesius’ System
-verwendet, besitzen ganz andere Wertgebung.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_338" id="Seite_338">[S. 338]</a></span></p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>40. <span class="gesperrt">Prästabilierte Harmonie, Determinismus,
-Monaden, Korpuskeln, Realen, Samen</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Wir haben bereits an mehreren Stellen von der Anschauung einer
-„Sympathie der Dinge“ gesprochen, durch die der Zusammenhang zwischen
-den Dingen in der Welt erklärt werden sollte. Den Gipfel solcher
-Lehren bildet die <span class="gesperrt">prästabilierte Harmonie</span> in Verbindung mit
-der <span class="gesperrt">Monadologie</span>. Eine erste Fassung finden wir bei <span class="gesperrt">Franz
-Mercurius van Helmont</span> (1618&ndash;1699), dem Sohn des uns schon bekannten
-Arztes. Wie er die Seele stoisch betrachtet, so hat er sich im Grunde
-auch eine Art Pandeismus zurecht gelegt, indem Gott zwar von allen
-Dingen verschieden, aber doch nicht von allen Dingen abgetrennt oder
-geteilt sein soll. Da Gott selbst ohne Zeit, ohne Raum, ohne Änderung,
-ohne Vielheit ist, so läßt sich sein Zusammenhang mit den Dingen nur
-so verstehen, daß er die Welt ständig ohne Ende schafft, indem er
-immer weiter zu dem Vorhandenen Neues hinzubringt und zugleich alles
-zur Veränderlichkeit bestimmt. Gedacht ist dieses emanistisch; der
-Mittler ist das feinste von Gott ausgehende und das All erfüllende
-Licht, die Welt ist ein davon abgeschwächtes. Und Christus ist insofern
-in der Tat die Mitte, als er nur zum Guten veränderlich ist, nicht
-zum Bösen, während die Geschöpfe zum Guten und Bösen sich neigen.
-Indessen ist auch den Geschöpfen verliehen, sich dem Guten unendlich
-zu nähern, und darin beruht die Unendlichkeit der Schöpfung. Die
-Geschöpfe enthalten von Gott das Gute als Keim, und jedes Geschöpf ist
-eine Unendlichkeit für sich, indem es eine geistige Reihe ohne Ende
-bildet. So spiegelt jedes Geschöpf in gewisser Hinsicht Gott selbst
-ab, nur unendlich unvollkommener als Gott. Wie Licht bemerkt wird,
-wenn es an einem Körper reflektiert, (wir müssen sagen in uns, an der
-Retina auftrifft), so kommt Gottes Licht zum Bewußtsein, indem es auf
-eine dunkle Substanz trifft, die Materie des Körpers. Darum ist der
-Körper notwendig auch zum Bewußtsein Gottes; als wenn das Licht seiner
-selbst bewußt wird, indem es auf einen<span class="pagenum"><a name="Seite_339" id="Seite_339">[S. 339]</a></span> hemmenden Körper stößt. Lehren,
-wonach Gott sich nur in der Schöpfung kennt, sind bereits erwähnt.
-Und von Gott strahlt es auch ins Unendliche nach allen Seiten aus.
-Dadurch ist die Verbindung aller Dinge bewirkt, indem eben jedes Ding
-zu jedem Ding und durch jedes Ding geistige Emanationen sendet. So wäre
-jedoch nur eine Art allgemeine Statik erreicht. Zur Dynamik in der
-Welt kann van Helmont nur durch Mitwirkung Gottes gelangen. Die Welt
-besteht aus unzähligen, unteilbaren <span class="gesperrt">Monaden</span>, die das physische
-Leben bedingen, deren jede aber für sich absolut ein Individuum ist.
-Verbunden sind die Monaden durch gottentstammte, allgemeine Sympathie
-(wohl emanistisch so gedacht wie die Verbindung von Gott mit der Welt),
-und ihre Wirkung aufeinander geschieht durch von Gott eingepflanzte
-Bewegungsmöglichkeit der einen Monade zu der anderen. Also rührt alles
-von Gott her, Unendlichkeit jedes Individuums zum Guten, Endlichkeit
-zum Bösen, Sympathie Jedes gegen Jedes, Wirkung Jedes gegen Jedes. Die
-körperlichen und geistigen Dinge sind Aggregate von Monaden, die unter
-der Herrschaft einer Monade, der Seele, stehen, die als Zentralgeist
-alle einzelnen Monaden in sich faßt, insbesondere des betreffenden
-Dinges, aber auch der übrigen Welt (durch Sympathie?). Und wie keine
-Monade, nachdem sie geschaffen, untergehen kann, so erst recht nicht
-die Seele. Was noch von mehreren Welten gesagt wird, reicht ins
-Mystische. Vier sind vorhanden: die oberste Welt ist Christus als
-Lichtall. Die folgende, Welt der Schöpfung, ist wohl als eine Art
-platonischer Ideenwelt gedacht. In der dritten Welt, Welt der Bildung,
-wird in der oberen Schicht das Gute der Ideen verwirklicht, in der
-unteren das Unvollkommene. Die Festigkeit nehmen die unvollkommenen
-Verwirklichungen in der vierten, mechanischen körperlichen Welt der
-Gestaltung. So gehört der Körper der vierten, der Geist der dritten,
-die Seele der zweiten Welt an. Das stellte die eigentliche Welt (Mundus
-factionis) wieder sehr niedrig, wenn eben nicht Gottes Strahlen bis
-in sie hineinreichten und so eine Entwicklung nach oben ermöglichten.
-Diese Entwicklung aber schließt die Seelenwanderung, „Re<span class="pagenum"><a name="Seite_340" id="Seite_340">[S. 340]</a></span>volution der
-Seelen“, ein. Jede Seele bildet sich ihren Körper aus den Monaden
-nach der durch ihren Zustand bestimmten Herrschermacht. So entwickelt
-sich ihr Leib mit ihrer eigenen Entwicklung, und sie kann so aus den
-niedrigsten Existenzen zu den höchsten steigen, aber auch von höchsten
-zu niedrigsten fallen. Hat sie auf Erden die höchste Existenz erreicht,
-so geht sie in die erste Welt ein und kommt nicht wieder; dort
-entwickelt sie sich noch weiter. Die Seelen der Kinder sind Monaden der
-Eltern, daraus die Vererbung des Guten wie des Bösen. Sehr verständlich
-ist die ganze Lehre offenbar nicht; sie enthält zuviel nach einer
-Seite, der der Vollkommenheit, und zu wenig nach der anderen, der
-des Schlimmen; das letztere ein Mangel, den wir ja überall getroffen
-haben, außer bei Jakob Böhme. Eine wirkliche Harmonie haben wir hier
-nicht, viel weniger eine prästabilierte. Aber die Anlage ist zweifellos
-vorhanden, namentlich in den lebensvoll aufgefaßten Monaden.</p>
-
-<p>Wir kommen zu einem der Größten, <span class="gesperrt">Gottfried Wilhelm Leibniz</span>. Er
-ist zu Leipzig am 21. Juni 1646 als Sohn des Moralprofessors Leibniz
-geboren. Gestorben ist er am 14. November 1716. Seine Bedeutung für
-fast alle Zweige der Wissenschaft ist außerordentlich. Hier haben wir
-es nur mit einer seiner Leistungen zu tun, die aus seiner Welt- und
-Lebenanschauung fließt. In einer der vielen Auslassungen über seine
-Anschauung, in der Schrift „De la nature en elle-même“, bezieht sich
-Leibniz auf die bekannten Eigenheiten der Körper, die der „Trägheit“
-zugeschrieben werden, und meint mit Recht, daß diese allein aus der
-Ausdehnung der Dinge oder ihrer Masse nicht zu verstehen sei, daß es
-sich vielmehr um etwas handle, das außerdem den Dingen noch zukomme.
-„Und dieses substantielle Prinzip,“ sagt er, „das in den lebenden Wesen
-Seele heißt, in den anderen substantielle Form, und die zusammen mit
-der Materie eine wirkliche Substanz bildet, aber schon durch sich eine
-Einheit darstellt, dieses Prinzip nenne ich eine <span class="gesperrt">Monade</span>.“ Die
-Monaden sind einfach, ohne Teile, nicht bildbar und nicht vernichtbar,
-außer durch Gott. Jede Monade ist ein Gegenstand für sich;<span class="pagenum"><a name="Seite_341" id="Seite_341">[S. 341]</a></span> irgendeine
-Einwirkung auf ihr Wesen und in ihrem Wesen durch ein Äußeres, außer
-durch Gott, ist absolut ausgeschlossen. „Die Monaden,“ heißt es in
-der Monadologie, „haben keine Fenster, durch die etwas eindringen und
-hinaussteigen könnte.“ Alle Änderungen einer Monade kommen aus ihrem
-eigenen Inneren. Die Monaden sind erschaffen und dabei mit ihren
-Änderungen begabt. Sie sind jede eine Einheit einer Vielheit von
-Einzelheiten, die hiernach eine Beziehung bilden. Diese jedesmalige
-Vielheit in der Einheit, wechselnd in den vorübergehenden Zuständen,
-ist die <span class="gesperrt">Perzeption</span>, und was den Wechsel von einer Perzeption
-zur anderen bewirkt, bildet die <span class="gesperrt">Appetition</span>. Solches muß aus
-unserem Seelenleben erschlossen sein, da wir uns unserer Einheit bewußt
-sind, zugleich aber auch der Vielheit in unseren Seelentätigkeiten.
-Perzeption wäre also die jeweilige Wahrnehmung aller inneren
-Tätigkeiten, Appetition die des Wechsels der Tätigkeiten. Hiernach
-kann man die Monaden auch als Seelen ansehen oder als Entelechien (<a href="#Seite_250">S.
-250</a>); letzteres, weil sie eine gewisse Vollkommenheit der Zwecklichkeit
-besitzen. Doch reserviert Leibniz die Bezeichnung „Seele“ für
-diejenigen Monaden, deren Perzeptionen mehr unterschieden und von
-Gedächtnis begleitet sind. Die Monaden weichen nämlich voneinander ab
-in Perzeption und Appetition. Aber selbst jede Seele verhält sich bald
-deutlich, bald undeutlich bewußt, nur daß bei ihr die undeutlichen
-Perzeptionen vorübergehend sind, die bei den einfachsten Monaden
-dauernd. Monaden ohne jede deutliche Perzeption werden als „ganz bloß“
-bezeichnet (Monades toutes nues). So stufen die Monaden sich ab von
-gänzlicher Bloßheit bis zum Menschenseelischen, mit der Kenntnis der
-notwendigen und ewigen Wahrheiten, und mit dem Bewußtsein von sich
-selbst und von Gott. Alle Monaden haben die Gründe ihrer Vollkommenheit
-und Unvollkommenheit in sich. Dem Grade der Vollkommenheit entspricht
-die Tätigkeit (actio), dem der Unvollkommenheit das Leiden (passio).
-Jede Monade hat ein Bewußtsein von demjenigen, was in den anderen
-Monaden enthalten ist; sie gilt um so vollkommener, je mehr sie sich
-a priori Rechenschaft geben kann von dem, was in den anderen Monaden
-vorgeht; und darin besteht ihre<span class="pagenum"><a name="Seite_342" id="Seite_342">[S. 342]</a></span> Wirkung auf sie. Leidend verhält sie
-sich, sobald der Grund von dem, was in ihr vorgeht, in demjenigen sich
-befindet, das es deutlich in einem anderen, eben in ihr, kennt.</p>
-
-<p>Die gegenseitige Wirkung ist hiernach nur eine ideelle. An sich
-liegt sie in Gott, indem Gott bei Schaffung der Dinge überhaupt
-für jede Monade mit Bezug auf alle anderen Monaden bedacht war. In
-diesem Bedachtsein Gottes bei der Schaffung jeder Monade auf alle
-anderen Monaden, wodurch deren geordnete Wirkungen aufeinander nach
-ewigen Gesetzen sich erklärt, ist die <span class="gesperrt">prästabilierte Harmonie</span>
-begründet. Jede Monade wirkt zwar nur nach ihrer Art, aber diese
-Art ist von vornherein so beschaffen, wie es die Rücksicht auf alle
-anderen Monaden erforderte, so daß jede Monade nach ihrer Art ihre
-bestimmte Stellung in der Welt von vornherein einnimmt. So hat
-jede Monade Bewußtsein vom ganzen All. Indessen doch immer wieder
-in ihrer Art. Und so schaut die Welt vom Gesichtspunkte (point de
-vue) jeder Monade anders und anders aus. Aber wie eine Stadt von
-verschiedenen Standpunkten verschiedene Anblicke bietet und doch nur
-immer dieselbe Stadt ist, so die Welt. Sie ist nur eine, wenn auch von
-den verschiedenen Monaden verschieden aufgefaßt. Gott ist aber der
-allgemeine Grund aller Dinge, in ihm erscheint jedes wie es ist. Und
-wie es ist, mußte es aus der Natur Gottes sein, der die Welt nicht
-nach einem willkürlichen Plan so oder anders hätte schaffen können,
-sondern wie er sie geschaffen hat, als Gott schaffen mußte. Denn Gott
-ist absolut vollkommen; sein Können, sein Wissen, sein Wollen &mdash; bei
-den Monaden: Subjekt (Eigen), Perzeption, Appetition &mdash; sind absolut
-unbeschränkt. Und weil sie absolut sind, konnte es sich nicht um die
-„Wahl eines Besseren“ handeln, das ja ein endliches Wissen bedeutet.</p>
-
-<p>Alle Dinge sind aus Monaden zusammengesetzt. Da die Wirkung der Monaden
-aufeinander nur eine gedachte ist, so besagt die Zusammensetzung
-nicht ein Zusammenhalten, sondern ein deutlicheres Bewußtsein
-dieser Monaden von einander als von anderen Monaden, die nicht dem
-betreffenden Dinge angehören. In dem Wechsel des Bewußtseins von dem<span class="pagenum"><a name="Seite_343" id="Seite_343">[S. 343]</a></span>
-anderen ist es begründet, wenn Monaden aus den Dingen ausscheiden.
-So ist alles Wachsen nur ein Zunehmen von Monaden mit Bewußtsein vom
-Vorhandenen und im Bewußtsein des Vorhandenen. Und umgekehrt, alles
-Schwinden eine Abnahme von Monaden mit solchem Bewußtsein und in
-solchem Bewußtsein. Und so sind auch räumliche Form und Materie nur
-solche Bewußtseinszustände. Alles dieses liegt in den Monaden und
-der prästabilierten Harmonie. Und die Welt ist ein „Phainomenon bene
-fundatum“, eine gewaltige Maschine, deren einzelne Teile, die Monaden,
-gleiche Maschinen sind. Im Kleineren werden wir diese Vergleichung
-später bei dem philosophischen Biologen <span class="gesperrt">Driesch</span> wiederfinden.
-Die Welt ist nirgend und niemals unterbrochen, sie ist kontinuierlich
-und lebt kontinuierlich nach Gottes Harmonie. Die Unvollkommenheiten
-liegen in der Endlichkeit der Monaden, hinsichtlich ihres Subjekts,
-ihrer Perzeption und ihrer Appetition, die ja notwendig war, sollte
-überhaupt eine Welt vorhanden sein, da, wenn diese Endlichkeit
-aufgehoben wird, alles ja Gott ist. Dem Preis Gottes und dem Verhältnis
-des Menschen zu ihm ist die berühmte Théodicée gewidmet. Diejenige
-Monade in einem Ding, welche namentlich Bewußtsein von allen anderen
-Monaden hat, ist die <span class="gesperrt">Zentralmonade</span>, bei den Lebewesen die
-<span class="gesperrt">Seele</span>. Nur sofern eine solche Zentralmonade vorhanden ist, darf
-von einem „Körper“ gesprochen werden, der im übrigen nichts bedeutet
-als Monaden, hauptsächlich im Bewußtsein der Seele. So gibt es keinen
-Leib ohne Geist. Aber auch keinen Geist ohne Leib, denn das würde
-bedeuten, daß eine Monade überhaupt von anderen Monaden kein Bewußtsein
-hätte. Freilich besagt dieses, daß im Grunde jeder Leib unendlich
-ist wie das All, so daß an sich die ganze Welt, jedes darin Seele
-und Leib wäre, und das was wir Leib nennen, nur den Teil bedeutete,
-der besonders zum Bewußtsein gelangt ist. Dieser Schwierigkeit kann
-man nur entgehen, wenn man annimmt, daß die Monaden von gewissen
-Monaden so gut wie gar kein Bewußtsein haben. Sie ist aber auch allen
-panpsychistischen und pandeistischen Anschauungen inhärent. Da die
-Monaden<span class="pagenum"><a name="Seite_344" id="Seite_344">[S. 344]</a></span> keine Ausdehnung haben, und da die Welt als Kontinuum besteht,
-so sind die Dinge nicht bloß dem Gedanken nach ins Unendliche teilbar,
-sondern tatsächlich ins Unendliche organisiert. Charakteristisch
-aber für Leibniz, in dem wir ja auch einen großen Mathematiker und
-Physiker besitzen, ist, daß er nach Prästabilierung der Harmonie nur
-die Weltgesetze walten und ein stetes Eingreifen Gottes, wenn es
-vorhanden ist, immer nur in den Weltgesetzen sich äußern läßt. Und
-seine Naturerklärung ist eine mechanische; unvermittelte Wirkungen
-lehnt er ab, so die Newtonsche Attraktionswirkung in die Ferne, die
-er für ein stetes Wunder erklärt. Das gehört schon in das folgende
-Buch. Wie man von der Leibnizschen Anschauung zur Unsterblichkeit der
-Seele kommen muß und zur Seelenwanderung kommen kann, ist klar. Wie
-aber die Unsterblichkeit hier eine ganz andere Bedeutung hat als die
-theologische, ist ebenso klar. Die irdische Persönlichkeit kann ja gar
-nicht bestehen bleiben, wenn die Zentralmonade sich von den anderen
-Monaden, dem Körper, getrennt und so das deutliche Bewußtsein ihrer
-verloren hat. Sie kann dann von ihnen kein anderes inneres Bewußtsein
-haben als im Leben von den ihrem Körper nicht gehörigen Monaden, also
-nur das allgemeine Weltbewußtsein, das gegenüber dem Bewußtsein vom
-Körper so gut wie gar nicht besteht.</p>
-
-<p>Zum Schluß noch eine Bemerkung. Es ist mehrfach behauptet worden,
-daß die von Leibniz eingeführte <span class="gesperrt">Perzeption</span> im Gegensatz zur
-<span class="gesperrt">Apperzeption</span> ein rein unbewußtes Vorstellen sein soll. Das ist,
-wie ich glaube, nicht richtig. Leibniz scheint mir unter Perzeption
-nur eine passive, automate Art des Vorstellens zu verstehen, die
-stufenweise von völliger Unbewußtheit zu Höchstbewußtsein steigt.
-Leibniz hat sich freilich nicht bestimmt genug ausgedrückt. Allein
-seine ganze prästabilierte Harmonie hätte ja gar keinen besonderen
-Wert neben der einfacheren Mechanistik, wenn er unter Perzeption
-in der Tat nur ein absolutes Unbewußtes verstanden hätte. Außerdem
-könnte man nicht, wie Leibniz es tut, von verschiedenen Perzeptionen
-sprechen; was unbewußt ist, kann nicht verschieden sein. Ich glaube, es
-ist<span class="pagenum"><a name="Seite_345" id="Seite_345">[S. 345]</a></span> verwechselt worden das Eintreten der Vorstellung, das allerdings
-unbewußt sein soll, mit der Vorstellung selbst, die alle Stufen der
-Deutlichkeit durchlaufen kann.</p>
-
-<p>Die Monadenlehre Leibniz’s ist von <span class="gesperrt">Droßbach</span> in zwei lesenswerten
-Büchern: „Die persönliche Unsterblichkeit“ und „Die Genesis des
-Bewußtseins“ ins Atomistische übertragen und nicht unerheblich
-ausgebaut worden. Ich muß mich aber auf diesen Hinweis beschränken.
-Eine „Harmonie der Welt“ hat der große <span class="gesperrt">Kepler</span> (1571&ndash;1630)
-an die Spitze seiner Anschauungen gestellt, freilich mehr in
-pythagoreisch-mathematischem Sinne.</p>
-
-<p>Daß des „Professors der Menschheit“ und großen philosophischen
-Systematikers und Polyhistors <span class="gesperrt">Christian Wolff</span> (geboren zu
-Breslau 1679, gestorben 1754) letzte Elemente, <span class="gesperrt">Corpuscula</span>
-derivativa, der Dinge mit Leibniz’s Monaden und sein Determinismus mit
-dessen prästabilierter Harmonie übereinkommen, ist schon zu Lebzeiten
-des bedeutenden Mannes erkannt worden. Nur will er den Monaden statt
-des geistigen Weltbewußtseins, -vorstellens, -kennens mehr Kräfte
-zuschreiben, durch die sie wirken und leiden; Kräfte jedoch, die
-mit dem, was wir gewöhnlich Kraft nennen, keine Ähnlichkeit haben,
-überhaupt sich nicht aus der physischen Natur verstehen lassen. Es
-findet also gegen Leibniz eigentlich nur ein Namentausch statt, der
-aber nicht zum Vorteil des Systems ausschlägt. Diese Philosophia
-corpuscularis soll aber die wahre Ratio der besonderen Phänomene
-beibringen, denn diese sind begründet in den Qualitäten der Korpuskeln
-und der Art, wie diese untereinander verbunden sind. Die schöne Poesie
-des Leibnizschen Systems fehlt hier, im Grunde auch die Konsequenz.
-Sobald es sich jedoch um die Wirkung zwischen Körper und Seele handelt,
-erkennt Wolff die prästabilierte Harmonie als die beste Erklärung an.</p>
-
-<p>Determinist im Leibnizschen Sinne, soweit seine Rechtgläubigkeit es
-zuließ, war auch <span class="gesperrt">Moses Mendelssohn</span> (1729 zu Dessau geboren,
-1786 in Berlin gestorben). Indessen war er es nur unter der Bedingung
-der Unsterblichkeit. Wenn die Hoffnung dieser nicht wäre, sei der
-Mensch das elendeste Tier auf Erden und bliebe ihm nichts übrig, als
-in Betäubung<span class="pagenum"><a name="Seite_346" id="Seite_346">[S. 346]</a></span> dahinzuleben und zu verzweifeln. Und wie er bemüht war
-die Unsterblichkeit zu erweisen und zu ihr mit aller Kunst eines
-gottgläubigen und edlen Gemütes zu überreden, zeigt sein <span class="gesperrt">Phädon</span>,
-der erst als Übersetzung des gleichnamigen Gesprächs des Platon
-beabsichtigt ist, dann aber das Vorbild verläßt und schärfer noch als
-dieses, und mit besseren Waffen, für unsere Seele kämpft. Aber überall
-tritt bei ihm der Deismus hervor und spielt die Contemplatio eine
-viel größere Rolle als die Ratio. Seltsam ist, daß, obwohl er selbst
-pandeistische Neigungen verrät, die außerordentliche Philosophie seines
-geistesgewaltigen Glaubensgenossen Spinoza ihm so zuwider war, daß
-der Kampf gegen die Meinung, sein Freund Lessing sei in den letzten
-Lebensjahren Spinozist gewesen, ihm das Herz brach und ihn früh ins
-Grab senkte.</p>
-
-<p>Es ist möglich, das <span class="gesperrt">Lessing</span> in der Tat zuletzt sich dem
-Pantheismus Spinozas zugewandt hat; ursprünglich aber war er
-Leibnizianer, namentlich in bezug auf die letzten Wesen und die
-Harmonie. Was Gott denkt, ist; dachte er sich selbst insgesamt, so
-ward der ihm identische Sohn, Christus. Stellte er sich in seinen
-Vollkommenheiten zerteilt vor, so ward die Welt. Diese muß darum
-von allen möglichen Welten die vollkommenste sein, die vollkommene
-Stufenleiter der Vollkommenheiten darstellen. Der unmittelbare
-Gegenstand dieser schöpferischen Tätigkeit sind einfache Wesen, alles
-Zusammengesetzte ist nur eine Folge dieser Schöpfung. Alles was in der
-Welt vorgeht, ist aus der Harmonie der einfachen Wesen zu erklären.
-Die einfachen Wesen sind „gleichsam eingeschränkte Götter“. Sie sind
-voneinander unterschieden durch größeres oder geringeres Bewußtsein
-ihrer Vollkommenheit. Das Gesetz des Menschen sei: „Handle deinen
-individualischen Vollkommenheiten gemäß“. Im Grunde steckt schon hier
-ein Stück Pandeismus, denn die Welt ist: die Vollkommenheiten Gottes
-zerteilt gedacht. Und Lessing sagt auch, daß er sich die Wirklichkeit
-einer Welt außer Gott nicht denken könne. Aber Spinozas Pantheismus ist
-das gleichwohl nicht. Die Unsterblichkeit betrachtet er wie Platon, die
-Indier u. a., als Mittel zur steten Vervollkommnung. Und<span class="pagenum"><a name="Seite_347" id="Seite_347">[S. 347]</a></span> gleicherweise
-die Seelenwanderung. Paragraph 93 und folgende in „Die Erziehung
-des Menschengeschlechts“ heißt es: „Eben die Bahn, auf welcher das
-Geschlecht zu seiner Vollkommenheit gelangt, muß jeder einzelne Mensch
-(der früher, der später) erst durchlaufen haben... Warum könnte jeder
-einzelne Mensch auch nicht mehr als einmal auf dieser Welt gewesen
-sein?... Warum sollte ich nicht so oft wiederkommen, als ich neue
-Kenntnisse, neue Fertigkeiten zu erlangen geschickt bin? Bringe ich
-auf einmal so viel weg, daß es der Mühe, wieder zu kommen, etwa nicht
-lohnet? Darum nicht? &mdash; Oder weil ich es vergesse, daß ich schon
-dagewesen?... Und was ich auf jetzt vergessen <span class="gesperrt">muß</span>, habe ich denn
-das auf ewig vergessen? Oder weil so zuviel Zeit für mich verloren
-gehen würde? &mdash; Verloren? &mdash; Und was habe ich denn zu versäumen? Ist
-nicht die ganze Ewigkeit mein?“ Das wiegt tausend Räsonnements eines
-trockenen Theologen auf. Schwierig damit, daß nämlich der Einzelne
-sich fortschreitend vervollkommnet, zu vereinen ist Lessings Ansicht,
-daß die Vollkommenheit der Welt keine fortschreitende sondern eine
-(durchschnittlich) stabile ist, was eben daraus folgen würde, daß Gott
-sie geschaffen hat. Ob dem Fortschritt Rückschritte entsprechen? Daß
-ein Lessing die Leibnizschen Lehren von Himmel und Hölle des Orthodoxen
-entkleiden mußte, versteht sich von selbst. Lessing wird auch zu den
-<span class="gesperrt">Popularphilosophen, Aufklärungsphilosophen</span> gerechnet.</p>
-
-<p>Von <span class="gesperrt">Herbart</span> (1776 in Oldenburg geboren, 1841 gestorben)
-gehören wenigstens die <span class="gesperrt">Realen</span> hierher. Darin, daß sie absolute
-Einheiten, unteilbar, zeitlos, raumlos sein und Aggregate von ihnen
-die Dinge bedeuten sollen, gleichen sie den Leibnizschen Monaden. Sie
-sind auch uranfänglich voneinander verschieden. Jede Reale soll ihre
-Qualität stetig und in Ewigkeit behalten. Das einzige, ihr inneres
-Leben Bedeutende ist lediglich die „<span class="gesperrt">Selbsterhaltung</span>“. Diese
-macht sich geltend den „<span class="gesperrt">Störungen</span>“ anderer Realen gegenüber,
-und in dieser Selbsterhaltung besteht alles Leben und Vergehen in
-der Natur. So sind alle unsere seelischen Tätigkeiten wie Denken,
-Fühlen, Wollen usf. nur Selbsterhaltungen gegen<span class="pagenum"><a name="Seite_348" id="Seite_348">[S. 348]</a></span> Anderes; und das
-Bewußtsein ist der Inbegriff all dieser Selbsterhaltungen. Die
-Dinge sind wie bei Leibniz ein Zusammensein von Realen, aber nicht
-in dessen geistigem Sinne, da die Realen keine Vorstellung haben,
-sondern ein mehr zufälliges. Wenn verschiedene Reihen von Realen
-einen gleichen Ausgangspunkt haben, so fassen wir sie als Ding auf.
-Gegenüber der Klarheit des Leibnizschen Systems weiß man sich hier kaum
-durchzufinden. Da die Realen absolut einfach und ohne jede Vorstellung
-von Anderem sein sollen, namentlich ohne jeden Wechsel in ihrem
-Inneren, wie erfährt da eine Seele die „Störung“, also die Gegenwart
-einer anderen Seele? Was kann Selbsterhaltung anderes bedeuten als
-Tätigkeit zur Erhaltung eines Vorhandenen, eben des Selbst? Wie ist
-das aber mit der absoluten, einfachen Wechsellosigkeit zu vereinigen?
-Was führt die Realen zusammen? Herbart spricht auch von Vorstellungen.
-Zeller (Geschichte der deutschen Philosophie seit Leibniz) meint,
-die Konsequenz dieses Systems wäre, „daß die Form, unter der uns
-die Realen erscheinen, ihre Verbindungen und die Änderung dieser
-Verbindungen, nicht in ihnen selbst und ihrem objektiven Verhältnis,
-sondern nur in unserer subjektiven Auffassung begründet sei“. Aber
-auch das geht nicht. Wir sind ja selbst Reale; wie kommen <span class="gesperrt">wir</span>
-denn zu Auffassungen, ob subjektiven oder objektiven? In Herbarts
-Naturphilosophie machen sich die Übel dieser Unbegreiflichkeiten so
-schwer geltend, daß zuletzt &mdash; eben aus absolutem Mangel an jedem
-ideellen oder wirklichen Zusammenhang zwischen den Realen, wodurch
-auch ein Raum und eine Zeit, selbst nur gedacht „intelligibel“,
-ausgeschlossen wird &mdash; sogar <span class="gesperrt">Möglichkeiten</span> von Zusammensein
-von Realen, erst als Bilder und dann als Reale selbst, behandelt
-werden, wie geometrische Konfigurationen, und daß auch teilweise
-Durchdringlichkeit der Realen angenommen wird. Ich darf hier
-aufhören, weil ich doch nicht weiß, wie eine deutliche Anschauung zu
-gewinnen ist. Nur das möchte ich noch erwähnen, daß Herbart Gott aus
-teleologischen Gründen setzt. Bringt Gott den Zusammenhang hinein? Und
-wie?</p>
-
-<hr class="book" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_349" id="Seite_349">[S. 349]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="DRITTES_BUCH"><span class="s5">DRITTES BUCH.</span><br />
-
-Metaphysische und physische Welt- und Lebenanschauungen.</h2>
-
-</div>
-
-<p>Wir sammeln in diesem Buche alle diejenigen Anschauungen von Welt und
-Leben, bei denen von Gott als Weltschöpfer und Welterhalter entweder
-ganz abgesehen oder der geringst mögliche Gebrauch gemacht wird.
-Vielfach widerstreitet hier die Theorie der Praxis; und so bestehen
-Anschauungen, bei denen von Gott entweder nur nicht gesprochen wird,
-indeß er im Hintergrunde doch mindestens als erste Ursache waltet,
-oder bei denen, was theoretisch wegdisputiert ist, praktisch wieder
-eingeführt wird. Es soll dieses im einzelnen erhellen. Viele aber
-nehmen in der Tat lieber einen blinden Zwangsmechanismus als einen
-unumschränkten Herrn, der so viel Übel in der Welt geschehen läßt. Die
-Gesamtheit der Anschauungen teilt sich in metaphysische und physische.
-Jene erwachsen aus Untersuchungen über die letzten Dinge, über das was
-wahr ist, diese aus der umgebenden Wirklichkeit. Die Unterscheidung
-besteht jedoch nur für die Extreme, sonst geht Metaphysisches und
-Physisches durch und ineinander.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<h3 class="nobreak" id="SECHSTES_KAPITEL"><span class="s5">SECHSTES KAPITEL.</span><br />
-
-Welt- und Lebenanschauungen des Idealismus.</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wenn wir die Dinge, und uns mit, so nehmen, wie sie uns erscheinen,
-und nichts weiter hinter ihnen als Anderes setzen, so sprechen wir
-von einem <span class="gesperrt">Realismus</span>. Betrachten wir aber die Dinge nur als von
-uns verdinglichte Erscheinungen, hinter denen ein Anderes entweder
-gar nicht vorhanden, oder<span class="pagenum"><a name="Seite_350" id="Seite_350">[S. 350]</a></span> eben als ein Anderes vorhanden ist, so
-sprechen wir von einem <span class="gesperrt">Idealismus</span>, und das was etwa hinter
-den Dingen steht, bedeutet das <span class="gesperrt">Transzendente</span>. Dinge sind dann
-für uns objektivierte Transzendente; entweder Nichts oder unserem
-Begreifen entzogene Gegenstände, <span class="gesperrt">transzendente Wirklichkeiten</span>.
-Die zahlreichen Arten und Abarten des Idealismus besonders zu
-erklären, darf ich hier unterlassen, sie werden bald in der Behandlung
-hervortreten.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>41. <span class="gesperrt">Phantomismus (Illusionismus), Eleaten,
-Skeptiker</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Die <span class="gesperrt">Indier</span> hatten auch die Anschauung, daß die ganze Welt,
-einschließlich aller Lebewesen, nur ein Traum Brahmas sei. Mit dem
-Traum ist alles entstanden, und wenn Brahma erwacht, ist alles
-geschwunden, wie die Bilder unserer Träume kommen und spurlos verwehen.
-Denn Traumgestalten sind wir, und Traumgestalten sind Himmel, Gestirne
-und Erde. Eine Milderung dieser Anschauung bedeutet es, wenn, in einer
-anderen Anschauung, dieser Traum nur in den Menschen verlegt wird, es
-also heißt, die Welt ist nur in <span class="gesperrt">uns</span> als ein Traum. Wir bestehen,
-die Welt aber besteht nur in uns. Unser irdisches Leben ist Träumen.
-Sind wir von diesem Leben befreit, so ist keine Welt, nur wir sind. In
-dieser, dem Verständnis aus der Analogie unserer wirklichen Traumwelten
-leichter zugänglichen Form ist die Lehre weit verbreitet. Wir finden
-sie selbst bei den realistischen Chinesen. Lao-tsse sagt, das Leben sei
-ein Gaukelspiel eines wirren Traumes.</p>
-
-<p>Indessen gibt dieses letztere kein philosophisches System, weil
-es gar zu sehr metaphorisch unernst wirkt. In der ersten Wendung
-aber finden wir bei den Indiern Lehren, die durchaus einem solchen
-philosophischen System angehören. Eines nur ist: Brahman (<a href="#Seite_230">S. 230</a>).
-Dieses Eine ist ewig und unveränderlich, ohne jede Qualität, ein
-absolutes Eins. Zu diesem Eins kommt das Unwissen (Avidyiâ), oder
-das Sichtäuschen (Mâyâ), ein Unbegreifliches; und unter diesem ist
-das Eins Mannigfaltigkeit, Welt geworden, mit allen Dingen und allen
-Veränderungen. Das ist ein Pan<span class="pagenum"><a name="Seite_351" id="Seite_351">[S. 351]</a></span>theismus, aber nur als Phänomen, nicht
-als Wirklichkeit; die transzendente Wirklichkeit ist allein das Eins,
-Brahman. Die Dinge und die Vorgänge sind als Täuschung praktisch real,
-als transzendente Wirklichkeit Nichts, oder vielmehr Brahman. So lautet
-die <span class="gesperrt">Illusionslehre</span> des <span class="gesperrt">Sankara</span> in der Vedantaphilosophie
-(<a href="#Seite_259">S. 259</a>):</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">„In einem halben Vers will ich erklären, was in Millionen Bänden erklärt worden ist;</div>
- <div class="verse">Brahman ist wahr, die Welt ist falsch, die Seele ist Brahman und nichts anderes.“</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p>Und so besteht ein doppelter Brahman, die absolute transzendente
-Wirklichkeit, das Eins, Param Brahman, und die Illusionswirklichkeit,
-das phänomenale Brahman, Aparam Brahman. Damit hat die Welt Realität
-und hat auch keine. Praktisch ist sie aber durchaus real. Letzteres
-mußte Sankara lehren, denn sonst fielen ja alle ethischen Grundsätze
-und alle Religion mit allen Göttern fort, und für Sankara war die Veda
-eine heilige Schrift. Warum die Illusion hinzukommt, wird nicht gesagt,
-noch woher sie stammt. Sie wird aber mitunter neben Brahman (oder
-<span class="gesperrt">in</span> Brahman?) so real bezeichnet, daß sie als Mâyâ Persönlichkeit
-erlangt, gar als Gattin Brahman sich zugesellt.</p>
-
-<p>Der Leser, dem die griechische Philosophie bekannt ist, wird schon
-bemerkt haben, welche außerordentliche Ähnlichkeit die obigen
-Darlegungen mit denen der Schule der sogenannten <span class="gesperrt">Eleaten</span> haben.
-Als Stifter dieser Schule wird <span class="gesperrt">Xenophanes</span> (<a href="#Seite_231">S. 231</a>) bezeichnet,
-ein Ionier, der sich in Elea in Unteritalien niederließ. Er ist es,
-von dem der berühmte Ausspruch stammt, daß, wenn Rosse und Ochsen
-„malen könnten und Werke bilden wie die Menschen, so würden die Rosse
-roßähnliche, die Ochsen ochsenähnliche Göttergestalten malen und
-Werke bilden, wie jede Art gerade selbst das Aussehen hätte“. Und
-so tadelte er die Griechen nicht bloß wegen ihrer Anthropomorphie
-der Götter, sondern auch wegen ihrer Götter-Vielheit. Nur einen Gott
-gibt es, ein Eins, ein Ewiges, Unvergängliches. Und dieses ist das
-Weltganze. Mehr ist von seinen allgemeinen Lehren mit<span class="pagenum"><a name="Seite_352" id="Seite_352">[S. 352]</a></span> Zuverlässigkeit
-nicht bekannt. Selbst daß er in Gott das Weltganze gesehen hat,
-dürfte mehr Vermutung sein, da, was er sonst von der Welt sagt, rein
-physisch ist und der Würde der Gottheit kaum entspricht. Sicherer
-ist was <span class="gesperrt">Parmenides</span> (um 544 v. Chr. geboren) aus Elea lehrte:
-„Nötig ist dies zu sagen und zu denken, das Seiende existiert, denn
-das Sein (τὸ ἐόν) ist, das Nicht ist nicht.“ „So bleibt nur noch
-Kunde von einem Wege, daß das Seiende existiert. Darauf stehen gar
-viele Merkpfähle. Weil ungeboren, ist es auch unvergänglich, ganz,
-einziggeboren (μονογενές), unerschütterlich und ohne (zeitliches)
-Ende. Es war nie und wird nicht sein, weil es jetzt ganz alles ist.“
-„Auch teilbar ist es nicht, weil es ganz gleichartig ist. Und es ist
-auch nirgend etwa ein intensiveres, das seinen Zusammenhang hindern
-möchte, noch ein geringeres; es ist ganz vom Seienden erfüllt...
-Sodann liegt es unbeweglich in den Schranken starker Fesseln, ohne
-Anfang, ohne Ende... Als Selbiges in Selbigem verharrend, ruht es in
-sich selbst und verharrt so standhaft alldort. Denn der starke Zwang
-(ἀνάγκη, Ananke) hält es in den Banden der Schranke, die es rings
-umgibt. Darum darf das Seiende nicht unabgeschlossen sein, denn es ist
-mangellos, und es wäre gänzlich mangelhaft, wär’s anders...“ (Diels:
-Fragmente der Vorsokratiker. Ich habe hier und im folgenden, sowie
-im voraufgegangenen, die Übersetzungen dabei benutzt, jedoch, meinem
-Zweck entsprechend, sie möglichst genau an den Wortlaut des Originals
-angepaßt.) Schon der Abschluß zeigt, daß Parmenides sich das Seiende
-als eine Realität dachte. Was er weiter sagt, rückt diese Realität fast
-ins Materielle: „Aber da eine letzte Grenze vorhanden ist, so ist das
-Seiende abgeschlossen nach allen Seiten hin, vergleichbar der Masse
-einer wohlgerundeten Kugel, von der Mitte nach allen Seiten hin gleich
-stark“. Das wäre auch der Sphairos des Empedokles (<a href="#Seite_231">S. 231</a>). Es ist
-aber nichts weiter als dieses in sich gleiche, in sich ruhende, rings
-umschränkte, zeitlose, absolut Seiende. „Und so ist auch alles leerer
-Schall, wovon die Menschen sprechen, überzeugt, es sei wahr: nämlich
-<span class="gesperrt">Werden sowohl als Vergehen, Sein sowohl als<span class="pagenum"><a name="Seite_353" id="Seite_353">[S. 353]</a></span> Nichtsein, Veränderung
-des Ortes und Wechsel der Farbe, überhaupt der Eigenschaften</span>.“ In
-diesem letzteren Satze liegt das Schwergewicht der eigentlichen Lehre.
-Und dieser Satz hat die Philosophen unendlich geplagt, und plagt sie
-noch jetzt. Er besteht im Grunde aus zwei Sätzen: „Aus Nichtsein kann
-kein Sein werden“ und „Aus Sein kann kein Nichtsein hervorgehen“.
-Indem ein jedes Entstehen bedeuten soll, daß vorher Nichtsein war, wo
-jetzt Sein ist, und ein Vergehen, daß jetzt Nichtsein ist, wo vorher
-Sein war, dürfte es überhaupt keine Änderung geben, da nur das Sein
-da sein soll. Es ist bekannt, wie der Hauptdialektiker der Eleaten,
-<span class="gesperrt">Zenon</span> (etwa nach 500 v. Chr. geboren), gleichfalls aus Elea, mit
-diesen Sätzen bewies, es gäbe in der Tat nicht die geringste Änderung
-in der Natur. Nicht einmal Bewegung sei möglich, denn alles setze
-sich aus Ruhe zusammen, und Ruhe sei keine Änderung; der Übergang aus
-einer Ruhe in eine andere aber sei undenkbar, weil dabei ein Seiendes
-schwände und ein Nichtseiendes entstehe. „Das Bewegte bewegt sich
-weder in dem Raume, in dem es sich befindet, noch in dem es sich nicht
-befindet.“ Das gehört nicht hierher; es kommt im Grunde alles darauf
-hinaus, daß ein „Werden“ und „Vergehen“ als für sich begrifflich nicht
-faßbar angesehen wird und durchaus aus Nichtsein und Sein oder aus Sein
-und Nichtsein soll zusammengesetzt sein müssen. <span class="gesperrt">Herakleitos</span>
-ist gerade vom entgegengesetzten Standpunkt ausgegangen (<a href="#Seite_238">S. 238</a>), für
-ihn gab es nur „Werden“ und „Vergehen“. Auch die Spitzfindigkeiten
-der Eleaten &mdash; wie die berühmte Schlußfolge, Achill könnte nie eine
-Schildkröte einholen, weil, so oft er einen Weg mache, die Schildkröte
-doch auch einen zurücklege, also ihm immer voraus sei &mdash; beruhen
-auf solchen Unfaßbarkeitsannahmen, die dann Zusammensetzungen aus
-Widersprechendem bedingen. Seltsamerweise spukt die Formel: Werden =
-Sein + Nichtsein noch heute in vielen Köpfen. Die Eleaten leugneten
-auch alle Größe und alle Teilung ab, kurz alles, was die Welt als
-Mannigfaltigkeit in Raum und Zeit darstellt. Nur das Sein erkannten sie
-an. Was ist dann die Welt? &mdash; Lediglich Schein,<span class="pagenum"><a name="Seite_354" id="Seite_354">[S. 354]</a></span> nichts als Schein,
-ganz im Sinne der Indier. Und wenn beispielsweise Parmenides ziemlich
-eingehend von der Entstehung und Ordnung der Welt spricht, so bemerkt
-er, daß es sich doch um ein „Wahngebild“ handelt und um „Wahngedanken“.
-<span class="gesperrt">Melissos</span> aus Samos (um 440) sagt, weil der Dinge viele sind
-und sie sich ändern. Woher aber der Schein, der Wahn? Darüber haben
-die Eleaten keine Vermutung ausgesprochen, und so stehen sie den
-Indiern erheblich nach, die wenigstens ein Prinzip dafür aufgestellt
-haben, wenn dieses auch nichts anderes besagt, als daß der Schein, als
-Unkenntnis und Täuschung, ein Etwas für sich sei, das zusammen mit dem
-Absoluten die Welt gebe. In der Tat ist auch die eleatische Lehre nur
-nach Worten monistisch, an sich verfährt sie dualistisch, denn der
-Schein ist nicht Sein, und doch sind beide vorhanden. Hierher gehört
-im Grunde auch die sogenannte <span class="gesperrt">Megarisch-Elische Schule</span> (von
-<span class="gesperrt">Eukleides</span> aus Megara, einem Verehrer des Sokrates begründet),
-die nur ein Seiendes anerkannte, das <span class="gesperrt">Gute</span>, alles andere in
-der Welt für nichtseiend, Schein erklärte und sich der eleatischen
-Dialektik zum Nachweis einer solchen Behauptung bediente. Im übrigen
-ist der eleatischen Lehre Großartigkeit nicht abzusprechen. Melissos
-sagt: „So ist es (das Seiende) denn ewig, und unendlich, und eins,
-und ein in sich gleiches Alles. Und es könnte nicht irgend einmal
-untergehen, noch empfindet es Schmerz oder Leid.“ „Auch gibt es kein
-Leeres, denn das Leere ist nichts; demnach kann das, was ja nichts ist,
-nicht vorhanden sein.“ Also Eins nur besteht, zeitlich und räumlich
-überall, nie sich ändernd, in sich ohne jede Unterscheidung.</p>
-
-<p>An diese Lehren schließen sich sachlich die des <span class="gesperrt">Skeptizismus</span>
-(Skepsis, Zweifel) an. Sie können hier kurz behandelt werden, da sie
-nicht eigentlich eine Welt- und Lebenanschauung geben. Die Erfahrung,
-wie vieles unsicher und widersprechend ist, führt zu der Meinung, daß
-man nichts mit Bestimmtheit behaupten könne, und in der Übertreibung,
-deren sich die <span class="gesperrt">Sophisten</span> schuldig gemacht haben, daß man
-von allem alles behaupten könne, was sie in ihrer Streitmethode,
-<span class="gesperrt">Eristik</span>, zu so scharfsinnigen Auseinandersetzungen,<span class="pagenum"><a name="Seite_355" id="Seite_355">[S. 355]</a></span> aber auch
-zu so verderblichen Lehren geführt, hat. <span class="gesperrt">Protagoras</span> (480&ndash;410
-v. Chr.), <span class="gesperrt">Gorgias</span> (zwischen 484 und 375), <span class="gesperrt">Prodikos</span>,
-<span class="gesperrt">Hippias</span> sind die hervorragendsten Vertreter der noch
-wissenschaftlichen und ethischen Schule der Sophistik. Das Heer der
-übrigen Sophisten darf übergangen werden. Der ungeheure Einfluß der
-Sophisten als Lehrer, namentlich der praktischen Staatskunst, ist
-bekannt. Manche unter ihnen haben Macchiavelli nichts nachgegeben.
-Von Protagoras rührt der Spruch her: „Aller Dinge Maß ist der Mensch,
-das Seiende für sein Sein, das Nichtseiende für sein Nichtsein“.
-Dieser Satz ist offenbar von Wichtigkeit für den Idealismus überhaupt,
-namentlich in dessen Form als <span class="gesperrt">Kritizismus</span>. Skeptizismus findet
-sich naturgemäß überall in der Philosophie. In die Akademie eingeführt
-hat ihn <span class="gesperrt">Pyrrhon</span> aus Elis (365&ndash;275 v. Chr.). Ein bedeutender
-Vertreter ist <span class="gesperrt">Arkesilaos</span> (315 bis 240 v. Chr.), der jede
-Möglichkeit, durch Erfahrung oder Nachdenken zu Erkenntnissen zu
-gelangen, bestritt, also für die Wahrheit kein Merkmal in der Welt
-fand, und dem so die Wahrscheinlichkeit (Eulogon) als Richtschnur
-aller Behauptungen und Handlungen dienen mußte. Das eigentliche Haupt
-der so genannten <span class="gesperrt">Neuen Akademie</span> war aber <span class="gesperrt">Karneades</span> aus
-Kyrene (224&ndash;155 v. Chr.), der unerbittliche Kritiker den Dogmatikern
-gegenüber, die sich wesentlich aus der stoischen Schule rekrutierten.
-Ein höchst scharfsinniger Mann, vermochte er alle dogmatischen Lehren
-von Gott und Wahrheit mit guten Gründen anzugreifen und zu bekämpfen,
-indem er überall Widersprüche und nicht zu beweisende Annahmen
-aufdeckte. Nun, die Menschheit leidet ja von je daran. Wäre dem nicht
-so, so gäbe es ja keine Wissenschaft von Welt und Gott, sondern ein
-Wissen. Darum gerade retten sich die einen in die Dogmatik, andere in
-den Glauben, noch andere in die Wahrscheinlichkeit, und viele in die
-Intuition. „Was ist Wahrheit?“ soll Pilatus gefragt haben. Das wird
-eben immer und von je gefragt. Und die Untersuchungen der neueren
-Philosophie richten sich eben auf die Kriterien der Wahrheit, und
-darauf, eine Wahrheit aufzustellen, um alles andere daran anschließen
-zu können, wie Descartes eine solche in dem Aus<span class="pagenum"><a name="Seite_356" id="Seite_356">[S. 356]</a></span>spruch „Ich denke, also
-bin ich!“ gefunden zu haben glaubte und Fichte in seinem Ich-Satz. Wir
-werden noch vielen Skeptikern begegnen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>42. <span class="gesperrt">Phänomenaler Idealismus</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Die Idee, daß die Dinge nicht so sind wie sie uns scheinen, findet sich
-vom Altertum durch das ganze Mittelalter mehr oder weniger deutlich
-ausgesprochen. In der neueren Zeit zuerst in ein System verarbeitet
-hat sie der in Irland geborene Engländer <span class="gesperrt">George Berkeley</span>
-(1684&ndash;1753), ein großer Denker und Naturkenner. Er ist ein heftiger
-Gegner des Materialismus und Spinozismus und bezeichnet seine Lehre als
-<span class="gesperrt">Immaterialismus</span>. In der Tat hat sie auch viel Theosophisches,
-wie er auch so manches von den mittelalterlichen Theosophen und
-Mystikern einfach übernahm. Er ist von der Wahrhaftigkeit Gottes im
-Cartesischen Sinne überzeugt. Also können Wahrnehmung und Vernunft
-nicht absolut lügen und trügen. Darum ist er auch Nominalist. Nun
-aber meint er, Wahrnehmung sei durchaus von dem Wahrgenommenen zu
-trennen. „Da wir wahrnehmen, daß verschiedene von den Empfindungen
-einander begleiten, so werden diese durch einen Namen umgrenzt
-und so für ein Ding ausgegeben.“ „Sinnliche Dinge sind hiernach
-nichts anderes als so viele sinnliche Qualitäten oder Kombinationen
-von sinnlichen Qualitäten.“ Alle diese Qualitäten sind aber, da
-<span class="gesperrt">wir</span> wahrnehmen, nur in unserer Seele. Außerhalb Gottes und der
-Seele gibt es keine Erscheinungen. Da nun eine Erscheinung ganz ein
-Inneres ist, so können die Dinge den Erscheinungen nicht gleichen,
-die Erscheinungen sind keine Kopien der Dinge. Berkeley beruft sich
-überall auf physikalische und physiologische Erkenntnisse, die durchaus
-zutreffend sind. Und so ist es auch richtig, wenn er meint, daß wir
-unsere Wahrnehmung der Ausdehnung nicht den Dingen zuschreiben können,
-denn ein anderes ist die Ausdehnung in den Wahrnehmungen des Sehens,
-ein anderes in denen des Tastens; sie werden nur konfundiert, weil sie
-sich stets begleiten. Berkeleys <span class="gesperrt">Sensualismus</span> ist hiernach ein
-<span class="gesperrt">innerer</span>, ein <span class="gesperrt">Phänomenalismus</span>. Und so<span class="pagenum"><a name="Seite_357" id="Seite_357">[S. 357]</a></span> ist zu verstehen,
-daß er Dinge ohne Erscheinungen in uns als Fiktionen bezeichnet, wie
-die abstrakten Figuren und Zahlen in der Mathematik. Ich darf auf
-entsprechende Ausführungen in meinem Buche „Philosophische Grundlagen
-der Wissenschaften“ hinweisen. So kämpft er auch gegen die Annahme
-einer absoluten Substanz, Materie, die niemand kennt und niemand
-kennen kann, und der man, um zu einer Welt zu gelangen, gezwungen ist,
-eine Menge verborgener Eigenschaften zuzuschreiben, die anderweit
-wieder abgestritten werden müssen; so Bewegung aus sich heraus, der
-doch die Trägheit widerspricht. Nur der Geist ist absolute Substanz,
-er allein ist tätig und wo er sich leidend verhält, folgt dieses aus
-der Schranke, die ihm gesetzt ist. Die Körper sind nicht, sondern sie
-werden: durch unsere Wahrnehmungen. Und so existieren sie nur „sekundär
-und abhängig“.</p>
-
-<p>Gleichwohl ist Berkeleys System kein solches des reinen Scheines,
-noch weniger des Nichts. Das Kausalitätsprinzip greift bei ihm ein.
-Die Wahrnehmungen müssen doch irgend einen Grund haben. Diesen sieht
-er nicht wie Indier und Eleaten in uns selbst, sondern außer uns, in
-einem Geist außer unserem Geiste; und das ist der göttliche Geist.
-Seiner sind wir sicher, eben aus den Wahrnehmungen in uns, nämlich
-aus den Naturerscheinungen und ihrer Ordnung. „Der große Beweger
-und Urheber der Natur offenbart sich ständig selbst den Augen der
-Menschen durch sinnliche Intervention willkürlicher Zeichen (wie der
-Mensch durch willkürliche Zeichen, Sprache, seinen Geist offenbart),
-welche keine Ähnlichkeit noch Verbindung mit den bezeichneten Dingen
-haben.“ Das ist von vielen vor ihm schon gesagt und wird auch in der
-Bibel in der mannigfachsten Weise variiert. Aber hier handelt es
-sich um den <span class="gesperrt">kosmologischen Beweis Gottes</span>. Und so ist Gott die
-naturierende Natur, und der überall und jederzeit wirkt. Wahrhaft
-ist alles nur in Gott als Eins. Was wir kennen und erkennen, sind
-Abbilder dieses Wahrhaften. Unser Geist wirkt wie Gott. Nur daß
-Gott ohne jede Beschränkung ist, so daß er beliebig schafft, und
-was er schafft der Ewigkeit angehört. Aus unserer Gottähnlichkeit
-folgt dann ein gewisser freier Wille. Wie aber<span class="pagenum"><a name="Seite_358" id="Seite_358">[S. 358]</a></span> das bewußt Böse? Das
-ist nicht gesagt, wenn es nicht als zur Ordnung der Dinge gehörig
-angesehen wird. Trotz allem Schein ist die Welt real. „Alle Dinge
-zusammen mögen ein Universum sein, Eines durch die Verbindung,
-Beziehung und Ordnung zu ihren einzelnen Teilen, welches das Werk des
-Verstandes ist.“ Rein intelligibel betrachtet aber sind die Dinge
-unbeweglich und unveränderlich. Man sieht: nur die Intervention
-Gottes, der absolut wahrhaft ist, macht es, daß hinter dem Schein
-eine transzendente Wirklichkeit vorhanden sein könnte. Und aus der
-gleichen Intervention ergäbe sich Berkeleys Rationalismus und die
-Möglichkeit der Wissenschaften, im Grunde wie bei Descartes. Die
-transzendente Wirklichkeit aber, soweit sie zugestanden sein sollte,
-wird fast pandeistisch aufgefaßt, und unser Verhältnis zu ihr, und
-damit zu Gott theosophisch. Im wesentlichen aber ist Berkeleys
-Phänomenalismus wirklicher Schein. Kant nennt das <span class="gesperrt">empirischen</span>
-oder <span class="gesperrt">dogmatischen Idealismus</span>.</p>
-
-<p>Mit dieser Berkeleyschen Anschauung hat die spätere <span class="gesperrt">Fichte</span>sche
-große Ähnlichkeit. Gott wird unmittelbar gesetzt als das absolute
-Sein, wie die Eleaten sich dieses Sein dachten. Alles andere ist nur
-Wissen als Bild des göttlichen Seins: Ein Sein Gottes außer seinem
-Sein, nicht Gott selbst, sondern sein Schema. In diesem Bilde ist
-das Sein ein Mannigfaltiges. Indem es aber, wenn auch ein Bild, doch
-ein Göttliches ist, muß es eine göttliche Weltordnung darstellen.
-Gleichwohl ist wie bei Berkeley die Natur nur die Schranke des
-Bewußtseins, und an sich eine nichtige und wesenlose Erscheinung, die
-ihr Dasein nur in unserer Vorstellung hat. Wieder ganz wie bei Berkeley
-steht die Natur zwischen Gott und Geist, Bewußtsein. Wir werden später
-sehen, daß in seiner ersten Philosophie Fichte umgekehrt Gott aus der
-Weltordnung abgeleitet, eigentlich die Weltordnung für Gott erklärt
-hat. Dieser Idealismus, der die äußere Welt in einen Schein auflöst
-und sie nur retten kann durch die Annahme Gottes und dessen absoluter
-Wahrhaftigkeit, ist sogleich nach Berkeley von dem Schotten <span class="gesperrt">David
-Hume</span> (1711&ndash;1776) vollends auf die Spitze getrieben worden, indem
-auch die Autorität unserer<span class="pagenum"><a name="Seite_359" id="Seite_359">[S. 359]</a></span> eigenen Vernunft in Zweifel gesetzt ist.
-Denn unsere Vernunft ist nichts Bleibendes, sondern stetig Wechselndes,
-eine <span class="gesperrt">Folge</span> von Bewußtseinsinhalten, kein <span class="gesperrt">seiender</span>
-Bewußtseinsinhalt, so daß ein ständiges seiendes Ich nicht behauptet
-werden kann. Nur die zusammenhängende Kette dieser Folge erweckt den
-Schein eines solchen Ich, in Wahrheit leben wir ein solches Leben ohne
-Ich. Unsere Psychologie hat kein Subjekt, keine Seele, sie besteht
-lediglich aus <span class="gesperrt">assoziierten</span> inneren Erscheinungen, ein Satz, den
-wir später bei modernen Psychologen wiederfinden werden. Es gibt also
-nirgend ein Wirkliches in der Welt, nicht außer uns, nicht in uns;
-alles ist Schein und Erscheinung, hier wie dort. Was die Erscheinungen
-und ihre Assoziation, Vergesellschaftung, in uns hervorbringt, wissen
-wir nicht. Wie auf einer Schaubühne treten die inneren Erscheinungen
-auf; Bühne und Regisseur sind uns aber unbekannt, von ihnen ist nichts
-aussagbar. Und was darüber ausgesagt wird, ist pure Einbildung. Es
-ist eine Art Deutung der Heraklitischen Lehre in eleatischem Sinne,
-und Hume kann sehr wohl auf diesem Standpunkte seiner Philosophie als
-Skeptiker bezeichnet werden. Gleichwohl hat er auch ein realistisches
-System begründet, das wir später (<a href="#Seite_407">S. 407</a> ff.) kennen lernen werden,
-indem er das Unerschaubare beiseite ließ, sich an den Schein hielt, und
-diesen gleich einem festen Gegebenen behandelte.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>43. <span class="gesperrt">Kants transzendentaler Idealismus</span>.<br />
-<span class="gesperrt">Organisierte Wesen und Naturzweck</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>„Wir haben also sagen wollen: daß alle unsere Anschauung nichts als
-die Vorstellung von Erscheinung sei: daß die Dinge, die wir anschauen,
-nicht das an sich selbst sind, wofür wir sie anschauen, noch ihre
-Verhältnisse an sich selbst so beschaffen sind, als sie uns erscheinen,
-und daß, wenn wir unser Subjekt, oder auch nur die subjektive
-Beschaffenheit der Sinne überhaupt aufheben, alle die Beschaffenheit,
-alle Verhältnisse der Objekte in Raum und Zeit, ja selbst Raum und
-Zeit verschwinden würden, und als Erscheinungen nicht an sich selbst,
-sondern nur in uns existieren können. Was es für eine Be<span class="pagenum"><a name="Seite_360" id="Seite_360">[S. 360]</a></span>wandtnis mit
-den Gegenständen an sich und abgesondert von aller dieser Rezeptivität
-unserer Sinnlichkeit haben möge, bleibt uns gänzlich unbekannt. Wir
-kennen nichts als unsere Art, sie wahrzunehmen, die uns eigentümlich
-ist, die auch nicht notwendig jedem Wesen, obzwar jedem Menschen
-zukommen muß.“ (Kritik der reinen Vernunft, S. 66, ich zitiere dieses
-Werk nach der ausgezeichneten Reclam-Ausgabe). Diese Auffassung nennt
-Kant selbst Idealismus, und sofern gleichwohl alles als wirklich
-angesehen wird, den <span class="gesperrt">transzendentalen</span> oder <span class="gesperrt">formalen</span>
-Idealismus, während vom <span class="gesperrt">materialen</span> der <span class="gesperrt">dogmatische</span>
-Idealismus die Dinge leugnet, der <span class="gesperrt">skeptische</span> sie bezweifelt.
-Kant ist transzendentaler oder formaler Idealist. Raum und Zeit
-(besser Räumlichkeit und Zeitlichkeit) sind die berühmten beiden
-„Anschauungsformen“ der Vernunft. „Sie hängen unserer Sinnlichkeit
-schlechthin notwendig an, welcher Art auch unsere Empfindungen sein
-mögen.“ Der Raum ist die Anschauungsform des nach Außen gerichteten
-Sinnes, die Zeit die des nach Innen gerichteten Sinnes. Die
-Bedeutung dieser Feststellungen habe ich in meinem früher genannten
-Buche, ich glaube auf das sorgfältigste, zergliedert, und ich habe
-nachgewiesen, daß die Eigenschaften des Raumes sich ohne den Begriff
-der Ursächlichkeit nicht erschöpfen lassen, und daß die Besonderheit
-der Zeit in den Geschehnissen als Projektion des inneren Bewußtseins
-vom Wechsel in unserer Seelentätigkeit nach Außen aufzufassen ist. Ich
-muß auf dieses Buch verweisen, darin der Leser auch gewisse andere
-Distinktionen hinsichtlich der verschiedenen Arten von Raum und Zeit
-finden wird. Obwohl nun Raum und Zeit unausweichliche Formen unserer
-Anschauung nach Außen und nach Innen sein sollen, können sie uns doch
-nichts, weder über die Welt noch über die Seele, lehren. Sie sind als
-Stammbegriffe, Räumlichkeit und Zeitlichkeit, <span class="gesperrt">a priori</span>, „das
-ist, vor aller wirklichen Wahrnehmung“, vorhanden; sie sind „reine
-Anschauung“. Wogegen Empfindung ist „das in unserer Erkenntnis, was
-da macht, daß sie Erkenntnis <span class="gesperrt">a posteriori</span>, das ist empirische
-Anschauung heißt“.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_361" id="Seite_361">[S. 361]</a></span></p>
-
-<p>Die apriorischen Stammbegriffe, deren Bedeutung als apriorische so oft
-und so energisch geleugnet worden ist und noch geleugnet wird, spielen
-bei Kant eine große Rolle. Ich selbst halte sie für ganz unerläßlich;
-ein äußeres oder inneres Leben ohne beispielsweise den Stammbegriff
-der Ursächlichkeit, scheint mir absolut ausgeschlossen. Kein Tier
-würde essen oder trinken ohne diesen Stammbegriff, kein Tier auf einen
-Reiz irgendeine Wahrnehmung haben. Daß die Stammbegriffe uns nicht
-immer bewußt sind, ist zwar richtig, tut aber nichts zur Sache. Das
-Bewußtsein gehört überhaupt nicht zu allen physischen Handlungen. Wir
-wenden viele Tätigkeiten der Seele, z. B. das Wollen, mehr oder weniger
-bewußt, zuweilen ganz unbewußt an. Zwar geschieht sehr vieles bewußt,
-was uns nachher unbewußt geschehen erscheint, weil wir kein Interesse
-daran hatten, es zu behalten, wie namentlich animalische Handlungen,
-Gehen, Essen usf., und auch logische, wie das Rechnen aus „Gewohnheit“.
-Aber mögen auch die Handlungen vom Tiere oder vom Kinde unbewußt
-geschehen, aus „Instinkt“ oder „Trieb“, so bleibt doch zweifellos der
-<span class="gesperrt">Grund</span> für diesen Instinkt oder Trieb. Und will man keinen Grund
-angeben, so sind Instinkt oder Trieb apriorisch, angeboren, und man hat
-nichts gewonnen außer etwas, das man bei entwickeltem Verstande wieder
-fallen läßt. Es ist etwas nötig, das die Wesen animalisch, weltlich
-und geistig überhaupt leben läßt. Damit müssen sie von vornherein
-ausgerüstet sein, sonst ist keines dieser Leben als Leben möglich,
-wenigstens nicht für den, der in den Wesen nicht pure Zwangsmaschinen
-sieht. Dieser braucht allerdings keine apriorischen Seelentätigkeiten.
-Es sind &mdash; ich will mich vorsichtig ausdrücken &mdash; gewisse apriorische
-Seelentätigkeiten nötig, die von den untersten Wesen nach oben und vom
-Geborensein nach dem Alter, phylogenetisch und ontogenetisch, mehr und
-mehr ins Bewußtsein treten, deutlicher und deutlicher werden, wie ein
-Gedanke, eine Vorstellung, ein Wille, eine Empfindung usf., die ja
-auch verschwommen beginnen und zuletzt scharfstrahlig leuchten können.
-„Erworben“, „erlernt“ sind hier nur leere Rede<span class="pagenum"><a name="Seite_362" id="Seite_362">[S. 362]</a></span>wendungen, denn man
-wird immer fragen müssen, woher die <span class="gesperrt">Fähigkeit</span> zum Erwerben,
-Erlernen kommt, und wird dann eben auf das Apriorische zurückgelangen.
-Einer Puppe kann man die menschliche Gestalt geben und sie so oft
-zum Gehen anleiten als man will, sie geht doch nicht von selbst,
-sie hat im Inneren die Fähigkeit dazu nicht. Diejenigen aber, die
-auch in den lebenden Wesen zwangsmäßige äußere und innere Automaten
-sehen, dazu eigentlich auch die Okkasionalisten gehören, brauchen
-freilich, wie bemerkt, Apriorisches nicht, sie brauchen dann auch keine
-<span class="gesperrt">abgeleiteten</span> Begriffe, keine Erfahrung, überhaupt gar nichts.
-Ich werde später diese Ausführungen vervollständigen (<a href="#Seite_474">S. 474</a> f.), auch
-mich auf sie zu berufen haben, und verweise nur noch auf das früher
-(<a href="#Seite_222">S. 222</a> f.) von der kategorischen oder regulativen Seele Gesagte. Denn
-das Apriorische ist kategorisch, regulativ. Es gehört zu den größten
-Verdiensten Kants, daß er das Angeborene von dem Erworbenen so scharf
-zu unterscheiden gelehrt hat, indem er nachwies, wie ersteres durchaus
-die unausweichliche Voraussetzung für letzteres ist. Die Notwendigkeit
-für das Leben überhaupt hat er nicht betont, sie folgt aber unmittelbar.</p>
-
-<p>Also, es besteht eine Welt. Sie ist transzendental. Die Seele faßt
-sie nach ihren Kategorien auf. Welches diese Kategorien außer Raum
-und Zeit noch sind, habe ich hier nicht auseinanderzusetzen. Nach
-der reinen Vernunft gehören die ethisch-religiösen Begriffe, wie
-Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, nicht zu diesen Kategorien. Sie
-unterliegen mit anderem den <span class="gesperrt">Antinomien</span> (Gegensätzlichkeiten) und
-<span class="gesperrt">Paralogismen</span> (Vorspiegelungen, Einbildungen, Erschleichungen)
-der Vernunft. Darauf kommen wir noch zurück. Daß die Welt tatsächlich
-ist und sich nicht, wie bei Berkeley, in einen von Gott in uns
-eingeimpften Schein auflöst, hat Kant oft betont. „Wenn ich sage:
-im Raum und in der Zeit stellt die Anschauung, sowohl der äußeren
-Objekte, als auch die Selbstanschauung des Gemüts, beides vor, so wie
-es unsere Sinne affiziert, das ist, wie es erscheint, so will das
-nicht sagen, daß diese Gegenstände ein bloßer <span class="gesperrt">Schein</span> wären.
-Denn in der Erscheinung werden jederzeit die Objekte,<span class="pagenum"><a name="Seite_363" id="Seite_363">[S. 363]</a></span> ja selbst
-die Beschaffenheiten, die wir ihnen beilegen, als etwas wirklich
-Gegebenes angesehen, nur daß, sofern diese Beschaffenheit nur von der
-Anschauungsart des Subjekts in der Relation des gegebenen Gegenstandes
-zu ihm abhängt, dieser Gegenstand als <span class="gesperrt">Erscheinung</span> von ihm selber
-als <span class="gesperrt">Objekt an sich</span> unterschieden wird. So sage ich nicht, die
-Körper scheinen bloß außer mir zu sein, oder meine Seele scheint
-nur in meinem Selbstbewußtsein gegeben zu sein, wenn ich behaupte,
-daß die Qualität des Raumes und der Zeit, welcher, als Bedingung
-ihres Daseins, gemäß ich beide setze, in meiner Anschauungsart und
-nicht in diesen Objekten an sich liege. Es wäre meine eigne Schuld,
-wenn ich aus dem, was ich zur Erscheinung zählen sollte, bloßen
-Schein machte. Dieses geschieht aber nicht nach unserem Prinzip der
-Idealität aller unserer sinnlichen Anschauungen“, sondern, wie Kant
-nun weiter ausführt, gerade nach dem Prinzip der objektiven Realität
-der Anschauungsformen. Und er wundert sich nicht, daß Berkeley aus
-Widerspruch gegen diese objektive Realität der Anschauungsformen zur
-Aufhebung aller Objektivität der Gegenstände gekommen sei, indem er
-sie für einen Schein erklärte. Er hätte sogar die eigene Existenz für
-Schein erklären müssen. Kant meint, die letztere Ungereimtheit hätte
-sich noch niemand zu Schulden kommen lassen; den Indiern war sie keine
-Ungereimtheit. Für die Wirklichkeit, wenn auch transzendente, von
-uns nicht zu erfassende, der Welt hat sich Kant oft in gleicher und
-nachdrücklicher Weise ausgesprochen. Der vierte Paralogismus bezieht
-sich ja unmittelbar auf Ablehnung der Schein-Welt (s. unten). Es
-gibt also Dinge-an-sich, <span class="gesperrt">Noumena</span>; wie diese uns erscheinen,
-sind sie <span class="gesperrt">Phänomena</span>. Alle unsere Erfahrungen beziehen sich auf
-letztere, ob es Dinge außer uns sind oder in uns. Aus der Übertragung
-unserer Kenntnisse und Meinungen von den Phänomena auf die Noumena
-entstehen jene berühmten vier <span class="gesperrt">kosmologischen Antinomien</span>, die
-sich im Satz, der Thesis, wie in dem Gegen-Satz, der Antithesis, mit
-gleicher Evidenz beweisen lassen, wie: Die Welt hat einen Anfang in
-der Zeit und Grenzen im Raum; Die Welt hat keinen<span class="pagenum"><a name="Seite_364" id="Seite_364">[S. 364]</a></span> Anfang in der Zeit
-und keine Grenzen im Raum. Alles besteht aus einfachen Teilen, und
-nur das Einfache ist; Nichts besteht aus einfachen Teilen und nirgend
-existiert Einfaches. Außer Gesetzen ist Freiheit notwendig; Es ist
-keine Freiheit, nur Gesetze sind. Zu der Welt gehört ein schlechthin
-notwendiges Wesen, Gott; Es existiert kein zur Welt schlechthin
-notwendiges Wesen. Im Gebiete des inneren Lebens führt jene Übertragung
-zu den vier <span class="gesperrt">Paralogismen</span>, den Erschleichungen wie: Die Seele ist
-etwas, das zur Bestimmung keines Dinges gebraucht werden kann, absolute
-Substanz. Die Seele ist einfach. Die Seele ist persönlich. Das Dasein
-aller Gegenstände äußerer Sinne ist zweifelhaft (skeptischer oder
-dogmatischer Idealismus). Die Antinomien beziehen sich der Reihe nach
-auf: Schöpfung und Ende oder Nicht-Schöpfung und Nichtende der Welt,
-und Nichtgrenzen oder Grenzen der Welt; Eins oder Mannigfaltigkeit der
-Welt; Verantwortlichkeit oder Nicht-Verantwortlichkeit des Menschen
-(oder Gut und Böse und Nicht-Gut und Nicht-Böse) in der Welt; Gott ein
-Schöpfer und Herr der Welt oder Gott Nicht-Schöpfer und Nicht-Herr.
-Und die Paralogismen auf: Vorhandensein einer von allen wahrnehmbaren
-Objekten auszunehmenden Seele; Unsterblichkeit der Seele; Seele als
-Sonderwesen; Nichtwirklichkeit der Welt. Es sind die Kardinalfragen,
-um die es sich handelt. Und nur der vierte Paralogismus führt zu
-einem positiven Ergebnis, daß die Nichtwirklichkeit der Welt nur eine
-Erschleichung des Verstandes ist. Die Antinomien sind nicht lösbar;
-die drei ersten Paralogismen ergeben ein Negatives. In der Tat ist
-auch hier mit der Dialektik nichts auszurichten; die Naturwissenschaft
-aber bietet einiges zur Lösung dieser Fragen in dem einen oder anderen
-Sinne, was später zur Sprache kommt.</p>
-
-<p>Gehen wir noch einmal zurück auf die kosmologischen Verhältnisse. Die
-vier Antinomien betreffen in der Thesis Vollkommenheiten, nämlich: der
-Dauer und Grenzen, der Zusammensetzung, des Daseins, des Absoluten.
-Kant spricht so von vier <span class="gesperrt">transzendentalen Ideen</span>. Sie sind
-<span class="gesperrt">kosmologisch</span>, solange sie die Vollständigkeit der Bedingungen<span class="pagenum"><a name="Seite_365" id="Seite_365">[S. 365]</a></span>
-in der Sinnenwelt betreffen, also in der Welt der Erscheinungen,
-Phänomene. Sobald wir sie jedoch auf dasjenige beziehen, was außerhalb
-dieser Sinnenwelt steht, auf die Noumena, so werden sie schlechthin
-<span class="gesperrt">transzendent</span>. Schon die kosmologischen Ideen sind an keiner
-Erscheinung in concreto vorzustellen, da sie die <span class="gesperrt">Vollendung</span>
-einer empirischen Reihe bedeuten. Die transzendenten aber trennen sich
-überhaupt von der Erfahrung; sie beruhen allein auf Begriffen a priori.
-Gleichwohl, meint Kant, drängt uns vieles zunächst die vierte Idee,
-von Gott, wenigstens auf eine transzendente Wirklichkeit zu beziehen,
-also eine solche anzunehmen. Sofern etwas durch die Idee allein, in
-individuo, also als ein Einzelnes, bestimmbar oder gar schon bestimmt
-ist, nennt Kant es <span class="gesperrt">Ideal</span> oder <span class="gesperrt">Prototypon</span>. Gewisse
-Ideen haben nun, wenn auch nicht wie Platons Idee der göttlichen
-Kraft, <span class="gesperrt">schöpferische</span>, aber doch <span class="gesperrt">praktische Kraft</span> als
-<span class="gesperrt">regulative Prinzipe</span>, und die ihnen entsprechenden Ideale sind
-„Urbilder“ für diese Regeln. „Diese Ideale,“ sagt nun Kant (Kritik
-der reinen Vernunft, S. 453), „ob man ihnen gleich nicht objektive
-Realität (Existenz) zugestehen möchte, sind doch um deswillen nicht
-für Hirngespinste anzusehen, sondern geben ein unentbehrliches
-Richtmaß der Vernunft ab, die des Begriffes von dem, was in seiner
-Art ganz vollständig ist, bedarf, um darnach den Grad und die Mängel
-des Unvollständigen zu schätzen und abzumessen.“ Und er warnt
-ausdrücklich, sie etwa mit den Geschöpfen der Einbildungskraft zu
-verwechseln, „welche mehr eine im Mittel verschiedener Erfahrungen
-gleichsam schwebende Zeichnung, als ein bestimmtes Bild ausmachen“,
-Monogramme, wie er sagt. Ein solches transzendentales Ideal ist nun das
-<span class="gesperrt">Ding-an-sich</span> als Allbesitz der Realität, das ens realissimum,
-indem es der durchgängigen Bestimmung, die notwendig bei allem was
-existiert angetroffen wird, zugrunde liegt. Dieses Ideal „ist aber
-auch das einzige eigentliche Ideal, dessen die menschliche Vernunft
-fähig; weil nur in diesem einzigen Falle ein an sich allgemeiner
-Begriff von einem Dinge durch sich selbst durchgängig bestimmt, und
-als die Vorstellung von<span class="pagenum"><a name="Seite_366" id="Seite_366">[S. 366]</a></span> einem Individuum erkannt wird.“ So ist dieses
-Ideal das Prototyp aller Dinge, welche insgesamt als Nachbilder
-(Ektypa) den Stoff zu ihrer Möglichkeit von ihm nehmen, und indem sie
-demselben mehr oder weniger nahekommen, dennoch unendlich weit daran
-fehlen, es zu erreichen. Es ist in der Vernunft die „Möglichkeit
-aller Dinge“, und so das „Urwesen (ens originarium)“, „höchste Wesen
-(ens summum)“, „Wesen aller Wesen (ens entium)“. „Der Begriff eines
-solchen Wesens ist der von <span class="gesperrt">Gott</span> in transzendentalem Verstande
-gedacht.“ Indessen doch wieder alles nur in der Vernunft; die objektive
-Existenz eines „Wesens von so ausnehmendem Vorzuge“ ist uns völlig
-ungewiß. Und nun bringt Kant, wiewohl er also in der Vernunft die
-Notwendigkeit eines solchen Ideals, das aber im Grunde nichts anderes
-ist als die einzige Idee aller Realität, zugesteht, seine berühmten
-Gründe gegen alle vermeintlichen „Beweise“ einer Existenz Gottes. Und
-dabei bleibt es der reinen Vernunft gegenüber. Daß wir „diese Idee vom
-Inbegriffe aller Realität hypostasieren, kommt daher, weil wir die
-<span class="gesperrt">distributive</span> Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes
-in die <span class="gesperrt">kollektive</span> Einheit eines Erfahrungsganzen dialektisch
-verwandeln, und an diesem Ganzen der Erscheinung uns ein einzelnes
-Ding denken, was alle empirische Realität in sich enthält, welches
-dann vermittelst der... transzendentalen Subreption, mit dem Begriffe
-eines Dinges verwechselt wird, was an der Spitze der Möglichkeit
-aller Dinge steht, zu deren durchgängiger Bestimmung es die realen
-Bedingungen hergibt“. Die Reihe ist: Realisierung, Hypostasierung,
-Personifizierung. „Die Vernunft wird durch einen Hang ihrer Natur
-getrieben, über den Erfahrungsgebrauch hinauszugehen, sich in einem
-reinen Gebrauche und vermittelst bloßer Ideen zu den äußersten Grenzen
-aller Erkenntnis hinaus zu wagen, und nur allererst in der Vollendung
-ihres Kreises, in einem für sich bestehenden systematischen Ganzen
-Ruhe zu finden.“ Damit ist aber eben keine objektive Existenz gegeben,
-das heißt, nicht <span class="gesperrt">bewiesen</span>. Manche, namentlich Materialisten,
-haben nun gemeint, Kant hätte Gott, Seele usf. überhaupt abgelehnt,
-er hätte <span class="gesperrt">bewiesen</span>, daß sie vor der reinen Vernunft<span class="pagenum"><a name="Seite_367" id="Seite_367">[S. 367]</a></span> nicht
-existieren. Das ist völliges Mißverständnis. Er hat nur erklärt, daß
-die Existenz dieser Dinge sich aus der reinen Vernunft nicht beweisen
-lasse. Daß diese Dinge auch als Dinge-an-sich überhaupt nicht vorhanden
-sind, hat er nirgend gesagt; es würde auch seinem transzendentalen
-Standpunkt, den er so oft betont, widersprechen. Denn dieses alles
-gehört ja zur transzendenten Wirklichkeit. Wenn er daher in der „Kritik
-der praktischen Vernunft“ davon Gebrauch macht, und von jenen Dingen
-als von praktisch-regulativen Prinzipien handelt, so ist er ganz
-innerhalb seines Systems geblieben und keineswegs von ihm abgewichen.
-Charakteristisch dafür ist, wie er vom freien Willen spricht. Wenn
-wir alle menschlichen Handlungen bis auf den Grund verfolgen könnten,
-würden wir eine stetige Kette von Ursache und Wirkung finden, und jede
-Handlung aus ihren Bedingungen als notwendig sogar voraussagen können.
-Also „in Ansehung unseres <span class="gesperrt">empirischen</span> Charakters gibt es keine
-Freiheit“. Allein wir haben auch den transzendenten „intelligiblen
-Charakter“; und da hier von einer Naturkausalität keine Rede ist, so
-können dieselben Handlungen ihrer Ursache nach vollkommen frei sein.
-Wir können nur nicht <span class="gesperrt">beweisen</span>, daß, so aufgefaßt, sie es sind,
-weil das Transzendente außerhalb aller Erfahrung liegt. Aber beweisen,
-daß sie es, transzendent aufgefaßt, <span class="gesperrt">nicht</span> sind, können wir
-aus gleichem Grunde auch nicht. Und das gilt von allen Hoch-Ideen
-und Hoch-Idealen, und hat auch Bezug auf Kants „<span class="gesperrt">Kategorischen
-Imperativ</span>“, Schillers „<span class="gesperrt">Du kannst, denn du sollst</span>“. Daß sein
-System ein Dualismus ist, hat übrigens der große Philosoph selbst
-anerkannt; es ist ein solcher in der Unterscheidung der transzendenten
-Welt von der empirischen, in der Annahme beider Welten, praktisch auch
-in der Annahme von Gott und Welt oder von Geist und Welt usf.</p>
-
-<p>Auch die dritte große Kritik, die „Kritik der Urteilskraft“, enthält
-ein kosmologisches Regulativ: die <span class="gesperrt">Teleologie</span>, den <span class="gesperrt">Begriff
-der Zweckmäßigkeit</span>. Es bezieht sich auf die Ordnung der Dinge &mdash;
-z. B. in Familien, Rassen, Arten, Gattungen usf. &mdash; und den Übergang
-der Abteilungen ineinander,<span class="pagenum"><a name="Seite_368" id="Seite_368">[S. 368]</a></span> die Ordnung der Geschehnisse &mdash; z. B.
-staatliche, individuelle, elektrische usf. &mdash;, endlich die Ordnung der
-Ursachen. Der Begriff bezweckt hiernach wesentlich Vereinfachung der
-Naturübersicht durch Zusammenziehung und Zusammenhang, Auffassung der
-Weltordnung vom Standpunkte einer Einheitlichkeit und eines Zweckes.
-Vom Verstand selbst wird ein solcher Begriff nicht gefordert, wohl
-aber von der <span class="gesperrt">Urteilskraft</span>; und sofern er eine Bedingung a
-priori feststellt, unter der allein Dinge Objekte unserer Erkenntnis
-werden können, bedeutet er ein transzendentales Prinzip. Er ist aber
-ein <span class="gesperrt">subjektives</span> Prinzip der Urteilskraft; denn nicht der
-Natur als solcher wird der Begriff der Zweckmäßigkeit unterlegt und
-vorgeschrieben, sondern die Urteilskraft ordnet sich selbst ein Gesetz
-für die Reflexion über die Natur vor. „Es ist nicht ein Prinzip der
-bestimmenden, sondern bloß der reflektierenden Urteilskraft. Man
-will nur, daß man &mdash; die Natur mag ihren allgemeinen Gesetzen nach
-eingerichtet sein wie sie wolle &mdash; durchaus nach jenem Prinzip und den
-sich darauf gründenden Maximen ihren empirischen Gesetzen nachspüren
-müsse, weil wir nur so weit als jenes (Prinzip) stattfindet, mit
-dem Gebrauche unseres Verstandes fortkommen und Erkenntnis erwerben
-können.“ Man sieht, wie außerordentlich vorsichtig Kant dieses Prinzip
-der Teleologie einführt. Keineswegs gibt er es als ein Prinzip der
-Natur selbst aus. Nicht einmal den Kategorien zählt er es zu. Die
-Zweckmäßigkeit ist kein <span class="gesperrt">konstitutives</span> Prinzip der Ableitung der
-Produkte der Natur, keine neue Kausalität, als welche sie der reinen
-Vernunft angehören und zur Anschauung dienen würde, sondern lediglich
-ein <span class="gesperrt">regulatives</span> Prinzip, nur für die reflektierende Beurteilung.
-Unter dem Begriff der Kausalität <span class="gesperrt">müssen</span> wir die Natur
-betrachten, unter dem der Zweckmäßigkeit <span class="gesperrt">beurteilen</span> wir sie nur.
-Soweit das Urteil auf Empfindungen (Lust, Unlust, Schön, Unschön usf.)
-zurückgeht, ist die Zweckmäßigkeit <span class="gesperrt">subjektiv</span> (oder formal) und
-Gegenstand der ästhetischen Urteilskraft. Begründet es sich aber auf
-Verstand und Vernunft, indem es sich um bestimmte Bedingungen handelt,
-„unter denen etwas, (z. B.<span class="pagenum"><a name="Seite_369" id="Seite_369">[S. 369]</a></span> ein organisierter Körper) nach der Idee
-eines Zweckes der Natur zu beurteilen sei“, so wird die Zweckmäßigkeit
-<span class="gesperrt">objektiv</span> (auch <span class="gesperrt">real</span>) genannt. Wir wissen, daß die
-Menschheit sich von je mit beiden Arten von Zweckmäßigkeit beschäftigt
-hat: die Welt und das Leben einerseits einer harmonischen Schönheit,
-andererseits einer zielstrebigen Entwicklung und Ordnung zuzuführen.
-In anderer Form wird das Prinzip auch in drei Prinzipe zerlegt:
-<span class="gesperrt">Gesetzmäßigkeit</span>, <span class="gesperrt">engere Zweckmäßigkeit</span>, <span class="gesperrt">Zweck</span>,
-und wird die Anwendung dem Verstand, der Urteilskraft, der Vernunft
-zugewiesen. Alle fließen aus dem allgemeinen transzendentalen Prinzip.
-Die weiteren, ungemein scharfen und schönen Distinktionen muß ich
-übergehen.</p>
-
-<p>Nur einen Begriff möchte ich hervorheben, den der <span class="gesperrt">organisierten
-Wesen</span>, diese sind „Dinge als Naturzwecke“. Ein solches Ding muß
-„sich zu sich selbst wechselseitig als Ursache und Wirkung verhalten“.
-Ein Ding ist aber Natur<span class="gesperrt">zweck</span>, wenn seine Teile „nur durch
-ihre Beziehung auf das Ganze möglich sind“, so daß ein jeder Teil,
-„sowie er nur <span class="gesperrt">durch</span> alle übrigen da ist, auch als <span class="gesperrt">um</span>
-der anderen und <span class="gesperrt">des Ganzen willen</span>“, als ein „hervorbringendes
-Organ“ besteht. Diese Definition schließt alle Kunstprodukte aus.
-Wir können uns eine Maschine vorstellen, samt Kessel, Heizung und
-Regulatoren, die sich selbst in Gang erhält, indem sie selbst Wasser
-in den Kessel nachpumpt, Kohlen in die Heizung nachschüttet und auch
-ihren Gang selbst reguliert; ein vollständiger Automat. Sie wirkt
-und verursacht (indirekt) ihre Wirkung. Ja, wir können uns sogar die
-Maschine so eingerichtet denken, daß sie auch physikalisch und chemisch
-Teile ersetzt, entfernt und ansetzt. Ist sie nach der obigen Definition
-ein organisiertes Wesen? Keineswegs! Sie gleicht einem solchen, zum
-Beispiel dem Menschen, in äußeren Tätigkeiten, etwa Gehen, Drehen usf.,
-sodann in der Stoffaufnahme und -abgabe, in der Regulierung der äußeren
-Tätigkeiten, obzwar hier schon nur noch, soweit Kraft erforderlich
-oder überflüssig ist und durch die Stoffaufnahme oder -abgabe geregelt
-wird. Zuletzt auch etwa in Dingen wie Ankleidung, Entkleidung, Ersatz
-von<span class="pagenum"><a name="Seite_370" id="Seite_370">[S. 370]</a></span> Teilen durch künstliche Teile. Aber die Hauptsache fehlt: das
-Hervorbringen jedes Teiles aus sich selbst, die Schaffung der Form, ihr
-Wachstum und ihre Erhaltung an jeder Stelle aus sich selbst. Indem Kant
-gerade dieses fordert, erhebt er den organisierten Körper, der eine
-Maschine ja auch ist, zum organisierten Wesen, zum belebten Wesen, das
-keine Maschine sein kann. Viel unnötiger Streit würde vermieden sein,
-wenn die modernen Automatenanhänger unter Materialisten und Philosophen
-die lichtvollen Darlegungen unseres Kant sich recht zu Gemüte führen
-wollten. Automat ist nicht einmal das geringfügigste Lebewesen,
-geschweige der Mensch. Cartesius hatte durchaus Unrecht, die Pflanzen
-und Tiere dafür zu erklären, und moderne Mechanisten und Sensualisten
-irren bei weitem mehr, auch den Menschen hinzuzuziehen. <span class="gesperrt">Driesch</span>
-in seinem belehrenden Buche „Philosophie des Organischen“, ist viel
-zu gelinde verfahren, als er erklärte, daß, wenn ein Lebewesen eine
-Maschine sein sollte, jeder, auch der kleinste ihrer Teile die gleiche
-Maschine sein müßte, und daß, in Verbindung mit dem Zusammenhang dieser
-Teile miteinander, eine solche aus unendlich vielen gleichen Maschinen
-zusammengesetzte, ihnen gleiche Maschine nicht denkbar sei. Die
-Wirksamkeit der organisierten Wesen von <span class="gesperrt">Innen</span> heraus und <span class="gesperrt">auf
-sich selbst</span>, auf ihre eigene Form, ihr eigenes Sein, ihr eigenes
-Leben &mdash; das ist das Entscheidende; das leisten auch die kleinen
-Maschinen, die man etwa für jede Zelle setzen wollte, oder gar, wie bei
-den einzelligen Wesen, für jeden Teil einer Zelle, nicht, und &mdash; was
-die Hauptsache ist &mdash; eine Maschine, die das leisten müßte &mdash; etwa eine
-Lokomotive, deren Räder, Kolben, Kessel, Regulatoren usf. ganz und in
-jedem Teil gleichfalls Lokomotiven sind &mdash;, ist auch nicht vorstellbar
-für uns. Denn, wie wiederum Kant hervorgehoben hat, da unser Denken
-ein diskursives, kein intuitives ist, vermögen wir am Fertigen den
-Aufbau nicht nach Gesetzen abzuleiten. Da tritt eben der Zweck ein,
-und wir haben für die Urteilskraft im Fertigen einen Naturzweck, als
-organisiertes Wesen, wenn es den obigen Bestimmungen Kants entspricht,
-ein nicht organisiertes, wenn Entstehung, Wachstum,<span class="pagenum"><a name="Seite_371" id="Seite_371">[S. 371]</a></span> Erhaltung von
-außen positiv oder negativ erfolgt, wie bei einem Kristall oder bei den
-Pseudozellen. Es ist immer auf das <span class="gesperrt">fertige, stabile</span> Lebewesen
-Bedacht genommen, nicht auf das <span class="gesperrt">entstehende</span> und <span class="gesperrt">sich
-entwickelnde</span> und <span class="gesperrt">sich erhaltende</span>. Im Fertigen mag manches
-maschinenmäßig aussehen, Entwicklung und Erhaltung aber schließen die
-Maschine gänzlich aus.</p>
-
-<p>Diese Betrachtung, die ich an Kants Erklärungen anlehne, ist von
-ungemeiner Wichtigkeit für die grundsätzliche Unterscheidung zwischen
-der lebenden und der unbelebten Welt, mag auch die erstere durchaus
-wie die letztere von äußeren Umständen abhängen, selbst wenn dieses
-nach Darwinschen Prinzipien geschieht, in ihrer allerübertriebensten
-Form. „Aber <span class="gesperrt">innere Naturvollkommenheit</span>,“ sagt Kant (Kritik der
-Urteilskraft, Ausgabe von Kirchmann, S. 249), „wie sie diejenigen
-Dinge besitzen, welche nur als <span class="gesperrt">Naturzwecke</span> möglich sind und
-darum organisierte Wesen heißen, ist nach keiner Analogie irgendeines
-uns bekannten physischen, das ist Naturvermögens, ja, da wir selbst
-zur Natur im weitesten Verstande gehören, selbst nicht einmal durch
-eine genau angemessene Analogie mit menschlicher Kunst, denkbar und
-erklärlich.“ Und das gilt, trotz aller Phrasen von mechanistischer und
-anderer Seite und aller Hinweisungen auf Maschinen allerwunderbarster
-Art und Vollkommenheit und auf Kristalle und künstliche Zellen. Das
-<span class="gesperrt">Von-innen-heraus</span>, das <span class="gesperrt">Aus-sichselbst-heraus</span> (wenn auch
-unter Benutzung aufgenommener Stoffe) fehlt immer und <span class="gesperrt">kann</span> nach
-unseren Begriffen nicht vorhanden sein, wenn nicht ein Neues zu dem
-Physischen hinzukommt, eben das Psychische, das den Naturzweck von
-innen heraus vollbringt. Driesch unterscheidet eine dreifache Harmonie
-in der Entwicklung der Wesen: <span class="gesperrt">Harmonie der Konstellation</span> &mdash;
-die Teile entwickeln sich zu einem individuellen Ganzen, selbst wenn
-sie sich unabhängig voneinander entwickeln, wie bei dem Menschen
-Muskeln und Nerven; <span class="gesperrt">Harmonie der Kausalität</span> &mdash; die bildenden
-(formativen) Ursachen treffen genau die sich entwickelnden Teile
-nach der Richtung der Endform, obwohl diese Teile sich<span class="pagenum"><a name="Seite_372" id="Seite_372">[S. 372]</a></span> jedes
-nach ganz verschiedenen Richtungen entwickeln können; <span class="gesperrt">Harmonie
-der Funktion</span> &mdash; alle Funktionen greifen ineinander zu einer
-einheitlichen Wirkung ein. Diese drei Harmonien sind Kants Naturzweck.
-Ihr <span class="gesperrt">Erfolg</span> sieht physisch aus, ihren <span class="gesperrt">Gang</span> aber in der
-Entwicklung und Erhaltung wird man unter keinen Umständen als physisch
-im gewöhnlichen Sinne des Wortes erklären können. Selbst eine Maschine
-ist ein Automat nur als <span class="gesperrt">fertiger</span> Gegenstand; gebaut aber hat
-sie sich nicht selbst, der Mensch hat sie hergestellt und muß sie auch
-erhalten. Wenn man das Psychische auch zum Physischen rechnen will,
-so mag das geschehen. Zur Welt gehört es ja. Das berührt aber die
-Sonderstellung des Psychischen nicht, daß es eben von Innen heraus
-schafft, nach Innen und nach Außen schafft, da alles andere nur von
-Außen nach der Oberfläche heranzieht, von der Oberfläche nach Außen
-abgibt. Höchstens spontane physikalische und chemische Umsetzungen
-könnten als ein Ähnliches erwähnt werden. Aber abgesehen davon,
-daß auch hier die Ähnlichkeit nur eine höchst oberflächliche ist,
-wie sich jeder selbst zurechtlegen kann, werden wir später sehen,
-wie grundverschieden der Lebensvorgang ist von den bezeichneten
-Umsetzungen, ja wie er ihm zum Teil geradezu entgegenläuft. Und
-dieses erhellt auch schon daraus, daß jene Umsetzungen eben
-<span class="gesperrt">Umsetzungen</span> sind, die Organisierung aber das Gegenteil
-bezweckt und erreicht: fortdauernde Schaffung des <span class="gesperrt">Gleichen</span> und
-Erhaltung des <span class="gesperrt">Gleichen</span>, wenn auch durch physikalisch-chemische
-<span class="gesperrt">Assimilation</span> und <span class="gesperrt">Dissimilation</span>. Wir sprechen von dieser
-Angelegenheit später noch mehr.</p>
-
-<p>Naturzweck darf nicht verwechselt werden mit Zweckmäßigkeit; es kann
-etwas sehr Unzweckmäßiges gleichfalls Naturzweck sein, wie das ohne
-Hilfe gänzlich hilflose Kind der ersten Zeit. Das liegt daran, daß der
-Zweck tatsächlich noch nicht erreicht ist, oder nur so weit erreicht
-ist, als es dieses Ding selbst betrifft, noch nicht aber so weit, als
-sein Verhältnis zur äußeren Welt erfordert. Auch hier drückt sich
-Kant, wenn auch bestimmt, doch sehr vorsichtig aus. Das Beispiel der
-organisierten Natur führt dazu, daß die an sich<span class="pagenum"><a name="Seite_373" id="Seite_373">[S. 373]</a></span> subjektive Maxime des
-Naturzwecks ausgedehnt und gesagt wird: „Alles in der Welt ist irgend
-wozu gut, nichts ist in ihr umsonst; und man ist durch das Beispiel,
-das die Natur an ihren organischen Produkten gibt, berechtigt, ja
-berufen, von ihr und ihren Gesetzen nichts als was nur zweckmäßig
-ist zu erwarten.“ Und er meint, <span class="gesperrt">insgesamt</span> aufgefaßt; denn er
-führt als Beispiele an, auch was für Einzelnes unzweckmäßig ist, wie
-Gifte, Ungeziefer usf. Also in toto sei man berufen, Zweckmäßigkeit zu
-erwarten. Was Kant zu seiner Zeit vermißte, nämlich die Einbeziehung
-der Zweckmäßigkeit in die Naturwissenschaft, das konnte in unserer
-Zeit zum Teil nachgeholt werden. Er selbst hat ja schon allein durch
-sein unübertroffenes und in seiner Vollständigkeit (soweit selbst
-gegenwärtig nur möglich) und allumfassenden Tiefe noch heute einzig
-stehendes Werk über den Weltbau gewaltig vorgearbeitet. Und er hat
-auch der modernen Entwicklungs-Naturwissenschaft vorgearbeitet, daß er
-sogar als Vorläufer Darwins bezeichnet und in Anspruch genommen werden
-konnte. Wir verlassen diesen Größten, dessen System als Kritisches zu
-jedem System gehört und gehören muß. Was Eugen Dühring von ihm sagt,
-ist eine schwere Unbegreiflichkeit dieses doch geistig selbst so
-bedeutenden Mannes.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>44. <span class="gesperrt">Ich, Nicht-Ich; Thesis, Antithesis,
-Synthesis; Naturphilosophie</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Unter dieser Überschrift besprechen wir Anschauungen unmittelbarer
-Nach-Kantianer. Wir können aber sehr kurz sein, denn es handelt sich
-nicht um eine fruchtbare Fortbildung der Lehre des Meisters, sondern
-eigentlich um eine Verschleppung in das Gestrüpp der Dialektik.
-<span class="gesperrt">Fichte</span> (1762&ndash;1814), in seiner ersten Philosophie, stellt sich
-idealistischer als Kant. Er geht allein vom <span class="gesperrt">Ich</span> aus, als erstem
-Grundsatz; diesem muß ein <span class="gesperrt">Nicht-Ich</span> als zweiter Grundsatz
-entsprechen, und als dritter Grundsatz steht die <span class="gesperrt">Reaktion</span> des
-Ich gegen das Nicht-Ich. Nun haben wir eine unbedingte Wahrheit:
-<span class="gesperrt">Ich ist Ich</span>, oder <span class="gesperrt">Ich bin</span>. Das gibt die Identität oder
-Realität;<span class="pagenum"><a name="Seite_374" id="Seite_374">[S. 374]</a></span> die <span class="gesperrt">Thesis der Identität</span> (<span class="gesperrt">Realität</span>). Diese
-enthüllt alle innere Tätigkeit. Das Ich setzt sich selbst, allein
-durch sich selbst. Die zweite Wahrheit lautet: <span class="gesperrt">Nicht-Ich ist nicht
-Ich</span>, also führt sie zur <span class="gesperrt">Verneinung</span> (<span class="gesperrt">Negation</span>).
-Diese Wahrheit ist nicht mehr, wie die erste, unbedingt, da außer
-dem Nicht-Ich ein Ich gesetzt ist, das vorhanden sein muß; sie ist
-aber unbedingt der Form nach, und dem Inhalt nach, sobald eben das
-Ich gesetzt ist. Die dritte Wahrheit gibt die <span class="gesperrt">Umgrenzung</span>
-(<span class="gesperrt">Limitation</span>), indem die Gegensätzlichkeit, die zwischen den
-beiden ersten Wahrheiten besteht &mdash; es wird sogar Widerspruch gesagt;
-ich sehe aber nicht einmal eine Gegensätzlichkeit, die Wahrheiten
-sind doch lediglich koordiniert und stehen in gar keiner Verbindung
-zueinander &mdash;, aufgehoben wird, sie lautet: <span class="gesperrt">Ich zum Teil Nicht-Ich,
-wenn Nicht-Ich zum Teil Ich</span>. Es ist die reine symbolische
-Mathematik. Wert gewinnt sie nur durch die empirischen Bestimmungen,
-und so wird sie auch aus dem empirischen Bewußtsein entnommen und
-versachlicht. Das Nicht-Ich ist entweder ein eigenes Tätiges und
-<span class="gesperrt">kausal</span> der Grund des „Leidens“ des Ich. Oder es ist an sich
-nicht vorhanden, aber das Ich wechselt in seiner Tätigkeit, ist
-begrenzt, und faßt diese Begrenztheit als Leiden durch ein Nicht-Ich
-auf. Der letztere Fall gibt den dogmatischen Idealismus, der erstere
-soll dogmatischer Realismus sein; ich vermag aber nicht einzusehen,
-warum er nicht den transzendentalen Idealismus soll konstruieren
-können. Das Gefühl der Begrenztheit (<a href="#Seite_338">S. 338</a>) ist wie eine Reflexion der
-Ich-Tätigkeit nach dem Ich zurück. Und dadurch kommt die Anschauung,
-als wenn außer dem Ich noch etwas wäre, gegen das das Ich nicht
-ausgedehnt werden kann. Indem nun Fichte sich für diese Auffassung des
-Idealismus entschließt, verlegt er Kants Ding-an-sich zwar in das Ich
-selbst, bringt aber dafür das Unbegreifliche der Begrenztheit des Ich
-als ein Neues, wodurch für die Vereinfachung der Anschauung nichts
-gewonnen ist. Außerdem fragt man vergeblich, wie ein allein bestehendes
-Ich je von einer solchen Begrenztheit soll Bewußtsein haben können.
-Wenn es allein besteht, ist es ja absolut vollkommen. Wahr<span class="pagenum"><a name="Seite_375" id="Seite_375">[S. 375]</a></span>scheinlich
-ist Fichte deshalb zuletzt ganz zum Berkeleyschen deistischen
-Idealismus gedrängt worden, seiner späteren Philosophie, von der schon
-gesprochen ist (<a href="#Seite_358">S. 358</a>). In seiner ersten Philosophie aber geht er
-in mancher Hinsicht noch radikaler vor als Kant; er sieht sogar von
-Gott ganz ab. „Die moralische Weltordnung ist das Göttliche, das wir
-annehmen.“</p>
-
-<p>Von den vielen Anschauungen <span class="gesperrt">Schellings</span> (1775&ndash;1854) schließt
-sich die erste, ganz an Fichtes Entwicklungen an. Später gestand er
-im Sinne Kants dem Ding-an-sich eine objektive Existenz zu, und ging
-sogar so weit, die Identität dieses Dinges mit der Vorstellung in uns
-zu behaupten. Richtete er nun die Vorstellung nach dem Ding, so kam
-er zum gewöhnlichen dogmatischen Realismus. Tat er das Umgekehrte,
-indem er das Ding der Vorstellung anpaßte, so folgte der Kantische
-Idealismus; verhielt er sich aber zwischen beiden indifferent, so
-geriet er auf Spinozas Anschauung. Er hat das letztere getan, und so
-in der Identitätsphilosophie auch Spinozas Anschauung, die wir noch
-kennen lernen werden, vertreten. Wir haben gesehen, daß Schelling in
-der weiteren Entwicklung sich auch dem Mystizismus und Jakob Böhmes
-Theosophie angeschlossen hat. Zuletzt ist er auch positiver Philosoph
-geworden. Aus allem darf man ihm keinen Vorwurf machen; es hat ihn eben
-keine Anschauung befriedigt, und selbst eine sich zu schaffen, reichte
-seine Begabung, die wesentlich nach dem Methodischen ging, nicht hin.
-Mehr kann man ihm, wie auch dem bald zu nennenden Hegel und auch
-Herbart, das etwas wüste Wirtschaften mit den naturwissenschaftlichen
-Kenntnissen und die willkürlichen Analogisierungen des Geistigen mit
-dem Physischen verdenken, wodurch bekanntlich diese ganze Philosophie
-und namentlich ihr bedeutendster Teil, die Naturphilosophie, aufs
-höchste in Verruf gekommen ist, so daß gerade die Naturforscher sich
-von ihr voll Widerwillen abwandten, und daß, fast bis in unsere Zeit,
-Naturphilosophie verpönt war. Wertvoll noch jetzt ist, gleichfalls nach
-Fichte, Schellings Unterscheidung zwischen dieser Naturphilosophie
-und der Transzendentalphilosophie. In jener ist die Natur zum Ersten
-gemacht, und es wird gefragt, wie sie<span class="pagenum"><a name="Seite_376" id="Seite_376">[S. 376]</a></span> in das Intelligente des Subjekts
-dringt; in dieser ist die Intelligenz des Subjekts das Primäre, und es
-ist zu entscheiden, wie aus ihr die Natur entsteht. Die Antwort für
-die erste Frage ist in Kants Prinzip der Urteilskraft enthalten (<a href="#Seite_367">S.
-367</a>), die für die zweite in dessen transzendentem Idealismus. Schelling
-geht empirischer vor; er erhebt einen Erfahrungssatz, dessen innere
-Notwendigkeit erkannt ist, zu einem apriorischen Satz: „Empirismus,
-zur Unbedingtheit erweitert, ist Naturphilosophie“. Es wird nicht
-viele geben, die mit dieser Definition einverstanden sind. Oder es
-muß eine theoretische Naturphilosophie unterschieden werden von einer
-praktischen; jene ist wieder Transzendentalphilosophie, da überhaupt
-alles Unbedingte transzendent ist. Schelling freilich behauptet, daß
-man in der Natur auch das Absolute erkennen kann. Ich wüßte nicht, wie
-das empirisch geschehen soll. Selbst wir, die wir die Einheitlichkeit
-der Vorgänge und der Stoffe in der Natur so bis ins Einzelne verfolgt
-haben, können keine absolute Einheit in der Natur feststellen;
-nicht einmal für alles, das Psychische eingeschlossen, auch nur
-wahrscheinlich machen. Man denke, wie jetzt sogar das Trägheitsgesetz
-wankt, wie die allgemeine Gravitation zweifelhaft wird, selbst das
-Substanz- und Energiegesetz nicht mehr sichere Wahrheit ist. Wissen von
-der Natur kann eben nie zur Unbedingtheit gelangen; nicht etwa allein,
-weil die Erfahrungen immer unvollständig sind, sondern einfach, weil
-die Welt sich stetig wandelt und uns immer nur das Jetzt zur Verfügung
-steht, nicht das Vor noch das Nach. Eine Naturphilosophie kann also nur
-transzendent oder empirisch sein. Im ersteren Falle gehört sie mit der
-Transzendentalphilosophie überhaupt zusammen, im zweiten ist sie eine
-gewöhnliche empirische Wissenschaft. In unseren „Naturphilosophien“
-vereinigen wir beide Arten, aber nur um möglichst vollständig zu sein,
-und wegen der Zweckmäßigkeitsmaxime der Urteilskraft, die jedoch, wie
-wir wissen, nichts bedingt, sondern nur leitet.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Hegels</span> (1770&ndash;1831) Entwicklung der verschiedenen Stufen des
-Geistes ist sehr lehrreich, hat aber auch bei ihm mehr<span class="pagenum"><a name="Seite_377" id="Seite_377">[S. 377]</a></span> methodischen
-Wert, wie überhaupt sein ganzes philosophisches System im Grunde
-Methodik ist. Die reale und ideale Welt sind auch hier gesetzt.
-Ihr Wirken für sich und ihr Verhalten zueinander wird aber aus der
-<span class="gesperrt">logischen Idee</span>, die der Welt zugrunde liegt, und der Entwicklung
-nach dieser Idee erklärt. Diese logische Idee ist nicht der Nus des
-Anaxagoras, noch der sonst bekannte Logos. Er wirkt in besonderer
-Weise, nämlich zufolge den drei Grundsätzen Fichtes, vielleicht
-richtiger nach denen Jakob Böhmes. Wir sahen, wie bei diesem Manne
-Gott sich mit sich selbst entzweite, und wie dann das Entzweite sich
-in der Entwicklung zur Identität wieder erheben sollte. Hegel meint
-ganz entsprechend, jeder Begriff entzweie sich mit sich selbst und
-schlage so in sein Gegenteil um, um dann in einer höheren Einheit sich
-mit ihm auszugleichen. Der gesetzte Begriff ist die <span class="gesperrt">Thesis</span>,
-der durch Umschlagen erzeugte die <span class="gesperrt">Antithesis</span>, die Ausgleichung
-in der höheren Einheit die <span class="gesperrt">Synthesis</span>. So geht das Universum
-in stetiger Entwicklung von Thesis zur Antithesis, Synthesis, von
-dieser zu neuer Antithesis, Synthesis usf. Solche Kreisvorgänge sind
-dem Naturforscher wohl vertraut. So meinte es aber Hegel nicht. Seine
-Ansicht ist rein transzendent: die Idee schlägt um in Natur, ganz
-oder, soweit in der Natur Nichtnaturgesetzliches vorhanden ist, etwa
-Zufälliges, zum Teil, wobei dieses Zufällige Idee ist. Beide, Idee und
-Natur, vereinigen sich in der höheren Einheit Geist, der von der Natur
-abhängig, zur Natur im Gegensatz und die Natur erkennend ist. Der Geist
-bedeutet hiernach die aus ihrer Entäußerung in sich zurückgekehrte
-Idee. Wie, infolge der Abhängigkeit von der Idee, das Wesen der Natur
-Notwendigkeit und Zufälligkeit ist, so das des Geistes Freiheit,
-Unabhängigkeit von allem Äußeren. Er entwickelt sich aber in drei
-Stufen als: <span class="gesperrt">subjektiver Geist</span>, hinsichtlich seines Verhaltens
-zur Natur (neutral, leidend, gegensätzlich); <span class="gesperrt">objektiver Geist</span>,
-der das Allgemeine in den Äußerungen menschlichen Zusammenseins
-betrifft (Moral, Sittlichkeit, Recht, Verhalten zu Staat, Gesellschaft
-und Familie usf.), <span class="gesperrt">absoluter Geist</span>, der als Anschauung auf Kunst
-und Wissenschaft, als Vorstellung auf<span class="pagenum"><a name="Seite_378" id="Seite_378">[S. 378]</a></span> Religion, als Vernunft auf
-Begriffsbildung (Philosophie) sich bezieht. So gut diese Distinktionen
-sind, so lehren sie doch für das Wesentliche nichts. Mit Sätzen
-wie: Die Natur ist die „Idee in der Form des Anderssein“ ist nichts
-anzufangen. Woher stammt die Idee? Wie ist sie aufzufassen? Als
-transzendentaler Grund alles Seins und Denkens, etwa wie die „Vernunft
-Gottes“? Wie ist ihr Umschlagen in Natur zu verstehen? Hat man dabei
-die gnostisch-theosophischen Vorstellungen anzuwenden oder ist das
-Ganze einfach ein Gesetztes? Mehr bedeutet es, wenn Religion als Denken
-des Absoluten, als „Inseinswissen mit Gott“ bezeichnet wird, so daß
-ein <span class="gesperrt">Wissen</span> von Gott erfolgt. Wenn dann noch näher bestimmt
-wird, Religion sei „Wissen des göttlichen Geistes von sich durch
-Vermittlung des endlichen Geistes“, so muß der göttliche Geist in uns
-stecken; und wäre nicht die „Idee“, die so unvermittelt steht, so hätte
-man einen üblichen Pandeismus. Ich habe schon hervorgehoben, daß im
-Hegelschen System die Methodik die Hauptsache ist, und in dieser hat
-Hegel höchst Bedeutendes geleistet. Auch seine naturwissenschaftlichen
-Systematisierungen sind nicht von der Hand zu weisen. Das gehört aber
-alles nicht hierher.</p>
-
-<p>Den edlen <span class="gesperrt">Schleiermacher</span> (1768&ndash;1834) erwähne ich sogleich
-hier. Denn er spricht gleichfalls von etwas wie These und Antithese,
-jedoch empirischer, indem er meint, daß, da unser Denken an
-Wahrnehmungen gebunden ist, es sich immer in Gegensätzen bewegt und das
-Gegensatzlose, also die letzte Synthese in Hegels Sinn, nie erreicht.
-Einen transzendentalen Grund alles Seins und Denkens erkennt er mit
-Kant an, doch weiter mehr in der Bedeutung von Spinozas System, das er
-sehr hochstellt. Seine Individualitätslehre ist aber wie ein Ausschnitt
-aus Leibniz’ Monadologie. Jedes Individuum, jeder Mensch bedeutet ein
-Wesen für sich, eine „eigentümliche und ursprüngliche Darstellung
-der Welt“. Deshalb ist der Mensch aber auch ein „Kompendium“ seiner
-ganzen Gattung, der Menschheit, so daß er in dieser Menschheit „sein
-eigenes vervielfältigtes, deutlicher ausgezeichnetes und in allen
-seinen Veränderungen gleichsam verewigtes Ich anschaut“.<span class="pagenum"><a name="Seite_379" id="Seite_379">[S. 379]</a></span> „Der Geist
-ist das Erste und Einzige, die ganze Welt nur sein selbstgeschaffener
-Spiegel (<a href="#Seite_370">S. 370</a>), nur der große gemeinschaftliche Leib der Menschheit.“
-Es ist schwer zu verstehen, was das besagen soll, vielleicht ist es
-spinozistisch zu deuten.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>45. <span class="gesperrt">Die Welt als Wille und Vorstellung;
-Pessimismus, Philosophie des Unbewußten, moderner Idealismus</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p><span class="gesperrt">Arthur Schopenhauer</span>, dieser ganz außerordentliche Mann (1788
-in Danzig geboren, 1860 zu Frankfurt a. M. gestorben), ist eigentlich
-der einzige, der Kants System erfolgreich bereichert hat. Die Welt ist
-wie bei Kant ein transzendentes Objekt. Wir haben von ihr nur unsere
-Vorstellungen. Diesen Standpunkt glaubt Schopenhauer energischer
-zu vertreten als Kant. Die Vorwürfe, die er diesem macht, er hätte
-in der zweiten Ausgabe seiner Kritik der reinen Vernunft seinen
-transzendental-idealistischen Standpunkt verlassen, sind jedoch
-ungerechtfertigt. Auch in der zweiten Auflage des Grundwerkes ist das
-Ding-an-sich kein Objekt, das je an Anschauung und Kategorien gebunden
-ist, sondern das Transzendentale hinter den Vorstellungen, und das
-Wirkliche. Schopenhauer reduziert alle Kategorien auf Kausalität,
-Ursächlichkeit; es ist in der Tat die Grundkategorie (<a href="#Seite_361">S. 361</a>).
-Ursächlichkeit mit Raum und Zeit sind so die Bedingungen a priori
-aller Vorstellungen. Und die Welt ist zunächst Vorstellung unter
-diesen Bedingungen. „Die Welt ist meine Vorstellung“, leitet sich
-das Hauptwerk Schopenhauers: „Die Welt als Wille und Vorstellung“
-ein. Indessen damit kann der Gegenstand nicht erschöpft sein. Der
-Philosoph geht als Naturforscher, der er zugleich ist, auf den Teil
-der Welt zurück, der unser Leib ist. Und da findet er denn, daß
-diesem gegenüber, außer der Vorstellung, doch noch etwas anderes
-vorhanden ist, wodurch er in toto genere verschiedener Art aufgefaßt
-wird. In meinem Buche „Philosophische Grundlagen usf.“ habe ich
-für diese Auffassung die Bezeichnung „Körperbewußtsein“ gewählt.
-Nach Schopenhauer ist es <span class="gesperrt">Wille</span>. Der Körper ist durchaus dem
-unterworfen, was<span class="pagenum"><a name="Seite_380" id="Seite_380">[S. 380]</a></span> wir in uns als Wille kennen, namentlich: er bewegt
-sich, und Teile von ihm bewegen sich. Aber dieses ist nicht so zu
-verstehen, daß der Wille als Ursache die Bewegung des Körpers zur Folge
-hat, keineswegs, sondern beide sind absolut miteinander verbunden;
-Bewegung und Wille sind ein Akt. „Der Willensakt und die Aktion des
-Körpers sind nicht zwei objektiv erkannte verschiedene Zustände, die
-das Band der Kausalität verknüpft, stehen nicht im Verhältnis der
-Ursache und Wirkung; sondern sie sind eins und dasselbe, nur auf
-zwei gänzlich verschiedene Weisen gegeben: einmal ganz unmittelbar
-und einmal in der Anschauung für den Verstand. Die Aktion des Leibes
-ist nichts weiter als der objektivierte, das heißt in die Anschauung
-getretene Akt des Willens.“ Ja, der ganze Leib ist nichts anderes als
-der objektivierte, das heißt zur Vorstellung (= Anschauung) gewordene
-Wille. Und so erklärt Schopenhauer den Leib als die „<span class="gesperrt">Objektität des
-Willens</span>“. Der Leib ist also ein Doppeltes: eine bloße Vorstellung
-in Raum, Zeit und nach Kausalität, und eine Objektität des Willens. In
-diese Objektität des Willens zieht Schopenhauer auch anderes hinein,
-denn er rechnet zu der Objektivation des Willens auch Gefühle wie Lust
-und Unlust, Schmerz, Behagen usf. „Man hat aber gänzlich Unrecht, wenn
-man Schmerz und Wollust Vorstellungen nennt: das sind sie keineswegs,
-sondern unmittelbare Affektionen des Willens in seiner Erscheinung, dem
-Leibe: ein erzwungenes augenblickliches Wollen oder Nichtwollen des
-Eindruckes, den dieser erleidet“. Vorher meint er: es ist „andererseits
-jede Einwirkung auf den Leib, unmittelbar auch Einwirkung auf den
-Willen: sie heißt als solche Schmerz, wenn sie dem Willen zuwider;
-Wohlbehagen, Wollust, wenn sie dem Willen gemäß ist“. Ich gestehe, daß
-ich nicht recht folgen kann; mir scheint das Nichtwollen und Wollen
-des Eindruckes, das zweifellos vorhanden ist, doch sehr verschieden
-zu sein von der Empfindung selbst, mehr eine Begleiterscheinung als
-der Gegenstand selbst. Doch mag das sein, da Schopenhauer offenbar
-Wille in einer sehr weiten Bedeutung faßt, neben Verstand, der die
-Vorstellungen ist,<span class="pagenum"><a name="Seite_381" id="Seite_381">[S. 381]</a></span> als ein Zweites im Ich. Ob die Objektität zwischen
-Leib und Willen nicht auch als eine gegenseitige angesehen wird: Leib
-Objektität des Willens, Wille Objektität des Leibes, weiß ich nicht. Es
-dürfte aber wohl anzunehmen sein. Denn es heißt weiter: „Ich erkenne
-meinen Willen nicht im Ganzen, nicht als Einheit, nicht vollkommen
-seinem Wesen nach, sondern ich erkenne ihn allein in seinen einzelnen
-Akten, also in der Zeit, welche die Form der Erscheinung meines Leibes,
-wie jedes Objektes, ist: daher ist der Leib Bedingung der Erkenntnis
-meines Willens. Diesen Willen ohne meinen Leib kann ich demnach
-eigentlich nicht vorstellen.“ Und so wären Leib und Wille allerdings
-eines des anderen Objektität, oder doch Bedingung. Diese Erkenntnis
-kann nur nachgewiesen, „zum Wissen der Vernunft erhoben, oder in die
-Erkenntnis in abstracto übertragen werden“. Sie kann aber ihrer Natur
-nach nicht bewiesen werden, da sie selbst „die unmittelbarste ist“.
-Und sie ist um so bedeutender als sie zwei ganz inkommensurable Dinge
-betrifft: den Leib, der „eine anschauliche Vorstellung“ ist, und den
-Willen, der „gar nicht Vorstellung ist, sondern ein von dieser toto
-genere Verschiedenes“. Wie sonst das Verhältnis zwischen Körper und
-Geist. Er nennt jene Erkenntnis „die philosophische Wahrheit κὰτ’
-ἐξοχήν“. Mit der Objektität des Willens bringt er auch, was Kant als
-Naturzweck bezeichnet hat, in Verbindung; und es ergibt sich hieraus
-vielleicht noch schärfer, wie gar nicht zu vergleichen Maschinen mit
-organisierten Wesen sind (<a href="#Seite_369">S. 369</a>). „Die Teile des Leibes müssen den
-Hauptbegehrungen, durch welche der Wille sich manifestiert, vollkommen
-entsprechen, müssen der sichtbare Ausdruck desselben sein: Zähne,
-Schlund und Darmkanal sind der objektivierte Hunger; die Genitalien der
-objektivierte Geschlechtstrieb; die greifenden Hände, die raschen Füße
-entsprechen dem schon mehr mittelbaren Streben des Willens, welches
-sie darstellen. Wie die allgemeine menschliche Form dem allgemeinen
-menschlichen Willen, so entspricht dem individuell modifizierten
-Willen, dem Charakter des Einzelnen die individuelle Korporisation,
-welche daher durchaus und in allen Teilen charakteristisch und
-aus<span class="pagenum"><a name="Seite_382" id="Seite_382">[S. 382]</a></span>drucksvoll ist.“ Noch mehr gilt letzteres natürlich bei Übergang
-von Art zu Art, von Gattung zu Gattung usf.</p>
-
-<p>Es ist bis jetzt von Dingen gesprochen mit Vorstellung und Willen.
-Wie verhält es sich mit den anderen Dingen, die wir unbelebt nennen?
-Dazu bedarf es einer genaueren Auseinandersetzung dessen, was „Wille“
-bedeutet. Wille ist ein absolut Unbedingtes, Grundloses. Er ist
-weder der Kausalität noch einer Anschauung unterworfen außerhalb
-seiner Objektivation. „<span class="gesperrt">Ding-an-sich</span> aber ist allein der
-<span class="gesperrt">Wille</span>.“ „Er ist es, wovon alle Vorstellung, alles Objekt, die
-Erscheinung, die Sichtbarkeit, die <span class="gesperrt">Objektität</span> ist.“ Wille ist
-also das Transzendente Kants. Objektiv möglichst deutlich gedacht ist
-er das, was wir gewöhnlich Wille nennen, Wille des Menschen. Diese
-Unterscheidung zwischen Willen an sich und objektivem Willen in der
-Objektivität gibt Schopenhauer die Möglichkeit, in der gleichen Weise
-wie Kant die transzendente Freiheit mit der objektiven Unfreiheit zu
-vereinen. Ferner, da Wille an sich grundlos ist, so wird er nicht von
-Vorstellungen geleitet, obzwar von ihnen begleitet. Wille-an-sich darf
-also nicht mit dem objektiven bewußten Willen verwechselt werden.
-Er ist Wille, ob in bewußten oder unbewußten Handlungen. Das ist
-von großer Bedeutung wenn wir bedenken, wie viel in unserem Körper
-unbewußt vor sich geht und selbst in unseren geistigen Tätigkeiten.
-Was wir also Trieb und Instinkt nennen, ist auch nur in Erscheinung
-getretener Wille-an-sich. Nun hat man immer den objektiven Willen mit
-den Kräften in der Natur verglichen. Schopenhauer kehrt das Verhältnis
-um und stellt die Kräfte unter die Erscheinungen des transzendenten
-Willens. Er will „jede Kraft in der Natur als Wille gedacht wissen“.
-Er meint damit ein Unbekannteres auf ein Bekannteres zurückgeführt
-zu haben. Das muß man ohne weiteres zugestehen. Indem nun, wiewohl
-beim transzendenten Willen weder von Freiheit noch von Unfreiheit
-gesprochen werden kann, doch bei dem objektivierten Willen Freiheit
-ausgeschlossen ist, da er ja das Objekt eines Anderen ist, wirken auch
-die Kräfte unfrei nach festen Gesetzen. Nun ist der Weg zu der übrigen
-Natur<span class="pagenum"><a name="Seite_383" id="Seite_383">[S. 383]</a></span> offen. Wie der Leib sich zu dem Willen verhält, so verhält sich
-die Natur überhaupt zu dem Willen, der in Erscheinung als objektiver
-Wille oder als Kräfte auftritt. Also die ganze Natur ist Objektität
-des Willens in seinen verschiedenen Erscheinungen. Und wie Leib und
-Wille an sich inkommensurabel sind, so auch die Natur überhaupt und
-Wille. „Denn in jedem Ding in der Natur ist etwas, davon kein Grund je
-angegeben werden kann, keine Erklärung möglich, keine Ursache weiter
-zu suchen ist; es ist die spezifische Art seines Wirkens, das heißt
-eben die Art seines Daseins, sein Wesen. Zwar von jeder einzelnen
-Wirkung des Dinges ist eine Ursache nachzuweisen, aus welcher folgt,
-daß es gerade jetzt, gerade hier wirken mußte; aber davon, daß es
-überhaupt und gerade so wirkt, nie.“ Ein Ding zeigt als Schwere,
-Undurchdringlichkeit, Magnetisierung usf. „jenes unergründliche Etwas“:
-„dieses (Etwas) aber, sage ich, ist ihm (dem Ding), was dem Menschen
-sein Wille (der transzendente) ist, und ist, so wie dieser, seinem
-inneren Wesen nach, der Erklärung nicht unterworfen, ja, ist an sich
-mit diesem identisch“. Der Philosoph vergleicht dann den Charakter des
-einzelnen Menschen mit der wesentlichen Qualität (forma substantialis)
-eines einzelnen Dinges und erklärt letztere wie ersteren. Der Wille
-ist nur eins, das Ding-an-sich, „das Wesen-an-sich“, sagt Schopenhauer
-auch; die Vielheit in unserer Anschauung, die Erscheinungen, sind
-aus den Anschauungsformen Raum und Zeit gegeben. Und so hat die
-Objektivation des Willens unzählige Stufen, die in den zahllosen
-Individuen ausgedrückt sind, und die „als die unerreichten Musterbilder
-dieser oder als die ewigen Formen der Dinge dastehen, nicht selbst
-in Zeit und Raum, das Medium der Individuen, austretend, sondern
-feststehend, keinem Wechsel unterworfen, immer seiend, nie geworden;
-während jene (Individuen) entstehen und vergehen, immer werden und nie
-sind“. Und diese Stufen der Objektivation, sagt Schopenhauer, sind
-nichts anderes als <span class="gesperrt">Platons Ideen</span>, was er des Genauern noch
-ausführt. Die <span class="gesperrt">Stufen der Objektivation</span> aber führen vom Tiefsten
-zum Höchsten, vom Leblosen durch Pflanze, Tier<span class="pagenum"><a name="Seite_384" id="Seite_384">[S. 384]</a></span> zum Menschen. Und die
-Weltordnung, im Einzelnen wie in bezug Jedes zu Jedem, rührt daher,
-daß es ja ein Wille ist, dem alle Stufen der Objektivation angehören,
-der sich in allem objektiviert. Von diesem Wesen, „was immer es auch
-sein möchte“, wird gesagt, daß die unendliche Ausdehnung der Welt
-ganz allein seiner <span class="gesperrt">Erscheinung</span> angehört, „es selbst hingegen
-in jeglichem Dinge der Natur, in jedem Lebenden, ganz und ungeteilt,
-gegenwärtig ist“. Schopenhauer steht nicht weit von den drei größten
-Metaphysikern Platon, Spinoza, Kant. Sein unsterblicher Ruhm aber ist,
-daß er dem transzendenten Wesen <span class="gesperrt">bekanntes</span> Leben einhauchte durch
-den „Willen“.</p>
-
-<p>Und so ist die ganze Natur ein gewaltiges Leben, und durch und durch
-erfüllt von <span class="gesperrt">Willen zum Leben</span>. „Alles drängt und treibt zum
-<span class="gesperrt">Dasein</span>“, heißt es. Namentlich an der tierischen Natur wird
-es augenscheinlich, „daß Wille zum Leben der Grundton ihres Wesens,
-die einzige unwandelbare und unbedingte Eigenschaft derselben ist“.
-Sogar eine generatio aequivoca, nach den Kenntnissen seiner Zeit,
-schreibt Schopenhauer diesem ungestümen Drange, namentlich zum
-organischen Leben, zu. Und gleichfalls „den entsetzlichen Alarm
-und wilden Aufruhr desselben (des Stoffes), wenn er in irgendeiner
-einzelnen Erscheinung aus dem Dasein weichen soll, zumal, wo dieses
-bei deutlichem Bewußtsein eintritt. Da ist es nicht anders, als ob in
-dieser einzelnen Erscheinung die ganze Welt auf immer vernichtet werden
-sollte“. So ist der Wille zum Leben „das nicht weiter Erklärliche,
-sondern jeder Erscheinung zugrunde zu Legende“. Und dieser Wille
-ist weit entfernt, „wie das Absolutum, das Unendliche, die Idee und
-ähnliche Ausdrücke mehr, ein leerer Wortschwall zu sein“. Er ist das
-„Allerrealste“, das wir kennen, ja der „Kern der Realität selbst“. Aber
-grundlos wie der Wille, ist auch dieses Streben und Hasten zum Leben.
-Und so wirkt die Lebenswut nie befriedigt, nie zu befriedigen, und
-blind drängend durch die Flut der Erscheinungen. Daher ist die Welt
-unvollkommen. Noch mehr, sie ist ein <span class="gesperrt">Übel</span>, nicht die beste, nach
-Leibniz, sondern die allerschlechteste. So<span class="pagenum"><a name="Seite_385" id="Seite_385">[S. 385]</a></span> tönt diese Philosophie in
-den so eigenartigen <span class="gesperrt">Pessimismus</span> Schopenhauers aus, in seinen
-Lebenshaß. Er ist scheinbar durch sein System begründet, aber doch
-wohl namentlich durch seine trübe Gemütsverfassung, die er ja mit so
-vielen Großen teilt, welche das Treiben der Welt anwidert und die darum
-einsam ihre Wege durch die Tage gehen. Auch seine Bekanntschaft mit den
-Upanishadenlehren muß zu diesem Pessimismus beigetragen haben. Er war
-von diesen Lehren hochbegeistert, wie jeder es sein muß, der ihre Tiefe
-erkennt. Aber in seinem System kann er keinen Trost gefunden haben, wie
-der Indier und namentlich der Buddhist. Denn wenn er auch Bekämpfung
-des Willens zum Leben lehrte, sein System zeigt, daß diese Bekämpfung
-aussichtslos ist. Die Welt ist eben Wille zum Leben, von je in je.
-Und das „Wunder“, das diesen Willen zur Ruhe brächte, kann nur die
-Vernichtung des Willens selbst sein, die ja bei einem transzendenten
-Ding-an-sich ohne ein noch höheres Wesen, davon Schopenhauer aber die
-Welt nicht abhängen läßt, unmöglich ist.</p>
-
-<p>Die Schopenhauersche Lehre ist <span class="gesperrt">Identitätsphilosophie</span>, aber
-kein wirklicher Monismus. Beziehungen zu Fichtes Philosophie, die
-behauptet worden sind, kann ich überall nicht finden. Auch ist bekannt,
-wie ablehnend sich Schopenhauer zur Trias Fichte-Schelling-Hegel
-verhalten hat und mit seiner Leben-Philosophie gegenüber der fast
-inhaltleeren Dialektik dieser Vorgänger, über die er oft genug spottet,
-sich verhalten mußte. Der gewaltige <span class="gesperrt">Richard Wagner</span> darf als
-Schopenhauerianer bezeichnet werden.</p>
-
-<p>In <span class="gesperrt">Fr. Nietzsches</span> (1844 zu Röcken geboren, gest. 1900) System
-spielt bekanntlich der Wille eine sehr hervorragende Rolle. Aber wie
-dieser Dichter unter den Philosophen fast ausschließlich sich mit dem
-Menschen und dem Leben beschäftigt, hat der Wille bei ihm nur Bedeutung
-mit Bezug auf den Menschen und mit Bezug auf das Leben. Und selbst hier
-betrifft er nur das <span class="gesperrt">Verhalten</span> des Menschen im Leben und das
-Verhalten der gesamten Menschheit. Was der Große hier Außerordentliches
-gedichtet hat, gehört jedoch nicht zu unserem Thema. Im rein
-Philosophischen<span class="pagenum"><a name="Seite_386" id="Seite_386">[S. 386]</a></span> rechnet man Nietzsche wohl auch zu den Phänomenalisten
-und zu den Naturalisten, von denen wir später sprechen werden. Er hat
-sogar die innere Welt für phänomenalistisch (<a href="#Seite_356">S. 356</a>) erklärt, falls
-das nicht bildlich dichterisch gemeint ist. Mir jedoch scheint er mehr
-zu den Mystikern nach indischer Art, namentlich in der Auffassung
-Schopenhauers, zu neigen. Was er von der periodischen Wiederholung
-der Welt sagt, klingt dahin. Freilich nicht ganz in dem Sinne der
-Indier, den wir kennen, denn nach ihm soll die Welt sich in genau
-<span class="gesperrt">derselben</span> Weise ständig wiederholen, so daß alles die gleiche
-Existenz innerhalb der Ewigkeit immer und immer würde durchmachen. Auf
-seinem eigentlichen Gebiete wird ihm <span class="gesperrt">Max Stirner</span> (für Kaspar
-Schmitt, gest. 1856) als Vorläufer zugewiesen.</p>
-
-<p>In der Einleitung zu seiner „Philosophie des Unbewußten“ sagt <span class="gesperrt">Eduard
-v. Hartmann</span> (geboren zu Berlin 1842, gestorben 1906): „Ich
-bekenne freudig, daß die Lektüre des Leibniz es war, was mich zuerst
-zu den hier niedergelegten Untersuchungen angeregt hat“. Wenn das ad
-verbum zu verstehen ist, so würden wir, nach dem was auf <a href="#Seite_344">S. 344</a> vom
-Unbewußten in Leibniz’ Lehre gesagt ist, Hartmanns Philosophie einem
-Mißverständnis zu verdanken haben. In der Tat ist diese Philosophie
-auch keine Fortbildung der Leibnizschen Lehre, namentlich nicht in dem
-Hauptpunkte; sie ist die Lehre Schopenhauers, mit einem, allerdings bei
-diesem nicht enthaltenen, aber darum sie gerade sehr komplizierenden,
-weiteren Prinzip, dem der Zweckmäßigkeit des <span class="gesperrt">Ganzen</span>, während
-der volle Ausdruck des Willens im <span class="gesperrt">Einzelnen</span> durchaus
-Schopenhauerisch ist, da er ja diesen Ausdruck auch den Platonschen
-Ideen gleichsetzt (<a href="#Seite_383">S. 383</a>). Die beiden Prinzipe Schopenhauers,
-<span class="gesperrt">Vorstellung</span> und <span class="gesperrt">Wille</span>, sind auch Hartmanns Prinzipe.
-Nun unterscheidet er in der Welt das <span class="gesperrt">Bewußte</span> und das
-<span class="gesperrt">Unbewußte</span> und findet, daß das Bewußtsein „die Möglichkeit der
-Emanzipation des Intellektes vom Willen“ ist, während im Unbewußten
-Vorstellung und Wille „in untrennbarer Einheit verbunden“ sind. Es
-kann im Unbewußten „nichts gewollt werden, was nicht vorgestellt wird,
-und nichts vorgestellt werden, was nicht gewollt ist“. <span class="gesperrt">Dabei<span class="pagenum"><a name="Seite_387" id="Seite_387">[S. 387]</a></span>
-sind Wollen und Vorstellung beide unbewußt</span>. Es bedeutet ein
-zweifellos hohes Verdienst Hartmanns, die Rolle des Unbewußten so
-sorgfältig durch die organische Welt, die ja hier hauptsächlich in
-Betracht kommt, verfolgt und untersucht zu haben. Alle Kenntnisse der
-Physiologie, Biologie, Anatomie, Physik usf. werden dabei zu Rate
-gezogen und mit größter Gründlichkeit verarbeitet. Das Ergebnis ist:
-1. Das Unbewußte bildet, erhält und ergänzt den Organismus und leitet
-alle seine Tätigkeiten und den Gebrauch für den bewußten Willen. 2.
-Es gibt dem Lebewesen die Instinkte zur Sinneswahrnehmung, Sprach-
-und Staatenbildung usf., wozu ein bewußtes Denken nicht ausreicht.
-3. Es erhält das Geschlecht durch den Geschlechtstrieb, paßt die
-Lebewesen ihren Bedingungen und den Menschen insbesondere seiner
-Geschichte an und führt zur möglichsten Vollkommenheit. 4. Es leitet
-oft die Handlungen durch Ahnungen und Gefühle. 5. Es fördert das
-bewußte Denken durch Eingebungen (Intuition?). 6. Es beglückt durchs
-Gefühl für das Schöne und durch künstlerische Produktion. Es kommt
-darauf an, ob dieses alles zutrifft, denn wir sind oft genug in
-Zweifel, was an uns unbewußt geschieht, was bewußt. Und wenn Hartmann
-meint, das Bewußte werde von Gedächtnis begleitet, das Unbewußte
-nicht, so ist das selbstverständlich ein sehr täuschendes Kriterium.
-Die anderen Kriterien aber können wir entweder nicht brauchen, als
-unkontrollierbar, wie z. B., daß das unbewußte Denken nur unsinnlicher
-Art sein kann. Oder sie sind nicht zutreffend, wie „das Unbewußte irrt
-nicht“. Es irrt sehr oft, wie wir an Fehlgeburten, Fehlbildungen,
-Fehlschlüssen im Traum, Fehleingebungen im Wachen usf. reichlich sehen.
-Ist aber gemeint: es irrt nicht unter den gegebenen Verhältnissen,
-so ist das zwar richtig, aber dann haben wir nur wieder ein
-Unkontrollierbares. Und so sind alle Kriterien nicht immer zutreffend
-oder nicht kontrollierbar. Und wenn nun gar gesagt wird (Philosophie
-des Unbewußten, 9. Aufl. Bd. II, S. 4), „das unbewußte Denken kann nur
-von <span class="gesperrt">unsinnlicher</span> Art sein“, und dann (S. 30) „denn auch das
-Unbewußte muß die Form der <span class="gesperrt">Sinnlichkeit</span> gedacht haben“,<span class="pagenum"><a name="Seite_388" id="Seite_388">[S. 388]</a></span> sonst
-hätte es nämlich diese Form „nicht so zweckmäßig schaffen können“,
-so weiß man eigentlich nicht mehr, was nun das Unbewußte ist. Sein
-Denken soll unsinnlich sein, und es soll doch die Form der Sinnlichkeit
-gedacht haben? Und so zieht Hartmann zwischen dem Bewußtsein und
-dem Unbewußten zuletzt die grobe materialistische Grenze: „die
-Gehirnschwingungen, allgemeiner die materielle Bewegung, als conditio
-sine qua non des Bewußtseins“. Während das Unbewußte „notwendig als ein
-Immaterielles angesehen werden muß“.</p>
-
-<p>Die Sache wird aber noch dadurch verwickelter, daß „Wille und
-Vorstellung“ zwar im Unbewußten sind, aber nicht <span class="gesperrt">das</span> Unbewußte.
-Es wird angenommen, daß Wille und Vorstellung „das unbewußter und
-bewußter Vorstellung Gemeinschaftliche“ sind. Die Form des Unbewußten
-wird als „das Ursprüngliche“ gesetzt, „das des Bewußtseins aber als
-ein Produkt des unbewußten Geistes und der materiellen Einwirkung
-auf denselben“. Hartmann entscheidet sich aus einer Alternative für
-diese Annahme. Das zweite Glied dieser Alternative ist: „daß zwar
-der unbewußte Geist ein von der Materie unabhängiges selbständiges
-Dasein habe, der bewußte aber ein ausschließliches Produkt materieller
-Vorgänge ohne jede Mitwirkung unbewußten Geistes sei“. Dieses Glied
-lehnt er ab, wegen der „Wesensgleichheit der bewußten und unbewußten
-Geistestätigkeit“, übersieht aber, daß er dafür Materie auf ein
-Immaterielles wirken läßt. Wenn er dann später die „Wesensgleichheit
-von Geist und Materie“ dartut, so hebt er eben jeden wirklichen
-Unterschied zwischen Bewußtem und Unbewußtem, außer in Worten, auf. Es
-ist, wie ich glaube, nicht möglich, in diese Distinktionen Hartmanns
-Konsequenz und Schärfe hineinzubringen; das System läuft im Kreise in
-sich zurück. Und das folgt eben, weil das Unbewußte für das Bewußte und
-das Bewußte für das Unbewußte als Kriterium benutzt werden muß. Läßt
-man also das alles fort, so bleibt nur der transzendente „unbewußte
-Geist“ als, im Schopenhauerschen Sinne, weltbildend. Aber während bei
-Schopenhauer für diesen Geist nur Wille steht, ist ihm hier Vorstellung
-hinzugenommen, die, bewußt oder<span class="pagenum"><a name="Seite_389" id="Seite_389">[S. 389]</a></span> unbewußt, kaum anders als sinnlich
-gedacht werden kann. Vielleicht ist das der Grund, daß Hartmann sein
-System als <span class="gesperrt">transzendentalen Realismus</span> ausgibt. Nach Kant ist
-solcher Realismus dogmatisch.</p>
-
-<p>Es wäre damit eine ganz bedeutende Verschlechterung des
-Schopenhauerschen Systems herbeigeführt, wenn es sich nicht um die
-„Zweckmäßigkeit“ und den „Zweck“ der Welt handelte. Für Hartmann ist
-zwar die Welt auch so schlecht als möglich, sie ist eine „unselige“.
-Allein sie ist hervorgetreten, wenn auch nicht als Selbstzweck, doch
-als Zweck, und zwar das zu erreichen, was, wie wir gesehen haben, im
-Schopenhauerschen System nicht möglich ist, nämlich, „den Willen von
-der Unseligkeit seines Wollens zu erlösen“. Es wird nämlich im Willen
-selbst ein Blindes, ein „Alogisches“ gesehen, im Vorstellen dagegen
-ein „Logisches“, das in der höchsten Potenz als bewußte Vernunft die
-höchste Intelligenz wird. Der Weltprozeß erscheint hiernach „als ein
-<span class="gesperrt">fortdauernder Kampf des Logischen mit dem Unlogischen</span>, <span class="gesperrt">der
-mit der Besiegung des letzteren endet</span>“. Diese Besiegung kann
-aber erst „mit dem zeitlichen Ende des Weltprozesses, dem jüngsten
-Tage, zusammenfallen“. Die Weltdauer ist begrenzt; am Ende der Tage
-kommt die <span class="gesperrt">Welterlösung</span>, das Ende der Illusion, „die Aufhebung
-alles Wollens ins absolute Nichtwollen“. Dazu ist erforderlich, daß
-möglichst viel Menschheit vorhanden sei, weil diese allein imstande
-ist, Willensverneinung durchzuführen, die Vernunft über den Willen
-zu erheben. Und ferner, daß diese Menschheit mehr und mehr „von der
-Torheit des Wollens und dem Elend des Daseins <span class="gesperrt">durchdrungen</span> sei,
-daß dieselbe eine so <span class="gesperrt">tiefe Sehnsucht</span> nach dem Frieden und der
-Schmerzlosigkeit des Nichtseins erfaßt habe“, und so alles für Wollen
-und Dasein Sprechende als Eitelkeit und Nichtigkeit erkannt werde. Das
-ist alles offenbar aus der Menschheit selbst entnommen. Wie das auf den
-transzendentalen unbewußten Geist Anwendung finden soll, kann man nicht
-einsehen, wenn man nicht die ganze Lehre in die reine pandeistische
-Theosophie überträgt, aus dem unbewußten Geist Gott macht und aus
-Wille und Vor<span class="pagenum"><a name="Seite_390" id="Seite_390">[S. 390]</a></span>stellung zwei Manifestationen von ihm, über die er
-besonders schaltet. Sobald der Welt ein Ende gegen ein <span class="gesperrt">Anderes</span>
-vorausgesagt wird, muß eben etwas da sein, das dieses Ende herbeiführt.
-Außerdem bemerkt man übrigens, daß, wenn nicht die Welt zuletzt
-<span class="gesperrt">ganz</span> aus vernünftigen Wesen besteht, alles Leblose überhaupt
-in Vernunftbegabtes übergegangen ist, ein solches Ende nicht möglich
-ist. Oder soll das Ende der Welt ein gemeiner Kadaver sein? Dann wäre
-diese ganze Philosophie überhaupt nur auf die belebte Welt zu beziehen.
-Im letzten Kapitel aber werden wir das Ende der Welt von ganz anderen
-Gesichtspunkten betrachten und sehen, daß eine allmähliche Entwicklung
-des Alls nach reiner Beseelung in der Tat nicht ausgeschlossen ist (<a href="#Seite_479">S.
-479</a> f.). Die Hartmannsche Philosophie aber ist inkonsequent und im
-ganzen keine Verbesserung der Schopenhauerschen, in mancher Hinsicht
-sogar eine Trübung dieser.</p>
-
-<p>Auf dem Boden des Idealismus stehen auch viele von den modernen
-Philosophen, wir werden sie im folgenden kennen lernen. Ihr Verfahren
-ist ein mehr naturwissenschaftlich-induktives, das, im Gegensatz zu
-dem analytischen, deduktiven Vorgehen der älteren Metaphysiker, Kant
-schon eingeleitet und oft angewendet hat. Gleichwohl wird dem Geist,
-wie z. B. von R. <span class="gesperrt">Eucken</span> geschieht, eine außerordentliche
-Vormacht eingeräumt, vermöge deren er zum Absoluten aufsteigt, als ein
-Selbständiges in der Welt.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<h3 class="nobreak" id="SIEBENTES_KAPITEL"><span class="s5">SIEBENTES KAPITEL.</span><br />
-
-Spinozismus und Neuspinozismus sowie Neuidealismus.</h3>
-
-</div>
-
-<p>Der <span class="gesperrt">Spinozismus</span> ist im Wesen aufs äußerste getriebener
-Idealismus. Er hat trotz seiner Bezeichnung als <span class="gesperrt">Pantheismus</span> mit
-religiösen Überzeugungen nichts zu tun. <span class="gesperrt">Gott ist hier allein das
-transzendente Ding-an-sich</span>. Und wenn man sich vor dem Spinozismus
-als einem <span class="gesperrt">Atheismus</span> gefürchtet hat und von gewissen Seiten
-noch fürchtet, so hat das seine Berechtigung für diejenigen, welche
-sich Gott nur mit per<span class="pagenum"><a name="Seite_391" id="Seite_391">[S. 391]</a></span>sönlichen Eigenschaften begabt denken konnten
-und nur denken können. Der Spinozismus in seiner reinen Form schließt
-einen <span class="gesperrt">persönlichen</span> Gott völlig aus. Aber gerade deshalb konnte
-sich ihm die moderne Naturwissenschaft anpassen. Und so hat er in
-unserer Zeit eine Bedeutung erlangt, die in Verbindung mit Kants
-und Schopenhauers transzendenten Anschauungen die aller anderen
-Philosophien weit überragt und in der Form des <span class="gesperrt">Neuspinozismus</span>
-allmählich sich zur wissenschaftlichen Herrschaft aufschwingt.
-Dieses ist auch mit ein Grund, warum der Spinozismus erst an dieser
-Stelle behandelt wird. Außerdem wollte ich ihn auch äußerlich vom
-Cartesianismus ablösen, mit dem er, wie früher ausgeführt (<a href="#Seite_337">S. 337</a>),
-gar keine Beziehung hat, außer etwa, daß er auf ihn folgt und daß der
-Urheber sich mit ihm eifrig beschäftigt hat und seiner öfter gedenkt
-und seiner Nomenklatur sich bedient.</p>
-
-<p>Der Neuidealismus ist vom Spinozismus schwer zu trennen, er ist darum
-mit diesem zusammen behandelt.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>46. <span class="gesperrt">Spinoza und der Pantheismus</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p><span class="gesperrt">Baruch</span> (<span class="gesperrt">Benedikt</span>) <span class="gesperrt">Spinoza</span> ist 1632 in Amsterdam
-geboren und 1677 im Haag gestorben. Er ist Sohn eines portugiesisch
-(oder spanisch, aus Espinoza stammend?) -jüdischen Mannes und gehört
-zu den nicht vielen, von denen Eugen Dühring in seiner zwar sehr
-scharfsinnigen, aber mitunter überscharfen Geschichte der Philosophie
-mit hoher Achtung auch vor dem Menschen spricht. Das für uns in
-Betracht kommende Hauptwerk (ich benutze die Ausgabe von Berthold
-Auerbach) Spinozas ist die „Ethik“; sie ist nach seinem Tode von seinem
-Lebensfreunde, dem Arzt Ludwig Meyer, herausgegeben und enthält eine
-Darstellung seines Systems in völlig mathematischer Form. Sie beginnt
-mit Definitionen der wichtigsten Begriffe. <span class="gesperrt">Ursache seiner selbst</span>
-ist das, dessen Wesen das Dasein in sich schließt, oder das, dessen
-Natur nicht anders als daseiend begriffen werden kann. <span class="gesperrt">Substanz</span>
-ist, was in sich ist und aus sich begriffen wird, das also keines
-anderen<span class="pagenum"><a name="Seite_392" id="Seite_392">[S. 392]</a></span> bedarf, um daraus gebildet zu werden. <span class="gesperrt">Attribut</span> ist,
-was der Verstand von der Substanz als ihr Wesen ausmachend erkennt.
-Modi sind die Affektionen der Substanz, oder das was in einem
-Anderen ist, wodurch man dieses Andere auch begreift. <span class="gesperrt">Gott</span>
-ist das schlechthin unendlich Seiende, „das heißt die Substanz,
-die aus <span class="gesperrt">unendlichen</span> Attributen besteht, von denen jedes ein
-<span class="gesperrt">ewiges</span> und <span class="gesperrt">unendliches Wesen</span> ausdrückt.“ Das sind die
-fünf Hauptbegriffe des Spinozaschen Systems. Was <span class="gesperrt">unendlich</span>
-ist, wird negativ durch das, was endlich ist, festgestellt: dasjenige
-heißt in seiner <span class="gesperrt">Art endlich</span>, was durch ein anderes von gleicher
-Natur begrenzt werden kann. <span class="gesperrt">Ewigkeit</span> ist das Dasein selbst,
-sofern es allein aus der Definition des ewigen Dinges begriffen wird.
-Die Attribute Gottes sind hiernach durch nichts begrenzt, und ewig
-aus dem Sein Gottes. <span class="gesperrt">Frei</span> ist ein Ding, wenn es allein aus der
-Notwendigkeit seiner Natur da ist, und allein von sich zum Handeln
-bestimmt wird; <span class="gesperrt">unfrei</span>, was von einem anderen zu sein, oder
-in bestimmter Weise zu sein und zu wirken gezwungen ist. Nach den
-Definitionen folgen Axiome; eines enthält den Satz der Kausalität:
-Eine bestimmte <span class="gesperrt">Ursache</span> hat notwendig eine <span class="gesperrt">Wirkung</span>, eine
-Wirkung ohne Ursache kann nicht erfolgen. Die Erkenntnis der Wirkung
-schließt die Erkenntnis der Ursache in sich. Von den Sätzen müssen
-wir gleichfalls einige anführen. Dinge, die nichts miteinander gemein
-haben, können nicht gegenseitige Ursache sein. Eduard v. Hartmann,
-wenn er diesen so klaren Satz beachtet hätte, wäre nie zu seiner so
-inkonsequenten Weltendetheorie gekommen. Zu der Natur einer Substanz
-gehört notwendig das Dasein und die Unendlichkeit (Nicht-Begrenztheit
-durch ein anderes gleicher Natur). Attribute einer Substanz können nur
-aus sich begriffen werden.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Gott ist notwendig da. Außer Gott kann es keine Substanz geben und
-läßt sich keine begreifen. Alles was ist, ist in Gott, und nichts
-kann ohne Gott sein oder begriffen werden. Gott ist absolut frei,
-handelt nur aus den Gesetzen seiner Natur. Gottes Dasein, Gottes Macht
-und Gottes Wesenheit sind ein und das<span class="pagenum"><a name="Seite_393" id="Seite_393">[S. 393]</a></span>selbe, Gott ist nicht nur die
-wirkende Ursache des Daseins, sondern auch der Wesenheit der Dinge. Die
-Welt ist notwendig so wie sie ist, kein Ding ist frei, nichts in der
-Welt geschieht frei, noch zufällig. Alles ist aus der Notwendigkeit
-der göttlichen Natur bestimmt, auf gewisse Weise da zu sein und zu
-wirken. Die Dinge sind die Modi, Existenzweisen Gottes, nach zwei
-Attributen: Ausdehnung (Körperlichkeit) und Vorstellung (Geist), die
-ihre formale Wesenheit sind.</span> Diese gesperrt gedruckten Sätze
-enthalten das gewaltige, so konsequente und darum in seiner Starrheit
-fast unheimliche System Spinozas. Es ist, wie der Leser sieht, in der
-Tat pantheistisch; ein jedes Ding wird nur begriffen aus den Attributen
-Gottes, und bedeutet nur eine Existenzweise Gottes. Dabei handelt es
-sich um ein Zwangsystem; daß nichts anders ist als es sein muß, nichts
-anders wirkt als es wirken muß; und die Kette der Ursachen wird ins
-Unendliche geführt. Ein Zweck findet in der Welt nicht statt. <span class="gesperrt">Die
-Ordnung und Verknüpfung der Vorstellungen ist dieselbe wie die Ordnung
-und Verknüpfung der Dinge.</span> Aus diesem wichtigen Satz ergibt sich
-die <span class="gesperrt">Parallelität zwischen Körper und Geist</span>. Es ist an sich kein
-Zusammenhang zwischen den beiden formalen Wesenheiten der Welt und
-des Menschen vorhanden, außer daß die entsprechenden Attribute, deren
-Existenzweisen die Dinge sind, Attribute Gottes, der einen und einzigen
-Substanz, sind. Weil sie aber dieser einen Wesenheit angehören, können
-sie nur in paralleler Art Existenzweisen sein. <span class="gesperrt">Und so sind Körper
-und Geist parallele Erscheinungen und wirken parallel.</span> Dieses ist
-so streng ausgedrückt, daß sogar gesagt wird: „Der Körper kann den
-Geist nicht zum Denken, noch der Geist den Körper zur Bewegung oder
-Ruhe, noch zu etwas anderem bestimmen“. Nur die Parallelität zeigt
-Körper und Geist als in Abhängigkeit voneinander. An sich ist der
-Geist nur Geist, der Körper nur Körper. Aber vermöge der Parallelität
-und der Zugehörigkeit der Attribute zu dem Einen, sind im Geiste
-adäquate Vorstellungen von dem Körper und der Körperwelt vor<span class="pagenum"><a name="Seite_394" id="Seite_394">[S. 394]</a></span>handen.
-Darum konnte Spinoza auch behaupten: der Gegenstand der Vorstellung,
-welche den menschlichen Geist ausmacht, ist der Körper, oder ein
-gewisser, in der Wirklichkeit vorhandener Modus der Ausdehnung.
-Und darum konnte er weiter feststellen, daß alles wirklich da ist,
-insbesondere auch unser Körper da ist, wie wir ihn wahrnehmen. Hier
-berührt sich Spinozas Philosophie mit der der <span class="gesperrt">Positivisten</span>,
-der <span class="gesperrt">Wirklichkeitsphilosophen</span>. Und wenn Spinoza weiter folgert:
-Der menschliche Geist faßt einen äußeren Körper nur durch die
-Vorstellungen der Affektionen seines Körpers als wirklich daseiend auf,
-so haben wir einen Hauptsatz der <span class="gesperrt">Sensualisten</span> vor uns. Auch
-das <span class="gesperrt">Transzendentale</span> finden wir in diesem System, sofern die
-Vorstellungen in Gott der Existenzweisen als <span class="gesperrt">Essenzen</span> (essentia)
-von den tatsächlichen Existenzweisen als <span class="gesperrt">Existenzen</span> (existentia)
-und damit <span class="gesperrt">Ideal</span>dinge von <span class="gesperrt">Real</span>dingen getrennt werden.
-Die Dinge unterscheiden sich in der formalen Wesenheit gar nicht
-voneinander, sondern nur in ihren Existenzweisen. So ist also der Geist
-überall wie der menschliche, der Körper überall wie der menschliche;
-nur die Weise, wie beide die Dinge ausmachen, ist von Ding zu Ding
-abweichend. <span class="gesperrt">Also ist die Welt an sich durchaus einheitlich.</span>
-Spinozas System ist hiernach ein <span class="gesperrt">Monismus</span>. Es werden zwar Körper
-und Geist unterschieden und sogar absolut auseinandergehalten; sie sind
-jedoch Parallel-Existenzweisen des gleichen einen Urwesens, um so zu
-sprechen, nach absoluten Gesetzen, so daß sie durchaus wie eine Einheit
-bilden, und ihre formalen Wesenheiten fließen aus den Attributen des
-gleichen einen Urwesens. Auch ist der Mensch nur ein Teil der Natur und
-leidet auch als ein solcher, und lebt und stirbt als ein solcher. Nur
-aus sich heraus sich zu verändern, ist ihm nicht gegeben, da er ja bloß
-eine Existenz<span class="gesperrt">weise</span> bedeutet.</p>
-
-<p>Spinozas System ist die einleitende Begründung zu seinem eigentlichen
-Thema, eben der Ethik. Von dieser zu sprechen, ist nicht unsere
-Aufgabe. Sie ist viel angegriffen und viel geschmäht worden, wegen
-des kühlen Verstandes, der in ihrer Auffassung herrscht. In seinem
-stillen Kämmerlein<span class="pagenum"><a name="Seite_395" id="Seite_395">[S. 395]</a></span> wird aber kaum jemand umhin können, zu gestehen,
-daß sie das enthält, was eine von Phrasen und leeren Einbildungen freie
-Menschenethik enthalten muß. Eher kann man ihr den Vorwurf machen,
-daß sie dem System selbst nicht immer folgt und aus dem Pantheismus
-zuweilen in einen Deismus übergeht. Wer hat in solchen Dingen je ganz
-konsequent gedacht? Für uns von Bedeutung ist, daß Spinoza auch die
-Unsterblichkeit lehrt. Er sagt: „Der menschliche Geist kann mit dem
-Körper (d. h. mit dem Leben des Körpers) nicht gänzlich vernichtet
-werden, sondern es bleibt etwas von ihm übrig, das ewig ist“.
-Dieses folgt schon daraus, daß eben der Geist, wenn auch nur eine
-Existenzweise, doch jedenfalls in einem Attribut, in einer Vorstellung
-Gottes enthalten ist. Und es gilt selbstverständlich ebenso für den
-Körper. Weil aber der Geist im Dasein eben nur eine Existenzweise ist,
-kann er sich dessen, was er vorher gewesen, nicht erinnern können. „Die
-Vorstellung,“ sagt Spinoza, „welche die Wesenheit des Körpers unter
-der Form der Ewigkeit ausdrückt, ist ein gewisser Modus des Denkens,
-der zum Wesen des Geistes gehört und notwendig ewig ist. Demnach ist
-es unmöglich, daß wir uns erinnern, vor dem Körper dagewesen zu sein,
-da es ja in dem Körper keine Spuren davon geben, noch die Ewigkeit
-durch die Zeit definiert werden oder irgendeine Beziehung auf die Zeit
-haben kann“. Das hebt die <span class="gesperrt">persönliche</span> Unsterblichkeit auf. Aber
-„nichtsdestoweniger denken und erfahren wir, daß der Geist ewig ist.
-Denn der Geist bemerkt diejenigen Dinge, die er durch den Verstand
-begreift, nicht minder als diejenigen, die er im Gedächtnis hat. Denn
-die Augen des Geistes, womit er die Dinge sieht und beobachtet, sind
-eben die Beweise. Wenn wir uns daher auch nicht erinnern, vor dem
-Körper dagewesen zu sein, so bemerken wir doch, daß unser Geist ewig
-ist, insofern er die Wesenheit des Körpers unter der Form der Ewigkeit
-enthält, und daß dieses sein Dasein (des Körpers) nicht durch die Zeit
-definiert oder durch Dauer erklärt werden könne“. Es ist nicht leicht,
-sich in diesen Gedankengang hineinzufinden. Er soll aber wohl besagen,
-daß, weil wir<span class="pagenum"><a name="Seite_396" id="Seite_396">[S. 396]</a></span> den Begriff der Ewigkeit der Materie als zu ihrem Wesen
-gehörig in uns haben, auch die Ewigkeit des Geistes gewährleistet ist,
-wohl aus dem Parallelverhalten der zwei in Einem zusammenlaufenden
-Attribute in den Existenzweisen. Die Ethik faßt auch Gott persönlicher
-auf, als dem System entspricht. Sie hat jedoch aus den Grundlagen
-recht, wenn sie alle Erkenntnis auf die Erkenntnis Gottes richtet und
-diese Erkenntnis als wahr ansieht. Wir sind ja Existenzweisen Gottes,
-die Seele ist eine begrenzte Weise des allgemeinen Denkens als Attribut
-Gottes.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>47. <span class="gesperrt">Neuspinozismus und Neuidealismus</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Spinozas System hat wegen seiner unerbittlichen Strenge und Konsequenz,
-wie bemerkt, der Menschheit lange widerstrebt. Es ist wohl auch nicht
-immer recht verstanden worden. Daß aber große Geister zu ihm neigten,
-sehen wir an <span class="gesperrt">Goethes</span> Beispiel, der schon früh sich mit ihm
-beschäftigte. Lavater erzählt (Gespräche Goethes, Bd. I, S. 75) vom
-28. Juni 1774, wie eifrig Goethe ihn von Spinoza und Spinozismus
-unterhalten und wie bedeutend er von ihm gesprochen habe. Später hat
-Goethe dem Spinozismus mehr und mehr seine interessierte Aufmerksamkeit
-geschenkt, so daß er sogar als Spinozist bezeichnet worden ist. In
-der neuesten Zeit hat der Spinozismus großen Zuzug aus den Kreisen
-namentlich der Naturforscher und seltsamerweise auch aus den Kreisen
-der Materialisten unter ihnen erfahren. Ich kann hier nur auf einiges
-eingehen, da Entscheidendes dem letzten Kapitel vorbehalten bleiben
-muß. Schon von Schleiermacher habe ich erwähnt, daß er in wesentlichen
-Anschauungen Spinozist gewesen ist. Der Neuspinozismus aber knüpft sich
-vor allem an die Namen Fechner, Wundt und Häckel. Zuerst jedoch ein
-<span class="gesperrt">spiritualistischer Spinozist</span>.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Lotze</span> (1817 in Bautzen geboren, gestorben in Berlin 1881) ist,
-als Naturforscher und Mediziner, Atomistiker und Physiker, jedoch
-nur, soweit es sich um die Körper, auch unseren Körper, und die
-Vorgänge zwischen und in ihnen handelt.<span class="pagenum"><a name="Seite_397" id="Seite_397">[S. 397]</a></span> Die Seele ist aber vom Körper
-durchaus verschieden, obzwar Körper und Seele aufeinanderwirken.
-Letzteres müßte unverständlich bleiben, wenn die Dinge nicht Modi
-einer <span class="gesperrt">Allsubstanz</span>, eines <span class="gesperrt">Weltgeistes</span> wären. Dessen
-Verhalten zu den Dingen entspricht unserem Verhalten zu unseren inneren
-Tätigkeiten; es ist also immanent, Eigenheit des Weltgeistes. Der
-Weltgeist ist in sich folgerichtig, und dieses bedeutet in der Welt
-der Erscheinungen die Ordnung. So ist die Einheit der Dinge trotz der
-Vielheit ihrer Eigenschaften in dem <span class="gesperrt">Gesetz</span> begründet. Das wäre
-alles allenfalls noch Spinozistisch. Spinozistisch ist auch noch die
-Korrespondenz der Zustände und Änderungen in den Dingen an Stelle der
-Abhängigkeiten, denn sie erinnert an Spinozas Parallelismus, zumal auch
-alle einheitlichen Dinge als Seelen oder Geister aufgefaßt werden.
-Abweichend wird jedoch einerseits der Weltgeist, Gott, über die Dinge
-erhoben, und andererseits werden die Dinge mehr verselbständigt. So
-geht der straffe Monismus Spinozas fast in einen theistisch-deistischen
-Dualismus über. Und indem noch Leibniz’ Monadenlehre Verwendung findet,
-haben wir mehr einen geistvollen Eklektizismus von Materialismus,
-Spinozismus, Cartesianismus und Monadenlehre als ein einheitliches
-festes System. Aber alles ist innig und fein verarbeitet. Das zeigt
-sich namentlich darin, daß die Monaden einerseits mehr physikalisch
-aufgefaßt werden mit wirklichen Wechselwirkungen zwischen ihnen, die
-bei den Leibnizschen Monaden als wirklich nicht vorhanden sind, auch
-nicht bei Spinozas Modi, andererseits sie in Spinozas Art als Modi
-der Allsubstanz betrachtet werden, so daß sie nach drei Richtungen
-strahlen würden. In jeder Monade sind beide Attribute der Allsubstanz
-zu erkennen. Die Seele ist nur eine Monas, der Körper besteht aus
-vielen Monaden. Aus der teilweisen Unabhängigkeit der Monaden von der
-Allsubstanz &mdash; wie diese Unabhängigkeit entsteht, soll eine nicht zu
-beantwortende Frage sein &mdash; ergibt sich eine gewisse Freiheit des
-Willens und damit eine freiere Ethik, die in Verbindung mit einer
-Zwecklichkeit der Welt den <span class="gesperrt">teleologischen Idealismus</span> bildet. Die
-Einheit wird dadurch gegeben, daß<span class="pagenum"><a name="Seite_398" id="Seite_398">[S. 398]</a></span> alles sich auf die Ethik beziehen
-soll, selbst Logik und Metaphysik. Darin spricht sich der Zug der
-modernen Zeit aus.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">G. Th. Fechner</span> (1801&ndash;1887) ist Naturforscher, induktiver
-Idealist, Spinozist und Mystiker in einer Person. Mit dem als
-Astrophysiker so bedeutenden <span class="gesperrt">Zöllner</span> hat er eine Zeitlang auch
-dem Spiritismus gehuldigt. Das tut nichts. Er war ein hervorragender
-Forscher und hat die Wissenschaft der <span class="gesperrt">Psychophysik</span> begründet
-und mit einem berühmt gewordenen Gesetz bereichert. Seele und Körper
-sind Formen einer Substanz, eines Realen. Er führt aber diesen
-Spinozismus in das Kant-Schopenhauersche Transzendentale. Die Welt
-ist für uns nicht die Modi selbst, sondern die <span class="gesperrt">Erscheinungen</span>
-dieser in unserem Bewußtsein. Spinoza hatte schon zwischen Essenzen
-und Existenzen unterschieden. Die letzteren wären die Erscheinungen.
-Gleichwohl ist die Welt nicht etwa ein Traumbild, ein Phantom, sondern
-eine Wirklichkeit, wenn auch eine transzendente. Das wird erwiesen
-durch die in unserem Bewußtsein von der Welt vorhandene Ordnung und
-Gesetzmäßigkeit. Ordnung und Gesetz sind das Wesen der Erscheinungen.
-Das Bewußtsein davon ist das höhere Bewußtsein, die Vernunft. Und
-da wir in Spinozas Sinn Existenzweisen Gottes sind, so ist Gott
-das höchste Wesen, dessen Bewußtsein alle Erscheinungen und alle
-Zusammenhänge umfaßt. In der von Fechner verfolgten Wechselbeziehung
-von Körper und Seele, die auch <span class="gesperrt">Wilhelm Wundt</span>
-(<a href="#Seite_399">S. 399</a>) lehrt,
-sehen manche einen Widerspruch gegen Spinozas System. Das ist nicht der
-Fall, da ja eine solche Wechselbeziehung als Parallelsein von Körper
-und Seele gerade nach Spinozas Anschauung, eben der <span class="gesperrt">psychophysische
-Parallelismus</span>, unvermeidlich ist. Es ist nur ein Streit um Worte,
-wenn man Wechselbeziehung von Parallelbeziehung unterscheiden und
-trennen will. Ist jene so unveränderlich wie diese, so gelten beide
-gleich viel. Spinozas Theorie hat ja gerade darin ihren Vorzug, daß
-wirkliche Beziehungen zwischen zwei absolut verschiedenen Attributen
-nicht angenommen werden, sondern Parallelbeziehungen, aus der
-Zugehörigkeit der Attribute zu dem All-Einen. Fechner frei<span class="pagenum"><a name="Seite_399" id="Seite_399">[S. 399]</a></span>lich
-bezeichnet seine Lehre wegen dieser Wechselbeziehungen auch als
-materialistisch. Überdem soll nicht nur kein Geist ohne Körper sein,
-sondern auch kein Gott ohne Welt, ein Gedanke, dem wir schon öfter
-begegnet sind. Sein Mystizismus drückt sich in der Annahme von Wesen
-höher als der Mensch aus, von Geistern. Solche sollten zum Teil mit
-den Weltkörpern Wesen bilden, oder noch höher, mit den Weltsystemen.
-Die Erde als großes Tier hat auch der französische Astronom Flammarion
-angesehen. Man bemerkt aber, daß man so zuletzt überhaupt die Welt
-als Ganzes, wie ein Lebewesen betrachten würde, mit untergeordneten
-Weltsystemen, Welten usf. als Einzel-Lebewesen, die die Welt
-zusammensetzen, wie ja die organischen Wesen in der Tat aus Lebewesen,
-sichtlich oder verborgen, aufgebaut sind. Diese Konsequenz hat, auf
-die Erde, auch Fechner gezogen; und weiter, daß immer die umfassendere
-Seele von den eingeschlossenen Seelen weiß, während sich ausschließende
-Seelen voneinander ohne Wissen sind. Die Bedeutung einer Seele aber
-richtet sich nicht nach dem Umfang, und so bleibt die Menschenseele
-auf ihrer Höhe auch den umfangreicheren Seelen gegenüber. Denn
-entscheidend ist die Größe des Bewußtseins, im Leibnizschen Sinne: ihre
-Deutlichkeit, und diese braucht mit dem Umfang nicht zusammenzuhängen.
-Es kommt hier die Lehre von der <span class="gesperrt">Schwelle</span> des Bewußtseins in
-Betracht, aus der eine Art <span class="gesperrt">Bewußtseinsleiter</span>, wie eine Tonleiter
-aufgebaut wird. Fechner hat auch über die Pflanzenseele eine Schrift:
-„Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen“ verfaßt, deren Ideen
-sich gerade jetzt mehr und mehr Bahn brechen. Aber den kleinsten
-Teilen der Materie, den Atomen, hat Fechner Leibniz’ Monadenleben doch
-abgesprochen.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Wilhelm Wundt</span> (geb. 1832 zu Neckarau), der geistvolle Führer in
-der Psychophysiologie, den wir schon genannt haben, steht, abgesehen
-vom Mystizismus Fechners, ungefähr auf gleichem Boden. Er ist als
-Physiolog und Psycholog sehr ins Einzelne gegangen und hat in allen
-Seelenfunktionen nachzuweisen versucht, daß sie mit Körperfunktionen
-zusammenhängen. Persönlich halte ich einen solchen Nachweis nur im
-Gröbsten<span class="pagenum"><a name="Seite_400" id="Seite_400">[S. 400]</a></span> für möglich, und namentlich den Hauptnachweis, als Ursache
-und Folge, überhaupt nicht für erbringbar, da in solchen transzendenten
-Fragen die Zeit ausscheidet. Für die Erfahrung ist aber sehr viel
-durch solche Untersuchungen gewonnen, und der Nachweis, daß Körper
-und Geist als Erscheinungen in der Tat untrennbar sind, ist von
-höchster Bedeutung. Wir kommen im letzten Kapitel noch darauf zu
-sprechen. Das gesamte <span class="gesperrt">Leben</span> sieht Wundt als nie rastendes
-inneres <span class="gesperrt">Geschehen</span> an, das kein <span class="gesperrt">Beharrendes</span> besitzt.
-Zum Beharrenden glaubt er, kommen wir lediglich durch Projektion
-der Außenwelt in unsere innere Welt; zum <span class="gesperrt">Bewußtsein</span> wie für
-die Außenwelt zum Raum, indem wir für das aus jener Projektion
-fälschlich gewonnene Beharrende einen Ort brauchen und ihn uns
-einbilden, eben das Bewußtsein. An sich drückt Bewußtsein nichts
-aus, als daß wir ein inneres Leben führen, und es ist nicht von den
-anderen inneren Erscheinungen des Lebens verschieden. Kaum daß der
-Wille herausgehoben wird. Offenbar kann ebenso auf das ganze Gebiet
-dessen, was auf <a href="#Seite_222">S. 222</a> f. als regulative oder kategorische Seele
-bezeichnet ist, geschlossen werden. Eine solche Seele wäre also nicht
-ein Besonderes, und wir hätten eine <span class="gesperrt">assoziative Psychologie</span>
-(<a href="#Seite_359">S. 359</a>). Die Verneinung alles Beharrenden ist heraklitisch. Ich
-weiß aber nicht, wie sie sich für das innere Leben soll durchführen
-lassen, ohne dieses in ein völliges Schattenspiel aufzulösen, denn
-mit der Verneinung des Bewußtseins als eines Beharrenden &mdash; ich
-glaube eines Organs für die innere Welt, wie die Sinnesorgane für
-die äußere &mdash; ist auch die Verneinung der Individualität gegeben,
-damit auch die Verneinung der Anschauungsformen. Und so wäre auch
-die Welt zu verneinen. Dann bliebe nur noch die indische Maja. Wir
-haben auch davon noch zu sprechen. Gleichwohl wird die Welt als eine
-Totalität aufgefaßt, nämlich als Ganzheit der Willenstätigkeiten.
-Diesen entsprechen die Vorstellungstätigkeiten und ordnen sich
-nach ihnen. Der Gedanke ist spinozistisch mit genauerer Angabe der
-Attribute. Allein die <span class="gesperrt">Gottesidee</span> scheint gesondert behandelt
-zu sein. Von Bedeutung ist noch Wundts Unterscheidung<span class="pagenum"><a name="Seite_401" id="Seite_401">[S. 401]</a></span> zwischen
-einer <span class="gesperrt">quantitativen Transzendenz</span>, wie wenn der Umfang eines
-Gegenstandes oder einer Vorstellung über die Grenzen hinaus erweitert
-wird, und der <span class="gesperrt">qualitativen Transzendenz</span>, wenn das Hinausgehen
-zu überhaupt Verschiedenem erfolgt. In allen metaphysischen Problemen
-haben wir es mit beiden Transzendenzen zu tun. Offenbar hängen sie
-mit den Attributen zusammen. Die große Bedeutung Wundts als Ordner
-der philosophischen Wissenschaften habe ich nur zu erwähnen. Zu den
-Neu-Spinozisten ist wohl auch A. <span class="gesperrt">Riehl</span> (geb. 1844) zu rechnen,
-jedoch mit einer starken Neigung zum Transzendental-Idealistischen,
-da er die „gemeinsame Quelle von Natur und Verstand“ für transzendent
-erklärt und außerdem die psychische Welt durchaus von der physischen
-scheidet. Aber der Parallelismus vermittelt ihm einen „philosophischen
-Monismus“. Ähnlich verhält es sich mit dem freundlichen <span class="gesperrt">Adolf
-Lasson</span> (geb. 1832). Über <span class="gesperrt">Häckels</span> Spinozismus kann ich nur im
-Zusammenhange mit dem Energismus reden.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<h3 class="nobreak" id="ACHTES_KAPITEL"><span class="s5">ACHTES KAPITEL.</span><br />
-
-Empirismus, Sensualismus, Realismus, Naturalismus, Positivismus.</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wir nähern uns der physischen Anschauung von Welt und Leben. Den wenn
-auch nicht zeitlichen, aber sachlichen Übergang bilden die in der
-Überschrift verzeichneten Anschauungen. Die Namen besagen schon, um was
-es sich dabei handelt. Nur ist hervorzuheben, daß unter Sensualismus
-der <span class="gesperrt">äußere</span> Sensualismus verstanden ist, nicht der innere, der
-der Phänomenalismus ist, und den wir schon untersucht haben (<a href="#Seite_356">S. 356</a>
-ff.). Diese Anschauungsweisen sind die sich von selbst darbietenden;
-eine Besprechung verdienen sie nur, soweit sie philosophisch durchdacht
-sind. Wir finden sie selbstverständlich bei allen Völkern und zu allen
-Zeiten, so auch bei den Griechen (unter den Zynikern, Epikureern,
-Stoikern usf.). Zu einem System ausgebildet sind sie jedoch erst in
-den neueren Zeiten, und von denen allein wollen wir hier sprechen.
-Den Idealismus haben wir fast ganz in Deutsch<span class="pagenum"><a name="Seite_402" id="Seite_402">[S. 402]</a></span>land behandeln können;
-was wir jetzt vortragen werden, betrifft wesentlich englische und
-französische Denker, deutsche kommen erst in neuerer Zeit und,
-hinsichtlich der Originalität, in zweiter Reihe in Betracht. Dafür
-haben wir freilich in <span class="gesperrt">Ernst Mach</span> einen der konsequentesten
-Sensualisten.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>48. <span class="gesperrt">Die englische Trias: Bacon, Locke,
-Hume</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Von dem englischen Dreigestirn ist <span class="gesperrt">Francis Bacon von Verulam</span>
-(1561&ndash;1626), der bekannte Begründer der naturwissenschaftlichen
-Erfahrungsmethoden, für uns von geringerer Bedeutung; er hat eine
-neue, besondere Anschauung von Welt und Leben nicht entwickelt. Nur
-auf die Notwendigkeit der Beurteilung der Welt und ihrer Geschehnisse
-auf Grund der Erfahrung hat er scharf hingewiesen. Die neuere
-<span class="gesperrt">Empirie</span>, als Untersuchungsmethode, nimmt mit ihm namentlich
-in den Naturwissenschaften ihren eigentlichen Anfang. Endursachen
-lehnt er ab, weil mit ihnen nichts anzufangen sei, sie gehörten in
-die Gotteslehre, nicht in die eigentliche Wissenschaft. Die Natur
-müsse aus ihren eigenen Vorgängen und Ursachen erklärt werden, also
-empirisch, nicht metaphysisch, ein Standpunkt, den schon viele vor ihm
-vertreten haben, auf dem wir auch Aristoteles finden. Seine Methode
-ist die der <span class="gesperrt">Induktion</span>. Reiner Empirist ist aber Bacon nicht,
-eher empirischer Panpsychist, da er die ganze Materie belebt sein läßt.
-Auch nimmt er ein allgemeines Gesetz an, das die Natur beherrschen
-soll. Er gesteht sogar Intuition zu. Und doch schreckt er uns mit den
-Trugbildern, Idolen, die uns aus unserer allgemeinen Natur, doch auch
-aus unserer individuellen Art und aus gedankenloser Einbildung, als
-Tradition und Anlernung, stetig verfolgen sollen.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">John Locke</span> (1632 in Wrington geboren, gestorben 1704) gehört
-zu den Größten im Reiche des Gedankens. Sein Meisterwerk: „An essay
-concerning human understanding“ (ich zitiere nach der Reclam-Ausgabe)
-ist das Hauptalles des Empirismus. Locke ist aber nicht bloß Empirist;
-wir finden auch Idealismus, Sensualismus und Realismus bei ihm
-vertreten. Empirist ist er hinsichtlich unserer Ideen, Idealist in
-be<span class="pagenum"><a name="Seite_403" id="Seite_403">[S. 403]</a></span>zug auf die Materie, und zwar transzendentaler, Sensualist, wo es
-sich um Verbindung der Ideen mit der Erfahrung handelt, Realist in
-bezug auf Körper und Vorgänge. Die Ideen (Empfindung, Vorstellung,
-Begriff usf.) sind sämtlich aus der Erscheinung erworben; keine Idee
-ist uns angeboren, ist a priori, alle sind a posteriori. „Bei manchen
-Leuten,“ sagt er, „steht die Ansicht fest, daß der Verstand gewisse ihm
-angeborene Grundbegriffe enthalte, gewisse ursprüngliche Vorstellungen,
-κοιναὶ ἔννοιαι, dem menschlichen Bewußtsein gewissermaßen aufgeprägte
-Schriftzüge, die die Seele bei ihrem ersten Eintritt in das Dasein
-empfange und mit sich in die Welt bringe.“ Das soll also nicht der
-Fall sein: „Sie sind dem Geiste nicht von Natur eingeprägt, weil sie
-den Kindern, Idioten usw. nicht bekannt sind.“ Alle Kinder und Idioten
-hätten nicht den geringsten Begriff von ihnen. Und es scheint ihm „fast
-ein Widerspruch darin zu liegen, wenn man sagen wollte, es gäbe der
-Seele eingeprägte Wahrheiten, die sie nicht bemerke oder verstehe.“
-„Denn daß dem Geiste etwas eingeprägt werde, ohne daß es ihm zum
-Bewußtsein käme, scheint mir kaum verständlich zu sein.“ Die Vernunft
-entdeckt auch die Ideen nicht, sie bildet sie nur allmählich aus den
-Eindrücken, die sie empfängt. Locke unterscheidet nun die innere
-Erfahrung (reflection) von der äußeren (sensation). Aber eine innere
-Erfahrung ohne äußere erkennt er nicht an. Wie bei den Stoikern und
-vielen andern, ist die Seele für ihn erst eine tabula rasa, ein „leeres
-Kabinet“. Die Sinne lassen „erst Vorstellungen ein, der Verstand
-einverleibt sie dem Gedächtnis und versieht sie mit Zeichen, Namen.
-Dann, im weiteren Fortschreiten abstrahiert er aus ihnen Begriffe
-und lernt allmählich allgemeinere Namen. So gewinnt er Materialien
-für sein Denkvermögen.“ Wir haben also nur die Fähigkeit Ideen zu
-bilden, nicht besitzen wir diese Ideen von vornherein. Nicht einmal
-die logischen Begriffe sind angeboren; Kinder kennen weder den Satz
-der Identität, noch den des Widerspruchs. Die Idee Gottes ist nicht
-angeboren. Ebensowenig die Idee der Materie. Das Kind und der Idiot
-wissen von beiden nichts. Alles an Ideen<span class="pagenum"><a name="Seite_404" id="Seite_404">[S. 404]</a></span> ist allein aus den Eindrücken
-abgeleitet, die Ideen sind empirisch gewonnen. Das wird nun auch mit
-stärkerem Grunde von den praktischen Grundsätzen behauptet, ebenfalls
-zum Teil von den moralischen und ethischen. Diese sind erst recht nicht
-angeboren. Die Beweise dafür werden aus dem Leben des Einzelnen und
-der Menschen eingehend geführt. In der Tat ist ja das Material für
-solche Beweise scheinbar groß genug. Alle Ideen sind aus Sensation
-und Reflexion gewonnen. „Äußere Gegenstände versehen den Geist mit
-den Ideen sinnlicher Eigenschaften, die aus allen den verschiedenen
-Wahrnehmungen bestehen, die sie in uns hervorbringen, und der Geist
-versieht den Verstand mit den Ideen seiner eigenen Tätigkeit.“ Die
-Ideen der Reflexion werden aber später erworben, und die Seele
-fängt an, Ideen zu haben, wenn sie mit der Wahrnehmung beginnt. Die
-Wahrnehmung ist das eine, das der Geist tut, und die Reflexion an
-diesen Wahrnehmungen ist das zweite. Aber ohne Wahrnehmungen gibt es
-auch keine Reflexion. So sind die Wahrnehmungen das Grundlegende.
-Das ist reiner <span class="gesperrt">Empirismus</span>. Nun aber sind Wahrnehmungen solche
-doch nur insoweit, als wir sie bewußt erfassen. Daher ist unsere
-innere Tätigkeit Voraussetzung der Wahrnehmungen. Und so entsteht ein
-gegenseitiges Sichbedingen: ohne Sensation keine Reflexion, und ohne
-Reflexion keine Sensation. Das letztere aber liegt auf dem Gebiete des
-<span class="gesperrt">Sensualismus</span>. Unser Inneres erst macht die Wahrnehmungen zu dem,
-was sie sind. Und als solche sind sie in unserem Inneren durchaus real.</p>
-
-<p>Ob sie auch objektive Realität haben, muß die Verbindung der
-Wahrnehmungen unter dem Einfluß der Reflexion entscheiden. Dann zeigt
-sich, daß manche Wahrnehmungen nicht den Dingen selbst anhaften,
-sondern nur durch Eindrücke von ihnen auf uns hervorgebracht werden,
-wie Farben, Töne, Gerüche, Wärme, Kälte usf. Anderen dagegen, wie
-Festigkeit, Ausdehnung, Figur, Ruhe, Bewegung, schreibt Locke
-<span class="gesperrt">objektive</span> Wahrheit zu, sie sind wirklich. Selbst Raum,
-Zeit und Zahl gehören dazu. Hier haben wir einen <span class="gesperrt">Realismus</span>
-und <span class="gesperrt">Positivismus</span>. „Weil unsere Sinne außerstande sind,<span class="pagenum"><a name="Seite_405" id="Seite_405">[S. 405]</a></span>
-irgendwelche Ungleichheit zwischen der in uns entstandenen Idee und der
-Beschaffenheit des sie hervorbringenden Objekts (das Objekt selbst,
-nicht das Ding-an-sich, wie der Herausgeber meint) zu entdecken,
-so sind wir zu der Vorstellung geneigt, daß unsere Vorstellungen
-Ebenbilder von etwas in den Objekten Enthaltenem und nicht die
-Wirkungen gewisser in der Modalität ihrer primären Eigenschaften
-liegender Kräfte seien, mit welchen primären Eigenschaften die in
-uns entstandenen Ideen keine Ähnlichkeit haben.“ Das letztere klingt
-freilich idealistisch gesprochen. Und an einer weit davon entfernten
-Stelle wird gesagt: „Offenbar erkennt der Geist die Dinge nicht
-unmittelbar, sondern nur vermittelst der Ideen, die er von ihnen hat.
-Unser Wissen ist deshalb nur so weit real, als eine Übereinstimmung
-zwischen unseren Ideen und der Realität der Dinge besteht. Was soll
-aber hierfür als Kriterium dienen? Woran soll der Geist, wenn er nichts
-als seine eigenen Ideen wahrnimmt, deren Übereinstimmung mit den Dingen
-selbst erkennen?“ Locke glaubt sich helfen zu können, indem er die Art
-der Ideen in Betracht zieht. Er hatte gleich im Anfang seines Werkes
-<span class="gesperrt">einfache</span> Ideen (simple ideas) von komplexen (complex ideas)
-unterschieden und zu jenen alle Ideen gerechnet, denen Wahrnehmung
-durch die äußeren Sinne (einen Sinn oder mehrere Sinne zugleich)
-entspricht, oder durch den inneren Sinn allein (Denken, Fühlen usf.),
-oder durch beide Sinnenarten zusammen (Lust, Schmerz, Kraft, Existenz,
-Einheit). Auf diese einfachen Ideen stützt er sich. Nach seiner Lehre
-kann der Geist keine von ihnen aus sich selbst hervorbringen; er ist
-nur reflexiv beteiligt, ihre Entstehung verdanken sie Eindrücken (s.
-oben). Also müssen sie „notwendigerweise das Erzeugnis von Dingen
-sein,“ „die auf natürlichem Wege auf den Geist einwirken und an ihm
-eben die Wahrnehmung hervorbringen, wofür sie durch die Weisheit und
-den Willen des Schöpfers bestimmt und eingerichtet sind. Daraus folgt,
-daß die einfachen Ideen nicht Erdichtungen unserer Phantasie, sondern
-die natürlichen und regelmäßigen Erzeugnisse von Dingen außer uns
-sind, die tatsächlich auf uns einwirken, und daß<span class="pagenum"><a name="Seite_406" id="Seite_406">[S. 406]</a></span> sie also die ganze
-beabsichtigte oder für unseren Zustand erforderliche Ähnlichkeit an
-sich tragen.“ Die Einführung Gottes zum Beweise der Realität der Dinge
-entspricht dem Verfahren des Descartes (<a href="#Seite_337">S. 337</a>). Selbst die komplexen
-Ideen, mit Ausnahme der Idee von der Substanz (Materie) sollen zu dem
-gleichen Schluß führen. Unserer eigenen Existenz sind wir intuitiv
-gewiß. Gottes Dasein können wir mit Gewißheit erkennen. Und der
-Beweis dafür wird wie immer aus den ihm zugeschriebenen Eigenschaften
-entnommen. Indessen auch von der Welt; er ist also ontologisch und
-kosmologisch. Sonst entscheidet überall einzig die Vernunft in
-Verbindung mit der Wahrnehmung.</p>
-
-<p>Der Raum wird als ein eigenes Reales angesehen, also ist auch ein von
-Körpern freier Raum zugestanden. Die Zeit wird durch die Folge unserer
-eigenen Ideen gewonnen. Hier ist der Gedankengang von hohem Interesse.
-Erst haben wir in unserem Inneren die Idee der Sukzession; in unser
-Bewußtsein kommt einiges, anderes verschwindet. Ein Abstand zwischen
-den Teilen der Sukzession ist die Dauer. Indem wir ferner „gewisse
-Erscheinungen in bestimmten regelmäßigen Dauern sinnlich wahrnehmen,
-erlangen wir die Ideen von bestimmten Längen oder Maßen der Dauer, wie
-Minuten, Stunden, Tagen, Jahren usf.“ Nun können wir in unserem Sinn
-Dauern wiederholen, so kommen wir dazu, „uns eine Dauer vorzustellen,
-wo nichts wirklich fortdauert oder besteht“. Indem wir Maße von Dauern
-immer weiter aneinanderfügen, gelangen wir zu dem Begriff der Ewigkeit.
-Endlich: „durch die Betrachtung irgendeines Teiles der unendlichen
-Dauer, als abgegrenzt durch periodische Maße, kommen wir zu der Idee
-dessen, was wir im allgemeinen die Zeit nennen“. Hier wirkt Inneres und
-Äußeres. Und ich glaube, nichts zeigt so klar, wie wenig angeborene
-Ideen entbehrt werden können, als diese mühsame und nach Außen und
-nach Innen schwingende Ableitung der Zeit. Sofern die Reflexion nur an
-Wahrnehmung anschließen soll, möchte man der Zeit Realität zusprechen.
-Aber sie scheint mit gleichem Rechte auch idealistisch aufzufassen
-zu sein, da ja die Reflexion wieder Bedingung der<span class="pagenum"><a name="Seite_407" id="Seite_407">[S. 407]</a></span> Wahrnehmung ist,
-also auch der Folge in den Wahrnehmungen. Von der Materie (Substanz)
-wird gesagt, daß wir von ihr „im allgemeinen keine klare Idee“ haben.
-Weil wir von körperlichen Substanzen, „wie Pferd, Stein usf. reden und
-an sie denken, so ist zwar unsere Idee von jeder derselben nur die
-Verknüpfung oder Zusammenfassung einer Mehrzahl einfacher Ideen von
-sinnlichen Eigenschaften, die wir gewohnt sind in dem Pferd oder Stein
-genannten Dinge vereinigt zu finden; weil wir uns aber nicht denken
-können, wie sie jede für sich oder eine durch die andere bestehen
-sollten, so setzen wir voraus, daß sie durch ein gemeinschaftliches
-Subjekt existieren und getragen werden, und diese Stütze bezeichnen
-wir mit dem Namen „Substanz“, obgleich wir sicherlich von dem Dinge,
-das wir voraussetzen, keine klare oder deutliche Idee haben.“ Also
-ist die Substanz als solche idealistisch gedacht. Dagegen haben wir
-vom „Geiste“ „eine ebenso klare Idee wie vom Körper“. Mit demselben
-Recht, mit dem wir dem Körper Realität zuschreiben, können wir auch die
-Realität des Geistes behaupten. Der Geist scheint fast substantiell
-gedacht zu sein, denn es wird ihm Bewegungsfähigkeit zugeschrieben. Es
-heißt: „Denn da meine Seele, so gut wie mein Körper, ein reales Wesen
-ist, so ist sie gewiß ebensogut wie der Körper imstande, ihren Abstand
-von einem anderen Körper oder Wesen zu verändern, und also der Bewegung
-fähig.“</p>
-
-<p>Von <span class="gesperrt">David Hume</span> (bei Edinburg 1711 geboren, 1776 gestorben), der
-als der bedeutendste Philosoph Englands anerkannt wird, haben wir in
-anderem Zusammenhange bereits gesprochen (<a href="#Seite_358">S. 358</a>). Hier kommt es auf
-seinen <span class="gesperrt">Empirismus</span> und <span class="gesperrt">Sensualismus</span> an. Er geht insofern
-nicht so weit wie Locke, als er Begriffe auch a priori anerkennt.
-Sein für uns in Betracht kommendes Hauptwerk ist „Enquiry concerning
-human understanding“ (ich zitiere nach der deutschen Ausgabe der
-Philosophischen Bibliothek). Für Humes Anschauungen von Wichtigkeit
-ist seine Unterscheidung zwischen Eindrücken und Gedanken oder
-Vorstellungen. Eindrücke (impressions) sind „alle unsere lebhafteren
-Auffassungen,<span class="pagenum"><a name="Seite_408" id="Seite_408">[S. 408]</a></span> wenn wir hören, sehen, tasten, drücken, wünschen,
-wollen.“ <span class="gesperrt">Gedanken</span> oder <span class="gesperrt">Vorstellungen</span> (ideas, perceptions)
-sind die weniger lebhaften Auffassungen, „deren wir uns bewußt
-werden, wenn wir uns auf eine jener oben erwähnten Wahrnehmungen oder
-Regungen besinnen“. Vorstellungen sind also immer „einem gleichartigen
-Eindruck nachgebildet“. Es gibt Ausnahmen von dieser Regel, indem
-die Einbildung Vorstellungen in einer Reihe von Vorstellungen auch
-ohne voraufgegangenen Eindruck aus benachbarten Vorstellungen zu
-ergänzen vermag, zum Beispiel eine besondere, nie gesehene Farbe in
-einer Farbenskala, wo sie fehlt. Hume führt diesen Fall selbst an;
-aber er legt diesen Ausnahmen kein Gewicht bei, vielleicht weil die
-Ergänzung lediglich eine Mittelung aus den einschließenden bekannten
-Vorstellungen ist. Versteht man nun unter angeboren das, „was
-ursprünglich, das heißt von keiner vorangegangenen Auffassung das
-Abbild ist, dann können wir wohl behaupten, daß alle unsere Eindrücke
-angeboren und unsere Vorstellungen nicht angeboren sind“. Wir würden
-uns im Kreise bewegen, wenn wir nicht umgekehrt sagen wollten: Es
-gibt Seelentätigkeiten, die angeboren sind, wie die Wahrnehmungen,
-der Wunsch, der Wille (Humes Ausdrucksweise ist zu unbestimmt, um
-die Reihe in seinem Sinne selbst fortsetzen zu können), diese nennen
-wir Eindrücke; und es gibt weiter Tätigkeiten, die nicht angeboren,
-sondern Abbilder jener Tätigkeiten sind, diese heißen Gedanken oder
-Vorstellungen. Hume legt aber auf die Unterscheidung zwischen angeboren
-und nichtangeboren anscheinend gar keinen Wert. Wie Eindrücke die
-Grundlage der Vorstellungen sind, so können sie ihrerseits wieder
-Eindrücke hervorrufen, diese wieder Vorstellungen veranlassen usf.
-Aus den Eindrücken folgen die Tatsachen. Alle Denkakte, die Tatsachen
-betreffen, „scheinen sich auf die Beziehung von Ursache und Wirkung
-zu gründen“. Aber Hume sagt: „Ich wage es, als einen ausnahmlosen
-Satz hinzustellen, daß die Kenntnis dieser Beziehung in keinem Falle
-durch Denkakte a priori gewonnen wird; sondern daß sie ganz und gar
-aus der Erfahrung stammt, indem wir finden, daß gewisse Gegen<span class="pagenum"><a name="Seite_409" id="Seite_409">[S. 409]</a></span>stände
-beständig in Zusammenhang stehen.“ Die Beispiele, die Hume wählt &mdash;
-ein Mann, dem ein gänzlich fremder Gegenstand vorgelegt wird, würde
-nicht imstande sein, trotz genauester Prüfung, „irgendwelche von seinen
-Ursachen oder Wirkungen zu entdecken“. Adam hätte „aus der Flüssigkeit
-und Durchsichtigkeit des Wassers nicht herleiten können, daß es ihn
-ersticken, noch aus der Helligkeit und Wärme des Feuers, daß es ihn
-verzehren würde“ &mdash; zeigen aber deutlich, daß es sich für Hume nicht
-um den Ursächlichkeitsbegriff handelte, sondern allein um objektive
-Ursache und Wirkung. Seine Behauptungen enthalten also keineswegs eine
-Ableugnung des Kausalitätsbegriffes, sondern nur der Möglichkeit,
-<span class="gesperrt">besondere</span> Ursachen und Wirkungen allein aus der Vernunft zu
-erkennen. Und darin muß jeder beistimmen. Die Kausalität außer der
-Erfahrung sagt ja nicht, das und das <span class="gesperrt">wird</span> aus <span class="gesperrt">dem</span> und
-<span class="gesperrt">dem</span> geschehen, sondern: was geschieht, geschah und geschehen
-wird, ist eine Folge von irgend etwas; wir sehen alles als Folge von
-etwas an; nicht, wir erwarten Dieses als Folge von Jenem. Letzteres
-kann selbstverständlich nur durch Erfahrung gerechtfertigt werden.
-Ja, man muß Hume beipflichten, wenn er weiter meint, wir hätten
-auch aus der Erfahrung noch kein Recht, aus bestimmten Ursachen auf
-bestimmte Wirkungen zu schließen, selbst wenn wir so und so oft die
-Wirkungen haben eintreten sehen. „Vergeblich behauptet man, die
-Natur der Körper aus vergangener Erfahrung kennen gelernt zu haben.
-Ihre verborgene Natur und alle ihre Wirkungen können wechseln, ohne
-jeden Wechsel in ihren sinnlichen Eigenschaften“. Und er sagt ferner:
-„Diese Verknüpfung also (daß wir in einer Reihe von Fällen Ereignisse
-stets im Zusammenhange sehen), die wir im Geist <span class="gesperrt">empfinden</span>,
-dieser gewohnheitsmäßige Übergang von einem Gegenstand zu seinem
-üblichen Begleiter, ist das Gefühl oder der Eindruck, nach dem wir
-die Vorstellung von Kraft oder notwendiger Verknüpfung bilden. Weiter
-steckt nichts dahinter“. Gleichwohl glaube ich, daß diejenigen zu weit
-gehen, welche Hume den Ursächlichkeitsbegriff als solchen ablehnen
-lassen; von diesem Begriff ist bei ihm, wie bemerkt, gar keine<span class="pagenum"><a name="Seite_410" id="Seite_410">[S. 410]</a></span> Rede;
-er lehnt nur ab, daß wir je ohne Erfahrung Verknüpfung zwischen
-Erscheinungen ermitteln können, und daß wir je, wo wir Verknüpfungen
-festgestellt haben, mit Gewißheit sie auch für nicht festgestellte
-Fälle in der Vergangenheit oder für die Zukunft behaupten können.
-Deshalb wird Ursache auch noch anders definiert, als ein „Gegenstand,
-dem ein anderer folgt, und dessen Erscheinen stets das <span class="gesperrt">Denken</span>
-zu jenem anderen führt“. Somit ist das Verhältnis zwischen Ursache und
-Wirkung entweder reine Tatsachenbehauptung &mdash; auf diese Schwingung
-folgt dieser Ton, und allen gleichgearteten Schwingungen sind
-gleichgeartete Töne gefolgt &mdash; oder eine Denkfolge &mdash; auf diese
-Schwingung folgt dieser Ton, beim Erscheinen dieser Schwingung greift
-der Geist vor und bildet die Vorstellung des Tones &mdash;. Außer diesen
-beiden Gesichtspunkten, meint Hume, haben wir für die Beziehung von
-Ursache und Wirkung keine Vorstellung. Der erste Gesichtspunkt geht auf
-unmittelbar Erfahrenes, der zweite auf Erwartetes. Letzterer betrifft
-selbst nach Hume einen geistigen Akt. Die beiden Gesichtspunkte sollen
-in gleicher Weise auch für psychische Erscheinungen gelten. Eine Art
-<span class="gesperrt">gewohnheitsmäßiges</span> Schließen des Geistes sei es, das beide
-Fälle umfaßt. Von denselben Gesichtspunkten aus ist, was Hume über
-das „Wunder“ sagt, höchst interessant und bedeutend. Die Vernunft
-spricht hier gar nicht mit, sondern nur der Glaube. Er nennt die Leute
-gefährliche Freunde oder versteckte Feinde, die es unternommen haben
-und unternehmen, die christliche Religion mit den Prinzipien der
-menschlichen Vernunft zu verteidigen. „Unsere allerheiligste Religion
-gründet sich auf Glauben, nicht auf Vernunft.“ Die gleiche Ruhe des
-Denkens trägt die Untersuchungen über Vorsehung und zukünftiges Dasein.
-Beides wird in das Gebiet des Glaubens verwiesen. Vernünftigerweise
-haben wir kein Recht, sie zu behaupten. Bei der Vorsehung, die die
-Weltordnung umfaßt, sind es nur Tatsachen, die wir vor uns haben, und
-die zurück auf eine allgemeine Ursache zu führen wir durch nichts
-rechtfertigen können. Zu der Annahme eines Jenseits veranlassen
-uns gleichfalls nur Tatsachen, daß<span class="pagenum"><a name="Seite_411" id="Seite_411">[S. 411]</a></span> nämlich vieles nicht genügend
-belohnt oder bestraft wird, sogar Gutes bestraft, Übles belohnt sich
-findet. „Daher all die fruchtlosen Bemühungen, Rechenschaft über die
-Erscheinungen des Übels in der Natur zu geben und die Ehre der Götter
-zu retten (Hume läßt einen Athener sprechen), während wir doch die
-Tatsache des Bösen und des Wirrens, woran die Welt so überreich ist,
-anerkennen müssen.“ Außer <span class="gesperrt">Ursache und Wirkung</span> haben wir als
-Vorstellungsverknüpfungen noch <span class="gesperrt">Ähnlichkeit</span> (und <span class="gesperrt">Kontrast</span>)
-und <span class="gesperrt">Berührung in Zeit oder Raum</span>. Es sind dieses die drei
-<span class="gesperrt">Assoziationsprinzipe</span>.</p>
-
-<p>Die ganze Anschauung ist eine <span class="gesperrt">Tatsachen</span>anschauung, sowohl in
-bezug auf das äußere wie auf das innere Leben, ein <span class="gesperrt">Positivismus</span>.
-Der reinen Vernunft wird fast nichts eingeräumt. Alles ist eine Häufung
-von äußeren assoziierten Erscheinungen und inneren assoziierten
-Erscheinungen. Wie für die äußeren Tatsachen keine allgemeine Ursache
-behauptet wird, so für die inneren keine allgemeine Seele. Von dieser
-subjektlosen Psychologie habe ich bereits gesprochen (<a href="#Seite_359">S. 359</a>, <a href="#Seite_400">400</a>). Nur
-eine Art „Ich“ wird anerkannt und die Welt so gesetzt, wie sie sich
-bietet. Sensualistisch ist diese Anschauung, weil alle Vorstellungen
-durchaus nicht ohne Eindrücke sein sollen. Freilich werden zu diesen
-Eindrücken auch psychische gerechnet, so daß der Sensualismus in der
-Tat kein vollständiger ist, sondern mit Idealismus sich überdeckt.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>49. <span class="gesperrt">Die weitere Entwicklung</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Die in gewaltigen Strömen sich ergießenden Anschauungen des
-Materialismus und des Idealismus hemmten die weitere Entwicklung der
-vorstehend behandelten Ansichten. So haben wir denn aus früherer Zeit
-nur noch einen namhafteren Sensualisten vorzuführen, der nicht zugleich
-Materialist gewesen ist, <span class="gesperrt">Etienne Bonnot de Condillac</span> (in
-Grenoble 1715 geboren, 1780 gestorben). Und selbst er gehört nicht ganz
-hierher, da er nicht allein sensualistisch, sondern auch idealistisch
-urteilt. Unser Geist entwickelt sich aus<span class="pagenum"><a name="Seite_412" id="Seite_412">[S. 412]</a></span> unseren Lebensbedürfnissen,
-zu denen noch das Bedürfnis der Erfüllung unserer Neugier kommt.
-Angeborene Begriffe haben wir nicht; die Begriffe dienen überhaupt
-nur zur Klassifikation der Dinge. Eigenheiten unseres Geistes, wie
-Wahrnehmen, Denken, Wollen usf., als Ursprüngliches gibt es nicht,
-nur erworbene Fertigkeiten, Gewohnheiten (habitudes acquises). Unsere
-Sinne sind das Prinzip unserer Kenntnisse; mit den Sinnen beginnen
-sie und durch die Sinne vervollkommnen sie sich. Die Aufmerksamkeit
-ist eine im Gewirr von Empfindungen hervortretende Empfindung, also
-ein höherer Grad der Lebhaftigkeit einer Empfindung. Das ist auch
-das Bewußtsein in seinen beliebigen Abtönungen. Unsere Empfindungen
-können nicht bloß einmal zugleich sein, sondern auch beisammen
-hintereinander, indem eine ihre Spur zurückläßt; alsdann haben wir die
-Erinnerung. Diese aber ist eine Vergleichung. Und so kommen wir zu
-Lockes Reflexion neben der Sensation. Condillac will also über Locke
-hinaus vereinfachen, die Reflexion aus der Sensation entstehen lassen.
-Daß dieser Versuch als ein mißglückter bezeichnet werden muß, ist klar,
-denn: „eine lebhafte Empfindung ist Aufmerksamkeit“ und „Empfindungen
-lassen Spuren zurück“ sind doch nur Redewendungen. Das erhellt noch
-mehr, wenn unserem Geist Freiheit in der Kombination der Empfindungen
-gelassen wird. Wir haben aber nur den Sinnen und dem, was sie uns
-zuführen, der Natur, zu folgen. Somit können wir nie auf den Grund
-der Erscheinungen kommen; die einzigen Grundlagen aller Wissenschaft
-sind nur Tatsachen. Auch unsere Empfindungen durch die Sinne sind nur
-solche Tatsachen; die einfachen Ideen, die sie bieten, lassen sich
-nicht erklären. Nur die komplexen Ideen können wir auseinanderwickeln,
-analysieren. Alle Empfindungen sind nur Modifikationen unseres Ich.
-Hier spielt ein <span class="gesperrt">innerer</span> Sensualismus als Phänomenalismus hinein,
-„die Seele ist es, die empfindet, ihr allein gehören die Empfindungen
-an“. „Unsere Empfindungen existieren außer uns nicht.“ Und so verbindet
-sich Condillacs Positivismus auch mit Dualismus, sogar mit Deismus,
-da einerseits zwischen Körper und Geist<span class="pagenum"><a name="Seite_413" id="Seite_413">[S. 413]</a></span> unterschieden wird und
-andererseits alles Bestimmende, der Materie wie der Seele, von Gott
-kommen soll. Da nun Körper und Geist absolut verschieden sein sollen
-und in Gott auch nicht Vereinigung finden, so gelangt Condillac zu
-einem <span class="gesperrt">okkasionalistischen</span> (<a href="#Seite_336">S. 336</a>) <span class="gesperrt">Sensualismus</span> und einem
-<span class="gesperrt">freien Psychismus</span>. Man sollte nun glauben, daß das Ich eine
-besondere Bedeutung hat. Keineswegs! Das Ich wird erst erkannt aus der
-Folge der Empfindungen, und es ist nur „eine Sammlung von Empfindungen,
-die es erfährt, und solcher, die das Gedächtnis ihm in Erinnerung
-bringt“. Für die Erkenntnis der Außenwelt hat er sein berühmtes
-Beispiel der Statue erfunden, die er allmählich mit allen Sinnen
-begabt. Er findet, daß nur das Tastgefühl uns eine Außenwelt gewiß
-macht, die übrigen Empfindungen können es nicht tun. Nicht einmal unser
-eigenes Körperbewußtsein vermöge uns unseren Körper zu sichern; nur
-wenn wir ihn betasten, haben wir ihn. Trotz dieser sehr mangelhaften
-Erweisung der Körperwelt, sieht Condillac diese als sicher an; er ist
-darin dogmatischer Realist. Es ist erstaunlich, was man alles als
-Sensualist sein kann! Selbst wenn man ein so methodischer Kopf ist, wie
-Condillac sich anscheinend überall durch seine fast minutiösen Analysen
-und Synthesen zeigt.</p>
-
-<p>Zu den Sensualisten werden noch <span class="gesperrt">Hemsterhuis</span>, <span class="gesperrt">Montesquieu</span>,
-ja <span class="gesperrt">Rousseau</span> gezählt, aber mehr in der Weise wie Männer, die
-sensualistisch denken, nicht sensualistische Systeme errichten.
-Vielleicht ist bei Rousseau (1712 zu Genf geb., 1778 gest.) aus seinem
-Sensualismus seine berühmte Vorliebe für den Naturzustand abzuleiten
-und seine Feindschaft gegen die Reflexion, die er weit gegen die
-Sensation zurückstellt und der er doch bei jeder Gelegenheit so
-huldigt, wie dem menschlichen Gefühl und Hochdenken. Im 19. Jahrhundert
-haben wir zunächst in <span class="gesperrt">Beneke</span> (1798&ndash;1854) einen Realisten nach
-Art der vorgeführten zu sehen. Auch für ihn gibt es keine angeborenen
-Begriffe an sich, wohl aber die Fähigkeit, Begriffe herzustellen. Man
-hat bisher darin gefehlt, meint er, „daß man die in der ausgebildeten
-Seele hervortretenden Formen als schon vor der Erfahrung, oder
-bestimmter, vor der Entwicklung der Seele<span class="pagenum"><a name="Seite_414" id="Seite_414">[S. 414]</a></span> gegebene (angeborene)
-voraussetzt. Dies ist falsch: Die Formen, welche für die Erkenntnis
-zunächst vorliegen, <span class="gesperrt">sind erst in der Entwicklung der Seele
-entstanden</span>, vor derselben nur <span class="gesperrt">prädeterminiert</span> in angeborenen
-Anlagen und Verhältnissen, welche ganz andere Formen an sich tragen“.</p>
-
-<p>Diese, übrigens nicht neue, Auffassung hat viele begeisterte Anhänger
-gefunden, namentlich in der neuesten Zeit, da der Führer der modernen
-Sensualisten, Ernst Mach, sie anerkannt hat. Aber wie wenig sie
-erklärt und wie sehr sie eigentlich nur ein Spiel mit Worten ist,
-erhellt, glaube ich, genügend aus dem bisher Vorgetragenen. Seit
-Aristoteles seine <span class="gesperrt">potentiellen Eigenschaften</span> erfunden und in
-die Welt gebracht hat, spuken sie in allen Wissenschaften, selbst
-in den exakten, trotz der so bestimmten Aufklärungen, die Kant uns
-über sie gegeben hat. Ich setze mit einem Wirklichen nicht mehr als
-mit einem Potentiellen, das Wirklichkeit wird. Und ein Potentielles,
-das Wirklichkeit nicht wird, hat für Erklärungen, für Einsichten gar
-keinen Wert. Es ist nur ein Streit um Worte, veranlaßt durch das
-Mißverständnis, als wenn wir von allem, was wir enthalten, in jedem
-Moment durchaus die gleiche intensive Kenntnis haben müßten. Auf diese
-Weise ist für uns alles potentiell, und zwar in jedem Moment; wir, die
-Welt, die Eindrücke, unser Gehen, Stehen usf., denn dies alles ist
-uns durchaus nicht immer in gleicher Weise gegenwärtig, und es lohnt
-nicht, überhaupt über etwas nachzudenken. Wir wenden im ausgebildetsten
-Zustand immer nur einzelnes an, sind uns mitunter unseres Körpers,
-der ganzen Umgebung nicht bewußt, folgen einem fremden Wollen, einem
-verborgenen Fühlen. Gleichwohl ist doch alles in unserer Seele da,
-und wir benutzen es sofort, sobald wir dazu gezwungen werden oder es
-wollen. Sofort empfinden wir dann, und empfinden wir räumlich und
-zeitlich und kausal. Sofort bei der Geburt empfindet das Kind Hunger,
-Durst, Schmerz, Sättigung usf. Es urteilt noch nicht logisch, aber
-schon kausal; es hat den Raumbegriff, denn es führt Gegenstände zum
-Mund und sucht die Brust der Mutter. Das gilt alles<span class="pagenum"><a name="Seite_415" id="Seite_415">[S. 415]</a></span> für das Kind wie
-für das Tier, und das nennt man eben angeboren. Die Fähigkeiten würden
-dem Kinde gar nichts nützen, es wüßte selbst nach dem ersten Schluck
-aus der Mutter Brust nicht, daß es weitersaugen soll, um den Hunger
-zu stillen, wenn es den Kausalbegriff nicht hätte. Daß wir lange Zeit
-nicht darauf kommen, was wir besitzen anzuwenden, hat mit dem Besitz
-nichts zu schaffen. Erwerbung sagt rein gar nichts, sondern drückt nur
-die Tatsache aus, daß Gleiches allgemein Gleichem gleicht. Es gibt eben
-Dinge in der Welt, die man <span class="gesperrt">nicht</span> ableiten kann, weil sie schon
-das Einfachste sind. Etwas muß doch da sein; wenn auch nur die Mittel,
-daß wir überhaupt existieren, überhaupt wahrnehmen, fühlen, denken
-usf. Wenn dieses Etwas nicht von vornherein vorhanden ist, so kann ja
-niemals ein Anfang gemacht werden, denn zu diesem Anfang, so unbestimmt
-und dunkel er sein mag, gehört ja schon das Etwas. Es mag einer noch
-so schlecht gehen, so muß er seine Beine doch dazu haben; hat er sie
-nicht, oder nur potentiell, indem sie ihm im Körper stecken, so kann er
-nicht einmal auf die miserabelste Weise auch nur den kleinsten Schritt
-tun. Ohne angeborene Eigenheiten gibt es gar keinen Anfang des Lebens,
-das Leben würde sofort zu Grunde gehen. Welche Eigenheiten man als
-angeboren annehmen soll, und ob bei allen Wesen die gleichen, darüber
-kann gestritten werden; aber nicht, ob überhaupt Eigenheiten als
-angeboren anzunehmen sind (<a href="#Seite_362">S. 362</a>).</p>
-
-<p>Um auf unseren Philosophen zurückzukommen, so leitete er alle
-psychischen Vorgänge aus Grundvorgängen ab: aus Reizaneignung,
-das heißt Empfindung und Wahrnehmung, den „Urvermögen“ der Seele;
-aus Umbildung zu neuen Urvermögen; aus Assoziation und Nachklang
-der Reizaneignung; aus Kombination. Diese Vermögen, ihr Wirken
-und Zusammenwirken sind die Seele. Es ist also abermals eine Art
-assoziative Psychologie, aber doch mit einem, wenn auch im Hintergrund
-wirkenden Ich.</p>
-
-<p>In dem gleichen Jahre wie Beneke ist auch <span class="gesperrt">Auguste Comte</span> (zu
-Montpellier) geboren, der eigentliche Positivist des 19. Jahrhunderts,
-ehe er durch Krankheit in Mystizismus<span class="pagenum"><a name="Seite_416" id="Seite_416">[S. 416]</a></span> verfiel, in dem er 1859
-zu Paris starb. Seine „Philosophie positive“ ist ein Grundwerk.
-Die Metaphysik mit ihren Ideen und Kategorien wird von vornherein
-abgelehnt; sie ist nur eine Scheinwissenschaft, eine Art Theologie.
-Drei Folgen des Denkens nennt Comte. Zuerst sieht der Mensch in und
-hinter den Dingen Persönlichkeiten. Wir kennen diesen Zustand schon
-und haben ihn im ersten Buch eingehend dargelegt. Später verlieren
-die Persönlichkeiten das Persönliche allmählich und gehen zuletzt,
-soweit sie noch übrig gelassen werden, in metaphysische Begriffe über.
-„Sie (die Scheinwissenschaft) setzt ihre Kategorien an die Stelle der
-Dämonen; aber sie hört nicht auf, Entitäten, das heißt erdichtete
-Wesenheiten, im Hintergrunde der Erscheinungen vorauszusetzen“ (E.
-Dühring, Geschichte der Philosophie). Das soll sich wohl auf die
-Dinge-an-sich beziehen. Im dritten Stadium wendet sich das Denken dem
-zu, was ist, der rein positiven Betrachtung der Welt. Comte hat von
-diesem Gesichtspunkt aus die bekanntesten Wissenschaften: Mathematik,
-Mechanik, Physik, Chemie, Astronomie, Physiologie, Gesellschaftslehre
-behandelt. Es ist eine „Hierarchie der positiven Wissenschaften“, die
-Wissenschaften werden positiv-induktiv vorgeführt. Für die Welt- und
-Lebenanschauung ergibt sich fast nichts; nur daß Comte das geistige
-Leben von der Physik und Chemie doch geschieden hat, verdient besondere
-Erwähnung. Er erkennt bloß an, daß in diesem Leben physische Vorgänge
-als Momente eintreten. Das Leben selbst aber ist etwas anderes als
-diese Vorgänge, aus ihnen nicht zu begreifen und als etwas für sich
-nach seinen Positiven zu studieren. Comte hat viele Nachfolger in
-Frankreich, England wie Deutschland gehabt.</p>
-
-<p>Bei uns der bedeutendste Positivist ist <span class="gesperrt">Eugen Dühring</span> (geb.
-1833) ein Mann, so scharfsinnig in kritischen Untersuchungen wie
-wissenschaftlichen Entdeckungen; die Physik verdankt ihm eines ihrer
-sichersten und schönsten Gesetze. Seine „Wirklichkeitsphilosophie“
-betrachtet alles: Raum, Zeit, Welt wie wir es uns vorstellen, nach
-Maßgabe wohl des Zusammenwirkens aller Sinne. Aus dem „Gesetz der
-bestimmten Anzahl“ wird geschlossen, daß, wenn der Raum<span class="pagenum"><a name="Seite_417" id="Seite_417">[S. 417]</a></span> unbegrenzt
-sein sollte, doch die Welt der Dinge begrenzt ist, und auch, daß sie
-zeitlich einen Anfang gehabt hat, soweit wenigstens es sich um Vorgänge
-handelt. Vor diesem Anfang bestand also ein vorgangloses Sein. In
-diesem Urzustande können gleichwohl Verschiedenheiten in den Dingen
-und Zuständen vorhanden gewesen sein, nur zeitliche Folgen davon
-nicht. Diese sind aus diesem Zustande heraus entstanden und entwickeln
-sich nun immer weiter. Aber alles Beharrliche oder nach Beharrung
-strebende haben wir als aus diesem Urzustande noch überkommen oder
-zurückgeblieben anzusehen. War einmal ein Anfang zu den Geschehnissen
-unserer Welt, so können sich Anfänge zu neuartigen Geschehnissen noch
-einstellen. Das Ganze stellt aber eine Entwicklungsreihe dar, und zwar
-aus der Natur selbst heraus, ohne Zuhilfenahme einer höheren Macht.
-Und die ganze Natur ist eine Einheit. Man wird unwillkürlich an die
-Anschauungen der ionischen Naturphilosophen erinnert. Dem Anfang kann
-ein Ende entsprechen, etwa ein Zustand analog dem Urzustand. Jedoch
-sei ewige Wiederholung des Gewesenen nicht ausgeschlossen. Eine Seele
-als Sondergegenstand wird nicht zugestanden, wohl aber werden Kräfte
-in der Natur angenommen. Zwischen der inneren Welt und der äußeren
-Welt besteht ein Parallelismus. Manches wird mechanistisch aufgefaßt,
-wie daß alle Subjektivität aus Widerstandsempfindungen und das
-Bewußtsein aus einem Antagonismus mechanischer Kräfte stammen soll. Das
-eigenartigste ist der „Urzustand“. In einer Wirklichkeitsphilosophie
-darf man über ihn nicht hinausgehen. Aber wer kann sich dabei
-beruhigen? Wir sprechen noch davon. Auf weiteres in Dührings
-Philosophie einzugehen, muß ich mir versagen, sie betrifft mehr die
-Lebensbetrachtung.</p>
-
-<p>Von den modernsten Sensualisten und Positivisten nenne ich nur
-<span class="gesperrt">Ernst Mach</span> (geb. 1838) als den tonangebenden. Seine Schriften
-sind, wie die des ihm ähnlichen <span class="gesperrt">Poincaré</span>, voll Geist und einer
-erdrückenden Menge von Tatsachen. Worin er bestimmt ist, folgt er
-namentlich Hume, Kant, Beneke und Wundt. Indem er aber die tieferen
-Untersuchungen als „Scheinprobleme“ ablehnt, kann er trotz seines
-Positivismus<span class="pagenum"><a name="Seite_418" id="Seite_418">[S. 418]</a></span> und Sensualismus doch kein befriedigendes System geben.
-Und wenn er so viele Nachbeter hat, so ist der Grund, daß seine
-„wissenschaftliche Ökonomie“ so bequem ist. Der Mann selbst hat sie
-gar nicht geübt; er ist nicht einmal den Scheinproblemen aus dem Wege
-gegangen &mdash; das kann nämlich überhaupt kein ernst denkender Mensch,
-der nicht einfach Heusammler sein will &mdash;. Aber es folgt eine Koterie
-seinen Spuren, die, den Lehrer mißverstehend und übertreibend, fast
-alles verdammt, was wie Verletzung der „wissenschaftlichen Ökonomie“
-ausschaut, und alle Theorie und Spekulation mit der törichtesten
-Ironie verfolgt, weil sie den Freipaß des Meisters zu haben glaubt,
-nicht über das Positive hinaus gehen zu brauchen, ja nicht hinaus
-gehen zu sollen. In der Beurteilung des Machschen Positivismus und
-Sensualismus kann ich mich nur <span class="gesperrt">Max Planck</span>
-(<a href="#Seite_442">S. 442</a>) anschließen.
-Wir wollen aber erst einiges darüber sagen. Das meiste werde ich
-der Hauptschrift Machs „Erkenntnis und Irrtum“ entnehmen. „Wir sind
-ebensolche Dinge wie die Dinge der <span class="gesperrt">physikalischen</span> Umgebung, die
-wir durch <span class="gesperrt">uns selbst auch</span> kennen lernen.“ Es wird uns aber eine
-gewisse Stabilität zugeschrieben, also eine Art Ich. Dieses Ich ist
-die Gesamtheit der untereinander zusammenhängenden Vorstellungen, also
-„dasjenige, was nur für uns allein vorhanden ist“. Das wäre innere,
-assoziative Auffassung. Die Stabilität der Gedanken, also das Ich, aber
-wird erklärt, indem sie auf die Stabilität der Tatsachen schließen
-läßt, diese Stabilität voraussetzt, von dieser Stabilität ein Teil ist.
-Daß diese drei Bestimmungen nicht das gleiche besagen, ist klar. Die
-dritte steht sogar im Gegensatz zu den beiden ersten, denn wenn etwas
-ein Teil von einem anderen ist, so kann es dieses nicht voraussetzen,
-noch darauf schließen lassen. Ein Stück eines Körpers ist ein Teil von
-ihm; aber von dem Stück kann ich weder auf den Körper schließen, noch
-ihn voraussetzen. Die Schwierigkeit und Unbegreiflichkeit liegt hier
-genau da, wo sie sich bei den materialistischen Anschauungen allgemein
-befindet. Ich verweise, um nicht zweimal dasselbe zu sagen, auf die
-Ausführungen im letzten Abschnitt dieses Buches.</p>
-
-<p>Ich und die Welt werden in Eins betrachtet: „Ein <span class="gesperrt">iso<span class="pagenum"><a name="Seite_419" id="Seite_419">[S. 419]</a></span>liertes Ich</span>
-gibt es ebensowenig, als ein <span class="gesperrt">isoliertes Ding</span>.“ <span class="gesperrt">Ding</span> und
-<span class="gesperrt">Ich</span> sind provisorische Fiktionen gleicher Art. Das Physische und
-Psychische enthalten gemeinsame Elemente. Zwar wird die „solipsistische
-Position“, das heißt der Phänomenalismus als solcher abgelehnt. Aber
-wir haben „die Elemente der realen Welt und die Elemente des Ich
-zugleich vor uns. Was uns allein noch weiter interessieren kann, ist
-die <span class="gesperrt">funktionale Abhängigkeit</span> (in mathematischem Sinne) dieser
-Elemente <span class="gesperrt">voneinander</span>“. Diese funktionale Abhängigkeit kann
-ein <span class="gesperrt">Ding</span> genannt werden. Also wir und die ganze Welt, wir
-können beides Dinge nennen, sind eine funktionale Abhängigkeitsreihe.
-Die Grundlage bilden die Sinnesempfindungen; von ihnen geht alles
-intellektuelle Leben aus, und zu ihnen kehrt es zurück. Die sinnlichen
-Vorstellungen sind die „psychischen Arbeiter“; die Begriffe, aus ihnen
-und ihrem Zusammenhang stammend (sie sind auch Zusammenfassung der
-Tatsachen), sind die „Ordner und Aufseher“, welche die Scharen jener
-Arbeiter „auf ihren Platz stellen und ihnen ihr Geschäft anweisen“.
-„Die Sinnesempfindungen sind eben die eigentlichen <span class="gesperrt">ursprünglichen
-Motoren</span>, während die Begriffe sich nur auf jene (die
-Sinnesempfindungen), oft nur durch andere begriffliche Zwischenglieder
-berufen.“ Wenn das nicht bloß Poesie sein soll, so muß das innere
-Leben mit dem äußeren <span class="gesperrt">automatisch</span> aufgefaßt werden. In der
-Tat sagt auch Mach: „Das fest Bestimmte, Regelmäßige, Automatische
-ist der Grundzug des tierischen und menschlichen Verhaltens“, a
-fortiori natürlich des Verhaltens der Welt. Automatisches paßt sich an
-Automatisches, das es durch die Sinne zugeleitet erhält, automatisch
-an. Eine freie Seele läßt sich zwar nicht widerlegen, aber sie als
-„wissenschaftliche Hypothese“ anzunehmen oder nach ihr zu forschen,
-ist eine „methodologische Verkehrtheit“. Über angeborene Ideen und
-Kausalität denkt Mach ganz wie Hume. Über Raum und Zeit, soweit ich zu
-sehen vermag, wie Kant. Seine Unterscheidung der verschiedenen Raum-
-und Zeitauffassungen, begrifflich, physiologisch, mathematisch usf.
-ist von Interesse; ich habe darüber in meinem Buche „Philosophische
-Grundlagen usf.“ eingehend<span class="pagenum"><a name="Seite_420" id="Seite_420">[S. 420]</a></span> gehandelt. Die Folgen der Machschen Lehren
-sind die jedes übertriebenen Sensualismus; es ist alles rein subjektiv,
-niemand kann für sich, noch weniger natürlich für einen anderen
-etwas behaupten, noch ihm widersprechen. Jeder reine Sensualismus
-vernichtet sich notwendig selbst. Und das tut der Machsche durchaus.
-<span class="gesperrt">Verworn</span>, dessen Auseinandersetzungen über Nerven und Gehirn man
-mit Interesse liest, scheint ihm philosophisch nachzufolgen.</p>
-
-<p>Wir haben es mit einem <span class="gesperrt">Agnostizismus</span> zu tun von der Art etwa des
-von <span class="gesperrt">Herbert Spencer</span> vertretenen. Aber dieser steht in seinem,
-trotz Positivismus und Materialismus fast kirchlichen Deismus weit ab
-von Mach. Als Positivist ist er Evolutionist im Sinne Darwins, jedoch
-in bezug auf die ganze Natur, und mit starker Neigung zu den Ansichten
-der ionischen Naturphilosophen, indem bei ihm Konzentration und
-Dissipation (auch Evolution und Dissolution) eine große Rolle spielen.
-Das Absolute ist das Unerkennbare, eine transzendente Substanz an sich.
-Überhaupt ist das Wesen der Welt unerkennbar.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<h3 class="nobreak" id="NEUNTES_KAPITEL"><span class="s5">NEUNTES KAPITEL.</span><br />
-
-Physische Welt- und Lebenanschauungen.</h3>
-
-</div>
-
-<p>Trennen wir Welt und Leben, so haben wir also eine Anschauung in bezug
-auf die Welt und eine solche in bezug auf das Leben. Wenn wir aber die
-ganze Natur, unbelebt und belebt, nur unter dem einen Gesichtspunkt
-des Materiellen und der in und zwischen den Materien wirkenden Kräfte
-und Vorgänge betrachten, so schließen wir uns an die allgemeine
-<span class="gesperrt">physische Welt- und Lebenanschauung</span> an. Übernatürliche und
-geistige Wirkungen und Vorgänge werden weder für die Welt noch für
-das Leben angenommen, ebensowenig Stoffe, die andere Eigenschaften
-besitzen, als die wir an der Materie kennen. Sollten Elektrizität,
-Magnetismus und elektrischer Strom nicht unter der gewöhnlichen trägen
-Materie einzubegreifen sein, so fügen wir sie trotzdem an diese an,
-indem wir unter Materie als Stoff alles das<span class="pagenum"><a name="Seite_421" id="Seite_421">[S. 421]</a></span> verstehen, wovon wir rein
-physische Eigenschaften, also physikalisch-chemische, kennen und in
-unveränderlicher Weise finden. Was aber die Vorgänge anbetrifft, so
-dürfen wir sie zunächst in drei Typen einreihen: <span class="gesperrt">Bewegungen</span>,
-<span class="gesperrt">Induktionen</span>, <span class="gesperrt">chemische Umsetzungen</span>. Über Bewegungen
-und chemische Umsetzungen ist nichts zu sagen. Zu den Induktionen
-rechnen wir solche Vorgänge, wie das Hervorrufen oder Vernichten von
-Elektrizität, Magnetismus, Strom. Indem wir von <span class="gesperrt">Umsetzungen</span>
-allgemein sprechen, wollen wir diese Induktionen mit den chemischen
-Umsetzungen vereint denken. Und sollten wir alle drei Typen zusammen
-nehmen, so sprechen wir von mechanistischen Vorgängen, ohne damit sagen
-zu wollen, daß sie der gewöhnlichen Mechanik angehören, sie könnten
-auch dem Elektromagnetismus oder einem anderen Erscheinungsgebiet
-zuzuschreiben sein. Neuerdings hat man auch die Energien in Rücksicht
-gezogen, und so müssen wir von einem weiteren Typus handeln, dem der
-<span class="gesperrt">Energieumwandlungen</span>. Ob diese, nun vier, Typen in einen Typus
-übergeführt werden können und in welchen, etwa in den der Bewegung
-oder der Energieumwandlung, hat die Wissenschaft zu ermitteln;
-einstweilen wissen wir noch nichts Sicheres und bleiben die Typen
-besser noch getrennt. Es macht auch für die folgenden Untersuchungen
-nichts aus, ob wir von einem Typus oder von allen Typen ausgehen.
-Das allein Wesentliche ist das Physische. Indessen bietet der Typus
-der Energieumwandlungen soviele Besonderheiten, und hat er in der
-Wissenschaft eine so umfassende Eigenwichtigkeit erlangt, daß wir
-ihn später für sich untersuchen werden. Und so wollen wir, jene drei
-ersten Typen vereinigend, von einer <span class="gesperrt">mechanistischen</span> Welt- und
-Lebenanschauung sprechen, hinsichtlich des vierten Typus aber von einer
-<span class="gesperrt">energetischen</span>, und, wo beide Anschauungen verbunden sind, von
-einer <span class="gesperrt">mechanistisch-energetischen</span>. <span class="gesperrt">Materialistisch</span> nennen
-wir eine Anschauung, in der alles auf Materie begründet ist. Eine
-solche Anschauung müssen wir, je nachdem die Seele als ein Besonderes,
-wenn auch gleichwohl Stoffliches, behandelt wird oder nicht, indem
-im letzteren Falle eine Seele überhaupt nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_422" id="Seite_422">[S. 422]</a></span> in Frage kommt, in
-zwei Klassen trennen, in <span class="gesperrt">psychischen</span> und in <span class="gesperrt">physischen
-Materialismus</span>. Alle diese Namen sind nicht sehr bezeichnend; aber
-da sie eben erklärt sind, mögen sie, als gewohnt, so stehen bleiben.
-Die Geschichte des reinen Materialismus ist bekanntlich von F. A.
-<span class="gesperrt">Lange</span> (1828&ndash;1875) in einem umfangreichen Werke behandelt. Ich
-darf mich darum auf die allerwichtigsten Angaben beschränken und den
-Raum mehr zu kritischen Bemerkungen verwenden.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>50. <span class="gesperrt">Materialismus und Mechanismus,
-Atomistik</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Als bereits untersucht ist derjenige psychische Materialismus
-auszuscheiden, der aus naturmenschlichen Anschauungen entspringt.
-Wissenschaftlichen solchen Materialismus finden wir zuerst bei den
-<span class="gesperrt">Griechen</span>. Auch davon habe ich bei mehreren Gelegenheiten schon
-gesprochen, und es genügt hervorzuheben, daß die Seele als stofflich
-angesehen wird, wie der Körper, wenn auch als feiner stofflich. So sind
-alle Wirkungen zwischen Seele und Welt die gleichen wie zwischen den
-Körpern der Welt. Und indem noch die Wirkungen zwischen den letzteren
-als rein mechanistisch betrachtet werden, ohne jede unmittelbare
-oder mittelbare Beeinflussung durch ein außer- oder übernatürliches
-Wesen, auch ohne jeden Vernunftgrund, erhalten wir das konsequenteste
-materialistische System, das von <span class="gesperrt">Demokritos</span> (aus <span class="gesperrt">Abdera</span>,
-geboren um 470, gestorben um 390 v. Chr.) begründete, einen fast
-vollständigen <span class="gesperrt">materialistischen Monismus</span>. Stoß und Druck sind
-die Kräfte, Lösung und Verbindung, zusammen mit Bewegung, sind die
-Vorgänge. Nicht Zweck noch Zufall sind vorhanden, einzig Grund (λόγος)
-und Notwendigkeit (ἀνάγκη) herrschen. Andere Griechen haben Liebe und
-Haß, Anziehung und Abstoßung als wirkende Ursachen angenommen und
-Verhängnis (εἰμαρμένη) als Grund. Die Angaben sind meist sehr dunkel
-und unbestimmt. Da die Griechen für keine Kraft eine Regel ihrer
-Wirkung kannten, waren die Namen schließlich nicht mehr als Namen, wenn
-sie nicht aus einem allgemeinen Prinzip flossen, wie bei Empedokles,
-Heraklit, Anaxagoras u. a. Demokrits Druck und Stoß, oder auch Stoß
-allein, ist der modernen Wissenschaft wohl<span class="pagenum"><a name="Seite_423" id="Seite_423">[S. 423]</a></span>bekannt und dient noch jetzt
-als Grundlage für die fremdesten Kraftberechnungen.</p>
-
-<p>Ehe wir weitergehen, müssen wir jedoch von der <span class="gesperrt">Atomistik</span>
-sprechen. Sie scheint fast gleichzeitig, wenn auch in verschiedener
-Ausbildung, von mehreren <span class="gesperrt">Forschern</span> eingeführt worden zu sein. Es
-ist schon von Bedeutung, daß <span class="gesperrt">Empedokles</span> (aus Akragas 483&ndash;423)
-die Stoffe in vier <span class="gesperrt">Elemente</span> (Stoicheia) Feuer, Luft, Wasser,
-Erde einteilte, die ihrer Beschaffenheit nach verschieden voneinander
-sein sollten, und aus deren Mischung er alle Körper bestehen ließ,
-während er die Vorgänge als Mischungen und Entmischungen ansah,
-veranlaßt durch Liebe und Haß. „Denn zuerst vernimm die vierfache
-Wurzel aller Dinge: Zeus (Feuer) der Schimmernde und Here (Luft) die
-Lebenspendende und Aidoneus (Erde) und Nestis (Wasser), die ihren
-Tränen sterblichen Lebensquell entfließen läßt.“ „Denn aus diesen
-Elementen entsproßt alles, was da war, ist und sein wird, Bäume und
-Männer und Weiber und Tiere, Vögel und wassergenährte Fische.“ Sogar
-Götter „langlebige an Ehren reichste.“ „Geburt gibt es bei keinem
-einzigen von allen sterblichen Dingen und kein Ende in verderblichem
-Tod. Nur Mischung gibt es vielmehr und Austausch des Gemischten“:
-Wäre Empedokles nicht zugleich ein großer Mystiker, so könnte er für
-die Welt- und Lebenanschauung als der erste ganz klare mechanistische
-Materialist angesehen werden. Denn Mischung und Entmischung sind
-mechanische Vorgänge, und Liebe und Haß (oder Streit) bedeuten kaum
-etwas anderes als Anziehung und Abstoßung. Das alles soll aber die
-Grundlage der ganzen Weltentwicklung bilden, das Leben eingeschlossen.
-Indessen, die Elemente wie die Kräfte werden eben mystisch dargestellt,
-wie ja im Grunde auch die sogenannte Ionische Naturphilosophie eine
-mystische ist (<a href="#Seite_231">S. 231</a>). <span class="gesperrt">Anaxagoras</span> (<a href="#Seite_243">S. 243</a>) ging in der
-Unterteilung der Körper viel weiter. Alle Stoffe sollten aus kleinsten
-Teilchen zusammengesetzt sein. Diese Teilchen, <span class="gesperrt">Samenteilchen</span>
-(Spermata, σπέρματα), später <span class="gesperrt">Homoiomerien</span> (ὁμοιομερῆ) genannt,
-sollten alle gleich groß sein, in der Be<span class="pagenum"><a name="Seite_424" id="Seite_424">[S. 424]</a></span>schaffenheit aber den Körpern
-gleichen, denen sie angehörten; also bei Fleisch Fleischteilchen,
-bei Luft Luftteilchen usf. sein. <span class="gesperrt">Leukippos</span> (Zeitgenosse des
-Anaxagoras) faßte diese Teilchen entgegengesetzt auf; sie sollten in
-der Beschaffenheit gleich, in den Massen und Formen verschieden sein.
-Er setzte auch für sie Unteilbarkeit fest und gewann so die Atome,
-deren wir uns noch jetzt bedienen, und aus denen, wenn auch in ganz
-neuer Wendung, auch die Monaden, Realen usf. hervorgegangen sind,
-falls sie nicht eher den Anaxagorischen Samenteilchen entsprechen. Ich
-darf nicht vergessen hinzuzufügen, daß auch in <span class="gesperrt">Indien</span> Atome
-(Paramanu) bekannt gewesen sind; das Lehrsystem des Vaiseshika führt
-sie als die wahrnehmbaren Körper zusammensetzend auf. Auch diese
-scheinen jedoch den Anaxagorischen Homoiomerien zu gleichen. Die
-Atomistik ist von arabischen und anderen Forschern sogar auf die Zeit
-übertragen worden (<a href="#Seite_287">S. 287</a>).</p>
-
-<p>Kehren wir zu Demokritos zurück. Die Atome sind durch <span class="gesperrt">Leere</span>
-getrennt. Ihre Zahl ist unendlich, ebenso unendlich verschieden ist
-ihre Schwere und ihre Form. Die feinsten Atome sind kugelig. Aus
-solchen feinsten Atomen ist die Seele zusammengesetzt, die darum ein
-äußerst Dünnes und Bewegliches darstellt. Die eigentlichen Körper sind
-Aggregate von Atomen, auch Mischungen von solchen, selbst mit jenen
-feinsten Atomen, daher auch die Körper überhaupt als mehr oder weniger
-belebt angesehen werden. Die Atome halten sich durch Rauheiten, Zacken,
-Ärmchen usf. zusammen, da Molekularkräfte noch nicht bekannt waren.
-Alle Wirkungen beruhen auf Bewegungen der Atome gegeneinander, also
-in Stoß und Druck. Auch die Wirkung des Körpers auf die Seele und der
-Seele auf den Körper ist keine andere. <span class="gesperrt">Demokritos</span> soll sehr viel
-geschrieben haben; wir besitzen auch einiges von ihm, namentlich zum
-Teil sehr schöne Sprüche (Diels Fragmente der Vorsokratiker I<sup>2</sup>, <a href="#Seite_398">S. 398</a>
-ff.), aber leider fast nichts von seiner Naturphilosophie. Und so sind
-wir auf die Berichte Anderer angewiesen, die zwar reichlich fließen,
-aber das Wichtigste doch unentschieden lassen, namentlich die Frage,
-woher die Atome ihre unregelmäßige seitliche Be<span class="pagenum"><a name="Seite_425" id="Seite_425">[S. 425]</a></span>wegung haben, da die
-ungleichen Massen nur geregelte Bewegungen in parallelen Linien oder
-nach Zentren ergeben, nicht beliebige nach allen möglichen Richtungen,
-die ja angenommen werden müssen, weil wir Wahrnehmungen aus allen
-möglichen Richtungen empfangen, und weil wir nach allen möglichen
-Richtungen wirken, und ja auch Bewegungen nach allen möglichen
-Richtungen sehen. Demokrits System, mit oder ohne Seele aus besonderen
-Atomen, hat im Altertum sehr viele Anhänger gefunden, namentlich unter
-den Sophisten und Epikureern. <span class="gesperrt">Epikuros</span>, ein Samier (341&ndash;271 v.
-Chr.), und durchaus edel denkend und edel lehrend, übernahm zur Stütze
-seiner bekannten Lebensansicht jenes System fast unverändert. Doch
-brachte er einige Verbesserungen an. Wir sahen, daß zur Wirkung die
-Stöße der Atome notwendig sind. Nun kannten die Alten die allgemeine
-Gravitation nicht, ebensowenig die molekularen Anziehungen, sondern
-nur den Fall der Körper. Da aber dieser Fall im leeren Raum, wie der
-scharfsinnige Naturforscher Aristoteles erkannte und einwandte, für
-alle Atome, trotz ihrer abweichenden Massen und Formen, gleich schnell
-vor sich gehen muß, so können Zusammenstöße nicht erfolgen, also
-gerade das kann nicht stattfinden, was notwendig ist. Epikuros verlieh
-deshalb den Atomen eine Neigung, aus sich heraus von der geraden Bahn
-ein wenig abzuweichen. Alsdann können sie allerdings zusammenstoßen,
-Wirbel bilden usf. Der Lehre Demokrits angehörig war es auch, wenn er
-eine unendliche Zahl von Welten für zulässig hielt, da ja bei unendlich
-vielen Atomen unendlich viele Bewegungsverteilungen und Aggregationen
-möglich sind, nicht bloß solche wie sie unsere Welt zusammensetzen.
-Teleologisches schlägt Epikur so sorgfältig aus wie sein Vorgänger. Die
-Entstehung der Lebewesen aus der Erde, dem Schlamm, lehrte er mit so
-vielen anderen. Im übrigen ist er reinster Sensualist, so daß er sogar
-nicht anstand, Sonne und Mond für gerade so groß oder nur wenig größer,
-als sie gesehen werden, zu behaupten.</p>
-
-<p>Seine Vollendung hat das empedokleisch-demokritisch-epikureische
-System durch den römischen Dichter <span class="gesperrt">Titus<span class="pagenum"><a name="Seite_426" id="Seite_426">[S. 426]</a></span> Lucretius Carus</span>
-(wahrscheinlich 99&ndash;55 v. Chr.) erhalten, der in seinem Lehrgedicht
-„De rerum natura“ Anschauungen entwickelt, die von denen der modernen
-kinetischen Theorie der Körper sich nur noch in wenigem unterscheiden.
-Bernhardy, in seiner Geschichte der römischen Literatur, erklärt jenes
-Lehrgedicht für „eins der edelsten Denkmäler jener Literatur“, den
-Dichter als „einen Geist, den an Reichtum der Gedanken und der Tiefe
-wenige übertreffen“. Der Begriff der Zweckmäßigkeit, des Anfanges und
-des Endes ist völlig entfernt, entfernt ist auch der Begriff einer
-außer- und überweltlichen Macht und einer besonderen Seele. Einzig und
-allein die Atome mit ihren ewigen Bewegungen und Zusammenstößen bilden
-die Welt. Die Atome werden wie von Demokritos angenommen, Trennungen
-und Verbindungen wie von Empedokles, die Körperzusammenballungen wie
-von Epikuros. Alle Unterschiede zwischen den Körpern werden aus der
-Zahl der Atome, ihren Formen und ihren Aneinanderlagerungen erklärt.
-Die Atome sind auch in den Körpern in steter Bewegung, die wir nur
-wegen der Kleinheit dieser Atome nicht sehen; ähnlich, wie wir auch
-bei einer Herde aus weiter Entfernung die Bewegung der einzelnen Tiere
-nicht unterscheiden. Auch hinsichtlich der Entwicklung und Auflösung
-von Welten nach Welten, infolge der ständigen Bewegung der Atome, folgt
-der Römer dem Griechen. Er läßt die Welten sich stetig weiter bilden,
-denn im Raume überall um uns und neben uns und zwischen uns sind noch
-unzählige Atome, die noch nicht zu Körpern sich zusammengefunden
-haben. So bilden die Welten eine unendliche Kette von stetem Werden
-und Vergehen, wie wir das auch bei Herakleitos und anderen gesehen
-haben. Unendlichkeiten und Unendlichkeiten streiten gegeneinander und
-führen zu Unendlichkeiten. Die Seele (anima) und der Geist (animus)
-sind selbst körperlich, aus den feinsten, rundesten und beweglichsten
-Atomen bestehend. Die Seele ist in der Wärme und Lebensluft des Körpers
-enthalten, der Geist bedeutet einen besonders feinen Teil von ihr. Im
-Tode verlassen diese Atome den Körper ganz oder größtenteils; im Leben
-nehmen sie<span class="pagenum"><a name="Seite_427" id="Seite_427">[S. 427]</a></span> besonders alle Atomstöße von außen auf und geben ihrerseits
-Stöße nach außen. Da die Atome nur physikalisch betrachtet werden,
-so kann kein Atom für sich seelische oder geistige Eigenschaften
-aufweisen, also auch nicht Empfindungen haben. Woher nun die Empfindung
-der Lebewesen? Das wird allein aus der Ansammlung der Atome zum Körper
-erklärt. Diese Ansammlung erhält Eigenschaften, die den einzelnen
-Atomen nicht zukommen, wie auch ein Atom keine Farbe hat, ein Körper
-aus Atomen aber Farbe aufweist. Solche und viele ähnliche Analogien
-kann man allerdings anführen. Dann muß alles aus den Ansammlungen
-selbst erklärt werden. Da sogar unsere Wissenschaft solche Erklärungen
-kaum für einige der einfachsten Eigenschaften der Körper aus der
-Atomlehre abzuleiten weiß und sich meist mit der Angabe begnügen
-muß, daß Bewegung und Verteilung der Atome und Atomverbände diese
-Eigenschaften bewirken, wie schon die alten Atomisten behaupteten,
-so darf es nicht wundernehmen, wenn diese schließlich einfach
-auch sagten: <span class="gesperrt">Bewegung der Atome ist Empfindung</span>. Auf dieses
-Hauptdogma kommen wir noch zu sprechen. Daß Lucretius die persönliche
-Unsterblichkeit ablehnen mußte, versteht sich von selbst. Der Tod hebt
-die Persönlichkeit, die ja durch den besonderen Komplex des Körpers
-mit den feinen Seelenatomen begründet ist, vollständig auf. Sobald die
-Seelenatome ausgetreten sind, können sie nicht mehr auf den Körper und
-kann der Körper nicht mehr auf sie wirken. Beide bedeuten nun zwei
-getrennte Atomhaufen. Nur als sich diese Atomhaufen durchdrangen,
-zeigte das Ganze was wir Leben nennen, eben als Ganzes. Und so gibt es
-auch kein Jenseits. Alle Furcht, alles Bangen, aller Schmerz und alles
-Leid, mit dem Tode sind sie vorbei, nichts bleibt vom Leben im Leben
-zurück. Daher ist die Todesfurcht so töricht und zu verwerfen. Ein
-Trost ist die Einsicht in den Gang der Natur, in ihre unausweichliche
-Notwendigkeit und absolute Gleichgültigkeit gegen alles ohne Ausnahme.
-Selbstverständlich gibt es weder Gott noch Götter in irgendeiner
-persönlichen Gestalt. Die Menschen sind nur aus Unkenntnis der wahren
-Grundlagen<span class="pagenum"><a name="Seite_428" id="Seite_428">[S. 428]</a></span> der Welt zur Annahme der Götter gekommen. Lucretius
-ist geneigt, die Religion aus der Naturbewunderung abzuleiten, und
-schreibt darum der ursprünglichen Religion große Reinheit zu. Die
-Verschlechterung sei erst später hervorgetreten. Wie weit das richtig
-sein kann, wissen wir bereits. Vieles andere, was sein Gedicht noch
-sehr Schönes und Tiefgedachtes enthält, müssen wir übergehen.</p>
-
-<p>Was im <span class="gesperrt">Mittelalter</span> von materialistischen und mechanistischen
-Anschauungen geäußert worden ist, habe ich bereits im zweiten Buche
-angeführt. Ein System ist nicht ausgebildet worden, weder unter
-Christen noch unter Arabern oder Juden; Religion und Mystizismus waren
-gleich hinderlich. Daß aber manche Systeme stark ans Mechanistische
-streiften, haben wir dort gesehen. Die neuere und die moderne Zeit
-haben an der Grundlage des alten Materialismus und Mechanismus nur
-wenig geändert und sie, und die sich anschließenden Betrachtungen, nur
-mehr den mittlerweile gewonnenen naturwissenschaftlichen Kenntnissen
-angepaßt. Hier müssen wir nun den Unterschied zwischen belebter und
-unbelebter Welt schärfer betonen. Seit der großen Anschauung des
-Kopernikus vom Bau der Welt, seit Keplers und Newtons Berechnungen
-der Himmelsbewegungen sind für die unbelebte Welt der Materialismus
-und Mechanismus zu immer allgemeinerer Anerkennung gelangt, soweit
-sie das Bestehende betreffen. Gegenwärtig hält es wohl jeder, der
-die Natur kennt, für töricht, unkontrollierbare außerirdische und
-überirdische Eingriffe in ihren Gang anzunehmen. Aber schon für die
-unbelebte Welt werden die Verhältnisse andere, sobald es sich um ihren
-Anfang und ihren Plan handelt. Kennzeichnend für den Materialismus ist
-dann, daß ein Anfang überhaupt nicht zugegeben wird und ebensowenig
-ein Plan. Das erstere besagt, die Welt ist von je, sie ist nicht
-entstanden. Das zweite lehnt jede Zwecklichkeit ab, die Welt ist
-ein Mechanismus, der ewig läuft. Es ist mit ihr und in ihr nichts
-beabsichtigt, und sie führt nicht zu einem Ziele. Wir würden bei
-einer ewiggehenden Uhr, ohne Zeiger und Stundenblatt, auch nicht von
-Plan und Zwecklichkeit sprechen. Und wenn wir gleichwohl<span class="pagenum"><a name="Seite_429" id="Seite_429">[S. 429]</a></span> sehen, daß
-Ordnung in der Welt herrscht, Vorgänge nach bestimmten Regeln sich
-richten, Welten sich entwickeln usf., so gehört das eben alles zur
-Welt und ihrem Gange, gerade so wie die regelrechte Anordnung der
-Räder, Federn usf. einer Uhr, wie das Eingreifen aller ihrer Teile
-ineinander, wie das von Zeit zu Zeit in Wirksamkeittreten besonderer
-Teile u. a. Es ist nur konsequent, wenn aus einer solchen Anschauung
-heraus auch das Vorhandensein von besonderen Kräften abgelehnt wird.
-Die Welt ist eine Anordnung und ein Vorgang; alle Einzelvorgänge sind
-nur dieser eine Vorgang, wie alle Teile der Uhr die Uhr sind und
-Einzeldrehungen, Schwingungen usf. darin, der Gang der Uhr. So wie
-die Räder sich drehen, müssen sie sich drehen, so wie andere Teile
-schwingen, müssen sie schwingen, alles aus dem Gang der Uhr. Und das
-ist ohne weiteres auf die Welt zu übertragen. Manche möchten im Gang
-selbst den Plan und die Zwecklichkeit sehen. Allein das verfliegt
-ebenfalls, wenn kein Anfang und kein Ende vorhanden ist. Auch diesem
-mechanistischen Monismus in bezug auf die unbelebte Welt haben sich
-vom Altertum ab sehr viele angeschlossen. Und ein unverkennbarer und
-sehr schwerwiegender Vorzug von ihr ist, daß sie eben keiner Kräfte
-bedarf, auch nicht derjenigen, die wir natürliche, physische Kräfte
-nennen. Die Kräfte werden nur symbolisch zugelassen, Zufälligkeiten
-kommen überhaupt nicht in Frage. Wenn wir so manches voraussehen und
-voraussagen können, so verhält es sich damit, um beim Beispiel zu
-bleiben, wie mit der Uhr, wo wir auch vorher wissen, welche Zähne
-der Räder in welche andere Zähne eingreifen werden, daß und wann ein
-Stift irgendwo etwas mitnehmen oder auslösen oder hemmen wird, weil
-wir die Teile kennen und den Zwang durchschaut haben. So kennen wir
-auch die uns erreichbaren Teile der Welt und haben den Zwang in ihnen
-durchschaut. Und damit operieren wir. Wir stehen der Welt wie einer
-Uhr gegenüber; sie ist bei weitem komplizierter als eine Uhr, sie ist
-unendlich an Vorgängen und Körpern. Aber das berührt das Wesentliche
-nicht. Wir können sie gleichwohl wie einen Zwangsmechanismus ansehen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_430" id="Seite_430">[S. 430]</a></span></p>
-
-<p>Nun aber wir, die Lebewesen. Hier scheiden sich die Wege der nur
-Welt-Mechanisten von den Wegen auch der Leben-Mechanisten. Jene
-sehen im Leben, wie wir schon wissen, doch ein Besonderes, das nicht
-mechanisch ist; diese einbeziehen das Leben in den Mechanismus der
-Welt überhaupt. Das Leben ist gleichfalls der Vorgang der Welt, ein
-Zwangsvorgang wie alle anderen Einzelvorgänge dieses Allvorganges,
-und von diesen Einzelvorgängen nicht im Wesen, sondern nur in der
-Erscheinung verschieden; letzteres ganz so, wie wir unzählige
-Bewegungsarten haben, die doch alle nur Bewegung sind, sogar solche,
-die nicht im geringsten mehr wie Bewegung erscheinen &mdash; zum Beispiel
-die molekularen Bewegungen in den Körpern als Wärme u. a. Was wir
-als freie Lebensäußerungen ansehen, sind nur Einzelvorgänge, die im
-Vorgang der Welt kommen und gehen müssen, wie die Weltkörper sich
-bewegen müssen. Was wir Denken, Wollen und Fühlen nennen, sind auch
-nur solche Vorgänge, etwa &mdash; und das haben fast alle Materialisten
-und Scheinidealisten, wie Eduard von Hartmann (<a href="#Seite_388">S. 388</a>), bis auf
-unsere Zeit, wo die energetische Auffassung vorwiegt, von den alten
-Mechanisten dogmatisch übernommen &mdash; Bewegungen bestimmter Teile in
-unserem Körper, im Gehirn, in den Ganglien. Daß wir nicht imstande
-sind, hier wie in der unbelebten Welt, den Zwang aufzuweisen, daß
-wir hier noch von Zweckmäßigkeiten und von Freiheit reden müssen,
-liegt an der Unvollständigkeit unserer Kenntnisse, wie wir auch den
-gewöhnlichen Zufall noch stehen lassen, weil wir die Gründe seines
-Eintretens nicht überschauen, obwohl selbst ein Psychist Zufälle
-als solche nicht zugestehen mag. Daß weiter uns die Erkenntnis der
-Welt zwar wie selbstverständlich erscheint, die Nichterkenntnis des
-Lebens aber gleichfalls, ist nur Einbildung. Die Welt ist trotz
-ihrer Ungeheuerlichkeit als Ganzes einfach, das Leben aber schon für
-sich überkompliziert. Sobald wir jedoch ins Einzelne gehen, scheint
-uns auch von der Welt vieles nicht erkennbar zu sein, zum Beispiel
-ihr atomistischer Bau. Und derartige Aufstellungen sind um so
-entscheidender, als ein fundamentaler Unterschied zwischen<span class="pagenum"><a name="Seite_431" id="Seite_431">[S. 431]</a></span> Lebewesen
-und nichtbelebten Dingen überhaupt nicht zugegeben wird; die Lebewesen
-sollen auf der niedrigsten Stufe in die nichtbelebten Wesen übergehen.
-Oder das Leben beginnt unendlich schwach und uncharakterisiert, so
-daß es vom Nichtleben nicht mehr zu unterscheiden sei; die Reihe
-der unbelebten Dinge bilde mit der der belebten eine Folge. Nur
-die Extreme unterschieden sich so sehr; aber sie seien gleichwohl
-durch eine stetige Kette verbunden, die nach unten allmählich zu
-Dingen wie Steine führt, nach oben in wachsender Komplikation und
-Verzweigung zu so gearteten Vorgängen, die als seelische und geistige
-Tätigkeiten erscheinen, wie Bewußtsein und Denken, die abwärts jedoch
-allmählich auf nichts zusammenschrumpfen. Das ungefähr ist die
-Anschauung der konsequenten Welt- und Leben-Mechanisten. Wir werden
-sie später besprechen und dann auch sehen, welcher Annahmen sie noch
-bedarf. Daß auch ideale Philosophien, wenn auch nicht in physischen
-Zwangsmechanismus, doch in einen Welt- und Leben-Zwang auslaufen können
-und ausgelaufen sind, wissen wir schon. Selbst die rein religiöse
-Anschauung, konsequent aufgefaßt, führt zu einem solchen Zwang und
-muß dazu führen. Hier handelt es sich aber um den <span class="gesperrt">physischen</span>
-Zwangsmechanismus, nicht um den göttlichen oder geistigen oder
-transzendentalen.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Pierre Gassendi</span> (1592 in der Provence geboren, gestorben 1655)
-ist noch kein vollständiger Materialist im vorbezeichneten Sinne.
-Wie sehr er bibelgläubig sich verhält, zeigt, daß er trotz besserer
-Einsicht das tychonische Weltsystem dem Kopernikanischen vorzog, weil
-nach der Bibel die Sonne sich bewegen soll. Und so läßt er auch die
-Welt mit Allem von Gott erschaffen sein. Nach der Erschaffung jedoch
-gibt er allein physische Vorgänge zu, namentlich nach Muster der Alten:
-Verbindungen und Trennungen der Atome. Diesen teilt er eine innere
-Fähigkeit mit, sich zu bewegen. Ebenso verhält er sich zu der Welt des
-Lebens. Er gesteht einen unsterblichen Geist zu, nimmt aber zugleich
-eine Demokritische Seele an und sucht sogar zu erweisen, daß diese in
-der Tat das leisten kann, was von ihr gefordert wird. Also teilt er
-mit<span class="pagenum"><a name="Seite_432" id="Seite_432">[S. 432]</a></span> der einen Hand aus und nimmt mit der anderen; eine wunderliche
-Mischung von Spiritualistischem und Materio-Mechanistischem aus der
-„doppelten Wahrheit“. Sein Hauptkampf galt dem Cartesianismus; hier
-ist er erfolgreich. Seine eigene Lehre ist aber so inkonsequent als
-möglich, wahrscheinlich, weil er sie nicht konsequent aussprechen
-durfte. Das Kopernikanische System verdankt ihm ein schönes Experiment.
-Die Gegner hatten eingewandt, wenn die Erde sich bewegte, könnte ein
-in die Höhe geworfener Stein nicht auf dieselbe Stelle herabfallen,
-von der aus er geworfen ist. Der Einwand ist zutreffend, wenn von der
-Trägheit abgesehen wird, die es veranlaßt, daß der Stein die Bewegung
-der Erde auch dann noch mitmacht, wenn er in die Höhe fliegt und
-zurückkehrt. Gassendi aber bewies das, indem er einen Gegenstand auf
-einem in der Tat sich bewegenden anderen Gegenstand, einem Schiff, aus
-der Höhe, von der Mastspitze, herabfallen ließ, mit dem erwarteten
-Erfolg, daß der Gegenstand am Fuße des Mastes ankam, nicht hinter ihm.</p>
-
-<p>In diesem Zusammenhang ist auch der in seiner Staatsraisonauffassung
-noch den harten Vormund der Antigone übertreffende <span class="gesperrt">Thomas
-Hobbes</span> (geboren in Malmesbury 1588, gestorben 1679) zu nennen. Die
-Wahrnehmungen werden mechanistisch so erklärt, wie die klassischen
-Materialisten sie auffaßten: Bewegungen pflanzen sich zu den
-Sinnesorganen fort und verursachen dort Bewegungen, die ins Gehirn
-und von da ins Herz gehen. Erinnerung und Gedächtnis sind nur Reste
-der Bewegungsaffektion, ebenso ist Ideenassoziation Verkettung
-solcher Bewegungsaffektionen. Jede Materie hat in sich Anlage zur
-Empfindung. So ist es wohl zu verstehen, wenn Hobbes, was vielen ein
-Widerspruch gegen seine mechanistische Ansicht zu sein scheint, die
-Vernunft auch als etwas <span class="gesperrt">Angeborenes</span> erklärt. Angeborenheit
-einer Fähigkeit steht durchaus nicht im Gegensatz zu Mechanismus;
-sie ruht ja schon in der Grundannahme einer besonderen atomistischen
-Seele; die belebten Wesen haben mit dieser körperlichen Seele eben die
-Anlage zum „Leben“ bekommen. Und so brauchte Hobbes selbst angeborene
-Begriffe und Fähigkeit, solche zu<span class="pagenum"><a name="Seite_433" id="Seite_433">[S. 433]</a></span> fassen und zu bilden, nicht ohne
-weiteres abzulehnen. Die Angeborenheit liegt in den Atomen, die sich
-zu Seele und Geist vereinigt haben, in ihrer Form, Bewegung und
-Anordnung &mdash; wenn man das versteht. Doch mag Hobbes selbst in der
-Tat in Inkonsequenzen verfallen sein. Alle Materialisten, gerade die
-ernsten und ernst denkenden, können den Faden nicht ganz festhalten,
-ebenso wie die Idealisten ihren Faden mitunter fallen lassen, sobald
-sie hinreichend Naturforscher sind. Beurteilung von Empfindungen beruhe
-auf Wechsel der Bewegungen bei gleichzeitiger Fortdauer, Erfahrung auf
-Beurteilung von solchen Bewegungen nach Gleichheit oder Ungleichheit
-mit früher in die Seele Gedrungenem und dort an den Atomen noch nicht
-Verklungenem. Ein Bewegungssystem muß ein anderes als sich gleich
-erkennen oder ungleich; vielleicht, indem es sich zu ihm widerstandslos
-addiert oder Widerstand leistet. Solche Beurteilungen fixieren wir in
-Namen, und diese erst geben uns die Mittel einer geordneten Folge von
-Vorstellungen. Wie, ist eigentlich nicht zu verstehen. Jedenfalls ist
-alles Seelische und Geistige aus Veränderungen im Körper abzuleiten
-(Mens nihil aliud erit praeterquam motus in partibus quibusdam corporis
-organici; die Vernunft wird nichts weiter sein, denn eine Bewegung
-in gewissen Teilen des organischen Körpers). Und so ist auch alles
-von <span class="gesperrt">außen</span> durch Bewegung verursacht. „Nichts nimmt von sich
-selbst Beginnen, sondern von der Wirkung eines unmittelbaren Tätigen
-außerhalb seiner.“ Die Fähigkeit dazu hat aber Alles in sich selbst,
-sofern Bewegung nur Bewegung hervorruft. So ist denn Erkenntnis
-Erkennen der Bewegungen und ihres Zusammenhanges. Wir müssen wohl
-sagen, <span class="gesperrt">Sich</span>erkennen. Raum und Zeit werden von Materialisten
-im allgemeinen als real angesehen. Hobbes aber sagt: „Raum ist das
-Phantasma eines existierenden Dinges, als existierend“. „Zeit das
-Phantasma einer existierenden Bewegung, als existierend.“ Also
-beständen beide außer den Dingen nicht. Wenn nun Hobbes weitergehend
-behauptet: ein Mensch würde die Welt aus sich, aus den Bewegungen
-seiner Seelenatome heraus nach außen projizieren, auch<span class="pagenum"><a name="Seite_434" id="Seite_434">[S. 434]</a></span> wenn eine
-solche Welt nicht da wäre, so kann er das nur für den Fall meinen,
-daß der Mensch Bewegungen aus einer Welt schon empfangen hat, sonst
-würde sich sein Materialismus in reinen Phantomismus auflösen, und er
-könnte von den Bewegungen ganz absehen, die ja gerade zum Verständnis
-des Zusammenhanges unserer mit einer wirklichen <span class="gesperrt">Außenwelt</span> nötig
-sein sollen. Weiter läßt Hobbes noch Gott gelten als ein besonders
-feines und reines, unendliches körperliches Wesen. Und mit dieser
-Annahme ist eine Art Deismus verbunden. Ein solcher Deismus kann auch
-unbeschadet des Materialismus bestehen, da ja Gott als körperliches
-Wesen nur selbst zur Welt gehört. Ob das freilich die Ansicht von
-Hobbes war, möchte ich nicht entscheiden. Aber zuzutrauen wäre es
-schon diesem rücksichtslosen Forscher. So erklärt er ja auch: „Die
-Furcht vor unsichtbaren Mächten sei es, daß diese aus Erdichtungen
-oder aus Erzählungen ihre Öffentlichkeit hernehmen, diese Furcht ist
-<span class="gesperrt">Religion</span>; sind die Mächte nicht öffentlich angenommen, so ist
-die Furcht <span class="gesperrt">Aberglaube</span>“. Die Religion hat also kein Kennzeichen,
-außer daß sie vom Staat anerkannt ist, sonst ist sie eben purer
-Aberglaube. Rücksichtsloser denkt der modernste Materialist auch
-nicht. Nur daß dieser nicht wie Hobbes jeden hängen würde, der die
-Staatsreligion abweist. Gleichwohl ist der Gottesbegriff bei Hobbes
-ein hoher. Die Atome sah Hobbes nicht bloß als nach Form und Größe
-verschieden an, sondern auch im Wesen, so daß sogar Atome ohne Schwere,
-Imponderabilien, vorhanden sein sollten, als die feinsten für Geist und
-Gott körperlich in Betracht kommenden.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Robert Boyle</span> (1627&ndash;1691) gehört hierher nur als Atomist, der
-die Atome in die Chemie und Physik in exakter Weise eingeführt hat.
-Seine Atome sind, wie die Descartes’, Trümmer einer zersplitterten
-Materie. <span class="gesperrt">Newton</span> (1642&ndash;1727) haben wir lediglich als den großen
-Begründer der Mechanik des Weltalls zu nennen. Beide waren keine
-materialistischen Mechanisten.</p>
-
-<p>Die übertriebenste Ausbildung hat der materialistische Mechanismus im
-18. Jahrhundert erfahren. Die <span class="gesperrt">Aufklärungsphilosophie</span>, die in
-Deutschland in Lessing,<span class="pagenum"><a name="Seite_435" id="Seite_435">[S. 435]</a></span> Herder u. a. zu so schönen idealen Blüten
-ersproßte, zeitigte in Frankreich, dicht neben den so bedeutenden
-Bestrebungen <span class="gesperrt">Rousseaus</span> und <span class="gesperrt">Voltaires</span>, auch den
-<span class="gesperrt">Enzyklopädismus</span>. <span class="gesperrt">Diderot</span> und <span class="gesperrt">d’Alembert</span> sind
-noch gemäßigte Naturalisten und Materialisten. Aber der Pfälzer
-Baron <span class="gesperrt">Holbach</span> und die Franzosen <span class="gesperrt">Mirabaud</span> und <span class="gesperrt">de la
-Mettrie</span> gehören zu den extremsten Materialisten, ohne daß die
-Naturkenntnisse der damaligen Zeit sie dazu eigentlich berechtigte.
-Materialistische Werke schossen damals wie Pilze aus der Erde. Sie
-wären nicht so schlimm gewesen, wenn sie sich nicht zum Teil auch
-bemüht hätten, die Lebensanschauungen auf fast gemeinen <span class="gesperrt">Egoismus</span>
-und <span class="gesperrt">Utilismus</span> zu lenken, die an sich gar nichts mit einer
-materialistischen Betrachtung von Welt und Leben zu tun haben. War
-der Materialismus bei denen, die ihn nicht kannten, schon oft in
-den Verdacht eine Lehre der Unmoral und des Eigennutzes zu sein,
-geraten, so schien er gegen Ende des 18. Jahrhunderts diesen Verdacht
-zu rechtfertigen. Aber die Revolution schwemmte mit anderem auch
-diesen ethischen Materialismus hinweg; und die Menschheit hat ihr
-zweifellos dafür zu danken. Der Materialismus konnte wieder reine
-Wissenschaft werden, was er im Altertum war und in unserer Zeit ist.
-Als ernsteres Hauptwerk des enzyklopädischen Materialismus wird das
-„Système de la nature ou des lois du monde physique et du monde
-morale“, 1770 in London gedruckt, angesehen. Als Verfasser ist Mirabaud
-angegeben; aber es ist längst fest ausgemacht, daß der Pfälzer Baron
-<span class="gesperrt">Holbach</span> der Verfasser war. Die Schrift ist zwar gegen die
-übliche Religion gerichtet, scheint aber im übrigen weder Eigennutz
-noch Unmoral zu lehren, sie bricht sogar für die Tugend eine Lanze.
-Der Materialismus darin bewegt sich in den Bahnen, die wir schon
-kennen; er folgt anscheinend namentlich Hobbes. Doch ist er stark mit
-Mystizismus versehen, denn die Atome werden nicht bloß mit Ausdehnung
-und Masse begabt, sondern auch mit besonderen geheimnisvollen Kräften
-und Eigenheiten, wie Sympathie und Antipathie, Liebe und Haß. Die
-Atome sind selbst noch zusammen<span class="pagenum"><a name="Seite_436" id="Seite_436">[S. 436]</a></span>gesetzt aus kleinsten Körperchen; in
-diese werden wohl die Besonderheiten verlegt. Übrigens hat unsere
-Wissenschaft die Atome zwar der Häkchen, Vorsprünge, Ärmchen usf. zum
-gegenseitigen Anhalten und Verketten beraubt, aber dafür notgedrungen
-Eigenschaften bei ihnen eingeführt, die nicht weit ab von den eben
-genannten liegen, wie Anziehung, Abstoßung, Polarität, Affinität
-usf. Und noch sind unsere Bemühungen, für diese Eigenschaften einen
-allgemeinen Ausdruck zu finden, nicht gelungen, obwohl wir überzeugt
-sind, daß ein solcher vorhanden sein wird, und wir auch den Weg, der
-zu ihm führt, zu kennen glauben dürfen. Auch die Zerteilung der Atome
-in noch kleinere Teilchen, wir nennen sie Corpusceln, entspricht
-modernen Anschauungen. Mystischer ist, wenn den Atomen auch eigenes
-inneres Streben zur Bewegung zugeschrieben wird. Hier kommt auch etwas
-wie die Herbartsche „Selbsterhaltung“ zum Vorschein. Es heißt: „Die
-Erhaltung ist also der allgemeine Zweck, nach dem alle Energien, alle
-Kräfte, alle Fähigkeiten der Wesen ständig gerichtet zu sein scheinen.“
-Sie wird mit der Trägheit identifiziert und gehört tatsächlich einem
-allgemeinen großen Naturgesetz an. Die Natur ist ganz Leben, Leben
-aus den materiellen Kräften der Natur, wofür auch das berühmte
-Phlogiston herangezogen wird. Denn nur Materie und Bewegung sind da;
-ohne Anfang, ohne Ende, ohne Zufall, ohne Freiheit, ohne Schöpfer,
-wie es bei einem Materialisten strenger Observanz sein muß. Und
-keine Ausnahme gibt es; der Mensch bildet sich nur ein, ein anderes
-zu sein als die Natur überhaupt. Auch er und alle seine körperliche
-und seelische und geistige Tätigkeit ist nur Materie und Bewegung,
-und ganz nach der gleichen Notwendigkeit geregelt wie bei jedem Ding
-der Natur. Götter und Gott hat nur der Aberglaube erdacht, und damit
-Gedankenträgheit, Vorurteil, Unduldsamkeit und Verfolgungssucht in der
-Welt heraufbeschworen. Wer die Natur kennt, braucht keine Gottheit, so
-wenig wie er einer Seele und eines Geistes als etwas Besonderen bedarf.
-Spricht man aber von einer bewegenden Ursache in der Natur, so mag man
-wohl Gott meinen. „Wenn wir dem Worte „Gott“ einen Sinn<span class="pagenum"><a name="Seite_437" id="Seite_437">[S. 437]</a></span> unterlegen
-wollen, so werden wir finden, daß es nichts anderes bezeichnen kann
-als die Summe der unbekannten Kräfte, welche das Universum beleben.“
-So ist denn die Natur auch „die Notwendigkeit ihrer selbst“, was sonst
-genau so von Gott ausgesagt wird. Und von gleichem Standpunkt werden
-Tugend, Vernunft und Wahrheit die „verehrungswürdigen Töchter der
-Natur, der Souveränin aller Wesen“ genannt und als „unsere einzigen
-Gottheiten für immer“ bezeichnet. Es ist also eine Hypostasie der
-Natur, bei aller Auffassung als nur Materie und Bewegung. Aus dieser
-Natur heraus fließen alle sittlichen Vorschriften als auf Selbstliebe
-begründet. Hier geht das Ganze in eine Art edlen Epikureismus über,
-und unter Wahrung des frohen Lebensgenusses. Holbach spricht in dieser
-Beziehung wie unsere modernen Materialisten, die eine Ethik aus sich
-selbst heraus lehren, welche neben gesundem Egoismus verbindlichen
-Altruismus enthält, nicht die fast zuchthausmäßig zwingenden Religionen
-von Hobbes, oder einen Krieg aller gegen alle. So ist dieses Système
-ein ganz modernes Werk, und ein menschlich gesundes dazu, wo nicht die
-Grenzen nach der einen und der anderen Seite überschritten werden. Und
-wo nicht solche Unentschiedenheiten herrschen wie in der wichtigsten
-Frage, ob die Atome auf sich selbst beruhen und die Natur ein Vieles
-aus diesen Einzelnen darstellt, oder ob die Natur eine absolute Einheit
-ist, von der noch die Atome eine Art Scheinleben haben, so daß für
-Eigenleben nirgend Platz und, wie im Pandeismus und Pantheismus, alles
-Zwang und Fatalismus ist.</p>
-
-<p>Rücksichtslose Krönung fand das Werk des mechanistischen Materialismus
-in <span class="gesperrt">Julien Offraye de la Mettries</span> Werk: „L’homme machine“, der
-Mensch eine Maschine. Sein System ist älter als das eben behandelte
-Holbachsche, aber fast noch konsequenter. Der Mensch ist durchaus von
-seinem Körper abhängig. „Ein Nichts, eine kleine Fiber, irgend etwas,
-das die subtilste Anatomie nicht entdecken kann, hätte aus Erasmus und
-Fontanella zwei Toren gemacht“. Das ist Binsenwahrheit, die Lamettrie
-durch eine Unzahl von Beispielen in der oben genannten Schrift und dem
-älteren<span class="pagenum"><a name="Seite_438" id="Seite_438">[S. 438]</a></span> Werke: „Histoire naturelle de l’âme“ oder „Traité de l’âme“
-belegt hat. Und in dieser Hinsicht unterscheidet sich der Mensch vom
-Tiere (oder der Pflanze) in keiner Weise. Sind nach Descartes die Tiere
-Maschinen, so sind es auch die Menschen. Und nun wird das Maschinelle
-des Menschen im einzelnen verfolgt. Wir brauchen das nicht genauer
-darzutun. Indessen scheint Lamettrie nicht den Menschen als Ganzes
-als Maschine angesehen zu haben, sondern in allen seinen Teilen; denn
-er findet das Leben in <span class="gesperrt">allen</span> Teilen des Organismus und gibt
-Erläuterungen dazu, wie das Weiterleben von abgetrennten tierischen
-Teilen, die Ergänzung zerschnittener Polypen usf. Zu der hieraus
-folgenden Idee, daß ein Lebewesen eine in jedem Teile gleiche Maschine
-ist (<a href="#Seite_369">S. 369</a> f.), gelangt er aber nicht; er unterscheidet die Wesen
-nur nach Kompliziertheit der maschinellen Einrichtung. „Der Mensch
-verhält sich zu den Tieren, wie eine Planetenuhr von Huyghens zu einem
-gemeinen Uhrwerk.“ Auf die Zahl der Teile, Räder usf. kommt es bei ihm
-an. Wir wissen aber, daß es darauf allein nicht ankommt. Keine noch so
-komplizierte Maschine kann einem Lebewesen verglichen werden; gerade
-aus Lamettries Gründen für das Leben überall im Körper. Was er sonst
-in seiner Schrift noch mit gewisser „absichtlicher Frechheit“ (Lange,
-Geschichte des Materialismus) ethisch vorbringt, müssen wir übergehen.
-Im übrigen darf ich auf die eingehende Würdigung dieses, immerhin sehr
-merkwürdigen, Mannes in dem genannten Werk von Lange hinweisen, dem
-hiernach in der Tat viel bitter Unrecht geschehen ist, als eine Art
-„Prügeljungen des französischen Materialismus“.</p>
-
-<p>Ganz im Sinne Lamettries klingt der Satz <span class="gesperrt">Ludwig Feuerbachs</span>:
-„Was der Mensch ißt, das ist er“, obwohl Feuerbach mehr Positivist
-und Empirist, als Materialist gewesen ist, trotz Ablehnung der
-Unsterblichkeitslehre. Im übrigen brauchen wir den modernen
-mechanistischen Materialismus nicht weiter zu verfolgen. Er knüpft
-sich an die Namen <span class="gesperrt">Karl Vogt</span>, <span class="gesperrt">Büchner</span>, <span class="gesperrt">Moleschott</span>,
-<span class="gesperrt">Czolbe</span>, <span class="gesperrt">Dubois-Reymond</span> in seiner ersten Zeit usf. Weder
-ist er so konsequent wie der klassische oder englisch-französische,<span class="pagenum"><a name="Seite_439" id="Seite_439">[S. 439]</a></span>
-noch bietet er neue Gesichtspunkte, oder konnte er solche bieten.
-Lediglich aus den vermehrten Kenntnissen in Astronomie, Physik, Chemie,
-Physiologie und beschreibenden Naturwissenschaften sind festere Stützen
-für die materialistische Anschauung gewonnen worden. Wir sprechen davon
-im Zusammenhang mit dem folgenden. Was aber allzu seicht ist, wie
-beispielsweise die Belehrungen von Büchner, werden wir übergehen. Des
-geistvollen und tiefen <span class="gesperrt">David Friedrich Strauß</span>’ Materialismus
-in „Der alte und der neue Glaube“ kann ich nur aus einer Art
-Vergnügen an Errungenschaft aus fremdem Gebiete und aus Überschätzung
-der, ihm naturgemäß nicht hinreichend geläufigen, Ergebnisse der
-Naturwissenschaften erklären.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>51. <span class="gesperrt">Allgemeine und besondere
-Naturgesetze, Entwicklungslehre</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Die Erfahrung hat gelehrt, daß alle Erscheinungen und Vorgänge der
-physischen Welt zunächst von drei allgemeinen Gesetzen beherrscht
-werden, die wir als <span class="gesperrt">kosmische Regulative</span> bezeichnen wollen: dem
-Gesetz der Erhaltung der Massen, dem der Erhaltung der Energien und
-dem der Trägheit und des gleichsinnigen Strebens nach einem bestimmten
-Endzustande. Die beiden ersten Gesetze sind einfach, wenn man die
-Begriffe von Masse und Energie aufgefaßt hat. Ich muß diese Begriffe
-als bekannt voraussetzen. Der dritte Satz, soweit er von Trägheit
-spricht, ist ebenfalls einfach; er besagt nur, daß Zustände, welche
-bestehen, sich nur durch Anlaß oder dauernde Kraft ändern. Wenn ein
-Anlaß schon ausreicht, den Zustand dauernd zu ändern, in einen anderen
-überzuführen, so ist jener Zustand <span class="gesperrt">labil</span> gewesen. Bedarf es
-einer stetig wirkenden Kraft, so daß die Änderung immer nur der Kraft
-nachgebend geschieht, so war jener Zustand <span class="gesperrt">stabil</span>. Ob ein
-Zustand stabil oder labil ist, hängt ab sowohl von diesem Zustand
-selbst als auch von dem, der in der Umgebung, also allgemein in der
-Welt herrscht, wenn wir die Welt als eine Einheit auffassen. Hiernach
-ist auch der zweite Teil des dritten Satzes leicht zu verstehen, denn
-der darin<span class="pagenum"><a name="Seite_440" id="Seite_440">[S. 440]</a></span> enthaltene Endzustand wird ein stabiler Zustand sein. Daß
-es kein labiler sein kann, folgt daraus, daß ein stabiler Zustand
-sich wiederherstellen kann, wenn die ihn ändernde Kraft aufgehört
-hat zu wirken, ein labiler Zustand dagegen nicht. Eine Kugel in dem
-tiefsten Punkt eines vertikal gestellten Kreiskanals ist in stabilem
-Zustand; schiebt man sie aus diesem Punkt heraus, so kehrt sie in ihn
-zurück oder schwingt um ihn hin und her. Die gleiche Kugel auf den
-höchsten Punkt des Kanals gelegt, kann dort ebenfalls ruhen, beim
-geringsten Anlaß aber fällt sie herab und kehrt nicht wieder zurück.
-Die Wissenschaft hat für den Endzustand auch eine gewisse mathematische
-Bestimmung gefunden, nämlich, daß etwas, das <span class="gesperrt">Entropie</span> genannt
-wird, den höchstmöglichen Wert erreicht, so daß alle Änderungen in der
-Natur zur <span class="gesperrt">Vermehrung</span> dieser Entropie dienen, wenn sie dieselbe
-nicht ungeändert lassen. Es heißt darum der dritte Satz auch der
-<span class="gesperrt">Entropiesatz</span>. Der Satz wird noch in anderer Weise ausgesprochen.
-Die Vorgänge in der Natur vermögen wir uns so vorzustellen, daß sie
-auch rückwärts durchlaufen werden können, wie ein Körper in die Höhe
-steigen und von da herabfallen kann; oder so, daß dieses nicht zulässig
-ist, wie der Ofen einen Raum erwärmt, aber dieser Raum seine Wärme
-an den Ofen nicht zurückzugeben vermag. Demnach sind die Vorgänge
-<span class="gesperrt">umkehrbar</span>, <span class="gesperrt">reversibel</span>, oder <span class="gesperrt">nicht umkehrbar</span>,
-<span class="gesperrt">irreversibel</span>. An sich kennen wir keinen Vorgang, der vollständig
-umkehrbar ist. Genau genommen sind alle Vorgänge in der Natur nicht
-umkehrbar. Aber wie dem auch sein mag, so besagt jener dritte Satz, daß
-aus allen Vorgängen immer ein Rest bleibt, der nicht umgekehrt werden
-kann. Die Welt kommt also allmählich in einen Zustand, der sich nicht
-redressieren läßt.</p>
-
-<p>Endlich sei noch ein Ausspruch des Satzes erwähnt, der von
-<span class="gesperrt">Boltzmann</span> und <span class="gesperrt">Planck</span> herrührt, nämlich: Die Natur führt
-alle Änderungen in der Weise, daß zu jeder Zeit derjenige Zustand
-herrscht, der unter den gegebenen Verhältnissen der wahrscheinlichste
-ist. Von allen Zuständen, die die Welt erreichen könnte, strebt sie
-demjenigen zu, der für<span class="pagenum"><a name="Seite_441" id="Seite_441">[S. 441]</a></span> sie, wie sie sich nun einmal eingerichtet
-zeigt, der wahrscheinlichste ist. Es kommt also darauf an, wie wir
-sie eben als eingerichtet ansehen müssen. Tiefe Untersuchungen
-der genannten Forscher haben ergeben, daß diese Einrichtung so
-angenommen werden muß, daß in den <span class="gesperrt">letzten Einzelnen</span> räumlich
-wie zeitlich absolute <span class="gesperrt">Nichtordnung</span> besteht. Die letzten
-Einzelnen sind die Atome oder Molekeln der Materie in ihrer Bewegung,
-oder auch solche Erscheinungen, wie eine Unzahl von unendlich rasch
-aufeinanderfolgenden Lichtschwingungen aller möglichen Art, welche
-einen Strahl natürlichen Lichtes ausmachen u. ä. Bei den Atomen oder
-Molekeln bezieht sich die Nichtordnung auf die Bewegungen in den
-Körpern, Atom- und Molekularbewegungen; diese Bewegungen dürfen für
-alle Atome oder Molekeln im Raume, sowie für <span class="gesperrt">eine</span> Molekel in
-der Zeit, keine Ordnung aufweisen, weder in der Richtung noch in der
-Geschwindigkeit. Bei Erscheinungen wie dem natürlichen Licht müssen die
-unzähligen es zusammensetzenden, unendlich rasch aufeinanderfolgenden
-Einzelstrahlen in keiner ihrer Eigenschaften, wie Farbe, Polarisation,
-Schwingungskurve, Stärke usf. Ordnung zeigen. Absolute Nichtordnung muß
-herrschen, so daß alles zu erwarten und nichts vorauszusetzen ist. Das
-betrifft aber, um es nochmals hervorzuheben, die letzten Einzelnen, die
-ein Ganzes (Körper, natürlicher Strahl, Wärme usf.) zusammensetzen.
-Daher von <span class="gesperrt">elementarer Nichtordnung</span> gesprochen werden kann. Das
-ist ein etwas wunderliches Ergebnis für die Einrichtung unserer Welt:
-Ordnung in den Ganzen, Nichtordnung in den Elementen. Aber Lucretius
-Carus hat schon für die Atome von der Nichtordnung gesprochen, und
-Bernouilli, Krönig, Clausius, Maxwell u. a. haben diese besondere
-Nichtordnung zur Begründung der bekannten kinetischen Theorie der
-Körper und der Wärme benutzt, wie sie für Strahlen schon von Fresnel
-in der Theorie des natürlichen Lichtes Anwendung gefunden hat. Alle
-elementaren Einzelnen sollen in ihrer Nichtordnung auch voneinander
-völlig <span class="gesperrt">unabhängig</span> sein. Findet das nicht statt, sind Systeme von
-ihnen zusammenhängend im Wechsel ihrer Zustände, <span class="gesperrt">kohärent</span>, wie<span class="pagenum"><a name="Seite_442" id="Seite_442">[S. 442]</a></span>
-zwei Strahlen, die von derselben Lichtquellenstelle ausgehen, so bleibt
-zwar auch für sie im gesamten der Erscheinungen und Vorgänge das dritte
-Gesetz bestehen, aber im besonderen kommen Änderungen hinzu, welche
-den Erfolg dieses Gesetzes aufhalten, also verzögern, indem sie gegen
-dieses Gesetz verlaufen. Zwei Lichtstrahlen gleicher Temperatur sollten
-nach diesem Gesetz, wenn man sie in andere Strahlen umwandelt, auch
-dann keinen Temperaturunterschied zeigen; sie lassen jedoch gleichwohl
-einen solchen hervortreten, falls sie kohärent sind. Ich darf auf den
-kurzen, aber sehr gehaltvollen Aufsatz von Max Planck, „Die Einheit des
-physikalischen Weltbildes“ verweisen.</p>
-
-<p>Das Recht, diese Sätze, die selbstverständlich nur auf der Erde
-geprüft werden können, auf das ganze uns bekannte Weltall auszudehnen,
-nehmen wir aus der, namentlich durch die Spektralanalyse erwiesenen
-Tatsache, daß die Himmelskörper aus den Stoffen bestehen, die auch
-unsere Erde bietet. Es wäre ein Verfahren ins Blaue hinein und
-ganz unwissenschaftlich, wenn jemand behaupten wollte, daß die
-Grundeigenschaften der Stoffe und der Vorgänge zwischen ihnen auf den
-Himmelskörpern andere sind und anderen Gesetzen folgen als auf der
-Erde. Freilich müssen wir zugeben, daß wir gewisse Zustände, unter
-denen sie sich auf den Himmelskörpern befinden, auf der Erde noch
-nicht herzustellen vermögen. Aber jene Gesetze nehmen wir eben als
-von den besonderen Zuständen unabhängig an, da sie sich so auf der
-Erde erweisen, soweit hier Prüfung möglich ist. Das Bestehen etwaiger
-Kohärenz hat auf diese Gesetze keinen Einfluß, auf die beiden ersten
-Gesetze in keiner Beziehung, auf das dritte Gesetz in seinem Enderfolge
-nicht, wenn es auch, wie bemerkt, den Gang nach diesem Gesetz aufhalten
-und verzögern kann.</p>
-
-<p>Regieren diese drei Gesetze alle physischen Erscheinungen und Vorgänge
-der Welt ausnahmslos, so bestehen für die Einzelerscheinungen und
-Einzelvorgänge noch besondere Gesetze und Regeln. Manche von diesen
-sind von so allgemeiner Bedeutung, daß sie wieder die ganze Welt
-betreffen. So<span class="pagenum"><a name="Seite_443" id="Seite_443">[S. 443]</a></span> die Massenanziehung nach der Newtonschen Formel,
-von der keine greifbare Substanz ausgenommen ist und die absolut
-unveränderlich scheint. So die Regel, wonach für alle nicht kohärenten
-Systeme die Wärme immer nach den kälteren Körpern von selbst hinströmt
-und strahlt, und nie umgekehrt nach den wärmeren. Andere dagegen sind
-Spezialgesetze, wie die Formeln, nach denen Körper sich anziehen
-oder abstoßen oder drehen, wenn elektrische oder magnetische oder
-Stromeinflüsse sich geltend machen, oder wie diejenigen, welche die
-Beugung, Reflexion und Brechung von Licht- und Schallstrahlen, die
-Zusammendrückbarkeit der Körper, zum Beispiel der Gase, feststellen
-usf. Solche Gesetze können in ihrer Wirkung auch von der Umgebung
-abhängen. Wie dem aber auch sei, so nehmen wir uns doch die Freiheit,
-auch sie auf das Weltall auszudehnen, das heißt, ihre Gültigkeit
-überall anzusetzen, wo sich Gelegenheit zu ihrer Geltendmachung bietet,
-nicht bloß auf der Erde. Von dem Gesetz der Massenanziehung und dem
-der Zerstreuung der Wärme nach den kälteren Stellen sind wir ja der
-Allgemeingültigkeit fast sicher.</p>
-
-<p>So können wir uns hiernach die Welt aufbauen, so daß sie unserer
-irdischen entspricht, und dürfen aus dem, was wir für diese wissen, auf
-das All übertragen: alle Stoffe, alle Erscheinungen, alle Vorgänge,
-alle Gesetze. Und in dieser Weise ist der mechanistische Materialismus
-für das physische All zunächst zu verstehen. Aus dem gleichen Grunde
-dürfen wir die systematische Ordnung am Himmel, in Raum und Zeit,
-wiederum aus irdischen Erfahrungen ableiten. So ist die gewaltige
-Lehre Kants vom Weltsystem und seiner Entwicklung entstanden, nachdem
-seit dem Altertum ein solches System aufzubauen die Bemühungen nicht
-geruht haben und Descartes schon ein sehr eigenartiges, aber nicht den
-Tatsachen hinreichend entsprechendes System aus seiner Theorie der
-Himmelswirbel abgeleitet hatte. Wir haben hier die Geburt, das Leben,
-den Untergang, das Wiederaufleben usf. der einzelnen Systeme im Weltall
-nach bestimmten Prinzipien.</p>
-
-<p>Das alles gilt von der physischen Welt. Wie steht es mit der lebenden
-Welt? Soweit die Körper der Lebewesen<span class="pagenum"><a name="Seite_444" id="Seite_444">[S. 444]</a></span> in Betracht kommen, nicht anders
-als mit der physischen Welt; sie sind den Weltgesetzen unterworfen wie
-allen Einzelgesetzen, und kein lebendes Wesen kann seinen Körper diesen
-Gesetzen entziehen, sie gelten hier so streng wie in der unbelebten
-Natur. Hinsichtlich der Körper dürfen wir die lebenden Wesen dem All
-ohne weiteres einverleiben. Wie es hinsichtlich der Psyche steht,
-wird später besprochen. Hier erwähnen wir nur das, für die Psyche
-Unbedeutende, aber für das Leben und seine Entwicklung sehr Bedeutende.
-Im Bereiche dieser Erscheinungen kennen wir außer jenen kategorischen
-Gesetzen noch zwei andere Gesetze: das der <span class="gesperrt">Selbsterhaltung</span> und
-das der <span class="gesperrt">Erhaltung der Art</span> (<span class="gesperrt">Vererbung</span>), das heißt der
-Erhaltung des individuellen Körpers und Geistes und der Erhaltung der
-Nachkommen in der besonderen Gestaltung dieses Körpers und Geistes.
-Sehen wir von allen psychischen Wirkungen ab, so würden in einer
-absolut unveränderlichen Umgebung beide Gesetze streng zur Ausführung
-gelangen können. Wir vermögen uns sehr wohl einen Zustand zu denken,
-in dem ein Wesen nach seiner Einrichtung lebt und vergeht und genau
-entsprechende Wesen produziert, so daß die Kette der Wesen immer aus
-gleichen Ringen zusammengesetzt ist. Alsdann ist auch nur eine einzige
-Wesenart vorstellbar, und von je in je. Ob das irgendwo in der Welt
-stattfindet, wissen wir nicht; sollte das der Fall sein, so dürfte es
-sich entweder auf Wesen beschränken ohne geistige Tätigkeit, oder auf
-solche mit höchster Vernunft. Die Gründe sind leicht einzusehen. Genug,
-ein solcher Zustand ist durchaus vorstellbar. Wie nun die Verhältnisse
-auf der Erde sind, steht die Selbsterhaltung wie die Erhaltung der Art
-in einem steten Kampf mit der ganzen Umgebung. Die Lebewesen suchen
-instinktiv oder planmäßig die Umgebung ihrer Art anzupassen, aber auch
-sich selbst der Umgebung anzupassen. Letzteres geschieht größtenteils
-nur instinktiv, unbewußt &mdash; wir werden später die Bedeutung davon
-kennen lernen. Unter Umgebung ist dabei nicht allein die unbelebte
-Natur verstanden, sondern auch die belebte. Aus der Anpassung an die
-Umgebung aber folgt, daß die beiden Erhaltungsgesetze<span class="pagenum"><a name="Seite_445" id="Seite_445">[S. 445]</a></span> nur bedingt
-erfüllt werden können, nämlich mit Rücksicht auf diese Umgebung. Und
-so treten schon im Leben des Individuums Änderungen seines Selbst
-ein und folglich nach dem zweiten Erhaltungsgesetz Änderungen der
-Art. Auf diesen Grundgedanken &mdash; von den Einzelheiten müssen wir
-hier absehen &mdash; ist die <span class="gesperrt">Entwicklungslehre der belebten Wesen</span>
-aufgebaut worden, namentlich von Lamarck und Darwin, nachdem Geister
-wie die ionischen Naturphilosophen, Kant, Goethe und andere sie schon
-mehr oder weniger bestimmt gedacht haben. Ob diese Entwicklungslehre,
-<span class="gesperrt">Phylogenie</span>, in der <span class="gesperrt">Paläontologie</span> und in der
-Wachstumslehre, <span class="gesperrt">Ontogenie</span>, eine durchaus sichere Stütze hat, ist
-gegenwärtig wieder etwas zweifelhaft geworden. Daß aber die Arten sich
-ändern müssen, wo die Umgebung sich ändert, ist ganz unausweichlich,
-wenn auch daraus noch lange nicht folgt, daß alle Arten wie die Zweige
-eines Baumes aus einem Lebewesen hervorgegangen sein müssen. Das hängt
-mit der Entstehung der Lebewesen überhaupt zusammen.</p>
-
-<p>Ich will darüber und über die <span class="gesperrt">Abstammungs</span>-,
-<span class="gesperrt">Deszendenzlehre</span> nur einiges sagen. Erstens ist es sehr wohl
-möglich, daß große Klassen von Lebewesen aus verschiedenen Urwesen
-ihren Ursprung genommen haben. Der Bau eines Insektes ist trotz der
-entsprechenden Organe, wie Magen, Lunge, Füße, Augen usf. so himmelweit
-von dem eines Säugetieres verschieden, daß, wenn nicht absolut
-zwingende Gründe der Paläontologie vorhanden sind, die irgendwann in
-der Geschichte der Erde ein Wesen nachweisen, das sich ebensogut zu der
-Stufe der Säugetiere wie zu der der Insekten entwickeln konnte, man
-noch wissenschaftlicher verfährt, Insekt und Säugetier auf verschiedene
-Urwesen zurückzuführen. Man verliert ja dadurch gar nichts hinsichtlich
-des Hauptsächlichen, der Entwicklungslehre. Auch eingeschränkt auf
-Arten, die wirklich einander entsprechen, hat sie immer noch ihre
-hohe Bedeutung und braucht auch nicht so sehr mit dem Mangel an Zeit
-zu kämpfen. Doch mag das sein, es hat mehr ein Interesse des Kennens
-als des Erkennens, denn das Psychische berührt es gar nicht. Und die
-törichten Exklamationen von<span class="pagenum"><a name="Seite_446" id="Seite_446">[S. 446]</a></span> Leuten, die fürchten, ihre Gottähnlichkeit
-würde ihnen durch die Entwicklungslehre genommen werden, beruhen auf zu
-geringer Überlegung. Wir sind Gott ähnlich mit und ohne Entwicklung,
-wenn wir uns dessen bewußt sind. Die Entwicklungslehre für sich kann
-den Geist, die Seele nicht aus der Welt schaffen. Und wenn sie eine
-Art Mechanistik darstellt aus den physischen Einwirkungen von außen,
-so sagt sie damit an sich nichts Neues, sondern etwas, das der Mensch
-seit je gewußt hat, daß er nämlich von solchen Einwirkungen durchaus
-abhängig ist. Wir können also die Entwicklungslehre ruhig bestehen
-lassen, ohne unserer Seele etwas anzutun. Selbst ein Nachweis, daß die
-seelische Organisation mit der körperlichen in der Entwicklungsreihe
-wächst, würde von keinem Belang sein. Aber ein solcher Nachweis, wie
-soll er wohl geführt werden, ohne auf die auffälligsten Widersprüche
-und Unbegreiflichkeiten zu stoßen? Die Pflanzenwelt besteht so lange
-wie die Tierwelt; hat aber die höchste Pflanze &mdash; mögen auch die
-Pflanzen, wie die neusten Untersuchungen gelehrt haben, nicht ohne
-Sinnesorgane und Nerven, vielleicht auch nicht ohne Vorstellungen sein
-&mdash; psychisch Ähnlichkeit auch nur mit einer Schnecke? Eine Ameise, die
-in der körperlichen Organisation so vielen Insekten nachsteht, von den
-Säugetieren gar nicht zu reden, besitzt eine viel größere geistige
-Rührigkeit als manches höchste Säugetier. Körperlich ganz benachbarte
-Arten zeigen durchaus verschiedene geistige Äußerungen. Die geistigen
-Verschiedenheiten selbst innerhalb derselben Art sind auch dann noch
-ungeheuer, wenn wir von pathologischen Verhältnissen absehen, nur das
-Normale nehmen.</p>
-
-<p>Viel wichtiger ist das zweite. Woher kam das Urwesen, oder woher
-kamen die Urwesen? Die beiden Hauptansichten darüber sind schon
-im Altertum geäußert worden. Nach den Mechanisten müßte es sich
-gerade so gebildet haben wie jeder unbelebte Körper. Damit hängt die
-sogenannte generatio equivoca, die Selbstzeugung, zusammen, an die noch
-Schopenhauer geglaubt hat. Ließen doch manche Griechen die Lebewesen
-einfach aus Schlamm oder Erde unter der Einwirkung der<span class="pagenum"><a name="Seite_447" id="Seite_447">[S. 447]</a></span> Hitze der Sonne
-auf diesen Schlamm oder die Erde erwachsen sein. Gerade die moderne
-Naturwissenschaft hat die Selbstzeugung als nichtig erwiesen. Unter den
-Umständen, die wir nur herzustellen vermögen, sagen die Materialisten
-strenger Observanz; aber unter anderen Umständen? &mdash; Darüber läßt sich
-nicht streiten, es liegt außerhalb der wissenschaftlichen Methode.
-Ich verweise aber, um Mißverständnissen vorzubeugen, durchaus auf
-die Definition der Lebewesen, wie wir sie unserem Kant verdanken und
-die wohl auch für den Materialisten allerstrengster Observanz gültig
-sein wird. Die zweite, schon im Altertum bekannte Annahme ist die
-neuerdings als <span class="gesperrt">Panspermie</span> bezeichnete. Keime aller Dinge, auch
-der belebten Wesen, sollten durch das ganze Weltall verteilt sein, und
-wenn letztere in geeignete Verhältnisse kamen, sollten sie sich zu
-den betreffenden Lebewesen entwickeln. Die Entwicklung wurde mitunter
-nach der <span class="gesperrt">Evolutionslehre</span> gedacht, deren neuerer intensiver
-Vertreter <span class="gesperrt">Albrecht von Haller</span> gewesen ist. In jedem Keim
-(nach der Hauptansicht in der Eizelle, nach anderen Ansichten in der
-Samenzelle) steckt schon das Wesen in kleinster Gestalt, in diesem
-eingehüllten Wesen ein von ihm eingehülltes usf., so daß jeder Keim
-eine unendliche Zahl immer ineinander eingekapselter Wesen einer Art
-enthielte. Ein Keim ist so in der Lage, durch stete Fortpflanzung
-eine unbegrenzte Reihe von Wesen einer Art herauszuwickeln, und es
-genügte, wenn von jeder Art auch nur ein Keim von je vorhanden war.
-Wir wissen jetzt (bereits seit <span class="gesperrt">Caspar Friedrich Wolff</span> 1759),
-daß diese Evolutionslehre in dieser Form nicht zutrifft. Auch in einer
-anderen Form, die <span class="gesperrt">Weismann</span> ihr gegeben hat, und die lange in der
-Biologie großes Ansehen genoß, daß nämlich zwar nicht die vollständigen
-Wesen, aber doch die letzten Teile, aus denen sie sich bilden, in
-den Keimen schon vorhanden seien, so daß es sich um eine Trennung
-dieser Teile und dann um ein Wachstum handelt, muß die Evolutionslehre
-gegenwärtig abgelehnt werden. Denn gegenwärtig meint man: die Wesen
-entwickeln sich durch Sprossung oder Teilung aus einer Zelle, unter
-sehr verwickelten Erscheinungen<span class="pagenum"><a name="Seite_448" id="Seite_448">[S. 448]</a></span> auf Grund des Stoffwechsels, eine
-Lehre, die als <span class="gesperrt">Epigenesis</span> bezeichnet wird, indem alles
-erst in der Entwicklung entsteht, aus gewissen Eigenschaften der
-Keimteile. Aber die Panspermie behält gleichwohl ihre Bedeutung. Eine
-Hauptschwierigkeit für sie kannten die Alten nicht, nämlich die sehr
-tiefe Temperatur des Weltalls, die wohl 150° C unter Null beträgt.
-Moderne Forscher, wie W. <span class="gesperrt">Thomson</span> und <span class="gesperrt">Helmholtz</span>, haben
-darum mehr gelegentlichen Transport von Keimen durch Meteorite für
-nicht ausgeschlossen gehalten und so Verbreitung von Weltkörper
-zu Weltkörper. <span class="gesperrt">Arrhenius</span> hat dann, nach den Forschungen
-der neuesten Zeit über Strahlen- und Elektrizitätsdruck, gezeigt,
-daß kleine Keime auch ohne Meteorite von Weltkörper zu Weltkörper
-geschleudert werden können, und daß die Fluggeschwindigkeit dabei so
-groß sein kann, daß die Keime zwischen Körper und Körper die furchtbare
-Kälte des Weltraumes überdauern können. Das alles muß man jetzt
-zugeben; und so ist in der Tat die Verbreitung von Leben durch das
-Weltall möglich, zumal wenn man Keime aller Art zuläßt, namentlich auch
-solche, die unter ganz anderen Verhältnissen sich entwickeln können als
-auf der Erde herrschen, etwa unter solchen auf dem Monde, wo atmende
-Wesen in unserem Sinne nicht vorhanden sein können usf. Ich wüßte
-nicht, was dem entgegenstehen sollte. Atome werden ja auch von allen
-möglichen Arten angenommen, und wie wenig bei Keimen in ihrer Struktur
-dazu gehört, sie nach ganz verschiedenen Richtungen sich entwickeln
-zu lassen, ist ja bekannt; die Keimzellen (z. B. Ei und Sperma)
-differentester Lebewesen sind für uns mitunter kaum zu unterscheiden.
-Gleichwohl müssen sie jede ein Eigenes haben, das sie veranlaßt, sich
-gerade zu dem bestimmten Wesen zu entwickeln. Sind einmal Keimzellen
-gegeben, so hat es weiter keine Not, denn nun entwickeln sich solche
-Zellen im Laufe des Lebensprozesses immer weiter, wie gesagt, durch
-Sprossung oder Teilung; der Intervention einer neuen Urzelle bedarf es
-dann nicht.</p>
-
-<p>Das alles betrifft die Entwicklung der <span class="gesperrt">Wesen-Reihe</span>, die
-<span class="gesperrt">Phylogenie</span>. Die Entwicklung der <span class="gesperrt">Einzelwesen</span>, die<span class="pagenum"><a name="Seite_449" id="Seite_449">[S. 449]</a></span>
-Ontogenie, wäre sehr einfach, wenn die Evolutionstheorie sich als
-zutreffend erwiesen hätte; die Keime mit ihren ins Unendliche
-ineinandergekapselten Wesen gleicher Art wären von je, oder geschaffen,
-das Weitere beträfe nur die Auswicklung, sozusagen aus der Hülle,
-wobei der betreffende Urkeim von Geschlecht zu Geschlecht weiter und
-weiter gegeben würde. Nur die Umstände, unter denen die Auswicklung
-erfolgt und die Art, wie sie erfolgt und wie das Wachstum geschieht,
-böten, freilich recht bedeutende, Schwierigkeiten. Allein wir sollen
-es mit der Epigenesis zu tun haben, und da handelt es sich nicht bloß
-um diese Schwierigkeiten, sondern auch um die Frage, warum sich aus
-Ei und gegebenenfalls Samenzelle jedesmal ein den Eltern gleiches
-Wesen entwickelt. Hier gilt nun, wie man sagt, das <span class="gesperrt">Gesetz der
-Vererbung</span>; und es wird darum als erwiesen angesehen, daß die
-Entwicklung der Einzelwesen in den ersten Stadien die der Wesenreihe
-bis zu einem gewissen Grade wiederholt. <span class="gesperrt">Die Phylogenie spiegelt
-sich in der Ontogenie wieder</span>, oder noch schärfer: <span class="gesperrt">Die Ontogenie
-ist eine Rekapitulation der Phylogenie</span>. Die Untersuchungen
-darüber sind außerordentlich verwickelt. Ich darf wegen dieses
-<span class="gesperrt">biogenetischen Grundgesetzes</span> namentlich auf unseres greisen, dem
-Vaterlande zum Stolz gereichenden Forschers <span class="gesperrt">Häckel</span> Schriften
-verweisen, denen nur grobe Unbedachtheit, um nicht ein härteres
-Wort zu benutzen, aus kleinen Irrtümern und Versehen, wie sie bei
-sorgfältigster Arbeit sich nicht vermeiden lassen, absichtliche
-Unrichtigkeiten unterschieben konnte. Wie weit die Ontogenie als
-<span class="gesperrt">Palingenesie</span> in der Tat Phylogenetisches wiederholt, ist wohl
-noch strittig. Häckel selbst hat hervorgehoben, daß manche Stufen in
-der Ontogenie fehlen, andere abgekürzt auftreten und viele Stufen
-nachträgliche Erwerbungen, <span class="gesperrt">zenogenetisch</span> sind, die sich in der
-Phylogenie nicht finden. Aber alles würde immer nur beweisen, daß
-Bestehendes möglichst erhalten wird, selbst wenn es längst vergangen
-ist, um so mehr, wenn es noch blüht. Tatsachen der Vererbung gibt
-es aber unzählige, sie sind durch die <span class="gesperrt">Deszendenztheorie</span> fast
-Gemeingut geworden. Was veranlaßt aber die Vererbung, daß Wesen
-verschiedener Art nicht einmal<span class="pagenum"><a name="Seite_450" id="Seite_450">[S. 450]</a></span> Nachkommen hervorbringen können? Der
-Grund muß in den Elementen, aus denen die Lebewesen sich entwickeln,
-liegen, in Ei und Samen. Aber worin er besteht, wissen wir nicht.
-Der Inhalt von Ei und Samenzelle (Protoplasma, Nukleus, Chromatin,
-Zentrosom und vielleicht noch anderes) ist außerordentlich kompliziert
-gebaut. Noch komplizierter, abgesehen von den Einzelligen und den
-Amöben, trotz Feststellung typischer Vorgänge, wie namentlich der
-<span class="gesperrt">Gastrulation</span>, ist die Entwicklung selbst. Es scheinen auch
-polare Kräfte mitzuspielen, für die wir noch keinen Ausdruck haben, und
-Struktur- und Beschaffenheitsdifferenzen in den Inhalten der Elemente.
-So ist das Gesetz der Vererbung einstweilen nur eine Umschreibung für
-eine Reihe von Tatsachen. Es muß aber mit außerordentlicher Energie
-wirken, da es aus einer unendlichen Zahl von Möglichkeiten immer nur
-ein Bestimmtes zuläßt und selbst noch Dinge, <span class="gesperrt">rudimentäre Organe</span>,
-erhält, die für das Wesen nutzlos oder gar schädlich sind, worüber
-Darwin so eingehend geschrieben hat. Und dabei wirkt die Vererbung,
-indem sie sich nicht bloß auf das Ganze erstreckt, sondern sogar
-auf die kleinsten Einzelheiten; alle Organe, alle Gliedmaßen, alle
-Nerven, Muskeln, Knochen usf., und alles dieses in den feinsten
-histologischen Feinheiten, werden vererbt. Wir wollen diese Vererbung
-die <span class="gesperrt">morphologische</span> nennen und setzen ihr an die Seite die
-<span class="gesperrt">biologische</span>, indem die Vererbung auch die <span class="gesperrt">Folge</span> in der
-Entwicklung der einzelnen Teile betrifft, sowie die <span class="gesperrt">funktionale</span>,
-welche sich auf die <span class="gesperrt">Tätigkeiten</span> der einzelnen Teile bezieht.</p>
-
-<p>Allein die Vererbung geht selbst auf die <span class="gesperrt">Stellen</span> des Eies, aus
-denen die Entwicklung geschieht; bestimmte Stellen entwickeln sich
-in bestimmter, immer gleicher Weise, wenn die Entwicklung ungestört
-geschieht. Das ist eine <span class="gesperrt">Lokalisationsvererbung</span>. Driesch spricht
-darum von einer <span class="gesperrt">morphologischen Bedeutung</span> der einzelnen Stellen
-im Ei, indem die Bedeutung dasjenige ist, was aus dieser Stelle bei
-ungestörter Entwicklung hervorgeht. Die Vererbung sorgt, daß auch
-hier immer das gleiche folgt; das nun ist um so wunderbarer, als die
-neuere Biologie wohl unzweifelhaft nachgewiesen<span class="pagenum"><a name="Seite_451" id="Seite_451">[S. 451]</a></span> hat, daß aus derselben
-Stelle sich sehr vieles andere entwickeln kann und unter Umständen in
-der Tat sich entwickelt, daß Stellen die Entwicklung anderer Stellen
-übernehmen und durchführen können. Der gleiche Forscher spricht deshalb
-auch von einer <span class="gesperrt">morphologischen Potenz</span> dieser Stellen, welche
-viel umfassender ist als die morphologische Bedeutung. <span class="gesperrt">Unter allen
-Potenzen einer Stelle treibt die Vererbung bei normalen Verhältnissen
-also immer nur eine in die Aktualität, in die Bedeutung hinaus.</span>
-Und nun kommt noch das weitere Wunderbare, daß, wenn die Verhältnisse
-bei der Entwicklung anormal sind, diese Entwicklung, trotz des dadurch
-bedingten Wechsels der in die Wirklichkeit gebrachten Potenzen der
-einzelnen Stellen des Eies, <span class="gesperrt">doch ein durchschnittlich normales
-richtiges Wesen zutage fördert</span>. So mächtig ist das Gesetz der
-Vererbung im Kleinsten wie im Großen. Es ist ein <span class="gesperrt">morphologisches
-Gesetz</span> von zwingender Gewalt. Also regelt die Vererbung Gestalt,
-Entwicklung aus dem Kleinsten in das Kleinste und Große, und in das
-Ganze, den Gang der Entwicklung, die Wirksamkeit aller Teile, ja auch
-Geistestätigkeit, wie jeder weiß. Es ist ein großzügiges Gesetz, da
-es Abweichungen zuläßt, ohne das Wesentliche zu beeinträchtigen.
-Als Erhaltungsgesetz steht es in einem gewissen Gegensatz zu dem
-Anpassungsgesetz, wirkt aber auch mit ihm zusammen, indem es immer das
-erhält, was nach dem Anpassungsgesetz eingetreten ist.</p>
-
-<p>Zu der morphologischen Potenz möchte ich selbst noch folgende Bemerkung
-machen. Sie ist zunächst <span class="gesperrt">ontogenetisch</span> verstanden, bezieht sich
-also auf dieselbe Wesensart, eigentlich auf eine bestimmte Zelle. Wenn
-man aber beachtet, daß die Ontogenie der Phylogenie entspricht, so
-möchte man fast glauben, daß die morphologische Potenz noch eine viel
-allgemeinere Bedeutung hat, nämlich auch eine <span class="gesperrt">phylogenetische</span>.
-Alsdann würde sie besagen, daß aus dem Eiinhalt an sich überhaupt jedes
-mögliche Wesen entstehen kann. Von vornherein hätte der Eiinhalt die
-Eigenschaft, nicht bloß aus jeder Stelle jedes zu dem betreffenden
-Individuum Gehörige hervorzubringen, sondern auch jedes beliebige
-Individuum jeder<span class="pagenum"><a name="Seite_452" id="Seite_452">[S. 452]</a></span> beliebigen Art. Er sei morphogenetisch gänzlich
-universell, und die phylogenetische Entwicklung bedeute lediglich ein
-immer weiteres Zutagetreten der Potenzen des Eiinhaltes zu immer neuen
-Formen. Es wäre dieses eine Art <span class="gesperrt">phylogenetische Evolution</span>,
-jedoch nicht vorhandener Formen, auch nicht von Differenzierungen
-vorhandener Bausteine, sondern von Potenzen, die dem protoplasmatischen
-Stoffe, der den Eiinhalt bildet, von vornherein innewohnen,
-<span class="gesperrt">Potenzen</span>, wie <span class="gesperrt">im Individuum zu allen seinen Teilen</span>, <span class="gesperrt">so
-in der Wesenreihe zu allen Wesen beliebiger Art</span>. Eine derartige
-Anschauung würde den Zusammenhang zwischen Ontogenie und Phylogenie
-ins klare setzen und die Entstehung der verschiedenen Wesenformen in
-den Gang der Entwicklung eines Wesens und den durch äußere oder andere
-Einflüsse herbeigeführten Abschluß dieser Entwicklung verlegen. Die
-bestehenden Wesen wären nicht die <span class="gesperrt">vollendeten</span> Entwicklungen,
-sondern <span class="gesperrt">Stufen</span> in der allgemeineren Entwicklung der Gesamtpotenz
-des protoplasmatischen Stoffes. Und das Steigen in der Reihe der Wesen
-wäre bedingt durch das immer später eintretende Abschließen der Stufen.
-Kennen wir doch Lebewesen, die unmittelbar Stufen in einer bestimmten
-Entwicklung sind und als solche ihr ganzes Dasein verbringen, wenn sie
-nicht später die Entwicklung fortsetzen. Manche halten sogar das Weib
-für ein Wesen, das gegenüber dem Mann auf einer früheren Stufe der
-Entwicklung stehen geblieben ist. Vielleicht ist nicht bloß eine Art
-des betreffenden Stoffes vorhanden, sondern es bestehen zwei Arten, mit
-abweichenden phylogenetischen Potenzen; eine für die Reihe der Tiere,
-die andere für die Reihe der Pflanzen. Vielleicht sind auch selbst
-für die Reihe der Tiere mehrere Arten des protoplasmatischen Stoffes
-anzunehmen. In einer so ungemein verwickelten Sache hat man das Recht,
-auch allgemeine Ideen zu äußern. Doch mag es bei dieser Äußerung selbst
-verbleiben; der Phantasie sei es überlassen zu träumen, wie viele
-neuartige Wesen noch als weiterer, später eintretender Abschluß der
-Entwicklung aus dem protoplasmatischen Stoff entstehen können.</p>
-
-<p>Ein ferneres Erhaltungsgesetz können wir in der <span class="gesperrt">Restitu<span class="pagenum"><a name="Seite_453" id="Seite_453">[S. 453]</a></span>tion</span>,
-die als Sonderfall die <span class="gesperrt">Regeneration</span> enthält, sehen, wonach
-Lebewesen ihren Körper ergänzen und erneuen, vollständig oder
-wenigstens zum Teil. Die Beispiele hierfür streifen mitunter das
-Verblüffende; so wenn von manchen Tieren abgeschnittene Stücke sich zu
-ganzen, gleichen Tieren wieder auswachsen, unmittelbar oder nachdem
-sie zuvor eine Rückverwandlung fast in den ersten Zustand erfahren
-haben, so weiter, wenn von gewissen Zellen einer Pflanze neue Zweige
-oder Blätter oder gar eine ganze neue gleiche Pflanze hervorwächst
-usf. Je höher wir in die Reihe der Lebewesen kommen, desto mehr
-verliert allerdings der Körper die Fähigkeit, sich zu ergänzen.
-Aber selbst bei dem Menschen ist sie noch nicht ganz erloschen. Und
-wo die unmittelbare körperliche Restitution, hier oder bei anderen
-Wesen, fehlt, tritt wenigstens Nebenbildung, Umbildung, Weiterbildung
-oder Funktionsübertragung ein. Für Nebenbildung sind Beispiele die
-adventiven Restitutionen, indem in der Nähe eines verlorenen Organs
-ein anderes entsteht wie bei Pflanzen, wozu auch die Bildung von
-neuen Organen neben nur teilweise entfernten Organen gehört wie „der
-Gliedmaßen und des Schwanzes bei Amphibien, des Kopfes der Planarien,
-der Wurzelspitze der Pflanzen“; für Umbildung bei Pflanzen die
-Umwandlung von Schuppen in Blätter oder die Umbildung von verletzten
-Augen bei gewissen Krebstieren in Antennen; Weiterbildung durch
-kompensatorische Hypertrophie zeigt sich in der Vergrößerung von
-Organen, wenn das Gegenorgan verloren ist, wie einer Niere nach Verlust
-der zweiten Niere; endlich Funktionsübertragung finden wir oft bei
-Gehirnkrankheiten, wenn zum Beispiel bei Lähmung des Sprechzentrums
-andere Stellen des Gehirns allmählich die Sprechermöglichung übernehmen.</p>
-
-<p>Zu diesen Erhaltungsgesetzen kommt noch ein
-<span class="gesperrt">morphologisch-biologisches Ordnungsgesetz</span>, das schon erwähnte
-und in Kants Auseinandersetzungen vom Naturzweck (<a href="#Seite_369">S. 369</a>) behandelte
-<span class="gesperrt">Gesetz der Harmonie</span>, das die Zusammenstimmung aller Teile in der
-Ordnung, der Ursache und Folge und in der Wirksamkeit vermittelt. Doch
-es ist in einem so außerordentlich dunkeln und schwierigen Gebiet, auf
-dem<span class="pagenum"><a name="Seite_454" id="Seite_454">[S. 454]</a></span> sogar die speziellen Fachleute, weil eben die Beobachtungen noch
-nicht entfernt hinreichen und darum die mannigfachste Deutung zulassen,
-gefährlich, von bestimmten Gesetzen nach bestimmten Richtungen zu
-sprechen.</p>
-
-<p>Ich habe darum nur dasjenige vorgebracht, was mir gegenwärtig noch
-am sichersten zu sein scheint, wenngleich es wohl sehr vieles andere
-gibt, das nicht minder bedeutungsvoll ist. Und alles betrifft, wie
-der Leser sieht, meist den Körper und dessen Funktionen. Und die
-Gesetze sind <span class="gesperrt">Regulation</span> für den Körper und dessen Funktionen,
-<span class="gesperrt">morphologisch-biologische Regulation</span>, und zwar nicht bloß für
-die Einzelwesen, sondern auch für die Wesenreihe, also ontogenetisch
-und phylogenetisch. Wie es sich mit der Psyche verhält, werden wir noch
-sehen. Aber auch das obige wird noch zu ergänzen sein.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>52. <span class="gesperrt">Energetische Anschauungen;
-Ostwald und Häckel</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Es muß hervorgehoben werden, daß kein Vorgang in der Natur ohne
-Änderung von Energien in ihrer Menge oder Umwandlung in andere
-Energien vorhanden ist. Wir sprechen allgemein von Umwandlung von
-Energien. Ein Stein, den ich halte, hat Schwereenergie; lasse ich
-ihn fallen, so geht ein Teil dieser Energie in Bewegungsenergie
-über, ist der Stein auf die Erde gestürzt, so wandelt sich die
-Bewegungsenergie in Wärme oder Energie beim Zerschlagen usf. um. Die
-Schule der <span class="gesperrt">Energetiker</span>, deren Führer Wilhelm Ostwald ist,
-setzt an Stelle aller Vorgänge Energieumwandlungen. Die Welt enthält
-eine gewisse Zahl von Energien in bestimmter Gesamtmenge; das Leben
-der Welt bedeutet die stetige Umwandlung dieser Energien hier und
-überall, unter Wahrung der Gesamtmenge, die unveränderlich ist.
-Bewegungsvorgänge, Lichtvorgänge, Wärmevorgänge, chemische Vorgänge
-usf., alles ist nur Energieumwandlung. Das soll nun ebenso für die
-Vorgänge des Lebens gelten, und zwar nicht bloß des animalischen,
-sondern auch des seelischen und geistigen. Ostwald, in seinem Buche
-„Die Energie“, sagt: „Dieses Verhältnis (des Begriffes der Energie
-zu dem des Geistes) glaube<span class="pagenum"><a name="Seite_455" id="Seite_455">[S. 455]</a></span> ich so auffassen zu dürfen, daß die
-geistigen Geschehnisse ebenso sich als energetische auffassen und
-deuten lassen, wie alle übrigen Geschehnisse auch.“ Diese Theorie wird
-an den Tatsachen des Lebens erläutert. Zunächst das rein Animalische
-bietet keine Schwierigkeit, die Vorgänge im Körper sind ja die gleichen
-wie sonst in und an beliebigen Körpern. Sind die Vorgänge in der
-physischen Welt überhaupt nur Energieumwandlungen, so sind sie es auch
-im Körper der Lebewesen. Die Sinneswahrnehmungen sollen gleichfalls
-nur solche Umwandlungen bedeuten. Energien gelangen an und in unsere
-Sinnesorgane, dort werden sie in andere Energien umgewandelt (z. B. wie
-die Lichtenergie im Sehpurpur des Auges auch in chemische Energie),
-dann findet eine Leitung durch den Nerv (seinen Achsenzylinder)
-statt, als „Nervenenergie“, deren Art Ostwald selbst als noch nicht
-bestimmbar angibt. Im Zentralorgan, Gehirn oder Rückenmark (in den
-Ganglien) angelangt, erfährt die Energie eine abermalige Umwandlung
-in „psychische Energie“ (vielleicht Energie chemischer Zersetzung,
-Dissimilation). Ein Teil wird Wahrnehmung, der andere geht als
-Nervenenergie zurück, wandelt sich in den Organen des Körpers um und
-veranlaßt dort die Energieumwandlungen, die wir in der Bewegung,
-Ausscheidung usf. sehen. Also nur Umwandlung von Energien in Energien.
-Und Ostwald sagt ausdrücklich: „Daß die geistigen Vorgänge in all
-ihrer Mannigfaltigkeit eben nicht als <span class="gesperrt">Begleiterscheinungen</span> der
-betreffenden Energie, sondern <span class="gesperrt">als diese Energie selbst</span> aufgefaßt
-werden müssen“. Also die ganze psychische Tätigkeit ist Energie und
-deren Umwandlung. (Übrigens behaupten die Mechanisten das gleiche in
-bezug auf Bewegung: die psychistische Tätigkeit ist Bewegung und deren
-Umwandlung. Ostwald faßt die Mechanistik anders auf: die psychistische
-Tätigkeit soll danach Begleiterscheinung der Bewegung sein; das
-ist aber, wie ich glaube, nicht die Ansicht Demokrits und seiner
-Nachfolger.) Was dazu zu sagen ist, werde ich im nächsten Abschnitt
-beibringen.</p>
-
-<p>Hier will ich nur einen der interessantesten Punkte dieser Energetik
-hervorheben. Ostwald meint, die wesentlichste Ener<span class="pagenum"><a name="Seite_456" id="Seite_456">[S. 456]</a></span>gie in uns sei
-die chemische. Nun lassen sich chemische Anordnungen ersinnen und
-aufweisen, welche wiederholte Vorgänge leichter ausführen als
-erstmalige. Dieses vergleicht Ostwald mit dem Gedächtnis in den
-Lebewesen sowohl hinsichtlich des Eigenlebens als hinsichtlich
-der Vererbung, also die chemische Erinnerungsfähigkeit mit der
-psychischen. Indem er dann weiter das Bewußtsein des Ich gleichfalls
-in die Erinnerung und die Erinnerungsmöglichkeit setzt, gewinnt er
-einen Zusammenhang dieses Bewußtseins mit der chemischen Erinnerung.
-So sagt er dann: „Hier schützt uns die Energetik alsbald gegen die
-kindliche Vorstellung von der ‚Aufbewahrung der Erinnerungsbilder‘
-in den Zellen des Gehirns, indem sie an die Stelle der <span class="gesperrt">Bilder</span>
-die entsprechenden Vorgänge, das heißt an die Stelle einer gedachten
-<span class="gesperrt">räumlichen</span> Mannigfaltigkeit, für welche kein Substrat
-nachzuweisen ist, eine <span class="gesperrt">zeitliche Reaktionsfolge</span> setzt, die
-allein dem zeitlichen Charakter der geistigen Vorgänge gerecht wird“.
-Ostwald hat mit der Ersetzung des Raumes durch die Zeit sicher recht,
-wenn jemand die Bilder im Raume annehmen würde. Der Psychiker tut das
-aber nicht; er setzt sie in die Seele, die mit dem Raum gar nichts zu
-tun hat. Der Mechanist muß freilich die Bewegungen im Gehirn verteilt
-annehmen. Der Energetiker hebt &mdash; so muß man wohl Ostwald verstehen
-&mdash; den Begriff des Raumes überhaupt auf, da er den der Masse auflöst.
-Darüber später. Gleichwohl ist es schwer einzusehen, wie aus der
-Reaktionsfolge Erinnerung und Erinnerungsvermögen sich ergeben sollen.
-Jeder Schritt in einer Reaktion ist ja geschwunden, sobald er beendet
-ist; er hat ja kein Bleibendes eben als Folge. Wie soll da im Laufe
-einer Reaktionsfolge ein vergangener Schritt zum Vorschein kommen?
-Wir entwickeln einen Gedankengang, das wäre eine Reaktionsfolge. Wir
-können ihn nur entwickeln, wenn wir alle Schritte dieses Ganges uns
-fortwährend vorhalten; sobald ein Schritt uns nicht gegenwärtig ist,
-haben wir den Faden verloren, wie wir sagen. Also soll eine physische
-Reaktionsfolge bei jedem Schritt die ganze voraufgegangene Reaktion
-zugleich darstellen. Das ist notwendig; die einfache Nachwirkung von<span class="pagenum"><a name="Seite_457" id="Seite_457">[S. 457]</a></span>
-Reaktionen, wie sie in der Physik und Chemie bekannt sind &mdash; ein
-Kautschukfaden dehnt sich anders, wenn er vorher schon gedehnt gewesen
-ist, als wenn er das nicht war &mdash; genügt nicht. Die ganze verflossene
-Reaktion muß bei jedem Schritt der Reaktion immer wieder da sein. Es
-ist dieses ein Seitenstück zu der Darlegung der organisierten Körper
-als Maschinen mit ganz gleichen Maschinen als kleinsten Teilchen
-derselben. Ich weiß nicht, wie man das verstehen soll. Nun gar das
-Erinnerungs<span class="gesperrt">vermögen</span>. Hier soll irgendeine Reaktion längst
-verflossene Reaktionsfolgen hervorrufen, die mitunter mit ihr nicht die
-geringste Ähnlichkeit haben, wie wenn man einen Ton hört und sich dabei
-einer Farbe erinnert oder eines Gegenstandes oder einer Begebenheit.
-Die Vorstellungen ohne Substrat müssen ja nach dieser Theorie
-gleichfalls Reaktionsfolgen von Energien sein. Ich hebe diese Bedenken
-schon hier hervor. Über die Auffassung unserer geistigen Tätigkeiten,
-unserer Gefühle, unserer Anschauungsformen, unserer Kategorien (ob
-erworben oder nicht erworben) im Sinne der Energetik, hat sich Ostwald
-nicht ausgesprochen; er hat selbst anerkannt, daß das meiste noch sehr
-dunkel sei.</p>
-
-<p>Ostwald hat in seiner Energetik den Begriff der Materie in den
-der Energien aufgelöst. Ich muß auch darauf hier schon eingehen,
-da wir wissen müssen, was diese Auflösung eigentlich bedeutet.
-Auch ist sie für seine Theorie von größter Wichtigkeit. Jede
-Energie ist <span class="gesperrt">zwiespältig</span>, ein Produkt von zwei Faktoren, der
-<span class="gesperrt">Intensität</span> und der <span class="gesperrt">Kapazität</span>. Der nicht physikalisch
-vorgebildete Leser wird mich am besten an einem Beispiel verstehen.
-Lebendige Kraft (Masse mal Quadrat einer Geschwindigkeit) ist eine
-Energie. Steigen wir auf einen Turm und lassen da ein Kilogramm aus
-freier Hand herunterfallen, so bekommt dieses, an der Erde angelangt,
-eine bestimmte Geschwindigkeit und eine bestimmte lebendige Kraft,
-Energie. Nehmen wir statt ein Kilogramm ein Stück von zwei Kilogramm,
-so langt dieses an der Erde mit der gleichen Geschwindigkeit an,
-aber seine lebendige Kraft ist doppelt so groß. Bei drei Kilogramm
-ist die Geschwindigkeit wiederum die näm<span class="pagenum"><a name="Seite_458" id="Seite_458">[S. 458]</a></span>liche, aber die lebendige
-Kraft dreimal so groß usf. Also richtet sich die Aufnahmefähigkeit,
-Kapazität, für diese Energie nach der Masse. Diese ist der eine Faktor.
-Nun besteigen wir einen anderen, viermal so hohen Turm und lassen
-wieder das eine Kilogramm frei fallen. Wir finden jetzt die Energie
-unten am Boden, indem die Geschwindigkeit, mit der das Kilogramm dort
-anlangt, jetzt doppelt so groß ist, aufs vierfache gesteigert. Bei
-einem neunmal so hohen Turm würden wir unten am Boden das Kilogramm
-mit der dreifachen Geschwindigkeit ankommen sehen und bei ihm eine
-neunfache Energie bemerken usf. Also ist hier die Geschwindigkeit
-entscheidend. Diese, oder vielmehr ihr Quadrat, ist das zweite an der
-Energie, ihr Intensitätsfaktor. Was hat nun Masse mit Geschwindigkeit
-zu tun? Wir können jeder Masse jede beliebige Geschwindigkeit erteilen.
-In der behandelten Energie sind aber Masse und Geschwindigkeit zu einem
-Produkt vereint. Entsprechendes gilt für alle Energien ausnahmslos.
-Alle führen ein zwiespältiges Dasein nach zwei Richtungen.</p>
-
-<p>Wir haben gewissermaßen eine Spinozasche Substanz mit zwei Attributen:
-Intensität, Kapazität. Das wäre ganz gut. Aber diese Attribute sind
-voneinander <span class="gesperrt">absolut unabhängig</span>; jedes kann für sich beliebig
-konstant bleiben, wenn das andere variiert, oder variieren, wenn das
-andere konstant ist; und variieren beide, so variiert jedes durchaus
-nur für sich, ohne jede Beziehung zum anderen. Nicht einmal eine
-Parallelvariation, wie bei den Spinozaschen Attributen der Substanz,
-ist hier vorhanden. Auch die Abhängigkeit von der Energie ist nur eine
-relative, denn wenn letztere variiert, braucht nur eines der Attribute
-mit zu variieren, und wenn beide Attribute reziprok variieren, bleibt
-die Energie konstant. Daraus folgt, daß keines der Attribute in Energie
-aufgelöst ist. Beide Attribute, Kapazität und Intensität, stehen neben
-Energie durchaus selbständig da. Nun ist in den wichtigsten Vorgängen
-Masse eine solche Kapazität. Somit <span class="gesperrt">bleibt</span> die Masse. Sie hat
-nur ihren Namen geändert; sie ist als Kapazität einem allgemeinen
-Begriff untergeordnet, zu dem Volumen, Form, Elektrizitätsmenge usf.
-gehört. Eine wirkliche<span class="pagenum"><a name="Seite_459" id="Seite_459">[S. 459]</a></span> Vereinfachung hat so wenig stattgefunden, wie
-bei mechanischen Vorgängen, wenn man das Bewegungsmoment einführt, das
-gleichfalls Kapazität und Intensität hat, Masse und Geschwindigkeit.
-Und alle Schwierigkeiten, die aus dem Begriff der Masse erwachsen,
-namentlich alle Dualismen, sind in der Energetik nicht vermieden; sie
-bleiben als solche und müssen sofort zutage treten, sowie man die
-Energieumwandlungen in physischen Vorgängen wirklich verfolgt. Was
-wandelt sich da, Kapazität oder Intensität? Oder wandeln sich beide?
-Was bedeuten im einzelnen Vorgang Kapazität und Intensität? Fragt man
-darnach nicht, so weiß man nicht, wie die Energie sich wandelt; ob
-sie in ihrer Art unverändert bleibt oder in eine neue Art übergeht,
-das heißt, ob wir innerhalb der einen Erscheinung bleiben, und diese
-nur intensiv steigt oder fällt, oder ob wir überhaupt eine andere
-Erscheinung erhalten. Also vom Wichtigsten bleibt man ununterrichtet.
-Geht man aber in das Einzelne, so sitzt man sofort wieder fest mit
-der Kapazität und Intensität, zum Beispiel der Masse und dem Quadrat
-der Geschwindigkeit usf. Und das ewige Problem: wie kann Variation
-einer Masse psychische Vorgänge auch nur beeinflussen, zum Beispiel
-sie stärken oder schwächen? bleibt so ungelöst, wie überhaupt in der
-materialistischen Theorie. Denn die Antwort: weil die Masse Kapazität
-der Energie ist, besagt gar nichts für das Problem, sie ändert nur
-den Namen, Kapazität für Masse. Die Energetik leistet, von diesem
-Gesichtspunkte betrachtet, nicht mehr als die Mechanistik; die
-Hauptfragen läßt sie offen.</p>
-
-<p>Gleichwohl darf man zugestehen, daß, wenn sonst nichts gegen sie
-vorläge, sie der Mechanistik vorzuziehen ist, da sie ja bei weitem
-allgemeiner sich darstellt und alles Physische umfaßt, und da
-Arbeit, Energie viel mehr an Psychisches anklingt als Bewegung. Nur
-was sie zu leisten verspricht, das leistet sie tatsächlich nicht:
-Kapazität (darunter auch Masse) und Intensität bleiben jede für
-sich und jede neben der Energie, ganz so, wie in der Mechanistik
-Masse und Geschwindigkeit jede für sich stehen und jede neben dem
-Bewegungsmoment. Sagt der Mechanistiker, alle psychischen<span class="pagenum"><a name="Seite_460" id="Seite_460">[S. 460]</a></span> Vorgänge
-sind Umwandlungen von Bewegungsmomenten, so spricht er gerade so wie
-der Energetiker. Aber das Erhaltungsprinzip, das doch für Energien
-immer, für Bewegungsmomente nur ausnahmsweise gilt? Das Prinzip hat
-für die <span class="gesperrt">Art</span> der Vorgänge gar keine Bedeutung. Man kann aus ihm
-für diese Art absolut nichts entnehmen. Es ist für die Grundfrage
-völlig irrelevant. Die Energetik sagt: psychische Vorgänge sind
-Energieumwandlungen. Wir erfahren damit, daß sie dem Prinzip der
-Erhaltung unterworfen sind. Aber was da wandelt, wie es wandelt,
-erfahren wir durchaus nicht, da wir es doch erfahren müssen, wenn
-wir nicht ein Wort für ein anderes setzen, und wenn wir zwischen
-den verschiedenen psychischen Vorgängen unterscheiden wollen. Meint
-man, daß wir das jetzt noch nicht können und daß die Zukunft uns
-das aufdecken muß &mdash; wohl! Aber die Rollen der Kapazitäten und der
-Intensitäten muß die Energetik so gut wie die Mechanistik sogleich
-aufdecken. Sogleich muß sie zeigen, warum, wenn im Gehirn eine Masse
-variiert, zum Beispiel Wasser austritt, Ermüdung und Bewußtlosigkeit
-entstehen können. Die Antwort, weil damit eine Energieänderung
-verbunden ist, belehrt nicht. Denn erstens braucht das gar nicht der
-Fall zu sein, da der zweite Faktor, die Intensität, die Energieänderung
-durch die Stoffänderung sowohl nach Stärke als nach Art aufheben kann.
-Zweitens ist eine solche Antwort nur eine Antwort in Worten, gerade so
-wie in der Mechanistik. Über der Energie sind ihre beiden Faktoren zu
-sehr vergessen worden. Obwohl sie doch so variieren können, daß die
-Energie überhaupt nicht variiert, weder nach Stärke noch nach Art. Was
-dann wirklich geschieht, werden wir uns ja leicht vorstellen, es kann
-das ganze Leben zerstört werden. Was geschieht dann aber psychisch nach
-der Energetik? Gar nichts!</p>
-
-<p>Ich habe dieses alles erwähnen müssen, nicht um die Mechanistik
-gegenüber der Energetik hervorzuheben &mdash; die Mechanistik ist meines
-Erachtens noch bei weitem unbrauchbarer auf psychischem Gebiete als
-die Energetik &mdash;, sondern um klarzulegen, was wir an der etwas stark
-prätentiös auftretenden Lehre der Energetik haben, worin sie uns
-gerade<span class="pagenum"><a name="Seite_461" id="Seite_461">[S. 461]</a></span> so in Stich läßt wie alle physischen Theorien. Was im nächsten
-Abschnitt zu sagen ist, wird das Vorstehende noch sehr verstärken.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Häckel</span> ist nicht so weit gegangen wie Ostwald, er hat der
-Materie ihr Recht gelassen und möchte alles aus Umwandlungen von
-Materie und Energie erklären. Häckel ist materialistischer Spinozist.
-Mit Spinoza nimmt er ein Ding-an-sich an, und an diesem Ding Attribute.
-Für das eine Attribut setzt er, entsprechend der Ausdehnung nach
-Spinoza, die Materie. Als zweites Attribut nimmt er die Energie an.
-Indessen fühlt er selbst sich gezwungen, dieses Attribut in zwei
-Attribute zu zerlegen: in Energie, nach Art dessen, was wir gewöhnlich
-Energie nennen, nämlich die gewöhnliche physikalisch-chemische,
-oder physische, wie wir kürzer sagen, und in Energie, die er als
-<span class="gesperrt">Psychom</span> bezeichnet. Letztere ist etwa die psychische Energie
-nach Ostwald. Allein während Ostwald diese Energie nur so bezeichnet,
-weil er frei lassen will, daß in psychischen Vorgängen auch andere
-Arten von Energie mitwirken als die wir vorläufig kennen, haben Häckels
-Psychome eine selbständigere Bedeutung. Sie wandeln wie die anderen
-Energien und mit den anderen Energien, jedoch sie erhalten sich selbst,
-ohne diese anderen Energien. Dadurch aber sind sie scharf von ihnen
-geschieden, und sie sind ein <span class="gesperrt">drittes</span> Attribut des Ding-an-sich,
-der allgemeinen Substanz. Häckel sagt in seinem an Sich ausgezeichneten
-und höchst edel geschriebenen Buche „Die Welträtsel“, einem Buche,
-das übrigens den einzigen wirklichen Versuch einer Enträtselung
-der Welt auf Grund der modernen Naturwissenschaft unternimmt: „Die
-drei fundamentalen Attribute der Substanz (des Ding-an-sich): a.
-Raumerfüllung oder Ausdehnung, Stoff (= Materie); b. Bewegung oder
-Mechanik, Kraft (= Energie); und c. Empfindung oder Weltseele, Geist (=
-Psychom) sind demnach ganz allgemeine Grundeigenschaften aller Körper.“
-Und &mdash; was also besonders bedeutungsvoll ist &mdash; das Erhaltungsgesetz,
-das er für die beiden ersten Attribute, Materie und Energie, für jedes
-besonders, annimmt, läßt er in ganz gleicher Weise für das dritte
-Attribut,<span class="pagenum"><a name="Seite_462" id="Seite_462">[S. 462]</a></span> das Psychom abermals besonders, gelten, denn gesperrt
-gedruckt stellt er den Satz hin: „<span class="gesperrt">Die Summe der Empfindung im
-unendlichen Weltraum ist unveränderlich.</span>“ Also die drei Attribute
-stehen nebeneinander; es handelt sich um eine <span class="gesperrt">Trinität</span> der Welt,
-die Häckel auch nennt. Materialist ist er nur darin, daß er dem dritten
-Attribut die Eigenschaft der zwei anderen Attribute zuschreibt, was
-aber gleichfalls Spinoza entsprechen würde. Indem er aber bei diesem
-dritten Attribut von stufenweiser Verschiedenheit in der Reihe der
-Körper spricht, von Erwerbung in der Entwicklung (der ontogenetischen
-wie der phylogenetischen) und von Vererbung, stellt er es noch weiter
-ab von der physischen Energie, bei der nichts von derartigem zu finden
-ist, als allein aus der Verselbständigung folgen würde. Seine Lehre ist
-aber durchaus eine Entwicklungslehre. Was also von dieser gesagt ist
-und von ihrem Verhältnis zu den psychischen Eigenheiten, trifft hier in
-jeder Hinsicht völlig zu. Und Häckel selbst kommt ja dem entgegen durch
-die Sonderstellung des Psychomattributs. In allem aber, was er von
-der Entwicklung des Bewußtseins spricht, so schön es ist, kann man im
-Grunde nur eine Verfolgung der Bewußtseinszustände durch die organische
-Reihe sehen. Wie aber diese Zustände <span class="gesperrt">physisch</span> entstanden sind,
-wie sie sich <span class="gesperrt">physisch</span> entwickeln, davon wird nichts gesagt. Und
-das gerade ist doch für uns die Hauptsache. Die geringste seelische
-Regung zeigt sich so grundverschieden von jeder physischen Kraft, jedem
-physischen Vorgang, jeder physischen Umwandlung, daß sie schon ein
-Wunder dünkt, und daß es uns gar nichts hilft, wenn man uns erklärt,
-daß zwischen unserer geistigen Tätigkeit und der der tiefststehenden
-Lebewesen eine kontinuierliche Stufenleiter ist. Wir können das
-zugeben. Aber woher selbst nur die erste tiefste Seelentätigkeit?
-Die Frage bleibt unbeantwortet wie die: woher das erste tiefste
-organisierte Wesen (nach Kant)? Hätte Häckel das nicht selbst gefühlt,
-so würde er das Psychom als drittes Attribut nicht von der Energie
-absolut abgesondert haben in seinem Wesen, es sogar für vererblich
-erklärt haben.</p>
-
-<p>Ostwald und Häckel sind die originalen Schöpfer der<span class="pagenum"><a name="Seite_463" id="Seite_463">[S. 463]</a></span> Energetik der
-Psyche, nach zwei recht verschiedenen Richtungen. Ihre Schüler haben
-nichts Wesentliches hinzugefügt, nicht selten aber die Lehren ihrer
-Meister höchst mißverstehend angewendet. Nur den bekannten Physiker
-<span class="gesperrt">Felix Auerbach</span> muß ich hervorheben, doch spreche ich von ihm
-später.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h4>53. <span class="gesperrt">Über die physischen Welt- und
-Lebenanschauungen überhaupt; Weltende, Unsterblichkeit</span>.</h4>
-
-</div>
-
-<p>Wir kommen zu einer letzten Besprechung der vorstehend dargelegten
-Anschauungen und nehmen erst die unbelebte Welt. Es handelt sich
-allein um den Anfang, da nur hier etwas Außer- und Übernatürliches
-in Frage kommen kann, für alles Folgende aber wir auf dem physischen
-Standpunkt durchaus bleiben dürfen. Von dem Anfang nun wissen wir,
-bestimmt, nichts. Aber wir können auf ihn schließen aus dem Ende,
-falls wir annehmen, daß die Welt nicht unendlich ist an Stoff und
-Energie. Diese Annahme der Begrenztheit an Stoff und Energie &mdash; sie
-entspricht der Anschauung von E. Dühring (<a href="#Seite_417">S. 417</a>) &mdash; wollen wir
-machen; ob sie sich rechtfertigen läßt, ist später untersucht. Wir
-haben drei regulative Prinzipe kennen gelernt, nur das dritte kommt in
-Betracht. Dieses Prinzip hat zur Folge, daß alle Vorgänge, erzwungene
-und freie zusammen, die in einem absolut abgeschlossenen System
-stattfinden, dahin gerichtet sind, in diesem System einen bestimmten
-Zustand herzustellen, in dem nur noch in sich genau zurücklaufende und
-rückgängig zu machende Vorgänge möglich sind, wie zum Beispiel Bewegung
-von Körpern in stets gleichen Bahnen. Wo nun Widerstände vorhanden sind
-und wo Energien mitspielen, die nur beschränkt sich in andere Energien
-umwandeln, besteht keine Möglichkeit für genau rückgängig zu machende
-Vorgänge. In diesen Fällen geht der Endzustand in einen solchen über,
-in dem überhaupt keine Vorgänge mehr vorhanden sind; das System ist,
-wie wir sagen können, physisch tot. Und &mdash; das ist das Wichtigste &mdash;
-<span class="gesperrt">allein aus sich heraus kann dieses System niemals wieder zu Leben
-gelangen, es bleibt in Ewig<span class="pagenum"><a name="Seite_464" id="Seite_464">[S. 464]</a></span>keit in dem gleichen Beharrungszustand,
-wenn von außen nicht etwas eingreift</span>. Dehnen wir diesen Satz auf
-das Universum aus, so würde er bedeuten, daß, wenn jene genannten
-Bedingungen erfüllt sind, auch das Universum einmal physisch absterben,
-in einen bestimmten Beharrungszustand übergehen muß. Nun kennen wir
-in der Tat Energien, die, nach den Verhältnissen, wie sie eben im
-Weltall bestehen, nur beschränkt verwandelbar sind. Dazu gehört als
-die wichtigste Energie die Wärme. Ob auch im Weltenraume überall
-Widerstände vorhanden sind oder nur in beschränkter Zahl auftreten,
-wissen wir natürlich nicht. Wir wissen aber, daß überall ungeheure
-Massen von kleinen Körpern und von Staubwolken verbreitet sich finden.
-Wir wissen, daß sehr oft Himmelskörper zusammenstoßen. Endlich sind
-wir mehr und mehr gezwungen, anzunehmen, daß der Weltenraum mit einem
-Stoff erfüllt ist, dem Äther, der ganz außerhalb alles Materiellen
-stünde, wenn er nicht der Bewegung der Körper durch ihn einen &mdash; wenn
-auch noch so geringen &mdash; Widerstand leistete. Über die Natur des Äthers
-wird freilich noch viel zwischen den Gelehrten gestritten. Jedenfalls
-haben wir Widerstände im Weltall, und wenn etwa irgendwo ein System
-sich in der Tat absolut widerstandslos in Ewigkeit bewegen sollte,
-wofür aber kaum eine Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, so würde eben
-der Endbeharrungszustand die Bewegung dieses Systems einbegreifen.
-Von den verlorenen Vorgängen könnte aber keiner allein aus der Welt
-heraus wieder erstehen. Ich habe mich hier absichtlich sehr vorsichtig
-ausgedrückt. Andere fassen das „Ende der Welt“ viel schärfer. Hier
-betrifft das Ende entweder alle Vorgänge oder wenigstens gewisse
-Vorgänge.</p>
-
-<p>Wenn aber ein Vorgang ein Ende hat, so muß er in einer endlichen Welt
-einmal begonnen haben. Er kann aus anderen Vorgängen erwachsen sein,
-wie Wärmebewegung aus dem Zusammenstoß von Körpern. Dann sind es diese
-anderen Vorgänge, an die wir uns zu halten haben. So können wir in
-der Reihe weiter zurückgehen. Ist nun die Welt endlich, so müssen wir
-in endlicher Zeit auf etwas gelangen, hinter<span class="pagenum"><a name="Seite_465" id="Seite_465">[S. 465]</a></span> dem die Reihe nicht
-mehr fortgesetzt werden kann, da in einer endlichen Welt die Zahl der
-Zustände nicht unendlich sein kann. Das bedeutet aber, daß irgend wann
-Vorgänge geschaffen sein müssen, aus denen heraus sich alle Vorgänge
-unserer Welt entwickelt haben, die zuletzt wieder zur Beharrung führen.
-Wieviele Vorgänge geschaffen sein sollen, ist gleichgültig, denn eine
-Schöpfung ist eine solche, ob es sich um Millionen von Vorgängen
-handelt oder nur um einen Vorgang. Das gilt für die gesamte Welt, auch
-wenn Kohärenzen (<a href="#Seite_441">S. 441</a>) stattfinden. Also für eine endliche Welt
-kommt man &mdash; so lehrt die Naturwissenschaft &mdash; nicht ohne einen Anfang
-aus, das heißt, nicht ohne einen Schöpfungsakt der Vorgänge. Eugen
-Dühring nimmt, wie wir wissen (<a href="#Seite_417">S. 417</a>), gleichfalls einen vorgangslosen
-Urzustand der Welt an. Er lehnt einen Schöpfungsakt für die Vorgänge,
-oder wenigstens für einen Vorgang, ab. Wie er aber dann zu einer Welt
-mit Vorgängen kommen will, ist rein naturwissenschaftlich absolut nicht
-zu ersehen. Eine Schöpfung, ob durch Gott oder eine Weltseele, ist ganz
-unausweichlich. Ein absoluter Ruhezustand kann aus sich niemals einen
-Vorgang hervorbringen. Es bedarf dazu durchaus eines Einwirkens von
-Außen.</p>
-
-<p>Es ist begrifflich gleichgültig, ob wir von einer Schöpfung der
-Vorgänge, oder der Körper, oder einer Materie im Sinne eines Chaos
-sprechen. Doch ist es zweckmäßig, nicht mehr zu sagen als die Lehre
-ergibt. Gleichwohl möchte ich noch folgendes hinzufügen. Die neuere
-Wissenschaft führt mehr und mehr zu der Anschauung, daß, was man letzte
-Teilchen der Materie nennt, Atome, Korpuskeln usf., Ungleichheiten
-im Weltäther bedeuten, wie kleine Wirbel Ungleichheiten in einem
-Wasser. Die Körper wären Ansammlungen solcher Ungleichheiten.
-Ungleichheiten aber können entstehen und vergehen. Sind in dem Stoff,
-in dem sie sich finden, hier der Weltäther, Widerstände vorhanden,
-so müssen die Ungleichheiten einmal entstanden, das heißt geschaffen
-sein. Dann reduzierte sich der Anfang auf den Äther allein, außer
-der Schöpferkraft. Und zuletzt müssen die Ungleichheiten schwinden.
-Zusammen bedeutet dieses, daß die Welt der Materie<span class="pagenum"><a name="Seite_466" id="Seite_466">[S. 466]</a></span> geschaffen ist und
-allmählich sich auflöst. Mit dem Prinzip der Erhaltung der Materie
-steht das nicht im Widerspruch, wenn wir den Äther in Rücksicht
-ziehen, denn die Ungleichheiten lösen sich eben nur auf, der Äther in
-ihnen bleibt. Was die Energien anbetrifft, so müssen sie am Anfang
-alle sogenannte Spannungsenergien gewesen sein, und zwar, wenn auch
-die Materie geschaffen ist, solche im Äther. Der große englische
-Physiker Maxwell hat derartige Energien im Äther angenommen. An die
-Materie knüpfen sie sich entweder nur scheinbar oder tatsächlich, wenn
-die Materie selbst nur Äther in besonderem Zustand ist. Aus diesen
-ursprünglichen Spannungsenergien sind dann durch die Geschehnisse
-die anderen Energien hervorgegangen, und in diese Spannungsenergien
-werden diese anderen Energien zurückkehren, wenn die körperliche Welt
-das bezeichnete Ende, auch der Körper, gefunden hat. Das Ende ist der
-Anfang. Eine Idee, die übrigens schon bei den Alten sich findet.</p>
-
-<p>Ist nun die Welt wirklich endlich? Darüber kann man nur Vermutungen
-anstellen. Die meisten werden der Ansicht sein, daß das nicht der
-Fall ist. Indessen haben William Thomson (Lord Kelvin) und Ritter
-Berechnungen über die möglichen Geschwindigkeiten der Himmelskörper im
-Weltall aufgestellt, aus denen sich ergibt, daß die materielle Welt
-nicht wohl unendlich angenommen werden kann. Ich darf auf mein Buch
-„Die Entstehung der Welt“ usf. verweisen. Wäre diese Welt unendlich,
-so müßte sie entweder erst seit endlicher Zeit bestehen, geschaffen
-sein, oder die Himmelskörper sollten außerordentlich viel größere
-durchschnittliche Geschwindigkeiten aufweisen, als sie solche zeigen.
-William Thomson geht so weit, die Zahl der Himmelskörper, an der
-Größe der Sonne gemessen, auf höchstens Tausend oder zehntausend
-Millionen zu schätzen. Selbstverständlich ist eine solche Schätzung
-nicht entscheidend, da wir einerseits nicht bis in die unendlichen
-Tiefen des Raumes tauchen können, andererseits unsere Kenntnisse von
-den Geschwindigkeiten der Gestirne doch nur sehr beschränkt sind.
-Aber während die Antinomie der Vernunft an sich Unendlichkeit<span class="pagenum"><a name="Seite_467" id="Seite_467">[S. 467]</a></span> und
-Endlichkeit gleich wahrscheinlich läßt, ist für die Endlichkeit doch
-wenigstens ein Argument aus der Wirklichkeit beigebracht, während
-die Unendlichkeit nur durch eine Meinung vertreten werden kann. Das
-Argument müssen wir anerkennen. Und so ist die Endlichkeit der Welt
-wahrscheinlicher als die Unendlichkeit, und damit die Schöpfung
-wahrscheinlicher als die Anfangslosigkeit.</p>
-
-<p>Um einer solchen, für den Materialismus ja verhängnisvollen, Schöpfung
-(als Folge des Endes) zu entgehen, hat Häckel gemeint, jenes dritte
-Weltprinzip gelte zwar für isolierte endliche Systeme, nicht aber für
-das Universum, denn in der Unendlichkeit könne manches vorkommen,
-was das Prinzip durchbricht. (Ich weiß nicht, ob er dabei an die
-Boltzmann-Planckschen Kohärenzen gedacht hat, die ja aber das Prinzip
-gerade im Universum nicht durchbrechen.) Das heißt doch eigentlich,
-Vorgänge im Universum zugestehen, die man für irgendwelche endliche
-Teile der Welt absolut leugnet. Nun wissen wir freilich nicht viel
-vom Universum, aber seine Einheitlichkeit ist doch gut erwiesen.
-Und ferner: will man hier besondere, in dem uns bekannten Teil der
-Welt verbotene Vorgänge zugestehen, dann fallen alle Naturgesetze,
-namentlich auch die beiden Erhaltungsgesetze für Materie und Energie,
-die wir doch auch nur in sehr beschränktem Gebiete prüfen können.
-Es liegt also hier eine arge Inkonsequenz vor. Man kann nicht
-monistisch-materialistisch auf einer Seite die absolute Gleichheit in
-der Natur behaupten, und auf der anderen Seite ein Gesetz, das für noch
-so große und noch so gelegene Systeme der Welt Geltung haben soll, für
-die <span class="gesperrt">ganze</span> Welt ableugnen, ohne gerade das einzuführen, was ja
-der Materialist am meisten bekämpft, außerweltliche Eingriffe.</p>
-
-<p>Wir wenden uns zu der <span class="gesperrt">belebten Welt</span>. Über die Mechanistik
-selbst, wie sie vorzustellen sein möchte, ist nichts zu sagen;
-Bewegung, Stoß, Druck, Strahlung sind allen bekannt. <span class="gesperrt">Zehnder</span>
-hat in einer Schrift: „Das Leben im Weltall“ vielleicht das
-vollständigste und durchgearbeitetste materialistisch-mechanistische
-System für die Struktur und die Bildung der Lebe<span class="pagenum"><a name="Seite_468" id="Seite_468">[S. 468]</a></span>wesen gegeben. Ich
-kann die Lektüre dieser ausgezeichneten und anregenden Arbeit nur
-auf das angelegentlichste empfehlen. Doch wird der Leser an der
-Hand der vorstehenden und der noch folgenden Auseinandersetzungen
-bald ersehen, daß für die Lösung unserer Fragen, trotz der tiefen
-Untersuchung, nichts gewonnen ist, wie meines Erachtens auf diesem
-Wege auch gar nichts gewonnen werden kann. Den Ansichten Zehnders
-über die <span class="gesperrt">Fistillen(Röhrchen-)struktur</span> der kleinsten Elemente
-der organischen Gewebe dürfte aber neben der von Quincke und anderen
-vermuteten <span class="gesperrt">Schaumstruktur</span> des Protoplasma vielleicht dauernder
-Wert zukommen.</p>
-
-<p>Eingehender muß ich von der Energetik sprechen. Was da zu entwickeln
-ist, werden wir auf die Mechanistik anwenden, soweit über diese
-noch etwas bemerkt werden muß. Das physische Leben soll also
-Energieumwandlungen sein. Über die Art der Energien und ihrer
-Umwandlung ist nichts gesagt. Etwas kann aber darüber festgesetzt
-werden, und muß es auch, wenn die Energetik nicht von vornherein
-abgewiesen werden soll. Es stehen nämlich die Folgen der einwirkenden
-Energien mitunter in gar keinem Verhältnis zu der Stärke dieser
-Energien, was sie doch nach dem Prinzip der Erhaltung tun müßten.
-Hier hilft nur die Erfahrung aus, daß ungeheure Wirkungen durch
-geringe Ursachen ausgelöst werden können, wie die Explosion eines
-Pulverfasses durch einen Funken. Der Funke reißt vielleicht nur zwei
-Atome des Pulverhaufens auseinander, aber das genügt, daß nunmehr alle
-Atome des Haufens auseinanderfahren. Der Funke hat mit seiner Energie
-die Spannungsenergie im Pulverhaufen frei gemacht, daß sie sich in
-furchtbare Explosionsenergie verwandelt.</p>
-
-<p>Ich glaube nun, daß, wenn man die Seelentätigkeiten überhaupt als
-Energien ansehen will, man sie als <span class="gesperrt">auslösende Energien</span>
-betrachten muß. Daß der Wille wie eine auslösende Tätigkeit wirkt,
-ist schon lange vermutet und behauptet worden. Ich meine aber, daß
-alle anderen Seelentätigkeiten gleichfalls nur auslösend sich kundtun.
-Es seien zur Klarstellung einige Beispiele angeführt. Ein Riß, ein
-Schnitt<span class="pagenum"><a name="Seite_469" id="Seite_469">[S. 469]</a></span> in unseren Körper kann keine größere physikalisch-chemische
-Energie bedeuten, als zum Zerteilen des betreffenden Gewebes
-erforderlich ist. Diese Energie bringt das Gefühl Schmerz hervor.
-Und welche enormen physikalisch-chemischen Energien kann dieser
-Schmerz zur Äußerung bringen: Schreien, Weinen, Umsichschlagen,
-Krampf aller Muskeln, selbst Selbstverletzung usf., Energien, die
-schon jede für sich die ursprünglich angewandte Energie beim Riß
-oder Schnitt bei weitem überragen. Fände nur eine Umwandlung statt,
-so dürften sie alle zusammen nur höchstens so intensiv sein wie
-diese letztere Energie. Also sind durch die Seelentätigkeit Schmerz
-ganz neue physikalisch-chemische Energiemengen ins Leben gerufen,
-sie können nur ausgelöst sein. Dazu denke man noch, daß wir diese
-Energien bis zu einem gewissen Grade durch unseren Willen ja auch zu
-unterdrücken vermögen; wir halten uns tapfer oder wir schämen uns,
-uns so gehen zu lassen, die Energien sind dann nicht ausgelöst, ein
-Antagonist gegen den Schmerz, der Wille, hat ihre Auslösung gehemmt.
-Beispiele entsprechender Art ließen sich unzählige anführen; man
-denke an die ungeheuren Energieentwicklungen, welche das Ehrgefühl,
-das Rachegefühl, die Liebe usf. im Gefolge haben können und haben,
-während die auf uns einwirkende physikalisch-chemische Energie &mdash; ein
-Wort, also ein Schall, der unser Gehör trifft, oder Licht, von der
-Geliebten Gestalt in unser Auge gestrahlt, und ähnliches &mdash; äußerst
-geringfügig sein kann. Ferner, wir sind imstande, eine Unzahl von
-Bewegungen mit demselben Willen gleichzeitig auszuführen. Als Knabe
-habe ich in meinem Heimatorte fahrende Musikanten bewundert, die ein
-ganzes Orchester waren; Hand und Fuß, Kopf und Mund, kurz, fast jeder
-Körperteil bearbeitete ein Instrument, und nicht selten klangen alle
-Instrumente zugleich und machten einen Heidenlärm. Wir vermögen ja auch
-von einer Zentrale beliebig viele Sprengungen zugleich zu vollführen,
-alles auslösend. Man könnte im letzten Beispiel freilich sagen, um
-mehr oder viel zu tun, bedarf es einer entsprechend vergrößerten
-Willensleistung, wie in dem analogen physikalischen Beispiel die<span class="pagenum"><a name="Seite_470" id="Seite_470">[S. 470]</a></span>
-Zahl der erforderlichen elektrischen Funken wächst wie die Zahl der
-Sprengungen. Wir besitzen noch kein entscheidendes objektives Maß
-für die Intensität unserer Seelentätigkeiten; was davon nach außen
-zum Vorschein kommt, steht in gar keinem Verhältnis zu ihnen, wie ja
-schon daraus erhellt, daß wir bei noch so heftiger innerer Erregung
-jede Äußerung unterdrücken können, so daß wir wie innerlich völlig
-tatlos erscheinen. Es ist möglich, daß man noch Mittel und Wege
-finden wird, auch die im Inneren verlaufenden Seelentätigkeiten
-physikalisch-chemisch festzustellen und zu verfolgen. Die Wirkungen von
-Reizen auf das Zentralnervensystem werden ja bereits nach geistvollen
-Methoden untersucht. Einstweilen aber wenden wir uns noch am besten an
-uns selbst. Und da glaube ich, daß man zwar seinen Willen stärken und
-schwächen kann, aber nicht, indem man ihn verdoppelt, verdreifacht,
-vervierfacht usf. oder unterteilt, sondern indem man mit dem gleichen
-Willen andere Seelentätigkeiten wie Gleichgültigkeit, Trägheit,
-Abschweifung, Bedenken, Furcht usf., kurz, Antagonisten oder Hemmer
-aus dem Wege schafft. Der „Geübte“ braucht ja auch nur eines relativ
-kleinen Willens, um die physikalisch-chemische äußere Energie zu
-entwickeln, die der Ungeübte bei noch so heftigem Wollen nicht zustande
-bringt, weil eben die Seelentätigkeiten einander nicht beliebig
-weichen, von den bekannten physiologischen Verhältnissen zu schweigen,
-da sie im letzten Grunde &mdash; selbst wenn für „gewohnte Nervenbahnen“
-andere histologische Struktur oder chemische Zusammensetzung oder
-physikalisches Verhalten nachgewiesen sein sollten, wie für die
-ungewohnten &mdash; doch wieder auf psychologische Verhältnisse zurückführen.</p>
-
-<p>Die obigen Auseinandersetzungen mögen noch Zweifel lassen, im ganzen
-werden sie aber wohl die aufgestellte Behauptung rechtfertigen, daß
-die psychischen Energien <span class="gesperrt">auslösende</span> sind. Über die Frage, wie
-sich die psychischen Energien gegeneinander verhalten, wird später
-gesprochen werden.</p>
-
-<p>Indessen haben die psychischen Energien noch ganz andere Aufgaben
-zu erfüllen, als nur Energien auszulösen. Vier Klassen von
-Zusammenwirkungen zwischen physischen und<span class="pagenum"><a name="Seite_471" id="Seite_471">[S. 471]</a></span> psychischen Energien sind zu
-unterscheiden: physische Energien gegen physische, psychische Energien
-gegen physische, physische Energien gegen psychische, psychische
-Energien gegen psychische.</p>
-
-<p>Die erste Klasse bietet gegenwärtig grundsätzlich kein besonderes
-Interesse mehr. Es besteht, wie schon oft hervorgehoben, kein Zweifel,
-daß alle physikalischen und chemischen Vorgänge im Körper der Lebewesen
-ganz nach den Gesetzen der physikalisch-chemischen Vorgänge überhaupt,
-wie sie in der unbelebten Welt sich abspielen, erfolgen. Das haben
-unsere großen Physiko-Physiologen Johannes Müller, du Bois-Reymond,
-Helmholtz und viele andere unzweideutig nachgewiesen.</p>
-
-<p>Die zweite Klasse ist schon schwieriger zu übersehen. Es handelt sich
-hier um die Wirkungen der Psyche auf den Körper. Wir nennen sie, nur
-dem Brauch folgend, motorische Wirkungen. An sich sind sie nicht bloß
-bewegend, sondern überhaupt auch der Art nach sehr mannigfaltig.
-Wir haben Bewegungen, wie die der einzelnen Gliedmaßen, mancher
-Eingeweide, des Herzens, der Augen usf. Der Wille löst hier lebendige
-Kräfte aus. Dann kommen Ausscheidungen, Sekretionen, wie die in den
-Verdauungsorganen und den Drüsen. Mit solchen Wirkungen verbinden
-sich die Vorgänge bei der Aufnahme von Stoffen in den Körper, durch
-unmittelbare Einführung, durch Absorption, Osmose usf. Kurz, alles was
-zum Wachstum, zur Ernährung und zur Erhaltung des Körpers dient. Diese
-Wirkungen sind nicht mehr rein motorischer Art, hier spielen chemische
-und besondere physikalische Energien mit, aber immerhin handelt es
-sich noch um Auslösung von Energien. Nun aber kommen Wirkungen der
-Psyche auf den Körper, die rein <span class="gesperrt">regulierend</span> sind. Wir können
-hierher schon Hunger, Durst, Atemnot, Sekretionsdrang und ähnliches
-rechnen, die analog den Zentrifugalregulatoren unserer Dampfmaschinen
-wirken. Sie regulieren den Stoffgehalt, also auch den Energieinhalt
-des Körpers. Noch wichtiger ist, daß Seelentätigkeiten die physischen
-Energien zwingen, sich in ganz bestimmter Weise<span class="pagenum"><a name="Seite_472" id="Seite_472">[S. 472]</a></span> zu äußern und zu
-wandeln. Das wichtigste Beispiel der morphologisch-biologischen
-Regulierung haben wir behandelt (<a href="#Seite_453">S. 453</a> f.). Andere Beispiele geben
-die regulierenden Tätigkeiten mittels des Nervus vagus und anderer
-Nerven auf Herz, Zwerchfell, Drüsen, Eingeweide usf. Hier handelt
-es sich also nicht mehr um Umwandlungen von Energien ineinander,
-sondern um Herbeiführung von bestimmten Verhältnissen in diesen
-Umwandlungen. Die Psyche, so können wir zunächst sagen, verhält
-sich hier dem Energieprinzip gegenüber ganz so wie das physische
-Regulativ, welches gleichfalls die Energieumwandlungen innerhalb
-jenes Prinzips beherrscht. Die Energien als solche regulieren ihre
-Umwandlungen selbst nicht, nur daß ihre Summe konstant bleibt, ist
-gesichert. Aber eine Summe kann aus den verschiedensten Summandenreihen
-hervorgehen; daß eine bestimmte Summandenreihe sie bildet, erfordert
-ein eingreifendes Prinzip. Das ist in der Physik und Chemie eben das
-dritte physische Prinzip. Man könnte sagen, in die Lebenserscheinungen
-greife ebenfalls das dritte Weltprinzip ein. Das tut es gewiß.
-Allein wozu sind die regulierenden Gefühle und Nerven vorhanden? Die
-äußeren Umstände sollten doch, wie in physikalischen und chemischen
-Vorgängen, allein genügen, die Umwandlungen zu regulieren. Aber immer,
-wenn die Umwandlungen einen für die Entwicklung oder Erhaltung des
-Lebens ungeeigneten Verlauf einschlagen, tritt die Regulierung durch
-besondere Seelentätigkeiten ein. Wir haben eben zwei Regulierungen,
-eine rein physische Regulierung nach dem physischen Prinzip, bestimmt
-durch den Zustand des Körpers, die rein mechanisch wirkt, wie in
-einem unbelebten Körper, ganz ohne Bezugnahme auf das Leben, und eine
-Regulierung, die unmittelbar auf das Leben gerichtet ist. Diese kommt
-bei belebten Wesen als neue hinzu. Unser Denken ist diskursiv, nicht
-intuitiv. Wenn wir Teile haben, die sich vor uns zu einem Ganzen
-zusammensetzen, so wissen wir, wie das Ganze aus ihnen hervorgegangen
-ist, haben wir aber nur ein Ganzes, so ist uns die Entstehung aus den
-Teilen verborgen. Kant begründet damit in der Kritik der Urteils<span class="pagenum"><a name="Seite_473" id="Seite_473">[S. 473]</a></span>kraft
-das Prinzip der Zweckmäßigkeit. Das wollen nun die Materialisten nicht
-anerkennen, sie lehnen es als Einbildung ab. Aber ich weiß nicht, wie
-man rein mechanistisch oder energetisch die psychische Regulierung
-bei Entwicklung des Körpers aus den unzähligen Möglichkeiten nach der
-ganz bestimmten Richtung (<a href="#Seite_450">S. 450</a> f.), und im Körper sich verständlich
-machen will, <span class="gesperrt">die zweifellos ein Besonderes neben der physischen
-ist</span>, die, ich möchte sagen, immer die Umstände so wandelt, daß
-das physische Regulativ so reguliert, wie es für die Erhaltung
-des Körpers erforderlich ist. Das zeigt sich ja schon bei der
-chemisch-physikalischen Assimilation und Dissimilation der Stoffe in
-den Zellen (z. B. den Ganglien), die immer im Gleichgewicht gehalten
-werden, und bei dem Ruhebedürfnis, sobald durch körperliche oder
-geistige Tätigkeit die Dissimilation vorherrschend geworden ist. Wenn
-also die psychischen Tätigkeiten physische Energien auslösen, so würden
-sie auch das physische Regulativ für die Vorgänge zwischen den Energien
-stetig auslösen. Kann man da die psychischen Tätigkeiten überhaupt noch
-als physische Energien ansehen? In der Physik und Chemie tun Energien,
-wie bemerkt, <span class="gesperrt">nichts</span> dergleichen. Nur <span class="gesperrt">auszulösen</span> vermögen
-sie und sich ineinander zu wandeln, <span class="gesperrt">weiter nichts</span>. Das ist noch
-der entgegenkommendste Ausdruck für das Verhältnis der psychischen
-Regulierung zur physischen. Manche werden sogar geneigt sein, die
-erstere als Kampfregulierung gegen die letztere zu betrachten. Und
-sie hätten recht, da, sobald die psychische Regulierung fehlt und die
-physische frei waltet, der Körper zugrunde geht.</p>
-
-<p>Zu dieser Klasse gehören auch noch diejenigen Auslösungen, welche
-als Ausdruck unserer Seelentätigkeiten nach Außen dienen, wie die
-der physischen Energien beim Sprechen zum Ausdruck der Gedanken und
-Wünsche, beim Wechseln der Gesichtszüge zum Ausdruck der Empfindungen,
-bei vielen anderen Bewegungen zum Ausdruck der Triebe, Gefühle usf.
-Hier liegen die Verhältnisse anscheinend wieder einfach, physische
-Energien treten als Folge von psychischen auf. Die Bedeutung, die diese
-Vorgänge haben, beruht zum großen<span class="pagenum"><a name="Seite_474" id="Seite_474">[S. 474]</a></span> Teil auf Übereinkommen, wie bei
-der Sprache. In anderen Fällen ist es naturgemäße Abwehr oder Flucht.
-In noch anderen, wie bei Schreien aus Schmerz, das so weit in der
-Tierreihe verbreitet ist, bei Lachen und Singen aus Vergnügen und bei
-Weinen ist es schwer, die Bedeutung abzuleiten.</p>
-
-<p>Wir kommen zur dritten Klasse; sie umfaßt das Tätigkeitsgebiet der
-sensiblen Nerven; Reize der physischen Energien bringen psychische
-Erscheinungen, und zwar fast alle &mdash; die Physizisten sagen,
-überhaupt alle &mdash; hervor. Teilen wir die psychischen Erscheinungen
-ein in: Wahrnehmen (physisch und psychisch), Vorstellen (Anschauen,
-Phantasieren, Erkennen, Erinnern usf.), Empfinden (Fühlen, Begehren
-usf.), Denken (Schließen, Glauben usf.), Wollen, so würden also im
-Extrem alle diese Erscheinungen von physischen Energien hervorgerufen
-werden können. Dagegen läßt sich nichts sagen, jeder weiß es. Und
-wenn der Körper mit der Außenwelt in Verbindung sein soll, muß es ja
-auch selbstverständlich so sein. Es fragt sich nur wie? Wenn jemand
-unsere zur Faust geschlossene Hand ergreift und öffnen will, so löst
-diese Energie unseren Willen aus, und dieser löst die physische
-Gegenwirkung unserer Muskeln gegen den Angriff aus. Das ist einfach:
-ein explodierender Pulverhaufen kann von Feuererscheinungen begleitet
-sein, die den erloschenen Funken, der ihn zur Explosion gebracht
-hat, wieder entzünden. Ähnlich brächten physische Energien in den
-Sinnesorganen psychische Sinneswahrnehmungen hervor, wie die fünf
-bekannten, dazu noch Kälte- und Wärmeempfindung, Schmerzempfindung,
-Gleichgewichtsgefühl, Körpergefühl usf., wobei nicht entschieden zu
-werden braucht, ob spezifische oder nur graduelle Verschiedenheiten
-zwischen einigen dieser Wahrnehmungen bestehen. Schwieriger ist
-es schon, zu begreifen, wenn Reize Erkennen, Erinnern, Denken,
-Fühlen auslösen, und noch mühevoller, wenn dieses mit mehreren
-Seelentätigkeiten der verschiedensten Art zugleich geschieht.</p>
-
-<p>Ich habe bei den bisherigen Betrachtungen die unbewußten
-Seelentätigkeiten von den bewußten nicht getrennt; um so mehr aber muß
-jetzt ein Unterschied gemacht werden. Über<span class="pagenum"><a name="Seite_475" id="Seite_475">[S. 475]</a></span> das Verhältnis der ersteren
-zu den physischen Energien kann man die Behauptungen nicht prüfen, denn
-es fehlt hier auch die <span class="gesperrt">innere</span> Untersuchung, von der äußeren
-ganz zu schweigen. Bei den bewußten Seelentätigkeiten aber haben wir
-die innere Prüfung zur Verfügung. Hier glaube ich nun behaupten zu
-dürfen, daß zwischen Reiz und ausgelöster Seelentätigkeit stets ein
-anderes sich schiebt, die Kausalität. Es ist bekannt, daß die physische
-Anschauung apriorische Eigenschaften der Psyche nicht anerkennt. Mit
-allen Kategorien soll die Kausalität erworben, aus der Erfahrung
-jedes einzelnen oder ganzer Geschlechter erschlossen, abstrahiert
-sein. Die Kausalität ist dann, wie alle Kategorien, selbst psychisch
-wesenlos, denn die Seelentätigkeit ist das Schließen, nicht das Ende
-des Schließens, der Schluß. Und eine andere Ansicht kann die physische
-Anschauung vom Leben auch gar nicht haben. Von diesem Standpunkte
-aus <span class="gesperrt">folgt</span> die Kausalität, wie jede Kategorie, den durch Reize
-ausgelösten Seelentätigkeiten. Der Gegenstand ist außerordentlich
-schwierig. Ich glaube aber, wie schon bemerkt, in meinem Buche
-„Philosophische Grundlagen der Wissenschaften“ naturwissenschaftlich
-das getan zu haben, was Kant philosophisch geleistet hat: erwiesen
-zu haben, daß Reize bewußte Seelentätigkeiten gar nicht auslösen
-ohne Mitwirkung der Kausalität, daß diese Mitwirkung &mdash; wenn nicht
-gar <span class="gesperrt">Vor</span>wirkung &mdash; die unausweichliche Bedingung ist für jedes
-bewußte Leben in der physischen Welt. In dieser Hinsicht nimmt die
-Kausalität für das Leben die gleiche Stellung ein wie das Bewußtsein
-selbst. Ja, man könnte wohl sagen: es gibt gar kein Bewußtsein
-von der Einheit des Ich im Verhältnis zur äußeren Welt und zu der
-Mannigfaltigkeit der inneren Welt ohne Kausalität, denn ohne Kausalität
-ist ein Erkennen sowohl des Verschiedenen als des Gleichen völlig
-ausgeschlossen, also das Erkennen überhaupt und jeder Zusammenhang.
-Ich glaube sogar erwiesen zu haben, daß selbst die Anschauung, die wir
-von den Besonderheiten des Raumes haben, nicht ohne die Kausalität hat
-gewonnen werden können, gerade wenn naturwissenschaftlich gesprochen
-wird. Ist dies aber alles zutreffend<span class="pagenum"><a name="Seite_476" id="Seite_476">[S. 476]</a></span>
-(man vgl. auch <a href="#Seite_409">S. 409</a>, <a href="#Seite_414">414</a> f.),
-wie soll man sich dann die Verbindung zwischen Kausalität &mdash; und das
-gilt auch für alle anderen Kategorien &mdash; und physischen Energien
-vorstellen? Kann da auch nur von einer Auslösung gesprochen werden? Ich
-glaube, so wenig wie bei der Zeit- und Raumanschauung. Und diese haben
-wir ununterbrochen im bewußten Zustande, die Kausalität tritt aber hier
-jedesmal erst auf, wenn ein Reiz ausgeübt wird, und dann folgt die
-betreffende Seelentätigkeit als Erkennung des Reizes.</p>
-
-<p>Endlich die vierte Klasse, die Verbindung der psychischen Tätigkeiten
-miteinander. Häckel sagt geradezu: „Jede Psychomform kann in eine
-andere übergeführt werden“. Also Umwandlung der psychischen Energien
-ineinander. Hierfür scheint manches zu sprechen. Wir haben die
-Empfindung „Hunger“; wir essen, und allmählich schwindet diese
-Empfindung, und es wächst die Empfindung „satt“ heran, die bis zu
-„übersatt“ steigen kann, die eine oder andere als Äquivalent für die
-verlorene Empfindung Hunger. So wandelt sich auch mitunter das Gefühl
-der Verehrung in das der Gleichgültigkeit oder gar der Verachtung,
-das der Liebe in Haß usf. Indessen kennen wir auch Fälle, in denen
-von einer Umwandlung des einen in das andere doch wohl nicht die
-Rede sein kann. Es scheint, als ob die Seelentätigkeiten in Gruppen
-zu teilen sind, die sich getrennt voneinander halten, sich nicht
-ineinander wandeln. Worin soll sich das Bewußtsein wandeln, da es
-doch überall dabei sein muß und, wie das Auge die Gegenstände, so die
-anderen Seelentätigkeiten wie ganz außer und über ihnen betrachtet?
-Wer Kategorien, wie die Kausalität, anerkennt, wird auch wegen ihrer
-in Verlegenheit sein. Sie sind die Regulative für alle inneren
-Seelentätigkeiten, wie Wahrnehmen, Denken usf. Nehmen wir noch ein
-handgreiflicheres Beispiel. Es meint ein Mensch, aus Unwissenheit oder
-aus Aberglauben, oder aus besonderer Stimmung heraus, ein Gespenst
-zu sehen. Es ist eine innere Wahrnehmung. Bangen, Furcht und Angst
-ergreifen ihn und dauern mit der Wahrnehmung. Eine Umwandlung der
-Wahrnehmung in diese Gefühle hat nicht statt<span class="pagenum"><a name="Seite_477" id="Seite_477">[S. 477]</a></span>gefunden, die Wahrnehmung
-kann diese Gefühle sogar überdauern. Aus solchen und ähnlichen
-Beispielen glaube ich entnehmen zu sollen, daß auch die psychischen
-Energien, um wieder energetisch zu reden, sich nur auslösen, und daß
-die Umwandlungen nur scheinbar sind, indem immer ein anderes dazwischen
-tritt, so der Reiz, den die Speisen ausüben, der die eine Empfindung,
-Hunger, aufhebt und die andere, „satt“ oder „übersatt“, auslöst, neue
-Wahrnehmungen über den Gegenstand der Verehrung oder Liebe usf. Daß
-aber außerdem, auch hier wie bei der dritten Klasse, Erscheinungen
-auftreten, Regulierungen, die keiner physischen Energie zukommen.</p>
-
-<p>Überblicken wir alles bisher Gesagte, so ergibt sich folgendes:</p>
-
-<p>1. Werden die Seelentätigkeiten als physische Energien betrachtet, so
-hat man sie als auslösende Energien anzusehen. Sie können dann ihr
-Äquivalent nur ineinander finden, was allgemein nicht zutrifft. Oder
-sie haben ihr Äquivalent in den physischen Energien der betreffenden
-Nervenzellen (Ganglien und Ganglienanhäufungen im Gehirn, Rückenmark,
-Sonnengeflecht), im <span class="gesperrt">Psychoplasma</span>, wie Häckel sagt. Das letztere
-zu behaupten sind die Materialisten und Energetiker naturgemäß am
-meisten geneigt. Aber haben sie die Behauptung auch schon experimentell
-bewiesen? Man kann darauf nur mit Nein antworten. Die feststehende
-Tatsache, auf die sie sich immer berufen, daß Körper und Geist sich
-stets beeinflussen, ist kein Beweis. Es ist richtig, daß das Gehirn
-eines müden Menschen durch Dissimilation gewisse Stoffe mehr enthält
-und andere weniger als das eines nicht müden. Müssen darum diese
-Umwandlungen Äquivalente der Gedanken- oder Gefühlsenergien sein,
-können sie nicht indirekt entstanden sein? Man denke an folgenden
-Fall. Der Wille zwingt einen Muskel, sich zusammenzuziehen oder zu
-strecken. Während des Zustandes der Kontraktion oder Streckung bildet
-sich im Muskel als störender Stoff Milchsäure aus, und der Muskel
-ermüdet und zehrt zuletzt gewissermaßen den Willen auf. Aber unter
-wie anderen Ernährungsverhältnissen steht der<span class="pagenum"><a name="Seite_478" id="Seite_478">[S. 478]</a></span> kontrahierte oder
-gestreckte Muskel gegenüber dem normal liegenden! Diese Änderung der
-Ernährungsverhältnisse hat die Änderung in der Zusammensetzung des
-Muskels herbeigeführt, die Änderung ist kein Äquivalent des Willens.
-Ähnlich ist kaum eine Seelentätigkeit ohne Beeinflussung des Herzens
-und anderer Teile des Körpers vorhanden. Die dadurch herbeigeführten
-physischen Änderungen müssen auch die Ernährung der Zellen ändern. Dies
-alles kann man, wie ich glaube, mit großem Rechte jener apodiktischen
-Behauptung so lange entgegenhalten, als nicht Beweise im einzelnen
-beigebracht sind. Und diese fehlen noch, wenn auch zugestanden werden
-kann, daß die Untersuchung namentlich der Stromschwankungen in den
-Nerven und der Stoffumsetzungen in den Ganglien einiges in Aussicht
-stellen mag.</p>
-
-<p>2. Die Seelentätigkeiten bieten Erscheinungen, die bei keiner
-physischen Energie anzutreffen sind, indem sie namentlich, zur
-Entwicklung und Erhaltung des Körpers als <span class="gesperrt">lebenden</span> Gegenstandes,
-auch <span class="gesperrt">regulierend</span> wirken. Hierüber ist nach dem Gesagten nichts
-hinzuzufügen.</p>
-
-<p>3. Es gibt Seelentätigkeiten, denen der Charakter von Energien
-beizumessen nicht angängig ist. Dahin gehört vor allem die Anschauung
-der Zeit und gehören die Kategorien, wie namentlich die Kausalität,
-Regulative des inneren Lebens und des Lebens in und mit der äußeren
-Welt. Auch das Bewußtsein würde ich hierher rechnen als Organ zur
-<span class="gesperrt">Wahrnehmung</span> des inneren Lebens.</p>
-
-<p>Endlich bedenke man noch folgendes: Was haben wir von den physischen
-Erklärungen der psychischen Tätigkeiten noch außerdem zu verlangen?</p>
-
-<p>4. Alle physischen Vorgänge müssen sich zusammengefaßt als ein
-<span class="gesperrt">Gesamtes</span> erkennen; es entspricht das unserem Bewußtsein von
-unserem Ich und dem was auf <a href="#Seite_455">S. 455</a> f. davon und von den Ostwaldschen
-Reaktionsfolgen gesagt ist.</p>
-
-<p>5. Jeder physische Vorgang muß sich außerdem für sich <span class="gesperrt">in sich</span>
-erkennen.</p>
-
-<p>6. Jeder physische Vorgang muß <span class="gesperrt">jeden anderen</span> Vorgang kennen
-und erkennen, da jeder jeden anderen hervorruft und<span class="pagenum"><a name="Seite_479" id="Seite_479">[S. 479]</a></span> korrigiert, zum
-Beispiel die Empfindung Schmerz den Willen Schreien.</p>
-
-<p>7. Kein physischer Vorgang darf durch Hinzutreten neuer Vorgänge oder
-durch Schwinden vorhandener <span class="gesperrt">gestört</span> werden. Das könnte man
-physisch noch am ehesten verstehen.</p>
-
-<p>8. Jeder physische Vorgang muß andere Vorgänge, beliebiger Art, selbst
-entgegengesetzte, <span class="gesperrt">voraussehen</span>, denn wir kennen unsere inneren
-und äußeren Handlungen und wissen, was auf jeden Vorgang in uns folgt,
-bis zu bestimmter Vorstellung oder gar Wahrnehmung.</p>
-
-<p>Wer das alles von physischen Vorgängen glaubt zugestehen zu können, mag
-die Welt der Psyche der Welt der Physis gleich machen. Ich persönlich
-halte ein solches Zugeständnis für ganz undenkbar. Automaten, selbst
-solche unseres phantastischesten Dichters E. T. A. Hoffmann wird
-wohl niemand mehr als Beispiele anführen. Oberflächliche Analogien
-kann man überall finden. Darum handelt es sich nicht. Um bestimmte
-Verständlichmachung handelt es sich, daß man mit Einsicht sagen
-kann: Jawohl, so kann es sich in der Tat verhalten. Davon aber sind
-Mechanistik und Energetik unendlich weit entfernt, selbst wenn man von
-den Widersprüchen absieht, in die sie sich gegen sich selbst verwickeln
-und von denen der bedeutendste der der Gegenwirkung des physischen und
-des psychischen Regulativs ist. Die physikalisch-chemischen Gesetze
-wirken im Leben ganz so wie in der unbelebten Welt. Aber sie sind im
-Leben nicht die einzigen Gesetze, es kommen noch andere Gesetze hinzu,
-namentlich regulierende, die in der unbelebten Welt nicht bestehen,
-soviel wir wissen, und deren Aufgabe in Gegenwirkungen gerade gegen
-jene physikalischen Gesetze besteht. Auch die physikalisch-chemischen
-Erscheinungen erschöpfen das Leben nicht; es sind im Leben noch
-andere Erscheinungen vorhanden, die wir in der unbelebten Welt nicht
-treffen, wie die wunderbaren der phylogenetischen und ontogenetischen
-Entwicklung aus den unzähligen Möglichkeiten (<a href="#Seite_448">S. 448</a> ff.). Das Leben
-enthält eben mehr als das Unbelebte, und zwar Eigenes, Besonderes.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_480" id="Seite_480">[S. 480]</a></span></p>
-
-<p>Nun noch einige Worte. Die physischen Anschauungen bringen es
-anscheinend mit sich, daß weder von Gott noch von Freiheit oder
-Unsterblichkeit gesprochen werden kann. Ich will nur über das letztere
-etwas sagen, die Unsterblichkeit. Als Ganzes kommt sie physisch nicht
-in Betracht. Aber vielleicht zum Teil? Wir wissen, daß in der Natur
-Wärme unsterblich ist. Alle Vorgänge in der Natur sind irgendwo
-mit Wärmeentwicklung verbunden. Wärme ist nur beschränkt in andere
-Energie verwandelbar, also muß insgesamt immer eine Wärmezunahme
-erfolgen. Und so steigt die Menge Wärme im Weltall zu bestimmtem
-Höchstbetrag, der dann bleiben muß (vgl. jedoch <a href="#Seite_440">S. 440</a>). Wenn in den
-psychischen Energien solche vorhanden sein sollten, die gleichfalls
-nur beschränkt verwandelbar sind, so müssen diese stetig zunehmen.
-Ohne Umwandlungen sind solche Energien Leben ohne Tätigkeit; also
-dieses Leben muß im Weltall stetig wachsen. Am Ende sind diese Energien
-allein von allen psychischen Energien vorhanden, und wir haben nur
-Leben ohne Tätigkeit, kein anderes. Das erinnert frappierend an das
-buddhistische Nirwana-Leben. Es ist ein Leben, nur ohne Tätigkeit.
-Und sollten etwa gar selbst die sonst beschränkt verwandelbaren
-Energien der Natur diesen psychischen Energien gegenüber unbeschränkt
-verwandelbar sein, was ja in keiner Weise ausgeschlossen ist, so würden
-überhaupt die letzten Energien nur Leben sein, ohne Tätigkeit. Das
-Nirwana-Leben würde in den Äther versinken, wo es zum Beginn der Welt
-war und durch einen gewaltigen Akt in physisches Leben übergeführt
-worden ist, um am Ende der Tage in den Äther zurückzukehren. Kaum
-brauche ich hervorzuheben, daß diese Unsterblichkeitslehre nicht
-die spiritualistische ist, die sich ja auf das Individuum bezieht,
-während es sich hier um das Gesamte handelt, wofür Häckel in seinem
-Psychom-Erhaltungsgesetz sie unmittelbar feststellt. Aber etwas
-Individuelles haftet ihr doch auch an, wenn die Psychome eben nur
-beschränkt verwandelbar sind. Fast ist es schade, daß man eine Theorie
-ablehnen muß, die zu so bedeutenden Unsterblichkeitsfolgerungen führen
-kann. Aber gegenwärtig scheint<span class="pagenum"><a name="Seite_481" id="Seite_481">[S. 481]</a></span> mir jede Anschauung auf rein physischer
-Grundlage aussichtslos.</p>
-
-<p>In letzter Stunde ist mir eine Schrift von <span class="gesperrt">Felix Auerbach</span>
-bekannt geworden, „Ektropismus oder die physikalische Theorie des
-Lebens“. Der zweite Titel hätte besser fortgelassen werden sollen,
-denn eine physikalische Theorie des Lebens wird nicht gegeben,
-nicht einmal angedeutet. Nur daß der Verfasser der Ostwaldschen
-Energetik anhängt, möchte aus der Schrift hervorgehen. Doch spricht
-er von Geist und Willen wie von etwas Besonderem &mdash; er nennt sie
-das „Göttliche“ im Menschen &mdash; gegenüber den Erscheinungen in der
-unbelebten Natur. Es handelt sich also nur um den Ektropismus.
-Ektropismus nun ist der Gegensatz zum Entropismus. Letzterer
-bedeutet, wie wir wissen, und Auerbach namentlich feststellt, die
-<span class="gesperrt">Ausgleichung</span>, <span class="gesperrt">Zerstreuung</span> und <span class="gesperrt">Entwertung</span> der
-Energie. <span class="gesperrt">Ektropismus</span> bezieht sich also auf <span class="gesperrt">Sonderung</span>,
-<span class="gesperrt">Konzentrierung</span> und <span class="gesperrt">Werthebung</span> der Energie. Von selbst
-tritt allein Entropismus ein, Ektropismus dagegen immer nur durch
-Wirkung von außen. So ist der Vorgang des Falles schwerer Körper
-entropisch, die Körper fallen von selbst. Das Steigen schwerer Körper
-aber ist ektropisch, in jeder höheren Lage haben sie mehr Energie.
-Und von selbst steigen sie nicht, sie müssen von außen gehoben oder
-heraufgedrückt werden. Auerbach ist nun der Ansicht, daß die belebten
-Wesen ektropisch wirken. Das ist an sich nicht neu; denn daß die
-lebenden Wesen Energien vor der Zerstreuung wahren und aufspeichern,
-z. B. die Pflanzen in ihrem Körper, wer weiß es nicht? Aber Auerbach
-gibt dieser Tatsache eine höhere Bedeutung, und zwar analog derjenigen
-der Regulation (<a href="#Seite_451">S. 451</a>). Das Leben ist eine Regulation gegen den Tod
-des Weltalls, der nach dem Entropieprinzip unvermeidlich eintreten
-soll; ist es kein absolut abhelfendes Prinzip &mdash; verstehe ich Auerbach
-recht, so möchte er sogar so weit gehen &mdash; so ist es doch jedenfalls
-ein retardirendes. Daß Anfang und Ende aufs genaueste zusammenhängen,
-stellt auch er fest, und so will ich seinen Hauptsatz, soweit er hier
-in Betracht kommt, im Wortlaut anführen. Er setzt einen Urzustand etwa
-im Sinne<span class="pagenum"><a name="Seite_482" id="Seite_482">[S. 482]</a></span> Eugen Dührings voraus, Chaos nennt er ihn, in dem also alle
-Energie entropisch war (oder war gar keine Energie da?), da keine
-Vorgänge bestanden. Dieser Urzustand wurde plötzlich durch einen
-Schöpfungsakt zur höchstmöglichen Ektropie gebracht: „Am Anfange wurde
-aus dem Chaos der Kosmos (also die Welt der Vorgänge). Das Chaos war
-schlaff und träge, der Kosmos ist gespannt und bewegt. Das Chaos ist
-leer, der Kosmos ist gefüllt mit Energie. Ihre Quantität bleibt immer
-dieselbe, aber ihre Qualität unterliegt fortwährendem Wandel; und was
-die Rolle der Wandlungen durchgemacht hat, ist für den Kosmos verloren.
-Spannung und Bewegung lassen nach, die Energie wird gebunden und
-zerstreut, verwirrt und entwertet, die Energie strebt einem Maximum zu.
-Da tritt eine neue Erscheinung auf den Plan: das Leben. In der leblosen
-Natur herrscht der Ablauf, nur schwach gedämpft durch den Aufzug. In
-der lebendigen Natur herrscht die Entwickelung, und sie versucht, dem
-auch hier tätigen Ablauf die Spitze zu bieten. Der Versuch gelingt
-nur allmählich und nur in bescheidenen Grenzen. Aber die ordnende,
-auslösende und ektropische Begabung kommt und reift mählich und
-heimlich. Und im Menschengeschlechte feiert sie mit strahlendem Glanze
-das Fest ihrer Befreiung.“ Das Leben ist wie ein „Wächter“, der
-unablässig eingreift und das „Schädliche“ (das Entropische) „absiebt“.
-Wenn der Leser das in unsere einfache Sprache überträgt, so findet
-er es nicht weit von den hier geäußerten Ideen, wenigstens nach
-<span class="gesperrt">einer</span> Richtung, denn die anderen, fast noch bedeutungsvolleren
-Regulationen kommen bei Auerbach nicht zur Behandlung. Eigenartig
-ist noch, daß Auerbach an die Entstehung des Kosmos aus dem Chaos
-die Entstehung auch der größten Ordnung anschließt, die allmählich
-entropisch in die Un-Ordnung übergeht (<a href="#Seite_441">S. 441</a>). Das Leben greift wieder
-regulierend ein, es schafft Ordnungen aus den Un-Ordnungen. Wie das
-Leben dieses tut, wie es überhaupt den Kampf gegen den Entropismus
-durch Ektropismus führt, darüber sagt der Verfasser nichts Bestimmtes.
-Aus einigen Nebenäußerungen möchte man schließen, daß er das Leben in
-gewissen selektiven Eigenschaften der protoplasmati<span class="pagenum"><a name="Seite_483" id="Seite_483">[S. 483]</a></span>schen Stoffe sucht,
-analog etwa der selektiven Eigenschaft mancher als halbdurchlässig
-bezeichneten Stoffe, die zum Teil von einer Zuckerlösung wohl das
-Wasser, aber nicht den Zucker durchlassen. Aber freilich sollte die
-grobe Mechanistik seinem System sehr fern stehen. Wegen der weiteren
-Schlüsse in bezug auf das Verhalten des Menschen und der Menschheit,
-darf ich auf die sehr interessante Schrift verweisen. Der Satz „Der
-Kosmos &mdash; und mit ihm sein Vertreter, der Staat &mdash; hat ein direktes
-Interesse nur an dem starken und ektropischen Individuum“, klingt ganz
-nach Nietzsche.</p>
-
-<p>Alles was in diesem Abschnitt ausgeführt ist, hängt mit dem
-<span class="gesperrt">Vitalismus</span> und <span class="gesperrt">Neuvitalismus</span>, z. B. nach <span class="gesperrt">Reinke</span>,
-zusammen. Ich habe diese Bezeichnungen zu benutzen vermieden; ihre
-Bedeutung geht nach der einen Seite, nach der physischen, zu weit, nach
-der anderen Seite, nach der psychischen, hier geistigen, viel zu sehr
-in die Enge. Man soll auch keine Worte auffrischen, die nun einmal, und
-mit Recht, eine so unwissenschaftliche Nebenbedeutung bekommen haben
-wie der Vitalismus. Ich schließe dieses Buch mit einigen Bemerkungen
-über die Welträtsel im allgemeinen.</p>
-
-<p><span class="gesperrt">Du Bois-Reymond</span>, in seiner berühmt gewordenen Ignorabimusrede,
-die Häckel einer psychologischen Metamorphose zuschreibt, die aber
-aus einer allmählich gewachsenen Erkenntnis geflossen ist, daß der
-Materialismus in keiner Form ausreicht, die „Welträtsel“ zu lösen,
-wie sie ja bei vielen anderen Forschern gleichfalls allmählich sich
-geltend machen mußte, hat sieben solche Welträtsel aufgestellt. Drei
-davon sollen überhaupt unlösbar, „transzendent“ sein: der Ursprung
-der Materie und der Kraft, der Ursprung der Bewegung, die Entstehung
-der einfachen Sinnesempfindung und des Bewußtseins. Drei andere
-sollen lösbar sein, wenn auch schwer: die Entstehung des Lebens, die
-(anscheinend absichtsvolle) Zweckmäßigkeit der Natur, das vernünftige
-Denken und der Ursprung der damit verbundenen Sprache. Eines bleibt
-unentschieden: die Frage nach der Willensfreiheit. Hat die spätere
-Entwicklung der physischen An<span class="pagenum"><a name="Seite_484" id="Seite_484">[S. 484]</a></span>schauungen dem Manne Unrecht gegeben?
-Ich glaube nein! Im Gegenteil, mir scheint sie die Rätsel noch
-mehr transzendent gemacht zu haben als er sie auffaßte. Wir sehen,
-selbst mit den bei weitem besseren Mitteln der Energetik kommt man
-der Lösung jener Rätsel nicht einen Schritt näher, höchstens, daß
-man sie auf andere Dinge bezieht, etwa das erste Welträtsel statt
-auf Materie und Kraft, auf Energie mit seinen beiden Faktoren; das
-zweite Rätsel statt auf Bewegung auf Energieumwandlung. Nur das
-Ignorabimus möchte ich ablehnen. Es ist gar kein Ignorare, wenn man
-sich davon überzeugt hat, daß es in der Welt doch etwas mehr gibt als
-ein Einzelnes im ewigen Einerlei der Existenz und des Wechsels. Wir
-suchen zwar überall nach Vereinfachung und sollen danach suchen. Wenn
-aber Vereinfachungen zu nichts führen als zu Redewendungen, ohne die
-Einsicht in das Wesen der Sache irgend zu fördern, und nur Rätsel
-und Unverständliches zu Rätseln häufen, so sind sie kein Gewinn und
-müssen fallen gelassen werden, sobald ihre Untauglichkeit erkannt
-ist. Bei den rein physischen Anschauungen ist dieses, glaube ich,
-der Fall. Die rein materialistische mag schon kein Mensch mehr. Die
-energetische, so bestechend sie ist, wird, davon bin ich überzeugt,
-ihr Schicksal teilen. Spinozas Anschauung in Verbindung mit Kants
-Transzendentalismus, scheint mir allem am besten gerecht zu werden,
-soweit menschliche Voraussicht und Einsicht etwas behaupten darf. Sie
-bietet noch den ungeheuren Vorteil, daß wir sie so leicht fortführen
-und erweitern können, wie Häckels Beispiel zeigt. In der Tat müssen
-wir jetzt schon sagen, daß der allgemeinen Substanz für unsere Welt
-mindestens drei Attribute zukommen: Geist, Energie, Materie (oder was
-für Materie stehen kann). Die allgemeine Substanz soll ja unendlich
-viele Attribute haben. So ist es durch nichts ausgeschlossen, daß
-unsere Welt in der Tat diese drei oder vielleicht noch mehr Attribute
-ausmacht. Und andere Welten, von denen schon die Alten träumten,
-können mit diesen noch andere Attribute bedeuten in beliebiger Zahl.
-Wer also ein Ding-an-sich mit unendlich vielen<span class="pagenum"><a name="Seite_485" id="Seite_485">[S. 485]</a></span> Attributen annimmt,
-muß unendlich viele Welten zugestehen und vielleicht noch Übergänge
-und Überdeckungen zwischen ihnen. Und er darf sogar die Leben-Reihe
-(<a href="#Seite_221">S. 221</a>) durch diese verschiedenen Welten führen. Auch eine solche
-Auffassung bildet einen Monismus und gehörte in die Anschauungen des
-so umfassenden <span class="gesperrt">Monistenbundes</span>. Aber freilich verirrt sich
-schon manches ins Mystische, wohin Kant auch seine „Träume eines
-Geistersehers“ geführt haben, da wir von nichts wissen als allein von
-unserer Welt.</p>
-
-<hr class="book" />
-
-<div class="chapter">
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-<h2 class="nobreak" id="Namen-_und_Sachregister">Namen- und Sachregister.</h2>
-
-</div>
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-<ul class="index"><li class="ifrst"> A</li>
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-<li class="indx"> Doketen <a href="#Seite_276">276</a>.</li>
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-<li class="indx"> Driesch <a href="#Seite_343">343</a>, <a href="#Seite_370">370</a>, <a href="#Seite_450">450</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Droßbach <a href="#Seite_345">345</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Dualismus <a href="#Seite_13">13</a>, <a href="#Seite_148">148</a>, <a href="#Seite_267">267</a>, <a href="#Seite_458">458</a> ff. u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Dubois Reymond <a href="#Seite_438">438</a>, <a href="#Seite_471">471</a>, <a href="#Seite_483">483</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Dühring, Eugen <a href="#Seite_416">416</a> ff., <a href="#Seite_463">463</a>, <a href="#Seite_481">481</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Duns Scotus <a href="#Seite_298">298</a>.</li>
-
-<li class="ifrst"> E</li>
-
-<li class="indx"> Eckehart, Meister <a href="#Seite_303">303</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Edda <a href="#Seite_93">93</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Egoismus <a href="#Seite_435">435</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Ei <a href="#Seite_450">450</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> εἴδωλον <a href="#Seite_37">37</a>, <a href="#Seite_193">193</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Einheitlichkeit der Welt <a href="#Seite_16">16</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Eklektiker <a href="#Seite_261">261</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Ektropie <a href="#Seite_480">480</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Eleaten <a href="#Seite_351">351</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Elemente <a href="#Seite_423">423</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Elysium <a href="#Seite_204">204</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Emanationslehre <a href="#Seite_253">253</a> ff., <a href="#Seite_263">263</a> f., <a href="#Seite_278">278</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Empedokles <a href="#Seite_220">220</a>, <a href="#Seite_423">423</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Empirismus <a href="#Seite_376">376</a>, <a href="#Seite_401">401</a> ff., <a href="#Seite_454">454</a> ff., <a href="#Seite_483">483</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Endlichkeit <a href="#Seite_363">363</a> f., <a href="#Seite_464">464</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Energetiker <a href="#Seite_454">454</a>, <a href="#Seite_483">483</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Energie <a href="#Seite_421">421</a> ff., <a href="#Seite_454">454</a> ff. u. a. a. O.</li>
-
-<li class="isub1"> &mdash; psychische <a href="#Seite_455">455</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Energismus <a href="#Seite_420">420</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Engel <a href="#Seite_261">261</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Entelechie <a href="#Seite_250">250</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Entropie <a href="#Seite_440">440</a> u. a. a O.</li>
-
-<li class="indx"> Entwicklungslehre <a href="#Seite_443">443</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Enzyklopädismus <a href="#Seite_435">435</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Epigenesis <a href="#Seite_448">448</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Epikuros <a href="#Seite_425">425</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Eranier <a href="#Seite_110">110</a>, <a href="#Seite_131">131</a>, <a href="#Seite_139">139</a>, <a href="#Seite_148">148</a>, <a href="#Seite_159">159</a>, <a href="#Seite_162">162</a>, <a href="#Seite_166">166</a>, <a href="#Seite_174">174</a>, <a href="#Seite_202">202</a>, <a href="#Seite_216">216</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Erhaltungsprinzipe <a href="#Seite_440">440</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Eristik <a href="#Seite_354">354</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Eschatologie <a href="#Seite_71">71</a> ff., <a href="#Seite_192">192</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Eschmunazar, König <a href="#Seite_108">108</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Essäer <a href="#Seite_276">276</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Ethische Gottheiten <a href="#Seite_138">138</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Etrusker <a href="#Seite_205">205</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Eucken <a href="#Seite_390">390</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Euemeros <a href="#Seite_52">52</a>, <a href="#Seite_97">97</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Eukleides aus Megara <a href="#Seite_354">354</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Euripides <a href="#Seite_96">96</a> f., <a href="#Seite_183">183</a>, <a href="#Seite_244">244</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Evolution <a href="#Seite_258">258</a>, <a href="#Seite_269">269</a>, <a href="#Seite_282">282</a>, <a href="#Seite_295">295</a>, <a href="#Seite_420">420</a>, <a href="#Seite_447">447</a> f., <a href="#Seite_452">452</a>.</li>
-
-<li class="ifrst"> F</li>
-
-<li class="indx"> Fakire <a href="#Seite_261">261</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Fananybrauch <a href="#Seite_42">42</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Fatalismus <a href="#Seite_138">138</a>, <a href="#Seite_234">234</a>, <a href="#Seite_437">437</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Faust <a href="#Seite_54">54</a>, <a href="#Seite_266">266</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Fechner <a href="#Seite_398">398</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Fegefeuer <a href="#Seite_192">192</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Ferment <a href="#Seite_329">329</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Fervers <a href="#Seite_111">111</a>, <a href="#Seite_208">208</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Fetische <a href="#Seite_39">39</a> ff., <a href="#Seite_90">90</a>, <a href="#Seite_104">104</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Fetischismus <a href="#Seite_36">36</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Feuerbach, Ludwig <a href="#Seite_438">438</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Feuth, Ludwig <a href="#Seite_113">113</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Fichte <a href="#Seite_358">358</a>, <a href="#Seite_373">373</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Flammarion <a href="#Seite_399">399</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Florenz, Karl <a href="#Seite_124">124</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Fludd <a href="#Seite_329">329</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Flutsagen <a href="#Seite_161">161</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Fohi <a href="#Seite_121">121</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Foismus <a href="#Seite_122">122</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Formen <a href="#Seite_249">249</a>, <a href="#Seite_383">383</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Frank, Sebastian <a href="#Seite_316">316</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Franziskus der Heilige <a href="#Seite_300">300</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Freiheit <a href="#Seite_182">182</a> ff., <a href="#Seite_367">367</a>, <a href="#Seite_393">393</a>, <a href="#Seite_479">479</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Fresnel <a href="#Seite_441">441</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Frobenius <a href="#Seite_5">5</a>, <a href="#Seite_42">42</a>, <a href="#Seite_57">57</a> ff., <a href="#Seite_74">74</a>, <a href="#Seite_79">79</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Frohars <a href="#Seite_111">111</a>, <a href="#Seite_208">208</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Funktionsübertragung <a href="#Seite_453">453</a>.</li>
-
-<li class="ifrst"> G</li>
-
-<li class="indx"> Ganglien <a href="#Seite_455">455</a>, <a href="#Seite_473">473</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Gassendi <a href="#Seite_431">431</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Gastrulation <a href="#Seite_450">450</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Gegengottheiten <a href="#Seite_148">148</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Gegenstandsgottheiten <a href="#Seite_127">127</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Geheimbünde <a href="#Seite_57">57</a>, <a href="#Seite_254">254</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Geheimlehre <a href="#Seite_189">189</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Geister <a href="#Seite_55">55</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Geisterglaube <a href="#Seite_48">48</a> ff., <a href="#Seite_53">53</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Geistige Vorgänge <a href="#Seite_455">455</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Generatio equivoca <a href="#Seite_384">384</a>, <a href="#Seite_446">446</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Germanen <a href="#Seite_88">88</a> ff., <a href="#Seite_136">136</a> f., <a href="#Seite_140">140</a>, <a href="#Seite_156">156</a>, <a href="#Seite_158">158</a>, <a href="#Seite_167">167</a>, <a href="#Seite_173">173</a>, <a href="#Seite_206">206</a>.</li>
-
-<li class="isub1"> &mdash; Nord- <a href="#Seite_92">92</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Gerson, Johann <a href="#Seite_303">303</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Gespenster <a href="#Seite_53">53</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Geulincx <a href="#Seite_336">336</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Gilgamesepos <a href="#Seite_109">109</a>, <a href="#Seite_188">188</a>, <a href="#Seite_196">196</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Gleichartigkeit der Menschheit <a href="#Seite_11">11</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Gnostiker <a href="#Seite_267">267</a> ff., <a href="#Seite_277">277</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Goethe <a href="#Seite_266">266</a>, <a href="#Seite_275">275</a>, <a href="#Seite_277">277</a>, <a href="#Seite_307">307</a>, <a href="#Seite_396">396</a>, <a href="#Seite_445">445</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Gorgias <a href="#Seite_355">355</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Götterglaube <a href="#Seite_56">56</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Götterneid <a href="#Seite_185">185</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Götzenbilder <a href="#Seite_48">48</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Götzendienst <a href="#Seite_43">43</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Graßmann <a href="#Seite_103">103</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Grey <a href="#Seite_4">4</a>, <a href="#Seite_53">53</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Griechen <a href="#Seite_50">50</a>, <a href="#Seite_95">95</a> ff., <a href="#Seite_130">130</a>, <a href="#Seite_137">137</a> f., <a href="#Seite_143">143</a>, <a href="#Seite_162">162</a>, <a href="#Seite_167">167</a>, <a href="#Seite_171">171</a>, <a href="#Seite_203">203</a>, <a href="#Seite_230">230</a>
-u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Grimm, Jakob <a href="#Seite_37">37</a>, <a href="#Seite_45">45</a>, <a href="#Seite_73">73</a>, <a href="#Seite_75">75</a>, <a href="#Seite_90">90</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Gruppe <a href="#Seite_255">255</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Gubernatis <a href="#Seite_114">114</a>.</li>
-
-<li class="ifrst"> H</li>
-
-<li class="indx"> Häckel <a href="#Seite_401">401</a>, <a href="#Seite_449">449</a>, <a href="#Seite_461">461</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Hades <a href="#Seite_204">204</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Hafis <a href="#Seite_261">261</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Halbkulturvölker <a href="#Seite_4">4</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Haller, Albrecht v. <a href="#Seite_447">447</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Hammurabi <a href="#Seite_110">110</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Hanusch <a href="#Seite_86">86</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Harmonie <a href="#Seite_241">241</a>.</li>
-
-<li class="isub1"> &mdash; Gesetz der <a href="#Seite_453">453</a>.</li>
-
-<li class="isub1"> &mdash; Prästabilierte <a href="#Seite_338">338</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Harnack, Adolf <a href="#Seite_267">267</a> ff., <a href="#Seite_274">274</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Harpyen <a href="#Seite_73">73</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Hartmann, Eduard v. <a href="#Seite_386">386</a> ff.</li>
-
-<li class="isub1"> &mdash; Franz <a href="#Seite_330">330</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Hebräer <a href="#Seite_49">49</a>, <a href="#Seite_106">106</a> ff., <a href="#Seite_144">144</a>, <a href="#Seite_156">156</a>, <a href="#Seite_177">177</a>, <a href="#Seite_192">192</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Hegel <a href="#Seite_376">376</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Heimarmene, εἰμαρμένη, <a href="#Seite_239">239</a>, <a href="#Seite_422">422</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Hel <a href="#Seite_206">206</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Helmholtz <a href="#Seite_448">448</a>, <a href="#Seite_471">471</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Helmont, Baptist van <a href="#Seite_328">328</a>.</li>
-
-<li class="isub1"> &mdash; Franz van <a href="#Seite_338">338</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Hemsterhuis <a href="#Seite_413">413</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Henotheismus <a href="#Seite_144">144</a>, <a href="#Seite_147">147</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Herakleitos <a href="#Seite_238">238</a>, <a href="#Seite_353">353</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Herbart <a href="#Seite_347">347</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Herder <a href="#Seite_435">435</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Hermogenes <a href="#Seite_269">269</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Herodot <a href="#Seite_45">45</a> f., <a href="#Seite_50">50</a>, <a href="#Seite_89">89</a>, <a href="#Seite_106">106</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Hesiod <a href="#Seite_158">158</a>, <a href="#Seite_172">172</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Hexen <a href="#Seite_53">53</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Hierarchie <a href="#Seite_280">280</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Himmel der Erde gleich <a href="#Seite_17">17</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Himmelskörper <a href="#Seite_466">466</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Hinduismus <a href="#Seite_119">119</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Hippias <a href="#Seite_355">355</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Hobbes <a href="#Seite_432">432</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Hoffmann, E. T. A. <a href="#Seite_479">479</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Holbach <a href="#Seite_435">435</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Hölle <a href="#Seite_78">78</a>, <a href="#Seite_192">192</a> ff., <a href="#Seite_208">208</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Homa <a href="#Seite_96">96</a>, <a href="#Seite_155">155</a> f., <a href="#Seite_171">171</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Homer <a href="#Seite_112">112</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Homoiomerien <a href="#Seite_423">423</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Horatius <a href="#Seite_188">188</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Hugo von St. Victor <a href="#Seite_300">300</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Hume <a href="#Seite_358">358</a>, <a href="#Seite_407">407</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Hylodeismus <a href="#Seite_236">236</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Hylopsychismus <a href="#Seite_235">235</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Hylozoismus <a href="#Seite_235">235</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Hypostasie <a href="#Seite_366">366</a>, <a href="#Seite_437">437</a>.</li>
-
-<li class="ifrst"> I</li>
-
-<li class="indx"> Ideale <a href="#Seite_365">365</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Idealismus <a href="#Seite_349">349</a> ff., <a href="#Seite_360">360</a> ff. u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Idealphilosophie <a href="#Seite_253">253</a>, <a href="#Seite_349">349</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Ideen <a href="#Seite_244">244</a> ff., <a href="#Seite_264">264</a>, <a href="#Seite_335">335</a>, <a href="#Seite_364">364</a>, <a href="#Seite_405">405</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Ideenassoziation <a href="#Seite_432">432</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Identitätsphilosophie <a href="#Seite_385">385</a> ff. u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Idololatrie <a href="#Seite_50">50</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Illusionslehre <a href="#Seite_350">350</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Indier <a href="#Seite_113">113</a> ff., <a href="#Seite_132">132</a>, <a href="#Seite_135">135</a>, <a href="#Seite_139">139</a>, <a href="#Seite_156">156</a> f., <a href="#Seite_161">161</a>, <a href="#Seite_162">162</a>, <a href="#Seite_166">166</a>, <a href="#Seite_176">176</a>, <a href="#Seite_187">187</a>, <a href="#Seite_200">200</a>,
-<a href="#Seite_211">211</a>, <a href="#Seite_228">228</a>, <a href="#Seite_258">258</a>, <a href="#Seite_350">350</a> f., <a href="#Seite_424">424</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Indifferentismus <a href="#Seite_234">234</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Individuation <a href="#Seite_295">295</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Induktion <a href="#Seite_402">402</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Inkarnationen <a href="#Seite_169">169</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Intelligenzen <a href="#Seite_288">288</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Intelligible Dinge <a href="#Seite_282">282</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Intensität <a href="#Seite_457">457</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Intuition <a href="#Seite_263">263</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Irreversibilität <a href="#Seite_440">440</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Isaak <a href="#Seite_302">302</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Istars Höllenfahrt <a href="#Seite_197">197</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Italiker <a href="#Seite_158">158</a>.</li>
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-<li class="ifrst"> J</li>
-
-<li class="indx"> Jamblichos <a href="#Seite_277">277</a>.</li>
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-<li class="indx"> Japaner <a href="#Seite_123">123</a> f., <a href="#Seite_133">133</a>, <a href="#Seite_164">164</a>, <a href="#Seite_210">210</a>, <a href="#Seite_235">235</a>.</li>
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-<li class="indx"> Jehuda Halevi <a href="#Seite_293">293</a>.</li>
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-<li class="indx"> Jenseits der Kulturvölker <a href="#Seite_192">192</a> ff.</li>
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-<li class="isub2"> &mdash; &mdash; Naturvölker <a href="#Seite_71">71</a> ff.</li>
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-<li class="indx"> Jeremias, Alfred <a href="#Seite_110">110</a> u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> Jezira <a href="#Seite_291">291</a>.</li>
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-<li class="indx"> Johannes, Apostel <a href="#Seite_265">265</a>.</li>
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-<li class="ifrst"> K</li>
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-<li class="indx"> Kabbala <a href="#Seite_290">290</a> ff.</li>
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-<li class="indx"> Kalpa <a href="#Seite_201">201</a>.</li>
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-<li class="indx"> Kant, Immanuel <a href="#Seite_359">359</a> ff., <a href="#Seite_484">484</a> u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> <a name="kategorien" id="kategorien"></a>Kategorien <a href="#Seite_222">222</a> f., <a href="#Seite_360">360</a> ff. u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> Kategorischer Imperativ <a href="#Seite_367">367</a>.</li>
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-<li class="indx"> Kausalität <a href="#Seite_409">409</a>, <a href="#Seite_414">414</a> f., <a href="#Seite_474">474</a> ff. u. a. a. O.;
-s. auch <a href="#kategorien">Kategorien</a>, <a href="#regulative">Regulative</a>.</li>
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-<li class="indx"> Keimteilchen <a href="#Seite_423">423</a>, <a href="#Seite_447">447</a>.</li>
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-<li class="indx"> Kräfte als Wille <a href="#Seite_382">382</a> ff.</li>
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-<li class="indx"> Kyrenaiker <a href="#Seite_355">355</a> f.</li>
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-<li class="indx"> Meyer, Ludwig <a href="#Seite_391">391</a>.</li>
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-<li class="indx"> Morphologisch-Biologisches Ordnungsgesetz <a href="#Seite_453">453</a>.</li>
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-<li class="indx"> Morphologisches Gesetz <a href="#Seite_451">451</a>.</li>
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-<li class="indx"> Motakhallim <a href="#Seite_287">287</a>.</li>
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-<li class="isub1"> &mdash; K. O. <a href="#Seite_205">205</a>.</li>
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-<li class="indx"> Palingenesie <a href="#Seite_449">449</a>.</li>
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-<li class="indx"> Parmenides <a href="#Seite_352">352</a>.</li>
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-<li class="indx"> Philostratos <a href="#Seite_257">257</a>.</li>
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-<li class="indx"> Phönizier <a href="#Seite_108">108</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Phylogenetische Evolution <a href="#Seite_452">452</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Phylogenie <a href="#Seite_445">445</a> ff., <a href="#Seite_449">449</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Physische Energien <a href="#Seite_468">468</a> ff., <a href="#Seite_473">473</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Physizismus <a href="#Seite_420">420</a> ff.</li>
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-<li class="indx"> Pico Giovanni <a href="#Seite_310">310</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Pistis Sophia <a href="#Seite_274">274</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Planck, Max <a href="#Seite_418">418</a>, <a href="#Seite_440">440</a>, <a href="#Seite_442">442</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Platon <a href="#Seite_217">217</a> f., <a href="#Seite_221">221</a>, <a href="#Seite_244">244</a> ff. u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Pleroma <a href="#Seite_272">272</a>.</li>
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-<li class="indx"> Plethon Gemistos <a href="#Seite_309">309</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Plotinos <a href="#Seite_277">277</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Pluralismus <a href="#Seite_13">13</a>.</li>
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-<li class="indx"> Plutarchos <a href="#Seite_257">257</a>.</li>
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-<li class="indx"> Poincaré <a href="#Seite_417">417</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Polarität <a href="#Seite_324">324</a>, <a href="#Seite_450">450</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Polygnotos <a href="#Seite_204">204</a>.</li>
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-<li class="indx"> Polylatrie <a href="#Seite_70">70</a> f.</li>
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-<li class="indx"> Polynesier <a href="#Seite_66">66</a> u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> Polytheismus <a href="#Seite_127">127</a> ff.</li>
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-<li class="indx"> Porphyrios <a href="#Seite_277">277</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Positivismus <a href="#Seite_394">394</a>, <a href="#Seite_401">401</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Potentialität <a href="#Seite_250">250</a>, <a href="#Seite_414">414</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Potenz, morphologische <a href="#Seite_451">451</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Prana <a href="#Seite_223">223</a>, <a href="#Seite_230">230</a>.</li>
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-<li class="indx"> Prädestination <a href="#Seite_285">285</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Prädetermination <a href="#Seite_414">414</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Prediger <a href="#Seite_186">186</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Preußen <a href="#Seite_87">87</a>.</li>
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-<li class="indx"> Primalitäten <a href="#Seite_322">322</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Prinzipe <a href="#Seite_7">7</a> ff., <a href="#Seite_367">367</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Prodikos <a href="#Seite_355">355</a>.</li>
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-<li class="indx"> Propheten <a href="#Seite_107">107</a>.</li>
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-<li class="indx"> Protagoras <a href="#Seite_355">355</a>.</li>
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-<li class="indx"> Protoplasma <a href="#Seite_450">450</a> ff., <a href="#Seite_468">468</a>.</li>
-
-<li class="indx"> ψυχή <a href="#Seite_36">36</a> ff. u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Psychische Energien <a href="#Seite_454">454</a> ff., <a href="#Seite_468">468</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Psychologie, assoziative <a href="#Seite_359">359</a>, <a href="#Seite_397">397</a>, <a href="#Seite_400">400</a>, <a href="#Seite_411">411</a>, <a href="#Seite_415">415</a>, <a href="#Seite_418">418</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Psychom <a href="#Seite_461">461</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Psychophysik <a href="#Seite_398">398</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Psychophysiologie <a href="#Seite_399">399</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Psychoplasma <a href="#Seite_477">477</a>.</li>
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-<li class="indx"> Pyramidentexte <a href="#Seite_198">198</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Pyrrhon <a href="#Seite_355">355</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Pythagoräer <a href="#Seite_217">217</a>, <a href="#Seite_239">239</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Pythagoras <a href="#Seite_239">239</a>.</li>
-
-<li class="ifrst"> Q</li>
-
-<li class="indx"> Qualitates occultae <a href="#Seite_313">313</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Quellgeister <a href="#Seite_325">325</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Quincke <a href="#Seite_468">468</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Quinta essentia <a href="#Seite_313">313</a>, <a href="#Seite_316">316</a>.</li>
-
-<li class="ifrst"> R</li>
-
-<li class="indx"> Rabbaniten <a href="#Seite_293">293</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Ramanuga <a href="#Seite_258">258</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Rationalismus <a href="#Seite_333">333</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Ratzel <a href="#Seite_61">61</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Raum <a href="#Seite_246">246</a>, <a href="#Seite_360">360</a>, <a href="#Seite_433">433</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Realen <a href="#Seite_347">347</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Realismus <a href="#Seite_349">349</a> ff., <a href="#Seite_401">401</a> ff. u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Realisten <a href="#Seite_293">293</a> f. u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> Regeneration <a href="#Seite_453">453</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Regulation <a href="#Seite_454">454</a>, <a href="#Seite_481">481</a>.</li>
-
-<li class="isub1"> &mdash; biologische <a href="#Seite_454">454</a>.</li>
-
-<li class="isub1"> &mdash; morphologische <a href="#Seite_454">454</a>.</li>
-
-<li class="indx"> <a name="regulative" id="regulative"></a>Regulative <a href="#Seite_360">360</a> ff., <a href="#Seite_365">365</a> ff., <a href="#Seite_439">439</a> ff. <a href="#Seite_471">471</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Reinkarnation <a href="#Seite_211">211</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Reinke <a href="#Seite_483">483</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Religionsursprung <a href="#Seite_23">23</a> ff., <a href="#Seite_434">434</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Rephaim <a href="#Seite_193">193</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Restitution <a href="#Seite_452">452</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Resurrektion <a href="#Seite_79">79</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Reuchlin, Johann <a href="#Seite_311">311</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Reversibilität <a href="#Seite_440">440</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Richard von St. Victor <a href="#Seite_302">302</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Riehl <a href="#Seite_401">401</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Rigveda <a href="#Seite_20">20</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Ritter, Heinrich <a href="#Seite_466">466</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Römer <a href="#Seite_50">50</a>, <a href="#Seite_98">98</a> ff., <a href="#Seite_129">129</a>, <a href="#Seite_143">143</a>, <a href="#Seite_172">172</a>, <a href="#Seite_203">203</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Rousseau <a href="#Seite_413">413</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Ruach <a href="#Seite_292">292</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Rudimentäre Organe <a href="#Seite_450">450</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Runen <a href="#Seite_94">94</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Ruysbroek <a href="#Seite_304">304</a>.</li>
-
-<li class="ifrst"> S</li>
-
-<li class="indx"> Salomon ben Gabirol <a href="#Seite_291">291</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Samenteilchen, Keimteilchen <a href="#Seite_423">423</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Sankara <a href="#Seite_260">260</a>, <a href="#Seite_351">351</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Sankhya <a href="#Seite_259">259</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Satan <a href="#Seite_149">149</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Schamanismus <a href="#Seite_39">39</a>, <a href="#Seite_44">44</a> ff., <a href="#Seite_122">122</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Scheible <a href="#Seite_293">293</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Schelling <a href="#Seite_327">327</a>, <a href="#Seite_375">375</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Schicksalsgottheiten <a href="#Seite_136">136</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Schiller <a href="#Seite_367">367</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Schleiermacher <a href="#Seite_378">378</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Schmitt, Heinrich <a href="#Seite_267">267</a>, <a href="#Seite_271">271</a>, <a href="#Seite_274">274</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Scholastiker <a href="#Seite_293">293</a> f., <a href="#Seite_305">305</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Schopenhauer <a href="#Seite_379">379</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Schöpfer <a href="#Seite_131">131</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Schöpfung <a href="#Seite_464">464</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Schwartz, W. <a href="#Seite_132">132</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Schwenkfeld <a href="#Seite_316">316</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Scotus Erigena <a href="#Seite_283">283</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Seele <a href="#Seite_36">36</a> ff., <a href="#Seite_45">45</a>, <a href="#Seite_71">71</a> ff., <a href="#Seite_343">343</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Seelenarten <a href="#Seite_221">221</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Seelenkult <a href="#Seite_43">43</a> ff. u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Seelentätigkeiten <a href="#Seite_221">221</a> ff., <a href="#Seite_473">473</a> ff. u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Seelenwanderung <a href="#Seite_211">211</a> ff. u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Selbsterhaltung <a href="#Seite_347">347</a>, <a href="#Seite_436">436</a>, <a href="#Seite_444">444</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Sensualismus <a href="#Seite_356">356</a>, <a href="#Seite_394">394</a>, <a href="#Seite_401">401</a> ff., <a href="#Seite_425">425</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Seraphim <a href="#Seite_280">280</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Shintoismus <a href="#Seite_123">123</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Sigê <a href="#Seite_271">271</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Simon Magus <a href="#Seite_276">276</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Sirenen <a href="#Seite_73">73</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Skeptizismus <a href="#Seite_354">354</a> ff. u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Slawen <a href="#Seite_85">85</a> ff., <a href="#Seite_208">208</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Sohar <a href="#Seite_294">294</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Sokrates <a href="#Seite_219">219</a>, <a href="#Seite_248">248</a>.</li>
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-<li class="indx"> Soma <a href="#Seite_117">117</a>.</li>
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-<li class="indx"> Sophia <a href="#Seite_267">267</a> ff., <a href="#Seite_272">272</a>.</li>
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-<li class="indx"> Sophisten <a href="#Seite_354">354</a> f.</li>
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-<li class="indx"> Speiseverbote <a href="#Seite_191">191</a>.</li>
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-<li class="indx"> Spektralanalyse <a href="#Seite_442">442</a>.</li>
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-<li class="indx"> Spencer, Herbert <a href="#Seite_420">420</a>.</li>
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-<li class="indx"> Speusippos <a href="#Seite_249">249</a>.</li>
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-<li class="indx"> Sphärenharmonie <a href="#Seite_242">242</a>.</li>
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-<li class="indx"> Spieß <a href="#Seite_77">77</a>.</li>
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-<li class="indx"> Spinoza <a href="#Seite_337">337</a>, <a href="#Seite_390">390</a> ff., <a href="#Seite_484">484</a> u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> Spinozismus <a href="#Seite_390">390</a> ff. u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> Spiritismus <a href="#Seite_254">254</a>.</li>
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-<li class="indx"> Stabilität <a href="#Seite_439">439</a> ff.</li>
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-<li class="indx"> Stammannahmen <a href="#Seite_7">7</a> ff.</li>
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-<li class="indx"> Stammbegriffe <a href="#Seite_360">360</a> ff.; s. auch <a href="#kategorien">Kategorien</a>.</li>
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-<li class="indx"> Stephens, John <a href="#Seite_126">126</a>.</li>
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-<li class="indx"> Steresis <a href="#Seite_251">251</a>.</li>
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-<li class="indx"> Sterne, Carus <a href="#Seite_113">113</a> u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> Stirner, Max <a href="#Seite_386">386</a>.</li>
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-<li class="indx"> Stoff <a href="#Seite_250">250</a>.</li>
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-<li class="indx"> Stoiker <a href="#Seite_232">232</a> ff.</li>
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-<li class="indx"> Strabon <a href="#Seite_112">112</a>.</li>
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-<li class="indx"> Stuhlmann <a href="#Seite_52">52</a>.</li>
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-<li class="indx"> Substanz <a href="#Seite_335">335</a>, <a href="#Seite_392">392</a> ff.; s. auch <a href="#dingansich">Ding-an-sich</a>.</li>
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-<li class="indx"> Sufismus <a href="#Seite_258">258</a>.</li>
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-<li class="indx"> Sundainseln <a href="#Seite_17">17</a> f. u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> Sündenfall <a href="#Seite_159">159</a> f.</li>
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-<li class="indx"> Supranaturalismus <a href="#Seite_254">254</a>.</li>
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-<li class="indx"> Swedenborg <a href="#Seite_330">330</a>.</li>
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-<li class="indx"> Sympathie der Dinge <a href="#Seite_277">277</a> u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> Synesius <a href="#Seite_269">269</a>.</li>
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-<li class="indx"> Syzygien <a href="#Seite_271">271</a>.</li>
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-<li class="ifrst"> T</li>
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-<li class="indx"> Tabu <a href="#Seite_48">48</a>.</li>
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-<li class="indx"> Tacitus <a href="#Seite_88">88</a> ff.</li>
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-<li class="indx"> Tangaroa <a href="#Seite_69">69</a> ff.</li>
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-<li class="indx"> Tao <a href="#Seite_121">121</a>, <a href="#Seite_143">143</a>, <a href="#Seite_210">210</a>.</li>
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-<li class="indx"> Taurellus <a href="#Seite_323">323</a>.</li>
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-<li class="indx"> Teleologie <a href="#Seite_251">251</a> f., <a href="#Seite_367">367</a>, <a href="#Seite_397">397</a>.</li>
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-<li class="indx"> Telesius <a href="#Seite_317">317</a>.</li>
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-<li class="indx"> Teufel <a href="#Seite_37">37</a> u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> Thales <a href="#Seite_236">236</a>.</li>
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-<li class="indx"> Themistokles <a href="#Seite_97">97</a>.</li>
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-<li class="indx"> Theogonie <a href="#Seite_131">131</a> u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> Theosophie <a href="#Seite_223">223</a>, <a href="#Seite_253">253</a> ff., <a href="#Seite_286">286</a> ff., <a href="#Seite_330">330</a> u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> Therapeuten <a href="#Seite_276">276</a>.</li>
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-<li class="indx"> Theophanie <a href="#Seite_284">284</a>.</li>
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-<li class="indx"> Theromorphie <a href="#Seite_101">101</a> ff.</li>
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-<li class="indx"> Theurgie <a href="#Seite_254">254</a>.</li>
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-<li class="indx"> Thomas von Aquino <a href="#Seite_296">296</a>.</li>
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-<li class="indx"> Thomson, William <a href="#Seite_448">448</a>, <a href="#Seite_466">466</a>.</li>
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-<li class="indx"> Thronen <a href="#Seite_280">280</a>.</li>
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-<li class="indx"> Totemismus <a href="#Seite_39">39</a>, <a href="#Seite_47">47</a>.</li>
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-<li class="indx"> Totenbehandlung <a href="#Seite_41">41</a> f. u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> Totenbuch <a href="#Seite_199">199</a> u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> Totenkahn <a href="#Seite_72">72</a> ff.</li>
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-<li class="indx"> Totenkult <a href="#Seite_72">72</a> ff. u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> Totenland <a href="#Seite_73">73</a> ff.</li>
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-<li class="indx"> Totenrichter <a href="#Seite_192">192</a> ff.</li>
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-<li class="indx"> Totenvögel <a href="#Seite_73">73</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Trägheit <a href="#Seite_340">340</a>, <a href="#Seite_436">436</a>, <a href="#Seite_439">439</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Transzendentalismus <a href="#Seite_359">359</a> ff., <a href="#Seite_484">484</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Transzendenz <a href="#Seite_350">350</a> ff., <a href="#Seite_400">400</a> f. u. a. a. O.</li>
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-<li class="indx"> Träume <a href="#Seite_43">43</a> ff.</li>
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-<li class="indx"> Twesten <a href="#Seite_138">138</a>.</li>
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-<li class="indx"> Tylor <a href="#Seite_34">34</a> f., <a href="#Seite_49">49</a>.</li>
-
-<li class="ifrst"> U</li>
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-<li class="indx"> Überlebsel <a href="#Seite_55">55</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Umkehrbarkeit <a href="#Seite_440">440</a>.</li>
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-<li class="indx"> Unbewußtes <a href="#Seite_386">386</a> ff., <a href="#Seite_474">474</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Unendlichkeit <a href="#Seite_363">363</a> f., <a href="#Seite_464">464</a>.</li>
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-<li class="indx"> Universalien <a href="#Seite_293">293</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Unsterblichkeit <a href="#Seite_192">192</a> ff., <a href="#Seite_204">204</a>, <a href="#Seite_220">220</a> ff., <a href="#Seite_395">395</a>, <a href="#Seite_479">479</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Unterwelt <a href="#Seite_171">171</a> ff., <a href="#Seite_192">192</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Upanishaden <a href="#Seite_201">201</a>, <a href="#Seite_211">211</a> f., <a href="#Seite_385">385</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Urwesen <a href="#Seite_446">446</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Urzustand <a href="#Seite_417">417</a>, <a href="#Seite_481">481</a>.</li>
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-<li class="indx"> Utilismus <a href="#Seite_435">435</a>.</li>
-
-<li class="ifrst"> V</li>
-
-<li class="indx"> Vaiseshika <a href="#Seite_424">424</a>.</li>
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-<li class="indx"> Valentinus <a href="#Seite_271">271</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Vedantaphilosophie <a href="#Seite_212">212</a> f., <a href="#Seite_258">258</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Vedareligion <a href="#Seite_119">119</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Vererbung <a href="#Seite_444">444</a> ff.</li>
-
-<li class="isub1"> &mdash; biologische <a href="#Seite_450">450</a>.</li>
-
-<li class="isub1"> &mdash; funktionale <a href="#Seite_450">450</a>.</li>
-
-<li class="isub1"> &mdash; Lokalisations- <a href="#Seite_450">450</a>.</li>
-
-<li class="isub1"> &mdash; morphologische <a href="#Seite_450">450</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Verworn <a href="#Seite_420">420</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Virgil <a href="#Seite_206">206</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Vischer, Friedrich <a href="#Seite_35">35</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Vitalismus <a href="#Seite_483">483</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Vogt, Karl <a href="#Seite_438">438</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Volksetymologie <a href="#Seite_98">98</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Voltaire <a href="#Seite_435">435</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Vorstellung, die Welt als <a href="#Seite_379">379</a> ff.</li>
-
-<li class="ifrst"> W</li>
-
-<li class="indx"> Wahrheit, doppelte <a href="#Seite_285">285</a>, <a href="#Seite_331">331</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Wahrsagung <a href="#Seite_189">189</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Walhalla <a href="#Seite_207">207</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Weigel <a href="#Seite_323">323</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Weinstein <a href="#Seite_150">150</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Weismann <a href="#Seite_447">447</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Weissagungen <a href="#Seite_107">107</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Weltanfang <a href="#Seite_416">416</a> ff., <a href="#Seite_464">464</a> ff. u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Weltanschauung, Erklärung <a href="#Seite_1">1</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Weltbau <a href="#Seite_170">170</a> ff., <a href="#Seite_252">252</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Weltbaum <a href="#Seite_110">110</a>, <a href="#Seite_132">132</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Weltentstehung <a href="#Seite_63">63</a>, <a href="#Seite_67">67</a> ff., <a href="#Seite_155">155</a>, <a href="#Seite_240">240</a>, <a href="#Seite_335">335</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Welterlösung <a href="#Seite_389">389</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Weltgang <a href="#Seite_440">440</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Weltgesetze <a href="#Seite_439">439</a> ff., <a href="#Seite_467">467</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Welträtsel <a href="#Seite_461">461</a> ff., <a href="#Seite_483">483</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Weltseele <a href="#Seite_247">247</a>, <a href="#Seite_278">278</a>, <a href="#Seite_313">313</a>, <a href="#Seite_321">321</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Weltuntergang <a href="#Seite_166">166</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Weltvernunft <a href="#Seite_243">243</a>, <a href="#Seite_278">278</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Weltwiederholung <a href="#Seite_237">237</a>, <a href="#Seite_346">346</a>, <a href="#Seite_386">386</a>, <a href="#Seite_416">416</a>, <a href="#Seite_425">425</a> f. u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Widergott <a href="#Seite_267">267</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Wiedertäufer <a href="#Seite_316">316</a>.</li>
-
-<li class="indx"> „Wilde“ <a href="#Seite_70">70</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Wille, die Welt als <a href="#Seite_379">379</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Windischmann <a href="#Seite_174">174</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Wirklichkeitsphilosophie <a href="#Seite_398">398</a>, <a href="#Seite_416">416</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Wirklichkeit, transzendente <a href="#Seite_350">350</a> ff., <a href="#Seite_360">360</a> ff. u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Wolff, Caspar Friedrich <a href="#Seite_447">447</a>.</li>
-
-<li class="isub1"> &mdash; Christian <a href="#Seite_345">345</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Wollheim da Fonseca <a href="#Seite_200">200</a>.</li>
-
-<li class="indx"> „Wort“ <a href="#Seite_265">265</a>, s. Logos.</li>
-
-<li class="indx"> Wunderglaube <a href="#Seite_21">21</a>, <a href="#Seite_283">283</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Wundt, Wilh. <a href="#Seite_399">399</a> ff.</li>
-
-<li class="ifrst"> X</li>
-
-<li class="indx"> Xenokrates <a href="#Seite_249">249</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Xenophanes <a href="#Seite_231">231</a>, <a href="#Seite_351">351</a>.</li>
-
-<li class="ifrst"> Y</li>
-
-<li class="indx"> Yamazaki-Ansai <a href="#Seite_235">235</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Yelch <a href="#Seite_62">62</a>, <a href="#Seite_73">73</a>.</li>
-
-<li class="indx"> ὕλη <a href="#Seite_236">236</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Yoga <a href="#Seite_260">260</a>.</li>
-
-<li class="ifrst"> Z</li>
-
-<li class="indx"> Zahl <a href="#Seite_240">240</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Zalmaweth <a href="#Seite_193">193</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Zauberer und Zauberwesen <a href="#Seite_53">53</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Zehnder <a href="#Seite_46">46</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Zeit <a href="#Seite_360">360</a>, <a href="#Seite_406">406</a> u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Zeitatome <a href="#Seite_287">287</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Zenogenesie <a href="#Seite_449">449</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Zenon <a href="#Seite_353">353</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Zöllner, Friedrich <a href="#Seite_398">398</a>.</li>
-
-<li class="indx"> Zufall <a href="#Seite_182">182</a> ff.</li>
-
-<li class="indx"> Zwangsmechanismus <a href="#Seite_428">428</a> ff., <a href="#Seite_435">435</a> f. u. a. a. O.</li>
-
-<li class="indx"> Zweckmäßigkeit <a href="#Seite_372">372</a>, <a href="#Seite_472">472</a> f.</li>
-
-<li class="indx"> Zwingli <a href="#Seite_315">315</a>.</li></ul>
-
-<hr class="full" />
-
-<div class="chapter">
-
-<div class="transnote mtop3">
-
-<p class="s4 center mbot2"><b>Anmerkungen zur Transkription:</b></p>
-
-<p class="p0">Der vorliegende Text wurde anhand des 1910 erschienenen Buchausgabe
-so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Zeichensetzung
-und offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend
-korrigiert. Verschiedene Schreibweisen, insbesondere hinsichtlich
-Bindestrichen und Akzenten, sowie der Verwendung von Apostrophen beim
-‚Genitiv-s‘ wurden hingegen dem Originaltext gemäß belassen.</p>
-
-<p class="nohtml p0">Gesperrt gedruckte Passagen werden in <em>kursiver</em>
-Schrift dargestellt.</p>
-
-</div>
-
-</div>
-
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Welt- und Lebenanschauungen;
-hervorgegangen aus Religion,, by Max Bernhard Weinstein
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WELT- UND LEBENANSCHAUUNGEN ***
-
-***** This file should be named 51586-h.htm or 51586-h.zip *****
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-*** START: FULL LICENSE ***
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-1.E.9.
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-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
-
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-To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
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-
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-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
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-
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index 1d14ac3..0000000
--- a/old/51586-h/images/cover.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/51586-h/images/illus-086_a.jpg b/old/51586-h/images/illus-086_a.jpg
deleted file mode 100644
index a62710e..0000000
--- a/old/51586-h/images/illus-086_a.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/51586-h/images/illus-086_b.jpg b/old/51586-h/images/illus-086_b.jpg
deleted file mode 100644
index fa89af0..0000000
--- a/old/51586-h/images/illus-086_b.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/51586-h/images/illus-120.jpg b/old/51586-h/images/illus-120.jpg
deleted file mode 100644
index c41b99a..0000000
--- a/old/51586-h/images/illus-120.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/51586-h/images/illus-138.jpg b/old/51586-h/images/illus-138.jpg
deleted file mode 100644
index 0ec779a..0000000
--- a/old/51586-h/images/illus-138.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/51586-h/images/illus-172.jpg b/old/51586-h/images/illus-172.jpg
deleted file mode 100644
index 4dd8528..0000000
--- a/old/51586-h/images/illus-172.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/51586-h/images/illus-187.jpg b/old/51586-h/images/illus-187.jpg
deleted file mode 100644
index e532858..0000000
--- a/old/51586-h/images/illus-187.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/51586-h/images/illus-188.jpg b/old/51586-h/images/illus-188.jpg
deleted file mode 100644
index 376d622..0000000
--- a/old/51586-h/images/illus-188.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/51586-h/images/illus-190.jpg b/old/51586-h/images/illus-190.jpg
deleted file mode 100644
index 21d4601..0000000
--- a/old/51586-h/images/illus-190.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/51586-h/images/illus-193.jpg b/old/51586-h/images/illus-193.jpg
deleted file mode 100644
index 19e3dc7..0000000
--- a/old/51586-h/images/illus-193.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/51586-h/images/signet.jpg b/old/51586-h/images/signet.jpg
deleted file mode 100644
index 5b2eed5..0000000
--- a/old/51586-h/images/signet.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ