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If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - - - -Title: Der ewige Buddho - Ein Tempelschriftwerk in vier Unterweisungen - -Author: Leopold Ziegler - -Release Date: May 7, 2016 [EBook #52015] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER EWIGE BUDDHO *** - - - - -Produced by Norbert H. Langkau, Reiner Ruf, and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net - - - - - - - #################################################################### - - Anmerkungen zur Transkription: - - Der vorliegende Text wurde anhand der 1922 erschienenen Buchausgabe - so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Zeichensetzung - und offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend - korrigiert. Ungewöhnliche sowie inkonsistente Schreibweisen wurden - beibehalten, insbesondere wenn diese in der damaligen Zeit üblich - waren oder im Text mehrfach auftreten. - - Fremdsprachige Begriffe und Zitate wurden ohne Änderungen aus - dem Originaltext übernommen; lediglich in einem Fall wurde - der griechische Begriff ‚αὑτὸ καδ’ αὐτό‘ zu ‚αὑτὸ καθ’ἁυτό‘ - harmonisiert. - - Kursive Passagen wurden mit _Unterstrichen_ gekennzeichnet, - fett gedruckte Namen und Begriffe in den Buchanzeigen sind von - +Pluszeichen+ umgeben. - - #################################################################### - - - - - [Illustration] - - - - - [Illustration] - - - - - LEOPOLD ZIEGLER - - DER - EWIGE BUDDHO - - EIN TEMPELSCHRIFTWERK - IN VIER UNTERWEISUNGEN - - DARMSTADT 1922 - OTTO REICHL VERLAG - - - - - GEDRUCKT IN DER SPAMERSCHEN BUCHDRUCKEREI - IN LEIPZIG - - ALLE RECHTE VORBEHALTEN, - BESONDERS DAS DER ÜBERSETZUNG - COPYRIGHT 1922 BY OTTO REICHL VERLAG - IN DARMSTADT - - - - - DEN - ‚BÜRGERN DER VIER WELTGEGENDEN‘ - - - - -INHALT - - - EINFÜHRUNG 11 - - DIE ERSTE UNTERWEISUNG: BUDDHO DER PROTESTANT 37 - - DIE ZWEITE UNTERWEISUNG: BUDDHO DER ERLEBENDE 123 - - DIE DRITTE UNTERWEISUNG: BUDDHO DER WISSENDE 223 - - DIE VIERTE UNTERWEISUNG: BUDDHO DER ÖST-WESTLICHE 343 - - - - -EINFÜHRUNG - - -Es jährt sich nun heuer rund das einhundertdreißigste Mal, daß die -Sakontalâ des Kâlidâsa ihre erste deutsche Übersetzung fand, von -Goethe wie von Herder sofort als geistige Begebenheit ersten Ranges -mit Bewunderung, ja mit Ergriffenheit gewürdigt und begrüßt. Ein -paar Jahrzehnte später, und die Kenntnisnahme der Bhagavad-Gîtâ, -als θεσπέσιον μέλος erstmals lateinisch von August Wilhelm -Schlegel ausgegeben, macht in Wilhelm von Humboldts Leben warm -beglückende Epoche, die er uns mit unvergeßlichen Worten schildert. -Schopenhauer zwar findet den Zugang zu den ‚Geheimen Lehren‘, das ist -‚Upanischaden‘, erst über den etwas krummen Umweg einer lateinischen -Übersetzung des persischen Oupnek’ hat, -- auf ähnlich krummen und noch -krümmeren Umwegen ist dereinst der Stagirit zum Schicksal der Theologie -und Philosophie des späteren Mittelalters geworden! -- trotzdem aber -werden jene wunderlich vermummten Urkunden ihm der Trost seines armen -Lebens: indes er selber in vorgeschrittenerem Alter noch Scharfblick -und Urteil genug aufbringt, Spence Hardys erste zuverlässige -Darstellungen des zeilonischen Buddhismus in ihrer grundlegenden -Wichtigkeit zu erkennen. Aus Köppens Religion des Buddha scheint -sich Wagner ahnungweis ein erstaunlich zutreffendes und wesenhaftes -Bild von Beschaffenheit und Art der Religion zu machen, die ihn in -den unverfälschtesten und lautersten Jahren seines Daseins wie keine -zweite tief und echt berührt. Was endlich Paul Deussens Lebenswerk -angeht, so ist es in mehr wie einem Betracht dem Antrieb Nietzsches -zu verdanken, der dauernd bemüht bleibt, eine zulängliche Kennerschaft -seiner weltgeschichtlichen Gegenspieler im indischen Osten zu erwerben. -_In summa_: der Einbruch Asiens, insonderheit der Einbruch Indiens in -Europa erfolgt vor mindestens hundertunddreißig Jahren und wird bereits -von allen Deutschen repräsentativer Geltung klar aufgenommen und -sicher gedeutet als das, was er ist: der Aufgang eines funkelnd neuen -Weltsterns an dämmernden Europahorizonten... - -Bald aber geschieht befremdlich Unerwartetes, Nie-Zu-Erwartendes! Das -Jahr 1896 bringt den ersten Band einer Verdeutschung des sogenannten -Majjhimanikâyo von Karl Eugen Neumann, und zwar gleich als Probestück, -Gesellenstück, Meisterstück zu einer weitausgreifenden Lebensaufgabe. -Diese setzt sich die womöglich lückenlose Übertragung des Suttapitakam, -will heißen der ältesten und wertvollsten Urkunden der Reden Gotamo -Buddhos zum Ziel, wie sie in den heiligen Schriften des Pâli-Kanons -gesammelt und überliefert sind. Bis zu Neumanns Tod, der allzu früh -an seinem fünfzigsten Geburtstag (am 18. Oktober 1915) in Wien -erfolgt, ist denn auch wirklich diese Riesenaufgabe in der Hauptsache -schier bezwungen: ist die Längere und Mittlere Sammlung vollständig, -die Kürzere Sammlung wenigstens in ihren gewichtigsten Stücken -übersetzt, wovon die kleine, ihres Alters wegen jedoch hochgeschätzte -Spruchsammlung des Dhammapadam zu erwähnen wäre, indes aus anderen -Bezirken der indischen Seele der Mythos von Krischnas Weltengang -hinzutritt. Alles in allem bietet mithin Karl Eugen Neumann einer -großen europäischen Nation zum erstenmal die ungeheuere Gelegenheit, -aus tausend verflachenden, entstellenden, verzerrenden, umwuchernden -Übermittelungen des Buddhismus heraus die Stimme des Buddho selber -sprechen zu hören, -- und das ist fast, wie wenn wir Christen heute -unverhofft ein fünftes Evangelium entdeckten, älter und urwüchsiger als -die andern vier und an vielerlei Stellen geradezu die treu erinnerten -Urworte des evangelischen Herrn enthaltend. Solche religiösen Urkunden -werden jetzt jedem gebildeten Deutschen zugänglich gemacht, und dies -obendrein in einer Fassung der Sprache, welche alleinig hätte genügen -müssen, alle mit der Sachwalterschaft dieses höchsten irdischen Gutes -Betrauten aufhorchen, wenn nicht aufjubeln zu machen. Hat doch an -diesem indischen Idiom der Reden Buddhos sich die deutsche Sprache -- -wer hört es nicht, der nur ein einziges dieser vollkommenen Kunstwerke -mit den Ohren (und mehr noch mit dem Gehör) liest: wer hört es nicht? --- hat doch an diesem Pâli sich das deutsche Wort, der deutsche Satz -noch einmal märchenhaft erneuert. Hier zeigt sich unsere Muttersprache -plötzlich um eine ganze Anzahl von Möglichkeiten des Ausdrucks -bereichert, die ihr vorher niemand so leicht zugestanden hätte. So, -um an dieser Stelle nur das Auffälligste herauszuheben, zeigt sie -sich im höchsten Grad des _Andante Maëstoso_ hieratisch fugenden -Stiles fähig, bisher im religiösen Leben unseres Festlandes so gut -wie ausschließlich dem Latein vorbehalten. Tempelfeierlich hört man -dagegen hier die deutschen Laute in vollausatmenden Posaunenstößen -pausenlos dahinorgeln und dann allmählich zart vertönen, -- dennoch -wiederum höchst zwanglos zu vielen Kadenzen melodisch aufgelöst und -von anmutigen Figuren reich umtrillert... Dieser Sprachgestalter -Neumann aber und sein Buddho, diese ganz einmalige und ganz -unvergleichbare indisch-deutsche Doppelschöpfung macht niemanden im -weiten Vaterland aufhorchen und noch weniger jemanden aufjubeln. Wo -vor hundert Jahren noch eine rauschende Bewegung durch den Geist, -oder sag’ ich wirklichkeitentsprechender durch die Geister der Nation -gefahren wäre, da spürest du keinen Hauch. Die Herren vom Fach, -immer mit dem Wichtigeren ernst beschäftigt und darum geschworene -Feinde alles Wichtigsten, schweigen sich mit ihrer altbewährten -Zurückhaltung hinsichtlich ‚persönlicher Werturteile‘ auch über diese -große Sache fast ganz aus; gebildete Laien, welche diese berufenen -Hüter wissenschaftlicher Geheimnisse (oder Geheimniskrämerei?) zum -Sprechen hätten zwingen wollen und hätten zwingen können, gibt es in -jenen Jahren schauriger Verödung nirgends. Und dies bleibt die Lage, -solange Neumann selber lebt. Bis kurz nach seinem unbemerkten Hingang -der einzige Rudolf Pannwitz die Schmach dieses Schweigens bricht und -endlich das befreiende Wort spricht über die weltgeschichtliche Tat -eines Brückenschlages zwischen West und Ost... - -Wie aber, wird der unbefangene Sinn hier fragen, war dies möglich? -Wie war dies möglich zu einer Zeit, wo man diesseit wie jenseit -des atlantischen Meeres wahrhaftig schon mehr Ursach’ hatte, wenn -irgendwo die Rede ‚_de propaganda fide_‘ ging, an den Buddhismus und -seine unwiderstehliche Werbearbeit in allen Kontinenten zu denken -als hergebrachtermaßen an die Kirche Roms? Wie war dies möglich -in den Jahrzehnten vor dem Krieg, wo bereits mit aller Stärke die -theosophisch-anthroposophische Bewegung eingesetzt hatte, die -ihrerseit absichtlich oder unabsichtlich, willig oder unwillig stets -den Buddhismus mit verbreiten und mit fördern helfen muß? Wie war es -möglich, wie war es überhaupt nur denkbar, daß zwar die Geheimlehren -aller Religionen Asiens seit den Babyloniern durch ungezählte -Rinnsale, sichtbare und unsichtbare, saubere und schmutzige, in die -spiritistisch-okkultistischen Zirkel des Westens sickern konnten, aber -daß das Wort des wirklichen Buddho in seiner oft immerhin ältesten und -ehrwürdigsten Gestalt nirgends aufmerksameres Gehör, ja nicht einmal -ein wenig -- Neugierde fand? - -Werfe ich diese Frage auf diese Weise auf, so ist vielleicht aus -ihr schon die eigentliche Antwort herauszuhorchen. Denn wie ich -vermute, ist es eben diese vielsinnig buddhistische, neubuddhistische, -afterbuddhistische Strömung gewesen, welche die voll ausgemeißelte -Bildsäule des Buddho mit sich fortschwemmte und in der Masse -mitgewälzten Gerölles und Geschlämmes unkenntlich ganz und gar -begrub. Dieser Buddho ficht leibhaftig wider den Buddhismus, wie der -synoptische Jesus leibhaft wider das Christentum ficht, -- oder -vielmehr jener ficht wider den Buddhismus noch mit viel härterer -Bestimmtheit wie dieser wider das Christentum, weil er mitsamt -seiner religiösen Schöpfung sich in diesen Reden viel greifbarer und -lebendiger erhalten zeigt wie der Christus in den Evangelien. Τἀλητὲς -ἀεὶ πλεῖστον ἰσχύει λόγου, -- dies von den Schülern Hegels einst -dem Werk ihres Meisters als Leitspruch wohlbedacht vorausgestellte -Kernwort des Sophokles verdiente wie kein zweites den heiligen Texten -des Pâli vorausgestellt zu werden. Denn hier wie kaum noch sonstwo -dauert das Wahre allein durch die Gewalt des Wortes: nur daß man, -ehe man das ‚Wahre‘ dieser Reden unbefangen auf sich wirken lassen -will, zuvörderst alle die ungefügen und grobschlächtigen Schlagworte -vergessen haben muß, mit welchen seit Jahrzehnten jeder Europäer -dumm geprügelt wird, der in Gesellschaft den Begriff Buddhismus zu -erwähnen sich getraut. Diese Schlagworte fahren hier alle ungeschickt -daneben und treffen statt den Nagel auf den Kopf nur die Finger des -Hämmernden, der auf den Nagel zielte. Hat man es zum Beispiel niemals -anders läuten hören, als daß der Buddhismus eine Religion, ja sogar -die Religion schlechtweg des Pessimismus sei, so wird man zum eigenen -Erstaunen den Buddho ganz im Gegenteil von einem unerschütterlichen -Optimismus tief beseelt und besäligt finden, wie ihn vielleicht bisher -kein Mensch von dieser schonunglosen Welt- und Lebenskenntnis zu -vertreten wagte, -- wenn ich dabei von Hartmanns immerhin vergröbernder -Europäisierung dieses sinnreich verzahnten Pessimismus-Optimismus, -Optimismus-Pessimismus absehen darf. Wirkt und lehrt doch dieser Buddho -inmitten einer Welt, welche sogar ein Leibniz in Person als die ‚beste -aller möglichen Welten‘ durchaus anerkennen müßte, und zwar eben darum, -weil ein jedes ihrer Wesen und Geschöpfe grundsätzlich mit der Anlage -zu einem Buddho ausgestattet ward und folglich zu der Hoffnung stets -berechtigt ist, im Ablauf seiner Wiederverkörperlichungen stufenweis -zu dieser übermenschlich-übergöttlichen Würde hinanzusteigen: wenn -es nämlich dieses ernsthaft will! Und solch übermäßiger Optimismus -gibt allerdings ein überraschend Gegenstück zu dem abgründlichen -Pessimismus christlicher Gnadenwahl, die vor allem Anfang schon -etliche Wenige für die Ewigkeit zur Säligkeit erkiest, eine unnennbare -Mehrzahl jedoch gleichzeitig für die Ewigkeit verdammt.... Oder hat -man fernerhin den Buddhismus jeweils als eine ausgemachte Praxis der -Weltverneinung unserer europäisch vollbrachten Weltbejahung kurzerhand -entgegengesetzt, so wird man nicht umhin können, selbst an dieser -_cause jugée_ stark irr’ zu werden, wenn man etwa den Buddho des -Pâli-Kanons von einer so mütterlichen Zärtlichkeit erfüllt findet -für alle Kreatur, wie sie gleich innig und gleich ausnahmlos kaum -im Herzen unseres lieblichen _poverello_ schlug: „O daß ich den -kleinen verirrten Wesen ja nicht Schaden zufüge!“ So spricht meines -Bedünkens bedingunglose Weltverneinung nicht; so zärtlich mitwesend -und mitwebend spricht sie wahrlich nicht; so oder ähnlich hat es eher -aus der Seele eines Weltverklärers, Weltliebhabers, Weltumarmers wie -Jean Paul engelhaft gefiedelt und geharft. Weltverneinend hingegen im -unmenschlichsten und verstocktesten Wortverstand erscheint durchweg -der Kalvinismus, der jeden Eigenwert irdischer Erschaffenheiten _ad -majorem Dei, ad majorem Diaboli gloriam_ leugnet und in engster -Übereinstimmung mit solch’ gehässigem Weltfühlen (wenn anders Max -Webers vielbeachtete Untersuchungen über die protestantische Ethik -und den Geist des Kapitalismus zu recht bestehen) den lieblosesten -und darum auch weltvernichtendsten Typus Mensch in Gestalt des -amerikanisch-europäischen Unternehmers heraufgezüchtet hat... Oder um -ein letztes Beispiel anzuführen, man hat in dem Buddhismus schlecht -und recht eine der geschichtlichen Spielarten des aus der Mystik aller -Zeiten und Völker fließenden Quietismus zu erblicken sich gewöhnt, -und wird jetzt, angesichts dieses Buddho, überraschend inne, daß -Gotamo von der Person des dem Orden verpflichteten _bhikkhu_ eine -unausgesetzte Höchstanspannung und Höchststeigerung sämtlicher Kräfte -des Leibes und des Geistes und der Seele fordert; eine Höchstanspannung -und -steigerung, die, wenn sie auch nicht geradezu Arbeit im Sinn -des europäischen Berufsmenschen zu nennen ist, doch auch erst recht -nicht als Ruhe oder gar als Müßiggang, am ehesten vielleicht noch als -‚tätige Muße‘ bezeichnet werden darf, und die zu ihrem Teil den Mönch, -dem es bitter ernst ist, ausschließlich Tag und Nacht beansprucht, -bis jeder Rest von Kraft für andere Lebensäußerungen aufgezehrt ist. -„Wohlan denn, ihr Mönche: unermüdlich mögt ihr da kämpfen,“ -- das -ist die Summe der Gebote, das ist das Gebot aller Gebote, in welches -der Buddho selbst im Augenblick der Erlöschung die gesamte Lehre -knapp und einprägsam zusammenfaßt. Und abermals untersteh’ ich mich -zu behaupten, daß so kein Quietismus und nicht einmal die Mystik an -und für sich sprechen würde!... Alle derartigen Formeln, die man sich -bei uns zurechtgelegt hat zu einem bequem handlichen Verständnis des -Buddhismus, versagen infolgedessen kläglich vor diesem Buddho, der zwar -eine der größten, stolzesten, ewigsten Formen des Lebens, aber mit -nichten eine Formel ist und am wenigsten eine bequem zu handhabende. -Was vielmehr jede Rede des Kanons eindringlicher zu erkennen gibt, -das ist eine Menschlichkeit schlechthin _sui generis_, die jeder -Einordnung in eine _species_ oder _classis_ durchaus spottet: eine -Menschlichkeit von einer wunderbaren Fähigkeit der Selbstbegütigung -ganz ohne Vorgängerschaft und Nachfolgerschaft. Hier ist ein Mensch -und nichts weiter als ein Mensch, der dennoch die unmenschliche -Wirklichkeit der Welt vollkommen meistert. Meistert freilich um den -notwendig zu entrichtenden Preis des Verzichtes, der Entsagung, --- aber eines Verzichtes, einer Entsagung, die ihn wiederum keine -einzige seiner echt menschheitlichen Eigenschaften kostet und ihn -keinesfalls jenen frommen Ungeheuern zugesellt, welche zu ihrem Teil -die Heiligengeschichte anderer Religionen so zahlreich wie widerwärtig -bevölkern. Der düster lohende und rußig schwälende Kienspan Mensch, -hier glüht er sich himmlisch rein zum mildschimmernden Lichtgleichmaß -einer Metallfadenlampe. Er selber schafft einen luftleeren Raum um -sich, er selber gießt eine gläserne Glocke um sich, damit er fortab -von Luftdruck, Zugwind, Nässe, Staub, Schmutz, Ungeziefer unbewegt und -unbetrübt bleibe... - -Dieser Buddho des Pâli-Kanons _contra_ den landläufigen Buddhismus, -aber auch: dieser Buddho der südlichen Überlieferung _contra_ die -nördlich verherrlichten Scharen kosmischer und metakosmischer -Mittlererscheinungen, die reihenweis geordnet und gestuft als -Bodhisattvas, Dhyânibodhisattvas, Manushbuddhas, Dhyânibuddhas bis -hinauf zu Mañdschuçri dem Demiurg, bis hinauf zu Avalokiteçvara dem -Paraklet, bis hinauf zum Âdhibuddha dem schon wieder brahmanisch -rückgedeuteten Âtman-Brahman einen katholischen Gnaden- und -Errettunghimmel zwischen Mensch und Weltgrund göttlich füllen, -- in -solch’ ausgeprägter Gegenstellung darf man wohl eine der Ursachen -vermuten, warum man auch bei uns die Reden des Gotamo Buddho ein -Vierteljahrhundert lang nicht für der Rede wert hielt. Aber kaum -dürfte dies die einzige Ursache gewesen sein und sicherlich nicht -die ausschlaggebende. Noch kommt anderes dazu, das ernstlich -beachtet sein will. Abgesehen nämlich von dem etwas hanebüchenen und -derben Interesse, welches Theo- und Anthroposophie, Spiritismus und -Okkultismus am Buddhismus als solchem zu nehmen pflegen, ein Interesse, -welches unverhohlen zur dunkleren Hälfte geradezu der Magie, zur -helleren Hälfte jedoch dem Apathanatismos gewidmet ist, -- ich sage -dies aber ohne jeden mißbilligenden Seitenblick oder Seitenhieb, -weil es fürwahr eine Magie und erst recht einen Apathanatismos im -Buddhismus gibt und beides sogar bei unserem Buddho! -- abgesehen -also von diesem eher irreligiösen als religiösen Interesse ist es im -Abendland doch fast ausnahmlos das wissenschaftliche, das gelehrte -Interesse gewesen, welches sich mit wachsender Vorliebe den Religionen -des Ostens zugewandt hat. Diese wissenschaftlichen, diese gelehrten -Interessen nun sind es, die in diesen Reden, wie ich vermute, weniger -als sonstwo auf ihre Rechnung kommen. Gewiß gibt es keine historische, -keine philologische, keine archäologische, kurz und gut überhaupt -keine kritische Frage, die in Ansehung dieser gotamidischen Reden -nicht mit ebendemselben Aufwand an Forscherscharfsinn aufzuwerfen und -zu erörtern wäre, wie dies in Ansehung des Alten und Neuen Testaments -längst geschah und immer noch geschieht. Und Karl Eugen Neumann selbst -betrachtet es als erwünschtes, ob freilich auch noch fernes Ideal der -Wissenschaft, einstmals die Reden des Kanons mit einem fortlaufenden -Glossarium und Kommentar historisch-philologisch-archäologischer -Feststellungen zu versehen. Wer fühlt indes gerade bei der Erwähnung -solch gelehrtenhafter Ideale nicht vollkommen deutlich, wie belanglos -sich alles bloße Wissen eben dieser religiösen Schöpfung gegenüber -ausnehmen muß, die ihrerseit alles Forschen und Untersuchen als -unwesentlich von der Hand weist, wenn anders es nicht mittelbar oder -unmittelbar dem ‚heiligen Ziel‘ dient. Wie kaum ein zweites religiöses -Dokument der Vergangenheit werben diese Reden des Buddho um religiöse -Wertung, religiöse Stellungnahme, religiöse Verarbeitung: mithin just -um das, was ihnen der Westen bisher am hartnäckigsten geweigert hat! -An alle Bedürfnisse unserer Art darf sich der Buddhismus wenden, -seien es selbst unsere rückständigsten, unsere unrühmlichsten, unsere -niedrigsten. Nur wolle uns kein Buddho mit dem unbescheidenen Anspruch -lästig fallen, daß er innerhalb dieser geographisch und kulturell -abgegrenzten Zone, die gewohntermaßen dem Christentum und seinen -erlöserischen Kräften allein vorbehalten ward, etwa seinerseit ein -religiöses Werk zu vollbringen habe... Europa den Europäern! -- dies -ungeschriebene Gesetz, welches bei uns verhängnisvollerweise seinen -Monroe noch immer nicht gefunden hat, tritt zwar gerade dann mit -allzugroßer Leichtigkeit außer Kraft, wenn Europas Söhne blindwütig -und menschenfresserisch im gegenseitigen Vernichtungkrieg begriffen -sind und zu diesem frommen Ende die Völkerschaften aller dunkeln -und dunkelsten Erdteile aufbieten. Aber Europa den Europäern, -- -das ist ein unbedingtes, unverbrüchliches Gesetz, wo sich’s um das -uralt-unantastbare Grundvorrecht des Christentums handelt, dem -europäischen Menschen ausschließlich von sich aus die ihm zukömmlichen -religiösen Antriebe mitzuteilen: ist doch dies Christentum, wer weiß -es nicht, von seinen ersten Anfängen Jesus, Paulus, Augustinus an das -heimische Erzeugnis unvermischten Europäertums... Wie schändlich, ja -wie hochverräterisch wär’ es da, auf solch ein streng umhegtes Leben -sorgfältigster Inzucht den heidnischen Asiaten loszulassen!... - -Inzwischen ist bei allem grimmigen Hohn über die abstoßende Heuchelei -einer derart gehandhabten Monroe-Doktrin dennoch das Eingeständnis -geboten, daß in dieser Abwehr gegen asiatische Einflüsse in unserer -gegenwärtigen Lage ein gesunder Instinkt wachsam zu werden scheint. -Aus hunderterlei Gründen dürften wir selbst dann keine Buddhisten -werden oder auch nur zu werden wünschen, wenn dies überhaupt im Bereich -unserer seelischen Möglichkeiten läge: das versteht sich für jeden -Einsichtigen von selbst und bedarf keiner besonderen Beweise. Und auch -das andere versteht sich gleichermaßen von selbst, daß nämlich auch der -Buddho in den herrlichen Texten des Pâli-Kanons keine der furchtbar -drängenden Aufgaben löst oder lösen hilft, die uns heute auf den Nägeln -brennen und zu deren Bewältigung uns leider einstweilen noch alle -Kräfte fehlen. Stumm bleibt uns auch dieser Buddho auf die Fragen, - -wie wir den Staat abbauen und die Gesellschaft aufbauen sollen, - -wie Staat und Gesellschaft wieder auf religiöse Grundlagen zu stellen -wären, - -wie der Staatenbund (oder Bundesstaat) europäischer Völker gegen die -Dummheit und Bosheit dieser Völker selbst und mehr noch gegen die -Ruchlosigkeit ihrer Führer zu erzwingen sein möchte, - -wie neue Zellen späterer Vergemeinschaftung nach innerlichen -Wachstumgesetzen in ihrem Entstehn begünstigt werden könnten, - -wie die Wirtschaft zum Dienen und der Geist zum Herrschen zu bringen -sei, - -wie wir wieder zu einem beispielgebenden Adel (nicht der Geburt und -nicht des Besitzes) kommen möchten, - -wie wir Erzieher erziehen lernten, - -wie den Henkern der europäischen Gesittung die Maske des Richters vom -Gesicht zu reißen sei, - -wie die lebenswichtigen Sachgüter am zweckmäßigsten erzeugt und am -gerechtesten verteilt würden, - -wie aus dem Gegeneinanderleben aller gegen alle wieder ein -Miteinanderleben, Füreinanderleben zu entwickeln wäre, oder mit andern -Worten - -wie das losgelassene Mensch-Vieh wieder zu bändigen und die -weltverheerende Masse zu ent-massen wäre, und so weiter, und so -weiter... - -Auf diese sämtlichen, beliebig noch zu vermehrenden Fragen bleibt uns -der Buddho jede Antwort schuldig, indes wir uns wohl zu der Erwartung -berechtigt glauben, daß eine Religion, die unserm innersten Bedürfnis -eines Tages voll entsprechen würde, in großen Linien wenigstens die -Wege auch in diese ungebahnte Zukunft zu weisen fähig sein müsse. -Denn was war es doch in Wahrheit, das das Christentum unseres -Mittelalters fast ein Jahrtausend lang in den Seelen unserer Ahnen -so tief die Wurzeln hat einsenken lassen, daß niemand bis zur Stunde -sie hat ergraben können? Das eine war es, daß dieses Christentum -zwar im höchsten Betracht Religion war und dies sogar in einer -durchaus weltjenseitigen Bedeutung, -- daneben und außerdem aber -just kraft seiner Eigenschaft als Religion gleichzeitig eine Lebens- -und Gesellschaftformung größten Stils. Hier ging die Bruderschaft -in Christo fast ohne eine Stelle merklicher Unstätigkeit in die -Genossenschaft, in die Gilde über. Hier wuchs der geistliche Orden -nicht selten sich zur machtvoll weltbeherrschenden Partei aus, -- -ich nenne nur den Namen Cluny, für die europäische Politik zeitweis -geradezu ein Programm (und wieviel mehr noch und Entscheidenderes als -nur ein Programm!), deutsche Kaiser vom Rang des dritten Heinrich zu -manchem wichtigsten Entschlusse nötigend... Vollends der Priester -aber oder Mönch, in jenen Tagen ganz ohne Zweifel eigentlicher -_homo religiosus_, ist er nicht Lehrer und Gelehrter, Staatsmann -und Verwalter, Grundherr und Städtegründer, Landwirt und Siedler, -Lehensträger und Landesfürst, Geschichtschreiber und Geschäftsmann, -Seelsorger und Richter in seiner einzigen Person? Eine solche Religion, -daran ist nicht zu zweifeln, wird uns Europäern langsam, langsam -wieder wachsen, eine Religion, die alle Wirklichkeiten wieder göttlich -gründet, göttlich ründet, -- oder wir werden eines Tages nicht mehr -sein, weil eine solche Religion nicht mehr aus uns wachsen konnte. -Und niemand in Ost und West wird uns diese späte Religion offenbaren -oder vorleben, wenn wir nicht beides selber tun. Wofern wir also -eine Tat, deren Vollbringen durchaus uns obliegt, von irgend einem -religiösen Künder der Vergangenheit getan erwarteten, und heiße er -Gotamo Buddho, gäben wir uns freilich einem unverzeihlichen Irrtum -gefangen, und in diesem Fall wären offenbar diejenigen im Recht, welche -uns in dem Gedanken an unsere höchste europäische Aufgabe warnend -und abmahnend zuriefen: Europa den Europäern! Denn dieses Europa von -übermorgen, blank gefegt von der großen Sturmflut, die heute über ihm -zusammenbrandet, -- dieses Europa unserer frömmsten Europäer-Sehnsucht -wird uns weder von Indien noch von Syrien und Palästina her geschenkt; -es wird allein aus unserm Leib gebaut und aus unserm Geist gefügt... - -Nur mögen wir nicht vergessen, -- bis diese Abtei Thelema errichtet -sein wird, werden eher Jahrhunderte als nur Jahrzehnte vergehen, -in welchen der Europäer auch religiös nur von der Hand in den Mund -leben wird. Was aber den Buddho der Heiligen Texte des Pâli anlangt, -so kommt er ja nicht zu jener künftigen _Europa felix_ des Jahres -2200, sondern zu dieser gegenwärtigen _Europa deserta_. Er kommt -mithin in einer Stunde, wo sich der Komplexus der abendländischen -Gesellschaft in seine Elemente zersetzt und mit ihm gleichzeitig -alle anderen Komplexe der Auflösung verfallen, welche vormals die -geschichtlichen Verwirklichungen der Gesellschaft darstellten. -Kurz, dieser Buddho nähert sich uns in einem Augenblick, wo alles -lebendig Gewordene unserer Kulturzone verwest und wo nur endgültig -schon Versteinertes diese Verwesung übersteht oder was zur Zahl -der unsterblichen Grundeinheiten des Lebens gehört. In diesem -Augenblick und in keinem anderen wird uns der Buddho zugeführt: und -wer wäre flach und weltunkund genug, um hier an pure Zufälligkeit zu -denken? Jetzt aber konnte, jetzt mußte es geschehen, daß eben die -Religion, früher einmal die stärkste gesellschaftstiftende Tatsache -überhaupt, von allen persönlichen Angelegenheiten des Lebens die -persönlichste wird und höchstens noch auf sehr mittelbare Weise -gesellschaftliche Erheblichkeit gewinnt. Religion, das ist heute (und -auf absehbare Zeit hinaus) die Unruhe und Unstäte, die Ratlosigkeit -und Schwerpunktlosigkeit der Einzelnen, Abseitigen und Vereinzelten. -Aber gerade diesen Einzelnen, Abseitigen und Vereinzelten vermag nun -der Buddho ungleich bedeutsamer zu werden als je einer geschlossenen -Gemeinschaft, die auf unserem Kontinent bisher doch immer wieder -auf die Heilslehren des Christentums zurückgriff. Dem Einzelnen, -Abseitigen, Vereinzelten hingegen stellt sich der Buddho als eine -religiöse Möglichkeit dar, welche von den religiösen Möglichkeiten -des Christentums weder entbehrlich gemacht, noch widerlegt wird: eben -diesem Einzelnen, durch Abseitigkeit und Vereinzelung empfänglicher -Gewordenen und gleichsam religiös Bereiteten wird jetzt der Buddho -nicht selten zum Ereignis, manchmal sogar zum Schicksal seines -Lebens... Der einsam Bedrängte und Beklemmte, der in Anfällen -grimmiger Verzweiflung an allem und zumeist an sich selbst etwa -nach dem Majjhimanikâyo, nach dem Mahâparinibbânasuttam greift, -wird unwiderstehlich durchwärmt von einem sanft wiegenden Gefühl -der Weltgeborgenheit und Selbstunverletzlichkeit. Er findet sich -beschwichtigt und geschlichtet, geeinigt und versöhnt, entspannt und -zu sich selbst gebracht. Ihm wird zumut wie einem hitzig Fiebernden, -dem eine linde Hand sich kühlend wie ein Umschlag auf die Stirne -legt. Hier spricht uns (nunmehr ganz in unserer deutschen Zunge) ein -Mensch zu, der jede Weltangst von sich abtat und jetzt wie aus dem -Jenseit mit einer süßen Geisterstimme tröstend auf uns einsingt. Was -wollen wir Umgetriebenen und Gehetzten, die wir zu liegen kamen, wie -wir uns selber betteten? Hier gibt es Rat für hunderterlei Notlagen -und Notstände, die schließlich insgesamt verursacht sind durch jene -harte Selbstentfremdung, in welche wir Europäer uns zeitweis oder -dauernd zu verlieren pflegen. Auf Grund einer seelischen Erfahrenheit -ohnegleichen wird hier in einem Sinn Seelsorge betrieben und geübt, -wie ihn der Abendländer bisher nicht und nirgends geahnt hat: und -Seelsorger ist denn dieser Buddho auch in einer nirgends sonstwo -anzutreffenden Vollkommenheit. Als Seelsorger gehört er längst nicht -mehr seiner Rasse, seinem Festland, seiner Weltzeit (_buddhakalpa_) -an; als Seelsorger gehört er der Menschheit schlechthin, gehört -schlechthin ihm die Menschheit in ihrer zeitlosen Wesentlichkeit -und Alleinschließlichkeit. Geschichtliche Wandlungen, welche seine -Weisungen und Winke, wie man des Lebens Herr wird, außer Kraft hätte -setzen können, gab es bisher nicht. Sie sind auch kaum ausdenkbar, und -nicht einmal von kommenden Religionen Europas erwarte ich, daß sie -dies tun werden. Unser eigenes religiöses Ziel könnte von demjenigen, -welches sich der Buddho stellte, beliebig weit abweichen, ja es könnte -ihm vielleicht geradezu entgegengerichtet sein, ohne daß dadurch die -religiöse Allgemeingültigkeit dieser Seelsorgerschaft im mindesten -nur beeinträchtigt oder geschmälert wäre. Wie ich persönlich mir -diese religiöse Zielsetzung für ein späteres und besonnteres Europa -vorstelle, habe ich (vorläufig noch freilich mit unzulänglichen -religiösen Kräften) in den Mysterien der Gottlosen, Gestaltwandel der -Götter, Sechste Betrachtung, darzulegen unternommen. Ebendort glaube -ich wenigstens für unbefangene Leser (ich rede nicht von befangener -Kritik) keinen Zweifel übriggelassen zu haben, daß diese europäische -Zielsetzung einer mensch-göttlich zu vollbringenden Welt-Schöpfung -der gotamidischen Zielsetzung zwar nicht geradewegs widerspricht, -- -denn Religionen widersprechen sich zuletzt noch nicht einmal dann, -wenn sie anscheinend wie Nein und Ja zueinander stehen! -- daß sie -diese aber gleichsam in dynamischem, oder wie Platon vielleicht -lieber sagen würde, in poietischem Betracht bei weitem noch übersteigt -und übersteigert, übertrifft und überflügelt: ποίησις als Schöpfung, -als Erschaffung buchstäblich genommen und verstanden. Dieses -entscheidendsten und entschiedensten Unterschiedes beider Zielsetzungen -jedoch unerachtet, könnte sich, ich wiederhole es, zu jenen drei -ewigen Mysterien unserer europäisch gereiften Religiosität ohne die -kleinste Gewaltsamkeit als viertes Mysterium der Buddho und seine -Heilstat innig gesellen. Das gotamidische Mysterium der Seelsorge ist -ein unvergängliches und immer wiederkehrendes, sogar dann erst recht, -wenn es auf Europas Erde eines Tages mit einem zutiefst poietischen, -zutiefst dionysischen Mysterium zusammen gefeiert werden sollte. Denn -was uns auch in diesen entfesselten Zeitläuften zustoßen möge: die -eine Hoffnung wollen wir Europäer uns doch heilig wahren, daß unser -letzter Gott Dionysos nicht nur in dem Zwiegespräch mit Indiens Buddho, -das diese kargen Blätter hier beschließt, das letzte Wort zu sprechen -haben wird. Nur mit dieser Einschränkung bedeucht mich Nietzsches -Ausspruch im Willen zur Macht ein zukunfterratender Wahrspruch, wonach -„ein europäischer Buddhismus vielleicht nicht zu entbehren sein -könnte.“ Niemals wird uns Europäern dieser Buddho der Herr sein, der er -Millionen von Asiaten ist, wie uns denn auch der Christus selber längst -nicht mehr Herr ist. Aber möglicherweis wird den Besten unter uns der -Buddho wieder dazu verhelfen, daß sie sich selber wieder Herren nennen -dürften, Herren des Diesseit und Herren des Jenseit und Herren all der -bleichen Schrecknis, die uns zwischen beiden quält und ängstigt... - -Ist demnach zwar nicht eigentlich der europäische Buddhismus, den -Nietzsche für unentbehrlich hält, wohl aber der europäische Buddho mit -Neumanns Eindeutschung des Pâli-Kanons geschichtlich in Erscheinung -getreten, so wolle der Leser dies Werk als einen ersten Versuch -bewerten, die Tatsache des europäisch umgestalteten Buddho religiös -zu bezeugen. Wofern es mir an allen unumgänglichen Kenntnissen und -Fähigkeiten gebrach, etwa als Wissenschafter, Forscher, Gelehrter -zu diesem Ereignis Stellung zu nehmen, konnte ich mich desto -unbehinderter und unbelasteter als _homo religiosus_ mit Neumanns -Buddho auseinandersetzen. Vermutlich hätte dieses Buch darum eines -Tages auch dann geschrieben werden müssen, wenn die Anregung dazu von -seiten des Herrn Verlegers ausgeblieben wäre: zu aufrüttelnd waren die -Eindrücke dieser Reden aus dem Pâli, um nicht auf eine (einstweilen) -abschließende Verarbeitung zu drängen. Stellte ich mir aber meine -Aufgabe wesentlich als _homo religiosus_ und kaum als Philosoph, am -wenigsten als Historiker, dann ergab sich zwingend für die Form des -Buches, diese religiöse Absicht so rein und voll und stark wie irgend -nur zum Ausdruck zu bringen. In keinem Augenblicke durfte der Leser die -Vermutung hegen, es handle sich hier um eine Vermehrung der belehrenden -Schriften über diesen Gegenstand, -- und alles, was den Leser -vielleicht zunächst befremdet, alles, was ihn vielleicht sogar abstößt, -ergibt sich streng aus der Notwendigkeit, eine religiöse Absicht -nicht mit wissenschaftlichen Mitteln zu verwirklichen. Ein der Form -nach Neues galt es hier zu schaffen, für welches in unserm Schrifttum -nicht so leicht ein Beispiel oder Muster zu entdecken war. Als dieses -Neue aber schwebte mir, seltsam genug! sofort etwas Ähnliches vor wie -eine sehr freizügige, sehr eigenmächtige Übertragung jener Statue vom -Boro-Budur, welche diesem Buch gleichsam als προοίμιον vorangegeben -ist, aus ihrer bildhaften in eine worthafte Erscheinung. Ein -Tempelbildwerk gleichsam umzusetzen in ein Tempelschriftwerk mit den -Mitteln meiner Sprache und dadurch die plastische Gestalt zu wandeln -in eine pneumatische Gestalt: das war, soviel ich selber davon weiß -und wissen kann, mein heiß angestrebtes Ziel, -- Tag und Nacht sah ich -wenigstens nur noch diesen thronenden Buddho vor dem innern Auge, -- -Tag und Nacht, wer wird dies recht verstehen? war ich nur noch dieser -Buddho... Unwiderstehlich fand ich mich gezogen zu jenem hieratischen -Stil, der zuletzt einer ist in allen höchsten Versinnbildlichungen -des asiatischen Gestaltungwillens: einer in den Sprüchen Lao-Tses -und den Reden Gotamos, einer in den Veden und Upanischaden, einer in -den Psalmen des Alten Testaments und in den Suren des Korans, einer -in den Götterbildern und Tempeln Indiens, Chinas oder Japans. Diesen -Stil freilich nachahmen zu wollen, wäre von allen europäischen -Abgeschmacktheiten so ziemlich die abgeschmackteste. Aber muß er sich -schließlich nicht auch bei uns gesucht oder ungesucht einstellen in dem -Maß, als wir wieder zu begreifen beginnen, was Religion ist? Fünf oder -sechs Jahrhunderte haben dies immer gründlicher vergessen lassen, und -das Ergebnis war die Zerbröckelung jeder großen Form im Leben noch mehr -wie in der Kunst. Sobald indes Religion wieder in uns lebendig wird, -- -wie kann sie sich dann wohl anders ausdrücken als in der echten Sprache -der Religion, die wir europäischen Ästheten abwegig und unzutreffend -genug eben nur als ‚hieratischen Stil‘ zu bezeichnen wissen?... - - - - -DIE ERSTE UNTERWEISUNG: - -BUDDHO DER PROTESTANT - - -DAS HEILIGE JA LASST UNS BEKENNEN DAS HEILIGE JA ÜBER DIE AUF- UND -NIEDERGÄNGE -- DAS HEILIGE JA ÜBER GEBURT UND TOD, GESTIRN UND -SCHICKSAL -- DAS HEILIGE JA ERSCHAFFE DIESE WESEN UND ERHALTE SIE, -DAMIT SIE IN DER FÜLLE STEHN WIE EINE HUNDERTBLÄTTERROSE IN IHRES -MITTSOMMERS MITTAGGLÜCK - DAS HEILIGE JA ZERSCHMELZE DIESE WESEN IN -SEINES EWIGEN FEUERS TIEGEL UND HÄRTE SIE DARIN, BIS SIE GEDIEHEN -SIND, BIS SIE GEDIEGEN SIND -- UND ALSO VERLÖSCHE DAS HEILIGE JA -DIESE WESEN IN SEINES EWIGEN WASSERS BORN UND BRING IN IHM DIE WESEN -WIEDER EWIGLICH -- WILLKOMMEN DEM JA-SELBST ALLE WESEN UND WILLKOMMEN -IHM GLEICHERMASSEN DIE GEGEN- UND WIDERWESEN ALLE -- DIES IST DAS -HEILIGE JAWORT UND FROHWORT UND DES FROHWORTES HEILIGE GRUSSSPENDE, -ANDACHTSPENDE, OPFERSPENDE -- DIES IST GELÄUTERTEN HERZENS ERSTGEBURT, -DARGEBRACHT IM FESTWEIHTEMPEL DER WELT -- WER DU AUCH BIST, O MENSCH, -IN VIERTEN VIERTELS EDLER MONDSCHWELLUNG DEINER MENSCHLICHKEIT ODER IN -IHRES DRITTEN, ZWEITEN, ERSTEN VIERTELS BEDAUERLICHER SCHWINDUNG: - - -- ICH WILL DIR WOHL -- - - DIES IST DIE ERSTE UNTERWEISUNG - - -Geschieden, ihr Christen, in die Getreuen und die Ungetreuen der -allgemeinen und allein sälig machenden Kirche, dünkt uns Christen -Protestantismus die Frömmigkeit derer, die abseit von der Kirche als -Abseitige das Heil ihrer Seele gesucht haben und noch heute suchen, -gefunden haben und noch heute finden. Unübersehbar aber an Zahl und -Mannigfaltigkeit ist die Art der Protestanten, welche der Mutter-Kirche -die Zugehörigkeit künden mußten, um sich selber zugehörig bleiben zu -können; unübersehbar an Zahl und Mannigfaltigkeit sind die Arten des -Protestantismus, weil fast ein jeder Protestant allein seine eigene -und bevorzugte Art von Protestantismus als die echte und wahre gelten -lässet. Ob freilich die Frömmigkeit des Einzelnen von Fall zu Fall -innerhalb der sichtbaren und allgemeinen Kirche noch auszuharren -vermochte oder sich außerhalb ihrer den selbst erwählten Stock- und -Steinpfad bahnen mußte, -- dieses hing häufig genug von mancherlei -Zufälligem ab und durchaus nicht von einem Hang zum Protestantismus -als solchem. Es konnte wohl geschehen und ist geschehen, daß sich im -Geist und Gemüt des Christen eine Bewegung regte, die als Gegenbewegung -beabsichtigt war zu einem augenblicklichen Zustand der Kirche und von -der Kirche selbst im Braus der ersten Überraschung und Zornwallung -als ketzerisch verfemt, als protestantisch verworfen ward: und -dennoch nach einiger Frist von der Kirche großmütig zurückgenommen -und ihrem Gesellschaftkörper einverleibt. Möglicherweis waren alle -ernsten und eingreifenden Reformen der Kirche seit Cluny in Kern -und Ursprung protestantisch, und nicht selten haben die unwägbarsten -Kräfte der Zeiten und Persönlichkeiten darüber entschieden, ob dieser -Protestantismus dazu kam, rückwirkend die gesamte Verfassung der Kirche -zu beeinflussen, ja umzugestalten, oder ob er veranlaßt wurde, jenseit -der Kirche eine unkirchliche Gemeinschaft zu gründen, eine unkirchliche -Bruderschaft zu verkörpern, eine unkirchliche Kirche zu stiften. Wie -hing es doch an einem schwachen Haar, daß dem heiligen Franziskus die -Orden, so auf die Entsagung des Besitzes gegründet waren, gestattet -oder verboten wurden. In unserm blonden Norden vollends versah der -Meister Eckhart von Hochheim noch das weithin reichende und weithin -wohl sogar gefürchtete Amt eines Provinzialen der Dominikaner, als -seine Jünger und Jüngerinnen schon grausam verfolgt und hingerichtet -wurden. Trotzdem sind in der Folge die Bettelorden zum Pfeiler und -Eckstein der Kirche geworden, insonderheit in den eben herrlich -aufblühenden Städten und städtischen Genossenschaften, und ihrer -halbwegs ketzerischen Herkunft unerachtet haben sie der Kirche das -tauglichste Mittel dargeboten, sich einer neuen Zeit und Gesellschaft -anzupassen. Was allerdings unsere Mystik betrifft, ward sie als -schleichende Gefahr der Kirche mit äußerstem Mißtrauen stets betrachtet -und in gewissen Abständen immer wieder mit ketzergerichtlichen -Maßnahmen geängstigt und betroffen. Gegen die Albigenser wurde der -Kreuzzug nicht nur gepredigt, und die Kriege mit den Husiten stürzten -das mittlere Festland aus einer lebensgefährlichen Krisis in die -nächste. Schwankend und schwebend blieb darnach der Inbegriff des -Protestantismus. Wer heute sich selber verdächtig schien, in seinem -Herzen der Ketzerei zu frönen, der fand sich etwa morgen schon völlig -wieder in einer erneuerten und wiedergeborenen Kirche. Wer aber heute -noch seine strengste Rechtgläubigkeit mit jedem Eid beschworen hätte, -dem konnte es zustoßen, daß er morgen den großen Bann als Urteil (und -als Unheil!) furchtbar über sich verhängt fand, fortab geschieden in -einem Atem vom Frieden Gottes wie der Menschen. - -Die deutsche Reformation zusammen mit den anderen Reformationen des -sechzehnten Jahrhunderts war es nachher, die endgültig den Typus, -den ‚Schlag‘ des Protestanten wie einen Stempel prägte oder wie -einen Holzstock schnitt. Sie schuf den neuen Christen, der weder -in der allgemeinen und allein sälig machenden Kirche seinen Platz -länger einnehmen konnte, noch dessen sich dieselbige Kirche durch -eine Maßregel gewaltsamer Unterdrückung, gewaltsamer Bekehrung, -gewaltsamer Vernichtung zu entledigen imstande war. Seither ist der -christliche Protestantismus eine religiöse und gesellschaftliche -Wirklichkeit, beliebt oder mißfällig, geduldet oder verworfen: -eine Wirklichkeit wie die Kirche selbst und durch keine Acht oder -Ausstoßung aus den Tafeln der Wirklichkeit zu tilgen. Erst bei -einem Einzigen und Einzelnen, dann bei Wenigen, dann bei Vielen, -versagte der unendliche Aufwand von Dogmen, Sakramenten, Liturgien, -Messen, und ihre Frömmigkeit spottete der Wohltaten der Seelsorge -und Seelpflege; -- auf Grund dieses nämlichen Umstandes aber fanden -sie sich zusammen zu einer neuen Gemeinschaft, zu einer neuen Kirche -abseit der bisherigen, und sie genossen neuer, will sagen urältest -wiedererneuter Heils- und Gnadenmittel auf neue Weise: wenn sie nicht, -wie beispielweis die Quäker, diese Mittel insgesamt als Magie verwarfen -und das gemeinschaftstiftende Ereignis in einer Art geselliger und -gleichzeitiger Erleuchtung fanden. Einmal soweit, konnte sich diese -vollzogene Abkehr von der allgemeinen und allein sälig machenden -Kirche ohne Ende wieder vollziehen und hat sich dann, wer wüßte es -nicht, in der Tat ohne Ende bis auf den heutigen Tag wieder und -wieder vollzogen. Und wie man, ihr Christen, in französischer Sprache -das Sprichwort gesprochen hat, daß man stets der Rückschreiter und -Rückschritter irgend jemands, _toujours le réactionaire de quelqu’un_ -sei, so dürfte man dies Treffwort ins Deutsche übertragen: daß man -stets der Einsprecher, Widersprecher und Verwahrer, kurz der Protestant -irgend jemands sei. Denn wie es unveräußerliches Recht jeder religiös -verpflichteten Gemeinschaft ist, sich als die allgemeine und allein -sälig machende, ja als die allein rechtgläubige Kirche aufzurichten, -bleibt es gleichermaßen Recht aller auf abweichende Art Frommer, sich -als Protestanten davon freiwillig auszuschließen, nachdem sie durch -ihre eigene Erfahrung, unwiderleglich für jedwede andere und fremde -Erfahrung, inne geworden waren, daß sie inmitten jener Genossenschaft -dauernd des Heils entbehren würden und derart durch die Tathandlung des -Protestes den Protestantismus zu besiegeln sich gedrungen fühlten. - -So also verhält sich dieses. Protestantismus im Wortverstand unserer -christlichen Abendländerschaft erweist sich herkömmlich zwar als der -geschichtliche Gegenbegriff der Kirche, die sich vom καθόλου her -benannt hat, -- sinngemäß aber weiterhin auch als der geschichtliche -Gegenbegriff jeder Vereinigung, Gemeinschaft, Verbrüderung solcher -Frommen, die abseit der Kirche selbst eine Kirche zu bilden -übereingekommen sind. Protestantismus ist darnach innerhalb des -Christentums jeweils Protestantismus irgend wessen in bezug auf -irgend wen, und wer sich von der rein verhältnismäßigen Bedeutung -dieser Tatsache Protestantismus überzeugt hätte, dürfte sich weder -Irriges noch Falsches angeeignet haben. Eingeengt und beschränkt wäre -seine Auffassung von Protestantismus aber trotzdem, eingeengt und -beschränkt durch den stieren Hinblick auf das Christentum allein und -ausschließlich, ihr Christen: auf das Christentum, welches weder die -ersten der großen Religionen dieses Festlandes in sich begriffen hat -noch die letzten in sich begreifen wird. Vom Christentum gilt wohl -der Sachverhalt, daß es als Kirche geschichtlich in Erscheinung trat, -und so bleibt der christliche Protestantismus recht und schlecht -gekennzeichnet, ja ausgezeichnet durch seine religiöse Kampfstellung -gegen die Kirche sowohl wie gegen die Kirchen. Aber das Christentum, -ihr Christen, ist nicht ewig! Oder wenn schon ewig, dann nur ewig in -der Zeit, mit einem Anfang in der Zeit und einem Ende in der Zeit -und zeitlos allein in einem Sinne, den keine Zeit jemals umfaßt. Was -jedoch ewig ist nur in der Zeit, das bleibt eine Versuchung für die -Zeit, Ewiges mit Zeitlichem je und je zu verwechseln und Merkmale des -einen für die Wahrzeichen des andern irrig zu nehmen und zu geben. -Hiergegen haben wir uns, wir Nicht-mehr-Christen oder vielleicht -auch Noch-nicht-Christen, scharf zu entsinnen, daß es europäische -Religionen von hohem Rang ohne kirchliche Kristallisationen gab, heute -noch gibt und künftighin erst recht geben wird: finden wir nicht auch -in ihnen etwas wie Protestantismus? Und wenn Ja, -- worin bezeugt es -sich als Protestantismus, wofern es als Protestantismus mangels einer -vorhandenen Kirche auch nicht eine Kampfstellung zur Kirche einnehmen -und in dieser Kampfstellung nicht mehr sein Kennzeichen und Merkmal -finden kann? Da nennen wir die Religionen etwa des griechischen -Altertums, griechischen Jugendtums, zahlreich und blühend wie die -hellenischen Stadtstaaten einst und dennoch nie Staats-Religionen in -einem späteren oder gar gegenwärtigen Wortverstande: unterschiedlich -und gegensatzreich wie die griechischen Landschaften und dennoch -großherzig einander gelten lassend und duldend. Diese vormaligen -Religionen, haben sie sich nun dem Widersatz versagt von katholischer -und protestantischer Frömmigkeit, nur weil sie Zeit ihres wundervoll -fließenden und flüssigen Lebens niemals zur Kirche und nicht einmal -zu Kirchen vereist oder versteinert sind? Oder stoßen wir nicht just -auch dort auf die Gestalten unleugbar prophetischen Wuchses und -unleugbar protestantischer Gebärde, die ohne Vorbehalt, wer fühlte es -nicht, wüßte es nicht, der Zahl der bahnbrechenden Protestanten aus -europäischen Vergangenheiten zugezählt werden müssen? Zugestanden euch -Christen, der protestantische Geist habe seine kantigste Ausschnitzung -dort erfahren, wo er den furchtbaren Kampf des Ketzers wider eine -hochmögende, herrische, unbeugsame Kirche zu führen hatte, von Stunde -zu Stunde der Bannflüche, Folterkammern, Scheiterhaufen, Ölkessel, -Schand- und Marterpfähle gewärtig, -- wo also _ecclesia militans_ -innig im unverfälschten Sinn des Nazoräers Jesus zu handeln glaubte, -wahrhaftig glaubte, ihr Gleichgültigen, Lauwarmen und Glaubenslosen! -wenn sie zahlreiche Ketzervölker (wie einst jene arianischen Goten -der Nachfahren des erlauchten Theoderich) von der langmütigen Erde -tilgte und darüber hinaus das ergriffene Gedenken im Gedächtnis aller -Folgezeiten löschte... Dies also schlankweg zugestanden, braucht doch -Protestantismus noch lange nicht dort zu fehlen, wo die Kirche fehlt -und kraft selbstgesetzter Autorität über statthafte oder unstatthafte -Auslegungen der Glaubenslehre befindet. Schließlich geschieht ja der -Protest gegen die Kirche nicht ihres Kirch-Seins halber, nicht ihres -Kirch-Seins an und für sich: vielmehr weil diese Kirchlichkeit eine -Religion vertritt, die dem Geist anderer Religion widerläufig ist. -Verwerfung der Kirche aus den Antrieben einer Frömmigkeit heraus, -die innerhalb der Kirche nicht gestillt wird, ist das Wahrzeichen -des christlichen Protestantismus gewesen, -- nicht aber ist sie -Wahrzeichen des Protestantismus schlechthin. Dieser Protestantismus -schlechthin hört aber mit nichten auf, Protestantismus zu sein, wenn -er eine Religion oder vielleicht eher noch eine Religiosität verwirft, -die aus inneren oder aus äußeren, aus sachlichen oder aus zufälligen -Gründen zur Kirche nicht ausgeformt ist. In dieser Bezugnahme nun, -wir sehen das und greifen es mit Händen, gärt im Griechenland des -sechsten und fast mehr noch des fünften Jahrhunderts ein Wirbel von -leidenschaftlichster Gewalt, dessen Protestantismus gar nicht in Frage -gestellt werden kann. Es gärt hier ein Wirbel, durchaus vergleichbar -dem anderen, der zwei oder drei Jahrhunderte früher Israel jene -Gottesmänner, Gottesknechte (_nêbiim_) gebar, in welchen sich seine -Frömmigkeit am edelsten verkörpert zeigt. Für uns besteht die hohe -Schwierigkeit nur darin, zu erkennen, wogegen diese hellenischen -Protestanten eigentlich ihren Protest erhoben, gegen wen oder gegen -was, da es in Griechenland weder eine allgemeine und allein sälig -machende Kirche religiös zu überwinden gab, noch Priesterschaften -oder Gemeinden der Baalim Syriens und Phöniziens. Herakleitos und die -Eleaten, die Orphiker und die Tragöden sind Protestanten gewesen. Sie -alle haben auf ihre Weise wider ein Fromm-Sein Verwahrung ausdrücklich -und heftig eingelegt, welches aus guten Gründen nicht länger mehr ihr -Fromm-Sein bleiben konnte. Nur daß diese guten Gründe heutzutag nicht -leicht zu ergründen sind, nachdem sich seither so viel Wassers über -diesen Gründen sammelte und über ihnen stand und sie zu braunen Sümpfen -dickte... - -Von außen gesehen, das versteht sich ja von selber, war es die Religion -Homers, die der Frömmigkeit jener Zeitläufte widerstrebte, und eben -dieser Tatbestand hat Propheten so weltverschiedener Artung wie -Herakleitos, Xenophanes, Aischylos wenigstens in der Geste der Abwehr -durchaus geeinigt. In der Geste der Abwehr sage ich, sicherlich! Aber -darum nicht auch schon in den bestimmenden Beweggründen, die ganz ohne -Frage bei den verschiedenen dieser ragenden Protestanten bei weitem -verschieden waren. Wenn der marsrotglutende Leuchtturm über die Meere -Asiens und Europens, Heraklit, die Götter Homers in seiner dunkeln -Flamme verbrannt hat wie ein Leuchtturm halt nächtlich flatterndes -Gefalter, nächtlich schwirrendes Gevögel zu verbrennen pflegt, so -geschah dies aus anderen Notwendigkeiten und aus anderen Nöten, als -wenn der Kolophonier Xenophanes, kein Leuchtturm, aber ein Erleuchter, -Fackelvoranträger und Aufklärer, Homers menschhafte Vielgestalten zur -Kugel-Einheit unpersönlich zusammenballte und ‚mit dem All‘ verwachsen -ließ. Und wiederum: wenn die ältesten der Tragöden von Eleusis nach -ihrer Art Homerzerstampfer und -zertrümmerer waren wie nur je einer -der Weisheitkünder zu Ephesos, Milet, Elea, so mögen sie vielleicht -den Philosophen dabei noch mindere Beachtung geschenkt haben als die -Philosophen ihnen. Orphisch gestimmt durch und durch, und das will -fast schon sagen buddhistisch gestimmt und im Leiden des Gottes, im -Leiden des Menschen selbst schon etwas wie ‚des Leidens Überwindung -und Verlöschung‘ erfühlend und den Weg ertastend zu ‚des Leidens -Aufhebung‘, brauchen diese ältesten Tragöden darum noch lange keine -Orphiker gewesen zu sein. Hier bleibt vermutlich das Wichtigste für -immer Geheimnis und mag für immer Geheimnis, wohl versiegeltes, bleiben --- (und vielleicht nicht ohne tiefere Bedeutung für Verständige und -Verstehende hieß dereinst in den kalifischen Reichen das Haupt aller -staatlichen Geschäfte von Amts wegen ‚Verwahrer des Siegels‘)... So -hat das eigentliche und persönlichste Warum seines Protestantismus -jeder dieser Protestanten verschwiegen mit in sein Grab genommen samt -allem übrigen, was nur an ihm persönlich, was nur sterblich an ihm war. -Aber darüber hinaus getraue ich mir doch zwei unsterbliche Motive zu -erraten, die für sie von ausschlaggebenden Gewichten gewesen sind. Sie -alle, die Philosophen und die Mysten, die Tragöden und Propheten, litt -es unter dem honighellen Himmel Homers nicht länger aus einem Grund -unter den zweien: entweder weil ihnen diese Götter allzu menschlich -waren und darum schon nicht mehr Gott genug, um menschlich-welthafte -Geschicke kundig und weise, gütig und göttlich zu lenken, -- oder -umgekehrt, weil diese Götter ihnen in anderem Betracht nicht menschlich -genug erschienen, um menschlich zu leisten und vollbringen, was der -Mensch von sich selber fordert und von sich selber heischt, wenn -er seine eigene Vergöttlichung mit Ernst betreibt und mit Ausdauer -fördert. Entweder allzu menschlich oder nicht menschlich genug, ihr -Christen, deuchte jenen gewaltigen Heiden der Gott, und eins von beiden -machte die Tragöden und die Philosophen, die Propheten und die Mysten -von damals zu den Protestanten von damals. Und dieser Protestantismus, -er wiegt und wuchtet, gewogen in der freien Hand, goldschwer genug, -um auf der Wage unserer morgigen Weisheit noch einmal nachgewogen zu -werden. Nachgewogen von den Morgigen unter uns, die sich Schwer-Nehmen -zur Pflicht der Stunde gemacht haben, nachdem wir zu leicht, zu leicht -befunden, vom ersten Windstoß weithin entrafft und verschlagen wurden, --- wer weiß, in welche brennenden Durst- und Glutwüsten Sahara, Schamo, -Estakado hinein oder gar in den Feuersee Kilauea, wo unsere Seelen etwa -dann gefegt werden... - -Der Gott also schon allzu menschlich, allzu unheilig, allzu wenig -Gott: dies ist die große Verwahrung solcher, deren Frömmigkeit -Anstoß nimmt an der erstmals durch Homer vollendeten Vermenschung, -Verpersönlichung, Vergestaltung der Götter, und aus diesem nicht -widerleglichen Fühlen heraus alles (und sich selber zuerst!) daran -setzt, in der Folge jegliche Anthropomorphik und Anthropopathik Gottes -wenigstens im Gedanken abzustreifen und als die alte Haut Gottes an -der Straße faulen zu lassen. Dies ist die Verwahrung solcher, denen -unter den Händen die Religion als Religion Philosophie geworden ist -und der Gott, entmenschlicht, entpersönlicht und entstaltet, mit dem -Wesen der Welt in eins fließt, -- mit dem Wesen der Welt, mit dem -Geist der Welt, mit der Unendlichkeit der Welt, mit der Seele der -Welt, mit dem Atem der Welt, mit dem Ursein der Welt, mit dem Kern -der Welt. Wenn vormals die Göttin der Liebe und Schönheit homerisch -gestaltet und plastisch gegliedert dem Samen-Schaum des Weltmeers -enttauchte, so taucht jetzt der homerisch gestaltete, plastisch -gegliederte Götter- und Menschenvater Zeus als pherekydeischer ‚Zas‘ -in die flutenden Wirbel der Schöpfung namenlos zurück. Menschhaft -geformt und geworden aus dem mystisch geahnten Element, entformt -sich und entwird der menschlich gebildete Gott von neuem zum nunmehr -freilich gnostisch erfaßten Element, zum Pan und Henkaipan: eine -überall verbreitete und gleichsam ewige Spielart des Protestantismus, -auf die wir bei allen höheren, will sagen bei allen philosophierenden -Völkern stoßen, wo eines Tages die alternde Theologie durch die -erneuernde Kosmognosie von mehr oder weniger wissenschaftlicher -Haltung verdrängt wird und wo in feierlicher Wandlung der Theos -zum Kosmos sich verjüngt. Der Gott ist Welt und strahlt welthaft -in des Äthers Strahlen, so spricht und kündet der Protestantismus -dieser philosophischen Protestanten, den menschheitlichen Gott als -unzulänglich vor Geist und Erkenntnis verdächtigend und bald sogar -nicht einmal dem Nichtwissen mehr verzeihend. Wohingegen derselbe -und nämliche Gott, der diesen Weisheitfreunden und Wissenseiferern -allzu menschenähnlich und menschengebrechlich, allzu menschenwinzig -und menschenwitzig ein Ärgernis ward, den anderen noch lang nicht -genug menschartig erscheint, wofern er als Gott zwar genug und -übergenug von menschlicher Schwachheit befallen, von menschlicher -Torheit ergriffen, von menschlicher Lasterhaftigkeit besudelt, von -menschlicher Leidenschaft getummelt ward: dennoch aber der Menschheit -in jenem anspruchvollsten Sinn ermangelt, als er die Heilung von -diesen Übeln und die Wiederherstellung von diesen Mißschaffenheiten -von sich aus nicht zu bewirken versteht. Möglich, daß der Gott diese -Heilung und Wiederherstellung vormals bewirkt hat, -- denn wozu hätte -er selber sonst getaugt in einer Wirklichkeit, wo auch die Götter -noch zu etwas taugen müssen, um sich vor den Menschen auszuweisen. -Seither jedoch ist Unsägliches, Welterschütterndes, Verhängniswaltendes -geschehen. Der Gott hat sich der Sünde hingegeben oder ist sonstwie -von seiner Götterhöhe hinabgeglitten, unmerklich erst, dann schneller -und jäher stürzend. Oder was möglicherweis dasselbe ist, der Mensch -hat seinerzeit den Gott im Ablauf seiner eigenen Reifwerdung -eingeholt und überstiegen, endlich in sich selbst die Fähigkeit zur -Selbstvergöttlichung gewahrend; -- wie denn die einen Wesenheiten -hienieden aufwärts steigen, wenn die andern Wesenheiten fallen, die -einen aber fallen, wenn die andern aufwärts steigen: ein jegliches -nach eigenem Antrieb und Gesetz, wie Feuer aufwärts wirbelt und Wasser -abwärts rinnt, ein jegliches nach seinem Ort, den es sich suchet... -Kurz und gut also, der Gott Homers war wohl sehr menschlich, aber -konnte das Urgeheimnis aller Menschheit nicht erraten, daß nämlich der -Mensch selber göttlich zu werden trachte nach Wille und Bestimmung, -Wunsch und Wahl. Der Lüfter dieses Urgeheimnisses geworden und damit -aus dem Diener der Vollstrecker Gottes geworden, blieb dem Menschen -nichts übrig, als den Gott von vorhin zur Abdankung zu zwingen und -seine Entthronung zu verfügen, -- und wahrlich! es geschah dies -schweren Herzens und mit zitternden Knien! Das griechische Sinnbild -aber dieses Protestantismus (es ward euch Christen seither geschildert -und dargelegt, erläutert und gewiesen im Buch vom Gestaltwandel der -Götter), das griechische Sinnbild richtete der Tragöde Aischylos auf in -seinen Eumeniden, woselbst die Pflicht der Sühne und Wiederheiligung -nach geschehenem Blutfrevel, ehemals eine der göttlichsten Pflichten -von allen, dem Sühngott Apollon abgenommen und in festlicher -Einsetzung dem Richtergewissen attischer Bürger auf dem Hügel des -Ares anvertraut wurde. Hier entkleidet der protestantische Tragöde -den Gott auf offener Szene gleichsam seines Kaiserpurpurmantels und -legt ihn schwer um menschliche Schultern; hier salbt und krönt der -Mensch den Menschen in unsterblicher Zeremonie zum Statthalter und -Stellvertreter, zum Sachwalter und Treuhänder Gottes. Was Phoibos -Apollon dereinst hinsichtlich der Erinnyen vollzogen, das vollzieht der -tragische Prophet hinsichtlich Apollons. Als jüngerer, als jüngster -Gott tritt er die Erbfolge, Nachfolge, Tatfolge des älteren Gottes -an und schließt dadurch die vielen Götterstürze aufgewühltester -Jahrhunderte mit einem letzten Göttersturze ab. Der Protestantismus -der Philosophen hat den Fortgang wachsender Vermenschung des Gottes -unterbrochen und zum Fortgang wachsender Entmenschung mit mehr und -mehr Entschiedenheit gewendet. Der Protestantismus der Tragöden führt -die homerische Vermenschung Gottes in freilich stark unhomerischem, -ja widerhomerischem Geiste völlig zu Ende, nun den Gott erst recht -vermenschlichend: der Gott fortab nicht mehr der nur ein wenig -mächtigere, ein wenig dauerhaftere, ein wenig heiligere Mensch, -vielmehr umgekehrt der Mensch ein zwar schicksalunterworfener und -schuldbetroffener, aber auch schuldsühnender und schicksalüberwindender -tragischer Halbgott, dionysischer Gott... - -Ein doppelter und doppelsinniger Protestantismus ist es, den der Kampf -wider Homer auf der hellenischen Erde zeitigt. Ein Protestantismus -erstens, der die gleichsam ‚geistige‘ Leistung des Gottes, den Geist, -den Sinn, das Sein der Welt in sich zu sammeln und darzustellen, -auf die Welt selber übergehen läßt und darnach diesen Welt-Gott -vorzugweis als den allgemeinen Erkenntnis- und Erklärunggrund der -einzelnen Welt-Erscheinungen aufgefaßt wissen will, -- in des Wortes -Buchstäblichkeit wirklich ‚wissen‘ will. Ein Protestantismus zweitens, -der die gleichsam ‚tathafte‘ Leistung des Gottes, nämlich dem Menschen -Heil und Heiligung, Tröstung und Rettung, Wiederherstellung und -Erlösung zu erwecken, allmählich auf den Menschen selber überträgt, im -Gott künftig höchstens noch den Vorläufer, Wegbahner, Vortäter ehrend, -der aber im Gang der Zeiten vom Menschen in allen Stücken zunehmender -Seelenreifung eingeholt, ja überholt wird. In geschichtlichem -Betracht ist jener erste Protestantismus mit immer bestimmterer -Eindeutigkeit die Sache reiner Erkenntnis, reiner Wissenschaft, reiner -Wahrheitforschung geworden, welche dann nach und nach die Religion in -Philosophie, in Scholastik, in Kritik umgesetzt hat, den Mythos aber -in Metaphysik, in Kosmologie, ja in Physik und alles, was dem heutigen -Europäer mit Physik zusammenhängt. Und dies wiederum mußte notgedrungen -dazu führen, daß diese Sorte Protestantismus in den Wandlungen der -eigentlichen Religionen die vormals ausschlaggebende Bedeutsamkeit in -dem Maße einbüßte, als er selber sich in Philosophie und Metaphysik, -in Scholastik und Kosmologie, in Kritik und Physik verlor; -- wie -denn vor allem er es war, der jene verhängnisvolle Spaltung von -Religion und Wissenschaft hauptsächlich mitverursachte, welche die -ehemals unteilbaren und ganzen Seelenkräfte des Abendländers in so -viel zusammenhanglose Teile elend zerstückt und zerstückelt hat... -Der Protestantismus zweiter Prägung hingegen ist der gewaltige -Antrieb geblieben in all den religiösen Gegenbewegungen, die sich -als Religionen der Selbstführung, Selbstheiligung, Selbstvergottung -den ‚katholischen‘ Religionen der Fremdführung, Fremdheiligung, -Fremdvergottung mehr oder weniger siegreich widersetzen; -- in ewigem -Widerstreit und Widerspiel zu ihnen scheint er die Kraft zu sein, -welche die große Wirklichkeit europäischer _religio_ überhaupt erst -eigentlich in Schwung und Umschwung bringt. Derselbe Protestantismus -ist es denn auch, der in den reformatorischen Versuchen unseres -christlichen Mittelalters die Kirche an allen Ecken und Enden des -Festlandes mit unter den nämlichen Forderungen bekämpft, die man in -ihrer geheimsten Bedeutung erst verstanden hat, wenn man diese Absicht -auf Selbstführung, Selbstheiligung, Selbstvergottung verstanden hat. -Der Priester soll hier künftig nicht mehr des Kelchs allein genießen, -sondern auch der Laie soll des Kelchs genießen, -- das will besagen, -daß jeder Christ ausnahmlos des magisch-sakramentalen Mittels der -Vergottung ohne Abzug, ohne Minderung teilhaftig werden will. Der -Priester soll hinfort nicht mehr die Ohrenbeichte entgegennehmen -dürfen, sondern der Laie soll seine läßlichen und tödlichen Sünden -seinem Herr-Gott selber beichten, -- das will besagen, daß sich -jeder Christ ausnahmlos die Kraft der Lossprechung und Entsündigung, -der Sühne und der Buße selber vorbehalten weiß. Der Priester -soll fürder nicht die Entscheidung treffen dürfen, was da in -Glaubensangelegenheiten statthaft und verwehrt, was sinngemäß oder -verkehrt sei, -- das will besagen, daß die Vernunft jedes Christen -ausnahmlos erleuchtet genug, daß sein Gewissen geschärft genug sei, -um das für ihn gültige Urteil über die Lehre selbst zu fällen. Und -wenn der Priester, wenn die Kirche ihre grenzenlose Macht über -den mittelalterlichen Menschen ausschließlich dadurch erlangt und -erhalten hatten, daß sie sich die alleinige Sachwalterschaft über die -Gnadenmittel anmaßten und mit der Verweigerung dieser jeden einzelnen -Christen außerhalb der christlichen Gemeinschaft stellten als einen -nicht nur gesellschaftlich, sondern auch religiös Friedlosen und -Geächteten, so trifft der folgerichtige Protestantismus diese Macht -zu Tode, wenn er zuletzt die Gnadenmittel selbst verwirft. Nicht -durch Brot und Wein vergöttlicht sich nach seiner Auffassung der -Mensch, vielmehr er ist vergöttlicht vor Urbeginn der Zeiten durch -die Auswahl Gottes, oder er ist’s nicht. Ausgewählt aber ist zuletzt -jeder, der ausgewählt sein will: ausgewählt ist jeder, der sein Leben -als ein Auserwählter selbst zu führen, selbst zu gestalten, selbst zu -verantworten fähig ist. Der von Gott Erwählte erweist sich dieser Art -ganz wesentlich als der von sich selbst Erwählte. Unerschütterlich -bemüht, in allen Dingen des Wandels dem Urbild des Begnadeten gerecht -zu werden, bestätigt er sich als der Begnadete. Augenscheinlich also -in Kern und Wesen der Persönlichkeit bis zu einem schauerlichen -Grade von Gott abhängig, von Gott erlesen oder von Gott verworfen und -jedenfalls nur Gottes totes Werkzeug, verlegt in Wahrheit doch eben der -kalvinistische, der independentistische, der puritanische Protestant -die letzte Entscheidung über sich selbst durchaus in sich selbst: er -selber hat es ja in der Hand, sich als Erlesener oder Verworfener zu -bezeugen durch die Art, wie er sein Leben führt und meistert. Wer da -der Herr seines Lebens ist, wie ein steingemeißelt Standbild auf sich -selber fußend und für sich selber wesend, niemandem untertänig als der -Pflicht schlechthin, als Auserwählter, als Begnadeter, als Erlesener -sich zu bewähren, der ist wahrhaftig auserwählt, der ist begnadet, der -ist erlesen... - -Aus diesem Sachverhalt heraus wage ich Protestantismus ganz allgemein -die grundsätzliche Überzeugung zu nennen, wonach die religiöse Tat der -Welt- und Seelenrettung dem Menschen selbst, dem diesseitigen in Zeit -und Raum, obliege. Und dementsprechend heiße ich Katholizismus jede -Zuversicht und jeden Glauben, wonach die religiöse Tat von Gott und -Göttern, weltherrschenden und heilfördernden, vollbracht wird: dann -aber von ihnen her dem Menschen magisch, liturgisch, sakramental auf -Gnadenwegen übermittelt wird, genau wie dem Kommunikanten die Tat des -Gott-Opfers in der Gestalt der Hostie als Speise zubereitet dargereicht -und gespendet wird... Katholizismus also finden wir allerwärts, wo das -ewige Mysterium der Heilstat in Himmeln und Überhimmeln weltrettendes -Ereignis wird; Protestantismus finden wir imgleichen allerwärts, wo -dasselbe Mysterium diesseit der Himmel inwendig in uns gefeiert wird, -diesseit der Himmel und inwendig in mir, diesseit der Himmel und -inwendig in dir, o Christ! Um einerlei Ding handelt sich’s darum beim -Protestantismus unserer europäischen Wirklichkeit bei allen Völkern -und zu allen Zeiten. Einerlei Ding ist zuletzt gemeint und einerlei -Ding ist es bei Heiden und bei Christen, wenn der Prophet Aischylos -die Sühne für Blutfrevel weder durch fletschende Erinnyen bewirkt -werden läßt noch durch Apollon Phoibos, und solchermaßen die üblichen -Sakramente der Wiederherstellung als unnütz kraft eigener Entscheidung -kurzerhand verwirft; -- und wenn Bruder Martinus in wütender -Herzensqual die vollkommene Unwirksamkeit aller Gnadenmittel der Kirche -an seiner sündigen Seele erfährt. Einerlei Sache ist gemeint bei Heiden -und Christen, ob Aischylos einen attischen Areiopagos sinnbildlich -einsetzt als Gewissens-Gericht, oder ob Luther das evangelische Urwort -von der Sinnesänderung innig begrüßt als das Loswort von seinen Ängsten -und Wirbeln. Es ist dies einerlei Ding, einerlei Sache, einerlei Sinn -gewesen, für welches freilich der dröhnende Glockenmund des attischen -Tragöden zuletzt so wenig das zutreffende Wort zu erstammeln wußte wie -die erzschmelzende Flammenzunge des erfurter Doktors... - -Nach dieser Ausweitung und Vertiefung des Sachverhaltes -‚Protestantisch‘ ziemt uns ein Blick zurück auf die Ursprünge des -Christentums, ihr Christen. Was nämlich diese Ursprünge anbetrifft, -so kann uns der vielleicht doch nicht erwartete Umstand nicht länger -entgehen, daß sie selbst unleugbar protestantischer Beschaffenheit -sind. Ein neuer Gott ist es, im Kampf mit sämtlichen alten Göttern, -der hier die Tat der Welt- und Seelenrettung auf sich nimmt. Ein neuer -Gott, im Kampf mit sämtlichen alten Göttern, sag’ ich, nimmt die -Tat auf sich: aber doch nur dadurch, daß er in menschlicher Person -erscheint und das Menschliche mit seinen Bitternissen menschlich -teilt. Der Held des Christentums -- und das ist keineswegs sein -Stifter! -- ist Gott und wird Mensch, weil er einzig in seiner -Eigenschaft Mensch zu vollenden vermag, was Jahve-Hypsistos der -Unmenschliche unter keinen Umständen zu vollenden fähig ist. Möget -daher ihr Christen Ursprung und Herkunft des Christentums ansetzen, -wie es euch zweckmäßig oder wie es euch richtig zu sein dünkt, -- -diese Grund-Tatsache liegt allem zugrunde, was immer auch später -auf sie errichtet und getürmt sei. Der Gott mußte Mensch werden, um -den Menschen fortan noch Gott zu sein; der Gott mußte des Menschen -Kreuz auf seine Schulter bürden, damit der Mensch den Heiland bei -sich glauben könnte: _Deum de deo, lumen de lumine, deum verum de deo -vero, genitum non factum, consubstantialem Patri: per quem omnia facta -sunt. Qui propter nos homines et propter nostram salutem descendit -de coelo. Et incarnatus est de Spiritu sancto ex Maria virgine: Et -homo factus est..._ Dies war von allen Götterstürzen der Jahrtausende -der weithin schmetterndste und abgründlichste. Nicht daß Jesus der -Mensch in den Olympos eingedrungen ist, wo Zeus der hochbetagte und -längst nicht mehr hochdonnernde Vater Kronion wachträumend schon -eine lange Weile auf seinem Hochsitz eingedämmert war (wie Greise -vor Tisch oder nachher ein wenig einzunicken pflegen), und wo Psyche -fürbittend und vermittelnd die Hand des Eindringlings voll Demut -greift, indes die anderen Olympier wie ein aufgestöbertes Volk Ameisen -wild durcheinanderwirren, -- dieses wahrhaftig nicht! Vielmehr daß -dieser ‚vom heiligen Geist aus der Jungfrau Maria fleischgewordene‘ -Gott und Nicht-mehr-Gott, menschlich aus der Sphäre seiner Gottheit -herausgetreten, nun auch den alten Jahve-Hypsistos, bisherigen -Schöpfer- und Herrschergott schlechthin, aus dem Bewußtseinsraum -eines gleichsam neu belichteten Menschheitgewissens unwiderstehlich -verdrängte. Das war die große Tatsache der neuen Religion, die -bahnbrach; und Gnostiker, paulinische Urchristen, Marcioniten, Arianer -haben dies auf ihre verschiedene Weise alle mit Bestimmtheit begriffen, -ehe die Kirche die klare Wahrheit dogmatisch beschattete und von allen -ketzerischen Abweichungen die am grausamsten unterdrückte, welche in -Jesus dem Gott-Menschen wesentlich den Menschen und nur diesen sah. -Damit aber war schließlich das Merkwürdige geschehen, daß in eben -dieser Kirche weder der Katholizismus noch der Protestantismus religiös -zum völlig reinen Austrag gelangen konnte. Auch die Kirche, die sich -die allgemeine nannte und ‚in diesem Zeichen‘ siegte, mußte in ihr -Credo das christliche Urerlebnis aufnehmen: _Et homo facius est_. -Auch die Kirche konnte den heimlichen Protestantismus, der in diesem -_Credo_ wie in verbotener Schwangerschaft keimte, höchstens in seinem -Wachstum hemmen, aber nicht töten, -- sie hätte denn mit dem Kind -die Mutter selbst getötet. Gott ist Mensch geworden, um den Menschen -göttlich zu erlösen; das Wort ist Fleisch geworden, um das Fleisch zu -kreuzigen und im Wort zu geistigen: dies bleibt in allem Katholizismus -der Kirche ein protestantischer Rest- und Rückstand von unzerstörbarer -Keimkraft und Gärkraft in allen Jahrtausenden. Und wiederum mußte -sich dieser selbe Protestantismus umgekehrt in seinem eigenen Dogma -mit dem ‚katholischen‘ Artikel vom Schöpfer Himmels und der Erden und -vom Vater des Erlösers und Herrn durch alle Zeiten hindurchschleppen, -stets unter dem Zwang, diesen Katholizismus grundsätzlich nicht -leugnen zu dürfen oder nicht leugnen zu können, vielmehr als ‚Christ -überhaupt‘ ausdrücklich anerkennen, ja billigen zu müssen: _Credo -in patrem omnipotentem, factorem coeli et terrae, visibilium omnium -et invisibilium..._ In der Lehre vom dreieinigen Gott hat mithin -die Kirche die glückliche Formel gefunden, welche Katholizismus und -Protestantismus als die gegenwirkenden Potenzen jeglicher Religion, -nicht nur der christlichen allein, in einem stätigen Gleichgewicht zu -erhalten ermöglichte. Im Besitz dieser dogmatischen Lehre ist seither -die katholische Kirche in Wahrheit nicht minder protestantisch wie -katholisch, sind seither die protestantischen Kirchen und Sekten in -Wahrheit nicht minder katholisch wie protestantisch. Mit ungeheuerer -Kunst hat das christliche Glaubensbekenntnis bis zur Stunde die -zwei unversöhnlichen Ur- und Widerkräfte des religiösen Lebens zu -binden verstanden, also daß keine noch so eigensinnig protestantische -Verwahrung den katholisch-judäischen Weltengott Jahve-Hypsistos dem -christlichen Bewußtsein hat entfremden, hat entwenden können, -- wie -auf der anderen Seite keine noch so katholische Wiederherstellung des -echten und wahren Glaubens den protestantisch-judäischen Gottmenschen -Jesus preiszugeben oder zu opfern gewagt hat. - -Wie nun, ihr Christen? - -Bei uns westlichen Menschen ist es die Kirche gewesen, welche die -Religion des fleischgewordenen Wortes als Mythos, als Dogma, als -Liturgie zur Herrschaft gebracht hat, durch eben diese Tat einer -gleichsam vorbeugenden Klugheit, die etwa doch schon als vorbeugende -Weisheit verehrt, als vorbeugende Weisheit gepriesen zu werden -verdiente. Die Kirche ist damit jeder einseitigen Entscheidung -über eine ausschließliche Katholizität oder eine ausschließliche -Protestantik frühzeitig zuvorgekommen, möchte dies nun zum Segen -oder zum Unsegen westlicher Menschheit ausgeschlagen sein. Dieses -in seiner unendlichen Fruchtbarkeit bedenkend und erwägend, wollen -wir indes nicht übersehen, daß die von der Kirche gewissermaßen -synkretistisch vollbrachte Lösung des drohenden Zwiespaltes -- wenn -diese Lösung nicht doch schon eine synthetische gewesen ist? -- -keineswegs christlicher Abstammung oder Erfindung gewesen ist, nicht -einmal hellenischer oder hellenistischer, ja nicht einmal europäischer. -Was der Kirche des Abendlandes und in tiefstem Einverständnis mit ihr -den abendländischen Kirchen und sogar Sekten möglich ward, das ist -schon viele Jahrhunderte vor dem entstehenden Christentum und seinen -Urgemeinden daheim und in der Zerstreuung in Indien eine herrliche -Wirklichkeit gewesen. Der indische Mythos vom Gottmenschen Krischna -hat das nie mehr übertroffene, nie mehr erreichte Sinnbild vollendeter -Durchdringung und Verschmelzung katholischer mit protestantischer -Frömmigkeit aller Welt zum ewigen Muster dargestellt. Und wo wir vorhin -der zusammensichtenden Leistung der Kirche Bewunderung zollten, ist -jetzt die Besinnung auf jene Begebenheit am Platze, die im günstigsten -Fall von der Kirche wiederholt, ob ich auch keineswegs sage: nachgeahmt -wurde. Was dabei den indisch-brahmanischen Mythos vom christlichen -einmal für alle mal auszeichnend unterscheidet, ist der Umstand, -daß er keineswegs der metaphysisch unzulänglichen und philosophisch -unhaltbaren Deutung einer Gott-Vaterschaft bedarf, um dem Verstand das -Wunder des Mensch-Seins Gottes verstandesmäßig anzunähern. Keineswegs -wird es hier für geboten oder auch nur für passend erachtet, daß -der Eine Gott in die zwei Gegen-Tätigkeiten, Gegen-Wesenheiten der -_Paternitas_ und _Filiatio_ zerspalten werde, um dem Begriff den -Vorgang von Gottes Erdenwallen ein wenig begreiflich zu machen. Zum -Behufe eindringlicheren Verstehens glaubte sich der Abendländer auf -das plumpe und rohe Gleichnis beziehen zu müssen von der doppelten -Geburt Jesu Christi in der Ewigkeit und in der Zeit, bewirkt durch eine -geschlechtlich-übergeschlechtliche Zeugung im Schoß des göttlichen -Vaters und durch eine geschlechtlich-übergeschlechtliche Empfängnis im -Schoß der menschlichen Mutter: _Et ex patre natum ante omnia saecula; -Et incarnatus est de Spiritu sancto ex Maria Virgine..._ Wo der -Europäer sich in dem Labyrinth dieser halbwegs supernaturalistischen, -halbwegs superspirituellen Ungeheuerlichkeiten hoffnunglos verirrt, -da genügt dem so viel denkgeübteren Geist des Inders der schlichte -Hinweis, daß dieser so und so gestaltige Krischna die diesmalige -Erscheinung sei des ewigen Wesens, die diesmalige Verkörperlichung -des körperlosen Eins-und-Alles, die diesmalige Versinnlichung und -Versichtbarung des unsinnlich-unsichtbaren Urselbstes. Auch hier -ruht die katholische und die protestantische Religiosität in einem -feierlichen Gleichgewicht, aber dies Gleichgewicht ward hergestellt auf -einer ungleich höher gelegenen, freieren, reineren Ebene der religiösen -Erfahrung wie dort... - - -Gott Krischna ist Mensch geworden aus dem ritterlichen, aus dem -abenteuerlichen Bedürfnis des echten Helden. Gott Krischna ist -Mensch geworden, um den Schutzlosen beizustehen, um die Übeltäter -zu bestrafen, um die Gewaltherrscher zu stürzen, um die Leiden der -Wesen zu lindern, um den Edeln eine Stätte zu sein, um die Elenden -zu trösten, um die Kranken zu heilen. Gott Krischna, ihr Christen, -ist Mensch geworden, weil jedes Weltalter verloren geht, dem nicht -zur rechten Zeit der Held geboren wird, -- dem nicht zur rechten Zeit -der Held sich selbst gebiert: denn wer würde je als Held geboren? -Die Welt am Ende jedes Weltalters ist verloren, bis daß sie sich in -der Geburt des Helden wiedergebiert und in des Helden Jugend selber -sich verjüngt: also, ihr Christen, ist Krischna Mensch, ist Krischna -Held geworden! Oder am Ende ist dieser Krischna Mensch geworden, -damit ihm, dem Gott, zuletzt des Menschlichen nichts fremd geblieben -wäre, _humani nihil a se alienum esse_, wie dieses am Schluß der -zwölften Andacht streng wörtlich ausgesprochen wird. „Und was da -immer Menschen bewegt, Menschen erregt und handeln läßt, im Verkehr -untereinander, in ihren verschiedenen Werken, Zwecken und Absichten, -sei es nun, daß sie mit Gewalt oder mit List, durch Überredung oder -durch Geschenke oder selbst durch die Flucht ihre Ziele erreichen: dem -allem wollte der Gott nicht fremd sein.“ Dem allem wollte der Gott -nicht fremd sein, und so schlüpft er gleichsam in Gewand und Rüstung -eines Helden, nicht anders wie in manchen Märchennächten am Tigris -der Kalif Harûn-er-Raschîd in die Verkleidung eines Kaufmanns, eines -Reisenden, eines Pilgrims schlüpfte, halbwegs um nach dem Rechten in -allem Unrechten und Schlechten zu sehen, halbwegs um sich an Abenteuern -zu ergötzen, vornehmlich aber um zu erleben, was sonst nur schlichte -Erdensöhne im Guten oder Schlimmen zu erleben pflegen. Im übrigen, wozu -die Rechtfertigung der hohen Selbstverständlichkeit, daß Gott wesenhaft -alle Gestalten, Personen, Erscheinungen, Wirklichkeiten selber ist, -daß er mithin auch jede einzelne von ihnen zu seiner bevorzugten Maske -ausersehen kann, -- Maske aber ist griechisch πρόσωπον: Eine Usia, Ein -Gott in vielerlei προσώποις! -- die er alsdann mit den unendlichen -Kräften seiner Göttlichkeit zeitweilig lädt und anfüllt. Gott ist ja -alles und verwirklicht sich in allem, warum für dieses eine mal nicht -in der lieblichen Gestalt -- Gestalt aber ist griechisch πρόσωπον: -Eine Usia, Ein Gott, in vielerlei προσώποις! -- dieses halkyonischen -Jünglings? Warum für dieses eine mal nicht im Sohn des Kuhhirten Nanda -und der Mutter Yasodâ, so manchen lieben Tag (wie dann späterhin wohl -auch der evangelische Gottmensch) gewindelt und gewiegt im scharf -duftenden Rinderstall: strahlend in goldener keuscher Fleischlichkeit, -das Herz gewärmt am Busen der zärtlichen Gespielinnen auf den Fluren -der Yamunâ, aber das Haupt geklärt, gekühlt am Gipfelfirn des Himâlayo; -in wonnesamen Vollmond- und Erfüllungnächten mit den Mädchen seiner -Heimat Reihen tanzend und mit ihnen in einem hold bukolischen -Eleusis alle die eigenen Ruhm- und Wundertaten menschlich spielend, -menschlich mimend, die Krischna der Gott begangen. Dieser Hirtenknabe -ist der nämliche und selbe, der die Weltenschlange Kâliya besiegt, den -Stier-Unhold Arischta an den Hörnern packt und auf die Erde schmettert, -die Ringer des Königs Kamsa niederringt und Kamsa-Eurystheus-Herodes -schimpflich tötet. Er ist der nämliche und selbe, der alleinig oder -Schulter an Schulter mit dem Bruder Râma Heersäulen von Feindeskriegern -in die Flucht schlägt und wiederum im anmutigsten, zartesten, -lieblichsten aller Wunder das bucklichte Mädchen schlank und rank -biegt, damit ihm, dem indisch-brahmanischen Herakles in Person, der -zarte evangelische Einschlag nicht mangle vom Heiland als Arzt und -Krankenheiler. Wie denn auch sonst, ihr Christen, evangelische Stimmung -mit soviel Kraft und Reinheit angeschlagen wird, daß sie aus den -Evangelien selbst nur noch wie ein schwacher später Nachklang sterbend -zu uns herüberweht: so in der Schilderung adventischen Himmelfriedens, -adventischer Weltwindstille in der Gnaden-Nacht der irdischen Geburt; -so in der Erzählung vom bethlehemitischen Kindermord, den Kamsa, die -Gottesgeißel, über die Länder verhängt aus Furcht vor dem Stärkeren und -aus Neid auf den Edleren; so im Bericht von Krischnas Taufe durch Indra -auf den Namen Govinda, das ist Rinder-Herr, mit dem heiligen Wasser der -Yamunâ... - -Kurz und gut, es hat Gottes Allmacht hier gefallen, in der Verkörperung -als Hirtenjüngling mit Lächelnsgleichmut Menschenunmögliches zu -vollbringen und das Wunder der Wunder gottmenschlich vorzuleben: -wie der Gott der Götter, wie der Mahâdeva selber, erhaben über alle -Schranken der Gestalt, Persönlichkeit und Bewußtheit und unergründlich -sogar für die Ergründung und Andacht, die Vertiefung und Sammlung, -die Einigung und Anspannung -- Anspannung aber heißt Yoga! -- der -Denker, Büßer, Waldeinsiedler: wie Mahâdeva dennoch Zug für Zug dieser -bestimmte Mensch, Jüngling, Hirte sein könne. Denn fürwahr! Dieser -Mensch, Jüngling und Hirte ist wesenhaft Brahman und wesenhaft Âtman, -ist wesenhaft Brahmâ, ist wesenhaft Wischnu, ist wesenhaft Schiva, -ist wesenhaft Kubera, ist wesenhaft Varuna, ist wesenhaft Yama, ist -wesenhaft alle sinnlichen und himmlischen Götter, ist wesenhaft alle -Halbgötter, Gandharven, Genien, Dämonen, Engel, Elementargeister, -Elemente, Grundstoffe, Gemütskräfte, Lebenserscheinungen, -Weltbegebenheiten, Täter, Taten und Werke. Und wie um diese unendliche -Reihe göttlicher Wesenselbigkeiten und Einerleiheiten ins Unendliche -fortzusetzen, erkennt der hochstaunende Prinz Arjuna in der -Schwesterdichtung des Krischna-Mythos, uns Abendländern seit mehr als -hundert Jahren unter dem Namen Bhagavad-Gîtâ, das ist θεσπέσιον μέλος -oder des Erhabenen Gesang vertraut und teuer wie keine zweite Heilige -Schrift des Ostens geworden, -- erkennt dieser hochstaunende Prinz -Arjuna eben die menschhafte Verleiblichung des _bhagavân_ Krischna -gleichsam als den platonischen ‚Ort‘, den überhimmlischen, aller Arten -und Gattungen, aller Dinge und Wirklichkeiten. Krischna, des Prinzen -Wagenlenker, der ist der Urfeldherr und Urpriester, der Urseher und -Ursänger, der Urstrom und das Urmeer, der Urelefant und das Urrind, -der Urvogel und Urfisch, das Urroß und die Urschlange, das Urwort und -Urwissen, die Urwaffe und das Urwerkzeug. Krischna der Großarmige -mit Wurfscheibe und Schwert, mit Keule, Bogen und Fahne, der ist -Ursprung und Heimgang, Geburt und Tod, Anmut und Einsicht, Entschluß -und Sieg, Größe und Reichtum, Rede und Schweigen, Opfer und Gesang, -Metrum und Ritus, Same und Frucht, Jahrzeit und Luftraum, Wolke und -Stern. Die ewige Entstehung und Vergehung, die ewige Wandlung alles -Geworden-Werdenden, die ewige Stätte in allen Wandlungen ist Krischna. -Die ewige Brunst in allen Zeugungen und Begattungen ist Krischna und -der ewige Rausch der Zerstörungen und Verheerungen: der ewige Schoß -blutender Geburten ohne Maß und Zahl und das ewige Grab faulender -Tier- und Pflanzenleichen. Fratzenhaft schauerlich ist Krischnas, des -goldigen Hirtenjungen, göttlich Gesicht, wie es das übermenschlich -erhellte Auge des Prinzen Arjuna plötzlich neben sich auf dem -Streitwagen vor dem Beginn der Schlacht erspähet: ein tausendgliedrig, -sterneblitzend, flammenrädrig Sonnenlohenungeheuer auf einem Sitz von -Totenschädeln, ohne Einhalt Wesen Wesen Wesen von sich speiend mit -der gebärerischen Wurf- und Schwungkraft jungender Katzen, -- ohne -Einhalt Wesen in sich schlingend mit der scheußlichen Gefräßigkeit -nimmersatter Steppenwölfe... Verehrung aber jenem Seherauge, welches -Krischna den Gott im Menschen Krischna schaute: Verehrung dem -unbestechlichen Auge, welches Gott schaute, wie er ist, und dennoch an -Gott nicht starb! Verehrung jenem Seher, welcher dem unbeschönigten -Gott-Gesicht ehern standhielt, ohne im Irrsinn zu vergehen, ob ihn das -Grausen auch im Eisstrom des eigenen Geblüts erfrieren und gerinnen -ließ! Verehrung ihm, der ehrlich gegen Gott genug und tapfer gegen -sich selbst genug war, um in Gottes Antlitz die Züge teuflischer -Zerstörunglust und -wollust zu gewahren und sie sich selber nicht zu -unterschlagen, wie es die Christen doch wohl (oder übel!) taten, die -ihren Gott zum braven Lämmchen zähmten und zum ‚lieben Gott‘, dem -jedermann sich bierbrüderlich und gemütlich zum Schmollis anbiedern -darf... Verehrung insonderheit auch ihm, der als der erste in der -glorreichen Drei-Gestalt Gottes des Schöpfers, Gottes des Erhalters, -Gottes des Zerstörers just die Vernichtungmächte göttlich zu bejahen -wagte. Und Verehrung endlich denen, die als namenlose Meister diese -Mächte in steinernen Urgesichten sinn-bildender Skulptur zur Majestät -jenes schivaitischen Typus zu gestalten wußten, dessen plastische -Fragmente von der javanischen Hochfläche zu Dieng den späten Europäer -dämonisch tief erschrecken, der sie aus seiner eigenen Selbst-Kenntnis, -Dämon-Kenntnis tief zu erraten weiß... - -Jetzt also siehst du den Menschen, jetzt siehst du den Gott Krischna -von Angesicht zu Angesicht. Jetzt wiederum siehst du kein Angesicht -mehr, sondern gehst in dich selber, gehst in dein Selbst ein und in -dir selbst ins Selbst und Herz aller Wesen und wirst des Wesens inne. -Dich auf dein Du besinnend, einigst du dich mit dir selbst und mit -dem Selbst der Welt, -- dies ist fürwahr _Om_ das Kleinod aus dem -Lotos, _Om çom_ das All und Selbst des All, ruhend in menschlicher -Gestalt, ruhend in göttlicher Gestalt, ruhend in gar keiner Gestalt -auf der weißen Blume deines Geistes im Tempelteich säliger Erkenntnis. -Dermaßen mischt in diesem Mythos aller Mythen sich innigst katholische -und protestantische Frömmigkeit, daß man in keinem Augenblick mit -zuverlässiger Eindeutigkeit behaupten kann, der Gott, der Mensch sei -Täter der heilwirkenden Handlung. Der Täter selbst verharrt in völliger -Durchdrungenheit von Gott und Mensch; seine Gestalt verleiblicht -in sich die Summe sowohl aller welthaften Gestalt überhaupt, wie -dessen, was jeglicher Gestalt spottet. Und dies alles nicht etwa -auf den Umwegen des Christentums, wo der Mensch Jesus an der Natur -Gottes nur teil hat auf Grund seines Gezeugtseins durch den Heiligen -Geist: vielmehr in einer dem Abendländer gar nicht erreichbaren -metaphysischen Unschuld sozusagen auf Grund der Wesenselbigkeit -lebendiger Gestalt überhaupt mit dem Lebensurgrund selbst und des -Lebensurgrundes Selbst! Im Gegensatz zum Christentum gilt es hier für -völlig selbstverständlich, daß jedes Wirkliche noch etwas anderes sei -als das, was es eben sei und scheine, und der Inder wenigstens hat -sich nie den Kopf zerbrochen über das Mysterium des Westens, wieso -und auf welche Weise der Gott Mensch oder der Mensch Gott geworden -sei. Hier wurde, die Wahrheit zu sagen, weder der Mensch Gott noch der -Gott Mensch: hier war er’s, hier ist er’s von allem Anfang an und vor -allem Anfang und braucht es darum nie zu werden oder nie geworden zu -sein. Unser krampfhaft westliches, allzu westliches Bemühen, alle die -Rätsel der Welt und Überwelt _more historico_ durch die Geschichte -ihres Geworden-Seins aufzulösen, entlockte dem Inder, wo er es -überhaupt begriffe, nur ein Lächeln. Er, der geschichtlos Denkende und -geschichtlos Wissende schlechthin, ist sich genau bewußt, daß nirgendwo -in irdischen oder unirdischen Bezirken etwas wird, das nicht schon -ist: daß folglich auch Gott je und je Mensch war und der Mensch je und -je Gott, -- nie aber Mensch wurde oder geworden ist, nicht einmal im -Jahre Null oder im Jahre Eins einer gar absonderlichen Zeitrechnung, -ihr Christen. Das Jahr des Herrn, da das Wort Fleisch ward, deucht den -Schöpfer des Krischna-Mythos und der Bhagavad-Gîtâ von Ewigkeit her, -- -von Ewigkeit her ist der Gott Mensch, ist der Mensch Gott! - -Noch hat es aber damit für den Aufmerkenden eine andere Bewandtnis. Die -abendländische Vernunft, Jahrtausende um dieses Rätsels Enträtselung -sich befleißigend, sie hat sich bekanntermaßen zu ihrem eigenen -Gebrauch etliche Hand- und Fußschellen angelegt, oder richtiger -eigentlich Haupt- und Geistschellen, die sie an jeder freieren -Beweglichkeit behindern müssen. Mit diesen Haupt- und Geistschellen -fesselte die Vernunft des Abendlandes sich selber und nannte ihre -Fesseln die Grundsätze der Logik, als da ist die Grundregel von -der sogenannten Identität, Einerleiheit oder Dieselbigkeit, wonach -jeder Denkinhalt mit sich selber einerlei, und zwar lediglich mit -sich selber einerlei sei; -- die Grundregel ferner vom Widerspruch, -wonach von zwei einander ausschließend widersprechenden Urteilen nur -eins wahr sein könne. Der Grundsatz von der Einerleiheit und der -Grundsatz vom Widerspruch, das war der Bleikiel, der die schwanke -Jacht des europäischen Denkens vor dem Kentern wahren sollte, wenn -sie auslief. Denn offenbar erschien sich dieses Denken selber mit -allzuwenig Gewicht beschwert, um die Gefahr des Kippens und Kenterns -nicht vor allen Gefahren zu fürchten. Was nun allerdings die zweite -dieser Vernunftregeln betrifft, die angeblich zeitlos gültig und -allgemein sind, so kann es dem halbwegs vorurteilfreien Beobachter der -europäischen Wissenschaften auf die Dauer ganz unmöglich ein Geheimnis -bleiben, daß sämtliche Systeme der großen Dialektik den Satz vom -Widerspruch entweder ausdrücklich mit Worten oder aber tatsächlich -außer Kraft gesetzt haben. Von Herakleitos dem Hellen bis auf Nietzsche -und von dem Stagiriten bis auf Kant, Hegel, Marx ist die abendländische -Philosophie zuletzt nichts anderes gewesen als das mit mehr oder -minder tauglichen Mitteln unternommene Wagnis, wenigstens diese -hinderlichste aller Fesseln einer unbefangenen Erkenntnis zu sprengen: -mit immer größerer Rücksichtlosigkeit ward der Vernunftwiderspruch, -die Kontradiktion und Kontraposition, die Antithesis und Antinomie -wie ein Sporn in die Flanke der Welt gebohrt, der sie vorwärts zu -rasender Bewegung stachelt. In ihrer sogenannten Logik scheint mithin -die Abendlandwissenschaft den Satz vom Widerspruch nur aufgestellt zu -haben, damit sie ihn in ihrer sogenannten Dialektik wieder aufzuheben -vermöchte, und gleichsam um sich für diese freche Verwegenheit selbst -zu strafen, hat dann die Vernunft des _homo europaeus_ an dem anderen -Grundsatz von der Dieselbigkeit und Einerleiheit mit desto strengerer -Treue festgehalten. Jedweder Denkinhalt ist mit sich selber einerlei -und lediglich mit sich selber, so urteilt die westländische Vernunft -in der unerschütterlichen Überzeugung, hier als ‚Vernunft überhaupt‘ -zu urteilen, -- und noch hat sich keine Dialektik und noch nicht -einmal eine Sophistik erdreistet, das Zeichen der Frage auch hinter -diese Denkfessel und Denkhemmung zu setzen. Jeder Denkinhalt ist -mit sich selber einerlei, urteilt nun freilich auch die Vernunft -jener indischen Rasse, welcher wir Veda, Upanischaden und die großen -Epen zu danken haben, -- aber der Denkinhalt Gott, fügt dieselbe -Vernunft eilends berichtigend hinzu (und eilends beschwichtigend), der -Denkinhalt Gott ist einerlei mit sich selber und zugleich einerlei -mit allen Denkinhalten und Weltinhalten sonst. Gott ist er selber, -und hinsichtlich dieser Unumstößlichkeit bleibt der Satz von der -Identität durchaus gültig. Aber Gott ist außerdem alles, was ist und -doch nicht Gott ist, und hinsichtlich dieser Unumstößlichkeit gilt der -Satz von der Identität für Gott nicht. Alles was ist und Gott nicht -ist, ist letzthin doch Gott, ist letzthin doch Gott-Selbst; Gott als -dem Urselbst ist es gemäß, Er-selbst und Es-selbst zu sein und daneben -noch sämtliche Wesenheiten und Dinge, benennbare und unbenennbare, -wahrnehmbare und unwahrnehmbare. Gott ist es gemäß, sich in das -Doppel- und Wider-Sein des Ich-Nichtich zu spalten und jedwede Gestalt -des Leibes, jedwede Gestalt des Geistes gütig anzunehmen und alle -aneinander zu reihen, ohne sich mit einer einzelnen Gestalt der Reihe -oder auch mit allen zusammen seinem Begriff nach zu decken. Gott ist -Gott und Gott ist nicht Gott und Nicht-Gott, beides auf seine göttliche -Weise. Gott ist Gott, aber Gott ist auch Ich-Nichtich, Gott ist auch -Subjekt-Objekt, Gott ist auch Puruscha und Prakriti, Gott ist auch -‚Feldkenner‘ und ‚Feld‘, Gott ist auch Prajâpati und Mahâmâyâ, Gott -ist auch Sein und Nicht-Sein, Gott ist auch die fünf Elemente und die -Qualitäten, Gott ist auch das Wesen und die Wesen zumal. Wohl sagt -Gott: Ich bin Ich. Aber Gott sagt imgleichen: Ich bin Du und Du bist -Ich, und Ich bin Es und Es ist Ich. In der Kauschîtaki-Upanischad wird -der abgeschiedenen Seele die nie zu vergessende Antwort, das nie zu -vergessende Urwort gleichsam als Lösewort in den Mund gelegt, wenn ihr -der Himmelspförtner Mond die Frage aller Fragen vorlegt: Wer bist Du? --- Du bin Ich! Mit diesem ‚Du bin Ich‘ kann die abgeschiedene Seele in -den Himmel eingehn, von welchem sie herkommt, und mit dieser Antwort -ist Indiens unsterbliche Seele wahrlich in den Himmel eingegangen. Du -bin Ich, Mond bin Ich, Himmelspförtner bin Ich, alle Himmel selber bin -Ich und aller Dinge Himmel und Überhimmel. Also vollendet sich die -indische Schauung der Identität, indem sie alle Identitäten sprengt; -also erfüllt die indische Selbst- und Gotterfahrung den Satz von der -Einerleiheit und Dieselbigkeit, indem sie ihn aufhebt. Alles Seiende -ist eins mit sich und eins mit allem anderen Seienden: Nichts ist -eins mit sich allein und Nichts ist nicht eins mit allem anderen. -Und nicht empedokleisch, ihr Christen, dürfen wir dies verstehen, -als ob der indische Mahâdeva zu sich selber spräche: Einst war Ich -Knabe und Mädchen und Busch und Vogel und flutenttauchender stummer -Fisch. Sondern vedisch und upanischadisch und episch sollen wir es -verstehen: Stets bin Ich Knabe und Mädchen und Busch und Vogel und -flutenttauchender stummer Fisch: stets bin Ich alles, was ist und -nicht ist zumal und jetzt und immerdar, und nicht etwa nach der Reihe -im Nacheinander der Zeit. Dieweil der indische Gott Er selber und -darüber hinaus das ist, was nicht Er selber ist, erweist er sich in -der Sprache der Vernunft als einerlei und vielerlei in einem, als -dieselbig und unterschieden in einem. Seine Identität aber beruht -darauf, daß in bezug auf ihn alles die eigene Identität verliert, um -die Identität Gottes zu gewinnen, die offenbar höher und tiefer ist -als alle Vernunft. Daß ein Denkinhalt er selber ist und zugleich -noch anderer, -- das ist mithin in Rücksicht auf Gott die indische -Fassung des Grundsatzes von der Einerleiheit und Dieselbigkeit, -auf das Bedeutsamste unsere abendländische Fassung ergänzend und -vervollständigend, aufhebend und überwindend. - -Und dennoch ist diese tiefste und fruchtbarste aller Paradoxien, -Paralogien irgendwie eingedrungen auch in unsere westliche Welt, wenn -nicht in die Wissenschaften und wenn nicht in die Religionen, so doch -wenigstens in unsere Märchen, und zwar am duftigsten, ahnungreichsten, -erinnerndsten, ihr Deutschen, in unser deutsches Märchen. Im deutschen -Märchen, welches sich selbstherrlich seine eigenen Gesetze und seine -eigene Vernunft zu schaffen wußte, im deutschen Märchen säuselt -und wispert ein Hauch dieses indisch-unnennbaren Fühlens und hebt -sehnsüchtig an zu singen und zu klingen, wie eine Quelle in der Nacht -zu singen und zu klingen anhebt, da untertags der Tag dem Tag allein -Gehör gab. Erinnerungen, köstliche und nie versiegte sind es, wenn -beispielweise in den Volksmärchen des Musäus der Berg- und Erdgeist -Rübezahl brahmanisch hinüber- und herüberwechselt in Gestalt und Person -eines Riesen, eines Köhlers, eines Ritters, eines Handwerksburschen, -eines Prinzen, eines Ratsherrn, und sich bald wischnuhaft als Erhalter -und Beschützer, bald schivahaft als Verderber und Zerstörer kundgibt. -Und lebhaftere, stärker glühende Erinnerungen an Indien sind es, -vielfach schon am Bewußtsein der eigenen Sehnsucht bewußtgenährt -und gekräftigt, wenn etwa in Hoffmanns romantisch-klassischem Kunst- -und Künstlermärchen vom Goldenen Topf der Geheime Archivarius -Lindhorst gar wundersam proteisch behaust ist in seinem Bücher- und -Handschriftenzimmer zu Dresden, jetzt Archivarius und Beamter in -Königlich Sächsischen Diensten, jetzt Element, jetzt Feuergeist, -jetzt Geisterfürst, jetzt Salamander, jetzt Feuerlilienbusch, jetzt -brennender Arrak; wenn ferner (und wer weiß wie ferne schon?) -dieses Gemaches azurne Schimmerwände von goldenen Pilastern brauner -Palmbaumschäfte edel aufgeteilt erscheinen, die Blattrippen aber der -Palmbaumkronen sich zur runden Kuppel wölben aus Smaragd und Schaft -wie Blatt und Krone in einem sanften Mittagwind sich wiegen; wenn -unter dieser Kuppel dann von Smaragd Student Anselmus manch magisch -Pergament mit Fleiß kopieret (als welches Lindhorst in Gestalt von -Blättersprossen aus dem Schaft der Palmen zog), um sich das Schlänglein -Serpentina, des Salamanders Tochter, durch peinlichst saubere, -peinlichst genaue Nach- und Abschrift der unleserlichen Hieroglyphe -‚Schöpfung‘ gleichsam zu erschreiben... Wenn irgendwo, so steigt es -hier, ihr Abendländer, wahrhaftig in uns Abendländern purpurn auf mit -einer Melodie, die Herz und Seele wie eine Traube herbstlich schwellen -macht vom Saft des eigenen Bluts: Kennst du das Land?... - -Als Krischna der Hirtenjüngling, als Krischna der Held, als Krischna -der Wohl- und Wundertäter abenteuert also, verstehen wir endlich -diesen Sachverhalt in seiner unermessenen Wichtigkeit richtig, der -ewige Gott Wischnu in der Welt umher, -- gleichsam einem tiefsinnigen -Wort zur vollkommenen Erläuterung, welches Hegel zur Kennzeichnung -des indischen Geistes nutzte: „Es ist Gott im Taumel seines Träumens, -was wir hier vorgestellt sehen.“ Es ist Gott im Taumel seines -Träumens, ihr Christen, der hier als Krischna-Wischnu gottmenschlich -die Welt durchstreift. Und eben weil dieses sich so verhält, wird -nicht nur jedes Abenteuer des Helden Krischna zugleich als Heilswerk -und Heilstat Gottes selbst gewerkt, sondern muß außerdem auch von -der nachträglichen Betrachtung in solcher Doppelsinnigkeit durchaus -gewürdigt werden. Unmöglich zu sagen, ob der Mensch als Mensch oder -ob der Gott als Gott Urheber dieser Werke und Vollbringer dieser -Taten sei. Entscheiden wir uns für Gott, so ist es Gott doch nur -in der Gestalt des Hirtenjünglings Krischna, welchem kraft dieser -angenommenen Gestalt des Menschlichen nichts fremd geblieben ist. -Entscheiden wir uns aber für den Menschen, so ist es der Hirtenjüngling -Krischna nur im Vollbesitz der göttlich in ihm angehäuften, angestauten -Weltenkräfte, der soviel Wunderbares tut. Darin besteht eben nach -indischem Erleben das Mysterium der Gottmenschheit, daß es in keinem -Augenblick gottmenschlichen Daseins möglich ist, den Nachdruck -allein aufs Göttliche oder allein aufs Menschliche zu legen: Gott -ist Mensch, und Mensch ist Gott auf Grund einer nichtidentischen -Identität beider, indes der abendländische Mythos den Heiland -Mensch geworden sein läßt vermöge einer mehr wie fragwürdigen -geschichtlichen und einmaligen Vaterschaft des Heiligen Geistes, der -gewissermaßen in Stellvertretung des Jahve-Hypsistos den Schoß der -Jungfrau Maria in übergeschlechtlicher Begattung schwängert. Derart -ist Jesus bei Lebzeiten eigentlich nur Mensch, Gott aber wesentlich -nur vor der Empfängnis im Fleische der Mutter Maria und abermals -nach seiner Himmelfahrt, wohingegen Krischna just bei Lebzeiten und -während des irdischen Wandels Gott ist. Mangels einer zureichenden -Metaphysik bleibt Jesus im Weltbild des Abendländers eine einmalige -Ausnahme-Erscheinung der Zeit, die wenigstens für den verständigen -Christen etwas Anstößiges, ja Unheimliches nie ganz abzustreifen -vermag: jedoch in Indien kann sich der Vorgang Krischnas unendlich -und grundsätzlich wiederholen und hat sich wirklich auch wiederholt. -In unterschiedlosem Durchdrungensein ist Krischna durchaus Mensch -und durchaus Gott, dieweil es Gottes tiefste und höchste Eigenheit -bedeutet, Er selbst und ein anderer zumal zu sein. Ob er aber für den -Zuschauer von außen im Augenblick mehr dieser oder im Augenblick mehr -jener sei, das hängt vom Zuschauer ab und des Zuschauers Stellungnahme, --- das hängt von des Zuschauers Kraft der Zusammensichtung ab und von -seiner Gabe der Ineinanderschau. In der religiösen Geographie und -Kosmographie jedenfalls bedeutet Krischna die Mittaglinie oder den -Gleicher, wo die Weltkugelhälfte Gott mit der Weltkugelhälfte Mensch -in ihrem größten Kreis Berührung und Gemeinsamkeit findet, also daß -eine bessere Ausgleichung zwischen Gott und Mensch schlechterdings -nicht mehr vorstellbar ist. Dieser Mythos gibt mit unübertrefflicher -Gerechtigkeit Gott, was Gottes ist, und dem Menschen, was des Menschen -ist. Und wenn jemals auf dieser Erde die katholischen und die -protestantischen Grundmächte der Religion in ihrer _balance of power_ -verharren, so geschieht es hier im Indien des epischen Weltalters -und jener epischen Weltfrömmigkeit, von der uns die Bhagavad-Gîtâ -eine Probe kosten läßt. Wäre ein menschlicher Zustand denkbar, in -welchem alle geistleiblichen Spannungen gelöst erscheinen und wo kein -innerlich-äußerliches Gefälle mehr zu bemerken ist, dann wäre kein -Absehn, warum mindestens die führenden Religionen des Südostens diesen -in seiner Art vollkommenen Urstand erworbenen Gleichgewichts der beiden -Hauptgewichte des religiösen Daseins hätten aus freier Entschließung -je preisgeben sollen. Gesetzt, ein solch vollkommener Urstand wäre -auf die Dauer möglich oder könnte selber Dauer werden, -- der Mythos -vom Gottmenschen Krischna wäre als höchstgültige, ja endgültige -Stufe menschlicher _religio_ überhaupt zu werten, als schlechthin -reifste Kristallisation religiöser Lebens- und Seelenmächte: ein für -allemal dadurch ausgezeichnet, daß er katholische und protestantische -Strebungen noch auf ganz andere Weise miteinander zu versöhnen weiß -als der Mythos vom Christus. In diesem Fall verkörperte der Mythos -vom Krischna die Religion als solche, die einzige, die uns Menschen -völlig gemäß wäre und frömmstes Hingegebensein an Gott mit innigstem -Hingegebensein an den Menschen für immer verschmölze zu einer Formung, -Bindung und Verpflichtung ohne Vorgang und Vergleich. Hier gattete sich -höchstes Schöpferglück über ein welthaft irdisches Gestalten ohne Maß -und Schranke mit tiefster Erlöserlust an weltlich-irdischer Entstaltung -und Verlöschung. Hier brauchte sich nicht länger schmerzlich mehr der -Gott des Menschen oder der Mensch des Gottes zu schämen und einer den -anderen dreimal verleugnen, ehe daß es Tag wird... - -Inzwischen gibt es nirgendwo ein Leben, seines Namens würdig, das -auf die Dauer ohne Unterschiede der inneren und äußeren Spannung, -des leiblichen und seelischen Gefälles bestehen könnte. Nirgendwo -gibt es ein solches Leben, weder im Umkreis des bloß gelebten, recht -eigentlich noch pflanzenhaft-tierhaften Lebens, noch im Umkreis des -schon vollbringenden und wirkenden, recht eigentlich menschlichen -Lebens, -- so wenig wie es eine Musik aus lauter Pausen gibt. Wer -näher an den Krischna-Mythos herantritt und die Goldworte dieses -himmelschönen Gedichtes auf der Goldwage des Geistes prüfend wägt, -der gewahrt denn auch bald in ihm die Kräfte schon heimlich am Werk, -welche die Gewichte früher oder später nach der einen, nach der anderen -Richtung hin verschieben müssen. Es mag vielleicht der seltensten, -reichsten, reinsten Ahnung da oder dort enttagen, daß Gott und Mensch, -Wesen und Wirklichkeit, Selbst und Dasein in Wahrheit Eins-und-Alles -sind. Derartiger Ahnung mag es in gnädiger Geberstunde wohl enttagen, -daß Gottes Urselbst gewissermaßen drei Gürtel, drei Zonen, drei Lagen -mit sich selber fülle: nämlich die Zone der gestaltlosen Gottheit -oder auch die Brahman-Âtman-Zone; die Zone ferner der gestalthaften -Götter oder auch die Brahmâ-Wischnu-Schiva-Zone oder schlechtweg die -Krischna-Zone; die Zone endlich der Weltwirklichkeit-Menschwirklichkeit -oder auch die Prakriti-Zone, das ist die Zone der natürlichen Schöpfung -oder _natura naturata_. Diese drei Zonen, Gürtel oder Lagen des -Seins, sag’ ich, fülle das göttliche Urselbst mit seines Urselbstes -Götterkräften, und daß sich dieses also verhält, werde der Erkenntnis -in Offenbarungstunden offenbar. Ob aber indes Gottes Urselbst auch -diese Lagen der Dreiwelt zu seinem Teil stätig fülle, wie etwa ein und -derselbe Wind das Segel der oberen, das Segel der mittleren, das Segel -der unteren Ra füllt, -- der Mensch ist zu seinem Teil doch zu wenig -Gott, um die Dreiwelt gleichmäßig und stätig zu seinem Teil zu füllen. -Sicherlich! Für Gott und von Gott her schließen sich mitnichten aus: -Krischna das ewige Selbst der Welt, Krischna-Brahmâ Krischna-Wischnu -Krischna-Schiva jenseit hiesiger Menschenwelt, und Krischna der blonde -Hirtenjüngling auf den Gefilden der Yamunâ. Für Gott und von Gott her -schließen sich diese drei nicht aus und vielleicht auch nicht für den -Brahman-Kenner und vom Brahman-Kenner her, wenn sich auch freilich -hier schon Schwierigkeit auf Schwierigkeit türmt. Jedoch der tätige -Erdensohn, der es im Wissen allein und ununterbrochen nicht aushält, -ja der nicht einmal als Brahman-Kenner und -erkenner den Zustand -Brahman-Âtman dauernd aushält: er drängt zu eindeutiger Entscheidung, -welch einer der Dreiwelten Gottes er sich nun seinerseit heilstätig und -werksälig zu widmen habe. Zwar gibt es der Zugänge zu dieser ummauerten -Feste der göttlichen Dreiwelt gleichfalls drei, sämtliche ins Herz der -Feste führend. Zum Âtman-Brahman führt der Erkenntnis-Vertiefungs-Pfad -empor oder sonst _jñâna-mârga_ geheißen; zum -Brahmâ-Wischnu-Schiva-Krischna führt der Verehrung-Andacht-Pfad empor, -sonst etwa Minne-Liebes-Pfad oder _bhakti-mârga_ geheißen; und wo Gott -nicht ist, vielmehr Prakriti die Natur alleinig waltet und neben, -außer, mit ihr vielleicht Puruscha, der Geist, das Ich noch, da führt -am ehesten der Taten-Werke-Pfad zum Heil, sonst wohl auch _karma-mârga_ -geheißen. Von diesen drei Pfaden bewirkt nun freilich jeder einzelne -auf völlig gleiche Weise das, was Not tut und Not wendet, und kein -Suchender geht fehl, der einen von ihnen auswählt und diesem in Treuen -folgt. Aber das ist es ja eben, daß von diesen dreien ein einziger -erwählt sein muß, da unmöglich alle drei von ein und demselben Menschen -zugleich: mit einiger Hoffnung auf Erfolg nicht einmal nacheinander -beschritten werden können. Keineswegs gedeiht ja jedes Wesen in -jeglicher Umwelt; keineswegs bewegt sich ja dasselbe Lebendige im -Wasser, auf der Erde, in der Luft mit ähnlicher Leichtigkeit und -Behendigkeit; keineswegs wohnt ja ein und derselbe Mensch in jedem -Gürtel der göttlichen Dreiwelt mit demselben Behagen, mit derselben -Angemessenheit. Die Bhagavad-Gîtâ zwar, ihr Christen, sie finden -wir mit übermenschlicher Gerechtigkeit beflissen, allen drei Pfaden -die nämliche Wahrheit, Zuverlässigkeit, Richtigkeit zuzugestehen, -und wenig indische Fragen haben der europäischen Gelehrsamkeit so -viel fruchtlos scharfsinniges Kopfzerbrechen verursacht wie diese -großmütige Unbefangenheit, mit welcher hier das Geheimnis menschlicher -Erlösung _sub specie_ Gottes und göttlicher Allgerechtigkeit durchaus -erörtert und gewiesen wird. Nur dürfen wir nie vergessen, daß hier Gott -Krischna von seinem göttlichen Adspekt aus spricht, und wem würde es -entgehen, wie unermeßlich hoch und fern dies göttlich Lied über das -Menschengehör Arjunas hinaustönt! In unausschöpflicher Symbolik ist es -gerade hier der Gott, der Erkenntnis-Vertiefung, Verehrungs-Andacht, -Taten-Werke gleichmäßig gelten läßt, indes schon Arjuna dies übermäßige -Gleich-Maß Gottes nicht fassen und noch weniger zum Muster nehmen kann -und kann, -- und dieser sehr fromme Prinz Arjuna ist doch wahrhaftig -nicht jeder Beliebige, wahrhaft noch nicht ‚Mensch schlecht-weg‘ oder -‚Mensch schlecht-hin‘... Wie wahr und richtig, -- der Herr der drei -Reiche wählet nicht: denn seiner sind ja die drei Reiche! Wie wahr und -richtig, -- vor Gott ist alles gleich, denn schon wofern es ‚ist‘, -wird es von Gott mit gleicher Kraft gesetzt, mit gleicher Kraft -erhalten! Aber den Menschen schielt alles aus einer Ecken an und wird -darum schief und verkürzt sich und verwinkelt sich, -- ewig bleibt dem -Menschen die Welt als Gleichung unausrechenbar mit ihrer Einen und -Ewigen Unbekannten. So hat denn in der Folge geschichtlich die Religion -des Vedânta die Heilsübung Erkenntnis-Vertiefung vorwiegend geübt und -die Heilsübung Verehrung-Andacht oder Taten-Werke vernachlässigt. So -hat die Religion der Bhagavatas die Heilsübung Verehrung-Andacht oder -Minne-Liebe vorzüglich geübt und die Heilsübung Erkenntnis-Vertiefung -und Taten-Werke vernachlässigt. So hat die Religion des Sânkhyam -die Heilsübung Taten-Werke mit Vorliebe geübt und die Heilsübung -Andacht-Verehrung und Erkenntnis-Vertiefung vernachlässigt. Was hilft -es uns Heils-Wählern und Heils-Wägern also, das göttliche Urselbst -der Welt Krischna als den Herrn der drei Reiche zu preisen, indes wir -uns gezwungen sehen, die eindeutige Auswahl unter den drei Reichen -ohne Schwanken zu treffen? Was hilft uns der göttliche Adspekt des -göttlichen Lieds, indes wir sehr menschlich eins dem andern vorzuziehen -haben und eins vor dem andern zu bewerten, indes wir die Rangordnung -zu wahren, die Gewichte zu verteilen, das Wichtigere hervorzuheben -und auszuzeichnen, die Stelle zu beziffern, die Stufe zu zählen, das -Wahre vom Falschen zu sondern und die Gewißheit vom Wahn, das Seiende -am Nicht-Seienden zu prüfen und den Schein vom Wesen abzuschäumen -haben, und dies alles, wir mögen uns drehn und wenden wie wir wollen, -so menschlich als irgend nur möglich? Was nützt und hilft es uns -Heils-Wählern und Heils-Wägern, Krischna das hohe Selbst der Welt -als Wissen zu verehren, wenn sich das Wissen sofort im Geist dem -Nicht-Wissen paart und widerpaart; -- was nützt und hilft es, Krischna -als die Wahrheit anzubeten und zu verkünden: Gott ist die Wahrheit, -wenn sich der Wahrheit unverzüglich im Geist die Täuschung zugesellt -und widergesellt: also daß Krischna der Gott Wissen und Nicht-Wissen, -Wahrheit und Irrtum zumal ist! Dem Diener Gottes obliegt es, zwischen -diesen leidigen Gegenwelten genau zu scheiden und was der Gott göttlich -zusammensichtet, menschlich zu entzweien. Krischna, ja Krischna ist -alles. Aber welcher Mensch wäre Krischna und welcher Mensch wäre -- -alles? Im Ozean von Krischnas Dreiwelt treibt der Mensch als Wrack und -sucht mühsälig ein Steuer, um etwas wie einen Kurs einzuschlagen und -eine Richtung zu halten auf seiner Fahrt, die wahrlich nicht gefahrlos -ist... - -Mit einem erhabenen Freimut, der in unseren eigenen Heiligen Schriften -nirgends seinesgleichen hat, offenbart gerade der Mythos diesen -fragwürdigen Sachverhalt. Wo die Bhagavad-Gîtâ einen köstlichen -Atemzug lang die exzentrische Stelle einzunehmen imstand ist, von -welcher her der Mensch die Welt als göttliches Erlebnis seiner -menschlichen Tat anpaßt, verfährt der Mythos umgekehrt sehr menschlich, -indem er den Gott schonunglos just dort entblößt, wo diesem die -Blöße am peinlichsten sein muß. Gegen Ende des Mythos nämlich hält -Krischna-Wischnu seinen Reitvogel Greif vor der Burg des Himmels an, -um dort gemäß der guten Sitte der Göttermutter Aditi seine Aufwartung -zu machen. Bei diesem Empfang nun geschieht es, daß seltsame Worte von -der Göttin zum Gott gesprochen werden, vorwurfsvolle und anklägerische -Worte, die den Gott aufs äußerste belasten müssen, wenn anders er -hinter ihre Höflichkeit zu horchen feinhörig genug ist, die auch -hier eine indisch vollendete ist. „Du bist alle Götter“, mit dieser -Gebetformel leitet auch Aditi ihre Ansprache huldigend ein, „du bist -alle Götter, alle Genien und Menschen; du bist alle Tiere, Bäume und -Gräser: alles Große, Mittlere und Kleine, alles Ungeheure und Winzige, -alles Einfache und alles Zusammengesetzte. In Trug hüllst du die ein, -die deine wahre Art nicht kennen, die Toren, wenn sie im Wesenlosen -das Wesen suchen. Die Vorstellung ‚Ich bin‘ und ‚Das gehört mir‘ sind -trügerischer Schein, den die Mutter des Wandeldaseins im Verein mit -dir, o Herr, hervorbringt. Die tüchtig sind und dich verehren, gelangen -über diesen Trug hinweg und finden Freiheit im Herzen. Brahmâ und -alle Götter, Menschen und Tiere sind insgesamt einzeln in das dichte -Dunkel des Wahns getaucht, in den Abgrund deiner Täuschungen. Daß -einer, der dich verehrt, doch Wünsche hegt und am Leben hängt, auch -das, o Herr, ist nur ein Trugbild, von dir geschaffen. Du spielst mit -deinem Zauber und verführst die Menschen, daß sie, dich verehrend, -Ruhm und Nachkommen und Vernichtung der Feinde begehren statt ewiger -Erlösung. Es ist die Folge ihrer falschen Taten, daß Toren dich um -solches anflehn, gleichwie als ob man, um seine Blöße zu bedecken, -den Wunschbaum, der alles gewährt, um einen Fetzen Tuch anflehte! Sei -gnädig, Unvergänglicher, du Urgrund des Irrtums, der die Welt einhüllt! -Zerstöre den Trug, der sich aus der Wahrheit erhoben hat“... - -Welch ein Gebet aber ist dies, ihr Christen, an dieser denkwürdigen -Stelle von Aditi, der Mutter der zwölf Adityas, der Mutter aller -Götter, zum Gott in höchster Person gesprochen; -- ein Gebet, wie -es gleich erschütternd vielleicht nur einmal noch in den Heiligen -Schriften Indiens emporstieg, und zwar in der Mahâbhâratam-Episode -von Nala und Damayantî, wenn Damayantî, die Liebliche, zu den vier -Himmlischen fleht, die alle die Gestalt ihres Geliebten Nala angenommen -haben, um sie bei der Gattenwahl schmählich zu täuschen: die Götter -möchten sie doch länger nicht mit Trug und List umgaukeln und ihr -die Wahrheit offenbaren... Welch ein Gebet ist dies aus unerhörter -Ratlosigkeit des Herzens und Gewissens, die sich getrieben fühlt, den -Gott selber als Urheber jenes tiefsten Mangels anzuklagen, welcher -recht eigentlich den Menschen zum Geschöpf des Elends stempelt: des -Mangels an zuverlässigen Unterscheidung-Merkmalen zwischen Wissen -und Nicht-Wissen, zwischen Wesen und Un-Wesen, zwischen Wahrheit und -Wahn, -- des Mangels an einem runden Ja-oder-Nein, an einem klippen -Entweder-Oder, an einem lauteren Icht oder Nicht! Welch ein Gebet zum -‚Urgrund des Irrtums‘, der von Aditi auf solch eigene Art gepriesen -noch nach dem Wort des Mythos ‚fein lächelt‘ und fein lächelnd dankt! -Welch ein Gebet des höchsten Gottes zu ihm selber, des All-Einen, -All-Einzigen und Ein-und-Alles zu ihm selber, der diese Dreiwelt -selber ist, aber eben darum das menschlich Unentbehrlichste stets -schuldig bleibt, das zweifellösende, entscheidungfällende: ‚Wähle -dieses und lasse jenes! Bevorzuge vor jenem dieses! Meide solches und -vollbringe solches! Verwirf dies eine um des andern willen!‘ Welch -ein zermalmendes Eingeständnis der grundsätzlichen Unverrückbarkeit -der Grenzen Gottes und des Menschen, der ewigen Geschiedenheit ihrer -Beschaffenheiten und Standorte, ihrer Gewichte und Maße, ihrer Wege und -Ziele. Welch eine Waberlohe, an des eigenen Lebens, an des Eigenlebens -Flamme himmelhoch entzündet, die unüberschreitbar Mensch wie Gott -umlodert und umloht wie jenen alten Vorzeitkönig Mutsukundo in der -Felsenhöhle, den Krischna der Gott selber nicht zu wecken wagen darf, -will er nicht selber stracks zu Asche weiß verbrennen... Gott also ist -es selber, der seinen Zauber lügnerisch spielen lässet den Menschen zur -Verführung, daß sie törichtste Wünsche hegen und statt ewiger Erlösung -entbehrlichste Güter erstreben. Gott selber umgaukelt frevlerisch den -Sinn und umbuhlt die Sinne mit den Fratzen der Gestalt, um von den -Dummen dort am ehesten ernst genommen zu werden, wo er am mutwilligsten -spaßt. Gott selbst pflanzt dem Menschen die blinden Leidenschaften -ein und zieht selbst seine Triebe ab von dem Ziele, was ihm hüben wie -drüben zum Heil gereicht. Gott selbst flößt dem Menschen die Welt ein -wie den Rauschtrank Soma und macht ihn auf den Beinen torkeln und im -Haupte schwindlig, so daß er auf ebener Straße stolpert und über seine -eigene Zunge stürzt. Gott selbst wertet alle Dinge gleichviel, und das -heißt gleichwenig; -- gleichviel, und das heißt gleichwenig, gilt vor -ihm der vedische Gesang und ein Gassenhauer. Gott selbst, der alles -angleichende und ausgleichende, gleicht einem liebestollen Weibe, dem -alle Männer recht sind und alles Mannes-Ähnliche am Weibe, wenn es -nur Wollust schafft und dort am heftigsten kitzelt, wo die Wollust -ihren Nerv hat. Zu allem aber, was du sagst und nicht sagst, o Aditi, -lächelt der ewige Krischna mit jenem ewigen Zynismus, der unstreitig -das göttlichste Vorrecht seiner Götterrechte je gewesen ist. Er lächelt -fein zum Abschied, und unergründlich eher noch als fein, und küßt dir, -menschkundigste Mutter du der Götter, zum Abschied deine liebe Hand und -huldigt seinerseit auch dir, in jeder Geste _uomo galante_ und jeder -Zoll ein _caballero_ (vergebens schau’ ich hier, ihr Deutschen, nach -einem deutschen Worte aus): „Sei gnädig auch du, und gewähre mir deine -Gunst“... - -In dieser Ansprache, unsäglich zart die Andacht zum Gott fädelnd an die -Anklage wider Gott, in ihr, wie glatt und anmutig sie auch dahinfließe, -gärt und siedet dennoch eines der stärksten unterirdischen Beben, -welche die Religiosität der indischen Menschheit je erschüttert -haben. Noch ist Krischna Meister, Herr und Mahâdeva, noch ist er -Gott aller Götter und Auge der Welt, noch ist er Eins-und-Alles und -All-Eines, noch ist er Urselbst und Kern der drei Reiche. Aber schon -meldet sich der bedürftige Mensch und mehr noch die menschliche -Bedürftigkeit, welche beide der Gott, aller Allmacht unbeschadet, nicht -zu stillen weiß. Hinter den vielkantig geschliffenen Worten dieser -Andacht-Anklage geistert eine unausgesprochene und unaussprechliche -Hinterwelt von schweren Zweifeln und Anfechtungen, wie hinter den -Rautenflächen eines vielkantig geschliffenen Diamanten die Urfeuer -der Tiefe sprühen. Denn je mehr Gott Er selber ist, desto weniger ist -es ihm gegeben, die menschliche Bedrängnis wirklich zu teilen, und -je weniger er diese teilt, desto weniger vermag er sie abzustellen. -Der vollkommene Gott, vollkommen, weil nichts ihm gebricht und er an -jeder Stelle dicht ist und stätig, rund und ausgefüllt, er gleicht -fürwahr dem ewigen Sphairos jenes griechischen Xenophanes: wie sollte -er da der unvollkommenen Menschlichkeit ‚in ihres dritten, zweiten, -ersten Viertels bedauerlicher Schwindung‘ innewerden, -- wie sollte -er gewahren, was diesem armen Menschen taugt und frommt. Aus Laune, -Zufall, Spielerfreude oder aus Gott weiß für Gründen oder Ungründen -schuf der vollkommene Gott diese Welt; aber diese Welt geriet ihm -leider minder vollkommen, als er selbst, der Gott, vollkommen ist, und -so leidet der Mensch, auf unvollkommener Welt der unvollkommene Nächste -seines Gottes, schwer unter der Unvollkommenheit der Welt und am -schwersten unter der Unvollkommenheit des Menschen. Die Gürtel, Zonen -und Striche dieser Welt füllt Gott mit seinem Atem, aber des Menschen -Atem bläst unendlich schwächer als der Atem Gottes, und so bläst er -schnell sich leer, und leer geblasen deucht ihn seine Umwelt. Gewiß ist -da verkündigt und gewiesen: wer den Erkenntnis-Vertiefungs-Pfad eifrig -und treu bis ans Ende wandelt, dem winkt Vergottung, und gleicherweis -wer den Verehrung-Andachts-Pfad eifrig und treu bis ans Ende wandelt, -dem winkt Vergottung. Wer Brahman-Âtman durchaus kennt und erkennt, -wird Brahman-Âtman; wer Brahmâ-Wischnu-Schiva von ganzem Herzen verehrt -und liebt, wird Brahmâ-Wischnu-Schiva. Aber das ist es ja eben, daß -weder das Brahman jenseit aller Maske und Gestalt noch die heilige -Trimûrti oder Gottdreigestalt einen Finger rühren oder auch nur eines -Fingers Glied, damit der Gottsucher an seinem Ziel anlange. Das Brahman -zu wissen, das ewige Es und Überstaltige, dies ruht ausschließlich auf -dem Menschen, der des Brahmans bedürftig ist, nicht aber umgekehrt -das Brahman des Menschen, -- und genau so ruht es auf dem Menschen, -den höchsten Brahmâ und Brahmâs Trimûrti, das ewige Du aller Götter -und in der Eigenschaft des Du der Eingestaltig-Vielgestaltige, in -Liebe zu umfangen: _qui deum amat conari non potest, ut deus ipsum -contra amet..._ Nicht zieht Gott den Menschen zu sich, und noch viel -weniger zieht Gott den Menschen an, vielmehr ziehet der Mensch Gott -an, wie es in den paulinischen Schriften auch geschrieben steht, -- -der Mensch ist’s, der da in Gott einzugehen, in Gott aufzugehen, in -Gott unterzugehen trachtet, aber mit seinem armsäligen Tröpflein den -vollen Krug Gottes nimmer überfließen macht. Was also ist es zuletzt, -das Heil erwirkt und befördert? Die menschliche Tat ist es, menschlich -getätigt und getan, heiße die Tat Wissen oder Liebe, Erkenntnis oder -Andacht, Ehrfurcht oder Vertiefung, ja heiße sie Tat selber oder auch -Werk. Wer diesen Sachverhalt in seiner Strenge erfährt und erfaßt, wer -sich mit allen seinen Seelenkräften mit ihm durchdringt, wer sich mit -allen seinen Seelenkräften zu ihm durchringt: der bringt als Protestant -den unausgetragenen Widerstreit im Mythos Krischnas klar und bewußt -zum Austrag und das Zeitalter einer rein katholischen oder gemischt -katholisch-protestantischen Religiosität zum einstweiligen Abschluß. -Als Täter der Heilstat löst er den Gott ab, der dem Menschen dauernd -das Eine schuldig bleibt, was einzig Not wendet: jene ‚ewige Erlösung‘, -um welche die Himmelskönigin und Weltmutter Aditi den blonden Gott -vergeblich anfleht. So löst der Mensch Gotamo, gezeugt vom Fürsten -Suddhodano, das ist verdeutscht der ‚saubere Milchreis(-Spender)‘, -und empfangen von der Fürstin Mâyâ, geboren zu Kapilavatthu auf der -königlichen Burg und als Krieger, nicht als Priester auferzogen, --- so löst der Mensch Gotamo den Gottmenschen Krischna auf dem -Weltenschauplatz ab, und mit ihm gleichsam der Mensch überhaupt den -Gott überhaupt. Und die indische Seele, die wahrhaft allwissend alles -weiß, allahnend alles ahnt, allfühlend alles fühlt, was Gott und Götter -betrifft oder betreffen könnte, vergegenwärtigt sich auch diesen -entwicklunggeschichtlichen, gestaltwandlerischen Sachverhalt auf eine -eindruckvolle Weise. Im Wischnu-Mythos nämlich verkörpert sich Wischnu -im ersten Weltalter viermal in gewissermaßen organisch aufsteigender -Lebensform als Fisch und Schildkröte, als Eber und Mensch-Löwe, um -jedesmal die Welt von einer dämonischen Plage oder Zwingherrschaft zu -befreien; im zweiten Weltalter einmal als Zwerg; im dritten Weltalter -zweimal als Krischna und Râma; im vierten Weltalter aber wiederum -einmal als Buddho, ehe er im fünften und eisernen Weltalter, abermals -im Tier verleiblicht, als das weiße Pferd Kalki die Welt vernichtet und -verjüngt und aller Dinge Wiederherstellung vollbringt: ein Mythos von -so unausdenklichen Adspekten auf den Wechsel von Weltzeitaltern und -Wiederkunftkreisläufen hin, daß ihn bis heute noch keine Konzeption -westlicher Wissenschaft genügend deuten könnte. Auf Krischna-Râma die -Gottmenschen folgt Buddho der Mensch als Vorsteher seiner Zeit und -als Verrichter dessen, was bisher Gott verrichtet oder auch nicht -verrichtet hat, -- dies ist die mythische Umschreibung des historischen -Tatbestandes, daß mit Gotamo Buddho der Protestant in Erscheinung trat! -(Denn für den indischen Geist gibt es eben historische Tatbestände -nur in mythisch-mythologischer Umschreibung und Umdeutung). Mit Gotamo -Buddho ist der Protestant als solcher, der Protestant schlechthin in -die geschichtliche Erscheinung getreten, zunächst für das mittlere -und nördliche Indien. Dann für das indische Festland und Inselland, -dann für Südasien, Mittelasien, Ostasien, und am Ende, wer kann es -heute wissen, für diese ganze runde Erdenmenschenwelt, die gegenwärtig -mehr, als sie selber ahnt und ahnen kann, mit ihrem inneren Gehör -nach Magadhâ hinhorcht und dem vernehmlich durch die Jahrtausende -hindonnernden Löwenrufe lauscht... - - -Enthülsen wir dieses aber, ihr westlichen Protestanten, als den -überwestlichen, aber wesentlichen Kern des Protestantismus, sofern -er in die kosmischen Ordnungen hineingehört, daß nämlich der Mensch, -eben durch seine Menschlichkeit zur Tat getrieben, wo sich der Gott -keinerlei Tat bedürftig fühlt, -- daß der Mensch eine Melodie in -diesem unendlichen Orchester spiele, wenn der Gott gewissermaßen eine -Pause macht: alsdann verschiebt der Protestantismus alle Gewichte -des religiösen Interesses selbsttätig zugunsten des Menschen. -Alsdann leuchtet ein verborgener (und bisher mit einer gewissen -Geflissentlichkeit verborgen gehaltener) Zusammenhang auf zwischen -Protestantismus und Atheismus; alsdann ist der Protestant kraft -seines Protestantismus in irgendwelcher Rücksicht ein Atheist, -Atheismus schlecht und recht für Gott-Losigkeit, Gott-Ledigkeit, -Gott-Entbehrlichkeit genommen. Diese Gott-Losigkeit, Gott-Ledigkeit, -Gott-Entbehrlichkeit ist sozusagen auf der linearen Verlängerung -des Protestantismus gelegen, wenngleich auch vermutlich auf einer -Verlängerung, die in keinem Endpunkt ihr Ende und Ziel findet, -sondern fort und fort ins Unendliche läuft und darin verlaufen muß: -weil ja die Vorstellung des verneinten Gottes menschliche Denkkraft -offenbar nicht weniger übersteigt und überflügelt wie die Vorstellung -des bejahten Gottes. Ändern doch Vorzeichen in dieser Beziehung an -den Begriffen nichts und können nichts ändern, und kaum dürfte das -Minus-Unendlich minder unendlich sein wie das Plus-Unendlich, o -unendlich-ewiges Geheimnis!... So aber ist von vornherein zu erwarten, -Buddho der Protestant, in der Zeitreihe indischer Weltalter der Erbe, -Vollstrecker und Nachfolger des Gottmenschen Krischna, er werde sich -in dieser oder in jener Bezugnahme als Buddho der Atheist erweisen, --- Buddho der Atheist freilich in einem Denk- und Sprachsinn, wie -er dem Abendländer bislang kaum zugänglich und jedenfalls alles -andere als geläufig gewesen ist. Waren wir Abendländer doch, um der -Wahrheit nicht ins Gesicht hineinzulügen, der Regel nach Atheisten -aus Frechheit oder Flachheit oder Unfähigkeit oder Überheblichkeit, -selten nur aus Ehrfurcht, und bis auf verschwindende (aber doch nicht -verschwundene) Ausnahmen niemals in den Jahrtausenden seit den Griechen -aus Frömmigkeit und Göttlichkeit. Wo wir die Götter leugneten, da -leugneten wir in der übergroßen Mehrzahl der Fälle auch die göttliche -Bindung und Treue (_religio_); da leugneten wir mit furchtbarem Erfolg -unser eigenes besseres Leben und besseres Bewußtsein mitsamt seinen -Niederlagen und Siegen. Nur einmal vielleicht vernahm ich ein Gebet von -einem Gottlosen unserer späten Zeit, das die Gebete aller Gläubigen -an Innigkeit und wahrer Liebe zu Gott ganz unermeßlich übertroffen -hat: „... Nicht wahr, du bist doch nicht? Du würdest nicht so müßig -sein mit Allmacht? Du würdest ruhen nimmer wie ein träger Faulpelz, -der’s nüchtern ansieht, wie die Untat herrscht? Wie Niedrigkeit -erhöht steht, und was hoch ist, niedrig? Du würdest deine Arme nicht -so lässig kreuzen, als ginge dich das Weltall, dein Geschöpf, nichts -an? Du bist doch nicht, nicht wahr?... Auf, auf, du Gott, der nicht -besteht, hilf mir!“... Gottlos und ehrfurchtvoll, gottlos und gläubig, -gottlos und fromm, gottlos und heilig, gottlos und göttlich, das in -der Tat reimt sich europäischen Ohren, den mit soviel Schmalz und -Schmutz und Kot und Seim verklebten, so schlecht wie nur immer möglich, -und wer auf diesem Reim zu dichten wagte, dem antwortete entrüstet -jedermann: Hab’ ich recht gehört?... Als Sklaven einer unduldsamen -Vernunft und engstirnigen Weisheit erblickten wir schlechten Europäer -ein herrisches Entweder-Oder, wo die duldsame Vernunft Asiens und -die weitstirnige Weisheit des Asiaten ein Sowohl-Als-Auch vernimmt -und wahrnimmt mit noch so mancherlei Zwischentönen. Wer Atheist war -in unseren mehr mäßigen als gemäßigten Breiten, der strich gar zu -gern wie der entlassene Schulmeister im Grünen Heinrich landauf und --ab durch Berg und Tal und lehrte und überredete und beschwor und -verkündigte und beschrie als ein echter Schulmeister: Gott ist tot! Und -noch Zarathustra, der Gepriesene und Hochpreisliche, glich er fürwahr -in diesem Betracht nicht allzusehr noch einem Schulmeister? Wo aber -Gott noch ein weniges lebte und heimlich mit den Gliedern zappelte -und leisen Atems röchelte, vielleicht von gefährlicher Ohnmacht schon -umnachtet, da schlug ihn der Atheist flugs vollends tot und warf ihn -ins Dickicht und erregte allenthalben Ärgernis gegen sich, daß er -einen Schlafenden zu Tod schlug: Weh’, Macbeth mordete den Schlaf, -den heiligen Schlaf!... Denn wie gesagt, wir sind allzu steil auf -Nein und Ja gestellt, wir Abendländer. Wir wandeln auf einer Brücke -von Rasierklingenschärfe über den offenen Abgründen des Lebens und -mehr noch des Todes dahin, und stoßen gnadenlos in den Abgrund, was -auf der schmalen Schärfe zwischen Nein und Ja ausruhen will. Und wer -da sein Haar um ein Tausendteil einer Haaresbreite dünner oder dicker -spaltet wie wir selber und um diese tausendstel Haaresbreite von -uns abzuweichen sich gedreistet, den bellen wir hart an mit unseren -wütendsten Worten und erdolchen ihn stracks mit unseren giftigsten -Blicken: Pack’ dich, Hund, und scher’ dich dem Teufel zu, von welchem -du herkamst! Was hab’ ich mit dir zu schaffen? _Apage Satanas! Anathema -sis!..._ Also wandeln wir zwischen Ja und Nein auf der Brücke von -Rasiermesserschärfe und fluchen lästerlich jedem Begegnenden, dieweil -uns der Raum fehlt, um freundlich zur Seite zu weichen. Und jeder -Begegnende ist unser besonderer Feind und jeder Erwidernde unser -besonderer Widersacher, und unser Leben gleicht einem fort- und -fortgesetzten Zweikampf, dessen grausamer Ausfall von Tag zu Tag aufs -neue heißt: Du -- oder Ich. Ich -- oder Du... - -Gotamo jedoch, der Protestant des südöstlichen Festlandes Indien, er -wandelt nicht zwischen Ja und Nein. Er wandelt, auch hier durchaus Erbe -und Rechtsnachfolger Krischnas, wie es in der Bhagavad-Gîtâ wörtlich -heißt: „über die Paare hinausgegangen oder der Gegen- und Widersätze -ledig: _dvantvâtîta, nirdvandva_“... Vor die Frage des Du-oder-Ich, -will meinen Gott-oder-Mensch gestellt, würde Gotamo uns mutmaßlich -desselbigen Lächelns gar fein zulächeln, mit welchem Gott Krischna, der -Blondlockige, der Göttermutter Aditi zuzulächeln geruhte. Denn dieses -weiß Gotamo besser als irgend ein Sterblicher und Unsterblicher der -östlichen oder westlichen Halbkugel, daß Gott und Göttern nichts so -verhaßt ist als zwischen die Schere allzumenschlichen Ja-oder-Neins -geklemmt und von ihr entzweigeschnitten zu werden. Wo Gott geglaubt -wird, dieses hat wohl Gotamo der Protestant, Gotamo der Atheist tiefer -und gewisser erfahren als alle Protestanten und alle Atheisten vor, -neben oder nach ihm, da ist Gott auch und da gibt es Gott. Die Frage -ist nicht, ob es Gott gäbe oder nicht gäbe, die Frage ist, ob Gott -geglaubt oder nicht geglaubt wird. Gott aber, ihr Christen, und dies -sei uns das ewig christliche und das überchristliche Faktum aller -Religion überhaupt, Gott selber wird ewig sowohl geglaubt wie nicht -geglaubt und so ist Gott selbst darum ewig und ist ewig nicht, -- dies -sei uns schlechthin die Gewißheit in Ansehung Gottes, in Ansehung der -Götter. Dies sei uns die vornehmste und unumstößliche und ‚unpaarige‘ -Gewißheit jenseit von Ja und Nein, oder strenger und richtiger -noch diesseit von beidem und in diesem Diesseit gegensatzentrückt, -_dvantvâtîta, nirdvandva_... Wo Gott also geglaubt wird, da ist auch -Gott; wo Gott nicht geglaubt wird, ist Gott nicht. Umsonst sucht daher, -wer in den Heiligen Schriften des Pâli-Kanons ein glattes, rundes -Urteil sucht, ob es Gott gäbe oder nicht gäbe. Just dieses Ur-Teil -deucht einen Weisen wie Gotamo, einen Erwachten wie Gotamo -- „‚der -Erwachte, o Keniyo, sagst du?‘ ‚Der Erwachte, o Selo, sag’ ich‘... Da -gedachte nun Selo der Priester: ‚Das ist ein Wort, das man gar selten -vernimmt in der Welt, der Erwachte!‘“ -- just dieses Ur-Teil, sag’ ich, -deucht einen ‚Buddho‘ also wie Gotamo allzusehr ein Nur-Teil, um das -Ganze zu umspannen. - -In der Neunzigsten Rede zwar aus der Mittleren Sammlung Majjhimanikâyo -frägt der König Pasenadi von Kosalo den Erhabenen geradezu: „Wie aber, -o Herr, gibt es Götter?...“ Die Antwort jedoch ist eine Gegenfrage: -„Warum denn, großer König, sprichst du also: ‚Wie aber, o Herr, gibt -es Götter?‘“ ... Diese Gegenfrage und ihren tiefsten Sinn würde kein -westlicher Mensch verstanden haben und vielleicht kann sie auch heute -noch kein westlicher Mensch verstehen, denn der Westen hat bisher von -der Entscheidung über diese Frage alles abhängig gemacht, nicht allein -die Religion, vielmehr jedes höhere Leben des Geistes und der Seele, -das aus Religion hervorblüht. Er sagte sich: Wenn schon Gott nicht -ist, dann will ich ein Vieh, ein Tiger, ein Haifisch, ein Werwolf, ein -Ungeheuer sein, -- dann will ich bei Gott diese ganze Welt mit meinen -Zähnen zerreißen und mit meinem Maul verschlingen... Der Buddho aber -wirft diese selbe Frage wie einen ihm zugeworfenen Ball anmutig auf -den Fragenden zurück und spielt gleichsam ein weniges mit ihr, weil er -sie in ihrer Bedeutunglosigkeit durchschaut hat. Ob Götter, ob keine -Götter: ihm liegt es unter allen Umständen ob, die Welt zu retten und -zu tun, was Gott nicht tun kann. Der leichte Spott, die leise Ungeduld, -die aus der Gegenfrage an den König etwa herauszulesen wäre, hat nichts -anderes zu besagen als: Sprechen wir von wesentlichen Dingen, o König, -und schweifen nicht zu unwesentlichen ab... - -Umsonst also sucht, wer hier nach jenen gesalzenen Schmähungen, -Schimpfreden, Grobheiten sucht, wie sie die protestantischen Hellenen -beliebten, die es unter dem Himmel Homers nicht länger aushalten -konnten, zu schweigen von den klobigen und klotzigen Flegeleien, mit -welchen der große Rüpel Martinus die Kirche Roms und ihren Papst -gleichsam wie mit Kübeln überschüttete. In diesen Schriften wird -nirgends geschimpft, es sei denn von einem unbelehrigen Brahmanen; in -diesen Schriften wird niemand beschimpft, es sei denn der Erwachte -selber von einem blindwütigen Priester. Hier, wo es in vieler Hinsicht -keine Gläubigen und weniger noch Recht-Gläubige gibt, hier gibt es -erst recht keine Anders-Gläubigen, denen man eins wischen müßte. Die -europäischen Propheten des Protestantismus haben an den Anhängern -des Katholizismus jeweils gehaßt, was sie in sich selber überwunden -(oder auch nicht überwunden) hatten, -- aber der indische Protestant -Buddho weiß nichts von diesem Haß gegen die eigenen Überwindungen. -Der weltgeschichtliche Kampf zwischen den Urformen der Religiosität -wurde und wird in Europa der bösen Beschaffenheit des Europäers -entsprechend mit vergifteten Waffen geführt, aber Gotamo führet ihn -nicht einmal mit Waffen, geschweige denn mit vergifteten. Der indischen -Haupttugend vollendeter Herzenshöflichkeit wie kein zweiter religiöser -Stifter mächtig, verliert der Erhabene kein Wort gegen die unendlichen -Götterreihen, welche der Brahmanismus wie einen Berg unendlich -gestaffelt und gestuft bis zum Himmel und Überhimmel aufgetürmt hatte. -Der Berg wuchtet und ruht in ihm selber heilig weiter, aber Gotamo -nimmt auf seinem höchsten Gipfel Platz, um dort die Weihe der vier -Schauungen (_jhânâni_) zu begehen. So redet der Buddho in jeder Rede -ohne Befangenheit von den unzähligen Göttern des Veda, und was etwa -noch wichtiger scheinen könnte, so schweigt er ohne jede Befangenheit -von ihnen, wo ihm das Schweigen angebracht zu sein deucht. Er redet und -er schweigt in seinen Reden von den Göttern mit Takt, mit Wohlwollen, -ja mit Großmut, wie ein erzogener Abendländer über abwesende Gäste -redet und auch schweigt, deren Menschliches er längst durchschaut hat. -Dieser unbedingteste Protestant aller Vergangenheiten, gewissermaßen -ein protestantisches Absolutum, verfährt mit göttlicher Milde gegen -die Götter, deren schöne Überflüssigkeit in Ansehung dessen, was Not -wendet, er als der erste Mensch menschheitlicher Gattung erkannt -hat. Für oberflächliche und grobkörnige Beobachter hat sich in den -Jahrhunderten zwischen dem Veda, den Upanischaden, den großen Epen und -dem Auftritt Gotamos, was die Götter anbetrifft, nichts Besonderes -zugetragen. _Ex officio_ bleiben sie in allen Hoheitrechten ungekränkt -und unbehelligt, in die sie eine fromme Urzeit einst göttersälig -eingesetzt hatte. Noch wimmelt Welt, Unterwelt und Überwelt von den -Heerhaufen der Heiligen und Vollendeten und Engel und Genien und -Dämonen und sinnlichen und himmlischen Gottheiten bis herauf zum -Himmelsjüngling Brahmâ selber, -- erst die Zone des Brahman-Âtman -ist es, die ernsthaft in Frage gestellt, ja verneint erscheint, und -zwar aus Gründen, die sich gewissermaßen ganz von selbst in eine -doppelte Gruppe scheiden und die schließlich an dieser Stelle wo nicht -ausführlich entwickelt, doch wenigstens grundsätzlich erwähnt werden -müssen. - -Die erste Gruppe dieser Gründe findet sich mit wundervoller Klarheit -herausgearbeitet und zusammengestellt in der Ersten Rede aus der -Längeren Sammlung Dîghanikâyo, ‚Das Priesternetz‘ betitelt, wo der -Buddho auf eine beinah erschöpfende Weise die Trennung zieht zwischen -seiner eigenen Lebensführung und Weltauffassung und der Lebensführung -und Weltauffassung brahmanischer Priester und Asketen. Eine durchaus -kunstgerechte oder gar gelehrtwissenschaftliche Auseinandersetzung à -la Çankara mit der Götter-, Welt- und Seelenlehre des Brahmanismus -darf freilich niemand hier erwarten, denn weder sind Gotamos Zwecke -und Ziele gelehrtwissenschaftliche, noch erhebt er persönlich jemals -den geringsten Anspruch auf maßgebliche Kennerschaft vedischer -Theo-Kosmologie und Scholastik. Trotzdem werden hier mit einer -Dialektik von manchmal glänzender Überlegenheit die wichtigsten -Standpunkte der brahmanischen Götterlehre, Weltlehre, Seelenlehre im -Zusammenhang aufgezeigt und in ihrer Nichtzulänglichkeit erhärtet. -Nicht weil diese Götterlehren, Weltlehren, Seelenlehren falsch wären, -sondern im Gegenteil, weil sie richtig sind, richtig nämlich als eine -Reihe von einander sich ausschließenden Vernunftaussagen, gleichmäßig -zulässig, gleichmäßig ‚wahr‘, -- eben darum sind sie alle zusammen -doch nur als bloße Vorläufigkeiten, wenn nicht als Unerheblichkeiten -(ἀδιάφορα) zu bewerten und zu verwerfen. Als Standpunkt der Erkenntnis -können, ja müssen sie von den Erkennenden eingenommen werden, und -wenn sie sich im einzelnen dann kontradiktorisch widersprechen, -beweist das nicht, daß sie erkenntnismäßig unzulässig sind: aber es -beweist, daß es von Übel sei, wenn sich die Vertreter der einzelnen -Standpunkte innerlich gleichsam mit ihnen für verwachsen erklären -und so ihr persönliches Heil mit einer jeweiligen Ansicht-Sache, -Meinung-Sache verwechseln. Über Götter, Welt und Seele mag jeder -denken, was seinen Verständniskräften am besten entspricht und ihn am -innigsten befriedigt. Und vielleicht gibt es unter allem, was bisher -von menschlichen Wesen über diese Gegenstände ausgeheckt worden ist, -gar nichts, das grundsätzlich und in jedem Sinn falsch oder verkehrt -wäre. Nur ziemt dem Erwachten ein Standpunkt, unendlich über alle diese -Standpunkte erhöht, wofern der Erwachte seinerseit alle einzelnen -Standpunkte durchlaufen und in ihrer verhältnismäßigen Berechtigtheit -durchschaut hat: nun aber sich selbst die unbedingte Freiheit -streng zu wahren entschlossen ist, auf keinem als einem endgültigen -auszuruhen und zu beharren und ihn für den einzig richtigen, den einzig -angemessenen auszugeben. Sich auf keinen erkenntnismäßigen Standpunkt -festzulegen und sich für keinen zu entscheiden, das ist der Standpunkt -des Buddho gegenüber allen üblichen Lehren von Gott, Welt und Seele. -Der Protestant Gotamo protestiert gegen jedwede dogmatische Bindung -zugunsten einer bloßen Ansicht oder Annahme, Meinung oder Auffassung. -Er protestiert dagegen nicht wie der Protestant Kant, um die ewigen -Rechte der Kritik gegen das Dogma zu vertreten, vielmehr aus der tiefen -und religiösen Selbsterfahrung heraus, daß sich mit dem eigenen Wesen -und Wesensziel keine sogenannte Wahrheit wirklich deckt: daß hier -stets und immer eine Leere bleibt, die nach anderer Erfüllung heischt, -als sie die Doktrin gewähren könnte. „Da erkennt denn, ihr Mönche, -der Vollendete: ‚Solche Ansichten, also angenommen, also beharrlich -erworben, lassen dahin gelangen, lassen eine solche Zukunft erwarten.‘ -Das erkennt der Vollendete, und erkennt, was darüber hinausreicht. -Bei dieser Erkenntnis beharrt er aber nicht, und weil er dabei nicht -beharrt, findet er Einkehr eben in sich“... - -Eine zweite Gruppe von Einwürfen gegen die Brahman-Âtman-Zone, nicht -ohne einen gewissen inneren Zusammenhang mit dieser, erörtert der -Buddho vielleicht am durchsichtigsten in der Hundertundneunten Rede -aus der Mittleren Sammlung Majjhimanikâyo, die den Titel ‚Vollmond‘ -führt. In dieser Rede rechtfertigt und begründet Gotamo eine der -umstürzlerischsten Überzeugungen des Buddhismus überhaupt, und -zwar überraschenderweise, obwohl es sich unstreitig um einen rein -religiösen Sachverhalt handelt, in enger Bezugnahme auf Kants Kritik -des ersten Paralogismus in der transzendentalen Dialektik seines -ersten Hauptwerkes: die Überzeugung nämlich, daß alles, was wir -unser Ich, unsere Persönlichkeit, unser Selbst nennen und was der -Brahmanismus als Âtman, Brahman, Lebensurgrund, Weltwesen verehrt, -in Wahrheit gar kein ontologisch zu verstehendes _substratum_, -_subjectum_, ὐποκείμενον unserer Bewußtseins-Welt sei, sondern im -besten Fall ein bloßer Bestandteil, bloßer Inhalt dieser nämlichen -Welt, der genau wie jeder andere Bestandteil und jeder andere Inhalt -des Bewußtseins über die rein vorstellungmäßige Gegebenheit hinaus -immer für fragwürdig gelten müsse. Es gibt kein Ich, es gibt kein -Selbst als Träger der Bewußtheit-Mannigfaltigkeit, und vollends gibt -es kein Urselbst als Träger der gesamten Weltwirklichkeit und als -ihr Urheber und Erhalter, wie es der Brahmanismus unter dem Namen -Âtman anruft, bekennt, voraussetzt. Wenn der Brahmanismus das ‚_Eso -’ham asmi_: Das bin Ich‘ und vielleicht mehr noch das gleichsinnige -‚_Tat tvam asi_: Das bist Du‘ zur Weltformel erhoben hat, und wenn -er mit dieser Weltformel zuletzt nur das schlechthin unwiderlegliche -religiöse Urerlebnis auf eine mitteilbare Aussage bringen will: -die Wahrnehmungen bin Ich-Selbst, die Gegenstände bin Ich-Selbst, -die Zustände bin Ich-Selbst, die Widerstände bin Ich-Selbst, die -Wirklichkeiten bin Ich-Selbst, die Unwirklichkeiten bin Ich-Selbst, -die Überwirklichkeiten bin Ich-Selbst, das Ich und das Du und das -Nichtich bin Ich-Selbst! -- nun wohl, dann weiß Gotamo dieser aus -unwiderleglichem Erleben geschöpften Formel die aus nicht minder -unwiderleglichem Erleben geschöpfte Gegenformel mit einer steinernen -Wucht entgegenzustemmen, ‚_N’etam mama_: Das gehört Mir nicht‘, -die Wahrnehmungen bin Ich nicht, die Gegenstände bin ich nicht, -die Zustände bin Ich nicht, die Widerstände bin ich nicht, die -Wirklichkeiten bin Ich nicht, die Unwirklichkeiten bin Ich nicht, -die Überwirklichkeiten bin Ich nicht, das Ich und das Du und das -Nicht-ich bin Ich nicht!... Dem nicht zu entkräftenden Erfahren des -Brahmanismus, wonach Alles das Selbst ist, antwortet der Buddho mit -dem nicht zu entkräftenden eigenen Erfahren, wonach Nichts das Selbst -ist. Dem Abendländer aber, der hier mit seiner Schere Ja-oder-Nein -dazwischen fährt und die lediglich wissenschaftliche, nicht jedoch -religiöse Frage aufwirft: wer von beiden recht habe? -- ihm antworte -ich selbst mit aller Entschiedenheit: Beide!... Wiederum gelangt -nämlich hier im Buddhismus eine tief protestantische Auffassung zu -ihrem weltgeschichtlichen Durchbruch, -- eine Auffassung, der es gemäß -ist zu denken und zu sprechen: Es gibt keine Grundlegung und keine -Grundfestung, es gibt keine Trägerschaft und keine Verankerung, es gibt -keine _substantia_ und kein _principium_, es gibt kein ὐποκείμενον -und keine ἀρχή. Sondern es gibt nur einen stätigen Vorstellungablauf, -eine stätige Tätigkeitänderung, einen stätigen Erlebniswechsel. Es -gibt kein Sein und weniger noch ein Wesen, sondern allein ein Tun -und ein Werden, -- es gibt kein _esse_, sondern nur ein _fieri_ oder -_operari_; ganz wie dies von den naturforschenden Wissenschaften des -Westens und von ihrem kritisch-kritizistischen Protestantismus längst -auf die Spitze getrieben und infolgedessen überspitzt ward. Nicht aber -auf die Spitze getrieben und infolgedessen auch nicht überspitzt -ward dieser Protestantismus vom Buddho, wie man in der erwähnten Rede -‚Vollmond‘ aus der Mittleren Sammlung Majjhimanikâyo leicht nachlesen -kann. Denn kaum ist hier ein Mönch im Begriff, aus dem von Gotamo -entwickelten Gedanken der Selbst-Losigkeit und Selbst-Ledigkeit alles -Geschehens und Tuns den etwas voreiligen, aber folgerichtigen Schluß -zu ziehen: also gibt es auch keines Selbstes Täterschaft getaner Taten -und keines Selbstes Verantwortlichkeit für diese! -- da muß sich -auch schon der scharfsinnige Fürwitz dieses Mönches, der gleichsam -die Rolle unserer hemmunglosen Wissenschaftlichkeit vorwegnimmt, die -derbste Zurechtweisung von Gotamo gefallen lassen. Denn dieser Mönch -steht auf dem Sprung, den großartigen Protestantismus Gotamos von der -Selbst-Losigkeit und Selbst-Ledigkeit des Erlebens dadurch um seine -religiöse Geltung zu bringen, daß er ihn allzu gradlinig weiterdenkt -bis dahin, wo das Denken nicht mehr mit dem Leben und Erleben in -Einklang zu bringen ist. Alles bin Ich nicht und Nichts gehört Mir, -- -das ist ganz einfach eine Erfahrung, die umso erschütternder erfahren -wird, desto tiefer ein Mensch sich seiner selbst bewußt und inne wird; -und völlig vergeblich suchen wir aus irgend einer Erscheinung oder aus -irgend einer Gegebenheit das Sein des Selbstes, das Sein der Person, -das Sein der Seele herauszuklauben. Aber über diese erschütternde -Erfahrung heraus nun um Gottes willen keine weltzersetzenden und -selbstzersetzenden Betrachtungen, um Gottes willen keine Angriffe -und Eingriffe in solche unumstößlichen Gewißheiten wie die, daß -jegliche Tat ihren Täter habe und jeder Täter seine persönliche -Beschaffenheit, Eigenheit, Umschriebenheit. Es ist nicht die Sache der -Weisheit und noch weniger die Sache der Frömmigkeit und Heiligkeit, die -Widersprüche des Daseins fortzudenken, sondern ihre Sache ist es, diese -Widersprüche lauter herauszustellen und an ihnen hinauf gütig über sie -hinauszuwachsen ‚_dvantvâtîta, nirdvandva_‘... - -Trotz aller Höflichkeit gegen die alten Götter bedeutet also Gotamos -Verkündigung und Auftritt, wir können es jetzt ungefähr ermessen, -eine religiöse Katastrophe, die in keinem Göttersturz östlicher oder -westlicher Welten ihresgleichen findet. Dieser Gotamo, auf dem Gipfel -des unendlich schichtigen Göttertempelberges des Brahmanismus thronend -wie der höchste Stûpa auf der Kuppe des Boro-Budur, er behält sich -im Unterschied zu allen Heiligen der Vorzeit alle ersten und letzten -Entscheidungen der Tat selber vor. Mag immerhin ein Brahmâ oder sonst -ein Mahâdeva diese und manche andere Welt geschaffen und geballt haben, --- erlösen wird sie und vor allem erlösen wird sich nicht dieser -Brahmâ und nicht ein Mahâdeva, sondern erlösen wird sie und erlösen -wird sich Gotamo der Mensch allein. Fortan sind diese Götter zu einer -Art von idealischer Zuhörerschaft, Zuschauerschaft bestimmt, uns -Europäern vom Chor der attischen Tragödie her nicht ganz unbekannt. -Diese Götter sind nunmehr Chor im Drama, dessen Held und Heldentäter -der Ewige Mensch ist. Diese Götter schauen und hören nicht ohne -Teilnahme zu, was hienieden sich begibt in Magadhâ, was sich begibt -im Udener Park, im Garten der Gotamiden, im Siebenmangohain, auf dem -Hügel mit dem Vierblätterlaub, am Grabmal an der Sarandadâ, im Pâvâler -Baumfrieden und ich weiß nicht wo sonst. Es schaut zu der tausendfache, -fünftausendfache, hunderttausendfache Brahmâ, es schauen zu die zwölf -Âdityas und die Dreiunddreißig, es schauen zu die Götter Lustig und -Nicht-Lustig im Dämmerlicht, es schauen zu die Götter Sinnig im -Dämmerlicht, und die Schattengötter. Es schauen zu die Säligen Götter, -die Götter der unbeschränkten Freude und Jenseit der unbeschränkten -Freude, die glänzenden Götter und die hellerglänzenden Götter, die -leuchtenden, die strahlenden und die hellerstrahlenden Götter, die -unermeßlich strahlenden und die strahlengewordenen Götter, die -gewaltigen und die wonnigen Götter, die herrlichen und die erhabenen -Götter... Und das ist die Katastrophe ohnegleichen, welche die Götter -seit dem Auftritt Gotamos betroffen, daß sie von Szene und Orchestra -hinaus auf die Sitze des Theaters gedrängt worden sind und nicht mehr -selber spielen, nicht mehr selber ernsten. In einem erschreckend -strengen Wortsinn war der Gott Mensch geworden: im vierten Weltalter -erlöst der Mensch sich selber, indessen Gott von ferne zusieht, -vielleicht nicht ohne eine Regung von Ergriffenheit in die Erinnerung -ans dritte Weltalter brütend verloren, da Er einst Gott und Mensch -zumal war... - -Wo Gott geglaubt wird, sagte ich vorhin (und sprach dabei in der -Sprache unserer westlichen Welthälfte), da sei auch Gott. Jesus, der -Christus und Heiland dieser westlichen Welthälfte in ihrem nunmehr -vielleicht abgelaufenen Weltalter, er sagte zu dem geheilten Samariter: -Steh’ auf, geh’ hin! Dein Glaube hat dir geholfen! Der Glaube also, -ihr Christen, hat hier geholfen, denn der Glaube schlägt vom Menschen -zum Gott die Brücke und vom Gott zum Menschen, darauf beide in der -Mitte hinüber-herüber sich begegnen und durcheinander hindurchgehen. -Der Glaube zeuget als Mann Gott und gebiert als Weib Gott, und Gott -spendet der Seele, woran sie darben muß, und so bedünkt den Gläubigen -alles recht und gut. Es kann jedoch geschehen, ihr Christen, und wie -vielmals ist es nicht bereits geschehen, daß der Mensch zwar glaubt und -‚reich ist in Gott‘, aber dennoch arm an der Tat, die einzig Not tut -und einzig Not wendet. Es kann geschehen, und wie vielmals ist es nicht -bereits geschehen, daß die Welt in die Vaterhände Gottes fromm gelegt -ward, wo sie gar rund und schön und fertig ruht, aber das Werk, das -unerläßliche, unterlassen bleibt und diese nach außen schön geballte -Welt nach innen ungeformt bleibt. Es ist gewiß, daß der Glaube geholfen -hat, hier und da, vor Zeiten und in der Gegenwart, und darüber ist dann -freilich nichts weiter zu sagen. Es ist aber nicht weniger gewiß, daß -der Glaube auch nicht geholfen hat, hier und da, vor Zeiten und in der -Gegenwart, -- und offenbar, um nur eines anzuführen, ihr Christen, -hat er dem Christ selber nicht geholfen, als er am Marterholz nach den -Elohim schrie und der Sohn vom Vater sich verlassen und verraten fand. -Der Christ selber hatte den Vater gerufen und der Vater hatte nicht -gehört; der Christ hatte anderen geholfen, aber konnte sich selber -nicht helfen. Was aber dann, wenn sich der Glaube selbst nicht hilft? -Da möchte einer sein, der glaubt aus ganzem Herzen, Gott sei für ihn -ans Kreuz gehangen worden, und er findet sich dabei getröstet und -von der Welt frei. Indes ein anderer möchte sein, der sich desselben -Glaubens rühmt, aber in bittere Betrübnis fällt ob des Gottes, der für -ihn ans Kreuz gehangen ward, und er kann nicht erraten -- warum? Ein -solcher spricht dann etwa zu sich (und seufzet dabei viel): Weshalb, -mein Gott, mußte Gott am Kreuze sterben und weshalb mußte Er sterben --- für mich? Was taugt es meiner Schmerz- und Sehnsuchtseele, daß -Gott am Kreuz gestorben ist? Was frommt mir Lebendem Gottes Tod, -gesetzt, dies Leben bleibe doch bis ins Mark hinein ungöttlich oder -widergöttlich? So haben die Christen, ihr Christen, viel hinüber und -herüber und hinum und herum geglaubt, aber man könnte der Meinung -sein, es sei wenig dabei herausgekommen, daran ein rechtschaffener -Gott Seine rechtschaffene Freude haben möchte... Ihr Christen habt -viel geglaubt, habt viel gehofft, habt viel sogar geliebt, wenn anders -eueren Beteuerungen wohl zu trauen ist, -- denn wenigstens habt ihr -vieles von der Liebe geschwatzt, das euch wie Speichel von den Lefzen -einer alten Vettel geflossen ist und manchmal auch wie Rotz aus den -Nüstern eines gelbsüchtigen Gaules... Aber wie schaut es bei euch -aus, ihr Christen? Und Greuel über Greuel: wie schaut es in euch -aus? Ist euer mildes Christenherz nicht eine Wolfsfalle für grobes -Raubzeug geworden, -- und was wäre dem westlichen Menschen, der nun -des Menschen Wolf kaltblütig und entschlossen geworden ist, nicht -grobes Raubzeug? Ist dieses liebende Christenherz nicht eine Falle, vom -Jäger arglistig bestreut mit dem grünen Laub des Glaubens, überblüht -mit der braunen Knospe der Hoffnung, goldig und blau umlockt von der -Rankenblume der Liebe? Wer aber dies euer leeres Herz betastete, -verschlackt von der Feuerkohle ungeläuterten Liebens, zerfressen vom -Rost zuchtlosen Hoffens, verdorrt in den Glutbränden und Blutbränden -blindwütigen Glaubens, Anders-Glaubens, Aberglaubens, -- wie könnte -er länger daran zweifeln, daß es eben der Glaube war, der euch nicht -geholfen hat, ihr Christen! Nein, hier hat der Glaube nicht geholfen, -und weniger noch hat er dort geholfen, wo heute die Besucher aller -Kaffee-Häuser und die Gäste bei allen Fünf-Uhr-Tänzen nach dem Neuen -Gott winseln und nach einem netten, runden Glauben an Gott. Dieses -hündische Gott-Gewinsel, ihr Christen und Nichtmehr-Christen, dies -ist fürwahr das Schändlichste gewesen, was ihr euch leisten konntet. -In Kaffeehäusern und Nachtlokalen, in Spielhöllen und Bordellen, in -Parteiversammlungen und Literatenzusammenkünften schrieet ihr euch die -Hälse heiser nach dem Neuen Gott, damit er die Last des Verhängnisses -von euch nähme, das ihr über euch gewälzt habt. Wie hungrige Ferkel -nach den Zitzen des Mutterschweins schrieet und grunztet ihr nach Gott, -damit ihr wie vormals in den Tag (und lieber noch in die Nacht) hinein -leben könntet, als ob wenig oder nichts geschehen wäre... Nun ihr die -Scham vor euch selber und die Ehrfurcht vor der Welt verloren hattet, -die heilig über jede Heiligkeit hinaus ist, da schaltet ihr die Welt -gottlos und euch selbst entgöttert. Ach, daß wir doch wieder glauben -dürften, möchten, könnten! Ach, daß wir doch wieder in Kindereinfalt -die Hände falten lernten und beten: „Lieber Gott, mach’ mich fromm, -daß ich zu dir ins Himmelreich komm!“ Ach, daß wir doch wieder würden -wie die Kinder, nachdem die Kinder, Gott sei’s geklagt, längst wie wir -Erwachsenen geworden waren! Ach, daß wir doch auf allen Vieren füßelnd -und etwas Wau! Wau! bellend ins Himmel-Bimmelreich der Nesthäkchen -kriechen könnten! Ach, daß wir doch unsere Unschuld so frühzeitig und -so gründlich einbüßen mußten und vermeinten, für unsere Schuld keine -Buße tun zu müssen! Ach, daß die herrenlose Herde einmal wieder den -Herrn verspürte und den Hirten oder zum wenigsten doch den Hund des -Hirten! Ach, daß die Führerlosen ihren Führer fänden, die sich selbst -nicht zu führen wissen, und alle Schwachen ihren starken Mann! Ach, daß -der Herr-Gott doch über Böse und Gute wieder aufginge und insonderheit -über die Zahlungunfähigen und Bankerotten, wie der keusche Mond -aufgehet über die Gassen der Buhlerinnen und Huren! Ach, daß Gott den -Unrat und Unflat von uns fegte, der uns mästete und von dem wir über -die Maßen fett wurden!... - -Euch allen aber, Christen wie Nicht-mehr-Christen, hat Gott nicht -geholfen und wird Gott nicht helfen. Selber habt ihr euch alle nicht -geholfen, wie hätte Gott da eingreifen sollen oder helfen wollen? Wer -aber glaubt, der soll sich selber helfen, und wer nicht glaubt, der -soll erst recht sich selber helfen: so spricht der Gott-Lose zu euch -Christen und ist fürwahr der Frömmere von euch Christen. Alleinig -trachtsam nach selbstretterischer Tat, wird er der Tat trächtig und -wohl auch mächtig und lässet in höchster Ehrerbietung Gott Gott sein, -der es wissen muß, was er tun und was er lassen will. Der Gott-Lose -lässet Gott Gott sein, sag’ ich, und vollbringt ohne Gott, was dem -Menschen not ist. Kann sein, daß er glaubt, kann sein, daß er nicht -glaubt, -- beides verrückt ihm nicht die groben und die feinen -Gewichte mehr. Er selber hebt die Gewichte; er selber hält den Berg -Govardhana über die Welt, wie weiland Krischna der Heiland und Held -über die Hirten seiner Heimat, als Indra der Zürnende in der Sintflut -sie ersäufen wollte. Nicht ist er begierig und nicht ist er fähig, -endgültig den Knoten der Welt zu entknoten, der Gott heißt; nicht -gilt ihm der bloße Glaube mehr wie der Nicht-Glaube. Aber den Berg zu -halten über die Welt, die unbeschirmte und unbeschützte, und mit dem -Berg als Schild die Hagelschauer des Schicksals und die Sonnenstiche -des Todes aufzufangen, des ist er begierig, des ist er fähig. Hier ist -die Rose, hier tanzt er; hier ist seine Treue, die er eisern hält. Der -rechte Gläubige aber, das mögt ihr vorgeblich Gläubigen und vergeblich -Gläubigen euch noch gesagt sein lassen: der rechte Gläubige ist ein -Meerwunder. Ich glaube nicht an seinen Glauben, er weise mir denn -seinen Berg Govardhana, den er von seiner Stelle versetzte und aus -seiner Wurzel hob... - -Gotamo der Protestant also verlegt den Weltschauplatz aus Gott hinaus -in sich selbst hinein, von der Erfahrung gewitzigt, daß Gott der Welt -bisher allzu wenig geholfen hat und wesentlich mehr auch der Glaube -an Gott nicht. Für Gotamo den Protestanten ist Gott ein Zuschauer wie -ein Baum in einem Obstgarten, der eine Weile ausruht. Eine Legende des -späteren, auf nördlicher Überlieferung fußenden Mahâyânam-Buddhismus, -der sonst als eine völlige Umdeutung und Verkehrung der ‚reinen‘, das -ist hier ‚protestantischen‘ Lehre ins Katholische zurück durchaus -betrachtet werden muß, hat dessen unerachtet just diesen entschiedenen -Protestantismus Gotamos auf glücklichste Weise zu versinnbildlichen -vermocht. Sie nämlich lässet Gotamo, bevor er in der Nacht der -vollkommenen Erwachung die Würde des vollkommen Erwachten (das ist im -Pâli eben ‚Buddho‘) erwirbt, -- „Der Erwachte, o Keniyo, sagst du?“ -„Der Erwachte, o Selo, sag’ ich!“ -- sie also lässet den zwar noch -nicht Erwachten, wohl aber bereits Erwachsamen (in den Pâli-Texten nur -sehr selten vorkommend als der ‚_bodhisatto_, _bodhisaktas_‘, späterhin -dann bekanntlich in die Sanskrit-Texte als ‚_bodhisattva_‘ fälschlich -übertragen) ein feierlich Gelübde tun. Es ist das heilige Gelübde zu -vollbringen, was er beschworen habe, und zu vollenden, was er gewillt -sei, -- ganz offenbar hier in der Erinnerung vorgebracht an den Dritten -Bericht aus dem Großen Verhör über die Erlöschung Mahâparinibbânasuttam -aus der Längeren Sammlung der Reden Dîghanikâyo, wo der vom Tode, von -Mâro zur Erlöschung gemahnte Gotamo die folgenden Worte spricht: „Nicht -eher werde ich, Böser, zur Erlöschung eingehn, solange Mönche bei mir -nicht Jünger geworden sind, solange Nonnen bei mir nicht Jüngerinnen -geworden sind, solange Anhänger und Anhängerinnen bei mir keine Jünger -geworden sind, solange da bei mir das Asketentum nicht mächtig wird -aufgediehen sein, nach allen Seiten hin, unter vielem Volke verbreitet, -jedem zugänglich, bis es eben den Menschen wohlbekannt geworden ist.“ -Die Gebärde nun dieses großen Schwures, mit einer wahrhaft asketischen -Enthaltsamkeit des bildnerischen Aufwandes, aber freilich auch mit -einer nirgends überbotenen Gewalt des Ausdrucks dargestellt vielleicht -am erhabensten in den Nischen jenes obgedachten Stûpa Boro-Budur auf -Java, -- diese Gebärde besteht unsäglich schlicht nur in einer leis -leisen Berührung der Erde mit der rechten Hand, die mit dem Rücken -nach außen leicht auf dem Unterschenkel des rechten unterschlagenen -Beines liegt. Berühren der Erde, _bhûmisparçamûdra_, heißt die Gebärde, -heißt der Eid selbst dieser höchsten Buddho-Treue in der hieratischen -Sprache der späteren und nördlichen Urkunden, die hier ganz ohne -Frage den innigen Sinn der seelischen Begebenheit zu treffen, wenn -nicht zu steigern wissen. Ein Berühren der Erde und ein Gelöbnis, bis -zur endgültig gebrochenen Bahn auf dieser Erde zu verrichten und zu -erwirken, was Gott und alle Götter bisher nicht zu erwirken vermocht -haben: das ist, das bleibt im reinsten Geist des Buddho eigentlicher -Protestantismus... - - - - -DIE ZWEITE UNTERWEISUNG: - -BUDDHO DER ERLEBENDE - - -DAS HEILIGE NEIN LASST UNS BEKENNEN DENN NEIN UND JA SIND WIE -DIE SCHENKEL DER NÄMLICHEN PARABEL, UND WO SICH DIESE SCHEITELT, -DURCHDRINGEN BEIDE SICH IN EINEM PUNKT -- DENN NEIN UND JA SIND -WIE DER ABSTEIGENDE UND ANSTEIGENDE KNOTEN DER WELT, UND WO SICH -BEIDE SCHÜRZEN, SCHWEBT GIPFELND DAS GESTIRN DER WELT DURCH SEINEN -MITTAGSKREIS -- DENN NEIN UND JA SIND WIE DAS AUSSENBLATT UND -INNENBLATT DESSELBEN KEIMLINGS, IM SCHOSSE DER GEBÄRERIN WIE BETERHÄNDE -STRENG GEFALTET -- GEFALTET ZUM AUSSEN-INNEN-BLATT REIFT ERST DER -KEIMLING DER GEBURT ENTGEGEN: GEFALTET ZUM NEIN-JA REIFT ERST DIE SEELE -IHRER WELT ENTGEGEN -- DAS NEIN ZERSPELLT DAS GOLDENE EI DER WELT, -DAS MÜTTERLICH VOM PHÖNIX GEIST BEBRÜTETE -- JEDOCH DES JUNGEN ADLERS -SCHNABELSCHÄRFE IST ES, DIE SICH MIT FRÜHFLÜGGER WEISHEIT LICHTBEGIERDE -DAS DUNKLE EI ZERSPELLT -- O WELT, VON DEINER SONNE EMPFING ICH -TRÄUMEND EINEN HIMMELSTRAHL IN MEINEM AUG, ALS ES NOCH SCHLIEF, ZUM -PFAND, DASS ICH DEREINST MICH AN DIR SONNEN WÜRDE, WANN ICH DURCH DEINE -BITTERSCHALE BRACH -- O AUGE ICH DER WELT, O HIMMELSAUGE ICH, ZU DIR, -O WELT, ERWACHEND -- O ICH ERWACHTER DANN, VOLLKOMMEN ERWACHTER ICH ZU -DIR, O WELT -- - - DIES IST DIE ZWEITE UNTERWEISUNG - - -Ein jeder von uns, ihr Christen, pflegt aus einer wüsten Menge -gleichgültiger Begebenheiten seines Daseins das eine oder andere -Ereignis herauszuheben, welches er vor sich selber gern als sein -Erlebnis wahrzeichnet. Ein jeder von uns lebt vielleicht Jahre -hindurch, lange und langweilige Jahre, nur so dahin, -- bis ihn zu -irgendeiner Stunde ein Blick aus einem Menschenauge trifft; bis ihn -ein Wort, ein Ruf, ein Haß, eine Freundschaft, ein Todesfall, ein -Lebensfall erreicht, der ihn im Innersten aus seiner Bahn wirft oder -ihm umgekehrt seine Bahn erst weist. Zweierlei ist es also, was ein -Begebnis zum Erlebnis stempelt. Einmal die scharfe Abgrenzung und -Abhebung von allem andern, was bisher gemeinhin als Erfahrungstoff -aufgenommen, verarbeitet und ausgewertet ward. Das andere Mal -aber die Aneignung und Besitzergreifung eines Vorkommnisses als -einer ausschließlich auf diese besondere Person und keine sonst -zugeschnittenen Begebenheit. So daß in einem zwiefachen Wortverstand -das Erlebnis als Ausnahmefall und Einmaligkeit angesprochen wird: im -Vergleich nämlich mit allen sonstigen Erfahrungen einer Person, wie sie -von der Gewohnheit gleichsam in der Handmühle der Alltäglichkeit klein -und fein gemahlen werden oder wie sie gleichfalls von der Gewohnheit -ohne die geringste Spur zu hinterlassen aufgebraucht und eingeschluckt -werden; im Vergleich ferner mit den Erlebnissen aller übrigen Personen, -welchen die Möglichkeit zu eben diesem Erlebnis der höchsteigenen -Person schlankweg aberkannt wird, -- und zwar mit gutem Fug aberkannt -wird, wie wir uns bald überzeugen werden... - -Was also heißt Erlebnis? Da ist etwa ein Mensch in langen Jahren jeden -Morgen um dieselbe Stunde denselben Weg zu seinem Geschäft gegangen; -entlang denselben Straßenzügen, vorbei an denselben Häusern, Gärten, -Mauern. Er weiß genau die Zahl der Schritte, die er zurückzulegen hat. -Er kennt die Straßen, Häuser, Gärten, Mauern längst auswendig, und ihr -immer gleicher Anblick berührt ihn so wenig mehr wie das immer gleiche -Gelärm der Straßenbahnen, Kraftwagen, Droschken und Lastfuhren, der -Dampfpfeifen, Sirenen und Hupen, der Ausrufer und Gassenkinder. Bis -er an einem Morgen unter den ungezählten Morgen etwa von ungefähr den -Zweig eines blühenden Goldregens über eine Mauerecke im Winde schaukeln -sieht, und von diesem Anblick, der möglicherweis oft schon auf seine -gleichmütige Netzhaut gefallen war, ganz seltsam berührt, betroffen und -beglückt sich fühlt. Diesen im Morgenwind wiegenden Goldregenzweig über -der Mauerecke verleibt er sich als einen nie wieder zu verlierenden -köstlichen Besitz in seiner Erinnerung ein, -- und nicht nur wird -er diesen Eindruck nie, nie wieder vergessen können, sondern auf -unbegreifliche Art von ihm im Innersten durchsäuert und durchwühlt, -durchpflügt und durchschüttert werden. Dieser Goldregen über der -Mauerecke hat ihm plötzlich Beziehungen aufgeschlossen und Gesetze -enthüllt, die ihm bis zu dieser Stunde schlechterdings verborgen -geblieben waren. Wie ist die Welt so hell, wie ist die Welt so reich, -wie ist die Welt so schön, fällt ihm jetzt vielleicht als unvermittelte -Offenbarung in die Seele, die selbst für einen ewigen Augenblick hell, -reich und schön wird... So dünkt den Erlebenden der Goldregenzweig über -der Mauerecke an jenem Morgen der Seelen-Öffnung wie ein Schicksal, -das sich früh auf die Beine gemacht hat, ihm an der richtigen Stelle -zu begegnen. Aus der verstaubten Reihe von täglichen und ähnlichen -Erfahrungen, die niemals Erlebnis geworden sind, hebt sich glänzend -dieses eine Glied heraus, wie sich etwa aus einer Kette von Wachsperlen -eine echte und wirkliche Perle herausheben würde. Was dieser Mensch, -sonst vielleicht ein elender Spießbürger oder ein verhärteter Krämer, -hier erlebt, das unterscheidet sich für ihn selber auf das bestimmteste -von seinem gesamten sogenannten Leben: und mehr noch unterscheidet es -sich für ihn vom Erleben aller anderen Lebendigen. Denn eben, indem -er die Wahrnehmung ‚Goldregen über einem Mauerwinkel‘ zu dem Erlebnis -steigerte: ‚Wie ist doch diese Welt hell, reich, schön‘, verhaftet und -vereignet sich dieses Erlebnis auf eine kaum zu beschreibende Weise -mit ihm selber. Sein Erlebnis ist nicht allein eine Begebenheit außer -allem Vergleich mit den übrigen Begebenheiten seines persönlichen -Lebensablaufs, -- es ist außerdem auch noch eine Begebenheit, an -welcher kein anderer Mensch Teil hat und Teil haben kann. Denn im -Erlebnis fließt ein Stück Welt in ein Selbst über und fließt ein Selbst -in ein Stück Welt über, so daß beide fortan untrennbar eins sind. Der -Erlebende hat die Gewißheit, er darf sie haben, daß sein Erlebnis -in einem unbedingten Wortsinn Sein ist, nur ganz allein von ihm und -niemandem sonst erlebt: ein großes oder kleines Schicksal, welches -sich nur in ihm erfüllen konnte, -- sein eigenstes und urpersönliches -Glück oder Verhängnis, welches seine einmalige und unvergleichbare -innere Geschichte bildet. Das Erlebnis eines Menschen aber, sehen -wir nun, ist ohne Einschränkung und Abzug auch das Geheimnis eines -Menschen. Und um die Wahrheit zu gestehn, ihr Christen, so trennt uns -Menschen gemeinhin nichts so unüberbrücklich wie dies, daß wir nicht -einerlei sondern vielerlei Erlebnis haben, nicht einerlei sondern -vielerlei Geschick, nicht einerlei sondern vielerlei Geschichte. -Verschiedenes Erleben verwirrt die Zungen und noch mehr die Sinnesarten -der vielen, -- verschiedenes Erleben läßt gegenseitiges Verständnis und -Ein-Verständnis nirgends auf kommen, oder wenn schon aufkommen, nicht -Bestand und Dauer haben. Denn wer nicht seines Nächsten Erlebnis hat, -wie soll der seinem Nächsten wirklich nah sein? Wenn aber so: ist dann -das Erlebnis nicht schon von Haus aus ein Verhängnis, das wie ein -Keil, das wie ein Beil in den Stamm der Gemeinschaft getrieben wird und -die Gemeinschaft spaltet?... - -Und in der Tat! Es ist schwer zu sagen, wie es infolge dieses -Sachverhaltes mit unserer Gemeinschaft, ja mit der menschlichen -Gattung überhaupt beschaffen wäre und ob sich diese Gattung nicht -schon seit langem selber aufgerieben hätte, wenn nicht von Zeit zu -Zeit in dieses stäte Auseinanderleben und Gegeneinanderleben aller -wohltätig ein Einzelner und Auserlesener träte, der gewissermaßen gar -nichts Besonderes, Eigenartiges, Unterscheidendes für sich erlebte, --- vielmehr nur eben das, was ausnahmlos alle irgend einmal erfahren -haben oder doch erfahren werden. Zum Heil nämlich dieser ganzen -Gattung Mensch und zu ihrer zeitweiligen Errettung geschieht es nicht -gar häufig zwar, aber doch immerhin hie und da, daß ein Einzelner in -unerhört verstärktem Maß berührt und betroffen werde von dem Erlebnis -aller Einzelnen, welches er kraft einer gleichsam stellvertretenden -Erleberschaft zu seinem besondern Schicksal macht und dadurch dann -zugleich ent-einzelt: derart vollzieht sich hier eine Individuation -der Spezies, oder wenn man recht verstehen will, eine Spezifikation -des Individuums, wie sie etwa der heilige Thomas von Aquino, ihr -Christen, in seiner scharfen und strengen Bezeichnungweise einen -‚Engel‘ zu nennen einst beliebte, -- einen Engel in einem tieferen -als nur dogmatischen Sprachverstand, wie wir jetzt wohl bemerken -können... Es gibt mithin, ihr Christen, Engel! Es gibt Einzelne, die -stellvertretend das Erlebnis der Gattung zu dem ihrigen machen und in -dieser Hinsicht zur Gattung sich erweitern! Es gibt Persönlichkeiten, -hier in dieser Welt und mit der Vernunft dieser Welt zu umfassen und -zu erraten, welche als Einzelwesen durch ihre Erlebnisart gleichsam -gattungmäßige Bedeutsamkeit erreichen! Es gibt spezifisch geweitete, -spezifisch verallgemeinerte Individuen und individuell verengerte, -individuell besonderte Spezies! Es gibt, wie ein _pater ecstaticus_ -des hohen Mittelalters sagt, ‚Allgemeine Menschen‘, und diese -Allgemeinen Menschen sind einzig und allein die Wort- und Seelenführer -menschheitlicher Gruppen in den Angelegenheiten von menschheitlicher -Erheblichkeit und Würde. Eine Persönlichkeit also wie der indische -Buddho Gotamo, durch Wille und Vergunst der Sprache schon sprachlich -als ‚Der‘ Buddho über das Bereich des Nur-Persönlichen deutlich -herausgesteigert, -- eine solche Persönlichkeit erlebt auf einzige -Weise nicht sowohl ihr eigenes, einmaliges, persönliches Schicksal, als -vielmehr das Schicksal des menschheitlichen genus überhaupt, welches -man nicht ohne schmerzliche Ironie das _genus_ des _homo sapiens_ -bezeichnet hat... Ein Mensch wie Gotamo erlebt somit generell; nicht -eigentlich individuell, sondern generell zu erleben ist Sein Geheimnis -und Seine Bestimmung, Sein Geschick und Seine Geschichte. Befragt um -sein entscheidendes und schöpferisches Erlebnis, könnte der Buddho -keine andere als diese Antwort geben: ich erlebte, was du und du und -du erlebt hast, was du und du und du erlebst, was du und du und du -erleben wirst. Ich erlebte das Menschliche, Ewig-Menschliche. Ich -erlebte Alter, Krankheit, Tod, -- Alter, Krankheit, Tod... - -Darüber hat nun Gotamo seinen Jüngern berichtet, in Gestalt zwar einer -Legende, die als die Ausfahrt Vipassî-Buddhos gefunden wird in der -Vierzehnten Rede aus der Längeren Sammlung Dîghanikâyo. Dort lebt Prinz -Vipassî, der erste der Buddhos in der Reihe der Sieben, in den drei -Palästen seines königlichen Vaters und im Genuß jener vollkommenen -Wunschbeglückung, wie sie bei den Fürsten und Königsöhnen des indischen -Märchens herkömmlich ist, -- und leicht kann man sich übrigens bei -dieser Gelegenheit davon überzeugen, daß Gotamo als Dichter und -Erzähler von Märchen mit jedem Kâlidâsa seiner Heimat zu wetteifern -vermöchte: er, der unstreitig der erste Gleichnissprecher aller Zeiten -und Völker gewesen ist... Jahrtausend also um Jahrtausend seiner -mythischen Jugend verlebt Prinz Vipassî in diesen Palästen, bis es ihn -eines Tags gelüstet, eine Ausfahrt in die Umgebung des Schloßgartens -zu machen. Der Wagenlenker schirrt ein und der Prinz besteigt mit dem -Hofstaat die kostbaren Gefährte. Den königlichen Gärten kaum enteilt, -stoßen sie da auf eine befremdliche Gestalt, -- gebeugt, kopfwackelnd, -ausgemergelt, weißhaarig, zitterig, tapperig, zahnlos, triefäugig. ‚Was -hat der Mann dort getan?‘ fragt der Prinz seinen Wagenlenker. ‚Er sieht -doch nicht aus wie andere Leute?‘ ‚Das ist ein Greis,‘ antwortet der -Wagenlenker, ‚ein Alter, der nicht mehr lang zu leben hat.‘ ‚Und werde -auch ich dereinst diesem Alten gleichen?‘ frägt der Prinz entgegen. -‚Auch du,‘ versetzt der Wagenlenker, ‚auch du wirst dem Alter nicht -entrinnen‘... Nun hat der Prinz für heute genug. Er befiehlt die Umkehr -und zieht sich ins Innerste zurück des Palastes, ins Innerste seiner -selbst zurück, wo er über diesen ungemeinen Vorfall grübelt, brütet. „O -Schande sag’ ich da über die Geburt, da ja doch am Geborenen das Alter -zum Vorschein kommen mu߫... - -Zweimal noch nach Ablauf so manchen vergessenden und beschwichtigenden -Jahrtausends befiehlt Prinz Vipassî seinem Wagenlenker den Wagen -anzuschirren und zweimal bricht der Jüngling vorzeitig die Ausfahrt -ab. Beim zweitenmal stößt er auf einen Siechen, hilflos im eigenen Kot -und Harn liegend und in jeder kleinsten Bewegung auf fremder Menschen -Beistand angewiesen; beim drittenmal begegnet er einem Leichenzug, von -vielerlei Volk geleitet in düsteren Gewändern. Und nach jeder Ausfahrt -geschieht es, daß er eine lange lange Weile grübelnd und brütend in -sich selbst versinkt: „O Schande sag’ ich über die Geburt, da ja doch -am Geborenen das Alter zum Vorschein kommen muß, die Krankheit zum -Vorschein kommen muß, der Tod zum Vorschein kommen muß“... Dann aber -ist’s von allem wieder still. Das Leben in den Wunschgenüssen nimmt -seinen Fortgang, und kein Anzeichen verrät, wie jene Begegnungen -im Gemüt des Prinzen weiterwirken, -- kein Anzeichen verrät, ob -sie weiterwirken. Und einmal noch nach tausend und tausend Jahren -heißt Prinz Vipassî die herrlichen Gespanne einschirren, um dieses -vierte und letztemal dann einen Pilger, einen Mönch, einen Bettler zu -gewahren, mit kahlgeschorenem Schädel und in fahler Gewandung. Einmal -noch eine Frage an den treuen Wagenlenker, und nach der Antwort ist -die Entscheidung endlich gefallen. Das dreifache Erlebnis hat die Tat -reifen lassen und die letzte Ausfahrt läßt sie zur Ausführung gedeihen. -Daheim scheert sich Vipassî seinen Schädel kahl, hüllt sich in ein fahl -Gewand und verläßt die königlichen Paläste der Jahreszeiten, um sich -auf Pilgerfahrt, Bettlerfahrt, Büßerfahrt zu begeben, -- will heißen, -um sich selbst zu finden, selbst zu retten, selbst zu lösen. Als ob ein -einzelner und einziger Mensch von Alter, Krankheit, Tod ein erstesmal -erfahren könne und erfahren habe, stellt die Legende von Vipassîs -Ausfahrten das Erlebnis des Buddho mit einer großartigen Einsilbigkeit -heraus, die das Gemüt betäubt wie das gleichmäßige Getrommel des Regens -in einer Herbstnacht auf ein Blechdach... Und in der Tat! Irgendwie -hat Gotamo die drei Kernübel des Menschseins mit der Gewalt der -Erstmaligkeit erfahren, mit der Heftigkeit der Erstmaligkeit erlitten: -gleichsam er der erste Mensch, der die sonnige Schwelle göttlicher -Wunschwelten mit Bewußtsein überschreitet und mit Bewußtsein das Ödland -der Wirklichkeit betritt... - -Vergänglichkeit, Leidbeschaffenheit, Wesenlosigkeit heißt mithin das -Urerlebnis Gotamos, das Urerlebnis des ‚Allgemeinen Menschen‘, -- und -wer wollte leugnen, daß dies in vielerlei Bezugnahme das Urerlebnis -unserer Gattung ist und bleibt. Dieses Urerlebnis stets sich von neuem -zu vergegenwärtigen fordert er denn auch in erster Linie von jedem, der -ihm nachzufolgen oder anzuhängen willens ist. In zahllosen Variationen -und Varianten kehrt an zahlreichen Stellen wieder, was dieser Bericht -von den vier Ausfahrten Vipassîs in einer mächtig vereinfachenden -Sinnbildlichkeit so einprägsam veranschaulicht denn für kaum eine -zweite geschichtliche Gestalt gilt ja des jüngeren Nietzsche Wort vom -Welt-Vereinfacher wie für den Buddho. Eine der eindrucksvollsten dieser -Stellen findet sich in der Sammlung der Bruchstücke Suttanipâto, die -zu den ältesten Schriften des Heiligen Kanons gehört. Aus bestimmten -Gründen führe ich sie in zwei Übertragungen, einer prosaischen und -einer metrischen an: „Unbemerkt und unerkannt ist das Leben der -Menschen hienieden, kummervoll, vergänglich und mit Leid verbunden. Es -gibt keinen Ausweg, auf dem die Geborenen dem Tod entrinnen könnten; -ist das Alter erreicht, da naht der Tod: so ist das Gesetz aller -Lebewesen. Wie für unreife Früchte schon früh die Gefahr des Abfallens -besteht, so besteht für die Menschen ständig die Gefahr des Sterbens. -Wie allen vom Töpfer angefertigten Tongefäßen das Ende des Zerbrechens -bestimmt ist, so auch dem Leben der Sterblichen. Die Jungen und die -Großen, die Toren und die Weisen, alle gelangen in die Gewalt des -Todes, aller Ende ist der Tod. Von denen, die vom Tod überwältigt -in das Jenseit gegangen sind, -- nicht rettet der Vater den Sohn, -noch auch die Verwandte die Angehörigen. Sieh! Während die Verwandten -zusehen und laut wehklagen, wird einer der Sterblichen nach dem anderen -hinweggeführt wie das zum Tod bestimmte Rind“... - -Und nun die nämliche Stelle, die wohl echt gotamidisch zu sein -scheint, denn die Worte von des Hafners Töpferware finden sich (in -etwas erweiterter Fassung) auch am Ende des Dritten Berichtes aus -dem Großen Verhör über die Erlöschung Mahâparinibbânasuttam, wo sie -der Buddho in seinen letzten Tagen zu seinen Jüngern spricht, -- -nun diese nämliche und ‚echte‘ Stelle in der vollkommen würdigen, -ja erhabenen Eindeutschung Neumanns. Hier ist sie angeschwollen -zu einem Klagegesang, zu einem Schicksallied von hymnischer -Gewalt und Schönheit, seltsam überdies gemahnend an jenes letzte -Gedicht-Bruchstück des Florentiners Buonarotti, dessen zermalmende -Schwermut als ‚_Canto de’ Morti_, Was geboren ist, muß sterben‘ in Hugo -Wolfs Vertonung etwa manchen deutschen Ohren widertönen mag: - - „Unbestimmbar, unerkennbar - Sterblichen ist hier das Leben, - Kümmerlich und karg erlesen - Und in Leiden eingewunden. - - Keines kennt man doch der Mittel, - Daß Gebornes nicht verderbe, - Und dem Altern folgt das Sterben; - Also ist es Art der Wesen. - - Früchten ähnlich, reif gewordnen, - Fallen und im Fallen fürchten - Sich die sterblichen Gebornen - Immer vor dem Todessturze. - - Wie des Hafners Töpferware, - Vielgeformte Tongefäße, - Alle doch zerbrechen endlich: - Unser Dasein ist nicht anders. - - Junge starke, Alte schwache, - Toren, Weise, wer es sei auch, - Alle wandeln Todesbahnen, - Todesuntertanen alle. - - Da vom Tode sie umfangen - Weiter wandern durch die Welten, - Hilft kein Vater hier dem Sohne - Und kein Vetter dem Gevatter. - - Hinterbliebne, Kinder, Eltern, - Sieh nur, wie ein jedes wehklagt, - Eines nach dem andern hinstirbt, - Weggeschleppt wie ein Stück Schlachtvieh“ ... - -Unstreitig also, ihr Christen, ist Gotamos Erleben ein Leiden. Ein -Leiden, sage ich: zunächst ein Leiden, und noch lange nicht das Leiden -schlechtweg, wie zu früh verallgemeinernd und darum nicht durchaus -richtig oft behauptet ward. Gotamos Erleben ist ein Leiden, und -zwar zunächst ein gleichsam örtlich festgelegtes und umgrenztes. Es -ist ein Leiden zunächst nicht eigentlich am Leben und am Grundgesetz -des Lebens, vielmehr ein Leiden ganz offenbar am Leibe und am Gesetz -der Leiblichkeit. Der Leib ist es und des Leibes Vergänglichkeit, -Hinfälligkeit, Gebrechlichkeit, Verweslichkeit, Wesenlosigkeit, die in -diesem gotamidischen _Canto de’ Morti_ und an so ungezählten Stellen -der Lehre immer wiederkehrend sonst mit der dämonischen Melancholie des -Michelangelo melodisch beseufzt, betrauert und besungen werden: die -Bestimmung der Leiblichkeit, die unumgängliche ist es, welche Gotamos -festes und wohlverwahrtes Herz bis in das Fundament erbeben lässet. Daß -dieser Leib nicht dauert und nicht dauern kann, daß dieser Leib sich -eines Tages nicht mehr aufrichten und erheben wird, um dann in allen -Regenbogenschillertinten als stinkendes Aas anzulaufen und schließlich -bis auf Nägel, Haare, Zähne zu Staub und Asche zu vermodern, das hat -den Jüngling Gotamo in einem Augenblick, wo ihm die ganze Wahrheit -wie ein Gespenst aus jener Welt vor die Seele trat, wie mit einem -wohlgezielten Blattschuß getroffen und hingeworfen. Wer aber von dem -Geschick des Körpers derart betroffen und hingeworfen wird, der muß -ein Mensch von leidenschaftlicher Liebe zu seinem Körper sein, denn -nur die leidenschaftlichste Liebe zu einem Ding schafft sich soviel -Leiden um den Verlust dieses Dings. Wem da nur wenig oder gar nichts -an seinem Leibe liegt, der wird kaum heftig leiden unter dem Altern, -Welken, Siechen, Sterben dieses Leibes: wer aber vollends den Leib -verachtet, wie sollte den des Leibes Tod berühren. Nichts wäre mithin -so verkehrt und irrig, als diesem Jüngling Gotamo betreff des Leibes -jene hellenisch-asketisch-christliche Auffassung zu unterstellen, -die man unter Bezugnahme auf ein geflügeltes Wort des Sokrates aus -dem platonischen Gorgias (in etwas freier Verdeutschung freilich) -die Leib-Leiche- oder die Körper-Kadaver-Auffassung -- griechisch -die σῶμα-σῆμα-Auffassung -- zu nennen wohl berechtigt wäre. -Pythagoreer, Orphiker, Platoniker, Neuplatoniker und Christen mögen -im Körper den Kerker und mehr noch die Gruft der Seele von Haus aus -mißachtet haben; Gotamo weiß von dieser Mißachtung nichts, weiß von -dem ganzen abendländischen Leib-Seele-Zwiespalt nichts: zum mindesten -weiß er von Haus aus davon nichts. Darum ist es an uns Christen der -westlichen und westlich zerrissenen Welthälfte, dem Umstand von -höchstem Belang unsere höchste Aufmerksamkeit zu widmen, daß dieser -Gotamo, Sohn des Fürsten Suddhodano zu Kapilavatthu, durchaus nicht -etwa priesterlichem, sondern kriegerischem Geblüt entstammt und -noch in seiner Jugend den Hochgebirg- und Alpenatem der indischen -Heldenzeit eines tiefen, vollen Zugs geatmet hat... Gotamo war -Krieger, Prinz und Ritter, nicht Priester und weniger noch Priesters -Freund; und er war dies als Sohn eines Volkes, welches weder von -einem gleichzeitigen noch von einem späteren je übertroffen worden -ist in seiner Freude an gesunder, wohlgepflegter, spielgeübter -Leiblichkeit. Gotamo war Krieger, Prinz und Ritter in jener indischen -Heldenspätzeit noch, die vor reifem Welt- und Sinnenglück inbrünstig -strahlte und bei dem festlichen Anblick edler Krieger gleichsam -hell und zärtlich wieherte wie ein junger Hengst, der eine Stute -wittert. Sproß eines fürstlichen oder adligen Geschlechts, wurde -der Jüngling Gotamo sicherlich auferzogen in den Waffen für die -Waffen, -- wie hätte er seinen gelenken, behenden Jünglingleib nicht -lieben sollen, der unter allen Umständen des Kriegers beste und -höchste Tugend ist. Wurde der junge Prinz und Ritter dann im Ablauf -der Zeit zum Heiligen und Erwachten seiner Weltzeit, -- nun um so -besser! Hierin wurde kein Widerspruch befunden nach der Auffassung -einer Rasse, welcher ursprünglich die Heiligkeit und Erwachsamkeit -keineswegs ein mönchischer Stand, sondern ein menschlicher Zustand -bedeutete, zu welchem man in einem gewissen Lebensalter bei richtiger -Lebensführung gleichsam von selbst heranreift. Sollte in guten Zeiten -doch der Waldeinsiedler (_vânaprastha_) die vorangehenden Stadien des -Brahmanjüngers (_brahmacârin_) und des Haushalters, Hausverwalters -(_grihastha_) seinerseit nur ablösen, wie der Waldeinsiedler eine -Weile später zum eigentlichen Pilger, Bettler- und Büßermönch -(_bhikshu_ oder _bhikkhu_) aufrücken konnte und aufrücken sollte: -erst wenn der Mann der Gemeinschaft gedient und sich gewissermaßen -in der Welt selbstverwirklicht hatte, winkte ihm als höherer -Zustand Weltlosigkeit und Einsiedlerschaft, in welchem er seine -Selbstheiligung zu vollbringen hoffen durfte. Asketenschaft entsprang -hier keinem weltfeindlichen Verhalten oder Fühlen, sondern krönte das -Menschenleben, in innigstem Einklang mit jeder tieferen Erfahrung, -wonach der Mensch und namentlich der Mann sich selbst gemächlich aus -der Welt heraus und über die Welt hinaus lebt, ohne Enttäuschung, ohne -Flucht, ohne Bitterkeit, ohne Bodensatz, in reinster Übereinstimmung -mit der Eigenbewegung, Eigenrichtung seines Seelenwachstums. Der -Mensch, wo er dieser Bewegung und Richtung seines Seelenwachstums nicht -absichtlich entgegen lebt, lebt seiner Seele zu und eben deshalb über -die Welt hinaus und über den Leib hinaus; denn ist auch diese Seele -in keinem Sinn eine Widerwelt oder ein Widerleib, so ist sie doch der -höhere Grad, die höhere Stufe der Weltlichkeit und Leibhaftigkeit. Der -Leib wird darum in jener Zeit auch noch nicht grundsätzlich kasteit -oder mißhandelt oder gar abgetötet, vielmehr er wird überwunden und -überwachsen. Mit seinem Dahinschwinden mehrt sich die Seele, ähnlich -wie mit dem Abwelken der Kartoffelstaudenblüte der Knollen im Boden zur -Genießbarkeit heranreift... - -Verwundern wir uns also nicht, daß es in den Schriften des -Pâli-Kanons eben der Heilige seines Weltalters ist, der zu -vollkommener Makellosigkeit des Leibes verpflichtet, von allen -übrigen Menschen gerade er am unerläßlichsten verpflichtet ist. Für -den Buddhismus ist es ganz einfach eine Selbstverständlichkeit, -was der europäisch-christlichen Erkenntnis-Zwiesal mit ihrer -grundsätzlich gegensinnigen Leib-Seelenwirklichkeit schlechterdings -unbegreiflich erscheint und erscheinen wird: Gotamo wäre durch einen -minder vollkommenen Körper von vorn herein widerlegt, nicht allein -vor den andern, sondern am meisten vor sich selber. Wo in einem -vornehmen Haus ein Knabe geboren wird, berechtigt er in dem Maß zu -höheren Hoffnungen, desto untadeliger sein Leib gebildet ist, -- zur -höchsten Hoffnung aber dann, wenn er die zweiunddreißig Male des -‚Großen Mannes‘ aufweist, die für den Kanon herkömmlich geworden sind. -Alsdann ist der Welt nämlich in heiliger Stunde ein Eroberer oder -ein Überwinder erschienen: der Kaiser-König oder der Erwachte einer -nunmehr eingeleiteten Weltzeit. Vielleicht ist kein anderer Umstand -geeignet, die wundervolle Einheitlichkeit des indischen Denkens -und Wertens auszudrücken, als dieses beziehungreiche ‚oder‘, das -jeden Spielraum freiläßt zwischen der Typik einer die Macht restlos -erfüllenden und die Macht restlos verschmähenden Menschlichkeit. -Innerhalb des Umkreises menschheitlicher Selbstverwirklichungen -verhält sich der Kaiser-König zum Erwachten, wie sich der Leib zur -Seele verhält, -- zuletzt sind sie irgendwie dasselbe und treten nur -verschiedenartig, kaum aber verschiedenwertig in Erscheinung: wenn -ich hier vorhin die Seele den höheren Grad des Leibes nannte, so -ist wahrscheinlich auch dieses noch viel zu abendländisch, viel zu -platonisch, viel zu christlich ausgedrückt gewesen... Was aber jene -indische Gleichwertung des Kaiser-Königs mit dem Erwachten anlangt, -so dürfte bei ihr noch der andere Gedanke mit hineinspielen, daß es -sozusagen der Wahlfreiheit des mit den zweiunddreißig Kennzeichen -Ausgestatteten anheim gestellt ist, ob er sich späterhin für den -Typus des Eroberers, ob für den Typus des Überwinders tatsächlich zu -entscheiden geruhe. Für indisches Auffassen liegt es durchaus innerhalb -des Bereichs gotamidischer Fähigkeiten und Möglichkeiten, zum Beispiel -noch außerdem ein Asoko zu werden, -- wie es umgekehrt durchaus im -Bereich asokischer Fähigkeiten und Möglichkeiten liegt, noch außerdem -ein Gotamo zu werden. So war Gotamo wirklich in seiner Jugend -Fürst und Krieger; so war Asoko wirklich in seinem Alter Büßer und -Einsiedler: in weltaufschließender Symbolik verbringt er seine letzte -Lebenszeit nach siebenunddreißig Jahren glorreicher Machtherrschaft -auf jenem nämlichen Goldenen Felsen Suvannagiri im Lande Magadhâ, -wo einst der Jüngling Gotamo geweilt hatte... Ursprünglich also -wohl Leib-Geist und Körper-Seele in letzter Ununterschiedenheit und -Ununterscheidbarkeit, erwählt der Mensch gleichsam das Leben des -überwiegenden Leibes oder des überwiegenden Geistes, des überwiegenden -Körpers oder der überwiegenden Seele. Bevor er indes selber wählt, hat -ihn seinerseit unter Unzähligen die Natur erwählt, indem sie ihn mit -den Schönheitmalen makellosen Leibes und makelloser Seele leibhaftig -begnadete. Diese klar ausgebildeten zweiunddreißig Male sind Gotamos: -die wohlgefesteten Füße, die Tausendspeichenräder mit Felge und Nabe -auf beiden Sohlen, die schmalen Fersen, die sanften zarten Händ’ und -Füße, die breitgeschweifte Bindehaut zwischen Fingern und Zehen, die -Muschelwölbung des Ristes, die schlanken Beine, die Fähigkeit zur -Berührung der Kniescheibe ohne Vorwärtsbeugen des Rumpfes, das hinter -der Kleidung unerkennbare Schamglied, die Goldfarbe des Körpers, -Goldfarbe der Haut, die Schmeidigkeit der Haut, die Einzelflaumigkeit -des Haares in seiner Pore, die Aufgerichtetheit, Schwärze, Ringelung -des Flaums, die Erhabenheit des Wuchses, die Heiterkeit des Aussehens, -die breite Löwenbrust, die Klafterhöhe, die Verhältnismäßigkeit der -Körperlänge zur Armlänge, die Gleichform der Schultern, die Mächtigkeit -der Ohrmuscheln, das Löwenkinn, das vollständige Gebiß, das festgefügte -Gebiß, die Weiße der Zähne, die Größe der Zunge, der Wohllaut der -Stimme, die Flocke zwischen den Brauen und zuletzt der Scheitelkamm. -Dies ist Gotamos Leiblichkeit, so haben wir uns den Erwachten -vorzustellen, der in mehr wie einem Sinn die Erbschaft Krischnas -antrat. Derart stellt sich der Buddho in seinen Reden selber vor und -derart ist er uns in Stein und Holz und Erz überliefert. Bis auf das -Haar, das einständig einzelflaumige in seiner Pore, ist des Vollendeten -Leiblichkeit vollendet geformt und gebildet, -- nie ist dem Leib eine -größere Verherrlichung widerfahren. Wenn überhaupt, dann war in jenen -gotamidischen Tagen die Gestalt des Leibes heilig; wenn überhaupt, ward -in jenen gotamidischen Tagen die Schönheit des Leibes angebetet. Der -Leib nicht Grab, sondern Gral der Seele, das war Indiens Bekenntnis -in jenen Tagen, da des Lebens Übermaß und Überschwang sogar die -prunkenden Wortfugen des Mahâbhâratam glühend auseinandersprengte, wie -es tausend und mehr Jahre später abermals (oder vielleicht immer noch?) -die Tempelwände des buddhistischen Parthenon Boro-Budur gesprengt -hat. Der Leib, nach Indiens Bekenntnis der Gral seiner Seele, Gefäß -und Schrein der Seele und edel wie die Seele, -- fürwahr! es ist -bei dieser leibhaften Herrlichkeit des Erwachten zu Magadhâ schwer -vermeidlich, nicht der leibhaften Herrlichkeit eines Erwachten unseres -Westens zu gedenken, der in gotamidischem Alter dahingegangen ist, -nachdem er wie kein anderer zuvor die Erde zu seiner Wohnstatt sich -bereitete, allwo er wie ein Gott sälig an jedem Ort zu Hause war: „Der -Körper lag nackend in ein weißes Bettuch gehüllt... Friedrich schlug -das Tuch auseinander, und ich erstaunte über die göttliche Pracht -dieser Glieder. Die Brust überaus mächtig, breit und gewölbt; Arme -und Schenkel voll und sanft muskulös; die Füße zierlich und von der -reinsten Form, und nirgends am ganzen Körper eine Spur von Fettigkeit -oder Abmagerung und Verfall. Ein vollkommener Mensch lag in großer -Schönheit vor mir...“ - -Dieser Leib nun, in allen Spielen des Laufens, Ringens, Springens, -Schwimmens, Fechtens, Rossetummelns, Bogenschießens geübt, in allen -Künsten der Verschönerung erfahren, in Wohlgerüchen gebadet, von -Räucherwerk durchduftet, mit feuchtem Sandel eingesalbt und mit Safran -und Lakkaröte geschminkt, -- dieser Leib nun wird unabwendbar eines -Tages in Regenbogentinten schillernd angelaufen sein. Er wird wie ein -aufgetriebener Blasbalg von den Gasen der Verwesung angeschwollen sein. -Er wird an hundert Stellen aufplatzen und stinkend in den Jauchepfützen -seines eigenen Aufbruchs liegen. Aus seinen Löchern und Höhlen wird -madiges Gemeiß kriechen. Das Fleisch wird von den Sehnen und die Sehnen -werden von den Knochen fallen. Die Knochen werden von den Überbleibseln -der Fäulnis braun bestäubt sein, bis auch sie zu Staub vermodert sind. -Und dies ist die Gewißheit des Leibes: dies ist der Kummer am Leibe für -den, der den Leib lieb hat. Dies ist die Gewißheit des Leibes: dies ist -das Leiden am Leibe, wie es der junge Ritter Gotamo erlitt, der da noch -den Atem der Heldenfrühe des indischen Festlands atmete. Er selbst hat -später am Seherstein im Wildpark zu Benâres die Wahrheit des Leidens -eine heilige genannt, und die Frage war für ihn nur diese, ob es derlei -Leidens auch eine Abstellung, Verwindung, Überwältigung gäbe? Die Frage -war eigentlich nur, ob dieser dauerlose Körper zur Dauer erstarken, ob -dieser hinfällige Körper zur Rüstigkeit gedeihen, ob dieser sterbliche -Körper zur Unsterblichkeit erblühen könne? Ist es möglich, ist es auch -nur denkbar, daß die weltherkömmliche Ordnung für den Körper umgestürzt -werde und das Leiden am Körper zu seiner Aufhebung gelange, indem der -Körper durch Anspannung, Übung, Umgestaltung außerhalb dieser Ordnung -gleichsam neu gepflanzt und neu aufgebaut würde? - -Der Abendländer zweifelt und verneint. Der Abendländer stellt sich Leib -und Seele vor als zwei nebeneinander herlaufende Erscheinungreihen -und Erlebnisverknüpfungen, die wirkunglos und beziehunglos zueinander -ihren leiblichen und seelischen Gegengesetzen folgen müssen. Gotamo -hingegen zweifelt nicht und bejaht. Leib und Seele zuletzt ein und -des nämlichen Seins und Wesens, stehen für ihn in einem stätigen -Wechselverhältnis, ja Austauschverhältnis, wobei der Leib die Stelle -der Seele vertreten kann und die Seele die Stelle des Leibes. Der Wille -eines jeden hat es in der Hand, den Leib gleichsam mit den Spezereien -der Seele einzubalsamieren, wie es der Arzt seit unvordenklichen -Zeiten in der Hand hat, die Verweslichkeiten des Leibesinnern gegen -pflanzliche Dauerstoffe auszuwechseln und dadurch unverweslich zu -machen. Gotamo verneint die Unerläßlichkeit des Leidens am Körper -und bejaht des Leidens Abstellung, Verwindung, Umgestaltung aus der -Einsicht heraus in die Herkunft und die Beschaffenheit des Leibes. So -wie die Ordnung der Natur ist, entsteht der Körper und vergeht der -Körper. So wie es aber der Wille des Menschen will, der unablässig um -Dauer ringende, kann eine Versetzung des Leibes stattfinden in eine -andere Lage der Wirklichkeit, in einen anderen Urstand des Seins, wo -die Gesetze der Schöpfung, als welches die Gesetze des Werdens sind, -ganz von selbst außer Kraft treten müssen. Wir Abendländer kennen als -Beispiel einer gewissen Umgestaltung den Vorgang der Versteinerung. -In die schneller verweslichen Teile eines Tier- oder Pflanzenleibes -dringen unverwesliche Teile ein von mineralischer Beschaffenheit -und bauen die Gestalt des Lebewesens in eben dem Zeitmaß von sich -aus wieder auf, in welchem diese Gestalt durch die Zersetzung ihrer -organischen Grundstoffe und durch deren Verbindung mit dem Sauerstoff -abgebaut wird. Wo der Zellenleib zerfällt, erscheint allmählich ein -Steinleib zu seiner Stellvertretung, so daß man in Wahrheit von einer -Umgestaltung reden dürfte, -- von einer Umgestaltung, die freilich -nur den toten Leib ergreift und diesen gegen den nicht minder toten -Ersatzleib eintauscht. Indessen ist uns Abendländern doch auch manch -anderes Beispiel lebendiger Umgestaltung nicht völlig unbekannt. Wir -selber pflegen die Kräfte unseres Lebens, unseres Selbstes an unsere -Arbeit zu setzen, sei sie nun Wort oder Werk oder Tat oder überhaupt -Leistung; in Wort Werk, Tat, Leistung setzen wir selbst uns um, setzen -wir unserer Selbstheit Gestalt um und schaffen uns auf diese etwas -plumpe Art eine verhältnismäßige Unsterblichkeit in einem Bereich der -sogenannten Werke oder Werte oder Sachverhalte oder Gültigkeiten, -- in -einem Bereich mithin, welches uns in gewissem Sinn sehr wohl des Lebens -Jenseit bedeuten darf. So fangen wir gleichsam die Essenz unseres -Lebens von uns selber ab und versetzen unser persönlich-sterbliches -Sein an den Himmel sachlicher Unsterblichkeiten. Auf allen Wegen, wo -wir gehen und stehen unsere Unsterblichkeit angelegentlich betreibend, -gestalten wir auf solche Weise die Gestalt unseres Selbstes um in Wort, -Werk, Tat und Leistung, welche offenbar länger dauern als die lebendige -Gestalt und dennoch des Lebens nicht in jedem Sinn entbehrt. In Worten, -Werken, Taten verewigen wir uns selber, fortwährend ohne unser Wissen -in einem wunderlichen Unsterblichkeitzauber, Apathanatismos von hoher -Wirksamkeit befangen... - -Noch ein Schritt weiter, und wir stoßen auf Gotamos eigenen -Unsterblichkeitzauber, auf Gotamos eigenen Apathanatismos. Beruht -dieser doch im wesentlichen darauf, daß der Leib in zunehmenden Graden -durchsetzt und durchseelt, durchwaltet und durchwürzt, durchdrungen und -durchflutet werde mit den erworbenen Grundbestimmungen des Gemütes. Das -gotamidische Verfahren besteht vornehmlich darin, die von der Seele -hervorgebrachten und einstweilen durch Übung befestigten Zustände -gleichsam als stätige Gebilde den unstätigen Gebilden des Leibes zu -unterstellen, und zu diesem Ende weiß der Buddho sich der älteren -Praxis der Yoga trefflich zu bedienen. Insonderheit ist es die übrigens -auch im alten China geübte Praxis des regelentsprechenden Aus- und -Einatmens, die Hatha-Yoga, welche Gotamo für seine Makrobiotik, für -seinen Apathanatismos anzuwenden gesonnen ist. Die Aus- und Einatmung -nämlich wird ganz planmäßig mit Vorstellungen verknüpft, die sie -begleiten sollen, und diese Vorstellungen verschmelzen allmählich -derart mit den Atemvorgängen selber, daß sie gewissermaßen an deren -Stelle treten: die körperliche Tätigkeit, zuerst von einem Ablauf -von Bildern und Gedanken regelmäßig begleitet, wird bei geregelter -Führung von diesen Bildern und Gedanken bis zu einem gewissen Grad -geradezu verdrängt, der Vorgang in der Lunge wird umgesetzt in einen -Zustand des Gehirns, ja des Bewußtseins. Die Atmung wird etwas anderes -wie Atmung, die Körpertätigkeit setzt sich in etwas anderes um als -Körpertätigkeit, und zwar vollzieht sich diese ‚Selbstvergeistigung‘ -gradweis und stufenweis mit den erlangten Graden und Stufen der -erworbenen Gemütszuständlichkeit. In der Hundertundachtzehnten und -Hundertundneunzehnten Rede aus der Mittleren Sammlung Majjhimanikâyo -hat sich der Buddho ausführlicher, obzwar leider immer noch nicht -ausführlich, über diese Atemübungen vernehmen lassen, und insbesondere -in der letzten dieser Reden wird das Ziel dieser seltsamen Vornahme -ein wenig deutsam. Der Leib soll dazu bereitet, ja dazu abgerichtet -werden, an dem Erwerb der Seele teilzunehmen: der Leib soll lernen, -sich bis zu den tiefsten Versenkungen der Seele mit zu versenken und -sich in den reinsten Läuterungen der Seele mitzuläutern. Der Leib soll -nicht länger ein unbeeinflußtes und unbeeinflußbares Außerhalb der -Seele bleiben, sondern in jedem Muskel, in jeder Zelle den erreichten -Seelenstand selbst erreichen. Auf leibliche Weise soll sich der Leib -solange in Seele wandeln, als sich auf seelische Weise die Seele in -Seele wandelt. Die christliche Seele, ihr Christen, hält ihre höchste -Andacht beiseit vom Leib, als _forma separata_ entrückt, entrafft, -entleiblicht, -- aber die Seele Gotamos hält ihre höchste Andacht mit -dem Leib zusammen, den Leib völlig in Seele einbettend, umbettend. -Die christliche Seele, ihr Christen, ist unsterblich abseit des -sterblichen Leibes und überlässet den sterblichen Leib dem allgemeinen -Verhängnis der Sterblichkeit, -- aber die Seele Gotamos gedenkt -unter keinen Umständen den Leib sich selber und seinem Verhängnis zu -überlassen, sondern ihn vielmehr mit ihrer eigenen Dauer zu begaben und -zu begnaden. Dem Fleisch der Früchte, dem Fleisch der Tiere, welches -wir erhaltsam und bewahrsam machen wollen, setzen wir etwa Zucker, -Salz, Säure, Weingeist, Hitze, Trockenheit zu. Dem Fleisch des Leibes, -vom Buddho Erhaltsamkeit und Bewahrsamkeit ernstlich zugedacht und -zugesprochen, setzt der Buddho gleichsam Seele zu, und so erwirbt es -durch diesen Zusatz beide Tugenden. „Und ferner noch, ihr Mönche: der -Mönch, gar fern von Begierden, fern von unheilsamen Dingen, verweilt in -sinnend gedenkender, ruhegeborener, säliger Heiterkeit, in der Weihe -der ersten Schauung. Diesen Körper durchdringt und durchtränkt, erfüllt -und sättigt er mit ruhegeborener säliger Heiterkeit, so daß nicht der -kleinste Teil seines Körpers von ruhegeborener säliger Heiterkeit -ungesättigt bleibt. Gleichwie etwa, ihr Mönche, ein gewandter Bader -oder Badergeselle auf ein Metallbecken Seifenpulver streut und mit -Wasser versetzt, verreibt und vermischt, sodaß sein Schaumball völlig -durchfeuchtigt, innen und außen mit Feuchtigkeit gesättigt ist und -nichts herabträufelt: ebenso nun auch, ihr Mönche, durchdringt und -durchtränkt, erfüllt und sättigt der Mönch diesen Körper da mit -ruhegeborener säliger Heiterkeit, so daß nicht der kleinste Teil seines -Körpers von ruhegeborener säliger Heiterkeit ungesättigt bleibt“... - -Dies also ist das überschwänglich übermenschliche Ziel des -gotamidischen Unsterblichkeitwillens, den Leib den Ordnungen des -Werdens, als welches die Ordnungen des Entstehens-Vergehens sind, -gewaltsam durch Anstrengung, Übung, Umgestaltung zu entreißen und -seiner völligen Durchseelung zuzuführen. Und mit viel Besonnenheit -entnimmt Gotamo die Mittel zu diesem erfahrung-jenseitigen Ziel dem -unausschöpflichen Vorrat an Selbsterfahrungen, den die Yoga, das ist -die überlieferte Kunst der unbedingten Leib- und Geistbeherrschung, -durch den Willen, in den Jahrtausenden aufgespeichert hat. Durch -strenge Anpassung erfahrungmäßiger Zucht- und Abrichtungmittel an den -schlechterdings überschwänglichen Zweck entsteht ein Langlebigkeit- -und Unsterblichkeitzauber von beispielloser Unentwegtheit und -Folgerichtigkeit, dem nur wenige unter den anderen maßgebenden -Religionen der Erde etwas Ähnliches an die Seite zu stellen haben -dürften. Durch eine mit planmäßiger Führung und Regelung des Ein- und -Ausatmens einzuleitende Entkörperlichung des Körpers beschwichtigt -der Buddho sein Leiden am Körper und überwindet es: durch eine mit -hoher diätischer Besonnenheit betriebene Umgestaltung des Leibes -durchbricht der Buddho die Ordnung der Leiblichkeit und steigert -den Körper gewissermaßen zu einem Urstand der Seele, -- oder -vielleicht zutreffender und richtiger noch: er steigert ihn zu einer -Eigenschaft der Seele, welche Dauer, Ständigkeit, Langlebigkeit, -ja geradezu Unsterblichkeit heißt. Wer diesen Tatbestand von -grundlegender Bedeutsamkeit begreift, der und nur der wird das -wunderliche Wort Gotamos wirklich zu würdigen vermögen, welches in der -Hundertundneunzehnten Rede aus der Mittleren Sammlung Majjhimanikâyo -die Einsicht in den Körper als den Inbegriff aller heilsamen Dinge -preist. Gleichwie einer, der das große Meer im Geiste gefaßt habe, -damit auch alle Ströme und Flüsse gefaßt hat, die sich ins Meer -ergießen, so hat sich die Summe alles heilfordernden Wissens zu eigen -gemacht, wer die Einsicht in den Körper erwarb. Als ein Umgestalteter, -jedenfalls aber als ein Umgestaltender, ist er dem Werden entronnen. -Ungeworden, vergeht er nicht, unvergänglich, dauert er. Wer die -Einsicht in den Körper pflegt, der wird nicht, sondern ist, und wer -ist, hat bereits im Jenseit dieser Werdewelt und Wandelwelt festen Fuß -gefaßt. ‚Spender der Unsterblichkeit‘ aber, das ist einer der Titel -des Erhabenen, die er sich durch diese Anweisung zur Umgestaltung des -Leibes in einem vielleicht buchstäblicheren Sinn verdient zu haben -scheint, als es unsere höchst lückenhafte, höchst unzulängliche, höchst -unzuständige Abendlands-Erfahrung auf den ersten Anblick wohl wahr -haben möchte... - -Verstehn wir Christen uns indes, ihr Christen, reichlich schlecht -auf diese wie auf alle sonstigen unsterblichen Dinge, so sind -wir dennoch mit derlei geheimnisvollen Vornahmen nicht völlig -unbekannt oder sollten es wenigstens nicht völlig sein. Auch dem -Heiland unserer westlichen Welthälfte ist ja die Umgestaltung bei -Lebzeiten widerfahren, von welcher das Evangelium nach Lukas in -seiner schmucklosen Art trocken berichtet: „Und während er betete, -ward die Gestalt (εἶδος) seines Angesichts eine andere und sein -Gewand ward weiß und blitzete“... Was hier mit Jesus geschah, als er -in der Gesellschaft des Petrus, Johannes, Jakobus den hohen Hügel -bestiegen hatte, umschreibt das Evangelium der Kirche ein klein -wenig völliger, wenn es wörtlich erzählt: „und er ward umgestaltet -(μετεμορφώτη), und es leuchtete sein Antlitz wie die Sonne und -seine Gewänder weißten sich wie das Licht“... Der Verfasser dieser -Heiligen Schrift der Christen gebraucht an dieser Stelle geradezu das -Wort Umgestaltung selbst, welches dann Luther in einer auffälligen -Ungenauigkeit mit ‚Verklärung‘ wiedergegeben hat. Was aber hier -sofort im Unterschied zum buddhistischen Kanon schwer ins Gewicht -fällt, ist weniger die Beiläufigkeit und Folgenlosigkeit des für den -Buddhismus so entscheidenden Vorgangs, als vielmehr die Tatsache, -daß die Umgestaltung des Evangeliums als eine Wirkung der Gnade oder -des göttlichen Eingriffs zu gelten hat, während die gotamidische -Umgestaltung das selbsttätig erworbene Gut der Freiheit erscheint. -Auch in dieser Bezugnahme bleibt der Buddho seinem Protestantismus -unentwegt treu, denn Gotamo der Protestant, Gotamo der Atheist weiß -nichts von Gnade, weiß nichts von Eingriffen Gottes, weiß nichts von -Gott selber, dessen Wolke ihn überschatten und dessen Stimme ihn -als den vielgeliebten Sohn verkünden könne. Wenn der Leib Gotamos -seiner Umgestaltung tatsächlich teilhaftig geworden ist, so wird die -Umgestaltung der unermüdlichen Arbeit, Zurichtung und Zucht des eigenen -Selbstes verdankt. Sie stellt sich nicht ein von ungefähr, sondern -ist der Ertrag eines unablässig diesem Ziele zugewandten Strebens. -Gleichsam um diesen Sachverhalt anzudeuten, widerfährt die sichtbare -Verklärung des Leibes dem Buddho (nach dem Dritten Bericht aus dem -Großen Verhöre zur Erlöschung Mahâparinibbânasuttam) erst wenige -Stunden vor dem Ende, am Tage vor der Nacht, da der Vollendete wirklich -voll-endet. In einer Szene von mehr wie kalidasischer Reinheit, -Helligkeit und Zartheit der Farbe weiß der Bericht zu erzählen, daß -der Mallerprinz Pukkuso dem sterbenden Heiligen einen doppeltgewebten -goldfarbenen Schleier habe darreichen lassen als kostbares Sterbekleid, -des kostbaren Sterbenden würdig. Vom Lieblingjünger Ânando dann mit -diesem schimmernden Schleier bekleidet, beginnt der Leib des sterbenden -Meisters, gleichsam im Feuer der eigenen Seele zu völliger Gediegenheit -geläutert, wie der Mond in der Nacht seiner Rundung zu leuchten und -zu gleißen, also daß der doppeltgewobene goldfarbene Schleier des -Mallerprinzen in fahler Glanzlosigkeit verbleicht. Nun ist der Leib -des Erhabenen endgültig und restlos umgestaltet, vollkommen dauerhaft -geworden. Aber in dieser Stunde der ewigen Selbstvollendung besteht der -Vollendete nicht mehr auf seiner Dauer, -- in dieser Stunde übergibt er -den verklärten und durchsättigten Leib eben jener Werdewelt, die er in -fünfzig Jahren ununterbrochener Selbstläuterung überwunden hat!... - -Vollkommen dauerhaft geworden, sag’ ich, bestünde in diesem Augenblick -der Herr Gotamo dennoch nicht auf seiner Dauer: vollkommener Spender -der Unsterblichkeit geworden, verschmähe der Herr Gotamo zuletzt -dennoch seine Unsterblichkeit. Dieses in der Tat sehr seltsamen, -sehr unverständlichen, ja widersinnigen Sachverhalts müssen wir -an dieser Stelle noch gedenken, wenn anders wir von dem Geheimnis -dieses geheimnisvollsten aller Menschen auch nur einen Zipfel zu -lüften hoffen dürfen. Das Leiden am Leibe aufzuheben, hat der Buddho -die Praxis der Hatha-Yoga samt allem, was an seelisch-körperlichen -Übungen (‚_exercitia_‘) mit ihr zusammenhängt, in den Dienst eines -unbeirrbaren Unsterblichkeitwillens gestellt. Und in der Fähigkeit, -den Leib mit seelischen Kräften wie mit den Wellen von einer annoch -unbekannten Ordnung zu durchstrahlen, dauerhaft zu machen und ihn -gleichsam aus der Bewegunglage in die Ruhelage hinüberzubetten (und -nicht nur hinüberzurechnen, wie die europäischen Mathematiker und -Physiker mit den materiellen Systemen des Kosmos tun!) -- in dieser -Fähigkeit hat er mutmaßlich die Heilande und Heiligen aller anderen -Religionen der Erde weit hinter sich zurückgelassen. Er hat sie soweit -hinter sich zurückgelassen, daß von den Brosamen, so von dieses -Reichen Tische fallen, noch immer alle die Hündlein satt geworden -sind, die, von den Verkümmerungen, Verzerrungen, Fehldeutungen dieses -gotamidischen Gedankens zehrend, als Theo- und Anthroposophen heute -einem Krypto-Buddhismus Pseudo-Buddhismus in allen fünf Weltteilen -zumal frönen. Eine Nachprüfung, eine Nachtätigung, wieweit der -Körper durch solche Anstalten wirklich bis zu einem gewissen Grade -unsterblich zu machen wäre, ist freilich aus allbekannten Gründen -mindestens uns Europäern bis auf weiteres versagt. Haben wir keinen -Grund, die Möglichkeit dieser und ähnlicher Umgestaltungen schlankweg -zu verabreden, so sind wir im Hinblick auf unsere eigenen Erfahrungen -freilich dazu berechtigt, auch dieser Umgestaltung keine tatsächlich -unbegrenzte, sondern etwa nach Wirkunggrad und Reichweite immerhin -begrenzte Beeinflussung zuzuschreiben. Genug, daß der Buddho selber -zur Erlöschung eingegangen ist, trotzdem das Unsterblichkeit- und -Dauerziel eines der vornehmsten seiner Lehre und seines Wandels -gewesen ist. Der Herr eines der Werdewelt und ihren Gesetzmäßigkeiten -grundsätzlich entrückten Leibes geworden, macht der Buddho, wie ich -schon sagte, im entscheidenden Augenblick von dieser erworbenen -Ewigkeit dennoch keinen Gebrauch! Und wahrscheinlich ist es der -Bestürzung der Jüngerschar über dieses erschütternde Begebnis zu -danken, -- in vielen Punkten der Bestürzung einer anderen Jüngerschar -nicht unähnlich, -- daß der Dritte Bericht aus dem Großen Verhör -über die Erlöschung Mahâparinibbânasuttam in stark legendarischer -Fassung auf diesen ganz und gar unbegreiflichen Umstand zurückkommt -und gewissermaßen eine Erklärung _a parte post_ zu geben bemüht ist, -warum der Erhabene seinen zur Dauer gehärteten Körper nun doch dem -Vergehen überantwortet. Es ist dies nach dem Wortlaut des Berichtes -einem Versäumnis des Ânando zur Last zu legen, der in den fraglichen -Tagen mit der persönlichen Aufwartung beim Erhabenen betraut war. Ihm -nämlich hat der Buddho dreimal die Bitte auf die Zunge gelegt, nicht -zur Erlöschung einzugehen, vielmehr fortab unter den Jüngern zu weilen -in dem Zustand der leiblichen Beharrung, zu dem er sich in einem halben -Jahrhundert unerhörter Läuterungen emporgeläutert hat. Dreimal legt -der Buddho diese Bitte seinem Lieblingjünger auf die Zunge und dreimal -verstehet Ânando seinen Meister nicht und schweigt. Also mißverstanden -und unverstanden vom teuersten Menschen bei unwiderbringlicher -Gelegenheit, beschließt der Erhabene, dem dreimal schon ausgesprochenen -Wunsche Mâro des Bösen zu willfahren und zur Erlöschung einzugehen. -Mit der Gebärde jener göttlichen Traurigkeit, welche auch noch die -schönsten Siege des Menschen über sich, über die ‚Welt‘ umflort, gibt -der Erwachte die lebenslang erkämpfte Dauer seines Leibes preis. Auch -der Mensch, der ihm längst der werteste und nächste war, hat sich -das Geschenk stätiger Gegenwart des Erhabenen nicht erbeten. Auch -der innigste Freund, der ‚siebenschrittige‘, war ihm in der rechten -Stunde innerlich unendlich fern und hat das Wort des Herzens nicht -gefunden: Μεῖνον μεθ’ἡμῶν, Bleib’ bei uns! ὅτι πρὸς ἑσπέραν ἐστιν, denn -es naht gen Abend! Hier bricht ein tödlicher Schmerz durch, mit keinem -Laut preisgegeben und trotzdem zermalmend fühlbar, ein Schmerz über -alle Schmerzen an der Vergänglichkeit, Hinfälligkeit, Wesenlosigkeit -des Leibes. Hier bricht ein Schmerz durch, ein nie besieglicher, -über die untilgbare Menscheneinsamkeit der Seele, ein Schmerz, den -auch der großgeistige Buddho nicht mehr zu verwinden weiß, -- nun -war es Zeit sogar für ihn, den Großgeistigen, zu gehen... „Wer auch -immer, Ânando, die vier Machtgebiete geübt, gepflegt, ausgeführt, -ausgebildet, angewendet, durchgeprüft, durchaus entrichtet hat, der -könnte, Ânando, wenn ihn darnach verlangte, ein Weltalter hindurch -bestehen, oder bis zu Ende des Weltalters. Der Vollendete hat, Ânando, -die vier Machtgebiete geübt, gepflegt, ausgeführt, ausgebildet, -angewendet, durchgeprüft, durchaus entrichtet; bei Verlangen darnach, -Ânando, könnte der Vollendete ein Weltalter durch bestehen oder bis zu -Ende des Weltalters. Ob dir gleich also, Ânando, vom Vollendeten ein -wichtiger Wink, ein wichtiger Hinweis gegeben war, hast du es nicht -zu merken vermocht, hast nicht den Vollendeten gebeten: ‚Bestehn möge -der Erhabene das Weltalter durch, bestehn möge der Willkommene das -Weltalter durch, vielen zum Wohle, vielen zum Heile, aus Erbarmen zur -Welt, zum Nutzen, Wohle und Heile für Götter und Menschen.‘ Hättest -du, Ânando, den Vollendeten gebeten, so hätte wohl zweimal deine Worte -der Vollendete abgewiesen, aber das dritte Mal ihnen entsprochen. Darum -aber, Ânando, hast du eben hier es versehen, hast du eben hier es -versäumt...“ Ein Weltalter hindurch hätte also der Erhabene nach seinem -eigenen Bedünken bestehen können bei Verlangen darnach. Ein Verlangen -darnach hat aber niemand von den Jüngern im rechten Augenblick zum -rechten Ausdruck gebracht, und so verlangt den Erhabenen selber nicht -länger darnach. Und so entläßt denn der Erhabene (nicht ohne einen -unendlich sanften Tadel Ânandos) den lebenslang gehegten Dauergedanken, -entläßt den lebenslang gestärkten Unsterblichkeitwillen, entläßt den -lebenslang gepflegten Wunsch nach weltzeitwährender Trostgegenwart... -Wer hat da von euch, ihr Christen, noch eine Frage auf dem Herzen?... - - -Wir westlichen Menschen, ihr Christen, haben öfters wohl als billig -dies gotamidische Leiden am Leibe für das Merkmal genommen einer -übermüdeten Gesellschaft und ihrer übermüdeten Gesittung. Pochend -auf die eigene und vermeintliche Jugendlichkeit haben wir oftmals -zu uns selber gesprochen: Greisenhaft ist dieses gotamidische -Leiden an der Leiblichkeit; welk, absterbend und untergangsüchtig -ist das gotamidische Leiden am Leibe. Und noch der Prophet unseres -eigenen Untergangs, -- ein falscher Prophet übrigens sogar dort, -wo er recht hat! -- hält es für angemessen, jede Vergleichung -etwa unseres westlichen Heilands mit dem Heiland des Ostens als -‚unwissenschaftlich‘ zu verbieten, weil beide Heilande in der Reihe -der geschichtlichen Lebensalter an verschiedenen Stellen der Zeit -stünden: der eine am Eingang, der andere am Ausgang hingegen einer -geschichtlichen Periodos. Und dieses der geschichtlichen Wahrheit zum -Trotz, daß just der Auftritt Gotamos für Indien gewissermaßen das -Zeichen war, im nächstfolgenden Jahrtausend die große Architektur, -die große Skulptur, das große Drama, das große Imperium zu schaffen -in allerengster Berührung mit dem Geist des Asketen aus Magadhâ... -Davon jedoch abgesehen, wage ich darüber hinaus die entschiedene -Behauptung, daß eben jenes Leiden am Schicksal der Leiblichkeit das -untrügliche Kennzeichen einer menschheitlichen Jugend, und nicht -eines menschheitlichen Greisentums sei. Nur eine verhältnismäßig noch -jugendliche Menschheit nämlich ist eindrucksfähig genug, um vor der -Tatsache Alter, Krankheit, Tod so jäh erschreckt zu werden wie Gotamo -von ihr erschreckt ward. Nur eine noch jugendliche Menschheit erliegt -den Eindrücken des Lebens in diesem Maß und ersiegt sich ein zweites -Leben über diese Eindrücke hinaus. Wer wirklich alt ist, dem hat das -Alter jedwede Schrecknis längst verloren. Wer wirklich krank ist, den -ängstigt hinfort keine Möglichkeit, krank zu werden. Und wer vollends -schon sterbend ist, wie sollte er sich noch des Todes fürchten? Die -Legende von der Ausfahrt Vipassîs erzählt von einem Jüngling, der -ausfuhr, und es scheint, daß hiermit in mehr wie einem Sinn die Legende -die Wahrheit berichtet habe, denn jedenfalls war der Buddho selbst von -der Unbeeindruckbarkeit des Greisenalters so stark durchdrungen, daß -er von jedem Belehrungversuch, Überredungversuch, Bekehrungversuch an -Alten durchaus abriet und seinen Jüngern wiederholt einschärfte, sich -bei ihrem Heilswerk an die Jugend zu halten: ganz einhellig übrigens -mit dem griechischen Sprichwort, wonach einen Greis belehren wollen -nichts anderes heißt als einem Toten eine Arzenei einflößen. Es ist -dies eine Erwägung von großer Schlichtheit, aber eben darum jedem -sich nahelegend, der ein Urteil über der Völker Jugend oder Alter -zuverlässig abzugeben sich getraut... - -Beim Buddho persönlich entspringt also das Leiden an der Leiblichkeit -einem ungemein heftig erfühlten Bewußtsein der Ewigkeit des Selbstes: -wie ungereimt dies auch anzuhören sei nach der weiter oben schon -festgestellten stracks gegensinnigen Tatsache, wonach eben der -Gedanke des Selbstes, der brahmanisch-vedische Gedanke, von Gotamos -Protestantismus und protestantischer Kritik ausdrücklich zersetzt -worden ist. Und zwar zersetzt durch das neue religiöse Erlebnis des -‚_N’etam mama_, das gehört Mir nicht, das bin Ich nicht, das ist -nicht mein Selbst‘. Diese Formel bricht gleichsam den Stab über den -brahmanisch-vedischen Âtman, wofern eine Erlebnis-Gegebenheit, die -Mir gehört, die Ich bin, die mein Selbst ist, nirgends aufgewiesen -werden kann. Aber gleichzeitig bricht sie den Stab über den Âtman -nur darum, weil alle Erlebnis-Gegebenheiten nur vergänglich, nur -wehe, nur wandelbar erscheinen. Dieses Vergängliche, dieses Wehe, -dieses Wandelbare gehört Mir nicht, -- aber wer ist so schwerfällig -und schwerhörig, daß er in dieser Verneinung die heimliche Bejahung -völlig überhört, die da lautet: das Unvergängliche, das Leidbefreite, -das Unwandelbare gehört Mir; das Unvergängliche, das Leidbefreite, -das Unwandelbare bin Ich; das Unvergängliche, das Leidbefreite, -das Unwandelbare ist mein Selbst!... Was irgendwie Dauer hat und -Beharrung zeigt und nicht Wehe ist, das gehört Mir, selbst wenn es -im Umkreis der Wahrnehmbarkeiten nirgends auszumitteln ist. Sehr -wahrscheinlich, ja so gut wie sicher gibt es gar nichts Vorhandenes -und Wirkliches und Daseiendes im Sinn dieser Wunschforderung, folglich -gibt es auch nichts Vorhandenes und Wirkliches und Daseiendes, das Mir -gehörte oder das Ich wäre. Aber was beweist diese Tatsache gegen die -Wunschforderung als solche? Gotamo heischt Dauer, und weil er Dauer -nirgends verwirklicht findet, leidet er an der Wirklichkeit. Mit einer -ungeheuern Strenge und Unbeugsamkeit zerstört er den Sinnenschein der -Dauer überall, wo sie nichts anderes für sich anzuführen hat als eben -bloß den -- Sinnenschein. Aber die Dauer an und für sich, sie bleibt -nichtsdestoweniger das unantastbare Ziel seines gesamten religiösen -Verhaltens, -- das umso ausschließlichere Ziel, destoweniger es -durch Erfahrungen bekräftigt wird. Die Dauer ist ihm der große und -grundsätzliche Wert, der ‚Wert ersten Ranges‘, wie einhellig mit -ihm Macchiavelli und Nietzsche sagt. Die Dauer ist ihm der Wert der -Werte oder der Wert schlechthin, schon weil sie allem Lauf der Dinge -so unbedingt zuwiderläuft, ja weil sie der Zeit und ihrem Werdestrom -selbst zuwiderläuft. Die Dauer, wenn überhaupt Dauer ist, ist im -tiefsten Sinn zu erkämpfen, zu erstreiten, zu ersiegen im Widerstreit -mit der gesamten Welt- und Lebensordnung, und schon darum ist sie -wie kein zweiter Wert weltüberwindend, wirklichkeitüberflügelnd. In -einem mehr wie nur homerischen Wortverstand ist die Dauer ‚wider -das Geschick‘, -- sie ist nämlich wider das Urgesetz der Schöpfung -selber, welches der unübertreffliche metaphysische Spürsinn Indiens in -der herrlichen Sâvitrî-Episode des Mahâbhâratam mythologisch in die -Tatsache des Todes selber zu verflechten wußte: ich beziehe mich auf -das berühmte Zwiegespräch jener indischen Alkestis Sâvitrî mit dem -Todesgott Yama, wo sie mit einer unfehlbaren Einsicht in den wahren -Sachverhalt den Tod als das Urgesetz und das Urgesetz als den Tod -preist. Dharma wird hier als höchstes Gut, als höchster Wert verehrt, -aber Dharma ist Yama, und weil dem so ist, trachtet der Buddho am -ersten nach der Dauer als der Welt- und Todesordnung Jenseit: „Wie -wenn ich nun mit weitem, tiefem Gemüte verweilte und hätte die Welt -überwunden, über ihr stehend im Geiste?“... Über ihr stehend im -Geiste, das aber hieße über ihr stehend in der Dauer, und von dieser -Wunschforderung der Menschenseele lässet auch dann Gotamo nicht ab, -wenn sie von keiner Gegebenheit der Sinne oder des Sinns befriedigt, -gestillt, erfüllt wird. Die Dauer ist das _Plus Ultra_, welches die -Menschenseele über jede Wirklichkeit hinauswirft wie einen Ball, der -dem Begriff der gleichförmigen Bewegung zufolge in die Unendlichkeit -rollt und rollt. Dauer ist Seltenheitwert, Dauer ist Ausnahmewert, -Dauer ist Unmöglichkeitwert, das ist Gotamos Meinung, um derentwillen -er darnach trachtet und trachten muß, diesen verweslichen Leib in -einen unverweslichen umzugestalten. Wer aber hier allzu flink bei -der Hand ist, von Völker-Jugend oder von Völker-Greisentum zu reden, -der greife zunächst einmal in sein eigen Herz und dann ins Herz -aller Vergangenheiten, aller Vergänglichkeiten, ob nicht gerade -dies Wunschverlangen nach Dauer, nach Ewigkeit, nach Stätigkeit der -ewige Apathanatismos sei, auf welchen jede Menschheit von einigem -Menschheitwert in allen ihren Wert- und Werkverwirklichungen bewußt -oder unbewußt hingezielt habe, jegliche Menschheit in summa von der -Gestalt jenes babylonischen Gilgamesch am würdigsten versinnbildlicht, -der da einst auszog, glücklicher Finder und vielleicht Erfinder seiner -Unsterblichkeit zu werden... Gotamos Urerleben heißt also Leiden; sein -Leiden aber heißt Alter, Krankheit, Tod: das Schicksal der Leiblichkeit -schlechthin. Das Schicksal der Leiblichkeit indes, das ist das Gesetz -der Gattung, und so ist Gotamos Leiden an der Leiblichkeit das Leiden -der Gattung, welches er sozusagen als Stellvertreter der Gattung -mit besonderer Heftigkeit und Gewalt an sich erfährt: das ward mit -ziemlichem Nachdruck oben schon verkündet. Das Leiden aller, von einem -Einzelnen und Einzigen mit ausnahmweiser Wucht als die Bestimmung -aller erfühlt, ist mithin zwar einenteils das Leiden der Gattung -selber, welches jedes Glied der Gattung kosten muß, -- ist andernteils -aber auch das Leiden an der Gattung, als welche den drei Kernübeln -des Alterns, Siechens, Sterbens ohne Rettung verfallen ist. Gotamo -leidet wie kein zweiter die Not des Menschen. Aber eben darum leidet -er auch wie kein zweiter am Menschen selber, der hoffnunglos dieser -Not verhaftet ist. Nur leidet er am Menschen nicht, wie Jesus oder -Zarathustra am Menschen gelitten haben, -- bis zum Überdruß, bis zum -Ekel, bis zur Verzweiflung gelitten haben an des Menschen Trägheit, -Feigheit, Grausamkeit, Käuflichkeit, Treulosigkeit, Seelenlosigkeit... -Diese herkömmlichen Menschenschändlichkeiten scheinen den Buddho sogar -weniger berührt zu haben als sonst die Mehrzahl der geschichtlichen -Heiligen und Helden, denn etwa mit Ausnahme jener sanften Traurigkeit -über das Stillschweigen Ânandos kurz vor der Erlöschung stoßen wir -kaum auf Spuren, geschweige denn auf Narben jenes Leidens, welches die -tödlichste Heimsuchung des höheren Menschen zu sein pflegt. Gewiß! -Dieser Großgeistige wird in der Kenntnis der Menschen, wie sie sind, so -wenig übertroffen als in der Kenntnis des Menschen, wie er ist. Aber -nirgends schmerzt ihn das Menschliche, weil es etwa böse oder schlecht -oder weil es gar teuflisch wäre; nirgends leidet er - - „Daran, daß der Mensch unmenschlich - Ist und bleibt und nur der Gott - Sich als Mensch kann offenbaren, - Aber keinem von den Menschen...“ - -Nein, der Erhabene leidet, weil diese Gattung Mensch, in die Werdewelt -hineingeflochten, an der Dauerwelt keinen Anteil hat. Des Buddho -Schmerz an der Gattung ist im Kosmos gegründet und in dessen Nomos, -dessen Dharma. Es wäre nur die Hälfte wohl der Wahrheit, zu sagen, daß -Gotamo an der Gattung allein gelitten habe: aber wofern er wirklich an -der Gattung litt, da litt er an ihrem kosmischen und nicht an ihrem -ethischen Zustand. Und hier bedarf die bisherige Darlegung allerdings -einer Erweiterung und Vervollständigung von höchster Wichtigkeit. -Denn um es mit Einem Wort zu sagen: das Leiden der Gattung und an der -Gattung umspannt zwar das eigentliche Urerleben Gotamos, wie es die -Legende von Vipassîs Ausfahrt ein für allemal versinnbildlicht, -- aber -dieses Urerleben füllt unter keinen Umständen den vollen Kreis des -Leidens selber aus, wie es im Kosmos durchaus verwurzelt erscheint, um -dann im Ethos freilich seine bittere Frucht zu tragen. Vergänglichkeit, -Hinfälligkeit, Wesenlosigkeit sind also wohl die Leiden des Geschöpfes, -durch die es seine Gebundenheit an die Schöpfung, seine Bedingtheit -in der Schöpfung unzweideutig zu erkennen gibt. Wohl erleidet jeder -Einzelne zu seinem Teil das Urverhängnis der ganzen Art, ja der ganzen -Wandel- und Werdewelt, und ein Einzelner vollends von der Würde des -Buddho erleidet weit über seinen persönlichen Anteil hinaus kraft -seiner Eigenschaft als ‚Engel‘ das Urerleben aller, als ob er selber -in eigener Gestalt ‚alle‘ wäre! Aber daneben, man wolle es bemerken, -sind jedem Einzelnen die ganz besonderen Leiden seiner Einzelnheit -und Einmaligkeit einmalig auferlegt. Sie sind ihm auferlegt, und -auch dies wolle man bemerken, nach altindischem Dafürhalten als die -unabwendbare Wirkung und Folge aller Taten, die einer getan oder -unterlassen hat zu Zeiten früherer Verkörperlichungen. Gotamo hätte -kein rechter Inder sein müssen und noch weniger jener Herzenskündiger, -der da „der anderen Wesen, der anderen Personen Herz im Herzen schaut -und erkennt: das begehrliche Herz als begehrlich und das begehrlose -Herz als begehrlos, das gehässige Herz als gehässig und das haßlose -Herz als haßlos, das irrende Herz als irrend und das irrlose Herz -als irrlos, das gesammelte Herz als gesammelt und das zerstreute -Herz als zerstreut, das hochstrebende Herz als hochstrebend und das -niedrig gesinnte Herz als niedrig gesinnt, das edle Herz als edel -und das gemeine Herz als gemein, das beruhigte Herz als beruhigt und -das ruhelose Herz als ruhelos, das erlöste Herz als erlöst und das -gefesselte Herz als gefesselt“; -- Gotamo, sage ich, hätte nicht jener -unvergleichliche Herzenskündiger sein müssen, begabt mit dem -‚χάρισμα διακρίσεως πνευμάτων‘, wenn er an diesem Leiden von höchster -persönlicher Bedeutsamkeit gleichmütig vorbeigegangen wäre. Möchte -Gotamo der Erlebende immerhin an sich selber das Leiden als ein -kosmisches Vorkommnis, als ein kosmisches Gesetz kosmisch erlebt und -als eben solches kosmisch überwunden haben: unmöglich, ganz unmöglich -konnte er sich gegen jenes anders geartete Leiden abstumpfen und -verblenden, welches jeder Einzelne in einem wahrhaft abgründlichen -Sinn und Hintersinn über sich selber verhängt. Über sich selber -verhängt in seiner unumgänglichen Eigenschaft, in jeder zeitlichen -Verkörperlichung als Täter seiner Taten, als Erbe seiner Werke das -erleiden zu müssen, was er in früherer Verkörperlichung getätigt hatte. -Um es mit Einem Wort auszusprechen, so hat ja auch dieser Gotamo die -Lehre vom Karman angetreten, und das will heißen, die Lehre vom Leiden -in seiner persönlichsten, verantwortlichsten, einmaligsten Form, -dessen Maß, Beschaffenheit und Art bei jedem Einzelnen aufs genaueste -vorherbestimmt erscheint durch Maß, Beschaffenheit und Art seiner -vormaligen Taten. Hier hatte seinen härtesten Sieg zu erstreiten, -wer des Leidens Sieger zu sein trachtete. Dieses Leiden hieß Schuld -und Buße, Vergeltung und Sühne, Gericht und Strafe; dieses Leiden -hieß Werk und Tat, Wirkung und Verursachung, Selbsturheberschaft und -Selbstbestimmung. Wie nun ist dieses Leiden, welches aufs innigste -mit dem Grundgesetz des Lebens, und diesmal zwar mit dem sittlichen -Grundgesetz des Lebens zusammenhängt, wie ist es abzustellen oder -zu verwinden, ohne dabei das sittliche Grundgesetz des Lebens zu -gefährden? Die kosmische Ordnung der Welt konnte gewissermaßen -außer Kraft gesetzt werden durch die Umgestaltung vergänglicher -Leiblichkeiten in die Dauer: gut! Wie aber kann die ethische Ordnung -der Welt durchbrochen werden, ohne daß das Ethos selber aufgehoben -erscheint? - -Vergegenwärtigen wir uns inzwischen, ihr Christen, diese so seltsam -fremde und dennoch seltsam anheimelnde Lehre vom Karman, das ist -die Lehre vom ‚Werk‘, etwas mehr von der Nähe, und suchen wir -völlig zu begreifen, in welchem Grade eben die Absicht Gotamos auf -Leidensabstellung, Leidensauflösung, Leidensverwindung notgedrungen -durch diese Lehre aufs äußerste verschwierigt werden mußte. Gemäß dem -kosmischen Grundgesetz des Leidens von vorhin ist jedes Einzelwesen -ohne Dauer und somit dem Leiden an der Dauerlosigkeit verfallen. -Besteht jedoch ein Verfahren, welches Dauer irgendwie zu ermöglichen, -ja zu verwirklichen verspricht, dann ist dieses Leiden an der -Dauerlosigkeit getilgt und in kosmischem Betracht ein Zustand der -Leidlosigkeit erreicht und errungen. Gemäß dem ethischen Grundgesetz -des Leidens ist aber daneben und außerdem jedes Einzelwesen in jedem -einzelnen Fall durchgängig das, was zu sein es sich in früherer -Verlebendigung höchsteigentätig und höchsteigenwillig selbst erschuf. -Ein gewisses Etwas nämlich reicht von der früheren Verlebendigung und -ihren Werken, ihren Taten bis zur jetzigen Verlebendigung herüber: -und dieses Etwas bestimmt das Sein der jetzigen Verlebendigung in -jedem Zug, in jeder Falte. Was diesen sogenannten Leib betrifft, so -steht ja unumstößlich fest, daß er nicht dauert und seine Lebenszeit -nicht übersteigt. Und was die sogenannte Seele betrifft, so steht es -zwar nicht unumstößlich fest, ob sie dauert oder ob sie nicht dauert, -weil der Streit der Schulen ja darüber noch nicht entschieden ist und -auf irdische Sicht hin schwerlich so bald entschieden werden wird; --- immerhin dauert aber wenigstens nach altindischer Auffassung auch -diese Seele eigentlich nicht oder fast nicht. Denn wo die Seele der -alljährlich darzubringenden Totenopfer, Totenspenden der Söhne und -Sohnessöhne entbehren muß, da entartet sie, da verelendet sie, da -schrumpft sie gleichsam ein zu einem bloßen Wander- und Irrgespenst -(_piçâca_), dessen wunderlicher Zwischenstand zwischen Sein und -Nichtsein jede Wiederverleiblichung ausschließt, die sozusagen -an der Reihe wäre, und derart die Seele um die ihr eigentümliche -Auswirkungmöglichkeit, Auswirkungnotwendigkeit verhängnisvoll -bringt. Was hingegen der dauerlose Leib und die grundsätzlich -kaum dauernde Seele in der Zeit ihrer irdischen Gemeinschaft in -gemeinsamer Urheberschaft wollen und vollbringen: das dauert, das -beharrt, das stirbt nicht, das überlebt und übersteht. In der -Brihadâranyaka-Upanischad, die allerdings nach der Annahme ihres -deutschen Übersetzers schon den buddhistischen Einfluß widerspiegelt, -legt der Frager Ârtabhâga dem alleswissenden Brâhmanen Yâjñavalkya -die Frage vor: „‚Wenn nach dem Tode dieses Menschen seine Rede in das -Feuer eingeht, sein Odem in den Wind, sein Ohr in die Pole, sein Leib -in die Erde, sein Âtman in den Akâra (Weltraum), seine Leibhaare in -die Kräuter, seine Haupthaare in die Bäume, sein Blut und Samen in das -Wasser, -- wo bleibt dann der Mensch?‘ Da sprach Yâjñavalkya: ‚Faß -mich, Ârtabhâga, mein Teurer, an der Hand; darüber müssen wir beide -uns allein verständigen, nicht hier in der Versammlung.‘ -- Da gingen -die beiden hinaus und beredeten sich; und was sie sprachen, das war -Werk, und was sie priesen, das war Werk. Fürwahr! Gut wird einer durch -gutes Werk, böse durch böses...“ Das Werk des Menschen also, sein -Werk, will heißen seine Tat und seine Handlung, sie reicht über das -Dasein der einzelnen Verkörperlichungstufe unendlich hinaus, nicht -anders ungefähr, wie nach der Ansicht der dynamischen Naturphilosophie -des Westens die Wirkung einer Krafteinheit unendlich hinausreicht -über den raumlosen Punkt, in welchem sie ihren Sitz und damit ihr -eigentliches Dasein hat. Mit dem nicht unerheblichen Unterschied -freilich, daß diese Wirkung in die Unendlichkeit bei der natürlichen -Krafteinheit nach allen Lagen und Richtungen des Raumes sich -zerstreut und in der Zerstreuung sich verliert, indes die unendliche -Wirkung beim Karman auf geheimnisvolle und nicht zu enträtselnde -Weise gesammelt und aufgestaut wird, bis sie sich in einer neuen -Persönlichkeit gleichsam wiederverstofflicht und wiederverlebendigt -hat. Diese neue Persönlichkeit ist dann, wie sich von selbst -versteht, mit Leib und Seele die Erschaffenheit der Wirkungweisen, -die von der vorigen Persönlichkeit als Taten oder Werke ins All -hinausgestrahlt, hinausgestreut, hinausgeschleudert wurden. Wie die -auseinanderlaufenden Strahlen einer Linse wohl vom Brennpunkt einer -zweiten Linse wieder aufgefangen und vereinigt werden können, so werden -die Werk-Ausgießungen eines beliebigen Wesens von einem zweiten Wesen -wiederum aufgefangen und vereinigt, -- abermals mit dem Unterschied -freilich, daß es nach der Lehre vom Karman die Werk-Ausgießungen -selber sind, die sich zu der neuen Verstofflichung zusammenfinden -und verfestigen. Das Werk wirkt also in seiner Eigenschaft, Sämling -oder Keimling oder Schwängerling zu sein, in alle Zukunft fort und -fort im All: es pflanzt sich selbst als Schößling des Wirkenden in -irgend eine unbekannte Äther-Erde ein. Urzeugend bildet hier das Werk -das ihm im innersten entsprechende Wesen hervor; ungeschlechtlich, -übergeschlechtlich setzt sich das Wesen fort im Werk. Werk aber und -Wesen, Wesen und Werk schließen sich als die Glieder der ewigen Kette -‚Zeit‘ in stätigem Wechsel stätig zusammen... - -Dem sei im übrigen, wie ihm sei. Auf jeden Fall macht Indien durch -diese Lehre, die ihren Grundzügen nach vielleicht doch schon -vorgotamidisch gewesen ist, bitteren Ernst mit dem Gedanken des ‚_esse -sequitur operari_, Sein erfolgt aus Wirken‘, -- mit einem Gedanken -folglich, der zwar auch unserem alten Europa nicht fremd geblieben ist, -aber mit welchem dieses nur hin und wieder etwas zu liebäugeln gewagt -hat: im ganzen und großen immer wieder von dem thomistischen ‚_operari -sequitur esse_, Wirken erfolgt aus Sein‘ in den Bann gezogen. Gerade -weil der Aquinat mit diesem Grundsatz ohne weiteres recht hat und den -Nagel auf den Kopf trifft, gerade darum muß auch die Umkehrung im Recht -sein und den Nagel auf den Kopf treffen. Wirken erfolgt aus Sein, das -lehrt die platteste Erfahrung stündlich. Aber nicht minder, wenn auch -sicherlich mit minderer Sinnfälligkeit, erfolgt Sein aus Wirken: aus -dieser meiner Tat wächst das ihr gemäße Sein wie umgekehrt die Tat aus -ihr gemäßem Sein erwachsen ist. Die heutige Tat von mir erschafft mich -selber als morgige Person; meine Tat von heute, mir heute noch selber -fremd, unheimlich, unzugehörig und gleichsam in einem dunkeln Ungefähr -von einem namenlosen Es getätigt, -- sie schafft sich zuverlässig -morgen ihren Täter, in mir selber zu mir selber sprechend: das bist -du... Das Werk der Tat, noch heute von mir selbst als meines Selbstes -blindes Jenseit geleugnet und nur wie ein Erdblitz aus irgendeiner -Falte, irgendeinem Spalt meiner Selbstheit tödlich zuckend, -- dies -Werk meiner Tat wirbt bald um seinen Täter unablässig, bis sich mein -Selbst als Täter morgen ihm vermählt. Wenn aber ein tragischer Dichter -Europas sich zu dem immerhin bemerkenswerten Ausspruch hat bestimmen -lassen, daß böse Tat fortzeugend stets Böses müsse gebären, so würde -ein indischer Denker dies vielleicht sinngemäß dahin abzuändern -wünschen: daß böse Tat fortzeugend stets Böse müsse gebären, wie gute -Tat eben so fortzeugend Gute. Denn die Tat tätigt nicht allein die Tat, -sondern tätigt je und je den Täter, wie dies der nicht ganz echte, -aber doch um Echtheit eifrig bemühte Gotamide Schopenhauer wenigstens -dem Willen an und für sich (ob auch leider nicht der Tat an und für -sich) buchstäblich zuerkannte: du bist, wer du willst, _esse sequitur -velle_, aber du tust, wer du bist, _operari sequitur esse_. Für den -Inder jedoch ist es nicht der Wille, nicht eine geistig-seelische -Wesenheit, nicht ein geistig-sinnlicher Eigenschaftträger, der das -Dasein und Sosein der Person bestimmt, sondern die Tathandlung als -solche, wie sie sich schlechterdings überhalb und außerhalb jeder -physisch-metaphysischen Trägerschaft oder Täterschaft auswirkt. Es -ist das Werk, das sich das Wesen baut, und zwar jegliches Werk das -ihm gemäße Wesen. Es ist das Werk, das gleichsam erst in seinem ihm -gemäßen Wesen ausruht, ungefähr wie eines jener emsig quabbelnden -Einzellentierchen des Männersamens erst im Kern des weiblichen Eies -ausruht. Das Werk rastet nicht und beharrt in dauernder Bewegung, -bis es das Wesen, so ihm zugehört, mit aller Sorgfalt ausgeformt und -ausgebosselt hat. Das Werk währt ewig und ewig wirkt es sich Strafe, -Sühne, Vergeltung im erschaffenen Wesen, je nach seinem eigenen Wert; -und ewig wirkt es sich Lohn, Förderung, Verdienst im erschaffenen -Wesen, je nach seinem eigenen Wert. Und fast schon könnte ein -weiterdenkender Abendländer sagen: der Wert währt ewig und ewig erwirkt -er sich Strafe, Sühne, Vergeltung im erschaffenen Wesen, ewig Lohn, -Förderung, Verdienst im erschaffenen Wesen... Hier aber, wie sonstwo -nirgends, sage ich, tötet der Buchstabe und macht der Geist lebendig. -Der Buchstabe der Lehre vom Karman tötet vielleicht wie kein zweiter -Buchstabe den Geist selber, -- den Geist selber aber hat Gotamo ein -für allemal selber ehern in das Wort gehämmert: „Eigner der Werke sind -die Wesen, Erben der Werke, Kinder der Werke, Geschöpfe der Werke, -Knechte der Werke“. Das ist gotamidisch gefaßt das ethische, nicht mehr -kosmische Grundgesetz und Urgesetz der Welt, das ist das Ethos selber -als Grundgesetz und Urgesetz der Welt. Werk wirkt Wesen, Tat tätigt -Täter: das ist in drei Worten aufgefangen, aufgegangen die Lehre vom -Karman, wie sie Gotamo vielleicht angetreten und anerkannt, sicherlich -aber vertieft und gegründet, abgerundet und zum Glaubenssatz erhoben -hat... - -Werk wirkt Wesen, Tat tätigt Täter, also lautet die erste und -unverlierbare Überzeugung. Aber schon schließt diese eine zweite ein, -die hier nur mehr besonders erwähnt, nicht mehr besonders abgeleitet -und entwickelt zu werden braucht: Werk nämlich wirkt Leiden, und Tat -tätigt Leiden! Denn Wesen und Täter als Erschaffenheit von Werk und -Tat, das sind eben Leidende und Erleidende von Werk und Tat; -- Zug -um Zug, Falte um Falte ihres Daseins, wie ich schon sagte, bedingt -und bestimmt durch Karman, verhalten Täter und Wesen in bezug auf -Tat und Werk sich leidend. Sie verhalten sich leidend, ihr Christen, -in der allgemeineren Sprachbedeutung dieses Wortes, ohne Beziehung -zunächst auf die Unlust des Gefühls, die wir in engerer Wortbedeutung -Leiden nennen. Leidende sind vielmehr Wesen und Täter, wofern ihr -Sein der Tat verdankt wird, durch Tat ihnen angetan wird, ohne daß -sie selbst an dieser Tat beteiligt sind, -- Leidende mithin im -Wortsinn des Getätigt-Seins und Angetan-Werdens, des Bedingt-Seins und -Bestimmt-Werdens von einem Etwas, welches sie nicht selber sind. Als -Eigner der Werke, ja Knechte der Werke, sind die Wesen recht eigentlich -die Leidner und Erleidner der Werke. Ihre innerste Kernschaffenheit, -Kernrüstigkeit ward ihnen vom Karman angetan, wie etwa nach der -Auffassung Kants die Eindrücke der Sinnlichkeit uns angetan werden -vom Ding an sich. In manchem Betracht selber Eindrücke, Fährten, -Spuren, die das Karman in dem bildsamen Grundstoff das All hinterläßt, -bleibt den Wesen und Tätern keine Wahl, als nach dem Gesetz sich -auszuleben, das sie von Karmans Gnaden angetreten, und auf solche Weise -unerbittlich streng die Wirkung der Werke in sich zu verkörpern. Werk -und Wesen, Tat und Täter aber verhält sich darnach nicht allein wie -sich ein Tun zu seinem genau entsprechenden Leiden verhält, sondern -mehr noch wie sich eine Ursache zu ihrer genau abgestimmten Wirkung -verhält. Das Werk ist geradezu Ursache, Bedingung, Bestimmunggrund des -Wesens, wie umgekehrt das Wesen geradezu Folge, Wirkung, Erscheinung -des Werkes ist. Die Welt als Ganzheit aber stellt sich dem indischen -Genius nicht anders dar als die Summe aller dieser Werk-und-Wesen-, -aller dieser Tun-und-Leiden-Knüpfungen, deren fest umschriebenes -Wechselverhältnis dem All seine Ordnung und sein Gesetz, sein Maß und -sein Sinn verbürgt. Wenn wir Europäer und Christen, ihr Christen, dem -Geschehen dieser Welt die unzerreißliche Schürzung Ursache-Wirkung als -weltsetzende und weltverfassende Unveränderliche aus- und eindeutend -unterstellen, so unterstellt der Inder und Buddhist dem nämlichen -Geschehen, -- schon ist es aber nicht mehr das nämliche Geschehen! -- -die Schürzung Werk-Wesen, die Schürzung Tun-Leiden. Derart stellt das -Karman durchaus dar, was der europäische Biologe bei dem Vergleich -tierischer Organe miteinander eine ‚Analogie‘ zu nennen pflegt: das -Karman ist die Analogie der Kausalität, deren erkenntnismäßige Leistung -es haarscharf vertritt (und wie wir gewahren werden: übertrifft!), -obschon es von ihrer erkenntnismäßigen Gestalt und Art unverkennbar -abweicht. Das Karman, sag’ ich, sei die indische Analogie der -europäischen Kausalität, wenn anders dieser naturwissenschaftliche -Begriff auf geistige Verhältnisse übertragen und angewendet werden -darf. Gleichsam in ihrer Anatomie verschiedenartig, sind Karman und -Kausalität sozusagen in ihrer Physiologie gleichwertig, und wie dem -Fisch die Kieme Lunge ist, so ist dem Inder das Karman Ursächlichkeit -und ursächliche Schürzung. Das Karman ist die Kausalität, wie sie der -Inder auffaßt: das Karman ist die erste und letzte sinnspendende, -ordnungstiftende Eindeutung, welche aus wüsten Urmassenwirbeln eine -Welt herausklärt. Die Knüpfung des Karman leistet dem indischen Geist -das, was dem europäischen die Knüpfung der Kausalität leistet oder -vielleicht auch nicht leistet, aber leisten soll und will. Die Knüpfung -des Karman vertritt dem Inder die Knüpfung der Kausalität, nicht -anders wie dereinst die Schürzung des Tun-Leidens, ποεῖν-πάσχειν dem -Griechen die Schürzung der Kausalität vertreten hat und insonderheit -auf der Tafel der zehn Kategorien des Aristoteles auch vertritt, -- -was denen zur Beruhigung gesagt sei, die sich immer noch den Kopf -zerbrechen, wieso ein streng wissenschaftliches Weltbild wie das -der Griechen ohne den Urgedanken der Ursächlichkeit habe überhaupt -bestehen können. In Wahrheit hat es eben gar nicht ohne diesen -Urgedanken bestanden, auch wenn das Wort Ursächlichkeit wirklich zu -fehlen scheint. Die Ursächlichkeit der Griechen heißt ποεῖν-πάσχειν, -heißt Tun-Leiden, heißt Antun-Angetanwerden: und wenn je in ihrer -vielschichtigen geistigen Geschichte schlagen sie hier die Brücke zum -großen Osten, wo der unverbrüchliche Knoten ποεῖν-πάσχειν eben -- -Karman heißt. Noch haftet ja dieser Ursprung sogar unserem heutigen -Gedanken der Ursächlichkeit und Verursachung unabstreiflich an. Noch -immer ist ja die Ur-Sache zuguterletzt Ur-Tat und Ur-Tun, noch immer -ist die Wirkung ein Angetan-Werden und Erleiden-Müssen. Noch hat sich -jede europäische Erkenntnislehre auseinanderzusetzen, wenn nicht -abzufinden mit der seltsamen Auffassung, daß die sogenannte Empfindung, -will heißen der Stoff und Inhalt des Erlebens, auf irgendeine -unerforschliche Weise die Angetanheit, die Erlittenheit sei, die -der bewußten Persönlichkeit aus unbekannten und unnennbaren Fernen -aufgedrungen wird. Noch lebt in jeder abendländischen Philosophie -mehr oder minder stark die Überzeugung, daß der persönliche Träger -und Inhaber des Bewußtseins die Welt von außen her erleide und -erdulde; noch lebt in jeder abendländischen Philosophie mehr oder -minder stark die Auffassung, daß die ‚Sinnlichkeit‘ ein Vermögen des -Aufnehmens, Empfangens, Über-sich-ergehen-Lassens sei. Auch jetzt -noch ‚erleidet‘ der einzelne Mensch die Wirklichkeit, auch jetzt noch -erliegt er der Wirklichkeit. Weltduldend, weltleidend wird selbst -dieser europäisch starke und eigenwillige Mensch von der Wirklichkeit -und ihrer Zeichenflut überschwemmt und überwallt, also daß sogar uns -verhärteten Christenseelen, ihr Christen, der Tat-Bestand Leiden und -der Tat-Bestand Leben in der Wurzel fest zusammenwachsen... - -Aus unbekannten, unnennbaren Fernen, sagte ich vorhin, strömten dem -einzelnen Bewußtsein die Eindrücke zu, die es als sein Erlebnisstoff, -Erlebnisinhalt zu erleiden hat. Gilt dies für abendländisches Auffassen -ohne Einschränkung, so hebt sich dieses Auffassen freilich just hier -am schärfsten vom indischen Auffassen ab, wo es diesem sich am engsten -angenähert zu haben scheint. Denn diese namenlosen Fernen, dieses -‚Außerhalb‘ des Bewußtseins, dieses kaum mehr zu verdeutlichende -Bereich von Dingen an sich oder von dem Ding an sich, welches auf -geheimnisvolle Art das Bewußtsein mit Zeichen, Reizen, Eindrücken, -Empfindungen versieht, -- dieses Bereich des unergründlichsten Ungefähr -verlegt die indische Lehre eben wieder in den Tat-Ort als solchen: in -das Karman. Auch der Abendländer, wir sahen es, fühlt sich in seinem -Erlebnisumkreis bedingt und bestimmt, beeindruckt und erleidend. -Auch ihm werden Empfindungen, Erlebnisstoffe, Bewußtseinsinhalte von -verborgenen Herkunftstätten zugeteilt, für welche die wissenschaftliche -Topologie keine Ansatzpunkte mit irgendwelcher Zuverlässigkeit -auszukunden vermag. Ist dieses bisher durchaus auch indisch, so -gestattet sich indes gerade der Inder hier die entscheidende Abweichung -von der europäischen Überzeugung, indem er nämlich seinerseit den -dort vermißten Ansatzpunkt für die Auswirkungen der Dinge an sich im -Karman gefunden zu haben glaubt. Die Kraftquellen der Welt, welche -dem Einzelwesen seine Lebensreize spenden, versickern nicht auf dem -durchlässigen Grund einer ewig fragwürdigen Dingansichheit, sondern -werden ins Karman wie in ihr Sammelbecken unversieglich geleitet. Die -Welt, die jedem angetan wird auf seine Weise, sie wird ihm von ihm -selber angetan, sie wird ihm von seinem Werk, von seiner Tat, von -seinem Willen angetan. Die Welt, die einer in der Jetztzeit seines -Daseins erleidet, die hat er sich selber in Gestalt seines Karman -in der Zeit erwirkt. Die Zeichen, die einem jeden als Lebensreize -zustoßen, die hat sich ein jeder selber zugesendet, auf diese hat -sich ein jeder selber abgestimmt. Die Welt erleidend, erleidet jeder -zuletzt sich, als Empfänger gleichsam mit magnetischen Kräften an sich -ziehend, was er als Sender magisch ins All hinausgestrahlt und gefunkt -hat. Die Reiz- und Erlebnisumwelt, anscheinend jedem zufallend auf gut -oder schlechtes Glück, ist in einem gedanklich nie zu erschöpfenden -Sinn die Wahl-Welt, Werk-Welt, Tat-Welt eines jeden; und zwar dort am -meisten, wo sie am unwiderstehlichsten beeindruckt und beeinflußt. -Solchermaßen nimmt aber bereits die altindische Lehre unsere späte und -kaum schon viel verbreitete Errungenschaft biologischer Einsichten -geistreich genug vorweg, -- ich meine die höchst fruchtbare Erkenntnis, -wonach jedes Lebewesen mindestens seiner morphologischen Typik nach der -Urheber und Urtäter seiner eigenen und nur ihm zugemessenen, nur ihm -angemessenen Umwelt, Reizwelt, Merkwelt ist und folglich wenigstens im -biologischen Betracht nur das erleben kann, was es kraft schöpferischer -Selbstgestaltung und Selbstentfaltung zuguterletzt erleben will. Der -morphologische Typus einer jeglichen Spezies erschafft sich darnach -physiologisch und psychologisch seine spezifische Erlebniswirklichkeit, -die genau genommen nur für ihn besteht und nur ihm entspricht: die -Schnecke die Schneckenwirklichkeit, die Möve die Mövenwirklichkeit, -die Ameise die Ameisenwirklichkeit, der Affe die Affenwirklichkeit. -Wie sich die Erde eine Lufthülle umlegt, in welcher sie atmen kann, -und nun die Umwelt, Reizwelt, Merkwelt ‚Luft‘ erlebt, so umgibt sich -selbstschöpferisch jedes Geschöpf mit einer Wirklichkeit, in der es -wirken kann und die auf seine Wirksamkeit wiederum aufs wunderbarste -zugeschnitten ist... Ein Schritt weiter vom Leben der Art und Gattung -zum Leben des Einzelwesens hin, ein Schritt weiter vom Bios und -allem, was mit ihm zusammenhängt, zum Ethos hin und allem, was mit -ihm zusammenhängt: und Europa ist reif für die gotamidische Lehre, -daß auch hinsichtlich des Ethos, und keineswegs allein des Bios, ein -jedes Lebendige nur das, was es zu innerst will, erleben und empfangen, -empfinden und erleiden, erreizen und ergeizen kann. Was da in dieser -Welt Wasser zu erleiden hat, das hat eben als Karman Wasser getan; -was da Erde zu erleiden hat, das hat Erde getan; was da Feuer zu -erleiden hat, das hat Feuer getan; was da Luft zu erleiden hat, das -hat Luft getan; was da Tod zu erleiden hat, das hat Tod getan; was da -Hölle zu erleiden hat, das hat Hölle getan; was da Geist zu erleiden -hat, das hat Geist getan; was da Säligkeit zu erleiden hat, das hat -Säligkeit getan. Wer dieses über den Bios hinaus aus dem Ethos zu -verstehen vermag, der hat die Lehre vom Karman endgültig verstanden, -soweit das Verstand-Übersteigende verstanden werden kann. Ihm ist in -Übereinstimmung mit dem Herrn Gotamo das Leben wohl in seiner Wurzel -Leiden: aber das Leiden, ihr Christen, in seiner Wurzel Tat! Aber das -Leiden, ihr Christen, in seiner Wurzel Tat!... - -Wie etwa an einem Herbstnachmittag aus falb leuchtenden -Silbernebelmassen ganz plötzlich eine dunklere Linie sichtbar wird -hoch in der Gegend des Raumes, wo wir den Himmel vermuten dürfen; -wie sich dieser ungewisse Streifen alsbald zu erkennen gibt als die -Rist- und Gipfelrandung ungeheuerer Gebirge; wie schließlich sich die -Gletscherbänke und Firnfelder hintereinander gereihter Alpenketten -bei zunehmender Klärung vom Himmel her bald leuchtend und bald -schattend abwärts tasten und abwärts schieben, um zuletzt auf der -Erde selbst gewaltig wuchtend Fuß zu fassen: also zeichnet sich hier -erst in wenigen Zacken und Zinken, Schroffen und Stürzen, dann aber -immer körperhafter, immer ausgerundeter, immer raumbeherrschender -ein ganzes Welt-All ab, zuletzt vom vollen und goldenen Nimbus einer -übermenschlichen, übergöttlichen Gerechtigkeit wundersam besonnt. -Ein Welt-All zeichnet sich ab, wo alles bereinigt, alles beglichen, -alles geschlichtet, alles gewogen, alles gerichtet scheint, -- ein -Welt-All, untadelig und vollkommen in sich selber und darum keines -Gotts bedürftig, der daran bessern oder schlimmern könnte, keines -Gotts, der es ergänzen oder vervollständigen müßte in dem, was ihm -von Haus aus gebricht. Ein Welt-All ohne schmierigen Geschäfte und -Geschäftchen, wo niemand um das Heil seiner Seele feilscht und -marktet, handelt und händelt, schwindelt und betrügt. Ein Welt-All, -wo kein Mensch seine Götter prellt und noch weniger ein Gott seine -Menschen. Ein Welt-All, wo keiner zu seinem Gott betet und bettelt, -daß er die Welt-Ordnung doch für einen Augenblick zugunsten des Herrn -Müller, Schultze, Schmidt ein wenig außer Kraft setzen möchte und die -Welt-Fügung außer Fug. Ein Welt-All, wo keine Götter blinzeln oder -zwinkern oder ein Auge zudrücken, wenn der Herr Müller, Schultze, -Schmidt vom Pfad der Tugend abweicht und sich im Dickicht nebenan zu -schaffen macht. Ein Welt-All, wo kein Priester über zulässige und -unzulässige Ausnahmen von der Regel zu befinden sich gedreistet: ein -Welt-All, so unverbrüchlich, unverwüstlich, daß nicht einmal der -Wüsten-Gott Jahve drein zu sprechen sich getrauen dürfte. Ein Welt-All, -wo kein Platz ist für Zufall und Zufälligkeiten, aber kein Platz auch -für Zwecke und Zweckmäßigkeiten in der landläufigen Bedeutung. Ein -Welt-All, wo sich alles abspielt in durchgängiger Wechsel-Abhängigkeit, -Wechsel-Bezogenheit, Wechsel-Folgerichtigkeit, wo aber andererseit auch -die Ursächlichkeit noch nicht entartet ist zu jener tief gleichgültigen -Sächlichkeit und Sachlichkeit, welche sie zur alleinigen Angelegenheit -der Wissenschaften, nicht aber mehr zum Sinn der Religionen stempelt. -Ein Welt-All, das sich den Luxus der Gottlosigkeit wirklich leisten -kann, weil es nicht wie das unsrige bloße Physis oder bloßer Bios, -sondern unter allen Umständen ein Ethos ist: Physis und Bios und Ethos -zumal verankert in dem einen und nämlichen Urgesetz des Kosmos... Von -diesem Gesetz in jedem Teil und jedem Glied ewig und ehern durchwaltet, -schenkt dieses Welt-All der Seele des Menschen, was des Menschen Seele -bedürftig ist, bedürftig war und bedürftig sein wird: weshalb die von -der Welt getränkte und gespeiste Menschenseele Gottes und der Götter -nicht bedarf. So ist der Kosmos des Buddho, das sei uns Christen, -ihr Christen, immer wieder eingehämmert, zwar durchaus ein Kosmos -Atheos, aber dafür in jedem Zug vollkommenes Ethos, -- und das ist -vielleicht nicht unbeträchtlich mehr, als man von unserm westlichen -Welt-Bild und Welt-Gefüge seit dem griechischen Altertum und seit -dem christlichen Mittelalter mit etlichem Recht nachrühmen darf. Aus -dem Ethos herauf entstieg jenen Indern, welche die Anschauung vom -Karman in sich empfangen hatten, die Anschauung ihres Kosmos: aus dem -Tatbestand des Pathos aber, beeile ich mich hinzuzufügen, erwuchs -ihnen das Ethos. Derart brauchte sich das Ethos nicht wie jeweils bei -uns nach kurzem Antrieb leer zu laufen, sondern griff mächtig in den -Kosmos ein. Wenn aber ein Grieche die beinah’ unsägliche Bedeutung -dessen, was einem Griechen Ethos hieß, in drei Worte zusammenballte -wie in eine geschlossene Faust, indes freilich auch noch die geballte -Faust zu schwach war für die Stärke dieser Worte; wenn ein Grieche -also vormals sagte: ἦθος ἀνθρώπῳ δαίμων, Sinnesartung ist dem Menschen -Schicksal! -- nun wohl, dann hat der Buddho auch dieses geflügelte Wort -noch überflügelt durch sein gotamidisches: πάθος ἀνθρώπῳ ἦθος, πάθος -κόσμῳ ἦθος! Leiden ist dem Menschen Seins- und Sinnesartung, Leiden dem -Welt-All Seins- und Sinnesartung! Oder um den entscheidenden Gedanken -mit noch größerer Schärfe auszuprägen: das Leiden ist dem Welt-All Sein -und Sinn schlechthin! Aus des Leidens Urerleben, das gilt es jetzt mit -einem Staunen ohne Ende zu begreifen, aus ihm läutert und keltert -sich der Buddho den eigentlichen Sinn des Seins, den eigentlichen Sinn -der Wirklichkeit. Der Tatbestand des Leidens als solcher vermittelt -dem Buddho die Anschauung einer übermenschlich-übergöttlichen -Welt-Gerechtigkeit, Welt-Vernünftigkeit, Welt-Vollkommenheit, -Welt-Folgerichtigkeit. Wofern hier jedes Wesen leidet, was jedes Wesen -tat, wofern hier jedes Wesen ist, was jedes Wesen tat, erblickt das -Auge Gotamos, das ‚himmlische und geklärte‘, diese Welt in makelloser, -untadeliger Sinngetreuheit und Sinndurchwirktheit, -- erblickt es sie -mit jener zärtlichen Ergriffenheit vor allem Lebendigen, die dem Buddho -allein in dieser Reinheit und Kraft eigen gewesen ist. „Gleichwie etwa, -ihr Mönche, wenn da zwei Häuser wären, mit Türen, und es betrachtete -ein scharfsehender Mann, in der Mitte stehend, die Menschen, wie sie -das Haus betreten und verlassen, kommen und gehen: ebenso nun auch, -ihr Mönche, seh’ ich mit dem himmlischen Auge, dem geläuterten, über -menschliche Grenzen hinausreichenden, die Wesen dahinschwinden und -wiedererscheinen, gemeine und edle, schöne und unschöne, glückliche und -unglückliche, erkenne wie die Wesen je nach den Taten wiederkehren. -Diese lieben Wesen sind freilich in Taten dem Guten zugetan, in -Worten dem Guten zugetan, in Gedanken dem Guten zugetan, tadeln nicht -Heiliges, achten Rechtes, tun Rechtes; bei der Auflösung des Körpers, -nach dem Tode, kehren sie auf gute Fährte, in himmlische Welt wieder. -Und auch diese lieben Wesen sind in Taten dem Guten zugetan, in -Worten dem Guten zugetan, in Gedanken dem Guten zugetan, tadeln nicht -Heiliges, achten Rechtes, tun Rechtes; bei der Auflösung des Körpers, -nach dem Tode, kehren sie unter die Menschen wieder. Jene lieben Wesen -sind aber in Taten dem Schlechten zugetan, in Worten dem Schlechten -zugetan, in Gedanken dem Schlechten zugetan, tadeln Heiliges, achten -Verkehrtes, tun Verkehrtes; bei der Auflösung des Körpers, nach dem -Tode, kehren sie in das Gespensterreich wieder. Und auch jene lieben -Wesen sind in Taten dem Schlechten zugetan, in Worten dem Schlechten -zugetan, in Gedanken dem Schlechten zugetan, tadeln Heiliges, achten -Verkehrtes, tun Verkehrtes; bei der Auflösung des Körpers, nach dem -Tode, kehren sie in die Tierheit wieder. Und auch jene lieben Wesen -sind in Taten dem Schlechten zugetan, in Worten dem Schlechten zugetan, -in Gedanken dem Schlechten zugetan, tadeln Heiliges, achten Verkehrtes, -tun Verkehrtes; bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, kehren -sie abwärts, auf schlechte Fährte, zur Tiefe hinab, in höllische Welt -wieder“... - -Haben wir dieses, ihr Christen, einmal erschöpfend gewürdigt, wie -für den Buddho die ganze Sinnerfülltheit und Sinnbedingtheit der -Welt ausschließlich an der Lehre vom Karman hängt, will heißen an -der Vorstellung von einem ewigen Wechsel- und Abhängigkeitverhältnis -zwischen Werk und Wesen, Tat und Täter, Tun und Leiden, -- dann -vermögen wir endlich etwa auch zu würdigen, warum der Buddho gegen -jede Anzweiflung dieses weltordnenden, ja weltstiftenden Zusammenhanges -so ungewohnt scharf ausfallen mußte, wie dies zum Beispiel, ich -erwähnte es schon, in der Hundertundneunten Rede aus der Mittleren -Sammlung Majjhimanikâyo jenem vorwitzigen Mönchlein geschah, das aus -der dort entwickelten Formel des ‚_N’etam mama_, das gehört Mir nicht‘ -die Unzugehörigkeit von Tat und Täter folgern wollte. Diese Verknotung -von Pathos und Ethos, übrigens in ungefähr gotamidischer Zeit doch -auch in unserem Westen von den Griechen auf ihre eigene Weise erahnt, -sei es orphisch, sei es tragisch, ja sogar sei es philosophisch -geschehen (wie die aristotelische Tafel von den Kategorien erweist -und beweist: und eben durch die aristotelische Philosophie in das -wissenschaftliche Weltbild Europas eingeschmolzen), -- diese Verknotung -knotet und schürzt überhaupt erst die Wirklichkeit zur Welt, welche -ohne sie zu einem unentwirrbaren Knäuel abgerissener Fäden aller -Art wie ausgekämmtes Frauenhaar verfilzen würde. Wer das Karman -anficht, ficht die Verfassung des All, das Grundgesetz des All, den -Ursinn des All an, „ein eitler Mensch, aus Unwissen in Unwissenheit -geraten, vom Durst im Geiste überwältigt“... Das Karman heftet die -Mannigfaltigkeit der Dinge und Begebenheiten zusammen, wie der Einband -die losen Blätter eines Buchs zum Buch zusammenheftet. Das Karman -einigt die Unterschiedlichkeiten der Dinge und Begebnisse, wie der -Sinn die verschiedenen Buchstaben eines Wortes, die verschiedenen -Worte eines Satzes, die verschiedenen Sätze einer Rede einigt. Das -Karman durchtönt und durchdringt die Wirklichkeit mit seiner Farbe, -wie eine Kugel Waschblau das Wasser des Zubers bläut und mit ihm alle -Wäschestücke, die im Zuber abgespült und ausgerungen werden. Das Karman -fügt Tun und Leiden, Tat und Dasein vollkommen passend aneinander, -wie ein geschickter Zimmermann Nud und Feder vollkommen passend -aneinanderfügt. Das Karman verstätigt die bloße Aufeinanderfolge von -Werk und Wesen, Tat und Täter in der Zeit zu einer bedingend-bedingten -Auseinanderfolge in der Zeit und schweißt alle Auseinanderfolgen in -einen unverbrüchlich lückenlosen Ring. Für immer erzeugt gemäß dem -Karman das gleiche Werk das gleiche Wesen, für immer gebiert gemäß ihm -die gleiche Tat den gleichen Täter: dauernd dreht sich dieser Ring -der Werke-Wesen um des Karmans Achse wie ein wohlgeschmiertes Rad. -Weil aber hier stets die gleiche Ursache gleiche Wirkung, die gleiche -Urtat gleiche Wirkung, das gleiche Werk das gleiche Wesen, das gleiche -Tun das gleiche Leiden nach unabänderlicher Satzung setzen werden, -geschieht es ganz von selbst, daß der Künder des Karman in einer -gewissen Weise der Künder der Ewigen Wiederkehr zu sein gar nicht umhin -kann: als welchen ihn denn auch das Buch vom Gestaltwandel der Götter -dem europäischen Leser schon vorgestellt hat. Der Buddho, der zwischen -den zwei Häusern Platz genommen hat, aus welchen diese Wesen ausgehn -und wohin sie eingehn: jedesmal in neuer Maske, neuer Verpuppung und -neuer Gestalt, -- er wird doch immer derselben Schürzung gewahr -zwischen Werk und Wesen, Tat und Täter, Tun und Leiden: wird derselben -Schürzung nicht ohne Überdruß gewahr! Denn das ewige Gesetz durchwaltet -zwar diese Welt wohltätig mit Sinn, durchwärmt diese Welt wohltätig -mit Sinn. Aber das ewige Gesetz verzerrt auch den Sinn dieser Welt zum -Un-Sinn, Wider-Sinn und läßt den Sinn zum Un-Sinn, Wider-Sinn erkalten. -Mit zermalmender Gleichform setzt das Gesetz von sich aus immer nur das -Gleiche; gleiches Tun, gleiches Leiden; gleiches Werk, gleiches Wesen; -gleiche Handlung, gleiche Erscheinung: das ist der Ring des Gesetzes, -das ist das Rad des Gesetzes. Trostspendend, heilwirkend dem, der vor -der Willkür und dem Zufall des Geschehens zum Gesetz sich rettet, -wird das Gesetz fürchterlich dem, der aus der Regel zur Ausnahme, aus -der Abhängigkeit zur Freiheit hinstrebt. Durch des Leidens Urerleben -ist Gotamo zum Weltgesetz, zur Weltordnung, zum Weltsinn gekommen. -Aber wiederum kommt durch des Gesetzes, durch der Ordnung, durch des -Sinnes Urerlebnis Gotamo zurück zum Leiden, von dem er eben ausging. -Der Lehrer und Künder des Karman als dem Dharma beginnt am Karman, -beginnt am Dharma selbst zu leiden: und diesem Leiden gleichsam am Sinn -weiß freilich kein Sinn mehr Abstellung zu erwirken. An der Erfahrung -des Leidens ist Gotamo herangereift für ein Welt-All, vollkommen -makellos, untadelig und gerecht. Aber zugleich kehrt in diesem All das -Gleiche in der Zeit wieder, und derart erweist sich das All seinem -tiefsten Deuter als eine Stätte ewiger Wiederbringung, als ein Ring -ewiger Wiederkehr, als ein Rad ewiger Wiederkünfte: „Ewig ist Seele -und Welt, starr, giebelständig, grundfest gegründet; und diese Wesen -wandern um, wandeln um, verschwinden und erscheinen wieder: es ist -immer das Selbe“... Gesetzt durch das Gesetz, verletzt also die Welt -am unheilbarsten durch das Gesetz den, der die Freiheit im Gesetz -und in der Welt sucht. Am Gesetz erlabt sich die Seele, wofern ihr -das Ungesetz verhaßter wie die Schande ist: aber wider das Gesetz -empört sich dieselbe Seele, wofern sie die Freiheit mehr liebt wie -sich selber. „Und es gibt eine Freiheit, höher als diese sinnliche -Wahrnehmung“, begütigt sich die Seele selber, die am Gleichschritt des -Geschehens tödlich leidet... Es gibt eine Freiheit, da das Gesetz stets -nur Notwendigkeiten setzt und dennoch die eigentliche Not nicht wendet: -es gibt eine Freiheit, welche die Not des Gesetzes selber wendet... - -Als Krischna, der Hirtenknabe -- wir entsinnen uns, ihr Christen, -dieser liebenswürdigen Legende -- als Krischna, der Hirtenknabe, eines -Tages sich erging am Ufer der heiligen Yamunâ und sich ergötzte, wie -der Strom so flink und schimmernd wallte, da ward er auf der Oberfläche -dieses schönen Flimmerspiegels einer Stelle ansichtig, von welcher her -Rauch und Gestank schwelte. Er sah das Wasser sieden und mit plötzlich -aufsprudelnden Springfluten das Laub der Bäume am Gestade versengen, -die Vögel auf den Zweigen verbrühen. Sofort gedachte er, wie dies -gewiß Kâliya sei, die Weltenschlange, die hier mit ihrem giftigen -Gezücht Wasser, Land und Luft verpeste. Und er gedachte ferner, wie es -jetzt an der Zeit sein möchte, mit dieser Weltenschlange auf dem Grund -der himmelspiegelnden Yamunâ ein Wort zu reden und sie, koste es was es -wolle, zum Abzug aus diesen göttlichen Gefilden zu bewegen. Das alles -gedachte der Hirtenknabe Krischna bei sich und schon hatte er sein -Kleid geschürzt und sich in den kochenden Strudel hineingeschwungen auf -den Grund des Schlangenpfuhls, -- schon hatte er die Arme ausgereckt, -die kindlichen, um das wütende Ungetüm zu würgen. Aber schon wand -auch die hochgesträubte Schlange ihre tausend Leiber um den Knaben, -schon schlug sie ihre tausend Zähne in sein golden Fleisch. Bald war -nichts mehr von ihm zu erblicken, der von dem Metall der Schuppenarme -rings umpanzert war wie von einer Rüstung, welche der Waffenschmied -am Körper des Gerüsteten selber glüht und biegt und hämmert. So hatte -sich Krischna übermütig in den Schlangenabgrund geschwungen, um von ihm -verschlungen zu werden. Bestürzt, ratlos, verzweifelt liefen die Hirten -und Hirtinnen der Heimat an den Ufern zusammen und rangen die Hände in -Schmerz und Ohnmacht, indes des Knaben Mutter Yasodâ wie leblos auf die -Erde fiel. Bis dann zuletzt Krischnas Leibesvater Nanda, unbewegt dem -Sohn ins Auge blickend, die Worte in den Pfuhl hinunterwirft: Genug, o -Gott der Götter! Du hast lange genug dich menschlich gezeigt; weißt du -nicht, daß du göttlich und ewig bist?... Derart angerufen, aufgerufen -zum Entschluß, sich endlich auf sich selber zu besinnen, sich endlich -zu sich selber zu ergotten, lächelt der Knabe sanft seines zauberischen -Lächelns. Und zieht sich leicht und spielend aus der tausendarmigen -Umwindung, nicht anders etwa wie eine Dame der Gesellschaft ihre Hand -anmutig und leicht aus dem Arm eines Herrn herauszieht, der sie zu -Tisch oder zum Tanz geführt hat. Und tritt mit einer kaum merklichen -Bewegung der Schlange auf den behaubten Kopf und immer wieder auf den -Kopf, bis sie unter die Wippe der göttlichen Ferse immer und immer -wieder gewippt, in ihren fruchtlosen Zuckungen und Krämpfen schließlich -erlahmt und am Ende steif, speiend, geifernd vor Anstrengung ohnmächtig -auf dem Grund des Stromes ausgestreckt liegt und in strengem Schwur -den Abzug aus dem heiligen Bezirk verspricht... Die Weltenschlange -Kâliya aber der Legende, wer wüßte es nicht, ahnete es nicht, ist das -Urgesetz Karman selber, in welches Krischna-Gotamo sich verstrickt -findet. Wie Krischna der Hirtenknabe steht der Erhabene da auf dem -Grund des Schlangenpfuhls: lebendig eingeschmiedet in den lebendigen -Ring des Weltgesetzes, den glühend schwingenden und kreisenden, -- -lebendig aufgeflochten auf das wälzende Rad des Weltgesetzes und von -ihm gerädert. Aber indes ihm das Weltgesetz in tausendgliedriger -Verschlingung stätig drehend die Gelenke bricht und ihm tausend Zähne -ihr Gift in nimmer heilende Wunden träufen, da vernimmt er zwar nicht -die Stimme seines Leibesvaters, aber doch seine innere Melodie: -Genug, o Mensch der Menschen! Du hast lange genug dich zeitbedingt, -gesetzabhängig, ursachverhaftet gezeigt: weißt du nicht, daß du ewig, -daß du ledig, daß du frei bist? Genug, o Geräderter auf dem Rad aller -Räder: weißt du nicht, daß diese Seele nimmer gerädert werden kann? -Genug, o Geschmiedeter in den Ring aller Ringe: weißt du nicht, daß die -Seele selbst des Feuers ist, des schmiedenden, aber weder des Erzes -noch des Erd-Schmutz-Stoffes, der da geschmiedet werden kann und darf -und muß?... - -Hier aber berühren wir, ihr Christen, die heikelste, die empfindlichste -Stelle nicht nur des gotamidischen Erlebens, vielmehr alles Erlebens -überhaupt von wirklich religiöser Beschaffenheit, religiöser Herkunft, -religiöser Weihe. Die Erfahrung des Leidens hatte Gotamo dazu geführt, -das All selber gleichsam zu erschaffen als die unverbrüchliche -Aufeinanderfolge von Tun-Leiden, wo jedem Wesen kraft seiner -Eigenschaft als Erscheinung und Gestalt in Raum-Zeit dasjenige als -Reizwelt, Merkwelt, Unwelt ‚angetan‘ wird, was er selber kraft seiner -Eigenschaft als Werk an und für sich, Tat an und für sich, Wille an -und für sich gewählt und ausgesucht hat. Die Erfahrung des Leidens -hatte auf diese Weise Gotamo zur Erfahrung einer Wirklichkeit geführt, -in welcher jedes einzelne Wesen die Vergeltung seiner Werke darstellt -und in welcher jede einzelne Geburt eine Wiedergeburt nach eigener -Bestimmung ist. In dieser Wirklichkeit setzt jedes Lebendige seinen -eigenen Rang und wählt jedes Daseiende seinen eigenen Wert als den -ihm gegenwärtig allein zusagenden, angemessenen, erwünschten, -- in -dieser Wirklichkeit lebt jede Erscheinung zuletzt als ihre eigene -Wunschverkörperung, Willensversichtbarung, Wertverwirklichung. Wer da -nach seinem Ableben in höllische Welt hinabfährt, dessen Karman wollte -die höllische Welt, suchte und fand die höllische Welt. Wer da nach -seinem Ableben in die tierische Welt hinabfährt, dessen Karman wollte -die tierische Welt, suchte und fand die tierische Welt. Wer da nach -seinem Ableben in die gespenstische Welt hinabfährt, dessen Karman -wollte die gespenstische Welt, suchte und fand die gespenstische Welt. -Wer da nach seinem Ableben in die menschliche Welt wiederkehrt, dessen -Karman wollte die menschliche Welt, suchte und fand die menschliche -Welt. Wer da nach seinem Ableben in die göttliche Welt aufsteigt, -dessen Karman wollte die göttliche Welt, suchte und fand die göttliche -Welt. Mit einer Notwendigkeit, die ebensosehr eine kosmisch gültige -ist wie eine dem Sinn entsprechende und im Sinn gegründete, bewährt -sich hier jedes Dasein als die Setzung seiner engsten Tat und Absicht: -das ‚Ich‘ setzt sich hier in der Strenge einer Wortbedeutung, die -sich wohl selbst jenem deutschen Denker noch nicht voll erschloß, der -diese Wahrheit zum Grundsatz seiner Philosophie erhob... Trotzdem hat -inmitten dieser eisernen Verkettung von Notwendigkeiten die Freiheit -eine Stätte! Daß zwar ein Wesen in Raum und Zeit jemals auf eine andere -Weise erscheine, als es durch seine Werke selbst vorherbestimmt habe, -oder daß sich ein Ich jemals nicht in Übereinstimmung mit seiner -Tathandlung der Selbst-Setzung selber setze, -- das freilich ist und -bleibt völlig außerhalb jeder erdenklichen Freiheit gelegen; das Wie -und das Was jedes einzelnen Daseins ist durchgängig festgelegt vom -Wie und Was dieser vorausgehenden Werktätigkeit. Nur das Wie und das -Was dieser Werktätigkeit seinerseit untersteht keinem Zwang, keiner -Bestimmung, keiner Verursachung, vielmehr entscheidet das Wie und -Was der Tat selbstherrlich und frei über das Wie und Was der eigenen -Wesenheit: eben der Vorgang der Wahl wird nach der Lehre vom Karman als -schlechthin ‚unbedingter‘ Vor-Gang aller Bedingungen und Bedingtheiten -herausgeschält. Er spielt sich außerhalb der Reihe der Dinge und -Dinglichkeiten ab und ist in dieser Hinsicht un-bedingt; er löst sich -aus der Wechsel-Verknüpftheit aller Wirklichkeiten heraus und ist -in dieser Hinsicht heraus-gelöst und ab-gelöst, das ist lateinisch: -absolut. Inmitten des geschlossenen Kreislaufs des welthaften -Tun-Leidens und der welthaften Werke-Wesen bleibt eine einzige -Stelle offen, ungefähr wie in einem rings mit glänzender Eiskruste -zugefrorenen Binnensee eine einzige Stelle offen (und zugleich dunkel) -bleibt: dort nämlich, wo dem Boden der Born des Zuflusses entquillt, -der den See speist. Auf ähnliche Weise bleibt im Umkreis der lebendigen -Notwendigkeiten die Zufluß-Stelle, Eintritt-Stelle frei, wo die rang- -und wertbestimmenden Wahlhandlungen, Tathandlungen in den Umkreis -münden. Die Tat, die von neuem ihre Selbstverkörperung als Täter -setzt, das Werk, das von neuem seine Selbstverleiblichung als Wesen -setzt, ist frei und kann Täter, Wesen dahin, dorthin setzen, in -höllische, tierische, gespenstige, menschliche, göttliche Welt, just -wie der Wille ist, wie der Wunsch ist, wie die Wahl ist... - -So daß sich jetzt wie von selbst die Frage ungerufen stellt und -einstellt: ob nicht zuletzt doch eine Tat erdenklich wäre, die nicht -mehr verkörpernd diesen oder jenen Täter an seine tatbestimmte Stelle -der Werdewelt und Wandelwelt setze, sondern eine Tat, die gleichsam -selbsttätig sich selber mitsamt der Person des tatfolgenden Täters -aus dem geschlossenen Kreis der irdischen Kräfte und Kräfteträger -auszuschalten fähig wäre? Ob es nicht zuletzt ein Werk gäbe, -auf welches ein ihm zugehöriges Wesen und Dasein nicht mehr mit -ursächlich bedingter Notwendigkeit folgen müsse? Ob nicht zuletzt ein -Wille vorhanden sei, der neben seiner Freiheit zum Was und Wie der -Wiederverwirklichung eine höhere Freiheit aufwiese, eine Freiheit auch -zu dem Daß und Ob dieser Wiederverwirklichung? Ob nicht zuletzt eine -Wahl, eine Entscheidung getroffen werden könne, die nicht allein frei -zu nennen wäre in Ansehung der künftig einzunehmenden Stelle in diesem -All und in Ansehung des darin einzunehmenden Stellen-Wertes, sondern -frei überdies in Ansehung der Wiederkunft und Nicht-mehr-Wiederkunft in -diese Werde- und Wandelwelt? Ob nicht zuletzt ein Karman zu betätigen -sei, welches weder in den Schoß der Hölle eingehe, noch in den Schoß -der Tierheit, noch in den Schoß der Gespensterheit, noch in den Schoß -der Menschheit, noch in den Schoß der Göttlichkeit, -- nein, ein Karman -vielmehr, welches ganz einfach in gar keinen Schoß mehr eingehe irgend -welcher Geburten und Wiedergeburten, ein Karman, welches in der Sprache -der Lehre ‚keine Fährte‘ hinterlasse? Denn setzen wir den Fall, ihr -Christen, ein Wesen habe die Stockwerke dieser Welt von unten nach -oben in der gehörigen Reihe erstiegen und sei in niemals erlahmender -Selbststeigerung, Selbstveredelung, Selbstvollendung von teuflischer -Gestalt zu göttlicher Gestalt über Tier, Gespenst, Mensch hinweg nach -oben geklommen: schwebt dieses Wesen, wofern es doch auch jetzt noch -dem Weltgesetz ewiger Verkettung von Tat-Täter, Werk-Wesen, Tun-Leiden -durchaus unterworfen bleibe, -- schwebt es nicht in furchtbarer -Gefahr, von seiner erklommenen Höhe wieder herabzugleiten, und just -jenen ‚Fall‘ zu tun, den jeder Gott tat, wenn er versucht ward, eine -Welt zu schaffen und dieser Versuchung alsbald auch erlag? Setzen -wir also den Fall, ihr Christen, -- und der Buddho hat diesen Fall -wahrhaftig schon gesetzt! -- auch diese Götter gehörten ohne Vorbehalt -und Einschränkung dem Kreislauf der Wiederverkörperungen in der Zeit -an und lebten keineswegs ungebunden, unverpflichtet hinter oder außer -oder über dieser Welt: gilt dann nicht auch für sie ganz ohne Vorbehalt -und Einschränkung das Grundgesetz der Welt von der Wiederverkörperung -der Tat im Täter, des Werks im Wesen, des Tuns im Leiden? Wäre ein -Wesen mithin sogar als Gott wiedergeboren, es bliebe auch als Gott -geknüpft an die stätige Wechselwirkung, die die Lehre vom Karman als -die unverbrüchliche Satzung dem Weltbau unterstellt. Auch im Himmel -bliebe diesem Wesen das Leiden nicht erspart, und sei es auch nur ein -Anflug jenes echten Götter-Leidens, durch Götter-Tat diese leidende -Welt dem Heile nicht entgegenführen zu können, weil auch der Gott ja -eisern in den Ring der Geburten eingeschmiedet ist und bleibt. Auch ein -Gott in Person würde ja die Mitleid-Bitte der Himmelskönigin Aditi um -‚ewige Erlösung‘ anhören müssen, ohne ihr willfahren zu können: denn -auch Gott in Person, das hat jener Krischna-Mythos ein für allemal -mit hoher Frömmigkeit geoffenbart, ist nur ein Teil des Ganzen, nur -ein Dasein unter Daseienden, nur eine Gestalt unter oder über anderen -Gestalten. Im gotamidischen Kosmos kann jeder Unermüdliche und -Bewährte im Ablauf der Weltenjahre Gott werden, -- und dies ist die -unendliche Tröstlichkeit, die unvergleichliche Hoffnungfröhlichkeit, -die unwiderstehliche Herzensinnigkeit dieser Religion, die unter diesem -Zeichen einen erheblichen Bruchteil der Menschheit für sich erobert -hat. Aber zugleich bleibt im gotamidischen Kosmos auch der Gott aufs -strengste an die heilige Verfassung der Welt gebunden, als welche -Karman heißt oder Wiederkehr des Gleichen oder ewige Wiedergeburt oder -Ring der Wiederbringungen oder Rad der Werke-Wesen oder Kreis des -Tun-Leidens... Darum schweift Gotamos Blick voll sinnender Schwermut -über die fernsten Nebelbänder, Sonnenräder und Kometenschweife dieser -unbegrenzten Welt und aller möglichen unbegrenzten Welten weit hinaus. -Darum fällt gelegentlich in der Zwölften Rede aus der Mittleren -Sammlung Majjhimanikâyo jenes für Christenohren so hocherstaunliche und -vermutlich hochanstößige Wort: „Und sollt’ ich auch, Sâriputto, nur -unter Reinen Göttern kreisen: ich mag in diese Welt nicht wiederkehren. -Und sollt’ ich auch, Sâriputto, nur unter Reinen Göttern geboren -werden: ich mag in diese Welt nicht wiederkehren. Und sollt’ ich auch, -Sâriputto, nur unter Reinen Göttern leben: ich mag in diese Welt nicht -wiederkehren“... - -Wie eng verzahnt und genau ineinandergepaßt dies nicht alles ist! -Wie stätig und zusammenhängend geschichtet, auch wo die Schichtungen -einmal eine Bruchstelle zeigen und eine Verwerfung erfahren haben! -Wer das Leiden als das Gesetz der Welt erkannt und gedeutet hat, wer -am Weltgesetz selber leidet und an dessen ewiger Wiederkunft des -Gleichen zum Gleichen, dem kann in Wahrheit nicht einmal die Geburt -als Gott zu des Leidens Überwindung taugen. Dies Leiden durchaus und -von innen her überwinden, hieße die Welt selbst durchaus und von innen -her überwinden, in welche das Leiden bedingend und verursachend, -bedingt und verursacht je und je verflochten ist. Der Gott aber -stehet in der Welt, wenn auch der Welt zuoberst, und nicht außer ihr. -Wer da am Leiden leidet, weil in das Fundament der Welt das Leiden -gleichsam eingemauert ist wie in das Fundament mittelalterlicher -Türme ein lebendiges Wesen (mit seinen Todesqualen) eingemauert -ward, -- dem taugt von allen Taten nur die eine: die Durchbrechung! -Die Durchbrechung des Kreises der Geburten und Wiedergeburten, die -Durchbrechung des Dharma und des Karman, die Durchbrechung der ganzen -unendlichen Reihe Tat-Täter und Werk-Wesen. Solang ein Mensch solcher -Fühlung sich der Welt verhaftet weiß, weiß er sich abhängig von der -Welt und abhängig von der Welt Entstehungen und Vergehungen; weiß er -sich abhängig von Alter, Krankheit, Tod; weiß er sich abhängig von -aufsteigenden und absteigenden Lebensknoten ... Aber „Unabhängigkeit, -sag’ ich, ihr Mönche, ist höchstes Labsal der Gefühle!“ Unabhängigkeit -von dieser Welt und ihrer falschen Notwendigkeit, die nirgends Not und -Nöte wendet, sondern stets nur neue Not und Nöte schafft und schafft; -Unabhängigkeit von allen Drohungen der Wirklichkeiten und Möglichkeiten -jetzt und künftighin; Unabhängigkeit von dem Zwang der abermaligen -Entstehung, abermaligen Vergehung: sie gilt es irgendwie zu bewirken -und zu befestigen. Eine Stelle gilt es ausfindig zu machen, über -welche keine Flut des Werdens mehr hinwegbrandet und wo Sicherheit, -Stätigkeit, Standfestigkeit winkt, eine weltlose Stelle außerhalb -aller Stellen und Stätten der Welt. Und derart geschieht hier, ihr -Christen, das Ungeheuere und ganz Unausdenkliche und jeden Begriff bei -weitem Übersteigende, daß Gotamo diese von ihm selbst so groß und schön -geordnete Welt um dieser höchsten Unabhängigkeit willen eigenhändig -wie eine tadellose Glocke von reinstem Guß und reichstem Klang mit -nerviger Faust in Trümmer hämmert! Am Leiden leidend, folglich an der -Welt leidend, folglich an der Welt Gesetz und Ordnung leidend, folglich -am Kreislauf der werkvergeltenden Geburten leidend, folglich am Karman -leidend, setzt Gotamo dies Karman mit derselben Machtvollkommenheit -der Seele außer Kraft, mit welcher er es einst in Kraft gesetzt hatte. -Dieselbe Seele, die einen unveräußerlichen Anspruch hat auf Gesetz und -Gesetzes Wohltat, hat einen unveräußerlichen Anspruch auch auf Freiheit -und der Freiheit Säligkeit. So gilt das Karman für die Welt der -Wirklichkeit und Wirksamkeit unaufheblich, aber gilt nicht für diese -Seele, die sich die Freiheit von der Welt und von der Wirklichkeit auf -irgendeine Weise zu erkämpfen, zu ersiegen weiß. Das Karman ist der -Dharma der Welt, und sicherlich müßte das Gerüst der Welt im Nu in sich -zusammenstürzen, sicherlich müßte das Gefüge der Welt im Nu aus allen -Fugen springen, wenn das Karman nicht alle seine Balken und Stützen -und Bretter mit eisernen Klammern fest aneinanderhaftete. Die Seele -aber besitzt ihren eigenen Dharma, welcher vom Dharma der Welt nicht -weniger verschieden ist als die Welt von der Seele selbst verschieden -ist. Der Dharma der Welt heißt Notwendigkeit, Gesetz, Verhaftung, -Wechselbedingtheit, Verhältnismäßigkeit; der Dharma der Seele heißt -Freiheit, Ledigkeit, Selbstherrlichkeit, Unbedingtheit, Abgelöstheit. -In Leidens-Freiheit, Leidens-Ledigkeit, Leidens-Abgelöstheit -bewährt die Seele sich selbst als unbedingt und selbstherrlich; in -Welt-Freiheit, Welt-Ledigkeit, Welt-Abgelöstheit bewährt die Seele sich -selbst als unbedingt und selbstherrlich... - -Um es mit Einem Wort zu sagen: es stehet in der Macht der sogenannten -Seele, wenn sie nicht länger leiden will, nicht mehr zu leiden. Es -stehet in der Macht der Seele, aus der Verklammerung von Tun und -Leiden, welche wir als ‚Wirklichkeit‘ nun kennenlernten, sich sanft und -sacht zu lösen: nicht anders, wie sich der Gottmensch Krischna aus der -Umwendung der Weltenschlange sanft und sacht gelöst hat. Aber freilich! -zu Lebzeiten des Buddho gab es da etliche, welche die Befreiung von -allem Leiden dadurch zu vollbringen wähnten, daß sie jedwede sündhafte -Tat im Zustand früherer Geburten zu verbüßen gedenken, wenn sie selbst -sich freiwillig Leiden über Leiden, Pein über Pein antun. Es gibt da -etliche, -- und ihrer scheinen gar nicht so wenig zu sein! -- welche -ganz einfach auf rechnerische Weise jedes schlimme Tun durch ein -entsprechendes Leiden tilgen zu können vermeinen: bis sie zuletzt -die Summe aller Taten durch die Summe aller Leiden quitt gemacht -haben und Gleiches gegen Gleiches rund zur Aufhebung brachten. Solche -hoffen das Karman zu durchbrechen, indem sie das Karman buchstäblich -erfüllen, Leiden um Tat, Leiden um Tat, bis das durch ‚übermäßiges -Verdienst‘ erworbene und angehäufte Leiden die Tat gleichsam bis -zum Stumpf getilgt hat. Das ist der Weg der Leidensbefreiung, -den beispielweis die ‚Freien Brüder‘ beschritten haben, welche es -für heilfördernd und bekömmlich erachten, das Leiden der Kreatur -durch Mehrung des Leidens in freiwillig geübter Schmerzensaskese zu -überwinden und beinahe schon nach der Regel Schopenhauers verfuhren, -daß nicht die Schmerzen, sondern die Genüsse zu verneinen seien: die -Schmerzen vielmehr zu bejahen und abermals zu bejahen ... Gegen diese -Praxis indes, die nach dem buchstäblichen Wortverstand so durchaus -auf der Linie der gotamidischen Lehre vom Karman gelegen scheint, -erhebt niemand schärferen Einspruch als der Buddho selber. Mit einem -merklichen Beischmack von überlegenem Spott, ja von Hohn wendet sich -Gotamo wider diese Freien Brüder, die da in ihrer Schmerzensaskese -das Leiden der Welt vorsätzlich vervielfältigen, statt es vorsätzlich -abzustellen. Sie, die von dem unanfechtbaren Grundsatz des Karman -ausgehen: „Was immer auch ein Mensch empfindet, sei es Wohl oder -Wehe, oder weder Wohl noch Wehe, all das ist vorhergewirkt,“ -- sie, -die durch gewissenhafte Leidens-Übung etwa begangene Frevel früherer -Verkörperungen peinlich rechnend auszugleichen trachten, sie rechnen in -Wahrheit falsch. Wohl ist der Knüpfung Tun-Leiden entsprechend alles, -was das einzelne Wesen von Natur leidet, vorherbestimmt, vorhergewirkt. -Aber das ist es eben, daß diese Knüpfung nur eine Tatsache, nur -eine Ordnung, nur ein Zwang der Natur ist, der ‚bösen‘, dort jedoch -ihre Gültigkeit verliert, wo das Joch der Natur zerbrochen wird. -Diese scharfe Wendung Gotamos gegen die eigenen Voraussetzungen und -Unterstellungen, diese schroffe Abweisung des Buchstabens von seiten -des Geistes scheint die Reihen der eigenen Jünger, soweit diese nicht -zu den völlig Eingeweihten zählen, in nicht geringem Maß überrascht, -erschreckt, ja teilweis außer Fassung gebracht zu haben. Der Buddho, -der als strengster Vollender der Lehre vom Karman den Satz der Freien -Brüder ‚alles ist vorhergewirkt‘ mit äußerstem Nachdruck bestreitet -und das darauf gestellte Heilsverfahren schier als ein lächerliches -abweist und abschätzt, -- dieser Buddho geht manchem Mönch des heiligen -Ordens schlechterdings über den Begriff. So beispielweis jenem Mönch -Arittho, dem ehemaligen Geierjäger, der nach der Zweiundzwanzigsten -Rede aus der Mittleren Sammlung Majjhimanikâyo die folgende Äußerung -gewagt hat, die unverzüglich dem Erhabenen als besonders ketzerisch -berichtet ward: „Also fasse ich die vom Erhabenen verkündete Lehre auf, -daß jene vom Erhabenen als verderblich bezeichneten Handlungen dem -Täter nicht notwendig zum Verderben gereichen“... Dieser Mönch zwar -wird unverzüglich vorgeladen, befragt, getadelt und zurecht gewiesen, --- aber wir, die wir zu Zeugen dieses Vorgangs gemacht werden, können -nicht umhin zu gestehen, daß dieser Mönch in einem gewissen und sehr -tiefen Sinn die Wahrheit, nichts als die Wahrheit ausgesprochen habe! -Darüber lassen die Reden gegen die Freien Brüder nicht den mindesten -Zweifel obwalten; darüber läßt Gotamos Lehre von des Leidens -Aufhebung, Abstellung und Ablösung selber keinen Zweifel obwalten. -In der für diese Frage hochwichtigen Hundertundsechsunddreißigsten -Rede aus der Mittleren Sammlung Majjhimanikâyo hat der Buddho selber -ausdrücklich die vier Möglichkeiten dargelegt und entwickelt, daß -die gute Tat gute Fährte, die gute Tat aber auch schlechte Fährte -hinterlassen könne, wie umgekehrt die schlechte Tat zwar schlechte -Fährte, aber die schlechte Tat auch gute Fährte. Das Karman ist die -irdische Ordnung, welche Wirklichkeit und Welt in ursächlich-urtätigen -Zusammenhang bringt und in diesem Betracht allerdings unaufheblich -gilt. Aber die Seele des Menschen bleibt dem Karman nur unterworfen, -wofern sie ihm unterworfen bleiben will. Ihr bleibt es anheimgestellt, -auch wenn sie von allen Lastern, Bosheiten, Scheußlichkeiten wie ein -pestverseuchter Leib mit Blattern, Beulen und Geschwüren bedeckt wäre, -durch einen einzigen und übermenschlichen Entschluß sich jenseit ihrer -eigenen Lasterhaftigkeit, Bosheit und Scheußlichkeit zu begeben und -- -rein zu sein. Es stehet der Menschenseele, es stehet der Schächerseele -frei, das zu tun, was auch der Heiland des Westens seinen Gläubigen -als Trostvermächtnistat unvergeßlich hinterlassen hat: nämlich heut -noch, jetzt noch, schon ans Kreuz geschlagen und vom Tod umnächtigt, -dennoch ‚im Paradies zu weilen‘. Es ist der Menschenseele letztes -und unmittelbarstes Hochgeheimnis, mit einem einzigen Federzug die -unendlich angelaufenen Posten von Schuld und Sühne, Tat und Leiden, -Werk und Wesen glatt durchzustreichen und alles Leidens ledig, aller -Ursächlichkeiten ledig, aller Gründ- und Folglichkeiten ledig, sie -selbst zu sein und das heißt frei zu sein. „Ist da nun, Ânando, ein -Mensch, der ein Mörder und Dieb, ein Wüstling, Lügner, Verleumder, -ein Zänker und Schwätzer, voll Gier und Haß und Eitelkeit war, bei -der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, auf gute Fährte geraten, in -himmlische Welt, so hat er seine günstige Tat, die freudig empfunden -wird, eben früher begangen oder später begangen, oder hat in seiner -Sterbezeit eine rechte Erkenntnis vollzogen und vollbracht: darum ist -er, bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, da hinauf geraten. -Wenn er aber hier also übel gewandelt war, hat er sich die Folge davon -schon bei Lebzeiten fühlbar gemacht, oder bei der Auferstehung, oder -bei nachmaliger Wiederkehr“... - -Die Freien Brüder setzen dem Leiden das Leiden entgegen, um die Tilgung -des Leidens im Weg freiwillig übernommener Schmerzens- und Bußübung zu -bezwecken. Aber was sie bezwecken, ist die ganz überflüssige Mehrung -des schon mit Notwendigkeit vorhandenen Leidens. Gotamo hingegen, -der nach höchst bedeutsamem eigenen Geständnis Schmerzensaskese, -Selbstquälerei und Kasteiung bis zur Selbstvernichtung geübt hat und -hier aus grausamer Selbsterfahrung schöpft, -- Gotamo setzt dem Leiden -eine Tat entgegen, eine unbedingte, nicht und nichts mehr bedingende -Tat, welche die Freiheit vom Leiden erwirkt, weil sie Freiheit von der -Welt, Freiheit vom ‚Gesetz‘ erwirkt. Was alle religiöse Erleber wußten, -vom Heiland des Christentums, ja sogar vom Stifter des Christentums an -bis zu Lew Nikolajewitsch Tolstoi, der dieses gotamidische Mysterium -‚der rechten Erkenntnis in der Sterbezeit‘ klassisch dargestellt hat -in der Heiligen Schrift vom Tod des Iwan Iljitsch, das ist für den -Buddho der Dreh- und Angelpunkt nicht allein der Lehre, sondern des -Erlebnisses geworden. Für ihn nämlich, -- wenn ich mich hier mit -Nutzen europäisch und insbesondere schopenhauerisch ausdrücken darf, --- gibt es einerseit Taten, welche ‚dem Satz vom Grunde‘ unterworfen -sind und eben darum in den Gesamtkreislauf der Werdewelt wieder -einmünden, dem sie entsprungen sind. Und für ihn gibt es anderseit -Eine Tat, welche ‚dem Satz vom Grunde‘ nicht mehr unterworfen ist -und eben deshalb aus dem Kreislauf dieser Werdewelt hinausführt. -Jene Taten sind notwendig gewirkt, will heißen: sie sind nach -Bestimmunggründen, Antrieben, Triebfedern gewirkt, die der Wirklichkeit -selbst entstammen, und so ist es billig, daß sie in der Folge sich dem -Bereich der Notwendigkeiten wieder einfügen, aus der Notwendigkeit in -die Notwendigkeit führend. Diese Eine Tat hingegen ist frei gewirkt, -will heißen, nach keinerlei Bestimmunggründen, Antrieben, Triebfedern, -die der Wirklichkeit oder dem ihr entsprechenden Vorstellungablauf -selbst entstammen, und so darf denn diese Tat der Taten, nach keiner -Regel irgendwelcher Notwendigkeit getätigt, aus der Notwendigkeit in -die Freiheit führen. Es ist dies aber die Tat einer unvergleichlichen -Selbstverinnerlichung, Selbsteinigung, Selbstverinnigung, wo Selbst -und Seele weltausschließend, weltausschließlich nur sie selber sind, --- Selbst und Seele hier in der ewig fragwürdigen Sinnbildlichkeit -ihres Begriffs genommen. Eine Tat ist möglich, wo Selbst und Seele -mit der Tat als solcher gleichsam unmittelbar zusammenfallen; eine -Tat ist möglich, wo der Tat selbst nicht mehr irgend eine ‚Sache‘ als -Inhalt, Bestimmung, Beweggrund, Antrieb gegenständlich gegenübersteht -und wo die Tat sich nicht zu irgend einer Sache mehr versachlicht, zu -irgend einer Sache mehr enttätigt. Derart wird das Leiden der Welt und -an der Welt zuletzt getilgt, verlöscht, verwunden werden, wofern die -Welt selbst als die Unendlichkeit aller gegebenen und aufgegebenen -Sachen durch die entsachte, durch die entursachte Tat getilgt, -verlöscht, verwunden wird. Dies ist die ‚reine‘ Tat der ‚Freiung‘ und -der ‚Ledigung‘, dem Satz vom Grunde nicht mehr unterworfen: folglich -dem Grunde selbst nicht länger unterworfen und folglich der Folge und -den Folgen nicht länger unterworfen, die sonst alle Taten als ihre -‚Tat-Sachen‘ notwendig und unabänderlich nach sich ziehen müssen... - -Was also hier der Buddho (einigermaßen uneuropäisch dunkel) von sich -selber fordert und nicht nur von sich, sondern von jedem, der das -Leiden an seinem Stumpfe auszurotten willens ist, das läßt sich doch -wohl nicht ganz unpassend mit dem vergleichen, was der Genius Kant in -unseren westlichen Bezirken die ‚intelligible Freiheit‘ nannte, wie sie -das ‚Ich an sich‘ außerhalb der Welterscheinung als _causa noumenon_ -wesentlich betätigt. Der Genius Kant, an dieser Stelle sorgfältiger als -irgendwo sonst die Erbschaft alter deutscher Mystik betreuend, hat ja -zu seinem Teil auf diese Tat der Taten keineswegs verzichten können, -die weder bedingt oder bestimmt durch Anreize aus der Sinnenwelt wird -wie etwa der instinktive Wille des natürlichen Menschen, noch bedingt -oder bestimmt wird durch die Vorstellung einer gesetzgebenden ‚Form‘ -aus reiner Vernunft wie etwa des ‚guten‘ Menschen moralischer Wille: -sondern die ganz einfach frei, weder bestimmt noch bedingt getätigt -wird im Sinne des scholastischen _liberum arbitrium indifferentiae_... -Diese zwar vielerörterte, kaum aber vielverstandene, vielleicht -zutiefst gar nicht zu verstehende intelligible Freiheit Kants, sage -ich, wäre vielleicht mit der Freiheit Gotamos nicht unpassend zu -vergleichen. Ja, sie wäre am Ende völlig einerlei mit dieser, wenn -nicht doch der Genius Kant, (hierin viel eher wiederum der Erbe der -großen europäischen Scholastik statt der Mystik!) -- wenn er nicht eben -diese transzendentale und transzendierende Freiheit leider als einen -moralischen Vorgang aufgefaßt und der Moral dienstbar gemacht hätte: -will heißen als einen Vorgang, der sich auf die Wahl des empirischen -Ich durch das intelligible Ich bezieht und dadurch genau auf das, was -Gotamo das Karman und seine Ordnung nennt. Auf diese Weise biegt -die intelligible Freiheit Kants doch wieder bedingend, verursachend, -bestimmend, begründend in die Wirklichkeit der Dinge ein, statt -endgültig von ihr abzubiegen, und diesen Umstand hat Kant selber in -voller Naivität gekennzeichnet durch den scheinbar ungereimten, in -Wahrheit jedoch durchaus zutreffenden Begriff der ‚Kausalität durch -Freiheit‘... Ganz unbesehen gerinnt mithin die Freiheit dem westlichen -Denker sogar in ihrer transzendierendsten Bedeutung als _liberum -arbitrium indifferentiae_ doch wieder nur zu einer Ur-Sache, statt zu -einer Ur-Tat, -- zu einer Ur-Sache, die andere Sachen verursachend -nach sich zieht: die Folgen, Wirkungen, Wirklichkeiten nach sich -zieht. Die intelligible Freiheit Kants, zu einem moralischen Mysterium -gestempelt statt zu einem religiösen, wird zu einer bloßen Ursache, -die sich von allen übrigen Ursachen in der Welt nur eigentlich dadurch -unterscheidet, daß sie die unendliche Reihe der Wirkungen nicht sowohl -fortsetzt, als von vorn beginnt. Kants intelligible Freiheit ist ein -grundloser Einsatz, ein unbedingter Anfang, mit welchem eine begründete -und bedingte Reihe in der Zeit und Wirklichkeit beginnt. Oder mit einem -Wort gesagt, -- diese intelligible Freiheit des westlichen Denkers ist -Freiheit des Willens, etwa dem Ausspruch des Bernhard von Clairvaux -gemäß: _ubi voluntas, ibi libertas_; oder besser und richtiger der -Umkehrung dieses Grundsatzes gemäß: _ubi libertas, ibi voluntas_! Wo -Freiheit, da ist hier Wille; wo aber Wille, da wird etwas gewollt: das -Gute oder das Böse, das Richtige oder das Verkehrte, das Zweckvolle -oder das Zwecklose, -- das Vernünftige oder das Törichte, das -Sinnentsprechende oder das Unsinnige, -- unter allen Umständen aber ein -zu Verwirklichendes, das in die Reihe der Wirklichkeiten gleichsam neu -eingerückt werden soll, wie etwa die Anzeige einer neuen Erfindung in -die Spalten einer Zeitung neu eingerückt wird... - -Hierzu im äußersten Widerspruch ist die intelligible Freiheit des -Buddho nicht sowohl eine Freiheit des Willens, als vielmehr eine -Freiheit vom Willen und jedenfalls eine Freiheit vom Wollen. Nicht -mehr wollen, nicht mehr wünschen, nicht mehr heischen, nicht mehr -gieren, nicht mehr schmachten, nicht mehr trachten, nicht mehr -streben, nicht mehr verkörpern, nicht mehr verwirklichen, nicht mehr -erscheinen, nicht mehr entstehen, nicht mehr vergehen, nicht mehr -tun, nicht mehr leiden, -- das eben heißt gotamidisch ‚frei‘ sein. -Kants unmittelbares Erlebnis der reinen Tat gilt einem Vor-Anfang und -Ur-Anfang, womit eine unendliche Schöpfung in der Zeit sich einleitet. -Die reine Tat setzt hier das (empirische) Ich und mit diesem alle -Abhängigkeiten, Notwendigkeiten, Folgen dieser Setzung, -- und trotz -aller verspäteten Einsprüche und Verwahrungen Kants war es doch nur -im strengsten Geiste Kants weiter und weiter gedacht, wenn Fichte -die reine Tat außer dem Ich das Nichtich und im Ich das Nichtich -setzen ließ: mit dem Ich und Nichtich aber die ganze Welt abstufend, -aufstufend zu der unendlichen Schöpfung in der Zeit. Das Ich gesetzt -durch Freiheit, das Nichtich gesetzt durch Freiheit, das Nichtich im -Ich gesetzt durch Freiheit und somit die ganze Welt gesetzt durch -Freiheit, -- das ist von allen europäischen Konzeptionen vielleicht die -europäischste gewesen, weil unentwegt forsch in die Unendlichkeit fort- -und fortschreitend einen ‚unendlichen‘ Fortschritt ermöglichend und -verwirklichend... Gotamos reine Tat indes ist nichts weniger als ein -Vor-Anfang, Ur-Anfang unendlich fortschreitender Reihung oder Stufung. -Vielmehr genau dort, wo Gotamo am engsten sich mit dem europäischen -Gedanken, Ungedanken des _liberum arbitrium indifferentiae_ berührt, -dort wird er auch (wie das stets so ist) am heftigsten von diesem -abgestoßen. Des Buddho Tat ist Ende und Voll-Ende, ist Voll-Endung -des Voll-Endenden: eben darum zwar, weil sie durch alle unendliche -Satzung, Reihung, Stufung quer hindurchbricht und den Leitfaden des -Karman, wenn nicht geradezu zerreißt, so sicherlich auch nicht mehr -weiterspinnt, vielmehr ein für allemal verstätigt. Verneinenderweis -ausgedrückt, gelangt diese Tat des gotamidisch Vollendenden also durch -einen Austritt und Heraustritt zum Vollzug: durch einen Austritt und -Heraustritt zwar, der den Täter zufall- und schicksallos macht (in -der Sprache der Tragödie gesprochen); der den Täter willens- und -tatfrei macht (in der Sprache der Moral gesprochen); der den Täter -unbedingt und abgelöst, das heißt, ‚absolut‘ macht (in der Sprache der -Metaphysik gesprochen); der den Täter unabhängig von den Gegenständen -der Erfahrung und von der Erfahrung selber macht (in der Sprache der -Transzendentalphilosophie gesprochen); der den Täter weltledig, arm -und abgeschieden macht (in der Sprache der Mystik gesprochen); der -den Täter wunschversiegt, wahnversiegt, daseinversiegt macht, zuletzt -und endgültig in der Sprache des Buddho gesprochen... Bejahenderweis -ausgedrückt ist aber diese selbe Tat der gotamidischen Vollendung doch -zugleich ein Eintritt und Hereintritt, ein Eintritt und Hereintritt -nämlich in das übersinnliche, überdingliche, überweltliche Bereich des -An-und-für-sich-Seins der Welt: mithin in ein Bereich, für welches -die Zunge weder des Tragöden, noch des Moralisten, Metaphysikers, -Transzendentalphilosophen oder Mystikers, ja nicht einmal des Buddho -selber Sprachzeichen und Lautgebärden hat, um es hinlänglich zu -bezeichnen... - -Gotamo aber, nachdem er an der schlechten Unendlichkeit eines nimmer -stockenden Entstehens und Vergehens unaussprechlich heftig und tief -gelitten hatte, -- Gotamo, nachdem er (vorübergehend im Irrtum der -Freien Brüder befangen) in beispielloser Selbstquälerei, Selbstfolter, -Selbstabtötung das Leiden nur zwecklos gemehrt hatte, um mittels des -gemehrten Leidens das mindere zu übertäuben, -- Gotamo, nachdem er -das arme Fleisch des Leibes in erfinderischen Büßungen gleichsam mürb -gebeizt hatte, bis es ihm von den Knochen gefallen war, auf daß er -endlich dem armen Fleisch nicht länger unterworfen bliebe und sich -fortab des ‚reinen‘ Geistes freuen dürfe: dieser Gotamo der Erlebende -des Leidens erlebt eines Tages an ihm selber, wie er, o Wunder, des -Leidens wirklich genesen ist, wahrhaft bei Lebzeit schon genesen! -Nicht durch Mißhandlung oder Peinigung oder Entehrung des Körpers: -vielmehr ganz einfach durch eine innerliche Wendung oder Drehung -von dieser Weltlichkeit weg nach einer anderen Weltlichkeit, nach -einer Gegen-Weltlichkeit hin, -- denn dieser Buddho, ihr Christen, -wußte es ja schon zu seiner Zeit, daß es viele selbstgeschaffene -Wirklichkeiten gäbe und also zu einer jeglichen von ihnen auch die -Gegen-Wirklichkeit... Er, der Erlebende des Leidens, erlebt in einer -ungeheueren Stunde plötzlich kein Leiden mehr, und sogar heute noch -ahnen wir fern, fern das unermeßliche Gefühl von Frieden und von -Stillung, wie es schwer und hell wie flüssiges Gold in seine Seele -träufelt: „Da kam mir, Aggivessano, der Gedanke: ‚Wie, sollt’ ich etwa -jenes Glück fürchten, jenes Glück jenseit der Wünsche, jenseit des -Schlechten?‘“... Und nicht länger fürchtet sich jetzt der Buddho dieses -Glückes, sondern erfüllt sich mit ihm, daß es aus allen seinen Poren -strahlt und leuchtet: denn als ein Glück, eine Selbststeigerung ganz -außerhalb jeder Vergleichbarkeit empfindet der Buddho diesen neuen und -ungewohnten Urstand des Nicht-mehr-Leidens, des Ausgelittenhabens an -der Werdewelt und ihrem ewigen Gesetz. Als eine Besäligung, ja als eine -Säligkeit ganz außerhalb jeder Vergleichbarkeit empfindet der Buddho -diesen neuen, ungewohnten Urstand, wo er sich endlich, endlich nicht -länger eingeschmiedet findet in den Ring der Wiederkünfte und nicht -länger aufgeflochten auf das Rad der Werke-Wesen: „...die aber da als -Mönche heilig geworden sind, Wahnversieger, Endiger, die das Werk -gewirkt, die Last abgelegt, das Heil sich errungen, die Daseinsfesseln -vernichtet, sich durch vollkommene Erkenntnis erlöst haben, denen -taugen diese Dinge um säliger Gegenwart zu genießen, bei klarem -Bewußtsein“... - -Wunschversiegung, Wunschvernichtung, Wunschverwindung heißt aber in -den Heiligen Schriften des Kanons jener Urstand der Leidensauflösung -und Weltledigung, in welchem der Buddho zuletzt sich selbst vollendet. -Wunschversiegung, Wunschvernichtung, Wunschverwindung heißt die ‚reine‘ -Tat der Freiheit selber: das ist im Pâli entweder _nibbânam_, oder im -Sanskrit _nirvânam_, aus der Wurzel _van_ = Wunsch. _Nibbânam_ oder -auch _nirvânam_ oder auch _brahmanirvânam_ oder auch _paramanirvânam_ -heißt in den beiden Mundarten der Überlieferung der Urstand der -erlangten Heiligkeit, der bald das Schicksal aller erlesenen -Dinge hatte, sowohl im Osten wie im Westen gleichermaßen gröblich -mißverstanden zu werden. Denn nichtverstanden hat dieses Nibbânam -zum Beispiel ein repräsentativer Chinese wie der sehr kluge und fein -gebildete Ku Hung-Ming, wenn er sich etwa folgendermaßen ausläßt: „Auch -die Methode des Buddhismus, die Welt zu erneuern, nimmt zum Boykott -ihre Zuflucht. Wenn die Welt schlecht ist, so rasiert der Buddhist -seinen Kopf, geht ins Kloster und boykottiert die Welt“... Nicht -weniger mißverstanden hat ferner dies Nibbânam ein repräsentativer -(gerade in seiner menschlichen Zweideutigkeit repräsentativer) Europäer -wie der französische Poet Claudel, wenn dieser zwar etwas weniger -platt, aber dafür um so orakelhafter zu sprechen wagt „vom Schweigen -des Geschöpfes, das sich hinter eine völlige Verweigerung verschanzt -hat“, oder gar von „der unreinen Ruhe der auf ihrem wesentlichen -Anderssein beharrenden Seele“, oder wenn er sich vollends zu dem Satz -versteigt, der sich angesichts der obigen Worte Gotamos freilich -besonders unverständig ausnimmt: „Für mich hat das Nichts nur einen -Sinn, wenn sich ihm die Säligkeit zugesellt“... Seltsamstes Spiel -fürwahr, daß der Osten und der Westen des Planeten gleichermaßen den -Urstand der Wunschverwindung nur als das große Nichts und Abernichts -zu würdigen oder vielmehr nicht zu würdigen vermag! Seltsamstes Spiel, -und doch nicht Laune bloß des Zufalls oder der Abgeschmacktheit, daß -der Mensch sich vor dem Nichts zu fürchten beginnt, wo er nichts -mehr zu fürchten, nichts mehr zu dulden, nichts mehr zu verlieren, -aber freilich auch nichts mehr zu hoffen, nichts mehr zu wünschen, -nichts mehr zu gewinnen hat! Wie tief, wie abschreckend irreligiös -mußte der Mensch geworden sein, bis er jeden lebendigen Zusammenhang -mit dem Walten einer reiferen Frömmigkeit so weit verloren hatte, -daß er den Zustand ewiger Bedürftigkeit als den ihm zusagendsten -und angemessensten bejaht, den Zustand der Gestilltheit aber als -den schlechterdings unangemessenen und nichtseinsollenden verneint, -will meinen: ihn als ‚Nichts‘ verleumdet! Denn brauch’ ich es nach -allem Vorigen besonders noch zu beteuern, daß dies Nibbânam Gotamos -sowenig etwas mit dem Boykott des chinesischen Reformers zu schaffen -hat wie mit der völligen Verweigerung, mit der unreinen Ruhe oder gar -mit dem ‚Nichts ohne Säligkeit‘ des französischen Mystizisten und -Mystifikanten? Brauch’ ich zu sagen, daß vollends alle die eifrigen -Gelehrten, fleißigen Professoren und scharfsinnigen Philosophen schier -lächerlich, wenn nicht schon boshaft abwegig sind mit ihrer Mutmaßung, -der Buddho habe das Nibbânam gleichsam als ‚Nichts-an-sich‘ ontologisch -verdinglicht, vergegenständlicht oder verwesentlicht, um dies dinghafte -Un-Ding der Welt gleichsam listig als ihren ‚Gott‘ zu unterstellen -und derart den Brahman-Âtman des Brahmanismus als hoffnungloser -Nihilist des Fühlens, Nihilist des Wollens, Nihilist des Denkens zu -Ende zu denken: zu Tod zu denken? Brauch’ ich zu wiederholen, daß dies -Nibbânam nichts weiter ist wie eine keusche Anspielung auf einen in -unablässigen Seelenkämpfen errungenen Dauerstand des Selbstes, genau -wie die Abgeschiedenheit, die nächste Armut, die weiselose Weise -unserer westlichen Mystik eine solche keusche Anspielung gewesen -ist? Brauch’ ich zu beweisen, daß dies Nibbânam das letzte Endziel -zwar nicht aller Religionen, aber aller Religion ist, das Endziel -aller auf Selbstvergöttlichung bedachten Selbstläuterungen, um -wie Gott schließlich ganz weltunbedingt, ganz weltunabhängig, ganz -weltunbedürftig zu sein? Brauch’ ich herauszuheben, daß dies Nibbânam -als edelstes Ergebnis zwar alles Weltverzichts und aller Weltentsagung -zugleich doch herrischste Forderung, unbeugsamster Anspruch ist auf -Selbsterfüllung und Selbststillung? Brauch’ ich zu verraten, daß -dies Nibbânam den Menschen mit einer beispiellosen Treue treu gegen -sich selbst zu werden lehrt, damit er, treu gegen sich selbst, treu -auch gegen das unendliche All, eben dieses unendliche All mit seiner -unendlichen Dichtigkeit und Mächtigkeit in sich auszutragen vermöchte -und also austragend, also ausgetragen in sich endige und vollende? -Brauch’ ich zu begründen, daß es sich hier zuletzt um etwas ganz -Einfaches und Selbstverständliches handelt, um das Ankern nämlich -auf dem eigenen Grund, um das Ankern in der eigenen Tiefe, bis wohin -kein Sturm mehr aus dem Luftraum blasen kann?... „Der ich also rede, -also lehre, ihr Mönche, mich bezichtigen einige Asketen und Brâhmanen -grundloser, nichtiger Weise, fälschlich, mit Unrecht: ‚Ein Verneiner -ist der Asket Gotamo, des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, -Aufhebung verkündigt er.‘ Was ich nicht bin, ihr Mönche, nicht rede, -dessen bezichtigen mich jene lieben Asketen und Brâhmanen, grundloser, -nichtiger Weise, fälschlich, mit Unrecht: ‚Ein Verneiner ist der Asket -Gotamo, des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, Aufhebung -verkündigt er.‘ Nur eines, ihr Mönche, verkündige ich, heute wie -früher: das Leiden und des Leidens Ausrodung“... - -Brauch’ ich euch zu überreden endlich, ihr Christen, daß dies Nibbânam, -taktlos mißhört, mißdeutet und mißechot im Osten der Erde wie im Westen -und offenbar dazu in einem Spülicht hemmungloser Vielgeschwätzigkeit -schwammig bis zum Unsinn, bis zum Irrsinn aufgeweicht und aufgedunsen, --- brauch’ ich euch zu überreden, daß dies Nibbânam künftighin zu -ehren ist mit jenem siebenfältigen Schweigen der Ehrfurcht, welches -das Siebente Wort am Kreuz der Welt, Siebente Wort am Rad der Welt -gleichermaßen ehrt wie fürchtet: Τετέλεσται, es ist vollbracht! _Katam -karanîyam_, gewirkt ist das Werk!... - - - - -DIE DRITTE UNTERWEISUNG: - -BUDDHO DER WISSENDE - - -DAS HEILIGE NEIN LASST UNS BEKENNEN DENN NEIN UND JA SIND WIE -DIE SCHENKEL DER NÄMLICHEN PARABEL, UND WO SICH DIESE SCHEITELT, -DURCHDRINGEN BEIDE SICH IN EINEM PUNKT -- DENN NEIN UND JA SIND -WIE DER ABSTEIGENDE UND ANSTEIGENDE KNOTEN DER WELT, UND WO SICH -BEIDE SCHÜRZEN, SCHWEBT GIPFELND DAS GESTIRN DER WELT DURCH SEINEN -MITTAGSKREIS -- DENN NEIN UND JA SIND WIE DAS AUSSENBLATT UND -INNENBLATT DESSELBEN KEIMLINGS, IM SCHOSSE DER GEBÄRERIN STRENG -GEFALTET -- GEFALTET ZUM AUSSEN-INNENBLATT REIFT ERST DER KEIMLING DER -GEBURT ENTGEGEN: GEFALTET ZUM NEIN-JA REIFT ERST DIE SEELE IHRER WELT -ENTGEGEN -- DAS NEIN ZERSPELLT DAS GOLDENE EI DER WELT, DAS MÜTTERLICH -VOM PHÖNIX GEIST BEBRÜTETE -- JEDOCH DES JUNGEN ADLERS SCHNABELSCHÄRFE -IST ES, DIE SICH MIT FRÜHFLÜGGER WEISHEIT LICHTBEGIERDE DAS DUNKLE -EI ZERSPELLT -- O WELT, VON DEINER SONNE EMPFING ICH TRÄUMEND EINEN -HIMMELSTRAHL IN MEINEM AUG, ALS ES NOCH SCHLIEF, ZUM PFAND, DASS ICH -DEREINST MICH AN DIR SONNEN WÜRDE, WANN ICH DURCH DEINE BITTERSCHALE -BRACH -- O AUGE ICH DER WELT, O HIMMELSAUGE ICH, ZU DIR, O WELT, -ERWACHEND -- O ICH ERWACHTER DANN, VOLLKOMMEN ERWACHTER ICH ZU DIR, O -WELT -- - - DIES IST DIE DRITTE UNTERWEISUNG - - -Es ward gesagt, ihr Christen, daß der Buddho die Geburt haftbar -machte für die drei Kernübel dieser Welt, für Alter, Krankheit, Tod. -Dreimal hat der Buddho in der Legende von Vipassîs Ausfahrt der Geburt -geflucht: „O Schande sag’ ich über die Geburt, da am Geborenen das -Alter zum Vorschein kommt, die Krankheit zum Vorschein kommt, der Tod -zum Vorschein kommt...“ An die Geburt also knüpft sich das Leiden, -an die Geburt knüpft sich Alter, Krankheit, Tod. Denn ohne Geburt, -heißt es in den Reden schon fast mit einer wörtlichen Wendung Platons, -ohne Geburt würde kein Mensch zur Menschheit, kein Vierfüßer zur -Vierfüßerheit, kein Vogel zur Vogelheit geboren: ohne Geburt kein Wesen -zu Krankheit, Alter, Tod. So findet Gotamo in der Geburt die Ursache -aller drei grundsätzlichen Übel dieser Welt und in der Geburt die -Ursache alles Leidens an der Welt. Die Geburt aber, dies bemerkten wir -schon mit hinlänglicher Zuverlässigkeit, ist zwar Ursache, keineswegs -jedoch etwas Letztes oder Unbedingtes, -- keineswegs Ur-Sache aller -Sachen oder Ur-Grund aller Gründe. Vielmehr ist ja die Geburt jeglichen -Wesens an und für sich schon Wieder-Geburt, verursacht und bedingt -durch frühere Tat, wie umgekehrt frühere Tat ihrerseit die Frucht -früherer Geburt gewesen ist. Und dies in unendlicher Schürzung und -Neuschürzung in unendlichem Kreislauf, bis irgendwann einmal die reine -Tat getätigt und irgendwann einmal der Kreis durchbrochen ward. Ins -Werden eingeflochten ist mithin die Tatsache der Geburt, ins Werden -eingeflochten bleibt sie. Und so versteht sich’s eigentlich von selbst, -daß auf die Frage: was Geburt bedinge, der Buddho keine andere Antwort -in Bereitschaft haben kann als eben: das Werden! Das Werden bedingt -die Geburt; denn wenn es kein Werden gäbe, kein geschlechtliches -Werden, kein formhaftes Werden, kein formloses Werden, dann gäbe es -keine Geburt. Was aber bedingt das Werden, gesetzt den Fall, auch -dieses Werden sei nichts Letztes, sei nichts Unbedingtes? Das Anhangen -bedingt das Werden, antwortet der Buddho selber sich auf diese neue -Frage. Denn wenn es keinen Hang gäbe, keinen Hang nämlich zur Lust, -keinen Hang zur Selbstbehauptung (und dies heißt gotamidisch gedacht -keinen Hang zum ‚Ich-Sagen‘!) -- wenn es keinen Hang gäbe ferner zur -Ansicht, keinen Hang zu Tugendwerk, dann gäbe es auch kein Werden. -Was aber bedingt das Anhangen, gesetzt den Fall, auch dieses Anhangen -sei nichts Letztes, sei nichts Unbedingtes? Der Durst bedingt das -Anhangen, der ungelöschte und unversiegte, antwortet der Buddho selber -sich auf diese neue Frage. Denn wenn es keinen Durst gäbe, Durst nach -Gestalten, Durst nach Tönen, Durst nach Düften, Durst nach Säften, -Durst nach Tastungen, Durst nach Gedanken, dann gäbe es auch kein -Anhangen. Was aber bedingt den Durst, gesetzt den Fall, auch dieser -Durst sei nichts Letztes, sei nichts Unbedingtes? Das Gefühl bedingt -den Durst, antwortet der Buddho selber sich auf diese neue Frage. -Denn wenn es kein Sehgefühl, kein Hörgefühl, kein Tastgefühl, kein -Riechgefühl, kein Schmeckgefühl, kein Denkgefühl gäbe, dann gäbe es -auch keinen Durst. Was aber bedingt das Gefühl, gesetzt den Fall, -auch dieses Gefühl sei nichts Letztes, sei nichts Unbedingtes? Die -Berührung bedingt das Gefühl, antwortet der Buddho selber sich auf -diese neue Frage. Denn wenn es keine Sehberührung, Hörberührung, -Tastberührung, Riechberührung, Schmeckberührung, Denkberührung gäbe, -gäbe es auch kein Gefühl. Was aber bedingt die Berührung, gesetzt den -Fall, auch diese Berührung sei nichts Letztes, sei nichts Unbedingtes? -Die erkenntnismäßige Doppeltheit Bild-und-Begriff, Begriff-und-Bild -bedingt die Berührung, antwortet der Buddho selber sich auf diese neue -Frage. Denn wenn es keine Wahrnehmungen und keine Vorstellungen, keine -sinnlichen Eindrücke und keine begrifflichen Kennzeichen, Wahrzeichen, -Bedeutungzeichen für solche Eindrücke gäbe, also platonisch gesprochen -keine εἰκόνες und keine εἴδη, dann gäbe es keine Berührung. Was aber -bedingt diese erkenntnismäßige Doppeltheit von Bild-und-Begriff -und von Begriff-und-Bild, gesetzt den Fall, auch diese Doppeltheit -sei nichts Letztes, sei nichts Unbedingtes? Das Bewußtsein bedingt -Bild-und-Begriff, Begriff-und-Bild, antwortet der Buddho selber sich -auf diese neue und nun doch schon beinahe ‚letzte‘ Frage, wofern er -jetzt offenbar die Reihe der Verursachungen und Bedingungen der Geburt -bis zur Ur-Sache und bis zum Un-Bedingten rückwärts verfolgt hat. Denn -gäbe es kein Bewußtsein, gäbe es keine Setzung von Nichtich-Welten für -das Ich, von Erlebnis-Mannigfaltigkeiten für die erlebende Einheit, -von Objektivationen für das Subjekt, dann gäbe es eben auch keine -Bilder und Bildesbilder, dann gäbe es auch keine Gegenständlichkeiten -und Gedankenzeichen für Gegenständlichkeiten, dann gäbe es auch keine -Wahrnehmungen und keine Vorstellungen, welche Wahrnehmungen vorstellen -sollen und wirklich auch vor-stellen. Wer aber jetzt noch weiter -forschen und weiter erklären wollte, der stieße bei der nächsten -Frage: Was bedingt Bewußtsein? schon unfehlbar wieder auf die bereits -erteilte Antwort: Bild-und-Begriff, Begriff-und-Bild bedingen das -Bewußtsein, wofern sie in zweifacher Erscheinung als Nichtich-Welt -bezogen auf ein Ich auftauchen, als Gegenstands-Vielheit bezogen auf -eine Zustands-Einheit auftauchen. Denn dieses gerade nennen wir ja das -Bewußtsein, daß für das unbegreiflich-unbegriffliche Selbst Begriffe -und Bilder aus irgendwelchen Latenzen her _in actu_ auftreten und einem -solchen Selbst erscheinen, wahrnehmbar werden, vorstellbar werden. -In dieser Rücksicht heißt Bewußtsein offenbar Sich-Bewußt-Sein; sich -einem Sein auf irgendeine Weise entgegengesetzt und widerstemmt finden; -sich etwelcher Wahrnehmbarkeiten irgendwie inne werden, innerlich -und erinnerlich werden. Bewußtsein und Bild-Begriff erweisen sich -dem Buddho kurz gesagt als wechselbezüglich und wechselbezogen, als -wechselbedingend und wechselbedingt: eine sowohl in philosophischem wie -religiösem Betracht bedeutsame Lehre, die (wie man weiß) auch unserem -westlichen Klima keineswegs fremd geblieben ist. Vor dem Bewußtsein -als der Stätte entstehender Geburten steht schließlich der Frager -still und still steht davor auch des Fragers unablässig bohrender -und schraubender Verstand. Im Bewußtsein ist das Weh der Welt, das -dreigestaltige, verwurzelt; im Bewußtsein sind Vergänglichkeit, -Leidbehaftetheit, Wesenlosigkeit, _aniccam_, _dukkham_, _anattam_ -verwurzelt; im Bewußtsein ist die Werdewelt, Wandelwelt, Wehewelt -verwurzelt. Gäbe es kein Bewußtsein, dann gäbe es ‚diese‘ Welt nicht; -denn ‚diese‘ Welt gibt es nur dort, wo sie sich eben einstellt und -vorstellt und nirgends sonst, ihr Christen... - -Bei dieser Lehre von des Leidens Abkunft aus dem Bewußtsein etwas -zu verweilen, wie sie vom Buddho entwickelt wird vornehmlich -in der Fünfzehnten Rede aus der Längeren Sammlung Dîghanikâyo, -entwickelt wird aber außerdem auch sonst nicht selten in den Reden -der Längeren und Mittleren Sammlung, -- bei dieser befremdlich -anmutenden Lehre hier noch etwas zu verweilen, dürfte mancherlei -Anlaß für uns bestehn, ihr Christen. Das Erlebnis des Leidens, von -der Person Gotamos als Schicksal empfangen, als Schicksal verwunden -und insofern sicherlich auch das Urerlebnis Gotamos, ist mithin -doch nicht Urerlebnis im Hinblick auf seine Entstandenheit oder -Unentstandenheit. Vielmehr gilt das Leiden als solches, und so auch -das Erlebnis des Leidens, schlechterdings für entstanden, für bedingt, -für verursacht, für geworden. Das Leiden an der Welt ist durchaus -ableitbar aus dem Bewußtsein von der Welt, und in Ansehung dieses -unumstößlichen Tatbestandes ist das Leiden auch in seiner Eigenschaft -als gotamidisches Urerlebnis weder ein Erstes noch ein Letztes, noch -gar ein Unbedingtes. Wohl aber, -- und dies entscheidet über vieles! --- ist das Bewußtsein ein Erstes und ein Letztes und ein Unbedingtes. -Das Bewußtsein ist gleichsam der Erfüllungort, wo die einzelnen -Posten der unendlichen Summe ‚Wirklichkeit‘ in ihrem Lust- und -Unlustwert gegeneinander verrechnet, gegeneinander ‚geklärt‘ werden. -Das Bewußtsein ist gleichsam das Schiedsgericht, wo das rechtsgültige -Urteil endlich ergeht in Sache des noch nie ausgetragenen Widerstreits -zwischen Seele und Welt, Selbst und Wirklichkeit. Das Bewußtsein ist -gleichsam die Walstatt, wo über Sieg und Niederlage nunmehr entschieden -wird in dem Kampf der Freiheit gegen das Gesetz, der Willkür gegen -den Zwang. Das Bewußtsein ist gleichsam der Schauplatz, wo die Welt -sich selbst erscheint als die Einheit ihrer Mannigfaltigkeiten, als -die Ganzheit ihrer Teile, als der Leib ihrer Glieder. Im Bewußtsein -geschieht es, daß die Welt das Licht der Welt erblickt... - -Dieser bemerkenswerten Auffassung und Neufassung des Begriffes ‚Welt‘ -von seiten des Buddho entspricht ein Vorgang, der sich in unserer -europäischen Vergangenheit nicht minder eindrucksvoll abgespielt -hat als in der indischen: nicht nur einmal, sondern zweimal den -menschheitlichen Zustand des jeweiligen _homo europaeus_ gründlich -ändernd! Ich beziehe mich dabei, wie sich von selbst versteht, auf -jene philosophische ‚Umbettung‘ der Ding-Welt, Ding-an-sich-Welt -in eine Vorstellung- und Bild-Begriff-Welt, die wohl in unserem -westlichen Bezirk für das erste Mal zum Vollzug bei den Hellenen -kam, etwa in jenem merkwürdigen Zeitalter zwischen Demokritos und -Sokrates einerseit, Platon und Aristoteles andererseit (unter der -bestimmenden Mitwirkung der Sophisten); -- die aber später dann noch -einmal zum Vollzug gelangte in dem weltgeschichtlich entsprechenden -Zeitalter zwischen Descartes und Spinoza einerseit, Leibniz und Kant -andererseit. Es ist dies jene Umbettung der Wirklichkeit, die ihre -berühmte Fassung einstweilen in der Formel Schopenhauers gefunden -hatte: die Welt ist Meine Vorstellung... übrigens eine Formel, welche -ein neuerer Schriftsteller nicht ohne Geist und Einsicht in die -richtigere umzuprägen vorschlug: Meine Welt ist Vorstellung!... Wie -also schon gesagt: seit Demokritos von Abdera mit dürren Worten eine -Welt des Seienden an und für sich unterschieden hatte von einer Welt -des Daseienden für uns, eine Welt gesetzmäßig bewegter Unteilbarkeiten -(ἄτομοι) draußen im leeren Raum und eine Welt auftauchender und -versinkender Vorstellungen drinnen im Bewußtsein, -- seit dieser -gewaltige Denker den Schritt gewagt und den Schritt gemacht hatte -von der ‚Physik‘ zur ‚Ethik‘ und den Begriff des Abbilds (εἴδωλον) -und der Vorstellung (πρόληψις) in die griechische Philosophie -einführte, seither lagerte sich das sogenannte Sein unaufhaltsam um -in ein Bewußtsein. War es die eigentliche Leistung der Vorsokratiker -bis auf Demokrit, den furchtbaren Urwirbel einer noch nirgends -verwissenschaftlichten Weltwirklichkeit in eine gesetzdurchwaltete -Ordnung von Himmelskörpern und Gestirnen zu verwandeln, so verwandelte -Demokrit selbst (und der hierin durchaus ihm nacheifernde Platonismus) -wiederum die geordnete Gestirn- und Himmelswelt der ionischen -Kosmologen in eine geistverwandte, menschverwandte Vorstellung- und -Bilderwelt. Denn zwar vom Urwirbel aus scheint der Mensch den gebahnten -Himmel zu erobern, -- erst vom gebahnten Himmel aber aus sich selber: -und Chaos, Uranos und Makranthropos heißen wohl die wichtigsten -Stationen, welche der menschliche Gedanke zweimal in Europa und einmal -in Indien zeitlich zurückgelegt hat, ehe er wirklich in ihm selber -Fuß fassen konnte. Daß Gotamos Lehre von der Entstehung des Leidens -aus dem Bewußtsein dem indischen Festland denselben Dienst geleistet -hat, welchen der ‚transzendentale Idealismus‘ und ‚Phänomenalismus‘ -in Altertum und Neuzeit dem europäischen Festland leistete, bedarf -somit keiner besonderen Erläuterung, sondern ist ganz einfach so. -Auch die gotamidische Lehre verlegt einen umspannenden Zusammenhang -von Dingen an sich und ihren gesetzmäßigen Bewegungen aus der Lage -des bloßen Seins in die Lage des Bewußtseins, um hier gewissermaßen -eine Vermenschlichung, ja eine Vergeistigung zu vollziehen. Auch -diese Lehre bettet eine ‚transzendente‘ Wirklichkeit außerhalb des -Bereichs menschlicher Erkenntnismittel und Erkenntnismöglichkeiten -in die sogenannte ‚Immanenz‘ der Vorstellungen, Bilder und Begriffe, -wo sie dem Zugriff menschlicher Erkenntnismittel, menschlicher -Erkenntnismöglichkeiten ausgesetzt erscheint. Auch diese Lehre -bezeichnet innerhalb der Entwicklung des indischen Geistes genau die -Stelle, wo eine Gestirn- und Himmelswelt des Kosmologen wesentlich -durch eine Menschenwelt des Ethikers verdrängt wird: die ewige Stelle -gleichsam auf der Kurve der Wissenschaftgeschichte, deren Scheitel -einmal den Namen Platon, das andere Mal den Namen Kant bei uns im -Westen trägt... - -Was aber hat, ihr Christen, diese mehrmals wiederkehrende Bewegung -der Erkenntnis von einer unbewußt-blinden Weltwirklichkeit weg zu -einer bewußten, sehenden Weltwirklichkeit hin im tiefsten zu bedeuten? -Was hat die Wendung zu bedeuten, welche Bergson neuerdings nicht -unzutreffend als die Wendung von der bloßen _science_ zur _con-science_ -hin bezeichnete? Was hat es zu bedeuten, daß die drei reifsten und -sinnigsten Deutungen der Welt mit offenbar gleicher Notwendigkeit -die Richtung vom Draußen nach dem Drinnen einschlugen? Was hat es -zu bedeuten, daß jede schärfere Einstellung auf die Gegebenheiten -der Sinne dazu führt, diese Gegebenheiten als Gegebenheiten ‚im -Bewußtsein‘ aufzufassen? Was hat es zu bedeuten, daß mit steigender -Genauigkeit der Beobachtung und Forschung das Rätsel des Seins -gleichsam auf der Pfanne der Kritik eingedampft wird zum Rätsel des -Bewußtseins? Was hat es zu bedeuten, daß auf einer gewissen Stufe -philosophischer Besinnung plötzlich alle die Fäden und Leitfäden, an -welchen die Erscheinungen aufgereiht sind, in einem einzigen Knoten -zusammenschießen, der wundersam genug Ich und Nichtich aneinander -knüpft und ineinander heddert? Was hat es zu bedeuten, daß die -unsichtbare Linie, welche alle wissenschaftgeschichtlich eingenommenen -Punkte und Stand-Punkte untereinander verbindet, jeweils so streng -eindeutig gezogen ist, daß sie von einem irgendwie ‚naiv‘ sich -gebenden Realismus bis zu einem kritisch geläuterten, ja kritizistisch -überspitzten Idealismus verläuft? Was hat es zu bedeuten, daß im alten -Griechenland jene ionischen Kosmologen und Physiker nicht weniger -wie die eleatischen Ontologen und Metaphysiker auf ihrem rüstigen -Wege eines Tags eingeholt, eines Tags sogar überholt wurden von den -attischen Idealisten und Kritizisten? daß in Europa später die Dogmatik -und Scholastik des christlichen Mittelalters nicht anders wie der -Positivismus und Empirismus der nichtchristlichen Neuzeit ereilt ward -und stets ereilt werden wird von der Transzendentalphilosophie, von -der Phänomenologie, vom Apriorismus? daß in Indien die ungeheuern und -wahrlich auch ungeheuerlichen Mythen brahmanischer Weltentstehungen und -auch Welterschaffungen aus Brahmâs des Himmelsjünglings und der Mâyâ -gemeinschaftlichen Traum- und Liebesspielen sanft aber unwiderstehlich -verdrängt wurden durch die so nüchterne Entstehungkunde aus dem -Bewußtsein, die hier der Buddho gibt? Was hat die immer gleiche -Wandlung zu bedeuten von einer flutenden und wogenden Nebelwirbelwelt -zu der Gestirn- und Himmelswelt der großen Physik Asiens und Europas, --- dann aber von deren glänzenden Umschwüngen und Sonnenbahnen -weg zu einer trockenen Bilder- und Begriffswelt hin, wie sie der -Gegenstand von mancherlei Ideenlehren, Transzendentalphilosophien -und Phänomenologien geworden ist? Weshalb geschieht es, daß zu einer -Zeit der Mensch mitten unter dem Uranos lebt, wie der jüngste, wie -der schönste aller Sterne unter älteren Brüdersternen, -- zu einer -anderen Zeit jedoch nur als der Kleine Mensch mit dem Großen Menschen, -das ist wie ein empirisches Bewußtsein mit einem transzendentalen -‚Bewußtsein überhaupt‘? Was hat dieser über die Maßen befremdliche -Standpunktwechsel zu bedeuten? - -Eine beginnende Bemächtigung der Welt hat er zu bedeuten, eine -beginnende Bemeisterung, eine beginnende Überwindung der Welt, -antworte ich darauf, -- nichts Geringeres und nichts Größeres, ihr -Christen, hat er zu bedeuten! Es ist der geheimste Sinn dieser -entwicklunggeschichtlichen Umbettung des Seins in das Bewußtsein, -daß man das Wirkliche dadurch gleichsam in die Hand bekommt, dieweil -es vorher sich offenbar jeder Handhabung entzog. Der Schwerpunkt -der Welt wird aus dem Sein in das Bewußtsein hinein verlegt, wofern -er im Bewußtsein jederzeit nach Absicht und Bedarf seine Stelle -wechseln kann: vergleichungweis wie ein gewandter Turner jederzeit den -Schwerpunkt seines Leibes nach Absicht und Bedarf seine Stelle wechseln -lassen kann. Die Welt als bloßes Sein unterliegt dem Gesetz des bloßen -Seins und bleibt insofern jeder Zuständigkeit bewußten Wollens, -bewußten Strebens, bewußten Zielens entrückt. Die Welt als Bewußtsein -dagegen unterliegt zumindest ‚auch‘ dem Gesetz des Bewußtseins, will -heißen dem Gesetze dessen, der für den Inhaber, Träger, Herrn des -Bewußtseins gilt. Das abgezogene und reine Sein verharrt ausschließlich -auch nach eigenem Sinn, Nicht-Sinn oder Wider-Sinn: verharrt als -unendliche Erstreckung unendlicher Mannigfaltigkeiten, welche nirgends -einen Ansatz für menschliches Eingreifen, Beeinflussen, Gegenwirken -darbieten (es geschähe denn durch Zauberei...). In dieser streng -sachhaften Wirklichkeit findet der Mensch im Grunde wenig oder -nichts für sich zu tun. Sie überwältigt und unterjocht ihn völlig, -wie es in den gesellschaftlichen Bildungen des Orients denn auch bis -auf Gotamo der Fall gewesen ist. Eingefügt, ja eingewalzt in die -unerschütterlichen Ordnungen der Gestirne und Gezeiten des allmächtigen -Himmels betätigt der Mensch sich wesentlich als Vollstrecker dieser -Ordnungen, die zwar nicht geradezu widermenschlich, aber doch auch noch -nicht menschlich sind. Der Mensch betätigt sich als kosmisches Werkzeug -hier, gleichsam als astrales Organon des großen Himmels, und seine -Siege, die in manchem Betracht alle künftigen Siege übertreffen, feiert -er in diesem Zeichen. In gar nicht abzuschätzenden Graden sind diese -Ordnungen astronomisch-astrologischer, physikalisch-kalendarischer, -mathematisch-mantischer Beschaffenheit wohltätig gewesen, -- die -Ordnungen einer vorzugweis ‚katholischen‘ Gesellschaft, wie sie -in China, Indien, Babylon-Assur und Ägypten entstand und dauerte. -Rhythmisch durchpulst von den Flutungen und Ebbungen des Himmels wie -von den Blutwellen des eigenen Herzens atmet der Mensch hier noch den -Atem der Schöpfung. Aber wir sahen es schon: mit der Zeit trachtet der -Mensch auch diesen Atem in seine Gewalt zu bringen, zum Zeichen, daß -er nicht länger der Vollstrecker, sondern der Gebieter des All sei. -Es ist eine Tatsache von unverkennbarer Symbolik, daß just mit den -Übungen der Hatha-Yoga die gleichsam protestantische Loslösung und -Verselbständigung des Menschen beginnt, -- schon lange vor Gotamo, -aber vollends durch Gotamo besiegelt, wenn er den unwillkürlichen -Vorgang des Lebens dadurch dem Willen unterwirft, daß er jenem ganz -regelmäßig eine bestimmte Vorstellung zuerst begleitend zugesellt, dann -aber gewissermaßen verdrängend unterstellt. Langsam, aber unaufhaltsam -verschwindet derart der Kosmos der Dinge, um einem Kosmos der -Vorstellungen das Feld zu räumen, -- übrigens in der Bhagavad-Gitâ ganz -buchstäblich das ‚Feld‘ (_kshetra_) des Feld-Kenners (_kshetrajna_) -genannt! -- langsam, aber unaufhaltsam, gelangt eine transzendentale, -will heißen immanente, will heißen phänomenologische Wirklichkeit als -Inhalt des Bewußtseins ins Machtbereich des erlebenden Menschen. Die -Reihe der kosmischen Kräfte wird um eine neue Kraft vermehrt, welche -bald alle übrigen an Wirksamkeit übertrifft: denn eben von den bewußt -entwickelten Vorstellungen hängt es künftig ab, welche Gestalt diese -Welt annimmt und welche nicht. Wenn schon Kant, der transzendentale -Idealist, auf seine stille Weise darüber frohlockt, daß sich in seiner -kopernikanisch gewendeten Lehre die Erkenntnisse der Vernunft fürderhin -nicht mehr nach den äußeren Dingen, Gegenständen, Wirklichkeiten -richteten, vielmehr umgekehrt die Dinge, Gegenstände, Wirklichkeiten -nach den Erkenntnissen der Vernunft und deren Bedingungen _a priori_; -wenn schon in diesem stillen Frohlocken Kants deutlich vernehmbar -die Freude des echten Protestanten an der Bewältigung, Bemeisterung, -Beherrschung der Natur durch den Geist, der Notwendigkeit durch die -Freiheit, der Unwillkür durch die Willkür zum Ausdruck kommt, -- -nun wohl! so weiß der Buddho dieselbe Genugtuung noch ganz anders -auszudrücken: er, der dem entwickelten Vorstellungleben eine magische, -ja eine okkulte Wirksamkeit im Umkreis der Verursachungen zuzuschreiben -sich berechtigt fühlt. „Acht Gründe gibt es, Ânando, acht Ursachen, -daß ein gewaltiges Zittern über die Erde zur Erscheinung kommt; und -welche acht? Diese große Erde, Ânando, hat ihren Bestand im Wasser, -das Wasser hat seinen Bestand im Winde, der Wind hat seinen Bestand im -Raume. Zu einer Zeit nun, Ânando, wo gewaltige Winde wehen, lassen die -gewaltigen Winde mit ihrem Wehen das Wasser erbeben: und erbebt das -Wasser, erbebt die Erde. Das ist der erste Grund, die erste Ursache, -daß ein gewaltiges Zittern über die Erde zur Erscheinung kommt. Ferner -aber, Ânando, ist da ein Asket oder ein Priester, der ist machtvoll, -hat die Herrschaft über seinen Geist, oder ein Gott, hochmächtig, -hochgewaltig, -- der hat die Vorstellung ‚Erde‘ mäßig entwickelt, -unermeßlich die Vorstellung ‚Wasser‘: so macht er diese Erde beben und -erbeben, wanken und schwanken. Das ist der zweite Grund, die zweite -Ursache, daß ein gewaltiges Zittern über die Erde zur Erscheinung -kommt...“Diese erstaunlichen und doch auch wieder selbstverständlichen -Worte des Dritten Berichtes aus dem Großen Verhör über die Erlöschung -Mahâparinibbânasuttam führen die Vorstellung ein als eine Kraft -eigener Art, als eine Ursache eigener Art, als einen Antrieb eigener -Art innerhalb der Gesamtheit aller Kräfte, Ursachen und Antriebe der -Welt. Auf magische oder auf okkulte Weise beeinflussen Vorstellungen -den Zustand der Wirklichkeit und verteilen die vorhandenen Grundstoffe -anders, als es vorher und ohne ihre Beeinflussung der Fall war. -Je nachdem eine Vorstellung vom Vorstellenden unterdrückt oder -entwickelt, begünstigt oder vernachlässigt, gestärkt oder geschwächt -wird, greift sie als eine wirkende Ursache in die Unendlichkeit der -wirkenden Ursachen ein. Weit entfernt, eine wesenlose, untätige, -unwirkliche Begleiterscheinung der Körperlichkeit oder des Lebens zu -sein, -- wie dies europäische Psychologen, Physiker und Philosophen -häufig vermuten zu dürfen glaubten im sinnfälligen Widerspruch zu -bestehenden Tatsachenreihen, -- erweist sich die Vorstellung hier als -eine der treibenden Kräfte der Welt, ja als die Hauptkraft der Welt, -wo sie richtig gebildet, richtig geübt, richtig gehandhabt wird. -Veränderte Vorstellungen bewirken veränderte Dinglichkeiten: diese -endlich auch von der abendländischen Wissenschaft gemachte Entdeckung -verrät das eigentliche Geheimnis, warum gerade der Buddho die Wendung -vom Kosmos Uranios zum Kosmos Noetos vollziehen mußte, -- warum gerade -er den transzendentalidealistischen und phänomenologischen Standpunkt -mit soviel Ausschließlichkeit vertreten und wahren mußte. Gotamo der -Protestant, der von Anfang an nichts so folgerichtig und planmäßig -anstrebte als die vollendete Freiheit und Unabhängigkeit des Gemüts -von allen naturhaften Bedingungen und Gebundenheiten, er fand in -der Vorstellung die Möglichkeit, diese Freiheit und Unabhängigkeit -zielbewußt zu erwirken. Die Vorstellung, die ihm eine Kraft, eine -Wirksamkeit sondergleichen ist, gestattet den ungeheuern Eingriff -in die gesetzmäßig bestimmte Ordnung der Welt, auf welchen es vor -allem abgesehen ist. Im Besitz seiner Vorstellungwelt schaltet der -Vorstellende in den Stromkreis der Kräfte eine neue Kraft von der -Ordnung X ein, die im Unterschied zu allen anderen Kräften durchaus -dem Bereich der eigenen Machtvollkommenheit und Zielstrebigkeit -angehört. Von den Vorstellungen aus ergehen fortab die Befehle, -Winke, Zeichen, nach welchen die Wirklichkeiten abgeändert werden; -von den Vorstellungen aus beherrscht die Absicht des Vorstellenden -die gesamte Schöpfung, sobald er sie nur zu beherrschen willens -ist. Mittels der Vorstellung bringt der Vorstellende grundsätzlich -die unendliche Weltwirklichkeit in seine Gewalt: in der Form der -Vorstellung wird sie ihm botmäßig, wenn nicht sogar dienstwillig. -Schopenhauers etwas dürre Formel ‚die Welt ist Meine Vorstellung‘ -heißt in die Sprache Gotamos übersetzt fruchtbarer und sinngemäßer: -die Welt ist abhängig veränderlich von Meiner Vorstellung der Welt... -Und wenn dies auch nicht buchstäblich so zu denken ist, wie es Gotamo -selbst dem aufhorchenden Ânando im Dritten Bericht aus dem Großen -Verhör der Erlöschung Mahâparinibbânasuttam so eindringlich darlegt; -wenn in Wahrheit auch nicht schon jede unermeßlich entwickelte -Vorstellung ausreichend sein mag, diese Erde zum Zittern zu bringen -wie die Vorstellung ‚Wasser‘ eines hochmögenden Asketen, -- daß eine -‚unermeßlich‘ entwickelte Vorstellung zum mindesten die empfindenden -und bewegenden Nerven, die Zellen und Gewebe und Muskeln eigener und -fremder Leiblichkeit beeinflussen und bestimmen können, dies steht -auch für unser europäisches Wissen nachgerade auch dann fest, wenn -eine ausreichende Erklärung dieses Sachverhalts nicht gegeben werden -kann. Mittels Vorstellungen auf lebendiges Plasma einzuwirken und -es von diesem inneren Licht aus geradezu einer Art von Bestrahlung -zu unterziehen, das ist möglich, denn es ist wirklich. Der Herr der -Vorstellungen aber ist der Vorstellende, und so ist der Vorstellende -der Herr über alles, was von der Vorstellung her beeinflußbar -erscheint, -- grundsätzlich der Herr also über alles, was lebt und -infolge seines Lebens selbst an einer Vorstellungwelt teil hat: sie -sei dumpf oder besonnen, unbewußt oder bewußt. Als vorstellendes Wesen -verfährt der Mensch mit seinen Vorstellungen, wie es ihm gefällt, und -so verfährt er auch mit dem, was seiner Vorstellungkraft nah oder fern -zugänglich ist, wie es ihm beliebt. Die Welt als Vorstellung restlos -dem bewußten Wollen, der bewußten Absicht, dem bewußten Zweck gehorsam -zu machen, gehört somit ganz einfach zum Ziel des gotamidischen -Protestantismus, wie es (in etwas anderer Weise) zum Ziel des -kantischen Protestantismus gehört: in dieser Hinsicht geschieht Gotamos -Einstellung auf den ‚transzendentalen Idealismus‘ aus dem stärksten -Instinkt des großen Protestanten heraus, der über die Welt Herr sein -und nicht der Welt Knecht sein will. Sei nun die Welt wahrheitgemäß -Meine Vorstellung, oder sei Meine Welt Vorstellung oder sei weder -Meine noch Deine Welt weder Meine noch Deine Vorstellung, sondern die -‚Welt überhaupt Vorstellung überhaupt‘, -- unter allen Umständen ist -es erst diese Auffassung, die eine brauchbare Möglichkeit schafft, -der Welt von innen her, vom Bewußtsein her, vom ‚Geiste‘ her habhaft -zu werden. Erst als Bewußt-Sein von der Welt ist das Sein der Welt zu -überwältigen, zu überweltlichen. Und umgekehrt: wo diese Überwältigung -und Überweltlichung vornehmstes Ziel des Lebens ist, muß folgerichtig -alles Sein in das Bewußtsein eingesenkt und eingeschichtet werden... - -Wie aber nun, ihr Christen? Heißet das Leiden verwinden recht -eigentlich die Welt verwinden, die Welt verwinden aber die Vorstellung -der Welt verwinden, -- heißet alsdann nicht das Leiden verwinden die -Vorstellung der Welt, ja die Vorstellung-Welt selbst verwinden? Heißet -das Leiden verwinden recht eigentlich das Sein verwinden, das Sein -verwinden aber das Bewußtsein verwinden, -- heißet alsdann das Leiden -verwinden nicht das Bewußtsein selbst verwinden? Und falls sich dieses -wirklich so verhält, -- und es verhält sich so! -- was heißt in diesem -zutreffenden Fall die Vorstellung verwinden, das Bewußtsein verwinden? -Wie kann die Vorstellung als solche, wie kann das Bewußtsein als -solches verwunden werden, wenn Vorstellung und Bewußtsein das Erste -und Letzte, das Unbedingte und Unentstandene ist? Wie kann das Erste -und Letzte, das Unbedingte und Unentstandene selbst verwunden werden, -da doch Nichts mehr hinter und Nichts mehr über ihm ist, welches zur -Verwindung berufen wäre? - -Auf zweierlei Arten kann dennoch auch das Bewußtsein verwunden werden, -die beide unmittelbar durch die Beschaffenheit des Bewußtseins -selber bestimmt sind. Das Bewußtsein nämlich kann unterschritten -und kann überschritten werden. Es kann entweder soweit geschwächt, -soweit getrübt, soweit verringert, soweit unterdrückt werden, daß es -gewissermaßen unter seinen eigenen Schwellenwert hinabsinkt und sich -ins Unbewußtsein allmählich verliert. Oder aber das Bewußtsein kann -soweit gestärkt, soweit aufgehellt, soweit vermehrt, soweit gehoben -werden, daß es gewissermaßen über sich selbst gesteigert erscheint -und ins Überbewußtsein mündet. Denn um den entscheidenden Tatbestand -mit einem einzigen Wort anzuführen: das Bewußtsein hat Grade! Das -Bewußtsein hat Grade, und also verläuft es zwischen einem untersten und -einem obersten Schwellenwert von der bestimmten Größe Null bis zu einer -unbestimmbaren und vielleicht sogar unendlichen Größe. Das Bewußtsein -hat Grade, wie schon einer der ersten Philosophen des Bewußtseins in -Europa, Leibniz, mit großem Nachdruck behauptete; -- das Bewußtsein -hat Grade, auch wenn sich im verflossenen Jahrhundert der Philosoph -des Unbewußtseins für das Gegenteil dieser Behauptung hartnäckig -eingesetzt hat. Zwischen der heftigsten, beinahe wütenden Gespanntheit -auf ein erlebtes Vorkommnis und der vollkommenen Gleichgültigkeit -gegen dasselbe, zwischen der angestrengtesten Überwachheit und der -trägsten Dumpfheit, zwischen andauernder Aufmerksamkeit und andauernder -Verschlafenheit, zwischen gleichmäßiger Geistes-Allgegenwart und -gleichmäßiger Geistes-Abwesenheit, zwischen beherrschter Sammlung und -zuchtloser Zerstreutheit durchmißt das Bewußtsein alle erdenklichen -Grade: wie eine Klammer, die bald geschlossen, bald aber offen -ist, umklammert das Bewußtsein erlebbare Gegenständlichkeiten mit -eiserner Strenge oder entläßt sie in loser Ungebundenheit. So -führt es entweder zu einem Zustand, der die Bezeichnung Bewußtsein -noch kaum oder noch gar nicht verdient, oder zu einem anderen, für -welchen die Bezeichnung Bewußtsein nicht mehr ausreichend ist. Im -allgemeinen hält das Bewußtsein eine gewisse dämmerige Mitte ein -zwischen Unbewußtsein und Überbewußtsein, wie etwa der Halbschlaf die -dämmerige Mitte hält zwischen Wachheit und Vollschlaf. In der Tat, -dem Halbschlaf gleicht das Bewußtsein in seinem gewöhnlichen Zustand: -es ist eher eine Bereitschaftlage, in Bewußtsein überzugehen, als -jederzeit selber Bewußtheit zu sein. Die zahllosen Vorstellungen die -auch dem vorstellungärmsten Menschen noch durch den Kopf schwirren, -beschäftigen das Bewußtsein gleichsam nur als Möglichkeiten. Damit -sie als Vorstellungen ‚wirklich‘ werden, muß ihnen schon ein Zwang -zur Aufmerksamkeit zu Hülfe kommen, sei es, daß von außen, sei es, -daß von innen her ein Interesse geweckt werde, welches einzelne -Vorstellungen aus der zudrängenden Menge auswählt und nun entwickelt. -Wie beispielweis ein Landschafter eine lange Frist in einer Landschaft -weilt, bis ihn in irgendeinem Augenblick ein ganz bestimmter -Ausschnitt zum Bild anreizt und er zu sich spricht: alles andere wird -nicht gemalt, aber dies wird gemalt, -- ebenso weilt der Mensch -gewohnheithalber mitten und unter seinen Vorstellungen, bis ihn eine -derselben aus erkennbaren oder unerkennbaren Gründen zur Entwicklung -anreizt. Auf diese Vorstellung sammelt sich das Bewußtsein und führt -sie mit Sorgfalt, Genauigkeit, Treue aus; bei dieser Vorstellung -verweilt das Bewußtsein und umkreist sie in stätigem Flug; an dieser -Vorstellung erwärmt sich das Bewußtsein und entzündet sich zu einer -gleichmäßig hellen Flamme, indes alle übrigen Vorstellungen je und je -ins Dunkel jenes Kraters zurückstürzen, dem sie rätselhaft entstiegen -sind... Wer also das Bewußtsein verwinden will, dem steht die Wahl -ins Unbewußtsein zurück ebenso offen wie die Wahl zum Überbewußtsein -vor, und vielleicht ist es schwer zu sagen, ob die Verwindung durch -Unbewußtsein oder die Verwindung durch Überbewußtsein leichter zu -bewerkstelligen wäre, -- wie denn der eine zwar leicht einschläft, aber -nur mühsam zu wecken ist, indes der andere schwer einschläft, aber -leicht wieder aufwacht. - -Dies übrigens dahingestellt, bleibt dem Buddho jedenfalls die -Wahl zwischen beiden Arten der Verwindung. Es bleibt ihm die Wahl -zwischen Verringerung und Steigerung, zwischen der Annäherung ans -Unbewußtsein und ans Überbewußtsein, zwischen der Bevorzugung des -Schlafzustandes und des Zustands der Überwachheit. Wozu aber sich -der Buddho entschließt, das geht unmißverständlich eben schon aus -dem Namen hervor, den er trägt... „Der Erwachte, o Keniyo, sagst du? --- Der Erwachte, o Selo, sag’ ich“... Denn wie sollte der Erwachte -anderes als die Wachheit und Überwachheit des Bewußtseins als des -Bewußtseins eigentliche Überwindung werten? Diese Wahl ist es dann -auch freilich, welche den Buddho in einen tief bedeutsamen Gegensatz -bringt zu der Praxis der Yoga, zu der Praxis des Brahmanismus, die -ihrerseit den Tiefschlaf als den göttlichen Urstand schlechthin zum -erstrebenswürdigsten Ziel ihrer geistlichen Übungen erhebt. Wobei wir -freilich zu bedenken hätten, daß dem Buddho doch auch dieser Weg der -Minderung und Verringerung, den alle Mystik immer wieder gegangen -ist, keineswegs fremd geblieben ist. Ich sagte es schon mehrmals, -daß zwischen Ja und Nein dem Buddho noch ein drittes, diesseit der -Gegensetzungen, ‚_nirdvandva, dvantvâtîta_‘, vorschwebt, das weder Ja -noch Nein und doch wiederum Ja und Nein in einem ist... Wählt somit -Gotamo die Steigerung, so heißt dies nur in unserer europäischen -Zwiesal-Sprache, daß er die Verringerung durchaus verwerfe. Seine -Entscheidung gilt folglich zwar ohne diesen Vorbehalt nicht eindeutig: -wohl aber gilt sie mit ihm so. Das Bewußtsein ist zu verwinden durch -die höchstmögliche Steigerung des Bewußtseins, und diese Praxis haben -wir jetzt in ihrer Wichtigkeit darzustellen. - -Unser Leben in Vorstellungen, wie wir’s uns selber überlassen führen, -ist ein Spiel. Die Vorstellungen tauchen auf und sinken unter wie die -Fische in einem Weiher. Jetzt schnellen und schnalzen sie sich, in -der Sonne wie kleine Silberpfeile blitzend, über den Wasserspiegel -des Weihers in munteren Sprüngen dahin; im nächsten Augenblick -schwimmen sie in ihrem Element flink umeinander, -- und jetzt sind -alle verschwunden. Gewiß hat auch dieses Spiel der Vorstellungen seine -Regeln, sonst wär’ es doch wohl kaum ein Spiel. Denn einmal ist ihre -Abfolge im Bewußtsein festgelegt durch die gleichsam physikalische -Abfolge der Wirklichkeiten in Raum-Zeit, die sie im Bewußtsein zu -vertreten haben. Zum anderenmal ist dieselbe Abfolge festgelegt durch -die psychologischen Gesetze der Vergesellschaftung, durch welche sie -bestimmt wird. Wer beispielweis durch die Straßenzüge einer großen -Stadt schlendert, hat keine Freiheit, weite Täler, hohe Berge, einsame -Wälder, bebaute Felder wahrzunehmen. Seine Vorstellungen bleiben -wimmelnden Gassen verhaftet, rauchenden Schloten, zudringlichen -Firmenschildern, lärmenden Plätzen. Und auch wenn er seine -Vorstellungen von dieser Umwelt abzieht, und in sich selbst verloren, -in sich selbst versonnen weiterschlendert, wechseln dieselben nach -Regeln, auf welche er offenbar keinen Einfluß hat, solange er das Auf -und Ab der Vorstellungen sich selber überläßt. Ein Spiel nach Regeln -und Gesetzen ist also dieser Ablauf, wo die benachbarten Vorstellungen -immer wieder die benachbarten, die verwandten Vorstellungen immer -wieder die verwandten suchen. Sich selber überlassen, stellen sich die -Vorstellungen niemals in einer Abfolge ein, die dem klaren Willen des -Vorstellenden entsprechen würde, und niemals verschwinden sie diesem -Willen entsprechend. Vielmehr schaut der Vorstellende selbst diesem -Spiel nur wie ein müßiggängerischer Gaffer zu, der eine Szene auf dem -Marktplatz oder im Theater als unbeteiligter Dritter anstaunt: wohl -wechseln fortwährend seine Vorstellungen, aber nicht ist er es, der -sie wechselt. Was unser Besitz sein sollte und richtig verstanden -überhaupt unser einziger Besitz sein kann, das lassen wir als grobe -Naturalisten, ja Anarchisten des Lebens einfach gewähren und geben uns -willfährig seinem eigenen Sinn oder Unsinn gefangen. Diesem launischen -Spiel, welches das verborgene ‚Es‘ mit uns allen spielt, ein sehr -entschiedenes Ende zu setzen, und an Stelle des Naturalismus und der -Anarchie gleichsam den ‚Stil‘, sogar den hieratischen Stil walten -zu lassen und seine strengen Gesetze: das heißt in der Auffassung -des Buddho den ersten Schritt tun zu der Verwindung des Bewußtseins -durch Steigerung des Bewußtseins. Auf das Spiel, auf die Spielerei -zu verzichten, die wir mit uns selber treiben, und endlich mit -einem gewissen Ernste Ernst zu machen: das ist die erste Forderung, -die an den Jünger des Erwachten ergeht. Er soll die Abfolge der -Vorstellungen, die von Haus aus eigentlich in keinerlei Betracht die -seine ist, zur seinigen machen; er soll der Abfolge der Vorstellungen -die Regeln der Vergesellschaftung selber auferlegen, statt sie -physikalisch-psychologischer Gesetzmäßigkeit anheim zu geben. Er soll -den zuchtlosen Ablauf der Vorstellungen in die Zucht nehmen und ihm -wie einem durchaus regulierten Fluß die rechte Richtung weisen, den -rechten Wasserstand, die rechte Fahrtrinne, die rechte Stromstärke, -das rechte Gefälle, -- dies ist das Unerläßlichste von allem. - -Ein Vorsatz von mehr als menschlicher Strenge gegen sich selbst, -ihr Christen, wenn man’s recht bedenkt. Ein Vorsatz, der für die -meisten christlichen Abendländer, wofern sie sich nicht zufällig -mit den Geistlichen Übungen des heiligen Jgnatius vertraut gemacht -haben, etwas Unheimliches, Unbegreifliches, Zermalmendes hat: für -jene Abendländer, die es so sehr lieben, sich gehen und hängen zu -lassen, wie es gerade kommt oder auch krumm kommt. Denn was will -es heißen, alle die aufkeimenden und aufwuchernden Vorstellungen, -die unser Selbst wie eine undurchdringliche Dornenhecke um sich zu -ranken pflegt, nach der Zuständigkeit der heilstrebenden Absicht -überall zu beschneiden und festzubinden? Es will heißen, daß jede -Vorstellung, die nicht mit dieser bewußten Zwecksetzung übereinstimmt, -ohne Gnade und Nachsicht zu unterdrücken ist, sei es auf die Gefahr -hin jeglicher Vergewaltigung der eigenen Instinkte, Triebe und -Neigungen. Es will heißen, daß jedes Gelüste, jede Anwandlung, jede -Versuchung des Leibes und der Seele in des Wortes buchstäblicher -Meinung schon von der Schwelle her abzuweisen ist, es sei nun, daß -diese Vorstellung die Schwelle gar nicht überschreiten darf, es sei, -daß sie sie nach erfolgtem Überschritt sofort wieder räumen muß. Es -will heißen, daß alle Erlebnisinhalte und Bewußtseinsgegebenheiten, -welche nicht unmittelbar oder mittelbar die Tat des Heils zu fördern -geeignet erscheinen, als störend oder entbehrlich zu verabschieden -sind. Es will heißen, daß alles, was bedrückt, was schmerzt, was -umdunkelt, was hemmt, was niederzieht, was verderbt, was beschwert, -was beeinträchtigt, was entwertet, was entwürdigt, was befleckt, -was gefährdet, was erzürnt, was erschreckt, was verbittert, was -verstockt, was kränkt, was aufwühlt, was entfesselt, was verstört, was -verwildert, was verroht, was verkehrt, was versklavt, was umnebelt, -was berauscht, was ausschweift, was ablenkt, was zerstreut, was -verwirrt, was in Zweifel stürzt, was verzweifeln macht, was täuscht, -was verblendet, was giert, was gärt, was verzehrt, was abstumpft, was -versehrt, was entzweit, was zerreißt, was entfriedet, was entfremdet, -was entkräftigt, was entnervt, -- daß alles dieses und was nicht noch -alles sonst aus dem Bewußtsein zu verjagen und zu verbannen ist, -nötigenfalls zu übermannen mit Einsatz aller Kräfte des Willens „mit -aufeinandergepreßten Zähnen und an den Gaumen gehefteter Zunge“... Es -will heißen, daß alle Erwägungen aufzugeben und einzustellen sind, -die mit dem heiligen Ziel nicht nachweisbar zusammenhängen, und mit -diesen Erwägungen und Erörterungen dann alle Reden und Gespräche, -alle Belehrungen, Bestrebungen, Zwecksetzungen. Es will heißen, -daß mit dem Eifer eines Teufelaustreibers die urwüchsigsten Triebe -auszutreiben sind wie die geistigsten Bildungen, sobald sie vom Ziel -abführen oder auch nur nicht zu ihm hinführen. Es will heißen, daß alle -Wahrnehmungen und Erinnerungen und Absichten, sobald das Bewußtsein -ihrer ansichtig geworden ist, auf die goldene Wage zu legen sind, ob -recht oder nicht recht, ob statthaft oder verboten, ob heilfördernd -oder heilhemmend. Es will heißen, daß alle ‚rechten‘ Vorstellungen -zum Gedeihen, alle ‚unrechten‘ aber zum Eingehen zu bringen sind, ja -daß die rechten geradezu zum Kampfe aufgeboten werden, um diese zu -verdrängen und ihre Stelle einzunehmen. „Gleichwie etwa, ihr Mönche, -ein geschickter Maurer oder Maurergeselle mit einem feinen Keil einen -groben heraustreiben, herausschlagen, herausstoßen kann, ebenso nun -auch, ihr Mönche, soll ein Mönch, wenn er eine Vorstellung faßt, -eine Vorstellung sich vergegenwärtigt, und ihm dabei böse, unwürdige -Erwägungen aufsteigen, Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, -aus dieser Vorstellung eine andere gewinnen, ein würdiges Bild“... -Denn daß die Triebe und Begehrungen, die Leidenschaften und Neigungen, -die mit der Wesenheit der Person lebendig verwurzelten, aus dem -Bewußtsein unter keinen Umständen verdrängt werden könnten, oder falls -dennoch verdrängt, in unterschwelligen, unterschwürigen, unterbewußten -Bezirken der Seele erst recht und viel unbezwinglicher noch ihr Unwesen -fortsetzen müßten, -- dieses Ergebnis abendländischer Seelenerkundung -hätte Gotamo vermutlich nicht anerkannt. Wofern auch der Trieb oder -Hang als eine Vorstellung ins Bewußtsein tritt, da betritt er eben die -Walstatt, wo gegen jede unerlaubte Vorstellung ihre Gegen-Vorstellung, -Gegen-Stellung ins Gefecht geführt wird: betritt also der Trieb -oder Hang die Stätte einer zum Austrag gelangenden Zucht-Wahl, wo -die durch Zucht erwählte Gegen-Vorstellung die gleichsam wild und -zuchtlos aufgeschossene Vorstellung aus dem Feld schlägt. Ein etwaiger -Rückzug aber aus dem Bewußtsein in die Höhlen und Unterschlüpfe des -Unterbewußtseins, wie ihn alsdann die moderne Seelenlehre des Westens -für unvermeidlich erachtet, wird schlechterdings nicht geduldet, -- -aus Gründen, die wir bald in den Umkreis der Betrachtung zu ziehen -haben werden. Jedenfalls ereignet sich somit im Bewußtsein der seltsame -Kampf, der über die Rechtmäßigkeit jeder einzelnen Vorstellung -entscheidet und folglich auch über ihren weiteren Verbleib, ihre -weitere Entfaltung, ihre weitere Begünstigung. Unmöglich aber ist’s, -hier aller Anstalten besonders zu gedenken, die der Buddho namhaft -zu machen gewußt hat zur Beförderung dieses seines Zieles. Besteht -doch in der Sammlung und Sichtung, Darlegung und Erläuterung dieser -Anstalten im Grund die ganze Lehre des Buddho, -- die ganze Lehre ein -beispiellos abgerundetes und wohlgeordnetes Gefüge von erzieherischen, -von seelsorgerischen Maßnahmen, das Spiel der Vorstellungen in die -Gewalt des selbstherrlichen Willens zu bekommen und dort gebieten zu -lernen, wo wir alle am meisten gehorchen müssen. Diese Schule der Zucht -und Selbst-Zucht macht sich sorgfältige Erfahrungen von Jahrtausenden -mit einem nirgends mehr erreichten Aufwand von Menschenkenntnis und --erkenntnis zu Nutz und ist darum auch für die Jahrtausende gültig, -wahrhaft unsterblich und zeitlos. Sie durchaus in ihrem gesamten -Aufbau und Ausbau zu überschauen, ist nur einem solchen möglich, der -die Schriften des Kanons wieder und wieder durchforscht, indes unser -abendländisches Wissen, unsere europäische Gelehrsamkeit vollkommen -außerstand ist, im einzelnen zu billigen oder zu tadeln, hinzuzufügen -oder fortzustreichen, zu urteilen oder zu entscheiden. Von dieser in -der Tat ungemein schwierigen Praxis und Pragmatik des urwüchsigen -Buddhismus einen Begriff zu geben erscheint desto schwieriger, je -fortgeschrittener unsere eigene seelische Verwahrlosung ist. Ehe wir -über sie annähernd würdig werden sprechen können, sprechen dürfen, -werden Jahre und Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte einer neu -erblühenden europäischen Religiosität vonnöten sein... - -Ein zur höchsten Meisterschaft gebrachtes Verfahren, das Ineinander -und Durcheinander der bewußten Vorstellungen einer strengen Auslese -zu unterziehen, dies, ihr Christen, ist also das eine, was dem Buddho -die Verwindung des Bewußtseins bewirkt durch die Steigerung des -Bewußtseins. Verdrängung aller wertwidrigen Bewußtseinsinhalte durch -die wertentsprechenden, Entkräftung aller niedrigen Triebregungen durch -Begünstigung und ‚unermeßliche Entwicklung‘ aller höheren, Vertauschung -aller heilhemmenden Gegebenheiten gegen die heilförderlichen: das -ist Ziel wie Weg, Zweck wie Mittel. Aber gleichzeitig erschöpft sich -die angestrebte Steigerung des Bewußtseins doch keineswegs in dieser -völligen Bemeisterung, Beherrschung, Regelung des Vorstellungablaufes -in der Zeit. Die nicht zweckdienlichen und folglich verbotenen -Bewußtseinsinhalte schon von der Schwelle fern zu halten, oder wo -dieses mißlingt, von der Schwelle zu entfernen, ist eine unerläßliche -Bedingung für die Entstehung jenes besseren, freieren, reineren -Urstandes, der dem Buddho vorschwebt. Aber unter keinen Umständen -ist das Bewußtsein schon verwunden wenn es gesäubert und entschlackt -erscheint. Die starke Gefahr ward vorhin erwähnt, die nach heutiger -Auffassung diesem Verfahren der Verdrängung eingewurzelter Triebe und -Begierden verhängnisvoll zu werden droht. Die Gefahr nämlich, daß die -verdrängten Regungen sämtlich in den unterschwelligen Bezirken der -Seele sich festnisten und hier nach der Gepflogenheit aller Schmarotzer -ein untilgbares und verwüstendes Unwesen führen möchten auf Kosten -der wachen Bewußtheit, die sich ihrer entledigt hat. Denn wie es -geschrieben steht, -- manche haben den Geist der Wollust aus sich -herausgetrieben und sind hernach in die Säue gefahren, und häufig genug -erwürgt ein verdrängter Hang nachträglich seinen eigenen Henker. In den -dunkleren und dumpferen Lagen der Seele huldigt der Mensch auf eine -ausschweifende und krasse Weise dem Dienst seiner Ahnen, deren Totem -er zwar nicht nach Art der ehemaligen Indianer auf die Haut tätowiert, -aber dennoch wie ein Mosaik in dem Kerngerüst seiner Keim-Zelle -musivisch angelegt trägt: und wehe ihm selber, wenn er sie mit dem Blut -der Opfer tränkt, die er auf dem Altar des Bewußtseins seinem edleren -Trachten feierlich dargebracht und umgebracht hat! Was hier der Mensch -im Menschen aus Ehrfurcht oder Scham vor sich selbst verwirft, das -diente von jeher dem Tier im Menschen zu seiner am hitzigsten begehrten -Kost. Und wenn sich die Hunde keineswegs ekeln, als die sonderlichsten -aller Selbstverköster den eigenen Auswurf, ja den eigenen Kot -gelegentlich wieder zu fressen, so heulen und bellen fürwahr diese -selbigen Hunde in den Kellern der Seele bei Tag und bei Nacht und bei -Nacht noch weiterhin vernehmlich wie am Tage. Die Gefahr mithin, in -den oberen Geschossen, wo das Bewußtsein gleichsam seine Empfangräume -hat, zwar eine peinliche Sauberkeit überall zu beobachten, aber den -inwendigen Abfall und Kehricht in das Verlies hinunter zu fegen, wo -Ratten und Schlangen in modrigen Löchern behaust sind, -- diese Gefahr -ist in der Tat keine geringe. Aber sie besteht nicht, ohne daß Gotamo -genau um sie wüßte, -- Gotamo, dessen Kennerschaft hier wirklich etwas -von göttlicher Allwissenheit erworben zu haben scheint. Denn keineswegs -bleibt diese tiefer geschichtete Zone der unterschwelligen Lebenskräfte -sich selber überlassen. Vielmehr wird sie im Bewußtsein vom Bewußtsein -unaufhörlich angeblinkt und belichtet, wie etwa des Nachts die -Einfahrt eines Hafens unaufhörlich angeblinkt und belichtet wird. -Und eben in dieser fortgesetzten Sammlung des Bewußtseins auf sonst -unbewußte oder unterbewußte Vorgänge besteht das zweite gotamidische -Verfahren, das Bewußtsein zu steigern und durch Steigerung zu -verwinden. Die oben umschriebene Regelung des Vorstellungablaufs -durch Auslese und Zuchtwahl der Vorstellungen untereinander ergänzt -sich sinngemäß durch eine andauernde Beaufsichtigung der niedereren -Körper- und Seelenbewegungen. Wo daher unstatthafte und unzweckmäßige -Vorstellungreihen aus dem Bewußtsein verdrängt werden und aus dem -Bewußtsein in tiefere Seelenlagen abwärts gleiten, da wird unverzüglich -eine Gegenwirkung aufgerufen, welche die unterschwelligen Vorgänge -ihrerseit wieder in den Lichtkegel der Bewußtheit rückt, ehe sie sich -in den Falten einer Dämmerwelt schmarotzerisch festzunisten vermögen. -Wohl werden also im Bewußtsein keine Vorstellungen geduldet, welche dem -heiligen Ziel der Leidensüberwindung nicht irgendwie förderlich zu sein -verheißen. Aber ebensowenig werden im Unterbewußtsein, Unbewußtsein -Vorstellungen geduldet, welche um eben jenes heiligen Zieles willen -aus dem Bewußtsein mit Anstrengung verdrängt wurden und sich darum der -Aufsicht des Bewußtseins zu entziehen drohen. Um solchen oder ähnlichen -Gefahren zu begegnen, hat der Mönch ein Maß von Selbstüberwachung -zu bewähren, welches dem Wachstum unterschwelliger Seelenkräfte -nicht nur so ungünstig wie möglich ist, sondern dasselbe vielleicht -geradezu ausschließt. Von der allmächtigen und allgegenwärtigen -Polizei des Bewußtseins werden alle unterschwürigen Lebensäußerungen -und Willensantriebe wie eine Verbrechergesellschaft von Schlupfwinkel -zu Schlupfwinkel aufgescheucht und zuletzt nach und nach vollständig -aufgerieben. Das Gemüt des Asketen liegt faltenlos geglättet an -der gleichmäßigen Helligkeit des Bewußtseins da; unbeaufsichtigte, -ungewußte, unbemerkte Wallungen oder Begierden gibt es grundsätzlich -in ihm nicht mehr. Dies ist der Grund, warum der Buddho die -Verdrängung eingewurzelter Lebenstriebe durchaus und ohne Vorbehalt -gebietet, und dennoch offenbar keines der Übel fürchtet, die nach dem -Ergebnis europäischer Seelenkunde jeder derartigen Triebverdrängung, -Triebunterdrückung auf dem Fuße folgen müßte. Und auch hier ist -wiederum vorbildlich jene mehrfach schon berührte Zucht der -Atemführung geworden. Wie diese Zucht in der Absicht geübt wird, die -unwillkürlichen Bewegungen des Leibes in willkürliche zu verwandeln, -so will eine letzte Zielsetzung überhaupt alle Lebensvorgänge aus -dem Reich der Physis in das Reich der Psyche pflanzen. Stets von -neuem wird der Mönch daher vom Buddho angehalten, die ‚vier Pfeiler -der Einsicht‘ fest zu gründen und beim Körper über den Körper, bei -den Gefühlen über die Gefühle, beim Gemüt über das Gemüt, bei der -Erscheinung über die Erscheinung zu wachen. ‚Klar bewußt‘, dies wird zu -einer der dringendsten Ermahnungen an die Jünger, und die evangelische -Wachsamkeit bei Tag und bei Nacht, besonders aber bei Nacht, gilt im -urwüchsigen Buddhismus noch viel mehr (wenn freilich auch in einem -anderen Sinne) als in den evangelischen Schriften für die vornehmste -aller religiösen Pflichten: „Den Arm über das Haupt gelegt, so sollte -der Held ausruhn, so sollte er auch noch sein Ausruhn überwinden“ ... -Nicht ziemte es dem vorgeschrittenen Asketen, auch nur eine einzige -Verrichtung des Leibes mit schläfrigem Bewußtsein oder ‚aus Instinkt‘ -zu verrichten. Ein ständig arbeitendes Bewußtsein läßt vielmehr gar -keine Instinkte aufkommen und unterbricht daher auch den Zusammenhang -der Lebewesen fast gänzlich, der sonst zwischen dem Menschen und den -übrigen Tieren der Schöpfung nur allzu deutlich wahrzunehmen ist. „Mit -klarem Bewußtsein wollen wir uns wappnen. Klar bewußt beim Kommen und -Gehn, klar bewußt beim Hinblicken und Wegblicken, klar bewußt beim -Steigen und Erheben, klar bewußt beim Tragen der Gewänder und der -Almosenschale des Ordens, klar bewußt beim Essen und Trinken, Kauen und -Schmecken, klar bewußt beim Entleeren von Kot und Harn, klar bewußt -beim Gehn und Stehn und Sitzen, beim Einschlafen und Erwachen, beim -Sprechen und Schweigen, also habt ihr euch, meine Mönche, wohl zu -üben“... - -Alle die wimmelnden Gefühle also, die aus der Sehnsucht stammen oder -aus dem Verlangen oder aus dem Hang oder aus dem Weib oder aus der -Begierde oder aus der Liebe oder aus dem Haß, sie werden gleichsam -im Bewußtsein abgefangen und hier mit einem Hieb ins Genick zur -Strecke gebracht. Und mit diesen vom Lebenssaft der tiefst gesenkten -Bodenwurzeln tausendfach gespeisten Gefühlen wird die Sehnsucht selber, -wird das Verlangen selber, wird der Hang selber, wird der Trieb selber, -wird die Begierde selber, wird die Liebe selber, wird der Haß selber -im Bewußtsein abgefangen. Sie alle gehören ein für allemal zu des -Leidens Verursachung, zu den Leidenschaften, die da Leiden schaffen; -sie alle werden im Bewußtsein abgetötet fast schon durch die schlichte -Tatsache, daß sie dort zum Bewußtsein gelangen. Denn das im Übermaß -erhellte Bewußtsein des Leidens, könnte man nicht unzutreffend sagen, -die im Übermaß erhellte Vorstellung des Leidens vernichtet schon an und -für sich alles Leiden. „Indem ich mir jener Leidensursache Vorstellung -gegenwärtig halte, wird durch der Vorstellung Gegenwart die Liebe -verwunden; indem ich wieder betrachtend die Betrachtung über jene -Leidensursache in mir vollende, wird die Liebe verwunden“, -- so faßt -einmal der Buddho dieses seltsame Seelengesetz in Worte, die man sich -zu merken hätte. Durch angespannteste Aufmerksamkeit und sorgfältigste -Selbstüberwachung erzielt Gotamo eine seelische Gesamthaltung, die -freilich nicht leicht zu schildern und noch schwerer zu erläutern ist. -Vielleicht ist sie uns einigermaßen bekannt von uns selber, wenn es uns -beispielweis einmal vorübergehend gelingt, einen heftigen Körperschmerz -durch nachhaltige Steigerung der Aufmerksamkeit bis zu einem gewissen -Grad zu neutralisieren und ihn in einer von unserer Person entfernter -scheinenden Sphäre zu objektivieren. Hierbei gelangt zwar der Schmerz -nicht geradezu zum Verschwinden, aber immerhin belästigt er weniger wie -vorhin: der im Bewußtsein zu einer Art von Versachlichung gediehene -Schmerz löst sich zeitenweis von unserem Selbst ab, nicht unähnlich, -wie sich etwa im Augenblick des Abschusses einer Pistole die Hand -vom übrigen Körper ablöst und Pistole und Hand zusammen ein beinah’ -selbstherrliches Dasein gewinnen. Eine ähnliche Entpersönlichung -des Erlebens trachtet der Buddho hervorzubringen und bringt er auch -sicherlich hervor durch die innigere Gesammeltheit des Bewußtseins auf -die Begebnisse des Leibes und der Seele. - -Auf solche Weise nun betätigt der ‚Erwachte‘ zwar vielleicht eine -eigenartige, aber dennoch durchaus folgerichtige Anwendung des -allgemeinsten und unumstößlichsten Ergebnisses unserer europäischen -Transzendentalphilosophie: wonach im Bewußtsein das Sein sozusagen -abgestreift und gehäutet wird, -- wonach vom Bewußtsein das Sein in -einer unwirklichen Spiegelung zurückgestrahlt oder umgebogen wird. -Im Bewußtsein des Bewußtseins aber oder im Bewußtsein höheren Grades -stocken insbesondere die Unterschwellungen unterwüchsiger Lebenssäfte, -welche im Leib und Geist des einzelnen Menschen unaufhörlich lust- -und unlustspendend kreisen und durch mehr wie nur einen Nabelstrang -mit dem Kreislauf des großen Lebens, All-Lebens zusammenhängen. Etwa -wie die Stiele und Stengel von blühenden Gräsern oder Blumen an -der Stelle dorren, wo sie unter die scharf belichteten Brennpunkte -optischer Linsen gerückt werden, so dorrt und welkt pflanzenhaftes, -tierisches, menschliches Leben nach des Buddho innerster Absicht, -unter den Brennpunkt gerückt eines zu andauernder Wachsamkeit -verpflichteten Bewußtseins und Überbewußtseins. Oder wie ein Chirurg, -ein ‚Handwerkender‘ und ‚Handfertiger‘ die Messer, Scheren, Sägen -seines ärztlichen Besteckes vor dem Gebrauch in eine Lösung von -Sublimat eintaucht, um sie zuverlässig zu entkeimen, so taucht der -Buddho alles Werdende und Lebendige in Bewußtheit, um es darin nochmals -zu entkeimen. Oder wiederum, wie derselbe Chirurg und Therapeut -ein krebsendes Gewebe der Einwirkung gewisser Strahlenbündel von -der Ordnung X aussetzt, um die Wucherung mehrkerniger Körperzellen -aufzuweichen, zu zersetzen, zu zerstören, so weicht der Buddho im -Strahlenbündel des gesammelten Bewußtseins die Wucherung Leben auf, -die Wucherung Werden auf, die Wucherung Leiden auf, zerstört sie und -zersetzt sie... Solchermaßen verwindet der Buddho das Bewußtsein -durch Steigerung des Bewußtseins, das Leiden durch Steigerung des -Bewußtseins, das Leben durch Steigerung des Bewußtseins: im innersten -Gemüt, wie es scheint, einhellig mit einem tief rätselhaften Wort -Lao-Tses, wonach Leben schon an und für sich Mißbrauch des Lebens ist. -Wie manche Körper aber das Licht einmal brechen, andere es zweimal -brechen, so bricht das gemeine Bewußtsein das Leben schon gleichsam -einmal, das Bewußtsein des Bewußtseins aber zweimal, -- und so wird das -Leben denn von seiner anfänglichen Richtung zweimal abgelenkt, zweimal -abgeknickt, zweimal zurückgeworfen. Im Bewußtsein empfängt der Bewußte -das Leben und alle Wirklichkeiten des Lebens: aber das Bewußtsein -des Bewußseins gibt vom Leben und seinen Wirklichkeiten nur noch die -doppeltgebrochenen Bilder und Bildesbilder, indessen Wirklichkeit und -Leben mit allen Gefühlsbetonungen, Gefühlsaufwühlungen weit draußen -verebben, vergluten und verbrausen. Wie die übermäßige Helligkeit der -tropischen Sonne die Farben der Gegenstände verzehrt und ihre Formen -aufsaugt, so verzehrt die übermäßige Bewußtheit des Asketen die Farben -des Lebens und saugt es die Formen der Wirklichkeiten auf sich, in -sich. Das höhere Bewußtsein ist der luftleere Raum, in welchem die -Körper die ihnen eigentümliche Schwere verlieren und insgesamt mit -gleicher Geschwindigkeit fallen, und wiederum ist es ein chemischer -Filter, durch den man die giftigen Gase des Tods und der Verwesung -hindurchseiht. Nachdem sich der Weltstoff in den fünf Elementen -verwirklicht und bald als Erde, bald als Wasser, bald als Luft, bald -als Feuer, bald als Äther um- und umgestaltet hatte, wiederfährt ihm -jetzt die letzte und endgültige Umgestaltung in ein sechstes Element, -ins Bewußtsein, wo ihn der Buddho in gläserne Ruhe und kristallische -Friedsamkeit feierlich einsargt und bestattet, ähnlich jenem lieben -deutschen Märchen, allwo die Sieben Zwerge über den Sieben Bergen -den blühenden Leib Schneewittchens ins gläsern-kristallische Bett -einsargen und bestatten. Und wie nun darin der Leib der kleinen Prinzeß -in himmlischer Geborgenheit ruht und dennoch den Sieben Zwergen zu -ewiger Besäligung hold gegenwärtig bleibt, so ruht Welt, Leid, Leben -fortab im Sechsten Element des Bewußtseins in himmlischer Geborgenheit -und Stille, wie es der vollkommen Erwachte denn auch buchstäblich -gesprochen und versprochen hat:... „den Wahnvernichtern taugen diese -Dinge um säliger Gegenwart zu genießen“... - - -Bei der Abkunft des Leidens aus dem Bewußtsein, wie sie in den -Schriften des Pâli-Kanons gegeben wird, bezog ich mich bislang im -wesentlichen auf jene Fünfzehnte der Reden aus der Längeren Sammlung -Dîghanakâyo. Hier gilt in der Tat Bewußtsein für die letzte Stätte -einer achtfachen Entstehung: es selber eine Unentstandenheit und -Unbedingtheit, die nur noch durch sich selber verwunden werden konnte. -Was hier aus diesem Umstand gefolgert ward, wird daher im ganzen und -großen, ganzen und groben seine Richtigkeit haben, -- jedenfalls -ließ es sich so ziemlich in allen Fällen fortlaufend erhärten an den -gotamidischen Aussprüchen in den Heiligen Schriften. Im Bewußtsein fand -der Erwachte den Angriffspunkt für seinen Hebel, von wo aus er die -Werde- und Wandelwelt aus ihren Angeln drehte. Das Bewußtsein bot ihm -Handhabe, und besser noch Geisthabe, den gesamten Vorstellungablauf -(‚_stream of thought_‘ wie William James sagt) gemäß dem heiligen Ziel -zu regeln und zu meistern. Das Bewußtsein half ihm gegen die wilde -Überflutung durch ungerufene Erlebnisse und ungebetene Begebenheiten -einen widerstandfähigen Damm aufzuführen. Im Bewußtsein wußte er das -Sein zu treffen und all sein Leiden am Sein, im Bewußtsein kühlte er -den brennenden Schmelzfluß der Wirklichkeit zum kalten Metall und -Kristall ab... Dies alles verhält sich so und kann mit stichhaltigen -Einwänden nicht bestritten werden. Nur muß es gesagt sein, sogar -auf die Gefahr einer ungemeinen Verschwierigung des Tatbestandes -hin, daß in Ansehung der Abkunft und Entstehung des Leidens in den -Heiligen Schriften des Kanons noch eine andere Deutung steht. Diese -widerstreitet der gegenwärtigen nicht geradezu in allen Stücken, denn -sie läuft die größere Strecke des Wegs völlig mit ihr gleich, um sich -erst zuletzt von ihr zu trennen. Trotzdem überschreitet sie dieselbe, -denn sie läßt ihrerseit das Bewußtsein nicht mehr als ein Festes und -Letztes und Unbedingtes bestehen. So bietet zum Beispiel die Elfte, -die Achtunddreißigste, die Hundertundfünfzehnte Rede aus der Mittleren -Sammlung Majjhimanikâyo eine Entstehung des Leidens nicht aus acht, -sondern aus zehn Gliedern dar, und mit dieser zehngliedrigen Ableitung -ließe sich alsdann auch das Zwölfte Bruchstück des Dritten Teils aus -der Sammlung der Bruchstücke Suttanipâto zwanglos in Übereinstimmung -bringen. So daß wir im Kanon ganz außer allem Zweifel zwei verschiedene -Abkünfte des Leidens erörtert finden. Einmal das Leiden entwickelt -aus dem Bewußtsein, wobei das Bewußtsein die Stelle und den Rang -des Urphänomens, des unabgeleiteten und unableitbaren, einnimmt und -behauptet, -- mithin eben die Stelle und den Rang, den es in der -transzendentalidealistischen und phänomenologischen Philosophie des -Westens seit den Griechen immer wieder zugewiesen erhielt und immer -wieder zugewiesen erhalten wird. Das andere Mal das Leiden entwickelt -aus -- --, ja! das ist die neue und offene Frage, die uns jetzt -gestellt ist, die uns jetzt selber stellt. Schon ward erwähnt, daß -diese neue Ableitung mit der alten auf die bei weitem längere Strecke -hin völlig zur Deckung gelange: daß mithin die Auseinanderfolge Geburt, -Werden, Anhangen, Durst, Gefühl, Berührung, Bild-Begriff und Bewußtsein -als die klassische Genesis des Leidens eindeutig gewahrt bleibt. Nur -nimmt in dieser zweiten Ableitung das Bewußtsein nicht mehr die Stelle -der Unentstandenheit ein, vielmehr erscheint zu seinem Teil verursacht, -geworden, bedingt, begründet. Ein Umstand, den der Buddho knapp und -einprägsam in den Satz faßt: „Ohne zureichenden Grund entsteht kein -Bewußtsein...“ Dort also ein unentstandenes Bewußtsein, welches mit der -erkenntnismäßigen Doppelung Bild-Begriff oder Wahrnehmung-Vorstellung -ganz einfach ins Dasein tritt, ohne daß man wissen kann wie. Hier -dagegen ein entstandenes Bewußtsein und sein zureichender Grund, -und mit ihm eine Verlängerung des Leitfadens Ursächlichkeit über -das Urphänomen hinaus samt dem Versuch einer Entwicklunggeschichte -des Bewußtseins, die einem der philosophischen Vertreter einer -der europäischen Philosophien des Unbewußten aus dem verflossenen -Jahrhundert (etwa zwischen dem älteren Fichte und Hartmann) alle Ehre -gemacht hätte. Diese einander ausschließenden Auffassungen vom ‚Wesen‘ -des Bewußtseins einander mit einem gewissen unredlichen Eifer zur -Synthetik anähneln zu wollen, wäre weder ehrlich noch klug. Und noch -weniger stünde es unserer westlich denkenden, westlich schließenden -Vernunft an, aus dem vorhandenen Widerspruch beider Auffassungen die -Ungültigkeit der einen zugunsten der Gültigkeit der anderen folgern -zu wollen. Die Frage, welche uns diese doppelte Abkunft des Leidens -und diese doppelte Auffassung, als Urphänomen und bloßes Phänomen mit -hoher Dringlichkeit stellt, ist vielmehr lediglich folgende: welche -neue Aufgaben dem religiösen Leben und der religiösen Tat aus dieser -neuen Auffassung erwachsen, nachdem die Aufgaben, so aus der ersten -Auffassung sich ergeben, hier zwar nicht eigentlich mit Gründlichkeit, -immerhin aber mit Grundsätzlichkeit aufgezeigt worden sind. - -Bevor wir uns indes dieser sehr ernsthaften Frage voll zuwenden dürfen, -muß Klarheit obwalten über jene zweite Abkunft des Leidens selbst -und die darin vertretene Deutung des Bewußtseins als eines Gliedes -unter anderen Gliedern in der Reihe der Entstehungen. Es muß Klarheit -obwalten über die Abkunft des Bewußtseins und über das, was der Buddho -selbst den zwingenden Grund des Bewußtseins nennt. Die Antwort, die -uns darauf wird, lautet denn auch bündig und schlicht genug: das -Bewußtsein wird bedingt durch Unterscheidung, -- die Unterscheidung -wird bedingt durch Nichtwissen! Unterscheidung und Nichtwissen heißen -demnach die zwei letzten Grundlegungen, die das vorige Urphänomen -Bewußtsein nunmehr als bloßes Phänomen begreiflich machen sollen. Wer -sonach jetzt und von hier aus vor der Aufgabe steht, das Bewußtsein zu -verwinden, wird sie nicht mehr in dem Sinn lösen können, wie sie oben -gelöst worden ist. Sondern er wird sie neu in Angriff nehmen müssen -nach Maßgabe der veränderten Stellung des Bewußtseins in der Reihe der -Entstehungen. Nicht mehr wird er Bewußtsein zu verwinden fähig sein -durch Steigerung des Bewußtseins, sondern er wird Bewußtsein verwinden, -indem er Unterscheidung verwindet, und nach verwundener Unterscheidung -Nichtwissen. Die Verkettung der Ursachen, vorhin lediglich bis zur -Urtatsache des Bewußtseins entwickelt, wird jetzt übers Bewußtsein -hinaus zur Unterscheidung entwickelt und über die Unterscheidung hinaus -zum Nichtwissen, -- bis endlich im Wissen der Gedanke von des Leidens -Abkunft seine letzte, allerletzte und auch von Buddho selbst nirgends -überbotene Aufgipfelung erfahren hat... - -Wie aber dies, ihr Christen? Was will das heißen: die Unterscheidung -zu verwinden und nicht mehr zu unterscheiden? Was will das heißen: das -Nichtwissen zu verwinden und nicht mehr nicht zu wissen? Beruht denn -nicht jeder Vorgang bewußten Wahrnehmens, bewußten Empfindens, bewußten -Erfahrens just darauf, daß das annoch ungeschiedene Ineinander und -Durcheinander erlebter Gegebenheiten durch die Tätigkeit der einzelnen -Sinneswerkzeuge geschieden, zerlegt, unterschieden wird? Vermögen wir -überhaupt wahrzunehmen, zu empfinden, wenn wir nicht gleichzeitig die -Unterscheidung treffen: dies ist Gehör und Schall, dies ist Gesicht und -Bild, dies ist Getast und Empfindung, dies ist Geruch und Duft, dies -ist Geschmack und Nährstoff, dies ist Verstand und Gedanke? Scheidet -und unterscheidet nicht ohne weiteres schon der Vorgang des Wahrnehmens -alles Wahrnehmbare je nach der Beschaffenheit des wahrnehmenden Organs, -so daß der Wust gemischter, noch nicht entmischter Sinnesreize sofort -von Ohr, Auge, Haut, Nase, Zunge, Verstand entmischt wird in das Neben- -und Nacheinander dessen, was dem Ohr und dem Auge, was der Haut und -der Nase, was der Zunge und dem Verstand angemessen ist? Ja, hat nicht -Gotamo in eigener Person Jahrtausende vor dem deutschen Physiologen -Johannes Müller auf seine Weise das Gesetz von den spezifischen -Energien der Sinne vorweg geahnt und vorweg genommen, wenn er in -einer der Reden über die Abkunft seinen Mönchen erläutert: „Durch das -Gesicht und die Formen entsteht Bewußtsein: gerade ‚Sehbewußtsein‘ -kommt da zustande. Durch das Gehör und die Töne entsteht Bewußtsein: -gerade ‚Hörbewußtsein‘ kommt da zustande. Durch den Geruch und -die Düfte entsteht Bewußtsein: gerade ‚Riechbewußtsein‘ kommt da -zustande. Durch den Geschmack und die Säfte entsteht Bewußtsein: -gerade ‚Schmeckbewußtsein‘ kommt da zustande. Durch das Getast und -die Tastungen entsteht Bewußtsein: gerade ‚Tastbewußtsein‘ kommt da -zustande. Durch das Gedenken und die Dinge entsteht Bewußtsein: gerade -‚Denkbewußtsein‘ kommt da zustande...“ Wie also dies vom Buddho selbst -verkündete Gesetz von den spezifischen Energien der Sinne verleugnen -und wie die notwendige Unterscheidung in spezifische Gegebenheiten -des Bewußtseins selbst verleugnen? Und um es gleich von vorn herein -zu gestehen: kaum anderswo läßt Gotamo den, der ihm nachzudenken -strebt, so sehr im Dunkeln tappen wie gerade hier, wo er im Verfolge -der Entstehunggeschichte des Bewußtseins eine Forderung erhebt, die -für Menschen unerfüllbar scheint. Das Bewußtsein stammt aus der -Unterscheidung, wofern jedes einzelne Sinneswerkzeug und Sinnesgebiet -ausschließlich jene Reize der Aufnahme und Verarbeitung zuführt, -auf welche es seinerseit abgestimmt ist und welche es ihrerseit -wiederum auf sich selber abstimmt. Wie aber unter diesen Umständen -die Unterscheidung meiden, die unter dem Zwang leiblich-geistiger -Beschaffenheit getroffen wird? Wie die Zerlegung der Einen Wirklichkeit -in zahllose Eindrücke und Erscheinungen umgehen, die doch unmittelbar -mit dem Arbeitvorgang der Sinne als solche zum Vollzug gelangt? - -Kaum eine allerschwächste Spur verrät die Richtung, welche die Absicht -des Buddho hier genommen hat; kaum eine allerschwächste Spur den Weg, -den hier sein sonst so köstlich unbeirrter Wille einschlug. Aber -wenn diese Spur auch wirklich fast verweht erscheint im Flugsand der -Wanderwüste ‚Zeit‘, so wird sie sich vielleicht für unser Auge doch -etwas verstärken, sobald wir weiterrätselnd uns entsinnen, daß die -Unterscheidung, aus welcher das Bewußtsein stammt und in welcher das -Bewußtsein zu verwinden wäre, ihrerseit aus dem Nichtwissen stammt -und unleugbar den Stempel des Nichtwissens trägt. Gotamo, der die -Unterscheidung verwirft, die auf der Tätigkeit unserer aufnehmenden und -verarbeitenden Erkenntniswerkzeuge beruht, verwirft die Unterscheidung, -weil sie Nichtwissen ist. Die Unterscheidung entsteht ihm aus -dem Nichtwissen, das Nichtwissen bedingt ihm die Unterscheidung: -folglich steht ihm groß und unverrückbar der Zielgedanke eines -nichtunterscheidenden Wissens im Gegensatz zu einem unterscheidenden -Nichtwissen vor dem innern Blicke! Das mag ein überraschendes, am -Ende sogar befremdliches Ergebnis sein, welches jedoch manches, wenn -nicht das meiste von seiner Seltsamkeit abstreifen und verlieren -dürfte, falls wir abermals weiterrätselnd uns entsinnen, daß eine -ähnliche Zweiheit einander widersätzlicher Wissensauffassungen auch -unserer abendländischen Scholastik durchaus vertraut gewesen ist. Auch -wir abendländischen Menschen kennen seit den Enneaden des Plotinos -ein Wissen, welches Unterscheidungen setzt und voraussetzt, Merkmal -nach Merkmal durchläuft, Inhalt nach Inhalt durchmustert, Begriff an -Begriff reiht, Urteil an Urteil knüpft, Schluß an Schluß kettet, -- -und ein bei weitem anderes Wissen, welches den vollen Weltgehalt zumal -anschaut und unterschiedlos in eins sichtet. Auch wir abendländischen -Menschen kennen ein durchlaufendes, aufreihendes, auseinanderfaltendes, -aneinanderstückendes Wissen, welches unsere Scholastik diskursiv -genannt hat, und ein ineinanderschauendes, vereinfachendes, -zusammenfaltendes, unzerstücktes Wissen, welches unsere Scholastik -simplex genannt hat. Und während nach europäischer Meinung das erstere -wesentlich dem Menschen und seiner eingeschränkten Vernunft vorbehalten -blieb, galt das letztere für göttlich. Und wenn dabei der Abendländer -nicht so weit zu gehen wagte wie der Buddho, der das erstere Wissen -kurzer Hand als Nichtwissen geringschätzt, ja entwertet, so hat er doch -in seinen besten Zeiten nie einen Hehl daraus gemacht, wie unendlich -überlegen das simplexe Wissen Gottes unserm diskursiven Wissen wäre... -Den _dis-cursus_ also hätte der gotamidische Asket, wenn anders wir mit -abendländischen Formeln indische Auffassungen bezeichnen dürfen, nach -besten Kräften zu überwinden, -- wie alles übrigens, was der Lateiner -mit der Silbe ‚_dis_‘ auszudrücken pflegte. Das _dis_ im _cursus_ -hätte der Asket zu überwinden, um mit dieser endgültigen Überwindung -das Nichtwissen zu überwinden, das Unterscheiden zu überwinden, -das Bewußtsein zu überwinden, die Doppelheit Bild-und-Begriff zu -überwinden, die Berührung zu überwinden, das Gefühl zu überwinden, -den Durst zu überwinden, das Anhangen zu überwinden, das Werden zu -überwinden, die Geburt zu überwinden, das Leiden zu überwinden... -Nichtwissen überwunden habend, würde der Asket zum Wissen aufgestiegen -sein: als Wissender aber würde er die Erlösung, die Errettung, die -Entledigung bewirkt haben im Wissen. Was also, ihr Christen, ist für -den vollkommen Erwachten und Erhabenen -- das Wissen? Was also, ihr -Christen, ist für den vollkommen Erwachten und Erhabenen das Wissen: -was ist das Wissen nicht allein für ihn, sondern für jene ganze Welt -des alten Indiens, die er für uns am weithin sichtlichsten vertritt? -In der Chândogya-Upanischad ersucht der höchste jener brahmanischen -Rischis, welche die Hymnen des Veda dichteten und sangen (wie einst -auch die griechischen Aoiden die Epen des Homeros gedichtet und -gesungen haben) den Kriegsgott Sanatkumâra um Belehrung. „‚Belehre -mich, Ehrwürdiger!‘ -- Mit diesen Worten nahte sich Nârada dem -Sanatkumâra. Der sprach zu ihm: ‚Bringe nur vor, was du schon weißt, -so werde ich dir das darüber hinaus Liegende kundmachen‘. Und jener -sprach: ‚Ich habe, o Ehrwürdiger, gelernt den Rigveda, Yajurveda, -Sâmaveda, den Atharvaveda als vierten, die epischen und mythologischen -Gedichte als fünften Veda, Grammatik, Manenritual, Arithmetik, -Mantik, Zeitrechnung, Dialektik, Politik, Götterlehre, Gebetlehre, -Gespensterlehre, Kriegswissenschaft, Astronomie, Schlangenzauber und -die Künste der Halbgötter; -- das ist es, o Ehrwürdiger, was ich -gelernt habe; und so bin ich, o Ehrwürdiger, zwar schriftkundig, -aber nicht âtmankundig; denn ich habe gehört von solchen, die dir -gleichen, daß den Kummer überwindet, wer den Âtman kennt; ich aber, -o Ehrwürdiger, bin bekümmert; darum wollest du mich, o Herr, zu dem -jenseitigen Ufer des Kummers hinüberführen!‘ -- Und er sprach zu ihm: -‚Alles, was du da studiert hast, ist nur Name (nâman). Name ist der -Rigveda, Yajurveda, Sâmaveda, der Atharvaveda als vierter, die epischen -und mythologischen Gedichte als fünfter Veda, Grammatik, Manenritual, -Arithmetik, Mantik, Zeitrechnung, Dialektik, Politik, Götterlehre, -Gebetlehre, Gespensterlehre, Kriegswissenschaft, Astronomie, -Schlangenzauber und die Künste der Halbgötter, -- das ist alles Name. -Den Namen mögest du verehren! Wer den Namen als das Brahman verehrt, -- -soweit sich der Name erstreckt, soweit wird dem ein Umherschweifen nach -Belieben zu teil, darum daß er den Namen als das Brahman verehrt.‘ -- -‚Gibt es, o Ehrwürdiger, ein Größeres als den Namen?‘ -- ‚Wohl gibt es -ein Größeres als den Namen.‘ -- ‚Das wollest du, o Herr, mir sagen!‘ --- ‚Die Rede (_vâc_), fürwahr, ist größer als der Name‘...“ Die Rede -ist größer als der Name: der vernünftige Wille (_manas_) aber größer -als die Rede, fährt der Kriegsgott Sanatkumâra in seiner Erläuterung -fort. Und wiederum ist der Entschluß (_samkalpa_) größer als der -vernünftige Wille; der Gedanke (_cittam_) größer als der Entschluß; die -Innenbetrachtung (_dhyânam_) größer als der Gedanke; die Erkenntnis -(_vijñânam_) größer als die Innenbetrachtung; die Kraft (_balam_) -größer als die Erkenntnis; die Nahrung (_annam_) größer als die -Kraft; das Wasser (_âpas_) größer als die Nahrung; die Glut (_tejas_) -größer als das Wasser; der Äther (_âkâça_) größer als die Glut; die -Erinnerung (_smara_) größer als der Äther; die Hoffnung (_âçâ_) größer -als die Erinnerung; das Leben (_prâna_) größer als die Hoffnung; die -Unbeschränktheit (_bhûman_) größer als das Leben und alles übrige... - -Wir setzen hier beiseit die Wunderlichkeit in dieser sechzehnfach -gestaffelten Führung zum ‚echten‘ Wissen, zum Brahman-Bhûman-Wissen. -Wir setzen beiseit diesen für unser abendländisches Verständnis -haltlosen und haltunglosen Wechsel von seelischen Grundbeschaffenheiten -und Haupteigenschaften zu welthaften Urgegebenheiten und Urstoffen und -wiederum von diesen zu jenen zurück, ehe über das alles die Woge der -Allschrankenlosigkeit hinwegspült. Dies und was sonst noch hierher -gehört, ihr Christen, lassen wir beiseit und fragen uns erst alsdann -dringend: Was ist nach dieser heiligen Urkunde -- Wissen? Und was ist -nach dieser Urkunde Wissen -- nicht? Das Wissen ist eine Emporstufung, -Empormenschung, Emporgottung hier, ihr Christen: das ist der klare Sinn -der Antwort, die der Kriegsgott sowohl dem fragenden Brahmanen wie dem -fragenden Abendländer zu geben geruht. Was an Erfahrung, Forschung, -Einsicht, Kenntnis, Urteil, Gedanke, Prüfung, Tatsache und Gesetz -dieser Emporstufung zu dienen geeignet ist, ist Wissen. Was jedoch -lediglich um seiner selbst betrieben wird, was der Anhäufung bloßer -Gelehrsamkeit förderlich sein soll, das ist Wissen nicht, das ist ganz -einfach Nichtwissen. Es kann einer alles wissen, was im Umkreis einer -angetretenen Menschheitgesittung überhaupt zu erwerben ist, und es kann -einer im Vollbesitz sein sämtlicher Kenntnisse auf theologischem und -kosmologischem, auf philosophischem und logischem, auf mathematischem -und grammatischem, auf astronomischem und astrologischem, auf rituellem -und theurgischem, auf historischem und ästhetischem, auf strategischem -und politischem Gebiet, -- und vor Gott Sanatkumâra weiß er nichts -als die Namen und ist wie der Brahmane Nârada innig von seiner -Unwissenheit durchdrungen. Nicht darum zwar von ihr durchdrungen, weil -er sich überzeugt hätte von der grundsätzlichen Unvollständigkeit -und Ergänzungbedürftigkeit des Wissens überhaupt oder gar von der -Unzulänglichkeit und Begrenztheit der menschlichen Vernunft. Vielmehr -darum, weil er erfahren hat, daß alles erreichbare Wissen auch bei -massenhafter Aneignung nicht schon von sich aus den Wissenden auf einen -würdigeren Zustand hebt. Das Wissen ist keine Tugend und ist noch -weniger ein Heil oder das Heil. Aber es liegt im Begriff des Wissens, -wie er hier gefaßt und vertreten wird, zur Tugend, ja zum Heil zu -führen. „Denn ich habe gehört von solchen, die dir gleichen, daß den -Kummer überwindet, wer den Âtman kennt, ich aber, o Ehrwürdiger, bin -bekümmert!“... Wer also noch bekümmert ist, wer noch am Dasein krankt, -wer seine Angst noch nicht verlernte, wer noch unterm Schicksal seufzt, -der ist noch nicht ein Wissender geworden, selbst wenn er alles weiß. -Wer nach Erwerb des Wissens menschlich auf der Stufe des Unwissenden -verharrt, der zählt nicht zu den Wissenden; wer im Genuß des Wissens -des Lebens noch nicht Rat weiß, der ist kein Wissender. Er gleicht -da etwa einem Geizigen, der das Geld sammelt, aber nicht in Umlauf -setzt. Oder einem Kranken, der die Arznei schluckt, aber nicht an ihr -genest. Oder einem Zecher, der den Wein schlürft, aber durch ihn nicht -fröhlicher wird. Ob mithin wirklich einer wisse oder nicht wisse, das -hängt davon ab, in welchen Zustand ihn das Wissen brachte. Wie das Geld -erworben wird, um umgesetzt zu werden, wie die Arznei genommen wird, -um Gesundheit zu bringen, wie der Wein getrunken wird, um sorgenfrei -zu machen, so soll das Wissen gewußt werden, um den Wissenden als eine -menschliche Steigerung und Erhöhung des Unwissenden zu verwirklichen. -Und diese Auffassung des Wissens ist eine so eingefleischt indische, -daß es beinahe gleichgültig ist, ob das Gespräch zwischen Nârada -und Sanatkumâra in den Upanischaden aufgezeichnet steht oder in den -Reden Gotamo Buddhos: es könnte ebensogut hier geschrieben stehen, -als es in der Tat dort geschrieben steht. Unter allen Umständen -hätte der Buddho dem Frager dem Sinne nach dieselbe Antwort gegeben -wie der vedische Kriegsgott, auch wenn er selbstverständlich die -Aufwärtsstufung im einzelnen beträchtlich anders geführt hätte und -wirklich auch anders geführt hat. Bewährt sich doch auch ihm im -Gegensatz zum Nichtwissen das Wissen nur dadurch, daß es das Leiden -verwindet und dem Wissenden das lösende Wort zu sprechen gestattet: -„Nicht mehr, o Ehrwürdiger, bin ich bekümmert!“... Und so gehört es -zu den unwiderleglichen Zeugnissen der tiefgewurzelten Einheit und -Einheitlichkeit aller indischen Religionen, daß ihnen im wesentlichen -die Leistung des Wissens stets die nämliche und gleiche bleibt. Wo -das Wissen nicht zur Erlösung aufsteigen läßt, hat es seinen wahren -Zweck verfehlt, der im Gegensatz zu unserer abendländischen Auffassung -nicht das Wissen selbst ist, sondern die Beschaffenheit und der Rang -des Wissenden. Wir Europäer haben ja mit der Gebärde unwillkürlicher -und darum auch untrügerischer Selbstoffenbarung über unser Wissen das -Wort gesprochen: Wissen ist Macht, Wissen ist Bewältigung, Wissen ist -Beherrschung, -- aber wohlbemerkt nicht unserer selbst, sondern der -Natur! Mit einer nicht minder offenbarenden Geste hat der gotamidische -und der vedische Mensch, und das ist in manchem Betracht schon fast -der asiatische Mensch, das Gegenwort verlautbart: Wissen ist Erlösung, -Wissen ist Errettung, Wissen ist Überwindung, -- aber nicht der Natur, -sondern unserer selbst! Diese Einstellung ist eine gesamtindische und -bringt sich der europäischen Einstellung gegenüber mit einer ebenso -großartigen wie eintönigen Strenge zur unbedingten Geltung. Und wenn -Indien bis zu dieser Stunde von dem unmenschlichen Bruderzwist zwischen -Religion und Philosophie, zwischen Glauben und Wissen, zwischen Kirche -und Schule, zwischen Weisheit und Wissenschaft, zwischen Erziehung -und Unterricht, zwischen Bildung und Gelehrsamkeit, zwischen Seele -und Geist, zwischen Geistigkeit und Geistlichkeit verschont geblieben -ist, dann verdankt es diese höchste Gunst und Gnade nicht zum -wenigsten seiner Auffassung vom Wissen, die für solche Zuspitzungen, -Gegensetzungen, Ausschließungen keinen Vorwand liefert. Wie nach des -Buddho geflügelter Redeformel ‚im Erlösten die Erlösung ist‘, -- ‚ψυχὴ -οἰκητήριον δαίμονος‘ heißt es gleichsinnig bei Demokritos von Abdera! --- so ist im Wissenden das Wissen, dient es dem Wissenden, fördert es -den Wissenden, bringt es Heil dem Wissenden. - -In dem Gespräch zwischen Nârada und Sanatkumâra ist das Sanskritwort -‚_dhyânam_‘ gefallen, welches ich etwas eigenmächtig mit -‚Innenbetrachtung‘ wiederzugeben mich erdreistet habe, indes es von -Deussen unverbindlicher mit ‚Sinnen‘ verdeutscht wird. Wohlan denn! -Dieses _dhyânam_, das unter den sechzehn Staffeln des Wissens eine -einzige bedeutet und bezeichnet, die zwischen Gedanke (_cittam_) und -Erkenntnis (_vijñânam_) ihre Stelle hat, -- dieses _dhyânam_ umspannt -dem Buddho geradezu alles wesenhafte Wissen selber, wofern es in -Wahrheit dem Wissenden die Erlösung bringt. Dieses _dhyânam_, nur -wenig abweichend _jhânam_ in der Mundart des Pâli lautend, erschöpft -in sich genau die Emporstufung des Wissens, die der Wissende in sich -vollziehen muß. _Jhânam_, das ist die erlernte und geübte Fähigkeit -der Seele, sich ohne Ablenkung auf sich selbst zu sammeln, in sich -selbst hineinzusenken, unter sich selbst hinabzutauchen, sich in sich -selbst zu verankern, in sich selbst zu feiern, in sich selbst zu -andächtigen, sich in sich selbst zu einigen... Wie der römische Augur -auf der grenzenlosen Erdfläche sich ein Viereck herausschnitt, welches -er bei seiner vorsätzlichen Auskundung der Götterzeichen betrat und -_templum_ nannte; wie derselbe Augur nicht allein aus dieser Erde, -sondern obendrein aus dem unendlichen Himmel mit seinem Krummstab -ein Stück abermals als das _templum_ herausschnitt, innerhalb dessen -Gottes Blitz und Donner recht eigentlich erst gelten sollte, -- so -schneidet Gotamo aus der unbegrenzbaren Erden- und Himmelsfülle aller -Wißbarkeiten und Gewißheiten einen heiligen Bezirk heraus, um darin -jenes Wissen, welches allein not tut, gleichsam zum Vollzug zu bringen. -Von dem _templum_ römischer Auguren leitet sich sprachlich das Zeitwort -_contemplari_ her, welches somit in seinem ursprünglichen Sinn nichts -anderes bedeutet als „den heiligen Bezirk auf der Erde und am Himmel -mit dem Blick einfassen“, -- welches somit in seinem ursprünglichen -Sinn nichts anderes bedeutet als eben diese Tätigkeit, welche sich der -Buddho als das _jhânam_ angelegen sein läßt: nur anstatt nach außen -streng nach innen hin gewendet. Mit dem Blick einfassen den heiligen -Bezirk, der sich hier zwar nicht am Himmel oder auf der Erde, aber -in der Seele selbst befindet, und den jeder in sich selbst als sein -eigener Zeichendeuter abzustecken fähig ist, das heißt das _jhânam_ -üben, heißt Andacht, Versenkung, Einkehr bewirken. So verstanden war es -schließlich mehr als ein purer Zufall, wenn europäische Gelehrte das -buddhistische _jhânam_ nicht selten mit der lateinischen _contemplatio_ -übersetzten. Denn diese Römer, von sämtlichen bekannten Völkern des -sogenannten Altertums die ärmlichsten an Religion und dennoch das -Wort _religio_ prägend („_Vinculo pietatis obstricti Deo et religati -sumus, unde ipsa religio nomen accepit_“), -- sie prägen auch den -Sprachausdruck _contemplatio_, obschon von sämtlichen bekannten -Völkern des Altertums am wenigsten mit der Neigung zu dieser irgendwie -behaftet. Was alsdann bei ihnen nach auswärts gerichtet _contemplatio_ -heißt, ist im Buddhismus nach einwärts gerichtet _jhânam_, und wie -jenes _templum_ in seiner Ausdehnung durch vier sich schneidende Gerade -bestimmt wird, ist das _jhânam_ in seiner Hinaufstufung durch vier -ansteigende Grade bestimmt. Vier Grade oder Weihen innerlicher Schauung -gibt es, ja vier Schauungen oder _jhânâni_ selber gibt es, die in den -Reden stets mit derselben formelhaften Wendung wiederkehren: in den -berühmten vier _jhânâni_ staffelt der Buddho das Wissen in die Höhe, -welches zuletzt mit der Erlösung eins ist. - -Noch liegt bei dem ersten _jhânam_ aller Nachdruck darauf, daß -jene oben erörterte Bemeisterung des Vorstellungablaufs wirklich -erworben werde. Alles kommt auf die zielbewußt geübte Handhabung der -auftauchenden und versinkenden Bewußtseinsinhalte an, so zwar, daß -eine Absonderung, Entfernung, Loslösung, Verabseitigung, Abriegelung -von allen Gegebenheiten des Erlebens geschieht, die dem Heil -hinderlich sein könnten. In einer Art von sehr tätigem, sehr wachsamem -Vergessenkönnen besteht dieser erste Grad der Selbstvertiefung, welcher -den Zustand des Nichtwissens, Nochnichtwissens allmählich in den des -Wissens überleiten soll. Der andachtsame Mönch wirft einen hohen Wall -um sich und zieht einen breiten Graben um sich, die beide ihn wie eine -Festung von der unbehüteten Außenwelt abschließen und vor feindlichen -Überrumpelungen bewahren sollen. In dieser Festung widmet er sich dann, -ungestört durch allfallsige Eindrücke oder Empfindungen, die ihn von -außen her zu beschäftigen oder gar zu überwältigen drohen, dem Sinnen -und Gedenken, dem Erwägen und Ermessen, dem Betrachten und Überlegen -aller der Gewißheiten, die ihm die heilige Lehre gewährt. Was ihm nicht -angehören darf, wirft er über diesen Wall, wie ein Gärtner etwa einen -Glasscherben über die Gartenmauer wirft, auf den sein Spaten beim -Umstechen des Bodens gestoßen ist. Was ihm den Frieden stört, was sein -Gemüt bedrückt, was seine Heiterkeit trübt, das ersäuft er in diesem -Graben, wie ein Kind etwa einen Sack voll frischgeworfener Katzen im -Bach ersäuft, die nicht aufgezogen werden können. ‚Geboren aus der -Abgeschiedenheit‘, verdeutscht ein zeitgenössischer Gelehrter mit -verständlicher (und verständiger) Anspielung auf die Mystik Eckharts -den Ausdruck _vivekajam_ in den heiligen Texten, -- ausnahmweis, -wie mich bedünkt, ein wenig sinnfälliger und sprechender noch wie -Karl Eugen Neumann, der dafür das mattere ‚ruhegeboren‘ hat. Geboren -aus der Abgeschiedenheit, will sagen geboren aus der Abscheidung -und Abstreifung aller seelischen und körperlichen Fesseln ist das -erste _jhânam_, welches den Nichtwissenden zum Wissenden befördert -und alsbald durch eine Anstrengung geringeren Grades ins zweite -_jhânam_ überführt. Denn diese Abscheidung und Abstreifung einmal -vollzogen habend, braucht der Andachtwillige von jetzt an weniger -darauf gerichtet zu sein, das Unheilsame vom Raum des Bewußtseins -fernzuhalten, als vielmehr den jetzt errungenen Zustand zu genießen. -Hat sich der Mönch die erste Weihe selber durch andauernde Übungen -abgezwungen, hat er den Vorstellungablauf völlig in seiner Gewalt -und vermag er mit höchster Sammlung bei den Heilsgewißheiten der -Lehre zu verweilen, so entläßt er nun, der zweiten Weihe mächtig, -sämtliche Erwägungen dieser Art, etwa wie ein Gebieter und Fürst seine -Beauftragten entläßt, deren Dienste er weiter nicht benötigt. Herr -und Herrscher nunmehr im Haus seiner Triebe und Begierden, Herr und -Herrscher sogar über alle Wahrnehmungen und Vorstellungen, Denkinhalte -und Erkenntnisvorgänge, stimmt er ganz rein mit sich selber überein. -Wie wenn zwei feindliche Heere, die einander mit Erbitterung und -Haß bekämpfen, indes ihre Häupter doch schon über Waffenstillstand -und Frieden verhandeln, plötzlich verständigt werden von der -Unterschreibung der Verträge, und jetzt eine erschütternde Kampf- und -Feuerpause eintritt zur unermeßlichen Freude aller: so kehrt hier im -Innern des hart streitenden Mönchs der Friede mit ihm selber ein zu -seiner unermeßlichen Besäligung. Jene Meeresglätte und Windstille der -Seele auf großer Fahrt nach schauerlichen Stürmen stellt sich ein, die -sogar dem seelenfremden Abendländer seit dem γαλενισμός des großen -Demokritos und des kleineren Epikurios nicht völlig unbekannt sein -dürfte, -- wenigstens geschichtlich nicht. Aus der Einigung mit sich -selbst geboren, ja in der Einigung mit sich selbst geboren, wie Neumann -übersetzt, ist die zweite Schauung der vier _jhânâni_, welche den -Andächtigen in den Genuß mühsälig erkämpfter Güter setzt. Ein reifes, -sattes, reiches Säligkeitgefühl beginnt von da an wie von der Mitte des -Gemütes her den Körper des Andächtigen in linden Wellen zu durchströmen -und ohne Rest gleichsam zu durchsüßen, ähnlich wie eine Flüssigkeit -von einem aufgelösten Stückchen Zucker ohne Rest durchsüßt wird. Die -erstrittene Ruhe wird nicht mehr, wie noch kurz vorher, als Ausgleich -und Entspannung vorangegangener Spannungen empfunden, sondern als der -selbstverständliche, angemessene und würdige Urstand des Daseins. -Wie die heftigen Stöße des stampfenden und zuckenden Herzens in dem -feinröhrigen Adergeflecht des Blutes mählig zu kaum spürbaren Pulsen -sanft verebben, so verebbt dann das klingende Gefühl der Besäligung -der zweiten Schauung in der dritten zum unbewegten Gleichmut. „Der -gleichmütig Einsichtige lebt beglückt“, -- er lebt beglückt im -Gleichmut seiner Einsicht und Besonnenheit, im Gleichmut seiner -Einigung und Stillung. Bis dann nach Durchlebnis der drei _jhânâni_ das -vierte _jhânam_ von ihnen sich dadurch auszeichnet, daß es vollkommen -befreit erscheint von jeder Gefühlsbetontheit, und sei sie auch -die leiseste, nach der Lust- oder Unlustseite hin. Was bisher der -Andächtige etwa noch als Beglückung, Aufheiterung, Besäligung genossen -hat, ja was ihn möglicherweis dazu verleitete, das wesentliche Ziel -seiner Selbstvertiefung in solchen Lustgefühlen zu vermuten, -- das -alles muß in diesem vierten _jhânam_ auf Nimmerwiedersehn und bis auf -die letzte Spur verschwinden. „Das aber nenn’ ich, Udâyî, unzulänglich, -und sage ‚Verwerft es‘, sage ‚Überwindet es‘“... Begleitende Gefühle -lustvoller oder leidvoller Tönung und Beschaffenheit werden hier -nicht länger geduldet und die Seelenzone des Gefühls wird überquert -und überschritten. Wie ein Hochgebirgserkletterer am Fuß der Alpen -noch in den Wäldern der benachbarten Ebene rüstig dahin wandert, -dann aber in einen Gürtel hineingerät von nur noch zwerghaftem und -verkrüppeltem Baumwuchs, schließlich inmitten eine halbe Wüste -gelangt von baumlosen Matten und mit allerlei Buschwerk, Strauchwerk -inselhaft bestanden, zuletzt aber, nachdem er einen mit vielerlei -Geröll bestreuten Moos- und Flechtenteppich überturnt hat, auf nackten -Gletschern und an kahlem Firn mühsam hinaufstrebt und die wirtliche -Breite pflanzlichen Wachstums hinter sich und unter sich läßt, -- also -läßt der Mönch der vierten Weihe die Welt der Gefühle hinter und unter -sich. Aug’ in Auge mit ihm selber und vielleicht nicht einmal mehr mit -ihm selber, sondern mit einem unsäglichen und nicht zu benennenden -Etwas, verweilt er ohne Freude und Leid, ohne Frohsinn und Trübsinn, -ohne Wonne und Schmerz. Denn wo solche Gefühle entstehen, entstehen -sie als Rückäußerungen des Gemüts auf die ständige Wechselwirkung -zwischen Ich und Nichtich, zwischen Selbst und Welt, zwischen Seele -und Wirklichkeit, zwischen Bewußtsein und Sein, zwischen Bedürfnis -und Erfüllung, zwischen Forderung und Leistung. Das _templum_ dieser -Wechselwirkung aber, wo der Austausch zwischen der Persönlichkeit -und ihrer Umwelt stattzufinden pflegt, ist jetzt geräumt und das -_templum_ vollkommener In-sich-Beharrung feierlich betreten. Längst -dringen von der Außenwelt keine Reize mehr über die Schwelle, deren -Wert und Größe vom selbstvertieften Mönch gleichsam selbsttätig -auf Unendlich erhöht ward, damit ein Zustrom von außen nach innen -überhaupt nicht mehr stattfände. In einer höchsten Anspannung des -Gemütes sperrt der Mönch alle die Zeichengebungen und Meldungen und -Botschaften, die sonst von sämtlichen Wesen der Welt grundsätzlich an -sämtliche Wesen der Welt ergehen, und er selbst gleicht einer Station -für Funkspruch, die zwar einen vorzüglich wirksamen Sender aufweist, -aber des Empfängers entbehrt. Drum also ist das _templum_, sag’ ich, -einer unerbetenen Empfängerschaft von Eindrücken aus der Wirklichkeit, -durch welche vielleicht schlummernde Gefühle aufgeschreckt und in -fiebrige Bewegung gesetzt werden könnte, von jetzt an geräumt und das -_templum_ regloser Seelenstarre friedlich betreten: das _templum_, wo -der Mönch sein eigen Stand- und Steinbild, so er in Vollkommenheit -von sich gemeißelt, still verehrt... Und wie unsere transzendentale -Philosophie nach dem Vorgang Kants die Vernunft ‚rein‘ genannt hat, -wofern sie sich unbeeinflußt durch äußerliche Reize selbst bestimmt -und selbst Gesetze auferlegt, so nennt der Buddho den Andächtigen -dieser vierten Schauung ‚rein‘, wofern er sich von allem Anders-Sein -unberührt und ungerührt, unversehrt und unverstört, unbenetzt und -unbespritzt zu halten und erhalten weiß, -- nunmehr in eigener Person -nicht zwar geradezu ‚reine Vernunft‘ geworden, aber immerhin ein -reines erkennendes und wissendes Vermögen und Verhalten geworden. -Denn was geschah nun eigentlich, ihr Christen? Was geschah mit dieser -unendlich schwer zu vollbringenden, aber schlechthin unerläßlichen -Emporstufung zu den vier gotamidischen _jhânâni_? Die Erzeugung und -Hervorbildung eines neuartigen und vorher noch nicht vorhandenen -Organon geschah, ihr Christen. Die Erzeugung und Hervorbildung eines -Werkzeuges, welches der Buddho unbedingt für notwendig erachtet, -um Nichtwissen endgültig in Wissen überzuführen. Durch die stätig -vervollkommnete Übung der vier Stufen der Selbstversenkung trachtet -der Buddho ein erkennendes Vermögen, ja geradezu einen ‚Sinn‘ zu -erschaffen, der imstand wäre, dasjenige Wissen zu erwerben, welches -ihm vor allem andern Wissen heilsam zu sein scheint. In demselben Maße -nämlich, als der Mönch sich in sich selbst vertiefend die Quellen -jener äußeren Erfahrung verstopft, aus denen wir Abendländer fast -unser gesamtes Wissen und sicherlich unsere gesamte Wissenschaft zu -schöpfen pflegen, -- in eben dem Maß beginnen sich ihm verborgene -Quellen zu erschließen, deren sehr fernes, raunendes Gemurmel sein -ungemein geschärftes Ohr näher bald und näher vernimmt. Wer in der -vierfachen Selbstvertiefung stark geworden ist, hat tatsächlich einen -neuen Sinn derart gehärtet und gestählt, daß er wie ein Bohrer in den -Händen eines Gesteinkundigen vortrefflich gebraucht werden kann, eine -unterirdische Ader metallreicher Erze nach der andern genau an der -richtigen Stelle anzubohren. Wissend geworden in sich selber und von -sich selber, dann aber durch dieses Wissen irgendwie höherer Mensch -geworden, Selbstbefreier, Selbsterretter, Selbsterlöser, vermag dieser -Mönch vor allen Dingen -- sich zu erinnern. Erlösendes und erlöstes -Wissen ist auch hier (und hier erst recht) Erinnerung: in dieser -allgemeinen Formel begegnet sich Gotamo wirklich mit den tiefsten -Einsichten der europäischen Philosophie von Platon bis auf Bergson, --- vorausgesetzt, daß diese tiefste Einsicht nicht auf irgendwelchen -Umwegen dem mittelmeerbefahrenden, mittelmeerabenteuernden Platon aus -dem Osten zugetragen worden ist. Das Wissen also ist Erinnerung, und -zwar Erinnerung im Unterschied und Gegensatz zum bloßen Gedächtnis -durchaus zu verstehen als ἀνάμνησις etwa im Unterschied und Gegensatz -zur bloßen μνήμη, oder als _souvenir-image_ im Unterschied und -Gegensatz zur bloßen _mémoire_. Der höhere Mensch erinnert sich, -der höhere Mensch vermag sich zu erinnern! Wenn kürzlich noch bei -uns Europäern ein Denker immerhin von dem Rang Weiningers diese -mehr wie rätselhafte Fähigkeit der Seele, Gewesenes als daseiend, -Vergangenes als gegenwärtig nach Belieben gleichsam zu wiederholen oder -zutreffender vielleicht noch ‚wieder zu holen‘, schlechterdings als -Merkmal und Kennzeichen überhaupt des höheren Menschen namhaft macht: -dann bekräftigt, dann bestätigt er auf seine Weise nur, was für den -Buddho von jeher unerschütterlich feststand. Nach Weininger ist es -gleichsam die Gnade des höheren Menschen, sich erinnern zu können, und -zwar sich erinnern zu können im wesentlichen seines eigenen Selbst, -seines eigenen Erlebens. Der höhere Mensch lebt und hat gelebt, nicht -um zu vergessen, sondern um bei beliebigen Anlässen die Bilder dieses -Lebens in aller urwüchsigen Frische und Sinnfälligkeit gleichsam -aus dem Schlaf zu rütteln. Derart sich jederzeit zu erinnern wissen -der eigenen Lebensalter und Lebensstufen, der vollen und leeren -Augenblicke, der wichtigen und nichtigen Begebenheiten, der Taten und -der Leiden, der Genüsse und der Schmerzen; derart die schöpferische -Neuvergegenwärtigung, Wiederverlebendigung vergangenen Geschehens -willkürlich betreiben zu können: das hieße nach Otto Weiningers -Dafürhalten menschlich vor anderen Menschen minderer Erinnerlichkeit -als ‚bedeutend‘ hervorragen... Der mit Erinnerung Begnadete ist -‚genialisch‘, und just diese ungewöhnliche Auffassung begegnet sich -mit der tiefsten Selbsterfahrung, die Gotamo mit sich machte. Daß der -Asket sich aller seiner Lebensumstände bis in die geringste Einzelheit -hinein aufs lebhafteste und untrüglichste erinnere, das ist der -erste, vollwichtige Ertrag der vier _jhânâni_, -- das ist das erste -gewissermaßen ‚heilige‘ Wissen. Indischer Denk- und Betrachtungweise -gemäß kann dies freilich nichts anderes besagen wollen, als daß eben -der Asket Erinnerung erworben, Erinnerung erbohrt habe an seine -sämtlichen ehemaligen Verkörperungen und Lebensläufe, die er je und je -durchlitten. „Solchen Gemütes, innig, geläutert, gesäubert, gediegen, -schlackengeklärt, geschmeidig, biegsam, fest, unversehrbar, richtet -er das Gemüt auf die erinnernde Erkenntnis früherer Daseinsformen. So -kann er sich an manche Daseinsform erinnern, als wie an ein Leben, -dann an zwei Leben, dann an drei Leben, dann an vier Leben, dann an -fünf Leben, dann an zehn Leben, dann an zwanzig Leben, dann an dreißig -Leben, dann an vierzig Leben, dann an fünfzig Leben, dann an hundert -Leben, dann an tausend Leben, dann an hunderttausend Leben, dann an -die Zeiten während mancher Weltenentstehungen, dann an die Zeiten -während mancher Weltenvergehungen, dann an die Zeiten während mancher -Weltenentstehungen-Weltenvergehungen. ‚Dort war ich, jenen Namen hatte -ich, jener Familie gehörte ich an, das war mein Stand, das mein Beruf, -solches Wohl und Wehe habe ich erfahren, so war mein Lebensende; dort -verschieden trat ich anderswo wieder ins Dasein: da war ich nun, -diesen Namen hatte ich, dieser Familie gehörte ich an, dies war mein -Stand, dies mein Beruf, solches Wohl und Wehe habe ich erfahren, so -war mein Lebensende; da verschieden trat ich wieder ins Dasein‘: so -erinnert er sich mancher verschiedenen früheren Daseinsform, mit je den -eigentümlichen Merkmalen, mit je den eigentümlichen Beziehungen.“ - -Nach Begängnis der vier _jhânâni_ weiß also der Mönch sich zu erinnern -an jeden Urstand, jeden Umstand seines Lebens in allen Verkörperungen. -Diese Gnade des Erinnerns ist der Gewinn geübter Selbstvertiefung, -ist der Gewinn des nunmehr Geweihten, Bewährten, Wissenden. Und -diese nicht zu überbietende Einschätzung der Erinnerung ist nicht -etwa als eine bloße Eigenheit oder gar eine Schrulle des Buddho -zu betrachten, sondern gehört offenbar dem geistigen Stammbesitz -indischer Wertungen überhaupt an. Auch in der Bhagavad-Gîtâ ist es -die Gabe der Erinnerung, welche den göttlichen Vorzug des _bhagavân_ -Krischna ausmacht. Eine sicherlich uralte Auffassung, die eben im -Krischna-Mythos selbst eine überaus sinnige Darstellung gefunden -hat. So wenn berichtet wird, daß der blonde Gott im Garten seiner -Gattin Satyabhâmâ den himmlischen Korallenbaum gepflanzt habe, den -er einstmals als Kampfpreis davongetragen hatte: „einen Baum, dessen -tiefrote Blüten viele Meilen in der Runde ihren Duft verbreiten. Wer -aber von diesem Duft eingesogen, der erinnert sich in seinem Herzen -langer, langer Vergangenheit, längst entschwundener Zeiten, in früheren -Leben.“ Auf eine sehr erfahrene Art, welche insonderheit die große -Bedeutsamkeit der Gerüche für die Erinnerung durchaus erfaßt zu haben -scheint, wird hier die Fähigkeit der Wiedervergegenwärtigung bereits -verklungenen Geschehens im Bewußtsein als ein Geschenk des Lebens- -und Erkenntnisbaumes an den Menschen versinnbildlicht: wobei übrigens -im Unterschied zum Alten Testament noch beide Bäume eines Stammes, -einer Wurzel, einer Krone sind... Erinnerung gewinnen, das geht mithin -schon sehr weit in die göttlichsten Vorrechte der Himmlischen hinein. -Und wiederum: Erinnerung verlieren, gilt als Verlust von kaum zu -ermessender Härte und Schwere, -- was sich besonders der europäische -Leser der Sakontalâ gesagt sein lassen möge, wenn anders er den Fluch -der Erinnerunglosigkeit wirklich erfühlen will, der hier den liebenden -König Duschyanta trifft... Indes der Grieche Lethe trinkt, saugt der -Inder den Duft des himmlischen Wunsch- und Weltbaumes ein; dem einen -gilt Vergessen und dem anderen Erinnerung als die höchste Wohltat. Und -sogar der Pessimist Gotamo ist so wenig Grieche und so sehr Sohn seines -heimischen Weltteils, daß auch er Erinnerung statt Vergessenheit wählt. -Zwar vermögen wir ihm leider ja (es sei denn, daß wir Anthroposophen -sind!) in der Art und Weise nicht zu folgen, wie er mit Asketen -die Erinnerungen aufsteigen läßt an hundert Leben, tausend Leben, -hunderttausend Leben zwischen Weltenentstehungen und Weltenvergehungen. -Denn uns selbst pflegt hier jedwede brauchbare Erfahrung zu mangeln und -schon darum steht es uns nicht frei, dem Buddho billigend zu folgen -oder mißbilligend die Nachfolge zu verweigern. In einem aber, deucht -mich, hat er auch jetzt wieder den Sachverhalt der Erinnerung geradezu -ins Herz getroffen: Erinnerung ist, wie wir sie auch deuten mögen, -eine Vervielfältigung dessen, der sich zu erinnern vermag, -- und in -dieser Rücksicht freilich die Häufung zahlloser Lebensstufen in diesem -jetzigen und einmaligen Leben. Vervielfältigt um die unausdenkliche -Zahl seiner Ahnen und Urahnen ist in Wahrheit das erinnernde -Einzelwesen, wenn wir, Erinnerung im Sinn unserer europäischen -Naturerkenntnis (und damit allerdings eher doch als μνήμη wie als -ἀνάμνησις, eher doch als _mémoire_ wie als _souvenir-image_, eher doch -als Gedächtnis wie als Erinnerung) nehmend, unter ihr zum Beispiel -alle sogenannten Dispositionen oder Instinkte verstehen dürfen, -welche jeden lebendigen Vertreter seiner Art um sämtliche erworbenen -Anlagen und Geschicklichkeiten seiner Art bereichert zeigen. Denn im -Kerngerüst der unsterblichen Keimzelle samt ihren Vererbungträgern -lebt ja doch das Leben aller Eltern und Vorfahren genau so fort wie in -der Grundrichtung der angeborenen Triebe, -- und fort mit ihrem Leben -leben ihre Werke und Taten, ihre Gesinnung und Zielstrebigkeit, ihre -Erfahrungen und Listen, ihre Verteidigungmittel und Angriffwerkzeuge, -ihre Weisheit und Vorsicht, ihre Tugenden und Laster. Und ebenfalls -vervielfältigt um die unausrechenbare Zahl seiner Ahnen und Urahnen -ist das erinnernde Einzelwesen, wenn wir, Erinnerung etwa im Sinn des -biogenetischen Grundgesetzes nehmend, unter ihr die (abkürzende) -Wiederholung der Verkörperung- und Erscheinungformen verstehen wollen, -welche der Keim während seines Wachstums vom befruchteten Ei bis zum -fertigen Geschöpf zu durchlaufen pflegt in Nachahmung der Verkörperung- -und Erscheinungformen des ganzen Stammes: in den Kiemen einer -menschlichen Frucht oder in ihrem Stummelschwänzchen blitzt sozusagen -eine Erinnerung auf an Echse, Fisch und Säugetier und mit ihr ein -gestalthaftes Gedenken an so manche Weltenentstehung, Weltenvergehung -zwischen Trias, Jura und Alluvium, zwischen Kalkstein, Malm und -Schlick; -- derart sehn wir noch unseren Menschenleib (wie ich schon -sagte) dem Totemismus huldigen, auch wenn von ihm der Menschengeist -schon längst nichts mehr wissen sollte. Und abermals und letztmals -vervielfältigt um die unnennbare Zahl seiner Ahnen und Urahnen ist -das erinnernde Einzelwesen, wenn wir Erinnerung endlich nehmen im -Sinn der forschenden und dichtenden Geschichte (und jetzt allerdings -wirklich als _souvenir-image_, jetzt wirklich als ἀνάμνησις) und -unter ihr jenes künstlich-künstlerische Nacherleben in der Einbildung -verstehen, welches uns Spätlinge in allen Jahrtausenden der Völker und -der Helden geistig Wurzel schlagen läßt: denn wo immer auch Geschichte -als Wissenschaft oder Kunst, als Forschung oder Dichtung ernsthaft -betrieben ward, entsprang sie nach vorwärts gerichtet zwar dem starken -Wunsche nach Unsterblichkeit des Sterblichen, nach rückwärts gerichtet -jedoch dem nur wenig schwächeren Wunsch, sich um die volle Zahl -womöglich aller dagewesenen Werk- und Werteschöpfer menschheitlich zu -vermehren; -- hundertseelig, tausendseelig, hunderttausendseelig möchte -der geschichtlich fühlende Mensch werden, ganz wie der Buddho sagt und -tut, ganz wie der Buddho sagt und tut. Ist doch zuletzt in Wahrheit -alles, was irgend da war, wir selbst, wenn wir es recht verstehen -wollen, und wo Völker und Helden untergingen, machten sie sich nur von -der dummen Einmaligkeit der Zeitlichkeit frei, um für immer in das -Wissen der Erinnerung einzugehen... - -Das erste Wissen, vom Vollzug der vier _jhânâni_ erwirkt, heißt -also Erinnerung und bemächtigt sich der früheren Daseinsformen und -Lebensstufen. Das zweite Wissen aber -- „drei Wissen weiß der Asket -Gotamo!“ -- folgt unmittelbar aus dem ersten, ja fällt nach der -Denkweise des Buddho sogar geradezu mit dem ersten mehr oder weniger -restlos zusammen. Wo der Erinnernde nämlich die Selbstverkörperungen -ins Bewußtsein hebt und die Folge seiner eigenen Geburten aufsteigen -und verschwinden sieht, da sieht er sie aufsteigen und verschwinden -nach dem Gesetz vom Karman. Der Wiederkünfte sich entsinnen und sich -des Gesetzes der Wiederkünfte entsinnen, ist von Gotamos Einstellung -aus ein und derselbe Vorgang, und wenn überhaupt einmal die sachliche -Richtigkeit auch nur einer einzigen dieser vom Buddho entwickelten -Verkettungen und Aneinanderreihungen über jedem Zweifel befunden -wird, so ist das sicherlich hier der Fall. Dasselbe Wissen, welches -Erinnerung heißt und um alle früheren Geburten weiß, es weiß auch -um das Gesetz, nach welchem die Geburten immer von neuem wieder -stattfinden. Derselbe Asket, der inne wird: dieses war ich, jenen -Namen trug ich, so und so erschien ich, -- derselbe Asket wird auch -der gesetzmäßigen Verknüpfung inne, welche Wiederkehr an Wiederkehr -flicht. Dem Erinnernden gibt sich die Aufeinanderfolge seiner -Selbstverkörperungen als Auseinanderfolge sehr bald zu erkennen, -und die Erinnerung selbst formt aus der Folge der Geburten in der -Zeit eine Folge der Geburten nach Ursach’ und Wirkung. Das ist der -allgemeine Gang des Wissens, wie er hier mit einem erratenden Spür- -und Merksinn ohnegleichen ausgemittelt wird: der Gang des Wissens und -der Wissenschaft von der reinen Zeitenfolge der Erscheinungen fort -bis zur Erkenntnis ihrer ursächlichen Schürzung hin. Das ist der Gang -des Wissens und der Wissenschaft, wie er in Indien offenbar nicht -anders sich ereignet hat als in unserem Europa. Mit welcher Feinheit -und Zuverlässigkeit übrigens diese mythisch-mystische Enthüllung dem -wissenschaftgeschichtlichen Tatbestand gerade des Westens entspricht, -das kann freilich nur der Kenner abendländischer Philosophie von Platon -bis auf Kant völlig ermessen, dem seinerseit die Beziehungen der -platonischen Lehre von der Anamnesis zu der Abkunft und Anwendung der -Knüpfung Ursache-Wirkung als einer kantischen ‚Bedingung a priori der -Möglichkeit jeder Erfahrung‘ durchsichtig geworden sind. - -Dies indes hier beiseite, so läßt sich nichts Wundersameres denken als -diese intuitiv erfühlte Richtigkeit der gotamidischen Darstellung des -Wissens, wie sie ein Mensch gibt, der jedes wissenschaftliche Interesse -als solches kurzerhand verwirft und außerdem einem Weltalter und einer -Rasse angehört, die beide mit der europäischen Entwicklung nicht im -mindesten zusammenhängen... - -Im Besitz der Erinnerung an frühere Geburten und Verkörperungen weiß -sich also der Erinnernde, ich sage es noch einmal, bald auch in den -Besitz der Erkenntnis des Gesetzes zu setzen, nach welchem die Geburten -und Verkörperungen stattfinden und stattfinden müssen. Der Asket kann -„mit dem himmlischen Auge, dem geläuterten, über menschliche Grenzen -hinausreichenden, die Wesen dahinschwinden und wiedererscheinen sehen, -gemeine und edle, schöne und unschöne, glückliche und unglückliche, -er kann erkennen, wie die Wesen je nach den Taten wiederkehren.“ -Solchermaßen hat der Asket das zweite Wissen dann erworben. Die -Summe seiner früheren Geburten als Zeitreihe in der Erinnerung sich -vergegenwärtigend, erfährt und erfaßt er noch einmal mit geschärftem -Sinn das ewige Gesetz dieser Geburten als Ursache-Wirkungreihe, -- -jenes Gesetz, das ihm vormals schon die Welt erschloß, das Leben -erschloß, das Leiden erschloß. Durchschauend und immer klarsichtiger -durchschauend, wie alles gekommen ist und wie alles kommen mußte, fällt -ihm auf dieser gehobenen Stufe noch einmal mit dem Gesetz der Welt ihr -ganzes Weh und Ach auf die wissend gewordene Seele: noch einmal blickt -er auf das Leid zurück, wie man etwa auf eine Landschaft zurückblickt, -in der man vieles erlebte und die man sich jetzt zu verlassen -anschickt. Und mit dem Leid und Weh und Ach der Welt wird ihm das -dritte Wissen, -- „drei Wissen weiß der Asket Gotamo!“ -- das da alles -vorige Wissen endgültig krönen wird. Jetzt ist die Bahn durchmessen, -jetzt schlingt sich das Ende um den Anfang wieder, jetzt ist der Kreis -geründet und der Ring geschlossen. Aus vierfacher Selbstvertiefung ward -Erinnerung geboren, aus der Erinnerung ward das Gesetz geboren, aus dem -Gesetz aber wird die Freiheit geboren. Also hat nunmehr der Asket drei -Wissen nach Vollzug der vier _jhânâni_ gleichsam vollbracht, also hat -er drei Wissen gleichsam verwirklicht. „‚Das ist das Leiden‘ erkennt -er der Wahrheit gemäß. ‚Das ist die Leidensentwicklung‘ erkennt er der -Wahrheit gemäß. ‚Das ist die Leidensauflösung‘ erkennt er der Wahrheit -gemäß. ‚Das ist der zur Leidensauflösung führende Pfad‘ erkennt er -der Wahrheit gemäß. ‚Das ist der Wahn‘ erkennt er der Wahrheit gemäß. -‚Das ist die Wahnentwicklung‘ erkennt er der Wahrheit gemäß. ‚Das -ist die Wahnauflösung‘ erkennt er der Wahrheit gemäß. ‚Das ist der -zur Wahnauflösung führende Pfad‘ erkennt er der Wahrheit gemäß. Also -erkennend, also sehend wird da sein Gemüt erlöst vom Wunscheswahn, -erlöst vom Daseinswahn, erlöst vom Nichtwissenswahn. ‚Im Erlösten ist -die Erlösung‘, diese Erkenntnis geht auf. ‚Versiegt ist die Geburt, -vollendet das Asketentum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt‘ -versteht er da“... - -Drei Wissen weiß der Asket Gotamo. Drei Wissen vollbringt der Asket -Gotamo. Drei Wissen verwirklicht der Asket Gotamo. - - -Wofern es, ihr Christen, Wahrzeichen und Merkmal des Wissens ist, -‚daß den Kummer überwindet, wer den Âtman kennt‘, dann weist kein -anderes Wissen so deutlich dies Wahrzeichen und Merkmal auf wie das -Wissen des Buddho, -- obschon es schlechterdings kein Âtman- und kein -Brahmanwissen ist. Über die vier _jhânâni_ hinweg eigentlich mehr -einwärts als aufwärts dringend, erbohrt der gotamidisch Wissende die -Schächte des Unbewußtseins; erbohrt er die Erinnerung an die früheren -Geburten; erbohrt er die Erkenntnis der Wiederkünfte und ihres ewigen -Gesetzes; erbohrt er die heilige Wahrheit selbviert des Leidens, der -Leidensentstehung, der Leidensverwindung und des zur Leidensverwindung -führenden Weges. Dies Wissen ist ein unteilbares σύστημα, ein -unteilbarer Zusammenhang, vollkommen in sich geschlossen, rund und -fertig. Mit ihm ist der Wissende instand gesetzt, das heilige Ziel -alles Wissens zu erreichen und unbekümmert, kummerlos zu wandeln. Mit -ihm hat sich der Wissende alles angeeignet, was nach buddhistischer, -aber auch nach brahmanischer Auffassung allein zu wissen not tut und -was der verpflichtenden Bezeichnung ‚Wissen‘ alleinig wert erscheint. -Keine Zweifel, daß auch dieses indisch-buddhistische Wissen hin und -wieder enger sich berührt mit der Errungenschaft, die wir Abendländer -unsererseit mit diesem Ausdruck zu benennen pflegen, und namentlich -trifft diese engere Berührung zu bei der Erinnerung, die uns in vielem -an die bis heut noch nicht außer Kraft gesetzte Wissenschaftlehre -Platons wie an das liebe Gesicht eines alten Bekannten mahnt. Aber -im ganzen und großen bleibt dieses Büßer- und Erlöserwissen doch so -fern von unserem Forscher- und Gelehrtenwissen, daß wir hier auf -hohe Schwierigkeiten stießen, uns von diesem gotamidischen Wissen an -manchen Stellen ein zulängliches Verständnis zu verschaffen, -- gesetzt -den sehr günstigen Fall, es gäbe von solch fremden Dingen überhaupt -ein zulängliches Verständnis oder könne wenigstens grundsätzlich ein -solches geben. Denn was hat es doch, besinnen wir uns gefälligst, mit -unserem eigenen Wissen und mit unserer eigenen Wissenschaft für eine -Bewandtnis? Und was ist nach unserer eigenen landläufigen Auffassung -Wissen und Wissenschaft? Doch offenbar in einem beides: erstens sowohl -nämlich eine nach Regeln verfahrende Tätigkeit des Verstandes, der -Vernunft, der Urteilskraft, die sogenannte Wahrheit zu vermitteln, --- zweitens aber auch das Ergebnis dieser Tätigkeit, der geordnete -Besitz oder ‚Schatz‘ aller dieser Wahrheiten. Was wir Europäer zu -wissen glauben, glauben wir als die Wahrheit zu wissen, wie schon -der heilige Thomas von Aquino uns bedeutet, wenn er gelegentlich -den Begriff des Wissens folgendermaßen umschreibt: „_Scire aliquid -est perfecte cognoscere ipsum; hoc autem est perfecte apprehendere -ejus veritatem_“... Wissen und die Wahrheit an und für sich wissen, -das deucht uns Europäern mithin ohne weiteres ein und dasselbe. Daß -es eine solche Wahrheit an und für sich irgendwie gäbe und geben -müsse als die maßgebliche Voraussetzung jeder Erkenntnisarbeit, die -nicht schimärisch ins Blaue hinein spinnen und schwindeln, faseln -und schwafeln will: dieser Satz steht seit dem weltgeschichtlichen -Kampf des Pythagoreers Platon gegen den antiken Relativismus nicht -nur unerschüttert fest, sondern er steht: steht als der _rocher -de bronce_ aller Wissenschaft- und Erkenntnislehren, auch wenn -die unsterbliche Sophistik unsterblicher Sophisten immer wieder -dagegen Sturm gelaufen ist und eben heuer wieder aufs heftigste -dagegen Sturm läuft. Es muß eine Wahrheit geben an und für sich -(oder wie der Pythagoreer Platon gesagt hat ‚αὐτὸ καθ’ἁυτό‘), es muß -einen überhimmlischen Ort, τόπος ὑπερουρανιός geben von gültigen -Sachverhalten an und für sich, wenn anders ein Wissen und eine -Wissenschaft im europäischen Wortsinn möglich sein sollen. Auch wer -da behauptete ‚Es gibt keine Wahrheit‘ beriefe sich bei dieser seiner -Behauptung auf die Wahrheit und beanspruchte für sie allgemeine -Geltung, überpersönliche Verbindlichkeit, notwendige Verpflichtung. -Im Zeichen dieser stehenden und standhaften Wahrheit an und für sich -ist die europäische Wissenschaft tatsächlich seit den Griechen von -Sieg zu Sieg geschritten, welterobernd und weltherrschend wie kaum je -eine zweite Macht der Menschheit; ein unermeßlicher Schatz gesicherter -und gesichteter Erkenntnis ward als ein hoffentlich nicht mehr zu -verlierender Besitz des _homo sapiens_ angehäuft und auch wiederum -verschwendet, gesammelt und auch wiederum verausgabt. Wer wollte -angesichts solch überwältigenden Erfolges so kleinlich sein und an die -Opfer denken, die er gekostet hat. Wie selten denken Menschen an ihre -Opfer, solange ihnen der Erfolg winkt, -- frühestens dann, wenn der -Erfolg zur Frage wird, fällt ihnen bei, einen Überschlag zu machen und -zu rechnen, und zu rechten... - -Unversehens also ist der abendländischen Menschheit das Wissen um -die Wahrheit an und für sich zum Ziel und Zweck des Wissens selbst -geworden. Durchaus in einer erkennenden Bewegung begriffen nach dem -An-und-für-sich-Sein der Wahrheit hin, gilt ihr deren Ergründung ohne -weiteres als Selbstzweck. Was dem Wissen um die Wahrheit an und für -sich dem menschlichen Leben und Dasein, dem Geist und der Seele etwa -bedeuten könnte, wird nicht gefragt, -- nicht wird gefragt, was die -Wahrheit als solche im Zusammenschluß menschheitlicher Wesensäußerungen -und für diesen Zusammenschluß zu leisten vermöchte. Das Ideal -dieser Wahrheit an und für sich, von allen asketischen Idealen der -europäischen Menschheit unzweifelhaft das asketischste, -- aber -freilich asketisch im Sinn Nietzsches und nicht im Sinn des Buddho! --- dieses Ideal heischt unbedingte Selbsthingabe, ja Selbstaufgabe -dessen, der ihm dient: und so war man über seinen Wert beruhigt, -weil Selbsthingabe, Selbstaufgabe unter allen Umständen für gut -befunden worden. Es mußte eine tiefe Genugtuung sein für jeden, der -am babylonischen Turm der Wahrheit bauen helfen durfte, daß er daran -bauen helfen durfte, und sei’s auch nur, daß er Ziegel strich oder -Mörtel mengte. Die Wahrheit aber wuchs und wuchs Sandkorn um Sandkorn -wie eine Düne, wie eine Wüste, nach allen Erstreckungen des Geistes -hin. Denn unendlich ist die Zahl dessen, was gewußt werden kann, was -gewußt werden soll; unendlich sind auch die Verfeinerungmöglichkeiten -des eingeschlagenen Verfahrens und Forschens, Wägens und Erwägens, -Messens und Untersuchens, Zählens und Errechnens. Wer auch nur eine -einzige Wahrheit, ein Wahrheitchen, zum erstenmal ausgesprochen, -eine einzige kleine Beobachtung zum erstenmal gemacht, eine einzige -kleine Regelmäßigkeit zum erstenmal entdeckt hat, der half das _summum -bonum_ der Wahrheit an und für sich mehren und das unendliche Ganze -der Wissenschaft fördern. „Wenn ein Mann durch Jahre hindurch die -Magnetnadel, deren eine Spitze immer nach Norden weist, tagtäglich -zu festgesetzten Stunden beobachtete und sich die Veränderungen, wie -die Nadel bald mehr bald weniger klar nach Norden zeigt, in einem -Buch aufschriebe, so würde gewiß ein Unkundiger dieses Beginnen für -ein kleines und für Spielerei ansehen: aber wie ehrfurchterregend -wird dieses Kleine, wenn wir nun erfahren, daß diese Beobachtungen -nun wirklich auf dem ganzen Erdboden angestellt werden und daß aus -den daraus zusammengestellten Tafeln ersichtlich wird, daß manche -kleine Veränderungen an der Magnetnadel oft auf allen Punkten der -Erde gleichzeitig und in gleichem Maße vor sich gehen, daß also ein -magnetisches Gewitter über die Erde geht, daß die ganze Erdoberfläche -gleichzeitig gleichsam ein magnetisches Schaudern empfindet“... -Uneigennütziger und entsagungbereiter Fleiß des europäischen Gelehrten -legt also hier wirklich Körnchen neben Körnchen, Stäubchen neben -Stäubchen, bis die Masse der Wißbarkeiten und Gewißheiten zum Berg, -ja zum Gebirg gestockt ward, dessen Gipfel zuletzt niemand mehr zu -ersteigen vermag. Und wie die europäische Wirtschaft, seit sie nach -dem Ausgang des Mittelalters ‚frei‘ betrieben ward, jeweils Ware -um Ware auf Vorrat anzufertigen pflegt, ohne sich um ein wirklich -bestehendes Bedürfnis nach Waren irgendwie zu kümmern, um dann fast -in regelmäßigen Zeitabschnitten empfindliche Stockungen im Absatz und -Umsatz zu erleiden, -- so erzeugt die europäische Wissenschaft auch -ihre Wißbarkeiten und Gewißheiten gleichsam auf Vorrat, ohne darauf -bedacht zu sein, ob die aufnehmenden und verarbeitenden Fähigkeiten -des Menschen mit den hervorbringenden noch Schritt gehalten haben -möchten. So hat sich die Wissenschaft bei uns daran gewöhnt, um der -Wissenschaft willen zu forschen, und dieses _l’art pour l’art_, -_science pour science_ ist eigentlich seit Platon und Aristoteles, -will sagen seit den Anfängen des Hellenismus, in Europa auf lange -Zeitstrecken hin immer wieder das große Verhängnis des Abendländers -geworden. Ebenso planlos, ebenso frei, ebenso unverantwortlich wie die -Wirtschaft in hochkapitalistischen Weltaltern hervorbringt, ebenso -bringt in den hochintellektualistischen Weltaltern die Wissenschaft -hervor, also daß beide von Krisis zu Krisis, von Katastrophe zu -Katastrophe taumeln. Wo die Wissenschaft ausschließlich um der -Wahrheit willen betrieben wird, da gibt es kein Ziel und kein Maß -ihres sogenannten Fortschritts: da wälzt sie ihren unwiderstehlichen -Schwall über alle Ufer und schwemmt alles An- und Eingewurzelte von -seinem festen Platz, wo es würdig stand und fußte. In dem toten -Meere der Wißbarkeiten und Gewißheiten muß der Einzelne rettunglos -ertrinken, noch eh’ er an den eintönig-einsilbigen Horizonten ein -Fahrzeug wahrnimmt, das ihn bergen könnte. Die unvermeidlichen Folgen -dieser wissenschaftlichen Übererzeugung heißen Wissensmüdigkeit, -Wissensmißachtung, Wissensüberdruß, genau wie die Folgen der -wirtschaftlichen Übererzeugung Absatzstockung, Arbeiterentlassung, -Zahlungeinstellung heißen. Und in vierfacher Beziehung erweist die -Tatsache der europäischen Wissenschaft eine Fragwürdigkeit, welche -geradezu ihre Daseinsberechtigung zweifelhaft erscheinen läßt: - -Als Stoff betrachtet wird das Wissen formlos, weil es Form offenbar nur -von der aufnehmenden Persönlichkeit her empfangen kann. - -Als Besitz betrachtet wird das Wissen herrenlos, weil es Eigentumswert -offenbar nur bei der aneignenden Persönlichkeit erwerben kann. - -Als Tätigkeit betrachtet wird das Wissen zwecklos, weil es -Zweckmäßigkeit offenbar nur durch die zwecksetzende Persönlichkeit -gewinnen kann. - -Als Leistung betrachtet wird das Wissen stellenlos, weil es Stellenwert -offenbar nur in der stellgewährenden Persönlichkeit erlangen kann... - -Die tödliche Gefahr dieses entfesselten Wissens, wie ein gefräßig -Element auf den unbeschützten Menschen losgelassen, hat indessen -gerade der ewige Platon als der geschichtliche Urheber des αὐτὸ -καθ’ἁυτό der Wahrheit (oder des ‚in Wahrheit Seienden, des ὄντως -ὄν‘) am dringendsten schon gespürt. Denn eben er, dem wir Europäer -die erste und wuchtigste Vision einer Wahrheit an und für sich zu -danken und -- wer weiß? -- vielleicht auch zu fluchen haben: eben er -ist gleichzeitig doch auch der Schöpfer gewesen der unvergänglichen -Gestalt seines Sokrates. Diesen platonischen Sokrates, der einzige, -der noch heute mitten unter uns lebt und mit welchem wir leben, ihn -hat sich augenscheinlich Platon selber als Gegengift verordnet gegen -das unmenschliche ὄντως ὄν, gegen das unmenschliche αὐτὸ καθ’ἁυτό und -beider lauernde Gefahren. Diesen Sokrates hat sich Platon in eigener -Person verordnet, will heißen er hat sich den klassischen ‚Weisen‘ des -Abendlandes verordnet, der das bloße Wissen in sich selbst in Weisheit -umzusetzen versteht. Der also das Wissen - - als Stoff betrachtet formt, - als Besitz betrachtet einer Herrschaft untertänigt, - als Tätigkeit betrachtet einem Zweck unterwirft, - als Leistung betrachtet einer Stelle verhaftet. - -Warum nämlich ist just Platon, der Erfinder der Wahrheit an und -für sich und des Wissens um der Wahrheit willen, zum Dichter des -platonischen Sokrates geworden? Weil er mit dieser noch immer -atemversetzend nahen Gestalt des klassischen Weisen sich selber am -erfolgreichsten zu begegnen vermochte: sich selber und dem schmerzlich -gefühlten Schicksal, das er mit seinem asketischen Ideal des ‚in -Wahrheit Seienden‘ über die abendländische Menschheit heraufbeschwor. -Denn dieser platonische Sokrates will ja zwar die Wahrheit, wie sie an -und für sich selbst ist, ohne Einschränkung und Abzug ‚wissen‘. Aber -er will sie nicht wissen dieses Wahrseins wegen. Sondern er will sie -wissen seiner selber wegen, seines Tuns und Handelns wegen, seiner -Selbstgestaltung wegen, seiner ‚Wohlbeschiedenheit‘ (εὐδαιμονία) -wegen... Das Wissen als solches gilt ihm für unerläßlich und -unentbehrlich, und insofern verdient er selbst durchaus ein Platoniker -genannt zu werden. Aber in keinem Augenblick seines Lebens ist ihm das -Wissen ein unbedingter Selbstzweck, was es dem strengen Platoniker -eigentlich sein müßte. Und in diesem Betracht ist er freilich durchaus -Sokrates, durchaus _sui generis_, durchaus Anti-Platoniker, durchaus -Gegenmine des Platonismus: wenn auch alles dies von Platons Gnaden. -Alles in allem mithin das Gegenstück des Gelehrten, das Gegenstück des -Wissenschafters. Der Weise soll wissen und muß wissen. Aber er soll und -muß nicht wissen, damit er eben wisse: vielmehr damit er wisse, was zu -tun und zu lassen, was zu wünschen und was zu verwerfen, was zu suchen -und was zu meiden sei. (Denn Weisheit, hat man in diesen Tagen gesagt, -ist Leben in der Form des Wissens, -- ist Wissen, wie ich noch lieber -sagen würde, in der Form des Lebens...) Sokrates also will wissen, um -Sokrates sein zu können, ein Mensch, der sein Leben zu seiner Zeit und -an seinem Ort recht zu führen versteht. Derart bringt der Weise eine -gewisse Versöhnung zustand zwischen den zwei einander gegenstrebenden -Urgewalten oder Grundtätigkeiten alles Lebens, welche die Pythagoreer -als Unbegrenztes und als Grenze zu bezeichnen wagten. Mitten im -Unbegrenzten aller Wißbarkeiten und Gewißheiten setzt der Weise dem -Unbegrenzten eine Grenze in ihm selber, indem er sein Menschenrecht auf -die ihm allein zuträgliche, ihm allein bekömmliche Wahrheit geltend -macht. Wohl zeltet der unendliche Himmel des ‚in Wahrheit Seienden‘ -in seiner Unwandelbarkeit auch über der Gestalt des Weisen, wie er ob -allen Wandelwesen zeltet. Aber gleichzeitig übt doch mit Nachdruck der -Weise das Grundrecht aller Wandelwesen aus, sich aus dem unendlichen -Himmel mit der ihm nützlichen Gewißheit zu versehen und sich unter -allen Wahrheiten an und für sich diejenige auszuwählen und anzueignen, -die ihm am passendsten für den Aufbau seiner Persönlichkeit zu sein -scheint. Denn das Gestirn des ‚in Wahrheit Seienden‘ funkelt nicht in -die Nacht der Welt, um rein ‚platonisch‘ angestaunt, verehrt, angebetet -zu werden, vielmehr um dem sokratisch Wandernden zu Wasser und zu Land -den dunkeln Weg zu hellen. Wegweisend ist die Wahrheit für den Weisen, -wegweisend erzeugt sie Weisheit im Weisen. Aber weise sein heißt -zuletzt nichts anderes, als daß womöglich jedermann Besitz ergreife -von seiner Wahrheit und mit unwiderruflicher Entschlossenheit Hand auf -seine Wahrheit lege, die keineswegs die Wahrheit jedermanns ist und -sein kann. In Übereinstimmung mit diesem Zielgedanken der Weisheit -nimmt der platonische Sokrates sich die Freiheit, eine Menge von -Wahrheiten nicht zu wissen, welche nicht zu wissen seine Vorgänger in -Milet, Elea, Ephesos, Klazomenai, Kolophon, Abdera für unverzeihlich, -wenn nicht für unanständig gehalten hätten, -- so zum Beispiel das -Wissen von der gesamten außermenschlichen, außersittlichen Natur mit -seinen Tatsachen und Gesetzen. Nirgends mehr ist die Weisheit des -Sokrates mit der längst üblich gewordenen Überschrift betitelt ‚Περὶ -Φύσεως‘, sondern mit der neuen, aber einseitigen und ausschließenden -‚Περὶ Ἀνθρώπου‘. Die Gültigkeit der Wahrheit überhaupt steht dem Weisen -außer allem Zweifel, weil sie die Voraussetzung darstellt für jede -erkenntnismäßige Betätigung als solche. Aber neben dieser Wahrheit -überhaupt und (was Wichtigkeit und Dringlichkeit anlangt) über ihr -steht meine Wahrheit, deine Wahrheit; steht die Weisheit, mit welcher -ich lebe, mit welcher du lebst: und damit bricht der platonische -Sokrates dem Platonismus die gefährlichste Spitze ab, mit welcher er -Fleisch und Geist der europäischen Menschheit hätte vergiften können, -wenn es keine Weisen und keine Weisheit gab, -- mit welcher er Fleisch -und Geist dieser Menschheit vergiftet hat, seit es weder Weise noch -Weisheit mehr gibt... Dem Weisen jedoch ist nicht allein die Tugend -ein Wissen, sondern umgekehrt das Wissen auch eine Tugend: will meinen -eine innerliche Richtungnahme des ganzen Menschen auf jene Sachverhalte -hin, die zwar ‚in Wahrheit sind‘, aber für ihn, den Einzelnen und -Besonderen, nur je nach ihrer Eignung zur Führung eines rechten -Wandels gelten. Und ist schon nicht der Mensch das Maß der Dinge, -- -er ist es aber, trotzdem just der platonische Sokrates ingrimmig und -verbissen den Urheber dieses Erkenntnis aushöhnt! -- so ist unmittelbar -doch der Weise das Maß alles Wissens: Maß, Form, Herr, Ziel, Ort und -Verlebendiger alles Wissens... - -Daß dieser Typus des Weisen trotz Kyniker und Kyrenaiker, trotz -Stoiker und Epikureer im Fortgang der Zeit immer sicherer vom Typus -des Gelehrten und Wissenschafters verdrängt ward, mußte freilich -die schleichende Krisis des platonischen Ideals das Wissen um der -Wahrheit willen wieder von neuem zum Ausbruch bringen. Oder sage ich -vorsichtiger und richtiger: dieser Umstand hätte die Krisis wieder -zum Ausbruch bringen müssen, wenn nicht alles bald durch den Sieg des -Christentums eine völlig neue und von niemandem zu erwartende Wendung -genommen hätte. Vorher bietet allerdings das alexandrinische Zeitalter -gewissermaßen das Schauspiel eines späten Wettkampfes zwischen dem -Typus des Weisen und des Wissenschafters. Und wenn auch jener erstere -herauf bis zu dem ehrwürdigen Demonax des Lukian nie völlig aus der -Öffentlichkeit des antiken Lebens verschwand, wo er Pflichten der -Seelsorge vielmals rühmlich bis zuletzt erfüllte, -- die entscheidenden -Bewegungantriebe gehen doch nicht von der Weisheit des Weisen, sondern -von der Forschung des Wissenschafters aus: denn dieser und nicht jener -bereicherte die Zeit um eine neue Geistesäußerung. Bis dann eben -in den ersten Jahrhunderten der werdenden Kirche sowohl der Weise -wie der Wissenschafter für die Dauer von rund tausend Jahren kalt -gestellt werden und damit die Krisis im Platonismus behoben ist. Der -geschichtliche Stifter des Christentums bekämpft den Weisen bekanntlich -mit der ihm eigenen heißblütigen Leidenschaftlichkeit, trotzdem er -selbst in starkem Maß vom Ideal der Stoa miterzogen und mitgebildet -erscheint. Genug! Die Weisheit vor den Menschen wird als Torheit vor -Gott verlästert, verlästert insonderheit darum, weil sie sich in -heidnischem Dünkel vermißt, aus eigener Menschenkraft zu bewirken, -was bestenfalls der Gnade Gottes vorbehalten wäre. In der Hauptsache -aus diesem, aber auch aus manch anderem Grunde sonst kann die neue -Religion den Weisen nicht mehr gebrauchen, und noch weniger freilich -dessen geschichtlichen Gegenspieler, den Wissenschafter und Gelehrten. -Die menschliche Weisheit war Torheit vor Gott, aber die menschliche -Wissenschaft war gegenstandslos schlechthin; -- einer sich selbst -rechtfertigenden Wissenschaft aber, welche platonisierend die Wahrheit -um der Wahrheit willen zu erforschen behauptete, ihr hätte man wohl mit -dürren Worten die abspeisende Antwort gegeben: die Wahrheit, o Mensch, -ist Gott und Gott ist die Wahrheit! Wer Gott hat, der hat die Wahrheit. -Wer aber Gott nicht hat, -- was soll ihm die Wissenschaft? Daß Gott -die Wahrheit sei und die Wahrheit Gott, dies war der grundsätzliche -Ertrag, den das junge Christentum von der gesamten Wissenschaft und -Wissenschaftlehre der Griechen übernahm. Dies war gewissermaßen der -Saldo, den es als zu überschreibenden Rechnungbetrag auf das neue Blatt -der Weltgeschichte eintrug... - -Ein höchst bedeutungreicher Saldo, ihr Christen, wenn es recht bedacht -wird! Denn jetzt löste die junge Kirche dieselbe Aufgabe theologisch -und ontologisch, welche der platonische Sokrates pragmatisch und -ethisch zu lösen versucht hatte. Die Wahrheit an und für sich, welche -seit Platons Auftritt sozusagen frei in der Luft geschwebt hatte, -um erst in der Person des Weisen nachträglich einen Haft und Halt -zu finden, sie fand hier Haft und Halt von vornherein in der Person -Gottes. Seit Platon und Aristoteles ein logischer Begriff, wurde die -Wahrheit seit Augustinus, ja seit Plotinos ein ontologischer Begriff: -die bloße Eigenschaft gewisser Denkverknüpfungen dort ward zum Sein -und Wesen hier. Überraschend buchstäblich nahm die neue Lehre das Wort -Platons von dem ‚in Wahrheit Seienden‘ und machte mit ihm Ernst in -alle erdenklichen Konsequenzen: Gott selbst ist fortab das in Wahrheit -Seiende, Gott selbst ist der in Wahrheit Seiende. Die Wahrheit wissen, -hieß darnach Gott wissen auf Grund der Gleichung Wahrheit = Gott, -Gott = Wahrheit, -- und damit war in Ansehung des Wissen und seiner -wesentlichen Leistung jeder Zweifel vollständig beseitigt. Von dieser -theologischen und ontologischen Umdeutung des Begriffes Wahrheit her -konnte dann allerdings auch vom Standpunkt des Christentums und seiner -Kirche aus Wissen und Wissenschaft um der Wahrheit an und für sich -willen zugelassen werden, -- hatten doch jetzt diese nach Heidentum -schmeckenden Namen einen vollkommen unheidnischen Sinn unterstellt -bekommen. In dieser Wissenschaft, deren einziger Gegenstand und Vorwurf -Gott heißt, kann sich der Mensch nicht wie in den Ideen Platons ziel- -und richtunglos verlieren, hier muß er sich im Gegenteil erst richtig -finden. Wer Gott auf wahrheitgemäße Weise weiß, der ißt gleichsam -von Gott, -- _qui mange du pape, en meurt; qui mange de Dieu, en -vit!_ -- und es ist fast doch mehr wie ein bloßes Gleichnis, wenn ich -zu behaupten wage, die Scholastik des Mittelalters habe wenigstens -ihre Haupt- und Grundwissenschaft Theologie in nächste Nachbarschaft -der Sakramente gebracht, was Leistung, Erfolg, Bedeutung dieser -Wissenschaft für den Ausübenden anbetrifft. Das scholastische Wissen -von Gott ist in der Tat etwas wie ein Sakrament, wobei Gott durch -die Erkenntniskraft des Menschen geradezu eingenommen, einverleibt, -einvergeistet erscheint: _sacramentum_ im Sinn von ‚Heilsmittel‘, weil -dieses Wissen von Gott das Heil in Gott vermittelt; χάρισμα im Sinn -von ‚Gnadengabe‘, weil dieses Wissen von Gott ohne Beistand der Gnade -Gottes nicht zu erlangen ist; μυστήριον im Sinn von Einweihung, weil -dieses Wissen von Gott den Wissenden zu Gottes Sohn und Kind weiht. Im -Vorgang dieses Wissens geschieht es, daß Gott bei der Gestaltung seines -eigenen Gedankens im Geist des Wissenden aus allen seinen Kräften -selbsttätig in Mitwirkung, oder wie Luther wahrscheinlich gesagt -hätte, in ‚Konkomitanz‘ mit diesem Geiste tritt; im Vorgang dieses -Wissens geschieht es, daß der gewußte Gott die Vernunft des menschlich -Wissenden seiner eigenen Gottvernunft anähnlicht. Diese sakramentale -(und nicht mehr alleinig ‚mentale‘) Auffassung des Wissens wird dann -noch, das versteht sich für jeden ungefähren Kenner des Mittelalters -ganz von selbst, aufs nachdrücklichste verstärkt durch die realistische -Doktrin, wonach die erfaßten Denkinhalte, je allgemeiner sie nach -Inhalt und nach Umfang werden, einen umso höheren Grad von Wirklichkeit -gewinnen, bis in dem Denkinhalt von höchster Allgemeinheit zugleich der -höchste Grad von Wirklichkeit erreicht ist: und das ist wiederum Gott. -An den Graden begrifflicher Allgemeinheit steigt mithin der Wissende -von Wirklichkeit zu Wirklichkeit aufwärts bis zur allerallgemeinsten -und allerwirklichsten Wirklichkeit. Weit entfernt davon mit den -Begriffen zu spielen, wie man mit Gespinsten des Gehirns spielt, -bemächtigt man sich im Begriff der höchsten Wirklichkeit der Welt. Hier -stoßen hart im Raum sich die Gedanken, wenn leicht beieinander alle -Sachen wohnen. Begriffe sind Wirklichkeiten über die Gegebenheiten -der Sinneswahrnehmung hinaus und sogar noch die ‚falschen‘ Begriffe -sind unter Umständen Wirklichkeit, nur mit dem höllischen Vorzeichen -der Widersacherschaft gebrandmarkt. Daher die furchtbare Gefahr -der falschen Meinung, irrigen Lehre, verkehrten Ansicht, die dem -mittelalterlichen Menschen so etwas ganz anderes bedeuten als dem -antiken oder gar modernen Wissenschafter dieser oder jener Denkfehler. -Denn wer da nicht das Wahre denkt, schließt sich der Widerwelt des -Wahren an und so dem Widersacher Gottes. Wissen, das heißt hier fast -die Entscheidung treffen, ob einer gewillt sei, des Lebens Kampf auf -seiten der himmlischen Heerscharen oder der höllischen Mächte zu -kämpfen, und dieserhalb war es von der scholastischen Auffassung aus -nur folgetreu gedacht, dem Irrenden nicht mit dem Holzschlegel zwar, -aber mit dem prasselnden Scheiterhaufen ‚seelsorgerisch‘ bedacht zu -winken... - -Die menschliche Leistung dieses Wissens kann, wie ich schon sagte, -nicht gut einem Zweifel unterliegen. Hier verschwimmt die Wahrheit -nicht in den rauchenden Horizonten zwischen Himmel und Erde in einer -überall gleich fernen Unendlichkeit von Sachverhalten an und für -sich, welche das Mißliche an sich haben, daß sie ausnahmlos denselben -Anspruch auf Anerkenntnis und Geltung erheben und erheben dürfen. -Solange die Wahrheit Gott ist und Gott die Wahrheit, findet sie in Gott -Haft und Halt, und mit der Wahrheit findet der Mensch in Gott Haft und -Halt, der sich ihre Ergründung angelegen sein läßt. Beklagenswert war -nur, daß diese Gleichsetzung von Gott und Wahrheit doch nicht dauernd -in Kraft bleiben konnte, sondern daß eben der ontologisch-theologische -Charakter des ‚in Wahrheit Seienden‘ bestritten ward. Die Formel -Wahrheit = Gott und Gott = Wahrheit hatte seit Augustinus, wir wissen -es, den unangetasteten Besitz der Patristik und Scholastik gebildet, -und vermutlich ist es ein starkes Gefühl der Unentbehrlichkeit dieser -Formel gewesen, welches die Kirche veranlaßt hat, die ersten und -ach! so tastend zaghaften Regungen des Nominalismus in der jungen -Wissenschaft des mittelalterlichen Abendlandes durch Machtspruch zu -unterdrücken und den vielleicht führenden Nominalisten Roscellinus -von Armorika auf dem Konzil zu Soissons zum Widerruf zu nötigen: -denn in der Tat ist es der aufkommende Nominalismus, der dann die -Voraussetzungen dieser Formel aufhebt. Wenn die Begriffe nicht mehr -wirklich sind, geschweige denn, daß ihre Wirklichkeit mit wachsender -Allgemeinheit selber wächst und vollkommener wird, dann büßt auch der -allgemeinste aller Gemeinbegriffe, nämlich das _universale_ ‚Gott‘, -seine Wirklichkeit ein und seine Wahrheit im Sinn der realistischen -Auffassung wird fragwürdig. Selbst nämlich wenn Gott auch dann noch -in Person in irgendeinem Wortverstand ‚wahr‘ bleiben sollte, bleibt -er’s doch länger nicht mehr im Wortverstand jenes _ens realissimum, -ens generalissimum_. Just die allgemeinsten Begriffe und Vorstellungen -verlieren ihre Wirklichkeit und damit auch ihre Bindung an den -vollkommenen Inbegriff aller Wirklichkeiten, an die Urwirklichkeit -schlechthin oder Gott. Jetzt lösen sich die Wahrheiten von der Einen -Wahrheit ab und diese bleibt gleichsam entblättert zurück wie der -Stumpf einer Palme, deren Schaft aus den leeren Scheiden längst -abgestoßener Blätter besteht... Gibt es aber ‚wahre‘ Begriffe, die -abgesondert vom Ursein der höchsten Wahrheit zu bestehen vermögen, ja -die sogar nur in dieser Abgesondertheit bestehen, dann gibt es auch -wieder (wie einst im Platonismus!) eine Wahrheit, die weder Gott selber -noch göttliche Dinge irgendwie betrifft. Dann gibt es auch wieder eine -Wissenschaft, die nicht um Gottes willen, sondern eben um der Wahrheit -an sich willen betrieben wird. Dann ist das Abendland zum zweitenmal -der beklemmenden Gefahr ausgesetzt, die alle Wissenschaft bloß des -Wissens wegen und alle Erkenntnis bloß der Wahrheit wegen je und je -verfolgt... - -Es ist somit die nominalistische Scholastik, welche den Begriff -Wahrheit wieder auf seine eigenen Beine zu stellen wagt, nachdem die -realistische Scholastik Wahrheit und Gott, nur gleichsam in der Mitte -zusammengewachsen, wie siamesische Zwillinge auf den europäischen -Jahrmärkten herumgezeigt hatte. Die Anstrengungen aber, wie sie in -den folgenden Jahrhunderten des siegreich vordringenden Nominalismus -gemacht werden zugunsten einer endgültigen Verselbständigung der -abendländischen Wissenschaft, sie werden vervielfältigt durch -die entsprechenden Anstrengungen der Reformatoren. Ein Mann wie -Luther lernt auf der Universität die Scholastik nur noch in der -nominalistischen Ausprägung kennen, und wenn er im Ungestüm der ersten -Kämpferjahre geradezu den Fortbestand europäischer Wissenschaftlichkeit -als solchen schwer gefährdet und vorübergehend eine massenhafte -Entvölkerung von Deutschlands hohen Schulen bewirkt, ist er bei der -Weiterführung seines Werkes doch zu sehr auf die Mitarbeit gelehrter -Humanisten angewiesen, um nicht zuletzt diesen neu erstandenen Typus -Wissenschaft und Wissenschafter seinerseit nach besten Kräften zu -fördern. Eine im Humanismus jener Tage schüchtern auflebende Freude -an der Gestalt des Weisen -- am anziehendsten vielleicht verkörpert -in dem gothaer Humanisten Konrad Mudt, der unter dem Namen Mutianus -Rufus einen schier sokratischen Einfluß auf die ihm ergebenen Jünglinge -ausübt, mit denen verbunden er innig „nach Gerechtigkeit, Mäßigkeit, -Geduld, Eintracht, Wahrheit und einmütiger Weisheit“ strebt! -- eine -solch schüchtern auflebende _rinascènza_ antiker Lebensführung und -Wissensbewältigung findet freilich nicht den Beifall des Bruders -Martinus und kann sie bei ihm nicht finden, dem der Weise seiner -ganzen Veranlagung nach noch mehr gegen den Strich gehen muß wie seinen -religiösen Vorkämpfern Paulus und Augustinus. Mit Weisheit war keine -Reformation gemacht und ein kochender Geyser ist kein Kristall, nicht -einmal ein flüssiger. Aber in der außerordentlichen Bewertung einer -kritisch zu betreibenden Wissenschaft fühlt sich auch Luther durchaus -mit dem Humanismus einig, -- war doch sein ganzer Evangelismus zutiefst -nur eine besonders fruchtbare Anwendung des humanistischen Grundsatzes -jener zeitgemäß verfahrenden Forschung: Zurück zu den Quellen! Zurück -zu den Ursprüngen! Zurück zu den Urkunden!... Diese humanistische -Wissenschaft, in ihrer Beschaffenheit ebensosehr nominalistisch und -kritisch wie die scholastische Wissenschaft realistisch und dogmatisch, -wird mithin seit der deutschen Reformation von dem mächtigen Atem des -Protestantismus gebläht und geschwellt. Kritik heißt die Springwurzel, -Kritik heißt die Sprengwurzel, welche die Schlösser soviel heimlicher -Schatzkammern des Wissens krachend aufsprengt; Kritik heißt die Kunst -der Vernunft, die Wahrheit an und für sich selbsttätig auszumitteln, -die vormals der Scholastiker gleichsam auf Gnadenwegen als den Geist -des Allerheiligsten in seinem Geist empfing. Jetzt besteht ein -angeborenes Menschenrecht für jeden, der des Wissens bedürftig ist, -die sich darbietenden Sachverhalte der Reihe nach zu prüfen auf ihre -Richtigkeit oder Irrigkeit hin, -- jetzt besteht sogar eine angeborene -Menschenpflicht, sich dieser selben Prüfung nicht in Feigheit oder -Trägheit zu entziehen, sondern sie vorzunehmen nach ‚bestem Wissen und -Gewissen‘. Der Kritiker, das ist der Richter über Wahr und Falsch: -der Richter, der da Wahr und Falsch erst zu suchen, erst zu finden -hat, ehe das Urteil ergehen kann, -- und just dieser Umstand ist von -großer Tragweite in der Folgezeit gewesen. Denn von da an heißt ja -Wissen nicht mehr einen von vornherein daseienden Besitz an ewigen -Wahrheiten, ewigen Denkinhalten, ewigen Gewißheiten einfach anzutreten, -wie beispielweis das Mittelalter die ewige Wahrheit ‚Gott‘ angetreten -hat. Fortab heißt Wissen in unablässiger Prüfung und Überprüfung die -Entscheidung über das, was gilt oder nicht gilt, durch eigenes Tun, -eigenes Können herbeiführen und furchtlos die Verantwortung für die -eigene Entscheidung auf sich nehmen. Ein gewaltiger Umschwung, der ein -paar Jahrhunderte später seinen denkwürdigen Ausdruck in der Lehre -Kants gefunden hat, wonach die Gegenstände des Wissens keineswegs -schon fertig zum Gebrauch vor dem zugreifenden Verstand des Wissenden -ausgebreitet liegen, wie bisher die übliche Meinung war, sondern -durch die geregelte Zusammenarbeit sämtlicher Erkenntniskräfte erst -erzeugt, hervorgebildet und erschaffen werden. Wenn der Platoniker nur -sein geistiges Auge aufzuheben brauchte zu der Feste der ‚in Wahrheit -seienden‘ Sinn-Bilder, nachdem er den Blick von dem Schein-Bild der -Werdewelt abgewendet hatte: und er alsdann das Wahre an und für sich -schaute; wenn der Peripatetiker nur in Übereinstimmung mit den -Vorschriften des Vernunftschlusses zu folgern brauchte, nachdem ihm -die ersten und grundlegenden Obersätze aller aufwärts und abwärts -leitenden Schlüsse durch unmittelbare Kenntnisnahme gegenwärtig -geworden waren: und er alsdann die Wahrheit an und für sich ergründete; -wenn der Scholastiker nur in Berührung zu gelangen brauchte mit der -Vollkommenheit des höchsten Wesens, nachdem er sich der begnadenden -Mitwirkung dieses Wesens bei diesem geistigen Mahl geistiger -Eucharistie versichert hatte: und er alsdann die Wahrheit als Gott und -Gott als die Wahrheit empfing, -- so liegt es jetzt dem Kritiker und -Kritizisten ob, sich ein für allemal die notwendige Klarheit darüber -zu verschaffen, daß es eine an und für sich seiende Wahrheit in der -bisher gültigen Auffassung eigentlich nicht gäbe, vielmehr durch die -Arbeit des Wissens und Erfahrens und Erkennens erst hervorgebracht -werden müsse. Mit dieser Einsicht erst, die der kantischen Kritik -verdankt wird, ist die allmähliche Umdeutung des Begriffes Wissen und -Wissenschaft zu Ende gebracht, welche im humanistischen Zeitalter mit -der Zersetzung des scholastischen und realistischen Dogmatismus beginnt -und dann vom Protestantismus so nachdrücklich gefördert wird. Und -wie etwa Benvenuto Cellini, der Erzgießer, gelegentlich alle Teller, -Schüsseln, Platten eines Geschirrs von Zinn, die er im Drang der -Not erraffen kann, einfach in den Sutt seiner eben werdenden Statue -hineinwirft, um sie darin für den Guß einzuschmelzen, -- so übergibt -Kant, der Kritizist, alle Gegebenheiten, Wahrheiten, Gewißheiten der -Erkenntnis, deren er überhaupt habhaft zu werden vermag, gleichsam dem -Sutt werdender Vernunfturteile, um derart die spröden Gebilde fertiger -Wissenschaft in die Tätigkeit der Wissenserzeugung einzuschmelzen. In -einem bis zu den obersten Voraussetzungen des Erkennens rücklaufenden -Verfahren hat mithin der Kritiker alles zu prüfen und immer wieder zu -prüfen, was mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit und Geltung vor ihn -tritt. Nichts in der Welt ist dazu berechtigt, sich unbeanstandet, -unbeargwöhnt Wahrheit oder Gewißheit gar anzumaßen. Wofern jede -Prüfung aber auf dem Besitz der Maßstäbe, jede Entscheidung auf -dem Recht der Zuständigkeit fußt, obliegt dem Kritiker eine -andauernde Selbstbesinnung auf diese seine Maßstäbe, eine andauernde -Rechtfertigung dieser seiner Zuständigkeit. Die ganze unendliche Welt -legt der kritisch Prüfende, kritisch Entscheidende auf die Wage: der -kritisch Prüfende und Entscheidende wird sich und der Welt selber -zur Wage, die nun niemals mehr zur Ruhe kommt, sondern beständig auf -und nieder schaukelt, auf und nieder gaukelt. Jeder Einfall, jede -Beobachtung, jede Entdeckung erzwingt eine Verschiebung der Gewichte -und infolgedessen zittert und bebt, wankt und schwebt, tanzt und -schwankt alles Gewußte und alles Wißbare ohne Aufhören. Nichts mehr in -Raum-Zeit und Zahl steht fest, nichts mehr steht: und am wenigsten die -Wahrheit. Wie vordem das Radjuwel das Kennzeichen gewesen ist für die -Lehre Gotamos oder der Fisch das Kennzeichen für die Zugehörigkeit -zum Christentum, so wird jetzt das Fragezeichen zum Kennzeichen des -kritischen Wissensbegriffes und des ihm zugehörigen Weltalters, --- das Fragezeichen das Kennzeichen und vielleicht eher noch das -Kainszeichen einer zu geistiger Fried- und Heimatlosigkeit verdammten -Menschheit. Unausgesprochen oder ausgesprochen, unausgeschrieben oder -ausgeschrieben erscheint das Zeichen der Frage hinter allen Urteilen -und Deutungen, Annahmen und Voraussetzungen der heutigen Wissenschaft -als die _reservatio mentalis_, die jedes erkenntnismäßige Ergebnis zu -einem nur einstweiligen, nur uneigentlichen, nur annäherungweisen, -nur widerruflichen unrühmlich herabsetzt. Es kann sich alles ungefähr -so verhalten, wie sich’s dem kritischen Bewußtsein zu dieser Stunde -zu verhalten scheint. Aber es kann sich auch alles völlig anders -verhalten, und der Möglichkeiten, wie sich’s verhalten könne, ist -nirgendwo kein Ende abzusehen... - -Aus dieser verzweifelten Lage versucht sich der europäische Genius -noch einmal zu retten, eh’ er sich stumpfsinnig und ergeben in -das augenscheinlich Unvermeidliche schickt. Der kritische, ja der -protestantische Begriff des Wissens ist es, der jedem Einzelnen -die eiserne Pflicht auferlegt, die Aussagen des Verstandes, die -Grundsätze der Vernunft, die Entscheidungen der Urteilskraft auf ihr -Wahr oder Falsch, Richtig oder Irrig hin zu sichten und sich die -Stellungnahme zu ihnen je nach dieser Sichtung vorzubehalten. Aber -selbst in diesem Zeitalter der Kritik und des Kritizismus ist dem -Abendländer das Bewußtsein noch nicht völlig verloren gegangen, daß -die wesentlich menschheitliche Leistung des Wissens unmöglich auf -die kritische Schlichtung der Erkenntnisse in gültige und ungültige -allein beschränkt sein könnte. Sogar jetzt bleibt eine Ahnung wach, daß -alles Wissen, wie es auch beschaffen sei, für den geistig-seelischen -Aufbau der Person und für deren Selbstverwirklichung fruchtbar zu -machen sei. Gleichzeitig mit der Hochtürmung des kritischen Gedankens -in der kantischen Philosophie setzt eine neue humanistische Bewegung -ein von ungleich stärkerer und umfänglicherer Artung als jene des -fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts: und vor allem ist es ihr -zu danken, wenn man sich wieder deutlicher besinnt auf das, was ich -eben die menschheitliche Leistung des Wissens nannte. Das Wissen -kann, nein das Wissen soll der Bildung dienen, die Bildung aber der -planmäßigen Selbststeigerung, Selbstbereicherung, Selbstveredelung -aller menschlichen Fähigkeiten. Wenn also in Wahrheit die kritische -Auffassung des Wissens auf humanistische Ansätze im Zeitalter des -Protestantismus zurückgeführt werden darf, dann schreitet sie ihrerseit -auch wieder instinktiv zum Humanismus fort. Nur daß jetzt, -- wir -sind im achtzehnten Jahrhundert, -- die immerhin schmächtigen und -leibarmen Gestalten erfurter oder gothaer _doctores_ zu jenen stattlich -ragenden Persönlichkeiten ausgewachsen sind, welche Deutschlands Parnaß -damals bevölkerten. Noch einmal geben sich auf deutscher Scholle der -sokratisch Weise und der humanistisch Gebildete ein Stelldichein; -noch einmal treffen sich beide wenigstens in dem einen Gedanken enge, -daß jede menschliche Person die Anwartschaft auf ihre eigene Wahrheit -habe, um mit ihr zu leben und zu sterben, -- ja nicht allein auf ihre -eigene Wahrheit, sondern etwa auch auf ihren eigenen Irrtum, wie -Lessing so herzhaft tapfer erkannt und Goethe so natürlich schön gelebt -hat. Dieser humanistische Begriff der Bildung anerkennt zwar also -jegliche Pflicht zur Prüfung und Entscheidung über das Wahr-Falsch des -Wissens durchaus, aber ordnet dieser grundsätzlich protestantischen -Verpflichtung doch sofort die zweite als die höhere über, sich aus -dieser schlechten Unendlichkeit von Wahrheiten diejenigen gleichsam -auszusuchen, welche geeignet erscheinen, die eigene Persönlichkeit -ihrer äußersten Steigerung zuzuführen: und gleichfalls aus der -Unendlichkeit aller Irrtümer sogar auch solche Irrtümer, die demselben -Zweck dienlich sein möchten. Dem Weisen von ehedem war noch genau das -zu wissen nötig, was er in seiner Eigenschaft als Mensch, Mitmensch, -Bürger zu tun oder zu lassen habe, um als ein ‚Wohlbeschiedener‘ zu -wandeln, -- darüber hinaus durfte getrost alles Wissen überhaupt auf -sich beruhen bleiben. Der Gebildete indes nimmt es als sein bestes -Vorrecht, alles, wie sich’s eben fügt und schickt und trifft, seinen -aneignenden und anpassenden Tätigkeiten zu unterwerfen, womit er -freilich den schmalen Rahmen zerbricht, in welchen der Weise sein -schlichteres Bildnis von sich selber einzufassen liebte... In dem Maß, -als mithin der Zielgedanke der Weisheit den Zielgedanken der Bildung an -innerer Standfestigkeit und Unerschütterlichkeit übertrifft, in dem Maß -übertrifft auch der Zielgedanke der Bildung den der Weisheit an innerer -Umfänglichkeit und Spannungkraft. Der Weise ist immer auch zugleich ein -Geiziger, aber der Gebildete verschwendet, und zwar am meisten sich -selbst. Baustoff zum Aufbau seiner selbst, seines Selbst deucht ihn -alles, was überhaupt noch in die Grenzen menschlichen Aufnahmevermögens -fällt, nicht allein das ihm eigentümliche Wahre, sondern auch das -ihm eigentümliche Irrige. Der Gebildete weiß, daß Wahrheit und Wahn -aller Völker, Helden und Zeiten bilden können und gebildet haben, und -je stärker sich der Gebildete von dieser unumstößlichen Gewißheit -durchdrungen fühlt, desto weiter spannen sich die Grenzen dessen, was -er zu seiner Selbstverwirklichung verwerten kann. Das Wissen des Weisen -trachtet darnach, ein Mindestmaß zu werden; das Wissen des Gebildeten -eifert nach dem Höchstmaß schlechterdings, und wenn einen, so lockt -ihn der goldene Überfluß der Welt. Was da das Aug’ erblickt, das Ohr -vernimmt, die Hand ertastet, der Sinn erdenkt, die Einbildungkraft -erträumt, die Sehnsucht erwünscht, der Geist erdichtet, das wird ihn -unter günstigen Bedingungen formen und gestalten. Denn Bildung ist -Selbstvervielfältigung um alle die Erfahrungstoffe und Erlebnisinhalte -der Welt, und in diesem Wortverstand deckt sie sich schon beinah’ mit -der Erinnerung, die vorhin gleichermaßen gekennzeichnet ward als -eine Art von Selbstvervielfältigung. So spinnt der neue Humanismus -seidene Fäden über alle Länder und Erdteile, über alle Zeiten und -Gesittungen, über alle Äußerungen und Hervorbringungen, über alle -Geschehnisse und Geschichten. Neben das Rom der älteren Humanisten -tritt überragend Griechenland, neben Griechenland der Balkan, -Judäa, Arabien, Kleinasien, der Jrân, Ägypten, Indien, China... -Eine Weltwanderschaft beginnt, eine zweite _conquista_, nur ohne -Grausamkeit und Teufelei, ohne Blutvergießen und Verrat, ohne -Leibesmord und Seelenvergiftung, vielmehr alleinig mit der göttlichen -Waffe des Geistes. Der materiellen Besitzergreifung dieser Erde -folgt die spirituelle, und sie tilgt die blutigen Spuren jener mit -der Barmherzigkeit eines Engels. Denn diese Bildung -- ich nutze die -Gelegenheit, es endlich einmal auszusprechen! -- diese Bildung zeigt -ihre ehrwürdigen Träger und Vertreter wundersam begütigt: begütigter -vielleicht als die Heiligen der bisher bekannten Religionen in Europa. -Fast sieht es aus, als sei der Mensch dieses bösen Kontinentes hier zum -erstenmal wirklich Mensch, hier zum erstenmal wirklich gut geworden, -jetzt, wo er sich zum erstenmal bildet. Nicht aus Zufall auch wird in -diesem Weltalter der Bildung gleichfalls zum erstenmal die Duldung -zum Ideal der Zeit erhoben, nachdem sämtliche frühere Zeiten von -einer Tugend solchen Namens nicht nur nichts wußten, sondern nichts -wissen wollten. Zu dieser Stunde aber konnte, ja mußte die Duldung -ernstlich geboten werden, -- obschon diese Duldung natürlich eine -vieldeutige Erscheinung von mancherlei verschiedenen Ursachen gewesen -ist, die keineswegs alle auf dem Gebiet des Geistes liegen. Die Duldung -konnte, ja mußte in dieser Stunde geboten werden, weil der Gebildete -endlich begreift, wie gleichmäßig fruchtbar jede Tatsache des Wissens, -jede Tatsache des Glaubens sogar vom Menschen gemacht werden kann, -unbeschadet seiner protestantisch-kritischen Pflicht zur Prüfung -über Wahr und Falsch. Weil aber und wofern es der Gebildete ist, -welcher dies begreift, vermag er den kritischen Begriff des Wissens -von innen her zu überwinden. Wahr ist zwar nur, was die Vernunft in -Übereinstimmung mit ihren eigenen Grundlagen und Voraussetzungen -findet: aber in einem freien Sinn ist außerdem alles wahr, was den -Menschen bändigt und erzieht, veredelt und aufklärt, läutert und -verschönert, barmherzig und liebreich macht wie beispielweis jede -der drei bekannten großen Religionen. Und weshalb nur jede der drei -großen? weshalb nur jede der sogenannten Religionen? weshalb nicht -alle in der Seele empfangenen und aus der Seele geborenen Religionen, -Bekenntnisse, Glaubensvorstellungen, Moralen, Weltbilder, Künste, -Heil- und Heiligtümer? So aufgefaßt aber machen die geflügelten Worte -des Juden Nathan zum Kalifen Salah-ed-Din einen bislang unbekannten -Zustand unseres Festlands kenntlich: einen bislang unbekannten Zustand -nicht nur unseres Europa, sondern gleichsam eines neuen und eben -erst erstehenden Kontinentes, der vielleicht nicht ganz unpassend -Europasien zu nennen wäre, wenn anders man mir dieses Wort verzeihen -will, welches eines Tages, wer weiß es, ein kaum mehr zu entbehrender -Begriff sein wird... Genau diese nathanische Toleranz aber ist es, -die jetzt dem europäischen Gebildeten den Zugang, den lang und -fest versperrten, zum mütterlichen Festland wiederum entriegelt. -Denn daß in diesem Augenblick einer der kritischsten, ja einer der -polemischsten Köpfe seines kritischen Jahrhunderts diese durchweg -männliche Duldsamkeit verkündigt, -- es gibt auch eine weibische -Duldsamkeit, von der hier nicht geredet werden soll! -- daß just der -Kritiker zur Toleranz sich bildet und in der Toleranz seine Kritik -überwindet: das ist schon ein Stück Asien mitten im Herzen Europas. -Das ist die erste Regung asiatischer, ja schon fast gotamidischer -Groß- und Langmut, die sich unerschüttert-unerschütterlich genug weiß, -alles unter dieser irdischen Sonne Auf- und Niedergehende in seiner -Art an seinem Platze gelten zu lassen. Hier spricht die Menschlichkeit -Asiens, wenn just der leidenschaftlichste Anti-Dogmatikus, der -hitzigste Anti-Theologus das uralte Gleichnis von den drei Ringen -wieder aufgreift und es der europäischen Welt, nein der Welt überhaupt -als das nie mehr preiszugebende _tertium testamentum_ hinterläßt. Der -glänzendste Vertreter mittelalterlicher Bildung, der Fürst, an welchem -das glorreiche Deutschland des Mittelalters zugrunde ging, konnte auf -die nämliche Frage noch, welche Saladin dem weisen Nathan stellt, die -Antwort von den drei Betrügern finden. Lessing jedoch fand darauf die -tiefere und schönere Antwort von den drei Wahrheiten: und so fand er -auf seine Weise eine Spur von jener Lehre, „deren Anfang begütigt, -deren Mitte begütigt, deren Ende begütigt“... - -Das Zwischenspiel der europäischen Bildung, die endlich wieder einmal -wußte, weshalb der Mensch wissen soll und wissen muß, war herrlich -aber kurz. Es versprach überschwänglich viel und vieles, und das -war mehr, als es halten konnte. Ein Jahrhundert, in wesentlichen -Stücken deutsch trotz aller staatlichen Unbedeutung Deutschlands, ein -Jahrhundert zwischen den Mannesjahren Herders, Wielands, Lessings -und dem Tod der beiden Humboldts, -- und vorbei! Dasselbe Volk aber, -welches den Begriff der Bildung in einem ruhmreichen Geschlecht von -Denkern, Künstlern, Dichtern und Gelehrten auf seinen europäischen -Gipfel getrieben hatte, schändet diese Bildung und schändet sich selber -mit einem niemals zu verzeihenden Zynismus. Was seit dem Sieg des -schlechteren Deutschland über das bessere in Deutschland selber und -folglich auch in Europa Bildung heißt, verhält sich zu der Bildung des -achtzehnten Jahrhunderts wie sich ein Mann etwa von der Würde Schillers -zu einem einjährig-freiwilligen Prüfling mit ‚erlangter Reife‘ verhält, -oder wie sich ein Kunstwerk von dem Wert des Palazzo Pitti zu einem -Schweinekoben verhält. Darüber ist längst jedes Wort zuviel; -- genug, -daß sich seit jenem schlimmsten Höllensturz, den vielleicht die -europäische Geschichte vor dem November 1918 zu verzeichnen hat, die -kritisch-protestantische Wissenschaftlichkeit des Abendlandes ohne -jede selbst auferlegte Hemmung gehen läßt und austobt wie ein Mönch, -der sein Gelübde brach. Jetzt hat ein jeglicher die Pflicht und auch -das Recht, nach Möglichkeit alles zu wissen, alles zu begutachten, -alles zu beurteilen, alles zu richten, alles zu entscheiden, alles -zu erlauben, alles zu verbieten. Wahrheiten, die nicht Wahrheiten -jedermanns sind und nicht ‚allgemein und notwendig‘ gelten oder nicht -gelten, gibt es von jetzt an nicht mehr. Wahrheiten, die vielleicht -nach dem strengen Wortgebrauch des Wissenschafters keine sind, vielmehr -eher Irrtümer, die aber trotzdem ‚wahr‘ in einem anderen Wortgebrauche -sind, weil sie Leben spenden und Entwicklungen fördern und Kräfte -entfesseln und Bewegungantriebe übermitteln und Spannungen bewirken -und Lösungen vorbereiten, -- sie gibt es von jetzt an nicht mehr. -Wahrheiten, die mit den einzelnen Lebensaltern wachsen und wieder mit -ihnen welken und darum stets wieder ihre Zeit haben wie die Gezeiten -des Himmels und der Erde, gibt es von jetzt an nicht mehr. Wahrheiten, -die furchtbar auszuhalten sind wie eine verlorene Schlacht und dennoch -eines Helden persönlichsten Sieg über die Welt und über sich selber -darstellen, gibt es von jetzt an nicht mehr. Wahrheiten, die zwar nicht -in Hörsälen nachgeschrieben, mit dem Steiß ersessen, mit dem Experiment -erhärtet werden, dafür aber etwa mit dem eigenen Leben beglichen und -mit dem eigenen Blut bezahlt sind, gibt es von jetzt an nicht mehr: -desgleichen nicht mehr Wahrheiten, die zwar nicht in staatlichen -Prüfungen öffentlich erprüft, dafür aber in vielerlei heimlichen -Proben erprobt sind, nämlich in der Feuerprobe, in der Wasserprobe, -in der Wollustprobe, in der Todesprobe, wie ein Adept altägyptischer -Mysterien... Fortab verhält sich eine Sache so oder anders, und sobald -dies ausgemacht ist, ist dieselbe Sache eigentlich im ersten wie im -zweiten Fall erledigt, -- denn ausgemachte Wahrheiten pflegen uns -gemeinhin ebenso wenig zu bekümmern wie ausgemachte Unwahrheiten. Die -Kriterien aber sind in jedermanns Besitz, wofern ja die Vernunft und -ihre Verfahrungweisen wenigstens grundsätzlich in jedermanns Besitz -sind. Kritik braucht daher nirgends haltzumachen, soll und darf -sogar nirgends haltmachen. Jeder stempelt alles ab, fertigt alles -ab, nimmt zu allem Stellung, wahrt zu allem Abstand, behält sich die -letzte Entscheidung gegenüber allem vor, unterwirft seinem Recht- und -Richterspruche alles. Denn Wissen, das heißt Gerichtstag halten, wie -einmal ein Dichter über das Dichten sagte; aber Gerichtstag halten -diesmal nicht über sich selber, wahrhaftig nicht! sondern über diese -ganze sicht- und unsichtbare Welt. Bis zuletzt keiner mehr woaus woein -weiß. Bis zuletzt keiner mehr eine Stätte weiß, wo er sein Haupt zur -Ruhe betten kann. Bis zuletzt keiner mehr Ursach’, Grund und Zweck -weiß, warum er weiß. Bis zuletzt keiner mehr in Wahrheit weiß, ob er -weiß oder ob er nicht weiß... - -Europa aber oder die Christenheit, ihr Christen es litt und leidet -unbeschreiblich unter dieser verhängnisvollsten Konsequenz des -europäischen Protestantismus, die da Kritik heißt: Kritik ohne -Einschränkung oder Zügelung, Kritik ohne Pause oder Ruhepunkt, Kritik -ohne Grenze oder Maß, Kritik ohne Anstand oder Zucht. Mit dieser -Kritik ist der Protestantismus des Westens außer Rand und Band -geraten, und außer Rand und Band geraten sind mit ihm die Protestanten -und Nichtprotestanten alle, die sich ihm freiwillig oder gezwungen -gefügt haben, weil sie nicht das Odium der Unwissenschaftlichkeit -auf sich nehmen wollten. Indes dieser Kritizismus am Leib und mehr -noch an der Seele und am Geist der westlichen Menschheit frißt -und wahrscheinlich alle drei noch einmal auffrißt, zeigt sich der -Protestantismus Indiens von dieser Krankheit schlechthin unergriffen. -In einer unverhältnismäßig entschiedeneren Art Protestant als -irgend wer unter den repräsentativen Protestanten des Abendlandes, --- den einzigen Nietzsche ehrenvoll ausgenommen! -- verbietet eben -dieser Protestant κατ’ ἐξοχήν Gotamo seinem Orden alles, was der -Westen als die weltgeschichtlich bedeutsamste Errungenschaft des -protestantischen Zeitalters immer noch mit vollen Backen auszuposaunen -liebt: das uneingeschränkte Recht der Persönlichkeit auf Kritik, -die uneingeschränkte Pflicht der Persönlichkeit zur Kritik, die -uneingeschränkte Freiheit der Persönlichkeit zur Kritik. Wir Europäer, -die wir seit Platons Tagen gelernt haben, das Wissen um der Wahrheit -willen zu betreiben und bestenfalls in den Hoch- und Glanzzeiten -unserer drei oder vier klassischen Kulturen den zersetzenden -Wirkungen des _l’art pour l’art_ ausgewichen sind, -- wir Europäer -wurden durch eben dieses _l’art pour l’art_ die frechen _libertins_ -des Wissens und der Wahrheit, mit nur geringer Hoffnung, uns diese -_libertinage_ noch einmal selber zu verbieten, selber zu verbitten: -ganz einfach aus der Erkenntnis ihrer Gefährlichkeit heraus. Der -indische Mensch hingegen, von allem Anfang an das Wissen als eine -Leistung von ganz anderem Sinn bewertend, bedient sich auch nirgends -der Kritik, um von ihr aus das Wissen zu rechtfertigen, zu erhärten, -zu bewähren. Vielmehr liegt es durchaus in der Machtvollkommenheit des -Wissenden, das Wissen über jede Möglichkeit der Anzweiflung hinaus zu -rechtfertigen, zu erhärten, zu bewähren. Dadurch nämlich, daß er mit -Hülfe des Wissens jenen menschlichen Zustand verwirklicht, welchen -das denkwürdige Gespräch der Chândogya-Upanischad zwischen Nârada -und Sanatkumâra als die Überwindung des Kummers bezeichnet: „Ich -aber, o Ehrwürdiger, bin bekümmert...“ -- „Ich aber, o Ehrwürdiger, -bin nicht mehr bekümmert!“... Wo der Wissende denen, die um ihm sind -oder die sich ihm nähern, zu erkennen gibt, daß er diesen Zustand -wirklich in sich verkörpert, da hat der Wissende nicht allein sich -selber, sondern außerdem auch sein Wissen über jeden Einwand gewiß -gemacht. An seinem persönlichen Zustand und Urstand liest man die -Stufe erlangter Wissenschaft unmittelbar ab, wie man an den Zahlen -eines Wärmemessers die Grade der Wärme oder Kälte unmittelbar abliest. -So wird die Fragestellung nach Wahr oder Falsch nicht geradezu -abgewiesen, denn dazu ist sie für die Lebensführung in jedem Sinn -viel zu unentbehrlich. Wären wir nämlich außer stand, Wahr und Falsch -zu unterscheiden, dann könnten wir wohl auch Wahrheit von Lüge nicht -unterscheiden, und dieser Mangel an notwendigstem Wissen würde -sofort in den Mangel an notwendigstem Gewissen umschlagen. Gehört -doch gerade nach der Lehre des Buddho die Lüge zu den fünf gröbsten -Hemmungen, die unbedingt beseitigt werden müssen, ehe die feinere -Arbeit der Selbstläuterung und Selbstheiligung von statten gehen kann. -Schon also um nicht lügen zu müssen, muß man Wahrheit von Wahn zu -unterscheiden vermögen, und in diesem Betracht läßt freilich auch die -buddhistische Heilslehre Kritik nicht nur zu, sondern fordert sie mit -aller Strenge. Auf der Erkenntnis der Wahrheit im Gegensatz zur Lüge -beruht auch hier jede höhere Menschlichkeit, und nur, was Wahrheit im -Gegensatz zu Irrtum, Irrtum im Gegensatz zu Wahrheit betrifft, trennt -sich die Auffassung Indiens, insonderheit die Auffassung Gotamos mit -Bestimmtheit von der unseren. Indes Wert oder Unwert des Wissens bei -uns ausschließlich davon abhängig gemacht wird, ob es Wahrheit, ob es -Irrtum mitteilt, entscheiden dort Wahrheit und Irrtum von sich aus -nicht über Wert oder Unwert des Wissens. Wesentlich für das Wissen -ist ausschließlich das eine, daß es den Wissenden emporstufe und -empormensche gemäß der Lehre, gemäß der Regel. Ein Wissen jedoch, -nur dazu erworben, um Wahres von Verkehrtem, Falschem, Irrigem zu -sondern, ist in den Augen Gotamos wofern nicht wertlos, so doch -vollkommen belanglos: Adiaphoron! In dem berühmten Gleichnis vom -vergifteten Pfeil in der Dreiundsechzigsten Rede aus der Mittleren -Sammlung Majjhimanikâyo fertigt der Buddho alle diesbezügliche -Neubegier mit einem unübertrefflich feinen und geistreichen Spott ab, -und wer hier zwischen den Zeilen und nicht allein auf ihnen zu lesen -verstünde, der würde vielleicht gewahr, daß für Gotamo unter den -Inbegriff ‚wissenschaftlicher‘ Neubegier so ziemlich alle die ‚ewigen‘ -Fragen unserer Europäerwelt mit ihren Disjunktionen, Alternativen, -Paralogismen, Subreptionen, Antinomien fallen, -- tausendunddrei und -ihr seid auch dabei!... - -Nur Eine Wissenschaft, nur Eine Wahrheit tat hier also wirklich not. -Sie aber, und dies ist die hohe Überraschung für den Protestanten des -Westens, ist keiner Kritik unterworfen. Das Wissen, ein Verfahren der -Verwirklichung und Vollendung des ‚heiligen Zieles‘, erträgt in dieser -Eigenschaft schlechterdings keinen Einspruch, keinen Abstrich, keine -Verbesserung, keine Erweiterung: weder im großen und ganzen noch im -einzelnen und kleinen. Hier steht jeder Buchstab’, jedes Wort und jeder -Satz, und weh’ dem eitlen Besserwisser, der sich nach Abendländersitte -hier gedreistet, kritische Glossen an den Rand zu schreiben. Der -Buddho, unstreitig die edelste Verkörperung menschlicher Duldsamkeit, -zeigt sich durchaus unduldsam in Ansehung der Lehre und versteht -bezüglich ihrer wahrlich keinen Spaß. Wir Europäer, unduldsam bis ins -Mark und aus Unduldsamkeit unsäglich böse, tückisch und rachsüchtig, -wir haben die ‚Freiheit der Kritik‘ erfunden, um uns vor uns selbst -zu schützen, -- und haben damit kraft ungeschriebenen Gesetzes auch -der dreckigsten Nase erlaubt, ja geradewegs geboten, die reinlichsten, -heiligsten, göttlichsten Dinge zu beschnüffeln. Aber Gotamo, dessen -Muttersprache nicht einmal ein Wort für Ketzerei enthält, geschweige -denn einen Begriff, -- wie fertigt er seine Mönche ab, wenn sie sich -herausnehmen wollen, eine eigene Meinung hinsichtlich der Lehre zu -haben! Mit welch ätzender Schärfe, mit welch schneidender Härte weist -er den leisesten Versuch zurück, an der Lehre zu kritteln und zu -deuteln: mit einer Härte und Schärfe, welche kein römischer Papst hat -jemals übertreffen können. Das Wort sie sollen lassen stahn, dieses -Prooimion überschreibt groß und wuchtig die Pforte, durch welche der -Mönch Einlaß findet in diesen heiligsten Orden der Welt. Undenkbar, -ganz unausdenkbar, daß jeder grünere oder reifere, jeder dümmere -oder klügere Mensch ein Recht dazu besäße, die Lehre zu erörtern -oder vollends über ihren Wert oder Unwert (der diesseit-jenseit von -Wahr und Falsch ist!) die Entscheidung zu treffen. Undenkbar, ganz -unausdenkbar, daß ein beliebiger Jemand den lebendig gewachsenen -Wunderbau dieser ‚Wissenschaft‘ etwa hätte auf einem neuen Grundriß -errichten, daß er hier eine Wand hätte einziehen, dort eine Mauer -hätte ausbrechen lassen dürfen. Wohl hat der Buddho nicht verhindern -können, daß nach seiner endgültigen Erlöschung manche ‚unechte‘ Rede -unter dem Stempel ‚Das hab ich gehört‘ in Umlauf kam, -- manche Rede, -die er nie gesprochen oder wenigstens nie in diesen Worten gesprochen -hatte. Wohl hat er ferner nicht verhindern können, daß sein Bild im -Gedächtnis der Nachlebenden solang aufgehöht und übermalt ward, bis -es zuletzt zu jener Völligkeit des erhabenen Reliefs gedieh, welche -unerläßlich zu sein scheint, damit unberatene Völker das geistige -Walten eines ‚Herrn‘ verspüren. Und am wenigsten hat er verhindern -können, daß die Legende, will heißen das zu ‚Sagende‘ und zu ‚Lesende‘, -ihn schließlich mit der Aureole von Majestät umspann, die stets das -Wahrzeichen einer vollzogenen Göttlichsprechung des Menschen durch die -Menschheit gewesen ist. Jedoch was in der Folgezeit auch geschehen -sein mochte, damit aus dem urwüchsigen Buddhismus des _Hînayânam_ -(das ist ‚Kleines Fahrzeug‘) der Buddhismus des _Mahâyânam_ (das ist -‚Großes Fahrzeug‘) werden konnte und mithin aus der Religion des -Buddho die eine Kirche oder die mehreren Kirchen der Âdhibuddhas, -Dhyânibuddhas, Dhyânibodhisattvas, -- in keinem Fall verliert sich der -Protestantismus Gotamos in den Kritizismus, wie das dem europäischen -Protestantismus zugestoßen ist. In keinem Fall beschwört folglich der -indische Protestantismus über seine Heimat die Krisis herauf eines -Wissens um der Wahrheit an und für sich selbst willen, wie das der -Kritizismus des Westens getan hat. Wieviel starke oder schwache Fäden -daher auch gezwirnt sein mögen, die zwischen indischem und europäischem -Protestantismus hin- und widerschießen, und wie vertraulich nah’ -der Buddho bald einem Eckhart, bald einem Kant, bald einem Nietzsche -rücke, -- was seine Lehre anlangt, gehört sie mit ihrem Anspruch auf -unbedingte Geltung eher den katholisch-dogmatischen Lebensordnungen -an als den protestantisch-kritischen. Oder sag’ ich vorsichtiger -und richtiger: sie würde eher jenen als diesen zugehörig sein, wenn -sie nicht zu guter Letzt weder mit dem Dogma noch mit der Kritik in -unserem europäischen Wortverstand im geringsten etwas zu schaffen -hätte. Denn faß’ ich jetzt einmal noch alles hier Gesagte zusammen -und frage einmal noch: was hat es für eine Bewandtnis mit dieser -Lehre, diesem Wissen _sui generis_ diesseit wie jenseit von Dogmatik -und Kritik? -- so ist nur eine Antwort darauf möglich: diese Lehre, -dieses Wissen ist kein Urteilen mehr und kein Schließen, kein Besondern -mehr und kein Verallgemeinern, kein Rechnen mehr und kein Zählen, -kein Verbinden mehr und kein Trennen, kein Ergründen mehr und kein -Erklären, kein Messen mehr und kein Wägen, kein Unterscheiden mehr und -kein Ineinandersichten, kein Voraussetzen mehr und kein Beweisen, kein -Zergliedern mehr und kein Verknüpfen, kein Begriffbilden mehr und kein -Sinndeuten. Sondern ist recht und schlecht ein Tun und Vollbringen, -durch welches der Mönch nach erworbener Meisterschaft sein Verhältnis -zur Welt und sein Verhalten zu ihr regelt. Verwinder des Nichtwissens, -Verwinder des Wähnens, Verwinder des Leidens, strahlt der Wissende -das Licht seines Wissens in alle Richtungen und Winkel des erfüllten -Raums. „Liebevollen Gemüts weilend strahlt er nach einer Richtung, -dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, dann nach der vierten, -ebenso nach oben und nach unten: überall in allem sich wiedererkennend -durchstrahlt er die ganze Welt mit liebevollem Gemüte, mit weitem, -tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärtem. Erbarmenden -Gemütes -- freudevollen Gemütes -- unbewegten Gemütes weilend strahlt -er nach einer Richtung, dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, -dann nach der vierten, ebenso nach oben und nach unten: überall -in allem sich wiedererkennend durchstrahlt er die ganze Welt mit -erbarmendem Gemüte, mit freudevollem Gemüte, mit unbewegtem Gemüte, mit -weitem, tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärtem“... - -Der Mönch der unbeschränkten Gemüterlösung, der Strahlende Mönch, -ihr Christen, das also ist der gotamidisch Wissende. Der Strahlende -Mönch, das ist der Wissende, der da sein Wissen, indem er’s übt und -vollbringt, wider jeden Einwand feit und sichert. Der Strahlende -Mönch, das ist der Wissende, der sein Wissen gültig in sich selber und -gültig durch sich selber rechtfertigt, erhärtet und bewährt. Europa -aber, ihr Christen, das berstende Haupt der Erde, -- es möchte sein, -ihr Christen, daß es in dunkelster Stunde seines Mönches harre, der -da wissend geworden in die Verfinsterung hinein sein Licht strahlt: -erbarmenden Gemütes, freudevollen Gemütes, unbewegten Gemütes... - - - - - DIE VIERTE UNTERWEISUNG: - BUDDHO DER ÖST-WESTLICHE - - -DAS HEILIGE JA LASST UNS BEKENNEN DAS HEILIGE JA ÜBER DIE AUF- UND -NIEDERGÄNGE -- DAS HEILIGE JA ÜBER GEBURT UND TOD, GESTIRN UND -SCHICKSAL -- DAS HEILIGE JA ERSCHAFFE DIESE WESEN UND ERHALTE SIE, -DAMIT SIE IN DER FÜLLE STEHN WIE EINE HUNDERTBLÄTTERROSE IN IHRES -MITTSOMMERS MITTAGGLÜCK -- DAS HEILIGE JA ZERSCHMELZE DIESE WESEN IN -SEINES EWIGEN FEUERS TIEGEL UND HÄRTE SIE DARIN, BIS SIE GEDIEHEN -SIND, BIS SIE GEDIEGEN SIND -- UND ALSO VERLÖSCHE DAS HEILIGE JA -DIESE WESEN IN SEINES EWIGEN WASSERS BORN UND BRING IN IHM DIE WESEN -WIEDER EWIGLICH -- WILLKOMMEN DEM JA-SELBST ALLE WESEN UND WILLKOMMEN -IHM GLEICHERMASSEN DIE GEGEN- UND WIDERWESEN ALLE -- DIES IST DAS -HEILIGE JAWORT UND FROHWORT UND DES FROHWORTES HEILIGE GRUSSSPENDE, -ANDACHTSPENDE, OPFERSPENDE -- DIES IST GELÄUTERTEN HERZENS ERSTGEBURT, -DARGEBRACHT IM FESTWEIHTEMPEL DER WELT -- WER DU AUCH BIST, O MENSCH, -IN VIERTEN VIERTELS EDLER MONDSCHWELLUNG DEINER MENSCHLICHKEIT ODER IN -IHRES DRITTEN, ZWEITEN, ERSTEN VIERTELS BEDAUERLICHER SCHWINDUNG: - - -- ICH WILL DIR WOHL -- - - DIES IST DIE LETZTE UNTERWEISUNG - - -Es ist uns etwas zugestoßen, ihr Christen, während dieser -Mitternachtstunde in der Völkergruft Europas. Es ist uns etwas -zugestoßen, wofür es noch keinen Namen gibt; es ist uns ein Zeichen -geworden, welches noch niemand deuten kann. Mit nichten aber ist es -dieser Krieg oder was ihm noch folgen wird auf seiner qualmenden Bahn. -Auch der drohende Niedergang ist es nicht einer dreitausendjährigen -Gesittung, die ihren Weg einst vom Südosten des Festlands aus -genommen hatte, dann den Westen und die Mitte wie mit artenreichem -Pflanzenwuchs verschwenderisch berankte, und jetzt im Nordosten des -Festlands jählings endigt. Gehört doch derlei jeweils zu dem Leben -der Geschichte: daß Siebenjährige, Dreißigjährige Kriege wüten, daß -volkreiche Staaten gegründet und zerstört werden, daß rühmliche -Gesittungen reifen und entarten. Sogar Umwälzungen von heftigster -Gewaltsamkeit, die wir, käme es nur auf uns an, höchstens als grausame -Ausnahmen gelten ließen, gehören offenbar zu den gebräuchlicheren -Mitteln der Geschichte. Wären wir zum Beispiel genauere Kenner unseres -Mittelalters, als wir in der Regel sind, dann wäre uns bewußt, daß -in unserer eigenen Vergangenheit ein gesellschaftlicher Umsturz nach -dem andern pausenlos eintrat wie das Feuern aus den Geschützen einer -Batterie. Erlauchte Rassen und Stämme, eben noch Träger weithin -wirkender geschichtlicher Bewegungen, sind schon einen Augenblick -später von den Wirbeln des Todes fast spurlos verschlungen. Und wo -die Rassen oder Stämme als solche dauern, da schichten sich ihre -Stände in desto stärkeren Erschütterungen um und um. Was das für ein -Trauerspiel gewesen sein mag, wenn etwa die freien Bauernschaften der -taciteischen Germanen unter den fränkischen, sächsischen, salischen -Königen unwiderstehlich zu Hintersassen, zu Hörigen erniedrigt wurden, -das ahnen wir vielleicht in diesen Tagen, wo ein blühender Mittelstand -einem ähnlichen Verhängnis verfallen zu sein scheint. Was damals den -freien Bauern der Dorf- und Markgenossenschaft geschah, ist später dem -Laienadel nicht erspart geblieben, der seinerseit vom Aufstieg der -Städte und von der Ausbreitung der Geldwirtschaft an in fortschreitende -Abhängigkeit vom bürgerlichen Geldgeber gerät. Bis dann im -Dreißigjährigen Krieg auch diesem Bürger wiederum die Stunde geschlagen -hatte und er zu seinem Teil dem _dominus terrae_ mehr oder minder -schimpflich untertänig ward... Umwälzungen dieser Art, wie bitter sie -von den Betroffenen empfunden werden und wie zahlloses Menschenglück -ihnen zum Opfer fällt, gehören also dennoch dem unbegreiflichen -Leben und Weben der Geschichte an. Wir Gegenwärtigen verwundern uns -mutmaßlich über sie nur darum so ungemein, weil wir in vierzig Jahren -gleißender Befriedung und Verbürgerung die schicksalhafte Härte und -Unabänderlichkeit geschichtlichen Geschehens höchstens noch in den -Annalen der Vergangenheit fanden. Welch ein unterschwürig bedrohtes, -stets der Bedrängnis seitens des Mächtigeren ausgesetztes Dasein der -geschichtliche Mensch bis dahin zu fristen verdammt war, hatten wir -gründlich vergessen, -- vielleicht mit alleiniger Ausnahme derer, -die sich mit Recht oder Unrecht die Enterbten zu nennen pflegten. -Erschüttert und aufgewühlt, ja in tiefster Seele recht eigentlich -außer uns gesetzt, erfühlen wir’s erst seit Neunzehnhundertundvierzehn -wieder, was es heißt, um Luft und Licht, Freiheit und Leben zu ringen -auf jenem fürchterlichen Kampfschauplatz, der Geschichte heißt... - -Trotzdem kann es nicht diese mit Blut und Tränen erkaufte Erkenntnis -sein, die uns aus jedem wohltätigen Gleichgewicht der Seele gebracht -hat. Da es der geschichtlichen Menschheit nur in wunderseltensten -Feierstunden besser erging als uns, meist jedoch wesentlich schlechter, -müßte sie folgerichtig auch ihrerseit die Merkmale, und zwar die -verstärkten Merkmale unserer dermaligen Gemütsverfassung aufweisen, --- weist sie aber dessen unerachtet nicht auf! Im Gegenteil. Je -unsicherer, gesetzloser, verbrecherischer die Zeiten waren, je heftiger -der Einzelne unter sittlicher und bürgerlicher Willkür zu leiden -hatte, je fragwürdiger sich sein ganzes gesellschaftliches Dasein -ausnimmt, desto hochwertiger bedünken uns oft die Leistungen unserer -geschichtlichen Vorfahren. In einer Chronik des dreizehnten oder -sechzehnten Jahrhunderts blätternd, verstehen wir’s schlechterdings -nicht, wie es die Menschen unter den geschilderten Verhältnissen -hatten überhaupt nur aushalten können. Uns aber dann von diesen -Chroniken her den Denkmalen jener Zeiten zuwendend, den Denkmalen in -Erz und Stein, in Holz und Glas, auf Leinwand und auf Pergament, -- -wie sind wir nicht erstaunt und ergriffen von der Weitatmigkeit des -Schwungs, der die Besten ihres Zeitalters zu solchen Werken, solchen -Taten hinriß! Und wie wir denn im Leben wohl hie und da einen Mann -kennenlernen, der von wilden Leidenschaften hin- und hergetrieben -wird und dennoch auf dem Grunde seines Wesens einen tiefen, schönen -Frieden göttlich spiegelt, so scheinen just die Zeitalter klassischer -Erfüllung nach außen hin zwar stürmischer als alle anderen bewegt, -jedoch nach innen in jenem Zustand seelischer Ausgeruhtheit durchaus -zu verharren, wie er nach traumlos erquickendem Schlaf das menschliche -Gehirn allein zu seinen schöpferischen Eingebungen stärkt und befähigt. -Diesen beneidenswerten Anblick indes bieten wir selbst heute in -keinerlei Betracht dar, wenigstens nicht für uns selbst als unsere -eigenen Beobachter und Beurteiler. Im Unterschied zu so begünstigten -Zeitaltern ist das unsrige vielleicht, nach außen gewendet, nicht -einmal stürmisch bewegt zu nennen, -- wie ungereimt dies auch -klingen mag! -- geschweige, daß es, nach innen gewendet, den Zustand -gestärkten Ausgeruhtseins, Ausgeruhthabens nach irgend einer Richtung -hin darbieten würde. Die entnervende Unruhe, die uns ergriff, ist -nicht die Unruhe des aufbrandenden Lebens, sondern des fiebernden -Blutes. Unserm Betätigungdrang fehlt bei aller Rastlosigkeit der weit -ausholende Pendelschlag organischer Rhythmik. Unserm Übereifer zu -Lebenserneuerungen um jeden Preis mangelt die sichere Einstellung in -die letzten Welt- und Lebensziele. Unserer Geschwätzigkeit über Gott -und Geist gebricht das unbeirrbare Zutrauen zu uns selbst und der von -uns gewählten Richtung. Darum überzeugt keiner den andern, traut keiner -dem andern, glaubt keiner dem andern. Ein unbestimmbares Etwas, eine -Tugend, eine Gnade ist uns offenbar abhanden gekommen, welche unsere -Vorfahren in den schlimmsten Zeiten der Vergangenheit nicht zu missen -hatten. Irgend ein Gut, dessen der geschichtliche Mensch unerläßlich -zum Leben bedarf, wurde uns entwendet; irgend welche Gewichte, die den -Uhrgang unserer Zeitlichkeit zu regeln haben, sind ausgehängt worden. -Aber es ist wahrhaftig schwer, ein Ding zu suchen und wieder zu finden, -von welchem man nicht einmal eine deutliche Vorstellung hat und das man -trotzdem verlor... - -Vor einem halben Jahrhundert, etwas früher oder etwas später, mag es -sich zugetragen haben, daß unsere europäische Gesellschaft allmählich -in diese seltsame Schwankunglage hineinglitt, von der hier die Rede -ist. Mit einigen ganz unverkennbaren Anzeichen von beängstigender -Übereinstimmung setzt ein Zeitalter ein, das mit einigem Fug das -Zeitalter der Entblößungen genannt werden dürfte: denn eine Entblößung -der Gattung Mensch vor sich selbst beginnt, wie sie mit ähnlicher -Unerbittlichkeit, mit ähnlicher Schamlosigkeit von keinem der -geschichtlich bekannten Zeitalter geübt worden ist. Das war wie wenn -ein vornehm und kostbar gekleidetes Weib sich eines Abends vor dem -Stehspiegel auszöge und nun, da sie ein Kleidungstück nach dem andern -ablegt, erst mit Befremden, dann mit Mißbehagen, dann mit Kummer, dann -mit Abscheu, dann mit Haß auf sich selber die vormals nie beachteten -Mängel ihres unvollkommenen Leibes wahrnähme: dies also bin ich, dies -ist mein dünnes, ausgekämmtes Haar, dies mein verbrannter Hals und -Nacken, dies meine abgeblühte Büste, dies meine wulstig gepolsterten -Hüften, dies meine kurzen und gekrümmten Beine, dies mein flach und -platt geformter Fuß... Ähnlich einem solchen Weibe, das sich vor ihrem -Spiegel peinlich entkleidet und ihre arme Nacktheit nach all ihren -Häßlichkeiten streng durchmustert, zornig und traurig zumal, daß -sie nur ist wie sie ist, und dennoch außerstand, auf ihre grausame -Selbstprüfung zu verzichten, -- ähnlich beginnt der europäische Mensch -zu einer ganz bestimmten Zeit im abgelaufenen Jahrhundert sich vor -sich selber ohne Schonung zu entblößen und alles, was er bisher tat -und schuf, auf seinen Unwert hin zu erforschen. Da ist vor allem sein -höchster Stolz und Abgott, der sogenannte Staat: bei Licht besehen nur -die Anstalt einer kleinen Anzahl Mächtiger zur dauernden Knechtung -und Entrechtung machtloser Massen. Da ist des ferneren die sogenannte -Gesellschaft: bei Licht besehen nur die angemaßte Herrschaft einer -Kaste, einer Klasse über andere Kasten und Klassen, die herkömmlich -als nicht geeignet für die Ausübung der Herrschaft gelten. Da ist -die sogenannte Wirtschaft: bei Licht besehen nur die regelrecht -betriebene Ausbeutung menschlicher Arbeitkräfte als einer käuflichen -Ware durch den einzelnen oder vergenossenschafteten Unternehmer. Da -ist die sogenannte bürgerliche Lebensordnung: bei Licht besehen nur -die als Ehrbarkeit vermummte Heuchelei und die als Sittenstrenge -sich aufspielende Zuchtlosigkeit. Da ist die sogenannte Ehe: bei -Licht besehen nur der Lebens- und Todeskampf der ewig feindlichen -Geschlechter. Da ist die sogenannte Liebe: bei Licht besehen nur die -wilde Gier der gegenseitigen Besitzergreifung. Da ist die sogenannte -Sittlichkeit: bei Licht besehen nur die Bemäntelung selbstsüchtiger -Leidenschaften durch angeblich selbstlose Beweggründe und Triebfedern. -Da ist die sogenannte Religion: bei Licht besehen nur die Übertragung -niemals erfüllter und unerfüllbarer Menschenwünsche auf die Gestalten -erdichteter Götter. Da sind die sogenannten Ideale: bei Licht besehen -nur die bewußten Widerspiegelungen jeweils wirtschaftlicher Vorgänge -und Verhältnisse, wenn nicht am Ende gar die aus Angst vor der -Wirklichkeit erzeugten Welt- und Selbstbeschönigungen. Da ist die -sogenannte Seele: bei Licht besehen nur ein Bündel von unersättlichen -Trieben und Begehrungen, von denen niemand wissen kann, welche in der -nächsten Sekunde die Oberhand gewinnen werden. Da ist der sogenannte -menschliche Verstand, die menschliche Vernunft sogar: bei Licht -besehen nur eine Waffe mehr im Kampf ums Dasein, um den Nächsten zu -überlisten und womöglich über seine Leiche eine Stufe höher zu turnen -hinauf zum Besitz, zur Macht und zum Erfolg. Da ist das sogenannte -Recht: bei Licht besehen nur die Verewigung menschlicher Rachsucht -und Vergeltungwut, die das Verbrechen ahndet, indem sie’s wiederholt, -und den Verbrecher straft, indem sie ihn foltert oder tötet... Dieser -Art fühlte sich der _homo europaeus_ jener Jahrzehnte gedrungen, die -Summe seiner bisherigen Anstrengungen mit einer gewissen Lust an -Selbstzerstörung dämonisch zwangsläufig zu ziehen; -- solchermaßen fand -er alles Geleistete verdammungwürdig, verächtlich, schlecht. Nicht -wollte und konnte er eher ruhen, bis er sich die letzten Fetzen jener -prachtvollen, aber lügenhaften Verhüllungen von seinem Leib gerissen -hatte, -- Verhüllungen, die ihm bisher prahlerisch verheimlicht hatten, -daß er das böse Tier der Eis- und Steinzeit je und je geblieben war: -„säuischer als Schweine, grimmiger als Löwen, geiler als Böcke, -neidiger als Hunde, unbändiger als Pferde, gröber als Esel, versoffener -als Rinder, listiger als Füchse, gefräßiger als Wölfe, närrischer als -Affen und giftiger als Schlangen und Krotten,“ wie unser herzhafter -Simplizissimus derb und heftig herausgesagt hat... Der Mensch, das -Tier der Urzeit: so zweigte ihn ja jetzt die Wissenschaft selber -zoologisch, morphologisch ein in den Stammbaum der lebendigen Wesen, -die das Tierreich bilden. Aber der Mensch ist nicht nur das Tier der -Urzeit, sondern das böse Tier der Jetztzeit, weil er sich trotz seiner -Abkunft aus dem Tierreich ein menschliches Wissen um Böse und um -Gut erworben hatte. In dieser Jetztzeit ist der Augenblick für ihn -gekommen, in dieser Jetztzeit, und keineswegs schon am Anfang, wie es -das Alte Testament will, wenn es vom ersten Menschenpaar berichtet: -„da wurden ihrer beiden Augen aufgetan, und wurden gewahr, daß sie -nacket waren“... In dieser Stunde der gnadenlosen Selbstentblößung und -Selbstbeschämung sieht sich der europäische Mensch nacket, -- hier -übermannt ihn die Erkenntnis, daß alles, was er aufgewendet hatte in -den Jahrtausenden, die seine Erinnerung umspannt und mehr noch in -den anderen, die seine Erinnerung nicht umspannt, dem eigenen Urteil -nirgends standhalten konnte. Nun er mit unsäglichem Aufgebot dies wilde -böse Tier in sich gebändigt hatte, mußt’ er sich überzeugen, daß er von -seiner Wildheit zwar manches abgegeben, die Bosheit jedoch bewahrt und -gemehrt hatte, und daß verrucht war, was ihm von Herz und Händen ging... - -Jahraus jahrein hatte so der europäische Mensch durch die Zunge solch -unentwegter Selbstankläger zu sich selbst gesprochen. Jahraus jahrein -hatte er sich mit eigener Zunge selbst gestochen und zerstochen, bis -er zuletzt noch einmal durch die Stimme dreier Propheten sprach, -die am Werk der Selbstentblößung ihrerseit am eifrigsten beteiligt -waren. Und was sie lautbar machten, hörte sich freilich schon wie der -zerberstende Hornstoß Heimdalls, des Zeichengebers an, als er von der -Zinne Walhalls Schiff Naglfar draußen am Rand des brüllenden Nordmeers -kreuzen sah... Von diesen denkwürdigen Dreien durchlitt der Erste zum -voraus in eigener Person alles Leid, welches in Bälde eine Menschheit -würde überkommen müssen, wenn sie wirklich die letzte Scham von sich -geworfen hatte und mit der eigenen Nacktheit Unzucht trieb. Wie er -indes in Wahrheit keines Rats sich wußte, und sogar nicht einmal ein -Wort, ein trostspendendes oder aufrichtendes, finden konnte, verbeugte -er sich nur tief bis auf die Erde, etwa wie sich der Staretz Sossima -vor Mitjä Karamassoff verbeugt hat, -- und ging vorüber. Der Zweite -dieser Drei aber tat sich in eigener Person alle Qualen an, mit welchen -binnen kurzem der arme Teufel Mensch seinen Mitmenschen foltern würde: -er weiß es selber nicht, warum und zu wessen größerer Ehre. Zwar fand -auch dieser Zweite nicht eigentlich einen Rat, aber immerhin doch ein -Wort der Klage. Und legte sein Wort, seltsam genug! der Tochter des -indischen Himmelskönigs in den Mund, welche wie weiland der blonde Held -Krischna auf die Erde herabgefahren war, damit ihr des Menschlichen -ferner nichts fremd bleiben möchte. Mit innigem Erbarmen sagt Indras -Tochter immer nur das eine, was allerdings wenig helfen oder bessern -konnte: Es ist schade um die Menschen, es ist schade... und also -wehklagend ging auch der zweite Prophet vorüber. Der Dritte jedoch, -höheren, helleren Geistes als die beiden andern und von dem Merkmal auf -des Merkmals Ursache schließend, erkannte die elende Unzulänglichkeit -der bisherigen Gattung Mensch, die soviel schwerer zieht und wiegt -als sogar ihre Bosheit. Dieser erschütternden Unzulänglichkeit gewahr -werdend, leuchtet ihm eine Botschaft auf, die Rat zu schaffen scheint, -wenn nicht schon für den Augenblick, so doch für die Zukunft: der -Mensch ist Etwas, das überwunden werden muß. Diese Botschaft ging nicht -vorüber, auch wenn ihr Künder vorüberging, und haftete zitternd wie der -Schuß eines befiederten Pfeiles in den Herzen... - -Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muß; die menschliche -Unzulänglichkeit ist Etwas, das überwunden werden muß! Es wird also -eine Zeit sein, wo sich der Mensch seiner Nacktheit vor dem Spiegel -nicht mehr länger zu schämen braucht, weil sie ihm keine Mängel -und Gebresten, sondern Schönheiten und Vollkommenheiten zeigt. -Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muß und folglich auch -hoffentlich überwunden werden kann? -- dies Ziel lockt stärker als -irgend eines. Aber wie kann er denn überwunden werden? Den Menschen -zu überwinden, roh, tierhaft und unmenschlich, wie er aus den Händen -der Schöpfung hervorging: darauf hatten doch sicherlich schon alle -die Anstalten gezielt, welche der ehrlichen Selbstprüfung von vorhin -nicht standgehalten hatten. Den Menschen zu überwinden waren die -sämtlichen Erfindungen, Einrichtungen, Gründungen, Hervorbildungen -gemacht worden, die eine wesentlich menschheitliche Werkwelt zu -unserer Genugtuung umfassen. Mit welcher Sorgfalt hatte der Mensch -nicht diese Werk- und Werkzeugwelt, die er Kultur nennt, zwischen -seinen frühesten Ursprung und seine späteste Mündung geschichtet. Mit -welcher Künstlichkeit hatte er nicht seine Sinne vervielfältigt und -seinen Sinn geschärft, um mit vervielfältigten Sinnen und geschärftem -Sinn eine höhere und menschenwürdigere Umwelt selbsttätig um sich -zu schaffen. Jede Erfindung und jedes Werkzeug bedeutete ja oder -sollte wenigstens bedeuten eine Steigerung menschlichen Könnens, eine -Verringerung menschlichen Arbeitaufwandes, eine Bewehrung menschlicher -Schutzlosigkeit, eine Ausweitung menschlichen Machtbereichs. Jede Kraft -und Eigenschaft der Natur wurde derart zu einer Kraft und Eigenschaft -des Menschen erhoben, und so ging an ihm schier buchstäblich das -hoffmannsche Märchen von Klein-Zaches, genannt Zinnober, in Erfüllung, -wonach alles Nützliche, Angenehme, Tüchtige, das in Gegenwart dieser -kleinen Mißgestalt von anderen geleistet ward, durch eine wunderliche -Übertragung dieser Mißgestalt selber als dem eigentlichen Urheber -dankbarst zuerkannt wurde... Das bevorzugte Mittel also, welches -insonderheit dem europäischen Menschen zur Überwindung des Menschen, -wie er sie verstand und allein verstehen konnte, verhelfen sollte, -heißt infolgedessen mit einem einzigen Wort umschrieben: Werkwelt, -Werkzeugwelt. Die Werk- und Werkzeugwelt sollte ihn über sich selbst -hinaus steigern, über sich selbst hinaus erhöhen. Mußte er jetzt, aufs -bitterste enttäuscht, mit sich selber die Erfahrung machen, daß diese -Werk- und Werkzeugwelt als Mittel zu diesem Ziel versagte und er -umsonst Pelion auf Ossa getürmt hat, um den Olymp zu zwingen, -- was -bleibt ihm übrig oder was kann er ins Auge fassen, dies Ziel auf andere -Weise zu erreichen? Wie kaum eine geschichtliche Menschheit zuvor hatte -der Europäer diese Werkwelt nach Umfang und Inhalt, Beschaffenheit -und Zahl gemehrt und alle seine Geisteskräfte, Seelenkräfte dafür -hingegeben. War es jetzt nicht mehr wie nur ein bloß zufälliger -Fehlschlag, daß es just bei ihm schlimmer als in irgend einer Vorzeit -menschelte: war es in Wahrheit ein zwangsläufig getaner Fehlgriff, -- -wo kann, wie soll der Europäer alsdann noch Hoffnung für sich selber -schöpfen? - -Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muß, -- so spricht zu -allen Zeiten jede Religion, die ihren Blick auf die nächst höhere -Verkörperung des Menschen heftet, die sie Gott nennt. Der Mensch -ist Etwas, das überwunden werden muß, -- so lautet die knappste, -treffendste und erschöpfendste Formel aller Religionen, die ihren -eigenen Willen zur Selbstvergöttlichung als das ewige Bedürfnis -erkennen müssen, welches sie stets wieder von neuem zur Erscheinung -bringt: als „_la tendence, qui les a produit_“, wie Jean Marie -Guyeau sinngemäß sagt. Zugleich aber ist dies die ewige Tragödie -aller Religionen, daß sie das hauptsächliche Mittel zur Erzielung -dieser angestrebten Überwindung, nämlich die Herausstellung jener -wesentlich menschheitlichen Werk- und Werkzeugwelt, die wir Kultur -nennen, als ungeeignet zu ihrem Endzweck schlechterdings verneint -und sich auf diese Weise mit dieser Werk- und Werkzeugwelt selbst -aufs entschiedenste entzweit und überwirft. Denn keine einzige der -bekannten höchsten Religionen, am wenigstens aber die Religion -als solche, gebietet ihren Anhängern und Bekennern: Erfinde du -Werkzeuge und vervielfältige deine Sinne! Gründe du Staaten, schaff’ -Rechts- und Wirtschaftordnungen, laß’ Gesittungen erstehen, ersinne -Wissenschaften, befleißige dich der Verbürgerung, alles damit du in -dir selbst den Menschen überwindest! Wenn solche oder ähnliche Gebote -je ergangen sind, wie beispielweis in der ursprünglichen Verkündigung -des iranischen Zarathuschtra, ist sich die Religion ihres stärksten -Antriebes noch nicht inne geworden. Wo sie sich aber dieses Antriebs -wirklich inne geworden ist, findet sie sich im günstigsten Fall mit -der Gegebenheit dieser Werk- und Werkzeugwelt ab, aber fördert sie von -sich aus keineswegs, geschweige denn, daß sie dieselbe fordert. Die -Welt gewinnen und dadurch die Seele schädigen, -- die Welt verlieren -und dadurch die Seele erfüllen: das ist in schroffer Unzweideutigkeit -die Wahl, vor welche jede der höheren Religionen ihre Gläubigen stellt -und auf diese Weise in tödlichen Widersatz bringt zu allen sonstigen -Bemühungen um Fortschritt und Aufstieg, Entwicklung und Gesittung. -Ist es also dem Menschen im heiligsten Sinne Ernst mit des Menschen -Überwindung, so weiß die Religion unstreitig dafür Rat, -- nur daß eben -dieser Rat allen eingeborenen Neigungen zur Selbststeigerung durch -Kultur stracks zuwiderläuft. Und in der Tat, ihr, die ihr euch Christen -nennt! Sogar in dieser Kummerstunde, da niemand mehr woaus woein weiß, -sogar in dieser Stunde vollkommener Ratlosigkeit ist keiner unter euch, -der nicht in der heimlichsten Falte seines Herzens mindestens ein -einziges unfehlbares Mittel wüßte, diese eisige Hölle um uns herum in -ein blühendes Paradies umzuzaubern. In der Kenntnis dieses Mittels, ich -sage nicht in seiner Anwendung, sind wir Europäer unfehlbare Christen -und werden Christen bis zu unserem bitteren Ende bleiben, ob wir nun -wollen oder widerstreben. Wir haben das Gebot empfangen, welches die -Verirrungen des Lebens ins gleiche zu setzen vermöchte: Ἀγαπήσεις -τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν, -- wolle du deinem Nächsten wohl wie dir -selbst... Dies Wort, melodisch aus dem Königreich der Himmel tönend, -von dem geschrieben steht, es sei mitten in uns, -- dies Wort konnten -wir in der Wüste unserer Gehässigkeit verschmachten und in der Sintflut -unserer Begierden ertrinken lassen: aber wir konnten die Tatsache -nicht aus der Welt entfernen, daß es an uns ergangen ist. Dies Wort -ist an uns ergangen und auch der Verstockteste ist außerstand, sich -weiszumachen, er habe nie etwas davon vernommen. Ist es somit wirklich -die Religion, die da befiehlt, den Menschen in sich zu überwinden, -dann ist zumindest uns westlichen Bekennern des Christentums von -diesem das rechte Mittel zu diesem rechten Ziel bezeichnet worden. -Denn wer seinem Nächsten wohl will wie sich selber, der überwindet in -seinem Wohlwollen sich selber und seinen Nächsten dazu; der überwindet -in sich und seinem Nächsten alles, was nicht das Wohlwollen selber -ist; und derart überwindet er den Menschen in sich, der noch nicht -Wohlwollen selber ist, und mit dem Menschen die ganze Welt, die noch -nicht Wohlwollen selber ist. Drum lüge oder leugne keiner, daß er nicht -wissen könne, wie der Mensch den Menschen zu etwas überwinden könne, -das mehr oder höher und stärker ist wie der Mensch. Das Mittel ist -erfunden, die Botschaft ist ergangen, das Wort steht und steht ewig... - - Das Mittel ist erfunden, -- und hat dennoch seinen Zweck verfehlt. - Die Botschaft ist ergangen, -- und hat dennoch nichts gefruchtet. - -Das Wort steht und steht ewig, -- aber schwindelnd fällt der Mensch in -der Zeit von einem Abgrund in den andern... - -Wie aber dies, ihr Christen? Sind wir denn in Wahrheit so bös, so -unmenschlich, so teuflisch, daß wir zwar auf unsern Lippen den Honig -der frohen Botschaft zu schmecken geben, in unsern Herzen aber -schwarze Galle keltern? Liegt es in Wahrheit nur auf uns, daß uns -jener evangelische Weg zur Überwindung unserer Menschheit zum Ab- -und Irrweg sondergleichen geworden ist? Müssen wir uns in diesem -unwiederbringlichen Augenblick der Selbsteinkehr und Gewissensprüfung -in Wahrheit als den Auswurf aller geschichtlichen Geschlechterfolgen -verdammen, weil wir mit dem Bekenntnis des Wohlwollens und Brudersinnes -die Tat des Wohlwollens und Brudersinns am sichersten erstickten? -Heute, wo die Schuppen der Beschönigung von den Augen fallen, ziemt -uns vor allen Fragen diese Frage: von der Antwort auf sie hängt -jede Zukunft ab. Rund tausend Jahre sind es, daß wir des Nazoräers -Bekenntnis zur Nächstenliebe als unsere erwählte _religio_, will -heißen Bindung, Verpflichtung, Treue angenommen haben. Und nun -ängstigt uns nach rund tausend Jahren mehr fast als alle Angst der -Argwohn, wir könnten vielleicht nicht trotz dieses Bekenntnisses, -sondern wegen seiner, nur immer böser und schlechter, liebloser und -härter, unedler und grausamer geworden sein seit jenen Tagen etwa, -da der große Sachsenkaiser Otto dem mittelalterlichen Reich Europa -seine dreihundertjährige Verfassung gab. Am Ende ist es eben diese -Verpflichtung, diese Bindung gewesen, die unsere Anlage zum Wohlwollen -und Brudersinn, die wir doch auch in uns wie in jedem lebendigen -Geschöpf vermuten müssen, verkümmern und verkrüppeln ließ. Verkümmern -und verkrüppeln ließ zwar nicht deshalb, weil etwa diese Religion -uns Menschen, wie wir einmal sind, zu hoch und schwer wäre, -- denn -jede Religion, ihr Christen, ist dem Menschen, wie er einmal ist, zu -hoch und schwer: und daß sie’s ist, macht ihren unschätzbaren Wert -als Religion aus! Verkümmern und verkrüppeln ließ aber trotzdem, weil -sie befahl und forderte, gebot und heischte, was durch Befehl und -Forderung, Gebot und Heischung nimmer zu bewirken ist. Es könnte -demnach sein, ihr Christen, daß uns just das Christentum zeitweilig zum -Verhängnis geworden ist, indem es eine übermenschlich-überschwängliche -Botschaft zwar erließ, aber auf keine Weise andeutete oder zeigte, -wie der irdische Mensch, das wilde böse Tier, nun dieser Botschaft -auch entsprechen könne. Wohlwollen unserm Nächsten, Brudersinn unserm -Fernsten noch, wer wäre Wolf genug zu leugnen, daß beides heute noch -die Welt zum Paradies gestalten würde, wo wir sie alle christlich -übten. Aber der Mensch, obschon von Natur ganz offenbar mit einer -Anlage zum Wohlwollen und Brudersinn begnadet, ist darum noch lange -nicht wirklich wohlwollend, wirklich brudersinnig, -- und wird es -auch nicht, wenn man ihm kurzerhand gebietet: Sei’s! Das aber ist das -letzte und schleichendste Unheil, welches uns Abendländer betroffen -hat und unsern dermaligen Höllensturz mit verursacht: wir wissen, -wissen alle unheimlich genau, was not tut, um die Not zu wenden und den -Menschen seiner nächst höheren Verkörperung des großen Wohlwollenden -und Brudersinnigen zuzuführen. Aber es war niemand, der uns gewiesen -und bedeutet hätte, wie das geschehen könne. Wir wissen, wissen es, -aber können es nicht. Und sogar wo es einer als Land- und Meerwunder -wirklich kann, da ist er’s nicht, sondern kann es nur. Das aber, ihr -Christen, ist des Abendländers Untergang... - -Das aber, ihr Christen, ist des Morgenländers Aufgang, ist insonderheit -des Buddho Gotamo Aufgang! Denn wo wir nur wissen, hat er das Können -aufgewiesen, und wo wir nur können, hat er angeleitet und geweckt -zum Sein. Dabei ist sein heiliges Ziel in Ansehung menschheitlicher -Emporstufung haargenau das christliche. Vielleicht mit dem einzigen -Unterschied, daß der Buddho die Gestalt des großen Wohlwollenden mit -soviel höherer Künstlerschaft umrissen habe wie der Christus, -- eben -jene Gestalt nämlich, die ich zum Beschluß der Dritten Unterweisung -dem christlichen Abendland als das Urbild des Strahlenden Mönches -vorzustellen gewagt habe: „Liebevollen Gemütes weilend strahlt er nach -einer Richtung, dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, dann -nach der vierten, ebenso nach oben und nach unten: überall in allem -sich wiedererkennend, durchstrahlt er die ganze Welt mit liebevollem -Gemüte, mit weitem, tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll -geklärtem. Erbarmenden Gemütes -- freudevollen Gemütes -- unbewegten -Gemütes strahlt er“... In Ansehung dieses göttlich Wohlwollenden, -übermenschlich Wohlwollenden also ist das religiöse Endziel im Westen -und im Osten streng dasselbe, und nichts würde von dieser Gewißheit -aus einer völligen Durchdringung des Christentums mit dem Buddhismus -hinderlich sein, -- wenn eben nicht die Art und Weise, wie Jesus und -wie Gotamo die Verwirklichung dieses Zustands betreiben, so stracks -einander zuwiderliefe, daß hier die Grundkräfte europäischer und -indischer Religiosität als Gegenkräfte in Erscheinung treten. Das -evangelische Wohlwollen nämlich für den sogenannten Nächsten wurzelt -ausgesprochenermaßen im Wohlwollen für das eigene Selbst, will -heißen in der Selbstliebe und Eigensucht. Ἀγαπήσεις τὸν πλησίον σου -ὡς σεαυτόν, wolle du deinem Nächsten wohl wie dir selber, gebietet -der Herr des Evangeliums, -- und manches spricht dafür, daß wir hier -auf die ausschlaggebende Ursache stoßen, warum die Nächstenliebe -des Christentums ein freundlicher Traum geblieben ist und sehr -wahrscheinlich sogar hat bleiben müssen. Denn wie verhält sich’s doch -damit? Jesus erachtet Wohlwollen für Mitmensch und Bruder durchaus für -möglich, sonst würde er es nicht als Notwendigkeit gefordert haben. -Aber nicht hält er’s für möglich, dies Wohlwollen auf andere Weise zu -erzielen als gleichsam auf dem Umweg über das eigene Ich und Selbst. -Das Ich und Selbst der eigenen Person steht hier im Brennpunkt aller -Wirklichkeiten, und folglich im Brennpunkt auch aller Handlungen -und Taten, die sich auf Wirklichkeiten beziehen. Die vorzüglich -religiöse Leistung der Persönlichkeit krönt sich darin, dem fremden -Ich grundsätzlich denselben Grad von Wirklichkeit zuzubilligen wie -dem eigenen Ich und aus dieser Billigung heraus ihm keine mindere -Berechtigung zu schenken wie diesem. Der naive Mensch, heißt das -der selbstische Mensch, wird hier sozusagen feierlich aufgeboten -zur freiwilligen Anerkenntnis des fremden Du, -- durch die Erwägung -zwar, daß auch dies Du zuletzt ein Ich mit sämtlichen Eigenschaften -und Merkmalen eines solchen sei. Der naive, will sagen selbstische -Mensch ist also böse nicht eigentlich deshalb, weil er seine eigene -Persönlichkeit und persönliche Eigenheit instinktiv als Wirklichkeit -setzt und voraussetzt, sondern weil er jede fremde Persönlichkeit -und Eigenheit nur als eine Wirklichkeit zweiten, dritten, zehnten -Grades gelten läßt, -- kurz als eine Wirklichkeit derart verminderten -Erlebensgrades, daß er kaltblütig über ihre Ansprüche und Rechte, über -ihr Sosein und Dasein wegschreitet, nicht anders, wie man im Gedränge -über viele menschlische Schatten auf der Straße schreitet. Und kein -Zweifel! Wer jemals ein wenig über die Beschaffenheit des Verbrechens -und mehr noch des Verbrechers nachgedacht hat, wird hier, in dieser -von Jesus berührten Tatsache, fast jeden gewünschten Aufschluß finden: -daß der Verbrecher von Haus aus unfähig ist, in rein erkenntnismäßiger -Schätzung sein Opfer in dieselbe Reihe von Wirklichkeiten mit sich -selber einzustellen, -- er selber füllt diese Reihe mit sich ganz -alleinig. Überall, wo ein Mensch in gräßlicher Verhärtung gegen Wohl -und Weh des Mitmenschen beharrt und dieser Verhärtung entsprechend -handelt, darf man behaupten, er sei Verbrecher, darf man behaupten, -ihm sei die heilige Um- und Neuschöpfung der fremden Wesenheit zum -vertrauten Ich, zum Ich überhaupt, noch nicht gelungen. Tatsächlich -macht Jesus hier die erste, unerläßlichste Bedingung der Möglichkeit -menschenwürdigen Gemeinschaftlebens namhaft: jedwedes menschengleiche, -ja nur menschenähnliche Geschöpf ist im Bewußtsein ebenso als wirklich, -ebenso als seiend, ebenso als wesenhaft zu erschaffen wie das eigene -Ich und Selbst. Auch Du ein Ich, wie Ich zuletzt nur Du, folglich -auch Du meines Wesens Mark und Mitte nicht abgelegener als Ich ihm -bin: das ungefähr wäre die rechte Formel für Jesu Auffassung von -Wohlwollen, Brudersinn, Nächstenliebe; -- auch Du, Du ein Ich, wie -Ich zuletzt ein Du, und folglich all meiner Taten und Gedanken nicht -minder Sinn, Zweck und Ziel als Ich es ihnen selber bin. Das Maß der -Welt, in welches sie gefüllt und geschöpft wird, ist durchaus hier das -menschliche Selbst und seine unerschütterliche Wirklichkeit. Im besten -Fall kann jeder Einzelne sich selber höchstens dazu bestimmen, jedem -Anderen das gleiche Maß von Wirklichkeit im Bewußtsein einzuräumen. Ein -übermenschlich verwegenes Ideal aber wäre dieses, wenn jeder Einzelne -seine Bewußtheit derart unendlich auszuweiten vermöchte, daß darin die -Wirklichkeiten aller menschlichen Welterscheinungen in einem einzigen -brüderlich umhalsten Chore miteinander reigten, -- jeder Fernste in -solch gottgeweiteter Bewußtheit zum Nächsten aufgerückt und nahgerückt, -jeder Nächste aber gleichbürtig, gleichgewichtig, gleichwertig mit Mir -selbst... - -Das Selbst also, ihr Christen, die eigene Person ist dem Herrn unseres -Evangeliums die Schwelle, über welche jedes Ich getragen werden muß, -um überhaupt als Ich geehrt zu werden. Das Selbst, sag’ ich, die -eigene Person und ihre ganz unumstößliche Wirklichkeit und Gewißheit -ist die Schwelle, die vom Ich zum Du, vom Ich zum Wir führt, -- was -aber jenseit dieser Schwelle stehn oder liegen bleibt, kann dem -Bereich ichbürtiger Wesenheiten auch nicht angehören. Wobei schon -hier keineswegs übersehen und vergessen werden darf, daß auch im -günstigsten von allen möglichen Fällen alles jenseit der Schwelle -stehn und liegen bleibt, was nicht menschengleich oder menschenähnlich -ist, was mithin nicht Nächster und nicht Bruder werden kann... Dem sei -indes, wie ihm wolle. Unter allen Umständen besteht das evangelische -Mysterium, wie nochmals mit Nachdruck ich zusammenfassend sagen -möchte, in der Verwirklichung des Mitmenschen als Nächster und als -Bruder, und diese Verwirklichung zwar vollzogen auf dem Umweg über -die Wirklichkeit des eigenen Selbstes. Das gotamidische Mysterium -hingegen, so einig es im Hinblick auf menschheitliche Emporstufung -zur Gestalt des großen Wohlwollenden mit dem evangelischen Mysterium -offenkundig ist, wird dennoch gerade durch die Umdrehung dieses -evangelischen Verfahrens erwirkt. Nicht dadurch wird das ausnahmlose -Wohlwollen beim Strahlenden Mönch gegen alle Wesen (nicht nur gegen -den Nächsten und den Bruder) erzeugt, daß er diese durch eine -Tathandlung fortschreitende Erkenntnis auf dieselbe Wirklichkeitstufe -mit seiner eigenen Person befördert. Sondern ganz im Gegenteile -dadurch, daß er den Wirklichkeitgrad der eigenen Person, den -scheinbar unbezweifelbaren, auf den Wirklichkeitgrad aller übrigen -Welterscheinungen herunterdrückt, kraft einer nicht zu widerlegenden -religiösen Selbsterfahrung, Selbstbewertung, die er an sich und mit -sich macht. Wenn daher Jesus befiehlt: Wolle du deinem Nächsten wohl -wie dir selber; wenn somit der nämliche Jesus das Wohlwollen für -das eigene Selbst ohne weiteres als die gegebene Voraussetzung des -Wohlwollens für andere hinnimmt und bestätigt, -- so fußt der Christus -auf einer Einstellung, welche den Buddho sicherlich über die Maßen -befremdet haben würde, falls er hätte Kenntnis von ihr erlangen können. -Denn eben dieses Selbst der eigenen Persönlichkeit, in europäischer -Sprache das Individuum oder die unzerstückelbare Lebenseinheit, -Wirkungeinheit, Zweckeinheit geheißen, welche jeder westliche Mensch -mit der ganzen Heftigkeit seiner Instinkte gleichsam als sein _ens -realissimum_ umklammert hält und niemals fahren läßt solang er lebt, -- -eben diese Ur- und Musterwirklichkeit aller sonstigen Wirklichkeiten -hat sich ja dem Buddho längst entlarvt als ein Ding, welches um keinen -Deut wesenhafter oder wirklicher als jedes andere Ding unter der Sonne -genannt werden darf. Und hier, wo die Religiosität des Ostens mit der -Religiosität des Westens wie Ja und Nein zusammenstößt, aber leider -nicht zusammenklingt, hier ist es angezeigt, uns noch einmal jenes -herzlich seltsame Wort in den Sinn zurückzurufen, welches uns in der -Ersten Unterweisung hat so scharf aufhorchen machen. _N’etam mama_, -das gehört Mir nicht, hat dies Wort gelautet, zu welchem der Buddho -sein schneidendstes Nein gleichsam gerinnen und erhärten lassen. -_N’etam mama_, das gehört Mir nicht: was da entsteht und vergeht, was -da gezeugt wird und verwest, was da wechselt und abändert, was da -erscheint und verschwindet. Solches alles gehört Mir nicht, solches -alles bin Ich nicht: folglich gehört auch diese Meine eigene Person -Mir nicht, folglich bin auch Meine eigene Person Ich nicht! Alles -Wirkliche aus zweiter, dritter und letzter Hand gehört Mir nicht und -bin Ich nicht. Aber auch alles Wirkliche aus erster Hand gehört Mir -nicht und bin Ich nicht: nämlich Ich selber nicht, wie ich mir in -der raumzeitlichen Gliederung bewußtes Erlebnis und Begebnis ward! -Diese ganze Erscheinungunendlichkeit, wie sie gestalthaft abgegrenzt -im Bewußtsein auftaucht und gestalthaft abgegrenzt im Unbewußtsein -wieder untersinkt, einschließlich meiner höchsteigenen Icherscheinung, -sie gehört Mir nicht und sie bin Ich nicht! Sie gehört Mir nicht -und sie bin Ich nicht, weil sie eben auf Grund ihrer Eigenschaft -als Erscheinung nicht bis dahin reichen kann, wo ich als religiös -Erlebender zutiefst Mich Wesen weiß. Keine Verkörperlichung und -keine Verpersönlichung, nicht einmal meine eigene, faßt dort noch -Fuß und Grund, wo Ich -- oder vielmehr nicht mehr Ich! -- in dem -Augenblicke gesammeltster Selbstvertiefung Grund und Fuß zu fassen -fähig bin. Damit jedoch ist des evangelischen Jesus Selbsterfahrung, -den die Wirklichkeit des Ich aller Wirklichkeiten Ur- und Musterbild -zu sein bedünkte, durch eine Selbsterfahrung entgegengesetzter Art -zwar nicht getilgt und aufgehoben, aber eingeschränkt und ergänzt. -Nicht ist fremdes Ich für ebenso wirklich, daseiend und wesenhaft wie -eigenes Ich zu erachten: sondern umkehrt eigenes Ich hier für ebenso -unwirklich, nichtseiend, wesenlos wie fremdes Ich. Jene bevorzugte -Wirklichkeit, vom evangelischen Herrn als Hebelpunkt gebraucht, um -von ihr her die eingefleischte Eigensucht und Selbstliebe, die bruder- -und nächstenmörderische, aus ihrem natürlichen Schwerpunkt zu wälzen, --- jene Wirklichkeit gilt dem Buddho auf keine Weise für bevorzugt. -Im Gegenteil ist sie es, die sich dieselbe Dämpfung gefallen lassen -muß, welche das ‚_N’etam mama_‘ auf alle Wirklichkeiten legt. Auch ich -selber gehöre Mir nicht; auch ich selber erschöpfe Mich nicht in der -Erscheinung Meiner, die sich gestalthaft vor meinen Sinnen ausbreitet; -auch Ich selber bin über Meine raumzeitliche Wirklichkeit hinaus noch -Etwas, das die Sprache einer Wirklichkeit nicht mehr zu verlautbaren -vermag: wenn auch sicherlich nicht ‚Ich‘ mehr... - - -Wer aber, ihr Christen, von dieser beziehungreichen Tatsache her seinen -Blick nun schweifen ließe in die beiden Welten, in welchen getrennt -voneinander der Buddho und der Christus eingebürgert hausen, der fände -sich wohl nicht wenig überrascht: so buchstäblich weltverschieden, -weltgeschieden stellten ihm sich beide Welten dar. Den christlichen -Erlöser erblickte ein derartiger Betrachter inmitten einer Wirklichkeit -wimmelnd bis zum Rand mit gestalthaften Lebenseinheiten nach Art -der menschlichen Persönlichkeit. Wie etwa ein stätig fortlaufendes -Gebilde der Anschauung, eine geometrische Gerade oder Fläche, von der -Einwirkung des Gedankens in zusammenhanglose Einzelpunkte zerlegt wird, -oder wie eine stätig zusammenhängende Flüssigkeit unter der Einwirkung -von Wärme oder Witterung zu einem Haufen einzelner Flocken stockt, --- nicht anders zersetzt sich unter dem Einfluß dieser evangelischen -Einstellung eine vorher noch kaum gestalthaft belebte Umwelt zu einer -immer ausschließlicher gestalthaft belebten. Wenn unsere europäische -Wissenschaft, vielleicht mehr als sie ahnt ‚christliche‘ Wissenschaft, -nie und nimmer geruht hat, bis sie jede Wahrnehmungstätigkeit der -Sinne allmählich in eine womöglich zahlenhaft zu erfassende Menge von -letzten, das heißt unteilbaren Beziehungknoten zergliederte; wenn sie, -um altbekannte Beispiele anzuführen, den Einen Grundstoff der Welt -in viele Kräfte, die Eine Materie in viele Atome, das Eine Leben in -viele Lebenseinheiten, die eine Zelle in viele Zellteile, das Eine -Licht in viele Farben, die Eine Farbe in viele Bewegungvorgänge, die -Eine Qualität in viele Intensitäten, ja zuletzt das Eine Atom in einen -ganzen Kosmos von zentralen Kernen und umlaufenden Elementarquanten -aufgelöst hat, -- sie folgte damit ihrem christlichen Instinkt, der -unersättlich ist nach Wirklichkeiten im Sinn der eigenen Individuität. -Christentum ist Individualismus, Christentum ist Personalismus, --- von diesem Gedanken aus läßt sich unschwer so etwas wie die -Kurve der abendländischen Seele aufzeichnen, die schicksalhaft -die christliche Seele gewesen ist und ist, so sehr, daß sie auch -nach ihrer bevorstehenden Umgestaltung des christlichen Einschlags -nie völlig mehr entbehren wird. Christentum ist Individualismus, -Christentum ist Personalismus; folglich erschafft es sich überall -individuelle, individuierte, personifizierte Wirklichkeiten. Diese -feststehende Tatsache ist für das westliche Festland Europa, welches -das Christentum aufgenommen und verarbeitet hat, geradezu Fatum -geworden. Wo das Christentum aufblüht, blüht der persönlich gestaltete, -persönlich ausgeformte Mensch auf, denn dem evangelischen Christus -bedeutet das raumzeitlich verkörperte Selbst Alpha und Omega aller -Wirklichkeit überhaupt. Und wiederum: wo das raumzeitlich verkörperte -Selbst Alpha und Omega aller Wirklichkeit als solcher erscheint, da -müssen folgerechterweise alle Kräfte des Geistes und der Seele der -möglichst plastischen Herausmeißelung der jeweiligen Lebenseinheit -und Lebenseinzelnheit dienen. Die Wirklichkeit trachtet nach -Verwirklichung, und wo das Selbst erste und letzte Wirklichkeit für -sich beansprucht, trachtet das Selbst zuerst und zuletzt nach seiner -eigenen Verwirklichung. Der Christ beginnt sich demnach vielkantig -nach allen Achsen des Raumes auszuwachsen. Zwar ist des Wunderns seit -langem schon kein Ende gewesen, daß das geschichtliche Christentum aus -dem Europäer so etwas ganz anderes gemacht habe als den friedfertigen, -selbstverleugnenden, bruderlieben Heiligen der evangelischen -Schriften. Heut’ wäre es endlich an der Zeit, sich darüber erschöpfend -ausgewundert zu haben. Denn alle diese evangelischen Tendenzen haben -zu ihrer unanfechtbaren Voraussetzung die unanfechtbare Wirklichkeit -der eigenen Person nebst den auf sie selbst bezüglichen Trieben -und Begierden, Neigungen und Leidenschaften. Das Grundrecht auf -Selbsttrotz und Eigensucht ist der _rocher de bronce_, vom Herrn des -Evangeliums in eigener Person feierlich stabiliert und sanktioniert, --- das ist der Fels, in welchen die Fundamente der sichtbaren und -unsichtbaren Kirche eingesprengt worden sind. Wer sich darüber -Klarheit verschafft hat, wird es auch nur als aufrichtige Konsequenz -aus diesem Umstand betrachten, wenn gerade der europäische Christ den -Anblick nie gesehener Härte und Ungerührtheit darbietet: es ist ein -heute nicht mehr statthafter Irrtum, wenn immer noch die weichmütigen -Romantiker eines unverfälschten Urchristentums dem evangelischen -Heiland die römische Kirche oder die Kirchen überhaupt als die -gesellschaftlichen Verkörperungen des eigentlichen Antichristentums -entgegenzustellen und zu verdammen belieben. Die Kirche ist nun einmal -nicht die babylonische Hure, sondern sie hat nur im Übermaß Ansätze -entwickelt, die im Evangelium selber vorhanden sind. Diese ganze -romantische Auffassung, am übertreibendsten bekanntlich in Dostojewskis -Großinquisitor herausgestellt, ja wie eine weltgeschichtliche Fanfare -herausgeschmettert, ist ungerecht nach beiden Seiten. Denn in der -Christustendenz evangelischen Wohlwollens glimmt und glutet eben -heimlich schon die Tendenz des Antichrists, das Selbst zu behaupten -über jedes Maß und Ziel hinaus: glimmt und glutet mithin heimlich -schon der Funke, der das ganze europäische Mittelalter hindurch -Scheiterhaufen um Scheiterhaufen entzündet hat, bis nach dem Krieg von -Dreißig Jahren das mittlere Europa selbst nur noch ein Scheiterhaufen -war... Dieser Scheiterhaufen gemahnt uns, ihr Christen, daran, daß -Jesus Christus schon geboten hat: wolle du wohl deinem Nächsten wie dir -selbst, -- daß mithin schon Jesus Christus die Selbstliebe (und die -Puritaner wußten das sehr genau!) in die Rechte feierlich eingesetzt -hat, die sie seither für sich in Anspruch nimmt. Nie wäre von diesem -Gebot her einzusehen, warum das eigene Selbst etwa zugunsten des -fremden hätte verleugnet oder unterdrückt werden sollen, -- nie, warum -es auch nur nach Tunlichkeit abgeblendet hätte werden sollen. Sogar den -äußersten Fall gesetzt, es hätte der evangelische Herr geboten, was -er in Wahrheit nicht geboten hat: Wolle du deinem Nächsten wohl mehr -als dir selbst, -- wie wäre da nicht sofort die Gegenfrage zu stellen -gewesen: Warum denn, o Herr, dem Nächsten mehr Wohlwollen als mir -selber? Mit welchem Fug wird sein Selbst dem meinigen vorgezogen? Sind -wir nicht just vom Urteil der Selbstschätzung, Selbstwertung aus alle -gleich? Bin ich mir minder Ich als sich mein Nächster Ich ist? Oder wie -könnte mir das Ich des Nächsten näher sein als mein Ich! Was stellt das -Ich des Andern über Mich und weshalb sollte ich Mich auslöschen, damit -Er heller brennt, flackert und zackert? Mit welchem Recht der Götter -oder Menschen geht des Nächsten Selbstsucht über meine eigene? Und sind -wir Brüder für uns selbst nur vor uns selbst, wie darf der Bruder hier -über dem Bruder stehen, der Bruder hier vor dem Bruder gehen? Wahrlich -und Wehe! der Altruismus ist immer nur der Egoismus des Nächsten.. - -Ziehen wir derart die Summe von zwei christlichen Jahrtausenden für -Europa, so muß sich also notwendig ergeben, daß niemals noch sonstwo -die menschliche Person zu diesem Grad von Stärke und Selbstherrlichkeit -heraufgezüchtet ward wie im christlichen Europa. Was unter günstigen -Bedingungen ein Christ und Europäer aufbringt an Entschlossenheit -und Arbeitkraft, Willen und Umsicht, Kaltblütigkeit und Tapferkeit, -Genauigkeit und Zähigkeit, -- es übertrifft alles Dagewesene bei -weitem. Mit dem alleinigen Ziel vor Augen, sich durchzusetzen gegen -jeden Widerstand, setzt dieser Christ und Europäer sich denn in -Wirklichkeit auch durch, -- mit welchen Mitteln freilich oft, das frage -niemand. Tatmensch, Geschäftmensch, Gewaltmensch noch wider jeden -Einwand des Gewissens, betreibt er von früh bis spät ausschließlich -seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Selbstverwirklichung. -In dem Bewußtsein seiner persönlichen Einzelnheit und Einzigkeit, -in dem Bewußtsein folglich seiner unbedingten Einmaligkeit und -Unersetzlichkeit, welches ihm eine streng christliche Philosophie -anerzogen, angezüchtet hat, findet er eine höchste Rechtfertigung -für die rücksichtloseste Ausprägung seiner Eigenheit; in eben dieser -Ausprägung vermutet er den Endzweck und das Amen alles Geschehens -überhaupt. Sei der, der du bist und werde, der du bist, beides in -seiner Aufgipfelung und Vollendung, -- diese Quintessenz der religiösen -Belehrung, welche in der Bhagavad-Gîtâ Gott Krischna dem Prinzen -Arjuna widerfahren läßt, ist auch die Quintessenz, wir wissen es seit -Pindaros, aller europäischen Wirklichkeitauffassung: nur freilich -aus dem Indischen ins Europäische übersetzt und damit einigermaßen -entseelt, entadelt, entgeistigt. Der europäische Mensch wird, der er -ist; das heißt er setzt sich durch um jeden Preis und auf jede Weise. -Die Erste Unterweisung hat es erwähnt, die Vierte erinnert hiermit -daran, wie der Erfolg dieses persönlichen Sich-Durchsetzens in der Welt -vom Kalvinismus und Puritanismus geradezu als der schlüssige Beweis vor -Gott und Menschen erachtet wird, daß einer berufen und erwählt sei. Wer -seine Eigenheit zur Anerkennung bringt, wer den Erfolg an seine Seite -zwingt, wer das Glück zur Treue überredet, der hat sich bewiesen, genau -wie er sich im entgegengesetzten Falle widerlegt hat. Solchermaßen -statuiert der christliche Europäer ein Recht auf Persönlichkeit, und -wer feiner hinhorcht, wird sich vielleicht davon überzeugen, daß er -sogar eine Pflicht zur Persönlichkeit statuiert. Lediglich unter diesem -Gesichtswinkel vermag er sich überhaupt noch ein erstrebenswertes -Lebensziel vorstellig zu machen. Nur um Gottes willen von der formlosen -Masse und Massenhaftigkeit abrücken! Nur um jeden Preis ein eigenes -Gesicht, und sei es ein hoffärtiges und freches, zur Schau tragen! Nur -unter allen Umständen aus der flüssigen Mutterlauge zum festen Kristall -aufschießen! Das ist der heiß begehrte Preis, der dem Sieger nach -zermürbendem und zerrüttendem Kampfe winkt... - -Denn Kampf bis aufs Messer, Kampf in einer noch nirgends zu erfahrenden -Grausamkeit des Begriffs ist das Leben dieses christlichen Europäers. -Die Selbstverwirklichung bis zum äußersten als die einzig anerkannte -Lebenspflicht muß selbstredend in heftigen Widerstreit geraten mit -derselben Lebenspflicht jeder Persönlichkeit, welche der ersten -gesellschaftlich oder wirtschaftlich irgendwie benachbart ist, --- ein selten eindringliches Beispiel übrigens, wie manchmal die -Möglichkeit einer Gemeinschaft nicht durch Verschiedeninhaltlichkeit -der ergriffenen Zwecke, sondern durch Gleichinhaltlichkeit derselben -vernichtet wird. In diesem christlichen Europa will in Wahrheit -jedermann genau dasselbe: nämlich die denkbar reichstgeschliffene -Ausformung seiner jeweiligen Eigenheit und Einzelnheit. Und das -Ergebnis davon heißt eben Kampf, Krieg, Wettbewerb, ἀγών, _struggle -for life_, Zuchtwahl... Kampf der Vater aller Wirklichkeiten, das ist -in Wirklichkeit die Überschrift, welche der Vater der europäischen -Menschlichkeit auf seiner Völkerbrücke zu Ephesos an das Tor zu unserm -Festland schlug und hämmerte. Kampf der Vater und Kampf die Mutter, -das ist die Wahrheit geblieben, die auch vom Christentum nicht nur -nicht widerrufen, sondern bestätigt worden ist, denn der Herr des -Evangeliums scheint es erraten zu haben, warum er, vorzugweis er sich -als denjenigen bezeichnete, der nicht den Frieden, aber das Schwert -bringen werde: nicht einmal das Kreuz von Golgatha konnte die Pforten -des Janustempels sperren, die ewig offenklaffenden, und tatsächlich -hat das Christentum sein Öl der Linderung ins Feuer statt aufs Wasser -ausgegossen... Kampf brandet und Kampf entbrennt also schon im kaum -befruchteten Keim, wo offenbar das Männliche mit dem Weiblichen im -Hader liegt, bis entweder das Männliche über das Weibliche oder das -Weibliche über das Männliche Herr ward und dadurch das Geschlecht -des künftigen Wesens entschied. Und derselbe Kampf wird ausgetragen, -wo die vererbten Eigenschaften einer Ahnenreihe mit den vererbten -Eigenschaften anderer Ahnenreihen streiten, oder wo den vererbten -Eigenschaften neue hinzuerworbene von Grund auf widerstreben. Wohin -der Blick des Christ-Europäers fällt, gewahrt er Kampf und Krieg im -Kleinen wie im Großen, und sogar noch wenn er an Sommerfeierabenden, -an endlos schwalbenzwitschernden und grillenzirpenden, besinnlich auf -der Gartenbank vor seinem Hause sitzt und eine Weile ruht, fühlt er -vom Grausen plötzlich sich geschüttelt beim Anblick eines räuberischen -Tausendfüßlers, wenn dieser sich auf einen verzweiflungvoll -aufbäumenden Regenwurm stürzt und dessen unbewehrten Leib mitten -entzweibeißt: so hat dem Rabbi von Bacharach die Eiskralle des -Entsetzens ins Herz gegriffen, als er am Vorabend vor Pascha unter dem -schimmernden Tafellinnen plötzlich die eingeschmuggelte Leiche eines -Kindes sah... In einem Augenblick derart hellsehenden Weltverstehens -mag es sein, daß dem Christ-Europäer das furchtbare Gesetz des Lebens -aufleuchtet, welchem zufolge jedes organische Gebild der glücklich -Überlebende und Überstehende zahlloser sicht- und unsichtbarer -Einzelkämpfe ist. Weit entfernt, daß ihm als Menschen, ihm als Christen -diese Kämpfe erspart blieben oder wenigstens in ihrem Grad gemildert, -in ihrer Form ‚vermenschlicht‘ würden, findet er ganz im Gegenteil -gerade sich in seiner Eigenschaft als Mensch zu einer Kampfweise -genötigt, wie sie gleich wahllos in den Mitteln und gleich böse die -außermenschliche, untermenschliche Natur nicht kennt. Wohl frißt auch -dort ein Tier das andere Tier, ein Tier die Pflanze und gelegentlich -auch eine Pflanze das Tier ganz unbedenklich. Aber im allgemeinen -spielt sich dieser Kampf doch meist zwischen den verschiedenen Arten -als solchen ab, seltener zwischen den Vertretern ein und derselben Art, -was leider bei uns Menschen die selbstverständliche Regel wird. Sind -wir ganz offenkundig schon dadurch gegen das Tier vielfach im Nachteil, -daß mit verhältnismäßig geringen Schwankungen die geschlechtliche -Brunst bei uns das Jahr über ununterbrochen dauert, was für nicht -wenig Menschen eine Hölle von Anfechtungen bedeutet, so sind wir -auch in dieser Beziehung schlimmer daran als das Tier, daß wir uns -fortwährend gegen unsresgleichen wenden und wehren müssen, -- und dies -wie gesagt obendrein mit Mitteln, Pfiffen, Schlichen, die das Tier -verschmäht: „Denn heimlich wie die Höhle, o Herr, ist der Mensch, und -offen wie die Ebene, o Herr, ist das Tier“, sagt Pesso, der Sohn des -Elefantenlenkers, zum Erhabenen... - -Der sogenannte Kampf ums Dasein also, von seinem europäischen Entdecker -zu seiner Zeit sicherlich zu Unrecht herangezogen, um die Wandlung -einer Art zur anderen und ‚höheren‘ erklärlich zu machen, -- zu Unrecht -herangezogen, sag’ ich, weil er sich zwischen verschiedenen Arten -eigentlich gar nicht ereignen kann, wofern verschiedene Arten jeweils -auch in verschiedenen Umwelten leben, verschiedenen Daseinsbedingungen -unterliegen und darum streng genommen um diese Daseinsbedingungen -auch nicht wirklich kämpfen können! -- beim Menschen wird dieser -Kampf ums Dasein dennoch schauerliche Wahrheit. Kämpft doch der -Mensch mit dem Menschen in der Tat um die nämliche Ackerscholle, um -die nämlichen Bodenschätze, um die nämlichen Weideplätze, um die -nämlichen Absatzmärkte, um die nämliche Arbeitstelle, um den nämlichen -Güteranteil, um das nämliche Weib, um das nämliche Glück, um die -nämliche Ehre, um den nämlichen Rang. Der Mensch kämpft ums Dasein, -das heißt, er kämpft um sich selber und um seine Selbstverwirklichung, -und beides winkt ihm nur, wo er seinen Wettbewerber übermächtigt. -Schon daß er lebt, bedeutet unter allen Umständen eine Übermächtigung -unbekannt wie vieler Ansätze und Möglichkeiten, die zum gleichen Leben -drängten; so kann er von allen Wesen am buchstäblichsten von sich -selbst bekennen: denn wir sind teuer erkauft. _Sub specie_ dieses -Gedankens war es dann nicht weniger als Die europäische Vision, das -Leben überhaupt als Willen zur Macht aufzufassen und zu entlarven. -Zum mindesten sind alle Gipfelungen und Aufhöhungen des Lebens in -diesem unserm christlichen Europa unmittelbar eins mit dem stolzen -Gefühl erworbenen Machtzuwachses durch den Sieg über andere Mächte, -andere Mächtige. Die Macht ist die einzige und letzte Tugend des -Christ-Europäers, an die er noch wirklich glaubt, zu welcher er betet -und der er opfert. Macht über den Feind ist die Tugend des Kriegers, -Macht über den Sklaven die Tugend des Freien, Macht über das Weib die -Tugend des Mannes, Macht über den Stoff die Tugend des Künstlers, -Macht über das Werkzeug die Tugend des Handwerkers, Macht über das -Betriebsmittel die Tugend des Unternehmers, Macht über die Masse die -Tugend des Führers, Macht über das Element die Tugend des Technikers, -Macht über die Unordnung die Tugend des Wissenschafters, Macht über -den Zufall die Tugend des Weisen, Macht über den Trieb die Tugend des -Bändigers. „Jeder von uns“, so steht im pseudoplatonischen Theages zu -lesen, „möchte womöglich aller Menschen Herr sein, am liebsten Gott...“ -Der Wille zur Macht als der oberste und im Grund sogar einzige Wert des -Lebens, die Macht und ihre Ausbreitung, Steigerung das eigentliche Ziel -und der eigentliche Sinn des Lebens, das ist der kardinale europäische -Gedanke, und wer wird zu behaupten wagen, er sei nicht irgendwie auch -der kardinale christliche Gedanke gewesen? Denn war der christliche -Gott nicht vorzugweis der _pater omnipotens_, war nicht die All-Macht -an und für sich das _summum bonum_ oder der höchste Wert: nur eben -in der Sprache der Scholastik statt in der Sprache Nietzsches? Wer -unbefangen hinsieht, gewahrt denn auch gerade in jenem Mittelalter -die ragendsten Vertreter des Machtgedankens überhaupt, welche unser -Festland bis auf die neue Zeit hervorgebracht hat, -- sei es in der -Gestalt jenes Innozenz des Dritten oder Bonifaz des Achten, sei es in -der Person jenes Heinrich von Hohenstaufen, der Deutschland, Italien, -Sizilien als ein einziges Reich kaiserlich beherrschte und über das -Mittelmeer schon seine gewaltige Hand auf Kleinasien gelegt hatte, -als er alexandrisch früh und unbegreiflich aus einer ungeheuern Bahn -geschleudert ward: seit Heinrich des Dritten gleichfalls allzu jungem -Tod das zweite Beispiel übrigens aus unserer deutschen Geschichte, -wie eine Entwicklung mit schwindelerregenden Adspekten verhängnisvoll -abgerissen ward... Schon damals also, und wie erst recht heute, -kommt der Europäer erst zu sich im Gefühl der Macht; in ihm allein -genießt er seiner selbst und schwelgt er in seinem Selbst. Unter -den Gesichtswinkel der Macht gerückt, erscheint dem Europäer jedes -vorhandene Dasein und jeder vorhandene Gegenstand ein Widerstand, an -welchem er sich mißt: vermag er ihn wirklich zu überwinden, so fühlt er -triumphierend das verstärkte Bewußtsein seiner Eigenheit. Was ihn nicht -umwirft, macht ihn mächtiger, -- folglich wirft der Europäer vieles, ja -alles um, damit er dadurch mächtiger würde... - -Im Zeichen dieses machthaft gesteigerten, machthaft gespannten Daseins -beginnt dann dieser _homo europaeus_, _homo christianissimus_ sich -auf eine Art rein biologisch auszuleben, wie sich das keine einzige -Menschheit der bekannt gewordenen Geschichte vorher je gestattet -hatte. Vernunft, Maß, Mitte, Zweck, Ziel, Übereinkunft, Herkommen, -Norm, Gesetz, Urteil, Geschmack, die ehemals aus einer begründeten -Angst vor dem Leben zwischen den Menschen und das Leben absondernd -eingeschaltet wurden, liegen jetzt zertrümmert an der großen Straße, -die das Leben selbstherrlich wie nie zuvor beschreitet. Der Bios -und der Logos, mutmaßlich von Heraklit zum erstenmal in ihrer -Gleichwertigkeit und Gleichunentbehrlichkeit trotz ihres verschiedenen -Vorzeichens miteinander verkoppelt zu jenem doppelten System von -Kräften, dessen Arbeitertrag eben Europa heißt, -- der Bios und der -Logos werden jetzt durch die Vehemenz des Lebens, Nichts-als-Lebens, -auseinander gerissen, und der Bios dem Logos unbedingt und unbedenklich -übergeordnet. Womit ein Rangstreit voreilig und unsachlich entschieden -wird, der in zwei langen Jahrtausenden vielleicht der stärkste Antrieb -zu dem Aufbau unserer europäischen Gesittung war und uns jedenfalls -in dieser ganzen Zeit geschichtlich bei Atem erhalten hatte. Nunmehr -aber heißt der Zweck und Sinn des Lebens Leben selbst und darf dem -Leben nicht länger durch eine metaphysische, richtiger metabiotische -Einlegung vom Geist oder der Vernunft her unterstellt werden. Die -einmal angetretene Erscheinung aber des Lebens, sei sie _collectivum_, -sei sie _individuum_, gilt als das höchste Gut, dem gegenüber jedes -Lebendigen höchste Pflicht darin besteht, sich selber bis zum eigenen -Untergang und noch darüber hinaus lebendig auszuwirken: koste es, -was es wolle; koste es sogar die Vernichtung, die Zerstörung aller -übrigen Erscheinungen des Lebens. Das Leben selbst, im christlichen -Europa ganz folgerichtig ergriffen und begriffen als das höchste -Gut, schwillt tosend über alle Dämme, und da ist kein Opfer vornehm -und edel genug, -- am wenigsten aber das einst so gefürchtete, jetzt -leichthin dargebrachte _sacrifizio dell’intelletto_! -- welches nicht -mit Recht von ihm gefordert werden dürfte. Kindlich über die Maßen das -alte Vorurteil, menschlicher Verstand oder Geist könnten das Leben -meistern oder wenn nicht geradezu meistern, so wenigstens gängeln -oder zügeln. Kindlicher noch das Vorurteil, das Leben als solches -sei da, um höheren Vernunftabsichten, sittlichen Weltordnungen, -göttlichen Heilsplänen irgendwie zu dienen. Bis hierher freilich war -das Menschenleben in seiner vorbildlichsten Führung wesentlich ein -Dienen, und wer am würdigsten gelebt hatte, der durfte am rühmlichsten -zuletzt von sich bekennen: _In serviendo consumatus sum_, im Dienen -hab’ ich mich aufgezehrt... Aber derlei Romantik ist jetzt wahrlich -nicht mehr an der Zeit, der fortgeschrittenen. Das Leben ist erfaßt als -Unbedingtheit, Unbezüglichkeit. Vielleicht als das letzte sogenannte -_absolutum_ unserer abendländischen Philosophie hat es niemanden -und nichts mehr über sich, dem es selbst beim besten Willen dienen -könnte, -- indes ihm selber, wohlverstanden, alles dienen muß und -soll. _Ars longa, vita brevis_, sagte sich vormals der europäische -Mensch zu seinem Trost und seiner Stärkung, wenn er sein kleines Leben -an große Dinge demütig und dennoch stolz dahin gab. _Vita longa, ars -brevis_, lächelt er jetzt (etwas beklommen und beklemmend freilich) -sich selber zu, wenn er im heißatmigen Föhn des Lebens all’ die zarten -und zartesten Flocken schmelzen sieht, die er im Ablauf der Zeit zu -den herrlichen Kristallgebilden seiner geschichtlichen Kulturen, wie -er einst meinte und hoffte, für die Ewigkeit geformt hat. Weh’, ihm -schmolz im Föhn des Lebens auch der Kristall der Ewigkeit dahin, -und unter dem niederschmetternden Eindruck dieses unvergleichlichen -Verlustes geschieht es denn, daß er seine letzte Rückkehr zur Natur, -zum Leben in Szene setzt, -- diese Rückkehr, zu welcher man ihn seit -anderthalb Jahrhunderten mit immer größerer Dringlichkeit zu überreden -bemüht gewesen ist: bezeichnenderweis von demselben Frankreich aus, -welches nunmehr in Henri Bergson den Vollender und Vollstrecker unseres -europäischen Biologismus verkörpert zeigt. Der Europäer, sag’ ich, -kehrt einmal noch zurück zur Natur, enttäuscht von allen bisherigen -Kulturen. Er kehrt zurück zur Natur, will meinen, er beginnt sich -biotisch, biologisch auszutoben, auszurasen, auszutanzen, -- und dieser -Vorgang ist am Ende immer noch wichtig genug, um unsere Aufmerksamkeit -ein wenig auf sich zu ziehen. - -Denn vergessen wir, ihr Christen, vor allen Dingen dieses eine nicht, -daß der Europäer der heutigen Zeitläufte, längst ehe er zum Biotiker -wurde, er Energetiker gewesen war. Energetiker zwar nicht etwa im -Sinn einer besonderen physikalischen Auffassung und Deutung, sondern -Energetiker ganz unmittelbar in der Betätigung seiner schaffenden und -gestaltenden Kräfte. Aus dieser sehr beachtenswerten Ursache heraus -kann er gar nicht umhin, sich nun auch die Tatsache des Lebens selber -energetisch zurechtzulegen. Auch das Leben, ja das Leben erst recht -offenbart sich ihm als ein energetisches Geschehen, als ein Umsatz von -Energie in Energie, und der Lebendigste ist ihm ganz ohne Zweifel der, -welcher den ‚größten Umsatz‘ hat. Wer da die meiste Arbeitfähigkeit -und Arbeitkraft entwickelt, wer sich mit Energie am unerschöpflichsten -geladen zeigt, ist der Lebendigste von allen und als Lebendigster ohne -Frage auch der Wirklichste. Unter allen anderen, die gleichzeitig -mit ihm leben und mit ihm wirken, hat er am unwiderleglichsten zu -Allem recht: erlaubt ist, was da lebt, verboten nur der Tod. So lädt -sich denn jeder Einzelne mit einer Menge von Lebenskräften, das ist -Arbeitkräften, welche genügen würden, ihn selber samt der Hälfte -der Welt in die Luft zu sprengen. Und Gott weiß, ihr Christen, die -Luft um uns herum zittert von den Stößen der Sprengungen, die sich -ringsherum alle Augenblicke ereignen: irgendwer, irgendwas fliegt in -jedem Zeitteil dieser vorgerückten Zeigerstellung in die Luft... Der -Einzelmensch ist nur mehr eine Zusammenballung und Zusammenkernung von -positiven Kräften, die ihre Umgebung negativ laden und mit furchtbarer -Gewalt von sich abstoßen. Eine unheimliche Spannung zwischen den -einzelnen Lebensträgern entsteht und steigert sich schnell bei ihnen, -ob sie nun im engern Sprachverstand als _individua_ oder im weiteren -als _collectiva_ anzusprechen sind, zur wahren Unerträglichkeit: jedes -_collectivum_, jedes _individuum_ empfindet das andere schlechthin -als unerträglich. Eine schreckliche Einsamkeit zieht sich um jeden -Menschen zusammen wie eine schwarze Wolke, die nur noch in flammenden -Blitzen redet, wenn sie nicht dann und wann etliche Tropfen auf die -verschmachtende Erde fallen läßt, die aussehen wie Blut... Kaum in den -wildesten Vergangenheiten mögen sich Einzelmenschen, Stände, Berufe, -Klassen, Stämme, Völker, Staaten, Rassen derart indianerhaft bis zum -Tod am Marterpfahl gehaßt haben wie heute, wo die frohe Botschaft vom -Leben wie ein Fünftes Evangelium ergangen ist. Zu einem Sammelbecken -der Energie staut jeder das Gefälle seines Lebens, aber weil er wegen -der allzu großen Nähe und Widerstandskraft anderer diese gestauten -Energien nirgends abfließen lassen kann, beginnt er sehr bald unter -seinem eigenen Zuviel zu leiden. Aus diesem unvermeidlichen Leiden -am andern nährt sich ebenso unvermeidlich sein Haß auf den andern. -In diesem an sich schon übervölkerten Europa bedeutet jedes einzelne -dieser lebendigen Energiezentren, Energiequanten ein Höchstmaß an -Störung, Hemmung, Ablenkung für die andern mit lauter magnetischen und -elektrischen Gewittern in der Folge. In unglaublichem Ausmaß hat sich -ein ahnungvolles Wort Nietzsches aus seinen Niederschriften zu einer -Philosophie des Willens zur Macht als ein prophetisches erwiesen: -„Die europäische Tatkraft wird zum Massenselbstmord treiben“... Die -europäische Tatkraft, will sagen der europäische Energismus und -Biologismus, der den Europäer ohne jede Schutzmaßregel dem Leben und -seinen Entladungen preisgibt, hat wirklich zum Selbstmord der Massen -getrieben. (Was wir aber darunter ungefähr zu verstehen haben, hat -der nunmehr sieben Jahre gegen Deutschland geführte Vernichtungkrieg -einigermaßen offenbar gemacht)... - -So hat das Leben, das Nichts-als-Leben und Nur-noch-Leben die -europäische Menschheit dieser Stunde angefallen, wie es dann und wann, -anscheinend grund- und ursachlos, eines jener chemischen Elemente -anfällt, die der Gruppe von radioaktiven Stoffen zugehören. Das Leben -befiel uns und überfiel uns gleichsam, und es leitete mit diesem -Überfall anscheinend bei uns denselben Zustand des Zerfalls ein wie -bei diesen mehr wie rätselhaften Elementen. Wunderbar zwar, wir alle -wissen es, beginnt ein solch’ plötzlich auflebendes Element leuchtende -Teilchen von sich selber fort und fort zu schleudern und alle jene -märchenhaften Phänomene aufzuweisen, welche zu unserm unermeßlichen -Erstaunen ein für alle mal an den Namen Radium klassisch geknüpft sind. -Dies wie gesagt wissen wir alle. Aber wir wissen auch das andere, -daß eben mit diesen fortgeschleuderten und vergeudeten Teilchen der -atomistische Zerfall des ganzen Elementes zum Vollzug gelangt: das -Element lebt auf, indem es seine eigene Substanz verausgabt. Zum Leben -irgendwie gereizt, verführt, bestimmt, -- das alles ist ja vollkommener -Mythos innerhalb der Grenzen strengster Wissenschaft! -- gestaltet -das Element sein bisher ausschließlich physikalisch-chemisches Dasein -in ein biologisches um, wobei ihm just wiederum diese Umgestaltung -Sterblichkeit, Tod und Untergang bringt. Etwas ganz Ähnliches, deucht -mich, geschehe nun auch hier, wo wir europäische Menschen, die wir -vormals wohl ein wesentlich humanes, ja humanistisches Dasein zu -führen wenigstens beflissen waren, vom Leben als solchem nun gereizt, -verführt, bestimmt sind, uns einem vorwiegend biologischen Dasein -unbedingt hinzugeben, -- und so bringt auch uns diese Umgestaltung -Sterblichkeit, Tod und Untergang. Luziferisch glutend wie ein -feuerspeiender Berg in der Nacht loht heute Europa in den Bränden -seiner Lebenswut und Lebensgeilheit, -- aber wer wäre im ernstlichen -Zweifel, was dieses prachtvolle Nachtschauspiel, Machtschauspiel zu -bedeuten hätte! Ein oder zweitausend Jahre europäischen Christentums -haben endlich auch die verborgensten Voraussetzungen des Christentums -zum Reden und das Eis des Schweigens unter weithin vernehmlichem -Krachen zum Bersten gebracht. Und sieh’ da, es zeigte sich folgendes: -diese Voraussetzungen waren nicht geradezu nachweisbar falsch oder -irrig, aber sie mußten irgendwie dennoch lückenhaft und unvollständig -gewesen sein, denn ihnen mangelte offenbar etwas zum Schutz gegen -des Lebens Un- und Übermaß. Sicherlich hat das Christentum niemals -Ja gesagt zu den selbstzerstörerischen Konsequenzen, welche ein -nunmehr abgelaufener Äon mit zunehmender Unzweideutigkeit aus dem -Christentum selbst gezogen hatte. Aber ebenso sicherlich hilft ihm -auch die ehrlichste Verwahrung und Entrüstung nichts, daß es trotz -alles Gegenscheins zuletzt doch christliche Voraussetzungen gewesen, -oder sagen wir etwas vorsichtiger und gerechter: mit-gewesen sind, -welche diesen Konsequenzen zugesteuert haben. Genau diesen nämlichen -Konsequenzen würde _homo europaeus_, _homo christianissimus_ -unabänderlich noch einmal zusteuern, falls er durch die Vergangenheit -noch nicht genug gewitzigt, noch einmal sich entschließen würde oder -entschließen könnte, als Christ seine Geschichte von vorne zu beginnen: -„Noch einmal sattelt mir den Hippogryphen, ihr Musen, Zum Ritt ins -alte romantische Land“... Unabänderlich würde der europäische Christ -auch bei einer Wiederholung seines weltgeschichtlichen Pensums seine -persönliche Selbstverwirklichung, Selbstverlebendigung um jeden Preis -zum letztgewollten Ziel seines Daseins machen, nachdem es nun einmal -sogar seine Religion nicht besser kennt und weiß, als daß Lebenseinheit -und Ichgestalt, Individuität und Personität die letztmögliche und -höchstmögliche Ausformung des Wirklichen überhaupt darstellten ... -Gegen diese Wucherungen der Individuität, die sich notwendig aus -dieser Auffassung ergeben müssen, kann man _post festum_ mancherlei -taugliche Maßregeln ergreifen, wie sie der Herr des Evangeliums und -die sogenannte christliche Ethik denn auch in der Folge mit größerer -oder geringerer Entschiedenheit ergriffen haben. Aber alle diese -Maßregeln sind im besten Fall nur dazu geeignet, die Selbstsucht und -den Eigentrutz der einzelnen Person etwa ein wenig abzuschwächen -oder gelegentlich sogar zu unterdrücken zugunsten der Selbstsucht -und des Eigentrutzes einer anderen Person: beides jedoch von innen -heraus zu überwinden, vermögen auch diese Maßregeln keineswegs bei -der Grundsätzlichkeit der christlichen Gesamteinstellung zu Welt und -Wirklichkeit Dasein und Leben... - -Indessen sei es nochmals hier mit allem Nachdruck bemerkt, daß uns -nichts dazu berechtigen würde, diese Gesamteinstellung des Christentums -zu Welt und Wirklichkeit eine irrtümliche oder falsche zu nennen. Wahr -oder Falsch, Wahr oder irrig, das sind wahrhaftig nicht die Maßstäbe, -die an die entscheidenden Einstellungen des Menschen zur Welt und zur -Wirklichkeit gelegt werden dürfen, wenn sie nicht zu Weiterungen führen -sollen, die handgreiflich unzulässig, weil unsinnig und widersinnig -sind. Es geht nicht an zu sagen, zwei Jahrtausende europäischen -Christentums seien abwegig, irrig oder falsch gewesen. Das Schicksal -ganzer Kontinente ist so wenig wie das Schicksal eines Individuums -rückblickend anders vorstellig zu machen, als es eben gewesen ist, und -wenn jemals das gewaltige Wort vom _amor fati_ angewendet zu werden -verdient, so hier. Ist es aber, ihr Christen, unter keinen Umständen -zulässig zu behaupten, zweitausend Jahre christlichen Weltauffassens, -Lebensgestaltens seien verkehrt gewesen, -- so dürfte andererseit -freilich die Behauptung doch ihren guten Sinn haben, daß diese zwanzig -Jahrhunderte ein Verhältnis zur Wirklichkeit für allein möglich, -allein wertvoll und allein sälig machend erachtet hätten, dessen -Einschichtigkeit, Unvollständigkeit, Halbschlächtigkeit uns unter dem -Druck und Eindruck gegenwärtiger Erfahrungen offenbar geworden ist. -Die Behauptung ist erlaubt, die Behauptung ist gefordert, daß wir mit -dieser christlichen Einstellung allein nicht länger als Menschen zu -leben vermögen: nicht länger zu leben mit einer Einstellung, welche -just das Dasein europäischer Menschheit und Christenheit, wie es heute -geführt werden muß, zum mensch- und tierunwürdigsten aller Zeitalter -stempelt. Wer die Europa-Dämmerung dieser Jahre erlebt, wer sie -erlitten hat, der wird den Argwohn nimmer in sich unterdrücken können, -daß diese ganze christliche Gesittung bei der Veranschlagung des Lebens -eine unbekannte Größe, -- es braucht mit nichten ein unbekannter Gott -zu sein! -- vergessen haben möchte, welches Vergessen dann in der Folge -zu all den unsäglichen Störungen des Lebens führt, die wir heute an uns -selbst und am Körper der Gesellschaft beobachten müssen... - -Vielleicht wär’ es dabei von etlichem Gewinn, uns an dieser Stelle -zuletzt der nicht ganz unähnlichen Krisis zu entsinnen, welche -auf wissenschaftlichem Gebiet heute bekanntlich die klassische -Mechanik durchzumachen hat. Diese klassische Mechanik, seit -langem das verwöhnteste Kind europäischer Wissenschaftlichkeit, -wankt heute ja, genau wie der Bau unserer ganzen Gesellschaft, -in ihren unterirdischsten Gewölben, und dieser Tatbestand hat -seither zur Entdeckung eines Weltgesetzes Anlaß gegeben, welches -den Gebildeten unter dem Namen des Satzes von der Relativität, das -ist: Verhältniswertigkeit, allgemein bekannt geworden ist. Nun -wohl! Was ist dabei im letzten Sinn geschehen? Etwas im Grunde sehr -Schlichtes, Einfältiges, Allzumenschliches, wie mir scheinen will. Eine -Wissenschaft nämlich, bis vor kurzem die Wissenschaft schlechthin, -hat als die sogenannt klassische Mechanik der Galilei, Kepler, -Newton, Descartes ein Weltbild in Begriffen entworfen und bis in die -feingliedrigsten Einzelheiten hinein durchdacht und durcharbeitet, -welches gewissermaßen die Wirklichkeit, wie sie an und für sich sei, -darzustellen beflissen war: die Wirklichkeit mithin ganz ohne jene -erkenntnismäßigen Zutaten, Zusätze, Formungen, mit welchen sonst -(nach philosophischer Auffassung wenigstens) das erkennenwollende und -erkennende Ich diese Wirklichkeit ‚subjektiv‘ zu färben und zu tönen -pflegt. Auf diese Weise hatte die klassische Mechanik von Masse, -Geschwindigkeit, Bewegung, Schwerkraft, Raum und Zeit gesprochen, -- -nicht anders, als ob derlei Wesenheiten vollkommen unabhängig von allen -Einstellungen und Beeinflussungen jenes erkennenden, beobachtenden und -rechnenden Ich an und für sich bestünden. Das ging solang es ging: -just nämlich solang, bis zuletzt sogar die Planeten widerspenstig -wurden und nicht mehr in den errechneten Zeiten ihre errechneten Bahnen -zurücklegten. Die klassische Mechanik der Galilei, Kepler, Newton, -Descartes hatte so getan, als ob eine wissenschaftliche Darstellung -des unbegrenzt großen Körpers ‚Welt‘ zu geben wäre, ohne daß man die -Einwirkungen weiter berücksichtigte, welche der kleine und begrenzte -Körper ‚Mensch‘ auf jede derartige Darstellung notwendig schon durch -seine unumgängliche Gegenwart ausüben mußte. Jetzt endlich unter dem -Druck der gedachten Umstände begann man sich dieser Einwirkungen -des physiopsychischen Systems Mensch auf das maschinelle System -Welt grundsätzlich zu besinnen; jetzt traf man Anstalten, jenes -System als den lebendigen und insofern auch abhängig-veränderlichen -‚Bezugknoten‘ in die Maschen des wissenschaftlichen Begriffsgespinstes -hinein zu stricken. Die vorher unbedingt gedachte, unbedingt gesetzte -Wirklichkeit bewegter Massen im Raum erwies sich jetzo als bedingt, -nämlich durchaus als zugeordnet und folglich als verhältniswertig -und verhältnismäßig zu diesem lebendigen Bezugknoten Mensch. Dieser -Gedanke war kaum in seiner grundsätzlichen Bedeutsamkeit zugelassen -worden, als die Störungen zum Verschwinden gebracht werden konnten, -welche schließlich die gesamte klassische Mechanik in Frage gestellt -hatten. Im wesentlichen handelte es sich nur noch darum, jenen neu -aufgefundenen Bezugknoten in seinem veränderlichen Wert irgendwie -mathematisch-analytisch in die Rechnung einzufügen, -- ein Vorgang, -dessen Wie uns hier begreiflicherweis nichts weiter angeht. Wohl -aber gibt uns das Daß desselben, obgleich auch seinerseit in erster -Linie eine Angelegenheit der Mechanik, einen schätzbaren Wink, wie -man etwa auch außerhalb der strengen Wissenschaft Unstimmigkeiten und -Störungen einschneidender Art zu beheben vermöchte: Unstimmigkeiten -und Störungen wahrhaftig nicht in den Umlaufbahnen des Merkur oder in -der Fortpflanzungrichtung der Lichtstrahlen, sondern Unstimmigkeiten -und Störungen in der Gesamtlebensführung eines Zeitalters, -- -Unstimmigkeiten und Störungen so schwerster, ausschweifendster, -verderblichster Art, daß sie schließlich die allgemeine Tatsache -des Lebens selber gefährden müssen. Jene klassische Mechanik euerer -Galilei, Kepler, Newton, Descartes, ihr Christen, hatte den wechselnden -Bezugknoten Mensch und menschlicher Beobachter bei ihrer mathematischen -Substruktion einer dreidimensionalen Weltwirklichkeit in Anschlag zu -bringen vergessen: einen veränderlich-abhängigen Wert also je nach -der örtlichen Einstellung zu den wahrgenommenen Erscheinungen und -Erscheinungabläufen. Das Christentum aber, welches nun einmal euer -europäisches Schicksal geworden ist, ihr Christen: dies Christentum hat -unzweifelhaft etwas anderes vergessen. Was dieses andere freilich sei, -ist schwer zu sagen, schwer zu suchen, schwer zu finden... - - -Sichten wir noch einmal alles ineinander, was hier gesagt ward -über das Verhältnis des europäischen und mithin doch wohl auch des -christlichen Menschen zu seiner Welt, so wäre etwa als grundsätzlicher -Ertrag das Urteil festzuhalten: der Abendländer formt diese Welt -aus seinen Sinnen und mit seinem Sinn restlos in eine Unendlichkeit -gestaltartiger Gebilde aus. Das All zerlegt sich ihm in wechselnd -wechselseitige Beziehung solch wohl ausgeformter, festabgegrenzter -Gegenständlichkeiten zueinander, und vollends das Leben erscheint ihm -lediglich unter dem Gesichtswinkel ewig bewegter und veränderlicher -Grundgestalt. Die Wirklichkeit des Europäers ist durchgängig aufgeteilt -in letzte Einzelnheiten, letzte Einheiten, die er schon früh in -seiner dreitausendjährigen Geschichte die Unteilbarkeiten, ἄτομοι, -_individua_ zu nennen liebte. Nichts liegt seiner Gewohnheit ferner -als der Argwohn, diese vielfach gegliederte Wirklichkeit könne am Ende -doch nicht das Wirkliche schlechthin sein, und buchstäblich hat er -sein Sach’ auf Sich gestellt, wofern er sich die ganze wahrnehmbare -und unwahrnehmbare Welt so deutet, als ob sie sich zusammensetze aus -lauter mehr oder weniger ähnlichen Wiederholungen seiner eigenen -Individuation. Im fließenden Wandel der Gestaltungen deucht ihn die -Gestalt allein das Dauernde und Beharrliche, und sein Blick erlischt, -sein Auge erblindet jäh, wo man es abzuziehen trachtet von den streng -ausgeprägten Gegenständen und genau abgegrenzten Besonderungen -seiner vielgegliederten Wirklichkeit. Die Welt unterworfen dem -Gesetz fortschreitender Besonderung, das ist die vorzugweis -abendländische Welt, und wo das Gesetz nicht mehr gilt, wird mit naiver -Selbstverständlichkeit angenommen, daß auch die Welt selber nicht mehr -gelte. Diesseit und jenseit der Unterscheidung beginnt das Nichts -und Abernichts, -- das ist europäische Einstellung und Überzeugung, -und wir hier vermögen jetzt sogar zu begreifen, inwiefern dies -christliche Einstellung, evangelische Überzeugung gewesen ist. Wie der -mathematische Dividendus einer rationellen Zahl durch Teilung restlos -aufgeht in seine Divisoren, so geht die abendländische Wirklichkeit -restlos in ihre Besonderungen auf. In dieser Auffassungweise verrät -sich ein gar nicht auszurottender Rationalismus europäischen -Weltdenkens und Weltwissens, auch wenn dieses Weltdenken und Weltwissen -seit der Mathematik der Griechen aufs tiefste sich beunruhigt zeigt -von dem Problem des Irrationalismus, bis dieser Irrationalismus -schließlich in der gegenwärtigen Philosophie Deutschlands, Frankreichs, -Amerikas Trumpf geworden ist. Die Welt ein aufteilbares Ursein, die -Welt grundsätzlich ein _Dividuum_, und nur die letzten Einheiten ihres -Bestands unteilbares Dasein oder _Individuum_: in dieser Deutung krönt -die Abendlandsmenschheit ihr höchstes Wissen von der Wirklichkeit. - -Nicht aber krönt in derselben Deutung die indische Menschheit dieses -ihr Wissen, und am wenigsten der Buddho mit Namen Gotamo. Wer die -unermeßliche Paradoxie, welche für abendländischen Geschmack der Lehre -und Tat des Buddho immer anhaften wird, mit ihrer ungeminderten Wucht -auf sich prallen lassen will, braucht sich nur diesen nämlichen Umstand -zu vergegenwärtigen: denn die Erfahrung einer vollkommen entstalteten -und entformten Wirklichkeit diesseit und jenseit aller Besonderungen -und Unterscheidungen, diese Erfahrung aller Erfahrungen macht geradezu -das religiöse Erlebnis des Buddho aus: namentlich aber besteht das -gotamidische Mysterium der Erlösung einzig und ausschließlich in der -vollbrachten Ablösung von eben dieser Wirklichkeit restloser Ausformung -und Ausgestaltetheit. Wo Sinn und Sinne des europäischen Menschen -unermüdlich in eine gestalthafte Welt schweifen und mit der Schärfe -astronomischer Refraktoren sogar noch jede nebelungewisse Milchstraße -am Himmel in ein Gewimmel von lauter einzelnen Sternen optisch -zerbrechen, da sammelt sich der Geist des gotamidischen Menschen in -stiller Einfaltung auf das versiegelte Geheimnis einer Gegen-Welt, -für welche jeder Begriff von Gestalt, Form, Mannigfaltigkeit, -Unterschied, Einzelheit, Größe oder Zahl seine Gültigkeit einbüßt. -Diese Wirklichkeit des Abendländers ist mehr oder weniger eine -Vervielfältigung seiner selbst, eine Vervielfältigung seines Selbstes. -Jede Erscheinung seiner Umwelt dünkt ihn gleichsam ein Doppelgänger -seines Ich, wie er denn unbefangen genug eben sein Ich der gesamten -Wirklichkeit als ihr individuelles Modell philosophisch unterstellen zu -dürfen wähnt. Das Ich setzt Sich und das Ich setzt das Nicht-Ich, sagt -Fichte bekanntlich mit einer verräterischen Offenherzigkeit, und er -hätte vielleicht gut getan hinzuzufügen: das Ich setzt das Nicht-Ich -als das Spiegelbild und Ebenbild des Ich... - -Natürlich kann und darf man nun nicht behaupten, daß diese gestalthaft -besonderte und ausgeformte Wirklichkeit für Gotamo und den -gotamidischen Menschen nicht vorhanden wäre. Auch der östliche Mensch, -das versteht sich, schafft sich seine Welt und seine Wirklichkeit ihm -zum Bilde, wenn er auch in der Ausformung und Aufteilung dieser Welt, -in ihrer Zerlegung und Zerfällung nicht annähernd so weit gegangen ist -wie der wissenschaftlich verfahrende Europäer. Im Unterschied zu diesem -betrachtet er jedoch diese instinktiv betriebene Vermenschlichung der -Welt keinen Augenblick als Endgültigkeit, und zwar eben darum nicht, -weil sie der Welt sein menschheitlich geprägtes Selbst zugrunde legt: -denn just dieses menschheitlich geprägte Selbst betrachtet er keinen -Augenblick lang als Endgültigkeit. Vielmehr wertet er es kühl und -besonnen, wie etwa ein scharfer Denker eine wohlgelungene Gleichnisrede -bewertet, von der er nur allzu gut weiß, daß sie das Unsägliche -zwar immerhin in einer gewissen Sinnfälligkeit verdeutlicht, -- -verdeutlicht aber eben doch nur in der Weise einer Gleichnisrede. Allzu -treuherzig, allzu leichtgläubig nimmt dagegen der Abendländer sein -eigenes Selbst für bare Münze, mit welcher er alle großen und kleinen -Forderungen der Welt begleichen zu können wähnt, indes der Buddho, -längst nicht mehr treuherzig und noch weniger leichtgläubig, die mehr -wie fragwürdige Beschaffenheit auch dieses Selbstes durchschaut hat: -er ahnt ein rätselhaftes Sinnbild, wo sich der Abendländer kindisch -an die sogenannte Wahrheit klammert. Die Annahme, diese durchgängig -menschheitlich gebildete Wirklichkeit, welche den Kosmos als den -Makranthropos, Megistanthropos, den Anthropos und Autos zuletzt aber -als den Mikrokosmos begreiflich zu machen glaubt, sie könnte die -Wirklichkeit schlechthin oder die einzig ‚wahre‘ Wirklichkeit sein, -- -diese Annahme hätte der Buddho schwerlich für glaubwürdiger erachtet, -als wenn zum Beispiel aus der Schar der Wesenheiten ein Wurzelfüßer, -eine Koralle, ein Ringelwurm, eine Schnecke, eine Wespe, ein Sperling -vor ihn hingetreten wären mit der geflissentlichen Beteuerung: Diese -meine Wurzelfüßerwelt, o Gotamo, ist die Wirklichkeit schlechthin, -ist die einzige und wahre Wirklichkeit! Diese meine Korallenwelt, -diese meine Ringelwurmwelt, diese meine Schneckenwelt, diese meine -Wespenwelt, diese meine Sperlingwelt, o Gotamo, ist die Wirklichkeit -schlechthin, ist die einzige und wahre Wirklichkeit! Wähne doch ja -nicht, Herr, daß es da neben oder außer oder über oder unter oder -zwischen dieser jeweiligen Welt noch eine andere Welt gäbe, etwa eine -sogenannte Menschenwelt, oder gar, verzeih’ uns! eine gotamidische -Welt, von der wir wahrlich weder etwas zu ertasten noch zu erriechen, -zu erschmecken, zu erspähen vermögen!... Ich meine, das Lächeln ist -zu erraten, mit welchem der Buddho diesen vielerlei Wesenheiten ihr -ungebärdiges Drängeln, ihr unvernünftiges Schwören, ihr lästerliches -Pressen beantwortet hätte. Ein begütigendes, ja ein überredendes -Lächeln, welches am Ende die klügsten dieser unduldsamen Geschöpfe zu -der neuen Einsicht geführt haben möchte, daß ihre jeweilige Welt, eben -weil ihre, nur ihre Welt, nun und nimmer mit der Welt überhaupt dem -Umfang und Inhalt nach sich decken könne. Und vielleicht, wer weiß, -hätte sich der Buddho sogar noch zu der Erläuterung herbeigelassen: -Ein jegliches von euch guten Wesen schuf sich seine Welt nach Maßgabe -und Bedarf seiner eigenen Gestalt. Wie aber die Gestalt von euch -Wurzelfüßern, Korallen, Ringelwürmern, Schnecken, Wespen, Sperlingen -sowohl im einzelnen wie der ganzen Gattung nach vergänglich ist, so -ist auch euere ganze Welt vergänglich. Unvergänglich, unsterblich, -ewig aber ist allein, was nicht und nirgendwo Gestalt annahm nach -euerer Gestalt, und darum nirgends auch Gestalt verlieren kann, -ihr Wesen... „Weiter sodann, Ânando: nach völliger Überwindung der -Formwahrnehmungen, Vernichtung der Gegenwahrnehmungen, Verwerfung der -Vielheitwahrnehmungen gewinnt der Mönch in dem Gedanken ‚Nichts ist da‘ -das Reich des Nichtdaseins. Und was dabei noch fühlbar, wahrnehmbar, -unterscheidbar, bewußtbar ist, solche Dinge sieht er als wandelbar, -wehe, siech, bresthaft, schmerzhaft, übel, gebrechlich, ohnmächtig, -hinfällig, eitel, als nichtig an. Und von solchen Dingen säubert er -sein Herz. Und hat er sein Herz von solchen Dingen gesäubert, so lenkt -er es zu ewiger Artung hin: ‚Das ist die Ruhe, das ist das Ziel: -dieses Aufgehn aller Unterscheidung, die Abwehr aller Anhaftung, das -Versiegen des Durstes, die Wendung, Auflösung, Erlöschung‘“... - -Es gibt also eine Welt diesseit und jenseit aller Unterscheidungen, -diesseit und jenseit aller Besonderungen, diesseit und jenseit aller -Gestaltungen, diesseit und jenseit aller Mannigfaltigkeiten. Es gibt -eine Welt, von keinem Begriff zu umspannen und von keinem Wort zu -treffen, und dennoch eine unumstößliche Gewißheit. So sicher wie es -über der Wurzelfüßerwelt eine Korallenwelt gibt, über der Korallenwelt -eine Ringelwürmerwelt, über der Ringelwürmerwelt eine Schneckenwelt, -über der Schneckenwelt eine Wespenwelt, über der Wespenwelt eine -Sperlingwelt, über der Sperlingwelt eine Menschenwelt, so sicher -gibt es über der Menschenwelt eine solche, die überhaupt nicht mehr -dieser oder jener Art von Lebewesen und ihren leiblich-geistigen -Erkenntnismitteln entspricht: ein Welt-Sein nicht für diese oder jene -Wesen, sondern ein Welt-Sein schlechtweg, ein Welt-Sein an und für -sich, -- ein Welt-Sein mithin, wie es in ihren lichtesten Augenblicken -sogar die europäische Philosophie geahnt hat. Von dieser Welt als ‚Ding -an sich‘, die von keinem irgendwie beschaffenen Wissen erreicht wird -und erreicht werden kann, weil es ein Wissen in unserm menschheitlichen -Sinn nur dort gibt, wo unterschieden und besondert und gestaltet und -vermannigfacht wird, -- von dieser Welt ist dennoch eine Kunde zu -dem Buddho hingedrungen. Es ist eine Kunde zu ihm gedrungen in Form -einer schwer erkämpften, schwerer noch bewahrten Seelenverfassung, -die eben als solche nicht mehr dieser, sondern jener Wirklichkeit -entspricht: „Das ist die Ruhe, das ist das Ziel; dieses Aufgehen -aller Unterscheidung, die Abwehr aller Anhaftung, das Versiegen des -Durstes, die Wendung, Auflösung, Erlöschung...“ Denn in der Tat gesetzt -den Fall, diese Allerwelts-Wirklichkeit unserer menschheitlichen -Sinneswahrnehmungen entstehe gerade dadurch, daß wir ihr unser -vorgefundenes Selbst irgendwie als ihr Vorbild, Urbild, Musterbild -zu beliebiger Vervielfältigung unterstellen, -- müßte es denn nicht -in genialischer Umkehrung dieses Sachverhaltes grundsätzlich möglich -sein, durch planmäßig betriebenen Abbau dieses Selbstes auch die ihm -angepaßte, ihm entsprechende Wirklichkeit abzubauen? Dies muß möglich -sein und dies ist möglich. Denn just dieser Abbau des Selbstes gelangt -zum Vollzug, wenn der Buddho auch das Selbst der Grundformel seiner -Heilslehre unterwirft: ‚_N’etam mama_, das gehört Mir nicht!‘ Auch Ich -selbst gehöre Mir nicht, auch Ich selbst bin nur eine veränderliche -Gestalt, ein gleitendes Werden unter veränderlichen Gestalten und unter -gleitendem Werden. Auch Ich selbst habe weder Bestand noch Dauer; auch -mein Selbst durchläuft nur die Grade der Wirklichkeit vom Nullwert bis -zu einem bestimmten Höchstwert und von diesem Höchstwert wieder zum -Nullwert... - -Dennoch ist es aber eben dieses Selbst, ich sagte es schon mehrmals, -welches sich gleichsam quer wie eine starke Schwelle vor die Welt des -Abendländers legt und nichts in das Erlebnis dringen läßt, was nicht -irgendwie diesem Selbst gleich oder ähnlich ist: das _individuum_, -von sich und seiner Erstgültigkeit, Letztgültigkeit ein für allemal -durchdrungen, stimmt seinen gesamten aufnehmenden und empfangenden -Apparat wiederum nur auf das _individuum_ ab und baut sich auf diese -Weise seinen Kosmos, der zuletzt nichts anders ist als das, was nach -dem Dafürhalten Platons das vollkommene Staatswesen sein sollte und -sein wollte, -- nämlich der Mensch im Großen und Größesten, der -Makranthropos, der Megistanthropos!... Nun wohl! Setzen wir jetzt -einmal, dem Vorgang des Buddho folgend, den Wert dieser Schwelle -gleichsam zum Versuch soweit herab, daß er sich der Null annähert: -sind wir alsdann in diesem Fall unserer ganzen Voraussetzung gemäß -nicht zu der Erwartung berechtigt, wenn nicht sogar verpflichtet, -daß diesem veränderten Schwellenwert ein verändertes Erleben von -Wirklichkeit und Welt wechselbezüglich entsprechen wird? Dürfen -wir jetzt nicht mit Recht und Fug erwarten, daß über diese nunmehr -beinah’ eingeebnete Schwelle ausgeformter Eigenheit, Einzelnheit -und Besonderheit das Erlebnis einer zwar unausgeformten und darum -auch unausdenklichen und unaussprechlichen, dennoch aber bestehenden -Weltwirklichkeit auf wunderbare Art vorgelassen, zugelassen wird? -Dies nun freilich keineswegs so, als ob diese Gegenwelt zu unserer -Welt, unseren Erkenntnismitteln als solchen unzugänglich, trotzdem -nachträglicherweis und hinten herum von unserem Verstand noch etwa -auf frischer Tat zu ertappen wäre: als ob man doch irgendwie durch -allerlei Künste der Verdrehung diese verborgene Welt auf Einen Nenner -mit unserer offenbaren Welt zu bringen vermöchte. Davon ist keine -Rede. In keinem Augenblick verfällt der Buddho auf den plumpen Irrtum -der europäischen, insonderheit aber deutschen Philosophie nach Kant, -die sich in totgeborenen Versuchen erschöpft, das verbotene Ding an -sich einer Welt diesseit und jenseit aller Unterscheidungen doch noch -heimlich auszukunden. Mit solchen Bemühungen einer sich in lächerlichen -Graden selbst mißverstehenden Wissenschaftlichkeit hat der Buddho im -mindesten nichts zu schaffen. Die vollkommen unverbrüchliche, niemals -zu entsiegelnde Unerkennbarkeit dieser uns nun einmal abgekehrten -Seite der Welt gilt gleichmäßig für die wissenschaftliche Neugier der -Philosophen und Kosmologen wie für die nicht mehr wissenschaftliche, -aber desto unbezähmtere Neugier der Theosophen und Okkultisten, und -sie wird mit solcher Strenge geachtet, daß man umsonst im ganzen -Pâli-Kanon nach einem Ausdruck fahnden würde, der diese Gegenwelt -diesseit und jenseit aller Unterscheidungen auch nur durch Verneinungen -zu bezeichnen bestimmt wäre. Denn was das gotamidische _nibbânam_ -oder _nirvânam_ betrifft, mit welchem wir neuzeitlichen Europäer -denselben taktlosen Unfug, um nicht zu sagen dieselbe schamlose -Unzucht getrieben haben wie mit dem Tao des großen Lao-Tse, dieses -_nibbânam_ oder _nirvânam_ heißt ja doch, entsinnen wir uns, nichts -anderes als Wunschversiegung, Wunscherlöschung, Wunschverwindung. -Alles, was wir demnach von dieser Gegenwelt wissen können, beschränkt -sich auf einen selbsttätig erzeugten Zustand und Urstand des Gemütes -und schließt jedes Urteil, jedes Bild, jede Vorstellung von der -Wirklichkeit aus, die diesem Zustand oder Urstand entsprechen mag. -Was von jener entformten und entstalteten Welt diesseit und jenseit -aller Unterscheidungen etwa als Ahnung in die Seele des entselbsteten -Menschen dringt, das wäre höchstens jenem zarten, falben, feierlichen -Abglanz zu vergleichen, der auch in mondlosen Nächten als schwer -bestimmbarer Lichtschein von unbekannten Lichtursprüngen, unbenannten -Lichtquellen her durch unser irdisches Geräume träuft und flutet... - -Dieser gotamidisch entselbstete, gotamidisch enteignete Mensch, -soviel mag uns am Ende sacht umschreibend zu sagen vergönnt sein, -weilt fortab in einer entselbsteten und enteigneten Wirklichkeit, -wo mindestens er selbst keinen Anspruch mehr erhebt auf den Besitz -eines lebendigen Wesens oder eines toten Dinges: wo mindestens -er selbst nie mehr die Hand legt auf irgend jemanden oder irgend -etwas, um es zu seinem Eigentum zu machen. Mit seiner unvergeßlich -einprägsamen Formel ‚_N’etam mama_, das gehört Mir nicht, Ich -selber gehöre Mir nicht, das All und Alles gehört Mir nicht‘, -- -mit dieser ewigen Formel eines allgemeinen Freispruchs, Losspruchs, -Ledigspruchs streicht der Buddho aus dem Schatz unserer Sprache -jedes besitzanzeigende Für-Wort und Wort: streicht er über das Wort -hinaus jede Tat der Aneignung und Besitzergreifung aus der Vollzahl -aller Taten. Mit diesem Handgriff, diesem Geistgriff von beispielloser -Entschiedenheit versetzt sich der Buddho mitten hinein in eine vorher -nie auch nur geträumte Wirklichkeit, wo jeder Titel des Besitzes -selbst im geläutertsten Sprachverstand erloschen und jede Gebärde der -Besitzergreifung verboten ist: „Das ist die Ruhe, das ist das Ziel! Das -ist die Wendung, Auflösung, Erlöschung.“ An diese ganze hochgebäumte -Menschenwelt und Menschenumwelt legt der Buddho seine Axt, indem er -einen unübertrefflich genauen und nervigen Hieb durch die Wurzel führt, -aus welcher die erstickende Wucherung aller irdischen Individuation -und Spezifikation als Geiltrieb in das Kraut schießt. Denn Wille zur -Besitzergreifung und Aneignung, Wille zum Nießbrauch und folglich auch -zum Mißbrauch fremden Seins und fremden Wesens heißt die Wurzel dieser -Menschenwelt: die Axt aber, die sie mitten auseinanderschneidet, ist -die erlangte Einsicht, daß jegliches Verhältnis und Verhalten, durch -welches ein Wirkliches Hand auf ein Wirkliches legt, zuletzt auf eine -Täuschung, auf einen Irrtum hinauslaufen müsse. Ich selber gehöre ja -Mir nicht, -- wie sollte oder könnte da Mir anderes gehören? Ich selber -gehöre Mir nicht, oder in der Sprache unseres westlichen Evangeliums, -welches hier in gewissem Sinn seinen eigenen Voraussetzungen -vorübergehend untreu zu werden scheint: Unser keiner lebt ihm selber! -Mir selber gehöre Ich nicht, oder abermals in der Sprache dieses -Evangeliums: Unser keiner stirbt ihm selber! Wahrhaftig, wer diesen -Sachverhalt mit dem Geist erfaßt und mit der Seele angenommen hat, er -heiße Jesus oder Gotamo, der Gesalbte oder der Erwachte: wie sollte der -noch nach Besitz von Wirklichkeit gieren? - -Von Haus aus gipfelt freilich alles Menschendichten und -trachten -wesentlich darin, diese nun einmal angetretene Welt tunlichst mit -Wirklichkeiten vollzustopfen, etwa wie ein wohlhabender Mann seine -Wohnung tunlichst mit Geräten vollstopft, und diese planmäßige -Vermehrung von Wirklichkeiten pflegt im weitesten Ausmaß als Vermehrung -des Besitzes empfunden zu werden. In einem höchst eindeutigen, ja -einsilbigen Wortverstand ist für uns alle das Gesetz der größten -Zahl bestimmend: je mehr Wirklichkeit, desto besser für uns, die wir -wirklich sind! Wie der Bauer einen unersättlichen Hunger nach Land -verspürt, so hungert uns alle ganz unersättlich nach Wirklichkeiten -gleichviel welcher Art, und es verdient bemerkt zu werden, daß -wir diesen Hunger als die _sacra auri fames_ schon frühzeitig -heilig gesprochen haben. Vermehrte Nachkommenschaft, vermehrte -Bevölkerungdichte, vermehrte Arbeitleistung, vermehrte Gütererzeugnis, -vermehrte Betriebsmittel, vermehrter Umsatz, vermehrter Verkehr, -vermehrter Wissensstoff, vermehrte Weltgeltung, vermehrte Bedürfnisse, -vermehrte Beeindruckbarkeit, vermehrte Reizquellen, vermehrte -Lustgefühle, -- all das bedeutet grundsätzlich eine unendliche -Steigerung dessen, was der Einzelne möglicherweis sich aneignen kann. -Je zahlreicher die Wirklichkeiten, desto häufiger und mannigfaltiger -die Gelegenheit, von ihnen her Wirkungen zu empfangen, auf sie -Wirkungen zu übertragen und schließlich in beiderlei Geschehen die -eigene Wirklichkeit zu bereichern. Jede neue Wirklichkeit, sei sie nun -ein Gefühlsreiz, eine Erfindung, ein Kunstwerk, eine Gründung, eine -Heilquelle, ein Weltbegriff, kann von jedem Mitglied der menschlichen -Gesellschaft besessen und eben dadurch dem Zweck von dessen -Selbstverwirklichung dienstbar gemacht werden: wird doch sogar das -geliebte Weib vom Mann geliebt, damit er ‚von ihr Besitz ergreife‘, -- -will doch sogar die Liebe selbst (nach einer großen Aufrichtigkeit der -Sprache) besitzen, was sie liebt, und im Besitz der Liebe Wirklichkeit -genießen... Womöglich einmal aber in den Besitz aller Wirklichkeiten -überhaupt zu gelangen und ihr Inhaber, ihr Herr, ihr Gott zu sein, -womöglich einmal alle Wirklichkeit wie ein Weib zu umfangen, -- das ist -der brünstige Traum, der vielleicht jeden einmal in einer schwachen -oder starken Stunde anfällt. Denn wer mehr besitzt, der ist mehr; wer -mehr ist, der ist auch mehr wert, -- diese ebenso naive wie zynische -Schätzung, welche ganz unbedenklich Rang und Wert der Wesen nach ihrer -Fähigkeit zur Aneignung und Besitzergreifung bemißt, entbehrt trotz -aller Einwände, die wider sie erhoben werden können und müssen, dennoch -von dieser gewohnheitmäßigen Einstellung her auf die Wirklichkeit nicht -einer höheren Berechtigung. An Wirklichkeiten und durch Wirklichkeiten -sich staffelweis selbst empor zu erwirklichen: das ist bewußt oder -unbewußt das Ziel unbefangener Menschlichkeit. Das ist insonderheit -das Ziel, dem unser heutiges Europäertum mitsamt seinen kolonialen -Abkömmlingen mit Ausschließlichkeit zustrebt... - -Diesem Ziel aller Ziele nun stellt der Buddho Gotamo gleichsam seine -reine Umkehrung entgegen, -- und dies ist wohl die weltgeschichtlich -entscheidendste Leistung dieses stärksten Exponenten des indischen -Kontinents! Was nach der Lehre Gotamos nottut, ist eben nicht diese -Erwirklichung des eigenen Selbstes an den Wirklichkeiten der Welt -neben und außer ihm. Was hier nottut, ist vielmehr ganz im Gegenteil -die Entwirklichung aller Wirklichkeiten auf Grund einer zuerst zu -vollziehenden Selbstentwirklichung. Und zwar hat diese notwendige -Entwirklichung ganz schlicht zu geschehen durch die Besinnung auf -eben jenen Sachverhalt, welchen der Buddho in die Mitte seiner -Lehre rückt: Besitz von Dingen, Besitz von Wesenheiten, Besitz von -Wirklichkeiten ist unmöglich, -- wo er aber möglich scheint, äfft uns -ein ungeheuerer Irrtum. Noch eh’ wir uns dazu überredet haben, dies -oder jenes zu besitzen, ward es uns auch schon aus der vollen Hand -gerissen, und unverlierbar ist allein die Gewißheit, daß dem so ist, -und also auch die Folge, die wir dieser Gewißheit geben. Diese Welt, -von welcher der Europäer überzeugt ist, daß er sie beherrsche, und -nicht allein beherrsche, sondern ganz und gar besitze, diese Welt ist -in Wahrheit Niemandens Welt, am wenigsten aber die Welt des Menschen. -Eine Niemands-Welt, eine Niemands-Wirklichkeit ist es, die wir arme -Narren in verzeihlich-unverzeihlicher Selbsttäuschung die unsrige zu -nennen pflegen, und erst jenes gotamidische ‚_N’etam mama_‘ ist es, -welches wie ein Donnerkeil die Nebel dieser Selbsttäuschung zerstreut -und zerteilt. Als Niemandens-Welt, die Mir nicht gehört und nicht -gehören kann, als Niemandens-Wirklichkeit, die Mir nicht gehört und -nicht gehören kann, entweltet der Buddho diese Welt und entwirklicht -er diese Wirklichkeit. Denn was wir Welt heißen und was Wirklichkeit, -ist eben nur die Gesamtheit alles dessen, von dem wir wähnen, daß es -als möglicher Besitz von uns besessen, als möglicher Besitz von uns -angeeignet, als möglicher Besitz von uns verbraucht werden könne, -- -das Verbum ‚besitzen‘ heißt bekanntlich im älterem Deutsch ‚vermögen‘. -Wer uns diese Möglichkeit nimmt, der nimmt gewissermaßen auch den -Dingen und Erscheinungen um uns her ihre Wirklichkeit, wofern diese -Wirklichkeit eben nur der Ausdruck ist für die besitzergreifende -Beziehung von uns zu allen Dingen und Erscheinungen. Und das ist wohl -der letzte, das der tiefste Sinn dieser vielleicht hier allzuoft -benutzten, hoffentlich aber darum doch noch nicht abgenutzten Formel -‚_N’etam mama_, das gehört Mir nicht‘, -- wofern durch sie der -Buddho vollkommen deutlich macht, daß es ein Verhältnis des Besitzes -zwischen Mensch und Welt nicht gibt, leitet er damit gleichzeitig eine -Entwirklichung größten Stiles dieser nie und nimmer zu besitzenden -Welt ein! Denn was auch immer wir als Wirklichkeit erleben und -als Wirklichkeit setzen, das erleben oder setzen wir im Interesse -etwaniger Besitzergreifung als wirklich: indes uns alles zu fernster -Unwirklichkeit verdämmert und verdampft, was ein Interesse künftiger -Besitzergreifung grundsätzlich nicht zuläßt. Die scheinbar so -unerschüttert wirkliche, unverwüstlich wirkliche Welt entwirklicht -sich demnach in dem Augenblick, wo sie in des Wortes höchster und -tiefster Bedeutung enteignet wird. Diesen paradoxen Zusammenhang von -Wirklichkeit und möglicher Besitzergreifung, möglicher Aneignung dürfte -von sämtlichen Menschen der Buddho zuerst durchschaut und zuerst -- -zerschnitten haben. Wer an die Welt der Dinge, bedeutet der Buddho uns, -nicht mehr mit irgendeinem offenkundigen oder versteckten Anspruch des -Besitzes herantritt, der erlebt sie auf eine andere Weise wie vorher. -Was ihm vorher Wirklichkeit zu sein deuchte, das erscheint ihm jetzt -gleichsam als Bild, und was er vorher rund als Körper sah, enttieft -sich ihm nunmehr gleichsam zur Fläche. In unbeabsichtigter, aber -darum nicht weniger eindrucksvoller Symbolik hat die buddhistische -Plastik diesen Tatbestand auf ihre Art dargestellt, wenn sie den -vielgestaltigen Schildereien des Menschenlebens, mit welchen sie -verschwenderisch die Tempelwände des Boro-Budur schmückt, dennoch in -keinem Fall die Tiefe der vollen Körperhaftigkeit zugesteht, sondern -ihnen die aufgehöhte Fläche des Reliefs alleinig vorbehält: wogegen -rund, körperlich, allseitig im Raum nur der Buddho selber thront, --- freilich abseit vom eigentlichen Leben und seiner hinreißenden -Bilderflucht, vollkommen aus- und abgeschieden in der Einsamkeit -seiner ihm geweihten Nischen: „Das ist die Ruhe, das ist das Ziel“... - -Eine Entwirklichung der Wirklichkeit als Ziel der Ziele anstatt der -sonst betriebenen Erwirklichung an Wirklichkeiten, -- hier wird der -Europäer stutzig. Denn sei dieses asketische Ziel seinen lebendigsten -Instinkten auch noch so widersprechend, ja widerwärtig, -- irgendwann -hat doch auch er sich schon einmal mit diesem Ziel befaßt: irgendwann -ist er auf diesem Weg dem Buddho schon einmal ein Stück weit entgegen -gegangen. Entwirklichung der Wirklichkeit: weist nicht auch dieser -fremdeste aller Gedanken zuletzt wie alles maßgeblich Europäische auf -den Namen Kant zurück? Gibt es nicht auch nach der unzweideutigen -Erklärung Kants ein menschheitliches Verhältnis zur Umwelt, dessen Sinn -und Wert sich darin ausspricht, daß der Mensch Dinge und Wesenheiten -auffaßt, als seien sie gar keine Wirklichkeiten als solche, sondern -ein entwirklichter Schein? Fordert nicht Kant, dieser genugsam -nüchterne und jeder Ausschweifung abholde _magister mundi europaei_ bei -besonderer Gelegenheit geradezu die Preisgabe jedes menschheitlichen -Interesses an dem, was eine Sache zur Wirklichkeit macht, zugunsten -dessen, was eine Sache zum bloßen Schein herunterdrückt? Fußt nicht -auf diesem ganz bewußten Verzicht auf das, was wirklich in allen -Wirklichkeiten ist, nach dem Dafürhalten Kants die ungemeine Tatsache -der sogenannten Schönheit, der sogenannten Kunst? Adelt nicht -gerade das die Welt zur schönen Welt, daß der Mensch ihre einzelnen -Gegebenheiten und Erscheinungen von ihren wirklichen Zwecken ablöst -und sich selber jede Bezugnahme auf eine mögliche Besitzergreifung, -mögliche Aneignung, mögliche Nutzbarmachung freiwillig zwar, aber -mit desto größerer Entschiedenheit verbietet? Hat nicht mithin Kant -auf seine Weise, auf europäische Weise, das ungeheuere Gesetz dieser -gotamidischen Entwirklichung der Wirklichkeit anerkannt und mehr -wie nur anerkannt, wenn er zwar nicht die europäische Religion, -immerhin aber die europäische Kunst grundsätzlich auf den Tatbestand -zurückzuführen lehrt, daß die Welt als Wirklichkeit erlebt niemals -eigentlich schön sei, die Welt als Schönheit erlebt aber niemals -eigentlich wirklich? Leuchtet dem europäischen Denker, wenn er -also von jener Entwirklichung der Wirklichkeit durch den indischen -Buddho Gotamo hört, nicht als das einzig gültige Gleichnis dieses -Vorgangs eine freilich in anderer Absicht vollzogene, aber trotzdem -doch vollzogene Entwirklichung auf, eine ästhetische Entwirklichung, -mit welcher er sich in seiner eigenen Vergangenheit höchst sinnvoll -beschäftigt findet? Und kann bei dieser seltsamen Entdeckung der -europäische Denker umhin, sich volle Rechenschaft darüber abzulegen, -daß diese Entwirklichung der Wirklichkeit, obzwar zugestandenermaßen -viel weniger religiös als ästhetisch gemeint, des unerachtet einer -Tathandlung zu verdanken ist, die man mit nicht geringerem Recht -eine Ablösung, eine Entsagung, eine ‚Askesis‘ zu nennen befugt ist -wie die entsprechende Tathandlung des Buddho? Wo wir uns jeglichen -Interesses entschlagen an dem, was die Wirklichkeiten der Welt zur -Wirklichkeit stempelt, sagt Kant, da schaffen wir die Möglichkeit -einer schönen Welt, die uns interesseloses Wohlgefallen einflößt. -Kaum aber ist dies in seinen Weiterungen so uneuropäische Bekenntnis -den Lippen Kants entschlüpft, dieses Bekenntnis zur Schönheit als -einem richtigen ‚asketischen Ideale‘ im Sinne Nietzsches, ja wenn man -recht verstehen will sogar als einem Asketen-Ideal entwirklichter, -das heißt entgifteter und entstachelter Wirklichkeit, -- kaum, -sag’ ich, hat sich der repräsentative europäische Denker dieses -Bekenntnis fast etwas widerwillig selber abgerungen, als schon -der europäische Künstler, wir wissen es, die schwer zu ermessende -Bedeutungsfülle dieses Bekenntnisses dahin erwägt und überschlägt, -daß es seinerseit die Welt als Spiel zu nehmen und als Spiel zu -genießen zuläßt. Kants Entwirklichung der Wirklichkeit im Vorgang -der ästhetischen Einstellung zur Welt erlaubt in Wahrheit nämlich -zweierlei: entweder dem Gang der Welt unbeteiligt, unverstört und -ungekränkt als Zuschauer zu folgen, -- und das ist ungefähr die -Folgerung Schopenhauers aus Kant gewesen. Oder aber als Mitspieler -spielend in das ergötzliche Spiel selber einzugreifen, -- und das -war die fruchtbarere Folgerung Schillers. Im einen wie im anderen -Fall indes bedeutet dieses Verhalten _in aestheticis_ eine derart -unverbrauchte und zukunftversprechende Möglichkeit, sich auch auf -europäische Weise menschlich mit der Wirklichkeit abzufinden, daß der -kantische Gedanke wie ein Frühlingsüdwind die Seele Europas sogar dort, -wo sie bisher am härtesten zugefroren war, auftauen macht und einen -schier schon verwinterten Samen unbegreiflich schnell ins Schwellen -bringt. Als Spiel betrachtet oder gar als Spiel gespielt ist diese -alte Welt sozusagen über Nacht jung und hell und schön geworden; als -Spiel gewertet und erlebt wird sie überhaupt erst erträglich und -aushaltbar: Spiel freilich jetzt am besten und glücklichsten in jener -überaus sinnvollen Bedeutung genommen, welche Karl Bücher diesem -Begriff gegeben hat, wenn er von einem gewissen Zustand sagt, daß „es -nur eine Art der menschlichen Tätigkeit gibt, welche Arbeit, Spiel -und Kunst in sich verschmilzt. In dieser ursprünglichen Einheit der -geistig-körperlichen Betätigung des Menschen erkennen wir bereits -die spätere wirtschaftlich-technische Arbeit, die Hauptformen des -Spiels und aller Künste“... Interesseloses Wohlgefallen aber an einer -Wirklichkeit, die eben durch den Verzicht auf jegliches ‚Interesse‘ -sich entwirklicht zeigt, das ist mit andern (und vielleicht auch -etwas stärkeren) Worten lustvolles Genießen dieser entwirklichten -Wirklichkeit: lustvolles Genießen mithin gerade dort, wo bisher der -Mensch und insonderheit der christeuropäische Mensch so überwiegend -von den Gefühlen dunkler Furcht und dumpfen Argwohns bedrängt war, daß -er sich vor dieser seiner Wirklichkeit immer wieder zu den Göttern -rettete. Als Kunstwerk oder Spielwerk aber scheint nun die Wirklichkeit -mit einemmal entleidet, auch wenn sie voller Leids ist. Mag dieses -Spiel nur niedere Komödie sein, wo sich die zerstörenden Gegenkräfte -der Welt noch kurz, bevor der Vorhang fällt, in fröhlichem Gelächter -innig gepaart zueinander finden, -- oder mag es im Gegenteil Tragödie -höchsten Stiles sein, wo Götter und Helden, feierlich den Opferreigen -tanzend, am Ende der Nacht wie Sternbilder des Himmels still -verbleichen und edel untergehen: dies Spiel verlockt doch immerzu, -umbuhlt doch immerzu, bestrickt doch immerzu mit jener feurig kecken -Überredsamkeit des Don Giovanni, welcher nicht einmal der steinerne -Komtur als leibhaftiges Symbol des Todes hat widerstehen können: -„Willst du mein Gast sein? -- Ja!“... - -Ist aber die Wirklichkeit, von Kant zuerst bei uns zum schönen Schein, -von Schiller dagegen zum schönen Spiel entwirklicht, nichts anderes -als ein Gebild der Kunst, dann offenbar bedarf sie zu ihrer steten -Neu-Hervorbringung des Künstlers. Als Kunstwerk, Spielwerk ist diese -Welt das Werk des Künstlers: der Künstler aber eben der, der alle seine -menschheitlichen Spannungen im Werk zur Lösung bringt. In diesem Sinn -also Wirklichkeit und Welt als Werk des Künstlers aufzufassen, den -Menschen aber eben als den Künstler dieses Werks, darin besteht der -wesentlich europäische Vollzug einer Entwirklichung des Wirklichen. -Wie wir übrigens jetzt doch sehr bestimmt wahrnehmen, von jenem -gotamidisch-indischen Vollzug bei aller inneren Übereinstimmung -des Zieles in den Mitteln tief verschieden. Denn diese europäisch -entwirklichte Wirklichkeit, sie bleibt ja wohlgemerkt kraft ihrer -Eigenschaft als Kunstwerk mit all den heißen Leidenschaften und -Begierden, Sehnsüchten und Wünschen des Künstlers bis zum Rand geladen. -Sie ist nicht trotzdem, sondern weil sie dem Künstler-Menschen nur -noch Spiel ist, nicht matter, abgekühlter, lebensferner wie vorher, -vielmehr im Gegenteil farbiger, glühender, atembeklemmender wie je. -Der Künstler, das sehen wir jetzt deutlich, entwirklicht die Welt -auf andere Art wie das Religiöse, und dementsprechend entwirklicht -der Europäer die Welt auch auf andere Art wie der Inder. Selbst wo -der Künstler sich seiner Absicht nach also in seinem Werk von seiner -Welt erlöst und damit augenscheinlich eine religiöse Leistung zum -Vollzug bringt, -- und welcher Künstler wäre erfahrener in diesen -Selbst- und Welterlösungen gewesen wie Goethe? -- selbst dort erlöst -er dessen unerachtet nur als Künstler und nicht als Religiöser. Er -bringt den Lebensstrom nicht wie der Büßer in sich zum Stocken, -sondern er schaltet ihn nur gleichsam wie einen Kraftstrom in einen -anderen Kreislauf ein. Imgleichen bringt er den Lebensdrang in sich -nicht zur Unterbindung, sondern verpflanzt ihn gleichsam nur in eine -andere Welt-Seins-Lage, Welt-Scheins-Lage. Ist doch der Künstler -schlechterdings der Schaffende und folglich sein Erlösen zuletzt nichts -anderes als ein Schaffen: wogegen sich der Büßer in einer Gegenwelt -aufhält, für welche der Begriff des Schaffens seinen deutbaren Sinn -nicht minder wie der Begriff der Gestalt verlor. Ein Schaffen bleibt -sonach das entwirklichende Spiel des Künstlers im Gegensatz zu den -Erlösungen des Büßers, und derart gipfelt mit unentwegter Folgestrenge, -Folgetreue dieser europäische Vollzug der Welt-Entwirklichung _more -aesthetico_ im Schaffen. Als Schaffender lernt es der _homo europaeus_ -in dieser Welt endlich aushalten; als Schaffender weiß er sie endlich -zu genießen; als Schaffender erlöst er sich endlich von ihrer -Wirklichkeit zu ihrer Bildlichkeit und Sinnbildlichkeit. Nicht zufällig -aber, wahrhaftig nicht! ihr Christen, heißt der europäische Oberbegriff -alles europäischen Philosophierens schon beim alten, niemals alternden -Platon -- ποίησις, das ist Erschaffung, das ist Schöpfung. „Denn -die Ursache von jedwedem“, so lesen wir im Gastmahl, „was aus dem -Nicht-Sein ins Sein übergeht, ist insgesamt ποίησις“. Als Schaffender -wagt der Europäer, sonst vielleicht eine schlechte und mißratene -_species_ Mensch, sein heiliges Ja zur Welt zu sprechen, da auch er -als Nicht-Schaffender nur das Nein aufgebracht hatte. Als Schaffender -verlernt er Leidender zu sein und an der Wirklichkeit, am Leiden selbst -länger noch zu leiden. Als Schaffender verlernt er im Gesetz des -Schaffens den Zufall des Leidens, dem er als Nicht-Schaffender wehrlos -ausgesetzt bleibt. Unendlich beziehungreich hat darum der letzte -Europäer, Nietzsche, dieses Erschaffen und Umschaffen der Welt zum -Kunstwerk, Spielwerk, Künstlerwerk auf den Namen des Künstler-Gottes -Dionysos getauft: seit Messer Ariosto bis zu Byron und Shelley, seit -Cervantes bis zu Hoffmann und Keller, seit Shakespeare bis zu Büchner -und Grabbe, seit Pier della Franceska bis zu Delacroix und Marées, -seit Meister Rabelais bis zu Balzac und Rolland, seit Orlando di -Lasso bis zu Mozart und Schubert befindet sich Europa auf seiner Höhe -nur dann, wenn es die goldene Flöte des Dionysos bläst. Im Zeichen -des dionysischen Schaffens vollendet sich Europa, -- der Rest, an -Umfang ungeheuer, an Wert gering, gehört Fabrikarbeit und Werkeltag, -Berufsfron und Geschäft, Gelehrsamkeit und Schulfuchserei, Dienst -und Drill. Die Welt aber ein dionysisches Begebnis: so heißt bisher -Europas beste Stunde, so heißt bisher Europas ewigste Vollendung, -die ihm niemand, nicht einmal der Europäer, streitig machen soll; --- zugleich das einzige Ergebnis, welches der Mühe lohnt, daß diese -kleine Teil-Welt, kaum mit Fug ein Welt-Teil zu nennen, nicht auch -geschichtlich nur Asiens Halbinsel und Anhängsel geblieben ist. Als -dionysisch Schaffender indes, angesichts seiner zu einem Kunst-Werk, -Spiel-Werk schöpferisch erlösten Europa-Welt erklimmt der Europäer den -Gipfel seines Kontinents, der da die Wasser zwischen Europa und Asien -scheidet und gleichsam der ‚Ewige Ort‘ ist für alle guten und hohen -Geister seit den Tagen des Herakleitos und Pythagoras, des Empedokles -und Platon bis hinauf zu der Gegenwart Kants und Jean Pauls, Goethes -und Nietzsches. Nur noch ein einziger kurzer Schritt, und dieser -dionysische Europäer, Künstler und nicht Büßer zwar, aber dennoch ein -Entwirklicher der Wirklichkeit und ein Erlöser von der Wirklichkeit, -- -nur ein Schritt noch, und er bekommt seine große Aufgabe zu Gesicht und -mit ihr den großen Orient. Nur ein einziger kurzer Schritt noch, und -der dionysische Europäer erschaut das Wunder aller Wunder, wie nämlich -Europas Gott Dionysos dem indischen Buddho auf der Ost-Westbrücke -begegnet und magisch mitten durch ihn hindurch schreitet. Nur ein -einziger kurzer Schritt noch, und die Zeit ist erfüllt, da ein neuer -Held Alexandros Europa und Asien aus Einem Mischkrug trinken wird... - -Eine Begegnung, sag’ ich, werde sich ereignen zwischen dem Gott, der -bisher trotz des biblischen _deus absconditus_ der vornehmste und -edelste, sicherlich aber der unsterblichste Gott Europas gewesen ist, -und zwischen dem indischen Buddho Gotamo. Denn es kommt ja der Gott -Dionysos von dieser Welt geradewegs her, die er als Schaffender in -ein säliges Spiel zu wandeln lehrt: und es kehrt ja der Buddho als -‚Strahlender Mönch‘ zu dieser Welt geradeswegs zurück, nachdem er -sich durch keine niederzerrende Fessel mehr an sie gefesselt weiß. -Wie könnten mithin da die beiden sich verfehlen? In Wahrheit kehrt -der Buddho aus jener unsäglichen Gegenwelt _nibbânam_ zu dieser -Welt zurück und auf seinem Antlitz blüht etwa jetzt der warme Klang -von Zärtlichkeit, wie er stets solchen eignet, die sich rein auf -sich selber abzustimmen vermochten und nun aller Wesen Wider-Klang -glockenhaft empfangen. Auf ähnliche Weise kehrt der Buddho jetzt -zurück, nicht unähnlich vielleicht jenem allerglücklichsten Könige aus -Sakontalâ, der als Gast in Indras Himmel eingeladen war und nun auf -Indras Wolkenwagen mit Indras Wagenlenker sanft zur Erde, sanft zur -Heimat gleitet: „Die Schnellfahrt abwärts verleiht der Menschenwelt ein -wunderseltsam Aussehn!... Ja, -- diese Erde ist berückend schön“... Auf -so beschaffener Rück- und Niederfahrt zur Welt also mag es geschehen -sein, daß Indiens Buddho den orphischen Gott in Sicht bekam, von dem ja -seinerseit die Sage vielsagend zu berichten weiß, daß er nach Indien -gewallfahrtet sei. Wann dann der Buddho aber ihn, den ‚guten Europäer‘ -in Person, etwa die Worte sprechen hörte: „Wohlan ihr Freunde! Schaffen -wir Schaffenden diese Wirklichkeit zu einem Kunstwerk, Spielwerk um, -auf daß wir nicht an ihr zuschanden werden müssen“... wann ihn der -Buddho dieser Art sich äußern hörte, -- dann dürften ihn mancherlei -gute Gründe und Untergründe zu folgender Erwiderung bewegen: „Die -Wirklichkeit zum Spiel entwirklichen, o Trefflicher, ist gut! Vergiß -indes das eine nicht über deinem Spiel, daß es auch einen Einsatz -hat! Vergiß den Einsatz nicht, Dionysos! Sei es uns Menschen immerhin -verstattet, daß wir, was um uns her geschieht, unwirklicher und darum -auch unwichtiger nehmen lernen wie vorher. Sei es immerhin verstattet, -das jeglicher von uns die süßeste Miene auch noch zum bittersten -Spiel machen lerne, dieweil es eben ein Spiel und Spiegel, Bild und -Sinnbild ist. Der Einsatz aber unsres Spiels, Dionysos, muß bei -weitem für ernster gelten als alles, was insonderheit ihr spaßhaften -Europäer bis heute ernst zu nehmen pflegtet. Auf diesem Schauplatz -Welt, auf diesem Spielplatz Welt, da geht es um Entscheidungen, -Teuerster, deren Tragweite bis an die Grenzen dieser Welt reicht, -- -und falls diese Welt, wie ihr behauptet, keine Grenzen hätte, bis an -die Grenzenlosigkeit der Welt. Ihr Europäer meint, wo um des Einzelnen -Tod oder Leben gewürfelt werde, da handle sich’s um keine Kleinigkeit. -Ich aber habe jederzeit verkündigt, daß jeder Einzelne in jedem -Augenblick nicht allein um sein eigen Leben und um seinen eigenen Tod -würfle, sondern um hundert hunderttausend Leben, die er leben muß und -leben wird, und um hundert hunderttausend Tode, die er sterben muß -und sterben wird. Ihr Abendländer gebt ja vor zu wissen, daß alles, -was hier je geschieht, seine Folgen habe, wie es auch umgekehrt die -Folge ist von allem, was je geschah, und euern Genius Jean Paul hörte -ich mit hohem Staunen schon fast Mein Wort wörtlich sprechen: „daß -jede Tat (noch) viel gewisser eine ewige Mutter wird, als eine ewige -Tochter ist“... Trotzdem tut ihr aber alle ohne Ausnahme so, als ob -das Grundgesetz der Welt, das unverbrüchliche und ausnahmlose, mit -dessen wissenschaftlicher Fassung ihr euch so unerträglich spreizt und -brüstet, in jedem besonderen Fall, der euch selbst betrifft, außer -Kraft treten könne, außer Kraft treten müsse. Denn jeder von euch tut, -als ob seine Tat überhaupt keine Folgen hätte, und niemand hat ein -Gefühl dafür, was das heiße, Ursache zu sein, Urheber zu sein, Urtäter -zu sein. Oder ist euer Sinn nicht immer so ganz und gar ein kurzer, -blöder, daß ihr wähnt, ihr könntet etwas tun, Böses oder Gutes, ohne es -für die Unendlichkeit zu tun, -- oder ihr könntet etwas unterlassen, -Rechtes oder Schlechtes, ohne es für die Unendlichkeit zu unterlassen? -Hinter der kleinen Muschel hört ihr das Meer zwar branden, aber -welchem von euch donnert und rollt hinter der kleinen Tat der eiserne -Gang der Welt anfanglos nach rückwärts und nach vorwärts endlos? Wem -klirrt die Kette unendlicher Notwendigkeiten hinter jeder Wahlhandlung -seiner Freiheit, oder wem dröhnt die Stille der Ewigkeit hinter jedem -fallenden, hinter jedem hallenden Tropfen der Zeit? Solang’ ihr an -euerer Seelen Unsterblichkeit glaubtet und an Gottes Vergeltung nach -dem Tod, schien wenigstens den Bessern unter euch der gegenwärtige -Entschluß nicht ganz unwichtig im Hinblick auf ein Künftiges, -- wenn -ihr freilich sogar auch dann noch dumm-listig und pfiffig-dreist genug -zu dem unlauteren Versuche waret, den jenseitigen Richter euerer Un- -und Übeltaten mit Trink- und Schmiergelderchen kirren zu wollen und -euch selbst zu überreden: Er ist einer wie wir! Er hat seinen Preis und -lässet sich kaufen!... Seither indes, und es ist schon ziemlich lange -her, fandet ihr Europäer eine bessere Unsterblichkeit, nicht von euern -Priestern, sondern von euern Gelehrten entdeckt und die Unsterblichkeit -der Keimzelle nüchtern und wissenschaftlich geheißen. Und von da an, -damit ich dir’s gestehe, Lieber! -- von da an bezauberte mich die -Hoffnung, daß ihr über diesen Umweg eines Tages den Weg sogar zu mir -noch finden möchtet! Denn jetzt mußte es ja dem Blindesten hell vor -den Augen werden, was eigentlich der Einsatz ist, um den gespielt wird -im Spiel des Lebens. Jetzt mußt’ er’s mit den Händen tasten, -- wie -er in eigener Person die Summe aller Vorfahren bis hinauf zum ersten -Menschen, bis hinauf zum ersten Tier in sich verkörperte, verseelte und -vergeistigte, so würde er umgekehrt sich selbst wiederum verkörpern, -verseelen und vergeistigen bis hinauf zum letzten Menschen und wer -weiß! bis hinauf zum ersten Wesen der nächst höheren Gattung. Als -ich von dieser Unsterblichkeit der Keimzelle vernahm, da dachte ich -euch mir hart auf der Spur, und hart auf der Spur dem ewigen Gesetz, -das ich einst, wie du weißt, meinen Mönchen nachließ: „_Kammadâyâdâ -sattâ ti_, -- Erben der Werke sind die Wesen, Erben der Taten sind die -Wesen“... Als Erben der Werke, Erben der Taten, dacht’ ich damals, -würdet ihr endlich alle Verkörperlichungen des Lebens bis hinab -zum letzten Menschen und was nach ihm kommen wird betrachten. Als -Selbst-Verkörperlichungen würdet ihr endlich die Körper euerer Enkel -und Enkelsenkel bis ins letzte Glied begreifen lernen: und so würdet -ihr endlich den Einsatz erraten, um den das königliche Spiel der Welt -gespielt wird. War dies auch noch lange nicht Mein Weltgesetz, Meine -Unsterblichkeit, Meine Lehre von der Wiederkunft, -- denn dir ist’s -bekannt, Dionysos, daß ich vielschichtig denke und bin, wo ihr nur -einschichtig denkt und seid! -- es war dennoch ein gutes Stück davon. -Ein jeglicher würde als Ahne im Leib seiner Enkel wiederkehren, und -so in ihrem Geist, in ihrer Seele; ein jeglicher würde wiederkehren -nach Maßgabe seiner eigenen Seinsschaffenheit, zu welcher er sich -selbstgestalterisch bestimmt hat und zu welcher er allen nachkommenden -Samen mitbestimmt. Wie mußte euch der Sturm dieser ungeheuern -Verpflichtung auf den Boden schmettern, -- wie mußte euch der Wirbel -dieser übermenschlichen Verantwortung wieder aufrecht reißen: daß jeder -ein Richter ist aller ungeborenen Wesen, wenn er über sich selbst -entscheidet, daß jeder in die fernsten Sterne zielt, wenn er den Pfeil -der Tat von seines Bogens Sehne schnellt, -- wie sagt doch, o Dionysos, -euer großer Heraklit: „Nun aber heißt des Bogens Name Leben...“ Jetzt -hattet ihr das Gewicht gefunden, das ich von meinem fernen Festland -aus leider nicht an euch hängen konnte: jetzt ward es euch von euerer -Wissenschaft geschenkt, damit ihr endlich als das Lot der Welt im Raume -pendeln, schweben konntet. Ach, welche Hoffnungen setzte ich nicht -damals in euch, auf euch, daß wir uns endlich, endlich finden würden... -Aber was geschah? Auch dieses goldene Gewicht ließet ihr auf der Wage -stehn. Auch jetzt verschmähtet ihr’s, selber Wage und Wagschale zu sein -und als Gewichtstein dort hinabzusinken, wo es tief ist. Flaumleicht -und daunenweich bliebt ihr auch jetzt, und anstatt hoch im Glockenstuhl -der Zeit durch manches blaue Lichtjahr stolz zu schwingen, ließet ihr -euch von jedem schwachen Hauch entwehen. Wie Irrwische sah’ ich euch -hüpfen auf den Sümpfen eueres Kontinentes, Dionysos! Wohl lerntet ihr -hier und da das Leben spielen, -- aber ihr lerntet die Regel nicht, -wie euer Spiel gewonnen und verloren wird. Nun ich dich aber hier, -Dionysos, an Einsatz, Regel, Sinn, Geist deines Welt-Spiels mahne, sei -dir das tiefere Geheimnis euerer westlichen Bedrängnis nicht ferner -vorenthalten. Ihr liebt es, liebt es heute insbesonders, euch selbst -in dieser apokalyptischen Stunde des Abfalls von Gott zu bezichtigen. -Manchmal sind sogar die Besten, Hellsten, Klügsten unter euch der -Meinung, sie brauchten nur wieder Götter glauben, und alles, was -seither aus den Fugen sprang, renke sich schnell dann wieder ein wie -zuvor. Das aber ist euer Grund- und Lebensirrtum! Denn nicht, daß ihr -gottlos geworden seid, macht euch so unbeschreiblich elend und gemein; -nicht dies hat über euch gebracht das Messerstich-Alter, welches ich in -der Sechsundzwanzigsten Rede aus der längeren Sammlung Dîghanikâyo -- -sie führt aber in Meinem Kanon seltsamerweis den Titel ‚Der Kaiser‘, -wie du weißt! -- bis ins kleinste euch geweissagt habe. Sondern daß -ihr weltlos geworden seid, ihr westlichen Menschen, weltlos wie keine -andere Menschheit je zuvor. Ja, ihr lebt schlechterdings außer der -Welt. Ihr lebt nicht vorwärts und nicht rückwärts; ihr lebt nicht ins -Diesseit und nicht ins Jenseit; ihr lebt nicht in die Breite und nicht -in die Tiefe. Selbst wo ihr Götter schufet, da schufet ihr sie viel -lieber gegen die Welt als für sie. Ihr schufet Gott, damit er euch -bei jeder Gelegenheit beausnahmen möchte von dem Gesetz der Welt, und -selten, daß euere Götter etwas besseres waren als ein schiefer Vorwand -für solch hochmütige Beausnahmung, -- übrigens zugleich mein stärkster -Einwand gegen alle Götter, Dionysos, und mein stärkster Einwand -sogar gegen dich, verzeih!... Wundert euch darum nicht, ihr weltlos -Gewordenen, wenn die Welt schließlich an euch vorüberläuft. Schon jetzt -hat sie euerer so gut wie vergessen, und über eine kleine Weile wird -Gras über euch gewachsen, Sand über euch geweht sein. Mich selber nennt -ihr gottlos, und in Wahrheit habe ich meinen Jüngern Gott verboten, --- aus Gründen, die du jetzt vielleicht zu ahnen beginnst. Aber bin -ich auch gottlos: nie und unter keinen Umständen war ich weltlos. Wenn -ich mich von der Welt am strengsten abschied, war ich vielleicht am -innigsten mit ihr vereint. Und nur weil ich Bürger dieser und jener -Welt war, vermochte ich’s, diese Welt durch jene Welt zu überwinden: -‚Ich aber, ihr Mönche, verstehe diese Welt und jene Welt‘...“ - -Solche oder ähnliche Rede mochte der indische Buddho Gotamo mit dem -orphischen Gott Dionysos bei ihrer denkwürdigen Begegnung gewechselt -haben auf dem Brückenjoch der Festländer. Dionysos aber ließ das Haupt -lange auf seine Brust herabsinken. Und er verharrte reglos in einer -Schweigsamkeit, die sich wie der längste Schatten des kürzesten Tages -dämmergrau und erkältend zwischen die Wächter der beiden Reiche legte. -Dann aber hob er sein saphirnes Auge auf und lächelte dem Buddho sonnig -zu: „Recht hast du mir mit allem, o Buddho! Wir Menschen des westlichen -Reiches spielten bisher Welt und spielten Leben, ohne die Regel unseres -Spiels zu kennen und den Einsatz zu bedenken. Und daran bin ich am -meisten schuldig. Früh hab’ ich ja in meiner orphischen Vergangenheit -die Unsterblichkeit verkündet, ganz wie du selber, Gotamo. Und oftmals, -wenn ich nach sinnaufwühlenden Offenbarungnächten den ersten Strahl -meines heiligen Gestirns den Giebel meines Tempels zu Tempe goldig -kränzen sah und gleichzeitig mich durch den Mund des Orpheus als -Seelenretter und Heiland preisen hörte, -- wie mußte ich da an dich, -Spender der Unsterblichkeit denken, der du zu Maghadâ hast den Löwenruf -erschallen lassen: ‚Leihet Gehör, ihr Mönche, die Unsterblichkeit -ist gefunden‘... Das war damals, o Buddho, in jener ungeheuern Zeit -des Götterfrühlings auf hesperischer Erde... Heut’ jedoch weiß ich -auf das klärste, daß ich dich herzlich mißverstanden hatte. Mit -ähnlichen Worten meintest du nicht das Ähnliche mit mir. Ich selber -fühlte nur die zeugerische Lust des Werdens, das immer wird, und kaum -geworden, wieder entwird. Ich selber war nur immer eingedenk des ewigen -Schaffens, wie es in jeglicher Erschaffung sich selbst erscheint, in -jeglicher Erscheinung aber die Erschaffenheit verneint, die nicht das -Schaffen selber ist und sein kann. Als unzerstörliche Werdenskraft -und Allkraft genoß und litt ich meine Ewigkeit, lebte und starb ich -meine Ewigheit. Darüber vergaß ich, wundere dich nicht, das Gesetz des -Werdens. Ich vergaß, daß alles Künftige in der Welt sich nur insoweit -knoten würde, als es von einer eigenwilligen Gegenwart selbstherrlich -geschürzt wird. Den Knoten der Welt und des Werdens, den an- und -absteigenden in der Zeit, vergaß ich; vergaß, daß er an- und absteigt -in der Zeit nur wie wir es selber ihm bestimmen. Wohl hatte ich während -meiner Wallfahrt an euern heiligen Gangâ, dessen Silberquellen, wie ihr -sagt, dem Gletschertor der Milchstraße klingend wie Sternschnuppentau -entschmelzen, vom Strome her die Stimmen deiner Mönch’ und Nonnen -häufig psalmodieren hören: - - „Und was der Mensch auch wirken mag, - Verdammte Taten, edles Werk: - Der Erbe ist er überall, - Der Erbe seiner eigenen Tat...“ - -Aber was ich von dorther hörte, obwohl mich’s manchmal wundersam -berührte, verstand mein Sinn noch nicht. Einmal ist Keinmal, Einmal -ist höchstens Einmal, hatten wir’s in unserem armsäligen Einmaleins -je und je vernommen. Wie hätten wir da dein glühendes Richterwort -fassen sollen: Einmal ist Immer! Einmal ist Unendlichmal! Einmal -ist Ewig! Ach! allzulang waren wir westlichen Olympier nur ‚Götter -Lustig im Dämmerlicht‘ gewesen... Aber du selber, Herr, sagtest es -vorhin, wir seien endlich jetzt auf deiner Spur. Ja, wir sind dir, wir -sind der Welt endlich auf der Spur, o Gotamo! Zwar ist vor Kurzem -noch an dem furchtbaren Gesetz, das du zuerst der Welt gegeben und -aufgegeben hast, der stärkste meiner Söhne mir zerbrochen, (er hieß -mit Namen Gold-Stern, das ist Zarathustra, und du kennst ihn, liebst -ihn als von deiner Art, Herr...) Noch hat also zwar nicht einmal er, -von allen zukünftigen Geistern meines Reiches der Zukünftigste und -der Geistigste, deinen Urgedanken der unendlichen Wiederkunft aller -Wesen je nach ihren Werken unangefochten bis ans Ende auszudenken, -auszuhalten vermocht: noch ist unser Stärkster zu schwach gewesen -für dein Gesetz und deine Welt, o Buddho. Aber er hat ihn doch -- -und welch ein großer Anfang, Aufgang ist dies! -- als erster seit -Jahrtausenden wieder religiös erlitten und gelebt, statt einfach -wissenschaftlich festzustellen. Hier oder nirgends ahnte er, der neue -_homo religiosus_, die neue Pflicht, die neue Bindung, welche demnächst -auch uns in erneuter _religio_ dem All verpflichten und verbinden -würde. Hab’ also noch Geduld mit uns, Erhabener! Beim zagen Schimmer -dieses Stern-Gedankens werden auch wir endlich lernen, uns wieder in -die feierliche Nacht der Welt hineinzutasten. Du bist der Buddho, du -bist der Erwachte, vollkommen Erwachte! Du bist erwacht, vollkommen -erwacht zur Welt, von der wir heute morgendlich noch träumen. Aber du -kennst die tausend Zeichen, die alle, alle darauf deuten, daß auch -wir demnächst die Erwachenden und Erwachsamen sein werden: ein neuer -Aufgang mitten in Europas Untergängen... Für jetzt und heut’ indes, o -Buddho, ist unser beider Äon wieder einmal abgelaufen, -- erst an des -nächsten Ende werden wir uns wiedersehen. Dann aber wird der längste -Schatten dieses kürzesten Tags, der jetzt graudämmerig und erkältend -zwischen uns sich spreitet, dem kürzesten Schatten des längsten Tags -gewichen sein. Dann wollen wir auf diesem Brückenjoch der Länder das -nächste Mittsommerfest, Mittsommerglück gemeinsam feiern... Horch!.. -Läutete da nicht eine Glocke? Summte nicht ein Gong?.. Wie ein Kristall -blaut wunderbar die Zeit! Schau um dich, Gotamo! Es weltet weit und -breit!..“ - - - - - DIE WIEDERGABE DER BUDDHO-STATUE ERFOLGT MIT - GENEHMIGUNG DES FOLKWANG-VERLAGES IN HAGEN - - - - -AUS REICHLS VERLAGSBERICHT - -DER VOLLSTÄNDIGE VERLAGSBERICHT WIRD AUF VERLANGEN KOSTENLOS UND -PORTOFREI GELIEFERT - -OTTO REICHL VERLAG DARMSTADT - - - - -+LEOPOLD ZIEGLER+ - - -GESTALTWANDEL DER GÖTTER - -VON _LEOPOLD ZIEGLER_ - -DRITTE AUFLAGE, ZWEI BÄNDE - -IN LEINWAND GEBUNDEN 240 M., IN HALBLEDER GEBUNDEN 360 M. - -+Inhalt:+ Erste Betrachtung: Weltheiligung, Sühnwirkung, Sinndeutung -der Griechen. Zweite Betrachtung: Der Mythos vom Mittlergott und -die Religion der Seele. Dritte Betrachtung: Der Heilsdreiweg der -Christenheit. Vierte Betrachtung: Deutsche Reformation. Fünfte -Betrachtung: Der Mythos Atheos der Wissenschaften. Sechste Betrachtung: -Die Mysterien der Gottlosen. - - -DER EWIGE BUDDHO - -EIN TEMPELSCHRIFTWERK IN VIER UNTERWEISUNGEN VON _LEOPOLD ZIEGLER_ - -IN LEINWAND GEBUNDEN 150 M., IN HALBLEDER GEBUNDEN 250 MARK - -+Inhalt:+ Die erste Unterweisung: Buddho der Protestant. Die zweite -Unterweisung: Buddho der Erlebende. Die dritte Unterweisung: Buddho der -Wissende. Die vierte Unterweisung: Buddho der Öst-Westliche. - - -DER DEUTSCHE MENSCH - -VON _LEOPOLD ZIEGLER_ - -ZUR ZEIT VERGRIFFEN - - -VOLK, STAAT UND PERSÖNLICHKEIT - -VON _LEOPOLD ZIEGLER_ - -GEBUNDEN 9 M. - -+Inhalt:+ Das Volk und seine Souveränität. Der Staat und die -Gerechtigkeit. Der Notstand der Persönlichkeit und seine Überwindung. - - -DAS WELTBILD HARTMANNS - -VON _LEOPOLD ZIEGLER_ GEBUNDEN 15 M. - -+Inhalt:+ System und Zeit. Deduktion, Induktion und Wahrscheinlichkeit. -Die Ableitung der Qualität. Die Entstehung des Bewußtseins. Monistische -Philosophie. Induktion und genetische Metaphysik. Der Wahrheitsbegriff. - - -ZUR METAPHYSIK DES TRAGISCHEN EINE PHILOSOPHISCHE STUDIE - -VON _LEOPOLD ZIEGLER_ - -BROSCHIERT 6 M. - -+Inhalt:+ I. Die letzten Prinzipien des Tragischen. II. Die Postulate -des Tragischen. III. Das Tragische als Antizipation des Weltprozesses. - - -FLORENTINISCHE INTRODUKTION - -ZU EINER PHILOSOPHIE DER ARCHITEKTUR UND DER BILDENDEN KÜNSTE - -VON _LEOPOLD ZIEGLER_ - -GEBUNDEN 24 M. - - - - -+GRAF HERMANN KEYSERLING+ - - -DAS REISETAGEBUCH EINES PHILOSOPHEN - -VOM _GRAFEN HERMANN KEYSERLING_ - -FÜNFTE AUFLAGE 1921. ZWEI BÄNDE IN LEINWAND GEBUNDEN MIT DEM BILDNIS -DES VERFASSERS 240 M., IN HALBLEDER GEBUNDEN 360 M. - - -WAS UNS NOT TUT -- WAS ICH WILL - -VOM _GRAFEN HERMANN KEYSERLING_ DRITTE AUFLAGE 1920 BROSCHIERT 6 M. - - -DAS GEFÜGE DER WELT - -VERSUCH EINER KRITISCHEN PHILOSOPHIE VOM _GRAFEN HERMANN KEYSERLING_ - -ZWEITE AUFLAGE 1920 GEBUNDEN 90 M., IN HALBLEDER GEBUNDEN 180 M. - -+Inhalt:+ I. Die Einheit des Universums. II. Kontinuität und -Diskontinuität. III. Harmonices mundi. IV. Die Probleme des Geistes. V. -Die Freiheit im Weltzusammenhange. Epilog: Was ist Wahrheit? - - -UNSTERBLICHKEIT - -EINE KRITIK DER BEZIEHUNGEN ZWISCHEN NATURGESCHEHEN UND MENSCHLICHER -VORSTELLUNGSWELT VOM _GRAFEN HERMANN KEYSERLING_ - -DRITTE AUFLAGE 1920 GEBUNDEN 75 M., IN HALBLEDER GEBUNDEN 150 M. - -+Inhalt:+ I. Über den Unsterblichkeitsgedanken überhaupt. II. -Todesgedanken. III. Das Problem des Glaubens. IV. Dauer und Ewigkeit. -V. Das Bewußtsein. VI. Mensch und Menschheit. VII. Individuum und Leben. - - -PHILOSOPHIE ALS KUNST - -Vom _GRAFEN HERMANN KEYSERLING_ - -GEBUNDEN 75 M., IN HALBLEDER GEBUNDEN 150 M. - -+Inhalt:+ I. Philosophie als Kunst. II. Sterndeutung. III. Zeitliche, -zeitlose, ewige Geister. IV. Entwicklungshemmungen. V. Individuum und -Zeitgeist. VI. Idealismus und nationale Erziehung. VII. Germanische -und romanische Kultur. VIII. Ost und West auf der Suche nach der -gemeinsamen Wahrheit. IX. Die begrenzte Zahl bedeutsamer Kulturformen. -X. Das Schicksalsproblem. XI. Vom Interesse der Geschichte. XII. -Deutschlands Beruf in der veränderten Welt. XIII. Erscheinungswelt und -Geistesmacht. XIV. Für und wider die Theosophie. XV. Was uns not tut -- -was ich will. - - -DEUTSCHLANDS WAHRE POLITISCHE MISSION - -VOM _GRAFEN HERMANN KEYSERLING_ DRITTE AUFLAGE 1920 BROSCHIERT 6 M. - - -POLITIK -- WIRTSCHAFT -- WEISHEIT - -VOM _GRAFEN HERMANN KEYSERLING_ ERSCHEINT IM JANUAR 1922 - - -DER WEG ZUR VOLLENDUNG - -MITTEILUNGEN DER SCHULE DER WEISHEIT IN DARMSTADT - -HERAUSGEGEBEN VOM _GRAFEN HERM. KEYSERLING_ - -JEDES HEFT 7.50 M. - - -DER LEUCHTER - -WELTANSCHAUUNG UND LEBENSGESTALTUNG JAHRBUCH DER SCHULE DER WEISHEIT IN -DARMSTADT HERAUSGEGEBEN VOM _GRAFEN HERM. KEYSERLING_ JAHRBUCH 1920. -GEBUNDEN 90 M. - -+Inhalt:+ Graf Hermann Keyserling: Worauf es ankommt. G. F. Hartlaub: -Kritik der Geheimwissenschaft. Heinrich Nienkamp: Werten und Wirken. -Leopold Ziegler: Buddho der Protestant. Herman Hefele: Die Idee -des Kommunismus. Gerhard von Mutius: Humanität und Bildung. Max -Scheler: Sozialismus und Persönlichkeit. Fritz Wichert: Sich selber -beistehen. Friedrich Gogarten: Die Kirche. Peter Behrens: Das Ethos -und die Umlagerung der künstlerischen Probleme. Rudolf Binding: -Ethische Grundlagen eines Volkes. Günther Weitbrecht: Wertung und -Erkenntnis. Günther Weitbrecht: Der Brunnen des Lebens. Alexander von -Gleichen-Rußwurm: Unter Platanen. - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Der ewige Buddho, by Leopold Ziegler - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER EWIGE BUDDHO *** - -***** This file should be named 52015-0.txt or 52015-0.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/2/0/1/52015/ - -Produced by Norbert H. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - - - -Title: Der ewige Buddho - Ein Tempelschriftwerk in vier Unterweisungen - -Author: Leopold Ziegler - -Release Date: May 7, 2016 [EBook #52015] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER EWIGE BUDDHO *** - - - - -Produced by Norbert H. Langkau, Reiner Ruf, and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net - - - - - - -</pre> - - -<div class="transnote mtop3 break-before"> - -<p class="s3 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p> - -<p class="p0">Der vorliegende Text wurde anhand der 1922 erschienenen -Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. -Zeichensetzung und offensichtliche typographische Fehler wurden -stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche sowie inkonsistente -Schreibweisen wurden beibehalten, insbesondere wenn diese in der -damaligen Zeit üblich waren oder im Text mehrfach auftreten.</p> - -<p class="p0">Fremdsprachige Begriffe und Zitate wurden ohne -Änderungen aus dem Originaltext übernommen; lediglich in einem Fall -wurde der griechische Begriff ‚αὑτὸ καδ’ αὐτό‘ zu ‚αὑτὸ καθ’ἁυτό‘ -harmonisiert.</p> - -<p class="p0">Der Link zu einer vergrößerten Version des Frontispizes -ist möglicherweise nicht auf allen Lesegeräten aktiv.</p> - -<p class="p0 nohtml">Das Umschlagbild wurde vom Bearbeiter gestaltet und in die -Public Domain eingebracht.</p> - -</div> - -<div class="figcenter"> - <a id="logo" name="logo"> - <img class="mtop1 mbot3" src="images/logo.jpg" - alt="Leuchter; Logo des Otto Reichl Verlages" /></a> -</div> - -<div class="figcenter"> - <a id="buddho" name="buddho"> - <img class="mtop1" src="images/buddho.jpg" - alt="Sitzender Buddho" /></a> - <p class="s5 center mbot2"><a href="images/buddho_hr.jpg">❏<br /> - <span class="smaller">GRÖSSERE ANSICHT</span></a></p> -</div> - -<hr class="r80" /> - -<p class="s1 center break-before"><span class="s5">LEOPOLD ZIEGLER</span></p> - -<h1>DER<br /> -EWIGE BUDDHO</h1> - -<p class="s4 center">EIN TEMPELSCHRIFTWERK<br /> -IN VIER UNTERWEISUNGEN</p> - -<p class="s3 center topspace">DARMSTADT 1922</p> - -<p class="s2 center">OTTO REICHL VERLAG</p> - -<hr class="r80" /> - -<p class="center">GEDRUCKT IN DER SPAMERSCHEN BUCHDRUCKEREI -IN LEIPZIG</p> - -<p class="center topspace mtop3">ALLE RECHTE VORBEHALTEN,<br /> -BESONDERS DAS DER ÜBERSETZUNG<br /> -COPYRIGHT 1922 BY OTTO REICHL VERLAG<br /> -IN DARMSTADT</p> - -<hr class="r80" /> - -<p class="s3 center topspace botspace">DEN<br /> -‚BÜRGERN DER VIER WELTGEGENDEN‘</p> - -<hr class="r80" /> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="nobreak" id="INHALT">INHALT</h2> - -</div> - -<table class="toc" summary="Inhaltsverzeichnis"> - <tr> - <td class="cont"> - EINFÜHRUNG - </td> - <td class="pag"> - <a href="#Seite_11">11</a> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="cont"> - DIE ERSTE UNTERWEISUNG: BUDDHO DER PROTESTANT - </td> - <td class="pag"> - <a href="#Seite_37">37</a> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="cont"> - DIE ZWEITE UNTERWEISUNG: BUDDHO DER ERLEBENDE - </td> - <td class="pag"> - <a href="#Seite_123">123</a> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="cont"> - DIE DRITTE UNTERWEISUNG: BUDDHO DER WISSENDE - </td> - <td class="pag"> - <a href="#Seite_223">223</a> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="cont"> - DIE VIERTE UNTERWEISUNG: BUDDHO DER ÖST-WESTLICHE - </td> - <td class="pag"> - <a href="#Seite_343">343</a> - </td> - </tr> -</table> - -<hr class="chap" /> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_11" id="Seite_11">[S. 11]</a></span></p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="nobreak" id="EINFUEHRUNG">EINFÜHRUNG</h2> - -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_13" id="Seite_13">[S. 13]</a></span></p> - -<p class="initial">Es jährt sich nun heuer rund das einhundertdreißigste Mal, daß die -Sakontalâ des Kâlidâsa ihre erste deutsche Übersetzung fand, von -Goethe wie von Herder sofort als geistige Begebenheit ersten Ranges -mit Bewunderung, ja mit Ergriffenheit gewürdigt und begrüßt. Ein -paar Jahrzehnte später, und die Kenntnisnahme der Bhagavad-Gîtâ, als -θεσπέσιον μέλος erstmals lateinisch von August Wilhelm -Schlegel ausgegeben, macht in Wilhelm von Humboldts Leben warm -beglückende Epoche, die er uns mit unvergeßlichen Worten schildert. -Schopenhauer zwar findet den Zugang zu den ‚Geheimen Lehren‘, das ist -‚Upanischaden‘, erst über den etwas krummen Umweg einer lateinischen -Übersetzung des persischen Oupnek’ hat, — auf ähnlich krummen und noch -krümmeren Umwegen ist dereinst der Stagirit zum Schicksal der Theologie -und Philosophie des späteren Mittelalters geworden! — trotzdem aber -werden jene wunderlich vermummten Urkunden ihm der Trost seines armen -Lebens: indes er selber in vorgeschrittenerem Alter noch Scharfblick -und Urteil genug aufbringt, Spence Hardys erste zuverlässige -Darstellungen des zeilonischen Buddhismus in ihrer grundlegenden -Wichtigkeit zu erkennen. Aus Köppens Religion des Buddha scheint -sich Wagner ahnungweis ein erstaunlich zutreffendes und wesenhaftes -Bild von Beschaffenheit und Art der Religion zu machen, die ihn in -den unverfälschtesten und lautersten Jahren seines Daseins wie keine -zweite tief und echt berührt. Was endlich Paul Deussens Lebenswerk -angeht, so ist es in mehr wie einem Betracht dem<span class="pagenum"><a name="Seite_14" id="Seite_14">[S. 14]</a></span> Antrieb Nietzsches -zu verdanken, der dauernd bemüht bleibt, eine zulängliche Kennerschaft -seiner weltgeschichtlichen Gegenspieler im indischen Osten zu erwerben. -<i>In summa</i>: der Einbruch Asiens, insonderheit der Einbruch Indiens in -Europa erfolgt vor mindestens hundertunddreißig Jahren und wird bereits -von allen Deutschen repräsentativer Geltung klar aufgenommen und -sicher gedeutet als das, was er ist: der Aufgang eines funkelnd neuen -Weltsterns an dämmernden Europahorizonten...</p> - -<p>Bald aber geschieht befremdlich Unerwartetes, Nie-Zu-Erwartendes! Das -Jahr 1896 bringt den ersten Band einer Verdeutschung des sogenannten -Majjhimanikâyo von Karl Eugen Neumann, und zwar gleich als Probestück, -Gesellenstück, Meisterstück zu einer weitausgreifenden Lebensaufgabe. -Diese setzt sich die womöglich lückenlose Übertragung des Suttapitakam, -will heißen der ältesten und wertvollsten Urkunden der Reden Gotamo -Buddhos zum Ziel, wie sie in den heiligen Schriften des Pâli-Kanons -gesammelt und überliefert sind. Bis zu Neumanns Tod, der allzu früh -an seinem fünfzigsten Geburtstag (am 18. Oktober 1915) in Wien -erfolgt, ist denn auch wirklich diese Riesenaufgabe in der Hauptsache -schier bezwungen: ist die Längere und Mittlere Sammlung vollständig, -die Kürzere Sammlung wenigstens in ihren gewichtigsten Stücken -übersetzt, wovon die kleine, ihres Alters wegen jedoch hochgeschätzte -Spruchsammlung des Dhammapadam zu erwähnen wäre, indes aus anderen -Bezirken der indischen Seele der Mythos von Krischnas<span class="pagenum"><a name="Seite_15" id="Seite_15">[S. 15]</a></span> Weltengang -hinzutritt. Alles in allem bietet mithin Karl Eugen Neumann einer -großen europäischen Nation zum erstenmal die ungeheuere Gelegenheit, -aus tausend verflachenden, entstellenden, verzerrenden, umwuchernden -Übermittelungen des Buddhismus heraus die Stimme des Buddho selber -sprechen zu hören, — und das ist fast, wie wenn wir Christen heute -unverhofft ein fünftes Evangelium entdeckten, älter und urwüchsiger als -die andern vier und an vielerlei Stellen geradezu die treu erinnerten -Urworte des evangelischen Herrn enthaltend. Solche religiösen Urkunden -werden jetzt jedem gebildeten Deutschen zugänglich gemacht, und dies -obendrein in einer Fassung der Sprache, welche alleinig hätte genügen -müssen, alle mit der Sachwalterschaft dieses höchsten irdischen Gutes -Betrauten aufhorchen, wenn nicht aufjubeln zu machen. Hat doch an -diesem indischen Idiom der Reden Buddhos sich die deutsche Sprache — -wer hört es nicht, der nur ein einziges dieser vollkommenen Kunstwerke -mit den Ohren (und mehr noch mit dem Gehör) liest: wer hört es nicht? -— hat doch an diesem Pâli sich das deutsche Wort, der deutsche Satz -noch einmal märchenhaft erneuert. Hier zeigt sich unsere Muttersprache -plötzlich um eine ganze Anzahl von Möglichkeiten des Ausdrucks -bereichert, die ihr vorher niemand so leicht zugestanden hätte. So, -um an dieser Stelle nur das Auffälligste herauszuheben, zeigt sie -sich im höchsten Grad des <i>Andante Maëstoso</i> hieratisch fugenden -Stiles fähig, bisher im religiösen Leben unseres Festlandes so gut -wie ausschließlich<span class="pagenum"><a name="Seite_16" id="Seite_16">[S. 16]</a></span> dem Latein vorbehalten. Tempelfeierlich hört man -dagegen hier die deutschen Laute in vollausatmenden Posaunenstößen -pausenlos dahinorgeln und dann allmählich zart vertönen, — dennoch -wiederum höchst zwanglos zu vielen Kadenzen melodisch aufgelöst und -von anmutigen Figuren reich umtrillert... Dieser Sprachgestalter -Neumann aber und sein Buddho, diese ganz einmalige und ganz -unvergleichbare indisch-deutsche Doppelschöpfung macht niemanden im -weiten Vaterland aufhorchen und noch weniger jemanden aufjubeln. Wo -vor hundert Jahren noch eine rauschende Bewegung durch den Geist, -oder sag’ ich wirklichkeitentsprechender durch die Geister der Nation -gefahren wäre, da spürest du keinen Hauch. Die Herren vom Fach, -immer mit dem Wichtigeren ernst beschäftigt und darum geschworene -Feinde alles Wichtigsten, schweigen sich mit ihrer altbewährten -Zurückhaltung hinsichtlich ‚persönlicher Werturteile‘ auch über diese -große Sache fast ganz aus; gebildete Laien, welche diese berufenen -Hüter wissenschaftlicher Geheimnisse (oder Geheimniskrämerei?) zum -Sprechen hätten zwingen wollen und hätten zwingen können, gibt es in -jenen Jahren schauriger Verödung nirgends. Und dies bleibt die Lage, -solange Neumann selber lebt. Bis kurz nach seinem unbemerkten Hingang -der einzige Rudolf Pannwitz die Schmach dieses Schweigens bricht und -endlich das befreiende Wort spricht über die weltgeschichtliche Tat -eines Brückenschlages zwischen West und Ost...</p> - -<p>Wie aber, wird der unbefangene Sinn hier fragen, war dies möglich? -Wie war dies möglich zu einer<span class="pagenum"><a name="Seite_17" id="Seite_17">[S. 17]</a></span> Zeit, wo man diesseit wie jenseit -des atlantischen Meeres wahrhaftig schon mehr Ursach’ hatte, wenn -irgendwo die Rede ‚<i>de propaganda fide</i>‘ ging, an den Buddhismus und -seine unwiderstehliche Werbearbeit in allen Kontinenten zu denken -als hergebrachtermaßen an die Kirche Roms? Wie war dies möglich -in den Jahrzehnten vor dem Krieg, wo bereits mit aller Stärke die -theosophisch-anthroposophische Bewegung eingesetzt hatte, die -ihrerseit absichtlich oder unabsichtlich, willig oder unwillig stets -den Buddhismus mit verbreiten und mit fördern helfen muß? Wie war es -möglich, wie war es überhaupt nur denkbar, daß zwar die Geheimlehren -aller Religionen Asiens seit den Babyloniern durch ungezählte -Rinnsale, sichtbare und unsichtbare, saubere und schmutzige, in die -spiritistisch-okkultistischen Zirkel des Westens sickern konnten, aber -daß das Wort des wirklichen Buddho in seiner oft immerhin ältesten und -ehrwürdigsten Gestalt nirgends aufmerksameres Gehör, ja nicht einmal -ein wenig — Neugierde fand?</p> - -<p>Werfe ich diese Frage auf diese Weise auf, so ist vielleicht aus -ihr schon die eigentliche Antwort herauszuhorchen. Denn wie ich -vermute, ist es eben diese vielsinnig buddhistische, neubuddhistische, -afterbuddhistische Strömung gewesen, welche die voll ausgemeißelte -Bildsäule des Buddho mit sich fortschwemmte und in der Masse -mitgewälzten Gerölles und Geschlämmes unkenntlich ganz und gar -begrub. Dieser Buddho ficht leibhaftig wider den Buddhismus, wie der -synoptische Jesus leibhaft wider das Christen<span class="pagenum"><a name="Seite_18" id="Seite_18">[S. 18]</a></span>tum ficht, — oder -vielmehr jener ficht wider den Buddhismus noch mit viel härterer -Bestimmtheit wie dieser wider das Christentum, weil er mitsamt -seiner religiösen Schöpfung sich in diesen Reden viel greifbarer -und lebendiger erhalten zeigt wie der Christus in den Evangelien. -Τἀλητὲς ἀεὶ πλεῖστον ἰσχύει λόγου, — dies von den Schülern -Hegels einst dem Werk ihres Meisters als Leitspruch wohlbedacht -vorausgestellte Kernwort des Sophokles verdiente wie kein zweites -den heiligen Texten des Pâli vorausgestellt zu werden. Denn hier -wie kaum noch sonstwo dauert das Wahre allein durch die Gewalt des -Wortes: nur daß man, ehe man das ‚Wahre‘ dieser Reden unbefangen -auf sich wirken lassen will, zuvörderst alle die ungefügen und -grobschlächtigen Schlagworte vergessen haben muß, mit welchen seit -Jahrzehnten jeder Europäer dumm geprügelt wird, der in Gesellschaft -den Begriff Buddhismus zu erwähnen sich getraut. Diese Schlagworte -fahren hier alle ungeschickt daneben und treffen statt den Nagel auf -den Kopf nur die Finger des Hämmernden, der auf den Nagel zielte. -Hat man es zum Beispiel niemals anders läuten hören, als daß der -Buddhismus eine Religion, ja sogar die Religion schlechtweg des -Pessimismus sei, so wird man zum eigenen Erstaunen den Buddho ganz im -Gegenteil von einem unerschütterlichen Optimismus tief beseelt und -besäligt finden, wie ihn vielleicht bisher kein Mensch von dieser -schonunglosen Welt- und Lebenskenntnis zu vertreten wagte, — wenn -ich dabei von Hartmanns immerhin vergröbernder Europäisierung<span class="pagenum"><a name="Seite_19" id="Seite_19">[S. 19]</a></span> dieses -sinnreich verzahnten Pessimismus-Optimismus, Optimismus-Pessimismus -absehen darf. Wirkt und lehrt doch dieser Buddho inmitten einer Welt, -welche sogar ein Leibniz in Person als die ‚beste aller möglichen -Welten‘ durchaus anerkennen müßte, und zwar eben darum, weil ein -jedes ihrer Wesen und Geschöpfe grundsätzlich mit der Anlage zu -einem Buddho ausgestattet ward und folglich zu der Hoffnung stets -berechtigt ist, im Ablauf seiner Wiederverkörperlichungen stufenweis -zu dieser übermenschlich-übergöttlichen Würde hinanzusteigen: wenn -es nämlich dieses ernsthaft will! Und solch übermäßiger Optimismus -gibt allerdings ein überraschend Gegenstück zu dem abgründlichen -Pessimismus christlicher Gnadenwahl, die vor allem Anfang schon -etliche Wenige für die Ewigkeit zur Säligkeit erkiest, eine unnennbare -Mehrzahl jedoch gleichzeitig für die Ewigkeit verdammt.... Oder hat -man fernerhin den Buddhismus jeweils als eine ausgemachte Praxis der -Weltverneinung unserer europäisch vollbrachten Weltbejahung kurzerhand -entgegengesetzt, so wird man nicht umhin können, selbst an dieser -<i>cause jugée</i> stark irr’ zu werden, wenn man etwa den Buddho des -Pâli-Kanons von einer so mütterlichen Zärtlichkeit erfüllt findet -für alle Kreatur, wie sie gleich innig und gleich ausnahmlos kaum -im Herzen unseres lieblichen <i>poverello</i> schlug: „O daß ich den -kleinen verirrten Wesen ja nicht Schaden zufüge!“ So spricht meines -Bedünkens bedingunglose Weltverneinung nicht; so zärtlich mitwesend -und mitwebend spricht sie wahrlich nicht; so oder ähnlich<span class="pagenum"><a name="Seite_20" id="Seite_20">[S. 20]</a></span> hat es eher -aus der Seele eines Weltverklärers, Weltliebhabers, Weltumarmers wie -Jean Paul engelhaft gefiedelt und geharft. Weltverneinend hingegen im -unmenschlichsten und verstocktesten Wortverstand erscheint durchweg -der Kalvinismus, der jeden Eigenwert irdischer Erschaffenheiten <i>ad -majorem Dei, ad majorem Diaboli gloriam</i> leugnet und in engster -Übereinstimmung mit solch’ gehässigem Weltfühlen (wenn anders Max -Webers vielbeachtete Untersuchungen über die protestantische Ethik -und den Geist des Kapitalismus zu recht bestehen) den lieblosesten -und darum auch weltvernichtendsten Typus Mensch in Gestalt des -amerikanisch-europäischen Unternehmers heraufgezüchtet hat... Oder um -ein letztes Beispiel anzuführen, man hat in dem Buddhismus schlecht -und recht eine der geschichtlichen Spielarten des aus der Mystik aller -Zeiten und Völker fließenden Quietismus zu erblicken sich gewöhnt, -und wird jetzt, angesichts dieses Buddho, überraschend inne, daß -Gotamo von der Person des dem Orden verpflichteten <i>bhikkhu</i> eine -unausgesetzte Höchstanspannung und Höchststeigerung sämtlicher Kräfte -des Leibes und des Geistes und der Seele fordert; eine Höchstanspannung -und -steigerung, die, wenn sie auch nicht geradezu Arbeit im Sinn -des europäischen Berufsmenschen zu nennen ist, doch auch erst recht -nicht als Ruhe oder gar als Müßiggang, am ehesten vielleicht noch als -‚tätige Muße‘ bezeichnet werden darf, und die zu ihrem Teil den Mönch, -dem es bitter ernst ist, ausschließlich Tag und Nacht beansprucht, -bis jeder Rest von Kraft für<span class="pagenum"><a name="Seite_21" id="Seite_21">[S. 21]</a></span> andere Lebensäußerungen aufgezehrt ist. -„Wohlan denn, ihr Mönche: unermüdlich mögt ihr da kämpfen,“ — das -ist die Summe der Gebote, das ist das Gebot aller Gebote, in welches -der Buddho selbst im Augenblick der Erlöschung die gesamte Lehre -knapp und einprägsam zusammenfaßt. Und abermals untersteh’ ich mich -zu behaupten, daß so kein Quietismus und nicht einmal die Mystik an -und für sich sprechen würde!... Alle derartigen Formeln, die man sich -bei uns zurechtgelegt hat zu einem bequem handlichen Verständnis des -Buddhismus, versagen infolgedessen kläglich vor diesem Buddho, der zwar -eine der größten, stolzesten, ewigsten Formen des Lebens, aber mit -nichten eine Formel ist und am wenigsten eine bequem zu handhabende. -Was vielmehr jede Rede des Kanons eindringlicher zu erkennen gibt, -das ist eine Menschlichkeit schlechthin <i>sui generis</i>, die jeder -Einordnung in eine <i>species</i> oder <i>classis</i> durchaus spottet: eine -Menschlichkeit von einer wunderbaren Fähigkeit der Selbstbegütigung -ganz ohne Vorgängerschaft und Nachfolgerschaft. Hier ist ein Mensch -und nichts weiter als ein Mensch, der dennoch die unmenschliche -Wirklichkeit der Welt vollkommen meistert. Meistert freilich um den -notwendig zu entrichtenden Preis des Verzichtes, der Entsagung, -— aber eines Verzichtes, einer Entsagung, die ihn wiederum keine -einzige seiner echt menschheitlichen Eigenschaften kostet und ihn -keinesfalls jenen frommen Ungeheuern zugesellt, welche zu ihrem Teil -die Heiligengeschichte anderer Religionen so zahlreich wie widerwärtig -bevölkern. Der düster<span class="pagenum"><a name="Seite_22" id="Seite_22">[S. 22]</a></span> lohende und rußig schwälende Kienspan Mensch, -hier glüht er sich himmlisch rein zum mildschimmernden Lichtgleichmaß -einer Metallfadenlampe. Er selber schafft einen luftleeren Raum um -sich, er selber gießt eine gläserne Glocke um sich, damit er fortab -von Luftdruck, Zugwind, Nässe, Staub, Schmutz, Ungeziefer unbewegt und -unbetrübt bleibe...</p> - -<p>Dieser Buddho des Pâli-Kanons <i>contra</i> den landläufigen Buddhismus, -aber auch: dieser Buddho der südlichen Überlieferung <i>contra</i> die -nördlich verherrlichten Scharen kosmischer und metakosmischer -Mittlererscheinungen, die reihenweis geordnet und gestuft als -Bodhisattvas, Dhyânibodhisattvas, Manushbuddhas, Dhyânibuddhas bis -hinauf zu Mañdschuçri dem Demiurg, bis hinauf zu Avalokiteçvara dem -Paraklet, bis hinauf zum Âdhibuddha dem schon wieder brahmanisch -rückgedeuteten Âtman-Brahman einen katholischen Gnaden- und -Errettunghimmel zwischen Mensch und Weltgrund göttlich füllen, — in -solch’ ausgeprägter Gegenstellung darf man wohl eine der Ursachen -vermuten, warum man auch bei uns die Reden des Gotamo Buddho ein -Vierteljahrhundert lang nicht für der Rede wert hielt. Aber kaum -dürfte dies die einzige Ursache gewesen sein und sicherlich nicht -die ausschlaggebende. Noch kommt anderes dazu, das ernstlich -beachtet sein will. Abgesehen nämlich von dem etwas hanebüchenen und -derben Interesse, welches Theo- und Anthroposophie, Spiritismus und -Okkultismus am Buddhismus als solchem zu nehmen pflegen, ein Interesse, -welches unverhohlen zur dunk<span class="pagenum"><a name="Seite_23" id="Seite_23">[S. 23]</a></span>leren Hälfte geradezu der Magie, zur -helleren Hälfte jedoch dem Apathanatismos gewidmet ist, — ich sage -dies aber ohne jeden mißbilligenden Seitenblick oder Seitenhieb, -weil es fürwahr eine Magie und erst recht einen Apathanatismos im -Buddhismus gibt und beides sogar bei unserem Buddho! — abgesehen -also von diesem eher irreligiösen als religiösen Interesse ist es im -Abendland doch fast ausnahmlos das wissenschaftliche, das gelehrte -Interesse gewesen, welches sich mit wachsender Vorliebe den Religionen -des Ostens zugewandt hat. Diese wissenschaftlichen, diese gelehrten -Interessen nun sind es, die in diesen Reden, wie ich vermute, weniger -als sonstwo auf ihre Rechnung kommen. Gewiß gibt es keine historische, -keine philologische, keine archäologische, kurz und gut überhaupt -keine kritische Frage, die in Ansehung dieser gotamidischen Reden -nicht mit ebendemselben Aufwand an Forscherscharfsinn aufzuwerfen und -zu erörtern wäre, wie dies in Ansehung des Alten und Neuen Testaments -längst geschah und immer noch geschieht. Und Karl Eugen Neumann selbst -betrachtet es als erwünschtes, ob freilich auch noch fernes Ideal der -Wissenschaft, einstmals die Reden des Kanons mit einem fortlaufenden -Glossarium und Kommentar historisch-philologisch-archäologischer -Feststellungen zu versehen. Wer fühlt indes gerade bei der Erwähnung -solch gelehrtenhafter Ideale nicht vollkommen deutlich, wie belanglos -sich alles bloße Wissen eben dieser religiösen Schöpfung gegenüber -ausnehmen muß, die ihrerseit alles Forschen und Untersuchen als<span class="pagenum"><a name="Seite_24" id="Seite_24">[S. 24]</a></span> -unwesentlich von der Hand weist, wenn anders es nicht mittelbar oder -unmittelbar dem ‚heiligen Ziel‘ dient. Wie kaum ein zweites religiöses -Dokument der Vergangenheit werben diese Reden des Buddho um religiöse -Wertung, religiöse Stellungnahme, religiöse Verarbeitung: mithin just -um das, was ihnen der Westen bisher am hartnäckigsten geweigert hat! -An alle Bedürfnisse unserer Art darf sich der Buddhismus wenden, -seien es selbst unsere rückständigsten, unsere unrühmlichsten, unsere -niedrigsten. Nur wolle uns kein Buddho mit dem unbescheidenen Anspruch -lästig fallen, daß er innerhalb dieser geographisch und kulturell -abgegrenzten Zone, die gewohntermaßen dem Christentum und seinen -erlöserischen Kräften allein vorbehalten ward, etwa seinerseit ein -religiöses Werk zu vollbringen habe... Europa den Europäern! — dies -ungeschriebene Gesetz, welches bei uns verhängnisvollerweise seinen -Monroe noch immer nicht gefunden hat, tritt zwar gerade dann mit -allzugroßer Leichtigkeit außer Kraft, wenn Europas Söhne blindwütig -und menschenfresserisch im gegenseitigen Vernichtungkrieg begriffen -sind und zu diesem frommen Ende die Völkerschaften aller dunkeln -und dunkelsten Erdteile aufbieten. Aber Europa den Europäern, — -das ist ein unbedingtes, unverbrüchliches Gesetz, wo sich’s um das -uralt-unantastbare Grundvorrecht des Christentums handelt, dem -europäischen Menschen ausschließlich von sich aus die ihm zukömmlichen -religiösen Antriebe mitzuteilen: ist doch dies Christentum, wer weiß -es nicht, von seinen ersten Anfängen<span class="pagenum"><a name="Seite_25" id="Seite_25">[S. 25]</a></span> Jesus, Paulus, Augustinus an das -heimische Erzeugnis unvermischten Europäertums... Wie schändlich, ja -wie hochverräterisch wär’ es da, auf solch ein streng umhegtes Leben -sorgfältigster Inzucht den heidnischen Asiaten loszulassen!...</p> - -<p>Inzwischen ist bei allem grimmigen Hohn über die abstoßende Heuchelei -einer derart gehandhabten Monroe-Doktrin dennoch das Eingeständnis -geboten, daß in dieser Abwehr gegen asiatische Einflüsse in unserer -gegenwärtigen Lage ein gesunder Instinkt wachsam zu werden scheint. -Aus hunderterlei Gründen dürften wir selbst dann keine Buddhisten -werden oder auch nur zu werden wünschen, wenn dies überhaupt im Bereich -unserer seelischen Möglichkeiten läge: das versteht sich für jeden -Einsichtigen von selbst und bedarf keiner besonderen Beweise. Und auch -das andere versteht sich gleichermaßen von selbst, daß nämlich auch der -Buddho in den herrlichen Texten des Pâli-Kanons keine der furchtbar -drängenden Aufgaben löst oder lösen hilft, die uns heute auf den Nägeln -brennen und zu deren Bewältigung uns leider einstweilen noch alle -Kräfte fehlen. Stumm bleibt uns auch dieser Buddho auf die Fragen,</p> - -<p>wie wir den Staat abbauen und die Gesellschaft aufbauen sollen,</p> - -<p>wie Staat und Gesellschaft wieder auf religiöse Grundlagen zu stellen -wären,</p> - -<p>wie der Staatenbund (oder Bundesstaat) europäischer Völker gegen die -Dummheit und Bosheit<span class="pagenum"><a name="Seite_26" id="Seite_26">[S. 26]</a></span> dieser Völker selbst und mehr noch gegen die -Ruchlosigkeit ihrer Führer zu erzwingen sein möchte,</p> - -<p>wie neue Zellen späterer Vergemeinschaftung nach innerlichen -Wachstumgesetzen in ihrem Entstehn begünstigt werden könnten,</p> - -<p>wie die Wirtschaft zum Dienen und der Geist zum Herrschen zu bringen -sei,</p> - -<p>wie wir wieder zu einem beispielgebenden Adel (nicht der Geburt und -nicht des Besitzes) kommen möchten,</p> - -<p>wie wir Erzieher erziehen lernten,</p> - -<p>wie den Henkern der europäischen Gesittung die Maske des Richters vom -Gesicht zu reißen sei,</p> - -<p>wie die lebenswichtigen Sachgüter am zweckmäßigsten erzeugt und am -gerechtesten verteilt würden,</p> - -<p>wie aus dem Gegeneinanderleben aller gegen alle wieder ein -Miteinanderleben, Füreinanderleben zu entwickeln wäre, oder mit andern -Worten</p> - -<p>wie das losgelassene Mensch-Vieh wieder zu bändigen und die -weltverheerende Masse zu ent-massen wäre, und so weiter, und so -weiter...</p> - -<p>Auf diese sämtlichen, beliebig noch zu vermehrenden Fragen bleibt uns -der Buddho jede Antwort schuldig, indes wir uns wohl zu der Erwartung -berechtigt glauben, daß eine Religion, die unserm innersten Bedürfnis -eines Tages voll entsprechen würde, in großen Linien wenigstens die -Wege auch in diese ungebahnte Zukunft zu weisen fähig sein müsse. -Denn was war es doch in Wahrheit, das das<span class="pagenum"><a name="Seite_27" id="Seite_27">[S. 27]</a></span> Christentum unseres -Mittelalters fast ein Jahrtausend lang in den Seelen unserer Ahnen -so tief die Wurzeln hat einsenken lassen, daß niemand bis zur Stunde -sie hat ergraben können? Das eine war es, daß dieses Christentum -zwar im höchsten Betracht Religion war und dies sogar in einer -durchaus weltjenseitigen Bedeutung, — daneben und außerdem aber -just kraft seiner Eigenschaft als Religion gleichzeitig eine Lebens- -und Gesellschaftformung größten Stils. Hier ging die Bruderschaft -in Christo fast ohne eine Stelle merklicher Unstätigkeit in die -Genossenschaft, in die Gilde über. Hier wuchs der geistliche Orden -nicht selten sich zur machtvoll weltbeherrschenden Partei aus, — -ich nenne nur den Namen Cluny, für die europäische Politik zeitweis -geradezu ein Programm (und wieviel mehr noch und Entscheidenderes als -nur ein Programm!), deutsche Kaiser vom Rang des dritten Heinrich zu -manchem wichtigsten Entschlusse nötigend... Vollends der Priester -aber oder Mönch, in jenen Tagen ganz ohne Zweifel eigentlicher -<i>homo religiosus</i>, ist er nicht Lehrer und Gelehrter, Staatsmann -und Verwalter, Grundherr und Städtegründer, Landwirt und Siedler, -Lehensträger und Landesfürst, Geschichtschreiber und Geschäftsmann, -Seelsorger und Richter in seiner einzigen Person? Eine solche Religion, -daran ist nicht zu zweifeln, wird uns Europäern langsam, langsam -wieder wachsen, eine Religion, die alle Wirklichkeiten wieder göttlich -gründet, göttlich ründet, — oder wir werden eines Tages nicht mehr -sein, weil<span class="pagenum"><a name="Seite_28" id="Seite_28">[S. 28]</a></span> eine solche Religion nicht mehr aus uns wachsen konnte. -Und niemand in Ost und West wird uns diese späte Religion offenbaren -oder vorleben, wenn wir nicht beides selber tun. Wofern wir also -eine Tat, deren Vollbringen durchaus uns obliegt, von irgend einem -religiösen Künder der Vergangenheit getan erwarteten, und heiße er -Gotamo Buddho, gäben wir uns freilich einem unverzeihlichen Irrtum -gefangen, und in diesem Fall wären offenbar diejenigen im Recht, welche -uns in dem Gedanken an unsere höchste europäische Aufgabe warnend -und abmahnend zuriefen: Europa den Europäern! Denn dieses Europa von -übermorgen, blank gefegt von der großen Sturmflut, die heute über ihm -zusammenbrandet, — dieses Europa unserer frömmsten Europäer-Sehnsucht -wird uns weder von Indien noch von Syrien und Palästina her geschenkt; -es wird allein aus unserm Leib gebaut und aus unserm Geist gefügt...</p> - -<p>Nur mögen wir nicht vergessen, — bis diese Abtei Thelema errichtet -sein wird, werden eher Jahrhunderte als nur Jahrzehnte vergehen, -in welchen der Europäer auch religiös nur von der Hand in den Mund -leben wird. Was aber den Buddho der Heiligen Texte des Pâli anlangt, -so kommt er ja nicht zu jener künftigen <i>Europa felix</i> des Jahres -2200, sondern zu dieser gegenwärtigen <i>Europa deserta</i>. Er kommt -mithin in einer Stunde, wo sich der Komplexus der abendländischen -Gesellschaft in seine Elemente zersetzt und mit ihm gleichzeitig -alle anderen<span class="pagenum"><a name="Seite_29" id="Seite_29">[S. 29]</a></span> Komplexe der Auflösung verfallen, welche vormals die -geschichtlichen Verwirklichungen der Gesellschaft darstellten. -Kurz, dieser Buddho nähert sich uns in einem Augenblick, wo alles -lebendig Gewordene unserer Kulturzone verwest und wo nur endgültig -schon Versteinertes diese Verwesung übersteht oder was zur Zahl -der unsterblichen Grundeinheiten des Lebens gehört. In diesem -Augenblick und in keinem anderen wird uns der Buddho zugeführt: und -wer wäre flach und weltunkund genug, um hier an pure Zufälligkeit zu -denken? Jetzt aber konnte, jetzt mußte es geschehen, daß eben die -Religion, früher einmal die stärkste gesellschaftstiftende Tatsache -überhaupt, von allen persönlichen Angelegenheiten des Lebens die -persönlichste wird und höchstens noch auf sehr mittelbare Weise -gesellschaftliche Erheblichkeit gewinnt. Religion, das ist heute (und -auf absehbare Zeit hinaus) die Unruhe und Unstäte, die Ratlosigkeit -und Schwerpunktlosigkeit der Einzelnen, Abseitigen und Vereinzelten. -Aber gerade diesen Einzelnen, Abseitigen und Vereinzelten vermag nun -der Buddho ungleich bedeutsamer zu werden als je einer geschlossenen -Gemeinschaft, die auf unserem Kontinent bisher doch immer wieder -auf die Heilslehren des Christentums zurückgriff. Dem Einzelnen, -Abseitigen, Vereinzelten hingegen stellt sich der Buddho als eine -religiöse Möglichkeit dar, welche von den religiösen Möglichkeiten -des Christentums weder entbehrlich gemacht, noch widerlegt wird: eben -diesem Einzelnen, durch Abseitigkeit und Verein<span class="pagenum"><a name="Seite_30" id="Seite_30">[S. 30]</a></span>zelung empfänglicher -Gewordenen und gleichsam religiös Bereiteten wird jetzt der Buddho -nicht selten zum Ereignis, manchmal sogar zum Schicksal seines -Lebens... Der einsam Bedrängte und Beklemmte, der in Anfällen -grimmiger Verzweiflung an allem und zumeist an sich selbst etwa -nach dem Majjhimanikâyo, nach dem Mahâparinibbânasuttam greift, -wird unwiderstehlich durchwärmt von einem sanft wiegenden Gefühl -der Weltgeborgenheit und Selbstunverletzlichkeit. Er findet sich -beschwichtigt und geschlichtet, geeinigt und versöhnt, entspannt und -zu sich selbst gebracht. Ihm wird zumut wie einem hitzig Fiebernden, -dem eine linde Hand sich kühlend wie ein Umschlag auf die Stirne -legt. Hier spricht uns (nunmehr ganz in unserer deutschen Zunge) ein -Mensch zu, der jede Weltangst von sich abtat und jetzt wie aus dem -Jenseit mit einer süßen Geisterstimme tröstend auf uns einsingt. Was -wollen wir Umgetriebenen und Gehetzten, die wir zu liegen kamen, wie -wir uns selber betteten? Hier gibt es Rat für hunderterlei Notlagen -und Notstände, die schließlich insgesamt verursacht sind durch jene -harte Selbstentfremdung, in welche wir Europäer uns zeitweis oder -dauernd zu verlieren pflegen. Auf Grund einer seelischen Erfahrenheit -ohnegleichen wird hier in einem Sinn Seelsorge betrieben und geübt, -wie ihn der Abendländer bisher nicht und nirgends geahnt hat: und -Seelsorger ist denn dieser Buddho auch in einer nirgends sonstwo -anzutreffenden Vollkommenheit. Als Seelsorger gehört er längst nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_31" id="Seite_31">[S. 31]</a></span> -mehr seiner Rasse, seinem Festland, seiner Weltzeit (<i>buddhakalpa</i>) -an; als Seelsorger gehört er der Menschheit schlechthin, gehört -schlechthin ihm die Menschheit in ihrer zeitlosen Wesentlichkeit -und Alleinschließlichkeit. Geschichtliche Wandlungen, welche seine -Weisungen und Winke, wie man des Lebens Herr wird, außer Kraft hätte -setzen können, gab es bisher nicht. Sie sind auch kaum ausdenkbar, und -nicht einmal von kommenden Religionen Europas erwarte ich, daß sie -dies tun werden. Unser eigenes religiöses Ziel könnte von demjenigen, -welches sich der Buddho stellte, beliebig weit abweichen, ja es könnte -ihm vielleicht geradezu entgegengerichtet sein, ohne daß dadurch die -religiöse Allgemeingültigkeit dieser Seelsorgerschaft im mindesten -nur beeinträchtigt oder geschmälert wäre. Wie ich persönlich mir -diese religiöse Zielsetzung für ein späteres und besonnteres Europa -vorstelle, habe ich (vorläufig noch freilich mit unzulänglichen -religiösen Kräften) in den Mysterien der Gottlosen, Gestaltwandel der -Götter, Sechste Betrachtung, darzulegen unternommen. Ebendort glaube -ich wenigstens für unbefangene Leser (ich rede nicht von befangener -Kritik) keinen Zweifel übriggelassen zu haben, daß diese europäische -Zielsetzung einer mensch-göttlich zu vollbringenden Welt-Schöpfung -der gotamidischen Zielsetzung zwar nicht geradewegs widerspricht, — -denn Religionen widersprechen sich zuletzt noch nicht einmal dann, -wenn sie anscheinend wie Nein und Ja zueinander stehen! — daß sie -diese aber gleichsam in dynamischem, oder<span class="pagenum"><a name="Seite_32" id="Seite_32">[S. 32]</a></span> wie Platon vielleicht -lieber sagen würde, in poietischem Betracht bei weitem noch übersteigt -und übersteigert, übertrifft und überflügelt: ποίησις als -Schöpfung, als Erschaffung buchstäblich genommen und verstanden. Dieses -entscheidendsten und entschiedensten Unterschiedes beider Zielsetzungen -jedoch unerachtet, könnte sich, ich wiederhole es, zu jenen drei -ewigen Mysterien unserer europäisch gereiften Religiosität ohne die -kleinste Gewaltsamkeit als viertes Mysterium der Buddho und seine -Heilstat innig gesellen. Das gotamidische Mysterium der Seelsorge ist -ein unvergängliches und immer wiederkehrendes, sogar dann erst recht, -wenn es auf Europas Erde eines Tages mit einem zutiefst poietischen, -zutiefst dionysischen Mysterium zusammen gefeiert werden sollte. Denn -was uns auch in diesen entfesselten Zeitläuften zustoßen möge: die -eine Hoffnung wollen wir Europäer uns doch heilig wahren, daß unser -letzter Gott Dionysos nicht nur in dem Zwiegespräch mit Indiens Buddho, -das diese kargen Blätter hier beschließt, das letzte Wort zu sprechen -haben wird. Nur mit dieser Einschränkung bedeucht mich Nietzsches -Ausspruch im Willen zur Macht ein zukunfterratender Wahrspruch, wonach -„ein europäischer Buddhismus vielleicht nicht zu entbehren sein -könnte.“ Niemals wird uns Europäern dieser Buddho der Herr sein, der er -Millionen von Asiaten ist, wie uns denn auch der Christus selber längst -nicht mehr Herr ist. Aber möglicherweis wird den Besten unter uns der -Buddho wieder dazu verhelfen, daß sie sich selber<span class="pagenum"><a name="Seite_33" id="Seite_33">[S. 33]</a></span> wieder Herren nennen -dürften, Herren des Diesseit und Herren des Jenseit und Herren all der -bleichen Schrecknis, die uns zwischen beiden quält und ängstigt...</p> - -<p>Ist demnach zwar nicht eigentlich der europäische Buddhismus, den -Nietzsche für unentbehrlich hält, wohl aber der europäische Buddho mit -Neumanns Eindeutschung des Pâli-Kanons geschichtlich in Erscheinung -getreten, so wolle der Leser dies Werk als einen ersten Versuch -bewerten, die Tatsache des europäisch umgestalteten Buddho religiös -zu bezeugen. Wofern es mir an allen unumgänglichen Kenntnissen und -Fähigkeiten gebrach, etwa als Wissenschafter, Forscher, Gelehrter -zu diesem Ereignis Stellung zu nehmen, konnte ich mich desto -unbehinderter und unbelasteter als <i>homo religiosus</i> mit Neumanns -Buddho auseinandersetzen. Vermutlich hätte dieses Buch darum eines -Tages auch dann geschrieben werden müssen, wenn die Anregung dazu -von seiten des Herrn Verlegers ausgeblieben wäre: zu aufrüttelnd -waren die Eindrücke dieser Reden aus dem Pâli, um nicht auf eine -(einstweilen) abschließende Verarbeitung zu drängen. Stellte ich mir -aber meine Aufgabe wesentlich als <i>homo religiosus</i> und kaum als -Philosoph, am wenigsten als Historiker, dann ergab sich zwingend für -die Form des Buches, diese religiöse Absicht so rein und voll und -stark wie irgend nur zum Ausdruck zu bringen. In keinem Augenblicke -durfte der Leser die Vermutung hegen, es handle sich hier um eine -Vermehrung der belehrenden Schriften über diesen<span class="pagenum"><a name="Seite_34" id="Seite_34">[S. 34]</a></span> Gegenstand, — und -alles, was den Leser vielleicht zunächst befremdet, alles, was ihn -vielleicht sogar abstößt, ergibt sich streng aus der Notwendigkeit, -eine religiöse Absicht nicht mit wissenschaftlichen Mitteln zu -verwirklichen. Ein der Form nach Neues galt es hier zu schaffen, für -welches in unserm Schrifttum nicht so leicht ein Beispiel oder Muster -zu entdecken war. Als dieses Neue aber schwebte mir, seltsam genug! -sofort etwas Ähnliches vor wie eine sehr freizügige, sehr eigenmächtige -Übertragung jener Statue vom Boro-Budur, welche diesem Buch gleichsam -als προοίμιον vorangegeben ist, aus ihrer bildhaften in eine -worthafte Erscheinung. Ein Tempelbildwerk gleichsam umzusetzen in -ein Tempelschriftwerk mit den Mitteln meiner Sprache und dadurch die -plastische Gestalt zu wandeln in eine pneumatische Gestalt: das war, -soviel ich selber davon weiß und wissen kann, mein heiß angestrebtes -Ziel, — Tag und Nacht sah ich wenigstens nur noch diesen thronenden -Buddho vor dem innern Auge, — Tag und Nacht, wer wird dies recht -verstehen? war ich nur noch dieser Buddho... Unwiderstehlich fand ich -mich gezogen zu jenem hieratischen Stil, der zuletzt einer ist in allen -höchsten Versinnbildlichungen des asiatischen Gestaltungwillens: einer -in den Sprüchen Lao-Tses und den Reden Gotamos, einer in den Veden -und Upanischaden, einer in den Psalmen des Alten Testaments und in -den Suren des Korans, einer in den Götterbildern und Tempeln Indiens, -Chinas oder Japans. Diesen Stil freilich nachahmen zu wollen,<span class="pagenum"><a name="Seite_35" id="Seite_35">[S. 35]</a></span> wäre von -allen europäischen Abgeschmacktheiten so ziemlich die abgeschmackteste. -Aber muß er sich schließlich nicht auch bei uns gesucht oder ungesucht -einstellen in dem Maß, als wir wieder zu begreifen beginnen, was -Religion ist? Fünf oder sechs Jahrhunderte haben dies immer gründlicher -vergessen lassen, und das Ergebnis war die Zerbröckelung jeder großen -Form im Leben noch mehr wie in der Kunst. Sobald indes Religion wieder -in uns lebendig wird, — wie kann sie sich dann wohl anders ausdrücken -als in der echten Sprache der Religion, die wir europäischen Ästheten -abwegig und unzutreffend genug eben nur als ‚hieratischen Stil‘ zu -bezeichnen wissen?...</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_37" id="Seite_37">[S. 37]</a></span></p> - -<h2 class="nobreak" id="DIE_ERSTE_UNTERWEISUNG">DIE ERSTE UNTERWEISUNG:<br /> -BUDDHO DER PROTESTANT</h2> - -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_39" id="Seite_39">[S. 39]</a></span></p> - -<p class="initial">DAS HEILIGE JA LASST UNS BEKENNEN DAS HEILIGE JA ÜBER DIE AUF- UND -NIEDERGÄNGE — DAS HEILIGE JA ÜBER GEBURT UND TOD, GESTIRN UND -SCHICKSAL — DAS HEILIGE JA ERSCHAFFE DIESE WESEN UND ERHALTE SIE, -DAMIT SIE IN DER FÜLLE STEHN WIE EINE HUNDERTBLÄTTERROSE IN IHRES -MITTSOMMERS MITTAGGLÜCK - DAS HEILIGE JA ZERSCHMELZE DIESE WESEN IN -SEINES EWIGEN FEUERS TIEGEL UND HÄRTE SIE DARIN, BIS SIE GEDIEHEN -SIND, BIS SIE GEDIEGEN SIND — UND ALSO VERLÖSCHE DAS HEILIGE JA -DIESE WESEN IN SEINES EWIGEN WASSERS BORN UND BRING IN IHM DIE WESEN -WIEDER EWIGLICH — WILLKOMMEN DEM JA-SELBST ALLE WESEN UND WILLKOMMEN -IHM GLEICHERMASSEN DIE GEGEN- UND WIDERWESEN ALLE — DIES IST DAS -HEILIGE JAWORT UND FROHWORT UND DES FROHWORTES HEILIGE GRUSSSPENDE, -ANDACHTSPENDE, OPFERSPENDE — DIES IST GELÄUTERTEN HERZENS ERSTGEBURT, -DARGEBRACHT IM FESTWEIHTEMPEL DER WELT — WER DU AUCH BIST, O MENSCH, -IN VIERTEN VIERTELS EDLER MONDSCHWELLUNG DEINER MENSCHLICHKEIT ODER IN -IHRES DRITTEN, ZWEITEN, ERSTEN VIERTELS BEDAUERLICHER SCHWINDUNG:</p> -<p class="center mbot2">— ICH WILL DIR WOHL —<br /> -DIES IST DIE ERSTE UNTERWEISUNG</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_40" id="Seite_40">[S. 40]</a></span></p> - -<div class="section"> - -<p class="initial">Geschieden, ihr Christen, in die Getreuen und die Ungetreuen der -allgemeinen und allein sälig machenden Kirche, dünkt uns Christen -Protestantismus die Frömmigkeit derer, die abseit von der Kirche als -Abseitige das Heil ihrer Seele gesucht haben und noch heute suchen, -gefunden haben und noch heute finden. Unübersehbar aber an Zahl und -Mannigfaltigkeit ist die Art der Protestanten, welche der Mutter-Kirche -die Zugehörigkeit künden mußten, um sich selber zugehörig bleiben zu -können; unübersehbar an Zahl und Mannigfaltigkeit sind die Arten des -Protestantismus, weil fast ein jeder Protestant allein seine eigene -und bevorzugte Art von Protestantismus als die echte und wahre gelten -lässet. Ob freilich die Frömmigkeit des Einzelnen von Fall zu Fall -innerhalb der sichtbaren und allgemeinen Kirche noch auszuharren -vermochte oder sich außerhalb ihrer den selbst erwählten Stock- und -Steinpfad bahnen mußte, — dieses hing häufig genug von mancherlei -Zufälligem ab und durchaus nicht von einem Hang zum Protestantismus -als solchem. Es konnte wohl geschehen und ist geschehen, daß sich im -Geist und Gemüt des Christen eine Bewegung regte, die als Gegenbewegung -beabsichtigt war zu einem augenblicklichen Zustand der Kirche und von -der Kirche selbst im Braus der ersten Überraschung und Zornwallung -als ketzerisch verfemt, als protestantisch verworfen ward: und -dennoch nach einiger Frist von der Kirche großmütig zurückgenommen -und ihrem Gesellschaftkörper einverleibt. Möglicherweis waren alle -ernsten und ein<span class="pagenum"><a name="Seite_41" id="Seite_41">[S. 41]</a></span>greifenden Reformen der Kirche seit Cluny in Kern -und Ursprung protestantisch, und nicht selten haben die unwägbarsten -Kräfte der Zeiten und Persönlichkeiten darüber entschieden, ob dieser -Protestantismus dazu kam, rückwirkend die gesamte Verfassung der Kirche -zu beeinflussen, ja umzugestalten, oder ob er veranlaßt wurde, jenseit -der Kirche eine unkirchliche Gemeinschaft zu gründen, eine unkirchliche -Bruderschaft zu verkörpern, eine unkirchliche Kirche zu stiften. Wie -hing es doch an einem schwachen Haar, daß dem heiligen Franziskus die -Orden, so auf die Entsagung des Besitzes gegründet waren, gestattet -oder verboten wurden. In unserm blonden Norden vollends versah der -Meister Eckhart von Hochheim noch das weithin reichende und weithin -wohl sogar gefürchtete Amt eines Provinzialen der Dominikaner, als -seine Jünger und Jüngerinnen schon grausam verfolgt und hingerichtet -wurden. Trotzdem sind in der Folge die Bettelorden zum Pfeiler und -Eckstein der Kirche geworden, insonderheit in den eben herrlich -aufblühenden Städten und städtischen Genossenschaften, und ihrer -halbwegs ketzerischen Herkunft unerachtet haben sie der Kirche das -tauglichste Mittel dargeboten, sich einer neuen Zeit und Gesellschaft -anzupassen. Was allerdings unsere Mystik betrifft, ward sie als -schleichende Gefahr der Kirche mit äußerstem Mißtrauen stets betrachtet -und in gewissen Abständen immer wieder mit ketzergerichtlichen -Maßnahmen geängstigt und betroffen. Gegen die Albigenser wurde der -Kreuzzug nicht nur gepredigt, und<span class="pagenum"><a name="Seite_42" id="Seite_42">[S. 42]</a></span> die Kriege mit den Husiten stürzten -das mittlere Festland aus einer lebensgefährlichen Krisis in die -nächste. Schwankend und schwebend blieb darnach der Inbegriff des -Protestantismus. Wer heute sich selber verdächtig schien, in seinem -Herzen der Ketzerei zu frönen, der fand sich etwa morgen schon völlig -wieder in einer erneuerten und wiedergeborenen Kirche. Wer aber heute -noch seine strengste Rechtgläubigkeit mit jedem Eid beschworen hätte, -dem konnte es zustoßen, daß er morgen den großen Bann als Urteil (und -als Unheil!) furchtbar über sich verhängt fand, fortab geschieden in -einem Atem vom Frieden Gottes wie der Menschen.</p> - -</div> - -<p>Die deutsche Reformation zusammen mit den anderen Reformationen des -sechzehnten Jahrhunderts war es nachher, die endgültig den Typus, -den ‚Schlag‘ des Protestanten wie einen Stempel prägte oder wie -einen Holzstock schnitt. Sie schuf den neuen Christen, der weder -in der allgemeinen und allein sälig machenden Kirche seinen Platz -länger einnehmen konnte, noch dessen sich dieselbige Kirche durch -eine Maßregel gewaltsamer Unterdrückung, gewaltsamer Bekehrung, -gewaltsamer Vernichtung zu entledigen imstande war. Seither ist der -christliche Protestantismus eine religiöse und gesellschaftliche -Wirklichkeit, beliebt oder mißfällig, geduldet oder verworfen: -eine Wirklichkeit wie die Kirche selbst und durch keine Acht oder -Ausstoßung aus den Tafeln der Wirklichkeit zu tilgen. Erst bei -einem Einzigen und Einzelnen, dann bei Wenigen, dann bei Vielen, -versagte der<span class="pagenum"><a name="Seite_43" id="Seite_43">[S. 43]</a></span> unendliche Aufwand von Dogmen, Sakramenten, Liturgien, -Messen, und ihre Frömmigkeit spottete der Wohltaten der Seelsorge -und Seelpflege; — auf Grund dieses nämlichen Umstandes aber fanden -sie sich zusammen zu einer neuen Gemeinschaft, zu einer neuen Kirche -abseit der bisherigen, und sie genossen neuer, will sagen urältest -wiedererneuter Heils- und Gnadenmittel auf neue Weise: wenn sie nicht, -wie beispielweis die Quäker, diese Mittel insgesamt als Magie verwarfen -und das gemeinschaftstiftende Ereignis in einer Art geselliger und -gleichzeitiger Erleuchtung fanden. Einmal soweit, konnte sich diese -vollzogene Abkehr von der allgemeinen und allein sälig machenden -Kirche ohne Ende wieder vollziehen und hat sich dann, wer wüßte es -nicht, in der Tat ohne Ende bis auf den heutigen Tag wieder und -wieder vollzogen. Und wie man, ihr Christen, in französischer Sprache -das Sprichwort gesprochen hat, daß man stets der Rückschreiter und -Rückschritter irgend jemands, <i>toujours le réactionaire de quelqu’un</i> -sei, so dürfte man dies Treffwort ins Deutsche übertragen: daß man -stets der Einsprecher, Widersprecher und Verwahrer, kurz der Protestant -irgend jemands sei. Denn wie es unveräußerliches Recht jeder religiös -verpflichteten Gemeinschaft ist, sich als die allgemeine und allein -sälig machende, ja als die allein rechtgläubige Kirche aufzurichten, -bleibt es gleichermaßen Recht aller auf abweichende Art Frommer, sich -als Protestanten davon freiwillig auszuschließen, nachdem sie durch -ihre eigene Erfahrung, unwiderleglich für jedwede andere<span class="pagenum"><a name="Seite_44" id="Seite_44">[S. 44]</a></span> und fremde -Erfahrung, inne geworden waren, daß sie inmitten jener Genossenschaft -dauernd des Heils entbehren würden und derart durch die Tathandlung des -Protestes den Protestantismus zu besiegeln sich gedrungen fühlten.</p> - -<p>So also verhält sich dieses. Protestantismus im Wortverstand unserer -christlichen Abendländerschaft erweist sich herkömmlich zwar als -der geschichtliche Gegenbegriff der Kirche, die sich vom -καθόλου her benannt hat, — sinngemäß aber weiterhin auch als -der geschichtliche Gegenbegriff jeder Vereinigung, Gemeinschaft, -Verbrüderung solcher Frommen, die abseit der Kirche selbst eine Kirche -zu bilden übereingekommen sind. Protestantismus ist darnach innerhalb -des Christentums jeweils Protestantismus irgend wessen in bezug auf -irgend wen, und wer sich von der rein verhältnismäßigen Bedeutung -dieser Tatsache Protestantismus überzeugt hätte, dürfte sich weder -Irriges noch Falsches angeeignet haben. Eingeengt und beschränkt wäre -seine Auffassung von Protestantismus aber trotzdem, eingeengt und -beschränkt durch den stieren Hinblick auf das Christentum allein und -ausschließlich, ihr Christen: auf das Christentum, welches weder die -ersten der großen Religionen dieses Festlandes in sich begriffen hat -noch die letzten in sich begreifen wird. Vom Christentum gilt wohl -der Sachverhalt, daß es als Kirche geschichtlich in Erscheinung trat, -und so bleibt der christliche Protestantismus recht und schlecht -gekennzeichnet, ja ausgezeichnet durch seine religiöse Kampfstellung -gegen<span class="pagenum"><a name="Seite_45" id="Seite_45">[S. 45]</a></span> die Kirche sowohl wie gegen die Kirchen. Aber das Christentum, -ihr Christen, ist nicht ewig! Oder wenn schon ewig, dann nur ewig in -der Zeit, mit einem Anfang in der Zeit und einem Ende in der Zeit -und zeitlos allein in einem Sinne, den keine Zeit jemals umfaßt. Was -jedoch ewig ist nur in der Zeit, das bleibt eine Versuchung für die -Zeit, Ewiges mit Zeitlichem je und je zu verwechseln und Merkmale des -einen für die Wahrzeichen des andern irrig zu nehmen und zu geben. -Hiergegen haben wir uns, wir Nicht-mehr-Christen oder vielleicht -auch Noch-nicht-Christen, scharf zu entsinnen, daß es europäische -Religionen von hohem Rang ohne kirchliche Kristallisationen gab, heute -noch gibt und künftighin erst recht geben wird: finden wir nicht auch -in ihnen etwas wie Protestantismus? Und wenn Ja, — worin bezeugt es -sich als Protestantismus, wofern es als Protestantismus mangels einer -vorhandenen Kirche auch nicht eine Kampfstellung zur Kirche einnehmen -und in dieser Kampfstellung nicht mehr sein Kennzeichen und Merkmal -finden kann? Da nennen wir die Religionen etwa des griechischen -Altertums, griechischen Jugendtums, zahlreich und blühend wie die -hellenischen Stadtstaaten einst und dennoch nie Staats-Religionen in -einem späteren oder gar gegenwärtigen Wortverstande: unterschiedlich -und gegensatzreich wie die griechischen Landschaften und dennoch -großherzig einander gelten lassend und duldend. Diese vormaligen -Religionen, haben sie sich nun dem Widersatz versagt von katholischer -und protestan<span class="pagenum"><a name="Seite_46" id="Seite_46">[S. 46]</a></span>tischer Frömmigkeit, nur weil sie Zeit ihres wundervoll -fließenden und flüssigen Lebens niemals zur Kirche und nicht einmal -zu Kirchen vereist oder versteinert sind? Oder stoßen wir nicht just -auch dort auf die Gestalten unleugbar prophetischen Wuchses und -unleugbar protestantischer Gebärde, die ohne Vorbehalt, wer fühlte es -nicht, wüßte es nicht, der Zahl der bahnbrechenden Protestanten aus -europäischen Vergangenheiten zugezählt werden müssen? Zugestanden euch -Christen, der protestantische Geist habe seine kantigste Ausschnitzung -dort erfahren, wo er den furchtbaren Kampf des Ketzers wider eine -hochmögende, herrische, unbeugsame Kirche zu führen hatte, von Stunde -zu Stunde der Bannflüche, Folterkammern, Scheiterhaufen, Ölkessel, -Schand- und Marterpfähle gewärtig, — wo also <i>ecclesia militans</i> -innig im unverfälschten Sinn des Nazoräers Jesus zu handeln glaubte, -wahrhaftig glaubte, ihr Gleichgültigen, Lauwarmen und Glaubenslosen! -wenn sie zahlreiche Ketzervölker (wie einst jene arianischen Goten -der Nachfahren des erlauchten Theoderich) von der langmütigen Erde -tilgte und darüber hinaus das ergriffene Gedenken im Gedächtnis aller -Folgezeiten löschte... Dies also schlankweg zugestanden, braucht doch -Protestantismus noch lange nicht dort zu fehlen, wo die Kirche fehlt -und kraft selbstgesetzter Autorität über statthafte oder unstatthafte -Auslegungen der Glaubenslehre befindet. Schließlich geschieht ja der -Protest gegen die Kirche nicht ihres Kirch-Seins halber, nicht ihres -Kirch-Seins an und für sich: vielmehr weil diese<span class="pagenum"><a name="Seite_47" id="Seite_47">[S. 47]</a></span> Kirchlichkeit eine -Religion vertritt, die dem Geist anderer Religion widerläufig ist. -Verwerfung der Kirche aus den Antrieben einer Frömmigkeit heraus, -die innerhalb der Kirche nicht gestillt wird, ist das Wahrzeichen -des christlichen Protestantismus gewesen, — nicht aber ist sie -Wahrzeichen des Protestantismus schlechthin. Dieser Protestantismus -schlechthin hört aber mit nichten auf, Protestantismus zu sein, wenn -er eine Religion oder vielleicht eher noch eine Religiosität verwirft, -die aus inneren oder aus äußeren, aus sachlichen oder aus zufälligen -Gründen zur Kirche nicht ausgeformt ist. In dieser Bezugnahme nun, -wir sehen das und greifen es mit Händen, gärt im Griechenland des -sechsten und fast mehr noch des fünften Jahrhunderts ein Wirbel von -leidenschaftlichster Gewalt, dessen Protestantismus gar nicht in Frage -gestellt werden kann. Es gärt hier ein Wirbel, durchaus vergleichbar -dem anderen, der zwei oder drei Jahrhunderte früher Israel jene -Gottesmänner, Gottesknechte (<i>nêbiim</i>) gebar, in welchen sich seine -Frömmigkeit am edelsten verkörpert zeigt. Für uns besteht die hohe -Schwierigkeit nur darin, zu erkennen, wogegen diese hellenischen -Protestanten eigentlich ihren Protest erhoben, gegen wen oder gegen -was, da es in Griechenland weder eine allgemeine und allein sälig -machende Kirche religiös zu überwinden gab, noch Priesterschaften -oder Gemeinden der Baalim Syriens und Phöniziens. Herakleitos und die -Eleaten, die Orphiker und die Tragöden sind Protestanten gewesen. Sie -alle haben auf ihre Weise wider ein<span class="pagenum"><a name="Seite_48" id="Seite_48">[S. 48]</a></span> Fromm-Sein Verwahrung ausdrücklich -und heftig eingelegt, welches aus guten Gründen nicht länger mehr ihr -Fromm-Sein bleiben konnte. Nur daß diese guten Gründe heutzutag nicht -leicht zu ergründen sind, nachdem sich seither so viel Wassers über -diesen Gründen sammelte und über ihnen stand und sie zu braunen Sümpfen -dickte...</p> - -<p>Von außen gesehen, das versteht sich ja von selber, war es die Religion -Homers, die der Frömmigkeit jener Zeitläufte widerstrebte, und eben -dieser Tatbestand hat Propheten so weltverschiedener Artung wie -Herakleitos, Xenophanes, Aischylos wenigstens in der Geste der Abwehr -durchaus geeinigt. In der Geste der Abwehr sage ich, sicherlich! Aber -darum nicht auch schon in den bestimmenden Beweggründen, die ganz ohne -Frage bei den verschiedenen dieser ragenden Protestanten bei weitem -verschieden waren. Wenn der marsrotglutende Leuchtturm über die Meere -Asiens und Europens, Heraklit, die Götter Homers in seiner dunkeln -Flamme verbrannt hat wie ein Leuchtturm halt nächtlich flatterndes -Gefalter, nächtlich schwirrendes Gevögel zu verbrennen pflegt, so -geschah dies aus anderen Notwendigkeiten und aus anderen Nöten, als -wenn der Kolophonier Xenophanes, kein Leuchtturm, aber ein Erleuchter, -Fackelvoranträger und Aufklärer, Homers menschhafte Vielgestalten zur -Kugel-Einheit unpersönlich zusammenballte und ‚mit dem All‘ verwachsen -ließ. Und wiederum: wenn die ältesten der Tragöden von Eleusis nach -ihrer Art Homerzerstampfer und -zertrümmerer<span class="pagenum"><a name="Seite_49" id="Seite_49">[S. 49]</a></span> waren wie nur je einer -der Weisheitkünder zu Ephesos, Milet, Elea, so mögen sie vielleicht -den Philosophen dabei noch mindere Beachtung geschenkt haben als die -Philosophen ihnen. Orphisch gestimmt durch und durch, und das will -fast schon sagen buddhistisch gestimmt und im Leiden des Gottes, im -Leiden des Menschen selbst schon etwas wie ‚des Leidens Überwindung -und Verlöschung‘ erfühlend und den Weg ertastend zu ‚des Leidens -Aufhebung‘, brauchen diese ältesten Tragöden darum noch lange keine -Orphiker gewesen zu sein. Hier bleibt vermutlich das Wichtigste für -immer Geheimnis und mag für immer Geheimnis, wohl versiegeltes, bleiben -— (und vielleicht nicht ohne tiefere Bedeutung für Verständige und -Verstehende hieß dereinst in den kalifischen Reichen das Haupt aller -staatlichen Geschäfte von Amts wegen ‚Verwahrer des Siegels‘)... So -hat das eigentliche und persönlichste Warum seines Protestantismus -jeder dieser Protestanten verschwiegen mit in sein Grab genommen samt -allem übrigen, was nur an ihm persönlich, was nur sterblich an ihm war. -Aber darüber hinaus getraue ich mir doch zwei unsterbliche Motive zu -erraten, die für sie von ausschlaggebenden Gewichten gewesen sind. Sie -alle, die Philosophen und die Mysten, die Tragöden und Propheten, litt -es unter dem honighellen Himmel Homers nicht länger aus einem Grund -unter den zweien: entweder weil ihnen diese Götter allzu menschlich -waren und darum schon nicht mehr Gott genug, um menschlich-welthafte -Geschicke<span class="pagenum"><a name="Seite_50" id="Seite_50">[S. 50]</a></span> kundig und weise, gütig und göttlich zu lenken, — oder -umgekehrt, weil diese Götter ihnen in anderem Betracht nicht menschlich -genug erschienen, um menschlich zu leisten und vollbringen, was der -Mensch von sich selber fordert und von sich selber heischt, wenn -er seine eigene Vergöttlichung mit Ernst betreibt und mit Ausdauer -fördert. Entweder allzu menschlich oder nicht menschlich genug, ihr -Christen, deuchte jenen gewaltigen Heiden der Gott, und eins von beiden -machte die Tragöden und die Philosophen, die Propheten und die Mysten -von damals zu den Protestanten von damals. Und dieser Protestantismus, -er wiegt und wuchtet, gewogen in der freien Hand, goldschwer genug, -um auf der Wage unserer morgigen Weisheit noch einmal nachgewogen zu -werden. Nachgewogen von den Morgigen unter uns, die sich Schwer-Nehmen -zur Pflicht der Stunde gemacht haben, nachdem wir zu leicht, zu leicht -befunden, vom ersten Windstoß weithin entrafft und verschlagen wurden, -— wer weiß, in welche brennenden Durst- und Glutwüsten Sahara, Schamo, -Estakado hinein oder gar in den Feuersee Kilauea, wo unsere Seelen etwa -dann gefegt werden...</p> - -<p>Der Gott also schon allzu menschlich, allzu unheilig, allzu wenig -Gott: dies ist die große Verwahrung solcher, deren Frömmigkeit -Anstoß nimmt an der erstmals durch Homer vollendeten Vermenschung, -Verpersönlichung, Vergestaltung der Götter, und aus diesem nicht -widerleglichen Fühlen heraus alles (und<span class="pagenum"><a name="Seite_51" id="Seite_51">[S. 51]</a></span> sich selber zuerst!) daran -setzt, in der Folge jegliche Anthropomorphik und Anthropopathik Gottes -wenigstens im Gedanken abzustreifen und als die alte Haut Gottes an -der Straße faulen zu lassen. Dies ist die Verwahrung solcher, denen -unter den Händen die Religion als Religion Philosophie geworden ist -und der Gott, entmenschlicht, entpersönlicht und entstaltet, mit dem -Wesen der Welt in eins fließt, — mit dem Wesen der Welt, mit dem -Geist der Welt, mit der Unendlichkeit der Welt, mit der Seele der -Welt, mit dem Atem der Welt, mit dem Ursein der Welt, mit dem Kern -der Welt. Wenn vormals die Göttin der Liebe und Schönheit homerisch -gestaltet und plastisch gegliedert dem Samen-Schaum des Weltmeers -enttauchte, so taucht jetzt der homerisch gestaltete, plastisch -gegliederte Götter- und Menschenvater Zeus als pherekydeischer ‚Zas‘ -in die flutenden Wirbel der Schöpfung namenlos zurück. Menschhaft -geformt und geworden aus dem mystisch geahnten Element, entformt -sich und entwird der menschlich gebildete Gott von neuem zum nunmehr -freilich gnostisch erfaßten Element, zum Pan und Henkaipan: eine -überall verbreitete und gleichsam ewige Spielart des Protestantismus, -auf die wir bei allen höheren, will sagen bei allen philosophierenden -Völkern stoßen, wo eines Tages die alternde Theologie durch die -erneuernde Kosmognosie von mehr oder weniger wissenschaftlicher -Haltung verdrängt wird und wo in feierlicher Wandlung der Theos -zum Kosmos sich verjüngt. Der Gott ist Welt und strahlt welthaft -in des Äthers<span class="pagenum"><a name="Seite_52" id="Seite_52">[S. 52]</a></span> Strahlen, so spricht und kündet der Protestantismus -dieser philosophischen Protestanten, den menschheitlichen Gott als -unzulänglich vor Geist und Erkenntnis verdächtigend und bald sogar -nicht einmal dem Nichtwissen mehr verzeihend. Wohingegen derselbe -und nämliche Gott, der diesen Weisheitfreunden und Wissenseiferern -allzu menschenähnlich und menschengebrechlich, allzu menschenwinzig -und menschenwitzig ein Ärgernis ward, den anderen noch lang nicht -genug menschartig erscheint, wofern er als Gott zwar genug und -übergenug von menschlicher Schwachheit befallen, von menschlicher -Torheit ergriffen, von menschlicher Lasterhaftigkeit besudelt, von -menschlicher Leidenschaft getummelt ward: dennoch aber der Menschheit -in jenem anspruchvollsten Sinn ermangelt, als er die Heilung von -diesen Übeln und die Wiederherstellung von diesen Mißschaffenheiten -von sich aus nicht zu bewirken versteht. Möglich, daß der Gott diese -Heilung und Wiederherstellung vormals bewirkt hat, — denn wozu hätte -er selber sonst getaugt in einer Wirklichkeit, wo auch die Götter -noch zu etwas taugen müssen, um sich vor den Menschen auszuweisen. -Seither jedoch ist Unsägliches, Welterschütterndes, Verhängniswaltendes -geschehen. Der Gott hat sich der Sünde hingegeben oder ist sonstwie -von seiner Götterhöhe hinabgeglitten, unmerklich erst, dann schneller -und jäher stürzend. Oder was möglicherweis dasselbe ist, der Mensch -hat seinerzeit den Gott im Ablauf seiner eigenen Reifwerdung -eingeholt und überstiegen, end<span class="pagenum"><a name="Seite_53" id="Seite_53">[S. 53]</a></span>lich in sich selbst die Fähigkeit zur -Selbstvergöttlichung gewahrend; — wie denn die einen Wesenheiten -hienieden aufwärts steigen, wenn die andern Wesenheiten fallen, die -einen aber fallen, wenn die andern aufwärts steigen: ein jegliches -nach eigenem Antrieb und Gesetz, wie Feuer aufwärts wirbelt und Wasser -abwärts rinnt, ein jegliches nach seinem Ort, den es sich suchet... -Kurz und gut also, der Gott Homers war wohl sehr menschlich, aber -konnte das Urgeheimnis aller Menschheit nicht erraten, daß nämlich der -Mensch selber göttlich zu werden trachte nach Wille und Bestimmung, -Wunsch und Wahl. Der Lüfter dieses Urgeheimnisses geworden und damit -aus dem Diener der Vollstrecker Gottes geworden, blieb dem Menschen -nichts übrig, als den Gott von vorhin zur Abdankung zu zwingen und -seine Entthronung zu verfügen, — und wahrlich! es geschah dies -schweren Herzens und mit zitternden Knien! Das griechische Sinnbild -aber dieses Protestantismus (es ward euch Christen seither geschildert -und dargelegt, erläutert und gewiesen im Buch vom Gestaltwandel der -Götter), das griechische Sinnbild richtete der Tragöde Aischylos auf in -seinen Eumeniden, woselbst die Pflicht der Sühne und Wiederheiligung -nach geschehenem Blutfrevel, ehemals eine der göttlichsten Pflichten -von allen, dem Sühngott Apollon abgenommen und in festlicher -Einsetzung dem Richtergewissen attischer Bürger auf dem Hügel des -Ares anvertraut wurde. Hier entkleidet der protestantische Tragöde -den Gott auf offener Szene<span class="pagenum"><a name="Seite_54" id="Seite_54">[S. 54]</a></span> gleichsam seines Kaiserpurpurmantels und -legt ihn schwer um menschliche Schultern; hier salbt und krönt der -Mensch den Menschen in unsterblicher Zeremonie zum Statthalter und -Stellvertreter, zum Sachwalter und Treuhänder Gottes. Was Phoibos -Apollon dereinst hinsichtlich der Erinnyen vollzogen, das vollzieht der -tragische Prophet hinsichtlich Apollons. Als jüngerer, als jüngster -Gott tritt er die Erbfolge, Nachfolge, Tatfolge des älteren Gottes -an und schließt dadurch die vielen Götterstürze aufgewühltester -Jahrhunderte mit einem letzten Göttersturze ab. Der Protestantismus -der Philosophen hat den Fortgang wachsender Vermenschung des Gottes -unterbrochen und zum Fortgang wachsender Entmenschung mit mehr und -mehr Entschiedenheit gewendet. Der Protestantismus der Tragöden führt -die homerische Vermenschung Gottes in freilich stark unhomerischem, -ja widerhomerischem Geiste völlig zu Ende, nun den Gott erst recht -vermenschlichend: der Gott fortab nicht mehr der nur ein wenig -mächtigere, ein wenig dauerhaftere, ein wenig heiligere Mensch, -vielmehr umgekehrt der Mensch ein zwar schicksalunterworfener und -schuldbetroffener, aber auch schuldsühnender und schicksalüberwindender -tragischer Halbgott, dionysischer Gott...</p> - -<p>Ein doppelter und doppelsinniger Protestantismus ist es, den der Kampf -wider Homer auf der hellenischen Erde zeitigt. Ein Protestantismus -erstens, der die gleichsam ‚geistige‘ Leistung des Gottes, den Geist, -den Sinn, das Sein der Welt in sich zu sammeln und<span class="pagenum"><a name="Seite_55" id="Seite_55">[S. 55]</a></span> darzustellen, -auf die Welt selber übergehen läßt und darnach diesen Welt-Gott -vorzugweis als den allgemeinen Erkenntnis- und Erklärunggrund der -einzelnen Welt-Erscheinungen aufgefaßt wissen will, — in des Wortes -Buchstäblichkeit wirklich ‚wissen‘ will. Ein Protestantismus zweitens, -der die gleichsam ‚tathafte‘ Leistung des Gottes, nämlich dem Menschen -Heil und Heiligung, Tröstung und Rettung, Wiederherstellung und -Erlösung zu erwecken, allmählich auf den Menschen selber überträgt, im -Gott künftig höchstens noch den Vorläufer, Wegbahner, Vortäter ehrend, -der aber im Gang der Zeiten vom Menschen in allen Stücken zunehmender -Seelenreifung eingeholt, ja überholt wird. In geschichtlichem -Betracht ist jener erste Protestantismus mit immer bestimmterer -Eindeutigkeit die Sache reiner Erkenntnis, reiner Wissenschaft, reiner -Wahrheitforschung geworden, welche dann nach und nach die Religion in -Philosophie, in Scholastik, in Kritik umgesetzt hat, den Mythos aber -in Metaphysik, in Kosmologie, ja in Physik und alles, was dem heutigen -Europäer mit Physik zusammenhängt. Und dies wiederum mußte notgedrungen -dazu führen, daß diese Sorte Protestantismus in den Wandlungen der -eigentlichen Religionen die vormals ausschlaggebende Bedeutsamkeit in -dem Maße einbüßte, als er selber sich in Philosophie und Metaphysik, -in Scholastik und Kosmologie, in Kritik und Physik verlor; — wie -denn vor allem er es war, der jene verhängnisvolle Spaltung von -Religion und Wissenschaft hauptsächlich mitverursachte, welche die -ehemals unteilbaren und ganzen<span class="pagenum"><a name="Seite_56" id="Seite_56">[S. 56]</a></span> Seelenkräfte des Abendländers in so -viel zusammenhanglose Teile elend zerstückt und zerstückelt hat... -Der Protestantismus zweiter Prägung hingegen ist der gewaltige -Antrieb geblieben in all den religiösen Gegenbewegungen, die sich -als Religionen der Selbstführung, Selbstheiligung, Selbstvergottung -den ‚katholischen‘ Religionen der Fremdführung, Fremdheiligung, -Fremdvergottung mehr oder weniger siegreich widersetzen; — in ewigem -Widerstreit und Widerspiel zu ihnen scheint er die Kraft zu sein, -welche die große Wirklichkeit europäischer <i>religio</i> überhaupt erst -eigentlich in Schwung und Umschwung bringt. Derselbe Protestantismus -ist es denn auch, der in den reformatorischen Versuchen unseres -christlichen Mittelalters die Kirche an allen Ecken und Enden des -Festlandes mit unter den nämlichen Forderungen bekämpft, die man in -ihrer geheimsten Bedeutung erst verstanden hat, wenn man diese Absicht -auf Selbstführung, Selbstheiligung, Selbstvergottung verstanden hat. -Der Priester soll hier künftig nicht mehr des Kelchs allein genießen, -sondern auch der Laie soll des Kelchs genießen, — das will besagen, -daß jeder Christ ausnahmlos des magisch-sakramentalen Mittels der -Vergottung ohne Abzug, ohne Minderung teilhaftig werden will. Der -Priester soll hinfort nicht mehr die Ohrenbeichte entgegennehmen -dürfen, sondern der Laie soll seine läßlichen und tödlichen Sünden -seinem Herr-Gott selber beichten, — das will besagen, daß sich -jeder Christ ausnahmlos die Kraft der Lossprechung und Entsündigung, -der Sühne und der<span class="pagenum"><a name="Seite_57" id="Seite_57">[S. 57]</a></span> Buße selber vorbehalten weiß. Der Priester -soll fürder nicht die Entscheidung treffen dürfen, was da in -Glaubensangelegenheiten statthaft und verwehrt, was sinngemäß oder -verkehrt sei, — das will besagen, daß die Vernunft jedes Christen -ausnahmlos erleuchtet genug, daß sein Gewissen geschärft genug sei, -um das für ihn gültige Urteil über die Lehre selbst zu fällen. Und -wenn der Priester, wenn die Kirche ihre grenzenlose Macht über -den mittelalterlichen Menschen ausschließlich dadurch erlangt und -erhalten hatten, daß sie sich die alleinige Sachwalterschaft über die -Gnadenmittel anmaßten und mit der Verweigerung dieser jeden einzelnen -Christen außerhalb der christlichen Gemeinschaft stellten als einen -nicht nur gesellschaftlich, sondern auch religiös Friedlosen und -Geächteten, so trifft der folgerichtige Protestantismus diese Macht -zu Tode, wenn er zuletzt die Gnadenmittel selbst verwirft. Nicht -durch Brot und Wein vergöttlicht sich nach seiner Auffassung der -Mensch, vielmehr er ist vergöttlicht vor Urbeginn der Zeiten durch -die Auswahl Gottes, oder er ist’s nicht. Ausgewählt aber ist zuletzt -jeder, der ausgewählt sein will: ausgewählt ist jeder, der sein Leben -als ein Auserwählter selbst zu führen, selbst zu gestalten, selbst zu -verantworten fähig ist. Der von Gott Erwählte erweist sich dieser Art -ganz wesentlich als der von sich selbst Erwählte. Unerschütterlich -bemüht, in allen Dingen des Wandels dem Urbild des Begnadeten gerecht -zu werden, bestätigt er sich als der Begnadete. Augenscheinlich also -in Kern und<span class="pagenum"><a name="Seite_58" id="Seite_58">[S. 58]</a></span> Wesen der Persönlichkeit bis zu einem schauerlichen -Grade von Gott abhängig, von Gott erlesen oder von Gott verworfen und -jedenfalls nur Gottes totes Werkzeug, verlegt in Wahrheit doch eben der -kalvinistische, der independentistische, der puritanische Protestant -die letzte Entscheidung über sich selbst durchaus in sich selbst: er -selber hat es ja in der Hand, sich als Erlesener oder Verworfener zu -bezeugen durch die Art, wie er sein Leben führt und meistert. Wer da -der Herr seines Lebens ist, wie ein steingemeißelt Standbild auf sich -selber fußend und für sich selber wesend, niemandem untertänig als der -Pflicht schlechthin, als Auserwählter, als Begnadeter, als Erlesener -sich zu bewähren, der ist wahrhaftig auserwählt, der ist begnadet, der -ist erlesen...</p> - -<p>Aus diesem Sachverhalt heraus wage ich Protestantismus ganz allgemein -die grundsätzliche Überzeugung zu nennen, wonach die religiöse Tat der -Welt- und Seelenrettung dem Menschen selbst, dem diesseitigen in Zeit -und Raum, obliege. Und dementsprechend heiße ich Katholizismus jede -Zuversicht und jeden Glauben, wonach die religiöse Tat von Gott und -Göttern, weltherrschenden und heilfördernden, vollbracht wird: dann -aber von ihnen her dem Menschen magisch, liturgisch, sakramental auf -Gnadenwegen übermittelt wird, genau wie dem Kommunikanten die Tat des -Gott-Opfers in der Gestalt der Hostie als Speise zubereitet dargereicht -und gespendet wird... Katholizismus also finden wir allerwärts, wo das -ewige Mysterium der Heilstat in Himmeln<span class="pagenum"><a name="Seite_59" id="Seite_59">[S. 59]</a></span> und Überhimmeln weltrettendes -Ereignis wird; Protestantismus finden wir imgleichen allerwärts, wo -dasselbe Mysterium diesseit der Himmel inwendig in uns gefeiert wird, -diesseit der Himmel und inwendig in mir, diesseit der Himmel und -inwendig in dir, o Christ! Um einerlei Ding handelt sich’s darum beim -Protestantismus unserer europäischen Wirklichkeit bei allen Völkern -und zu allen Zeiten. Einerlei Ding ist zuletzt gemeint und einerlei -Ding ist es bei Heiden und bei Christen, wenn der Prophet Aischylos -die Sühne für Blutfrevel weder durch fletschende Erinnyen bewirkt -werden läßt noch durch Apollon Phoibos, und solchermaßen die üblichen -Sakramente der Wiederherstellung als unnütz kraft eigener Entscheidung -kurzerhand verwirft; — und wenn Bruder Martinus in wütender -Herzensqual die vollkommene Unwirksamkeit aller Gnadenmittel der Kirche -an seiner sündigen Seele erfährt. Einerlei Sache ist gemeint bei Heiden -und Christen, ob Aischylos einen attischen Areiopagos sinnbildlich -einsetzt als Gewissens-Gericht, oder ob Luther das evangelische Urwort -von der Sinnesänderung innig begrüßt als das Loswort von seinen Ängsten -und Wirbeln. Es ist dies einerlei Ding, einerlei Sache, einerlei Sinn -gewesen, für welches freilich der dröhnende Glockenmund des attischen -Tragöden zuletzt so wenig das zutreffende Wort zu erstammeln wußte wie -die erzschmelzende Flammenzunge des erfurter Doktors...</p> - -<p>Nach dieser Ausweitung und Vertiefung des Sachverhaltes -‚Protestantisch‘ ziemt uns ein Blick zurück<span class="pagenum"><a name="Seite_60" id="Seite_60">[S. 60]</a></span> auf die Ursprünge des -Christentums, ihr Christen. Was nämlich diese Ursprünge anbetrifft, -so kann uns der vielleicht doch nicht erwartete Umstand nicht länger -entgehen, daß sie selbst unleugbar protestantischer Beschaffenheit -sind. Ein neuer Gott ist es, im Kampf mit sämtlichen alten Göttern, -der hier die Tat der Welt- und Seelenrettung auf sich nimmt. Ein neuer -Gott, im Kampf mit sämtlichen alten Göttern, sag’ ich, nimmt die -Tat auf sich: aber doch nur dadurch, daß er in menschlicher Person -erscheint und das Menschliche mit seinen Bitternissen menschlich -teilt. Der Held des Christentums — und das ist keineswegs sein -Stifter! — ist Gott und wird Mensch, weil er einzig in seiner -Eigenschaft Mensch zu vollenden vermag, was Jahve-Hypsistos der -Unmenschliche unter keinen Umständen zu vollenden fähig ist. Möget -daher ihr Christen Ursprung und Herkunft des Christentums ansetzen, -wie es euch zweckmäßig oder wie es euch richtig zu sein dünkt, — -diese Grund-Tatsache liegt allem zugrunde, was immer auch später -auf sie errichtet und getürmt sei. Der Gott mußte Mensch werden, um -den Menschen fortan noch Gott zu sein; der Gott mußte des Menschen -Kreuz auf seine Schulter bürden, damit der Mensch den Heiland bei -sich glauben könnte: <i>Deum de deo, lumen de lumine, deum verum de deo -vero, genitum non factum, consubstantialem Patri: per quem omnia facta -sunt. Qui propter nos homines et propter nostram salutem descendit -de coelo. Et incarnatus est de Spiritu sancto ex Maria virgine: Et<span class="pagenum"><a name="Seite_61" id="Seite_61">[S. 61]</a></span> -homo factus est...</i> Dies war von allen Götterstürzen der Jahrtausende -der weithin schmetterndste und abgründlichste. Nicht daß Jesus der -Mensch in den Olympos eingedrungen ist, wo Zeus der hochbetagte und -längst nicht mehr hochdonnernde Vater Kronion wachträumend schon -eine lange Weile auf seinem Hochsitz eingedämmert war (wie Greise -vor Tisch oder nachher ein wenig einzunicken pflegen), und wo Psyche -fürbittend und vermittelnd die Hand des Eindringlings voll Demut -greift, indes die anderen Olympier wie ein aufgestöbertes Volk Ameisen -wild durcheinanderwirren, — dieses wahrhaftig nicht! Vielmehr daß -dieser ‚vom heiligen Geist aus der Jungfrau Maria fleischgewordene‘ -Gott und Nicht-mehr-Gott, menschlich aus der Sphäre seiner Gottheit -herausgetreten, nun auch den alten Jahve-Hypsistos, bisherigen -Schöpfer- und Herrschergott schlechthin, aus dem Bewußtseinsraum -eines gleichsam neu belichteten Menschheitgewissens unwiderstehlich -verdrängte. Das war die große Tatsache der neuen Religion, die -bahnbrach; und Gnostiker, paulinische Urchristen, Marcioniten, Arianer -haben dies auf ihre verschiedene Weise alle mit Bestimmtheit begriffen, -ehe die Kirche die klare Wahrheit dogmatisch beschattete und von allen -ketzerischen Abweichungen die am grausamsten unterdrückte, welche in -Jesus dem Gott-Menschen wesentlich den Menschen und nur diesen sah. -Damit aber war schließlich das Merkwürdige geschehen, daß in eben -dieser Kirche weder der Katholizismus noch der Protestantismus religiös -zum völlig reinen<span class="pagenum"><a name="Seite_62" id="Seite_62">[S. 62]</a></span> Austrag gelangen konnte. Auch die Kirche, die sich -die allgemeine nannte und ‚in diesem Zeichen‘ siegte, mußte in ihr -Credo das christliche Urerlebnis aufnehmen: <i>Et homo facius est</i>. -Auch die Kirche konnte den heimlichen Protestantismus, der in diesem -<i>Credo</i> wie in verbotener Schwangerschaft keimte, höchstens in seinem -Wachstum hemmen, aber nicht töten, — sie hätte denn mit dem Kind -die Mutter selbst getötet. Gott ist Mensch geworden, um den Menschen -göttlich zu erlösen; das Wort ist Fleisch geworden, um das Fleisch zu -kreuzigen und im Wort zu geistigen: dies bleibt in allem Katholizismus -der Kirche ein protestantischer Rest- und Rückstand von unzerstörbarer -Keimkraft und Gärkraft in allen Jahrtausenden. Und wiederum mußte -sich dieser selbe Protestantismus umgekehrt in seinem eigenen Dogma -mit dem ‚katholischen‘ Artikel vom Schöpfer Himmels und der Erden und -vom Vater des Erlösers und Herrn durch alle Zeiten hindurchschleppen, -stets unter dem Zwang, diesen Katholizismus grundsätzlich nicht -leugnen zu dürfen oder nicht leugnen zu können, vielmehr als ‚Christ -überhaupt‘ ausdrücklich anerkennen, ja billigen zu müssen: <i>Credo -in patrem omnipotentem, factorem coeli et terrae, visibilium omnium -et invisibilium ...</i> In der Lehre vom dreieinigen Gott hat mithin -die Kirche die glückliche Formel gefunden, welche Katholizismus und -Protestantismus als die gegenwirkenden Potenzen jeglicher Religion, -nicht nur der christlichen allein, in einem stätigen Gleichgewicht zu -erhalten ermöglichte. Im Besitz dieser dogmatischen<span class="pagenum"><a name="Seite_63" id="Seite_63">[S. 63]</a></span> Lehre ist seither -die katholische Kirche in Wahrheit nicht minder protestantisch wie -katholisch, sind seither die protestantischen Kirchen und Sekten in -Wahrheit nicht minder katholisch wie protestantisch. Mit ungeheuerer -Kunst hat das christliche Glaubensbekenntnis bis zur Stunde die -zwei unversöhnlichen Ur- und Widerkräfte des religiösen Lebens zu -binden verstanden, also daß keine noch so eigensinnig protestantische -Verwahrung den katholisch-judäischen Weltengott Jahve-Hypsistos dem -christlichen Bewußtsein hat entfremden, hat entwenden können, — wie -auf der anderen Seite keine noch so katholische Wiederherstellung des -echten und wahren Glaubens den protestantisch-judäischen Gottmenschen -Jesus preiszugeben oder zu opfern gewagt hat.</p> - -<p>Wie nun, ihr Christen?</p> - -<p>Bei uns westlichen Menschen ist es die Kirche gewesen, welche die -Religion des fleischgewordenen Wortes als Mythos, als Dogma, als -Liturgie zur Herrschaft gebracht hat, durch eben diese Tat einer -gleichsam vorbeugenden Klugheit, die etwa doch schon als vorbeugende -Weisheit verehrt, als vorbeugende Weisheit gepriesen zu werden -verdiente. Die Kirche ist damit jeder einseitigen Entscheidung -über eine ausschließliche Katholizität oder eine ausschließliche -Protestantik frühzeitig zuvorgekommen, möchte dies nun zum Segen -oder zum Unsegen westlicher Menschheit ausgeschlagen sein. Dieses -in seiner unendlichen Fruchtbarkeit bedenkend und erwägend, wollen -wir indes nicht übersehen, daß die von der Kirche<span class="pagenum"><a name="Seite_64" id="Seite_64">[S. 64]</a></span> gewissermaßen -synkretistisch vollbrachte Lösung des drohenden Zwiespaltes — wenn -diese Lösung nicht doch schon eine synthetische gewesen ist? — -keineswegs christlicher Abstammung oder Erfindung gewesen ist, nicht -einmal hellenischer oder hellenistischer, ja nicht einmal europäischer. -Was der Kirche des Abendlandes und in tiefstem Einverständnis mit ihr -den abendländischen Kirchen und sogar Sekten möglich ward, das ist -schon viele Jahrhunderte vor dem entstehenden Christentum und seinen -Urgemeinden daheim und in der Zerstreuung in Indien eine herrliche -Wirklichkeit gewesen. Der indische Mythos vom Gottmenschen Krischna -hat das nie mehr übertroffene, nie mehr erreichte Sinnbild vollendeter -Durchdringung und Verschmelzung katholischer mit protestantischer -Frömmigkeit aller Welt zum ewigen Muster dargestellt. Und wo wir vorhin -der zusammensichtenden Leistung der Kirche Bewunderung zollten, ist -jetzt die Besinnung auf jene Begebenheit am Platze, die im günstigsten -Fall von der Kirche wiederholt, ob ich auch keineswegs sage: nachgeahmt -wurde. Was dabei den indisch-brahmanischen Mythos vom christlichen -einmal für alle mal auszeichnend unterscheidet, ist der Umstand, -daß er keineswegs der metaphysisch unzulänglichen und philosophisch -unhaltbaren Deutung einer Gott-Vaterschaft bedarf, um dem Verstand das -Wunder des Mensch-Seins Gottes verstandesmäßig anzunähern. Keineswegs -wird es hier für geboten oder auch nur für passend erachtet, daß -der Eine Gott in die zwei Gegen-Tätigkeiten, Gegen-Wesenheiten der -<i>Paternitas</i><span class="pagenum"><a name="Seite_65" id="Seite_65">[S. 65]</a></span> und <i>Filiatio</i> zerspalten werde, um dem Begriff den -Vorgang von Gottes Erdenwallen ein wenig begreiflich zu machen. Zum -Behufe eindringlicheren Verstehens glaubte sich der Abendländer auf -das plumpe und rohe Gleichnis beziehen zu müssen von der doppelten -Geburt Jesu Christi in der Ewigkeit und in der Zeit, bewirkt durch eine -geschlechtlich-übergeschlechtliche Zeugung im Schoß des göttlichen -Vaters und durch eine geschlechtlich-übergeschlechtliche Empfängnis im -Schoß der menschlichen Mutter: <i>Et ex patre natum ante omnia saecula; -Et incarnatus est de Spiritu sancto ex Maria Virgine...</i> Wo der -Europäer sich in dem Labyrinth dieser halbwegs supernaturalistischen, -halbwegs superspirituellen Ungeheuerlichkeiten hoffnunglos verirrt, -da genügt dem so viel denkgeübteren Geist des Inders der schlichte -Hinweis, daß dieser so und so gestaltige Krischna die diesmalige -Erscheinung sei des ewigen Wesens, die diesmalige Verkörperlichung -des körperlosen Eins-und-Alles, die diesmalige Versinnlichung und -Versichtbarung des unsinnlich-unsichtbaren Urselbstes. Auch hier -ruht die katholische und die protestantische Religiosität in einem -feierlichen Gleichgewicht, aber dies Gleichgewicht ward hergestellt auf -einer ungleich höher gelegenen, freieren, reineren Ebene der religiösen -Erfahrung wie dort...</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_66" id="Seite_66">[S. 66]</a></span></p> - -<div class="section"> - -<p class="initial">Gott Krischna ist Mensch geworden aus dem ritterlichen, aus dem -abenteuerlichen Bedürfnis des echten Helden. Gott Krischna ist -Mensch geworden, um den Schutzlosen beizustehen, um die Übeltäter -zu bestrafen, um die Gewaltherrscher zu stürzen, um die Leiden der -Wesen zu lindern, um den Edeln eine Stätte zu sein, um die Elenden -zu trösten, um die Kranken zu heilen. Gott Krischna, ihr Christen, -ist Mensch geworden, weil jedes Weltalter verloren geht, dem nicht -zur rechten Zeit der Held geboren wird, — dem nicht zur rechten Zeit -der Held sich selbst gebiert: denn wer würde je als Held geboren? -Die Welt am Ende jedes Weltalters ist verloren, bis daß sie sich in -der Geburt des Helden wiedergebiert und in des Helden Jugend selber -sich verjüngt: also, ihr Christen, ist Krischna Mensch, ist Krischna -Held geworden! Oder am Ende ist dieser Krischna Mensch geworden, -damit ihm, dem Gott, zuletzt des Menschlichen nichts fremd geblieben -wäre, <i>humani nihil a se alienum esse</i>, wie dieses am Schluß der -zwölften Andacht streng wörtlich ausgesprochen wird. „Und was da -immer Menschen bewegt, Menschen erregt und handeln läßt, im Verkehr -untereinander, in ihren verschiedenen Werken, Zwecken und Absichten, -sei es nun, daß sie mit Gewalt oder mit List, durch Überredung oder -durch Geschenke oder selbst durch die Flucht ihre Ziele erreichen: dem -allem wollte der Gott nicht fremd sein.“ Dem allem wollte der Gott -nicht fremd sein, und so schlüpft er gleichsam in Gewand und Rüstung -eines Helden, nicht anders wie<span class="pagenum"><a name="Seite_67" id="Seite_67">[S. 67]</a></span> in manchen Märchennächten am Tigris -der Kalif Harûn-er-Raschîd in die Verkleidung eines Kaufmanns, eines -Reisenden, eines Pilgrims schlüpfte, halbwegs um nach dem Rechten in -allem Unrechten und Schlechten zu sehen, halbwegs um sich an Abenteuern -zu ergötzen, vornehmlich aber um zu erleben, was sonst nur schlichte -Erdensöhne im Guten oder Schlimmen zu erleben pflegen. Im übrigen, wozu -die Rechtfertigung der hohen Selbstverständlichkeit, daß Gott wesenhaft -alle Gestalten, Personen, Erscheinungen, Wirklichkeiten selber ist, -daß er mithin auch jede einzelne von ihnen zu seiner bevorzugten Maske -ausersehen kann, — Maske aber ist griechisch πρόσωπον: Eine -Usia, Ein Gott in vielerlei προσώποις! — die er alsdann -mit den unendlichen Kräften seiner Göttlichkeit zeitweilig lädt und -anfüllt. Gott ist ja alles und verwirklicht sich in allem, warum -für dieses eine mal nicht in der lieblichen Gestalt — Gestalt aber -ist griechisch πρόσωπον: Eine Usia, Ein Gott, in vielerlei -προσώποις! — dieses halkyonischen Jünglings? Warum für dieses -eine mal nicht im Sohn des Kuhhirten Nanda und der Mutter Yasodâ, so -manchen lieben Tag (wie dann späterhin wohl auch der evangelische -Gottmensch) gewindelt und gewiegt im scharf duftenden Rinderstall: -strahlend in goldener keuscher Fleischlichkeit, das Herz gewärmt am -Busen der zärtlichen Gespielinnen auf den Fluren der Yamunâ, aber -das Haupt geklärt, gekühlt am Gipfelfirn des Himâlayo; in wonnesamen -Vollmond- und Erfüllungnächten mit den Mädchen seiner Heimat Reihen -tanzend und<span class="pagenum"><a name="Seite_68" id="Seite_68">[S. 68]</a></span> mit ihnen in einem hold bukolischen Eleusis alle die -eigenen Ruhm- und Wundertaten menschlich spielend, menschlich mimend, -die Krischna der Gott begangen. Dieser Hirtenknabe ist der nämliche -und selbe, der die Weltenschlange Kâliya besiegt, den Stier-Unhold -Arischta an den Hörnern packt und auf die Erde schmettert, die Ringer -des Königs Kamsa niederringt und Kamsa-Eurystheus-Herodes schimpflich -tötet. Er ist der nämliche und selbe, der alleinig oder Schulter an -Schulter mit dem Bruder Râma Heersäulen von Feindeskriegern in die -Flucht schlägt und wiederum im anmutigsten, zartesten, lieblichsten -aller Wunder das bucklichte Mädchen schlank und rank biegt, damit ihm, -dem indisch-brahmanischen Herakles in Person, der zarte evangelische -Einschlag nicht mangle vom Heiland als Arzt und Krankenheiler. Wie -denn auch sonst, ihr Christen, evangelische Stimmung mit soviel -Kraft und Reinheit angeschlagen wird, daß sie aus den Evangelien -selbst nur noch wie ein schwacher später Nachklang sterbend zu uns -herüberweht: so in der Schilderung adventischen Himmelfriedens, -adventischer Weltwindstille in der Gnaden-Nacht der irdischen Geburt; -so in der Erzählung vom bethlehemitischen Kindermord, den Kamsa, die -Gottesgeißel, über die Länder verhängt aus Furcht vor dem Stärkeren und -aus Neid auf den Edleren; so im Bericht von Krischnas Taufe durch Indra -auf den Namen Govinda, das ist Rinder-Herr, mit dem heiligen Wasser der -Yamunâ...</p> - -</div> - -<p>Kurz und gut, es hat Gottes Allmacht hier gefallen, in der Verkörperung -als Hirtenjüngling mit<span class="pagenum"><a name="Seite_69" id="Seite_69">[S. 69]</a></span> Lächelnsgleichmut Menschenunmögliches zu -vollbringen und das Wunder der Wunder gottmenschlich vorzuleben: -wie der Gott der Götter, wie der Mahâdeva selber, erhaben über -alle Schranken der Gestalt, Persönlichkeit und Bewußtheit und -unergründlich sogar für die Ergründung und Andacht, die Vertiefung -und Sammlung, die Einigung und Anspannung — Anspannung aber heißt -Yoga! — der Denker, Büßer, Waldeinsiedler: wie Mahâdeva dennoch -Zug für Zug dieser bestimmte Mensch, Jüngling, Hirte sein könne. -Denn fürwahr! Dieser Mensch, Jüngling und Hirte ist wesenhaft -Brahman und wesenhaft Âtman, ist wesenhaft Brahmâ, ist wesenhaft -Wischnu, ist wesenhaft Schiva, ist wesenhaft Kubera, ist wesenhaft -Varuna, ist wesenhaft Yama, ist wesenhaft alle sinnlichen und -himmlischen Götter, ist wesenhaft alle Halbgötter, Gandharven, -Genien, Dämonen, Engel, Elementargeister, Elemente, Grundstoffe, -Gemütskräfte, Lebenserscheinungen, Weltbegebenheiten, Täter, -Taten und Werke. Und wie um diese unendliche Reihe göttlicher -Wesenselbigkeiten und Einerleiheiten ins Unendliche fortzusetzen, -erkennt der hochstaunende Prinz Arjuna in der Schwesterdichtung des -Krischna-Mythos, uns Abendländern seit mehr als hundert Jahren unter -dem Namen Bhagavad-Gîtâ, das ist θεσπέσιον μέλος oder des -Erhabenen Gesang vertraut und teuer wie keine zweite Heilige Schrift -des Ostens geworden, — erkennt dieser hochstaunende Prinz Arjuna -eben die menschhafte Verleiblichung des <i>bhagavân</i> Krischna gleichsam -als den platonischen<span class="pagenum"><a name="Seite_70" id="Seite_70">[S. 70]</a></span> ‚Ort‘, den überhimmlischen, aller Arten und -Gattungen, aller Dinge und Wirklichkeiten. Krischna, des Prinzen -Wagenlenker, der ist der Urfeldherr und Urpriester, der Urseher und -Ursänger, der Urstrom und das Urmeer, der Urelefant und das Urrind, -der Urvogel und Urfisch, das Urroß und die Urschlange, das Urwort und -Urwissen, die Urwaffe und das Urwerkzeug. Krischna der Großarmige -mit Wurfscheibe und Schwert, mit Keule, Bogen und Fahne, der ist -Ursprung und Heimgang, Geburt und Tod, Anmut und Einsicht, Entschluß -und Sieg, Größe und Reichtum, Rede und Schweigen, Opfer und Gesang, -Metrum und Ritus, Same und Frucht, Jahrzeit und Luftraum, Wolke und -Stern. Die ewige Entstehung und Vergehung, die ewige Wandlung alles -Geworden-Werdenden, die ewige Stätte in allen Wandlungen ist Krischna. -Die ewige Brunst in allen Zeugungen und Begattungen ist Krischna und -der ewige Rausch der Zerstörungen und Verheerungen: der ewige Schoß -blutender Geburten ohne Maß und Zahl und das ewige Grab faulender -Tier- und Pflanzenleichen. Fratzenhaft schauerlich ist Krischnas, des -goldigen Hirtenjungen, göttlich Gesicht, wie es das übermenschlich -erhellte Auge des Prinzen Arjuna plötzlich neben sich auf dem -Streitwagen vor dem Beginn der Schlacht erspähet: ein tausendgliedrig, -sterneblitzend, flammenrädrig Sonnenlohenungeheuer auf einem Sitz von -Totenschädeln, ohne Einhalt Wesen Wesen Wesen von sich speiend mit -der gebärerischen Wurf- und Schwungkraft jungender Katzen, — ohne -Einhalt Wesen in sich<span class="pagenum"><a name="Seite_71" id="Seite_71">[S. 71]</a></span> schlingend mit der scheußlichen Gefräßigkeit -nimmersatter Steppenwölfe... Verehrung aber jenem Seherauge, welches -Krischna den Gott im Menschen Krischna schaute: Verehrung dem -unbestechlichen Auge, welches Gott schaute, wie er ist, und dennoch an -Gott nicht starb! Verehrung jenem Seher, welcher dem unbeschönigten -Gott-Gesicht ehern standhielt, ohne im Irrsinn zu vergehen, ob ihn das -Grausen auch im Eisstrom des eigenen Geblüts erfrieren und gerinnen -ließ! Verehrung ihm, der ehrlich gegen Gott genug und tapfer gegen -sich selbst genug war, um in Gottes Antlitz die Züge teuflischer -Zerstörunglust und -wollust zu gewahren und sie sich selber nicht zu -unterschlagen, wie es die Christen doch wohl (oder übel!) taten, die -ihren Gott zum braven Lämmchen zähmten und zum ‚lieben Gott‘, dem -jedermann sich bierbrüderlich und gemütlich zum Schmollis anbiedern -darf... Verehrung insonderheit auch ihm, der als der erste in der -glorreichen Drei-Gestalt Gottes des Schöpfers, Gottes des Erhalters, -Gottes des Zerstörers just die Vernichtungmächte göttlich zu bejahen -wagte. Und Verehrung endlich denen, die als namenlose Meister diese -Mächte in steinernen Urgesichten sinn-bildender Skulptur zur Majestät -jenes schivaitischen Typus zu gestalten wußten, dessen plastische -Fragmente von der javanischen Hochfläche zu Dieng den späten Europäer -dämonisch tief erschrecken, der sie aus seiner eigenen Selbst-Kenntnis, -Dämon-Kenntnis tief zu erraten weiß...</p> - -<p>Jetzt also siehst du den Menschen, jetzt siehst du den Gott Krischna -von Angesicht zu Angesicht.<span class="pagenum"><a name="Seite_72" id="Seite_72">[S. 72]</a></span> Jetzt wiederum siehst du kein Angesicht -mehr, sondern gehst in dich selber, gehst in dein Selbst ein und in -dir selbst ins Selbst und Herz aller Wesen und wirst des Wesens inne. -Dich auf dein Du besinnend, einigst du dich mit dir selbst und mit -dem Selbst der Welt, — dies ist fürwahr <i>Om</i> das Kleinod aus dem -Lotos, <i>Om çom</i> das All und Selbst des All, ruhend in menschlicher -Gestalt, ruhend in göttlicher Gestalt, ruhend in gar keiner Gestalt -auf der weißen Blume deines Geistes im Tempelteich säliger Erkenntnis. -Dermaßen mischt in diesem Mythos aller Mythen sich innigst katholische -und protestantische Frömmigkeit, daß man in keinem Augenblick mit -zuverlässiger Eindeutigkeit behaupten kann, der Gott, der Mensch sei -Täter der heilwirkenden Handlung. Der Täter selbst verharrt in völliger -Durchdrungenheit von Gott und Mensch; seine Gestalt verleiblicht -in sich die Summe sowohl aller welthaften Gestalt überhaupt, wie -dessen, was jeglicher Gestalt spottet. Und dies alles nicht etwa -auf den Umwegen des Christentums, wo der Mensch Jesus an der Natur -Gottes nur teil hat auf Grund seines Gezeugtseins durch den Heiligen -Geist: vielmehr in einer dem Abendländer gar nicht erreichbaren -metaphysischen Unschuld sozusagen auf Grund der Wesenselbigkeit -lebendiger Gestalt überhaupt mit dem Lebensurgrund selbst und des -Lebensurgrundes Selbst! Im Gegensatz zum Christentum gilt es hier für -völlig selbstverständlich, daß jedes Wirkliche noch etwas anderes sei -als das, was es eben sei und scheine, und der<span class="pagenum"><a name="Seite_73" id="Seite_73">[S. 73]</a></span> Inder wenigstens hat -sich nie den Kopf zerbrochen über das Mysterium des Westens, wieso -und auf welche Weise der Gott Mensch oder der Mensch Gott geworden -sei. Hier wurde, die Wahrheit zu sagen, weder der Mensch Gott noch der -Gott Mensch: hier war er’s, hier ist er’s von allem Anfang an und vor -allem Anfang und braucht es darum nie zu werden oder nie geworden zu -sein. Unser krampfhaft westliches, allzu westliches Bemühen, alle die -Rätsel der Welt und Überwelt <i>more historico</i> durch die Geschichte -ihres Geworden-Seins aufzulösen, entlockte dem Inder, wo er es -überhaupt begriffe, nur ein Lächeln. Er, der geschichtlos Denkende und -geschichtlos Wissende schlechthin, ist sich genau bewußt, daß nirgendwo -in irdischen oder unirdischen Bezirken etwas wird, das nicht schon -ist: daß folglich auch Gott je und je Mensch war und der Mensch je und -je Gott, — nie aber Mensch wurde oder geworden ist, nicht einmal im -Jahre Null oder im Jahre Eins einer gar absonderlichen Zeitrechnung, -ihr Christen. Das Jahr des Herrn, da das Wort Fleisch ward, deucht den -Schöpfer des Krischna-Mythos und der Bhagavad-Gîtâ von Ewigkeit her, — -von Ewigkeit her ist der Gott Mensch, ist der Mensch Gott!</p> - -<p>Noch hat es aber damit für den Aufmerkenden eine andere Bewandtnis. Die -abendländische Vernunft, Jahrtausende um dieses Rätsels Enträtselung -sich befleißigend, sie hat sich bekanntermaßen zu ihrem eigenen -Gebrauch etliche Hand- und Fußschellen angelegt, oder richtiger -eigentlich Haupt- und Geistschellen, die<span class="pagenum"><a name="Seite_74" id="Seite_74">[S. 74]</a></span> sie an jeder freieren -Beweglichkeit behindern müssen. Mit diesen Haupt- und Geistschellen -fesselte die Vernunft des Abendlandes sich selber und nannte ihre -Fesseln die Grundsätze der Logik, als da ist die Grundregel von -der sogenannten Identität, Einerleiheit oder Dieselbigkeit, wonach -jeder Denkinhalt mit sich selber einerlei, und zwar lediglich mit -sich selber einerlei sei; — die Grundregel ferner vom Widerspruch, -wonach von zwei einander ausschließend widersprechenden Urteilen nur -eins wahr sein könne. Der Grundsatz von der Einerleiheit und der -Grundsatz vom Widerspruch, das war der Bleikiel, der die schwanke -Jacht des europäischen Denkens vor dem Kentern wahren sollte, wenn -sie auslief. Denn offenbar erschien sich dieses Denken selber mit -allzuwenig Gewicht beschwert, um die Gefahr des Kippens und Kenterns -nicht vor allen Gefahren zu fürchten. Was nun allerdings die zweite -dieser Vernunftregeln betrifft, die angeblich zeitlos gültig und -allgemein sind, so kann es dem halbwegs vorurteilfreien Beobachter der -europäischen Wissenschaften auf die Dauer ganz unmöglich ein Geheimnis -bleiben, daß sämtliche Systeme der großen Dialektik den Satz vom -Widerspruch entweder ausdrücklich mit Worten oder aber tatsächlich -außer Kraft gesetzt haben. Von Herakleitos dem Hellen bis auf Nietzsche -und von dem Stagiriten bis auf Kant, Hegel, Marx ist die abendländische -Philosophie zuletzt nichts anderes gewesen als das mit mehr oder -minder tauglichen Mitteln unternommene Wagnis, wenigstens diese -hinderlichste aller Fesseln<span class="pagenum"><a name="Seite_75" id="Seite_75">[S. 75]</a></span> einer unbefangenen Erkenntnis zu sprengen: -mit immer größerer Rücksichtlosigkeit ward der Vernunftwiderspruch, -die Kontradiktion und Kontraposition, die Antithesis und Antinomie -wie ein Sporn in die Flanke der Welt gebohrt, der sie vorwärts zu -rasender Bewegung stachelt. In ihrer sogenannten Logik scheint mithin -die Abendlandwissenschaft den Satz vom Widerspruch nur aufgestellt zu -haben, damit sie ihn in ihrer sogenannten Dialektik wieder aufzuheben -vermöchte, und gleichsam um sich für diese freche Verwegenheit selbst -zu strafen, hat dann die Vernunft des <i>homo europaeus</i> an dem anderen -Grundsatz von der Dieselbigkeit und Einerleiheit mit desto strengerer -Treue festgehalten. Jedweder Denkinhalt ist mit sich selber einerlei -und lediglich mit sich selber, so urteilt die westländische Vernunft -in der unerschütterlichen Überzeugung, hier als ‚Vernunft überhaupt‘ -zu urteilen, — und noch hat sich keine Dialektik und noch nicht -einmal eine Sophistik erdreistet, das Zeichen der Frage auch hinter -diese Denkfessel und Denkhemmung zu setzen. Jeder Denkinhalt ist -mit sich selber einerlei, urteilt nun freilich auch die Vernunft -jener indischen Rasse, welcher wir Veda, Upanischaden und die großen -Epen zu danken haben, — aber der Denkinhalt Gott, fügt dieselbe -Vernunft eilends berichtigend hinzu (und eilends beschwichtigend), der -Denkinhalt Gott ist einerlei mit sich selber und zugleich einerlei -mit allen Denkinhalten und Weltinhalten sonst. Gott ist er selber, -und hinsichtlich dieser Unumstößlichkeit bleibt der Satz von der -Identität durchaus gültig.<span class="pagenum"><a name="Seite_76" id="Seite_76">[S. 76]</a></span> Aber Gott ist außerdem alles, was ist und -doch nicht Gott ist, und hinsichtlich dieser Unumstößlichkeit gilt der -Satz von der Identität für Gott nicht. Alles was ist und Gott nicht -ist, ist letzthin doch Gott, ist letzthin doch Gott-Selbst; Gott als -dem Urselbst ist es gemäß, Er-selbst und Es-selbst zu sein und daneben -noch sämtliche Wesenheiten und Dinge, benennbare und unbenennbare, -wahrnehmbare und unwahrnehmbare. Gott ist es gemäß, sich in das -Doppel- und Wider-Sein des Ich-Nichtich zu spalten und jedwede Gestalt -des Leibes, jedwede Gestalt des Geistes gütig anzunehmen und alle -aneinander zu reihen, ohne sich mit einer einzelnen Gestalt der Reihe -oder auch mit allen zusammen seinem Begriff nach zu decken. Gott ist -Gott und Gott ist nicht Gott und Nicht-Gott, beides auf seine göttliche -Weise. Gott ist Gott, aber Gott ist auch Ich-Nichtich, Gott ist auch -Subjekt-Objekt, Gott ist auch Puruscha und Prakriti, Gott ist auch -‚Feldkenner‘ und ‚Feld‘, Gott ist auch Prajâpati und Mahâmâyâ, Gott -ist auch Sein und Nicht-Sein, Gott ist auch die fünf Elemente und die -Qualitäten, Gott ist auch das Wesen und die Wesen zumal. Wohl sagt -Gott: Ich bin Ich. Aber Gott sagt imgleichen: Ich bin Du und Du bist -Ich, und Ich bin Es und Es ist Ich. In der Kauschîtaki-Upanischad wird -der abgeschiedenen Seele die nie zu vergessende Antwort, das nie zu -vergessende Urwort gleichsam als Lösewort in den Mund gelegt, wenn ihr -der Himmelspförtner Mond die Frage aller Fragen vorlegt: Wer bist Du? -— Du bin Ich! Mit diesem ‚Du<span class="pagenum"><a name="Seite_77" id="Seite_77">[S. 77]</a></span> bin Ich‘ kann die abgeschiedene Seele in -den Himmel eingehn, von welchem sie herkommt, und mit dieser Antwort -ist Indiens unsterbliche Seele wahrlich in den Himmel eingegangen. Du -bin Ich, Mond bin Ich, Himmelspförtner bin Ich, alle Himmel selber bin -Ich und aller Dinge Himmel und Überhimmel. Also vollendet sich die -indische Schauung der Identität, indem sie alle Identitäten sprengt; -also erfüllt die indische Selbst- und Gotterfahrung den Satz von der -Einerleiheit und Dieselbigkeit, indem sie ihn aufhebt. Alles Seiende -ist eins mit sich und eins mit allem anderen Seienden: Nichts ist -eins mit sich allein und Nichts ist nicht eins mit allem anderen. -Und nicht empedokleisch, ihr Christen, dürfen wir dies verstehen, -als ob der indische Mahâdeva zu sich selber spräche: Einst war Ich -Knabe und Mädchen und Busch und Vogel und flutenttauchender stummer -Fisch. Sondern vedisch und upanischadisch und episch sollen wir es -verstehen: Stets bin Ich Knabe und Mädchen und Busch und Vogel und -flutenttauchender stummer Fisch: stets bin Ich alles, was ist und -nicht ist zumal und jetzt und immerdar, und nicht etwa nach der Reihe -im Nacheinander der Zeit. Dieweil der indische Gott Er selber und -darüber hinaus das ist, was nicht Er selber ist, erweist er sich in -der Sprache der Vernunft als einerlei und vielerlei in einem, als -dieselbig und unterschieden in einem. Seine Identität aber beruht -darauf, daß in bezug auf ihn alles die eigene Identität verliert, um -die Identität Gottes zu gewinnen, die offenbar höher und tiefer ist -als alle Vernunft.<span class="pagenum"><a name="Seite_78" id="Seite_78">[S. 78]</a></span> Daß ein Denkinhalt er selber ist und zugleich -noch anderer, — das ist mithin in Rücksicht auf Gott die indische -Fassung des Grundsatzes von der Einerleiheit und Dieselbigkeit, -auf das Bedeutsamste unsere abendländische Fassung ergänzend und -vervollständigend, aufhebend und überwindend.</p> - -<p>Und dennoch ist diese tiefste und fruchtbarste aller Paradoxien, -Paralogien irgendwie eingedrungen auch in unsere westliche Welt, wenn -nicht in die Wissenschaften und wenn nicht in die Religionen, so doch -wenigstens in unsere Märchen, und zwar am duftigsten, ahnungreichsten, -erinnerndsten, ihr Deutschen, in unser deutsches Märchen. Im deutschen -Märchen, welches sich selbstherrlich seine eigenen Gesetze und seine -eigene Vernunft zu schaffen wußte, im deutschen Märchen säuselt -und wispert ein Hauch dieses indisch-unnennbaren Fühlens und hebt -sehnsüchtig an zu singen und zu klingen, wie eine Quelle in der Nacht -zu singen und zu klingen anhebt, da untertags der Tag dem Tag allein -Gehör gab. Erinnerungen, köstliche und nie versiegte sind es, wenn -beispielweise in den Volksmärchen des Musäus der Berg- und Erdgeist -Rübezahl brahmanisch hinüber- und herüberwechselt in Gestalt und Person -eines Riesen, eines Köhlers, eines Ritters, eines Handwerksburschen, -eines Prinzen, eines Ratsherrn, und sich bald wischnuhaft als Erhalter -und Beschützer, bald schivahaft als Verderber und Zerstörer kundgibt. -Und lebhaftere, stärker glühende Erinnerungen an Indien sind es, -vielfach schon am Bewußtsein der eigenen Sehnsucht<span class="pagenum"><a name="Seite_79" id="Seite_79">[S. 79]</a></span> bewußtgenährt -und gekräftigt, wenn etwa in Hoffmanns romantisch-klassischem Kunst- -und Künstlermärchen vom Goldenen Topf der Geheime Archivarius -Lindhorst gar wundersam proteisch behaust ist in seinem Bücher- und -Handschriftenzimmer zu Dresden, jetzt Archivarius und Beamter in -Königlich Sächsischen Diensten, jetzt Element, jetzt Feuergeist, -jetzt Geisterfürst, jetzt Salamander, jetzt Feuerlilienbusch, jetzt -brennender Arrak; wenn ferner (und wer weiß wie ferne schon?) -dieses Gemaches azurne Schimmerwände von goldenen Pilastern brauner -Palmbaumschäfte edel aufgeteilt erscheinen, die Blattrippen aber der -Palmbaumkronen sich zur runden Kuppel wölben aus Smaragd und Schaft -wie Blatt und Krone in einem sanften Mittagwind sich wiegen; wenn -unter dieser Kuppel dann von Smaragd Student Anselmus manch magisch -Pergament mit Fleiß kopieret (als welches Lindhorst in Gestalt von -Blättersprossen aus dem Schaft der Palmen zog), um sich das Schlänglein -Serpentina, des Salamanders Tochter, durch peinlichst saubere, -peinlichst genaue Nach- und Abschrift der unleserlichen Hieroglyphe -‚Schöpfung‘ gleichsam zu erschreiben... Wenn irgendwo, so steigt es -hier, ihr Abendländer, wahrhaftig in uns Abendländern purpurn auf mit -einer Melodie, die Herz und Seele wie eine Traube herbstlich schwellen -macht vom Saft des eigenen Bluts: Kennst du das Land?...</p> - -<p>Als Krischna der Hirtenjüngling, als Krischna der Held, als Krischna -der Wohl- und Wundertäter abenteuert also, verstehen wir endlich -diesen Sachverhalt<span class="pagenum"><a name="Seite_80" id="Seite_80">[S. 80]</a></span> in seiner unermessenen Wichtigkeit richtig, der -ewige Gott Wischnu in der Welt umher, — gleichsam einem tiefsinnigen -Wort zur vollkommenen Erläuterung, welches Hegel zur Kennzeichnung -des indischen Geistes nutzte: „Es ist Gott im Taumel seines Träumens, -was wir hier vorgestellt sehen.“ Es ist Gott im Taumel seines -Träumens, ihr Christen, der hier als Krischna-Wischnu gottmenschlich -die Welt durchstreift. Und eben weil dieses sich so verhält, wird -nicht nur jedes Abenteuer des Helden Krischna zugleich als Heilswerk -und Heilstat Gottes selbst gewerkt, sondern muß außerdem auch von -der nachträglichen Betrachtung in solcher Doppelsinnigkeit durchaus -gewürdigt werden. Unmöglich zu sagen, ob der Mensch als Mensch oder -ob der Gott als Gott Urheber dieser Werke und Vollbringer dieser -Taten sei. Entscheiden wir uns für Gott, so ist es Gott doch nur -in der Gestalt des Hirtenjünglings Krischna, welchem kraft dieser -angenommenen Gestalt des Menschlichen nichts fremd geblieben ist. -Entscheiden wir uns aber für den Menschen, so ist es der Hirtenjüngling -Krischna nur im Vollbesitz der göttlich in ihm angehäuften, angestauten -Weltenkräfte, der soviel Wunderbares tut. Darin besteht eben nach -indischem Erleben das Mysterium der Gottmenschheit, daß es in keinem -Augenblick gottmenschlichen Daseins möglich ist, den Nachdruck -allein aufs Göttliche oder allein aufs Menschliche zu legen: Gott -ist Mensch, und Mensch ist Gott auf Grund einer nichtidentischen -Identität beider, indes der abendländische Mythos den Heiland -Mensch<span class="pagenum"><a name="Seite_81" id="Seite_81">[S. 81]</a></span> geworden sein läßt vermöge einer mehr wie fragwürdigen -geschichtlichen und einmaligen Vaterschaft des Heiligen Geistes, der -gewissermaßen in Stellvertretung des Jahve-Hypsistos den Schoß der -Jungfrau Maria in übergeschlechtlicher Begattung schwängert. Derart -ist Jesus bei Lebzeiten eigentlich nur Mensch, Gott aber wesentlich -nur vor der Empfängnis im Fleische der Mutter Maria und abermals -nach seiner Himmelfahrt, wohingegen Krischna just bei Lebzeiten und -während des irdischen Wandels Gott ist. Mangels einer zureichenden -Metaphysik bleibt Jesus im Weltbild des Abendländers eine einmalige -Ausnahme-Erscheinung der Zeit, die wenigstens für den verständigen -Christen etwas Anstößiges, ja Unheimliches nie ganz abzustreifen -vermag: jedoch in Indien kann sich der Vorgang Krischnas unendlich -und grundsätzlich wiederholen und hat sich wirklich auch wiederholt. -In unterschiedlosem Durchdrungensein ist Krischna durchaus Mensch -und durchaus Gott, dieweil es Gottes tiefste und höchste Eigenheit -bedeutet, Er selbst und ein anderer zumal zu sein. Ob er aber für den -Zuschauer von außen im Augenblick mehr dieser oder im Augenblick mehr -jener sei, das hängt vom Zuschauer ab und des Zuschauers Stellungnahme, -— das hängt von des Zuschauers Kraft der Zusammensichtung ab und von -seiner Gabe der Ineinanderschau. In der religiösen Geographie und -Kosmographie jedenfalls bedeutet Krischna die Mittaglinie oder den -Gleicher, wo die Weltkugelhälfte Gott mit der Weltkugelhälfte Mensch -in ihrem größten<span class="pagenum"><a name="Seite_82" id="Seite_82">[S. 82]</a></span> Kreis Berührung und Gemeinsamkeit findet, also daß -eine bessere Ausgleichung zwischen Gott und Mensch schlechterdings -nicht mehr vorstellbar ist. Dieser Mythos gibt mit unübertrefflicher -Gerechtigkeit Gott, was Gottes ist, und dem Menschen, was des Menschen -ist. Und wenn jemals auf dieser Erde die katholischen und die -protestantischen Grundmächte der Religion in ihrer <i>balance of power</i> -verharren, so geschieht es hier im Indien des epischen Weltalters -und jener epischen Weltfrömmigkeit, von der uns die Bhagavad-Gîtâ -eine Probe kosten läßt. Wäre ein menschlicher Zustand denkbar, in -welchem alle geistleiblichen Spannungen gelöst erscheinen und wo kein -innerlich-äußerliches Gefälle mehr zu bemerken ist, dann wäre kein -Absehn, warum mindestens die führenden Religionen des Südostens diesen -in seiner Art vollkommenen Urstand erworbenen Gleichgewichts der beiden -Hauptgewichte des religiösen Daseins hätten aus freier Entschließung -je preisgeben sollen. Gesetzt, ein solch vollkommener Urstand wäre -auf die Dauer möglich oder könnte selber Dauer werden, — der Mythos -vom Gottmenschen Krischna wäre als höchstgültige, ja endgültige -Stufe menschlicher <i>religio</i> überhaupt zu werten, als schlechthin -reifste Kristallisation religiöser Lebens- und Seelenmächte: ein für -allemal dadurch ausgezeichnet, daß er katholische und protestantische -Strebungen noch auf ganz andere Weise miteinander zu versöhnen weiß -als der Mythos vom Christus. In diesem Fall verkörperte der Mythos -vom Krischna die Religion als solche, die einzige,<span class="pagenum"><a name="Seite_83" id="Seite_83">[S. 83]</a></span> die uns Menschen -völlig gemäß wäre und frömmstes Hingegebensein an Gott mit innigstem -Hingegebensein an den Menschen für immer verschmölze zu einer Formung, -Bindung und Verpflichtung ohne Vorgang und Vergleich. Hier gattete sich -höchstes Schöpferglück über ein welthaft irdisches Gestalten ohne Maß -und Schranke mit tiefster Erlöserlust an weltlich-irdischer Entstaltung -und Verlöschung. Hier brauchte sich nicht länger schmerzlich mehr der -Gott des Menschen oder der Mensch des Gottes zu schämen und einer den -anderen dreimal verleugnen, ehe daß es Tag wird...</p> - -<p>Inzwischen gibt es nirgendwo ein Leben, seines Namens würdig, das -auf die Dauer ohne Unterschiede der inneren und äußeren Spannung, -des leiblichen und seelischen Gefälles bestehen könnte. Nirgendwo -gibt es ein solches Leben, weder im Umkreis des bloß gelebten, recht -eigentlich noch pflanzenhaft-tierhaften Lebens, noch im Umkreis des -schon vollbringenden und wirkenden, recht eigentlich menschlichen -Lebens, — so wenig wie es eine Musik aus lauter Pausen gibt. Wer -näher an den Krischna-Mythos herantritt und die Goldworte dieses -himmelschönen Gedichtes auf der Goldwage des Geistes prüfend wägt, -der gewahrt denn auch bald in ihm die Kräfte schon heimlich am Werk, -welche die Gewichte früher oder später nach der einen, nach der anderen -Richtung hin verschieben müssen. Es mag vielleicht der seltensten, -reichsten, reinsten Ahnung da oder dort enttagen, daß Gott und Mensch, -Wesen<span class="pagenum"><a name="Seite_84" id="Seite_84">[S. 84]</a></span> und Wirklichkeit, Selbst und Dasein in Wahrheit Eins-und-Alles -sind. Derartiger Ahnung mag es in gnädiger Geberstunde wohl enttagen, -daß Gottes Urselbst gewissermaßen drei Gürtel, drei Zonen, drei Lagen -mit sich selber fülle: nämlich die Zone der gestaltlosen Gottheit -oder auch die Brahman-Âtman-Zone; die Zone ferner der gestalthaften -Götter oder auch die Brahmâ-Wischnu-Schiva-Zone oder schlechtweg die -Krischna-Zone; die Zone endlich der Weltwirklichkeit-Menschwirklichkeit -oder auch die Prakriti-Zone, das ist die Zone der natürlichen Schöpfung -oder <i>natura naturata</i>. Diese drei Zonen, Gürtel oder Lagen des -Seins, sag’ ich, fülle das göttliche Urselbst mit seines Urselbstes -Götterkräften, und daß sich dieses also verhält, werde der Erkenntnis -in Offenbarungstunden offenbar. Ob aber indes Gottes Urselbst auch -diese Lagen der Dreiwelt zu seinem Teil stätig fülle, wie etwa ein und -derselbe Wind das Segel der oberen, das Segel der mittleren, das Segel -der unteren Ra füllt, — der Mensch ist zu seinem Teil doch zu wenig -Gott, um die Dreiwelt gleichmäßig und stätig zu seinem Teil zu füllen. -Sicherlich! Für Gott und von Gott her schließen sich mitnichten aus: -Krischna das ewige Selbst der Welt, Krischna-Brahmâ Krischna-Wischnu -Krischna-Schiva jenseit hiesiger Menschenwelt, und Krischna der blonde -Hirtenjüngling auf den Gefilden der Yamunâ. Für Gott und von Gott her -schließen sich diese drei nicht aus und vielleicht auch nicht für den -Brahman-Kenner und vom Brahman-Kenner her, wenn sich auch freilich -hier schon<span class="pagenum"><a name="Seite_85" id="Seite_85">[S. 85]</a></span> Schwierigkeit auf Schwierigkeit türmt. Jedoch der tätige -Erdensohn, der es im Wissen allein und ununterbrochen nicht aushält, -ja der nicht einmal als Brahman-Kenner und -erkenner den Zustand -Brahman-Âtman dauernd aushält: er drängt zu eindeutiger Entscheidung, -welch einer der Dreiwelten Gottes er sich nun seinerseit heilstätig und -werksälig zu widmen habe. Zwar gibt es der Zugänge zu dieser ummauerten -Feste der göttlichen Dreiwelt gleichfalls drei, sämtliche ins Herz der -Feste führend. Zum Âtman-Brahman führt der Erkenntnis-Vertiefungs-Pfad -empor oder sonst <i>jñâna-mârga</i> geheißen; zum -Brahmâ-Wischnu-Schiva-Krischna führt der Verehrung-Andacht-Pfad empor, -sonst etwa Minne-Liebes-Pfad oder <i>bhakti-mârga</i> geheißen; und wo Gott -nicht ist, vielmehr Prakriti die Natur alleinig waltet und neben, -außer, mit ihr vielleicht Puruscha, der Geist, das Ich noch, da führt -am ehesten der Taten-Werke-Pfad zum Heil, sonst wohl auch <i>karma-mârga</i> -geheißen. Von diesen drei Pfaden bewirkt nun freilich jeder einzelne -auf völlig gleiche Weise das, was Not tut und Not wendet, und kein -Suchender geht fehl, der einen von ihnen auswählt und diesem in Treuen -folgt. Aber das ist es ja eben, daß von diesen dreien ein einziger -erwählt sein muß, da unmöglich alle drei von ein und demselben Menschen -zugleich: mit einiger Hoffnung auf Erfolg nicht einmal nacheinander -beschritten werden können. Keineswegs gedeiht ja jedes Wesen in -jeglicher Umwelt; keineswegs bewegt sich ja dasselbe Lebendige im -Wasser, auf der Erde, in der Luft<span class="pagenum"><a name="Seite_86" id="Seite_86">[S. 86]</a></span> mit ähnlicher Leichtigkeit und -Behendigkeit; keineswegs wohnt ja ein und derselbe Mensch in jedem -Gürtel der göttlichen Dreiwelt mit demselben Behagen, mit derselben -Angemessenheit. Die Bhagavad-Gîtâ zwar, ihr Christen, sie finden -wir mit übermenschlicher Gerechtigkeit beflissen, allen drei Pfaden -die nämliche Wahrheit, Zuverlässigkeit, Richtigkeit zuzugestehen, -und wenig indische Fragen haben der europäischen Gelehrsamkeit so -viel fruchtlos scharfsinniges Kopfzerbrechen verursacht wie diese -großmütige Unbefangenheit, mit welcher hier das Geheimnis menschlicher -Erlösung <i>sub specie</i> Gottes und göttlicher Allgerechtigkeit durchaus -erörtert und gewiesen wird. Nur dürfen wir nie vergessen, daß hier Gott -Krischna von seinem göttlichen Adspekt aus spricht, und wem würde es -entgehen, wie unermeßlich hoch und fern dies göttlich Lied über das -Menschengehör Arjunas hinaustönt! In unausschöpflicher Symbolik ist es -gerade hier der Gott, der Erkenntnis-Vertiefung, Verehrungs-Andacht, -Taten-Werke gleichmäßig gelten läßt, indes schon Arjuna dies übermäßige -Gleich-Maß Gottes nicht fassen und noch weniger zum Muster nehmen kann -und kann, — und dieser sehr fromme Prinz Arjuna ist doch wahrhaftig -nicht jeder Beliebige, wahrhaft noch nicht ‚Mensch schlecht-weg‘ oder -‚Mensch schlecht-hin‘... Wie wahr und richtig, — der Herr der drei -Reiche wählet nicht: denn seiner sind ja die drei Reiche! Wie wahr und -richtig, — vor Gott ist alles gleich, denn schon wofern es ‚ist‘, -wird es von Gott mit gleicher Kraft gesetzt, mit gleicher Kraft<span class="pagenum"><a name="Seite_87" id="Seite_87">[S. 87]</a></span> -erhalten! Aber den Menschen schielt alles aus einer Ecken an und wird -darum schief und verkürzt sich und verwinkelt sich, — ewig bleibt dem -Menschen die Welt als Gleichung unausrechenbar mit ihrer Einen und -Ewigen Unbekannten. So hat denn in der Folge geschichtlich die Religion -des Vedânta die Heilsübung Erkenntnis-Vertiefung vorwiegend geübt und -die Heilsübung Verehrung-Andacht oder Taten-Werke vernachlässigt. So -hat die Religion der Bhagavatas die Heilsübung Verehrung-Andacht oder -Minne-Liebe vorzüglich geübt und die Heilsübung Erkenntnis-Vertiefung -und Taten-Werke vernachlässigt. So hat die Religion des Sânkhyam -die Heilsübung Taten-Werke mit Vorliebe geübt und die Heilsübung -Andacht-Verehrung und Erkenntnis-Vertiefung vernachlässigt. Was hilft -es uns Heils-Wählern und Heils-Wägern also, das göttliche Urselbst -der Welt Krischna als den Herrn der drei Reiche zu preisen, indes wir -uns gezwungen sehen, die eindeutige Auswahl unter den drei Reichen -ohne Schwanken zu treffen? Was hilft uns der göttliche Adspekt des -göttlichen Lieds, indes wir sehr menschlich eins dem andern vorzuziehen -haben und eins vor dem andern zu bewerten, indes wir die Rangordnung -zu wahren, die Gewichte zu verteilen, das Wichtigere hervorzuheben -und auszuzeichnen, die Stelle zu beziffern, die Stufe zu zählen, das -Wahre vom Falschen zu sondern und die Gewißheit vom Wahn, das Seiende -am Nicht-Seienden zu prüfen und den Schein vom Wesen abzuschäumen -haben, und dies alles, wir mögen uns drehn und<span class="pagenum"><a name="Seite_88" id="Seite_88">[S. 88]</a></span> wenden wie wir wollen, -so menschlich als irgend nur möglich? Was nützt und hilft es uns -Heils-Wählern und Heils-Wägern, Krischna das hohe Selbst der Welt -als Wissen zu verehren, wenn sich das Wissen sofort im Geist dem -Nicht-Wissen paart und widerpaart; — was nützt und hilft es, Krischna -als die Wahrheit anzubeten und zu verkünden: Gott ist die Wahrheit, -wenn sich der Wahrheit unverzüglich im Geist die Täuschung zugesellt -und widergesellt: also daß Krischna der Gott Wissen und Nicht-Wissen, -Wahrheit und Irrtum zumal ist! Dem Diener Gottes obliegt es, zwischen -diesen leidigen Gegenwelten genau zu scheiden und was der Gott göttlich -zusammensichtet, menschlich zu entzweien. Krischna, ja Krischna ist -alles. Aber welcher Mensch wäre Krischna und welcher Mensch wäre — -alles? Im Ozean von Krischnas Dreiwelt treibt der Mensch als Wrack und -sucht mühsälig ein Steuer, um etwas wie einen Kurs einzuschlagen und -eine Richtung zu halten auf seiner Fahrt, die wahrlich nicht gefahrlos -ist...</p> - -<p>Mit einem erhabenen Freimut, der in unseren eigenen Heiligen Schriften -nirgends seinesgleichen hat, offenbart gerade der Mythos diesen -fragwürdigen Sachverhalt. Wo die Bhagavad-Gîtâ einen köstlichen -Atemzug lang die exzentrische Stelle einzunehmen imstand ist, von -welcher her der Mensch die Welt als göttliches Erlebnis seiner -menschlichen Tat anpaßt, verfährt der Mythos umgekehrt sehr menschlich, -indem er den Gott schonunglos just dort entblößt, wo diesem die -Blöße am peinlichsten sein muß. Gegen<span class="pagenum"><a name="Seite_89" id="Seite_89">[S. 89]</a></span> Ende des Mythos nämlich hält -Krischna-Wischnu seinen Reitvogel Greif vor der Burg des Himmels an, -um dort gemäß der guten Sitte der Göttermutter Aditi seine Aufwartung -zu machen. Bei diesem Empfang nun geschieht es, daß seltsame Worte von -der Göttin zum Gott gesprochen werden, vorwurfsvolle und anklägerische -Worte, die den Gott aufs äußerste belasten müssen, wenn anders er -hinter ihre Höflichkeit zu horchen feinhörig genug ist, die auch -hier eine indisch vollendete ist. „Du bist alle Götter“, mit dieser -Gebetformel leitet auch Aditi ihre Ansprache huldigend ein, „du bist -alle Götter, alle Genien und Menschen; du bist alle Tiere, Bäume und -Gräser: alles Große, Mittlere und Kleine, alles Ungeheure und Winzige, -alles Einfache und alles Zusammengesetzte. In Trug hüllst du die ein, -die deine wahre Art nicht kennen, die Toren, wenn sie im Wesenlosen -das Wesen suchen. Die Vorstellung ‚Ich bin‘ und ‚Das gehört mir‘ sind -trügerischer Schein, den die Mutter des Wandeldaseins im Verein mit -dir, o Herr, hervorbringt. Die tüchtig sind und dich verehren, gelangen -über diesen Trug hinweg und finden Freiheit im Herzen. Brahmâ und -alle Götter, Menschen und Tiere sind insgesamt einzeln in das dichte -Dunkel des Wahns getaucht, in den Abgrund deiner Täuschungen. Daß -einer, der dich verehrt, doch Wünsche hegt und am Leben hängt, auch -das, o Herr, ist nur ein Trugbild, von dir geschaffen. Du spielst mit -deinem Zauber und verführst die Menschen, daß sie, dich verehrend, -Ruhm und Nachkommen<span class="pagenum"><a name="Seite_90" id="Seite_90">[S. 90]</a></span> und Vernichtung der Feinde begehren statt ewiger -Erlösung. Es ist die Folge ihrer falschen Taten, daß Toren dich um -solches anflehn, gleichwie als ob man, um seine Blöße zu bedecken, -den Wunschbaum, der alles gewährt, um einen Fetzen Tuch anflehte! Sei -gnädig, Unvergänglicher, du Urgrund des Irrtums, der die Welt einhüllt! -Zerstöre den Trug, der sich aus der Wahrheit erhoben hat“...</p> - -<p>Welch ein Gebet aber ist dies, ihr Christen, an dieser denkwürdigen -Stelle von Aditi, der Mutter der zwölf Adityas, der Mutter aller -Götter, zum Gott in höchster Person gesprochen; — ein Gebet, wie -es gleich erschütternd vielleicht nur einmal noch in den Heiligen -Schriften Indiens emporstieg, und zwar in der Mahâbhâratam-Episode -von Nala und Damayantî, wenn Damayantî, die Liebliche, zu den vier -Himmlischen fleht, die alle die Gestalt ihres Geliebten Nala angenommen -haben, um sie bei der Gattenwahl schmählich zu täuschen: die Götter -möchten sie doch länger nicht mit Trug und List umgaukeln und ihr -die Wahrheit offenbaren... Welch ein Gebet ist dies aus unerhörter -Ratlosigkeit des Herzens und Gewissens, die sich getrieben fühlt, den -Gott selber als Urheber jenes tiefsten Mangels anzuklagen, welcher -recht eigentlich den Menschen zum Geschöpf des Elends stempelt: des -Mangels an zuverlässigen Unterscheidung-Merkmalen zwischen Wissen -und Nicht-Wissen, zwischen Wesen und Un-Wesen, zwischen Wahrheit und -Wahn, — des Mangels an einem runden Ja-oder-Nein, an einem klippen -Entweder-Oder,<span class="pagenum"><a name="Seite_91" id="Seite_91">[S. 91]</a></span> an einem lauteren Icht oder Nicht! Welch ein Gebet zum -‚Urgrund des Irrtums‘, der von Aditi auf solch eigene Art gepriesen -noch nach dem Wort des Mythos ‚fein lächelt‘ und fein lächelnd dankt! -Welch ein Gebet des höchsten Gottes zu ihm selber, des All-Einen, -All-Einzigen und Ein-und-Alles zu ihm selber, der diese Dreiwelt -selber ist, aber eben darum das menschlich Unentbehrlichste stets -schuldig bleibt, das zweifellösende, entscheidungfällende: ‚Wähle -dieses und lasse jenes! Bevorzuge vor jenem dieses! Meide solches und -vollbringe solches! Verwirf dies eine um des andern willen!‘ Welch -ein zermalmendes Eingeständnis der grundsätzlichen Unverrückbarkeit -der Grenzen Gottes und des Menschen, der ewigen Geschiedenheit ihrer -Beschaffenheiten und Standorte, ihrer Gewichte und Maße, ihrer Wege und -Ziele. Welch eine Waberlohe, an des eigenen Lebens, an des Eigenlebens -Flamme himmelhoch entzündet, die unüberschreitbar Mensch wie Gott -umlodert und umloht wie jenen alten Vorzeitkönig Mutsukundo in der -Felsenhöhle, den Krischna der Gott selber nicht zu wecken wagen darf, -will er nicht selber stracks zu Asche weiß verbrennen... Gott also ist -es selber, der seinen Zauber lügnerisch spielen lässet den Menschen zur -Verführung, daß sie törichtste Wünsche hegen und statt ewiger Erlösung -entbehrlichste Güter erstreben. Gott selber umgaukelt frevlerisch den -Sinn und umbuhlt die Sinne mit den Fratzen der Gestalt, um von den -Dummen dort am ehesten ernst genommen zu werden, wo er am mutwilligsten -spaßt.<span class="pagenum"><a name="Seite_92" id="Seite_92">[S. 92]</a></span> Gott selbst pflanzt dem Menschen die blinden Leidenschaften -ein und zieht selbst seine Triebe ab von dem Ziele, was ihm hüben wie -drüben zum Heil gereicht. Gott selbst flößt dem Menschen die Welt ein -wie den Rauschtrank Soma und macht ihn auf den Beinen torkeln und im -Haupte schwindlig, so daß er auf ebener Straße stolpert und über seine -eigene Zunge stürzt. Gott selbst wertet alle Dinge gleichviel, und das -heißt gleichwenig; — gleichviel, und das heißt gleichwenig, gilt vor -ihm der vedische Gesang und ein Gassenhauer. Gott selbst, der alles -angleichende und ausgleichende, gleicht einem liebestollen Weibe, dem -alle Männer recht sind und alles Mannes-Ähnliche am Weibe, wenn es -nur Wollust schafft und dort am heftigsten kitzelt, wo die Wollust -ihren Nerv hat. Zu allem aber, was du sagst und nicht sagst, o Aditi, -lächelt der ewige Krischna mit jenem ewigen Zynismus, der unstreitig -das göttlichste Vorrecht seiner Götterrechte je gewesen ist. Er lächelt -fein zum Abschied, und unergründlich eher noch als fein, und küßt dir, -menschkundigste Mutter du der Götter, zum Abschied deine liebe Hand und -huldigt seinerseit auch dir, in jeder Geste <i>uomo galante</i> und jeder -Zoll ein <i>caballero</i> (vergebens schau’ ich hier, ihr Deutschen, nach -einem deutschen Worte aus): „Sei gnädig auch du, und gewähre mir deine -Gunst“...</p> - -<p>In dieser Ansprache, unsäglich zart die Andacht zum Gott fädelnd an die -Anklage wider Gott, in ihr, wie glatt und anmutig sie auch dahinfließe, -gärt und<span class="pagenum"><a name="Seite_93" id="Seite_93">[S. 93]</a></span> siedet dennoch eines der stärksten unterirdischen Beben, -welche die Religiosität der indischen Menschheit je erschüttert -haben. Noch ist Krischna Meister, Herr und Mahâdeva, noch ist er -Gott aller Götter und Auge der Welt, noch ist er Eins-und-Alles und -All-Eines, noch ist er Urselbst und Kern der drei Reiche. Aber schon -meldet sich der bedürftige Mensch und mehr noch die menschliche -Bedürftigkeit, welche beide der Gott, aller Allmacht unbeschadet, nicht -zu stillen weiß. Hinter den vielkantig geschliffenen Worten dieser -Andacht-Anklage geistert eine unausgesprochene und unaussprechliche -Hinterwelt von schweren Zweifeln und Anfechtungen, wie hinter den -Rautenflächen eines vielkantig geschliffenen Diamanten die Urfeuer -der Tiefe sprühen. Denn je mehr Gott Er selber ist, desto weniger ist -es ihm gegeben, die menschliche Bedrängnis wirklich zu teilen, und -je weniger er diese teilt, desto weniger vermag er sie abzustellen. -Der vollkommene Gott, vollkommen, weil nichts ihm gebricht und er an -jeder Stelle dicht ist und stätig, rund und ausgefüllt, er gleicht -fürwahr dem ewigen Sphairos jenes griechischen Xenophanes: wie sollte -er da der unvollkommenen Menschlichkeit ‚in ihres dritten, zweiten, -ersten Viertels bedauerlicher Schwindung‘ innewerden, — wie sollte -er gewahren, was diesem armen Menschen taugt und frommt. Aus Laune, -Zufall, Spielerfreude oder aus Gott weiß für Gründen oder Ungründen -schuf der vollkommene Gott diese Welt; aber diese Welt geriet ihm -leider minder vollkommen, als er selbst, der Gott,<span class="pagenum"><a name="Seite_94" id="Seite_94">[S. 94]</a></span> vollkommen ist, und -so leidet der Mensch, auf unvollkommener Welt der unvollkommene Nächste -seines Gottes, schwer unter der Unvollkommenheit der Welt und am -schwersten unter der Unvollkommenheit des Menschen. Die Gürtel, Zonen -und Striche dieser Welt füllt Gott mit seinem Atem, aber des Menschen -Atem bläst unendlich schwächer als der Atem Gottes, und so bläst er -schnell sich leer, und leer geblasen deucht ihn seine Umwelt. Gewiß ist -da verkündigt und gewiesen: wer den Erkenntnis-Vertiefungs-Pfad eifrig -und treu bis ans Ende wandelt, dem winkt Vergottung, und gleicherweis -wer den Verehrung-Andachts-Pfad eifrig und treu bis ans Ende wandelt, -dem winkt Vergottung. Wer Brahman-Âtman durchaus kennt und erkennt, -wird Brahman-Âtman; wer Brahmâ-Wischnu-Schiva von ganzem Herzen verehrt -und liebt, wird Brahmâ-Wischnu-Schiva. Aber das ist es ja eben, daß -weder das Brahman jenseit aller Maske und Gestalt noch die heilige -Trimûrti oder Gottdreigestalt einen Finger rühren oder auch nur eines -Fingers Glied, damit der Gottsucher an seinem Ziel anlange. Das Brahman -zu wissen, das ewige Es und Überstaltige, dies ruht ausschließlich auf -dem Menschen, der des Brahmans bedürftig ist, nicht aber umgekehrt -das Brahman des Menschen, — und genau so ruht es auf dem Menschen, -den höchsten Brahmâ und Brahmâs Trimûrti, das ewige Du aller Götter -und in der Eigenschaft des Du der Eingestaltig-Vielgestaltige, in -Liebe zu umfangen: <i>qui deum amat conari non potest, ut deus ipsum -contra amet...</i><span class="pagenum"><a name="Seite_95" id="Seite_95">[S. 95]</a></span> Nicht zieht Gott den Menschen zu sich, und noch viel -weniger zieht Gott den Menschen an, vielmehr ziehet der Mensch Gott -an, wie es in den paulinischen Schriften auch geschrieben steht, — -der Mensch ist’s, der da in Gott einzugehen, in Gott aufzugehen, in -Gott unterzugehen trachtet, aber mit seinem armsäligen Tröpflein den -vollen Krug Gottes nimmer überfließen macht. Was also ist es zuletzt, -das Heil erwirkt und befördert? Die menschliche Tat ist es, menschlich -getätigt und getan, heiße die Tat Wissen oder Liebe, Erkenntnis oder -Andacht, Ehrfurcht oder Vertiefung, ja heiße sie Tat selber oder auch -Werk. Wer diesen Sachverhalt in seiner Strenge erfährt und erfaßt, wer -sich mit allen seinen Seelenkräften mit ihm durchdringt, wer sich mit -allen seinen Seelenkräften zu ihm durchringt: der bringt als Protestant -den unausgetragenen Widerstreit im Mythos Krischnas klar und bewußt -zum Austrag und das Zeitalter einer rein katholischen oder gemischt -katholisch-protestantischen Religiosität zum einstweiligen Abschluß. -Als Täter der Heilstat löst er den Gott ab, der dem Menschen dauernd -das Eine schuldig bleibt, was einzig Not wendet: jene ‚ewige Erlösung‘, -um welche die Himmelskönigin und Weltmutter Aditi den blonden Gott -vergeblich anfleht. So löst der Mensch Gotamo, gezeugt vom Fürsten -Suddhodano, das ist verdeutscht der ‚saubere Milchreis(-Spender)‘, -und empfangen von der Fürstin Mâyâ, geboren zu Kapilavatthu auf der -königlichen Burg und als Krieger, nicht als Priester auferzogen, -— so löst der Mensch Gotamo den Gottmenschen Krischna<span class="pagenum"><a name="Seite_96" id="Seite_96">[S. 96]</a></span> auf dem -Weltenschauplatz ab, und mit ihm gleichsam der Mensch überhaupt den -Gott überhaupt. Und die indische Seele, die wahrhaft allwissend alles -weiß, allahnend alles ahnt, allfühlend alles fühlt, was Gott und Götter -betrifft oder betreffen könnte, vergegenwärtigt sich auch diesen -entwicklunggeschichtlichen, gestaltwandlerischen Sachverhalt auf eine -eindruckvolle Weise. Im Wischnu-Mythos nämlich verkörpert sich Wischnu -im ersten Weltalter viermal in gewissermaßen organisch aufsteigender -Lebensform als Fisch und Schildkröte, als Eber und Mensch-Löwe, um -jedesmal die Welt von einer dämonischen Plage oder Zwingherrschaft zu -befreien; im zweiten Weltalter einmal als Zwerg; im dritten Weltalter -zweimal als Krischna und Râma; im vierten Weltalter aber wiederum -einmal als Buddho, ehe er im fünften und eisernen Weltalter, abermals -im Tier verleiblicht, als das weiße Pferd Kalki die Welt vernichtet und -verjüngt und aller Dinge Wiederherstellung vollbringt: ein Mythos von -so unausdenklichen Adspekten auf den Wechsel von Weltzeitaltern und -Wiederkunftkreisläufen hin, daß ihn bis heute noch keine Konzeption -westlicher Wissenschaft genügend deuten könnte. Auf Krischna-Râma die -Gottmenschen folgt Buddho der Mensch als Vorsteher seiner Zeit und -als Verrichter dessen, was bisher Gott verrichtet oder auch nicht -verrichtet hat, — dies ist die mythische Umschreibung des historischen -Tatbestandes, daß mit Gotamo Buddho der Protestant in Erscheinung trat! -(Denn für den indischen Geist gibt es eben historische Tatbestände<span class="pagenum"><a name="Seite_97" id="Seite_97">[S. 97]</a></span> -nur in mythisch-mythologischer Umschreibung und Umdeutung). Mit Gotamo -Buddho ist der Protestant als solcher, der Protestant schlechthin in -die geschichtliche Erscheinung getreten, zunächst für das mittlere -und nördliche Indien. Dann für das indische Festland und Inselland, -dann für Südasien, Mittelasien, Ostasien, und am Ende, wer kann es -heute wissen, für diese ganze runde Erdenmenschenwelt, die gegenwärtig -mehr, als sie selber ahnt und ahnen kann, mit ihrem inneren Gehör -nach Magadhâ hinhorcht und dem vernehmlich durch die Jahrtausende -hindonnernden Löwenrufe lauscht...</p> - -<div class="section"> - -<p class="initial">Enthülsen wir dieses aber, ihr westlichen Protestanten, als den -überwestlichen, aber wesentlichen Kern des Protestantismus, sofern -er in die kosmischen Ordnungen hineingehört, daß nämlich der Mensch, -eben durch seine Menschlichkeit zur Tat getrieben, wo sich der Gott -keinerlei Tat bedürftig fühlt, — daß der Mensch eine Melodie in -diesem unendlichen Orchester spiele, wenn der Gott gewissermaßen eine -Pause macht: alsdann verschiebt der Protestantismus alle Gewichte -des religiösen Interesses selbsttätig zugunsten des Menschen. -Alsdann leuchtet ein verborgener (und bisher mit einer gewissen -Geflissentlichkeit verborgen gehaltener) Zusammenhang auf zwischen -Protestantismus und Atheismus; alsdann ist der Protestant kraft -seines Protestantismus in irgendwelcher Rücksicht ein Atheist, -Atheismus schlecht und<span class="pagenum"><a name="Seite_98" id="Seite_98">[S. 98]</a></span> recht für Gott-Losigkeit, Gott-Ledigkeit, -Gott-Entbehrlichkeit genommen. Diese Gott-Losigkeit, Gott-Ledigkeit, -Gott-Entbehrlichkeit ist sozusagen auf der linearen Verlängerung -des Protestantismus gelegen, wenngleich auch vermutlich auf einer -Verlängerung, die in keinem Endpunkt ihr Ende und Ziel findet, -sondern fort und fort ins Unendliche läuft und darin verlaufen muß: -weil ja die Vorstellung des verneinten Gottes menschliche Denkkraft -offenbar nicht weniger übersteigt und überflügelt wie die Vorstellung -des bejahten Gottes. Ändern doch Vorzeichen in dieser Beziehung an -den Begriffen nichts und können nichts ändern, und kaum dürfte das -Minus-Unendlich minder unendlich sein wie das Plus-Unendlich, o -unendlich-ewiges Geheimnis!... So aber ist von vornherein zu erwarten, -Buddho der Protestant, in der Zeitreihe indischer Weltalter der Erbe, -Vollstrecker und Nachfolger des Gottmenschen Krischna, er werde sich -in dieser oder in jener Bezugnahme als Buddho der Atheist erweisen, -— Buddho der Atheist freilich in einem Denk- und Sprachsinn, wie -er dem Abendländer bislang kaum zugänglich und jedenfalls alles -andere als geläufig gewesen ist. Waren wir Abendländer doch, um der -Wahrheit nicht ins Gesicht hineinzulügen, der Regel nach Atheisten -aus Frechheit oder Flachheit oder Unfähigkeit oder Überheblichkeit, -selten nur aus Ehrfurcht, und bis auf verschwindende (aber doch nicht -verschwundene) Ausnahmen niemals in den Jahrtausenden seit den Griechen -aus Frömmigkeit und Göttlichkeit. Wo wir die Götter leugneten,<span class="pagenum"><a name="Seite_99" id="Seite_99">[S. 99]</a></span> da -leugneten wir in der übergroßen Mehrzahl der Fälle auch die göttliche -Bindung und Treue (<i>religio</i>); da leugneten wir mit furchtbarem Erfolg -unser eigenes besseres Leben und besseres Bewußtsein mitsamt seinen -Niederlagen und Siegen. Nur einmal vielleicht vernahm ich ein Gebet von -einem Gottlosen unserer späten Zeit, das die Gebete aller Gläubigen -an Innigkeit und wahrer Liebe zu Gott ganz unermeßlich übertroffen -hat: „... Nicht wahr, du bist doch nicht? Du würdest nicht so müßig -sein mit Allmacht? Du würdest ruhen nimmer wie ein träger Faulpelz, -der’s nüchtern ansieht, wie die Untat herrscht? Wie Niedrigkeit -erhöht steht, und was hoch ist, niedrig? Du würdest deine Arme nicht -so lässig kreuzen, als ginge dich das Weltall, dein Geschöpf, nichts -an? Du bist doch nicht, nicht wahr?... Auf, auf, du Gott, der nicht -besteht, hilf mir!“... Gottlos und ehrfurchtvoll, gottlos und gläubig, -gottlos und fromm, gottlos und heilig, gottlos und göttlich, das in -der Tat reimt sich europäischen Ohren, den mit soviel Schmalz und -Schmutz und Kot und Seim verklebten, so schlecht wie nur immer möglich, -und wer auf diesem Reim zu dichten wagte, dem antwortete entrüstet -jedermann: Hab’ ich recht gehört?... Als Sklaven einer unduldsamen -Vernunft und engstirnigen Weisheit erblickten wir schlechten Europäer -ein herrisches Entweder-Oder, wo die duldsame Vernunft Asiens und -die weitstirnige Weisheit des Asiaten ein Sowohl-Als-Auch vernimmt -und wahrnimmt mit noch so mancherlei Zwischentönen. Wer Atheist war -in unseren<span class="pagenum"><a name="Seite_100" id="Seite_100">[S. 100]</a></span> mehr mäßigen als gemäßigten Breiten, der strich gar zu -gern wie der entlassene Schulmeister im Grünen Heinrich landauf und --ab durch Berg und Tal und lehrte und überredete und beschwor und -verkündigte und beschrie als ein echter Schulmeister: Gott ist tot! Und -noch Zarathustra, der Gepriesene und Hochpreisliche, glich er fürwahr -in diesem Betracht nicht allzusehr noch einem Schulmeister? Wo aber -Gott noch ein weniges lebte und heimlich mit den Gliedern zappelte -und leisen Atems röchelte, vielleicht von gefährlicher Ohnmacht schon -umnachtet, da schlug ihn der Atheist flugs vollends tot und warf ihn -ins Dickicht und erregte allenthalben Ärgernis gegen sich, daß er -einen Schlafenden zu Tod schlug: Weh’, Macbeth mordete den Schlaf, -den heiligen Schlaf!... Denn wie gesagt, wir sind allzu steil auf -Nein und Ja gestellt, wir Abendländer. Wir wandeln auf einer Brücke -von Rasierklingenschärfe über den offenen Abgründen des Lebens und -mehr noch des Todes dahin, und stoßen gnadenlos in den Abgrund, was -auf der schmalen Schärfe zwischen Nein und Ja ausruhen will. Und wer -da sein Haar um ein Tausendteil einer Haaresbreite dünner oder dicker -spaltet wie wir selber und um diese tausendstel Haaresbreite von -uns abzuweichen sich gedreistet, den bellen wir hart an mit unseren -wütendsten Worten und erdolchen ihn stracks mit unseren giftigsten -Blicken: Pack’ dich, Hund, und scher’ dich dem Teufel zu, von welchem -du herkamst! Was hab’ ich mit dir zu schaffen? <i>Apage Satanas! Anathema -sis!...</i> Also wandeln wir zwischen<span class="pagenum"><a name="Seite_101" id="Seite_101">[S. 101]</a></span> Ja und Nein auf der Brücke von -Rasiermesserschärfe und fluchen lästerlich jedem Begegnenden, dieweil -uns der Raum fehlt, um freundlich zur Seite zu weichen. Und jeder -Begegnende ist unser besonderer Feind und jeder Erwidernde unser -besonderer Widersacher, und unser Leben gleicht einem fort- und -fortgesetzten Zweikampf, dessen grausamer Ausfall von Tag zu Tag aufs -neue heißt: Du — oder Ich. Ich — oder Du...</p> - -</div> - -<p>Gotamo jedoch, der Protestant des südöstlichen Festlandes Indien, er -wandelt nicht zwischen Ja und Nein. Er wandelt, auch hier durchaus Erbe -und Rechtsnachfolger Krischnas, wie es in der Bhagavad-Gîtâ wörtlich -heißt: „über die Paare hinausgegangen oder der Gegen- und Widersätze -ledig: <i>dvantvâtîta, nirdvandva</i>“... Vor die Frage des Du-oder-Ich, -will meinen Gott-oder-Mensch gestellt, würde Gotamo uns mutmaßlich -desselbigen Lächelns gar fein zulächeln, mit welchem Gott Krischna, der -Blondlockige, der Göttermutter Aditi zuzulächeln geruhte. Denn dieses -weiß Gotamo besser als irgend ein Sterblicher und Unsterblicher der -östlichen oder westlichen Halbkugel, daß Gott und Göttern nichts so -verhaßt ist als zwischen die Schere allzumenschlichen Ja-oder-Neins -geklemmt und von ihr entzweigeschnitten zu werden. Wo Gott geglaubt -wird, dieses hat wohl Gotamo der Protestant, Gotamo der Atheist tiefer -und gewisser erfahren als alle Protestanten und alle Atheisten vor, -neben oder nach ihm, da ist Gott auch und da gibt es Gott. Die Frage -ist nicht, ob<span class="pagenum"><a name="Seite_102" id="Seite_102">[S. 102]</a></span> es Gott gäbe oder nicht gäbe, die Frage ist, ob Gott -geglaubt oder nicht geglaubt wird. Gott aber, ihr Christen, und dies -sei uns das ewig christliche und das überchristliche Faktum aller -Religion überhaupt, Gott selber wird ewig sowohl geglaubt wie nicht -geglaubt und so ist Gott selbst darum ewig und ist ewig nicht, — dies -sei uns schlechthin die Gewißheit in Ansehung Gottes, in Ansehung der -Götter. Dies sei uns die vornehmste und unumstößliche und ‚unpaarige‘ -Gewißheit jenseit von Ja und Nein, oder strenger und richtiger -noch diesseit von beidem und in diesem Diesseit gegensatzentrückt, -<i>dvantvâtîta, nirdvandva</i>... Wo Gott also geglaubt wird, da ist auch -Gott; wo Gott nicht geglaubt wird, ist Gott nicht. Umsonst sucht daher, -wer in den Heiligen Schriften des Pâli-Kanons ein glattes, rundes -Urteil sucht, ob es Gott gäbe oder nicht gäbe. Just dieses Ur-Teil -deucht einen Weisen wie Gotamo, einen Erwachten wie Gotamo — „‚der -Erwachte, o Keniyo, sagst du?‘ ‚Der Erwachte, o Selo, sag’ ich‘... Da -gedachte nun Selo der Priester: ‚Das ist ein Wort, das man gar selten -vernimmt in der Welt, der Erwachte!‘“ — just dieses Ur-Teil, sag’ ich, -deucht einen ‚Buddho‘ also wie Gotamo allzusehr ein Nur-Teil, um das -Ganze zu umspannen.</p> - -<p>In der Neunzigsten Rede zwar aus der Mittleren Sammlung Majjhimanikâyo -frägt der König Pasenadi von Kosalo den Erhabenen geradezu: „Wie aber, -o Herr, gibt es Götter?...“ Die Antwort jedoch ist eine Gegenfrage: -„Warum denn, großer König,<span class="pagenum"><a name="Seite_103" id="Seite_103">[S. 103]</a></span> sprichst du also: ‚Wie aber, o Herr, gibt -es Götter?‘“ ... Diese Gegenfrage und ihren tiefsten Sinn würde kein -westlicher Mensch verstanden haben und vielleicht kann sie auch heute -noch kein westlicher Mensch verstehen, denn der Westen hat bisher von -der Entscheidung über diese Frage alles abhängig gemacht, nicht allein -die Religion, vielmehr jedes höhere Leben des Geistes und der Seele, -das aus Religion hervorblüht. Er sagte sich: Wenn schon Gott nicht -ist, dann will ich ein Vieh, ein Tiger, ein Haifisch, ein Werwolf, ein -Ungeheuer sein, — dann will ich bei Gott diese ganze Welt mit meinen -Zähnen zerreißen und mit meinem Maul verschlingen... Der Buddho aber -wirft diese selbe Frage wie einen ihm zugeworfenen Ball anmutig auf -den Fragenden zurück und spielt gleichsam ein weniges mit ihr, weil er -sie in ihrer Bedeutunglosigkeit durchschaut hat. Ob Götter, ob keine -Götter: ihm liegt es unter allen Umständen ob, die Welt zu retten und -zu tun, was Gott nicht tun kann. Der leichte Spott, die leise Ungeduld, -die aus der Gegenfrage an den König etwa herauszulesen wäre, hat nichts -anderes zu besagen als: Sprechen wir von wesentlichen Dingen, o König, -und schweifen nicht zu unwesentlichen ab...</p> - -<p>Umsonst also sucht, wer hier nach jenen gesalzenen Schmähungen, -Schimpfreden, Grobheiten sucht, wie sie die protestantischen Hellenen -beliebten, die es unter dem Himmel Homers nicht länger aushalten -konnten, zu schweigen von den klobigen und klotzigen Flegeleien, mit -welchen der große Rüpel Martinus die Kirche<span class="pagenum"><a name="Seite_104" id="Seite_104">[S. 104]</a></span> Roms und ihren Papst -gleichsam wie mit Kübeln überschüttete. In diesen Schriften wird -nirgends geschimpft, es sei denn von einem unbelehrigen Brahmanen; in -diesen Schriften wird niemand beschimpft, es sei denn der Erwachte -selber von einem blindwütigen Priester. Hier, wo es in vieler Hinsicht -keine Gläubigen und weniger noch Recht-Gläubige gibt, hier gibt es -erst recht keine Anders-Gläubigen, denen man eins wischen müßte. Die -europäischen Propheten des Protestantismus haben an den Anhängern -des Katholizismus jeweils gehaßt, was sie in sich selber überwunden -(oder auch nicht überwunden) hatten, — aber der indische Protestant -Buddho weiß nichts von diesem Haß gegen die eigenen Überwindungen. -Der weltgeschichtliche Kampf zwischen den Urformen der Religiosität -wurde und wird in Europa der bösen Beschaffenheit des Europäers -entsprechend mit vergifteten Waffen geführt, aber Gotamo führet ihn -nicht einmal mit Waffen, geschweige denn mit vergifteten. Der indischen -Haupttugend vollendeter Herzenshöflichkeit wie kein zweiter religiöser -Stifter mächtig, verliert der Erhabene kein Wort gegen die unendlichen -Götterreihen, welche der Brahmanismus wie einen Berg unendlich -gestaffelt und gestuft bis zum Himmel und Überhimmel aufgetürmt hatte. -Der Berg wuchtet und ruht in ihm selber heilig weiter, aber Gotamo -nimmt auf seinem höchsten Gipfel Platz, um dort die Weihe der vier -Schauungen (<i>jhânâni</i>) zu begehen. So redet der Buddho in jeder Rede -ohne Befangenheit von den<span class="pagenum"><a name="Seite_105" id="Seite_105">[S. 105]</a></span> unzähligen Göttern des Veda, und was etwa -noch wichtiger scheinen könnte, so schweigt er ohne jede Befangenheit -von ihnen, wo ihm das Schweigen angebracht zu sein deucht. Er redet und -er schweigt in seinen Reden von den Göttern mit Takt, mit Wohlwollen, -ja mit Großmut, wie ein erzogener Abendländer über abwesende Gäste -redet und auch schweigt, deren Menschliches er längst durchschaut hat. -Dieser unbedingteste Protestant aller Vergangenheiten, gewissermaßen -ein protestantisches Absolutum, verfährt mit göttlicher Milde gegen -die Götter, deren schöne Überflüssigkeit in Ansehung dessen, was Not -wendet, er als der erste Mensch menschheitlicher Gattung erkannt -hat. Für oberflächliche und grobkörnige Beobachter hat sich in den -Jahrhunderten zwischen dem Veda, den Upanischaden, den großen Epen und -dem Auftritt Gotamos, was die Götter anbetrifft, nichts Besonderes -zugetragen. <i>Ex officio</i> bleiben sie in allen Hoheitrechten ungekränkt -und unbehelligt, in die sie eine fromme Urzeit einst göttersälig -eingesetzt hatte. Noch wimmelt Welt, Unterwelt und Überwelt von den -Heerhaufen der Heiligen und Vollendeten und Engel und Genien und -Dämonen und sinnlichen und himmlischen Gottheiten bis herauf zum -Himmelsjüngling Brahmâ selber, — erst die Zone des Brahman-Âtman -ist es, die ernsthaft in Frage gestellt, ja verneint erscheint, und -zwar aus Gründen, die sich gewissermaßen ganz von selbst in eine -doppelte Gruppe scheiden und die schließlich an dieser Stelle wo nicht -ausführlich entwickelt, doch wenigstens grundsätzlich erwähnt werden -müssen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_106" id="Seite_106">[S. 106]</a></span></p> - -<p>Die erste Gruppe dieser Gründe findet sich mit wundervoller Klarheit -herausgearbeitet und zusammengestellt in der Ersten Rede aus der -Längeren Sammlung Dîghanikâyo, ‚Das Priesternetz‘ betitelt, wo der -Buddho auf eine beinah erschöpfende Weise die Trennung zieht zwischen -seiner eigenen Lebensführung und Weltauffassung und der Lebensführung -und Weltauffassung brahmanischer Priester und Asketen. Eine durchaus -kunstgerechte oder gar gelehrtwissenschaftliche Auseinandersetzung à -la Çankara mit der Götter-, Welt- und Seelenlehre des Brahmanismus -darf freilich niemand hier erwarten, denn weder sind Gotamos Zwecke -und Ziele gelehrtwissenschaftliche, noch erhebt er persönlich jemals -den geringsten Anspruch auf maßgebliche Kennerschaft vedischer -Theo-Kosmologie und Scholastik. Trotzdem werden hier mit einer -Dialektik von manchmal glänzender Überlegenheit die wichtigsten -Standpunkte der brahmanischen Götterlehre, Weltlehre, Seelenlehre im -Zusammenhang aufgezeigt und in ihrer Nichtzulänglichkeit erhärtet. -Nicht weil diese Götterlehren, Weltlehren, Seelenlehren falsch -wären, sondern im Gegenteil, weil sie richtig sind, richtig nämlich -als eine Reihe von einander sich ausschließenden Vernunftaussagen, -gleichmäßig zulässig, gleichmäßig ‚wahr‘, — eben darum sind sie -alle zusammen doch nur als bloße Vorläufigkeiten, wenn nicht -als Unerheblichkeiten (ἀδιάφορα) zu bewerten und zu -verwerfen. Als Standpunkt der Erkenntnis können, ja müssen sie von -den Erkennenden eingenommen<span class="pagenum"><a name="Seite_107" id="Seite_107">[S. 107]</a></span> werden, und wenn sie sich im einzelnen -dann kontradiktorisch widersprechen, beweist das nicht, daß sie -erkenntnismäßig unzulässig sind: aber es beweist, daß es von Übel sei, -wenn sich die Vertreter der einzelnen Standpunkte innerlich gleichsam -mit ihnen für verwachsen erklären und so ihr persönliches Heil mit -einer jeweiligen Ansicht-Sache, Meinung-Sache verwechseln. Über Götter, -Welt und Seele mag jeder denken, was seinen Verständniskräften am -besten entspricht und ihn am innigsten befriedigt. Und vielleicht -gibt es unter allem, was bisher von menschlichen Wesen über diese -Gegenstände ausgeheckt worden ist, gar nichts, das grundsätzlich und -in jedem Sinn falsch oder verkehrt wäre. Nur ziemt dem Erwachten ein -Standpunkt, unendlich über alle diese Standpunkte erhöht, wofern der -Erwachte seinerseit alle einzelnen Standpunkte durchlaufen und in -ihrer verhältnismäßigen Berechtigtheit durchschaut hat: nun aber sich -selbst die unbedingte Freiheit streng zu wahren entschlossen ist, -auf keinem als einem endgültigen auszuruhen und zu beharren und ihn -für den einzig richtigen, den einzig angemessenen auszugeben. Sich -auf keinen erkenntnismäßigen Standpunkt festzulegen und sich für -keinen zu entscheiden, das ist der Standpunkt des Buddho gegenüber -allen üblichen Lehren von Gott, Welt und Seele. Der Protestant Gotamo -protestiert gegen jedwede dogmatische Bindung zugunsten einer bloßen -Ansicht oder Annahme, Meinung oder Auffassung. Er protestiert dagegen -nicht wie der Protestant Kant, um die ewigen<span class="pagenum"><a name="Seite_108" id="Seite_108">[S. 108]</a></span> Rechte der Kritik -gegen das Dogma zu vertreten, vielmehr aus der tiefen und religiösen -Selbsterfahrung heraus, daß sich mit dem eigenen Wesen und Wesensziel -keine sogenannte Wahrheit wirklich deckt: daß hier stets und immer -eine Leere bleibt, die nach anderer Erfüllung heischt, als sie die -Doktrin gewähren könnte. „Da erkennt denn, ihr Mönche, der Vollendete: -‚Solche Ansichten, also angenommen, also beharrlich erworben, lassen -dahin gelangen, lassen eine solche Zukunft erwarten.‘ Das erkennt -der Vollendete, und erkennt, was darüber hinausreicht. Bei dieser -Erkenntnis beharrt er aber nicht, und weil er dabei nicht beharrt, -findet er Einkehr eben in sich“...</p> - -<p>Eine zweite Gruppe von Einwürfen gegen die Brahman-Âtman-Zone, nicht -ohne einen gewissen inneren Zusammenhang mit dieser, erörtert der -Buddho vielleicht am durchsichtigsten in der Hundertundneunten Rede -aus der Mittleren Sammlung Majjhimanikâyo, die den Titel ‚Vollmond‘ -führt. In dieser Rede rechtfertigt und begründet Gotamo eine der -umstürzlerischsten Überzeugungen des Buddhismus überhaupt, und -zwar überraschenderweise, obwohl es sich unstreitig um einen rein -religiösen Sachverhalt handelt, in enger Bezugnahme auf Kants Kritik -des ersten Paralogismus in der transzendentalen Dialektik seines ersten -Hauptwerkes: die Überzeugung nämlich, daß alles, was wir unser Ich, -unsere Persönlichkeit, unser Selbst nennen und was der Brahmanismus -als Âtman, Brahman, Lebensurgrund, Weltwesen verehrt,<span class="pagenum"><a name="Seite_109" id="Seite_109">[S. 109]</a></span> in Wahrheit -gar kein ontologisch zu verstehendes <i>substratum</i>, <i>subjectum</i>, -ὐποκείμενον unserer Bewußtseins-Welt sei, sondern im besten -Fall ein bloßer Bestandteil, bloßer Inhalt dieser nämlichen Welt, -der genau wie jeder andere Bestandteil und jeder andere Inhalt des -Bewußtseins über die rein vorstellungmäßige Gegebenheit hinaus immer -für fragwürdig gelten müsse. Es gibt kein Ich, es gibt kein Selbst -als Träger der Bewußtheit-Mannigfaltigkeit, und vollends gibt es kein -Urselbst als Träger der gesamten Weltwirklichkeit und als ihr Urheber -und Erhalter, wie es der Brahmanismus unter dem Namen Âtman anruft, -bekennt, voraussetzt. Wenn der Brahmanismus das ‚<i>Eso ’ham asmi</i>: -Das bin Ich‘ und vielleicht mehr noch das gleichsinnige ‚<i>Tat tvam -asi</i>: Das bist Du‘ zur Weltformel erhoben hat, und wenn er mit dieser -Weltformel zuletzt nur das schlechthin unwiderlegliche religiöse -Urerlebnis auf eine mitteilbare Aussage bringen will: die Wahrnehmungen -bin Ich-Selbst, die Gegenstände bin Ich-Selbst, die Zustände bin -Ich-Selbst, die Widerstände bin Ich-Selbst, die Wirklichkeiten bin -Ich-Selbst, die Unwirklichkeiten bin Ich-Selbst, die Überwirklichkeiten -bin Ich-Selbst, das Ich und das Du und das Nichtich bin Ich-Selbst! -— nun wohl, dann weiß Gotamo dieser aus unwiderleglichem Erleben -geschöpften Formel die aus nicht minder unwiderleglichem Erleben -geschöpfte Gegenformel mit einer steinernen Wucht entgegenzustemmen, -‚<i>N’etam mama</i>: Das gehört Mir nicht‘, die Wahrnehmungen bin Ich -nicht, die Gegenstände<span class="pagenum"><a name="Seite_110" id="Seite_110">[S. 110]</a></span> bin ich nicht, die Zustände bin Ich nicht, -die Widerstände bin ich nicht, die Wirklichkeiten bin Ich nicht, -die Unwirklichkeiten bin Ich nicht, die Überwirklichkeiten bin Ich -nicht, das Ich und das Du und das Nicht-ich bin Ich nicht!... Dem -nicht zu entkräftenden Erfahren des Brahmanismus, wonach Alles das -Selbst ist, antwortet der Buddho mit dem nicht zu entkräftenden -eigenen Erfahren, wonach Nichts das Selbst ist. Dem Abendländer aber, -der hier mit seiner Schere Ja-oder-Nein dazwischen fährt und die -lediglich wissenschaftliche, nicht jedoch religiöse Frage aufwirft: -wer von beiden recht habe? — ihm antworte ich selbst mit aller -Entschiedenheit: Beide!... Wiederum gelangt nämlich hier im Buddhismus -eine tief protestantische Auffassung zu ihrem weltgeschichtlichen -Durchbruch, — eine Auffassung, der es gemäß ist zu denken und zu -sprechen: Es gibt keine Grundlegung und keine Grundfestung, es gibt -keine Trägerschaft und keine Verankerung, es gibt keine <i>substantia</i> -und kein <i>principium</i>, es gibt kein ὐποκείμενον und keine -ἀρχή. Sondern es gibt nur einen stätigen Vorstellungablauf, -eine stätige Tätigkeitänderung, einen stätigen Erlebniswechsel. Es -gibt kein Sein und weniger noch ein Wesen, sondern allein ein Tun -und ein Werden, — es gibt kein <i>esse</i>, sondern nur ein <i>fieri</i> oder -<i>operari</i>; ganz wie dies von den naturforschenden Wissenschaften des -Westens und von ihrem kritisch-kritizistischen Protestantismus längst -auf die Spitze getrieben und infolgedessen überspitzt ward. Nicht aber -auf die Spitze getrieben und infolgedessen auch nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_111" id="Seite_111">[S. 111]</a></span> überspitzt -ward dieser Protestantismus vom Buddho, wie man in der erwähnten Rede -‚Vollmond‘ aus der Mittleren Sammlung Majjhimanikâyo leicht nachlesen -kann. Denn kaum ist hier ein Mönch im Begriff, aus dem von Gotamo -entwickelten Gedanken der Selbst-Losigkeit und Selbst-Ledigkeit alles -Geschehens und Tuns den etwas voreiligen, aber folgerichtigen Schluß -zu ziehen: also gibt es auch keines Selbstes Täterschaft getaner Taten -und keines Selbstes Verantwortlichkeit für diese! — da muß sich -auch schon der scharfsinnige Fürwitz dieses Mönches, der gleichsam -die Rolle unserer hemmunglosen Wissenschaftlichkeit vorwegnimmt, die -derbste Zurechtweisung von Gotamo gefallen lassen. Denn dieser Mönch -steht auf dem Sprung, den großartigen Protestantismus Gotamos von der -Selbst-Losigkeit und Selbst-Ledigkeit des Erlebens dadurch um seine -religiöse Geltung zu bringen, daß er ihn allzu gradlinig weiterdenkt -bis dahin, wo das Denken nicht mehr mit dem Leben und Erleben in -Einklang zu bringen ist. Alles bin Ich nicht und Nichts gehört Mir, — -das ist ganz einfach eine Erfahrung, die umso erschütternder erfahren -wird, desto tiefer ein Mensch sich seiner selbst bewußt und inne wird; -und völlig vergeblich suchen wir aus irgend einer Erscheinung oder aus -irgend einer Gegebenheit das Sein des Selbstes, das Sein der Person, -das Sein der Seele herauszuklauben. Aber über diese erschütternde -Erfahrung heraus nun um Gottes willen keine weltzersetzenden und -selbstzersetzenden Betrachtungen, um Gottes willen keine<span class="pagenum"><a name="Seite_112" id="Seite_112">[S. 112]</a></span> Angriffe -und Eingriffe in solche unumstößlichen Gewißheiten wie die, daß -jegliche Tat ihren Täter habe und jeder Täter seine persönliche -Beschaffenheit, Eigenheit, Umschriebenheit. Es ist nicht die Sache der -Weisheit und noch weniger die Sache der Frömmigkeit und Heiligkeit, die -Widersprüche des Daseins fortzudenken, sondern ihre Sache ist es, diese -Widersprüche lauter herauszustellen und an ihnen hinauf gütig über sie -hinauszuwachsen ‚<i>dvantvâtîta, nirdvandva</i>‘...</p> - -<p>Trotz aller Höflichkeit gegen die alten Götter bedeutet also Gotamos -Verkündigung und Auftritt, wir können es jetzt ungefähr ermessen, -eine religiöse Katastrophe, die in keinem Göttersturz östlicher oder -westlicher Welten ihresgleichen findet. Dieser Gotamo, auf dem Gipfel -des unendlich schichtigen Göttertempelberges des Brahmanismus thronend -wie der höchste Stûpa auf der Kuppe des Boro-Budur, er behält sich -im Unterschied zu allen Heiligen der Vorzeit alle ersten und letzten -Entscheidungen der Tat selber vor. Mag immerhin ein Brahmâ oder sonst -ein Mahâdeva diese und manche andere Welt geschaffen und geballt haben, -— erlösen wird sie und vor allem erlösen wird sich nicht dieser -Brahmâ und nicht ein Mahâdeva, sondern erlösen wird sie und erlösen -wird sich Gotamo der Mensch allein. Fortan sind diese Götter zu einer -Art von idealischer Zuhörerschaft, Zuschauerschaft bestimmt, uns -Europäern vom Chor der attischen Tragödie her nicht ganz unbekannt. -Diese Götter sind nunmehr Chor<span class="pagenum"><a name="Seite_113" id="Seite_113">[S. 113]</a></span> im Drama, dessen Held und Heldentäter -der Ewige Mensch ist. Diese Götter schauen und hören nicht ohne -Teilnahme zu, was hienieden sich begibt in Magadhâ, was sich begibt -im Udener Park, im Garten der Gotamiden, im Siebenmangohain, auf dem -Hügel mit dem Vierblätterlaub, am Grabmal an der Sarandadâ, im Pâvâler -Baumfrieden und ich weiß nicht wo sonst. Es schaut zu der tausendfache, -fünftausendfache, hunderttausendfache Brahmâ, es schauen zu die zwölf -Âdityas und die Dreiunddreißig, es schauen zu die Götter Lustig und -Nicht-Lustig im Dämmerlicht, es schauen zu die Götter Sinnig im -Dämmerlicht, und die Schattengötter. Es schauen zu die Säligen Götter, -die Götter der unbeschränkten Freude und Jenseit der unbeschränkten -Freude, die glänzenden Götter und die hellerglänzenden Götter, die -leuchtenden, die strahlenden und die hellerstrahlenden Götter, die -unermeßlich strahlenden und die strahlengewordenen Götter, die -gewaltigen und die wonnigen Götter, die herrlichen und die erhabenen -Götter... Und das ist die Katastrophe ohnegleichen, welche die Götter -seit dem Auftritt Gotamos betroffen, daß sie von Szene und Orchestra -hinaus auf die Sitze des Theaters gedrängt worden sind und nicht mehr -selber spielen, nicht mehr selber ernsten. In einem erschreckend -strengen Wortsinn war der Gott Mensch geworden: im vierten Weltalter -erlöst der Mensch sich selber, indessen Gott von ferne zusieht, -vielleicht nicht ohne eine Regung von Ergriffenheit in die Erinnerung -ans dritte Weltalter brütend verloren, da Er einst Gott und Mensch -zumal war...</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_114" id="Seite_114">[S. 114]</a></span></p> - -<p>Wo Gott geglaubt wird, sagte ich vorhin (und sprach dabei in der -Sprache unserer westlichen Welthälfte), da sei auch Gott. Jesus, der -Christus und Heiland dieser westlichen Welthälfte in ihrem nunmehr -vielleicht abgelaufenen Weltalter, er sagte zu dem geheilten Samariter: -Steh’ auf, geh’ hin! Dein Glaube hat dir geholfen! Der Glaube also, -ihr Christen, hat hier geholfen, denn der Glaube schlägt vom Menschen -zum Gott die Brücke und vom Gott zum Menschen, darauf beide in der -Mitte hinüber-herüber sich begegnen und durcheinander hindurchgehen. -Der Glaube zeuget als Mann Gott und gebiert als Weib Gott, und Gott -spendet der Seele, woran sie darben muß, und so bedünkt den Gläubigen -alles recht und gut. Es kann jedoch geschehen, ihr Christen, und wie -vielmals ist es nicht bereits geschehen, daß der Mensch zwar glaubt und -‚reich ist in Gott‘, aber dennoch arm an der Tat, die einzig Not tut -und einzig Not wendet. Es kann geschehen, und wie vielmals ist es nicht -bereits geschehen, daß die Welt in die Vaterhände Gottes fromm gelegt -ward, wo sie gar rund und schön und fertig ruht, aber das Werk, das -unerläßliche, unterlassen bleibt und diese nach außen schön geballte -Welt nach innen ungeformt bleibt. Es ist gewiß, daß der Glaube geholfen -hat, hier und da, vor Zeiten und in der Gegenwart, und darüber ist dann -freilich nichts weiter zu sagen. Es ist aber nicht weniger gewiß, daß -der Glaube auch nicht geholfen hat, hier und da, vor Zeiten und in der -Gegenwart, — und offenbar, um nur eines anzuführen, ihr<span class="pagenum"><a name="Seite_115" id="Seite_115">[S. 115]</a></span> Christen, -hat er dem Christ selber nicht geholfen, als er am Marterholz nach den -Elohim schrie und der Sohn vom Vater sich verlassen und verraten fand. -Der Christ selber hatte den Vater gerufen und der Vater hatte nicht -gehört; der Christ hatte anderen geholfen, aber konnte sich selber -nicht helfen. Was aber dann, wenn sich der Glaube selbst nicht hilft? -Da möchte einer sein, der glaubt aus ganzem Herzen, Gott sei für ihn -ans Kreuz gehangen worden, und er findet sich dabei getröstet und -von der Welt frei. Indes ein anderer möchte sein, der sich desselben -Glaubens rühmt, aber in bittere Betrübnis fällt ob des Gottes, der für -ihn ans Kreuz gehangen ward, und er kann nicht erraten — warum? Ein -solcher spricht dann etwa zu sich (und seufzet dabei viel): Weshalb, -mein Gott, mußte Gott am Kreuze sterben und weshalb mußte Er sterben -— für mich? Was taugt es meiner Schmerz- und Sehnsuchtseele, daß -Gott am Kreuz gestorben ist? Was frommt mir Lebendem Gottes Tod, -gesetzt, dies Leben bleibe doch bis ins Mark hinein ungöttlich oder -widergöttlich? So haben die Christen, ihr Christen, viel hinüber und -herüber und hinum und herum geglaubt, aber man könnte der Meinung -sein, es sei wenig dabei herausgekommen, daran ein rechtschaffener -Gott Seine rechtschaffene Freude haben möchte... Ihr Christen habt -viel geglaubt, habt viel gehofft, habt viel sogar geliebt, wenn anders -eueren Beteuerungen wohl zu trauen ist, — denn wenigstens habt ihr -vieles von der Liebe geschwatzt, das euch wie Speichel von den<span class="pagenum"><a name="Seite_116" id="Seite_116">[S. 116]</a></span> Lefzen -einer alten Vettel geflossen ist und manchmal auch wie Rotz aus den -Nüstern eines gelbsüchtigen Gaules... Aber wie schaut es bei euch -aus, ihr Christen? Und Greuel über Greuel: wie schaut es in euch -aus? Ist euer mildes Christenherz nicht eine Wolfsfalle für grobes -Raubzeug geworden, — und was wäre dem westlichen Menschen, der nun -des Menschen Wolf kaltblütig und entschlossen geworden ist, nicht -grobes Raubzeug? Ist dieses liebende Christenherz nicht eine Falle, vom -Jäger arglistig bestreut mit dem grünen Laub des Glaubens, überblüht -mit der braunen Knospe der Hoffnung, goldig und blau umlockt von der -Rankenblume der Liebe? Wer aber dies euer leeres Herz betastete, -verschlackt von der Feuerkohle ungeläuterten Liebens, zerfressen vom -Rost zuchtlosen Hoffens, verdorrt in den Glutbränden und Blutbränden -blindwütigen Glaubens, Anders-Glaubens, Aberglaubens, — wie könnte -er länger daran zweifeln, daß es eben der Glaube war, der euch nicht -geholfen hat, ihr Christen! Nein, hier hat der Glaube nicht geholfen, -und weniger noch hat er dort geholfen, wo heute die Besucher aller -Kaffee-Häuser und die Gäste bei allen Fünf-Uhr-Tänzen nach dem Neuen -Gott winseln und nach einem netten, runden Glauben an Gott. Dieses -hündische Gott-Gewinsel, ihr Christen und Nichtmehr-Christen, dies -ist fürwahr das Schändlichste gewesen, was ihr euch leisten konntet. -In Kaffeehäusern und Nachtlokalen, in Spielhöllen und Bordellen, in -Parteiversammlungen und Literatenzusammenkünften<span class="pagenum"><a name="Seite_117" id="Seite_117">[S. 117]</a></span> schrieet ihr euch die -Hälse heiser nach dem Neuen Gott, damit er die Last des Verhängnisses -von euch nähme, das ihr über euch gewälzt habt. Wie hungrige Ferkel -nach den Zitzen des Mutterschweins schrieet und grunztet ihr nach Gott, -damit ihr wie vormals in den Tag (und lieber noch in die Nacht) hinein -leben könntet, als ob wenig oder nichts geschehen wäre... Nun ihr die -Scham vor euch selber und die Ehrfurcht vor der Welt verloren hattet, -die heilig über jede Heiligkeit hinaus ist, da schaltet ihr die Welt -gottlos und euch selbst entgöttert. Ach, daß wir doch wieder glauben -dürften, möchten, könnten! Ach, daß wir doch wieder in Kindereinfalt -die Hände falten lernten und beten: „Lieber Gott, mach’ mich fromm, -daß ich zu dir ins Himmelreich komm!“ Ach, daß wir doch wieder würden -wie die Kinder, nachdem die Kinder, Gott sei’s geklagt, längst wie wir -Erwachsenen geworden waren! Ach, daß wir doch auf allen Vieren füßelnd -und etwas Wau! Wau! bellend ins Himmel-Bimmelreich der Nesthäkchen -kriechen könnten! Ach, daß wir doch unsere Unschuld so frühzeitig und -so gründlich einbüßen mußten und vermeinten, für unsere Schuld keine -Buße tun zu müssen! Ach, daß die herrenlose Herde einmal wieder den -Herrn verspürte und den Hirten oder zum wenigsten doch den Hund des -Hirten! Ach, daß die Führerlosen ihren Führer fänden, die sich selbst -nicht zu führen wissen, und alle Schwachen ihren starken Mann! Ach, daß -der Herr-Gott doch über Böse und Gute wieder aufginge und insonder<span class="pagenum"><a name="Seite_118" id="Seite_118">[S. 118]</a></span>heit -über die Zahlungunfähigen und Bankerotten, wie der keusche Mond -aufgehet über die Gassen der Buhlerinnen und Huren! Ach, daß Gott den -Unrat und Unflat von uns fegte, der uns mästete und von dem wir über -die Maßen fett wurden!...</p> - -<p>Euch allen aber, Christen wie Nicht-mehr-Christen, hat Gott nicht -geholfen und wird Gott nicht helfen. Selber habt ihr euch alle nicht -geholfen, wie hätte Gott da eingreifen sollen oder helfen wollen? Wer -aber glaubt, der soll sich selber helfen, und wer nicht glaubt, der -soll erst recht sich selber helfen: so spricht der Gott-Lose zu euch -Christen und ist fürwahr der Frömmere von euch Christen. Alleinig -trachtsam nach selbstretterischer Tat, wird er der Tat trächtig und -wohl auch mächtig und lässet in höchster Ehrerbietung Gott Gott sein, -der es wissen muß, was er tun und was er lassen will. Der Gott-Lose -lässet Gott Gott sein, sag’ ich, und vollbringt ohne Gott, was dem -Menschen not ist. Kann sein, daß er glaubt, kann sein, daß er nicht -glaubt, — beides verrückt ihm nicht die groben und die feinen -Gewichte mehr. Er selber hebt die Gewichte; er selber hält den Berg -Govardhana über die Welt, wie weiland Krischna der Heiland und Held -über die Hirten seiner Heimat, als Indra der Zürnende in der Sintflut -sie ersäufen wollte. Nicht ist er begierig und nicht ist er fähig, -endgültig den Knoten der Welt zu entknoten, der Gott heißt; nicht -gilt ihm der bloße Glaube mehr wie der Nicht-Glaube. Aber den Berg zu -halten über die Welt, die unbeschirmte und unbeschützte,<span class="pagenum"><a name="Seite_119" id="Seite_119">[S. 119]</a></span> und mit dem -Berg als Schild die Hagelschauer des Schicksals und die Sonnenstiche -des Todes aufzufangen, des ist er begierig, des ist er fähig. Hier ist -die Rose, hier tanzt er; hier ist seine Treue, die er eisern hält. Der -rechte Gläubige aber, das mögt ihr vorgeblich Gläubigen und vergeblich -Gläubigen euch noch gesagt sein lassen: der rechte Gläubige ist ein -Meerwunder. Ich glaube nicht an seinen Glauben, er weise mir denn -seinen Berg Govardhana, den er von seiner Stelle versetzte und aus -seiner Wurzel hob...</p> - -<p>Gotamo der Protestant also verlegt den Weltschauplatz aus Gott hinaus -in sich selbst hinein, von der Erfahrung gewitzigt, daß Gott der Welt -bisher allzu wenig geholfen hat und wesentlich mehr auch der Glaube -an Gott nicht. Für Gotamo den Protestanten ist Gott ein Zuschauer wie -ein Baum in einem Obstgarten, der eine Weile ausruht. Eine Legende des -späteren, auf nördlicher Überlieferung fußenden Mahâyânam-Buddhismus, -der sonst als eine völlige Umdeutung und Verkehrung der ‚reinen‘, das -ist hier ‚protestantischen‘ Lehre ins Katholische zurück durchaus -betrachtet werden muß, hat dessen unerachtet just diesen entschiedenen -Protestantismus Gotamos auf glücklichste Weise zu versinnbildlichen -vermocht. Sie nämlich lässet Gotamo, bevor er in der Nacht der -vollkommenen Erwachung die Würde des vollkommen Erwachten (das ist im -Pâli eben ‚Buddho‘) erwirbt, — „Der Erwachte, o Keniyo, sagst du?“ -„Der Erwachte, o Selo, sag’ ich!“ — sie also lässet den zwar noch -nicht Erwachten,<span class="pagenum"><a name="Seite_120" id="Seite_120">[S. 120]</a></span> wohl aber bereits Erwachsamen (in den Pâli-Texten nur -sehr selten vorkommend als der ‚<i>bodhisatto</i>, <i>bodhisaktas</i>‘, späterhin -dann bekanntlich in die Sanskrit-Texte als ‚<i>bodhisattva</i>‘ fälschlich -übertragen) ein feierlich Gelübde tun. Es ist das heilige Gelübde zu -vollbringen, was er beschworen habe, und zu vollenden, was er gewillt -sei, — ganz offenbar hier in der Erinnerung vorgebracht an den Dritten -Bericht aus dem Großen Verhör über die Erlöschung Mahâparinibbânasuttam -aus der Längeren Sammlung der Reden Dîghanikâyo, wo der vom Tode, von -Mâro zur Erlöschung gemahnte Gotamo die folgenden Worte spricht: „Nicht -eher werde ich, Böser, zur Erlöschung eingehn, solange Mönche bei mir -nicht Jünger geworden sind, solange Nonnen bei mir nicht Jüngerinnen -geworden sind, solange Anhänger und Anhängerinnen bei mir keine Jünger -geworden sind, solange da bei mir das Asketentum nicht mächtig wird -aufgediehen sein, nach allen Seiten hin, unter vielem Volke verbreitet, -jedem zugänglich, bis es eben den Menschen wohlbekannt geworden ist.“ -Die Gebärde nun dieses großen Schwures, mit einer wahrhaft asketischen -Enthaltsamkeit des bildnerischen Aufwandes, aber freilich auch mit -einer nirgends überbotenen Gewalt des Ausdrucks dargestellt vielleicht -am erhabensten in den Nischen jenes obgedachten Stûpa Boro-Budur auf -Java, — diese Gebärde besteht unsäglich schlicht nur in einer leis -leisen Berührung der Erde mit der rechten Hand, die mit dem Rücken -nach außen leicht auf dem Unterschenkel des rechten<span class="pagenum"><a name="Seite_121" id="Seite_121">[S. 121]</a></span> unterschlagenen -Beines liegt. Berühren der Erde, <i>bhûmisparçamûdra</i>, heißt die Gebärde, -heißt der Eid selbst dieser höchsten Buddho-Treue in der hieratischen -Sprache der späteren und nördlichen Urkunden, die hier ganz ohne -Frage den innigen Sinn der seelischen Begebenheit zu treffen, wenn -nicht zu steigern wissen. Ein Berühren der Erde und ein Gelöbnis, bis -zur endgültig gebrochenen Bahn auf dieser Erde zu verrichten und zu -erwirken, was Gott und alle Götter bisher nicht zu erwirken vermocht -haben: das ist, das bleibt im reinsten Geist des Buddho eigentlicher -Protestantismus...</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_123" id="Seite_123">[S. 123]</a></span></p> - -<h2 class="nobreak" id="DIE_ZWEITE_UNTERWEISUNG">DIE ZWEITE UNTERWEISUNG:<br /> -BUDDHO DER ERLEBENDE</h2> - -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_125" id="Seite_125">[S. 125]</a></span></p> - -<p class="initial">DAS HEILIGE NEIN LASST UNS BEKENNEN DENN NEIN UND JA SIND WIE -DIE SCHENKEL DER NÄMLICHEN PARABEL, UND WO SICH DIESE SCHEITELT, -DURCHDRINGEN BEIDE SICH IN EINEM PUNKT — DENN NEIN UND JA SIND -WIE DER ABSTEIGENDE UND ANSTEIGENDE KNOTEN DER WELT, UND WO SICH -BEIDE SCHÜRZEN, SCHWEBT GIPFELND DAS GESTIRN DER WELT DURCH SEINEN -MITTAGSKREIS — DENN NEIN UND JA SIND WIE DAS AUSSENBLATT UND -INNENBLATT DESSELBEN KEIMLINGS, IM SCHOSSE DER GEBÄRERIN WIE BETERHÄNDE -STRENG GEFALTET — GEFALTET ZUM AUSSEN-INNEN-BLATT REIFT ERST DER -KEIMLING DER GEBURT ENTGEGEN: GEFALTET ZUM NEIN-JA REIFT ERST DIE SEELE -IHRER WELT ENTGEGEN — DAS NEIN ZERSPELLT DAS GOLDENE EI DER WELT, -DAS MÜTTERLICH VOM PHÖNIX GEIST BEBRÜTETE — JEDOCH DES JUNGEN ADLERS -SCHNABELSCHÄRFE IST ES, DIE SICH MIT FRÜHFLÜGGER WEISHEIT LICHTBEGIERDE -DAS DUNKLE EI ZERSPELLT — O WELT, VON DEINER SONNE EMPFING ICH -TRÄUMEND EINEN HIMMELSTRAHL IN MEINEM AUG, ALS ES NOCH SCHLIEF, ZUM -PFAND, DASS ICH DEREINST MICH AN DIR SONNEN WÜRDE, WANN ICH DURCH DEINE -BITTERSCHALE BRACH — O AUGE ICH DER WELT, O HIMMELSAUGE ICH, ZU DIR, -O<span class="pagenum"><a name="Seite_126" id="Seite_126">[S. 126]</a></span> WELT, ERWACHEND — O ICH ERWACHTER DANN, VOLLKOMMEN ERWACHTER ICH ZU -DIR, O WELT —</p> - -<p class="center">DIES IST DIE ZWEITE UNTERWEISUNG</p> - -<div class="section"> - -<p class="initial">Ein jeder von uns, ihr Christen, pflegt aus einer wüsten Menge -gleichgültiger Begebenheiten seines Daseins das eine oder andere -Ereignis herauszuheben, welches er vor sich selber gern als sein -Erlebnis wahrzeichnet. Ein jeder von uns lebt vielleicht Jahre -hindurch, lange und langweilige Jahre, nur so dahin, — bis ihn zu -irgendeiner Stunde ein Blick aus einem Menschenauge trifft; bis ihn -ein Wort, ein Ruf, ein Haß, eine Freundschaft, ein Todesfall, ein -Lebensfall erreicht, der ihn im Innersten aus seiner Bahn wirft oder -ihm umgekehrt seine Bahn erst weist. Zweierlei ist es also, was ein -Begebnis zum Erlebnis stempelt. Einmal die scharfe Abgrenzung und -Abhebung von allem andern, was bisher gemeinhin als Erfahrungstoff -aufgenommen, verarbeitet und ausgewertet ward. Das andere Mal -aber die Aneignung und Besitzergreifung eines Vorkommnisses als -einer ausschließlich auf diese besondere Person und keine sonst -zugeschnittenen Begebenheit. So daß in einem zwiefachen Wortverstand -das Erlebnis als Ausnahmefall und Einmaligkeit angesprochen wird: im -Vergleich nämlich mit allen sonstigen Erfahrungen einer Person, wie sie -von der Gewohnheit gleichsam in der Handmühle der Alltäglich<span class="pagenum"><a name="Seite_127" id="Seite_127">[S. 127]</a></span>keit klein -und fein gemahlen werden oder wie sie gleichfalls von der Gewohnheit -ohne die geringste Spur zu hinterlassen aufgebraucht und eingeschluckt -werden; im Vergleich ferner mit den Erlebnissen aller übrigen Personen, -welchen die Möglichkeit zu eben diesem Erlebnis der höchsteigenen -Person schlankweg aberkannt wird, — und zwar mit gutem Fug aberkannt -wird, wie wir uns bald überzeugen werden...</p> - -</div> - -<p>Was also heißt Erlebnis? Da ist etwa ein Mensch in langen Jahren jeden -Morgen um dieselbe Stunde denselben Weg zu seinem Geschäft gegangen; -entlang denselben Straßenzügen, vorbei an denselben Häusern, Gärten, -Mauern. Er weiß genau die Zahl der Schritte, die er zurückzulegen hat. -Er kennt die Straßen, Häuser, Gärten, Mauern längst auswendig, und ihr -immer gleicher Anblick berührt ihn so wenig mehr wie das immer gleiche -Gelärm der Straßenbahnen, Kraftwagen, Droschken und Lastfuhren, der -Dampfpfeifen, Sirenen und Hupen, der Ausrufer und Gassenkinder. Bis -er an einem Morgen unter den ungezählten Morgen etwa von ungefähr den -Zweig eines blühenden Goldregens über eine Mauerecke im Winde schaukeln -sieht, und von diesem Anblick, der möglicherweis oft schon auf seine -gleichmütige Netzhaut gefallen war, ganz seltsam berührt, betroffen und -beglückt sich fühlt. Diesen im Morgenwind wiegenden Goldregenzweig über -der Mauerecke verleibt er sich als einen nie wieder zu verlierenden -köstlichen Besitz in seiner Erinnerung ein, — und nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_128" id="Seite_128">[S. 128]</a></span> nur wird -er diesen Eindruck nie, nie wieder vergessen können, sondern auf -unbegreifliche Art von ihm im Innersten durchsäuert und durchwühlt, -durchpflügt und durchschüttert werden. Dieser Goldregen über der -Mauerecke hat ihm plötzlich Beziehungen aufgeschlossen und Gesetze -enthüllt, die ihm bis zu dieser Stunde schlechterdings verborgen -geblieben waren. Wie ist die Welt so hell, wie ist die Welt so reich, -wie ist die Welt so schön, fällt ihm jetzt vielleicht als unvermittelte -Offenbarung in die Seele, die selbst für einen ewigen Augenblick hell, -reich und schön wird... So dünkt den Erlebenden der Goldregenzweig über -der Mauerecke an jenem Morgen der Seelen-Öffnung wie ein Schicksal, -das sich früh auf die Beine gemacht hat, ihm an der richtigen Stelle -zu begegnen. Aus der verstaubten Reihe von täglichen und ähnlichen -Erfahrungen, die niemals Erlebnis geworden sind, hebt sich glänzend -dieses eine Glied heraus, wie sich etwa aus einer Kette von Wachsperlen -eine echte und wirkliche Perle herausheben würde. Was dieser Mensch, -sonst vielleicht ein elender Spießbürger oder ein verhärteter Krämer, -hier erlebt, das unterscheidet sich für ihn selber auf das bestimmteste -von seinem gesamten sogenannten Leben: und mehr noch unterscheidet es -sich für ihn vom Erleben aller anderen Lebendigen. Denn eben, indem -er die Wahrnehmung ‚Goldregen über einem Mauerwinkel‘ zu dem Erlebnis -steigerte: ‚Wie ist doch diese Welt hell, reich, schön‘, verhaftet und -vereignet sich dieses Erlebnis auf eine kaum zu beschreibende<span class="pagenum"><a name="Seite_129" id="Seite_129">[S. 129]</a></span> Weise -mit ihm selber. Sein Erlebnis ist nicht allein eine Begebenheit außer -allem Vergleich mit den übrigen Begebenheiten seines persönlichen -Lebensablaufs, — es ist außerdem auch noch eine Begebenheit, an -welcher kein anderer Mensch Teil hat und Teil haben kann. Denn im -Erlebnis fließt ein Stück Welt in ein Selbst über und fließt ein Selbst -in ein Stück Welt über, so daß beide fortan untrennbar eins sind. Der -Erlebende hat die Gewißheit, er darf sie haben, daß sein Erlebnis -in einem unbedingten Wortsinn Sein ist, nur ganz allein von ihm und -niemandem sonst erlebt: ein großes oder kleines Schicksal, welches -sich nur in ihm erfüllen konnte, — sein eigenstes und urpersönliches -Glück oder Verhängnis, welches seine einmalige und unvergleichbare -innere Geschichte bildet. Das Erlebnis eines Menschen aber, sehen -wir nun, ist ohne Einschränkung und Abzug auch das Geheimnis eines -Menschen. Und um die Wahrheit zu gestehn, ihr Christen, so trennt uns -Menschen gemeinhin nichts so unüberbrücklich wie dies, daß wir nicht -einerlei sondern vielerlei Erlebnis haben, nicht einerlei sondern -vielerlei Geschick, nicht einerlei sondern vielerlei Geschichte. -Verschiedenes Erleben verwirrt die Zungen und noch mehr die Sinnesarten -der vielen, — verschiedenes Erleben läßt gegenseitiges Verständnis und -Ein-Verständnis nirgends auf kommen, oder wenn schon aufkommen, nicht -Bestand und Dauer haben. Denn wer nicht seines Nächsten Erlebnis hat, -wie soll der seinem Nächsten wirklich nah sein? Wenn aber so: ist dann -das Erlebnis nicht schon von Haus<span class="pagenum"><a name="Seite_130" id="Seite_130">[S. 130]</a></span> aus ein Verhängnis, das wie ein -Keil, das wie ein Beil in den Stamm der Gemeinschaft getrieben wird und -die Gemeinschaft spaltet?...</p> - -<p>Und in der Tat! Es ist schwer zu sagen, wie es infolge dieses -Sachverhaltes mit unserer Gemeinschaft, ja mit der menschlichen -Gattung überhaupt beschaffen wäre und ob sich diese Gattung nicht -schon seit langem selber aufgerieben hätte, wenn nicht von Zeit zu -Zeit in dieses stäte Auseinanderleben und Gegeneinanderleben aller -wohltätig ein Einzelner und Auserlesener träte, der gewissermaßen gar -nichts Besonderes, Eigenartiges, Unterscheidendes für sich erlebte, -— vielmehr nur eben das, was ausnahmlos alle irgend einmal erfahren -haben oder doch erfahren werden. Zum Heil nämlich dieser ganzen -Gattung Mensch und zu ihrer zeitweiligen Errettung geschieht es nicht -gar häufig zwar, aber doch immerhin hie und da, daß ein Einzelner in -unerhört verstärktem Maß berührt und betroffen werde von dem Erlebnis -aller Einzelnen, welches er kraft einer gleichsam stellvertretenden -Erleberschaft zu seinem besondern Schicksal macht und dadurch dann -zugleich ent-einzelt: derart vollzieht sich hier eine Individuation -der Spezies, oder wenn man recht verstehen will, eine Spezifikation -des Individuums, wie sie etwa der heilige Thomas von Aquino, ihr -Christen, in seiner scharfen und strengen Bezeichnungweise einen -‚Engel‘ zu nennen einst beliebte, — einen Engel in einem tieferen -als nur dogmatischen Sprachverstand, wie wir jetzt wohl bemerken -können... Es gibt mithin, ihr Christen,<span class="pagenum"><a name="Seite_131" id="Seite_131">[S. 131]</a></span> Engel! Es gibt Einzelne, die -stellvertretend das Erlebnis der Gattung zu dem ihrigen machen und in -dieser Hinsicht zur Gattung sich erweitern! Es gibt Persönlichkeiten, -hier in dieser Welt und mit der Vernunft dieser Welt zu umfassen und -zu erraten, welche als Einzelwesen durch ihre Erlebnisart gleichsam -gattungmäßige Bedeutsamkeit erreichen! Es gibt spezifisch geweitete, -spezifisch verallgemeinerte Individuen und individuell verengerte, -individuell besonderte Spezies! Es gibt, wie ein <i>pater ecstaticus</i> -des hohen Mittelalters sagt, ‚Allgemeine Menschen‘, und diese -Allgemeinen Menschen sind einzig und allein die Wort- und Seelenführer -menschheitlicher Gruppen in den Angelegenheiten von menschheitlicher -Erheblichkeit und Würde. Eine Persönlichkeit also wie der indische -Buddho Gotamo, durch Wille und Vergunst der Sprache schon sprachlich -als ‚Der‘ Buddho über das Bereich des Nur-Persönlichen deutlich -herausgesteigert, — eine solche Persönlichkeit erlebt auf einzige -Weise nicht sowohl ihr eigenes, einmaliges, persönliches Schicksal, als -vielmehr das Schicksal des menschheitlichen genus überhaupt, welches -man nicht ohne schmerzliche Ironie das <i>genus</i> des <i>homo sapiens</i> -bezeichnet hat... Ein Mensch wie Gotamo erlebt somit generell; nicht -eigentlich individuell, sondern generell zu erleben ist Sein Geheimnis -und Seine Bestimmung, Sein Geschick und Seine Geschichte. Befragt um -sein entscheidendes und schöpferisches Erlebnis, könnte der Buddho -keine andere als diese Antwort geben: ich erlebte, was du und du und -du erlebt hast, was du<span class="pagenum"><a name="Seite_132" id="Seite_132">[S. 132]</a></span> und du und du erlebst, was du und du und du -erleben wirst. Ich erlebte das Menschliche, Ewig-Menschliche. Ich -erlebte Alter, Krankheit, Tod, — Alter, Krankheit, Tod...</p> - -<p>Darüber hat nun Gotamo seinen Jüngern berichtet, in Gestalt zwar einer -Legende, die als die Ausfahrt Vipassî-Buddhos gefunden wird in der -Vierzehnten Rede aus der Längeren Sammlung Dîghanikâyo. Dort lebt Prinz -Vipassî, der erste der Buddhos in der Reihe der Sieben, in den drei -Palästen seines königlichen Vaters und im Genuß jener vollkommenen -Wunschbeglückung, wie sie bei den Fürsten und Königsöhnen des indischen -Märchens herkömmlich ist, — und leicht kann man sich übrigens bei -dieser Gelegenheit davon überzeugen, daß Gotamo als Dichter und -Erzähler von Märchen mit jedem Kâlidâsa seiner Heimat zu wetteifern -vermöchte: er, der unstreitig der erste Gleichnissprecher aller Zeiten -und Völker gewesen ist... Jahrtausend also um Jahrtausend seiner -mythischen Jugend verlebt Prinz Vipassî in diesen Palästen, bis es ihn -eines Tags gelüstet, eine Ausfahrt in die Umgebung des Schloßgartens -zu machen. Der Wagenlenker schirrt ein und der Prinz besteigt mit dem -Hofstaat die kostbaren Gefährte. Den königlichen Gärten kaum enteilt, -stoßen sie da auf eine befremdliche Gestalt, — gebeugt, kopfwackelnd, -ausgemergelt, weißhaarig, zitterig, tapperig, zahnlos, triefäugig. ‚Was -hat der Mann dort getan?‘ fragt der Prinz seinen Wagenlenker. ‚Er sieht -doch nicht aus wie andere Leute?‘ ‚Das ist ein Greis,‘ antwortet der -Wagen<span class="pagenum"><a name="Seite_133" id="Seite_133">[S. 133]</a></span>lenker, ‚ein Alter, der nicht mehr lang zu leben hat.‘ ‚Und werde -auch ich dereinst diesem Alten gleichen?‘ frägt der Prinz entgegen. -‚Auch du,‘ versetzt der Wagenlenker, ‚auch du wirst dem Alter nicht -entrinnen‘... Nun hat der Prinz für heute genug. Er befiehlt die Umkehr -und zieht sich ins Innerste zurück des Palastes, ins Innerste seiner -selbst zurück, wo er über diesen ungemeinen Vorfall grübelt, brütet. „O -Schande sag’ ich da über die Geburt, da ja doch am Geborenen das Alter -zum Vorschein kommen mu߫...</p> - -<p>Zweimal noch nach Ablauf so manchen vergessenden und beschwichtigenden -Jahrtausends befiehlt Prinz Vipassî seinem Wagenlenker den Wagen -anzuschirren und zweimal bricht der Jüngling vorzeitig die Ausfahrt -ab. Beim zweitenmal stößt er auf einen Siechen, hilflos im eigenen Kot -und Harn liegend und in jeder kleinsten Bewegung auf fremder Menschen -Beistand angewiesen; beim drittenmal begegnet er einem Leichenzug, von -vielerlei Volk geleitet in düsteren Gewändern. Und nach jeder Ausfahrt -geschieht es, daß er eine lange lange Weile grübelnd und brütend in -sich selbst versinkt: „O Schande sag’ ich über die Geburt, da ja doch -am Geborenen das Alter zum Vorschein kommen muß, die Krankheit zum -Vorschein kommen muß, der Tod zum Vorschein kommen muß“... Dann aber -ist’s von allem wieder still. Das Leben in den Wunschgenüssen nimmt -seinen Fortgang, und kein Anzeichen verrät, wie jene Begegnungen -im Gemüt des Prinzen weiterwirken, — kein Anzeichen verrät, ob -sie weiterwirken. Und einmal noch nach tausend<span class="pagenum"><a name="Seite_134" id="Seite_134">[S. 134]</a></span> und tausend Jahren -heißt Prinz Vipassî die herrlichen Gespanne einschirren, um dieses -vierte und letztemal dann einen Pilger, einen Mönch, einen Bettler zu -gewahren, mit kahlgeschorenem Schädel und in fahler Gewandung. Einmal -noch eine Frage an den treuen Wagenlenker, und nach der Antwort ist -die Entscheidung endlich gefallen. Das dreifache Erlebnis hat die Tat -reifen lassen und die letzte Ausfahrt läßt sie zur Ausführung gedeihen. -Daheim scheert sich Vipassî seinen Schädel kahl, hüllt sich in ein fahl -Gewand und verläßt die königlichen Paläste der Jahreszeiten, um sich -auf Pilgerfahrt, Bettlerfahrt, Büßerfahrt zu begeben, — will heißen, -um sich selbst zu finden, selbst zu retten, selbst zu lösen. Als ob ein -einzelner und einziger Mensch von Alter, Krankheit, Tod ein erstesmal -erfahren könne und erfahren habe, stellt die Legende von Vipassîs -Ausfahrten das Erlebnis des Buddho mit einer großartigen Einsilbigkeit -heraus, die das Gemüt betäubt wie das gleichmäßige Getrommel des Regens -in einer Herbstnacht auf ein Blechdach... Und in der Tat! Irgendwie -hat Gotamo die drei Kernübel des Menschseins mit der Gewalt der -Erstmaligkeit erfahren, mit der Heftigkeit der Erstmaligkeit erlitten: -gleichsam er der erste Mensch, der die sonnige Schwelle göttlicher -Wunschwelten mit Bewußtsein überschreitet und mit Bewußtsein das Ödland -der Wirklichkeit betritt...</p> - -<p>Vergänglichkeit, Leidbeschaffenheit, Wesenlosigkeit heißt mithin das -Urerlebnis Gotamos, das Urerlebnis des ‚Allgemeinen Menschen‘, — und -wer<span class="pagenum"><a name="Seite_135" id="Seite_135">[S. 135]</a></span> wollte leugnen, daß dies in vielerlei Bezugnahme das Urerlebnis -unserer Gattung ist und bleibt. Dieses Urerlebnis stets sich von neuem -zu vergegenwärtigen fordert er denn auch in erster Linie von jedem, der -ihm nachzufolgen oder anzuhängen willens ist. In zahllosen Variationen -und Varianten kehrt an zahlreichen Stellen wieder, was dieser Bericht -von den vier Ausfahrten Vipassîs in einer mächtig vereinfachenden -Sinnbildlichkeit so einprägsam veranschaulicht denn für kaum eine -zweite geschichtliche Gestalt gilt ja des jüngeren Nietzsche Wort vom -Welt-Vereinfacher wie für den Buddho. Eine der eindrucksvollsten dieser -Stellen findet sich in der Sammlung der Bruchstücke Suttanipâto, die -zu den ältesten Schriften des Heiligen Kanons gehört. Aus bestimmten -Gründen führe ich sie in zwei Übertragungen, einer prosaischen und -einer metrischen an: „Unbemerkt und unerkannt ist das Leben der -Menschen hienieden, kummervoll, vergänglich und mit Leid verbunden. Es -gibt keinen Ausweg, auf dem die Geborenen dem Tod entrinnen könnten; -ist das Alter erreicht, da naht der Tod: so ist das Gesetz aller -Lebewesen. Wie für unreife Früchte schon früh die Gefahr des Abfallens -besteht, so besteht für die Menschen ständig die Gefahr des Sterbens. -Wie allen vom Töpfer angefertigten Tongefäßen das Ende des Zerbrechens -bestimmt ist, so auch dem Leben der Sterblichen. Die Jungen und die -Großen, die Toren und die Weisen, alle gelangen in die Gewalt des -Todes, aller Ende ist der Tod. Von denen, die vom Tod überwältigt -in das Jenseit<span class="pagenum"><a name="Seite_136" id="Seite_136">[S. 136]</a></span> gegangen sind, — nicht rettet der Vater den Sohn, -noch auch die Verwandte die Angehörigen. Sieh! Während die Verwandten -zusehen und laut wehklagen, wird einer der Sterblichen nach dem anderen -hinweggeführt wie das zum Tod bestimmte Rind“...</p> - -<p>Und nun die nämliche Stelle, die wohl echt gotamidisch zu sein -scheint, denn die Worte von des Hafners Töpferware finden sich (in -etwas erweiterter Fassung) auch am Ende des Dritten Berichtes aus -dem Großen Verhör über die Erlöschung Mahâparinibbânasuttam, wo sie -der Buddho in seinen letzten Tagen zu seinen Jüngern spricht, — -nun diese nämliche und ‚echte‘ Stelle in der vollkommen würdigen, -ja erhabenen Eindeutschung Neumanns. Hier ist sie angeschwollen -zu einem Klagegesang, zu einem Schicksallied von hymnischer -Gewalt und Schönheit, seltsam überdies gemahnend an jenes letzte -Gedicht-Bruchstück des Florentiners Buonarotti, dessen zermalmende -Schwermut als ‚<i>Canto de’ Morti</i>, Was geboren ist, muß sterben‘ in Hugo -Wolfs Vertonung etwa manchen deutschen Ohren widertönen mag:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">„Unbestimmbar, unerkennbar</div> - <div class="verse">Sterblichen ist hier das Leben,</div> - <div class="verse">Kümmerlich und karg erlesen</div> - <div class="verse">Und in Leiden eingewunden.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Keines kennt man doch der Mittel,</div> - <div class="verse">Daß Gebornes nicht verderbe,</div> - <div class="verse">Und dem Altern folgt das Sterben;</div> - <div class="verse">Also ist es Art der Wesen.</div> - </div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_137" id="Seite_137">[S. 137]</a></span> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Früchten ähnlich, reif gewordnen,</div> - <div class="verse">Fallen und im Fallen fürchten</div> - <div class="verse">Sich die sterblichen Gebornen</div> - <div class="verse">Immer vor dem Todessturze.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wie des Hafners Töpferware,</div> - <div class="verse">Vielgeformte Tongefäße,</div> - <div class="verse">Alle doch zerbrechen endlich:</div> - <div class="verse">Unser Dasein ist nicht anders.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Junge starke, Alte schwache,</div> - <div class="verse">Toren, Weise, wer es sei auch,</div> - <div class="verse">Alle wandeln Todesbahnen,</div> - <div class="verse">Todesuntertanen alle.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da vom Tode sie umfangen</div> - <div class="verse">Weiter wandern durch die Welten,</div> - <div class="verse">Hilft kein Vater hier dem Sohne</div> - <div class="verse">Und kein Vetter dem Gevatter.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hinterbliebne, Kinder, Eltern,</div> - <div class="verse">Sieh nur, wie ein jedes wehklagt,</div> - <div class="verse">Eines nach dem andern hinstirbt,</div> - <div class="verse">Weggeschleppt wie ein Stück Schlachtvieh“...</div> - </div> - </div> -</div> - -<p>Unstreitig also, ihr Christen, ist Gotamos Erleben ein Leiden. Ein -Leiden, sage ich: zunächst ein Leiden, und noch lange nicht das Leiden -schlechtweg, wie zu früh verallgemeinernd und darum nicht durchaus -richtig oft behauptet ward. Gotamos Erleben ist<span class="pagenum"><a name="Seite_138" id="Seite_138">[S. 138]</a></span> ein Leiden, und -zwar zunächst ein gleichsam örtlich festgelegtes und umgrenztes. Es -ist ein Leiden zunächst nicht eigentlich am Leben und am Grundgesetz -des Lebens, vielmehr ein Leiden ganz offenbar am Leibe und am Gesetz -der Leiblichkeit. Der Leib ist es und des Leibes Vergänglichkeit, -Hinfälligkeit, Gebrechlichkeit, Verweslichkeit, Wesenlosigkeit, die in -diesem gotamidischen <i>Canto de’ Morti</i> und an so ungezählten Stellen -der Lehre immer wiederkehrend sonst mit der dämonischen Melancholie des -Michelangelo melodisch beseufzt, betrauert und besungen werden: die -Bestimmung der Leiblichkeit, die unumgängliche ist es, welche Gotamos -festes und wohlverwahrtes Herz bis in das Fundament erbeben lässet. Daß -dieser Leib nicht dauert und nicht dauern kann, daß dieser Leib sich -eines Tages nicht mehr aufrichten und erheben wird, um dann in allen -Regenbogenschillertinten als stinkendes Aas anzulaufen und schließlich -bis auf Nägel, Haare, Zähne zu Staub und Asche zu vermodern, das hat -den Jüngling Gotamo in einem Augenblick, wo ihm die ganze Wahrheit -wie ein Gespenst aus jener Welt vor die Seele trat, wie mit einem -wohlgezielten Blattschuß getroffen und hingeworfen. Wer aber von dem -Geschick des Körpers derart betroffen und hingeworfen wird, der muß -ein Mensch von leidenschaftlicher Liebe zu seinem Körper sein, denn -nur die leidenschaftlichste Liebe zu einem Ding schafft sich soviel -Leiden um den Verlust dieses Dings. Wem da nur wenig oder gar nichts -an seinem Leibe liegt, der wird kaum heftig leiden unter dem<span class="pagenum"><a name="Seite_139" id="Seite_139">[S. 139]</a></span> Altern, -Welken, Siechen, Sterben dieses Leibes: wer aber vollends den Leib -verachtet, wie sollte den des Leibes Tod berühren. Nichts wäre mithin -so verkehrt und irrig, als diesem Jüngling Gotamo betreff des Leibes -jene hellenisch-asketisch-christliche Auffassung zu unterstellen, -die man unter Bezugnahme auf ein geflügeltes Wort des Sokrates aus -dem platonischen Gorgias (in etwas freier Verdeutschung freilich) -die Leib-Leiche- oder die Körper-Kadaver-Auffassung — griechisch -die σῶμα-σῆμα-Auffassung — zu nennen wohl berechtigt wäre. -Pythagoreer, Orphiker, Platoniker, Neuplatoniker und Christen mögen -im Körper den Kerker und mehr noch die Gruft der Seele von Haus aus -mißachtet haben; Gotamo weiß von dieser Mißachtung nichts, weiß von -dem ganzen abendländischen Leib-Seele-Zwiespalt nichts: zum mindesten -weiß er von Haus aus davon nichts. Darum ist es an uns Christen der -westlichen und westlich zerrissenen Welthälfte, dem Umstand von -höchstem Belang unsere höchste Aufmerksamkeit zu widmen, daß dieser -Gotamo, Sohn des Fürsten Suddhodano zu Kapilavatthu, durchaus nicht -etwa priesterlichem, sondern kriegerischem Geblüt entstammt und -noch in seiner Jugend den Hochgebirg- und Alpenatem der indischen -Heldenzeit eines tiefen, vollen Zugs geatmet hat... Gotamo war -Krieger, Prinz und Ritter, nicht Priester und weniger noch Priesters -Freund; und er war dies als Sohn eines Volkes, welches weder von -einem gleichzeitigen noch von einem späteren je übertroffen worden -ist in seiner Freude an gesunder, wohl<span class="pagenum"><a name="Seite_140" id="Seite_140">[S. 140]</a></span>gepflegter, spielgeübter -Leiblichkeit. Gotamo war Krieger, Prinz und Ritter in jener indischen -Heldenspätzeit noch, die vor reifem Welt- und Sinnenglück inbrünstig -strahlte und bei dem festlichen Anblick edler Krieger gleichsam -hell und zärtlich wieherte wie ein junger Hengst, der eine Stute -wittert. Sproß eines fürstlichen oder adligen Geschlechts, wurde -der Jüngling Gotamo sicherlich auferzogen in den Waffen für die -Waffen, — wie hätte er seinen gelenken, behenden Jünglingleib nicht -lieben sollen, der unter allen Umständen des Kriegers beste und -höchste Tugend ist. Wurde der junge Prinz und Ritter dann im Ablauf -der Zeit zum Heiligen und Erwachten seiner Weltzeit, — nun um so -besser! Hierin wurde kein Widerspruch befunden nach der Auffassung -einer Rasse, welcher ursprünglich die Heiligkeit und Erwachsamkeit -keineswegs ein mönchischer Stand, sondern ein menschlicher Zustand -bedeutete, zu welchem man in einem gewissen Lebensalter bei richtiger -Lebensführung gleichsam von selbst heranreift. Sollte in guten Zeiten -doch der Waldeinsiedler (<i>vânaprastha</i>) die vorangehenden Stadien des -Brahmanjüngers (<i>brahmacârin</i>) und des Haushalters, Hausverwalters -(<i>grihastha</i>) seinerseit nur ablösen, wie der Waldeinsiedler eine -Weile später zum eigentlichen Pilger, Bettler- und Büßermönch -(<i>bhikshu</i> oder <i>bhikkhu</i>) aufrücken konnte und aufrücken sollte: -erst wenn der Mann der Gemeinschaft gedient und sich gewissermaßen -in der Welt selbstverwirklicht hatte, winkte ihm als höherer -Zustand Weltlosigkeit und Einsiedlerschaft, in welchem er seine -Selbstheili<span class="pagenum"><a name="Seite_141" id="Seite_141">[S. 141]</a></span>gung zu vollbringen hoffen durfte. Asketenschaft entsprang -hier keinem weltfeindlichen Verhalten oder Fühlen, sondern krönte das -Menschenleben, in innigstem Einklang mit jeder tieferen Erfahrung, -wonach der Mensch und namentlich der Mann sich selbst gemächlich aus -der Welt heraus und über die Welt hinaus lebt, ohne Enttäuschung, ohne -Flucht, ohne Bitterkeit, ohne Bodensatz, in reinster Übereinstimmung -mit der Eigenbewegung, Eigenrichtung seines Seelenwachstums. Der -Mensch, wo er dieser Bewegung und Richtung seines Seelenwachstums nicht -absichtlich entgegen lebt, lebt seiner Seele zu und eben deshalb über -die Welt hinaus und über den Leib hinaus; denn ist auch diese Seele -in keinem Sinn eine Widerwelt oder ein Widerleib, so ist sie doch der -höhere Grad, die höhere Stufe der Weltlichkeit und Leibhaftigkeit. Der -Leib wird darum in jener Zeit auch noch nicht grundsätzlich kasteit -oder mißhandelt oder gar abgetötet, vielmehr er wird überwunden und -überwachsen. Mit seinem Dahinschwinden mehrt sich die Seele, ähnlich -wie mit dem Abwelken der Kartoffelstaudenblüte der Knollen im Boden zur -Genießbarkeit heranreift...</p> - -<p>Verwundern wir uns also nicht, daß es in den Schriften des -Pâli-Kanons eben der Heilige seines Weltalters ist, der zu -vollkommener Makellosigkeit des Leibes verpflichtet, von allen -übrigen Menschen gerade er am unerläßlichsten verpflichtet ist. Für -den Buddhismus ist es ganz einfach eine Selbstverständlichkeit, -was der europäisch-christlichen Erkenntnis-Zwiesal mit ihrer<span class="pagenum"><a name="Seite_142" id="Seite_142">[S. 142]</a></span> -grundsätzlich gegensinnigen Leib-Seelenwirklichkeit schlechterdings -unbegreiflich erscheint und erscheinen wird: Gotamo wäre durch einen -minder vollkommenen Körper von vorn herein widerlegt, nicht allein -vor den andern, sondern am meisten vor sich selber. Wo in einem -vornehmen Haus ein Knabe geboren wird, berechtigt er in dem Maß zu -höheren Hoffnungen, desto untadeliger sein Leib gebildet ist, — zur -höchsten Hoffnung aber dann, wenn er die zweiunddreißig Male des -‚Großen Mannes‘ aufweist, die für den Kanon herkömmlich geworden sind. -Alsdann ist der Welt nämlich in heiliger Stunde ein Eroberer oder -ein Überwinder erschienen: der Kaiser-König oder der Erwachte einer -nunmehr eingeleiteten Weltzeit. Vielleicht ist kein anderer Umstand -geeignet, die wundervolle Einheitlichkeit des indischen Denkens -und Wertens auszudrücken, als dieses beziehungreiche ‚oder‘, das -jeden Spielraum freiläßt zwischen der Typik einer die Macht restlos -erfüllenden und die Macht restlos verschmähenden Menschlichkeit. -Innerhalb des Umkreises menschheitlicher Selbstverwirklichungen -verhält sich der Kaiser-König zum Erwachten, wie sich der Leib zur -Seele verhält, — zuletzt sind sie irgendwie dasselbe und treten nur -verschiedenartig, kaum aber verschiedenwertig in Erscheinung: wenn -ich hier vorhin die Seele den höheren Grad des Leibes nannte, so -ist wahrscheinlich auch dieses noch viel zu abendländisch, viel zu -platonisch, viel zu christlich ausgedrückt gewesen... Was aber jene -indische Gleichwertung des Kaiser-Königs mit dem Erwachten<span class="pagenum"><a name="Seite_143" id="Seite_143">[S. 143]</a></span> anlangt, -so dürfte bei ihr noch der andere Gedanke mit hineinspielen, daß es -sozusagen der Wahlfreiheit des mit den zweiunddreißig Kennzeichen -Ausgestatteten anheim gestellt ist, ob er sich späterhin für den -Typus des Eroberers, ob für den Typus des Überwinders tatsächlich zu -entscheiden geruhe. Für indisches Auffassen liegt es durchaus innerhalb -des Bereichs gotamidischer Fähigkeiten und Möglichkeiten, zum Beispiel -noch außerdem ein Asoko zu werden, — wie es umgekehrt durchaus im -Bereich asokischer Fähigkeiten und Möglichkeiten liegt, noch außerdem -ein Gotamo zu werden. So war Gotamo wirklich in seiner Jugend -Fürst und Krieger; so war Asoko wirklich in seinem Alter Büßer und -Einsiedler: in weltaufschließender Symbolik verbringt er seine letzte -Lebenszeit nach siebenunddreißig Jahren glorreicher Machtherrschaft -auf jenem nämlichen Goldenen Felsen Suvannagiri im Lande Magadhâ, -wo einst der Jüngling Gotamo geweilt hatte... Ursprünglich also -wohl Leib-Geist und Körper-Seele in letzter Ununterschiedenheit und -Ununterscheidbarkeit, erwählt der Mensch gleichsam das Leben des -überwiegenden Leibes oder des überwiegenden Geistes, des überwiegenden -Körpers oder der überwiegenden Seele. Bevor er indes selber wählt, hat -ihn seinerseit unter Unzähligen die Natur erwählt, indem sie ihn mit -den Schönheitmalen makellosen Leibes und makelloser Seele leibhaftig -begnadete. Diese klar ausgebildeten zweiunddreißig Male sind Gotamos: -die wohlgefesteten Füße, die Tausendspeichenräder mit Felge und Nabe -auf beiden Sohlen,<span class="pagenum"><a name="Seite_144" id="Seite_144">[S. 144]</a></span> die schmalen Fersen, die sanften zarten Händ’ und -Füße, die breitgeschweifte Bindehaut zwischen Fingern und Zehen, die -Muschelwölbung des Ristes, die schlanken Beine, die Fähigkeit zur -Berührung der Kniescheibe ohne Vorwärtsbeugen des Rumpfes, das hinter -der Kleidung unerkennbare Schamglied, die Goldfarbe des Körpers, -Goldfarbe der Haut, die Schmeidigkeit der Haut, die Einzelflaumigkeit -des Haares in seiner Pore, die Aufgerichtetheit, Schwärze, Ringelung -des Flaums, die Erhabenheit des Wuchses, die Heiterkeit des Aussehens, -die breite Löwenbrust, die Klafterhöhe, die Verhältnismäßigkeit der -Körperlänge zur Armlänge, die Gleichform der Schultern, die Mächtigkeit -der Ohrmuscheln, das Löwenkinn, das vollständige Gebiß, das festgefügte -Gebiß, die Weiße der Zähne, die Größe der Zunge, der Wohllaut der -Stimme, die Flocke zwischen den Brauen und zuletzt der Scheitelkamm. -Dies ist Gotamos Leiblichkeit, so haben wir uns den Erwachten -vorzustellen, der in mehr wie einem Sinn die Erbschaft Krischnas -antrat. Derart stellt sich der Buddho in seinen Reden selber vor und -derart ist er uns in Stein und Holz und Erz überliefert. Bis auf das -Haar, das einständig einzelflaumige in seiner Pore, ist des Vollendeten -Leiblichkeit vollendet geformt und gebildet, — nie ist dem Leib eine -größere Verherrlichung widerfahren. Wenn überhaupt, dann war in jenen -gotamidischen Tagen die Gestalt des Leibes heilig; wenn überhaupt, ward -in jenen gotamidischen Tagen die Schönheit des Leibes angebetet. Der -Leib nicht Grab, sondern<span class="pagenum"><a name="Seite_145" id="Seite_145">[S. 145]</a></span> Gral der Seele, das war Indiens Bekenntnis -in jenen Tagen, da des Lebens Übermaß und Überschwang sogar die -prunkenden Wortfugen des Mahâbhâratam glühend auseinandersprengte, wie -es tausend und mehr Jahre später abermals (oder vielleicht immer noch?) -die Tempelwände des buddhistischen Parthenon Boro-Budur gesprengt -hat. Der Leib, nach Indiens Bekenntnis der Gral seiner Seele, Gefäß -und Schrein der Seele und edel wie die Seele, — fürwahr! es ist -bei dieser leibhaften Herrlichkeit des Erwachten zu Magadhâ schwer -vermeidlich, nicht der leibhaften Herrlichkeit eines Erwachten unseres -Westens zu gedenken, der in gotamidischem Alter dahingegangen ist, -nachdem er wie kein anderer zuvor die Erde zu seiner Wohnstatt sich -bereitete, allwo er wie ein Gott sälig an jedem Ort zu Hause war: „Der -Körper lag nackend in ein weißes Bettuch gehüllt... Friedrich schlug -das Tuch auseinander, und ich erstaunte über die göttliche Pracht -dieser Glieder. Die Brust überaus mächtig, breit und gewölbt; Arme -und Schenkel voll und sanft muskulös; die Füße zierlich und von der -reinsten Form, und nirgends am ganzen Körper eine Spur von Fettigkeit -oder Abmagerung und Verfall. Ein vollkommener Mensch lag in großer -Schönheit vor mir...“</p> - -<p>Dieser Leib nun, in allen Spielen des Laufens, Ringens, Springens, -Schwimmens, Fechtens, Rossetummelns, Bogenschießens geübt, in allen -Künsten der Verschönerung erfahren, in Wohlgerüchen gebadet, von -Räucherwerk durchduftet, mit feuchtem Sandel<span class="pagenum"><a name="Seite_146" id="Seite_146">[S. 146]</a></span> eingesalbt und mit Safran -und Lakkaröte geschminkt, — dieser Leib nun wird unabwendbar eines -Tages in Regenbogentinten schillernd angelaufen sein. Er wird wie ein -aufgetriebener Blasbalg von den Gasen der Verwesung angeschwollen sein. -Er wird an hundert Stellen aufplatzen und stinkend in den Jauchepfützen -seines eigenen Aufbruchs liegen. Aus seinen Löchern und Höhlen wird -madiges Gemeiß kriechen. Das Fleisch wird von den Sehnen und die Sehnen -werden von den Knochen fallen. Die Knochen werden von den Überbleibseln -der Fäulnis braun bestäubt sein, bis auch sie zu Staub vermodert sind. -Und dies ist die Gewißheit des Leibes: dies ist der Kummer am Leibe für -den, der den Leib lieb hat. Dies ist die Gewißheit des Leibes: dies ist -das Leiden am Leibe, wie es der junge Ritter Gotamo erlitt, der da noch -den Atem der Heldenfrühe des indischen Festlands atmete. Er selbst hat -später am Seherstein im Wildpark zu Benâres die Wahrheit des Leidens -eine heilige genannt, und die Frage war für ihn nur diese, ob es derlei -Leidens auch eine Abstellung, Verwindung, Überwältigung gäbe? Die Frage -war eigentlich nur, ob dieser dauerlose Körper zur Dauer erstarken, ob -dieser hinfällige Körper zur Rüstigkeit gedeihen, ob dieser sterbliche -Körper zur Unsterblichkeit erblühen könne? Ist es möglich, ist es auch -nur denkbar, daß die weltherkömmliche Ordnung für den Körper umgestürzt -werde und das Leiden am Körper zu seiner Aufhebung gelange, indem der -Körper durch Anspannung, Übung, Umgestaltung außerhalb dieser<span class="pagenum"><a name="Seite_147" id="Seite_147">[S. 147]</a></span> Ordnung -gleichsam neu gepflanzt und neu aufgebaut würde?</p> - -<p>Der Abendländer zweifelt und verneint. Der Abendländer stellt sich Leib -und Seele vor als zwei nebeneinander herlaufende Erscheinungreihen -und Erlebnisverknüpfungen, die wirkunglos und beziehunglos zueinander -ihren leiblichen und seelischen Gegengesetzen folgen müssen. Gotamo -hingegen zweifelt nicht und bejaht. Leib und Seele zuletzt ein und -des nämlichen Seins und Wesens, stehen für ihn in einem stätigen -Wechselverhältnis, ja Austauschverhältnis, wobei der Leib die Stelle -der Seele vertreten kann und die Seele die Stelle des Leibes. Der Wille -eines jeden hat es in der Hand, den Leib gleichsam mit den Spezereien -der Seele einzubalsamieren, wie es der Arzt seit unvordenklichen -Zeiten in der Hand hat, die Verweslichkeiten des Leibesinnern gegen -pflanzliche Dauerstoffe auszuwechseln und dadurch unverweslich zu -machen. Gotamo verneint die Unerläßlichkeit des Leidens am Körper -und bejaht des Leidens Abstellung, Verwindung, Umgestaltung aus der -Einsicht heraus in die Herkunft und die Beschaffenheit des Leibes. So -wie die Ordnung der Natur ist, entsteht der Körper und vergeht der -Körper. So wie es aber der Wille des Menschen will, der unablässig um -Dauer ringende, kann eine Versetzung des Leibes stattfinden in eine -andere Lage der Wirklichkeit, in einen anderen Urstand des Seins, wo -die Gesetze der Schöpfung, als welches die Gesetze des Werdens sind, -ganz von selbst außer Kraft treten müssen. Wir Abendländer kennen<span class="pagenum"><a name="Seite_148" id="Seite_148">[S. 148]</a></span> als -Beispiel einer gewissen Umgestaltung den Vorgang der Versteinerung. -In die schneller verweslichen Teile eines Tier- oder Pflanzenleibes -dringen unverwesliche Teile ein von mineralischer Beschaffenheit -und bauen die Gestalt des Lebewesens in eben dem Zeitmaß von sich -aus wieder auf, in welchem diese Gestalt durch die Zersetzung ihrer -organischen Grundstoffe und durch deren Verbindung mit dem Sauerstoff -abgebaut wird. Wo der Zellenleib zerfällt, erscheint allmählich ein -Steinleib zu seiner Stellvertretung, so daß man in Wahrheit von einer -Umgestaltung reden dürfte, — von einer Umgestaltung, die freilich -nur den toten Leib ergreift und diesen gegen den nicht minder toten -Ersatzleib eintauscht. Indessen ist uns Abendländern doch auch manch -anderes Beispiel lebendiger Umgestaltung nicht völlig unbekannt. Wir -selber pflegen die Kräfte unseres Lebens, unseres Selbstes an unsere -Arbeit zu setzen, sei sie nun Wort oder Werk oder Tat oder überhaupt -Leistung; in Wort Werk, Tat, Leistung setzen wir selbst uns um, setzen -wir unserer Selbstheit Gestalt um und schaffen uns auf diese etwas -plumpe Art eine verhältnismäßige Unsterblichkeit in einem Bereich der -sogenannten Werke oder Werte oder Sachverhalte oder Gültigkeiten, — in -einem Bereich mithin, welches uns in gewissem Sinn sehr wohl des Lebens -Jenseit bedeuten darf. So fangen wir gleichsam die Essenz unseres -Lebens von uns selber ab und versetzen unser persönlich-sterbliches -Sein an den Himmel sachlicher Unsterblichkeiten. Auf allen Wegen, wo -wir gehen<span class="pagenum"><a name="Seite_149" id="Seite_149">[S. 149]</a></span> und stehen unsere Unsterblichkeit angelegentlich betreibend, -gestalten wir auf solche Weise die Gestalt unseres Selbstes um in Wort, -Werk, Tat und Leistung, welche offenbar länger dauern als die lebendige -Gestalt und dennoch des Lebens nicht in jedem Sinn entbehrt. In Worten, -Werken, Taten verewigen wir uns selber, fortwährend ohne unser Wissen -in einem wunderlichen Unsterblichkeitzauber, Apathanatismos von hoher -Wirksamkeit befangen...</p> - -<p>Noch ein Schritt weiter, und wir stoßen auf Gotamos eigenen -Unsterblichkeitzauber, auf Gotamos eigenen Apathanatismos. Beruht -dieser doch im wesentlichen darauf, daß der Leib in zunehmenden Graden -durchsetzt und durchseelt, durchwaltet und durchwürzt, durchdrungen und -durchflutet werde mit den erworbenen Grundbestimmungen des Gemütes. Das -gotamidische Verfahren besteht vornehmlich darin, die von der Seele -hervorgebrachten und einstweilen durch Übung befestigten Zustände -gleichsam als stätige Gebilde den unstätigen Gebilden des Leibes zu -unterstellen, und zu diesem Ende weiß der Buddho sich der älteren -Praxis der Yoga trefflich zu bedienen. Insonderheit ist es die übrigens -auch im alten China geübte Praxis des regelentsprechenden Aus- und -Einatmens, die Hatha-Yoga, welche Gotamo für seine Makrobiotik, für -seinen Apathanatismos anzuwenden gesonnen ist. Die Aus- und Einatmung -nämlich wird ganz planmäßig mit Vorstellungen verknüpft, die sie -begleiten sollen, und diese Vorstellungen verschmelzen allmählich -derart mit den Atemvorgängen selber, daß<span class="pagenum"><a name="Seite_150" id="Seite_150">[S. 150]</a></span> sie gewissermaßen an deren -Stelle treten: die körperliche Tätigkeit, zuerst von einem Ablauf -von Bildern und Gedanken regelmäßig begleitet, wird bei geregelter -Führung von diesen Bildern und Gedanken bis zu einem gewissen Grad -geradezu verdrängt, der Vorgang in der Lunge wird umgesetzt in einen -Zustand des Gehirns, ja des Bewußtseins. Die Atmung wird etwas anderes -wie Atmung, die Körpertätigkeit setzt sich in etwas anderes um als -Körpertätigkeit, und zwar vollzieht sich diese ‚Selbstvergeistigung‘ -gradweis und stufenweis mit den erlangten Graden und Stufen der -erworbenen Gemütszuständlichkeit. In der Hundertundachtzehnten und -Hundertundneunzehnten Rede aus der Mittleren Sammlung Majjhimanikâyo -hat sich der Buddho ausführlicher, obzwar leider immer noch nicht -ausführlich, über diese Atemübungen vernehmen lassen, und insbesondere -in der letzten dieser Reden wird das Ziel dieser seltsamen Vornahme -ein wenig deutsam. Der Leib soll dazu bereitet, ja dazu abgerichtet -werden, an dem Erwerb der Seele teilzunehmen: der Leib soll lernen, -sich bis zu den tiefsten Versenkungen der Seele mit zu versenken und -sich in den reinsten Läuterungen der Seele mitzuläutern. Der Leib soll -nicht länger ein unbeeinflußtes und unbeeinflußbares Außerhalb der -Seele bleiben, sondern in jedem Muskel, in jeder Zelle den erreichten -Seelenstand selbst erreichen. Auf leibliche Weise soll sich der Leib -solange in Seele wandeln, als sich auf seelische Weise die Seele in -Seele wandelt. Die christliche Seele, ihr Christen, hält ihre höchste -Andacht beiseit vom Leib, als<span class="pagenum"><a name="Seite_151" id="Seite_151">[S. 151]</a></span> <i>forma separata</i> entrückt, entrafft, -entleiblicht, — aber die Seele Gotamos hält ihre höchste Andacht mit -dem Leib zusammen, den Leib völlig in Seele einbettend, umbettend. -Die christliche Seele, ihr Christen, ist unsterblich abseit des -sterblichen Leibes und überlässet den sterblichen Leib dem allgemeinen -Verhängnis der Sterblichkeit, — aber die Seele Gotamos gedenkt -unter keinen Umständen den Leib sich selber und seinem Verhängnis zu -überlassen, sondern ihn vielmehr mit ihrer eigenen Dauer zu begaben und -zu begnaden. Dem Fleisch der Früchte, dem Fleisch der Tiere, welches -wir erhaltsam und bewahrsam machen wollen, setzen wir etwa Zucker, -Salz, Säure, Weingeist, Hitze, Trockenheit zu. Dem Fleisch des Leibes, -vom Buddho Erhaltsamkeit und Bewahrsamkeit ernstlich zugedacht und -zugesprochen, setzt der Buddho gleichsam Seele zu, und so erwirbt es -durch diesen Zusatz beide Tugenden. „Und ferner noch, ihr Mönche: der -Mönch, gar fern von Begierden, fern von unheilsamen Dingen, verweilt in -sinnend gedenkender, ruhegeborener, säliger Heiterkeit, in der Weihe -der ersten Schauung. Diesen Körper durchdringt und durchtränkt, erfüllt -und sättigt er mit ruhegeborener säliger Heiterkeit, so daß nicht der -kleinste Teil seines Körpers von ruhegeborener säliger Heiterkeit -ungesättigt bleibt. Gleichwie etwa, ihr Mönche, ein gewandter Bader -oder Badergeselle auf ein Metallbecken Seifenpulver streut und mit -Wasser versetzt, verreibt und vermischt, sodaß sein Schaumball völlig -durchfeuchtigt, innen und außen mit Feuchtigkeit gesättigt ist und -nichts herabträufelt:<span class="pagenum"><a name="Seite_152" id="Seite_152">[S. 152]</a></span> ebenso nun auch, ihr Mönche, durchdringt und -durchtränkt, erfüllt und sättigt der Mönch diesen Körper da mit -ruhegeborener säliger Heiterkeit, so daß nicht der kleinste Teil seines -Körpers von ruhegeborener säliger Heiterkeit ungesättigt bleibt“...</p> - -<p>Dies also ist das überschwänglich übermenschliche Ziel des -gotamidischen Unsterblichkeitwillens, den Leib den Ordnungen des -Werdens, als welches die Ordnungen des Entstehens-Vergehens sind, -gewaltsam durch Anstrengung, Übung, Umgestaltung zu entreißen und -seiner völligen Durchseelung zuzuführen. Und mit viel Besonnenheit -entnimmt Gotamo die Mittel zu diesem erfahrung-jenseitigen Ziel dem -unausschöpflichen Vorrat an Selbsterfahrungen, den die Yoga, das ist -die überlieferte Kunst der unbedingten Leib- und Geistbeherrschung, -durch den Willen, in den Jahrtausenden aufgespeichert hat. Durch -strenge Anpassung erfahrungmäßiger Zucht- und Abrichtungmittel an den -schlechterdings überschwänglichen Zweck entsteht ein Langlebigkeit- -und Unsterblichkeitzauber von beispielloser Unentwegtheit und -Folgerichtigkeit, dem nur wenige unter den anderen maßgebenden -Religionen der Erde etwas Ähnliches an die Seite zu stellen haben -dürften. Durch eine mit planmäßiger Führung und Regelung des Ein- und -Ausatmens einzuleitende Entkörperlichung des Körpers beschwichtigt -der Buddho sein Leiden am Körper und überwindet es: durch eine mit -hoher diätischer Besonnenheit betriebene Umgestaltung des Leibes -durchbricht der Buddho die Ordnung der Leiblich<span class="pagenum"><a name="Seite_153" id="Seite_153">[S. 153]</a></span>keit und steigert -den Körper gewissermaßen zu einem Urstand der Seele, — oder -vielleicht zutreffender und richtiger noch: er steigert ihn zu einer -Eigenschaft der Seele, welche Dauer, Ständigkeit, Langlebigkeit, -ja geradezu Unsterblichkeit heißt. Wer diesen Tatbestand von -grundlegender Bedeutsamkeit begreift, der und nur der wird das -wunderliche Wort Gotamos wirklich zu würdigen vermögen, welches in der -Hundertundneunzehnten Rede aus der Mittleren Sammlung Majjhimanikâyo -die Einsicht in den Körper als den Inbegriff aller heilsamen Dinge -preist. Gleichwie einer, der das große Meer im Geiste gefaßt habe, -damit auch alle Ströme und Flüsse gefaßt hat, die sich ins Meer -ergießen, so hat sich die Summe alles heilfordernden Wissens zu eigen -gemacht, wer die Einsicht in den Körper erwarb. Als ein Umgestalteter, -jedenfalls aber als ein Umgestaltender, ist er dem Werden entronnen. -Ungeworden, vergeht er nicht, unvergänglich, dauert er. Wer die -Einsicht in den Körper pflegt, der wird nicht, sondern ist, und wer -ist, hat bereits im Jenseit dieser Werdewelt und Wandelwelt festen Fuß -gefaßt. ‚Spender der Unsterblichkeit‘ aber, das ist einer der Titel -des Erhabenen, die er sich durch diese Anweisung zur Umgestaltung des -Leibes in einem vielleicht buchstäblicheren Sinn verdient zu haben -scheint, als es unsere höchst lückenhafte, höchst unzulängliche, höchst -unzuständige Abendlands-Erfahrung auf den ersten Anblick wohl wahr -haben möchte...</p> - -<p>Verstehn wir Christen uns indes, ihr Christen, reichlich schlecht -auf diese wie auf alle sonstigen<span class="pagenum"><a name="Seite_154" id="Seite_154">[S. 154]</a></span> unsterblichen Dinge, so sind -wir dennoch mit derlei geheimnisvollen Vornahmen nicht völlig -unbekannt oder sollten es wenigstens nicht völlig sein. Auch dem -Heiland unserer westlichen Welthälfte ist ja die Umgestaltung bei -Lebzeiten widerfahren, von welcher das Evangelium nach Lukas in -seiner schmucklosen Art trocken berichtet: „Und während er betete, -ward die Gestalt (εἶδος) seines Angesichts eine andere und -sein Gewand ward weiß und blitzete“... Was hier mit Jesus geschah, -als er in der Gesellschaft des Petrus, Johannes, Jakobus den hohen -Hügel bestiegen hatte, umschreibt das Evangelium der Kirche ein klein -wenig völliger, wenn es wörtlich erzählt: „und er ward umgestaltet -(μετεμορφώτη), und es leuchtete sein Antlitz wie die Sonne -und seine Gewänder weißten sich wie das Licht“... Der Verfasser dieser -Heiligen Schrift der Christen gebraucht an dieser Stelle geradezu das -Wort Umgestaltung selbst, welches dann Luther in einer auffälligen -Ungenauigkeit mit ‚Verklärung‘ wiedergegeben hat. Was aber hier -sofort im Unterschied zum buddhistischen Kanon schwer ins Gewicht -fällt, ist weniger die Beiläufigkeit und Folgenlosigkeit des für den -Buddhismus so entscheidenden Vorgangs, als vielmehr die Tatsache, -daß die Umgestaltung des Evangeliums als eine Wirkung der Gnade oder -des göttlichen Eingriffs zu gelten hat, während die gotamidische -Umgestaltung das selbsttätig erworbene Gut der Freiheit erscheint. -Auch in dieser Bezugnahme bleibt der Buddho seinem Protestantismus -unentwegt treu, denn Gotamo der Protestant, Gotamo der Atheist<span class="pagenum"><a name="Seite_155" id="Seite_155">[S. 155]</a></span> weiß -nichts von Gnade, weiß nichts von Eingriffen Gottes, weiß nichts von -Gott selber, dessen Wolke ihn überschatten und dessen Stimme ihn -als den vielgeliebten Sohn verkünden könne. Wenn der Leib Gotamos -seiner Umgestaltung tatsächlich teilhaftig geworden ist, so wird die -Umgestaltung der unermüdlichen Arbeit, Zurichtung und Zucht des eigenen -Selbstes verdankt. Sie stellt sich nicht ein von ungefähr, sondern -ist der Ertrag eines unablässig diesem Ziele zugewandten Strebens. -Gleichsam um diesen Sachverhalt anzudeuten, widerfährt die sichtbare -Verklärung des Leibes dem Buddho (nach dem Dritten Bericht aus dem -Großen Verhöre zur Erlöschung Mahâparinibbânasuttam) erst wenige -Stunden vor dem Ende, am Tage vor der Nacht, da der Vollendete wirklich -voll-endet. In einer Szene von mehr wie kalidasischer Reinheit, -Helligkeit und Zartheit der Farbe weiß der Bericht zu erzählen, daß -der Mallerprinz Pukkuso dem sterbenden Heiligen einen doppeltgewebten -goldfarbenen Schleier habe darreichen lassen als kostbares Sterbekleid, -des kostbaren Sterbenden würdig. Vom Lieblingjünger Ânando dann mit -diesem schimmernden Schleier bekleidet, beginnt der Leib des sterbenden -Meisters, gleichsam im Feuer der eigenen Seele zu völliger Gediegenheit -geläutert, wie der Mond in der Nacht seiner Rundung zu leuchten und -zu gleißen, also daß der doppeltgewobene goldfarbene Schleier des -Mallerprinzen in fahler Glanzlosigkeit verbleicht. Nun ist der Leib -des Erhabenen endgültig und restlos umgestaltet, vollkommen dauer<span class="pagenum"><a name="Seite_156" id="Seite_156">[S. 156]</a></span>haft -geworden. Aber in dieser Stunde der ewigen Selbstvollendung besteht der -Vollendete nicht mehr auf seiner Dauer, — in dieser Stunde übergibt er -den verklärten und durchsättigten Leib eben jener Werdewelt, die er in -fünfzig Jahren ununterbrochener Selbstläuterung überwunden hat!...</p> - -<p>Vollkommen dauerhaft geworden, sag’ ich, bestünde in diesem Augenblick -der Herr Gotamo dennoch nicht auf seiner Dauer: vollkommener Spender -der Unsterblichkeit geworden, verschmähe der Herr Gotamo zuletzt -dennoch seine Unsterblichkeit. Dieses in der Tat sehr seltsamen, -sehr unverständlichen, ja widersinnigen Sachverhalts müssen wir -an dieser Stelle noch gedenken, wenn anders wir von dem Geheimnis -dieses geheimnisvollsten aller Menschen auch nur einen Zipfel zu -lüften hoffen dürfen. Das Leiden am Leibe aufzuheben, hat der Buddho -die Praxis der Hatha-Yoga samt allem, was an seelisch-körperlichen -Übungen (‚<i>exercitia</i>‘) mit ihr zusammenhängt, in den Dienst eines -unbeirrbaren Unsterblichkeitwillens gestellt. Und in der Fähigkeit, -den Leib mit seelischen Kräften wie mit den Wellen von einer annoch -unbekannten Ordnung zu durchstrahlen, dauerhaft zu machen und ihn -gleichsam aus der Bewegunglage in die Ruhelage hinüberzubetten (und -nicht nur hinüberzurechnen, wie die europäischen Mathematiker und -Physiker mit den materiellen Systemen des Kosmos tun!) — in dieser -Fähigkeit hat er mutmaßlich die Heilande und Heiligen aller anderen -Religionen der Erde weit hinter sich zurückgelassen. Er hat sie so<span class="pagenum"><a name="Seite_157" id="Seite_157">[S. 157]</a></span>weit -hinter sich zurückgelassen, daß von den Brosamen, so von dieses -Reichen Tische fallen, noch immer alle die Hündlein satt geworden -sind, die, von den Verkümmerungen, Verzerrungen, Fehldeutungen dieses -gotamidischen Gedankens zehrend, als Theo- und Anthroposophen heute -einem Krypto-Buddhismus Pseudo-Buddhismus in allen fünf Weltteilen -zumal frönen. Eine Nachprüfung, eine Nachtätigung, wieweit der -Körper durch solche Anstalten wirklich bis zu einem gewissen Grade -unsterblich zu machen wäre, ist freilich aus allbekannten Gründen -mindestens uns Europäern bis auf weiteres versagt. Haben wir keinen -Grund, die Möglichkeit dieser und ähnlicher Umgestaltungen schlankweg -zu verabreden, so sind wir im Hinblick auf unsere eigenen Erfahrungen -freilich dazu berechtigt, auch dieser Umgestaltung keine tatsächlich -unbegrenzte, sondern etwa nach Wirkunggrad und Reichweite immerhin -begrenzte Beeinflussung zuzuschreiben. Genug, daß der Buddho selber -zur Erlöschung eingegangen ist, trotzdem das Unsterblichkeit- und -Dauerziel eines der vornehmsten seiner Lehre und seines Wandels -gewesen ist. Der Herr eines der Werdewelt und ihren Gesetzmäßigkeiten -grundsätzlich entrückten Leibes geworden, macht der Buddho, wie ich -schon sagte, im entscheidenden Augenblick von dieser erworbenen -Ewigkeit dennoch keinen Gebrauch! Und wahrscheinlich ist es der -Bestürzung der Jüngerschar über dieses erschütternde Begebnis zu -danken, — in vielen Punkten der Bestürzung einer anderen Jüngerschar -nicht unähnlich, — daß der Dritte Bericht aus<span class="pagenum"><a name="Seite_158" id="Seite_158">[S. 158]</a></span> dem Großen Verhör -über die Erlöschung Mahâparinibbânasuttam in stark legendarischer -Fassung auf diesen ganz und gar unbegreiflichen Umstand zurückkommt -und gewissermaßen eine Erklärung <i>a parte post</i> zu geben bemüht ist, -warum der Erhabene seinen zur Dauer gehärteten Körper nun doch dem -Vergehen überantwortet. Es ist dies nach dem Wortlaut des Berichtes -einem Versäumnis des Ânando zur Last zu legen, der in den fraglichen -Tagen mit der persönlichen Aufwartung beim Erhabenen betraut war. Ihm -nämlich hat der Buddho dreimal die Bitte auf die Zunge gelegt, nicht -zur Erlöschung einzugehen, vielmehr fortab unter den Jüngern zu weilen -in dem Zustand der leiblichen Beharrung, zu dem er sich in einem halben -Jahrhundert unerhörter Läuterungen emporgeläutert hat. Dreimal legt -der Buddho diese Bitte seinem Lieblingjünger auf die Zunge und dreimal -verstehet Ânando seinen Meister nicht und schweigt. Also mißverstanden -und unverstanden vom teuersten Menschen bei unwiderbringlicher -Gelegenheit, beschließt der Erhabene, dem dreimal schon ausgesprochenen -Wunsche Mâro des Bösen zu willfahren und zur Erlöschung einzugehen. -Mit der Gebärde jener göttlichen Traurigkeit, welche auch noch die -schönsten Siege des Menschen über sich, über die ‚Welt‘ umflort, gibt -der Erwachte die lebenslang erkämpfte Dauer seines Leibes preis. Auch -der Mensch, der ihm längst der werteste und nächste war, hat sich das -Geschenk stätiger Gegenwart des Erhabenen nicht erbeten. Auch der -innigste Freund, der ‚sieben<span class="pagenum"><a name="Seite_159" id="Seite_159">[S. 159]</a></span>schrittige‘, war ihm in der rechten Stunde -innerlich unendlich fern und hat das Wort des Herzens nicht gefunden: -Μεῖνον μεθ’ἡμῶν, Bleib’ bei uns! ὅτι πρὸς ἑσπέραν ἐστιν, -denn es naht gen Abend! Hier bricht ein tödlicher Schmerz -durch, mit keinem Laut preisgegeben und trotzdem zermalmend fühlbar, -ein Schmerz über alle Schmerzen an der Vergänglichkeit, Hinfälligkeit, -Wesenlosigkeit des Leibes. Hier bricht ein Schmerz durch, ein nie -besieglicher, über die untilgbare Menscheneinsamkeit der Seele, ein -Schmerz, den auch der großgeistige Buddho nicht mehr zu verwinden weiß, -— nun war es Zeit sogar für ihn, den Großgeistigen, zu gehen... „Wer -auch immer, Ânando, die vier Machtgebiete geübt, gepflegt, ausgeführt, -ausgebildet, angewendet, durchgeprüft, durchaus entrichtet hat, der -könnte, Ânando, wenn ihn darnach verlangte, ein Weltalter hindurch -bestehen, oder bis zu Ende des Weltalters. Der Vollendete hat, Ânando, -die vier Machtgebiete geübt, gepflegt, ausgeführt, ausgebildet, -angewendet, durchgeprüft, durchaus entrichtet; bei Verlangen darnach, -Ânando, könnte der Vollendete ein Weltalter durch bestehen oder bis zu -Ende des Weltalters. Ob dir gleich also, Ânando, vom Vollendeten ein -wichtiger Wink, ein wichtiger Hinweis gegeben war, hast du es nicht -zu merken vermocht, hast nicht den Vollendeten gebeten: ‚Bestehn möge -der Erhabene das Weltalter durch, bestehn möge der Willkommene das -Weltalter durch, vielen zum Wohle, vielen zum Heile, aus Erbarmen zur -Welt, zum Nutzen, Wohle und Heile für Götter<span class="pagenum"><a name="Seite_160" id="Seite_160">[S. 160]</a></span> und Menschen.‘ Hättest -du, Ânando, den Vollendeten gebeten, so hätte wohl zweimal deine Worte -der Vollendete abgewiesen, aber das dritte Mal ihnen entsprochen. Darum -aber, Ânando, hast du eben hier es versehen, hast du eben hier es -versäumt...“ Ein Weltalter hindurch hätte also der Erhabene nach seinem -eigenen Bedünken bestehen können bei Verlangen darnach. Ein Verlangen -darnach hat aber niemand von den Jüngern im rechten Augenblick zum -rechten Ausdruck gebracht, und so verlangt den Erhabenen selber nicht -länger darnach. Und so entläßt denn der Erhabene (nicht ohne einen -unendlich sanften Tadel Ânandos) den lebenslang gehegten Dauergedanken, -entläßt den lebenslang gestärkten Unsterblichkeitwillen, entläßt den -lebenslang gepflegten Wunsch nach weltzeitwährender Trostgegenwart... -Wer hat da von euch, ihr Christen, noch eine Frage auf dem Herzen?...</p> - -<div class="section"> - -<p class="initial">Wir westlichen Menschen, ihr Christen, haben öfters wohl als billig -dies gotamidische Leiden am Leibe für das Merkmal genommen einer -übermüdeten Gesellschaft und ihrer übermüdeten Gesittung. Pochend -auf die eigene und vermeintliche Jugendlichkeit haben wir oftmals -zu uns selber gesprochen: Greisenhaft ist dieses gotamidische -Leiden an der Leiblichkeit; welk, absterbend und untergangsüchtig -ist das gotamidische Leiden am Leibe. Und noch der Prophet unseres -eigenen Untergangs, — ein falscher Prophet übrigens<span class="pagenum"><a name="Seite_161" id="Seite_161">[S. 161]</a></span> sogar dort, -wo er recht hat! — hält es für angemessen, jede Vergleichung -etwa unseres westlichen Heilands mit dem Heiland des Ostens als -‚unwissenschaftlich‘ zu verbieten, weil beide Heilande in der Reihe -der geschichtlichen Lebensalter an verschiedenen Stellen der Zeit -stünden: der eine am Eingang, der andere am Ausgang hingegen einer -geschichtlichen Periodos. Und dieses der geschichtlichen Wahrheit zum -Trotz, daß just der Auftritt Gotamos für Indien gewissermaßen das -Zeichen war, im nächstfolgenden Jahrtausend die große Architektur, -die große Skulptur, das große Drama, das große Imperium zu schaffen -in allerengster Berührung mit dem Geist des Asketen aus Magadhâ... -Davon jedoch abgesehen, wage ich darüber hinaus die entschiedene -Behauptung, daß eben jenes Leiden am Schicksal der Leiblichkeit das -untrügliche Kennzeichen einer menschheitlichen Jugend, und nicht -eines menschheitlichen Greisentums sei. Nur eine verhältnismäßig noch -jugendliche Menschheit nämlich ist eindrucksfähig genug, um vor der -Tatsache Alter, Krankheit, Tod so jäh erschreckt zu werden wie Gotamo -von ihr erschreckt ward. Nur eine noch jugendliche Menschheit erliegt -den Eindrücken des Lebens in diesem Maß und ersiegt sich ein zweites -Leben über diese Eindrücke hinaus. Wer wirklich alt ist, dem hat das -Alter jedwede Schrecknis längst verloren. Wer wirklich krank ist, den -ängstigt hinfort keine Möglichkeit, krank zu werden. Und wer vollends -schon sterbend ist, wie sollte er sich noch des Todes fürchten? Die -Legende von der Ausfahrt<span class="pagenum"><a name="Seite_162" id="Seite_162">[S. 162]</a></span> Vipassîs erzählt von einem Jüngling, der -ausfuhr, und es scheint, daß hiermit in mehr wie einem Sinn die Legende -die Wahrheit berichtet habe, denn jedenfalls war der Buddho selbst von -der Unbeeindruckbarkeit des Greisenalters so stark durchdrungen, daß -er von jedem Belehrungversuch, Überredungversuch, Bekehrungversuch an -Alten durchaus abriet und seinen Jüngern wiederholt einschärfte, sich -bei ihrem Heilswerk an die Jugend zu halten: ganz einhellig übrigens -mit dem griechischen Sprichwort, wonach einen Greis belehren wollen -nichts anderes heißt als einem Toten eine Arzenei einflößen. Es ist -dies eine Erwägung von großer Schlichtheit, aber eben darum jedem -sich nahelegend, der ein Urteil über der Völker Jugend oder Alter -zuverlässig abzugeben sich getraut...</p> - -</div> - -<p>Beim Buddho persönlich entspringt also das Leiden an der Leiblichkeit -einem ungemein heftig erfühlten Bewußtsein der Ewigkeit des Selbstes: -wie ungereimt dies auch anzuhören sei nach der weiter oben schon -festgestellten stracks gegensinnigen Tatsache, wonach eben der -Gedanke des Selbstes, der brahmanisch-vedische Gedanke, von Gotamos -Protestantismus und protestantischer Kritik ausdrücklich zersetzt -worden ist. Und zwar zersetzt durch das neue religiöse Erlebnis des -‚<i>N’etam mama</i>, das gehört Mir nicht, das bin Ich nicht, das ist -nicht mein Selbst‘. Diese Formel bricht gleichsam den Stab über den -brahmanisch-vedischen Âtman, wofern eine Erlebnis-Gegebenheit, die -Mir gehört, die Ich bin, die mein Selbst ist, nirgends aufgewiesen -werden kann. Aber gleichzeitig<span class="pagenum"><a name="Seite_163" id="Seite_163">[S. 163]</a></span> bricht sie den Stab über den Âtman -nur darum, weil alle Erlebnis-Gegebenheiten nur vergänglich, nur -wehe, nur wandelbar erscheinen. Dieses Vergängliche, dieses Wehe, -dieses Wandelbare gehört Mir nicht, — aber wer ist so schwerfällig -und schwerhörig, daß er in dieser Verneinung die heimliche Bejahung -völlig überhört, die da lautet: das Unvergängliche, das Leidbefreite, -das Unwandelbare gehört Mir; das Unvergängliche, das Leidbefreite, -das Unwandelbare bin Ich; das Unvergängliche, das Leidbefreite, -das Unwandelbare ist mein Selbst!... Was irgendwie Dauer hat und -Beharrung zeigt und nicht Wehe ist, das gehört Mir, selbst wenn es -im Umkreis der Wahrnehmbarkeiten nirgends auszumitteln ist. Sehr -wahrscheinlich, ja so gut wie sicher gibt es gar nichts Vorhandenes -und Wirkliches und Daseiendes im Sinn dieser Wunschforderung, folglich -gibt es auch nichts Vorhandenes und Wirkliches und Daseiendes, das Mir -gehörte oder das Ich wäre. Aber was beweist diese Tatsache gegen die -Wunschforderung als solche? Gotamo heischt Dauer, und weil er Dauer -nirgends verwirklicht findet, leidet er an der Wirklichkeit. Mit einer -ungeheuern Strenge und Unbeugsamkeit zerstört er den Sinnenschein der -Dauer überall, wo sie nichts anderes für sich anzuführen hat als eben -bloß den — Sinnenschein. Aber die Dauer an und für sich, sie bleibt -nichtsdestoweniger das unantastbare Ziel seines gesamten religiösen -Verhaltens, — das umso ausschließlichere Ziel, destoweniger es -durch Erfahrungen bekräftigt wird. Die Dauer ist ihm der große und<span class="pagenum"><a name="Seite_164" id="Seite_164">[S. 164]</a></span> -grundsätzliche Wert, der ‚Wert ersten Ranges‘, wie einhellig mit -ihm Macchiavelli und Nietzsche sagt. Die Dauer ist ihm der Wert der -Werte oder der Wert schlechthin, schon weil sie allem Lauf der Dinge -so unbedingt zuwiderläuft, ja weil sie der Zeit und ihrem Werdestrom -selbst zuwiderläuft. Die Dauer, wenn überhaupt Dauer ist, ist im -tiefsten Sinn zu erkämpfen, zu erstreiten, zu ersiegen im Widerstreit -mit der gesamten Welt- und Lebensordnung, und schon darum ist sie -wie kein zweiter Wert weltüberwindend, wirklichkeitüberflügelnd. In -einem mehr wie nur homerischen Wortverstand ist die Dauer ‚wider -das Geschick‘, — sie ist nämlich wider das Urgesetz der Schöpfung -selber, welches der unübertreffliche metaphysische Spürsinn Indiens in -der herrlichen Sâvitrî-Episode des Mahâbhâratam mythologisch in die -Tatsache des Todes selber zu verflechten wußte: ich beziehe mich auf -das berühmte Zwiegespräch jener indischen Alkestis Sâvitrî mit dem -Todesgott Yama, wo sie mit einer unfehlbaren Einsicht in den wahren -Sachverhalt den Tod als das Urgesetz und das Urgesetz als den Tod -preist. Dharma wird hier als höchstes Gut, als höchster Wert verehrt, -aber Dharma ist Yama, und weil dem so ist, trachtet der Buddho am -ersten nach der Dauer als der Welt- und Todesordnung Jenseit: „Wie -wenn ich nun mit weitem, tiefem Gemüte verweilte und hätte die Welt -überwunden, über ihr stehend im Geiste?“... Über ihr stehend im -Geiste, das aber hieße über ihr stehend in der Dauer, und von dieser -Wunschforderung der Menschenseele lässet<span class="pagenum"><a name="Seite_165" id="Seite_165">[S. 165]</a></span> auch dann Gotamo nicht ab, -wenn sie von keiner Gegebenheit der Sinne oder des Sinns befriedigt, -gestillt, erfüllt wird. Die Dauer ist das <i>Plus Ultra</i>, welches die -Menschenseele über jede Wirklichkeit hinauswirft wie einen Ball, der -dem Begriff der gleichförmigen Bewegung zufolge in die Unendlichkeit -rollt und rollt. Dauer ist Seltenheitwert, Dauer ist Ausnahmewert, -Dauer ist Unmöglichkeitwert, das ist Gotamos Meinung, um derentwillen -er darnach trachtet und trachten muß, diesen verweslichen Leib in -einen unverweslichen umzugestalten. Wer aber hier allzu flink bei -der Hand ist, von Völker-Jugend oder von Völker-Greisentum zu reden, -der greife zunächst einmal in sein eigen Herz und dann ins Herz -aller Vergangenheiten, aller Vergänglichkeiten, ob nicht gerade -dies Wunschverlangen nach Dauer, nach Ewigkeit, nach Stätigkeit der -ewige Apathanatismos sei, auf welchen jede Menschheit von einigem -Menschheitwert in allen ihren Wert- und Werkverwirklichungen bewußt -oder unbewußt hingezielt habe, jegliche Menschheit in summa von der -Gestalt jenes babylonischen Gilgamesch am würdigsten versinnbildlicht, -der da einst auszog, glücklicher Finder und vielleicht Erfinder seiner -Unsterblichkeit zu werden... Gotamos Urerleben heißt also Leiden; sein -Leiden aber heißt Alter, Krankheit, Tod: das Schicksal der Leiblichkeit -schlechthin. Das Schicksal der Leiblichkeit indes, das ist das Gesetz -der Gattung, und so ist Gotamos Leiden an der Leiblichkeit das Leiden -der Gattung, welches er sozusagen als Stellvertreter der Gattung<span class="pagenum"><a name="Seite_166" id="Seite_166">[S. 166]</a></span> -mit besonderer Heftigkeit und Gewalt an sich erfährt: das ward mit -ziemlichem Nachdruck oben schon verkündet. Das Leiden aller, von einem -Einzelnen und Einzigen mit ausnahmweiser Wucht als die Bestimmung -aller erfühlt, ist mithin zwar einenteils das Leiden der Gattung -selber, welches jedes Glied der Gattung kosten muß, — ist andernteils -aber auch das Leiden an der Gattung, als welche den drei Kernübeln -des Alterns, Siechens, Sterbens ohne Rettung verfallen ist. Gotamo -leidet wie kein zweiter die Not des Menschen. Aber eben darum leidet -er auch wie kein zweiter am Menschen selber, der hoffnunglos dieser -Not verhaftet ist. Nur leidet er am Menschen nicht, wie Jesus oder -Zarathustra am Menschen gelitten haben, — bis zum Überdruß, bis zum -Ekel, bis zur Verzweiflung gelitten haben an des Menschen Trägheit, -Feigheit, Grausamkeit, Käuflichkeit, Treulosigkeit, Seelenlosigkeit... -Diese herkömmlichen Menschenschändlichkeiten scheinen den Buddho sogar -weniger berührt zu haben als sonst die Mehrzahl der geschichtlichen -Heiligen und Helden, denn etwa mit Ausnahme jener sanften Traurigkeit -über das Stillschweigen Ânandos kurz vor der Erlöschung stoßen wir -kaum auf Spuren, geschweige denn auf Narben jenes Leidens, welches die -tödlichste Heimsuchung des höheren Menschen zu sein pflegt. Gewiß! -Dieser Großgeistige wird in der Kenntnis der Menschen, wie sie sind, so -wenig übertroffen als in der Kenntnis des Menschen, wie er ist. Aber -nirgends schmerzt ihn das Menschliche, weil es etwa böse oder schlecht -oder weil es gar teuflisch wäre; nirgends leidet er</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_167" id="Seite_167">[S. 167]</a></span></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">„Daran, daß der Mensch unmenschlich</div> - <div class="verse">Ist und bleibt und nur der Gott</div> - <div class="verse">Sich als Mensch kann offenbaren,</div> - <div class="verse">Aber keinem von den Menschen...“</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="p0">Nein, der Erhabene leidet, weil diese Gattung Mensch, in die Werdewelt -hineingeflochten, an der Dauerwelt keinen Anteil hat. Des Buddho -Schmerz an der Gattung ist im Kosmos gegründet und in dessen Nomos, -dessen Dharma. Es wäre nur die Hälfte wohl der Wahrheit, zu sagen, daß -Gotamo an der Gattung allein gelitten habe: aber wofern er wirklich an -der Gattung litt, da litt er an ihrem kosmischen und nicht an ihrem -ethischen Zustand. Und hier bedarf die bisherige Darlegung allerdings -einer Erweiterung und Vervollständigung von höchster Wichtigkeit. -Denn um es mit Einem Wort zu sagen: das Leiden der Gattung und an der -Gattung umspannt zwar das eigentliche Urerleben Gotamos, wie es die -Legende von Vipassîs Ausfahrt ein für allemal versinnbildlicht, — aber -dieses Urerleben füllt unter keinen Umständen den vollen Kreis des -Leidens selber aus, wie es im Kosmos durchaus verwurzelt erscheint, um -dann im Ethos freilich seine bittere Frucht zu tragen. Vergänglichkeit, -Hinfälligkeit, Wesenlosigkeit sind also wohl die Leiden des Geschöpfes, -durch die es seine Gebundenheit an die Schöpfung, seine Bedingtheit -in der Schöpfung unzweideutig zu erkennen gibt. Wohl erleidet jeder -Einzelne zu seinem Teil das Urverhängnis der ganzen Art, ja der ganzen -Wandel- und Werdewelt, und ein Einzelner vollends von der Würde<span class="pagenum"><a name="Seite_168" id="Seite_168">[S. 168]</a></span> des -Buddho erleidet weit über seinen persönlichen Anteil hinaus kraft -seiner Eigenschaft als ‚Engel‘ das Urerleben aller, als ob er selber -in eigener Gestalt ‚alle‘ wäre! Aber daneben, man wolle es bemerken, -sind jedem Einzelnen die ganz besonderen Leiden seiner Einzelnheit -und Einmaligkeit einmalig auferlegt. Sie sind ihm auferlegt, und -auch dies wolle man bemerken, nach altindischem Dafürhalten als die -unabwendbare Wirkung und Folge aller Taten, die einer getan oder -unterlassen hat zu Zeiten früherer Verkörperlichungen. Gotamo hätte -kein rechter Inder sein müssen und noch weniger jener Herzenskündiger, -der da „der anderen Wesen, der anderen Personen Herz im Herzen schaut -und erkennt: das begehrliche Herz als begehrlich und das begehrlose -Herz als begehrlos, das gehässige Herz als gehässig und das haßlose -Herz als haßlos, das irrende Herz als irrend und das irrlose Herz -als irrlos, das gesammelte Herz als gesammelt und das zerstreute -Herz als zerstreut, das hochstrebende Herz als hochstrebend und das -niedrig gesinnte Herz als niedrig gesinnt, das edle Herz als edel -und das gemeine Herz als gemein, das beruhigte Herz als beruhigt und -das ruhelose Herz als ruhelos, das erlöste Herz als erlöst und das -gefesselte Herz als gefesselt“; — Gotamo, sage ich, hätte nicht jener -unvergleichliche Herzenskündiger sein müssen, begabt mit dem -‚χάρισμα διακρίσεως πνευμάτων‘, wenn er an diesem Leiden von höchster -persönlicher Bedeutsamkeit gleichmütig vorbeigegangen wäre. Möchte -Gotamo der Erlebende immerhin an sich<span class="pagenum"><a name="Seite_169" id="Seite_169">[S. 169]</a></span> selber das Leiden als ein -kosmisches Vorkommnis, als ein kosmisches Gesetz kosmisch erlebt und -als eben solches kosmisch überwunden haben: unmöglich, ganz unmöglich -konnte er sich gegen jenes anders geartete Leiden abstumpfen und -verblenden, welches jeder Einzelne in einem wahrhaft abgründlichen -Sinn und Hintersinn über sich selber verhängt. Über sich selber -verhängt in seiner unumgänglichen Eigenschaft, in jeder zeitlichen -Verkörperlichung als Täter seiner Taten, als Erbe seiner Werke das -erleiden zu müssen, was er in früherer Verkörperlichung getätigt hatte. -Um es mit Einem Wort auszusprechen, so hat ja auch dieser Gotamo die -Lehre vom Karman angetreten, und das will heißen, die Lehre vom Leiden -in seiner persönlichsten, verantwortlichsten, einmaligsten Form, -dessen Maß, Beschaffenheit und Art bei jedem Einzelnen aufs genaueste -vorherbestimmt erscheint durch Maß, Beschaffenheit und Art seiner -vormaligen Taten. Hier hatte seinen härtesten Sieg zu erstreiten, -wer des Leidens Sieger zu sein trachtete. Dieses Leiden hieß Schuld -und Buße, Vergeltung und Sühne, Gericht und Strafe; dieses Leiden -hieß Werk und Tat, Wirkung und Verursachung, Selbsturheberschaft und -Selbstbestimmung. Wie nun ist dieses Leiden, welches aufs innigste -mit dem Grundgesetz des Lebens, und diesmal zwar mit dem sittlichen -Grundgesetz des Lebens zusammenhängt, wie ist es abzustellen oder -zu verwinden, ohne dabei das sittliche Grundgesetz des Lebens zu -gefährden? Die kosmische Ordnung der Welt konnte gewissermaßen -außer Kraft gesetzt werden<span class="pagenum"><a name="Seite_170" id="Seite_170">[S. 170]</a></span> durch die Umgestaltung vergänglicher -Leiblichkeiten in die Dauer: gut! Wie aber kann die ethische Ordnung -der Welt durchbrochen werden, ohne daß das Ethos selber aufgehoben -erscheint?</p> - -<p>Vergegenwärtigen wir uns inzwischen, ihr Christen, diese so seltsam -fremde und dennoch seltsam anheimelnde Lehre vom Karman, das ist -die Lehre vom ‚Werk‘, etwas mehr von der Nähe, und suchen wir -völlig zu begreifen, in welchem Grade eben die Absicht Gotamos auf -Leidensabstellung, Leidensauflösung, Leidensverwindung notgedrungen -durch diese Lehre aufs äußerste verschwierigt werden mußte. Gemäß dem -kosmischen Grundgesetz des Leidens von vorhin ist jedes Einzelwesen -ohne Dauer und somit dem Leiden an der Dauerlosigkeit verfallen. -Besteht jedoch ein Verfahren, welches Dauer irgendwie zu ermöglichen, -ja zu verwirklichen verspricht, dann ist dieses Leiden an der -Dauerlosigkeit getilgt und in kosmischem Betracht ein Zustand der -Leidlosigkeit erreicht und errungen. Gemäß dem ethischen Grundgesetz -des Leidens ist aber daneben und außerdem jedes Einzelwesen in jedem -einzelnen Fall durchgängig das, was zu sein es sich in früherer -Verlebendigung höchsteigentätig und höchsteigenwillig selbst erschuf. -Ein gewisses Etwas nämlich reicht von der früheren Verlebendigung und -ihren Werken, ihren Taten bis zur jetzigen Verlebendigung herüber: -und dieses Etwas bestimmt das Sein der jetzigen Verlebendigung in -jedem Zug, in jeder Falte. Was diesen sogenannten Leib betrifft, so -steht ja unumstößlich fest, daß er<span class="pagenum"><a name="Seite_171" id="Seite_171">[S. 171]</a></span> nicht dauert und seine Lebenszeit -nicht übersteigt. Und was die sogenannte Seele betrifft, so steht es -zwar nicht unumstößlich fest, ob sie dauert oder ob sie nicht dauert, -weil der Streit der Schulen ja darüber noch nicht entschieden ist und -auf irdische Sicht hin schwerlich so bald entschieden werden wird; -— immerhin dauert aber wenigstens nach altindischer Auffassung auch -diese Seele eigentlich nicht oder fast nicht. Denn wo die Seele der -alljährlich darzubringenden Totenopfer, Totenspenden der Söhne und -Sohnessöhne entbehren muß, da entartet sie, da verelendet sie, da -schrumpft sie gleichsam ein zu einem bloßen Wander- und Irrgespenst -(<i>piçâca</i>), dessen wunderlicher Zwischenstand zwischen Sein und -Nichtsein jede Wiederverleiblichung ausschließt, die sozusagen -an der Reihe wäre, und derart die Seele um die ihr eigentümliche -Auswirkungmöglichkeit, Auswirkungnotwendigkeit verhängnisvoll -bringt. Was hingegen der dauerlose Leib und die grundsätzlich -kaum dauernde Seele in der Zeit ihrer irdischen Gemeinschaft in -gemeinsamer Urheberschaft wollen und vollbringen: das dauert, das -beharrt, das stirbt nicht, das überlebt und übersteht. In der -Brihadâranyaka-Upanischad, die allerdings nach der Annahme ihres -deutschen Übersetzers schon den buddhistischen Einfluß widerspiegelt, -legt der Frager Ârtabhâga dem alleswissenden Brâhmanen Yâjñavalkya -die Frage vor: „‚Wenn nach dem Tode dieses Menschen seine Rede in das -Feuer eingeht, sein Odem in den Wind, sein Ohr in die Pole, sein Leib -in die Erde, sein Âtman<span class="pagenum"><a name="Seite_172" id="Seite_172">[S. 172]</a></span> in den Akâra (Weltraum), seine Leibhaare in -die Kräuter, seine Haupthaare in die Bäume, sein Blut und Samen in das -Wasser, — wo bleibt dann der Mensch?‘ Da sprach Yâjñavalkya: ‚Faß -mich, Ârtabhâga, mein Teurer, an der Hand; darüber müssen wir beide -uns allein verständigen, nicht hier in der Versammlung.‘ — Da gingen -die beiden hinaus und beredeten sich; und was sie sprachen, das war -Werk, und was sie priesen, das war Werk. Fürwahr! Gut wird einer durch -gutes Werk, böse durch böses...“ Das Werk des Menschen also, sein -Werk, will heißen seine Tat und seine Handlung, sie reicht über das -Dasein der einzelnen Verkörperlichungstufe unendlich hinaus, nicht -anders ungefähr, wie nach der Ansicht der dynamischen Naturphilosophie -des Westens die Wirkung einer Krafteinheit unendlich hinausreicht -über den raumlosen Punkt, in welchem sie ihren Sitz und damit ihr -eigentliches Dasein hat. Mit dem nicht unerheblichen Unterschied -freilich, daß diese Wirkung in die Unendlichkeit bei der natürlichen -Krafteinheit nach allen Lagen und Richtungen des Raumes sich -zerstreut und in der Zerstreuung sich verliert, indes die unendliche -Wirkung beim Karman auf geheimnisvolle und nicht zu enträtselnde -Weise gesammelt und aufgestaut wird, bis sie sich in einer neuen -Persönlichkeit gleichsam wiederverstofflicht und wiederverlebendigt -hat. Diese neue Persönlichkeit ist dann, wie sich von selbst -versteht, mit Leib und Seele die Erschaffenheit der Wirkungweisen, -die von der vorigen Persönlichkeit als Taten oder Werke ins All -hinaus<span class="pagenum"><a name="Seite_173" id="Seite_173">[S. 173]</a></span>gestrahlt, hinausgestreut, hinausgeschleudert wurden. Wie die -auseinanderlaufenden Strahlen einer Linse wohl vom Brennpunkt einer -zweiten Linse wieder aufgefangen und vereinigt werden können, so werden -die Werk-Ausgießungen eines beliebigen Wesens von einem zweiten Wesen -wiederum aufgefangen und vereinigt, — abermals mit dem Unterschied -freilich, daß es nach der Lehre vom Karman die Werk-Ausgießungen -selber sind, die sich zu der neuen Verstofflichung zusammenfinden -und verfestigen. Das Werk wirkt also in seiner Eigenschaft, Sämling -oder Keimling oder Schwängerling zu sein, in alle Zukunft fort und -fort im All: es pflanzt sich selbst als Schößling des Wirkenden in -irgend eine unbekannte Äther-Erde ein. Urzeugend bildet hier das Werk -das ihm im innersten entsprechende Wesen hervor; ungeschlechtlich, -übergeschlechtlich setzt sich das Wesen fort im Werk. Werk aber und -Wesen, Wesen und Werk schließen sich als die Glieder der ewigen Kette -‚Zeit‘ in stätigem Wechsel stätig zusammen...</p> - -<p>Dem sei im übrigen, wie ihm sei. Auf jeden Fall macht Indien durch -diese Lehre, die ihren Grundzügen nach vielleicht doch schon -vorgotamidisch gewesen ist, bitteren Ernst mit dem Gedanken des ‚<i>esse -sequitur operari</i>, Sein erfolgt aus Wirken‘, — mit einem Gedanken -folglich, der zwar auch unserem alten Europa nicht fremd geblieben ist, -aber mit welchem dieses nur hin und wieder etwas zu liebäugeln gewagt -hat: im ganzen und großen immer wieder von dem thomistischen ‚<i>operari -sequitur esse</i>, Wirken erfolgt aus<span class="pagenum"><a name="Seite_174" id="Seite_174">[S. 174]</a></span> Sein‘ in den Bann gezogen. Gerade -weil der Aquinat mit diesem Grundsatz ohne weiteres recht hat und den -Nagel auf den Kopf trifft, gerade darum muß auch die Umkehrung im Recht -sein und den Nagel auf den Kopf treffen. Wirken erfolgt aus Sein, das -lehrt die platteste Erfahrung stündlich. Aber nicht minder, wenn auch -sicherlich mit minderer Sinnfälligkeit, erfolgt Sein aus Wirken: aus -dieser meiner Tat wächst das ihr gemäße Sein wie umgekehrt die Tat aus -ihr gemäßem Sein erwachsen ist. Die heutige Tat von mir erschafft mich -selber als morgige Person; meine Tat von heute, mir heute noch selber -fremd, unheimlich, unzugehörig und gleichsam in einem dunkeln Ungefähr -von einem namenlosen Es getätigt, — sie schafft sich zuverlässig -morgen ihren Täter, in mir selber zu mir selber sprechend: das bist -du... Das Werk der Tat, noch heute von mir selbst als meines Selbstes -blindes Jenseit geleugnet und nur wie ein Erdblitz aus irgendeiner -Falte, irgendeinem Spalt meiner Selbstheit tödlich zuckend, — dies -Werk meiner Tat wirbt bald um seinen Täter unablässig, bis sich mein -Selbst als Täter morgen ihm vermählt. Wenn aber ein tragischer Dichter -Europas sich zu dem immerhin bemerkenswerten Ausspruch hat bestimmen -lassen, daß böse Tat fortzeugend stets Böses müsse gebären, so würde -ein indischer Denker dies vielleicht sinngemäß dahin abzuändern -wünschen: daß böse Tat fortzeugend stets Böse müsse gebären, wie gute -Tat eben so fortzeugend Gute. Denn die Tat tätigt nicht allein die Tat, -sondern tätigt je und je den Täter,<span class="pagenum"><a name="Seite_175" id="Seite_175">[S. 175]</a></span> wie dies der nicht ganz echte, -aber doch um Echtheit eifrig bemühte Gotamide Schopenhauer wenigstens -dem Willen an und für sich (ob auch leider nicht der Tat an und für -sich) buchstäblich zuerkannte: du bist, wer du willst, <i>esse sequitur -velle</i>, aber du tust, wer du bist, <i>operari sequitur esse</i>. Für den -Inder jedoch ist es nicht der Wille, nicht eine geistig-seelische -Wesenheit, nicht ein geistig-sinnlicher Eigenschaftträger, der das -Dasein und Sosein der Person bestimmt, sondern die Tathandlung als -solche, wie sie sich schlechterdings überhalb und außerhalb jeder -physisch-metaphysischen Trägerschaft oder Täterschaft auswirkt. Es -ist das Werk, das sich das Wesen baut, und zwar jegliches Werk das -ihm gemäße Wesen. Es ist das Werk, das gleichsam erst in seinem ihm -gemäßen Wesen ausruht, ungefähr wie eines jener emsig quabbelnden -Einzellentierchen des Männersamens erst im Kern des weiblichen Eies -ausruht. Das Werk rastet nicht und beharrt in dauernder Bewegung, -bis es das Wesen, so ihm zugehört, mit aller Sorgfalt ausgeformt und -ausgebosselt hat. Das Werk währt ewig und ewig wirkt es sich Strafe, -Sühne, Vergeltung im erschaffenen Wesen, je nach seinem eigenen Wert; -und ewig wirkt es sich Lohn, Förderung, Verdienst im erschaffenen -Wesen, je nach seinem eigenen Wert. Und fast schon könnte ein -weiterdenkender Abendländer sagen: der Wert währt ewig und ewig erwirkt -er sich Strafe, Sühne, Vergeltung im erschaffenen Wesen, ewig Lohn, -Förderung, Verdienst im erschaffenen Wesen... Hier aber, wie sonstwo -nirgends, sage ich,<span class="pagenum"><a name="Seite_176" id="Seite_176">[S. 176]</a></span> tötet der Buchstabe und macht der Geist lebendig. -Der Buchstabe der Lehre vom Karman tötet vielleicht wie kein zweiter -Buchstabe den Geist selber, — den Geist selber aber hat Gotamo ein -für allemal selber ehern in das Wort gehämmert: „Eigner der Werke sind -die Wesen, Erben der Werke, Kinder der Werke, Geschöpfe der Werke, -Knechte der Werke“. Das ist gotamidisch gefaßt das ethische, nicht mehr -kosmische Grundgesetz und Urgesetz der Welt, das ist das Ethos selber -als Grundgesetz und Urgesetz der Welt. Werk wirkt Wesen, Tat tätigt -Täter: das ist in drei Worten aufgefangen, aufgegangen die Lehre vom -Karman, wie sie Gotamo vielleicht angetreten und anerkannt, sicherlich -aber vertieft und gegründet, abgerundet und zum Glaubenssatz erhoben -hat...</p> - -<p>Werk wirkt Wesen, Tat tätigt Täter, also lautet die erste und -unverlierbare Überzeugung. Aber schon schließt diese eine zweite ein, -die hier nur mehr besonders erwähnt, nicht mehr besonders abgeleitet -und entwickelt zu werden braucht: Werk nämlich wirkt Leiden, und Tat -tätigt Leiden! Denn Wesen und Täter als Erschaffenheit von Werk und -Tat, das sind eben Leidende und Erleidende von Werk und Tat; — Zug -um Zug, Falte um Falte ihres Daseins, wie ich schon sagte, bedingt -und bestimmt durch Karman, verhalten Täter und Wesen in bezug auf -Tat und Werk sich leidend. Sie verhalten sich leidend, ihr Christen, -in der allgemeineren Sprachbedeutung dieses Wortes, ohne Beziehung -zunächst auf die Unlust des Gefühls, die wir in engerer Wortbedeutung -Leiden<span class="pagenum"><a name="Seite_177" id="Seite_177">[S. 177]</a></span> nennen. Leidende sind vielmehr Wesen und Täter, wofern ihr -Sein der Tat verdankt wird, durch Tat ihnen angetan wird, ohne daß -sie selbst an dieser Tat beteiligt sind, — Leidende mithin im -Wortsinn des Getätigt-Seins und Angetan-Werdens, des Bedingt-Seins und -Bestimmt-Werdens von einem Etwas, welches sie nicht selber sind. Als -Eigner der Werke, ja Knechte der Werke, sind die Wesen recht eigentlich -die Leidner und Erleidner der Werke. Ihre innerste Kernschaffenheit, -Kernrüstigkeit ward ihnen vom Karman angetan, wie etwa nach der -Auffassung Kants die Eindrücke der Sinnlichkeit uns angetan werden -vom Ding an sich. In manchem Betracht selber Eindrücke, Fährten, -Spuren, die das Karman in dem bildsamen Grundstoff das All hinterläßt, -bleibt den Wesen und Tätern keine Wahl, als nach dem Gesetz sich -auszuleben, das sie von Karmans Gnaden angetreten, und auf solche Weise -unerbittlich streng die Wirkung der Werke in sich zu verkörpern. Werk -und Wesen, Tat und Täter aber verhält sich darnach nicht allein wie -sich ein Tun zu seinem genau entsprechenden Leiden verhält, sondern -mehr noch wie sich eine Ursache zu ihrer genau abgestimmten Wirkung -verhält. Das Werk ist geradezu Ursache, Bedingung, Bestimmunggrund des -Wesens, wie umgekehrt das Wesen geradezu Folge, Wirkung, Erscheinung -des Werkes ist. Die Welt als Ganzheit aber stellt sich dem indischen -Genius nicht anders dar als die Summe aller dieser Werk-und-Wesen-, -aller dieser Tun-und-Leiden-Knüpfungen, deren fest umschriebenes -Wechsel<span class="pagenum"><a name="Seite_178" id="Seite_178">[S. 178]</a></span>verhältnis dem All seine Ordnung und sein Gesetz, sein Maß und -sein Sinn verbürgt. Wenn wir Europäer und Christen, ihr Christen, dem -Geschehen dieser Welt die unzerreißliche Schürzung Ursache-Wirkung als -weltsetzende und weltverfassende Unveränderliche aus- und eindeutend -unterstellen, so unterstellt der Inder und Buddhist dem nämlichen -Geschehen, — schon ist es aber nicht mehr das nämliche Geschehen! — -die Schürzung Werk-Wesen, die Schürzung Tun-Leiden. Derart stellt das -Karman durchaus dar, was der europäische Biologe bei dem Vergleich -tierischer Organe miteinander eine ‚Analogie‘ zu nennen pflegt: das -Karman ist die Analogie der Kausalität, deren erkenntnismäßige Leistung -es haarscharf vertritt (und wie wir gewahren werden: übertrifft!), -obschon es von ihrer erkenntnismäßigen Gestalt und Art unverkennbar -abweicht. Das Karman, sag’ ich, sei die indische Analogie der -europäischen Kausalität, wenn anders dieser naturwissenschaftliche -Begriff auf geistige Verhältnisse übertragen und angewendet werden -darf. Gleichsam in ihrer Anatomie verschiedenartig, sind Karman und -Kausalität sozusagen in ihrer Physiologie gleichwertig, und wie dem -Fisch die Kieme Lunge ist, so ist dem Inder das Karman Ursächlichkeit -und ursächliche Schürzung. Das Karman ist die Kausalität, wie sie der -Inder auffaßt: das Karman ist die erste und letzte sinnspendende, -ordnungstiftende Eindeutung, welche aus wüsten Urmassenwirbeln eine -Welt herausklärt. Die Knüpfung des Karman leistet dem indischen Geist -das, was dem europäischen die<span class="pagenum"><a name="Seite_179" id="Seite_179">[S. 179]</a></span> Knüpfung der Kausalität leistet oder -vielleicht auch nicht leistet, aber leisten soll und will. Die Knüpfung -des Karman vertritt dem Inder die Knüpfung der Kausalität, nicht anders -wie dereinst die Schürzung des Tun-Leidens, ποεῖν-πάσχειν dem -Griechen die Schürzung der Kausalität vertreten hat und insonderheit -auf der Tafel der zehn Kategorien des Aristoteles auch vertritt, — -was denen zur Beruhigung gesagt sei, die sich immer noch den Kopf -zerbrechen, wieso ein streng wissenschaftliches Weltbild wie das der -Griechen ohne den Urgedanken der Ursächlichkeit habe überhaupt bestehen -können. In Wahrheit hat es eben gar nicht ohne diesen Urgedanken -bestanden, auch wenn das Wort Ursächlichkeit wirklich zu fehlen -scheint. Die Ursächlichkeit der Griechen heißt ποεῖν-πάσχειν, -heißt Tun-Leiden, heißt Antun-Angetanwerden: und wenn je in ihrer -vielschichtigen geistigen Geschichte schlagen sie hier die Brücke zum -großen Osten, wo der unverbrüchliche Knoten ποεῖν-πάσχειν -eben — Karman heißt. Noch haftet ja dieser Ursprung sogar unserem -heutigen Gedanken der Ursächlichkeit und Verursachung unabstreiflich -an. Noch immer ist ja die Ur-Sache zuguterletzt Ur-Tat und Ur-Tun, -noch immer ist die Wirkung ein Angetan-Werden und Erleiden-Müssen. -Noch hat sich jede europäische Erkenntnislehre auseinanderzusetzen, -wenn nicht abzufinden mit der seltsamen Auffassung, daß die sogenannte -Empfindung, will heißen der Stoff und Inhalt des Erlebens, auf -irgendeine unerforschliche Weise die Angetanheit, die Erlittenheit sei, -die<span class="pagenum"><a name="Seite_180" id="Seite_180">[S. 180]</a></span> der bewußten Persönlichkeit aus unbekannten und unnennbaren Fernen -aufgedrungen wird. Noch lebt in jeder abendländischen Philosophie -mehr oder minder stark die Überzeugung, daß der persönliche Träger -und Inhaber des Bewußtseins die Welt von außen her erleide und -erdulde; noch lebt in jeder abendländischen Philosophie mehr oder -minder stark die Auffassung, daß die ‚Sinnlichkeit‘ ein Vermögen des -Aufnehmens, Empfangens, Über-sich-ergehen-Lassens sei. Auch jetzt -noch ‚erleidet‘ der einzelne Mensch die Wirklichkeit, auch jetzt noch -erliegt er der Wirklichkeit. Weltduldend, weltleidend wird selbst -dieser europäisch starke und eigenwillige Mensch von der Wirklichkeit -und ihrer Zeichenflut überschwemmt und überwallt, also daß sogar uns -verhärteten Christenseelen, ihr Christen, der Tat-Bestand Leiden und -der Tat-Bestand Leben in der Wurzel fest zusammenwachsen...</p> - -<p>Aus unbekannten, unnennbaren Fernen, sagte ich vorhin, strömten dem -einzelnen Bewußtsein die Eindrücke zu, die es als sein Erlebnisstoff, -Erlebnisinhalt zu erleiden hat. Gilt dies für abendländisches Auffassen -ohne Einschränkung, so hebt sich dieses Auffassen freilich just hier -am schärfsten vom indischen Auffassen ab, wo es diesem sich am engsten -angenähert zu haben scheint. Denn diese namenlosen Fernen, dieses -‚Außerhalb‘ des Bewußtseins, dieses kaum mehr zu verdeutlichende -Bereich von Dingen an sich oder von dem Ding an sich, welches auf -geheimnisvolle Art das Bewußtsein mit Zeichen, Reizen,<span class="pagenum"><a name="Seite_181" id="Seite_181">[S. 181]</a></span> Eindrücken, -Empfindungen versieht, — dieses Bereich des unergründlichsten Ungefähr -verlegt die indische Lehre eben wieder in den Tat-Ort als solchen: in -das Karman. Auch der Abendländer, wir sahen es, fühlt sich in seinem -Erlebnisumkreis bedingt und bestimmt, beeindruckt und erleidend. -Auch ihm werden Empfindungen, Erlebnisstoffe, Bewußtseinsinhalte von -verborgenen Herkunftstätten zugeteilt, für welche die wissenschaftliche -Topologie keine Ansatzpunkte mit irgendwelcher Zuverlässigkeit -auszukunden vermag. Ist dieses bisher durchaus auch indisch, so -gestattet sich indes gerade der Inder hier die entscheidende Abweichung -von der europäischen Überzeugung, indem er nämlich seinerseit den -dort vermißten Ansatzpunkt für die Auswirkungen der Dinge an sich im -Karman gefunden zu haben glaubt. Die Kraftquellen der Welt, welche -dem Einzelwesen seine Lebensreize spenden, versickern nicht auf dem -durchlässigen Grund einer ewig fragwürdigen Dingansichheit, sondern -werden ins Karman wie in ihr Sammelbecken unversieglich geleitet. Die -Welt, die jedem angetan wird auf seine Weise, sie wird ihm von ihm -selber angetan, sie wird ihm von seinem Werk, von seiner Tat, von -seinem Willen angetan. Die Welt, die einer in der Jetztzeit seines -Daseins erleidet, die hat er sich selber in Gestalt seines Karman -in der Zeit erwirkt. Die Zeichen, die einem jeden als Lebensreize -zustoßen, die hat sich ein jeder selber zugesendet, auf diese hat -sich ein jeder selber abgestimmt. Die Welt erleidend, erleidet jeder -zuletzt sich, als Empfänger<span class="pagenum"><a name="Seite_182" id="Seite_182">[S. 182]</a></span> gleichsam mit magnetischen Kräften an sich -ziehend, was er als Sender magisch ins All hinausgestrahlt und gefunkt -hat. Die Reiz- und Erlebnisumwelt, anscheinend jedem zufallend auf gut -oder schlechtes Glück, ist in einem gedanklich nie zu erschöpfenden -Sinn die Wahl-Welt, Werk-Welt, Tat-Welt eines jeden; und zwar dort am -meisten, wo sie am unwiderstehlichsten beeindruckt und beeinflußt. -Solchermaßen nimmt aber bereits die altindische Lehre unsere späte und -kaum schon viel verbreitete Errungenschaft biologischer Einsichten -geistreich genug vorweg, — ich meine die höchst fruchtbare Erkenntnis, -wonach jedes Lebewesen mindestens seiner morphologischen Typik nach der -Urheber und Urtäter seiner eigenen und nur ihm zugemessenen, nur ihm -angemessenen Umwelt, Reizwelt, Merkwelt ist und folglich wenigstens im -biologischen Betracht nur das erleben kann, was es kraft schöpferischer -Selbstgestaltung und Selbstentfaltung zuguterletzt erleben will. Der -morphologische Typus einer jeglichen Spezies erschafft sich darnach -physiologisch und psychologisch seine spezifische Erlebniswirklichkeit, -die genau genommen nur für ihn besteht und nur ihm entspricht: die -Schnecke die Schneckenwirklichkeit, die Möve die Mövenwirklichkeit, -die Ameise die Ameisenwirklichkeit, der Affe die Affenwirklichkeit. -Wie sich die Erde eine Lufthülle umlegt, in welcher sie atmen kann, -und nun die Umwelt, Reizwelt, Merkwelt ‚Luft‘ erlebt, so umgibt sich -selbstschöpferisch jedes Geschöpf mit einer Wirklichkeit, in der es -wirken kann und die auf seine Wirksamkeit<span class="pagenum"><a name="Seite_183" id="Seite_183">[S. 183]</a></span> wiederum aufs wunderbarste -zugeschnitten ist... Ein Schritt weiter vom Leben der Art und Gattung -zum Leben des Einzelwesens hin, ein Schritt weiter vom Bios und -allem, was mit ihm zusammenhängt, zum Ethos hin und allem, was mit -ihm zusammenhängt: und Europa ist reif für die gotamidische Lehre, -daß auch hinsichtlich des Ethos, und keineswegs allein des Bios, ein -jedes Lebendige nur das, was es zu innerst will, erleben und empfangen, -empfinden und erleiden, erreizen und ergeizen kann. Was da in dieser -Welt Wasser zu erleiden hat, das hat eben als Karman Wasser getan; -was da Erde zu erleiden hat, das hat Erde getan; was da Feuer zu -erleiden hat, das hat Feuer getan; was da Luft zu erleiden hat, das -hat Luft getan; was da Tod zu erleiden hat, das hat Tod getan; was da -Hölle zu erleiden hat, das hat Hölle getan; was da Geist zu erleiden -hat, das hat Geist getan; was da Säligkeit zu erleiden hat, das hat -Säligkeit getan. Wer dieses über den Bios hinaus aus dem Ethos zu -verstehen vermag, der hat die Lehre vom Karman endgültig verstanden, -soweit das Verstand-Übersteigende verstanden werden kann. Ihm ist in -Übereinstimmung mit dem Herrn Gotamo das Leben wohl in seiner Wurzel -Leiden: aber das Leiden, ihr Christen, in seiner Wurzel Tat! Aber das -Leiden, ihr Christen, in seiner Wurzel Tat!...</p> - -<p>Wie etwa an einem Herbstnachmittag aus falb leuchtenden -Silbernebelmassen ganz plötzlich eine dunklere Linie sichtbar wird -hoch in der Gegend des Raumes, wo wir den Himmel vermuten dürfen; -wie<span class="pagenum"><a name="Seite_184" id="Seite_184">[S. 184]</a></span> sich dieser ungewisse Streifen alsbald zu erkennen gibt als die -Rist- und Gipfelrandung ungeheuerer Gebirge; wie schließlich sich die -Gletscherbänke und Firnfelder hintereinander gereihter Alpenketten -bei zunehmender Klärung vom Himmel her bald leuchtend und bald -schattend abwärts tasten und abwärts schieben, um zuletzt auf der -Erde selbst gewaltig wuchtend Fuß zu fassen: also zeichnet sich hier -erst in wenigen Zacken und Zinken, Schroffen und Stürzen, dann aber -immer körperhafter, immer ausgerundeter, immer raumbeherrschender -ein ganzes Welt-All ab, zuletzt vom vollen und goldenen Nimbus einer -übermenschlichen, übergöttlichen Gerechtigkeit wundersam besonnt. -Ein Welt-All zeichnet sich ab, wo alles bereinigt, alles beglichen, -alles geschlichtet, alles gewogen, alles gerichtet scheint, — ein -Welt-All, untadelig und vollkommen in sich selber und darum keines -Gotts bedürftig, der daran bessern oder schlimmern könnte, keines -Gotts, der es ergänzen oder vervollständigen müßte in dem, was ihm -von Haus aus gebricht. Ein Welt-All ohne schmierigen Geschäfte und -Geschäftchen, wo niemand um das Heil seiner Seele feilscht und -marktet, handelt und händelt, schwindelt und betrügt. Ein Welt-All, -wo kein Mensch seine Götter prellt und noch weniger ein Gott seine -Menschen. Ein Welt-All, wo keiner zu seinem Gott betet und bettelt, -daß er die Welt-Ordnung doch für einen Augenblick zugunsten des Herrn -Müller, Schultze, Schmidt ein wenig außer Kraft setzen möchte und die -Welt-Fügung außer Fug. Ein Welt-All, wo keine<span class="pagenum"><a name="Seite_185" id="Seite_185">[S. 185]</a></span> Götter blinzeln oder -zwinkern oder ein Auge zudrücken, wenn der Herr Müller, Schultze, -Schmidt vom Pfad der Tugend abweicht und sich im Dickicht nebenan zu -schaffen macht. Ein Welt-All, wo kein Priester über zulässige und -unzulässige Ausnahmen von der Regel zu befinden sich gedreistet: ein -Welt-All, so unverbrüchlich, unverwüstlich, daß nicht einmal der -Wüsten-Gott Jahve drein zu sprechen sich getrauen dürfte. Ein Welt-All, -wo kein Platz ist für Zufall und Zufälligkeiten, aber kein Platz auch -für Zwecke und Zweckmäßigkeiten in der landläufigen Bedeutung. Ein -Welt-All, wo sich alles abspielt in durchgängiger Wechsel-Abhängigkeit, -Wechsel-Bezogenheit, Wechsel-Folgerichtigkeit, wo aber andererseit auch -die Ursächlichkeit noch nicht entartet ist zu jener tief gleichgültigen -Sächlichkeit und Sachlichkeit, welche sie zur alleinigen Angelegenheit -der Wissenschaften, nicht aber mehr zum Sinn der Religionen stempelt. -Ein Welt-All, das sich den Luxus der Gottlosigkeit wirklich leisten -kann, weil es nicht wie das unsrige bloße Physis oder bloßer Bios, -sondern unter allen Umständen ein Ethos ist: Physis und Bios und Ethos -zumal verankert in dem einen und nämlichen Urgesetz des Kosmos... Von -diesem Gesetz in jedem Teil und jedem Glied ewig und ehern durchwaltet, -schenkt dieses Welt-All der Seele des Menschen, was des Menschen Seele -bedürftig ist, bedürftig war und bedürftig sein wird: weshalb die von -der Welt getränkte und gespeiste Menschenseele Gottes und der Götter -nicht bedarf. So ist der Kosmos des Buddho, das sei uns<span class="pagenum"><a name="Seite_186" id="Seite_186">[S. 186]</a></span> Christen, -ihr Christen, immer wieder eingehämmert, zwar durchaus ein Kosmos -Atheos, aber dafür in jedem Zug vollkommenes Ethos, — und das ist -vielleicht nicht unbeträchtlich mehr, als man von unserm westlichen -Welt-Bild und Welt-Gefüge seit dem griechischen Altertum und seit -dem christlichen Mittelalter mit etlichem Recht nachrühmen darf. Aus -dem Ethos herauf entstieg jenen Indern, welche die Anschauung vom -Karman in sich empfangen hatten, die Anschauung ihres Kosmos: aus dem -Tatbestand des Pathos aber, beeile ich mich hinzuzufügen, erwuchs -ihnen das Ethos. Derart brauchte sich das Ethos nicht wie jeweils bei -uns nach kurzem Antrieb leer zu laufen, sondern griff mächtig in den -Kosmos ein. Wenn aber ein Grieche die beinah’ unsägliche Bedeutung -dessen, was einem Griechen Ethos hieß, in drei Worte zusammenballte -wie in eine geschlossene Faust, indes freilich auch noch die geballte -Faust zu schwach war für die Stärke dieser Worte; wenn ein Grieche -also vormals sagte: ἦθος ἀνθρώπῳ δαίμων, Sinnesartung ist -dem Menschen Schicksal! — nun wohl, dann hat der Buddho auch dieses -geflügelte Wort noch überflügelt durch sein gotamidisches: -πάθος ἀνθρώπῳ ἦθος, πάθος κόσμῳ ἦθος! Leiden ist dem Menschen -Seins- und Sinnesartung, Leiden dem Welt-All Seins- und Sinnesartung! -Oder um den entscheidenden Gedanken mit noch größerer Schärfe -auszuprägen: das Leiden ist dem Welt-All Sein und Sinn schlechthin! -Aus des Leidens Urerleben, das gilt es jetzt mit einem Staunen ohne -Ende zu be<span class="pagenum"><a name="Seite_187" id="Seite_187">[S. 187]</a></span>greifen, aus ihm läutert und keltert sich der Buddho den -eigentlichen Sinn des Seins, den eigentlichen Sinn der Wirklichkeit. -Der Tatbestand des Leidens als solcher vermittelt dem Buddho die -Anschauung einer übermenschlich-übergöttlichen Welt-Gerechtigkeit, -Welt-Vernünftigkeit, Welt-Vollkommenheit, Welt-Folgerichtigkeit. Wofern -hier jedes Wesen leidet, was jedes Wesen tat, wofern hier jedes Wesen -ist, was jedes Wesen tat, erblickt das Auge Gotamos, das ‚himmlische -und geklärte‘, diese Welt in makelloser, untadeliger Sinngetreuheit -und Sinndurchwirktheit, — erblickt es sie mit jener zärtlichen -Ergriffenheit vor allem Lebendigen, die dem Buddho allein in dieser -Reinheit und Kraft eigen gewesen ist. „Gleichwie etwa, ihr Mönche, wenn -da zwei Häuser wären, mit Türen, und es betrachtete ein scharfsehender -Mann, in der Mitte stehend, die Menschen, wie sie das Haus betreten -und verlassen, kommen und gehen: ebenso nun auch, ihr Mönche, seh’ ich -mit dem himmlischen Auge, dem geläuterten, über menschliche Grenzen -hinausreichenden, die Wesen dahinschwinden und wiedererscheinen, -gemeine und edle, schöne und unschöne, glückliche und unglückliche, -erkenne wie die Wesen je nach den Taten wiederkehren. Diese lieben -Wesen sind freilich in Taten dem Guten zugetan, in Worten dem Guten -zugetan, in Gedanken dem Guten zugetan, tadeln nicht Heiliges, achten -Rechtes, tun Rechtes; bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, -kehren sie auf gute Fährte, in himmlische Welt wieder. Und<span class="pagenum"><a name="Seite_188" id="Seite_188">[S. 188]</a></span> auch diese -lieben Wesen sind in Taten dem Guten zugetan, in Worten dem Guten -zugetan, in Gedanken dem Guten zugetan, tadeln nicht Heiliges, achten -Rechtes, tun Rechtes; bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, -kehren sie unter die Menschen wieder. Jene lieben Wesen sind aber in -Taten dem Schlechten zugetan, in Worten dem Schlechten zugetan, in -Gedanken dem Schlechten zugetan, tadeln Heiliges, achten Verkehrtes, -tun Verkehrtes; bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, kehren -sie in das Gespensterreich wieder. Und auch jene lieben Wesen sind in -Taten dem Schlechten zugetan, in Worten dem Schlechten zugetan, in -Gedanken dem Schlechten zugetan, tadeln Heiliges, achten Verkehrtes, -tun Verkehrtes; bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, kehren -sie in die Tierheit wieder. Und auch jene lieben Wesen sind in Taten -dem Schlechten zugetan, in Worten dem Schlechten zugetan, in Gedanken -dem Schlechten zugetan, tadeln Heiliges, achten Verkehrtes, tun -Verkehrtes; bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, kehren sie -abwärts, auf schlechte Fährte, zur Tiefe hinab, in höllische Welt -wieder“...</p> - -<p>Haben wir dieses, ihr Christen, einmal erschöpfend gewürdigt, wie -für den Buddho die ganze Sinnerfülltheit und Sinnbedingtheit der -Welt ausschließlich an der Lehre vom Karman hängt, will heißen an -der Vorstellung von einem ewigen Wechsel- und Abhängigkeitverhältnis -zwischen Werk und Wesen, Tat und Täter, Tun und Leiden, — dann -vermögen wir endlich etwa auch zu würdigen, warum der Buddho<span class="pagenum"><a name="Seite_189" id="Seite_189">[S. 189]</a></span> gegen -jede Anzweiflung dieses weltordnenden, ja weltstiftenden Zusammenhanges -so ungewohnt scharf ausfallen mußte, wie dies zum Beispiel, ich -erwähnte es schon, in der Hundertundneunten Rede aus der Mittleren -Sammlung Majjhimanikâyo jenem vorwitzigen Mönchlein geschah, das aus -der dort entwickelten Formel des ‚<i>N’etam mama</i>, das gehört Mir nicht‘ -die Unzugehörigkeit von Tat und Täter folgern wollte. Diese Verknotung -von Pathos und Ethos, übrigens in ungefähr gotamidischer Zeit doch -auch in unserem Westen von den Griechen auf ihre eigene Weise erahnt, -sei es orphisch, sei es tragisch, ja sogar sei es philosophisch -geschehen (wie die aristotelische Tafel von den Kategorien erweist -und beweist: und eben durch die aristotelische Philosophie in das -wissenschaftliche Weltbild Europas eingeschmolzen), — diese Verknotung -knotet und schürzt überhaupt erst die Wirklichkeit zur Welt, welche -ohne sie zu einem unentwirrbaren Knäuel abgerissener Fäden aller -Art wie ausgekämmtes Frauenhaar verfilzen würde. Wer das Karman -anficht, ficht die Verfassung des All, das Grundgesetz des All, den -Ursinn des All an, „ein eitler Mensch, aus Unwissen in Unwissenheit -geraten, vom Durst im Geiste überwältigt“... Das Karman heftet die -Mannigfaltigkeit der Dinge und Begebenheiten zusammen, wie der Einband -die losen Blätter eines Buchs zum Buch zusammenheftet. Das Karman -einigt die Unterschiedlichkeiten der Dinge und Begebnisse, wie der -Sinn die verschiedenen Buchstaben eines Wortes, die verschiedenen -Worte eines Satzes,<span class="pagenum"><a name="Seite_190" id="Seite_190">[S. 190]</a></span> die verschiedenen Sätze einer Rede einigt. Das -Karman durchtönt und durchdringt die Wirklichkeit mit seiner Farbe, -wie eine Kugel Waschblau das Wasser des Zubers bläut und mit ihm alle -Wäschestücke, die im Zuber abgespült und ausgerungen werden. Das Karman -fügt Tun und Leiden, Tat und Dasein vollkommen passend aneinander, -wie ein geschickter Zimmermann Nud und Feder vollkommen passend -aneinanderfügt. Das Karman verstätigt die bloße Aufeinanderfolge von -Werk und Wesen, Tat und Täter in der Zeit zu einer bedingend-bedingten -Auseinanderfolge in der Zeit und schweißt alle Auseinanderfolgen in -einen unverbrüchlich lückenlosen Ring. Für immer erzeugt gemäß dem -Karman das gleiche Werk das gleiche Wesen, für immer gebiert gemäß ihm -die gleiche Tat den gleichen Täter: dauernd dreht sich dieser Ring -der Werke-Wesen um des Karmans Achse wie ein wohlgeschmiertes Rad. -Weil aber hier stets die gleiche Ursache gleiche Wirkung, die gleiche -Urtat gleiche Wirkung, das gleiche Werk das gleiche Wesen, das gleiche -Tun das gleiche Leiden nach unabänderlicher Satzung setzen werden, -geschieht es ganz von selbst, daß der Künder des Karman in einer -gewissen Weise der Künder der Ewigen Wiederkehr zu sein gar nicht umhin -kann: als welchen ihn denn auch das Buch vom Gestaltwandel der Götter -dem europäischen Leser schon vorgestellt hat. Der Buddho, der zwischen -den zwei Häusern Platz genommen hat, aus welchen diese Wesen ausgehn -und wohin sie eingehn: jedesmal in neuer Maske, neuer Verpuppung und -neuer Gestalt, — er wird<span class="pagenum"><a name="Seite_191" id="Seite_191">[S. 191]</a></span> doch immer derselben Schürzung gewahr -zwischen Werk und Wesen, Tat und Täter, Tun und Leiden: wird derselben -Schürzung nicht ohne Überdruß gewahr! Denn das ewige Gesetz durchwaltet -zwar diese Welt wohltätig mit Sinn, durchwärmt diese Welt wohltätig -mit Sinn. Aber das ewige Gesetz verzerrt auch den Sinn dieser Welt zum -Un-Sinn, Wider-Sinn und läßt den Sinn zum Un-Sinn, Wider-Sinn erkalten. -Mit zermalmender Gleichform setzt das Gesetz von sich aus immer nur das -Gleiche; gleiches Tun, gleiches Leiden; gleiches Werk, gleiches Wesen; -gleiche Handlung, gleiche Erscheinung: das ist der Ring des Gesetzes, -das ist das Rad des Gesetzes. Trostspendend, heilwirkend dem, der vor -der Willkür und dem Zufall des Geschehens zum Gesetz sich rettet, -wird das Gesetz fürchterlich dem, der aus der Regel zur Ausnahme, aus -der Abhängigkeit zur Freiheit hinstrebt. Durch des Leidens Urerleben -ist Gotamo zum Weltgesetz, zur Weltordnung, zum Weltsinn gekommen. -Aber wiederum kommt durch des Gesetzes, durch der Ordnung, durch des -Sinnes Urerlebnis Gotamo zurück zum Leiden, von dem er eben ausging. -Der Lehrer und Künder des Karman als dem Dharma beginnt am Karman, -beginnt am Dharma selbst zu leiden: und diesem Leiden gleichsam am Sinn -weiß freilich kein Sinn mehr Abstellung zu erwirken. An der Erfahrung -des Leidens ist Gotamo herangereift für ein Welt-All, vollkommen -makellos, untadelig und gerecht. Aber zugleich kehrt in diesem All das -Gleiche in der Zeit wieder, und derart erweist sich<span class="pagenum"><a name="Seite_192" id="Seite_192">[S. 192]</a></span> das All seinem -tiefsten Deuter als eine Stätte ewiger Wiederbringung, als ein Ring -ewiger Wiederkehr, als ein Rad ewiger Wiederkünfte: „Ewig ist Seele -und Welt, starr, giebelständig, grundfest gegründet; und diese Wesen -wandern um, wandeln um, verschwinden und erscheinen wieder: es ist -immer das Selbe“... Gesetzt durch das Gesetz, verletzt also die Welt -am unheilbarsten durch das Gesetz den, der die Freiheit im Gesetz -und in der Welt sucht. Am Gesetz erlabt sich die Seele, wofern ihr -das Ungesetz verhaßter wie die Schande ist: aber wider das Gesetz -empört sich dieselbe Seele, wofern sie die Freiheit mehr liebt wie -sich selber. „Und es gibt eine Freiheit, höher als diese sinnliche -Wahrnehmung“, begütigt sich die Seele selber, die am Gleichschritt des -Geschehens tödlich leidet... Es gibt eine Freiheit, da das Gesetz stets -nur Notwendigkeiten setzt und dennoch die eigentliche Not nicht wendet: -es gibt eine Freiheit, welche die Not des Gesetzes selber wendet...</p> - -<p>Als Krischna, der Hirtenknabe — wir entsinnen uns, ihr Christen, -dieser liebenswürdigen Legende — als Krischna, der Hirtenknabe, eines -Tages sich erging am Ufer der heiligen Yamunâ und sich ergötzte, wie -der Strom so flink und schimmernd wallte, da ward er auf der Oberfläche -dieses schönen Flimmerspiegels einer Stelle ansichtig, von welcher her -Rauch und Gestank schwelte. Er sah das Wasser sieden und mit plötzlich -aufsprudelnden Springfluten das Laub der Bäume am Gestade versengen, -die Vögel auf den Zweigen verbrühen. Sofort gedachte er, wie dies -ge<span class="pagenum"><a name="Seite_193" id="Seite_193">[S. 193]</a></span>wiß Kâliya sei, die Weltenschlange, die hier mit ihrem giftigen -Gezücht Wasser, Land und Luft verpeste. Und er gedachte ferner, wie es -jetzt an der Zeit sein möchte, mit dieser Weltenschlange auf dem Grund -der himmelspiegelnden Yamunâ ein Wort zu reden und sie, koste es was es -wolle, zum Abzug aus diesen göttlichen Gefilden zu bewegen. Das alles -gedachte der Hirtenknabe Krischna bei sich und schon hatte er sein -Kleid geschürzt und sich in den kochenden Strudel hineingeschwungen auf -den Grund des Schlangenpfuhls, — schon hatte er die Arme ausgereckt, -die kindlichen, um das wütende Ungetüm zu würgen. Aber schon wand -auch die hochgesträubte Schlange ihre tausend Leiber um den Knaben, -schon schlug sie ihre tausend Zähne in sein golden Fleisch. Bald war -nichts mehr von ihm zu erblicken, der von dem Metall der Schuppenarme -rings umpanzert war wie von einer Rüstung, welche der Waffenschmied -am Körper des Gerüsteten selber glüht und biegt und hämmert. So hatte -sich Krischna übermütig in den Schlangenabgrund geschwungen, um von ihm -verschlungen zu werden. Bestürzt, ratlos, verzweifelt liefen die Hirten -und Hirtinnen der Heimat an den Ufern zusammen und rangen die Hände in -Schmerz und Ohnmacht, indes des Knaben Mutter Yasodâ wie leblos auf die -Erde fiel. Bis dann zuletzt Krischnas Leibesvater Nanda, unbewegt dem -Sohn ins Auge blickend, die Worte in den Pfuhl hinunterwirft: Genug, o -Gott der Götter! Du hast lange genug dich menschlich gezeigt; weißt du -nicht, daß du göttlich<span class="pagenum"><a name="Seite_194" id="Seite_194">[S. 194]</a></span> und ewig bist?... Derart angerufen, aufgerufen -zum Entschluß, sich endlich auf sich selber zu besinnen, sich endlich -zu sich selber zu ergotten, lächelt der Knabe sanft seines zauberischen -Lächelns. Und zieht sich leicht und spielend aus der tausendarmigen -Umwindung, nicht anders etwa wie eine Dame der Gesellschaft ihre Hand -anmutig und leicht aus dem Arm eines Herrn herauszieht, der sie zu -Tisch oder zum Tanz geführt hat. Und tritt mit einer kaum merklichen -Bewegung der Schlange auf den behaubten Kopf und immer wieder auf den -Kopf, bis sie unter die Wippe der göttlichen Ferse immer und immer -wieder gewippt, in ihren fruchtlosen Zuckungen und Krämpfen schließlich -erlahmt und am Ende steif, speiend, geifernd vor Anstrengung ohnmächtig -auf dem Grund des Stromes ausgestreckt liegt und in strengem Schwur -den Abzug aus dem heiligen Bezirk verspricht... Die Weltenschlange -Kâliya aber der Legende, wer wüßte es nicht, ahnete es nicht, ist das -Urgesetz Karman selber, in welches Krischna-Gotamo sich verstrickt -findet. Wie Krischna der Hirtenknabe steht der Erhabene da auf dem -Grund des Schlangenpfuhls: lebendig eingeschmiedet in den lebendigen -Ring des Weltgesetzes, den glühend schwingenden und kreisenden, — -lebendig aufgeflochten auf das wälzende Rad des Weltgesetzes und von -ihm gerädert. Aber indes ihm das Weltgesetz in tausendgliedriger -Verschlingung stätig drehend die Gelenke bricht und ihm tausend Zähne -ihr Gift in nimmer heilende Wunden träufen, da vernimmt er zwar nicht -die<span class="pagenum"><a name="Seite_195" id="Seite_195">[S. 195]</a></span> Stimme seines Leibesvaters, aber doch seine innere Melodie: -Genug, o Mensch der Menschen! Du hast lange genug dich zeitbedingt, -gesetzabhängig, ursachverhaftet gezeigt: weißt du nicht, daß du ewig, -daß du ledig, daß du frei bist? Genug, o Geräderter auf dem Rad aller -Räder: weißt du nicht, daß diese Seele nimmer gerädert werden kann? -Genug, o Geschmiedeter in den Ring aller Ringe: weißt du nicht, daß die -Seele selbst des Feuers ist, des schmiedenden, aber weder des Erzes -noch des Erd-Schmutz-Stoffes, der da geschmiedet werden kann und darf -und muß?...</p> - -<p>Hier aber berühren wir, ihr Christen, die heikelste, die empfindlichste -Stelle nicht nur des gotamidischen Erlebens, vielmehr alles Erlebens -überhaupt von wirklich religiöser Beschaffenheit, religiöser Herkunft, -religiöser Weihe. Die Erfahrung des Leidens hatte Gotamo dazu geführt, -das All selber gleichsam zu erschaffen als die unverbrüchliche -Aufeinanderfolge von Tun-Leiden, wo jedem Wesen kraft seiner -Eigenschaft als Erscheinung und Gestalt in Raum-Zeit dasjenige als -Reizwelt, Merkwelt, Unwelt ‚angetan‘ wird, was er selber kraft seiner -Eigenschaft als Werk an und für sich, Tat an und für sich, Wille an -und für sich gewählt und ausgesucht hat. Die Erfahrung des Leidens -hatte auf diese Weise Gotamo zur Erfahrung einer Wirklichkeit geführt, -in welcher jedes einzelne Wesen die Vergeltung seiner Werke darstellt -und in welcher jede einzelne Geburt eine Wiedergeburt nach eigener -Bestimmung ist. In dieser Wirklichkeit setzt jedes Lebendige seinen -eigenen Rang und wählt jedes Da<span class="pagenum"><a name="Seite_196" id="Seite_196">[S. 196]</a></span>seiende seinen eigenen Wert als den -ihm gegenwärtig allein zusagenden, angemessenen, erwünschten, — in -dieser Wirklichkeit lebt jede Erscheinung zuletzt als ihre eigene -Wunschverkörperung, Willensversichtbarung, Wertverwirklichung. Wer da -nach seinem Ableben in höllische Welt hinabfährt, dessen Karman wollte -die höllische Welt, suchte und fand die höllische Welt. Wer da nach -seinem Ableben in die tierische Welt hinabfährt, dessen Karman wollte -die tierische Welt, suchte und fand die tierische Welt. Wer da nach -seinem Ableben in die gespenstische Welt hinabfährt, dessen Karman -wollte die gespenstische Welt, suchte und fand die gespenstische Welt. -Wer da nach seinem Ableben in die menschliche Welt wiederkehrt, dessen -Karman wollte die menschliche Welt, suchte und fand die menschliche -Welt. Wer da nach seinem Ableben in die göttliche Welt aufsteigt, -dessen Karman wollte die göttliche Welt, suchte und fand die göttliche -Welt. Mit einer Notwendigkeit, die ebensosehr eine kosmisch gültige -ist wie eine dem Sinn entsprechende und im Sinn gegründete, bewährt -sich hier jedes Dasein als die Setzung seiner engsten Tat und Absicht: -das ‚Ich‘ setzt sich hier in der Strenge einer Wortbedeutung, die -sich wohl selbst jenem deutschen Denker noch nicht voll erschloß, der -diese Wahrheit zum Grundsatz seiner Philosophie erhob... Trotzdem hat -inmitten dieser eisernen Verkettung von Notwendigkeiten die Freiheit -eine Stätte! Daß zwar ein Wesen in Raum und Zeit jemals auf eine andere -Weise erscheine, als es durch seine Werke selbst vorherbestimmt<span class="pagenum"><a name="Seite_197" id="Seite_197">[S. 197]</a></span> habe, -oder daß sich ein Ich jemals nicht in Übereinstimmung mit seiner -Tathandlung der Selbst-Setzung selber setze, — das freilich ist und -bleibt völlig außerhalb jeder erdenklichen Freiheit gelegen; das Wie -und das Was jedes einzelnen Daseins ist durchgängig festgelegt vom -Wie und Was dieser vorausgehenden Werktätigkeit. Nur das Wie und das -Was dieser Werktätigkeit seinerseit untersteht keinem Zwang, keiner -Bestimmung, keiner Verursachung, vielmehr entscheidet das Wie und -Was der Tat selbstherrlich und frei über das Wie und Was der eigenen -Wesenheit: eben der Vorgang der Wahl wird nach der Lehre vom Karman als -schlechthin ‚unbedingter‘ Vor-Gang aller Bedingungen und Bedingtheiten -herausgeschält. Er spielt sich außerhalb der Reihe der Dinge und -Dinglichkeiten ab und ist in dieser Hinsicht un-bedingt; er löst sich -aus der Wechsel-Verknüpftheit aller Wirklichkeiten heraus und ist -in dieser Hinsicht heraus-gelöst und ab-gelöst, das ist lateinisch: -absolut. Inmitten des geschlossenen Kreislaufs des welthaften -Tun-Leidens und der welthaften Werke-Wesen bleibt eine einzige -Stelle offen, ungefähr wie in einem rings mit glänzender Eiskruste -zugefrorenen Binnensee eine einzige Stelle offen (und zugleich dunkel) -bleibt: dort nämlich, wo dem Boden der Born des Zuflusses entquillt, -der den See speist. Auf ähnliche Weise bleibt im Umkreis der lebendigen -Notwendigkeiten die Zufluß-Stelle, Eintritt-Stelle frei, wo die rang- -und wertbestimmenden Wahlhandlungen, Tathandlungen in den Umkreis -münden. Die Tat, die von neuem ihre<span class="pagenum"><a name="Seite_198" id="Seite_198">[S. 198]</a></span> Selbstverkörperung als Täter -setzt, das Werk, das von neuem seine Selbstverleiblichung als Wesen -setzt, ist frei und kann Täter, Wesen dahin, dorthin setzen, in -höllische, tierische, gespenstige, menschliche, göttliche Welt, just -wie der Wille ist, wie der Wunsch ist, wie die Wahl ist...</p> - -<p>So daß sich jetzt wie von selbst die Frage ungerufen stellt und -einstellt: ob nicht zuletzt doch eine Tat erdenklich wäre, die nicht -mehr verkörpernd diesen oder jenen Täter an seine tatbestimmte Stelle -der Werdewelt und Wandelwelt setze, sondern eine Tat, die gleichsam -selbsttätig sich selber mitsamt der Person des tatfolgenden Täters -aus dem geschlossenen Kreis der irdischen Kräfte und Kräfteträger -auszuschalten fähig wäre? Ob es nicht zuletzt ein Werk gäbe, -auf welches ein ihm zugehöriges Wesen und Dasein nicht mehr mit -ursächlich bedingter Notwendigkeit folgen müsse? Ob nicht zuletzt ein -Wille vorhanden sei, der neben seiner Freiheit zum Was und Wie der -Wiederverwirklichung eine höhere Freiheit aufwiese, eine Freiheit auch -zu dem Daß und Ob dieser Wiederverwirklichung? Ob nicht zuletzt eine -Wahl, eine Entscheidung getroffen werden könne, die nicht allein frei -zu nennen wäre in Ansehung der künftig einzunehmenden Stelle in diesem -All und in Ansehung des darin einzunehmenden Stellen-Wertes, sondern -frei überdies in Ansehung der Wiederkunft und Nicht-mehr-Wiederkunft in -diese Werde- und Wandelwelt? Ob nicht zuletzt ein Karman zu betätigen -sei, welches weder in den Schoß der Hölle<span class="pagenum"><a name="Seite_199" id="Seite_199">[S. 199]</a></span> eingehe, noch in den Schoß -der Tierheit, noch in den Schoß der Gespensterheit, noch in den Schoß -der Menschheit, noch in den Schoß der Göttlichkeit, — nein, ein Karman -vielmehr, welches ganz einfach in gar keinen Schoß mehr eingehe irgend -welcher Geburten und Wiedergeburten, ein Karman, welches in der Sprache -der Lehre ‚keine Fährte‘ hinterlasse? Denn setzen wir den Fall, ihr -Christen, ein Wesen habe die Stockwerke dieser Welt von unten nach -oben in der gehörigen Reihe erstiegen und sei in niemals erlahmender -Selbststeigerung, Selbstveredelung, Selbstvollendung von teuflischer -Gestalt zu göttlicher Gestalt über Tier, Gespenst, Mensch hinweg nach -oben geklommen: schwebt dieses Wesen, wofern es doch auch jetzt noch -dem Weltgesetz ewiger Verkettung von Tat-Täter, Werk-Wesen, Tun-Leiden -durchaus unterworfen bleibe, — schwebt es nicht in furchtbarer -Gefahr, von seiner erklommenen Höhe wieder herabzugleiten, und just -jenen ‚Fall‘ zu tun, den jeder Gott tat, wenn er versucht ward, eine -Welt zu schaffen und dieser Versuchung alsbald auch erlag? Setzen -wir also den Fall, ihr Christen, — und der Buddho hat diesen Fall -wahrhaftig schon gesetzt! — auch diese Götter gehörten ohne Vorbehalt -und Einschränkung dem Kreislauf der Wiederverkörperungen in der Zeit -an und lebten keineswegs ungebunden, unverpflichtet hinter oder außer -oder über dieser Welt: gilt dann nicht auch für sie ganz ohne Vorbehalt -und Einschränkung das Grundgesetz der Welt von der Wiederverkörperung -der Tat im Täter, des Werks im Wesen,<span class="pagenum"><a name="Seite_200" id="Seite_200">[S. 200]</a></span> des Tuns im Leiden? Wäre ein -Wesen mithin sogar als Gott wiedergeboren, es bliebe auch als Gott -geknüpft an die stätige Wechselwirkung, die die Lehre vom Karman als -die unverbrüchliche Satzung dem Weltbau unterstellt. Auch im Himmel -bliebe diesem Wesen das Leiden nicht erspart, und sei es auch nur ein -Anflug jenes echten Götter-Leidens, durch Götter-Tat diese leidende -Welt dem Heile nicht entgegenführen zu können, weil auch der Gott ja -eisern in den Ring der Geburten eingeschmiedet ist und bleibt. Auch ein -Gott in Person würde ja die Mitleid-Bitte der Himmelskönigin Aditi um -‚ewige Erlösung‘ anhören müssen, ohne ihr willfahren zu können: denn -auch Gott in Person, das hat jener Krischna-Mythos ein für allemal -mit hoher Frömmigkeit geoffenbart, ist nur ein Teil des Ganzen, nur -ein Dasein unter Daseienden, nur eine Gestalt unter oder über anderen -Gestalten. Im gotamidischen Kosmos kann jeder Unermüdliche und -Bewährte im Ablauf der Weltenjahre Gott werden, — und dies ist die -unendliche Tröstlichkeit, die unvergleichliche Hoffnungfröhlichkeit, -die unwiderstehliche Herzensinnigkeit dieser Religion, die unter diesem -Zeichen einen erheblichen Bruchteil der Menschheit für sich erobert -hat. Aber zugleich bleibt im gotamidischen Kosmos auch der Gott aufs -strengste an die heilige Verfassung der Welt gebunden, als welche -Karman heißt oder Wiederkehr des Gleichen oder ewige Wiedergeburt oder -Ring der Wiederbringungen oder Rad der Werke-Wesen oder Kreis des -Tun-Leidens... Darum schweift Gotamos Blick<span class="pagenum"><a name="Seite_201" id="Seite_201">[S. 201]</a></span> voll sinnender Schwermut -über die fernsten Nebelbänder, Sonnenräder und Kometenschweife dieser -unbegrenzten Welt und aller möglichen unbegrenzten Welten weit hinaus. -Darum fällt gelegentlich in der Zwölften Rede aus der Mittleren -Sammlung Majjhimanikâyo jenes für Christenohren so hocherstaunliche und -vermutlich hochanstößige Wort: „Und sollt’ ich auch, Sâriputto, nur -unter Reinen Göttern kreisen: ich mag in diese Welt nicht wiederkehren. -Und sollt’ ich auch, Sâriputto, nur unter Reinen Göttern geboren -werden: ich mag in diese Welt nicht wiederkehren. Und sollt’ ich auch, -Sâriputto, nur unter Reinen Göttern leben: ich mag in diese Welt nicht -wiederkehren“...</p> - -<p>Wie eng verzahnt und genau ineinandergepaßt dies nicht alles ist! -Wie stätig und zusammenhängend geschichtet, auch wo die Schichtungen -einmal eine Bruchstelle zeigen und eine Verwerfung erfahren haben! -Wer das Leiden als das Gesetz der Welt erkannt und gedeutet hat, wer -am Weltgesetz selber leidet und an dessen ewiger Wiederkunft des -Gleichen zum Gleichen, dem kann in Wahrheit nicht einmal die Geburt -als Gott zu des Leidens Überwindung taugen. Dies Leiden durchaus und -von innen her überwinden, hieße die Welt selbst durchaus und von innen -her überwinden, in welche das Leiden bedingend und verursachend, -bedingt und verursacht je und je verflochten ist. Der Gott aber -stehet in der Welt, wenn auch der Welt zuoberst, und nicht außer ihr. -Wer da am Leiden leidet, weil in das Fundament der Welt das Leiden -gleichsam eingemauert ist wie in das Fundament mittelalter<span class="pagenum"><a name="Seite_202" id="Seite_202">[S. 202]</a></span>licher -Türme ein lebendiges Wesen (mit seinen Todesqualen) eingemauert -ward, — dem taugt von allen Taten nur die eine: die Durchbrechung! -Die Durchbrechung des Kreises der Geburten und Wiedergeburten, die -Durchbrechung des Dharma und des Karman, die Durchbrechung der ganzen -unendlichen Reihe Tat-Täter und Werk-Wesen. Solang ein Mensch solcher -Fühlung sich der Welt verhaftet weiß, weiß er sich abhängig von der -Welt und abhängig von der Welt Entstehungen und Vergehungen; weiß er -sich abhängig von Alter, Krankheit, Tod; weiß er sich abhängig von -aufsteigenden und absteigenden Lebensknoten ... Aber „Unabhängigkeit, -sag’ ich, ihr Mönche, ist höchstes Labsal der Gefühle!“ Unabhängigkeit -von dieser Welt und ihrer falschen Notwendigkeit, die nirgends Not und -Nöte wendet, sondern stets nur neue Not und Nöte schafft und schafft; -Unabhängigkeit von allen Drohungen der Wirklichkeiten und Möglichkeiten -jetzt und künftighin; Unabhängigkeit von dem Zwang der abermaligen -Entstehung, abermaligen Vergehung: sie gilt es irgendwie zu bewirken -und zu befestigen. Eine Stelle gilt es ausfindig zu machen, über -welche keine Flut des Werdens mehr hinwegbrandet und wo Sicherheit, -Stätigkeit, Standfestigkeit winkt, eine weltlose Stelle außerhalb -aller Stellen und Stätten der Welt. Und derart geschieht hier, ihr -Christen, das Ungeheuere und ganz Unausdenkliche und jeden Begriff bei -weitem Übersteigende, daß Gotamo diese von ihm selbst so groß und schön -geordnete Welt um dieser höchsten Unabhängigkeit<span class="pagenum"><a name="Seite_203" id="Seite_203">[S. 203]</a></span> willen eigenhändig -wie eine tadellose Glocke von reinstem Guß und reichstem Klang mit -nerviger Faust in Trümmer hämmert! Am Leiden leidend, folglich an der -Welt leidend, folglich an der Welt Gesetz und Ordnung leidend, folglich -am Kreislauf der werkvergeltenden Geburten leidend, folglich am Karman -leidend, setzt Gotamo dies Karman mit derselben Machtvollkommenheit -der Seele außer Kraft, mit welcher er es einst in Kraft gesetzt hatte. -Dieselbe Seele, die einen unveräußerlichen Anspruch hat auf Gesetz und -Gesetzes Wohltat, hat einen unveräußerlichen Anspruch auch auf Freiheit -und der Freiheit Säligkeit. So gilt das Karman für die Welt der -Wirklichkeit und Wirksamkeit unaufheblich, aber gilt nicht für diese -Seele, die sich die Freiheit von der Welt und von der Wirklichkeit auf -irgendeine Weise zu erkämpfen, zu ersiegen weiß. Das Karman ist der -Dharma der Welt, und sicherlich müßte das Gerüst der Welt im Nu in sich -zusammenstürzen, sicherlich müßte das Gefüge der Welt im Nu aus allen -Fugen springen, wenn das Karman nicht alle seine Balken und Stützen -und Bretter mit eisernen Klammern fest aneinanderhaftete. Die Seele -aber besitzt ihren eigenen Dharma, welcher vom Dharma der Welt nicht -weniger verschieden ist als die Welt von der Seele selbst verschieden -ist. Der Dharma der Welt heißt Notwendigkeit, Gesetz, Verhaftung, -Wechselbedingtheit, Verhältnismäßigkeit; der Dharma der Seele heißt -Freiheit, Ledigkeit, Selbstherrlichkeit, Unbedingtheit, Abgelöstheit. -In Leidens-Freiheit, Leidens-<span class="pagenum"><a name="Seite_204" id="Seite_204">[S. 204]</a></span>Ledigkeit, Leidens-Abgelöstheit -bewährt die Seele sich selbst als unbedingt und selbstherrlich; in -Welt-Freiheit, Welt-Ledigkeit, Welt-Abgelöstheit bewährt die Seele sich -selbst als unbedingt und selbstherrlich...</p> - -<p>Um es mit Einem Wort zu sagen: es stehet in der Macht der sogenannten -Seele, wenn sie nicht länger leiden will, nicht mehr zu leiden. Es -stehet in der Macht der Seele, aus der Verklammerung von Tun und -Leiden, welche wir als ‚Wirklichkeit‘ nun kennenlernten, sich sanft und -sacht zu lösen: nicht anders, wie sich der Gottmensch Krischna aus der -Umwendung der Weltenschlange sanft und sacht gelöst hat. Aber freilich! -zu Lebzeiten des Buddho gab es da etliche, welche die Befreiung von -allem Leiden dadurch zu vollbringen wähnten, daß sie jedwede sündhafte -Tat im Zustand früherer Geburten zu verbüßen gedenken, wenn sie selbst -sich freiwillig Leiden über Leiden, Pein über Pein antun. Es gibt da -etliche, — und ihrer scheinen gar nicht so wenig zu sein! — welche -ganz einfach auf rechnerische Weise jedes schlimme Tun durch ein -entsprechendes Leiden tilgen zu können vermeinen: bis sie zuletzt -die Summe aller Taten durch die Summe aller Leiden quitt gemacht -haben und Gleiches gegen Gleiches rund zur Aufhebung brachten. Solche -hoffen das Karman zu durchbrechen, indem sie das Karman buchstäblich -erfüllen, Leiden um Tat, Leiden um Tat, bis das durch ‚übermäßiges -Verdienst‘ erworbene und angehäufte Leiden die Tat gleichsam bis -zum Stumpf getilgt hat. Das ist der Weg der Leidensbefreiung,<span class="pagenum"><a name="Seite_205" id="Seite_205">[S. 205]</a></span> -den beispielweis die ‚Freien Brüder‘ beschritten haben, welche es -für heilfördernd und bekömmlich erachten, das Leiden der Kreatur -durch Mehrung des Leidens in freiwillig geübter Schmerzensaskese zu -überwinden und beinahe schon nach der Regel Schopenhauers verfuhren, -daß nicht die Schmerzen, sondern die Genüsse zu verneinen seien: die -Schmerzen vielmehr zu bejahen und abermals zu bejahen ... Gegen diese -Praxis indes, die nach dem buchstäblichen Wortverstand so durchaus -auf der Linie der gotamidischen Lehre vom Karman gelegen scheint, -erhebt niemand schärferen Einspruch als der Buddho selber. Mit einem -merklichen Beischmack von überlegenem Spott, ja von Hohn wendet sich -Gotamo wider diese Freien Brüder, die da in ihrer Schmerzensaskese -das Leiden der Welt vorsätzlich vervielfältigen, statt es vorsätzlich -abzustellen. Sie, die von dem unanfechtbaren Grundsatz des Karman -ausgehen: „Was immer auch ein Mensch empfindet, sei es Wohl oder -Wehe, oder weder Wohl noch Wehe, all das ist vorhergewirkt,“ — sie, -die durch gewissenhafte Leidens-Übung etwa begangene Frevel früherer -Verkörperungen peinlich rechnend auszugleichen trachten, sie rechnen in -Wahrheit falsch. Wohl ist der Knüpfung Tun-Leiden entsprechend alles, -was das einzelne Wesen von Natur leidet, vorherbestimmt, vorhergewirkt. -Aber das ist es eben, daß diese Knüpfung nur eine Tatsache, nur -eine Ordnung, nur ein Zwang der Natur ist, der ‚bösen‘, dort jedoch -ihre Gültigkeit verliert, wo das Joch der Natur<span class="pagenum"><a name="Seite_206" id="Seite_206">[S. 206]</a></span> zerbrochen wird. -Diese scharfe Wendung Gotamos gegen die eigenen Voraussetzungen und -Unterstellungen, diese schroffe Abweisung des Buchstabens von seiten -des Geistes scheint die Reihen der eigenen Jünger, soweit diese nicht -zu den völlig Eingeweihten zählen, in nicht geringem Maß überrascht, -erschreckt, ja teilweis außer Fassung gebracht zu haben. Der Buddho, -der als strengster Vollender der Lehre vom Karman den Satz der Freien -Brüder ‚alles ist vorhergewirkt‘ mit äußerstem Nachdruck bestreitet -und das darauf gestellte Heilsverfahren schier als ein lächerliches -abweist und abschätzt, — dieser Buddho geht manchem Mönch des heiligen -Ordens schlechterdings über den Begriff. So beispielweis jenem Mönch -Arittho, dem ehemaligen Geierjäger, der nach der Zweiundzwanzigsten -Rede aus der Mittleren Sammlung Majjhimanikâyo die folgende Äußerung -gewagt hat, die unverzüglich dem Erhabenen als besonders ketzerisch -berichtet ward: „Also fasse ich die vom Erhabenen verkündete Lehre auf, -daß jene vom Erhabenen als verderblich bezeichneten Handlungen dem -Täter nicht notwendig zum Verderben gereichen“... Dieser Mönch zwar -wird unverzüglich vorgeladen, befragt, getadelt und zurecht gewiesen, -— aber wir, die wir zu Zeugen dieses Vorgangs gemacht werden, können -nicht umhin zu gestehen, daß dieser Mönch in einem gewissen und sehr -tiefen Sinn die Wahrheit, nichts als die Wahrheit ausgesprochen habe! -Darüber lassen die Reden gegen die Freien Brüder nicht den mindesten -Zweifel<span class="pagenum"><a name="Seite_207" id="Seite_207">[S. 207]</a></span> obwalten; darüber läßt Gotamos Lehre von des Leidens -Aufhebung, Abstellung und Ablösung selber keinen Zweifel obwalten. -In der für diese Frage hochwichtigen Hundertundsechsunddreißigsten -Rede aus der Mittleren Sammlung Majjhimanikâyo hat der Buddho selber -ausdrücklich die vier Möglichkeiten dargelegt und entwickelt, daß -die gute Tat gute Fährte, die gute Tat aber auch schlechte Fährte -hinterlassen könne, wie umgekehrt die schlechte Tat zwar schlechte -Fährte, aber die schlechte Tat auch gute Fährte. Das Karman ist die -irdische Ordnung, welche Wirklichkeit und Welt in ursächlich-urtätigen -Zusammenhang bringt und in diesem Betracht allerdings unaufheblich -gilt. Aber die Seele des Menschen bleibt dem Karman nur unterworfen, -wofern sie ihm unterworfen bleiben will. Ihr bleibt es anheimgestellt, -auch wenn sie von allen Lastern, Bosheiten, Scheußlichkeiten wie ein -pestverseuchter Leib mit Blattern, Beulen und Geschwüren bedeckt wäre, -durch einen einzigen und übermenschlichen Entschluß sich jenseit ihrer -eigenen Lasterhaftigkeit, Bosheit und Scheußlichkeit zu begeben und — -rein zu sein. Es stehet der Menschenseele, es stehet der Schächerseele -frei, das zu tun, was auch der Heiland des Westens seinen Gläubigen -als Trostvermächtnistat unvergeßlich hinterlassen hat: nämlich heut -noch, jetzt noch, schon ans Kreuz geschlagen und vom Tod umnächtigt, -dennoch ‚im Paradies zu weilen‘. Es ist der Menschenseele letztes -und unmittelbarstes Hochgeheimnis, mit einem einzigen Federzug die -unendlich<span class="pagenum"><a name="Seite_208" id="Seite_208">[S. 208]</a></span> angelaufenen Posten von Schuld und Sühne, Tat und Leiden, -Werk und Wesen glatt durchzustreichen und alles Leidens ledig, aller -Ursächlichkeiten ledig, aller Gründ- und Folglichkeiten ledig, sie -selbst zu sein und das heißt frei zu sein. „Ist da nun, Ânando, ein -Mensch, der ein Mörder und Dieb, ein Wüstling, Lügner, Verleumder, -ein Zänker und Schwätzer, voll Gier und Haß und Eitelkeit war, bei -der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, auf gute Fährte geraten, in -himmlische Welt, so hat er seine günstige Tat, die freudig empfunden -wird, eben früher begangen oder später begangen, oder hat in seiner -Sterbezeit eine rechte Erkenntnis vollzogen und vollbracht: darum ist -er, bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, da hinauf geraten. -Wenn er aber hier also übel gewandelt war, hat er sich die Folge davon -schon bei Lebzeiten fühlbar gemacht, oder bei der Auferstehung, oder -bei nachmaliger Wiederkehr“...</p> - -<p>Die Freien Brüder setzen dem Leiden das Leiden entgegen, um die Tilgung -des Leidens im Weg freiwillig übernommener Schmerzens- und Bußübung zu -bezwecken. Aber was sie bezwecken, ist die ganz überflüssige Mehrung -des schon mit Notwendigkeit vorhandenen Leidens. Gotamo hingegen, -der nach höchst bedeutsamem eigenen Geständnis Schmerzensaskese, -Selbstquälerei und Kasteiung bis zur Selbstvernichtung geübt hat und -hier aus grausamer Selbsterfahrung schöpft, — Gotamo setzt dem Leiden -eine Tat entgegen, eine unbedingte, nicht und nichts mehr bedingende -Tat,<span class="pagenum"><a name="Seite_209" id="Seite_209">[S. 209]</a></span> welche die Freiheit vom Leiden erwirkt, weil sie Freiheit von der -Welt, Freiheit vom ‚Gesetz‘ erwirkt. Was alle religiöse Erleber wußten, -vom Heiland des Christentums, ja sogar vom Stifter des Christentums an -bis zu Lew Nikolajewitsch Tolstoi, der dieses gotamidische Mysterium -‚der rechten Erkenntnis in der Sterbezeit‘ klassisch dargestellt hat -in der Heiligen Schrift vom Tod des Iwan Iljitsch, das ist für den -Buddho der Dreh- und Angelpunkt nicht allein der Lehre, sondern des -Erlebnisses geworden. Für ihn nämlich, — wenn ich mich hier mit -Nutzen europäisch und insbesondere schopenhauerisch ausdrücken darf, -— gibt es einerseit Taten, welche ‚dem Satz vom Grunde‘ unterworfen -sind und eben darum in den Gesamtkreislauf der Werdewelt wieder -einmünden, dem sie entsprungen sind. Und für ihn gibt es anderseit -Eine Tat, welche ‚dem Satz vom Grunde‘ nicht mehr unterworfen ist -und eben deshalb aus dem Kreislauf dieser Werdewelt hinausführt. -Jene Taten sind notwendig gewirkt, will heißen: sie sind nach -Bestimmunggründen, Antrieben, Triebfedern gewirkt, die der Wirklichkeit -selbst entstammen, und so ist es billig, daß sie in der Folge sich dem -Bereich der Notwendigkeiten wieder einfügen, aus der Notwendigkeit in -die Notwendigkeit führend. Diese Eine Tat hingegen ist frei gewirkt, -will heißen, nach keinerlei Bestimmunggründen, Antrieben, Triebfedern, -die der Wirklichkeit oder dem ihr entsprechenden Vorstellungablauf -selbst entstammen, und so darf denn diese Tat der Taten, nach keiner -Regel irgendwelcher Not<span class="pagenum"><a name="Seite_210" id="Seite_210">[S. 210]</a></span>wendigkeit getätigt, aus der Notwendigkeit in -die Freiheit führen. Es ist dies aber die Tat einer unvergleichlichen -Selbstverinnerlichung, Selbsteinigung, Selbstverinnigung, wo Selbst -und Seele weltausschließend, weltausschließlich nur sie selber sind, -— Selbst und Seele hier in der ewig fragwürdigen Sinnbildlichkeit -ihres Begriffs genommen. Eine Tat ist möglich, wo Selbst und Seele -mit der Tat als solcher gleichsam unmittelbar zusammenfallen; eine -Tat ist möglich, wo der Tat selbst nicht mehr irgend eine ‚Sache‘ als -Inhalt, Bestimmung, Beweggrund, Antrieb gegenständlich gegenübersteht -und wo die Tat sich nicht zu irgend einer Sache mehr versachlicht, zu -irgend einer Sache mehr enttätigt. Derart wird das Leiden der Welt und -an der Welt zuletzt getilgt, verlöscht, verwunden werden, wofern die -Welt selbst als die Unendlichkeit aller gegebenen und aufgegebenen -Sachen durch die entsachte, durch die entursachte Tat getilgt, -verlöscht, verwunden wird. Dies ist die ‚reine‘ Tat der ‚Freiung‘ und -der ‚Ledigung‘, dem Satz vom Grunde nicht mehr unterworfen: folglich -dem Grunde selbst nicht länger unterworfen und folglich der Folge und -den Folgen nicht länger unterworfen, die sonst alle Taten als ihre -‚Tat-Sachen‘ notwendig und unabänderlich nach sich ziehen müssen...</p> - -<p>Was also hier der Buddho (einigermaßen uneuropäisch dunkel) von sich -selber fordert und nicht nur von sich, sondern von jedem, der das -Leiden an seinem Stumpfe auszurotten willens ist, das läßt sich doch -wohl nicht ganz unpassend mit dem ver<span class="pagenum"><a name="Seite_211" id="Seite_211">[S. 211]</a></span>gleichen, was der Genius Kant in -unseren westlichen Bezirken die ‚intelligible Freiheit‘ nannte, wie sie -das ‚Ich an sich‘ außerhalb der Welterscheinung als <i>causa noumenon</i> -wesentlich betätigt. Der Genius Kant, an dieser Stelle sorgfältiger als -irgendwo sonst die Erbschaft alter deutscher Mystik betreuend, hat ja -zu seinem Teil auf diese Tat der Taten keineswegs verzichten können, -die weder bedingt oder bestimmt durch Anreize aus der Sinnenwelt wird -wie etwa der instinktive Wille des natürlichen Menschen, noch bedingt -oder bestimmt wird durch die Vorstellung einer gesetzgebenden ‚Form‘ -aus reiner Vernunft wie etwa des ‚guten‘ Menschen moralischer Wille: -sondern die ganz einfach frei, weder bestimmt noch bedingt getätigt -wird im Sinne des scholastischen <i>liberum arbitrium indifferentiae</i>... -Diese zwar vielerörterte, kaum aber vielverstandene, vielleicht -zutiefst gar nicht zu verstehende intelligible Freiheit Kants, sage -ich, wäre vielleicht mit der Freiheit Gotamos nicht unpassend zu -vergleichen. Ja, sie wäre am Ende völlig einerlei mit dieser, wenn -nicht doch der Genius Kant, (hierin viel eher wiederum der Erbe der -großen europäischen Scholastik statt der Mystik!) — wenn er nicht eben -diese transzendentale und transzendierende Freiheit leider als einen -moralischen Vorgang aufgefaßt und der Moral dienstbar gemacht hätte: -will heißen als einen Vorgang, der sich auf die Wahl des empirischen -Ich durch das intelligible Ich bezieht und dadurch genau auf das, was -Gotamo das Karman und seine Ordnung<span class="pagenum"><a name="Seite_212" id="Seite_212">[S. 212]</a></span> nennt. Auf diese Weise biegt -die intelligible Freiheit Kants doch wieder bedingend, verursachend, -bestimmend, begründend in die Wirklichkeit der Dinge ein, statt -endgültig von ihr abzubiegen, und diesen Umstand hat Kant selber in -voller Naivität gekennzeichnet durch den scheinbar ungereimten, in -Wahrheit jedoch durchaus zutreffenden Begriff der ‚Kausalität durch -Freiheit‘... Ganz unbesehen gerinnt mithin die Freiheit dem westlichen -Denker sogar in ihrer transzendierendsten Bedeutung als <i>liberum -arbitrium indifferentiae</i> doch wieder nur zu einer Ur-Sache, statt zu -einer Ur-Tat, — zu einer Ur-Sache, die andere Sachen verursachend -nach sich zieht: die Folgen, Wirkungen, Wirklichkeiten nach sich -zieht. Die intelligible Freiheit Kants, zu einem moralischen Mysterium -gestempelt statt zu einem religiösen, wird zu einer bloßen Ursache, -die sich von allen übrigen Ursachen in der Welt nur eigentlich dadurch -unterscheidet, daß sie die unendliche Reihe der Wirkungen nicht sowohl -fortsetzt, als von vorn beginnt. Kants intelligible Freiheit ist ein -grundloser Einsatz, ein unbedingter Anfang, mit welchem eine begründete -und bedingte Reihe in der Zeit und Wirklichkeit beginnt. Oder mit einem -Wort gesagt, — diese intelligible Freiheit des westlichen Denkers ist -Freiheit des Willens, etwa dem Ausspruch des Bernhard von Clairvaux -gemäß: <i>ubi voluntas, ibi libertas</i>; oder besser und richtiger der -Umkehrung dieses Grundsatzes gemäß: <i>ubi libertas, ibi voluntas</i>! Wo -Freiheit, da ist hier Wille; wo aber Wille, da wird etwas gewollt: das -Gute oder das<span class="pagenum"><a name="Seite_213" id="Seite_213">[S. 213]</a></span> Böse, das Richtige oder das Verkehrte, das Zweckvolle -oder das Zwecklose, — das Vernünftige oder das Törichte, das -Sinnentsprechende oder das Unsinnige, — unter allen Umständen aber ein -zu Verwirklichendes, das in die Reihe der Wirklichkeiten gleichsam neu -eingerückt werden soll, wie etwa die Anzeige einer neuen Erfindung in -die Spalten einer Zeitung neu eingerückt wird...</p> - -<p>Hierzu im äußersten Widerspruch ist die intelligible Freiheit des -Buddho nicht sowohl eine Freiheit des Willens, als vielmehr eine -Freiheit vom Willen und jedenfalls eine Freiheit vom Wollen. Nicht -mehr wollen, nicht mehr wünschen, nicht mehr heischen, nicht mehr -gieren, nicht mehr schmachten, nicht mehr trachten, nicht mehr -streben, nicht mehr verkörpern, nicht mehr verwirklichen, nicht mehr -erscheinen, nicht mehr entstehen, nicht mehr vergehen, nicht mehr -tun, nicht mehr leiden, — das eben heißt gotamidisch ‚frei‘ sein. -Kants unmittelbares Erlebnis der reinen Tat gilt einem Vor-Anfang und -Ur-Anfang, womit eine unendliche Schöpfung in der Zeit sich einleitet. -Die reine Tat setzt hier das (empirische) Ich und mit diesem alle -Abhängigkeiten, Notwendigkeiten, Folgen dieser Setzung, — und trotz -aller verspäteten Einsprüche und Verwahrungen Kants war es doch nur -im strengsten Geiste Kants weiter und weiter gedacht, wenn Fichte -die reine Tat außer dem Ich das Nichtich und im Ich das Nichtich -setzen ließ: mit dem Ich und Nichtich aber die ganze Welt abstufend, -aufstufend zu der unendlichen Schöpfung<span class="pagenum"><a name="Seite_214" id="Seite_214">[S. 214]</a></span> in der Zeit. Das Ich gesetzt -durch Freiheit, das Nichtich gesetzt durch Freiheit, das Nichtich im -Ich gesetzt durch Freiheit und somit die ganze Welt gesetzt durch -Freiheit, — das ist von allen europäischen Konzeptionen vielleicht die -europäischste gewesen, weil unentwegt forsch in die Unendlichkeit fort- -und fortschreitend einen ‚unendlichen‘ Fortschritt ermöglichend und -verwirklichend... Gotamos reine Tat indes ist nichts weniger als ein -Vor-Anfang, Ur-Anfang unendlich fortschreitender Reihung oder Stufung. -Vielmehr genau dort, wo Gotamo am engsten sich mit dem europäischen -Gedanken, Ungedanken des <i>liberum arbitrium indifferentiae</i> berührt, -dort wird er auch (wie das stets so ist) am heftigsten von diesem -abgestoßen. Des Buddho Tat ist Ende und Voll-Ende, ist Voll-Endung -des Voll-Endenden: eben darum zwar, weil sie durch alle unendliche -Satzung, Reihung, Stufung quer hindurchbricht und den Leitfaden des -Karman, wenn nicht geradezu zerreißt, so sicherlich auch nicht mehr -weiterspinnt, vielmehr ein für allemal verstätigt. Verneinenderweis -ausgedrückt, gelangt diese Tat des gotamidisch Vollendenden also durch -einen Austritt und Heraustritt zum Vollzug: durch einen Austritt und -Heraustritt zwar, der den Täter zufall- und schicksallos macht (in -der Sprache der Tragödie gesprochen); der den Täter willens- und -tatfrei macht (in der Sprache der Moral gesprochen); der den Täter -unbedingt und abgelöst, das heißt, ‚absolut‘ macht (in der Sprache der -Metaphysik gesprochen); der den Täter unabhängig von<span class="pagenum"><a name="Seite_215" id="Seite_215">[S. 215]</a></span> den Gegenständen -der Erfahrung und von der Erfahrung selber macht (in der Sprache der -Transzendentalphilosophie gesprochen); der den Täter weltledig, arm -und abgeschieden macht (in der Sprache der Mystik gesprochen); der -den Täter wunschversiegt, wahnversiegt, daseinversiegt macht, zuletzt -und endgültig in der Sprache des Buddho gesprochen... Bejahenderweis -ausgedrückt ist aber diese selbe Tat der gotamidischen Vollendung doch -zugleich ein Eintritt und Hereintritt, ein Eintritt und Hereintritt -nämlich in das übersinnliche, überdingliche, überweltliche Bereich des -An-und-für-sich-Seins der Welt: mithin in ein Bereich, für welches -die Zunge weder des Tragöden, noch des Moralisten, Metaphysikers, -Transzendentalphilosophen oder Mystikers, ja nicht einmal des Buddho -selber Sprachzeichen und Lautgebärden hat, um es hinlänglich zu -bezeichnen...</p> - -<p>Gotamo aber, nachdem er an der schlechten Unendlichkeit eines nimmer -stockenden Entstehens und Vergehens unaussprechlich heftig und tief -gelitten hatte, — Gotamo, nachdem er (vorübergehend im Irrtum der -Freien Brüder befangen) in beispielloser Selbstquälerei, Selbstfolter, -Selbstabtötung das Leiden nur zwecklos gemehrt hatte, um mittels des -gemehrten Leidens das mindere zu übertäuben, — Gotamo, nachdem er -das arme Fleisch des Leibes in erfinderischen Büßungen gleichsam mürb -gebeizt hatte, bis es ihm von den Knochen gefallen war, auf daß er -endlich dem armen Fleisch nicht länger unterworfen bliebe und sich -fortab des ‚reinen‘ Geistes freuen dürfe:<span class="pagenum"><a name="Seite_216" id="Seite_216">[S. 216]</a></span> dieser Gotamo der Erlebende -des Leidens erlebt eines Tages an ihm selber, wie er, o Wunder, des -Leidens wirklich genesen ist, wahrhaft bei Lebzeit schon genesen! -Nicht durch Mißhandlung oder Peinigung oder Entehrung des Körpers: -vielmehr ganz einfach durch eine innerliche Wendung oder Drehung -von dieser Weltlichkeit weg nach einer anderen Weltlichkeit, nach -einer Gegen-Weltlichkeit hin, — denn dieser Buddho, ihr Christen, -wußte es ja schon zu seiner Zeit, daß es viele selbstgeschaffene -Wirklichkeiten gäbe und also zu einer jeglichen von ihnen auch die -Gegen-Wirklichkeit... Er, der Erlebende des Leidens, erlebt in einer -ungeheueren Stunde plötzlich kein Leiden mehr, und sogar heute noch -ahnen wir fern, fern das unermeßliche Gefühl von Frieden und von -Stillung, wie es schwer und hell wie flüssiges Gold in seine Seele -träufelt: „Da kam mir, Aggivessano, der Gedanke: ‚Wie, sollt’ ich etwa -jenes Glück fürchten, jenes Glück jenseit der Wünsche, jenseit des -Schlechten?‘“... Und nicht länger fürchtet sich jetzt der Buddho dieses -Glückes, sondern erfüllt sich mit ihm, daß es aus allen seinen Poren -strahlt und leuchtet: denn als ein Glück, eine Selbststeigerung ganz -außerhalb jeder Vergleichbarkeit empfindet der Buddho diesen neuen und -ungewohnten Urstand des Nicht-mehr-Leidens, des Ausgelittenhabens an -der Werdewelt und ihrem ewigen Gesetz. Als eine Besäligung, ja als eine -Säligkeit ganz außerhalb jeder Vergleichbarkeit empfindet der Buddho -diesen neuen, ungewohnten Urstand, wo er sich endlich, endlich<span class="pagenum"><a name="Seite_217" id="Seite_217">[S. 217]</a></span> nicht -länger eingeschmiedet findet in den Ring der Wiederkünfte und nicht -länger aufgeflochten auf das Rad der Werke-Wesen: „...die aber da als -Mönche heilig geworden sind, Wahnversieger, Endiger, die das Werk -gewirkt, die Last abgelegt, das Heil sich errungen, die Daseinsfesseln -vernichtet, sich durch vollkommene Erkenntnis erlöst haben, denen -taugen diese Dinge um säliger Gegenwart zu genießen, bei klarem -Bewußtsein“...</p> - -<p>Wunschversiegung, Wunschvernichtung, Wunschverwindung heißt aber in -den Heiligen Schriften des Kanons jener Urstand der Leidensauflösung -und Weltledigung, in welchem der Buddho zuletzt sich selbst vollendet. -Wunschversiegung, Wunschvernichtung, Wunschverwindung heißt die ‚reine‘ -Tat der Freiheit selber: das ist im Pâli entweder <i>nibbânam</i>, oder im -Sanskrit <i>nirvânam</i>, aus der Wurzel <i>van</i> = Wunsch. <i>Nibbânam</i> oder -auch <i>nirvânam</i> oder auch <i>brahmanirvânam</i> oder auch <i>paramanirvânam</i> -heißt in den beiden Mundarten der Überlieferung der Urstand der -erlangten Heiligkeit, der bald das Schicksal aller erlesenen -Dinge hatte, sowohl im Osten wie im Westen gleichermaßen gröblich -mißverstanden zu werden. Denn nichtverstanden hat dieses Nibbânam -zum Beispiel ein repräsentativer Chinese wie der sehr kluge und fein -gebildete Ku Hung-Ming, wenn er sich etwa folgendermaßen ausläßt: „Auch -die Methode des Buddhismus, die Welt zu erneuern, nimmt zum Boykott -ihre Zuflucht. Wenn die Welt schlecht ist, so rasiert der Buddhist -seinen Kopf, geht ins Kloster<span class="pagenum"><a name="Seite_218" id="Seite_218">[S. 218]</a></span> und boykottiert die Welt“... Nicht -weniger mißverstanden hat ferner dies Nibbânam ein repräsentativer -(gerade in seiner menschlichen Zweideutigkeit repräsentativer) Europäer -wie der französische Poet Claudel, wenn dieser zwar etwas weniger -platt, aber dafür um so orakelhafter zu sprechen wagt „vom Schweigen -des Geschöpfes, das sich hinter eine völlige Verweigerung verschanzt -hat“, oder gar von „der unreinen Ruhe der auf ihrem wesentlichen -Anderssein beharrenden Seele“, oder wenn er sich vollends zu dem Satz -versteigt, der sich angesichts der obigen Worte Gotamos freilich -besonders unverständig ausnimmt: „Für mich hat das Nichts nur einen -Sinn, wenn sich ihm die Säligkeit zugesellt“... Seltsamstes Spiel -fürwahr, daß der Osten und der Westen des Planeten gleichermaßen den -Urstand der Wunschverwindung nur als das große Nichts und Abernichts -zu würdigen oder vielmehr nicht zu würdigen vermag! Seltsamstes Spiel, -und doch nicht Laune bloß des Zufalls oder der Abgeschmacktheit, daß -der Mensch sich vor dem Nichts zu fürchten beginnt, wo er nichts -mehr zu fürchten, nichts mehr zu dulden, nichts mehr zu verlieren, -aber freilich auch nichts mehr zu hoffen, nichts mehr zu wünschen, -nichts mehr zu gewinnen hat! Wie tief, wie abschreckend irreligiös -mußte der Mensch geworden sein, bis er jeden lebendigen Zusammenhang -mit dem Walten einer reiferen Frömmigkeit so weit verloren hatte, -daß er den Zustand ewiger Bedürftigkeit als den ihm zusagendsten -und angemessensten bejaht,<span class="pagenum"><a name="Seite_219" id="Seite_219">[S. 219]</a></span> den Zustand der Gestilltheit aber als -den schlechterdings unangemessenen und nichtseinsollenden verneint, -will meinen: ihn als ‚Nichts‘ verleumdet! Denn brauch’ ich es nach -allem Vorigen besonders noch zu beteuern, daß dies Nibbânam Gotamos -sowenig etwas mit dem Boykott des chinesischen Reformers zu schaffen -hat wie mit der völligen Verweigerung, mit der unreinen Ruhe oder gar -mit dem ‚Nichts ohne Säligkeit‘ des französischen Mystizisten und -Mystifikanten? Brauch’ ich zu sagen, daß vollends alle die eifrigen -Gelehrten, fleißigen Professoren und scharfsinnigen Philosophen schier -lächerlich, wenn nicht schon boshaft abwegig sind mit ihrer Mutmaßung, -der Buddho habe das Nibbânam gleichsam als ‚Nichts-an-sich‘ ontologisch -verdinglicht, vergegenständlicht oder verwesentlicht, um dies dinghafte -Un-Ding der Welt gleichsam listig als ihren ‚Gott‘ zu unterstellen -und derart den Brahman-Âtman des Brahmanismus als hoffnungloser -Nihilist des Fühlens, Nihilist des Wollens, Nihilist des Denkens zu -Ende zu denken: zu Tod zu denken? Brauch’ ich zu wiederholen, daß dies -Nibbânam nichts weiter ist wie eine keusche Anspielung auf einen in -unablässigen Seelenkämpfen errungenen Dauerstand des Selbstes, genau -wie die Abgeschiedenheit, die nächste Armut, die weiselose Weise -unserer westlichen Mystik eine solche keusche Anspielung gewesen -ist? Brauch’ ich zu beweisen, daß dies Nibbânam das letzte Endziel -zwar nicht aller Religionen, aber aller Religion ist, das Endziel -aller auf Selbstvergöttlichung<span class="pagenum"><a name="Seite_220" id="Seite_220">[S. 220]</a></span> bedachten Selbstläuterungen, um -wie Gott schließlich ganz weltunbedingt, ganz weltunabhängig, ganz -weltunbedürftig zu sein? Brauch’ ich herauszuheben, daß dies Nibbânam -als edelstes Ergebnis zwar alles Weltverzichts und aller Weltentsagung -zugleich doch herrischste Forderung, unbeugsamster Anspruch ist auf -Selbsterfüllung und Selbststillung? Brauch’ ich zu verraten, daß -dies Nibbânam den Menschen mit einer beispiellosen Treue treu gegen -sich selbst zu werden lehrt, damit er, treu gegen sich selbst, treu -auch gegen das unendliche All, eben dieses unendliche All mit seiner -unendlichen Dichtigkeit und Mächtigkeit in sich auszutragen vermöchte -und also austragend, also ausgetragen in sich endige und vollende? -Brauch’ ich zu begründen, daß es sich hier zuletzt um etwas ganz -Einfaches und Selbstverständliches handelt, um das Ankern nämlich -auf dem eigenen Grund, um das Ankern in der eigenen Tiefe, bis wohin -kein Sturm mehr aus dem Luftraum blasen kann?... „Der ich also rede, -also lehre, ihr Mönche, mich bezichtigen einige Asketen und Brâhmanen -grundloser, nichtiger Weise, fälschlich, mit Unrecht: ‚Ein Verneiner -ist der Asket Gotamo, des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, -Aufhebung verkündigt er.‘ Was ich nicht bin, ihr Mönche, nicht rede, -dessen bezichtigen mich jene lieben Asketen und Brâhmanen, grundloser, -nichtiger Weise, fälschlich, mit Unrecht: ‚Ein Verneiner ist der Asket -Gotamo, des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, Aufhebung -verkündigt er.‘ Nur eines, ihr<span class="pagenum"><a name="Seite_221" id="Seite_221">[S. 221]</a></span> Mönche, verkündige ich, heute wie -früher: das Leiden und des Leidens Ausrodung“...</p> - -<p>Brauch’ ich euch zu überreden endlich, ihr Christen, daß dies Nibbânam, -taktlos mißhört, mißdeutet und mißechot im Osten der Erde wie im Westen -und offenbar dazu in einem Spülicht hemmungloser Vielgeschwätzigkeit -schwammig bis zum Unsinn, bis zum Irrsinn aufgeweicht und aufgedunsen, -— brauch’ ich euch zu überreden, daß dies Nibbânam künftighin zu -ehren ist mit jenem siebenfältigen Schweigen der Ehrfurcht, welches -das Siebente Wort am Kreuz der Welt, Siebente Wort am Rad der -Welt gleichermaßen ehrt wie fürchtet: Τετέλεσται, es ist -vollbracht! <i>Katam karanîyam</i>, gewirkt ist das Werk!...</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_223" id="Seite_223">[S. 223]</a></span></p> - -<h2 class="nobreak" id="DIE_DRITTE_UNTERWEISUNG">DIE DRITTE UNTERWEISUNG:<br /> -BUDDHO DER WISSENDE</h2> - -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_225" id="Seite_225">[S. 225]</a></span></p> - -<p class="initial">DAS HEILIGE NEIN LASST UNS BEKENNEN DENN NEIN UND JA SIND WIE -DIE SCHENKEL DER NÄMLICHEN PARABEL, UND WO SICH DIESE SCHEITELT, -DURCHDRINGEN BEIDE SICH IN EINEM PUNKT — DENN NEIN UND JA SIND -WIE DER ABSTEIGENDE UND ANSTEIGENDE KNOTEN DER WELT, UND WO SICH -BEIDE SCHÜRZEN, SCHWEBT GIPFELND DAS GESTIRN DER WELT DURCH SEINEN -MITTAGSKREIS — DENN NEIN UND JA SIND WIE DAS AUSSENBLATT UND -INNENBLATT DESSELBEN KEIMLINGS, IM SCHOSSE DER GEBÄRERIN STRENG -GEFALTET — GEFALTET ZUM AUSSEN-INNENBLATT REIFT ERST DER KEIMLING DER -GEBURT ENTGEGEN: GEFALTET ZUM NEIN-JA REIFT ERST DIE SEELE IHRER WELT -ENTGEGEN — DAS NEIN ZERSPELLT DAS GOLDENE EI DER WELT, DAS MÜTTERLICH -VOM PHÖNIX GEIST BEBRÜTETE — JEDOCH DES JUNGEN ADLERS SCHNABELSCHÄRFE -IST ES, DIE SICH MIT FRÜHFLÜGGER WEISHEIT LICHTBEGIERDE DAS DUNKLE -EI ZERSPELLT — O WELT, VON DEINER SONNE EMPFING ICH TRÄUMEND EINEN -HIMMELSTRAHL IN MEINEM AUG, ALS ES NOCH SCHLIEF, ZUM PFAND, DASS ICH -DEREINST MICH AN DIR SONNEN WÜRDE, WANN ICH DURCH DEINE BITTERSCHALE -BRACH — O AUGE ICH DER WELT, O HIMMELSAUGE ICH, ZU DIR, O<span class="pagenum"><a name="Seite_226" id="Seite_226">[S. 226]</a></span> WELT, -ERWACHEND — O ICH ERWACHTER DANN, VOLLKOMMEN ERWACHTER ICH ZU DIR, O -WELT —</p> - -<p class="center">DIES IST DIE DRITTE UNTERWEISUNG</p> - -<div class="section"> - -<p class="initial">Es ward gesagt, ihr Christen, daß der Buddho die Geburt haftbar -machte für die drei Kernübel dieser Welt, für Alter, Krankheit, Tod. -Dreimal hat der Buddho in der Legende von Vipassîs Ausfahrt der Geburt -geflucht: „O Schande sag’ ich über die Geburt, da am Geborenen das -Alter zum Vorschein kommt, die Krankheit zum Vorschein kommt, der Tod -zum Vorschein kommt...“ An die Geburt also knüpft sich das Leiden, -an die Geburt knüpft sich Alter, Krankheit, Tod. Denn ohne Geburt, -heißt es in den Reden schon fast mit einer wörtlichen Wendung Platons, -ohne Geburt würde kein Mensch zur Menschheit, kein Vierfüßer zur -Vierfüßerheit, kein Vogel zur Vogelheit geboren: ohne Geburt kein Wesen -zu Krankheit, Alter, Tod. So findet Gotamo in der Geburt die Ursache -aller drei grundsätzlichen Übel dieser Welt und in der Geburt die -Ursache alles Leidens an der Welt. Die Geburt aber, dies bemerkten wir -schon mit hinlänglicher Zuverlässigkeit, ist zwar Ursache, keineswegs -jedoch etwas Letztes oder Unbedingtes, — keineswegs Ur-Sache aller -Sachen oder Ur-Grund aller Gründe. Vielmehr ist ja die Geburt jeglichen -Wesens an und für sich schon Wieder-Geburt, verursacht und bedingt -durch frühere<span class="pagenum"><a name="Seite_227" id="Seite_227">[S. 227]</a></span> Tat, wie umgekehrt frühere Tat ihrerseit die Frucht -früherer Geburt gewesen ist. Und dies in unendlicher Schürzung und -Neuschürzung in unendlichem Kreislauf, bis irgendwann einmal die reine -Tat getätigt und irgendwann einmal der Kreis durchbrochen ward. Ins -Werden eingeflochten ist mithin die Tatsache der Geburt, ins Werden -eingeflochten bleibt sie. Und so versteht sich’s eigentlich von selbst, -daß auf die Frage: was Geburt bedinge, der Buddho keine andere Antwort -in Bereitschaft haben kann als eben: das Werden! Das Werden bedingt die -Geburt; denn wenn es kein Werden gäbe, kein geschlechtliches Werden, -kein formhaftes Werden, kein formloses Werden, dann gäbe es keine -Geburt. Was aber bedingt das Werden, gesetzt den Fall, auch dieses -Werden sei nichts Letztes, sei nichts Unbedingtes? Das Anhangen bedingt -das Werden, antwortet der Buddho selber sich auf diese neue Frage. Denn -wenn es keinen Hang gäbe, keinen Hang nämlich zur Lust, keinen Hang zur -Selbstbehauptung (und dies heißt gotamidisch gedacht keinen Hang zum -‚Ich-Sagen‘!) — wenn es keinen Hang gäbe ferner zur Ansicht, keinen -Hang zu Tugendwerk, dann gäbe es auch kein Werden. Was aber bedingt das -Anhangen, gesetzt den Fall, auch dieses Anhangen sei nichts Letztes, -sei nichts Unbedingtes? Der Durst bedingt das Anhangen, der ungelöschte -und unversiegte, antwortet der Buddho selber sich auf diese neue Frage. -Denn wenn es keinen Durst gäbe, Durst nach Gestalten, Durst nach Tönen, -Durst nach Düften, Durst nach Säften, Durst nach<span class="pagenum"><a name="Seite_228" id="Seite_228">[S. 228]</a></span> Tastungen, Durst -nach Gedanken, dann gäbe es auch kein Anhangen. Was aber bedingt den -Durst, gesetzt den Fall, auch dieser Durst sei nichts Letztes, sei -nichts Unbedingtes? Das Gefühl bedingt den Durst, antwortet der Buddho -selber sich auf diese neue Frage. Denn wenn es kein Sehgefühl, kein -Hörgefühl, kein Tastgefühl, kein Riechgefühl, kein Schmeckgefühl, -kein Denkgefühl gäbe, dann gäbe es auch keinen Durst. Was aber -bedingt das Gefühl, gesetzt den Fall, auch dieses Gefühl sei nichts -Letztes, sei nichts Unbedingtes? Die Berührung bedingt das Gefühl, -antwortet der Buddho selber sich auf diese neue Frage. Denn wenn es -keine Sehberührung, Hörberührung, Tastberührung, Riechberührung, -Schmeckberührung, Denkberührung gäbe, gäbe es auch kein Gefühl. Was -aber bedingt die Berührung, gesetzt den Fall, auch diese Berührung -sei nichts Letztes, sei nichts Unbedingtes? Die erkenntnismäßige -Doppeltheit Bild-und-Begriff, Begriff-und-Bild bedingt die Berührung, -antwortet der Buddho selber sich auf diese neue Frage. Denn wenn es -keine Wahrnehmungen und keine Vorstellungen, keine sinnlichen Eindrücke -und keine begrifflichen Kennzeichen, Wahrzeichen, Bedeutungzeichen -für solche Eindrücke gäbe, also platonisch gesprochen keine -εἰκόνες und keine εἴδη, dann gäbe es keine Berührung. Was -aber bedingt diese erkenntnismäßige Doppeltheit von Bild-und-Begriff -und von Begriff-und-Bild, gesetzt den Fall, auch diese Doppeltheit -sei nichts Letztes, sei nichts Unbedingtes? Das Bewußtsein bedingt -Bild-und-Begriff, Begriff-und-<span class="pagenum"><a name="Seite_229" id="Seite_229">[S. 229]</a></span>Bild, antwortet der Buddho selber sich -auf diese neue und nun doch schon beinahe ‚letzte‘ Frage, wofern er -jetzt offenbar die Reihe der Verursachungen und Bedingungen der Geburt -bis zur Ur-Sache und bis zum Un-Bedingten rückwärts verfolgt hat. Denn -gäbe es kein Bewußtsein, gäbe es keine Setzung von Nichtich-Welten für -das Ich, von Erlebnis-Mannigfaltigkeiten für die erlebende Einheit, -von Objektivationen für das Subjekt, dann gäbe es eben auch keine -Bilder und Bildesbilder, dann gäbe es auch keine Gegenständlichkeiten -und Gedankenzeichen für Gegenständlichkeiten, dann gäbe es auch keine -Wahrnehmungen und keine Vorstellungen, welche Wahrnehmungen vorstellen -sollen und wirklich auch vor-stellen. Wer aber jetzt noch weiter -forschen und weiter erklären wollte, der stieße bei der nächsten -Frage: Was bedingt Bewußtsein? schon unfehlbar wieder auf die bereits -erteilte Antwort: Bild-und-Begriff, Begriff-und-Bild bedingen das -Bewußtsein, wofern sie in zweifacher Erscheinung als Nichtich-Welt -bezogen auf ein Ich auftauchen, als Gegenstands-Vielheit bezogen auf -eine Zustands-Einheit auftauchen. Denn dieses gerade nennen wir ja das -Bewußtsein, daß für das unbegreiflich-unbegriffliche Selbst Begriffe -und Bilder aus irgendwelchen Latenzen her <i>in actu</i> auftreten und einem -solchen Selbst erscheinen, wahrnehmbar werden, vorstellbar werden. -In dieser Rücksicht heißt Bewußtsein offenbar Sich-Bewußt-Sein; sich -einem Sein auf irgendeine Weise entgegengesetzt und widerstemmt finden; -sich etwelcher Wahrnehmbarkeiten irgendwie<span class="pagenum"><a name="Seite_230" id="Seite_230">[S. 230]</a></span> inne werden, innerlich -und erinnerlich werden. Bewußtsein und Bild-Begriff erweisen sich -dem Buddho kurz gesagt als wechselbezüglich und wechselbezogen, als -wechselbedingend und wechselbedingt: eine sowohl in philosophischem wie -religiösem Betracht bedeutsame Lehre, die (wie man weiß) auch unserem -westlichen Klima keineswegs fremd geblieben ist. Vor dem Bewußtsein -als der Stätte entstehender Geburten steht schließlich der Frager -still und still steht davor auch des Fragers unablässig bohrender -und schraubender Verstand. Im Bewußtsein ist das Weh der Welt, das -dreigestaltige, verwurzelt; im Bewußtsein sind Vergänglichkeit, -Leidbehaftetheit, Wesenlosigkeit, <i>aniccam</i>, <i>dukkham</i>, <i>anattam</i> -verwurzelt; im Bewußtsein ist die Werdewelt, Wandelwelt, Wehewelt -verwurzelt. Gäbe es kein Bewußtsein, dann gäbe es ‚diese‘ Welt nicht; -denn ‚diese‘ Welt gibt es nur dort, wo sie sich eben einstellt und -vorstellt und nirgends sonst, ihr Christen...</p> - -</div> - -<p>Bei dieser Lehre von des Leidens Abkunft aus dem Bewußtsein etwas -zu verweilen, wie sie vom Buddho entwickelt wird vornehmlich -in der Fünfzehnten Rede aus der Längeren Sammlung Dîghanikâyo, -entwickelt wird aber außerdem auch sonst nicht selten in den Reden -der Längeren und Mittleren Sammlung, — bei dieser befremdlich -anmutenden Lehre hier noch etwas zu verweilen, dürfte mancherlei -Anlaß für uns bestehn, ihr Christen. Das Erlebnis des Leidens, von -der Person Gotamos als Schicksal empfangen, als Schicksal verwunden -und insofern sicher<span class="pagenum"><a name="Seite_231" id="Seite_231">[S. 231]</a></span>lich auch das Urerlebnis Gotamos, ist mithin -doch nicht Urerlebnis im Hinblick auf seine Entstandenheit oder -Unentstandenheit. Vielmehr gilt das Leiden als solches, und so auch -das Erlebnis des Leidens, schlechterdings für entstanden, für bedingt, -für verursacht, für geworden. Das Leiden an der Welt ist durchaus -ableitbar aus dem Bewußtsein von der Welt, und in Ansehung dieses -unumstößlichen Tatbestandes ist das Leiden auch in seiner Eigenschaft -als gotamidisches Urerlebnis weder ein Erstes noch ein Letztes, noch -gar ein Unbedingtes. Wohl aber, — und dies entscheidet über vieles! -— ist das Bewußtsein ein Erstes und ein Letztes und ein Unbedingtes. -Das Bewußtsein ist gleichsam der Erfüllungort, wo die einzelnen -Posten der unendlichen Summe ‚Wirklichkeit‘ in ihrem Lust- und -Unlustwert gegeneinander verrechnet, gegeneinander ‚geklärt‘ werden. -Das Bewußtsein ist gleichsam das Schiedsgericht, wo das rechtsgültige -Urteil endlich ergeht in Sache des noch nie ausgetragenen Widerstreits -zwischen Seele und Welt, Selbst und Wirklichkeit. Das Bewußtsein ist -gleichsam die Walstatt, wo über Sieg und Niederlage nunmehr entschieden -wird in dem Kampf der Freiheit gegen das Gesetz, der Willkür gegen -den Zwang. Das Bewußtsein ist gleichsam der Schauplatz, wo die Welt -sich selbst erscheint als die Einheit ihrer Mannigfaltigkeiten, als -die Ganzheit ihrer Teile, als der Leib ihrer Glieder. Im Bewußtsein -geschieht es, daß die Welt das Licht der Welt erblickt...</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_232" id="Seite_232">[S. 232]</a></span></p> - -<p>Dieser bemerkenswerten Auffassung und Neufassung des Begriffes ‚Welt‘ -von seiten des Buddho entspricht ein Vorgang, der sich in unserer -europäischen Vergangenheit nicht minder eindrucksvoll abgespielt -hat als in der indischen: nicht nur einmal, sondern zweimal den -menschheitlichen Zustand des jeweiligen <i>homo europaeus</i> gründlich -ändernd! Ich beziehe mich dabei, wie sich von selbst versteht, auf -jene philosophische ‚Umbettung‘ der Ding-Welt, Ding-an-sich-Welt -in eine Vorstellung- und Bild-Begriff-Welt, die wohl in unserem -westlichen Bezirk für das erste Mal zum Vollzug bei den Hellenen -kam, etwa in jenem merkwürdigen Zeitalter zwischen Demokritos und -Sokrates einerseit, Platon und Aristoteles andererseit (unter der -bestimmenden Mitwirkung der Sophisten); — die aber später dann noch -einmal zum Vollzug gelangte in dem weltgeschichtlich entsprechenden -Zeitalter zwischen Descartes und Spinoza einerseit, Leibniz und Kant -andererseit. Es ist dies jene Umbettung der Wirklichkeit, die ihre -berühmte Fassung einstweilen in der Formel Schopenhauers gefunden -hatte: die Welt ist Meine Vorstellung... übrigens eine Formel, welche -ein neuerer Schriftsteller nicht ohne Geist und Einsicht in die -richtigere umzuprägen vorschlug: Meine Welt ist Vorstellung!... Wie -also schon gesagt: seit Demokritos von Abdera mit dürren Worten eine -Welt des Seienden an und für sich unterschieden hatte von einer Welt -des Daseienden für uns, eine Welt gesetzmäßig bewegter Unteilbarkeiten -(ἄτομοι) draußen im leeren Raum und eine<span class="pagenum"><a name="Seite_233" id="Seite_233">[S. 233]</a></span> Welt auftauchender -und versinkender Vorstellungen drinnen im Bewußtsein, — seit dieser -gewaltige Denker den Schritt gewagt und den Schritt gemacht hatte von -der ‚Physik‘ zur ‚Ethik‘ und den Begriff des Abbilds (εἴδωλον) -und der Vorstellung (πρόληψις) in die griechische Philosophie -einführte, seither lagerte sich das sogenannte Sein unaufhaltsam um -in ein Bewußtsein. War es die eigentliche Leistung der Vorsokratiker -bis auf Demokrit, den furchtbaren Urwirbel einer noch nirgends -verwissenschaftlichten Weltwirklichkeit in eine gesetzdurchwaltete -Ordnung von Himmelskörpern und Gestirnen zu verwandeln, so verwandelte -Demokrit selbst (und der hierin durchaus ihm nacheifernde Platonismus) -wiederum die geordnete Gestirn- und Himmelswelt der ionischen -Kosmologen in eine geistverwandte, menschverwandte Vorstellung- und -Bilderwelt. Denn zwar vom Urwirbel aus scheint der Mensch den gebahnten -Himmel zu erobern, — erst vom gebahnten Himmel aber aus sich selber: -und Chaos, Uranos und Makranthropos heißen wohl die wichtigsten -Stationen, welche der menschliche Gedanke zweimal in Europa und einmal -in Indien zeitlich zurückgelegt hat, ehe er wirklich in ihm selber -Fuß fassen konnte. Daß Gotamos Lehre von der Entstehung des Leidens -aus dem Bewußtsein dem indischen Festland denselben Dienst geleistet -hat, welchen der ‚transzendentale Idealismus‘ und ‚Phänomenalismus‘ -in Altertum und Neuzeit dem europäischen Festland leistete, bedarf -somit keiner besonderen Erläuterung, sondern ist ganz einfach so. -Auch<span class="pagenum"><a name="Seite_234" id="Seite_234">[S. 234]</a></span> die gotamidische Lehre verlegt einen umspannenden Zusammenhang -von Dingen an sich und ihren gesetzmäßigen Bewegungen aus der Lage -des bloßen Seins in die Lage des Bewußtseins, um hier gewissermaßen -eine Vermenschlichung, ja eine Vergeistigung zu vollziehen. Auch -diese Lehre bettet eine ‚transzendente‘ Wirklichkeit außerhalb des -Bereichs menschlicher Erkenntnismittel und Erkenntnismöglichkeiten -in die sogenannte ‚Immanenz‘ der Vorstellungen, Bilder und Begriffe, -wo sie dem Zugriff menschlicher Erkenntnismittel, menschlicher -Erkenntnismöglichkeiten ausgesetzt erscheint. Auch diese Lehre -bezeichnet innerhalb der Entwicklung des indischen Geistes genau die -Stelle, wo eine Gestirn- und Himmelswelt des Kosmologen wesentlich -durch eine Menschenwelt des Ethikers verdrängt wird: die ewige Stelle -gleichsam auf der Kurve der Wissenschaftgeschichte, deren Scheitel -einmal den Namen Platon, das andere Mal den Namen Kant bei uns im -Westen trägt...</p> - -<p>Was aber hat, ihr Christen, diese mehrmals wiederkehrende Bewegung -der Erkenntnis von einer unbewußt-blinden Weltwirklichkeit weg zu -einer bewußten, sehenden Weltwirklichkeit hin im tiefsten zu bedeuten? -Was hat die Wendung zu bedeuten, welche Bergson neuerdings nicht -unzutreffend als die Wendung von der bloßen <i>science</i> zur <i>con-science</i> -hin bezeichnete? Was hat es zu bedeuten, daß die drei reifsten und -sinnigsten Deutungen der Welt mit offenbar gleicher Notwendigkeit -die Richtung vom<span class="pagenum"><a name="Seite_235" id="Seite_235">[S. 235]</a></span> Draußen nach dem Drinnen einschlugen? Was hat es -zu bedeuten, daß jede schärfere Einstellung auf die Gegebenheiten -der Sinne dazu führt, diese Gegebenheiten als Gegebenheiten ‚im -Bewußtsein‘ aufzufassen? Was hat es zu bedeuten, daß mit steigender -Genauigkeit der Beobachtung und Forschung das Rätsel des Seins -gleichsam auf der Pfanne der Kritik eingedampft wird zum Rätsel des -Bewußtseins? Was hat es zu bedeuten, daß auf einer gewissen Stufe -philosophischer Besinnung plötzlich alle die Fäden und Leitfäden, an -welchen die Erscheinungen aufgereiht sind, in einem einzigen Knoten -zusammenschießen, der wundersam genug Ich und Nichtich aneinander -knüpft und ineinander heddert? Was hat es zu bedeuten, daß die -unsichtbare Linie, welche alle wissenschaftgeschichtlich eingenommenen -Punkte und Stand-Punkte untereinander verbindet, jeweils so streng -eindeutig gezogen ist, daß sie von einem irgendwie ‚naiv‘ sich -gebenden Realismus bis zu einem kritisch geläuterten, ja kritizistisch -überspitzten Idealismus verläuft? Was hat es zu bedeuten, daß im alten -Griechenland jene ionischen Kosmologen und Physiker nicht weniger -wie die eleatischen Ontologen und Metaphysiker auf ihrem rüstigen -Wege eines Tags eingeholt, eines Tags sogar überholt wurden von den -attischen Idealisten und Kritizisten? daß in Europa später die Dogmatik -und Scholastik des christlichen Mittelalters nicht anders wie der -Positivismus und Empirismus der nichtchristlichen Neuzeit ereilt ward -und stets ereilt werden wird von der Transzendentalphilosophie, von -der<span class="pagenum"><a name="Seite_236" id="Seite_236">[S. 236]</a></span> Phänomenologie, vom Apriorismus? daß in Indien die ungeheuern und -wahrlich auch ungeheuerlichen Mythen brahmanischer Weltentstehungen und -auch Welterschaffungen aus Brahmâs des Himmelsjünglings und der Mâyâ -gemeinschaftlichen Traum- und Liebesspielen sanft aber unwiderstehlich -verdrängt wurden durch die so nüchterne Entstehungkunde aus dem -Bewußtsein, die hier der Buddho gibt? Was hat die immer gleiche -Wandlung zu bedeuten von einer flutenden und wogenden Nebelwirbelwelt -zu der Gestirn- und Himmelswelt der großen Physik Asiens und Europas, -— dann aber von deren glänzenden Umschwüngen und Sonnenbahnen -weg zu einer trockenen Bilder- und Begriffswelt hin, wie sie der -Gegenstand von mancherlei Ideenlehren, Transzendentalphilosophien -und Phänomenologien geworden ist? Weshalb geschieht es, daß zu einer -Zeit der Mensch mitten unter dem Uranos lebt, wie der jüngste, wie -der schönste aller Sterne unter älteren Brüdersternen, — zu einer -anderen Zeit jedoch nur als der Kleine Mensch mit dem Großen Menschen, -das ist wie ein empirisches Bewußtsein mit einem transzendentalen -‚Bewußtsein überhaupt‘? Was hat dieser über die Maßen befremdliche -Standpunktwechsel zu bedeuten?</p> - -<p>Eine beginnende Bemächtigung der Welt hat er zu bedeuten, eine -beginnende Bemeisterung, eine beginnende Überwindung der Welt, -antworte ich darauf, — nichts Geringeres und nichts Größeres, ihr -Christen, hat er zu bedeuten! Es ist der geheimste Sinn dieser<span class="pagenum"><a name="Seite_237" id="Seite_237">[S. 237]</a></span> -entwicklunggeschichtlichen Umbettung des Seins in das Bewußtsein, -daß man das Wirkliche dadurch gleichsam in die Hand bekommt, dieweil -es vorher sich offenbar jeder Handhabung entzog. Der Schwerpunkt -der Welt wird aus dem Sein in das Bewußtsein hinein verlegt, wofern -er im Bewußtsein jederzeit nach Absicht und Bedarf seine Stelle -wechseln kann: vergleichungweis wie ein gewandter Turner jederzeit den -Schwerpunkt seines Leibes nach Absicht und Bedarf seine Stelle wechseln -lassen kann. Die Welt als bloßes Sein unterliegt dem Gesetz des bloßen -Seins und bleibt insofern jeder Zuständigkeit bewußten Wollens, -bewußten Strebens, bewußten Zielens entrückt. Die Welt als Bewußtsein -dagegen unterliegt zumindest ‚auch‘ dem Gesetz des Bewußtseins, will -heißen dem Gesetze dessen, der für den Inhaber, Träger, Herrn des -Bewußtseins gilt. Das abgezogene und reine Sein verharrt ausschließlich -auch nach eigenem Sinn, Nicht-Sinn oder Wider-Sinn: verharrt als -unendliche Erstreckung unendlicher Mannigfaltigkeiten, welche nirgends -einen Ansatz für menschliches Eingreifen, Beeinflussen, Gegenwirken -darbieten (es geschähe denn durch Zauberei...). In dieser streng -sachhaften Wirklichkeit findet der Mensch im Grunde wenig oder -nichts für sich zu tun. Sie überwältigt und unterjocht ihn völlig, -wie es in den gesellschaftlichen Bildungen des Orients denn auch bis -auf Gotamo der Fall gewesen ist. Eingefügt, ja eingewalzt in die -unerschütterlichen Ordnungen der Gestirne und Gezeiten des allmächtigen -Himmels betätigt der Mensch<span class="pagenum"><a name="Seite_238" id="Seite_238">[S. 238]</a></span> sich wesentlich als Vollstrecker dieser -Ordnungen, die zwar nicht geradezu widermenschlich, aber doch auch noch -nicht menschlich sind. Der Mensch betätigt sich als kosmisches Werkzeug -hier, gleichsam als astrales Organon des großen Himmels, und seine -Siege, die in manchem Betracht alle künftigen Siege übertreffen, feiert -er in diesem Zeichen. In gar nicht abzuschätzenden Graden sind diese -Ordnungen astronomisch-astrologischer, physikalisch-kalendarischer, -mathematisch-mantischer Beschaffenheit wohltätig gewesen, — die -Ordnungen einer vorzugweis ‚katholischen‘ Gesellschaft, wie sie -in China, Indien, Babylon-Assur und Ägypten entstand und dauerte. -Rhythmisch durchpulst von den Flutungen und Ebbungen des Himmels wie -von den Blutwellen des eigenen Herzens atmet der Mensch hier noch den -Atem der Schöpfung. Aber wir sahen es schon: mit der Zeit trachtet der -Mensch auch diesen Atem in seine Gewalt zu bringen, zum Zeichen, daß -er nicht länger der Vollstrecker, sondern der Gebieter des All sei. -Es ist eine Tatsache von unverkennbarer Symbolik, daß just mit den -Übungen der Hatha-Yoga die gleichsam protestantische Loslösung und -Verselbständigung des Menschen beginnt, — schon lange vor Gotamo, -aber vollends durch Gotamo besiegelt, wenn er den unwillkürlichen -Vorgang des Lebens dadurch dem Willen unterwirft, daß er jenem ganz -regelmäßig eine bestimmte Vorstellung zuerst begleitend zugesellt, dann -aber gewissermaßen verdrängend unterstellt. Langsam, aber unaufhaltsam -verschwindet derart der Kosmos der Dinge,<span class="pagenum"><a name="Seite_239" id="Seite_239">[S. 239]</a></span> um einem Kosmos der -Vorstellungen das Feld zu räumen, — übrigens in der Bhagavad-Gitâ ganz -buchstäblich das ‚Feld‘ (<i>kshetra</i>) des Feld-Kenners (<i>kshetrajna</i>) -genannt! — langsam, aber unaufhaltsam, gelangt eine transzendentale, -will heißen immanente, will heißen phänomenologische Wirklichkeit als -Inhalt des Bewußtseins ins Machtbereich des erlebenden Menschen. Die -Reihe der kosmischen Kräfte wird um eine neue Kraft vermehrt, welche -bald alle übrigen an Wirksamkeit übertrifft: denn eben von den bewußt -entwickelten Vorstellungen hängt es künftig ab, welche Gestalt diese -Welt annimmt und welche nicht. Wenn schon Kant, der transzendentale -Idealist, auf seine stille Weise darüber frohlockt, daß sich in seiner -kopernikanisch gewendeten Lehre die Erkenntnisse der Vernunft fürderhin -nicht mehr nach den äußeren Dingen, Gegenständen, Wirklichkeiten -richteten, vielmehr umgekehrt die Dinge, Gegenstände, Wirklichkeiten -nach den Erkenntnissen der Vernunft und deren Bedingungen <i>a priori</i>; -wenn schon in diesem stillen Frohlocken Kants deutlich vernehmbar -die Freude des echten Protestanten an der Bewältigung, Bemeisterung, -Beherrschung der Natur durch den Geist, der Notwendigkeit durch die -Freiheit, der Unwillkür durch die Willkür zum Ausdruck kommt, — -nun wohl! so weiß der Buddho dieselbe Genugtuung noch ganz anders -auszudrücken: er, der dem entwickelten Vorstellungleben eine magische, -ja eine okkulte Wirksamkeit im Umkreis der Verursachungen zuzuschreiben -sich berechtigt fühlt. „Acht Gründe gibt es, Ânando,<span class="pagenum"><a name="Seite_240" id="Seite_240">[S. 240]</a></span> acht Ursachen, -daß ein gewaltiges Zittern über die Erde zur Erscheinung kommt; und -welche acht? Diese große Erde, Ânando, hat ihren Bestand im Wasser, -das Wasser hat seinen Bestand im Winde, der Wind hat seinen Bestand im -Raume. Zu einer Zeit nun, Ânando, wo gewaltige Winde wehen, lassen die -gewaltigen Winde mit ihrem Wehen das Wasser erbeben: und erbebt das -Wasser, erbebt die Erde. Das ist der erste Grund, die erste Ursache, -daß ein gewaltiges Zittern über die Erde zur Erscheinung kommt. Ferner -aber, Ânando, ist da ein Asket oder ein Priester, der ist machtvoll, -hat die Herrschaft über seinen Geist, oder ein Gott, hochmächtig, -hochgewaltig, — der hat die Vorstellung ‚Erde‘ mäßig entwickelt, -unermeßlich die Vorstellung ‚Wasser‘: so macht er diese Erde beben und -erbeben, wanken und schwanken. Das ist der zweite Grund, die zweite -Ursache, daß ein gewaltiges Zittern über die Erde zur Erscheinung -kommt...“Diese erstaunlichen und doch auch wieder selbstverständlichen -Worte des Dritten Berichtes aus dem Großen Verhör über die Erlöschung -Mahâparinibbânasuttam führen die Vorstellung ein als eine Kraft -eigener Art, als eine Ursache eigener Art, als einen Antrieb eigener -Art innerhalb der Gesamtheit aller Kräfte, Ursachen und Antriebe der -Welt. Auf magische oder auf okkulte Weise beeinflussen Vorstellungen -den Zustand der Wirklichkeit und verteilen die vorhandenen Grundstoffe -anders, als es vorher und ohne ihre Beeinflussung der Fall war. -Je nachdem eine Vorstellung vom Vorstellenden unterdrückt<span class="pagenum"><a name="Seite_241" id="Seite_241">[S. 241]</a></span> oder -entwickelt, begünstigt oder vernachlässigt, gestärkt oder geschwächt -wird, greift sie als eine wirkende Ursache in die Unendlichkeit der -wirkenden Ursachen ein. Weit entfernt, eine wesenlose, untätige, -unwirkliche Begleiterscheinung der Körperlichkeit oder des Lebens zu -sein, — wie dies europäische Psychologen, Physiker und Philosophen -häufig vermuten zu dürfen glaubten im sinnfälligen Widerspruch zu -bestehenden Tatsachenreihen, — erweist sich die Vorstellung hier als -eine der treibenden Kräfte der Welt, ja als die Hauptkraft der Welt, -wo sie richtig gebildet, richtig geübt, richtig gehandhabt wird. -Veränderte Vorstellungen bewirken veränderte Dinglichkeiten: diese -endlich auch von der abendländischen Wissenschaft gemachte Entdeckung -verrät das eigentliche Geheimnis, warum gerade der Buddho die Wendung -vom Kosmos Uranios zum Kosmos Noetos vollziehen mußte, — warum gerade -er den transzendentalidealistischen und phänomenologischen Standpunkt -mit soviel Ausschließlichkeit vertreten und wahren mußte. Gotamo der -Protestant, der von Anfang an nichts so folgerichtig und planmäßig -anstrebte als die vollendete Freiheit und Unabhängigkeit des Gemüts -von allen naturhaften Bedingungen und Gebundenheiten, er fand in -der Vorstellung die Möglichkeit, diese Freiheit und Unabhängigkeit -zielbewußt zu erwirken. Die Vorstellung, die ihm eine Kraft, eine -Wirksamkeit sondergleichen ist, gestattet den ungeheuern Eingriff -in die gesetzmäßig bestimmte Ordnung der Welt, auf welchen es vor -allem abgesehen ist. Im Besitz seiner Vor<span class="pagenum"><a name="Seite_242" id="Seite_242">[S. 242]</a></span>stellungwelt schaltet der -Vorstellende in den Stromkreis der Kräfte eine neue Kraft von der -Ordnung X ein, die im Unterschied zu allen anderen Kräften durchaus -dem Bereich der eigenen Machtvollkommenheit und Zielstrebigkeit -angehört. Von den Vorstellungen aus ergehen fortab die Befehle, -Winke, Zeichen, nach welchen die Wirklichkeiten abgeändert werden; -von den Vorstellungen aus beherrscht die Absicht des Vorstellenden -die gesamte Schöpfung, sobald er sie nur zu beherrschen willens -ist. Mittels der Vorstellung bringt der Vorstellende grundsätzlich -die unendliche Weltwirklichkeit in seine Gewalt: in der Form der -Vorstellung wird sie ihm botmäßig, wenn nicht sogar dienstwillig. -Schopenhauers etwas dürre Formel ‚die Welt ist Meine Vorstellung‘ -heißt in die Sprache Gotamos übersetzt fruchtbarer und sinngemäßer: -die Welt ist abhängig veränderlich von Meiner Vorstellung der Welt... -Und wenn dies auch nicht buchstäblich so zu denken ist, wie es Gotamo -selbst dem aufhorchenden Ânando im Dritten Bericht aus dem Großen -Verhör der Erlöschung Mahâparinibbânasuttam so eindringlich darlegt; -wenn in Wahrheit auch nicht schon jede unermeßlich entwickelte -Vorstellung ausreichend sein mag, diese Erde zum Zittern zu bringen -wie die Vorstellung ‚Wasser‘ eines hochmögenden Asketen, — daß eine -‚unermeßlich‘ entwickelte Vorstellung zum mindesten die empfindenden -und bewegenden Nerven, die Zellen und Gewebe und Muskeln eigener und -fremder Leiblichkeit beeinflussen und bestimmen können, dies steht -auch für unser<span class="pagenum"><a name="Seite_243" id="Seite_243">[S. 243]</a></span> europäisches Wissen nachgerade auch dann fest, wenn -eine ausreichende Erklärung dieses Sachverhalts nicht gegeben werden -kann. Mittels Vorstellungen auf lebendiges Plasma einzuwirken und -es von diesem inneren Licht aus geradezu einer Art von Bestrahlung -zu unterziehen, das ist möglich, denn es ist wirklich. Der Herr der -Vorstellungen aber ist der Vorstellende, und so ist der Vorstellende -der Herr über alles, was von der Vorstellung her beeinflußbar -erscheint, — grundsätzlich der Herr also über alles, was lebt und -infolge seines Lebens selbst an einer Vorstellungwelt teil hat: sie -sei dumpf oder besonnen, unbewußt oder bewußt. Als vorstellendes Wesen -verfährt der Mensch mit seinen Vorstellungen, wie es ihm gefällt, und -so verfährt er auch mit dem, was seiner Vorstellungkraft nah oder fern -zugänglich ist, wie es ihm beliebt. Die Welt als Vorstellung restlos -dem bewußten Wollen, der bewußten Absicht, dem bewußten Zweck gehorsam -zu machen, gehört somit ganz einfach zum Ziel des gotamidischen -Protestantismus, wie es (in etwas anderer Weise) zum Ziel des -kantischen Protestantismus gehört: in dieser Hinsicht geschieht Gotamos -Einstellung auf den ‚transzendentalen Idealismus‘ aus dem stärksten -Instinkt des großen Protestanten heraus, der über die Welt Herr sein -und nicht der Welt Knecht sein will. Sei nun die Welt wahrheitgemäß -Meine Vorstellung, oder sei Meine Welt Vorstellung oder sei weder -Meine noch Deine Welt weder Meine noch Deine Vorstellung, sondern die -‚Welt überhaupt Vorstellung überhaupt‘, — unter allen Umständen ist<span class="pagenum"><a name="Seite_244" id="Seite_244">[S. 244]</a></span> -es erst diese Auffassung, die eine brauchbare Möglichkeit schafft, -der Welt von innen her, vom Bewußtsein her, vom ‚Geiste‘ her habhaft -zu werden. Erst als Bewußt-Sein von der Welt ist das Sein der Welt zu -überwältigen, zu überweltlichen. Und umgekehrt: wo diese Überwältigung -und Überweltlichung vornehmstes Ziel des Lebens ist, muß folgerichtig -alles Sein in das Bewußtsein eingesenkt und eingeschichtet werden...</p> - -<p>Wie aber nun, ihr Christen? Heißet das Leiden verwinden recht -eigentlich die Welt verwinden, die Welt verwinden aber die Vorstellung -der Welt verwinden, — heißet alsdann nicht das Leiden verwinden die -Vorstellung der Welt, ja die Vorstellung-Welt selbst verwinden? Heißet -das Leiden verwinden recht eigentlich das Sein verwinden, das Sein -verwinden aber das Bewußtsein verwinden, — heißet alsdann das Leiden -verwinden nicht das Bewußtsein selbst verwinden? Und falls sich dieses -wirklich so verhält, — und es verhält sich so! — was heißt in diesem -zutreffenden Fall die Vorstellung verwinden, das Bewußtsein verwinden? -Wie kann die Vorstellung als solche, wie kann das Bewußtsein als -solches verwunden werden, wenn Vorstellung und Bewußtsein das Erste -und Letzte, das Unbedingte und Unentstandene ist? Wie kann das Erste -und Letzte, das Unbedingte und Unentstandene selbst verwunden werden, -da doch Nichts mehr hinter und Nichts mehr über ihm ist, welches zur -Verwindung berufen wäre?</p> - -<p>Auf zweierlei Arten kann dennoch auch das Bewußtsein verwunden werden, -die beide unmittelbar<span class="pagenum"><a name="Seite_245" id="Seite_245">[S. 245]</a></span> durch die Beschaffenheit des Bewußtseins -selber bestimmt sind. Das Bewußtsein nämlich kann unterschritten -und kann überschritten werden. Es kann entweder soweit geschwächt, -soweit getrübt, soweit verringert, soweit unterdrückt werden, daß es -gewissermaßen unter seinen eigenen Schwellenwert hinabsinkt und sich -ins Unbewußtsein allmählich verliert. Oder aber das Bewußtsein kann -soweit gestärkt, soweit aufgehellt, soweit vermehrt, soweit gehoben -werden, daß es gewissermaßen über sich selbst gesteigert erscheint -und ins Überbewußtsein mündet. Denn um den entscheidenden Tatbestand -mit einem einzigen Wort anzuführen: das Bewußtsein hat Grade! Das -Bewußtsein hat Grade, und also verläuft es zwischen einem untersten und -einem obersten Schwellenwert von der bestimmten Größe Null bis zu einer -unbestimmbaren und vielleicht sogar unendlichen Größe. Das Bewußtsein -hat Grade, wie schon einer der ersten Philosophen des Bewußtseins in -Europa, Leibniz, mit großem Nachdruck behauptete; — das Bewußtsein -hat Grade, auch wenn sich im verflossenen Jahrhundert der Philosoph -des Unbewußtseins für das Gegenteil dieser Behauptung hartnäckig -eingesetzt hat. Zwischen der heftigsten, beinahe wütenden Gespanntheit -auf ein erlebtes Vorkommnis und der vollkommenen Gleichgültigkeit -gegen dasselbe, zwischen der angestrengtesten Überwachheit und der -trägsten Dumpfheit, zwischen andauernder Aufmerksamkeit und andauernder -Verschlafenheit, zwischen gleichmäßiger Geistes-Allgegenwart und -gleichmäßiger Geistes-Abwesenheit,<span class="pagenum"><a name="Seite_246" id="Seite_246">[S. 246]</a></span> zwischen beherrschter Sammlung und -zuchtloser Zerstreutheit durchmißt das Bewußtsein alle erdenklichen -Grade: wie eine Klammer, die bald geschlossen, bald aber offen -ist, umklammert das Bewußtsein erlebbare Gegenständlichkeiten mit -eiserner Strenge oder entläßt sie in loser Ungebundenheit. So -führt es entweder zu einem Zustand, der die Bezeichnung Bewußtsein -noch kaum oder noch gar nicht verdient, oder zu einem anderen, für -welchen die Bezeichnung Bewußtsein nicht mehr ausreichend ist. Im -allgemeinen hält das Bewußtsein eine gewisse dämmerige Mitte ein -zwischen Unbewußtsein und Überbewußtsein, wie etwa der Halbschlaf die -dämmerige Mitte hält zwischen Wachheit und Vollschlaf. In der Tat, -dem Halbschlaf gleicht das Bewußtsein in seinem gewöhnlichen Zustand: -es ist eher eine Bereitschaftlage, in Bewußtsein überzugehen, als -jederzeit selber Bewußtheit zu sein. Die zahllosen Vorstellungen die -auch dem vorstellungärmsten Menschen noch durch den Kopf schwirren, -beschäftigen das Bewußtsein gleichsam nur als Möglichkeiten. Damit -sie als Vorstellungen ‚wirklich‘ werden, muß ihnen schon ein Zwang -zur Aufmerksamkeit zu Hülfe kommen, sei es, daß von außen, sei es, -daß von innen her ein Interesse geweckt werde, welches einzelne -Vorstellungen aus der zudrängenden Menge auswählt und nun entwickelt. -Wie beispielweis ein Landschafter eine lange Frist in einer Landschaft -weilt, bis ihn in irgendeinem Augenblick ein ganz bestimmter -Ausschnitt zum Bild anreizt und er zu sich spricht: alles andere wird -nicht gemalt, aber dies<span class="pagenum"><a name="Seite_247" id="Seite_247">[S. 247]</a></span> wird gemalt, — ebenso weilt der Mensch -gewohnheithalber mitten und unter seinen Vorstellungen, bis ihn eine -derselben aus erkennbaren oder unerkennbaren Gründen zur Entwicklung -anreizt. Auf diese Vorstellung sammelt sich das Bewußtsein und führt -sie mit Sorgfalt, Genauigkeit, Treue aus; bei dieser Vorstellung -verweilt das Bewußtsein und umkreist sie in stätigem Flug; an dieser -Vorstellung erwärmt sich das Bewußtsein und entzündet sich zu einer -gleichmäßig hellen Flamme, indes alle übrigen Vorstellungen je und je -ins Dunkel jenes Kraters zurückstürzen, dem sie rätselhaft entstiegen -sind... Wer also das Bewußtsein verwinden will, dem steht die Wahl -ins Unbewußtsein zurück ebenso offen wie die Wahl zum Überbewußtsein -vor, und vielleicht ist es schwer zu sagen, ob die Verwindung durch -Unbewußtsein oder die Verwindung durch Überbewußtsein leichter zu -bewerkstelligen wäre, — wie denn der eine zwar leicht einschläft, aber -nur mühsam zu wecken ist, indes der andere schwer einschläft, aber -leicht wieder aufwacht.</p> - -<p>Dies übrigens dahingestellt, bleibt dem Buddho jedenfalls die -Wahl zwischen beiden Arten der Verwindung. Es bleibt ihm die Wahl -zwischen Verringerung und Steigerung, zwischen der Annäherung ans -Unbewußtsein und ans Überbewußtsein, zwischen der Bevorzugung des -Schlafzustandes und des Zustands der Überwachheit. Wozu aber sich -der Buddho entschließt, das geht unmißverständlich eben schon aus -dem Namen hervor, den er trägt... „Der Erwachte, o Keniyo, sagst du? -— Der Erwachte, o Selo, sag<span class="pagenum"><a name="Seite_248" id="Seite_248">[S. 248]</a></span>’ ich“... Denn wie sollte der Erwachte -anderes als die Wachheit und Überwachheit des Bewußtseins als des -Bewußtseins eigentliche Überwindung werten? Diese Wahl ist es dann -auch freilich, welche den Buddho in einen tief bedeutsamen Gegensatz -bringt zu der Praxis der Yoga, zu der Praxis des Brahmanismus, die -ihrerseit den Tiefschlaf als den göttlichen Urstand schlechthin zum -erstrebenswürdigsten Ziel ihrer geistlichen Übungen erhebt. Wobei wir -freilich zu bedenken hätten, daß dem Buddho doch auch dieser Weg der -Minderung und Verringerung, den alle Mystik immer wieder gegangen -ist, keineswegs fremd geblieben ist. Ich sagte es schon mehrmals, -daß zwischen Ja und Nein dem Buddho noch ein drittes, diesseit der -Gegensetzungen, ‚<i>nirdvandva, dvantvâtîta</i>‘, vorschwebt, das weder Ja -noch Nein und doch wiederum Ja und Nein in einem ist... Wählt somit -Gotamo die Steigerung, so heißt dies nur in unserer europäischen -Zwiesal-Sprache, daß er die Verringerung durchaus verwerfe. Seine -Entscheidung gilt folglich zwar ohne diesen Vorbehalt nicht eindeutig: -wohl aber gilt sie mit ihm so. Das Bewußtsein ist zu verwinden durch -die höchstmögliche Steigerung des Bewußtseins, und diese Praxis haben -wir jetzt in ihrer Wichtigkeit darzustellen.</p> - -<p>Unser Leben in Vorstellungen, wie wir’s uns selber überlassen führen, -ist ein Spiel. Die Vorstellungen tauchen auf und sinken unter wie die -Fische in einem Weiher. Jetzt schnellen und schnalzen sie sich, in -der Sonne wie kleine Silberpfeile blitzend, über den<span class="pagenum"><a name="Seite_249" id="Seite_249">[S. 249]</a></span> Wasserspiegel -des Weihers in munteren Sprüngen dahin; im nächsten Augenblick -schwimmen sie in ihrem Element flink umeinander, — und jetzt sind -alle verschwunden. Gewiß hat auch dieses Spiel der Vorstellungen seine -Regeln, sonst wär’ es doch wohl kaum ein Spiel. Denn einmal ist ihre -Abfolge im Bewußtsein festgelegt durch die gleichsam physikalische -Abfolge der Wirklichkeiten in Raum-Zeit, die sie im Bewußtsein zu -vertreten haben. Zum anderenmal ist dieselbe Abfolge festgelegt durch -die psychologischen Gesetze der Vergesellschaftung, durch welche sie -bestimmt wird. Wer beispielweis durch die Straßenzüge einer großen -Stadt schlendert, hat keine Freiheit, weite Täler, hohe Berge, einsame -Wälder, bebaute Felder wahrzunehmen. Seine Vorstellungen bleiben -wimmelnden Gassen verhaftet, rauchenden Schloten, zudringlichen -Firmenschildern, lärmenden Plätzen. Und auch wenn er seine -Vorstellungen von dieser Umwelt abzieht, und in sich selbst verloren, -in sich selbst versonnen weiterschlendert, wechseln dieselben nach -Regeln, auf welche er offenbar keinen Einfluß hat, solange er das Auf -und Ab der Vorstellungen sich selber überläßt. Ein Spiel nach Regeln -und Gesetzen ist also dieser Ablauf, wo die benachbarten Vorstellungen -immer wieder die benachbarten, die verwandten Vorstellungen immer -wieder die verwandten suchen. Sich selber überlassen, stellen sich die -Vorstellungen niemals in einer Abfolge ein, die dem klaren Willen des -Vorstellenden entsprechen würde, und niemals verschwinden sie diesem -Willen entsprechend.<span class="pagenum"><a name="Seite_250" id="Seite_250">[S. 250]</a></span> Vielmehr schaut der Vorstellende selbst diesem -Spiel nur wie ein müßiggängerischer Gaffer zu, der eine Szene auf dem -Marktplatz oder im Theater als unbeteiligter Dritter anstaunt: wohl -wechseln fortwährend seine Vorstellungen, aber nicht ist er es, der -sie wechselt. Was unser Besitz sein sollte und richtig verstanden -überhaupt unser einziger Besitz sein kann, das lassen wir als grobe -Naturalisten, ja Anarchisten des Lebens einfach gewähren und geben uns -willfährig seinem eigenen Sinn oder Unsinn gefangen. Diesem launischen -Spiel, welches das verborgene ‚Es‘ mit uns allen spielt, ein sehr -entschiedenes Ende zu setzen, und an Stelle des Naturalismus und der -Anarchie gleichsam den ‚Stil‘, sogar den hieratischen Stil walten -zu lassen und seine strengen Gesetze: das heißt in der Auffassung -des Buddho den ersten Schritt tun zu der Verwindung des Bewußtseins -durch Steigerung des Bewußtseins. Auf das Spiel, auf die Spielerei -zu verzichten, die wir mit uns selber treiben, und endlich mit -einem gewissen Ernste Ernst zu machen: das ist die erste Forderung, -die an den Jünger des Erwachten ergeht. Er soll die Abfolge der -Vorstellungen, die von Haus aus eigentlich in keinerlei Betracht die -seine ist, zur seinigen machen; er soll der Abfolge der Vorstellungen -die Regeln der Vergesellschaftung selber auferlegen, statt sie -physikalisch-psychologischer Gesetzmäßigkeit anheim zu geben. Er soll -den zuchtlosen Ablauf der Vorstellungen in die Zucht nehmen und ihm -wie einem durchaus regulierten Fluß die rechte Richtung weisen, den -rechten<span class="pagenum"><a name="Seite_251" id="Seite_251">[S. 251]</a></span> Wasserstand, die rechte Fahrtrinne, die rechte Stromstärke, -das rechte Gefälle, — dies ist das Unerläßlichste von allem.</p> - -<p>Ein Vorsatz von mehr als menschlicher Strenge gegen sich selbst, -ihr Christen, wenn man’s recht bedenkt. Ein Vorsatz, der für die -meisten christlichen Abendländer, wofern sie sich nicht zufällig -mit den Geistlichen Übungen des heiligen Jgnatius vertraut gemacht -haben, etwas Unheimliches, Unbegreifliches, Zermalmendes hat: für -jene Abendländer, die es so sehr lieben, sich gehen und hängen zu -lassen, wie es gerade kommt oder auch krumm kommt. Denn was will -es heißen, alle die aufkeimenden und aufwuchernden Vorstellungen, -die unser Selbst wie eine undurchdringliche Dornenhecke um sich zu -ranken pflegt, nach der Zuständigkeit der heilstrebenden Absicht -überall zu beschneiden und festzubinden? Es will heißen, daß jede -Vorstellung, die nicht mit dieser bewußten Zwecksetzung übereinstimmt, -ohne Gnade und Nachsicht zu unterdrücken ist, sei es auf die Gefahr -hin jeglicher Vergewaltigung der eigenen Instinkte, Triebe und -Neigungen. Es will heißen, daß jedes Gelüste, jede Anwandlung, jede -Versuchung des Leibes und der Seele in des Wortes buchstäblicher -Meinung schon von der Schwelle her abzuweisen ist, es sei nun, daß -diese Vorstellung die Schwelle gar nicht überschreiten darf, es sei, -daß sie sie nach erfolgtem Überschritt sofort wieder räumen muß. Es -will heißen, daß alle Erlebnisinhalte und Bewußtseinsgegebenheiten, -welche nicht unmittelbar oder mittelbar die<span class="pagenum"><a name="Seite_252" id="Seite_252">[S. 252]</a></span> Tat des Heils zu fördern -geeignet erscheinen, als störend oder entbehrlich zu verabschieden -sind. Es will heißen, daß alles, was bedrückt, was schmerzt, was -umdunkelt, was hemmt, was niederzieht, was verderbt, was beschwert, -was beeinträchtigt, was entwertet, was entwürdigt, was befleckt, -was gefährdet, was erzürnt, was erschreckt, was verbittert, was -verstockt, was kränkt, was aufwühlt, was entfesselt, was verstört, was -verwildert, was verroht, was verkehrt, was versklavt, was umnebelt, -was berauscht, was ausschweift, was ablenkt, was zerstreut, was -verwirrt, was in Zweifel stürzt, was verzweifeln macht, was täuscht, -was verblendet, was giert, was gärt, was verzehrt, was abstumpft, was -versehrt, was entzweit, was zerreißt, was entfriedet, was entfremdet, -was entkräftigt, was entnervt, — daß alles dieses und was nicht noch -alles sonst aus dem Bewußtsein zu verjagen und zu verbannen ist, -nötigenfalls zu übermannen mit Einsatz aller Kräfte des Willens „mit -aufeinandergepreßten Zähnen und an den Gaumen gehefteter Zunge“... Es -will heißen, daß alle Erwägungen aufzugeben und einzustellen sind, -die mit dem heiligen Ziel nicht nachweisbar zusammenhängen, und mit -diesen Erwägungen und Erörterungen dann alle Reden und Gespräche, -alle Belehrungen, Bestrebungen, Zwecksetzungen. Es will heißen, -daß mit dem Eifer eines Teufelaustreibers die urwüchsigsten Triebe -auszutreiben sind wie die geistigsten Bildungen, sobald sie vom Ziel -abführen oder auch nur nicht zu ihm hinführen. Es will heißen, daß alle -Wahrnehmungen und Erinnerungen und<span class="pagenum"><a name="Seite_253" id="Seite_253">[S. 253]</a></span> Absichten, sobald das Bewußtsein -ihrer ansichtig geworden ist, auf die goldene Wage zu legen sind, ob -recht oder nicht recht, ob statthaft oder verboten, ob heilfördernd -oder heilhemmend. Es will heißen, daß alle ‚rechten‘ Vorstellungen -zum Gedeihen, alle ‚unrechten‘ aber zum Eingehen zu bringen sind, ja -daß die rechten geradezu zum Kampfe aufgeboten werden, um diese zu -verdrängen und ihre Stelle einzunehmen. „Gleichwie etwa, ihr Mönche, -ein geschickter Maurer oder Maurergeselle mit einem feinen Keil einen -groben heraustreiben, herausschlagen, herausstoßen kann, ebenso nun -auch, ihr Mönche, soll ein Mönch, wenn er eine Vorstellung faßt, -eine Vorstellung sich vergegenwärtigt, und ihm dabei böse, unwürdige -Erwägungen aufsteigen, Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, -aus dieser Vorstellung eine andere gewinnen, ein würdiges Bild“... -Denn daß die Triebe und Begehrungen, die Leidenschaften und Neigungen, -die mit der Wesenheit der Person lebendig verwurzelten, aus dem -Bewußtsein unter keinen Umständen verdrängt werden könnten, oder falls -dennoch verdrängt, in unterschwelligen, unterschwürigen, unterbewußten -Bezirken der Seele erst recht und viel unbezwinglicher noch ihr Unwesen -fortsetzen müßten, — dieses Ergebnis abendländischer Seelenerkundung -hätte Gotamo vermutlich nicht anerkannt. Wofern auch der Trieb oder -Hang als eine Vorstellung ins Bewußtsein tritt, da betritt er eben die -Walstatt, wo gegen jede unerlaubte Vorstellung ihre Gegen-Vorstellung, -Gegen-Stellung ins Gefecht geführt wird:<span class="pagenum"><a name="Seite_254" id="Seite_254">[S. 254]</a></span> betritt also der Trieb -oder Hang die Stätte einer zum Austrag gelangenden Zucht-Wahl, wo -die durch Zucht erwählte Gegen-Vorstellung die gleichsam wild und -zuchtlos aufgeschossene Vorstellung aus dem Feld schlägt. Ein etwaiger -Rückzug aber aus dem Bewußtsein in die Höhlen und Unterschlüpfe des -Unterbewußtseins, wie ihn alsdann die moderne Seelenlehre des Westens -für unvermeidlich erachtet, wird schlechterdings nicht geduldet, — -aus Gründen, die wir bald in den Umkreis der Betrachtung zu ziehen -haben werden. Jedenfalls ereignet sich somit im Bewußtsein der seltsame -Kampf, der über die Rechtmäßigkeit jeder einzelnen Vorstellung -entscheidet und folglich auch über ihren weiteren Verbleib, ihre -weitere Entfaltung, ihre weitere Begünstigung. Unmöglich aber ist’s, -hier aller Anstalten besonders zu gedenken, die der Buddho namhaft -zu machen gewußt hat zur Beförderung dieses seines Zieles. Besteht -doch in der Sammlung und Sichtung, Darlegung und Erläuterung dieser -Anstalten im Grund die ganze Lehre des Buddho, — die ganze Lehre ein -beispiellos abgerundetes und wohlgeordnetes Gefüge von erzieherischen, -von seelsorgerischen Maßnahmen, das Spiel der Vorstellungen in die -Gewalt des selbstherrlichen Willens zu bekommen und dort gebieten zu -lernen, wo wir alle am meisten gehorchen müssen. Diese Schule der Zucht -und Selbst-Zucht macht sich sorgfältige Erfahrungen von Jahrtausenden -mit einem nirgends mehr erreichten Aufwand von Menschenkenntnis und --erkenntnis zu Nutz und ist darum auch für die Jahrtausende gültig, -wahrhaft<span class="pagenum"><a name="Seite_255" id="Seite_255">[S. 255]</a></span> unsterblich und zeitlos. Sie durchaus in ihrem gesamten -Aufbau und Ausbau zu überschauen, ist nur einem solchen möglich, der -die Schriften des Kanons wieder und wieder durchforscht, indes unser -abendländisches Wissen, unsere europäische Gelehrsamkeit vollkommen -außerstand ist, im einzelnen zu billigen oder zu tadeln, hinzuzufügen -oder fortzustreichen, zu urteilen oder zu entscheiden. Von dieser in -der Tat ungemein schwierigen Praxis und Pragmatik des urwüchsigen -Buddhismus einen Begriff zu geben erscheint desto schwieriger, je -fortgeschrittener unsere eigene seelische Verwahrlosung ist. Ehe wir -über sie annähernd würdig werden sprechen können, sprechen dürfen, -werden Jahre und Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte einer neu -erblühenden europäischen Religiosität vonnöten sein...</p> - -<p>Ein zur höchsten Meisterschaft gebrachtes Verfahren, das Ineinander -und Durcheinander der bewußten Vorstellungen einer strengen Auslese -zu unterziehen, dies, ihr Christen, ist also das eine, was dem Buddho -die Verwindung des Bewußtseins bewirkt durch die Steigerung des -Bewußtseins. Verdrängung aller wertwidrigen Bewußtseinsinhalte durch -die wertentsprechenden, Entkräftung aller niedrigen Triebregungen durch -Begünstigung und ‚unermeßliche Entwicklung‘ aller höheren, Vertauschung -aller heilhemmenden Gegebenheiten gegen die heilförderlichen: das -ist Ziel wie Weg, Zweck wie Mittel. Aber gleichzeitig erschöpft sich -die angestrebte Steigerung des Bewußtseins doch keineswegs in dieser -völligen<span class="pagenum"><a name="Seite_256" id="Seite_256">[S. 256]</a></span> Bemeisterung, Beherrschung, Regelung des Vorstellungablaufes -in der Zeit. Die nicht zweckdienlichen und folglich verbotenen -Bewußtseinsinhalte schon von der Schwelle fern zu halten, oder wo -dieses mißlingt, von der Schwelle zu entfernen, ist eine unerläßliche -Bedingung für die Entstehung jenes besseren, freieren, reineren -Urstandes, der dem Buddho vorschwebt. Aber unter keinen Umständen -ist das Bewußtsein schon verwunden wenn es gesäubert und entschlackt -erscheint. Die starke Gefahr ward vorhin erwähnt, die nach heutiger -Auffassung diesem Verfahren der Verdrängung eingewurzelter Triebe und -Begierden verhängnisvoll zu werden droht. Die Gefahr nämlich, daß die -verdrängten Regungen sämtlich in den unterschwelligen Bezirken der -Seele sich festnisten und hier nach der Gepflogenheit aller Schmarotzer -ein untilgbares und verwüstendes Unwesen führen möchten auf Kosten -der wachen Bewußtheit, die sich ihrer entledigt hat. Denn wie es -geschrieben steht, — manche haben den Geist der Wollust aus sich -herausgetrieben und sind hernach in die Säue gefahren, und häufig genug -erwürgt ein verdrängter Hang nachträglich seinen eigenen Henker. In den -dunkleren und dumpferen Lagen der Seele huldigt der Mensch auf eine -ausschweifende und krasse Weise dem Dienst seiner Ahnen, deren Totem -er zwar nicht nach Art der ehemaligen Indianer auf die Haut tätowiert, -aber dennoch wie ein Mosaik in dem Kerngerüst seiner Keim-Zelle -musivisch angelegt trägt: und wehe ihm selber, wenn er sie mit dem Blut -der Opfer tränkt,<span class="pagenum"><a name="Seite_257" id="Seite_257">[S. 257]</a></span> die er auf dem Altar des Bewußtseins seinem edleren -Trachten feierlich dargebracht und umgebracht hat! Was hier der Mensch -im Menschen aus Ehrfurcht oder Scham vor sich selbst verwirft, das -diente von jeher dem Tier im Menschen zu seiner am hitzigsten begehrten -Kost. Und wenn sich die Hunde keineswegs ekeln, als die sonderlichsten -aller Selbstverköster den eigenen Auswurf, ja den eigenen Kot -gelegentlich wieder zu fressen, so heulen und bellen fürwahr diese -selbigen Hunde in den Kellern der Seele bei Tag und bei Nacht und bei -Nacht noch weiterhin vernehmlich wie am Tage. Die Gefahr mithin, in -den oberen Geschossen, wo das Bewußtsein gleichsam seine Empfangräume -hat, zwar eine peinliche Sauberkeit überall zu beobachten, aber den -inwendigen Abfall und Kehricht in das Verlies hinunter zu fegen, wo -Ratten und Schlangen in modrigen Löchern behaust sind, — diese Gefahr -ist in der Tat keine geringe. Aber sie besteht nicht, ohne daß Gotamo -genau um sie wüßte, — Gotamo, dessen Kennerschaft hier wirklich etwas -von göttlicher Allwissenheit erworben zu haben scheint. Denn keineswegs -bleibt diese tiefer geschichtete Zone der unterschwelligen Lebenskräfte -sich selber überlassen. Vielmehr wird sie im Bewußtsein vom Bewußtsein -unaufhörlich angeblinkt und belichtet, wie etwa des Nachts die -Einfahrt eines Hafens unaufhörlich angeblinkt und belichtet wird. -Und eben in dieser fortgesetzten Sammlung des Bewußtseins auf sonst -unbewußte oder unterbewußte Vorgänge besteht das zweite gotamidische -Verfahren, das Bewußtsein zu<span class="pagenum"><a name="Seite_258" id="Seite_258">[S. 258]</a></span> steigern und durch Steigerung zu -verwinden. Die oben umschriebene Regelung des Vorstellungablaufs -durch Auslese und Zuchtwahl der Vorstellungen untereinander ergänzt -sich sinngemäß durch eine andauernde Beaufsichtigung der niedereren -Körper- und Seelenbewegungen. Wo daher unstatthafte und unzweckmäßige -Vorstellungreihen aus dem Bewußtsein verdrängt werden und aus dem -Bewußtsein in tiefere Seelenlagen abwärts gleiten, da wird unverzüglich -eine Gegenwirkung aufgerufen, welche die unterschwelligen Vorgänge -ihrerseit wieder in den Lichtkegel der Bewußtheit rückt, ehe sie sich -in den Falten einer Dämmerwelt schmarotzerisch festzunisten vermögen. -Wohl werden also im Bewußtsein keine Vorstellungen geduldet, welche dem -heiligen Ziel der Leidensüberwindung nicht irgendwie förderlich zu sein -verheißen. Aber ebensowenig werden im Unterbewußtsein, Unbewußtsein -Vorstellungen geduldet, welche um eben jenes heiligen Zieles willen -aus dem Bewußtsein mit Anstrengung verdrängt wurden und sich darum der -Aufsicht des Bewußtseins zu entziehen drohen. Um solchen oder ähnlichen -Gefahren zu begegnen, hat der Mönch ein Maß von Selbstüberwachung -zu bewähren, welches dem Wachstum unterschwelliger Seelenkräfte -nicht nur so ungünstig wie möglich ist, sondern dasselbe vielleicht -geradezu ausschließt. Von der allmächtigen und allgegenwärtigen -Polizei des Bewußtseins werden alle unterschwürigen Lebensäußerungen -und Willensantriebe wie eine Verbrechergesellschaft von Schlupfwinkel -zu Schlupfwinkel aufgescheucht und zuletzt<span class="pagenum"><a name="Seite_259" id="Seite_259">[S. 259]</a></span> nach und nach vollständig -aufgerieben. Das Gemüt des Asketen liegt faltenlos geglättet an -der gleichmäßigen Helligkeit des Bewußtseins da; unbeaufsichtigte, -ungewußte, unbemerkte Wallungen oder Begierden gibt es grundsätzlich -in ihm nicht mehr. Dies ist der Grund, warum der Buddho die -Verdrängung eingewurzelter Lebenstriebe durchaus und ohne Vorbehalt -gebietet, und dennoch offenbar keines der Übel fürchtet, die nach dem -Ergebnis europäischer Seelenkunde jeder derartigen Triebverdrängung, -Triebunterdrückung auf dem Fuße folgen müßte. Und auch hier ist -wiederum vorbildlich jene mehrfach schon berührte Zucht der -Atemführung geworden. Wie diese Zucht in der Absicht geübt wird, die -unwillkürlichen Bewegungen des Leibes in willkürliche zu verwandeln, -so will eine letzte Zielsetzung überhaupt alle Lebensvorgänge aus -dem Reich der Physis in das Reich der Psyche pflanzen. Stets von -neuem wird der Mönch daher vom Buddho angehalten, die ‚vier Pfeiler -der Einsicht‘ fest zu gründen und beim Körper über den Körper, bei -den Gefühlen über die Gefühle, beim Gemüt über das Gemüt, bei der -Erscheinung über die Erscheinung zu wachen. ‚Klar bewußt‘, dies wird zu -einer der dringendsten Ermahnungen an die Jünger, und die evangelische -Wachsamkeit bei Tag und bei Nacht, besonders aber bei Nacht, gilt im -urwüchsigen Buddhismus noch viel mehr (wenn freilich auch in einem -anderen Sinne) als in den evangelischen Schriften für die vornehmste -aller religiösen Pflichten: „Den Arm über das Haupt gelegt, so sollte -der Held<span class="pagenum"><a name="Seite_260" id="Seite_260">[S. 260]</a></span> ausruhn, so sollte er auch noch sein Ausruhn überwinden“ ... -Nicht ziemte es dem vorgeschrittenen Asketen, auch nur eine einzige -Verrichtung des Leibes mit schläfrigem Bewußtsein oder ‚aus Instinkt‘ -zu verrichten. Ein ständig arbeitendes Bewußtsein läßt vielmehr gar -keine Instinkte aufkommen und unterbricht daher auch den Zusammenhang -der Lebewesen fast gänzlich, der sonst zwischen dem Menschen und den -übrigen Tieren der Schöpfung nur allzu deutlich wahrzunehmen ist. „Mit -klarem Bewußtsein wollen wir uns wappnen. Klar bewußt beim Kommen und -Gehn, klar bewußt beim Hinblicken und Wegblicken, klar bewußt beim -Steigen und Erheben, klar bewußt beim Tragen der Gewänder und der -Almosenschale des Ordens, klar bewußt beim Essen und Trinken, Kauen und -Schmecken, klar bewußt beim Entleeren von Kot und Harn, klar bewußt -beim Gehn und Stehn und Sitzen, beim Einschlafen und Erwachen, beim -Sprechen und Schweigen, also habt ihr euch, meine Mönche, wohl zu -üben“...</p> - -<p>Alle die wimmelnden Gefühle also, die aus der Sehnsucht stammen oder -aus dem Verlangen oder aus dem Hang oder aus dem Weib oder aus der -Begierde oder aus der Liebe oder aus dem Haß, sie werden gleichsam -im Bewußtsein abgefangen und hier mit einem Hieb ins Genick zur -Strecke gebracht. Und mit diesen vom Lebenssaft der tiefst gesenkten -Bodenwurzeln tausendfach gespeisten Gefühlen wird die Sehnsucht selber, -wird das Verlangen selber, wird der Hang selber, wird der Trieb selber, -wird die<span class="pagenum"><a name="Seite_261" id="Seite_261">[S. 261]</a></span> Begierde selber, wird die Liebe selber, wird der Haß selber -im Bewußtsein abgefangen. Sie alle gehören ein für allemal zu des -Leidens Verursachung, zu den Leidenschaften, die da Leiden schaffen; -sie alle werden im Bewußtsein abgetötet fast schon durch die schlichte -Tatsache, daß sie dort zum Bewußtsein gelangen. Denn das im Übermaß -erhellte Bewußtsein des Leidens, könnte man nicht unzutreffend sagen, -die im Übermaß erhellte Vorstellung des Leidens vernichtet schon an und -für sich alles Leiden. „Indem ich mir jener Leidensursache Vorstellung -gegenwärtig halte, wird durch der Vorstellung Gegenwart die Liebe -verwunden; indem ich wieder betrachtend die Betrachtung über jene -Leidensursache in mir vollende, wird die Liebe verwunden“, — so faßt -einmal der Buddho dieses seltsame Seelengesetz in Worte, die man sich -zu merken hätte. Durch angespannteste Aufmerksamkeit und sorgfältigste -Selbstüberwachung erzielt Gotamo eine seelische Gesamthaltung, die -freilich nicht leicht zu schildern und noch schwerer zu erläutern ist. -Vielleicht ist sie uns einigermaßen bekannt von uns selber, wenn es uns -beispielweis einmal vorübergehend gelingt, einen heftigen Körperschmerz -durch nachhaltige Steigerung der Aufmerksamkeit bis zu einem gewissen -Grad zu neutralisieren und ihn in einer von unserer Person entfernter -scheinenden Sphäre zu objektivieren. Hierbei gelangt zwar der Schmerz -nicht geradezu zum Verschwinden, aber immerhin belästigt er weniger wie -vorhin: der im Bewußtsein zu einer Art von Versachlichung gediehene -Schmerz löst<span class="pagenum"><a name="Seite_262" id="Seite_262">[S. 262]</a></span> sich zeitenweis von unserem Selbst ab, nicht unähnlich, -wie sich etwa im Augenblick des Abschusses einer Pistole die Hand -vom übrigen Körper ablöst und Pistole und Hand zusammen ein beinah’ -selbstherrliches Dasein gewinnen. Eine ähnliche Entpersönlichung -des Erlebens trachtet der Buddho hervorzubringen und bringt er auch -sicherlich hervor durch die innigere Gesammeltheit des Bewußtseins auf -die Begebnisse des Leibes und der Seele.</p> - -<p>Auf solche Weise nun betätigt der ‚Erwachte‘ zwar vielleicht eine -eigenartige, aber dennoch durchaus folgerichtige Anwendung des -allgemeinsten und unumstößlichsten Ergebnisses unserer europäischen -Transzendentalphilosophie: wonach im Bewußtsein das Sein sozusagen -abgestreift und gehäutet wird, — wonach vom Bewußtsein das Sein in -einer unwirklichen Spiegelung zurückgestrahlt oder umgebogen wird. -Im Bewußtsein des Bewußtseins aber oder im Bewußtsein höheren Grades -stocken insbesondere die Unterschwellungen unterwüchsiger Lebenssäfte, -welche im Leib und Geist des einzelnen Menschen unaufhörlich lust- -und unlustspendend kreisen und durch mehr wie nur einen Nabelstrang -mit dem Kreislauf des großen Lebens, All-Lebens zusammenhängen. Etwa -wie die Stiele und Stengel von blühenden Gräsern oder Blumen an -der Stelle dorren, wo sie unter die scharf belichteten Brennpunkte -optischer Linsen gerückt werden, so dorrt und welkt pflanzenhaftes, -tierisches, menschliches Leben nach des Buddho innerster Absicht, -unter den Brennpunkt gerückt eines zu an<span class="pagenum"><a name="Seite_263" id="Seite_263">[S. 263]</a></span>dauernder Wachsamkeit -verpflichteten Bewußtseins und Überbewußtseins. Oder wie ein Chirurg, -ein ‚Handwerkender‘ und ‚Handfertiger‘ die Messer, Scheren, Sägen -seines ärztlichen Besteckes vor dem Gebrauch in eine Lösung von -Sublimat eintaucht, um sie zuverlässig zu entkeimen, so taucht der -Buddho alles Werdende und Lebendige in Bewußtheit, um es darin nochmals -zu entkeimen. Oder wiederum, wie derselbe Chirurg und Therapeut -ein krebsendes Gewebe der Einwirkung gewisser Strahlenbündel von -der Ordnung X aussetzt, um die Wucherung mehrkerniger Körperzellen -aufzuweichen, zu zersetzen, zu zerstören, so weicht der Buddho im -Strahlenbündel des gesammelten Bewußtseins die Wucherung Leben auf, -die Wucherung Werden auf, die Wucherung Leiden auf, zerstört sie und -zersetzt sie... Solchermaßen verwindet der Buddho das Bewußtsein -durch Steigerung des Bewußtseins, das Leiden durch Steigerung des -Bewußtseins, das Leben durch Steigerung des Bewußtseins: im innersten -Gemüt, wie es scheint, einhellig mit einem tief rätselhaften Wort -Lao-Tses, wonach Leben schon an und für sich Mißbrauch des Lebens ist. -Wie manche Körper aber das Licht einmal brechen, andere es zweimal -brechen, so bricht das gemeine Bewußtsein das Leben schon gleichsam -einmal, das Bewußtsein des Bewußtseins aber zweimal, — und so wird das -Leben denn von seiner anfänglichen Richtung zweimal abgelenkt, zweimal -abgeknickt, zweimal zurückgeworfen. Im Bewußtsein empfängt der Bewußte -das Leben und alle Wirklichkeiten des Lebens: aber das<span class="pagenum"><a name="Seite_264" id="Seite_264">[S. 264]</a></span> Bewußtsein -des Bewußseins gibt vom Leben und seinen Wirklichkeiten nur noch die -doppeltgebrochenen Bilder und Bildesbilder, indessen Wirklichkeit und -Leben mit allen Gefühlsbetonungen, Gefühlsaufwühlungen weit draußen -verebben, vergluten und verbrausen. Wie die übermäßige Helligkeit der -tropischen Sonne die Farben der Gegenstände verzehrt und ihre Formen -aufsaugt, so verzehrt die übermäßige Bewußtheit des Asketen die Farben -des Lebens und saugt es die Formen der Wirklichkeiten auf sich, in -sich. Das höhere Bewußtsein ist der luftleere Raum, in welchem die -Körper die ihnen eigentümliche Schwere verlieren und insgesamt mit -gleicher Geschwindigkeit fallen, und wiederum ist es ein chemischer -Filter, durch den man die giftigen Gase des Tods und der Verwesung -hindurchseiht. Nachdem sich der Weltstoff in den fünf Elementen -verwirklicht und bald als Erde, bald als Wasser, bald als Luft, bald -als Feuer, bald als Äther um- und umgestaltet hatte, wiederfährt ihm -jetzt die letzte und endgültige Umgestaltung in ein sechstes Element, -ins Bewußtsein, wo ihn der Buddho in gläserne Ruhe und kristallische -Friedsamkeit feierlich einsargt und bestattet, ähnlich jenem lieben -deutschen Märchen, allwo die Sieben Zwerge über den Sieben Bergen -den blühenden Leib Schneewittchens ins gläsern-kristallische Bett -einsargen und bestatten. Und wie nun darin der Leib der kleinen Prinzeß -in himmlischer Geborgenheit ruht und dennoch den Sieben Zwergen zu -ewiger Besäligung hold gegenwärtig bleibt, so ruht Welt, Leid, Leben -fortab im<span class="pagenum"><a name="Seite_265" id="Seite_265">[S. 265]</a></span> Sechsten Element des Bewußtseins in himmlischer Geborgenheit -und Stille, wie es der vollkommen Erwachte denn auch buchstäblich -gesprochen und versprochen hat:... „den Wahnvernichtern taugen diese -Dinge um säliger Gegenwart zu genießen“...</p> - -<div class="section"> - -<p class="initial">Bei der Abkunft des Leidens aus dem Bewußtsein, wie sie in den -Schriften des Pâli-Kanons gegeben wird, bezog ich mich bislang im -wesentlichen auf jene Fünfzehnte der Reden aus der Längeren Sammlung -Dîghanakâyo. Hier gilt in der Tat Bewußtsein für die letzte Stätte -einer achtfachen Entstehung: es selber eine Unentstandenheit und -Unbedingtheit, die nur noch durch sich selber verwunden werden konnte. -Was hier aus diesem Umstand gefolgert ward, wird daher im ganzen und -großen, ganzen und groben seine Richtigkeit haben, — jedenfalls -ließ es sich so ziemlich in allen Fällen fortlaufend erhärten an den -gotamidischen Aussprüchen in den Heiligen Schriften. Im Bewußtsein fand -der Erwachte den Angriffspunkt für seinen Hebel, von wo aus er die -Werde- und Wandelwelt aus ihren Angeln drehte. Das Bewußtsein bot ihm -Handhabe, und besser noch Geisthabe, den gesamten Vorstellungablauf -(‚<i>stream of thought</i>‘ wie William James sagt) gemäß dem heiligen Ziel -zu regeln und zu meistern. Das Bewußtsein half ihm gegen die wilde -Überflutung durch ungerufene Erlebnisse und ungebetene Begebenheiten -einen widerstandfähigen Damm aufzuführen. Im<span class="pagenum"><a name="Seite_266" id="Seite_266">[S. 266]</a></span> Bewußtsein wußte er das -Sein zu treffen und all sein Leiden am Sein, im Bewußtsein kühlte er -den brennenden Schmelzfluß der Wirklichkeit zum kalten Metall und -Kristall ab... Dies alles verhält sich so und kann mit stichhaltigen -Einwänden nicht bestritten werden. Nur muß es gesagt sein, sogar -auf die Gefahr einer ungemeinen Verschwierigung des Tatbestandes -hin, daß in Ansehung der Abkunft und Entstehung des Leidens in den -Heiligen Schriften des Kanons noch eine andere Deutung steht. Diese -widerstreitet der gegenwärtigen nicht geradezu in allen Stücken, denn -sie läuft die größere Strecke des Wegs völlig mit ihr gleich, um sich -erst zuletzt von ihr zu trennen. Trotzdem überschreitet sie dieselbe, -denn sie läßt ihrerseit das Bewußtsein nicht mehr als ein Festes und -Letztes und Unbedingtes bestehen. So bietet zum Beispiel die Elfte, -die Achtunddreißigste, die Hundertundfünfzehnte Rede aus der Mittleren -Sammlung Majjhimanikâyo eine Entstehung des Leidens nicht aus acht, -sondern aus zehn Gliedern dar, und mit dieser zehngliedrigen Ableitung -ließe sich alsdann auch das Zwölfte Bruchstück des Dritten Teils aus -der Sammlung der Bruchstücke Suttanipâto zwanglos in Übereinstimmung -bringen. So daß wir im Kanon ganz außer allem Zweifel zwei verschiedene -Abkünfte des Leidens erörtert finden. Einmal das Leiden entwickelt -aus dem Bewußtsein, wobei das Bewußtsein die Stelle und den Rang -des Urphänomens, des unabgeleiteten und unableitbaren, einnimmt und -behauptet, — mithin eben die Stelle und den Rang, den<span class="pagenum"><a name="Seite_267" id="Seite_267">[S. 267]</a></span> es in der -transzendentalidealistischen und phänomenologischen Philosophie des -Westens seit den Griechen immer wieder zugewiesen erhielt und immer -wieder zugewiesen erhalten wird. Das andere Mal das Leiden entwickelt -aus — —, ja! das ist die neue und offene Frage, die uns jetzt -gestellt ist, die uns jetzt selber stellt. Schon ward erwähnt, daß -diese neue Ableitung mit der alten auf die bei weitem längere Strecke -hin völlig zur Deckung gelange: daß mithin die Auseinanderfolge Geburt, -Werden, Anhangen, Durst, Gefühl, Berührung, Bild-Begriff und Bewußtsein -als die klassische Genesis des Leidens eindeutig gewahrt bleibt. Nur -nimmt in dieser zweiten Ableitung das Bewußtsein nicht mehr die Stelle -der Unentstandenheit ein, vielmehr erscheint zu seinem Teil verursacht, -geworden, bedingt, begründet. Ein Umstand, den der Buddho knapp und -einprägsam in den Satz faßt: „Ohne zureichenden Grund entsteht kein -Bewußtsein...“ Dort also ein unentstandenes Bewußtsein, welches mit der -erkenntnismäßigen Doppelung Bild-Begriff oder Wahrnehmung-Vorstellung -ganz einfach ins Dasein tritt, ohne daß man wissen kann wie. Hier -dagegen ein entstandenes Bewußtsein und sein zureichender Grund, -und mit ihm eine Verlängerung des Leitfadens Ursächlichkeit über -das Urphänomen hinaus samt dem Versuch einer Entwicklunggeschichte -des Bewußtseins, die einem der philosophischen Vertreter einer -der europäischen Philosophien des Unbewußten aus dem verflossenen -Jahrhundert (etwa zwischen dem älteren Fichte und Hartmann) alle Ehre<span class="pagenum"><a name="Seite_268" id="Seite_268">[S. 268]</a></span> -gemacht hätte. Diese einander ausschließenden Auffassungen vom ‚Wesen‘ -des Bewußtseins einander mit einem gewissen unredlichen Eifer zur -Synthetik anähneln zu wollen, wäre weder ehrlich noch klug. Und noch -weniger stünde es unserer westlich denkenden, westlich schließenden -Vernunft an, aus dem vorhandenen Widerspruch beider Auffassungen die -Ungültigkeit der einen zugunsten der Gültigkeit der anderen folgern -zu wollen. Die Frage, welche uns diese doppelte Abkunft des Leidens -und diese doppelte Auffassung, als Urphänomen und bloßes Phänomen mit -hoher Dringlichkeit stellt, ist vielmehr lediglich folgende: welche -neue Aufgaben dem religiösen Leben und der religiösen Tat aus dieser -neuen Auffassung erwachsen, nachdem die Aufgaben, so aus der ersten -Auffassung sich ergeben, hier zwar nicht eigentlich mit Gründlichkeit, -immerhin aber mit Grundsätzlichkeit aufgezeigt worden sind.</p> - -</div> - -<p>Bevor wir uns indes dieser sehr ernsthaften Frage voll zuwenden dürfen, -muß Klarheit obwalten über jene zweite Abkunft des Leidens selbst -und die darin vertretene Deutung des Bewußtseins als eines Gliedes -unter anderen Gliedern in der Reihe der Entstehungen. Es muß Klarheit -obwalten über die Abkunft des Bewußtseins und über das, was der Buddho -selbst den zwingenden Grund des Bewußtseins nennt. Die Antwort, die -uns darauf wird, lautet denn auch bündig und schlicht genug: das -Bewußtsein wird bedingt durch Unterscheidung, — die Unterscheidung -wird bedingt durch Nichtwissen! Unterscheidung und Nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_269" id="Seite_269">[S. 269]</a></span>wissen heißen -demnach die zwei letzten Grundlegungen, die das vorige Urphänomen -Bewußtsein nunmehr als bloßes Phänomen begreiflich machen sollen. Wer -sonach jetzt und von hier aus vor der Aufgabe steht, das Bewußtsein zu -verwinden, wird sie nicht mehr in dem Sinn lösen können, wie sie oben -gelöst worden ist. Sondern er wird sie neu in Angriff nehmen müssen -nach Maßgabe der veränderten Stellung des Bewußtseins in der Reihe der -Entstehungen. Nicht mehr wird er Bewußtsein zu verwinden fähig sein -durch Steigerung des Bewußtseins, sondern er wird Bewußtsein verwinden, -indem er Unterscheidung verwindet, und nach verwundener Unterscheidung -Nichtwissen. Die Verkettung der Ursachen, vorhin lediglich bis zur -Urtatsache des Bewußtseins entwickelt, wird jetzt übers Bewußtsein -hinaus zur Unterscheidung entwickelt und über die Unterscheidung hinaus -zum Nichtwissen, — bis endlich im Wissen der Gedanke von des Leidens -Abkunft seine letzte, allerletzte und auch von Buddho selbst nirgends -überbotene Aufgipfelung erfahren hat...</p> - -<p>Wie aber dies, ihr Christen? Was will das heißen: die Unterscheidung -zu verwinden und nicht mehr zu unterscheiden? Was will das heißen: das -Nichtwissen zu verwinden und nicht mehr nicht zu wissen? Beruht denn -nicht jeder Vorgang bewußten Wahrnehmens, bewußten Empfindens, bewußten -Erfahrens just darauf, daß das annoch ungeschiedene Ineinander und -Durcheinander erlebter Gegebenheiten durch die Tätigkeit der einzelnen -Sinneswerkzeuge geschieden,<span class="pagenum"><a name="Seite_270" id="Seite_270">[S. 270]</a></span> zerlegt, unterschieden wird? Vermögen wir -überhaupt wahrzunehmen, zu empfinden, wenn wir nicht gleichzeitig die -Unterscheidung treffen: dies ist Gehör und Schall, dies ist Gesicht und -Bild, dies ist Getast und Empfindung, dies ist Geruch und Duft, dies -ist Geschmack und Nährstoff, dies ist Verstand und Gedanke? Scheidet -und unterscheidet nicht ohne weiteres schon der Vorgang des Wahrnehmens -alles Wahrnehmbare je nach der Beschaffenheit des wahrnehmenden Organs, -so daß der Wust gemischter, noch nicht entmischter Sinnesreize sofort -von Ohr, Auge, Haut, Nase, Zunge, Verstand entmischt wird in das Neben- -und Nacheinander dessen, was dem Ohr und dem Auge, was der Haut und -der Nase, was der Zunge und dem Verstand angemessen ist? Ja, hat nicht -Gotamo in eigener Person Jahrtausende vor dem deutschen Physiologen -Johannes Müller auf seine Weise das Gesetz von den spezifischen -Energien der Sinne vorweg geahnt und vorweg genommen, wenn er in -einer der Reden über die Abkunft seinen Mönchen erläutert: „Durch das -Gesicht und die Formen entsteht Bewußtsein: gerade ‚Sehbewußtsein‘ -kommt da zustande. Durch das Gehör und die Töne entsteht Bewußtsein: -gerade ‚Hörbewußtsein‘ kommt da zustande. Durch den Geruch und -die Düfte entsteht Bewußtsein: gerade ‚Riechbewußtsein‘ kommt da -zustande. Durch den Geschmack und die Säfte entsteht Bewußtsein: -gerade ‚Schmeckbewußtsein‘ kommt da zustande. Durch das Getast und -die Tastungen entsteht Bewußtsein: gerade ‚Tastbewußtsein‘ kommt da<span class="pagenum"><a name="Seite_271" id="Seite_271">[S. 271]</a></span> -zustande. Durch das Gedenken und die Dinge entsteht Bewußtsein: gerade -‚Denkbewußtsein‘ kommt da zustande...“ Wie also dies vom Buddho selbst -verkündete Gesetz von den spezifischen Energien der Sinne verleugnen -und wie die notwendige Unterscheidung in spezifische Gegebenheiten -des Bewußtseins selbst verleugnen? Und um es gleich von vorn herein -zu gestehen: kaum anderswo läßt Gotamo den, der ihm nachzudenken -strebt, so sehr im Dunkeln tappen wie gerade hier, wo er im Verfolge -der Entstehunggeschichte des Bewußtseins eine Forderung erhebt, die -für Menschen unerfüllbar scheint. Das Bewußtsein stammt aus der -Unterscheidung, wofern jedes einzelne Sinneswerkzeug und Sinnesgebiet -ausschließlich jene Reize der Aufnahme und Verarbeitung zuführt, -auf welche es seinerseit abgestimmt ist und welche es ihrerseit -wiederum auf sich selber abstimmt. Wie aber unter diesen Umständen -die Unterscheidung meiden, die unter dem Zwang leiblich-geistiger -Beschaffenheit getroffen wird? Wie die Zerlegung der Einen Wirklichkeit -in zahllose Eindrücke und Erscheinungen umgehen, die doch unmittelbar -mit dem Arbeitvorgang der Sinne als solche zum Vollzug gelangt?</p> - -<p>Kaum eine allerschwächste Spur verrät die Richtung, welche die Absicht -des Buddho hier genommen hat; kaum eine allerschwächste Spur den Weg, -den hier sein sonst so köstlich unbeirrter Wille einschlug. Aber -wenn diese Spur auch wirklich fast verweht erscheint im Flugsand der -Wanderwüste ‚Zeit‘, so wird<span class="pagenum"><a name="Seite_272" id="Seite_272">[S. 272]</a></span> sie sich vielleicht für unser Auge doch -etwas verstärken, sobald wir weiterrätselnd uns entsinnen, daß die -Unterscheidung, aus welcher das Bewußtsein stammt und in welcher das -Bewußtsein zu verwinden wäre, ihrerseit aus dem Nichtwissen stammt -und unleugbar den Stempel des Nichtwissens trägt. Gotamo, der die -Unterscheidung verwirft, die auf der Tätigkeit unserer aufnehmenden und -verarbeitenden Erkenntniswerkzeuge beruht, verwirft die Unterscheidung, -weil sie Nichtwissen ist. Die Unterscheidung entsteht ihm aus -dem Nichtwissen, das Nichtwissen bedingt ihm die Unterscheidung: -folglich steht ihm groß und unverrückbar der Zielgedanke eines -nichtunterscheidenden Wissens im Gegensatz zu einem unterscheidenden -Nichtwissen vor dem innern Blicke! Das mag ein überraschendes, am -Ende sogar befremdliches Ergebnis sein, welches jedoch manches, wenn -nicht das meiste von seiner Seltsamkeit abstreifen und verlieren -dürfte, falls wir abermals weiterrätselnd uns entsinnen, daß eine -ähnliche Zweiheit einander widersätzlicher Wissensauffassungen auch -unserer abendländischen Scholastik durchaus vertraut gewesen ist. Auch -wir abendländischen Menschen kennen seit den Enneaden des Plotinos -ein Wissen, welches Unterscheidungen setzt und voraussetzt, Merkmal -nach Merkmal durchläuft, Inhalt nach Inhalt durchmustert, Begriff an -Begriff reiht, Urteil an Urteil knüpft, Schluß an Schluß kettet, — -und ein bei weitem anderes Wissen, welches den vollen Weltgehalt zumal -anschaut und unterschiedlos in eins sichtet. Auch wir abendländischen<span class="pagenum"><a name="Seite_273" id="Seite_273">[S. 273]</a></span> -Menschen kennen ein durchlaufendes, aufreihendes, auseinanderfaltendes, -aneinanderstückendes Wissen, welches unsere Scholastik diskursiv -genannt hat, und ein ineinanderschauendes, vereinfachendes, -zusammenfaltendes, unzerstücktes Wissen, welches unsere Scholastik -simplex genannt hat. Und während nach europäischer Meinung das erstere -wesentlich dem Menschen und seiner eingeschränkten Vernunft vorbehalten -blieb, galt das letztere für göttlich. Und wenn dabei der Abendländer -nicht so weit zu gehen wagte wie der Buddho, der das erstere Wissen -kurzer Hand als Nichtwissen geringschätzt, ja entwertet, so hat er doch -in seinen besten Zeiten nie einen Hehl daraus gemacht, wie unendlich -überlegen das simplexe Wissen Gottes unserm diskursiven Wissen wäre... -Den <i>dis-cursus</i> also hätte der gotamidische Asket, wenn anders wir mit -abendländischen Formeln indische Auffassungen bezeichnen dürfen, nach -besten Kräften zu überwinden, — wie alles übrigens, was der Lateiner -mit der Silbe ‚<i>dis</i>‘ auszudrücken pflegte. Das <i>dis</i> im <i>cursus</i> -hätte der Asket zu überwinden, um mit dieser endgültigen Überwindung -das Nichtwissen zu überwinden, das Unterscheiden zu überwinden, -das Bewußtsein zu überwinden, die Doppelheit Bild-und-Begriff zu -überwinden, die Berührung zu überwinden, das Gefühl zu überwinden, -den Durst zu überwinden, das Anhangen zu überwinden, das Werden zu -überwinden, die Geburt zu überwinden, das Leiden zu überwinden... -Nichtwissen überwunden habend, würde der Asket zum Wissen aufgestiegen -sein: als Wissender aber würde er<span class="pagenum"><a name="Seite_274" id="Seite_274">[S. 274]</a></span> die Erlösung, die Errettung, die -Entledigung bewirkt haben im Wissen. Was also, ihr Christen, ist für -den vollkommen Erwachten und Erhabenen — das Wissen? Was also, ihr -Christen, ist für den vollkommen Erwachten und Erhabenen das Wissen: -was ist das Wissen nicht allein für ihn, sondern für jene ganze Welt -des alten Indiens, die er für uns am weithin sichtlichsten vertritt? -In der Chândogya-Upanischad ersucht der höchste jener brahmanischen -Rischis, welche die Hymnen des Veda dichteten und sangen (wie einst -auch die griechischen Aoiden die Epen des Homeros gedichtet und -gesungen haben) den Kriegsgott Sanatkumâra um Belehrung. „‚Belehre -mich, Ehrwürdiger!‘ — Mit diesen Worten nahte sich Nârada dem -Sanatkumâra. Der sprach zu ihm: ‚Bringe nur vor, was du schon weißt, -so werde ich dir das darüber hinaus Liegende kundmachen‘. Und jener -sprach: ‚Ich habe, o Ehrwürdiger, gelernt den Rigveda, Yajurveda, -Sâmaveda, den Atharvaveda als vierten, die epischen und mythologischen -Gedichte als fünften Veda, Grammatik, Manenritual, Arithmetik, -Mantik, Zeitrechnung, Dialektik, Politik, Götterlehre, Gebetlehre, -Gespensterlehre, Kriegswissenschaft, Astronomie, Schlangenzauber und -die Künste der Halbgötter; — das ist es, o Ehrwürdiger, was ich -gelernt habe; und so bin ich, o Ehrwürdiger, zwar schriftkundig, -aber nicht âtmankundig; denn ich habe gehört von solchen, die dir -gleichen, daß den Kummer überwindet, wer den Âtman kennt; ich aber, -o Ehrwürdiger, bin bekümmert; darum wollest du mich, o Herr, zu dem<span class="pagenum"><a name="Seite_275" id="Seite_275">[S. 275]</a></span> -jenseitigen Ufer des Kummers hinüberführen!‘ — Und er sprach zu ihm: -‚Alles, was du da studiert hast, ist nur Name (nâman). Name ist der -Rigveda, Yajurveda, Sâmaveda, der Atharvaveda als vierter, die epischen -und mythologischen Gedichte als fünfter Veda, Grammatik, Manenritual, -Arithmetik, Mantik, Zeitrechnung, Dialektik, Politik, Götterlehre, -Gebetlehre, Gespensterlehre, Kriegswissenschaft, Astronomie, -Schlangenzauber und die Künste der Halbgötter, — das ist alles Name. -Den Namen mögest du verehren! Wer den Namen als das Brahman verehrt, — -soweit sich der Name erstreckt, soweit wird dem ein Umherschweifen nach -Belieben zu teil, darum daß er den Namen als das Brahman verehrt.‘ — -‚Gibt es, o Ehrwürdiger, ein Größeres als den Namen?‘ — ‚Wohl gibt es -ein Größeres als den Namen.‘ — ‚Das wollest du, o Herr, mir sagen!‘ -— ‚Die Rede (<i>vâc</i>), fürwahr, ist größer als der Name‘...“ Die Rede -ist größer als der Name: der vernünftige Wille (<i>manas</i>) aber größer -als die Rede, fährt der Kriegsgott Sanatkumâra in seiner Erläuterung -fort. Und wiederum ist der Entschluß (<i>samkalpa</i>) größer als der -vernünftige Wille; der Gedanke (<i>cittam</i>) größer als der Entschluß; die -Innenbetrachtung (<i>dhyânam</i>) größer als der Gedanke; die Erkenntnis -(<i>vijñânam</i>) größer als die Innenbetrachtung; die Kraft (<i>balam</i>) -größer als die Erkenntnis; die Nahrung (<i>annam</i>) größer als die -Kraft; das Wasser (<i>âpas</i>) größer als die Nahrung; die Glut (<i>tejas</i>) -größer als das Wasser; der Äther (<i>âkâça</i>) größer als die Glut; die -Erinnerung (<i>smara</i>) größer als der Äther; die Hoffnung<span class="pagenum"><a name="Seite_276" id="Seite_276">[S. 276]</a></span> (<i>âçâ</i>) größer -als die Erinnerung; das Leben (<i>prâna</i>) größer als die Hoffnung; die -Unbeschränktheit (<i>bhûman</i>) größer als das Leben und alles übrige...</p> - -<p>Wir setzen hier beiseit die Wunderlichkeit in dieser sechzehnfach -gestaffelten Führung zum ‚echten‘ Wissen, zum Brahman-Bhûman-Wissen. -Wir setzen beiseit diesen für unser abendländisches Verständnis -haltlosen und haltunglosen Wechsel von seelischen Grundbeschaffenheiten -und Haupteigenschaften zu welthaften Urgegebenheiten und Urstoffen und -wiederum von diesen zu jenen zurück, ehe über das alles die Woge der -Allschrankenlosigkeit hinwegspült. Dies und was sonst noch hierher -gehört, ihr Christen, lassen wir beiseit und fragen uns erst alsdann -dringend: Was ist nach dieser heiligen Urkunde — Wissen? Und was ist -nach dieser Urkunde Wissen — nicht? Das Wissen ist eine Emporstufung, -Empormenschung, Emporgottung hier, ihr Christen: das ist der klare Sinn -der Antwort, die der Kriegsgott sowohl dem fragenden Brahmanen wie dem -fragenden Abendländer zu geben geruht. Was an Erfahrung, Forschung, -Einsicht, Kenntnis, Urteil, Gedanke, Prüfung, Tatsache und Gesetz -dieser Emporstufung zu dienen geeignet ist, ist Wissen. Was jedoch -lediglich um seiner selbst betrieben wird, was der Anhäufung bloßer -Gelehrsamkeit förderlich sein soll, das ist Wissen nicht, das ist ganz -einfach Nichtwissen. Es kann einer alles wissen, was im Umkreis einer -angetretenen Menschheitgesittung überhaupt zu erwerben ist, und es kann -einer im Vollbesitz sein sämtlicher Kenntnisse auf theo<span class="pagenum"><a name="Seite_277" id="Seite_277">[S. 277]</a></span>logischem und -kosmologischem, auf philosophischem und logischem, auf mathematischem -und grammatischem, auf astronomischem und astrologischem, auf rituellem -und theurgischem, auf historischem und ästhetischem, auf strategischem -und politischem Gebiet, — und vor Gott Sanatkumâra weiß er nichts -als die Namen und ist wie der Brahmane Nârada innig von seiner -Unwissenheit durchdrungen. Nicht darum zwar von ihr durchdrungen, weil -er sich überzeugt hätte von der grundsätzlichen Unvollständigkeit -und Ergänzungbedürftigkeit des Wissens überhaupt oder gar von der -Unzulänglichkeit und Begrenztheit der menschlichen Vernunft. Vielmehr -darum, weil er erfahren hat, daß alles erreichbare Wissen auch bei -massenhafter Aneignung nicht schon von sich aus den Wissenden auf einen -würdigeren Zustand hebt. Das Wissen ist keine Tugend und ist noch -weniger ein Heil oder das Heil. Aber es liegt im Begriff des Wissens, -wie er hier gefaßt und vertreten wird, zur Tugend, ja zum Heil zu -führen. „Denn ich habe gehört von solchen, die dir gleichen, daß den -Kummer überwindet, wer den Âtman kennt, ich aber, o Ehrwürdiger, bin -bekümmert!“... Wer also noch bekümmert ist, wer noch am Dasein krankt, -wer seine Angst noch nicht verlernte, wer noch unterm Schicksal seufzt, -der ist noch nicht ein Wissender geworden, selbst wenn er alles weiß. -Wer nach Erwerb des Wissens menschlich auf der Stufe des Unwissenden -verharrt, der zählt nicht zu den Wissenden; wer im Genuß des Wissens -des Lebens noch nicht Rat weiß,<span class="pagenum"><a name="Seite_278" id="Seite_278">[S. 278]</a></span> der ist kein Wissender. Er gleicht -da etwa einem Geizigen, der das Geld sammelt, aber nicht in Umlauf -setzt. Oder einem Kranken, der die Arznei schluckt, aber nicht an ihr -genest. Oder einem Zecher, der den Wein schlürft, aber durch ihn nicht -fröhlicher wird. Ob mithin wirklich einer wisse oder nicht wisse, das -hängt davon ab, in welchen Zustand ihn das Wissen brachte. Wie das Geld -erworben wird, um umgesetzt zu werden, wie die Arznei genommen wird, -um Gesundheit zu bringen, wie der Wein getrunken wird, um sorgenfrei -zu machen, so soll das Wissen gewußt werden, um den Wissenden als eine -menschliche Steigerung und Erhöhung des Unwissenden zu verwirklichen. -Und diese Auffassung des Wissens ist eine so eingefleischt indische, -daß es beinahe gleichgültig ist, ob das Gespräch zwischen Nârada -und Sanatkumâra in den Upanischaden aufgezeichnet steht oder in den -Reden Gotamo Buddhos: es könnte ebensogut hier geschrieben stehen, -als es in der Tat dort geschrieben steht. Unter allen Umständen -hätte der Buddho dem Frager dem Sinne nach dieselbe Antwort gegeben -wie der vedische Kriegsgott, auch wenn er selbstverständlich die -Aufwärtsstufung im einzelnen beträchtlich anders geführt hätte und -wirklich auch anders geführt hat. Bewährt sich doch auch ihm im -Gegensatz zum Nichtwissen das Wissen nur dadurch, daß es das Leiden -verwindet und dem Wissenden das lösende Wort zu sprechen gestattet: -„Nicht mehr, o Ehrwürdiger, bin ich bekümmert!“... Und so gehört es -zu den unwiderleglichen Zeugnissen<span class="pagenum"><a name="Seite_279" id="Seite_279">[S. 279]</a></span> der tiefgewurzelten Einheit und -Einheitlichkeit aller indischen Religionen, daß ihnen im wesentlichen -die Leistung des Wissens stets die nämliche und gleiche bleibt. Wo -das Wissen nicht zur Erlösung aufsteigen läßt, hat es seinen wahren -Zweck verfehlt, der im Gegensatz zu unserer abendländischen Auffassung -nicht das Wissen selbst ist, sondern die Beschaffenheit und der Rang -des Wissenden. Wir Europäer haben ja mit der Gebärde unwillkürlicher -und darum auch untrügerischer Selbstoffenbarung über unser Wissen das -Wort gesprochen: Wissen ist Macht, Wissen ist Bewältigung, Wissen ist -Beherrschung, — aber wohlbemerkt nicht unserer selbst, sondern der -Natur! Mit einer nicht minder offenbarenden Geste hat der gotamidische -und der vedische Mensch, und das ist in manchem Betracht schon fast -der asiatische Mensch, das Gegenwort verlautbart: Wissen ist Erlösung, -Wissen ist Errettung, Wissen ist Überwindung, — aber nicht der Natur, -sondern unserer selbst! Diese Einstellung ist eine gesamtindische und -bringt sich der europäischen Einstellung gegenüber mit einer ebenso -großartigen wie eintönigen Strenge zur unbedingten Geltung. Und wenn -Indien bis zu dieser Stunde von dem unmenschlichen Bruderzwist zwischen -Religion und Philosophie, zwischen Glauben und Wissen, zwischen Kirche -und Schule, zwischen Weisheit und Wissenschaft, zwischen Erziehung -und Unterricht, zwischen Bildung und Gelehrsamkeit, zwischen Seele -und Geist, zwischen Geistigkeit und Geistlichkeit verschont geblieben -ist, dann verdankt es diese<span class="pagenum"><a name="Seite_280" id="Seite_280">[S. 280]</a></span> höchste Gunst und Gnade nicht zum -wenigsten seiner Auffassung vom Wissen, die für solche Zuspitzungen, -Gegensetzungen, Ausschließungen keinen Vorwand liefert. Wie nach -des Buddho geflügelter Redeformel ‚im Erlösten die Erlösung ist‘, -— ‚ψυχὴ οἰκητήριον δαίμονος‘ heißt es gleichsinnig bei -Demokritos von Abdera! — so ist im Wissenden das Wissen, dient es dem -Wissenden, fördert es den Wissenden, bringt es Heil dem Wissenden.</p> - -<p>In dem Gespräch zwischen Nârada und Sanatkumâra ist das Sanskritwort -‚<i>dhyânam</i>‘ gefallen, welches ich etwas eigenmächtig mit -‚Innenbetrachtung‘ wiederzugeben mich erdreistet habe, indes es von -Deussen unverbindlicher mit ‚Sinnen‘ verdeutscht wird. Wohlan denn! -Dieses <i>dhyânam</i>, das unter den sechzehn Staffeln des Wissens eine -einzige bedeutet und bezeichnet, die zwischen Gedanke (<i>cittam</i>) und -Erkenntnis (<i>vijñânam</i>) ihre Stelle hat, — dieses <i>dhyânam</i> umspannt -dem Buddho geradezu alles wesenhafte Wissen selber, wofern es in -Wahrheit dem Wissenden die Erlösung bringt. Dieses <i>dhyânam</i>, nur -wenig abweichend <i>jhânam</i> in der Mundart des Pâli lautend, erschöpft -in sich genau die Emporstufung des Wissens, die der Wissende in sich -vollziehen muß. <i>Jhânam</i>, das ist die erlernte und geübte Fähigkeit -der Seele, sich ohne Ablenkung auf sich selbst zu sammeln, in sich -selbst hineinzusenken, unter sich selbst hinabzutauchen, sich in sich -selbst zu verankern, in sich selbst zu feiern, in sich selbst zu -andächtigen, sich in sich selbst zu einigen... Wie der römische Augur -auf<span class="pagenum"><a name="Seite_281" id="Seite_281">[S. 281]</a></span> der grenzenlosen Erdfläche sich ein Viereck herausschnitt, welches -er bei seiner vorsätzlichen Auskundung der Götterzeichen betrat und -<i>templum</i> nannte; wie derselbe Augur nicht allein aus dieser Erde, -sondern obendrein aus dem unendlichen Himmel mit seinem Krummstab -ein Stück abermals als das <i>templum</i> herausschnitt, innerhalb dessen -Gottes Blitz und Donner recht eigentlich erst gelten sollte, — so -schneidet Gotamo aus der unbegrenzbaren Erden- und Himmelsfülle aller -Wißbarkeiten und Gewißheiten einen heiligen Bezirk heraus, um darin -jenes Wissen, welches allein not tut, gleichsam zum Vollzug zu bringen. -Von dem <i>templum</i> römischer Auguren leitet sich sprachlich das Zeitwort -<i>contemplari</i> her, welches somit in seinem ursprünglichen Sinn nichts -anderes bedeutet als „den heiligen Bezirk auf der Erde und am Himmel -mit dem Blick einfassen“, — welches somit in seinem ursprünglichen -Sinn nichts anderes bedeutet als eben diese Tätigkeit, welche sich der -Buddho als das <i>jhânam</i> angelegen sein läßt: nur anstatt nach außen -streng nach innen hin gewendet. Mit dem Blick einfassen den heiligen -Bezirk, der sich hier zwar nicht am Himmel oder auf der Erde, aber -in der Seele selbst befindet, und den jeder in sich selbst als sein -eigener Zeichendeuter abzustecken fähig ist, das heißt das <i>jhânam</i> -üben, heißt Andacht, Versenkung, Einkehr bewirken. So verstanden war es -schließlich mehr als ein purer Zufall, wenn europäische Gelehrte das -buddhistische <i>jhânam</i> nicht selten mit der lateinischen <i>contemplatio</i> -übersetzten. Denn diese Römer, von<span class="pagenum"><a name="Seite_282" id="Seite_282">[S. 282]</a></span> sämtlichen bekannten Völkern des -sogenannten Altertums die ärmlichsten an Religion und dennoch das -Wort <i>religio</i> prägend („<i>Vinculo pietatis obstricti Deo et religati -sumus, unde ipsa religio nomen accepit</i>“), — sie prägen auch den -Sprachausdruck <i>contemplatio</i>, obschon von sämtlichen bekannten -Völkern des Altertums am wenigsten mit der Neigung zu dieser irgendwie -behaftet. Was alsdann bei ihnen nach auswärts gerichtet <i>contemplatio</i> -heißt, ist im Buddhismus nach einwärts gerichtet <i>jhânam</i>, und wie -jenes <i>templum</i> in seiner Ausdehnung durch vier sich schneidende Gerade -bestimmt wird, ist das <i>jhânam</i> in seiner Hinaufstufung durch vier -ansteigende Grade bestimmt. Vier Grade oder Weihen innerlicher Schauung -gibt es, ja vier Schauungen oder <i>jhânâni</i> selber gibt es, die in den -Reden stets mit derselben formelhaften Wendung wiederkehren: in den -berühmten vier <i>jhânâni</i> staffelt der Buddho das Wissen in die Höhe, -welches zuletzt mit der Erlösung eins ist.</p> - -<p>Noch liegt bei dem ersten <i>jhânam</i> aller Nachdruck darauf, daß -jene oben erörterte Bemeisterung des Vorstellungablaufs wirklich -erworben werde. Alles kommt auf die zielbewußt geübte Handhabung der -auftauchenden und versinkenden Bewußtseinsinhalte an, so zwar, daß -eine Absonderung, Entfernung, Loslösung, Verabseitigung, Abriegelung -von allen Gegebenheiten des Erlebens geschieht, die dem Heil -hinderlich sein könnten. In einer Art von sehr tätigem, sehr wachsamem -Vergessenkönnen besteht dieser erste Grad der Selbstvertiefung, welcher -den Zustand des Nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_283" id="Seite_283">[S. 283]</a></span>wissens, Nochnichtwissens allmählich in den des -Wissens überleiten soll. Der andachtsame Mönch wirft einen hohen Wall -um sich und zieht einen breiten Graben um sich, die beide ihn wie eine -Festung von der unbehüteten Außenwelt abschließen und vor feindlichen -Überrumpelungen bewahren sollen. In dieser Festung widmet er sich dann, -ungestört durch allfallsige Eindrücke oder Empfindungen, die ihn von -außen her zu beschäftigen oder gar zu überwältigen drohen, dem Sinnen -und Gedenken, dem Erwägen und Ermessen, dem Betrachten und Überlegen -aller der Gewißheiten, die ihm die heilige Lehre gewährt. Was ihm nicht -angehören darf, wirft er über diesen Wall, wie ein Gärtner etwa einen -Glasscherben über die Gartenmauer wirft, auf den sein Spaten beim -Umstechen des Bodens gestoßen ist. Was ihm den Frieden stört, was sein -Gemüt bedrückt, was seine Heiterkeit trübt, das ersäuft er in diesem -Graben, wie ein Kind etwa einen Sack voll frischgeworfener Katzen im -Bach ersäuft, die nicht aufgezogen werden können. ‚Geboren aus der -Abgeschiedenheit‘, verdeutscht ein zeitgenössischer Gelehrter mit -verständlicher (und verständiger) Anspielung auf die Mystik Eckharts -den Ausdruck <i>vivekajam</i> in den heiligen Texten, — ausnahmweis, -wie mich bedünkt, ein wenig sinnfälliger und sprechender noch wie -Karl Eugen Neumann, der dafür das mattere ‚ruhegeboren‘ hat. Geboren -aus der Abgeschiedenheit, will sagen geboren aus der Abscheidung -und Abstreifung aller seelischen und körperlichen Fesseln ist das -erste <i>jhânam</i>, welches den Nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_284" id="Seite_284">[S. 284]</a></span>wissenden zum Wissenden befördert -und alsbald durch eine Anstrengung geringeren Grades ins zweite -<i>jhânam</i> überführt. Denn diese Abscheidung und Abstreifung einmal -vollzogen habend, braucht der Andachtwillige von jetzt an weniger -darauf gerichtet zu sein, das Unheilsame vom Raum des Bewußtseins -fernzuhalten, als vielmehr den jetzt errungenen Zustand zu genießen. -Hat sich der Mönch die erste Weihe selber durch andauernde Übungen -abgezwungen, hat er den Vorstellungablauf völlig in seiner Gewalt -und vermag er mit höchster Sammlung bei den Heilsgewißheiten der -Lehre zu verweilen, so entläßt er nun, der zweiten Weihe mächtig, -sämtliche Erwägungen dieser Art, etwa wie ein Gebieter und Fürst -seine Beauftragten entläßt, deren Dienste er weiter nicht benötigt. -Herr und Herrscher nunmehr im Haus seiner Triebe und Begierden, -Herr und Herrscher sogar über alle Wahrnehmungen und Vorstellungen, -Denkinhalte und Erkenntnisvorgänge, stimmt er ganz rein mit sich -selber überein. Wie wenn zwei feindliche Heere, die einander mit -Erbitterung und Haß bekämpfen, indes ihre Häupter doch schon über -Waffenstillstand und Frieden verhandeln, plötzlich verständigt werden -von der Unterschreibung der Verträge, und jetzt eine erschütternde -Kampf- und Feuerpause eintritt zur unermeßlichen Freude aller: so -kehrt hier im Innern des hart streitenden Mönchs der Friede mit ihm -selber ein zu seiner unermeßlichen Besäligung. Jene Meeresglätte und -Windstille der Seele auf großer Fahrt nach schauerlichen Stürmen stellt -sich ein, die sogar dem<span class="pagenum"><a name="Seite_285" id="Seite_285">[S. 285]</a></span> seelenfremden Abendländer seit dem -γαλενισμός des großen Demokritos und des kleineren Epikurios nicht -völlig unbekannt sein dürfte, — wenigstens geschichtlich nicht. Aus -der Einigung mit sich selbst geboren, ja in der Einigung mit sich -selbst geboren, wie Neumann übersetzt, ist die zweite Schauung der vier -<i>jhânâni</i>, welche den Andächtigen in den Genuß mühsälig erkämpfter -Güter setzt. Ein reifes, sattes, reiches Säligkeitgefühl beginnt von -da an wie von der Mitte des Gemütes her den Körper des Andächtigen in -linden Wellen zu durchströmen und ohne Rest gleichsam zu durchsüßen, -ähnlich wie eine Flüssigkeit von einem aufgelösten Stückchen Zucker -ohne Rest durchsüßt wird. Die erstrittene Ruhe wird nicht mehr, wie -noch kurz vorher, als Ausgleich und Entspannung vorangegangener -Spannungen empfunden, sondern als der selbstverständliche, angemessene -und würdige Urstand des Daseins. Wie die heftigen Stöße des stampfenden -und zuckenden Herzens in dem feinröhrigen Adergeflecht des Blutes -mählig zu kaum spürbaren Pulsen sanft verebben, so verebbt dann -das klingende Gefühl der Besäligung der zweiten Schauung in der -dritten zum unbewegten Gleichmut. „Der gleichmütig Einsichtige lebt -beglückt“, — er lebt beglückt im Gleichmut seiner Einsicht und -Besonnenheit, im Gleichmut seiner Einigung und Stillung. Bis dann nach -Durchlebnis der drei <i>jhânâni</i> das vierte <i>jhânam</i> von ihnen sich -dadurch auszeichnet, daß es vollkommen befreit erscheint von jeder -Gefühlsbetontheit, und sei sie auch die leiseste, nach der Lust- oder<span class="pagenum"><a name="Seite_286" id="Seite_286">[S. 286]</a></span> -Unlustseite hin. Was bisher der Andächtige etwa noch als Beglückung, -Aufheiterung, Besäligung genossen hat, ja was ihn möglicherweis dazu -verleitete, das wesentliche Ziel seiner Selbstvertiefung in solchen -Lustgefühlen zu vermuten, — das alles muß in diesem vierten <i>jhânam</i> -auf Nimmerwiedersehn und bis auf die letzte Spur verschwinden. „Das -aber nenn’ ich, Udâyî, unzulänglich, und sage ‚Verwerft es‘, sage -‚Überwindet es‘“... Begleitende Gefühle lustvoller oder leidvoller -Tönung und Beschaffenheit werden hier nicht länger geduldet und die -Seelenzone des Gefühls wird überquert und überschritten. Wie ein -Hochgebirgserkletterer am Fuß der Alpen noch in den Wäldern der -benachbarten Ebene rüstig dahin wandert, dann aber in einen Gürtel -hineingerät von nur noch zwerghaftem und verkrüppeltem Baumwuchs, -schließlich inmitten eine halbe Wüste gelangt von baumlosen Matten -und mit allerlei Buschwerk, Strauchwerk inselhaft bestanden, zuletzt -aber, nachdem er einen mit vielerlei Geröll bestreuten Moos- und -Flechtenteppich überturnt hat, auf nackten Gletschern und an kahlem -Firn mühsam hinaufstrebt und die wirtliche Breite pflanzlichen -Wachstums hinter sich und unter sich läßt, — also läßt der Mönch -der vierten Weihe die Welt der Gefühle hinter und unter sich. Aug’ -in Auge mit ihm selber und vielleicht nicht einmal mehr mit ihm -selber, sondern mit einem unsäglichen und nicht zu benennenden Etwas, -verweilt er ohne Freude und Leid, ohne Frohsinn und Trübsinn, ohne -Wonne und Schmerz. Denn wo solche<span class="pagenum"><a name="Seite_287" id="Seite_287">[S. 287]</a></span> Gefühle entstehen, entstehen -sie als Rückäußerungen des Gemüts auf die ständige Wechselwirkung -zwischen Ich und Nichtich, zwischen Selbst und Welt, zwischen Seele -und Wirklichkeit, zwischen Bewußtsein und Sein, zwischen Bedürfnis -und Erfüllung, zwischen Forderung und Leistung. Das <i>templum</i> dieser -Wechselwirkung aber, wo der Austausch zwischen der Persönlichkeit -und ihrer Umwelt stattzufinden pflegt, ist jetzt geräumt und das -<i>templum</i> vollkommener In-sich-Beharrung feierlich betreten. Längst -dringen von der Außenwelt keine Reize mehr über die Schwelle, deren -Wert und Größe vom selbstvertieften Mönch gleichsam selbsttätig -auf Unendlich erhöht ward, damit ein Zustrom von außen nach innen -überhaupt nicht mehr stattfände. In einer höchsten Anspannung des -Gemütes sperrt der Mönch alle die Zeichengebungen und Meldungen und -Botschaften, die sonst von sämtlichen Wesen der Welt grundsätzlich an -sämtliche Wesen der Welt ergehen, und er selbst gleicht einer Station -für Funkspruch, die zwar einen vorzüglich wirksamen Sender aufweist, -aber des Empfängers entbehrt. Drum also ist das <i>templum</i>, sag’ ich, -einer unerbetenen Empfängerschaft von Eindrücken aus der Wirklichkeit, -durch welche vielleicht schlummernde Gefühle aufgeschreckt und in -fiebrige Bewegung gesetzt werden könnte, von jetzt an geräumt und das -<i>templum</i> regloser Seelenstarre friedlich betreten: das <i>templum</i>, wo -der Mönch sein eigen Stand- und Steinbild, so er in Vollkommenheit -von sich gemeißelt, still verehrt... Und wie unsere transzendentale<span class="pagenum"><a name="Seite_288" id="Seite_288">[S. 288]</a></span> -Philosophie nach dem Vorgang Kants die Vernunft ‚rein‘ genannt hat, -wofern sie sich unbeeinflußt durch äußerliche Reize selbst bestimmt -und selbst Gesetze auferlegt, so nennt der Buddho den Andächtigen -dieser vierten Schauung ‚rein‘, wofern er sich von allem Anders-Sein -unberührt und ungerührt, unversehrt und unverstört, unbenetzt und -unbespritzt zu halten und erhalten weiß, — nunmehr in eigener Person -nicht zwar geradezu ‚reine Vernunft‘ geworden, aber immerhin ein -reines erkennendes und wissendes Vermögen und Verhalten geworden. -Denn was geschah nun eigentlich, ihr Christen? Was geschah mit dieser -unendlich schwer zu vollbringenden, aber schlechthin unerläßlichen -Emporstufung zu den vier gotamidischen <i>jhânâni</i>? Die Erzeugung und -Hervorbildung eines neuartigen und vorher noch nicht vorhandenen -Organon geschah, ihr Christen. Die Erzeugung und Hervorbildung eines -Werkzeuges, welches der Buddho unbedingt für notwendig erachtet, -um Nichtwissen endgültig in Wissen überzuführen. Durch die stätig -vervollkommnete Übung der vier Stufen der Selbstversenkung trachtet -der Buddho ein erkennendes Vermögen, ja geradezu einen ‚Sinn‘ zu -erschaffen, der imstand wäre, dasjenige Wissen zu erwerben, welches -ihm vor allem andern Wissen heilsam zu sein scheint. In demselben Maße -nämlich, als der Mönch sich in sich selbst vertiefend die Quellen jener -äußeren Erfahrung verstopft, aus denen wir Abendländer fast unser -gesamtes Wissen und sicherlich unsere gesamte Wissenschaft zu schöpfen -pflegen, — in eben dem Maß beginnen sich ihm ver<span class="pagenum"><a name="Seite_289" id="Seite_289">[S. 289]</a></span>borgene Quellen -zu erschließen, deren sehr fernes, raunendes Gemurmel sein ungemein -geschärftes Ohr näher bald und näher vernimmt. Wer in der vierfachen -Selbstvertiefung stark geworden ist, hat tatsächlich einen neuen Sinn -derart gehärtet und gestählt, daß er wie ein Bohrer in den Händen eines -Gesteinkundigen vortrefflich gebraucht werden kann, eine unterirdische -Ader metallreicher Erze nach der andern genau an der richtigen Stelle -anzubohren. Wissend geworden in sich selber und von sich selber, -dann aber durch dieses Wissen irgendwie höherer Mensch geworden, -Selbstbefreier, Selbsterretter, Selbsterlöser, vermag dieser Mönch -vor allen Dingen — sich zu erinnern. Erlösendes und erlöstes Wissen -ist auch hier (und hier erst recht) Erinnerung: in dieser allgemeinen -Formel begegnet sich Gotamo wirklich mit den tiefsten Einsichten der -europäischen Philosophie von Platon bis auf Bergson, — vorausgesetzt, -daß diese tiefste Einsicht nicht auf irgendwelchen Umwegen dem -mittelmeerbefahrenden, mittelmeerabenteuernden Platon aus dem Osten -zugetragen worden ist. Das Wissen also ist Erinnerung, und zwar -Erinnerung im Unterschied und Gegensatz zum bloßen Gedächtnis durchaus -zu verstehen als ἀνάμνησις etwa im Unterschied und Gegensatz -zur bloßen μνήμη, oder als <i>souvenir-image</i> im Unterschied -und Gegensatz zur bloßen <i>mémoire</i>. Der höhere Mensch erinnert sich, -der höhere Mensch vermag sich zu erinnern! Wenn kürzlich noch bei -uns Europäern ein Denker immerhin von dem Rang Weiningers diese -mehr wie rätselhafte<span class="pagenum"><a name="Seite_290" id="Seite_290">[S. 290]</a></span> Fähigkeit der Seele, Gewesenes als daseiend, -Vergangenes als gegenwärtig nach Belieben gleichsam zu wiederholen oder -zutreffender vielleicht noch ‚wieder zu holen‘, schlechterdings als -Merkmal und Kennzeichen überhaupt des höheren Menschen namhaft macht: -dann bekräftigt, dann bestätigt er auf seine Weise nur, was für den -Buddho von jeher unerschütterlich feststand. Nach Weininger ist es -gleichsam die Gnade des höheren Menschen, sich erinnern zu können, und -zwar sich erinnern zu können im wesentlichen seines eigenen Selbst, -seines eigenen Erlebens. Der höhere Mensch lebt und hat gelebt, nicht -um zu vergessen, sondern um bei beliebigen Anlässen die Bilder dieses -Lebens in aller urwüchsigen Frische und Sinnfälligkeit gleichsam -aus dem Schlaf zu rütteln. Derart sich jederzeit zu erinnern wissen -der eigenen Lebensalter und Lebensstufen, der vollen und leeren -Augenblicke, der wichtigen und nichtigen Begebenheiten, der Taten und -der Leiden, der Genüsse und der Schmerzen; derart die schöpferische -Neuvergegenwärtigung, Wiederverlebendigung vergangenen Geschehens -willkürlich betreiben zu können: das hieße nach Otto Weiningers -Dafürhalten menschlich vor anderen Menschen minderer Erinnerlichkeit -als ‚bedeutend‘ hervorragen... Der mit Erinnerung Begnadete ist -‚genialisch‘, und just diese ungewöhnliche Auffassung begegnet sich -mit der tiefsten Selbsterfahrung, die Gotamo mit sich machte. Daß der -Asket sich aller seiner Lebensumstände bis in die geringste Einzelheit -hinein aufs lebhafteste und un<span class="pagenum"><a name="Seite_291" id="Seite_291">[S. 291]</a></span>trüglichste erinnere, das ist der -erste, vollwichtige Ertrag der vier <i>jhânâni</i>, — das ist das erste -gewissermaßen ‚heilige‘ Wissen. Indischer Denk- und Betrachtungweise -gemäß kann dies freilich nichts anderes besagen wollen, als daß eben -der Asket Erinnerung erworben, Erinnerung erbohrt habe an seine -sämtlichen ehemaligen Verkörperungen und Lebensläufe, die er je und je -durchlitten. „Solchen Gemütes, innig, geläutert, gesäubert, gediegen, -schlackengeklärt, geschmeidig, biegsam, fest, unversehrbar, richtet -er das Gemüt auf die erinnernde Erkenntnis früherer Daseinsformen. So -kann er sich an manche Daseinsform erinnern, als wie an ein Leben, -dann an zwei Leben, dann an drei Leben, dann an vier Leben, dann an -fünf Leben, dann an zehn Leben, dann an zwanzig Leben, dann an dreißig -Leben, dann an vierzig Leben, dann an fünfzig Leben, dann an hundert -Leben, dann an tausend Leben, dann an hunderttausend Leben, dann an -die Zeiten während mancher Weltenentstehungen, dann an die Zeiten -während mancher Weltenvergehungen, dann an die Zeiten während mancher -Weltenentstehungen-Weltenvergehungen. ‚Dort war ich, jenen Namen hatte -ich, jener Familie gehörte ich an, das war mein Stand, das mein Beruf, -solches Wohl und Wehe habe ich erfahren, so war mein Lebensende; dort -verschieden trat ich anderswo wieder ins Dasein: da war ich nun, -diesen Namen hatte ich, dieser Familie gehörte ich an, dies war mein -Stand, dies mein Beruf, solches Wohl und Wehe habe ich erfahren, so -war mein Lebensende; da verschieden<span class="pagenum"><a name="Seite_292" id="Seite_292">[S. 292]</a></span> trat ich wieder ins Dasein‘: so -erinnert er sich mancher verschiedenen früheren Daseinsform, mit je den -eigentümlichen Merkmalen, mit je den eigentümlichen Beziehungen.“</p> - -<p>Nach Begängnis der vier <i>jhânâni</i> weiß also der Mönch sich zu erinnern -an jeden Urstand, jeden Umstand seines Lebens in allen Verkörperungen. -Diese Gnade des Erinnerns ist der Gewinn geübter Selbstvertiefung, -ist der Gewinn des nunmehr Geweihten, Bewährten, Wissenden. Und -diese nicht zu überbietende Einschätzung der Erinnerung ist nicht -etwa als eine bloße Eigenheit oder gar eine Schrulle des Buddho -zu betrachten, sondern gehört offenbar dem geistigen Stammbesitz -indischer Wertungen überhaupt an. Auch in der Bhagavad-Gîtâ ist es -die Gabe der Erinnerung, welche den göttlichen Vorzug des <i>bhagavân</i> -Krischna ausmacht. Eine sicherlich uralte Auffassung, die eben im -Krischna-Mythos selbst eine überaus sinnige Darstellung gefunden -hat. So wenn berichtet wird, daß der blonde Gott im Garten seiner -Gattin Satyabhâmâ den himmlischen Korallenbaum gepflanzt habe, den -er einstmals als Kampfpreis davongetragen hatte: „einen Baum, dessen -tiefrote Blüten viele Meilen in der Runde ihren Duft verbreiten. Wer -aber von diesem Duft eingesogen, der erinnert sich in seinem Herzen -langer, langer Vergangenheit, längst entschwundener Zeiten, in früheren -Leben.“ Auf eine sehr erfahrene Art, welche insonderheit die große -Bedeutsamkeit der Gerüche für die Erinnerung durchaus erfaßt zu haben -scheint,<span class="pagenum"><a name="Seite_293" id="Seite_293">[S. 293]</a></span> wird hier die Fähigkeit der Wiedervergegenwärtigung bereits -verklungenen Geschehens im Bewußtsein als ein Geschenk des Lebens- -und Erkenntnisbaumes an den Menschen versinnbildlicht: wobei übrigens -im Unterschied zum Alten Testament noch beide Bäume eines Stammes, -einer Wurzel, einer Krone sind... Erinnerung gewinnen, das geht mithin -schon sehr weit in die göttlichsten Vorrechte der Himmlischen hinein. -Und wiederum: Erinnerung verlieren, gilt als Verlust von kaum zu -ermessender Härte und Schwere, — was sich besonders der europäische -Leser der Sakontalâ gesagt sein lassen möge, wenn anders er den -Fluch der Erinnerunglosigkeit wirklich erfühlen will, der hier den -liebenden König Duschyanta trifft... Indes der Grieche Lethe trinkt, -saugt der Inder den Duft des himmlischen Wunsch- und Weltbaumes ein; -dem einen gilt Vergessen und dem anderen Erinnerung als die höchste -Wohltat. Und sogar der Pessimist Gotamo ist so wenig Grieche und so -sehr Sohn seines heimischen Weltteils, daß auch er Erinnerung statt -Vergessenheit wählt. Zwar vermögen wir ihm leider ja (es sei denn, -daß wir Anthroposophen sind!) in der Art und Weise nicht zu folgen, -wie er mit Asketen die Erinnerungen aufsteigen läßt an hundert Leben, -tausend Leben, hunderttausend Leben zwischen Weltenentstehungen und -Weltenvergehungen. Denn uns selbst pflegt hier jedwede brauchbare -Erfahrung zu mangeln und schon darum steht es uns nicht frei, dem -Buddho billigend zu folgen oder mißbilligend die Nachfolge zu -ver<span class="pagenum"><a name="Seite_294" id="Seite_294">[S. 294]</a></span>weigern. In einem aber, deucht mich, hat er auch jetzt wieder den -Sachverhalt der Erinnerung geradezu ins Herz getroffen: Erinnerung -ist, wie wir sie auch deuten mögen, eine Vervielfältigung dessen, -der sich zu erinnern vermag, — und in dieser Rücksicht freilich die -Häufung zahlloser Lebensstufen in diesem jetzigen und einmaligen -Leben. Vervielfältigt um die unausdenkliche Zahl seiner Ahnen und -Urahnen ist in Wahrheit das erinnernde Einzelwesen, wenn wir, -Erinnerung im Sinn unserer europäischen Naturerkenntnis (und damit -allerdings eher doch als μνήμη wie als ἀνάμνησις, -eher doch als <i>mémoire</i> wie als <i>souvenir-image</i>, eher doch als -Gedächtnis wie als Erinnerung) nehmend, unter ihr zum Beispiel alle -sogenannten Dispositionen oder Instinkte verstehen dürfen, welche jeden -lebendigen Vertreter seiner Art um sämtliche erworbenen Anlagen und -Geschicklichkeiten seiner Art bereichert zeigen. Denn im Kerngerüst -der unsterblichen Keimzelle samt ihren Vererbungträgern lebt ja -doch das Leben aller Eltern und Vorfahren genau so fort wie in der -Grundrichtung der angeborenen Triebe, — und fort mit ihrem Leben -leben ihre Werke und Taten, ihre Gesinnung und Zielstrebigkeit, ihre -Erfahrungen und Listen, ihre Verteidigungmittel und Angriffwerkzeuge, -ihre Weisheit und Vorsicht, ihre Tugenden und Laster. Und ebenfalls -vervielfältigt um die unausrechenbare Zahl seiner Ahnen und Urahnen -ist das erinnernde Einzelwesen, wenn wir, Erinnerung etwa im Sinn des -biogenetischen Grundgesetzes nehmend, unter ihr die<span class="pagenum"><a name="Seite_295" id="Seite_295">[S. 295]</a></span> (abkürzende) -Wiederholung der Verkörperung- und Erscheinungformen verstehen wollen, -welche der Keim während seines Wachstums vom befruchteten Ei bis zum -fertigen Geschöpf zu durchlaufen pflegt in Nachahmung der Verkörperung- -und Erscheinungformen des ganzen Stammes: in den Kiemen einer -menschlichen Frucht oder in ihrem Stummelschwänzchen blitzt sozusagen -eine Erinnerung auf an Echse, Fisch und Säugetier und mit ihr ein -gestalthaftes Gedenken an so manche Weltenentstehung, Weltenvergehung -zwischen Trias, Jura und Alluvium, zwischen Kalkstein, Malm und -Schlick; — derart sehn wir noch unseren Menschenleib (wie ich schon -sagte) dem Totemismus huldigen, auch wenn von ihm der Menschengeist -schon längst nichts mehr wissen sollte. Und abermals und letztmals -vervielfältigt um die unnennbare Zahl seiner Ahnen und Urahnen ist das -erinnernde Einzelwesen, wenn wir Erinnerung endlich nehmen im Sinn der -forschenden und dichtenden Geschichte (und jetzt allerdings wirklich -als <i>souvenir-image</i>, jetzt wirklich als ἀνάμνησις) und -unter ihr jenes künstlich-künstlerische Nacherleben in der Einbildung -verstehen, welches uns Spätlinge in allen Jahrtausenden der Völker und -der Helden geistig Wurzel schlagen läßt: denn wo immer auch Geschichte -als Wissenschaft oder Kunst, als Forschung oder Dichtung ernsthaft -betrieben ward, entsprang sie nach vorwärts gerichtet zwar dem starken -Wunsche nach Unsterblichkeit des Sterblichen, nach rückwärts gerichtet -jedoch dem nur wenig schwächeren Wunsch,<span class="pagenum"><a name="Seite_296" id="Seite_296">[S. 296]</a></span> sich um die volle Zahl -womöglich aller dagewesenen Werk- und Werteschöpfer menschheitlich zu -vermehren; — hundertseelig, tausendseelig, hunderttausendseelig möchte -der geschichtlich fühlende Mensch werden, ganz wie der Buddho sagt und -tut, ganz wie der Buddho sagt und tut. Ist doch zuletzt in Wahrheit -alles, was irgend da war, wir selbst, wenn wir es recht verstehen -wollen, und wo Völker und Helden untergingen, machten sie sich nur von -der dummen Einmaligkeit der Zeitlichkeit frei, um für immer in das -Wissen der Erinnerung einzugehen...</p> - -<p>Das erste Wissen, vom Vollzug der vier <i>jhânâni</i> erwirkt, heißt -also Erinnerung und bemächtigt sich der früheren Daseinsformen und -Lebensstufen. Das zweite Wissen aber — „drei Wissen weiß der Asket -Gotamo!“ — folgt unmittelbar aus dem ersten, ja fällt nach der -Denkweise des Buddho sogar geradezu mit dem ersten mehr oder weniger -restlos zusammen. Wo der Erinnernde nämlich die Selbstverkörperungen -ins Bewußtsein hebt und die Folge seiner eigenen Geburten aufsteigen -und verschwinden sieht, da sieht er sie aufsteigen und verschwinden -nach dem Gesetz vom Karman. Der Wiederkünfte sich entsinnen und sich -des Gesetzes der Wiederkünfte entsinnen, ist von Gotamos Einstellung -aus ein und derselbe Vorgang, und wenn überhaupt einmal die sachliche -Richtigkeit auch nur einer einzigen dieser vom Buddho entwickelten -Verkettungen und Aneinanderreihungen über jedem Zweifel befunden -wird, so ist das sicherlich hier der Fall. Dasselbe Wissen,<span class="pagenum"><a name="Seite_297" id="Seite_297">[S. 297]</a></span> welches -Erinnerung heißt und um alle früheren Geburten weiß, es weiß auch -um das Gesetz, nach welchem die Geburten immer von neuem wieder -stattfinden. Derselbe Asket, der inne wird: dieses war ich, jenen -Namen trug ich, so und so erschien ich, — derselbe Asket wird auch -der gesetzmäßigen Verknüpfung inne, welche Wiederkehr an Wiederkehr -flicht. Dem Erinnernden gibt sich die Aufeinanderfolge seiner -Selbstverkörperungen als Auseinanderfolge sehr bald zu erkennen, -und die Erinnerung selbst formt aus der Folge der Geburten in der -Zeit eine Folge der Geburten nach Ursach’ und Wirkung. Das ist der -allgemeine Gang des Wissens, wie er hier mit einem erratenden Spür- -und Merksinn ohnegleichen ausgemittelt wird: der Gang des Wissens und -der Wissenschaft von der reinen Zeitenfolge der Erscheinungen fort -bis zur Erkenntnis ihrer ursächlichen Schürzung hin. Das ist der Gang -des Wissens und der Wissenschaft, wie er in Indien offenbar nicht -anders sich ereignet hat als in unserem Europa. Mit welcher Feinheit -und Zuverlässigkeit übrigens diese mythisch-mystische Enthüllung dem -wissenschaftgeschichtlichen Tatbestand gerade des Westens entspricht, -das kann freilich nur der Kenner abendländischer Philosophie von Platon -bis auf Kant völlig ermessen, dem seinerseit die Beziehungen der -platonischen Lehre von der Anamnesis zu der Abkunft und Anwendung der -Knüpfung Ursache-Wirkung als einer kantischen ‚Bedingung a priori der -Möglichkeit jeder Erfahrung‘ durchsichtig geworden sind.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_298" id="Seite_298">[S. 298]</a></span></p> - -<p>Dies indes hier beiseite, so läßt sich nichts Wundersameres denken als -diese intuitiv erfühlte Richtigkeit der gotamidischen Darstellung des -Wissens, wie sie ein Mensch gibt, der jedes wissenschaftliche Interesse -als solches kurzerhand verwirft und außerdem einem Weltalter und einer -Rasse angehört, die beide mit der europäischen Entwicklung nicht im -mindesten zusammenhängen...</p> - -<p>Im Besitz der Erinnerung an frühere Geburten und Verkörperungen weiß -sich also der Erinnernde, ich sage es noch einmal, bald auch in den -Besitz der Erkenntnis des Gesetzes zu setzen, nach welchem die Geburten -und Verkörperungen stattfinden und stattfinden müssen. Der Asket kann -„mit dem himmlischen Auge, dem geläuterten, über menschliche Grenzen -hinausreichenden, die Wesen dahinschwinden und wiedererscheinen sehen, -gemeine und edle, schöne und unschöne, glückliche und unglückliche, -er kann erkennen, wie die Wesen je nach den Taten wiederkehren.“ -Solchermaßen hat der Asket das zweite Wissen dann erworben. Die -Summe seiner früheren Geburten als Zeitreihe in der Erinnerung sich -vergegenwärtigend, erfährt und erfaßt er noch einmal mit geschärftem -Sinn das ewige Gesetz dieser Geburten als Ursache-Wirkungreihe, — -jenes Gesetz, das ihm vormals schon die Welt erschloß, das Leben -erschloß, das Leiden erschloß. Durchschauend und immer klarsichtiger -durchschauend, wie alles gekommen ist und wie alles kommen mußte, fällt -ihm auf dieser gehobenen Stufe noch einmal mit dem<span class="pagenum"><a name="Seite_299" id="Seite_299">[S. 299]</a></span> Gesetz der Welt ihr -ganzes Weh und Ach auf die wissend gewordene Seele: noch einmal blickt -er auf das Leid zurück, wie man etwa auf eine Landschaft zurückblickt, -in der man vieles erlebte und die man sich jetzt zu verlassen -anschickt. Und mit dem Leid und Weh und Ach der Welt wird ihm das -dritte Wissen, — „drei Wissen weiß der Asket Gotamo!“ — das da alles -vorige Wissen endgültig krönen wird. Jetzt ist die Bahn durchmessen, -jetzt schlingt sich das Ende um den Anfang wieder, jetzt ist der Kreis -geründet und der Ring geschlossen. Aus vierfacher Selbstvertiefung ward -Erinnerung geboren, aus der Erinnerung ward das Gesetz geboren, aus dem -Gesetz aber wird die Freiheit geboren. Also hat nunmehr der Asket drei -Wissen nach Vollzug der vier <i>jhânâni</i> gleichsam vollbracht, also hat -er drei Wissen gleichsam verwirklicht. „‚Das ist das Leiden‘ erkennt -er der Wahrheit gemäß. ‚Das ist die Leidensentwicklung‘ erkennt er der -Wahrheit gemäß. ‚Das ist die Leidensauflösung‘ erkennt er der Wahrheit -gemäß. ‚Das ist der zur Leidensauflösung führende Pfad‘ erkennt er -der Wahrheit gemäß. ‚Das ist der Wahn‘ erkennt er der Wahrheit gemäß. -‚Das ist die Wahnentwicklung‘ erkennt er der Wahrheit gemäß. ‚Das -ist die Wahnauflösung‘ erkennt er der Wahrheit gemäß. ‚Das ist der -zur Wahnauflösung führende Pfad‘ erkennt er der Wahrheit gemäß. Also -erkennend, also sehend wird da sein Gemüt erlöst vom Wunscheswahn, -erlöst vom Daseinswahn, erlöst vom Nichtwissenswahn. ‚Im Erlösten ist -die Erlösung‘,<span class="pagenum"><a name="Seite_300" id="Seite_300">[S. 300]</a></span> diese Erkenntnis geht auf. ‚Versiegt ist die Geburt, -vollendet das Asketentum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt‘ -versteht er da“...</p> - -<p>Drei Wissen weiß der Asket Gotamo. Drei Wissen vollbringt der Asket -Gotamo. Drei Wissen verwirklicht der Asket Gotamo.</p> - -<div class="section"> - -<p class="initial">Wofern es, ihr Christen, Wahrzeichen und Merkmal des Wissens ist, -‚daß den Kummer überwindet, wer den Âtman kennt‘, dann weist kein -anderes Wissen so deutlich dies Wahrzeichen und Merkmal auf wie das -Wissen des Buddho, — obschon es schlechterdings kein Âtman- und kein -Brahmanwissen ist. Über die vier <i>jhânâni</i> hinweg eigentlich mehr -einwärts als aufwärts dringend, erbohrt der gotamidisch Wissende die -Schächte des Unbewußtseins; erbohrt er die Erinnerung an die früheren -Geburten; erbohrt er die Erkenntnis der Wiederkünfte und ihres ewigen -Gesetzes; erbohrt er die heilige Wahrheit selbviert des Leidens, der -Leidensentstehung, der Leidensverwindung und des zur Leidensverwindung -führenden Weges. Dies Wissen ist ein unteilbares σύστημα, ein -unteilbarer Zusammenhang, vollkommen in sich geschlossen, rund und -fertig. Mit ihm ist der Wissende instand gesetzt, das heilige Ziel -alles Wissens zu erreichen und unbekümmert, kummerlos zu wandeln. Mit -ihm hat sich der Wissende alles angeeignet, was nach buddhistischer, -aber auch nach brahmanischer Auffassung allein zu wissen not tut<span class="pagenum"><a name="Seite_301" id="Seite_301">[S. 301]</a></span> und -was der verpflichtenden Bezeichnung ‚Wissen‘ alleinig wert erscheint. -Keine Zweifel, daß auch dieses indisch-buddhistische Wissen hin und -wieder enger sich berührt mit der Errungenschaft, die wir Abendländer -unsererseit mit diesem Ausdruck zu benennen pflegen, und namentlich -trifft diese engere Berührung zu bei der Erinnerung, die uns in vielem -an die bis heut noch nicht außer Kraft gesetzte Wissenschaftlehre -Platons wie an das liebe Gesicht eines alten Bekannten mahnt. Aber -im ganzen und großen bleibt dieses Büßer- und Erlöserwissen doch so -fern von unserem Forscher- und Gelehrtenwissen, daß wir hier auf -hohe Schwierigkeiten stießen, uns von diesem gotamidischen Wissen an -manchen Stellen ein zulängliches Verständnis zu verschaffen, — gesetzt -den sehr günstigen Fall, es gäbe von solch fremden Dingen überhaupt -ein zulängliches Verständnis oder könne wenigstens grundsätzlich ein -solches geben. Denn was hat es doch, besinnen wir uns gefälligst, mit -unserem eigenen Wissen und mit unserer eigenen Wissenschaft für eine -Bewandtnis? Und was ist nach unserer eigenen landläufigen Auffassung -Wissen und Wissenschaft? Doch offenbar in einem beides: erstens sowohl -nämlich eine nach Regeln verfahrende Tätigkeit des Verstandes, der -Vernunft, der Urteilskraft, die sogenannte Wahrheit zu vermitteln, -— zweitens aber auch das Ergebnis dieser Tätigkeit, der geordnete -Besitz oder ‚Schatz‘ aller dieser Wahrheiten. Was wir Europäer zu -wissen glauben, glauben wir als die Wahrheit zu wissen, wie schon -der<span class="pagenum"><a name="Seite_302" id="Seite_302">[S. 302]</a></span> heilige Thomas von Aquino uns bedeutet, wenn er gelegentlich -den Begriff des Wissens folgendermaßen umschreibt: „<i>Scire aliquid -est perfecte cognoscere ipsum; hoc autem est perfecte apprehendere -ejus veritatem</i>“... Wissen und die Wahrheit an und für sich wissen, -das deucht uns Europäern mithin ohne weiteres ein und dasselbe. Daß -es eine solche Wahrheit an und für sich irgendwie gäbe und geben -müsse als die maßgebliche Voraussetzung jeder Erkenntnisarbeit, die -nicht schimärisch ins Blaue hinein spinnen und schwindeln, faseln -und schwafeln will: dieser Satz steht seit dem weltgeschichtlichen -Kampf des Pythagoreers Platon gegen den antiken Relativismus nicht -nur unerschüttert fest, sondern er steht: steht als der <i>rocher de -bronce</i> aller Wissenschaft- und Erkenntnislehren, auch wenn die -unsterbliche Sophistik unsterblicher Sophisten immer wieder dagegen -Sturm gelaufen ist und eben heuer wieder aufs heftigste dagegen Sturm -läuft. Es muß eine Wahrheit geben an und für sich (oder wie der -Pythagoreer Platon gesagt hat ‚αὐτὸ καθ’ἁυτό‘), es muß -einen überhimmlischen Ort, τόπος ὑπερουρανιός geben von -gültigen Sachverhalten an und für sich, wenn anders ein Wissen und -eine Wissenschaft im europäischen Wortsinn möglich sein sollen. Auch -wer da behauptete ‚Es gibt keine Wahrheit‘ beriefe sich bei dieser -seiner Behauptung auf die Wahrheit und beanspruchte für sie allgemeine -Geltung, überpersönliche Verbindlichkeit, notwendige Verpflichtung. -Im Zeichen dieser stehenden und standhaften Wahrheit<span class="pagenum"><a name="Seite_303" id="Seite_303">[S. 303]</a></span> an und für sich -ist die europäische Wissenschaft tatsächlich seit den Griechen von -Sieg zu Sieg geschritten, welterobernd und weltherrschend wie kaum je -eine zweite Macht der Menschheit; ein unermeßlicher Schatz gesicherter -und gesichteter Erkenntnis ward als ein hoffentlich nicht mehr zu -verlierender Besitz des <i>homo sapiens</i> angehäuft und auch wiederum -verschwendet, gesammelt und auch wiederum verausgabt. Wer wollte -angesichts solch überwältigenden Erfolges so kleinlich sein und an die -Opfer denken, die er gekostet hat. Wie selten denken Menschen an ihre -Opfer, solange ihnen der Erfolg winkt, — frühestens dann, wenn der -Erfolg zur Frage wird, fällt ihnen bei, einen Überschlag zu machen und -zu rechnen, und zu rechten...</p> - -</div> - -<p>Unversehens also ist der abendländischen Menschheit das Wissen um -die Wahrheit an und für sich zum Ziel und Zweck des Wissens selbst -geworden. Durchaus in einer erkennenden Bewegung begriffen nach dem -An-und-für-sich-Sein der Wahrheit hin, gilt ihr deren Ergründung ohne -weiteres als Selbstzweck. Was dem Wissen um die Wahrheit an und für -sich dem menschlichen Leben und Dasein, dem Geist und der Seele etwa -bedeuten könnte, wird nicht gefragt, — nicht wird gefragt, was die -Wahrheit als solche im Zusammenschluß menschheitlicher Wesensäußerungen -und für diesen Zusammenschluß zu leisten vermöchte. Das Ideal -dieser Wahrheit an und für sich, von allen asketischen Idealen der -europäischen Menschheit unzweifelhaft das asketischste, —<span class="pagenum"><a name="Seite_304" id="Seite_304">[S. 304]</a></span> aber -freilich asketisch im Sinn Nietzsches und nicht im Sinn des Buddho! -— dieses Ideal heischt unbedingte Selbsthingabe, ja Selbstaufgabe -dessen, der ihm dient: und so war man über seinen Wert beruhigt, -weil Selbsthingabe, Selbstaufgabe unter allen Umständen für gut -befunden worden. Es mußte eine tiefe Genugtuung sein für jeden, der -am babylonischen Turm der Wahrheit bauen helfen durfte, daß er daran -bauen helfen durfte, und sei’s auch nur, daß er Ziegel strich oder -Mörtel mengte. Die Wahrheit aber wuchs und wuchs Sandkorn um Sandkorn -wie eine Düne, wie eine Wüste, nach allen Erstreckungen des Geistes -hin. Denn unendlich ist die Zahl dessen, was gewußt werden kann, was -gewußt werden soll; unendlich sind auch die Verfeinerungmöglichkeiten -des eingeschlagenen Verfahrens und Forschens, Wägens und Erwägens, -Messens und Untersuchens, Zählens und Errechnens. Wer auch nur eine -einzige Wahrheit, ein Wahrheitchen, zum erstenmal ausgesprochen, -eine einzige kleine Beobachtung zum erstenmal gemacht, eine einzige -kleine Regelmäßigkeit zum erstenmal entdeckt hat, der half das <i>summum -bonum</i> der Wahrheit an und für sich mehren und das unendliche Ganze -der Wissenschaft fördern. „Wenn ein Mann durch Jahre hindurch die -Magnetnadel, deren eine Spitze immer nach Norden weist, tagtäglich -zu festgesetzten Stunden beobachtete und sich die Veränderungen, wie -die Nadel bald mehr bald weniger klar nach Norden zeigt, in einem -Buch aufschriebe, so würde gewiß ein Unkundiger dieses Beginnen für<span class="pagenum"><a name="Seite_305" id="Seite_305">[S. 305]</a></span> -ein kleines und für Spielerei ansehen: aber wie ehrfurchterregend -wird dieses Kleine, wenn wir nun erfahren, daß diese Beobachtungen -nun wirklich auf dem ganzen Erdboden angestellt werden und daß aus -den daraus zusammengestellten Tafeln ersichtlich wird, daß manche -kleine Veränderungen an der Magnetnadel oft auf allen Punkten der -Erde gleichzeitig und in gleichem Maße vor sich gehen, daß also ein -magnetisches Gewitter über die Erde geht, daß die ganze Erdoberfläche -gleichzeitig gleichsam ein magnetisches Schaudern empfindet“... -Uneigennütziger und entsagungbereiter Fleiß des europäischen Gelehrten -legt also hier wirklich Körnchen neben Körnchen, Stäubchen neben -Stäubchen, bis die Masse der Wißbarkeiten und Gewißheiten zum Berg, -ja zum Gebirg gestockt ward, dessen Gipfel zuletzt niemand mehr zu -ersteigen vermag. Und wie die europäische Wirtschaft, seit sie nach -dem Ausgang des Mittelalters ‚frei‘ betrieben ward, jeweils Ware -um Ware auf Vorrat anzufertigen pflegt, ohne sich um ein wirklich -bestehendes Bedürfnis nach Waren irgendwie zu kümmern, um dann fast -in regelmäßigen Zeitabschnitten empfindliche Stockungen im Absatz und -Umsatz zu erleiden, — so erzeugt die europäische Wissenschaft auch -ihre Wißbarkeiten und Gewißheiten gleichsam auf Vorrat, ohne darauf -bedacht zu sein, ob die aufnehmenden und verarbeitenden Fähigkeiten -des Menschen mit den hervorbringenden noch Schritt gehalten haben -möchten. So hat sich die Wissenschaft bei uns daran gewöhnt, um der -Wissen<span class="pagenum"><a name="Seite_306" id="Seite_306">[S. 306]</a></span>schaft willen zu forschen, und dieses <i>l’art pour l’art</i>, -<i>science pour science</i> ist eigentlich seit Platon und Aristoteles, -will sagen seit den Anfängen des Hellenismus, in Europa auf lange -Zeitstrecken hin immer wieder das große Verhängnis des Abendländers -geworden. Ebenso planlos, ebenso frei, ebenso unverantwortlich wie die -Wirtschaft in hochkapitalistischen Weltaltern hervorbringt, ebenso -bringt in den hochintellektualistischen Weltaltern die Wissenschaft -hervor, also daß beide von Krisis zu Krisis, von Katastrophe zu -Katastrophe taumeln. Wo die Wissenschaft ausschließlich um der -Wahrheit willen betrieben wird, da gibt es kein Ziel und kein Maß -ihres sogenannten Fortschritts: da wälzt sie ihren unwiderstehlichen -Schwall über alle Ufer und schwemmt alles An- und Eingewurzelte von -seinem festen Platz, wo es würdig stand und fußte. In dem toten -Meere der Wißbarkeiten und Gewißheiten muß der Einzelne rettunglos -ertrinken, noch eh’ er an den eintönig-einsilbigen Horizonten ein -Fahrzeug wahrnimmt, das ihn bergen könnte. Die unvermeidlichen Folgen -dieser wissenschaftlichen Übererzeugung heißen Wissensmüdigkeit, -Wissensmißachtung, Wissensüberdruß, genau wie die Folgen der -wirtschaftlichen Übererzeugung Absatzstockung, Arbeiterentlassung, -Zahlungeinstellung heißen. Und in vierfacher Beziehung erweist die -Tatsache der europäischen Wissenschaft eine Fragwürdigkeit, welche -geradezu ihre Daseinsberechtigung zweifelhaft erscheinen läßt:</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_307" id="Seite_307">[S. 307]</a></span></p> - -<p>Als Stoff betrachtet wird das Wissen formlos, weil es Form offenbar nur -von der aufnehmenden Persönlichkeit her empfangen kann.</p> - -<p>Als Besitz betrachtet wird das Wissen herrenlos, weil es Eigentumswert -offenbar nur bei der aneignenden Persönlichkeit erwerben kann.</p> - -<p>Als Tätigkeit betrachtet wird das Wissen zwecklos, weil es -Zweckmäßigkeit offenbar nur durch die zwecksetzende Persönlichkeit -gewinnen kann.</p> - -<p>Als Leistung betrachtet wird das Wissen stellenlos, weil es Stellenwert -offenbar nur in der stellgewährenden Persönlichkeit erlangen kann...</p> - -<p>Die tödliche Gefahr dieses entfesselten Wissens, wie ein gefräßig -Element auf den unbeschützten Menschen losgelassen, hat indessen gerade -der ewige Platon als der geschichtliche Urheber des αὐτὸ καθ’ἁυτό -der Wahrheit (oder des ‚in Wahrheit Seienden, des ὄντως ὄν‘) -am dringendsten schon gespürt. Denn eben er, dem wir Europäer -die erste und wuchtigste Vision einer Wahrheit an und für sich zu -danken und — wer weiß? — vielleicht auch zu fluchen haben: eben er -ist gleichzeitig doch auch der Schöpfer gewesen der unvergänglichen -Gestalt seines Sokrates. Diesen platonischen Sokrates, der einzige, -der noch heute mitten unter uns lebt und mit welchem wir leben, ihn -hat sich augenscheinlich Platon selber als Gegengift verordnet gegen -das unmenschliche ὄντως ὄν, gegen das unmenschliche -αὐτὸ καθ’ἁυτό und beider lauernde Gefahren. Diesen Sokrates hat -sich Platon in eigener Person verordnet, will heißen er hat sich den -klassischen<span class="pagenum"><a name="Seite_308" id="Seite_308">[S. 308]</a></span> ‚Weisen‘ des Abendlandes verordnet, der das bloße Wissen -in sich selbst in Weisheit umzusetzen versteht. Der also das Wissen</p> - -<ul class="nobullet"> - <li class="aufz">als Stoff betrachtet formt,</li> - <li class="aufz">als Besitz betrachtet einer Herrschaft untertänigt,</li> - <li class="aufz">als Tätigkeit betrachtet einem Zweck unterwirft,</li> - <li class="aufz">als Leistung betrachtet einer Stelle verhaftet.</li> -</ul> - -<p>Warum nämlich ist just Platon, der Erfinder der Wahrheit an und -für sich und des Wissens um der Wahrheit willen, zum Dichter des -platonischen Sokrates geworden? Weil er mit dieser noch immer -atemversetzend nahen Gestalt des klassischen Weisen sich selber am -erfolgreichsten zu begegnen vermochte: sich selber und dem schmerzlich -gefühlten Schicksal, das er mit seinem asketischen Ideal des ‚in -Wahrheit Seienden‘ über die abendländische Menschheit heraufbeschwor. -Denn dieser platonische Sokrates will ja zwar die Wahrheit, wie sie -an und für sich selbst ist, ohne Einschränkung und Abzug ‚wissen‘. -Aber er will sie nicht wissen dieses Wahrseins wegen. Sondern er -will sie wissen seiner selber wegen, seines Tuns und Handelns wegen, -seiner Selbstgestaltung wegen, seiner ‚Wohlbeschiedenheit‘ -(εὐδαιμονία) wegen... Das Wissen als solches gilt ihm für unerläßlich -und unentbehrlich, und insofern verdient er selbst durchaus ein -Platoniker genannt zu werden. Aber in keinem Augenblick seines -Lebens ist ihm das Wissen ein unbedingter Selbstzweck, was es dem -strengen Platoniker eigentlich sein müßte. Und in diesem Betracht -ist er freilich durchaus Sokrates, durchaus <i>sui generis</i>,<span class="pagenum"><a name="Seite_309" id="Seite_309">[S. 309]</a></span> durchaus -Anti-Platoniker, durchaus Gegenmine des Platonismus: wenn auch alles -dies von Platons Gnaden. Alles in allem mithin das Gegenstück des -Gelehrten, das Gegenstück des Wissenschafters. Der Weise soll wissen -und muß wissen. Aber er soll und muß nicht wissen, damit er eben wisse: -vielmehr damit er wisse, was zu tun und zu lassen, was zu wünschen und -was zu verwerfen, was zu suchen und was zu meiden sei. (Denn Weisheit, -hat man in diesen Tagen gesagt, ist Leben in der Form des Wissens, — -ist Wissen, wie ich noch lieber sagen würde, in der Form des Lebens...) -Sokrates also will wissen, um Sokrates sein zu können, ein Mensch, der -sein Leben zu seiner Zeit und an seinem Ort recht zu führen versteht. -Derart bringt der Weise eine gewisse Versöhnung zustand zwischen -den zwei einander gegenstrebenden Urgewalten oder Grundtätigkeiten -alles Lebens, welche die Pythagoreer als Unbegrenztes und als Grenze -zu bezeichnen wagten. Mitten im Unbegrenzten aller Wißbarkeiten und -Gewißheiten setzt der Weise dem Unbegrenzten eine Grenze in ihm selber, -indem er sein Menschenrecht auf die ihm allein zuträgliche, ihm -allein bekömmliche Wahrheit geltend macht. Wohl zeltet der unendliche -Himmel des ‚in Wahrheit Seienden‘ in seiner Unwandelbarkeit auch über -der Gestalt des Weisen, wie er ob allen Wandelwesen zeltet. Aber -gleichzeitig übt doch mit Nachdruck der Weise das Grundrecht aller -Wandelwesen aus, sich aus dem unendlichen Himmel mit der ihm nützlichen -Gewißheit zu versehen und sich unter allen<span class="pagenum"><a name="Seite_310" id="Seite_310">[S. 310]</a></span> Wahrheiten an und für -sich diejenige auszuwählen und anzueignen, die ihm am passendsten für -den Aufbau seiner Persönlichkeit zu sein scheint. Denn das Gestirn -des ‚in Wahrheit Seienden‘ funkelt nicht in die Nacht der Welt, um -rein ‚platonisch‘ angestaunt, verehrt, angebetet zu werden, vielmehr -um dem sokratisch Wandernden zu Wasser und zu Land den dunkeln Weg -zu hellen. Wegweisend ist die Wahrheit für den Weisen, wegweisend -erzeugt sie Weisheit im Weisen. Aber weise sein heißt zuletzt nichts -anderes, als daß womöglich jedermann Besitz ergreife von seiner -Wahrheit und mit unwiderruflicher Entschlossenheit Hand auf seine -Wahrheit lege, die keineswegs die Wahrheit jedermanns ist und sein -kann. In Übereinstimmung mit diesem Zielgedanken der Weisheit nimmt -der platonische Sokrates sich die Freiheit, eine Menge von Wahrheiten -nicht zu wissen, welche nicht zu wissen seine Vorgänger in Milet, Elea, -Ephesos, Klazomenai, Kolophon, Abdera für unverzeihlich, wenn nicht -für unanständig gehalten hätten, — so zum Beispiel das Wissen von der -gesamten außermenschlichen, außersittlichen Natur mit seinen Tatsachen -und Gesetzen. Nirgends mehr ist die Weisheit des Sokrates mit der -längst üblich gewordenen Überschrift betitelt ‚Περὶ Φύσεως‘, -sondern mit der neuen, aber einseitigen und ausschließenden -‚Περὶ Ἀνθρώπου‘. Die Gültigkeit der Wahrheit überhaupt steht dem -Weisen außer allem Zweifel, weil sie die Voraussetzung darstellt für -jede erkenntnismäßige Betätigung als solche. Aber neben dieser Wahrheit -überhaupt und (was Wichtigkeit und<span class="pagenum"><a name="Seite_311" id="Seite_311">[S. 311]</a></span> Dringlichkeit anlangt) über ihr -steht meine Wahrheit, deine Wahrheit; steht die Weisheit, mit welcher -ich lebe, mit welcher du lebst: und damit bricht der platonische -Sokrates dem Platonismus die gefährlichste Spitze ab, mit welcher er -Fleisch und Geist der europäischen Menschheit hätte vergiften können, -wenn es keine Weisen und keine Weisheit gab, — mit welcher er Fleisch -und Geist dieser Menschheit vergiftet hat, seit es weder Weise noch -Weisheit mehr gibt... Dem Weisen jedoch ist nicht allein die Tugend -ein Wissen, sondern umgekehrt das Wissen auch eine Tugend: will meinen -eine innerliche Richtungnahme des ganzen Menschen auf jene Sachverhalte -hin, die zwar ‚in Wahrheit sind‘, aber für ihn, den Einzelnen und -Besonderen, nur je nach ihrer Eignung zur Führung eines rechten -Wandels gelten. Und ist schon nicht der Mensch das Maß der Dinge, — -er ist es aber, trotzdem just der platonische Sokrates ingrimmig und -verbissen den Urheber dieses Erkenntnis aushöhnt! — so ist unmittelbar -doch der Weise das Maß alles Wissens: Maß, Form, Herr, Ziel, Ort und -Verlebendiger alles Wissens...</p> - -<p>Daß dieser Typus des Weisen trotz Kyniker und Kyrenaiker, trotz -Stoiker und Epikureer im Fortgang der Zeit immer sicherer vom Typus -des Gelehrten und Wissenschafters verdrängt ward, mußte freilich -die schleichende Krisis des platonischen Ideals das Wissen um der -Wahrheit willen wieder von neuem zum Ausbruch bringen. Oder sage ich -vorsichtiger und richtiger: dieser Umstand hätte die Krisis wieder<span class="pagenum"><a name="Seite_312" id="Seite_312">[S. 312]</a></span> -zum Ausbruch bringen müssen, wenn nicht alles bald durch den Sieg des -Christentums eine völlig neue und von niemandem zu erwartende Wendung -genommen hätte. Vorher bietet allerdings das alexandrinische Zeitalter -gewissermaßen das Schauspiel eines späten Wettkampfes zwischen dem -Typus des Weisen und des Wissenschafters. Und wenn auch jener erstere -herauf bis zu dem ehrwürdigen Demonax des Lukian nie völlig aus der -Öffentlichkeit des antiken Lebens verschwand, wo er Pflichten der -Seelsorge vielmals rühmlich bis zuletzt erfüllte, — die entscheidenden -Bewegungantriebe gehen doch nicht von der Weisheit des Weisen, sondern -von der Forschung des Wissenschafters aus: denn dieser und nicht jener -bereicherte die Zeit um eine neue Geistesäußerung. Bis dann eben -in den ersten Jahrhunderten der werdenden Kirche sowohl der Weise -wie der Wissenschafter für die Dauer von rund tausend Jahren kalt -gestellt werden und damit die Krisis im Platonismus behoben ist. Der -geschichtliche Stifter des Christentums bekämpft den Weisen bekanntlich -mit der ihm eigenen heißblütigen Leidenschaftlichkeit, trotzdem er -selbst in starkem Maß vom Ideal der Stoa miterzogen und mitgebildet -erscheint. Genug! Die Weisheit vor den Menschen wird als Torheit vor -Gott verlästert, verlästert insonderheit darum, weil sie sich in -heidnischem Dünkel vermißt, aus eigener Menschenkraft zu bewirken, -was bestenfalls der Gnade Gottes vorbehalten wäre. In der Hauptsache -aus diesem, aber auch aus manch anderem Grunde sonst kann die neue -Religion den<span class="pagenum"><a name="Seite_313" id="Seite_313">[S. 313]</a></span> Weisen nicht mehr gebrauchen, und noch weniger freilich -dessen geschichtlichen Gegenspieler, den Wissenschafter und Gelehrten. -Die menschliche Weisheit war Torheit vor Gott, aber die menschliche -Wissenschaft war gegenstandslos schlechthin; — einer sich selbst -rechtfertigenden Wissenschaft aber, welche platonisierend die Wahrheit -um der Wahrheit willen zu erforschen behauptete, ihr hätte man wohl mit -dürren Worten die abspeisende Antwort gegeben: die Wahrheit, o Mensch, -ist Gott und Gott ist die Wahrheit! Wer Gott hat, der hat die Wahrheit. -Wer aber Gott nicht hat, — was soll ihm die Wissenschaft? Daß Gott -die Wahrheit sei und die Wahrheit Gott, dies war der grundsätzliche -Ertrag, den das junge Christentum von der gesamten Wissenschaft und -Wissenschaftlehre der Griechen übernahm. Dies war gewissermaßen der -Saldo, den es als zu überschreibenden Rechnungbetrag auf das neue Blatt -der Weltgeschichte eintrug...</p> - -<p>Ein höchst bedeutungreicher Saldo, ihr Christen, wenn es recht bedacht -wird! Denn jetzt löste die junge Kirche dieselbe Aufgabe theologisch -und ontologisch, welche der platonische Sokrates pragmatisch und -ethisch zu lösen versucht hatte. Die Wahrheit an und für sich, welche -seit Platons Auftritt sozusagen frei in der Luft geschwebt hatte, -um erst in der Person des Weisen nachträglich einen Haft und Halt -zu finden, sie fand hier Haft und Halt von vornherein in der Person -Gottes. Seit Platon und Aristoteles ein logischer Begriff, wurde die -Wahrheit seit Augustinus, ja seit<span class="pagenum"><a name="Seite_314" id="Seite_314">[S. 314]</a></span> Plotinos ein ontologischer Begriff: -die bloße Eigenschaft gewisser Denkverknüpfungen dort ward zum Sein -und Wesen hier. Überraschend buchstäblich nahm die neue Lehre das Wort -Platons von dem ‚in Wahrheit Seienden‘ und machte mit ihm Ernst in -alle erdenklichen Konsequenzen: Gott selbst ist fortab das in Wahrheit -Seiende, Gott selbst ist der in Wahrheit Seiende. Die Wahrheit wissen, -hieß darnach Gott wissen auf Grund der Gleichung Wahrheit = Gott, -Gott = Wahrheit, — und damit war in Ansehung des Wissen und seiner -wesentlichen Leistung jeder Zweifel vollständig beseitigt. Von dieser -theologischen und ontologischen Umdeutung des Begriffes Wahrheit her -konnte dann allerdings auch vom Standpunkt des Christentums und seiner -Kirche aus Wissen und Wissenschaft um der Wahrheit an und für sich -willen zugelassen werden, — hatten doch jetzt diese nach Heidentum -schmeckenden Namen einen vollkommen unheidnischen Sinn unterstellt -bekommen. In dieser Wissenschaft, deren einziger Gegenstand und Vorwurf -Gott heißt, kann sich der Mensch nicht wie in den Ideen Platons ziel- -und richtunglos verlieren, hier muß er sich im Gegenteil erst richtig -finden. Wer Gott auf wahrheitgemäße Weise weiß, der ißt gleichsam -von Gott, — <i>qui mange du pape, en meurt; qui mange de Dieu, en -vit!</i> — und es ist fast doch mehr wie ein bloßes Gleichnis, wenn ich -zu behaupten wage, die Scholastik des Mittelalters habe wenigstens -ihre Haupt- und Grundwissenschaft Theologie in nächste Nachbarschaft -der Sakramente gebracht, was<span class="pagenum"><a name="Seite_315" id="Seite_315">[S. 315]</a></span> Leistung, Erfolg, Bedeutung dieser -Wissenschaft für den Ausübenden anbetrifft. Das scholastische Wissen -von Gott ist in der Tat etwas wie ein Sakrament, wobei Gott durch -die Erkenntniskraft des Menschen geradezu eingenommen, einverleibt, -einvergeistet erscheint: <i>sacramentum</i> im Sinn von ‚Heilsmittel‘, -weil dieses Wissen von Gott das Heil in Gott vermittelt; -χάρισμα im Sinn von ‚Gnadengabe‘, weil dieses Wissen von Gott ohne -Beistand der Gnade Gottes nicht zu erlangen ist; μυστήριον -im Sinn von Einweihung, weil dieses Wissen von Gott den Wissenden -zu Gottes Sohn und Kind weiht. Im Vorgang dieses Wissens geschieht -es, daß Gott bei der Gestaltung seines eigenen Gedankens im Geist -des Wissenden aus allen seinen Kräften selbsttätig in Mitwirkung, -oder wie Luther wahrscheinlich gesagt hätte, in ‚Konkomitanz‘ mit -diesem Geiste tritt; im Vorgang dieses Wissens geschieht es, daß der -gewußte Gott die Vernunft des menschlich Wissenden seiner eigenen -Gottvernunft anähnlicht. Diese sakramentale (und nicht mehr alleinig -‚mentale‘) Auffassung des Wissens wird dann noch, das versteht sich -für jeden ungefähren Kenner des Mittelalters ganz von selbst, aufs -nachdrücklichste verstärkt durch die realistische Doktrin, wonach die -erfaßten Denkinhalte, je allgemeiner sie nach Inhalt und nach Umfang -werden, einen umso höheren Grad von Wirklichkeit gewinnen, bis in -dem Denkinhalt von höchster Allgemeinheit zugleich der höchste Grad -von Wirklichkeit erreicht ist: und das ist wiederum Gott. An den -Graden begrifflicher Allgemeinheit steigt<span class="pagenum"><a name="Seite_316" id="Seite_316">[S. 316]</a></span> mithin der Wissende von -Wirklichkeit zu Wirklichkeit aufwärts bis zur allerallgemeinsten und -allerwirklichsten Wirklichkeit. Weit entfernt davon mit den Begriffen -zu spielen, wie man mit Gespinsten des Gehirns spielt, bemächtigt -man sich im Begriff der höchsten Wirklichkeit der Welt. Hier stoßen -hart im Raum sich die Gedanken, wenn leicht beieinander alle Sachen -wohnen. Begriffe sind Wirklichkeiten über die Gegebenheiten der -Sinneswahrnehmung hinaus und sogar noch die ‚falschen‘ Begriffe sind -unter Umständen Wirklichkeit, nur mit dem höllischen Vorzeichen -der Widersacherschaft gebrandmarkt. Daher die furchtbare Gefahr -der falschen Meinung, irrigen Lehre, verkehrten Ansicht, die dem -mittelalterlichen Menschen so etwas ganz anderes bedeuten als dem -antiken oder gar modernen Wissenschafter dieser oder jener Denkfehler. -Denn wer da nicht das Wahre denkt, schließt sich der Widerwelt des -Wahren an und so dem Widersacher Gottes. Wissen, das heißt hier fast -die Entscheidung treffen, ob einer gewillt sei, des Lebens Kampf auf -seiten der himmlischen Heerscharen oder der höllischen Mächte zu -kämpfen, und dieserhalb war es von der scholastischen Auffassung aus -nur folgetreu gedacht, dem Irrenden nicht mit dem Holzschlegel zwar, -aber mit dem prasselnden Scheiterhaufen ‚seelsorgerisch‘ bedacht zu -winken...</p> - -<p>Die menschliche Leistung dieses Wissens kann, wie ich schon sagte, -nicht gut einem Zweifel unterliegen. Hier verschwimmt die Wahrheit -nicht in den rauchenden Horizonten zwischen Himmel und Erde<span class="pagenum"><a name="Seite_317" id="Seite_317">[S. 317]</a></span> in einer -überall gleich fernen Unendlichkeit von Sachverhalten an und für -sich, welche das Mißliche an sich haben, daß sie ausnahmlos denselben -Anspruch auf Anerkenntnis und Geltung erheben und erheben dürfen. -Solange die Wahrheit Gott ist und Gott die Wahrheit, findet sie in Gott -Haft und Halt, und mit der Wahrheit findet der Mensch in Gott Haft und -Halt, der sich ihre Ergründung angelegen sein läßt. Beklagenswert war -nur, daß diese Gleichsetzung von Gott und Wahrheit doch nicht dauernd -in Kraft bleiben konnte, sondern daß eben der ontologisch-theologische -Charakter des ‚in Wahrheit Seienden‘ bestritten ward. Die Formel -Wahrheit = Gott und Gott = Wahrheit hatte seit Augustinus, wir wissen -es, den unangetasteten Besitz der Patristik und Scholastik gebildet, -und vermutlich ist es ein starkes Gefühl der Unentbehrlichkeit dieser -Formel gewesen, welches die Kirche veranlaßt hat, die ersten und -ach! so tastend zaghaften Regungen des Nominalismus in der jungen -Wissenschaft des mittelalterlichen Abendlandes durch Machtspruch zu -unterdrücken und den vielleicht führenden Nominalisten Roscellinus -von Armorika auf dem Konzil zu Soissons zum Widerruf zu nötigen: -denn in der Tat ist es der aufkommende Nominalismus, der dann die -Voraussetzungen dieser Formel aufhebt. Wenn die Begriffe nicht mehr -wirklich sind, geschweige denn, daß ihre Wirklichkeit mit wachsender -Allgemeinheit selber wächst und vollkommener wird, dann büßt auch der -allgemeinste aller Gemeinbegriffe, nämlich das <i>universale</i> ‚Gott‘,<span class="pagenum"><a name="Seite_318" id="Seite_318">[S. 318]</a></span> -seine Wirklichkeit ein und seine Wahrheit im Sinn der realistischen -Auffassung wird fragwürdig. Selbst nämlich wenn Gott auch dann noch -in Person in irgendeinem Wortverstand ‚wahr‘ bleiben sollte, bleibt -er’s doch länger nicht mehr im Wortverstand jenes <i>ens realissimum, -ens generalissimum</i>. Just die allgemeinsten Begriffe und Vorstellungen -verlieren ihre Wirklichkeit und damit auch ihre Bindung an den -vollkommenen Inbegriff aller Wirklichkeiten, an die Urwirklichkeit -schlechthin oder Gott. Jetzt lösen sich die Wahrheiten von der Einen -Wahrheit ab und diese bleibt gleichsam entblättert zurück wie der -Stumpf einer Palme, deren Schaft aus den leeren Scheiden längst -abgestoßener Blätter besteht... Gibt es aber ‚wahre‘ Begriffe, die -abgesondert vom Ursein der höchsten Wahrheit zu bestehen vermögen, ja -die sogar nur in dieser Abgesondertheit bestehen, dann gibt es auch -wieder (wie einst im Platonismus!) eine Wahrheit, die weder Gott selber -noch göttliche Dinge irgendwie betrifft. Dann gibt es auch wieder eine -Wissenschaft, die nicht um Gottes willen, sondern eben um der Wahrheit -an sich willen betrieben wird. Dann ist das Abendland zum zweitenmal -der beklemmenden Gefahr ausgesetzt, die alle Wissenschaft bloß des -Wissens wegen und alle Erkenntnis bloß der Wahrheit wegen je und je -verfolgt...</p> - -<p>Es ist somit die nominalistische Scholastik, welche den Begriff -Wahrheit wieder auf seine eigenen Beine zu stellen wagt, nachdem die -realistische Scholastik Wahrheit und Gott, nur gleichsam in der Mitte -zu<span class="pagenum"><a name="Seite_319" id="Seite_319">[S. 319]</a></span>sammengewachsen, wie siamesische Zwillinge auf den europäischen -Jahrmärkten herumgezeigt hatte. Die Anstrengungen aber, wie sie in -den folgenden Jahrhunderten des siegreich vordringenden Nominalismus -gemacht werden zugunsten einer endgültigen Verselbständigung der -abendländischen Wissenschaft, sie werden vervielfältigt durch -die entsprechenden Anstrengungen der Reformatoren. Ein Mann wie -Luther lernt auf der Universität die Scholastik nur noch in der -nominalistischen Ausprägung kennen, und wenn er im Ungestüm der ersten -Kämpferjahre geradezu den Fortbestand europäischer Wissenschaftlichkeit -als solchen schwer gefährdet und vorübergehend eine massenhafte -Entvölkerung von Deutschlands hohen Schulen bewirkt, ist er bei der -Weiterführung seines Werkes doch zu sehr auf die Mitarbeit gelehrter -Humanisten angewiesen, um nicht zuletzt diesen neu erstandenen Typus -Wissenschaft und Wissenschafter seinerseit nach besten Kräften zu -fördern. Eine im Humanismus jener Tage schüchtern auflebende Freude -an der Gestalt des Weisen — am anziehendsten vielleicht verkörpert -in dem gothaer Humanisten Konrad Mudt, der unter dem Namen Mutianus -Rufus einen schier sokratischen Einfluß auf die ihm ergebenen Jünglinge -ausübt, mit denen verbunden er innig „nach Gerechtigkeit, Mäßigkeit, -Geduld, Eintracht, Wahrheit und einmütiger Weisheit“ strebt! — eine -solch schüchtern auflebende <i>rinascènza</i> antiker Lebensführung und -Wissensbewältigung findet freilich nicht den Beifall des Bruders -Martinus und kann sie<span class="pagenum"><a name="Seite_320" id="Seite_320">[S. 320]</a></span> bei ihm nicht finden, dem der Weise seiner -ganzen Veranlagung nach noch mehr gegen den Strich gehen muß wie seinen -religiösen Vorkämpfern Paulus und Augustinus. Mit Weisheit war keine -Reformation gemacht und ein kochender Geyser ist kein Kristall, nicht -einmal ein flüssiger. Aber in der außerordentlichen Bewertung einer -kritisch zu betreibenden Wissenschaft fühlt sich auch Luther durchaus -mit dem Humanismus einig, — war doch sein ganzer Evangelismus zutiefst -nur eine besonders fruchtbare Anwendung des humanistischen Grundsatzes -jener zeitgemäß verfahrenden Forschung: Zurück zu den Quellen! Zurück -zu den Ursprüngen! Zurück zu den Urkunden!... Diese humanistische -Wissenschaft, in ihrer Beschaffenheit ebensosehr nominalistisch und -kritisch wie die scholastische Wissenschaft realistisch und dogmatisch, -wird mithin seit der deutschen Reformation von dem mächtigen Atem des -Protestantismus gebläht und geschwellt. Kritik heißt die Springwurzel, -Kritik heißt die Sprengwurzel, welche die Schlösser soviel heimlicher -Schatzkammern des Wissens krachend aufsprengt; Kritik heißt die Kunst -der Vernunft, die Wahrheit an und für sich selbsttätig auszumitteln, -die vormals der Scholastiker gleichsam auf Gnadenwegen als den Geist -des Allerheiligsten in seinem Geist empfing. Jetzt besteht ein -angeborenes Menschenrecht für jeden, der des Wissens bedürftig ist, -die sich darbietenden Sachverhalte der Reihe nach zu prüfen auf ihre -Richtigkeit oder Irrigkeit hin, — jetzt besteht sogar eine angeborene -Menschenpflicht,<span class="pagenum"><a name="Seite_321" id="Seite_321">[S. 321]</a></span> sich dieser selben Prüfung nicht in Feigheit oder -Trägheit zu entziehen, sondern sie vorzunehmen nach ‚bestem Wissen und -Gewissen‘. Der Kritiker, das ist der Richter über Wahr und Falsch: -der Richter, der da Wahr und Falsch erst zu suchen, erst zu finden -hat, ehe das Urteil ergehen kann, — und just dieser Umstand ist von -großer Tragweite in der Folgezeit gewesen. Denn von da an heißt ja -Wissen nicht mehr einen von vornherein daseienden Besitz an ewigen -Wahrheiten, ewigen Denkinhalten, ewigen Gewißheiten einfach anzutreten, -wie beispielweis das Mittelalter die ewige Wahrheit ‚Gott‘ angetreten -hat. Fortab heißt Wissen in unablässiger Prüfung und Überprüfung die -Entscheidung über das, was gilt oder nicht gilt, durch eigenes Tun, -eigenes Können herbeiführen und furchtlos die Verantwortung für die -eigene Entscheidung auf sich nehmen. Ein gewaltiger Umschwung, der ein -paar Jahrhunderte später seinen denkwürdigen Ausdruck in der Lehre -Kants gefunden hat, wonach die Gegenstände des Wissens keineswegs -schon fertig zum Gebrauch vor dem zugreifenden Verstand des Wissenden -ausgebreitet liegen, wie bisher die übliche Meinung war, sondern -durch die geregelte Zusammenarbeit sämtlicher Erkenntniskräfte erst -erzeugt, hervorgebildet und erschaffen werden. Wenn der Platoniker nur -sein geistiges Auge aufzuheben brauchte zu der Feste der ‚in Wahrheit -seienden‘ Sinn-Bilder, nachdem er den Blick von dem Schein-Bild der -Werdewelt abgewendet hatte: und er alsdann das Wahre an und für sich -schaute; wenn der Peripatetiker nur<span class="pagenum"><a name="Seite_322" id="Seite_322">[S. 322]</a></span> in Übereinstimmung mit den -Vorschriften des Vernunftschlusses zu folgern brauchte, nachdem ihm -die ersten und grundlegenden Obersätze aller aufwärts und abwärts -leitenden Schlüsse durch unmittelbare Kenntnisnahme gegenwärtig -geworden waren: und er alsdann die Wahrheit an und für sich ergründete; -wenn der Scholastiker nur in Berührung zu gelangen brauchte mit der -Vollkommenheit des höchsten Wesens, nachdem er sich der begnadenden -Mitwirkung dieses Wesens bei diesem geistigen Mahl geistiger -Eucharistie versichert hatte: und er alsdann die Wahrheit als Gott und -Gott als die Wahrheit empfing, — so liegt es jetzt dem Kritiker und -Kritizisten ob, sich ein für allemal die notwendige Klarheit darüber -zu verschaffen, daß es eine an und für sich seiende Wahrheit in der -bisher gültigen Auffassung eigentlich nicht gäbe, vielmehr durch die -Arbeit des Wissens und Erfahrens und Erkennens erst hervorgebracht -werden müsse. Mit dieser Einsicht erst, die der kantischen Kritik -verdankt wird, ist die allmähliche Umdeutung des Begriffes Wissen und -Wissenschaft zu Ende gebracht, welche im humanistischen Zeitalter mit -der Zersetzung des scholastischen und realistischen Dogmatismus beginnt -und dann vom Protestantismus so nachdrücklich gefördert wird. Und -wie etwa Benvenuto Cellini, der Erzgießer, gelegentlich alle Teller, -Schüsseln, Platten eines Geschirrs von Zinn, die er im Drang der -Not erraffen kann, einfach in den Sutt seiner eben werdenden Statue -hineinwirft, um sie darin für den Guß einzuschmelzen, — so übergibt -Kant, der<span class="pagenum"><a name="Seite_323" id="Seite_323">[S. 323]</a></span> Kritizist, alle Gegebenheiten, Wahrheiten, Gewißheiten der -Erkenntnis, deren er überhaupt habhaft zu werden vermag, gleichsam dem -Sutt werdender Vernunfturteile, um derart die spröden Gebilde fertiger -Wissenschaft in die Tätigkeit der Wissenserzeugung einzuschmelzen. In -einem bis zu den obersten Voraussetzungen des Erkennens rücklaufenden -Verfahren hat mithin der Kritiker alles zu prüfen und immer wieder zu -prüfen, was mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit und Geltung vor ihn -tritt. Nichts in der Welt ist dazu berechtigt, sich unbeanstandet, -unbeargwöhnt Wahrheit oder Gewißheit gar anzumaßen. Wofern jede -Prüfung aber auf dem Besitz der Maßstäbe, jede Entscheidung auf -dem Recht der Zuständigkeit fußt, obliegt dem Kritiker eine -andauernde Selbstbesinnung auf diese seine Maßstäbe, eine andauernde -Rechtfertigung dieser seiner Zuständigkeit. Die ganze unendliche Welt -legt der kritisch Prüfende, kritisch Entscheidende auf die Wage: der -kritisch Prüfende und Entscheidende wird sich und der Welt selber -zur Wage, die nun niemals mehr zur Ruhe kommt, sondern beständig auf -und nieder schaukelt, auf und nieder gaukelt. Jeder Einfall, jede -Beobachtung, jede Entdeckung erzwingt eine Verschiebung der Gewichte -und infolgedessen zittert und bebt, wankt und schwebt, tanzt und -schwankt alles Gewußte und alles Wißbare ohne Aufhören. Nichts mehr in -Raum-Zeit und Zahl steht fest, nichts mehr steht: und am wenigsten die -Wahrheit. Wie vordem das Radjuwel das Kennzeichen gewesen ist für die -Lehre Gotamos oder der Fisch das Kennzeichen<span class="pagenum"><a name="Seite_324" id="Seite_324">[S. 324]</a></span> für die Zugehörigkeit -zum Christentum, so wird jetzt das Fragezeichen zum Kennzeichen des -kritischen Wissensbegriffes und des ihm zugehörigen Weltalters, -— das Fragezeichen das Kennzeichen und vielleicht eher noch das -Kainszeichen einer zu geistiger Fried- und Heimatlosigkeit verdammten -Menschheit. Unausgesprochen oder ausgesprochen, unausgeschrieben oder -ausgeschrieben erscheint das Zeichen der Frage hinter allen Urteilen -und Deutungen, Annahmen und Voraussetzungen der heutigen Wissenschaft -als die <i>reservatio mentalis</i>, die jedes erkenntnismäßige Ergebnis zu -einem nur einstweiligen, nur uneigentlichen, nur annäherungweisen, -nur widerruflichen unrühmlich herabsetzt. Es kann sich alles ungefähr -so verhalten, wie sich’s dem kritischen Bewußtsein zu dieser Stunde -zu verhalten scheint. Aber es kann sich auch alles völlig anders -verhalten, und der Möglichkeiten, wie sich’s verhalten könne, ist -nirgendwo kein Ende abzusehen...</p> - -<p>Aus dieser verzweifelten Lage versucht sich der europäische Genius -noch einmal zu retten, eh’ er sich stumpfsinnig und ergeben in -das augenscheinlich Unvermeidliche schickt. Der kritische, ja der -protestantische Begriff des Wissens ist es, der jedem Einzelnen -die eiserne Pflicht auferlegt, die Aussagen des Verstandes, die -Grundsätze der Vernunft, die Entscheidungen der Urteilskraft auf ihr -Wahr oder Falsch, Richtig oder Irrig hin zu sichten und sich die -Stellungnahme zu ihnen je nach dieser Sichtung vorzubehalten. Aber -selbst in diesem Zeitalter der Kritik und des<span class="pagenum"><a name="Seite_325" id="Seite_325">[S. 325]</a></span> Kritizismus ist dem -Abendländer das Bewußtsein noch nicht völlig verloren gegangen, daß -die wesentlich menschheitliche Leistung des Wissens unmöglich auf -die kritische Schlichtung der Erkenntnisse in gültige und ungültige -allein beschränkt sein könnte. Sogar jetzt bleibt eine Ahnung wach, daß -alles Wissen, wie es auch beschaffen sei, für den geistig-seelischen -Aufbau der Person und für deren Selbstverwirklichung fruchtbar zu -machen sei. Gleichzeitig mit der Hochtürmung des kritischen Gedankens -in der kantischen Philosophie setzt eine neue humanistische Bewegung -ein von ungleich stärkerer und umfänglicherer Artung als jene des -fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts: und vor allem ist es ihr -zu danken, wenn man sich wieder deutlicher besinnt auf das, was ich -eben die menschheitliche Leistung des Wissens nannte. Das Wissen -kann, nein das Wissen soll der Bildung dienen, die Bildung aber der -planmäßigen Selbststeigerung, Selbstbereicherung, Selbstveredelung -aller menschlichen Fähigkeiten. Wenn also in Wahrheit die kritische -Auffassung des Wissens auf humanistische Ansätze im Zeitalter des -Protestantismus zurückgeführt werden darf, dann schreitet sie ihrerseit -auch wieder instinktiv zum Humanismus fort. Nur daß jetzt, — wir -sind im achtzehnten Jahrhundert, — die immerhin schmächtigen und -leibarmen Gestalten erfurter oder gothaer <i>doctores</i> zu jenen stattlich -ragenden Persönlichkeiten ausgewachsen sind, welche Deutschlands Parnaß -damals bevölkerten. Noch einmal geben sich auf deutscher Scholle der -sokratisch Weise und der humanistisch<span class="pagenum"><a name="Seite_326" id="Seite_326">[S. 326]</a></span> Gebildete ein Stelldichein; -noch einmal treffen sich beide wenigstens in dem einen Gedanken enge, -daß jede menschliche Person die Anwartschaft auf ihre eigene Wahrheit -habe, um mit ihr zu leben und zu sterben, — ja nicht allein auf ihre -eigene Wahrheit, sondern etwa auch auf ihren eigenen Irrtum, wie -Lessing so herzhaft tapfer erkannt und Goethe so natürlich schön gelebt -hat. Dieser humanistische Begriff der Bildung anerkennt zwar also -jegliche Pflicht zur Prüfung und Entscheidung über das Wahr-Falsch des -Wissens durchaus, aber ordnet dieser grundsätzlich protestantischen -Verpflichtung doch sofort die zweite als die höhere über, sich aus -dieser schlechten Unendlichkeit von Wahrheiten diejenigen gleichsam -auszusuchen, welche geeignet erscheinen, die eigene Persönlichkeit -ihrer äußersten Steigerung zuzuführen: und gleichfalls aus der -Unendlichkeit aller Irrtümer sogar auch solche Irrtümer, die demselben -Zweck dienlich sein möchten. Dem Weisen von ehedem war noch genau das -zu wissen nötig, was er in seiner Eigenschaft als Mensch, Mitmensch, -Bürger zu tun oder zu lassen habe, um als ein ‚Wohlbeschiedener‘ zu -wandeln, — darüber hinaus durfte getrost alles Wissen überhaupt auf -sich beruhen bleiben. Der Gebildete indes nimmt es als sein bestes -Vorrecht, alles, wie sich’s eben fügt und schickt und trifft, seinen -aneignenden und anpassenden Tätigkeiten zu unterwerfen, womit er -freilich den schmalen Rahmen zerbricht, in welchen der Weise sein -schlichteres Bildnis von sich selber einzufassen liebte... In dem Maß,<span class="pagenum"><a name="Seite_327" id="Seite_327">[S. 327]</a></span> -als mithin der Zielgedanke der Weisheit den Zielgedanken der Bildung an -innerer Standfestigkeit und Unerschütterlichkeit übertrifft, in dem Maß -übertrifft auch der Zielgedanke der Bildung den der Weisheit an innerer -Umfänglichkeit und Spannungkraft. Der Weise ist immer auch zugleich ein -Geiziger, aber der Gebildete verschwendet, und zwar am meisten sich -selbst. Baustoff zum Aufbau seiner selbst, seines Selbst deucht ihn -alles, was überhaupt noch in die Grenzen menschlichen Aufnahmevermögens -fällt, nicht allein das ihm eigentümliche Wahre, sondern auch das -ihm eigentümliche Irrige. Der Gebildete weiß, daß Wahrheit und Wahn -aller Völker, Helden und Zeiten bilden können und gebildet haben, und -je stärker sich der Gebildete von dieser unumstößlichen Gewißheit -durchdrungen fühlt, desto weiter spannen sich die Grenzen dessen, -was er zu seiner Selbstverwirklichung verwerten kann. Das Wissen -des Weisen trachtet darnach, ein Mindestmaß zu werden; das Wissen -des Gebildeten eifert nach dem Höchstmaß schlechterdings, und wenn -einen, so lockt ihn der goldene Überfluß der Welt. Was da das Aug’ -erblickt, das Ohr vernimmt, die Hand ertastet, der Sinn erdenkt, die -Einbildungkraft erträumt, die Sehnsucht erwünscht, der Geist erdichtet, -das wird ihn unter günstigen Bedingungen formen und gestalten. Denn -Bildung ist Selbstvervielfältigung um alle die Erfahrungstoffe -und Erlebnisinhalte der Welt, und in diesem Wortverstand deckt sie -sich schon beinah’ mit der Erinnerung, die vorhin gleichermaßen -gekennzeichnet ward<span class="pagenum"><a name="Seite_328" id="Seite_328">[S. 328]</a></span> als eine Art von Selbstvervielfältigung. So spinnt -der neue Humanismus seidene Fäden über alle Länder und Erdteile, über -alle Zeiten und Gesittungen, über alle Äußerungen und Hervorbringungen, -über alle Geschehnisse und Geschichten. Neben das Rom der älteren -Humanisten tritt überragend Griechenland, neben Griechenland der -Balkan, Judäa, Arabien, Kleinasien, der Jrân, Ägypten, Indien, -China... Eine Weltwanderschaft beginnt, eine zweite <i>conquista</i>, nur -ohne Grausamkeit und Teufelei, ohne Blutvergießen und Verrat, ohne -Leibesmord und Seelenvergiftung, vielmehr alleinig mit der göttlichen -Waffe des Geistes. Der materiellen Besitzergreifung dieser Erde -folgt die spirituelle, und sie tilgt die blutigen Spuren jener mit -der Barmherzigkeit eines Engels. Denn diese Bildung — ich nutze die -Gelegenheit, es endlich einmal auszusprechen! — diese Bildung zeigt -ihre ehrwürdigen Träger und Vertreter wundersam begütigt: begütigter -vielleicht als die Heiligen der bisher bekannten Religionen in Europa. -Fast sieht es aus, als sei der Mensch dieses bösen Kontinentes hier zum -erstenmal wirklich Mensch, hier zum erstenmal wirklich gut geworden, -jetzt, wo er sich zum erstenmal bildet. Nicht aus Zufall auch wird in -diesem Weltalter der Bildung gleichfalls zum erstenmal die Duldung -zum Ideal der Zeit erhoben, nachdem sämtliche frühere Zeiten von -einer Tugend solchen Namens nicht nur nichts wußten, sondern nichts -wissen wollten. Zu dieser Stunde aber konnte, ja mußte die Duldung -ernstlich geboten werden, — obschon diese Duldung<span class="pagenum"><a name="Seite_329" id="Seite_329">[S. 329]</a></span> natürlich eine -vieldeutige Erscheinung von mancherlei verschiedenen Ursachen gewesen -ist, die keineswegs alle auf dem Gebiet des Geistes liegen. Die Duldung -konnte, ja mußte in dieser Stunde geboten werden, weil der Gebildete -endlich begreift, wie gleichmäßig fruchtbar jede Tatsache des Wissens, -jede Tatsache des Glaubens sogar vom Menschen gemacht werden kann, -unbeschadet seiner protestantisch-kritischen Pflicht zur Prüfung -über Wahr und Falsch. Weil aber und wofern es der Gebildete ist, -welcher dies begreift, vermag er den kritischen Begriff des Wissens -von innen her zu überwinden. Wahr ist zwar nur, was die Vernunft in -Übereinstimmung mit ihren eigenen Grundlagen und Voraussetzungen -findet: aber in einem freien Sinn ist außerdem alles wahr, was den -Menschen bändigt und erzieht, veredelt und aufklärt, läutert und -verschönert, barmherzig und liebreich macht wie beispielweis jede -der drei bekannten großen Religionen. Und weshalb nur jede der drei -großen? weshalb nur jede der sogenannten Religionen? weshalb nicht -alle in der Seele empfangenen und aus der Seele geborenen Religionen, -Bekenntnisse, Glaubensvorstellungen, Moralen, Weltbilder, Künste, -Heil- und Heiligtümer? So aufgefaßt aber machen die geflügelten Worte -des Juden Nathan zum Kalifen Salah-ed-Din einen bislang unbekannten -Zustand unseres Festlands kenntlich: einen bislang unbekannten Zustand -nicht nur unseres Europa, sondern gleichsam eines neuen und eben -erst erstehenden Kontinentes, der vielleicht nicht ganz unpassend -Europasien zu nennen<span class="pagenum"><a name="Seite_330" id="Seite_330">[S. 330]</a></span> wäre, wenn anders man mir dieses Wort verzeihen -will, welches eines Tages, wer weiß es, ein kaum mehr zu entbehrender -Begriff sein wird... Genau diese nathanische Toleranz aber ist es, -die jetzt dem europäischen Gebildeten den Zugang, den lang und -fest versperrten, zum mütterlichen Festland wiederum entriegelt. -Denn daß in diesem Augenblick einer der kritischsten, ja einer der -polemischsten Köpfe seines kritischen Jahrhunderts diese durchweg -männliche Duldsamkeit verkündigt, — es gibt auch eine weibische -Duldsamkeit, von der hier nicht geredet werden soll! — daß just der -Kritiker zur Toleranz sich bildet und in der Toleranz seine Kritik -überwindet: das ist schon ein Stück Asien mitten im Herzen Europas. -Das ist die erste Regung asiatischer, ja schon fast gotamidischer -Groß- und Langmut, die sich unerschüttert-unerschütterlich genug weiß, -alles unter dieser irdischen Sonne Auf- und Niedergehende in seiner -Art an seinem Platze gelten zu lassen. Hier spricht die Menschlichkeit -Asiens, wenn just der leidenschaftlichste Anti-Dogmatikus, der -hitzigste Anti-Theologus das uralte Gleichnis von den drei Ringen -wieder aufgreift und es der europäischen Welt, nein der Welt überhaupt -als das nie mehr preiszugebende <i>tertium testamentum</i> hinterläßt. Der -glänzendste Vertreter mittelalterlicher Bildung, der Fürst, an welchem -das glorreiche Deutschland des Mittelalters zugrunde ging, konnte auf -die nämliche Frage noch, welche Saladin dem weisen Nathan stellt, die -Antwort von den drei Betrügern finden. Lessing jedoch fand darauf die -tiefere und<span class="pagenum"><a name="Seite_331" id="Seite_331">[S. 331]</a></span> schönere Antwort von den drei Wahrheiten: und so fand er -auf seine Weise eine Spur von jener Lehre, „deren Anfang begütigt, -deren Mitte begütigt, deren Ende begütigt“...</p> - -<p>Das Zwischenspiel der europäischen Bildung, die endlich wieder einmal -wußte, weshalb der Mensch wissen soll und wissen muß, war herrlich -aber kurz. Es versprach überschwänglich viel und vieles, und das -war mehr, als es halten konnte. Ein Jahrhundert, in wesentlichen -Stücken deutsch trotz aller staatlichen Unbedeutung Deutschlands, ein -Jahrhundert zwischen den Mannesjahren Herders, Wielands, Lessings -und dem Tod der beiden Humboldts, — und vorbei! Dasselbe Volk aber, -welches den Begriff der Bildung in einem ruhmreichen Geschlecht von -Denkern, Künstlern, Dichtern und Gelehrten auf seinen europäischen -Gipfel getrieben hatte, schändet diese Bildung und schändet sich selber -mit einem niemals zu verzeihenden Zynismus. Was seit dem Sieg des -schlechteren Deutschland über das bessere in Deutschland selber und -folglich auch in Europa Bildung heißt, verhält sich zu der Bildung des -achtzehnten Jahrhunderts wie sich ein Mann etwa von der Würde Schillers -zu einem einjährig-freiwilligen Prüfling mit ‚erlangter Reife‘ verhält, -oder wie sich ein Kunstwerk von dem Wert des Palazzo Pitti zu einem -Schweinekoben verhält. Darüber ist längst jedes Wort zuviel; — genug, -daß sich seit jenem schlimmsten Höllensturz, den vielleicht die -europäische Geschichte vor dem November 1918 zu verzeichnen hat, die -kritisch-protestantische Wissenschaft<span class="pagenum"><a name="Seite_332" id="Seite_332">[S. 332]</a></span>lichkeit des Abendlandes ohne -jede selbst auferlegte Hemmung gehen läßt und austobt wie ein Mönch, -der sein Gelübde brach. Jetzt hat ein jeglicher die Pflicht und auch -das Recht, nach Möglichkeit alles zu wissen, alles zu begutachten, -alles zu beurteilen, alles zu richten, alles zu entscheiden, alles -zu erlauben, alles zu verbieten. Wahrheiten, die nicht Wahrheiten -jedermanns sind und nicht ‚allgemein und notwendig‘ gelten oder nicht -gelten, gibt es von jetzt an nicht mehr. Wahrheiten, die vielleicht -nach dem strengen Wortgebrauch des Wissenschafters keine sind, vielmehr -eher Irrtümer, die aber trotzdem ‚wahr‘ in einem anderen Wortgebrauche -sind, weil sie Leben spenden und Entwicklungen fördern und Kräfte -entfesseln und Bewegungantriebe übermitteln und Spannungen bewirken -und Lösungen vorbereiten, — sie gibt es von jetzt an nicht mehr. -Wahrheiten, die mit den einzelnen Lebensaltern wachsen und wieder mit -ihnen welken und darum stets wieder ihre Zeit haben wie die Gezeiten -des Himmels und der Erde, gibt es von jetzt an nicht mehr. Wahrheiten, -die furchtbar auszuhalten sind wie eine verlorene Schlacht und dennoch -eines Helden persönlichsten Sieg über die Welt und über sich selber -darstellen, gibt es von jetzt an nicht mehr. Wahrheiten, die zwar nicht -in Hörsälen nachgeschrieben, mit dem Steiß ersessen, mit dem Experiment -erhärtet werden, dafür aber etwa mit dem eigenen Leben beglichen und -mit dem eigenen Blut bezahlt sind, gibt es von jetzt an nicht mehr: -desgleichen nicht mehr Wahrheiten, die zwar nicht in staatlichen -Prüfungen<span class="pagenum"><a name="Seite_333" id="Seite_333">[S. 333]</a></span> öffentlich erprüft, dafür aber in vielerlei heimlichen -Proben erprobt sind, nämlich in der Feuerprobe, in der Wasserprobe, -in der Wollustprobe, in der Todesprobe, wie ein Adept altägyptischer -Mysterien... Fortab verhält sich eine Sache so oder anders, und sobald -dies ausgemacht ist, ist dieselbe Sache eigentlich im ersten wie im -zweiten Fall erledigt, — denn ausgemachte Wahrheiten pflegen uns -gemeinhin ebenso wenig zu bekümmern wie ausgemachte Unwahrheiten. Die -Kriterien aber sind in jedermanns Besitz, wofern ja die Vernunft und -ihre Verfahrungweisen wenigstens grundsätzlich in jedermanns Besitz -sind. Kritik braucht daher nirgends haltzumachen, soll und darf -sogar nirgends haltmachen. Jeder stempelt alles ab, fertigt alles -ab, nimmt zu allem Stellung, wahrt zu allem Abstand, behält sich die -letzte Entscheidung gegenüber allem vor, unterwirft seinem Recht- und -Richterspruche alles. Denn Wissen, das heißt Gerichtstag halten, wie -einmal ein Dichter über das Dichten sagte; aber Gerichtstag halten -diesmal nicht über sich selber, wahrhaftig nicht! sondern über diese -ganze sicht- und unsichtbare Welt. Bis zuletzt keiner mehr woaus woein -weiß. Bis zuletzt keiner mehr eine Stätte weiß, wo er sein Haupt zur -Ruhe betten kann. Bis zuletzt keiner mehr Ursach’, Grund und Zweck -weiß, warum er weiß. Bis zuletzt keiner mehr in Wahrheit weiß, ob er -weiß oder ob er nicht weiß...</p> - -<p>Europa aber oder die Christenheit, ihr Christen es litt und leidet -unbeschreiblich unter dieser verhängnisvollsten Konsequenz des -europäischen Protestantismus,<span class="pagenum"><a name="Seite_334" id="Seite_334">[S. 334]</a></span> die da Kritik heißt: Kritik ohne -Einschränkung oder Zügelung, Kritik ohne Pause oder Ruhepunkt, Kritik -ohne Grenze oder Maß, Kritik ohne Anstand oder Zucht. Mit dieser -Kritik ist der Protestantismus des Westens außer Rand und Band -geraten, und außer Rand und Band geraten sind mit ihm die Protestanten -und Nichtprotestanten alle, die sich ihm freiwillig oder gezwungen -gefügt haben, weil sie nicht das Odium der Unwissenschaftlichkeit -auf sich nehmen wollten. Indes dieser Kritizismus am Leib und mehr -noch an der Seele und am Geist der westlichen Menschheit frißt -und wahrscheinlich alle drei noch einmal auffrißt, zeigt sich der -Protestantismus Indiens von dieser Krankheit schlechthin unergriffen. -In einer unverhältnismäßig entschiedeneren Art Protestant als irgend -wer unter den repräsentativen Protestanten des Abendlandes, — den -einzigen Nietzsche ehrenvoll ausgenommen! — verbietet eben dieser -Protestant κατ’ ἐξοχήν Gotamo seinem Orden alles, was der -Westen als die weltgeschichtlich bedeutsamste Errungenschaft des -protestantischen Zeitalters immer noch mit vollen Backen auszuposaunen -liebt: das uneingeschränkte Recht der Persönlichkeit auf Kritik, -die uneingeschränkte Pflicht der Persönlichkeit zur Kritik, die -uneingeschränkte Freiheit der Persönlichkeit zur Kritik. Wir Europäer, -die wir seit Platons Tagen gelernt haben, das Wissen um der Wahrheit -willen zu betreiben und bestenfalls in den Hoch- und Glanzzeiten -unserer drei oder vier klassischen Kulturen den zersetzenden -Wirkungen des <i>l’art pour l’art</i> ausgewichen sind, — wir Europäer<span class="pagenum"><a name="Seite_335" id="Seite_335">[S. 335]</a></span> -wurden durch eben dieses <i>l’art pour l’art</i> die frechen <i>libertins</i> -des Wissens und der Wahrheit, mit nur geringer Hoffnung, uns diese -<i>libertinage</i> noch einmal selber zu verbieten, selber zu verbitten: -ganz einfach aus der Erkenntnis ihrer Gefährlichkeit heraus. Der -indische Mensch hingegen, von allem Anfang an das Wissen als eine -Leistung von ganz anderem Sinn bewertend, bedient sich auch nirgends -der Kritik, um von ihr aus das Wissen zu rechtfertigen, zu erhärten, -zu bewähren. Vielmehr liegt es durchaus in der Machtvollkommenheit des -Wissenden, das Wissen über jede Möglichkeit der Anzweiflung hinaus zu -rechtfertigen, zu erhärten, zu bewähren. Dadurch nämlich, daß er mit -Hülfe des Wissens jenen menschlichen Zustand verwirklicht, welchen -das denkwürdige Gespräch der Chândogya-Upanischad zwischen Nârada -und Sanatkumâra als die Überwindung des Kummers bezeichnet: „Ich -aber, o Ehrwürdiger, bin bekümmert...“ — „Ich aber, o Ehrwürdiger, -bin nicht mehr bekümmert!“... Wo der Wissende denen, die um ihm sind -oder die sich ihm nähern, zu erkennen gibt, daß er diesen Zustand -wirklich in sich verkörpert, da hat der Wissende nicht allein sich -selber, sondern außerdem auch sein Wissen über jeden Einwand gewiß -gemacht. An seinem persönlichen Zustand und Urstand liest man die -Stufe erlangter Wissenschaft unmittelbar ab, wie man an den Zahlen -eines Wärmemessers die Grade der Wärme oder Kälte unmittelbar abliest. -So wird die Fragestellung nach Wahr oder Falsch nicht geradezu -abgewiesen, denn dazu ist sie für die Lebens<span class="pagenum"><a name="Seite_336" id="Seite_336">[S. 336]</a></span>führung in jedem Sinn -viel zu unentbehrlich. Wären wir nämlich außer stand, Wahr und Falsch -zu unterscheiden, dann könnten wir wohl auch Wahrheit von Lüge nicht -unterscheiden, und dieser Mangel an notwendigstem Wissen würde -sofort in den Mangel an notwendigstem Gewissen umschlagen. Gehört -doch gerade nach der Lehre des Buddho die Lüge zu den fünf gröbsten -Hemmungen, die unbedingt beseitigt werden müssen, ehe die feinere -Arbeit der Selbstläuterung und Selbstheiligung von statten gehen kann. -Schon also um nicht lügen zu müssen, muß man Wahrheit von Wahn zu -unterscheiden vermögen, und in diesem Betracht läßt freilich auch die -buddhistische Heilslehre Kritik nicht nur zu, sondern fordert sie mit -aller Strenge. Auf der Erkenntnis der Wahrheit im Gegensatz zur Lüge -beruht auch hier jede höhere Menschlichkeit, und nur, was Wahrheit im -Gegensatz zu Irrtum, Irrtum im Gegensatz zu Wahrheit betrifft, trennt -sich die Auffassung Indiens, insonderheit die Auffassung Gotamos mit -Bestimmtheit von der unseren. Indes Wert oder Unwert des Wissens bei -uns ausschließlich davon abhängig gemacht wird, ob es Wahrheit, ob es -Irrtum mitteilt, entscheiden dort Wahrheit und Irrtum von sich aus -nicht über Wert oder Unwert des Wissens. Wesentlich für das Wissen -ist ausschließlich das eine, daß es den Wissenden emporstufe und -empormensche gemäß der Lehre, gemäß der Regel. Ein Wissen jedoch, -nur dazu erworben, um Wahres von Verkehrtem, Falschem, Irrigem zu -sondern, ist in den Augen Gotamos wo<span class="pagenum"><a name="Seite_337" id="Seite_337">[S. 337]</a></span>fern nicht wertlos, so doch -vollkommen belanglos: Adiaphoron! In dem berühmten Gleichnis vom -vergifteten Pfeil in der Dreiundsechzigsten Rede aus der Mittleren -Sammlung Majjhimanikâyo fertigt der Buddho alle diesbezügliche -Neubegier mit einem unübertrefflich feinen und geistreichen Spott ab, -und wer hier zwischen den Zeilen und nicht allein auf ihnen zu lesen -verstünde, der würde vielleicht gewahr, daß für Gotamo unter den -Inbegriff ‚wissenschaftlicher‘ Neubegier so ziemlich alle die ‚ewigen‘ -Fragen unserer Europäerwelt mit ihren Disjunktionen, Alternativen, -Paralogismen, Subreptionen, Antinomien fallen, — tausendunddrei und -ihr seid auch dabei!...</p> - -<p>Nur Eine Wissenschaft, nur Eine Wahrheit tat hier also wirklich not. -Sie aber, und dies ist die hohe Überraschung für den Protestanten des -Westens, ist keiner Kritik unterworfen. Das Wissen, ein Verfahren der -Verwirklichung und Vollendung des ‚heiligen Zieles‘, erträgt in dieser -Eigenschaft schlechterdings keinen Einspruch, keinen Abstrich, keine -Verbesserung, keine Erweiterung: weder im großen und ganzen noch im -einzelnen und kleinen. Hier steht jeder Buchstab’, jedes Wort und jeder -Satz, und weh’ dem eitlen Besserwisser, der sich nach Abendländersitte -hier gedreistet, kritische Glossen an den Rand zu schreiben. Der -Buddho, unstreitig die edelste Verkörperung menschlicher Duldsamkeit, -zeigt sich durchaus unduldsam in Ansehung der Lehre und versteht -bezüglich ihrer wahrlich keinen Spaß. Wir Europäer, unduldsam bis ins -Mark und aus Unduld<span class="pagenum"><a name="Seite_338" id="Seite_338">[S. 338]</a></span>samkeit unsäglich böse, tückisch und rachsüchtig, -wir haben die ‚Freiheit der Kritik‘ erfunden, um uns vor uns selbst -zu schützen, — und haben damit kraft ungeschriebenen Gesetzes auch -der dreckigsten Nase erlaubt, ja geradewegs geboten, die reinlichsten, -heiligsten, göttlichsten Dinge zu beschnüffeln. Aber Gotamo, dessen -Muttersprache nicht einmal ein Wort für Ketzerei enthält, geschweige -denn einen Begriff, — wie fertigt er seine Mönche ab, wenn sie sich -herausnehmen wollen, eine eigene Meinung hinsichtlich der Lehre zu -haben! Mit welch ätzender Schärfe, mit welch schneidender Härte weist -er den leisesten Versuch zurück, an der Lehre zu kritteln und zu -deuteln: mit einer Härte und Schärfe, welche kein römischer Papst hat -jemals übertreffen können. Das Wort sie sollen lassen stahn, dieses -Prooimion überschreibt groß und wuchtig die Pforte, durch welche der -Mönch Einlaß findet in diesen heiligsten Orden der Welt. Undenkbar, -ganz unausdenkbar, daß jeder grünere oder reifere, jeder dümmere -oder klügere Mensch ein Recht dazu besäße, die Lehre zu erörtern -oder vollends über ihren Wert oder Unwert (der diesseit-jenseit von -Wahr und Falsch ist!) die Entscheidung zu treffen. Undenkbar, ganz -unausdenkbar, daß ein beliebiger Jemand den lebendig gewachsenen -Wunderbau dieser ‚Wissenschaft‘ etwa hätte auf einem neuen Grundriß -errichten, daß er hier eine Wand hätte einziehen, dort eine Mauer -hätte ausbrechen lassen dürfen. Wohl hat der Buddho nicht verhindern -können, daß nach seiner endgültigen Erlöschung manche ‚unechte‘ Rede -unter<span class="pagenum"><a name="Seite_339" id="Seite_339">[S. 339]</a></span> dem Stempel ‚Das hab ich gehört‘ in Umlauf kam, — manche Rede, -die er nie gesprochen oder wenigstens nie in diesen Worten gesprochen -hatte. Wohl hat er ferner nicht verhindern können, daß sein Bild im -Gedächtnis der Nachlebenden solang aufgehöht und übermalt ward, bis -es zuletzt zu jener Völligkeit des erhabenen Reliefs gedieh, welche -unerläßlich zu sein scheint, damit unberatene Völker das geistige -Walten eines ‚Herrn‘ verspüren. Und am wenigsten hat er verhindern -können, daß die Legende, will heißen das zu ‚Sagende‘ und zu ‚Lesende‘, -ihn schließlich mit der Aureole von Majestät umspann, die stets das -Wahrzeichen einer vollzogenen Göttlichsprechung des Menschen durch die -Menschheit gewesen ist. Jedoch was in der Folgezeit auch geschehen -sein mochte, damit aus dem urwüchsigen Buddhismus des <i>Hînayânam</i> -(das ist ‚Kleines Fahrzeug‘) der Buddhismus des <i>Mahâyânam</i> (das ist -‚Großes Fahrzeug‘) werden konnte und mithin aus der Religion des -Buddho die eine Kirche oder die mehreren Kirchen der Âdhibuddhas, -Dhyânibuddhas, Dhyânibodhisattvas, — in keinem Fall verliert sich der -Protestantismus Gotamos in den Kritizismus, wie das dem europäischen -Protestantismus zugestoßen ist. In keinem Fall beschwört folglich der -indische Protestantismus über seine Heimat die Krisis herauf eines -Wissens um der Wahrheit an und für sich selbst willen, wie das der -Kritizismus des Westens getan hat. Wieviel starke oder schwache Fäden -daher auch gezwirnt sein mögen, die zwischen indischem und europäischem -Protestantismus hin- und<span class="pagenum"><a name="Seite_340" id="Seite_340">[S. 340]</a></span> widerschießen, und wie vertraulich nah’ -der Buddho bald einem Eckhart, bald einem Kant, bald einem Nietzsche -rücke, — was seine Lehre anlangt, gehört sie mit ihrem Anspruch auf -unbedingte Geltung eher den katholisch-dogmatischen Lebensordnungen -an als den protestantisch-kritischen. Oder sag’ ich vorsichtiger -und richtiger: sie würde eher jenen als diesen zugehörig sein, wenn -sie nicht zu guter Letzt weder mit dem Dogma noch mit der Kritik in -unserem europäischen Wortverstand im geringsten etwas zu schaffen -hätte. Denn faß’ ich jetzt einmal noch alles hier Gesagte zusammen -und frage einmal noch: was hat es für eine Bewandtnis mit dieser -Lehre, diesem Wissen <i>sui generis</i> diesseit wie jenseit von Dogmatik -und Kritik? — so ist nur eine Antwort darauf möglich: diese Lehre, -dieses Wissen ist kein Urteilen mehr und kein Schließen, kein Besondern -mehr und kein Verallgemeinern, kein Rechnen mehr und kein Zählen, -kein Verbinden mehr und kein Trennen, kein Ergründen mehr und kein -Erklären, kein Messen mehr und kein Wägen, kein Unterscheiden mehr und -kein Ineinandersichten, kein Voraussetzen mehr und kein Beweisen, kein -Zergliedern mehr und kein Verknüpfen, kein Begriffbilden mehr und kein -Sinndeuten. Sondern ist recht und schlecht ein Tun und Vollbringen, -durch welches der Mönch nach erworbener Meisterschaft sein Verhältnis -zur Welt und sein Verhalten zu ihr regelt. Verwinder des Nichtwissens, -Verwinder des Wähnens, Verwinder des Leidens, strahlt der Wissende -das Licht seines Wissens in alle Richtungen und Winkel des erfüllten<span class="pagenum"><a name="Seite_341" id="Seite_341">[S. 341]</a></span> -Raums. „Liebevollen Gemüts weilend strahlt er nach einer Richtung, -dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, dann nach der vierten, -ebenso nach oben und nach unten: überall in allem sich wiedererkennend -durchstrahlt er die ganze Welt mit liebevollem Gemüte, mit weitem, -tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärtem. Erbarmenden -Gemütes — freudevollen Gemütes — unbewegten Gemütes weilend strahlt -er nach einer Richtung, dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, -dann nach der vierten, ebenso nach oben und nach unten: überall -in allem sich wiedererkennend durchstrahlt er die ganze Welt mit -erbarmendem Gemüte, mit freudevollem Gemüte, mit unbewegtem Gemüte, mit -weitem, tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärtem“...</p> - -<p>Der Mönch der unbeschränkten Gemüterlösung, der Strahlende Mönch, -ihr Christen, das also ist der gotamidisch Wissende. Der Strahlende -Mönch, das ist der Wissende, der da sein Wissen, indem er’s übt und -vollbringt, wider jeden Einwand feit und sichert. Der Strahlende -Mönch, das ist der Wissende, der sein Wissen gültig in sich selber und -gültig durch sich selber rechtfertigt, erhärtet und bewährt. Europa -aber, ihr Christen, das berstende Haupt der Erde, — es möchte sein, -ihr Christen, daß es in dunkelster Stunde seines Mönches harre, der -da wissend geworden in die Verfinsterung hinein sein Licht strahlt: -erbarmenden Gemütes, freudevollen Gemütes, unbewegten Gemütes...</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_343" id="Seite_343">[S. 343]</a></span></p> - -<h2 class="nobreak" id="DIE_VIERTE_UNTERWEISUNG">DIE VIERTE UNTERWEISUNG:<br /> -BUDDHO DER ÖST-WESTLICHE</h2> - -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_345" id="Seite_345">[S. 345]</a></span></p> - -<p class="initial">DAS HEILIGE JA LASST UNS BEKENNEN DAS HEILIGE JA ÜBER DIE AUF- UND -NIEDERGÄNGE — DAS HEILIGE JA ÜBER GEBURT UND TOD, GESTIRN UND -SCHICKSAL — DAS HEILIGE JA ERSCHAFFE DIESE WESEN UND ERHALTE SIE, -DAMIT SIE IN DER FÜLLE STEHN WIE EINE HUNDERTBLÄTTERROSE IN IHRES -MITTSOMMERS MITTAGGLÜCK — DAS HEILIGE JA ZERSCHMELZE DIESE WESEN IN -SEINES EWIGEN FEUERS TIEGEL UND HÄRTE SIE DARIN, BIS SIE GEDIEHEN -SIND, BIS SIE GEDIEGEN SIND — UND ALSO VERLÖSCHE DAS HEILIGE JA -DIESE WESEN IN SEINES EWIGEN WASSERS BORN UND BRING IN IHM DIE WESEN -WIEDER EWIGLICH — WILLKOMMEN DEM JA-SELBST ALLE WESEN UND WILLKOMMEN -IHM GLEICHERMASSEN DIE GEGEN- UND WIDERWESEN ALLE — DIES IST DAS -HEILIGE JAWORT UND FROHWORT UND DES FROHWORTES HEILIGE GRUSSSPENDE, -ANDACHTSPENDE, OPFERSPENDE — DIES IST GELÄUTERTEN HERZENS ERSTGEBURT, -DARGEBRACHT IM FESTWEIHTEMPEL DER WELT — WER DU AUCH BIST, O MENSCH, -IN VIERTEN VIERTELS EDLER MONDSCHWELLUNG DEINER MENSCHLICHKEIT ODER IN -IHRES DRITTEN, ZWEITEN, ERSTEN VIERTELS BEDAUERLICHER SCHWINDUNG:</p> - -<p class="center">— ICH WILL DIR WOHL —<br /> -DIES IST DIE LETZTE UNTERWEISUNG</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_346" id="Seite_346">[S. 346]</a></span></p> - -<div class="section"> - -<p class="initial">Es ist uns etwas zugestoßen, ihr Christen, während dieser -Mitternachtstunde in der Völkergruft Europas. Es ist uns etwas -zugestoßen, wofür es noch keinen Namen gibt; es ist uns ein Zeichen -geworden, welches noch niemand deuten kann. Mit nichten aber ist es -dieser Krieg oder was ihm noch folgen wird auf seiner qualmenden Bahn. -Auch der drohende Niedergang ist es nicht einer dreitausendjährigen -Gesittung, die ihren Weg einst vom Südosten des Festlands aus -genommen hatte, dann den Westen und die Mitte wie mit artenreichem -Pflanzenwuchs verschwenderisch berankte, und jetzt im Nordosten des -Festlands jählings endigt. Gehört doch derlei jeweils zu dem Leben -der Geschichte: daß Siebenjährige, Dreißigjährige Kriege wüten, daß -volkreiche Staaten gegründet und zerstört werden, daß rühmliche -Gesittungen reifen und entarten. Sogar Umwälzungen von heftigster -Gewaltsamkeit, die wir, käme es nur auf uns an, höchstens als grausame -Ausnahmen gelten ließen, gehören offenbar zu den gebräuchlicheren -Mitteln der Geschichte. Wären wir zum Beispiel genauere Kenner unseres -Mittelalters, als wir in der Regel sind, dann wäre uns bewußt, daß -in unserer eigenen Vergangenheit ein gesellschaftlicher Umsturz nach -dem andern pausenlos eintrat wie das Feuern aus den Geschützen einer -Batterie. Erlauchte Rassen und Stämme, eben noch Träger weithin -wirkender geschichtlicher Bewegungen, sind schon einen Augenblick -später von den Wirbeln des Todes fast spurlos verschlungen. Und wo -die Rassen oder<span class="pagenum"><a name="Seite_347" id="Seite_347">[S. 347]</a></span> Stämme als solche dauern, da schichten sich ihre -Stände in desto stärkeren Erschütterungen um und um. Was das für ein -Trauerspiel gewesen sein mag, wenn etwa die freien Bauernschaften der -taciteischen Germanen unter den fränkischen, sächsischen, salischen -Königen unwiderstehlich zu Hintersassen, zu Hörigen erniedrigt wurden, -das ahnen wir vielleicht in diesen Tagen, wo ein blühender Mittelstand -einem ähnlichen Verhängnis verfallen zu sein scheint. Was damals den -freien Bauern der Dorf- und Markgenossenschaft geschah, ist später dem -Laienadel nicht erspart geblieben, der seinerseit vom Aufstieg der -Städte und von der Ausbreitung der Geldwirtschaft an in fortschreitende -Abhängigkeit vom bürgerlichen Geldgeber gerät. Bis dann im -Dreißigjährigen Krieg auch diesem Bürger wiederum die Stunde geschlagen -hatte und er zu seinem Teil dem <i>dominus terrae</i> mehr oder minder -schimpflich untertänig ward... Umwälzungen dieser Art, wie bitter sie -von den Betroffenen empfunden werden und wie zahlloses Menschenglück -ihnen zum Opfer fällt, gehören also dennoch dem unbegreiflichen -Leben und Weben der Geschichte an. Wir Gegenwärtigen verwundern uns -mutmaßlich über sie nur darum so ungemein, weil wir in vierzig Jahren -gleißender Befriedung und Verbürgerung die schicksalhafte Härte und -Unabänderlichkeit geschichtlichen Geschehens höchstens noch in den -Annalen der Vergangenheit fanden. Welch ein unterschwürig bedrohtes, -stets der Bedrängnis seitens des Mächtigeren ausgesetztes Dasein der -geschichtliche Mensch<span class="pagenum"><a name="Seite_348" id="Seite_348">[S. 348]</a></span> bis dahin zu fristen verdammt war, hatten wir -gründlich vergessen, — vielleicht mit alleiniger Ausnahme derer, -die sich mit Recht oder Unrecht die Enterbten zu nennen pflegten. -Erschüttert und aufgewühlt, ja in tiefster Seele recht eigentlich -außer uns gesetzt, erfühlen wir’s erst seit Neunzehnhundertundvierzehn -wieder, was es heißt, um Luft und Licht, Freiheit und Leben zu ringen -auf jenem fürchterlichen Kampfschauplatz, der Geschichte heißt...</p> - -</div> - -<p>Trotzdem kann es nicht diese mit Blut und Tränen erkaufte Erkenntnis -sein, die uns aus jedem wohltätigen Gleichgewicht der Seele gebracht -hat. Da es der geschichtlichen Menschheit nur in wunderseltensten -Feierstunden besser erging als uns, meist jedoch wesentlich schlechter, -müßte sie folgerichtig auch ihrerseit die Merkmale, und zwar die -verstärkten Merkmale unserer dermaligen Gemütsverfassung aufweisen, -— weist sie aber dessen unerachtet nicht auf! Im Gegenteil. Je -unsicherer, gesetzloser, verbrecherischer die Zeiten waren, je heftiger -der Einzelne unter sittlicher und bürgerlicher Willkür zu leiden -hatte, je fragwürdiger sich sein ganzes gesellschaftliches Dasein -ausnimmt, desto hochwertiger bedünken uns oft die Leistungen unserer -geschichtlichen Vorfahren. In einer Chronik des dreizehnten oder -sechzehnten Jahrhunderts blätternd, verstehen wir’s schlechterdings -nicht, wie es die Menschen unter den geschilderten Verhältnissen -hatten überhaupt nur aushalten können. Uns aber dann von diesen -Chroniken her den Denkmalen jener Zeiten zuwendend, den Denkmalen in<span class="pagenum"><a name="Seite_349" id="Seite_349">[S. 349]</a></span> -Erz und Stein, in Holz und Glas, auf Leinwand und auf Pergament, — -wie sind wir nicht erstaunt und ergriffen von der Weitatmigkeit des -Schwungs, der die Besten ihres Zeitalters zu solchen Werken, solchen -Taten hinriß! Und wie wir denn im Leben wohl hie und da einen Mann -kennenlernen, der von wilden Leidenschaften hin- und hergetrieben -wird und dennoch auf dem Grunde seines Wesens einen tiefen, schönen -Frieden göttlich spiegelt, so scheinen just die Zeitalter klassischer -Erfüllung nach außen hin zwar stürmischer als alle anderen bewegt, -jedoch nach innen in jenem Zustand seelischer Ausgeruhtheit durchaus -zu verharren, wie er nach traumlos erquickendem Schlaf das menschliche -Gehirn allein zu seinen schöpferischen Eingebungen stärkt und befähigt. -Diesen beneidenswerten Anblick indes bieten wir selbst heute in -keinerlei Betracht dar, wenigstens nicht für uns selbst als unsere -eigenen Beobachter und Beurteiler. Im Unterschied zu so begünstigten -Zeitaltern ist das unsrige vielleicht, nach außen gewendet, nicht -einmal stürmisch bewegt zu nennen, — wie ungereimt dies auch -klingen mag! — geschweige, daß es, nach innen gewendet, den Zustand -gestärkten Ausgeruhtseins, Ausgeruhthabens nach irgend einer Richtung -hin darbieten würde. Die entnervende Unruhe, die uns ergriff, ist -nicht die Unruhe des aufbrandenden Lebens, sondern des fiebernden -Blutes. Unserm Betätigungdrang fehlt bei aller Rastlosigkeit der weit -ausholende Pendelschlag organischer Rhythmik. Unserm Übereifer zu -Lebens<span class="pagenum"><a name="Seite_350" id="Seite_350">[S. 350]</a></span>erneuerungen um jeden Preis mangelt die sichere Einstellung in -die letzten Welt- und Lebensziele. Unserer Geschwätzigkeit über Gott -und Geist gebricht das unbeirrbare Zutrauen zu uns selbst und der von -uns gewählten Richtung. Darum überzeugt keiner den andern, traut keiner -dem andern, glaubt keiner dem andern. Ein unbestimmbares Etwas, eine -Tugend, eine Gnade ist uns offenbar abhanden gekommen, welche unsere -Vorfahren in den schlimmsten Zeiten der Vergangenheit nicht zu missen -hatten. Irgend ein Gut, dessen der geschichtliche Mensch unerläßlich -zum Leben bedarf, wurde uns entwendet; irgend welche Gewichte, die den -Uhrgang unserer Zeitlichkeit zu regeln haben, sind ausgehängt worden. -Aber es ist wahrhaftig schwer, ein Ding zu suchen und wieder zu finden, -von welchem man nicht einmal eine deutliche Vorstellung hat und das man -trotzdem verlor...</p> - -<p>Vor einem halben Jahrhundert, etwas früher oder etwas später, mag es -sich zugetragen haben, daß unsere europäische Gesellschaft allmählich -in diese seltsame Schwankunglage hineinglitt, von der hier die Rede -ist. Mit einigen ganz unverkennbaren Anzeichen von beängstigender -Übereinstimmung setzt ein Zeitalter ein, das mit einigem Fug das -Zeitalter der Entblößungen genannt werden dürfte: denn eine Entblößung -der Gattung Mensch vor sich selbst beginnt, wie sie mit ähnlicher -Unerbittlichkeit, mit ähnlicher Schamlosigkeit von keinem der -geschichtlich bekannten Zeitalter geübt worden ist. Das war wie wenn -ein vor<span class="pagenum"><a name="Seite_351" id="Seite_351">[S. 351]</a></span>nehm und kostbar gekleidetes Weib sich eines Abends vor dem -Stehspiegel auszöge und nun, da sie ein Kleidungstück nach dem andern -ablegt, erst mit Befremden, dann mit Mißbehagen, dann mit Kummer, dann -mit Abscheu, dann mit Haß auf sich selber die vormals nie beachteten -Mängel ihres unvollkommenen Leibes wahrnähme: dies also bin ich, dies -ist mein dünnes, ausgekämmtes Haar, dies mein verbrannter Hals und -Nacken, dies meine abgeblühte Büste, dies meine wulstig gepolsterten -Hüften, dies meine kurzen und gekrümmten Beine, dies mein flach und -platt geformter Fuß... Ähnlich einem solchen Weibe, das sich vor ihrem -Spiegel peinlich entkleidet und ihre arme Nacktheit nach all ihren -Häßlichkeiten streng durchmustert, zornig und traurig zumal, daß -sie nur ist wie sie ist, und dennoch außerstand, auf ihre grausame -Selbstprüfung zu verzichten, — ähnlich beginnt der europäische Mensch -zu einer ganz bestimmten Zeit im abgelaufenen Jahrhundert sich vor -sich selber ohne Schonung zu entblößen und alles, was er bisher tat -und schuf, auf seinen Unwert hin zu erforschen. Da ist vor allem sein -höchster Stolz und Abgott, der sogenannte Staat: bei Licht besehen nur -die Anstalt einer kleinen Anzahl Mächtiger zur dauernden Knechtung -und Entrechtung machtloser Massen. Da ist des ferneren die sogenannte -Gesellschaft: bei Licht besehen nur die angemaßte Herrschaft einer -Kaste, einer Klasse über andere Kasten und Klassen, die herkömmlich -als nicht geeignet für die Ausübung der Herrschaft gelten. Da ist -die<span class="pagenum"><a name="Seite_352" id="Seite_352">[S. 352]</a></span> sogenannte Wirtschaft: bei Licht besehen nur die regelrecht -betriebene Ausbeutung menschlicher Arbeitkräfte als einer käuflichen -Ware durch den einzelnen oder vergenossenschafteten Unternehmer. Da -ist die sogenannte bürgerliche Lebensordnung: bei Licht besehen nur -die als Ehrbarkeit vermummte Heuchelei und die als Sittenstrenge -sich aufspielende Zuchtlosigkeit. Da ist die sogenannte Ehe: bei -Licht besehen nur der Lebens- und Todeskampf der ewig feindlichen -Geschlechter. Da ist die sogenannte Liebe: bei Licht besehen nur die -wilde Gier der gegenseitigen Besitzergreifung. Da ist die sogenannte -Sittlichkeit: bei Licht besehen nur die Bemäntelung selbstsüchtiger -Leidenschaften durch angeblich selbstlose Beweggründe und Triebfedern. -Da ist die sogenannte Religion: bei Licht besehen nur die Übertragung -niemals erfüllter und unerfüllbarer Menschenwünsche auf die Gestalten -erdichteter Götter. Da sind die sogenannten Ideale: bei Licht besehen -nur die bewußten Widerspiegelungen jeweils wirtschaftlicher Vorgänge -und Verhältnisse, wenn nicht am Ende gar die aus Angst vor der -Wirklichkeit erzeugten Welt- und Selbstbeschönigungen. Da ist die -sogenannte Seele: bei Licht besehen nur ein Bündel von unersättlichen -Trieben und Begehrungen, von denen niemand wissen kann, welche in der -nächsten Sekunde die Oberhand gewinnen werden. Da ist der sogenannte -menschliche Verstand, die menschliche Vernunft sogar: bei Licht -besehen nur eine Waffe mehr im Kampf ums Dasein, um den Nächsten zu<span class="pagenum"><a name="Seite_353" id="Seite_353">[S. 353]</a></span> -überlisten und womöglich über seine Leiche eine Stufe höher zu turnen -hinauf zum Besitz, zur Macht und zum Erfolg. Da ist das sogenannte -Recht: bei Licht besehen nur die Verewigung menschlicher Rachsucht -und Vergeltungwut, die das Verbrechen ahndet, indem sie’s wiederholt, -und den Verbrecher straft, indem sie ihn foltert oder tötet... Dieser -Art fühlte sich der <i>homo europaeus</i> jener Jahrzehnte gedrungen, die -Summe seiner bisherigen Anstrengungen mit einer gewissen Lust an -Selbstzerstörung dämonisch zwangsläufig zu ziehen; — solchermaßen fand -er alles Geleistete verdammungwürdig, verächtlich, schlecht. Nicht -wollte und konnte er eher ruhen, bis er sich die letzten Fetzen jener -prachtvollen, aber lügenhaften Verhüllungen von seinem Leib gerissen -hatte, — Verhüllungen, die ihm bisher prahlerisch verheimlicht hatten, -daß er das böse Tier der Eis- und Steinzeit je und je geblieben war: -„säuischer als Schweine, grimmiger als Löwen, geiler als Böcke, -neidiger als Hunde, unbändiger als Pferde, gröber als Esel, versoffener -als Rinder, listiger als Füchse, gefräßiger als Wölfe, närrischer als -Affen und giftiger als Schlangen und Krotten,“ wie unser herzhafter -Simplizissimus derb und heftig herausgesagt hat... Der Mensch, das -Tier der Urzeit: so zweigte ihn ja jetzt die Wissenschaft selber -zoologisch, morphologisch ein in den Stammbaum der lebendigen Wesen, -die das Tierreich bilden. Aber der Mensch ist nicht nur das Tier der -Urzeit, sondern das böse Tier der Jetztzeit, weil er sich trotz seiner -Abkunft aus dem Tier<span class="pagenum"><a name="Seite_354" id="Seite_354">[S. 354]</a></span>reich ein menschliches Wissen um Böse und um -Gut erworben hatte. In dieser Jetztzeit ist der Augenblick für ihn -gekommen, in dieser Jetztzeit, und keineswegs schon am Anfang, wie es -das Alte Testament will, wenn es vom ersten Menschenpaar berichtet: -„da wurden ihrer beiden Augen aufgetan, und wurden gewahr, daß sie -nacket waren“... In dieser Stunde der gnadenlosen Selbstentblößung und -Selbstbeschämung sieht sich der europäische Mensch nacket, — hier -übermannt ihn die Erkenntnis, daß alles, was er aufgewendet hatte in -den Jahrtausenden, die seine Erinnerung umspannt und mehr noch in -den anderen, die seine Erinnerung nicht umspannt, dem eigenen Urteil -nirgends standhalten konnte. Nun er mit unsäglichem Aufgebot dies wilde -böse Tier in sich gebändigt hatte, mußt’ er sich überzeugen, daß er von -seiner Wildheit zwar manches abgegeben, die Bosheit jedoch bewahrt und -gemehrt hatte, und daß verrucht war, was ihm von Herz und Händen ging...</p> - -<p>Jahraus jahrein hatte so der europäische Mensch durch die Zunge solch -unentwegter Selbstankläger zu sich selbst gesprochen. Jahraus jahrein -hatte er sich mit eigener Zunge selbst gestochen und zerstochen, bis -er zuletzt noch einmal durch die Stimme dreier Propheten sprach, -die am Werk der Selbstentblößung ihrerseit am eifrigsten beteiligt -waren. Und was sie lautbar machten, hörte sich freilich schon wie der -zerberstende Hornstoß Heimdalls, des Zeichengebers an, als er von der -Zinne Walhalls Schiff Naglfar draußen am Rand des brüllenden Nordmeers<span class="pagenum"><a name="Seite_355" id="Seite_355">[S. 355]</a></span> -kreuzen sah... Von diesen denkwürdigen Dreien durchlitt der Erste zum -voraus in eigener Person alles Leid, welches in Bälde eine Menschheit -würde überkommen müssen, wenn sie wirklich die letzte Scham von sich -geworfen hatte und mit der eigenen Nacktheit Unzucht trieb. Wie er -indes in Wahrheit keines Rats sich wußte, und sogar nicht einmal ein -Wort, ein trostspendendes oder aufrichtendes, finden konnte, verbeugte -er sich nur tief bis auf die Erde, etwa wie sich der Staretz Sossima -vor Mitjä Karamassoff verbeugt hat, — und ging vorüber. Der Zweite -dieser Drei aber tat sich in eigener Person alle Qualen an, mit welchen -binnen kurzem der arme Teufel Mensch seinen Mitmenschen foltern würde: -er weiß es selber nicht, warum und zu wessen größerer Ehre. Zwar fand -auch dieser Zweite nicht eigentlich einen Rat, aber immerhin doch ein -Wort der Klage. Und legte sein Wort, seltsam genug! der Tochter des -indischen Himmelskönigs in den Mund, welche wie weiland der blonde Held -Krischna auf die Erde herabgefahren war, damit ihr des Menschlichen -ferner nichts fremd bleiben möchte. Mit innigem Erbarmen sagt Indras -Tochter immer nur das eine, was allerdings wenig helfen oder bessern -konnte: Es ist schade um die Menschen, es ist schade... und also -wehklagend ging auch der zweite Prophet vorüber. Der Dritte jedoch, -höheren, helleren Geistes als die beiden andern und von dem Merkmal auf -des Merkmals Ursache schließend, erkannte die elende Unzulänglichkeit -der bisherigen Gattung Mensch, die soviel<span class="pagenum"><a name="Seite_356" id="Seite_356">[S. 356]</a></span> schwerer zieht und wiegt -als sogar ihre Bosheit. Dieser erschütternden Unzulänglichkeit gewahr -werdend, leuchtet ihm eine Botschaft auf, die Rat zu schaffen scheint, -wenn nicht schon für den Augenblick, so doch für die Zukunft: der -Mensch ist Etwas, das überwunden werden muß. Diese Botschaft ging nicht -vorüber, auch wenn ihr Künder vorüberging, und haftete zitternd wie der -Schuß eines befiederten Pfeiles in den Herzen...</p> - -<p>Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muß; die menschliche -Unzulänglichkeit ist Etwas, das überwunden werden muß! Es wird also -eine Zeit sein, wo sich der Mensch seiner Nacktheit vor dem Spiegel -nicht mehr länger zu schämen braucht, weil sie ihm keine Mängel -und Gebresten, sondern Schönheiten und Vollkommenheiten zeigt. -Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muß und folglich auch -hoffentlich überwunden werden kann? — dies Ziel lockt stärker als -irgend eines. Aber wie kann er denn überwunden werden? Den Menschen -zu überwinden, roh, tierhaft und unmenschlich, wie er aus den Händen -der Schöpfung hervorging: darauf hatten doch sicherlich schon alle -die Anstalten gezielt, welche der ehrlichen Selbstprüfung von vorhin -nicht standgehalten hatten. Den Menschen zu überwinden waren die -sämtlichen Erfindungen, Einrichtungen, Gründungen, Hervorbildungen -gemacht worden, die eine wesentlich menschheitliche Werkwelt zu -unserer Genugtuung umfassen. Mit welcher Sorgfalt hatte der Mensch -nicht diese Werk- und Werkzeugwelt,<span class="pagenum"><a name="Seite_357" id="Seite_357">[S. 357]</a></span> die er Kultur nennt, zwischen -seinen frühesten Ursprung und seine späteste Mündung geschichtet. Mit -welcher Künstlichkeit hatte er nicht seine Sinne vervielfältigt und -seinen Sinn geschärft, um mit vervielfältigten Sinnen und geschärftem -Sinn eine höhere und menschenwürdigere Umwelt selbsttätig um sich -zu schaffen. Jede Erfindung und jedes Werkzeug bedeutete ja oder -sollte wenigstens bedeuten eine Steigerung menschlichen Könnens, eine -Verringerung menschlichen Arbeitaufwandes, eine Bewehrung menschlicher -Schutzlosigkeit, eine Ausweitung menschlichen Machtbereichs. Jede Kraft -und Eigenschaft der Natur wurde derart zu einer Kraft und Eigenschaft -des Menschen erhoben, und so ging an ihm schier buchstäblich das -hoffmannsche Märchen von Klein-Zaches, genannt Zinnober, in Erfüllung, -wonach alles Nützliche, Angenehme, Tüchtige, das in Gegenwart dieser -kleinen Mißgestalt von anderen geleistet ward, durch eine wunderliche -Übertragung dieser Mißgestalt selber als dem eigentlichen Urheber -dankbarst zuerkannt wurde... Das bevorzugte Mittel also, welches -insonderheit dem europäischen Menschen zur Überwindung des Menschen, -wie er sie verstand und allein verstehen konnte, verhelfen sollte, -heißt infolgedessen mit einem einzigen Wort umschrieben: Werkwelt, -Werkzeugwelt. Die Werk- und Werkzeugwelt sollte ihn über sich selbst -hinaus steigern, über sich selbst hinaus erhöhen. Mußte er jetzt, aufs -bitterste enttäuscht, mit sich selber die Erfahrung machen, daß diese -Werk- und Werkzeugwelt als<span class="pagenum"><a name="Seite_358" id="Seite_358">[S. 358]</a></span> Mittel zu diesem Ziel versagte und er -umsonst Pelion auf Ossa getürmt hat, um den Olymp zu zwingen, — was -bleibt ihm übrig oder was kann er ins Auge fassen, dies Ziel auf andere -Weise zu erreichen? Wie kaum eine geschichtliche Menschheit zuvor hatte -der Europäer diese Werkwelt nach Umfang und Inhalt, Beschaffenheit -und Zahl gemehrt und alle seine Geisteskräfte, Seelenkräfte dafür -hingegeben. War es jetzt nicht mehr wie nur ein bloß zufälliger -Fehlschlag, daß es just bei ihm schlimmer als in irgend einer Vorzeit -menschelte: war es in Wahrheit ein zwangsläufig getaner Fehlgriff, — -wo kann, wie soll der Europäer alsdann noch Hoffnung für sich selber -schöpfen?</p> - -<p>Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muß, — so spricht zu -allen Zeiten jede Religion, die ihren Blick auf die nächst höhere -Verkörperung des Menschen heftet, die sie Gott nennt. Der Mensch -ist Etwas, das überwunden werden muß, — so lautet die knappste, -treffendste und erschöpfendste Formel aller Religionen, die ihren -eigenen Willen zur Selbstvergöttlichung als das ewige Bedürfnis -erkennen müssen, welches sie stets wieder von neuem zur Erscheinung -bringt: als „<i>la tendence, qui les a produit</i>“, wie Jean Marie -Guyeau sinngemäß sagt. Zugleich aber ist dies die ewige Tragödie -aller Religionen, daß sie das hauptsächliche Mittel zur Erzielung -dieser angestrebten Überwindung, nämlich die Herausstellung jener -wesentlich menschheitlichen Werk- und Werkzeugwelt, die wir Kultur -nennen, als ungeeignet<span class="pagenum"><a name="Seite_359" id="Seite_359">[S. 359]</a></span> zu ihrem Endzweck schlechterdings verneint -und sich auf diese Weise mit dieser Werk- und Werkzeugwelt selbst -aufs entschiedenste entzweit und überwirft. Denn keine einzige der -bekannten höchsten Religionen, am wenigstens aber die Religion -als solche, gebietet ihren Anhängern und Bekennern: Erfinde du -Werkzeuge und vervielfältige deine Sinne! Gründe du Staaten, schaff’ -Rechts- und Wirtschaftordnungen, laß’ Gesittungen erstehen, ersinne -Wissenschaften, befleißige dich der Verbürgerung, alles damit du in -dir selbst den Menschen überwindest! Wenn solche oder ähnliche Gebote -je ergangen sind, wie beispielweis in der ursprünglichen Verkündigung -des iranischen Zarathuschtra, ist sich die Religion ihres stärksten -Antriebes noch nicht inne geworden. Wo sie sich aber dieses Antriebs -wirklich inne geworden ist, findet sie sich im günstigsten Fall mit -der Gegebenheit dieser Werk- und Werkzeugwelt ab, aber fördert sie von -sich aus keineswegs, geschweige denn, daß sie dieselbe fordert. Die -Welt gewinnen und dadurch die Seele schädigen, — die Welt verlieren -und dadurch die Seele erfüllen: das ist in schroffer Unzweideutigkeit -die Wahl, vor welche jede der höheren Religionen ihre Gläubigen stellt -und auf diese Weise in tödlichen Widersatz bringt zu allen sonstigen -Bemühungen um Fortschritt und Aufstieg, Entwicklung und Gesittung. -Ist es also dem Menschen im heiligsten Sinne Ernst mit des Menschen -Überwindung, so weiß die Religion unstreitig dafür Rat, — nur daß -eben dieser Rat allen eingeborenen<span class="pagenum"><a name="Seite_360" id="Seite_360">[S. 360]</a></span> Neigungen zur Selbststeigerung -durch Kultur stracks zuwiderläuft. Und in der Tat, ihr, die ihr euch -Christen nennt! Sogar in dieser Kummerstunde, da niemand mehr woaus -woein weiß, sogar in dieser Stunde vollkommener Ratlosigkeit ist -keiner unter euch, der nicht in der heimlichsten Falte seines Herzens -mindestens ein einziges unfehlbares Mittel wüßte, diese eisige Hölle -um uns herum in ein blühendes Paradies umzuzaubern. In der Kenntnis -dieses Mittels, ich sage nicht in seiner Anwendung, sind wir Europäer -unfehlbare Christen und werden Christen bis zu unserem bitteren Ende -bleiben, ob wir nun wollen oder widerstreben. Wir haben das Gebot -empfangen, welches die Verirrungen des Lebens ins gleiche zu setzen -vermöchte: Ἀγαπήσεις τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν, — wolle du -deinem Nächsten wohl wie dir selbst... Dies Wort, melodisch aus dem -Königreich der Himmel tönend, von dem geschrieben steht, es sei mitten -in uns, — dies Wort konnten wir in der Wüste unserer Gehässigkeit -verschmachten und in der Sintflut unserer Begierden ertrinken lassen: -aber wir konnten die Tatsache nicht aus der Welt entfernen, daß es -an uns ergangen ist. Dies Wort ist an uns ergangen und auch der -Verstockteste ist außerstand, sich weiszumachen, er habe nie etwas -davon vernommen. Ist es somit wirklich die Religion, die da befiehlt, -den Menschen in sich zu überwinden, dann ist zumindest uns westlichen -Bekennern des Christentums von diesem das rechte Mittel zu diesem -rechten Ziel bezeichnet worden. Denn wer seinem<span class="pagenum"><a name="Seite_361" id="Seite_361">[S. 361]</a></span> Nächsten wohl will wie -sich selber, der überwindet in seinem Wohlwollen sich selber und seinen -Nächsten dazu; der überwindet in sich und seinem Nächsten alles, was -nicht das Wohlwollen selber ist; und derart überwindet er den Menschen -in sich, der noch nicht Wohlwollen selber ist, und mit dem Menschen die -ganze Welt, die noch nicht Wohlwollen selber ist. Drum lüge oder leugne -keiner, daß er nicht wissen könne, wie der Mensch den Menschen zu etwas -überwinden könne, das mehr oder höher und stärker ist wie der Mensch. -Das Mittel ist erfunden, die Botschaft ist ergangen, das Wort steht und -steht ewig...</p> - -<p class="reverse">Das Mittel ist erfunden, — und hat dennoch seinen -Zweck verfehlt.</p> - -<p class="reverse">Die Botschaft ist ergangen, — und hat dennoch -nichts gefruchtet.</p> - -<p>Das Wort steht und steht ewig, — aber schwindelnd fällt der Mensch in -der Zeit von einem Abgrund in den andern...</p> - -<p>Wie aber dies, ihr Christen? Sind wir denn in Wahrheit so bös, so -unmenschlich, so teuflisch, daß wir zwar auf unsern Lippen den Honig -der frohen Botschaft zu schmecken geben, in unsern Herzen aber -schwarze Galle keltern? Liegt es in Wahrheit nur auf uns, daß uns -jener evangelische Weg zur Überwindung unserer Menschheit zum Ab- -und Irrweg sondergleichen geworden ist? Müssen wir uns in diesem -unwiederbringlichen Augenblick der Selbsteinkehr und Gewissensprüfung -in Wahrheit als den Aus<span class="pagenum"><a name="Seite_362" id="Seite_362">[S. 362]</a></span>wurf aller geschichtlichen Geschlechterfolgen -verdammen, weil wir mit dem Bekenntnis des Wohlwollens und Brudersinnes -die Tat des Wohlwollens und Brudersinns am sichersten erstickten? -Heute, wo die Schuppen der Beschönigung von den Augen fallen, ziemt -uns vor allen Fragen diese Frage: von der Antwort auf sie hängt -jede Zukunft ab. Rund tausend Jahre sind es, daß wir des Nazoräers -Bekenntnis zur Nächstenliebe als unsere erwählte <i>religio</i>, will -heißen Bindung, Verpflichtung, Treue angenommen haben. Und nun -ängstigt uns nach rund tausend Jahren mehr fast als alle Angst der -Argwohn, wir könnten vielleicht nicht trotz dieses Bekenntnisses, -sondern wegen seiner, nur immer böser und schlechter, liebloser und -härter, unedler und grausamer geworden sein seit jenen Tagen etwa, -da der große Sachsenkaiser Otto dem mittelalterlichen Reich Europa -seine dreihundertjährige Verfassung gab. Am Ende ist es eben diese -Verpflichtung, diese Bindung gewesen, die unsere Anlage zum Wohlwollen -und Brudersinn, die wir doch auch in uns wie in jedem lebendigen -Geschöpf vermuten müssen, verkümmern und verkrüppeln ließ. Verkümmern -und verkrüppeln ließ zwar nicht deshalb, weil etwa diese Religion -uns Menschen, wie wir einmal sind, zu hoch und schwer wäre, — denn -jede Religion, ihr Christen, ist dem Menschen, wie er einmal ist, zu -hoch und schwer: und daß sie’s ist, macht ihren unschätzbaren Wert -als Religion aus! Verkümmern und verkrüppeln ließ aber trotzdem, weil -sie befahl und forderte, gebot und heischte, was durch Befehl und -Forderung,<span class="pagenum"><a name="Seite_363" id="Seite_363">[S. 363]</a></span> Gebot und Heischung nimmer zu bewirken ist. Es könnte -demnach sein, ihr Christen, daß uns just das Christentum zeitweilig zum -Verhängnis geworden ist, indem es eine übermenschlich-überschwängliche -Botschaft zwar erließ, aber auf keine Weise andeutete oder zeigte, -wie der irdische Mensch, das wilde böse Tier, nun dieser Botschaft -auch entsprechen könne. Wohlwollen unserm Nächsten, Brudersinn unserm -Fernsten noch, wer wäre Wolf genug zu leugnen, daß beides heute noch -die Welt zum Paradies gestalten würde, wo wir sie alle christlich -übten. Aber der Mensch, obschon von Natur ganz offenbar mit einer -Anlage zum Wohlwollen und Brudersinn begnadet, ist darum noch lange -nicht wirklich wohlwollend, wirklich brudersinnig, — und wird es -auch nicht, wenn man ihm kurzerhand gebietet: Sei’s! Das aber ist das -letzte und schleichendste Unheil, welches uns Abendländer betroffen -hat und unsern dermaligen Höllensturz mit verursacht: wir wissen, -wissen alle unheimlich genau, was not tut, um die Not zu wenden und den -Menschen seiner nächst höheren Verkörperung des großen Wohlwollenden -und Brudersinnigen zuzuführen. Aber es war niemand, der uns gewiesen -und bedeutet hätte, wie das geschehen könne. Wir wissen, wissen es, -aber können es nicht. Und sogar wo es einer als Land- und Meerwunder -wirklich kann, da ist er’s nicht, sondern kann es nur. Das aber, ihr -Christen, ist des Abendländers Untergang...</p> - -<p>Das aber, ihr Christen, ist des Morgenländers Aufgang, ist insonderheit -des Buddho Gotamo Aufgang!<span class="pagenum"><a name="Seite_364" id="Seite_364">[S. 364]</a></span> Denn wo wir nur wissen, hat er das Können -aufgewiesen, und wo wir nur können, hat er angeleitet und geweckt -zum Sein. Dabei ist sein heiliges Ziel in Ansehung menschheitlicher -Emporstufung haargenau das christliche. Vielleicht mit dem einzigen -Unterschied, daß der Buddho die Gestalt des großen Wohlwollenden mit -soviel höherer Künstlerschaft umrissen habe wie der Christus, — eben -jene Gestalt nämlich, die ich zum Beschluß der Dritten Unterweisung -dem christlichen Abendland als das Urbild des Strahlenden Mönches -vorzustellen gewagt habe: „Liebevollen Gemütes weilend strahlt er nach -einer Richtung, dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, dann -nach der vierten, ebenso nach oben und nach unten: überall in allem -sich wiedererkennend, durchstrahlt er die ganze Welt mit liebevollem -Gemüte, mit weitem, tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll -geklärtem. Erbarmenden Gemütes — freudevollen Gemütes — unbewegten -Gemütes strahlt er“... In Ansehung dieses göttlich Wohlwollenden, -übermenschlich Wohlwollenden also ist das religiöse Endziel im Westen -und im Osten streng dasselbe, und nichts würde von dieser Gewißheit -aus einer völligen Durchdringung des Christentums mit dem Buddhismus -hinderlich sein, — wenn eben nicht die Art und Weise, wie Jesus und -wie Gotamo die Verwirklichung dieses Zustands betreiben, so stracks -einander zuwiderliefe, daß hier die Grundkräfte europäischer und -indischer Religiosität als Gegenkräfte in Erscheinung treten. Das -evangelische Wohlwollen nämlich für den sogenannten Nächsten wurzelt<span class="pagenum"><a name="Seite_365" id="Seite_365">[S. 365]</a></span> -ausgesprochenermaßen im Wohlwollen für das eigene Selbst, will heißen -in der Selbstliebe und Eigensucht. Ἀγαπήσεις τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν, -wolle du deinem Nächsten wohl wie dir selber, gebietet -der Herr des Evangeliums, — und manches spricht dafür, daß wir hier -auf die ausschlaggebende Ursache stoßen, warum die Nächstenliebe -des Christentums ein freundlicher Traum geblieben ist und sehr -wahrscheinlich sogar hat bleiben müssen. Denn wie verhält sich’s doch -damit? Jesus erachtet Wohlwollen für Mitmensch und Bruder durchaus für -möglich, sonst würde er es nicht als Notwendigkeit gefordert haben. -Aber nicht hält er’s für möglich, dies Wohlwollen auf andere Weise zu -erzielen als gleichsam auf dem Umweg über das eigene Ich und Selbst. -Das Ich und Selbst der eigenen Person steht hier im Brennpunkt aller -Wirklichkeiten, und folglich im Brennpunkt auch aller Handlungen -und Taten, die sich auf Wirklichkeiten beziehen. Die vorzüglich -religiöse Leistung der Persönlichkeit krönt sich darin, dem fremden -Ich grundsätzlich denselben Grad von Wirklichkeit zuzubilligen wie -dem eigenen Ich und aus dieser Billigung heraus ihm keine mindere -Berechtigung zu schenken wie diesem. Der naive Mensch, heißt das -der selbstische Mensch, wird hier sozusagen feierlich aufgeboten -zur freiwilligen Anerkenntnis des fremden Du, — durch die Erwägung -zwar, daß auch dies Du zuletzt ein Ich mit sämtlichen Eigenschaften -und Merkmalen eines solchen sei. Der naive, will sagen selbstische -Mensch ist also böse nicht eigentlich deshalb, weil er seine eigene -Persönlichkeit und<span class="pagenum"><a name="Seite_366" id="Seite_366">[S. 366]</a></span> persönliche Eigenheit instinktiv als Wirklichkeit -setzt und voraussetzt, sondern weil er jede fremde Persönlichkeit -und Eigenheit nur als eine Wirklichkeit zweiten, dritten, zehnten -Grades gelten läßt, — kurz als eine Wirklichkeit derart verminderten -Erlebensgrades, daß er kaltblütig über ihre Ansprüche und Rechte, über -ihr Sosein und Dasein wegschreitet, nicht anders, wie man im Gedränge -über viele menschlische Schatten auf der Straße schreitet. Und kein -Zweifel! Wer jemals ein wenig über die Beschaffenheit des Verbrechens -und mehr noch des Verbrechers nachgedacht hat, wird hier, in dieser -von Jesus berührten Tatsache, fast jeden gewünschten Aufschluß finden: -daß der Verbrecher von Haus aus unfähig ist, in rein erkenntnismäßiger -Schätzung sein Opfer in dieselbe Reihe von Wirklichkeiten mit sich -selber einzustellen, — er selber füllt diese Reihe mit sich ganz -alleinig. Überall, wo ein Mensch in gräßlicher Verhärtung gegen Wohl -und Weh des Mitmenschen beharrt und dieser Verhärtung entsprechend -handelt, darf man behaupten, er sei Verbrecher, darf man behaupten, -ihm sei die heilige Um- und Neuschöpfung der fremden Wesenheit zum -vertrauten Ich, zum Ich überhaupt, noch nicht gelungen. Tatsächlich -macht Jesus hier die erste, unerläßlichste Bedingung der Möglichkeit -menschenwürdigen Gemeinschaftlebens namhaft: jedwedes menschengleiche, -ja nur menschenähnliche Geschöpf ist im Bewußtsein ebenso als wirklich, -ebenso als seiend, ebenso als wesenhaft zu erschaffen wie das eigene -Ich und Selbst. Auch Du ein Ich, wie Ich zu<span class="pagenum"><a name="Seite_367" id="Seite_367">[S. 367]</a></span>letzt nur Du, folglich -auch Du meines Wesens Mark und Mitte nicht abgelegener als Ich ihm -bin: das ungefähr wäre die rechte Formel für Jesu Auffassung von -Wohlwollen, Brudersinn, Nächstenliebe; — auch Du, Du ein Ich, wie -Ich zuletzt ein Du, und folglich all meiner Taten und Gedanken nicht -minder Sinn, Zweck und Ziel als Ich es ihnen selber bin. Das Maß der -Welt, in welches sie gefüllt und geschöpft wird, ist durchaus hier das -menschliche Selbst und seine unerschütterliche Wirklichkeit. Im besten -Fall kann jeder Einzelne sich selber höchstens dazu bestimmen, jedem -Anderen das gleiche Maß von Wirklichkeit im Bewußtsein einzuräumen. Ein -übermenschlich verwegenes Ideal aber wäre dieses, wenn jeder Einzelne -seine Bewußtheit derart unendlich auszuweiten vermöchte, daß darin die -Wirklichkeiten aller menschlichen Welterscheinungen in einem einzigen -brüderlich umhalsten Chore miteinander reigten, — jeder Fernste in -solch gottgeweiteter Bewußtheit zum Nächsten aufgerückt und nahgerückt, -jeder Nächste aber gleichbürtig, gleichgewichtig, gleichwertig mit Mir -selbst...</p> - -<p>Das Selbst also, ihr Christen, die eigene Person ist dem Herrn unseres -Evangeliums die Schwelle, über welche jedes Ich getragen werden muß, -um überhaupt als Ich geehrt zu werden. Das Selbst, sag’ ich, die -eigene Person und ihre ganz unumstößliche Wirklichkeit und Gewißheit -ist die Schwelle, die vom Ich zum Du, vom Ich zum Wir führt, — was -aber jenseit dieser Schwelle stehn oder liegen bleibt, kann dem -Bereich ichbürtiger Wesenheiten auch nicht angehören.<span class="pagenum"><a name="Seite_368" id="Seite_368">[S. 368]</a></span> Wobei schon -hier keineswegs übersehen und vergessen werden darf, daß auch im -günstigsten von allen möglichen Fällen alles jenseit der Schwelle -stehn und liegen bleibt, was nicht menschengleich oder menschenähnlich -ist, was mithin nicht Nächster und nicht Bruder werden kann... Dem sei -indes, wie ihm wolle. Unter allen Umständen besteht das evangelische -Mysterium, wie nochmals mit Nachdruck ich zusammenfassend sagen -möchte, in der Verwirklichung des Mitmenschen als Nächster und als -Bruder, und diese Verwirklichung zwar vollzogen auf dem Umweg über -die Wirklichkeit des eigenen Selbstes. Das gotamidische Mysterium -hingegen, so einig es im Hinblick auf menschheitliche Emporstufung -zur Gestalt des großen Wohlwollenden mit dem evangelischen Mysterium -offenkundig ist, wird dennoch gerade durch die Umdrehung dieses -evangelischen Verfahrens erwirkt. Nicht dadurch wird das ausnahmlose -Wohlwollen beim Strahlenden Mönch gegen alle Wesen (nicht nur gegen -den Nächsten und den Bruder) erzeugt, daß er diese durch eine -Tathandlung fortschreitende Erkenntnis auf dieselbe Wirklichkeitstufe -mit seiner eigenen Person befördert. Sondern ganz im Gegenteile -dadurch, daß er den Wirklichkeitgrad der eigenen Person, den -scheinbar unbezweifelbaren, auf den Wirklichkeitgrad aller übrigen -Welterscheinungen herunterdrückt, kraft einer nicht zu widerlegenden -religiösen Selbsterfahrung, Selbstbewertung, die er an sich und mit -sich macht. Wenn daher Jesus befiehlt: Wolle du deinem Nächsten wohl -wie dir selber; wenn somit der nämliche Jesus das<span class="pagenum"><a name="Seite_369" id="Seite_369">[S. 369]</a></span> Wohlwollen für -das eigene Selbst ohne weiteres als die gegebene Voraussetzung des -Wohlwollens für andere hinnimmt und bestätigt, — so fußt der Christus -auf einer Einstellung, welche den Buddho sicherlich über die Maßen -befremdet haben würde, falls er hätte Kenntnis von ihr erlangen können. -Denn eben dieses Selbst der eigenen Persönlichkeit, in europäischer -Sprache das Individuum oder die unzerstückelbare Lebenseinheit, -Wirkungeinheit, Zweckeinheit geheißen, welche jeder westliche Mensch -mit der ganzen Heftigkeit seiner Instinkte gleichsam als sein <i>ens -realissimum</i> umklammert hält und niemals fahren läßt solang er lebt, — -eben diese Ur- und Musterwirklichkeit aller sonstigen Wirklichkeiten -hat sich ja dem Buddho längst entlarvt als ein Ding, welches um keinen -Deut wesenhafter oder wirklicher als jedes andere Ding unter der Sonne -genannt werden darf. Und hier, wo die Religiosität des Ostens mit der -Religiosität des Westens wie Ja und Nein zusammenstößt, aber leider -nicht zusammenklingt, hier ist es angezeigt, uns noch einmal jenes -herzlich seltsame Wort in den Sinn zurückzurufen, welches uns in der -Ersten Unterweisung hat so scharf aufhorchen machen. <i>N’etam mama</i>, -das gehört Mir nicht, hat dies Wort gelautet, zu welchem der Buddho -sein schneidendstes Nein gleichsam gerinnen und erhärten lassen. -<i>N’etam mama</i>, das gehört Mir nicht: was da entsteht und vergeht, was -da gezeugt wird und verwest, was da wechselt und abändert, was da -erscheint und verschwindet. Solches alles gehört Mir nicht, solches -alles bin Ich nicht:<span class="pagenum"><a name="Seite_370" id="Seite_370">[S. 370]</a></span> folglich gehört auch diese Meine eigene Person -Mir nicht, folglich bin auch Meine eigene Person Ich nicht! Alles -Wirkliche aus zweiter, dritter und letzter Hand gehört Mir nicht und -bin Ich nicht. Aber auch alles Wirkliche aus erster Hand gehört Mir -nicht und bin Ich nicht: nämlich Ich selber nicht, wie ich mir in -der raumzeitlichen Gliederung bewußtes Erlebnis und Begebnis ward! -Diese ganze Erscheinungunendlichkeit, wie sie gestalthaft abgegrenzt -im Bewußtsein auftaucht und gestalthaft abgegrenzt im Unbewußtsein -wieder untersinkt, einschließlich meiner höchsteigenen Icherscheinung, -sie gehört Mir nicht und sie bin Ich nicht! Sie gehört Mir nicht -und sie bin Ich nicht, weil sie eben auf Grund ihrer Eigenschaft -als Erscheinung nicht bis dahin reichen kann, wo ich als religiös -Erlebender zutiefst Mich Wesen weiß. Keine Verkörperlichung und -keine Verpersönlichung, nicht einmal meine eigene, faßt dort noch -Fuß und Grund, wo Ich — oder vielmehr nicht mehr Ich! — in dem -Augenblicke gesammeltster Selbstvertiefung Grund und Fuß zu fassen -fähig bin. Damit jedoch ist des evangelischen Jesus Selbsterfahrung, -den die Wirklichkeit des Ich aller Wirklichkeiten Ur- und Musterbild -zu sein bedünkte, durch eine Selbsterfahrung entgegengesetzter Art -zwar nicht getilgt und aufgehoben, aber eingeschränkt und ergänzt. -Nicht ist fremdes Ich für ebenso wirklich, daseiend und wesenhaft wie -eigenes Ich zu erachten: sondern umkehrt eigenes Ich hier für ebenso -unwirklich, nichtseiend, wesenlos wie fremdes Ich. Jene bevorzugte -Wirklichkeit, vom evangelischen Herrn als Hebelpunkt<span class="pagenum"><a name="Seite_371" id="Seite_371">[S. 371]</a></span> gebraucht, um -von ihr her die eingefleischte Eigensucht und Selbstliebe, die bruder- -und nächstenmörderische, aus ihrem natürlichen Schwerpunkt zu wälzen, -— jene Wirklichkeit gilt dem Buddho auf keine Weise für bevorzugt. -Im Gegenteil ist sie es, die sich dieselbe Dämpfung gefallen lassen -muß, welche das ‚<i>N’etam mama</i>‘ auf alle Wirklichkeiten legt. Auch ich -selber gehöre Mir nicht; auch ich selber erschöpfe Mich nicht in der -Erscheinung Meiner, die sich gestalthaft vor meinen Sinnen ausbreitet; -auch Ich selber bin über Meine raumzeitliche Wirklichkeit hinaus noch -Etwas, das die Sprache einer Wirklichkeit nicht mehr zu verlautbaren -vermag: wenn auch sicherlich nicht ‚Ich‘ mehr...</p> - -<div class="section"> - -<p class="initial">Wer aber, ihr Christen, von dieser beziehungreichen Tatsache her seinen -Blick nun schweifen ließe in die beiden Welten, in welchen getrennt -voneinander der Buddho und der Christus eingebürgert hausen, der fände -sich wohl nicht wenig überrascht: so buchstäblich weltverschieden, -weltgeschieden stellten ihm sich beide Welten dar. Den christlichen -Erlöser erblickte ein derartiger Betrachter inmitten einer Wirklichkeit -wimmelnd bis zum Rand mit gestalthaften Lebenseinheiten nach Art -der menschlichen Persönlichkeit. Wie etwa ein stätig fortlaufendes -Gebilde der Anschauung, eine geometrische Gerade oder Fläche, von der -Einwirkung des Gedankens in zusammenhanglose Einzelpunkte zerlegt wird, -oder wie eine stätig<span class="pagenum"><a name="Seite_372" id="Seite_372">[S. 372]</a></span> zusammenhängende Flüssigkeit unter der Einwirkung -von Wärme oder Witterung zu einem Haufen einzelner Flocken stockt, -— nicht anders zersetzt sich unter dem Einfluß dieser evangelischen -Einstellung eine vorher noch kaum gestalthaft belebte Umwelt zu einer -immer ausschließlicher gestalthaft belebten. Wenn unsere europäische -Wissenschaft, vielleicht mehr als sie ahnt ‚christliche‘ Wissenschaft, -nie und nimmer geruht hat, bis sie jede Wahrnehmungstätigkeit der -Sinne allmählich in eine womöglich zahlenhaft zu erfassende Menge von -letzten, das heißt unteilbaren Beziehungknoten zergliederte; wenn sie, -um altbekannte Beispiele anzuführen, den Einen Grundstoff der Welt -in viele Kräfte, die Eine Materie in viele Atome, das Eine Leben in -viele Lebenseinheiten, die eine Zelle in viele Zellteile, das Eine -Licht in viele Farben, die Eine Farbe in viele Bewegungvorgänge, die -Eine Qualität in viele Intensitäten, ja zuletzt das Eine Atom in einen -ganzen Kosmos von zentralen Kernen und umlaufenden Elementarquanten -aufgelöst hat, — sie folgte damit ihrem christlichen Instinkt, der -unersättlich ist nach Wirklichkeiten im Sinn der eigenen Individuität. -Christentum ist Individualismus, Christentum ist Personalismus, -— von diesem Gedanken aus läßt sich unschwer so etwas wie die -Kurve der abendländischen Seele aufzeichnen, die schicksalhaft -die christliche Seele gewesen ist und ist, so sehr, daß sie auch -nach ihrer bevorstehenden Umgestaltung des christlichen Einschlags -nie völlig mehr entbehren wird. Christentum ist Individualismus, -Christentum ist Per<span class="pagenum"><a name="Seite_373" id="Seite_373">[S. 373]</a></span>sonalismus; folglich erschafft es sich überall -individuelle, individuierte, personifizierte Wirklichkeiten. Diese -feststehende Tatsache ist für das westliche Festland Europa, welches -das Christentum aufgenommen und verarbeitet hat, geradezu Fatum -geworden. Wo das Christentum aufblüht, blüht der persönlich gestaltete, -persönlich ausgeformte Mensch auf, denn dem evangelischen Christus -bedeutet das raumzeitlich verkörperte Selbst Alpha und Omega aller -Wirklichkeit überhaupt. Und wiederum: wo das raumzeitlich verkörperte -Selbst Alpha und Omega aller Wirklichkeit als solcher erscheint, da -müssen folgerechterweise alle Kräfte des Geistes und der Seele der -möglichst plastischen Herausmeißelung der jeweiligen Lebenseinheit -und Lebenseinzelnheit dienen. Die Wirklichkeit trachtet nach -Verwirklichung, und wo das Selbst erste und letzte Wirklichkeit für -sich beansprucht, trachtet das Selbst zuerst und zuletzt nach seiner -eigenen Verwirklichung. Der Christ beginnt sich demnach vielkantig -nach allen Achsen des Raumes auszuwachsen. Zwar ist des Wunderns seit -langem schon kein Ende gewesen, daß das geschichtliche Christentum aus -dem Europäer so etwas ganz anderes gemacht habe als den friedfertigen, -selbstverleugnenden, bruderlieben Heiligen der evangelischen -Schriften. Heut’ wäre es endlich an der Zeit, sich darüber erschöpfend -ausgewundert zu haben. Denn alle diese evangelischen Tendenzen haben -zu ihrer unanfechtbaren Voraussetzung die unanfechtbare Wirklichkeit -der eigenen Person nebst den auf sie selbst bezüg<span class="pagenum"><a name="Seite_374" id="Seite_374">[S. 374]</a></span>lichen Trieben -und Begierden, Neigungen und Leidenschaften. Das Grundrecht auf -Selbsttrotz und Eigensucht ist der <i>rocher de bronce</i>, vom Herrn des -Evangeliums in eigener Person feierlich stabiliert und sanktioniert, -— das ist der Fels, in welchen die Fundamente der sichtbaren und -unsichtbaren Kirche eingesprengt worden sind. Wer sich darüber -Klarheit verschafft hat, wird es auch nur als aufrichtige Konsequenz -aus diesem Umstand betrachten, wenn gerade der europäische Christ den -Anblick nie gesehener Härte und Ungerührtheit darbietet: es ist ein -heute nicht mehr statthafter Irrtum, wenn immer noch die weichmütigen -Romantiker eines unverfälschten Urchristentums dem evangelischen -Heiland die römische Kirche oder die Kirchen überhaupt als die -gesellschaftlichen Verkörperungen des eigentlichen Antichristentums -entgegenzustellen und zu verdammen belieben. Die Kirche ist nun einmal -nicht die babylonische Hure, sondern sie hat nur im Übermaß Ansätze -entwickelt, die im Evangelium selber vorhanden sind. Diese ganze -romantische Auffassung, am übertreibendsten bekanntlich in Dostojewskis -Großinquisitor herausgestellt, ja wie eine weltgeschichtliche Fanfare -herausgeschmettert, ist ungerecht nach beiden Seiten. Denn in der -Christustendenz evangelischen Wohlwollens glimmt und glutet eben -heimlich schon die Tendenz des Antichrists, das Selbst zu behaupten -über jedes Maß und Ziel hinaus: glimmt und glutet mithin heimlich -schon der Funke, der das ganze europäische Mittelalter hindurch -Scheiterhaufen um Scheiter<span class="pagenum"><a name="Seite_375" id="Seite_375">[S. 375]</a></span>haufen entzündet hat, bis nach dem Krieg von -Dreißig Jahren das mittlere Europa selbst nur noch ein Scheiterhaufen -war... Dieser Scheiterhaufen gemahnt uns, ihr Christen, daran, daß -Jesus Christus schon geboten hat: wolle du wohl deinem Nächsten wie dir -selbst, — daß mithin schon Jesus Christus die Selbstliebe (und die -Puritaner wußten das sehr genau!) in die Rechte feierlich eingesetzt -hat, die sie seither für sich in Anspruch nimmt. Nie wäre von diesem -Gebot her einzusehen, warum das eigene Selbst etwa zugunsten des -fremden hätte verleugnet oder unterdrückt werden sollen, — nie, warum -es auch nur nach Tunlichkeit abgeblendet hätte werden sollen. Sogar den -äußersten Fall gesetzt, es hätte der evangelische Herr geboten, was -er in Wahrheit nicht geboten hat: Wolle du deinem Nächsten wohl mehr -als dir selbst, — wie wäre da nicht sofort die Gegenfrage zu stellen -gewesen: Warum denn, o Herr, dem Nächsten mehr Wohlwollen als mir -selber? Mit welchem Fug wird sein Selbst dem meinigen vorgezogen? Sind -wir nicht just vom Urteil der Selbstschätzung, Selbstwertung aus alle -gleich? Bin ich mir minder Ich als sich mein Nächster Ich ist? Oder wie -könnte mir das Ich des Nächsten näher sein als mein Ich! Was stellt das -Ich des Andern über Mich und weshalb sollte ich Mich auslöschen, damit -Er heller brennt, flackert und zackert? Mit welchem Recht der Götter -oder Menschen geht des Nächsten Selbstsucht über meine eigene? Und sind -wir Brüder für uns selbst nur vor uns selbst, wie darf der Bruder hier -über dem Bruder stehen, der Bruder<span class="pagenum"><a name="Seite_376" id="Seite_376">[S. 376]</a></span> hier vor dem Bruder gehen? Wahrlich -und Wehe! der Altruismus ist immer nur der Egoismus des Nächsten..</p> - -</div> - -<p>Ziehen wir derart die Summe von zwei christlichen Jahrtausenden für -Europa, so muß sich also notwendig ergeben, daß niemals noch sonstwo -die menschliche Person zu diesem Grad von Stärke und Selbstherrlichkeit -heraufgezüchtet ward wie im christlichen Europa. Was unter günstigen -Bedingungen ein Christ und Europäer aufbringt an Entschlossenheit -und Arbeitkraft, Willen und Umsicht, Kaltblütigkeit und Tapferkeit, -Genauigkeit und Zähigkeit, — es übertrifft alles Dagewesene bei -weitem. Mit dem alleinigen Ziel vor Augen, sich durchzusetzen gegen -jeden Widerstand, setzt dieser Christ und Europäer sich denn in -Wirklichkeit auch durch, — mit welchen Mitteln freilich oft, das frage -niemand. Tatmensch, Geschäftmensch, Gewaltmensch noch wider jeden -Einwand des Gewissens, betreibt er von früh bis spät ausschließlich -seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Selbstverwirklichung. -In dem Bewußtsein seiner persönlichen Einzelnheit und Einzigkeit, -in dem Bewußtsein folglich seiner unbedingten Einmaligkeit und -Unersetzlichkeit, welches ihm eine streng christliche Philosophie -anerzogen, angezüchtet hat, findet er eine höchste Rechtfertigung -für die rücksichtloseste Ausprägung seiner Eigenheit; in eben dieser -Ausprägung vermutet er den Endzweck und das Amen alles Geschehens -überhaupt. Sei der, der du bist und werde, der du bist, beides in -seiner Aufgipfelung und Vollendung, — diese Quintessenz der religiösen -Belehrung, welche in der Bhagavad-Gîtâ Gott<span class="pagenum"><a name="Seite_377" id="Seite_377">[S. 377]</a></span> Krischna dem Prinzen -Arjuna widerfahren läßt, ist auch die Quintessenz, wir wissen es seit -Pindaros, aller europäischen Wirklichkeitauffassung: nur freilich -aus dem Indischen ins Europäische übersetzt und damit einigermaßen -entseelt, entadelt, entgeistigt. Der europäische Mensch wird, der er -ist; das heißt er setzt sich durch um jeden Preis und auf jede Weise. -Die Erste Unterweisung hat es erwähnt, die Vierte erinnert hiermit -daran, wie der Erfolg dieses persönlichen Sich-Durchsetzens in der Welt -vom Kalvinismus und Puritanismus geradezu als der schlüssige Beweis vor -Gott und Menschen erachtet wird, daß einer berufen und erwählt sei. Wer -seine Eigenheit zur Anerkennung bringt, wer den Erfolg an seine Seite -zwingt, wer das Glück zur Treue überredet, der hat sich bewiesen, genau -wie er sich im entgegengesetzten Falle widerlegt hat. Solchermaßen -statuiert der christliche Europäer ein Recht auf Persönlichkeit, und -wer feiner hinhorcht, wird sich vielleicht davon überzeugen, daß er -sogar eine Pflicht zur Persönlichkeit statuiert. Lediglich unter diesem -Gesichtswinkel vermag er sich überhaupt noch ein erstrebenswertes -Lebensziel vorstellig zu machen. Nur um Gottes willen von der formlosen -Masse und Massenhaftigkeit abrücken! Nur um jeden Preis ein eigenes -Gesicht, und sei es ein hoffärtiges und freches, zur Schau tragen! Nur -unter allen Umständen aus der flüssigen Mutterlauge zum festen Kristall -aufschießen! Das ist der heiß begehrte Preis, der dem Sieger nach -zermürbendem und zerrüttendem Kampfe winkt...</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_378" id="Seite_378">[S. 378]</a></span></p> - -<p>Denn Kampf bis aufs Messer, Kampf in einer noch nirgends zu erfahrenden -Grausamkeit des Begriffs ist das Leben dieses christlichen Europäers. -Die Selbstverwirklichung bis zum äußersten als die einzig anerkannte -Lebenspflicht muß selbstredend in heftigen Widerstreit geraten mit -derselben Lebenspflicht jeder Persönlichkeit, welche der ersten -gesellschaftlich oder wirtschaftlich irgendwie benachbart ist, -— ein selten eindringliches Beispiel übrigens, wie manchmal die -Möglichkeit einer Gemeinschaft nicht durch Verschiedeninhaltlichkeit -der ergriffenen Zwecke, sondern durch Gleichinhaltlichkeit derselben -vernichtet wird. In diesem christlichen Europa will in Wahrheit -jedermann genau dasselbe: nämlich die denkbar reichstgeschliffene -Ausformung seiner jeweiligen Eigenheit und Einzelnheit. Und das -Ergebnis davon heißt eben Kampf, Krieg, Wettbewerb, ἀγών, -<i>struggle for life</i>, Zuchtwahl... Kampf der Vater aller Wirklichkeiten, -das ist in Wirklichkeit die Überschrift, welche der Vater der -europäischen Menschlichkeit auf seiner Völkerbrücke zu Ephesos an das -Tor zu unserm Festland schlug und hämmerte. Kampf der Vater und Kampf -die Mutter, das ist die Wahrheit geblieben, die auch vom Christentum -nicht nur nicht widerrufen, sondern bestätigt worden ist, denn der -Herr des Evangeliums scheint es erraten zu haben, warum er, vorzugweis -er sich als denjenigen bezeichnete, der nicht den Frieden, aber das -Schwert bringen werde: nicht einmal das Kreuz von Golgatha konnte -die Pforten des Janustempels sperren, die ewig offenklaffenden,<span class="pagenum"><a name="Seite_379" id="Seite_379">[S. 379]</a></span> und -tatsächlich hat das Christentum sein Öl der Linderung ins Feuer statt -aufs Wasser ausgegossen... Kampf brandet und Kampf entbrennt also schon -im kaum befruchteten Keim, wo offenbar das Männliche mit dem Weiblichen -im Hader liegt, bis entweder das Männliche über das Weibliche oder -das Weibliche über das Männliche Herr ward und dadurch das Geschlecht -des künftigen Wesens entschied. Und derselbe Kampf wird ausgetragen, -wo die vererbten Eigenschaften einer Ahnenreihe mit den vererbten -Eigenschaften anderer Ahnenreihen streiten, oder wo den vererbten -Eigenschaften neue hinzuerworbene von Grund auf widerstreben. Wohin -der Blick des Christ-Europäers fällt, gewahrt er Kampf und Krieg im -Kleinen wie im Großen, und sogar noch wenn er an Sommerfeierabenden, -an endlos schwalbenzwitschernden und grillenzirpenden, besinnlich auf -der Gartenbank vor seinem Hause sitzt und eine Weile ruht, fühlt er -vom Grausen plötzlich sich geschüttelt beim Anblick eines räuberischen -Tausendfüßlers, wenn dieser sich auf einen verzweiflungvoll -aufbäumenden Regenwurm stürzt und dessen unbewehrten Leib mitten -entzweibeißt: so hat dem Rabbi von Bacharach die Eiskralle des -Entsetzens ins Herz gegriffen, als er am Vorabend vor Pascha unter dem -schimmernden Tafellinnen plötzlich die eingeschmuggelte Leiche eines -Kindes sah... In einem Augenblick derart hellsehenden Weltverstehens -mag es sein, daß dem Christ-Europäer das furchtbare Gesetz des Lebens -aufleuchtet, welchem zufolge jedes organische Gebild der glücklich -Über<span class="pagenum"><a name="Seite_380" id="Seite_380">[S. 380]</a></span>lebende und Überstehende zahlloser sicht- und unsichtbarer -Einzelkämpfe ist. Weit entfernt, daß ihm als Menschen, ihm als Christen -diese Kämpfe erspart blieben oder wenigstens in ihrem Grad gemildert, -in ihrer Form ‚vermenschlicht‘ würden, findet er ganz im Gegenteil -gerade sich in seiner Eigenschaft als Mensch zu einer Kampfweise -genötigt, wie sie gleich wahllos in den Mitteln und gleich böse die -außermenschliche, untermenschliche Natur nicht kennt. Wohl frißt auch -dort ein Tier das andere Tier, ein Tier die Pflanze und gelegentlich -auch eine Pflanze das Tier ganz unbedenklich. Aber im allgemeinen -spielt sich dieser Kampf doch meist zwischen den verschiedenen Arten -als solchen ab, seltener zwischen den Vertretern ein und derselben Art, -was leider bei uns Menschen die selbstverständliche Regel wird. Sind -wir ganz offenkundig schon dadurch gegen das Tier vielfach im Nachteil, -daß mit verhältnismäßig geringen Schwankungen die geschlechtliche -Brunst bei uns das Jahr über ununterbrochen dauert, was für nicht -wenig Menschen eine Hölle von Anfechtungen bedeutet, so sind wir -auch in dieser Beziehung schlimmer daran als das Tier, daß wir uns -fortwährend gegen unsresgleichen wenden und wehren müssen, — und dies -wie gesagt obendrein mit Mitteln, Pfiffen, Schlichen, die das Tier -verschmäht: „Denn heimlich wie die Höhle, o Herr, ist der Mensch, und -offen wie die Ebene, o Herr, ist das Tier“, sagt Pesso, der Sohn des -Elefantenlenkers, zum Erhabenen...</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_381" id="Seite_381">[S. 381]</a></span></p> - -<p>Der sogenannte Kampf ums Dasein also, von seinem europäischen Entdecker -zu seiner Zeit sicherlich zu Unrecht herangezogen, um die Wandlung -einer Art zur anderen und ‚höheren‘ erklärlich zu machen, — zu Unrecht -herangezogen, sag’ ich, weil er sich zwischen verschiedenen Arten -eigentlich gar nicht ereignen kann, wofern verschiedene Arten jeweils -auch in verschiedenen Umwelten leben, verschiedenen Daseinsbedingungen -unterliegen und darum streng genommen um diese Daseinsbedingungen -auch nicht wirklich kämpfen können! — beim Menschen wird dieser -Kampf ums Dasein dennoch schauerliche Wahrheit. Kämpft doch der -Mensch mit dem Menschen in der Tat um die nämliche Ackerscholle, um -die nämlichen Bodenschätze, um die nämlichen Weideplätze, um die -nämlichen Absatzmärkte, um die nämliche Arbeitstelle, um den nämlichen -Güteranteil, um das nämliche Weib, um das nämliche Glück, um die -nämliche Ehre, um den nämlichen Rang. Der Mensch kämpft ums Dasein, -das heißt, er kämpft um sich selber und um seine Selbstverwirklichung, -und beides winkt ihm nur, wo er seinen Wettbewerber übermächtigt. -Schon daß er lebt, bedeutet unter allen Umständen eine Übermächtigung -unbekannt wie vieler Ansätze und Möglichkeiten, die zum gleichen Leben -drängten; so kann er von allen Wesen am buchstäblichsten von sich -selbst bekennen: denn wir sind teuer erkauft. <i>Sub specie</i> dieses -Gedankens war es dann nicht weniger als Die europäische Vision, das -Leben überhaupt als Willen zur Macht aufzufassen und zu entlarven. -Zum<span class="pagenum"><a name="Seite_382" id="Seite_382">[S. 382]</a></span> mindesten sind alle Gipfelungen und Aufhöhungen des Lebens in -diesem unserm christlichen Europa unmittelbar eins mit dem stolzen -Gefühl erworbenen Machtzuwachses durch den Sieg über andere Mächte, -andere Mächtige. Die Macht ist die einzige und letzte Tugend des -Christ-Europäers, an die er noch wirklich glaubt, zu welcher er betet -und der er opfert. Macht über den Feind ist die Tugend des Kriegers, -Macht über den Sklaven die Tugend des Freien, Macht über das Weib die -Tugend des Mannes, Macht über den Stoff die Tugend des Künstlers, -Macht über das Werkzeug die Tugend des Handwerkers, Macht über das -Betriebsmittel die Tugend des Unternehmers, Macht über die Masse die -Tugend des Führers, Macht über das Element die Tugend des Technikers, -Macht über die Unordnung die Tugend des Wissenschafters, Macht über -den Zufall die Tugend des Weisen, Macht über den Trieb die Tugend des -Bändigers. „Jeder von uns“, so steht im pseudoplatonischen Theages zu -lesen, „möchte womöglich aller Menschen Herr sein, am liebsten Gott...“ -Der Wille zur Macht als der oberste und im Grund sogar einzige Wert des -Lebens, die Macht und ihre Ausbreitung, Steigerung das eigentliche Ziel -und der eigentliche Sinn des Lebens, das ist der kardinale europäische -Gedanke, und wer wird zu behaupten wagen, er sei nicht irgendwie auch -der kardinale christliche Gedanke gewesen? Denn war der christliche -Gott nicht vorzugweis der <i>pater omnipotens</i>, war nicht die All-Macht -an und für sich das <i>summum bonum</i> oder der<span class="pagenum"><a name="Seite_383" id="Seite_383">[S. 383]</a></span> höchste Wert: nur eben -in der Sprache der Scholastik statt in der Sprache Nietzsches? Wer -unbefangen hinsieht, gewahrt denn auch gerade in jenem Mittelalter -die ragendsten Vertreter des Machtgedankens überhaupt, welche unser -Festland bis auf die neue Zeit hervorgebracht hat, — sei es in der -Gestalt jenes Innozenz des Dritten oder Bonifaz des Achten, sei es in -der Person jenes Heinrich von Hohenstaufen, der Deutschland, Italien, -Sizilien als ein einziges Reich kaiserlich beherrschte und über das -Mittelmeer schon seine gewaltige Hand auf Kleinasien gelegt hatte, -als er alexandrisch früh und unbegreiflich aus einer ungeheuern Bahn -geschleudert ward: seit Heinrich des Dritten gleichfalls allzu jungem -Tod das zweite Beispiel übrigens aus unserer deutschen Geschichte, -wie eine Entwicklung mit schwindelerregenden Adspekten verhängnisvoll -abgerissen ward... Schon damals also, und wie erst recht heute, -kommt der Europäer erst zu sich im Gefühl der Macht; in ihm allein -genießt er seiner selbst und schwelgt er in seinem Selbst. Unter -den Gesichtswinkel der Macht gerückt, erscheint dem Europäer jedes -vorhandene Dasein und jeder vorhandene Gegenstand ein Widerstand, an -welchem er sich mißt: vermag er ihn wirklich zu überwinden, so fühlt er -triumphierend das verstärkte Bewußtsein seiner Eigenheit. Was ihn nicht -umwirft, macht ihn mächtiger, — folglich wirft der Europäer vieles, ja -alles um, damit er dadurch mächtiger würde...</p> - -<p>Im Zeichen dieses machthaft gesteigerten, machthaft gespannten Daseins -beginnt dann dieser <i>homo<span class="pagenum"><a name="Seite_384" id="Seite_384">[S. 384]</a></span> europaeus</i>, <i>homo christianissimus</i> sich -auf eine Art rein biologisch auszuleben, wie sich das keine einzige -Menschheit der bekannt gewordenen Geschichte vorher je gestattet -hatte. Vernunft, Maß, Mitte, Zweck, Ziel, Übereinkunft, Herkommen, -Norm, Gesetz, Urteil, Geschmack, die ehemals aus einer begründeten -Angst vor dem Leben zwischen den Menschen und das Leben absondernd -eingeschaltet wurden, liegen jetzt zertrümmert an der großen Straße, -die das Leben selbstherrlich wie nie zuvor beschreitet. Der Bios -und der Logos, mutmaßlich von Heraklit zum erstenmal in ihrer -Gleichwertigkeit und Gleichunentbehrlichkeit trotz ihres verschiedenen -Vorzeichens miteinander verkoppelt zu jenem doppelten System von -Kräften, dessen Arbeitertrag eben Europa heißt, — der Bios und der -Logos werden jetzt durch die Vehemenz des Lebens, Nichts-als-Lebens, -auseinander gerissen, und der Bios dem Logos unbedingt und unbedenklich -übergeordnet. Womit ein Rangstreit voreilig und unsachlich entschieden -wird, der in zwei langen Jahrtausenden vielleicht der stärkste Antrieb -zu dem Aufbau unserer europäischen Gesittung war und uns jedenfalls -in dieser ganzen Zeit geschichtlich bei Atem erhalten hatte. Nunmehr -aber heißt der Zweck und Sinn des Lebens Leben selbst und darf dem -Leben nicht länger durch eine metaphysische, richtiger metabiotische -Einlegung vom Geist oder der Vernunft her unterstellt werden. Die -einmal angetretene Erscheinung aber des Lebens, sei sie <i>collectivum</i>, -sei sie <i>individuum</i>, gilt als das höchste Gut, dem gegenüber jedes -Leben<span class="pagenum"><a name="Seite_385" id="Seite_385">[S. 385]</a></span>digen höchste Pflicht darin besteht, sich selber bis zum eigenen -Untergang und noch darüber hinaus lebendig auszuwirken: koste es, -was es wolle; koste es sogar die Vernichtung, die Zerstörung aller -übrigen Erscheinungen des Lebens. Das Leben selbst, im christlichen -Europa ganz folgerichtig ergriffen und begriffen als das höchste -Gut, schwillt tosend über alle Dämme, und da ist kein Opfer vornehm -und edel genug, — am wenigsten aber das einst so gefürchtete, jetzt -leichthin dargebrachte <i>sacrifizio dell’intelletto</i>! — welches nicht -mit Recht von ihm gefordert werden dürfte. Kindlich über die Maßen das -alte Vorurteil, menschlicher Verstand oder Geist könnten das Leben -meistern oder wenn nicht geradezu meistern, so wenigstens gängeln -oder zügeln. Kindlicher noch das Vorurteil, das Leben als solches -sei da, um höheren Vernunftabsichten, sittlichen Weltordnungen, -göttlichen Heilsplänen irgendwie zu dienen. Bis hierher freilich war -das Menschenleben in seiner vorbildlichsten Führung wesentlich ein -Dienen, und wer am würdigsten gelebt hatte, der durfte am rühmlichsten -zuletzt von sich bekennen: <i>In serviendo consumatus sum</i>, im Dienen -hab’ ich mich aufgezehrt... Aber derlei Romantik ist jetzt wahrlich -nicht mehr an der Zeit, der fortgeschrittenen. Das Leben ist erfaßt als -Unbedingtheit, Unbezüglichkeit. Vielleicht als das letzte sogenannte -<i>absolutum</i> unserer abendländischen Philosophie hat es niemanden -und nichts mehr über sich, dem es selbst beim besten Willen dienen -könnte, — indes ihm selber, wohlverstanden, alles dienen muß und -soll. <i>Ars longa,<span class="pagenum"><a name="Seite_386" id="Seite_386">[S. 386]</a></span> vita brevis</i>, sagte sich vormals der europäische -Mensch zu seinem Trost und seiner Stärkung, wenn er sein kleines Leben -an große Dinge demütig und dennoch stolz dahin gab. <i>Vita longa, ars -brevis</i>, lächelt er jetzt (etwas beklommen und beklemmend freilich) -sich selber zu, wenn er im heißatmigen Föhn des Lebens all’ die zarten -und zartesten Flocken schmelzen sieht, die er im Ablauf der Zeit zu -den herrlichen Kristallgebilden seiner geschichtlichen Kulturen, wie -er einst meinte und hoffte, für die Ewigkeit geformt hat. Weh’, ihm -schmolz im Föhn des Lebens auch der Kristall der Ewigkeit dahin, -und unter dem niederschmetternden Eindruck dieses unvergleichlichen -Verlustes geschieht es denn, daß er seine letzte Rückkehr zur Natur, -zum Leben in Szene setzt, — diese Rückkehr, zu welcher man ihn seit -anderthalb Jahrhunderten mit immer größerer Dringlichkeit zu überreden -bemüht gewesen ist: bezeichnenderweis von demselben Frankreich aus, -welches nunmehr in Henri Bergson den Vollender und Vollstrecker unseres -europäischen Biologismus verkörpert zeigt. Der Europäer, sag’ ich, -kehrt einmal noch zurück zur Natur, enttäuscht von allen bisherigen -Kulturen. Er kehrt zurück zur Natur, will meinen, er beginnt sich -biotisch, biologisch auszutoben, auszurasen, auszutanzen, — und dieser -Vorgang ist am Ende immer noch wichtig genug, um unsere Aufmerksamkeit -ein wenig auf sich zu ziehen.</p> - -<p>Denn vergessen wir, ihr Christen, vor allen Dingen dieses eine nicht, -daß der Europäer der heutigen Zeitläufte, längst ehe er zum Biotiker -wurde, er Energetiker<span class="pagenum"><a name="Seite_387" id="Seite_387">[S. 387]</a></span> gewesen war. Energetiker zwar nicht etwa im -Sinn einer besonderen physikalischen Auffassung und Deutung, sondern -Energetiker ganz unmittelbar in der Betätigung seiner schaffenden und -gestaltenden Kräfte. Aus dieser sehr beachtenswerten Ursache heraus -kann er gar nicht umhin, sich nun auch die Tatsache des Lebens selber -energetisch zurechtzulegen. Auch das Leben, ja das Leben erst recht -offenbart sich ihm als ein energetisches Geschehen, als ein Umsatz von -Energie in Energie, und der Lebendigste ist ihm ganz ohne Zweifel der, -welcher den ‚größten Umsatz‘ hat. Wer da die meiste Arbeitfähigkeit -und Arbeitkraft entwickelt, wer sich mit Energie am unerschöpflichsten -geladen zeigt, ist der Lebendigste von allen und als Lebendigster ohne -Frage auch der Wirklichste. Unter allen anderen, die gleichzeitig -mit ihm leben und mit ihm wirken, hat er am unwiderleglichsten zu -Allem recht: erlaubt ist, was da lebt, verboten nur der Tod. So lädt -sich denn jeder Einzelne mit einer Menge von Lebenskräften, das ist -Arbeitkräften, welche genügen würden, ihn selber samt der Hälfte -der Welt in die Luft zu sprengen. Und Gott weiß, ihr Christen, die -Luft um uns herum zittert von den Stößen der Sprengungen, die sich -ringsherum alle Augenblicke ereignen: irgendwer, irgendwas fliegt in -jedem Zeitteil dieser vorgerückten Zeigerstellung in die Luft... Der -Einzelmensch ist nur mehr eine Zusammenballung und Zusammenkernung von -positiven Kräften, die ihre Umgebung negativ laden und mit furchtbarer -Gewalt von sich abstoßen. Eine unheimliche Span<span class="pagenum"><a name="Seite_388" id="Seite_388">[S. 388]</a></span>nung zwischen den -einzelnen Lebensträgern entsteht und steigert sich schnell bei ihnen, -ob sie nun im engern Sprachverstand als <i>individua</i> oder im weiteren -als <i>collectiva</i> anzusprechen sind, zur wahren Unerträglichkeit: jedes -<i>collectivum</i>, jedes <i>individuum</i> empfindet das andere schlechthin -als unerträglich. Eine schreckliche Einsamkeit zieht sich um jeden -Menschen zusammen wie eine schwarze Wolke, die nur noch in flammenden -Blitzen redet, wenn sie nicht dann und wann etliche Tropfen auf die -verschmachtende Erde fallen läßt, die aussehen wie Blut... Kaum in den -wildesten Vergangenheiten mögen sich Einzelmenschen, Stände, Berufe, -Klassen, Stämme, Völker, Staaten, Rassen derart indianerhaft bis zum -Tod am Marterpfahl gehaßt haben wie heute, wo die frohe Botschaft vom -Leben wie ein Fünftes Evangelium ergangen ist. Zu einem Sammelbecken -der Energie staut jeder das Gefälle seines Lebens, aber weil er wegen -der allzu großen Nähe und Widerstandskraft anderer diese gestauten -Energien nirgends abfließen lassen kann, beginnt er sehr bald unter -seinem eigenen Zuviel zu leiden. Aus diesem unvermeidlichen Leiden -am andern nährt sich ebenso unvermeidlich sein Haß auf den andern. -In diesem an sich schon übervölkerten Europa bedeutet jedes einzelne -dieser lebendigen Energiezentren, Energiequanten ein Höchstmaß an -Störung, Hemmung, Ablenkung für die andern mit lauter magnetischen und -elektrischen Gewittern in der Folge. In unglaublichem Ausmaß hat sich -ein ahnungvolles Wort Nietzsches aus seinen Niederschriften zu einer -Philosophie des Willens<span class="pagenum"><a name="Seite_389" id="Seite_389">[S. 389]</a></span> zur Macht als ein prophetisches erwiesen: -„Die europäische Tatkraft wird zum Massenselbstmord treiben“... Die -europäische Tatkraft, will sagen der europäische Energismus und -Biologismus, der den Europäer ohne jede Schutzmaßregel dem Leben und -seinen Entladungen preisgibt, hat wirklich zum Selbstmord der Massen -getrieben. (Was wir aber darunter ungefähr zu verstehen haben, hat -der nunmehr sieben Jahre gegen Deutschland geführte Vernichtungkrieg -einigermaßen offenbar gemacht)...</p> - -<p>So hat das Leben, das Nichts-als-Leben und Nur-noch-Leben die -europäische Menschheit dieser Stunde angefallen, wie es dann und wann, -anscheinend grund- und ursachlos, eines jener chemischen Elemente -anfällt, die der Gruppe von radioaktiven Stoffen zugehören. Das Leben -befiel uns und überfiel uns gleichsam, und es leitete mit diesem -Überfall anscheinend bei uns denselben Zustand des Zerfalls ein wie -bei diesen mehr wie rätselhaften Elementen. Wunderbar zwar, wir alle -wissen es, beginnt ein solch’ plötzlich auflebendes Element leuchtende -Teilchen von sich selber fort und fort zu schleudern und alle jene -märchenhaften Phänomene aufzuweisen, welche zu unserm unermeßlichen -Erstaunen ein für alle mal an den Namen Radium klassisch geknüpft sind. -Dies wie gesagt wissen wir alle. Aber wir wissen auch das andere, -daß eben mit diesen fortgeschleuderten und vergeudeten Teilchen der -atomistische Zerfall des ganzen Elementes zum Vollzug gelangt: das -Element lebt auf, indem es seine eigene Substanz verausgabt.<span class="pagenum"><a name="Seite_390" id="Seite_390">[S. 390]</a></span> Zum Leben -irgendwie gereizt, verführt, bestimmt, — das alles ist ja vollkommener -Mythos innerhalb der Grenzen strengster Wissenschaft! — gestaltet -das Element sein bisher ausschließlich physikalisch-chemisches Dasein -in ein biologisches um, wobei ihm just wiederum diese Umgestaltung -Sterblichkeit, Tod und Untergang bringt. Etwas ganz Ähnliches, deucht -mich, geschehe nun auch hier, wo wir europäische Menschen, die wir -vormals wohl ein wesentlich humanes, ja humanistisches Dasein zu -führen wenigstens beflissen waren, vom Leben als solchem nun gereizt, -verführt, bestimmt sind, uns einem vorwiegend biologischen Dasein -unbedingt hinzugeben, — und so bringt auch uns diese Umgestaltung -Sterblichkeit, Tod und Untergang. Luziferisch glutend wie ein -feuerspeiender Berg in der Nacht loht heute Europa in den Bränden -seiner Lebenswut und Lebensgeilheit, — aber wer wäre im ernstlichen -Zweifel, was dieses prachtvolle Nachtschauspiel, Machtschauspiel zu -bedeuten hätte! Ein oder zweitausend Jahre europäischen Christentums -haben endlich auch die verborgensten Voraussetzungen des Christentums -zum Reden und das Eis des Schweigens unter weithin vernehmlichem -Krachen zum Bersten gebracht. Und sieh’ da, es zeigte sich folgendes: -diese Voraussetzungen waren nicht geradezu nachweisbar falsch oder -irrig, aber sie mußten irgendwie dennoch lückenhaft und unvollständig -gewesen sein, denn ihnen mangelte offenbar etwas zum Schutz gegen -des Lebens Un- und Übermaß. Sicherlich hat das Christentum niemals -Ja gesagt zu den selbstzerstörerischen Konse<span class="pagenum"><a name="Seite_391" id="Seite_391">[S. 391]</a></span>quenzen, welche ein -nunmehr abgelaufener Äon mit zunehmender Unzweideutigkeit aus dem -Christentum selbst gezogen hatte. Aber ebenso sicherlich hilft ihm -auch die ehrlichste Verwahrung und Entrüstung nichts, daß es trotz -alles Gegenscheins zuletzt doch christliche Voraussetzungen gewesen, -oder sagen wir etwas vorsichtiger und gerechter: mit-gewesen sind, -welche diesen Konsequenzen zugesteuert haben. Genau diesen nämlichen -Konsequenzen würde <i>homo europaeus</i>, <i>homo christianissimus</i> -unabänderlich noch einmal zusteuern, falls er durch die Vergangenheit -noch nicht genug gewitzigt, noch einmal sich entschließen würde oder -entschließen könnte, als Christ seine Geschichte von vorne zu beginnen: -„Noch einmal sattelt mir den Hippogryphen, ihr Musen, Zum Ritt ins -alte romantische Land“... Unabänderlich würde der europäische Christ -auch bei einer Wiederholung seines weltgeschichtlichen Pensums seine -persönliche Selbstverwirklichung, Selbstverlebendigung um jeden Preis -zum letztgewollten Ziel seines Daseins machen, nachdem es nun einmal -sogar seine Religion nicht besser kennt und weiß, als daß Lebenseinheit -und Ichgestalt, Individuität und Personität die letztmögliche und -höchstmögliche Ausformung des Wirklichen überhaupt darstellten ... -Gegen diese Wucherungen der Individuität, die sich notwendig aus -dieser Auffassung ergeben müssen, kann man <i>post festum</i> mancherlei -taugliche Maßregeln ergreifen, wie sie der Herr des Evangeliums und -die sogenannte christliche Ethik denn auch in der Folge mit größerer -oder geringerer Ent<span class="pagenum"><a name="Seite_392" id="Seite_392">[S. 392]</a></span>schiedenheit ergriffen haben. Aber alle diese -Maßregeln sind im besten Fall nur dazu geeignet, die Selbstsucht und -den Eigentrutz der einzelnen Person etwa ein wenig abzuschwächen -oder gelegentlich sogar zu unterdrücken zugunsten der Selbstsucht -und des Eigentrutzes einer anderen Person: beides jedoch von innen -heraus zu überwinden, vermögen auch diese Maßregeln keineswegs bei -der Grundsätzlichkeit der christlichen Gesamteinstellung zu Welt und -Wirklichkeit Dasein und Leben...</p> - -<p>Indessen sei es nochmals hier mit allem Nachdruck bemerkt, daß uns -nichts dazu berechtigen würde, diese Gesamteinstellung des Christentums -zu Welt und Wirklichkeit eine irrtümliche oder falsche zu nennen. Wahr -oder Falsch, Wahr oder irrig, das sind wahrhaftig nicht die Maßstäbe, -die an die entscheidenden Einstellungen des Menschen zur Welt und zur -Wirklichkeit gelegt werden dürfen, wenn sie nicht zu Weiterungen führen -sollen, die handgreiflich unzulässig, weil unsinnig und widersinnig -sind. Es geht nicht an zu sagen, zwei Jahrtausende europäischen -Christentums seien abwegig, irrig oder falsch gewesen. Das Schicksal -ganzer Kontinente ist so wenig wie das Schicksal eines Individuums -rückblickend anders vorstellig zu machen, als es eben gewesen ist, und -wenn jemals das gewaltige Wort vom <i>amor fati</i> angewendet zu werden -verdient, so hier. Ist es aber, ihr Christen, unter keinen Umständen -zulässig zu behaupten, zweitausend Jahre christlichen Weltauffassens, -Lebensgestaltens seien verkehrt gewesen, — so dürfte anderer<span class="pagenum"><a name="Seite_393" id="Seite_393">[S. 393]</a></span>seit -freilich die Behauptung doch ihren guten Sinn haben, daß diese zwanzig -Jahrhunderte ein Verhältnis zur Wirklichkeit für allein möglich, -allein wertvoll und allein sälig machend erachtet hätten, dessen -Einschichtigkeit, Unvollständigkeit, Halbschlächtigkeit uns unter dem -Druck und Eindruck gegenwärtiger Erfahrungen offenbar geworden ist. -Die Behauptung ist erlaubt, die Behauptung ist gefordert, daß wir mit -dieser christlichen Einstellung allein nicht länger als Menschen zu -leben vermögen: nicht länger zu leben mit einer Einstellung, welche -just das Dasein europäischer Menschheit und Christenheit, wie es heute -geführt werden muß, zum mensch- und tierunwürdigsten aller Zeitalter -stempelt. Wer die Europa-Dämmerung dieser Jahre erlebt, wer sie -erlitten hat, der wird den Argwohn nimmer in sich unterdrücken können, -daß diese ganze christliche Gesittung bei der Veranschlagung des Lebens -eine unbekannte Größe, — es braucht mit nichten ein unbekannter Gott -zu sein! — vergessen haben möchte, welches Vergessen dann in der Folge -zu all den unsäglichen Störungen des Lebens führt, die wir heute an uns -selbst und am Körper der Gesellschaft beobachten müssen...</p> - -<p>Vielleicht wär’ es dabei von etlichem Gewinn, uns an dieser Stelle -zuletzt der nicht ganz unähnlichen Krisis zu entsinnen, welche -auf wissenschaftlichem Gebiet heute bekanntlich die klassische -Mechanik durchzumachen hat. Diese klassische Mechanik, seit -langem das verwöhnteste Kind europäischer Wissenschaftlichkeit, -wankt heute ja, genau wie der Bau<span class="pagenum"><a name="Seite_394" id="Seite_394">[S. 394]</a></span> unserer ganzen Gesellschaft, -in ihren unterirdischsten Gewölben, und dieser Tatbestand hat -seither zur Entdeckung eines Weltgesetzes Anlaß gegeben, welches -den Gebildeten unter dem Namen des Satzes von der Relativität, das -ist: Verhältniswertigkeit, allgemein bekannt geworden ist. Nun -wohl! Was ist dabei im letzten Sinn geschehen? Etwas im Grunde sehr -Schlichtes, Einfältiges, Allzumenschliches, wie mir scheinen will. Eine -Wissenschaft nämlich, bis vor kurzem die Wissenschaft schlechthin, -hat als die sogenannt klassische Mechanik der Galilei, Kepler, -Newton, Descartes ein Weltbild in Begriffen entworfen und bis in die -feingliedrigsten Einzelheiten hinein durchdacht und durcharbeitet, -welches gewissermaßen die Wirklichkeit, wie sie an und für sich sei, -darzustellen beflissen war: die Wirklichkeit mithin ganz ohne jene -erkenntnismäßigen Zutaten, Zusätze, Formungen, mit welchen sonst -(nach philosophischer Auffassung wenigstens) das erkennenwollende und -erkennende Ich diese Wirklichkeit ‚subjektiv‘ zu färben und zu tönen -pflegt. Auf diese Weise hatte die klassische Mechanik von Masse, -Geschwindigkeit, Bewegung, Schwerkraft, Raum und Zeit gesprochen, — -nicht anders, als ob derlei Wesenheiten vollkommen unabhängig von allen -Einstellungen und Beeinflussungen jenes erkennenden, beobachtenden und -rechnenden Ich an und für sich bestünden. Das ging solang es ging: -just nämlich solang, bis zuletzt sogar die Planeten widerspenstig -wurden und nicht mehr in den errechneten Zeiten ihre errechneten Bahnen -zurücklegten.<span class="pagenum"><a name="Seite_395" id="Seite_395">[S. 395]</a></span> Die klassische Mechanik der Galilei, Kepler, Newton, -Descartes hatte so getan, als ob eine wissenschaftliche Darstellung -des unbegrenzt großen Körpers ‚Welt‘ zu geben wäre, ohne daß man die -Einwirkungen weiter berücksichtigte, welche der kleine und begrenzte -Körper ‚Mensch‘ auf jede derartige Darstellung notwendig schon durch -seine unumgängliche Gegenwart ausüben mußte. Jetzt endlich unter dem -Druck der gedachten Umstände begann man sich dieser Einwirkungen -des physiopsychischen Systems Mensch auf das maschinelle System -Welt grundsätzlich zu besinnen; jetzt traf man Anstalten, jenes -System als den lebendigen und insofern auch abhängig-veränderlichen -‚Bezugknoten‘ in die Maschen des wissenschaftlichen Begriffsgespinstes -hinein zu stricken. Die vorher unbedingt gedachte, unbedingt gesetzte -Wirklichkeit bewegter Massen im Raum erwies sich jetzo als bedingt, -nämlich durchaus als zugeordnet und folglich als verhältniswertig -und verhältnismäßig zu diesem lebendigen Bezugknoten Mensch. Dieser -Gedanke war kaum in seiner grundsätzlichen Bedeutsamkeit zugelassen -worden, als die Störungen zum Verschwinden gebracht werden konnten, -welche schließlich die gesamte klassische Mechanik in Frage gestellt -hatten. Im wesentlichen handelte es sich nur noch darum, jenen neu -aufgefundenen Bezugknoten in seinem veränderlichen Wert irgendwie -mathematisch-analytisch in die Rechnung einzufügen, — ein Vorgang, -dessen Wie uns hier begreiflicherweis nichts weiter angeht. Wohl -aber gibt uns das Daß desselben, obgleich auch<span class="pagenum"><a name="Seite_396" id="Seite_396">[S. 396]</a></span> seinerseit in erster -Linie eine Angelegenheit der Mechanik, einen schätzbaren Wink, wie -man etwa auch außerhalb der strengen Wissenschaft Unstimmigkeiten und -Störungen einschneidender Art zu beheben vermöchte: Unstimmigkeiten -und Störungen wahrhaftig nicht in den Umlaufbahnen des Merkur oder in -der Fortpflanzungrichtung der Lichtstrahlen, sondern Unstimmigkeiten -und Störungen in der Gesamtlebensführung eines Zeitalters, — -Unstimmigkeiten und Störungen so schwerster, ausschweifendster, -verderblichster Art, daß sie schließlich die allgemeine Tatsache -des Lebens selber gefährden müssen. Jene klassische Mechanik euerer -Galilei, Kepler, Newton, Descartes, ihr Christen, hatte den wechselnden -Bezugknoten Mensch und menschlicher Beobachter bei ihrer mathematischen -Substruktion einer dreidimensionalen Weltwirklichkeit in Anschlag zu -bringen vergessen: einen veränderlich-abhängigen Wert also je nach -der örtlichen Einstellung zu den wahrgenommenen Erscheinungen und -Erscheinungabläufen. Das Christentum aber, welches nun einmal euer -europäisches Schicksal geworden ist, ihr Christen: dies Christentum hat -unzweifelhaft etwas anderes vergessen. Was dieses andere freilich sei, -ist schwer zu sagen, schwer zu suchen, schwer zu finden...</p> - -<div class="section"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_397" id="Seite_397">[S. 397]</a></span></p> - -<p class="initial">Sichten wir noch einmal alles ineinander, was hier gesagt ward -über das Verhältnis des europäischen und mithin doch wohl auch des -christlichen Menschen zu seiner Welt, so wäre etwa als grundsätzlicher -Ertrag das Urteil festzuhalten: der Abendländer formt diese Welt -aus seinen Sinnen und mit seinem Sinn restlos in eine Unendlichkeit -gestaltartiger Gebilde aus. Das All zerlegt sich ihm in wechselnd -wechselseitige Beziehung solch wohl ausgeformter, festabgegrenzter -Gegenständlichkeiten zueinander, und vollends das Leben erscheint ihm -lediglich unter dem Gesichtswinkel ewig bewegter und veränderlicher -Grundgestalt. Die Wirklichkeit des Europäers ist durchgängig aufgeteilt -in letzte Einzelnheiten, letzte Einheiten, die er schon früh in seiner -dreitausendjährigen Geschichte die Unteilbarkeiten, ἄτομοι, -<i>individua</i> zu nennen liebte. Nichts liegt seiner Gewohnheit ferner -als der Argwohn, diese vielfach gegliederte Wirklichkeit könne am Ende -doch nicht das Wirkliche schlechthin sein, und buchstäblich hat er -sein Sach’ auf Sich gestellt, wofern er sich die ganze wahrnehmbare -und unwahrnehmbare Welt so deutet, als ob sie sich zusammensetze aus -lauter mehr oder weniger ähnlichen Wiederholungen seiner eigenen -Individuation. Im fließenden Wandel der Gestaltungen deucht ihn die -Gestalt allein das Dauernde und Beharrliche, und sein Blick erlischt, -sein Auge erblindet jäh, wo man es abzuziehen trachtet von den streng -ausgeprägten Gegenständen und genau abgegrenzten Besonderungen -seiner vielgegliederten Wirklichkeit. Die Welt unter<span class="pagenum"><a name="Seite_398" id="Seite_398">[S. 398]</a></span>worfen dem -Gesetz fortschreitender Besonderung, das ist die vorzugweis -abendländische Welt, und wo das Gesetz nicht mehr gilt, wird mit naiver -Selbstverständlichkeit angenommen, daß auch die Welt selber nicht mehr -gelte. Diesseit und jenseit der Unterscheidung beginnt das Nichts -und Abernichts, — das ist europäische Einstellung und Überzeugung, -und wir hier vermögen jetzt sogar zu begreifen, inwiefern dies -christliche Einstellung, evangelische Überzeugung gewesen ist. Wie der -mathematische Dividendus einer rationellen Zahl durch Teilung restlos -aufgeht in seine Divisoren, so geht die abendländische Wirklichkeit -restlos in ihre Besonderungen auf. In dieser Auffassungweise verrät -sich ein gar nicht auszurottender Rationalismus europäischen -Weltdenkens und Weltwissens, auch wenn dieses Weltdenken und Weltwissen -seit der Mathematik der Griechen aufs tiefste sich beunruhigt zeigt -von dem Problem des Irrationalismus, bis dieser Irrationalismus -schließlich in der gegenwärtigen Philosophie Deutschlands, Frankreichs, -Amerikas Trumpf geworden ist. Die Welt ein aufteilbares Ursein, die -Welt grundsätzlich ein <i>Dividuum</i>, und nur die letzten Einheiten ihres -Bestands unteilbares Dasein oder <i>Individuum</i>: in dieser Deutung krönt -die Abendlandsmenschheit ihr höchstes Wissen von der Wirklichkeit.</p> - -</div> - -<p>Nicht aber krönt in derselben Deutung die indische Menschheit dieses -ihr Wissen, und am wenigsten der Buddho mit Namen Gotamo. Wer die -unermeßliche Paradoxie, welche für abendländischen<span class="pagenum"><a name="Seite_399" id="Seite_399">[S. 399]</a></span> Geschmack der Lehre -und Tat des Buddho immer anhaften wird, mit ihrer ungeminderten Wucht -auf sich prallen lassen will, braucht sich nur diesen nämlichen Umstand -zu vergegenwärtigen: denn die Erfahrung einer vollkommen entstalteten -und entformten Wirklichkeit diesseit und jenseit aller Besonderungen -und Unterscheidungen, diese Erfahrung aller Erfahrungen macht geradezu -das religiöse Erlebnis des Buddho aus: namentlich aber besteht das -gotamidische Mysterium der Erlösung einzig und ausschließlich in der -vollbrachten Ablösung von eben dieser Wirklichkeit restloser Ausformung -und Ausgestaltetheit. Wo Sinn und Sinne des europäischen Menschen -unermüdlich in eine gestalthafte Welt schweifen und mit der Schärfe -astronomischer Refraktoren sogar noch jede nebelungewisse Milchstraße -am Himmel in ein Gewimmel von lauter einzelnen Sternen optisch -zerbrechen, da sammelt sich der Geist des gotamidischen Menschen in -stiller Einfaltung auf das versiegelte Geheimnis einer Gegen-Welt, -für welche jeder Begriff von Gestalt, Form, Mannigfaltigkeit, -Unterschied, Einzelheit, Größe oder Zahl seine Gültigkeit einbüßt. -Diese Wirklichkeit des Abendländers ist mehr oder weniger eine -Vervielfältigung seiner selbst, eine Vervielfältigung seines Selbstes. -Jede Erscheinung seiner Umwelt dünkt ihn gleichsam ein Doppelgänger -seines Ich, wie er denn unbefangen genug eben sein Ich der gesamten -Wirklichkeit als ihr individuelles Modell philosophisch unterstellen zu -dürfen wähnt. Das Ich setzt Sich und das Ich setzt das Nicht-Ich, sagt -Fichte<span class="pagenum"><a name="Seite_400" id="Seite_400">[S. 400]</a></span> bekanntlich mit einer verräterischen Offenherzigkeit, und er -hätte vielleicht gut getan hinzuzufügen: das Ich setzt das Nicht-Ich -als das Spiegelbild und Ebenbild des Ich...</p> - -<p>Natürlich kann und darf man nun nicht behaupten, daß diese gestalthaft -besonderte und ausgeformte Wirklichkeit für Gotamo und den -gotamidischen Menschen nicht vorhanden wäre. Auch der östliche Mensch, -das versteht sich, schafft sich seine Welt und seine Wirklichkeit ihm -zum Bilde, wenn er auch in der Ausformung und Aufteilung dieser Welt, -in ihrer Zerlegung und Zerfällung nicht annähernd so weit gegangen ist -wie der wissenschaftlich verfahrende Europäer. Im Unterschied zu diesem -betrachtet er jedoch diese instinktiv betriebene Vermenschlichung der -Welt keinen Augenblick als Endgültigkeit, und zwar eben darum nicht, -weil sie der Welt sein menschheitlich geprägtes Selbst zugrunde legt: -denn just dieses menschheitlich geprägte Selbst betrachtet er keinen -Augenblick lang als Endgültigkeit. Vielmehr wertet er es kühl und -besonnen, wie etwa ein scharfer Denker eine wohlgelungene Gleichnisrede -bewertet, von der er nur allzu gut weiß, daß sie das Unsägliche -zwar immerhin in einer gewissen Sinnfälligkeit verdeutlicht, — -verdeutlicht aber eben doch nur in der Weise einer Gleichnisrede. Allzu -treuherzig, allzu leichtgläubig nimmt dagegen der Abendländer sein -eigenes Selbst für bare Münze, mit welcher er alle großen und kleinen -Forderungen der Welt begleichen zu können wähnt, indes der Buddho, -längst nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_401" id="Seite_401">[S. 401]</a></span> mehr treuherzig und noch weniger leichtgläubig, die mehr -wie fragwürdige Beschaffenheit auch dieses Selbstes durchschaut hat: -er ahnt ein rätselhaftes Sinnbild, wo sich der Abendländer kindisch -an die sogenannte Wahrheit klammert. Die Annahme, diese durchgängig -menschheitlich gebildete Wirklichkeit, welche den Kosmos als den -Makranthropos, Megistanthropos, den Anthropos und Autos zuletzt aber -als den Mikrokosmos begreiflich zu machen glaubt, sie könnte die -Wirklichkeit schlechthin oder die einzig ‚wahre‘ Wirklichkeit sein, — -diese Annahme hätte der Buddho schwerlich für glaubwürdiger erachtet, -als wenn zum Beispiel aus der Schar der Wesenheiten ein Wurzelfüßer, -eine Koralle, ein Ringelwurm, eine Schnecke, eine Wespe, ein Sperling -vor ihn hingetreten wären mit der geflissentlichen Beteuerung: Diese -meine Wurzelfüßerwelt, o Gotamo, ist die Wirklichkeit schlechthin, -ist die einzige und wahre Wirklichkeit! Diese meine Korallenwelt, -diese meine Ringelwurmwelt, diese meine Schneckenwelt, diese meine -Wespenwelt, diese meine Sperlingwelt, o Gotamo, ist die Wirklichkeit -schlechthin, ist die einzige und wahre Wirklichkeit! Wähne doch ja -nicht, Herr, daß es da neben oder außer oder über oder unter oder -zwischen dieser jeweiligen Welt noch eine andere Welt gäbe, etwa eine -sogenannte Menschenwelt, oder gar, verzeih’ uns! eine gotamidische -Welt, von der wir wahrlich weder etwas zu ertasten noch zu erriechen, -zu erschmecken, zu erspähen vermögen!... Ich meine, das Lächeln ist -zu erraten, mit welchem der Buddho diesen vielerlei Wesenheiten ihr -ungebärdiges Drängeln,<span class="pagenum"><a name="Seite_402" id="Seite_402">[S. 402]</a></span> ihr unvernünftiges Schwören, ihr lästerliches -Pressen beantwortet hätte. Ein begütigendes, ja ein überredendes -Lächeln, welches am Ende die klügsten dieser unduldsamen Geschöpfe zu -der neuen Einsicht geführt haben möchte, daß ihre jeweilige Welt, eben -weil ihre, nur ihre Welt, nun und nimmer mit der Welt überhaupt dem -Umfang und Inhalt nach sich decken könne. Und vielleicht, wer weiß, -hätte sich der Buddho sogar noch zu der Erläuterung herbeigelassen: -Ein jegliches von euch guten Wesen schuf sich seine Welt nach Maßgabe -und Bedarf seiner eigenen Gestalt. Wie aber die Gestalt von euch -Wurzelfüßern, Korallen, Ringelwürmern, Schnecken, Wespen, Sperlingen -sowohl im einzelnen wie der ganzen Gattung nach vergänglich ist, so -ist auch euere ganze Welt vergänglich. Unvergänglich, unsterblich, -ewig aber ist allein, was nicht und nirgendwo Gestalt annahm nach -euerer Gestalt, und darum nirgends auch Gestalt verlieren kann, -ihr Wesen... „Weiter sodann, Ânando: nach völliger Überwindung der -Formwahrnehmungen, Vernichtung der Gegenwahrnehmungen, Verwerfung der -Vielheitwahrnehmungen gewinnt der Mönch in dem Gedanken ‚Nichts ist da‘ -das Reich des Nichtdaseins. Und was dabei noch fühlbar, wahrnehmbar, -unterscheidbar, bewußtbar ist, solche Dinge sieht er als wandelbar, -wehe, siech, bresthaft, schmerzhaft, übel, gebrechlich, ohnmächtig, -hinfällig, eitel, als nichtig an. Und von solchen Dingen säubert er -sein Herz. Und hat er sein Herz von solchen Dingen gesäubert, so lenkt -er es zu ewiger Artung hin: ‚Das ist die Ruhe,<span class="pagenum"><a name="Seite_403" id="Seite_403">[S. 403]</a></span> das ist das Ziel: -dieses Aufgehn aller Unterscheidung, die Abwehr aller Anhaftung, das -Versiegen des Durstes, die Wendung, Auflösung, Erlöschung‘“...</p> - -<p>Es gibt also eine Welt diesseit und jenseit aller Unterscheidungen, -diesseit und jenseit aller Besonderungen, diesseit und jenseit aller -Gestaltungen, diesseit und jenseit aller Mannigfaltigkeiten. Es gibt -eine Welt, von keinem Begriff zu umspannen und von keinem Wort zu -treffen, und dennoch eine unumstößliche Gewißheit. So sicher wie es -über der Wurzelfüßerwelt eine Korallenwelt gibt, über der Korallenwelt -eine Ringelwürmerwelt, über der Ringelwürmerwelt eine Schneckenwelt, -über der Schneckenwelt eine Wespenwelt, über der Wespenwelt eine -Sperlingwelt, über der Sperlingwelt eine Menschenwelt, so sicher -gibt es über der Menschenwelt eine solche, die überhaupt nicht mehr -dieser oder jener Art von Lebewesen und ihren leiblich-geistigen -Erkenntnismitteln entspricht: ein Welt-Sein nicht für diese oder jene -Wesen, sondern ein Welt-Sein schlechtweg, ein Welt-Sein an und für -sich, — ein Welt-Sein mithin, wie es in ihren lichtesten Augenblicken -sogar die europäische Philosophie geahnt hat. Von dieser Welt als ‚Ding -an sich‘, die von keinem irgendwie beschaffenen Wissen erreicht wird -und erreicht werden kann, weil es ein Wissen in unserm menschheitlichen -Sinn nur dort gibt, wo unterschieden und besondert und gestaltet und -vermannigfacht wird, — von dieser Welt ist dennoch eine Kunde zu -dem Buddho hingedrungen. Es ist eine Kunde zu ihm gedrungen in Form -einer<span class="pagenum"><a name="Seite_404" id="Seite_404">[S. 404]</a></span> schwer erkämpften, schwerer noch bewahrten Seelenverfassung, -die eben als solche nicht mehr dieser, sondern jener Wirklichkeit -entspricht: „Das ist die Ruhe, das ist das Ziel; dieses Aufgehen -aller Unterscheidung, die Abwehr aller Anhaftung, das Versiegen des -Durstes, die Wendung, Auflösung, Erlöschung...“ Denn in der Tat gesetzt -den Fall, diese Allerwelts-Wirklichkeit unserer menschheitlichen -Sinneswahrnehmungen entstehe gerade dadurch, daß wir ihr unser -vorgefundenes Selbst irgendwie als ihr Vorbild, Urbild, Musterbild -zu beliebiger Vervielfältigung unterstellen, — müßte es denn nicht -in genialischer Umkehrung dieses Sachverhaltes grundsätzlich möglich -sein, durch planmäßig betriebenen Abbau dieses Selbstes auch die ihm -angepaßte, ihm entsprechende Wirklichkeit abzubauen? Dies muß möglich -sein und dies ist möglich. Denn just dieser Abbau des Selbstes gelangt -zum Vollzug, wenn der Buddho auch das Selbst der Grundformel seiner -Heilslehre unterwirft: ‚<i>N’etam mama</i>, das gehört Mir nicht!‘ Auch Ich -selbst gehöre Mir nicht, auch Ich selbst bin nur eine veränderliche -Gestalt, ein gleitendes Werden unter veränderlichen Gestalten und unter -gleitendem Werden. Auch Ich selbst habe weder Bestand noch Dauer; auch -mein Selbst durchläuft nur die Grade der Wirklichkeit vom Nullwert bis -zu einem bestimmten Höchstwert und von diesem Höchstwert wieder zum -Nullwert...</p> - -<p>Dennoch ist es aber eben dieses Selbst, ich sagte es schon mehrmals, -welches sich gleichsam quer wie<span class="pagenum"><a name="Seite_405" id="Seite_405">[S. 405]</a></span> eine starke Schwelle vor die Welt des -Abendländers legt und nichts in das Erlebnis dringen läßt, was nicht -irgendwie diesem Selbst gleich oder ähnlich ist: das <i>individuum</i>, -von sich und seiner Erstgültigkeit, Letztgültigkeit ein für allemal -durchdrungen, stimmt seinen gesamten aufnehmenden und empfangenden -Apparat wiederum nur auf das <i>individuum</i> ab und baut sich auf diese -Weise seinen Kosmos, der zuletzt nichts anders ist als das, was nach -dem Dafürhalten Platons das vollkommene Staatswesen sein sollte und -sein wollte, — nämlich der Mensch im Großen und Größesten, der -Makranthropos, der Megistanthropos!... Nun wohl! Setzen wir jetzt -einmal, dem Vorgang des Buddho folgend, den Wert dieser Schwelle -gleichsam zum Versuch soweit herab, daß er sich der Null annähert: -sind wir alsdann in diesem Fall unserer ganzen Voraussetzung gemäß -nicht zu der Erwartung berechtigt, wenn nicht sogar verpflichtet, -daß diesem veränderten Schwellenwert ein verändertes Erleben von -Wirklichkeit und Welt wechselbezüglich entsprechen wird? Dürfen -wir jetzt nicht mit Recht und Fug erwarten, daß über diese nunmehr -beinah’ eingeebnete Schwelle ausgeformter Eigenheit, Einzelnheit -und Besonderheit das Erlebnis einer zwar unausgeformten und darum -auch unausdenklichen und unaussprechlichen, dennoch aber bestehenden -Weltwirklichkeit auf wunderbare Art vorgelassen, zugelassen wird? -Dies nun freilich keineswegs so, als ob diese Gegenwelt zu unserer -Welt, unseren Erkenntnismitteln als solchen unzugänglich, trotzdem -nachträglicherweis<span class="pagenum"><a name="Seite_406" id="Seite_406">[S. 406]</a></span> und hinten herum von unserem Verstand noch etwa -auf frischer Tat zu ertappen wäre: als ob man doch irgendwie durch -allerlei Künste der Verdrehung diese verborgene Welt auf Einen Nenner -mit unserer offenbaren Welt zu bringen vermöchte. Davon ist keine -Rede. In keinem Augenblick verfällt der Buddho auf den plumpen Irrtum -der europäischen, insonderheit aber deutschen Philosophie nach Kant, -die sich in totgeborenen Versuchen erschöpft, das verbotene Ding an -sich einer Welt diesseit und jenseit aller Unterscheidungen doch noch -heimlich auszukunden. Mit solchen Bemühungen einer sich in lächerlichen -Graden selbst mißverstehenden Wissenschaftlichkeit hat der Buddho im -mindesten nichts zu schaffen. Die vollkommen unverbrüchliche, niemals -zu entsiegelnde Unerkennbarkeit dieser uns nun einmal abgekehrten -Seite der Welt gilt gleichmäßig für die wissenschaftliche Neugier der -Philosophen und Kosmologen wie für die nicht mehr wissenschaftliche, -aber desto unbezähmtere Neugier der Theosophen und Okkultisten, und -sie wird mit solcher Strenge geachtet, daß man umsonst im ganzen -Pâli-Kanon nach einem Ausdruck fahnden würde, der diese Gegenwelt -diesseit und jenseit aller Unterscheidungen auch nur durch Verneinungen -zu bezeichnen bestimmt wäre. Denn was das gotamidische <i>nibbânam</i> -oder <i>nirvânam</i> betrifft, mit welchem wir neuzeitlichen Europäer -denselben taktlosen Unfug, um nicht zu sagen dieselbe schamlose -Unzucht getrieben haben wie mit dem Tao des großen Lao-Tse, dieses -<i>nibbânam</i> oder <i>nirvânam</i> heißt ja<span class="pagenum"><a name="Seite_407" id="Seite_407">[S. 407]</a></span> doch, entsinnen wir uns, nichts -anderes als Wunschversiegung, Wunscherlöschung, Wunschverwindung. -Alles, was wir demnach von dieser Gegenwelt wissen können, beschränkt -sich auf einen selbsttätig erzeugten Zustand und Urstand des Gemütes -und schließt jedes Urteil, jedes Bild, jede Vorstellung von der -Wirklichkeit aus, die diesem Zustand oder Urstand entsprechen mag. -Was von jener entformten und entstalteten Welt diesseit und jenseit -aller Unterscheidungen etwa als Ahnung in die Seele des entselbsteten -Menschen dringt, das wäre höchstens jenem zarten, falben, feierlichen -Abglanz zu vergleichen, der auch in mondlosen Nächten als schwer -bestimmbarer Lichtschein von unbekannten Lichtursprüngen, unbenannten -Lichtquellen her durch unser irdisches Geräume träuft und flutet...</p> - -<p>Dieser gotamidisch entselbstete, gotamidisch enteignete Mensch, -soviel mag uns am Ende sacht umschreibend zu sagen vergönnt sein, -weilt fortab in einer entselbsteten und enteigneten Wirklichkeit, -wo mindestens er selbst keinen Anspruch mehr erhebt auf den Besitz -eines lebendigen Wesens oder eines toten Dinges: wo mindestens -er selbst nie mehr die Hand legt auf irgend jemanden oder irgend -etwas, um es zu seinem Eigentum zu machen. Mit seiner unvergeßlich -einprägsamen Formel ‚<i>N’etam mama</i>, das gehört Mir nicht, Ich -selber gehöre Mir nicht, das All und Alles gehört Mir nicht‘, — -mit dieser ewigen Formel eines allgemeinen Freispruchs, Losspruchs, -Ledigspruchs streicht der Buddho aus dem Schatz<span class="pagenum"><a name="Seite_408" id="Seite_408">[S. 408]</a></span> unserer Sprache -jedes besitzanzeigende Für-Wort und Wort: streicht er über das Wort -hinaus jede Tat der Aneignung und Besitzergreifung aus der Vollzahl -aller Taten. Mit diesem Handgriff, diesem Geistgriff von beispielloser -Entschiedenheit versetzt sich der Buddho mitten hinein in eine vorher -nie auch nur geträumte Wirklichkeit, wo jeder Titel des Besitzes -selbst im geläutertsten Sprachverstand erloschen und jede Gebärde der -Besitzergreifung verboten ist: „Das ist die Ruhe, das ist das Ziel! Das -ist die Wendung, Auflösung, Erlöschung.“ An diese ganze hochgebäumte -Menschenwelt und Menschenumwelt legt der Buddho seine Axt, indem er -einen unübertrefflich genauen und nervigen Hieb durch die Wurzel führt, -aus welcher die erstickende Wucherung aller irdischen Individuation -und Spezifikation als Geiltrieb in das Kraut schießt. Denn Wille zur -Besitzergreifung und Aneignung, Wille zum Nießbrauch und folglich auch -zum Mißbrauch fremden Seins und fremden Wesens heißt die Wurzel dieser -Menschenwelt: die Axt aber, die sie mitten auseinanderschneidet, ist -die erlangte Einsicht, daß jegliches Verhältnis und Verhalten, durch -welches ein Wirkliches Hand auf ein Wirkliches legt, zuletzt auf eine -Täuschung, auf einen Irrtum hinauslaufen müsse. Ich selber gehöre ja -Mir nicht, — wie sollte oder könnte da Mir anderes gehören? Ich selber -gehöre Mir nicht, oder in der Sprache unseres westlichen Evangeliums, -welches hier in gewissem Sinn seinen eigenen Voraussetzungen -vorübergehend untreu zu werden scheint: Unser keiner lebt ihm selber! -Mir<span class="pagenum"><a name="Seite_409" id="Seite_409">[S. 409]</a></span> selber gehöre Ich nicht, oder abermals in der Sprache dieses -Evangeliums: Unser keiner stirbt ihm selber! Wahrhaftig, wer diesen -Sachverhalt mit dem Geist erfaßt und mit der Seele angenommen hat, er -heiße Jesus oder Gotamo, der Gesalbte oder der Erwachte: wie sollte der -noch nach Besitz von Wirklichkeit gieren?</p> - -<p>Von Haus aus gipfelt freilich alles Menschendichten und -trachten -wesentlich darin, diese nun einmal angetretene Welt tunlichst mit -Wirklichkeiten vollzustopfen, etwa wie ein wohlhabender Mann seine -Wohnung tunlichst mit Geräten vollstopft, und diese planmäßige -Vermehrung von Wirklichkeiten pflegt im weitesten Ausmaß als Vermehrung -des Besitzes empfunden zu werden. In einem höchst eindeutigen, ja -einsilbigen Wortverstand ist für uns alle das Gesetz der größten -Zahl bestimmend: je mehr Wirklichkeit, desto besser für uns, die wir -wirklich sind! Wie der Bauer einen unersättlichen Hunger nach Land -verspürt, so hungert uns alle ganz unersättlich nach Wirklichkeiten -gleichviel welcher Art, und es verdient bemerkt zu werden, daß -wir diesen Hunger als die <i>sacra auri fames</i> schon frühzeitig -heilig gesprochen haben. Vermehrte Nachkommenschaft, vermehrte -Bevölkerungdichte, vermehrte Arbeitleistung, vermehrte Gütererzeugnis, -vermehrte Betriebsmittel, vermehrter Umsatz, vermehrter Verkehr, -vermehrter Wissensstoff, vermehrte Weltgeltung, vermehrte Bedürfnisse, -vermehrte Beeindruckbarkeit, vermehrte Reizquellen, vermehrte -Lustgefühle, — all das bedeutet grundsätzlich eine unendliche -Steigerung dessen, was der Einzelne<span class="pagenum"><a name="Seite_410" id="Seite_410">[S. 410]</a></span> möglicherweis sich aneignen kann. -Je zahlreicher die Wirklichkeiten, desto häufiger und mannigfaltiger -die Gelegenheit, von ihnen her Wirkungen zu empfangen, auf sie -Wirkungen zu übertragen und schließlich in beiderlei Geschehen die -eigene Wirklichkeit zu bereichern. Jede neue Wirklichkeit, sei sie nun -ein Gefühlsreiz, eine Erfindung, ein Kunstwerk, eine Gründung, eine -Heilquelle, ein Weltbegriff, kann von jedem Mitglied der menschlichen -Gesellschaft besessen und eben dadurch dem Zweck von dessen -Selbstverwirklichung dienstbar gemacht werden: wird doch sogar das -geliebte Weib vom Mann geliebt, damit er ‚von ihr Besitz ergreife‘, — -will doch sogar die Liebe selbst (nach einer großen Aufrichtigkeit der -Sprache) besitzen, was sie liebt, und im Besitz der Liebe Wirklichkeit -genießen... Womöglich einmal aber in den Besitz aller Wirklichkeiten -überhaupt zu gelangen und ihr Inhaber, ihr Herr, ihr Gott zu sein, -womöglich einmal alle Wirklichkeit wie ein Weib zu umfangen, — das ist -der brünstige Traum, der vielleicht jeden einmal in einer schwachen -oder starken Stunde anfällt. Denn wer mehr besitzt, der ist mehr; wer -mehr ist, der ist auch mehr wert, — diese ebenso naive wie zynische -Schätzung, welche ganz unbedenklich Rang und Wert der Wesen nach ihrer -Fähigkeit zur Aneignung und Besitzergreifung bemißt, entbehrt trotz -aller Einwände, die wider sie erhoben werden können und müssen, dennoch -von dieser gewohnheitmäßigen Einstellung her auf die Wirklichkeit nicht -einer höheren Berechtigung. An Wirklichkeiten und durch Wirk<span class="pagenum"><a name="Seite_411" id="Seite_411">[S. 411]</a></span>lichkeiten -sich staffelweis selbst empor zu erwirklichen: das ist bewußt oder -unbewußt das Ziel unbefangener Menschlichkeit. Das ist insonderheit -das Ziel, dem unser heutiges Europäertum mitsamt seinen kolonialen -Abkömmlingen mit Ausschließlichkeit zustrebt...</p> - -<p>Diesem Ziel aller Ziele nun stellt der Buddho Gotamo gleichsam seine -reine Umkehrung entgegen, — und dies ist wohl die weltgeschichtlich -entscheidendste Leistung dieses stärksten Exponenten des indischen -Kontinents! Was nach der Lehre Gotamos nottut, ist eben nicht diese -Erwirklichung des eigenen Selbstes an den Wirklichkeiten der Welt -neben und außer ihm. Was hier nottut, ist vielmehr ganz im Gegenteil -die Entwirklichung aller Wirklichkeiten auf Grund einer zuerst zu -vollziehenden Selbstentwirklichung. Und zwar hat diese notwendige -Entwirklichung ganz schlicht zu geschehen durch die Besinnung auf -eben jenen Sachverhalt, welchen der Buddho in die Mitte seiner -Lehre rückt: Besitz von Dingen, Besitz von Wesenheiten, Besitz von -Wirklichkeiten ist unmöglich, — wo er aber möglich scheint, äfft uns -ein ungeheuerer Irrtum. Noch eh’ wir uns dazu überredet haben, dies -oder jenes zu besitzen, ward es uns auch schon aus der vollen Hand -gerissen, und unverlierbar ist allein die Gewißheit, daß dem so ist, -und also auch die Folge, die wir dieser Gewißheit geben. Diese Welt, -von welcher der Europäer überzeugt ist, daß er sie beherrsche, und -nicht allein beherrsche, sondern ganz und gar besitze, diese Welt ist -in Wahrheit Niemandens Welt, am wenigsten aber die Welt des<span class="pagenum"><a name="Seite_412" id="Seite_412">[S. 412]</a></span> Menschen. -Eine Niemands-Welt, eine Niemands-Wirklichkeit ist es, die wir arme -Narren in verzeihlich-unverzeihlicher Selbsttäuschung die unsrige zu -nennen pflegen, und erst jenes gotamidische ‚<i>N’etam mama</i>‘ ist es, -welches wie ein Donnerkeil die Nebel dieser Selbsttäuschung zerstreut -und zerteilt. Als Niemandens-Welt, die Mir nicht gehört und nicht -gehören kann, als Niemandens-Wirklichkeit, die Mir nicht gehört und -nicht gehören kann, entweltet der Buddho diese Welt und entwirklicht -er diese Wirklichkeit. Denn was wir Welt heißen und was Wirklichkeit, -ist eben nur die Gesamtheit alles dessen, von dem wir wähnen, daß es -als möglicher Besitz von uns besessen, als möglicher Besitz von uns -angeeignet, als möglicher Besitz von uns verbraucht werden könne, — -das Verbum ‚besitzen‘ heißt bekanntlich im älterem Deutsch ‚vermögen‘. -Wer uns diese Möglichkeit nimmt, der nimmt gewissermaßen auch den -Dingen und Erscheinungen um uns her ihre Wirklichkeit, wofern diese -Wirklichkeit eben nur der Ausdruck ist für die besitzergreifende -Beziehung von uns zu allen Dingen und Erscheinungen. Und das ist wohl -der letzte, das der tiefste Sinn dieser vielleicht hier allzuoft -benutzten, hoffentlich aber darum doch noch nicht abgenutzten Formel -‚<i>N’etam mama</i>, das gehört Mir nicht‘, — wofern durch sie der -Buddho vollkommen deutlich macht, daß es ein Verhältnis des Besitzes -zwischen Mensch und Welt nicht gibt, leitet er damit gleichzeitig eine -Entwirklichung größten Stiles dieser nie und nimmer zu besitzenden -Welt ein! Denn was auch immer wir als Wirklichkeit erleben und -als<span class="pagenum"><a name="Seite_413" id="Seite_413">[S. 413]</a></span> Wirklichkeit setzen, das erleben oder setzen wir im Interesse -etwaniger Besitzergreifung als wirklich: indes uns alles zu fernster -Unwirklichkeit verdämmert und verdampft, was ein Interesse künftiger -Besitzergreifung grundsätzlich nicht zuläßt. Die scheinbar so -unerschüttert wirkliche, unverwüstlich wirkliche Welt entwirklicht -sich demnach in dem Augenblick, wo sie in des Wortes höchster und -tiefster Bedeutung enteignet wird. Diesen paradoxen Zusammenhang von -Wirklichkeit und möglicher Besitzergreifung, möglicher Aneignung dürfte -von sämtlichen Menschen der Buddho zuerst durchschaut und zuerst — -zerschnitten haben. Wer an die Welt der Dinge, bedeutet der Buddho uns, -nicht mehr mit irgendeinem offenkundigen oder versteckten Anspruch des -Besitzes herantritt, der erlebt sie auf eine andere Weise wie vorher. -Was ihm vorher Wirklichkeit zu sein deuchte, das erscheint ihm jetzt -gleichsam als Bild, und was er vorher rund als Körper sah, enttieft -sich ihm nunmehr gleichsam zur Fläche. In unbeabsichtigter, aber -darum nicht weniger eindrucksvoller Symbolik hat die buddhistische -Plastik diesen Tatbestand auf ihre Art dargestellt, wenn sie den -vielgestaltigen Schildereien des Menschenlebens, mit welchen sie -verschwenderisch die Tempelwände des Boro-Budur schmückt, dennoch in -keinem Fall die Tiefe der vollen Körperhaftigkeit zugesteht, sondern -ihnen die aufgehöhte Fläche des Reliefs alleinig vorbehält: wogegen -rund, körperlich, allseitig im Raum nur der Buddho selber thront, -— freilich abseit vom eigentlichen Leben und seiner hinreißenden -Bilder<span class="pagenum"><a name="Seite_414" id="Seite_414">[S. 414]</a></span>flucht, vollkommen aus- und abgeschieden in der Einsamkeit -seiner ihm geweihten Nischen: „Das ist die Ruhe, das ist das Ziel“...</p> - -<p>Eine Entwirklichung der Wirklichkeit als Ziel der Ziele anstatt der -sonst betriebenen Erwirklichung an Wirklichkeiten, — hier wird der -Europäer stutzig. Denn sei dieses asketische Ziel seinen lebendigsten -Instinkten auch noch so widersprechend, ja widerwärtig, — irgendwann -hat doch auch er sich schon einmal mit diesem Ziel befaßt: irgendwann -ist er auf diesem Weg dem Buddho schon einmal ein Stück weit entgegen -gegangen. Entwirklichung der Wirklichkeit: weist nicht auch dieser -fremdeste aller Gedanken zuletzt wie alles maßgeblich Europäische auf -den Namen Kant zurück? Gibt es nicht auch nach der unzweideutigen -Erklärung Kants ein menschheitliches Verhältnis zur Umwelt, dessen Sinn -und Wert sich darin ausspricht, daß der Mensch Dinge und Wesenheiten -auffaßt, als seien sie gar keine Wirklichkeiten als solche, sondern -ein entwirklichter Schein? Fordert nicht Kant, dieser genugsam -nüchterne und jeder Ausschweifung abholde <i>magister mundi europaei</i> bei -besonderer Gelegenheit geradezu die Preisgabe jedes menschheitlichen -Interesses an dem, was eine Sache zur Wirklichkeit macht, zugunsten -dessen, was eine Sache zum bloßen Schein herunterdrückt? Fußt nicht -auf diesem ganz bewußten Verzicht auf das, was wirklich in allen -Wirklichkeiten ist, nach dem Dafürhalten Kants die ungemeine Tatsache -der sogenannten Schönheit, der sogenannten Kunst?<span class="pagenum"><a name="Seite_415" id="Seite_415">[S. 415]</a></span> Adelt nicht -gerade das die Welt zur schönen Welt, daß der Mensch ihre einzelnen -Gegebenheiten und Erscheinungen von ihren wirklichen Zwecken ablöst -und sich selber jede Bezugnahme auf eine mögliche Besitzergreifung, -mögliche Aneignung, mögliche Nutzbarmachung freiwillig zwar, aber -mit desto größerer Entschiedenheit verbietet? Hat nicht mithin Kant -auf seine Weise, auf europäische Weise, das ungeheuere Gesetz dieser -gotamidischen Entwirklichung der Wirklichkeit anerkannt und mehr -wie nur anerkannt, wenn er zwar nicht die europäische Religion, -immerhin aber die europäische Kunst grundsätzlich auf den Tatbestand -zurückzuführen lehrt, daß die Welt als Wirklichkeit erlebt niemals -eigentlich schön sei, die Welt als Schönheit erlebt aber niemals -eigentlich wirklich? Leuchtet dem europäischen Denker, wenn er -also von jener Entwirklichung der Wirklichkeit durch den indischen -Buddho Gotamo hört, nicht als das einzig gültige Gleichnis dieses -Vorgangs eine freilich in anderer Absicht vollzogene, aber trotzdem -doch vollzogene Entwirklichung auf, eine ästhetische Entwirklichung, -mit welcher er sich in seiner eigenen Vergangenheit höchst sinnvoll -beschäftigt findet? Und kann bei dieser seltsamen Entdeckung der -europäische Denker umhin, sich volle Rechenschaft darüber abzulegen, -daß diese Entwirklichung der Wirklichkeit, obzwar zugestandenermaßen -viel weniger religiös als ästhetisch gemeint, des unerachtet einer -Tathandlung zu verdanken ist, die man mit nicht geringerem Recht -eine Ablösung, eine Ent<span class="pagenum"><a name="Seite_416" id="Seite_416">[S. 416]</a></span>sagung, eine ‚Askesis‘ zu nennen befugt ist -wie die entsprechende Tathandlung des Buddho? Wo wir uns jeglichen -Interesses entschlagen an dem, was die Wirklichkeiten der Welt zur -Wirklichkeit stempelt, sagt Kant, da schaffen wir die Möglichkeit -einer schönen Welt, die uns interesseloses Wohlgefallen einflößt. -Kaum aber ist dies in seinen Weiterungen so uneuropäische Bekenntnis -den Lippen Kants entschlüpft, dieses Bekenntnis zur Schönheit als -einem richtigen ‚asketischen Ideale‘ im Sinne Nietzsches, ja wenn man -recht verstehen will sogar als einem Asketen-Ideal entwirklichter, -das heißt entgifteter und entstachelter Wirklichkeit, — kaum, -sag’ ich, hat sich der repräsentative europäische Denker dieses -Bekenntnis fast etwas widerwillig selber abgerungen, als schon -der europäische Künstler, wir wissen es, die schwer zu ermessende -Bedeutungsfülle dieses Bekenntnisses dahin erwägt und überschlägt, -daß es seinerseit die Welt als Spiel zu nehmen und als Spiel zu -genießen zuläßt. Kants Entwirklichung der Wirklichkeit im Vorgang -der ästhetischen Einstellung zur Welt erlaubt in Wahrheit nämlich -zweierlei: entweder dem Gang der Welt unbeteiligt, unverstört und -ungekränkt als Zuschauer zu folgen, — und das ist ungefähr die -Folgerung Schopenhauers aus Kant gewesen. Oder aber als Mitspieler -spielend in das ergötzliche Spiel selber einzugreifen, — und das -war die fruchtbarere Folgerung Schillers. Im einen wie im anderen -Fall indes bedeutet dieses Verhalten <i>in aestheticis</i> eine derart -unverbrauchte und zukunft<span class="pagenum"><a name="Seite_417" id="Seite_417">[S. 417]</a></span>versprechende Möglichkeit, sich auch auf -europäische Weise menschlich mit der Wirklichkeit abzufinden, daß der -kantische Gedanke wie ein Frühlingsüdwind die Seele Europas sogar dort, -wo sie bisher am härtesten zugefroren war, auftauen macht und einen -schier schon verwinterten Samen unbegreiflich schnell ins Schwellen -bringt. Als Spiel betrachtet oder gar als Spiel gespielt ist diese -alte Welt sozusagen über Nacht jung und hell und schön geworden; als -Spiel gewertet und erlebt wird sie überhaupt erst erträglich und -aushaltbar: Spiel freilich jetzt am besten und glücklichsten in jener -überaus sinnvollen Bedeutung genommen, welche Karl Bücher diesem -Begriff gegeben hat, wenn er von einem gewissen Zustand sagt, daß „es -nur eine Art der menschlichen Tätigkeit gibt, welche Arbeit, Spiel -und Kunst in sich verschmilzt. In dieser ursprünglichen Einheit der -geistig-körperlichen Betätigung des Menschen erkennen wir bereits -die spätere wirtschaftlich-technische Arbeit, die Hauptformen des -Spiels und aller Künste“... Interesseloses Wohlgefallen aber an einer -Wirklichkeit, die eben durch den Verzicht auf jegliches ‚Interesse‘ -sich entwirklicht zeigt, das ist mit andern (und vielleicht auch -etwas stärkeren) Worten lustvolles Genießen dieser entwirklichten -Wirklichkeit: lustvolles Genießen mithin gerade dort, wo bisher der -Mensch und insonderheit der christeuropäische Mensch so überwiegend -von den Gefühlen dunkler Furcht und dumpfen Argwohns bedrängt war, daß -er sich vor dieser seiner Wirklichkeit immer wieder<span class="pagenum"><a name="Seite_418" id="Seite_418">[S. 418]</a></span> zu den Göttern -rettete. Als Kunstwerk oder Spielwerk aber scheint nun die Wirklichkeit -mit einemmal entleidet, auch wenn sie voller Leids ist. Mag dieses -Spiel nur niedere Komödie sein, wo sich die zerstörenden Gegenkräfte -der Welt noch kurz, bevor der Vorhang fällt, in fröhlichem Gelächter -innig gepaart zueinander finden, — oder mag es im Gegenteil Tragödie -höchsten Stiles sein, wo Götter und Helden, feierlich den Opferreigen -tanzend, am Ende der Nacht wie Sternbilder des Himmels still -verbleichen und edel untergehen: dies Spiel verlockt doch immerzu, -umbuhlt doch immerzu, bestrickt doch immerzu mit jener feurig kecken -Überredsamkeit des Don Giovanni, welcher nicht einmal der steinerne -Komtur als leibhaftiges Symbol des Todes hat widerstehen können: -„Willst du mein Gast sein? — Ja!“...</p> - -<p>Ist aber die Wirklichkeit, von Kant zuerst bei uns zum schönen Schein, -von Schiller dagegen zum schönen Spiel entwirklicht, nichts anderes -als ein Gebild der Kunst, dann offenbar bedarf sie zu ihrer steten -Neu-Hervorbringung des Künstlers. Als Kunstwerk, Spielwerk ist diese -Welt das Werk des Künstlers: der Künstler aber eben der, der alle seine -menschheitlichen Spannungen im Werk zur Lösung bringt. In diesem Sinn -also Wirklichkeit und Welt als Werk des Künstlers aufzufassen, den -Menschen aber eben als den Künstler dieses Werks, darin besteht der -wesentlich europäische Vollzug einer Entwirklichung des Wirklichen. -Wie wir übrigens jetzt doch sehr bestimmt wahrnehmen, von jenem -gota<span class="pagenum"><a name="Seite_419" id="Seite_419">[S. 419]</a></span>midisch-indischen Vollzug bei aller inneren Übereinstimmung -des Zieles in den Mitteln tief verschieden. Denn diese europäisch -entwirklichte Wirklichkeit, sie bleibt ja wohlgemerkt kraft ihrer -Eigenschaft als Kunstwerk mit all den heißen Leidenschaften und -Begierden, Sehnsüchten und Wünschen des Künstlers bis zum Rand geladen. -Sie ist nicht trotzdem, sondern weil sie dem Künstler-Menschen nur -noch Spiel ist, nicht matter, abgekühlter, lebensferner wie vorher, -vielmehr im Gegenteil farbiger, glühender, atembeklemmender wie je. -Der Künstler, das sehen wir jetzt deutlich, entwirklicht die Welt -auf andere Art wie das Religiöse, und dementsprechend entwirklicht -der Europäer die Welt auch auf andere Art wie der Inder. Selbst wo -der Künstler sich seiner Absicht nach also in seinem Werk von seiner -Welt erlöst und damit augenscheinlich eine religiöse Leistung zum -Vollzug bringt, — und welcher Künstler wäre erfahrener in diesen -Selbst- und Welterlösungen gewesen wie Goethe? — selbst dort erlöst -er dessen unerachtet nur als Künstler und nicht als Religiöser. Er -bringt den Lebensstrom nicht wie der Büßer in sich zum Stocken, -sondern er schaltet ihn nur gleichsam wie einen Kraftstrom in einen -anderen Kreislauf ein. Imgleichen bringt er den Lebensdrang in sich -nicht zur Unterbindung, sondern verpflanzt ihn gleichsam nur in eine -andere Welt-Seins-Lage, Welt-Scheins-Lage. Ist doch der Künstler -schlechterdings der Schaffende und folglich sein Erlösen zuletzt nichts -anderes als ein Schaffen: wogegen sich<span class="pagenum"><a name="Seite_420" id="Seite_420">[S. 420]</a></span> der Büßer in einer Gegenwelt -aufhält, für welche der Begriff des Schaffens seinen deutbaren Sinn -nicht minder wie der Begriff der Gestalt verlor. Ein Schaffen bleibt -sonach das entwirklichende Spiel des Künstlers im Gegensatz zu den -Erlösungen des Büßers, und derart gipfelt mit unentwegter Folgestrenge, -Folgetreue dieser europäische Vollzug der Welt-Entwirklichung <i>more -aesthetico</i> im Schaffen. Als Schaffender lernt es der <i>homo europaeus</i> -in dieser Welt endlich aushalten; als Schaffender weiß er sie endlich -zu genießen; als Schaffender erlöst er sich endlich von ihrer -Wirklichkeit zu ihrer Bildlichkeit und Sinnbildlichkeit. Nicht zufällig -aber, wahrhaftig nicht! ihr Christen, heißt der europäische Oberbegriff -alles europäischen Philosophierens schon beim alten, niemals alternden -Platon — ποίησις, das ist Erschaffung, das ist Schöpfung. -„Denn die Ursache von jedwedem“, so lesen wir im Gastmahl, „was aus -dem Nicht-Sein ins Sein übergeht, ist insgesamt ποίησις“. Als -Schaffender wagt der Europäer, sonst vielleicht eine schlechte und -mißratene <i>species</i> Mensch, sein heiliges Ja zur Welt zu sprechen, -da auch er als Nicht-Schaffender nur das Nein aufgebracht hatte. Als -Schaffender verlernt er Leidender zu sein und an der Wirklichkeit, -am Leiden selbst länger noch zu leiden. Als Schaffender verlernt -er im Gesetz des Schaffens den Zufall des Leidens, dem er als -Nicht-Schaffender wehrlos ausgesetzt bleibt. Unendlich beziehungreich -hat darum der letzte Europäer, Nietzsche, dieses Erschaffen und -Umschaffen der Welt zum<span class="pagenum"><a name="Seite_421" id="Seite_421">[S. 421]</a></span> Kunstwerk, Spielwerk, Künstlerwerk auf den -Namen des Künstler-Gottes Dionysos getauft: seit Messer Ariosto bis -zu Byron und Shelley, seit Cervantes bis zu Hoffmann und Keller, seit -Shakespeare bis zu Büchner und Grabbe, seit Pier della Franceska bis -zu Delacroix und Marées, seit Meister Rabelais bis zu Balzac und -Rolland, seit Orlando di Lasso bis zu Mozart und Schubert befindet -sich Europa auf seiner Höhe nur dann, wenn es die goldene Flöte des -Dionysos bläst. Im Zeichen des dionysischen Schaffens vollendet sich -Europa, — der Rest, an Umfang ungeheuer, an Wert gering, gehört -Fabrikarbeit und Werkeltag, Berufsfron und Geschäft, Gelehrsamkeit -und Schulfuchserei, Dienst und Drill. Die Welt aber ein dionysisches -Begebnis: so heißt bisher Europas beste Stunde, so heißt bisher Europas -ewigste Vollendung, die ihm niemand, nicht einmal der Europäer, -streitig machen soll; — zugleich das einzige Ergebnis, welches der -Mühe lohnt, daß diese kleine Teil-Welt, kaum mit Fug ein Welt-Teil zu -nennen, nicht auch geschichtlich nur Asiens Halbinsel und Anhängsel -geblieben ist. Als dionysisch Schaffender indes, angesichts seiner -zu einem Kunst-Werk, Spiel-Werk schöpferisch erlösten Europa-Welt -erklimmt der Europäer den Gipfel seines Kontinents, der da die Wasser -zwischen Europa und Asien scheidet und gleichsam der ‚Ewige Ort‘ ist -für alle guten und hohen Geister seit den Tagen des Herakleitos und -Pythagoras, des Empedokles und Platon bis hinauf zu der Gegenwart -Kants und Jean Pauls, Goethes und Nietzsches. Nur noch ein<span class="pagenum"><a name="Seite_422" id="Seite_422">[S. 422]</a></span> einziger -kurzer Schritt, und dieser dionysische Europäer, Künstler und nicht -Büßer zwar, aber dennoch ein Entwirklicher der Wirklichkeit und ein -Erlöser von der Wirklichkeit, — nur ein Schritt noch, und er bekommt -seine große Aufgabe zu Gesicht und mit ihr den großen Orient. Nur ein -einziger kurzer Schritt noch, und der dionysische Europäer erschaut das -Wunder aller Wunder, wie nämlich Europas Gott Dionysos dem indischen -Buddho auf der Ost-Westbrücke begegnet und magisch mitten durch ihn -hindurch schreitet. Nur ein einziger kurzer Schritt noch, und die Zeit -ist erfüllt, da ein neuer Held Alexandros Europa und Asien aus Einem -Mischkrug trinken wird...</p> - -<p>Eine Begegnung, sag’ ich, werde sich ereignen zwischen dem Gott, der -bisher trotz des biblischen <i>deus absconditus</i> der vornehmste und -edelste, sicherlich aber der unsterblichste Gott Europas gewesen ist, -und zwischen dem indischen Buddho Gotamo. Denn es kommt ja der Gott -Dionysos von dieser Welt geradewegs her, die er als Schaffender in -ein säliges Spiel zu wandeln lehrt: und es kehrt ja der Buddho als -‚Strahlender Mönch‘ zu dieser Welt geradeswegs zurück, nachdem er -sich durch keine niederzerrende Fessel mehr an sie gefesselt weiß. -Wie könnten mithin da die beiden sich verfehlen? In Wahrheit kehrt -der Buddho aus jener unsäglichen Gegenwelt <i>nibbânam</i> zu dieser -Welt zurück und auf seinem Antlitz blüht etwa jetzt der warme Klang -von Zärtlichkeit, wie er stets solchen eignet, die sich<span class="pagenum"><a name="Seite_423" id="Seite_423">[S. 423]</a></span> rein auf -sich selber abzustimmen vermochten und nun aller Wesen Wider-Klang -glockenhaft empfangen. Auf ähnliche Weise kehrt der Buddho jetzt -zurück, nicht unähnlich vielleicht jenem allerglücklichsten Könige aus -Sakontalâ, der als Gast in Indras Himmel eingeladen war und nun auf -Indras Wolkenwagen mit Indras Wagenlenker sanft zur Erde, sanft zur -Heimat gleitet: „Die Schnellfahrt abwärts verleiht der Menschenwelt ein -wunderseltsam Aussehn!... Ja, — diese Erde ist berückend schön“... Auf -so beschaffener Rück- und Niederfahrt zur Welt also mag es geschehen -sein, daß Indiens Buddho den orphischen Gott in Sicht bekam, von dem ja -seinerseit die Sage vielsagend zu berichten weiß, daß er nach Indien -gewallfahrtet sei. Wann dann der Buddho aber ihn, den ‚guten Europäer‘ -in Person, etwa die Worte sprechen hörte: „Wohlan ihr Freunde! Schaffen -wir Schaffenden diese Wirklichkeit zu einem Kunstwerk, Spielwerk um, -auf daß wir nicht an ihr zuschanden werden müssen“... wann ihn der -Buddho dieser Art sich äußern hörte, — dann dürften ihn mancherlei -gute Gründe und Untergründe zu folgender Erwiderung bewegen: „Die -Wirklichkeit zum Spiel entwirklichen, o Trefflicher, ist gut! Vergiß -indes das eine nicht über deinem Spiel, daß es auch einen Einsatz -hat! Vergiß den Einsatz nicht, Dionysos! Sei es uns Menschen immerhin -verstattet, daß wir, was um uns her geschieht, unwirklicher und darum -auch unwichtiger nehmen lernen wie vorher. Sei es immerhin verstattet, -das jeg<span class="pagenum"><a name="Seite_424" id="Seite_424">[S. 424]</a></span>licher von uns die süßeste Miene auch noch zum bittersten -Spiel machen lerne, dieweil es eben ein Spiel und Spiegel, Bild und -Sinnbild ist. Der Einsatz aber unsres Spiels, Dionysos, muß bei -weitem für ernster gelten als alles, was insonderheit ihr spaßhaften -Europäer bis heute ernst zu nehmen pflegtet. Auf diesem Schauplatz -Welt, auf diesem Spielplatz Welt, da geht es um Entscheidungen, -Teuerster, deren Tragweite bis an die Grenzen dieser Welt reicht, — -und falls diese Welt, wie ihr behauptet, keine Grenzen hätte, bis an -die Grenzenlosigkeit der Welt. Ihr Europäer meint, wo um des Einzelnen -Tod oder Leben gewürfelt werde, da handle sich’s um keine Kleinigkeit. -Ich aber habe jederzeit verkündigt, daß jeder Einzelne in jedem -Augenblick nicht allein um sein eigen Leben und um seinen eigenen Tod -würfle, sondern um hundert hunderttausend Leben, die er leben muß und -leben wird, und um hundert hunderttausend Tode, die er sterben muß -und sterben wird. Ihr Abendländer gebt ja vor zu wissen, daß alles, -was hier je geschieht, seine Folgen habe, wie es auch umgekehrt die -Folge ist von allem, was je geschah, und euern Genius Jean Paul hörte -ich mit hohem Staunen schon fast Mein Wort wörtlich sprechen: „daß -jede Tat (noch) viel gewisser eine ewige Mutter wird, als eine ewige -Tochter ist“... Trotzdem tut ihr aber alle ohne Ausnahme so, als ob -das Grundgesetz der Welt, das unverbrüchliche und ausnahmlose, mit -dessen wissenschaftlicher Fassung ihr euch so unerträglich spreizt und -brüstet, in jedem besonderen Fall, der euch selbst<span class="pagenum"><a name="Seite_425" id="Seite_425">[S. 425]</a></span> betrifft, außer -Kraft treten könne, außer Kraft treten müsse. Denn jeder von euch tut, -als ob seine Tat überhaupt keine Folgen hätte, und niemand hat ein -Gefühl dafür, was das heiße, Ursache zu sein, Urheber zu sein, Urtäter -zu sein. Oder ist euer Sinn nicht immer so ganz und gar ein kurzer, -blöder, daß ihr wähnt, ihr könntet etwas tun, Böses oder Gutes, ohne es -für die Unendlichkeit zu tun, — oder ihr könntet etwas unterlassen, -Rechtes oder Schlechtes, ohne es für die Unendlichkeit zu unterlassen? -Hinter der kleinen Muschel hört ihr das Meer zwar branden, aber -welchem von euch donnert und rollt hinter der kleinen Tat der eiserne -Gang der Welt anfanglos nach rückwärts und nach vorwärts endlos? Wem -klirrt die Kette unendlicher Notwendigkeiten hinter jeder Wahlhandlung -seiner Freiheit, oder wem dröhnt die Stille der Ewigkeit hinter jedem -fallenden, hinter jedem hallenden Tropfen der Zeit? Solang’ ihr an -euerer Seelen Unsterblichkeit glaubtet und an Gottes Vergeltung nach -dem Tod, schien wenigstens den Bessern unter euch der gegenwärtige -Entschluß nicht ganz unwichtig im Hinblick auf ein Künftiges, — wenn -ihr freilich sogar auch dann noch dumm-listig und pfiffig-dreist genug -zu dem unlauteren Versuche waret, den jenseitigen Richter euerer Un- -und Übeltaten mit Trink- und Schmiergelderchen kirren zu wollen und -euch selbst zu überreden: Er ist einer wie wir! Er hat seinen Preis und -lässet sich kaufen!... Seither indes, und es ist schon ziemlich lange -her, fandet ihr Europäer eine bessere Unsterblichkeit, nicht von euern<span class="pagenum"><a name="Seite_426" id="Seite_426">[S. 426]</a></span> -Priestern, sondern von euern Gelehrten entdeckt und die Unsterblichkeit -der Keimzelle nüchtern und wissenschaftlich geheißen. Und von da an, -damit ich dir’s gestehe, Lieber! — von da an bezauberte mich die -Hoffnung, daß ihr über diesen Umweg eines Tages den Weg sogar zu mir -noch finden möchtet! Denn jetzt mußte es ja dem Blindesten hell vor -den Augen werden, was eigentlich der Einsatz ist, um den gespielt wird -im Spiel des Lebens. Jetzt mußt’ er’s mit den Händen tasten, — wie -er in eigener Person die Summe aller Vorfahren bis hinauf zum ersten -Menschen, bis hinauf zum ersten Tier in sich verkörperte, verseelte und -vergeistigte, so würde er umgekehrt sich selbst wiederum verkörpern, -verseelen und vergeistigen bis hinauf zum letzten Menschen und wer -weiß! bis hinauf zum ersten Wesen der nächst höheren Gattung. Als -ich von dieser Unsterblichkeit der Keimzelle vernahm, da dachte ich -euch mir hart auf der Spur, und hart auf der Spur dem ewigen Gesetz, -das ich einst, wie du weißt, meinen Mönchen nachließ: „<i>Kammadâyâdâ -sattâ ti</i>, — Erben der Werke sind die Wesen, Erben der Taten sind die -Wesen“... Als Erben der Werke, Erben der Taten, dacht’ ich damals, -würdet ihr endlich alle Verkörperlichungen des Lebens bis hinab -zum letzten Menschen und was nach ihm kommen wird betrachten. Als -Selbst-Verkörperlichungen würdet ihr endlich die Körper euerer Enkel -und Enkelsenkel bis ins letzte Glied begreifen lernen: und so würdet -ihr endlich den Einsatz erraten, um den das königliche Spiel der Welt -gespielt wird. War dies auch noch<span class="pagenum"><a name="Seite_427" id="Seite_427">[S. 427]</a></span> lange nicht Mein Weltgesetz, Meine -Unsterblichkeit, Meine Lehre von der Wiederkunft, — denn dir ist’s -bekannt, Dionysos, daß ich vielschichtig denke und bin, wo ihr nur -einschichtig denkt und seid! — es war dennoch ein gutes Stück davon. -Ein jeglicher würde als Ahne im Leib seiner Enkel wiederkehren, und -so in ihrem Geist, in ihrer Seele; ein jeglicher würde wiederkehren -nach Maßgabe seiner eigenen Seinsschaffenheit, zu welcher er sich -selbstgestalterisch bestimmt hat und zu welcher er allen nachkommenden -Samen mitbestimmt. Wie mußte euch der Sturm dieser ungeheuern -Verpflichtung auf den Boden schmettern, — wie mußte euch der Wirbel -dieser übermenschlichen Verantwortung wieder aufrecht reißen: daß jeder -ein Richter ist aller ungeborenen Wesen, wenn er über sich selbst -entscheidet, daß jeder in die fernsten Sterne zielt, wenn er den Pfeil -der Tat von seines Bogens Sehne schnellt, — wie sagt doch, o Dionysos, -euer großer Heraklit: „Nun aber heißt des Bogens Name Leben...“ Jetzt -hattet ihr das Gewicht gefunden, das ich von meinem fernen Festland -aus leider nicht an euch hängen konnte: jetzt ward es euch von euerer -Wissenschaft geschenkt, damit ihr endlich als das Lot der Welt im Raume -pendeln, schweben konntet. Ach, welche Hoffnungen setzte ich nicht -damals in euch, auf euch, daß wir uns endlich, endlich finden würden... -Aber was geschah? Auch dieses goldene Gewicht ließet ihr auf der Wage -stehn. Auch jetzt verschmähtet ihr’s, selber Wage und Wagschale zu sein -und als Gewichtstein dort hinabzusinken, wo es tief ist. Flaum<span class="pagenum"><a name="Seite_428" id="Seite_428">[S. 428]</a></span>leicht -und daunenweich bliebt ihr auch jetzt, und anstatt hoch im Glockenstuhl -der Zeit durch manches blaue Lichtjahr stolz zu schwingen, ließet ihr -euch von jedem schwachen Hauch entwehen. Wie Irrwische sah’ ich euch -hüpfen auf den Sümpfen eueres Kontinentes, Dionysos! Wohl lerntet ihr -hier und da das Leben spielen, — aber ihr lerntet die Regel nicht, -wie euer Spiel gewonnen und verloren wird. Nun ich dich aber hier, -Dionysos, an Einsatz, Regel, Sinn, Geist deines Welt-Spiels mahne, sei -dir das tiefere Geheimnis euerer westlichen Bedrängnis nicht ferner -vorenthalten. Ihr liebt es, liebt es heute insbesonders, euch selbst -in dieser apokalyptischen Stunde des Abfalls von Gott zu bezichtigen. -Manchmal sind sogar die Besten, Hellsten, Klügsten unter euch der -Meinung, sie brauchten nur wieder Götter glauben, und alles, was -seither aus den Fugen sprang, renke sich schnell dann wieder ein wie -zuvor. Das aber ist euer Grund- und Lebensirrtum! Denn nicht, daß ihr -gottlos geworden seid, macht euch so unbeschreiblich elend und gemein; -nicht dies hat über euch gebracht das Messerstich-Alter, welches ich in -der Sechsundzwanzigsten Rede aus der längeren Sammlung Dîghanikâyo — -sie führt aber in Meinem Kanon seltsamerweis den Titel ‚Der Kaiser‘, -wie du weißt! — bis ins kleinste euch geweissagt habe. Sondern daß -ihr weltlos geworden seid, ihr westlichen Menschen, weltlos wie keine -andere Menschheit je zuvor. Ja, ihr lebt schlechterdings außer der -Welt. Ihr lebt nicht vorwärts und nicht rückwärts; ihr lebt nicht ins -Diesseit und nicht ins Jenseit; ihr<span class="pagenum"><a name="Seite_429" id="Seite_429">[S. 429]</a></span> lebt nicht in die Breite und nicht -in die Tiefe. Selbst wo ihr Götter schufet, da schufet ihr sie viel -lieber gegen die Welt als für sie. Ihr schufet Gott, damit er euch -bei jeder Gelegenheit beausnahmen möchte von dem Gesetz der Welt, und -selten, daß euere Götter etwas besseres waren als ein schiefer Vorwand -für solch hochmütige Beausnahmung, — übrigens zugleich mein stärkster -Einwand gegen alle Götter, Dionysos, und mein stärkster Einwand -sogar gegen dich, verzeih!... Wundert euch darum nicht, ihr weltlos -Gewordenen, wenn die Welt schließlich an euch vorüberläuft. Schon jetzt -hat sie euerer so gut wie vergessen, und über eine kleine Weile wird -Gras über euch gewachsen, Sand über euch geweht sein. Mich selber nennt -ihr gottlos, und in Wahrheit habe ich meinen Jüngern Gott verboten, -— aus Gründen, die du jetzt vielleicht zu ahnen beginnst. Aber bin -ich auch gottlos: nie und unter keinen Umständen war ich weltlos. Wenn -ich mich von der Welt am strengsten abschied, war ich vielleicht am -innigsten mit ihr vereint. Und nur weil ich Bürger dieser und jener -Welt war, vermochte ich’s, diese Welt durch jene Welt zu überwinden: -‚Ich aber, ihr Mönche, verstehe diese Welt und jene Welt‘...“</p> - -<p>Solche oder ähnliche Rede mochte der indische Buddho Gotamo mit dem -orphischen Gott Dionysos bei ihrer denkwürdigen Begegnung gewechselt -haben auf dem Brückenjoch der Festländer. Dionysos aber ließ das Haupt -lange auf seine Brust herabsinken. Und er verharrte reglos in einer -Schweigsamkeit, die sich<span class="pagenum"><a name="Seite_430" id="Seite_430">[S. 430]</a></span> wie der längste Schatten des kürzesten Tages -dämmergrau und erkältend zwischen die Wächter der beiden Reiche legte. -Dann aber hob er sein saphirnes Auge auf und lächelte dem Buddho sonnig -zu: „Recht hast du mir mit allem, o Buddho! Wir Menschen des westlichen -Reiches spielten bisher Welt und spielten Leben, ohne die Regel unseres -Spiels zu kennen und den Einsatz zu bedenken. Und daran bin ich am -meisten schuldig. Früh hab’ ich ja in meiner orphischen Vergangenheit -die Unsterblichkeit verkündet, ganz wie du selber, Gotamo. Und oftmals, -wenn ich nach sinnaufwühlenden Offenbarungnächten den ersten Strahl -meines heiligen Gestirns den Giebel meines Tempels zu Tempe goldig -kränzen sah und gleichzeitig mich durch den Mund des Orpheus als -Seelenretter und Heiland preisen hörte, — wie mußte ich da an dich, -Spender der Unsterblichkeit denken, der du zu Maghadâ hast den Löwenruf -erschallen lassen: ‚Leihet Gehör, ihr Mönche, die Unsterblichkeit -ist gefunden‘... Das war damals, o Buddho, in jener ungeheuern Zeit -des Götterfrühlings auf hesperischer Erde... Heut’ jedoch weiß ich -auf das klärste, daß ich dich herzlich mißverstanden hatte. Mit -ähnlichen Worten meintest du nicht das Ähnliche mit mir. Ich selber -fühlte nur die zeugerische Lust des Werdens, das immer wird, und kaum -geworden, wieder entwird. Ich selber war nur immer eingedenk des ewigen -Schaffens, wie es in jeglicher Erschaffung sich selbst erscheint, in -jeglicher Erscheinung aber die Erschaffenheit verneint, die nicht das -Schaffen selber ist und sein kann. Als un<span class="pagenum"><a name="Seite_431" id="Seite_431">[S. 431]</a></span>zerstörliche Werdenskraft -und Allkraft genoß und litt ich meine Ewigkeit, lebte und starb ich -meine Ewigheit. Darüber vergaß ich, wundere dich nicht, das Gesetz des -Werdens. Ich vergaß, daß alles Künftige in der Welt sich nur insoweit -knoten würde, als es von einer eigenwilligen Gegenwart selbstherrlich -geschürzt wird. Den Knoten der Welt und des Werdens, den an- und -absteigenden in der Zeit, vergaß ich; vergaß, daß er an- und absteigt -in der Zeit nur wie wir es selber ihm bestimmen. Wohl hatte ich während -meiner Wallfahrt an euern heiligen Gangâ, dessen Silberquellen, wie ihr -sagt, dem Gletschertor der Milchstraße klingend wie Sternschnuppentau -entschmelzen, vom Strome her die Stimmen deiner Mönch’ und Nonnen -häufig psalmodieren hören:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">„Und was der Mensch auch wirken mag,</div> - <div class="verse">Verdammte Taten, edles Werk:</div> - <div class="verse">Der Erbe ist er überall,</div> - <div class="verse">Der Erbe seiner eigenen Tat...“</div> - </div> - </div> -</div> - -<p>Aber was ich von dorther hörte, obwohl mich’s manchmal wundersam -berührte, verstand mein Sinn noch nicht. Einmal ist Keinmal, Einmal -ist höchstens Einmal, hatten wir’s in unserem armsäligen Einmaleins -je und je vernommen. Wie hätten wir da dein glühendes Richterwort -fassen sollen: Einmal ist Immer! Einmal ist Unendlichmal! Einmal -ist Ewig! Ach! allzulang waren wir westlichen Olympier nur ‚Götter -Lustig im Dämmerlicht‘ gewesen... Aber du selber, Herr, sagtest es -vorhin, wir seien endlich jetzt auf deiner Spur. Ja, wir sind dir, wir -sind der Welt end<span class="pagenum"><a name="Seite_432" id="Seite_432">[S. 432]</a></span>lich auf der Spur, o Gotamo! Zwar ist vor Kurzem -noch an dem furchtbaren Gesetz, das du zuerst der Welt gegeben und -aufgegeben hast, der stärkste meiner Söhne mir zerbrochen, (er hieß -mit Namen Gold-Stern, das ist Zarathustra, und du kennst ihn, liebst -ihn als von deiner Art, Herr...) Noch hat also zwar nicht einmal er, -von allen zukünftigen Geistern meines Reiches der Zukünftigste und -der Geistigste, deinen Urgedanken der unendlichen Wiederkunft aller -Wesen je nach ihren Werken unangefochten bis ans Ende auszudenken, -auszuhalten vermocht: noch ist unser Stärkster zu schwach gewesen -für dein Gesetz und deine Welt, o Buddho. Aber er hat ihn doch — -und welch ein großer Anfang, Aufgang ist dies! — als erster seit -Jahrtausenden wieder religiös erlitten und gelebt, statt einfach -wissenschaftlich festzustellen. Hier oder nirgends ahnte er, der neue -<i>homo religiosus</i>, die neue Pflicht, die neue Bindung, welche demnächst -auch uns in erneuter <i>religio</i> dem All verpflichten und verbinden -würde. Hab’ also noch Geduld mit uns, Erhabener! Beim zagen Schimmer -dieses Stern-Gedankens werden auch wir endlich lernen, uns wieder in -die feierliche Nacht der Welt hineinzutasten. Du bist der Buddho, du -bist der Erwachte, vollkommen Erwachte! Du bist erwacht, vollkommen -erwacht zur Welt, von der wir heute morgendlich noch träumen. Aber du -kennst die tausend Zeichen, die alle, alle darauf deuten, daß auch -wir demnächst die Erwachenden und Erwachsamen sein werden: ein neuer -Aufgang mitten in Europas Untergängen... Für jetzt und heut’ indes,<span class="pagenum"><a name="Seite_433" id="Seite_433">[S. 433]</a></span> o -Buddho, ist unser beider Äon wieder einmal abgelaufen, — erst an des -nächsten Ende werden wir uns wiedersehen. Dann aber wird der längste -Schatten dieses kürzesten Tags, der jetzt graudämmerig und erkältend -zwischen uns sich spreitet, dem kürzesten Schatten des längsten Tags -gewichen sein. Dann wollen wir auf diesem Brückenjoch der Länder das -nächste Mittsommerfest, Mittsommerglück gemeinsam feiern... Horch!.. -Läutete da nicht eine Glocke? Summte nicht ein Gong?.. Wie ein Kristall -blaut wunderbar die Zeit! Schau um dich, Gotamo! Es weltet weit und -breit!..“</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="rightbox"> - -<p class="p0 tdr">DIE WIEDERGABE DER BUDDHO-STATUE ERFOLGT MIT -GENEHMIGUNG DES FOLKWANG-VERLAGES IN HAGEN</p> - -</div> - -<hr class="full" /> - -<div class="section"> - -<p class="s3 center">AUS REICHLS VERLAGSBERICHT</p> - -</div> - -<p class="center topspace">DER VOLLSTÄNDIGE VERLAGSBERICHT WIRD AUF VERLANGEN KOSTENLOS UND -PORTOFREI GELIEFERT</p> - -<p class="s3 center">OTTO REICHL VERLAG DARMSTADT</p> - -<div class="reklame"> - -<div class="chapter"> - -<hr class="anzeigen" /> - -</div> - -<p class="s3 center mbot1"><b>LEOPOLD ZIEGLER</b></p> - -<p class="s3 p0">GESTALTWANDEL DER GÖTTER</p> - -<p class="p0">VON <i>LEOPOLD ZIEGLER</i></p> - -<p class="p0">DRITTE AUFLAGE, ZWEI BÄNDE</p> - -<p class="p0">IN LEINWAND GEBUNDEN 240 M., IN HALBLEDER GEBUNDEN 360 M.</p> - -<p class="s5 p0"><b>Inhalt:</b> Erste Betrachtung: Weltheiligung, Sühnwirkung, Sinndeutung -der Griechen. Zweite Betrachtung: Der Mythos vom Mittlergott und -die Religion der Seele. Dritte Betrachtung: Der Heilsdreiweg der -Christenheit. Vierte Betrachtung: Deutsche Reformation. Fünfte -Betrachtung: Der Mythos Atheos der Wissenschaften. Sechste Betrachtung: -Die Mysterien der Gottlosen.</p> - -<hr class="anzeigen" /> - -<p class="s3 p0">DER EWIGE BUDDHO</p> - -<p class="p0">EIN TEMPELSCHRIFTWERK IN VIER UNTERWEISUNGEN VON <i>LEOPOLD ZIEGLER</i></p> - -<p class="p0">IN LEINWAND GEBUNDEN 150 M., IN HALBLEDER GEBUNDEN 250 MARK</p> - -<p class="s5 p0"><b>Inhalt:</b> Die erste Unterweisung: Buddho der Protestant. Die zweite -Unterweisung: Buddho der Erlebende. Die dritte Unterweisung: Buddho der -Wissende. Die vierte Unterweisung: Buddho der Öst-Westliche.</p> - -<hr class="anzeigen" /> - -<p class="s3 p0">DER DEUTSCHE MENSCH</p> - -<p class="p0">VON <i>LEOPOLD ZIEGLER</i></p> - -<p class="p0">ZUR ZEIT VERGRIFFEN</p> - -<hr class="anzeigen" /> - -<p class="s3 p0">VOLK, STAAT UND PERSÖNLICHKEIT</p> - -<p class="p0">VON <i>LEOPOLD ZIEGLER</i></p> - -<p class="p0">GEBUNDEN 9 M.</p> - -<p class="s5 p0"><b>Inhalt:</b> Das Volk und seine Souveränität. Der Staat und die -Gerechtigkeit. Der Notstand der Persönlichkeit und seine Überwindung.</p> - -<hr class="anzeigen" /> - -<p class="s3 p0">DAS WELTBILD HARTMANNS</p> - -<p class="p0">VON <i>LEOPOLD ZIEGLER</i></p> - -<p class="p0">GEBUNDEN 15 M.</p> - -<p class="s5 p0"><b>Inhalt:</b> System und Zeit. Deduktion, Induktion und Wahrscheinlichkeit. -Die Ableitung der Qualität. Die Entstehung des Bewußtseins. Monistische -Philosophie. Induktion und genetische Metaphysik. Der Wahrheitsbegriff.</p> - -<hr class="anzeigen" /> - -<p class="s3 p0">ZUR METAPHYSIK DES TRAGISCHEN EINE PHILOSOPHISCHE STUDIE</p> - -<p class="p0">VON <i>LEOPOLD ZIEGLER</i></p> - -<p class="p0">BROSCHIERT 6 M.</p> - -<p class="s5 p0"><b>Inhalt:</b> I. Die letzten Prinzipien des Tragischen. II. Die Postulate des -Tragischen. III. Das Tragische als Antizipation des Weltprozesses.</p> - -<hr class="anzeigen" /> - -<p class="s3 p0">FLORENTINISCHE INTRODUKTION</p> - -<p class="p0">ZU EINER PHILOSOPHIE DER ARCHITEKTUR UND DER BILDENDEN KÜNSTE</p> - -<p class="p0">VON <i>LEOPOLD ZIEGLER</i></p> - -<p class="p0">GEBUNDEN 24 M.</p> - -<div class="chapter"> - -<hr class="anzeigen" /> - -</div> - -<p class="s3 center mbot1"><b>GRAF HERMANN KEYSERLING</b></p> - -<p class="s3 p0">DAS REISETAGEBUCH EINES PHILOSOPHEN</p> - -<p class="p0">VOM <i>GRAFEN HERMANN KEYSERLING</i></p> - -<p class="p0">FÜNFTE AUFLAGE 1921. ZWEI BÄNDE</p> - -<p class="p0">IN LEINWAND GEBUNDEN MIT DEM BILDNIS -DES VERFASSERS 240 M., IN HALBLEDER GEBUNDEN 360 M.</p> - -<hr class="anzeigen" /> - -<p class="s3 p0">WAS UNS NOT TUT — WAS ICH WILL</p> - -<p class="p0">VOM <i>GRAFEN HERMANN KEYSERLING</i></p> - -<p class="p0">DRITTE AUFLAGE 1920</p> - -<p class="p0">BROSCHIERT 6 M.</p> - -<hr class="anzeigen" /> - -<p class="s3 p0">DAS GEFÜGE DER WELT</p> - -<p class="p0">VERSUCH EINER KRITISCHEN PHILOSOPHIE</p> - -<p class="p0">VOM <i>GRAFEN HERMANN KEYSERLING</i></p> - -<p class="p0">ZWEITE AUFLAGE 1920</p> - -<p class="p0">GEBUNDEN 90 M., IN HALBLEDER GEBUNDEN 180 M.</p> - -<p class="s5 p0"><b>Inhalt:</b> I. Die Einheit des Universums. II. Kontinuität und -Diskontinuität. III. Harmonices mundi. IV. Die Probleme des Geistes. V. -Die Freiheit im Weltzusammenhange. Epilog: Was ist Wahrheit?</p> - -<hr class="anzeigen" /> - -<p class="s3 p0">UNSTERBLICHKEIT</p> - -<p class="p0">EINE KRITIK DER BEZIEHUNGEN ZWISCHEN NATURGESCHEHEN UND MENSCHLICHER -VORSTELLUNGSWELT</p> - -<p class="p0">VOM <i>GRAFEN HERMANN KEYSERLING</i></p> - -<p class="p0">DRITTE AUFLAGE 1920</p> - -<p class="p0">GEBUNDEN 75 M., IN HALBLEDER GEBUNDEN 150 M.</p> - -<p class="s5 p0"><b>Inhalt:</b> I. Über den Unsterblichkeitsgedanken überhaupt. II. -Todesgedanken. III. Das Problem des Glaubens. IV. Dauer und Ewigkeit. -V. Das Bewußtsein. VI. Mensch und Menschheit. VII. Individuum und Leben.</p> - -<hr class="anzeigen" /> - -<p class="s3 p0">PHILOSOPHIE ALS KUNST</p> - -<p class="p0">Vom <i>GRAFEN HERMANN KEYSERLING</i></p> - -<p class="p0">GEBUNDEN 75 M., IN HALBLEDER GEBUNDEN 150 M.</p> - -<p class="s5 p0"><b>Inhalt:</b> I. Philosophie als Kunst. II. Sterndeutung. III. Zeitliche, -zeitlose, ewige Geister. IV. Entwicklungshemmungen. V. Individuum und -Zeitgeist. VI. Idealismus und nationale Erziehung. VII. Germanische -und romanische Kultur. VIII. Ost und West auf der Suche nach der -gemeinsamen Wahrheit. IX. Die begrenzte Zahl bedeutsamer Kulturformen. -X. Das Schicksalsproblem. XI. Vom Interesse der Geschichte. XII. -Deutschlands Beruf in der veränderten Welt. XIII. Erscheinungswelt und -Geistesmacht. XIV. Für und wider die Theosophie. XV. Was uns not tut -— -was ich will.</p> - -<hr class="anzeigen" /> - -<p class="s3 p0">DEUTSCHLANDS WAHRE POLITISCHE MISSION</p> - -<p class="p0">VOM <i>GRAFEN HERMANN KEYSERLING</i></p> - -<p class="p0">DRITTE AUFLAGE 1920</p> - -<p class="p0">BROSCHIERT 6 M.</p> - -<hr class="anzeigen" /> - -<p class="s3 p0">POLITIK — WIRTSCHAFT — WEISHEIT</p> - -<p class="p0">VOM <i>GRAFEN HERMANN KEYSERLING</i></p> - -<p class="p0">ERSCHEINT IM JANUAR 1922</p> - -<hr class="anzeigen" /> - -<p class="s3 p0">DER WEG ZUR VOLLENDUNG</p> - -<p class="p0">MITTEILUNGEN DER SCHULE DER WEISHEIT IN DARMSTADT</p> - -<p class="p0">HERAUSGEGEBEN VOM <i>GRAFEN HERM. KEYSERLING</i></p> - -<p class="p0">JEDES HEFT 7.50 M.</p> - -<hr class="anzeigen" /> - -<p class="s3 p0">DER LEUCHTER</p> - -<p class="p0">WELTANSCHAUUNG UND LEBENSGESTALTUNG</p> - -<p class="p0">JAHRBUCH DER SCHULE DER WEISHEIT IN DARMSTADT</p> - -<p class="p0">HERAUSGEGEBEN VOM <i>GRAFEN HERM. KEYSERLING</i></p> - -<p class="p0">JAHRBUCH 1920. GEBUNDEN 90 M.</p> - -<p class="s5 p0"><b>Inhalt:</b> Graf Hermann Keyserling: Worauf es ankommt. G. F. Hartlaub: -Kritik der Geheimwissenschaft. Heinrich Nienkamp: Werten und Wirken. -Leopold Ziegler: Buddho der Protestant. Herman Hefele: Die Idee -des Kommunismus. Gerhard von Mutius: Humanität und Bildung. Max -Scheler: Sozialismus und Persönlichkeit. Fritz Wichert: Sich selber -beistehen. Friedrich Gogarten: Die Kirche. Peter Behrens: Das Ethos -und die Umlagerung der künstlerischen Probleme. Rudolf Binding: -Ethische Grundlagen eines Volkes. Günther Weitbrecht: Wertung und -Erkenntnis. Günther Weitbrecht: Der Brunnen des Lebens. Alexander von -Gleichen-Rußwurm: Unter Platanen.</p> - -<hr class="anzeigen" /> - -</div> - - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Der ewige Buddho, by Leopold Ziegler - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER EWIGE BUDDHO *** - -***** This file should be named 52015-h.htm or 52015-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/2/0/1/52015/ - -Produced by Norbert H. Langkau, Reiner Ruf, and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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Redistribution is subject to the -trademark license, especially commercial redistribution. - -START: FULL LICENSE - -THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK - -To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase "Project -Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg-tm License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. - -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project -Gutenberg-tm electronic works - -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. 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Of course, we hope -that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting -free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm -works in compliance with the terms of this agreement for keeping the -Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily -comply with the terms of this agreement by keeping this work in the -same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when -you share it without charge with others. - -1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern -what you can do with this work. Copyright laws in most countries are -in a constant state of change. If you are outside the United States, -check the laws of your country in addition to the terms of this -agreement before downloading, copying, displaying, performing, -distributing or creating derivative works based on this work or any -other Project Gutenberg-tm work. 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You may convert to and distribute this work in any binary, -compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including -any word processing or hypertext form. However, if you provide access -to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format -other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official -version posted on the official Project Gutenberg-tm web site -(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense -to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means -of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain -Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the -full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. - -1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, -performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works -unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.8. 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Information about the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the -mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its -volunteers and employees are scattered throughout numerous -locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt -Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. 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