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-The Project Gutenberg EBook of Weltuntergang, by Felix Dahn
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-
-
-Title: Weltuntergang
- Geschichtliche Erzählung aus dem Jahre 1000 nach Christus
-
-Author: Felix Dahn
-
-Release Date: June 2, 2016 [EBook #52222]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WELTUNTERGANG ***
-
-
-
-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
-
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- Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Das Original ist in Fraktur gesetzt.
-
- Im Original gesperrter Text ist +so ausgezeichnet+.
-
- Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~.
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des
- Buches.
-
-
-
-
- Weltuntergang
-
- Geschichtliche Erzählung aus dem Jahre 1000
- nach Christus
-
- von
-
- Felix Dahn
-
- Neunte Auflage
-
- [Illustration]
-
- Leipzig
- Druck und Verlag von Breitkopf & Härtel
- 1912
-
-
-
-
-Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.
-
-
-
-
- Den Freunden
-
- Karl Gareis, Lorenz Grasberger,
- Mathias von Lexer
-
- und
-
- Anton Freiherrn von Tröltsch
-
- in dankbarem Gedenken gemeinsam zu Würzburg
- verlebter Tage
-
- zugeeignet.
-
-
-
-
- »Dem Stift Wirzburg viel Gutes hat gethan
- Bischof Heinrich, der herrliche Man,
- Das muß man von ihm sagen!
- Zwei Grafschaften bracht' er daran,
- Drei neue Kloster fing er an
- Zu bauen bei seinen Tagen:
- Neumünster, Haug und Sankt Stephan,
- Darin des Gottesdienstes pflagen
- Viel fromme Chorherrn sonder Wahn:
- Sankt Benediktus Ordensban
- Thäten's alle jagen.«
-
- Alter Spruch.
-
- * * * * *
-
-In ew'ger Gegenwart steht alles Leben. -- --
-
-
-
-
-Vorbemerkung.
-
-
-Die Gedichte, welche +Gedanken+ und +Namen+ -- +beides+ --
-nachfolgender Erzählung tragen, sind bereits 1868 entstanden, 1873 in
-der ersten Auflage der zweiten Sammlung meiner Gedichte (Stuttgart, J.
-G. Cotta) zuerst, zuletzt in der dritten Auflage dieser Sammlung (1883,
-Leipzig, Breitkopf und Härtel) veröffentlicht worden.
-
-
-
-
-Erstes Buch.
-
-
-I.
-
-Gar wunderhold, wie sonst kaum irgendwo auf deutscher Erde, zieht der
-Frühling ein zu Würzburg an dem Main.
-
-Frühzeitiger als anderwärts kehrt er zu: im Hornung schon flötet die
-Amsel ihr melodisch Lied hoch vom Ulmenwipfel, wann die Sonne zu Rüste
-geht über dem Guttenberger Wald, Thal und Rebgelände tauchend in eitel
-Gold und Segen. Frühe sprießen an sonniger Halde die Veilchen hervor
-und wie leuchten, wie duften sie in den Weingärten der sanften Hügel,
-die wilden, gelben Tulpen! Dankbar gedenkt, wer je sein genoß, des
-Würzburger Lenzes. --
-
-Und ganz besonders schön, herrlicher denn je zuvor, meinten die frohen
-Menschen, war der liebe Lenz in das Mainthal eingefahren im Jahre des
-Herrn Eintausend.
-
-Das Land weithin stand in eitel Maienblust.
-
-Das Wildgedörn, das die Rebgärten rings an den sanft aufsteigenden
-Hängen umhegte -- Weißdorn und Rotdorn und zahllose Hagerosen --
-blühte so reich, daß der süße Duft, vom Südwind getragen, berauschend
-flußabwärts zog. In den dichten Hecken vor der Stadtmauer, aber auch in
-den häufigen Gärten innerhalb der Umwallung sang die Mönchsgrasmücke,
-sang die Nachtigall ihr feurig Lied. --
-
-Am Abend eines wunderschönen Maientages leuchteten vom linken Flußufer
-her über den Wall am rechten Ufer, zumal über die Mainbrücke hin, die
-Strahlen der versinkenden Sonne: sie trafen voll auf den ragenden Dom
-und das unmittelbar im Süden daranstoßende »Bischofshaus«: das heißt
-das gemeinsame Wohnhaus der Kanoniker. Brücke und Dom standen damals
-bereits genau an derselben Stelle wie heute: aber beide waren von Holz
-gebaut und erheblich schmäler als dermalen.
-
-In dem Hauptsaale -- der Bücherei -- des Bischofshauses, in dem
-einzigen Stockwerk oberhalb des Erdgeschosses, stand an dem
-hochgewölbten romanischen Rundbogenfenster ein ernster Mann in
-mittleren Jahren. Er hatte soeben den von zierlichen Querlatten
-gebildeten Fensterladen, der den heißen Tag über verschlossen gehalten
-worden, nach außen aufgestoßen und blickte nun hinaus. --
-
-Wo sich heute bergab, gegen den Fluß zu, die »Domstraße« senkt, lag
-damals ein offener Platz, nur in weitem Abstand vom Dom und dessen
-Anbauten durch ein paar unverbundene »Höfe« begrenzt.
-
-Der einsame Mann neigte das braunhaarige, aber stark ergrauende Haupt
-leicht hinaus; er strich langsam mit der Linken über den breiten, fast
-völlig weißen Bart; er schloß die grauen, schwermütigen Augen; seltsame
-Augen waren es: nicht schön von Form oder Farbe: müde von vielem Lesen:
--- vielleicht auch von anderem: -- aber doch war ihr Blick scharf,
--- wie der des Falken -- und unvergeßbar für jeden, der ihn aus der
-verhaltenen, ja trüben Ruhe hatte plötzlich aufleuchten sehen in
-flammendem Blitz. --
-
-Aber jetzt, als er sie wieder aufschlug, war der Ausdruck dieser
-sinnigen Augen tief verträumt. Lange blickte er schweigend hinaus.
-»Wie schön,« sprach er endlich leise vor sich hin, »wie friedevoll!
-Des Herrgotts reichster Segen ruht auf Gau und Stadt. Soll ich -- darf
-ich -- diesen Frieden stören? -- Aber muß ich nicht? -- Und wird nicht
--- wie sie sagen -- vielleicht der Herrgott diesen Frieden in wenigen
-Wochen wandeln in flammende Zerstörung, in Verderben? -- Er nach einem
-unerforschlichen Ratschluß im großen -- ich im kleinen, nach Pflicht
-meines von ihm mir verliehenen Amtes, also doch auch nach +seinem+
-Ratschluß.«
-
-Er richtete sich hoch auf, trat von dem Fenster zurück und machte einen
-Gang durch den geräumigen, durch zwei Reihen von Holzpfeilern mit
-Rundbogen gegliederten Saal.
-
-Die Einrichtung war einfach, ohne Prunk, aber würdevoll; das
-ansehnlichste Gerät bildete eine Art Baldachin, der an der Ostwand
-gegenüber den nach Westen blickenden Fenstern, von zierlich
-geschnitzten Rundpfeilern getragen, eine lange Truhe überhöhte, deren
-Deckel, mit weichen Decken belegt, als Rücksitz diente; in der Mitte
-der Bücherei stand ein mächtiger runder Tisch, dessen weiße Ahornplatte
-mit Schreibgerät und mit vielen Pergamenten bedeckt war, an welchen an
-Lederriemen und bunten Schnüren große Siegel in hölzernen, bleiernen
-und silbernen Kapseln herabhingen.
-
-»Mein Amt?« raunte er nun leise. »Ist es nur des Amtes Pflicht, was
-dich treibt, Heinrich von Rothenburg! Oder ist es die alte Lust am
-Kampf?« -- Er ballte die Rechte wie um Schwertesknauf und spannte die
-Muskeln des eingebogenen Armes. -- »Am Kampfe, -- zumal gegen +diesen+
-Feind? -- -- Also Sünde? -- Sünde also plante ich, während der Rächer
-aller Sünde vielleicht schon die Wolken zusammenballt, auf denen er
-niederfahren wird, zu richten die Lebendigen und die Toten!« --
-
-Er hielt erschauernd inne in seinem hastigen Gang und schlug andächtig
-ein Kreuz über Stirn und Brust. --
-
-»Sünde?« -- begann er aufs neue, wieder ausschreitend. »Jawohl!
--- Hätte ich nicht dringendere Pflichten, -- vielleicht! -- aber
-die meinen immer noch weltlichen Sinn weniger befriedigen, meine
-Kampfesfreude schwächer -- locken? Denn +diese+ Pflicht des Amtes lockt
-dich, Heinrich! Ist das nicht ein Zeichen, daß sie weniger Pflicht als
--- -- Leidenschaft?«
-
-Er stieß bei einer raschen Wendung an den Rundtisch: eine der Urkunden
-glitt herab und rollte vor seine Füße. Er hob sie auf und warf einen
-Blick auf das daranhängende Siegel. »Kaiser Karls Verleihung! Sie
-selbst! -- War das ein Wink, eine Mahnung des Herrn? Wüßt' ich es nur,
--- zweifelfrei: -- ich nähme sie ja so gern auf mich, die Pflicht und
-den Kampf.« -- Er drückte das Pergament heftig an die Brustfalten
-seines langwallenden dunkel-porphyrfarbigen geistlichen Gewandes.
-
-
-II.
-
-Da ward die in das Vorgemach -- nach Süden -- führende Thüre des Saales
-geräuschlos geöffnet und ebenfalls in geistlichem, aber ganz schwarzem
-Gewande trat ein wenige Jahre älterer Mann ein. Dicht an der Schwelle,
-zwischen den dunkelgelben Thürvorhängen, blieb er stehen; demütig
-neigte er tief das ganz glattgeschorene Haupt und mit leiser Stimme hob
-er ehrerbietig an: »Hochehrwürdiger Herr Bischof, Ihr habt befohlen.«
-
-Der Angeredete trachtete, seine lebhafte Erregung zu bändigen, zu
-verbergen; er legte die aufgeraffte Urkunde ganz sacht auf den Tisch:
--- er suchte, vor denselben tretend, sie dem Blicke des Besuchers zu
-entziehen. »Laß diese unterthänige Weise, Bruder Berengar«, sprach
-er gütevoll. »Sind wir doch Kampfgesellen: du bist mein eifrigster
-Mitstreiter.«
-
-Der andere trat näher, langsamen Schrittes. Die starren Züge des
-langen, hageren, gelbfahlen Gesichtes blieben unbeweglich, die schmalen
-Lippen öffneten sich kaum, die tiefschwarzen Augen hielt er streng zu
-Boden gerichtet, als er sanft erwiderte: »ich darf nicht anders. --
-Euer Vorgänger, der hochselige Herr Bischof Bernwart, hat mir solches
-Gebahren besonders auferlegt zur Buße für meine hochfärtige Überhebung.«
-
-»Ja, ja,« lächelte Herr Heinrich -- und die freundliche Heitre stand
-dem wohlgebildeten Antlitz, den feinen Zügen herzgewinnend gut, »Mein
-gestrenger Oheim war ein stolzgemuter Herr« -- »Er durfte es sein. --
-War er doch ein Graf von Rothenburg, -- wie Ihr.« Der Bischof zuckte
-die Achseln: »Edle Geburt ist wertvoll.« »Ha, wirklich?« flüsterte der
-Priester, aber ganz unhörbar. --
-
-»Doch ist sie kein Verdienst. -- Aber er hatte dich im Verdacht,
-Archidiakon«, -- und er hob mit lächelnder Drohung den Finger --
-»erstens schon bei seinen Lebzeiten Bistum und Bischof beherrschen und
-zweitens um jeden Preis sein Nachfolger werden zu wollen.« -- »Was
-doch nur abermals ein Rothenburger werden sollte.« Ganz tonlos und
-unterwürfig kam das aus den kaum geöffneten Lippen. Aber der Bischof
-schüttelte lebhaft das Haupt und hob, schmerzlich berührt, in Abwehr
-die Hand: »Da irrst du, Freund. -- Mein Oheim konnte nicht ahnen ...
-War ich doch ein Kriegsmann! Ein Mann der Staatskunst ...« -- »Und
-was für einer! In keiner Heerfahrt des Kaisers Otto des Roten und
-des jungen Otto fehltet Ihr auf deutscher, wendischer und zumal auch
-meiner italischen Heimaterde. Wie oft ginget Ihr als der Frau Kaiserin
-Theophano Vertrauter in Gesandtschaft nach Rom, ja selbst nach Byzanz!«
-
-»Also!« unterbrach Herr Heinrich, kopfschüttelnd. »Mein Ohm und ich
--- wir dachten wahrlich nicht daran, daß ich weltlicher, mit viel
-Schlachtenblut befleckter Mann jemals geistlich, vollends Nachfolger
-des heiligen Burchhard werden würde. Du -- Archidiakon, es ist wahr
--- hattest das nächste Anrecht auf diesen Stuhl.« -- »Kaiser Otto
-der Junge dachte anders, weiser -- als er Euch -- noch nicht sehr
-lange trugt Ihr geistlich Gewand -- das Bistum gab.« Der Rothenburger
-seufzte: »Ja: +Er+ gab es mir.« Beschwichtigend fiel der Archidiakonus
-ein: »Ihr seid vom Kapitel gewählt.« -- »Ja, ja, aber warum? Weil der
-Kaiser es wünschte.« -- »Nachdem er und die Regentin so sehr überrascht
-waren durch Euern Rücktritt aus der Welt.« »Sieh, Berengar,« fuhr
-der Bischof fort, »das ist es ja, was mir den Entschluß so schwer
-macht. Er -- der König -- setzt mich in dies Würzburg, vertrauend, daß
-ich sein Recht und seinen Vorteil hier nach Kräften wahre. Und nun
-soll ich Stadt und Grafschaft ihm entreißen!« Der Archidiakon glitt
-geräuschlos näher; scharf richtete er auf den Ringenden die dunkeln
-Augen, die unter kohlschwarzen, streng regelmäßig geschwungenen
-Brauen hervorblitzten. »Verzeiht,« sprach er ruhig, »Herr Bischof:
-das ist nicht bischöflich geredet.« -- »Mag sein! Aber es ist ehrlich
-gedacht: -- mit Gedanken treuer Lehenschaft.« -- »Ihr aber seid vor
-allem Sankt Peters Vasall! Von ihm, nicht vom deutschen König oder
-römischen Kaiser, tragt Ihr den Bischofstab zu Lehen. Sankt Peters und
-Eures großen Vorgängers, Sankt Burchhards, Recht habt Ihr zu wahren,
-auch gegen des Königs Vorteil. Und nicht im Recht, im Unrecht ist der
-König! Gedenkt des Briefes Kaiser Karls! -- Scharf sah ich es, wie ich
-eintrat: -- er hatte Euch gerade wieder beschäftigt! Diese ehrwürdige
-Urkunde giebt Euch nicht nur das +Recht+, -- hört es, Herr Bischof! --
-sie legt Euch die +Pflicht+ auf, in jenen Kampf einzutreten und nicht
-zu rasten noch zu wanken, bis Ihr Gott erstritten habt, was Gottes ist.
-Dem Kaiser bleibe, was des Kaisers ist.« -- »Dann bleibt ihm wenig
-genug in Stadt und Gau!« -- »Gleichviel! Habt Ihr des Kaisers Sache zu
-führen oder die der heiligen Kirche? Wollt Ihr, nachdem Ihr das gute,
-klare Recht des Bistums entdeckt habt, es diesem Bistum vorenthalten --
-aus Schwäche, aus Menschenfurcht?«
-
-Unwillig fuhr der Bischof auf und griff an die Stelle, wo er einst im
-Wehrgehäng das Schwert getragen hatte.
-
-»Verzeiht: aus Liebe zu diesem Kaiserjüngling vorenthalten, was der
-große Karl aus Ehrfurcht vor Sankt Kilian und Sankt Burchhard dem
-Stuhle zugewandt? Erkennt Ihr nicht den Finger Gottes darin, daß er
-Euch -- gerade +Euch!+ -- durch Zufall, -- sagen die Weltleute --
-durch ein Wunder der Heiligen, ziemt uns Geistlichen zu sagen -- in
-der Kämmerei, unter altem wertlosem Gerät und Gerümpel dieses kostbare
-Pergament auffinden ließ?«
-
-»Ja, es ist erstaunlich,« sprach Herr Heinrich nachdenksam, das Kinn
-in die linke Hand schmiegend. »Ist wirklich wundersam! Unter Bischof
-Dietho -- vor achtzig Jahren -- verbrennen mit dem damals erst seit
-siebenundzwanzig Jahren vollendeten Dom -- hier, an der Stelle des
-jetzigen, stand auch er -- in der Sakristei alle Urkunden des Bistums,
-aber auch alle! So daß, als Bischof Burchhard der Jüngere, der wackere
-Henneberger, vor etwa zwei Menschenaltern dies Gotteshaus hier neu
-erbaute, auch nicht Eine Urkunde, nicht Ein Beweismittel für all
-unsere Rechte vorhanden war: mußten alle vom König, von den Erben
-der anderen Schenker und Verleiher neu ausgestellt werden -- auf
-vieles Bitten meiner Vorgänger. Und nun muß ich vor wenigen Monaten
-in einer alten Truhe der Kämmerei unter abgetragenen, zerschlissenen
-Meßgewändern und angebrannten Altardecken dieses unschätzbare Kleinod
-auffinden! Wie kann das aus der Bücherei oder aus dem Archiv dahin
-geraten sein?«
-
-Berengar zuckte die Achseln: »Wer soll das wissen? Vielleicht gelang
-einem der Brüder die Rettung dieses wertvollsten Stückes aus dem
-brennenden Archiv: -- er selbst mag darüber umgekommen sein.« »Ja, ja,«
-bestätigte der Bischof, »es sind mehrere bei dem Brand erstickt, und
-zwar gerade auch -- in der Kanzlei -- der Protonotar, der dem ganzen
-Urkundenwesen vorstand, der pflichtgetreue Bruder Skapelarius.« --
-»Die Kämmerei lag auch damals im Erdgeschoß -- die Urkunde, in die
-Altardecke gewickelt, kann von dem Kanzleifenster -- hier, im ersten
-Stock -- in das offene Fenster der Kämmerei geworfen worden sein, als
-der Protonotar, der sie retten wollte, erkannte, daß er selbst nicht
-mehr zu entkommen vermöge.«
-
-»Klingt ganz glaublich! -- Aber weshalb lassen die Heiligen die
-wichtige Urkunde sechzig Jahre verborgen bleiben und sie auffinden
-gerade durch +meine+ weltliche, schwertgewohnte, vom Schlachtenblut
-befleckte Hand?« -- »Gerade darin erblickt und verehrt die weise Fügung
-der Vorsehung.« -- »Wie meinst du das, Archidiakon?« »Heinrich von
-Rothenburg,« erwiderte dieser feierlich, wieder leis einen Schritt
-näher gleitend, »gebt der Wahrheit die Ehre, hier im Kämmerlein
-vertrauter Zwiesprache: mehr vom Kriegsmann, als vom Geistlichen, mehr
-vom Staatsmann, denn vom Priester, mehr vom rechts- und waffenkundigen
-Grafen, als vom Bischof habt Ihr an Euch -- immer noch!« »Ja, leider,«
-seufzte Herr Heinrich demütig, »immer noch!« »Weshalb -- vor fünfzehn
-Jahren etwa -- der tapferste Graf über alles deutsche Land, die rechte
-Hand der schönen Kaiserwitwe und Reichsregentin, Frau Theophano,
-plötzlich das Schwert ablegte und Priester ward -- -- kein Mensch weiß
-es ...« Er zögerte: er schien gespannt auf Auskunft zu warten. Allein
-Herr Heinrich sprach nur leise zu sich selbst: »Aber Gott weiß es« und
-drückte die schwermütigen Augen zu.
-
-Der Welsche wartete noch eine Weile: da aber der andere beharrlich
-schwieg, fuhr er fort: »Aus der Haut konntet Ihr eben nicht fahren,
-wie aus der Brünne, auch nicht, als Ihr, nach kurzer Priesterzeit,
-hier Bischof wurdet. Nach wie vor weilen Eure Gedanken noch häufiger
-bei Recht und Gericht und weltlicher Wohlfahrt und weltlicher Gewalt,
-denn bei Beten und Büßen und bei dem Jenseits.« »Leider!« wiederholte
-Herr Heinrich betrübt. »Nein, nicht leider: zum Heile dieses Bistums!
-Seht Ihr denn nicht? Deshalb eben führten die Heiligen Kaiser
-Karls Verleihungsbrief gerade in +Eure+ starke Hand! +Euch+, Eurem
-weltkundigen Sinn vertraute Sankt Burchhard, Eurer weltlichen Klugheit,
-Eurer frischen Manneskraft seine Rechte an, nicht Euren Vorgängern,
-meist mönchischen weltflüchtigen Psallierern. Der Bischof, nicht der
-Graf, muß herrschen über diese Mainstadt und den Waldsassengau, darin
-sie liegt. Vor allem über die Stadt! So wollte Kaiser Karl! So will
-es Gott! Seht hier auf diesen Plan der Stadt« -- er wies auf eines
-der Pergamente, die auf dem Tische ausgebreitet lagen -- ein langes
-Jagdmesser war darüber gelegt, es auseinandergespreitet zu halten
--- »Ihr selbst habt ihn -- mit der Hand des kundigen Feldherrn --
-entworfen: glaubt Ihr, es ist ohne Bedeutung, daß die Stadt ein Fünfeck
-bildet, genau wie Eure Bischofsmütze, die dort liegt, Herr Heinrich?«
-»Spiel des Zufalls!« erwiderte dieser. Aber der Einfall behagte ihm.
--- »+Ihr+ seid der Mann, des Bistums Recht zu wahren, mit scharfem
-Wort und -- muß es sein -- mit scharfem Schwert. Sankt Burchhard,
-Sankt Kilian, Sankt Petrus, ja Gott selber rufen Euch in diesen
-heiligen Kampf. Heinrich von Rothenburg, der Mann ist ein Felon, der
-irdischem Lehnsherrn die geschuldete Heerpflicht weigert: Heinrich von
-Rothenburg, willst du sie dem himmlischen Lehnsherrn weigern?«
-
-»Nein! Bei meinem Schwerte!« rief der Starke und seine grauen Augen
-blitzten auf. »In solchem Lichte sah ich's noch nie. +Gott+ ruft zum
-Streit. So will ich denn streiten bis zum Sieg oder -- Untergang! Ich
-fürcht' ihn nicht, den Grafen Gerwalt!« »Gewiß nicht! Und« -- der
-Welsche trat näher und flüsterte -- »jene Weissagung des arabischen
-Magiers in Kalabrien, die Ihr mir vertraut -- wie war es doch?« »Ich
-werde nicht sterben -- so las er in meiner rechten Hand -- bis ich mit
-dieser Hand meinen schlimmsten Feind auf Erden erschlagen,« sprach Herr
-Heinrich mit grimmiger Freude. »Nun also! Und das ist doch ohne Zweifel
---« »Graf Gerwalt!« nickte der Bischof.
-
-»Aber,« fuhr Berengar fort, »es wird zum Waffenkampfe gar nicht kommen
-müssen. Ihr werdet schon auf dem Wege Rechtens -- vor dem Reichstag
-gewinnen. Sicher! +Das+ Gericht möchte ich sehen --« und hier flog ein
-stolzes Lächeln um die schmalen, allzu schmalen Lippen des Lombarden
-und seine schwarzen Augen funkelten -- »das Gericht möchte ich sehen,
-welches gegen jene Urkunde Kaiser Karls irgend eine Einwendung gelten
-lassen könnte.« »Allein,« warf der Bischof ein -- »warum haben
-alle meine Vorgänger seit bald zwei Jahrhunderten das Recht aus der
-Verleihung nicht geltend gemacht?«
-
-Berengar zuckte die Achseln: »Wer kann solche Fragen beantworten?
-Soviel steht fest: Graf Gerwalt, Euer schlimmster Feind ... --« »Der
-Welsche weiß nicht,« flüsterte Herr Heinrich zu sich selbst, »wie sehr
-sein Wort die Wahrheit trifft!« -- »Kannte die Urkunde nicht. Und groß
-war sein Erstaunen, ja sein Zorn, als ich sie ihm -- wohlweislich nur
-in Abschrift -- übersandte. Diese Urkunde ist unanfechtbar. Nicht
-umsonst hab' ich Jahre um Jahre in der Rechtsschule zu Pavia geistlich
-Recht, Lehenrecht, Landrecht gelernt bei den ersten Lehrern. Viele,
-viele hundert Urkunden von Königen und Kaisern hab' ich eingesehen,
-viele Dutzend hab' ich abgeschrieben, hab' ich selbst verfaßt im
-Auftrag des Pfalzrichters daselbst. Erkennt Kaiser Otto unser Recht
-nicht an, so rufen wir das Urteil des Reichsgerichts am Reichstage
-an. Nach dem Rechte +muß+ es für uns ausfallen! Siegt aber in dem
-barbarischen Reichstag dieser plumpen Deutschen -- verzeiht, aber
-manchmal bricht das Blut Italiens in mir durch! -- die Scheu vor
-dem Herrn König, so lebt noch ein anderer Richter, der uns -- das
-heißt Sankt Kilian und Sankt Petrus! -- unzweifelhaft zu unserem
-Recht verhelfen wird.« »Gott der Herr!« sprach der Bischof fromm.
-»Der ist gar fern und unberechenbar! -- Nein, der Herr Papst zu Rom.
-Nicht rasten will ich und nicht ruhen, bis wir gesiegt -- für Sankt
-Burchhard. Und müßt' ich auf meinen Knieen im Sankt Peter dem heiligen
-Vater Bann und Interdikt über König und Reich der Deutschen entwinden!«
-»Nein! Nimmermehr!« rief der Rothenburger erschrocken. »Ich sollte den
-Bann herabbeschwören auf des großen Otto Enkel, meines teuren Feldherrn
-in so vielen Schlachten? Das Interdikt auf diese geliebte deutsche
-Erde, auf dieses blühende Mainthal? Es ist nicht +deine+ Heimat,
-Lombarde!«
-
-»In die Hölle stoß' ich ganz Lombardenland, das abgefallene, um diesen
-Sieg!« schrie der Welsche, fortgerissen von wilder Leidenschaft.
-
-Betroffen sah Herr Heinrich auf ihn herab: »Abgefallen? Von wem?«
-
-»Von ... sich selbst!« rief Berengar noch heiß erregt, dann fuhr er
-zusammen und erläuterte: »Von seinem wahren Heil -- das heißt: von der
-Herrschaft der deutschen Könige.«
-
-»Aber wie,« fiel Herr Heinrich, plötzlich stehenbleibend, ein, »wenn
-all unser Planen und Trachten gar nicht mehr Zeit fände, sich zu
-vollenden? Wenn es sündhaft, frevelhaft wäre, solch' irdischer Sorgen
-zu pflegen, an Herrschaft über Stadt und Gau und an weltliche Macht
-zu denken, während Stadt und Gau und Welt in wenigen Wochen ...?« Er
-brach ab. Der Welsche lächelte; es zuckte wie Hohn über seine sonst so
-starren Züge hin. »Ihr meint? Auch Ihr? Jene Weissagung -- aus meiner
-Heimat kam sie über die Berge -- unheimlich -- wie der schwüle Südwind
-... --« »Es ist der Glaube ja weit verbreitet,« sprach der Bischof
-ernst. »Viel gelehrtere und viel frommere Männer als ich hegen keinen
-Zweifel. Ich -- ich kann's noch nicht recht glauben. Entscheidend ist
-mir der Ausspruch des Herrn Papstes. Und der, so schreibt man mir aus
-Rom, schwankt hin und her.«
-
-»Wie? Papst Sylvester? Er? Der große Gerbert von Reims, der Schüler der
-Araber in Spanien, der Lehrer des Erdkreises, von fast übermenschlicher
-Weisheit! Wenn der nicht daran glaubt, dann ...« -- »Ich sage Euch ja,
-er soll zweifeln. Seine Auslegung der Schrift und der Väter führte ihn
-nicht zur Bejahung.« -- »Nun also.« -- »Aber ein heiliger Einsiedler
--- den Namen erfuhr ich nicht -- soll stets wachsenden Glauben nicht
-nur bei dem ganzen Volke in Welschland, auch bei dem tief gelehrten
-Papste finden. Doch, wie dem sei! Ich muß der Kirche, des Oberhauptes
-der Kirche Weisung einholen, nicht nur für meine Belehrung, sondern
-darüber, wie ich mich als Bischof gegenüber meiner Gemeinde zu
-verhalten habe.« »Mich würde der nahe Untergang herzlich wenig freuen,«
-meinte Berengar spöttisch. »Noch gar viel hab' ich vor in der Welt.«
-
-»Ist das ein Grund für den Himmelsherrn, sie noch zu erhalten, wenn das
-Maß der Sünden voll? Ich fürchte sehr, solcher Wunsch, solch weltlich
-Begehren ist auch für mich der letzte Grund, der, unbewußt in der
-Tiefe der Seele wirkend und wühlend, mich abhält, daran zu glauben.
-Und so hab' ich denn über die Alpen, nach Rom, an den Herrn Papst
-einen ganz eigen gearteten Boten gesandt.« »Wen?« forschte Berengar
-eifrig. »Es fehlt keiner aus unserem -- wollte sagen: Eurem Klerus.«
-Der Bischof schwieg; ein heiteres Lächeln schwebte um seinen feinen
-Mund. »Denn,« fuhr der Archidiakon eifrig fort, »es kommt oft sehr
-auf den Boten an, welche Botschaft er heimbringt. Wenn einer von den
-Schwarmgeistern, den Träumern, den geheimnisbrünstigen Priestern, wie
-sie Kloster Cluny züchtet --« Herr Heinrich lachte. »Nun, hat keine
-Gefahr! Ungefähr das Gegenteil von solcher Art hab' ich zur Kundschaft
-ausgeschickt. Wenn +dieser+ Bote, der welt- und lebensfreudigste
-Mann --« -- »Dann meint Ihr Arn aus Bayerland, Euren Jägermeister!
-Richtig! Er fehlt seit Wochen!« -- »Wenn +der+ in Welschland dazu
-bekehrt wird, an den Untergang der Welt zu glauben --« »Arn? Ja dann,«
-lächelte der Lombarde, »dann muß sie vorher schon halb untergegangen
-sein. Einstweilen aber: -- ruhet nicht, handelt, Herr Bischof. Die
-Zeit ist günstig; der Mann, der von Amts wegen ebenso berufen ist für
-den Kaiser, wie +Ihr+ für Sankt Burchhard zu handeln -- der Graf des
-Gaues, ist fern -- man sagt, in Italien. Wenigstens seine Reisigen und
-Vasallen alle hat der König nach Rom entboten: der Marienberg da drüben
-ist fast unbesetzt: ein rascher Handstreich und -- aber --« er stockte
-und sprach leiser zu sich selbst -- »es scheint beinah, Er -- der
-andere -- hat recht.« Herr Heinrich stutzte. »Wer? -- Was zischelt Ihr
-da?« -- »Ich? -- Oh nichts!«
-
-»Doch! Ich hörte genug, um mehr hören zu müssen! +Wer+ hat recht?«
-Drohend, ahnungsvoll trat er näher. -- »Nicht doch,« wich der Welsche
-aus. »Lasset ab, Herr! Nicht gerne nenn' ich Euch diesen Namen. Er
-pflegt Euch zu ergrimmen!« »Graf Gerwalt!« rief Herr Heinrich und
-seine Augen blitzten. »Dacht' ich's doch! Was -- was hat er gewagt,
-von mir zu sagen?« »Es wird Euch erbittern!« warnte Berengar. »Oh
-nein,« knirschte der Bischof und zerbrach mit der starken Rechten die
-Armlehne von Eichenholz des hohen Stuhles, den er ergriffen, »ich bin
-ja ganz ruhig! -- -- Was hat er ...?« -- »Nun -- vor seiner Abreise --
-er war ja nur ein paar Tage auf der Burg -- an der Brücke war's -- der
-Zollwart erhob den Zoll von den Mainschelchen, welche den Fluß zu Berg
-getreidelt wurden und meinte --: ›Nun wird der Zoll, wie jedes Gefäll
-in der Stadt, bald nicht mehr in des Herrn Grafen Jagdranzen, in des
-Herrn Bischofs Kirchenbüchse wird er wandern.‹ Da lachte der Graf,
-wie er zu Pferde stieg, -- er und sein Jagdtroß sperrten mir den Weg
-über die Brücke -- und meinte: ›Bah, es wird gehen wie immer zwischen
-uns. Wo ich gegen ihn vortrete--‹« -- »Nun? Was ...?« -- »›Tritt der
-Rothenburger zurück‹« »Ah, ah, ah!« schrie der Gepeinigte auf, wie von
-einer Natter gebissen. »+Das+ hat er gesagt? Er soll sich irren! Graf
-Gerwalt liebt es zwar, an sich zu reißen, was nicht ihm, -- was mir
-gehört: aber doch nur, wenn ich fern, wenn ich wehrlos bin gegen ihn.
-Doch Sankt Burchhards Recht soll er mir nicht entreißen. Und wehrlos?
-Noch bin ich's zwar -- nicht lange mehr will ich's sein! -- Wo ...?« Er
-schritt, hastig, heiß erregt, durch den Saal. »Wo stehen die Wenden? Du
-weißt: die Söldner, von denen wir sprachen?«
-
-Der Archidiakon war nun dicht an den Tisch getreten: er legte beide
-Hände auf die hohe Lehne des Eichenstuhles und hielt sich fest daran:
-er drückte darauf, während seine Augen wachsam jedem Schritte, jeder
-Miene des Erbitterten folgten. »Mainaufwärts, wenige Tagemärsche.
-Noch auf deutscher Erde, aber nahe der böhmischen Mark. Sie sind von
-Markgraf Eckhard von Meißen -- nach tapferen Diensten -- entlassen.
-Ihr Führer, Zwentibold, verhandelt um neuen Dienst mit Herzog Boleslav
-von Polen. Kommt der zum Abschluß, dann ziehen sie nach dem fernen
-Osten ... --« -- »Nichts da! Wir müssen sie an der Hand, zur Verfügung
-bereit haben. -- Noch diese Nacht muß an sie ein geheimer Bote -- ein
-verlässiger Mann ... wen schicken wir?« Berengar folgte dem Gange des
-Bischofs durch die Halle: »Ich will gehen: ich selbst,« sagte er mit
-leiser, aber fester Stimme. -- »Du wolltest? Es ist halsgefährlich!«
-
-Berengar zuckte die Achseln: »Ich trage dieses Haupt nur für Sankt
-Burchhard und für Euch.« -- »Gut! Dank! ... Aber höre! -- Noch nicht
-fest abschließen! -- Ich bin jetzt -- ein wenig -- erregt! In der
-Hitze soll man nichts beschließen. -- Nichts übereilen« -- »Aber auch
-nichts versäumen soll man! Die Söldner sind viel umworben. Auch der
-Magdeburger Erzbischof, Herr Gisiler, will sie dingen ...« -- »Die
-Wenden sollen warten! ... Nur noch kurze Zeit!« -- »Das thun sie nicht
--- ohne Wartegeld.« -- »Freilich! Freilich! und die Kammer ist ...?«
--- »Leer. Nur der fällige Betrag für die Armen -- das Drittel der
-Einkünfte ...« -- »Nein! Nichts da! Kein Schilling davon! Aber -- wie
-steht es denn mit dem Gelde für meine Bauten in der neuen Vorstadt?«
--- »+Euerer+ Vorstadt: auf dem Sande?« -- »Jawohl! Das Waisenhaus und
-die Klosterschule ... freilich: der Verschlag, in dem jetzt beide
-untergebracht sind -- recht elend ist er. Aber bah! -- Menschenalter
-hindurch hat es genügen müssen: -- bessere ich es, ist's mein eigenstes
-Werk. Drängt sich mir nun Notwendigeres vor, so ...! Die Waisen, die
-Schüler können warten: die Wenden, -- du hast recht -- die warten
-nicht. Nimm das Geld für meine Bauten in der Sandvorstadt. Bezahle
-Zwentibold die Wartezeit.« -- »Es wird nicht reichen.« -- »So nimm die
-Summe für das geplante Siechenhaus bei Sankt Andreas überm Main dazu.
-Aber eile.« -- »Ihr sollt mit meinem Eifer zufrieden sein.« Er stand
-schon in den Vorhängen der Thüre. -- »Aber noch nicht abschließen: nur
-Wartegeld! hörst du?« Die Vorhänge rauschten. -- Ohne Erwiderung war
-Berengar verschwunden.
-
-
-III.
-
-Gar früh am Tage -- wie heute noch bei unseren Bauern auf dem Lande --
-begann dazumal auch in den Städten das Leben.
-
-Mit Sonnenaufgang und den Vögelein erhob man sich vom Lager: um elf
-Uhr pflegte das Mittagmahl gehalten zu werden: bald nach Einbruch der
-Dunkelheit suchte man den Schlaf: die recht spärliche Beleuchtung der
-Zimmer lud nicht dazu ein, Arbeit oder geselligen Verkehr im Hause in
-die Dunkelheit zu verlängern.
-
-So war denn auch an dem schönen Maientage, der auf Berengars rasche
-Abreise folgte, das Leben in dem Städtlein früh erwacht. Bei der ersten
-Hahnenkraht war diejenige Rotte der speertragenden Bürger, die für
-diese Nacht die Reihepflicht der Wache an den Thoren, in den Türmen
-und auf den bezinnten Mauern getroffen hatte, abgelöst worden von der
-»Tagwacht«.
-
-Und der »Morgengruß«, den, sobald die Sonne über die Höhen
-emporgestiegen war, die Türmer weithin über die Holzdächer der kleinen
-Siedelung aus ihren langen, gewundenen »Tuthörnern« schmettern ließen,
-weckte überall in den wenigen schmalen Gassen, in den zahlreichen
-»Höfen« der freien Plätze sofort rühriges Regen.
-
-Die Runde der neu aufziehenden Wache bedurfte nicht langer Zeit, den
-ganzen Umfang der Umwallung abzuschreiten Denn das liebe, liebliche
-Würzburg war dazumal noch gar enge beschlossen: zählte doch die
-Umwallung, eingerechnet die Geistlichen, die Mönche, die bischöflichen
-Dienstmannen und die Reisigen des Grafen auf dem Marienberge, nicht
-mehr als etwa viertausend Bewohner.
-
-Der Archidiakon hatte recht, als er die Gestalt der Stadt einer
-Bischofsmütze verglich. Denn sie bildete damals ein Fünfeck und dessen
-Grundlage der von Süd nach Nord, dann nach Nordwest gerichtete Lauf des
-Mains.
-
-Eine Holzbrücke, wie bemerkt, gerade an der Stelle der heutigen schönen
-und breiten Steinbrücke, bezeichnete ungefähr die Mitte der ganzen,
-damals noch auf das rechte Ufer beschränkten Stadt: auf dem linken Ufer
-lagerten sich an den Fuß der alten Feste, um ein paar Kapellen und ein
-Kloster nur wenige Hütten armer Fischer. Die Siedelung auf dem rechten
-Ufer hatte erst vor etwa achtzig Jahren Erdwälle, hier und da durch
-steinerne Mauern verstärkt, und davor einen schützenden Graben erhalten
-zur Abwehr der ungarischen Raubreiter, die wiederholt so weit westlich
-gestreift und alles nicht ummauerte Land verbrannt und verheert hatten.
-
-Damals hatte der bisher offene Flecken zugleich Stadtrecht empfangen;
-aber auch die neue »Stadt« war unter der Amtsgewalt des Grafen des
-Gaues, -- Waldsassen hieß er -- zu welchem sie gehörte, geblieben.
-
-Die Brücke oder -- in ihrer Verlängerung -- der ihr im Osten gerade
-gegenüberstehende Dom schied die Stadt in zwei ungefähr gleich große
-Teile. Denn von der Brücke lief die Ringmauer mainaufwärts gen Süden,
-wandte sich dann in scharfer Biegung nach Osten bis an den Zwinger, das
-heißt den Zwingergraben, vor dem Wall, und bog von da nach Nordosten,
-die Wiesen östlich außerhalb des Grabens belassend. Von dort zog sich
-die Umwallung weiter gen Nordwesten, dann von Ost nach West, wandte
-sich dem dermalen noch sogenannten »inneren« Graben entlang dem Flusse
-zu und erreichte stromaufwärts von Nord nach Süd den Ort, von dem wir
-ausgegangen: die Mainbrücke.
-
-So war also die ganze damalige Stadt eingeschlossen durch die Grenzen,
-die heute der Fluß im Westen, die Neubaugasse im Süden, die Kettengasse
-und die Theaterstraße im Osten, der innere Graben im Norden bilden. Auf
-dem linken, dem westlichen Ufer schaute von dem Marienberg die Burg des
-Grafen, das »Castellum Virteburch«, weithin über Stadt und Gau.
-
-Die von dem Fünfeck der Umwallung umhegten Häuser bildeten nun aber
-sehr selten Straßen oder Gassen: waren es doch »Höfe«, ganz wie
-die Siedelungen der Landsassen draußen vor den Thoren im Gau, fast
-ausschließlich aus Holz aufgezimmert, nur etwa der Unterbau aus Stein:
-die vornehmeren »Höfer« liebten es wohl hier, ein paar Platten des
-wunderschönen fränkischen roten Sandsteins als Treppenstufen vor die
-alsdann etwas erhöhte Thüre des Wohnhauses zu legen. Dies war aber --
-ganz wie auf dem Lande draußen -- stets umfriedet von einem manneshohen
-Hofzaun aus Pfahlwerk: der »Hofwehre«; das Hofthor mußte so weit
-sein, daß die zweispännigen breiten Wirtschaftswagen bequem ein- und
-ausfahren konnten. Denn Ackerbürger waren sie, diese ~burgenses~, und
-die Anfänge von Handel und Gewerk noch sehr bescheiden. So lagen auch
-innerhalb der Mauern weite Strecken von Wiesen, lagen Äcker, besonders
-aber Gärten, in welchen Wein, Obst, Gemüse gepflegt wurden.
-
- * * * * *
-
-Alsbald nachdem bei Sonnenaufgang von der Zinne des Brückenturmes
-der Thorwart seinen Morgengruß geschmettert, antwortete ein höchst
-friedlicher Schall: auf dem Widderhorn blies der Gemeindehirte seine
-Herde von blökenden Schafen und meckernden Ziegen zusammen. Er fing
-damit an im Nordwesten der Stadt, hielt vor jedem Hof und wartete, bis
-der Viehschalk die bereits aus der Stallthüre entlassenen und an dem
-verschlossenen Hofthore sich drängenden Tiere aus diesem zu dem Hirten
-hinausließ.
-
-So zog er die Kreuz und die Quer an allen Höfen vorbei, bis er an das
-»Südthor« gelangt war. Wie im Norden und im Osten zog sich auch im
-Süden um die Stadt, hart vor Graben und Wall beginnend, ein breiter
-Gürtel von Wiesen und Gärten innerhalb des »Pfahlhags«, den an
-geeigneten Stellen ein paar Blockhäuser, aus festen Balken gefügt,
-verstärkten; hier wohnten kleine Leute, die als Taglöhner, Gärtner,
-Zeidler, Winzer, Fischer ihr Leben fristeten.
-
-Gleich hinter den wenigen ärmlichen Lehmhütten und Holzhäuslein dieser
-werdenden »Vorstadt« begann die weitgestreckte, bis zu dem »Acker des
-Randahar« sich hinziehende »Allmännde«, das Gemeindegut der Stadt,
-bestehend aus Weide, Wiese und buschigem Wald, von den »Burgensen«
-besonders zur Weide für Rinder und Schafe verwendet; während manches
-Borstentier mit grunzendem Wohlbehagen in den häufigen Pfützen sich
-sielte, die, an Stelle von gepflasterten Straßen, Hof von Hof zu
-trennen pflegten.
-
-
-IV.
-
-Rado, der graubärtige, hünenhaft lange und starkknochige Gemeindehirte,
-kam nicht so rasch hinweg von den meisten Höfen als er wünschte: --
-denn ihm war nur wohl draußen in Wald und Heide: in der Stadt, diesem
-ummauerten Grabe, müsse er ersticken, schalt er.
-
-Und er war ein Liebling der Leute, der Alte: Hausherr und Hausfrau,
-Knecht und Magd, zumal aber die Kinder ließen ihn nicht leicht los ohne
-ein paar Fragen. Er wußte gar so viel, so vielerlei, was sonst kein
-Mensch mehr wußte: von Jagd und Fischfang und Viehzucht, von gesunden
-und kranken Tieren. Das Wetter verstand er ganz genau vorher zu sagen,
-manche meinten, geheimnisvoll nickend, weil er es selbst -- ein wenig
--- mache.
-
-Und alte Geschichten vollends wußte er zu erzählen -- von seiner
-verstorbenen Mutter her -- und Mären und Sagen, daß Kinder und Große
-offenen Mundes lauschten; und Segen: Wundsegen, Jagdsegen, Kampfsegen,
-Reisesegen, Biersegen, Viehsegen, Fischsegen -- in mannigfaltigster
-Auswahl: seltsam nur, daß er sie alle plötzlich vergaß, trat in den
-Kreis seiner Hörer ein »Geschorener«, wie er unwillig sagte. Herr
-Heinrich schalt wohl oft darüber, aber er lächelte dazu und ließ
-ihn gewähren: denn der Hüne war in jungen Jahren ein gar treuer und
-trefflicher Waffenknecht der Rothenburger Grafen gewesen und hatte
--- so sagte man -- dem Vater Herrn Heinrichs das Leben gerettet in
-Welschland.
-
-Während nun der Hirt von Knecht und Magd und Kind an dem Hofthor
-aufgehalten ward mit Frag' und Antwort, wartete der vorwärtsdrängenden
-Herde gar oft -- und auch heut' -- ein anmutvolles Kind mit dicken,
-langen, dunkelblonden Zöpfen, die durch die lebhafte Kleine stets in
-Bewegung gehalten wurden, daß die hellblauen Bändlein an deren Enden
-hin- und herflatterten. Sie zeigte weit über ihre vierzehn Jahre hinaus
-voll und üppig entwickelte Formen, aber sie war so mutwillig und so
-kindlich wie die springenden, bockenden Zicklein ihrer Herde.
-
-Als der Alte aus dem letzten Hofe vor dem Thor der Sandvorstadt
-zurückkam, fand er die Kleine aus vollem Halse lachend: lachend, daß
-ihr aus den hellgrauen Augen die Thränen über die dicken, runden
-Kinderbacken liefen. Sie hielt sich vor Lachen kaum aufrecht an dem
-langen, gebogenen Schäferstab, den sie einstweilen dem Alten abgenommen
-hatte.
-
-»Was hast du, Fullrun?« fragte der. »Dich reiten wohl wieder die
-Elben!« »Es ist zum Zerspringen!« keuchte sie, sich mit der umgewandten
-Linken über die Augen fahrend. -- »Was?« -- »Schau ihm nur nach, Ohm!
-Da -- links hin! -- humpelt er davon. Sieh nur, wie er ausschaut! Ganz
-weiß vom trockenen Straßenstaub. Wie der Müller aus der Au! Nur nicht
-so sauber!«
-
-Der Alte reckte die hohe Gestalt und hielt die Hand vor die buschigen
-Augenbrauen: denn die Morgensonne blendete von dort her: »Ei, das
-ist ja Junker Blandinus, der Sohn des Dogen aus Venetia, der jüngst
-erst ankam, Korn zu kaufen von dem Juden Renatus. Was hat der hier
--- in deiner Nähe wieder! -- gesucht?« Und er nahm ihr den Stab
-aus der Hand und hob ihn drohend, daß sein langer Mantel, aus drei
-Wolfsfellen zusammengenäht, von seinen Schultern zurückwallte. »Weiß
-nicht, Ohm. Aber was er auch suchte: -- gefunden hat er was anderes.
-Er ist immer um die Wege, mit seinem seidenen Mäntelein und dem bunten
-gezipfelten Wams. Wäre gar nicht so übel im Gesicht, putzte er sich
-nicht so weibisch heraus. Kaum warst du im Hammerhof verschwunden, da
-bog er flugs um die Ecke der Wirsinge und stand vor mir. ›Jungfrau
-Fullrun!‹ flüsterte er in seinem welschen weichen Ton, ›segne Euch
-Sankt Amor!‹ ›Ich heiße die runde Runel und mein Schutzheiliger heißt
-Sankt Kilian!‹ rief ich. ›Wer ist Euch wohl der Liebste auf der Welt
-nach Euren Gesippen?‹ fragte er und machte ganz verschwommene Augen.
-›Schnufilo!‹ erwiderte ich rasch ohne Besinnen. Denn es ist ja auch
-wahr. ›S--Se--ch? -- Schn--ufilo?‹ wiederholte er lispelnd. ›Wo ist
-er? Ist er ein Ritter, daß ich ihn bestehen mag? Ich durchspeere ihn!‹
-›Durchspeeren? -- Meinen Herzens-Schnufilo? Nun wartet! Komm!‹ schrie
-ich ›faß, Schnuf, faß!‹ Und grimmig bellend sprang der herzige Schnuf
-herzu und fuhr ihm an die Waden.
-
-›Oh -- ~ohimè~ -- Eine ~bestia~? Ein ~monstro~!‹ Nun trat der
-Schwarzkopf wieder näher: die dunkeln Locken -- 's ist wahr -- lassen
-ihm nicht übel! Aber sein Haar stank süß von Salben! Ich hielt mir die
-Nase zu! -- So!« Und sie machte es dem Alten vor: -- so drollig, daß
-er lachen mußte. »Und wisperte: ›Wißt Ihr auch, schöne Runa, wie man
-in Venetia küßt?‹ ›Nein,‹ sagte ich. ›Ich küsse überhaupt nur Schnuf
-und Schnee.‹ ›S--ch--nee? Ist das auch so eine Beißbestia?‹ forschte
-er, besorgt um sich blickend. ›Nein, hier mein Mailämmlein.‹ ›So will
-ich Euch küssen lehren!‹ lächelte er und machte einen Schritt. Aber
--- o Sankt Kilian sei gepriesen! -- er trat, nur auf mich guckend --
-auf das Ferkelein, das da -- nun wieder! -- in der Pfütze liegt. Laut
-aufquiekend fuhr ihm das zwischen die langen Beine -- er stolperte
-und fiel bäuchlings in den weißen Staub daneben. Nun fuhr auch Schnuf
-ganz erbost wieder gegen ihn und zerriß ihm den langen erdbeerroten
-Flattermantel. Fluchend sprang er auf und entwich eilfertig.«
-
-»Kommt er wieder,« drohte Rado, »lehr' ich ihn, wie man im
-Waldsassengau -- haut! -- Auf, Thorwart, auf mit dem Gitter!« -- Und
-nun flüsterte er ganz andächtig, gen Himmel blickend:
-
- »Unsern Ausgang
- Geleite der graue
- Wandrer, weise der Wege.
- Die Wölfe wehr' er
- Von Herde wie Hirt.«
-
-»Hier, Giero, hier!« Er pfiff dem mächtigen grauen Hund: der trieb
-in unablässigem Umkreisen die zerstreuten Schafe und Ziegen auf dem
-weiten Platze rasch zusammen, so daß sie nun in guter Ordnung durch das
-geöffnete Thor und dann über den an eisernen Ketten herabgelassenen
-schmalen Steg über den Graben trippelten. Draußen begrüßte das kluge
-Tier freudig in lustigen Sätzen und laut bellend die Freiheit.
-Einverstanden klopfte ihm der Alte den Kopf. Fullrun folgte zuletzt;
-sie trug über den geländerlosen Steg gar sorgsam auf ihrem vollen
-linken Arm ein schneeweißes Lämmchen, das sie aus der blökenden Menge
-gegriffen hatte: mit der Rechten hob sie den Saum ihres rotbraunen
-Röckleins bis über den Knöchel des unbeschuhten Fußes: im Morgenwind
-flog das krause kurze Haar an ihren Schläfen: mit vollen Zügen sog sie
-den frischen Hauch des Morgens in die junge Brust.
-
-
-V.
-
-An demselben Morgen trabte, nachdem die Frühmesse in dem Dom zu Ende,
-ein bunter Reiterzug den freien Platz hinab auf die Mainbrücke zu.
-
-Die Hengste der Männer und auch zwei zeltende Paßgänger für Frauen --
-mit zierlich gegitterten hohen Seitenwänden an den weichen Sätteln
-aus spanischem Leder -- waren neben der Kirche von mehreren Knappen
-in Bereitschaft gehalten worden. Als das gemeine Volk aus den
-weitgeöffneten schön geschmiedeten Doppelthüren und über die vier roten
-Sandsteinstufen des Eingangs hinab sich verstreut hatte, wurden die
-Pferde dicht an die kniehohen »Roßsteine« geführt, die, an dem Dom,
-wie an gar manchem Eckgebäude angebracht, das Aufsteigen und Absteigen
-reitender Damen erleichterten.
-
-Ein schlanker Jüngling von nicht allzuhohem, aber zierlichem Wuchs und
-von auffallend anmutvoller Haltung geleitete gar höfisch, nur an den
-Fingerspitzen ihren hellgelben Reithandschuh berührend, ein schönes
-junges Mädchen die Stufen des Domes hinab. Das veilchenfarbene Barett,
-geschmückt mit dem weißen Gefieder der Silbermöwe, stand gut zu dem
-dunkelbraunen dichten Gelock des jungen Ritters mit dem etwas helleren
-Bart, der überall das feine Gesicht umrahmte. Das enganliegende
-Wams, von gleicher Farbe wie das Barett, zeigte vorteilhaft die
-geschmeidigen, wohlgestalteten Glieder: die zarten Gelenke der Hände
-und der Knöchel schienen nicht deutsche oder doch nicht ungemischt
-deutsche Abkunft zu bekunden.
-
-Lebhaft sprach er zu der jungen Dame, feurig blickte er ihr -- und
-recht nah! -- in die großen Augen von hellstem sonnig goldenem Braun,
-welche unter blonden, nicht allzustarken Brauen hervor freundlich
-und freudig in die schöne Welt hineinleuchteten. Ihre Wangen waren
-hold wie vom Flaum des Pfirsichs überzogen: die frischen, ein wenig
-aufgeworfenen Lippen lächelten gar gern und zeigten dann zierlich
-gereiht die weißesten Zähnlein. Ein Reiterhut von weißem weichstem Filz
-mit sehr breitem Rand und schwarzer Feder wiegte sich keck auf dem ganz
-hellbraunen, aber leicht von einem roten Schimmer durchleuchteten Haar.
-Gar anmutvoll war die Bewegung ihrer schmalen langen Hand, mit der
-sie das weitflutende weiße Wollkleid aufhob, wie die feinknöcheligen
-Füßlein über die Steinstufen vorsichtig hinabglitten. Herzhaft lehnte
-sie dabei den vollen warmen Arm auf den des Ritters; der führte sie an
-den weißen iberischen Zelter mit hellrotem Sattel- und Zaumzeug, der,
-ungeduldig harrend, mit dem rechten Vorderhuf gescharrt hatte und nun,
-die schöne Herrin erkennend, sie freudig begrüßend laut wieherte.
-
-Der Junker hielt ihr beim Aufsteigen die Hand unter den Schuh und
-umspannte dabei den feinen Knöchel erheblich fester, als die Sicherheit
-der Reiterin gerade würde erheischt haben. Diese zürnte aber nicht,
-sondern sowie sie sich sicher im Sattelsitz fühlte, neigte sie ihm das
-wunderschöne Antlitz zu in gar holdseligem Lächeln: er erglühte vor
-Glück über soviel Huld, seine dunkelgrauen Augen blitzten und freudig
-schwang er sich auf seinen feurigen friesischen Rapphengst.
-
-Hinter diesem Paar schritt langsam ein zweites die Domstufen hinab:
-gleich jung, gleich schön, aber in ganz anderer Haltung und Stimmung,
-so schien es. --
-
-Zwar der Ritter, dessen blondes Haar dicht aus der ehernen Sturmhaube
-quoll, ließ die blauen Augen gar sehnend ruhen auf dem schmalen,
-blassen, nur ganz zart rosig überhauchten Antlitz der Dame; aber
-diese preßte den kleinen, stolzen Mund fest zusammen, schlug die
-Augen unerbittlich nieder und furchte streng die Brauen, deren tief
-dunkelbraune Farbe scharf abstach von dem fast weißgelben Geriesel
-ihres gewellten Haares, das unter der himmelblauen runden Seidenkappe
-hervor auf den gleichfarbigen langen Mantel frei, gelöst, flutete;
-dieser Gegensatz der fast schwarzen Brauen zu dem weißblonden Haar
-verlieh dem höchst vornehmen, edeln, aber marmorkalten Antlitz
-eigenartig fesselnden Reiz: wer diese stolzen, feinen Züge einmal
-geschaut, -- er mußte ihrer gedenken für und für. Die ganze schlanke
-hohe Schilfgestalt schien ein schönes, aber herbes Rätsel; man
-mußte nachgrübelnd fragen, welch Geheimnis das junge Herz so streng
-verschlossen hüte? Denn die hellgrauen Augen, die sie selten aufschlug,
-schienen auch dann nicht in die Welt, schienen nach innen zu schauen,
-fest entschlossen, um keinen Preis zu verraten, was sie in diesen
-Tiefen erblickten.
-
-Schweigend, sinnend, zögernd, wie widerstrebend, schritt sie nun die
-Stufen hinab: sie waren noch feucht vom Morgentau: -- sie glitt ein
-wenig aus: -- der Jüngling hielt ihr rasch den rechten Arm hin: aber
-sie achtete dessen nicht: noch schärfer die langgestreckten Brauen
-furchend richtete sie sich -- allein -- rasch auf zu ihrer vollen
-Höhe, schritt sicheren Fußes fürbaß und winkte, auf der letzten Stufe
-angelangt, einen grauhaarigen Knappen herbei: der mußte ihr auf den
-Rücken ihres Falben helfen. Dem Jüngling klirrte laut Schuppenbrünne,
-Wehrgut und Schwertknauf aneinander, wie er sich nun hastig auf das
-starke Streitroß schwang, einen braunen Flanderer schwersten Schlages.
-
-Die beiden Junker ritten jetzt an die Seite der beiden Edelfräulein und
-nun ging's in raschem Trab hinab an die Brücke: -- deren Thor ward von
-den Wächtern ehrerbietig aufgethan: -- nun über die dröhnenden Balken
-und drüben aufwärts auf dem linken Ufer, wo sich der Leinpfad zum
-Schleppen für die Mainschelche hinzog.
-
-Ein Holzverhack sperrte den schmalen Weg zwischen dem Fluß zur Linken
-und dem steil abfallenden Felsen des Marienbergs zur Rechten: jenseit
-eines engen Durchlasses in dem Verhack wartete der beiden Paare
-ein Häuflein von Jägern mit Pferden, Hunden und Falken: denn der
-Falkenjagd, der Reiherbeize galt dieser Morgenritt.
-
-
-VI.
-
-Das Jagdgeleit bestand aus nur Einer »Rotte«: das heißt dem
-Falkenmeister und drei Falkenieren; alle vier waren beritten;
-die letzteren hielten abwechselnd den Falkenrahmen, eine leichte
-viereckige Trage, aus weißem Holze zierlich geschnitzt, auf welcher
-zwei Beizvögel, mit einer langen Kette unter dem Flügelbug und einer
-kurzen um den rechten Lauf und Fang angefesselt, saßen: zierlich stand
-den schlanken Vögeln die Falkenhaube, ein Käppchen von rotem Leder
-aus Cordoba, oben mit weißen Federn, unten mit kleinen silbernen
-Schellenkügelein geschmückt: ein schmales Lederriemchen hielt die
-Haube, über Kopf und Augen gezogen, unter der Kehle festgeschnallt.
-Den Berittenen folgten zu Fuß drei Hundekoppeler, von denen jeder zwei
-Stöberhunde an der Koppelleine führte: mächtig zerrten sie vorwärts,
-die starken, grauhaarigen, hochbeinigen Rüden aus Ungarland: aber
-scharf erzogen, gaben sie bei aller Jagdgier nicht Laut.
-
-»Was habt Ihr heute für Vögel auf den Rahmen gesetzt, Herr Fulko?«
-fragte die Braunlockige, anmutvoll den Kopf und den breitrandigen
-Hut nach ihrem Begleiter zurückwendend. »Geht es auf hohen oder auf
-niederen Flug?« »Wer mit schön Minnegardis jagt -- und für sie,
--- denkt nur an hohen Flug,« erwiderte der Junker mit weicher,
-wohllautender Stimme. »Die Falkeniere haben Reiher angesagt in den
-Altwassern des Mains, nahe der Fähre bei den Höfen der Heitinge: sogar
-einen --, nun, nicht vor der Jagd von der Strecke plaudern, sonst
-verfällt sie dem +wilden+ Jäger! Heute wollen wir erproben, Freund
-Hellmuth, ob des Herrn Bischofs isländischer Girofalk besser arbeitet
-oder mein Wanderfalk: ich holte ihn, gerade flügge geworden, selbst
-aus dem Horst auf dem Geiersberg im Spechteshart.«
-
-»Deiner steigt besser und streicht gehorsamer zurück auf die Faust
-zur Atzung,« antwortete der Blonde; trüb war, gedämpft der Ton seiner
-Rede. »Ei ja,« rief Fulko, »er hat mir auch manch Federspiel zerzaust,
-bis er's gehörig lernte. Der Isländer ist nicht gut abgetragen: denn
-Freund Arn, der Jägermeister, der's besser als wir alle kann, ward
-vom Herrn plötzlich verschickt, bevor der teure Vogel stoßreif war.
-Aber nun, habt acht, Jungfrau Minnegardis! Die Stöberer springen ein.«
-»Da platschen sie ins Röhricht,« rief das Mädchen, und setzte in
-hellem Jagdeifer ihren Zelter in lustigen Trab. »Seht, schon müssen
-die vordersten schwimmen: da ist's schon tief.« -- »Ja, ein altes
-Weidmannswort scherzt: ›Reiher ist von höherem Stand denn Rüde‹.
-Aber jetzt -- den Rahmen herbei!« Die Ritter lösten den Vögeln beide
-Fesseln, nahmen sie von der Trage und setzten einen derselben je einem
-der Fräulein, -- Minnegard den Wanderfalk, Edel den Isländer -- auf den
-seidengestickten Handschuh der rechten Hand, so daß die scharfrandigen
-Krallen den Zeigefinger fest umschlossen; die Kappen blieben noch
-unbehoben.
-
-Es war nun gar schön zu schauen, wie die beiden holden Reiterinnen in
-raschem Trabe den Fluß entlang dahinflogen, mit wehenden Federn, Locken
-und Mänteln, die stolzen Vögel auf dem anmutig gebogenen Handgelenk.
-
-»Hört ihr?« rief Fulko. »Da schlagen die Stöberhunde den Reihergruß.
-Lüpft die Kappen! Werft eure Vögel, edle Jägerinnen!« Die Mädchen
-schnallten den Vögeln rasch die Kappenriemen ab, ließen die von dem
-plötzlichen Lichteinfall Geblendeten noch einen Augenblick in den
-Himmel schauen, wiesen ihnen dann Beute und Flug, sie in der Richtung
-der rasch enteilenden Reiher in die Höhe hebend, und schnellten sie
-mit kräftigem Schwunge des Gelenks in die Luft mit dem lauten Rufe:
-»Holî! Holî!«
-
-Sofort hatten die Falken das steigende Wild eräugt und stiegen nach,
-pfeilschnell, mit gellendem Schrei, dem der kreischende Angstruf der
-Reiher »krätsch! kraitsch!« antwortete. Beide Flüchtlinge blieben auf
-dem linken Ufer und eilten flußaufwärts: die Berittenen hatten also
-nur die nebenherziehende breite Heerstraße einzuhalten, so konnten sie
-leicht folgen.
-
-Herrlich war der Anblick der Flucht und der Verfolgung durch die Lüfte.
-Zuerst entleerten die beiden Sumpfvögel die Kröpfe des Fraßes, ihren
-Flug zu erleichtern: denn sie hatten mit Erfolg in dem Schilfwasser
-gefischt, stets gegen die Sonne stehend und watend, damit der hinter
-sie fallende Schatten die Fische nach vorn ihrem Schnabel zutreibe.
-Dann legte jeder den langen kegelförmig zugespitzten Schnabel mit den
-messerscharfen Schneiden auf den Kropf, streckte die langen Ständer
-gerade hinter sich und sausend ging es nun in die Höhe, immer höher,
-immer höher, dem Verfolger das Überfliegen unmöglich zu machen.
-
-Denn der Falke konnte den viel größeren Feind nur zwingen, wenn
-er ihn überstieg und dann von oben her schlug, ihm zwischen den
-Flügelschultern und dem Ansatz des Halses den Haken des Schnabels mit
-dem scharf ausgeschnittenen dreieckigen Zahn des Oberkiefers einhieb,
-die beiden Fänge aber mit den kräftigen spitzen Krallen unter den
-ausgespannten Flügeln -- vor deren Bug -- in den Rumpf schlug und so
-schon durch den Druck von oben den keineswegs immer tödlich getroffenen
-Reiher zum sausenden Sturz brachte; der Falkenier eilte dann herzu
-und tötete oder fing den Verwundeten, während der Falke, wenn gut
-abgetragen, auf die Hand der Herrin zurückstrich.
-
-Aber nicht gerade aufwärts stiegen die Reiher, sondern
-schraubenförmig, ähnlich den Lerchen, in immer höher und höher
-gezogenen Ringen: der schwere Vogel konnte nicht senkrecht oder sehr
-steil schräg fliegen, während der Falke schnurgerade, nur stets etwas
-höher zielend als sein Gegner flog, auf diesen losstürmte.
-
-Übrigens kamen diesmal die beiden Paare in den Lüften und demgemäß die
-beiden Jägerpaare auf der Erde bald ziemlich weit auseinander. Edel
-hatte ihren Vogel früher geworfen als Minnegard: derselbe ersah daher
-den zuerst aufgestandenen grauen Reiher: dieser und sein Verfolger, der
-Isländer, gewann rasch starken Vorsprung in die Höhe und in die Weite
-vor dem Wanderfalk, der den zweiten etwas größeren Reiher -- weiß wie
-Schnee leuchtete im Sonnenglast dessen Gefieder -- stets vom Wasser ab
-nach dem Walde hin zu treiben suchte.
-
-
-VII.
-
-Edel und Hellmuth sprengten an dem anderen Paare vorbei und hatten bald
-Mühe, zu Pferd den raschen Fliegern zu folgen.
-
-Lange vermochte der Isländer nicht, dem Feinde nachzukommen: endlich,
-endlich aber hatte er ihn überstiegen -- etwa um sechs Fuß -- und
-sofort stürzte er sich nun aus dieser Höhe auf seine Beute. Allein
-blitzschnell hatte der Reiher den bisher abwärts auf dem Kropfe
-getragenen starken, spitzen und langen Schnabel -- eine fürchterliche,
-oft den Augen des Jägers sogar, der den wunden Vogel greifen will,
-gefährliche Waffe -- senkrecht nach oben gekehrt: der Falke, der mit
-voller Wucht herabstieß, spießte sich dabei die Brust auf wie auf
-einem Speer, so daß die Spitze des Reiherschnabels ihm im Rücken
-zwischen den Flügeln hervordrang. Der Sieger aber konnte sich nicht
-von dem verendenden Feinde losmachen, nicht unter dem Drucke dieser
-Last den Schnabel aus der Wunde reißen und so taumelte er denn, den
-Rücken nach unten, sausend zur Erde. Kaum war er aufgefallen, --
-zwischen der Straße und dem Fluß -- war Hellmuth schon zur Stelle,
-Edel folgte. Der Junker sprang ab, riß den toten Falken von dem Reiher
-los, faßte diesen mit der Rechten im Genick an beiden Fittigen und
-warf ihn hoch in die Luft: »Geh!« rief er dem hastig Enteilenden nach.
-»Du hast dich ritterlich gewehrt -- hast gesiegt: ich mag dich nicht
-unritterlich erwürgen. -- Ich habe doch recht gethan?« fragte er zu
-Edel hinaufblickend, die nun dicht hinter ihm auf dem schnaubenden
-Falben hielt. »Gegen Reiher seid Ihr ritterlich,« erwiderte sie herb,
-ohne eine Miene zu verziehen, wandte das Roß und ritt langsam zu dem
-anderen Paare zurück.
-
-Auch dessen Beize war ausgebeizt. Gar bald hatte der Wanderfalk den
-großen, glänzendweißen Vogel überhöht, und ihn von dem Flusse, den er
-nun überschreiten wollte, ab- und auf das linke Ufer zurückgedrängt:
-auf den ersten Stoß gelang ihm das Schlagen: Reiher und Falk taumelten,
-aber der Falke rittlings auf seiner Beute sitzend, auf die blumige
-Wiese zur Rechten der Heerstraße. »Ruft ihn, ruft ihn rasch,« drängte
-Fulko die Jägerin, während beide heransprengten. »Er verliert sonst
-die Zucht und den Heimstrich.« »Hilô! Hilô!« rief Minnegardis freudig
-und setzte in vollem Jagen über den breiten Graben auf die Wiese: ihre
-schwarze Feder flog, ihre Locken flatterten. Entzückt folgte Fulko der
-zierlichen Gestalt der mutigen Reiterin.
-
-Gehorsam kam der kluge Vogel zurückgestrichen und ließ sich auf dem
-Handgelenk der Herrin nieder: vergnügt die beiden Schwingen leicht
-schlagend rief er ganz leise, -- nicht den gellenden Kampfschrei -- und
-sah mit seinen nußbraunen Augen in Minnegardens Antlitz: ein Falkenier
-brachte ihr eilig auf goldenem Stäblein ein Stück Rinderherz und hielt
-ihr den Zügel, während der Vogel aus ihrer Linken behaglich und mit
-leisem Dankrufe gierig kröpfte: dann ward er wieder gehaubt und auf die
-Trage zurückgebracht.
-
-Nicht eher doch hatte der Falke seinen Gefangenen freigegeben, bis
-Fulko, vom Rosse gesprungen, denselben an beiden Schwingenknochen
-gefaßt hatte; er hielt ihn nun der Jägerin hin, die sich anmutvoll
-aus dem Sattel herabbeugte. »Welch herrlich Tier!« rief sie erfreut.
-»Welch leuchtend Weiß! Nie sah ich seinesgleichen!« -- »Es ist ein
-Silberreiher. Ich wollt' es nicht -- vor der Zeit! -- verkünden.
-Aber ich hatte ihn gestern abend angeschlichen.« -- »Er ist -- wie
-es scheint -- ganz unverletzt?« -- »Fast ganz. Nur wenig blutet hier
-der Hals. Das hab' ich ihn gelehrt, den klugen Greif, am Federspiel:
--- für den Silbervogel! -- nur fangen, nicht morden!« -- »Oh! dann
-wollen wir das edle Tier freilassen! Nicht?« -- »Gewiß: Ihr seid ja
-seine Fängerin, nicht ich! Und ich: -- im voraus erriet ich Euer gütig
-Herz.« Er griff in die kleine von Stricken geflochtene Jagdtasche,
-die er am Wehrgurt trug. »Das mögt Ihr jetzt leicht sagen,« lächelte
-sie. »Ich beweis es, Herrin!« gab er zur Antwort. -- »Wie? Was wollt
-Ihr thun?« -- »Wie immer: Euren Willen -- Nur ein Andenken an diesen
-frohen Morgen soll Euch Euer schöner Gefangener lassen. Seht Ihr die
-beiden silberweißen Federn hier auf seinem Haupt?« -- »Wie stolz sie
-wallen! Schaut, sie reichen noch weit über seinen Rücken.« -- »Wie
-prächtig werden sie sich abheben von Eurem Jagdhut und von Eurem Haar.«
-Er zog nun mit sanfter Gewalt dem Vogel die beiden Kopffedern aus und
-überreichte sie der Jägerin, die sie freudig dankend nahm und sofort in
-dem Goldring ihres Hutes befestigte. Sie schmückte sich so gern! Für
-sich und für andere. Und jeder einfachste Schmuck ließ ihr so gut. Aber
-nun vollends diese stolze fürstliche Zier!
-
-»Ihr seht aus wie die Königin von Avalon, dem Feenland!« -- »Wenigstens
-trägt keine Königin schöneren Schmuck.« -- »Und keine Kaiserin würdiger
-denn Ihr.« -- »Dank! Recht von Herzen Dank!« -- »Aber nun wollen wir
-ihm die Freiheit geben, dem Glücklichen, der Euch erfreuen und Euch
-zieren durfte. -- Seht, lange hab' ich vorgedacht für diese Jagd.« Und
-er zeigte ihr, was er aus der Netztasche hervorgeholt: es war eine
-kleine, runde Goldplatte an einer länglichen, rohrartigen, innen hohlen
-Schließe aus Silber: »Was hab' ich darauf ritzen lassen von Meister
-Aaron, dem kundigen Goldschmied zu Frankfurt? Schon vor Wochen ritt ich
-deshalb hinüber.«
-
-Und das Mädchen las mit holdem Erröten:
-
- »Mich fing die wunderschöne Minnegard
- Und gab mich wieder frei:
- Der Freiheit wenig Dank ihr ward:
- Denn wen sie fing, die holde Fei,
- Will, daß er ewig ihr Gefangner sei.«
-
-»Ihr seid ein Schalk,« lächelte sie, »wie alle Sänger, aber ein
-feiner.« -- »Und was +Ihr+ seid, -- das singen und sagen alle Sänger
-der Erde nicht aus! -- Nun fliege, Reiher, und verkünde in allen Landen
-vom Maine bis zum Jordan Minnegardens Schönheit!« Er hatte nun das
-Silberröhrlein um den linken Ständer des Gefangenen zusammengedrückt,
-die Schnalle geschlossen und gab ihn jetzt frei: der Reiher reckte sich
-in die Höhe, hob den langen Hals, breitete dann die mächtigen Schwingen
-aus, stieß vom Boden ab, hob sich und flog, mit lautem frohem Ruf der
-Erlösung, schwirrend in die Höhe: bald war er im fernen Blau wie ein
-schimmernd weiß Gewölk verschwunden.
-
-
-VIII.
-
-Das Jagdgeleit ward nun entlassen, es kehrte in die Stadt zurück; die
-beiden Paare jedoch, gefolgt von einigen Dienern zu Pferd, wandten sich
-von der Heerstraße und dem Flußufer ab nach Westen die Hügel hinan
-dem schönen Walde zu, der jetzt der Guttenberger heißt, damals der
-Königswald genannt wurde.
-
-Sobald der kleine Zug wieder beisammen war, gab Minnegard ihrem
-Zelter, aber auch dem Falben ihrer Genossin einen leichten Schlag mit
-der Gerte, die ihr Fulko von einer Weide gebrochen: »Ei,« rief sie,
-»gestrenge Edel, nun wollen wir sehen, welcher Reiterin Rößlein rascher
-läuft: deren Herz schlägt auch wohl mutiger.« »Rascher das deine,
-aber mutiger nicht!« erwiderte die Blonde ernst und schoß weit an ihr
-vorüber. Sie wollte sichtlich allein sein; Hellmuth folgte ihr nicht;
-er hielt den Hengst an und blieb so auch hinter dem anderen Paare
-zurück.
-
-Der steil ansteigende Weg ward bald so schmal, daß zwei Pferde nur
-gerade zur Not nebeneinander Raum fanden. Dies machte sich Junker
-Fulko zu nutze. Gar bald hatte er seinen Rappen dicht neben Minnegards
-Weißrößlein gelenkt und nun wich er nicht mehr von ihrer Seite.
-Geraume Zeit ritten sie, nur stumme Blicke tauschend, nebeneinander
-hin, damit begnügt, Aug' in Auge zu senken. -- Da strauchelte das
-Tier der Reiterin -- allzuwenig achtete sie des Weges! -- über eine
-knorrige Wurzel, die den Pfad kreuzte: es drohte, auf die Vorderfüße
-zu fallen und seine leichte Last vornüber zu schleudern. Mit raschem
-Griff riß der Junker das Pferd empor und schob die Errötende in dem
-Sattel zurecht. Sie war wohl ein wenig erschrocken: aber sie lächelte
-schon wieder mit schalkhafter Fröhlichkeit: »Dank!« rief sie. »Waret
-Ihr nicht an meiner Seite ... --« -- »O dürft' ich's immer sein!«
-»Ausreden lassen!« schalt sie. »Waret Ihr nicht an meiner Seite,
-hätte mich dies Unheil nicht bedroht.« -- »Wieso?« -- »Ei, dann hätte
-ich wohl besser, zwischen den Ohren meines Rößleins durch, gerade
-vor mich auf den Weg geschaut, wie mich Herr Bischof Heinrich, mein
-geistlicher Reitlehrer und reisiger Beichtiger, gelehrt hat. Da Ihr
-mich in Gefahr gebracht, mußtet Ihr mich freilich auch beschützen.«
--- »O könnt' ich Euch auf meinen Armen über alle Gefahren hinweg --
-durch's Leben -- tragen.« -- »Gemach, Herr Ritter von Yvonne! Zunächst
-müßtet Ihr mich dann tragen -- in das Kloster, das zu schmücken ich
-bestimmt bin.« -- »Ihr seid noch nicht darin!« -- »Aber bald werd'
-ich's sein.« -- »Arme Minnegard!« -- »Und armes Kloster!« -- »Man
-kann Euch nicht zwingen.« »Ich zwinge mich selbst. War es doch der
-letzte Wunsch meiner sterbenden Mutter. Meine Oheime, die Bischöfe von
-Köln und von Würzburg, kennen diesen Wunsch und ...! Oder vielmehr,«
-lächelte sie, -- »weshalb wähnt Ihr, daß es des Zwangs bedürfe? Warum
-soll ich nicht gern eine Heilige werden?« »Weil's ein Frevel ist!«
-brach der Junker los, »eine Sünde wider die Natur, die Euch holdes
-Wunder, so wunder-anmutvoll geschaffen hat! O Minnegard, Ihr gleicht
-an holdem Reiz, an blühender Schöne der Alpenrose, die Euerer wie
-meiner grünen Heimat Berge schmückt. Ihr seid geboren, zu beglücken und
-beglückt zu sein! Schon Euch anschauen ist wie heiße Qual, so heiße
-Wonne, heiße Seligkeit! Und all dieser Reiz -- er soll verblühen? O
-viel edle Dame! Ich sah einmal -- zu Paris war's -- in der Basilika
-der heiligen Genoveva -- hinter einem Gegitter von Golddraht auf dem
-Seitenaltar schöne, wirklich wunderschöne vollblühende Blumen: Lilien,
-Rosen, Krokus, -- auch eine Alpenrose war darunter! -- Staunend trat
-ich näher: denn draußen lagen fußhoch Eis und Schnee: allein ach! meine
-Freude schwand! Gemacht waren sie, diese armen Blumen, aus Flitter,
-aus Lappen, auf Draht gezogen, seelenlos, duftlos: -- vielmehr ging
-ein Geruch von Staub, von dumpfem Moder von ihnen aus! -- Das, o holde
-Alpenrose, ist die Nonne! Und +Ihr+ solltet also vertrocknen? Diese
-leuchtenden Augen sollten nicht Liebe strahlen? Diese roten, weißen,
-weichen Lippen ...« -- »Hört auf, Herr Fulko von Yvonne! Vernähmen es
-die Leute, sie dächten, Ihr wüßtet drum, ob meine Lippen weich oder
-hart. Und davon wißt Ihr doch so wenig wie ...« -- »Ach ja! wie Ihr von
-meiner heißen Liebe!« -- »Ei, meint Ihr? Ich glaube, davon weiß ich
-doch ein wenig mehr!«
-
-Und sie schaute ihn dabei so freundlich an und sie lächelte dabei so
-hold, daß er, kühn gemacht durch soviel Huld, fortgerissen von soviel
-Liebreiz seine verlangenden Lippen sehr nah unter ihren breitrandigen
-Jagdhut wagte. »Oho, Reitersmann!« rief sie, sich weit von ihm
-abbeugend. »Jetzt, -- so scheint's -- seid +Ihr+ gestolpert -- sehr
-stark sogar! Gemach! Sind das die gepriesenen Sitten der Provence? Oder
-sind's die Sitten in Poetenland? Man sagt, die Sänger brauchen den Mund
-mehr zum Singen denn zum Beten, mehr zum Trinken denn zum Singen und
-noch mehr als zum Trinken zum -- nun, zu was anderem! Ihr pflückt wohl
-jedes Röslein an Eurem Wege?« -- »O Minnegard, wer kann Euch sehen und
-noch nach anderem Reiz begehren? Und Küssen ohne Liebe: -- das ist
-niederträchtig!«
-
-Sein Auge blitzte in edlem Zorn, Glut schoß ihm in die Wangen: er ließ
-ihm sehr schön, dieser heilige Zorn der Reinheit. Sie sah zu ihm empor
-mit warmem Blick. »Dank Euch, Herr Fulko! Das war ein schönes Wort. Nie
-werd' ich's Euch vergessen! Ihr seid ... Doch nein! Wozu braucht Ihr
-zu wissen, wie Ihr seid? Könnt' Euch am Ende eitel machen! Und unter
-Euern vielen, wimmelnd vielen Fehlern hab' ich die Eitelkeit -- noch!
--- nicht entdeckt. Nicht mal auf Eure Liedkunst seid Ihr eitel. Und
-das gehört doch sonst wohl zum Dichter wie zum Pfau das Radschlagen?
-Ihr geizt mit Eurer Kunst. Man muß Euch überlisten, sollt Ihr singen!
-Deshalb hab' ich Euren Waffenträger bestochen, -- ich verhieß ihm ein
-Küßlein meiner Zofe: (denn sie lieben sich!) -- heute unter seinem
-Mantel versteckt Eure kleine welsche -- wie sagtet Ihr jüngst? Die
-Citole! -- mitzunehmen. Seht Ihr ihn dort hinten reiten? Da guckt
-an seinem Halse das blaue Tragband hervor. Sind wir im Waldesgrunde
-gelagert, dann, Herr Sänger von Yvonne, singt Ihr uns ein Lied. Nicht
-wahr? Ich bitte!« -- »+Ihr+ -- +mich+ -- bitten? O vielsüße ...!« --
-»Gemach! Ihr sprecht zu einer künftigen Äbtissin. Singt Ihr uns?« --
-»Gern. Aber -- den anderen nicht. Dir, dir allein!« Verweisend hob sie
-den Zeigefinger. »Man sagt: ›Euch, Jungfrau Minnegardis.‹ -- Ein altes
-Lied? Das ich schon kenne?« -- »Nein. Ein neues.« -- »Wann gedichtet?«
-
-»Noch gar nicht!« -- »Ja, wie wollt Ihr dann Euer Wort lösen?« -- »Wie?
-O Herrin:
-
- Lieg' ich nun bald im Moos zu deinen Füßen,
- In deines Auges Himmel will ich schaun:
- Begeistrung wird mir in die Seele taun,
- Aus meinem Lied dein eigner Reiz dich grüßen!«
-
-
-IX.
-
-Alsbald waren nun die ersten Bäume des »Königswaldes« oben auf der
-Hügelkrone erreicht: schlanke hochstämmige Buchen waren es meist
-schon damals, wie sie heute an jenem schönen Fleck deutscher Erde den
-Wanderer erfreuen.
-
-Aber dazumal war der noch nicht durchforstete Urwald noch viel häufiger
-und dichter mit Unterholz und Buschwerk bestanden: daher nisteten dort
-viel zahlreicher als heute die Vögel, deren noch zwei Jahrhunderte
-später Herr Walther sich erfreuen mochte. Als die kleine Schar die
-Raststätte, eine runde Lichtung, erreicht hatte, auf welcher schon
-während der Jagd vorausgesandte Diener über das weiche, hier in der
-Waldeskühle noch vom Tau funkelnde Moos Decken gespreitet und Körbe
-und Krüge für einen kurzen Weidmannsimbiß bereit gestellt hatten,
-stiegen die beiden Paare von den Pferden und lagerten sich auf der
-sammetweichen Waldwiese. Die Diener stellten das »Lägel« Wein, die
-Zinnbecher und die mitgeführten Speisen zurecht und gingen dann mit den
-Rossen seitab.
-
-Freudig glitzerte die Morgensonne des schönen Maientages durch die
-Wipfel der hohen Buchen und warf auf den Waldboden ein goldiggrün
-Gegitter. Die Bienen, den Sonnenschein suchend, flogen häufig um den
-Agelei und die großblumigen Blauglocken, die an hochaufgeschossenen
-Stielen nickten. Würzigen Harzduft atmeten im Sonnenbrand die dunkeln
-Tannen, die hin und wieder neben der milden »Frau Buche« wie ernste
-waffentragende Kriegsmänner Wache zu halten schienen. Aus den dichten
-Wipfellauben scholl bis herunter in der lauschenden jungen Paare Ohr
-das kosige Girren und Gurren der Wildtaube und weither aus der Tiefe
-des Buchwaldes klang der Goldamsel metallischer Ruf. Gar schön war's
-und freudig auf der stillen, sonnigen Waldwiese.
-
-Die warmblütige Tochter der Alpen empfand voll den Zauber des Ortes,
-der Stunde: ihre fröhlichen hellbraunen Augen suchten den feurigen
-Blick Fulkos: -- sie hatten nicht lang zu suchen: -- er lag im dichten
-Gras zu ihren Füßen. Denn den beiden Fräulein war über das hoch aus dem
-Boden ragende Wurzelgedräng einer breitstämmigen Buche als erhöhter
-Sitz ein weicher Teppich aus Lombardenland gespreitet worden, so daß
-die beiden Jünglinge tiefer lagerten.
-
-Auch Edel spürte wohl, daß Hellmuths Auge unablässig nach dem ihren
-suchte; doch unerbittbar hielt sie die langen Wimpern niedergesenkt,
-und mußte sie dieselben aufschlagen, verstand sie es meisterlich,
-seinen Blick zu vermeiden.
-
-Fröhlich den blinkenden Zinnbecher schwenkend rief Minnegard: »Wie
-wohlig ist's doch hier im Walde! Frisch, aber doch nicht kühl,
-sonnenhell, aber nicht sengend! Und alles in Laub und Blumen so
-jugendfroh! Das lieb' ich! Es scheint, -- in solcher Stunde -- das
-Leben noch so leicht, so einfach selbstverständlich! Und doch! -- Was
-mußte nicht alles geschehen, bis gerade wir vier Menschenkinder an
-dieser Stelle, zu dieser Stunde zusammentrafen, zwei gute Gesellen,
-zwei herzvertraute Gesellinnen!« Und sie griff mit der rundlichen
-warmen Rechten nach Edels langen, schmalen, kühlen Fingern.
-
-»Das ist noch nicht genug!« rief Fulko. »Auch jeder Gesell muß sich
-eine Gesellin gewinnen; was meinst du, Freund?« Aber Hellmuth schwieg:
-denn Edel runzelte die Stirn.
-
-»Es ist so kurz erst,« begann die Braune aufs neue, »daß wir alle vier
-zusammengetroffen sind in dem freundlichen Städtlein am gelben Main.
-Wir wissen noch gar zu wenig voneinander. Wie wär' es, wenn wir hier
-einander erzählten, was uns hergeführt und wie wir früher gelebt? Eine
-Waldbeichte! Die Tauben da oben -- hörst du ihr zärtlich Gurren, Edel?
--- singen die Waldmesse dazu.« »Ja, beichten wir!« fiel Fulko bei.
-»Aber Ihr, schön Minnegard, macht den Anfang. Ihr habt gewiß von uns
-vieren das meiste Unheil in der Welt angerichtet. Uns anderen wird's
-dann leichter.« »Mein junges Leben,« lachte sie, die weißen Zähnlein
-zeigend, »ist gar bald auserzählt. Geboren bin ich fern im schönen
-Hochgebirg des Bayerlandes, wo, an den Schroffen des Wettersteins,
-die Partnach schäumend durch die Felsen bricht, die Kanker murmelnd
-durch die Büsche zieht, die Alpenrose bis herab zum Thalgrund blüht:
-dort ragt ein altes Schloß seit grauer Zeit: -- des Werto Fels: das
-ist mein Heimatthal, auf jener Burg stand meine Wiege. Früh starb die
-gute Mutter, bald folgte ihr der Vater, Herr Werinher von Rothenburg,
-des Königs Graf im Sundergau. Da ward mein Muntwalt sein Bruder, der
-Herr Erzbischof Heribert von Köln; der ließ mich zu sich bringen an den
-Rhein. Als ich den achtzehnten Winter vollendet hatte, teilte er mir
-mit, der letzte Wunsch meiner Mutter habe mich dem Kloster bestimmt:
-dieser Wunsch solle mir heilig sein. Ich erschrak! Thränen brachen
-mir aus den Augen. Das Kloster, das mich aufnehmen soll, darf ich mir
-wählen.«
-
-»Gut, sagt mir's vorher. Ich steck's in Brand,« grollte Fulko leise.
-
-»Ich erbat vor allem Aufschub. Und da der Oheim als Reichskanzler den
-Herrn Kaiser auf unabsehbar lange Zeit nach Welschland über die Berge
-zu begleiten hatte, gab er für immerdar die Vormundschaft über mich ab
-an seinen jüngeren Bruder, den Herrn Bischof Heinrich, und sandte mich
-hierher. +Diesen+ Oheim lob ich mir! Ist's ein Mann!«
-
-»Ein Held ohnegleichen!« rief der wortkarge Hellmuth begeistert und
-seine traurigen Augen blitzten dabei auf. »Eine Faust von Erz!« »Und
-ein Herz von Gold!« ergänzte der Sänger, den Becher frisch füllend und
-hebend. »Ich trinke auf sein Heil!« »Wir thun Bescheid,« fielen die
-andern ein und selbst Edels strenge Züge wurden freundlich: sie stieß
-mit dem frohen Paare an; Hellmuth machte gar nicht den Versuch, seinen
-Pokal ihrer Trinkschale zu nähern. »Allein auch er,« seufzte Minnegard,
-»hält es für Pflicht, dem letzten Wunsch der Mutter nachzuleben.« »Wäre
-nur Frau Heilfriede nicht so fern,« meinte Edel, mitleidig auf die
-Freundin blickend, »die vieledle Gräfin, die hilfreiche, die ratkluge.
-Sie fände wohl Rat auch für deine Not!« -- »Ja, die vielgütige Frau.
-Wie hat sie mir in Köln die Mutter ersetzt, solange ihr Gatte, Graf
-Gerwalt, des Deutzgau's waltete.« -- »Hat sie doch sogar mich, die
-Fremde, wie eine Tochter gehalten und gepflegt, als ich erkrankte,
-während mich Herr Heinrich dorthin gesandt hatte, dich zu besuchen.«
--- »Und in hohem Ansehen stand sie bei dem Herrn Kanzler.« -- »Dagegen
-hier sah ich sie noch nie im Bischofshof.« -- »Sie weilt ja nun
-schon geraume Zeit mit ihrem Gemahl in Welschland.« »Und noch nicht
-gar lange ist's her,« ergänzte Hellmuth, »daß Graf Gerwalt diesen,
-den Waldsassengau, erhielt.« »Die heilige Gräfin, wie wir sie alle
-nannten,« fuhr Minnegard fort, »sah wohl mein Widerstreben; ich
-glaube, sie hat auch einmal bei Herrn Heribert für mich gesprochen
-Aber ohne Erfolg! So werde ich denn --« und hier spielte schon
-wieder ein schelmisch Lächeln um ihre Mundwinkel -- »in irgend einem
-weltvergessenen Klösterlein dereinst als ›heilige Äbtissin‹ für euch
-drei sündhafte Weltkinder beten. Vielleicht, Edel, läßt du dich dort
-vor meinem Altare trauen.«
-
-»Ich werde mich nie vermählen,« sprach diese gepreßt und sah scharf
-in die Ferne. Gespannt folgten Hellmuths Augen diesem Blicke. »Oho!«
-lachte der Ritter von Yvonne und warf den krausgelockten Kopf in
-den Nacken. »So hat schon manch Jungfräulein gesprochen, das als
-Urgroßmutter starb. Die eine +soll+ nicht heiraten, die andere +will+
-nicht! Ja, soll die Welt aussterben? Zwingen muß man euch zu eurem
-Glück, vielholde Thörinnen!« -- »Welcher Mann zwingt mich?« Scharf,
-wie drohend flog die Frage aus Edels stolzen Lippen und ein blitzender
-Zornesblick aus den hellgrauen Augen schoß auf Fulko. »Nicht ein Mann,
-aber eine Frau, strenge Edel von Edelhag,« erwiderte der rasch: »Frau
-Minne! Die ist doch noch mächtiger denn Euer Herzenstrotz.« »Und,«
-forschte sie bitter, »giebt es wirklich kein anderes Glück als Liebe
-und Ehe?« -- »Für das Weib -- nein!
-
- Wenig weise wähn' ich das Weib,
- Welches weigert der Liebe den Leib
- Und süßem Sehnen die Seele:
- Freudlos verblüht sie, darbend verdorrt sie,
- Keinem zur Wonne, sich selber zum Weh!«
-
-»Ich fand noch keinen,« sprach Edel laut und fest, »der meiner Liebe
-wert.« Dabei wandte sie das stolze schöne Haupt und sah mit zürnenden
-Augen Hellmuth voll in das Antlitz; es war der erste Blick, der ihm
-heute ward. Der senkte demütig den Kopf: »Ihr werdet nie einen finden,«
-sprach er leise, nickend. »Doch, doch!« rief der Junker von Yvonne.
-»Herr Hellmuth vom hohen Horst, trauter Genoß, -- das war -- mit Urlaub
-der herben Jungfrau dort sei es gesagt! -- das war herzlich thöricht
-geredet. Verdienen zwar kann der Mensch die Liebe überhaupt nicht:
-
- Lenz, Leben, Liebe, Sonnenschein
- Kannst nicht als Recht verlangen:
- Drum mußt du fein bescheiden sein
- Und sie geschenkt empfangen.«
-
-»Das ist hübsch,« rief Minnegard. »Ist gewiß provençalisch Gewächs?«
-
-Der Sänger neigte sich höfisch und fuhr gegen Edel gewendet fort: »Aber
-dieser Spruch gilt von Weib wie von Mann. Die anders dächte, der sagte
-ich:
-
- Der Starke ist der Schönheit wert
- Und gleich der Rose gilt das Schwert.
-
-Und dir, du junger Aar vom hohen Horst, du Sieger in fast so viel
-Gefechten als du Jahre zählst: -- schon nennt man dich weit über
-Frankenland hinaus bis zu den Wenden den Rennespeer, den Junker
-Siegespeer! -- dir sag' ich: es lebt kein Mädchen noch so schön und
-noch so stolz-gemut, dessen du nicht würdig wärest!« »Eia wohl!«
-wollte Minnegard rufen, aber die Stimme versagte ihr: sie erschrak, so
-zornig klang nun Edels Frage, die sie Hellmuth zuschleuderte wie einen
-spitzen Speer: »Euer letzter Sieg, Herr Ritter, war der zu Worms im
-Lanzenstechen -- nicht?« Er errötete über und über; er ließ das Haupt
-noch tiefer auf die Brust sinken und erwiderte, ohne sie anzublicken:
-»Ich habe seither keine Waffe mehr geschwungen.« »Ja, allen Heiligen
-sei's geklagt!« schalt Fulko laut. »Ein Kopfhänger ist er seither
-worden! Kein Mensch begreift, warum? Nach dem glänzendsten Siege, der
-seit Menschengedenken in einem Stechen gewonnen ward, so erzählte der
-Herr Bischof.« »Jawohl,« bestätigte Minnegard. »Auch mir rühmte der
-Ohm -- weiß nicht, Herr von Yvonne, warum er uns beide damals zu Hause
-sitzen ließ! -- den Sieg des ›Rennespeers‹. Du aber, Edel, -- erzähle
-doch! -- du warst ja mit dem Herrn Bischof damals zu Worms.« »Jawohl,«
-fiel Fulko ein. »Wart nicht Ihr es, edle Jungfrau, die damals den
-Siegesdank zu reichen hatte?«
-
-Die Frage blieb ohne Antwort. Denn ungestüm sprang Hellmuth auf. »Es
-wird schwül im Walde!« rief er und ging mit langen Schritten auf und
-nieder. Und zornig, schweigend, mit zusammengedrückten Lippen sah ihm
-Edel nach.
-
-
-X.
-
-»Halt an, Freund!« rief Fulko. »Du darfst nicht entweichen mit deiner
-Lebensgeschichte. Beichte!« Hellmuth erwiderte nicht, er strich nur
-das schlichte, kurze, dichte Blondhaar aus den heißen Schläfen.
-»Jawohl,« pflichtete Minnegard bei und haschte ihn, da er wieder an ihr
-vorüberstürmte, am braunen, lang nachflatternden Mantel. »Steht! Und
-steht Rede!« »Ist bald geschehen,« erwiderte gelassen der Traurige.
-»Heiße, wie ihr wisset, Hellmuth ...« -- »Trübmuth solltest du heißen!«
--- »-- vom hohen Horst. Fern, aus dem Lande der Ostfalen stammte der
-Vater. Der trat in den Dienst Sankt Burchhards zu Würzburg. Als des
-Bistums Dienstmann bin ich geboren und trage seit der Schwertleite
-des Bistums Waffen. Das ist alles.« »Nein,« rief der Ritter von
-Yvonne, »+wie+ du sie trugst, -- +das+ ist die Hauptsache. Noch zählst
-du nicht dreißig Jahre und seit vierzehn Jahren hast du in keinem
-Gefechte gefehlt auf deutscher, welscher, wendischer Erde, darin Sankt
-Burchhards Fähnlein geflattert und jedesmal ... --« »Bist du nun
-fertig, Lobposaune?« schalt der Sachse, kurz vor ihm Halt machend.
-»O nein, noch lange nicht!« lachte der Provençale. »Denn du wirst
-noch lange ruhmreich weiterkämpfen in Ernst und Spiel.« -- »Glaubst
-du? In einem Spielkampfe spiel' ich nie mehr mit. Ich hab's gelobt.
-Nur in den nächsten Ernstkampf, der bevorsteht, -- in den reit' ich
-noch ein.« -- Und als er wieder fern von den anderen war auf seinem
-hastigen Gang, fügte er bei: »und nimmermehr heraus!« -- »Und du,
-schöne Edel, vielgestrenge Vetterin, -- willst du uns auch nicht mehr
-Worte gönnen als dieser eiserne Rennespeer?« -- »Noch wenigere. Ihr
-wißt, ich bin von der Spindelseite eine fern versippte Niftel der Herrn
-von Rothenburg, aber aus Nordalbingien von der Eider stammen mir die
-Ahnen, von den Markgrafen von Esesfeld. Weit von hier im Nordgau lag
-meines Vaters Volkfried Lehen, nahe der Wendenmark. Sie brachen gar oft
-ein, die wilden Berunzanen. Und einmal trafen ihre weitgeschleuderten
-vergifteten Wurfdolche den Vater vor der Burg am Edelhag bei
-Wolframsdorf ...«
-
-»Ja, sind gar arg liebe Leute!« meinte Fulko, grimmig lachend.
-
-»Sie drangen mit den Fliehenden in die Burg und verbrannten sie mit
-meiner armen Mutter: -- Muthgard hieß sie, nach einer Ahnin -- und
-allem, was darin lebte. Nur mich flüchtete, aus der Wiege mich reißend
-und aus den Flammen, ein treuer Knecht in den Taubergau zu meinen
-Gesippen nach Rothenburg. Dort und, seit Herr Heinrich Bischof ward,
-hier, haben sie mich mit milder Hand geborgen. Die Heiligen werden es
-den Gütigen vergelten!« -- Sie schwieg eine Weile. Dann fuhr sie, weich
-geworden, fort, in das Ohr der Freundin flüsternd: »Du +sollst+ ins
-Kloster, Liebe, und ich -- +will+.« Minnegard erschrak. »Du wolltest --
-noch vor kurzem -- so wenig davon hören wie ich!« -- »Jetzt aber will
-ich! Der Herr Bischof scheint -- -- anderes zu wünschen. Dürft' ich mit
-dir tauschen! So wär' uns beiden geholfen.« »Aber wohl nicht allen,«
-lächelte das Kind der Alpen, mit einem heiteren Blick auf Hellmuth.
-Jedoch das Lächeln verflog ihr sofort, sowie sie Edels Auge, das sie
-suchte, feindlich den Schritten des Junkers folgen fand. Sie trachtete
-eifrig, das dunkle Gewölk solcher Stimmung zu verscheuchen: -- lachte
-sie doch selbst so gern und hörte sie doch so gern andere fröhlich
-lachen! --
-
-»Nun,« rief sie mit ihrer glockenhellen Stimme, »Herr Fulko von
-Yvonne, nun ist's an Euch. Da werden wir wohl viel mehr Worte und viel
-weniger Wahrheit hören. Seid Ihr doch ein Sänger: -- oder wie sagt man
-jetzt oft? -- ein Dichter!« -- »Gelogen ist nicht gedichtet, schönes
-Fräulein. Ja, wer lügt, der ist kein Sänger. Und mein Wahlspruch
-lautet: Wahre Schönheit ist schöne Wahrheit.« -- »Nicht ganz übel!
--- Nun, so sagt uns denn auch schön die Wahrheit über -- Euch!
-Nämlich! ...« -- Sie schwieg beharrlich. -- »Was will dies nämlich?«
--- »Nämlich: -- -- ich kam einmal in Euere Kammer! ...« -- »Nun?«
--- »Nämlich der Herr Bischof schickte mich: -- denn er wußte, Ihr
-waret fern: -- mit den Junkern Hellmuth und Blandinus saßet Ihr, wie
-gewöhnlich um die Mittagszeit, im schmalen Rebgarten des Hatharlin,
-der den besten Wein verzapfen soll, unter seinen grünen Bäumen ...
---« -- »Weiß Dame Abonde, dort trinkt sich's gut mit fröhlichen
-Gesellen!« »Der Herr Bischof, der selbst noch zuweilen die Laute
-zupft wie in seinen Welttagen, gebot mir, Euere Citole zu holen. Oder
-vielleicht auch« -- sie errötete -- »erbot ich mich dazu an Supfos des
-Kellermeisters Statt. Denn längst war ich ein wenig neugierig, wie es
-wohl bei ... Nun -- ich fand Euere große, große Truhe offen.« -- »Hab'
-leider keine Ursach', sie zu schließen!« -- »Und fand -- bei Eurer
-welschen Laute! -- gar sonderbare, mannigfaltige Herrlichkeiten. --
-Beutestücke wohl? Siegeszeichen?« -- »Was meint Ihr da?« »Ei nun, welke
-Blumen, darunter noch in der Welke gar schöne, mir unbekannte, wohl an
-Durance und Garonne aufgeblüht, ganze oder auch in der Mitte geteilte
-Schapel, seidene Bänder, buntfarbige Schleifen, goldene Knöpflein,
-Ringlein und Spangen und allerlei solch' Zeug. Wenn +die+ erzählen
-könnten, -- was würden wir da alles erfahren!« drohte sie mit dem
-Zeigefinger.
-
-»Daß Fulko von Yvonne mit Schwert und Laute durch gar manches Herren
-Land geritten ist vom Pyrenäenberg bis über den Main, daß er in gar
-mancher Schloßhalle und mancher Kemenate gesungen und unverdientes
-Lob gewonnen, auch gar manch' üppige Frau, manch' schlanke Maid
-gesehen und schön gefunden und ihr das auch vorgesungen, -- aber nur
-Eine geliebt hat. Wollt Ihr deren Namen wissen, Jungfrau Minnegard?«
-»Behüte! Mädchen sind nicht neugierig,« fiel sie hastig abwehrend ein,
-aber sie lächelte und errötete. »Jedoch ein anderes wüßten wir gern
-von Euch: Euer Wesen schillert zwiefach: seid Ihr ein Welscher oder
-ein Deutscher?« -- »Beides, o wißbegieriges Fräulein. Ich verbinde
-beider Völker Tugenden.« -- »Oder doch Laster! Aber erzählt!« -- »Mein
-Vater war ein Neckarschwab; er kam auf einem Kriegszuge unter Kaiser
-Ott dem Roten nach Frankreich: das schöne Land gefiel ihm: er blieb
-nach dem Friedensschluß darin, nahm Lehen von Kaiser Otts treuem
-Verbündeten, dem Grafen Gottfried vom Ardennerland, zog mit diesem in
-allerlei Fehden tief in den Süden bis in die Provence und erstürmte
-dort einmal das feste Schloß Yvonne, das hoch von steilem rotem Fels
-durch Rebgelände niederschaut auf die wild schäumende Durance, nahm den
-Burgherrn, Graf Eudo von Yvonne, gefangen und machte mit dem Graukopfe
-wenig Umstände ...« »Pfui, wie unmenschlich!« schalt Minnegard. --
-»Nun, das ist doch zuviel gesagt. Er that ihm gar nicht weh dabei, als
-er ihn ... --« -- »Schweigt! Wie grausam!« -- »Zu seinem Schwiegervater
-machte.« Da lachte die Braune hellauf und selbst das andere Paar konnte
-sich des Lächelns nicht erwehren.
-
-»Ja, das blieb nicht die einzige Unmenschlichkeit, die er ihm anthat.
-Schon zehn Monate danach erhob er ihn -- aus lauter Ehrfurcht für sein
-graues Haar! -- zu noch höherer Ehre, indem er ihn --« -- »Nun?« --
-»Zu meinem Großvater machte. Meine Mutter aber, Frau Jolanthe, war die
-wunderschönste Frau über all Septimanien, Aquitanien und Provence.
-Noch jetzt ist sie gar hold zu schauen, wie Ihr bald selbst sehen und
-gestehen werdet, Jungfrau Minnegard. Gott segne ihre lieben Augen.
-Heil mir: ich hab' sie niemals im Leben weinen machen.« -- »Das -- das
-war ein hübsches Wort -- das beste, was ich noch von Euch gehört. Aber
-was schwatzt Ihr da von Sehen? Wie sollte Eure Frau Mutter an den Main
-kommen?« -- »Aber +Ihr+ kommt -- sicher! -- an die Durance. -- -- Der
-Vater sandte mich schon früh von Yvonne an die Lehnhöfe zu Orleans,
-zu Paris, zu Givet: -- denn ein Junker, meinte er, wird nirgends
-schlechter erzogen als daheim. Von Givet aus geleitete ich unseren
-Lehnsherrn, Graf Gottfried, zu dem jungen Kaiser, der damals noch in
-Deutschland weilte, erhielt Urlaub, unsere schwäbischen Gesippen am
-Neckar zu besuchen, ward auf dem Rückwege hier von Bischof Heinrich,
-altem Waffenbruder meines Vaters, väterlich aufgenommen und ... --«
-»Und es scheint Euch hier nicht übel zu behagen,« meinte Minnegard.
-»Schon recht lange erfreut Ihr den Main und uns durch Euren Anblick.«
-»Der Bischof hat ihn gar lieb gewonnen, den Schalk,« sprach Hellmuth,
-die Hand auf des Freundes Schulter legend, »wie wir alle. Wir lassen
-ihn gar nicht wieder fort.« -- »Ja, ich lasse mich erbitten, noch zu
-bleiben. Denn ich muß dabei sein, wenn Jungfrau Minnegard den Schleier
-nimmt. Ganz notwendig muß ich dabei sein.« »Wie schadenfroh!« schalt
-diese. -- »Ich meine ja nicht den +Nonnenschleier+: -- den +anderen+
-meine ich!« flüsterte er ihr ins Ohr, sich so nahe vorbeugend, daß sein
-braun Gelock ihre Wange streifte. »Jetzt ist's Zeit, aufzubrechen,«
-rief sie. »Es wird immer heißer hier im Walde.«
-
-Hellmuth und Edel sprangen hastig auf: sie fanden das Beisammen kaum zu
-tragen; sie schritten dem Rastorte der Rosse zu. Aber dem anderen Paare
-schien's nun nicht so zu eilen: -- auch dem Mädchen auf einmal nicht.
-»Ihr habt noch ein Wort einzulösen,« mahnte sie, ruhig sitzen bleibend.
--- »Ich weiß: ein Lied!« -- »Nun wird es zu Tage kommen, daß Ihr gar
-nicht, wie Ihr geprahlt, aus dem Stegreif dichten +könnt+.« -- »Doch!
-Aber -- wenn's Euch dann nur auch gefällt. Ihr müßt's dann nehmen, wie
-mir's aus der Seele bricht. Und bei mir heißt's: Feuer in die Leier
-oder Leier ins Feuer.«
-
-»Nur zu! Fangt nur an. Ich fürchte mich nicht vor dem Feuer. Ich
-gleiche der Schwalbe: die Kälte verscheucht mich, die Wärme zieht mich
-an. Da! Nehmt!« Sie reichte ihm die kleine, zierliche, welsche Laute,
-die sie schon vorher neben sich bereitgelegt hatte. Er strich einmal
-über die Saiten, hob das schöne Gesicht in recht bedrohliche Nähe zu
-dem ihrigen, sah ihr tief, suchend, in die haselbraunen Augen und hob
-an:
-
- »Zu deinen Füßen lieg ich hier
- Und schau' dir in die Augen:
- O könnt' ich all dein Wesen mir
- Heiß in die Seele saugen!
-
- Du trägst empor zu Sternenhöhn
- Die glanzbeglückten Sinne:
- Du bist so schön, so zauberschön,
- So wonnig wie Frau Minne.
-
- Streifst mein Barett nur an dein Kleid,
- Durchrieselt mich's wie Feuer:
- Du meine Qual und Seligkeit,
- Du mehr als Gott mir teuer!
-
- Man sagt, bald wird die Welt verwehn
- In Brand und Funkenstieben:
- Doch nicht in Glut kann untergehn
- Mein noch viel heißres Lieben.
-
- Die Liebe, die ich -- unerkannt! --
- Fühl' hier im Herzen schlagen,
- Sie wird dich durch den Weltenbrand,
- Ein Flammenmantel, tragen!«
-
-Bei der letzten Zeile sprangen beide, heiß bewegt, auf: die Laute flog
-in das Moos, und wer weiß, was das Rotkehlchen, welches neugierig aus
-der Weißdornhecke auf das Paar hervorguckte, würde zu sehen bekommen
-haben, -- hätten nicht gerade in diesem Augenblick die Diener den
-Zelter des Fräuleins herangeführt.
-
-
-
-
-Zweites Buch.
-
-
-I.
-
-Der Herr Bischof von Würzburg war nicht recht mit sich zufrieden.
-
-Er sagte sich das, wie er an einem heißen Nachmittag in der Bücherei
-auf und nieder wanderte. »Schon all diese Zeit her ist mir nicht
-geheuer, seit ich Berengar entsendet habe; eigentlich doch mehr nur:
-habe ziehen lassen. Und ich hab' ihm streng eingeschärft, noch nicht
-abzuschließen mit den wilden Wenden. Ich scheue mich, sie in den Gau
-hereinzurufen, am Ende gar in die Stadt einlassen zu müssen. Wenn diese
-Heiden ...« Er blieb plötzlich stehen und griff mit der Hand an die
-heiße Stirne.
-
-»Ah bah,« fuhr er, wieder ausschreitend, fort, »ich habe doch schon oft
-schlimmes Kriegsvolk in Zucht gehalten, werd' auch mit diesen fertig
-werden. Der erste, der stiehlt, hängt. -- Es ist nicht das! -- Aber
-gegen den Kaiser! Gegen den deutschen König! Gegen diesen Jüngling: --
-er, seine Mutter, sein Vater haben mich mit Huld, mit Ehren überhäuft.
-Undank wird er's nennen. Er -- und die Welt! Ich trotze dem lauten
-Wort der ganzen Welt, wenn das stille Wort hier -- hier in der Brust
-mich freispricht. Und es +muß+ mich freisprechen. Ich +muß+ Sankt
-Burchhards Rechte wahren! -- Wäre doch Arn zurück mit der Entscheidung
-des Papstes. -- Ja: die Entscheidung! Wäre ihre Stunde doch da! --
-Inzwischen verzehrt mich die Ungeduld! -- Immer beten! -- Kann's nicht!
--- Und auch nicht immer lesen! -- Es ist so eng, so dumpf, so staubig
-hier unter all den alten Pergamenten! -- Ich bin büchermüde. Menschen
-will ich sehen! Hinaus ins Freie! Aber was draußen thun? Fechten darf
-ich gar nicht mehr. Jagen soll ich nur zahm und selten. Der Bischof,
-der Priester soll --! O Weh und Pein! Der Priester! Warum Priester,
-warum? Ah falsches, treuloses Weib! Was hast du zu verantworten! Was
-hast du angerichtet in mir, Verräterin!« Und er drückte die geballte
-Faust vor das Auge.
-
-»Der Priester, -- der Bischof -- was kann er thun draußen unter den
-Menschen? Ihnen wohlthun! Ja, und das will ich! ›Seelsorge!‹ Schönes
-Wort! ›Herzenssorge‹ wäre auch gar schön, aber wer auf Herzen baut --!
-Ah was! Fort damit.
-
-Geht es dir schlecht, soll's andern desto besser gehen! Hinaus,
-Heinrich, und hilf, wo du kannst!«
-
-Er stieß den halbgeschlossenen Laden auf und blickte über die Stadt hin
-gegen den Main.
-
-»Die Sonne geht zu Gold. Bald sinkt sie hinter die Buchenwipfel des
-Königswaldes. -- Aber noch ist's Zeit genug, Gutes zu wirken, bevor der
-Tag verronnen ist. Es kommt die Nacht, da niemand mehr wirken mag. Die
-Nacht! Am Ende gar -- für diese Welt -- bald die ewige Nacht.«
-
-Er schritt aus dem Büchersaal in das Vorgemach, dann auf den breiten
-Gang, in welchen die Holztreppe mündete, stieg diese herab und wollte
-sich der Hauptthüre zuwenden, die aus dem Bischofshause ins Freie -- in
-der Richtung nach Westen, gegen die Brücke hin, -- führte.
-
-Allein in der Mitte der Vorhalle ward er angerufen von einer Stimme,
-die aus der Unterwelt emporzudringen schien. »Hezilo! Herr Graf! --
-Hochwürdiger Herr Bischof, wollt' ich sagen.« -- »Du, Supfo? Was
-soll's? Was willst du?«
-
-Und er wandte sich zur Rechten, wo einige Stufen in die Keller des
-Hauses hinunterführten. Auf der obersten derselben tauchte jetzt dort
-eine behäbige drollige Gestalt auf, die aus lauter aufeinandergesetzten
-Kugeln aufgebaut schien.
-
-Kugelform hatte das grüne Mützlein aus steifem Wolltuch, das, vorn
-höher als hinten, etwas schief auf dem rundgeschorenen Grauhaar des
-runden Kopfes saß. Aus dem ganz glattgeschorenen Gesicht traten
-die stark geröteten Wangen halbkugelig hervor unter den runden
-vergnügten Äugelein, die frisch und hell in die Welt schauten; unter
-dem hellbraunen Schurzfell erhob sich ein Bäuchlein, das sich der
-Kugelgestalt nach Kräften zu nähern trachtete und auch die roten
-Wadenstrümpfe zwischen Knie und Knöchel hatten Mühe, ihren geschwellten
-Inhalt zu bergen. Fröhlich, treuherzig und dabei recht gescheit, ja
-schelmisch-witzig war der Ausdruck der angenehmen Züge: auch Herrn
-Heinrich schien der Anblick zu vergnügen: heiter ward seine bewölkte
-Stirne, während er auf die Antwort des dicken Männleins wartete. Diese
-kam etwas langsam, denn der Rundliche hinkte ein wenig beim Ersteigen
-der Stufen und schnaufte ganz gewaltig. »Uf! Heiß ist's im lieben
-Würzburg im Brachmond sogar im kühlen Keller.« »Ja freilich,« drohte
-der Bischof lächelnd, »wird dem Kellermeister warm, wenn er so fleißig
-seines Amtes waltet -- im Vorkosten! Aber was willst du?« -- »Was ich
-will? O Hezilo, lieber Herr, -- das krieg' ich doch nie wieder.« --
-»Was ist's?« -- »Meinen Hezilo von ehemals möcht' ich wieder haben!
-Den aus der guten Rothenburger Zeit. Hei wie wir jagten mit dem alten
-Rado in dem waldgrünen Taubergrund! Den +Grafen+ Heinrich möcht' ich
-wieder haben, den jagdfrohen, waffenfrohen, weinfrohen, frauenfrohen
-...« Hier furchte der Bischof die hohe Stirn. »Den weltfrohen Liebling
-von Jung und Alt, von Mann und Weib!« »Ja, Vielgetreuer,« seufzte Herr
-Heinrich, »der ist gestorben und begraben! Lange schon!« -- »Ich weiß!
-Ich weiß! Weiß auch den Todestag, die Todesstunde -- zu Pfingsten
-war's. -- -- Hätt's nie von ihr geglaubt! Der arme Herr!« brummte er
-unhörbar. »Schad' um Euch, Graf Hezilo! Was war's für eine Freude,
-mit Euch leben im Frieden, und im Krieg erst recht! Wißt Ihr noch den
-schlimmen Julitag von Squillace? Wetter und Strahl, dort in Kalabrien
-war's doch noch heißer als hier am Main! Da Ihr -- Ihr allein den
-Herrn Kaiser Ott den Jüngeren -- noch seh ich ihn vor mir in seinem
-jugendlichen welligen roten Bart! -- vor der Gefangennehmung gerettet
-habt? Sie glauben falsch, diese Saracenen, aber dreinschlagen thun sie
-ganz richtig. Auf einmal waren sie da, wie vom Himmel heruntergeflogen,
-unzählbar viele! Nichts sah man mehr -- vorn, hinten und links --
-als ihre weißen Flattermäntel fliegen! Es war wie ein unabsehbar
-Schneegestöber.«
-
-»Ja,« fiel Herr Heinrich eifrig ein. »Und welch' ein furchtbar
-Kampfesfeld für uns! Ich hatte treu davor gewarnt, von der breiten
-alten Straße oben auf den Berghöhen herabzuziehen auf den Schmalpfad
-unten an der See. Nun hatten wir's! Vorn und hinten die Araber zu
-Roß: auf den Felsen aber zur Linken -- wie steil stiegen sie empor!
--- die arabischen Pfeilschützen zu Fuß, unsichtbar, unerreichbar: und
-hart zur Rechten -- das brausende Meer, gierig, jeden Ausgleitenden
-zu verschlingen.« »Wie viele starben damals,« fuhr Supfo fort, »des
-Herrn Kaisers Entkommen zu decken! -- Wißt Ihr noch, wie er zuletzt
--- auf geliehenem Roß! -- in das Meer hineinsprang und schwimmend ein
-Schifflein erreichte?« -- »Da fielen alle um ihn her, Herr Richari,
-sein Lanzenträger, und die Markgrafen Berchtold und Günther, die
-Grafen Udo, mein Vetter, Gebhard, Ezelin.« -- »Landulf von Capua und
-Atenulf, die edeln Langobarden.« »Und sogar der alte ehrwürdige Herr
-Bischof Heinrich von Augsburg kämpfte dort und starb für seinen Kaiser.
-Beneidenswerter Tod für einen Bischof!« seufzte Herr Heinrich. -- »Da
-lag sie hingestreckt, seine ganze Stechschar. Nur Einer daraus stand
-noch aufrecht, seine Flucht zu decken. Aber zu Fuß, denn das eigne
-Pferd hatte er dem Kaiser aufgedrängt, da dessen Rotroß, von Pfeilen
-gespickt, unter ihm zusammengebrochen war. Und dieser, stets der
-vorderste am Feind, im Weichen der letzte, der hieß -- Heinrich von
-Rothenburg.« -- »Nein! der vorletzte hieß so. Denn der letzte, der den
-Schild über mich hielt, der hieß Supfo, der von der Taubermühle. So
-oft ich dich den linken Fuß ein wenig nachschleppen sehe, denk' ich
-des Schwerthiebes, den du damals für mich aufgefangen.« »Bah,« lachte
-Supfo, »der Heide, der den Hieb schlug, ist doch schlimmer daran. Zwar
-schleppt er den Fuß nicht nach, aber auch den Kopf nicht mehr mit! --
-Ja, das waren noch Zeiten! Achtzehn Jahre sind's nun bald! -- Aber
-auch noch nach des Herrn Kaisers frühem Tode erging's uns gar gut. Wir
-sonnten uns unter der warmen, -- recht warmen! -- Gnade der schönen
-Kaiserwitwe. Weiß Sankt Kilian, Ihr und ich, wir beide regierten damals
-die Frau Regentin samt dem heiligen römischen Reich!«
-
-Herr Heinrich mußte lachen.
-
-»Als der falsche Vetter von Bayerland sie verriet, ihren Knaben stahl,
-das Reich an sich riß, viele, viele geistliche und weltliche Fürsten
-abfielen von der vereinsamten Witwe und ihrem guten Recht, da habt Ihr
-bei der vielschönen Griechin nahezu allein ausgeharrt, -- wie einst bei
-ihrem Gatten in der Schlacht -- ein Turm in ringsher brandender Flut,
-und habt endlich ihre Sache zum Siege durchgekämpft. Das war lustig.
-Fast jede Woche ein Gefecht! Und jed' Gefecht ein Sieg. Und die Sieger
-immer Ihr und Graf Gerwalt.«
-
-Der Bischof schloß die Augen.
-
-»Und in dem Hoflager der Regentin die edle, holde Jungfrau Heilfriede!
-Wie oft hat sie nach erfochtenem Sieg Euch den Helm mit Eichenlaub
-gekränzt! Euch oder Graf Gerwalt.«
-
-»Was hast du von des Grafen Gerwalt Eheweib zu schwätzen?« -- Recht
-unwillig war das gefragt. -- »Und wozu riefst du mich an?«
-
-»Zu nichts Bösem wahrlich! Ich wollt' Euch bitten, den Lautertrunk vom
-vorvorigen Herbst zu kosten: ich sag' Euch -- der ist fein geraten!«
--- »Ist mir nicht danach zu Mut. -- Mich rufen Pflichten.« Und er
-wollte sich zur Thüre wenden, aber der Kellerer hielt ihn am langen
-porphyrroten Bischofsgewande fest.
-
-»Auch +das+ ist Pflicht, zu erproben, wie herrlich der milde
-Himmelsherr Eurer müheschweren, klugen, ja weisen Arbeit gelohnt hat.
-Viele Jahre sind's nun, seit Ihr, -- kaum waret Ihr hier eingesetzet
--- befohlen habt, auch die unwirtlichen Hügelhalden im Norden der
-Stadt dem Weinbau zu gewinnen. Eitel Geröll und Gestein bis dahin! Den
-›Stein‹ schalten die unzufriedenen Bauern den ganzen unnützen Berg,
-auf dem nur ein paar Ziegen kletterten. Aber die liebe Mittagssonne
-liegt darauf so lang und so heiß sie irgend kann! Die Blust der Trauben
-verweht dort nie ein rauher Wind: -- des Berges hoher und breiter
-Rücken schließt ihn aus. Schwer Geld hat's Euch gekostet, die edelsten
-Rebschößlinge tief aus Welschland zu beziehen: -- den ersten habt Ihr
-mit eigener Hand gepflanzt und gesegnet, und unverdrossen habt Ihr
-all die Jahre lang bei dem müheharten Winzerwerk selbst mitgearbeitet
-in Sommerbrand und in Herbstnebel. Zum erstenmal nun kelterten wir
-vor zwei Jahren dies welsche Gewächs auf ostfränkischem Boden -- treu
-und liebevoll, wie eines Liebchens, pflegte ich des Fasses! -- und
-nun kommt in den Keller und schmeckt, genießt, was Ihr da Köstliches
-geschafft. Es rollt wie flüssig Feuer durch die Adern. Noch späte Enkel
-werden Euch drum danken.« -- »Ich hab' gelernt, der Menschen Dank
-entsagen. Ich gehe, um ...« -- »Nein, Herr, bitte, bleibt nur noch ein
-weniges. Ich ... ich habe Euch im Keller etwas mitteilen wollen: -- es
-wäre gerade der rechte Ort dafür gewesen: auf einem Fäßlein sitzend
-und von Weinduft umweht -- so muß man das lesen und anhören. Denn es
-ist ...« er lachte herzlich. -- »Nun was ist's?« -- »Ein Brieflein
-von Arn!« -- »Wie? Von Arn? Aus Welschland? Wohl gar aus Rom? Was? An
-dich schreibt er und mich, der ich so schmerzlich auf Nachricht, auf
-Entscheidung warte, mich läßt er ohne Kunde? Das ist ja ...« -- »Nein,
-nein, Herr Graf, es ist kein Unrecht wider Euch: -- Ihr werdet's gleich
-selbst einsehen: aber, bitte, laßt Euch einen Augenblick nieder -- dort
-auf der Hallenbank.« -- »Ich nicht! Aber du! Dein Fuß! Verzeih mir,
-Freund, daß ich dich so lange stehen ließ.« Und fürsorglich geleitete
-er den Humpelnden an die Bank und ließ ihn auf dieselbe niedergleiten.
-
-
-II.
-
-»Wie gut er ist!« flüsterte der Runde. »Und immer so allein! So
-trübselig! Unter den verwünschten heiligen Pergamenten. Gott verzeih
-mir's: ich wollte sie wären lauter Fässer voll Stein und Leisten!«
--- »Nun also! Was schreibt mein träger Bote?« -- »Vor allem, er ist
-noch nicht in Rom. Der Brief ist geschrieben in einem Dörflein hinter
-Florentia und erst vor einer halben Stunde brachte ihn ein Laienbruder
-aus dem Sankt Gundberts Kloster zu Onoldesbach (dem mußt' ich doch den
-Willkommbecher vom Fasse füllen!) dort, bei den guten Mönchen, liegt
-Arns Reitknecht wund: er stürzte mit dem Gaul schon auf dem Brennerberg
-und schleppte sich seither all den weiten Weg durch Bayerland und
-Schwabenland bis in unser liebes Franken. Darum währte das so lang. Nun
-hört, was der wilde Bayer schreibt: mir ist, ich seh' ihn vor mir und
-hör' ihn! Die armen Welschen, die ihn angehen wollen! Der Riese steckt
-zwei von ihnen, wie etwa Euer zwiebelgelber Berengar ist, unter jeden
-Arm und trägt sie ins Wasser wie junge Katzen.
-
-›Unsern huldvollen Gruß und geistlichen Segen zuvor ...‹« »Der
-Unverschämte!« lachte der Bischof. -- »Unserem lieben und getreuen,
-aber durstigen Supfo. ›Meinem gnädigen Herren, dem Bischof, hast du
-sofort zu melden, daß nichts Entscheidendes zu melden ist.‹« -- »Noch
-immer nicht! Ja freilich, wenn er erst bei Florenz ist!« -- »Verzeiht,
-Herr Hezilo, der Brief ist ja viele Wochen alt: -- wegen des Boten, der
-lange Zeit schon zu Wilten am Fuße des Brennerberges liegen bleiben
-mußte: -- einstweilen muß der Bayer längst am Tiberstrom angelangt, ja
-er kann schon bald wieder zurück sein! -- ›Dem hochehrwürdigen Herrn
-Bischof -- oder wie ich lieber sage -- denn so durft' ich sagen in den
-schönsten Jahren meines Lebens! -- dem tapfern Herrn Grafen also Gott
-zum Gruß voraus. Aber dann gleich Weidmannsheil und Weinfreude vollauf!
-
-Schon einige Male hab' ich ihm durch Boten Nachricht gesandt, wie
-es mir ergangen auf meiner frommen Fahrt, zu der er mich unfrommen
-Jägersmann auserkoren hat. Wundert mich nur, daß er mir nicht Rado,
-den Heiden, mitgegeben hat als Begleiter. (Grüße mir den Alten und
-er soll mir noch ein paar Stück Wild übriglassen im Grafenwald!)
-Hat meine Aussendung Herrn Heinrich der heilige Geist eingegeben,
-so war der gerade in sehr guter Laune. Denn mir geht's soweit ganz
-gut. Lieber zwar ritt ich mit Junker Hellmuth auf die Wolfsjagd oder
-säße mit dir, Freund Kugilo, in dem geheimen Kellerverschlag, wo du
-Schlauer die Griechenweine birgst, und mit dem lustigen Junker Fulko:
--- grüß' ihn schön, und sag' ihm, ich habe zwischen Main und Arno keine
-zweite Minnegard gesehen, ja keine, die würdig wäre, jener ersten
-den Strumpf über den feinen Knöchel zu streifen.‹« »Ich werd' ihm!«
-unterbrach heftig der Bischof. »Du unterfängst dich nicht, dem kecken
-Provençalen ...! So weit ist das schon? Nun, warte Jungfräulein! Das
-führt dich noch rascher ins Kloster.« Supfo wollte etwas einwenden,
-aber dies zornige Antlitz vertrug jetzt kein Widerwort; so fuhr er
-fort: »›Als daß ich hier im heißen Welschland erkunden soll, -- höchst
-überflüssigerweise! -- ob nicht demnächst die Welt untergehen wird.
-Es fällt ihr gar nicht ein. Sie schaut gar nicht danach aus! Zwar
-wahr ist: je weiter man gen Mittag reitet, desto häufiger findet man
-diesen dummen Wahn in den Köpfen der Leute und desto verbissener
-und versessener sind sie darauf. Aber das macht nicht die größere
-Weisheit, sondern die größere Hitze, bei der ja die klügsten Rüden, die
-oft viel gescheiter sind als die Menschen, toll werden. In Augsburg
-glaubte noch kein Mensch daran: -- nur ein paar Nonnen! -- in Bozen
-schon viel mehr Leute, auch Weltliche: in Mailand ist noch kaum ein
-Vernünftiger -- ausgenommen Herrn Heinrichs Bruder, der Herr Erzbischof
-Kanzler Heribert: -- der sagte mir: er glaube es erst, wenn's der Herr
-Papst befehle ...‹« Der Bischof nickte: »So schrieb mir Heribert, und
-also halt' ich's auch.« Der Runde legte das Pergamentblatt nieder auf
-seine Kniee und sah ihn an -- mit einem vielsagenden Lächeln. »So
--- --?« fragte er gedehnt. »So? -- Ich ... ich halt' es anders.« --
-Rasch, wie um einer Frage zuvorzukommen, las er weiter. »›Vollends
-aber in dieser sonst gar lieblichen Stadt Florentia! -- ich kenne sie
-gut von früher! -- jedoch davon alsbald. Es ist mir also immer gut
-gegangen, Freund Supfissimo, wie man dich hier zu Lande nennen würde,
-abgesehen von der landesgebräuchlichen grausamen Hitze: die verträgt
-mein zottiger Kopf und mein vollblütiger Leib gar schlecht. Denn siehst
-du: die unsinnige Hitze macht unsinnigen Durst, der unsinnige Durst
-macht ein Trinken, das auch nicht alle Tage sinnig bleibt und dann
-macht das starke Trinken wieder noch stärkere Hitze und so geht es in
-der Runde fort wie beim Rosenkranzbeten.
-
-Zumal ich doch die edle Gottesgabe, die hier wächst -- fast schwarzrot
-ist der starkduftende Feuerwein! -- wahrlich nicht wie diese
-erbärmlichen Welschen mit sündhaftem Wasser verschänden werde. Nun,
-und im Rausch giebt's dann manchmal einen gelinden Raufhandel. Denn
-mich macht der Rausch nicht weinerlich, sondern minnegehrend wider
-die Weiblein und kampfgehrend gegen die Mannsleut' --‹ Ich muß schon
-sagen,« unterbrach sich der Dicke hier, »einen gar frommen Boten
-habt Ihr an den heiligen Vater geschickt. Der wird eine Freude haben
-an Arn aus Bayerland! -- ›Trittst du aus den kühlen, kellergleichen
-Weingewölben auf den glutheißen, in grellstem Sonnenbrand bratenden
-Marktplatz so einer welschen Stadt, dann glaubst du ohnehin, du stehst
-mitten in einer sausenden Windmühle: so geschwind drehen sich Säulen
-und Kirchen und Bettelbuben und Heiligenbilder und Cypressen und
-Marktweiber um deinen armen Schädel. -- Nun, und da bin ich auch schon
-manchmal einem schwarzlockigen, glutäugigen Mägdlein oder auch einer
-Ehefrau -- man kann's doch nicht immer gleich erraten, zumal sie hier
-ihre Ringhand mit Handschützen zudecken! -- nachgestolpert ... --‹«
-
-Hier sah sich zur Abwechselung der Bischof zu einer Unterbrechung
-veranlaßt: »Nun warte, Bayer! Geht die Welt +nicht+ unter, sollst du
-mir fasten und dursten, daß dir die Üppigkeit vergeht.« »Hilft nicht.
-Kommt nicht wieder!« meinte Supfo trocken und las weiter. »›Schon in
-Verona, in Mailand hab' ich daher leider manchen Degenstoß auffangen
-und zurückgeben müssen, wenn mir so ein neugieriger Vater, Bruder
-oder wenig duldsamer Ehemann dabei in den Weg lief. Aber in dieser
-schönen Stadt Florentia: -- das gab einen Spaß ohnegleichen! Schon
-lange erzürnte mich, daß, je tiefer ich in das schöne Land hineinreite,
-desto mehr die Hitze zu- und der Verstand abnimmt, so daß sie mir
-achselzuckend ›barbarische Wildheit‹ an den Kopf werfen, weil ich an
-jenes Gewäsch vom Weltende nicht glaube.
-
-Hatt' ich mich da in meiner Herberge den ganzen Abend herumgestritten
-mit zwei edlen Florentinern und zwei Mönchen von Cluny -- die nicht
-zu trinken, sondern zu bekehren in die Weinherbergen gingen, tranken
-zwar doch bei der Bekehrung, aber ich mehr als alle vier! -- und als
-der eine Pfaff boshaft wurde und von ›dummen Deutschen‹ und ›groben
-Bayern‹ sprach, erklärte ich, ihn hinausthun zu müssen: -- und zwar,
-weil's näher sei, zum Fenster: -- es war nämlich im Erdgeschoß und
-nicht gar zu hoch -- und da ich es ihm einmal versprochen, ließ ich
-ihn auch nicht lange warten. Sein Genosse entwich kreischend durch
-die Thüre. Aber da die beiden florentinischen Valvassori dem andern
-helfen wollten, hatte ich sie diesem vorausschicken müssen. Nun, so was
-bringt das Blut in leise Wallung. Und wie ich nun den Schlaf suchen
-will auf meinem elenden Lager -- ungleich weniger Strohhalme denn Flöhe
-barg der Sack, der also richtiger ein Floh- denn ein Strohsack würde
-geheißen haben, von anderem Getier, nicht so groß wie Skorpione, aber
-viel häufiger, zu schweigen! -- da ertoset ein unglaublich Heulen und
-Winseln auf dem weiten Platz vor meinem Fenster, als ob tausend Teufel
-tausend alte Weiber zwackten. Ich springe mit einem Salzachfluch ans
-Fenster und seh' im Mondschein und im Licht von düster rotflammenden
-Pechfackeln einen langen, langmächtigen Zug von Pfaffen und Laien und
-Männern und Weibern und Kindern und gewaffneten Valvassoren und schön
-geputzten Edelfrauen und zerlumpten Bettlern, alles einträchtiglich
-nebeneinander, und all das wälzt sich, betend und singend, gegen die
-alte Basilika mir gegenüber. Und trugen eine Menge Wachskerzen und
-Fackeln und Kreuze und Bandièren und Heiligenbilder: und heulten aus
-eitel Furcht vor dem nahenden Tod und Teufel und Weltgericht, daß es
-die Steine erbarmte; oder doch die Hunde von Florenz, denn die heulten
-mit gottsjämmerlich. Und scholl's da durcheinander auf Latein und auf
-Welsch und sangen: ›Wehe! Reue! Buße! Besserung! Glaube! Der Diabolus
-droht. Das Weltgericht! Und vorher geht umher der Antichrist.‹
-
-Gute Nacht, Schlaf! sagte ich. Flöh' im Stroh, vor dem Fenster Weiber,
-Hunde, Pfaffen heulend um die Wette -- mir ward's zuviel. Gut' Nacht,
-Florentia, denk' ich. In hellem Zorn lauf' ich hinunter in den Stall
--- ziehe meinen Hengst heraus -- den Reitknecht hatte ich schon
-vorausgeschickt nach Germinianum: denn der hatte -- er ist aus Passau
-und ein wenig grob! -- mit dem Wirte einen unerheblichen Raufhandel
-gehabt: -- drei Zähne, aber nur florentinische! -- Und will auf und
-davonreiten noch in der Nacht. Suche aber den Wirt, weil ich die
-Zeche immer zahle, wie hoch sie sei. Alles leer! Wirt und Wirtin und
-Kammermagd und Stallknecht: -- alle halfen wohl da draußen das Ende
-der Welt herbeiheulen. Und wie ich durch all die kleinen engen Kammern
-laufe -- (in wahren Mauslöchern hausen sie, diese Welschen! Warum?
-Liegen immer auf der Straße) ... Jetzt weiß ich aber nicht mehr, wie
-ich den langen Satz angefangen habe, denn auch hier in Germinianum ist
-der Wein ziemlich stark: ich mußte ihn sogar auch in die Tinte träufen
-(~atramento~ sagen sie hier), und ist immer im Eintrocknen, wegen Hitze
-der Natur und Seltenheit des Schreibens ... also hier geht es mit den
-Worten nicht ganz zusammen, wohl weil die Tinte -- nicht ich! -- des
-Weines allzuviel getrunken, aber du wirst es schon verstehen -- also
-daher finde ich keine Seele. Aber in einer Gewandkammer, in die der
-Mond voll hineinscheint, wär' ich schier erschrocken. Denn da hing
-einer. An einem Thürhaken. Sah aus wie der leibhaftige Teufel, etwa wie
-ihn die Buben bei uns am Ostersonntag auf der Bleichwiese vor der Stadt
-verbrennen im Osterfeuer. Schwarze Tarnkappe mit zwei Gemshörnern,
-schwarze Kapuze, glühendrote Augen, rote Zunge, lang heraushängend
-aus bleckenden weißen Beißzähnen -- Fledermausflügel an den Schultern
--- langer schwarzer Mantel, der die ganze Gestalt verhüllt -- eine
-zweizinkige Feuergabel lehnte daneben. Die Welschen haben solche
-Mummerei im Hornung. Ein lustiger Gesell hatte wohl für manchen
-vertrunkenen Krug Chlavintowein den kostbaren Seidenmantel als Pfand
-zurückgelassen. Die Verlarvung sehen und laut aufschreien vor Spaß war
-eins bei mir! Flugs stak ich drin: vom Hirn bis zum Knöchel der Teufel.
-Flugs auch saß ich auf meinem schwarzen Gaul und, die Zackengabel
-schwingend, jage ich, was das Roß nur laufen kann, schreiend, wie auf
-einer Salzburger Hochzeit, plötzlich in den heulenden Zug. Von der
-Seite her kam ich: ganz ungesehen, bis ich mitten drin war unter den
-heulenden und zähneklappernden Weibern und Pfaffen. Da schrie ich in
-meinem besten Florentinisch: ›Ja! Ja! Der Teufel! Der Teufel! Ihr habt
-ihn gerufen. Jetzt kommt er, euch holen!‹ O Supfo mein! Hättest du das
-mitangesehen! Du hättest dir das Bäuchlein gehalten vor Lachen! Hättest
-du den Schrecken gesehen, den ich, der Eine Mann, der verachtete
-Barbar aus Deutschland, all diesen überklugen, feingeistigen Welschen
-einjagte. Auseinander stoben sie wie ein Flug Sperlinge, darein der
-Habicht stößt.
-
-Männer wie Weiber, Ritter wie Pfaffen, die Kerzen, die Fackeln,
-die Kreuze, die Fahnen warfen sie weg, über den Haufen rannten sie
-sich, alles drängte, die Kirche, den rettenden Altar mit seinen
-Heiligenknochen zu gewinnen. ›Der Teufel! Der Diabolo! Der Antichrist!
-Der Dämon!‹ schrieen sie durcheinander. ›Gleich greift er mich. Er hat
-mich schon.‹
-
-So sprengte ich zwei-, dreimal von links nach rechts und von rechts
-nach links quer durch den langen Zug, der in seinen Windungen sich
-mehrfach über den weiten Marktplatz hin dehnte. Und nicht einer hatte
-den Mut zu stehen, meinem Gaul in den Zügel zu fallen. Nachdem ich,
-der Eine Salzburger, etwa zweitausend Florentiner in die Flucht der
-Todesangst gejagt, sprengte ich davon, und riß mir, als ich an das
-römische Thor gelangt war, die Teufelslarve ab. Hier ward ich eine
-kleine Weile aufgehalten. Der Thorwart hatte meine Entmummung gesehen
-und leider kannte mich der Mann von meiner letzten Fahrt durch Florenz:
-und nicht gerade von meiner tugendlichsten Seite: denn er hatte
-damals eine Nichte gehabt, eine dralle Dirne von üppigem Wuchs und
-Wesen. Der unchristlich lang nachtragende Oheim stürzt also, sobald
-er mich erkennt, auf den Platz vor dem Thore mit gefälltem Speere:
-›Halt,‹ schreit er, ›ruchloser Arn, du trägst mit Recht des Teufels
-Gewand.‹ Und wirklich mußte ich ihm erst den Speer aus der Hand und die
-Sturmhaube vom Kopfe schlagen, bevor ich an ihm vorbei ins Freie jagen
-konnte. Die Zeche blieb -- zu meinem großen Kummer! -- unbezahlt: ein
-halbes Brot, ein Käse und siebzehn Krüge Wein. Der Teufel, für den sie
-mich genommen, mag sie zahlen, kommt er einmal wirklich nach Florenz.
-
-Nun Gott befohlen, Supfo. Trinke den Griechenwein nicht allen allein
-aus, bevor ich wieder zurück bin. Ich komme durstiger aus diesem Lande
-der Heiligen heim als ich hineingeritten. Noch heute geht's nach Rom
-weiter. Ich freue mich auf den heiligen Vater. Aber noch viel mehr auf
-die unheiligen Römerinnen, die stolzbusigen, wie man sie nennt, und
-auf den Wein der Campagnatrauben. Das soll der feurigste sein. Gegeben
-in einer Taverna zu Germinianum, wo es auch wieder Flöhe hat. Aber es
-sind doch andere. Es grüßt dich Arn von der Salzach, Jägermeister zu
-Würzburg und Teufel zu Florenz.‹«
-
-
-III.
-
-Der Bischof schüttelte den Kopf, aber er mußte doch lachen. »Es ist nur
-ein Glück, daß mir der wilde Bayer die Entscheidung des heiligen Vaters
-schriftlich zu bringen hat. Seinem mündlichen Bericht ...!« »Nun ist's
-schon recht,« rief Supfo heiter, sich erhebend von der Bank und das
-Pergament wieder in den Gürtel des Schurzfells steckend. »Der freche
-Brief hat doch was Gutes gewirkt: Ihr habt gelächelt, Herr Hezilo, und
-die böse Falte auf der Stirn, mit der Ihr kamt, hat sich verzogen.
-Wißt Ihr was? Wollt Ihr mir nicht in den Keller folgen, so verstattet,
-daß ich mit Euch gehe. Meine Gesellschaft ist doch noch besser als die
-Eurer Gedanken in der Einsamkeit.« -- »Du hast weit mehr recht hierin,
-als du ahnst! -- Komm mit!« -- »Gleich, teurer Herr, gleich! Aber da,
-nehmt, bitte, diesen Schattenhut: -- ich habe ihn für Euch erstanden
-auf dem letzten Markt von den Dalmatinern -- er hängt nun immer hier
-an der Hallenthüre für Euch bereit -- er ist von feinem Stroh, gar
-leicht und luftig: -- die Sonne schießt noch heiße Pfeile über den Main
-herüber. Wo steht mein Krückstock? Da in der Ecke. Ich schreite doch
-besser damit und manchmal gilt's, ein bissig Schwein von den Waden zu
-wehren! So!« Er öffnete die breite Thüre der Halle. »Im Namen Gottes!«
-betete der Bischof im Hinausschreiten. »Er segne unsern Ausgang.«
-Beide stiegen nun die Sandsteinstufen hinab auf den freien Platz vor
-Bischofshaus und Dom. »Wohin zuerst?« fragte der Kellermeister. --
-»Ich will einen Rundgang der Seelsorge machen und der guten Werke; es
-gilt gleich, wo wir beginnen: führe du. Du kennst der Menschen Not und
-Wünsche gut, fast besser als ich, was traurig zu gestehen,« schloß der
-Bischof seufzend. »Ja freilich,« meinte Supfo und schlug die Richtung
-von dem Domplatz nach links, nach Süden, ein. »Für die letzte Zeit
-mag's zutreffen. Ihr zieht Euch ja immer mehr in Euch selbst zurück.
-Oft seh' ich noch nach Mitternacht vom Hof aus in der Bücherei Euer
-Öllämplein glimmen. Immer beten!« -- »Wenn's doch gebetet wäre!« --
-»Oder höre unten in unserm Schlafzimmer Eueren Schritt ob meinem Haupte
-rastlos -- rastlos -- auf und nieder! Seit Ihr diesen schwarzhaarigen
-Welschen ...« -- »Schweig, Supfo. Ich weiß, du hassest ihn bitter.
-Das ist unchristlich.« -- »Aber unvermeidlich! Der hagere Kerl mit
-seinem graugelben Gesicht -- wie ein unreif verfaulter Apfel! -- sein
-Anblick schon zieht mir das Wasser im Mund zusammen wie der Saure von
-Dürrbach.« -- »Er hat sich als mein -- und was viel mehr ist -- dieses
-Bistums eifrigster Freund bewährt.« -- »Wer's glaubt wird selig, --
-oder angeführt! Er ist glücklich fort seit ein paar Tagen. Sankt Kilian
-schenk' ihm eine lange Reise! -- Seht hier, Herr Bischof, könnt Ihr
-gleich anfangen mit guten Werken!« Und er blieb stehen.
-
-
-IV.
-
-»Was? Hier?« rief der Bischof unwillig. »Bei dem Hause des Geizhalses,
-des Kornwucherers? Wenig erbaut bin ich vom Treiben dieses Renatus.«
-
-»Nennt ihn doch nicht Renatus. Isaak heißt der Jud'.« -- »Er ist
-getauft.« Supfo lachte. »Tauft ihn nochmal! -- deshalb führt' ich
-Euch her! -- Aufs erstemal half's wenig, aber besser: laßt es ganz
-bleiben! Wein kann man wassern, nicht Blut.« -- »Ich verbiete dir, so
-von dem heiligen Sakrament zu sprechen.« -- »Verzeiht mir, Herr. Aber
-ist's nicht so? Der Glaube wird danach -- vielleicht, vielleicht auch
-nicht! -- geändert: aber das Geblüt? Wisset Ihr noch in Neapolis, der
-schönen Stadt, des Herrn Kaisers Mohren aus Äthiopia? Die Welschen
-hatten ihn bei ihrem Mummenschanz vor Aschermittwoch mit weißem
-Mehlkleister überstrichen -- fingerdick! Aber sowie er schwitzte beim
-Tanzen und Springen, da bröckelte die weiße Tünche ab von Stirne,
-Wangen und Händen und allüberall kam die angeborne schwarze Haut wieder
-zum Vorschein. Gedenkt Ihr's noch? Nun seht, gerade so steht's mit
-dieses Juden Taufe. Wird der Mensch in ihm warm und rührt sich, --
-bröckelt der Christ ab und der Jude kommt zum Vorschein. Da lob' ich
-mir die Ungetauften: -- unter denen sind die Besten!« -- »Du sprichst
-unchristlich. Die Taufe bringt ihnen das Heil.« -- »Ja, aber nur,
-wenn sie daran glauben, wenn sie das Sakrament deshalb suchen. Wenn
-sie's aber suchen, weil sie sich ihres Volkes schämen und lieber mit
-den Christen die Juden placken wollen als sich mit den Juden von den
-Christen placken zu lassen ...«
-
-»Und geplackt müssen sie doch nun einmal werden, nicht, Supfo?«
-lächelte der Bischof. -- »Gewiß, dafür sind's Juden. Sind ja das
-›auserwählte Volk‹. So hat sie der Herr, nachdem sie seinem Sohn Gewalt
-und Unrecht gethan, auserwählt, Gewalt und Unrecht zu leiden. Das ist
-doch klar und höchst gerecht. Ihr Volk verleugnen diese Abtrünnigen
-und Euch, Herr Bischof, lügen sie vor, sie glauben: Untreue und Lüge
-aber bringt nicht Heil, sondern Schmach. Dagegen des Juden Mutter, --
-das ist ein prächtig Weib! Seht, da tritt sie gerade hervor aus ihrem
-Hofthor.« Vor der Außenthüre des ansehnlichen Holzhauses erschien eine
-stattliche alte Frau mit edeln, vornehmen Zügen des tief gebräunten
-Gesichtes. Sie trug die phantastische, kleidsame, weitfaltige Gewandung
-der Orientalen. Ein gelbes Brusttuch von feinster Wolle verhüllte
-den Oberleib, gelb waren auch die spitzen Schnabelschuhe, die aus
-dem langen, dunkelblauen Rock hervorsahen; ein ganz enganliegendes,
-turbanähnlich gebundenes Kopftuch von schwarzer Seide verbarg
-sorgfältig jedes Haar der Witwe. Sie kreuzte ehrerbietig die Arme
-über der Brust, neigte, gleich einer Palme, das hohe Haupt vornüber
-und sprach mit niedergeschlagenen Augen: »Der Gott meiner Väter segne
-dich und behüte dich, großgewaltiger und -- was siebenmal mehr ist!
--- großgütiger Herr Bischof. Und er lohne dir, daß du bist ebensogut
-als du bist gewaltig.« »Mit der großen Gewalt, Sarah,« erwiderte der
-Gelobte, »ist das so schwach bestellt wie -- leider! -- mit der Güte.«
-»Laßt Euch nicht irren, kluge und schöne Frau!« fiel Supfo ein. »Wären
-wir nur so fröhlich, als wir gut sind.« »Unnütze Reden!« verwies der
-Bischof. »Jawohl,« sprach die Greisin mit sanfter, wohllautender
-Stimme und schlug die langen, schwarzen Wimpern auf: -- die schönen
-dunkelbraunen Augen leuchteten immer noch -- »unnütz, denn man +kennt+
-Eures Herzens Güte! Mein Eheherr Manasse, -- lang ruhet er, gesegnet
-sei sein Gedächtnis für und für und sein Name sei nicht vergessen in
-Israel! -- oft hat er es uns geschildert, Isaak, unserm Sohn, und mir,
-wann wir saßen in Frieden vor den brennenden Leuchtern und aßen vom
-Passahlamm und Ruhe waltete im Haus und ringsum im Lande und Sicherheit
-in der Stadt. ›Die Ruhe‹ -- hat er gesagt, -- ›und die Sicherheit
-verdanken wir nach Gott dem Herrn dem Mann, der da ist wie ein Turm
-der Stärke und ein Streitwagen von Erz, dem Löwen von Rothenburg. Der
-Graf ist fern, denn leer steht da oben die Grafenburg der Gewalt. Er
-steuert -- der Bischof -- dem Raub auf den Handelsstraßen und auf dem
-Flusse und er hat die bösen Buben gebändigt, die schlimme Rotte, die
-da plündern wollte mein Frachtschiff auf dem Main und einbrachen mit
-Beilen in das Haus unsres Friedens. Der Engel des Herrn ist mit diesem
-Bischof der Christen!‹ Und so hab' ich mich gewöhnt zu Euch, starker
-und guter und weiser Herr, emporzuschauen alle Zeit als zu einem Helfer
-in der Not. Und so bin ich hinausgeeilt aus meinem Witwengemach, wie
-ich von fern Euch kommen sah des Weges und stehe hier vor der Thüre
-meines Hauses, eine alte, kummervolle Frau, und greife Euren Mantel und
-lasse Euch nicht, bis Ihr mir habt geholfen in meinem großen Leid!«
-Und sie glitt langsam vor ihm nieder auf beide Kniee und haschte sein
-weites Obergewand mit ihrer magern Hand und küßte demütig dessen Saum.
-
-»Steht auf, alte Frau,« mahnte der Kellermeister, sie aufrichtend, »wir
-mögen das nicht leiden. Sagt kurz, was oder wer Euch quält.«
-
-»Es ist,« sprach sie, sich erhebend, aber den Saum nicht aus der Hand
-lassend, »Isaak, mein Sohn, mein einzig Kind. Was oder wer sonst könnte
-mich auch quälen auf der Welt? Hab' ich doch auf Erden nichts als ihn.
-Und ach! ihn hab' ich nicht mehr, seit ... Nun, seit er die Taufe
-nahm zu Mainz.« Der Bischof furchte die Brauen: »Daran, Jüdin, that
-er recht. Aber er wußte wohl, weshalb er nicht von mir das Sakrament
-erbat, sondern zu Mainz, wo Herr Erzbischof Willigis nicht so viel
-von ihm weiß wie wir leider hier von ihm wissen. Ich hätte ihm zur
-Bedingung gemacht -- vorher -- ein Gelübde, daß er nun auch innerlich
-den Christen anziehe und von sich werfe seinen jüdischen Wucher und
-Geiz.« »Jüdischer Wucher und Geiz!« stöhnte die alte Frau und ein so
-schmerzlicher, vorwurfsreicher Blick der dunkeln Rehaugen traf Herrn
-Heinrich, daß er leicht errötete und rasch einfiel: »Ich weiß, was
-Ihr sagen wollt. Euer Gatte -- Manasse -- hat in der großen Kornnot
-aus seinen Speichern die verhungernden Christen in allen Städten
-und Dörfern am Main gespeist von Staffelstein bis Mainz. Er war ein
-Wohlthäter der Armen: -- Gott möge ihm die Strafe seiner Verstocktheit
-mildern, Sankt Burchhard und Sankt Kilian mögen für ihn bitten, wie
-ich, deren unwürdiger Nachfolger, es dankbaren Herzens gar oft thue.
-Aber Euer Sohn ist ein ...« -- »Herr, er ist krank, glaubet mir. Er
-ist besessen von übeln Geistern! Wir haben ja zu eigen soviel Güter
-der Erde, -- der Herr hatte gesegnet meines Manasse Redlichkeit und
-Fleiß! -- daß wir wahrlich nicht sorgen müßten um unsere Lebsucht.
-Aber -- es ist wahr -- er ist so ... sparsam, mein armer Isaak, daß
-er sich nicht gönnet eine Neige Weines am Sabbath des Herrn!« »Und
-Euch, scheint's,« schalt Supfo zornig, die hagere Gestalt musternd,
-»Euch, seiner alten Mutter, auch an den andern Tagen keinen Bissen
-Fleisch.« -- »Vollends aber seit ein paar Tagen ist er ganz krank im
-Gehirn und wirr in seinen sonst so klugen, scharfen Gedanken. Denn er
-ist gar scharf, mein geliebter Isaak.« »Wir wissen's!« bestätigte der
-Kellerer. »Allzuscharf! Möchte seine Seele nicht sehen! Muß voller
-Scharten sein!« -- »Seit wann, arme Frau?« forschte der Bischof voll
-Mitgefühls. Ihn jammerte um die leidende Mutter und es ergriff ihn,
-über das ehrwürdige, schöne Gesicht langsam zwei große Thränen rinnen
-zu sehen. -- »Seit das Gerede überhandnimmt unter den Burgensen hier
-und seinen Geschäftskunden in andern Städten, die Welt werde demnächst
-untergehen. Das hat ihm ganz verstört die Gedanken. Er kann nicht
-mehr schlafen seitdem. Und immerfort, in der eifrigsten Arbeit, im
-Rechnen sogar oder wann er wiegt auf seiner Wage die Goldmünzen des
-Herrn Kaisers -- wobei ihn sonst nichts störte, ja nicht einmal
-Blitzschlag ins Haus des Nachbars Hesso: er wog ruhig fort. Jetzt
-spricht er dabei mit sich selbst wirre Worte und unterbricht sich und
-rechnet falsch -- der Isaak! -- und stiert vor sich hin und stöhnt:
-›wenn's wahr ist, bin ich ein Narr gewesen vom Knaben an und Narretei
-war all' mein Thun, mein Raffen, Listen, Geizen! Wenn's wahr ist --
-wüßt' ich's nur! -- noch heute werd' ich ein Schlemmer, ein Fresser,
-ein Säufer wie diese ...‹« »Diese Deutschen, sagte er wohl,« ergänzte
-scharfsinnig, aber grimmig, der Kellerer. -- »›Ein Spieler werd' ich,
-ein Kleiderthor, und halte mir Jagdrosse und Eberhunde und Reiherfalken
-und ... anderes! Ob's wahr ist!‹ stöhnt er dann wieder und rauft sich
-Haar und Bart, ›ob's wahr ist?‹ -- So quält er mich, -- aber was liegt
-an mir! -- so quält er sich selbst, meines Manasse Sohn, er quält sich
-Nacht und Tag mit Grübeln. Jetzt ist er fortgeritten gen Frankfurt,
-einzuheimsen den Gewinn von einem großen, großen Geschäft, das er hat
-gemacht in Goldkörnern, Silberbarren und edlem Gestein! Aber, o wehe
-wehe geschrieen! Es hat ihn nicht gefreut das reiche Geschäft! Und wie
-er mir vorrechnet den Gewinn, verrechnet er sich wieder! Zu seinem
-Schaden verrechnet er sich, der Isaak! Das war noch nie! Wie muß er
-sein ungesund! Und warum verrechnet er sich? Weil er mitten drin immer
-wieder stutzt und fragt: ›ob's wahr ist? Ob's wohl wahr ist?‹ Und als
-er steigen will auf das Pferd zu reiten nach dem Gewinn, steigt er
-daneben statt in den Bügel, weil er gen Himmel schaut und fragt ›ob's
-wohl wahr ist?‹ Und er findet und findet nicht Ruhe, bis er's weiß, so
-oder so. Ich bin eine unweise Frau, ich kann's ihm nicht sagen. Und es
-kann ja sein, daß es geht zu Ende: denn oft hat es gelesen Manasse aus
-den Rollen, daß die Welt wird einmal vergehen und Elias wiederkommen
-im feurigen Wagen. Aber Ihr, Herr Bischof, guter Mann und weiser,
-Ihr kennet die Schriften, Ihr wisset viel. So sagt nur ja oder nein,
-daß ich beruhige meinen wirren Sohn, wann er wird wiederkommen, und
-beschwichte sein fiebernd Gehirn!«
-
-Und wieder wollte sich die Weinende vor ihm niederwerfen. Er hielt sie
-fest am Arm und sprach: »Frau, Ihr thut mir leid in der Seele! +Ihr+:
--- merkt! -- nicht Euer Sohn, den auch die letzten Dinge der Menschheit
-nur schwanken lassen zwischen dem alten sündhaften Wucher oder neuem
-sündhaften Sinnentaumel! Pfui über den Juden und schade um das
-vergeudete Taufwasser! -- Höret denn, gute Frau, -- +Ihr+ wäret würdig
-christlicher Gemeinschaft! -- Ich selbst habe davon keine Wissenschaft.
-Allein ich habe das Haupt der Christenheit befragt: bald muß der
-Bescheid eintreffen. Dann werd ich ihn allem Volke dieser Stadt, dieses
-Bistums, verkünden. Bis dahin aber sagt Euerm Sohn: ›der Herr Christus
-hat nicht Freude an denen, die da nehmen die Taufe, aber nicht lassen
-vom Wucher. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: man kann nicht Gott
-dienen und dem Mammon‹. Das hat der Herr schon Eurem Volke offenbart:
--- aber mit dieser Offenbarung hat er von allen seinen Worten den
-wenigsten Glauben gefunden in Israel. Ihr jedoch, gute Sarah, Euch rate
-ich: nehmet die Taufe. An Euch werden die Heiligen Freude erleben! Mag
-das Gericht nun nahe sein oder fern: rettet Euere unsterbliche Seele!«
-Und er löste mit sanfter Gewalt sein Gewand aus der Hand der Greisin,
-die es immer noch festgehalten hatte, und schritt hinweg von ihr mit
-gütigem Nicken des Kopfes.
-
-Die alte Frau sah ihm lange nach. Dann sprach sie, kopfschüttelnd und
-mit der Hand über die Augen wischend: »Ich glaube es nicht, daß wir
-Kinder Israel verdammt sind. Wäre es aber so: -- lieber mit Manasse in
-der Hölle, als mit Isaak im Himmel der Christen. Ich will beten für uns
-und für die Christen -- für den armen Isaak und für den guten Bischof
--- zum Gott meiner Väter!«
-
-Und sie schritt langsam zurück in den Hof.
-
-
-V.
-
-Von dem Hofe des Kaufmanns hinweg übernahm zunächst Herr Heinrich die
-Führung des Rundganges. Er wollte nach dem Stand der neuen Bauten
-sehen in der Vorstadt vor dem Südthor »auf dem Sande«, die er als
-sein eigenstes wohlthätiges Werk betrieb; vor allem den großen Bau
-des Klosters und der Kirche -- nur diese war bereits vollendet -- die
-er dort den Apostelfürsten Sankt Peter, Sankt Paul und dem frühest
-berufenen Blutzeugen: Sankt Stephan, zu Ehren gestiftet hatte.
-
-Schwer fiel es dem Bauherrn aufs Herz, als er sich jenseit des Thores
-der Baustätte näherte, von der her sonst, weithin vernehmbar, der
-fröhliche Klang des Beilschlags, der Reihengesang der Arbeiter,
-der Befehlsruf der Werkmeister ihn begrüßte, daß statt dessen eine
-Grabesstille waltete.
-
-In die Luft hinauf stiegen die hohen Gerüste: -- aber sie waren
-leer, verlassen; sie schienen zu trauern; die halbfertigen Holzwände
-sahen wie vom Feinde zerstört aus. Nur ein einsamer Mann schlich, die
-Verödung betrachtend, über den leeren Bauplatz; als er den Bischof
-von weitem erkannte, wollte er hinter einem großen Bretterhaufen
-verschwinden. Aber Herr Heinrich hatte ihn erkannt und rief ihn an:
-»Hallo! Haltet an, Hesso! Was lauft Ihr vor Eurem Bauherrn davon,
-Werkmeister?«
-
-Der Angerufene, eine starke stattliche Männergestalt mit treuen Augen
-in dem gebräunten Gesicht, machte Halt, zog ehrerbietig, aber mißmutig
-den kurzrandigen Filzhut und erwiderte trübselig: »Werkmeister ohne
-Werk: -- Bauherr ohne Bau.« Verstimmt und verdüstert entgegnete der
-Bischof: »Nun -- eine kurze Unterbrechung! Wird soviel nicht schaden!
-Bald dürft Ihr wieder hauen und hämmern lassen hier, Meister Hesso.«
-Der Mann zuckte die breiten Achseln. »Schade! Wir waren so gut im
-Zuge. Die Arbeiter willig und geschickt. Nun haben sich die besten
-schon verlaufen. Und der Bau des neuen Münsters zu Sankt Johannis
-Ehren und des Stiftes in der Nordvorstadt, der Hochvorstadt, des
-Siechenhauses und des Waisenhauses und der Schule! Alles unterbrochen!
-Warum? Weil kein Geld in der Kammer sei, log der verfluchte Welsche.
-Aber am gleichen Tage hatte er Speere, Sturmhauben, Brünnen für
-die bischöflichen Dienstmannen gekauft und bar bezahlt bei dem
-Waffenschmied Gericho im Eisenhof! Als er nun mit seinen Lügen hier auf
-das Gerüst trat und die Arbeiter ablohnte und fortwies, -- gern hätt'
-ich ihn im Namen und zu Ehren der heiligen Petrus, Paulus und Stephanus
-herabgeworfen von den Balken« -- »Geduld! sag' ich Euch. Ihr müßt
-warten.«
-
-»+Ich+ kann warten. Aber die Waisen, die Schulknaben in dem feuchten
-Loch am Main und die Siechen, die nun auf den Gassen im Stroh liegen?
-Die können nicht warten, Herr Bischof. Jedoch Speere und Brünnen für
-die bischöflichen Dienstmannen: -- das eilte wohl! Uns bedroht ringsum
-kein Feind weit und breit!« »Hört doch auf,« mahnte Supfo. »Ihr seht
--- Ihr sagt da ...« -- »Ich sehe, der Herr Bischof zürnt, aber ich
-sage die Wahrheit! Und das Schlimmste ist -- die Armen!« »Wieso?«
-grollte Herr Heinrich. »Ihr Teil ward nicht angetastet.« -- »Nein,
-aber durch die plötzliche Einstellung all dieser -- sechs -- großen
-Bauten haben doch recht viele Brot und Lohn verloren. Wohl waren
-viele Bauleute Unfreie des Stifts -- allein gar mancher kleine Freie
-fand doch auch bei der Arbeit Lohn und Brot für Weib und Kind. Die
-hungern nun! Sind aus der Stadt gelaufen, rotten sich zusammen im Gau,
-stehlen und rauben.« »Wie Wetter Gottes fahr' ich unter sie,« rief Herr
-Heinrich. »Ich will sie! Wenn der Graf des Waldsassengaus schläft ...«
--- »Er schläft nicht, der wackere Herr Gerwalt, aber er ist fern, in
-Welschland. Wißt Ihr das nicht, Herr Bischof?« »Die Bauten werden bald
-wieder aufgenommen, sagt das den Leuten. Und den Gauräubern sollen
-meine Ritter Hellmuth und Fulko den fehlenden Herrn Grafen mehr als
-ersetzen, das gelob' ich.« Unmutig schritt er davon, ziellos, weiter
-gen Süden.
-
-»Nichts für ungut, Herr Bischof!« rief ihm der Werkmeister nach.
-»Aber nehmt sie bald wieder auf, Eure Bauwerke: sind gott- und
-menschen-gefällig.« »Gott und Menschen gefällig,« wiederholte der
-Enteilende bei sich. »Jawohl. Zweifellos. Und das Werk, dem ich diese
-Bauten geopfert, wird den Menschen nicht gefallen. Und Gott? --«
-
-Erregt hastete er weiter, immer gerade aus nach Süden. Der treue
-Supfo hatte mit seinen klugen Augen schon bei den ersten Worten des
-Baumeisters das Gewölk gesehen, das aufstieg auf der hohen Stirne
-Herrn Heinrichs. »Auch hinter diesem Unheil steckt,« brummte er, »--
-wie hinter allem! -- Berengar. Ich muß den Herrn auf andere Gedanken
-bringen. -- Ei sieh da!« rief er. »Was verschwindet da so fluchteilig,
-links, hinter dem Buschwerk, vor dem Graben? Ich meine, ich kenne
-sie, diese fliegenden Zöpfe mit den roten Bändern! Da könntet Ihr
-schon wieder ein gutes Werk thun, Herr Bischof Heinzelein!« -- »War
-der Bursche, der nach dem Maine zu davonstob, nicht Gericho, ehedem
-meines Hellmuth Waffenträger, jetzt Waffenschmied in dem Eisenhof?«
--- »Jawohl! Und das hübsche runde Kind, das da entsprang, das war die
-braune Rosbertha, die Tochter des Bezzo, der da ein Gärtlein hat und
-eine kleine Verzapfung östlich vom Südthor.« -- »Hm! Was thaten die
-beiden da drüben?« -- »Ei, was werden sie groß gethan haben? Dort
-ist ja der Ziehbrunnen des Wolfilo. Gericho hat wohl dem zarten Kind
-geholfen, den schweren Eimer heraufzuwinden.« »Du mußt deinen Bischof
-nicht anlügen, Supfilo,« lächelte Herr Heinrich. »Zumal ich als junger
-Knab' zu Rothenburg auch wohl einmal hinter einem Ziehbrunnen stand.
-Der Eimer wartete schon ganz ruhig auf dem Brunnenrand. Aber der
-Bursche stand immer noch bei ihr hinter der Brunnenmauer. Recht nah
-stand er. Und hielt sie, glaub' ich, an der Hand.«
-
-»Nun ja, soll er das arme Kind etwa in den Brunnen stürzen lassen?«
-Herr Heinrich mußte doch wieder lachen. »Und welch' gut Werk hätte
-ich hier zu thun? Das Mägdlein verwarnen, den Burschen schelten --?«
--- »Bewahre! Hilft so wenig wie bei Arn!« -- »Und dem Vater Bezzo die
-Augen aufthun.« -- »Ja freilich! Aber nicht darüber, daß die beiden
-jungen Leute sich gern haben, -- so dumm, das nicht zu sehen, ist
-der Bezzo auch nicht! -- sondern darüber, daß es sündhaft ist, das
-frische junge Blut, statt es dem hübschen tapfern Gericho zu geben,
-dem alten Stedilo zu verkuppeln, dem reichen Büttner, nur weil er
-fromm und reich ist, der dicke. Er hat nämlich nicht eine thatfreudige
-Frömmigkeit an sich, sondern eine feige, sozusagen eine muffige! Und
-nicht eine liebliche Rundlichkeit hat er: wie ... nun wie sie Sankt
-Urban seinen Lieblingen gewährt, sondern sozusagen: eine aufgedunsene,
-eine Wanstigkeit. Ihr solltet ... --« -- »Supfilo, ich bin nicht junger
-Minne Feind und Verfolger. Nein, mich freut's, wenn treue junge Liebe
-siegt, -- wenn solche wirklich lebt, außer in Fulkos Liedern! Aber du
-kannst doch wirklich deinem Bischof nicht das gute Werk auflegen, junge
-Maide wider väterliche Muntschaft aufzustacheln!« -- »Das wäre hier gar
-nicht mehr nötig. Nur ein wenig -- stützen. Aber ich vertraue, der Alte
-lernt noch rechtzeitig frisches Mark und feiges Fett unterscheiden.«
--- -- »Er sah schon wieder recht ernst darein,« sagte er nach einem
-raschen Blick der hellen runden Augen zu sich selbst. »Ich darf ihn
-nicht ins Grübeln versinken lassen --« Er spähte ziemlich ratlos umher:
-da fiel sein Blick auf einen Schwirreflug von weißen Tauben, die jetzt,
-bei stärker einbrechender Dämmerung des Brachmondtages, aus den nahen
-Feldern nach ihrer Heimstätte flüchteten. Die lag in dem spitzen,
-hochragenden Giebel eines alten braunen, vielfach mit Moos geflickten
-Strohdaches: rechts, westlich von der großen Straße, die damals
-schon wie heute auf dem östlichen Mainufer flußaufwärts nach Süden
-führte. Dort fielen sie ein: blendend blitzte dabei in den letzten
-Sonnenstrahlen ihr helles Gefieder. --
-
-»Dorthin!« dachte der Treue. »Frau Ute! Und Wartold mit seinen Blumen!
-Das wird ihm gut thun. Und sie -- das liebe, schlimme Kind! Und ein
-wenig Ärger über den andern? -- Ei was, wird ihm auch gut thun, so ein
-gesunder streitbarer Ärger. -- Und im geheimen mag er den Alten doch
-ganz gut leiden -- noch aus der alten, das heißt der jungen, fröhlichen
-Zeit.« Er begann nun: »Ihr solltet doch wieder einmal einsprechen da,
--- da vorn mein' ich, wo die Tauben einfielen, bei der alten Mutter
-Ute. Trägt ihr hartes Los so fromm! Aber manchmal ein wenig Trost thut
-ihr doch recht wohl.« -- »Ja! -- Und ein paar Worte Christentums können
-nicht schaden in dem alten Hirtenhaus. Dem Heidenhaus! Ist die letzte
-Trutzburg der halb vergessenen Unholde, an welche die Leute hier zu
-Lande glaubten, bevor Sankt Kilian sie erleuchtete. Wohl, laß uns in
-Rados Haus gehen. Dort braucht's wirklich Seelsorge!« »Wenn der Alte
-still hält dazu,« dachte Supfo. Aber er sagte es nicht.
-
-
-VI.
-
-Rüstig ausschreitend hatten beide bald das Pfahlbürgerhüttlein erreicht.
-
-Der starke Wolfshund vor dem Zaun schlug an, wie sie sich von Osten her
-dem kleinen Nebenpförtlein näherten: gleich darauf stob eilfertig zu
-dem großen Hofthor ein Reiter hinaus und verschwand alsbald gen Süden
-im Staube der Straße. Herr Heinrich schaute ihm merksam nach: er hielt
-die Hand vor die Augen: denn die jetzt wagrecht einfallenden Strahlen
-der Sonne blendeten ungeachtet des Schattenhutes; er sah nur den Mantel
-des Reiters noch flattern. »Ich meine fast, das war -- auf seinem
-braunen Hengst -- mein Junker Hellmuth. Was hat der hier zu suchen?«
-Der Kellerer machte sein ahnungslosestes Gesicht: -- der Frager sah ihm
-nämlich scharf in die Augen. »Nun? Du weißt doch sonst gar viel von ihm
--- steckst immer mit ihm zusammen und mit dem lustigen Provençalen.«
-»Das macht: der steckt gern bei meinem Lauterwein,« schmunzelte Supfo.
-»Aber Junker Hellmuth ... Kaum trinkt er noch! Und lachen hab' ich ihn
-schon seit unser lieben Frauen Verkündigung nicht mehr hören.« »Was
-sucht der hier?« wiederholte Herr Heinrich, nachdenklich. »Schon einmal
-traf ich ihn hier um die Wege. -- Heda, halt, Rado!« rief er dem Hirten
-im grauen Wolfsmantel zu, der des nahenden Bischofs offenbar ansichtig
-geworden und gleichwohl beflissen war, durch eine schmale Lücke im
-Zaun zu entweichen. Er pfiff seinem großen Hund und enteilte gar
-hastig. »Komm, Giero!« rief er alsdann, diesem über den zottigen Kopf
-streichend, wie das Tier auf der Straße in mächtigen Sätzen neben ihm
-her sprang, »wir gehn zu Walde, zur alten Esche ... zu unserm wahren
-Herrn! Seit der Held von Rothenburg ein Geschorener geworden! ...«
-
-Der Bischof schüttelte das Haupt: »er entläuft dem Hirten seiner Seele!
-In der Schlacht entlief er nie. Damals folgte er mir blind.« »Und würde
-Euch auch heute gerne folgen in die Schlacht: -- viel leichter denn in
-den Beichtstuhl!« meinte der Runde und schloß das Zaunpförtlein hinter
-dem Bischof.
-
-Gegenüber der Verwahrlosung und Unreinlichkeit, in welcher die
-Häuser der geringeren Leute fast ausnahmslos lagen, berührte in
-diesem bescheidenen Höflein das Auge gar wohlthätig die Reinlichkeit
-und Wohlgepflegtheit des ganzen Anwesens. Die Wiesenfläche vor
-dem Wohnhäuschen war durchschnitten von säuberlich mit rotem Sand
-bestreuten Wegen: daneben zeigten sich in dem Gras ausgeschnitten --
-regelmäßig mit der Schnur gezogen -- bald längliche, bald kreisrunde
-Beete, in welchen Blumen, oft auch nicht deutscher Heimat, glänzten und
-dufteten, während an dem gen Mittag gekehrten Holzzaun Spalierbäume
-von Edelfrüchten, sorgfältig aufgebunden und liebevoll gewartet,
-nebeneinander in Reih' und Glied standen.
-
-Wohlgefällig wies Herr Heinrich seinen Begleiter darauf hin: »Welcher
-Fleiß! Welche Reinlichkeit! Leider selten bei unsern Gauleuten!« »Ja,
-ja,« nickte der Kellermeister. »Auch ganz leidlichen Wein züchtet der
-alte Wartold ... für einen Laien in der edeln Winzerei. Ein ungleich
-Brüderpaar. Der Gärtner gerade so sanft, friedlich, fromm ...« -- »Als
-Rado der Jäger -- denn er jagt, fürcht' ich, mehr die Wölfe als er die
-Schafe hütet! -- wild und rauh und unfromm. Muß einmal den Archidiakon
-über ihn schicken. Der ist schärfer als ich. Mich erweicht immer das
-Gedenken an die alte Zeit. Aber Berengar mag ihn ...« -- »Laßt den
-beiseite, lieber Herr. Der treibt die Leute leichter aus der Kirche
-denn hinein.«
-
-
-VII.
-
-Wie sie unter solchem Gespräch auf dem mittleren Sandweg gegen die
-Thüre der Wohnhütte vorschritten, hüpfte ihnen etwas entgegen mit
-wehendem Gezöpf, gefolgt von einem desgleichen hüpfenden Hündlein,
-das gar lustig bellte und mit dem struppigen Schweif wedelte. »Kind,«
-lächelte der Bischof, und strich über das wirre Haar der Kleinen,
-während sie ihm ehrfürchtig die Hand küßte, »weißt du's wohl? ›Das
-schlimme Kind‹ nennen sie dich -- alle.« -- »Aber sie haben mich doch
-gern -- alle, hochheiliger Herr.« -- »Mir ist, du bist nicht schlimm.
--- Und ein Kind ist sie auch nicht mehr,« sprach er zu sich selber.
-»Sollte vielleicht Junker Hellmuth ...? Doch nein! Den traf doch wohl
-ein andrer Pfeil! -- Aber immerhin, laß sehen. Mein fröhlich Vögelein,«
-begann er wieder zu ihr, »hab' dich lange nicht gesehen. Hast du
-keinen Wunsch?« »Doch, lieber -- hochlieber -- nein -- hochheiliger
-Herr Bischof. Doch!« sprach sie und senkte das blonde Köpflein.
-»Urgroßmutter befahl mir, Euren stärksten Segen zu erbitten gegen ...
-gegen meinen argen Mutwillen, wie sie's nennt.« »Herr Heinrich, spart
-Müh' und Segen!« lachte der Kellerer, der Kleinen in die volle Wange
-kneifend, »der den Mutwillen auszutreiben, -- dazu brauchte es stärkern
-Exorcismus als sogar der gelehrte Herr Papst Sylvester kennt. Was
-meinst du selber, Hexlein?« »Daß Ihr recht habt, kluger Herr Supfo,«
-antwortete sie ganz betrübt und kleinlaut. »Seht, es ist ein Kreuz und
-ein Elend mit mir. Mein Mutwille, wie sie's alle heißen -- der ist
-gerade wie -- wie meines -- Gott! wo ist er denn jetzt schon wieder
-hin? -- wie meines Schnufilos Fell vom Schnauzbart bis zum Zagel. Immer
-und immer kämm' und bürst' ich ihn glatt und Schnuf verspricht auch,
-er solle nun glatt bleiben: -- und er schüttelt sich und 's ist alles
-beim alten und zottel-rauh-zottig, zum Fürchten! Heiliger Kilian,«
-seufzte sie, »ich weiß nicht, was in mir steckt. Aber es läßt mich
-nicht! Ich muß!« -- »Nun, +was+ mußt du denn, Kleine?« -- »Lachen
-muß ich! In einem fort lachen! Vom Aufstehn an, wann der Knecht so
-tölpisch daher tappt mit den Wassereimern bis zur Vesper, wann die
-Zicklein so närrisch gesprungen kommen von der Weide. Möchte oft gern
-ernsthaft sein, -- werde soviel gescholten! Aber es läßt mich nicht!
-Seh immer an allen Sachen und Tieren und Menschen was zum Lachen!«
-»So? Zum Beispiel auch an mir?« forschte der Bischof. »Ei freilich!«
-lachte sie. So geschwind kam die Antwort aus den kirschroten Lippen,
-daß Herr und Diener mitlachen mußten. »Was? Daß Ihr Euren Abendgang
-mit dem Kugelmännlein da machen müßt, armer heiliger Herr, und stünd'
-Euch so gut zu Arm und Antlitz, ein stattlich Ehgemahl. -- Aber o weh,
-das -- ich seh's an Euren Augen! -- das ist mehr zum Weinen als zum
-Lachen.« »Wein und Kinder sagen die Wahrheit,« seufzte der Kellerer.
--- »Also den Segen für mich ... Herr Süpfelin hat recht! -- er ist
-doch wohl vergeudet -- den möcht' ich umtauschen statt für mich -- für
-einen andern.« »So? Und für wen?« forschte der Bischof ernst. »Etwa für
-Ritter Hellmuth, der soeben mit Euch sprach?« »Der?« lachte sie. »Mit
-mir? Behüte! Kein Wort. Sieht mich gar nicht. Nur mit Ohm Rado raunt er
-immer heimlich. -- Aber den Segen möchte ich haben für den, der mir --
-nach den Gesippen -- aber +gleich+ nach ihnen! der Liebste ist auf der
-ganzen Welt. Seht Ihr. Da kommt er. Dort links!«
-
-Argwöhnisch, wenig erfreut drehte sich der Seelsorger um und spähte
-scharf nach links. »Seht, meines Herzens Schnufilo! -- O gnadenreiche
-Jungfrau, wie schaut er wieder aus! -- Voll Schmutz, und blutend am
-Mündlein. -- Jetzt hat er schon wieder gerauft mit des Nachbars großem
-Kater! Meint Ihr, Herr Bischof, er läßt es? Nein! O +den+ segnet mir.
-Er hat soviele Verfolger und Unterdrücker unter den Bürgerschweinen
-und Bürgerhunden und den Beißkatern. Er kommt oft heim, zerzaust und
-zerrissen und blutend, wie die heiligen Märtyrer im Sankt Burchhard
-drüben in der Kapelle auf dem scheußlichen, greulichen, heiligen Bild!
-Ich bitt' Euch um Euern kräftigsten Hundesegen. Ist er doch mein
-herzallerliebster Schatz!« schloß sie seufzend.
-
-Herr Heinrich hatte die Stirn in Falten legen wollen, aber -- »es
-ließ ihn nicht«: -- er mußte lächeln, wie er der hübschen Kleinen
-heiligen Ernst und des wirrhaarigen Köters Liebesblick zu ihr empor
-aus den ringsumzottelten Augen gewahrte. »Möge er noch lange dein
-Herzallerliebster bleiben und du noch lange die schlimme Fullrun,«
-sprach er freundlich und schritt fürbaß. Supfo verweilte noch bei der
-Verdutztem: »einen Hundesegen, tolle runde Runel, holt man nicht beim
-Herrn Bischof, sondern von ... einem andern Jäger. Frage nur Rado --
-aber ja nicht die Urmutter!« »Behüte! Weiß schon!« lachte sie, »komm,
-Schnufelschatz!« und sie sprang davon in hohen Sätzen, daß Zöpflein
-und Röcklein flogen, bis Schnufilo sie zornig bellend daran fing und
-festhalten wollte. Aber sie schleifte ihn nach und lachte, daß es
-schallte. Der Kellerer sah ihr nach: »Und das -- +das!+ -- soll der
-liebe Himmelsherr demnächst zu Zunder und Asche verbrennen? Er müßte
-sich ja schämen! Nein. Unser Herrgott hat das Herz am rechten Fleck --
-trotz unsereinem. Ich mag's nicht von ihm glauben!«
-
-
-VIII.
-
-Wie nun die Besucher dem Hüttlein unter dem Moosdach sich näherten,
-öffnete sich die niedere Thür und heraus trat eine sehr alte Frau,
-gestützt auf ihren auch schon betagten, aber noch vollrüstigen Enkel.
-Die Züge der Greisin waren immer noch schön -- so friedlich waren sie!
--- und das silberweiße Haar stand ihr gut zu den rosigen Wangen. Diese
-zarte Gesichtsfarbe und das Milde in den Mienen und im ganzen Wesen
-hatte der Enkel von ihr geerbt.
-
-»+Dort+ steht der hochehrwürdige Herr Bischof, dort, zur Rechten,
-Großmütterlein!« mahnte der Führer, indem er den aus Mainschilf
-geflochtenen Flachhut, wie ihn in der heißen Zeit während der Arbeit
-in den Weinbergen die Winzer trugen, demütig abnahm. »Dank Euch, Herr
-Bischof, daß Ihr auch die Hütten der Geringen aufsucht. Ihr seid wie
-des lieben Herrgotts Sonne! Die grüßt und erfreut auch nicht bloß,
-was ihr stolz das hohe Haupt entgegenrecken mag, -- auch das geringe
-Blümlein sucht sie segnend auf, das sich bescheiden duckt am Raine.«
-Der Bischof nickte ihm freundlich zu: »Ich fand schon oft, wer viel mit
-Blumen und Pflanzen zu thun hat, dessen Seele wird sanft und sinnig.«
-Er faßte jetzt die Hand der Alten: »Nun, Mutter Ute, wie steht's?
-Ihr tragt Euer schweres Los so lang -- so lange schon! -- mit echt
-christlicher Geduld.« -- »Ach, gütiger Herr Bischof, es ist nicht
-schwer, wenn man nur einen recht festen Glauben hat. Und den, seht, --
-den hab' ich! -- Und daß ich ihn habe, -- das dank' ich auch -- +Ihm+!«
--- »Gott dem Herrn!« »Mag wohl sein,« erwiderte die Greisin zögernd.
-»Will gewiß nicht nein sagen. Der Herr mag es wohl meinem armen Konrad
-auf die Lippen gelegt haben, bevor er starb.« -- »Euer Mann! Was hat
-er Euch gesagt damals? Er starb', mein' ich, in derselben Nacht, da
-Ihr, da die Ungarn --« -- »Ganz recht, Herr Bischof! Hunnen nannte man
-sie. Bald sind's nun siebzig Jahre.« »Siebzig Jahre blind!« seufzte
-der Kellerer mitleidig. »Ja, das war noch unter Bischof Dietho,« fuhr
-die Alte fort, immer lebhafter redend in dem Eifer der Erinnerung
-und wiederholt mit der Hand über ihr dichtes weißes Haar streichend.
-»Damals war noch Sankt Burchhards heiliger Leib nicht erhoben. Da war
-der Graben um die Stadt noch nicht gezogen, noch nicht einmal der
-Pfahlhag war ganz fertig geworden. Wir wohnten in einem Hüttlein dicht
-hinter dem Pfahl im Osten der Stadt am dürren Bach. Mein Mann, ein
-Freigelassener des Bistums, war gar geschickt, mit Axt und Stemmeisen
-zu bauen und zu zimmern; er war vom Knaben auf im Bischofshaus als
-Zimmerer verwendet worden, hatte daselbst gar frommen, frommen Sinn
-gewonnen und nun hatte ihm vor Jahr und Tag der Herr Bischof Dietho
-das Hüttlein am dürren Bache zur Leihe gegeben, damit er mich heiraten
-konnte: ich war Magd von Sankt Andreas, wie man damals statt Sankt
-Burchhard noch sagte. Ich hatte meinem Konrad gerade ein paar Nächte
-vorher Zwillinge gebracht: -- einen Knaben und ein Mägdlein. Wir waren
-so glücklich! Auf einmal -- in der Nacht -- ein Gejohle, wie wenn der
-Höllenwirt tausend böse Geister losgelassen hätte! Konrad springt
-ans Fenster -- das war offen: denn warmer Sommer war's, wie jetzt --
-›Helft‹ rief er, ›Sankt Kilian, Sankt Koloman und Sankt Tetnan!‹ --
-Rings Feuer! Rings Flammenschein! Des Nachbars Hütte zur Rechten brennt
-lichterloh! Und in dem Flammenschein Hunderte von Teufeln und Unholden,
-zu Roß, zu Fuß, schreiend, jauchzend, mit Äxten an die Nachbarhöfe
-zur Linken, auch schon an unsere Hausthüre schlagend. ›Das sind die
-Hunnen!‹ rief mein Konrad, schloß rasch den Laden und griff nach einem
-Beil. Wie aus dem Abgrund aufgestiegen, so plötzlich waren sie da.
-Schon brannte auch unser Heim, das Strohdach und die rechte Holzwand!
-Aber hinaus? Wehe, wir sahen durch die Ritzen des Ladens, wie die
-Unholde da draußen die Weiber, die Kinder, die aus den brennenden
-Hütten flüchteten, griffen und in ihre Lanzen oder zurück in die
-Flammen warfen.
-
-So blieben wir an dem Herd zusammengedrängt, mein Kurt das Mägdlein,
-ich den Knaben im Arm und beide schreiend zu Gott und den Heiligen.
-Da plötzlich -- von oben her -- ein Krach und eine Lohe über uns hin!
-Der Firstbalken war gerade auf uns herabgestürzt, über meine Augen ein
-brennender Span. Das that weh, Herr Bischof! Noch spür' ich's, denk'
-ich daran. ›Kurt,‹ gellte ich in grellem Schmerz, ›wo bist du, ich sehe
-dich nicht.‹ ›Hier,‹ stöhnte er, ›ich sterbe, arme Ute.‹ ›Wo? Wo denn?‹
-schrie ich und tastete nach ihm. Ach -- ich sah ihn nicht mehr -- ihn
-nicht und nichts mehr auf Erden. Er merkte es bald: ›Utelein,‹ sprach
-er, ›liebes Weib, schönes Weib‹ -- so sagte er, Herr Bischof: O ich
-hab' mir's seither vorgesagt tausend, tausendmal! -- ›das Mägdlein an
-meiner Brust ist tot, zerschmettert. Und ich -- ich muß sterben. Aber
-der Knabe in deinem Arm ist ganz unversehrt. Du -- glaub' ich -- siehst
-nicht mehr ganz gut. Das ist hart! Aber sei getrost: der Himmelsherr
-hat's so gewollt. Und horch -- es wird schon stiller draußen -- die
-Hunnen haben sich verzogen‹. ›Blind!‹ schrie ich. ›Blind fürs Leben?
-So soll ich niemals dein helles Antlitz, wiedersehen?‹ ›Du vergissest,
-liebes Weib,‹ sprach er sanft, ›ich muß jetzt sterben. Aber dereinst,
-wann auch +du+ stirbst, dann wirst du wieder sehen. Im Himmelreich da
-oben, bei dem milden Gott, giebt es keine Lahmen, Krüppel und Blinde:
-dort ist lauter Vollkommenheit: erst gestern hat's der Herr Bischof
-gepredigt im Dom. Also sei ganz getrost! Kommst du zu sterben, wirst du
-sehen, wirst du mich wiedersehen. Mit dem Mägdlein auf dem Arme schweb'
-ich dir aus den Wolken entgegen und hole dich ab aus der Not und der
-Nacht der Erde in das ewige Licht. Leb' wohl! Gewiß ist's wahr --
-glaub' mir -- du wirst mich wiedersehen, wann du stirbst.‹ Das war sein
-letztes Wort.
-
-Bald darauf gruben mich die Reisigen des Herrn Grafen und die
-Dienstmannen des Herrn Bischofs -- die Hunnen waren hinweggestoben,
-nachdem sie die Häuser vor der Mauer verbrannt -- aus dem noch
-qualmenden Schutt, mich und den unverletzten Knaben und ach! die beiden
-Toten. -- Und nun leb' ich und zehr' ich bald siebzig Jahre von dem
-letzten Wort meines Konrad. Ich glaube an sein Wort wie an Gottes Wort
-so fest.«
-
-Gerührt sprach der Bischof: »Gott der Herr hat dich gesegnet, arme
-Frau, in deinem Elend durch deinen Glauben.« »Ja, Herr, da sprecht Ihr
-wahr,« bestätigte ihr Enkel, sich aufrichtend: er hatte sich gebückt,
-die Schnecken von seinen Blumen abzulesen und auf dem Sandwege zu
-zertreten. »In aller Not hat sie dies Wort aufrecht erhalten. Und es
-ging ihr früher doch oft recht übel.« »Nicht Schuld meines braven
-Sohnes Konrad,« fiel die Alte eifrig ein -- »und seines lieben Weibes:
-Gott lohnt ihnen längst schon beiden in der lichten Himmelsaue! Und
-auch wahrlich nicht, sobald die irgend eine Arbeit leisten konnten --
-meine beiden Enkel. Denn darin muß ich den Schwarzen loben wie den
-Blonden -- so ungleich sonst sie geartet sind, die seltsamen Brüder.
-Auch mein Rado -- ... wo ist er? ich höre ihn nicht --?« -- »Zu Walde
-gegangen, Großmutter.« »Schon wieder!« seufzte die Greisin. »Das ist
-sein Unsegen! Weiß Sankt Kilian, immer in den finstern, verrufenen
-Grafenwald! Böse Geister sollen dort hausen« -- sie bekreuzte sich
-Stirn und Brust -- »der wilde Jäger hetzt ob seinen Wipfeln und jagt
-die Holzweiblein darin mit lautem Huhu, Huhu. Bald als Hirt, bald
-als Jäger, bald als Köhler, aber immer in jenem Wald macht er sich zu
-schaffen. Schon vom Knaben auf! Seine Mutter -- will sie sonst gewiß
-nicht schelten! -- ist schuld daran: sie erzählte ihm viel, viel mehr
-vom wilden Jäger und vom bergentrückten Kaiser und von Waldschrat und
-Rauchries' und Drachenries' als von den lieben Heiligen. Aber was er
-früher im Waffendienst der Rothenburger verdiente und was er später
-hier im Hirtendienst der Bürger erarbeitete, -- alles brachte er mir,
-der Schwarze wie mein Blonder -- wie ihr Vater sie nannte. Aber der
-Blonde ist immer gern bei mir geblieben.«
-
-»Nun, Großmütterlein, jetzt sind wir schon lange beide grau. Und es ist
-doch nicht mein Verdienst, daß es mich von Kind auf mehr freute, hier
-im Gehöft zu bleiben, das die Bürger dem Vater als Gemeindehirten zur
-Erbleihe gegeben und dies Gärtlein anzulegen und meiner lieben, lieben
-Blumen zu pflegen und an den Zäunen des Edelobstes und der Reben.« --
-»Er hat eine so glückliche Hand, mein Wartold. Alles gedeiht unter
-seinen geschickten, geschmeidigen Fingern ...« »Der Herr hat sie ihm
-gesegnet, diese Hand,« sprach der Bischof, »die so getreulich die
-blinde Ahnin geführt hat.« »Aber auch Rados Hand!« fiel der Gärtner
-eifrig ein. »Wohl ist sie härter als die meine hier, aber stärker
-und sicherer. Er trifft den fließenden Fisch im Main! Und Bär, Luchs
-und Wolf, sie kennen seinen Speerwurf gut.« »Wie weiland Saracenen,
-Wenden und Welsche,« nickte Herr Heinrich. »Aber die Heiligen schlecht
-sein Beten!« »Zürnt ihm nicht, Herr,« bat Wartold. »Lieber Gott,«
-raunte Supfo ungeduldig, »ich kenne einen, -- einen Seelenhüter, nicht
-bloß Gemeindehüter -- der hat die längste Zeit seines Lebens auch
-viel lieber den Auerhahn im Buchenwald balzen als den Pfaffen im Dom
-Messe singen hören.« »Und nun geht ja doch bald alles zu Ende, Gott
-sei Dank,« erinnerte Frau Ute. »Da gönnt ihm doch noch sein bischen
-Jagen.« -- »Meint Ihr, gute Frau? Noch hat sich die heilige Kirche
-nicht ausgesprochen über jenen Glauben.« »Herr Bischof,« fragte
-Wartold, sehr ernsthaft, »was meint Ihr? Giebt's im Himmelreich auch
-Blumen?« Herr Heinrich schwieg verdutzt einen Augenblick. »Das ... das
-hat mich noch kein Mensch gefragt! Und ich mich selber auch nicht!
--- Blumen? -- Weiß nicht! -- Aber ja! Doch wohl! Palmen, Palmen für
-die Märtyrer.« »Ach, die wachsen nicht bei uns,« klagte Wartold ganz
-betrübt. »Hab' sie immer nur gemalt gesehen in den Kapellen. Von denen
-hab' ich kein Verständnis; werde sie am Ende zu trocken halten,« schloß
-er nachdenksam. »Die Wipfel in Glut, die Wurzeln in Wasser taucht die
-Palme, so lehrte mich der Araber, den Ihr eine Weile hier als Geisel
-gehalten.« »Nun, Gärtner, verzagt mir nur nicht,« lachte Herr Heinrich.
-»Eben fällt mir bei: auch Lilien brauchen sie da oben für die Jungfrau
-Maria. Und um die Stirnen der Seligen zu kränzen. Und auch Engelein sah
-ich zu Rom im Sankt Peter auf Goldgrund fliegen, -- die trugen weiße
-Lilien in den Händen.« »Eia, Eia!« rief der Alte vergnügt und rieb sich
-die Hände in heller Freude. »Gott lohn' Euch dieses Wort, Herr Bischof!
-Lilien! Lilien, sagt Ihr? Nun seht: das sind ja gerade meine Lieblinge.
-Und ein klein wenig,« nickte er lächelnd, »ein klein wenig verstehe
-ich mich auf deren Pflege! Habe dafür am meisten Geschicklichkeit. --
-Oder Gnade von Sankt Gertraud, will ich sagen. Seht nur, frommer Herr
-Bischof, dort das runde Beet. Zwei neue Arten! Haben hier zu Lande
-noch nie geblüht. Die eine -- die weiße -- gefüllt! Und die andre --
-die feuerrote -- noch viel süßer duftend als die weißen! Ein Freund
-von mir, der Klostergärtner von Herrieden, der seinen Abt auf einer
-Pilgerfahrt nach Rom begleiten durfte, brachte mir die Zwiebeln mit
-aus einer welschen Stadt: -- die soll nach den Blumen benannt sein:
-ach diese Stadt möcht' ich wohl gesehen haben! Aber nun ist's zu
-spät. Seht nur, wie sie gedeihen! Und noch schönere hab' ich in dem
-Neubruch, den ich angelegt -- weiter gegen die Stadt und den Main hin,
-die solltet Ihr mal sehen!« »Der Alte hat eine Liebe zu den unnützen
-Stingel-Stengeln,« brummte Supfo, »als wären's wirklich Reben vom
-Stein!«
-
-»O, Herr Bischof,« fuhr Wartold fort und faltete die Hände, »komme ich
--- Unwürdiger! -- doch etwa in den Himmel ... --« »Er ist dir sicher,
-schon wegen des vierten Gebots,« sprach die Blinde. -- »Dann legt ein
-gutes Wort für mich ein bei Eurem Amtsbruder, Sankt Petrus -- der hat
-ja doch wohl das Ganze des himmlischen Hauswesens unter sich, nicht?
-Ich meine: die Vergebung der Ämter zu Lehen! -- Bittet, daß ich sein
-Gärtner ..., ach so, wegen der Palmen? Nun, die werd' ich mir wohl auch
-anlernen können! -- o wenn ich nur sein Gärtnergehilfe werden darf.
-Ewiglich der Lilien pflegen, wie selig!« Und seine sanften blauen Augen
-leuchteten ganz verklärt. »~Sancta simplicitas!~« sprach Herr Heinrich
-gerührt zu sich selber. »Mir ist, diesem reinen Herzen ist der Himmel
-gewisser als mir.« »Soll ich einmal selig werden im Himmel -- aber es
-eilt nicht, gar nicht!« -- raunte Supfo -- »reiß' ich ihm die Lilien
-aus und setze Leistenschößlinge!« -- »Wenn nur dein wilder Bruder,«
-warnte Herr Heinrich, »nichts Ähnliches wünscht wie du: zwar nicht
-ewig gärtnern, aber ewig jagen!« »Sankt Kilian schütze ihn,« rief die
-Alte, »vor solch' frevelem Wort! Da müßte er ja dem wilden Jäger folgen
-immerdar.«
-
-Der Bischof wandte sich zum Gehen; vorher aber zog er noch ein
-Geldstück aus seiner ledernen Gürteltasche, reichte es dem Alten und
-sprach: »Da! Nimm! Ich kaufe dir all' deine Lilien ab. Das heißt:
--- erschrick nur nicht! -- alles soll dein eigen bleiben: Beet und
-Zwiebeln und Stengel und Blätter und Blüten --« -- »Ja, aber was -- was
-ist denn dann die Ware, die Ihr kauft?« -- »Du sollst mir nur, soviel
-ich davon brauche, an Sonntagen zum Schmuck des Hauptaltars des Domes
-liefern. Bist du's zufrieden?« -- »Gewiß, Herr! Welche Ehre für meine
-Blumen! Meine Fullrun soll sie Euch immer, frisch geschnitten, bringen.
-Aber -- es ist des Geldes ja viel zu viel. Und für so kurze Zeit! Wie
-viele Wochen wird denn die Welt noch stehen?« »Es ist zum Lachen,«
-schalt Supfo in sich hinein. »Sie glauben fest an die Dummheit.« --
-»Nun, für so lange eben gilt der Handel, als die Welt, der Dom und die
-Lilien noch stehen.« -- »Gut, gut. Aber ...« -- »Noch ein Bedenken,
-Alter?« -- »Wenn der jüngste Tag an einem Sonntag gerade hereinbricht
-...?« -- »Nun, was dann?« »Dann,« rief der Greis tief erregt, »dann
-geht der Himmel Euerem Altare vor! Die letzten, die ich hier gezogen,
-die nehm' ich mit hinauf, die Stirnen der Seligen dort oben damit
-zu schmücken. Zumal Eine Stirne ...!« Die Stimme versagte ihm: --
-die blauen Augen wurden feucht. »Nun, Wartoldchen, mein Junge, nun!«
-tröstete die Blinde. »Mußt nicht weinen! Siehst sie ja nun bald wieder,
-Friedlindis, deine gute Frau! Hast sie nicht so lange entbehren müssen
-wie ich meinen Kurt. Sie starb, nachdem sie ihm das liebe, schlimme
-Kind geboren. Sind erst fünfzehn Jahre. Da thut so was noch heiß und
-bitter weh!« »Sind erst fünfzehn Jahre,« wiederholte Herr Heinrich
-tonlos, »da thut so was noch heiß und bitter weh. Ach, und er hat nur
-ihren Leib, nicht ihr Herz verloren!« brütete er still weiter. »Und
-kann der Mann ein Weibesherz verlieren, das er einmal besessen? Weh,
-ich bilde mir nur ein, ich hab's verloren. Sie +hat+ kein Herz. Oder
-ich hab's nie besessen.«
-
-»Was ist Euch, Herr Bischof?« fragte die Blinde. »Ihr leidet! Ich
-hör's! Ihr atmet so schwer.« Supfo zupfte sie am Rock, sie möge
-schweigen.
-
-Aber Herr Heinrich hatte sich schon wieder emporgerafft: »Lebt wohl,
-ihr guten Leutchen. Bald komm' ich wieder zu euch. -- Friedlich ist's
-bei deinen Blumen, Wartold. Ich will beten für euer Heil im Himmel.
-Betet ihr für meinen Frieden -- auf Erden! Komm, Supfo! Nach Hause! In
-die Einsamkeit.« Und hastigen Schrittes eilte er aus dem Garten.
-
-
-IX.
-
-In einem dem Bischofshause benachbarten und dem Bistum gehörigen Hofe
-hatte schon Herrn Heinrichs Oheim und Vorgänger Edel, unter der Obhut
-der Frau Malwine, einer alten verwitweten Dienerin des Rothenburgschen
-Hauses, geborgen; der jetzige Bischof hatte sie hier belassen und
-Minnegard während ihres Besuches am Main bei seiner Schutzbefohlenen
--- ihrer Freundin -- untergebracht, bis die künftige Nonne in einem
-Religiosenhause von frommen Schwestern am Nordthor in Empfang genommen
-und für den Eintritt in ein eigentliches Kloster vorbereitet werden
-sollte: das hatte ihr Herr Heinrich als nahe bevorstehend angekündigt.
-
-Ziemlich trübselig daher erwartete sie an diesem Abend in der
-schmuckarmen Kemenate des schmalen Holzhauses den Ohm zum Nachtmahle.
-
-Statt seiner erschien der Kellerer mit einer Absage: »Der Herr Hezilo
-ist von einem Rundgang ganz weich- und wehmütig nach Hause gekommen,«
-meldete der Treue kopfschüttelnd. »Er hat als Abendspeisung nur trocken
-Brot und Wasser bestellt; ich sollte es ihm in die Bücherei tragen.
-Das Brot bracht' ich ihm ganz gehorsam. Das Wasser aber? Ich schickte
-es ihm durch den Brunnenmeister und ließ ihm sagen, bischöflicher
-Keller führe das Gewächs nicht! O das bedeutet wieder einmal eine zu
-durchwachende Nacht! Er geht jetzt wieder auf und nieder, auf und
-nieder, und summt dazu -- aber nicht ein Gebet! Die erste Zeile hab'
-ich erlauscht: 's ist, glaub' ich, aus einem alten Liede, das der
-Junker von Yvonne einmal vortrug:
-
- ›Nicht Feuer und nicht Gift im Blut --‹
-
-aber das andere hab' ich nicht verstanden. -- Vielschöne Jungfrau
-Minnegard,« rief er näher tretend, »ich sag' Euch: wenn das noch lange
-so fortgeht, dann geht's nimmer lang so fort! Er schläft nicht mehr,
-er ißt nicht -- das, glaub' ich, hat er nie gelernt -- er trinkt nicht
-mehr! Und wenn nun vollends auch Ihr noch uns verlaßt! Dann weicht von
-uns der letzte Sonnenstrahl. Über Euch und Eure Schalkheit hat er doch
-noch manchmal gelächelt mit seinem lieben, feinen, sonst so traurigen
-Mund. Wer sollte auch an Euch nicht seine helle Freude haben!«
-
-»Ja, mein treues Supfolein,« seufzte das schöne Mädchen und trug von
-dem säuberlich von ihrer Hand gedeckten Tisch des Bischofs silbernen
-Teller und goldenen Becher hinweg und stellte sie, sich zierlich auf
-den Zehen reckend -- »wie steht ihr alles so anmutig!« dachte Supfo
-dabei -- auf das vorspringende Kruggesims an der lindengetäfelten
-Wand. »Ich weiß es wohl, -- Ihr habt mich lieb gewonnen in Eurem treuen
-Herzen und in Euren klugen Gedanken, -- soviel der Oheim und der Wein
-Raum darin leer gelassen haben. Bitte, gießt ein wenig Öl aus jenem
-Krüglein auf die Ampel -- aus Byzanz, Geschenk von Frau Theophano,
-nicht wahr? Die hätt' ich gern gesehen. Denn ich meine immer ...! Nicht
-wahr, sie war argschön?« -- »Schöner vielleicht sogar als Ihr, und das
-heißt was! Aber nicht so anmutvoll. So mehr wie die marmornen Göttinnen
-in Rom.« -- »Sie soll aber gar nicht von Stein gewesen sein, die üppige
-junge Witwe, wenigstens nicht gegen ...! -- Ach, wer doch von Stein
-wäre! Glaubt Ihr, herzgescheiter Mensch, ich gehe gern von Euch und
-mit Vergnügen in das Kloster?« »Ist ein Schandfleck für alle deutsche
-Jugendschaft!« schrie der Dicke und ward rot im Gesicht. »Hei, wär' ich
-ein Junker wie wir hier zwei oder drei herumstolzieren haben: -- auf
-dem Wege zu den Schmachtnonnen, ja noch hinter dem Klostergitter hervor
-würd' ich Euch retten. Für Euch selbst und für ...« -- »Am Ende gar für
-Euch selbst? Hört, Ihr werdet ganz gefährlich in Eurem Mitleid! Ich
-rufe mir Aufsicht herbei -- und was für gestrenge! -- komm, Edel, komm
-heraus. Erscheine, du Heilige, und hilf mir wider die Anläufe dieses
-dicken Dämons. Wir armen Jungfräulein müssen wieder einmal allein zu
-Abend speisen.« »Die?« flüsterte Supfo. »Ja, die vertreibt mich. Denn
-Junker Hellmuth ist mir nah ans Herz gewachsen. +So+ blond, +so+ schön
-und +so+ widervernünftig!« Und er verschwand.
-
-
-X.
-
-Nachdem der Ruf ohne Erfolg blieb, schlug die Braune den dunkelroten
-Vorhang zurück, welcher das Nebengemach zur Linken abschied.
-
-Da erblickte sie im trüben Dämmerlicht einer Hängeampel die Freundin
-auf dem Betschemel knien, die schmalen, langen, weißen Hände gefaltet
-zu brünstigem Gebet vor einem dunkelfarbigen Kreuz; das stammte aus
-Jerusalem; Herr Heinrich hatte es aus Monte Casino mit heimgebracht.
-Rasch erhob sich nun die Beterin, strich ihr tiefblaues langfaltiges
-Gewand zurecht und trat in das Vorderzimmer; mit leisem Kopfschütteln
-empfing sie Minnegard. »Der Bischof kommt nicht,« seufzte sie. »Und
-also auch nicht das junge Geleit, das er manchmal mitbringt.« »Desto
-besser,« erwiderte Edel, die schönen dunkeln Brauen zusammenziehend.
-»Du denkst nur an dich,« meinte die andere und öffnete einen in der
-Wand angebrachten Verschlag, Schüssel und Teller daraus hervorholend.
-»Vergieb!« bat Edel weich. »Es war selbstisch.« Sie griff nach der
-Freundin Hand, sie half ihr, die Teller aufstellen. »Glaube nur, ich
-gönne dir von Herzen das Vergnügen, das dir der Ritter von Yvonne zu
-gewähren scheint. -- Ich gönn' es dir, -- obgleich ich es beklage.«
--- »Jetzt ... erst setze dich, Edel! +Wir+ wollen unser Nachtmahl
-nicht versäumen! Ist doch morgen ohnehin schon wieder Fasttag! Weil
-an diesem Tag vor vielen hundert Jahren irgendwo ein sehr heiliger
-Mann -- wer kann sich alle merken! -- geboren oder gestorben oder
-›transferiert‹ worden ist. Komm! Greif zu! Der kalte Rehbraten wird
-dir munden, -- du wirst ihm nicht anschmecken, daß der verhaßte Fulko
-den Bock erlegt hat. Sage nur, weshalb du wie auf -- den andern --
-o! ich nenne ihn nicht! -- auch auf den fröhlichen Singemund deinen
-Groll geworfen hast?« -- »Ich trage dem Ritter Fulko keinen Groll.«
--- »Aber er mißfällt dir?« »Doch nicht! Denn bei allem Übermut ist er
-...« sie brach ab. -- »Warum dann beklagst du, daß ich ›Vergnügen‹ --
-wie du das nanntest -- an ihm finde?« -- »Warum? -- Weil ich fürchte,
-holde Thörin, es ist weit mehr als Vergnügen, mehr als Scherz.« »Und
-wenn es Ernst wäre?« erwiderte Minnegardis sehr rasch. -- »O liebes
-Herz! Das eben fürchtete ich, -- sah ich. Bedenke doch! Wie soll das
-enden? Du -- im Kloster. Und im Herzen das Bild eines Mannes! Hast du
-das wohl je bedacht?« Da ward das schöne Gesicht des heiteren Mädchens
-plötzlich sehr ernst, -- der edle Ausdruck ließ ihr doch noch viel
-besser denn der Mutwille! -- und sie antwortete nachdrücklich: »Ja,
-Edel, ich +hab'+ es bedacht. Oft, lang und tief. Sieh, dieser Gedanke
-ist mein Halt, er ist mein Trost, er ist mein einzig Glück. Mögen sie
-mir ein Geschick aufnötigen, dem ich widerstrebe mit Leib und Seele:
--- nur den Leib doch können sie einsperren und zwingen, die Seele
-nicht! Und muß ich aller andern Lebensfreuden darben, nach denen ich --
-ach! so lechzend heiß begehre -- das Eine Glück --, es ist mir ja zu
-gönnen, das bloße Glück der Gedanken! -- können sie mir nicht rauben:
-das Glück, sein liebes, schönes Bild tief in der Brust zu tragen, das
-Glück, ihn zu lieben und -- o ich weiß es! -- heiß von ihm geliebt zu
-sein. Und Heil mir! Er ist es so voll wert, daß ich ihn liebe!«
-
-Da schluchzte plötzlich Edel laut auf: strömende Thränen brachen
-aus ihren Augen, sie schlug beide Hände vor das blasse, schmale
-Antlitz, bog das Haupt dicht an die Stuhllehne zurück und seufzte: »Du
-Beneidenswerte!«
-
-Erschrocken sprang Minnegard auf: nie hatte sie solchen Ausbruch
-des Gefühls erlebt bei der so streng verhaltenen, bis zur Härte
-und Herbheit spröden und scheinbar so kühlen Freundin. »Edel, mein
-Liebling!« rief sie, kniete sich zu ihren Füßen auf das Bärenfell des
-Estrichs und umschlang mit beiden Armen die schmalen Hüften. »Was ist
-dir? O sprich! Wirf endlich dieses starre, stolze Schweigen ab! Es
-schmerzt ja doch dich wie -- wie mich! Vertrau' dein stummes Weh meinem
-treuen Herzen! Sprich es aus! Es wird dir gut thun! Sieh, ich ahne ja
-doch so manches! Hab' ich doch wochen- und monatelang gelebt neben
-dir und --« »Nenn' ihn nicht!« brachte die Ringende schwer aus den
-halbgeschlossenen Zähnen hervor. »Hab' ich's doch mit angesehen, wie
--- allmählich! -- sogar deines allzustolzen Herzens Eisrinde endlich
-schmolz. Ist auch wahrlich kein Wunder! Ist er doch ...« -- »Lob' ihn
-nicht! Es ist all' nicht wahr! --« Bitter, schmerzlich kam das heraus.
-»Ach was! Wohl ist's wahr! Er ist -- leider Gottes: er +war+! -- der
-freudigste junge Held (-- in Blond! --), den man sich träumen konnte,
-wenn man nicht lieber von -- was Braunem träumte. Wie lobte ihn der
-Bischof! Und auch dir gefiel sein ritterlich Wesen. Er taugte so gut
-zu deiner stummen, stolzen, ehernen Art. So gut zu +dir+ -- wie -- --
-ein anderer zu +meiner+ Weise. Und zuletzt -- unnahbar wie du bist --
-du nahmst es an, sein edel zurückhaltend, zartes Werben!« -- »Edel
-zurückhaltend -- zartes -- Werben!« Sie riß die Hände von dem Gesicht,
-ein funkelnder Zornblick schoß aus den grauen Augen, die Flügel der
-feinen Nase zuckten. »Bis auf einmal -- nach jenem Stechen zu Worms!
--- O wie ihr daher zurückkamt! -- Er vom Tage seines höchsten Ruhmes
-wie ein weidwund geschossener Edelhirsch. Und du -- wie jene zürnende
-Göttin der Jagd, von der uns Fulko verdeutschte aus Meister Ovidius.
-Und wie hängt er noch immer an jedem Blick deines Auges, so grausam
-auch du mit ihm umgehst! Mich wundert, daß dich seiner nicht erbarmt.
-Bedenke! Wenn wirklich die nächste Sunnwend' ein Ende macht mit uns
-allen ...!«
-
-Da flog ein leichtes Erbeben über Edels feine Gestalt: ihre Züge
-wechselten den Ausdruck: an Stelle des Zornes trat ein Etwas wie
-Wehmut, wie Trauer: die Kluge ersah das und fuhr eifrig fort: »Wodurch
-immer er deinen Zorn gereizt hat, -- willst du unversöhnt mit ihm
-hinübergehen in die Ewigkeit?«
-
-Edel schwieg und schlug die langen Wimpern nieder.
-
-»Willst du, Grimm und Groll im Herzen gegen ihn, der dir so ganz
-ergeben, vor den ewigen Richter treten, vor Christus, der seinen
-Mördern selbst vergeben hat? O Edel -- ich überraschte dich -- nicht
-das erste Mal! -- im Gebet: wenn du denn so fromm bist: wie lehrte uns
-der Heiland beten? ›Gleich wie wir vergeben unsern Schuldigern.‹ Was
-immer du gebetet hast, -- das Rechte -- +dies+ Gebet! -- du hast es
-nicht gebetet!« -- »Ich ... ich betete -- wie schon so oft! ... für
-ihn!« -- »Edel! -- Wie gut du bist!« -- »Nein, nein! Hoffart war mein
-Gebet: -- ich sehe es jetzt ein! Ich fühlt' es bei deinen +wahrhaft+
-frommen Worten. Ich betete immer nur ...« -- »Nun, was?« -- »Gott möge
-ihm seine Schuld gegen mich verzeihen.« -- »Und du hast beigefügt:
-gleich wie ich, Edel, ihm verzeihe?« Beschämt senkte Edel das Haupt
-auf die wogende Brust. Minnegard hob es zärtlich und gelinde, mit dem
-Finger unter dem Kinn, in die Höhe.
-
-»Du schweigst, kleiner Trotzkopf?« -- »Ich ... ich will nicht ..., daß
-ihm um meinetwillen Gott zürne und ihn strafe.« -- »Aber du, du zürnst
-und strafest fort! Geh du dem lieben Gott mit gutem Beispiel voran!
-Verzeihe du zuerst.« -- »Ich ... ich kann nicht ... will nicht.« --
-»Weil du ihn eben nicht liebst! Du +kannst+ wohl gar nicht lieben!« Da
-traf sie ein blitzender Blick aus den plötzlich voll aufgeschlagenen
-grauen Augen: »Glaubst du?« -- »Noch einmal, Edel, bedenke: wenn nun
-wirklich demnächst alles aus ist? -- Wenn ich dessen erst sicher bin
--- +ganz+ gewiß! -- dann ...!« -- »Nun? Was wirst du dann thun?« --
-»Dann ...!« Minnegard sprang heftig vom Boden auf. »Ja, siehst du,
-ganz genau weiß ich noch nicht, was ich dann thue. Aber einmal noch im
-Leben, thu' ich dann, -- wozu das Herz, -- dies heiße Herz! -- mich
-treibt, unbekümmert um das Geschelte der Welt: -- sie hat ja dann nicht
-mehr viel Zeit, zu schelten.« -- »Kind -- du glühst! -- Was wogt in
-dir? Was treibt dich um?« Ohne die Frage zu beantworten, fuhr Minnegard
-fort, heiß erregt in der engen Kemenate auf und nieder zu schreiten;
-sie hob die vollen Arme in die Höhe und holte tief Atem: »Mit einer
-Halbheit in der Seele, mit ungestilltem Sehnen, mit unbefriedigtem
-Begehr: -- ich weiß freilich nicht, wonach! -- aber nach Liebe, nach
-einer süßen Wonne -- mit dieser schmerzenden Leere hier in der Brust
--- hinübergehen in das Jenseits, wo nicht geliebt wird, nicht gefreit
-und nicht ... geküßt, also nie -- in Ewigkeit nie! -- erfahren, wie die
-Minne beglückt -- das -- das also wird dann mein Los? O wie traurig!«
-Sie blieb plötzlich hart vor Edel stehen. »Und du vollends! Du willst
-deinen Haß mit hinübertragen gegen den Mann, der dich so herzverzehrend
-liebt? Willst du dann vor den Richter treten und verlangen: bestrafe
-ihn!« -- »Nein doch! Nein! Ich bete ja das Gegenteil!« -- »Dann wird
-der Richter sprechen: Und du verzeihst nicht? Die ganze Welt ist
-vergangen, aber nicht dieses Mädchens Haß?« Die so Bedrängte erhob
-sich rasch vom Stuhle: »laß mich! Ich kann nicht anders! Laß mich
-ringen im Gebet mit meinem Stolz, mit mir selbst! Laß mich wieder
-beten.« -- »Gut, Schwester, bete! Geh wieder hinein zu dem Kreuze des
-Allvergebers. Junker Hellmuth ist ein Ritter ohne Makel: er kann nicht
-Unvergebbares verbrochen haben. Auch ich werde beten: aber nicht, daß
-Gott ihm, daß er +dir+ verzeihe deinen lang nachtragenden, deinen
-unversöhnlichen Groll.«
-
-
-XI.
-
-Zu der gleichen Stunde saß in dem Speisesaal in dem Erdgeschosse
-des Bischofshauses an dem runden Tisch mit der Ahornplatte Hellmuth
-in stummem Brüten vor dem unberührten Weinkrug; er hatte den linken
-Ellbogen auf den Tisch gelehnt und das blonde Haupt auf die Hand
-gestützt. Da trat Fulko ein und warf zorngemut das reiherbefiederte
-Barett auf die Bank. »Nichts ist's!« rief er unmutig. »Der Herr
-Bischof beliebt wieder einmal zu fasten, nicht zu Nacht zu speisen
-und gönnt uns die gleiche Frömmigkeit.« »Ist gelogen, mit Verlaub,
-Herr Ritter von Yvonne,« lachte Supfo, der eben eintrat und eine
-stattlich mit allerlei Kaltfleisch gefüllte Silberschüssel auftrug,
-sich neben den beiden Freunden niederließ und alsbald tapfrer als
-beide zusammen auf den Braten einhieb. »Fasten müßt ihr heute Abend
-nur in der Minne, richtiger gesagt: im hungrigen Anschauen einer
-allerdings fast unerlaubt schönen Jungfrau. Daß sie letzteres noch
-ist, Herr Ritter, ist nicht Euer Verdienst.« »Verschafft sie mir zum
-Eheweib und ich erhebe Euch zu +meinem+ Kellermeister,« rief der
-Provençale und schenkte sich den Zinnbecher wieder voll. »Leichter
-Amt wär' es als hier,« erwiderte Supfo und trank ihm zu. »Warum?« --
-»Nun: immer leerer Keller, weil immer durst'ger Herr. -- Übrigens, wo
-steckt Junker Blandinus? Der pflegt doch sonst häufig euer Abendgast
-zu sein! Wo läuft er noch so spät herum?« -- »Jedenfalls hinter
-einem Weiberrock! Schad' um ihn.« -- »Er ist nicht übel.« -- »Nicht
-dumm und nicht feige.« -- »Beides nicht!« -- »Aber die verfluchte
-Eitelkeit!« -- »Und die Verliebtheit! Nach allen Seiten hin!« -- »Es
-ist ihm eigentlich gar nicht drum. Er meint nur, als Venetianer, als
-Dogensohn und schmucker Bursch -- denn er ist wirklich hübsch! --
-müsse er überall um Minne werben. Wenn ich ihn nur einmal gehörig zum
-Fechten und Schlagen bringe! Dann kann noch ein Mann aus ihm werden.«
--- »Bis dahin -- in ein, zwei Jahren -- ist auch die schlimme Runel
-kein Kind mehr; und wer weiß, ob der Schwarzlockige dann nicht doch
-den graulockigen Schnufilo verdrängt in ihrem trutzigen Herzlein.«
--- »Bah, was schwatzen wir da von ein, zwei Jahren -- und sind nur
-noch ein paar Wochen bis Sunnwend' und Weltend'! Sagt, schlauer
-Supfo, wie findet Ihr Euch ab gegenüber den Schrecken des Gerichts
-und Eurem Gewissen?« »Ich?« lachte der Dicke und schob ein mächtig
-Stück Rehbraten in den Mund. »Ich habe das beste Gewissen, das mir
-je bei einem Menschen vorgekommen ist.« -- »Wieso?« -- »Es ist so
-gut. So weinfromm. Besser als Euer Rapphengst, Herr Fulko, der beißt
-zuweilen: und mein Gewissen, -- das beißt mich nie. Ich kann ihm viel
-bieten, bis es nur, warnend, schnappt. Aber beißen? Nie! -- Und das
-andre ...?« -- Er hob den Becher an die Nase. (»Köstlich der Ruch,
-dieses weißen Leisten! --) -- das andre: der Weltuntergang? -- Das ist
-dummes Zeug!« -- »Aber Supfo!« Sogar Hellmuth fuhr hier aus seiner
-trübsinnigen Träumerei auf und warf dem Dicken einen fragenden Blick
-zu. Jedoch der rümpfte unverzagt die rötliche Nase, verzog den Mund
-wie bei einer Weinprobe und sprach bedächtig: »da hab' ich von unserem
-Herrgott eine viel bessere Meinung denn ihr alle.« »Wenn's aber der
-Herr Papst selber sagt?« forschte Hellmuth. -- »Hat er's schon gesagt?
-Nein! Und +wenn+ er's sagt, --« »Nun, dann aber?« meinte Fulko. »Dann
-ist's doch bewiesen.« »Daß er's glaubt!« schloß Supfo und stellte den
-Becher nieder, daß er klirrte. »Mehr nicht. Ich glaub's mal nicht vom
-braven Himmelsherrn. Man glaubt auch sonst gar viel, was nie geschah
-und nie geschieht. Diese seine Welt sollte er selbst zerstören? Wer
-weiß, ob er eine neue so schön wieder zusammenbrächte! Und nun gerade
-heuer, da wir des Trunks der Steinrebe froh werden wollen! Heuer, da in
-meiner Neupflanzung auf dem Harfenhügel schon jetzt -- vor Johannis --
-alles so wundervoll abgeblüht hat. Habt ihr alle zwei den Duft nicht
-verspürt vor lauter Verliebtheit? -- Übrigens --« er sog und schlürfte
-nun langsam, verständnisinnig einen Schluck durch die gespitzten Lippen
-(-- »ah, ist das ein Weinlein! Viel zu gut für euch unmerksame Knaben!
---) übrigens hab' ich eine prächtige Wetterprobe für Gewitter, Erdbeben
-und all' dergleichen Erfreulichkeiten. Eine Prophetissa -- sagt man
-in Welschland --, der glaub' ich mehr als sieben Päpsten.« »Ihr redet
-recht lästerlich, Supfo,« sprach Hellmuth verweisend. »Für Erdbeben --
-Ihr?« zweifelte Fulko. »Jawohl, Herr Sänger! -- Meint Ihr, nur Ihr mit
-Eurer Laute seid in der Welt umhergekommen. Oho! Wir waren auch schon
-draußen! Sind mit Kaiser Ott dem Roten unter dem Rothenburger Fähnlein
-in Welschland auf Heldenschaft gefahren. Lagen wir da vor Napoli, der
-schönen Stadt. Sehr schön. Aber heiß! Und dreckig! Wir lagen vor den
-Thoren, als Beschirmer nämlich gegen die Saracenen. Nicht in Zelten
-oder Holzhütten, sondern in den Häusern der Bauern lagen wir: -- sind
-alle von Stein vom Grund bis unters Dach. Da drüben rauchte ganz
-behaglich und gemütlich der Feuerberg, der Mons Vesuvius: -- wir waren
-schon so daran gewöhnt in all' den Wochen, wie daß man den Atem sieht
-im Winter. Mein Hauswirt -- Gaudenzio hieß der Wackere -- hatte eine
-Katze, die liebte er mehr, beteuerte er oft, als seine gelbhäutige,
-schnurrbärtige Ehefrau. ›Denn warum?‹ sagte er. ›Meine Lucia kratzt
-nur, fängt aber keine Mäuse und verkürzt mir das Leben, während Mucia
-zwar gelegentlich kratzt -- aber nicht mich, nur Lucia (woran sie
-recht thut), Mäuse fängt und mein Leben verlängert, meine schwarze
-Prophetissa!‹« »Wieso?« fragte Fulko. »Ja, wieso? genau meine Worte von
-damals! (woran man erkennen kann, was Ihr für ein kluger Knab' seid!)
-›Ja,‹ sagte Gaudenzio und streichelte die Katze, die gleich schnurrte.
-›Nämlich wir haben hier gar oft die landesüblichen Erdbeben. Ist weiter
-gar kein Vergnügen nicht, sag' ich Euch, Supfone, wenn Ihr gar nicht
-getrunken habt und doch wackeln müßt mit den Beinen, weil nämlich das
-Land unter ihnen wackelt, als habe das Land einen Rausch. Und wenn Euch
-das eigne Haus auf den Kopf fällt, so genau und platt, wie der Deckel
-auf einer Schildkröte liegt -- nur, daß Ihr nicht damit davonkrabbeln
-könnt, sondern gar keinen Leichenstein mehr zu bestellen braucht! Nun
-also, kurz bevor Santo Vesuvio da drüben -- Santo Januario, bitt' für
-uns bei ihm! -- ein wenig rappelig wird über die Sünden seiner lieben
-Napolitaner, an die er nun doch schon seit mehr als einem Jahrtausend
-gewöhnt sein könnte, -- aber er ist ein unberechenbarer Heiliger! --
-also bevor der liebe gute alte Vater da drüben -- mit dem dürfen wir's
-noch weniger verderben als mit der heiligen Jungfrau! -- auch nur ein
-kleines rappelig wird, wird Mucia -- schon ziemlich lange vorher! --
-ganz rappelig, miaut, wie wenn sie ihr Fleisch durch Gesang verdienen
-müßte, springt bald gegen mich, bald gegen die verschlossene Hausthür
-und ruht nicht, bis sie im Freien ist: -- sie und ich auch. Nach
-Lucia schaut sie gar nicht um.‹ Ich begreife Eure Liebe zu dem Tier,
-sprach ich verständnisvoll. Nun gut: -- ein paar Nächte nach dieser
-Unterredung weckt mich mein Gaudenzio aus dem tiefsten Schnarchschlaf:
--- denn der schwarzrote Amalfitaner ist gut, aber schwer! -- reißt
-mich aus dem Strohlager und stößt mich zur Thüre hinaus ins Freie.
-Ich wollte ihn gerade niederschlagen, da schrie er: ›Die Katze! die
-Katze! Mucia hat gewarnt.‹ Und kaum senk' ich den erhobenen Arm, --
-da taumel' ich und wanke, als hätt' ich den Amalfitaner nicht ganz
-verschlafen -- war aber hecht-nüchtern -- und auf einmal -- pardauz!
--- lag sein ganzes Steinhaus platt auf dem Bauch, wie ein Frosch,
-drüber ein Lastwagen fuhr. Die Ungewarnte lag leider darunter. Am
-andern Morgen zog unsere Heerschar ab. Zum Abschied schenkte mir mein
-Wirt seine Katze. ›Denn warum?‹ sagte er treuherzig unter Thränen.
-›Brauch' sie nicht mehr. Baue kein Steinhaus mehr. Und nehme -- ganz
-gewiß! -- keine Frau mehr. Denn warum? Lucia war doch so böse, wie
-ich keine mehr fände. Und jetzt thut es mir gleichwohl leid um sie.
-Nun denket erst, wie leid mir eine sanftere thäte! Also wozu Katze?‹
-So nahm ich Mucia mit. Auf meinem Rucksack quer durch ganz Welschland
-über den Brenner trug ich sie bis in die Heimat. Sie verläßt mich nie.
-Hört ihr sie draußen miaun? Ich komme, Schätzlein, ich komme. -- Nun
-seht: merkte Mucia das bißchen Erbrechen von dem lumpigen Vesuvio da
-drunten und jedes Erdbeblein, das dort zu Lande so häufig wie bei uns
-das Nießen im Schnupfen, und zeigt sie -- wie sie immer thut -- hier
-jedes Gewitter an, lange bevor es vom Königswald heraufzieht! -- da
-wird's die Prophetissa doch wohl auch merken, wenn alsbald die ganze
-Welt zerkrachen soll. -- Ich komme schon, Liebelein! -- Ich nehme sie,
--- an dem Vorabend -- mit in einen Ort, wo -- nun, wo man dem Kern
-der Erde näher ist als anderwärts. Bleibt sie ruhig, bleib' ich auch
-ruhig. Die Zeit soll uns dabei schon nicht lang werden: denn an jenem
-heimlichen Orte giebt's für Mucia viele Mäuse und für mich -- nun, für
-mich giebt's da auch was. Wir sehen uns dann schon wieder, Jungherrn.
-Entweder in der ewigen Seligkeit oder -- was ich eine Zeitlang noch
-vorziehe -- hier in diesem Jammerthal. Aber dann, Herr Fulko, dann
-singen wir erst recht das Lied, das mir von all' Euren Schelmenweisen
-zumeist gefallen hat!« -- »Welches? Sind ja viele so nichtsnutzig, daß
-sie +Euch+ gefallen können.« -- »Ich meine das:
-
- Nun woll'n wir erst heben ein Trinken an,
- Daß der Herr Gott es nicht kann fassen,
- Und spricht: ›wenn der Mensch +so+ viel trinken kann,
- Mehr Wein muß ich wachsen lassen!‹
-
-Ich komme, Prophetin des Herrn. Ich bringe dir deinen Prophetenlohn
-heraus,« und er nahm ein leckres Stück Braten aus der Schüssel.
-»Traumselige Nacht, ihr Herren. Ihr, Fulko, küsset für mich mit!« Und
-er humpelte hinaus und verschwand.
-
-
-XII.
-
-»Ein guter Gesell,« lachte Fulko. -- »Aber ach, meine Gesellin! Nun
-ist es heute abend wieder nichts! Ohne den Bischof läßt uns die
-Tugendverwalterin und Unschuldbeschließerin und geheime Obervestalin
--- wie heißt sie doch? aus Schottland stammt sie -- richtig: Malwine!
--- dadrüben gar nicht über die Schwelle am Abend. Und wie heiß hatte
-ich mich gesehnt, wieder einmal in das süße, klare, holde Gesicht zu
-schauen! Ist ja wenig genug, weiß die heilige Aphrodite! für mein
-wildes Begehren. Aber als der Teufel einmal sehr durstig war, trank er
-Wasser. Sind wir daher doch auf das Zabelspiel gekommen. Kenne keinen
-Zug! Aber dabei konnten wir uns doch an den Abenden manche gute Weile
-einander gegenüber setzen, uns -- recht nahe! -- in die Augen schauen
-und manchmal stießen unsere Finger durch Zufall aneinander, während
-wir auf dem Brett die Steine rückten. Denn dergleichen mußten wir
-schon zuweilen thun. Jüngst trat Herr Heinrich an unsern Marbeltisch
-im Erker, wo wir schon drei Stunden saßen -- die ganze Vesper hatten
-wir darüber versäumt -- und sprach: ›Nun, wie steht das Spiel?‹
-Heilige Eulalia von Barcelona! Wir hatten in all' der Zeit ja erst
-einen Zug gethan. Und das lose Mädchen hatte mir, während ich ihr die
-Rechte drückte und ihr selig in die Augen sah, ganz verstohlen mit der
-Linken meinen König vom Brette genommen und in ihrem leer getrunkenen
-Goldbecher in Gefangenschaft gesetzt! Es war schrecklich. Lächelnd
-befreite ihn der Gütige, hob ihn heraus, stellte ihn auf seinen Platz
-und fragte: ›hoffentlich ist dies nicht noch immer das erste Spiel?‹
-Er war so freundlich, mir das Lügen zu sparen: er schritt hinweg,
-ohne meine Antwort abzuwarten. Ein prächtig Herz! War wohl auch einmal
-jung und heiß. Und noch jünger war Frau Theophano ...« »Gieb acht,«
-warnte Hellmuth. »Man hört da draußen auf dem Gang, was hier so laut
-gesprochen wird.« »Nun,« lachte Fulko, »das flüstert man vom Danevirke
-bis Salerno! War sie doch Witwe! Wär' ein schönes Paar geworden! --
-Aber das Zabelbrett war auch sonst so willig! Konnte meinem holden
-Schatz stets abends meine den Tag über gedichteten Minnelieder
-darunter durchschieben. Wie geschickt zog sie mit den wachsweißen
-langen schmalen Fingerlein die Blätter auf der andern Seite heraus!
-Und hui! waren sie verschwunden in ihrem lang herunterhängenden Ärmel.
-Jetzt müssen meine armen Reime wieder Messe hören!« -- »Wie das?«
--- »Nun ja! Morgen früh in der Kirche halte ich sie ihr wieder vor
-das zierliche Näslein und sie singt daraus die lateinischen Psalmen.
-Ist aber gefährlich! Neulich stand der fürwitzige Venetianer hinter
-mir, guckte über meine und ihre Schulter, las ein paar Zeilen und
-fragte mich lachend, ob ich das hohe Lied Salomonis in das Deutsche
-übersetzt hätte? Nicht schlecht! Lache doch, Hellmuth! Oder trinke
-wenigstens! Thu' Bescheid. Unserer Herrinnen Minne.« Aber Hellmuth
-schob kopfschüttelnd den Becher zur Seite. »Nun, willst du nicht reden,
-so höre wenigstens. Du hattest immer Freude an meinen Versen.« »Gewiß,
-Freund. Denn du kannst sagen, was ich nur fühlen und -- leiden kann.
-Zwar schmerzt es, zu hören, welch' Glück erwiderte Minne gewähren
-mag: aber es ist ein Weh, das wohl thut mitten im Schmerz. Bitte,
-beginne.« Fulko war ein Dichter: zweimal ließ er sich nicht bitten.
-Er trank erst herzhaft, griff dann in den Brustlatz, holte ein paar
-Pergamentblättlein hervor und las:
-
- Du hast gesiegt, du starke Liebe!
- Hinweg, Besinnung und Bedacht!
- Und ob sie ins Verderben triebe: --
- Nimm ganz mich auf in deine Macht!
-
- Die Vorsicht sprach: »das wird nicht frommen,«
- Die Sitte sprach: »vernimm mein Wort:« -- --
- Da ist der Strom der Liebe kommen
- Und ohne Wahl riß er mich fort.
-
- So trage mich, du heil'ge Welle,
- Und, wenn du dies Verlangen stillst, --
- In Todesnacht, in Himmelshelle, --
- Ich folge dir wohin du willst.
-
- * * * * *
-
- Die Eiche rief zum Wolkensitz:
- »Ich trotze dir, du starker Blitz.«
- Der aber sprach: »Du ziehst mich an!
- Sieh, ob dein Trotz dir helfen kann,
- Ich bin ein rascher Freiersmann:« --
- Und Schlag und Glut und Wetterschein: --
- In Flammen ward die Eiche sein.
-
- Die Uferrose sprach zum Fluß:
- »Du flehst umsonst um meinen Kuß:«
- Der aber sprach: »Hilft denn kein Flehn,
- Sollst du ein andres Werben sehn,
- Jetzt, Rose, ist's um dich geschehn.«
- Er stieg empor in stolzer Lust
- Und riß sie fort an seine Brust.
-
- Das ist der Liebe Prob' und Macht,
- Wenn sie in echtem Mann erwacht,
- Daß sie des echten Weibes Herz,
- Und hüllte sich's in dreifach Erz,
- Doch mit sich fortreißt sternenwärts
- Und zur Geliebten siegbewußt
- Und triumphierend spricht: »du mußt.«
-
- * * * * *
-
- Wenn aus der Erde dunklem Schose
- Zur Schönheit aufgeknospt die Rose
- Und wenn sie dann in Wonnetagen,
- Indes die Nachtigallen schlagen,
- Ihr ganzes süßes junges Leben
- Dem Kuß der Sonne hingegeben, --
- Erfüllt hat auch die schönste Rose
- Die schönsten ihr bestimmten Lose.
-
- * * * * *
-
- So sind bestimmt des Menschen Lose:
- Nur höchstem Mut wird höchster Preis;
- Am Abgrund blüht die Alpenrose
- Und dicht beim Tod das Edelweiß!
-
-Er schloß ab und that einen tiefen Trunk.
-
-
-XIII.
-
-»Das Edelweiß!« wiederholte Hellmuth. »Sechsmal würd' ich sterben,
-könnt' ich dadurch sie -- nicht gewinnen, -- ach! nur versöhnen! Danke
-dir, mein Fulko. Deine Verse sind --« -- »Bah, Verse sind's! Nicht
-Küsse! Bittere Tinte und trocken Pergament! Das ist all' nichts, gar
-nichts! Ich halt' es nicht mehr aus! Immer bloß das verfluchte Reimen
-von ihrem roten Mund und heißen Kuß! Morgen -- ganz in der Frühe --
-paß ich's ab! Wenn sie aus der Kemenate tritt -- immer allein: --
-Malwine, die Verwalterin des Anstands, hütet alsdann die Tugend noch
-im Traum: und Jungfrau Edel verbetet sich immer um ein Weilchen!
-dann trete ich hin vor diese Minnegard und fasse sie und frage sie
-nicht lang und küsse sie, daß sie -- nun, nicht gerade ganz erstickt,
-aber recht beinahe.« Da sprang Hellmuth auf, legte die Hand auf des
-Freundes Schulter und rief: »Nein! Um Gottes willen nicht! Thu's nicht!
-Wag' es nicht!« -- »Warum nicht? Ich mein', ich kann es wagen!« --
-»Thu's nicht, mein Fulko! Willst du so elend werden wie -- ach! wie
-mich viel, viel bescheidneres Wagnis gemacht hat?« Und er schlug die
-geballte Faust vor die Stirne. Der andre zog ihm mit sanfter Gewalt
-Arm und Hand herab: »Hellmuth, tapfrer Gesell! Sprich! Sprich's doch
-endlich einmal aus: was ist geschehen zu Worms? -- Du weißt, ich bin
-getreu und verschwiegen!« -- »Ich weiß es! Und darum sollst du -- du
-allein von meiner Schuld, -- meiner schweren Schuld! -- erfahren!« Er
-seufzte tief. »Bin gespannt! -- Alle Augen hier im Bischofshaus sahen
-nicht bloß, daß du ... auch, daß sie dir -- allmählich! -- gut ward.
-Herr Heinrich selbst sah's auch und hatte wahrlich nichts dawider!
-›Ein schönes Paar und trefflich gepaart,‹ rief er mir einmal aus dem
-Sattel zu, als ihr auf dem Rennweg uns entgegengesprengt kamt. ›Der
-liebe Gott scheint sie für einander geschaffen zu haben.‹ So werdet
-+Ihr+ sie nicht scheiden wollen? fragte ich rasch. ›+Ich?+ Junge
-Liebe scheiden? +Ich+ doch gewiß nicht! -- Es sei denn‹, -- warnte
-er und sah mir scharf ins Auge -- ›daß zwischen Wunsch und Erfüllung
-steht -- ein Kloster.‹ Und als der Bischof nach Worms nur euch beide
-mitnahm, da sagten wir: die kommen zurück mit den Ringlein am Finger.
-Aber wie kamt ihr zurück! Sie wie die Eisjungfrau und du wie ein in
-ihren Armen Erfrorner. Was ist geschehen, sprich, an jenem Tage deiner
-schönsten Siege?« -- »Ach, ich verfluche sie. Sie haben mir all' das
-Unheil angerichtet. Sieh, Fulko: du weißt, eitel und eingebildet bin
-ich wahrhaftig nicht ...« -- »Behüte! Deine Bescheidenheit ist dein
-größter Fehler. Könntest mir drei Viertel abgeben, -- wär' uns beiden
-geholfen.« -- »So hätt' ich auch wahrlich nie gewagt, mir einzubilden,
-die stolzeste der Jungfrauen werde mir, bevor ich feierlich beim
-Bischof um sie geworben und dessen Ja wie das ihre erhalten, das
-geringste Zeichen von Gunst gewähren.« »Verkehrt,« meinte Fulko und
-trank seinen Becher aus. »Einmal muß man doch anfangen! Weib will
-gewonnen sein durch Wagen.« -- »Als ich nun aber in dem Lanzenstechen
-alle -- wirklich alle! -- Gegner aus dem Sattel gehoben -- zuletzt auch
-Siboto, den zähen blonden Friesen, und den starken Richard, den Grafen
-zu Winklarn, -- nie noch hatte ich die beiden zwingen können! -- und
-als nun rings die Drommeten schmetternd meinen Sieg verkündeten und
-die Herolde mich auf dem schnaubenden Roß dreimal durch den Kampfkreis
-führten und alles Volk mir ›Heilô!‹ und ›Siegô!‹ zujauchzte, und der
-Herr Bischof mir huldvoll zunickte von seiner Altane herab an Edels
-Seite und als ich nun heranritt, aus ihrer weißen Hand den Preis, den
-dreifach gewundenen Eichenkranz mit der goldenen Schnur, mir auf das
-Haupt setzen zu lassen, als ich sie nun vor mir sah, schön wie nie
-zuvor, strahlend vor Anmut und -- wie ich wähnte! -- auch ein klein
-wenig vor stolzer Freude an mir, als sie sich über mich beugte, als ich
-den zarten, leisen Druck ihrer beiden lieben Hände auf meinem Haupte
-fühlte, -- da schlug ich entzückt die Augen zu ihr auf: durch mein
-Herz jagte das Blut in wilden Sprüngen: -- die Hitze des Kampfes tobte
-noch nach in meinen Adern -- und all' der Lärm, der Glanz ringsum, die
-Freude, daß +sie+ meinen Sieg gesehen -- all' das zusammen berauschte
-mich! Sehnsüchtig, -- aus aller Kraft der Seele! -- suchte ich nach
-ihrem Auge, nach nur Einem Blick! --
-
-Allein beharrlich, eigensinnig, trotzig -- ach! oder war es süße
-jungfräuliche Scham? -- hielt sie die langen, langen, die feierlichen
-Wimpern gesenkt. Ich flehte leise: ›Edel! Einen Blick -- nur Einen,‹
-hauchte ich. -- Umsonst! -- Da ergriff mich Stolz, Trotz, heiße Wut:
--- ich wollte mir den Blick erzwingen, wie ich mir den Sieg erzwungen.
-Mit der Rechten griff ich -- kein Mensch konnte es gewahren, der dichte
-Kranz und ihr vorflutend Haar verbargen völlig meine Hand -- ganz leis
-an ihr Kinn und hob es mit Gewalt empor: ›Einen Blick!‹ wiederholte ich
-dringend! --« -- »Nun? Da sah sie auf?« -- »Ach ja! Da sah sie auf! Da
-+erhielt+ ich einen Blick, aber welchen Blick! Wie blaues Feuer blitzte
-mir Zorn, Haß, Empörung, Verachtung entgegen aus den sonst so sanften
-Augen. -- Sie bog sich zurück, soweit sie irgend konnte, ach! mir war,
-zwei scharfe Pfeile flogen durch mein Herz! Ich wankte im Sattel:
--- in Verzweiflung sprengte ich aus der Stechbahn: -- draußen glitt
-ich besinnungslos vom Gaul! ›'s ist die Hitze, die schwere Rüstung‹,
-hieß es. Ach wär' ich nicht mehr aufgewacht! -- Seitdem hab' ich sie
-verloren für Zeit und Ewigkeit. Nie -- ich kenne dieses Herz von
-Diamant! -- niemals verzeiht ihr gekränkter Mädchenstolz.« Und er brach
-zusammen auf der Bank und stützte die Stirn auf die Hand. »Hm! Armer
-Freund!« sprach Fulko nach einer Weile. »So hat sie dich denn wirklich
-nie geliebt? -- Denn liebt ein Weib, -- ein +echtes+ Weib -- und ich
-will das dieser herben Edel nicht bestreiten, -- so verzeiht es, unter
-Thränen, ja im Zorne lächelnd, der Kühnheit des Geliebten. Und was ist
-es denn, was du gewagt? Gar nichts! -- Nein, Hellmuth,« -- er sprang
-auf -- »dein Geschick kann mich nicht warnen. Nein! Geht wirklich
-demnächst die Welt zu Grunde, dann ...! Bei einem Kuß laß ich's dann
-nicht bewenden. Dann, schöne Minnegardis, wirst du mein, magst du
-darüber grollen oder nicht. Liebst du mich aber -- wie ich's hoffe! --
-mitten im Grolle wirst du verzeih'n und -- selig sein in diesen Armen.
--- Komm, Hellmuth, laß uns schlafen. Es wird spät.«
-
-Der Blonde erhob sich nun ebenfalls. »Ich schlafe nicht. -- Auch +ich+
-habe mir ausgesonnen -- bin nur über eins dabei nicht aufgeklärt! --
-wie +ich+ die letzte Stunde dieser Welt verbringen, wie ich sterben
-werde. Nicht so süß umarmt wie du und nicht so weich gebettet: -- aber
-auch nicht übel umarmt und auch nicht übel gebettet: -- hart, jedoch
-herrlich. Allein vorher muß ich noch manches erkunden. -- Schlaf
-wohl! Ich reite aus!« -- »So spät! Wohin? Zu wem?« »Zu wem?« lächelte
-Hellmuth grimmig. »Nicht zu einem Liebchen. Vielleicht -- zum wilden
-Jäger!«
-
-Und klirrend in seinen Waffen schritt er hinaus.
-
-
-XIV.
-
-Angesehene Leute fanden in jenen Zeiten auf ihren Reisen fast immer
-Unterkunft bei Gastfreunden; auf dem flachen Land in Burgen der Ritter
-oder in Höfen der bäuerlichen Landsassen, in Klöstern oder in den
--- freilich noch seltenen -- Städten in den Häusern der Burgensen.
-Die schmutzigen Herbergen in den Dörfern und Städten aufzusuchen und
-darin zu nächtigen, vermied man gern: es ging gar unsauber, wüst und
-lärmend darin her. Häßlich und unbehaglich sah es denn auch aus in
-einem solchen Leuthaus des Nordgaues südlich der Eger nahe der Mark
-der böhmischen Berunzanen. In der großen Schenkstube lag auf den
-löcherigen Dielen schmutzig Schilf; und nicht nur von ehrlichem Ruße
-waren die Wände aus ungehobeltem Kiefernholz so dunkelfarbig geworden;
-ein paar rote Flecken in dem Schmutz des Bodens verrieten verdächtige
-Ähnlichkeit mit der Farbe des Blutes.
-
-Um den viereckigen Schenktisch -- dessen Platte ein mittendurch
-zersprungener Schieferstein bildete, sie ruhte auf vier geschrägten
-Balken -- saßen auf niedrigen Schemeln, rohen Eichstrünken, zwei Männer
-in eifrigem, oft im Flüsterton geführtem Gespräch. Die lange nicht
-mehr gesäuberte, hohe, schmale enghalsige Zinnkanne und zwei Becher
-aus leichtem Tannenholz enthielten ein gelblich braunes, säuerlich
-riechendes Getränk; nur einer der Gäste sprach ihm zu: der andere --
-in geistlicher Tracht -- schob mit widerwilliger Handbewegung seinen
-Becher so weit von sich hinweg, daß der Geruch des Nasses ihm nicht
-mehr in die Nase steigen möchte. »Ihr trinket gar nix, Archidiakon?«
-fragte der eifrige Zecher in einem Deutsch, dem slavische Zischlaute
-einen seltsamen Anklang liehen. »Verbietet's ein Gelübde? Oder eures
-Magens Eigenart?« »Mein Gaumen gebietet mir und meines Wesens Eigenart,
-nur Wein, -- guten Wein -- zu trinken, nicht dies Gärgebräu, das zu
-einer gewissen Ähnlichkeit mit kahnigem Traubensaft verdorben ist und
-das diese deutschen Barbaren Bier nennen.« »O, ist nix schlecht,«
-meinte der andere und füllte sich den Becher aufs neue. Obwohl es
-ein warmer Sommerabend war, bestand seine Tracht aus Pelz: sein
-enganliegendes, bis an die nackten Kniee reichendes Wams war aus
-vielen hunderten von schwarzen Maulwurfsfellen zusammengenäht; um
-die Hüften hielt es ihm ein breiter Dolchgurt aus mattem schwarzem
-Leder zusammen: die Waden steckten in Strümpfen aus dem gleichen
-schwarzen Rauhwerk: die Schuhe wurden ersetzt durch strohgeflochtene
-Sohlen und ein Kreuzgeschnür von dunkeln Riemen. Die sammetschwarzen
-und sammetweichen, jeder Biegung der geschmeidigen Glieder sich eng
-anschmiegenden Fellchen sahen aus wie die angewachsene Haut selbst des
-Wenden und gaben ihm bei seinen weichen, katzengleichen Bewegungen
-Ähnlichkeit mit einem schwarzen Panther.
-
-Aus dem dunkelbraunen Gesicht über den häßlich vorstehenden breiten
-Backenknochen zu beiden Seiten der aufgestülpten Nase funkelten ein
-paar tiefschwarze, aber feurige Augen; der Bart war glatt abgeschoren,
-ausgenommen zwei sehr lange schmale Stränge des Schnurrbarts, welche
-ihm rechts und links vom Munde hingen: er strich und drehte daran
-unablässig mit der Linken. Auf dem schwarzen, kleingekrausten Haar saß
-ihm schief, aber kecklich, eine hohe viereckige Mütze aus dem gleichen
-schwarzen Fell, von dem ein paar schwarz-weiße Elsterfedern grell
-abstachen; die rechte Hand fuhr ihm öfter an den Horngriff des langen
-krummen Säbels als für die Gemütlichkeit der Unterhaltung ersprießlich
-war: gereinigt war alles, was er am Leibe trug, niemals worden und der
-Leib selbst recht selten. »Ist ganz gut hinunterschütten,« wiederholte
-er, den Becher niedersetzend und sich den triefenden Schnauzbart mit
-der Rückseite der Hand wischend. -- »Ja, Ihr seid nicht verwöhnt,
-Herr Berunzane. Weder in Trank noch in Speise. Wahrscheinlich habt
-Ihr all die armen Schermäuslein auch verspeist, denen ihr die weichen
-Wämmslein abgestreift.« -- »Aber gewiß! Leckerer Braten! Besser sogar
-noch als Engerlinge! Sind wir nix so reich, wir armen Brüderlein, wie
-diese Deutschen.« -- »Wißt Ihr auch warum, mein Fürst?« -- »Oh ja. Weil
-nix arbeiten, wie die Bauerntölpel. Deutschen ist Hand gewachsen zum
-Pflugziehen, uns, zu nehmen, was Deutscher erarbeitet hat.« -- »Ja,
-ja, Eure Leute treiben's arg mit Stehlen im Nordgau. Deshalb will ja
-Euch und Eure Haufen weder Ritter noch Freibauer noch Abt aufnehmen in
-Burg, Hof oder Kloster. Deshalb muß ich heute in diesem übelstinkenden
-Bretterverschlag mit Euch sitzen, Fürst Zwentibold, Spithinieffs edler
-Sproß!« -- Der Fürst der Maulwürfe zuckte die Achseln: »Ich hab' Euch
-nix gesucht, Ihr mich. Und was wir zu verhandeln hatten, brauchte weder
-Laie noch Pfaff zu hören.« -- »Wir sind nun doch einig -- in allen
-Stücken?« -- »Ganz einig. Der Handel gilt: ›Blut gegen Gold‹. -- Nur
-eines wurmt mich noch.« -- »Und das wäre, wackrer Held?« -- »Daß Ihr
-mir nur die Hälfte des Geldes ausgezahlt habt.« -- »Die andere nach
-dem Sieg.« -- »Das will sagen: Ihr traut mir nix. Aber +ich+ soll
-+Euch+ trauen. Und seht, Herr Archipfaff, das ist zu viel verlangt.«
--- »Herr Wende!« -- »Nun ja! Schaut, ich und meine lieben Wölflein,
--- wir sind hier fremd im Land. Daß wir -- gegen gutes Gold! -- gern
-gegen die verhaßten Deutschen losschlagen, daß wir gerne dazu helfen,
-wenn deutscher Bischof gegen deutschen König kämpft und Königsgraf, --
-das! -- beim großen Zrnbog! -- das mag man füglich von uns glauben.
-Wer aber bürgt uns, daß +Ihr+ Euch nicht wieder vertragt mit den
-anderen Deutschen? Wer bürgt für die Zähe +Eures+ Hasses? Ihr seid
-...« -- »Kein Deutscher!« -- »Wohl, wohl. Weiß! Seid Lombarde! Aber
-Kaiser Otto ist auch +Euer+ Landesherr. Wie Deutschland gehöret ihm
-Lamparten!« Da erschrak der Wende: denn der sonst so kühle Priester
-schlug plötzlich mit der Faust auf die Schieferplatte, daß die Becher
-aufhüpften: und tödlicher Haß sprühte aus den dunkeln Augen unter
-den starken Brauen, als er mit einer vom Zorn halb erstickten Stimme
-hervorstieß: »Ja, leider! Fluch ihm dafür! Fluch und Verderben allen
-Deutschen.« »Beim schwarzen Zrnbog!« rief der Slave, zurückprallend
-auf seinen Schemel. »Welche Wuth! Woher?« »Woher? Warum? Weil ...!
-Wohlan: Ihr sollt' es wissen! Ihr +müßt+ sogar darum wissen, sollt
-Ihr das eine -- das letzte -- verstehen, was wir noch +nicht+ beredet
-haben und was mir doch das Wichtigste von allem.« Mißtrauisch fuhr der
-Häuptling an den Schwertgriff und warf die dicken wulstigen Lippen auf:
-»Nix einen Finger rühr' ich über das Versprochene hinaus für das wenige
-Geld, den Bettelsold. Ein Knicker ist er, euer Bischof von Würzburg.«
-»Es ist nicht viel,« gab der Priester zu: »Nicht meine Schuld! Der
-Weichmütige wollte nicht einmal diesen Betrag -- ›einstweilen nur!‹
--- seinen frommen Bauten entziehen. Säße ich auf dem reichen Stuhl
-des reichen Würzburg, -- Euer Lohn sollte ...! Aber Ihr fragt, woher
-mein Haß gegen diesen Kaiser-Knaben, gegen alles, was Deutsch? O der
-Haß ist trefflich begründet. Ihr wißt nicht, wen Ihr vor Euch habt,
-tapferer Häuptling.« -- »Den Archidiakon von Würzburg,« sagte dieser,
-offenbar ohne sehr hohe Meinung von einem solchen Wesen. -- »Gott
-sei's geklagt! Aber in des Priesters Adern fließt königliches Blut.«
--- »Das wäre!« staunte der Wende und riß die Augen auf. »Und ging' es
-nach Recht und Gerechtigkeit, so säße ich in diesem Augenblick statt
-in dieser schmutzigen deutschen Herberge auf dem goldenen Throne zu
-Pavia und dies Haupt trüge, statt der Tonsur, die Königskrone des
-Lombardenreichs.« -- »Ihr seid ...?« -- »Ich bin der Sohn Berengars,
-des letzten rechtmäßigen Königs von Italia, und der einzige Erbe seines
-Rechts und seiner Krone. Mein armer Vater! Überwunden und gefangen
-von jenem schrecklichen eisernen Otto, verbannt für immer aus unserer
-schönen Heimat starb er -- hier in der Nähe -- zu Bamberg. Anmaßer,
-Gewaltherren, Thronräuber, Tyrannen sind alle Ottonen wie jener erste,
-der meinem Vater das Scepter aus der Hand riß.« -- »Aber,« wandte der
-Slave ein, »in Welschland sagte man mir, die Welschen selbst haben
-jenen ersten Otto ins Land gerufen, damit er endlich Ordnung und Ruhe
-...« »Tyrannen sind sie!« schrie der Lombarde, ohne auf die Worte zu
-achten. »Auch mich, ein Knäblein damals, hat der fremde Zwingherr mit
-meinen Eltern über die Alpen geschickt in dies Land voll Eis und Nebel
-und nach des Vaters Tod zu Würzburg erziehen lassen.« -- »Das war
-unvorsichtig, sehr! Bei uns zu Land erdrosselt man die Knaben besiegter
-Fürsten.« -- »Teuflisch grausam war es! Denn in einem Kloster -- zum
-Priester! -- ward ich erzogen. Der Welt, den Waffen sollte ich für
-immer entrückt, unschädlich sollte ich gemacht werden. Ein Pfaffe kann
-Italien nicht befreien vom Joche der Barbaren! Und doch ist die Lust an
-weltlicher Macht, die Gier, zu herrschen, ja -- und ich fühl's! -- auch
-die +Gabe+, zu herrschen, Land und Leute zu regieren, staatsmännische
-Pläne zu schmieden mit des Vaters Herrscherblut auf mich vererbt.
-Statt dessen -- was bin ich?« -- »Nun, wie sich soeben zeigt, auch in
-weltlichen Dingen nix ohne Gewalt: -- die rechte Hand eines deutschen
-Kirchenfürsten ...« -- »Verschling' ihn der Abgrund der Hölle!« schrie
-der Lombarde. -- »Hui, welch heißer Haß! Und dennoch dient Ihr ihm so
-eifrig? -- Wie soll ich das verstehen?« -- »Ihr +müßt's+ verstehen
-lernen! Hört weiter! Als ich zum Jüngling, zum Manne herangewachsen
-war und den Frevel begriff, den diese Deutschen an meinem Vaterland,
-an meinem Vater, an mir begangen, da knirschte ich in das Gebiß, mit
-dem sie mich wehrlos gemacht hatten. Tag und Nacht sann ich darauf,
-es abzustreifen. Aber tief verbarg ich Haß und Groll und Hoffnungen!
-So gut gelang mir die Verstellung, daß ich das vollste Vertrauen
-der häufig wechselnden Bischöfe in der Mainstadt gewann. Bald ward
-ich ihr Apokrisiar, Vorstand ihres gesamten Urkundenwesens: diesseit
-der Alpen lebt kein zweiter, der dies Schrifttum so fein versteht.
-So konnte es geschehen -- daß ... O ich hatte jahrelang nur gehofft,
-als Flüchtling über die Alpen zu entkommen, um dort ganz Italia zur
-Freiheit aufzurufen, mein Königsrecht mit dem Schwerte zu verfechten.
-Und nun geschah das Wunderbare, daß mich Bischof Poppo -- der zweite
-dieses Namens -- selbst mit sich nahm auf einer Romfahrt. Wie erglühte
-mein Blut! Wie pochte mein Herz, als ich jenseit der Berge zuerst
-lombardischen Boden betrat, mein Erbgut! Wir weilten viele Monate
-in Pavia, in Mailand: Zeit übergenug für einen Kopf wie ich, einen
-Aufstand vorzubereiten. Und, -- bei meines Vaters Grab! -- ich war
-nicht müßig. Aber Schmach und Verderben! Was mußte ich erleben?« --
-Und er verstummte vor Ingrimm, warf beide Arme aus den Tisch und legte
-das Gesicht darauf. -- »Nun? Was ist? Nix traurig werden!« -- »Was
-antworteten sie mir? Sie, meine Landsleute, meine Stammesgenossen,
-ging's nach dem Rechte -- meine Unterthanen! ›Nie -- solange wir
-zurückdenken mögen und unsere Jahrbücher berichten -- nie seit den
-Tagen des großen Carolus, hat solch weise, friedliche, und doch starke,
-Recht schirmende Herrschaft gewaltet in unserm Heimatland von Verona
-bis Benevent und Napoli, wie unter diesen rotbärtigen Ottonen. Das
-Land ist glücklich und zufrieden -- laß es so!‹ -- Und da ich nicht
-abstand, zu schüren, zur Freiheit aufzumahmen, da drohten sie, -- meine
-eignen Vettern in Pavia! -- mich dem deutschen Zwingherrn anzuzeigen!
-Ah Schmach und Weh! Vernichtet war da, zertreten für immerdar all' mein
-Hoffen, des Vaters Krone mir wieder zu erkämpfen, diese knechtischen
-Seelen zu entflammen. Ich eilte nun nach Deutschland, nach Würzburg
-zurück. In der entarteten Heimat Macht und Herrschaft zu gewinnen,
--- ich hatte es erfahren! -- war unmöglich. Allein ich wußte längst,
-ich sah es täglich vor Augen an Köln, und Mainz, ja auch an Würzburg,
-wie im deutschen Reiche Männer von Geistesschärfe und Willenskraft --
-lange nicht soviel davon eignete ihnen wie dem Königssohne von Italien!
--- von ihren Bischofssitzen aus den Staat leiteten -- den deutschen
-und den italischen dazu. König von Italien konnte ich nicht werden,
-aber Kanzler des deutschen Reichs wie der Kölner, -- wie schon so
-mancher Bischof das ward. Und einstweilen war es auch nicht übel, als
-Bischof von Würzburg zu walten! Unablässig war ich daher bemüht, die
-Gerechtsame dieses Bischofs zu erweitern, durch erbetene Verleihungen
-des Königs, durch Geltendmachung alter, vergessener Ansprüche, die oft
-nur durch meine Gelehrsamkeit -- oder ›Findigkeit!‹ -- aus Urkunden,
-die ich erst wieder entdeckte, zu erweisen waren. Sie staunten über
-mich, die blöden Thoren, Bischof und Domherren! Sie lobten, sie
-lohnten meinen unermüdbaren Eifer für Sankt Burchhards Recht, wie sie
-es nannten. Diese deutschen Tölpel! Als ob ich mich für den ersten
-lange toten oder auch für den jetzigen lebendigen Bischof zu Würzburg
-also mühte! Nein: für den +nächsten+ Bischof: und der sollte heißen:
-Berengar!«
-
-»Ah, verstehe jetzt. Versteh! Nix dumm!« nickte der Fürst, kratzte sich
-eindringlich, -- aber vergeblich am Kopf und trank.
-
-»Drei Bischöfe -- Poppo, Hugo und Bernward -- hatte ich, höher und
-höher steigend in geistlichen Würden, erlebt. Nun hatte ich allen
-Grund, anzunehmen, -- mein Amt als Archidiakon, als Apokrisiar, meine
-von allen laut anerkannten Verdienste um das Bistum gaben mir ein
-Recht dazu -- bei der nächsten Erledigung des Stuhls könne keinen
-andern die Wahl treffen als mich. Ich zählte schon so fest darauf, daß
-ich -- vielleicht unvorsichtig! aber wie hatte ich mich jahrzehntelang
-zusammengehalten! -- den Stolz, das Gefühl des geborenen Herrschers,
-der Überlegenheit fühlen oder doch erraten, ahnen ließ -- kurz, Bischof
-Bernward verfiel in seinen letzten Zeiten in Mißtrauen, wirkte bei
-dem Kaiser, bei den Domherren gegen mich und als er starb, der alte
-Rothenburger, da folgte ihm nicht ich, sondern sein Neffe Heinrich!«
--- »Ja, der Rothenburger,« knirschte Zwentibold und griff ans Schwert.
-»Der arge Wolf des Waldes fresse seine Seele! Was hat er uns früher
-viele Brüderlein erschlagen.« -- »Dieser höchst ungeistliche Graf, der
-erst vor ein paar Jahren -- plötzlich -- der Welt entsagt hatte! Dieser
-Weltling schnappte mir mein schwer verdientes Bistum weg! Bei meines
-Vaters Grab! Er soll's nicht lang mehr tragen.«
-
-Zwentibold lehnte sich zurück, blinzelte dem Priester zu und wölbte
-die dicken Lippen zu einem gelinden, aber ausdrucksvollen Pfeifen:
-»Ahi! Aho! Fange an zu begreifen!« -- »Das geht -- scheint's --
-langsam, Fürst, bei Berunzanen wie bei Deutschen. Meintet Ihr wirklich
-bisher, für eines andern Macht müht sich der Königssohn Italiens so
-emsig ab, feilscht um die Hilfe Eurer wilden Horde, begiebt sich in
-hohe Fährlichkeit? Denn Reichsverrat ist was wir treiben: -- ich, mit
-Wollust, in klarem Bewußtsein: -- der ehrenfeste Bischof unbewußt, aber
-doch mit mahnendem Gewissen. Das Leben kann mir's kosten: -- im Gefecht
-oder -- nach der Niederlage: -- am Galgen. Denn Graf Gerwalt versteht
-keinen Scherz.« »Mich wundert doch,« sprach der Wende, kopfschüttelnd,
-»daß es der Rothenburger thut. Er focht so treu für dieses Reich.« --
-»Gerade so treu ficht er jetzt für seines Bistums Recht. Aber Ihr
-habt nicht Unrecht. Ich hätte ihn nicht soweit getrieben ohne einen
-glücklichen Zufall. Der Graf, dem er den Gau zunächst abkämpfen muß,
-dieser Graf Gerwalt, -- er haßt ihn tödlich.« -- »Warum?« -- »Weiß
-nicht. Man flüstert in der Stadt, der Graf habe ihn ausgestochen in
-der Gunst der schönen Kaiserwitwe. Ich entdeckte diesen Haß, als --
-erst ganz vor kurzem -- Gerwalt, bisher Graf des Deutzgaues gegenüber
-Köln, den Waldsassengau mit Würzburg erhielt. Der Rothenburger wurde
-glutrot vor Zorn bei der Nachricht. Erst seit es gegen Gerwalt fechten
-heißt, will er -- im Notfall -- fechten. Im Notfall! wie er meint: denn
-erst will er den Spruch des Reichstags abwarten: -- nur falls dieser
-sein sonnenklares Recht nicht anerkennt ...« »Kann nix solang warten,«
-grollte der Slave. »Gewiß nicht! Deshalb hab' ich, statt Euch erst
-Wartegeld zu zahlen, gleich fest mit Euch abgeschlossen. Wann brecht
-Ihr auf?«
-
-»Sobald mein frischer Zuzug eingetroffen aus Tethin: zweihundert
-Lanzen!« -- »Gut! Seid Ihr einmal -- in seinem Namen -- eingebrochen
-in den Gau, kann er nicht mehr zurück. Er darf nicht mehr Zeit haben,
-zu bereuen. Deshalb wollen wir auch gleich wegziehen von hier und
-unsere Spur verbergen, damit mich seine etwaigen Boten nicht finden und
-abrufen können. Denn es gelang mir doch nur dadurch ihn fortzureißen,
-daß ich dem verhaßten Grafen Droh- und Hohnworte in den Mund legte,
-die dieser nie gesprochen! Ich erfand sie -- jenem Gerücht angepaßt!
-Das half! Wie der Stier aufs rote Tuch stürmte der plumpe Deutsche
-darauf hin los. Aber nun merkt auf. Jetzt kommt die Hauptsache. Der
-Rothenburger --« er stand auf, trat vor die halb offene Thür in das
-Freie und überzeugte sich, daß dort niemand das Ohr an die dünne
-Bretterwand lehnte. Dann kam er zurück, warf einen Blick in die
-anstoßende Küche, sah, daß diese völlig leer war, trat nun dicht an
-seinen Verbündeten heran und flüsterte diesem in das Ohr: »der Bischof
-darf seinen Sieg nicht überleben.« »Aha,« nickte der Slave. »Meint Ihr,
-ich will noch jahrelang in seinem Dienst, als sein Knecht, zusehen, wie
-er mit den von Kaiser Karl verliehenen Rechten den Gau beherrscht, den
-er mir verdankt? O nein! Ohne Zweifel werde ich zu seinem Nachfolger
-gewählt: -- er selbst hat im voraus, falls er stürbe, die Stimmen
-des Kapitels für mich gewonnen: -- so möge denn sein eigener Wunsch
-geschehen: -- aber bald.« -- »Jedoch wie soll ...?« -- »Merkt auf! Er
-wird nicht fehlen in dem Gefecht! Er läßt sich's nicht nehmen, selbst
-den Überfall der Burg -- denn die vor allem müssen wir nehmen! -- zu
-leiten.« -- »Ich führe meine Wölflein selbst,« erwiderte der Häuptling
-schroff. »Und nicht schlecht, glaubt mir. Hab' was gelernt im Dienst
-der Byzantiner! Nix so tölpelig bloß dreinschlagen wie diese Deutschen!«
-
-»Schon gut. Aber der Rothenburger kämpft jedenfalls mit. Nun wohl!
-Nach dem Sieg -- den soll er uns noch erkämpfen helfen! -- fliegt
-nicht ein Pfeil oft irr im Gefecht? Auf der Verfolgung der Fliehenden?
-Kann ihn nicht ein Geschoß -- falsch gezielt -- von Euren eigenen
-Leuten treffen?« Zwentibold sprang auf: »Oder ein geworfenes Messer!
-Sind vergiftet. Ein Hautritz -- muß sterben. Fehle nie meinen Mann.
-Es gilt! Aber dann ...« -- »Das Doppelte!« -- »Nix genug.« -- »Wie,
-Unersättlicher? Ich bringe -- auch als Bischof -- nicht mehr auf.«
--- »Nix mehr an Geld. Erst das Doppelte. Dann -- andres. Ist wilder,
-lustiger! Vorerst: meine Wölflein müßt Ihr auch in die Thore hinein
-lassen.« -- »Er will's zwar nicht. Aber der Überfall der Burg --
-der Kriegsmann in ihm wird's einsehen -- gelingt am sichersten so.
-Ihr sollt hinein!« -- »Hui wohl! Dann -- liegt er erst tot -- nix
-zahm die Hand hinhalten, wie Bettler um Geschenklein -- dann --« Die
-Augen des Slaven funkelten, wie die des Raubtieres, das zum Sprunge
-niederduckt. »Nun, was dann?« »Plündern!« stieß Zwentibold hervor mit
-schnalzender Zunge. »Nur zwölf Stunden! Mit Brand und Blut und -- nix
-zu vergessen! -- die Weiblein küssen, -- ohne kirchlichen Segen. Ihr
-wißt, wir brauchen den nix,« höhnte er, »sind nix getauft!« -- »Das muß
-ich doch ...« -- »Erst überlegen? Nix! Herr Bischof Berengar +muß+!«
-Seine Faust fuhr an den Schwertgriff. »Oho! Es giebt der Söldner noch
-mehr.« »Wohl«, lachte der Häuptling, daß seine weißen Zähne blitzten.
-»Aber Zwentibold, Spithinieffs Sohn, kennt jetzt des Herrn Archidiakons
-Geheimnisse.« »Was wollt Ihr damit sagen?« fragte der Lombarde,
-scheinbar ruhig, aber er ward ganz bleich unter seiner gelben Haut.
-
-»Ihr seid nix so dumm, das nicht zu erraten! Entweder Ihr thut nach
-meinem Willen oder ich fange an, Geschichtlein zu erzählen. Dankbare
-Hörer, gut zahlende, werd' ich finden: den Herrn Kaiser, den Grafen
-Gerwalt und -- nicht zum mindesten -- den Bischof Heinrich.« Er sprang
-auf. Berengar that desgleichen und reichte ihm die Hand. »Es sei! Ich
-gönn' es diesen Deutschen!«
-
-
-
-
-Drittes Buch.
-
-
-I.
-
-Es war ein strahlend schöner sonniger Sonntag im Brachmond, ein paar
-Stunden nach Mittag: da wogte auf den weitgestreckten Gemeindewiesen
-vor der Vorstadt »auf dem Sande« eine festlich-fröhliche Menge.
-
-Denn der Verband der Bogenschützen feierte die Wiederkehr des Tages,
-an dem vor fünfzig Jahren König Otto der Große ihnen durch einen
-Gnadenbrief die Rechte einer Genossenschaft und allerlei Freiheiten
-und Befugnisse verliehen, auch die königliche Kammer angewiesen hatte,
-alle fünf Jahre drei große Stückfässer Wein der Schützenschaft zu
-verabreichen, wenn sie an diesem Tag ein Bogenschießen halten wolle;
-sie hatte es immer gewollt!
-
-Auch heute drängte sich da draußen vor dem Südthor so ziemlich alles,
-was die Beine rühren und die enge, heiße Stadt verlassen konnte: denn
-zur Lustbarkeit ließen sie sich schon damals recht leicht bewegen, die
-guten Burgensen der fröhlichen Stadt am Main.
-
-Männer und Weiber, diese gar oft ganz kleine Kinder auf den Armen oder
-auch auf dem Rücken in einem Huckekorb oder einer »Butte« festgebunden
-tragend, Laien und Priester und Mönche, bischöfliche Dienstmannen,
-Pfahlbürger und zumal auch viele Bauern und Winzer aus den
-benachbarten Dörfern und Höfen wallten und wogten hier durcheinander;
-es fiel auf, daß die Reisigen des Grafen fehlten: aber die wenigen,
-welche ihm nicht über die Alpen gefolgt waren, durften die Burgwacht
-nicht verlassen.
-
-Gerade an der Stelle, wo sich heute die Straßen nach Randersacker
-und nach Heidingsfeld gabeln und wo auch dermalen -- gegenüber dem
-Ehehaltenhause -- ein Wirtshaus steht, hatte ein Wirt für das allzeit
-durstige Völklein -- denn die drei Fässer reichten bei weitem nicht!
--- zu dem Festtage eine sehr bescheidene Schenke aufgezimmert: über
-ein paar tannenen Tischen und Bänken spannte sich, von belaubten
-Birkenstämmlein getragen, aus Segeltuch ein lustiges Gezelt: grüne
-Gewinde von Schilf und Zweigen waren darüber hingezogen: oberhalb
-des Eingangspförtleins schwankte ein Kranz von Rebenblättern: roter
-Teufelsabbiß, weißer Ehrenpreis, zierlicher Frauenschuh waren
-hineingeflochten.
-
-Hastig lief der Wirt, der sonst gar behäbige Bezzo, mit den Zinnkrügen
-und Holzbechern voll billigen weißen Weines zwischen den Bänken
-auf und ab, sein rosig Töchterlein zu gleichem Eifer mit manchem
-Scheltwort treibend. »Röschen! daß dich der Donner verschlag! Was
-steckst du wieder solang bei dem Schlingel von einem Waffenschmied?
-Und der würdige Kapellan von Sankt Burchhard und sogar der Nachbar
-Spedilo, der brave und gerechte Büttnermeister, müssen schier vor Durst
-verschmachten! Der Bettelbub, der Scheibennarr zahlt dir doch nie ein
-Handgeld über die Schuldigkeit hinaus.«
-
-Verschämt wischte sich die Kleine das Mündchen: »Ei, ich bin mit
-dem Mundgeld zufrieden!« und eilig sprang sie nun zu der Bank, wo
-mehrere Geistliche und ältere angesehene Bürger der Stadt um einen
-weißgescheuerten Ahorntisch versammelt saßen, dabei der dicke Büttner,
-der sich vergeblich bemühte, der Flinken den Arm um die schlanken
-Hüften zu legen; der junge Waffenschmied aber rief, sich das braune
-Bärtchen streichend: »Ei, Vater Bezzo, +Ihr+ müßtet von Rechts
-wegen dem Gast noch Mundgeld obendrein zahlen, der Euern sauern
-Rostputzerwein hinunterwürgt.«
-
-»Gelbschnabel, unverschämter! Für dich wird wohl eigens Herr Supfo
-den Edeltrank vom Stein- oder vom Harfenhang schenken? Wann zahlst du
-deinen letzten, vorletzten und drittvorletzten Trunk?« -- »Auf der
-Hochzeit mit Röschen, Vater Bezzo!« -- »Der Teufel ist dein Vater.« --
-»Nein, der wird ja mein Schwiegervater!« -- »Ich werd' euch,« grollte
-von dem geistlichen Tische her der Baß des Kapellans, »wer nennt da so
-keck den üblen Höllenwirt? Dann kommt er gar rasch herbei.« »Fürcht'
-ihn nit!« lachte der Waffenschmied, »ich schieß' ihn zusammen auf
-fünfhundert Schritt wie einen alten Auerhahn. Mein früherer Herr,
-Junker Hellmuth, hat's gesagt: zwei Burschen wie er und ich reiten
-allen Teufeln entgegen. Da kommt der Ritter! Er soll euch zeigen, daß
-er noch viel besser schießt als ich.«
-
-Damit sprang der hübsche Bursche auf und eilte einem ansehnlichen Zug
-entgegen, der eben von der Stadt her auf die Festwiese gelangte. Es war
-der Bischof selbst, begleitet von vielen seiner Geistlichen, von seinen
-Junkern und den Edelfräulein. Während Herr Heinrich von den Ältesten
-der Schützengilde ehrerbietig empfangen und mit seinem geistlichen
-Gefolg in eine vorbehaltene festlich geschmückte Laube geleitet ward,
-mischten sich seine weltlichen Begleiter unter die Menge.
-
-»Ich hörte schon unterwegs,« begann Hellmuth, »von Gästen, die von
-der Wiese bereits nach Hause trachten, wer heute -- wieder einmal!
--- den besten Schuß gethan.« -- »Ja, bis jetzt -- weil +Ihr+ nicht
-mit geschossen. Kommt, Herr! Bogen und Pfeile liegen bereit. Dort:
-den Rebhügel aufwärts, vor der Weinbergmauer des Geigilo steht die
-Scheibe. Nun reißt die Augen auf, ihr Stümper: jetzt sollt ihr sehen,
-was treffen heißt.« »Ich schieße nicht mehr -- im Spiele, Gericho;«
-düsteren Blickes schritt er weiter. »Wie schade! -- Bei dem letzten
-Wettschießen, mein Röslein« (denn sie war schon wieder an seiner
-Seite! --) »zu Werthheim traf ich das Rote so genau in der Mitte, daß
-ein besserer Schuß nicht möglich schien. Aber was that er? Was that
-mein Herr? Er traf doch noch viel, viel besser. Denn er schoß meinen
-Pfeil mitten entzwei. -- Wo lebt -- alles in allem -- ein junger Held
-seinesgleichen?«
-
-Diese Worte schlugen an Edels Ohr wie sie, vom Gedräng aufgehalten,
-mit Minnegard einen Augenblick verweilen mußte: sie schlug die Augen
-auf, glühendes Rot schoß aus dem stolzen, verhaltenen Herzen in die
-bleichen Wangen bis unter die lieblich krausen Haare über der Stirn;
-ganz verstohlen, von keinem gesehen, flog von der Seite ein leuchtender
-Blick stolzer Freude über die edle Gestalt des Jünglings hin. Aber
-auch die folgenden Worte Gerichos, obwohl er sie seinem Liebchen leise
-zuflüsterte, vernahm ihr feines Ohr.
-
-»Der Unselige! Ganz verwandelt ist er. Er lacht nicht mehr. Sogar Roß
-und Speer, und all' seine Waffenfreude sind ihm verleidet. Er muß
-verzaubert sein von irgend einem Neider, der ihm den vielen Ruhm nicht
-gegönnt hat. Wüßt' ich den Zauberer, ich riß ihm das Herz aus dem
-Leibe.«
-
-»Vielleicht ist's eine Zauberin, die ihn verwunschen,« meinte Rosbertha
-mit leisem Grauen. »Es giebt solche. Er ist gar schön. Vielleicht
-that's Eifersucht -- verschmähte Liebe.« -- »Oder auch: er grämt sich
-um ein Weib.« Hastig schritt Edel fürbaß, Minnegard an der Hand mit
-sich ziehend.
-
-»Nun, Nachbar Bezzo,« rief der dicke Büttner dem Wirte zu, »wann
-endlich schließen wir ab? Ich bin jeden Tag bereit, den Muntschatz zu
-zahlen -- soviel Ihr fordern mögt. Ich kann's! Ich hab's liegen. Ich
-bin ein Mann, der Frau und Kind ernähren kann.« »Könnt Ihr sie auch
-beschützen?« fragte Gericho, blitzenden Auges hinzutretend. »Schämt
-Ihr Euch nicht, alter Kahlkopf? Rösleins Großvater könntet Ihr sein!«
-»Immer noch jung genug,« erwiderte der Dicke, »dich, Nestling, zu
-züchtigen«: und er holte mit der Rechten, zornig aufstehend, zum
-Schlage aus. »Ihr? mich?« lachte der. »Versucht's! Für Euch brauch' ich
-nur die Linke. Da! Seht! Meine Rechte leg' ich auf den Rücken -- so! --
-und rühre sie nicht, bis Ihr am Boden liegt. Kommt an!«
-
-»Nachbar,« meinte Bezzo, »das könntet Ihr wagen, mein ich. Gebt dem
-Keckling eine Lehre.« Sichtlich nicht gerade gern befolgte Spedilo
-seines Freundes Mahnung, hob die beiden Fäuste und schritt drohend
-gegen den Burschen heran.
-
-Der unterlief ihn, schlang den linken Arm um seinen Leib und, ohne
-den rechten Arm vom Rücken zu lösen, lupfte er den schweren Gegner
-ein wenig in die Höhe, drehte ihn um und warf ihn bäuchlings in das
-weiche Gras der Wiese. Lautes Gelächter, tosender Beifall erscholl von
-allen Seiten und Gericho hob nun die Rechte, dem schwerfällig sich
-Aufrichtenden einen herzhaften Schlag auf die untersten Grenzgebiete
-seines Rückens zu versetzen.
-
-Aber mitten im Ausholen hielt er ein: er lauschte, vorgebeugt,
-flußaufwärts und rief: »Halt! Haltet an! Still ein wenig! Was ist
-das?« Und er ließ den erhobenen Arm sinken. -- »Jawohl! Stille!« --
-»Horcht! Gebt Ruh.« -- »Was für ein Gedröhn!« -- »Dort von Mittag her
--- auf der großen Straße!« -- »Sind's Feinde?« -- »Die Hunnen kommen
-wieder!« rief entsetzt ein altes Weiblein. »Nein! Es sind Drommeten!«
--- »Nein! Posaunen!« -- »Aber nicht das deutsche Heerhorn!« -- »Und
-Grabgesänge tönen drein!« -- »Wie schauerlich!« -- »Immer näher
-kommt's.« -- »Schon sieht man die Staubwolken!« -- »Viele, viele
-Reiter!« -- »Und Wagen.« -- »Da! Da sind die ersten Reiter schon!« --
-»Was bringen sie? Was hat das zu bedeuten?«
-
-Und die mehr als zweitausend Menschen auf der Wiese gerieten in wirre
-Bewegung: Alles drängte den die breite Heerstraße heranziehenden
-Ankömmlingen entgegen.
-
-
-II.
-
-Noch bevor die staubbedeckten Reiter -- meist Bauern aus den nächsten
-stromaufwärts gelegenen Dörfern -- abgesprungen waren und den neugierig
-Fragenden Bescheid gegeben hatten, kam bereits ein gar schauerlich
-aussehend Gefährt in Sicht.
-
-Vier schwarze, mit schwarzem Trauerzeug über und über bedeckte Rosse
-zogen einen gewaltigen, auf hohen Rädern stehenden Wagen, einen
-italienischen »~carroccio~«: auf diesem aber war ein bühnenartiges
-Gerüst aufgeschlagen, das, wie der ganze Wagen, auf allen Seiten
-ebenfalls mit schwarzen Tüchern behangen war.
-
-In den vier Ecken des langgestreckten breiten Wagens, der nahezu
-die ganze Heerstraße füllte, standen vier Mönche in schwarzen Kutten
-mit weithin hallenden ehernen langen Posaunen in den Händen, in der
-Mitte aber, sie alle überragend, ein fünfter riesenhoher Mönch, der
-die schwarze Kapuze bis an die Augen über die Stirn gezogen hatte: in
-der Rechten trug er eine lang hinwallende schwere Fahne von schwarzer
-Wolle, in welche mit weißer Farbe plump ein Totenkopf über zwei
-geschrägten Knochen gemalt war: alle fünf aber sangen in schauerlichen
-Tönen -- nach den Weisen eines römischen Grabgesanges -- ein Lied: und
-schauerlich stimmten sie ein, die vielen Hunderte von Männern, Frauen,
-Kindern, die vor dem Wagen schritten oder demselben folgten, alle
-vom Staube langer Wanderschaft über und über bedeckt, die meisten in
-schwarze Gewande gehüllt, viele davon mit Geißeln und Stöcken sich auf
-die entblößten Schultern und den Rücken schlagend.
-
-Das Lied aber lautete:
-
- »Hört ihr die Posaunen dröhnen
- Und der Bußgesänge Chor?
- Wehe, weh' euch, Adams Söhnen:
- Euer Ende steht bevor!
-
- Wann des Sommers Sonne wendet,
- Bricht der jüngste Tag herein:
- Unter geht die Welt und endet
- Und euch droht die ewge Pein.
-
- Auf den Wolken kehrt hernieder
- Fürchterlich des Menschen Sohn,
- Rauschend Cherubimgefieder
- Schwirrt um seinen Richterthron.
-
- Und sie reißen aus den Grüften
- Sünder aus vermorschtem Sarg
- Und sie zerren aus den Klüften,
- Was sich zitternd lebend barg.
-
- Alle, die im Erdschos schliefen,
- Bannt der Richter sich daher
- Und gehorsam aus den Tiefen
- Seine Toten speit das Meer.
-
- Weh euch Männern, weh euch Weibern
- Die ihr lebend dies erschaut!
- Weh den Seelen! Weh den Leibern!
- Wie mich schauert! Wie mir graut!
-
- Thuet Buße! Streuet Asche,
- Asche auf das sündge Haupt,
- Daß euch Satan nicht erhasche,
- Der im Höllen-Abgrund schnaubt.
-
- Euch verkündet Papst Sylvester,
- Dem's der heilge Geist enthüllt,
- Nicht ein Wort des Herrn steht fester:
- Was er weissagt, wird erfüllt:
-
- Hört's, ihr Kleinen, hört's, ihr Großen:
- Euer Ende bricht herein:
- Wer noch zweifelt, ist verstoßen
- Aus der Kirche Heilverein.
-
- Wann die Sommersonne wendet,
- Mit dem Schlag der Mitternacht, --
- Unter geht die Welt und endet: --
- Habt auf eure Seelen acht!«
-
-
-III.
-
-Die Wirkung des Liedes, des ganzen Aufzuges auf die wirre Menge war
-eine furchtbare.
-
-Nur wenige zwar verstanden genau die Worte des Gesanges: aber von
-den dem Wagen nächsten aus verbreitete sich mit Windeseile bis in
-die hintersten Reihen der Herandrängenden das kurze, vernichtende
-Wort: »Es ist so. Die Welt geht unter. Der Papst hat's selbst gesagt.
-Er hat befohlen, es zu glauben.« Was monatelang nur wie ein fernher
-drohendes Gewölk über den Gedanken der Menschen geschwebt hatte --
-die allermeisten der leichtlebigen Franken hatten gehofft, es werde
-sich zerstreuen -- das hatte sich nun plötzlich zu einer furchtbaren
-schwarzen Wetterwolke über ihren Häuptern geballt und donnernd zu
-entladen begonnen. Keiner von den Tausenden zweifelte mehr. Heulend
-und schreiend liefen sie durcheinander, Männer wie Weiber, zerrissen
-die Kleider, rauften sich das Haar; einzelne rannten in wahnsinniger
-Angst gegen den Fluß zu, sich zu ertränken. Die meisten strömten in
-wilder Flucht nach der Stadt zurück -- manch' alt' Weiblein ward
-dabei umgeworfen und überrannt -- die zurückgelassenen Ihrigen zu
-benachrichtigen, zu warnen oder in den Kirchen an den Altären, bei
-den Überbleibseln der Heiligen zu beten. Die paar Hunderte aber, die
-wahrgenommen hatten, daß der lang erwartete Bischof bereits vor dem
-schrecklichen Aufzug eingetroffen war auf der Wiese, drängten alle,
-wie eine Herde Schafe, die der Wolf bedroht, auf ihren Hirten, so auf
-ihren Bischof zu um Hilfe, Rat, Trost, Auskunft, Rettung. »Helft,
-helft, helft, Herr Bischof! Herr Heinrich, was sollen wir thun?« riefen
-Hunderte von Stimmen. Und der Herr Heinrich that seine Hirtenpflicht.
-
-Seine Ritter hatten ihm alsbald Bahn gebrochen durch die wogende Menge,
-so daß er ziemlich in die Nähe des schauerlichen Wagens gelangte und
-den Sinn des Liedes genau verstehen konnte. Seine Junker und er selbst,
-mächtig den Fliehenden sich entgegenstemmend, die beiden Mädchen hinter
-sich deckend, hielten auch nun, nachdem der Gesang zu Ende, in dem
-Gedränge stand. Endlich legte sich der Lärm, es entstand um den Wagen
-her eine todesbange Stille: Herr Heinrich drang durch die letzten
-Reihen des Volkes, die ihn noch von dem schwarzen Gespann trennten:
-scharf spähten seine Augen auf die Gesichter und Gestalten der fünf
-Mönche: er kannte keinen. »Wer ist es,« rief er mit starker Stimme,
-weithin vernehmbar allem Volk, »der solche Schrecken zu erregen wagt?
-Wer will hier das Wort führen im Namen Sylvesters, des heiligen Vaters?«
-
-Da schlug der riesenhafte Mönch in der Mitte des Wagens die Kapuze
-zurück und sprach: »Ich!«
-
-»Arn!« rief der Bischof mit Entsetzen. »Du! Arn!«
-
-»Nein! Nicht mehr Arn, Bruder Monitor ist mein Name. Abgelegt für
-immer, abgeschworen habe ich, was an mein sündhaftes Leben in der Welt
-erinnert.« Der Bischof entgegnete: »Wohl! -- Aber das ist unweise
-gehandelt und nicht im Sinne der Kirche, diese gewaltige Wirrnis,
-plötzlich, ohne Vorbereitung, unter den großen Haufen zu werfen. Schau'
-hin, welch' Unheil du angerichtet hast. Da tragen sie blutende Kinder,
-ohnmächtige Weiber vorüber!« -- »Heil ihnen, nehmen sie Schaden an
-ihren Leibern und retten ihre Seelen.« -- »Warum hast du nicht --
-in alter Treue -- mir, deinem Dienstherrn, deinem Lehnsherrn, zuvor
-vertraute Kunde geschickt, wie es gutem Boten ziemte?« -- »Ich weiß
-nichts mehr von Treue, Dienst und Lehen! Ich bin Mönch, habe weder
-Allod noch Lehen und diene nur den Heiligen.« »Nun,« erwiderte Herr
-Heinrich heftig, »so bin ich doch Euer Bischof geblieben und als Euer
-Bischof verbiete ich Euch, den Schrecken in solcher Weise weiter unter
-meine Gemeinde zu werfen und Verzweiflung zu verbreiten. Ich verbiete
-Euch, weiter in diesem Aufzug durch meinen Sprengel zu fahren. Als
-mein Bote seid Ihr ausgesendet worden und mir allein habt Ihr genauen
-Bericht zu erstatten. Ich werde ihn prüfen und werde, was davon für die
-Gläubigen zu erfahren ersprießlich ist, unter gehöriger bischöflicher
-Vermahnung und Anleitung mitteilen. Herunter mit Euch von dem Gerüst!
-Spannt die Pferde von dem Wagen ab!« Und drohend trat Herr Heinrich
-dicht an das Gespann. Aber der Mönch riß aus seinem Gürtelstrick
-eine Pergamentrolle, hielt sie ihm entgegen und schrie mit gellender
-Stimme: »Nichts hast du mir zu befehlen, du allzuweltlicher Bischof von
-Würzburg! Als +dein+ Bote ritt ich aus, als Bote des Herrn +Papstes+
-kehre ich wieder. Schau' her! Kennst du das Siegel? Lies! Mein Orden,
-der Orden des schwarzen Bundes von Garganus, neu gestiftet unter den
-furchtbaren Offenbarungen dieser Wochen von Sankt Nil, dem größten
-Heiligen und Wunderthäter der Christenheit, steht unmittelbar unter dem
-Papst: nur der Bischof von Rom ist mein Bischof, er hat mir mit eigner
-Hand diese schwarze Fahne gereichet und mich zu seinem Bandalarius,
-zum Bannerträger und Herold des drohenden Gerichts bestellt. Und der
-heilige Vater selbst -- lest doch, leset auch ihr, Ritter und edle
-Fräulein! -- hat mir Auftrag und Befehl gegeben, mit vier andern
-Brüdern aus Deutschland in die Heimat zurückzueilen und hier vom
-Brennerberg an von Gau zu Gau zu ziehen, rastlos und unhemmbar, bis
-zur Dänenmark und überall in jedem Dorf, in jeder Stadt zu verkünden:
-›das Ende bricht herein. Thuet Buße! Bereitet euch, den fürchterlichen
-Richter zu empfangen‹. Und Ihr seht, mit welchem Erfolg ich das Wort
-vom Gericht verkündet habe. All' diese vielen Hunderte hinter mir,
-zu Roß, zu Fuß, zu Wagen, von meiner Verkündung hingerissen, haben
-vom Inn bis zum Main Haus und Hof und Habe verlassen und folgen mir
-nach freiwillig: Männer und Frauen, Jünglinge und Greise, um die
-schreckende Kunde weiterzutragen und die eignen Seelen zu retten, indem
-sie andre warnen, aufrütteln und erretten vor dem ewigen Verderben. Und
-überall will ich laut verkünden vor allem Volk -- nicht vor Bischof
-oder Priester im geheimen! -- das große Wunder, das der Herr in
-Welschland an mir gethan.«
-
-Inzwischen hatte der Bischof das Pergament durchflogen, das ihm der
-Mönch von dem Wagen herunter gereicht: -- er prüfte nun und erkannte
-als echt das große daran hangende päpstliche Siegel: seufzend gab er
-das Schreiben dem Mönche zurück und mahnte seine Junker, welche bereits
-sich anschickten, die schwarz behangenen Pferde auszuspannen, davon
-abzulassen.
-
-»Kein Zweifel,« sprach er. »Es ist alles, wie er sagt. Ich habe kein
-Recht, dem Boten des heiligen Vaters das Wort zu verbieten. So redet
-denn in Gottes und der Heiligen Namen! -- Seid Ihr zu Ende, wird der
-Bischof anordnen, welche geistlichen Vorbereitungen geschehen sollen.«
-
-Er trat nun mit seinem Gefolg ein paar Schritte von dem Wagen zurück:
-auf einen Wink Monitors stießen die andern Mönche wieder dreimal in die
-ehernen Posaunen: -- weit dröhnten sie über das Blachfeld hin: eine
-bange, eine ungeheure Stille entstand.
-
-
-IV.
-
-Der Bischof und die Seinen betrachteten mit Staunen, mit leisem Grauen
-die Verwandlung, welche die Gestalt des hünenhaften, breitschultrigen
-Jägermeisters verändert hatte. Er war kaum wieder zu erkennen. Zum
-Knochengerippe war der einst kraftstrotzende Leib abgemagert, mit Mühe
-hielt die hagere Gestalt sich auf den Fahnenschaft gestützt aufrecht,
-die Wangen waren völlig eingefallen und von wachsgelber Leichenfarbe,
-die Backenknochen ragten spitz hervor, unablässig zuckte es krampfhaft
-um die glattgeschornen Lippen und aus den tiefen, von schwarzen
-Schatten umränderten Höhlen schossen die unheimlichen Augen Blicke
-von fanatischem Wahnsinn. Er zitterte am ganzen Leib: -- es war wohl
-das welsche Fieber: -- oft unterbrach das Klappern der Zähne den Fluß
-seiner Worte.
-
-Und die gewaltige Fahne mit der Linken an seine Brust drückend hob
-er an mit lauter schriller, markdurchgellender Stimme: »Höret mich!
-Höre mich, alles Volk der Deutschen! Wer Ohren hat zu hören, der höre!
-Denn aus meinem, ihres unwürdigsten Knechtes, Mund redet der heilige
-Geist, redet Sankt Petrus, redet dessen Statthalter auf Erden, der
-Herr Papst zu Rom, redet der große Wunderthäter Sankt Nil im Land
-Italia und redet auch der oberste Herr der Weltlichkeit auf Erden --
-solang sie noch bestehen wird! -- der Herr Kaiser Otto. Euch, ihr
-Ritter, Geistliche und Dienstmannen des Bischofs von Würzburg, bin
-ich allen wohl bekannt. Aber auch die meisten Bürger dieser Stadt und
-gar viel Bauern der Dörfer und Höfe kennen mich gut, der ich in der
-Weltlichkeit Arn hieß, des Helmbrecht Sohn aus Salzburg. Und wisset
-wohl: ich war der Jägermeister des Bischofs und war aller Weltlinge
-weltlichster und sündigster. Aus dem Bayerland war ich und allerwegs
-gerichtet nicht auf das Geistliche und Himmlische, sondern auf das
-Fleischliche und Irdische: kein Felsgrat in meinen Bergen war mir zu
-steil vom Wetterstein bis zum hohen Ortler: wohin der schwindelfreie
-Gemsbock stieg, da stieg ich nach. Des Weines trank ich mehr als drei
-Männer zusammen und mit drei Männern zumal zu raufen hab' ich mich nie
-gescheut. Dem Bären ging ich an den Leib, allein, Schwert in Hand.
-Beim Reigentanz war ich der erste auf dem Platz und der letzte, aber
-auch beim Waffentanz in Pusterthal und Krain mit Wenden, mit Arabern
-und Welschen in Calabria. Ach und manche Maid in manchem Land hab' ich
-zerstört durch meine wilde Minne! Und viel, viel Blut von Erschlagenen
--- in Krieg und in Frieden! -- klebt an meinen Händen. Viel öfter
-lief ich zu Wald mit Rado, dem argen, argen Heiden -- dort steht er
-und wendet sich finster von mir! -- als in den Dom, wann der Bischof
-die Messe sang. Diese Welt, diese lustige Erde, mit Jagdhornklang und
-Becherschwang und Speeredrang und Mädchenfang: -- sie war mein alles.
-Und als nun vor vielen Monden zuerst das Wort vom nahenden Gericht
-auch in unseren Gau drang, da war keiner unter all den Dienstleuten
-des Bischofs, der weniger daran glaubte, der übermütiger, frevelhafter
--- verzeihe mir Sankt Petrus! -- darüber spottete als ich. Und gerade
-mich wählte er als seinen Boten nach Rom. Wie lachte mein sündhaft
-begehrlich Herz bei dem willkommenen Auftrag! Ich freute mich auf
-ein üppig Feld von Sünden und ich trieb's danach von hier bis Rom.
-Auch Rom machte mich durchaus nicht besser. Nicht einmal das Grab der
-Apostelfürsten! Aber bald darauf -- da kam über mich die erlösende
-Zermalmung, die beseligende Zerknirschung, die errettende Verfinsterung
-des natürlichen Verstandes durch das Übernatürliche, das Wunder, das
-unsrer sündhaft stolzen Vernunft eitel Thorheit ist.«
-
-
-V.
-
-»Ich erforschte, der Papst weilte zur Zeit nicht in der ewigen Stadt.
-Er war mit dem Herrn Kaiser und mit großem Gefolge von Geistlichen und
-Laien -- und viele Tausende von Römern und Welschen aus der Campagna
-hatten sich alsbald dem Zug angeschlossen -- gepilgert nach dem Kloster
-des heiligen Michael auf dem Berge Garganus zu Nilus, dem greisen
-Einsiedler, der in einer Höhle jenes Berges hauste. Viele, viele Wunder
-hatte der Herr durch ihn bereits gethan, der auch zuerst schon seit
-Monaten die große Botschaft von dem nahenden Gericht verkündet hatte.
-Der Herr Papst hatte sich heftig wider jene Verkündung gesträubt: er
-beschloß, mit allen seinen gelehrtesten Priestern und Scholarchen und
-mit einem ganzen Lastwagen voll heiliger Schriften -- den Beweismitteln
-für seinen Unglauben! -- selbst hinzuziehen zu dem Manne Gottes: denn
-der hatte sich geweigert, auf den Ruf des Herrn Papstes nach Rom zu
-diesem zu kommen: Sankt Petrus hatte ihm im Traumgesicht verboten, die
-enge Felsenhöhle zu verlassen, bevor die Engel des Gerichts ihn selbst
-daraus abholen würden. Und wollte der Herr Papst durch seine fast
-zauberhafte Gelehrsamkeit den schlichten Einsiedler widerlegen, und
-ihm -- bei Strafe der Ausstoßung aus der kirchlichen Gemeinschaft --
-verbieten, -- ganz wie vorhin jener Bischof mir! -- solche Schrecknisse
-zu verbreiten unter dem Volke. Der Herr Kaiser begleitete ihn: seine
-schwärmerisch glühende Jünglingsseele vertraute viel mehr als der
-gelehrte Papst dem Worte des großen Büßers: denn der Greis hatte ihm
-schon manches geweissagt von Plänen seiner Feinde in Rom, und alles
-war eingetroffen Ich aber -- als sie mir das erzählten -- ich Frevler
-lachte laut und spottete -- der Heilige hat es mir in der Beichte
-vergeben! --: ›ei, hat der alte Schlaukopf so gute Späher in Rom?‹ Und
-also, lachenden, höhnenden Mundes all den Weg über, eilte ich tagelang
-von Rom gen Süden bis zum Berge Garganus durch das Volk hin, das zu
-vielen, vielen Tausenden zu Fuß, oft auf den Knieen rutschend, schwere
-Eisenketten schleppend, die nackten Rücken geißelnd bis aufs Blut,
-unablässig Psalmen singend und betend alle Wege, die von Nord nach Süd
-zu dem Weissager führten, wimmelnd bedeckten wie wandernde Ämsen. Und
-als ich endlich an dem Fuße des steilen Berges vom Gaule sprang, rief
-ich meinem Roßknecht zu: ›Jetzt paß auf! Denn jedenfalls erlebst du
-heut' ein Wunder. Ich steige jetzt da hinauf zu dem Alten. Steige ich
-ungläubig herunter -- ist's ein großes Wunder für all' die Tausende,
-die da herum kriechen und knieen und klettern. Steig' ich aber gläubig
-herunter, mein Sohn, dann ist's ein noch viel größer Wunder -- für
-mich.‹
-
-Aber ich stieg gar nicht mehr herunter! Ein Weltling stieg hinauf:
--- einen Mönch trugen sie herab. Denn ... ah meine Freunde! Wie
-soll ich's euch schildern! Als ich endlich durch das Gedränge der
-Hunderte und Tausende die Höhe erstiegen hatte, da ergriff mich, den
-schwindelfreien Gemsenschütz, alsbald ein seltsam kreiselnd Schwirren
-im Kopfe. Furchtbar heiß brannte die kalabrische Mittagssonne gerade
-senkrecht auf die nackten Schieferfelsen: nirgends ein Baum, ein
-Strauch, nirgends ein Streifen Schattens! -- Und stundenlang mußte
-ich so harren, an dem Platz, an dem mich, nachdem ich die Hochplatte
-erstiegen, ein Priester eingereiht hatte hinter vielen hundert andern
-Pilgern, die vor mir eingetroffen waren und nun alle harren mußten, bis
-sie nachrücken konnten in die enge Höhle. Viele Stunden stand ich so!
-
-Die Welschen sind's gewöhnt, barhaupt in der ärgsten Sonnenglut
-auszuhalten: und ich -- ich -- mußte es nun auch. Denn meinen
-breitrandigen Reisehut, den ich allein trotzig auf dem Kopf behalten
-hatte, als ich in die Reihe trat, den hatten sie mir flugs abgerissen
-und den Felshang hinuntergeworfen: -- raufen konnt' ich nicht: konnt'
-ich doch die Arme nicht heben, so eng war ich eingekeilt. Und mir war,
-als finge unter der stechenden Mittagssonne mein Gehirn an zu sieden,
-nein, zu braten: ich konnte kaum mehr denken: in meinen Ohren sang es
-wie das Gesumms von ganzen Heerscharen von Mücken!
-
-Endlich -- traf uns die Reihe.
-
-Kaum trugen mich die Füße noch die paar Schritte bis an den Eingang der
-Höhle: meine Schläfe pochten. Da empfing mich in dem Eingang ein solch
-furchtbares Geschmetter von Posaunen und Drommeten, daß ich glaubte,
-der Kopf platze mir auseinander.
-
-Und ein Weihrauchduft, wie ich ihn so süß, aber auch so betäubend stark
-nie geschmeckt, quoll und qualmte mir entgegen: mit Mühe rang ich nach
-Luft! Und aus dem Hintergrund der schmalen, aber sehr langen Grotte
-strahlte mir in dem ganz dunkeln Eingang entgegen ein Meer von Licht,
-von tausend und aber tausend Kerzen: geblendet, schloß ich die Augen:
-sie zuckten mir vor Schmerz. Aber gleich that ich sie wieder auf,
-erschrocken, erschüttert bis in den Grund der Seele.
-
-Denn eine Mark durchbohrende Stimme, die aus dem Grabe, -- nein doch!
-aus der andern Welt! -- zu dringen schien, schlug an mein Ohr: »Bereue!
-Büße! Das Gericht ist nah.«
-
-Und ich sah mir gegenüber den Heiligen!
-
-O meine Lieben, das war kein Mensch mehr! Eine hohe hagere Gestalt,
-nackt bis zum Gürtel. Das gewaltige Haupt umflattert von wirrem weißem
-Haar: aus tiefen Höhlen sprühten die kohlschwarzen verzückten Augen
-Feuer: man sah ihnen an, die schauten Himmel und Hölle offen. Und
-neben ihm kniete, in einem härenen Gewand, Asche auf dem Haupte -- gar
-wohl kannte ich ihn aus unserem letzten Kriegszuge gegen die empörten
-Römer, -- der Herr Papst, der gelehrte Sylvester, und er, der Stolz der
-Wissenschaft, küßte demütig die halbnackten Füße und umschlang seine
-Kniee und rief: ›Ich büße! ich bereue! Ich bereue meinen hochfärtigen
-Unglauben! Denn wahrlich, wahrlich ich sage euch: diesem Ungelehrten
-hat der Herr sich offenbart. Und das Gericht des Herrn ist nahe.‹
-
-Wohl schlug mir das Herz vor Grauen an die Rippen, daß ich meinte, es
-müsse mir zerspringen. Aber es war ein gar trotzig Herz und wollte
-nicht nachgeben. ›Ach was,‹ sagte zu mir dies sündhafte Herz: ›Pfaff
-ist Pfaff: auch der Herr Papst ist Pfaff: -- leicht glaubt er dem
-andern Pfaffen.‹ Aber da -- o meine Geliebten ...!«
-
-Und überwältigt von der Erinnerung knickte die hünenhafte Gestalt
-zusammen; der Mönch brach in lautes Schluchzen aus, der Kopf schlug ihm
-mit der Stirn auf dem Gerüst auf.
-
-Das wirkte noch mehr als alle seine Worte. Ein Murmeln des Grauens
-lief durch die Menge. Die Männer zitterten vor Erregung, viele Weiber
-ergriff krampfhaftes Weinen: selbst Herr Heinrich preßte die Linke auf
-das tapfere Herz.
-
-
-VI.
-
-Aber schon erhob Monitor wieder das Haupt und fuhr fort: »Da ersah
-ich zur Linken des Heiligen einen andern knieen! Wohl kannt' ich auch
-den -- und doch! -- ich erkannte ihn kaum wieder. Eine herrliche
-blühende Jünglingsgestalt -- von goldenem Gelock das Haupt umwallt
--- schön wie die marmornen nackten Götter, die man zu Rom aus dem
-Schutte der Heidentempel gräbt. Nackt war auch der Jüngling, bis
-auf einen Lendenschurz von schwarzer Schafwolle: -- und in Bächen,
-in Strömen rieselte ihm das rote Blut von Rücken, Brust, Seiten und
-Beinen. Denn unablässig, grimmig, mit aller Kraft seines Armes geißelte
-sich vor allem Volk der Jüngling mit einer siebensträngigen Geißel,
-ein Eisenstachel am Ende jedes Stranges, und unablässig schrie und
-keuchte er mit schon versagender Stimme: ›Ich büße, ich bereue. Ich
-bereue jeden Gedanken, den ich jemals der Welt und ihrer nichtigen
-Herrlichkeit zugewendet und dem Reiche des Herrn entzogen habe. Denn
--- schon seh' ich es vor Augen! -- es nahet das Gericht des Herrn!‹
-Und nun -- denn ich meinte, die Stimme zu erkennen -- nun schärfte
-ich meine Augen, auch das Antlitz des schönen Jünglings in der
-Weihrauchwolke genau zu sehen ...
-
--- O Heiland der Welt! -- -- --
-
-Ja, er war es! Aber wie furchtbar verwandelt, wie entstellt, wie
-abgethan all' der freudigen stolzen Herrlichkeit, die einst ihn
-geschmückt, unsere Freude, unseren Stolz. Denn -- hört es, höret es
-alle! -- er, der uns allen das leuchtende Beispiel des Glaubens und der
-blutigsten Büßung gab -- er, der zum Entsetzen herabgemagert, nackt,
-wie ein Verbrecher bei dem Staupenschlag, vor allem Volk sich selbst
-zergeißelte -- Er war es -- mein Herr, euer, unser aller Herr: es war
-des großen Otto herrlicher Enkel, der Deutschen und der Lombarden
-König, des römischen Kaisers Majestät, der Herr der Welt -- Herr Otto
-war's der Dritte!«
-
-Da ging ein Stöhnen, ein dumpfer Schrei des tiefsten Wehs über den
-Jammer aller irdischen Größe und doch auch einer gewissen grausigen
-Wonne durch die vielen Hunderte hin.
-
-»Und nun,« fuhr der Mönch, sich hoch aufrichtend, fort: »Nun geschah
-mir das Ärgste. Ich wankte, meiner Sinne nicht mehr mächtig, dem
-blutüberströmten nackten Jüngling entgegen, ich streckte meine beiden
-Hände gegen ihn aus: -- da -- da traf sein Auge auf das meine, er
-erkannte mich und in wildem Schrecken schrie er: ›Wehe, weh! Ich kenne
-dich! Du bist Arn, der wilde, arge Arn, der Genosse so vieler meiner
-Sünden in Krieg und Jagd und Gelag. Ach, du heiliger Mann Gottes! Das
-ist derselbe -- man hat ihn erkannt, wie er davonjagte aus dem Thore
-von Florenz und hat es mir gemeldet -- der auf dem Marktplatz dort,
-auf Antrieb und in der Larve des Teufels, unter die Büßenden sprengte.
-Er trägt einen Dämon im Leib. Er ist besessen. Heiliger Mann Gottes,
-treibe den Teufel aus seiner Seele.‹
-
-Und ohnmächtig sank der junge Kaiser zusammen.
-
-Nun aber -- wehe! wie geschah mir! Alle, alle um mich her schrieen:
-›Er hat einen Dämon! Er hat einen Dämon!‹ Und der fürchterliche, der
-hagere Heilige schritt gerade gegen mich heran und streckte die beiden
-knöchernen Arme gegen mich aus und bohrte mir die brennenden Augen in
-meine glanzgeblendeten, schmerzenden Augen und sprach in schauerlichem
-Grabeston: ›Ja, ich sehe es, mein Sohn: aber nicht Einen Dämon,
-vier Dämonen trägst du in dir von Jugend auf: den Saufdämon, den
-Wollustdämon, den Kampfdämon, den Spottdämon. Ich aber -- ich bin vom
-Herrn berufen sie von dir auszutreiben und deshalb hat dich der Herr
-hierher gesandt zu dieser Stunde. Auf, ihr Gerechten und Geheiligten,
-greift ihn, bindet ihn und geißelt ihn bis aufs Blut.‹
-
-Ich schrie auf!
-
-Aber nicht aus Furcht vor den Schlägen, die nun von zwanzig Geißeln auf
-mich niederhagelten: nein, wahrlich nein! Sondern ich schrie auf vor
-Entsetzen über mich selbst, vor Grauen über mein vergangenes Leben,
-aus Furcht vor den Teufeln in mir. Ich schrie, weil ich's fühlte, weil
-ich's denken mußte in meinem brennenden Hirn: ›Er hat Recht! Weissagend
-hat der Heilige, der mich nie gesehen, mein Inneres, und den Inhalt
-meines Lebens aus meinen Augen gelesen.‹ Und ich spürte, wie die
-Dämonen in mir sich bäumten und wanden, wie aufsteigende Schlangen. Und
-ich schrie mit letzter Kraft: ›Ja, ja, ihr Frommen! Der Heilige sprach
-wahr. Ein Wunder! Ein Wunder! Er hat sie erkannt, -- die Dämonen, von
-denen ich besessen bin dreißig Jahre. O treibt sie aus! O rettet meine
-Seele.‹
-
-Das war das letzte, was ich hörte und wußte auf lange, lange Zeit.
-
-Als ich meiner Sinne wieder mächtig war, lag ich in dem Krankensaal
-des Klosters des heiligen Michael und stak in der Kutte der schwarzen
-Brüder von Garganus.
-
-Und an meinem Pfühle saßen der Herr Kaiser zur Linken und der Herr
-Papst zur Rechten, zu meinen Häupten aber stand der Heilige, und
-sprach: ›Sehet, es ist geschehen, wie ich gebetet, wie ich geweissagt.
-Er sollte ja sterben müssen, sprach euer griechischer Arzt, Herr
-Kaiser, an »~sideratio~« wie er's nannte: -- Sonnenstich, das sollte
-das ganze Wunder sein! Ich aber fragte den gelehrten Spötter: Ei, hat
-die Sonne auch seine +Seele+ gestochen? Warum ist er geworden aus einem
-Saulus ein Paulus? Wahrlich, wahrlich ich sage euch: ich kleide diesen
-geretteten Sünder in das Gewand meiner schwarzen Brüder und er wird
-nicht sterben. Oder, wenn er stirbt, wird er nach dreien Tagen wieder
-auferstehen von den Toten. So sprach ich. Wohlan: es ist der dritte Tag
--- er schlägt die Augen auf -- er ist genesen. Ausgefahren aber von ihm
-auf immerdar sind seine vier Dämonen.‹ --
-
-Und er beugte sich über mich und sah mir in den Grund der Seele mit
-diesen überirdischen Augen und forschte feierlich: ›Ich frage dich im
-Namen des Herrn, mein Sohn: nicht wahr, du bereuest, du büßest und du
-glaubst an das Nahen des Gerichts?‹ Und bei dem Klange dieser Stimme
-kam mir zurück die Erinnerung an alles, was ich in der Höhle gehört,
-gesehen und erlebt, und erschauernd sprach ich: ›Ja, du Heiliger des
-Herrn, ich bereue, ich büße und ich glaube an das Nahen des Gerichts.‹
-Da warfen sich der Herr Papst und der Herr Kaiser zu des Heiligen Füßen
-und umfingen seine Kniee und küßten sie und der Herr Papst rief: ›Heil
-mir, nun hab ich, was ich immer gewünscht zur Verscheuchung meiner
-Zweifel: nun hab ich eines deiner Wunder mit Augen gesehen!‹
-
-Der junge Kaiser aber schluchzte unter Thränen: ›Wohl mir, daß ich
-nie an dir gezweifelt, du Heiliger des Herrn.‹ Und ich beichtete dem
-Propheten. Und als Buße -- ach wie geringe Buße! -- legte er mir auf,
-von Stund an nie mehr im Leben Fleisch zu essen und überhaupt nur jeden
-dritten Tags Speise zu nehmen und nie mehr Wein. Und sprach zuletzt:
-›Du ziehest aus als des heiligen Vaters Sendbote und als der meine.
-Weil du verspottet hast das Nahen des Gerichts, sollst du das Nahen
-des Gerichts verkünden unter den Menschen deiner Heimat, in dem Land
-Italien aber nur auf dem Marktplatz zu Florenz: wo der Dämon des Hohnes
-aus dir sprach, soll der heilige Geist der Wahrheit aus dir sprechen.
-Und wenn dir in deiner Heimat die Weltlinge nicht glauben und dich
-verhöhnen, so wird das die gerechte Strafe sein deines Hohnes. Wenn sie
-dir aber glauben, wirst du noch vor dem Nahen des Gerichts erretten die
-Seelen Vieler und dadurch auch die eigene: denn jener Errettung wird
-dir der ewige Richter anrechnen als ein gutes Werk.‹
-
-Und bald darauf erhielt ich des Herrn Papstes Brief und Siegel und
-diese schwarze Fahne und vom Herrn Kaiser diesen stattlichen Wagen und
-die vier Rappen und zog aus auf meine heilige Sendung. Und der Herr hat
-sie gesegnet von Florentia an, -- wo sie mein Carroccio ausspannten und
-den bekehrten Sünder im Triumph auf ihren Schultern über den Marktplatz
-in die Kirche trugen, -- bis hierher: ihr sehet diese Hunderte von
-Geretteten.
-
-Ihr aber, o Bischof und ihr Priester von Würzburg und ihr
-Bischofsmannen und Bürger und Bauern -- o thuet desgleichen wie diese.
-Verstocket nicht eure Herzen! Ihr seht das Wunder vor Augen: das
-große, das der Heilige gethan hat an Arn, dem argen Sünder. So befolgt
-denn des Herrn Papstes, des Herrn Kaisers, des heiligen Nilus Gebot.
-Büßet, büßet und glaubet, das Gericht ist nah: um Mitternacht dieser
-Sommersonnwend -- noch wenige Wochen sind's -- geht die Welt in Flammen
-auf und der jüngste Tag bricht an.«
-
-Da stürzte der Mönch bewußtlos zusammen: Schaum trat ihm vor die
-Lippen: seine Kraft war erschöpft: er sank mitsamt seiner riesigen
-schwarzen Fahne in die Arme eines seiner Genossen: die drei andern aber
-setzten wieder die Posaunen an den Mund und bliesen und schmetterten,
-als erschallten schon jetzt die Posaunen des Gerichts: sie hieben auf
-die schwarzen Rosse ein: diese zogen an -- vorwärts rollte langsam der
-schwere hohe Wagen und ihm folgte singend und schreiend und heulend
-alles Volk, die Hunderte von Ankömmlingen, und die Tausende von Bürgern
-und Bauern -- alles wälzte sich unaufhaltsam gegen die Stadt zu: der
-Bischof und sein Gefolge vermochten weder seitwärts auszuweichen noch
-den gewaltigen Strom der wild Erregten, der Verzweifelnden aufzuhalten:
-willenlos wurden sie mit fortgetragen von dem wogenden Gewühl.
-
-
-
-
-Viertes Buch.
-
-
-I.
-
-Jetzt gab es Arbeit für den Bischof von Würzburg, geistliche und
-weltliche! --
-
-Die Wirkungen des Glaubens an das demnächst hereinbrechende Weltende
-waren im ganzen Abendland gewaltig. Freilich nicht überall gleich
-starke: In Italien, im Süden von Frankreich wurde die Bevölkerung,
-an sich von lebhafterer Empfindungsweise und leichter erregbar, in
-größeren Mengen und leidenschaftlicher ergriffen, weil so nahe den
-Quellen, von denen die Verkündung ausströmte: süditalische Einsiedler,
-zuletzt auch Rom. Die kühleren Deutschen nahmen die Sache kühler, mit
-häufigerer Bezweifelung und, auch wo sie glaubten, mit festerer Haltung
-auf; in manche Landschaften des Nordens und Ostens war das Gerücht kaum
-gelangt.
-
-Allein wo, wie im Würzburgischen geschehen war, ein Bote, unmittelbar
-von Papst und Kaiser und heiligem Wunderthäter entsendet, ein Bote,
-befeuert von schwärmerisch verzücktem, felsenfestem Glauben, selbst
-durch ein Wunder erst zu diesem Glauben bekehrt, das schaurige Wort
-verkündete, -- da war die Wirkung eine furchtbare, eine fortreißende.
-Nicht einer und nicht eine, die den Aufzug des Mönches und seine
-Bußmahnung auf jener Festwiese gesehen und gehört, verharrte im
-Unglauben, hegte noch Zweifel; sogar der alte Rado raunte Hellmuth zu:
-»Ja, zur Sonnwend! Ist richtig! Ich wußt' es längst. Die Welt geht
-unter, -- aber +anders+ als die Pfaffen wähnen.«
-
-Supfo hatte wichtiger Geschäfte gewaltet und an jenem Nachmittag den
-Keller nicht verlassen.
-
-Noch am selben Tage hatte sich der Zug des Mönches durch die Stadt
-hindurch den Fluß hinab weiter gewälzt: der Bischof hatte, mancherlei
-Wirren in der Gemeinde besorgend, die baldige Entfernung des starken
-Haufens in jeder Weise begünstigt und beschleunigt.
-
-Eines der ersten Geschäfte Herrn Heinrichs, sobald er in seinen Hof
-zurückgelangt war, bestand darin, daß er einen Eilboten in die Gegend
-von Bamberg sandte, wo er noch die Lagerung der wendischen Söldner
-vermutete, mit dem strengen Befehl an Berengar, die Verhandlungen
-abzubrechen, das etwa bereits Bezahlte zu opfern und schleunigst
-zurückzukehren. Es hatte keinen Sinn mehr, für Sankt Burchhard eine
-Grafschaft zu erkämpfen, die in wenigen Wochen in Feuer aufging.
-
-Im übrigen aber hielt der tüchtige, klar-verständige Mann streng
-darauf, daß, unerachtet der frommen Vorbereitung durch Gebet und Bußen,
-jeder seine obliegenden weltlichen Pflichten streng und genau wie immer
-erfülle, gleichwie er selbst mit bestem Beispiel darin voranging: er
-sah voraus, was die Erfahrung der nächsten Tage schon bestätigte, daß
-die Wirkungen jenes Glaubens keineswegs bloß fromme, wohlthätige,
-sittliche sein würden.
-
-Gegenüber der maßlosen Aufregung der Gemüter, der Furcht vor Tod und
-Hölle, die zu unthätigem Brüten, zu leidenschaftlichen Ausbrüchen,
-zur Lockerung aller hergebrachten Bande, zur Vernachlässigung aller
-Gewohnheiten und Geschäfte verführte, war das einzige Heilmittel
-die strenge treue Erfüllung jeder Pflicht, auch der weltlichen.
-Unermüdlich schärfte er das wie in seinen nun täglichen Predigten, so
-im Beichtstuhl und im Verkehr mit Geistlichen und Laien ein.
-
-Und wahrlich: es that not!
-
-Die meisten freilich, die Frauen und Mädchen fast ausnahmslos, und
-auch der weitaus größte Teil der Männer wurden durch die Erwartung des
-nahenden Endes zur Zerknirschung, Reue und Buße getrieben. Und die
-Furcht vor dem Zorne des allwissenden Richters bewog Unzählige, nach
-der sehr bedenklichen Sittenlehre nicht der Kirche zwar, wohl aber
-der Zeit, die Heiligen zu bestechen, ihre Fürsprache bei dem Herrn
-dadurch zu gewinnen, daß sie den Heiligen: das heißt deren Kirchen,
-Klöstern und frommen Stiftungen Geschenke zuwendeten soviel sie nur
-konnten. Viele, viele Tausende errichteten damals Schenkungen an die
-Kirchen von Land und Leuten, von nutzbringenden Hoheitsrechten, von
-Häusern und Feldern, von barem Geld, von Gold- und Silbergerät und
-Schmuck. Auch dem Bischof von Würzburg wurden jetzt für Sankt Kilian,
-Sankt Burchhard und andre Heilige solche Vergabungen in einer kaum zu
-bewältigenden Fülle aufgedrängt. Wenig Freude hatte Herr Heinrich an
-diesen Äußerungen einer Frömmigkeit, die dem Schenker den Genuß nur auf
-drei Wochen noch entzog, dem Heiligen nur auf drei Wochen zuwandte und
-durchaus nicht in Selbstverleugnung, sondern in jämmerlicher Furcht vor
-den Höllenqualen ihren Beweggrund hatte.
-
-Allein ausschlagen durfte er das Dargebrachte nicht: -- das verboten
-die Canones! -- Auch würde die Zurückweisung die Leute erbittert,
-zur Verzweiflung, zu wüstem vergeudenden Genuß getrieben haben. In
-solchen Mengen aber drängten sich Schenkungsurkunden und geschenkte
-Fahrhabe zusammen, daß er außer dem Bischofshaus auch noch andre
-verfügbare Räume zur Aufnahme anweisen mußte. Auch das bisher von den
-beiden Mädchen bewohnte Haus ward hierzu bestimmt: die Freundinnen
-mußten sich trennen. Denn der Bischof bestand darauf, daß der Eintritt
-Minnegardens in das Kloster nun doch noch zu geschehen habe. Das
-Widerstreben der Weinenden, die geltend machte, nun könne es doch
-darauf nicht mehr ankommen, ob sie nächstens als Weltkind oder als
-Nonne sterbe, wies er gütig, aber bestimmt zurück. Er würde, gestand er
-ihr, wäre der Bescheid des Papstes anders ausgefallen, ihr vielleicht
-nachgegeben haben, da er längst erkannt habe, wie wenig das Alpenkind
-zum Kloster neige und dafür tauge, wie so ganz auf andre Dinge ihr
-Sinn gerichtet sei. Aber nun, da alle solche Hoffnungen und Wünsche
-doch ausgeschlossen, nun sei es Pflicht, den letzten Wunsch der Mutter
-zu erfüllen: auch teilte er den allgemeinen festen Glauben der Zeit,
-es sterbe sich viel seliger im Nonnen- oder Mönchsgewand denn in
-weltlicher Tracht; er machte mit dieser Versicherung freilich wenig
-Eindruck auf das Mädchen! Schon daß sie sterben müsse, bevor sie in das
-Himmelreich eintreten könne, fand sie recht hart; sie hatte gemeint,
-nachdem der Herr die Menschen, die er lebend antreffe, lebend richte,
-könnte er sie wohl auch gleich lebend mit in den Himmel nehmen. Da
-hatte sie denn zu lernen, daß jenes Leben ein andres als das auf Erden
-und daß nur wenigen Auserwählten verstattet sei, ohne den Tod zu
-schauen, in den Himmel einzugehen.
-
-So ward die Tieftraurige untergebracht in das Haus der »Religiosen«,
-das nördlich der Stadt vor dem Holzthor, aber innerhalb des
-Pfahlhags auf dem rechten Ufer flußabwärts an der heutigen Straße
-nach Veitshöchheim lag: hier ward sie von den frommen Frauen für
-die Einkleidung vorbereitet, die -- nach Anordnung des Bischofs --
-von diesem selbst in dem Dom in der letzten Stunde vor Mitternacht
-vorgenommen werden sollte.
-
-Edel bezog mit Malwine, der alten Pflegerin, ein kleines, dem Bischof
-gehöriges Häuslein, das, gerade dem Religiosenhaus entgegengesetzt,
-flußaufwärts vor dem Südthor und der Sandvorstadt in der Nähe der
-großen Festwiese, aber auch außerhalb des Pfahlhags lag. Sonder
-Abschied hatte Fulko die Geliebte müssen ziehen lassen; denn
-er wie Hellmuth wurden gleich in den nächsten Tagen nach jenem
-verhängnisvollen Schützenfest von Herrn Heinrich sehr häufig außerhalb
-der Stadt im Gau verwendet. Der waffenfrohe Bischof fand nämlich
-neben der unablässigen geistlichen auch weltliche, kriegerische
-Arbeit in diesen Wochen. Denn keineswegs alle Seelen wurden durch
-den Gedanken des nahen Endes zerknirscht: es gab doch auch gar viele
-rohe, kraftstrotzende Männer, in der Vollkraft der Jahre, in welchen
-umgekehrt die Flammen der Genußgier noch einmal wild aufloderten bei
-der Vorstellung des baldigen Erlöschens für immerdar. Von wahnsinnigem
-Drang nach Erdenlust jeder Art ergriffen, betäubten sie ihre Angst
-vor dem Tod und fröhnten zugleich ihrer Sinnengier in wüsten und
-verbrecherischen Thaten gegen alle Gebote der Kirche und gegen alle
-Gesetze des Reichs.
-
-In der Stadt selbst hielt Herr Heinrich solche Ausbrüche nieder mit
-eherner Faust. Es war dem tapfern Manne sehr erwünscht, daß die
-Abwesenheit desjenigen, der durch sein Amt berufen war, den Landfrieden
-zu wahren, des Grafen, mit fast all seinen Reisigen in Italien, dem
-Bischof die Erfüllung dieser Pflicht zwar keineswegs von Rechts wegen
-aufzwang, aber doch ermöglichte und nahelegte.
-
-Wie in anderen Teilen Deutschlands hatten sich im Waldsassen-
-und Rangau bei Würzburg, zumal aber auch in den armen Gegenden
-des Spessart, dann im Maingau, wohin der Mönch Monitor seine
-aufregende Verkündung zunächst getragen hatte, bewaffnete Scharen
-zusammengerottet. Sie suchten mit Raub und Brand die nächsten
-Herrensitze, ja auch Klöster heim, sie erbrachen hier die vollen
-Weinkeller, die strotzenden Vorratskammern ihrer Herren -- die oft ihre
-Peiniger gewesen waren -- oder ihrer reicheren Nachbarn und nahmen
-sich mit der Faust zu einem letzten Rausch, zu einer letzten Völlerei,
-was ja doch in wenigen Tagen dem Untergang geweiht war: auch manche
-Weiber und Mädchen rissen sie zu wilden, schamlosen Reigen und oft zu
-schlimmeren Dingen fort.
-
-Es waren meist Unfreie, die ihren Herren entlaufen waren, entsprungene
-Gefangene, Landstreicher, Waldgänger, Räuber, unzufriedene verarmte
-Kleinbauern. Schwer aber fiel es Herrn Heinrich aufs Herz, als ihm
-gemeldet wurde, auch viele jener Bauleute seien darunter, die er
-plötzlich aus Arbeit, Brot und Lohn entlassen hatte.
-
-Daß so er -- er selbst! -- die Scharen jener Mordbrenner verstärkt
-habe, -- das legte ihm die rasche, kraftvolle Dämpfung der Unruhen noch
-besonders als Pflicht auf das Gewissen.
-
-So gab er sich denn mit heißem Eifer wie mit altbewährter Stärke
-und Umsicht dieser kriegerischen, staatlichen Aufgabe hin. In einer
-kampffreudigen Predigt in der in diesen Tagen immer bis auf den letzten
-Fleck gefüllten Domkirche forderte er alle wehrfähigen Bürger der
-Stadt und des Gaues auf, sich zu waffnen: -- er stellte ihnen die
-eigne reiche Waffensammlung zur Verfügung -- und zusammen mit seinen
-Dienstmannen unter Führung seiner Ritter die Umgegend zu durchstreifen,
-die bedrohten offenen Landsitze, Dörfer und Klöster zu schützen, die
-Banden aufzusuchen und zu zerstreuen.
-
-Seine flammende Beredsamkeit -- »wie ein Herzog sprach er, nicht wie
-ein Pfaff,« meinte Fulko begeistert -- hatte guten Erfolg: wohl ein
-paar hundert Bewaffnete sammelten sich alsbald um den Bischofshof:
-hatte er doch solches Thun für gottwohlgefälliger und verdienstlicher
-noch denn Fasten und Beten erklärt! Und eine Freude und heiß erwünschte
-Erholung von den jetzt fast erdrückenden geistlichen Geschäften war es
-ihm, gelegentlich selbst, hoch zu Roß, die Sturmhaube auf dem Haupt,
-das Schwert in der Faust auszuziehen -- nicht gerade ganz im Geist
-der Canones! -- an der Spitze einer solchen gewaffneten Schar und
-eine Rotte von Räubern und Landbrennern auseinanderzusprengen, wie
-sie Aschaffenburg im Nordwesten, Kissingen im Südosten bedroht und
-geschädigt, aber auch im Waldsassengau in der Nähe von Würzburg selbst
-Holzkirchen, Helmstädt, Utingen, Römlingen, Fotingen, Birkenfeld,
-Himmelstadt, Steinbach, Trifenfeld heimgesucht hatten mit Gewalt und
-Plünderung. Da hatten außer dem Bischof selbst seine Junker die Hände
-voll kriegerischer Arbeit. »Es ist all nicht genug,« schalt gleichwohl
-Hellmuth. »Sie halten nicht Stand, die feigen Schächer. O nur noch Ein
-tüchtig Einhauen vor dem Ende!«
-
-
-II.
-
-Aber neben allen geistlichen und weltlichen Aufregungen dieser Wochen
-irdischen Daseins gingen doch die Dinge des täglichen Lebens, dessen
-Erfordernisse und Bedingungen -- in seltsamem Gegensatz zu jenen
-außerordentlichen Geschehnissen -- ihren hergebrachten Gang: die Leute
-sahen dem Ende entgegen: aber einstweilen wollten sie doch schlafen und
-trinken und -- wenn sie nicht gerade das Fasten sich vorgesteckt hatten
--- auch essen.
-
-Herr Heinrich hörte einmal, wie er die Eingangshalle des Erdgeschosses
-durchschritt, seines treuen Supfo Stimme gewaltig schelten: laut drang
-aus der Tiefe des Kellergewölbes seine schallende Rede an die Oberwelt,
-verbrämt mit manchem nicht gerade bischöflich gedachten Kernfluch.
-Das bewog den Seelenhirten, zu verweilen und an seinem Kellermeister
-im Vorüberwandeln ein wenig Seelsorge zu treiben. Er blieb stehen,
-beugte sich über das Geländer der steinernen Kellerstufen und rief
-hinab: »Aber Supfo! Schämst du dich nicht? Es wird wohl dein Werk,
-was immer es sei, auch ungeflucht von statten gehen. Aber nichts als:
-›Donner!‹ und ›Donnerstrahl!‹ Was bringt dich denn so auf?« »Nun, Herr
-Hezilo!« antwortete der Runde, der langsam ein paar Stufen entgegen
-humpelte. »Wenn +das+ einen Christenmenschen nicht aufbringen soll! Was
-haben sie gethan, diese Eselfüllen von Kellerjungen? Den köstlichen
-Trank vom Stein schon aufgespundet. Jetzt hält er sich kaum mehr zwei
-Jahre!« -- »Aber Supfo! In zwei Wochen ist ja alles aus!« -- »Ja -- ja!
--- Jawohl! -- Aber nichtsdestoweniger! -- Wie habt Ihr erst gestern
-wieder so schön gepredigt in der Vesper (-- wie jetzt schon so oft, daß
-ich's auswendig weiß!)? ›Geliebte in dem Herrn! Vor allem fahret fort,
-eure Pflicht zu thun in allen Stücken, im kleinen wie im großen‹ (der
-Steinwein ist aber nichts Kleines!) ›als ginge es noch immer so fort
-wie von je.‹«
-
-»›Ohne doch (fügte ich bei) durch solche Geschäfte euere Gedanken
-ablenken zu lassen von dem nahen Ende.‹ -- Du aber scheinst ein
-sehr gutes Gewissen oder -- noch immer! -- einen herzhaften Vorrat
-Leichtsinn zu besitzen.« »Beides, lieber Herr,« beteuerte der Kellerer
-treuherzig, die Hand auf sein Schurzfell legend in die Grenzgebiete
-zwischen Herz und Bauch. »Was hast du denn aber da?« forschte der
-Bischof sich tiefer bückend. »In der großen Kiste, die du dort in den
-Nebenkeller schaffen lässest?« -- »Das? Das ...? Das kleine Kästlein,
-meint Ihr? O ... das ... das ist nichts ... von Bedeutung.« -- »Was ist
-darin? Kirchengerät?« -- »O nein, im Gegenteil -- sozusagen! Es sind
-Schläuche -- von ... von dem Griechenwein, den weiland Frau Theophano,
--- Gott hab' sie selig! (werdet sie ja auch nun bald wiederschauen: ob
-sie wohl noch so schön ist?) -- Euch oder vielmehr, wie es in ihrem
-Schreiben hieß, Sankt Burchhard (der aber schon lange -- zu Lichtmeß
-waren es zweihundertsechsundvierzig Jahre! -- seinen letzten Trunk
-gethan), also doch wohl Euch verehrt hat. Der Griechenwein steht hier
-der Kellerarbeit im Wege und ...« »Lauter überflüssig Thun!« schalt der
-Bischof und schritt zum Thor hinaus, im nahen Dom wieder Beichte zu
-hören. »Ganz unnütz!« »Wer weiß?« meinte Supfo und sah ihm verschmitzt
-lächelnd nach.
-
-
-III.
-
-Wenige Tage danach -- es war schon dunkler Abend -- kam Junker Fulko
-von einem Streifzug in der Umgegend -- mainaufwärts -- gegen die
-Landschädiger zurück. Er hatte sein Häuflein in dem Thore der Vorstadt
-auf dem Sand entlassen, Orco, seinen schönen Rapphengst, dem Roßwart
-übergeben und schritt nun in tiefe -- ach! nicht mehr hoffnungsfreudige
--- Gedanken verloren durch die schmale Gasse, die innerhalb der
-Umwallung von Ost nach West an den Fluß führte; er wollte sich von da
-allmählich an das Religiosenhaus heranpirschen, zu versuchen, ob es
-nicht endlich gelinge, einen Blick auf oder von Minnegard zu erhaschen;
-bisher war die Hut der frommen Schwestern nicht zu durchbrechen
-gewesen! Er summte den Anfang eines werdenden Liedchens vor sich hin in
-der Dämmerung:
-
- »Wes Auge je dein inne ward,
- O zauberschöne Minnegard ...«
-
-Da drang aus der noch engeren Quergasse, welche die Straße von Nord
-nach Süd kreuzte, lautes Gekläff eines Hundes, dazwischen durch der
-Streit zweier menschlicher Stimmen, zuletzt etwas wie ein Hilfeschrei:
-und das war nicht eines Mannes Stimme.
-
-Im Augenblick stand der Ritter in der ziemlich dunkeln Gasse: an deren
-Südende sah er gerade noch zwei blonde Zöpfe fliegen, während ein
-zottiges Grauhündlein, mit zornigem Gebell vorstoßend, den Rückzug
-seiner Herrin deckte.
-
-»He, Junker Blandinus! Bei Euerem Sankt Markus! Schon wieder einmal
-beim Kinderquälen und im Köterkampf?« rief Fulko. »Könnt Ihr denn nicht
-warten bis diese Kirsche reif? Noch ist sie zu sauer -- wenigstens für
-Euch. Ja so! Warten! -- In vierzehn Tagen ...! Gleichviel, laßt mir das
-dicke Kind zufrieden oder ...« »Tod und Teufel! Ich liebe das holde
-Geschöpf und würde sie zur Dogaressa machen, ging nicht -- leider! --
-vorher -- zufällig die Welt unter!« rief der Venetianer, blitzschnell
-sich wendend und die schmale Stoßklinge herausreißend. »Was geht's
-Euch an, Provençale! Seid Ihr des Mädchens Muntwalt oder der meine?
-Zieht! Was habt Ihr mich zu stören? Zieht, sag ich.« Aber Herr Fulko
-hatte schon gezogen und wehrte ruhig, jedoch nachdrücklich die hitzigen
-Stöße ab, mit welchen der Erbitterte auf ihn eindrang. »Brav, brav,«
-lachte der Sänger. »Das war sogar recht hübsch, dieser Doppelstoß.
-Aber nun ist's doch genug.« Des Venetianers Klinge flog in die Luft,
-Fulko haschte sie behend vom Boden auf und reichte ihm mit anmutiger
-Verbeugung den reichvergoldeten Griff hin; beschämt steckte sie der
-Entwaffnete ein.
-
-»Seht,« fuhr der Sieger gutmütig fort, »so gut wie jetzt habt Ihr mir
-in Eurem ganzen Leben noch nicht gefallen. Das war doch ein Anflug von
-Mannheit, wenigstens ein Flackerzorn, und ein ganz leidlich Fechten.
-Hätte Euch dabei das hübsche Kind gesehen, -- ich glaube, Ihr hättet
-stark bei ihr gewonnen. Glaubt mir, ich mein' es gut mit Euch, junger
-Löwe von San Marko. Es steckt was in Euch, Ihr seid gar nicht so übel.
-Nur laßt -- für die paar noch übrigen Tage -- die verfluchte Geckerei
-und Ziererei! -- Erst werdet ein Mann, eh' Ihr Weiber gewinnen wollt.
-Bei Sankt Amor, +ich+ schelte Euch nicht drum, daß Ihr verliebt seid
-im Angesicht des jüngsten Tages. Es wäre recht sündhaft von mir! Aber
-alles hübsch nach der Reihe. Nur der Starke ist des Schönen wert!
-Glaubt mir, merken die Mädchen, an Eurem Auftreten gegen die Männer,
-Ihr seid ein Mann, dann werden sie Euch nicht mehr auslachen, tretet
-Ihr auch gegen sie auf mit dem Begehr, weil mit dem Recht des Mannes.
-Hätt' ich nur mehr Zeit, zu predigen, und Ihr, mir zu folgen. Folgt
-mir doch noch diese Spanne Zeit. Und nun gerade erst recht in diesen
-Tagen. Wenn Ihr nun in Bälde steht vor Sankt Georg, dem Erzengel, der
-uns Ritter unter sich hat, und er Euch fragt: ›Junker Blandinus aus
-Venetia, was habt Ihr beschafft auf Erden? Womit habt Ihr die zwanzig
-Jahre, seit Ihr Hosen tragt, ausgefüllt?‹ Ihr müßtet ja doch vor Scham
-in die Erde sinken (wenn sie noch da wäre!), könntet Ihr nur sagen:
-›Den Mädchen bin ich nachgelaufen -- und noch dazu oft sonder Erfolg!‹«
-
-»Ihr ... Ihr habt nicht Unrecht, glaub ich,« sprach zögernd Blandinus,
-mit niedergeschlagenen Augen, -- »ich will's befolgen.« -- »Wollt
-Ihr? Das ist recht! Morgen zieht einmal mit mir aus wider die tollen
-Bauern. Ich stehe Euch dafür: der Mann findet ganz gehörig zu reiten,
-zu fechten und zu trinken, der auf Kampf und Abenteuer zieht mit Fulko
-von Yvonne.«
-
-
-IV.
-
-In der diesem Abend folgenden Nacht sprengte auf der Heerstraße von dem
-Südthor flußaufwärts ein ungeduldiger Reiter; immer wieder trieb er den
-ohnehin wacker ausgreifenden Braunen zu rascherem Lauf an. --
-
-Die Höhen gegen Randersacker hin, auf denen heute ein edler Trank
-gewonnen wird, überzog damals noch dichtes Gehölz: im Unterschied von
-dem »Königswald« auf dem linken Ufer hieß es der »Grafenwald«: denn
-es gehörte zu dem Amtslehen des Grafen des Waldsassengaues. Etwa eine
-Stunde oberhalb der Allmänndewiese bog von der breiten Heerstraße ein
-schmaler Reitweg links nach Osten ab und schlängelte sich durch das
-buschige Gelände bis zu der Höhenkrone mit ihrem finstern Urwald hinan.
-Diesen engen Pfad schlug der nächtliche Reiter ein.
-
-Er mußte der Örtlichkeit genau kundig sein: denn nicht eben leicht
-war durch Weißdorn- und Hartriegelgesträuch der schmale Streif des
-Weges zu verfolgen. Freilich warf der Mond, bereits über den Höhenzug
-emporgestiegen, von Osten her sein phantastisches Licht auf die Abhänge
-gen Westen, auf die Heerstraße und den silbern glitzernden, ruhig
-ziehenden Fluß.
-
-Allein der Wind trieb unablässig ziehend Gewölk über die noch nicht
-gefüllte Scheibe, so daß das wechselvolle Licht, geraume Zeit völlig
-versagend, dann wieder plötzlich auf kurze Weile grell und blendend
-vorbrechend aus den schwarzgrauen Wolkenflügen, vielfach mehr störte
-als förderte. Alsbald sah sich der Reiter, wie der Pfad steiler
-anstieg, genötigt, abzuspringen und das Roß am Zügel langsam bergan zu
-führen: trotzdem stolperte es zuweilen über die Knorrwurzeln, welche,
-wie dunkle Schlangen, quer über den Waldweg liefen. »Gemach, Falk!
-hübsch bedächtig,« mahnte er das erschrockene Tier. »Sieh, bei Tage
-trägst du mich! bei Nacht, im Dunkel, wie billig, führ ich dich! Treue
-um Treue. Erschrick nicht! Das war nur ein Glühwurm! Aber freilich, es
-hauset mancherlei im nächtlichen Tanne, was mit eisigem Grausen auch
-an die Brust des Weidmanns rühren mag. Schon mancher zog zu Walde zur
-Nacht -- kam nicht mit heilen Sinnen wieder daraus hervor. -- Ruhig,
-Brauner! Das war eine fauchende Eule -- und was da rot leuchtet an
-dem alten Baumstumpf, das ist Morschholz. Vorwärts und scheue nicht!
-Wir sind nicht auf schlimmem Gang!« Nach einer scharfen Rechtsbiegung
-des Pfades ward oben auf der Höhe in einiger Entfernung ein schwach
-glimmendes Licht sichtbar. Dahin zog nun der Weg. --
-
-Da schlug der Vorderhuf des Pferdes, das sonst ganz geräuschlos auf das
-Waldgras trat, an einen Stein: weit klirrte der helle Ton durch die
-schweigende Nacht: gleich erscholl lautes, wütendes Hundegebell von der
-Höhe her und in mächtigen Sätzen rannte ein gewaltiges Tier zornmütig
-auf die Ruhestörer herab: kaum war es abzuwehren durch den umgewendeten
-Speerschaft, welchen der einsame Wanderer ihm entgegenstreckte.
-»Giero! Treuer Herdenwart! kennst du mich nicht mehr?« rief er dabei
-beschwichtend. Da stutzte die grimme Rüde, schnob und schnupperte gegen
-den Wind und hüpfte gleich danach friedlich und freundlich an Mann und
-Pferd hinauf. »Schon gut, du wachbarer Freund! Besser zu viel Vorsicht
-als zu wenig. Nun komm hinauf zu deinem Herrn.« Bald standen nun, von
-dem freudig bellenden und meldenden Hunde geführt, Reiter und Roß auf
-der Höhe, wo in einer runden, wie es schien, schon lang bestehenden
-Waldlichtung an dem Fuß einer uralten gewaltigen Esche ein schwaches
-Reisigfeuer mehr Qualm als Licht verbreitete.
-
-Neben der Glut lehnte an dem Stamme, hoch aufgerichtet, ein hagerer
-Mann in einem Mantel aus Wolfsfellen, eine ungeheuere Schürstange, wie
-sie die Köhler führen, in der Faust; er hatte nach oben geschaut, in
-den gerade wieder hervorgleitenden Mond; schweigend, nur mit leichtem
-Nicken des grauen Hauptes, begrüßte er den Ankömmling, der sein Pferd
-seitab, geschützt vor dem Zug des Rauchqualms im Südwestwind, an eine
-junge Buche band.
-
-»Nun Rado, kam ich noch zu rechter Zeit?« -- Hastig entflog die Frage.
-»Du weißt: gleich durft' ich dir nicht folgen: es war noch zu hell; und
-der Bischof, der mit seiner Streifschar zurückkam, noch ganz nah. Ich
-fürchte, er erkannte mich, wie damals in Eurem Hof. Gar manchen Ritt im
-Zickzack macht' ich noch, meine Spur zu verbergen, falls er mir einen
-seiner Reiter nachgesandt hätte. Und doch -- streng schärftest du's
-ein -- mußt' ich die Stunde einhalten.«
-
-Der Alte, den Schürbaum weglehnend, nickte.
-
- »Nur zu ziemender Zeit,
- An bestimmter Stätte,
- Geschieht mit Gedeihen
- Weihevoll Werk!
-
-So der Spruch der Ahnen. Wir haben noch Zeit. Seht Ihr, Junker
-Hellmuth, dort rechts vom milden Herrn Mond das kleine Sternchen?
-›Hollespang‹ heißt er: und ist unserer lieben weißen Frau Holle
-Busenspange. Er darf nur mehr drei Handbreiten von dem Mondrand
-abstehen. So müssen wir noch warten. Und fragt jetzt, was Ihr noch zu
-fragen habt: denn
-
- wann das Werk begonnen,
- darf es nicht wirren
- Wort und Widerwort.«
-
-
-V.
-
-»Wie soll ich dir danken, Rado, treuer Rado? Du erfüllst den letzten
-heißen Wunsch meines Lebens, der mir noch übriggeblieben!«
-
-»Danken? Ihr? Gar nicht! Euer Vater hat mir vorausgedankt für alle
-Zeiten. Die vielen Jahre, die ich, von den Rothenburger Herren ihm als
-Waffenträger zugeteilt, ihm dienen durfte in Jagdfahrt und Heerfahrt,
--- das waren die besten, die ich gesehen.
-
-Seit er gestorben, Herr Heinrich Pfaff und ich Hirt der Burgensen
-geworden, -- wenig Freude habe ich mehr am Leben. Nur daß ich im
-Wildwald hausen darf als Jäger und Köhler -- neben der Herden-Hut --
-das thut mir wohl in der Seele. -- Und wißt Ihr, was mir das Liebste
-war an Euerm Vater? Nicht, daß er mir Lohn und Beuteanteil gab mit
-vollen Händen, -- nein, daß er sich so gern von mir erzählen ließ von
--- von den Alten -- Ihr wisset schon! ... Und daß er davon vieles
-glaubte, was ich von meiner Mutter überkommen. Mein Bruder Wartold,
-Großmutter Ute bekreuzen sich dabei, Fullrun ist zu kindjung und
-mutwillig. Aber Wartold wird's schon erleben, -- gar bald! -- daß ich
-recht habe. Und daß auch Ihr, obwohl des Bischofs Lieblingsritter, mir
-glaubt ... --« -- »Manches, Rado! Beileibe nicht alles! Ich bin ein
-guter Christ und will es bleiben. Ich glaube dir von deinen Sachen
-nur ...« »Was Euch anzieht, was Euch gefällt,« schmunzelte der Alte.
-»Ihr werdet nicht bereuen, daß Ihr glaubt: ›reich lohnt Woden treue
-Freundschaft,‹« brummte er leis in den grauen Bart. »Und seht:« fuhr er
-laut fort, »Eins hat mir -- all diese Monate her! -- so gut gefallen
-von Euch.« -- »Nun?« -- »Daß Ihr etwas +nicht+ gethan, +nicht+ von mir
-verlangt habt!« -- »Bin gespannt!« -- »Keinen Minnezauber!« »Rado!«
-rief der Jüngling und errötete über und über. -- »Nun, ich sage nichts
-weiter. Aber wer Euch und -- Eine im Winter selbander zur Jagd reiten
-sah, -- Aug' in Auge! -- und Euch jetzt beisammen sieht, der merkt
-was. Und doch verlangtet Ihr nicht -- wie so viele -- von mir einen
-Liebeszauber.« »Niemals!« rief Hellmuth. »Lieber dreimal drüber sterben
-als ihren keuschen Willen brechen -- durch Zauber!« -- »Ja, das eben
-ist mein Hellmuth, den ich vom Kind an kenne und seine lichte Seele:
-sie ist durchsichtig wie ein klarer Waldquell und kein trüber Fleck
-darin. Ihr leidet so schwer.« -- »Bald ist nun ja auch diese Qual zu
-Ende. -- Aber sage, wie kommt es, daß du, der sonst allzuwenig den
-Worten der Priester glaubt, gerade diese Verkündung gleich von Anfang
--- lange bevor der Papst durch den Mönch es gebot! -- so gläubig, ja so
-eifrig, so gierig aufgenommen hast? Was nur die Allergelehrtesten und
-Allerfrömmsten der Kirche ergrübelt hatten ... -- ...« »Hm,« lachte der
-Alte. »Und wie lang ist's her, daß die das lehren?« -- »Noch nicht Jahr
-und Tag.« -- »So? -- Nun da weiß ich's etwas länger -- so seit vierzig
-Wintern etwa! Mich hat's die Mutter gelehrt, als ich meinen ersten
-Fuchs geschossen. ›Ei,‹ sagte sie, ›ein wacker Werk. Du hast Herrn
-Loges Heer gemindert.‹ ›Herrn Loges Heer?‹ forschte ich. Und nun hob
-sie an zu erzählen, was sie von ihrer Mutter gehört und die wieder von
-ihrem Ahn. Ich glaube,« grübelte er vor sich hin, »unsere Sippe wußte
-es von je.« »Aber was, was wißt Ihr?« unterbrach Hellmuth ungeduldig.
-»Das andre ist mir all gleichgültig: nur das will ich nun endlich
-genau wissen, von den letzten Geheimnissen, was Ihr immer so dunkel
-angedeutet, wo und wie ...?«
-
-»Hei, ist so kurz nicht zu sagen. Setzt Euch. Hier! Ins trockene
-Eschenlaub. Nehmt die Lederflasche. Der Wein, den in der Bergleiste
-Frau Sunna kocht, die heiße Herrin, ist feurig. Und da -- in meinem
-Netzranzen, das ist Wildeberfleisch. Und nun gebt acht!« Er trank einen
-langen Zug und hob an: »›Heilige und Teufel ringen dann‹, sagt der
-Bischof? Mag ja wohl sein! Riesen und hohe Helfer sagen wir. Die ringen
-und kämpfen unablässig miteinander um die Herrschaft der Welt und um
-die Seelen der Menschen: so sagt der Bischof, so sage auch ich. Einst
-endet die Welt, so sagen wir beide. Aber wie endet sie? Das weiß der
-Bischof nicht --: auch der Papst nicht und der irrsinnig gewordene Arn
--- schad' um ihn! den hätten wir als dritten mitgenommen, hätte ihm
-nicht die welsche Sonne das Gehirn verbrannt, der Tod sieht ihm aus den
-hohlen Augen: ich glaub's nicht, daß er die Sunnwend noch erlebt! Also
-Arn, der wußt es auch nicht: sonst hätte er's doch neulich gesagt. Wir
-aber wissen's seit grauer Vorzeit der Ahnen: die Welt geht unter --
-freue dich, mein tapfrer Hellmuth! -- in einem ungeheueren herrlichen
-Heldenkampf, wie er noch nie gestritten ward auf Erden.«
-
-Der Ritter sprang auf: »Den kämpf ich mit!«
-
-Wohlgefällig ruhten die Augen des Alten auf dem edeln, leuchtenden
-Antlitz des schönen Jünglings, im Glanze des von der raschen Bewegung
-aufflackernden Feuers. »Das sollst du, mein Liebling, an meiner Seite.
-Das eben gönn' ich dir -- dir allein -- seit Herr Hezilo sich hat
-scheren lassen. Den letzten Sieg, den auf dieser alten Männererde
-lichte Helden gewinnen gegen dumpfe Unholde, -- +du+ sollst ihn mit
-ersiegen helfen.« -- »Aber wann? Wo? Wie?« -- »Gemach! Heute will ich
-das selbst erst erkunden. Deshalb hab' ich dich heute nacht hierher
-beschieden. Aber noch ist's nicht an der Stunde. Schau hinauf --
-Hollespang steht noch zu weit rechts.« »Ich erinnere mich,« sprach
-der Junker nachdenkend. »Ja, ja! Von einem Kampfe, der dem Gericht
-vorangehen wird, sprach auch einmal einer der Dompriester. Aber da
-müsse -- als Führer der Frommen -- zuvor Elias wiederkommen.«
-
-»Wer ist der Held? Hab' nie von ihm gehört!«
-
-»Ein Prophet der Juden. Und werde der gewaltig streiten.«
-
-Ziemlich ungläubig zuckte der Alte die breiten Schultern unter dem
-Wolfsfell. »Würde mir andern Herzog küren. Vernimm nun die alte Sage
-von diesem Kampfe, wie sie mich die liebe Mutter gelehrt.«
-
-
-VI.
-
-»Einst endet das All, es welket die Welt, wann wilde Gewalten ruchloser
-Riesen reißen die kräftigen Ketten, darin sie gefesselt gute Geister.
-Und es wollen die Wilden, die wütigen Wölfe, die dräuenden Drachen sich
-der Seelen bemeistern der Menschen.
-
-In Feuer und Flammen hebt sich ein Buhurd: vom hohen Himmel steigen,
-stolz und strahlend wie Sterne, uns Helden als Helfer herab und auf
-Erden ringen, rennen und reiten alle Edeln, die Waffenwerks weise.
-Wird da wild ein kühnes Kämpfen, ein arges, entbrennen, wie nimmer
-noch Augen ersahen auf Erden. Es hallet ein Heerhorn, ein gellendes,
-goldnes, das da wahret der Wächter des Wegs zu den himmlischen Hallen.
-Von drüben dumpf dröhnet der Riesen Ruf: nun treffen die Tapfern in
-Eil' aufeinander.
-
-Es naht eine Natter, ein wütender Wurm, mächtig aus dem Meer, aus
-Wogen und Wellen windet und wälzt er sich in Schlangenschuppen ans
-steile Gestade: giftigen Geifer speit er in Sprudeln. Es schwimmt ein
-Schiff, schwarz und schrecklich: gräßliche Geister stehen am Steuer,
-setzen die Segel, rühren die raschen Ruder: Reihen von Riesen lädt
-es ans Land. Krächzend krähet der heis're Höllenhahn: es heult der
-Helhund. Der Helwolf hat die Bande gebrochen: die Fessel fiel, rasend
-rennt er und reißt, was er erreicht. Da beben die Berge, da brechen
-die Bäume, entwurzelt erdröhnen uralte Eichen und Fichten im Fall. Es
-ächzen die Elben, die zottigen Zwerge, unter den fallenden Felsen. Es
-birst der blaue Himmel, der hohe, es birst die Brücke, der reichfarbige
-Regenbogen, darauf die Stolzen herabgestiegen. Unter all dem Dröhnen
-und Donnern doch dauert der Drang der ringenden Recken: aus den Fugen
-fällt die weite Welt, nicht stört das die Starken im Stürmen: fort
-fechten sie freudig, unter den Trümmern noch trotzig einer wankenden
-Welt.«
-
-»Fort fechten sie freudig, ... unter den Trümmern noch trotzig einer
-wankenden Welt --« wiederholte Hellmuth leuchtenden Auges und drückte
-fest die Faust um den Schwertgriff.
-
-»Es rasen die Rosse der helmfrohen Helden, die wild wiehernden Hengste,
-hoch hauenden Hufs: Speere zerspellen: zerschrotene Schilde, zerhackte
-Helme, zerbrochene Brünnen decken dicht die alte Erde, die eine einzige
-Walstatt wurde. Aber ach! Allmählich werden die Wilden, die argen
-Unholde, Meister der Menschen: es wanken und weichen die schimmernden
-Scharen der guten Geister, der hohen Helfer.
-
-Und die ermüdenden Menschen mähet und fället furchtbar der Feinde
-finsterer Führer, das schwarze Scheusal, der Rauchriese, ganz gehüllt
-in Rauch und in Ruß. Auf dem Rappen rennt er in die Haufen der hellen
-Helden. Soll er denn siegen?«
-
-»Nein,« knirschte Hellmuth, »nicht, solang ich Hand heben mag.«
-
-»Da rufen die Recken, die bitter bedrängten, blutend aus Verch-Wunden,
-sie rufen um Rettung: ›komm, kehre du Kühnster der Kühnen, uns, du
-Waltender, wieder! Was wichst du von uns? Was weilte dich, Wandrer,
-im Walde? Was barg dich im Berge? Siegvater, siehe die Drangsal der
-Deinen!‹
-
-Und horch! Da hallet es hin durch die Himmel! Gellender gellt das
-helle Horn: und es läuft durch die Lüfte wie Rauschen von Raben und
-ein Jauchzen, ein Jagen von raschen Rossen! Und siehe, da sauset, im
-mächtigen Mantel, im herrlichen Hochhelm, auf dem großen Grauroß, mit
-dem spitzigen Speer uns zur Hilfe heran der herrliche Held: Kaiser
-Karl, den in hohler Höhle des Berges geborgen zäher Zauber: verwunschen
-war er, als wilder Jäger zu jagen. Aber in äußerster Not nun naht er!
-
-Der Zauber zerfiel und stolz und strahlend, wie er weiland gewaltet in
-hohen Hallen, führt er freudig die Seinen zum Siege! Und siegen darf an
-seiner Seite, wer ihm die Seele selber brachte im Bündnis, im treuen
-Vertrag, auf ewig zum Opfer! An seiner Seite darf er die dräuenden
-Drachen bestehen im Streite und fällen die Feinde. Wir siegen! Wir
-siegen! Es fliehen die Feinde, es weichen die Wilden. Wohl verbrennt
-in breitem Brande die alte Erde. Doch es taucht aus den Tiefen, den
-nächt'gen, aufs neue wonniger wieder eine werdende Welt und hoch dann
-und herrlich mit dem hehren Helden haus' ich im Himmel mit allen Edeln
-immer und ewig.«
-
-Er sprang auf und hielt inne, mehr verzückt als erschöpft.
-
-
-VII.
-
-Hellmuth wollte sprechen: -- aber der Alte kam ihm zuvor: »Still!
-Nun sollt Ihr nicht mehr hören, Ihr sollt sehen. Schaut hinauf, das
-Sternlein ist dem Mondrand nah. Die Stunde kam.«
-
-Er bückte sich und hob, nicht ohne Anstrengung, unter den hohen,
-mächtig gewölbten Wurzeln der alten Esche eine Rasenscholle aus:
--- erst jetzt gewahrte der Jüngling, daß sie auf drei Seiten
-eingeschnitten war -- und holte darunter ein Stück Fell hervor: -- es
-war ein Hamsterpelz: -- darin lag gehüllt ein etwa zwei Hände breiter
-rundlicher Gegenstand. Der Alte wickelte ihn sorgfältig heraus und wies
-ihn dem Überraschten dar: es war eine dunkle, ganz glatte Metallscheibe
-in ehernem Rahmen: einen in sich gerollten Drachen stellte der
-umrahmende Erzreif dar.
-
-»Ein Spiegel?« rief Hellmuth erstaunt.
-
-»Ja! Aber nicht der Eitelkeit: -- der Wahrheit. Ein Zukunftspiegel!
-In unserer Sippe vererbt von Geschlecht zu Geschlecht! Alle andere
-Fahrhabe teilte die liebe Mutter, als sie zu sterben kam, ganz gleich
-unter uns beiden Brüdern. Aber diesen Spiegel gab sie mir voraus! Sie
-schickte den Bruder, der so kircheneifrig war, hinaus, griff unter
-das Kopfpolster und reichte dies Erbstück mir --, weil sie wußte, ich
-würde davon schweigen gegen die Geschorenen. ›Und so haben's,‹ sagte
-sie, ›die Ahnen gehalten von Geschlecht zu Geschlecht: immer nur Einem
--- dem Treuesten! -- haben sie das Erbe der Vorzeit vertraut.‹ -- Und
-sie lehrte mich auch, wie ich des Spiegels zu gebrauchen habe. Einst
-war er wohl zu eigen den drei seligen Fräulein auf der Karlsburg da
-unten am Main: Sankt Kilian soll sie von ihren Herrscherstühlen im
-Goldsaal des Schlosses vertrieben und sie verwunschen haben in den
-tiefen Ziehbrunnen unten im Burghof. Aber der einsame Hirt, der im
-Abenddämmer an der Halde die Ziegen weidet, hört sie noch manchmal
-leise singen aus der Tiefe und ein Sonntagskind mag sie wohl auch
-in heißester Mittagsschwüle da oben im hohen Grase des Burghofs
-überraschen, wie sie ihr Goldhaar strählen mit goldenem Kamme. Und ein
-Urahn von uns hat den Spiegel gefunden, da er einst hinabstieg in den
-Brunnen, weil ihn das leise Singen und Rauschen lockte. Und die Mutter
-sagte, das Ende der Welt wird kommen in einer Sommer-Sunnwendnacht.
-In der Sunnwendnacht eines Jahres, da am Tage der letzten Rauchnacht
--- heilige drei Könige nennen's die Pfaffen jetzt -- also mitten im
-Winter! -- ein mächtig Gewitter wird aufsteigen über dem Stein zur
-Mitternachtseite der Stadt und wird der Blitz schlagen -- gerade zu
-Mittag -- in diese uralte Heidenesche hier.«
-
-Da erbleichte der Jüngling: »Das ist dies Jahr! Am Tage der heiligen
-drei Könige kam ein Gewitter von Norden und schlug zu Mittag in diese
-Esche: -- ich stand ganz nah dabei, auf Wölfe pirschend, und sah es.«
--- »+Deshalb+, nicht weil die Geschorenen es predigen, glaub' ich an
-das Ende der Welt, in diesem Jahr, in jener Nacht. Zwei Stunden vor
-Mitternacht, so lehrte die Mutter --, beginnt der Kampf.« -- »Gut. Die
-Stunde weiß ich nun: -- aber wo?«
-
-»Das zu erfragen kam heute die Nacht: -- nach dem Stand der Gestirne.
-Nun laßt mich gewähren und schweigt.«
-
-Und der Alte streifte den geflochtenen Bundschuh von der linken Sohle,
-trat barfuß auf die Breitfläche seines nackten Weidmessers, das er vor
-sich niedergeworfen hatte, streifte den Mantel von dem rechten Arm
-zurück, riß Gras, Kraut und Erdschollen aus dem Boden neben den Wurzeln
-der Heidenesche, streute sie auf sein graues Haar und hielt den runden
-Spiegel derart empor, daß die Strahlen des Mondes schräg hineinfielen,
-Hellmuth aber wie er selbst auf die Metallscheibe blicken konnten. Er
-drehte sich dabei langsam im Kreise und winkte dem Jüngling, ihm zu
-folgen. Lange schwieg er. Zuerst hatte er den Spiegel gen Norden --
-nach der Stadt zu -- gehalten: man sah nichts. Dann drehte er ihn gen
-Westen dem Flusse zu: -- lange hielt er hier inne. Weiter drehte er
-ihn gen Osten -- nichts zeigte die Scheibe. Endlich wandte er sie gen
-Süden, -- flußaufwärts.
-
-Alsbald fuhr er zusammen. »Seht Ihr?« raunte er leise. »Es zuckt durch
-meine Hand! Von dorther! Von Mittag -- nein, von Südost also -- reiten
-sie an da unten -- auf der großen Heerstraße!«
-
-In dieser Richtung jagte der rasche Wind dunkles Gewölk wechselnd mit
-Helle über die Mondscheibe hin: -- phantastisch wirre Gestalten: -- und
-demgemäß verdunkelte und erhellte sich der Spiegel.
-
-»Schaut!« Dem Alten zuckte und bebte vor Erregung die starke Hand.
-»Allen voran der Schwarze! Auf schwarzem Gaul! Den gilt es, vor allen
-zu treffen! Und hinter ihm -- seht nur! -- die ganze dunkle Schar, zu
-Roß, zu Fuß! Schaut wie sie wimmeln und drängen! Danke dir, Mutter! Nun
-weiß ich's gewiß! Ich werde nicht fehlen! In mancher Sturmnacht hab'
-ich's geschrieen in die Wolken hinauf: ›Hör' es, Herr Wode oder wilder
-Jäger, oder Kaiser Karl oder wie immer du heißest, der da oben brausend
-hinfährt über meinem Haupt: ich kämpfe für dich im letzten Kampfe.
-Dafür gieb mir Weidmannsheil und treffende Pfeile.‹ Hoch aus den
-Wipfeln, lachend, gleich der Eule, rief er Gewährung hernieder: -- nie
-fehlte mein Pfeil. So fehle auch ich nicht in seinem letzten Kampfe.«
-
-»Noch ich,« sprach Hellmuth ernst. »Merke: keinem andern als dem
-Himmelsherrn gelob' ich meine Seele. Aber in dem Kampf, der -- auch die
-Priester sagen's ja! -- in der Sunnwendnacht gekämpft wird auf Erden
-gegen Satan und all sein Heer -- den Kampf kämpf' ich mit, Alter: wir
-reiten zusammen in die Teufel! Zur rechten Stunde bin ich da unten --
-wo der Reitweg abbiegt -- zur Stelle.«
-
-Und von ihm hinweg schreitend zu seinem Roß, sprach er zu sich selber:
-»Das höchste Glück der Welt -- es war, in Edels Arm zu ruhn. Es blieb
-versagt! Das zweite ist der Siegeskranz von höchster Ritterschaft: --
-den will ich mir ertrotzen. Sankt Georg soll gestehen: ›nie sah ich
-Ritter ritterlicher streiten‹ und -- noch einmal -- jenseit des Grabes
--- soll mich Edel müssen krönen.«
-
-
-VIII.
-
-Näher und näher kam der verhängnisvolle Tag der Sonnenwende, der
-Johannes dem Täufer geweihte vierundzwanzigste des Brachmonds.
-
-Da begaben sich seltsame Dinge vor und in dem Hause des reichen
-Kaufmanns, des Kornhändlers Renatus. An dem klugen Manne rächte sich
-nun der Christenglaube, den er nicht aus Überzeugung, den er aus
-heuchlerischer Selbstsucht und aus Feigheit angenommen hatte. Und
-damals war es nicht wie später mit dem einmal abgelegten Bekenntnis,
-also einer einzigen Lüge, abgethan. Wie alle andern Christen mußte der
-neugetaufte Jude all' die durch das ganze Kirchenjahr sich hinziehenden
-äußeren Bethätigungen des Glaubens mitmachen vor allem Volk.
-Täglich -- wo irgend thunlich -- mußte er die heilige Messe hören,
-alle vorgeschriebenen Fasttage einhalten, die öffentlichen Aufzüge
-durch die Stadt mit wallenden Fahnen und Umhertragung der hölzernen
-Heiligenbilder begleiten, alle die vielen anderen Feste mitfeiern, die
-öffentlichen Gebete einhalten und mindestens sechsmal im Jahre zur
-Beichte gehen. Scharf überwachte die Seelsorge der geistlichen Oberen
-den Neugewonnenen, strenger als die Altchristen: und wehe dem Jüdling,
-gab irgend seine Lässigkeit Grund, ihn des Rückfalls zu beargwöhnen!
-
-So hatte denn auch Renatus viele Jahre lang all diese Christengebräuche
-mitgemacht, sorgfältiger noch als andere. Den Glauben an die Lehre
-seiner Väter hatte er abgestreift: der christliche Glaube aber hatte
-ihn nicht ergriffen, höchstens hier und da ein Stück christlichen
-Aberglaubens.
-
-So hatte sein feiges Herz die Verkündung des nahenden Gerichtes mit
-Schrecken erfüllt: zwar glaubte er anfangs nicht unbedingt daran, wann
-er aber glaubte, war er der Verzweiflung nah.
-
-Und als nun die Entscheidung immer näher herankam, da wuchs ihm von Tag
-zu Tag wie der Glaube, so die Angst.
-
-Es war der Morgen des dreiundzwanzigsten im Brachmond angebrochen. Da
-sah Renatus mit stieren Augen, wie alles Volk, die vielen Hunderte,
-die ohne den leisesten Zweifel felsenfest an das bevorstehende Ende
-glaubten, sich in die Kirchen drängten, betend, singend, weinend,
-heulend vor Todesfurcht oder vor Gewissensangst. Und er mußte es
-erleben, daß auf dem offenen Platze vor seinem Hof, dem Kornhof, die
-Leute in dichten Haufen vor einem hochragenden Holzkreuz sich auf die
-Kniee warfen, an die Brust schlugen, das Haar rauften, vorbeigehende
-Priester mit Gewalt festhielten, ihnen nochmal zu beichten, ja laut
-sich solcher Sünden und Verbrechen anzuklagen, die sie nie zuvor über
-die Lippen gebracht.
-
-Und er sah wie die Männer vorüberschreitenden Mönchen das Mönchsgewand
-abrissen, sich darein zu hüllen und so seliger zu sterben und sicherer
-vor den Krallen der überall unsichtbar in der Luft auf die arme Seele
-bei deren Ausfahren aus dem Munde lauernden Teufel.
-
-Und er sah zuletzt, wie, in immer wachsender Herzensangst, reiche
-Frauen heraneilten, vor dem hohen Kreuz ihre Prachtgewande, Schapel,
-Schleier, Geschmeide von sich warfen, bis diese Opfergaben der
-Todesfurcht und Höllenfurcht zu einem gewaltigen hochgetürmten Haufen
-sich aufbauten.
-
-Und er mußte es mit anhören und mit ansehen, wie endlich eine Stimme
-aus der Menge schrie: »Ins Feuer damit. Laßt uns alle diese Sünden
-verbrennen.«
-
-Und alsbald ward der Haufe von Schätzen zum Scheiterhaufen!
-
-Ein Knecht der nahen Schmiede rannte herzu mit brennendem Span, andere
-rissen das Stroh von des Kaufherrn Scheunendach herunter, brachen
-Planken und Bretter aus seinem Zaun, und warfen sie, die Glut schürend,
-auf die brennenden Kleider: bald stieg die rote Flamme hoch in die
-Lüfte.
-
-Und nun strömten von allen Seiten Männer und Weiber herbei, und
-schleuderten Gewänder, Gerät, Schmuck, auch bares Geld, Urkunden,
-Schuldverschreibungen unter Schreien und Heulen in die gierig fressende
-Lohe.
-
-
-IX.
-
-Da ergriff es auch ihn mit der ganzen fortreißenden, ansteckenden
-Gewalt solch wahnwitzigen Thuns!
-
-Er sprang mitten in den tobenden Haufen, unter jedem Arm ein paar
-vollgestopfte Ledersäcke, gefüllt bis zum Bersten mit goldenen Solidi,
-silbernen Denaren, kupfernen Pfennigen: er schnitt die Säcke mitten
-durch und ergoß den klingenden klirrenden Inhalt wie einen metallenen
-Regen unter die Leute: ja, zuletzt riß er einen kleinen Leinensack, den
-er sorgfältig verwahrt auf der nackten Brust nachts wie tags getragen
-hatte jahrzehntelang, von der Schnur ab, öffnete ihn und streute Perlen
-und Juwelen mit vollen Händen unter die Menge: wie blitzten, wie
-funkelten die lichten Steine in dem roten Glast der Flamme!
-
-»Nehmt doch,« schrie er dabei mit scharf ergellender Stimme. »Nehmt,
-ihr Leute! Lest auf! Hier Gold! Da Silber! Hier Smaragden -- o schöne
-Smaragden aus Askalon! kostet mich der große da ... ach ich weiß nicht
-mehr, wie viel! Nicht ins Feuer werf ich's, wie die Närrinnen dort. Wie
-schlecht verstehen sie sich auf ihren Seelenprofit! Ich -- schau her,
-Jesus von Nazareth, und hör' auf mich! -- ich schenk es den Armen, zum
-Heil meiner Seele! Siehst du's auch wohl genau, Galiläer, in all dem
-Qualm? Diamanten sind sogar dabei und viele blaue Saphire! Ich bin der
-Schenker, ich, dein Renatus, du Sohn Gottes! Ich bin wohlthätig gegen
-die Armen, ganz wie du es hast befohlen, Rabbi. Ihr Leutchen, tretet's
-doch nicht mit Füßen! Kauft euch Brot, Wein, Fleisch! Siehst du's, Sohn
-Marias der Jungfrau, wie ich speise die Hungernden? Hier du, Alter, --
-wie bist du zerlumpt! -- nimm diesen Topas und kaufe dir einen Mantel.
-Schau' her, Stern von Bethlehem und, du heiliger Geist, seht her wie
-ich kleide die Nackten. Hab' ich früher wohl genommen mehr als sechs
-oder zwölf! -- ach ja! es war manchmal wohl mehr, -- vom Hundert, --
-ich mach' es jetzt gut millionenfach. -- Und, Herr Christus, hier
--- schau hier! -- bist ja allgegenwärtig, sagen sie! Hier ist der
-Auszug aus dem Taufbuch -- weißt du? -- aus deiner großen Kirche zu
-Mainz« -- er riß ein Pergamentblatt aus dem Brustlatz und hielt es
-ausgebreitet mit beiden erhobenen Händen gen Himmel: -- »hier! hat's
-doch geschrieben deines Herrn Bischofs -- nein, Erzbischofs sogar! --
-eigene Hand: -- wie heißt er doch gleich! Nun, Christus, du mußt es
-ja wissen! Willigis heißt er! Dein frommer großer Willigis selbst hat
-mich getauft. Ich +bin+ getauft: ich kann's dir beweisen! Also mußt
-du's gelten lassen. Und ich glaube auch an dich, o ja! Nicht immer hab'
-ich geglaubt. Aber heute -- jetzt -- glaub' ich. Ich zittere, aber ich
-glaube. Ich möchte lieber nicht glauben, aber ich muß!«
-
-Nun wandte er den Blick vom Himmel wieder auf seine Umgebung: »Was!«
-schrie er und das dichte, kohlschwarze, struppige Haar sträubte sich
-ihm. »Was? Sie nehmen es gar nicht! Sie bücken sich nicht nach meinen
-Saphiren! Sie zertreten -- wehe, wehe geschrieen! meine Perlen, meine
-weißen Edelperlen, meine Zahlperlen aus Damaskus! Wie! Ihr stoßt gegen
-mich mit den Ellbogen? Ihr Undankbaren! Nehmt doch, gute, edle Herren,
-schöne Frauen, nehmt: -- wenn nicht für euch -- aus Barmherzigkeit
-gegen mich, daß ich kann ausrechnen morgen vor dem Zimmermannssohn, --
-ach nein, vor dem Sohn Gottes, dem Messias! -- gegen kleinen Wucher
-großmächtige Wohlthätigkeit und abziehen von meinem armen winzigen
-Betrug zu Frankfurt dieses unsinnig reiche Almosen. Ach wehe! Sie hören
-gar nicht auf mich! Sie lassen's liegen -- im Kot! O Christus, ich kann
-doch nicht dafür, daß sie nicht wollen? Ich habe +gewollt+ -- Gutes
-thun.« Da brach er ohnmächtig auf das Gesicht nieder, Geifer und Schaum
-standen ihm vor dem Munde.
-
-Die tobende Menge, die sein kaum geachtet hatte, würde ihn zertreten
-haben: aber da warf sich, aus dem Hofthor hervoreilend, in den
-dichtesten Haufen eine hohe Gestalt in dunklem Gewand: furchtlos sprang
-sie unter die Rasenden, ergriff mit beiden Armen des Bewußtlosen Haupt
-und zog ihn -- ihn aufzuheben vermochte sie nicht -- quer über den
-Platz und durch das Hofthor, das sie sorgfältig hinter ihm verschloß.
-Sie besprengte seine heißen pochenden Schläfe mit Wasser aus dem nahen
-Brunnentrog: da schlug er die Augen auf.
-
-»Er lebt!« frohlockte die alte Frau. »Er lebt, mein Isaak, meines
-Manasse Blut! Gott meiner Väter, ich danke dir: deine Gnade währet
-ewiglich! -- Zwar wie wird er rasen übermorgen, wann er sieht, die
-Welt, Jehovahs weises Werk, ist nicht untergegangen -- denn ich habe
-nachgelesen in den Rollen und kann es nicht finden darin und kann es
-nicht glauben! -- und er hat geworfen all sein Geld und Gut auf die
-Straße! Er wird verfluchen sich und Gott und die Welt, und mich wird
-er schlagen, grausam schlagen! Aber! -- nun ist er eingeschlafen! --
-wie schwer er atmet! -- aber verzweifle nicht, mein armer Liebling.
-Nun ist es doch gut, daß die alte Mutter -- wie hast du oft gescholten
-ihre Dummheit! -- dir nie hat aufgedeckt den großmächtigen Schatz, den
-dein Vater hat vergraben als Notpfennig tief unter dem alten Birnbaum
-im Wurzgärtlein! Das wird dich trösten in deiner Trübsal und du wirst
-streichen der alten Mutter Kinn, daß sie dich errettet von dem Bettel.
-Und wirst erkennen, daß es nichts ist mit dem Glauben der Christen und
-daß sich geirrt hat der große Bischof in Rom und geirrt hat auch der
-gute Herr Bischof hier, als er ihm folgte. Und wirst einsehen, daß
-da ist kein anderer Gott als der Gott deiner Väter, Jehovah ist sein
-Name, der hat über dich gebracht, wie einst über Hiob, diese Prüfung zu
-deiner Läuterung. Verloren hast du viel Geld, aber zurückgewinnen wirst
-du deinen Glauben. Und wirst thun nach dem Rat deiner alten Mutter und
-abschütteln von deinen Schuhen den Staub dieses Landes, wo wir doch
-immer, ob wir nun verleugnen unsern Glauben oder ihn bekennen, werden
-bleiben Fremdlinge und Verachtete, in diesem wilden Volk der Gojim, der
-Waffengewalt, und wirst nehmen den Wanderstab und wirst mit mir wandern
-an den Jordan, wo die Palmen rauschen, und wirst begraben mit frommen
-Händen deine alte Mutter am Jordan unter rauschenden Palmen.«
-
- * * * * *
-
-Als bald darauf Fulko und Blandinus -- denn der war in den Waffendienst
-Herrn Heinrichs getreten -- mit einer Schar von bischöflichen Reisigen
-erschienen, die rasende Menge auseinandertrieben, und das Feuer, das
-bereits das Holzkreuz ergriffen hatte und den Kornhof schwer bedrohte,
-löschten, da vernahmen sie aus den geschlossenen Läden des Judenhauses
-einen leisen eintönigen Gesang. Sie verstanden die hebräischen Worte
-nicht: allein sie lauschten, tief ergriffen, dieser eigenartigen
-fremdartigen feierlichen Weise; der Sinn der Worte aber war:
-
- »Ich halte treu an meinem Gott:
- Drum leid' ich von den Heiden Spott.
- Jedoch aus Spott und Herzeleid
- Löst mich der Herr zu rechter Zeit.
- Ich bau auf dich, Herr Zebaoth,
- Mein Gott ist stark, mein Gott ist groß
- Und süß ruht sich's in Abrams Schos.«
-
-
-X.
-
-Die Sonne dieses Tages neigte sich zur Rüste, die Wipfel der Buchen des
-Königswaldes wunderschön vergoldend.
-
-In tiefster Erregung durchschritt der Bischof nach Erledigung aller
-geistlichen und weltlichen Geschäfte -- auch in den Nächten hatte er
-zuletzt nicht mehr geschlafen -- lange den geräumigen Büchersaal.
-
-Ein blaues Wölklein von gar süßem Geruch schwebte kreiselnd durch
-den Saal und verzog sich langsam durch das offene Fenster: neben dem
-mit Urkunden hoch bedeckten Schreibtisch ruhte auf hohem Erzgestell
-ein zierlich gearbeitetes Kohlenbecken, in welchem auf rotglühenden
-Kohlen Weihrauch glimmte: der Bischof hatte befohlen, denselben für den
-Abendgottesdienst bereit zu stellen.
-
-Oft und oft ließ er im Wandeln den Blick durch das Fenster auf den
-freien Platz, auf den Strom, die Brücke, die ragende Feste und die
-Hügelkette im Westen schweifen.
-
-»Wie schön war sie doch, diese Welt, welche morgen in Flammen aufgeht!«
-Er seufzte tief: dann schloß er fromm: »aber nicht mein Wille, -- dein
-Wille, o Herr, geschehe!« --
-
-Supfo trat ein, offenbar, jemand zu melden.
-
-Rasch schritt Herr Heinrich auf ihn zu: »Berengar, -- nicht wahr?«
-Der Alte schüttelte schweigend den Kopf. »Oder doch Nachricht von
-ihm? Auch nicht! Einer meiner Boten -- es ist der vierte, den ich
-nach ihm ausgesandt ...?« -- »Ritt eben ein; aber er hat Berengar
-sowenig gefunden, wie seine drei Vorgänger. Kein Mensch weiß, wohin die
-Söldner, in deren Lager er gesucht werden sollte, sich gewandt haben.«
-»Es ist auch gleichgültig,« sprach der Bischof vor sich hin. »Ich
-wollte nur, er sollte wissen, daß mich der ganze Plan ... Was willst du
-aber, Supfo? Du blickst so ernst -- wie ich es kaum je an dir gesehen.
-Fängst du doch endlich auch an, des Gerichtes zu gedenken? Es ist
-wahrlich an der Zeit.« Aber Supfo schüttelte noch stärker als zuvor das
-Haupt und sprach: »Ich melde Besuch, Herr Hezilo.«
-
-»Habe jetzt nicht Zeit für Besuch und Unterhaltung.« -- »Wird nicht
-sehr unterhaltend werden, rat' ich.« -- »Wer ist's?« -- »Eine Frau.
-Bittet um eine Unterredung.« -- »Nein doch. Soll anderwärts Unterredung
-suchen. Oder vielmehr, sie soll gar nicht Unterredung suchen, sondern
-nachdenken über das nahende Ende.« -- »Gerade darüber will sie mit Euch
-reden.« -- »Ah, sich trösten lassen? Soll nachher in die Abendpredigt
-kommen. Oder in die Mitternachtsmesse, wie die andern auch. Soll sich
-geistlich vorbereiten.«
-
-»Das eben will sie. Ihr +müßt+ sie hören, diese Frau: sie will Euch
-beichten.« -- »Beichten! Dann freilich! Führe sie herein! -- Kennst
-du sie?« Der Alte hatte die Frage wohl nicht verstanden; gar eilig
-war er hinausgehumpelt. Noch einen friedlosen Gang durch das Gemach:
-»Beichte hören! Andrer Sünden würdigen ... im Namen des Heilands den
-Reuigen, den Büßenden vergeben! Und ich? Ich selbst! Wer verzeiht +mir+
-im Namen des Heilands meine Erinnerungen, -- die ich nie gebeichtet,
-weil ich sie nicht für Sünde hielt, und die mich auch jetzt noch nicht
-loslassen? Wer verzeiht mir die unbereute ...?«
-
-Er brach ab, -- mitten im Schritt -- mitten im Wort.
-
-Er erschrak: er schlug hastig ein Kreuz: denn er glaubte, sie zu
-erkennen, die Frauengestalt, die ganz geräuschlos über die Schwelle
-geglitten war, hart an der Thüre stehen blieb und nun den langfaltigen
-dunklen Schleier zurückschlug. »Hilf, Sankt Kilian!« flüsterte er,
-während ihm das Blut heiß vom Herzen in die Wangen schoß. »Es ist ein
-Blendwerk des Versuchers. Ach, gut kennt er die Schwäche meines ...«
--- Lauter sprach er nun: »Es ist ja nicht möglich!« -- »Doch. Es ist.
-Ich bin Heilfriede.« Unsagbarer Wohllaut klang aus dieser sanften,
-lieblichen Stimme, die wie aus dem Mund einer Verklärten zu tönen
-schien. Etwas Verschleiertes, Verhülltes, wie ein stets im Verborgenen
-gehütetes Heiligtum lag in der Stimme. Und verschleiert auch war der
-Blick dieser sanften, lieblichen Augen von mattem Blau unter langen,
-langen blonden Wimpern: nicht traurig war der Blick, aber so friedlich,
-so wehmutvoll befriedet, so weltentrückt!
-
-In das lichtblonde, leicht gewellte Haar hatte das häufige Silberweiß
-nicht das Alter gestreut: die zarte Frau hatte offenbar das vierzigste
-Jahr noch nicht erreicht: diese blassen, weich gerundeten Wangen waren
-so jugendlich: nur gar so bleich, so farblos, so nonnenhaft! Der Zug
-der Augenbrauen war kaum sichtbar angedeutet durch einen Halbkreis
-von Blond: aber die sanfte Weichheit dieses Antlitzes ward auch von
-dem bloßen Anschein der Schwäche weit ferngehalten durch den Ausdruck
-des kleinen, fein geschnittenen, aber festgeschlossenen Mundes, der
-Willenskraft und lang geübte Willensmeisterung bekundete. Wie sie
-so dastand, die schmächtige, nur mittelgroße, zarte Gestalt in dem
-grauschwarzen Schleier, im dunkelveilchenfarbenen Mantel, der das
-Untergewand völlig verhüllte, glich sie einem stummen, wunderschönen,
-seelenbeschwichtenden Heiligenbilde. -- -- --
-
-Herr Heinrich war regungslos stehen geblieben, weit von ihr: er lag
-völlig unter dem Banne des von ihr ausstrahlenden Zaubers, dieser
-rührenden Sanftmut, dieser stillen Ergebung, dieser heilig verklärten
-Anmut. Lange, lange schauten sich die beiden sprachlos an: sie fanden
-keine Worte: vor tiefem stillem Weh oder war's vor geheimer Wonne?
-
-
-XI.
-
-Endlich that Herr Heinrich, fortgerissen von der Gewalt des Gefühls,
-einen raschen Schritt ihr entgegen: er hatte ihr die ausgestreckte Hand
-hinreichen wollen. Allein mitten in der Bewegung hielt er inne: er ließ
-den rechten Arm schlaff herabfallen. »Frau Gräfin ...!« brachte er nun
-leise hervor, kalt, beinahe feindlich. Grimm und Erbitterung malten
-sich auf seinen durchgeisteten, von Schmerz durchzuckten Zügen: er
-furchte finster die gewaltige Stirne.
-
-Jedoch wie er nun in die sanften Augen der stillen blassen Frau einen
-feuchten Schimmer treten sah, der sie noch schöner und noch viel
-rührender machte, -- da versagte ihm die Kraft, zu zürnen und in ganz
-anderem Tone fuhr er traurig, tief aufseufzend, fort: »Ach wie lang
-ist's her, daß wir uns nicht gesehen!« -- »Fünfzehn Jahre.« -- »Das
-ist lang.« -- »Ja. Denn es ist das ganze Leben.« Gegen den Ton dieser
-Stimme -- Herrn Heinrichs Jugend klang daraus hervor! -- gab es nicht
-Trotz, nicht Groll, nicht Widerstreben. Er wies mit der Hand auf den
-erhöhten Platz an der Wand unter dem dunkelroten Baldachin. Aber die
-Frau blieb an der Thüre stehen; sie sprach nicht. So mußte er aufs
-neue beginnen. Und das war so schwer! -- Milder hob er an: »Was ...?
-Was führt Euch zu Heinrich von Rothenburg?« Da richtete sie die Augen
-fest auf ihn und sprach mit Nachdruck: »Zu dem Bischof sendet mich mein
-Gemahl.« Jäh fuhr Herr Heinrich zurück: »Ah so! -- Freilich! Ich hätte
-mir es denken können!« schloß er herb.
-
-»Gewiß! Ihr konntet nicht annehmen, ich suche Euch gegen, ohne meines
-Gatten Willen.« -- »Es hieß ... man ließ mir sagen ... Ihr wolltet
-beichten?« -- »Ich will beichten. +Euch+ will ich, muß ich beichten,
-keinem andern. Das sagte ich meinem Mann; und dazu schickt er mich.«
-Der Bischof war aufs höchste überrascht: aber er wollte es um keinen
-Preis verraten; kühl erwiderte er, leicht die Achsel zuckend: »Seine
-Pflicht! -- Christenpflicht!« -- »Mich zu +Euch+ als Beichtiger ziehen
-zu lassen, zu +schicken+? -- Nein, das verlangte keine Pflicht von
-ihm.« Herr Heinrich entgegnete nicht. Er strich nur einmal langsam
-mit der umgewandten linken Hand über die stolze Braue: »So beginnet,«
-sprach er tonlos.
-
-»Ich beginne damit, zu gestehen, daß ich mir gerade +Euch+ als
-Beichtiger ausgesucht habe nicht nur meinetwillen, auch -- ja mehr
-noch! -- um Euretwillen. -- Nein: die ganze Wahrheit muß gesagt sein:
-+nur+ um Euretwillen habe ich Euch zum Beichtiger ausgewählt und von
-meinem Mann erbeten.«
-
-Jetzt konnte Herr Heinrich sein Erstaunen nicht mehr verbergen: »Und
-auch das ... das habt Ihr ihm gesagt?« -- »Gewiß.« -- »Und er hat
-...?« -- »Er hat erwidert: ›Ja. Geh zu ihm. Sag' ihm alles. Alles, was
-du soeben +mir+ gesagt. Wenn etwas auf Erden ihm wohlthun kann und
-seine Seele retten ...‹« »Graf Gerwalt soll für +seine+ Seele sorgen!«
-donnerte der Bischof sehr zornig. Aber ruhig schloß sie: »›... so wird
-es das sein.‹ Also sprach mein Mann.« -- »Ich will nicht hören, was
-mir Graf Gerwalt sagen läßt -- durch Euch.« -- Trotzig schritt er durch
-den Saal. Geduldig wandte die Frau das schmale Gesicht so, daß sie ihm
-überall hin folgen konnte mit den Augen. --
-
-»Nicht Er,« sprach sie ganz sanft, »meine Seele spricht -- unter
-seiner Verstattung -- zu Euch. Bald stehen wir -- wie alle -- vor dem
-Richterstuhl des Herrn. Ihr glaubt doch zweifelfrei daran? Sagt mir
-das offen, bevor ich weiterrede. Euch glaub' ich unbedingt darin, wie
--- wie in allen Stücken. Nur weil übermorgen +doch+ alles klar und
-offen wird zwischen Eurer Seele und der meinen -- nur deshalb« ... hier
-überflog die bleichen Wangen ein leiser Hauch von zartem Rot -- »konnte
-ich mich soweit überwinden. Stehen wir übermorgen vor Gott? Sprecht:
-Ja oder Nein? Wenn Nein, bleibt meine Beichte ungebeichtet.« -- »Ja.
-Habt Ihr nicht all meine Vorbereitungen in der Stadt gesehen?« -- »Ich
-treffe soeben erst ein. -- O Gott sei Dank für dieses: Ja!« Sie faltete
-die Hände und sah nach oben.
-
-»Ein betender Engel!« mußte der Bischof denken. »Aber welche Freude in
-diesen Zügen? -- Ihr -- ersehnt, so scheint's, den Tod?« -- »Von ganzer
-Seele!« -- »Lange schon?« -- »Seit ... seit vielen Jahren.« -- »Und die
-drohenden Schrecken des Weltbrands?« -- »Ich fürchte sie nicht. Ich
-segne sie. Sie allein haben mir diese Stunde gebracht. Das Wort der
-Erlösung -- ach! nicht nur für mich -- so selbstisch bin ich nicht! --
-für +Euch+ -- -- von bittrem Leid.«
-
-Vornehm richtete er sich auf zu seiner ganzen Höhe: »Wer sagt Euch,«
-fragte er stolz, »daß ich leide oder litt?« Sie wollte ein rasches
-Wort erwidern: aber sie erschrak über ihr eigenes Wort, faßte sich
-und verbesserte sanft: »Oder doch von bittrem Groll. Leugnet Ihr auch
-den?« »Nein, das wäre gelogen!« lachte er grimmig. »Bin kein Erzengel,
-nur ein Mensch, ein Mann. Und bin's geblieben, auch als ich Priester
-und Bischof ward.« -- »Nun seht, Herr Bischof, daß Ihr +nicht+ mit der
-schweren Todsünde dieses Hasses, dieses unversöhnten Grolles auf der
-Seele vor den allwissenden Richter tretet, deshalb, o glaubt es mir,
-Herr Bischof Heinrich, -- +nur+ deshalb steh ich hier: hört es: nur
-Eure Seele zu retten.«
-
-Er schüttelte finster den Kopf: »Das ist keine Beichte. Habt +Ihr+
-keine Schuld auf der Seele?«
-
-Aber ohne auf die Frage zu achten, fuhr die Frau in wachsendem Eifer
-fort: »Diese Sorge, diese Angst um Euch hat mich ergriffen von dem Tag
-an, da ich das nahende Ende erfuhr: diese Qual um Euer ewig Heil hat
-mich rastlos umgetrieben Nacht und Tag. Sie hat mich -- ich bin sonst
-scheu, wie Ihr vielleicht noch wißt, Herr Heinrich! -- fortgetragen
-über alle Bedenken -- hierher zu Euch getragen -- wie auf Flügeln: die
-Sorge, die heiße ... Sorge um +Euch+. Beichten konnte ich, nachdem ich
-meinem +Manne+ gebeichtet -- +das+ war nicht leicht! -- jedem Priester.
-Aber +diese+ Beichte, die ich +Euch+ anvertraue -- o Gott! -- sie soll
-ja nicht, wie Beichte sonst, der Beichtenden Seele retten, -- sondern
-die +Eure+! Euch retten und erlösen -- bevor der Richter richtet! --
-von dem dumpfen Haß und bitteren Groll gegen meinen Mann und -- ach! --
-gegen mich!« Rasch machte sie einige Schritte -- dann sank sie unter
-Thränen auf den vorher abgelehnten Sitz.
-
-Auch er war tief, mächtig bewegt: die edle Empfindung dieser reinen
-Frauenseele hatte ihn erschüttert. Er trat dicht vor sie hin, schaute
-scharf auf sie herab und hielt seine beiden zuckenden Hände fest
-ineinander geschlossen: »Graf Gerwalt zu hassen, ihm zu grollen, --
-prüf' ich mich -- als Christ -- im Angesicht des nahen Todes -- dazu
-hab' ich kein Recht. Wir streiten uns um Zoll und Brückengeld, -- um
-Grafenbann und Bischofsrecht: -- wir sind beide aus recht hartem Holz
--- da setzt es denn harte Stöße. Aber deshalb Haß und Groll? Nein!
-Er glaubt im Recht zu sein, wie ich. -- Und ... das andre? Das vor
-fünfzehn Jahren ...?«
-
-Sie seufzte und zog den Schleier vor die Augen.
-
-»Beim Donnerstrahl, ich kann's +ihm+ nicht verdenken! Nicht Freunde
-waren wir: -- nur Waffengenossen, Jagdgefährten, Bechergesellen -- oder
-Nebenbuhler um Ruhm und Glanz und Lebensfreude. Daß er die schönste
-Jungfrau liebte, die wir -- beide -- jenseit und diesseit der Alpen --
-gesehen, daran that er recht. Und daß er ihre Hand nahm, als sie ihn
-vorzog, daran that er wahrlich nicht unrecht. Also -- will ich -- nur
-als Mann, gar nicht als Priester -- fragen -- also warum Haß und Groll
-gegen -- +ihn+?« -- »Aber gegen +mich+, nicht wahr?« Das brach aus
-ihrer Brust wie aus dem Felsen der Quell, wie aus dem Vulkan das Feuer
--- weil sie +müssen+.
-
-»Ah!« Und mit herzzerreißendem Klageton schlug sie die Stirn gegen die
-Holzwand und bedeckte den Kopf mit den beiden durchsichtigen Händen.
-
-
-XII.
-
-Aber diesmal erweichte sie ihn nicht, die rührende Stimme, den grimmen,
-seit langen Jahren verhärteten Groll des Mannes. Einen Augenblick
-noch blieb er vor ihr stehen mit festverschlungenen Händen: dann
-wandte er sich jäh von ihr ab und stürmte in raschen Schritten -- in
-abgebrochenen Sätzen redend -- den Saal auf und nieder. »Kann es anders
-sein? -- Bedenkt doch! -- Ihr habt es wohl all vergessen -- in diesen
-langen Jahren -- an der Seite des schönen Gemahls? Ich nicht! Ich war
-nicht -- abgezogen durch neues Liebesglück! -- Merkt auf, ob ich's noch
-weiß. Und straft mich Lügen -- gleich! -- thu' ich Euch unrecht -- nur
-mit Einem Wort. -- --
-
-Jahrelang kannten wir uns -- am Hofe der Regentin ... Ihr stets in der
-hohen Frau Geleit: -- auch ich nur selten fern von ihr. Denn sie hielt
-viel auf Euch. Und auch -- ein wenig -- auf mich. Seit ich zuerst Euer
-Antlitz geschaut ... -- Genug! -- Ihr merktet es bald -- leugnet es
-nicht! -- mußtet es merken! Und nach vielen Monden treuen Werbens --
-durft' ich annehmen -- durft' ich wenigstens hoffen: ... Frau Gräfin:
-sagt es offen, wenn es Einbildung eines eitlen jungen Thoren war.
-Durfte ich nicht hoffen -- ich sei Euch nicht ganz ... o wie sag' ich
-nur?«
-
-Er stand jetzt wieder dicht vor ihr.
-
-Da löste sie langsam die langen, schmalen Hände von dem Gesicht, wandte
-ihm voll das blasse Antlitz zu, schlug die Augen groß auf und sprach
-mit traurigem Blick: »Ja. Ihr durftet annehmen, ich liebe Euch. Denn
-es war die Wahrheit. Und ich konnte -- Ja: mehr! Ich +wollte+ es auch
-nicht -- weiter verbergen.«
-
-»Hei! Das gesteht Ihr also zu? Und doch, und doch, Verräterin, verraten
-und verlassen!«
-
-»O Herr Heinrich ...!« -- »Nun, beim Zorne Gottes, der uns morgen
-richtet! Ist das +nicht+ Verrat? Ihr liebtet mich, sagt Ihr? Seltsame
-Liebe! Sechs Wochen aus den Augen -- für immer aus dem Sinn!« -- »Herr
-Heinrich -- war das Heilfriedens Art?« -- »Nein! Freilich nicht! Gewiß
-nicht! Ich hätte geeidet als Euer Eidhelfer und Euer Kämpfer -- allein!
--- gegen eine Welt von Speeren: -- ›Kein steter, kein verlässiger Herz
-hat je in Weibesbrust geschlagen.‹ Daher ja die Verzweiflung! Es war
-nicht nur der Schmerz um Euch: -- nicht nur Euch, den Glauben an die
-ganze Menschheit hab' ich ja verloren. War mir doch bei der Kunde, als
-fielen alle Sterne vom Himmel: +Dieses+ herrliche Geschöpf -- +dieses!+
--- verhehlt mir nicht mehr ihre Liebe. Das war zu Ostern. Ich ziehe
-aus in der Regentin Dienst wider die Wenden. Ich wußte, kehrte ich
-siegreich zurück an den Hof nach Regensburg, -- die Herzogswürde war
-mir zugedacht. Als Herzog wollt' ich um die Hand Heilfriedens werben.
-Zu Pfingsten bin ich, sieggekrönt, zurück und sie -- -- ist fort und
-des Grafen Gerwalt Weib. O pfui! Wie grenzenlos abscheulich!« Und er
-stürmte wieder durch den Saal.
-
-Matt sprach sie, kaum vernehmbar: »Ja. Fort war sie. -- Und war des
-Grafen Gerwalt Weib. -- Wißt Ihr auch, warum?« »Tod und Verderben!«
-fuhr er auf. »Welcher Hohn! Weil sie jetzt -- war er doch auch jünger
-und schöner! -- auf einmal den Grafen Gerwalt liebte!« Und er blieb
-wieder hart vor ihr stehen und schoß flammende Blitze auf sie herab.
-»Nein,« sagte sie ruhig und sah ihm voll und fest in die zornigen
-Augen. »Weil Kaiserin Theophano befahl.«
-
-Er taumelte zurück. »Wie? Was? ... Und darum?«
-
-»O Herr Heinrich,« begann sie liebreich-sanft und beinah heiter in
-allem Weh. »Nein, Ihr seid wahrlich nie ein eitler Mann gewesen, der
-sich die Gunst der Frauen eingebildet hätte. Ihr sahet sie ja nicht an
-vielen von uns, als sie mit Händen zu greifen war. Und nun vollends
-+Sie+! Ihr allein merktet nicht, was der ganze Hof wußte.« -- »Aber was
-denn? Was?« -- »Die Kaiserwitwe Theophano -- die wunderschöne Griechin
--- verwitwet im sechsundzwanzigsten Jahre -- die herrliche, glühende
-Frau -- sie hat Euch geliebt aus aller Macht ihres Wesens.«
-
-»Die Kaiserin? Unmöglich!«
-
-»Und die schöne, stolze, heiße Frau in ihren blauschwarzen
-diademgleichen Flechten,« fuhr sie ruhig fort, »sie entdeckte, der
-Graf von Rothenburg, der von so vielen geliebte Held, zeichne vor
-allen Frauen und Jungfrauen des Hofes aus das schlichte blonde, arme
-Edelfräulein von der Heide, aus dem Lande der Westfalen. Sie konnt' es
-nicht begreifen. Sie hatte recht: denn ich begriff auch nicht, warum?
-Und deshalb -- so dachte sie wohl -- achtet er gar der Frau Kaiserin
-nicht und sieht nicht ihre brennende Liebe. Sie war meine Wohlthäterin,
-die Erzieherin meiner verwaisten Jugend. Sie ließ mich kommen, sie
-öffnete mir ihr Herz. ›Du mußt ihm aus den Augen,‹ sprach sie, ›blondes
-Kind. Du mußt ihm unerreichbar werden. Dann -- ist er mein. Du wirst
-nicht so selbstisch sein, ihm den Weg an meiner Seite -- den sichern
-Weg zu höchstem Erdenglanz und Ruhm -- zu versperren. Aber auch +du+
-sollst nicht leiden. Behüte! Graf Gerwalt liebt dich, ich weiß es.
-Er ist ein schöner wackrer Mann, ein Held wie jener. Du wirst sein
-glücklich Weib. Heinrich aber -- er wird wozu ihn Gott vorausbestimmt
-hat durch hohe Gaben --: Regent des deutschen und italischen Reiches
-und mein Gemahl.‹ Sie befahl. Ich gehorchte. Durft' ich, -- ich armes
-Ding! -- dem Aufflug des Adlers zur Sonne im Wege sein?« »Um Gottes
-willen!« schrie der Gequälte auf. »Geopfert um meinetwillen?« Und er
-warf sich leidenschaftlich vor ihr nieder auf die Kniee.
-
-Sofort sprang sie auf.
-
-Weit trat sie weg von ihm zur Thüre.
-
-»Steht auf, Herr Bischof! Sofort: oder ich verlass' Euch.«
-
-
-XIII.
-
-Er stand schon wieder.
-
-Hochaufgerichtet stand er, die geballte rechte Faust auf die
-Tischplatte gestemmt, die flache Linke auf das wild pochende Herz
-gedrückt, glühendes Rot im Gesicht.
-
-»Verzeiht, Frau Gräfin ... -- nein: Heilfriede, vergieb, daß ich auf
-die Kniee sank! Ich bin's so sehr gewöhnt, vor Heiligen zu knieen.
-Und du -- du +bist+ eine Heilige! -- Und ich blinder, wildherziger
-Mann habe dich all diese Jahre ... gehaßt? O nein! Ich konnte nicht!
-Aber verachten wollt' ich dich und deine Treulosigkeit. ›Die schöne
-Verräterin‹ nannte ich dich so gern in meinen schlummerlosen Nächten.
-Ach der Spruch:
-
- ›Nicht Feuer und nicht Gift im Blut
- Schmerzt wie verratne Liebe thut,‹ --
-
-er war zu meinem Nachtgebet geworden. O dich verachten -- diese Wollust
-that so bitter weh! Vergieb mir, Heilfriede! Kannst du mir vergeben?«
-
-Sie trat nun langsam von der Thüre wieder in die Mitte der Halle
-zurück. »Ich hab' mir's wohl gedacht,« erwiderte sie traurig. »Ihr
-kanntet mich doch nicht genug, an mich zu glauben auch gegen den
-Anschein. +Ich+, Herr Heinrich, würde nie so an Euch gezweifelt
-haben.« -- »O sprich, daß du mir verzeihst!« Sie lächelte wehmütig:
--- es ließ ihr unendlich schön. »Stände ich hier, wenn ich Euch
-nicht vergäbe?« -- »Dank!« -- »Ist doch kaum etwas zu vergeben! Daß
-ein ungestümer Mann, gekränkt in seinem Stolz von einem Weibe, das
-ihn aufgab, diesem nicht gute Beweggründe beilegt, sondern Schwäche
-in seinen vorwurfsvollen Gedanken, -- das ist wohl so der Lauf der
-Welt. Aber +Ihr+ ahnt nicht, was +ich+ empfand, als mich, statt der
-Nachricht Euerer Verlobung mit der Regentin, wie ein Donnerschlag die
-Kunde traf am fernen Rhein: ›Graf Heinrich von Rothenburg hat der Welt
-entsagt.‹ Er!« Hier leuchteten die sonst so mattblickenden blauen
-Augen zum erstenmal auf in freudigem Stolz. »Der allerersten Helden
-des Reiches einer -- mir -- so lange Zeit! -- der Erste! Er nahm die
-Weihen! Ward Priester! Umsonst, umsonst -- so sagt' ich mir -- habe
-ich mein Herz verleugnet, mein Leben geopfert, ihr und ihm. Weder die
-Herrin, vor der ich aus Dankbarkeit zurückstand, noch Er, dem ich den
-Weg zu kaiserlichem Glanze bahnen wollte, hat Vorteil davon! -- Ach,
-in jenen Nächten ist mein Haar ergraut. Und ich sagte mir doch auch,
-welches Weh allein es sein konnte, das den heldenhaften Mann dahin
-getrieben, das siegvertraute, das geliebte Schwert sich abzugürten.« --
-»Ja, Heilfriede, auch +das+ that weh.« »O so vergebt +Ihr+ mir!« rief
-sie nun in überraschendem Ausbruch des Gefühls, »daß ich +Euere+ Liebe
-nicht als so stark erkannt, wie sie es war. Aber seht: darum ließ mir
-die Sorge um Eure Seele keine Ruhe! Sollten wir vor Gott treten -- Ihr
-belastet mit diesem sündhaften, grundlosen Hasse gegen mich und ich
-ohne Eure Verzeihung, daß ich Eure Liebe unterschätzt? Alles, alles
-sagte ich meinem wackren Mann in diesen Tagen auf unserer Rückreise aus
-Welschland: alles! Und er ließ, ja er hieß mich dennoch zu Euch eilen.«
-
-»Ich dank' ihm! Sagt ihm das!« In rascher Aufwallung des Edelgefühls
-kam das hervorgesprudelt. Zögernd fügte nun der jahrelang genährte
-Groll hinzu: »Das heißt: wenn ein Dankeswort von mir bei Graf Gerwalt
-gute Stätte findet.«
-
-»O Herr Heinrich! Ihr habt ihm noch viel, viel mehr zu danken!«-- »Hei
-ja, gar manchen Span, Streit und Verdruß! Ein Glück, daß er, seit er
-diesen Gau erhalten, immer jenseit der Alpen weilte. Saß er da oben auf
-dem Marienberg und ich hier -- es wäre wohl Blut geflossen. So hab' ich
-mich nur mit seinen Amtleuten herumzuzanken gehabt. Wo ist er? Wann
-folgt er Euch nach?« -- »Heute Nacht oder morgen in aller Frühe. Er hat
-noch in seinem andern, im Rangau Geschäfte.«
-
-»Auch über diesen,« schalt der Bischof, »gab es immer Zank und Hader!«
--- »Gerade deshalb hat er ...! Aber nein! Ihr würdet mir nicht glauben.
-Und bevor der Erfolg eintreten kann, stehen wir alle drei vor Gott.
-Dort -- auf Wiedersehen, Herr Heinrich!« -- »Heilfriede! Wohin?« --
-»Nach Haus' -- in die Burg -- so gebot mein Gemahl -- ihn dort zu
-erwarten.« -- »Gut! Gehorcht ihm. Aber noch eine Bitte -- die letzte im
-Leben.« -- »Sprecht!« -- »Wann nun die letzten Dinge hereinbrechen --
-wann die Posaunen erdröhnen der Engel des Gerichts -- dann, Heilfriede,
-laß uns die Ankunft des Herrn gemeinsam erwarten. Im Dom, am
-Hauptaltar, im Schutz aller heiligen Reliquien, versammle ich, lang vor
-Mitternacht, die Gemeinde um mich -- so viel der Gläubigen die Kirche
-fassen mag. -- O Heilfriede, in solch schirmender Umgebung, an solch
-heiliger Stätte erwarte auch du das Ende. Steige rechtzeitig herab von
-der Burg und --«
-
-»Mein Gemahl ist bis dahin sicher hier. Gern wird er mit mir Euren
-frommen Vorschlag annehmen. Versöhnt, befriedet, vereint, Hand in
-Hand wollen wir dann alle drei das Ende erwarten ... -- Und nun noch«
--- ihre Stimme zitterte -- »Euren Segen, Herr Bischof!« Und sie beugte
-demütig vor ihm das bleiche Gesicht.
-
-Er aber winkte ihr abwehrend mit der Hand. »Wer bin ich, daß ich dich
-segne? Der Sünder die Heilige! Dich +hat+ der Herr gesegnet aus der
-Maßen. Selig sind, die reinen Herzens sind, denn ihrer ... ach, +dein+,
-Heilfriede, ist das Himmelreich!«
-
-Und der starke Mann brach laut aufschluchzend zusammen über dem Tisch.
-»Leb wohl! Auf Wiedersehen am Ende, Hezilo!« hauchte sie. »Heilfriede!
-Deine Hand! Nur deine Hand --« Er sprang stürmisch auf.
-
-Sie war verschwunden. Wieder lehnte er sich vorgebeugt, seiner selbst
-kaum mehr bewußt auf den Schreibtisch.
-
-Dabei streifte sein langfaltiger Ärmel eines der Pergamente, es glitt
-herab von der Tischplatte und fiel gerade auf das offene Becken der
-glühenden Kohlen.
-
-Hastig raffte er es auf, schon war es leicht angebrannt.
-
-»Kaiser Karls Verleihung!« rief er erschrocken. »Beinahe ...! Nun, und
-+wenn+ sie verbrannte?« lächelte er. »Wie thöricht doch die Gewohnheit
-macht! Übermorgen verbrennt sie ja doch! Mit allem was sie mir -- dem
-Bistum -- schenkte. O du unselig Pergament! Durch deine zierlichen
-Buchstaben hat mich der Welsche bezaubert, durch dich hat er mich
-immer wieder angetrieben, wann ich nachgeben wollte. Zwar für Sankt
-Burchhards Recht ... ach nein, nein, es ist ja all nicht wahr!
-
-Heinrich, gesteh' dir's doch endlich -- an +diesem+ Tage -- selber ein,
-dir und dem Allwissenden, den du ja doch nicht täuschen kannst, wie du
-dich selbst so lange, so gern getäuscht hast. Die Lust, Land und Leute
-zu beherrschen, gegen +ihren+ Gatten -- lauter Sünde hat dich dabei
-getrieben! Unheilsurkunde! Hätt' ich dich doch nie entdeckt! Wärst du
-doch verbrannt mit allen andern damals vor vielen Jahren! Oder jetzt
-verbrannt -- in diesen Kohlen, -- eh' ich dich nochmal sehen mußte!
-
-Dämonisches Geschreibsel!« Zornig zerknitterte er es in der Rechten.
-»Wieviel Sünde hast du in mir angerichtet! Ich hasse dich, ich
-verfluche dich -- nicht erst übermorgen -- gleich sollst du verbrennen!
-Durch +meinen+ Willen! Durch +meine+ Hand! Und so wie ich dich
-zerstöre, so thu' ich von mir -- zu Ehren jener bleichen Heiligen --
-allen Haß gegen Gerwalt und jedes -- jedes! -- sündige Verlangen!«
-
-Und in fiebernder Erregung, seiner Sinne nicht mehr mächtig, riß er das
-zähe Pergament mit den beiden starken Händen mitten durch und warf die
-beiden länglichen Streifen in die glühenden Kohlen.
-
-Hoch loderte sofort die helle Flamme auf. Mit seltsamer Lust sah er das
-noch: dann stürzte er besinnungslos, ohnmächtig auf den Estrich nieder.
-
-So fand ihn Supfo, der den schweren Fall gehört hatte und besorgt
-herbeieilte.
-
-
-
-
-Fünftes Buch.
-
-
-I.
-
-Der furchtbare Tag war angebrochen und nahezu abgelaufen ohne
-irgendwelche Störung der Ruhe in der Stadt.
-
-Das war bei der gewaltigen Aufregung aller Gemüter nur den weisen
-und kräftigen Anordnungen zu danken, die der Bischof schon lange für
-diese bangen Stunden vorbereitet und nun ins Werk gesetzt hatte. Unter
-Supfos treuer Pflege -- er hatte dabei des Steinweins nicht gespart! --
-erholte sich die starke Natur Herrn Heinrichs bald von der Betäubung,
-in welche ihn der rasche Wechsel so mannigfaltiger Erregungen gestürzt
-hatte; er begab sich noch am Abend zu rechter Zeit in den Dom und
-waltete dort seiner heiligen Pflichten.
-
-Nach durchwachter und durchbeteter Nacht schritt er in feierlichem
-Aufzug, gefolgt von seiner ganzen Priesterschaft und allem Volk,
-durch die Straßen, zum letztenmal Gott zu danken, seine Gnade und die
-Fürbitte der Heiligen anzurufen. Zwar ward gemeldet, daß räuberische
-Bauern auch an diesem Tage selbst noch sich ziemlich nahe der Stadt
-gezeigt hätten: -- aber auch hiergegen hatte Herr Heinrich wachsame
-Vorkehrung getroffen auf den Warttürmen.
-
-So war der wunderschöne Sommertag friedlich, feierlich, erwartungsvoll
-hingegangen.
-
- * * * * *
-
-Nun deckten bereits blaue Schatten die fernen, waldigen Höhen an dem
-Oberlaufe des Flusses, während in der Stadt auf den Türmen im Umkreis
-der Mauern die roten Pechpfannen der Türmer glühten; auch stromabwärts
-glomm hier und da ein Licht aus den auf den beiden Ufern verstreuten
-Höfen: die Leute wachten in bangem Gebet die Mitternacht heran.
-
-Schon damals setzte sich wie heute auf dem rechten Mainufer die von
-Süden herziehende große Heerstraße unterhalb der Stadt gen Norden hin
-fort: im Osten stieß sie dicht an die mit Reben bepflanzten Anhöhen;
-aber links, gegen den Fluß hin, erstreckten sich in jener Zeit noch
-Wiesen und Buschwerk.
-
-Wonnesam ist und berauschend die laue Mittsommernacht zu Würzburg und,
-wie des Lenzes in jenem gesegneten Mainthal, wird, wer je dort einer
-Mittsommernacht genoß, ihrer dankbar gedenken.
-
-Und diese Nacht, welche da als die letzte ihren weichen dunklen
-Schleier werfen sollte auf die Erde, -- diese Nacht war wunderbar vor
-den andern vieler Jahre! --
-
-Der Mond stand nahezu voll am Himmel: von den Osthöhen aufschwebend
-warf er sein bleiches Licht zauberhaft auf den Fluß, auf die ragenden
-Mauern der Burg im Westen; leichtes fast durchsichtiges Gewölk, von
-rötlich gelben Rändern umsäumt, zog manchmal, vom lauen Südwest
-getragen, über die leuchtende Scheibe, durch solchen Wechsel des vollen
-und des gedämpften Lichts den Reiz geheimnisvoll erhöhend.
-
-Jener weiche, warme Südwest -- hauchend, als wär' es Atmen des
-Himmels -- führte auf seinen leisen Schwingen den wunderbaren, den süß
-berauschenden, den entzückenden Duft der Rebenblüte von den Weingärten
-des Burgbergs, zumal der Burgleiste über den Fluß nach Nordosten. --
-Zur Sonnwend gerade stehen dort die Reben in voller Blust und ihr
-Duft ist keinem auf Erden vergleichbar! Es ist eitel Poesie, süße,
-feurige, heiße Liebeslust atmende Poesie, was die trunkenen Sinne da
-einschlürfen in einer Berauschung, viel feiner und beseligender als im
-Trunk des Rebensaftes selbst.
-
-Durch jenes Strauchwerk an der Straße und über die Wiesen hin
-flogen Leuchtkäfer in reicher Menge, mit ihrem grünlichen Licht das
-Phantastische, Ahnungsvolle dieser halbdunkeln Stunden noch steigernd.
-
-Das Buschwerk aber bestand zum größten Teil aus wilden Rosen, die so
-schön, so starkstämmig, so zahlreich wie dort im sonnigen Mainthal wohl
-nirgend mehr gedeihen auf deutscher Erde.
-
-Vielfach hatten zwar die Rosen schon abgeblüht: aber der überaus warme
-und doch feuchte Sommer hatte an vielen Büschen eine zweite Blüte
-hervorgelockt: und der honigduftende süße Hauch der Wildrose mischte
-sich hier mit dem feineren herberen der Rebe.
-
-Und in den Rosenbüschen schlugen und schmetterten ihr feurig Lied
-ungezählte Nachtigallen! So laut, so lustheiß, so jauchzend in
-beglücktem Minnewerben! So stark, wie noch in keiner Nacht dieses
-Sommers! Es war, als ahnten die klugen Vögelein, die zwar an den
-Untergang der Welt nicht glaubten, daß sie nun bald verstummen mußten
-für ein Jahr: und als wollten sie noch einmal aus vollster Kraft den
-Wonnejubel der Liebe hinausschmettern in die blaue, die leise atmende
-Nacht! --
-
-All das: das silberne Mondlicht -- der laue Wind -- der Reben- und
-Rosenduft -- das heiße, brünstige Lied der Nachtigall -- wirkte
-zusammen zu einer süßen, weichen lustvollen Berauschung der Sinne und
-der Seele. -- --
-
-
-II.
-
-Der Zauber dieser Stunde befing wohl auch den einsamen Reiter, der aus
-dem äußersten flußabwärts vorgeschobenen Blockhaus der Pfahlbefestigung
-in raschem Trabe gegen die Stadt geritten kam.
-
-Er hatte den Helm abgenommen und ließ die laue kosende Nachtluft, den
-schmeichlerischen Wind, der ihm entgegenkam, frei durch seine dunkeln
-Locken streichen. Er hielt nun das schwarze Roß an, sprang ab und
-führte es am Zügel: »Still, Orco, tritt sacht auf! Sie dürfen uns nicht
-kommen hören, die frommen Frauen, sonst ...! -- Ich hielt es nicht mehr
-aus! Ich mußte! Es riß mich fort so unwiderstehlich -- wie dort der
-heiße Sang dem kleinen Vöglein aus der Seele bricht. Diese Nacht! Nie
-sah ich ihresgleichen! Du mußt -- du mußt mein werden vor dem Ende.
-Magst du wollen oder nicht! Aber du wirst wollen: -- wollen +müssen+!
--- denn du liebst mich! Wie lautete doch das Lied, das ich gestern auf
-diese Nacht, auf diese Stunde gedichtet?
-
- Morgen um die zwölfte Stund',
- Heia, geht die Welt zu Grund!
- Doch nicht eh' bis Minnegard --
- -- Leib und Seel'! -- mein eigen ward! --
- Diese Nacht,
- Wann Hut und Wacht
- Liegt in Betgeheul und Jammer,
- Dann erbrech ich deine Kammer:
- Magst erglühen, magst erblassen, --
- Eher nicht will ich dich lassen
- Bis du mein!
- Dann brich herein,
- Ew'ge Pein!
- Wirft von deinem roten Mund
- Gott mich in der Hölle Schlund:
- Du warst doch mein!
-
-Aber der liebe Gott wird's selber einsehen, daß ich nicht anders
-konnte. Was hat er sie so schön geschaffen und mich so heiß? Und ich
-hätte ja ganz gern des Bischofs Segen dazu erbeten, wenn ... Aber halt!
-Was ist das? Wer kommt da mir entgegen? Eine dunkle Gestalt -- ein Weib
--- ganz allein -- heute! in dieser Stunde! -- Sie winkt mit der Hand.
-Bei Sankt Martin zu Tours! Wahrhaftig -- sie ist's! sie selbst. --
-Minnegardis!« »Fulko!« schallte es zurück. Und er eilte ihr entgegen,
-das Tier nach sich ziehend. Hell trat der Mond aus Gewölk, da sie sich
-erreichten. »Geliebte! Du -- hier?« rief er und faßte ihre beiden
-Hände. »Wen suchst du?« -- »Dich!« -- »Aber wie konntest du ...?« --
-»Ich ahnte, du würdest, +müßtest+ kommen in der letzten Stunde der
-Welt. Ach, ich wußte es!«
-
-»Woher?« -- »Aus meinem eignen Herzen und Verlangen! Ich erfuhr,
-du hast Wache in dem Blockhaus da unten. Da wußte ich, du würdest
-versuchen, mit List oder Gewalt zu mir zu dringen, in meine Kemenate
-bei den Religiosen. Aber ich wußte auch, es könne dir nicht gelingen.«
--- »Ich bin auf dem Weg und mein Schwert ...« -- »Wäre nicht nötig
-gewesen. Ich erwartete dich und hätte dir den Laden der Kemenate selbst
-geöffnet.« -- »Nun also!« -- »Aber ich sollte ja fort! Der Bischof
-ließ mir sagen, er werde mich noch vor der zehnten Stunde durch die
-Runde der Wachen abholen lassen in den Dom. Dreißig Speeren konntest
-du mich nicht entreißen! Und darum -- o ich sollte wohl vor Scham
-vergehen! -- darum, weil du nicht zu mir dringen konntest -- deshalb,
-du geliebter Mann, kam ich zu dir! Drang ich, flog ich dir entgegen.
-Denn, wisse das, du heiß Begehrter: ich liebe dich über alle Maßen.
-Und nicht sterben will ich, bevor du das erfahren und gefühlt. Ich
-muß, ich muß! Es reißt mich dir entgegen mit unbezwinglicher Gewalt,
-so notwendig wie hier die Rose duftet, dort das Vöglein singt. Dein
-will ich sein und dir gehören -- unscheidbar Eins in Ewigkeit. Und
-wird -- wie sie lehren -- in der Ewigkeit nicht geküßt und gefreit, --
-so will ich dich küssen und kosen in der letzten Stunde, da die Welt
-noch steht. Will mich der gütige Himmelsherr drum strafen, -- -- so
-mag er's thun. Ich aber thu', was ich nicht lassen kann. Ich kam, um
-dein zu werden, ach nur im Tod: nicht mit dir zu leben, nur mit dir zu
-sterben. Ich liebe dich, komm an dies Herz und fühl's, wie ich dich
-liebe.« Und weit öffnete sie beide Arme und stürmisch umschlang er sie.
-Und er küßte sie, daß ihr der Atem verging. »Komm,« -- flüsterte er
-dann -- »hier auf der offenen Heerstraße -- man wird dich vermissen --
-suchen ...«
-
-Ein leichter Sprung und sie waren westlich von der Straße im dichten
-Gebüsch: -- das kluge Roß sprang hinterdrein: -- er schlang den Zügel
-um den nächsten Baum: »Nun, treuer Orco, halt Wacht! und warne, kommt
-jemand.« Der Rappe wieherte lustig und nickte mit dem Kopf, als hab' er
-alles verstanden. -- -- --
-
-Und -- nun alles still ringsum ... ganz still.
-
-Der Mond lugte nur selten und schonend durch das dichte Gebüsch auf
-die weiche Wiese. Ein Leuchtkäfer flog über ihre Häupter hin und
-ließ sich dicht neben Minnegardens Locken nieder auf das Gras. »Unsre
-Hochzeitfackel!« flüsterte er.
-
-Und der laue Wind trug ganze Wolken Wohlgeruchs von Rebenblüt' und
-Rosen ihnen zu.
-
-Und laut, schmetternd, jubelnd, schlug die Nachtigall im nahen Busch
-ihr triumphierend Siegeslied der Minne. -- -- --
-
-Sonst rings alles ruhig um sie und weihevoll: rings alles still: auch
-sie sprachen nicht vor eitel Seligkeit und eitel Liebe. -- -- --
-
- * * * * *
-
-Plötzlich wurden die Glücklichen aus ihrer süßen Versunkenheit
-aufgestört durch einen dröhnenden ehernen kriegerischen Ruf.
-
-Erschrocken fuhr Minnegard auf unter seiner heißen Liebkosung, strich
-das gelöste wirre Haar aus den brennenden Schläfen zurück und rief:
-»Horch! Was war das? Die Posaune des Gerichts? Bricht das Ende herein?
-Ich fürchte es -- nun -- nicht mehr. Denn du wardst mein und höchste
-Seligkeit. Und nicht den strengen Richter: Hand in Hand mit dir tret'
-ich vor ihn hin und jauchze: ›Ja, ich liebe ihn, ewig werd' ich ihn
-lieben! Strafe mich, Herr, wenn es Sünde war. Aber ich thät's nochmal!‹«
-
-»Still, Kind! Laß mich horchen! Richtig. Das -- es ist auch noch lange
-nicht Mitternacht! -- Das ist nicht die Posaune der Erzengel: -- das
-ist das Wächterhorn vom Brückenturm. Aber es bläst den Waffenschrei!«
-
-Er machte sich los aus ihren Armen und lauschte.
-
-»Horch! In der Runde antworten die andern Türmer. Es ist der Notruf:
-›Feinde!‹ Und schau -- dort -- in der Ferne -- unweit der Stadt -- vor
-der Sandvorstadt -- flammt Feuerschein auf. Das sind Mordbrenner,
-räuberische Bauern.«
-
-»Wie? In dieser Nacht? Kurz vor dem Ende?«
-
-»Gleichviel! Es scholl der Waffenschrei: Herr Heinrich ruft seine
-Ritter. Nicht vergeblich soll er Fulko rufen! Auf, mein süßes Lieb,
-du mein holdes Eigen: -- rasch in den Sattel! So ist's recht! Halte
-dich an der Mähne! Hier bin ich schon hinter dir im Sattel. Noch einen
-Kuß! Und noch -- und noch Einen -- den letzten wohl! Und nun, renne
-mein Rößlein! Fulko und Minnegard darfst du tragen aus seliger Lust in
-seligen Tod.«
-
-Pfeilschnell sauste das edle Tier durch die Wiesen gegen die Stadt
-dahin: es wieherte den schmetternden Trompeten feurig entgegen.
-
-
-III.
-
-Es waren noch etwa zwei Stunden vor Mitternacht.
-
-Im Dome standen der Bischof und seine Geistlichen und so viele
-Gläubige, als der Raum zu fassen vermochte, Kopf an Kopf gedrängt,
-versammelt: auch in allen andern Kirchen und Kapellen hatte, nach
-Anordnung des Bischofs, nächtlicher Gottesdienst stattgefunden, ein
-paar Stunden nachdem die Vesperfeier vorüber war: auch sie waren
-sämtlich überfüllt.
-
-Zu Hause blieben fast nur die Kranken, die Bett oder Haus nicht
-verlassen konnten und oft, aber nicht immer, ein Pfleger -- oder meist
-eine Pflegerin! -- welche die Pflicht, bei den Siechen auszuharren,
-höher anschlugen als den Trost, das Ende in der Kirche, in der
-schützenden Nähe der Heiligtümer zu erleben.
-
-Nur Eine Ausnahme kam vor: -- der Bischof selbst hatte sie befohlen.
-
-Die Führer der Thor- und Wallwachen, die er -- in Abwesenheit des
-Grafen -- ordnete, waren am Morgen vor ihn getreten und hatten ihn
-gefragt, ob sie nicht mit ihren Leuten heut, am letzten Tag der Welt,
-ihr kriegerisch Werk einstellen und in den Kirchen der Andacht aller
-andern sich anschließen dürften?
-
-Bei Herrn Heinrich hatten auf diese Bitte hin der Bischof und der
-Kriegsmann einen scharfen Kampf geführt; aber der Kriegsmann hatte
-gesiegt. Er hatte die Stirne gefurcht und gesprochen: »Nein! Die
-Landbrenner sind nah! Jeder auf seinem Posten. Der Bischof vor dem
-Altar, der Turmwärter auf dem Turm. Findet uns der Herr dort, so findet
-er uns da, wohin wir gehören. Bis zum letzten Augenblick -- die Pflicht
-des Dienstes, des weltlichen wie des geistlichen.«
-
-Mit stillem Kopfnicken hatte er, lange bevor er die Messe begann -- die
-letzte, die er zu lesen hatte! -- von dem Ankleidezimmer aus die Gräfin
-mit ihren Frauen die Steinstufen des Doms hinaufschreiten sehen. »Sie
-hält Wort,« sprach er gerührt; den Grafen Gerwalt sah er noch nicht,
-er vermißte auch noch Minnegard und Edel: aber er zweifelte nicht, sie
-würden rechtzeitig, wie er geboten, erscheinen.
-
-Die Messe war gelesen, auch die Predigt zu Ende, in welcher der Bischof
-ernst, aber ohne weich zu werden, in mannhaften tapfern Worten zu
-seinen Hörern sprach, dem Feldherrn vergleichbar, der seine Sturmschar
-ermahnt, dem sichern Tode kühn entgegenzuschauen. --
-
-Der Dom hallte wider von dem lateinischen Gesang der Priester und der
-Chorknaben, in welchen hin und wieder die Latein- und Sanges-Kundigen
-aus der Gemeinde einfielen. --
-
-Wallend und wogend zogen dichte Wolken des Weihrauchs durch den von
-Öllampen und Kienspänen nur schwach beleuchteten einschiffigen Holzbau:
--- bloß der Hauptaltar, wo der Bischof nun segnend stand, strahlte in
-der Helle zahlloser Wachskerzen. --
-
-Da plötzlich schmetterte durch die offene Thür -- denn die Menge der
-Andächtigen drängte vom Chore durch die ganze Kirche und auch durch
-die Thüre hinaus bis auf die Stufen und auf den Platz vor dem Dom --
-derselbe eherne Trompetenschall, welcher das wonneberauschte Liebespaar
-aufgeschreckt hatte.
-
-Auch hier würde wohl die Vorstellung des Posaunentons des Weltgerichts
--- heute allen die nächstliegende -- die Menge ergriffen und in dem
-dichten Gedränge Schrecken und Entsetzen verbreitet haben. --
-
-Aber Herr Heinrich kam dem zuvor.
-
-Sofort erkannte sein an solchen Ruf gewohntes Ohr die Eigenart dieses
-Grußes. Er ermaß auch blitzschnell die Gefahr, welche ein falscher
-Schreck über die vielen Hunderte, in engem Raum zusammengepferchten,
-höchst erregten Menschen bringen mußte.
-
-So rief er denn mit seiner lauten Stimme, die gewohnt gewesen, mit dem
-Ruf des Befehls das Toben der Reiterschlacht zu überdröhnen: »Bleibt
-ruhig, ihr Gläubigen! Das ist nicht der Beginn des Gerichts! Ich habe
-befohlen, mit der Turmtrompete ... Hört ihr? Es ist die Trompete vom
-Sandturm -- jetzt auch vom Brückenturm! -- zu melden, wann sich das
-Raubgesindel gegen die Stadt heranzieht. Es sind Brandräuber!«
-
-Da brach sich durch die Menge vor den Stufen ein ganz Gewaffneter Bahn
--- er schob die Bürger, die Frauen, links und rechts kräftig zur Seite
--- schon hatte er den Altar erreicht. »Auf, Herr Bischof! Hier Euer
-Schwert. Nehmt! Eure Sturmhaube! Euer Roß steht draußen gesattelt.
-Feinde vor der Stadt! Es brennen schon mehrere Höfe mainaufwärts.
-Kommt und helft!« Es war Blandinus, voll glühenden Eifers: Nie war
-sein schön Gesicht so schön gewesen, wie es jetzt unter der Sturmhaube
-hervorglänzte. »Helft! Rettet! Herr Bischof!« riefen die Bürger. »Was
-sollen wir thun?« »Hierbleiben! Beten!« schrieen die Weiber.
-
-Aber Herr Heinrich richtete sich auf zu seiner vollen Höhe, riß das
-Schwert aus der ihm dargereichten Scheide, warf diese weg, und, hoch
-die Klinge schwingend, rief er: »Fechten sollt ihr! Nicht beten! Eure
-Stadt, Sankt Burchhards Weihtum, schirmen! Fallt ihr so, so fallt
-ihr schön und büßet manche Sünde. Wie können wir besser unsre letzte
-Stunde verleben, als im Kampfe für Sankt Kilians Heiligtum? Folgt, ihr
-Bürger Würzburgs, folgt euerm Bischof! Hinaus vors Thor und wehe den
-Kirchenräubern! Sankt Kilian und Sankt Burchhard ziehn euch voran!«
-
-Und er stürmte die Stufen des Altars hinab der Domthüre zu.
-
-»Sankt Kilian und Sankt Burchhard! Steht uns bei!« riefen die Krieger
-und folgten ihm.
-
-
-IV.
-
-Das kühne Vorgehen des streitbaren Bischofs sollte sich aber doch gar
-bald als allzukühn erweisen.
-
-Zwar die Dienstmannen und Reisigen waren rasch zur Stelle und folgten
-sofort eifrig ihrem heißgeliebten Führer: Blandinus, dem der Befehl
-in der inneren Stadt übertragen war, hatte sie rasch gesammelt: aber
-Hellmuth und Fulko konnten nicht zur Stelle sein: ihnen hatte ja Herr
-Heinrich die gefährlichste Wacht: die in den beiden entlegensten
-Blockhäusern des Pfahlhags flußabwärts und flußaufwärts anvertraut.
-
-Und das Häuflein, an dessen Spitze jetzt der Bischof durch das Südthor
-und die Sandvorstadt sprengte, war doch nur recht klein: zwanzig Rosse
-und vierzig Fußknechte: mehr waren es nicht.
-
-Die Bürger aber zeigten zwar guten Willen, waren auch nicht übel
-gerüstet und in den Waffen geübt. Allein es währte recht lange, bis sie
-diesmal in genügender Stärke beisammen waren und ihrem Bischof hinaus
-nacheilen konnten, der sofort mit seinen Dienstmannen allein dem Feinde
-entgegengesprengt war.
-
-Unbewaffnet waren die Burgensen alle -- den Canones und dem
-Landfriedensrecht gemäß -- in den Dom und in die übrigen Gotteshäuser
-gekommen: nun mußten sie erst in ihre oft weit entlegenen Höfe
-zurück, sich mit Schutz- und Trutzwaffen zu versehen, meist unter dem
-Widerstreben, den Bitten und Thränen ihrer Weiber und Kinder, die sie
-im Angesicht des nahenden Gerichts nicht von ihrer Seite, nicht aus
-dem Hause, am wenigsten vor das Thor hinaus zum Gefecht ziehen lassen
-wollten.
-
-So sammelten sie sich heute nicht, wie herkömmlich war, an den
-vorherbestimmten »Schar-Orten«, sondern einzeln, paarweise oder in
-ganz kleinen Häuflein, wie sie sich auf dem Wege zu der Sandvorstadt
-zufällig gefunden, trafen sie vor dem Südthor weit, weit hinter dem
-Bischof auf der Heerstraße oder auf der Allmännde ein, die nun gar bald
-zum Schlachtfeld werden sollten.
-
-Bevor wir aber dieses betreten, müssen wir nachholen, was auf demselben
-unmittelbar vorher sich begeben hatte.
-
-
-V.
-
-Um dieselbe Zeit, da nördlich der Stadt Frau Minne Ritter Fulko und
-schön Minnegard einander entgegengeführt hatte, eilte im Süden der
-Stadt auf der großen Heerstraße gegen das Südthor zu eine weiße Gestalt.
-
-Ein lichter Schleier flatterte ihr nach, so hastig schritt sie:
-im Glanze des Mondes, den nur selten ziehend Gewölk verdeckte,
-leuchtete das freiflutende, hellblonde Haar -- es war aufgegangen:
-das zusammenhaltende blaue Band hatte sie bei dem raschen Aufbruch
-verloren. Sie drückte den weiten hellgrauen Mantel über der Brust
-zusammen. Ihr Auge spähte scharf vorwärts: aber nicht auf die Vorstadt
-am Ende der Heerstraße war es gerichtet, sondern links ab von der
-Straße, wo, nahe dem Flusse, das äußerste Blockhaus des Pfahlhags vor
-dem Südthor ragte.
-
-»O Gott,« betete die Eilende, »laß mich noch recht kommen. Nun Ein
-Wort zu ihm -- von ihm! Dann will ich ja gern in den Dom. Wie spät
-mag es schon sein? Ich konnte die Zeit nicht genau erkunden! Wartete
-ich länger, mußte ich in Begleitung der andern Frauen gehen und dann
-mit ihnen gleich in den Dom. Mag es wohl schon bald Mitternacht sein?
-Barmherziger Heiland, o verschiebe die Stunde des Gerichts nur so
-lang, bis ich ... Du blickst in mein Herz, heilige Jungfrau! Du weißt,
-mich treibt nicht sündiger Liebe Verlangen -- nicht an seine Hand will
-ich rühren! -- nie würde ich aus +solchem+ Sehnen die scheue Scham
-überwinden, und zerspränge mir darüber das Herz in der Brust. Nein!
-Nicht nach solchem steht mein Begehren! Ich will ja nur -- -- -- du
-weißt, Gott, was ich will. Darum hilf mir! Bald -- bald bin ich ja
-dort. Sehe ich doch schon das schmale Thor, das in das Blockhaus führt.
-Gleich muß der Wiesensteig links abbiegen hier unten von der Straße ...
-Ah! Was ist das? Dies Thor ...?«
-
-Sie konnte nicht vollenden.
-
-Mit Schrecken nahm sie wahr, wie das Blockhausthor, nach welchem Ziel
-ihres eilenden nächtlichen Ganges sie so sehnsüchtig ausgeschaut hatte,
-sich von innen öffnete und wie aus demselben auf dem engen Wiesenpfad,
-der ein wenig hügelan auf die Heerstraße führte, ein Reiter ihr in den
-Weg sprengte.
-
-»Weh mir -- wenn man mich erkennt, anhält, -- aufhält!«
-
-Sie wankte: sie stützte die Hand auf einen breiten Grenzstein rechts
-an der Heerstraße, der hier die Markung der Stadt von den Äckern
-des Randahari trennte. Schon hatte der rasche Reiter die Hochstraße
-erreicht: ungestüm jagte er heran -- sein Helm glänzte und strahlte
-hell im Mondlicht -- ein langer dunkler Mantel flog ihm nach von den
-gepanzerten Schultern: -- sie hoffte, er werde an ihr vorbeisausen:
-sie glitt ganz hinter die breite Steinsäule -- schon hörte sie das
-Schnauben seines Rosses -- schon sah sie ... »Ah! Er! Gott ich danke
-dir!« rief sie frohlockend und sprang, beide Arme hoch gen Himmel
-erhebend, aus ihrem Versteck hervor.
-
-Heftig erschrak das Roß, aber nicht der Reiter. »Edel!« rief er,
-bändigte kraftvoll das scheuende, hochsteigende Tier, brachte es zum
-Stehen, sprang nun ab und schritt ihr, den Zügel in der Hand, entgegen.
-»Jungfrau Edel« -- in höchstem Erstaunen sprach er -- »was thut ...
-was wollt Ihr hier -- allein ... zu +dieser+ Stunde? Was sucht Ihr?«
-»Euch!« rief das Mädchen »Nein doch: +dich+, Hellmuth, +dich+!« Und
-beide Hände fest ineinanderringend ließ sie sich vor ihm auf die Kniee
-gleiten. »Laß mich! Nicht deine Liebe such' ich mehr -- ich weiß, ich
-habe sie verwirkt -- aber deine Verzeihung. Ich kann nicht sterben,
-kann nicht vor den ewigen Richter treten mit dieser unverziehenen
-Schuld auf meiner Seele, der schweren Sünde der Herzenshärtigkeit,
-des verstockten Stolzes, der grausamen Mißhandlung ... Ich habe dich
-gequält ... gepeinigt, ich habe dein stummes monatelanges Flehen um
-Verzeihung eines ach! so leichten Fehls, -- eines Fehls aus Liebe!
--- mit Füßen in den Staub getreten! O es war so schlecht von mir, so
-eitel, so sündhaft! Aber sieh: nun -- in der letzten Stunde meines
-Lebens -- lieg' ich, Edel, die stolze Edel, vor +dir+ im Staub -- nein,
-laß mich! Ich stehe nicht auf, bis ... Und ich flehe dich an: verzeihe
-mir! Verzeihe mir um des Heilands willen, der, ein Wunder wirkend,
-dich mir hier entgegengesandt hat in +dieser+ Stunde! Ich sprang aus
-dem Fenster der Kemenate in den Garten. Ich wußte, wo du zu finden
-warst. Ich konnte es nicht mehr ertragen -- ich lief dir entgegen -- es
-schob mich vorwärts wie mit unsichtbaren Engelshänden: das Wort, das
-in diesen Tagen unablässig uns verkündet ward: -- ›Bereue! Büße!‹ --
-es mahnte mich unwiderstehlich, die schwerste Schuld meines Lebens zu
-büßen: die Schuld gegen dich und deine große, deine rührende Liebe. Ich
-hätte dich im Blockhaus aufgesucht vor allen deinen Reisigen und dich
-dort laut angefleht, wie hier in der heiligen, nur von Gott erschauten
-Einsamkeit: Hellmuth, verzeihe mir!«
-
-Schon hatte er sie vom Boden aufgerissen. »Edel! +Ich+ Euch -- ich
-+dir+ verzeihen? Nein, vergieb +du+ mir. Die Liebe riß mich fort. Doch
-du kannst das nicht fassen! Denn was weißt du von Liebe!« »Ich?« --
-Sie errötete über und über, wie sie nun mit unendlicher Anmut das edle
-langgestreckte weiße Antlitz zu ihm emporhob: es leuchtete geisterhaft
-im Glanz des Mondes, umrahmt vom blonden Haar: -- sie richtete einen
-langen Blick auf ihn aus den tiefen grauen Augen. -- Dann senkte sie
-die dunklen Wimpern und fragte: »Was immer Euch in dieser letzten
-Stunde der Welt in die Nacht hinausgetrieben hat, was immer Ihr suchtet
--- gewiß war's nicht Edel?« -- »Wie durfte ich das wagen? Nein! Den
-Tod, den Heldentod in herrlichem Reiterkampf. Denn wisset -- von
-dorther -- von Süden -- nahen alsbald furchtbare Feinde.« »Den Tod? O
-so laß mich ihn teilen!« rief sie leidenschaftlich ausbrechend. »Du
-hast mir verziehen -- und du liebst mich noch immer -- ich sehe dir
-es an: so gewähre mir die letzte Bitte! Im Leben hat mein sündhafter
-Stolz uns getrennt: laß nun im Tode meine Demut uns vereinen. Vergönne
-mir, mit dir zu sterben.« Und überwältigt von allbezwingender Liebe
-sank sie an seine Brust, das schmale Köpflein vorwärts beugend wie
-eine tauschwere Blume. »Edel! Geliebte! Ist es wirklich? Bist du
-+meine+ Edel?« -- »Ja! +Deine+ Edel! Aber nur im Tode dein!« Und er
-küßte sie auf die weiße Stirn: er wagte es nicht, sie auf die so
-festgeschlossenen, schmerzumzuckten Lippen zu küssen.
-
-Es war ganz still um dieses Paar; hier sang keine Nachtigall. --
-
-Plötzlich schlug an beider Ohr von Süden her ein schriller gellender
-Hornruf. »Horch! Was war das?« rief Edel, erbleichend und sich hoch
-aufrichtend. Beide wandten sich nun flußaufwärts nach der Richtung des
-Schalles. Alles still. Da flammte in der Ferne rote Lohe auf. »Der
-Weltenbrand!« rief Edel. Aber im selben Augenblick antworteten dem
-ersten Hornruf zwei, drei lautere dem Paar erheblich näher. »Nein!«
-rief Hellmuth. »Gut kenne ich den wilden Ton! -- Das sind wendische
-Hörner! Sie blasen den Kriegsruf. Und schau: dort brennt ein zweites --
-wie rot! -- ein drittes Feuer auf -- dort liegen die Höfe des Randahar
--- es sind ihre brennenden Strohdächer. Das sind wendische Plünderer!
-Sind ja Heiden, glauben nicht an das Weltgericht. Und horch nur! Ich
-meine ...« Er warf sich zu Boden und drückte das Ohr fest auf die harte
-Heerstraße. Sofort sprang er wieder auf. »Kein Zweifel. Reiter sprengen
-heran! Viele, sehr viele! Die Erde dröhnt von Hufengestampf. Das sind
-nicht die himmlischen Heerscharen und nicht die Teufel der Lüfte. Auf,
-Edel, rasch! In diese Hände darfst du nicht fallen.«
-
-Er hob sie auf das Pferd und schwang sich hinter ihr in den Sattel.
-»Wohin? Was willst du thun?« fragte sie. »Ich warne die Stadt und Herrn
-Heinrich.« Und schon jagte der treue Falk sausend zurück nach dem
-Südthor. Funken stoben unter seinen klirrenden Hufen aus den Kieseln
-der Straße, weithin flog Edels weißer Schleier nach.
-
-
-VI.
-
-So war es Hellmuth gewesen, welcher zuerst den Turmwart des Südthors
-gewarnt und auf die nahenden Feinde merksam gemacht hatte.
-
-Er führte die bleiche schweigende Edel in die nahe Kirche in jener
-Vorstadt der Heiligen Petrus, Paulus und Stephanus. Hier, dicht bei
-dem Südthor, fanden sich alsbald viele Frauen und Mädchen der Stadt
-aus den nächsten Höfen, aus dem Dom und den andern Kirchen zusammen:
-denn hier war man sicher, zufrühest Nachricht von dem Gefecht zu
-erhalten, sowie den Bischof und die Seinen bei ihrer Heimkehr zuerst
-zu begrüßen. Hierher führte auch Fulko die Geliebte, die er schon
-außerhalb des Nordthors vom Rosse gehoben und gar sittsam durch die
-von den zusammenlaufenden Bürgern belebten Teile der Stadt geleitet
-hatte; bereits vorher war hier aus dem Dome mit ihren Frauen der beiden
-Mädchen mütterliche Freundin, die Gräfin Heilfriede, eingetroffen.
-
-Als der Bischof das Thor hinter sich gelassen hatte und nun auf der
-Heerstraße ungestüm vorwärts sprengte, -- vor ihm mit brennender
-Fackel Blandinus -- da drängten Hellmuth und Fulko von rechts und von
-links ihre schnaubenden Rosse an seine Seite. »Gut, daß ihr da seid.
-Willkommen, tapfre Junker, im letzten Gefecht,« rief er ihnen freudig
-zu. »Herr Heinrich,« erwiderte Hellmuth, »wollen wir nicht warten,
-bis von den Bürgern einige heran sind?« Höchlich erstaunt, ohne im
-Vorwärtsjagen einzuhalten, sah der Bischof zu ihm hinüber: »So redet
-Hellmuth vom hohen Horst? Um eine kleine Rotte schlecht gewaffneter
-Bauern zu zersprengen ...?« -- »Herr, es sind nicht Bauern. Und nicht
-eine kleine Rotte! Da! Hört Ihr das Horn? Wenden sind's.« »Gewiß die
-Söldner Zwentibolds!« rief Fulko. »Das wolle Gott nicht!« stammelte der
-Bischof und erbleichte, ... aber nicht aus Furcht. »Da vorn -- rechts
--- brennt schon wieder ein Hof!« rief Blandinus mit der Fackel deutend.
-»Das ist, mein' ich,« riet Fulko, »das Haus des Zeidlers Wulfilo,
-des Nachbars von Frau Ute. Arme Fullrun, wie mag es dir ergangen
-sein! Halt, holla! Hier geblieben, Signor Blandinus!« und er fiel dem
-Venetianer in die Zügel, der bei jenem Namen, laut aufschreiend, den
-Gaul spornend, nach rechts hin über die Wiesen davonjagen wollte:
-»Jetzt heißt's, beisammen bleiben! Wollt Ihr allein die Wenden
-schlagen?« »Das Kind wird Gott beschützen,« pflichtete der Bischof bei,
-»wir kämen zu spät.« »Da! Da sind sie schon!« rief Hellmuth. »Jawohl,«
-lachte Fulko, das Schwert ziehend. »Jetzt hat sie der Teufel schon
-da.« »Weiß Gott, die Wenden!« stöhnte der Bischof dumpf. »Und wie
-viele!« rief Fulko. »Jetzt, Freund Hellmuth, jetzt heißt's fechten.«
-»Ja! Gott sei Dank! -- Das wollen wir,« antwortete der mit blitzenden
-Augen. »Wohlan!« sprach der Bischof. »So mögen sie denn zum letztenmal
-auf Erden schmettern, die deutschen Drommeten. Bald schallen die
-himmlischen Posaunen darein!«
-
-Noch nicht gleich kam es zum Zusammenstoß: die vorausgeschickten Reiter
-der Slaven jagten zurück, offenbar, ihrem Führer Meldung zu bringen.
-Und der Bischof gebot Halt, seine Fußknechte nachkommen zu lassen. Wie
-er das Ganze übersah, mußte er erkennen, daß sein kleines Häuflein doch
-in recht schlimmer, aufs höchste gefährdeter Lage war.
-
-Was von einer erlesenen Reiterschar gegen einen wenn auch viel
-zahlreicheren Haufen schlecht gerüsteter Bauern, die nur zu Fuß
-fochten, zu wagen gewesen wäre, das erwies sich als undurchführbar
-gegen diese trefflich und mannigfaltig bewaffneten, zum Teil gut
-berittenen Soldknechte, die unter ihrem mit wilder Begeisterung
-verehrten Häuptling seit einem Jahrzehnt im Dienste gar vieler Fürsten
-auf wendischer, deutscher, welscher, byzantinischer Erde gefochten und
-gar oft gesiegt hatten.
-
-»Der Wende,« rief Fulko »-- Gott verdamm ihn! -- versteht den Krieg.
-Schau, Hellmuth, wie klug benützt er seine große Übermacht! -- Auf
-wieviele schätzest du sie?« Hellmuth hob sich hoch in den Bügeln, bog
-das behelmte Haupt vor und spähte nach allen Richtungen: »Die links von
-uns in den Weinbergen und im Gehölz kann ich nicht schätzen. Aber da
-auf der Straße vor uns und rechts in den Wiesen-- das sind eher vier-
-als dreihundert.«
-
-»Schau -- man sieht es deutlich im Mondlicht! -- hier auf der breiten
-Straße schart er seine Reiter zusammen, viele Glieder tief, unsern
-Anprall abzuwehren.« -- »Aber auch das Umgehen hat er gelernt! Sieh,
-westlich von der Straße -- über die Wiesen hin -- läßt er andere
-Reiter vortraben, uns in der Flanke zu fassen.« -- »Und wo bleiben
-unsere Bürger? Noch gar wenige sammeln sich auf der Wiese.« -- »Und
-seine Fußknechte,« ergänzte der Bischof, »und Pfeilschützen schickt
-er östlich von der Straße in die Weingärten und in den Buschwald der
-Höhen, uns von links zu packen. Ja, von dort könnten sie sich zwischen
-uns und die Stadt werfen und uns auch vom Rücken fassen.« Er gebot den
-Junkern, hier zu halten, und ritt langsam voraus, seine vordersten
-Reiter zu ordnen. »Nun, die links werden aber nicht viel ausrichten,«
-meinte Hellmuth, »bergan, auf den Schmalpfaden zwischen den Weinbergen.
-Ein Häuflein entschlossener Männer genügt ...«
-
-»Sind aber immer noch nicht da, auch zur Linken nicht, die lieben
-Bürger von Würzburg!« -- »Oder doch nicht genug. Jetzt hab' acht, Herr
-Heinrich winkt mit dem Schwerte!«
-
-
-VII.
-
-Der Bischof hatte, jener Dreiteilung der Feinde zu begegnen, auch von
-seiner ohnehin so schwachen Schar einen rechten und einen linken Flügel
-abzweigen müssen.
-
-Er sandte Boten über Boten in der Richtung gegen die Stadt zurück, die
-Bürger zur Eile zu mahnen und sie, wie sie einzeln oder in kleinen
-Häuflein herankamen, jenen beiden Flanken zuzuteilen. Er gedachte,
-durch das beste, alterprobte Mittel deutscher Kriegskunst -- seit
-nämlich die schwer gepanzerte Reiterei (zuerst in den Ungarnkriegen)
-wichtiger geworden war als das alte nur zu Fuß kämpfende Aufgebot
-des Heerbanns -- gegen alle Feinde: durch das Ansprengen seiner eng
-aneinander geschlossenen schwergerüsteten Ritter und berittenen
-Heerknappen auf den mächtigen Streithengsten die Wenden auf der
-Heerstraße über den Haufen zu rennen, so durch einen gewaltigen Stoß
-ihre Mitte zu durchbrechen und die Schlacht zu entscheiden. Mit dem
-alten Feldruf der Deutschen: »Christus! Kyrie eleuson!« sprengte er,
-hoch das Schwert schwingend, auf seinem leuchtend weißen Dänenhengst an
-der Spitze seiner Panzerreiter auf die Wenden an und ein.
-
-Es erging -- anfangs -- wie er gehofft: die schwächeren Gäule der
-Slaven und die geringere Körperkraft ihrer Reiter hielten den deutschen
-Ansturm nicht aus: das erste Glied war sofort überritten, das zweite --
-in der Mitte wenigstens -- durchbrochen: aber in der dritten Reihe kam
-der Anprall zum Stehen.
-
-Jetzt kreuzten sich deutsches Ritterschwert und slavischer
-Streitkolben: das Gefecht stand.
-
-Und das war sehr schlimm für die kleine Reiterschar, deren einzige
-Siegeshoffnung in raschem Niederreiten der Übermacht bestanden hatte.
-
-Da ersah Herr Heinrich im roten Licht einer Pechfackel einen
-feindlichen Führer in reicher Rüstung mit geschlossenem Helm, der sich
-soeben von seinem gestürzten Gaul -- Hellmuth hatte ihn überrannt --
-los machte und behend auf ein anderes Pferd schwang, das ihm ein Wende
-zuführte. »Vorwärts!« scholl es aus dem Mundloche des Visiers hervor.
-»Nieder mit den Deutschen.« Und die Wurflanze in der Hand wirbelnd ritt
-er wieder in die vorderste Reihe.
-
-»Die Stimme kenne ich!« rief Herr Heinrich, spornte das Roß gegen
-den Feind, schwang grimmig das Schwert und schmetterte einen solchen
-Streich auf den reich vergoldeten Helm, daß dieser klirrend in zwei
-Stücke auseinander sprang. »Berengar!« schrie der Bischof. »Wie
-konntest du es wagen? Gegen meinen Befehl ...?« -- »Befiehl du deinen
-deutschen Knechten, nicht mir!« gab er zurück und hob scharf zielend
-den Speer zum Wurf.
-
-Allein da wurden sie getrennt, auseinander gerissen durch den Stoß
-einer frischen Rotte Fußvolks, die, auf den Befehlsruf eines nicht
-sichtbaren Führers, aus der vierten Reihe der Slaven mitten auf der
-Heerstraße mit gefällten Lanzen vorbrach und die deutschen Reiter
-sofort schwer bedrängte. Diese konnten auf der von gefallenen Pferden
-und liegenden wie kämpfenden Menschen vollgestopften Straße nicht mehr
-vorsprengen, also ihr wirksamstes Kampfmittel nicht mehr gebrauchen.
-Und ein Roß der Bischöflichen nach dem andern brach zusammen: denn
-die wendischen Lanzenknechte stießen nicht auf die gepanzerten
-Reiter, sondern auf die Pferde. Nur mit äußerster Anstrengung gelang
-es Fulko, der sich stets ein wenig vor Herrn Heinrichs Schimmel hielt,
-die zahlreichen Speerschäfte niederzuschlagen, welche dies weithin
-sichtbare Ziel vor andern bedrohten.
-
-Da sprengte Hellmuth, welchen der Bischof entsendet hatte, Nachricht
-von seiner rechten Flanke einzuholen, wo die Wenden auf den Wiesen,
-nach dem Vordringen ihrer Hornrufe zu urteilen, erheblich Raum
-gewonnen, auf die Straße zurück und meldete: »Nun geht's wieder da
-drüben! Es stand schlimm. Aber ein Häuflein Bürger, das eben eintraf
-und das ich und Gericho den wendischen Reitern entgegenwarfen, hat das
-Gefecht dort gestellt. Jung Gericho macht seine Sache gut. Allein Übles
-vernahm ich von unserm linken Flügel her. Dort scheinen ...«
-
-Er konnte nicht vollenden.
-
-Denn von eben dort, von Osten her, sprengte Blandinus, der zu gleichem
-Zweck entsendet worden war, auf die linke Seite der Straße: den Helm
-hatte er verloren, sein Gesicht war von Blut aus einer klaffenden
-Wangenwunde überströmt. »Herr Bischof, wir sind umgangen. Die
-feindlichen Pfeilschützen und Fußknechte haben die wenigen Bürger in
-den Weinbergen überwältigt. Baumeister Hesso, der starke, treue Mann,
-der sie befehligte, ist gefallen: ich führte die Weichenden zu einem
-letzten Stoße vor -- umsonst -- -- mich traf ...« Er wankte: Fulko
-hielt ihn aufrecht im Sattel.
-
-Herr Heinrich drückte in bitterem Schmerze die Augen zusammen: »Zurück?
-In die Stadt? Nein! Weichen wir einen Fuß breit, -- sind wir verloren
-und der Feind dringt mit uns ein. Das soll nicht sein.« -- »Nein!«
-rief Hellmuth. »Um keinen Preis! Seht, dort hinten schart sich ein
-frischer, ein noch stärkerer Haufe Fußvolks zum Stoße gegen uns. Kommt
-zuvor! Laßt uns noch einmal einsprengen, so gut es eben geht, und dabei
-fallen, das Gesicht nach vorn!« »Jawohl,« rief Fulko. »Es muß doch
-endlich einmal gleich Mitternacht sein. Dann holen die Englein unsere
-Seelen hier und die Heiden holt, wie billig, der Teufel. Drauf und
-drein, Herr Heinrich! Auf Wiedersehen im Himmel, Minnegard.«
-
-Und schon wollte der Bischof, zum Tode bereit, den Befehl geben
-zum letzten hoffnungslosen Ansprengen wider den entgegenstarrenden
-Lanzenrechen, als plötzlich, wie durch ein Wunder, das Gefecht völlig
-umschlug.
-
-
-VIII.
-
-Denn auf dem rechten Flügel der Wenden -- östlich der Straße -- in
-den Weingärten und von den Waldhöhen herab ertönte auf einmal wildes,
-wüstes, verworrenes Geschrei.
-
-Freund und Feind stutzte, hielt ein im Kämpfen, wandte dorthin Augen
-und Ohren. Und schon stürzten die wendischen Pfeilschützen und
-Fußknechte, aufgelöst, in wilder Flucht, die Höhen herab, auf die
-Straße, in die rechte Seite der Ihrigen hinein, brachten diese in volle
-Verwirrung und warfen sie mit solcher Wucht auf die Mitte und diese auf
-die westlichen Nebenmänner, daß diese über die steile Straßenböschung
-hinunter in die Wiesen stürzten.
-
-»Steht, beim Zrnbog! steht! meine Brüderlein,« schrie den flüchtigen
-Pfeilschützen eine schrille Stimme zu. Und ein Führer, auf schwarzem
-Roß, in ganz schwarzer Gewandung und Rüstung, warf sich ihnen
-entgegen, den Nächsten über den Haufen reitend, den zweiten an der
-Schulter packend und mit eisernem Griffe festhaltend, daß er wohl
-stehen mußte. »Steht doch! Es ist ja schon alles gewonnen!« »Ja,
-steht, ihr Memmen!« schrie Berengar herzureitend. »Habt ihr den Teufel
-gesehen, daß ihr so lauft?« »Wie? du bist's, Kratochwyl?« rief der
-auf dem Rappen. »Bist doch wahrlich kein Feigling! Hab' dir ja den
-ganzen rechten Flügel anvertraut! Wer jagt euch denn so?« »Der Teufel,«
-keuchte der Wende atemlos. »Wirklich der Christenteufel -- wie der
-Christenpfaff gesagt hat. Wir hatten die Bürger vor uns zurückgeworfen
--- schon zweimal! -- hatten fast schon den Kamm der Höhe erstiegen, --
-da plötzlich brach aus dem dichtesten finstersten Buschwald in unsere
-rechte Flanke -- hoch von oben herab -- ein rasender Riese -- nicht gar
-viele hinter ihm! -- Aber ein Riese! In Wolfsfellen! Das muß der Teufel
-selber sein! Unverwundbar! Die Pfeile prallten von seiner Wolfsschur
-ab. Er sprang mitten unter uns: ›Hilf, Woden! Woden hilf!‹ schrie er
-unablässig und bei jedem Schrei schlug er mit einem fürchterlichen
-Balken, den er mit beiden Händen schwang, einen, auch zwei von uns zu
-Boden. Da zog ich mein Wurfmesser -- du weißt, ich fehle nicht -- und
-warf's ihm seitwärts in den Kopf. Es traf: es blieb stecken. Aber er
-fiel nicht! Vorwärts sprang er gegen mich und -- ich sterbe. Flieh,
-Zwentibold! Es ist der Teufel!« Und er fiel um und war tot.
-
-Zwentibolds geübtes Auge ersah, daß er die Flucht seines zersprengten
-rechten Flügels nicht hemmen konnte. Rasch entschlossen befahl er
-seinem Mitteltreffen, vorzurücken und die Fliehenden hinter sich
-vorüber fluten zu lassen, wohin sie wollten.
-
-Er warf einen Blick nach vorn, überzählte die geringe Schar der
-deutschen Reiter, fand, daß von den Seinen immer noch genug in Ordnung
-standen, sofort vorgeführt zu werden, und befahl mit gellendem Hornruf
-den Vorstoß. Jetzt erst zog auch er den krummen Säbel. »Nun hat's
-Sinn, daß auch der Feldherr ficht,« rief er Berengar zu. »Drauf, meine
-Brüderlein! Wir sind immer noch fünf gegen einen. Werft den Bischof
-dort und seine paar Reiter und euer ist die reiche Stadt. Plündert sie
-und brennt sie nieder!«
-
-Ein gellendes Geheul -- wie von Rudeln hungriger Wölfe -- ward ihm
-zur Antwort. Vorwärts sprengten und rannten die Wenden und da die
-Deutschen, die neue Wendung erkennend, im selben Augenblick anritten,
-prallten beide Scharen sofort zusammen. Gewaltig war der Stoß. Gab den
-Deutschen die Wucht der Hengste und der Waffen großen Vorteil, -- voll
-aufgewogen ward er durch die starke Übermacht der Wenden. Ein wildes,
-heißes Ringen auf der Straße: -- nach Osten, die Hügel aufwärts, gab
-es kein Ausweichen für die Gäule -- so drängte alles von der Mitte
-nach Westen gegen den Fluß hin: da stürzten die Rosse und die Reiter
-und die Fußknechte der Wenden, oft, wie Käfer, aneinander zu Klumpen
-geballt, in dichten Massen hinunter auf die Wiese. Zwentibold merkte,
-daß dort die Seinen schwere Verluste litten; er bahnte sich den Weg
-hierher; Berengar war dicht hinter ihm. Beide ersahen an der Spitze
-der Deutschen hier einen Gewaltigen auf weißem Roß, der mit sausenden
-Streichen seines langen Schlachtschwerts hoch von oben herab die
-Fußknechte wie Mohnköpfe niedermähte. »Der Bischof!« riefen beide wie
-aus einem Munde. Und alsogleich fielen sie beide ihn an.
-
-»Schaut links, Herr Heinrich!« schrie Hellmuth und fing mit dem Schild
-einen sehr starken Säbelhieb Zwentibolds, während Fulko mit dem
-Schwert einen Speerstoß Berengars zur Seite schlug, daß der Schaft
-zersprang. Aber da stürzte, von dem Lanzenstoß eines Fußknechts
-getroffen, Fulkos Rappe und begrub den Reiter unter sich. Sofort riß
-Berengar das Schwert aus der Scheide und hieb auf Herrn Heinrich ein.
-Aber der -- nun gewarnt -- schwang ausholend mit aller Kraft -- denn
-er war jetzt sehr zornig! -- die Klinge hoch in die Luft und hieb ihm
-den Schwertarm samt Hand und funkelndem Schwert hart an der Schulter,
-gerade wo er aus der Brünne trat, so säuberlich ab, als wär' er
-niemals dort angewachsen gewesen. Aufbrüllend vor Schmerz schlug der
-Verstümmelte rücklings aus dem Sattel.
-
-Allein nun warf sich Zwentibold auf den Bischof.
-
-Seines bisherigen Gegners Hellmuth, mit dem er blitzschnelle
-funkensprühende Hiebe getauscht, hatte er sich soeben entledigt, indem
-er des Gegners Roß durch einen tückischen Hieb über die Vorderbeine zu
-Fall gebracht. »Hierher, Brüderlein! Alle zu Hauf! Auf den Bischof! Auf
-den Schimmel!« schrie er.
-
-
-IX.
-
-Und nun wäre Herr Heinrich -- bei aller Kraft des Armes und aller
-Tapferkeit des Herzens -- doch verloren gewesen. Blandinus, der ihm
-beispringen wollte, stürzte, aus nächster Nähe von einem Wurfspeer
-mitten auf die Brünne getroffen, aus dem Sattel. Der nächste der
-bischöflichen Reiter, der den Schild über seinen Herrn hielt, ward
-von Zwentibold über das Gesicht gehauen; und während Herr Heinrich
-alle Mühe hatte, sich der raschen Doppelhiebe des Fürsten zu erwehren,
-erschaute er die spitzen Speere von vier Fußknechten gegen sich und
-sein schon mehrfach verwundetes Roß gezückt. Er sah den Tod vor Augen.
-»O Heilfriede!« dachte er noch, »Gott sei mir gnädig!«
-
-Aber da ergellte ein wilder Schrei vieler Feinde von seiner linken
-Seite: -- er verstand die Worte nicht: -- jedoch auf einmal sah er von
-der Anhöhe des Weinbergs zu seiner Linken in gewaltigem Satz auf die
-Straße herabspringen eine Hünengestalt -- und eine furchtbare Waffe
-schmetterte nieder auf das Roß Zwentibolds. »Hilf, Woden!« scholl es
-nun ganz nah an seiner Seite, und der Ankömmling schlug mit einem
-zweiten Streich den nächsten Lanzenknecht nieder. Die drei andern
-ließen zwar noch nicht ab: sie packten des Bischofs Roß am Zügel
-und zielten auf den Reiter mit den Speeren. Aber dem einen fuhr mit
-wütendem Gebell ein grauer Wolfshund an die Kehle und gleichzeitig
-fielen die beiden andern vor den hochgeschwungenen Schwertern Hellmuths
-und Fulkos, die sich inzwischen unter ihren Gäulen hervorgearbeitet
-hatten.
-
-Jedoch auch Zwentibold stand schon wieder, katzenbehend, auf seinen
-Füßen und wollte -- zum drittenmal -- Herrn Heinrich anfallen. Allein
-er kam nicht dazu.
-
-»Halt, Schwarz-Riese: -- du bist mein. Hilf, Woden!« scholl es ihm
-entgegen und Rado hob den furchtbar wuchtigen Schürbaum. -- Der Slave
-duckte sich, sprang zurück und kauerte hinter einem toten Gaule nieder
-auf den Boden. »Warte, Langer, du kommst später. Dein Bischof hat
-den Vortritt.« So zischend nahm er den Säbel zwischen die Zähne, riß
-ein kleines, kaum fingerlanges Messer aus dem Wehrgurt, faßte das
-Hornheft mit nur den ersten drei Fingern der Rechten und warf die dünne
-Klinge gegen Herrn Heinrich. Schwirrend, pfeifend durchschnitt sie
-die Luft -- und traf. Gerade, wo zwischen dem Halsrand der Brünne und
-dem Sturzrand der Sturmhaube eine schmale Lücke klaffte, oberhalb des
-Schlüsselbeins, drang die scharfe Spitze in den Hals. Der Getroffene
-glitt langsam nach rückwärts aus dem Roß, das Schwert aber ließ er
-nicht aus der Faust.
-
-Hellmuth und Fulko fingen den Sinkenden auf.
-
-Gleichzeitig aber sprangen Rado und Zwentibold widereinander, beide in
-tödlichem Haß, nicht sich zu decken, nur zu treffen bedacht. -- Und
-beide trafen. Dem Alten hatte die geschweifte Säbelklinge die dicke
-Sturmhaube aus dreifachem Wolfsfell durchschnitten und war noch tief in
-den Schädel gedrungen: -- dem Slaven aber war die schwarze Pelzmütze
-und der schwarze Kopf in Eins zusammengeschlagen.
-
-Das waren fast die letzten Streiche, die geschlagen wurden in diesem
-Gefecht. Denn die Söldner auf der Heerstraße entscharte der Schreck,
-als sie den Führer fallen sahen, dem sie blind in abgöttischem
-Vertrauen zu folgen so lange gewohnt waren. Ohne ihn zu kämpfen, waren
-sie nicht fähig.
-
-Zugleich trafen nun von Osten, von den Höhen und Halden herab, jene
-Bürger ein, die unter Rados Führung den rechten Flügel der Wenden
-zersprengt hatten. Sie fielen den auf den Wiesen westlich von der
-Straße noch im Gefecht mit Gerichos Schar ausharrenden Feinden in den
-Rücken und nun floh alles, was noch fliehen konnte zu Roß und zu Fuß
-eilfertig flußaufwärts, eifrig verfolgt von den Siegern.
-
-Das sah noch Herr Heinrich, den seine Ritter unter einer alten Eiche,
-die am Wege stand, gebettet hatten. --
-
-Er sah's mit strahlenden Augen und faltete die Hände um den Kreuzgriff
-seines blutigen Schwertes: »Herr Gott,« sprach er, »dich loben wir.
-Sieg! Sankt Burchhards Stadt gerettet! Nun will ich gerne sterben. --
-Und seht -- seht dorthin, meine Freunde! Dort im Osten flammt es lohend
-auf! Das -- das sind die Flammenboten -- das sind die Cherubim des
-Herrn, der zum Gericht herniedersteigt.«
-
-»Nein!« jubelte Fulko laut aus voller Brust, mit erhobenem Schwerte
-deutend. »Das ist Sonnenaufgang! Mitternacht muß ja längst vorüber
-sein! Wir dachten nur nicht dran im Drang des Kampfes! Vorüber ist der
-gefürchtete Tag -- und die Welt: -- sie steht noch! -- Es war ein Wahn!
--- Herr Gott, wir danken dir aus tiefster Seele! Nein, du wolltest sie
-nicht vernichten, deine alte, liebe, schöne Welt!« Und er warf sich auf
-die Kniee und hob dankend, frohlockend, beide Arme gen Himmel.
-
-Da fiel der erste Strahl der Sonne über die Höhen auf sein Antlitz:
-trillernd stieg aus den Wiesen eine Heidelerche in den noch grauen
-Himmel. --
-
-Und Hellmuth und Blandinus und alle, die nicht die Wunde hemmte, thaten
-desgleichen, warfen Schwert, Speer und Schild von sich, und aus vielen
-hundert Kehlen in die dämmernde Morgenfrühe hinauf -- deutsch und
-lateinisch durcheinander -- klang der alte Lobgesang:
-
- Gnade, du, nicht in Zeit ~Nunquam resolvitur,~
- Nein, in Unendlichkeit, ~Nunquam revolvitur~
- Immer erneut: ~Credens in te:~
-
- Herr Gott, wir danken dir, ~Gratias agimus,~
- Herr Gott, dich loben wir ~Gratias canimus~
- Ewig wie heut! ~O domine!~
-
-
-
-
-Sechstes Buch.
-
-
-I.
-
-Prachtvoll ging die Sonne des jungen Tages auf über dem Mainthal: der
-Himmel strahlte in wolkenloser Bläue: auf wieviel Glück und Freude sah
-er hernieder!
-
-Viele Tausende von Menschen, die mit Entsetzen, mit Furcht vor schwerer
-Strafe durch den allwissenden Richter die Mitternacht herangewacht
-hatten, lagen nun auf den Knieen und priesen, unter strömenden Thränen,
-die oft von seligem Lächeln, ja von lauten Jubelrufen unterbrochen
-wurden, die Gnade des großen, des barmherzigen Gottes, der seinen
-Geschöpfen nach wie vor die süße Lust des Atmens belassen und vergönnt
-hatte.
-
-Wo heute in Würzburg nahe der Brücke der stattliche
-»Vier-Röhren-Brunnen« steht, da scharen und verweilen sich am Morgen
-und am Abend gar gern die Mägde, nachdem sie das Wasser in ihre auf
-dem Rücken getragenen »Butten« geschöpft haben. Gar oft läuft die
-Butte über, weil zwar sie mit Wasser gefüllt ist, aber noch nicht das
-harrende Mägdelein mit den Neuigkeiten -- meist nicht so lauterer
-Art wie Brunnenwasser! -- welche ihr die Nachbarsmagd, die Freundin,
-zuträgt; oder mit den Koseworten, die ihr der schon lang hier ihrer
-wartende Schatz zu sagen hat.
-
-Damals schon war an derselben Stelle ein tiefer Ziehbrunnen gegraben,
-der reichlich Wasser spendete: ein paar Lindenbäume standen im Kreis
-um das runde Gemäuer aus rotem Sandstein herum und in den Ästen eines
-derselben war das Holzbild Sankt Kilians, in grellsten Farben gemalt,
-unter einem vorspringenden dreieckigen Schutzdach angebracht.
-
-Dieser Brunnen und seine schattige und zugleich geweihte Umgebung war
-auch damals schon ein Lieblingsort der Würzburger, die schon damals
-erstaunlich viel über sich selbst -- und zumal über andere Leute! --
-zu plaudern hatten; hier und auf den Stufen, die zu der nahen Brücke
-hinanführten, drängten sich die Leutchen zusammen, wann es etwas zu
-erzählen gab. Und es gab immer etwas zu erzählen zu Würzburg, obwohl
--- streng genommen -- nicht gerade sehr viel dort, in der frommen und
-weinfrohen Stadt, sich zu ereignen pflegte.
-
-Aber heute, -- am fünfundzwanzigsten des Brachmondes des Jahres
-eintausend, -- da gab es allerdings einiges zu erzählen! Und es ist den
-Würzburgern von damals kein Vorwurf daraus zu machen, daß sie diese
-Gelegenheit, sich einmal auszusprechen, sich nicht entgehen ließen,
-sondern recht ergiebigen Gebrauch davon machten. Das wichtigste von
-allem war ihnen, daß sie überhaupt noch vorhanden waren; auf diese
-erfreuliche Thatsache kamen sie immer wieder zurück.
-
-Um den Brunnen und auf den Stufen der Brücke und auf dieser selbst
-wogte eine mächtig bewegte Menge, Männer, Weiber und Kinder, Bürger,
-Geistliche, Mönche, Reisige des Bischofs -- alles durcheinander. Es
-litt die Menschen nicht in der Einsamkeit, nicht in den engen Häusern:
-das Gemüt, von so gewaltigen, widerstreitenden Eindrücken der Furcht,
-des Grauens, der aufatmenden, aufjauchzenden Erlösung durchzittert,
-suchte nach dem Ausdruck seines aufs tiefste erregten Innern. So liefen
-denn die Leute überall zusammen und wurden nicht müde zu reden von
-der überstandenen Angst, von dem wilden Kampf mit den Wenden, von der
-Gewißheit der Errettung. Zumal auf der Mainbrücke standen die Menschen
-dicht gedrängt, sahen flußaufwärts und flußabwärts und hinan zu der
-ragenden Burg und freuten sich, daß sie noch lebten, und zeigten
-einander, wie schön und freundlich alles sei, die bewaldeten Hügel und
-die rebenbewachsenen Gelände und der helle glitzernde Sonnenschein auf
-dem lieben alten Main! So schön, meinten sie wohl, sei's noch gar nie
-gewesen in der trauten Heimat. --
-
-»Nun,« sprach einer der jungen Bürger, -- dem alten Bezzo auf die
-Schulter klopfend, »gar manchem kamen die Wenden zum Verderben, aber
-Euch kamen sie zur Erleuchtung.« »Und mir zum Glück« rief Gericho, sein
-Liebchen um die Hüfte fassend. »Freilich,« lächelte Rosbertha, sich an
-ihn schmiegend. »Sonst hätt' der Vater nie eingesehen, wieviel mehr du
-wert bist als der dicke Spedilo mit all seinem Gelde.« »Nun ja,« rief
-Bezzo gutgelaunt, »wie konnt' ich glauben, daß mein bester Freund ein
-solcher Tropf ist? Wir standen nebeneinander auf der Wiese gegen die
-wendischen Reiter: -- im ersten Anlauf ritten sie uns über den Haufen!
--- ich lag unter einem erstochenen Gaul, der mich schier zu Tode
-drückte. Da lief Spedilo an mir vorbei.« »Nach Hause!« lachte Gericho,
-unterbrechend. -- »›Hilf mir, Nachbar,‹ keuchte ich, ›hilf mir hervor.
-Ich ersticke.‹ Was antwortete mir der Lump? ›Schad' nicht! Erstickt ist
-auch gestorben.‹ Und lief weiter. Aber dieser wackre Bursche da -- oft
-gab ich ihm zu Unrecht harte Namen! -- er sah mich von fern, brach sich
-Bahn mitten durch die Wenden, riß mich unter dem Roß hervor, deckte
-mich mit seinem Leib und -- rettete mein Leben.« »Ja, und Hieb und
-Stich traf ihn dabei,« klagte Rosbertha zärtlich. »Bah, Kopf und Herz
-und auch beide Arme blieben ganz,« lachte Gericho, umschlang und küßte
-sie.
-
-»Aber sagt,« forschte der Alte, »noch weiß ich immer nicht -- wir
-standen ja am weitesten rechts ab -- wie kam es denn, daß von links
-her der alte Rado -- gerad' noch zu rechter Zeit! -- den Wenden in
-die Flanke brach, mitten aus dem Grafenwald hervor?« »Ja,« erwiderte
-Gericho, »das hab' ich auch nur zum Teil herausgebracht aus den letzten
-Worten, die er mit Junker Hellmuth -- Gott segne seine Klinge! --
-tauschte. Als sie den Herrn Bischof auf den Schild gelegt hatten,
-kniete Herr Hellmuth -- ich kam gerade dazu -- neben dem Alten nieder
-und wollte seiner Wunde pflegen. Da sprach der: ›Laßt's gut sein! Ich
-fahre zu Ihm! Dem Sieghelfer. Gut hat er diesmal geholfen. Lange,
-lange harrte ich auf Euch, Junker, an der beredeten Stelle, -- Ihr
-kamt nicht --‹« »Versteh' ich nicht,« meinte Bezzo. -- »Versteh's
-auch nicht. Aber der Junker verstand ihn; er antwortete: ›Mich führte
-höhere Pflicht in die Stadt zurück.‹ Und Rado fuhr fort: ›Plötzlich
-entbrannte tief unter mir -- auf der Straße, -- bald auch neben mir
-in den Weinbergen der Kampf. Ich sah -- wie wir's vorausgeschaut
--- die schwarzen Scharen von Süden gen Norden vorstürmen: -- immer
-mehr Raum gewannen sie! -- Da lief ich zu den Bürgern, nördlich von
-mir, die in den Weinbergen nur noch schwer standhielten, raffte ein
-Häuflein, das mir gern folgte, zusammen, eilte mit ihnen in den Wald
-und auf Pfaden, die nur dem Luchs, mir und noch Einem bekannt, führte
-ich sie den Unholden in Flanke und Rücken. Und Woden half: er that
-das übrige.‹« »Woden!« flüsterte Rosbertha und bekreuzte sich, »den
-darf man gar nicht nennen.« -- »Der Junker und ich sahen wohl, daß
-der Alte dem Tode nahe sei: denn er redete nun ganz wirr: daß er den
-Schwarzen, den Rauchriesen nun doch glücklich erschlagen habe. -- Und
-der Junker erfüllte die letzte Bitte des Alten, daß er nicht, wie alle
-Verwundeten, in die Stadt gebracht werden solle -- auch die Feinde,
-so hatte der Herr Bischof noch befohlen -- zur Heilung und, falls sie
-stürben, zur Bestattung: -- sondern vier Bürger trugen Rado auf seinen
-Wunsch an den Main hinab unter die alte Rabenesche. Sein grauer Hund,
-aus tiefer Wunde blutend, wich nicht von seiner Seite.«
-
-»Da schaut!« rief Rosbertha. »Wer fährt dort davon -- gegen das Ostthor
-hin -- in dem Wagen, -- dem leinwandüberzogenen?« »Das ist Isaak,
-der Jude,« antwortete Bezzo. »Aber Vater, er ist ja getauft,« mahnte
-Rosbertha. -- »Bah, scheint nicht geholfen zu haben auf die Dauer.«
-»Wieso?« fragte Gericho. »Er fehlte nie in der Dommesse.« -- »Wohl!
-Aber jetzt -- wißt ihr's noch nicht!« »Nein! Was denn?« fragten viele
-Stimmen zugleich. »Heute früh,« erzählte Bezzo, »kam seine Mutter zu
-meinem Röschen da --« »Die wackre Frau!« rief das Mädchen. »Hat mir oft
-die frühverstorbene Mutter ersetzt.« -- »Und teilte ihr mit, sie und
-ihr Sohn verließen für immer die Stadt, ja sogar das Reich. Sie gingen
-nach Jerusalem. Ihr Sohn ... --« »Er war oft recht wenig freundlich
-gegen sie!« schalt Röschen. -- »Ja, aber jetzt sei er ganz lammfromm
-und so voll Ehrfurcht und Gehorsam gegen seine alte Mutter! Und die
-Alte übergab meiner Tochter eine Schrift: für den Herrn Bischof -- es
-kann ja niemand zu dem Sterbenden! -- darin verschenkt Renatus seinen
-Hof in der Stadt und alles, was drin steht und liegt: aber an wen?
-Nicht an die Heiligen, nicht an seine Glaubensgenossen, die Christen!
-Nein! Der Herr Bischof soll alles verkaufen und der Erlös soll eine
-Stiftung werden zur Unterstützung armer -- Juden in Stadt und Bistum.
-Da grüßt die Alte nochmal mit der Hand aus dem Wagen! Nun, gute Fahrt
-nach Jerusalem!«
-
-»Ob der Herr Bischof das wohl so ausführt?«
-
-»Gewiß! Wenn er mit dem Leben davon käme. Aber ...« -- »Man sagt, es
-steht sehr, sehr schlecht!« -- »Ja! Das Messer, das seinen Hals traf,
-soll vergiftet gewesen sein. Er muß sterben!«
-
-»O der arme, brave Herr!« klagte Rosbertha. »Der herrliche Held!« rief
-Gericho. -- »Seine beiden Junker pflegen ihn.« -- »Und Herr Blandinus.«
--- »Nein. Der liegt selber wund danieder.« -- »Wo? Im Bischofshause?«
--- »Nein! Bei Wartold draußen. Er eilte, sowie der Bischof
-zurückgebracht war, dorthin. Der Knecht Wartolds erzählte es mir, der
-in die Stadt lief, einen Arzt zu erbitten von den grauen Mönchen.« »Ja,
-ja,« lächelte Röschen. »Der Junker strich immer hinter der runden Runel
-drein.« »Blandinus kam eilends, um zu sehen, was aus ihr geworden,«
-fuhr Gericho fort. »Als er sie heil und unversehrt fand, atmete er tief
-auf und brach zusammen. Er hat sich in dem Strauß -- hätt's ihm nicht
-zugetraut! -- manchen Hieb und Stoß geholt. Nun liegt er draußen in dem
-Gärtnerhaus und die schlimme Runel pflegt ihn und weint dabei, daß ihr
-die hellen Thränen über die dicken Backen laufen und Schnufilo -- sonst
-eben nicht sein Freund! -- leckt ihm die Hände. So erzählte der Knecht,
-selbst voll Staunen. Ja, ja! es hat sich gar manches gewendet mit der
-Sonne in dieser Sonnwendnacht.«
-
-»Aber sagt,« fragte Bezzo, »wie konnte es nur geschehen, daß die Leute
-in dem Gärtnerhof verschont blieben, während doch die Wenden ... --?«
-»Da kommt der alte Wartold selbst!« rief Gericho. »Mit einem großen,
-wunderschönen Strauß von Lilien,« sprach das Mädchen. »Kommt, Vater
-Wartold, Ihr seid müde. Man sieht's an Eurem Schritt. Setzt Euch ein
-wenig zu uns, hier, auf den Brunnenrand. Wir rücken zusammen. Erzählt
-uns doch, wie es Euch ergangen. Ihr seid gar seltsam bewegt.«
-
-
-II.
-
-»Dank euch, danke, gute Leute,« erwiderte der freundliche Greis,
-mit dem sanften, rosigen Gesicht, vom weißen Haar umwallt. »Bewegt!
-Ja, liebe Nachbarn! Welch Gemüt soll da nicht bewegt sein, bei so
-wunderbarer Führung durch den Herrn? Den Bruder hab' ich diese Nacht
-verloren und die alte Großmutter: und doch hab' ich Gott für reiche
-Gnade zu danken.« »Erzählt, erzählt!« drängten alle. »Ja, ja,« begann
-er langsam. »Wunderbar sind die Dinge verlaufen in dem kleinen
-taubenumflatterten Haus. Es war schon fast dunkel geworden, da sprach
-ich zur Großmutter: ›Mutter Ute, gebt mir Urlaub, mir und dem Kind
-Fullrun.‹ ›Wohin, mein Sohn?‹ fragte sie. ›Die Stunde des Gerichtes
-naht. Wir wollen sie doch miteinander erwarten und erleben.‹ ›Gewiß!‹
-tröstete ich. ›Lange vor Mitternacht sind wir zurück. Ich habe noch
-eine dringende Arbeit.‹ ›Aber Wartold!‹ mahnte die Gute. ›In ein paar
-Stunden ist alle Menschenarbeit zunichte, und ihre Frucht vergeblich.‹
-›Nicht die meine, Mutter,‹ erwiderte ich. ›Sieh, unsere Lilien hier
-im Garten sind verblüht und versengt vor der Zeit. Es war gar so heiß
-in diesen letzten Tagen und so trocken hier oben und staubig neben
-der großen Straße. Ich gehe hinunter an den Fluß und hole frische aus
-meinem Neugarten dort. Soll ich die Stirnen der Seligen mit welken
-Lilien schmücken? Für meine Friedlindis ist nur das Schönste schön
-genug.‹ In dem weit abgelegenen Neugarten angelangt mit dem Kinde,
-konnt' ich mich lange nicht trennen von meinen Blumen, geraume Zeit,
-nachdem ich die schönsten ausgesucht und geschnitten. Auch die ich
-stehen ließ, sprengte ich -- zum Abschied! -- noch mit Wasser aus dem
-Fluß.
-
-Als ich nun mit meiner Arbeit zu Ende war und allmählich an die
-Rückkehr dachte, da loderte in der Ferne südlich von unserem Höflein
-eine rote Flamme in den dunkeln Nachthimmel: bald folgte, immer näher
-rückend, der Heerstraße entlang, eine zweite, dritte: und während wir
-noch zagend berieten, was das zu bedeuten habe, drangen auch schon von
-der Stadt her die Waffenrufe der Wächter auf den Walltürmen, ja bald
-auch von der Straße her verworrener Lärm, Schreien, Waffenklirren an
-unser Ohr. Erschrocken barg ich mich und vor allem mein holdblühendes
-Kind in den dichten Gebüschen des Gartens: -- denn daß hier Räuber und
-Feinde drohten, war mir bald klar: ich dachte es seien die schlimmen
-Bauern! -- Hier lauschten wir, bis der Lärm, der unverkennbare, eines
-scharfen Kampfes vertoset war: jetzt erst wagte ich -- immer noch
-sehr vorsichtig -- den Rückweg einzuschlagen. Wir trafen unseren
-Hof unversehrt: so weit waren die Wenden nur auf ganz kurze Zeit
-vorgedrungen, wir fanden bloß die Spuren weniger Rosse im Sandweg des
-Gartens, der alten Frau thaten sie nichts zuleid.« »Aber wehe, trafen
-sie Fullrun!« rief Gericho. -- »Das nächste Haus, etwa dreihundert
-Schritte weiter südlich, stand in hellen Flammen: wie staunten wir,
-als wir die blinde Frau auf der Schwelle aufrechtstehend fanden: ihr
-weißes Haar flog im Nachtwind: sie wies mit der ausgestreckten Rechten
-auf die rote Flammensäule und rief: ›Seid ihr endlich zurück? Ich
-erwarte euch schon solange. Sehet ihr, sehet ihr? Alles erfüllt sich
-wie mein Konrad gesagt. Der Tag des Gerichts, der Tag des Herrn ist
-angebrochen. Hörtet ihr nicht das Gefecht? Und die Drommeten der Engel
-des Herrn? Ich hörte sie vorbeirasseln auf ihren Rossen, hörte ihre
-Waffen klirren: sie haben gekämpft gegen die Unholde des Abgrunds:
-grell schrillte deren Geschrei -- wie einst der Hunnen! -- in mein Ohr:
-sie waren schon ganz nah: -- ich meine, ich hörte sie im Garten. Die
-Teufel sind geworfen und geflohen. -- Dort aber -- dort -- von wo der
-Rauchqualm herweht -- dort -- ich seh' es mit den Augen der Seele! --
-da nahet in flammenden Lohen, im weißen Gewande der Seligen mein Kurt,
-das Mägdlein trägt er -- wie damals -- auf dem Arm! Er holt mich! Er
-winkt! Er ruft mir. Ich komme. Du hast wahr gesprochen: im Sterben
-seh' ich dich wieder. Ich komme.‹ Und sie sank, ein selig Lächeln um
-die Lippen, zurück in meine Arme und war tot.« Und er weinte bittre
-Thränen, der alte Mann.
-
-»Welch schöner Tod!« schluchzte Rosbertha, sich an ihren Schatz
-schmiegend und die Augen wischend.
-
-»Die schönsten meiner Lilien wand ich um ihre Stirn. Diese hier bring
-ich dem guten Herrn Bischof -- ach! für seinen Dom waren sie bestimmt:
--- nun werden sie wohl seine Totenbahre schmücken.« »Und was ist mit
-Eurem Bruder?« fragte Gericho. »Der Knecht erzählte -- ist es wahr? ...
-er ist nicht gefunden worden unter der Rabenesche?« »Es ist so,« nickte
-Wartold. »Weder er noch Giero, sein Hund! Ihr wißt, der Baum steht nahe
-dem Fluß: -- es schien auch eine Blutspur über die Wiese an das Ufer
-zu führen. Aber vergeblich suchte ich mit dem Knecht und den Nachbarn
-das ganze Ufer ab, vergeblich mit den Mainschiffern -- die kennen
-gut die Wirbel und die Löcher im Bette -- auch den Fluß. Ich wollte
-doch so gern die Leiche in geweihter Erde bestatten, aber wir fanden
-nicht Mann, nicht Hund. Und schon -- gleich nachdem das fruchtlose
-Suchen vorüber war« -- -- er erschauerte und bekreuzte sich. »Nun? was
-geschah?« forschte Röschen in bangem und doch süßem Gruseln. -- »Nichts
-geschah, liebes Kind. Aber die Nachbarn, die Schiffer, alle, die davon
-hören, raunen -- -- --«
-
-»Nun was raunen sie denn? Sagt's doch geschwind!« -- »Ihr wisset, der
-Rabenbaum ist der Sitz -- ist geweiht dem ... --« »Den man nicht nennen
-darf!« warnte das Mädchen und schlug rasch wieder ihr Kreuz. -- »Nun,
-eben dem soll -- sagen sie -- mein armer Bruder längst seine Seele
-geweiht haben. Und der -- sagen sie -- habe ihn geholt, samt seinem
-Hund, ewig mit ihm zu jagen. Ja, ein Schiffer, der sich im Mainschilf
-vor den Wenden verborgen hatte, will gesehen haben, wie noch vor vollem
-Sonnenaufgang zwei Raben --« »O weh!« schrie das Mädchen. »Das sind
-+seine+ Begleiter.« -- »Vom Feuerschein der brennenden Dächer grell
-beleuchtet über das tosende Schlachtfeld hin geflogen sind und auf der
-Esche aufgebäumt haben. So betet manchmal, liebe Nachbarn, betet für
-meines armen Bruders Seele.«
-
-
-III.
-
-In Vertretung des Bischofs hatten Hellmuth und Fulko alle
-erforderlichen Maßregeln getroffen.
-
-Die Toten vor dem Südthor wurden bestattet, die Spuren und Schäden
-des Kampfes nach Möglichkeit getilgt. Hellmuth ritt als Herold,
-einen Drommetenbläser voran, durch die Straßen, verkündete den in
-der Stadt Verbliebenen, zu welchen doch nur wirre, abgerissene Kunde
-der Ereignisse dieser Nacht gelangt war, feierlich das Geschehene
-und forderte alle Burgensen auf, mit Weibern, Kindern, Knechten und
-Mägden in den Dom und in die übrigen Kirchen und Kapellen der Stadt
-zusammenzuströmen, wo überall Dankgottesdienst gehalten werden sollte.
-Sie sollten beten für die Erhaltung ihres tapfern Bischofs, der, ein
-echter Hirte, sein Blut gelassen in Verteidigung seiner Herde, -- und
-den nur ein Wunder Gottes noch vom Tode retten könne.
-
-Es war allbekannt, die kurzen Wurfmesser der Wenden waren vergiftet.
-Und als der Wunde schon während er, von Blut überströmt, auf einem
-breiten und langen Standschilde von sechs seiner Reisigen behutsam in
-die Stadt zurückgetragen wurde, das Bewußtsein verlor, da gaben seine
-Getreuen ihn verloren. Und man wagte doch nicht die tödliche Klinge
-aus der Wunde zu ziehen: man fürchtete, alsdann werde der Bischof, der
-schon sehr viel Blut verloren, sich rettungslos verbluten. Man hatte
-das Lager des bleichen Mannes in dem geräumigsten luftigsten Gelasse
-des Dombaues, der Bücherei, aufgeschlagen: man wußte, sie war -- nach
-dem Waffensaal, aus dessen Vorräten die Bürger waren ausgerüstet
-worden -- der Lieblingsaufenthalt Herrn Heinrichs gewesen. Wie viele
-Nachtstunden hatte er hier durchwacht, den schweigenden Gang der Sterne
-verfolgend, ein stiller, einsamer Mann, »wachend und betend« und doch
-gar oft »in Anfechtung fallend«!
-
-Der Wunde fand die volle Besinnung nicht wieder: auch nicht, als er
-sanft von dem Schild herab auf ein Pfühl in der Bücherei gelegt wurde;
-wohl war es ihm einmal, gleich beim Eintritt in die Stadt -- noch
-unter dem Thorbogen -- gewesen, als beuge sich ein bleiches, schönes
-Frauenantlitz auf ihn herab, als fühle er eine leise Berührung ihres
-Mundes: -- dann hatte er eine große, große Erleichterung des Atmens
-verspürt -- aber er sagte sich gleich selbst, das sei ein Gebilde
-seiner Träume, des Wundfiebers.
-
-Lange, lange Zeit lag er so. --
-
-In dem Bischofshause sammelten sich, nachdem die weltliche Arbeit des
-Tages erledigt und der schuldige Dank dem Himmelsherrn dargebracht
-war, die nächsten Zugehörigen des wunden Mannes. Es waltete nicht nur
-in der Bücherei, auch in den andern Räumen des Hauses jene bange,
-atemverhaltende Stille, welche die Sorge um das Leben eines geliebten
-Kranken verbreitet; wer einmal ihren beengenden Druck lasten gefühlt
-auf der Seele, vergißt sein nie mehr.
-
- * * * * *
-
-In einem Vorsaale der Bücherei saßen Hand in Hand die beiden
-Liebespaare: sie sprachen in bangem, leisem Flüsterton.
-
-»Wie traurig!« klagte Fulko. »Wir andern alle dürfen uns der
-geschenkten Welt erfreuen. Ist es doch, als habe Gott der Herr die Erde
-zum zweitenmal für uns geschaffen! und nur Er -- der Beste von uns
-allen! -- soll sich nicht mit uns des gesicherten Daseins erlaben.«
-»Ja, aber, Liebster,« koste Minnegard, verschämt das Köpflein an
-seiner Schulter versteckend. »Nun steht die Welt immer noch! Und die
-Welt und alle Leute werden schelten: -- -- -- es ist schreckbar, +wie+
-sie alle schelten werden! Und wenn sie erst +alles+ wüßten, wie der
-liebe Gott es weiß, dann würden sie gar nie mehr aufhören!«
-
-Fest sah Edel dem Geliebten in die Augen: »Ich sage der Welt und dem
-Herrn Bischof, bevor er stirbt, alles. Und fürchte mich nicht.« Er
-drückte schweigend ihre Hand.
-
-»Ja, das ist keine Kunst, streng Schwesterlein,« lächelte die Braune.
-»Erstens hat der Herr Bischof dich nie zur Nonne bestimmt: -- was
-will er Besseres für dich als einen Eheherrn wie dieser junge Ritter
-Georg? Und zweitens« -- sie stockte, sie errötete, und schmiegte das
-Haupt wieder an die Brust des Geliebten. »Nun, was, mein Liebling?« --
-»Kann's nicht sagen.« -- »Nur mir ins Ohr -- ins Herz vielmehr.« --
-»Die andre hat wohl nicht soviel zu gestehen: -- oder doch im stillen
-zu bereuen: nein,« brach sie leidenschaftlich aus, »nicht soviel zu
-bereuen, nein, selig zu bejubeln!« Und sie küßte ihn heiß auf den Mund
-und umschlang seinen Nacken mit beiden Armen.
-
-
-IV.
-
-Schon fielen sie seitlich ein, die Strahlen der sinkenden Sonne des
-langen, langen Sommertages durch die Öffnung des Bogenfensters: --
-der dunkelgelbe Vorhang war zurückgeschlagen --: ein goldiger Streif
-spielte auf dem dunkelfarbigen Kopfpolster und berührte das bleiche
-Antlitz des stillen, blassen Mannes: -- da holte der auf einmal tief
-und voll Atem und schlug die Augen weit auf.
-
-»Wo bin ich?« fragte er matt. »Nicht im Sarg! Nein. Es ist hell.
-Nicht im Jenseits -- nein -- das ist -- was da hängt -- o Gott! es
-ist mein Schwert! -- Ringsum die Wände -- meine Bücherei. Ja, ja! Die
-Welt steht! Mitternacht war ja auch schon vorbei. Gott -- ich danke,
-daß du die Heiden von der Stadt gewehrt -- ich sah sie fliehen! --
-nun will ich gern sterben.« »Nein, Herr Bischof, nicht sterben. Leben
-sollt -- leben +werdet+ Ihr jetzt,« sprach da eine wunderliebliche
-Stimme und über ihn neigte sich ein sanftes bleiches Antlitz und zwei
-Thränen fielen auf seine Wangen. »Heilfriede! Nein, das war diesmal
-kein Traum. Und wir sind nicht gestorben -- beide?« Sie schwebte leise
-an die Thüre des Vorsaals und winkte den dort Harrenden, einzutreten.
-»Gestorben? Nein. Gerettet seid Ihr, Herr Bischof!« jubelte Fulko und
-küßte seine Hand. »Gerettet durch diese Frau!« rief Edel. »Das ist gar
-keine Frau,« besserte Minnegard, »das ist eine Heilige.« »Ein Engel auf
-Erden,« schloß Hellmuth. »Und es war auch kein Traum,« lächelte die
-stille Frau, die nun zu seiner Linken kniete und ihm einen Heiltrunk
-reichte, »daß Ihr mich schon vor Stunden gesehen.« »Wir zagten, wir
-verzweifelten ob Eurer Wunde --« begann Fulko. »Wir fürchteten das
-Gift, und wußten -- auch der Klosterarzt nicht -- Hilfe,« klagte Edel.
-»Aber Frau Heilfriede!« fuhr Minnegardis freudig fort. »Weiß Gott, wie
-sie auf einmal, -- schon im Thorbogen -- da war,« rief Fulko. »Sie
-beugte sich sofort über Euch,« ergänzte Hellmuth. »Und obwohl der
-Klosterarzt verbot, das Messer zu entfernen, zog sie es sanft heraus.
-Viel Blut floß nach! Und dann ... Ja dann! Obwohl der Arzt sie warnte,
-es gebe Gift, das nicht nur im Blut, auch im Magen den Tod bringe --«
-»Kein Wort sprach sie,« rief Fulko, »ihren Mund preßte sie auf Euren
-Hals und sog die Wunde aus in tiefen Zügen.«
-
-Da schaute Herr Heinrich verklärten Blickes auf zu der Errötenden; die
-schlug die langen blonden Wimpern nieder.
-
-Nun schloß auch der Wunde die Augen: -- aber er konnte doch nicht
-hindern, daß sie weinten; er griff nach ihrer Hand; sie ließ
-sie ihm willig. »Aber auch ich werde nicht sterben,« sprach sie
-beschwichtigend. »Viele Stunden ist's her. Längst hätte das Gift
-gewirkt. Ich aber -- ich bin ganz wohl. Ach, und ich bin so glücklich.«
--- »Wie ... wie war doch alles ... vorher? Nach unsrer Unterredung?
--- Was hab' ich doch ... dann -- vor dem Gefecht -- noch gethan?« Da
-fiel sein im Saal umhersuchender Blick auf das Räucherbecken. Er stieß
-einen jähen Schrei aus und fuhr empor aus den Decken: er wollte sich
-aufrichten: aber matt sank er zurück. »Um Gott!« stöhnte er. »Nun
-steht die Welt noch! Und ich -- ich Unseliger! Was hab' ich gethan!
-Weh mir! Sankt Burchhards Recht -- den Beweis! -- hab' ich zerstört.
-Die Schenkung ... die Urkunde Kaiser Karls hab' ich verbrannt!« Und
-er hob die beiden geballten Fäuste und wollte sie sich in das Antlitz
-schlagen. Schrecken ergriff die andern: aber zwei weiche Hände haschten
-die Fäuste und zogen sie sanft hernieder auf die Bettdecke: »Daran
-habt Ihr sehr recht gethan, Herr Heinrich,« sprach die herzgewinnende
-Stimme. »Ich wollte Euch gerade bitten, es zu thun. Denn sie war
-falsch.« »Was? Was sagt Ihr?« rief Heinrich. »Unmöglich! Jener ...
-Berengar ... verstand sich scharf auf Urkunden.« -- »Jawohl. Nur allzu
-scharf! Er verstand auch, sie zu fälschen. Gemäß Eurem Gebot ward auch
-er in die Stadt getragen. Ich sah nach seiner Wunde; ich sagte ihm,
-er müsse sterben. Und nun sterbend, in den Qualen des Todes, zitternd
-vor der Hölle, hat er all seine Schuld bekannt und bereut. Er hatte
-mit Zwentibold abgeschlossen: -- er glaubte nicht an das Ende der
-Welt: er wollte die Wenden in die Stadt lassen und Euch ermorden.
-Er starb, nachdem er mir aufgetragen, Euch zu bitten, sein Machwerk
-zu zerstören.« »Ihr wollt mich ...? Nein, dieses Antlitz kann nicht
-täuschen,« rief der Bischof und atmete beseligt auf. -- »Die Schenkung
-Kaiser Karls war falsch: Ihr wart im vollen Unrecht gegen meinen Mann.
-Aber eine andre Schenkung -- eines andern Kaisers -- die ist echt. Eine
-Ersatzurkunde -- für die verbrannte falsche -- ist Euch erworben.« --
-»Ihr ... Ihr habt ...?« -- »Nicht ich. Und nicht aus meiner Hand sollt
-Ihr sie nehmen. Aus einer andern Hand. -- Herr Heinrich,« flüsterte
-sie in sein Ohr -- »der Herr hat so große Gnade an Euch gethan ...« --
-»Durch seinen lichtesten Engel!« -- »Ihr könnt jetzt nicht Groll in der
-Brust tragen.« -- »Nein. Ich vergebe dem toten Fälscher.«
-
-»Auch nicht gegen Lebende Groll. Herr Heinrich: unten im Waffensaale
-steht mein Mann. Er traf bei Sonnenaufgang auf dem Schlachtfeld ein,
-mit dem Aufgebot der nächsten Gaue: -- er hatte von dem Zug der
-Wenden auf Würzburg gehört, war ihnen auf dem Fuße gefolgt und hat
-die Flüchtigen in den Main gesprengt. Er wartet. Er hat Euch was zu
-bringen. Aus Italien. Vom Kaiser Otto. Er selber hat's bewirkt, --
-schon vor vielen Wochen -- und mitgebracht. Es ist was Freudiges!
-Freude wird Euch nicht schaden -- wird Euch gut thun. Darf ich Graf
-Gerwalt rufen?«
-
-Er konnte nur stumm nicken.
-
-»Aber vorher noch,« sprach die ernste Frau jetzt gar holdselig
-lächelnd -- »vor den Staatsgeschäften -- eine Stärkung. Sagt, ihr
-tapfern Junker -- ihr wißt doch sicher, wo hier im Bischofskeller der
-beste Wein liegt?«
-
-Beide waren schon an der Thüre! Die Gräfin und die Mädchen folgten
-ihnen.
-
-
-V.
-
-»Supfo, Supfo!« rief Hellmuth lautschallend durch das Haus. »Wo ist
-Supfo? Wo steckt der dicke Schalk?« »Ich hab' eine Ahnung!« lachte
-Fulko und eilte durch die Vorhalle auf die Fallthüre zu, welche die
-Kellertreppe schloß.
-
-Da ward diese Thüre von unten aufgestoßen und auf der obersten Stufe
-erschien Supfo, ein strahlendes Lächeln auf dem stark geröteten
-hübschen rundlichen Gesicht; auf seiner linken Schulter lag, behaglich
-schnurrend Mucia, die Kluge, in der Rechten trug er einen mächtigen
-erzgetriebenen Krug, aus welchem ein starker, herzerfreuender Duft
-aufstieg.
-
-»Ja Supfo! Wo wart Ihr denn die ganze Zeit?« -- »Da, wo ich hingehöre,
-ihr Gelbschnäbel!« -- »Supfo -- ist es möglich? -- Ihr habt? -- während
-des Untergangs der Welt ...?« -- »Na, ist sie untergegangen?« --
-»Aber sie sollte doch.« -- »Nicht doch! Sie sollte eben +nicht+! Hab'
-ich's euch nicht vorausgesagt? Mucia und ich, wir wußten es besser.«
--- »Aber Supfo! -- Wann seid Ihr denn da hinunter?« -- »Vorgestern
-Abend.« -- »Und die ganze Zeit verschlafen?« -- »Das ist Verleumdung.
-Nur die zweite Hälfte.« -- »Und das Sturmblasen von allen Türmen! Das
-Hinaussprengen der Reisigen, den Auszug und den Einzug? Ihr hättet
-wirklich die Posaunen des Gerichts auch verschlafen.« -- »Haben sie
-geblasen? -- Was ich that in der ersten Hälfte der Zeit? Nun, der
-Griechenwein ist zu Ende. Das ist die Neige -- diesen Vollkrug hab' ich
-für den Herrn Bischof und für euch gespart. -- Wer war nun der klügste
-Mann in ganz Würzburg?« Und er lachte, daß ihm das runde Bäuchlein
-bebte, bis ihm Fulko erzählte, aus welchen Gefahren und Sorgen sie
-sich eben erst geborgen wußten. Da humpelte der Dicke -- unglaublich
-rasch -- die Treppe hinauf und an Herrn Heinrichs Lager und sank dort
-auf die Kniee und weinte, weinte Thränen des Schmerzes und der Freude
-durcheinander.
-
- * * * * *
-
-Während Hellmuth den Grafen Gerwalt aus der Waffenhalle holte, wartete
-die Gräfin mit den beiden Mädchen und Fulko im Vorsaal.
-
-Da trat Minnegard an Frau Heilfriede heran und begann, ziemlich
-kleinlaut: sie schlug die Wimpern nieder -- denn allzu glücklich für
-eine zage Bitte und geheimen Glückes zu süß bewußt leuchteten --
-sie fühlte das -- ihre minneseligen Augen: »Was soll nun werden aus
-... aus uns beiden armen jungen Paaren? Wir hatten uns ganz darauf
-eingerichtet, daß heute nur der liebe Gott, der -- leider Gottes! --
-doch ohnehin alles weiß, mit uns rechten werde können über das, was
-wir Mädchen diese Nacht gethan -- oder doch: erlitten« seufzte sie,
-»und vielleicht nicht ganz heftig genug abgewehrt: -- wer konnte
-aber heute Nacht um Hilfe gegen Entführer schreien? Es hätte doch
-niemand darauf gehört!« Da lachte Fulko. »Mein süßes ... Kind. Deiner
-Mutter Klosterwunsch galt nur für die alte Welt: -- die ist heut'
-Nacht versunken: -- nicht bindet er für die neue, die uns der Herr
-Gott heute geschenkt.« »Das würde der Herr Bischof schwerlich gelten
-lassen,« meinte die Frau Gräfin, drohend den weißen Finger gegen Fulko
-hebend: »aber getrost. Herr Heinrich steht so tief in der Schuld des
-gnädigen Himmelsherrn, --« »Und in der Eurigen,« riefen die drei
-andern. -- »Daß er auch ein Übriges an Güte thun muß -- und wird. Seid
-ganz getrost. Ich -- ich führe eure Sache -- aller vier.«
-
-»Dann ist sie gewonnen!« jubelte Minnegardis, warf sich an ihre Brust
-und küßte sie stürmisch. »Wie sollen wir Euch danken?« fragte Edel,
-tief gerührt. -- »Mein Dank ist -- euer Glück. Ich war auch einmal
-jung. -- Da kommt mein Mann. Nun zu ihm ... zu Herrn Heinrich.«
-
- * * * * *
-
-Am Lager Herrn Heinrichs stand Graf Gerwalt, eine stattliche, mannhafte
-Kriegergestalt in voller Waffenrüstung, nur ein paar Jahr jünger als
-der Bischof, aber sein blondes Haar war weit weniger ergraut. Er hielt
-des Wunden Hand gefaßt und sprach: »Ihr habt mir nicht zu danken.
-Was ich gethan, ich that's nicht Euch zu lieb' -- ich that's fürs
-Reich. Ich kam zu der Einsicht, daß, wie die Dinge hier in der Stadt
-und im Gau nun einmal liegen, Bischof und Graf, auch wenn sie beide
-nicht solche Streitköpfe sind wie wir, auch bei friedfertigem Sinn
--- unablässig in Hader über die Grenzen ihrer Rechte kommen werden,
-kommen müssen. Deshalb hab' ich -- und allerdings auch, weil ich
-den Rothenburger Heinrich als einen Mann kenne, der Land und Leute
-trefflich zu leiten und -- wir haben's diese Nacht wieder erlebt! --
-zu schirmen weiß, bei Kaiser Otto mit Hilfe Eures klugen Bruders, des
-Herrn Kanzlers, durchgesetzt, was fortab -- nun, ich lese Euch seine
-Urkunde vor«; und er ließ sich von Frau Heilfriede ein Pergament
-reichen mit dem großen kaiserlichen Siegel und las:
-
-»In dem Namen der heiligen unzerteilten Dreifaltigkeit Otto der Dritte,
-ein Knecht Jesu Christi und römischer Kaiser, Mehrer des Reichs, nach
-dem Willen Gottes, unsres Seligmachers und Erlösers. Was von unserer
-Majestät zu Erhöhung der Kirchen Gottes und seiner Heiligen gegeben
-wird, das, so hoffen wir, wird sonder Zweifel zur Stätigung unseres
-Reiches und uns zur Freude des ewigen Lebens ersprießlich sein. Darum
-sei kund allen unsern gegenwärtigen und künftigen Getreuen, daß wir
-um Willen der Bitten des ehrwürdigen Erzbischofs und Kanzlers unsres
-Reiches, Herrn Heriberts, auch auf verständige und für des Reiches
-Nutz zuträgliche eindringliche Vorstellung des tapfern Herrn Gerwalt,
-bisher Grafen des Ran- und Waldsassengaues und dazu aus besonderer
-Ehrung der wackern Dienste in Krieg und Frieden, die uns Herr Heinrich,
-weiland Graf von Rothenburg ob der Tauber, nunmehr aber Bischof von
-Würzburg, geleistet hat, diesem Herrn Bischof Heinrich und all seinen
-Nachfolgern zu Ehren des allmächtigen Gottes, Seligmachers der Welt,
-und der kostbarlichsten Martyrer Sankt Kilian, Sankt Coloman und Sankt
-Totnan geweihet haben, geschenkt und gewidmet zwo Grafschaften, genannt
-Waldsassen -- mitsamt Stadt und Weichbild von Würzburg -- und genannt
-Rangau in dem Lande, das man das Morgenfrankenland heißt, gelegen,
-die wir mit allem Zwang, allen Satzungen und unserm königlichen
-Banne, mit Ordnung und Gerichtsbarkeit, nichts ausnehmend von dem
-allen, was die Grafen oder sonst irgend ein Mensch von Herkommen und
-Gewohnheit wegen haben sollen, und dies alles mit aller Nutzbarkeit den
-obgeschriebenen Martyrern zu eigen gegeben und aus unsern Rechten und
-unsrer Herrlichkeit in des ehrwürdigen Bischofs Heinrich und seiner
-Nachfolger Recht und Herrlichkeit gänzlich übertragen haben: nämlich
-in der Gestalt, daß gemeldeter, ehrwürdiger Bischof Heinrich und alle
-seine Nachfolger die vorgenannten Grafschaften wie immer es ihnen
-gefallen wird für und für ordnen, selbst verwalten oder einen andern
-als Grafen damit belehnen mögen, ohne daß wir, unsere Nachfolger oder
-sonst männiglich Eintrag und Widerspruch erheben mögen. Und damit
-diese unsere kaiserliche Übergabe nun und hinfort desto beständiger
-verbleibe, haben wir diesen Brief mit eigener Hand gefestigt und zu
-besiegeln geboten. Gegeben den dreißigsten Tag des Maien, nach der
-Menschwerdung des Herrn im tausendsten Jahr, in der dreizehnten Römer
-Zinszahl, in unseres des dritten Otten Königtum dem sechzehnten und
-unseres Kaisertums im fünften Jahr. Gegeben zu Rom: seliglich. Amen.«
-
-Herr Heinrich reichte ihm die Hand und suchte sein Auge, gewaltig hob
-sich ihm die Brust in tiefem Atmen. Es dauerte geraume Zeit, bis er
-sagen konnte: »Dank! -- Heißen Dank! Und war mir doch geweissagt, ich
-würde nicht sterben, bevor ich meinen schlimmsten Feind erschlagen! Ich
-meinte, das ... war ...« »Nicht ich!« sprach Graf Gerwalt und strich
-ihm über die Stirne.
-
-»Nein! -- Das war ... ein anderer! -- Aber Graf Gerwalt, was wird aus
-Euch?« Heilfriede legte die Hand auf ihres Gatten gepanzerte Schulter
-und sprach mit stolzfreudigem Blick: »Markgraf von Meißen wird er, mit
-herzoglichem Recht und Rang. Der große Held, Markgraf Eckhart, der
-Schreck der Slaven, der Schirmer unserer Marken dort, ist gestorben.
-Mein Mann tritt an seine Stelle. Sobald Ihr vom Lager erstanden seid,
-brechen wir dorthin auf.«
-
-Herr Heinrich nickte: »Er hat's verdient. -- Zwei Grafschaften kann
-ich allein nicht selbst verwalten. Hellmuth soll den Rangau -- Wo ist
-Hellmuth? ah dort! Sieh, Hand in Hand mit Edel? Nun möcht' ich doch
-wissen auch von gar manchen andern noch: von dem Geschicke so vieler
-der mir anvertrauten Seelen -- wie hat all das gewirkt auf ...? -- ach
-auf viele! Und wie kommt es, -- daß Minnegard, -- sie lehnt an Fulkos
-Brust! Ei schlimme Mündel! Berichtet und erklärt!«
-
-»Nein,« sprach Frau Heilfriede sanft, den Finger auf die Lippen legend,
-»heute wird nichts mehr berichtet und erklärt. Es ist genug, fast schon
-zuviel gewesen für einen wunden Mann. Morgen dann -- da uns der liebe
-Gott nicht mehr bedroht! -- morgen ist auch noch ein Tag. Da mögt Ihr
-alles vernehmen: -- wird Euch wohl manches wundern! Aber Ihr werdet mir
-eine Bitte nicht verweigern, Herr Hezilo?«
-
-»Keine, Heilfriede!« -- »Jetzt, Herr Bischof, sprecht Euer Nachtgebet.
-Es wird draußen schon dunkel. Jetzt scheidet ... auch du, mein Gerwalt
--- geht nun alle hinaus. Der Kranke muß ruhen, schlafen.« »Aber er darf
-nicht allein bleiben,« rief Minnegard. »Gewiß nicht! Ich will ...«
-sprach Edel eifrig. »Nein, liebes Kind,« erwiderte die sanfte Frau,
-ihre Wange streichend. »Das ist +mein+ Recht: +ich+ bin doch seine
-älteste Freundin.«
-
-
-
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend
- korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.
-
- Korrekturen (das korrigierte Wort ist in {} eingeschlossen):
-
- S. 36: Schatte → Schatten
- damit der hinter sie fallende {Schatten} die Fische
-
- S. 38: nud → und
- aus der Wunde reißen {und} so taumelte er denn
-
- S. 63: kaum → kann
- so lang und so heiß sie irgend {kann}
-
- S. 87: Zaum → Zaun
- durch eine schmale Lücke im {Zaun} zu entweichen
-
- S. 189: nachhher → nachher
- Soll {nachher} in die Abendpredigt kommen
-
- S. 200: Auswallung → Aufwallung
- In rascher {Aufwallung} des Edelgefühls kam
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Weltuntergang, by Felix Dahn
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- The Project Gutenberg eBook of Weltuntergang, by Felix Dahn.
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-
-
-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Weltuntergang, by Felix Dahn
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-
-
-Title: Weltuntergang
- Geschichtliche Erzählung aus dem Jahre 1000 nach Christus
-
-Author: Felix Dahn
-
-Release Date: June 2, 2016 [EBook #52222]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WELTUNTERGANG ***
-
-
-
-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
-</pre>
-
-
-<div class="transnote">
-<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt.</p>
-
-<p>Im Original gesperrter Text ist <em class="gesperrt">so ausgezeichnet</em>.</p>
-
-<p>Im Original in Antiqua gesetzter Text ist <em class="antiqua">so markiert</em>.</p>
-
-<p>Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am <a href="#tnextra">Ende des Buches</a>.</p>
-</div>
-
-<div class="figcenter">
-<img src="images/cover.jpg" alt="Cover" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<h1>Weltuntergang</h1>
-
-<p class="center larger">Geschichtliche Erzählung aus dem Jahre 1000<br />
-nach Christus</p>
-
-<p class="center">von</p>
-
-<p class="h2">Felix Dahn</p>
-
-<p class="center">Neunte Auflage</p>
-
-<div class="figcenter">
-<img src="images/signet.png" alt="Signet" />
-</div>
-
-<p class="center p2">Leipzig<br />
-Druck und Verlag von Breitkopf &amp; Härtel<br />
-1912
-</p>
-
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<p class="center">Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<p class="center">
-Den Freunden<br />
-<br />
-<span class="larger">Karl Gareis, Lorenz Grasberger,<br />
-Mathias von Lexer</span><br />
-<br />
-und<br />
-<br />
-<span class="larger">Anton Freiherrn von Tröltsch</span><br />
-<br />
-in dankbarem Gedenken gemeinsam zu Würzburg<br />
-verlebter Tage<br />
-<br />
-zugeeignet.<br />
-</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Dem Stift Wirzburg viel Gutes hat gethan<br /></span>
-<span class="i0">Bischof Heinrich, der herrliche Man,<br /></span>
-<span class="i2">Das muß man von ihm sagen!<br /></span>
-<span class="i0">Zwei Grafschaften bracht' er daran,<br /></span>
-<span class="i0">Drei neue Kloster fing er an<br /></span>
-<span class="i2">Zu bauen bei seinen Tagen:<br /></span>
-<span class="i0">Neumünster, Haug und Sankt Stephan,<br /></span>
-<span class="i0">Darin des Gottesdienstes pflagen<br /></span>
-<span class="i2">Viel fromme Chorherrn sonder Wahn:<br /></span>
-<span class="i0">Sankt Benediktus Ordensban<br /></span>
-<span class="i2">Thäten's alle jagen.«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p class="right">
-Alter Spruch.
-</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p class="center">In ew'ger Gegenwart steht alles Leben.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h2 id="Vorbemerkung">Vorbemerkung.</h2>
-</div>
-
-<p>Die Gedichte, welche <em class="gesperrt">Gedanken</em> und <em class="gesperrt">Namen</em> &ndash;
-<em class="gesperrt">beides</em> &ndash; nachfolgender Erzählung tragen, sind bereits
-1868 entstanden, 1873 in der ersten Auflage der zweiten
-Sammlung meiner Gedichte (Stuttgart, J. G. Cotta) zuerst,
-zuletzt in der dritten Auflage dieser Sammlung (1883,
-Leipzig, Breitkopf und Härtel) veröffentlicht worden.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_7">[7]</a></span></p>
-
-<h2 id="Erstes_Buch">Erstes Buch.</h2>
-</div>
-
-<h3>I.</h3>
-
-<p>Gar wunderhold, wie sonst kaum irgendwo auf
-deutscher Erde, zieht der Frühling ein zu Würzburg an
-dem Main.</p>
-
-<p>Frühzeitiger als anderwärts kehrt er zu: im Hornung
-schon flötet die Amsel ihr melodisch Lied hoch vom Ulmenwipfel,
-wann die Sonne zu Rüste geht über dem Guttenberger
-Wald, Thal und Rebgelände tauchend in eitel Gold
-und Segen. Frühe sprießen an sonniger Halde die Veilchen
-hervor und wie leuchten, wie duften sie in den Weingärten
-der sanften Hügel, die wilden, gelben Tulpen! Dankbar
-gedenkt, wer je sein genoß, des Würzburger Lenzes.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und ganz besonders schön, herrlicher denn je zuvor,
-meinten die frohen Menschen, war der liebe Lenz in das
-Mainthal eingefahren im Jahre des Herrn Eintausend.</p>
-
-<p>Das Land weithin stand in eitel Maienblust.</p>
-
-<p>Das Wildgedörn, das die Rebgärten rings an den
-sanft aufsteigenden Hängen umhegte &ndash; Weißdorn und Rotdorn
-und zahllose Hagerosen &ndash; blühte so reich, daß der
-süße Duft, vom Südwind getragen, berauschend flußabwärts
-zog. In den dichten Hecken vor der Stadtmauer, aber
-auch in den häufigen Gärten innerhalb der Umwallung sang
-die Mönchsgrasmücke, sang die Nachtigall ihr feurig Lied.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_8">[8]</a></span></p>
-
-<p>Am Abend eines wunderschönen Maientages leuchteten
-vom linken Flußufer her über den Wall am rechten Ufer,
-zumal über die Mainbrücke hin, die Strahlen der versinkenden
-Sonne: sie trafen voll auf den ragenden Dom und
-das unmittelbar im Süden daranstoßende »Bischofshaus«:
-das heißt das gemeinsame Wohnhaus der Kanoniker.
-Brücke und Dom standen damals bereits genau an derselben
-Stelle wie heute: aber beide waren von Holz gebaut
-und erheblich schmäler als dermalen.</p>
-
-<p>In dem Hauptsaale &ndash; der Bücherei &ndash; des Bischofshauses,
-in dem einzigen Stockwerk oberhalb des Erdgeschosses,
-stand an dem hochgewölbten romanischen Rundbogenfenster
-ein ernster Mann in mittleren Jahren. Er
-hatte soeben den von zierlichen Querlatten gebildeten Fensterladen,
-der den heißen Tag über verschlossen gehalten worden,
-nach außen aufgestoßen und blickte nun hinaus.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Wo sich heute bergab, gegen den Fluß zu, die »Domstraße«
-senkt, lag damals ein offener Platz, nur in weitem
-Abstand vom Dom und dessen Anbauten durch ein paar
-unverbundene »Höfe« begrenzt.</p>
-
-<p>Der einsame Mann neigte das braunhaarige, aber stark
-ergrauende Haupt leicht hinaus; er strich langsam mit der
-Linken über den breiten, fast völlig weißen Bart; er schloß
-die grauen, schwermütigen Augen; seltsame Augen waren
-es: nicht schön von Form oder Farbe: müde von vielem
-Lesen: &ndash; vielleicht auch von anderem: &ndash; aber doch war
-ihr Blick scharf, &ndash; wie der des Falken &ndash; und unvergeßbar
-für jeden, der ihn aus der verhaltenen, ja trüben
-Ruhe hatte plötzlich aufleuchten sehen in flammendem
-Blitz.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Aber jetzt, als er sie wieder aufschlug, war der Ausdruck
-dieser sinnigen Augen tief verträumt. Lange blickte
-er schweigend hinaus. »Wie schön,« sprach er endlich leise<span class="pagenum"><a id="Seite_9">[9]</a></span>
-vor sich hin, »wie friedevoll! Des Herrgotts reichster
-Segen ruht auf Gau und Stadt. Soll ich &ndash; darf ich
-&ndash; diesen Frieden stören? &ndash; Aber muß ich nicht? &ndash;
-Und wird nicht &ndash; wie sie sagen &ndash; vielleicht der Herrgott
-diesen Frieden in wenigen Wochen wandeln in flammende
-Zerstörung, in Verderben? &ndash; Er nach einem unerforschlichen
-Ratschluß im großen &ndash; ich im kleinen, nach
-Pflicht meines von ihm mir verliehenen Amtes, also doch
-auch nach <em class="gesperrt">seinem</em> Ratschluß.«</p>
-
-<p>Er richtete sich hoch auf, trat von dem Fenster zurück
-und machte einen Gang durch den geräumigen, durch
-zwei Reihen von Holzpfeilern mit Rundbogen gegliederten
-Saal.</p>
-
-<p>Die Einrichtung war einfach, ohne Prunk, aber würdevoll;
-das ansehnlichste Gerät bildete eine Art Baldachin,
-der an der Ostwand gegenüber den nach Westen blickenden
-Fenstern, von zierlich geschnitzten Rundpfeilern getragen,
-eine lange Truhe überhöhte, deren Deckel, mit weichen
-Decken belegt, als Rücksitz diente; in der Mitte der Bücherei
-stand ein mächtiger runder Tisch, dessen weiße Ahornplatte
-mit Schreibgerät und mit vielen Pergamenten bedeckt war,
-an welchen an Lederriemen und bunten Schnüren große
-Siegel in hölzernen, bleiernen und silbernen Kapseln herabhingen.</p>
-
-<p>»Mein Amt?« raunte er nun leise. »Ist es nur des
-Amtes Pflicht, was dich treibt, Heinrich von Rothenburg!
-Oder ist es die alte Lust am Kampf?« &ndash; Er ballte die
-Rechte wie um Schwertesknauf und spannte die Muskeln
-des eingebogenen Armes. &ndash; »Am Kampfe, &ndash; zumal gegen
-<em class="gesperrt">diesen</em> Feind? &ndash;&nbsp;&ndash; Also Sünde? &ndash; Sünde also plante
-ich, während der Rächer aller Sünde vielleicht schon die
-Wolken zusammenballt, auf denen er niederfahren wird, zu
-richten die Lebendigen und die Toten!«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_10">[10]</a></span></p>
-
-<p>Er hielt erschauernd inne in seinem hastigen Gang und
-schlug andächtig ein Kreuz über Stirn und Brust.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Sünde?« &ndash; begann er aufs neue, wieder ausschreitend.
-»Jawohl! &ndash; Hätte ich nicht dringendere Pflichten,
-&ndash; vielleicht! &ndash; aber die meinen immer noch weltlichen
-Sinn weniger befriedigen, meine Kampfesfreude schwächer
-&ndash; locken? Denn <em class="gesperrt">diese</em> Pflicht des Amtes lockt dich,
-Heinrich! Ist das nicht ein Zeichen, daß sie weniger Pflicht
-als &ndash;&nbsp;&ndash; Leidenschaft?«</p>
-
-<p>Er stieß bei einer raschen Wendung an den Rundtisch:
-eine der Urkunden glitt herab und rollte vor seine Füße.
-Er hob sie auf und warf einen Blick auf das daranhängende
-Siegel. »Kaiser Karls Verleihung! Sie selbst! &ndash; War
-das ein Wink, eine Mahnung des Herrn? Wüßt' ich es
-nur, &ndash; zweifelfrei: &ndash; ich nähme sie ja so gern auf mich,
-die Pflicht und den Kampf.« &ndash; Er drückte das Pergament
-heftig an die Brustfalten seines langwallenden dunkel-porphyrfarbigen
-geistlichen Gewandes.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>II.</h3>
-
-<p>Da ward die in das Vorgemach &ndash; nach Süden &ndash;
-führende Thüre des Saales geräuschlos geöffnet und ebenfalls
-in geistlichem, aber ganz schwarzem Gewande trat ein
-wenige Jahre älterer Mann ein. Dicht an der Schwelle,
-zwischen den dunkelgelben Thürvorhängen, blieb er stehen;
-demütig neigte er tief das ganz glattgeschorene Haupt und
-mit leiser Stimme hob er ehrerbietig an: »Hochehrwürdiger
-Herr Bischof, Ihr habt befohlen.«</p>
-
-<p>Der Angeredete trachtete, seine lebhafte Erregung zu<span class="pagenum"><a id="Seite_11">[11]</a></span>
-bändigen, zu verbergen; er legte die aufgeraffte Urkunde
-ganz sacht auf den Tisch: &ndash; er suchte, vor denselben tretend,
-sie dem Blicke des Besuchers zu entziehen. »Laß diese
-unterthänige Weise, Bruder Berengar«, sprach er gütevoll.
-»Sind wir doch Kampfgesellen: du bist mein eifrigster Mitstreiter.«</p>
-
-<p>Der andere trat näher, langsamen Schrittes. Die
-starren Züge des langen, hageren, gelbfahlen Gesichtes
-blieben unbeweglich, die schmalen Lippen öffneten sich kaum,
-die tiefschwarzen Augen hielt er streng zu Boden gerichtet,
-als er sanft erwiderte: »ich darf nicht anders. &ndash; Euer
-Vorgänger, der hochselige Herr Bischof Bernwart, hat mir
-solches Gebahren besonders auferlegt zur Buße für meine
-hochfärtige Überhebung.«</p>
-
-<p>»Ja, ja,« lächelte Herr Heinrich &ndash; und die freundliche
-Heitre stand dem wohlgebildeten Antlitz, den feinen Zügen
-herzgewinnend gut, »Mein gestrenger Oheim war ein stolzgemuter
-Herr« &ndash; »Er durfte es sein. &ndash; War er doch ein
-Graf von Rothenburg, &ndash; wie Ihr.« Der Bischof zuckte
-die Achseln: »Edle Geburt ist wertvoll.« »Ha, wirklich?«
-flüsterte der Priester, aber ganz unhörbar.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Doch ist sie kein Verdienst. &ndash; Aber er hatte dich im
-Verdacht, Archidiakon«, &ndash; und er hob mit lächelnder
-Drohung den Finger &ndash; »erstens schon bei seinen Lebzeiten
-Bistum und Bischof beherrschen und zweitens um jeden
-Preis sein Nachfolger werden zu wollen.« &ndash; »Was doch
-nur abermals ein Rothenburger werden sollte.« Ganz tonlos
-und unterwürfig kam das aus den kaum geöffneten
-Lippen. Aber der Bischof schüttelte lebhaft das Haupt und
-hob, schmerzlich berührt, in Abwehr die Hand: »Da irrst
-du, Freund. &ndash; Mein Oheim konnte nicht ahnen …
-War ich doch ein Kriegsmann! Ein Mann der Staatskunst
-…« &ndash; »Und was für einer! In keiner Heerfahrt<span class="pagenum"><a id="Seite_12">[12]</a></span>
-des Kaisers Otto des Roten und des jungen Otto fehltet
-Ihr auf deutscher, wendischer und zumal auch meiner
-italischen Heimaterde. Wie oft ginget Ihr als der Frau
-Kaiserin Theophano Vertrauter in Gesandtschaft nach Rom,
-ja selbst nach Byzanz!«</p>
-
-<p>»Also!« unterbrach Herr Heinrich, kopfschüttelnd. »Mein
-Ohm und ich &ndash; wir dachten wahrlich nicht daran, daß
-ich weltlicher, mit viel Schlachtenblut befleckter Mann jemals
-geistlich, vollends Nachfolger des heiligen Burchhard werden
-würde. Du &ndash; Archidiakon, es ist wahr &ndash; hattest das
-nächste Anrecht auf diesen Stuhl.« &ndash; »Kaiser Otto der
-Junge dachte anders, weiser &ndash; als er Euch &ndash; noch nicht
-sehr lange trugt Ihr geistlich Gewand &ndash; das Bistum
-gab.« Der Rothenburger seufzte: »Ja: <em class="gesperrt">Er</em> gab es mir.«
-Beschwichtigend fiel der Archidiakonus ein: »Ihr seid vom
-Kapitel gewählt.« &ndash; »Ja, ja, aber warum? Weil der
-Kaiser es wünschte.« &ndash; »Nachdem er und die Regentin
-so sehr überrascht waren durch Euern Rücktritt aus der
-Welt.« »Sieh, Berengar,« fuhr der Bischof fort, »das
-ist es ja, was mir den Entschluß so schwer macht. Er &ndash;
-der König &ndash; setzt mich in dies Würzburg, vertrauend, daß
-ich sein Recht und seinen Vorteil hier nach Kräften wahre.
-Und nun soll ich Stadt und Grafschaft ihm entreißen!«
-Der Archidiakon glitt geräuschlos näher; scharf richtete er
-auf den Ringenden die dunkeln Augen, die unter kohlschwarzen,
-streng regelmäßig geschwungenen Brauen hervorblitzten.
-»Verzeiht,« sprach er ruhig, »Herr Bischof: das
-ist nicht bischöflich geredet.« &ndash; »Mag sein! Aber es ist
-ehrlich gedacht: &ndash; mit Gedanken treuer Lehenschaft.« &ndash;
-»Ihr aber seid vor allem Sankt Peters Vasall! Von ihm,
-nicht vom deutschen König oder römischen Kaiser, tragt Ihr
-den Bischofstab zu Lehen. Sankt Peters und Eures großen
-Vorgängers, Sankt Burchhards, Recht habt Ihr zu wahren,<span class="pagenum"><a id="Seite_13">[13]</a></span>
-auch gegen des Königs Vorteil. Und nicht im Recht, im
-Unrecht ist der König! Gedenkt des Briefes Kaiser Karls!
-&ndash; Scharf sah ich es, wie ich eintrat: &ndash; er hatte Euch
-gerade wieder beschäftigt! Diese ehrwürdige Urkunde giebt
-Euch nicht nur das <em class="gesperrt">Recht</em>, &ndash; hört es, Herr Bischof! &ndash;
-sie legt Euch die <em class="gesperrt">Pflicht</em> auf, in jenen Kampf einzutreten
-und nicht zu rasten noch zu wanken, bis Ihr Gott erstritten
-habt, was Gottes ist. Dem Kaiser bleibe, was des Kaisers
-ist.« &ndash; »Dann bleibt ihm wenig genug in Stadt und
-Gau!« &ndash; »Gleichviel! Habt Ihr des Kaisers Sache zu
-führen oder die der heiligen Kirche? Wollt Ihr, nachdem
-Ihr das gute, klare Recht des Bistums entdeckt habt,
-es diesem Bistum vorenthalten &ndash; aus Schwäche, aus
-Menschenfurcht?«</p>
-
-<p>Unwillig fuhr der Bischof auf und griff an die Stelle,
-wo er einst im Wehrgehäng das Schwert getragen hatte.</p>
-
-<p>»Verzeiht: aus Liebe zu diesem Kaiserjüngling vorenthalten,
-was der große Karl aus Ehrfurcht vor Sankt
-Kilian und Sankt Burchhard dem Stuhle zugewandt?
-Erkennt Ihr nicht den Finger Gottes darin, daß er Euch
-&ndash; gerade <em class="gesperrt">Euch!</em> &ndash; durch Zufall, &ndash; sagen die Weltleute
-&ndash; durch ein Wunder der Heiligen, ziemt uns Geistlichen
-zu sagen &ndash; in der Kämmerei, unter altem wertlosem Gerät
-und Gerümpel dieses kostbare Pergament auffinden ließ?«</p>
-
-<p>»Ja, es ist erstaunlich,« sprach Herr Heinrich nachdenksam,
-das Kinn in die linke Hand schmiegend. »Ist
-wirklich wundersam! Unter Bischof Dietho &ndash; vor achtzig
-Jahren &ndash; verbrennen mit dem damals erst seit siebenundzwanzig
-Jahren vollendeten Dom &ndash; hier, an der Stelle
-des jetzigen, stand auch er &ndash; in der Sakristei alle Urkunden
-des Bistums, aber auch alle! So daß, als Bischof
-Burchhard der Jüngere, der wackere Henneberger, vor etwa
-zwei Menschenaltern dies Gotteshaus hier neu erbaute, auch<span class="pagenum"><a id="Seite_14">[14]</a></span>
-nicht Eine Urkunde, nicht Ein Beweismittel für all unsere
-Rechte vorhanden war: mußten alle vom König, von den
-Erben der anderen Schenker und Verleiher neu ausgestellt
-werden &ndash; auf vieles Bitten meiner Vorgänger. Und nun
-muß ich vor wenigen Monaten in einer alten Truhe der
-Kämmerei unter abgetragenen, zerschlissenen Meßgewändern
-und angebrannten Altardecken dieses unschätzbare Kleinod
-auffinden! Wie kann das aus der Bücherei oder aus dem
-Archiv dahin geraten sein?«</p>
-
-<p>Berengar zuckte die Achseln: »Wer soll das wissen?
-Vielleicht gelang einem der Brüder die Rettung dieses
-wertvollsten Stückes aus dem brennenden Archiv: &ndash; er
-selbst mag darüber umgekommen sein.« »Ja, ja,« bestätigte
-der Bischof, »es sind mehrere bei dem Brand
-erstickt, und zwar gerade auch &ndash; in der Kanzlei &ndash; der
-Protonotar, der dem ganzen Urkundenwesen vorstand, der
-pflichtgetreue Bruder Skapelarius.« &ndash; »Die Kämmerei
-lag auch damals im Erdgeschoß &ndash; die Urkunde, in die
-Altardecke gewickelt, kann von dem Kanzleifenster &ndash; hier,
-im ersten Stock &ndash; in das offene Fenster der Kämmerei
-geworfen worden sein, als der Protonotar, der sie retten
-wollte, erkannte, daß er selbst nicht mehr zu entkommen
-vermöge.«</p>
-
-<p>»Klingt ganz glaublich! &ndash; Aber weshalb lassen die
-Heiligen die wichtige Urkunde sechzig Jahre verborgen
-bleiben und sie auffinden gerade durch <em class="gesperrt">meine</em> weltliche,
-schwertgewohnte, vom Schlachtenblut befleckte Hand?« &ndash;
-»Gerade darin erblickt und verehrt die weise Fügung der
-Vorsehung.« &ndash; »Wie meinst du das, Archidiakon?«
-»Heinrich von Rothenburg,« erwiderte dieser feierlich, wieder
-leis einen Schritt näher gleitend, »gebt der Wahrheit die
-Ehre, hier im Kämmerlein vertrauter Zwiesprache: mehr
-vom Kriegsmann, als vom Geistlichen, mehr vom Staatsmann,<span class="pagenum"><a id="Seite_15">[15]</a></span>
-denn vom Priester, mehr vom rechts- und waffenkundigen
-Grafen, als vom Bischof habt Ihr an Euch &ndash;
-immer noch!« »Ja, leider,« seufzte Herr Heinrich demütig,
-»immer noch!« »Weshalb &ndash; vor fünfzehn Jahren etwa
-&ndash; der tapferste Graf über alles deutsche Land, die rechte
-Hand der schönen Kaiserwitwe und Reichsregentin, Frau
-Theophano, plötzlich das Schwert ablegte und Priester
-ward &ndash;&nbsp;&ndash; kein Mensch weiß es …« Er zögerte: er
-schien gespannt auf Auskunft zu warten. Allein Herr Heinrich
-sprach nur leise zu sich selbst: »Aber Gott weiß es«
-und drückte die schwermütigen Augen zu.</p>
-
-<p>Der Welsche wartete noch eine Weile: da aber der
-andere beharrlich schwieg, fuhr er fort: »Aus der Haut
-konntet Ihr eben nicht fahren, wie aus der Brünne, auch
-nicht, als Ihr, nach kurzer Priesterzeit, hier Bischof wurdet.
-Nach wie vor weilen Eure Gedanken noch häufiger bei
-Recht und Gericht und weltlicher Wohlfahrt und weltlicher
-Gewalt, denn bei Beten und Büßen und bei dem Jenseits.«
-»Leider!« wiederholte Herr Heinrich betrübt.
-»Nein, nicht leider: zum Heile dieses Bistums! Seht Ihr
-denn nicht? Deshalb eben führten die Heiligen Kaiser
-Karls Verleihungsbrief gerade in <em class="gesperrt">Eure</em> starke Hand!
-<em class="gesperrt">Euch</em>, Eurem weltkundigen Sinn vertraute Sankt Burchhard,
-Eurer weltlichen Klugheit, Eurer frischen Manneskraft
-seine Rechte an, nicht Euren Vorgängern, meist mönchischen
-weltflüchtigen Psallierern. Der Bischof, nicht der Graf,
-muß herrschen über diese Mainstadt und den Waldsassengau,
-darin sie liegt. Vor allem über die Stadt! So wollte
-Kaiser Karl! So will es Gott! Seht hier auf diesen
-Plan der Stadt« &ndash; er wies auf eines der Pergamente,
-die auf dem Tische ausgebreitet lagen &ndash; ein langes
-Jagdmesser war darüber gelegt, es auseinandergespreitet
-zu halten &ndash; »Ihr selbst habt ihn &ndash; mit der Hand des<span class="pagenum"><a id="Seite_16">[16]</a></span>
-kundigen Feldherrn &ndash; entworfen: glaubt Ihr, es ist ohne
-Bedeutung, daß die Stadt ein Fünfeck bildet, genau wie
-Eure Bischofsmütze, die dort liegt, Herr Heinrich?« »Spiel
-des Zufalls!« erwiderte dieser. Aber der Einfall behagte
-ihm. &ndash; »<em class="gesperrt">Ihr</em> seid der Mann, des Bistums Recht zu
-wahren, mit scharfem Wort und &ndash; muß es sein &ndash; mit
-scharfem Schwert. Sankt Burchhard, Sankt Kilian, Sankt
-Petrus, ja Gott selber rufen Euch in diesen heiligen Kampf.
-Heinrich von Rothenburg, der Mann ist ein Felon, der
-irdischem Lehnsherrn die geschuldete Heerpflicht weigert:
-Heinrich von Rothenburg, willst du sie dem himmlischen
-Lehnsherrn weigern?«</p>
-
-<p>»Nein! Bei meinem Schwerte!« rief der Starke und
-seine grauen Augen blitzten auf. »In solchem Lichte sah
-ich's noch nie. <em class="gesperrt">Gott</em> ruft zum Streit. So will ich denn
-streiten bis zum Sieg oder &ndash; Untergang! Ich fürcht'
-ihn nicht, den Grafen Gerwalt!« »Gewiß nicht! Und«
-&ndash; der Welsche trat näher und flüsterte &ndash; »jene Weissagung
-des arabischen Magiers in Kalabrien, die Ihr mir
-vertraut &ndash; wie war es doch?« »Ich werde nicht sterben
-&ndash; so las er in meiner rechten Hand &ndash; bis ich mit dieser
-Hand meinen schlimmsten Feind auf Erden erschlagen,«
-sprach Herr Heinrich mit grimmiger Freude. »Nun also!
-Und das ist doch ohne Zweifel &ndash;« »Graf Gerwalt!«
-nickte der Bischof.</p>
-
-<p>»Aber,« fuhr Berengar fort, »es wird zum Waffenkampfe
-gar nicht kommen müssen. Ihr werdet schon auf
-dem Wege Rechtens &ndash; vor dem Reichstag gewinnen.
-Sicher! <em class="gesperrt">Das</em> Gericht möchte ich sehen &ndash;« und hier flog
-ein stolzes Lächeln um die schmalen, allzu schmalen Lippen
-des Lombarden und seine schwarzen Augen funkelten &ndash;
-»das Gericht möchte ich sehen, welches gegen jene Urkunde
-Kaiser Karls irgend eine Einwendung gelten lassen könnte.«<span class="pagenum"><a id="Seite_17">[17]</a></span>
-»Allein,« warf der Bischof ein &ndash; »warum haben alle
-meine Vorgänger seit bald zwei Jahrhunderten das Recht
-aus der Verleihung nicht geltend gemacht?«</p>
-
-<p>Berengar zuckte die Achseln: »Wer kann solche Fragen
-beantworten? Soviel steht fest: Graf Gerwalt, Euer
-schlimmster Feind … &ndash;« »Der Welsche weiß nicht,«
-flüsterte Herr Heinrich zu sich selbst, »wie sehr sein Wort
-die Wahrheit trifft!« &ndash; »Kannte die Urkunde nicht. Und
-groß war sein Erstaunen, ja sein Zorn, als ich sie ihm
-&ndash; wohlweislich nur in Abschrift &ndash; übersandte. Diese
-Urkunde ist unanfechtbar. Nicht umsonst hab' ich Jahre
-um Jahre in der Rechtsschule zu Pavia geistlich Recht,
-Lehenrecht, Landrecht gelernt bei den ersten Lehrern. Viele,
-viele hundert Urkunden von Königen und Kaisern hab' ich
-eingesehen, viele Dutzend hab' ich abgeschrieben, hab' ich
-selbst verfaßt im Auftrag des Pfalzrichters daselbst. Erkennt
-Kaiser Otto unser Recht nicht an, so rufen wir das Urteil
-des Reichsgerichts am Reichstage an. Nach dem Rechte
-<em class="gesperrt">muß</em> es für uns ausfallen! Siegt aber in dem barbarischen
-Reichstag dieser plumpen Deutschen &ndash; verzeiht, aber
-manchmal bricht das Blut Italiens in mir durch! &ndash; die
-Scheu vor dem Herrn König, so lebt noch ein anderer
-Richter, der uns &ndash; das heißt Sankt Kilian und Sankt
-Petrus! &ndash; unzweifelhaft zu unserem Recht verhelfen wird.«
-»Gott der Herr!« sprach der Bischof fromm. »Der ist
-gar fern und unberechenbar! &ndash; Nein, der Herr Papst zu
-Rom. Nicht rasten will ich und nicht ruhen, bis wir gesiegt
-&ndash; für Sankt Burchhard. Und müßt' ich auf meinen
-Knieen im Sankt Peter dem heiligen Vater Bann und
-Interdikt über König und Reich der Deutschen entwinden!«
-»Nein! Nimmermehr!« rief der Rothenburger erschrocken.
-»Ich sollte den Bann herabbeschwören auf des großen Otto
-Enkel, meines teuren Feldherrn in so vielen Schlachten?<span class="pagenum"><a id="Seite_18">[18]</a></span>
-Das Interdikt auf diese geliebte deutsche Erde, auf dieses
-blühende Mainthal? Es ist nicht <em class="gesperrt">deine</em> Heimat, Lombarde!«</p>
-
-<p>»In die Hölle stoß' ich ganz Lombardenland, das abgefallene,
-um diesen Sieg!« schrie der Welsche, fortgerissen
-von wilder Leidenschaft.</p>
-
-<p>Betroffen sah Herr Heinrich auf ihn herab: »Abgefallen?
-Von wem?«</p>
-
-<p>»Von … sich selbst!« rief Berengar noch heiß erregt,
-dann fuhr er zusammen und erläuterte: »Von seinem
-wahren Heil &ndash; das heißt: von der Herrschaft der deutschen
-Könige.«</p>
-
-<p>»Aber wie,« fiel Herr Heinrich, plötzlich stehenbleibend,
-ein, »wenn all unser Planen und Trachten gar nicht mehr
-Zeit fände, sich zu vollenden? Wenn es sündhaft, frevelhaft
-wäre, solch' irdischer Sorgen zu pflegen, an Herrschaft
-über Stadt und Gau und an weltliche Macht zu denken,
-während Stadt und Gau und Welt in wenigen Wochen …?«
-Er brach ab. Der Welsche lächelte; es zuckte wie Hohn
-über seine sonst so starren Züge hin. »Ihr meint? Auch
-Ihr? Jene Weissagung &ndash; aus meiner Heimat kam sie
-über die Berge &ndash; unheimlich &ndash; wie der schwüle Südwind
-… &ndash;« »Es ist der Glaube ja weit verbreitet,«
-sprach der Bischof ernst. »Viel gelehrtere und viel frommere
-Männer als ich hegen keinen Zweifel. Ich &ndash; ich
-kann's noch nicht recht glauben. Entscheidend ist mir der
-Ausspruch des Herrn Papstes. Und der, so schreibt man
-mir aus Rom, schwankt hin und her.«</p>
-
-<p>»Wie? Papst Sylvester? Er? Der große Gerbert
-von Reims, der Schüler der Araber in Spanien, der
-Lehrer des Erdkreises, von fast übermenschlicher Weisheit!
-Wenn der nicht daran glaubt, dann …« &ndash; »Ich sage
-Euch ja, er soll zweifeln. Seine Auslegung der Schrift<span class="pagenum"><a id="Seite_19">[19]</a></span>
-und der Väter führte ihn nicht zur Bejahung.« &ndash; »Nun
-also.« &ndash; »Aber ein heiliger Einsiedler &ndash; den Namen
-erfuhr ich nicht &ndash; soll stets wachsenden Glauben nicht nur
-bei dem ganzen Volke in Welschland, auch bei dem tief
-gelehrten Papste finden. Doch, wie dem sei! Ich muß
-der Kirche, des Oberhauptes der Kirche Weisung einholen,
-nicht nur für meine Belehrung, sondern darüber, wie ich
-mich als Bischof gegenüber meiner Gemeinde zu verhalten
-habe.« »Mich würde der nahe Untergang herzlich wenig
-freuen,« meinte Berengar spöttisch. »Noch gar viel hab'
-ich vor in der Welt.«</p>
-
-<p>»Ist das ein Grund für den Himmelsherrn, sie noch
-zu erhalten, wenn das Maß der Sünden voll? Ich fürchte
-sehr, solcher Wunsch, solch weltlich Begehren ist auch für
-mich der letzte Grund, der, unbewußt in der Tiefe der
-Seele wirkend und wühlend, mich abhält, daran zu glauben.
-Und so hab' ich denn über die Alpen, nach Rom, an den
-Herrn Papst einen ganz eigen gearteten Boten gesandt.«
-»Wen?« forschte Berengar eifrig. »Es fehlt keiner aus
-unserem &ndash; wollte sagen: Eurem Klerus.« Der Bischof
-schwieg; ein heiteres Lächeln schwebte um seinen feinen
-Mund. »Denn,« fuhr der Archidiakon eifrig fort, »es
-kommt oft sehr auf den Boten an, welche Botschaft er
-heimbringt. Wenn einer von den Schwarmgeistern, den
-Träumern, den geheimnisbrünstigen Priestern, wie sie Kloster
-Cluny züchtet &ndash;« Herr Heinrich lachte. »Nun, hat keine
-Gefahr! Ungefähr das Gegenteil von solcher Art hab' ich
-zur Kundschaft ausgeschickt. Wenn <em class="gesperrt">dieser</em> Bote, der welt-
-und lebensfreudigste Mann &ndash;« &ndash; »Dann meint Ihr Arn
-aus Bayerland, Euren Jägermeister! Richtig! Er fehlt
-seit Wochen!« &ndash; »Wenn <em class="gesperrt">der</em> in Welschland dazu bekehrt
-wird, an den Untergang der Welt zu glauben &ndash;« »Arn?
-Ja dann,« lächelte der Lombarde, »dann muß sie vorher<span class="pagenum"><a id="Seite_20">[20]</a></span>
-schon halb untergegangen sein. Einstweilen aber: &ndash; ruhet
-nicht, handelt, Herr Bischof. Die Zeit ist günstig; der
-Mann, der von Amts wegen ebenso berufen ist für den
-Kaiser, wie <em class="gesperrt">Ihr</em> für Sankt Burchhard zu handeln &ndash; der
-Graf des Gaues, ist fern &ndash; man sagt, in Italien. Wenigstens
-seine Reisigen und Vasallen alle hat der König
-nach Rom entboten: der Marienberg da drüben ist fast
-unbesetzt: ein rascher Handstreich und &ndash; aber &ndash;« er
-stockte und sprach leiser zu sich selbst &ndash; »es scheint beinah,
-Er &ndash; der andere &ndash; hat recht.« Herr Heinrich
-stutzte. »Wer? &ndash; Was zischelt Ihr da?« &ndash; »Ich? &ndash;
-Oh nichts!«</p>
-
-<p>»Doch! Ich hörte genug, um mehr hören zu müssen!
-<em class="gesperrt">Wer</em> hat recht?« Drohend, ahnungsvoll trat er näher. &ndash;
-»Nicht doch,« wich der Welsche aus. »Lasset ab, Herr!
-Nicht gerne nenn' ich Euch diesen Namen. Er pflegt Euch
-zu ergrimmen!« »Graf Gerwalt!« rief Herr Heinrich und
-seine Augen blitzten. »Dacht' ich's doch! Was &ndash; was
-hat er gewagt, von mir zu sagen?« »Es wird Euch erbittern!«
-warnte Berengar. »Oh nein,« knirschte der
-Bischof und zerbrach mit der starken Rechten die Armlehne
-von Eichenholz des hohen Stuhles, den er ergriffen, »ich
-bin ja ganz ruhig! &ndash;&nbsp;&ndash; Was hat er …?« &ndash;
-»Nun &ndash; vor seiner Abreise &ndash; er war ja nur ein paar
-Tage auf der Burg &ndash; an der Brücke war's &ndash; der Zollwart
-erhob den Zoll von den Mainschelchen, welche den
-Fluß zu Berg getreidelt wurden und meinte &ndash;: ›Nun wird
-der Zoll, wie jedes Gefäll in der Stadt, bald nicht mehr
-in des Herrn Grafen Jagdranzen, in des Herrn Bischofs
-Kirchenbüchse wird er wandern.‹ Da lachte der Graf, wie
-er zu Pferde stieg, &ndash; er und sein Jagdtroß sperrten mir
-den Weg über die Brücke &ndash; und meinte: ›Bah, es wird
-gehen wie immer zwischen uns. Wo ich gegen ihn vortrete<span class="pagenum"><a id="Seite_21">[21]</a></span>&ndash;‹«
-&ndash; »Nun? Was …?« &ndash; »›Tritt der Rothenburger
-zurück‹« »Ah, ah, ah!« schrie der Gepeinigte auf,
-wie von einer Natter gebissen. »<em class="gesperrt">Das</em> hat er gesagt?
-Er soll sich irren! Graf Gerwalt liebt es zwar, an sich
-zu reißen, was nicht ihm, &ndash; was mir gehört: aber doch
-nur, wenn ich fern, wenn ich wehrlos bin gegen ihn.
-Doch Sankt Burchhards Recht soll er mir nicht entreißen.
-Und wehrlos? Noch bin ich's zwar &ndash; nicht lange mehr
-will ich's sein! &ndash; Wo …?« Er schritt, hastig, heiß
-erregt, durch den Saal. »Wo stehen die Wenden? Du
-weißt: die Söldner, von denen wir sprachen?«</p>
-
-<p>Der Archidiakon war nun dicht an den Tisch getreten:
-er legte beide Hände auf die hohe Lehne des Eichenstuhles
-und hielt sich fest daran: er drückte darauf, während seine
-Augen wachsam jedem Schritte, jeder Miene des Erbitterten
-folgten. »Mainaufwärts, wenige Tagemärsche. Noch
-auf deutscher Erde, aber nahe der böhmischen Mark. Sie
-sind von Markgraf Eckhard von Meißen &ndash; nach tapferen
-Diensten &ndash; entlassen. Ihr Führer, Zwentibold, verhandelt
-um neuen Dienst mit Herzog Boleslav von Polen.
-Kommt der zum Abschluß, dann ziehen sie nach dem fernen
-Osten … &ndash;« &ndash; »Nichts da! Wir müssen sie an der
-Hand, zur Verfügung bereit haben. &ndash; Noch diese Nacht
-muß an sie ein geheimer Bote &ndash; ein verlässiger Mann …
-wen schicken wir?« Berengar folgte dem Gange des
-Bischofs durch die Halle: »Ich will gehen: ich selbst,«
-sagte er mit leiser, aber fester Stimme. &ndash; »Du wolltest?
-Es ist halsgefährlich!«</p>
-
-<p>Berengar zuckte die Achseln: »Ich trage dieses Haupt
-nur für Sankt Burchhard und für Euch.« &ndash; »Gut!
-Dank! … Aber höre! &ndash; Noch nicht fest abschließen! &ndash;
-Ich bin jetzt &ndash; ein wenig &ndash; erregt! In der Hitze soll
-man nichts beschließen. &ndash; Nichts übereilen« &ndash; »Aber<span class="pagenum"><a id="Seite_22">[22]</a></span>
-auch nichts versäumen soll man! Die Söldner sind viel
-umworben. Auch der Magdeburger Erzbischof, Herr
-Gisiler, will sie dingen …« &ndash; »Die Wenden sollen
-warten! … Nur noch kurze Zeit!« &ndash; »Das thun
-sie nicht &ndash; ohne Wartegeld.« &ndash; »Freilich! Freilich! und
-die Kammer ist …?« &ndash; »Leer. Nur der fällige
-Betrag für die Armen &ndash; das Drittel der Einkünfte …«
-&ndash; »Nein! Nichts da! Kein Schilling davon! Aber &ndash;
-wie steht es denn mit dem Gelde für meine Bauten in
-der neuen Vorstadt?« &ndash; »<em class="gesperrt">Euerer</em> Vorstadt: auf dem
-Sande?« &ndash; »Jawohl! Das Waisenhaus und die Klosterschule
-… freilich: der Verschlag, in dem jetzt beide
-untergebracht sind &ndash; recht elend ist er. Aber bah! &ndash;
-Menschenalter hindurch hat es genügen müssen: &ndash; bessere
-ich es, ist's mein eigenstes Werk. Drängt sich mir nun
-Notwendigeres vor, so …! Die Waisen, die Schüler
-können warten: die Wenden, &ndash; du hast recht &ndash; die warten
-nicht. Nimm das Geld für meine Bauten in der Sandvorstadt.
-Bezahle Zwentibold die Wartezeit.« &ndash; »Es
-wird nicht reichen.« &ndash; »So nimm die Summe für das
-geplante Siechenhaus bei Sankt Andreas überm Main dazu.
-Aber eile.« &ndash; »Ihr sollt mit meinem Eifer zufrieden sein.«
-Er stand schon in den Vorhängen der Thüre. &ndash; »Aber
-noch nicht abschließen: nur Wartegeld! hörst du?« Die
-Vorhänge rauschten. &ndash; Ohne Erwiderung war Berengar
-verschwunden.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_23">[23]</a></span></p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>III.</h3>
-
-<p>Gar früh am Tage &ndash; wie heute noch bei unseren
-Bauern auf dem Lande &ndash; begann dazumal auch in den
-Städten das Leben.</p>
-
-<p>Mit Sonnenaufgang und den Vögelein erhob man sich
-vom Lager: um elf Uhr pflegte das Mittagmahl gehalten
-zu werden: bald nach Einbruch der Dunkelheit suchte man
-den Schlaf: die recht spärliche Beleuchtung der Zimmer
-lud nicht dazu ein, Arbeit oder geselligen Verkehr im Hause
-in die Dunkelheit zu verlängern.</p>
-
-<p>So war denn auch an dem schönen Maientage, der
-auf Berengars rasche Abreise folgte, das Leben in dem
-Städtlein früh erwacht. Bei der ersten Hahnenkraht war
-diejenige Rotte der speertragenden Bürger, die für diese
-Nacht die Reihepflicht der Wache an den Thoren, in den
-Türmen und auf den bezinnten Mauern getroffen hatte,
-abgelöst worden von der »Tagwacht«.</p>
-
-<p>Und der »Morgengruß«, den, sobald die Sonne über
-die Höhen emporgestiegen war, die Türmer weithin über
-die Holzdächer der kleinen Siedelung aus ihren langen,
-gewundenen »Tuthörnern« schmettern ließen, weckte überall
-in den wenigen schmalen Gassen, in den zahlreichen »Höfen«
-der freien Plätze sofort rühriges Regen.</p>
-
-<p>Die Runde der neu aufziehenden Wache bedurfte nicht
-langer Zeit, den ganzen Umfang der Umwallung abzuschreiten
-Denn das liebe, liebliche Würzburg war dazumal
-noch gar enge beschlossen: zählte doch die Umwallung,
-eingerechnet die Geistlichen, die Mönche, die bischöflichen
-Dienstmannen und die Reisigen des Grafen auf dem Marienberge,
-nicht mehr als etwa viertausend Bewohner.</p>
-
-<p>Der Archidiakon hatte recht, als er die Gestalt der<span class="pagenum"><a id="Seite_24">[24]</a></span>
-Stadt einer Bischofsmütze verglich. Denn sie bildete damals
-ein Fünfeck und dessen Grundlage der von Süd nach
-Nord, dann nach Nordwest gerichtete Lauf des Mains.</p>
-
-<p>Eine Holzbrücke, wie bemerkt, gerade an der Stelle der
-heutigen schönen und breiten Steinbrücke, bezeichnete ungefähr
-die Mitte der ganzen, damals noch auf das rechte
-Ufer beschränkten Stadt: auf dem linken Ufer lagerten sich
-an den Fuß der alten Feste, um ein paar Kapellen und
-ein Kloster nur wenige Hütten armer Fischer. Die Siedelung
-auf dem rechten Ufer hatte erst vor etwa achtzig
-Jahren Erdwälle, hier und da durch steinerne Mauern verstärkt,
-und davor einen schützenden Graben erhalten zur
-Abwehr der ungarischen Raubreiter, die wiederholt so weit
-westlich gestreift und alles nicht ummauerte Land verbrannt
-und verheert hatten.</p>
-
-<p>Damals hatte der bisher offene Flecken zugleich Stadtrecht
-empfangen; aber auch die neue »Stadt« war unter
-der Amtsgewalt des Grafen des Gaues, &ndash; Waldsassen
-hieß er &ndash; zu welchem sie gehörte, geblieben.</p>
-
-<p>Die Brücke oder &ndash; in ihrer Verlängerung &ndash; der ihr
-im Osten gerade gegenüberstehende Dom schied die Stadt
-in zwei ungefähr gleich große Teile. Denn von der Brücke
-lief die Ringmauer mainaufwärts gen Süden, wandte sich
-dann in scharfer Biegung nach Osten bis an den Zwinger,
-das heißt den Zwingergraben, vor dem Wall, und bog
-von da nach Nordosten, die Wiesen östlich außerhalb des
-Grabens belassend. Von dort zog sich die Umwallung
-weiter gen Nordwesten, dann von Ost nach West, wandte
-sich dem dermalen noch sogenannten »inneren« Graben entlang
-dem Flusse zu und erreichte stromaufwärts von Nord
-nach Süd den Ort, von dem wir ausgegangen: die Mainbrücke.</p>
-
-<p>So war also die ganze damalige Stadt eingeschlossen<span class="pagenum"><a id="Seite_25">[25]</a></span>
-durch die Grenzen, die heute der Fluß im Westen, die
-Neubaugasse im Süden, die Kettengasse und die Theaterstraße
-im Osten, der innere Graben im Norden bilden.
-Auf dem linken, dem westlichen Ufer schaute von dem
-Marienberg die Burg des Grafen, das »Castellum Virteburch«,
-weithin über Stadt und Gau.</p>
-
-<p>Die von dem Fünfeck der Umwallung umhegten Häuser
-bildeten nun aber sehr selten Straßen oder Gassen: waren
-es doch »Höfe«, ganz wie die Siedelungen der Landsassen
-draußen vor den Thoren im Gau, fast ausschließlich aus
-Holz aufgezimmert, nur etwa der Unterbau aus Stein: die
-vornehmeren »Höfer« liebten es wohl hier, ein paar Platten
-des wunderschönen fränkischen roten Sandsteins als Treppenstufen
-vor die alsdann etwas erhöhte Thüre des Wohnhauses
-zu legen. Dies war aber &ndash; ganz wie auf dem
-Lande draußen &ndash; stets umfriedet von einem manneshohen
-Hofzaun aus Pfahlwerk: der »Hofwehre«; das Hofthor mußte
-so weit sein, daß die zweispännigen breiten Wirtschaftswagen
-bequem ein- und ausfahren konnten. Denn Ackerbürger
-waren sie, diese <em class="antiqua">burgenses</em>, und die Anfänge von
-Handel und Gewerk noch sehr bescheiden. So lagen auch
-innerhalb der Mauern weite Strecken von Wiesen, lagen
-Äcker, besonders aber Gärten, in welchen Wein, Obst,
-Gemüse gepflegt wurden.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Alsbald nachdem bei Sonnenaufgang von der Zinne
-des Brückenturmes der Thorwart seinen Morgengruß geschmettert,
-antwortete ein höchst friedlicher Schall: auf
-dem Widderhorn blies der Gemeindehirte seine Herde von
-blökenden Schafen und meckernden Ziegen zusammen. Er
-fing damit an im Nordwesten der Stadt, hielt vor jedem
-Hof und wartete, bis der Viehschalk die bereits aus der<span class="pagenum"><a id="Seite_26">[26]</a></span>
-Stallthüre entlassenen und an dem verschlossenen Hofthore
-sich drängenden Tiere aus diesem zu dem Hirten hinausließ.</p>
-
-<p>So zog er die Kreuz und die Quer an allen Höfen
-vorbei, bis er an das »Südthor« gelangt war. Wie im
-Norden und im Osten zog sich auch im Süden um die
-Stadt, hart vor Graben und Wall beginnend, ein breiter
-Gürtel von Wiesen und Gärten innerhalb des »Pfahlhags«,
-den an geeigneten Stellen ein paar Blockhäuser, aus festen
-Balken gefügt, verstärkten; hier wohnten kleine Leute, die
-als Taglöhner, Gärtner, Zeidler, Winzer, Fischer ihr Leben
-fristeten.</p>
-
-<p>Gleich hinter den wenigen ärmlichen Lehmhütten und
-Holzhäuslein dieser werdenden »Vorstadt« begann die weitgestreckte,
-bis zu dem »Acker des Randahar« sich hinziehende
-»Allmännde«, das Gemeindegut der Stadt, bestehend aus
-Weide, Wiese und buschigem Wald, von den »Burgensen«
-besonders zur Weide für Rinder und Schafe verwendet;
-während manches Borstentier mit grunzendem Wohlbehagen
-in den häufigen Pfützen sich sielte, die, an Stelle von gepflasterten
-Straßen, Hof von Hof zu trennen pflegten.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>IV.</h3>
-
-<p>Rado, der graubärtige, hünenhaft lange und starkknochige
-Gemeindehirte, kam nicht so rasch hinweg von
-den meisten Höfen als er wünschte: &ndash; denn ihm war nur
-wohl draußen in Wald und Heide: in der Stadt, diesem
-ummauerten Grabe, müsse er ersticken, schalt er.</p>
-
-<p>Und er war ein Liebling der Leute, der Alte: Hausherr<span class="pagenum"><a id="Seite_27">[27]</a></span>
-und Hausfrau, Knecht und Magd, zumal aber die
-Kinder ließen ihn nicht leicht los ohne ein paar Fragen.
-Er wußte gar so viel, so vielerlei, was sonst kein Mensch
-mehr wußte: von Jagd und Fischfang und Viehzucht, von
-gesunden und kranken Tieren. Das Wetter verstand er
-ganz genau vorher zu sagen, manche meinten, geheimnisvoll
-nickend, weil er es selbst &ndash; ein wenig &ndash; mache.</p>
-
-<p>Und alte Geschichten vollends wußte er zu erzählen &ndash;
-von seiner verstorbenen Mutter her &ndash; und Mären und
-Sagen, daß Kinder und Große offenen Mundes lauschten;
-und Segen: Wundsegen, Jagdsegen, Kampfsegen, Reisesegen,
-Biersegen, Viehsegen, Fischsegen &ndash; in mannigfaltigster Auswahl:
-seltsam nur, daß er sie alle plötzlich vergaß, trat in
-den Kreis seiner Hörer ein »Geschorener«, wie er unwillig
-sagte. Herr Heinrich schalt wohl oft darüber, aber er
-lächelte dazu und ließ ihn gewähren: denn der Hüne war
-in jungen Jahren ein gar treuer und trefflicher Waffenknecht
-der Rothenburger Grafen gewesen und hatte &ndash; so
-sagte man &ndash; dem Vater Herrn Heinrichs das Leben gerettet
-in Welschland.</p>
-
-<p>Während nun der Hirt von Knecht und Magd und
-Kind an dem Hofthor aufgehalten ward mit Frag' und
-Antwort, wartete der vorwärtsdrängenden Herde gar oft
-&ndash; und auch heut' &ndash; ein anmutvolles Kind mit dicken,
-langen, dunkelblonden Zöpfen, die durch die lebhafte Kleine
-stets in Bewegung gehalten wurden, daß die hellblauen
-Bändlein an deren Enden hin- und herflatterten. Sie zeigte
-weit über ihre vierzehn Jahre hinaus voll und üppig entwickelte
-Formen, aber sie war so mutwillig und so kindlich
-wie die springenden, bockenden Zicklein ihrer Herde.</p>
-
-<p>Als der Alte aus dem letzten Hofe vor dem Thor der
-Sandvorstadt zurückkam, fand er die Kleine aus vollem
-Halse lachend: lachend, daß ihr aus den hellgrauen Augen<span class="pagenum"><a id="Seite_28">[28]</a></span>
-die Thränen über die dicken, runden Kinderbacken liefen.
-Sie hielt sich vor Lachen kaum aufrecht an dem langen,
-gebogenen Schäferstab, den sie einstweilen dem Alten abgenommen
-hatte.</p>
-
-<p>»Was hast du, Fullrun?« fragte der. »Dich reiten
-wohl wieder die Elben!« »Es ist zum Zerspringen!«
-keuchte sie, sich mit der umgewandten Linken über die
-Augen fahrend. &ndash; »Was?« &ndash; »Schau ihm nur nach, Ohm!
-Da &ndash; links hin! &ndash; humpelt er davon. Sieh nur, wie
-er ausschaut! Ganz weiß vom trockenen Straßenstaub.
-Wie der Müller aus der Au! Nur nicht so sauber!«</p>
-
-<p>Der Alte reckte die hohe Gestalt und hielt die Hand
-vor die buschigen Augenbrauen: denn die Morgensonne
-blendete von dort her: »Ei, das ist ja Junker Blandinus,
-der Sohn des Dogen aus Venetia, der jüngst erst ankam,
-Korn zu kaufen von dem Juden Renatus. Was hat der
-hier &ndash; in deiner Nähe wieder! &ndash; gesucht?« Und er
-nahm ihr den Stab aus der Hand und hob ihn drohend,
-daß sein langer Mantel, aus drei Wolfsfellen zusammengenäht,
-von seinen Schultern zurückwallte. »Weiß nicht,
-Ohm. Aber was er auch suchte: &ndash; gefunden hat er was
-anderes. Er ist immer um die Wege, mit seinem seidenen
-Mäntelein und dem bunten gezipfelten Wams. Wäre gar
-nicht so übel im Gesicht, putzte er sich nicht so weibisch
-heraus. Kaum warst du im Hammerhof verschwunden, da
-bog er flugs um die Ecke der Wirsinge und stand vor mir.
-›Jungfrau Fullrun!‹ flüsterte er in seinem welschen weichen
-Ton, ›segne Euch Sankt Amor!‹ ›Ich heiße die runde
-Runel und mein Schutzheiliger heißt Sankt Kilian!‹ rief
-ich. ›Wer ist Euch wohl der Liebste auf der Welt nach
-Euren Gesippen?‹ fragte er und machte ganz verschwommene
-Augen. ›Schnufilo!‹ erwiderte ich rasch ohne Besinnen.
-Denn es ist ja auch wahr. ›S&ndash;Se&ndash;ch? &ndash;<span class="pagenum"><a id="Seite_29">[29]</a></span>
-Schn&ndash;ufilo?‹ wiederholte er lispelnd. ›Wo ist er? Ist
-er ein Ritter, daß ich ihn bestehen mag? Ich durchspeere
-ihn!‹ ›Durchspeeren? &ndash; Meinen Herzens-Schnufilo?
-Nun wartet! Komm!‹ schrie ich ›faß, Schnuf, faß!‹ Und
-grimmig bellend sprang der herzige Schnuf herzu und fuhr
-ihm an die Waden.</p>
-
-<p>›Oh &ndash; <em class="antiqua">ohimè</em> &ndash; Eine <em class="antiqua">bestia</em>? Ein <em class="antiqua">monstro</em>!‹ Nun
-trat der Schwarzkopf wieder näher: die dunkeln Locken &ndash;
-'s ist wahr &ndash; lassen ihm nicht übel! Aber sein Haar
-stank süß von Salben! Ich hielt mir die Nase zu! &ndash;
-So!« Und sie machte es dem Alten vor: &ndash; so drollig,
-daß er lachen mußte. »Und wisperte: ›Wißt Ihr auch,
-schöne Runa, wie man in Venetia küßt?‹ ›Nein,‹
-sagte ich. ›Ich küsse überhaupt nur Schnuf und Schnee.‹
-›S&ndash;ch&ndash;nee? Ist das auch so eine Beißbestia?‹ forschte
-er, besorgt um sich blickend. ›Nein, hier mein Mailämmlein.‹
-›So will ich Euch küssen lehren!‹ lächelte er und
-machte einen Schritt. Aber &ndash; o Sankt Kilian sei gepriesen!
-&ndash; er trat, nur auf mich guckend &ndash; auf das
-Ferkelein, das da &ndash; nun wieder! &ndash; in der Pfütze liegt.
-Laut aufquiekend fuhr ihm das zwischen die langen Beine
-&ndash; er stolperte und fiel bäuchlings in den weißen Staub
-daneben. Nun fuhr auch Schnuf ganz erbost wieder gegen
-ihn und zerriß ihm den langen erdbeerroten Flattermantel.
-Fluchend sprang er auf und entwich eilfertig.«</p>
-
-<p>»Kommt er wieder,« drohte Rado, »lehr' ich ihn, wie
-man im Waldsassengau &ndash; haut! &ndash; Auf, Thorwart, auf
-mit dem Gitter!« &ndash; Und nun flüsterte er ganz andächtig,
-gen Himmel blickend:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Unsern Ausgang<br /></span>
-<span class="i0">Geleite der graue<br /></span>
-<span class="i0">Wandrer, weise der Wege.<br /></span>
-<span class="i0">Die Wölfe wehr' er<br /></span>
-<span class="i0">Von Herde wie Hirt.«<br /></span>
-</div></div>
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_30">[30]</a></span></p>
-<p>»Hier, Giero, hier!« Er pfiff dem mächtigen grauen
-Hund: der trieb in unablässigem Umkreisen die zerstreuten
-Schafe und Ziegen auf dem weiten Platze rasch zusammen,
-so daß sie nun in guter Ordnung durch das geöffnete Thor
-und dann über den an eisernen Ketten herabgelassenen
-schmalen Steg über den Graben trippelten. Draußen begrüßte
-das kluge Tier freudig in lustigen Sätzen und laut
-bellend die Freiheit. Einverstanden klopfte ihm der Alte
-den Kopf. Fullrun folgte zuletzt; sie trug über den geländerlosen
-Steg gar sorgsam auf ihrem vollen linken Arm
-ein schneeweißes Lämmchen, das sie aus der blökenden
-Menge gegriffen hatte: mit der Rechten hob sie den Saum
-ihres rotbraunen Röckleins bis über den Knöchel des unbeschuhten
-Fußes: im Morgenwind flog das krause kurze
-Haar an ihren Schläfen: mit vollen Zügen sog sie den
-frischen Hauch des Morgens in die junge Brust.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>V.</h3>
-
-<p>An demselben Morgen trabte, nachdem die Frühmesse
-in dem Dom zu Ende, ein bunter Reiterzug den freien
-Platz hinab auf die Mainbrücke zu.</p>
-
-<p>Die Hengste der Männer und auch zwei zeltende Paßgänger
-für Frauen &ndash; mit zierlich gegitterten hohen Seitenwänden
-an den weichen Sätteln aus spanischem Leder &ndash;
-waren neben der Kirche von mehreren Knappen in Bereitschaft
-gehalten worden. Als das gemeine Volk aus den
-weitgeöffneten schön geschmiedeten Doppelthüren und über
-die vier roten Sandsteinstufen des Eingangs hinab sich
-verstreut hatte, wurden die Pferde dicht an die kniehohen<span class="pagenum"><a id="Seite_31">[31]</a></span>
-»Roßsteine« geführt, die, an dem Dom, wie an gar manchem
-Eckgebäude angebracht, das Aufsteigen und Absteigen
-reitender Damen erleichterten.</p>
-
-<p>Ein schlanker Jüngling von nicht allzuhohem, aber
-zierlichem Wuchs und von auffallend anmutvoller Haltung
-geleitete gar höfisch, nur an den Fingerspitzen ihren hellgelben
-Reithandschuh berührend, ein schönes junges Mädchen
-die Stufen des Domes hinab. Das veilchenfarbene Barett,
-geschmückt mit dem weißen Gefieder der Silbermöwe, stand
-gut zu dem dunkelbraunen dichten Gelock des jungen Ritters
-mit dem etwas helleren Bart, der überall das feine Gesicht
-umrahmte. Das enganliegende Wams, von gleicher Farbe
-wie das Barett, zeigte vorteilhaft die geschmeidigen, wohlgestalteten
-Glieder: die zarten Gelenke der Hände und der
-Knöchel schienen nicht deutsche oder doch nicht ungemischt
-deutsche Abkunft zu bekunden.</p>
-
-<p>Lebhaft sprach er zu der jungen Dame, feurig blickte
-er ihr &ndash; und recht nah! &ndash; in die großen Augen von
-hellstem sonnig goldenem Braun, welche unter blonden,
-nicht allzustarken Brauen hervor freundlich und freudig in
-die schöne Welt hineinleuchteten. Ihre Wangen waren
-hold wie vom Flaum des Pfirsichs überzogen: die frischen,
-ein wenig aufgeworfenen Lippen lächelten gar gern und
-zeigten dann zierlich gereiht die weißesten Zähnlein. Ein
-Reiterhut von weißem weichstem Filz mit sehr breitem
-Rand und schwarzer Feder wiegte sich keck auf dem ganz
-hellbraunen, aber leicht von einem roten Schimmer durchleuchteten
-Haar. Gar anmutvoll war die Bewegung ihrer
-schmalen langen Hand, mit der sie das weitflutende weiße
-Wollkleid aufhob, wie die feinknöcheligen Füßlein über die
-Steinstufen vorsichtig hinabglitten. Herzhaft lehnte sie dabei
-den vollen warmen Arm auf den des Ritters; der führte
-sie an den weißen iberischen Zelter mit hellrotem Sattel-<span class="pagenum"><a id="Seite_32">[32]</a></span>
-und Zaumzeug, der, ungeduldig harrend, mit dem rechten
-Vorderhuf gescharrt hatte und nun, die schöne Herrin erkennend,
-sie freudig begrüßend laut wieherte.</p>
-
-<p>Der Junker hielt ihr beim Aufsteigen die Hand unter
-den Schuh und umspannte dabei den feinen Knöchel erheblich
-fester, als die Sicherheit der Reiterin gerade würde erheischt
-haben. Diese zürnte aber nicht, sondern sowie sie sich
-sicher im Sattelsitz fühlte, neigte sie ihm das wunderschöne
-Antlitz zu in gar holdseligem Lächeln: er erglühte vor
-Glück über soviel Huld, seine dunkelgrauen Augen blitzten
-und freudig schwang er sich auf seinen feurigen friesischen
-Rapphengst.</p>
-
-<p>Hinter diesem Paar schritt langsam ein zweites die
-Domstufen hinab: gleich jung, gleich schön, aber in ganz
-anderer Haltung und Stimmung, so schien es.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Zwar der Ritter, dessen blondes Haar dicht aus der
-ehernen Sturmhaube quoll, ließ die blauen Augen gar
-sehnend ruhen auf dem schmalen, blassen, nur ganz zart
-rosig überhauchten Antlitz der Dame; aber diese preßte den
-kleinen, stolzen Mund fest zusammen, schlug die Augen
-unerbittlich nieder und furchte streng die Brauen, deren tief
-dunkelbraune Farbe scharf abstach von dem fast weißgelben
-Geriesel ihres gewellten Haares, das unter der himmelblauen
-runden Seidenkappe hervor auf den gleichfarbigen
-langen Mantel frei, gelöst, flutete; dieser Gegensatz der fast
-schwarzen Brauen zu dem weißblonden Haar verlieh dem
-höchst vornehmen, edeln, aber marmorkalten Antlitz eigenartig
-fesselnden Reiz: wer diese stolzen, feinen Züge einmal
-geschaut, &ndash; er mußte ihrer gedenken für und für. Die
-ganze schlanke hohe Schilfgestalt schien ein schönes, aber
-herbes Rätsel; man mußte nachgrübelnd fragen, welch
-Geheimnis das junge Herz so streng verschlossen hüte?
-Denn die hellgrauen Augen, die sie selten aufschlug, schienen<span class="pagenum"><a id="Seite_33">[33]</a></span>
-auch dann nicht in die Welt, schienen nach innen zu schauen,
-fest entschlossen, um keinen Preis zu verraten, was sie in
-diesen Tiefen erblickten.</p>
-
-<p>Schweigend, sinnend, zögernd, wie widerstrebend, schritt
-sie nun die Stufen hinab: sie waren noch feucht vom
-Morgentau: &ndash; sie glitt ein wenig aus: &ndash; der Jüngling
-hielt ihr rasch den rechten Arm hin: aber sie achtete dessen
-nicht: noch schärfer die langgestreckten Brauen furchend
-richtete sie sich &ndash; allein &ndash; rasch auf zu ihrer vollen Höhe,
-schritt sicheren Fußes fürbaß und winkte, auf der letzten
-Stufe angelangt, einen grauhaarigen Knappen herbei: der
-mußte ihr auf den Rücken ihres Falben helfen. Dem Jüngling
-klirrte laut Schuppenbrünne, Wehrgut und Schwertknauf
-aneinander, wie er sich nun hastig auf das starke
-Streitroß schwang, einen braunen Flanderer schwersten
-Schlages.</p>
-
-<p>Die beiden Junker ritten jetzt an die Seite der beiden
-Edelfräulein und nun ging's in raschem Trab hinab an
-die Brücke: &ndash; deren Thor ward von den Wächtern ehrerbietig
-aufgethan: &ndash; nun über die dröhnenden Balken
-und drüben aufwärts auf dem linken Ufer, wo sich der
-Leinpfad zum Schleppen für die Mainschelche hinzog.</p>
-
-<p>Ein Holzverhack sperrte den schmalen Weg zwischen dem
-Fluß zur Linken und dem steil abfallenden Felsen des
-Marienbergs zur Rechten: jenseit eines engen Durchlasses
-in dem Verhack wartete der beiden Paare ein Häuflein
-von Jägern mit Pferden, Hunden und Falken: denn der
-Falkenjagd, der Reiherbeize galt dieser Morgenritt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_34">[34]</a></span></p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>VI.</h3>
-
-<p>Das Jagdgeleit bestand aus nur Einer »Rotte«: das
-heißt dem Falkenmeister und drei Falkenieren; alle vier
-waren beritten; die letzteren hielten abwechselnd den Falkenrahmen,
-eine leichte viereckige Trage, aus weißem Holze
-zierlich geschnitzt, auf welcher zwei Beizvögel, mit einer
-langen Kette unter dem Flügelbug und einer kurzen um
-den rechten Lauf und Fang angefesselt, saßen: zierlich stand
-den schlanken Vögeln die Falkenhaube, ein Käppchen von
-rotem Leder aus Cordoba, oben mit weißen Federn, unten
-mit kleinen silbernen Schellenkügelein geschmückt: ein schmales
-Lederriemchen hielt die Haube, über Kopf und Augen gezogen,
-unter der Kehle festgeschnallt. Den Berittenen folgten
-zu Fuß drei Hundekoppeler, von denen jeder zwei Stöberhunde
-an der Koppelleine führte: mächtig zerrten sie vorwärts,
-die starken, grauhaarigen, hochbeinigen Rüden aus
-Ungarland: aber scharf erzogen, gaben sie bei aller Jagdgier
-nicht Laut.</p>
-
-<p>»Was habt Ihr heute für Vögel auf den Rahmen
-gesetzt, Herr Fulko?« fragte die Braunlockige, anmutvoll
-den Kopf und den breitrandigen Hut nach ihrem Begleiter
-zurückwendend. »Geht es auf hohen oder auf niederen
-Flug?« »Wer mit schön Minnegardis jagt &ndash; und für
-sie, &ndash; denkt nur an hohen Flug,« erwiderte der Junker
-mit weicher, wohllautender Stimme. »Die Falkeniere
-haben Reiher angesagt in den Altwassern des Mains, nahe
-der Fähre bei den Höfen der Heitinge: sogar einen &ndash;,
-nun, nicht vor der Jagd von der Strecke plaudern, sonst
-verfällt sie dem <em class="gesperrt">wilden</em> Jäger! Heute wollen wir erproben,
-Freund Hellmuth, ob des Herrn Bischofs isländischer
-Girofalk besser arbeitet oder mein Wanderfalk: ich<span class="pagenum"><a id="Seite_35">[35]</a></span>
-holte ihn, gerade flügge geworden, selbst aus dem Horst
-auf dem Geiersberg im Spechteshart.«</p>
-
-<p>»Deiner steigt besser und streicht gehorsamer zurück auf
-die Faust zur Atzung,« antwortete der Blonde; trüb war,
-gedämpft der Ton seiner Rede. »Ei ja,« rief Fulko, »er
-hat mir auch manch Federspiel zerzaust, bis er's gehörig
-lernte. Der Isländer ist nicht gut abgetragen: denn
-Freund Arn, der Jägermeister, der's besser als wir alle
-kann, ward vom Herrn plötzlich verschickt, bevor der teure
-Vogel stoßreif war. Aber nun, habt acht, Jungfrau Minnegardis!
-Die Stöberer springen ein.« »Da platschen sie
-ins Röhricht,« rief das Mädchen, und setzte in hellem
-Jagdeifer ihren Zelter in lustigen Trab. »Seht, schon
-müssen die vordersten schwimmen: da ist's schon tief.« &ndash;
-»Ja, ein altes Weidmannswort scherzt: ›Reiher ist von
-höherem Stand denn Rüde‹. Aber jetzt &ndash; den Rahmen
-herbei!« Die Ritter lösten den Vögeln beide Fesseln,
-nahmen sie von der Trage und setzten einen derselben je
-einem der Fräulein, &ndash; Minnegard den Wanderfalk, Edel
-den Isländer &ndash; auf den seidengestickten Handschuh der
-rechten Hand, so daß die scharfrandigen Krallen den Zeigefinger
-fest umschlossen; die Kappen blieben noch unbehoben.</p>
-
-<p>Es war nun gar schön zu schauen, wie die beiden
-holden Reiterinnen in raschem Trabe den Fluß entlang
-dahinflogen, mit wehenden Federn, Locken und Mänteln,
-die stolzen Vögel auf dem anmutig gebogenen Handgelenk.</p>
-
-<p>»Hört ihr?« rief Fulko. »Da schlagen die Stöberhunde
-den Reihergruß. Lüpft die Kappen! Werft eure Vögel,
-edle Jägerinnen!« Die Mädchen schnallten den Vögeln
-rasch die Kappenriemen ab, ließen die von dem plötzlichen
-Lichteinfall Geblendeten noch einen Augenblick in den Himmel
-schauen, wiesen ihnen dann Beute und Flug, sie in der
-Richtung der rasch enteilenden Reiher in die Höhe hebend,<span class="pagenum"><a id="Seite_36">[36]</a></span>
-und schnellten sie mit kräftigem Schwunge des Gelenks in
-die Luft mit dem lauten Rufe: »Holî! Holî!«</p>
-
-<p>Sofort hatten die Falken das steigende Wild eräugt
-und stiegen nach, pfeilschnell, mit gellendem Schrei, dem
-der kreischende Angstruf der Reiher »krätsch! kraitsch!« antwortete.
-Beide Flüchtlinge blieben auf dem linken Ufer
-und eilten flußaufwärts: die Berittenen hatten also nur
-die nebenherziehende breite Heerstraße einzuhalten, so konnten
-sie leicht folgen.</p>
-
-<p>Herrlich war der Anblick der Flucht und der Verfolgung
-durch die Lüfte. Zuerst entleerten die beiden Sumpfvögel
-die Kröpfe des Fraßes, ihren Flug zu erleichtern:
-denn sie hatten mit Erfolg in dem Schilfwasser gefischt,
-stets gegen die Sonne stehend und watend, damit der hinter
-sie fallende <span id="corr036">Schatten</span> die Fische nach vorn ihrem Schnabel
-zutreibe. Dann legte jeder den langen kegelförmig zugespitzten
-Schnabel mit den messerscharfen Schneiden auf den
-Kropf, streckte die langen Ständer gerade hinter sich und
-sausend ging es nun in die Höhe, immer höher, immer
-höher, dem Verfolger das Überfliegen unmöglich zu machen.</p>
-
-<p>Denn der Falke konnte den viel größeren Feind nur
-zwingen, wenn er ihn überstieg und dann von oben her
-schlug, ihm zwischen den Flügelschultern und dem Ansatz
-des Halses den Haken des Schnabels mit dem scharf ausgeschnittenen
-dreieckigen Zahn des Oberkiefers einhieb, die
-beiden Fänge aber mit den kräftigen spitzen Krallen unter
-den ausgespannten Flügeln &ndash; vor deren Bug &ndash; in den
-Rumpf schlug und so schon durch den Druck von oben den
-keineswegs immer tödlich getroffenen Reiher zum sausenden
-Sturz brachte; der Falkenier eilte dann herzu und tötete
-oder fing den Verwundeten, während der Falke, wenn gut
-abgetragen, auf die Hand der Herrin zurückstrich.</p>
-
-<p>Aber nicht gerade aufwärts stiegen die Reiher, sondern<span class="pagenum"><a id="Seite_37">[37]</a></span>
-schraubenförmig, ähnlich den Lerchen, in immer höher und
-höher gezogenen Ringen: der schwere Vogel konnte nicht
-senkrecht oder sehr steil schräg fliegen, während der Falke
-schnurgerade, nur stets etwas höher zielend als sein Gegner
-flog, auf diesen losstürmte.</p>
-
-<p>Übrigens kamen diesmal die beiden Paare in den
-Lüften und demgemäß die beiden Jägerpaare auf der Erde
-bald ziemlich weit auseinander. Edel hatte ihren Vogel
-früher geworfen als Minnegard: derselbe ersah daher den
-zuerst aufgestandenen grauen Reiher: dieser und sein Verfolger,
-der Isländer, gewann rasch starken Vorsprung in
-die Höhe und in die Weite vor dem Wanderfalk, der den
-zweiten etwas größeren Reiher &ndash; weiß wie Schnee leuchtete
-im Sonnenglast dessen Gefieder &ndash; stets vom Wasser ab
-nach dem Walde hin zu treiben suchte.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>VII.</h3>
-
-<p>Edel und Hellmuth sprengten an dem anderen Paare
-vorbei und hatten bald Mühe, zu Pferd den raschen Fliegern
-zu folgen.</p>
-
-<p>Lange vermochte der Isländer nicht, dem Feinde nachzukommen:
-endlich, endlich aber hatte er ihn überstiegen &ndash;
-etwa um sechs Fuß &ndash; und sofort stürzte er sich nun aus
-dieser Höhe auf seine Beute. Allein blitzschnell hatte der
-Reiher den bisher abwärts auf dem Kropfe getragenen
-starken, spitzen und langen Schnabel &ndash; eine fürchterliche,
-oft den Augen des Jägers sogar, der den wunden Vogel
-greifen will, gefährliche Waffe &ndash; senkrecht nach oben gekehrt:
-der Falke, der mit voller Wucht herabstieß, spießte<span class="pagenum"><a id="Seite_38">[38]</a></span>
-sich dabei die Brust auf wie auf einem Speer, so daß die
-Spitze des Reiherschnabels ihm im Rücken zwischen den
-Flügeln hervordrang. Der Sieger aber konnte sich nicht
-von dem verendenden Feinde losmachen, nicht unter dem
-Drucke dieser Last den Schnabel aus der Wunde reißen
-<span id="corr038">und</span> so taumelte er denn, den Rücken nach unten, sausend
-zur Erde. Kaum war er aufgefallen, &ndash; zwischen der
-Straße und dem Fluß &ndash; war Hellmuth schon zur Stelle,
-Edel folgte. Der Junker sprang ab, riß den toten Falken
-von dem Reiher los, faßte diesen mit der Rechten im Genick
-an beiden Fittigen und warf ihn hoch in die Luft:
-»Geh!« rief er dem hastig Enteilenden nach. »Du hast
-dich ritterlich gewehrt &ndash; hast gesiegt: ich mag dich nicht
-unritterlich erwürgen. &ndash; Ich habe doch recht gethan?«
-fragte er zu Edel hinaufblickend, die nun dicht hinter ihm
-auf dem schnaubenden Falben hielt. »Gegen Reiher seid
-Ihr ritterlich,« erwiderte sie herb, ohne eine Miene zu verziehen,
-wandte das Roß und ritt langsam zu dem anderen
-Paare zurück.</p>
-
-<p>Auch dessen Beize war ausgebeizt. Gar bald hatte
-der Wanderfalk den großen, glänzendweißen Vogel überhöht,
-und ihn von dem Flusse, den er nun überschreiten
-wollte, ab- und auf das linke Ufer zurückgedrängt: auf
-den ersten Stoß gelang ihm das Schlagen: Reiher und
-Falk taumelten, aber der Falke rittlings auf seiner Beute
-sitzend, auf die blumige Wiese zur Rechten der Heerstraße.
-»Ruft ihn, ruft ihn rasch,« drängte Fulko die Jägerin,
-während beide heransprengten. »Er verliert sonst die Zucht
-und den Heimstrich.« »Hilô! Hilô!« rief Minnegardis
-freudig und setzte in vollem Jagen über den breiten Graben
-auf die Wiese: ihre schwarze Feder flog, ihre Locken flatterten.
-Entzückt folgte Fulko der zierlichen Gestalt der
-mutigen Reiterin.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_39">[39]</a></span></p>
-
-<p>Gehorsam kam der kluge Vogel zurückgestrichen und ließ
-sich auf dem Handgelenk der Herrin nieder: vergnügt die
-beiden Schwingen leicht schlagend rief er ganz leise, &ndash;
-nicht den gellenden Kampfschrei &ndash; und sah mit seinen
-nußbraunen Augen in Minnegardens Antlitz: ein Falkenier
-brachte ihr eilig auf goldenem Stäblein ein Stück Rinderherz
-und hielt ihr den Zügel, während der Vogel aus
-ihrer Linken behaglich und mit leisem Dankrufe gierig
-kröpfte: dann ward er wieder gehaubt und auf die Trage
-zurückgebracht.</p>
-
-<p>Nicht eher doch hatte der Falke seinen Gefangenen
-freigegeben, bis Fulko, vom Rosse gesprungen, denselben
-an beiden Schwingenknochen gefaßt hatte; er hielt ihn nun
-der Jägerin hin, die sich anmutvoll aus dem Sattel herabbeugte.
-»Welch herrlich Tier!« rief sie erfreut. »Welch
-leuchtend Weiß! Nie sah ich seinesgleichen!« &ndash; »Es ist
-ein Silberreiher. Ich wollt' es nicht &ndash; vor der Zeit!
-&ndash; verkünden. Aber ich hatte ihn gestern abend angeschlichen.«
-&ndash; »Er ist &ndash; wie es scheint &ndash; ganz unverletzt?«
-&ndash; »Fast ganz. Nur wenig blutet hier der Hals.
-Das hab' ich ihn gelehrt, den klugen Greif, am Federspiel:
-&ndash; für den Silbervogel! &ndash; nur fangen, nicht
-morden!« &ndash; »Oh! dann wollen wir das edle Tier freilassen!
-Nicht?« &ndash; »Gewiß: Ihr seid ja seine Fängerin,
-nicht ich! Und ich: &ndash; im voraus erriet ich Euer gütig
-Herz.« Er griff in die kleine von Stricken geflochtene
-Jagdtasche, die er am Wehrgurt trug. »Das mögt Ihr
-jetzt leicht sagen,« lächelte sie. »Ich beweis es, Herrin!«
-gab er zur Antwort. &ndash; »Wie? Was wollt Ihr thun?«
-&ndash; »Wie immer: Euren Willen &ndash; Nur ein Andenken an
-diesen frohen Morgen soll Euch Euer schöner Gefangener
-lassen. Seht Ihr die beiden silberweißen Federn hier auf
-seinem Haupt?« &ndash; »Wie stolz sie wallen! Schaut, sie<span class="pagenum"><a id="Seite_40">[40]</a></span>
-reichen noch weit über seinen Rücken.« &ndash; »Wie prächtig
-werden sie sich abheben von Eurem Jagdhut und von
-Eurem Haar.« Er zog nun mit sanfter Gewalt dem Vogel
-die beiden Kopffedern aus und überreichte sie der Jägerin,
-die sie freudig dankend nahm und sofort in dem Goldring
-ihres Hutes befestigte. Sie schmückte sich so gern! Für
-sich und für andere. Und jeder einfachste Schmuck ließ ihr
-so gut. Aber nun vollends diese stolze fürstliche Zier!</p>
-
-<p>»Ihr seht aus wie die Königin von Avalon, dem
-Feenland!« &ndash; »Wenigstens trägt keine Königin schöneren
-Schmuck.« &ndash; »Und keine Kaiserin würdiger denn Ihr.«
-&ndash; »Dank! Recht von Herzen Dank!« &ndash; »Aber nun
-wollen wir ihm die Freiheit geben, dem Glücklichen, der
-Euch erfreuen und Euch zieren durfte. &ndash; Seht, lange hab'
-ich vorgedacht für diese Jagd.« Und er zeigte ihr, was
-er aus der Netztasche hervorgeholt: es war eine kleine,
-runde Goldplatte an einer länglichen, rohrartigen, innen
-hohlen Schließe aus Silber: »Was hab' ich darauf ritzen
-lassen von Meister Aaron, dem kundigen Goldschmied zu
-Frankfurt? Schon vor Wochen ritt ich deshalb hinüber.«</p>
-
-<p>Und das Mädchen las mit holdem Erröten:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Mich fing die wunderschöne Minnegard<br /></span>
-<span class="i2">Und gab mich wieder frei:<br /></span>
-<span class="i0">Der Freiheit wenig Dank ihr ward:<br /></span>
-<span class="i2">Denn wen sie fing, die holde Fei,<br /></span>
-<span class="i0">Will, daß er ewig ihr Gefangner sei.«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>»Ihr seid ein Schalk,« lächelte sie, »wie alle Sänger,
-aber ein feiner.« &ndash; »Und was <em class="gesperrt">Ihr</em> seid, &ndash; das singen
-und sagen alle Sänger der Erde nicht aus! &ndash; Nun fliege,
-Reiher, und verkünde in allen Landen vom Maine bis
-zum Jordan Minnegardens Schönheit!« Er hatte nun
-das Silberröhrlein um den linken Ständer des Gefangenen<span class="pagenum"><a id="Seite_41">[41]</a></span>
-zusammengedrückt, die Schnalle geschlossen und gab ihn jetzt
-frei: der Reiher reckte sich in die Höhe, hob den langen
-Hals, breitete dann die mächtigen Schwingen aus, stieß
-vom Boden ab, hob sich und flog, mit lautem frohem Ruf
-der Erlösung, schwirrend in die Höhe: bald war er im
-fernen Blau wie ein schimmernd weiß Gewölk verschwunden.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>VIII.</h3>
-
-<p>Das Jagdgeleit ward nun entlassen, es kehrte in die
-Stadt zurück; die beiden Paare jedoch, gefolgt von einigen
-Dienern zu Pferd, wandten sich von der Heerstraße und
-dem Flußufer ab nach Westen die Hügel hinan dem schönen
-Walde zu, der jetzt der Guttenberger heißt, damals der
-Königswald genannt wurde.</p>
-
-<p>Sobald der kleine Zug wieder beisammen war, gab
-Minnegard ihrem Zelter, aber auch dem Falben ihrer Genossin
-einen leichten Schlag mit der Gerte, die ihr Fulko
-von einer Weide gebrochen: »Ei,« rief sie, »gestrenge Edel,
-nun wollen wir sehen, welcher Reiterin Rößlein rascher
-läuft: deren Herz schlägt auch wohl mutiger.« »Rascher
-das deine, aber mutiger nicht!« erwiderte die Blonde ernst
-und schoß weit an ihr vorüber. Sie wollte sichtlich allein
-sein; Hellmuth folgte ihr nicht; er hielt den Hengst an
-und blieb so auch hinter dem anderen Paare zurück.</p>
-
-<p>Der steil ansteigende Weg ward bald so schmal, daß
-zwei Pferde nur gerade zur Not nebeneinander Raum
-fanden. Dies machte sich Junker Fulko zu nutze. Gar
-bald hatte er seinen Rappen dicht neben Minnegards Weißrößlein
-gelenkt und nun wich er nicht mehr von ihrer Seite.<span class="pagenum"><a id="Seite_42">[42]</a></span>
-Geraume Zeit ritten sie, nur stumme Blicke tauschend,
-nebeneinander hin, damit begnügt, Aug' in Auge zu
-senken. &ndash; Da strauchelte das Tier der Reiterin &ndash; allzuwenig
-achtete sie des Weges! &ndash; über eine knorrige Wurzel,
-die den Pfad kreuzte: es drohte, auf die Vorderfüße zu
-fallen und seine leichte Last vornüber zu schleudern. Mit
-raschem Griff riß der Junker das Pferd empor und schob
-die Errötende in dem Sattel zurecht. Sie war wohl ein
-wenig erschrocken: aber sie lächelte schon wieder mit schalkhafter
-Fröhlichkeit: »Dank!« rief sie. »Waret Ihr nicht
-an meiner Seite … &ndash;« &ndash; »O dürft' ich's immer
-sein!« »Ausreden lassen!« schalt sie. »Waret Ihr nicht
-an meiner Seite, hätte mich dies Unheil nicht bedroht.«
-&ndash; »Wieso?« &ndash; »Ei, dann hätte ich wohl besser, zwischen
-den Ohren meines Rößleins durch, gerade vor mich auf
-den Weg geschaut, wie mich Herr Bischof Heinrich, mein
-geistlicher Reitlehrer und reisiger Beichtiger, gelehrt hat.
-Da Ihr mich in Gefahr gebracht, mußtet Ihr mich freilich
-auch beschützen.« &ndash; »O könnt' ich Euch auf meinen Armen
-über alle Gefahren hinweg &ndash; durch's Leben &ndash; tragen.«
-&ndash; »Gemach, Herr Ritter von Yvonne! Zunächst müßtet
-Ihr mich dann tragen &ndash; in das Kloster, das zu schmücken
-ich bestimmt bin.« &ndash; »Ihr seid noch nicht darin!« &ndash;
-»Aber bald werd' ich's sein.« &ndash; »Arme Minnegard!« &ndash;
-»Und armes Kloster!« &ndash; »Man kann Euch nicht zwingen.«
-»Ich zwinge mich selbst. War es doch der letzte Wunsch
-meiner sterbenden Mutter. Meine Oheime, die Bischöfe
-von Köln und von Würzburg, kennen diesen Wunsch und …!
-Oder vielmehr,« lächelte sie, &ndash; »weshalb wähnt Ihr, daß
-es des Zwangs bedürfe? Warum soll ich nicht gern eine
-Heilige werden?« »Weil's ein Frevel ist!« brach der
-Junker los, »eine Sünde wider die Natur, die Euch holdes
-Wunder, so wunder-anmutvoll geschaffen hat! O Minnegard,<span class="pagenum"><a id="Seite_43">[43]</a></span>
-Ihr gleicht an holdem Reiz, an blühender Schöne
-der Alpenrose, die Euerer wie meiner grünen Heimat Berge
-schmückt. Ihr seid geboren, zu beglücken und beglückt zu
-sein! Schon Euch anschauen ist wie heiße Qual, so heiße
-Wonne, heiße Seligkeit! Und all dieser Reiz &ndash; er soll
-verblühen? O viel edle Dame! Ich sah einmal &ndash; zu
-Paris war's &ndash; in der Basilika der heiligen Genoveva &ndash;
-hinter einem Gegitter von Golddraht auf dem Seitenaltar
-schöne, wirklich wunderschöne vollblühende Blumen: Lilien,
-Rosen, Krokus, &ndash; auch eine Alpenrose war darunter! &ndash;
-Staunend trat ich näher: denn draußen lagen fußhoch Eis
-und Schnee: allein ach! meine Freude schwand! Gemacht
-waren sie, diese armen Blumen, aus Flitter, aus Lappen,
-auf Draht gezogen, seelenlos, duftlos: &ndash; vielmehr ging
-ein Geruch von Staub, von dumpfem Moder von ihnen
-aus! &ndash; Das, o holde Alpenrose, ist die Nonne! Und
-<em class="gesperrt">Ihr</em> solltet also vertrocknen? Diese leuchtenden Augen
-sollten nicht Liebe strahlen? Diese roten, weißen, weichen
-Lippen …« &ndash; »Hört auf, Herr Fulko von Yvonne!
-Vernähmen es die Leute, sie dächten, Ihr wüßtet drum,
-ob meine Lippen weich oder hart. Und davon wißt Ihr
-doch so wenig wie …« &ndash; »Ach ja! wie Ihr von
-meiner heißen Liebe!« &ndash; »Ei, meint Ihr? Ich glaube,
-davon weiß ich doch ein wenig mehr!«</p>
-
-<p>Und sie schaute ihn dabei so freundlich an und sie
-lächelte dabei so hold, daß er, kühn gemacht durch soviel
-Huld, fortgerissen von soviel Liebreiz seine verlangenden
-Lippen sehr nah unter ihren breitrandigen Jagdhut wagte.
-»Oho, Reitersmann!« rief sie, sich weit von ihm abbeugend.
-»Jetzt, &ndash; so scheint's &ndash; seid <em class="gesperrt">Ihr</em> gestolpert &ndash;
-sehr stark sogar! Gemach! Sind das die gepriesenen
-Sitten der Provence? Oder sind's die Sitten in Poetenland?
-Man sagt, die Sänger brauchen den Mund mehr<span class="pagenum"><a id="Seite_44">[44]</a></span>
-zum Singen denn zum Beten, mehr zum Trinken denn
-zum Singen und noch mehr als zum Trinken zum &ndash; nun,
-zu was anderem! Ihr pflückt wohl jedes Röslein an
-Eurem Wege?« &ndash; »O Minnegard, wer kann Euch sehen
-und noch nach anderem Reiz begehren? Und Küssen ohne
-Liebe: &ndash; das ist niederträchtig!«</p>
-
-<p>Sein Auge blitzte in edlem Zorn, Glut schoß ihm in
-die Wangen: er ließ ihm sehr schön, dieser heilige Zorn
-der Reinheit. Sie sah zu ihm empor mit warmem Blick.
-»Dank Euch, Herr Fulko! Das war ein schönes Wort.
-Nie werd' ich's Euch vergessen! Ihr seid … Doch
-nein! Wozu braucht Ihr zu wissen, wie Ihr seid? Könnt'
-Euch am Ende eitel machen! Und unter Euern vielen,
-wimmelnd vielen Fehlern hab' ich die Eitelkeit &ndash; noch!
-&ndash; nicht entdeckt. Nicht mal auf Eure Liedkunst seid Ihr
-eitel. Und das gehört doch sonst wohl zum Dichter wie
-zum Pfau das Radschlagen? Ihr geizt mit Eurer Kunst.
-Man muß Euch überlisten, sollt Ihr singen! Deshalb
-hab' ich Euren Waffenträger bestochen, &ndash; ich verhieß ihm
-ein Küßlein meiner Zofe: (denn sie lieben sich!) &ndash; heute
-unter seinem Mantel versteckt Eure kleine welsche &ndash; wie
-sagtet Ihr jüngst? Die Citole! &ndash; mitzunehmen. Seht
-Ihr ihn dort hinten reiten? Da guckt an seinem Halse
-das blaue Tragband hervor. Sind wir im Waldesgrunde
-gelagert, dann, Herr Sänger von Yvonne, singt Ihr uns
-ein Lied. Nicht wahr? Ich bitte!« &ndash; »<em class="gesperrt">Ihr</em> &ndash; <em class="gesperrt">mich</em>
-&ndash; bitten? O vielsüße …!« &ndash; »Gemach! Ihr
-sprecht zu einer künftigen Äbtissin. Singt Ihr uns?« &ndash;
-»Gern. Aber &ndash; den anderen nicht. Dir, dir allein!«
-Verweisend hob sie den Zeigefinger. »Man sagt: ›Euch,
-Jungfrau Minnegardis.‹ &ndash; Ein altes Lied? Das ich
-schon kenne?« &ndash; »Nein. Ein neues.« &ndash; »Wann gedichtet?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_45">[45]</a></span></p>
-
-<p>»Noch gar nicht!« &ndash; »Ja, wie wollt Ihr dann Euer
-Wort lösen?« &ndash; »Wie? O Herrin:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Lieg' ich nun bald im Moos zu deinen Füßen,<br /></span>
-<span class="i0">In deines Auges Himmel will ich schaun:<br /></span>
-<span class="i0">Begeistrung wird mir in die Seele taun,<br /></span>
-<span class="i0">Aus meinem Lied dein eigner Reiz dich grüßen!«<br /></span>
-</div></div>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>IX.</h3>
-
-<p>Alsbald waren nun die ersten Bäume des »Königswaldes«
-oben auf der Hügelkrone erreicht: schlanke hochstämmige
-Buchen waren es meist schon damals, wie sie heute
-an jenem schönen Fleck deutscher Erde den Wanderer erfreuen.</p>
-
-<p>Aber dazumal war der noch nicht durchforstete Urwald
-noch viel häufiger und dichter mit Unterholz und Buschwerk
-bestanden: daher nisteten dort viel zahlreicher als heute
-die Vögel, deren noch zwei Jahrhunderte später Herr
-Walther sich erfreuen mochte. Als die kleine Schar die
-Raststätte, eine runde Lichtung, erreicht hatte, auf welcher
-schon während der Jagd vorausgesandte Diener über das
-weiche, hier in der Waldeskühle noch vom Tau funkelnde
-Moos Decken gespreitet und Körbe und Krüge für einen
-kurzen Weidmannsimbiß bereit gestellt hatten, stiegen die
-beiden Paare von den Pferden und lagerten sich auf der
-sammetweichen Waldwiese. Die Diener stellten das »Lägel«
-Wein, die Zinnbecher und die mitgeführten Speisen zurecht
-und gingen dann mit den Rossen seitab.</p>
-
-<p>Freudig glitzerte die Morgensonne des schönen Maientages
-durch die Wipfel der hohen Buchen und warf auf<span class="pagenum"><a id="Seite_46">[46]</a></span>
-den Waldboden ein goldiggrün Gegitter. Die Bienen, den
-Sonnenschein suchend, flogen häufig um den Agelei und
-die großblumigen Blauglocken, die an hochaufgeschossenen
-Stielen nickten. Würzigen Harzduft atmeten im Sonnenbrand
-die dunkeln Tannen, die hin und wieder neben der
-milden »Frau Buche« wie ernste waffentragende Kriegsmänner
-Wache zu halten schienen. Aus den dichten Wipfellauben
-scholl bis herunter in der lauschenden jungen Paare
-Ohr das kosige Girren und Gurren der Wildtaube und
-weither aus der Tiefe des Buchwaldes klang der Goldamsel
-metallischer Ruf. Gar schön war's und freudig auf der
-stillen, sonnigen Waldwiese.</p>
-
-<p>Die warmblütige Tochter der Alpen empfand voll den
-Zauber des Ortes, der Stunde: ihre fröhlichen hellbraunen
-Augen suchten den feurigen Blick Fulkos: &ndash; sie hatten
-nicht lang zu suchen: &ndash; er lag im dichten Gras zu ihren
-Füßen. Denn den beiden Fräulein war über das hoch
-aus dem Boden ragende Wurzelgedräng einer breitstämmigen
-Buche als erhöhter Sitz ein weicher Teppich aus
-Lombardenland gespreitet worden, so daß die beiden Jünglinge
-tiefer lagerten.</p>
-
-<p>Auch Edel spürte wohl, daß Hellmuths Auge unablässig
-nach dem ihren suchte; doch unerbittbar hielt sie die langen
-Wimpern niedergesenkt, und mußte sie dieselben aufschlagen,
-verstand sie es meisterlich, seinen Blick zu vermeiden.</p>
-
-<p>Fröhlich den blinkenden Zinnbecher schwenkend rief
-Minnegard: »Wie wohlig ist's doch hier im Walde! Frisch,
-aber doch nicht kühl, sonnenhell, aber nicht sengend! Und
-alles in Laub und Blumen so jugendfroh! Das lieb' ich!
-Es scheint, &ndash; in solcher Stunde &ndash; das Leben noch so
-leicht, so einfach selbstverständlich! Und doch! &ndash; Was
-mußte nicht alles geschehen, bis gerade wir vier Menschenkinder
-an dieser Stelle, zu dieser Stunde zusammentrafen,<span class="pagenum"><a id="Seite_47">[47]</a></span>
-zwei gute Gesellen, zwei herzvertraute Gesellinnen!« Und
-sie griff mit der rundlichen warmen Rechten nach Edels
-langen, schmalen, kühlen Fingern.</p>
-
-<p>»Das ist noch nicht genug!« rief Fulko. »Auch jeder
-Gesell muß sich eine Gesellin gewinnen; was meinst du,
-Freund?« Aber Hellmuth schwieg: denn Edel runzelte die
-Stirn.</p>
-
-<p>»Es ist so kurz erst,« begann die Braune aufs neue,
-»daß wir alle vier zusammengetroffen sind in dem freundlichen
-Städtlein am gelben Main. Wir wissen noch gar
-zu wenig voneinander. Wie wär' es, wenn wir hier einander
-erzählten, was uns hergeführt und wie wir früher
-gelebt? Eine Waldbeichte! Die Tauben da oben &ndash; hörst
-du ihr zärtlich Gurren, Edel? &ndash; singen die Waldmesse
-dazu.« »Ja, beichten wir!« fiel Fulko bei. »Aber Ihr,
-schön Minnegard, macht den Anfang. Ihr habt gewiß
-von uns vieren das meiste Unheil in der Welt angerichtet.
-Uns anderen wird's dann leichter.« »Mein junges Leben,«
-lachte sie, die weißen Zähnlein zeigend, »ist gar bald auserzählt.
-Geboren bin ich fern im schönen Hochgebirg des
-Bayerlandes, wo, an den Schroffen des Wettersteins, die
-Partnach schäumend durch die Felsen bricht, die Kanker
-murmelnd durch die Büsche zieht, die Alpenrose bis herab
-zum Thalgrund blüht: dort ragt ein altes Schloß seit
-grauer Zeit: &ndash; des Werto Fels: das ist mein Heimatthal,
-auf jener Burg stand meine Wiege. Früh starb die
-gute Mutter, bald folgte ihr der Vater, Herr Werinher
-von Rothenburg, des Königs Graf im Sundergau. Da
-ward mein Muntwalt sein Bruder, der Herr Erzbischof
-Heribert von Köln; der ließ mich zu sich bringen an den
-Rhein. Als ich den achtzehnten Winter vollendet hatte,
-teilte er mir mit, der letzte Wunsch meiner Mutter habe
-mich dem Kloster bestimmt: dieser Wunsch solle mir heilig<span class="pagenum"><a id="Seite_48">[48]</a></span>
-sein. Ich erschrak! Thränen brachen mir aus den Augen.
-Das Kloster, das mich aufnehmen soll, darf ich mir
-wählen.«</p>
-
-<p>»Gut, sagt mir's vorher. Ich steck's in Brand,« grollte
-Fulko leise.</p>
-
-<p>»Ich erbat vor allem Aufschub. Und da der Oheim
-als Reichskanzler den Herrn Kaiser auf unabsehbar lange
-Zeit nach Welschland über die Berge zu begleiten hatte,
-gab er für immerdar die Vormundschaft über mich ab an
-seinen jüngeren Bruder, den Herrn Bischof Heinrich, und
-sandte mich hierher. <em class="gesperrt">Diesen</em> Oheim lob ich mir! Ist's
-ein Mann!«</p>
-
-<p>»Ein Held ohnegleichen!« rief der wortkarge Hellmuth
-begeistert und seine traurigen Augen blitzten dabei auf.
-»Eine Faust von Erz!« »Und ein Herz von Gold!« ergänzte
-der Sänger, den Becher frisch füllend und hebend.
-»Ich trinke auf sein Heil!« »Wir thun Bescheid,« fielen
-die andern ein und selbst Edels strenge Züge wurden
-freundlich: sie stieß mit dem frohen Paare an; Hellmuth
-machte gar nicht den Versuch, seinen Pokal ihrer Trinkschale
-zu nähern. »Allein auch er,« seufzte Minnegard,
-»hält es für Pflicht, dem letzten Wunsch der Mutter nachzuleben.«
-»Wäre nur Frau Heilfriede nicht so fern,«
-meinte Edel, mitleidig auf die Freundin blickend, »die
-vieledle Gräfin, die hilfreiche, die ratkluge. Sie fände
-wohl Rat auch für deine Not!« &ndash; »Ja, die vielgütige
-Frau. Wie hat sie mir in Köln die Mutter ersetzt, solange
-ihr Gatte, Graf Gerwalt, des Deutzgau's waltete.«
-&ndash; »Hat sie doch sogar mich, die Fremde, wie eine Tochter
-gehalten und gepflegt, als ich erkrankte, während mich Herr
-Heinrich dorthin gesandt hatte, dich zu besuchen.« &ndash; »Und
-in hohem Ansehen stand sie bei dem Herrn Kanzler.« &ndash;
-»Dagegen hier sah ich sie noch nie im Bischofshof.« &ndash;<span class="pagenum"><a id="Seite_49">[49]</a></span>
-»Sie weilt ja nun schon geraume Zeit mit ihrem Gemahl
-in Welschland.« »Und noch nicht gar lange ist's her,«
-ergänzte Hellmuth, »daß Graf Gerwalt diesen, den Waldsassengau,
-erhielt.« »Die heilige Gräfin, wie wir sie alle
-nannten,« fuhr Minnegard fort, »sah wohl mein Widerstreben;
-ich glaube, sie hat auch einmal bei Herrn Heribert
-für mich gesprochen Aber ohne Erfolg! So werde ich
-denn &ndash;« und hier spielte schon wieder ein schelmisch Lächeln
-um ihre Mundwinkel &ndash; »in irgend einem weltvergessenen
-Klösterlein dereinst als ›heilige Äbtissin‹ für euch drei sündhafte
-Weltkinder beten. Vielleicht, Edel, läßt du dich dort
-vor meinem Altare trauen.«</p>
-
-<p>»Ich werde mich nie vermählen,« sprach diese gepreßt
-und sah scharf in die Ferne. Gespannt folgten Hellmuths
-Augen diesem Blicke. »Oho!« lachte der Ritter von Yvonne
-und warf den krausgelockten Kopf in den Nacken. »So
-hat schon manch Jungfräulein gesprochen, das als Urgroßmutter
-starb. Die eine <em class="gesperrt">soll</em> nicht heiraten, die andere
-<em class="gesperrt">will</em> nicht! Ja, soll die Welt aussterben? Zwingen muß
-man euch zu eurem Glück, vielholde Thörinnen!« &ndash;
-»Welcher Mann zwingt mich?« Scharf, wie drohend flog
-die Frage aus Edels stolzen Lippen und ein blitzender
-Zornesblick aus den hellgrauen Augen schoß auf Fulko.
-»Nicht ein Mann, aber eine Frau, strenge Edel von Edelhag,«
-erwiderte der rasch: »Frau Minne! Die ist doch
-noch mächtiger denn Euer Herzenstrotz.« »Und,« forschte
-sie bitter, »giebt es wirklich kein anderes Glück als Liebe
-und Ehe?« &ndash; »Für das Weib &ndash; nein!</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Wenig weise wähn' ich das Weib,<br /></span>
-<span class="i0">Welches weigert der Liebe den Leib<br /></span>
-<span class="i0">Und süßem Sehnen die Seele:<br /></span>
-<span class="i0">Freudlos verblüht sie, darbend verdorrt sie,<br /></span>
-<span class="i0">Keinem zur Wonne, sich selber zum Weh!«<br /></span>
-</div></div>
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_50">[50]</a></span></p>
-<p>»Ich fand noch keinen,« sprach Edel laut und fest, »der
-meiner Liebe wert.« Dabei wandte sie das stolze schöne
-Haupt und sah mit zürnenden Augen Hellmuth voll in das
-Antlitz; es war der erste Blick, der ihm heute ward. Der
-senkte demütig den Kopf: »Ihr werdet nie einen finden,«
-sprach er leise, nickend. »Doch, doch!« rief der Junker
-von Yvonne. »Herr Hellmuth vom hohen Horst, trauter
-Genoß, &ndash; das war &ndash; mit Urlaub der herben Jungfrau
-dort sei es gesagt! &ndash; das war herzlich thöricht geredet.
-Verdienen zwar kann der Mensch die Liebe überhaupt nicht:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Lenz, Leben, Liebe, Sonnenschein<br /></span>
-<span class="i0">Kannst nicht als Recht verlangen:<br /></span>
-<span class="i0">Drum mußt du fein bescheiden sein<br /></span>
-<span class="i0">Und sie geschenkt empfangen.«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>»Das ist hübsch,« rief Minnegard. »Ist gewiß provençalisch
-Gewächs?«</p>
-
-<p>Der Sänger neigte sich höfisch und fuhr gegen Edel
-gewendet fort: »Aber dieser Spruch gilt von Weib wie
-von Mann. Die anders dächte, der sagte ich:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Der Starke ist der Schönheit wert<br /></span>
-<span class="i0">Und gleich der Rose gilt das Schwert.<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Und dir, du junger Aar vom hohen Horst, du Sieger
-in fast so viel Gefechten als du Jahre zählst: &ndash; schon
-nennt man dich weit über Frankenland hinaus bis zu den
-Wenden den Rennespeer, den Junker Siegespeer! &ndash; dir
-sag' ich: es lebt kein Mädchen noch so schön und noch so
-stolz-gemut, dessen du nicht würdig wärest!« »Eia wohl!«
-wollte Minnegard rufen, aber die Stimme versagte ihr:
-sie erschrak, so zornig klang nun Edels Frage, die sie Hellmuth
-zuschleuderte wie einen spitzen Speer: »Euer letzter
-Sieg, Herr Ritter, war der zu Worms im Lanzenstechen
-&ndash; nicht?« Er errötete über und über; er ließ das Haupt<span class="pagenum"><a id="Seite_51">[51]</a></span>
-noch tiefer auf die Brust sinken und erwiderte, ohne sie
-anzublicken: »Ich habe seither keine Waffe mehr geschwungen.«
-»Ja, allen Heiligen sei's geklagt!« schalt Fulko laut. »Ein
-Kopfhänger ist er seither worden! Kein Mensch begreift,
-warum? Nach dem glänzendsten Siege, der seit Menschengedenken
-in einem Stechen gewonnen ward, so erzählte
-der Herr Bischof.« »Jawohl,« bestätigte Minnegard.
-»Auch mir rühmte der Ohm &ndash; weiß nicht, Herr von
-Yvonne, warum er uns beide damals zu Hause sitzen
-ließ! &ndash; den Sieg des ›Rennespeers‹. Du aber, Edel, &ndash;
-erzähle doch! &ndash; du warst ja mit dem Herrn Bischof damals
-zu Worms.« »Jawohl,« fiel Fulko ein. »Wart
-nicht Ihr es, edle Jungfrau, die damals den Siegesdank
-zu reichen hatte?«</p>
-
-<p>Die Frage blieb ohne Antwort. Denn ungestüm sprang
-Hellmuth auf. »Es wird schwül im Walde!« rief er und
-ging mit langen Schritten auf und nieder. Und zornig,
-schweigend, mit zusammengedrückten Lippen sah ihm
-Edel nach.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>X.</h3>
-
-<p>»Halt an, Freund!« rief Fulko. »Du darfst nicht entweichen
-mit deiner Lebensgeschichte. Beichte!« Hellmuth
-erwiderte nicht, er strich nur das schlichte, kurze, dichte
-Blondhaar aus den heißen Schläfen. »Jawohl,« pflichtete
-Minnegard bei und haschte ihn, da er wieder an ihr vorüberstürmte,
-am braunen, lang nachflatternden Mantel.
-»Steht! Und steht Rede!« »Ist bald geschehen,« erwiderte
-gelassen der Traurige. »Heiße, wie ihr wisset,
-Hellmuth …« &ndash; »Trübmuth solltest du heißen!« &ndash;
-»&ndash; vom hohen Horst. Fern, aus dem Lande der Ostfalen<span class="pagenum"><a id="Seite_52">[52]</a></span>
-stammte der Vater. Der trat in den Dienst Sankt
-Burchhards zu Würzburg. Als des Bistums Dienstmann
-bin ich geboren und trage seit der Schwertleite des Bistums
-Waffen. Das ist alles.« »Nein,« rief der Ritter
-von Yvonne, »<em class="gesperrt">wie</em> du sie trugst, &ndash; <em class="gesperrt">das</em> ist die Hauptsache.
-Noch zählst du nicht dreißig Jahre und seit vierzehn
-Jahren hast du in keinem Gefechte gefehlt auf deutscher,
-welscher, wendischer Erde, darin Sankt Burchhards
-Fähnlein geflattert und jedesmal … &ndash;« »Bist du nun
-fertig, Lobposaune?« schalt der Sachse, kurz vor ihm Halt
-machend. »O nein, noch lange nicht!« lachte der Provençale.
-»Denn du wirst noch lange ruhmreich weiterkämpfen
-in Ernst und Spiel.« &ndash; »Glaubst du? In
-einem Spielkampfe spiel' ich nie mehr mit. Ich hab's
-gelobt. Nur in den nächsten Ernstkampf, der bevorsteht,
-&ndash; in den reit' ich noch ein.« &ndash; Und als er wieder fern
-von den anderen war auf seinem hastigen Gang, fügte er
-bei: »und nimmermehr heraus!« &ndash; »Und du, schöne Edel,
-vielgestrenge Vetterin, &ndash; willst du uns auch nicht mehr
-Worte gönnen als dieser eiserne Rennespeer?« &ndash; »Noch
-wenigere. Ihr wißt, ich bin von der Spindelseite eine
-fern versippte Niftel der Herrn von Rothenburg, aber aus
-Nordalbingien von der Eider stammen mir die Ahnen, von
-den Markgrafen von Esesfeld. Weit von hier im Nordgau
-lag meines Vaters Volkfried Lehen, nahe der Wendenmark.
-Sie brachen gar oft ein, die wilden Berunzanen.
-Und einmal trafen ihre weitgeschleuderten vergifteten Wurfdolche
-den Vater vor der Burg am Edelhag bei Wolframsdorf&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Ja, sind gar arg liebe Leute!« meinte Fulko, grimmig
-lachend.</p>
-
-<p>»Sie drangen mit den Fliehenden in die Burg und
-verbrannten sie mit meiner armen Mutter: &ndash; Muthgard<span class="pagenum"><a id="Seite_53">[53]</a></span>
-hieß sie, nach einer Ahnin &ndash; und allem, was darin lebte.
-Nur mich flüchtete, aus der Wiege mich reißend und aus
-den Flammen, ein treuer Knecht in den Taubergau zu
-meinen Gesippen nach Rothenburg. Dort und, seit Herr
-Heinrich Bischof ward, hier, haben sie mich mit milder
-Hand geborgen. Die Heiligen werden es den Gütigen
-vergelten!« &ndash; Sie schwieg eine Weile. Dann fuhr sie,
-weich geworden, fort, in das Ohr der Freundin flüsternd:
-»Du <em class="gesperrt">sollst</em> ins Kloster, Liebe, und ich &ndash; <em class="gesperrt">will</em>.« Minnegard
-erschrak. »Du wolltest &ndash; noch vor kurzem &ndash; so
-wenig davon hören wie ich!« &ndash; »Jetzt aber will ich!
-Der Herr Bischof scheint &ndash;&nbsp;&ndash; anderes zu wünschen.
-Dürft' ich mit dir tauschen! So wär' uns beiden geholfen.«
-»Aber wohl nicht allen,« lächelte das Kind der
-Alpen, mit einem heiteren Blick auf Hellmuth. Jedoch
-das Lächeln verflog ihr sofort, sowie sie Edels Auge, das
-sie suchte, feindlich den Schritten des Junkers folgen fand.
-Sie trachtete eifrig, das dunkle Gewölk solcher Stimmung
-zu verscheuchen: &ndash; lachte sie doch selbst so gern und hörte
-sie doch so gern andere fröhlich lachen!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Nun,« rief sie mit ihrer glockenhellen Stimme, »Herr
-Fulko von Yvonne, nun ist's an Euch. Da werden wir
-wohl viel mehr Worte und viel weniger Wahrheit hören.
-Seid Ihr doch ein Sänger: &ndash; oder wie sagt man jetzt
-oft? &ndash; ein Dichter!« &ndash; »Gelogen ist nicht gedichtet,
-schönes Fräulein. Ja, wer lügt, der ist kein Sänger. Und
-mein Wahlspruch lautet: Wahre Schönheit ist schöne Wahrheit.«
-&ndash; »Nicht ganz übel! &ndash; Nun, so sagt uns denn
-auch schön die Wahrheit über &ndash; Euch! Nämlich! …«
-&ndash; Sie schwieg beharrlich. &ndash; »Was will dies nämlich?«
-&ndash; »Nämlich: &ndash;&nbsp;&ndash; ich kam einmal in Euere Kammer! …«
-&ndash; »Nun?« &ndash; »Nämlich der Herr Bischof schickte mich:
-&ndash; denn er wußte, Ihr waret fern: &ndash; mit den Junkern<span class="pagenum"><a id="Seite_54">[54]</a></span>
-Hellmuth und Blandinus saßet Ihr, wie gewöhnlich um
-die Mittagszeit, im schmalen Rebgarten des Hatharlin,
-der den besten Wein verzapfen soll, unter seinen grünen
-Bäumen … &ndash;« &ndash; »Weiß Dame Abonde, dort trinkt
-sich's gut mit fröhlichen Gesellen!« »Der Herr Bischof,
-der selbst noch zuweilen die Laute zupft wie in seinen
-Welttagen, gebot mir, Euere Citole zu holen. Oder vielleicht
-auch« &ndash; sie errötete &ndash; »erbot ich mich dazu an
-Supfos des Kellermeisters Statt. Denn längst war ich
-ein wenig neugierig, wie es wohl bei … Nun &ndash; ich
-fand Euere große, große Truhe offen.« &ndash; »Hab' leider
-keine Ursach', sie zu schließen!« &ndash; »Und fand &ndash; bei
-Eurer welschen Laute! &ndash; gar sonderbare, mannigfaltige
-Herrlichkeiten. &ndash; Beutestücke wohl? Siegeszeichen?« &ndash;
-»Was meint Ihr da?« »Ei nun, welke Blumen, darunter
-noch in der Welke gar schöne, mir unbekannte, wohl
-an Durance und Garonne aufgeblüht, ganze oder auch in
-der Mitte geteilte Schapel, seidene Bänder, buntfarbige
-Schleifen, goldene Knöpflein, Ringlein und Spangen und
-allerlei solch' Zeug. Wenn <em class="gesperrt">die</em> erzählen könnten, &ndash; was würden
-wir da alles erfahren!« drohte sie mit dem Zeigefinger.</p>
-
-<p>»Daß Fulko von Yvonne mit Schwert und Laute durch
-gar manches Herren Land geritten ist vom Pyrenäenberg
-bis über den Main, daß er in gar mancher Schloßhalle
-und mancher Kemenate gesungen und unverdientes Lob
-gewonnen, auch gar manch' üppige Frau, manch' schlanke
-Maid gesehen und schön gefunden und ihr das auch vorgesungen,
-&ndash; aber nur Eine geliebt hat. Wollt Ihr deren
-Namen wissen, Jungfrau Minnegard?« »Behüte! Mädchen
-sind nicht neugierig,« fiel sie hastig abwehrend ein,
-aber sie lächelte und errötete. »Jedoch ein anderes wüßten
-wir gern von Euch: Euer Wesen schillert zwiefach: seid
-Ihr ein Welscher oder ein Deutscher?« &ndash; »Beides, o wißbegieriges<span class="pagenum"><a id="Seite_55">[55]</a></span>
-Fräulein. Ich verbinde beider Völker Tugenden.«
-&ndash; »Oder doch Laster! Aber erzählt!« &ndash; »Mein Vater
-war ein Neckarschwab; er kam auf einem Kriegszuge unter
-Kaiser Ott dem Roten nach Frankreich: das schöne Land
-gefiel ihm: er blieb nach dem Friedensschluß darin, nahm
-Lehen von Kaiser Otts treuem Verbündeten, dem Grafen
-Gottfried vom Ardennerland, zog mit diesem in allerlei
-Fehden tief in den Süden bis in die Provence und erstürmte
-dort einmal das feste Schloß Yvonne, das hoch
-von steilem rotem Fels durch Rebgelände niederschaut auf
-die wild schäumende Durance, nahm den Burgherrn, Graf
-Eudo von Yvonne, gefangen und machte mit dem Graukopfe
-wenig Umstände …« »Pfui, wie unmenschlich!«
-schalt Minnegard. &ndash; »Nun, das ist doch zuviel gesagt.
-Er that ihm gar nicht weh dabei, als er ihn … &ndash;«
-&ndash; »Schweigt! Wie grausam!« &ndash; »Zu seinem Schwiegervater
-machte.« Da lachte die Braune hellauf und selbst
-das andere Paar konnte sich des Lächelns nicht erwehren.</p>
-
-<p>»Ja, das blieb nicht die einzige Unmenschlichkeit, die
-er ihm anthat. Schon zehn Monate danach erhob er ihn
-&ndash; aus lauter Ehrfurcht für sein graues Haar! &ndash; zu
-noch höherer Ehre, indem er ihn &ndash;« &ndash; »Nun?« &ndash;
-»Zu meinem Großvater machte. Meine Mutter aber, Frau
-Jolanthe, war die wunderschönste Frau über all Septimanien,
-Aquitanien und Provence. Noch jetzt ist sie gar
-hold zu schauen, wie Ihr bald selbst sehen und gestehen
-werdet, Jungfrau Minnegard. Gott segne ihre lieben
-Augen. Heil mir: ich hab' sie niemals im Leben weinen
-machen.« &ndash; »Das &ndash; das war ein hübsches Wort &ndash; das
-beste, was ich noch von Euch gehört. Aber was schwatzt
-Ihr da von Sehen? Wie sollte Eure Frau Mutter an
-den Main kommen?« &ndash; »Aber <em class="gesperrt">Ihr</em> kommt &ndash; sicher! &ndash;
-an die Durance. &ndash;&nbsp;&ndash; Der Vater sandte mich schon früh<span class="pagenum"><a id="Seite_56">[56]</a></span>
-von Yvonne an die Lehnhöfe zu Orleans, zu Paris, zu
-Givet: &ndash; denn ein Junker, meinte er, wird nirgends
-schlechter erzogen als daheim. Von Givet aus geleitete
-ich unseren Lehnsherrn, Graf Gottfried, zu dem jungen
-Kaiser, der damals noch in Deutschland weilte, erhielt Urlaub,
-unsere schwäbischen Gesippen am Neckar zu besuchen,
-ward auf dem Rückwege hier von Bischof Heinrich,
-altem Waffenbruder meines Vaters, väterlich aufgenommen
-und … &ndash;« »Und es scheint Euch hier nicht übel zu
-behagen,« meinte Minnegard. »Schon recht lange erfreut
-Ihr den Main und uns durch Euren Anblick.« »Der
-Bischof hat ihn gar lieb gewonnen, den Schalk,« sprach
-Hellmuth, die Hand auf des Freundes Schulter legend,
-»wie wir alle. Wir lassen ihn gar nicht wieder fort.« &ndash;
-»Ja, ich lasse mich erbitten, noch zu bleiben. Denn ich
-muß dabei sein, wenn Jungfrau Minnegard den Schleier
-nimmt. Ganz notwendig muß ich dabei sein.« »Wie
-schadenfroh!« schalt diese. &ndash; »Ich meine ja nicht den
-<em class="gesperrt">Nonnenschleier</em>: &ndash; den <em class="gesperrt">anderen</em> meine ich!« flüsterte
-er ihr ins Ohr, sich so nahe vorbeugend, daß sein braun
-Gelock ihre Wange streifte. »Jetzt ist's Zeit, aufzubrechen,«
-rief sie. »Es wird immer heißer hier im Walde.«</p>
-
-<p>Hellmuth und Edel sprangen hastig auf: sie fanden
-das Beisammen kaum zu tragen; sie schritten dem Rastorte
-der Rosse zu. Aber dem anderen Paare schien's nun
-nicht so zu eilen: &ndash; auch dem Mädchen auf einmal nicht.
-»Ihr habt noch ein Wort einzulösen,« mahnte sie, ruhig
-sitzen bleibend. &ndash; »Ich weiß: ein Lied!« &ndash; »Nun wird
-es zu Tage kommen, daß Ihr gar nicht, wie Ihr geprahlt,
-aus dem Stegreif dichten <em class="gesperrt">könnt</em>.« &ndash; »Doch! Aber &ndash;
-wenn's Euch dann nur auch gefällt. Ihr müßt's dann
-nehmen, wie mir's aus der Seele bricht. Und bei mir
-heißt's: Feuer in die Leier oder Leier ins Feuer.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_57">[57]</a></span></p>
-
-<p>»Nur zu! Fangt nur an. Ich fürchte mich nicht vor
-dem Feuer. Ich gleiche der Schwalbe: die Kälte verscheucht
-mich, die Wärme zieht mich an. Da! Nehmt!« Sie
-reichte ihm die kleine, zierliche, welsche Laute, die sie schon
-vorher neben sich bereitgelegt hatte. Er strich einmal über
-die Saiten, hob das schöne Gesicht in recht bedrohliche
-Nähe zu dem ihrigen, sah ihr tief, suchend, in die haselbraunen
-Augen und hob an:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Zu deinen Füßen lieg ich hier<br /></span>
-<span class="i2">Und schau' dir in die Augen:<br /></span>
-<span class="i0">O könnt' ich all dein Wesen mir<br /></span>
-<span class="i2">Heiß in die Seele saugen!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Du trägst empor zu Sternenhöhn<br /></span>
-<span class="i2">Die glanzbeglückten Sinne:<br /></span>
-<span class="i0">Du bist so schön, so zauberschön,<br /></span>
-<span class="i2">So wonnig wie Frau Minne.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Streifst mein Barett nur an dein Kleid,<br /></span>
-<span class="i2">Durchrieselt mich's wie Feuer:<br /></span>
-<span class="i0">Du meine Qual und Seligkeit,<br /></span>
-<span class="i2">Du mehr als Gott mir teuer!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Man sagt, bald wird die Welt verwehn<br /></span>
-<span class="i2">In Brand und Funkenstieben:<br /></span>
-<span class="i0">Doch nicht in Glut kann untergehn<br /></span>
-<span class="i2">Mein noch viel heißres Lieben.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Die Liebe, die ich &ndash; unerkannt! &ndash;<br /></span>
-<span class="i2">Fühl' hier im Herzen schlagen,<br /></span>
-<span class="i0">Sie wird dich durch den Weltenbrand,<br /></span>
-<span class="i2">Ein Flammenmantel, tragen!«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Bei der letzten Zeile sprangen beide, heiß bewegt, auf:
-die Laute flog in das Moos, und wer weiß, was das
-Rotkehlchen, welches neugierig aus der Weißdornhecke auf
-das Paar hervorguckte, würde zu sehen bekommen haben,
-&ndash; hätten nicht gerade in diesem Augenblick die Diener
-den Zelter des Fräuleins herangeführt.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_58">[58]</a></span></p>
-
-<h2 id="Zweites_Buch">Zweites Buch.</h2>
-</div>
-
-<h3>I.</h3>
-
-<p>Der Herr Bischof von Würzburg war nicht recht mit
-sich zufrieden.</p>
-
-<p>Er sagte sich das, wie er an einem heißen Nachmittag
-in der Bücherei auf und nieder wanderte. »Schon all
-diese Zeit her ist mir nicht geheuer, seit ich Berengar entsendet
-habe; eigentlich doch mehr nur: habe ziehen lassen.
-Und ich hab' ihm streng eingeschärft, noch nicht abzuschließen
-mit den wilden Wenden. Ich scheue mich, sie in den Gau
-hereinzurufen, am Ende gar in die Stadt einlassen zu
-müssen. Wenn diese Heiden …« Er blieb plötzlich stehen
-und griff mit der Hand an die heiße Stirne.</p>
-
-<p>»Ah bah,« fuhr er, wieder ausschreitend, fort, »ich
-habe doch schon oft schlimmes Kriegsvolk in Zucht gehalten,
-werd' auch mit diesen fertig werden. Der erste, der stiehlt,
-hängt. &ndash; Es ist nicht das! &ndash; Aber gegen den Kaiser!
-Gegen den deutschen König! Gegen diesen Jüngling: &ndash;
-er, seine Mutter, sein Vater haben mich mit Huld, mit
-Ehren überhäuft. Undank wird er's nennen. Er &ndash; und
-die Welt! Ich trotze dem lauten Wort der ganzen Welt,
-wenn das stille Wort hier &ndash; hier in der Brust mich freispricht.
-Und es <em class="gesperrt">muß</em> mich freisprechen. Ich <em class="gesperrt">muß</em> Sankt
-Burchhards Rechte wahren! &ndash; Wäre doch Arn zurück mit<span class="pagenum"><a id="Seite_59">[59]</a></span>
-der Entscheidung des Papstes. &ndash; Ja: die Entscheidung!
-Wäre ihre Stunde doch da! &ndash; Inzwischen verzehrt mich
-die Ungeduld! &ndash; Immer beten! &ndash; Kann's nicht! &ndash; Und
-auch nicht immer lesen! &ndash; Es ist so eng, so dumpf, so
-staubig hier unter all den alten Pergamenten! &ndash; Ich
-bin büchermüde. Menschen will ich sehen! Hinaus ins
-Freie! Aber was draußen thun? Fechten darf ich gar
-nicht mehr. Jagen soll ich nur zahm und selten. Der
-Bischof, der Priester soll &ndash;! O Weh und Pein! Der
-Priester! Warum Priester, warum? Ah falsches, treuloses
-Weib! Was hast du zu verantworten! Was hast du angerichtet
-in mir, Verräterin!« Und er drückte die geballte
-Faust vor das Auge.</p>
-
-<p>»Der Priester, &ndash; der Bischof &ndash; was kann er thun
-draußen unter den Menschen? Ihnen wohlthun! Ja,
-und das will ich! ›Seelsorge!‹ Schönes Wort! ›Herzenssorge‹
-wäre auch gar schön, aber wer auf Herzen baut &ndash;!
-Ah was! Fort damit.</p>
-
-<p>Geht es dir schlecht, soll's andern desto besser gehen!
-Hinaus, Heinrich, und hilf, wo du kannst!«</p>
-
-<p>Er stieß den halbgeschlossenen Laden auf und blickte
-über die Stadt hin gegen den Main.</p>
-
-<p>»Die Sonne geht zu Gold. Bald sinkt sie hinter die
-Buchenwipfel des Königswaldes. &ndash; Aber noch ist's Zeit
-genug, Gutes zu wirken, bevor der Tag verronnen ist.
-Es kommt die Nacht, da niemand mehr wirken mag. Die
-Nacht! Am Ende gar &ndash; für diese Welt &ndash; bald die
-ewige Nacht.«</p>
-
-<p>Er schritt aus dem Büchersaal in das Vorgemach,
-dann auf den breiten Gang, in welchen die Holztreppe
-mündete, stieg diese herab und wollte sich der Hauptthüre
-zuwenden, die aus dem Bischofshause ins Freie &ndash; in der
-Richtung nach Westen, gegen die Brücke hin, &ndash; führte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_60">[60]</a></span></p>
-
-<p>Allein in der Mitte der Vorhalle ward er angerufen
-von einer Stimme, die aus der Unterwelt emporzudringen
-schien. »Hezilo! Herr Graf! &ndash; Hochwürdiger Herr
-Bischof, wollt' ich sagen.« &ndash; »Du, Supfo? Was soll's?
-Was willst du?«</p>
-
-<p>Und er wandte sich zur Rechten, wo einige Stufen in
-die Keller des Hauses hinunterführten. Auf der obersten
-derselben tauchte jetzt dort eine behäbige drollige Gestalt auf,
-die aus lauter aufeinandergesetzten Kugeln aufgebaut schien.</p>
-
-<p>Kugelform hatte das grüne Mützlein aus steifem Wolltuch,
-das, vorn höher als hinten, etwas schief auf dem
-rundgeschorenen Grauhaar des runden Kopfes saß. Aus
-dem ganz glattgeschorenen Gesicht traten die stark geröteten
-Wangen halbkugelig hervor unter den runden vergnügten
-Äugelein, die frisch und hell in die Welt schauten; unter dem
-hellbraunen Schurzfell erhob sich ein Bäuchlein, das sich der
-Kugelgestalt nach Kräften zu nähern trachtete und auch die
-roten Wadenstrümpfe zwischen Knie und Knöchel hatten
-Mühe, ihren geschwellten Inhalt zu bergen. Fröhlich, treuherzig
-und dabei recht gescheit, ja schelmisch-witzig war der
-Ausdruck der angenehmen Züge: auch Herrn Heinrich schien
-der Anblick zu vergnügen: heiter ward seine bewölkte Stirne,
-während er auf die Antwort des dicken Männleins wartete.
-Diese kam etwas langsam, denn der Rundliche hinkte ein
-wenig beim Ersteigen der Stufen und schnaufte ganz gewaltig.
-»Uf! Heiß ist's im lieben Würzburg im Brachmond
-sogar im kühlen Keller.« »Ja freilich,« drohte der
-Bischof lächelnd, »wird dem Kellermeister warm, wenn er
-so fleißig seines Amtes waltet &ndash; im Vorkosten! Aber
-was willst du?« &ndash; »Was ich will? O Hezilo, lieber
-Herr, &ndash; das krieg' ich doch nie wieder.« &ndash; »Was ist's?«
-&ndash; »Meinen Hezilo von ehemals möcht' ich wieder haben!
-Den aus der guten Rothenburger Zeit. Hei wie wir<span class="pagenum"><a id="Seite_61">[61]</a></span>
-jagten mit dem alten Rado in dem waldgrünen Taubergrund!
-Den <em class="gesperrt">Grafen</em> Heinrich möcht' ich wieder haben,
-den jagdfrohen, waffenfrohen, weinfrohen, frauenfrohen …«
-Hier furchte der Bischof die hohe Stirn. »Den weltfrohen
-Liebling von Jung und Alt, von Mann und Weib!«
-»Ja, Vielgetreuer,« seufzte Herr Heinrich, »der ist gestorben
-und begraben! Lange schon!« &ndash; »Ich weiß! Ich weiß!
-Weiß auch den Todestag, die Todesstunde &ndash; zu Pfingsten
-war's. &ndash;&nbsp;&ndash; Hätt's nie von ihr geglaubt! Der arme
-Herr!« brummte er unhörbar. »Schad' um Euch, Graf
-Hezilo! Was war's für eine Freude, mit Euch leben im
-Frieden, und im Krieg erst recht! Wißt Ihr noch den
-schlimmen Julitag von Squillace? Wetter und Strahl,
-dort in Kalabrien war's doch noch heißer als hier am
-Main! Da Ihr &ndash; Ihr allein den Herrn Kaiser Ott den
-Jüngeren &ndash; noch seh ich ihn vor mir in seinem jugendlichen
-welligen roten Bart! &ndash; vor der Gefangennehmung
-gerettet habt? Sie glauben falsch, diese Saracenen, aber
-dreinschlagen thun sie ganz richtig. Auf einmal waren sie
-da, wie vom Himmel heruntergeflogen, unzählbar viele!
-Nichts sah man mehr &ndash; vorn, hinten und links &ndash; als
-ihre weißen Flattermäntel fliegen! Es war wie ein unabsehbar
-Schneegestöber.«</p>
-
-<p>»Ja,« fiel Herr Heinrich eifrig ein. »Und welch' ein
-furchtbar Kampfesfeld für uns! Ich hatte treu davor
-gewarnt, von der breiten alten Straße oben auf den Berghöhen
-herabzuziehen auf den Schmalpfad unten an der See.
-Nun hatten wir's! Vorn und hinten die Araber zu Roß:
-auf den Felsen aber zur Linken &ndash; wie steil stiegen sie
-empor! &ndash; die arabischen Pfeilschützen zu Fuß, unsichtbar,
-unerreichbar: und hart zur Rechten &ndash; das brausende
-Meer, gierig, jeden Ausgleitenden zu verschlingen.« »Wie
-viele starben damals,« fuhr Supfo fort, »des Herrn Kaisers<span class="pagenum"><a id="Seite_62">[62]</a></span>
-Entkommen zu decken! &ndash; Wißt Ihr noch, wie er zuletzt
-&ndash; auf geliehenem Roß! &ndash; in das Meer hineinsprang
-und schwimmend ein Schifflein erreichte?« &ndash; »Da fielen
-alle um ihn her, Herr Richari, sein Lanzenträger, und die
-Markgrafen Berchtold und Günther, die Grafen Udo, mein
-Vetter, Gebhard, Ezelin.« &ndash; »Landulf von Capua und
-Atenulf, die edeln Langobarden.« »Und sogar der alte
-ehrwürdige Herr Bischof Heinrich von Augsburg kämpfte
-dort und starb für seinen Kaiser. Beneidenswerter Tod
-für einen Bischof!« seufzte Herr Heinrich. &ndash; »Da lag sie
-hingestreckt, seine ganze Stechschar. Nur Einer daraus
-stand noch aufrecht, seine Flucht zu decken. Aber zu Fuß,
-denn das eigne Pferd hatte er dem Kaiser aufgedrängt,
-da dessen Rotroß, von Pfeilen gespickt, unter ihm zusammengebrochen
-war. Und dieser, stets der vorderste am Feind,
-im Weichen der letzte, der hieß &ndash; Heinrich von Rothenburg.«
-&ndash; »Nein! der vorletzte hieß so. Denn der letzte,
-der den Schild über mich hielt, der hieß Supfo, der von
-der Taubermühle. So oft ich dich den linken Fuß ein
-wenig nachschleppen sehe, denk' ich des Schwerthiebes, den
-du damals für mich aufgefangen.« »Bah,« lachte Supfo,
-»der Heide, der den Hieb schlug, ist doch schlimmer daran.
-Zwar schleppt er den Fuß nicht nach, aber auch den Kopf
-nicht mehr mit! &ndash; Ja, das waren noch Zeiten! Achtzehn
-Jahre sind's nun bald! &ndash; Aber auch noch nach des Herrn
-Kaisers frühem Tode erging's uns gar gut. Wir sonnten
-uns unter der warmen, &ndash; recht warmen! &ndash; Gnade der
-schönen Kaiserwitwe. Weiß Sankt Kilian, Ihr und ich,
-wir beide regierten damals die Frau Regentin samt dem
-heiligen römischen Reich!«</p>
-
-<p>Herr Heinrich mußte lachen.</p>
-
-<p>»Als der falsche Vetter von Bayerland sie verriet, ihren
-Knaben stahl, das Reich an sich riß, viele, viele geistliche<span class="pagenum"><a id="Seite_63">[63]</a></span>
-und weltliche Fürsten abfielen von der vereinsamten Witwe
-und ihrem guten Recht, da habt Ihr bei der vielschönen
-Griechin nahezu allein ausgeharrt, &ndash; wie einst bei ihrem
-Gatten in der Schlacht &ndash; ein Turm in ringsher brandender
-Flut, und habt endlich ihre Sache zum Siege durchgekämpft.
-Das war lustig. Fast jede Woche ein Gefecht!
-Und jed' Gefecht ein Sieg. Und die Sieger immer Ihr
-und Graf Gerwalt.«</p>
-
-<p>Der Bischof schloß die Augen.</p>
-
-<p>»Und in dem Hoflager der Regentin die edle, holde
-Jungfrau Heilfriede! Wie oft hat sie nach erfochtenem
-Sieg Euch den Helm mit Eichenlaub gekränzt! Euch oder
-Graf Gerwalt.«</p>
-
-<p>»Was hast du von des Grafen Gerwalt Eheweib zu
-schwätzen?« &ndash; Recht unwillig war das gefragt. &ndash; »Und
-wozu riefst du mich an?«</p>
-
-<p>»Zu nichts Bösem wahrlich! Ich wollt' Euch bitten,
-den Lautertrunk vom vorvorigen Herbst zu kosten: ich sag'
-Euch &ndash; der ist fein geraten!« &ndash; »Ist mir nicht danach
-zu Mut. &ndash; Mich rufen Pflichten.« Und er wollte sich zur
-Thüre wenden, aber der Kellerer hielt ihn am langen porphyrroten
-Bischofsgewande fest.</p>
-
-<p>»Auch <em class="gesperrt">das</em> ist Pflicht, zu erproben, wie herrlich der
-milde Himmelsherr Eurer müheschweren, klugen, ja weisen
-Arbeit gelohnt hat. Viele Jahre sind's nun, seit Ihr, &ndash;
-kaum waret Ihr hier eingesetzet &ndash; befohlen habt, auch die
-unwirtlichen Hügelhalden im Norden der Stadt dem Weinbau
-zu gewinnen. Eitel Geröll und Gestein bis dahin!
-Den ›Stein‹ schalten die unzufriedenen Bauern den ganzen
-unnützen Berg, auf dem nur ein paar Ziegen kletterten.
-Aber die liebe Mittagssonne liegt darauf so lang und so
-heiß sie irgend <span id="corr063">kann</span>! Die Blust der Trauben verweht
-dort nie ein rauher Wind: &ndash; des Berges hoher und breiter<span class="pagenum"><a id="Seite_64">[64]</a></span>
-Rücken schließt ihn aus. Schwer Geld hat's Euch gekostet,
-die edelsten Rebschößlinge tief aus Welschland zu beziehen:
-&ndash; den ersten habt Ihr mit eigener Hand gepflanzt und
-gesegnet, und unverdrossen habt Ihr all die Jahre lang bei
-dem müheharten Winzerwerk selbst mitgearbeitet in Sommerbrand
-und in Herbstnebel. Zum erstenmal nun kelterten
-wir vor zwei Jahren dies welsche Gewächs auf ostfränkischem
-Boden &ndash; treu und liebevoll, wie eines Liebchens,
-pflegte ich des Fasses! &ndash; und nun kommt in den Keller
-und schmeckt, genießt, was Ihr da Köstliches geschafft. Es
-rollt wie flüssig Feuer durch die Adern. Noch späte Enkel
-werden Euch drum danken.« &ndash; »Ich hab' gelernt, der
-Menschen Dank entsagen. Ich gehe, um …« &ndash; »Nein,
-Herr, bitte, bleibt nur noch ein weniges. Ich … ich
-habe Euch im Keller etwas mitteilen wollen: &ndash; es wäre
-gerade der rechte Ort dafür gewesen: auf einem Fäßlein
-sitzend und von Weinduft umweht &ndash; so muß man das
-lesen und anhören. Denn es ist …« er lachte herzlich. &ndash;
-»Nun was ist's?« &ndash; »Ein Brieflein von Arn!« &ndash; »Wie?
-Von Arn? Aus Welschland? Wohl gar aus Rom?
-Was? An dich schreibt er und mich, der ich so schmerzlich
-auf Nachricht, auf Entscheidung warte, mich läßt er ohne
-Kunde? Das ist ja …« &ndash; »Nein, nein, Herr Graf,
-es ist kein Unrecht wider Euch: &ndash; Ihr werdet's gleich
-selbst einsehen: aber, bitte, laßt Euch einen Augenblick nieder
-&ndash; dort auf der Hallenbank.« &ndash; »Ich nicht! Aber du!
-Dein Fuß! Verzeih mir, Freund, daß ich dich so lange
-stehen ließ.« Und fürsorglich geleitete er den Humpelnden
-an die Bank und ließ ihn auf dieselbe niedergleiten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_65">[65]</a></span></p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>II.</h3>
-
-<p>»Wie gut er ist!« flüsterte der Runde. »Und immer
-so allein! So trübselig! Unter den verwünschten heiligen
-Pergamenten. Gott verzeih mir's: ich wollte sie wären
-lauter Fässer voll Stein und Leisten!« &ndash; »Nun also! Was
-schreibt mein träger Bote?« &ndash; »Vor allem, er ist noch
-nicht in Rom. Der Brief ist geschrieben in einem Dörflein
-hinter Florentia und erst vor einer halben Stunde
-brachte ihn ein Laienbruder aus dem Sankt Gundberts
-Kloster zu Onoldesbach (dem mußt' ich doch den Willkommbecher
-vom Fasse füllen!) dort, bei den guten Mönchen,
-liegt Arns Reitknecht wund: er stürzte mit dem Gaul schon
-auf dem Brennerberg und schleppte sich seither all den
-weiten Weg durch Bayerland und Schwabenland bis in
-unser liebes Franken. Darum währte das so lang. Nun
-hört, was der wilde Bayer schreibt: mir ist, ich seh' ihn
-vor mir und hör' ihn! Die armen Welschen, die ihn angehen
-wollen! Der Riese steckt zwei von ihnen, wie etwa
-Euer zwiebelgelber Berengar ist, unter jeden Arm und trägt
-sie ins Wasser wie junge Katzen.</p>
-
-<p>›Unsern huldvollen Gruß und geistlichen Segen zuvor
-…‹« »Der Unverschämte!« lachte der Bischof. &ndash;
-»Unserem lieben und getreuen, aber durstigen Supfo.
-›Meinem gnädigen Herren, dem Bischof, hast du sofort zu
-melden, daß nichts Entscheidendes zu melden ist.‹« &ndash; »Noch
-immer nicht! Ja freilich, wenn er erst bei Florenz ist!«
-&ndash; »Verzeiht, Herr Hezilo, der Brief ist ja viele Wochen
-alt: &ndash; wegen des Boten, der lange Zeit schon zu Wilten
-am Fuße des Brennerberges liegen bleiben mußte: &ndash; einstweilen
-muß der Bayer längst am Tiberstrom angelangt,
-ja er kann schon bald wieder zurück sein! &ndash; ›Dem hochehrwürdigen<span class="pagenum"><a id="Seite_66">[66]</a></span>
-Herrn Bischof &ndash; oder wie ich lieber sage &ndash;
-denn so durft' ich sagen in den schönsten Jahren meines
-Lebens! &ndash; dem tapfern Herrn Grafen also Gott zum
-Gruß voraus. Aber dann gleich Weidmannsheil und Weinfreude
-vollauf!</p>
-
-<p>Schon einige Male hab' ich ihm durch Boten Nachricht
-gesandt, wie es mir ergangen auf meiner frommen
-Fahrt, zu der er mich unfrommen Jägersmann auserkoren
-hat. Wundert mich nur, daß er mir nicht Rado, den
-Heiden, mitgegeben hat als Begleiter. (Grüße mir den
-Alten und er soll mir noch ein paar Stück Wild übriglassen
-im Grafenwald!) Hat meine Aussendung Herrn
-Heinrich der heilige Geist eingegeben, so war der gerade
-in sehr guter Laune. Denn mir geht's soweit ganz gut.
-Lieber zwar ritt ich mit Junker Hellmuth auf die Wolfsjagd
-oder säße mit dir, Freund Kugilo, in dem geheimen
-Kellerverschlag, wo du Schlauer die Griechenweine birgst,
-und mit dem lustigen Junker Fulko: &ndash; grüß' ihn schön,
-und sag' ihm, ich habe zwischen Main und Arno keine
-zweite Minnegard gesehen, ja keine, die würdig wäre, jener
-ersten den Strumpf über den feinen Knöchel zu streifen.‹«
-»Ich werd' ihm!« unterbrach heftig der Bischof. »Du
-unterfängst dich nicht, dem kecken Provençalen …! So
-weit ist das schon? Nun, warte Jungfräulein! Das führt
-dich noch rascher ins Kloster.« Supfo wollte etwas einwenden,
-aber dies zornige Antlitz vertrug jetzt kein Widerwort;
-so fuhr er fort: »›Als daß ich hier im heißen
-Welschland erkunden soll, &ndash; höchst überflüssigerweise! &ndash;
-ob nicht demnächst die Welt untergehen wird. Es fällt
-ihr gar nicht ein. Sie schaut gar nicht danach aus! Zwar
-wahr ist: je weiter man gen Mittag reitet, desto häufiger
-findet man diesen dummen Wahn in den Köpfen der Leute
-und desto verbissener und versessener sind sie darauf. Aber<span class="pagenum"><a id="Seite_67">[67]</a></span>
-das macht nicht die größere Weisheit, sondern die größere
-Hitze, bei der ja die klügsten Rüden, die oft viel gescheiter
-sind als die Menschen, toll werden. In Augsburg glaubte
-noch kein Mensch daran: &ndash; nur ein paar Nonnen! &ndash; in
-Bozen schon viel mehr Leute, auch Weltliche: in Mailand
-ist noch kaum ein Vernünftiger &ndash; ausgenommen Herrn
-Heinrichs Bruder, der Herr Erzbischof Kanzler Heribert:
-&ndash; der sagte mir: er glaube es erst, wenn's der Herr
-Papst befehle …‹« Der Bischof nickte: »So schrieb mir
-Heribert, und also halt' ich's auch.« Der Runde legte das
-Pergamentblatt nieder auf seine Kniee und sah ihn an &ndash;
-mit einem vielsagenden Lächeln. »So &ndash;&nbsp;&ndash;?« fragte er
-gedehnt. »So? &ndash; Ich … ich halt' es anders.« &ndash;
-Rasch, wie um einer Frage zuvorzukommen, las er weiter.
-»›Vollends aber in dieser sonst gar lieblichen Stadt Florentia!
-&ndash; ich kenne sie gut von früher! &ndash; jedoch davon
-alsbald. Es ist mir also immer gut gegangen, Freund
-Supfissimo, wie man dich hier zu Lande nennen würde,
-abgesehen von der landesgebräuchlichen grausamen Hitze:
-die verträgt mein zottiger Kopf und mein vollblütiger Leib
-gar schlecht. Denn siehst du: die unsinnige Hitze macht
-unsinnigen Durst, der unsinnige Durst macht ein Trinken,
-das auch nicht alle Tage sinnig bleibt und dann macht das
-starke Trinken wieder noch stärkere Hitze und so geht es
-in der Runde fort wie beim Rosenkranzbeten.</p>
-
-<p>Zumal ich doch die edle Gottesgabe, die hier wächst
-&ndash; fast schwarzrot ist der starkduftende Feuerwein! &ndash;
-wahrlich nicht wie diese erbärmlichen Welschen mit sündhaftem
-Wasser verschänden werde. Nun, und im Rausch
-giebt's dann manchmal einen gelinden Raufhandel. Denn
-mich macht der Rausch nicht weinerlich, sondern minnegehrend
-wider die Weiblein und kampfgehrend gegen die
-Mannsleut' &ndash;‹ Ich muß schon sagen,« unterbrach sich<span class="pagenum"><a id="Seite_68">[68]</a></span>
-der Dicke hier, »einen gar frommen Boten habt Ihr an
-den heiligen Vater geschickt. Der wird eine Freude haben
-an Arn aus Bayerland! &ndash; ›Trittst du aus den kühlen,
-kellergleichen Weingewölben auf den glutheißen, in grellstem
-Sonnenbrand bratenden Marktplatz so einer welschen Stadt,
-dann glaubst du ohnehin, du stehst mitten in einer sausenden
-Windmühle: so geschwind drehen sich Säulen und Kirchen
-und Bettelbuben und Heiligenbilder und Cypressen und
-Marktweiber um deinen armen Schädel. &ndash; Nun, und da
-bin ich auch schon manchmal einem schwarzlockigen, glutäugigen
-Mägdlein oder auch einer Ehefrau &ndash; man kann's
-doch nicht immer gleich erraten, zumal sie hier ihre Ringhand
-mit Handschützen zudecken! &ndash; nachgestolpert&nbsp;…&nbsp;&ndash;‹«</p>
-
-<p>Hier sah sich zur Abwechselung der Bischof zu einer
-Unterbrechung veranlaßt: »Nun warte, Bayer! Geht die
-Welt <em class="gesperrt">nicht</em> unter, sollst du mir fasten und dursten, daß
-dir die Üppigkeit vergeht.« »Hilft nicht. Kommt nicht
-wieder!« meinte Supfo trocken und las weiter. »›Schon
-in Verona, in Mailand hab' ich daher leider manchen
-Degenstoß auffangen und zurückgeben müssen, wenn mir
-so ein neugieriger Vater, Bruder oder wenig duldsamer
-Ehemann dabei in den Weg lief. Aber in dieser schönen
-Stadt Florentia: &ndash; das gab einen Spaß ohnegleichen!
-Schon lange erzürnte mich, daß, je tiefer ich in das schöne
-Land hineinreite, desto mehr die Hitze zu- und der Verstand
-abnimmt, so daß sie mir achselzuckend ›barbarische
-Wildheit‹ an den Kopf werfen, weil ich an jenes Gewäsch
-vom Weltende nicht glaube.</p>
-
-<p>Hatt' ich mich da in meiner Herberge den ganzen Abend
-herumgestritten mit zwei edlen Florentinern und zwei
-Mönchen von Cluny &ndash; die nicht zu trinken, sondern zu
-bekehren in die Weinherbergen gingen, tranken zwar doch
-bei der Bekehrung, aber ich mehr als alle vier! &ndash; und<span class="pagenum"><a id="Seite_69">[69]</a></span>
-als der eine Pfaff boshaft wurde und von ›dummen
-Deutschen‹ und ›groben Bayern‹ sprach, erklärte ich, ihn
-hinausthun zu müssen: &ndash; und zwar, weil's näher sei, zum
-Fenster: &ndash; es war nämlich im Erdgeschoß und nicht gar
-zu hoch &ndash; und da ich es ihm einmal versprochen, ließ
-ich ihn auch nicht lange warten. Sein Genosse entwich
-kreischend durch die Thüre. Aber da die beiden florentinischen
-Valvassori dem andern helfen wollten, hatte ich
-sie diesem vorausschicken müssen. Nun, so was bringt das
-Blut in leise Wallung. Und wie ich nun den Schlaf
-suchen will auf meinem elenden Lager &ndash; ungleich weniger
-Strohhalme denn Flöhe barg der Sack, der also richtiger
-ein Floh- denn ein Strohsack würde geheißen haben, von
-anderem Getier, nicht so groß wie Skorpione, aber viel
-häufiger, zu schweigen! &ndash; da ertoset ein unglaublich Heulen
-und Winseln auf dem weiten Platz vor meinem Fenster,
-als ob tausend Teufel tausend alte Weiber zwackten. Ich
-springe mit einem Salzachfluch ans Fenster und seh' im
-Mondschein und im Licht von düster rotflammenden Pechfackeln
-einen langen, langmächtigen Zug von Pfaffen und
-Laien und Männern und Weibern und Kindern und gewaffneten
-Valvassoren und schön geputzten Edelfrauen und
-zerlumpten Bettlern, alles einträchtiglich nebeneinander, und
-all das wälzt sich, betend und singend, gegen die alte
-Basilika mir gegenüber. Und trugen eine Menge Wachskerzen
-und Fackeln und Kreuze und Bandièren und Heiligenbilder:
-und heulten aus eitel Furcht vor dem nahenden
-Tod und Teufel und Weltgericht, daß es die Steine erbarmte;
-oder doch die Hunde von Florenz, denn die heulten
-mit gottsjämmerlich. Und scholl's da durcheinander auf
-Latein und auf Welsch und sangen: ›Wehe! Reue! Buße!
-Besserung! Glaube! Der Diabolus droht. Das Weltgericht!
-Und vorher geht umher der Antichrist.<span class="pagenum"><a id="Seite_70">[70]</a></span>‹</p>
-
-<p>Gute Nacht, Schlaf! sagte ich. Flöh' im Stroh, vor
-dem Fenster Weiber, Hunde, Pfaffen heulend um die Wette
-&ndash; mir ward's zuviel. Gut' Nacht, Florentia, denk' ich.
-In hellem Zorn lauf' ich hinunter in den Stall &ndash; ziehe
-meinen Hengst heraus &ndash; den Reitknecht hatte ich schon
-vorausgeschickt nach Germinianum: denn der hatte &ndash; er
-ist aus Passau und ein wenig grob! &ndash; mit dem Wirte
-einen unerheblichen Raufhandel gehabt: &ndash; drei Zähne,
-aber nur florentinische! &ndash; Und will auf und davonreiten
-noch in der Nacht. Suche aber den Wirt, weil ich die
-Zeche immer zahle, wie hoch sie sei. Alles leer! Wirt
-und Wirtin und Kammermagd und Stallknecht: &ndash; alle
-halfen wohl da draußen das Ende der Welt herbeiheulen.
-Und wie ich durch all die kleinen engen Kammern laufe
-&ndash; (in wahren Mauslöchern hausen sie, diese Welschen!
-Warum? Liegen immer auf der Straße) … Jetzt weiß
-ich aber nicht mehr, wie ich den langen Satz angefangen
-habe, denn auch hier in Germinianum ist der Wein ziemlich
-stark: ich mußte ihn sogar auch in die Tinte träufen
-(<em class="antiqua">atramento</em> sagen sie hier), und ist immer im Eintrocknen,
-wegen Hitze der Natur und Seltenheit des Schreibens …
-also hier geht es mit den Worten nicht ganz zusammen,
-wohl weil die Tinte &ndash; nicht ich! &ndash; des Weines allzuviel
-getrunken, aber du wirst es schon verstehen &ndash; also daher
-finde ich keine Seele. Aber in einer Gewandkammer, in
-die der Mond voll hineinscheint, wär' ich schier erschrocken.
-Denn da hing einer. An einem Thürhaken. Sah aus
-wie der leibhaftige Teufel, etwa wie ihn die Buben bei
-uns am Ostersonntag auf der Bleichwiese vor der Stadt
-verbrennen im Osterfeuer. Schwarze Tarnkappe mit zwei
-Gemshörnern, schwarze Kapuze, glühendrote Augen, rote
-Zunge, lang heraushängend aus bleckenden weißen Beißzähnen
-&ndash; Fledermausflügel an den Schultern &ndash; langer<span class="pagenum"><a id="Seite_71">[71]</a></span>
-schwarzer Mantel, der die ganze Gestalt verhüllt &ndash; eine
-zweizinkige Feuergabel lehnte daneben. Die Welschen haben
-solche Mummerei im Hornung. Ein lustiger Gesell hatte
-wohl für manchen vertrunkenen Krug Chlavintowein den
-kostbaren Seidenmantel als Pfand zurückgelassen. Die
-Verlarvung sehen und laut aufschreien vor Spaß war eins
-bei mir! Flugs stak ich drin: vom Hirn bis zum Knöchel
-der Teufel. Flugs auch saß ich auf meinem schwarzen
-Gaul und, die Zackengabel schwingend, jage ich, was das
-Roß nur laufen kann, schreiend, wie auf einer Salzburger
-Hochzeit, plötzlich in den heulenden Zug. Von der Seite
-her kam ich: ganz ungesehen, bis ich mitten drin war unter
-den heulenden und zähneklappernden Weibern und Pfaffen.
-Da schrie ich in meinem besten Florentinisch: ›Ja! Ja!
-Der Teufel! Der Teufel! Ihr habt ihn gerufen. Jetzt
-kommt er, euch holen!‹ O Supfo mein! Hättest du das
-mitangesehen! Du hättest dir das Bäuchlein gehalten vor
-Lachen! Hättest du den Schrecken gesehen, den ich, der
-Eine Mann, der verachtete Barbar aus Deutschland, all
-diesen überklugen, feingeistigen Welschen einjagte. Auseinander
-stoben sie wie ein Flug Sperlinge, darein der
-Habicht stößt.</p>
-
-<p>Männer wie Weiber, Ritter wie Pfaffen, die Kerzen,
-die Fackeln, die Kreuze, die Fahnen warfen sie weg, über
-den Haufen rannten sie sich, alles drängte, die Kirche, den
-rettenden Altar mit seinen Heiligenknochen zu gewinnen.
-›Der Teufel! Der Diabolo! Der Antichrist! Der Dämon!‹
-schrieen sie durcheinander. ›Gleich greift er mich. Er hat
-mich schon.‹</p>
-
-<p>So sprengte ich zwei-, dreimal von links nach rechts
-und von rechts nach links quer durch den langen Zug, der
-in seinen Windungen sich mehrfach über den weiten Marktplatz
-hin dehnte. Und nicht einer hatte den Mut zu stehen,<span class="pagenum"><a id="Seite_72">[72]</a></span>
-meinem Gaul in den Zügel zu fallen. Nachdem ich, der
-Eine Salzburger, etwa zweitausend Florentiner in die
-Flucht der Todesangst gejagt, sprengte ich davon, und riß
-mir, als ich an das römische Thor gelangt war, die Teufelslarve
-ab. Hier ward ich eine kleine Weile aufgehalten.
-Der Thorwart hatte meine Entmummung gesehen und
-leider kannte mich der Mann von meiner letzten Fahrt
-durch Florenz: und nicht gerade von meiner tugendlichsten
-Seite: denn er hatte damals eine Nichte gehabt, eine dralle
-Dirne von üppigem Wuchs und Wesen. Der unchristlich
-lang nachtragende Oheim stürzt also, sobald er mich erkennt,
-auf den Platz vor dem Thore mit gefälltem Speere: ›Halt,‹
-schreit er, ›ruchloser Arn, du trägst mit Recht des Teufels
-Gewand.‹ Und wirklich mußte ich ihm erst den Speer aus
-der Hand und die Sturmhaube vom Kopfe schlagen, bevor
-ich an ihm vorbei ins Freie jagen konnte. Die Zeche blieb
-&ndash; zu meinem großen Kummer! &ndash; unbezahlt: ein halbes
-Brot, ein Käse und siebzehn Krüge Wein. Der Teufel, für
-den sie mich genommen, mag sie zahlen, kommt er einmal
-wirklich nach Florenz.</p>
-
-<p>Nun Gott befohlen, Supfo. Trinke den Griechenwein
-nicht allen allein aus, bevor ich wieder zurück bin. Ich
-komme durstiger aus diesem Lande der Heiligen heim als
-ich hineingeritten. Noch heute geht's nach Rom weiter.
-Ich freue mich auf den heiligen Vater. Aber noch viel
-mehr auf die unheiligen Römerinnen, die stolzbusigen, wie
-man sie nennt, und auf den Wein der Campagnatrauben.
-Das soll der feurigste sein. Gegeben in einer Taverna
-zu Germinianum, wo es auch wieder Flöhe hat. Aber es
-sind doch andere. Es grüßt dich Arn von der Salzach,
-Jägermeister zu Würzburg und Teufel zu Florenz.‹«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_73">[73]</a></span></p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>III.</h3>
-
-<p>Der Bischof schüttelte den Kopf, aber er mußte doch
-lachen. »Es ist nur ein Glück, daß mir der wilde
-Bayer die Entscheidung des heiligen Vaters schriftlich zu
-bringen hat. Seinem mündlichen Bericht …!« »Nun
-ist's schon recht,« rief Supfo heiter, sich erhebend von der
-Bank und das Pergament wieder in den Gürtel des
-Schurzfells steckend. »Der freche Brief hat doch was Gutes
-gewirkt: Ihr habt gelächelt, Herr Hezilo, und die böse
-Falte auf der Stirn, mit der Ihr kamt, hat sich verzogen.
-Wißt Ihr was? Wollt Ihr mir nicht in den Keller
-folgen, so verstattet, daß ich mit Euch gehe. Meine Gesellschaft
-ist doch noch besser als die Eurer Gedanken in
-der Einsamkeit.« &ndash; »Du hast weit mehr recht hierin, als
-du ahnst! &ndash; Komm mit!« &ndash; »Gleich, teurer Herr, gleich!
-Aber da, nehmt, bitte, diesen Schattenhut: &ndash; ich habe ihn
-für Euch erstanden auf dem letzten Markt von den Dalmatinern
-&ndash; er hängt nun immer hier an der Hallenthüre
-für Euch bereit &ndash; er ist von feinem Stroh, gar leicht und
-luftig: &ndash; die Sonne schießt noch heiße Pfeile über den
-Main herüber. Wo steht mein Krückstock? Da in der
-Ecke. Ich schreite doch besser damit und manchmal gilt's,
-ein bissig Schwein von den Waden zu wehren! So!«
-Er öffnete die breite Thüre der Halle. »Im Namen Gottes!«
-betete der Bischof im Hinausschreiten. »Er segne unsern
-Ausgang.« Beide stiegen nun die Sandsteinstufen hinab
-auf den freien Platz vor Bischofshaus und Dom. »Wohin
-zuerst?« fragte der Kellermeister. &ndash; »Ich will einen Rundgang
-der Seelsorge machen und der guten Werke; es gilt
-gleich, wo wir beginnen: führe du. Du kennst der Menschen
-Not und Wünsche gut, fast besser als ich, was traurig zu<span class="pagenum"><a id="Seite_74">[74]</a></span>
-gestehen,« schloß der Bischof seufzend. »Ja freilich,« meinte
-Supfo und schlug die Richtung von dem Domplatz nach
-links, nach Süden, ein. »Für die letzte Zeit mag's zutreffen.
-Ihr zieht Euch ja immer mehr in Euch selbst
-zurück. Oft seh' ich noch nach Mitternacht vom Hof aus
-in der Bücherei Euer Öllämplein glimmen. Immer beten!«
-&ndash; »Wenn's doch gebetet wäre!« &ndash; »Oder höre unten in
-unserm Schlafzimmer Eueren Schritt ob meinem Haupte
-rastlos &ndash; rastlos &ndash; auf und nieder! Seit Ihr diesen
-schwarzhaarigen Welschen …« &ndash; »Schweig, Supfo.
-Ich weiß, du hassest ihn bitter. Das ist unchristlich.« &ndash;
-»Aber unvermeidlich! Der hagere Kerl mit seinem graugelben
-Gesicht &ndash; wie ein unreif verfaulter Apfel! &ndash; sein
-Anblick schon zieht mir das Wasser im Mund zusammen
-wie der Saure von Dürrbach.« &ndash; »Er hat sich als mein
-&ndash; und was viel mehr ist &ndash; dieses Bistums eifrigster
-Freund bewährt.« &ndash; »Wer's glaubt wird selig, &ndash; oder
-angeführt! Er ist glücklich fort seit ein paar Tagen.
-Sankt Kilian schenk' ihm eine lange Reise! &ndash; Seht hier,
-Herr Bischof, könnt Ihr gleich anfangen mit guten Werken!«
-Und er blieb stehen.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>IV.</h3>
-
-<p>»Was? Hier?« rief der Bischof unwillig. »Bei dem
-Hause des Geizhalses, des Kornwucherers? Wenig erbaut
-bin ich vom Treiben dieses Renatus.«</p>
-
-<p>»Nennt ihn doch nicht Renatus. Isaak heißt der Jud'.«
-&ndash; »Er ist getauft.« Supfo lachte. »Tauft ihn nochmal!
-&ndash; deshalb führt' ich Euch her! &ndash; Aufs erstemal half's
-wenig, aber besser: laßt es ganz bleiben! Wein kann man<span class="pagenum"><a id="Seite_75">[75]</a></span>
-wassern, nicht Blut.« &ndash; »Ich verbiete dir, so von dem
-heiligen Sakrament zu sprechen.« &ndash; »Verzeiht mir, Herr.
-Aber ist's nicht so? Der Glaube wird danach &ndash; vielleicht,
-vielleicht auch nicht! &ndash; geändert: aber das Geblüt?
-Wisset Ihr noch in Neapolis, der schönen Stadt, des Herrn
-Kaisers Mohren aus Äthiopia? Die Welschen hatten ihn
-bei ihrem Mummenschanz vor Aschermittwoch mit weißem
-Mehlkleister überstrichen &ndash; fingerdick! Aber sowie er
-schwitzte beim Tanzen und Springen, da bröckelte die weiße
-Tünche ab von Stirne, Wangen und Händen und allüberall
-kam die angeborne schwarze Haut wieder zum Vorschein.
-Gedenkt Ihr's noch? Nun seht, gerade so steht's
-mit dieses Juden Taufe. Wird der Mensch in ihm warm
-und rührt sich, &ndash; bröckelt der Christ ab und der Jude
-kommt zum Vorschein. Da lob' ich mir die Ungetauften:
-&ndash; unter denen sind die Besten!« &ndash; »Du sprichst unchristlich.
-Die Taufe bringt ihnen das Heil.« &ndash; »Ja,
-aber nur, wenn sie daran glauben, wenn sie das Sakrament
-deshalb suchen. Wenn sie's aber suchen, weil sie
-sich ihres Volkes schämen und lieber mit den Christen die
-Juden placken wollen als sich mit den Juden von den
-Christen placken zu lassen&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Und geplackt müssen sie doch nun einmal werden,
-nicht, Supfo?« lächelte der Bischof. &ndash; »Gewiß, dafür
-sind's Juden. Sind ja das ›auserwählte Volk‹. So hat
-sie der Herr, nachdem sie seinem Sohn Gewalt und Unrecht
-gethan, auserwählt, Gewalt und Unrecht zu leiden.
-Das ist doch klar und höchst gerecht. Ihr Volk verleugnen
-diese Abtrünnigen und Euch, Herr Bischof, lügen sie vor,
-sie glauben: Untreue und Lüge aber bringt nicht Heil,
-sondern Schmach. Dagegen des Juden Mutter, &ndash; das
-ist ein prächtig Weib! Seht, da tritt sie gerade hervor
-aus ihrem Hofthor.« Vor der Außenthüre des ansehnlichen<span class="pagenum"><a id="Seite_76">[76]</a></span>
-Holzhauses erschien eine stattliche alte Frau mit edeln,
-vornehmen Zügen des tief gebräunten Gesichtes. Sie trug
-die phantastische, kleidsame, weitfaltige Gewandung der
-Orientalen. Ein gelbes Brusttuch von feinster Wolle verhüllte
-den Oberleib, gelb waren auch die spitzen Schnabelschuhe,
-die aus dem langen, dunkelblauen Rock hervorsahen;
-ein ganz enganliegendes, turbanähnlich gebundenes
-Kopftuch von schwarzer Seide verbarg sorgfältig jedes Haar
-der Witwe. Sie kreuzte ehrerbietig die Arme über der
-Brust, neigte, gleich einer Palme, das hohe Haupt vornüber
-und sprach mit niedergeschlagenen Augen: »Der Gott
-meiner Väter segne dich und behüte dich, großgewaltiger
-und &ndash; was siebenmal mehr ist! &ndash; großgütiger Herr
-Bischof. Und er lohne dir, daß du bist ebensogut als du
-bist gewaltig.« »Mit der großen Gewalt, Sarah,« erwiderte
-der Gelobte, »ist das so schwach bestellt wie &ndash;
-leider! &ndash; mit der Güte.« »Laßt Euch nicht irren, kluge
-und schöne Frau!« fiel Supfo ein. »Wären wir nur so
-fröhlich, als wir gut sind.« »Unnütze Reden!« verwies
-der Bischof. »Jawohl,« sprach die Greisin mit sanfter,
-wohllautender Stimme und schlug die langen, schwarzen
-Wimpern auf: &ndash; die schönen dunkelbraunen Augen leuchteten
-immer noch &ndash; »unnütz, denn man <em class="gesperrt">kennt</em> Eures
-Herzens Güte! Mein Eheherr Manasse, &ndash; lang ruhet
-er, gesegnet sei sein Gedächtnis für und für und sein Name
-sei nicht vergessen in Israel! &ndash; oft hat er es uns geschildert,
-Isaak, unserm Sohn, und mir, wann wir saßen
-in Frieden vor den brennenden Leuchtern und aßen vom
-Passahlamm und Ruhe waltete im Haus und ringsum im
-Lande und Sicherheit in der Stadt. ›Die Ruhe‹ &ndash; hat
-er gesagt, &ndash; ›und die Sicherheit verdanken wir nach Gott
-dem Herrn dem Mann, der da ist wie ein Turm der
-Stärke und ein Streitwagen von Erz, dem Löwen von<span class="pagenum"><a id="Seite_77">[77]</a></span>
-Rothenburg. Der Graf ist fern, denn leer steht da oben
-die Grafenburg der Gewalt. Er steuert &ndash; der Bischof
-&ndash; dem Raub auf den Handelsstraßen und auf dem Flusse
-und er hat die bösen Buben gebändigt, die schlimme Rotte,
-die da plündern wollte mein Frachtschiff auf dem Main
-und einbrachen mit Beilen in das Haus unsres Friedens.
-Der Engel des Herrn ist mit diesem Bischof der Christen!‹
-Und so hab' ich mich gewöhnt zu Euch, starker und guter
-und weiser Herr, emporzuschauen alle Zeit als zu einem
-Helfer in der Not. Und so bin ich hinausgeeilt aus meinem
-Witwengemach, wie ich von fern Euch kommen sah des
-Weges und stehe hier vor der Thüre meines Hauses, eine
-alte, kummervolle Frau, und greife Euren Mantel und
-lasse Euch nicht, bis Ihr mir habt geholfen in meinem
-großen Leid!« Und sie glitt langsam vor ihm nieder auf
-beide Kniee und haschte sein weites Obergewand mit ihrer
-magern Hand und küßte demütig dessen Saum.</p>
-
-<p>»Steht auf, alte Frau,« mahnte der Kellermeister, sie
-aufrichtend, »wir mögen das nicht leiden. Sagt kurz,
-was oder wer Euch quält.«</p>
-
-<p>»Es ist,« sprach sie, sich erhebend, aber den Saum nicht
-aus der Hand lassend, »Isaak, mein Sohn, mein einzig
-Kind. Was oder wer sonst könnte mich auch quälen auf
-der Welt? Hab' ich doch auf Erden nichts als ihn. Und
-ach! ihn hab' ich nicht mehr, seit … Nun, seit er die
-Taufe nahm zu Mainz.« Der Bischof furchte die Brauen:
-»Daran, Jüdin, that er recht. Aber er wußte wohl,
-weshalb er nicht von mir das Sakrament erbat, sondern
-zu Mainz, wo Herr Erzbischof Willigis nicht so viel von
-ihm weiß wie wir leider hier von ihm wissen. Ich hätte
-ihm zur Bedingung gemacht &ndash; vorher &ndash; ein Gelübde,
-daß er nun auch innerlich den Christen anziehe und von
-sich werfe seinen jüdischen Wucher und Geiz.« »Jüdischer<span class="pagenum"><a id="Seite_78">[78]</a></span>
-Wucher und Geiz!« stöhnte die alte Frau und ein so
-schmerzlicher, vorwurfsreicher Blick der dunkeln Rehaugen
-traf Herrn Heinrich, daß er leicht errötete und rasch einfiel:
-»Ich weiß, was Ihr sagen wollt. Euer Gatte &ndash;
-Manasse &ndash; hat in der großen Kornnot aus seinen Speichern
-die verhungernden Christen in allen Städten und
-Dörfern am Main gespeist von Staffelstein bis Mainz.
-Er war ein Wohlthäter der Armen: &ndash; Gott möge ihm
-die Strafe seiner Verstocktheit mildern, Sankt Burchhard
-und Sankt Kilian mögen für ihn bitten, wie ich, deren
-unwürdiger Nachfolger, es dankbaren Herzens gar oft thue.
-Aber Euer Sohn ist ein …« &ndash; »Herr, er ist krank,
-glaubet mir. Er ist besessen von übeln Geistern! Wir
-haben ja zu eigen soviel Güter der Erde, &ndash; der Herr
-hatte gesegnet meines Manasse Redlichkeit und Fleiß! &ndash;
-daß wir wahrlich nicht sorgen müßten um unsere Lebsucht.
-Aber &ndash; es ist wahr &ndash; er ist so … sparsam, mein
-armer Isaak, daß er sich nicht gönnet eine Neige Weines
-am Sabbath des Herrn!« »Und Euch, scheint's,« schalt
-Supfo zornig, die hagere Gestalt musternd, »Euch, seiner
-alten Mutter, auch an den andern Tagen keinen Bissen
-Fleisch.« &ndash; »Vollends aber seit ein paar Tagen ist er
-ganz krank im Gehirn und wirr in seinen sonst so klugen,
-scharfen Gedanken. Denn er ist gar scharf, mein geliebter
-Isaak.« »Wir wissen's!« bestätigte der Kellerer. »Allzuscharf!
-Möchte seine Seele nicht sehen! Muß voller Scharten
-sein!« &ndash; »Seit wann, arme Frau?« forschte der Bischof
-voll Mitgefühls. Ihn jammerte um die leidende Mutter
-und es ergriff ihn, über das ehrwürdige, schöne Gesicht
-langsam zwei große Thränen rinnen zu sehen. &ndash; »Seit
-das Gerede überhandnimmt unter den Burgensen hier und
-seinen Geschäftskunden in andern Städten, die Welt werde
-demnächst untergehen. Das hat ihm ganz verstört die<span class="pagenum"><a id="Seite_79">[79]</a></span>
-Gedanken. Er kann nicht mehr schlafen seitdem. Und
-immerfort, in der eifrigsten Arbeit, im Rechnen sogar oder
-wann er wiegt auf seiner Wage die Goldmünzen des Herrn
-Kaisers &ndash; wobei ihn sonst nichts störte, ja nicht einmal
-Blitzschlag ins Haus des Nachbars Hesso: er wog ruhig
-fort. Jetzt spricht er dabei mit sich selbst wirre Worte
-und unterbricht sich und rechnet falsch &ndash; der Isaak! &ndash;
-und stiert vor sich hin und stöhnt: ›wenn's wahr ist, bin
-ich ein Narr gewesen vom Knaben an und Narretei war
-all' mein Thun, mein Raffen, Listen, Geizen! Wenn's
-wahr ist &ndash; wüßt' ich's nur! &ndash; noch heute werd' ich ein
-Schlemmer, ein Fresser, ein Säufer wie diese …‹«
-»Diese Deutschen, sagte er wohl,« ergänzte scharfsinnig,
-aber grimmig, der Kellerer. &ndash; »›Ein Spieler werd' ich,
-ein Kleiderthor, und halte mir Jagdrosse und Eberhunde
-und Reiherfalken und … anderes! Ob's wahr ist!‹
-stöhnt er dann wieder und rauft sich Haar und Bart,
-›ob's wahr ist?‹ &ndash; So quält er mich, &ndash; aber was liegt
-an mir! &ndash; so quält er sich selbst, meines Manasse Sohn,
-er quält sich Nacht und Tag mit Grübeln. Jetzt ist er
-fortgeritten gen Frankfurt, einzuheimsen den Gewinn von
-einem großen, großen Geschäft, das er hat gemacht in
-Goldkörnern, Silberbarren und edlem Gestein! Aber, o
-wehe wehe geschrieen! Es hat ihn nicht gefreut das reiche
-Geschäft! Und wie er mir vorrechnet den Gewinn, verrechnet
-er sich wieder! Zu seinem Schaden verrechnet er
-sich, der Isaak! Das war noch nie! Wie muß er sein
-ungesund! Und warum verrechnet er sich? Weil er mitten
-drin immer wieder stutzt und fragt: ›ob's wahr ist? Ob's
-wohl wahr ist?‹ Und als er steigen will auf das Pferd
-zu reiten nach dem Gewinn, steigt er daneben statt in den
-Bügel, weil er gen Himmel schaut und fragt ›ob's wohl
-wahr ist?‹ Und er findet und findet nicht Ruhe, bis er's<span class="pagenum"><a id="Seite_80">[80]</a></span>
-weiß, so oder so. Ich bin eine unweise Frau, ich kann's
-ihm nicht sagen. Und es kann ja sein, daß es geht zu
-Ende: denn oft hat es gelesen Manasse aus den Rollen,
-daß die Welt wird einmal vergehen und Elias wiederkommen
-im feurigen Wagen. Aber Ihr, Herr Bischof,
-guter Mann und weiser, Ihr kennet die Schriften, Ihr
-wisset viel. So sagt nur ja oder nein, daß ich beruhige
-meinen wirren Sohn, wann er wird wiederkommen, und
-beschwichte sein fiebernd Gehirn!«</p>
-
-<p>Und wieder wollte sich die Weinende vor ihm niederwerfen.
-Er hielt sie fest am Arm und sprach: »Frau,
-Ihr thut mir leid in der Seele! <em class="gesperrt">Ihr</em>: &ndash; merkt! &ndash;
-nicht Euer Sohn, den auch die letzten Dinge der Menschheit
-nur schwanken lassen zwischen dem alten sündhaften
-Wucher oder neuem sündhaften Sinnentaumel! Pfui
-über den Juden und schade um das vergeudete Taufwasser!
-&ndash; Höret denn, gute Frau, &ndash; <em class="gesperrt">Ihr</em> wäret
-würdig christlicher Gemeinschaft! &ndash; Ich selbst habe davon
-keine Wissenschaft. Allein ich habe das Haupt der
-Christenheit befragt: bald muß der Bescheid eintreffen.
-Dann werd ich ihn allem Volke dieser Stadt, dieses Bistums,
-verkünden. Bis dahin aber sagt Euerm Sohn:
-›der Herr Christus hat nicht Freude an denen, die da
-nehmen die Taufe, aber nicht lassen vom Wucher. Wahrlich,
-wahrlich, ich sage euch: man kann nicht Gott dienen
-und dem Mammon‹. Das hat der Herr schon Eurem Volke
-offenbart: &ndash; aber mit dieser Offenbarung hat er von
-allen seinen Worten den wenigsten Glauben gefunden in
-Israel. Ihr jedoch, gute Sarah, Euch rate ich: nehmet
-die Taufe. An Euch werden die Heiligen Freude erleben!
-Mag das Gericht nun nahe sein oder fern: rettet Euere
-unsterbliche Seele!« Und er löste mit sanfter Gewalt sein
-Gewand aus der Hand der Greisin, die es immer noch<span class="pagenum"><a id="Seite_81">[81]</a></span>
-festgehalten hatte, und schritt hinweg von ihr mit gütigem
-Nicken des Kopfes.</p>
-
-<p>Die alte Frau sah ihm lange nach. Dann sprach sie,
-kopfschüttelnd und mit der Hand über die Augen wischend:
-»Ich glaube es nicht, daß wir Kinder Israel verdammt
-sind. Wäre es aber so: &ndash; lieber mit Manasse in der
-Hölle, als mit Isaak im Himmel der Christen. Ich will
-beten für uns und für die Christen &ndash; für den armen
-Isaak und für den guten Bischof &ndash; zum Gott meiner
-Väter!«</p>
-
-<p>Und sie schritt langsam zurück in den Hof.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>V.</h3>
-
-<p>Von dem Hofe des Kaufmanns hinweg übernahm zunächst
-Herr Heinrich die Führung des Rundganges. Er
-wollte nach dem Stand der neuen Bauten sehen in der
-Vorstadt vor dem Südthor »auf dem Sande«, die er als
-sein eigenstes wohlthätiges Werk betrieb; vor allem den
-großen Bau des Klosters und der Kirche &ndash; nur diese war
-bereits vollendet &ndash; die er dort den Apostelfürsten Sankt
-Peter, Sankt Paul und dem frühest berufenen Blutzeugen:
-Sankt Stephan, zu Ehren gestiftet hatte.</p>
-
-<p>Schwer fiel es dem Bauherrn aufs Herz, als er sich
-jenseit des Thores der Baustätte näherte, von der her sonst,
-weithin vernehmbar, der fröhliche Klang des Beilschlags,
-der Reihengesang der Arbeiter, der Befehlsruf der Werkmeister
-ihn begrüßte, daß statt dessen eine Grabesstille
-waltete.</p>
-
-<p>In die Luft hinauf stiegen die hohen Gerüste: &ndash; aber<span class="pagenum"><a id="Seite_82">[82]</a></span>
-sie waren leer, verlassen; sie schienen zu trauern; die halbfertigen
-Holzwände sahen wie vom Feinde zerstört aus.
-Nur ein einsamer Mann schlich, die Verödung betrachtend,
-über den leeren Bauplatz; als er den Bischof von weitem
-erkannte, wollte er hinter einem großen Bretterhaufen verschwinden.
-Aber Herr Heinrich hatte ihn erkannt und rief
-ihn an: »Hallo! Haltet an, Hesso! Was lauft Ihr vor
-Eurem Bauherrn davon, Werkmeister?«</p>
-
-<p>Der Angerufene, eine starke stattliche Männergestalt mit
-treuen Augen in dem gebräunten Gesicht, machte Halt, zog
-ehrerbietig, aber mißmutig den kurzrandigen Filzhut und
-erwiderte trübselig: »Werkmeister ohne Werk: &ndash; Bauherr
-ohne Bau.« Verstimmt und verdüstert entgegnete der
-Bischof: »Nun &ndash; eine kurze Unterbrechung! Wird soviel
-nicht schaden! Bald dürft Ihr wieder hauen und hämmern
-lassen hier, Meister Hesso.« Der Mann zuckte die breiten
-Achseln. »Schade! Wir waren so gut im Zuge. Die
-Arbeiter willig und geschickt. Nun haben sich die besten
-schon verlaufen. Und der Bau des neuen Münsters zu
-Sankt Johannis Ehren und des Stiftes in der Nordvorstadt,
-der Hochvorstadt, des Siechenhauses und des
-Waisenhauses und der Schule! Alles unterbrochen! Warum?
-Weil kein Geld in der Kammer sei, log der verfluchte
-Welsche. Aber am gleichen Tage hatte er Speere,
-Sturmhauben, Brünnen für die bischöflichen Dienstmannen
-gekauft und bar bezahlt bei dem Waffenschmied Gericho
-im Eisenhof! Als er nun mit seinen Lügen hier auf das
-Gerüst trat und die Arbeiter ablohnte und fortwies, &ndash;
-gern hätt' ich ihn im Namen und zu Ehren der heiligen
-Petrus, Paulus und Stephanus herabgeworfen von den
-Balken« &ndash; »Geduld! sag' ich Euch. Ihr müßt warten.«</p>
-
-<p>»<em class="gesperrt">Ich</em> kann warten. Aber die Waisen, die Schulknaben
-in dem feuchten Loch am Main und die Siechen, die nun<span class="pagenum"><a id="Seite_83">[83]</a></span>
-auf den Gassen im Stroh liegen? Die können nicht
-warten, Herr Bischof. Jedoch Speere und Brünnen für
-die bischöflichen Dienstmannen: &ndash; das eilte wohl! Uns
-bedroht ringsum kein Feind weit und breit!« »Hört doch
-auf,« mahnte Supfo. »Ihr seht &ndash; Ihr sagt da …«
-&ndash; »Ich sehe, der Herr Bischof zürnt, aber ich sage die
-Wahrheit! Und das Schlimmste ist &ndash; die Armen!«
-»Wieso?« grollte Herr Heinrich. »Ihr Teil ward nicht
-angetastet.« &ndash; »Nein, aber durch die plötzliche Einstellung
-all dieser &ndash; sechs &ndash; großen Bauten haben doch recht
-viele Brot und Lohn verloren. Wohl waren viele Bauleute
-Unfreie des Stifts &ndash; allein gar mancher kleine Freie
-fand doch auch bei der Arbeit Lohn und Brot für Weib
-und Kind. Die hungern nun! Sind aus der Stadt gelaufen,
-rotten sich zusammen im Gau, stehlen und rauben.«
-»Wie Wetter Gottes fahr' ich unter sie,« rief Herr Heinrich.
-»Ich will sie! Wenn der Graf des Waldsassengaus
-schläft …« &ndash; »Er schläft nicht, der wackere Herr Gerwalt,
-aber er ist fern, in Welschland. Wißt Ihr das nicht,
-Herr Bischof?« »Die Bauten werden bald wieder aufgenommen,
-sagt das den Leuten. Und den Gauräubern
-sollen meine Ritter Hellmuth und Fulko den fehlenden
-Herrn Grafen mehr als ersetzen, das gelob' ich.« Unmutig
-schritt er davon, ziellos, weiter gen Süden.</p>
-
-<p>»Nichts für ungut, Herr Bischof!« rief ihm der Werkmeister
-nach. »Aber nehmt sie bald wieder auf, Eure
-Bauwerke: sind gott- und menschen-gefällig.« »Gott und
-Menschen gefällig,« wiederholte der Enteilende bei sich.
-»Jawohl. Zweifellos. Und das Werk, dem ich diese
-Bauten geopfert, wird den Menschen nicht gefallen. Und
-Gott?&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Erregt hastete er weiter, immer gerade aus nach Süden.
-Der treue Supfo hatte mit seinen klugen Augen schon bei<span class="pagenum"><a id="Seite_84">[84]</a></span>
-den ersten Worten des Baumeisters das Gewölk gesehen,
-das aufstieg auf der hohen Stirne Herrn Heinrichs. »Auch
-hinter diesem Unheil steckt,« brummte er, »&ndash; wie hinter
-allem! &ndash; Berengar. Ich muß den Herrn auf andere
-Gedanken bringen. &ndash; Ei sieh da!« rief er. »Was verschwindet
-da so fluchteilig, links, hinter dem Buschwerk,
-vor dem Graben? Ich meine, ich kenne sie, diese fliegenden
-Zöpfe mit den roten Bändern! Da könntet Ihr schon
-wieder ein gutes Werk thun, Herr Bischof Heinzelein!« &ndash;
-»War der Bursche, der nach dem Maine zu davonstob,
-nicht Gericho, ehedem meines Hellmuth Waffenträger, jetzt
-Waffenschmied in dem Eisenhof?« &ndash; »Jawohl! Und das
-hübsche runde Kind, das da entsprang, das war die braune
-Rosbertha, die Tochter des Bezzo, der da ein Gärtlein hat
-und eine kleine Verzapfung östlich vom Südthor.« &ndash; »Hm!
-Was thaten die beiden da drüben?« &ndash; »Ei, was werden
-sie groß gethan haben? Dort ist ja der Ziehbrunnen des
-Wolfilo. Gericho hat wohl dem zarten Kind geholfen,
-den schweren Eimer heraufzuwinden.« »Du mußt deinen
-Bischof nicht anlügen, Supfilo,« lächelte Herr Heinrich.
-»Zumal ich als junger Knab' zu Rothenburg auch wohl
-einmal hinter einem Ziehbrunnen stand. Der Eimer wartete
-schon ganz ruhig auf dem Brunnenrand. Aber der Bursche
-stand immer noch bei ihr hinter der Brunnenmauer. Recht
-nah stand er. Und hielt sie, glaub' ich, an der Hand.«</p>
-
-<p>»Nun ja, soll er das arme Kind etwa in den Brunnen
-stürzen lassen?« Herr Heinrich mußte doch wieder lachen.
-»Und welch' gut Werk hätte ich hier zu thun? Das
-Mägdlein verwarnen, den Burschen schelten &ndash;?« &ndash; »Bewahre!
-Hilft so wenig wie bei Arn!« &ndash; »Und dem Vater
-Bezzo die Augen aufthun.« &ndash; »Ja freilich! Aber nicht
-darüber, daß die beiden jungen Leute sich gern haben, &ndash;
-so dumm, das nicht zu sehen, ist der Bezzo auch nicht!<span class="pagenum"><a id="Seite_85">[85]</a></span>
-&ndash; sondern darüber, daß es sündhaft ist, das frische junge
-Blut, statt es dem hübschen tapfern Gericho zu geben,
-dem alten Stedilo zu verkuppeln, dem reichen Büttner,
-nur weil er fromm und reich ist, der dicke. Er hat nämlich
-nicht eine thatfreudige Frömmigkeit an sich, sondern
-eine feige, sozusagen eine muffige! Und nicht eine liebliche
-Rundlichkeit hat er: wie … nun wie sie Sankt Urban
-seinen Lieblingen gewährt, sondern sozusagen: eine aufgedunsene,
-eine Wanstigkeit. Ihr solltet&nbsp;…&nbsp;&ndash;« &ndash;
-»Supfilo, ich bin nicht junger Minne Feind und Verfolger.
-Nein, mich freut's, wenn treue junge Liebe siegt,
-&ndash; wenn solche wirklich lebt, außer in Fulkos Liedern!
-Aber du kannst doch wirklich deinem Bischof nicht das
-gute Werk auflegen, junge Maide wider väterliche Muntschaft
-aufzustacheln!« &ndash; »Das wäre hier gar nicht mehr
-nötig. Nur ein wenig &ndash; stützen. Aber ich vertraue, der
-Alte lernt noch rechtzeitig frisches Mark und feiges Fett
-unterscheiden.« &ndash;&nbsp;&ndash; »Er sah schon wieder recht ernst
-darein,« sagte er nach einem raschen Blick der hellen runden
-Augen zu sich selbst. »Ich darf ihn nicht ins Grübeln
-versinken lassen &ndash;« Er spähte ziemlich ratlos umher: da
-fiel sein Blick auf einen Schwirreflug von weißen Tauben,
-die jetzt, bei stärker einbrechender Dämmerung des Brachmondtages,
-aus den nahen Feldern nach ihrer Heimstätte
-flüchteten. Die lag in dem spitzen, hochragenden Giebel
-eines alten braunen, vielfach mit Moos geflickten Strohdaches:
-rechts, westlich von der großen Straße, die damals
-schon wie heute auf dem östlichen Mainufer flußaufwärts
-nach Süden führte. Dort fielen sie ein: blendend blitzte
-dabei in den letzten Sonnenstrahlen ihr helles Gefieder.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Dorthin!« dachte der Treue. »Frau Ute! Und
-Wartold mit seinen Blumen! Das wird ihm gut thun.
-Und sie &ndash; das liebe, schlimme Kind! Und ein wenig<span class="pagenum"><a id="Seite_86">[86]</a></span>
-Ärger über den andern? &ndash; Ei was, wird ihm auch gut
-thun, so ein gesunder streitbarer Ärger. &ndash; Und im geheimen
-mag er den Alten doch ganz gut leiden &ndash; noch
-aus der alten, das heißt der jungen, fröhlichen Zeit.« Er
-begann nun: »Ihr solltet doch wieder einmal einsprechen
-da, &ndash; da vorn mein' ich, wo die Tauben einfielen, bei
-der alten Mutter Ute. Trägt ihr hartes Los so fromm!
-Aber manchmal ein wenig Trost thut ihr doch recht wohl.«
-&ndash; »Ja! &ndash; Und ein paar Worte Christentums können
-nicht schaden in dem alten Hirtenhaus. Dem Heidenhaus!
-Ist die letzte Trutzburg der halb vergessenen Unholde, an
-welche die Leute hier zu Lande glaubten, bevor Sankt
-Kilian sie erleuchtete. Wohl, laß uns in Rados Haus
-gehen. Dort braucht's wirklich Seelsorge!« »Wenn der
-Alte still hält dazu,« dachte Supfo. Aber er sagte es
-nicht.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>VI.</h3>
-
-<p>Rüstig ausschreitend hatten beide bald das Pfahlbürgerhüttlein
-erreicht.</p>
-
-<p>Der starke Wolfshund vor dem Zaun schlug an, wie
-sie sich von Osten her dem kleinen Nebenpförtlein näherten:
-gleich darauf stob eilfertig zu dem großen Hofthor ein
-Reiter hinaus und verschwand alsbald gen Süden im
-Staube der Straße. Herr Heinrich schaute ihm merksam
-nach: er hielt die Hand vor die Augen: denn die jetzt
-wagrecht einfallenden Strahlen der Sonne blendeten ungeachtet
-des Schattenhutes; er sah nur den Mantel des
-Reiters noch flattern. »Ich meine fast, das war &ndash; auf
-seinem braunen Hengst &ndash; mein Junker Hellmuth. Was<span class="pagenum"><a id="Seite_87">[87]</a></span>
-hat der hier zu suchen?« Der Kellerer machte sein ahnungslosestes
-Gesicht: &ndash; der Frager sah ihm nämlich scharf in
-die Augen. »Nun? Du weißt doch sonst gar viel von
-ihm &ndash; steckst immer mit ihm zusammen und mit dem
-lustigen Provençalen.« »Das macht: der steckt gern bei
-meinem Lauterwein,« schmunzelte Supfo. »Aber Junker
-Hellmuth … Kaum trinkt er noch! Und lachen hab'
-ich ihn schon seit unser lieben Frauen Verkündigung nicht
-mehr hören.« »Was sucht der hier?« wiederholte Herr
-Heinrich, nachdenklich. »Schon einmal traf ich ihn hier
-um die Wege. &ndash; Heda, halt, Rado!« rief er dem Hirten
-im grauen Wolfsmantel zu, der des nahenden Bischofs
-offenbar ansichtig geworden und gleichwohl beflissen war,
-durch eine schmale Lücke im <span id="corr087">Zaun</span> zu entweichen. Er pfiff
-seinem großen Hund und enteilte gar hastig. »Komm,
-Giero!« rief er alsdann, diesem über den zottigen Kopf
-streichend, wie das Tier auf der Straße in mächtigen Sätzen
-neben ihm her sprang, »wir gehn zu Walde, zur alten
-Esche … zu unserm wahren Herrn! Seit der Held von
-Rothenburg ein Geschorener geworden!&nbsp;…«</p>
-
-<p>Der Bischof schüttelte das Haupt: »er entläuft dem
-Hirten seiner Seele! In der Schlacht entlief er nie. Damals
-folgte er mir blind.« »Und würde Euch auch heute
-gerne folgen in die Schlacht: &ndash; viel leichter denn in den
-Beichtstuhl!« meinte der Runde und schloß das Zaunpförtlein
-hinter dem Bischof.</p>
-
-<p>Gegenüber der Verwahrlosung und Unreinlichkeit, in
-welcher die Häuser der geringeren Leute fast ausnahmslos
-lagen, berührte in diesem bescheidenen Höflein das Auge
-gar wohlthätig die Reinlichkeit und Wohlgepflegtheit des
-ganzen Anwesens. Die Wiesenfläche vor dem Wohnhäuschen
-war durchschnitten von säuberlich mit rotem Sand bestreuten
-Wegen: daneben zeigten sich in dem Gras ausgeschnitten<span class="pagenum"><a id="Seite_88">[88]</a></span>
-&ndash; regelmäßig mit der Schnur gezogen &ndash; bald
-längliche, bald kreisrunde Beete, in welchen Blumen, oft
-auch nicht deutscher Heimat, glänzten und dufteten, während
-an dem gen Mittag gekehrten Holzzaun Spalierbäume von
-Edelfrüchten, sorgfältig aufgebunden und liebevoll gewartet,
-nebeneinander in Reih' und Glied standen.</p>
-
-<p>Wohlgefällig wies Herr Heinrich seinen Begleiter darauf
-hin: »Welcher Fleiß! Welche Reinlichkeit! Leider selten
-bei unsern Gauleuten!« »Ja, ja,« nickte der Kellermeister.
-»Auch ganz leidlichen Wein züchtet der alte Wartold …
-für einen Laien in der edeln Winzerei. Ein ungleich
-Brüderpaar. Der Gärtner gerade so sanft, friedlich,
-fromm …« &ndash; »Als Rado der Jäger &ndash; denn er jagt,
-fürcht' ich, mehr die Wölfe als er die Schafe hütet! &ndash;
-wild und rauh und unfromm. Muß einmal den Archidiakon
-über ihn schicken. Der ist schärfer als ich. Mich
-erweicht immer das Gedenken an die alte Zeit. Aber
-Berengar mag ihn …« &ndash; »Laßt den beiseite, lieber
-Herr. Der treibt die Leute leichter aus der Kirche denn
-hinein.«</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>VII.</h3>
-
-<p>Wie sie unter solchem Gespräch auf dem mittleren Sandweg
-gegen die Thüre der Wohnhütte vorschritten, hüpfte
-ihnen etwas entgegen mit wehendem Gezöpf, gefolgt von
-einem desgleichen hüpfenden Hündlein, das gar lustig bellte
-und mit dem struppigen Schweif wedelte. »Kind,« lächelte
-der Bischof, und strich über das wirre Haar der Kleinen,
-während sie ihm ehrfürchtig die Hand küßte, »weißt du's
-wohl? ›Das schlimme Kind‹ nennen sie dich &ndash; alle.« &ndash;<span class="pagenum"><a id="Seite_89">[89]</a></span>
-»Aber sie haben mich doch gern &ndash; alle, hochheiliger Herr.«
-&ndash; »Mir ist, du bist nicht schlimm. &ndash; Und ein Kind ist
-sie auch nicht mehr,« sprach er zu sich selber. »Sollte
-vielleicht Junker Hellmuth …? Doch nein! Den traf
-doch wohl ein andrer Pfeil! &ndash; Aber immerhin, laß sehen.
-Mein fröhlich Vögelein,« begann er wieder zu ihr, »hab'
-dich lange nicht gesehen. Hast du keinen Wunsch?« »Doch,
-lieber &ndash; hochlieber &ndash; nein &ndash; hochheiliger Herr Bischof.
-Doch!« sprach sie und senkte das blonde Köpflein. »Urgroßmutter
-befahl mir, Euren stärksten Segen zu erbitten
-gegen … gegen meinen argen Mutwillen, wie sie's
-nennt.« »Herr Heinrich, spart Müh' und Segen!« lachte
-der Kellerer, der Kleinen in die volle Wange kneifend,
-»der den Mutwillen auszutreiben, &ndash; dazu brauchte es
-stärkern Exorcismus als sogar der gelehrte Herr Papst
-Sylvester kennt. Was meinst du selber, Hexlein?« »Daß
-Ihr recht habt, kluger Herr Supfo,« antwortete sie ganz
-betrübt und kleinlaut. »Seht, es ist ein Kreuz und ein
-Elend mit mir. Mein Mutwille, wie sie's alle heißen &ndash;
-der ist gerade wie &ndash; wie meines &ndash; Gott! wo ist er
-denn jetzt schon wieder hin? &ndash; wie meines Schnufilos
-Fell vom Schnauzbart bis zum Zagel. Immer und immer
-kämm' und bürst' ich ihn glatt und Schnuf verspricht
-auch, er solle nun glatt bleiben: &ndash; und er schüttelt sich
-und 's ist alles beim alten und zottel-rauh-zottig, zum
-Fürchten! Heiliger Kilian,« seufzte sie, »ich weiß nicht,
-was in mir steckt. Aber es läßt mich nicht! Ich muß!«
-&ndash; »Nun, <em class="gesperrt">was</em> mußt du denn, Kleine?« &ndash; »Lachen
-muß ich! In einem fort lachen! Vom Aufstehn an, wann
-der Knecht so tölpisch daher tappt mit den Wassereimern
-bis zur Vesper, wann die Zicklein so närrisch gesprungen
-kommen von der Weide. Möchte oft gern ernsthaft sein,
-&ndash; werde soviel gescholten! Aber es läßt mich nicht! Seh<span class="pagenum"><a id="Seite_90">[90]</a></span>
-immer an allen Sachen und Tieren und Menschen was
-zum Lachen!« »So? Zum Beispiel auch an mir?« forschte
-der Bischof. »Ei freilich!« lachte sie. So geschwind kam
-die Antwort aus den kirschroten Lippen, daß Herr und
-Diener mitlachen mußten. »Was? Daß Ihr Euren Abendgang
-mit dem Kugelmännlein da machen müßt, armer
-heiliger Herr, und stünd' Euch so gut zu Arm und Antlitz,
-ein stattlich Ehgemahl. &ndash; Aber o weh, das &ndash; ich seh's
-an Euren Augen! &ndash; das ist mehr zum Weinen als zum
-Lachen.« »Wein und Kinder sagen die Wahrheit,« seufzte
-der Kellerer. &ndash; »Also den Segen für mich … Herr
-Süpfelin hat recht! &ndash; er ist doch wohl vergeudet &ndash; den
-möcht' ich umtauschen statt für mich &ndash; für einen andern.«
-»So? Und für wen?« forschte der Bischof ernst. »Etwa
-für Ritter Hellmuth, der soeben mit Euch sprach?« »Der?«
-lachte sie. »Mit mir? Behüte! Kein Wort. Sieht mich
-gar nicht. Nur mit Ohm Rado raunt er immer heimlich.
-&ndash; Aber den Segen möchte ich haben für den, der
-mir &ndash; nach den Gesippen &ndash; aber <em class="gesperrt">gleich</em> nach ihnen!
-der Liebste ist auf der ganzen Welt. Seht Ihr. Da
-kommt er. Dort links!«</p>
-
-<p>Argwöhnisch, wenig erfreut drehte sich der Seelsorger
-um und spähte scharf nach links. »Seht, meines Herzens
-Schnufilo! &ndash; O gnadenreiche Jungfrau, wie schaut er
-wieder aus! &ndash; Voll Schmutz, und blutend am Mündlein.
-&ndash; Jetzt hat er schon wieder gerauft mit des Nachbars
-großem Kater! Meint Ihr, Herr Bischof, er läßt
-es? Nein! O <em class="gesperrt">den</em> segnet mir. Er hat soviele Verfolger
-und Unterdrücker unter den Bürgerschweinen und
-Bürgerhunden und den Beißkatern. Er kommt oft heim,
-zerzaust und zerrissen und blutend, wie die heiligen Märtyrer
-im Sankt Burchhard drüben in der Kapelle auf dem
-scheußlichen, greulichen, heiligen Bild! Ich bitt' Euch um<span class="pagenum"><a id="Seite_91">[91]</a></span>
-Euern kräftigsten Hundesegen. Ist er doch mein herzallerliebster
-Schatz!« schloß sie seufzend.</p>
-
-<p>Herr Heinrich hatte die Stirn in Falten legen wollen,
-aber &ndash; »es ließ ihn nicht«: &ndash; er mußte lächeln, wie er
-der hübschen Kleinen heiligen Ernst und des wirrhaarigen
-Köters Liebesblick zu ihr empor aus den ringsumzottelten
-Augen gewahrte. »Möge er noch lange dein Herzallerliebster
-bleiben und du noch lange die schlimme Fullrun,«
-sprach er freundlich und schritt fürbaß. Supfo verweilte
-noch bei der Verdutztem: »einen Hundesegen, tolle runde
-Runel, holt man nicht beim Herrn Bischof, sondern
-von … einem andern Jäger. Frage nur Rado &ndash; aber
-ja nicht die Urmutter!« »Behüte! Weiß schon!« lachte
-sie, »komm, Schnufelschatz!« und sie sprang davon in hohen
-Sätzen, daß Zöpflein und Röcklein flogen, bis Schnufilo sie
-zornig bellend daran fing und festhalten wollte. Aber sie
-schleifte ihn nach und lachte, daß es schallte. Der Kellerer
-sah ihr nach: »Und das &ndash; <em class="gesperrt">das!</em> &ndash; soll der liebe Himmelsherr
-demnächst zu Zunder und Asche verbrennen? Er
-müßte sich ja schämen! Nein. Unser Herrgott hat das
-Herz am rechten Fleck &ndash; trotz unsereinem. Ich mag's
-nicht von ihm glauben!«</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>VIII.</h3>
-
-<p>Wie nun die Besucher dem Hüttlein unter dem Moosdach
-sich näherten, öffnete sich die niedere Thür und heraus
-trat eine sehr alte Frau, gestützt auf ihren auch schon
-betagten, aber noch vollrüstigen Enkel. Die Züge der
-Greisin waren immer noch schön &ndash; so friedlich waren sie!<span class="pagenum"><a id="Seite_92">[92]</a></span>
-&ndash; und das silberweiße Haar stand ihr gut zu den rosigen
-Wangen. Diese zarte Gesichtsfarbe und das Milde in den
-Mienen und im ganzen Wesen hatte der Enkel von ihr
-geerbt.</p>
-
-<p>»<em class="gesperrt">Dort</em> steht der hochehrwürdige Herr Bischof, dort,
-zur Rechten, Großmütterlein!« mahnte der Führer, indem
-er den aus Mainschilf geflochtenen Flachhut, wie ihn
-in der heißen Zeit während der Arbeit in den Weinbergen
-die Winzer trugen, demütig abnahm. »Dank Euch, Herr
-Bischof, daß Ihr auch die Hütten der Geringen aufsucht.
-Ihr seid wie des lieben Herrgotts Sonne! Die grüßt
-und erfreut auch nicht bloß, was ihr stolz das hohe Haupt
-entgegenrecken mag, &ndash; auch das geringe Blümlein sucht
-sie segnend auf, das sich bescheiden duckt am Raine.« Der
-Bischof nickte ihm freundlich zu: »Ich fand schon oft, wer
-viel mit Blumen und Pflanzen zu thun hat, dessen Seele
-wird sanft und sinnig.« Er faßte jetzt die Hand der
-Alten: »Nun, Mutter Ute, wie steht's? Ihr tragt Euer
-schweres Los so lang &ndash; so lange schon! &ndash; mit echt
-christlicher Geduld.« &ndash; »Ach, gütiger Herr Bischof, es ist
-nicht schwer, wenn man nur einen recht festen Glauben
-hat. Und den, seht, &ndash; den hab' ich! &ndash; Und daß ich
-ihn habe, &ndash; das dank' ich auch &ndash; <em class="gesperrt">Ihm</em>!« &ndash; »Gott
-dem Herrn!« »Mag wohl sein,« erwiderte die Greisin
-zögernd. »Will gewiß nicht nein sagen. Der Herr mag
-es wohl meinem armen Konrad auf die Lippen gelegt
-haben, bevor er starb.« &ndash; »Euer Mann! Was hat er
-Euch gesagt damals? Er starb', mein' ich, in derselben
-Nacht, da Ihr, da die Ungarn &ndash;« &ndash; »Ganz recht, Herr
-Bischof! Hunnen nannte man sie. Bald sind's nun siebzig
-Jahre.« »Siebzig Jahre blind!« seufzte der Kellerer mitleidig.
-»Ja, das war noch unter Bischof Dietho,« fuhr
-die Alte fort, immer lebhafter redend in dem Eifer der<span class="pagenum"><a id="Seite_93">[93]</a></span>
-Erinnerung und wiederholt mit der Hand über ihr dichtes
-weißes Haar streichend. »Damals war noch Sankt Burchhards
-heiliger Leib nicht erhoben. Da war der Graben
-um die Stadt noch nicht gezogen, noch nicht einmal der
-Pfahlhag war ganz fertig geworden. Wir wohnten in
-einem Hüttlein dicht hinter dem Pfahl im Osten der Stadt
-am dürren Bach. Mein Mann, ein Freigelassener des Bistums,
-war gar geschickt, mit Axt und Stemmeisen zu
-bauen und zu zimmern; er war vom Knaben auf im
-Bischofshaus als Zimmerer verwendet worden, hatte daselbst
-gar frommen, frommen Sinn gewonnen und nun
-hatte ihm vor Jahr und Tag der Herr Bischof Dietho das
-Hüttlein am dürren Bache zur Leihe gegeben, damit er
-mich heiraten konnte: ich war Magd von Sankt Andreas,
-wie man damals statt Sankt Burchhard noch sagte. Ich
-hatte meinem Konrad gerade ein paar Nächte vorher Zwillinge
-gebracht: &ndash; einen Knaben und ein Mägdlein. Wir
-waren so glücklich! Auf einmal &ndash; in der Nacht &ndash; ein
-Gejohle, wie wenn der Höllenwirt tausend böse Geister
-losgelassen hätte! Konrad springt ans Fenster &ndash; das
-war offen: denn warmer Sommer war's, wie jetzt &ndash;
-›Helft‹ rief er, ›Sankt Kilian, Sankt Koloman und Sankt
-Tetnan!‹ &ndash; Rings Feuer! Rings Flammenschein! Des
-Nachbars Hütte zur Rechten brennt lichterloh! Und in
-dem Flammenschein Hunderte von Teufeln und Unholden,
-zu Roß, zu Fuß, schreiend, jauchzend, mit Äxten an die
-Nachbarhöfe zur Linken, auch schon an unsere Hausthüre
-schlagend. ›Das sind die Hunnen!‹ rief mein Konrad,
-schloß rasch den Laden und griff nach einem Beil. Wie
-aus dem Abgrund aufgestiegen, so plötzlich waren sie da.
-Schon brannte auch unser Heim, das Strohdach und die
-rechte Holzwand! Aber hinaus? Wehe, wir sahen durch
-die Ritzen des Ladens, wie die Unholde da draußen die<span class="pagenum"><a id="Seite_94">[94]</a></span>
-Weiber, die Kinder, die aus den brennenden Hütten flüchteten,
-griffen und in ihre Lanzen oder zurück in die
-Flammen warfen.</p>
-
-<p>So blieben wir an dem Herd zusammengedrängt,
-mein Kurt das Mägdlein, ich den Knaben im Arm und
-beide schreiend zu Gott und den Heiligen. Da plötzlich
-&ndash; von oben her &ndash; ein Krach und eine Lohe über uns
-hin! Der Firstbalken war gerade auf uns herabgestürzt,
-über meine Augen ein brennender Span. Das that weh,
-Herr Bischof! Noch spür' ich's, denk' ich daran. ›Kurt,‹
-gellte ich in grellem Schmerz, ›wo bist du, ich sehe dich
-nicht.‹ ›Hier,‹ stöhnte er, ›ich sterbe, arme Ute.‹ ›Wo?
-Wo denn?‹ schrie ich und tastete nach ihm. Ach &ndash; ich
-sah ihn nicht mehr &ndash; ihn nicht und nichts mehr auf
-Erden. Er merkte es bald: ›Utelein,‹ sprach er, ›liebes
-Weib, schönes Weib‹ &ndash; so sagte er, Herr Bischof: O ich
-hab' mir's seither vorgesagt tausend, tausendmal! &ndash; ›das
-Mägdlein an meiner Brust ist tot, zerschmettert. Und
-ich &ndash; ich muß sterben. Aber der Knabe in deinem Arm
-ist ganz unversehrt. Du &ndash; glaub' ich &ndash; siehst nicht mehr
-ganz gut. Das ist hart! Aber sei getrost: der Himmelsherr
-hat's so gewollt. Und horch &ndash; es wird schon stiller
-draußen &ndash; die Hunnen haben sich verzogen‹. ›Blind!‹
-schrie ich. ›Blind fürs Leben? So soll ich niemals dein
-helles Antlitz, wiedersehen?‹ ›Du vergissest, liebes Weib,‹
-sprach er sanft, ›ich muß jetzt sterben. Aber dereinst, wann
-auch <em class="gesperrt">du</em> stirbst, dann wirst du wieder sehen. Im Himmelreich
-da oben, bei dem milden Gott, giebt es keine Lahmen,
-Krüppel und Blinde: dort ist lauter Vollkommenheit: erst
-gestern hat's der Herr Bischof gepredigt im Dom. Also
-sei ganz getrost! Kommst du zu sterben, wirst du sehen,
-wirst du mich wiedersehen. Mit dem Mägdlein auf dem
-Arme schweb' ich dir aus den Wolken entgegen und hole<span class="pagenum"><a id="Seite_95">[95]</a></span>
-dich ab aus der Not und der Nacht der Erde in das
-ewige Licht. Leb' wohl! Gewiß ist's wahr &ndash; glaub'
-mir &ndash; du wirst mich wiedersehen, wann du stirbst.‹ Das
-war sein letztes Wort.</p>
-
-<p>Bald darauf gruben mich die Reisigen des Herrn Grafen
-und die Dienstmannen des Herrn Bischofs &ndash; die Hunnen
-waren hinweggestoben, nachdem sie die Häuser vor der
-Mauer verbrannt &ndash; aus dem noch qualmenden Schutt,
-mich und den unverletzten Knaben und ach! die beiden
-Toten. &ndash; Und nun leb' ich und zehr' ich bald siebzig
-Jahre von dem letzten Wort meines Konrad. Ich glaube
-an sein Wort wie an Gottes Wort so fest.«</p>
-
-<p>Gerührt sprach der Bischof: »Gott der Herr hat dich
-gesegnet, arme Frau, in deinem Elend durch deinen Glauben.«
-»Ja, Herr, da sprecht Ihr wahr,« bestätigte ihr Enkel,
-sich aufrichtend: er hatte sich gebückt, die Schnecken von
-seinen Blumen abzulesen und auf dem Sandwege zu zertreten.
-»In aller Not hat sie dies Wort aufrecht erhalten.
-Und es ging ihr früher doch oft recht übel.« »Nicht
-Schuld meines braven Sohnes Konrad,« fiel die Alte eifrig
-ein &ndash; »und seines lieben Weibes: Gott lohnt ihnen längst
-schon beiden in der lichten Himmelsaue! Und auch wahrlich
-nicht, sobald die irgend eine Arbeit leisten konnten &ndash;
-meine beiden Enkel. Denn darin muß ich den Schwarzen
-loben wie den Blonden &ndash; so ungleich sonst sie geartet
-sind, die seltsamen Brüder. Auch mein Rado &ndash; …
-wo ist er? ich höre ihn nicht &ndash;?« &ndash; »Zu Walde gegangen,
-Großmutter.« »Schon wieder!« seufzte die Greisin.
-»Das ist sein Unsegen! Weiß Sankt Kilian, immer in
-den finstern, verrufenen Grafenwald! Böse Geister sollen
-dort hausen« &ndash; sie bekreuzte sich Stirn und Brust &ndash;
-»der wilde Jäger hetzt ob seinen Wipfeln und jagt die
-Holzweiblein darin mit lautem Huhu, Huhu. Bald als<span class="pagenum"><a id="Seite_96">[96]</a></span>
-Hirt, bald als Jäger, bald als Köhler, aber immer in
-jenem Wald macht er sich zu schaffen. Schon vom Knaben
-auf! Seine Mutter &ndash; will sie sonst gewiß nicht schelten!
-&ndash; ist schuld daran: sie erzählte ihm viel, viel mehr vom
-wilden Jäger und vom bergentrückten Kaiser und von
-Waldschrat und Rauchries' und Drachenries' als von den
-lieben Heiligen. Aber was er früher im Waffendienst der
-Rothenburger verdiente und was er später hier im Hirtendienst
-der Bürger erarbeitete, &ndash; alles brachte er mir, der
-Schwarze wie mein Blonder &ndash; wie ihr Vater sie nannte.
-Aber der Blonde ist immer gern bei mir geblieben.«</p>
-
-<p>»Nun, Großmütterlein, jetzt sind wir schon lange beide
-grau. Und es ist doch nicht mein Verdienst, daß es mich
-von Kind auf mehr freute, hier im Gehöft zu bleiben, das
-die Bürger dem Vater als Gemeindehirten zur Erbleihe
-gegeben und dies Gärtlein anzulegen und meiner lieben,
-lieben Blumen zu pflegen und an den Zäunen des Edelobstes
-und der Reben.« &ndash; »Er hat eine so glückliche
-Hand, mein Wartold. Alles gedeiht unter seinen geschickten,
-geschmeidigen Fingern …« »Der Herr hat sie ihm gesegnet,
-diese Hand,« sprach der Bischof, »die so getreulich
-die blinde Ahnin geführt hat.« »Aber auch Rados Hand!«
-fiel der Gärtner eifrig ein. »Wohl ist sie härter als die
-meine hier, aber stärker und sicherer. Er trifft den fließenden
-Fisch im Main! Und Bär, Luchs und Wolf, sie kennen
-seinen Speerwurf gut.« »Wie weiland Saracenen, Wenden
-und Welsche,« nickte Herr Heinrich. »Aber die Heiligen
-schlecht sein Beten!« »Zürnt ihm nicht, Herr,« bat Wartold.
-»Lieber Gott,« raunte Supfo ungeduldig, »ich kenne einen,
-&ndash; einen Seelenhüter, nicht bloß Gemeindehüter &ndash; der
-hat die längste Zeit seines Lebens auch viel lieber den
-Auerhahn im Buchenwald balzen als den Pfaffen im Dom
-Messe singen hören.« »Und nun geht ja doch bald alles<span class="pagenum"><a id="Seite_97">[97]</a></span>
-zu Ende, Gott sei Dank,« erinnerte Frau Ute. »Da gönnt
-ihm doch noch sein bischen Jagen.« &ndash; »Meint Ihr, gute
-Frau? Noch hat sich die heilige Kirche nicht ausgesprochen
-über jenen Glauben.« »Herr Bischof,« fragte Wartold,
-sehr ernsthaft, »was meint Ihr? Giebt's im Himmelreich
-auch Blumen?« Herr Heinrich schwieg verdutzt einen
-Augenblick. »Das … das hat mich noch kein Mensch
-gefragt! Und ich mich selber auch nicht! &ndash; Blumen? &ndash;
-Weiß nicht! &ndash; Aber ja! Doch wohl! Palmen, Palmen
-für die Märtyrer.« »Ach, die wachsen nicht bei uns,«
-klagte Wartold ganz betrübt. »Hab' sie immer nur gemalt
-gesehen in den Kapellen. Von denen hab' ich kein
-Verständnis; werde sie am Ende zu trocken halten,« schloß
-er nachdenksam. »Die Wipfel in Glut, die Wurzeln in
-Wasser taucht die Palme, so lehrte mich der Araber, den
-Ihr eine Weile hier als Geisel gehalten.« »Nun, Gärtner,
-verzagt mir nur nicht,« lachte Herr Heinrich. »Eben fällt
-mir bei: auch Lilien brauchen sie da oben für die Jungfrau
-Maria. Und um die Stirnen der Seligen zu kränzen.
-Und auch Engelein sah ich zu Rom im Sankt Peter auf
-Goldgrund fliegen, &ndash; die trugen weiße Lilien in den
-Händen.« »Eia, Eia!« rief der Alte vergnügt und rieb
-sich die Hände in heller Freude. »Gott lohn' Euch dieses
-Wort, Herr Bischof! Lilien! Lilien, sagt Ihr? Nun
-seht: das sind ja gerade meine Lieblinge. Und ein klein
-wenig,« nickte er lächelnd, »ein klein wenig verstehe ich
-mich auf deren Pflege! Habe dafür am meisten Geschicklichkeit.
-&ndash; Oder Gnade von Sankt Gertraud, will ich
-sagen. Seht nur, frommer Herr Bischof, dort das runde
-Beet. Zwei neue Arten! Haben hier zu Lande noch nie
-geblüht. Die eine &ndash; die weiße &ndash; gefüllt! Und die
-andre &ndash; die feuerrote &ndash; noch viel süßer duftend als die
-weißen! Ein Freund von mir, der Klostergärtner von<span class="pagenum"><a id="Seite_98">[98]</a></span>
-Herrieden, der seinen Abt auf einer Pilgerfahrt nach Rom
-begleiten durfte, brachte mir die Zwiebeln mit aus einer
-welschen Stadt: &ndash; die soll nach den Blumen benannt
-sein: ach diese Stadt möcht' ich wohl gesehen haben! Aber
-nun ist's zu spät. Seht nur, wie sie gedeihen! Und noch
-schönere hab' ich in dem Neubruch, den ich angelegt &ndash;
-weiter gegen die Stadt und den Main hin, die solltet
-Ihr mal sehen!« »Der Alte hat eine Liebe zu den unnützen
-Stingel-Stengeln,« brummte Supfo, »als wären's
-wirklich Reben vom Stein!«</p>
-
-<p>»O, Herr Bischof,« fuhr Wartold fort und faltete die
-Hände, »komme ich &ndash; Unwürdiger! &ndash; doch etwa in den
-Himmel … &ndash;« »Er ist dir sicher, schon wegen des
-vierten Gebots,« sprach die Blinde. &ndash; »Dann legt ein
-gutes Wort für mich ein bei Eurem Amtsbruder, Sankt
-Petrus &ndash; der hat ja doch wohl das Ganze des himmlischen
-Hauswesens unter sich, nicht? Ich meine: die Vergebung
-der Ämter zu Lehen! &ndash; Bittet, daß ich sein
-Gärtner …, ach so, wegen der Palmen? Nun, die
-werd' ich mir wohl auch anlernen können! &ndash; o wenn ich
-nur sein Gärtnergehilfe werden darf. Ewiglich der Lilien
-pflegen, wie selig!« Und seine sanften blauen Augen
-leuchteten ganz verklärt. »<em class="antiqua">Sancta simplicitas!</em>« sprach Herr
-Heinrich gerührt zu sich selber. »Mir ist, diesem reinen
-Herzen ist der Himmel gewisser als mir.« »Soll ich einmal
-selig werden im Himmel &ndash; aber es eilt nicht, gar
-nicht!« &ndash; raunte Supfo &ndash; »reiß' ich ihm die Lilien aus
-und setze Leistenschößlinge!« &ndash; »Wenn nur dein wilder
-Bruder,« warnte Herr Heinrich, »nichts Ähnliches wünscht
-wie du: zwar nicht ewig gärtnern, aber ewig jagen!«
-»Sankt Kilian schütze ihn,« rief die Alte, »vor solch' frevelem
-Wort! Da müßte er ja dem wilden Jäger folgen
-immerdar.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_99">[99]</a></span></p>
-
-<p>Der Bischof wandte sich zum Gehen; vorher aber zog
-er noch ein Geldstück aus seiner ledernen Gürteltasche,
-reichte es dem Alten und sprach: »Da! Nimm! Ich kaufe
-dir all' deine Lilien ab. Das heißt: &ndash; erschrick nur
-nicht! &ndash; alles soll dein eigen bleiben: Beet und Zwiebeln
-und Stengel und Blätter und Blüten &ndash;« &ndash; »Ja, aber
-was &ndash; was ist denn dann die Ware, die Ihr kauft?« &ndash;
-»Du sollst mir nur, soviel ich davon brauche, an Sonntagen
-zum Schmuck des Hauptaltars des Domes liefern.
-Bist du's zufrieden?« &ndash; »Gewiß, Herr! Welche Ehre
-für meine Blumen! Meine Fullrun soll sie Euch immer,
-frisch geschnitten, bringen. Aber &ndash; es ist des Geldes ja
-viel zu viel. Und für so kurze Zeit! Wie viele Wochen
-wird denn die Welt noch stehen?« »Es ist zum Lachen,«
-schalt Supfo in sich hinein. »Sie glauben fest an die
-Dummheit.« &ndash; »Nun, für so lange eben gilt der Handel,
-als die Welt, der Dom und die Lilien noch stehen.« &ndash;
-»Gut, gut. Aber …« &ndash; »Noch ein Bedenken, Alter?«
-&ndash; »Wenn der jüngste Tag an einem Sonntag gerade
-hereinbricht …?« &ndash; »Nun, was dann?« »Dann,«
-rief der Greis tief erregt, »dann geht der Himmel Euerem
-Altare vor! Die letzten, die ich hier gezogen, die nehm'
-ich mit hinauf, die Stirnen der Seligen dort oben damit
-zu schmücken. Zumal Eine Stirne …!« Die Stimme
-versagte ihm: &ndash; die blauen Augen wurden feucht. »Nun,
-Wartoldchen, mein Junge, nun!« tröstete die Blinde.
-»Mußt nicht weinen! Siehst sie ja nun bald wieder,
-Friedlindis, deine gute Frau! Hast sie nicht so lange entbehren
-müssen wie ich meinen Kurt. Sie starb, nachdem
-sie ihm das liebe, schlimme Kind geboren. Sind erst
-fünfzehn Jahre. Da thut so was noch heiß und bitter
-weh!« »Sind erst fünfzehn Jahre,« wiederholte Herr
-Heinrich tonlos, »da thut so was noch heiß und bitter<span class="pagenum"><a id="Seite_100">[100]</a></span>
-weh. Ach, und er hat nur ihren Leib, nicht ihr Herz
-verloren!« brütete er still weiter. »Und kann der Mann
-ein Weibesherz verlieren, das er einmal besessen? Weh,
-ich bilde mir nur ein, ich hab's verloren. Sie <em class="gesperrt">hat</em> kein
-Herz. Oder ich hab's nie besessen.«</p>
-
-<p>»Was ist Euch, Herr Bischof?« fragte die Blinde.
-»Ihr leidet! Ich hör's! Ihr atmet so schwer.« Supfo
-zupfte sie am Rock, sie möge schweigen.</p>
-
-<p>Aber Herr Heinrich hatte sich schon wieder emporgerafft:
-»Lebt wohl, ihr guten Leutchen. Bald komm' ich wieder
-zu euch. &ndash; Friedlich ist's bei deinen Blumen, Wartold.
-Ich will beten für euer Heil im Himmel. Betet ihr für
-meinen Frieden &ndash; auf Erden! Komm, Supfo! Nach
-Hause! In die Einsamkeit.« Und hastigen Schrittes eilte
-er aus dem Garten.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>IX.</h3>
-
-<p>In einem dem Bischofshause benachbarten und dem
-Bistum gehörigen Hofe hatte schon Herrn Heinrichs Oheim
-und Vorgänger Edel, unter der Obhut der Frau Malwine,
-einer alten verwitweten Dienerin des Rothenburgschen
-Hauses, geborgen; der jetzige Bischof hatte sie hier belassen
-und Minnegard während ihres Besuches am Main bei
-seiner Schutzbefohlenen &ndash; ihrer Freundin &ndash; untergebracht,
-bis die künftige Nonne in einem Religiosenhause von frommen
-Schwestern am Nordthor in Empfang genommen und
-für den Eintritt in ein eigentliches Kloster vorbereitet
-werden sollte: das hatte ihr Herr Heinrich als nahe bevorstehend
-angekündigt.</p>
-
-<p>Ziemlich trübselig daher erwartete sie an diesem Abend<span class="pagenum"><a id="Seite_101">[101]</a></span>
-in der schmuckarmen Kemenate des schmalen Holzhauses
-den Ohm zum Nachtmahle.</p>
-
-<p>Statt seiner erschien der Kellerer mit einer Absage:
-»Der Herr Hezilo ist von einem Rundgang ganz weich-
-und wehmütig nach Hause gekommen,« meldete der Treue
-kopfschüttelnd. »Er hat als Abendspeisung nur trocken
-Brot und Wasser bestellt; ich sollte es ihm in die Bücherei
-tragen. Das Brot bracht' ich ihm ganz gehorsam. Das
-Wasser aber? Ich schickte es ihm durch den Brunnenmeister
-und ließ ihm sagen, bischöflicher Keller führe das Gewächs
-nicht! O das bedeutet wieder einmal eine zu durchwachende
-Nacht! Er geht jetzt wieder auf und nieder, auf und nieder,
-und summt dazu &ndash; aber nicht ein Gebet! Die erste Zeile
-hab' ich erlauscht: 's ist, glaub' ich, aus einem alten
-Liede, das der Junker von Yvonne einmal vortrug:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">›Nicht Feuer und nicht Gift im Blut&nbsp;&ndash;‹<br /></span>
-</div></div>
-
-<p class="noind">aber das andere hab' ich nicht verstanden. &ndash; Vielschöne
-Jungfrau Minnegard,« rief er näher tretend, »ich sag' Euch:
-wenn das noch lange so fortgeht, dann geht's nimmer lang
-so fort! Er schläft nicht mehr, er ißt nicht &ndash; das, glaub'
-ich, hat er nie gelernt &ndash; er trinkt nicht mehr! Und wenn
-nun vollends auch Ihr noch uns verlaßt! Dann weicht
-von uns der letzte Sonnenstrahl. Über Euch und Eure
-Schalkheit hat er doch noch manchmal gelächelt mit seinem
-lieben, feinen, sonst so traurigen Mund. Wer sollte auch
-an Euch nicht seine helle Freude haben!«</p>
-
-<p>»Ja, mein treues Supfolein,« seufzte das schöne Mädchen
-und trug von dem säuberlich von ihrer Hand gedeckten
-Tisch des Bischofs silbernen Teller und goldenen Becher
-hinweg und stellte sie, sich zierlich auf den Zehen reckend
-&ndash; »wie steht ihr alles so anmutig!« dachte Supfo dabei &ndash;
-auf das vorspringende Kruggesims an der lindengetäfelten<span class="pagenum"><a id="Seite_102">[102]</a></span>
-Wand. »Ich weiß es wohl, &ndash; Ihr habt mich lieb gewonnen
-in Eurem treuen Herzen und in Euren klugen
-Gedanken, &ndash; soviel der Oheim und der Wein Raum darin
-leer gelassen haben. Bitte, gießt ein wenig Öl aus jenem
-Krüglein auf die Ampel &ndash; aus Byzanz, Geschenk von
-Frau Theophano, nicht wahr? Die hätt' ich gern gesehen.
-Denn ich meine immer …! Nicht wahr, sie war argschön?«
-&ndash; »Schöner vielleicht sogar als Ihr, und das
-heißt was! Aber nicht so anmutvoll. So mehr wie die
-marmornen Göttinnen in Rom.« &ndash; »Sie soll aber gar
-nicht von Stein gewesen sein, die üppige junge Witwe,
-wenigstens nicht gegen …! &ndash; Ach, wer doch von Stein
-wäre! Glaubt Ihr, herzgescheiter Mensch, ich gehe gern
-von Euch und mit Vergnügen in das Kloster?« »Ist ein
-Schandfleck für alle deutsche Jugendschaft!« schrie der Dicke
-und ward rot im Gesicht. »Hei, wär' ich ein Junker wie
-wir hier zwei oder drei herumstolzieren haben: &ndash; auf dem
-Wege zu den Schmachtnonnen, ja noch hinter dem Klostergitter
-hervor würd' ich Euch retten. Für Euch selbst und
-für …« &ndash; »Am Ende gar für Euch selbst? Hört,
-Ihr werdet ganz gefährlich in Eurem Mitleid! Ich rufe
-mir Aufsicht herbei &ndash; und was für gestrenge! &ndash; komm,
-Edel, komm heraus. Erscheine, du Heilige, und hilf mir
-wider die Anläufe dieses dicken Dämons. Wir armen
-Jungfräulein müssen wieder einmal allein zu Abend speisen.«
-»Die?« flüsterte Supfo. »Ja, die vertreibt mich. Denn
-Junker Hellmuth ist mir nah ans Herz gewachsen. <em class="gesperrt">So</em>
-blond, <em class="gesperrt">so</em> schön und <em class="gesperrt">so</em> widervernünftig!« Und er
-verschwand.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_103">[103]</a></span></p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>X.</h3>
-
-<p>Nachdem der Ruf ohne Erfolg blieb, schlug die Braune
-den dunkelroten Vorhang zurück, welcher das Nebengemach
-zur Linken abschied.</p>
-
-<p>Da erblickte sie im trüben Dämmerlicht einer Hängeampel
-die Freundin auf dem Betschemel knien, die schmalen,
-langen, weißen Hände gefaltet zu brünstigem Gebet vor
-einem dunkelfarbigen Kreuz; das stammte aus Jerusalem;
-Herr Heinrich hatte es aus Monte Casino mit heimgebracht.
-Rasch erhob sich nun die Beterin, strich ihr tiefblaues
-langfaltiges Gewand zurecht und trat in das Vorderzimmer;
-mit leisem Kopfschütteln empfing sie Minnegard.
-»Der Bischof kommt nicht,« seufzte sie. »Und also auch
-nicht das junge Geleit, das er manchmal mitbringt.«
-»Desto besser,« erwiderte Edel, die schönen dunkeln Brauen
-zusammenziehend. »Du denkst nur an dich,« meinte die
-andere und öffnete einen in der Wand angebrachten Verschlag,
-Schüssel und Teller daraus hervorholend. »Vergieb!«
-bat Edel weich. »Es war selbstisch.« Sie griff nach der
-Freundin Hand, sie half ihr, die Teller aufstellen. »Glaube
-nur, ich gönne dir von Herzen das Vergnügen, das dir
-der Ritter von Yvonne zu gewähren scheint. &ndash; Ich gönn'
-es dir, &ndash; obgleich ich es beklage.« &ndash; »Jetzt … erst
-setze dich, Edel! <em class="gesperrt">Wir</em> wollen unser Nachtmahl nicht versäumen!
-Ist doch morgen ohnehin schon wieder Fasttag!
-Weil an diesem Tag vor vielen hundert Jahren irgendwo
-ein sehr heiliger Mann &ndash; wer kann sich alle merken! &ndash;
-geboren oder gestorben oder ›transferiert‹ worden ist.
-Komm! Greif zu! Der kalte Rehbraten wird dir munden,
-&ndash; du wirst ihm nicht anschmecken, daß der verhaßte Fulko
-den Bock erlegt hat. Sage nur, weshalb du wie auf &ndash;<span class="pagenum"><a id="Seite_104">[104]</a></span>
-den andern &ndash; o! ich nenne ihn nicht! &ndash; auch auf den
-fröhlichen Singemund deinen Groll geworfen hast?« &ndash;
-»Ich trage dem Ritter Fulko keinen Groll.« &ndash; »Aber er
-mißfällt dir?« »Doch nicht! Denn bei allem Übermut
-ist er …« sie brach ab. &ndash; »Warum dann beklagst du,
-daß ich ›Vergnügen‹ &ndash; wie du das nanntest &ndash; an ihm
-finde?« &ndash; »Warum? &ndash; Weil ich fürchte, holde Thörin,
-es ist weit mehr als Vergnügen, mehr als Scherz.« »Und
-wenn es Ernst wäre?« erwiderte Minnegardis sehr rasch.
-&ndash; »O liebes Herz! Das eben fürchtete ich, &ndash; sah ich.
-Bedenke doch! Wie soll das enden? Du &ndash; im Kloster.
-Und im Herzen das Bild eines Mannes! Hast du das
-wohl je bedacht?« Da ward das schöne Gesicht des heiteren
-Mädchens plötzlich sehr ernst, &ndash; der edle Ausdruck
-ließ ihr doch noch viel besser denn der Mutwille! &ndash; und
-sie antwortete nachdrücklich: »Ja, Edel, ich <em class="gesperrt">hab'</em> es bedacht.
-Oft, lang und tief. Sieh, dieser Gedanke ist mein
-Halt, er ist mein Trost, er ist mein einzig Glück. Mögen
-sie mir ein Geschick aufnötigen, dem ich widerstrebe mit
-Leib und Seele: &ndash; nur den Leib doch können sie einsperren
-und zwingen, die Seele nicht! Und muß ich aller
-andern Lebensfreuden darben, nach denen ich &ndash; ach! so
-lechzend heiß begehre &ndash; das Eine Glück &ndash;, es ist mir
-ja zu gönnen, das bloße Glück der Gedanken! &ndash; können
-sie mir nicht rauben: das Glück, sein liebes, schönes Bild
-tief in der Brust zu tragen, das Glück, ihn zu lieben und
-&ndash; o ich weiß es! &ndash; heiß von ihm geliebt zu sein. Und
-Heil mir! Er ist es so voll wert, daß ich ihn liebe!«</p>
-
-<p>Da schluchzte plötzlich Edel laut auf: strömende Thränen
-brachen aus ihren Augen, sie schlug beide Hände vor das
-blasse, schmale Antlitz, bog das Haupt dicht an die Stuhllehne
-zurück und seufzte: »Du Beneidenswerte!«</p>
-
-<p>Erschrocken sprang Minnegard auf: nie hatte sie solchen<span class="pagenum"><a id="Seite_105">[105]</a></span>
-Ausbruch des Gefühls erlebt bei der so streng verhaltenen,
-bis zur Härte und Herbheit spröden und scheinbar so kühlen
-Freundin. »Edel, mein Liebling!« rief sie, kniete sich zu
-ihren Füßen auf das Bärenfell des Estrichs und umschlang
-mit beiden Armen die schmalen Hüften. »Was ist dir?
-O sprich! Wirf endlich dieses starre, stolze Schweigen ab!
-Es schmerzt ja doch dich wie &ndash; wie mich! Vertrau' dein
-stummes Weh meinem treuen Herzen! Sprich es aus!
-Es wird dir gut thun! Sieh, ich ahne ja doch so manches!
-Hab' ich doch wochen- und monatelang gelebt neben dir
-und &ndash;« »Nenn' ihn nicht!« brachte die Ringende schwer
-aus den halbgeschlossenen Zähnen hervor. »Hab' ich's
-doch mit angesehen, wie &ndash; allmählich! &ndash; sogar deines
-allzustolzen Herzens Eisrinde endlich schmolz. Ist auch
-wahrlich kein Wunder! Ist er doch …« &ndash; »Lob' ihn
-nicht! Es ist all' nicht wahr! &ndash;« Bitter, schmerzlich
-kam das heraus. »Ach was! Wohl ist's wahr! Er ist
-&ndash; leider Gottes: er <em class="gesperrt">war</em>! &ndash; der freudigste junge Held
-(&ndash; in Blond! &ndash;), den man sich träumen konnte, wenn
-man nicht lieber von &ndash; was Braunem träumte. Wie
-lobte ihn der Bischof! Und auch dir gefiel sein ritterlich
-Wesen. Er taugte so gut zu deiner stummen, stolzen,
-ehernen Art. So gut zu <em class="gesperrt">dir</em> &ndash; wie &ndash;&nbsp;&ndash; ein anderer
-zu <em class="gesperrt">meiner</em> Weise. Und zuletzt &ndash; unnahbar wie du bist
-&ndash; du nahmst es an, sein edel zurückhaltend, zartes
-Werben!« &ndash; »Edel zurückhaltend &ndash; zartes &ndash; Werben!«
-Sie riß die Hände von dem Gesicht, ein funkelnder Zornblick
-schoß aus den grauen Augen, die Flügel der feinen
-Nase zuckten. »Bis auf einmal &ndash; nach jenem Stechen zu
-Worms! &ndash; O wie ihr daher zurückkamt! &ndash; Er vom
-Tage seines höchsten Ruhmes wie ein weidwund geschossener
-Edelhirsch. Und du &ndash; wie jene zürnende Göttin der
-Jagd, von der uns Fulko verdeutschte aus Meister Ovidius.<span class="pagenum"><a id="Seite_106">[106]</a></span>
-Und wie hängt er noch immer an jedem Blick deines
-Auges, so grausam auch du mit ihm umgehst! Mich
-wundert, daß dich seiner nicht erbarmt. Bedenke! Wenn
-wirklich die nächste Sunnwend' ein Ende macht mit uns
-allen&nbsp;…!«</p>
-
-<p>Da flog ein leichtes Erbeben über Edels feine Gestalt:
-ihre Züge wechselten den Ausdruck: an Stelle des Zornes
-trat ein Etwas wie Wehmut, wie Trauer: die Kluge ersah
-das und fuhr eifrig fort: »Wodurch immer er deinen Zorn
-gereizt hat, &ndash; willst du unversöhnt mit ihm hinübergehen
-in die Ewigkeit?«</p>
-
-<p>Edel schwieg und schlug die langen Wimpern nieder.</p>
-
-<p>»Willst du, Grimm und Groll im Herzen gegen ihn,
-der dir so ganz ergeben, vor den ewigen Richter treten,
-vor Christus, der seinen Mördern selbst vergeben hat? O
-Edel &ndash; ich überraschte dich &ndash; nicht das erste Mal! &ndash;
-im Gebet: wenn du denn so fromm bist: wie lehrte uns
-der Heiland beten? ›Gleich wie wir vergeben unsern
-Schuldigern.‹ Was immer du gebetet hast, &ndash; das Rechte
-&ndash; <em class="gesperrt">dies</em> Gebet! &ndash; du hast es nicht gebetet!« &ndash; »Ich …
-ich betete &ndash; wie schon so oft! … für ihn!« &ndash; »Edel!
-&ndash; Wie gut du bist!« &ndash; »Nein, nein! Hoffart war mein
-Gebet: &ndash; ich sehe es jetzt ein! Ich fühlt' es bei deinen
-<em class="gesperrt">wahrhaft</em> frommen Worten. Ich betete immer nur …«
-&ndash; »Nun, was?« &ndash; »Gott möge ihm seine Schuld gegen
-mich verzeihen.« &ndash; »Und du hast beigefügt: gleich wie
-ich, Edel, ihm verzeihe?« Beschämt senkte Edel das Haupt
-auf die wogende Brust. Minnegard hob es zärtlich und
-gelinde, mit dem Finger unter dem Kinn, in die Höhe.</p>
-
-<p>»Du schweigst, kleiner Trotzkopf?« &ndash; »Ich … ich
-will nicht …, daß ihm um meinetwillen Gott zürne und
-ihn strafe.« &ndash; »Aber du, du zürnst und strafest fort!
-Geh du dem lieben Gott mit gutem Beispiel voran! Verzeihe<span class="pagenum"><a id="Seite_107">[107]</a></span>
-du zuerst.« &ndash; »Ich … ich kann nicht … will nicht.«
-&ndash; »Weil du ihn eben nicht liebst! Du <em class="gesperrt">kannst</em> wohl gar
-nicht lieben!« Da traf sie ein blitzender Blick aus den plötzlich
-voll aufgeschlagenen grauen Augen: »Glaubst du?« &ndash;
-»Noch einmal, Edel, bedenke: wenn nun wirklich demnächst
-alles aus ist? &ndash; Wenn ich dessen erst sicher bin &ndash; <em class="gesperrt">ganz</em>
-gewiß! &ndash; dann …!« &ndash; »Nun? Was wirst du dann
-thun?« &ndash; »Dann …!« Minnegard sprang heftig vom
-Boden auf. »Ja, siehst du, ganz genau weiß ich noch
-nicht, was ich dann thue. Aber einmal noch im Leben,
-thu' ich dann, &ndash; wozu das Herz, &ndash; dies heiße Herz!
-&ndash; mich treibt, unbekümmert um das Geschelte der Welt:
-&ndash; sie hat ja dann nicht mehr viel Zeit, zu schelten.« &ndash;
-»Kind &ndash; du glühst! &ndash; Was wogt in dir? Was treibt
-dich um?« Ohne die Frage zu beantworten, fuhr Minnegard
-fort, heiß erregt in der engen Kemenate auf und
-nieder zu schreiten; sie hob die vollen Arme in die Höhe
-und holte tief Atem: »Mit einer Halbheit in der Seele,
-mit ungestilltem Sehnen, mit unbefriedigtem Begehr: &ndash;
-ich weiß freilich nicht, wonach! &ndash; aber nach Liebe, nach
-einer süßen Wonne &ndash; mit dieser schmerzenden Leere hier
-in der Brust &ndash; hinübergehen in das Jenseits, wo nicht
-geliebt wird, nicht gefreit und nicht … geküßt, also nie
-&ndash; in Ewigkeit nie! &ndash; erfahren, wie die Minne beglückt
-&ndash; das &ndash; das also wird dann mein Los? O wie
-traurig!« Sie blieb plötzlich hart vor Edel stehen. »Und
-du vollends! Du willst deinen Haß mit hinübertragen
-gegen den Mann, der dich so herzverzehrend liebt? Willst
-du dann vor den Richter treten und verlangen: bestrafe
-ihn!« &ndash; »Nein doch! Nein! Ich bete ja das Gegenteil!«
-&ndash; »Dann wird der Richter sprechen: Und du verzeihst
-nicht? Die ganze Welt ist vergangen, aber nicht
-dieses Mädchens Haß?« Die so Bedrängte erhob sich<span class="pagenum"><a id="Seite_108">[108]</a></span>
-rasch vom Stuhle: »laß mich! Ich kann nicht anders!
-Laß mich ringen im Gebet mit meinem Stolz, mit mir
-selbst! Laß mich wieder beten.« &ndash; »Gut, Schwester, bete!
-Geh wieder hinein zu dem Kreuze des Allvergebers. Junker
-Hellmuth ist ein Ritter ohne Makel: er kann nicht Unvergebbares
-verbrochen haben. Auch ich werde beten: aber
-nicht, daß Gott ihm, daß er <em class="gesperrt">dir</em> verzeihe deinen lang
-nachtragenden, deinen unversöhnlichen Groll.«</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>XI.</h3>
-
-<p>Zu der gleichen Stunde saß in dem Speisesaal in dem
-Erdgeschosse des Bischofshauses an dem runden Tisch mit
-der Ahornplatte Hellmuth in stummem Brüten vor dem
-unberührten Weinkrug; er hatte den linken Ellbogen auf
-den Tisch gelehnt und das blonde Haupt auf die Hand
-gestützt. Da trat Fulko ein und warf zorngemut das
-reiherbefiederte Barett auf die Bank. »Nichts ist's!« rief
-er unmutig. »Der Herr Bischof beliebt wieder einmal zu
-fasten, nicht zu Nacht zu speisen und gönnt uns die gleiche
-Frömmigkeit.« »Ist gelogen, mit Verlaub, Herr Ritter
-von Yvonne,« lachte Supfo, der eben eintrat und eine
-stattlich mit allerlei Kaltfleisch gefüllte Silberschüssel auftrug,
-sich neben den beiden Freunden niederließ und alsbald
-tapfrer als beide zusammen auf den Braten einhieb. »Fasten
-müßt ihr heute Abend nur in der Minne, richtiger gesagt:
-im hungrigen Anschauen einer allerdings fast unerlaubt
-schönen Jungfrau. Daß sie letzteres noch ist, Herr Ritter,
-ist nicht Euer Verdienst.« »Verschafft sie mir zum Eheweib
-und ich erhebe Euch zu <em class="gesperrt">meinem</em> Kellermeister,« rief der<span class="pagenum"><a id="Seite_109">[109]</a></span>
-Provençale und schenkte sich den Zinnbecher wieder voll.
-»Leichter Amt wär' es als hier,« erwiderte Supfo und
-trank ihm zu. »Warum?« &ndash; »Nun: immer leerer Keller,
-weil immer durst'ger Herr. &ndash; Übrigens, wo steckt Junker
-Blandinus? Der pflegt doch sonst häufig euer Abendgast
-zu sein! Wo läuft er noch so spät herum?« &ndash; »Jedenfalls
-hinter einem Weiberrock! Schad' um ihn.« &ndash; »Er
-ist nicht übel.« &ndash; »Nicht dumm und nicht feige.« &ndash;
-»Beides nicht!« &ndash; »Aber die verfluchte Eitelkeit!« &ndash;
-»Und die Verliebtheit! Nach allen Seiten hin!« &ndash; »Es
-ist ihm eigentlich gar nicht drum. Er meint nur, als
-Venetianer, als Dogensohn und schmucker Bursch &ndash; denn
-er ist wirklich hübsch! &ndash; müsse er überall um Minne
-werben. Wenn ich ihn nur einmal gehörig zum Fechten
-und Schlagen bringe! Dann kann noch ein Mann aus
-ihm werden.« &ndash; »Bis dahin &ndash; in ein, zwei Jahren &ndash;
-ist auch die schlimme Runel kein Kind mehr; und wer weiß,
-ob der Schwarzlockige dann nicht doch den graulockigen
-Schnufilo verdrängt in ihrem trutzigen Herzlein.« &ndash; »Bah,
-was schwatzen wir da von ein, zwei Jahren &ndash; und sind
-nur noch ein paar Wochen bis Sunnwend' und Weltend'!
-Sagt, schlauer Supfo, wie findet Ihr Euch ab gegenüber
-den Schrecken des Gerichts und Eurem Gewissen?« »Ich?«
-lachte der Dicke und schob ein mächtig Stück Rehbraten in
-den Mund. »Ich habe das beste Gewissen, das mir je
-bei einem Menschen vorgekommen ist.« &ndash; »Wieso?« &ndash;
-»Es ist so gut. So weinfromm. Besser als Euer Rapphengst,
-Herr Fulko, der beißt zuweilen: und mein Gewissen,
-&ndash; das beißt mich nie. Ich kann ihm viel bieten, bis es
-nur, warnend, schnappt. Aber beißen? Nie! &ndash; Und
-das andre …?« &ndash; Er hob den Becher an die Nase.
-(»Köstlich der Ruch, dieses weißen Leisten! &ndash;) &ndash; das
-andre: der Weltuntergang? &ndash; Das ist dummes Zeug!«<span class="pagenum"><a id="Seite_110">[110]</a></span>
-&ndash; »Aber Supfo!« Sogar Hellmuth fuhr hier aus seiner
-trübsinnigen Träumerei auf und warf dem Dicken einen
-fragenden Blick zu. Jedoch der rümpfte unverzagt die
-rötliche Nase, verzog den Mund wie bei einer Weinprobe
-und sprach bedächtig: »da hab' ich von unserem Herrgott
-eine viel bessere Meinung denn ihr alle.« »Wenn's aber
-der Herr Papst selber sagt?« forschte Hellmuth. &ndash; »Hat
-er's schon gesagt? Nein! Und <em class="gesperrt">wenn</em> er's sagt, &ndash;«
-»Nun, dann aber?« meinte Fulko. »Dann ist's doch bewiesen.«
-»Daß er's glaubt!« schloß Supfo und stellte
-den Becher nieder, daß er klirrte. »Mehr nicht. Ich glaub's
-mal nicht vom braven Himmelsherrn. Man glaubt auch
-sonst gar viel, was nie geschah und nie geschieht. Diese
-seine Welt sollte er selbst zerstören? Wer weiß, ob er
-eine neue so schön wieder zusammenbrächte! Und nun
-gerade heuer, da wir des Trunks der Steinrebe froh werden
-wollen! Heuer, da in meiner Neupflanzung auf dem
-Harfenhügel schon jetzt &ndash; vor Johannis &ndash; alles so wundervoll
-abgeblüht hat. Habt ihr alle zwei den Duft nicht
-verspürt vor lauter Verliebtheit? &ndash; Übrigens &ndash;« er sog
-und schlürfte nun langsam, verständnisinnig einen Schluck
-durch die gespitzten Lippen (&ndash; »ah, ist das ein Weinlein!
-Viel zu gut für euch unmerksame Knaben! &ndash;) übrigens
-hab' ich eine prächtige Wetterprobe für Gewitter, Erdbeben
-und all' dergleichen Erfreulichkeiten. Eine Prophetissa &ndash;
-sagt man in Welschland &ndash;, der glaub' ich mehr als sieben
-Päpsten.« »Ihr redet recht lästerlich, Supfo,« sprach
-Hellmuth verweisend. »Für Erdbeben &ndash; Ihr?« zweifelte
-Fulko. »Jawohl, Herr Sänger! &ndash; Meint Ihr, nur Ihr
-mit Eurer Laute seid in der Welt umhergekommen. Oho!
-Wir waren auch schon draußen! Sind mit Kaiser Ott
-dem Roten unter dem Rothenburger Fähnlein in Welschland
-auf Heldenschaft gefahren. Lagen wir da vor Napoli,<span class="pagenum"><a id="Seite_111">[111]</a></span>
-der schönen Stadt. Sehr schön. Aber heiß! Und dreckig!
-Wir lagen vor den Thoren, als Beschirmer nämlich gegen
-die Saracenen. Nicht in Zelten oder Holzhütten, sondern
-in den Häusern der Bauern lagen wir: &ndash; sind alle von
-Stein vom Grund bis unters Dach. Da drüben rauchte
-ganz behaglich und gemütlich der Feuerberg, der Mons
-Vesuvius: &ndash; wir waren schon so daran gewöhnt in all'
-den Wochen, wie daß man den Atem sieht im Winter.
-Mein Hauswirt &ndash; Gaudenzio hieß der Wackere &ndash; hatte
-eine Katze, die liebte er mehr, beteuerte er oft, als seine
-gelbhäutige, schnurrbärtige Ehefrau. ›Denn warum?‹ sagte
-er. ›Meine Lucia kratzt nur, fängt aber keine Mäuse und
-verkürzt mir das Leben, während Mucia zwar gelegentlich
-kratzt &ndash; aber nicht mich, nur Lucia (woran sie recht thut),
-Mäuse fängt und mein Leben verlängert, meine schwarze
-Prophetissa!‹« »Wieso?« fragte Fulko. »Ja, wieso?
-genau meine Worte von damals! (woran man erkennen
-kann, was Ihr für ein kluger Knab' seid!) ›Ja,‹ sagte
-Gaudenzio und streichelte die Katze, die gleich schnurrte.
-›Nämlich wir haben hier gar oft die landesüblichen Erdbeben.
-Ist weiter gar kein Vergnügen nicht, sag' ich Euch,
-Supfone, wenn Ihr gar nicht getrunken habt und doch
-wackeln müßt mit den Beinen, weil nämlich das Land
-unter ihnen wackelt, als habe das Land einen Rausch. Und
-wenn Euch das eigne Haus auf den Kopf fällt, so genau
-und platt, wie der Deckel auf einer Schildkröte liegt &ndash;
-nur, daß Ihr nicht damit davonkrabbeln könnt, sondern
-gar keinen Leichenstein mehr zu bestellen braucht! Nun
-also, kurz bevor Santo Vesuvio da drüben &ndash; Santo
-Januario, bitt' für uns bei ihm! &ndash; ein wenig rappelig
-wird über die Sünden seiner lieben Napolitaner, an die
-er nun doch schon seit mehr als einem Jahrtausend gewöhnt
-sein könnte, &ndash; aber er ist ein unberechenbarer Heiliger! &ndash;<span class="pagenum"><a id="Seite_112">[112]</a></span>
-also bevor der liebe gute alte Vater da drüben &ndash; mit dem
-dürfen wir's noch weniger verderben als mit der heiligen
-Jungfrau! &ndash; auch nur ein kleines rappelig wird, wird
-Mucia &ndash; schon ziemlich lange vorher! &ndash; ganz rappelig,
-miaut, wie wenn sie ihr Fleisch durch Gesang verdienen
-müßte, springt bald gegen mich, bald gegen die verschlossene
-Hausthür und ruht nicht, bis sie im Freien ist: &ndash; sie
-und ich auch. Nach Lucia schaut sie gar nicht um.‹ Ich
-begreife Eure Liebe zu dem Tier, sprach ich verständnisvoll.
-Nun gut: &ndash; ein paar Nächte nach dieser Unterredung
-weckt mich mein Gaudenzio aus dem tiefsten Schnarchschlaf:
-&ndash; denn der schwarzrote Amalfitaner ist gut, aber schwer!
-&ndash; reißt mich aus dem Strohlager und stößt mich zur
-Thüre hinaus ins Freie. Ich wollte ihn gerade niederschlagen,
-da schrie er: ›Die Katze! die Katze! Mucia hat
-gewarnt.‹ Und kaum senk' ich den erhobenen Arm, &ndash; da
-taumel' ich und wanke, als hätt' ich den Amalfitaner nicht
-ganz verschlafen &ndash; war aber hecht-nüchtern &ndash; und auf
-einmal &ndash; pardauz! &ndash; lag sein ganzes Steinhaus platt
-auf dem Bauch, wie ein Frosch, drüber ein Lastwagen fuhr.
-Die Ungewarnte lag leider darunter. Am andern Morgen
-zog unsere Heerschar ab. Zum Abschied schenkte mir mein
-Wirt seine Katze. ›Denn warum?‹ sagte er treuherzig
-unter Thränen. ›Brauch' sie nicht mehr. Baue kein Steinhaus
-mehr. Und nehme &ndash; ganz gewiß! &ndash; keine Frau
-mehr. Denn warum? Lucia war doch so böse, wie ich
-keine mehr fände. Und jetzt thut es mir gleichwohl leid
-um sie. Nun denket erst, wie leid mir eine sanftere thäte!
-Also wozu Katze?‹ So nahm ich Mucia mit. Auf meinem
-Rucksack quer durch ganz Welschland über den Brenner
-trug ich sie bis in die Heimat. Sie verläßt mich nie.
-Hört ihr sie draußen miaun? Ich komme, Schätzlein, ich
-komme. &ndash; Nun seht: merkte Mucia das bißchen Erbrechen<span class="pagenum"><a id="Seite_113">[113]</a></span>
-von dem lumpigen Vesuvio da drunten und jedes Erdbeblein,
-das dort zu Lande so häufig wie bei uns das
-Nießen im Schnupfen, und zeigt sie &ndash; wie sie immer thut
-&ndash; hier jedes Gewitter an, lange bevor es vom Königswald
-heraufzieht! &ndash; da wird's die Prophetissa doch wohl auch
-merken, wenn alsbald die ganze Welt zerkrachen soll. &ndash;
-Ich komme schon, Liebelein! &ndash; Ich nehme sie, &ndash; an dem
-Vorabend &ndash; mit in einen Ort, wo &ndash; nun, wo man dem
-Kern der Erde näher ist als anderwärts. Bleibt sie ruhig,
-bleib' ich auch ruhig. Die Zeit soll uns dabei schon nicht
-lang werden: denn an jenem heimlichen Orte giebt's für
-Mucia viele Mäuse und für mich &ndash; nun, für mich giebt's
-da auch was. Wir sehen uns dann schon wieder, Jungherrn.
-Entweder in der ewigen Seligkeit oder &ndash; was
-ich eine Zeitlang noch vorziehe &ndash; hier in diesem Jammerthal.
-Aber dann, Herr Fulko, dann singen wir erst recht
-das Lied, das mir von all' Euren Schelmenweisen zumeist
-gefallen hat!« &ndash; »Welches? Sind ja viele so nichtsnutzig,
-daß sie <em class="gesperrt">Euch</em> gefallen können.« &ndash; »Ich meine das:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Nun woll'n wir erst heben ein Trinken an,<br /></span>
-<span class="i0">Daß der Herr Gott es nicht kann fassen,<br /></span>
-<span class="i0">Und spricht: ›wenn der Mensch <em class="gesperrt">so</em> viel trinken kann,<br /></span>
-<span class="i0">Mehr Wein muß ich wachsen lassen!‹<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Ich komme, Prophetin des Herrn. Ich bringe dir
-deinen Prophetenlohn heraus,« und er nahm ein leckres
-Stück Braten aus der Schüssel. »Traumselige Nacht, ihr
-Herren. Ihr, Fulko, küsset für mich mit!« Und er humpelte
-hinaus und verschwand.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_114">[114]</a></span></p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>XII.</h3>
-
-<p>»Ein guter Gesell,« lachte Fulko. &ndash; »Aber ach, meine
-Gesellin! Nun ist es heute abend wieder nichts! Ohne
-den Bischof läßt uns die Tugendverwalterin und Unschuldbeschließerin
-und geheime Obervestalin &ndash; wie heißt sie
-doch? aus Schottland stammt sie &ndash; richtig: Malwine!
-&ndash; dadrüben gar nicht über die Schwelle am Abend. Und
-wie heiß hatte ich mich gesehnt, wieder einmal in das
-süße, klare, holde Gesicht zu schauen! Ist ja wenig genug,
-weiß die heilige Aphrodite! für mein wildes Begehren.
-Aber als der Teufel einmal sehr durstig war, trank er
-Wasser. Sind wir daher doch auf das Zabelspiel gekommen.
-Kenne keinen Zug! Aber dabei konnten wir
-uns doch an den Abenden manche gute Weile einander
-gegenüber setzen, uns &ndash; recht nahe! &ndash; in die Augen
-schauen und manchmal stießen unsere Finger durch Zufall
-aneinander, während wir auf dem Brett die Steine rückten.
-Denn dergleichen mußten wir schon zuweilen thun. Jüngst
-trat Herr Heinrich an unsern Marbeltisch im Erker, wo
-wir schon drei Stunden saßen &ndash; die ganze Vesper hatten
-wir darüber versäumt &ndash; und sprach: ›Nun, wie steht das
-Spiel?‹ Heilige Eulalia von Barcelona! Wir hatten in
-all' der Zeit ja erst einen Zug gethan. Und das lose
-Mädchen hatte mir, während ich ihr die Rechte drückte
-und ihr selig in die Augen sah, ganz verstohlen mit der
-Linken meinen König vom Brette genommen und in ihrem
-leer getrunkenen Goldbecher in Gefangenschaft gesetzt! Es
-war schrecklich. Lächelnd befreite ihn der Gütige, hob ihn
-heraus, stellte ihn auf seinen Platz und fragte: ›hoffentlich
-ist dies nicht noch immer das erste Spiel?‹ Er war
-so freundlich, mir das Lügen zu sparen: er schritt hinweg,<span class="pagenum"><a id="Seite_115">[115]</a></span>
-ohne meine Antwort abzuwarten. Ein prächtig Herz!
-War wohl auch einmal jung und heiß. Und noch jünger
-war Frau Theophano …« »Gieb acht,« warnte Hellmuth.
-»Man hört da draußen auf dem Gang, was hier
-so laut gesprochen wird.« »Nun,« lachte Fulko, »das
-flüstert man vom Danevirke bis Salerno! War sie doch
-Witwe! Wär' ein schönes Paar geworden! &ndash; Aber das
-Zabelbrett war auch sonst so willig! Konnte meinem
-holden Schatz stets abends meine den Tag über gedichteten
-Minnelieder darunter durchschieben. Wie geschickt zog sie
-mit den wachsweißen langen schmalen Fingerlein die Blätter
-auf der andern Seite heraus! Und hui! waren sie verschwunden
-in ihrem lang herunterhängenden Ärmel. Jetzt
-müssen meine armen Reime wieder Messe hören!« &ndash;
-»Wie das?« &ndash; »Nun ja! Morgen früh in der Kirche
-halte ich sie ihr wieder vor das zierliche Näslein und sie
-singt daraus die lateinischen Psalmen. Ist aber gefährlich!
-Neulich stand der fürwitzige Venetianer hinter mir,
-guckte über meine und ihre Schulter, las ein paar Zeilen
-und fragte mich lachend, ob ich das hohe Lied Salomonis
-in das Deutsche übersetzt hätte? Nicht schlecht! Lache
-doch, Hellmuth! Oder trinke wenigstens! Thu' Bescheid.
-Unserer Herrinnen Minne.« Aber Hellmuth schob kopfschüttelnd
-den Becher zur Seite. »Nun, willst du nicht
-reden, so höre wenigstens. Du hattest immer Freude an
-meinen Versen.« »Gewiß, Freund. Denn du kannst
-sagen, was ich nur fühlen und &ndash; leiden kann. Zwar
-schmerzt es, zu hören, welch' Glück erwiderte Minne gewähren
-mag: aber es ist ein Weh, das wohl thut mitten
-im Schmerz. Bitte, beginne.« Fulko war ein Dichter:
-zweimal ließ er sich nicht bitten. Er trank erst herzhaft,
-griff dann in den Brustlatz, holte ein paar Pergamentblättlein
-hervor und las:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_116">[116]</a></span></p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Du hast gesiegt, du starke Liebe!<br /></span>
-<span class="i0">Hinweg, Besinnung und Bedacht!<br /></span>
-<span class="i0">Und ob sie ins Verderben triebe:&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Nimm ganz mich auf in deine Macht!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Die Vorsicht sprach: »das wird nicht frommen,«<br /></span>
-<span class="i0">Die Sitte sprach: »vernimm mein Wort:«&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Da ist der Strom der Liebe kommen<br /></span>
-<span class="i0">Und ohne Wahl riß er mich fort.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">So trage mich, du heil'ge Welle,<br /></span>
-<span class="i0">Und, wenn du dies Verlangen stillst,&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">In Todesnacht, in Himmelshelle,&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Ich folge dir wohin du willst.<br /></span>
-</div></div>
-
-<hr class="tbpoem" />
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Die Eiche rief zum Wolkensitz:<br /></span>
-<span class="i0">»Ich trotze dir, du starker Blitz.«<br /></span>
-<span class="i0">Der aber sprach: »Du ziehst mich an!<br /></span>
-<span class="i0">Sieh, ob dein Trotz dir helfen kann,<br /></span>
-<span class="i0">Ich bin ein rascher Freiersmann:«&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Und Schlag und Glut und Wetterschein:&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">In Flammen ward die Eiche sein.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Die Uferrose sprach zum Fluß:<br /></span>
-<span class="i0">»Du flehst umsonst um meinen Kuß:«<br /></span>
-<span class="i0">Der aber sprach: »Hilft denn kein Flehn,<br /></span>
-<span class="i0">Sollst du ein andres Werben sehn,<br /></span>
-<span class="i0">Jetzt, Rose, ist's um dich geschehn.«<br /></span>
-<span class="i0">Er stieg empor in stolzer Lust<br /></span>
-<span class="i0">Und riß sie fort an seine Brust.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Das ist der Liebe Prob' und Macht,<br /></span>
-<span class="i0">Wenn sie in echtem Mann erwacht,<br /></span>
-<span class="i0">Daß sie des echten Weibes Herz,<br /></span>
-<span class="i0">Und hüllte sich's in dreifach Erz,<br /></span>
-<span class="i0">Doch mit sich fortreißt sternenwärts<br /></span>
-<span class="i0">Und zur Geliebten siegbewußt<br /></span>
-<span class="i0">Und triumphierend spricht: »du mußt.«<br /></span>
-</div></div>
-
-<hr class="tbpoem" />
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Wenn aus der Erde dunklem Schose<br /></span>
-<span class="i0">Zur Schönheit aufgeknospt die Rose<br /></span><span class="pagenum"><a id="Seite_117">[117]</a></span>
-<span class="i0">Und wenn sie dann in Wonnetagen,<br /></span>
-<span class="i0">Indes die Nachtigallen schlagen,<br /></span>
-<span class="i0">Ihr ganzes süßes junges Leben<br /></span>
-<span class="i0">Dem Kuß der Sonne hingegeben,&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Erfüllt hat auch die schönste Rose<br /></span>
-<span class="i0">Die schönsten ihr bestimmten Lose.<br /></span>
-</div></div>
-
-<hr class="tbpoem" />
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">So sind bestimmt des Menschen Lose:<br /></span>
-<span class="i2">Nur höchstem Mut wird höchster Preis;<br /></span>
-<span class="i0">Am Abgrund blüht die Alpenrose<br /></span>
-<span class="i2">Und dicht beim Tod das Edelweiß!<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Er schloß ab und that einen tiefen Trunk.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>XIII.</h3>
-
-<p>»Das Edelweiß!« wiederholte Hellmuth. »Sechsmal
-würd' ich sterben, könnt' ich dadurch sie &ndash; nicht gewinnen,
-&ndash; ach! nur versöhnen! Danke dir, mein Fulko. Deine
-Verse sind &ndash;« &ndash; »Bah, Verse sind's! Nicht Küsse!
-Bittere Tinte und trocken Pergament! Das ist all' nichts,
-gar nichts! Ich halt' es nicht mehr aus! Immer bloß
-das verfluchte Reimen von ihrem roten Mund und heißen
-Kuß! Morgen &ndash; ganz in der Frühe &ndash; paß ich's ab!
-Wenn sie aus der Kemenate tritt &ndash; immer allein: &ndash;
-Malwine, die Verwalterin des Anstands, hütet alsdann
-die Tugend noch im Traum: und Jungfrau Edel verbetet
-sich immer um ein Weilchen! dann trete ich hin vor diese
-Minnegard und fasse sie und frage sie nicht lang und
-küsse sie, daß sie &ndash; nun, nicht gerade ganz erstickt, aber
-recht beinahe.« Da sprang Hellmuth auf, legte die Hand<span class="pagenum"><a id="Seite_118">[118]</a></span>
-auf des Freundes Schulter und rief: »Nein! Um Gottes
-willen nicht! Thu's nicht! Wag' es nicht!« &ndash; »Warum
-nicht? Ich mein', ich kann es wagen!« &ndash; »Thu's nicht,
-mein Fulko! Willst du so elend werden wie &ndash; ach! wie
-mich viel, viel bescheidneres Wagnis gemacht hat?« Und
-er schlug die geballte Faust vor die Stirne. Der andre
-zog ihm mit sanfter Gewalt Arm und Hand herab:
-»Hellmuth, tapfrer Gesell! Sprich! Sprich's doch endlich
-einmal aus: was ist geschehen zu Worms? &ndash; Du weißt,
-ich bin getreu und verschwiegen!« &ndash; »Ich weiß es! Und
-darum sollst du &ndash; du allein von meiner Schuld, &ndash;
-meiner schweren Schuld! &ndash; erfahren!« Er seufzte tief.
-»Bin gespannt! &ndash; Alle Augen hier im Bischofshaus sahen
-nicht bloß, daß du … auch, daß sie dir &ndash; allmählich!
-&ndash; gut ward. Herr Heinrich selbst sah's auch und hatte
-wahrlich nichts dawider! ›Ein schönes Paar und trefflich
-gepaart,‹ rief er mir einmal aus dem Sattel zu, als ihr
-auf dem Rennweg uns entgegengesprengt kamt. ›Der liebe
-Gott scheint sie für einander geschaffen zu haben.‹ So
-werdet <em class="gesperrt">Ihr</em> sie nicht scheiden wollen? fragte ich rasch.
-›<em class="gesperrt">Ich?</em> Junge Liebe scheiden? <em class="gesperrt">Ich</em> doch gewiß nicht! &ndash;
-Es sei denn‹, &ndash; warnte er und sah mir scharf ins Auge &ndash;
-›daß zwischen Wunsch und Erfüllung steht &ndash; ein Kloster.‹
-Und als der Bischof nach Worms nur euch beide mitnahm,
-da sagten wir: die kommen zurück mit den Ringlein
-am Finger. Aber wie kamt ihr zurück! Sie wie die
-Eisjungfrau und du wie ein in ihren Armen Erfrorner.
-Was ist geschehen, sprich, an jenem Tage deiner schönsten
-Siege?« &ndash; »Ach, ich verfluche sie. Sie haben mir all'
-das Unheil angerichtet. Sieh, Fulko: du weißt, eitel und
-eingebildet bin ich wahrhaftig nicht …« &ndash; »Behüte!
-Deine Bescheidenheit ist dein größter Fehler. Könntest mir
-drei Viertel abgeben, &ndash; wär' uns beiden geholfen.« &ndash;<span class="pagenum"><a id="Seite_119">[119]</a></span>
-»So hätt' ich auch wahrlich nie gewagt, mir einzubilden,
-die stolzeste der Jungfrauen werde mir, bevor ich feierlich
-beim Bischof um sie geworben und dessen Ja wie das ihre
-erhalten, das geringste Zeichen von Gunst gewähren.«
-»Verkehrt,« meinte Fulko und trank seinen Becher aus.
-»Einmal muß man doch anfangen! Weib will gewonnen
-sein durch Wagen.« &ndash; »Als ich nun aber in dem Lanzenstechen
-alle &ndash; wirklich alle! &ndash; Gegner aus dem Sattel
-gehoben &ndash; zuletzt auch Siboto, den zähen blonden Friesen,
-und den starken Richard, den Grafen zu Winklarn, &ndash; nie
-noch hatte ich die beiden zwingen können! &ndash; und als
-nun rings die Drommeten schmetternd meinen Sieg verkündeten
-und die Herolde mich auf dem schnaubenden Roß
-dreimal durch den Kampfkreis führten und alles Volk mir
-›Heilô!‹ und ›Siegô!‹ zujauchzte, und der Herr Bischof mir
-huldvoll zunickte von seiner Altane herab an Edels Seite
-und als ich nun heranritt, aus ihrer weißen Hand den
-Preis, den dreifach gewundenen Eichenkranz mit der goldenen
-Schnur, mir auf das Haupt setzen zu lassen, als ich sie
-nun vor mir sah, schön wie nie zuvor, strahlend vor Anmut
-und &ndash; wie ich wähnte! &ndash; auch ein klein wenig vor
-stolzer Freude an mir, als sie sich über mich beugte, als
-ich den zarten, leisen Druck ihrer beiden lieben Hände auf
-meinem Haupte fühlte, &ndash; da schlug ich entzückt die Augen
-zu ihr auf: durch mein Herz jagte das Blut in wilden
-Sprüngen: &ndash; die Hitze des Kampfes tobte noch nach in
-meinen Adern &ndash; und all' der Lärm, der Glanz ringsum,
-die Freude, daß <em class="gesperrt">sie</em> meinen Sieg gesehen &ndash; all' das zusammen
-berauschte mich! Sehnsüchtig, &ndash; aus aller Kraft
-der Seele! &ndash; suchte ich nach ihrem Auge, nach nur Einem
-Blick!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Allein beharrlich, eigensinnig, trotzig &ndash; ach! oder war
-es süße jungfräuliche Scham? &ndash; hielt sie die langen,<span class="pagenum"><a id="Seite_120">[120]</a></span>
-langen, die feierlichen Wimpern gesenkt. Ich flehte leise:
-›Edel! Einen Blick &ndash; nur Einen,‹ hauchte ich. &ndash; Umsonst!
-&ndash; Da ergriff mich Stolz, Trotz, heiße Wut: &ndash;
-ich wollte mir den Blick erzwingen, wie ich mir den Sieg
-erzwungen. Mit der Rechten griff ich &ndash; kein Mensch
-konnte es gewahren, der dichte Kranz und ihr vorflutend
-Haar verbargen völlig meine Hand &ndash; ganz leis an ihr
-Kinn und hob es mit Gewalt empor: ›Einen Blick!‹
-wiederholte ich dringend! &ndash;« &ndash; »Nun? Da sah sie
-auf?« &ndash; »Ach ja! Da sah sie auf! Da <em class="gesperrt">erhielt</em> ich
-einen Blick, aber welchen Blick! Wie blaues Feuer blitzte
-mir Zorn, Haß, Empörung, Verachtung entgegen aus den
-sonst so sanften Augen. &ndash; Sie bog sich zurück, soweit sie
-irgend konnte, ach! mir war, zwei scharfe Pfeile flogen
-durch mein Herz! Ich wankte im Sattel: &ndash; in Verzweiflung
-sprengte ich aus der Stechbahn: &ndash; draußen
-glitt ich besinnungslos vom Gaul! ›'s ist die Hitze, die
-schwere Rüstung‹, hieß es. Ach wär' ich nicht mehr aufgewacht!
-&ndash; Seitdem hab' ich sie verloren für Zeit und
-Ewigkeit. Nie &ndash; ich kenne dieses Herz von Diamant! &ndash;
-niemals verzeiht ihr gekränkter Mädchenstolz.« Und er
-brach zusammen auf der Bank und stützte die Stirn auf
-die Hand. »Hm! Armer Freund!« sprach Fulko nach einer
-Weile. »So hat sie dich denn wirklich nie geliebt? &ndash;
-Denn liebt ein Weib, &ndash; ein <em class="gesperrt">echtes</em> Weib &ndash; und ich will
-das dieser herben Edel nicht bestreiten, &ndash; so verzeiht es,
-unter Thränen, ja im Zorne lächelnd, der Kühnheit des
-Geliebten. Und was ist es denn, was du gewagt? Gar
-nichts! &ndash; Nein, Hellmuth,« &ndash; er sprang auf &ndash; »dein
-Geschick kann mich nicht warnen. Nein! Geht wirklich
-demnächst die Welt zu Grunde, dann …! Bei einem
-Kuß laß ich's dann nicht bewenden. Dann, schöne Minnegardis,
-wirst du mein, magst du darüber grollen oder<span class="pagenum"><a id="Seite_121">[121]</a></span>
-nicht. Liebst du mich aber &ndash; wie ich's hoffe! &ndash; mitten
-im Grolle wirst du verzeih'n und &ndash; selig sein in diesen
-Armen. &ndash; Komm, Hellmuth, laß uns schlafen. Es
-wird spät.«</p>
-
-<p>Der Blonde erhob sich nun ebenfalls. »Ich schlafe
-nicht. &ndash; Auch <em class="gesperrt">ich</em> habe mir ausgesonnen &ndash; bin nur über
-eins dabei nicht aufgeklärt! &ndash; wie <em class="gesperrt">ich</em> die letzte Stunde
-dieser Welt verbringen, wie ich sterben werde. Nicht so
-süß umarmt wie du und nicht so weich gebettet: &ndash; aber
-auch nicht übel umarmt und auch nicht übel gebettet: &ndash;
-hart, jedoch herrlich. Allein vorher muß ich noch manches
-erkunden. &ndash; Schlaf wohl! Ich reite aus!« &ndash; »So spät!
-Wohin? Zu wem?« »Zu wem?« lächelte Hellmuth
-grimmig. »Nicht zu einem Liebchen. Vielleicht &ndash; zum
-wilden Jäger!«</p>
-
-<p>Und klirrend in seinen Waffen schritt er hinaus.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>XIV.</h3>
-
-<p>Angesehene Leute fanden in jenen Zeiten auf ihren
-Reisen fast immer Unterkunft bei Gastfreunden; auf dem
-flachen Land in Burgen der Ritter oder in Höfen der
-bäuerlichen Landsassen, in Klöstern oder in den &ndash; freilich
-noch seltenen &ndash; Städten in den Häusern der Burgensen.
-Die schmutzigen Herbergen in den Dörfern und Städten
-aufzusuchen und darin zu nächtigen, vermied man gern: es
-ging gar unsauber, wüst und lärmend darin her. Häßlich
-und unbehaglich sah es denn auch aus in einem solchen
-Leuthaus des Nordgaues südlich der Eger nahe der Mark
-der böhmischen Berunzanen. In der großen Schenkstube<span class="pagenum"><a id="Seite_122">[122]</a></span>
-lag auf den löcherigen Dielen schmutzig Schilf; und nicht
-nur von ehrlichem Ruße waren die Wände aus ungehobeltem
-Kiefernholz so dunkelfarbig geworden; ein paar rote
-Flecken in dem Schmutz des Bodens verrieten verdächtige
-Ähnlichkeit mit der Farbe des Blutes.</p>
-
-<p>Um den viereckigen Schenktisch &ndash; dessen Platte ein
-mittendurch zersprungener Schieferstein bildete, sie ruhte auf
-vier geschrägten Balken &ndash; saßen auf niedrigen Schemeln,
-rohen Eichstrünken, zwei Männer in eifrigem, oft im Flüsterton
-geführtem Gespräch. Die lange nicht mehr gesäuberte,
-hohe, schmale enghalsige Zinnkanne und zwei Becher aus
-leichtem Tannenholz enthielten ein gelblich braunes, säuerlich
-riechendes Getränk; nur einer der Gäste sprach ihm
-zu: der andere &ndash; in geistlicher Tracht &ndash; schob mit widerwilliger
-Handbewegung seinen Becher so weit von sich hinweg,
-daß der Geruch des Nasses ihm nicht mehr in die
-Nase steigen möchte. »Ihr trinket gar nix, Archidiakon?«
-fragte der eifrige Zecher in einem Deutsch, dem slavische
-Zischlaute einen seltsamen Anklang liehen. »Verbietet's
-ein Gelübde? Oder eures Magens Eigenart?« »Mein
-Gaumen gebietet mir und meines Wesens Eigenart, nur
-Wein, &ndash; guten Wein &ndash; zu trinken, nicht dies Gärgebräu,
-das zu einer gewissen Ähnlichkeit mit kahnigem
-Traubensaft verdorben ist und das diese deutschen Barbaren
-Bier nennen.« »O, ist nix schlecht,« meinte der andere
-und füllte sich den Becher aufs neue. Obwohl es ein
-warmer Sommerabend war, bestand seine Tracht aus Pelz:
-sein enganliegendes, bis an die nackten Kniee reichendes
-Wams war aus vielen hunderten von schwarzen Maulwurfsfellen
-zusammengenäht; um die Hüften hielt es ihm
-ein breiter Dolchgurt aus mattem schwarzem Leder zusammen:
-die Waden steckten in Strümpfen aus dem gleichen
-schwarzen Rauhwerk: die Schuhe wurden ersetzt durch strohgeflochtene<span class="pagenum"><a id="Seite_123">[123]</a></span>
-Sohlen und ein Kreuzgeschnür von dunkeln
-Riemen. Die sammetschwarzen und sammetweichen, jeder
-Biegung der geschmeidigen Glieder sich eng anschmiegenden
-Fellchen sahen aus wie die angewachsene Haut selbst
-des Wenden und gaben ihm bei seinen weichen, katzengleichen
-Bewegungen Ähnlichkeit mit einem schwarzen Panther.</p>
-
-<p>Aus dem dunkelbraunen Gesicht über den häßlich vorstehenden
-breiten Backenknochen zu beiden Seiten der aufgestülpten
-Nase funkelten ein paar tiefschwarze, aber feurige
-Augen; der Bart war glatt abgeschoren, ausgenommen
-zwei sehr lange schmale Stränge des Schnurrbarts, welche
-ihm rechts und links vom Munde hingen: er strich und
-drehte daran unablässig mit der Linken. Auf dem schwarzen,
-kleingekrausten Haar saß ihm schief, aber kecklich, eine hohe
-viereckige Mütze aus dem gleichen schwarzen Fell, von dem
-ein paar schwarz-weiße Elsterfedern grell abstachen; die
-rechte Hand fuhr ihm öfter an den Horngriff des langen
-krummen Säbels als für die Gemütlichkeit der Unterhaltung
-ersprießlich war: gereinigt war alles, was er am Leibe
-trug, niemals worden und der Leib selbst recht selten.
-»Ist ganz gut hinunterschütten,« wiederholte er, den Becher
-niedersetzend und sich den triefenden Schnauzbart mit der
-Rückseite der Hand wischend. &ndash; »Ja, Ihr seid nicht verwöhnt,
-Herr Berunzane. Weder in Trank noch in Speise.
-Wahrscheinlich habt Ihr all die armen Schermäuslein auch
-verspeist, denen ihr die weichen Wämmslein abgestreift.« &ndash;
-»Aber gewiß! Leckerer Braten! Besser sogar noch als
-Engerlinge! Sind wir nix so reich, wir armen Brüderlein,
-wie diese Deutschen.« &ndash; »Wißt Ihr auch warum,
-mein Fürst?« &ndash; »Oh ja. Weil nix arbeiten, wie die
-Bauerntölpel. Deutschen ist Hand gewachsen zum Pflugziehen,
-uns, zu nehmen, was Deutscher erarbeitet hat.« &ndash;
-»Ja, ja, Eure Leute treiben's arg mit Stehlen im Nordgau.<span class="pagenum"><a id="Seite_124">[124]</a></span>
-Deshalb will ja Euch und Eure Haufen weder Ritter noch
-Freibauer noch Abt aufnehmen in Burg, Hof oder Kloster.
-Deshalb muß ich heute in diesem übelstinkenden Bretterverschlag
-mit Euch sitzen, Fürst Zwentibold, Spithinieffs
-edler Sproß!« &ndash; Der Fürst der Maulwürfe zuckte die
-Achseln: »Ich hab' Euch nix gesucht, Ihr mich. Und was
-wir zu verhandeln hatten, brauchte weder Laie noch Pfaff
-zu hören.« &ndash; »Wir sind nun doch einig &ndash; in allen
-Stücken?« &ndash; »Ganz einig. Der Handel gilt: ›Blut gegen
-Gold‹. &ndash; Nur eines wurmt mich noch.« &ndash; »Und das
-wäre, wackrer Held?« &ndash; »Daß Ihr mir nur die Hälfte
-des Geldes ausgezahlt habt.« &ndash; »Die andere nach dem
-Sieg.« &ndash; »Das will sagen: Ihr traut mir nix. Aber
-<em class="gesperrt">ich</em> soll <em class="gesperrt">Euch</em> trauen. Und seht, Herr Archipfaff, das ist
-zu viel verlangt.« &ndash; »Herr Wende!« &ndash; »Nun ja! Schaut,
-ich und meine lieben Wölflein, &ndash; wir sind hier fremd
-im Land. Daß wir &ndash; gegen gutes Gold! &ndash; gern gegen
-die verhaßten Deutschen losschlagen, daß wir gerne dazu
-helfen, wenn deutscher Bischof gegen deutschen König kämpft
-und Königsgraf, &ndash; das! &ndash; beim großen Zrnbog! &ndash;
-das mag man füglich von uns glauben. Wer aber bürgt
-uns, daß <em class="gesperrt">Ihr</em> Euch nicht wieder vertragt mit den anderen
-Deutschen? Wer bürgt für die Zähe <em class="gesperrt">Eures</em> Hasses? Ihr
-seid …« &ndash; »Kein Deutscher!« &ndash; »Wohl, wohl.
-Weiß! Seid Lombarde! Aber Kaiser Otto ist auch <em class="gesperrt">Euer</em>
-Landesherr. Wie Deutschland gehöret ihm Lamparten!«
-Da erschrak der Wende: denn der sonst so kühle Priester
-schlug plötzlich mit der Faust auf die Schieferplatte, daß
-die Becher aufhüpften: und tödlicher Haß sprühte aus den
-dunkeln Augen unter den starken Brauen, als er mit einer
-vom Zorn halb erstickten Stimme hervorstieß: »Ja, leider!
-Fluch ihm dafür! Fluch und Verderben allen Deutschen.«
-»Beim schwarzen Zrnbog!« rief der Slave, zurückprallend<span class="pagenum"><a id="Seite_125">[125]</a></span>
-auf seinen Schemel. »Welche Wuth! Woher?« »Woher?
-Warum? Weil …! Wohlan: Ihr sollt' es wissen! Ihr
-<em class="gesperrt">müßt</em> sogar darum wissen, sollt Ihr das eine &ndash; das
-letzte &ndash; verstehen, was wir noch <em class="gesperrt">nicht</em> beredet haben
-und was mir doch das Wichtigste von allem.« Mißtrauisch
-fuhr der Häuptling an den Schwertgriff und
-warf die dicken wulstigen Lippen auf: »Nix einen Finger
-rühr' ich über das Versprochene hinaus für das wenige
-Geld, den Bettelsold. Ein Knicker ist er, euer Bischof von
-Würzburg.« »Es ist nicht viel,« gab der Priester zu:
-»Nicht meine Schuld! Der Weichmütige wollte nicht einmal
-diesen Betrag &ndash; ›einstweilen nur!‹ &ndash; seinen frommen
-Bauten entziehen. Säße ich auf dem reichen Stuhl des
-reichen Würzburg, &ndash; Euer Lohn sollte …! Aber Ihr
-fragt, woher mein Haß gegen diesen Kaiser-Knaben, gegen
-alles, was Deutsch? O der Haß ist trefflich begründet.
-Ihr wißt nicht, wen Ihr vor Euch habt, tapferer Häuptling.«
-&ndash; »Den Archidiakon von Würzburg,« sagte dieser,
-offenbar ohne sehr hohe Meinung von einem solchen Wesen.
-&ndash; »Gott sei's geklagt! Aber in des Priesters Adern fließt
-königliches Blut.« &ndash; »Das wäre!« staunte der Wende und
-riß die Augen auf. »Und ging' es nach Recht und Gerechtigkeit,
-so säße ich in diesem Augenblick statt in dieser
-schmutzigen deutschen Herberge auf dem goldenen Throne
-zu Pavia und dies Haupt trüge, statt der Tonsur, die
-Königskrone des Lombardenreichs.« &ndash; »Ihr seid …?«
-&ndash; »Ich bin der Sohn Berengars, des letzten rechtmäßigen
-Königs von Italia, und der einzige Erbe seines Rechts
-und seiner Krone. Mein armer Vater! Überwunden und
-gefangen von jenem schrecklichen eisernen Otto, verbannt
-für immer aus unserer schönen Heimat starb er &ndash; hier in
-der Nähe &ndash; zu Bamberg. Anmaßer, Gewaltherren, Thronräuber,
-Tyrannen sind alle Ottonen wie jener erste, der<span class="pagenum"><a id="Seite_126">[126]</a></span>
-meinem Vater das Scepter aus der Hand riß.« &ndash; »Aber,«
-wandte der Slave ein, »in Welschland sagte man mir,
-die Welschen selbst haben jenen ersten Otto ins Land gerufen,
-damit er endlich Ordnung und Ruhe …« »Tyrannen
-sind sie!« schrie der Lombarde, ohne auf die Worte
-zu achten. »Auch mich, ein Knäblein damals, hat der
-fremde Zwingherr mit meinen Eltern über die Alpen geschickt
-in dies Land voll Eis und Nebel und nach des
-Vaters Tod zu Würzburg erziehen lassen.« &ndash; »Das war
-unvorsichtig, sehr! Bei uns zu Land erdrosselt man die
-Knaben besiegter Fürsten.« &ndash; »Teuflisch grausam war es!
-Denn in einem Kloster &ndash; zum Priester! &ndash; ward ich erzogen.
-Der Welt, den Waffen sollte ich für immer entrückt,
-unschädlich sollte ich gemacht werden. Ein Pfaffe
-kann Italien nicht befreien vom Joche der Barbaren! Und
-doch ist die Lust an weltlicher Macht, die Gier, zu herrschen,
-ja &ndash; und ich fühl's! &ndash; auch die <em class="gesperrt">Gabe</em>, zu herrschen,
-Land und Leute zu regieren, staatsmännische Pläne zu
-schmieden mit des Vaters Herrscherblut auf mich vererbt.
-Statt dessen &ndash; was bin ich?« &ndash; »Nun, wie sich soeben
-zeigt, auch in weltlichen Dingen nix ohne Gewalt: &ndash; die
-rechte Hand eines deutschen Kirchenfürsten …« &ndash; »Verschling'
-ihn der Abgrund der Hölle!« schrie der Lombarde.
-&ndash; »Hui, welch heißer Haß! Und dennoch dient Ihr ihm
-so eifrig? &ndash; Wie soll ich das verstehen?« &ndash; »Ihr
-<em class="gesperrt">müßt's</em> verstehen lernen! Hört weiter! Als ich zum
-Jüngling, zum Manne herangewachsen war und den Frevel
-begriff, den diese Deutschen an meinem Vaterland, an
-meinem Vater, an mir begangen, da knirschte ich in das
-Gebiß, mit dem sie mich wehrlos gemacht hatten. Tag
-und Nacht sann ich darauf, es abzustreifen. Aber tief
-verbarg ich Haß und Groll und Hoffnungen! So gut
-gelang mir die Verstellung, daß ich das vollste Vertrauen<span class="pagenum"><a id="Seite_127">[127]</a></span>
-der häufig wechselnden Bischöfe in der Mainstadt gewann.
-Bald ward ich ihr Apokrisiar, Vorstand ihres gesamten
-Urkundenwesens: diesseit der Alpen lebt kein zweiter, der
-dies Schrifttum so fein versteht. So konnte es geschehen
-&ndash; daß … O ich hatte jahrelang nur gehofft, als
-Flüchtling über die Alpen zu entkommen, um dort ganz
-Italia zur Freiheit aufzurufen, mein Königsrecht mit dem
-Schwerte zu verfechten. Und nun geschah das Wunderbare,
-daß mich Bischof Poppo &ndash; der zweite dieses Namens
-&ndash; selbst mit sich nahm auf einer Romfahrt. Wie erglühte
-mein Blut! Wie pochte mein Herz, als ich jenseit der
-Berge zuerst lombardischen Boden betrat, mein Erbgut!
-Wir weilten viele Monate in Pavia, in Mailand: Zeit
-übergenug für einen Kopf wie ich, einen Aufstand vorzubereiten.
-Und, &ndash; bei meines Vaters Grab! &ndash; ich war
-nicht müßig. Aber Schmach und Verderben! Was mußte
-ich erleben?« &ndash; Und er verstummte vor Ingrimm, warf
-beide Arme aus den Tisch und legte das Gesicht darauf.
-&ndash; »Nun? Was ist? Nix traurig werden!« &ndash; »Was
-antworteten sie mir? Sie, meine Landsleute, meine Stammesgenossen,
-ging's nach dem Rechte &ndash; meine Unterthanen!
-›Nie &ndash; solange wir zurückdenken mögen und
-unsere Jahrbücher berichten &ndash; nie seit den Tagen des
-großen Carolus, hat solch weise, friedliche, und doch starke,
-Recht schirmende Herrschaft gewaltet in unserm Heimatland
-von Verona bis Benevent und Napoli, wie unter diesen
-rotbärtigen Ottonen. Das Land ist glücklich und zufrieden
-&ndash; laß es so!‹ &ndash; Und da ich nicht abstand, zu schüren,
-zur Freiheit aufzumahmen, da drohten sie, &ndash; meine eignen
-Vettern in Pavia! &ndash; mich dem deutschen Zwingherrn
-anzuzeigen! Ah Schmach und Weh! Vernichtet war da,
-zertreten für immerdar all' mein Hoffen, des Vaters Krone
-mir wieder zu erkämpfen, diese knechtischen Seelen zu entflammen.<span class="pagenum"><a id="Seite_128">[128]</a></span>
-Ich eilte nun nach Deutschland, nach Würzburg
-zurück. In der entarteten Heimat Macht und Herrschaft
-zu gewinnen, &ndash; ich hatte es erfahren! &ndash; war unmöglich.
-Allein ich wußte längst, ich sah es täglich vor Augen an
-Köln, und Mainz, ja auch an Würzburg, wie im deutschen
-Reiche Männer von Geistesschärfe und Willenskraft &ndash;
-lange nicht soviel davon eignete ihnen wie dem Königssohne
-von Italien! &ndash; von ihren Bischofssitzen aus den
-Staat leiteten &ndash; den deutschen und den italischen dazu.
-König von Italien konnte ich nicht werden, aber Kanzler
-des deutschen Reichs wie der Kölner, &ndash; wie schon so
-mancher Bischof das ward. Und einstweilen war es auch
-nicht übel, als Bischof von Würzburg zu walten! Unablässig
-war ich daher bemüht, die Gerechtsame dieses Bischofs
-zu erweitern, durch erbetene Verleihungen des Königs,
-durch Geltendmachung alter, vergessener Ansprüche, die oft
-nur durch meine Gelehrsamkeit &ndash; oder ›Findigkeit!‹ &ndash;
-aus Urkunden, die ich erst wieder entdeckte, zu erweisen
-waren. Sie staunten über mich, die blöden Thoren,
-Bischof und Domherren! Sie lobten, sie lohnten meinen
-unermüdbaren Eifer für Sankt Burchhards Recht, wie sie
-es nannten. Diese deutschen Tölpel! Als ob ich mich für
-den ersten lange toten oder auch für den jetzigen lebendigen
-Bischof zu Würzburg also mühte! Nein: für den
-<em class="gesperrt">nächsten</em> Bischof: und der sollte heißen: Berengar!«</p>
-
-<p>»Ah, verstehe jetzt. Versteh! Nix dumm!« nickte der
-Fürst, kratzte sich eindringlich, &ndash; aber vergeblich am Kopf
-und trank.</p>
-
-<p>»Drei Bischöfe &ndash; Poppo, Hugo und Bernward &ndash;
-hatte ich, höher und höher steigend in geistlichen Würden,
-erlebt. Nun hatte ich allen Grund, anzunehmen, &ndash;
-mein Amt als Archidiakon, als Apokrisiar, meine von
-allen laut anerkannten Verdienste um das Bistum gaben mir<span class="pagenum"><a id="Seite_129">[129]</a></span>
-ein Recht dazu &ndash; bei der nächsten Erledigung des Stuhls
-könne keinen andern die Wahl treffen als mich. Ich zählte
-schon so fest darauf, daß ich &ndash; vielleicht unvorsichtig!
-aber wie hatte ich mich jahrzehntelang zusammengehalten!
-&ndash; den Stolz, das Gefühl des geborenen Herrschers, der
-Überlegenheit fühlen oder doch erraten, ahnen ließ &ndash; kurz,
-Bischof Bernward verfiel in seinen letzten Zeiten in Mißtrauen,
-wirkte bei dem Kaiser, bei den Domherren gegen
-mich und als er starb, der alte Rothenburger, da folgte
-ihm nicht ich, sondern sein Neffe Heinrich!« &ndash; »Ja, der
-Rothenburger,« knirschte Zwentibold und griff ans Schwert.
-»Der arge Wolf des Waldes fresse seine Seele! Was hat
-er uns früher viele Brüderlein erschlagen.« &ndash; »Dieser
-höchst ungeistliche Graf, der erst vor ein paar Jahren &ndash;
-plötzlich &ndash; der Welt entsagt hatte! Dieser Weltling
-schnappte mir mein schwer verdientes Bistum weg! Bei
-meines Vaters Grab! Er soll's nicht lang mehr tragen.«</p>
-
-<p>Zwentibold lehnte sich zurück, blinzelte dem Priester zu
-und wölbte die dicken Lippen zu einem gelinden, aber ausdrucksvollen
-Pfeifen: »Ahi! Aho! Fange an zu begreifen!«
-&ndash; »Das geht &ndash; scheint's &ndash; langsam, Fürst, bei Berunzanen
-wie bei Deutschen. Meintet Ihr wirklich bisher,
-für eines andern Macht müht sich der Königssohn Italiens
-so emsig ab, feilscht um die Hilfe Eurer wilden Horde,
-begiebt sich in hohe Fährlichkeit? Denn Reichsverrat ist
-was wir treiben: &ndash; ich, mit Wollust, in klarem Bewußtsein:
-&ndash; der ehrenfeste Bischof unbewußt, aber doch mit
-mahnendem Gewissen. Das Leben kann mir's kosten: &ndash;
-im Gefecht oder &ndash; nach der Niederlage: &ndash; am Galgen.
-Denn Graf Gerwalt versteht keinen Scherz.« »Mich
-wundert doch,« sprach der Wende, kopfschüttelnd, »daß es
-der Rothenburger thut. Er focht so treu für dieses Reich.«
-&ndash; »Gerade so treu ficht er jetzt für seines Bistums Recht.<span class="pagenum"><a id="Seite_130">[130]</a></span>
-Aber Ihr habt nicht Unrecht. Ich hätte ihn nicht soweit
-getrieben ohne einen glücklichen Zufall. Der Graf, dem
-er den Gau zunächst abkämpfen muß, dieser Graf Gerwalt,
-&ndash; er haßt ihn tödlich.« &ndash; »Warum?« &ndash; »Weiß nicht.
-Man flüstert in der Stadt, der Graf habe ihn ausgestochen
-in der Gunst der schönen Kaiserwitwe. Ich entdeckte diesen
-Haß, als &ndash; erst ganz vor kurzem &ndash; Gerwalt, bisher
-Graf des Deutzgaues gegenüber Köln, den Waldsassengau
-mit Würzburg erhielt. Der Rothenburger wurde glutrot
-vor Zorn bei der Nachricht. Erst seit es gegen Gerwalt
-fechten heißt, will er &ndash; im Notfall &ndash; fechten. Im Notfall!
-wie er meint: denn erst will er den Spruch des
-Reichstags abwarten: &ndash; nur falls dieser sein sonnenklares
-Recht nicht anerkennt …« »Kann nix solang
-warten,« grollte der Slave. »Gewiß nicht! Deshalb hab'
-ich, statt Euch erst Wartegeld zu zahlen, gleich fest mit Euch
-abgeschlossen. Wann brecht Ihr auf?«</p>
-
-<p>»Sobald mein frischer Zuzug eingetroffen aus Tethin:
-zweihundert Lanzen!« &ndash; »Gut! Seid Ihr einmal &ndash; in
-seinem Namen &ndash; eingebrochen in den Gau, kann er nicht
-mehr zurück. Er darf nicht mehr Zeit haben, zu bereuen.
-Deshalb wollen wir auch gleich wegziehen von hier und
-unsere Spur verbergen, damit mich seine etwaigen Boten
-nicht finden und abrufen können. Denn es gelang mir
-doch nur dadurch ihn fortzureißen, daß ich dem verhaßten
-Grafen Droh- und Hohnworte in den Mund legte, die
-dieser nie gesprochen! Ich erfand sie &ndash; jenem Gerücht
-angepaßt! Das half! Wie der Stier aufs rote Tuch
-stürmte der plumpe Deutsche darauf hin los. Aber nun
-merkt auf. Jetzt kommt die Hauptsache. Der Rothenburger
-&ndash;« er stand auf, trat vor die halb offene Thür
-in das Freie und überzeugte sich, daß dort niemand das
-Ohr an die dünne Bretterwand lehnte. Dann kam er<span class="pagenum"><a id="Seite_131">[131]</a></span>
-zurück, warf einen Blick in die anstoßende Küche, sah, daß
-diese völlig leer war, trat nun dicht an seinen Verbündeten
-heran und flüsterte diesem in das Ohr: »der Bischof
-darf seinen Sieg nicht überleben.« »Aha,« nickte der
-Slave. »Meint Ihr, ich will noch jahrelang in seinem
-Dienst, als sein Knecht, zusehen, wie er mit den von Kaiser
-Karl verliehenen Rechten den Gau beherrscht, den er mir
-verdankt? O nein! Ohne Zweifel werde ich zu seinem
-Nachfolger gewählt: &ndash; er selbst hat im voraus, falls er
-stürbe, die Stimmen des Kapitels für mich gewonnen: &ndash;
-so möge denn sein eigener Wunsch geschehen: &ndash; aber bald.«
-&ndash; »Jedoch wie soll …?« &ndash; »Merkt auf! Er wird nicht
-fehlen in dem Gefecht! Er läßt sich's nicht nehmen, selbst
-den Überfall der Burg &ndash; denn die vor allem müssen wir
-nehmen! &ndash; zu leiten.« &ndash; »Ich führe meine Wölflein selbst,«
-erwiderte der Häuptling schroff. »Und nicht schlecht, glaubt
-mir. Hab' was gelernt im Dienst der Byzantiner! Nix
-so tölpelig bloß dreinschlagen wie diese Deutschen!«</p>
-
-<p>»Schon gut. Aber der Rothenburger kämpft jedenfalls
-mit. Nun wohl! Nach dem Sieg &ndash; den soll er uns
-noch erkämpfen helfen! &ndash; fliegt nicht ein Pfeil oft irr im
-Gefecht? Auf der Verfolgung der Fliehenden? Kann ihn
-nicht ein Geschoß &ndash; falsch gezielt &ndash; von Euren eigenen
-Leuten treffen?« Zwentibold sprang auf: »Oder ein geworfenes
-Messer! Sind vergiftet. Ein Hautritz &ndash; muß
-sterben. Fehle nie meinen Mann. Es gilt! Aber
-dann …« &ndash; »Das Doppelte!« &ndash; »Nix genug.« &ndash;
-»Wie, Unersättlicher? Ich bringe &ndash; auch als Bischof &ndash;
-nicht mehr auf.« &ndash; »Nix mehr an Geld. Erst das
-Doppelte. Dann &ndash; andres. Ist wilder, lustiger! Vorerst:
-meine Wölflein müßt Ihr auch in die Thore hinein
-lassen.« &ndash; »Er will's zwar nicht. Aber der Überfall der
-Burg &ndash; der Kriegsmann in ihm wird's einsehen &ndash;<span class="pagenum"><a id="Seite_132">[132]</a></span>
-gelingt am sichersten so. Ihr sollt hinein!« &ndash; »Hui wohl!
-Dann &ndash; liegt er erst tot &ndash; nix zahm die Hand hinhalten,
-wie Bettler um Geschenklein &ndash; dann &ndash;« Die
-Augen des Slaven funkelten, wie die des Raubtieres, das
-zum Sprunge niederduckt. »Nun, was dann?« »Plündern!«
-stieß Zwentibold hervor mit schnalzender Zunge.
-»Nur zwölf Stunden! Mit Brand und Blut und &ndash; nix
-zu vergessen! &ndash; die Weiblein küssen, &ndash; ohne kirchlichen
-Segen. Ihr wißt, wir brauchen den nix,« höhnte er,
-»sind nix getauft!« &ndash; »Das muß ich doch …« &ndash; »Erst
-überlegen? Nix! Herr Bischof Berengar <em class="gesperrt">muß</em>!« Seine
-Faust fuhr an den Schwertgriff. »Oho! Es giebt der
-Söldner noch mehr.« »Wohl«, lachte der Häuptling, daß
-seine weißen Zähne blitzten. »Aber Zwentibold, Spithinieffs
-Sohn, kennt jetzt des Herrn Archidiakons Geheimnisse.«
-»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte der Lombarde,
-scheinbar ruhig, aber er ward ganz bleich unter
-seiner gelben Haut.</p>
-
-<p>»Ihr seid nix so dumm, das nicht zu erraten! Entweder
-Ihr thut nach meinem Willen oder ich fange an, Geschichtlein
-zu erzählen. Dankbare Hörer, gut zahlende, werd' ich
-finden: den Herrn Kaiser, den Grafen Gerwalt und &ndash;
-nicht zum mindesten &ndash; den Bischof Heinrich.« Er sprang
-auf. Berengar that desgleichen und reichte ihm die Hand.
-»Es sei! Ich gönn' es diesen Deutschen!«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_133">[133]</a></span></p>
-
-<h2 id="Drittes_Buch">Drittes Buch.</h2>
-</div>
-
-<h3>I.</h3>
-
-<p>Es war ein strahlend schöner sonniger Sonntag im
-Brachmond, ein paar Stunden nach Mittag: da wogte
-auf den weitgestreckten Gemeindewiesen vor der Vorstadt
-»auf dem Sande« eine festlich-fröhliche Menge.</p>
-
-<p>Denn der Verband der Bogenschützen feierte die Wiederkehr
-des Tages, an dem vor fünfzig Jahren König Otto
-der Große ihnen durch einen Gnadenbrief die Rechte einer
-Genossenschaft und allerlei Freiheiten und Befugnisse verliehen,
-auch die königliche Kammer angewiesen hatte, alle
-fünf Jahre drei große Stückfässer Wein der Schützenschaft
-zu verabreichen, wenn sie an diesem Tag ein Bogenschießen
-halten wolle; sie hatte es immer gewollt!</p>
-
-<p>Auch heute drängte sich da draußen vor dem Südthor
-so ziemlich alles, was die Beine rühren und die enge,
-heiße Stadt verlassen konnte: denn zur Lustbarkeit ließen
-sie sich schon damals recht leicht bewegen, die guten Burgensen
-der fröhlichen Stadt am Main.</p>
-
-<p>Männer und Weiber, diese gar oft ganz kleine Kinder
-auf den Armen oder auch auf dem Rücken in einem Huckekorb
-oder einer »Butte« festgebunden tragend, Laien und
-Priester und Mönche, bischöfliche Dienstmannen, Pfahlbürger
-und zumal auch viele Bauern und Winzer aus den benachbarten<span class="pagenum"><a id="Seite_134">[134]</a></span>
-Dörfern und Höfen wallten und wogten hier durcheinander;
-es fiel auf, daß die Reisigen des Grafen fehlten:
-aber die wenigen, welche ihm nicht über die Alpen gefolgt
-waren, durften die Burgwacht nicht verlassen.</p>
-
-<p>Gerade an der Stelle, wo sich heute die Straßen nach
-Randersacker und nach Heidingsfeld gabeln und wo auch
-dermalen &ndash; gegenüber dem Ehehaltenhause &ndash; ein Wirtshaus
-steht, hatte ein Wirt für das allzeit durstige Völklein
-&ndash; denn die drei Fässer reichten bei weitem nicht! &ndash; zu
-dem Festtage eine sehr bescheidene Schenke aufgezimmert:
-über ein paar tannenen Tischen und Bänken spannte sich,
-von belaubten Birkenstämmlein getragen, aus Segeltuch
-ein lustiges Gezelt: grüne Gewinde von Schilf und Zweigen
-waren darüber hingezogen: oberhalb des Eingangspförtleins
-schwankte ein Kranz von Rebenblättern: roter
-Teufelsabbiß, weißer Ehrenpreis, zierlicher Frauenschuh
-waren hineingeflochten.</p>
-
-<p>Hastig lief der Wirt, der sonst gar behäbige Bezzo,
-mit den Zinnkrügen und Holzbechern voll billigen weißen
-Weines zwischen den Bänken auf und ab, sein rosig Töchterlein
-zu gleichem Eifer mit manchem Scheltwort treibend.
-»Röschen! daß dich der Donner verschlag! Was steckst du
-wieder solang bei dem Schlingel von einem Waffenschmied?
-Und der würdige Kapellan von Sankt Burchhard und sogar
-der Nachbar Spedilo, der brave und gerechte Büttnermeister,
-müssen schier vor Durst verschmachten! Der Bettelbub, der
-Scheibennarr zahlt dir doch nie ein Handgeld über die
-Schuldigkeit hinaus.«</p>
-
-<p>Verschämt wischte sich die Kleine das Mündchen: »Ei,
-ich bin mit dem Mundgeld zufrieden!« und eilig sprang
-sie nun zu der Bank, wo mehrere Geistliche und ältere
-angesehene Bürger der Stadt um einen weißgescheuerten
-Ahorntisch versammelt saßen, dabei der dicke Büttner, der<span class="pagenum"><a id="Seite_135">[135]</a></span>
-sich vergeblich bemühte, der Flinken den Arm um die
-schlanken Hüften zu legen; der junge Waffenschmied aber
-rief, sich das braune Bärtchen streichend: »Ei, Vater
-Bezzo, <em class="gesperrt">Ihr</em> müßtet von Rechts wegen dem Gast noch
-Mundgeld obendrein zahlen, der Euern sauern Rostputzerwein
-hinunterwürgt.«</p>
-
-<p>»Gelbschnabel, unverschämter! Für dich wird wohl
-eigens Herr Supfo den Edeltrank vom Stein- oder vom
-Harfenhang schenken? Wann zahlst du deinen letzten, vorletzten
-und drittvorletzten Trunk?« &ndash; »Auf der Hochzeit
-mit Röschen, Vater Bezzo!« &ndash; »Der Teufel ist dein
-Vater.« &ndash; »Nein, der wird ja mein Schwiegervater!« &ndash;
-»Ich werd' euch,« grollte von dem geistlichen Tische her
-der Baß des Kapellans, »wer nennt da so keck den üblen
-Höllenwirt? Dann kommt er gar rasch herbei.« »Fürcht'
-ihn nit!« lachte der Waffenschmied, »ich schieß' ihn zusammen
-auf fünfhundert Schritt wie einen alten Auerhahn.
-Mein früherer Herr, Junker Hellmuth, hat's gesagt: zwei
-Burschen wie er und ich reiten allen Teufeln entgegen.
-Da kommt der Ritter! Er soll euch zeigen, daß er noch
-viel besser schießt als ich.«</p>
-
-<p>Damit sprang der hübsche Bursche auf und eilte einem
-ansehnlichen Zug entgegen, der eben von der Stadt her
-auf die Festwiese gelangte. Es war der Bischof selbst,
-begleitet von vielen seiner Geistlichen, von seinen Junkern
-und den Edelfräulein. Während Herr Heinrich von den
-Ältesten der Schützengilde ehrerbietig empfangen und mit
-seinem geistlichen Gefolg in eine vorbehaltene festlich geschmückte
-Laube geleitet ward, mischten sich seine weltlichen
-Begleiter unter die Menge.</p>
-
-<p>»Ich hörte schon unterwegs,« begann Hellmuth, »von
-Gästen, die von der Wiese bereits nach Hause trachten, wer
-heute &ndash; wieder einmal! &ndash; den besten Schuß gethan.« &ndash;<span class="pagenum"><a id="Seite_136">[136]</a></span>
-»Ja, bis jetzt &ndash; weil <em class="gesperrt">Ihr</em> nicht mit geschossen. Kommt,
-Herr! Bogen und Pfeile liegen bereit. Dort: den Rebhügel
-aufwärts, vor der Weinbergmauer des Geigilo steht
-die Scheibe. Nun reißt die Augen auf, ihr Stümper:
-jetzt sollt ihr sehen, was treffen heißt.« »Ich schieße nicht
-mehr &ndash; im Spiele, Gericho;« düsteren Blickes schritt er
-weiter. »Wie schade! &ndash; Bei dem letzten Wettschießen,
-mein Röslein« (denn sie war schon wieder an seiner
-Seite! &ndash;) »zu Werthheim traf ich das Rote so genau in
-der Mitte, daß ein besserer Schuß nicht möglich schien.
-Aber was that er? Was that mein Herr? Er traf doch
-noch viel, viel besser. Denn er schoß meinen Pfeil mitten
-entzwei. &ndash; Wo lebt &ndash; alles in allem &ndash; ein junger
-Held seinesgleichen?«</p>
-
-<p>Diese Worte schlugen an Edels Ohr wie sie, vom
-Gedräng aufgehalten, mit Minnegard einen Augenblick verweilen
-mußte: sie schlug die Augen auf, glühendes Rot
-schoß aus dem stolzen, verhaltenen Herzen in die bleichen
-Wangen bis unter die lieblich krausen Haare über der
-Stirn; ganz verstohlen, von keinem gesehen, flog von der
-Seite ein leuchtender Blick stolzer Freude über die edle
-Gestalt des Jünglings hin. Aber auch die folgenden Worte
-Gerichos, obwohl er sie seinem Liebchen leise zuflüsterte,
-vernahm ihr feines Ohr.</p>
-
-<p>»Der Unselige! Ganz verwandelt ist er. Er lacht
-nicht mehr. Sogar Roß und Speer, und all' seine Waffenfreude
-sind ihm verleidet. Er muß verzaubert sein von
-irgend einem Neider, der ihm den vielen Ruhm nicht gegönnt
-hat. Wüßt' ich den Zauberer, ich riß ihm das Herz
-aus dem Leibe.«</p>
-
-<p>»Vielleicht ist's eine Zauberin, die ihn verwunschen,«
-meinte Rosbertha mit leisem Grauen. »Es giebt solche.
-Er ist gar schön. Vielleicht that's Eifersucht &ndash; verschmähte<span class="pagenum"><a id="Seite_137">[137]</a></span>
-Liebe.« &ndash; »Oder auch: er grämt sich um ein Weib.«
-Hastig schritt Edel fürbaß, Minnegard an der Hand mit
-sich ziehend.</p>
-
-<p>»Nun, Nachbar Bezzo,« rief der dicke Büttner dem
-Wirte zu, »wann endlich schließen wir ab? Ich bin jeden
-Tag bereit, den Muntschatz zu zahlen &ndash; soviel Ihr fordern
-mögt. Ich kann's! Ich hab's liegen. Ich bin ein
-Mann, der Frau und Kind ernähren kann.« »Könnt
-Ihr sie auch beschützen?« fragte Gericho, blitzenden Auges
-hinzutretend. »Schämt Ihr Euch nicht, alter Kahlkopf?
-Rösleins Großvater könntet Ihr sein!« »Immer noch
-jung genug,« erwiderte der Dicke, »dich, Nestling, zu züchtigen«:
-und er holte mit der Rechten, zornig aufstehend,
-zum Schlage aus. »Ihr? mich?« lachte der. »Versucht's!
-Für Euch brauch' ich nur die Linke. Da! Seht! Meine
-Rechte leg' ich auf den Rücken &ndash; so! &ndash; und rühre sie
-nicht, bis Ihr am Boden liegt. Kommt an!«</p>
-
-<p>»Nachbar,« meinte Bezzo, »das könntet Ihr wagen,
-mein ich. Gebt dem Keckling eine Lehre.« Sichtlich nicht
-gerade gern befolgte Spedilo seines Freundes Mahnung,
-hob die beiden Fäuste und schritt drohend gegen den
-Burschen heran.</p>
-
-<p>Der unterlief ihn, schlang den linken Arm um seinen
-Leib und, ohne den rechten Arm vom Rücken zu lösen,
-lupfte er den schweren Gegner ein wenig in die Höhe,
-drehte ihn um und warf ihn bäuchlings in das weiche
-Gras der Wiese. Lautes Gelächter, tosender Beifall erscholl
-von allen Seiten und Gericho hob nun die Rechte,
-dem schwerfällig sich Aufrichtenden einen herzhaften Schlag
-auf die untersten Grenzgebiete seines Rückens zu versetzen.</p>
-
-<p>Aber mitten im Ausholen hielt er ein: er lauschte,
-vorgebeugt, flußaufwärts und rief: »Halt! Haltet an!<span class="pagenum"><a id="Seite_138">[138]</a></span>
-Still ein wenig! Was ist das?« Und er ließ den erhobenen
-Arm sinken. &ndash; »Jawohl! Stille!« &ndash; »Horcht!
-Gebt Ruh.« &ndash; »Was für ein Gedröhn!« &ndash; »Dort von
-Mittag her &ndash; auf der großen Straße!« &ndash; »Sind's
-Feinde?« &ndash; »Die Hunnen kommen wieder!« rief entsetzt
-ein altes Weiblein. »Nein! Es sind Drommeten!« &ndash;
-»Nein! Posaunen!« &ndash; »Aber nicht das deutsche Heerhorn!«
-&ndash; »Und Grabgesänge tönen drein!« &ndash; »Wie
-schauerlich!« &ndash; »Immer näher kommt's.« &ndash; »Schon
-sieht man die Staubwolken!« &ndash; »Viele, viele Reiter!« &ndash;
-»Und Wagen.« &ndash; »Da! Da sind die ersten Reiter schon!«
-&ndash; »Was bringen sie? Was hat das zu bedeuten?«</p>
-
-<p>Und die mehr als zweitausend Menschen auf der Wiese
-gerieten in wirre Bewegung: Alles drängte den die breite
-Heerstraße heranziehenden Ankömmlingen entgegen.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>II.</h3>
-
-<p>Noch bevor die staubbedeckten Reiter &ndash; meist Bauern
-aus den nächsten stromaufwärts gelegenen Dörfern &ndash; abgesprungen
-waren und den neugierig Fragenden Bescheid
-gegeben hatten, kam bereits ein gar schauerlich aussehend
-Gefährt in Sicht.</p>
-
-<p>Vier schwarze, mit schwarzem Trauerzeug über und
-über bedeckte Rosse zogen einen gewaltigen, auf hohen
-Rädern stehenden Wagen, einen italienischen »<em class="antiqua">carroccio</em>«:
-auf diesem aber war ein bühnenartiges Gerüst aufgeschlagen,
-das, wie der ganze Wagen, auf allen Seiten ebenfalls
-mit schwarzen Tüchern behangen war.</p>
-
-<p>In den vier Ecken des langgestreckten breiten Wagens,<span class="pagenum"><a id="Seite_139">[139]</a></span>
-der nahezu die ganze Heerstraße füllte, standen vier Mönche
-in schwarzen Kutten mit weithin hallenden ehernen langen
-Posaunen in den Händen, in der Mitte aber, sie alle überragend,
-ein fünfter riesenhoher Mönch, der die schwarze
-Kapuze bis an die Augen über die Stirn gezogen hatte:
-in der Rechten trug er eine lang hinwallende schwere Fahne
-von schwarzer Wolle, in welche mit weißer Farbe plump
-ein Totenkopf über zwei geschrägten Knochen gemalt war:
-alle fünf aber sangen in schauerlichen Tönen &ndash; nach den
-Weisen eines römischen Grabgesanges &ndash; ein Lied: und
-schauerlich stimmten sie ein, die vielen Hunderte von Männern,
-Frauen, Kindern, die vor dem Wagen schritten oder
-demselben folgten, alle vom Staube langer Wanderschaft
-über und über bedeckt, die meisten in schwarze Gewande
-gehüllt, viele davon mit Geißeln und Stöcken sich auf die
-entblößten Schultern und den Rücken schlagend.</p>
-
-<p>Das Lied aber lautete:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Hört ihr die Posaunen dröhnen<br /></span>
-<span class="i2">Und der Bußgesänge Chor?<br /></span>
-<span class="i0">Wehe, weh' euch, Adams Söhnen:<br /></span>
-<span class="i2">Euer Ende steht bevor!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Wann des Sommers Sonne wendet,<br /></span>
-<span class="i2">Bricht der jüngste Tag herein:<br /></span>
-<span class="i0">Unter geht die Welt und endet<br /></span>
-<span class="i2">Und euch droht die ewge Pein.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Auf den Wolken kehrt hernieder<br /></span>
-<span class="i2">Fürchterlich des Menschen Sohn,<br /></span>
-<span class="i0">Rauschend Cherubimgefieder<br /></span>
-<span class="i2">Schwirrt um seinen Richterthron.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Und sie reißen aus den Grüften<br /></span>
-<span class="i2">Sünder aus vermorschtem Sarg<br /></span>
-<span class="i0">Und sie zerren aus den Klüften,<br /></span>
-<span class="i2">Was sich zitternd lebend barg.<br /></span>
-<span class="pagenum"><a id="Seite_140">[140]</a></span></div><div class="stanza">
-<span class="i0">Alle, die im Erdschos schliefen,<br /></span>
-<span class="i2">Bannt der Richter sich daher<br /></span>
-<span class="i0">Und gehorsam aus den Tiefen<br /></span>
-<span class="i2">Seine Toten speit das Meer.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Weh euch Männern, weh euch Weibern<br /></span>
-<span class="i2">Die ihr lebend dies erschaut!<br /></span>
-<span class="i0">Weh den Seelen! Weh den Leibern!<br /></span>
-<span class="i2">Wie mich schauert! Wie mir graut!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Thuet Buße! Streuet Asche,<br /></span>
-<span class="i2">Asche auf das sündge Haupt,<br /></span>
-<span class="i0">Daß euch Satan nicht erhasche,<br /></span>
-<span class="i2">Der im Höllen-Abgrund schnaubt.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Euch verkündet Papst Sylvester,<br /></span>
-<span class="i2">Dem's der heilge Geist enthüllt,<br /></span>
-<span class="i0">Nicht ein Wort des Herrn steht fester:<br /></span>
-<span class="i2">Was er weissagt, wird erfüllt:<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Hört's, ihr Kleinen, hört's, ihr Großen:<br /></span>
-<span class="i2">Euer Ende bricht herein:<br /></span>
-<span class="i0">Wer noch zweifelt, ist verstoßen<br /></span>
-<span class="i2">Aus der Kirche Heilverein.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Wann die Sommersonne wendet,<br /></span>
-<span class="i2">Mit dem Schlag der Mitternacht,&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Unter geht die Welt und endet:&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i2">Habt auf eure Seelen acht!«<br /></span>
-</div></div>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>III.</h3>
-
-<p>Die Wirkung des Liedes, des ganzen Aufzuges auf die
-wirre Menge war eine furchtbare.</p>
-
-<p>Nur wenige zwar verstanden genau die Worte des Gesanges:
-aber von den dem Wagen nächsten aus verbreitete
-sich mit Windeseile bis in die hintersten Reihen der Herandrängenden<span class="pagenum"><a id="Seite_141">[141]</a></span>
-das kurze, vernichtende Wort: »Es ist so. Die
-Welt geht unter. Der Papst hat's selbst gesagt. Er hat
-befohlen, es zu glauben.« Was monatelang nur wie
-ein fernher drohendes Gewölk über den Gedanken der
-Menschen geschwebt hatte &ndash; die allermeisten der leichtlebigen
-Franken hatten gehofft, es werde sich zerstreuen &ndash;
-das hatte sich nun plötzlich zu einer furchtbaren schwarzen
-Wetterwolke über ihren Häuptern geballt und donnernd zu
-entladen begonnen. Keiner von den Tausenden zweifelte
-mehr. Heulend und schreiend liefen sie durcheinander,
-Männer wie Weiber, zerrissen die Kleider, rauften sich das
-Haar; einzelne rannten in wahnsinniger Angst gegen den
-Fluß zu, sich zu ertränken. Die meisten strömten in wilder
-Flucht nach der Stadt zurück &ndash; manch' alt' Weiblein ward
-dabei umgeworfen und überrannt &ndash; die zurückgelassenen
-Ihrigen zu benachrichtigen, zu warnen oder in den Kirchen
-an den Altären, bei den Überbleibseln der Heiligen zu
-beten. Die paar Hunderte aber, die wahrgenommen hatten,
-daß der lang erwartete Bischof bereits vor dem schrecklichen
-Aufzug eingetroffen war auf der Wiese, drängten
-alle, wie eine Herde Schafe, die der Wolf bedroht, auf
-ihren Hirten, so auf ihren Bischof zu um Hilfe, Rat, Trost,
-Auskunft, Rettung. »Helft, helft, helft, Herr Bischof!
-Herr Heinrich, was sollen wir thun?« riefen Hunderte
-von Stimmen. Und der Herr Heinrich that seine Hirtenpflicht.</p>
-
-<p>Seine Ritter hatten ihm alsbald Bahn gebrochen durch
-die wogende Menge, so daß er ziemlich in die Nähe des
-schauerlichen Wagens gelangte und den Sinn des Liedes
-genau verstehen konnte. Seine Junker und er selbst, mächtig
-den Fliehenden sich entgegenstemmend, die beiden Mädchen
-hinter sich deckend, hielten auch nun, nachdem der Gesang
-zu Ende, in dem Gedränge stand. Endlich legte sich der<span class="pagenum"><a id="Seite_142">[142]</a></span>
-Lärm, es entstand um den Wagen her eine todesbange
-Stille: Herr Heinrich drang durch die letzten Reihen des
-Volkes, die ihn noch von dem schwarzen Gespann trennten:
-scharf spähten seine Augen auf die Gesichter und Gestalten
-der fünf Mönche: er kannte keinen. »Wer ist es,« rief
-er mit starker Stimme, weithin vernehmbar allem Volk,
-»der solche Schrecken zu erregen wagt? Wer will hier
-das Wort führen im Namen Sylvesters, des heiligen
-Vaters?«</p>
-
-<p>Da schlug der riesenhafte Mönch in der Mitte des
-Wagens die Kapuze zurück und sprach: »Ich!«</p>
-
-<p>»Arn!« rief der Bischof mit Entsetzen. »Du! Arn!«</p>
-
-<p>»Nein! Nicht mehr Arn, Bruder Monitor ist mein
-Name. Abgelegt für immer, abgeschworen habe ich, was
-an mein sündhaftes Leben in der Welt erinnert.« Der
-Bischof entgegnete: »Wohl! &ndash; Aber das ist unweise gehandelt
-und nicht im Sinne der Kirche, diese gewaltige
-Wirrnis, plötzlich, ohne Vorbereitung, unter den großen
-Haufen zu werfen. Schau' hin, welch' Unheil du angerichtet
-hast. Da tragen sie blutende Kinder, ohnmächtige
-Weiber vorüber!« &ndash; »Heil ihnen, nehmen sie Schaden an
-ihren Leibern und retten ihre Seelen.« &ndash; »Warum hast
-du nicht &ndash; in alter Treue &ndash; mir, deinem Dienstherrn,
-deinem Lehnsherrn, zuvor vertraute Kunde geschickt, wie
-es gutem Boten ziemte?« &ndash; »Ich weiß nichts mehr von
-Treue, Dienst und Lehen! Ich bin Mönch, habe weder
-Allod noch Lehen und diene nur den Heiligen.« »Nun,«
-erwiderte Herr Heinrich heftig, »so bin ich doch Euer Bischof
-geblieben und als Euer Bischof verbiete ich Euch, den
-Schrecken in solcher Weise weiter unter meine Gemeinde
-zu werfen und Verzweiflung zu verbreiten. Ich verbiete
-Euch, weiter in diesem Aufzug durch meinen Sprengel zu
-fahren. Als mein Bote seid Ihr ausgesendet worden und<span class="pagenum"><a id="Seite_143">[143]</a></span>
-mir allein habt Ihr genauen Bericht zu erstatten. Ich
-werde ihn prüfen und werde, was davon für die Gläubigen
-zu erfahren ersprießlich ist, unter gehöriger bischöflicher Vermahnung
-und Anleitung mitteilen. Herunter mit Euch von
-dem Gerüst! Spannt die Pferde von dem Wagen ab!«
-Und drohend trat Herr Heinrich dicht an das Gespann.
-Aber der Mönch riß aus seinem Gürtelstrick eine Pergamentrolle,
-hielt sie ihm entgegen und schrie mit gellender
-Stimme: »Nichts hast du mir zu befehlen, du allzuweltlicher
-Bischof von Würzburg! Als <em class="gesperrt">dein</em> Bote ritt ich
-aus, als Bote des Herrn <em class="gesperrt">Papstes</em> kehre ich wieder. Schau'
-her! Kennst du das Siegel? Lies! Mein Orden, der
-Orden des schwarzen Bundes von Garganus, neu gestiftet
-unter den furchtbaren Offenbarungen dieser Wochen von
-Sankt Nil, dem größten Heiligen und Wunderthäter der
-Christenheit, steht unmittelbar unter dem Papst: nur der
-Bischof von Rom ist mein Bischof, er hat mir mit eigner
-Hand diese schwarze Fahne gereichet und mich zu seinem
-Bandalarius, zum Bannerträger und Herold des drohenden
-Gerichts bestellt. Und der heilige Vater selbst &ndash; lest
-doch, leset auch ihr, Ritter und edle Fräulein! &ndash; hat mir
-Auftrag und Befehl gegeben, mit vier andern Brüdern
-aus Deutschland in die Heimat zurückzueilen und hier vom
-Brennerberg an von Gau zu Gau zu ziehen, rastlos und
-unhemmbar, bis zur Dänenmark und überall in jedem Dorf,
-in jeder Stadt zu verkünden: ›das Ende bricht herein.
-Thuet Buße! Bereitet euch, den fürchterlichen Richter zu
-empfangen‹. Und Ihr seht, mit welchem Erfolg ich das
-Wort vom Gericht verkündet habe. All' diese vielen Hunderte
-hinter mir, zu Roß, zu Fuß, zu Wagen, von meiner
-Verkündung hingerissen, haben vom Inn bis zum Main
-Haus und Hof und Habe verlassen und folgen mir nach
-freiwillig: Männer und Frauen, Jünglinge und Greise,<span class="pagenum"><a id="Seite_144">[144]</a></span>
-um die schreckende Kunde weiterzutragen und die eignen
-Seelen zu retten, indem sie andre warnen, aufrütteln und
-erretten vor dem ewigen Verderben. Und überall will ich
-laut verkünden vor allem Volk &ndash; nicht vor Bischof oder
-Priester im geheimen! &ndash; das große Wunder, das der
-Herr in Welschland an mir gethan.«</p>
-
-<p>Inzwischen hatte der Bischof das Pergament durchflogen,
-das ihm der Mönch von dem Wagen herunter
-gereicht: &ndash; er prüfte nun und erkannte als echt das große
-daran hangende päpstliche Siegel: seufzend gab er das
-Schreiben dem Mönche zurück und mahnte seine Junker,
-welche bereits sich anschickten, die schwarz behangenen Pferde
-auszuspannen, davon abzulassen.</p>
-
-<p>»Kein Zweifel,« sprach er. »Es ist alles, wie er sagt.
-Ich habe kein Recht, dem Boten des heiligen Vaters das
-Wort zu verbieten. So redet denn in Gottes und der
-Heiligen Namen! &ndash; Seid Ihr zu Ende, wird der Bischof
-anordnen, welche geistlichen Vorbereitungen geschehen sollen.«</p>
-
-<p>Er trat nun mit seinem Gefolg ein paar Schritte von
-dem Wagen zurück: auf einen Wink Monitors stießen die
-andern Mönche wieder dreimal in die ehernen Posaunen:
-&ndash; weit dröhnten sie über das Blachfeld hin: eine bange,
-eine ungeheure Stille entstand.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>IV.</h3>
-
-<p>Der Bischof und die Seinen betrachteten mit Staunen,
-mit leisem Grauen die Verwandlung, welche die Gestalt
-des hünenhaften, breitschultrigen Jägermeisters verändert
-hatte. Er war kaum wieder zu erkennen. Zum Knochengerippe<span class="pagenum"><a id="Seite_145">[145]</a></span>
-war der einst kraftstrotzende Leib abgemagert, mit
-Mühe hielt die hagere Gestalt sich auf den Fahnenschaft
-gestützt aufrecht, die Wangen waren völlig eingefallen und
-von wachsgelber Leichenfarbe, die Backenknochen ragten
-spitz hervor, unablässig zuckte es krampfhaft um die glattgeschornen
-Lippen und aus den tiefen, von schwarzen
-Schatten umränderten Höhlen schossen die unheimlichen
-Augen Blicke von fanatischem Wahnsinn. Er zitterte am
-ganzen Leib: &ndash; es war wohl das welsche Fieber: &ndash;
-oft unterbrach das Klappern der Zähne den Fluß seiner
-Worte.</p>
-
-<p>Und die gewaltige Fahne mit der Linken an seine Brust
-drückend hob er an mit lauter schriller, markdurchgellender
-Stimme: »Höret mich! Höre mich, alles Volk der Deutschen!
-Wer Ohren hat zu hören, der höre! Denn aus
-meinem, ihres unwürdigsten Knechtes, Mund redet der
-heilige Geist, redet Sankt Petrus, redet dessen Statthalter
-auf Erden, der Herr Papst zu Rom, redet der große
-Wunderthäter Sankt Nil im Land Italia und redet auch
-der oberste Herr der Weltlichkeit auf Erden &ndash; solang
-sie noch bestehen wird! &ndash; der Herr Kaiser Otto. Euch,
-ihr Ritter, Geistliche und Dienstmannen des Bischofs von
-Würzburg, bin ich allen wohl bekannt. Aber auch die
-meisten Bürger dieser Stadt und gar viel Bauern der
-Dörfer und Höfe kennen mich gut, der ich in der Weltlichkeit
-Arn hieß, des Helmbrecht Sohn aus Salzburg.
-Und wisset wohl: ich war der Jägermeister des Bischofs
-und war aller Weltlinge weltlichster und sündigster. Aus
-dem Bayerland war ich und allerwegs gerichtet nicht auf
-das Geistliche und Himmlische, sondern auf das Fleischliche
-und Irdische: kein Felsgrat in meinen Bergen war mir
-zu steil vom Wetterstein bis zum hohen Ortler: wohin
-der schwindelfreie Gemsbock stieg, da stieg ich nach. Des<span class="pagenum"><a id="Seite_146">[146]</a></span>
-Weines trank ich mehr als drei Männer zusammen und
-mit drei Männern zumal zu raufen hab' ich mich nie gescheut.
-Dem Bären ging ich an den Leib, allein, Schwert
-in Hand. Beim Reigentanz war ich der erste auf dem
-Platz und der letzte, aber auch beim Waffentanz in Pusterthal
-und Krain mit Wenden, mit Arabern und Welschen
-in Calabria. Ach und manche Maid in manchem Land
-hab' ich zerstört durch meine wilde Minne! Und viel,
-viel Blut von Erschlagenen &ndash; in Krieg und in Frieden!
-&ndash; klebt an meinen Händen. Viel öfter lief ich zu Wald
-mit Rado, dem argen, argen Heiden &ndash; dort steht er und
-wendet sich finster von mir! &ndash; als in den Dom, wann
-der Bischof die Messe sang. Diese Welt, diese lustige Erde,
-mit Jagdhornklang und Becherschwang und Speeredrang
-und Mädchenfang: &ndash; sie war mein alles. Und als nun
-vor vielen Monden zuerst das Wort vom nahenden Gericht
-auch in unseren Gau drang, da war keiner unter all den
-Dienstleuten des Bischofs, der weniger daran glaubte, der
-übermütiger, frevelhafter &ndash; verzeihe mir Sankt Petrus!
-&ndash; darüber spottete als ich. Und gerade mich wählte er
-als seinen Boten nach Rom. Wie lachte mein sündhaft
-begehrlich Herz bei dem willkommenen Auftrag! Ich freute
-mich auf ein üppig Feld von Sünden und ich trieb's danach
-von hier bis Rom. Auch Rom machte mich durchaus
-nicht besser. Nicht einmal das Grab der Apostelfürsten!
-Aber bald darauf &ndash; da kam über mich die erlösende Zermalmung,
-die beseligende Zerknirschung, die errettende
-Verfinsterung des natürlichen Verstandes durch das Übernatürliche,
-das Wunder, das unsrer sündhaft stolzen Vernunft
-eitel Thorheit ist.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_147">[147]</a></span></p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>V.</h3>
-
-<p>»Ich erforschte, der Papst weilte zur Zeit nicht in der
-ewigen Stadt. Er war mit dem Herrn Kaiser und mit
-großem Gefolge von Geistlichen und Laien &ndash; und viele
-Tausende von Römern und Welschen aus der Campagna
-hatten sich alsbald dem Zug angeschlossen &ndash; gepilgert
-nach dem Kloster des heiligen Michael auf dem Berge
-Garganus zu Nilus, dem greisen Einsiedler, der in einer
-Höhle jenes Berges hauste. Viele, viele Wunder hatte der
-Herr durch ihn bereits gethan, der auch zuerst schon seit
-Monaten die große Botschaft von dem nahenden Gericht
-verkündet hatte. Der Herr Papst hatte sich heftig wider
-jene Verkündung gesträubt: er beschloß, mit allen seinen
-gelehrtesten Priestern und Scholarchen und mit einem ganzen
-Lastwagen voll heiliger Schriften &ndash; den Beweismitteln
-für seinen Unglauben! &ndash; selbst hinzuziehen zu dem Manne
-Gottes: denn der hatte sich geweigert, auf den Ruf des
-Herrn Papstes nach Rom zu diesem zu kommen: Sankt
-Petrus hatte ihm im Traumgesicht verboten, die enge
-Felsenhöhle zu verlassen, bevor die Engel des Gerichts ihn
-selbst daraus abholen würden. Und wollte der Herr Papst
-durch seine fast zauberhafte Gelehrsamkeit den schlichten
-Einsiedler widerlegen, und ihm &ndash; bei Strafe der Ausstoßung
-aus der kirchlichen Gemeinschaft &ndash; verbieten, &ndash;
-ganz wie vorhin jener Bischof mir! &ndash; solche Schrecknisse
-zu verbreiten unter dem Volke. Der Herr Kaiser begleitete
-ihn: seine schwärmerisch glühende Jünglingsseele vertraute
-viel mehr als der gelehrte Papst dem Worte des großen
-Büßers: denn der Greis hatte ihm schon manches geweissagt
-von Plänen seiner Feinde in Rom, und alles war eingetroffen
-Ich aber &ndash; als sie mir das erzählten &ndash; ich<span class="pagenum"><a id="Seite_148">[148]</a></span>
-Frevler lachte laut und spottete &ndash; der Heilige hat es mir
-in der Beichte vergeben! &ndash;: ›ei, hat der alte Schlaukopf
-so gute Späher in Rom?‹ Und also, lachenden, höhnenden
-Mundes all den Weg über, eilte ich tagelang von Rom
-gen Süden bis zum Berge Garganus durch das Volk hin,
-das zu vielen, vielen Tausenden zu Fuß, oft auf den
-Knieen rutschend, schwere Eisenketten schleppend, die nackten
-Rücken geißelnd bis aufs Blut, unablässig Psalmen singend
-und betend alle Wege, die von Nord nach Süd zu dem
-Weissager führten, wimmelnd bedeckten wie wandernde
-Ämsen. Und als ich endlich an dem Fuße des steilen
-Berges vom Gaule sprang, rief ich meinem Roßknecht zu:
-›Jetzt paß auf! Denn jedenfalls erlebst du heut' ein
-Wunder. Ich steige jetzt da hinauf zu dem Alten. Steige
-ich ungläubig herunter &ndash; ist's ein großes Wunder für
-all' die Tausende, die da herum kriechen und knieen und
-klettern. Steig' ich aber gläubig herunter, mein Sohn,
-dann ist's ein noch viel größer Wunder &ndash; für mich.‹</p>
-
-<p>Aber ich stieg gar nicht mehr herunter! Ein Weltling
-stieg hinauf: &ndash; einen Mönch trugen sie herab. Denn …
-ah meine Freunde! Wie soll ich's euch schildern! Als ich
-endlich durch das Gedränge der Hunderte und Tausende die
-Höhe erstiegen hatte, da ergriff mich, den schwindelfreien
-Gemsenschütz, alsbald ein seltsam kreiselnd Schwirren im
-Kopfe. Furchtbar heiß brannte die kalabrische Mittagssonne
-gerade senkrecht auf die nackten Schieferfelsen: nirgends ein
-Baum, ein Strauch, nirgends ein Streifen Schattens! &ndash;
-Und stundenlang mußte ich so harren, an dem Platz, an
-dem mich, nachdem ich die Hochplatte erstiegen, ein Priester
-eingereiht hatte hinter vielen hundert andern Pilgern, die
-vor mir eingetroffen waren und nun alle harren mußten,
-bis sie nachrücken konnten in die enge Höhle. Viele Stunden
-stand ich so!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_149">[149]</a></span></p>
-
-<p>Die Welschen sind's gewöhnt, barhaupt in der ärgsten
-Sonnenglut auszuhalten: und ich &ndash; ich &ndash; mußte es nun
-auch. Denn meinen breitrandigen Reisehut, den ich allein
-trotzig auf dem Kopf behalten hatte, als ich in die Reihe
-trat, den hatten sie mir flugs abgerissen und den Felshang
-hinuntergeworfen: &ndash; raufen konnt' ich nicht: konnt' ich
-doch die Arme nicht heben, so eng war ich eingekeilt. Und
-mir war, als finge unter der stechenden Mittagssonne mein
-Gehirn an zu sieden, nein, zu braten: ich konnte kaum
-mehr denken: in meinen Ohren sang es wie das Gesumms
-von ganzen Heerscharen von Mücken!</p>
-
-<p>Endlich &ndash; traf uns die Reihe.</p>
-
-<p>Kaum trugen mich die Füße noch die paar Schritte
-bis an den Eingang der Höhle: meine Schläfe pochten.
-Da empfing mich in dem Eingang ein solch furchtbares
-Geschmetter von Posaunen und Drommeten, daß ich glaubte,
-der Kopf platze mir auseinander.</p>
-
-<p>Und ein Weihrauchduft, wie ich ihn so süß, aber auch
-so betäubend stark nie geschmeckt, quoll und qualmte mir
-entgegen: mit Mühe rang ich nach Luft! Und aus dem
-Hintergrund der schmalen, aber sehr langen Grotte strahlte
-mir in dem ganz dunkeln Eingang entgegen ein Meer
-von Licht, von tausend und aber tausend Kerzen: geblendet,
-schloß ich die Augen: sie zuckten mir vor Schmerz. Aber
-gleich that ich sie wieder auf, erschrocken, erschüttert bis in
-den Grund der Seele.</p>
-
-<p>Denn eine Mark durchbohrende Stimme, die aus dem
-Grabe, &ndash; nein doch! aus der andern Welt! &ndash; zu dringen
-schien, schlug an mein Ohr: »Bereue! Büße! Das Gericht
-ist nah.«</p>
-
-<p>Und ich sah mir gegenüber den Heiligen!</p>
-
-<p>O meine Lieben, das war kein Mensch mehr! Eine
-hohe hagere Gestalt, nackt bis zum Gürtel. Das gewaltige<span class="pagenum"><a id="Seite_150">[150]</a></span>
-Haupt umflattert von wirrem weißem Haar: aus tiefen
-Höhlen sprühten die kohlschwarzen verzückten Augen Feuer:
-man sah ihnen an, die schauten Himmel und Hölle offen.
-Und neben ihm kniete, in einem härenen Gewand, Asche
-auf dem Haupte &ndash; gar wohl kannte ich ihn aus unserem
-letzten Kriegszuge gegen die empörten Römer, &ndash; der Herr
-Papst, der gelehrte Sylvester, und er, der Stolz der Wissenschaft,
-küßte demütig die halbnackten Füße und umschlang
-seine Kniee und rief: ›Ich büße! ich bereue! Ich bereue
-meinen hochfärtigen Unglauben! Denn wahrlich, wahrlich
-ich sage euch: diesem Ungelehrten hat der Herr sich offenbart.
-Und das Gericht des Herrn ist nahe.‹</p>
-
-<p>Wohl schlug mir das Herz vor Grauen an die Rippen,
-daß ich meinte, es müsse mir zerspringen. Aber es war
-ein gar trotzig Herz und wollte nicht nachgeben. ›Ach
-was,‹ sagte zu mir dies sündhafte Herz: ›Pfaff ist Pfaff:
-auch der Herr Papst ist Pfaff: &ndash; leicht glaubt er dem
-andern Pfaffen.‹ Aber da &ndash; o meine Geliebten&nbsp;…!«</p>
-
-<p>Und überwältigt von der Erinnerung knickte die hünenhafte
-Gestalt zusammen; der Mönch brach in lautes
-Schluchzen aus, der Kopf schlug ihm mit der Stirn auf
-dem Gerüst auf.</p>
-
-<p>Das wirkte noch mehr als alle seine Worte. Ein
-Murmeln des Grauens lief durch die Menge. Die Männer
-zitterten vor Erregung, viele Weiber ergriff krampfhaftes
-Weinen: selbst Herr Heinrich preßte die Linke auf das
-tapfere Herz.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_151">[151]</a></span></p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>VI.</h3>
-
-<p>Aber schon erhob Monitor wieder das Haupt und fuhr
-fort: »Da ersah ich zur Linken des Heiligen einen andern
-knieen! Wohl kannt' ich auch den &ndash; und doch! &ndash; ich
-erkannte ihn kaum wieder. Eine herrliche blühende Jünglingsgestalt
-&ndash; von goldenem Gelock das Haupt umwallt
-&ndash; schön wie die marmornen nackten Götter, die man zu
-Rom aus dem Schutte der Heidentempel gräbt. Nackt
-war auch der Jüngling, bis auf einen Lendenschurz von
-schwarzer Schafwolle: &ndash; und in Bächen, in Strömen
-rieselte ihm das rote Blut von Rücken, Brust, Seiten und
-Beinen. Denn unablässig, grimmig, mit aller Kraft seines
-Armes geißelte sich vor allem Volk der Jüngling mit einer
-siebensträngigen Geißel, ein Eisenstachel am Ende jedes
-Stranges, und unablässig schrie und keuchte er mit schon
-versagender Stimme: ›Ich büße, ich bereue. Ich bereue
-jeden Gedanken, den ich jemals der Welt und ihrer nichtigen
-Herrlichkeit zugewendet und dem Reiche des Herrn
-entzogen habe. Denn &ndash; schon seh' ich es vor Augen! &ndash;
-es nahet das Gericht des Herrn!‹ Und nun &ndash; denn ich
-meinte, die Stimme zu erkennen &ndash; nun schärfte ich meine
-Augen, auch das Antlitz des schönen Jünglings in der
-Weihrauchwolke genau zu sehen&nbsp;…</p>
-
-<p>&ndash; O Heiland der Welt!&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ja, er war es! Aber wie furchtbar verwandelt, wie
-entstellt, wie abgethan all' der freudigen stolzen Herrlichkeit,
-die einst ihn geschmückt, unsere Freude, unseren Stolz.
-Denn &ndash; hört es, höret es alle! &ndash; er, der uns allen das
-leuchtende Beispiel des Glaubens und der blutigsten Büßung
-gab &ndash; er, der zum Entsetzen herabgemagert, nackt, wie
-ein Verbrecher bei dem Staupenschlag, vor allem Volk sich<span class="pagenum"><a id="Seite_152">[152]</a></span>
-selbst zergeißelte &ndash; Er war es &ndash; mein Herr, euer, unser
-aller Herr: es war des großen Otto herrlicher Enkel, der
-Deutschen und der Lombarden König, des römischen Kaisers
-Majestät, der Herr der Welt &ndash; Herr Otto war's der
-Dritte!«</p>
-
-<p>Da ging ein Stöhnen, ein dumpfer Schrei des tiefsten
-Wehs über den Jammer aller irdischen Größe und doch
-auch einer gewissen grausigen Wonne durch die vielen
-Hunderte hin.</p>
-
-<p>»Und nun,« fuhr der Mönch, sich hoch aufrichtend,
-fort: »Nun geschah mir das Ärgste. Ich wankte, meiner
-Sinne nicht mehr mächtig, dem blutüberströmten nackten
-Jüngling entgegen, ich streckte meine beiden Hände gegen
-ihn aus: &ndash; da &ndash; da traf sein Auge auf das meine, er
-erkannte mich und in wildem Schrecken schrie er: ›Wehe,
-weh! Ich kenne dich! Du bist Arn, der wilde, arge Arn,
-der Genosse so vieler meiner Sünden in Krieg und Jagd
-und Gelag. Ach, du heiliger Mann Gottes! Das ist derselbe
-&ndash; man hat ihn erkannt, wie er davonjagte aus dem
-Thore von Florenz und hat es mir gemeldet &ndash; der auf
-dem Marktplatz dort, auf Antrieb und in der Larve des
-Teufels, unter die Büßenden sprengte. Er trägt einen
-Dämon im Leib. Er ist besessen. Heiliger Mann Gottes,
-treibe den Teufel aus seiner Seele.‹</p>
-
-<p>Und ohnmächtig sank der junge Kaiser zusammen.</p>
-
-<p>Nun aber &ndash; wehe! wie geschah mir! Alle, alle um
-mich her schrieen: ›Er hat einen Dämon! Er hat einen
-Dämon!‹ Und der fürchterliche, der hagere Heilige schritt
-gerade gegen mich heran und streckte die beiden knöchernen
-Arme gegen mich aus und bohrte mir die brennenden Augen
-in meine glanzgeblendeten, schmerzenden Augen und sprach
-in schauerlichem Grabeston: ›Ja, ich sehe es, mein Sohn:
-aber nicht Einen Dämon, vier Dämonen trägst du in dir<span class="pagenum"><a id="Seite_153">[153]</a></span>
-von Jugend auf: den Saufdämon, den Wollustdämon, den
-Kampfdämon, den Spottdämon. Ich aber &ndash; ich bin vom
-Herrn berufen sie von dir auszutreiben und deshalb hat
-dich der Herr hierher gesandt zu dieser Stunde. Auf, ihr
-Gerechten und Geheiligten, greift ihn, bindet ihn und geißelt
-ihn bis aufs Blut.‹</p>
-
-<p>Ich schrie auf!</p>
-
-<p>Aber nicht aus Furcht vor den Schlägen, die nun von
-zwanzig Geißeln auf mich niederhagelten: nein, wahrlich
-nein! Sondern ich schrie auf vor Entsetzen über mich
-selbst, vor Grauen über mein vergangenes Leben, aus
-Furcht vor den Teufeln in mir. Ich schrie, weil ich's
-fühlte, weil ich's denken mußte in meinem brennenden
-Hirn: ›Er hat Recht! Weissagend hat der Heilige, der
-mich nie gesehen, mein Inneres, und den Inhalt meines
-Lebens aus meinen Augen gelesen.‹ Und ich spürte, wie
-die Dämonen in mir sich bäumten und wanden, wie aufsteigende
-Schlangen. Und ich schrie mit letzter Kraft:
-›Ja, ja, ihr Frommen! Der Heilige sprach wahr. Ein
-Wunder! Ein Wunder! Er hat sie erkannt, &ndash; die
-Dämonen, von denen ich besessen bin dreißig Jahre. O
-treibt sie aus! O rettet meine Seele.‹</p>
-
-<p>Das war das letzte, was ich hörte und wußte auf
-lange, lange Zeit.</p>
-
-<p>Als ich meiner Sinne wieder mächtig war, lag ich in
-dem Krankensaal des Klosters des heiligen Michael und
-stak in der Kutte der schwarzen Brüder von Garganus.</p>
-
-<p>Und an meinem Pfühle saßen der Herr Kaiser zur
-Linken und der Herr Papst zur Rechten, zu meinen Häupten
-aber stand der Heilige, und sprach: ›Sehet, es ist geschehen,
-wie ich gebetet, wie ich geweissagt. Er sollte ja
-sterben müssen, sprach euer griechischer Arzt, Herr Kaiser,
-an »<em class="antiqua">sideratio</em>« wie er's nannte: &ndash; Sonnenstich, das sollte<span class="pagenum"><a id="Seite_154">[154]</a></span>
-das ganze Wunder sein! Ich aber fragte den gelehrten
-Spötter: Ei, hat die Sonne auch seine <em class="gesperrt">Seele</em> gestochen?
-Warum ist er geworden aus einem Saulus ein Paulus?
-Wahrlich, wahrlich ich sage euch: ich kleide diesen geretteten
-Sünder in das Gewand meiner schwarzen Brüder und er
-wird nicht sterben. Oder, wenn er stirbt, wird er nach
-dreien Tagen wieder auferstehen von den Toten. So
-sprach ich. Wohlan: es ist der dritte Tag &ndash; er schlägt
-die Augen auf &ndash; er ist genesen. Ausgefahren aber von
-ihm auf immerdar sind seine vier Dämonen.‹&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und er beugte sich über mich und sah mir in den Grund
-der Seele mit diesen überirdischen Augen und forschte feierlich:
-›Ich frage dich im Namen des Herrn, mein Sohn:
-nicht wahr, du bereuest, du büßest und du glaubst an das
-Nahen des Gerichts?‹ Und bei dem Klange dieser Stimme
-kam mir zurück die Erinnerung an alles, was ich in der
-Höhle gehört, gesehen und erlebt, und erschauernd sprach
-ich: ›Ja, du Heiliger des Herrn, ich bereue, ich büße und
-ich glaube an das Nahen des Gerichts.‹ Da warfen sich
-der Herr Papst und der Herr Kaiser zu des Heiligen Füßen
-und umfingen seine Kniee und küßten sie und der Herr
-Papst rief: ›Heil mir, nun hab ich, was ich immer gewünscht
-zur Verscheuchung meiner Zweifel: nun hab ich
-eines deiner Wunder mit Augen gesehen!‹</p>
-
-<p>Der junge Kaiser aber schluchzte unter Thränen: ›Wohl
-mir, daß ich nie an dir gezweifelt, du Heiliger des Herrn.‹
-Und ich beichtete dem Propheten. Und als Buße &ndash; ach
-wie geringe Buße! &ndash; legte er mir auf, von Stund an
-nie mehr im Leben Fleisch zu essen und überhaupt nur
-jeden dritten Tags Speise zu nehmen und nie mehr Wein.
-Und sprach zuletzt: ›Du ziehest aus als des heiligen Vaters
-Sendbote und als der meine. Weil du verspottet hast
-das Nahen des Gerichts, sollst du das Nahen des Gerichts<span class="pagenum"><a id="Seite_155">[155]</a></span>
-verkünden unter den Menschen deiner Heimat, in dem Land
-Italien aber nur auf dem Marktplatz zu Florenz: wo der
-Dämon des Hohnes aus dir sprach, soll der heilige Geist
-der Wahrheit aus dir sprechen. Und wenn dir in deiner
-Heimat die Weltlinge nicht glauben und dich verhöhnen,
-so wird das die gerechte Strafe sein deines Hohnes. Wenn
-sie dir aber glauben, wirst du noch vor dem Nahen des
-Gerichts erretten die Seelen Vieler und dadurch auch die
-eigene: denn jener Errettung wird dir der ewige Richter
-anrechnen als ein gutes Werk.‹</p>
-
-<p>Und bald darauf erhielt ich des Herrn Papstes Brief
-und Siegel und diese schwarze Fahne und vom Herrn Kaiser
-diesen stattlichen Wagen und die vier Rappen und zog aus
-auf meine heilige Sendung. Und der Herr hat sie gesegnet
-von Florentia an, &ndash; wo sie mein Carroccio ausspannten
-und den bekehrten Sünder im Triumph auf ihren
-Schultern über den Marktplatz in die Kirche trugen, &ndash;
-bis hierher: ihr sehet diese Hunderte von Geretteten.</p>
-
-<p>Ihr aber, o Bischof und ihr Priester von Würzburg
-und ihr Bischofsmannen und Bürger und Bauern &ndash; o
-thuet desgleichen wie diese. Verstocket nicht eure Herzen!
-Ihr seht das Wunder vor Augen: das große, das der
-Heilige gethan hat an Arn, dem argen Sünder. So befolgt
-denn des Herrn Papstes, des Herrn Kaisers, des
-heiligen Nilus Gebot. Büßet, büßet und glaubet, das
-Gericht ist nah: um Mitternacht dieser Sommersonnwend
-&ndash; noch wenige Wochen sind's &ndash; geht die Welt in Flammen
-auf und der jüngste Tag bricht an.«</p>
-
-<p>Da stürzte der Mönch bewußtlos zusammen: Schaum
-trat ihm vor die Lippen: seine Kraft war erschöpft: er
-sank mitsamt seiner riesigen schwarzen Fahne in die Arme
-eines seiner Genossen: die drei andern aber setzten wieder
-die Posaunen an den Mund und bliesen und schmetterten,<span class="pagenum"><a id="Seite_156">[156]</a></span>
-als erschallten schon jetzt die Posaunen des Gerichts: sie
-hieben auf die schwarzen Rosse ein: diese zogen an &ndash;
-vorwärts rollte langsam der schwere hohe Wagen und ihm
-folgte singend und schreiend und heulend alles Volk, die
-Hunderte von Ankömmlingen, und die Tausende von Bürgern
-und Bauern &ndash; alles wälzte sich unaufhaltsam gegen
-die Stadt zu: der Bischof und sein Gefolge vermochten
-weder seitwärts auszuweichen noch den gewaltigen Strom
-der wild Erregten, der Verzweifelnden aufzuhalten: willenlos
-wurden sie mit fortgetragen von dem wogenden Gewühl.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_157">[157]</a></span></p>
-
-<h2 id="Viertes_Buch">Viertes Buch.</h2>
-</div>
-
-<h3>I.</h3>
-
-<p>Jetzt gab es Arbeit für den Bischof von Würzburg,
-geistliche und weltliche!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Die Wirkungen des Glaubens an das demnächst hereinbrechende
-Weltende waren im ganzen Abendland gewaltig.
-Freilich nicht überall gleich starke: In Italien, im Süden
-von Frankreich wurde die Bevölkerung, an sich von lebhafterer
-Empfindungsweise und leichter erregbar, in
-größeren Mengen und leidenschaftlicher ergriffen, weil so
-nahe den Quellen, von denen die Verkündung ausströmte:
-süditalische Einsiedler, zuletzt auch Rom. Die kühleren
-Deutschen nahmen die Sache kühler, mit häufigerer Bezweifelung
-und, auch wo sie glaubten, mit festerer Haltung
-auf; in manche Landschaften des Nordens und Ostens war
-das Gerücht kaum gelangt.</p>
-
-<p>Allein wo, wie im Würzburgischen geschehen war, ein
-Bote, unmittelbar von Papst und Kaiser und heiligem
-Wunderthäter entsendet, ein Bote, befeuert von schwärmerisch
-verzücktem, felsenfestem Glauben, selbst durch ein
-Wunder erst zu diesem Glauben bekehrt, das schaurige
-Wort verkündete, &ndash; da war die Wirkung eine furchtbare,
-eine fortreißende. Nicht einer und nicht eine, die den
-Aufzug des Mönches und seine Bußmahnung auf jener Festwiese<span class="pagenum"><a id="Seite_158">[158]</a></span>
-gesehen und gehört, verharrte im Unglauben, hegte
-noch Zweifel; sogar der alte Rado raunte Hellmuth zu:
-»Ja, zur Sonnwend! Ist richtig! Ich wußt' es längst.
-Die Welt geht unter, &ndash; aber <em class="gesperrt">anders</em> als die Pfaffen
-wähnen.«</p>
-
-<p>Supfo hatte wichtiger Geschäfte gewaltet und an jenem
-Nachmittag den Keller nicht verlassen.</p>
-
-<p>Noch am selben Tage hatte sich der Zug des Mönches
-durch die Stadt hindurch den Fluß hinab weiter gewälzt:
-der Bischof hatte, mancherlei Wirren in der Gemeinde besorgend,
-die baldige Entfernung des starken Haufens in
-jeder Weise begünstigt und beschleunigt.</p>
-
-<p>Eines der ersten Geschäfte Herrn Heinrichs, sobald er
-in seinen Hof zurückgelangt war, bestand darin, daß er
-einen Eilboten in die Gegend von Bamberg sandte, wo
-er noch die Lagerung der wendischen Söldner vermutete,
-mit dem strengen Befehl an Berengar, die Verhandlungen
-abzubrechen, das etwa bereits Bezahlte zu opfern und
-schleunigst zurückzukehren. Es hatte keinen Sinn mehr,
-für Sankt Burchhard eine Grafschaft zu erkämpfen, die in
-wenigen Wochen in Feuer aufging.</p>
-
-<p>Im übrigen aber hielt der tüchtige, klar-verständige
-Mann streng darauf, daß, unerachtet der frommen Vorbereitung
-durch Gebet und Bußen, jeder seine obliegenden
-weltlichen Pflichten streng und genau wie immer erfülle,
-gleichwie er selbst mit bestem Beispiel darin voranging:
-er sah voraus, was die Erfahrung der nächsten Tage schon
-bestätigte, daß die Wirkungen jenes Glaubens keineswegs
-bloß fromme, wohlthätige, sittliche sein würden.</p>
-
-<p>Gegenüber der maßlosen Aufregung der Gemüter, der
-Furcht vor Tod und Hölle, die zu unthätigem Brüten, zu
-leidenschaftlichen Ausbrüchen, zur Lockerung aller hergebrachten
-Bande, zur Vernachlässigung aller Gewohnheiten<span class="pagenum"><a id="Seite_159">[159]</a></span>
-und Geschäfte verführte, war das einzige Heilmittel die
-strenge treue Erfüllung jeder Pflicht, auch der weltlichen.
-Unermüdlich schärfte er das wie in seinen nun täglichen
-Predigten, so im Beichtstuhl und im Verkehr mit Geistlichen
-und Laien ein.</p>
-
-<p>Und wahrlich: es that not!</p>
-
-<p>Die meisten freilich, die Frauen und Mädchen fast ausnahmslos,
-und auch der weitaus größte Teil der Männer
-wurden durch die Erwartung des nahenden Endes zur
-Zerknirschung, Reue und Buße getrieben. Und die Furcht
-vor dem Zorne des allwissenden Richters bewog Unzählige,
-nach der sehr bedenklichen Sittenlehre nicht der Kirche zwar,
-wohl aber der Zeit, die Heiligen zu bestechen, ihre Fürsprache
-bei dem Herrn dadurch zu gewinnen, daß sie den
-Heiligen: das heißt deren Kirchen, Klöstern und frommen
-Stiftungen Geschenke zuwendeten soviel sie nur konnten.
-Viele, viele Tausende errichteten damals Schenkungen an
-die Kirchen von Land und Leuten, von nutzbringenden
-Hoheitsrechten, von Häusern und Feldern, von barem Geld,
-von Gold- und Silbergerät und Schmuck. Auch dem Bischof
-von Würzburg wurden jetzt für Sankt Kilian, Sankt Burchhard
-und andre Heilige solche Vergabungen in einer kaum
-zu bewältigenden Fülle aufgedrängt. Wenig Freude hatte
-Herr Heinrich an diesen Äußerungen einer Frömmigkeit,
-die dem Schenker den Genuß nur auf drei Wochen noch
-entzog, dem Heiligen nur auf drei Wochen zuwandte und
-durchaus nicht in Selbstverleugnung, sondern in jämmerlicher
-Furcht vor den Höllenqualen ihren Beweggrund hatte.</p>
-
-<p>Allein ausschlagen durfte er das Dargebrachte nicht:
-&ndash; das verboten die Canones! &ndash; Auch würde die Zurückweisung
-die Leute erbittert, zur Verzweiflung, zu wüstem
-vergeudenden Genuß getrieben haben. In solchen Mengen
-aber drängten sich Schenkungsurkunden und geschenkte Fahrhabe<span class="pagenum"><a id="Seite_160">[160]</a></span>
-zusammen, daß er außer dem Bischofshaus auch noch
-andre verfügbare Räume zur Aufnahme anweisen mußte.
-Auch das bisher von den beiden Mädchen bewohnte Haus
-ward hierzu bestimmt: die Freundinnen mußten sich trennen.
-Denn der Bischof bestand darauf, daß der Eintritt Minnegardens
-in das Kloster nun doch noch zu geschehen habe.
-Das Widerstreben der Weinenden, die geltend machte, nun
-könne es doch darauf nicht mehr ankommen, ob sie nächstens
-als Weltkind oder als Nonne sterbe, wies er gütig,
-aber bestimmt zurück. Er würde, gestand er ihr, wäre der
-Bescheid des Papstes anders ausgefallen, ihr vielleicht
-nachgegeben haben, da er längst erkannt habe, wie wenig
-das Alpenkind zum Kloster neige und dafür tauge, wie so
-ganz auf andre Dinge ihr Sinn gerichtet sei. Aber nun,
-da alle solche Hoffnungen und Wünsche doch ausgeschlossen,
-nun sei es Pflicht, den letzten Wunsch der Mutter zu erfüllen:
-auch teilte er den allgemeinen festen Glauben der
-Zeit, es sterbe sich viel seliger im Nonnen- oder Mönchsgewand
-denn in weltlicher Tracht; er machte mit dieser
-Versicherung freilich wenig Eindruck auf das Mädchen!
-Schon daß sie sterben müsse, bevor sie in das Himmelreich
-eintreten könne, fand sie recht hart; sie hatte gemeint,
-nachdem der Herr die Menschen, die er lebend antreffe,
-lebend richte, könnte er sie wohl auch gleich lebend mit in
-den Himmel nehmen. Da hatte sie denn zu lernen, daß
-jenes Leben ein andres als das auf Erden und daß nur
-wenigen Auserwählten verstattet sei, ohne den Tod zu
-schauen, in den Himmel einzugehen.</p>
-
-<p>So ward die Tieftraurige untergebracht in das Haus
-der »Religiosen«, das nördlich der Stadt vor dem Holzthor,
-aber innerhalb des Pfahlhags auf dem rechten Ufer
-flußabwärts an der heutigen Straße nach Veitshöchheim
-lag: hier ward sie von den frommen Frauen für die Einkleidung<span class="pagenum"><a id="Seite_161">[161]</a></span>
-vorbereitet, die &ndash; nach Anordnung des Bischofs
-&ndash; von diesem selbst in dem Dom in der letzten Stunde
-vor Mitternacht vorgenommen werden sollte.</p>
-
-<p>Edel bezog mit Malwine, der alten Pflegerin, ein
-kleines, dem Bischof gehöriges Häuslein, das, gerade dem
-Religiosenhaus entgegengesetzt, flußaufwärts vor dem Südthor
-und der Sandvorstadt in der Nähe der großen Festwiese,
-aber auch außerhalb des Pfahlhags lag. Sonder
-Abschied hatte Fulko die Geliebte müssen ziehen lassen;
-denn er wie Hellmuth wurden gleich in den nächsten Tagen
-nach jenem verhängnisvollen Schützenfest von Herrn Heinrich
-sehr häufig außerhalb der Stadt im Gau verwendet.
-Der waffenfrohe Bischof fand nämlich neben der unablässigen
-geistlichen auch weltliche, kriegerische Arbeit in diesen
-Wochen. Denn keineswegs alle Seelen wurden durch den
-Gedanken des nahen Endes zerknirscht: es gab doch auch
-gar viele rohe, kraftstrotzende Männer, in der Vollkraft
-der Jahre, in welchen umgekehrt die Flammen der Genußgier
-noch einmal wild aufloderten bei der Vorstellung des
-baldigen Erlöschens für immerdar. Von wahnsinnigem
-Drang nach Erdenlust jeder Art ergriffen, betäubten sie
-ihre Angst vor dem Tod und fröhnten zugleich ihrer
-Sinnengier in wüsten und verbrecherischen Thaten gegen
-alle Gebote der Kirche und gegen alle Gesetze des
-Reichs.</p>
-
-<p>In der Stadt selbst hielt Herr Heinrich solche Ausbrüche
-nieder mit eherner Faust. Es war dem tapfern
-Manne sehr erwünscht, daß die Abwesenheit desjenigen,
-der durch sein Amt berufen war, den Landfrieden zu
-wahren, des Grafen, mit fast all seinen Reisigen in Italien,
-dem Bischof die Erfüllung dieser Pflicht zwar keineswegs
-von Rechts wegen aufzwang, aber doch ermöglichte und
-nahelegte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_162">[162]</a></span></p>
-
-<p>Wie in anderen Teilen Deutschlands hatten sich im
-Waldsassen- und Rangau bei Würzburg, zumal aber auch
-in den armen Gegenden des Spessart, dann im Maingau,
-wohin der Mönch Monitor seine aufregende Verkündung
-zunächst getragen hatte, bewaffnete Scharen zusammengerottet.
-Sie suchten mit Raub und Brand die nächsten
-Herrensitze, ja auch Klöster heim, sie erbrachen hier die
-vollen Weinkeller, die strotzenden Vorratskammern ihrer
-Herren &ndash; die oft ihre Peiniger gewesen waren &ndash; oder
-ihrer reicheren Nachbarn und nahmen sich mit der Faust
-zu einem letzten Rausch, zu einer letzten Völlerei, was ja
-doch in wenigen Tagen dem Untergang geweiht war: auch
-manche Weiber und Mädchen rissen sie zu wilden, schamlosen
-Reigen und oft zu schlimmeren Dingen fort.</p>
-
-<p>Es waren meist Unfreie, die ihren Herren entlaufen
-waren, entsprungene Gefangene, Landstreicher, Waldgänger,
-Räuber, unzufriedene verarmte Kleinbauern. Schwer aber
-fiel es Herrn Heinrich aufs Herz, als ihm gemeldet wurde,
-auch viele jener Bauleute seien darunter, die er plötzlich
-aus Arbeit, Brot und Lohn entlassen hatte.</p>
-
-<p>Daß so er &ndash; er selbst! &ndash; die Scharen jener Mordbrenner
-verstärkt habe, &ndash; das legte ihm die rasche, kraftvolle
-Dämpfung der Unruhen noch besonders als Pflicht
-auf das Gewissen.</p>
-
-<p>So gab er sich denn mit heißem Eifer wie mit altbewährter
-Stärke und Umsicht dieser kriegerischen, staatlichen Aufgabe
-hin. In einer kampffreudigen Predigt in der in diesen
-Tagen immer bis auf den letzten Fleck gefüllten Domkirche
-forderte er alle wehrfähigen Bürger der Stadt und des
-Gaues auf, sich zu waffnen: &ndash; er stellte ihnen die eigne
-reiche Waffensammlung zur Verfügung &ndash; und zusammen
-mit seinen Dienstmannen unter Führung seiner Ritter die
-Umgegend zu durchstreifen, die bedrohten offenen Landsitze,<span class="pagenum"><a id="Seite_163">[163]</a></span>
-Dörfer und Klöster zu schützen, die Banden aufzusuchen
-und zu zerstreuen.</p>
-
-<p>Seine flammende Beredsamkeit &ndash; »wie ein Herzog
-sprach er, nicht wie ein Pfaff,« meinte Fulko begeistert &ndash;
-hatte guten Erfolg: wohl ein paar hundert Bewaffnete
-sammelten sich alsbald um den Bischofshof: hatte er doch
-solches Thun für gottwohlgefälliger und verdienstlicher noch
-denn Fasten und Beten erklärt! Und eine Freude und
-heiß erwünschte Erholung von den jetzt fast erdrückenden
-geistlichen Geschäften war es ihm, gelegentlich selbst, hoch
-zu Roß, die Sturmhaube auf dem Haupt, das Schwert in
-der Faust auszuziehen &ndash; nicht gerade ganz im Geist der
-Canones! &ndash; an der Spitze einer solchen gewaffneten
-Schar und eine Rotte von Räubern und Landbrennern
-auseinanderzusprengen, wie sie Aschaffenburg im Nordwesten,
-Kissingen im Südosten bedroht und geschädigt, aber
-auch im Waldsassengau in der Nähe von Würzburg selbst
-Holzkirchen, Helmstädt, Utingen, Römlingen, Fotingen,
-Birkenfeld, Himmelstadt, Steinbach, Trifenfeld heimgesucht
-hatten mit Gewalt und Plünderung. Da hatten außer
-dem Bischof selbst seine Junker die Hände voll kriegerischer
-Arbeit. »Es ist all nicht genug,« schalt gleichwohl Hellmuth.
-»Sie halten nicht Stand, die feigen Schächer.
-O nur noch Ein tüchtig Einhauen vor dem Ende!«</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>II.</h3>
-
-<p>Aber neben allen geistlichen und weltlichen Aufregungen
-dieser Wochen irdischen Daseins gingen doch die Dinge
-des täglichen Lebens, dessen Erfordernisse und Bedingungen<span class="pagenum"><a id="Seite_164">[164]</a></span>
-&ndash; in seltsamem Gegensatz zu jenen außerordentlichen Geschehnissen
-&ndash; ihren hergebrachten Gang: die Leute sahen
-dem Ende entgegen: aber einstweilen wollten sie doch
-schlafen und trinken und &ndash; wenn sie nicht gerade das
-Fasten sich vorgesteckt hatten &ndash; auch essen.</p>
-
-<p>Herr Heinrich hörte einmal, wie er die Eingangshalle
-des Erdgeschosses durchschritt, seines treuen Supfo Stimme
-gewaltig schelten: laut drang aus der Tiefe des Kellergewölbes
-seine schallende Rede an die Oberwelt, verbrämt
-mit manchem nicht gerade bischöflich gedachten Kernfluch.
-Das bewog den Seelenhirten, zu verweilen und an seinem
-Kellermeister im Vorüberwandeln ein wenig Seelsorge zu
-treiben. Er blieb stehen, beugte sich über das Geländer
-der steinernen Kellerstufen und rief hinab: »Aber Supfo!
-Schämst du dich nicht? Es wird wohl dein Werk, was
-immer es sei, auch ungeflucht von statten gehen. Aber
-nichts als: ›Donner!‹ und ›Donnerstrahl!‹ Was bringt
-dich denn so auf?« »Nun, Herr Hezilo!« antwortete der
-Runde, der langsam ein paar Stufen entgegen humpelte.
-»Wenn <em class="gesperrt">das</em> einen Christenmenschen nicht aufbringen soll!
-Was haben sie gethan, diese Eselfüllen von Kellerjungen?
-Den köstlichen Trank vom Stein schon aufgespundet. Jetzt
-hält er sich kaum mehr zwei Jahre!« &ndash; »Aber Supfo!
-In zwei Wochen ist ja alles aus!« &ndash; »Ja &ndash; ja! &ndash;
-Jawohl! &ndash; Aber nichtsdestoweniger! &ndash; Wie habt Ihr
-erst gestern wieder so schön gepredigt in der Vesper (&ndash; wie
-jetzt schon so oft, daß ich's auswendig weiß!)? ›Geliebte
-in dem Herrn! Vor allem fahret fort, eure Pflicht zu
-thun in allen Stücken, im kleinen wie im großen‹ (der
-Steinwein ist aber nichts Kleines!) ›als ginge es noch
-immer so fort wie von je.‹«</p>
-
-<p>»›Ohne doch (fügte ich bei) durch solche Geschäfte euere
-Gedanken ablenken zu lassen von dem nahen Ende.‹ &ndash;<span class="pagenum"><a id="Seite_165">[165]</a></span>
-Du aber scheinst ein sehr gutes Gewissen oder &ndash; noch
-immer! &ndash; einen herzhaften Vorrat Leichtsinn zu besitzen.«
-»Beides, lieber Herr,« beteuerte der Kellerer treuherzig,
-die Hand auf sein Schurzfell legend in die Grenzgebiete
-zwischen Herz und Bauch. »Was hast du denn aber da?«
-forschte der Bischof sich tiefer bückend. »In der großen
-Kiste, die du dort in den Nebenkeller schaffen lässest?« &ndash;
-»Das? Das …? Das kleine Kästlein, meint Ihr?
-O … das … das ist nichts … von Bedeutung.« &ndash;
-»Was ist darin? Kirchengerät?« &ndash; »O nein, im Gegenteil
-&ndash; sozusagen! Es sind Schläuche &ndash; von … von
-dem Griechenwein, den weiland Frau Theophano, &ndash; Gott
-hab' sie selig! (werdet sie ja auch nun bald wiederschauen:
-ob sie wohl noch so schön ist?) &ndash; Euch oder vielmehr,
-wie es in ihrem Schreiben hieß, Sankt Burchhard (der
-aber schon lange &ndash; zu Lichtmeß waren es zweihundertsechsundvierzig
-Jahre! &ndash; seinen letzten Trunk gethan),
-also doch wohl Euch verehrt hat. Der Griechenwein steht
-hier der Kellerarbeit im Wege und …« »Lauter überflüssig
-Thun!« schalt der Bischof und schritt zum Thor
-hinaus, im nahen Dom wieder Beichte zu hören. »Ganz
-unnütz!« »Wer weiß?« meinte Supfo und sah ihm
-verschmitzt lächelnd nach.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>III.</h3>
-
-<p>Wenige Tage danach &ndash; es war schon dunkler Abend
-&ndash; kam Junker Fulko von einem Streifzug in der Umgegend
-&ndash; mainaufwärts &ndash; gegen die Landschädiger zurück.
-Er hatte sein Häuflein in dem Thore der Vorstadt auf<span class="pagenum"><a id="Seite_166">[166]</a></span>
-dem Sand entlassen, Orco, seinen schönen Rapphengst, dem
-Roßwart übergeben und schritt nun in tiefe &ndash; ach! nicht
-mehr hoffnungsfreudige &ndash; Gedanken verloren durch die
-schmale Gasse, die innerhalb der Umwallung von Ost nach
-West an den Fluß führte; er wollte sich von da allmählich
-an das Religiosenhaus heranpirschen, zu versuchen, ob es
-nicht endlich gelinge, einen Blick auf oder von Minnegard
-zu erhaschen; bisher war die Hut der frommen Schwestern
-nicht zu durchbrechen gewesen! Er summte den Anfang
-eines werdenden Liedchens vor sich hin in der Dämmerung:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Wes Auge je dein inne ward,<br /></span>
-<span class="i0">O zauberschöne Minnegard&nbsp;…«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Da drang aus der noch engeren Quergasse, welche die
-Straße von Nord nach Süd kreuzte, lautes Gekläff eines
-Hundes, dazwischen durch der Streit zweier menschlicher
-Stimmen, zuletzt etwas wie ein Hilfeschrei: und das war
-nicht eines Mannes Stimme.</p>
-
-<p>Im Augenblick stand der Ritter in der ziemlich dunkeln
-Gasse: an deren Südende sah er gerade noch zwei blonde
-Zöpfe fliegen, während ein zottiges Grauhündlein, mit zornigem
-Gebell vorstoßend, den Rückzug seiner Herrin deckte.</p>
-
-<p>»He, Junker Blandinus! Bei Euerem Sankt Markus!
-Schon wieder einmal beim Kinderquälen und im Köterkampf?«
-rief Fulko. »Könnt Ihr denn nicht warten bis
-diese Kirsche reif? Noch ist sie zu sauer &ndash; wenigstens
-für Euch. Ja so! Warten! &ndash; In vierzehn Tagen …!
-Gleichviel, laßt mir das dicke Kind zufrieden oder …«
-»Tod und Teufel! Ich liebe das holde Geschöpf und
-würde sie zur Dogaressa machen, ging nicht &ndash; leider! &ndash;
-vorher &ndash; zufällig die Welt unter!« rief der Venetianer,
-blitzschnell sich wendend und die schmale Stoßklinge herausreißend.
-»Was geht's Euch an, Provençale! Seid Ihr<span class="pagenum"><a id="Seite_167">[167]</a></span>
-des Mädchens Muntwalt oder der meine? Zieht! Was
-habt Ihr mich zu stören? Zieht, sag ich.« Aber Herr
-Fulko hatte schon gezogen und wehrte ruhig, jedoch nachdrücklich
-die hitzigen Stöße ab, mit welchen der Erbitterte
-auf ihn eindrang. »Brav, brav,« lachte der Sänger.
-»Das war sogar recht hübsch, dieser Doppelstoß. Aber
-nun ist's doch genug.« Des Venetianers Klinge flog in
-die Luft, Fulko haschte sie behend vom Boden auf und
-reichte ihm mit anmutiger Verbeugung den reichvergoldeten
-Griff hin; beschämt steckte sie der Entwaffnete ein.</p>
-
-<p>»Seht,« fuhr der Sieger gutmütig fort, »so gut wie
-jetzt habt Ihr mir in Eurem ganzen Leben noch nicht gefallen.
-Das war doch ein Anflug von Mannheit, wenigstens
-ein Flackerzorn, und ein ganz leidlich Fechten. Hätte Euch
-dabei das hübsche Kind gesehen, &ndash; ich glaube, Ihr hättet
-stark bei ihr gewonnen. Glaubt mir, ich mein' es gut
-mit Euch, junger Löwe von San Marko. Es steckt was
-in Euch, Ihr seid gar nicht so übel. Nur laßt &ndash; für die
-paar noch übrigen Tage &ndash; die verfluchte Geckerei und
-Ziererei! &ndash; Erst werdet ein Mann, eh' Ihr Weiber gewinnen
-wollt. Bei Sankt Amor, <em class="gesperrt">ich</em> schelte Euch nicht
-drum, daß Ihr verliebt seid im Angesicht des jüngsten
-Tages. Es wäre recht sündhaft von mir! Aber alles
-hübsch nach der Reihe. Nur der Starke ist des Schönen
-wert! Glaubt mir, merken die Mädchen, an Eurem Auftreten
-gegen die Männer, Ihr seid ein Mann, dann werden
-sie Euch nicht mehr auslachen, tretet Ihr auch gegen sie
-auf mit dem Begehr, weil mit dem Recht des Mannes.
-Hätt' ich nur mehr Zeit, zu predigen, und Ihr, mir zu
-folgen. Folgt mir doch noch diese Spanne Zeit. Und
-nun gerade erst recht in diesen Tagen. Wenn Ihr nun
-in Bälde steht vor Sankt Georg, dem Erzengel, der uns
-Ritter unter sich hat, und er Euch fragt: ›Junker Blandinus<span class="pagenum"><a id="Seite_168">[168]</a></span>
-aus Venetia, was habt Ihr beschafft auf Erden?
-Womit habt Ihr die zwanzig Jahre, seit Ihr Hosen tragt,
-ausgefüllt?‹ Ihr müßtet ja doch vor Scham in die Erde
-sinken (wenn sie noch da wäre!), könntet Ihr nur sagen:
-›Den Mädchen bin ich nachgelaufen &ndash; und noch dazu oft
-sonder Erfolg!‹«</p>
-
-<p>»Ihr … Ihr habt nicht Unrecht, glaub ich,« sprach
-zögernd Blandinus, mit niedergeschlagenen Augen, &ndash; »ich
-will's befolgen.« &ndash; »Wollt Ihr? Das ist recht! Morgen
-zieht einmal mit mir aus wider die tollen Bauern. Ich
-stehe Euch dafür: der Mann findet ganz gehörig zu reiten,
-zu fechten und zu trinken, der auf Kampf und Abenteuer
-zieht mit Fulko von Yvonne.«</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>IV.</h3>
-
-<p>In der diesem Abend folgenden Nacht sprengte auf der
-Heerstraße von dem Südthor flußaufwärts ein ungeduldiger
-Reiter; immer wieder trieb er den ohnehin wacker ausgreifenden
-Braunen zu rascherem Lauf an.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Die Höhen gegen Randersacker hin, auf denen heute
-ein edler Trank gewonnen wird, überzog damals noch
-dichtes Gehölz: im Unterschied von dem »Königswald«
-auf dem linken Ufer hieß es der »Grafenwald«: denn es
-gehörte zu dem Amtslehen des Grafen des Waldsassengaues.
-Etwa eine Stunde oberhalb der Allmänndewiese
-bog von der breiten Heerstraße ein schmaler Reitweg links
-nach Osten ab und schlängelte sich durch das buschige Gelände
-bis zu der Höhenkrone mit ihrem finstern Urwald
-hinan. Diesen engen Pfad schlug der nächtliche Reiter ein.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_169">[169]</a></span></p>
-
-<p>Er mußte der Örtlichkeit genau kundig sein: denn nicht
-eben leicht war durch Weißdorn- und Hartriegelgesträuch
-der schmale Streif des Weges zu verfolgen. Freilich warf
-der Mond, bereits über den Höhenzug emporgestiegen, von
-Osten her sein phantastisches Licht auf die Abhänge gen
-Westen, auf die Heerstraße und den silbern glitzernden,
-ruhig ziehenden Fluß.</p>
-
-<p>Allein der Wind trieb unablässig ziehend Gewölk über
-die noch nicht gefüllte Scheibe, so daß das wechselvolle Licht,
-geraume Zeit völlig versagend, dann wieder plötzlich auf
-kurze Weile grell und blendend vorbrechend aus den schwarzgrauen
-Wolkenflügen, vielfach mehr störte als förderte. Alsbald
-sah sich der Reiter, wie der Pfad steiler anstieg, genötigt,
-abzuspringen und das Roß am Zügel langsam
-bergan zu führen: trotzdem stolperte es zuweilen über die
-Knorrwurzeln, welche, wie dunkle Schlangen, quer über
-den Waldweg liefen. »Gemach, Falk! hübsch bedächtig,«
-mahnte er das erschrockene Tier. »Sieh, bei Tage trägst
-du mich! bei Nacht, im Dunkel, wie billig, führ ich dich!
-Treue um Treue. Erschrick nicht! Das war nur ein
-Glühwurm! Aber freilich, es hauset mancherlei im nächtlichen
-Tanne, was mit eisigem Grausen auch an die Brust
-des Weidmanns rühren mag. Schon mancher zog zu Walde
-zur Nacht &ndash; kam nicht mit heilen Sinnen wieder daraus
-hervor. &ndash; Ruhig, Brauner! Das war eine fauchende
-Eule &ndash; und was da rot leuchtet an dem alten Baumstumpf,
-das ist Morschholz. Vorwärts und scheue nicht!
-Wir sind nicht auf schlimmem Gang!« Nach einer scharfen
-Rechtsbiegung des Pfades ward oben auf der Höhe in
-einiger Entfernung ein schwach glimmendes Licht sichtbar.
-Dahin zog nun der Weg.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Da schlug der Vorderhuf des Pferdes, das sonst ganz
-geräuschlos auf das Waldgras trat, an einen Stein: weit<span class="pagenum"><a id="Seite_170">[170]</a></span>
-klirrte der helle Ton durch die schweigende Nacht: gleich
-erscholl lautes, wütendes Hundegebell von der Höhe her
-und in mächtigen Sätzen rannte ein gewaltiges Tier zornmütig
-auf die Ruhestörer herab: kaum war es abzuwehren
-durch den umgewendeten Speerschaft, welchen der einsame
-Wanderer ihm entgegenstreckte. »Giero! Treuer Herdenwart!
-kennst du mich nicht mehr?« rief er dabei beschwichtend.
-Da stutzte die grimme Rüde, schnob und schnupperte
-gegen den Wind und hüpfte gleich danach friedlich und
-freundlich an Mann und Pferd hinauf. »Schon gut, du
-wachbarer Freund! Besser zu viel Vorsicht als zu wenig.
-Nun komm hinauf zu deinem Herrn.« Bald standen nun,
-von dem freudig bellenden und meldenden Hunde geführt,
-Reiter und Roß auf der Höhe, wo in einer runden, wie
-es schien, schon lang bestehenden Waldlichtung an dem Fuß
-einer uralten gewaltigen Esche ein schwaches Reisigfeuer
-mehr Qualm als Licht verbreitete.</p>
-
-<p>Neben der Glut lehnte an dem Stamme, hoch aufgerichtet,
-ein hagerer Mann in einem Mantel aus Wolfsfellen,
-eine ungeheuere Schürstange, wie sie die Köhler
-führen, in der Faust; er hatte nach oben geschaut, in den
-gerade wieder hervorgleitenden Mond; schweigend, nur mit
-leichtem Nicken des grauen Hauptes, begrüßte er den Ankömmling,
-der sein Pferd seitab, geschützt vor dem Zug
-des Rauchqualms im Südwestwind, an eine junge Buche
-band.</p>
-
-<p>»Nun Rado, kam ich noch zu rechter Zeit?« &ndash; Hastig
-entflog die Frage. »Du weißt: gleich durft' ich dir nicht
-folgen: es war noch zu hell; und der Bischof, der mit
-seiner Streifschar zurückkam, noch ganz nah. Ich fürchte,
-er erkannte mich, wie damals in Eurem Hof. Gar manchen
-Ritt im Zickzack macht' ich noch, meine Spur zu verbergen,
-falls er mir einen seiner Reiter nachgesandt hätte.<span class="pagenum"><a id="Seite_171">[171]</a></span>
-Und doch &ndash; streng schärftest du's ein &ndash; mußt' ich die
-Stunde einhalten.«</p>
-
-<p>Der Alte, den Schürbaum weglehnend, nickte.</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Nur zu ziemender Zeit,<br /></span>
-<span class="i0">An bestimmter Stätte,<br /></span>
-<span class="i0">Geschieht mit Gedeihen<br /></span>
-<span class="i0">Weihevoll Werk!<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>So der Spruch der Ahnen. Wir haben noch Zeit.
-Seht Ihr, Junker Hellmuth, dort rechts vom milden Herrn
-Mond das kleine Sternchen? ›Hollespang‹ heißt er: und
-ist unserer lieben weißen Frau Holle Busenspange. Er
-darf nur mehr drei Handbreiten von dem Mondrand abstehen.
-So müssen wir noch warten. Und fragt jetzt, was
-Ihr noch zu fragen habt: denn</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">wann das Werk begonnen,<br /></span>
-<span class="i0">darf es nicht wirren<br /></span>
-<span class="i0">Wort und Widerwort.«<br /></span>
-</div></div>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>V.</h3>
-
-<p>»Wie soll ich dir danken, Rado, treuer Rado? Du
-erfüllst den letzten heißen Wunsch meines Lebens, der mir
-noch übriggeblieben!«</p>
-
-<p>»Danken? Ihr? Gar nicht! Euer Vater hat mir
-vorausgedankt für alle Zeiten. Die vielen Jahre, die ich,
-von den Rothenburger Herren ihm als Waffenträger zugeteilt,
-ihm dienen durfte in Jagdfahrt und Heerfahrt, &ndash;
-das waren die besten, die ich gesehen.</p>
-
-<p>Seit er gestorben, Herr Heinrich Pfaff und ich Hirt<span class="pagenum"><a id="Seite_172">[172]</a></span>
-der Burgensen geworden, &ndash; wenig Freude habe ich mehr
-am Leben. Nur daß ich im Wildwald hausen darf als
-Jäger und Köhler &ndash; neben der Herden-Hut &ndash; das thut
-mir wohl in der Seele. &ndash; Und wißt Ihr, was mir das
-Liebste war an Euerm Vater? Nicht, daß er mir Lohn
-und Beuteanteil gab mit vollen Händen, &ndash; nein, daß er
-sich so gern von mir erzählen ließ von &ndash; von den Alten
-&ndash; Ihr wisset schon! … Und daß er davon vieles glaubte,
-was ich von meiner Mutter überkommen. Mein Bruder
-Wartold, Großmutter Ute bekreuzen sich dabei, Fullrun ist
-zu kindjung und mutwillig. Aber Wartold wird's schon
-erleben, &ndash; gar bald! &ndash; daß ich recht habe. Und daß
-auch Ihr, obwohl des Bischofs Lieblingsritter, mir
-glaubt … &ndash;« &ndash; »Manches, Rado! Beileibe nicht
-alles! Ich bin ein guter Christ und will es bleiben. Ich
-glaube dir von deinen Sachen nur …« »Was Euch
-anzieht, was Euch gefällt,« schmunzelte der Alte. »Ihr
-werdet nicht bereuen, daß Ihr glaubt: ›reich lohnt Woden
-treue Freundschaft,‹« brummte er leis in den grauen Bart.
-»Und seht:« fuhr er laut fort, »Eins hat mir &ndash; all
-diese Monate her! &ndash; so gut gefallen von Euch.« &ndash;
-»Nun?« &ndash; »Daß Ihr etwas <em class="gesperrt">nicht</em> gethan, <em class="gesperrt">nicht</em> von
-mir verlangt habt!« &ndash; »Bin gespannt!« &ndash; »Keinen
-Minnezauber!« »Rado!« rief der Jüngling und errötete
-über und über. &ndash; »Nun, ich sage nichts weiter. Aber wer
-Euch und &ndash; Eine im Winter selbander zur Jagd reiten
-sah, &ndash; Aug' in Auge! &ndash; und Euch jetzt beisammen sieht,
-der merkt was. Und doch verlangtet Ihr nicht &ndash; wie
-so viele &ndash; von mir einen Liebeszauber.« »Niemals!« rief
-Hellmuth. »Lieber dreimal drüber sterben als ihren keuschen
-Willen brechen &ndash; durch Zauber!« &ndash; »Ja, das eben ist
-mein Hellmuth, den ich vom Kind an kenne und seine lichte
-Seele: sie ist durchsichtig wie ein klarer Waldquell und<span class="pagenum"><a id="Seite_173">[173]</a></span>
-kein trüber Fleck darin. Ihr leidet so schwer.« &ndash; »Bald
-ist nun ja auch diese Qual zu Ende. &ndash; Aber sage, wie
-kommt es, daß du, der sonst allzuwenig den Worten der
-Priester glaubt, gerade diese Verkündung gleich von Anfang
-&ndash; lange bevor der Papst durch den Mönch es gebot!
-&ndash; so gläubig, ja so eifrig, so gierig aufgenommen
-hast? Was nur die Allergelehrtesten und Allerfrömmsten
-der Kirche ergrübelt hatten … &ndash; …« »Hm,« lachte
-der Alte. »Und wie lang ist's her, daß die das lehren?«
-&ndash; »Noch nicht Jahr und Tag.« &ndash; »So? &ndash; Nun da
-weiß ich's etwas länger &ndash; so seit vierzig Wintern etwa!
-Mich hat's die Mutter gelehrt, als ich meinen ersten Fuchs
-geschossen. ›Ei,‹ sagte sie, ›ein wacker Werk. Du hast
-Herrn Loges Heer gemindert.‹ ›Herrn Loges Heer?‹ forschte
-ich. Und nun hob sie an zu erzählen, was sie von ihrer
-Mutter gehört und die wieder von ihrem Ahn. Ich glaube,«
-grübelte er vor sich hin, »unsere Sippe wußte es von je.«
-»Aber was, was wißt Ihr?« unterbrach Hellmuth ungeduldig.
-»Das andre ist mir all gleichgültig: nur das
-will ich nun endlich genau wissen, von den letzten Geheimnissen,
-was Ihr immer so dunkel angedeutet, wo und
-wie&nbsp;…?«</p>
-
-<p>»Hei, ist so kurz nicht zu sagen. Setzt Euch. Hier!
-Ins trockene Eschenlaub. Nehmt die Lederflasche. Der
-Wein, den in der Bergleiste Frau Sunna kocht, die heiße
-Herrin, ist feurig. Und da &ndash; in meinem Netzranzen,
-das ist Wildeberfleisch. Und nun gebt acht!« Er trank
-einen langen Zug und hob an: »›Heilige und Teufel ringen
-dann‹, sagt der Bischof? Mag ja wohl sein! Riesen und
-hohe Helfer sagen wir. Die ringen und kämpfen unablässig
-miteinander um die Herrschaft der Welt und um
-die Seelen der Menschen: so sagt der Bischof, so sage
-auch ich. Einst endet die Welt, so sagen wir beide. Aber<span class="pagenum"><a id="Seite_174">[174]</a></span>
-wie endet sie? Das weiß der Bischof nicht &ndash;: auch der
-Papst nicht und der irrsinnig gewordene Arn &ndash; schad'
-um ihn! den hätten wir als dritten mitgenommen, hätte
-ihm nicht die welsche Sonne das Gehirn verbrannt, der
-Tod sieht ihm aus den hohlen Augen: ich glaub's nicht,
-daß er die Sunnwend noch erlebt! Also Arn, der wußt
-es auch nicht: sonst hätte er's doch neulich gesagt. Wir
-aber wissen's seit grauer Vorzeit der Ahnen: die Welt geht
-unter &ndash; freue dich, mein tapfrer Hellmuth! &ndash; in einem
-ungeheueren herrlichen Heldenkampf, wie er noch nie gestritten
-ward auf Erden.«</p>
-
-<p>Der Ritter sprang auf: »Den kämpf ich mit!«</p>
-
-<p>Wohlgefällig ruhten die Augen des Alten auf dem
-edeln, leuchtenden Antlitz des schönen Jünglings, im Glanze
-des von der raschen Bewegung aufflackernden Feuers.
-»Das sollst du, mein Liebling, an meiner Seite. Das
-eben gönn' ich dir &ndash; dir allein &ndash; seit Herr Hezilo sich
-hat scheren lassen. Den letzten Sieg, den auf dieser alten
-Männererde lichte Helden gewinnen gegen dumpfe Unholde,
-&ndash; <em class="gesperrt">du</em> sollst ihn mit ersiegen helfen.« &ndash; »Aber wann?
-Wo? Wie?« &ndash; »Gemach! Heute will ich das selbst erst
-erkunden. Deshalb hab' ich dich heute nacht hierher beschieden.
-Aber noch ist's nicht an der Stunde. Schau
-hinauf &ndash; Hollespang steht noch zu weit rechts.« »Ich
-erinnere mich,« sprach der Junker nachdenkend. »Ja, ja!
-Von einem Kampfe, der dem Gericht vorangehen wird,
-sprach auch einmal einer der Dompriester. Aber da müsse
-&ndash; als Führer der Frommen &ndash; zuvor Elias wiederkommen.«</p>
-
-<p>»Wer ist der Held? Hab' nie von ihm gehört!«</p>
-
-<p>»Ein Prophet der Juden. Und werde der gewaltig
-streiten.«</p>
-
-<p>Ziemlich ungläubig zuckte der Alte die breiten Schultern<span class="pagenum"><a id="Seite_175">[175]</a></span>
-unter dem Wolfsfell. »Würde mir andern Herzog
-küren. Vernimm nun die alte Sage von diesem Kampfe,
-wie sie mich die liebe Mutter gelehrt.«</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>VI.</h3>
-
-<p>»Einst endet das All, es welket die Welt, wann wilde
-Gewalten ruchloser Riesen reißen die kräftigen Ketten, darin
-sie gefesselt gute Geister. Und es wollen die Wilden, die
-wütigen Wölfe, die dräuenden Drachen sich der Seelen bemeistern
-der Menschen.</p>
-
-<p>In Feuer und Flammen hebt sich ein Buhurd: vom
-hohen Himmel steigen, stolz und strahlend wie Sterne, uns
-Helden als Helfer herab und auf Erden ringen, rennen
-und reiten alle Edeln, die Waffenwerks weise. Wird da
-wild ein kühnes Kämpfen, ein arges, entbrennen, wie
-nimmer noch Augen ersahen auf Erden. Es hallet ein
-Heerhorn, ein gellendes, goldnes, das da wahret der Wächter
-des Wegs zu den himmlischen Hallen. Von drüben dumpf
-dröhnet der Riesen Ruf: nun treffen die Tapfern in Eil'
-aufeinander.</p>
-
-<p>Es naht eine Natter, ein wütender Wurm, mächtig
-aus dem Meer, aus Wogen und Wellen windet und wälzt
-er sich in Schlangenschuppen ans steile Gestade: giftigen
-Geifer speit er in Sprudeln. Es schwimmt ein Schiff,
-schwarz und schrecklich: gräßliche Geister stehen am Steuer,
-setzen die Segel, rühren die raschen Ruder: Reihen von
-Riesen lädt es ans Land. Krächzend krähet der heis're
-Höllenhahn: es heult der Helhund. Der Helwolf hat die
-Bande gebrochen: die Fessel fiel, rasend rennt er und<span class="pagenum"><a id="Seite_176">[176]</a></span>
-reißt, was er erreicht. Da beben die Berge, da brechen
-die Bäume, entwurzelt erdröhnen uralte Eichen und Fichten
-im Fall. Es ächzen die Elben, die zottigen Zwerge, unter
-den fallenden Felsen. Es birst der blaue Himmel, der
-hohe, es birst die Brücke, der reichfarbige Regenbogen,
-darauf die Stolzen herabgestiegen. Unter all dem Dröhnen
-und Donnern doch dauert der Drang der ringenden Recken:
-aus den Fugen fällt die weite Welt, nicht stört das die
-Starken im Stürmen: fort fechten sie freudig, unter den
-Trümmern noch trotzig einer wankenden Welt.«</p>
-
-<p>»Fort fechten sie freudig, … unter den Trümmern
-noch trotzig einer wankenden Welt &ndash;« wiederholte Hellmuth
-leuchtenden Auges und drückte fest die Faust um den
-Schwertgriff.</p>
-
-<p>»Es rasen die Rosse der helmfrohen Helden, die wild
-wiehernden Hengste, hoch hauenden Hufs: Speere zerspellen:
-zerschrotene Schilde, zerhackte Helme, zerbrochene Brünnen
-decken dicht die alte Erde, die eine einzige Walstatt wurde.
-Aber ach! Allmählich werden die Wilden, die argen
-Unholde, Meister der Menschen: es wanken und weichen
-die schimmernden Scharen der guten Geister, der hohen
-Helfer.</p>
-
-<p>Und die ermüdenden Menschen mähet und fället furchtbar
-der Feinde finsterer Führer, das schwarze Scheusal, der
-Rauchriese, ganz gehüllt in Rauch und in Ruß. Auf dem
-Rappen rennt er in die Haufen der hellen Helden. Soll
-er denn siegen?«</p>
-
-<p>»Nein,« knirschte Hellmuth, »nicht, solang ich Hand
-heben mag.«</p>
-
-<p>»Da rufen die Recken, die bitter bedrängten, blutend
-aus Verch-Wunden, sie rufen um Rettung: ›komm, kehre du
-Kühnster der Kühnen, uns, du Waltender, wieder! Was
-wichst du von uns? Was weilte dich, Wandrer, im<span class="pagenum"><a id="Seite_177">[177]</a></span>
-Walde? Was barg dich im Berge? Siegvater, siehe die
-Drangsal der Deinen!‹</p>
-
-<p>Und horch! Da hallet es hin durch die Himmel!
-Gellender gellt das helle Horn: und es läuft durch die
-Lüfte wie Rauschen von Raben und ein Jauchzen, ein Jagen
-von raschen Rossen! Und siehe, da sauset, im mächtigen
-Mantel, im herrlichen Hochhelm, auf dem großen Grauroß,
-mit dem spitzigen Speer uns zur Hilfe heran der herrliche
-Held: Kaiser Karl, den in hohler Höhle des Berges geborgen
-zäher Zauber: verwunschen war er, als wilder Jäger
-zu jagen. Aber in äußerster Not nun naht er!</p>
-
-<p>Der Zauber zerfiel und stolz und strahlend, wie er
-weiland gewaltet in hohen Hallen, führt er freudig die
-Seinen zum Siege! Und siegen darf an seiner Seite, wer
-ihm die Seele selber brachte im Bündnis, im treuen Vertrag,
-auf ewig zum Opfer! An seiner Seite darf er die
-dräuenden Drachen bestehen im Streite und fällen die Feinde.
-Wir siegen! Wir siegen! Es fliehen die Feinde, es weichen
-die Wilden. Wohl verbrennt in breitem Brande die alte
-Erde. Doch es taucht aus den Tiefen, den nächt'gen, aufs
-neue wonniger wieder eine werdende Welt und hoch dann
-und herrlich mit dem hehren Helden haus' ich im Himmel
-mit allen Edeln immer und ewig.«</p>
-
-<p>Er sprang auf und hielt inne, mehr verzückt als
-erschöpft.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>VII.</h3>
-
-<p>Hellmuth wollte sprechen: &ndash; aber der Alte kam ihm
-zuvor: »Still! Nun sollt Ihr nicht mehr hören, Ihr sollt
-sehen. Schaut hinauf, das Sternlein ist dem Mondrand
-nah. Die Stunde kam.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_178">[178]</a></span></p>
-
-<p>Er bückte sich und hob, nicht ohne Anstrengung, unter
-den hohen, mächtig gewölbten Wurzeln der alten Esche eine
-Rasenscholle aus: &ndash; erst jetzt gewahrte der Jüngling, daß
-sie auf drei Seiten eingeschnitten war &ndash; und holte darunter
-ein Stück Fell hervor: &ndash; es war ein Hamsterpelz: &ndash;
-darin lag gehüllt ein etwa zwei Hände breiter rundlicher
-Gegenstand. Der Alte wickelte ihn sorgfältig heraus und
-wies ihn dem Überraschten dar: es war eine dunkle, ganz
-glatte Metallscheibe in ehernem Rahmen: einen in sich
-gerollten Drachen stellte der umrahmende Erzreif dar.</p>
-
-<p>»Ein Spiegel?« rief Hellmuth erstaunt.</p>
-
-<p>»Ja! Aber nicht der Eitelkeit: &ndash; der Wahrheit. Ein
-Zukunftspiegel! In unserer Sippe vererbt von Geschlecht
-zu Geschlecht! Alle andere Fahrhabe teilte die liebe Mutter,
-als sie zu sterben kam, ganz gleich unter uns beiden
-Brüdern. Aber diesen Spiegel gab sie mir voraus! Sie
-schickte den Bruder, der so kircheneifrig war, hinaus, griff
-unter das Kopfpolster und reichte dies Erbstück mir &ndash;,
-weil sie wußte, ich würde davon schweigen gegen die Geschorenen.
-›Und so haben's,‹ sagte sie, ›die Ahnen gehalten
-von Geschlecht zu Geschlecht: immer nur Einem &ndash;
-dem Treuesten! &ndash; haben sie das Erbe der Vorzeit vertraut.‹
-&ndash; Und sie lehrte mich auch, wie ich des Spiegels
-zu gebrauchen habe. Einst war er wohl zu eigen den drei
-seligen Fräulein auf der Karlsburg da unten am Main:
-Sankt Kilian soll sie von ihren Herrscherstühlen im Goldsaal
-des Schlosses vertrieben und sie verwunschen haben in den
-tiefen Ziehbrunnen unten im Burghof. Aber der einsame
-Hirt, der im Abenddämmer an der Halde die Ziegen weidet,
-hört sie noch manchmal leise singen aus der Tiefe und ein
-Sonntagskind mag sie wohl auch in heißester Mittagsschwüle
-da oben im hohen Grase des Burghofs überraschen,
-wie sie ihr Goldhaar strählen mit goldenem Kamme. Und<span class="pagenum"><a id="Seite_179">[179]</a></span>
-ein Urahn von uns hat den Spiegel gefunden, da er einst
-hinabstieg in den Brunnen, weil ihn das leise Singen und
-Rauschen lockte. Und die Mutter sagte, das Ende der
-Welt wird kommen in einer Sommer-Sunnwendnacht. In
-der Sunnwendnacht eines Jahres, da am Tage der letzten
-Rauchnacht &ndash; heilige drei Könige nennen's die Pfaffen
-jetzt &ndash; also mitten im Winter! &ndash; ein mächtig Gewitter
-wird aufsteigen über dem Stein zur Mitternachtseite der
-Stadt und wird der Blitz schlagen &ndash; gerade zu Mittag
-&ndash; in diese uralte Heidenesche hier.«</p>
-
-<p>Da erbleichte der Jüngling: »Das ist dies Jahr! Am
-Tage der heiligen drei Könige kam ein Gewitter von
-Norden und schlug zu Mittag in diese Esche: &ndash; ich stand
-ganz nah dabei, auf Wölfe pirschend, und sah es.« &ndash;
-»<em class="gesperrt">Deshalb</em>, nicht weil die Geschorenen es predigen, glaub'
-ich an das Ende der Welt, in diesem Jahr, in jener Nacht.
-Zwei Stunden vor Mitternacht, so lehrte die Mutter &ndash;,
-beginnt der Kampf.« &ndash; »Gut. Die Stunde weiß ich nun:
-&ndash; aber wo?«</p>
-
-<p>»Das zu erfragen kam heute die Nacht: &ndash; nach dem
-Stand der Gestirne. Nun laßt mich gewähren und schweigt.«</p>
-
-<p>Und der Alte streifte den geflochtenen Bundschuh von
-der linken Sohle, trat barfuß auf die Breitfläche seines
-nackten Weidmessers, das er vor sich niedergeworfen hatte,
-streifte den Mantel von dem rechten Arm zurück, riß Gras,
-Kraut und Erdschollen aus dem Boden neben den Wurzeln
-der Heidenesche, streute sie auf sein graues Haar und hielt
-den runden Spiegel derart empor, daß die Strahlen des
-Mondes schräg hineinfielen, Hellmuth aber wie er selbst
-auf die Metallscheibe blicken konnten. Er drehte sich dabei
-langsam im Kreise und winkte dem Jüngling, ihm zu
-folgen. Lange schwieg er. Zuerst hatte er den Spiegel
-gen Norden &ndash; nach der Stadt zu &ndash; gehalten: man sah<span class="pagenum"><a id="Seite_180">[180]</a></span>
-nichts. Dann drehte er ihn gen Westen dem Flusse zu: &ndash;
-lange hielt er hier inne. Weiter drehte er ihn gen Osten
-&ndash; nichts zeigte die Scheibe. Endlich wandte er sie gen
-Süden, &ndash; flußaufwärts.</p>
-
-<p>Alsbald fuhr er zusammen. »Seht Ihr?« raunte er
-leise. »Es zuckt durch meine Hand! Von dorther! Von
-Mittag &ndash; nein, von Südost also &ndash; reiten sie an da
-unten &ndash; auf der großen Heerstraße!«</p>
-
-<p>In dieser Richtung jagte der rasche Wind dunkles
-Gewölk wechselnd mit Helle über die Mondscheibe hin: &ndash;
-phantastisch wirre Gestalten: &ndash; und demgemäß verdunkelte
-und erhellte sich der Spiegel.</p>
-
-<p>»Schaut!« Dem Alten zuckte und bebte vor Erregung
-die starke Hand. »Allen voran der Schwarze! Auf
-schwarzem Gaul! Den gilt es, vor allen zu treffen! Und
-hinter ihm &ndash; seht nur! &ndash; die ganze dunkle Schar, zu
-Roß, zu Fuß! Schaut wie sie wimmeln und drängen!
-Danke dir, Mutter! Nun weiß ich's gewiß! Ich werde
-nicht fehlen! In mancher Sturmnacht hab' ich's geschrieen
-in die Wolken hinauf: ›Hör' es, Herr Wode oder wilder
-Jäger, oder Kaiser Karl oder wie immer du heißest, der
-da oben brausend hinfährt über meinem Haupt: ich kämpfe
-für dich im letzten Kampfe. Dafür gieb mir Weidmannsheil
-und treffende Pfeile.‹ Hoch aus den Wipfeln, lachend,
-gleich der Eule, rief er Gewährung hernieder: &ndash; nie
-fehlte mein Pfeil. So fehle auch ich nicht in seinem letzten
-Kampfe.«</p>
-
-<p>»Noch ich,« sprach Hellmuth ernst. »Merke: keinem
-andern als dem Himmelsherrn gelob' ich meine Seele.
-Aber in dem Kampf, der &ndash; auch die Priester sagen's ja!
-&ndash; in der Sunnwendnacht gekämpft wird auf Erden gegen
-Satan und all sein Heer &ndash; den Kampf kämpf' ich mit,
-Alter: wir reiten zusammen in die Teufel! Zur rechten<span class="pagenum"><a id="Seite_181">[181]</a></span>
-Stunde bin ich da unten &ndash; wo der Reitweg abbiegt &ndash;
-zur Stelle.«</p>
-
-<p>Und von ihm hinweg schreitend zu seinem Roß, sprach
-er zu sich selber: »Das höchste Glück der Welt &ndash; es war,
-in Edels Arm zu ruhn. Es blieb versagt! Das zweite
-ist der Siegeskranz von höchster Ritterschaft: &ndash; den will
-ich mir ertrotzen. Sankt Georg soll gestehen: ›nie sah ich
-Ritter ritterlicher streiten‹ und &ndash; noch einmal &ndash; jenseit
-des Grabes &ndash; soll mich Edel müssen krönen.«</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>VIII.</h3>
-
-<p>Näher und näher kam der verhängnisvolle Tag der
-Sonnenwende, der Johannes dem Täufer geweihte vierundzwanzigste
-des Brachmonds.</p>
-
-<p>Da begaben sich seltsame Dinge vor und in dem Hause
-des reichen Kaufmanns, des Kornhändlers Renatus. An
-dem klugen Manne rächte sich nun der Christenglaube, den
-er nicht aus Überzeugung, den er aus heuchlerischer Selbstsucht
-und aus Feigheit angenommen hatte. Und damals
-war es nicht wie später mit dem einmal abgelegten Bekenntnis,
-also einer einzigen Lüge, abgethan. Wie alle
-andern Christen mußte der neugetaufte Jude all' die durch
-das ganze Kirchenjahr sich hinziehenden äußeren Bethätigungen
-des Glaubens mitmachen vor allem Volk. Täglich
-&ndash; wo irgend thunlich &ndash; mußte er die heilige Messe hören,
-alle vorgeschriebenen Fasttage einhalten, die öffentlichen
-Aufzüge durch die Stadt mit wallenden Fahnen und Umhertragung
-der hölzernen Heiligenbilder begleiten, alle die
-vielen anderen Feste mitfeiern, die öffentlichen Gebete einhalten<span class="pagenum"><a id="Seite_182">[182]</a></span>
-und mindestens sechsmal im Jahre zur Beichte gehen.
-Scharf überwachte die Seelsorge der geistlichen Oberen den
-Neugewonnenen, strenger als die Altchristen: und wehe
-dem Jüdling, gab irgend seine Lässigkeit Grund, ihn des
-Rückfalls zu beargwöhnen!</p>
-
-<p>So hatte denn auch Renatus viele Jahre lang all diese
-Christengebräuche mitgemacht, sorgfältiger noch als andere.
-Den Glauben an die Lehre seiner Väter hatte er abgestreift:
-der christliche Glaube aber hatte ihn nicht ergriffen, höchstens
-hier und da ein Stück christlichen Aberglaubens.</p>
-
-<p>So hatte sein feiges Herz die Verkündung des nahenden
-Gerichtes mit Schrecken erfüllt: zwar glaubte er anfangs
-nicht unbedingt daran, wann er aber glaubte, war er der
-Verzweiflung nah.</p>
-
-<p>Und als nun die Entscheidung immer näher herankam,
-da wuchs ihm von Tag zu Tag wie der Glaube, so die
-Angst.</p>
-
-<p>Es war der Morgen des dreiundzwanzigsten im Brachmond
-angebrochen. Da sah Renatus mit stieren Augen,
-wie alles Volk, die vielen Hunderte, die ohne den leisesten
-Zweifel felsenfest an das bevorstehende Ende glaubten, sich
-in die Kirchen drängten, betend, singend, weinend, heulend
-vor Todesfurcht oder vor Gewissensangst. Und er mußte
-es erleben, daß auf dem offenen Platze vor seinem Hof,
-dem Kornhof, die Leute in dichten Haufen vor einem hochragenden
-Holzkreuz sich auf die Kniee warfen, an die
-Brust schlugen, das Haar rauften, vorbeigehende Priester
-mit Gewalt festhielten, ihnen nochmal zu beichten, ja laut
-sich solcher Sünden und Verbrechen anzuklagen, die sie nie
-zuvor über die Lippen gebracht.</p>
-
-<p>Und er sah wie die Männer vorüberschreitenden Mönchen
-das Mönchsgewand abrissen, sich darein zu hüllen und so
-seliger zu sterben und sicherer vor den Krallen der überall<span class="pagenum"><a id="Seite_183">[183]</a></span>
-unsichtbar in der Luft auf die arme Seele bei deren Ausfahren
-aus dem Munde lauernden Teufel.</p>
-
-<p>Und er sah zuletzt, wie, in immer wachsender Herzensangst,
-reiche Frauen heraneilten, vor dem hohen Kreuz
-ihre Prachtgewande, Schapel, Schleier, Geschmeide von
-sich warfen, bis diese Opfergaben der Todesfurcht und
-Höllenfurcht zu einem gewaltigen hochgetürmten Haufen sich
-aufbauten.</p>
-
-<p>Und er mußte es mit anhören und mit ansehen, wie
-endlich eine Stimme aus der Menge schrie: »Ins Feuer
-damit. Laßt uns alle diese Sünden verbrennen.«</p>
-
-<p>Und alsbald ward der Haufe von Schätzen zum Scheiterhaufen!</p>
-
-<p>Ein Knecht der nahen Schmiede rannte herzu mit
-brennendem Span, andere rissen das Stroh von des Kaufherrn
-Scheunendach herunter, brachen Planken und Bretter
-aus seinem Zaun, und warfen sie, die Glut schürend, auf
-die brennenden Kleider: bald stieg die rote Flamme hoch in
-die Lüfte.</p>
-
-<p>Und nun strömten von allen Seiten Männer und
-Weiber herbei, und schleuderten Gewänder, Gerät, Schmuck,
-auch bares Geld, Urkunden, Schuldverschreibungen unter
-Schreien und Heulen in die gierig fressende Lohe.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>IX.</h3>
-
-<p>Da ergriff es auch ihn mit der ganzen fortreißenden,
-ansteckenden Gewalt solch wahnwitzigen Thuns!</p>
-
-<p>Er sprang mitten in den tobenden Haufen, unter jedem
-Arm ein paar vollgestopfte Ledersäcke, gefüllt bis zum<span class="pagenum"><a id="Seite_184">[184]</a></span>
-Bersten mit goldenen Solidi, silbernen Denaren, kupfernen
-Pfennigen: er schnitt die Säcke mitten durch und ergoß
-den klingenden klirrenden Inhalt wie einen metallenen
-Regen unter die Leute: ja, zuletzt riß er einen kleinen
-Leinensack, den er sorgfältig verwahrt auf der nackten Brust
-nachts wie tags getragen hatte jahrzehntelang, von der
-Schnur ab, öffnete ihn und streute Perlen und Juwelen
-mit vollen Händen unter die Menge: wie blitzten, wie
-funkelten die lichten Steine in dem roten Glast der Flamme!</p>
-
-<p>»Nehmt doch,« schrie er dabei mit scharf ergellender
-Stimme. »Nehmt, ihr Leute! Lest auf! Hier Gold! Da
-Silber! Hier Smaragden &ndash; o schöne Smaragden aus
-Askalon! kostet mich der große da … ach ich weiß nicht
-mehr, wie viel! Nicht ins Feuer werf ich's, wie die
-Närrinnen dort. Wie schlecht verstehen sie sich auf ihren
-Seelenprofit! Ich &ndash; schau her, Jesus von Nazareth, und
-hör' auf mich! &ndash; ich schenk es den Armen, zum Heil
-meiner Seele! Siehst du's auch wohl genau, Galiläer,
-in all dem Qualm? Diamanten sind sogar dabei und
-viele blaue Saphire! Ich bin der Schenker, ich, dein
-Renatus, du Sohn Gottes! Ich bin wohlthätig gegen
-die Armen, ganz wie du es hast befohlen, Rabbi. Ihr
-Leutchen, tretet's doch nicht mit Füßen! Kauft euch Brot,
-Wein, Fleisch! Siehst du's, Sohn Marias der Jungfrau,
-wie ich speise die Hungernden? Hier du, Alter, &ndash; wie
-bist du zerlumpt! &ndash; nimm diesen Topas und kaufe dir
-einen Mantel. Schau' her, Stern von Bethlehem und,
-du heiliger Geist, seht her wie ich kleide die Nackten. Hab'
-ich früher wohl genommen mehr als sechs oder zwölf! &ndash;
-ach ja! es war manchmal wohl mehr, &ndash; vom Hundert,
-&ndash; ich mach' es jetzt gut millionenfach. &ndash; Und, Herr
-Christus, hier &ndash; schau hier! &ndash; bist ja allgegenwärtig,
-sagen sie! Hier ist der Auszug aus dem Taufbuch &ndash;<span class="pagenum"><a id="Seite_185">[185]</a></span>
-weißt du? &ndash; aus deiner großen Kirche zu Mainz« &ndash;
-er riß ein Pergamentblatt aus dem Brustlatz und hielt es
-ausgebreitet mit beiden erhobenen Händen gen Himmel:
-&ndash; »hier! hat's doch geschrieben deines Herrn Bischofs
-&ndash; nein, Erzbischofs sogar! &ndash; eigene Hand: &ndash; wie heißt
-er doch gleich! Nun, Christus, du mußt es ja wissen!
-Willigis heißt er! Dein frommer großer Willigis selbst
-hat mich getauft. Ich <em class="gesperrt">bin</em> getauft: ich kann's dir beweisen!
-Also mußt du's gelten lassen. Und ich glaube
-auch an dich, o ja! Nicht immer hab' ich geglaubt. Aber
-heute &ndash; jetzt &ndash; glaub' ich. Ich zittere, aber ich glaube.
-Ich möchte lieber nicht glauben, aber ich muß!«</p>
-
-<p>Nun wandte er den Blick vom Himmel wieder auf seine
-Umgebung: »Was!« schrie er und das dichte, kohlschwarze,
-struppige Haar sträubte sich ihm. »Was? Sie nehmen
-es gar nicht! Sie bücken sich nicht nach meinen Saphiren!
-Sie zertreten &ndash; wehe, wehe geschrieen! meine Perlen, meine
-weißen Edelperlen, meine Zahlperlen aus Damaskus! Wie!
-Ihr stoßt gegen mich mit den Ellbogen? Ihr Undankbaren!
-Nehmt doch, gute, edle Herren, schöne Frauen,
-nehmt: &ndash; wenn nicht für euch &ndash; aus Barmherzigkeit
-gegen mich, daß ich kann ausrechnen morgen vor dem
-Zimmermannssohn, &ndash; ach nein, vor dem Sohn Gottes,
-dem Messias! &ndash; gegen kleinen Wucher großmächtige Wohlthätigkeit
-und abziehen von meinem armen winzigen Betrug
-zu Frankfurt dieses unsinnig reiche Almosen. Ach wehe!
-Sie hören gar nicht auf mich! Sie lassen's liegen &ndash; im
-Kot! O Christus, ich kann doch nicht dafür, daß sie nicht
-wollen? Ich habe <em class="gesperrt">gewollt</em> &ndash; Gutes thun.« Da brach
-er ohnmächtig auf das Gesicht nieder, Geifer und Schaum
-standen ihm vor dem Munde.</p>
-
-<p>Die tobende Menge, die sein kaum geachtet hatte, würde
-ihn zertreten haben: aber da warf sich, aus dem Hofthor<span class="pagenum"><a id="Seite_186">[186]</a></span>
-hervoreilend, in den dichtesten Haufen eine hohe Gestalt in
-dunklem Gewand: furchtlos sprang sie unter die Rasenden,
-ergriff mit beiden Armen des Bewußtlosen Haupt und zog
-ihn &ndash; ihn aufzuheben vermochte sie nicht &ndash; quer über
-den Platz und durch das Hofthor, das sie sorgfältig hinter
-ihm verschloß. Sie besprengte seine heißen pochenden
-Schläfe mit Wasser aus dem nahen Brunnentrog: da
-schlug er die Augen auf.</p>
-
-<p>»Er lebt!« frohlockte die alte Frau. »Er lebt, mein
-Isaak, meines Manasse Blut! Gott meiner Väter, ich danke
-dir: deine Gnade währet ewiglich! &ndash; Zwar wie wird er
-rasen übermorgen, wann er sieht, die Welt, Jehovahs weises
-Werk, ist nicht untergegangen &ndash; denn ich habe nachgelesen
-in den Rollen und kann es nicht finden darin und kann
-es nicht glauben! &ndash; und er hat geworfen all sein Geld
-und Gut auf die Straße! Er wird verfluchen sich und
-Gott und die Welt, und mich wird er schlagen, grausam
-schlagen! Aber! &ndash; nun ist er eingeschlafen! &ndash; wie schwer
-er atmet! &ndash; aber verzweifle nicht, mein armer Liebling.
-Nun ist es doch gut, daß die alte Mutter &ndash; wie hast du
-oft gescholten ihre Dummheit! &ndash; dir nie hat aufgedeckt
-den großmächtigen Schatz, den dein Vater hat vergraben
-als Notpfennig tief unter dem alten Birnbaum im Wurzgärtlein!
-Das wird dich trösten in deiner Trübsal und
-du wirst streichen der alten Mutter Kinn, daß sie dich errettet
-von dem Bettel. Und wirst erkennen, daß es nichts
-ist mit dem Glauben der Christen und daß sich geirrt hat
-der große Bischof in Rom und geirrt hat auch der gute
-Herr Bischof hier, als er ihm folgte. Und wirst einsehen,
-daß da ist kein anderer Gott als der Gott deiner Väter,
-Jehovah ist sein Name, der hat über dich gebracht, wie
-einst über Hiob, diese Prüfung zu deiner Läuterung. Verloren
-hast du viel Geld, aber zurückgewinnen wirst du<span class="pagenum"><a id="Seite_187">[187]</a></span>
-deinen Glauben. Und wirst thun nach dem Rat deiner
-alten Mutter und abschütteln von deinen Schuhen den
-Staub dieses Landes, wo wir doch immer, ob wir nun
-verleugnen unsern Glauben oder ihn bekennen, werden
-bleiben Fremdlinge und Verachtete, in diesem wilden Volk
-der Gojim, der Waffengewalt, und wirst nehmen den Wanderstab
-und wirst mit mir wandern an den Jordan, wo die
-Palmen rauschen, und wirst begraben mit frommen Händen
-deine alte Mutter am Jordan unter rauschenden Palmen.«</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Als bald darauf Fulko und Blandinus &ndash; denn der
-war in den Waffendienst Herrn Heinrichs getreten &ndash; mit
-einer Schar von bischöflichen Reisigen erschienen, die rasende
-Menge auseinandertrieben, und das Feuer, das bereits das
-Holzkreuz ergriffen hatte und den Kornhof schwer bedrohte,
-löschten, da vernahmen sie aus den geschlossenen Läden des
-Judenhauses einen leisen eintönigen Gesang. Sie verstanden
-die hebräischen Worte nicht: allein sie lauschten,
-tief ergriffen, dieser eigenartigen fremdartigen feierlichen
-Weise; der Sinn der Worte aber war:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Ich halte treu an meinem Gott:<br /></span>
-<span class="i0">Drum leid' ich von den Heiden Spott.<br /></span>
-<span class="i0">Jedoch aus Spott und Herzeleid<br /></span>
-<span class="i0">Löst mich der Herr zu rechter Zeit.<br /></span>
-<span class="i0">Ich bau auf dich, Herr Zebaoth,<br /></span>
-<span class="i0">Mein Gott ist stark, mein Gott ist groß<br /></span>
-<span class="i0">Und süß ruht sich's in Abrams Schos.«<br /></span>
-</div></div>
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_188">[188]</a></span></p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>X.</h3>
-
-<p>Die Sonne dieses Tages neigte sich zur Rüste, die
-Wipfel der Buchen des Königswaldes wunderschön vergoldend.</p>
-
-<p>In tiefster Erregung durchschritt der Bischof nach Erledigung
-aller geistlichen und weltlichen Geschäfte &ndash; auch
-in den Nächten hatte er zuletzt nicht mehr geschlafen &ndash;
-lange den geräumigen Büchersaal.</p>
-
-<p>Ein blaues Wölklein von gar süßem Geruch schwebte
-kreiselnd durch den Saal und verzog sich langsam durch
-das offene Fenster: neben dem mit Urkunden hoch bedeckten
-Schreibtisch ruhte auf hohem Erzgestell ein zierlich gearbeitetes
-Kohlenbecken, in welchem auf rotglühenden Kohlen
-Weihrauch glimmte: der Bischof hatte befohlen, denselben
-für den Abendgottesdienst bereit zu stellen.</p>
-
-<p>Oft und oft ließ er im Wandeln den Blick durch das
-Fenster auf den freien Platz, auf den Strom, die Brücke,
-die ragende Feste und die Hügelkette im Westen schweifen.</p>
-
-<p>»Wie schön war sie doch, diese Welt, welche morgen
-in Flammen aufgeht!« Er seufzte tief: dann schloß er
-fromm: »aber nicht mein Wille, &ndash; dein Wille, o Herr,
-geschehe!«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Supfo trat ein, offenbar, jemand zu melden.</p>
-
-<p>Rasch schritt Herr Heinrich auf ihn zu: »Berengar, &ndash;
-nicht wahr?« Der Alte schüttelte schweigend den Kopf.
-»Oder doch Nachricht von ihm? Auch nicht! Einer meiner
-Boten &ndash; es ist der vierte, den ich nach ihm ausgesandt
-…?« &ndash; »Ritt eben ein; aber er hat Berengar
-sowenig gefunden, wie seine drei Vorgänger. Kein Mensch
-weiß, wohin die Söldner, in deren Lager er gesucht werden
-sollte, sich gewandt haben.« »Es ist auch gleichgültig,«<span class="pagenum"><a id="Seite_189">[189]</a></span>
-sprach der Bischof vor sich hin. »Ich wollte nur, er sollte
-wissen, daß mich der ganze Plan … Was willst du
-aber, Supfo? Du blickst so ernst &ndash; wie ich es kaum
-je an dir gesehen. Fängst du doch endlich auch an, des
-Gerichtes zu gedenken? Es ist wahrlich an der Zeit.«
-Aber Supfo schüttelte noch stärker als zuvor das Haupt
-und sprach: »Ich melde Besuch, Herr Hezilo.«</p>
-
-<p>»Habe jetzt nicht Zeit für Besuch und Unterhaltung.«
-&ndash; »Wird nicht sehr unterhaltend werden, rat' ich.« &ndash;
-»Wer ist's?« &ndash; »Eine Frau. Bittet um eine Unterredung.«
-&ndash; »Nein doch. Soll anderwärts Unterredung
-suchen. Oder vielmehr, sie soll gar nicht Unterredung
-suchen, sondern nachdenken über das nahende Ende.« &ndash;
-»Gerade darüber will sie mit Euch reden.« &ndash; »Ah, sich
-trösten lassen? Soll <span id="corr189">nachher</span> in die Abendpredigt kommen.
-Oder in die Mitternachtsmesse, wie die andern auch. Soll
-sich geistlich vorbereiten.«</p>
-
-<p>»Das eben will sie. Ihr <em class="gesperrt">müßt</em> sie hören, diese Frau:
-sie will Euch beichten.« &ndash; »Beichten! Dann freilich!
-Führe sie herein! &ndash; Kennst du sie?« Der Alte hatte
-die Frage wohl nicht verstanden; gar eilig war er hinausgehumpelt.
-Noch einen friedlosen Gang durch das Gemach:
-»Beichte hören! Andrer Sünden würdigen …
-im Namen des Heilands den Reuigen, den Büßenden vergeben!
-Und ich? Ich selbst! Wer verzeiht <em class="gesperrt">mir</em> im
-Namen des Heilands meine Erinnerungen, &ndash; die ich nie
-gebeichtet, weil ich sie nicht für Sünde hielt, und die mich
-auch jetzt noch nicht loslassen? Wer verzeiht mir die
-unbereute&nbsp;…?«</p>
-
-<p>Er brach ab, &ndash; mitten im Schritt &ndash; mitten im
-Wort.</p>
-
-<p>Er erschrak: er schlug hastig ein Kreuz: denn er glaubte,
-sie zu erkennen, die Frauengestalt, die ganz geräuschlos über<span class="pagenum"><a id="Seite_190">[190]</a></span>
-die Schwelle geglitten war, hart an der Thüre stehen blieb
-und nun den langfaltigen dunklen Schleier zurückschlug.
-»Hilf, Sankt Kilian!« flüsterte er, während ihm das Blut
-heiß vom Herzen in die Wangen schoß. »Es ist ein Blendwerk
-des Versuchers. Ach, gut kennt er die Schwäche
-meines …« &ndash; Lauter sprach er nun: »Es ist ja nicht
-möglich!« &ndash; »Doch. Es ist. Ich bin Heilfriede.« Unsagbarer
-Wohllaut klang aus dieser sanften, lieblichen
-Stimme, die wie aus dem Mund einer Verklärten zu
-tönen schien. Etwas Verschleiertes, Verhülltes, wie ein stets
-im Verborgenen gehütetes Heiligtum lag in der Stimme.
-Und verschleiert auch war der Blick dieser sanften, lieblichen
-Augen von mattem Blau unter langen, langen blonden
-Wimpern: nicht traurig war der Blick, aber so friedlich,
-so wehmutvoll befriedet, so weltentrückt!</p>
-
-<p>In das lichtblonde, leicht gewellte Haar hatte das
-häufige Silberweiß nicht das Alter gestreut: die zarte Frau
-hatte offenbar das vierzigste Jahr noch nicht erreicht: diese
-blassen, weich gerundeten Wangen waren so jugendlich:
-nur gar so bleich, so farblos, so nonnenhaft! Der Zug
-der Augenbrauen war kaum sichtbar angedeutet durch einen
-Halbkreis von Blond: aber die sanfte Weichheit dieses
-Antlitzes ward auch von dem bloßen Anschein der Schwäche
-weit ferngehalten durch den Ausdruck des kleinen, fein geschnittenen,
-aber festgeschlossenen Mundes, der Willenskraft
-und lang geübte Willensmeisterung bekundete. Wie sie so
-dastand, die schmächtige, nur mittelgroße, zarte Gestalt
-in dem grauschwarzen Schleier, im dunkelveilchenfarbenen
-Mantel, der das Untergewand völlig verhüllte, glich sie
-einem stummen, wunderschönen, seelenbeschwichtenden Heiligenbilde.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Herr Heinrich war regungslos stehen geblieben, weit von
-ihr: er lag völlig unter dem Banne des von ihr ausstrahlenden<span class="pagenum"><a id="Seite_191">[191]</a></span>
-Zaubers, dieser rührenden Sanftmut, dieser stillen
-Ergebung, dieser heilig verklärten Anmut. Lange, lange
-schauten sich die beiden sprachlos an: sie fanden keine
-Worte: vor tiefem stillem Weh oder war's vor geheimer
-Wonne?</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>XI.</h3>
-
-<p>Endlich that Herr Heinrich, fortgerissen von der Gewalt
-des Gefühls, einen raschen Schritt ihr entgegen: er
-hatte ihr die ausgestreckte Hand hinreichen wollen. Allein
-mitten in der Bewegung hielt er inne: er ließ den rechten
-Arm schlaff herabfallen. »Frau Gräfin …!« brachte
-er nun leise hervor, kalt, beinahe feindlich. Grimm und
-Erbitterung malten sich auf seinen durchgeisteten, von
-Schmerz durchzuckten Zügen: er furchte finster die gewaltige
-Stirne.</p>
-
-<p>Jedoch wie er nun in die sanften Augen der stillen
-blassen Frau einen feuchten Schimmer treten sah, der sie
-noch schöner und noch viel rührender machte, &ndash; da versagte
-ihm die Kraft, zu zürnen und in ganz anderem Tone
-fuhr er traurig, tief aufseufzend, fort: »Ach wie lang ist's
-her, daß wir uns nicht gesehen!« &ndash; »Fünfzehn Jahre.«
-&ndash; »Das ist lang.« &ndash; »Ja. Denn es ist das ganze
-Leben.« Gegen den Ton dieser Stimme &ndash; Herrn Heinrichs
-Jugend klang daraus hervor! &ndash; gab es nicht Trotz,
-nicht Groll, nicht Widerstreben. Er wies mit der Hand
-auf den erhöhten Platz an der Wand unter dem dunkelroten
-Baldachin. Aber die Frau blieb an der Thüre stehen;
-sie sprach nicht. So mußte er aufs neue beginnen. Und
-das war so schwer! &ndash; Milder hob er an: »Was …?<span class="pagenum"><a id="Seite_192">[192]</a></span>
-Was führt Euch zu Heinrich von Rothenburg?« Da richtete
-sie die Augen fest auf ihn und sprach mit Nachdruck:
-»Zu dem Bischof sendet mich mein Gemahl.« Jäh fuhr
-Herr Heinrich zurück: »Ah so! &ndash; Freilich! Ich hätte
-mir es denken können!« schloß er herb.</p>
-
-<p>»Gewiß! Ihr konntet nicht annehmen, ich suche Euch
-gegen, ohne meines Gatten Willen.« &ndash; »Es hieß …
-man ließ mir sagen … Ihr wolltet beichten?« &ndash; »Ich
-will beichten. <em class="gesperrt">Euch</em> will ich, muß ich beichten, keinem
-andern. Das sagte ich meinem Mann; und dazu schickt
-er mich.« Der Bischof war aufs höchste überrascht: aber
-er wollte es um keinen Preis verraten; kühl erwiderte er,
-leicht die Achsel zuckend: »Seine Pflicht! &ndash; Christenpflicht!«
-&ndash; »Mich zu <em class="gesperrt">Euch</em> als Beichtiger ziehen zu lassen, zu
-<em class="gesperrt">schicken</em>? &ndash; Nein, das verlangte keine Pflicht von ihm.«
-Herr Heinrich entgegnete nicht. Er strich nur einmal langsam
-mit der umgewandten linken Hand über die stolze
-Braue: »So beginnet,« sprach er tonlos.</p>
-
-<p>»Ich beginne damit, zu gestehen, daß ich mir gerade
-<em class="gesperrt">Euch</em> als Beichtiger ausgesucht habe nicht nur meinetwillen,
-auch &ndash; ja mehr noch! &ndash; um Euretwillen. &ndash;
-Nein: die ganze Wahrheit muß gesagt sein: <em class="gesperrt">nur</em> um
-Euretwillen habe ich Euch zum Beichtiger ausgewählt und
-von meinem Mann erbeten.«</p>
-
-<p>Jetzt konnte Herr Heinrich sein Erstaunen nicht mehr
-verbergen: »Und auch das … das habt Ihr ihm gesagt?«
-&ndash; »Gewiß.« &ndash; »Und er hat …?« &ndash; »Er
-hat erwidert: ›Ja. Geh zu ihm. Sag' ihm alles. Alles,
-was du soeben <em class="gesperrt">mir</em> gesagt. Wenn etwas auf Erden ihm
-wohlthun kann und seine Seele retten …‹« »Graf
-Gerwalt soll für <em class="gesperrt">seine</em> Seele sorgen!« donnerte der
-Bischof sehr zornig. Aber ruhig schloß sie: »›… so wird
-es das sein.‹ Also sprach mein Mann.« &ndash; »Ich will<span class="pagenum"><a id="Seite_193">[193]</a></span>
-nicht hören, was mir Graf Gerwalt sagen läßt &ndash; durch
-Euch.« &ndash; Trotzig schritt er durch den Saal. Geduldig
-wandte die Frau das schmale Gesicht so, daß sie ihm
-überall hin folgen konnte mit den Augen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Nicht Er,« sprach sie ganz sanft, »meine Seele spricht
-&ndash; unter seiner Verstattung &ndash; zu Euch. Bald stehen wir
-&ndash; wie alle &ndash; vor dem Richterstuhl des Herrn. Ihr
-glaubt doch zweifelfrei daran? Sagt mir das offen, bevor
-ich weiterrede. Euch glaub' ich unbedingt darin, wie
-&ndash; wie in allen Stücken. Nur weil übermorgen <em class="gesperrt">doch</em>
-alles klar und offen wird zwischen Eurer Seele und der
-meinen &ndash; nur deshalb« … hier überflog die bleichen
-Wangen ein leiser Hauch von zartem Rot &ndash; »konnte ich
-mich soweit überwinden. Stehen wir übermorgen vor
-Gott? Sprecht: Ja oder Nein? Wenn Nein, bleibt
-meine Beichte ungebeichtet.« &ndash; »Ja. Habt Ihr nicht all
-meine Vorbereitungen in der Stadt gesehen?« &ndash; »Ich
-treffe soeben erst ein. &ndash; O Gott sei Dank für dieses:
-Ja!« Sie faltete die Hände und sah nach oben.</p>
-
-<p>»Ein betender Engel!« mußte der Bischof denken.
-»Aber welche Freude in diesen Zügen? &ndash; Ihr &ndash; ersehnt,
-so scheint's, den Tod?« &ndash; »Von ganzer Seele!«
-&ndash; »Lange schon?« &ndash; »Seit … seit vielen Jahren.«
-&ndash; »Und die drohenden Schrecken des Weltbrands?« &ndash;
-»Ich fürchte sie nicht. Ich segne sie. Sie allein haben
-mir diese Stunde gebracht. Das Wort der Erlösung &ndash;
-ach! nicht nur für mich &ndash; so selbstisch bin ich nicht! &ndash;
-für <em class="gesperrt">Euch</em> &ndash;&nbsp;&ndash; von bittrem Leid.«</p>
-
-<p>Vornehm richtete er sich auf zu seiner ganzen Höhe:
-»Wer sagt Euch,« fragte er stolz, »daß ich leide oder litt?«
-Sie wollte ein rasches Wort erwidern: aber sie erschrak
-über ihr eigenes Wort, faßte sich und verbesserte sanft:
-»Oder doch von bittrem Groll. Leugnet Ihr auch den?«<span class="pagenum"><a id="Seite_194">[194]</a></span>
-»Nein, das wäre gelogen!« lachte er grimmig. »Bin
-kein Erzengel, nur ein Mensch, ein Mann. Und bin's
-geblieben, auch als ich Priester und Bischof ward.« &ndash;
-»Nun seht, Herr Bischof, daß Ihr <em class="gesperrt">nicht</em> mit der schweren
-Todsünde dieses Hasses, dieses unversöhnten Grolles auf
-der Seele vor den allwissenden Richter tretet, deshalb, o
-glaubt es mir, Herr Bischof Heinrich, &ndash; <em class="gesperrt">nur</em> deshalb
-steh ich hier: hört es: nur Eure Seele zu retten.«</p>
-
-<p>Er schüttelte finster den Kopf: »Das ist keine Beichte.
-Habt <em class="gesperrt">Ihr</em> keine Schuld auf der Seele?«</p>
-
-<p>Aber ohne auf die Frage zu achten, fuhr die Frau in
-wachsendem Eifer fort: »Diese Sorge, diese Angst um
-Euch hat mich ergriffen von dem Tag an, da ich das
-nahende Ende erfuhr: diese Qual um Euer ewig Heil hat
-mich rastlos umgetrieben Nacht und Tag. Sie hat mich
-&ndash; ich bin sonst scheu, wie Ihr vielleicht noch wißt, Herr
-Heinrich! &ndash; fortgetragen über alle Bedenken &ndash; hierher
-zu Euch getragen &ndash; wie auf Flügeln: die Sorge, die
-heiße … Sorge um <em class="gesperrt">Euch</em>. Beichten konnte ich, nachdem
-ich meinem <em class="gesperrt">Manne</em> gebeichtet &ndash; <em class="gesperrt">das</em> war nicht
-leicht! &ndash; jedem Priester. Aber <em class="gesperrt">diese</em> Beichte, die ich
-<em class="gesperrt">Euch</em> anvertraue &ndash; o Gott! &ndash; sie soll ja nicht, wie
-Beichte sonst, der Beichtenden Seele retten, &ndash; sondern die
-<em class="gesperrt">Eure</em>! Euch retten und erlösen &ndash; bevor der Richter
-richtet! &ndash; von dem dumpfen Haß und bitteren Groll gegen
-meinen Mann und &ndash; ach! &ndash; gegen mich!« Rasch machte
-sie einige Schritte &ndash; dann sank sie unter Thränen auf
-den vorher abgelehnten Sitz.</p>
-
-<p>Auch er war tief, mächtig bewegt: die edle Empfindung
-dieser reinen Frauenseele hatte ihn erschüttert. Er
-trat dicht vor sie hin, schaute scharf auf sie herab und hielt
-seine beiden zuckenden Hände fest ineinander geschlossen:
-»Graf Gerwalt zu hassen, ihm zu grollen, &ndash; prüf' ich<span class="pagenum"><a id="Seite_195">[195]</a></span>
-mich &ndash; als Christ &ndash; im Angesicht des nahen Todes &ndash;
-dazu hab' ich kein Recht. Wir streiten uns um Zoll und
-Brückengeld, &ndash; um Grafenbann und Bischofsrecht: &ndash; wir
-sind beide aus recht hartem Holz &ndash; da setzt es denn harte
-Stöße. Aber deshalb Haß und Groll? Nein! Er glaubt
-im Recht zu sein, wie ich. &ndash; Und … das andre?
-Das vor fünfzehn Jahren&nbsp;…?«</p>
-
-<p>Sie seufzte und zog den Schleier vor die Augen.</p>
-
-<p>»Beim Donnerstrahl, ich kann's <em class="gesperrt">ihm</em> nicht verdenken!
-Nicht Freunde waren wir: &ndash; nur Waffengenossen, Jagdgefährten,
-Bechergesellen &ndash; oder Nebenbuhler um Ruhm
-und Glanz und Lebensfreude. Daß er die schönste Jungfrau
-liebte, die wir &ndash; beide &ndash; jenseit und diesseit der
-Alpen &ndash; gesehen, daran that er recht. Und daß er ihre
-Hand nahm, als sie ihn vorzog, daran that er wahrlich
-nicht unrecht. Also &ndash; will ich &ndash; nur als Mann, gar
-nicht als Priester &ndash; fragen &ndash; also warum Haß und
-Groll gegen &ndash; <em class="gesperrt">ihn</em>?« &ndash; »Aber gegen <em class="gesperrt">mich</em>, nicht wahr?«
-Das brach aus ihrer Brust wie aus dem Felsen der Quell,
-wie aus dem Vulkan das Feuer &ndash; weil sie <em class="gesperrt">müssen</em>.</p>
-
-<p>»Ah!« Und mit herzzerreißendem Klageton schlug sie
-die Stirn gegen die Holzwand und bedeckte den Kopf mit
-den beiden durchsichtigen Händen.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>XII.</h3>
-
-<p>Aber diesmal erweichte sie ihn nicht, die rührende
-Stimme, den grimmen, seit langen Jahren verhärteten
-Groll des Mannes. Einen Augenblick noch blieb er vor
-ihr stehen mit festverschlungenen Händen: dann wandte er<span class="pagenum"><a id="Seite_196">[196]</a></span>
-sich jäh von ihr ab und stürmte in raschen Schritten &ndash;
-in abgebrochenen Sätzen redend &ndash; den Saal auf und
-nieder. »Kann es anders sein? &ndash; Bedenkt doch! &ndash;
-Ihr habt es wohl all vergessen &ndash; in diesen langen Jahren
-&ndash; an der Seite des schönen Gemahls? Ich nicht! Ich
-war nicht &ndash; abgezogen durch neues Liebesglück! &ndash; Merkt
-auf, ob ich's noch weiß. Und straft mich Lügen &ndash; gleich!
-&ndash; thu' ich Euch unrecht &ndash; nur mit Einem Wort.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Jahrelang kannten wir uns &ndash; am Hofe der Regentin
-… Ihr stets in der hohen Frau Geleit: &ndash; auch
-ich nur selten fern von ihr. Denn sie hielt viel auf Euch.
-Und auch &ndash; ein wenig &ndash; auf mich. Seit ich zuerst
-Euer Antlitz geschaut … &ndash; Genug! &ndash; Ihr merktet es
-bald &ndash; leugnet es nicht! &ndash; mußtet es merken! Und
-nach vielen Monden treuen Werbens &ndash; durft' ich annehmen
-&ndash; durft' ich wenigstens hoffen: … Frau Gräfin:
-sagt es offen, wenn es Einbildung eines eitlen jungen
-Thoren war. Durfte ich nicht hoffen &ndash; ich sei Euch nicht
-ganz … o wie sag' ich nur?«</p>
-
-<p>Er stand jetzt wieder dicht vor ihr.</p>
-
-<p>Da löste sie langsam die langen, schmalen Hände von
-dem Gesicht, wandte ihm voll das blasse Antlitz zu, schlug
-die Augen groß auf und sprach mit traurigem Blick: »Ja.
-Ihr durftet annehmen, ich liebe Euch. Denn es war die
-Wahrheit. Und ich konnte &ndash; Ja: mehr! Ich <em class="gesperrt">wollte</em>
-es auch nicht &ndash; weiter verbergen.«</p>
-
-<p>»Hei! Das gesteht Ihr also zu? Und doch, und
-doch, Verräterin, verraten und verlassen!«</p>
-
-<p>»O Herr Heinrich …!« &ndash; »Nun, beim Zorne
-Gottes, der uns morgen richtet! Ist das <em class="gesperrt">nicht</em> Verrat?
-Ihr liebtet mich, sagt Ihr? Seltsame Liebe! Sechs
-Wochen aus den Augen &ndash; für immer aus dem Sinn!«
-&ndash; »Herr Heinrich &ndash; war das Heilfriedens Art?« &ndash;<span class="pagenum"><a id="Seite_197">[197]</a></span>
-»Nein! Freilich nicht! Gewiß nicht! Ich hätte geeidet
-als Euer Eidhelfer und Euer Kämpfer &ndash; allein! &ndash; gegen
-eine Welt von Speeren: &ndash; ›Kein steter, kein verlässiger
-Herz hat je in Weibesbrust geschlagen.‹ Daher ja die
-Verzweiflung! Es war nicht nur der Schmerz um Euch:
-&ndash; nicht nur Euch, den Glauben an die ganze Menschheit
-hab' ich ja verloren. War mir doch bei der Kunde, als
-fielen alle Sterne vom Himmel: <em class="gesperrt">Dieses</em> herrliche Geschöpf
-&ndash; <em class="gesperrt">dieses!</em> &ndash; verhehlt mir nicht mehr ihre Liebe. Das
-war zu Ostern. Ich ziehe aus in der Regentin Dienst
-wider die Wenden. Ich wußte, kehrte ich siegreich zurück
-an den Hof nach Regensburg, &ndash; die Herzogswürde war
-mir zugedacht. Als Herzog wollt' ich um die Hand Heilfriedens
-werben. Zu Pfingsten bin ich, sieggekrönt, zurück
-und sie &ndash;&nbsp;&ndash; ist fort und des Grafen Gerwalt Weib.
-O pfui! Wie grenzenlos abscheulich!« Und er stürmte
-wieder durch den Saal.</p>
-
-<p>Matt sprach sie, kaum vernehmbar: »Ja. Fort war
-sie. &ndash; Und war des Grafen Gerwalt Weib. &ndash; Wißt Ihr
-auch, warum?« »Tod und Verderben!« fuhr er auf.
-»Welcher Hohn! Weil sie jetzt &ndash; war er doch auch jünger
-und schöner! &ndash; auf einmal den Grafen Gerwalt liebte!«
-Und er blieb wieder hart vor ihr stehen und schoß flammende
-Blitze auf sie herab. »Nein,« sagte sie ruhig und
-sah ihm voll und fest in die zornigen Augen. »Weil Kaiserin
-Theophano befahl.«</p>
-
-<p>Er taumelte zurück. »Wie? Was? … Und
-darum?«</p>
-
-<p>»O Herr Heinrich,« begann sie liebreich-sanft und beinah
-heiter in allem Weh. »Nein, Ihr seid wahrlich nie ein
-eitler Mann gewesen, der sich die Gunst der Frauen eingebildet
-hätte. Ihr sahet sie ja nicht an vielen von uns,
-als sie mit Händen zu greifen war. Und nun vollends<span class="pagenum"><a id="Seite_198">[198]</a></span>
-<em class="gesperrt">Sie</em>! Ihr allein merktet nicht, was der ganze Hof wußte.«
-&ndash; »Aber was denn? Was?« &ndash; »Die Kaiserwitwe
-Theophano &ndash; die wunderschöne Griechin &ndash; verwitwet im
-sechsundzwanzigsten Jahre &ndash; die herrliche, glühende Frau
-&ndash; sie hat Euch geliebt aus aller Macht ihres Wesens.«</p>
-
-<p>»Die Kaiserin? Unmöglich!«</p>
-
-<p>»Und die schöne, stolze, heiße Frau in ihren blauschwarzen
-diademgleichen Flechten,« fuhr sie ruhig fort,
-»sie entdeckte, der Graf von Rothenburg, der von so vielen
-geliebte Held, zeichne vor allen Frauen und Jungfrauen
-des Hofes aus das schlichte blonde, arme Edelfräulein von
-der Heide, aus dem Lande der Westfalen. Sie konnt' es
-nicht begreifen. Sie hatte recht: denn ich begriff auch
-nicht, warum? Und deshalb &ndash; so dachte sie wohl &ndash;
-achtet er gar der Frau Kaiserin nicht und sieht nicht ihre
-brennende Liebe. Sie war meine Wohlthäterin, die Erzieherin
-meiner verwaisten Jugend. Sie ließ mich kommen,
-sie öffnete mir ihr Herz. ›Du mußt ihm aus den Augen,‹
-sprach sie, ›blondes Kind. Du mußt ihm unerreichbar
-werden. Dann &ndash; ist er mein. Du wirst nicht so selbstisch
-sein, ihm den Weg an meiner Seite &ndash; den sichern Weg
-zu höchstem Erdenglanz und Ruhm &ndash; zu versperren. Aber
-auch <em class="gesperrt">du</em> sollst nicht leiden. Behüte! Graf Gerwalt liebt
-dich, ich weiß es. Er ist ein schöner wackrer Mann, ein
-Held wie jener. Du wirst sein glücklich Weib. Heinrich
-aber &ndash; er wird wozu ihn Gott vorausbestimmt hat durch
-hohe Gaben &ndash;: Regent des deutschen und italischen Reiches
-und mein Gemahl.‹ Sie befahl. Ich gehorchte. Durft'
-ich, &ndash; ich armes Ding! &ndash; dem Aufflug des Adlers zur
-Sonne im Wege sein?« »Um Gottes willen!« schrie der
-Gequälte auf. »Geopfert um meinetwillen?« Und er
-warf sich leidenschaftlich vor ihr nieder auf die Kniee.</p>
-
-<p>Sofort sprang sie auf.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_199">[199]</a></span></p>
-
-<p>Weit trat sie weg von ihm zur Thüre.</p>
-
-<p>»Steht auf, Herr Bischof! Sofort: oder ich verlass'
-Euch.«</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>XIII.</h3>
-
-<p>Er stand schon wieder.</p>
-
-<p>Hochaufgerichtet stand er, die geballte rechte Faust auf
-die Tischplatte gestemmt, die flache Linke auf das wild
-pochende Herz gedrückt, glühendes Rot im Gesicht.</p>
-
-<p>»Verzeiht, Frau Gräfin … &ndash; nein: Heilfriede, vergieb,
-daß ich auf die Kniee sank! Ich bin's so sehr gewöhnt,
-vor Heiligen zu knieen. Und du &ndash; du <em class="gesperrt">bist</em> eine
-Heilige! &ndash; Und ich blinder, wildherziger Mann habe dich
-all diese Jahre … gehaßt? O nein! Ich konnte nicht!
-Aber verachten wollt' ich dich und deine Treulosigkeit. ›Die
-schöne Verräterin‹ nannte ich dich so gern in meinen
-schlummerlosen Nächten. Ach der Spruch:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">›Nicht Feuer und nicht Gift im Blut<br /></span>
-<span class="i0">Schmerzt wie verratne Liebe thut,‹&nbsp;&ndash;<br /></span>
-</div></div>
-
-<p class="noind">er war zu meinem Nachtgebet geworden. O dich verachten
-&ndash; diese Wollust that so bitter weh! Vergieb mir, Heilfriede!
-Kannst du mir vergeben?«</p>
-
-<p>Sie trat nun langsam von der Thüre wieder in die
-Mitte der Halle zurück. »Ich hab' mir's wohl gedacht,«
-erwiderte sie traurig. »Ihr kanntet mich doch nicht genug,
-an mich zu glauben auch gegen den Anschein. <em class="gesperrt">Ich</em>, Herr
-Heinrich, würde nie so an Euch gezweifelt haben.« &ndash;
-»O sprich, daß du mir verzeihst!« Sie lächelte wehmütig:
-&ndash; es ließ ihr unendlich schön. »Stände ich hier, wenn<span class="pagenum"><a id="Seite_200">[200]</a></span>
-ich Euch nicht vergäbe?« &ndash; »Dank!« &ndash; »Ist doch kaum
-etwas zu vergeben! Daß ein ungestümer Mann, gekränkt
-in seinem Stolz von einem Weibe, das ihn aufgab, diesem
-nicht gute Beweggründe beilegt, sondern Schwäche in seinen
-vorwurfsvollen Gedanken, &ndash; das ist wohl so der Lauf
-der Welt. Aber <em class="gesperrt">Ihr</em> ahnt nicht, was <em class="gesperrt">ich</em> empfand, als
-mich, statt der Nachricht Euerer Verlobung mit der Regentin,
-wie ein Donnerschlag die Kunde traf am fernen
-Rhein: ›Graf Heinrich von Rothenburg hat der Welt entsagt.‹
-Er!« Hier leuchteten die sonst so mattblickenden
-blauen Augen zum erstenmal auf in freudigem Stolz. »Der
-allerersten Helden des Reiches einer &ndash; mir &ndash; so lange
-Zeit! &ndash; der Erste! Er nahm die Weihen! Ward Priester!
-Umsonst, umsonst &ndash; so sagt' ich mir &ndash; habe ich mein
-Herz verleugnet, mein Leben geopfert, ihr und ihm. Weder
-die Herrin, vor der ich aus Dankbarkeit zurückstand, noch
-Er, dem ich den Weg zu kaiserlichem Glanze bahnen wollte,
-hat Vorteil davon! &ndash; Ach, in jenen Nächten ist mein
-Haar ergraut. Und ich sagte mir doch auch, welches Weh
-allein es sein konnte, das den heldenhaften Mann dahin
-getrieben, das siegvertraute, das geliebte Schwert sich abzugürten.«
-&ndash; »Ja, Heilfriede, auch <em class="gesperrt">das</em> that weh.«
-»O so vergebt <em class="gesperrt">Ihr</em> mir!« rief sie nun in überraschendem
-Ausbruch des Gefühls, »daß ich <em class="gesperrt">Euere</em> Liebe nicht als so
-stark erkannt, wie sie es war. Aber seht: darum ließ mir
-die Sorge um Eure Seele keine Ruhe! Sollten wir vor
-Gott treten &ndash; Ihr belastet mit diesem sündhaften, grundlosen
-Hasse gegen mich und ich ohne Eure Verzeihung,
-daß ich Eure Liebe unterschätzt? Alles, alles sagte ich
-meinem wackren Mann in diesen Tagen auf unserer Rückreise
-aus Welschland: alles! Und er ließ, ja er hieß mich
-dennoch zu Euch eilen.«</p>
-
-<p>»Ich dank' ihm! Sagt ihm das!« In rascher <span id="corr200">Aufwallung</span><span class="pagenum"><a id="Seite_201">[201]</a></span>
-des Edelgefühls kam das hervorgesprudelt. Zögernd
-fügte nun der jahrelang genährte Groll hinzu: »Das
-heißt: wenn ein Dankeswort von mir bei Graf Gerwalt
-gute Stätte findet.«</p>
-
-<p>»O Herr Heinrich! Ihr habt ihm noch viel, viel mehr
-zu danken!«&ndash; »Hei ja, gar manchen Span, Streit und
-Verdruß! Ein Glück, daß er, seit er diesen Gau erhalten,
-immer jenseit der Alpen weilte. Saß er da oben auf dem
-Marienberg und ich hier &ndash; es wäre wohl Blut geflossen.
-So hab' ich mich nur mit seinen Amtleuten herumzuzanken
-gehabt. Wo ist er? Wann folgt er Euch nach?« &ndash;
-»Heute Nacht oder morgen in aller Frühe. Er hat noch
-in seinem andern, im Rangau Geschäfte.«</p>
-
-<p>»Auch über diesen,« schalt der Bischof, »gab es immer
-Zank und Hader!« &ndash; »Gerade deshalb hat er …! Aber
-nein! Ihr würdet mir nicht glauben. Und bevor der
-Erfolg eintreten kann, stehen wir alle drei vor Gott. Dort
-&ndash; auf Wiedersehen, Herr Heinrich!« &ndash; »Heilfriede!
-Wohin?« &ndash; »Nach Haus' &ndash; in die Burg &ndash; so gebot
-mein Gemahl &ndash; ihn dort zu erwarten.« &ndash; »Gut! Gehorcht
-ihm. Aber noch eine Bitte &ndash; die letzte im Leben.«
-&ndash; »Sprecht!« &ndash; »Wann nun die letzten Dinge hereinbrechen
-&ndash; wann die Posaunen erdröhnen der Engel des
-Gerichts &ndash; dann, Heilfriede, laß uns die Ankunft des
-Herrn gemeinsam erwarten. Im Dom, am Hauptaltar,
-im Schutz aller heiligen Reliquien, versammle ich, lang
-vor Mitternacht, die Gemeinde um mich &ndash; so viel der
-Gläubigen die Kirche fassen mag. &ndash; O Heilfriede, in solch
-schirmender Umgebung, an solch heiliger Stätte erwarte
-auch du das Ende. Steige rechtzeitig herab von der
-Burg und&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Mein Gemahl ist bis dahin sicher hier. Gern wird
-er mit mir Euren frommen Vorschlag annehmen. Versöhnt,<span class="pagenum"><a id="Seite_202">[202]</a></span>
-befriedet, vereint, Hand in Hand wollen wir dann alle
-drei das Ende erwarten … &ndash; Und nun noch« &ndash; ihre
-Stimme zitterte &ndash; »Euren Segen, Herr Bischof!« Und
-sie beugte demütig vor ihm das bleiche Gesicht.</p>
-
-<p>Er aber winkte ihr abwehrend mit der Hand. »Wer
-bin ich, daß ich dich segne? Der Sünder die Heilige!
-Dich <em class="gesperrt">hat</em> der Herr gesegnet aus der Maßen. Selig
-sind, die reinen Herzens sind, denn ihrer … ach, <em class="gesperrt">dein</em>,
-Heilfriede, ist das Himmelreich!«</p>
-
-<p>Und der starke Mann brach laut aufschluchzend zusammen
-über dem Tisch. »Leb wohl! Auf Wiedersehen am Ende,
-Hezilo!« hauchte sie. »Heilfriede! Deine Hand! Nur
-deine Hand &ndash;« Er sprang stürmisch auf.</p>
-
-<p>Sie war verschwunden. Wieder lehnte er sich vorgebeugt,
-seiner selbst kaum mehr bewußt auf den Schreibtisch.</p>
-
-<p>Dabei streifte sein langfaltiger Ärmel eines der Pergamente,
-es glitt herab von der Tischplatte und fiel gerade
-auf das offene Becken der glühenden Kohlen.</p>
-
-<p>Hastig raffte er es auf, schon war es leicht angebrannt.</p>
-
-<p>»Kaiser Karls Verleihung!« rief er erschrocken. »Beinahe
-…! Nun, und <em class="gesperrt">wenn</em> sie verbrannte?« lächelte er.
-»Wie thöricht doch die Gewohnheit macht! Übermorgen
-verbrennt sie ja doch! Mit allem was sie mir &ndash; dem
-Bistum &ndash; schenkte. O du unselig Pergament! Durch
-deine zierlichen Buchstaben hat mich der Welsche bezaubert,
-durch dich hat er mich immer wieder angetrieben, wann
-ich nachgeben wollte. Zwar für Sankt Burchhards Recht …
-ach nein, nein, es ist ja all nicht wahr!</p>
-
-<p>Heinrich, gesteh' dir's doch endlich &ndash; an <em class="gesperrt">diesem</em>
-Tage &ndash; selber ein, dir und dem Allwissenden, den du
-ja doch nicht täuschen kannst, wie du dich selbst so lange,
-so gern getäuscht hast. Die Lust, Land und Leute zu beherrschen,<span class="pagenum"><a id="Seite_203">[203]</a></span>
-gegen <em class="gesperrt">ihren</em> Gatten &ndash; lauter Sünde hat dich
-dabei getrieben! Unheilsurkunde! Hätt' ich dich doch nie
-entdeckt! Wärst du doch verbrannt mit allen andern damals
-vor vielen Jahren! Oder jetzt verbrannt &ndash; in diesen
-Kohlen, &ndash; eh' ich dich nochmal sehen mußte!</p>
-
-<p>Dämonisches Geschreibsel!« Zornig zerknitterte er es
-in der Rechten. »Wieviel Sünde hast du in mir angerichtet!
-Ich hasse dich, ich verfluche dich &ndash; nicht erst übermorgen
-&ndash; gleich sollst du verbrennen! Durch <em class="gesperrt">meinen</em>
-Willen! Durch <em class="gesperrt">meine</em> Hand! Und so wie ich dich zerstöre,
-so thu' ich von mir &ndash; zu Ehren jener bleichen
-Heiligen &ndash; allen Haß gegen Gerwalt und jedes &ndash; jedes!
-&ndash; sündige Verlangen!«</p>
-
-<p>Und in fiebernder Erregung, seiner Sinne nicht mehr
-mächtig, riß er das zähe Pergament mit den beiden starken
-Händen mitten durch und warf die beiden länglichen Streifen
-in die glühenden Kohlen.</p>
-
-<p>Hoch loderte sofort die helle Flamme auf. Mit seltsamer
-Lust sah er das noch: dann stürzte er besinnungslos,
-ohnmächtig auf den Estrich nieder.</p>
-
-<p>So fand ihn Supfo, der den schweren Fall gehört hatte
-und besorgt herbeieilte.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_204">[204]</a></span></p>
-
-<h2 id="Fuenftes_Buch">Fünftes Buch.</h2>
-</div>
-
-<h3>I.</h3>
-
-<p>Der furchtbare Tag war angebrochen und nahezu abgelaufen
-ohne irgendwelche Störung der Ruhe in der
-Stadt.</p>
-
-<p>Das war bei der gewaltigen Aufregung aller Gemüter
-nur den weisen und kräftigen Anordnungen zu danken, die
-der Bischof schon lange für diese bangen Stunden vorbereitet
-und nun ins Werk gesetzt hatte. Unter Supfos
-treuer Pflege &ndash; er hatte dabei des Steinweins nicht gespart!
-&ndash; erholte sich die starke Natur Herrn Heinrichs
-bald von der Betäubung, in welche ihn der rasche Wechsel
-so mannigfaltiger Erregungen gestürzt hatte; er begab sich
-noch am Abend zu rechter Zeit in den Dom und waltete
-dort seiner heiligen Pflichten.</p>
-
-<p>Nach durchwachter und durchbeteter Nacht schritt er in
-feierlichem Aufzug, gefolgt von seiner ganzen Priesterschaft
-und allem Volk, durch die Straßen, zum letztenmal Gott
-zu danken, seine Gnade und die Fürbitte der Heiligen anzurufen.
-Zwar ward gemeldet, daß räuberische Bauern
-auch an diesem Tage selbst noch sich ziemlich nahe der
-Stadt gezeigt hätten: &ndash; aber auch hiergegen hatte Herr
-Heinrich wachsame Vorkehrung getroffen auf den Warttürmen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_205">[205]</a></span></p>
-
-<p>So war der wunderschöne Sommertag friedlich, feierlich,
-erwartungsvoll hingegangen.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Nun deckten bereits blaue Schatten die fernen, waldigen
-Höhen an dem Oberlaufe des Flusses, während in der
-Stadt auf den Türmen im Umkreis der Mauern die roten
-Pechpfannen der Türmer glühten; auch stromabwärts glomm
-hier und da ein Licht aus den auf den beiden Ufern verstreuten
-Höfen: die Leute wachten in bangem Gebet die
-Mitternacht heran.</p>
-
-<p>Schon damals setzte sich wie heute auf dem rechten
-Mainufer die von Süden herziehende große Heerstraße
-unterhalb der Stadt gen Norden hin fort: im Osten stieß
-sie dicht an die mit Reben bepflanzten Anhöhen; aber links,
-gegen den Fluß hin, erstreckten sich in jener Zeit noch
-Wiesen und Buschwerk.</p>
-
-<p>Wonnesam ist und berauschend die laue Mittsommernacht
-zu Würzburg und, wie des Lenzes in jenem gesegneten
-Mainthal, wird, wer je dort einer Mittsommernacht
-genoß, ihrer dankbar gedenken.</p>
-
-<p>Und diese Nacht, welche da als die letzte ihren weichen
-dunklen Schleier werfen sollte auf die Erde, &ndash; diese
-Nacht war wunderbar vor den andern vieler Jahre!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Der Mond stand nahezu voll am Himmel: von den
-Osthöhen aufschwebend warf er sein bleiches Licht zauberhaft
-auf den Fluß, auf die ragenden Mauern der Burg
-im Westen; leichtes fast durchsichtiges Gewölk, von rötlich
-gelben Rändern umsäumt, zog manchmal, vom lauen Südwest
-getragen, über die leuchtende Scheibe, durch solchen
-Wechsel des vollen und des gedämpften Lichts den Reiz
-geheimnisvoll erhöhend.</p>
-
-<p>Jener weiche, warme Südwest &ndash; hauchend, als wär'<span class="pagenum"><a id="Seite_206">[206]</a></span>
-es Atmen des Himmels &ndash; führte auf seinen leisen Schwingen
-den wunderbaren, den süß berauschenden, den entzückenden
-Duft der Rebenblüte von den Weingärten des Burgbergs,
-zumal der Burgleiste über den Fluß nach Nordosten. &ndash;
-Zur Sonnwend gerade stehen dort die Reben in voller
-Blust und ihr Duft ist keinem auf Erden vergleichbar!
-Es ist eitel Poesie, süße, feurige, heiße Liebeslust atmende
-Poesie, was die trunkenen Sinne da einschlürfen in einer
-Berauschung, viel feiner und beseligender als im Trunk des
-Rebensaftes selbst.</p>
-
-<p>Durch jenes Strauchwerk an der Straße und über die
-Wiesen hin flogen Leuchtkäfer in reicher Menge, mit ihrem
-grünlichen Licht das Phantastische, Ahnungsvolle dieser
-halbdunkeln Stunden noch steigernd.</p>
-
-<p>Das Buschwerk aber bestand zum größten Teil aus
-wilden Rosen, die so schön, so starkstämmig, so zahlreich
-wie dort im sonnigen Mainthal wohl nirgend mehr gedeihen
-auf deutscher Erde.</p>
-
-<p>Vielfach hatten zwar die Rosen schon abgeblüht: aber
-der überaus warme und doch feuchte Sommer hatte an
-vielen Büschen eine zweite Blüte hervorgelockt: und der
-honigduftende süße Hauch der Wildrose mischte sich hier mit
-dem feineren herberen der Rebe.</p>
-
-<p>Und in den Rosenbüschen schlugen und schmetterten ihr
-feurig Lied ungezählte Nachtigallen! So laut, so lustheiß,
-so jauchzend in beglücktem Minnewerben! So stark, wie
-noch in keiner Nacht dieses Sommers! Es war, als ahnten
-die klugen Vögelein, die zwar an den Untergang der Welt
-nicht glaubten, daß sie nun bald verstummen mußten für
-ein Jahr: und als wollten sie noch einmal aus vollster
-Kraft den Wonnejubel der Liebe hinausschmettern in die
-blaue, die leise atmende Nacht!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>All das: das silberne Mondlicht &ndash; der laue Wind<span class="pagenum"><a id="Seite_207">[207]</a></span>
-&ndash; der Reben- und Rosenduft &ndash; das heiße, brünstige Lied
-der Nachtigall &ndash; wirkte zusammen zu einer süßen, weichen
-lustvollen Berauschung der Sinne und der Seele.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>II.</h3>
-
-<p>Der Zauber dieser Stunde befing wohl auch den einsamen
-Reiter, der aus dem äußersten flußabwärts vorgeschobenen
-Blockhaus der Pfahlbefestigung in raschem Trabe
-gegen die Stadt geritten kam.</p>
-
-<p>Er hatte den Helm abgenommen und ließ die laue
-kosende Nachtluft, den schmeichlerischen Wind, der ihm entgegenkam,
-frei durch seine dunkeln Locken streichen. Er
-hielt nun das schwarze Roß an, sprang ab und führte es
-am Zügel: »Still, Orco, tritt sacht auf! Sie dürfen uns
-nicht kommen hören, die frommen Frauen, sonst …! &ndash;
-Ich hielt es nicht mehr aus! Ich mußte! Es riß mich
-fort so unwiderstehlich &ndash; wie dort der heiße Sang dem
-kleinen Vöglein aus der Seele bricht. Diese Nacht! Nie
-sah ich ihresgleichen! Du mußt &ndash; du mußt mein werden
-vor dem Ende. Magst du wollen oder nicht! Aber
-du wirst wollen: &ndash; wollen <em class="gesperrt">müssen</em>! &ndash; denn du liebst
-mich! Wie lautete doch das Lied, das ich gestern auf
-diese Nacht, auf diese Stunde gedichtet?</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Morgen um die zwölfte Stund',<br /></span>
-<span class="i0">Heia, geht die Welt zu Grund!<br /></span>
-<span class="i0">Doch nicht eh' bis Minnegard &ndash;<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Leib und Seel'! &ndash; mein eigen ward! &ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Diese Nacht,<br /></span>
-<span class="i0">Wann Hut und Wacht<br /></span><span class="pagenum"><a id="Seite_208">[208]</a></span>
-<span class="i0">Liegt in Betgeheul und Jammer,<br /></span>
-<span class="i0">Dann erbrech ich deine Kammer:<br /></span>
-<span class="i0">Magst erglühen, magst erblassen,&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Eher nicht will ich dich lassen<br /></span>
-<span class="i0">Bis du mein!<br /></span>
-<span class="i0">Dann brich herein,<br /></span>
-<span class="i0">Ew'ge Pein!<br /></span>
-<span class="i0">Wirft von deinem roten Mund<br /></span>
-<span class="i0">Gott mich in der Hölle Schlund:<br /></span>
-<span class="i0">Du warst doch mein!<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Aber der liebe Gott wird's selber einsehen, daß ich
-nicht anders konnte. Was hat er sie so schön geschaffen
-und mich so heiß? Und ich hätte ja ganz gern des
-Bischofs Segen dazu erbeten, wenn … Aber halt! Was
-ist das? Wer kommt da mir entgegen? Eine dunkle
-Gestalt &ndash; ein Weib &ndash; ganz allein &ndash; heute! in dieser
-Stunde! &ndash; Sie winkt mit der Hand. Bei Sankt Martin
-zu Tours! Wahrhaftig &ndash; sie ist's! sie selbst. &ndash; Minnegardis!«
-»Fulko!« schallte es zurück. Und er eilte ihr
-entgegen, das Tier nach sich ziehend. Hell trat der Mond
-aus Gewölk, da sie sich erreichten. »Geliebte! Du &ndash;
-hier?« rief er und faßte ihre beiden Hände. »Wen suchst
-du?« &ndash; »Dich!« &ndash; »Aber wie konntest du …?« &ndash;
-»Ich ahnte, du würdest, <em class="gesperrt">müßtest</em> kommen in der letzten
-Stunde der Welt. Ach, ich wußte es!«</p>
-
-<p>»Woher?« &ndash; »Aus meinem eignen Herzen und Verlangen!
-Ich erfuhr, du hast Wache in dem Blockhaus da
-unten. Da wußte ich, du würdest versuchen, mit List oder
-Gewalt zu mir zu dringen, in meine Kemenate bei den
-Religiosen. Aber ich wußte auch, es könne dir nicht gelingen.«
-&ndash; »Ich bin auf dem Weg und mein Schwert …«
-&ndash; »Wäre nicht nötig gewesen. Ich erwartete dich und
-hätte dir den Laden der Kemenate selbst geöffnet.« &ndash;
-»Nun also!« &ndash; »Aber ich sollte ja fort! Der Bischof<span class="pagenum"><a id="Seite_209">[209]</a></span>
-ließ mir sagen, er werde mich noch vor der zehnten Stunde
-durch die Runde der Wachen abholen lassen in den Dom.
-Dreißig Speeren konntest du mich nicht entreißen! Und
-darum &ndash; o ich sollte wohl vor Scham vergehen! &ndash;
-darum, weil du nicht zu mir dringen konntest &ndash; deshalb,
-du geliebter Mann, kam ich zu dir! Drang ich, flog ich
-dir entgegen. Denn, wisse das, du heiß Begehrter: ich
-liebe dich über alle Maßen. Und nicht sterben will ich,
-bevor du das erfahren und gefühlt. Ich muß, ich muß!
-Es reißt mich dir entgegen mit unbezwinglicher Gewalt,
-so notwendig wie hier die Rose duftet, dort das Vöglein
-singt. Dein will ich sein und dir gehören &ndash; unscheidbar
-Eins in Ewigkeit. Und wird &ndash; wie sie lehren &ndash; in
-der Ewigkeit nicht geküßt und gefreit, &ndash; so will ich dich
-küssen und kosen in der letzten Stunde, da die Welt noch
-steht. Will mich der gütige Himmelsherr drum strafen, &ndash;
-&ndash; so mag er's thun. Ich aber thu', was ich nicht lassen
-kann. Ich kam, um dein zu werden, ach nur im Tod:
-nicht mit dir zu leben, nur mit dir zu sterben. Ich liebe
-dich, komm an dies Herz und fühl's, wie ich dich liebe.«
-Und weit öffnete sie beide Arme und stürmisch umschlang
-er sie. Und er küßte sie, daß ihr der Atem verging.
-»Komm,« &ndash; flüsterte er dann &ndash; »hier auf der offenen
-Heerstraße &ndash; man wird dich vermissen &ndash; suchen&nbsp;…«</p>
-
-<p>Ein leichter Sprung und sie waren westlich von der
-Straße im dichten Gebüsch: &ndash; das kluge Roß sprang
-hinterdrein: &ndash; er schlang den Zügel um den nächsten
-Baum: »Nun, treuer Orco, halt Wacht! und warne,
-kommt jemand.« Der Rappe wieherte lustig und nickte
-mit dem Kopf, als hab' er alles verstanden.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und &ndash; nun alles still ringsum … ganz still.</p>
-
-<p>Der Mond lugte nur selten und schonend durch das
-dichte Gebüsch auf die weiche Wiese. Ein Leuchtkäfer flog<span class="pagenum"><a id="Seite_210">[210]</a></span>
-über ihre Häupter hin und ließ sich dicht neben Minnegardens
-Locken nieder auf das Gras. »Unsre Hochzeitfackel!«
-flüsterte er.</p>
-
-<p>Und der laue Wind trug ganze Wolken Wohlgeruchs
-von Rebenblüt' und Rosen ihnen zu.</p>
-
-<p>Und laut, schmetternd, jubelnd, schlug die Nachtigall
-im nahen Busch ihr triumphierend Siegeslied der
-Minne.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sonst rings alles ruhig um sie und weihevoll: rings
-alles still: auch sie sprachen nicht vor eitel Seligkeit und
-eitel Liebe.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Plötzlich wurden die Glücklichen aus ihrer süßen Versunkenheit
-aufgestört durch einen dröhnenden ehernen kriegerischen
-Ruf.</p>
-
-<p>Erschrocken fuhr Minnegard auf unter seiner heißen
-Liebkosung, strich das gelöste wirre Haar aus den brennenden
-Schläfen zurück und rief: »Horch! Was war das?
-Die Posaune des Gerichts? Bricht das Ende herein?
-Ich fürchte es &ndash; nun &ndash; nicht mehr. Denn du wardst
-mein und höchste Seligkeit. Und nicht den strengen Richter:
-Hand in Hand mit dir tret' ich vor ihn hin und jauchze:
-›Ja, ich liebe ihn, ewig werd' ich ihn lieben! Strafe mich,
-Herr, wenn es Sünde war. Aber ich thät's nochmal!‹«</p>
-
-<p>»Still, Kind! Laß mich horchen! Richtig. Das &ndash;
-es ist auch noch lange nicht Mitternacht! &ndash; Das ist nicht
-die Posaune der Erzengel: &ndash; das ist das Wächterhorn
-vom Brückenturm. Aber es bläst den Waffenschrei!«</p>
-
-<p>Er machte sich los aus ihren Armen und lauschte.</p>
-
-<p>»Horch! In der Runde antworten die andern Türmer.
-Es ist der Notruf: ›Feinde!‹ Und schau &ndash; dort &ndash; in
-der Ferne &ndash; unweit der Stadt &ndash; vor der Sandvorstadt<span class="pagenum"><a id="Seite_211">[211]</a></span>
-&ndash; flammt Feuerschein auf. Das sind Mordbrenner,
-räuberische Bauern.«</p>
-
-<p>»Wie? In dieser Nacht? Kurz vor dem Ende?«</p>
-
-<p>»Gleichviel! Es scholl der Waffenschrei: Herr Heinrich
-ruft seine Ritter. Nicht vergeblich soll er Fulko rufen!
-Auf, mein süßes Lieb, du mein holdes Eigen: &ndash; rasch
-in den Sattel! So ist's recht! Halte dich an der Mähne!
-Hier bin ich schon hinter dir im Sattel. Noch einen Kuß!
-Und noch &ndash; und noch Einen &ndash; den letzten wohl! Und
-nun, renne mein Rößlein! Fulko und Minnegard darfst
-du tragen aus seliger Lust in seligen Tod.«</p>
-
-<p>Pfeilschnell sauste das edle Tier durch die Wiesen gegen
-die Stadt dahin: es wieherte den schmetternden Trompeten
-feurig entgegen.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>III.</h3>
-
-<p>Es waren noch etwa zwei Stunden vor Mitternacht.</p>
-
-<p>Im Dome standen der Bischof und seine Geistlichen
-und so viele Gläubige, als der Raum zu fassen vermochte,
-Kopf an Kopf gedrängt, versammelt: auch in allen andern
-Kirchen und Kapellen hatte, nach Anordnung des Bischofs,
-nächtlicher Gottesdienst stattgefunden, ein paar Stunden
-nachdem die Vesperfeier vorüber war: auch sie waren
-sämtlich überfüllt.</p>
-
-<p>Zu Hause blieben fast nur die Kranken, die Bett oder
-Haus nicht verlassen konnten und oft, aber nicht immer,
-ein Pfleger &ndash; oder meist eine Pflegerin! &ndash; welche die
-Pflicht, bei den Siechen auszuharren, höher anschlugen als
-den Trost, das Ende in der Kirche, in der schützenden
-Nähe der Heiligtümer zu erleben.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_212">[212]</a></span></p>
-
-<p>Nur Eine Ausnahme kam vor: &ndash; der Bischof selbst
-hatte sie befohlen.</p>
-
-<p>Die Führer der Thor- und Wallwachen, die er &ndash; in
-Abwesenheit des Grafen &ndash; ordnete, waren am Morgen
-vor ihn getreten und hatten ihn gefragt, ob sie nicht mit
-ihren Leuten heut, am letzten Tag der Welt, ihr kriegerisch
-Werk einstellen und in den Kirchen der Andacht aller
-andern sich anschließen dürften?</p>
-
-<p>Bei Herrn Heinrich hatten auf diese Bitte hin der
-Bischof und der Kriegsmann einen scharfen Kampf geführt;
-aber der Kriegsmann hatte gesiegt. Er hatte die Stirne
-gefurcht und gesprochen: »Nein! Die Landbrenner sind
-nah! Jeder auf seinem Posten. Der Bischof vor dem
-Altar, der Turmwärter auf dem Turm. Findet uns der
-Herr dort, so findet er uns da, wohin wir gehören. Bis
-zum letzten Augenblick &ndash; die Pflicht des Dienstes, des
-weltlichen wie des geistlichen.«</p>
-
-<p>Mit stillem Kopfnicken hatte er, lange bevor er die
-Messe begann &ndash; die letzte, die er zu lesen hatte! &ndash; von
-dem Ankleidezimmer aus die Gräfin mit ihren Frauen die
-Steinstufen des Doms hinaufschreiten sehen. »Sie hält
-Wort,« sprach er gerührt; den Grafen Gerwalt sah er
-noch nicht, er vermißte auch noch Minnegard und Edel:
-aber er zweifelte nicht, sie würden rechtzeitig, wie er geboten,
-erscheinen.</p>
-
-<p>Die Messe war gelesen, auch die Predigt zu Ende, in
-welcher der Bischof ernst, aber ohne weich zu werden, in
-mannhaften tapfern Worten zu seinen Hörern sprach, dem
-Feldherrn vergleichbar, der seine Sturmschar ermahnt, dem
-sichern Tode kühn entgegenzuschauen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Der Dom hallte wider von dem lateinischen Gesang
-der Priester und der Chorknaben, in welchen hin und wieder<span class="pagenum"><a id="Seite_213">[213]</a></span>
-die Latein- und Sanges-Kundigen aus der Gemeinde einfielen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Wallend und wogend zogen dichte Wolken des Weihrauchs
-durch den von Öllampen und Kienspänen nur schwach
-beleuchteten einschiffigen Holzbau: &ndash; bloß der Hauptaltar,
-wo der Bischof nun segnend stand, strahlte in der Helle
-zahlloser Wachskerzen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Da plötzlich schmetterte durch die offene Thür &ndash; denn
-die Menge der Andächtigen drängte vom Chore durch die
-ganze Kirche und auch durch die Thüre hinaus bis auf
-die Stufen und auf den Platz vor dem Dom &ndash; derselbe
-eherne Trompetenschall, welcher das wonneberauschte Liebespaar
-aufgeschreckt hatte.</p>
-
-<p>Auch hier würde wohl die Vorstellung des Posaunentons
-des Weltgerichts &ndash; heute allen die nächstliegende
-&ndash; die Menge ergriffen und in dem dichten Gedränge
-Schrecken und Entsetzen verbreitet haben.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Aber Herr Heinrich kam dem zuvor.</p>
-
-<p>Sofort erkannte sein an solchen Ruf gewohntes Ohr
-die Eigenart dieses Grußes. Er ermaß auch blitzschnell
-die Gefahr, welche ein falscher Schreck über die vielen Hunderte,
-in engem Raum zusammengepferchten, höchst erregten
-Menschen bringen mußte.</p>
-
-<p>So rief er denn mit seiner lauten Stimme, die gewohnt
-gewesen, mit dem Ruf des Befehls das Toben der
-Reiterschlacht zu überdröhnen: »Bleibt ruhig, ihr Gläubigen!
-Das ist nicht der Beginn des Gerichts! Ich habe
-befohlen, mit der Turmtrompete … Hört ihr? Es ist
-die Trompete vom Sandturm &ndash; jetzt auch vom Brückenturm!
-&ndash; zu melden, wann sich das Raubgesindel gegen
-die Stadt heranzieht. Es sind Brandräuber!«</p>
-
-<p>Da brach sich durch die Menge vor den Stufen ein
-ganz Gewaffneter Bahn &ndash; er schob die Bürger, die Frauen,<span class="pagenum"><a id="Seite_214">[214]</a></span>
-links und rechts kräftig zur Seite &ndash; schon hatte er den
-Altar erreicht. »Auf, Herr Bischof! Hier Euer Schwert.
-Nehmt! Eure Sturmhaube! Euer Roß steht draußen gesattelt.
-Feinde vor der Stadt! Es brennen schon mehrere
-Höfe mainaufwärts. Kommt und helft!« Es war Blandinus,
-voll glühenden Eifers: Nie war sein schön Gesicht
-so schön gewesen, wie es jetzt unter der Sturmhaube
-hervorglänzte. »Helft! Rettet! Herr Bischof!« riefen die
-Bürger. »Was sollen wir thun?« »Hierbleiben! Beten!«
-schrieen die Weiber.</p>
-
-<p>Aber Herr Heinrich richtete sich auf zu seiner vollen
-Höhe, riß das Schwert aus der ihm dargereichten Scheide,
-warf diese weg, und, hoch die Klinge schwingend, rief er:
-»Fechten sollt ihr! Nicht beten! Eure Stadt, Sankt
-Burchhards Weihtum, schirmen! Fallt ihr so, so fallt ihr
-schön und büßet manche Sünde. Wie können wir besser
-unsre letzte Stunde verleben, als im Kampfe für Sankt
-Kilians Heiligtum? Folgt, ihr Bürger Würzburgs, folgt
-euerm Bischof! Hinaus vors Thor und wehe den Kirchenräubern!
-Sankt Kilian und Sankt Burchhard ziehn euch
-voran!«</p>
-
-<p>Und er stürmte die Stufen des Altars hinab der Domthüre
-zu.</p>
-
-<p>»Sankt Kilian und Sankt Burchhard! Steht uns
-bei!« riefen die Krieger und folgten ihm.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_215">[215]</a></span></p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>IV.</h3>
-
-<p>Das kühne Vorgehen des streitbaren Bischofs sollte sich
-aber doch gar bald als allzukühn erweisen.</p>
-
-<p>Zwar die Dienstmannen und Reisigen waren rasch zur
-Stelle und folgten sofort eifrig ihrem heißgeliebten Führer:
-Blandinus, dem der Befehl in der inneren Stadt übertragen
-war, hatte sie rasch gesammelt: aber Hellmuth und
-Fulko konnten nicht zur Stelle sein: ihnen hatte ja Herr
-Heinrich die gefährlichste Wacht: die in den beiden entlegensten
-Blockhäusern des Pfahlhags flußabwärts und
-flußaufwärts anvertraut.</p>
-
-<p>Und das Häuflein, an dessen Spitze jetzt der Bischof
-durch das Südthor und die Sandvorstadt sprengte, war
-doch nur recht klein: zwanzig Rosse und vierzig Fußknechte:
-mehr waren es nicht.</p>
-
-<p>Die Bürger aber zeigten zwar guten Willen, waren
-auch nicht übel gerüstet und in den Waffen geübt. Allein
-es währte recht lange, bis sie diesmal in genügender Stärke
-beisammen waren und ihrem Bischof hinaus nacheilen
-konnten, der sofort mit seinen Dienstmannen allein dem
-Feinde entgegengesprengt war.</p>
-
-<p>Unbewaffnet waren die Burgensen alle &ndash; den Canones
-und dem Landfriedensrecht gemäß &ndash; in den Dom und
-in die übrigen Gotteshäuser gekommen: nun mußten sie
-erst in ihre oft weit entlegenen Höfe zurück, sich mit Schutz-
-und Trutzwaffen zu versehen, meist unter dem Widerstreben,
-den Bitten und Thränen ihrer Weiber und Kinder,
-die sie im Angesicht des nahenden Gerichts nicht von ihrer
-Seite, nicht aus dem Hause, am wenigsten vor das Thor
-hinaus zum Gefecht ziehen lassen wollten.</p>
-
-<p>So sammelten sie sich heute nicht, wie herkömmlich war,<span class="pagenum"><a id="Seite_216">[216]</a></span>
-an den vorherbestimmten »Schar-Orten«, sondern einzeln,
-paarweise oder in ganz kleinen Häuflein, wie sie sich auf
-dem Wege zu der Sandvorstadt zufällig gefunden, trafen
-sie vor dem Südthor weit, weit hinter dem Bischof auf
-der Heerstraße oder auf der Allmännde ein, die nun gar
-bald zum Schlachtfeld werden sollten.</p>
-
-<p>Bevor wir aber dieses betreten, müssen wir nachholen,
-was auf demselben unmittelbar vorher sich begeben hatte.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>V.</h3>
-
-<p>Um dieselbe Zeit, da nördlich der Stadt Frau Minne
-Ritter Fulko und schön Minnegard einander entgegengeführt
-hatte, eilte im Süden der Stadt auf der großen
-Heerstraße gegen das Südthor zu eine weiße Gestalt.</p>
-
-<p>Ein lichter Schleier flatterte ihr nach, so hastig schritt
-sie: im Glanze des Mondes, den nur selten ziehend Gewölk
-verdeckte, leuchtete das freiflutende, hellblonde Haar
-&ndash; es war aufgegangen: das zusammenhaltende blaue Band
-hatte sie bei dem raschen Aufbruch verloren. Sie drückte
-den weiten hellgrauen Mantel über der Brust zusammen.
-Ihr Auge spähte scharf vorwärts: aber nicht auf die Vorstadt
-am Ende der Heerstraße war es gerichtet, sondern
-links ab von der Straße, wo, nahe dem Flusse, das
-äußerste Blockhaus des Pfahlhags vor dem Südthor ragte.</p>
-
-<p>»O Gott,« betete die Eilende, »laß mich noch recht
-kommen. Nun Ein Wort zu ihm &ndash; von ihm! Dann
-will ich ja gern in den Dom. Wie spät mag es schon
-sein? Ich konnte die Zeit nicht genau erkunden! Wartete
-ich länger, mußte ich in Begleitung der andern Frauen<span class="pagenum"><a id="Seite_217">[217]</a></span>
-gehen und dann mit ihnen gleich in den Dom. Mag es
-wohl schon bald Mitternacht sein? Barmherziger Heiland,
-o verschiebe die Stunde des Gerichts nur so lang, bis
-ich … Du blickst in mein Herz, heilige Jungfrau! Du
-weißt, mich treibt nicht sündiger Liebe Verlangen &ndash; nicht
-an seine Hand will ich rühren! &ndash; nie würde ich aus
-<em class="gesperrt">solchem</em> Sehnen die scheue Scham überwinden, und zerspränge
-mir darüber das Herz in der Brust. Nein! Nicht
-nach solchem steht mein Begehren! Ich will ja nur &ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;
-du weißt, Gott, was ich will. Darum hilf mir! Bald
-&ndash; bald bin ich ja dort. Sehe ich doch schon das schmale
-Thor, das in das Blockhaus führt. Gleich muß der Wiesensteig
-links abbiegen hier unten von der Straße … Ah!
-Was ist das? Dies Thor&nbsp;…?«</p>
-
-<p>Sie konnte nicht vollenden.</p>
-
-<p>Mit Schrecken nahm sie wahr, wie das Blockhausthor,
-nach welchem Ziel ihres eilenden nächtlichen Ganges sie
-so sehnsüchtig ausgeschaut hatte, sich von innen öffnete und
-wie aus demselben auf dem engen Wiesenpfad, der ein
-wenig hügelan auf die Heerstraße führte, ein Reiter ihr in
-den Weg sprengte.</p>
-
-<p>»Weh mir &ndash; wenn man mich erkennt, anhält, &ndash;
-aufhält!«</p>
-
-<p>Sie wankte: sie stützte die Hand auf einen breiten
-Grenzstein rechts an der Heerstraße, der hier die Markung
-der Stadt von den Äckern des Randahari trennte.
-Schon hatte der rasche Reiter die Hochstraße erreicht: ungestüm
-jagte er heran &ndash; sein Helm glänzte und strahlte
-hell im Mondlicht &ndash; ein langer dunkler Mantel flog ihm
-nach von den gepanzerten Schultern: &ndash; sie hoffte, er
-werde an ihr vorbeisausen: sie glitt ganz hinter die breite
-Steinsäule &ndash; schon hörte sie das Schnauben seines Rosses
-&ndash; schon sah sie … »Ah! Er! Gott ich danke dir!«<span class="pagenum"><a id="Seite_218">[218]</a></span>
-rief sie frohlockend und sprang, beide Arme hoch gen Himmel
-erhebend, aus ihrem Versteck hervor.</p>
-
-<p>Heftig erschrak das Roß, aber nicht der Reiter. »Edel!«
-rief er, bändigte kraftvoll das scheuende, hochsteigende Tier,
-brachte es zum Stehen, sprang nun ab und schritt ihr,
-den Zügel in der Hand, entgegen. »Jungfrau Edel« &ndash;
-in höchstem Erstaunen sprach er &ndash; »was thut … was
-wollt Ihr hier &ndash; allein … zu <em class="gesperrt">dieser</em> Stunde? Was
-sucht Ihr?« »Euch!« rief das Mädchen »Nein doch:
-<em class="gesperrt">dich</em>, Hellmuth, <em class="gesperrt">dich</em>!« Und beide Hände fest ineinanderringend
-ließ sie sich vor ihm auf die Kniee gleiten. »Laß
-mich! Nicht deine Liebe such' ich mehr &ndash; ich weiß, ich
-habe sie verwirkt &ndash; aber deine Verzeihung. Ich kann
-nicht sterben, kann nicht vor den ewigen Richter treten mit
-dieser unverziehenen Schuld auf meiner Seele, der schweren
-Sünde der Herzenshärtigkeit, des verstockten Stolzes, der
-grausamen Mißhandlung … Ich habe dich gequält …
-gepeinigt, ich habe dein stummes monatelanges Flehen um
-Verzeihung eines ach! so leichten Fehls, &ndash; eines Fehls
-aus Liebe! &ndash; mit Füßen in den Staub getreten! O es
-war so schlecht von mir, so eitel, so sündhaft! Aber sieh:
-nun &ndash; in der letzten Stunde meines Lebens &ndash; lieg' ich,
-Edel, die stolze Edel, vor <em class="gesperrt">dir</em> im Staub &ndash; nein, laß
-mich! Ich stehe nicht auf, bis … Und ich flehe dich
-an: verzeihe mir! Verzeihe mir um des Heilands willen,
-der, ein Wunder wirkend, dich mir hier entgegengesandt
-hat in <em class="gesperrt">dieser</em> Stunde! Ich sprang aus dem Fenster der
-Kemenate in den Garten. Ich wußte, wo du zu finden
-warst. Ich konnte es nicht mehr ertragen &ndash; ich lief dir
-entgegen &ndash; es schob mich vorwärts wie mit unsichtbaren
-Engelshänden: das Wort, das in diesen Tagen unablässig
-uns verkündet ward: &ndash; ›Bereue! Büße!‹ &ndash; es mahnte
-mich unwiderstehlich, die schwerste Schuld meines Lebens<span class="pagenum"><a id="Seite_219">[219]</a></span>
-zu büßen: die Schuld gegen dich und deine große, deine
-rührende Liebe. Ich hätte dich im Blockhaus aufgesucht
-vor allen deinen Reisigen und dich dort laut angefleht, wie
-hier in der heiligen, nur von Gott erschauten Einsamkeit:
-Hellmuth, verzeihe mir!«</p>
-
-<p>Schon hatte er sie vom Boden aufgerissen. »Edel!
-<em class="gesperrt">Ich</em> Euch &ndash; ich <em class="gesperrt">dir</em> verzeihen? Nein, vergieb <em class="gesperrt">du</em> mir.
-Die Liebe riß mich fort. Doch du kannst das nicht fassen!
-Denn was weißt du von Liebe!« »Ich?« &ndash; Sie errötete
-über und über, wie sie nun mit unendlicher Anmut das
-edle langgestreckte weiße Antlitz zu ihm emporhob: es
-leuchtete geisterhaft im Glanz des Mondes, umrahmt vom
-blonden Haar: &ndash; sie richtete einen langen Blick auf ihn
-aus den tiefen grauen Augen. &ndash; Dann senkte sie die
-dunklen Wimpern und fragte: »Was immer Euch in dieser
-letzten Stunde der Welt in die Nacht hinausgetrieben hat,
-was immer Ihr suchtet &ndash; gewiß war's nicht Edel?« &ndash;
-»Wie durfte ich das wagen? Nein! Den Tod, den
-Heldentod in herrlichem Reiterkampf. Denn wisset &ndash; von
-dorther &ndash; von Süden &ndash; nahen alsbald furchtbare Feinde.«
-»Den Tod? O so laß mich ihn teilen!« rief sie leidenschaftlich
-ausbrechend. »Du hast mir verziehen &ndash; und du
-liebst mich noch immer &ndash; ich sehe dir es an: so gewähre
-mir die letzte Bitte! Im Leben hat mein sündhafter Stolz
-uns getrennt: laß nun im Tode meine Demut uns vereinen.
-Vergönne mir, mit dir zu sterben.« Und überwältigt
-von allbezwingender Liebe sank sie an seine Brust,
-das schmale Köpflein vorwärts beugend wie eine tauschwere
-Blume. »Edel! Geliebte! Ist es wirklich? Bist du
-<em class="gesperrt">meine</em> Edel?« &ndash; »Ja! <em class="gesperrt">Deine</em> Edel! Aber nur im
-Tode dein!« Und er küßte sie auf die weiße Stirn: er
-wagte es nicht, sie auf die so festgeschlossenen, schmerzumzuckten
-Lippen zu küssen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_220">[220]</a></span></p>
-
-<p>Es war ganz still um dieses Paar; hier sang keine
-Nachtigall.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Plötzlich schlug an beider Ohr von Süden her ein
-schriller gellender Hornruf. »Horch! Was war das?«
-rief Edel, erbleichend und sich hoch aufrichtend. Beide
-wandten sich nun flußaufwärts nach der Richtung des
-Schalles. Alles still. Da flammte in der Ferne rote Lohe
-auf. »Der Weltenbrand!« rief Edel. Aber im selben
-Augenblick antworteten dem ersten Hornruf zwei, drei
-lautere dem Paar erheblich näher. »Nein!« rief Hellmuth.
-»Gut kenne ich den wilden Ton! &ndash; Das sind wendische
-Hörner! Sie blasen den Kriegsruf. Und schau: dort
-brennt ein zweites &ndash; wie rot! &ndash; ein drittes Feuer auf
-&ndash; dort liegen die Höfe des Randahar &ndash; es sind ihre
-brennenden Strohdächer. Das sind wendische Plünderer!
-Sind ja Heiden, glauben nicht an das Weltgericht. Und
-horch nur! Ich meine …« Er warf sich zu Boden
-und drückte das Ohr fest auf die harte Heerstraße. Sofort
-sprang er wieder auf. »Kein Zweifel. Reiter sprengen
-heran! Viele, sehr viele! Die Erde dröhnt von Hufengestampf.
-Das sind nicht die himmlischen Heerscharen und
-nicht die Teufel der Lüfte. Auf, Edel, rasch! In diese
-Hände darfst du nicht fallen.«</p>
-
-<p>Er hob sie auf das Pferd und schwang sich hinter ihr
-in den Sattel. »Wohin? Was willst du thun?« fragte
-sie. »Ich warne die Stadt und Herrn Heinrich.« Und
-schon jagte der treue Falk sausend zurück nach dem Südthor.
-Funken stoben unter seinen klirrenden Hufen aus den
-Kieseln der Straße, weithin flog Edels weißer Schleier nach.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_221">[221]</a></span></p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>VI.</h3>
-
-<p>So war es Hellmuth gewesen, welcher zuerst den Turmwart
-des Südthors gewarnt und auf die nahenden Feinde
-merksam gemacht hatte.</p>
-
-<p>Er führte die bleiche schweigende Edel in die nahe
-Kirche in jener Vorstadt der Heiligen Petrus, Paulus und
-Stephanus. Hier, dicht bei dem Südthor, fanden sich
-alsbald viele Frauen und Mädchen der Stadt aus den
-nächsten Höfen, aus dem Dom und den andern Kirchen
-zusammen: denn hier war man sicher, zufrühest Nachricht
-von dem Gefecht zu erhalten, sowie den Bischof und die
-Seinen bei ihrer Heimkehr zuerst zu begrüßen. Hierher
-führte auch Fulko die Geliebte, die er schon außerhalb des
-Nordthors vom Rosse gehoben und gar sittsam durch die
-von den zusammenlaufenden Bürgern belebten Teile der
-Stadt geleitet hatte; bereits vorher war hier aus dem
-Dome mit ihren Frauen der beiden Mädchen mütterliche
-Freundin, die Gräfin Heilfriede, eingetroffen.</p>
-
-<p>Als der Bischof das Thor hinter sich gelassen hatte
-und nun auf der Heerstraße ungestüm vorwärts sprengte, &ndash;
-vor ihm mit brennender Fackel Blandinus &ndash; da drängten
-Hellmuth und Fulko von rechts und von links ihre schnaubenden
-Rosse an seine Seite. »Gut, daß ihr da seid.
-Willkommen, tapfre Junker, im letzten Gefecht,« rief er
-ihnen freudig zu. »Herr Heinrich,« erwiderte Hellmuth,
-»wollen wir nicht warten, bis von den Bürgern einige
-heran sind?« Höchlich erstaunt, ohne im Vorwärtsjagen
-einzuhalten, sah der Bischof zu ihm hinüber: »So redet
-Hellmuth vom hohen Horst? Um eine kleine Rotte schlecht
-gewaffneter Bauern zu zersprengen …?« &ndash; »Herr, es
-sind nicht Bauern. Und nicht eine kleine Rotte! Da!<span class="pagenum"><a id="Seite_222">[222]</a></span>
-Hört Ihr das Horn? Wenden sind's.« »Gewiß die
-Söldner Zwentibolds!« rief Fulko. »Das wolle Gott
-nicht!« stammelte der Bischof und erbleichte, … aber
-nicht aus Furcht. »Da vorn &ndash; rechts &ndash; brennt schon
-wieder ein Hof!« rief Blandinus mit der Fackel deutend.
-»Das ist, mein' ich,« riet Fulko, »das Haus des Zeidlers
-Wulfilo, des Nachbars von Frau Ute. Arme Fullrun, wie
-mag es dir ergangen sein! Halt, holla! Hier geblieben,
-Signor Blandinus!« und er fiel dem Venetianer in die
-Zügel, der bei jenem Namen, laut aufschreiend, den Gaul
-spornend, nach rechts hin über die Wiesen davonjagen
-wollte: »Jetzt heißt's, beisammen bleiben! Wollt Ihr allein
-die Wenden schlagen?« »Das Kind wird Gott beschützen,«
-pflichtete der Bischof bei, »wir kämen zu spät.« »Da! Da
-sind sie schon!« rief Hellmuth. »Jawohl,« lachte Fulko,
-das Schwert ziehend. »Jetzt hat sie der Teufel schon da.«
-»Weiß Gott, die Wenden!« stöhnte der Bischof dumpf.
-»Und wie viele!« rief Fulko. »Jetzt, Freund Hellmuth,
-jetzt heißt's fechten.« »Ja! Gott sei Dank! &ndash; Das wollen
-wir,« antwortete der mit blitzenden Augen. »Wohlan!«
-sprach der Bischof. »So mögen sie denn zum letztenmal
-auf Erden schmettern, die deutschen Drommeten. Bald
-schallen die himmlischen Posaunen darein!«</p>
-
-<p>Noch nicht gleich kam es zum Zusammenstoß: die
-vorausgeschickten Reiter der Slaven jagten zurück, offenbar,
-ihrem Führer Meldung zu bringen. Und der Bischof
-gebot Halt, seine Fußknechte nachkommen zu lassen. Wie
-er das Ganze übersah, mußte er erkennen, daß sein kleines
-Häuflein doch in recht schlimmer, aufs höchste gefährdeter
-Lage war.</p>
-
-<p>Was von einer erlesenen Reiterschar gegen einen wenn
-auch viel zahlreicheren Haufen schlecht gerüsteter Bauern,
-die nur zu Fuß fochten, zu wagen gewesen wäre, das<span class="pagenum"><a id="Seite_223">[223]</a></span>
-erwies sich als undurchführbar gegen diese trefflich und
-mannigfaltig bewaffneten, zum Teil gut berittenen Soldknechte,
-die unter ihrem mit wilder Begeisterung verehrten
-Häuptling seit einem Jahrzehnt im Dienste gar vieler
-Fürsten auf wendischer, deutscher, welscher, byzantinischer
-Erde gefochten und gar oft gesiegt hatten.</p>
-
-<p>»Der Wende,« rief Fulko »&ndash; Gott verdamm ihn! &ndash;
-versteht den Krieg. Schau, Hellmuth, wie klug benützt er
-seine große Übermacht! &ndash; Auf wieviele schätzest du sie?«
-Hellmuth hob sich hoch in den Bügeln, bog das behelmte
-Haupt vor und spähte nach allen Richtungen: »Die links
-von uns in den Weinbergen und im Gehölz kann ich nicht
-schätzen. Aber da auf der Straße vor uns und rechts in
-den Wiesen&ndash; das sind eher vier- als dreihundert.«</p>
-
-<p>»Schau &ndash; man sieht es deutlich im Mondlicht! &ndash;
-hier auf der breiten Straße schart er seine Reiter zusammen,
-viele Glieder tief, unsern Anprall abzuwehren.« &ndash; »Aber
-auch das Umgehen hat er gelernt! Sieh, westlich von der
-Straße &ndash; über die Wiesen hin &ndash; läßt er andere Reiter
-vortraben, uns in der Flanke zu fassen.« &ndash; »Und wo bleiben
-unsere Bürger? Noch gar wenige sammeln sich auf der
-Wiese.« &ndash; »Und seine Fußknechte,« ergänzte der Bischof,
-»und Pfeilschützen schickt er östlich von der Straße in die
-Weingärten und in den Buschwald der Höhen, uns von
-links zu packen. Ja, von dort könnten sie sich zwischen
-uns und die Stadt werfen und uns auch vom Rücken
-fassen.« Er gebot den Junkern, hier zu halten, und ritt
-langsam voraus, seine vordersten Reiter zu ordnen. »Nun,
-die links werden aber nicht viel ausrichten,« meinte
-Hellmuth, »bergan, auf den Schmalpfaden zwischen den
-Weinbergen. Ein Häuflein entschlossener Männer genügt&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Sind aber immer noch nicht da, auch zur Linken nicht,<span class="pagenum"><a id="Seite_224">[224]</a></span>
-die lieben Bürger von Würzburg!« &ndash; »Oder doch nicht genug.
-Jetzt hab' acht, Herr Heinrich winkt mit dem
-Schwerte!«</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>VII.</h3>
-
-<p>Der Bischof hatte, jener Dreiteilung der Feinde zu begegnen,
-auch von seiner ohnehin so schwachen Schar einen
-rechten und einen linken Flügel abzweigen müssen.</p>
-
-<p>Er sandte Boten über Boten in der Richtung gegen
-die Stadt zurück, die Bürger zur Eile zu mahnen und sie,
-wie sie einzeln oder in kleinen Häuflein herankamen, jenen
-beiden Flanken zuzuteilen. Er gedachte, durch das beste,
-alterprobte Mittel deutscher Kriegskunst &ndash; seit nämlich die
-schwer gepanzerte Reiterei (zuerst in den Ungarnkriegen)
-wichtiger geworden war als das alte nur zu Fuß kämpfende
-Aufgebot des Heerbanns &ndash; gegen alle Feinde: durch das
-Ansprengen seiner eng aneinander geschlossenen schwergerüsteten
-Ritter und berittenen Heerknappen auf den mächtigen
-Streithengsten die Wenden auf der Heerstraße über den
-Haufen zu rennen, so durch einen gewaltigen Stoß ihre
-Mitte zu durchbrechen und die Schlacht zu entscheiden.
-Mit dem alten Feldruf der Deutschen: »Christus! Kyrie
-eleuson!« sprengte er, hoch das Schwert schwingend, auf
-seinem leuchtend weißen Dänenhengst an der Spitze seiner
-Panzerreiter auf die Wenden an und ein.</p>
-
-<p>Es erging &ndash; anfangs &ndash; wie er gehofft: die schwächeren
-Gäule der Slaven und die geringere Körperkraft ihrer
-Reiter hielten den deutschen Ansturm nicht aus: das erste
-Glied war sofort überritten, das zweite &ndash; in der Mitte<span class="pagenum"><a id="Seite_225">[225]</a></span>
-wenigstens &ndash; durchbrochen: aber in der dritten Reihe kam
-der Anprall zum Stehen.</p>
-
-<p>Jetzt kreuzten sich deutsches Ritterschwert und slavischer
-Streitkolben: das Gefecht stand.</p>
-
-<p>Und das war sehr schlimm für die kleine Reiterschar,
-deren einzige Siegeshoffnung in raschem Niederreiten der
-Übermacht bestanden hatte.</p>
-
-<p>Da ersah Herr Heinrich im roten Licht einer Pechfackel
-einen feindlichen Führer in reicher Rüstung mit geschlossenem
-Helm, der sich soeben von seinem gestürzten Gaul &ndash; Hellmuth
-hatte ihn überrannt &ndash; los machte und behend auf
-ein anderes Pferd schwang, das ihm ein Wende zuführte.
-»Vorwärts!« scholl es aus dem Mundloche des Visiers
-hervor. »Nieder mit den Deutschen.« Und die Wurflanze
-in der Hand wirbelnd ritt er wieder in die vorderste Reihe.</p>
-
-<p>»Die Stimme kenne ich!« rief Herr Heinrich, spornte
-das Roß gegen den Feind, schwang grimmig das Schwert
-und schmetterte einen solchen Streich auf den reich vergoldeten
-Helm, daß dieser klirrend in zwei Stücke auseinander
-sprang. »Berengar!« schrie der Bischof. »Wie
-konntest du es wagen? Gegen meinen Befehl …?« &ndash;
-»Befiehl du deinen deutschen Knechten, nicht mir!« gab er
-zurück und hob scharf zielend den Speer zum Wurf.</p>
-
-<p>Allein da wurden sie getrennt, auseinander gerissen
-durch den Stoß einer frischen Rotte Fußvolks, die, auf
-den Befehlsruf eines nicht sichtbaren Führers, aus der
-vierten Reihe der Slaven mitten auf der Heerstraße mit
-gefällten Lanzen vorbrach und die deutschen Reiter sofort
-schwer bedrängte. Diese konnten auf der von gefallenen
-Pferden und liegenden wie kämpfenden Menschen vollgestopften
-Straße nicht mehr vorsprengen, also ihr wirksamstes
-Kampfmittel nicht mehr gebrauchen. Und ein Roß der
-Bischöflichen nach dem andern brach zusammen: denn die<span class="pagenum"><a id="Seite_226">[226]</a></span>
-wendischen Lanzenknechte stießen nicht auf die gepanzerten
-Reiter, sondern auf die Pferde. Nur mit äußerster Anstrengung
-gelang es Fulko, der sich stets ein wenig vor
-Herrn Heinrichs Schimmel hielt, die zahlreichen Speerschäfte
-niederzuschlagen, welche dies weithin sichtbare Ziel
-vor andern bedrohten.</p>
-
-<p>Da sprengte Hellmuth, welchen der Bischof entsendet
-hatte, Nachricht von seiner rechten Flanke einzuholen, wo
-die Wenden auf den Wiesen, nach dem Vordringen ihrer
-Hornrufe zu urteilen, erheblich Raum gewonnen, auf die
-Straße zurück und meldete: »Nun geht's wieder da drüben!
-Es stand schlimm. Aber ein Häuflein Bürger, das eben
-eintraf und das ich und Gericho den wendischen Reitern
-entgegenwarfen, hat das Gefecht dort gestellt. Jung Gericho
-macht seine Sache gut. Allein Übles vernahm ich von
-unserm linken Flügel her. Dort scheinen&nbsp;…«</p>
-
-<p>Er konnte nicht vollenden.</p>
-
-<p>Denn von eben dort, von Osten her, sprengte Blandinus,
-der zu gleichem Zweck entsendet worden war, auf die
-linke Seite der Straße: den Helm hatte er verloren, sein
-Gesicht war von Blut aus einer klaffenden Wangenwunde
-überströmt. »Herr Bischof, wir sind umgangen. Die feindlichen
-Pfeilschützen und Fußknechte haben die wenigen
-Bürger in den Weinbergen überwältigt. Baumeister Hesso,
-der starke, treue Mann, der sie befehligte, ist gefallen: ich
-führte die Weichenden zu einem letzten Stoße vor &ndash; umsonst
-&ndash;&nbsp;&ndash; mich traf …« Er wankte: Fulko hielt ihn
-aufrecht im Sattel.</p>
-
-<p>Herr Heinrich drückte in bitterem Schmerze die Augen
-zusammen: »Zurück? In die Stadt? Nein! Weichen
-wir einen Fuß breit, &ndash; sind wir verloren und der Feind
-dringt mit uns ein. Das soll nicht sein.« &ndash; »Nein!« rief
-Hellmuth. »Um keinen Preis! Seht, dort hinten schart<span class="pagenum"><a id="Seite_227">[227]</a></span>
-sich ein frischer, ein noch stärkerer Haufe Fußvolks zum
-Stoße gegen uns. Kommt zuvor! Laßt uns noch einmal
-einsprengen, so gut es eben geht, und dabei fallen, das
-Gesicht nach vorn!« »Jawohl,« rief Fulko. »Es muß doch
-endlich einmal gleich Mitternacht sein. Dann holen die
-Englein unsere Seelen hier und die Heiden holt, wie billig,
-der Teufel. Drauf und drein, Herr Heinrich! Auf Wiedersehen
-im Himmel, Minnegard.«</p>
-
-<p>Und schon wollte der Bischof, zum Tode bereit, den
-Befehl geben zum letzten hoffnungslosen Ansprengen wider
-den entgegenstarrenden Lanzenrechen, als plötzlich, wie
-durch ein Wunder, das Gefecht völlig umschlug.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>VIII.</h3>
-
-<p>Denn auf dem rechten Flügel der Wenden &ndash; östlich
-der Straße &ndash; in den Weingärten und von den Waldhöhen
-herab ertönte auf einmal wildes, wüstes, verworrenes
-Geschrei.</p>
-
-<p>Freund und Feind stutzte, hielt ein im Kämpfen, wandte
-dorthin Augen und Ohren. Und schon stürzten die wendischen
-Pfeilschützen und Fußknechte, aufgelöst, in wilder Flucht, die
-Höhen herab, auf die Straße, in die rechte Seite der
-Ihrigen hinein, brachten diese in volle Verwirrung und
-warfen sie mit solcher Wucht auf die Mitte und diese auf
-die westlichen Nebenmänner, daß diese über die steile
-Straßenböschung hinunter in die Wiesen stürzten.</p>
-
-<p>»Steht, beim Zrnbog! steht! meine Brüderlein,« schrie
-den flüchtigen Pfeilschützen eine schrille Stimme zu. Und
-ein Führer, auf schwarzem Roß, in ganz schwarzer Gewandung<span class="pagenum"><a id="Seite_228">[228]</a></span>
-und Rüstung, warf sich ihnen entgegen, den Nächsten
-über den Haufen reitend, den zweiten an der Schulter
-packend und mit eisernem Griffe festhaltend, daß er wohl
-stehen mußte. »Steht doch! Es ist ja schon alles gewonnen!«
-»Ja, steht, ihr Memmen!« schrie Berengar
-herzureitend. »Habt ihr den Teufel gesehen, daß ihr so
-lauft?« »Wie? du bist's, Kratochwyl?« rief der auf
-dem Rappen. »Bist doch wahrlich kein Feigling! Hab' dir
-ja den ganzen rechten Flügel anvertraut! Wer jagt euch
-denn so?« »Der Teufel,« keuchte der Wende atemlos.
-»Wirklich der Christenteufel &ndash; wie der Christenpfaff gesagt
-hat. Wir hatten die Bürger vor uns zurückgeworfen
-&ndash; schon zweimal! &ndash; hatten fast schon den Kamm der
-Höhe erstiegen, &ndash; da plötzlich brach aus dem dichtesten
-finstersten Buschwald in unsere rechte Flanke &ndash; hoch von
-oben herab &ndash; ein rasender Riese &ndash; nicht gar viele hinter
-ihm! &ndash; Aber ein Riese! In Wolfsfellen! Das muß der
-Teufel selber sein! Unverwundbar! Die Pfeile prallten
-von seiner Wolfsschur ab. Er sprang mitten unter uns:
-›Hilf, Woden! Woden hilf!‹ schrie er unablässig und bei
-jedem Schrei schlug er mit einem fürchterlichen Balken, den
-er mit beiden Händen schwang, einen, auch zwei von uns
-zu Boden. Da zog ich mein Wurfmesser &ndash; du weißt,
-ich fehle nicht &ndash; und warf's ihm seitwärts in den Kopf.
-Es traf: es blieb stecken. Aber er fiel nicht! Vorwärts
-sprang er gegen mich und &ndash; ich sterbe. Flieh, Zwentibold!
-Es ist der Teufel!« Und er fiel um und war tot.</p>
-
-<p>Zwentibolds geübtes Auge ersah, daß er die Flucht
-seines zersprengten rechten Flügels nicht hemmen konnte.
-Rasch entschlossen befahl er seinem Mitteltreffen, vorzurücken
-und die Fliehenden hinter sich vorüber fluten zu lassen,
-wohin sie wollten.</p>
-
-<p>Er warf einen Blick nach vorn, überzählte die geringe<span class="pagenum"><a id="Seite_229">[229]</a></span>
-Schar der deutschen Reiter, fand, daß von den Seinen
-immer noch genug in Ordnung standen, sofort vorgeführt
-zu werden, und befahl mit gellendem Hornruf den Vorstoß.
-Jetzt erst zog auch er den krummen Säbel. »Nun
-hat's Sinn, daß auch der Feldherr ficht,« rief er Berengar
-zu. »Drauf, meine Brüderlein! Wir sind immer noch
-fünf gegen einen. Werft den Bischof dort und seine paar
-Reiter und euer ist die reiche Stadt. Plündert sie und
-brennt sie nieder!«</p>
-
-<p>Ein gellendes Geheul &ndash; wie von Rudeln hungriger
-Wölfe &ndash; ward ihm zur Antwort. Vorwärts sprengten
-und rannten die Wenden und da die Deutschen, die neue
-Wendung erkennend, im selben Augenblick anritten, prallten
-beide Scharen sofort zusammen. Gewaltig war der Stoß.
-Gab den Deutschen die Wucht der Hengste und der Waffen
-großen Vorteil, &ndash; voll aufgewogen ward er durch die
-starke Übermacht der Wenden. Ein wildes, heißes Ringen
-auf der Straße: &ndash; nach Osten, die Hügel aufwärts, gab
-es kein Ausweichen für die Gäule &ndash; so drängte alles
-von der Mitte nach Westen gegen den Fluß hin: da
-stürzten die Rosse und die Reiter und die Fußknechte der
-Wenden, oft, wie Käfer, aneinander zu Klumpen geballt,
-in dichten Massen hinunter auf die Wiese. Zwentibold
-merkte, daß dort die Seinen schwere Verluste litten; er
-bahnte sich den Weg hierher; Berengar war dicht hinter
-ihm. Beide ersahen an der Spitze der Deutschen hier
-einen Gewaltigen auf weißem Roß, der mit sausenden
-Streichen seines langen Schlachtschwerts hoch von oben
-herab die Fußknechte wie Mohnköpfe niedermähte. »Der
-Bischof!« riefen beide wie aus einem Munde. Und alsogleich
-fielen sie beide ihn an.</p>
-
-<p>»Schaut links, Herr Heinrich!« schrie Hellmuth und
-fing mit dem Schild einen sehr starken Säbelhieb Zwentibolds,<span class="pagenum"><a id="Seite_230">[230]</a></span>
-während Fulko mit dem Schwert einen Speerstoß
-Berengars zur Seite schlug, daß der Schaft zersprang.
-Aber da stürzte, von dem Lanzenstoß eines Fußknechts getroffen,
-Fulkos Rappe und begrub den Reiter unter sich.
-Sofort riß Berengar das Schwert aus der Scheide und
-hieb auf Herrn Heinrich ein. Aber der &ndash; nun gewarnt
-&ndash; schwang ausholend mit aller Kraft &ndash; denn er war
-jetzt sehr zornig! &ndash; die Klinge hoch in die Luft und hieb
-ihm den Schwertarm samt Hand und funkelndem Schwert
-hart an der Schulter, gerade wo er aus der Brünne trat,
-so säuberlich ab, als wär' er niemals dort angewachsen
-gewesen. Aufbrüllend vor Schmerz schlug der Verstümmelte
-rücklings aus dem Sattel.</p>
-
-<p>Allein nun warf sich Zwentibold auf den Bischof.</p>
-
-<p>Seines bisherigen Gegners Hellmuth, mit dem er
-blitzschnelle funkensprühende Hiebe getauscht, hatte er sich
-soeben entledigt, indem er des Gegners Roß durch einen
-tückischen Hieb über die Vorderbeine zu Fall gebracht.
-»Hierher, Brüderlein! Alle zu Hauf! Auf den Bischof!
-Auf den Schimmel!« schrie er.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>IX.</h3>
-
-<p>Und nun wäre Herr Heinrich &ndash; bei aller Kraft des
-Armes und aller Tapferkeit des Herzens &ndash; doch verloren
-gewesen. Blandinus, der ihm beispringen wollte, stürzte,
-aus nächster Nähe von einem Wurfspeer mitten auf die
-Brünne getroffen, aus dem Sattel. Der nächste der
-bischöflichen Reiter, der den Schild über seinen Herrn hielt,
-ward von Zwentibold über das Gesicht gehauen; und während<span class="pagenum"><a id="Seite_231">[231]</a></span>
-Herr Heinrich alle Mühe hatte, sich der raschen
-Doppelhiebe des Fürsten zu erwehren, erschaute er die
-spitzen Speere von vier Fußknechten gegen sich und sein
-schon mehrfach verwundetes Roß gezückt. Er sah den Tod
-vor Augen. »O Heilfriede!« dachte er noch, »Gott sei
-mir gnädig!«</p>
-
-<p>Aber da ergellte ein wilder Schrei vieler Feinde von
-seiner linken Seite: &ndash; er verstand die Worte nicht: &ndash;
-jedoch auf einmal sah er von der Anhöhe des Weinbergs
-zu seiner Linken in gewaltigem Satz auf die Straße herabspringen
-eine Hünengestalt &ndash; und eine furchtbare Waffe
-schmetterte nieder auf das Roß Zwentibolds. »Hilf,
-Woden!« scholl es nun ganz nah an seiner Seite, und der
-Ankömmling schlug mit einem zweiten Streich den nächsten
-Lanzenknecht nieder. Die drei andern ließen zwar noch
-nicht ab: sie packten des Bischofs Roß am Zügel und
-zielten auf den Reiter mit den Speeren. Aber dem einen
-fuhr mit wütendem Gebell ein grauer Wolfshund an die
-Kehle und gleichzeitig fielen die beiden andern vor den
-hochgeschwungenen Schwertern Hellmuths und Fulkos, die
-sich inzwischen unter ihren Gäulen hervorgearbeitet hatten.</p>
-
-<p>Jedoch auch Zwentibold stand schon wieder, katzenbehend,
-auf seinen Füßen und wollte &ndash; zum drittenmal
-&ndash; Herrn Heinrich anfallen. Allein er kam nicht dazu.</p>
-
-<p>»Halt, Schwarz-Riese: &ndash; du bist mein. Hilf, Woden!«
-scholl es ihm entgegen und Rado hob den furchtbar wuchtigen
-Schürbaum. &ndash; Der Slave duckte sich, sprang zurück
-und kauerte hinter einem toten Gaule nieder auf den Boden.
-»Warte, Langer, du kommst später. Dein Bischof hat den
-Vortritt.« So zischend nahm er den Säbel zwischen die
-Zähne, riß ein kleines, kaum fingerlanges Messer aus dem
-Wehrgurt, faßte das Hornheft mit nur den ersten drei
-Fingern der Rechten und warf die dünne Klinge gegen<span class="pagenum"><a id="Seite_232">[232]</a></span>
-Herrn Heinrich. Schwirrend, pfeifend durchschnitt sie die
-Luft &ndash; und traf. Gerade, wo zwischen dem Halsrand
-der Brünne und dem Sturzrand der Sturmhaube eine
-schmale Lücke klaffte, oberhalb des Schlüsselbeins, drang
-die scharfe Spitze in den Hals. Der Getroffene glitt langsam
-nach rückwärts aus dem Roß, das Schwert aber ließ
-er nicht aus der Faust.</p>
-
-<p>Hellmuth und Fulko fingen den Sinkenden auf.</p>
-
-<p>Gleichzeitig aber sprangen Rado und Zwentibold widereinander,
-beide in tödlichem Haß, nicht sich zu decken, nur
-zu treffen bedacht. &ndash; Und beide trafen. Dem Alten hatte
-die geschweifte Säbelklinge die dicke Sturmhaube aus dreifachem
-Wolfsfell durchschnitten und war noch tief in den
-Schädel gedrungen: &ndash; dem Slaven aber war die schwarze
-Pelzmütze und der schwarze Kopf in Eins zusammengeschlagen.</p>
-
-<p>Das waren fast die letzten Streiche, die geschlagen
-wurden in diesem Gefecht. Denn die Söldner auf der
-Heerstraße entscharte der Schreck, als sie den Führer fallen
-sahen, dem sie blind in abgöttischem Vertrauen zu folgen
-so lange gewohnt waren. Ohne ihn zu kämpfen, waren
-sie nicht fähig.</p>
-
-<p>Zugleich trafen nun von Osten, von den Höhen und
-Halden herab, jene Bürger ein, die unter Rados Führung
-den rechten Flügel der Wenden zersprengt hatten. Sie
-fielen den auf den Wiesen westlich von der Straße
-noch im Gefecht mit Gerichos Schar ausharrenden Feinden
-in den Rücken und nun floh alles, was noch fliehen konnte
-zu Roß und zu Fuß eilfertig flußaufwärts, eifrig verfolgt
-von den Siegern.</p>
-
-<p>Das sah noch Herr Heinrich, den seine Ritter unter
-einer alten Eiche, die am Wege stand, gebettet hatten.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Er sah's mit strahlenden Augen und faltete die Hände<span class="pagenum"><a id="Seite_233">[233]</a></span>
-um den Kreuzgriff seines blutigen Schwertes: »Herr Gott,«
-sprach er, »dich loben wir. Sieg! Sankt Burchhards Stadt
-gerettet! Nun will ich gerne sterben. &ndash; Und seht &ndash; seht
-dorthin, meine Freunde! Dort im Osten flammt es lohend
-auf! Das &ndash; das sind die Flammenboten &ndash; das sind
-die Cherubim des Herrn, der zum Gericht herniedersteigt.«</p>
-
-<p>»Nein!« jubelte Fulko laut aus voller Brust, mit erhobenem
-Schwerte deutend. »Das ist Sonnenaufgang!
-Mitternacht muß ja längst vorüber sein! Wir dachten nur
-nicht dran im Drang des Kampfes! Vorüber ist der gefürchtete
-Tag &ndash; und die Welt: &ndash; sie steht noch! &ndash; Es
-war ein Wahn! &ndash; Herr Gott, wir danken dir aus tiefster
-Seele! Nein, du wolltest sie nicht vernichten, deine alte,
-liebe, schöne Welt!« Und er warf sich auf die Kniee und
-hob dankend, frohlockend, beide Arme gen Himmel.</p>
-
-<p>Da fiel der erste Strahl der Sonne über die Höhen
-auf sein Antlitz: trillernd stieg aus den Wiesen eine Heidelerche
-in den noch grauen Himmel.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und Hellmuth und Blandinus und alle, die nicht die
-Wunde hemmte, thaten desgleichen, warfen Schwert, Speer
-und Schild von sich, und aus vielen hundert Kehlen in
-die dämmernde Morgenfrühe hinauf &ndash; deutsch und lateinisch
-durcheinander &ndash; klang der alte Lobgesang:</p>
-
-<table summary="Gesang mit Übersetzung">
-<tr>
-<td>Gnade, du, nicht in Zeit</td>
- <td><em class="antiqua">Nunquam resolvitur,</em></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>Nein, in Unendlichkeit,</td>
- <td><em class="antiqua">Nunquam revolvitur</em></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="td2em">Immer erneut:</td>
- <td class="td2em"><em class="antiqua">Credens in te:</em></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdp2">Herr Gott, wir danken dir,</td>
- <td class="tdp2"><em class="antiqua">Gratias agimus,</em></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>Herr Gott, dich loben wir</td>
- <td><em class="antiqua">Gratias canimus</em></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="td2em">Ewig wie heut!</td>
- <td class="td2em"><em class="antiqua">O domine!</em></td>
-</tr>
-</table>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_234">[234]</a></span></p>
-
-<h2 id="Sechstes_Buch">Sechstes Buch.</h2>
-</div>
-
-<h3>I.</h3>
-
-<p>Prachtvoll ging die Sonne des jungen Tages auf über
-dem Mainthal: der Himmel strahlte in wolkenloser Bläue:
-auf wieviel Glück und Freude sah er hernieder!</p>
-
-<p>Viele Tausende von Menschen, die mit Entsetzen, mit
-Furcht vor schwerer Strafe durch den allwissenden Richter
-die Mitternacht herangewacht hatten, lagen nun auf den
-Knieen und priesen, unter strömenden Thränen, die oft von
-seligem Lächeln, ja von lauten Jubelrufen unterbrochen
-wurden, die Gnade des großen, des barmherzigen Gottes,
-der seinen Geschöpfen nach wie vor die süße Lust des Atmens
-belassen und vergönnt hatte.</p>
-
-<p>Wo heute in Würzburg nahe der Brücke der stattliche
-»Vier-Röhren-Brunnen« steht, da scharen und verweilen
-sich am Morgen und am Abend gar gern die Mägde,
-nachdem sie das Wasser in ihre auf dem Rücken getragenen
-»Butten« geschöpft haben. Gar oft läuft die Butte
-über, weil zwar sie mit Wasser gefüllt ist, aber noch nicht
-das harrende Mägdelein mit den Neuigkeiten &ndash; meist
-nicht so lauterer Art wie Brunnenwasser! &ndash; welche ihr
-die Nachbarsmagd, die Freundin, zuträgt; oder mit den
-Koseworten, die ihr der schon lang hier ihrer wartende
-Schatz zu sagen hat.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_235">[235]</a></span></p>
-
-<p>Damals schon war an derselben Stelle ein tiefer Ziehbrunnen
-gegraben, der reichlich Wasser spendete: ein paar
-Lindenbäume standen im Kreis um das runde Gemäuer
-aus rotem Sandstein herum und in den Ästen eines derselben
-war das Holzbild Sankt Kilians, in grellsten Farben
-gemalt, unter einem vorspringenden dreieckigen Schutzdach
-angebracht.</p>
-
-<p>Dieser Brunnen und seine schattige und zugleich geweihte
-Umgebung war auch damals schon ein Lieblingsort
-der Würzburger, die schon damals erstaunlich viel über
-sich selbst &ndash; und zumal über andere Leute! &ndash; zu plaudern
-hatten; hier und auf den Stufen, die zu der nahen
-Brücke hinanführten, drängten sich die Leutchen zusammen,
-wann es etwas zu erzählen gab. Und es gab immer
-etwas zu erzählen zu Würzburg, obwohl &ndash; streng genommen
-&ndash; nicht gerade sehr viel dort, in der frommen
-und weinfrohen Stadt, sich zu ereignen pflegte.</p>
-
-<p>Aber heute, &ndash; am fünfundzwanzigsten des Brachmondes
-des Jahres eintausend, &ndash; da gab es allerdings einiges
-zu erzählen! Und es ist den Würzburgern von damals
-kein Vorwurf daraus zu machen, daß sie diese Gelegenheit,
-sich einmal auszusprechen, sich nicht entgehen ließen, sondern
-recht ergiebigen Gebrauch davon machten. Das wichtigste
-von allem war ihnen, daß sie überhaupt noch vorhanden
-waren; auf diese erfreuliche Thatsache kamen sie
-immer wieder zurück.</p>
-
-<p>Um den Brunnen und auf den Stufen der Brücke und
-auf dieser selbst wogte eine mächtig bewegte Menge, Männer,
-Weiber und Kinder, Bürger, Geistliche, Mönche, Reisige
-des Bischofs &ndash; alles durcheinander. Es litt die Menschen
-nicht in der Einsamkeit, nicht in den engen Häusern: das
-Gemüt, von so gewaltigen, widerstreitenden Eindrücken der
-Furcht, des Grauens, der aufatmenden, aufjauchzenden<span class="pagenum"><a id="Seite_236">[236]</a></span>
-Erlösung durchzittert, suchte nach dem Ausdruck seines aufs
-tiefste erregten Innern. So liefen denn die Leute überall
-zusammen und wurden nicht müde zu reden von der überstandenen
-Angst, von dem wilden Kampf mit den Wenden,
-von der Gewißheit der Errettung. Zumal auf der Mainbrücke
-standen die Menschen dicht gedrängt, sahen flußaufwärts
-und flußabwärts und hinan zu der ragenden Burg
-und freuten sich, daß sie noch lebten, und zeigten einander,
-wie schön und freundlich alles sei, die bewaldeten Hügel
-und die rebenbewachsenen Gelände und der helle glitzernde
-Sonnenschein auf dem lieben alten Main! So schön,
-meinten sie wohl, sei's noch gar nie gewesen in der trauten
-Heimat.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Nun,« sprach einer der jungen Bürger, &ndash; dem alten
-Bezzo auf die Schulter klopfend, »gar manchem kamen die
-Wenden zum Verderben, aber Euch kamen sie zur Erleuchtung.«
-»Und mir zum Glück« rief Gericho, sein Liebchen
-um die Hüfte fassend. »Freilich,« lächelte Rosbertha,
-sich an ihn schmiegend. »Sonst hätt' der Vater nie eingesehen,
-wieviel mehr du wert bist als der dicke Spedilo
-mit all seinem Gelde.« »Nun ja,« rief Bezzo gutgelaunt,
-»wie konnt' ich glauben, daß mein bester Freund ein solcher
-Tropf ist? Wir standen nebeneinander auf der Wiese
-gegen die wendischen Reiter: &ndash; im ersten Anlauf ritten
-sie uns über den Haufen! &ndash; ich lag unter einem erstochenen
-Gaul, der mich schier zu Tode drückte. Da lief
-Spedilo an mir vorbei.« »Nach Hause!« lachte Gericho,
-unterbrechend. &ndash; »›Hilf mir, Nachbar,‹ keuchte ich, ›hilf
-mir hervor. Ich ersticke.‹ Was antwortete mir der Lump?
-›Schad' nicht! Erstickt ist auch gestorben.‹ Und lief weiter.
-Aber dieser wackre Bursche da &ndash; oft gab ich ihm zu Unrecht
-harte Namen! &ndash; er sah mich von fern, brach sich
-Bahn mitten durch die Wenden, riß mich unter dem Roß<span class="pagenum"><a id="Seite_237">[237]</a></span>
-hervor, deckte mich mit seinem Leib und &ndash; rettete mein
-Leben.« »Ja, und Hieb und Stich traf ihn dabei,« klagte
-Rosbertha zärtlich. »Bah, Kopf und Herz und auch beide
-Arme blieben ganz,« lachte Gericho, umschlang und
-küßte sie.</p>
-
-<p>»Aber sagt,« forschte der Alte, »noch weiß ich immer
-nicht &ndash; wir standen ja am weitesten rechts ab &ndash; wie
-kam es denn, daß von links her der alte Rado &ndash; gerad'
-noch zu rechter Zeit! &ndash; den Wenden in die Flanke brach,
-mitten aus dem Grafenwald hervor?« »Ja,« erwiderte
-Gericho, »das hab' ich auch nur zum Teil herausgebracht
-aus den letzten Worten, die er mit Junker Hellmuth &ndash;
-Gott segne seine Klinge! &ndash; tauschte. Als sie den Herrn
-Bischof auf den Schild gelegt hatten, kniete Herr Hellmuth
-&ndash; ich kam gerade dazu &ndash; neben dem Alten nieder und
-wollte seiner Wunde pflegen. Da sprach der: ›Laßt's gut
-sein! Ich fahre zu Ihm! Dem Sieghelfer. Gut hat er
-diesmal geholfen. Lange, lange harrte ich auf Euch,
-Junker, an der beredeten Stelle, &ndash; Ihr kamt nicht &ndash;‹«
-»Versteh' ich nicht,« meinte Bezzo. &ndash; »Versteh's auch
-nicht. Aber der Junker verstand ihn; er antwortete:
-›Mich führte höhere Pflicht in die Stadt zurück.‹ Und
-Rado fuhr fort: ›Plötzlich entbrannte tief unter mir &ndash;
-auf der Straße, &ndash; bald auch neben mir in den Weinbergen
-der Kampf. Ich sah &ndash; wie wir's vorausgeschaut
-&ndash; die schwarzen Scharen von Süden gen Norden vorstürmen:
-&ndash; immer mehr Raum gewannen sie! &ndash; Da
-lief ich zu den Bürgern, nördlich von mir, die in den
-Weinbergen nur noch schwer standhielten, raffte ein Häuflein,
-das mir gern folgte, zusammen, eilte mit ihnen in
-den Wald und auf Pfaden, die nur dem Luchs, mir und
-noch Einem bekannt, führte ich sie den Unholden in Flanke
-und Rücken. Und Woden half: er that das übrige.‹«<span class="pagenum"><a id="Seite_238">[238]</a></span>
-»Woden!« flüsterte Rosbertha und bekreuzte sich, »den
-darf man gar nicht nennen.« &ndash; »Der Junker und ich sahen
-wohl, daß der Alte dem Tode nahe sei: denn er redete
-nun ganz wirr: daß er den Schwarzen, den Rauchriesen
-nun doch glücklich erschlagen habe. &ndash; Und der Junker
-erfüllte die letzte Bitte des Alten, daß er nicht, wie alle
-Verwundeten, in die Stadt gebracht werden solle &ndash; auch
-die Feinde, so hatte der Herr Bischof noch befohlen &ndash;
-zur Heilung und, falls sie stürben, zur Bestattung: &ndash;
-sondern vier Bürger trugen Rado auf seinen Wunsch an
-den Main hinab unter die alte Rabenesche. Sein grauer
-Hund, aus tiefer Wunde blutend, wich nicht von seiner
-Seite.«</p>
-
-<p>»Da schaut!« rief Rosbertha. »Wer fährt dort davon
-&ndash; gegen das Ostthor hin &ndash; in dem Wagen, &ndash; dem
-leinwandüberzogenen?« »Das ist Isaak, der Jude,« antwortete
-Bezzo. »Aber Vater, er ist ja getauft,« mahnte
-Rosbertha. &ndash; »Bah, scheint nicht geholfen zu haben auf
-die Dauer.« »Wieso?« fragte Gericho. »Er fehlte nie
-in der Dommesse.« &ndash; »Wohl! Aber jetzt &ndash; wißt ihr's
-noch nicht!« »Nein! Was denn?« fragten viele Stimmen
-zugleich. »Heute früh,« erzählte Bezzo, »kam seine Mutter
-zu meinem Röschen da &ndash;« »Die wackre Frau!« rief das
-Mädchen. »Hat mir oft die frühverstorbene Mutter ersetzt.«
-&ndash; »Und teilte ihr mit, sie und ihr Sohn verließen für
-immer die Stadt, ja sogar das Reich. Sie gingen nach
-Jerusalem. Ihr Sohn … &ndash;« »Er war oft recht
-wenig freundlich gegen sie!« schalt Röschen. &ndash; »Ja, aber
-jetzt sei er ganz lammfromm und so voll Ehrfurcht und
-Gehorsam gegen seine alte Mutter! Und die Alte übergab
-meiner Tochter eine Schrift: für den Herrn Bischof &ndash; es
-kann ja niemand zu dem Sterbenden! &ndash; darin verschenkt
-Renatus seinen Hof in der Stadt und alles, was drin<span class="pagenum"><a id="Seite_239">[239]</a></span>
-steht und liegt: aber an wen? Nicht an die Heiligen,
-nicht an seine Glaubensgenossen, die Christen! Nein! Der
-Herr Bischof soll alles verkaufen und der Erlös soll eine
-Stiftung werden zur Unterstützung armer &ndash; Juden in
-Stadt und Bistum. Da grüßt die Alte nochmal mit der
-Hand aus dem Wagen! Nun, gute Fahrt nach Jerusalem!«</p>
-
-<p>»Ob der Herr Bischof das wohl so ausführt?«</p>
-
-<p>»Gewiß! Wenn er mit dem Leben davon käme.
-Aber …« &ndash; »Man sagt, es steht sehr, sehr schlecht!« &ndash;
-»Ja! Das Messer, das seinen Hals traf, soll vergiftet
-gewesen sein. Er muß sterben!«</p>
-
-<p>»O der arme, brave Herr!« klagte Rosbertha. »Der
-herrliche Held!« rief Gericho. &ndash; »Seine beiden Junker
-pflegen ihn.« &ndash; »Und Herr Blandinus.« &ndash; »Nein. Der
-liegt selber wund danieder.« &ndash; »Wo? Im Bischofshause?«
-&ndash; »Nein! Bei Wartold draußen. Er eilte, sowie der
-Bischof zurückgebracht war, dorthin. Der Knecht Wartolds
-erzählte es mir, der in die Stadt lief, einen Arzt zu erbitten
-von den grauen Mönchen.« »Ja, ja,« lächelte
-Röschen. »Der Junker strich immer hinter der runden
-Runel drein.« »Blandinus kam eilends, um zu sehen, was
-aus ihr geworden,« fuhr Gericho fort. »Als er sie heil
-und unversehrt fand, atmete er tief auf und brach zusammen.
-Er hat sich in dem Strauß &ndash; hätt's ihm nicht
-zugetraut! &ndash; manchen Hieb und Stoß geholt. Nun liegt
-er draußen in dem Gärtnerhaus und die schlimme Runel
-pflegt ihn und weint dabei, daß ihr die hellen Thränen
-über die dicken Backen laufen und Schnufilo &ndash; sonst eben
-nicht sein Freund! &ndash; leckt ihm die Hände. So erzählte
-der Knecht, selbst voll Staunen. Ja, ja! es hat sich gar
-manches gewendet mit der Sonne in dieser Sonnwendnacht.«</p>
-
-<p>»Aber sagt,« fragte Bezzo, »wie konnte es nur geschehen,
-daß die Leute in dem Gärtnerhof verschont blieben,<span class="pagenum"><a id="Seite_240">[240]</a></span>
-während doch die Wenden … &ndash;?« »Da kommt der
-alte Wartold selbst!« rief Gericho. »Mit einem großen,
-wunderschönen Strauß von Lilien,« sprach das Mädchen.
-»Kommt, Vater Wartold, Ihr seid müde. Man sieht's
-an Eurem Schritt. Setzt Euch ein wenig zu uns, hier,
-auf den Brunnenrand. Wir rücken zusammen. Erzählt uns
-doch, wie es Euch ergangen. Ihr seid gar seltsam bewegt.«</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>II.</h3>
-
-<p>»Dank euch, danke, gute Leute,« erwiderte der freundliche
-Greis, mit dem sanften, rosigen Gesicht, vom weißen
-Haar umwallt. »Bewegt! Ja, liebe Nachbarn! Welch
-Gemüt soll da nicht bewegt sein, bei so wunderbarer
-Führung durch den Herrn? Den Bruder hab' ich diese
-Nacht verloren und die alte Großmutter: und doch hab'
-ich Gott für reiche Gnade zu danken.« »Erzählt, erzählt!«
-drängten alle. »Ja, ja,« begann er langsam. »Wunderbar
-sind die Dinge verlaufen in dem kleinen taubenumflatterten
-Haus. Es war schon fast dunkel geworden, da sprach ich
-zur Großmutter: ›Mutter Ute, gebt mir Urlaub, mir und
-dem Kind Fullrun.‹ ›Wohin, mein Sohn?‹ fragte sie. ›Die
-Stunde des Gerichtes naht. Wir wollen sie doch miteinander
-erwarten und erleben.‹ ›Gewiß!‹ tröstete ich.
-›Lange vor Mitternacht sind wir zurück. Ich habe noch eine
-dringende Arbeit.‹ ›Aber Wartold!‹ mahnte die Gute. ›In
-ein paar Stunden ist alle Menschenarbeit zunichte, und
-ihre Frucht vergeblich.‹ ›Nicht die meine, Mutter,‹ erwiderte
-ich. ›Sieh, unsere Lilien hier im Garten sind verblüht
-und versengt vor der Zeit. Es war gar so heiß in diesen<span class="pagenum"><a id="Seite_241">[241]</a></span>
-letzten Tagen und so trocken hier oben und staubig neben der
-großen Straße. Ich gehe hinunter an den Fluß und hole
-frische aus meinem Neugarten dort. Soll ich die Stirnen
-der Seligen mit welken Lilien schmücken? Für meine
-Friedlindis ist nur das Schönste schön genug.‹ In dem
-weit abgelegenen Neugarten angelangt mit dem Kinde,
-konnt' ich mich lange nicht trennen von meinen Blumen,
-geraume Zeit, nachdem ich die schönsten ausgesucht und
-geschnitten. Auch die ich stehen ließ, sprengte ich &ndash; zum
-Abschied! &ndash; noch mit Wasser aus dem Fluß.</p>
-
-<p>Als ich nun mit meiner Arbeit zu Ende war und
-allmählich an die Rückkehr dachte, da loderte in der Ferne
-südlich von unserem Höflein eine rote Flamme in den
-dunkeln Nachthimmel: bald folgte, immer näher rückend,
-der Heerstraße entlang, eine zweite, dritte: und während
-wir noch zagend berieten, was das zu bedeuten habe,
-drangen auch schon von der Stadt her die Waffenrufe der
-Wächter auf den Walltürmen, ja bald auch von der Straße
-her verworrener Lärm, Schreien, Waffenklirren an unser
-Ohr. Erschrocken barg ich mich und vor allem mein holdblühendes
-Kind in den dichten Gebüschen des Gartens: &ndash;
-denn daß hier Räuber und Feinde drohten, war mir bald
-klar: ich dachte es seien die schlimmen Bauern! &ndash; Hier
-lauschten wir, bis der Lärm, der unverkennbare, eines
-scharfen Kampfes vertoset war: jetzt erst wagte ich &ndash; immer
-noch sehr vorsichtig &ndash; den Rückweg einzuschlagen. Wir
-trafen unseren Hof unversehrt: so weit waren die Wenden
-nur auf ganz kurze Zeit vorgedrungen, wir fanden bloß
-die Spuren weniger Rosse im Sandweg des Gartens, der
-alten Frau thaten sie nichts zuleid.« »Aber wehe, trafen
-sie Fullrun!« rief Gericho. &ndash; »Das nächste Haus, etwa
-dreihundert Schritte weiter südlich, stand in hellen Flammen:
-wie staunten wir, als wir die blinde Frau auf der<span class="pagenum"><a id="Seite_242">[242]</a></span>
-Schwelle aufrechtstehend fanden: ihr weißes Haar flog im
-Nachtwind: sie wies mit der ausgestreckten Rechten auf die
-rote Flammensäule und rief: ›Seid ihr endlich zurück?
-Ich erwarte euch schon solange. Sehet ihr, sehet ihr?
-Alles erfüllt sich wie mein Konrad gesagt. Der Tag des
-Gerichts, der Tag des Herrn ist angebrochen. Hörtet ihr
-nicht das Gefecht? Und die Drommeten der Engel des
-Herrn? Ich hörte sie vorbeirasseln auf ihren Rossen, hörte
-ihre Waffen klirren: sie haben gekämpft gegen die Unholde
-des Abgrunds: grell schrillte deren Geschrei &ndash; wie einst
-der Hunnen! &ndash; in mein Ohr: sie waren schon ganz nah:
-&ndash; ich meine, ich hörte sie im Garten. Die Teufel sind
-geworfen und geflohen. &ndash; Dort aber &ndash; dort &ndash; von wo
-der Rauchqualm herweht &ndash; dort &ndash; ich seh' es mit den
-Augen der Seele! &ndash; da nahet in flammenden Lohen, im
-weißen Gewande der Seligen mein Kurt, das Mägdlein
-trägt er &ndash; wie damals &ndash; auf dem Arm! Er holt
-mich! Er winkt! Er ruft mir. Ich komme. Du hast
-wahr gesprochen: im Sterben seh' ich dich wieder. Ich
-komme.‹ Und sie sank, ein selig Lächeln um die Lippen,
-zurück in meine Arme und war tot.« Und er weinte bittre
-Thränen, der alte Mann.</p>
-
-<p>»Welch schöner Tod!« schluchzte Rosbertha, sich an
-ihren Schatz schmiegend und die Augen wischend.</p>
-
-<p>»Die schönsten meiner Lilien wand ich um ihre Stirn.
-Diese hier bring ich dem guten Herrn Bischof &ndash; ach! für
-seinen Dom waren sie bestimmt: &ndash; nun werden sie wohl
-seine Totenbahre schmücken.« »Und was ist mit Eurem
-Bruder?« fragte Gericho. »Der Knecht erzählte &ndash; ist es
-wahr? … er ist nicht gefunden worden unter der Rabenesche?«
-»Es ist so,« nickte Wartold. »Weder er noch
-Giero, sein Hund! Ihr wißt, der Baum steht nahe dem
-Fluß: &ndash; es schien auch eine Blutspur über die Wiese an<span class="pagenum"><a id="Seite_243">[243]</a></span>
-das Ufer zu führen. Aber vergeblich suchte ich mit dem
-Knecht und den Nachbarn das ganze Ufer ab, vergeblich
-mit den Mainschiffern &ndash; die kennen gut die Wirbel und
-die Löcher im Bette &ndash; auch den Fluß. Ich wollte doch
-so gern die Leiche in geweihter Erde bestatten, aber wir
-fanden nicht Mann, nicht Hund. Und schon &ndash; gleich
-nachdem das fruchtlose Suchen vorüber war« &ndash;&nbsp;&ndash; er
-erschauerte und bekreuzte sich. »Nun? was geschah?«
-forschte Röschen in bangem und doch süßem Gruseln.
-&ndash; »Nichts geschah, liebes Kind. Aber die Nachbarn, die
-Schiffer, alle, die davon hören, raunen&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Nun was raunen sie denn? Sagt's doch geschwind!«
-&ndash; »Ihr wisset, der Rabenbaum ist der Sitz &ndash; ist geweiht
-dem … &ndash;« »Den man nicht nennen darf!«
-warnte das Mädchen und schlug rasch wieder ihr Kreuz. &ndash;
-»Nun, eben dem soll &ndash; sagen sie &ndash; mein armer Bruder
-längst seine Seele geweiht haben. Und der &ndash; sagen sie
-&ndash; habe ihn geholt, samt seinem Hund, ewig mit ihm zu
-jagen. Ja, ein Schiffer, der sich im Mainschilf vor den
-Wenden verborgen hatte, will gesehen haben, wie noch vor
-vollem Sonnenaufgang zwei Raben &ndash;« »O weh!« schrie
-das Mädchen. »Das sind <em class="gesperrt">seine</em> Begleiter.« &ndash; »Vom
-Feuerschein der brennenden Dächer grell beleuchtet über das
-tosende Schlachtfeld hin geflogen sind und auf der Esche
-aufgebäumt haben. So betet manchmal, liebe Nachbarn,
-betet für meines armen Bruders Seele.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_244">[244]</a></span></p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>III.</h3>
-
-<p>In Vertretung des Bischofs hatten Hellmuth und Fulko
-alle erforderlichen Maßregeln getroffen.</p>
-
-<p>Die Toten vor dem Südthor wurden bestattet, die
-Spuren und Schäden des Kampfes nach Möglichkeit getilgt.
-Hellmuth ritt als Herold, einen Drommetenbläser voran,
-durch die Straßen, verkündete den in der Stadt Verbliebenen,
-zu welchen doch nur wirre, abgerissene Kunde der
-Ereignisse dieser Nacht gelangt war, feierlich das Geschehene
-und forderte alle Burgensen auf, mit Weibern, Kindern,
-Knechten und Mägden in den Dom und in die übrigen
-Kirchen und Kapellen der Stadt zusammenzuströmen, wo
-überall Dankgottesdienst gehalten werden sollte. Sie sollten
-beten für die Erhaltung ihres tapfern Bischofs, der, ein
-echter Hirte, sein Blut gelassen in Verteidigung seiner Herde,
-&ndash; und den nur ein Wunder Gottes noch vom Tode
-retten könne.</p>
-
-<p>Es war allbekannt, die kurzen Wurfmesser der Wenden
-waren vergiftet. Und als der Wunde schon während er,
-von Blut überströmt, auf einem breiten und langen Standschilde
-von sechs seiner Reisigen behutsam in die Stadt
-zurückgetragen wurde, das Bewußtsein verlor, da gaben
-seine Getreuen ihn verloren. Und man wagte doch nicht
-die tödliche Klinge aus der Wunde zu ziehen: man fürchtete,
-alsdann werde der Bischof, der schon sehr viel Blut
-verloren, sich rettungslos verbluten. Man hatte das Lager
-des bleichen Mannes in dem geräumigsten luftigsten Gelasse
-des Dombaues, der Bücherei, aufgeschlagen: man
-wußte, sie war &ndash; nach dem Waffensaal, aus dessen Vorräten
-die Bürger waren ausgerüstet worden &ndash; der Lieblingsaufenthalt
-Herrn Heinrichs gewesen. Wie viele<span class="pagenum"><a id="Seite_245">[245]</a></span>
-Nachtstunden hatte er hier durchwacht, den schweigenden
-Gang der Sterne verfolgend, ein stiller, einsamer Mann,
-»wachend und betend« und doch gar oft »in Anfechtung
-fallend«!</p>
-
-<p>Der Wunde fand die volle Besinnung nicht wieder:
-auch nicht, als er sanft von dem Schild herab auf ein
-Pfühl in der Bücherei gelegt wurde; wohl war es ihm
-einmal, gleich beim Eintritt in die Stadt &ndash; noch unter
-dem Thorbogen &ndash; gewesen, als beuge sich ein bleiches,
-schönes Frauenantlitz auf ihn herab, als fühle er eine leise
-Berührung ihres Mundes: &ndash; dann hatte er eine große,
-große Erleichterung des Atmens verspürt &ndash; aber er sagte
-sich gleich selbst, das sei ein Gebilde seiner Träume, des
-Wundfiebers.</p>
-
-<p>Lange, lange Zeit lag er so.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>In dem Bischofshause sammelten sich, nachdem die
-weltliche Arbeit des Tages erledigt und der schuldige Dank
-dem Himmelsherrn dargebracht war, die nächsten Zugehörigen
-des wunden Mannes. Es waltete nicht nur in
-der Bücherei, auch in den andern Räumen des Hauses jene
-bange, atemverhaltende Stille, welche die Sorge um das
-Leben eines geliebten Kranken verbreitet; wer einmal ihren
-beengenden Druck lasten gefühlt auf der Seele, vergißt sein
-nie mehr.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>In einem Vorsaale der Bücherei saßen Hand in Hand
-die beiden Liebespaare: sie sprachen in bangem, leisem
-Flüsterton.</p>
-
-<p>»Wie traurig!« klagte Fulko. »Wir andern alle dürfen
-uns der geschenkten Welt erfreuen. Ist es doch, als habe
-Gott der Herr die Erde zum zweitenmal für uns geschaffen!
-und nur Er &ndash; der Beste von uns allen! &ndash; soll sich
-nicht mit uns des gesicherten Daseins erlaben.« »Ja, aber,<span class="pagenum"><a id="Seite_246">[246]</a></span>
-Liebster,« koste Minnegard, verschämt das Köpflein an seiner
-Schulter versteckend. »Nun steht die Welt immer noch!
-Und die Welt und alle Leute werden schelten: &ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;
-es ist schreckbar, <em class="gesperrt">wie</em> sie alle schelten werden! Und wenn
-sie erst <em class="gesperrt">alles</em> wüßten, wie der liebe Gott es weiß, dann
-würden sie gar nie mehr aufhören!«</p>
-
-<p>Fest sah Edel dem Geliebten in die Augen: »Ich sage
-der Welt und dem Herrn Bischof, bevor er stirbt, alles.
-Und fürchte mich nicht.« Er drückte schweigend ihre
-Hand.</p>
-
-<p>»Ja, das ist keine Kunst, streng Schwesterlein,« lächelte
-die Braune. »Erstens hat der Herr Bischof dich nie zur
-Nonne bestimmt: &ndash; was will er Besseres für dich als
-einen Eheherrn wie dieser junge Ritter Georg? Und zweitens«
-&ndash; sie stockte, sie errötete, und schmiegte das Haupt
-wieder an die Brust des Geliebten. »Nun, was, mein
-Liebling?« &ndash; »Kann's nicht sagen.« &ndash; »Nur mir ins
-Ohr &ndash; ins Herz vielmehr.« &ndash; »Die andre hat wohl
-nicht soviel zu gestehen: &ndash; oder doch im stillen zu bereuen:
-nein,« brach sie leidenschaftlich aus, »nicht soviel zu bereuen,
-nein, selig zu bejubeln!« Und sie küßte ihn heiß
-auf den Mund und umschlang seinen Nacken mit beiden
-Armen.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>IV.</h3>
-
-<p>Schon fielen sie seitlich ein, die Strahlen der sinkenden
-Sonne des langen, langen Sommertages durch die Öffnung
-des Bogenfensters: &ndash; der dunkelgelbe Vorhang war zurückgeschlagen
-&ndash;: ein goldiger Streif spielte auf dem dunkelfarbigen
-Kopfpolster und berührte das bleiche Antlitz des<span class="pagenum"><a id="Seite_247">[247]</a></span>
-stillen, blassen Mannes: &ndash; da holte der auf einmal tief
-und voll Atem und schlug die Augen weit auf.</p>
-
-<p>»Wo bin ich?« fragte er matt. »Nicht im Sarg!
-Nein. Es ist hell. Nicht im Jenseits &ndash; nein &ndash; das
-ist &ndash; was da hängt &ndash; o Gott! es ist mein Schwert!
-&ndash; Ringsum die Wände &ndash; meine Bücherei. Ja, ja!
-Die Welt steht! Mitternacht war ja auch schon vorbei.
-Gott &ndash; ich danke, daß du die Heiden von der Stadt gewehrt
-&ndash; ich sah sie fliehen! &ndash; nun will ich gern sterben.«
-»Nein, Herr Bischof, nicht sterben. Leben sollt &ndash; leben
-<em class="gesperrt">werdet</em> Ihr jetzt,« sprach da eine wunderliebliche Stimme
-und über ihn neigte sich ein sanftes bleiches Antlitz und
-zwei Thränen fielen auf seine Wangen. »Heilfriede! Nein,
-das war diesmal kein Traum. Und wir sind nicht gestorben
-&ndash; beide?« Sie schwebte leise an die Thüre des
-Vorsaals und winkte den dort Harrenden, einzutreten.
-»Gestorben? Nein. Gerettet seid Ihr, Herr Bischof!«
-jubelte Fulko und küßte seine Hand. »Gerettet durch diese
-Frau!« rief Edel. »Das ist gar keine Frau,« besserte
-Minnegard, »das ist eine Heilige.« »Ein Engel auf
-Erden,« schloß Hellmuth. »Und es war auch kein Traum,«
-lächelte die stille Frau, die nun zu seiner Linken kniete
-und ihm einen Heiltrunk reichte, »daß Ihr mich schon vor
-Stunden gesehen.« »Wir zagten, wir verzweifelten ob
-Eurer Wunde &ndash;« begann Fulko. »Wir fürchteten das
-Gift, und wußten &ndash; auch der Klosterarzt nicht &ndash; Hilfe,«
-klagte Edel. »Aber Frau Heilfriede!« fuhr Minnegardis
-freudig fort. »Weiß Gott, wie sie auf einmal, &ndash; schon
-im Thorbogen &ndash; da war,« rief Fulko. »Sie beugte sich
-sofort über Euch,« ergänzte Hellmuth. »Und obwohl der
-Klosterarzt verbot, das Messer zu entfernen, zog sie es
-sanft heraus. Viel Blut floß nach! Und dann … Ja
-dann! Obwohl der Arzt sie warnte, es gebe Gift, das<span class="pagenum"><a id="Seite_248">[248]</a></span>
-nicht nur im Blut, auch im Magen den Tod bringe &ndash;«
-»Kein Wort sprach sie,« rief Fulko, »ihren Mund preßte
-sie auf Euren Hals und sog die Wunde aus in tiefen
-Zügen.«</p>
-
-<p>Da schaute Herr Heinrich verklärten Blickes auf zu der
-Errötenden; die schlug die langen blonden Wimpern nieder.</p>
-
-<p>Nun schloß auch der Wunde die Augen: &ndash; aber er
-konnte doch nicht hindern, daß sie weinten; er griff nach
-ihrer Hand; sie ließ sie ihm willig. »Aber auch ich werde
-nicht sterben,« sprach sie beschwichtigend. »Viele Stunden
-ist's her. Längst hätte das Gift gewirkt. Ich aber &ndash;
-ich bin ganz wohl. Ach, und ich bin so glücklich.« &ndash;
-»Wie … wie war doch alles … vorher? Nach unsrer
-Unterredung? &ndash; Was hab' ich doch … dann &ndash; vor
-dem Gefecht &ndash; noch gethan?« Da fiel sein im Saal
-umhersuchender Blick auf das Räucherbecken. Er stieß einen
-jähen Schrei aus und fuhr empor aus den Decken: er
-wollte sich aufrichten: aber matt sank er zurück. »Um
-Gott!« stöhnte er. »Nun steht die Welt noch! Und ich
-&ndash; ich Unseliger! Was hab' ich gethan! Weh mir!
-Sankt Burchhards Recht &ndash; den Beweis! &ndash; hab' ich
-zerstört. Die Schenkung … die Urkunde Kaiser Karls
-hab' ich verbrannt!« Und er hob die beiden geballten
-Fäuste und wollte sie sich in das Antlitz schlagen. Schrecken
-ergriff die andern: aber zwei weiche Hände haschten die
-Fäuste und zogen sie sanft hernieder auf die Bettdecke:
-»Daran habt Ihr sehr recht gethan, Herr Heinrich,« sprach
-die herzgewinnende Stimme. »Ich wollte Euch gerade
-bitten, es zu thun. Denn sie war falsch.« »Was? Was
-sagt Ihr?« rief Heinrich. »Unmöglich! Jener …
-Berengar … verstand sich scharf auf Urkunden.« &ndash; »Jawohl.
-Nur allzu scharf! Er verstand auch, sie zu fälschen.
-Gemäß Eurem Gebot ward auch er in die Stadt<span class="pagenum"><a id="Seite_249">[249]</a></span>
-getragen. Ich sah nach seiner Wunde; ich sagte ihm, er
-müsse sterben. Und nun sterbend, in den Qualen des
-Todes, zitternd vor der Hölle, hat er all seine Schuld
-bekannt und bereut. Er hatte mit Zwentibold abgeschlossen:
-&ndash; er glaubte nicht an das Ende der Welt: er
-wollte die Wenden in die Stadt lassen und Euch ermorden.
-Er starb, nachdem er mir aufgetragen, Euch zu bitten, sein
-Machwerk zu zerstören.« »Ihr wollt mich …? Nein,
-dieses Antlitz kann nicht täuschen,« rief der Bischof und
-atmete beseligt auf. &ndash; »Die Schenkung Kaiser Karls war
-falsch: Ihr wart im vollen Unrecht gegen meinen Mann.
-Aber eine andre Schenkung &ndash; eines andern Kaisers &ndash;
-die ist echt. Eine Ersatzurkunde &ndash; für die verbrannte
-falsche &ndash; ist Euch erworben.« &ndash; »Ihr … Ihr habt …?«
-&ndash; »Nicht ich. Und nicht aus meiner Hand sollt Ihr sie
-nehmen. Aus einer andern Hand. &ndash; Herr Heinrich,«
-flüsterte sie in sein Ohr &ndash; »der Herr hat so große Gnade
-an Euch gethan …« &ndash; »Durch seinen lichtesten Engel!«
-&ndash; »Ihr könnt jetzt nicht Groll in der Brust tragen.« &ndash;
-»Nein. Ich vergebe dem toten Fälscher.«</p>
-
-<p>»Auch nicht gegen Lebende Groll. Herr Heinrich:
-unten im Waffensaale steht mein Mann. Er traf bei
-Sonnenaufgang auf dem Schlachtfeld ein, mit dem Aufgebot
-der nächsten Gaue: &ndash; er hatte von dem Zug der
-Wenden auf Würzburg gehört, war ihnen auf dem Fuße
-gefolgt und hat die Flüchtigen in den Main gesprengt. Er
-wartet. Er hat Euch was zu bringen. Aus Italien. Vom
-Kaiser Otto. Er selber hat's bewirkt, &ndash; schon vor vielen
-Wochen &ndash; und mitgebracht. Es ist was Freudiges! Freude
-wird Euch nicht schaden &ndash; wird Euch gut thun. Darf ich
-Graf Gerwalt rufen?«</p>
-
-<p>Er konnte nur stumm nicken.</p>
-
-<p>»Aber vorher noch,« sprach die ernste Frau jetzt gar<span class="pagenum"><a id="Seite_250">[250]</a></span>
-holdselig lächelnd &ndash; »vor den Staatsgeschäften &ndash; eine
-Stärkung. Sagt, ihr tapfern Junker &ndash; ihr wißt doch
-sicher, wo hier im Bischofskeller der beste Wein liegt?«</p>
-
-<p>Beide waren schon an der Thüre! Die Gräfin und
-die Mädchen folgten ihnen.</p>
-
-<hr class="rh3" />
-
-<h3>V.</h3>
-
-<p>»Supfo, Supfo!« rief Hellmuth lautschallend durch das
-Haus. »Wo ist Supfo? Wo steckt der dicke Schalk?«
-»Ich hab' eine Ahnung!« lachte Fulko und eilte durch die
-Vorhalle auf die Fallthüre zu, welche die Kellertreppe schloß.</p>
-
-<p>Da ward diese Thüre von unten aufgestoßen und auf
-der obersten Stufe erschien Supfo, ein strahlendes Lächeln
-auf dem stark geröteten hübschen rundlichen Gesicht; auf
-seiner linken Schulter lag, behaglich schnurrend Mucia, die
-Kluge, in der Rechten trug er einen mächtigen erzgetriebenen
-Krug, aus welchem ein starker, herzerfreuender Duft aufstieg.</p>
-
-<p>»Ja Supfo! Wo wart Ihr denn die ganze Zeit?«
-&ndash; »Da, wo ich hingehöre, ihr Gelbschnäbel!« &ndash; »Supfo
-&ndash; ist es möglich? &ndash; Ihr habt? &ndash; während des Untergangs
-der Welt …?« &ndash; »Na, ist sie untergegangen?«
-&ndash; »Aber sie sollte doch.« &ndash; »Nicht doch! Sie sollte
-eben <em class="gesperrt">nicht</em>! Hab' ich's euch nicht vorausgesagt? Mucia
-und ich, wir wußten es besser.« &ndash; »Aber Supfo! &ndash;
-Wann seid Ihr denn da hinunter?« &ndash; »Vorgestern
-Abend.« &ndash; »Und die ganze Zeit verschlafen?« &ndash; »Das
-ist Verleumdung. Nur die zweite Hälfte.« &ndash; »Und das
-Sturmblasen von allen Türmen! Das Hinaussprengen
-der Reisigen, den Auszug und den Einzug? Ihr hättet<span class="pagenum"><a id="Seite_251">[251]</a></span>
-wirklich die Posaunen des Gerichts auch verschlafen.« &ndash;
-»Haben sie geblasen? &ndash; Was ich that in der ersten Hälfte
-der Zeit? Nun, der Griechenwein ist zu Ende. Das ist
-die Neige &ndash; diesen Vollkrug hab' ich für den Herrn Bischof
-und für euch gespart. &ndash; Wer war nun der klügste Mann
-in ganz Würzburg?« Und er lachte, daß ihm das runde
-Bäuchlein bebte, bis ihm Fulko erzählte, aus welchen Gefahren
-und Sorgen sie sich eben erst geborgen wußten.
-Da humpelte der Dicke &ndash; unglaublich rasch &ndash; die Treppe
-hinauf und an Herrn Heinrichs Lager und sank dort auf
-die Kniee und weinte, weinte Thränen des Schmerzes und
-der Freude durcheinander.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Während Hellmuth den Grafen Gerwalt aus der Waffenhalle
-holte, wartete die Gräfin mit den beiden Mädchen
-und Fulko im Vorsaal.</p>
-
-<p>Da trat Minnegard an Frau Heilfriede heran und
-begann, ziemlich kleinlaut: sie schlug die Wimpern nieder
-&ndash; denn allzu glücklich für eine zage Bitte und geheimen
-Glückes zu süß bewußt leuchteten &ndash; sie fühlte das &ndash; ihre
-minneseligen Augen: »Was soll nun werden aus … aus
-uns beiden armen jungen Paaren? Wir hatten uns ganz
-darauf eingerichtet, daß heute nur der liebe Gott, der &ndash;
-leider Gottes! &ndash; doch ohnehin alles weiß, mit uns rechten
-werde können über das, was wir Mädchen diese Nacht
-gethan &ndash; oder doch: erlitten« seufzte sie, »und vielleicht
-nicht ganz heftig genug abgewehrt: &ndash; wer konnte aber
-heute Nacht um Hilfe gegen Entführer schreien? Es hätte
-doch niemand darauf gehört!« Da lachte Fulko. »Mein
-süßes … Kind. Deiner Mutter Klosterwunsch galt nur
-für die alte Welt: &ndash; die ist heut' Nacht versunken: &ndash;
-nicht bindet er für die neue, die uns der Herr Gott heute<span class="pagenum"><a id="Seite_252">[252]</a></span>
-geschenkt.« »Das würde der Herr Bischof schwerlich gelten
-lassen,« meinte die Frau Gräfin, drohend den weißen Finger
-gegen Fulko hebend: »aber getrost. Herr Heinrich steht
-so tief in der Schuld des gnädigen Himmelsherrn, &ndash;«
-»Und in der Eurigen,« riefen die drei andern. &ndash; »Daß er
-auch ein Übriges an Güte thun muß &ndash; und wird. Seid
-ganz getrost. Ich &ndash; ich führe eure Sache &ndash; aller vier.«</p>
-
-<p>»Dann ist sie gewonnen!« jubelte Minnegardis, warf
-sich an ihre Brust und küßte sie stürmisch. »Wie sollen wir
-Euch danken?« fragte Edel, tief gerührt. &ndash; »Mein Dank ist
-&ndash; euer Glück. Ich war auch einmal jung. &ndash; Da kommt
-mein Mann. Nun zu ihm … zu Herrn Heinrich.«</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Am Lager Herrn Heinrichs stand Graf Gerwalt, eine
-stattliche, mannhafte Kriegergestalt in voller Waffenrüstung,
-nur ein paar Jahr jünger als der Bischof, aber sein blondes
-Haar war weit weniger ergraut. Er hielt des Wunden
-Hand gefaßt und sprach: »Ihr habt mir nicht zu danken.
-Was ich gethan, ich that's nicht Euch zu lieb' &ndash; ich that's
-fürs Reich. Ich kam zu der Einsicht, daß, wie die Dinge
-hier in der Stadt und im Gau nun einmal liegen, Bischof
-und Graf, auch wenn sie beide nicht solche Streitköpfe sind
-wie wir, auch bei friedfertigem Sinn &ndash; unablässig in
-Hader über die Grenzen ihrer Rechte kommen werden,
-kommen müssen. Deshalb hab' ich &ndash; und allerdings auch,
-weil ich den Rothenburger Heinrich als einen Mann kenne,
-der Land und Leute trefflich zu leiten und &ndash; wir haben's
-diese Nacht wieder erlebt! &ndash; zu schirmen weiß, bei
-Kaiser Otto mit Hilfe Eures klugen Bruders, des Herrn
-Kanzlers, durchgesetzt, was fortab &ndash; nun, ich lese Euch
-seine Urkunde vor«; und er ließ sich von Frau Heilfriede
-ein Pergament reichen mit dem großen kaiserlichen Siegel
-und las:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_253">[253]</a></span></p>
-
-<p>»In dem Namen der heiligen unzerteilten Dreifaltigkeit
-Otto der Dritte, ein Knecht Jesu Christi und römischer
-Kaiser, Mehrer des Reichs, nach dem Willen Gottes,
-unsres Seligmachers und Erlösers. Was von unserer
-Majestät zu Erhöhung der Kirchen Gottes und seiner Heiligen
-gegeben wird, das, so hoffen wir, wird sonder Zweifel
-zur Stätigung unseres Reiches und uns zur Freude des
-ewigen Lebens ersprießlich sein. Darum sei kund allen
-unsern gegenwärtigen und künftigen Getreuen, daß wir um
-Willen der Bitten des ehrwürdigen Erzbischofs und Kanzlers
-unsres Reiches, Herrn Heriberts, auch auf verständige
-und für des Reiches Nutz zuträgliche eindringliche Vorstellung
-des tapfern Herrn Gerwalt, bisher Grafen des
-Ran- und Waldsassengaues und dazu aus besonderer Ehrung
-der wackern Dienste in Krieg und Frieden, die uns Herr
-Heinrich, weiland Graf von Rothenburg ob der Tauber,
-nunmehr aber Bischof von Würzburg, geleistet hat, diesem
-Herrn Bischof Heinrich und all seinen Nachfolgern zu Ehren
-des allmächtigen Gottes, Seligmachers der Welt, und der
-kostbarlichsten Martyrer Sankt Kilian, Sankt Coloman
-und Sankt Totnan geweihet haben, geschenkt und gewidmet
-zwo Grafschaften, genannt Waldsassen &ndash; mitsamt Stadt
-und Weichbild von Würzburg &ndash; und genannt Rangau in
-dem Lande, das man das Morgenfrankenland heißt, gelegen,
-die wir mit allem Zwang, allen Satzungen und unserm
-königlichen Banne, mit Ordnung und Gerichtsbarkeit, nichts
-ausnehmend von dem allen, was die Grafen oder sonst
-irgend ein Mensch von Herkommen und Gewohnheit wegen
-haben sollen, und dies alles mit aller Nutzbarkeit den
-obgeschriebenen Martyrern zu eigen gegeben und aus unsern
-Rechten und unsrer Herrlichkeit in des ehrwürdigen Bischofs
-Heinrich und seiner Nachfolger Recht und Herrlichkeit gänzlich
-übertragen haben: nämlich in der Gestalt, daß gemeldeter,<span class="pagenum"><a id="Seite_254">[254]</a></span>
-ehrwürdiger Bischof Heinrich und alle seine Nachfolger
-die vorgenannten Grafschaften wie immer es ihnen gefallen
-wird für und für ordnen, selbst verwalten oder einen
-andern als Grafen damit belehnen mögen, ohne daß wir,
-unsere Nachfolger oder sonst männiglich Eintrag und Widerspruch
-erheben mögen. Und damit diese unsere kaiserliche
-Übergabe nun und hinfort desto beständiger verbleibe, haben
-wir diesen Brief mit eigener Hand gefestigt und zu besiegeln
-geboten. Gegeben den dreißigsten Tag des Maien, nach
-der Menschwerdung des Herrn im tausendsten Jahr, in
-der dreizehnten Römer Zinszahl, in unseres des dritten
-Otten Königtum dem sechzehnten und unseres Kaisertums
-im fünften Jahr. Gegeben zu Rom: seliglich. Amen.«</p>
-
-<p>Herr Heinrich reichte ihm die Hand und suchte sein
-Auge, gewaltig hob sich ihm die Brust in tiefem Atmen.
-Es dauerte geraume Zeit, bis er sagen konnte: »Dank!
-&ndash; Heißen Dank! Und war mir doch geweissagt, ich
-würde nicht sterben, bevor ich meinen schlimmsten Feind
-erschlagen! Ich meinte, das … war …« »Nicht ich!«
-sprach Graf Gerwalt und strich ihm über die Stirne.</p>
-
-<p>»Nein! &ndash; Das war … ein anderer! &ndash; Aber Graf
-Gerwalt, was wird aus Euch?« Heilfriede legte die Hand
-auf ihres Gatten gepanzerte Schulter und sprach mit stolzfreudigem
-Blick: »Markgraf von Meißen wird er, mit
-herzoglichem Recht und Rang. Der große Held, Markgraf
-Eckhart, der Schreck der Slaven, der Schirmer unserer
-Marken dort, ist gestorben. Mein Mann tritt an seine
-Stelle. Sobald Ihr vom Lager erstanden seid, brechen
-wir dorthin auf.«</p>
-
-<p>Herr Heinrich nickte: »Er hat's verdient. &ndash; Zwei
-Grafschaften kann ich allein nicht selbst verwalten. Hellmuth
-soll den Rangau &ndash; Wo ist Hellmuth? ah dort!
-Sieh, Hand in Hand mit Edel? Nun möcht' ich doch<span class="pagenum"><a id="Seite_255">[255]</a></span>
-wissen auch von gar manchen andern noch: von dem Geschicke
-so vieler der mir anvertrauten Seelen &ndash; wie hat
-all das gewirkt auf …? &ndash; ach auf viele! Und wie
-kommt es, &ndash; daß Minnegard, &ndash; sie lehnt an Fulkos
-Brust! Ei schlimme Mündel! Berichtet und erklärt!«</p>
-
-<p>»Nein,« sprach Frau Heilfriede sanft, den Finger auf
-die Lippen legend, »heute wird nichts mehr berichtet und
-erklärt. Es ist genug, fast schon zuviel gewesen für einen
-wunden Mann. Morgen dann &ndash; da uns der liebe Gott
-nicht mehr bedroht! &ndash; morgen ist auch noch ein Tag.
-Da mögt Ihr alles vernehmen: &ndash; wird Euch wohl manches
-wundern! Aber Ihr werdet mir eine Bitte nicht verweigern,
-Herr Hezilo?«</p>
-
-<p>»Keine, Heilfriede!« &ndash; »Jetzt, Herr Bischof, sprecht
-Euer Nachtgebet. Es wird draußen schon dunkel. Jetzt
-scheidet … auch du, mein Gerwalt &ndash; geht nun alle
-hinaus. Der Kranke muß ruhen, schlafen.« »Aber er
-darf nicht allein bleiben,« rief Minnegard. »Gewiß nicht!
-Ich will …« sprach Edel eifrig. »Nein, liebes Kind,«
-erwiderte die sanfte Frau, ihre Wange streichend. »Das
-ist <em class="gesperrt">mein</em> Recht: <em class="gesperrt">ich</em> bin doch seine älteste Freundin.«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<div class="transnote" id="tnextra">
-
-<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert.
-Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.</p>
-
-<p>Korrekturen:</p>
-<div class="corr">
-<p>
-S. 36: Schatte → Schatten<br />
-damit der hinter sie fallende <a href="#corr036">Schatten</a> die Fische</p>
-<p>
-S. 38: nud → und<br />
-aus der Wunde reißen <a href="#corr038">und</a> so taumelte er denn</p>
-<p>
-S. 63: kaum → kann<br />
-so lang und so heiß sie irgend <a href="#corr063">kann</a></p>
-<p>
-S. 87: Zaum → Zaun<br />
-durch eine schmale Lücke im <a href="#corr087">Zaun</a> zu entweichen</p>
-<p>
-S. 189: nachhher → nachher<br />
-Soll <a href="#corr189">nachher</a> in die Abendpredigt kommen</p>
-<p>
-S. 200: Auswallung → Aufwallung<br />
-In rascher <a href="#corr200">Aufwallung</a> des Edelgefühls kam</p>
-</div>
-</div>
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Weltuntergang, by Felix Dahn
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WELTUNTERGANG ***
-
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