summaryrefslogtreecommitdiff
diff options
context:
space:
mode:
-rw-r--r--.gitattributes4
-rw-r--r--LICENSE.txt11
-rw-r--r--README.md2
-rw-r--r--old/54341-0.txt4934
-rw-r--r--old/54341-0.zipbin105432 -> 0 bytes
-rw-r--r--old/54341-h.zipbin172897 -> 0 bytes
-rw-r--r--old/54341-h/54341-h.htm5609
-rw-r--r--old/54341-h/images/cover.jpgbin67043 -> 0 bytes
8 files changed, 17 insertions, 10543 deletions
diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes
new file mode 100644
index 0000000..d7b82bc
--- /dev/null
+++ b/.gitattributes
@@ -0,0 +1,4 @@
+*.txt text eol=lf
+*.htm text eol=lf
+*.html text eol=lf
+*.md text eol=lf
diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt
new file mode 100644
index 0000000..6312041
--- /dev/null
+++ b/LICENSE.txt
@@ -0,0 +1,11 @@
+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
+in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES.
+
+Procedures for determining public domain status are described in
+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
+
+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
+this eBook outside of the United States should confirm copyright
+status under the laws that apply to them.
diff --git a/README.md b/README.md
new file mode 100644
index 0000000..1b30c80
--- /dev/null
+++ b/README.md
@@ -0,0 +1,2 @@
+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
+eBook #54341 (https://www.gutenberg.org/ebooks/54341)
diff --git a/old/54341-0.txt b/old/54341-0.txt
deleted file mode 100644
index 0cd671a..0000000
--- a/old/54341-0.txt
+++ /dev/null
@@ -1,4934 +0,0 @@
-Project Gutenberg's Vertraute Briefe an eine Freundin, by Christian Garve
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-
-Title: Vertraute Briefe an eine Freundin
-
-Author: Christian Garve
-
-Release Date: March 11, 2017 [EBook #54341]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK VERTRAUTE BRIEFE AN EINE FREUNDIN ***
-
-
-
-
-Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned
-images of public domain material from the Google Books
-project.)
-
-
-
-
-
-
- ####################################################################
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
- Der vorliegende Text wurde anhand der 1801 erschienenen Buchausgabe
- so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Zeichensetzung
- und offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend
- korrigiert. Ungewöhnliche sowie inkonsistente Schreibweisen wurden
- beibehalten, insbesondere wenn diese in der damaligen Zeit üblich
- waren oder im Text mehrfach auftreten. Fremdsprachige Zitate
- werden dem Original entsprechend unverändert wiedergegeben. Das
- Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter erstellt.
-
- Das Buch wurde in Frakturschrift gedruckt, wobei üblicherweise
- zwischen den Großbuchstaben ‚I‘ und ‚J‘ nicht unterschieden
- wird. Daher wurde in einer Passage (‚Frau von I.‘) willkürlich
- der erstere Buchstabe gewählt. Für die von der Normalschrift
- abweichenden Schriftschnitte wurden die folgenden Sonderzeichen
- verwendet:
-
- gesperrt: +Pluszeichen+
- Antiqua: ~Tilden~
-
- Einzelbuchstaben in Antiquaschrift wurden bei der Auszeichnung
- nicht berücksichtigt.
-
- ####################################################################
-
-
-
-
- Christian Garve’s
-
- Vertraute Briefe
-
- an
-
- eine Freundin.
-
- Leipzig,
- bey P. Phil. Wolf und Compagnie.
- 1801.
-
-
-
-
-Inhalt.
-
- Seite
- Vorrede des Herausgebers. iii
- Erster Brief. 3
- Zweyter Brief. 10
- Dritter Brief. 13
- Vierter Brief. 18
- Fünfter Brief. 28
- Sechster Brief. 41
- Siebenter Brief. 51
- Achter Brief. 58
- Neunter Brief. 60
- Zehnter Brief. 68
- Eilfter Brief. 77
- Zwölfter Brief. 81
- Dreyzehnter Brief. 88
- Vierzehnter Brief. 95
- Funfzehnter Brief. 105
- Sechzehnter Brief. 111
- Siebenzehnter Brief. 123
- Achtzehnter Brief. 130
- Neunzehnter Brief. 141
- Zwanzigster Brief. 145
- Ein und zwanzigster Brief. 155
- Zwei und zwanzigster Brief. 165
- Drey und zwanzigster Brief. 172
- Vier und zwanzigster Brief. 178
- Fünf und zwanzigster Brief. 187
- Sechs und zwanzigster Brief. 194
- Sieben und zwanzigster Brief. 202
- Acht und zwanzigster Brief. 205
- Neun und zwanzigster Brief. 215
- Dreyssigster Brief. 221
- Ein und dreyssigster Brief. 227
- Zwey und dreyssigster Brief. 231
- Drey und dreyssigster Brief. 237
- Vier und dreyssigster Brief. 244
- Fünf und dreyssigster Brief. 246
- Sechs und dreyssigster Brief. 250
- Sieben und dreyssigster Brief. 254
- Acht und dreyssigster Brief. 263
-
-
-
-
-Vorrede des Herausgebers.
-
-
-Die Freundin Garve’s hat bey der Herausgabe dieser Briefe keine
-andere Absicht, als mit allen Freunden und Verehrern des guten Mannes
-ein kleines, ihr sehr theures Erbtheil von ihm zu theilen. Daß
-dieser Gedanke ihrem eignen Herzen und ihrer Gesinnung gegen ihren
-verstorbenen Freund wohlthun, ist sie gern geständig. -- So wenig auch
-Garve’s +gelehrter Nachlaß+ dadurch um ein Bedeutendes vermehrt werden
-mag, so kann doch auch der Gelehrte sich wohl dieser Briefe freuen;
-er sieht in ihnen den Geist blühen, von dem er die Früchte kennt und
-schätzt. Was man von Schriftstellern nicht heraus geben muß, sind
-taube Blüthen und unreife Früchte; von einem philosophischen Geiste
-ist die Blüthe so angenehm, als die Frucht stärkend; und wenn ein Mann
-etwas geworden ist -- dann wird der Welt die Frage interessant: wie
-wurde er es? -- Diese Briefe enthalten vielleicht manche interessante
-Data zur Beantwortung der Fragen: Wie war Garve, der Jüngling? -- Wie
-früh war sein Geist gereift, gefaßt, in sich gegründet? -- Wie wurde
-Garve, der Mann? -- Wie entwickelte sich der Plan seines Lebens? -- Wie
-wurde Garve, der Schriftsteller? -- -- Diese Briefe sind unmittelbar
-vor seiner Bearbeitung des Cicero geschrieben, und man kann sie
-in mehr als einer Hinsicht als einen Eingang in sein öffentliches
-schriftstellerisches Leben ansehen.
-
-So viel für diejenigen, die in diesen Briefen Garven, den Gelehrten,
-suchen. Diese und alle gute Menschen, denen dieselben in die Hände
-kommen, mögen sich freuen -- dieß ist der lebhafteste, ja ich kann
-wohl sagen, der einzige Wunsch der Herausgeberin, ihren Freund hier
-in den ersten, reinsten, natürlichsten Verhältnissen des Lebens zu
-sehen, Garven, den +Sohn+, -- den +Freund+ -- und den +Menschen+. --
-Hier kann ihn der Gute lieben, der den Gelehrten nicht kennt; und gern
-wird vielleicht der Gelehrte sein philosophisches Werk einen Augenblick
-hinlegen, um mit dem menschlichen Verfasser desselben einige Zeit im
-Zirkel seiner Familie, seines Jugendlehrers, und seiner Freunde,
-zuzubringen.
-
-Dieß sind die Gedanken der Freundin Garve’s bey der Herausgabe dieser
-Briefe, nach welchen sie wegen derselben von dem Publikum beurtheilt zu
-werden wünschen muß.
-
-
-
-
- Vertraute Briefe
-
- an
-
- eine Freundin.
-
-
-
-
-Erster Brief.
-
-
- Dienstags Nachmittags um 3 Uhr,
- den 11. May, 1767.
-
-Endlich bin ich wieder bey Ihnen, und vergesse in diesem Augenblicke
-alle die Schwermuth, den Verdruß, und die Langeweile, die ich seit
-unserer Trennung ausgestanden habe. Wir haben es uns hundert Mal
-gesagt, daß die empfindlichen Herzen mehr zum Leiden als zur Freude
-gemacht sind. Und wenn ich der Sympathie, die alle unsere Neigungen
-einander so gleich gemacht hat, trauen darf, wenn meine Empfindungen
-den Ihrigen ähnlich waren, so sind Sie diese drey Tage über nicht
-glücklich gewesen. Zuerst eine mehr süße als unangenehme Schwermuth,
-aber bald darauf eine finstere und traurige Melancholie, die alle
-Ideen der Seele in ihre Farbe kleidete, und selbst der Hoffnung nicht
-zuließ, sie zu trösten.
-
-Ich finde, daß ich gemeiniglich in dem Augenblicke, wenn mir ein
-Unglück widerfährt -- und unsere Trennung halte ich für eins -- mehr
-bestürzt als traurig bin. Die Geschwindigkeit, mit welcher es mich
-überrascht, benimmt mir die Fähigkeit darüber nachzudenken. Ich werde
-einiger Maßen fühllos, ich erstarre. Aber wenn mein Gemüth wieder ruhig
-genug ist, die Größe und die Folgen des Uebels zu überlegen; wenn es
-sich die Scenen des Vergnügens wieder vorstellt, deren es jetzt beraubt
-ist; wenn es von da sich zu den künftigen Aussichten wendet; dann wird
-erst sein ganzes Gefühl rege, und alle seine Kräfte vereinigen sich
-bloß dazu, es in der Traurigkeit zu unterhalten.
-
-Ich bin Ihnen noch so nahe, und es scheint mir eine unermeßliche
-Entfernung zu seyn. Und doch werde ich Ihnen in einem halben Jahre
-nicht näher kommen, -- vielleicht niemals. Aber lassen Sie mich diese
-unglückliche Furcht unterdrücken. Ich sehe Sie wieder.... Mein Herz
-ist mir dafür Bürge, das der Himmel nicht umsonst mit dem Ihrigen so
-sympathetisch gemacht hat. Selbst unter einem entfernten Himmelsstriche
-würde ich Sie geliebt haben, ohne Sie zu kennen, -- eine Person,
-die Ihnen ähnlich wäre, eine zweyte Wilhelmine. Und nun, da uns die
-Vorsicht zusammen gebracht hat, da wir uns haben kennen lernen müssen,
-da wir diesen geheimen Zug der Aehnlichkeit in uns entwickelt, unsere
-Seelen gegen einander gehalten, und sie so ähnlich gefunden haben, als
-zwey freundschaftliche Seelen seyn müssen; da wir überzeugt worden
-sind, daß dieses höchste Geschenk der Gottheit, die Freundschaft,
-für unsere Herzen gemacht ist: nun sollten wir einander auf immer
-verlassen? um wieder in der Welt nach einer uns verwandten Seele zu
-suchen und zu seufzen, und sie vielleicht nicht zu finden.
-
-Sie sehen, ich schreibe stolz. Ich nenne mich keck Ihren Freund;
-und zwar in der hohen Bedeutung, in welcher dieses Wort nur selten
-gebraucht wird. Aber wen sollte auch Ihre Gütigkeit nicht stolz machen.
-Mein Herz ist noch von derjenigen gerührt, die Sie mir den letzten
-Tag erwiesen haben. Wie oft habe ich mir nicht die Auftritte dieses
-Tages von meiner Einbildungskraft wieder vorspielen lassen! Und immer
-verweilte ich mich bey dem Augenblicke, wo ich in einer Bestürzung,
-die mich von meinen Bewegungen nicht mehr Herr seyn ließ, meinen Huth
-suchte, und Sie mir das unerwartete Vergnügen ankündigten, daß ich noch
-einen halben Tag länger bey Ihnen seyn könnte. Niemals hat man eine
-freundschaftlichere Gefälligkeit zu einer gelegenern Zeit gethan, zu
-einer so gelegenen Zeit, daß ich Ihnen die Grausamkeit vergebe, daß Sie
-mich die Angst des Abschieds haben zwey Mal empfinden lassen.
-
-Ich sollte Ihnen nun meine Reise beschreiben. Ich wollte sie Ihnen
-beschreiben. Ich habe jede Kleinigkeit bemerkt, von der ich hoffte,
-daß sie entweder einer kleinen Satyre fähig wäre, oder, durch Ihre
-freundschaftliche Theilnehmung an allem was mich betrifft, Ihnen
-wichtig seyn könnte. Ich hatte in meinen Gedanken eine ganz kleine
-Sammlung von solchen Zügen, und schon dachte ich mit Eitelkeit an
-die Reisebeschreibung, die ich daraus zusammensetzen wollte. Aber
-dieses war noch in der ersten Zeit, wo der Einfluß Ihrer noch nicht
-längst verlornen Gegenwart meiner Seele noch Muth und eine gewisse
-Munterkeit erlaubte. Aber seit diesem Zeitpunkte sind alle jene Ideen
-weggewischt worden. Der Schmerz hat sie alle so einförmig gemacht, daß
-ich sie nicht ohne Mühe, und gewiß ohne Anmuth aus ihrer Dunkelheit
-hervorziehen würde. Also will ich Ihnen nur kurz sagen, daß ich meine
-Reisegesellschaft nicht genauer kennen gelernt habe, als wir sie im
-Wirthshause schon kannten, ausgenommen, daß der Macedonier ein großer
-Schläfer war, den ich herzlich beneidete, durch die ärgsten Stöße
-niemals in seiner Ruhe gestört zu werden; daß der Herr Magister sehr
-wenig sprach, und daß dieses Wenige alle Mal etwas kraftloses und
-langweiliges war; daß mein Nachbar ein Kaufdiener, und noch ein vierter
-ein Dreßdner war.
-
-Ich selbst habe den Postwagen in W*** verlassen. In der That war
-es beynahe eine Unbesonnenheit, die ich beging. Die Sache war so.
-Der Postwagen war auf das erschrecklichste befrachtet. Eine Menge
-Geldfässer und anderer schwerer Waren! Vier elende und abgetriebene
-Pferde würden ihn mit Mühe und Noth bey dem besten Wege gezogen haben.
-Aber dieser war entsetzlich. Aus einem Loch ins andere! Ich stieg drey
-bis vier Mal ab. Ich ging zu Fuß. Aber so oft ich wieder aufstieg,
-verschlechterte sich alle Mal der Weg. Das Gewicht des Wagens machte,
-daß er bey jedem Abhange sehr stark schwankte; wir waren zwey Mal in
-der größten Gefahr gewesen, umzuwerfen. Endlich bemächtigte sich die
-Furcht meiner. Ich dachte an den schrecklichen Fall bey B***werda.
-Ich fuhr beständig in Angst. Wir erreichten endlich W***. Einer von
-der Gesellschaft, eben der Dreßdner, der eben so furchtsam wie ich
-war, nahm hier Extrapost für sich bis H****burg. Ich entschloß mich,
-ihm Gesellschaft zu leisten. In der That war es unüberlegt: denn ich
-hatte mit genauer Noth so viel Geld bey mir, als nöthig war; und meinen
-Koffer hatte ich auf der ordinären zurück gelassen.
-
-Wir kamen um 9 Uhr nach H***burg. Ich fand keinen Menschen aus
-G****dorf. Man erwartete mich erst Montags. Ich wußte also von neuem
-nicht, wie ich nach G****dorf hinüber kommen sollte. Ich erwartete
-erstlich die ordinäre Post, um meinen Koffer zu haben. Ich ganz
-allein, in der Poststube, wo ein durch die jetzigen Meßexpeditionen
-abgematteter Postschreiber auf einem Stuhle schlief, bey einem kleinen
-einsamen Lämpchen, hatte alle mögliche Zeit zur Schwermuth. In der That
-brachte ich die Stunden höchst traurig zu. Endlich kam mein Koffer.
-Ich nahm noch einmal Extrapost nach G****dorf. Hier kam ich um 11 Uhr
-an. Meine Freunde, oder vielmehr mein Freund, der eben zu Bette gehen
-wollte, empfing mich liebreich.
-
-Hier lebe ich nun nicht mit der düstern Melancholie, die durch die
-Einsamkeit genährt wird, aber in einem gewissen Tiefsinn, den man mir
-auch anmerkt. Ich habe kaum diesen Augenblick finden können. Man ruft
-mich schon etliche Mal, und ich muß nothwendig den Brief endigen,
-ob ich gleich nicht den hundertsten Theil von dem gesagt habe, was
-ich Ihnen sagen wollte. Was für eine elende, unvollkommene Art der
-Unterredung ist doch ein Brief! Gott segne Sie. Von ganzem Herzen
-
- der Ihrige.
-
-
-
-
-Zweyter Brief.
-
-
- G***dorf, den 28. May,
- 1767.
-
-Ich reise diesen Augenblick von hier nach H****burg. Dort erwarte ich
-Hr. M.. und mit ihm -- das angenehmste, was ich in meinen gegenwärtigen
-Umständen erhalten könnte, Ihre eigne Gegenwart ausgenommen.
-
-Ich fange an, das Leben als eine lange und oft beschwerliche Reise
-anzusehen, auf der wir von einem höhern Führer geleitet werden. Von
-Zeit zu Zeit kommen einige angenehme Ruheplätze, wo wir uns nur erholen
-sollen, und wo wir ganz und gar zu wohnen wünschen. Ihr Haus und ihre
-Gesellschaft war einer von diesen. Ich fing schon an in demselben zu
-vergessen, daß ich bloß zur Fortsetzung meiner Reise gestärkt werden
-sollte. Es kommt der fürchterliche Befehl zum Aufbruche. Ich verlasse
-in einer Art von Betäubung den angenehmen Aufenthalt. Endlich kommt
-meine Empfindung wieder; aber nur um mich meinen Verlust fühlen zu
-lassen. Lange, lange sehe ich mit einer zaudernden Sehnsucht nach dem
-gewünschten Orte zurück, indeß ich mich immer mehr von ihm entferne.
-Dort, dort, sage ich, ist meine Freundin, und ich reise nach der
-entgegenstehenden Gegend. +Von einem unbefriedigten Verlangen zur
-Schwermuth ist nur ein einziger Schritt.+ Endlich verlieren sich alle
-diese schmerzhaften Ideen in dem Gedanken an meinen großen und gütigen
-Anführer. Er ist zugleich der Führer meiner Freundin. In ihm, unserm
-gemeinschaftlichen Vater, vereinigen sich wieder unsere Seelen, wenn
-sie auch durch noch so weite Entfernungen von einander getrennt sind.
-+So ist der Schmerz oft unser Lehrer; und eine menschliche Seele, die
-niemals traurig gewesen wäre, müßte gewiß lasterhaft seyn.+
-
-Die Pferde sind angespannt, alles ist fertig. Ich schreibe mitten unter
-dem Geräusch. -- Ich bin unaufhörlich
-
- der Ihrige.
-
-
-
-
-Dritter Brief.
-
-
- B***, den 3. Juni.
-
-Fleuch, Brief, eile, so geschwind wie meine Gedanken, um es meiner
-besten Freundin zu sagen, daß ich meine Reise überstanden, daß ich
-meine Mutter wieder gesehen habe, und daß ich mich doch über beydes nur
-halb so sehr freue, als wenn sie mit daran Theil nähme.
-
-O meine gefühlvolle Freundin, was wäre das für eine Scene für Sie
-gewesen, da ich meine Mutter wieder sah. Denken Sie nur. Sie wußte
-nicht ein Wort davon, daß ich Sonntags kommen würde. Der Himmel hatte
-sogar zu meinem Glück den Brief unrichtig gehen lassen, worin ich es
-Ihr von G****dorf aus meldete. Sie war den Tag zuvor mit meinem alten
-Lehrer (den Sie schon kennen und hochschätzen) dem Hrn. Ringeltauben,
-vom Lande herein gekommen. Die Wiederkunft in die Stadt hatte
-den Schmerz über den Verlust der liebenswürdigsten Tochter wieder
-aufgeweckt. Meine Reise war ihr ein neuer Kummer. Eine Menge von andern
-unangenehmen Umständen hatte ihr Gemüth für das Vergnügen verschlossen.
-Sie stand am Fenster in einer bekümmerten und traurigen Stellung. Zu
-eben der Zeit komme ich an. Ich steige bey einem fremden Hause ab. Ich
-fliege mit einer gewissen Art von ängstlicher Eile über die Straßen.
-Ich komme an das Haus meiner Mutter, ohne daß mich ein Mensch gewahr
-wird, die Treppe hinauf, fort, fort, bis an das Zimmer meiner Mutter.
-Ich eröffne die Thüre mit Zittern. In diesem Augenblicke sehe ich meine
-Mutter mit ausgebreiteten Armen auf mich zufliegen. -- Mein Sohn, mein
-allerliebster Sohn, du bist es! -- Ihre Thränen ersticken das übrige.
-
-Ich war völlig sprachlos. Ich küßte alle, die in der Stube waren, ohne
-ihnen ein Wort zu sagen. Ich ging, wie ein Mensch in der Irre, von
-einem zum andern herum, ohne zu wissen, wer um mich war, und was in
-mir selbst vorging. Endlich fingen die Thränen an zu fließen. Mein
-Herz wurde leichter. Meiner Mutter ihres auch. Ein sanfter und stiller
-Schmerz über die Abwesenheit einer Person, die ich bey einem solchen
-Auftritte am liebsten würde gegenwärtig gesehen haben, vermischte
-sich mit unserer Freude, und brachte eine gewisse stille, aber nicht
-verdrießliche Schwermuth hervor, die unter allen Zuständen der Seele
-vielleicht der angenehmste ist, und den sie am längsten aushalten kann.
-
-O meine gütigste Freundin! Ich habe noch nicht alles gewußt, was ich
-an meiner Cousine verloren habe. Die liebenswürdigste Gestalt, ein
-richtiger und durchdringender Verstand, ein sicheres und feines Gefühl,
-Adel und Hoheit in den Empfindungen, Unschuld und Tugend im Herzen;
-das waren die Vorzüge, die jeder an ihr kannte, und jeder, der für
-Vollkommenheiten von dieser Art Augen hat, hochschätzte. Aber sie war
-für mich noch mehr. Sie war die einzige Freundin, der Trost und die
-Stütze meiner Mutter, das Band unserer Familie, die Hoffnung und die
-Belohnung eines Freundes, den ich verehre, und der in ihr sein Glück
-würde gefunden haben. Denken Sie, was ich dabey fühlen muß, wenn man
-mir noch die letzten Beweise ihrer Gewogenheit gegen mich erzählt,
-ihren Wunsch, mich wieder zu sehen, ihre Freude bey der Hoffnung von
-meiner nahen Zurückkunft. Ist denn alles, was gut und vortrefflich ist,
-nur bestimmt, zu leiden und zu sterben?
-
-Schon fange ich an, für Sie selbst zu fürchten. Eine so gute,
-rechtschaffene Frau, eine so zärtliche Freundin, eine so verständige
-Mutter, ist vielleicht nur ein Darlehn, kein Geschenk, das der Himmel
-der Erde macht. Werden Sie ja wieder gesund, oder Sie machen mich ganz
-melancholisch. Ich bin es ohnedieß schon halb; meine Mutter kränklich,
-von Schmerz und Kummer verzehrt; mein Onkel seiner geliebtesten Tochter
-beraubt; meine übrigen Freunde theils zerstreut, theils unglücklich:
-ist das nicht mehr als genug, selbst ein hartes Herz zu beunruhigen? --
-
-Sie sehen, ich habe Ihre Briefe erhalten. Einen durch Hrn. M.., den
-andern gestern mit der Post. Sie sind die angenehmste unter meinen
-Ergötzungen gewesen. Was meynen Sie wohl? Herr M.. gab mir ihn erst
-in Stauchitz. Bis dahin sagte er nicht ein Wort, daß er einen Brief
-von irgend einem Menschen hätte. Glauben Sie nicht, daß mich diese
-fehlgeschlagene Hoffnung, einen Brief von Ihnen zu bekommen, den Weg
-über sehr unruhig machte? Und doch fürchtete ich mich zu fragen, weil
-ich den Zweifel für besser hielt, als einer unangenehmen Sache gewiß zu
-seyn. Endlich wagte ich es, ihn ganz leise zu fragen, ob er von Niemand
-Briefe hätte. Ja, sagte der Mensch ganz gelassen, ich habe einen von
-***. Was ist doch der Mann für eine Schlafmütze, dachte ich. Geschwind,
-geschwind her mit dem Briefe! Aber was ist denn das für eine Dame, die
-an Sie so zeitig schreibt? -- Eine gute Frau, eine recht sehr gute
-Frau! Aber geben Sie mir den Brief her. Nun denken Sie sich das übrige.
---
-
-Den Augenblick kommt man, und sagt, daß die Post abgeht, und ich meine
-Briefe würde hier behalten müssen. Ums Himmelswillen, mein lieber
-Post-Sekretär, wenn ich Euch jemals eine solche Freundin, wie ich habe,
-wünschen soll, so bestellt diesen Brief an die meinige!
-
-
-
-
-Vierter Brief.
-
-
- B***, den 8. Juni.
-
-Ungeachtet ich anfangs über die neue Einrichtung, die es Ihnen mit
-meinem Posttage vorzunehmen beliebte, ein bischen murrete, so muß
-ich Ihnen doch jetzt sagen, daß Sie es recht gut gemacht haben. Sie
-kennen die Theorie des Vergnügens. Sie wissen, wie notwendig es sey,
-seine Vergnügungen zu sparen, um sie recht zu genießen. Durch Ihre
-gegenwärtige Einrichtung haben Sie zwischen dem Vergnügen, von Ihnen
-Briefe zu bekommen, und dem beynahe eben so großen, Briefe an Sie zu
-schreiben, fast gleiche Zwischenräume gesetzt, da sie sich vorher
-unmittelbar auf einander drängten. Auf diese Art wird mir die Zeit von
-einem Freytage zum andern kürzer, und zwischen beyden Unterredungen,
-die ich mit Ihnen die Woche halte, bey deren einer ich Sprecher, und
-bey der andern Hörer bin, ist doch auch Raum genug, um das Verlangen
-nach einer neuen wieder recht lebhaft zu machen.
-
-Wissen Sie, was mir das ärgste bey dieser Art von Umgang zu seyn
-scheint? Dieses, daß ein Brief, den man (wenn unsere Freunde sehr gütig
-sind) acht Tage erwartet hat, in eben so viel Minuten zu Ende gelesen
-ist, und nach Verlauf dieser glücklichen acht Minuten, in denen man den
-Brief lieset, schon wieder die neuen acht Tage angehen, in denen man
-auf den folgenden wartet. Bey alle dem bin ich doch noch immer sehr
-glücklich, daß Sie so gütig sind, und meinem Vergnügen alle Wochen
-einen Theil Ihrer Zeit schenken. Ihre Briefe geben mir wieder in meinen
-Augen einen gewissen Werth. Und dieses ist sehr nöthig, da ich mir hier
-zuweilen in gewissen Gesellschaften recht einfältig vorkomme.
-
-Ich habe mir vorgenommen, Ihnen heute viel von mir selbst
-vorzuschwatzen. Nicht eben, daß ich mich für einen sehr guten
-Gegenstand des Gesprächs hielte; aber ich habe heute nun einmal keinen
-bessern, oder wenn ich ihn hätte, so wäre ich nicht dazu aufgelegt, ihn
-zu nutzen. Ich muß mich also schon mit mir selbst begnügen. Ueberdieß
-sind Sie selbst daran schuld, daß Sie mir die Eitelkeit in den Kopf
-gesetzt haben, als wenn alles, was mich anginge, sehr wichtige Sachen
-für Sie seyn müßten. Diese Einbildung mache ich mir also zum Vortheile
-meiner Trägheit zu Nutze, und mache getrost meine Briefe zu einem
-guten, ehrlichen Zeitungsblatte von mir selbst. Heute sollen Sie also
-erfahren, wie ich meinen Tag hier gewöhnlicher Weise zubringe; obgleich
-der Ausnahmen beynahe so viel sind, als der Fälle, die unter die Regel
-gehören.
-
-So wissen Sie denn, daß ich nicht bloß gewöhnlich, sondern beständig
-sehr spät aufstehe. Dieses +spät+ aber müssen Sie weder früher noch
-später annehmen, als acht Uhr des Morgens nach B***scher Uhr. Ich habe
-schon lange die Ursachen dieser Begebenheit, die mit meinen Entwürfen
-und Vorsätzen so wenig übereinstimmt, aufgesucht; ich bin aber noch
-nicht weiter als bis auf die Dunkelheit der Alkove gekommen, in der
-ich liege, und die der Sonne vor Mittag den Besuch nicht erlaubt.
-Dieses ist ein sehr gutes Mittel die fernere Untersuchung wenigstens
-aufzuschieben, die sich vermuthlich damit endigen würde, daß ich ein
-wenig faul wäre.
-
-Der erste Gedanke, wenn ich erwache, ist, nach einem kurzen Dank
-für das Geschenk eines neuen Tages, der Gedanke an meine Freunde.
-Wie glücklich, denke ich alsdann, bin ich, daß ich wieder in einer
-Welt erwache, in der so manches edle, vortreffliche Herz an meinem
-Leben und an meiner Wohlfahrt Theil nimmt! Ich überzähle alsdann
-mit aller der Begierde, mit der ein reicher Geitziger am frühen
-Morgen seine Summen wieder überzählt, die Anzahl dieser Freunde. Ich
-bin nicht mißvergnügt, daß ich sie so klein finde. +Das Herz liebt
-desto stärker, je mehr es konzentrirt ist.+ Dieser stille Genuß der
-Glückseligkeit, Freunde zu haben, bereitet mich zu einer andern vor;
--- zu der, ihnen Gutes zu wünschen. Wie rührt und wie erhebt mich in
-diesem Augenblicke ein Gedanke an den Herrn und den Vater, den ich mit
-allen meinen Freunden gemein habe. Er ist bey ihnen, so wie bey mir
-gegenwärtig; er regiert ihr Leben, so wie das meinige; er sorgt für
-ihre Glückseligkeit mit alle dem Eifer, mit dem ich dafür sorgen würde,
-wenn ich die Macht dazu hätte. Durch diese Erinnerung scheinen sich mir
-die weitesten Entfernungen zu verengern. Ich vereinige mich mit meinen
-Freunden. Bürger einer und derselben großen Republik, in einerley
-gemeinschaftlichen Plan von allgemeiner Glückseligkeit verflochten,
-von einerley Gesetzen regiert und von gleichen Hoffnungen belebt, sind
-unsere Geister unter einem beständigen, gemeinschaftlichen Einfluß eben
-derselben Güte! --
-
-Ich muß mich mit Gewalt von diesen Betrachtungen losreissen. Das
-Vergnügen macht geschwätzig. Und doch sind Worte so wenig fähig,
-Vergnügungen von der Art zu beschreiben, daß man nothwendig entweder
-einem Herzen, das sie niemals empfunden hat, verdrießlich, oder einem
-solchen, das sie kennt, matt und kraftlos vorkommen muß. Auf diese
-geheimen Ergötzungen folgt eine andere, an der meine liebe Mutter, und
-meine Cousine, die beständig bey ihr ist, Theil nimmt. Wir trinken
-gemeinschaftlich auf einem kleinen Altan, den wir haben, und der mit
-Grünem besetzt ist, Thee. Sie wissen schon, was ich Ihnen sonst von dem
-Vergnügen der Theestunde vorgeschwatzt habe; und in der That bleibt es
-noch immer eine der schönsten Stunden des ganzen Tages. Sie können es
-auch daraus schließen, daß wir sie fast niemals vor zehn Uhr endigen.
-Ich habe mich hier zum Lekteur meiner ganzen Familie aufgeworfen, und
-man hört mich noch so ziemlich gern. Ich lese also diesem Amte zu
-Folge auch manchmal beym Thee ein Stück vor. Das gewöhnlichste aber
-ist, daß wir bloß sprechen; sehr oft von Leipzig, noch weit öfter
-von Ihnen; das können Sie denken. Um zehn Uhr gehe ich herunter, und
-diese beyden Stunden bis zu Mittage lasse ich mir ungern rauben. Mein
-Geist wird ohne eine tägliche Nahrung trocken und leer. Er ist keine
-immerbrennende Flamme, die durch ihre eigene Kraft in die Höhe steigt.
-Er ist wie das in Stein eingeschlossene Feuer, das nur von Zeit zu Zeit
-Funken giebt, und auch diese müssen erst heraus geschlagen werden. Ich
-lese also in diesen zwey Stunden, oder ich schreibe. Das was ich lese,
-und was ich davon denke, das sollen Sie alles nach und nach erfahren. --
-
-Aber diese zwey kostbaren Stunden sind eben jetzt vorbey; ich habe
-sie dazu angewendet, an Sie zu schreiben; und das ist gewiß der
-beste Gebrauch, den ich die ganze Woche davon mache. Dem ungeachtet
-verzweifle ich noch nicht, ehe man mich zu Tische ruft, zu Ende zu
-kommen. Das nächste also, was jetzt folgt, ist, daß ich esse. Die
-Gesellschaft eben dieselbe, die es beym Thee war. Die Gerichte sehr
-mäßig, aber sehr wohlschmeckend. Und hier kann ich nicht unterlassen,
-eine kleine Lobrede für die Schlesischen Köche und Köchinnen
-einzuschalten. Wenn ein Land durch gute Suppen, durch sehr fettes
-und derbes Rindfleisch, durch vortreffliches und wohlzugerichtetes
-Kräuterwerk glücklich würde, so wäre in der Welt nichts ungerechter,
-als die Klagen, von denen meine Ohren hier gar nicht ausruhen. Denn
-alles das und noch weit mehr, als ein solcher Idiot in der jetzigen
-Favorit-Wissenschaft der Welt, wie ich bin, sagen kann, das besitzt
-Schlesien. O warum kann ich nicht hier Ihren Geschmack aufbieten, mir
-Recht zu sprechen! Warum kann ich Sie nicht einmal mit dem Manne, ohne
-welchen alle mögliche Schlesische Gerichte umsonst vor Ihnen stünden,
-an unserm Tische sitzen sehen! --
-
-Wenigstens will ich den Einfall in meinen Gedanken verfolgen. Ich werde
-den Augenblick gerufen. Wie wäre es, wenn Sie, ohne ein Wort zu sagen,
-nach B***lau gekommen wären, wenn Sie mich heute überraschen wollten,
-wenn ich Sie oben schon an unserm Tische sitzen und auf mich schmälen
-sähe, daß ich Sie so lange habe warten lassen. Ich gehe, ich gehe, --
-um meinen Traum zu vernichten. --
-
-Ich komme eben von Tische wieder, und ich habe nur noch einen
-Augenblick Zeit bis zur Post. Auf meiner Mutter Stirne saßen, wie ich
-heraufkam, einige finstere Wolken. Einige verdrießliche Geschäfte, und
-noch mehr als das, die Unruhe eines Baues, der sie beynahe aus ihrem
-Zimmer vertreibt, hatten diese Wolken zusammengezogen. Ich schreibe mir
-heute die Ehre zu, sie zerstreut zu haben. Wenigstens habe ich meine
-Mutter heiterer verlassen, als ich sie fand. --
-
-Um also meinen Tag vollends bis zum Abend zu bringen, so müssen Sie
-wissen, daß ich unmittelbar nach Tische eine kleine halbe Stunde den
-Flügel spiele. In meiner Mutter Stube steht ein ziemlich guter mit zwey
-Klavieren. Dann kommt der gesellschaftliche Kaffee. Sie können glauben,
-daß ich den niemals ohne meine Mutter und Cousine trinke, ausgenommen,
-wenn diese Frauenzimmerbesuch hat, den ich nicht kenne. Nichts ist
-ungewisser und unsicherer als der übrige Rest des Nachmittags. Wir
-fahren zuweilen in Gesellschaft einiger Freunde spazieren. Ein ander
-Mal gehe ich ganz allein mit einem einzigen Bekannten. Ich besuche dann
-und wann die hiesigen öffentlichen Bibliotheken; ich mache zuweilen
-Staats-Visiten, die mich ennuyiren; und dann endlich bleibe ich einmal
-zu Hause, um recht viel oder gar nichts zu thun.
-
-Der Abend ist dem Mittag vollkommen ähnlich. Ordentlicher Weise ist
-mein Onkel bey uns, der der rechtschaffenste Mann, aber fast immer
-kränklich und dann und wann ein wenig argwöhnisch ist. Leben Sie wohl.
-Ich bin --
-
- N. S.
-
-Denken Sie einmal, liebste Freundin! gestern bekomme ich von Herrn
-Weisen einen Brief, -- einen sehr gütigen, freundschaftlichen
-Brief. Und dieses Vergnügen muß mir durch eine so traurige
-Nachricht verbittert werden, als die von Meinhards Tode. Ja, dieser
-rechtschaffene Mann, dieser große Gelehrte, dieser schöne und
-empfindliche Geist, dieser mein Freund -- ist todt. ~Peace to his
-gentle shade!~
-
-
-
-
-Fünfter Brief.
-
-
- B***, den 9. und 10. Juni.
-
-Niemals ist ein Brief mit einem so schmerzhaften Verlangen erwartet
-worden, als ich gestern den Ihrigen erwartete. Selbst in dem Schoße
-meiner Familie, und an der Seite der vortrefflichsten Mutter, empfinde
-ich dem ungeachtet, daß mir noch ein Freund und eine Freundin fehlt,
-um diesem Glück seine Vollständigkeit zu geben. Ich fühle es, daß mir
-Ihr Umgang nothwendig geworden ist; und ohne die Gütigkeit, mit welcher
-Sie mir Ihren Briefwechsel versprachen, und ohne die Beständigkeit,
-mit welcher Sie dieses Versprechen ausführen, würde ich meine
-hiesigen Freunde mit dem beständigen Anblick einer gewissen Unruhe
-beleidigt haben, die sie vielleicht auf die Rechnung eines Mangels von
-Zärtlichkeit geschrieben hätten. Aber jetzt setzt mich Ihre Gütigkeit
-in den Stand, zwey der angenehmsten Beschäftigungen mit einander zu
-verbinden, die Unterhaltung mit meiner Mutter und das Andenken an Sie.
-
-Meine Mutter kannte Sie schon als eine sehr gütige Freundin von ihrem
-Sohne, ehe ich noch Leipzig verließ. Aber nun kennt sie Sie als eine
-vortreffliche Frau, als eine zärtliche Freundin, mit einem Worte, als
-eine Person von einem solchen Geiste und einem solchen Herzen, als die
-Liebe und die Freundschaft nöthig hat, wenn sie beschlossen hat, einen
-glücklichen Ehemann und einen kleinen Kreis glücklicher Freunde zu
-machen.
-
-Was meynen Sie wohl? Ich zeige meiner Mutter alle Ihre Briefe. Sie
-liest sie beynahe mit eben dem Feuer, mit welchem ich sie lese. Bey
-gewissen Stellen füllen sich ihre Augen mit Thränen der Zärtlichkeit
-und der Freude. So stark wirken diese gleichgestimmten Herzen auf
-einander, selbst in der weitesten Entfernung. Glauben Sie wohl, daß
-ich es hätte aushalten können, ein ganzes halbes Jahr zuzubringen,
-ohne Jemand zu haben, mit dem ich mich von Ihnen unterreden könnte,
-und in dessen Schoß ich zuweilen mein volles Herz ausleerte, wenn
-Ihre Gütigkeit und die Sehnsucht nach Ihrem Umgange dasselbe mit
-zu unruhigen und stürmischen Wünschen anfüllte? Und könnte wohl
-diese Person Jemand anders als meine Mutter seyn? Sie, die an den
-kleinsten Vergnügen ihres Sohnes Theil nimmt, sollte sie nicht in der
-Glückseligkeit, die ihm der Himmel geschenkt hat, eine Freundin und
-einen Freund zu besitzen, einen Theil derjenigen wieder finden, die sie
-durch den Tod einer Tochter, die zugleich Freundin war, verloren hat?
-
-Ja, gütigste Freundin, schon theilt meine Mutter alle die Empfindungen
-mit mir, die mir die Bekanntschaft mit einer so edlen und zugleich
-zärtlichen Seele eingeflößt hat, und die ich, wenn es möglich ist,
-durch die Abwesenheit noch gestärkt und vermehrt finde. Unsere
-Unterredungen beleben sich am meisten, wenn sie Sie zum Gegenstand
-haben; und ohne daß wir es gewahr werden, kommen sie durch die
-wunderbarsten Irrgänge immer wieder auf diese Lieblingsmaterie zurück.
-So viel Gewalt hat das Herz über unsere Denkungskraft, daß die
-leichtesten und schwächsten Verbindungen schon genug sind, Ideen in
-die Seele wieder zurück zu bringen, die durch ein starkes Interesse an
-uns gebunden sind. Lassen Sie sich dieses von +Home+ viel besser und
-gründlicher sagen. Ich mag nicht philosophiren, ich will Ihnen bloß
-sagen, was ich empfinde. --
-
-Aber gütigste Freundin, wie haben Sie es übers Herz bringen können,
-mir mit einem so versteckten, aber für mich doch sehr fühlbaren
-Vorwurf wehe zu thun? -- Oder trauten Sie es der Feinheit meines
-Gefühls nicht zu, daß ich den kleinen Ansatz von Empfindlichkeit
-gewahr werden würde, der Ihnen die Worte eingab: „Ich suchte in der
-Folge Ihres Briefes Trost, aber ich fand keinen. Sie, der Sie mit mir
-einerley Gefühl haben, Sie empfinden den Unterschied wohl, der zwischen
-der Verstorbenen und mir ist!“ Und noch dazu eine so ceremoniöse
-Vorsichtigkeit, Ihren Namen nicht zuerst zu schreiben! Ein kleiner,
-ganz kleiner Rest von Weiblichkeit! würde Onkel Selby sagen. Wie?
-glauben Sie wohl, daß ich meine Cousine liebte, und die Eigenschaften
-nicht von ganzem Herzen hochschätzte, die sie liebenswürdig machten?
-daß ich ihren Verlust beweinen, und mich nicht zugleich über den Besitz
-von Freunden erfreuen sollte, in denen ich ihren Geist und ihr Herz
-wieder finde? Oder können Sie so ungerecht gegen sich selbst seyn,
-diese größten Geschenke des Himmels in sich zu verkennen, und sich
-unter Ihren eigenen Werth herabzusetzen? Liebste, gütigste Freundin,
-lassen Sie sich niemals durch einen gewissen Unmuth die Erhabenheit der
-Seele schwächen, die ohne Stolz, dennoch ihre eigene Vollkommenheit
-fühlt, und indem sie die Stufe erkennt, auf welche die Güte des
-Schöpfers sie gesetzt hat, dadurch nur noch mehr Muth bekommt, höhere
-zu erreichen. --
-
-Aber lieber will ich glauben, daß Sie nur darum diese Stelle in Ihren
-Brief gesetzt haben, um mir die Gelegenheit, die ich so sehr wünsche,
-zu geben, es Ihnen noch einmal zu sagen, wie hoch ich meine Freundin
-schätze, und wie theuer sie meinem Herzen ist. Ich kann dieses, zu
-meinem eigenen Vergnügen nicht oft genug wiederholen. Denn welche
-Glückseligkeit ist der gleich, seinem Freunde zu sagen, daß man ihn
-liebt, wenn es nicht die Glückseligkeit ist, zu hören, daß man von ihm
-geliebt wird? Wenn ich also von meiner Cousine rede, so glauben Sie
-nur, daß keine Ideen verwandter sind und einander leichter erwecken,
-als der Gedanke an ein Gut, das man verloren, und der an ein anderes,
-das uns der Himmel noch läßt; und daß der Abgang von so theueren
-Freunden das Herz nur noch zärtlicher gegen diejenigen macht, die uns
-noch übrig sind.
-
-Ich glaube, ich habe Ihnen schon in Leipzig gesagt, daß ein Freund von
-mir und von unserm Hause, ein junger angehender Dichter, der jetzt
-in Halle studirt, ein Gedicht auf meine Muhme gemacht hat. Ich habe
-es hier erst zu sehen bekommen. Weil viel gute Stellen darin sind,
-obgleich manche gegen die übrigen matt, andere in der Verbindung,
-in der sie stehen, nicht richtig und zusammen hängend genug, und
-noch andere zu überhäuft und nur durch die Rechte der Poesie zu
-entschuldigen sind, so will ich es Ihnen abschreiben. Aber schöner,
-als das ganze Gedicht, ist meinem Urtheile nach ein Motto aus dem
-Petrarch, welches er demselben vorgesetzt hat. Wo ich nicht irre, so
-ist es eine der schönsten Stellen im ganzen Petrarch. Es ist aber zur
-Anwendung auf die Person, die der Gegenstand dieses Gedichts ist,
-nicht schicklich und angemessen genug, und überhaupt kann es nur im
-Munde eines Liebhabers und eines solchen Liebhabers als Petrarch,
-sein rechtes Verhältniß bekommen. Ich will es wagen, die Stelle zu
-übersetzen, ob ich Sie gleich zu eben der Zeit bedauren werde, daß Sie
-nicht das Original lesen können.
-
- „Wer alles sehen will, was nur die Natur und der Himmel unter den
- Menschen vermag, der komme, diese zu sehen. Aber er komme bald.
- Denn der Tod raubt zuerst die besten, und läßt die schlechtern
- stehen. Dieses in dem Reiche der Götter schon lang erwartete schöne
- und sterbliche Geschöpf geht nur vorüber, und bleibt nicht. Wenn er
- noch zu rechter Zeit kommt, so wird er jede Tugend, jede Schönheit,
- jede erhabene Eigenschaft in einem Körper mit wunderbarer Mischung
- vereinigt sehen. Aber wenn er zu lange zaudert, so wird er nur
- kommen, um beständig zu weinen“[A].
-
-Ist diese Apostrophe nicht das rührendste Gemählde eines von Schmerz
-ganz durchdrungenen Herzens? Aber nun zum Gedicht selbst. Sie sollen
-nur die besten Strophen davon bekommen.
-
- Also blühte rühmlich Doris Leben --
- Rühmlich mußte sie es wieder geben;
- Und das grosse Beyspiel im Erblassen
- Noch der Erde zum Vermächtniß lassen;
-
- Da ihr lieblich Auge brechen sollte,
- Stürmend Feuer durch die Adern rollte,
- Freunde sprachlos matte Hände rangen,
- Und die Engel froh die Flügel schwangen,
-
- Schaute sie des Todes letzten Schlägen
- Voll Geduld und Majestät entgegen,
- Ruhig, da die Trennung jetzt begonnte,
- Weil sie nur die Hülle wechseln konnte.
-
- Keusche Jungfraun, eilt ihr Grab zu ehren.
- Pflanzt Zypressen, oft benetzt mit Zähren,
- Und gelobet auf dem Staub der Schönen
- Euren Wandel einst wie sie zu krönen.
-
- Aus den Zweigen soll ein Hayn entsprießen,
- Junge, leicht verführte Töchter müssen
- Ihn besuchen, die Geschichte hören,
- Und erröthend sittsam wiederkehren.
-
- Jährlich sollen freundschaftliche Reyhen,
- Wo sie schlummert, zarte Lilien streuen,
- Und das Opfer mit gedämpften Saiten
- Und wehmüthigem Gesang begleiten.
-
- Nie, Geliebte, nie wirst du vergessen!
- Deinen Nachruhm wird kein Ruhm ermessen.
- Laß noch Einen für die Tugend brennen,
- So wird er auch dich mit Ehrfurcht nennen.
-
- Und sollt’ einst auf der undankbar’n Erden
- Sie verkannt, gehaßt von allen werden;
- Darf sie nur, um alle zu entzücken,
- Sich mit deinem süßen Reitze schmücken.
-
-Dürfte ich wohl so eigennützig seyn, und mit diesem kleinen Geschenke
-wuchern? Meine Freunde kennen Sie noch nicht als eine eben so
-empfindungsvolle Dichterin, als Sie eine gefühlvolle Ehegattin und
-Freundin sind. Einige von den kleinen Stücken, die Sie mir einmal
-vorlasen, und unter diesen auch das Hochzeit-Gedicht, das Sie für
-einen Ihrer Bekannten gemacht haben, würden mich in den Stand
-setzen, dieses Vergnügen meiner Mutter zu machen. Ich würde sogar
-durch die Mittheilung derselben ein gewisses Ansehen bekommen. Ich
-würde Macht haben, Gefälligkeiten auszutheilen; und ich würde gewiß
-meine Geheimnisse nicht so wohlfeil verkaufen. Sie sehen schon, daß
-ich unbescheiden genug bin, auch wohl gar eine kleine Mühe Ihnen
-aufzulegen. --
-
-Wenn ich nur dafür im Stande wäre, Ihr Tagebuch, das mich so sehr
-unterhält und mich auf einige Augenblicke wieder zu Ihnen zurück
-bringt, mit einem eben so angenehmen zu vergelten. -- Aber meine
-Geschichte (ich nehme die Unterhaltung mit meiner Mutter aus, und
-die wissen Sie schon größten Theils) ist so einförmig, oft für den
-Helden derselben so langweilig, und fast immer für die Leser so wenig
-unterrichtend, daß ich alle Mal abgeschreckt werde, so oft ich daran
-denke, meine Briefe mit meinen Begebenheiten, anstatt mit meinen
-Empfindungen anzufüllen. Sie sollen unterdessen alle meine Freunde,
-die ich hier hochschätze, kennen lernen. So bald nur der Cirkel von
-Besuchen, in dem ich mich jetzt herumgedreht habe, durch seyn wird,
-so werde ich es mir zu einer fest gesetzten Beschäftigung machen, Sie
-ganz in unsere Familie und in unsere Bekanntschaften einzuführen, und
-mich auch zuweilen für die Langeweile, die mir einige davon machen, zu
-rächen.
-
-Meine Reise ist, wie Sie wissen, glücklich, aber dem ungeachtet
-ziemlich unangenehm gewesen. Meine Gesellschafter waren entweder
-Misanthropen oder Schläfer. Ich dankte unterdessen beyden für die
-Muse, die sie mir gaben, an meine Freunde zu denken. Oft in der Mitte
-der Nacht, wenn alles um mich schlief, schweifte meine durch die
-Stille noch mehr aufgeweckte Seele zu allen Wohnungen meiner Freunde
-umher, und segnete ihren sanften und ruhigen Schlaf. Bald flog ich
-unsern langsam kriechenden Pferden zuvor, warf mich in Gedanken zu den
-Füßen des Bettes meiner Mutter, küßte sanft ihre Hand um sie nicht zu
-wecken, und flehte den Beystand der sie bewachenden Engel an, sie mir
-zu beschützen. Bald überraschte ich Sie, weit glücklicher als mein
-Freund Reiz, in Ihrem Schlafzimmer, und gebot Ihrem Schutzgeist, Ihnen
-mitten im Schlafe die angenehmsten, fröhlichsten und schönsten Bilder
-vorzustellen, und Ihre Seele, selbst ohne ihr Wissen, noch vollkommener
-zu machen. -- Alsdann -- Ich freue mich, theuerste Freundin, daß unsere
-Freundschaft von der Beschaffenheit ist, daß meine Seele von dem
-Andenken an Sie, unmittelbar zu dem Gedanken an Gott, unsern großen und
-gemeinschaftlichen Freund, übergehen kann, zu dessen Verehrung solche
-Seelen, wie die Ihrige, geschaffen worden. Meine Seele steigt durch
-diese Stufen auf eine leichtere Art bis zu ihm hinauf.
-
-Aber ich muß, ich muß schließen u. s. w.
-
-
-Fußnote:
-
-[A] Für Freunde des Originals folgt hier das ganze Sonnet:
-
- ~Chi vuol veder quantunque può natura,
- E’l Ciel tra noi, venga a mirar costei,
- Ch’è sola un Sol, non pur agli occhi miei,
- Ma al mondo cieco, che virtù non cura;~
-
- ~E venga tosto, perchè morte fura
- Prima i migliori, e lascia stare i rei;
- Questa aspettata regno degli Dei
- Cosa bella mortal passa, e non dura.~
-
- ~Vedrà s’arriva a tempo, ogni virtute,
- Ogni bellezza, ogni real costume
- Giunti in un corpo con mirabil tempre.
- Allor dirà, che mie rime son mute.
- L’ingegno offeso dal soverchio lume;
- Ma se più tarda, avrà da pianger sempre.~
-
-
-
-
-Sechster Brief.
-
-
- B***, den -- Juli.
- 1767.
-
-Wissen Sie auch wohl, daß ich Ihre Frage, ob wir noch einerley
-Empfindungen mit einander hätten, für einen Vorwurf würde angesehen,
-und daß mich dieser Vorwurf würde gekränkt haben, wenn ich nicht selbst
-in den Beyspielen, die Sie dafür anführen, eine nette Bestätigung
-dieser Gleichheit Ihrer Gesinnungen mit den meinigen, auf die ich so
-stolz bin, gefunden hätte. Ich kann mir also unmöglich helfen. Ich muß
-erst diese beyden Punkte erörtern, ehe ich ein Wort weiter schreiben
-kann, gesetzt auch, daß Ihnen indeß der Brief vor Langerweile aus der
-Hand fallen sollte.
-
-Zuerst also meine Unzufriedenheit bey meiner Ankunft in B****. Sollte
-ich Ihnen erst nöthig haben, die Quellen davon zu entdecken? Sie
-sagen, ich hatte Freunde verlassen, die mich liebten, und ich kam zu
-andern, die ich auch liebte. Haben Sie niemals diese angenehme Mischung
-von Schmerz und Vergnügen, von Verlangen und von Befriedigung, von
-Sehnsucht nach abwesenden Gütern, und von Genuß der gegenwärtigen
-empfunden? Haben sich niemals mit den Thränen, die Sie über den Anblick
-neuer Freunde vergossen, diejenigen vermischt, die Ihnen das Andenken
-an die, von denen Sie sich losgerissen hatten, ablockte? Sie, die Sie
-die menschliche Seele so gut kennen, da Sie Ihre eigene mit so vieler
-Sorgfalt studirt haben, wissen Sie nicht, wie geschickt eine gewisse
-Art von Freude ist, die traurigen Empfindungen, die eine Zeit lang in
-der Seele geschlafen haben, wieder zu erwecken, und mit ihnen vermischt
-einen gewissen Zustand der Ermattung hervorzubringen, wo die Seele, zu
-denken und zu handeln unfähig, unter der Menge von dunkeln Ideen, die
-sich in ihr zusammen drängen, erliegt. So empfand meine gute Mutter den
-Verlust ihrer Tochter niemals mehr, als da sie ihren Sohn wieder sah,
-und ich fühlte in den ersten Umarmungen meiner Mutter am meisten, wie
-viel ich an Freunden verloren hatte, die in diesem Augenblicke mit mir
-die Glückseligkeit einer wieder vereinigten Familie würden getheilt
-haben.
-
-Dieses waren die Regungen der ersten Augenblicke. Ihnen folgten andere
-eben so traurige, aber weniger angenehme. Glauben Sie ja nicht, daß
-die guten Leute immer glücklich sind. Wenn sie es wären, so bin ich
-stolz genug zu sagen: unser Haus würde mehr als einen Glücklichen
-einschließen. Aber wie weit, wie weit ist es davon entfernt, daß dieses
-ganz wahr seyn sollte? Meine Mutter, durch die natürliche Zärtlichkeit
-ihres Körpers, und durch die große Empfindlichkeit ihrer Seele, einer
-Menge von Uebeln bloß gestellt, mit denen die Natur härtere und
-fühllosere Menschen verschont hat; durch eine beynahe fortgehende Reihe
-von Unglücksfällen in einer beständigen Uebung dieser Empfindlichkeit
-unterhalten; durch eine sehr schwere und sorgenvolle Nahrung, die
-sie seit dem Tode ihres Mannes ohne Gehülfen und Rathgeber besorgt,
-abgemattet und entkräftet, von Krankheit und der Annäherung des Alters
-bis zu dem äußersten Grade der Zärtlichkeit in ihren Nerven gebracht;
-und in diesem Zeitpunkte ihrer besten Stütze beraubt, und fast mitten
-unter ihrer Familie einsam und verlassen, -- sagen Sie mir, geliebte
-Freundin, was würden Sie in meinen Umständen fühlen, wenn Sie, so wie
-ich, sich außer Stande sähen, dieser Mutter zu helfen; wenn Sie ihr
-sogar in der Zukunft keine Aussicht, wenigstens keine nahe Aussicht
-anweisen könnten, durch die Sie ihre gegenwärtigen Umstände erträglich
-machten? Sagen Sie mir, liebe Freundin, wo ist die Stelle, die für
-mich zubereitet ist, und von der ich hoffen könnte, meiner Mutter die
-ihrem gütigen Herzen so theuere Glückseligkeit zu verschaffen, in der
-Gesellschaft ihres Sohnes ihre letzten Tage in Ruhe und Zufriedenheit
-zuzubringen? Ich selbst in die Welt nur noch so hingeworfen, in die
-Welt, die, dem Himmel sey es gedankt, nicht ganz leer von Freunden
-für mich, aber vielleicht leer von Beförderern und dem, was man
-darin Patronen nennt, ist; ich selbst noch von einem Orte zum andern
-herumirrend, zwar nicht ganz ohne Endzweck, aber doch noch ohne große
-Mittel, diesen Endzweck auszuführen; was kann ich für meine Mutter
-thun, da ich für mich selbst nichts zu thun vermag?
-
-Glauben Sie wohl, daß es mir unter diesen Umständen leicht wird, daran
-zu denken, daß ich meine Mutter verlassen soll; sie so verlassen, ohne
-ihr vorher zu sagen, nach was für einem Plane ich arbeiten werde, um
-ihre Glückseligkeit mit der Erreichung meiner Wünsche zu vereinigen?
-Und doch kann ich nicht anders; ich muß sie verlassen. Alles, sie
-selbst ausgenommen, macht, daß ich diesen Augenblick beynahe wünsche.
-Die Beförderung, die mir meine Vaterstadt darbieten kann, ist, wie Sie
-wissen, nur von einer einzigen Art. Glauben Sie nicht, daß mich der
-Name und die gewöhnliche Verachtung eines Schulmannes abhalten würde,
-in einen Stand zu treten, der, wenn er recht verwaltet wird, ehrwürdig
-ist, und den die Vortheile und die Erleichterung, die ich meiner Mutter
-dadurch verschaffe, mir auch sogar liebenswürdig machen würden. Aber
-die Verrichtungen, die hier zuerst denen auferlegt sind, die in diesen
-Stand treten, die Unwissenheit, und noch mehr der elende Geschmack,
-der unter den meisten der hiesigen Schullehrer herrscht, und durch
-sie ohne Zweifel die Studirenden ansteckt; der durchgängige Mangel an
-guter Lebensart bey dieser ganzen Zunft Leuten, unter denen ich doch
-genöthigt würde zu leben; der Mangel an Ermunterung und Hülfsmitteln
-zur Vermehrung der Wissenschaften, die ich mehr schätze als alles;
-endlich, was darf ich es erst sagen, die Entfernung von Freunden, die
-mir theuer sind, um so viel theurer, weil ich sie nicht bloß der Natur
-und Familienverbindungen zu danken habe; -- alles dieses, und was weiß
-ich noch, was für hundert dunkel damit vermischte Vorstellungen mehr,
-machen mir es ganz unmöglich, daran zu denken.
-
-Nun gut also. Ich gehe von B****. Aber wohin? Nach L***zig? Ja
-freilich ist dieß der Ort, der mich unter allen am meisten an sich
-zieht. Aber was hälfe es, wenn ich vor mir selbst es verbärge. Es
-ist nicht Hoffnung der Beförderung, sondern das Vergnügen, meine
-Freunde wieder zu sehen, welches mir diese Stadt vor allen andern so
-angenehm macht. Sie wissen selbst, und wenn Sie es nicht wissen, so
-lassen Sie sich es den braven und rechtschaffenen Ebert sagen, was für
-Geduld und Aufopferungen dazu gehören, sein Glück bey der Leipziger
-Akademie zu erwarten. Und während der Zeit, daß ich diese vielleicht
-fehl schlagende Probe machte, würde meine arme Mutter von Alter und
-Sorgen verzehrt, von ihren noch übrigen Freunden vollends entblößt,
-und stürbe, ehe sie die so lange gehoffte und so theuer errungene Ruhe
-ihres Alters gekostet hätte. Lassen Sie mich also auf eine andere
-Universität gehen, wo die Beförderung leichter und geschwinder ist.
-Setzen Sie den besten möglichen Fall. Machen Sie mich in einigen Jahren
-zum Professor in Halle, oder in irgend einem andern solchen Winkel der
-Erde. Jetzt soll ich meine Mutter in ihrem Alter aus ihrem natürlichen
-Boden in ein ganz fremdes Land verpflanzen, sie aus einer belebten und
-volkreichen Stadt in einen todten und finstern Flecken führen, sie aus
-dem Cirkel ihrer Freunde und ihrer Bekanntschaften, die sie von langer
-Zeit her kennen, die sie alle hochschätzen, unter ganz fremde und für
-sie noch gar nicht eingenommene Menschen bringen, -- oder mir mit einem
-so groben Stolze schmeicheln, daß ich allein aller deren Stelle würde
-ersetzen können. -- Ist dieses vielleicht nicht ein eben so schwerer
-und trauriger Schritt für beyde? -- Und doch bey dem allen, was bleibt
-mir übrig?
-
-Sie sehen, liebe Freundin, wenn Sie diese Ueberlegungen machen, Sie
-werden meine Unruhe nicht schelten, so gütig Sie mich auch von Ihrer
-Gewogenheit versichert haben, und so gewiß ich von der Liebe der
-Meinigen bin. -- Aber das ist noch lange nicht alles. Ich behalte mir
-dieß auf einen andern Brief vor. Ich kann nicht anders; ich muß Sie mit
-meinen eigenen Angelegenheiten unterhalten. Der Wohlstand würde dieß
-bey Personen, die weniger meine Freunde wären, verbieten. Aber es ist
-gar zu eine große und eine zu unentbehrliche Glückseligkeit, zuweilen
-sein volles Herz in den Schoß eines Freundes ausschütten zu können.
-Ich habe Ihnen schon oft gesagt, Sie und Ihr liebster Gemahl machen
-in meiner Einbildungskraft nur Eine Person aus. Sie sind in meinen
-Gedanken eben so unzertrennlich, als Sie es durch Ihre Liebe sind.
-Alles also, was ich Ihnen schreibe, ist zugleich für ihn geschrieben.
-Sein kurzer Brief ist mir dem ungeachtet so angenehm gewesen, als der
-längste Brief hundert anderer mir nicht seyn würde.....
-
-Ich sehe, ich stehe in Gefahr, meinen Brief eben so lang und so voll
-von Digressionen zu machen, als es des Tristram Shandy Roman ist. Also
-nur noch ein Wort von Klopstock und seinen Briefen, und dann nehme
-ich bis auf künftigen Freytag von Ihnen Abschied. (Können Sie wohl
-errathen, was ich da erwarte?) --
-
-Ich wundere mich gar nicht darüber, daß Ihnen des Mannes, und mir der
-Frau ihre Briefe zärtlicher vorkommen. Das macht, würde Onkel Tobias
-sagen, Sie sind eine Frau, und ich ein junger Mensch. Ich habe des
-Klopstocks Briefe flüchtig gelesen, der Frau ihre recht aufmerksam. Sie
-haben vielleicht das Gegentheil gethan. Mit einem gleichen Grade der
-Aufmerksamkeit würden wir bey beyden vielleicht gleich viel empfunden
-haben. Ich wenigstens, durch die Verschiedenheit Ihres Gefühls
-aufmerksam gemacht, habe sie noch einmal gelesen, und schon habe ich
-des Klopstock Briefe viel zärtlicher gefunden. Aber, daß es ihre
-weniger sind, das wollte ich doch noch nicht gerne für wahr halten.
-
-Wie gern fieng’ ich noch die eilfte Seite an, um Stellen zu meiner
-Vertheidigung anzuführen! Aber es hilft nichts. Es ist jetzt ein Uhr,
-Dienstags in der Nacht. Möchten doch die gütigen Engel Ihre und Ihres
-Geliebten Ruhe beschirmen u. s. w.
-
-
-
-
-Siebenter Brief.
-
-
- B***, den -- Juli
- 1767.
-
-Wahrheiten, die uns sehr am Herzen liegen, können niemals zu oft
-bewiesen werden. So ein sophistisches Ding ist dieses Herz, daß es sich
-der Ueberzeugung von eben der Sache am meisten widersetzt, von der es
-am meisten gewiß zu seyn wünscht. Ich, zum Beyspiel, bedarf keiner
-neuen Proben mehr, um zu wissen, daß Sie meine Freundin sind. Und doch,
-mit welchem Vergnügen habe ich diejenigen aufgenommen, die Sie mir
-in Ihren letzten Briefen gegeben haben, gerade so, als wenn dieß die
-ersten gewesen wären. Sie wissen, wie schwer sich Empfindungen durch
-Beschreibungen deutlich machen lassen. Man kann nichts weiter thun,
-als diejenigen, welche ähnliche gehabt haben, an ihr eigenes Gefühl
-erinnern.
-
-So stellen Sie sich also Ihren lieben Mann, meinen Freund, an dem
-Abende eines sehr geschäftigen Tages vor. Er tritt zuerst mit einer
-etwas tiefsinnigen und zerstreuten Miene in ihr Zimmer. Seine von
-fremden Bildern ganz angefüllte Seele empfängt schon die geheimen
-Einflüsse Ihrer Gegenwart, ohne sie noch zu fühlen; selbst die ersten
-Liebkosungen verschwenden Sie an den Undankbaren vergeblich. Endlich
-thut Ihr Anblick und Ihre Zärtlichkeit ihre gehörige Wirkung; und jetzt
-schweben nur noch die Sorgen der Geschäfte auf der Oberfläche der
-Seele, wie die Nebel an einem heitern Frühlingsmorgen auf dem Gipfel
-der äußersten Berge. So gewinnt der Ehemann einen Schritt nach dem
-andern über den Geschäftsmann -- bis er zuletzt nur ganz allein übrig
-bleibt. Was Ihnen in diesem Augenblicke ein stillschweigender Kuß ist,
-den er Ihnen aus vollem Herzen giebt, ein Druck seiner Hand, bey dem er
-sie zugleich seine Wilhelmine nennt, sehen Sie, das waren für mich Ihre
-Briefe. Versicherungen von Sachen, die wir lange wissen, die wir aber
-gern vergessen, an denen wir sogar zweifeln, aus bloßem Muthwillen, um
-sie uns noch einmal versichern zu lassen!
-
-Ich glaube, Sie müssen es schon bemerkt haben, daß es eins von meinen
-Steckenpferden ist, (hieraus können Sie schließen, daß ich den
-Tristram Shandy lese) über alles, was in und mich herum vorgeht, zu
-philosophiren, jede Begebenheit, wenn sie auch die natürlichste und
-gewöhnlichste von der Welt ist, zu erklären und aus Gründen zu zeigen,
-wie sie möglich gewesen ist. Wenn ich mich nicht irre, so war ich eben
-im Begriffe, einen guten Ritt darauf zu thun. Denn, anstatt Ihnen mit
-drey Worten zu sagen, liebe Freundin, Ihre Briefe waren mir herzlich
-lieb, und dann gleich zur Beantwortung ihres Inhalts fortzugehen;
-verwende ich eine und eine halbe Seite, um es zu beweisen, daß es
-möglich gewesen ist, daß ich mich über Ihre Briefe habe freuen können.
-Und doch, welcher Beweis wäre stärker gewesen, als die Aufmerksamkeit,
-mit welcher ich alle Ihre gütigen Vorschläge erwogen habe.
-
-Nach dem Wunsche, bey Ihnen zu seyn, ist keiner stärker als der, daß
-Sie es zuweilen wünschen möchten, daß ich bey Ihnen wäre. Denken
-Sie also, was es seyn muß, wenn Sie noch mehr thun, und nicht bloß
-wünschen, sondern schon Anstalten machen, mich bey sich zu behalten.
-Wenn es mir jemals schwer angekommen ist, Schwierigkeiten gegen den
-Rath meiner Freunde zu machen, so ist es gegen einen solchen, der
-die größten Wünsche meines Herzens vereiniget. Der Entwurf, den Sie
-mir machen, der freylich der natürlichste und ohne Zweifel auch der
-sicherste ist, ist dem ungeachtet viel zu weit aussehend, als daß
-ich damit meine Mutter beruhigen könnte, die bey Ihrem Alter und
-bey Ihrer Schwäche eine Glückseligkeit, auf die sie so viele Jahre
-warten muß, für gar keine hält. Und wie kann sie hoffen, diesen
-Zeitpunkt zu erleben, wenn die Zeit, die dazwischen ist, mit Sorgen
-und Mißvergnügen angefüllt seyn sollte. Gesetzt aber, ich hätte das
-Ziel erreicht, und meine Mutter wäre noch im Stande, eine so große
-Veränderung vorzunehmen; was sind es nicht für neue Beschwerden, die
-die Ausführung unsers Vermögens verursachen würde. -- Meine Mutter
-hat bey allen Beschwerlichkeiten ihrer Nahrung doch auch den Vortheil
-gehabt, daß sich ihr Vermögen besser verinteressirt hat, als durch
-bloßes Ausleihen. Lassen Sie nun von einem nicht großen, aber doch
-für einen ehrlichen Mann hinlänglichen Vermögen das abgehen, was der
-Abzug kostet; setzen sie dazu die Verschiedenheit des Geldes und der
-Preise der Dinge in beyden Ländern, und endlich rechnen Sie noch
-die Schwierigkeiten, die mit der Errichtung einer neuen Haushaltung
-verbunden sind; und Sie werden sehen, daß meine Mutter nicht die Hälfte
-der Bequemlichkeiten würde haben können, zu denen sie hier gewohnt
-ist. Denn daß meine eigene Einnahme einen beträchtlichen Zuschuß zu
-unserer Oekonomie in wenig Jahren machen sollte, dazu sehe ich keine
-andere, als sehr unsichere Hoffnungen. Sehen Sie, so partheiisch
-ich für einen Entschluß bin, der mit meinen Neigungen so sehr
-übereinstimmt, so kann ich es mir doch nicht verhehlen, daß dieses sehr
-beträchtliche Schwierigkeiten sind; und was kann ich darauf antworten,
-wenn meine Mutter sie mir entgegensetzt? -- Was anders, als daß die
-Schwierigkeiten für mich, in B**** zu bleiben, noch größer sind, und
-wenn sie sich auch alle auf eine einzige zurück bringen ließen, ich
-meyne diese, daß ich zu dem Stande, der für mich der einzige ist, nicht
-die geringste Neigung habe?
-
-Sie müssen es diesem Briefe ansehen, daß er unter sehr vielen
-Zerstreuungen geschrieben ist. Ich bin gar nicht mit ihm zufrieden.
-Denn bey alle den Schwierigkeiten, die ich mache, wollte ich doch
-nicht, daß Sie glaubten, ich hätte jetzt mehr Lust hier zu bleiben, als
-ehemals. Ich komme mit Gottes Hülfe gewiß auf Michaelis nach Leipzig,
-aber ob um beständig dort zu bleiben, das ist in den Händen der
-Vorsehung. --
-
-Ich reise morgen mit dem Herrn Oberforstmeister S**** und seiner
-Gemahlin nach S***witz, wo mein ehmaliger Lehrer und Hofmeister Pfarrer
-ist. Meine Mutter kommt auf den Freytag mit meinem Onkel und seiner
-Tochter nach. Dieser geht alsdann mit dem Herrn Oberforstmeister weiter
-ins Gebirge nach L***, um da die Brunnenkur zu brauchen. Wir übrigen
-bleiben in S***witz, und werden dort in einer vortrefflichen Gegend
-vier oder fünf Wochen in dem Hause meines Lehrers zubringen. Dieser
-Aufenthalt könnte mir durch nichts in der Welt unangenehm gemacht
-werden, als wenn Ihre Briefe nicht mehr so richtig einliefen, oder die
-meinigen nicht zu rechter Zeit auf die Post gegeben würden; denn das
-Dorf ist sechs Meilen von B****. Ich werde aber alles mögliche thun, um
-beydes zu verhüten.
-
-Diese Reise macht heute meinen Brief so kurz, und nöthigt mich, den an
-meinen lieben M. Reiz ganz aufzuschieben. Es ist jetzt 12 Uhr in der
-Nacht und morgen muß ich um 6 Uhr auf seyn. Leben Sie wohl!
-
-
-
-
-Achter Brief.
-
-
- Mittwochs des Morgens.
-
-Ich wende noch die Augenblicke, die ich vor dem Antritte meiner Reise
-übrig habe, dazu an, an Sie zu denken, und das, was ich gedacht
-habe, niederzuschreiben. Ich weiß, daß sich Ihre freundschaftliche
-Neubegierde nicht bloß damit beruhigen wird, zu wissen wo ich bin. Sie
-werden auch wissen wollen, was ich da mache. --
-
-Wenn ich mich nicht irre, so müssen Sie schon Herrn Ringeltauben, in
-dessen Hause ich seyn werde, aus meinen Beschreibungen kennen. Ich
-verehre ihn als meinen Lehrer; und ich liebe ihn als meinen Freund und
-meinen Bruder. Hochachtung und Dankbarkeit sind gewiß die festesten
-Bande, die die Natur hat, zwey nicht ganz unedle Seelen mit einander
-zu verbinden. Sein Haus soll sehr bequem, und die Gegend vortrefflich
-seyn. Meine Mutter, die das Land über alles, und den Herrn Ringeltauben
-als ihren Sohn liebt, wird sich dort wieder erholen, und das wird auf
-mich zurück wirken. Endlich werde ich Bücher genug haben, um die leeren
-Stunden auszufüllen. Der Herr Oberforstmeister, mit dem ich reise, ist
-lange im Kriege mit dem General Wobersnow in Leipzig gewesen. Er ist
-ein Mann von sehr vielem Verstande, von einer großen Erfahrung, (da er
-lange Zeit mit den Vornehmsten der Armee und einige Zeit auch mit dem
-Könige selbst umgegangen ist;) und der Mann einer Frau, die beynahe
-meine Gespielin gewesen ist. Der Weg heraus geht an der Oder, in
-einer sehr angenehmen Gegend. Ihre Briefe dürfen Sie nicht anders als
-bisher addressiren. Ich habe gemessene Ordre gestellt, sie mir gleich
-nachzuschicken.
-
-Erwarten Sie also ins künftige Briefe, die voll von ländlicher Unschuld
-und Einfalt, aber auch voll von ländlichem Vergnügen sind.
-
-
-
-
-Neunter Brief.
-
-
- S***witz den -- Juli.
-
-Es giebt gewisse Arten von Vergnügungen, die uns unempfindlich machen,
-weil sie uns berauschen. Indem alsdann die gegenwärtige Empfindung die
-ganze Seele ausfüllt, und ihre gesammten Fähigkeiten bloß in dem Genuß
-erschöpft werden, so werden alle Erinnerungen, alle Reflexionen aus der
-Seele verdrängt, und mit ihnen zugleich die feinern Vergnügungen, die
-auf dieselben gegründet sind. In diesem Zustande ist die ganze Seele
-Maschine, und sie bewegt sich ganz unwillkührlich nach der Richtung des
-Stoßes, die ihr ein so heftiger äußerer Antrieb giebt.
-
-Eine andere Art hingegen, die nur die Sinnen in so weit rührt, als es
-nöthig ist, durch sie die Einbildungskraft rege zu machen, eröffnet
-allen Arten von moralischen Empfindungen den Zugang. Sie macht das
-Herz weich, und so zu sagen -- schmachtend. Die Vernunft ist dabey
-heiter genug, alle verwandten Ideen herbeyzurufen, jede angenehme
-Erinnerung mit der augenblicklichen Empfindung zu verbinden, und unter
-die Ergötzungen des Auges und des Ohres die moralischen Vergnügungen
-der Freundschaft und der Tugend zu mischen.
-
-Unter diese letztere Gattung gehört diejenige Art von Vergnügen, die
-ich jetzt genieße. Sie sind so still und so ruhig, wie die Fluren
-des Abends, durch die ich gehe, und eben so heiter und rein, als das
-blaue Gewölbe, das mich deckt. Alles das, was ich sehe, und was die
-Quelle des Vergnügens ist, ist zugleich ein Stoff zu Betrachtungen,
-die vielleicht noch ergötzender sind, als der sinnliche Eindruck
-selbst. Wenn ich dann auf einer großen lachenden Wiese, die von alten
-ehrwürdigen Eichen rings um eingeschlossen, und von dem schwankenden
-Schatten derselben halb überstreut ist, die mildern Einflüsse der
-Abendsonne genieße; dann versetze ich in diese Gegend alle meine
-Freunde. Ich sammle in Gedanken diesen kleinen aber ehrwürdigen
-Haufen von Leuten, die ich liebe und die mich wieder lieben, um mich
-herum, alle durch gegenseitige Neigungen an einander gebunden, alle
-von einerley Geiste beseelt, zu einerley Empfindungen aufgelegt, und
-mit eben denselben Arbeiten des Wohlthuns und der Mildthätigkeit
-beschäftigt. Dieses Spiel meiner Einbildungskraft treibe ich so lange
-fort, bis ich ganz von den Gegenständen, die um mich sind, entfernt in
-andern Welten und noch glücklichern Gegenden herumschwebe. Von diesem
-Fluge ermüdet kehre ich wieder zu dem Orte und dem Stande zurück, in
-welchem ich bin, und, Dank sey es meinem Geschick! ich habe bey dem
-Ende meines Traumes noch nicht alles verloren. Meine Mutter, meine
-Cousine, und mein Lehrer und Bruder, die um mich herum sind; Sie,
-die erste meiner Freundinnen, und die übrige Reihe meiner männlichen
-Freunde, die von mir entfernt, aber durch ihr Andenken, durch ihre
-guten Wünsche, und durch ihr Theilnehmen an meinem Wohl, nahe um mich
-sind, alle diese theuern Personen, die mir die gütige Vorsicht auf
-dem Wege des Lebens aufstoßen ließ, um durch ihre Begleitung das Rauhe
-und Unangenehme meiner Reise zu versüßen, alle diese sind wirklich
-da, sie lieben mich, sie machen mich durch ihre eigenen Verdienste
-hochachtungswürdig, und geben mir durch ihre Achtung den Werth, den ich
-mir selbst niemals erwerben würde.
-
-Ich habe ausfindig gemacht, (denn was für Mittel sucht man nicht
-auf, wenn man gewisse Sachen nicht verändern kann, um wenigstens uns
-eine andere Seite von ihnen zuzukehren?) daß die Abwesenheit in der
-Freundschaft zu etwas nützlich ist. Sie ist das Maß ihrer Stärke. Ich
-habe neulich im Plutarch gelesen, und wenn es nicht Plutarch gesagt
-hätte, so hätten Sie mir es sagen können, daß der Beweis einer recht
-heftigen Liebe nicht sowohl die Größe des Vergnügens sey, die einer in
-des andern Gegenwart empfindet, als vielmehr die Größe des Schmerzes,
-die ihnen die Trennung verursacht. Mich deucht, man kann eben dieses
-von der Freundschaft sagen. Das Vergnügen des freundschaftlichen
-Umganges ist, ruhig, gemäßigt, und beynahe mehr Heiterkeit als
-Freude; das Verlangen aber, wenn man desselben entbehrt, ist heftig,
-zuweilen gar stürmisch. Sie können glauben, daß ich diese Erfahrung
-bloß von den Empfindungen abstrahire, die mir die Erinnerung an unsere
-ehemaligen Vergnügungen erweckt. Ich weiß also zuverlässig, wie sehr
-ich Ihr Freund bin, ich weiß, wie sehr Sie meine Freundin sind. Diese
-Ueberzeugung ist mir sehr viel werth. Soll ich Ihnen erst sagen, daß
-ich Sie nicht allein meyne, wenn ich von Ihnen rede?
-
-Ich habe Ihnen bisher nur meine Empfindungen erzählt. Jetzt sollen Sie
-noch etwas von meiner Geschichte wissen. Ich habe Ihre Briefe noch
-nicht. -- Ich meyne die, die Sie vergangene Woche geschrieben haben,
-und die verwichenen Freytag in B*** angekommen seyn müssen. Sagen Sie
-mir, ist es nicht mir recht zum Possen, daß die Post nach B***, die die
-Briefe von B**** hierher bringt, gerade eine Stunde eher des Freytags
-abgehen muß, als die Ihrigen ankommen? und dann geht keine wieder
-eher, als auf den Dienstag. Ich bekomme sie also erst Mittwochs. --
-Diese Sache ist gar nicht zu ändern; ich muß also nur aufhören, daran
-zu denken.
-
-Meine Reise ist sehr glücklich und bequem gewesen. Der Herr *** ist ein
-durch seinen Verstand und Erfahrung angenehmer Gesellschafter. Seine
-Frau ist es etwas weniger; und da ein großer Theil ihres Werths in dem
-Range und dem Stande ihres Mannes liegt, so schlägt sie denselben auch
-ein bißchen zu hoch an. Aber das thut nichts. Gegen mich, als einen
-alten Freund und Verwandten, ist sie immer sehr gütig.
-
-Die zwey Tage, die bis zu meiner Mutter Ankunft verflossen,
-recognoscirten wir, ich und mein lieber Bruder, die Gegend. Sie
-können sie nicht leicht schöner jemals gesehen haben. Wir liegen sehr
-nahe an der Oder, an deren Ufer überhaupt die schönsten Gegenden von
-Schlesien sind. Dunkle, ehrfurchtsvolle Hayne, angenehme Wiesen, die
-fruchtbarsten Felder, alle Theile einer bezaubernden Landgegend
-wechseln mit einander ab. An dem einen Orte gehen wir auf einem
-erhabenen Damm, (denn deren müssen hier sehr viele der Gewalt des
-Stroms im Frühjahr entgegengesetzt werden), von dem man auf beyde
-Seiten die Aussicht auf die angrenzenden Wiesen und den dabey gelegenen
-Wald hat. Der Damm selbst ist mit Eichen besetzt, die ihre hohen
-Wipfel einander zuwehen. An einem andern Orte ist ein weitläuftiger
-Thiergarten, von drey Stunden in der Rundung, wo man den angenehmsten
-Schatten, die erfrischendste Kühle, und den erfreuenden Anblick von
-munteren, freyen und glücklichen Geschöpfen zugleich genießt. An einem
-dritten Orte ist ein dicker beynahe unwegsamer Wald, wo selbst die
-mittägliche Sonne keinen Zugang findet, und wo die melancholische
-Stille nur durch das Rauschen der Aeste, oder das entfernte Girren der
-Turteltaube, oder das Geräusch eines sich mitten im Walde durch die
-Aeste durcharbeitenden Hirsches unterbrochen wird.
-
-Hier stellen Sie sich also mich, an meiner Seite meine Mutter, meine
-Schwester (denn so habe ich meines Onkels Töchter immer betrachtet,
-und so habe ich sie geliebt) und meinen Freund vor. Da der Herr ****,
-seine Frau, und mein Onkel, in das Bad gegangen sind, so herrschen wir
-hier ganz allein. Wir stehen nicht eben sogar früh auf. Wir trinken
-gemeinschaftlich unsern Thee. Wir verdienen unsere Mittagsmahlzeit
-durch einen recht guten Spaziergang, von dem wir zuweilen unterwegs
-unter einer hohen Eiche ausruhen. Die heißen Stunden sind zur Lektüre
-und zur Arbeit bestimmt. Der Abend ist ganz zu ländlichen Vergnügungen.
-Wir schlafen ruhig und vergnügt, weil keine unsere Ergötzungen etwas
-anders als das Verlangen zurück läßt, sie zu wiederholen.
-
-Ich lese meiner Mutter zuweilen auf einer Rasenbank, die eine große
-Haselstaude beschattet, aus den Gedichten des +Gisecke+ vor. O diesen
-Mann müssen Sie lesen. Er ist der Dichter der Freundschaft und der
-ehelichen Liebe. Wer kann also ihn besser richten? und wessen Beyfall
-würde ihn mehr belohnen? Er ist nicht immer stark, aber er ist immer
-gut. Leben Sie tausend Mal wohl u. s. w.
-
-
-
-
-Zehnter Brief.
-
-
- S***witz den 27. Juli.
-
-Ob ich gleich befürchten muß, daß meine Briefe Sie nicht in Leipzig
-treffen, so kann ich es doch nicht über mich erhalten, keine zu
-schreiben. Einen Brief an Sie schreiben, ist wenigstens halb so viel,
-als einen von Ihnen bekommen. Ich glaube, ich habe Ihnen das schon
-einmal gesagt. Aber das thut nichts. Ich fürchte es nicht, mich in
-einer Sache zu wiederholen, die auf einerley Art empfunden auch
-nur auf einerley Art ausgedrückt werden kann. Ich habe überhaupt
-gemerkt, daß wahre Empfindungen sich zwar richtiger, aber niemals so
-mannigfaltig ausdrücken lassen, als diejenigen, welche Geschöpfe der
-Einbildungskraft sind. Der schöne Geist und das empfindliche Herz sind
-deßwegen nicht immer beysammen, und zu gefallen und zu rühren, sind
-zwey sehr verschiedene und oft einander entgegenstehende Sachen.
-
-Sie sind also in Dreßden. Denn ich bin so glücklich gewesen, Ihren
-ersten Brief Mittwochs, und den andern unmittelbar darauf Freytags
-zu bekommen. Ich weiß nicht, warum mir diese Reise gar nicht recht
-war. Sie schienen nicht mir näher zu kommen, sondern sich von mir
-zu entfernen. Endlich bin ich auf die Ursache gekommen; wenigstens
-das Wahrscheinliche fürs Gewisse zu nehmen. Ich fürchtete, unser
-Briefwechsel würde gestört werden. Ueberdieß, glaube ich, weiß
-ich Sie gern zu Hause, weil ich mir den Ort, wo Sie sind, und die
-Beschäftigungen, die Sie da vornehmen, besser vorzustellen weiß. Das
-Bild ist lebhafter, weil es mehr bestimmt ist. In Dreßden können Sie
-da und da und da seyn. Aber wo Sie wirklich sind, und was Sie wirklich
-machen, das kann ich mir zu keiner einzigen Stunde des Tages mit
-Gewißheit denken. Ich befinde mich in einem fremden Ort, wo ich meine
-Freundin bey jedem Schritt, den sie sich von mir entfernt, verliere,
-und sie kaum mit der größten Mühe des Abends im Gasthofe wieder finde.
-
-Endlich, (denn Sie müssen wissen, ich suche mein Herz zu studiren,
-besonders wenn ich irgend eine ungewöhnliche Bewegung darin merke,
-und das nicht mehr bloß um meinet, sondern auch um Ihretwillen;)
-endlich also überfiel mich die bey einer wirklichen Freundschaft so
-natürliche Eifersucht. Ich weiß die eigentliche Absicht Ihrer Reise
-nicht. Aber das konnte ich mir doch vorstellen, daß Sie dort neue
-Verbindungen errichten würden, oder durch schon gemachte Verbindungen
-dazu wären veranlasset worden. Könnten eine Menge von neuen Eindrücken
-nicht die alten verdunkeln, wenn sie auch nicht im Stande wären, sie
-auszulöschen? Sie werden allenthalben, wo Sie hinkommen, und wo man
-noch Geist und Herz genug hat, um es an andern gewahr zu werden,
-Freunde finden. Ich müßte sehr verblendet, und mehr eitel als
-ehrgeitzig seyn, wenn ich mich überreden sollte, daß mich nicht viele
-dieser Freunde an allen Arten von Vorzügen übertreffen sollten. Und
-ist es nicht in der Natur, dachte ich, daß man das bessere dem weniger
-guten vorzieht?
-
-Dieser Gedanke würde mich niedergeschlagen haben (und doch bin ich
-sonst großmüthig genug, mich wie Phocion, oder wer es sonst war, zu
-freuen, daß es so viel bessere Menschen giebt als ich) aber jetzt
-würde mich dieser Gedanke niedergeschlagen haben, wenn mir nicht noch
-ein Vorzug von mir eingefallen wäre, den ich willens bin, dem größten
-Theil Ihrer Freunde, oder lieber (denn was soll ich heucheln?) allen
-Ihren Freunden streitig zu machen. Ich liebe und schätze Sie so hoch,
--- als es Ihr Bruder thun könnte. Erlauben Sie mir immer, daß ich mir
-einen Ehrennamen beylege, zu dem Sie mir selbst das Herz gegeben haben.
-Ich liebe Ihren Mann, ich liebe Ihre kleine Wilhelmine, ich liebe Ihre
-Freunde; selbst ehe ich sie noch kenne, empfehlen sie sich mir schon
-durch diesen Namen mehr als durch alle Lobsprüche. Ich brenne vor
-Begierde, an dem Glück und an dem Vergnügen einer solchen würdigen
-Familie zu arbeiten; selbst meiner Freundschaft wünschte ich den Segen,
-daß sie ein neues Band der ehelichen Liebe zwischen Ihnen beyden wäre,
-auf die sich Ihre ganze Glückseligkeit gründet. Ich wünschte mir
-einen größern Verstand, um Sie durch meinen Rath zu der glücklichsten
-Mutter der vollkommensten Tochter zu machen; und mehr Tugend und mehr
-Herrschaft über meine Leidenschaften, um Sie auf eben dem Wege, durch
-welchen ich gegangen wäre, zu der Ruhe und der Heiterkeit der Seele
-zu führen, die wir uns beyde so sehr wünschen, und die so oft durch
-geringe Veranlassungen unterbrochen wird. Ich bin jetzt nahe dabey,
-Ihre Frage zu beantworten, und nicht bloß Ihre, sondern auch meine
-eigene.
-
-Der heutige Tag, sagte ich manchmal zu mir selbst, ist vollkommen dem
-gestrigen ähnlich. Alle Umstände sind dieselben. Nicht ein einziges von
-meinen Gütern ist mir genommen. Nicht ein Wunsch ist heute von seiner
-Befriedigung weiter zurück gesetzt, als er es gestern war. Und doch
-war ich gestern vergnügt, und heute bin ich traurig und mißvergnügt.
-Ich habe diese Betrachtung erst vor wenig Tagen wiederholt, wo mein
-Zustand des Gemüths dem Ihrigen vollkommen ähnlich war; ob ich Sie
-gleich warnen muß zu glauben, daß eine gewisse Munterkeit im Ausdrucke
-ein richtiges Maß für den Grad des Vergnügens sey, den ich zu der
-Zeit genieße. Man kützelt sich zuweilen um zu lachen, eben indem man
-Schmerzen empfindet. Ich bin heute recht vergnügt, aber es würde die
-unnatürlichste Sache von der Welt für mich seyn, Lachen zu erregen.
-Also zu unsrer Untersuchung zurück! Sie wissen, daß die stärksten
-Triebfedern unsrer Seele im Dunkeln liegen. Die Wirkung wird um desto
-schwächer, je sichtbarer die Ursache ist. Das Deutliche reducirt sich
-immer auf wenige Begriffe, die bald überzählt sind, und deren Summe
-niemals etwas so großes ausmachen kann, daß man davor erschrecken
-sollte. Alles das kommt uns nur unermeßlich vor, dessen Grenzen
-wir nicht kennen. Sehen Sie, eben so entsteht unser Unmuth, wie an
-dem heitern Himmel sich ein kleiner schwarzer Punkt erst in eine
-kleine Wolke ausbreitet, dann sich immer mit den benachbarten Dünsten
-vermischt und endlich den ganzen Horizont ringsum verdüstert. So lassen
-Sie also in diese fröhliche Seele, deren ganze Saiten von dem Vergnügen
-ausgespannt sind, jeden Eindruck anzunehmen und zu verdoppeln,
-lassen Sie in dieselbe ein einziges Wort eines Geliebten fallen,
-eines Ehegatten, oder eines Freundes, das dem Grade der erwarteten
-Zärtlichkeit nicht entspricht; eine kleine Ungeschicklichkeit, die
-wir selbst begehen, und die in uns die Erinnerung unsrer übrigen
-Schwachheiten wieder erweckt; eine kleine Schwierigkeit bey der
-Ausführung irgend einer unsrer Absichten, selbst die Empfindung einer
-kleinen Unordnung im Körper. Auf einmal kommen die Vorstellungen von
-alle dem Unangenehmen, was in unserm ganzen Zustande ist, zu Hauf. Das
-Vergnügen hatte sie, so wie die Sonne den Nebel, nicht vernichtet,
-sondern nur aus einander getrieben. Gegenwärtiges, Vergangenes,
-Zukünftiges, alles drängt sich in unsere enge Seele zusammen, und macht
-darin ein solches Chaos, und so eine wilde Vermischung, daß aller unser
-Verstand, und wenn wir auch der Stoische Weise wären, nicht zureicht,
-es aus einander zu setzen. Alle Uebel werden in diesem Augenblicke
-unendlich, unaufhörlich, unvermeidlich. Altes verliert sein Maß und
-seine Grenze, weil es beständig mit etwas anderm vermischt ist, das wir
-davon nicht scheiden können oder wollen. Wenn man einmal so glücklich
-ist, so weit zu kommen, sich sein ganzes Unglück nach einander
-herzuerzählen; oder wenn man genöthiget wäre, es in diesem Augenblicke
-einem andern zu sagen, so würde man sich wundern, wie Sachen, die,
-wenn man sie sagt, so wenig betragen, doch, wenn man sie bloß dunkel
-fühlt, einen so großen Eindruck machen und so viel Verwüstung anrichten
-können. Ergänzen Sie diese Gedanken durch Ihre eigene Erfahrung. --
-
-Aber sagen Sie mir auch dazu, was ich nicht thun kann, wie man es
-anstellen muß, um dieser Unruhe -- ich will nicht sagen, ganz los zu
-werden, denn das möchte ich nicht einmal; wenn man die Empfindlichkeit
-von seinem eigenen Uebel wegnimmt, so verliert man auch die gegen
-die Uebel anderer, -- aber sie doch zu mäßigen. Bloß moralische
-Vorschriften sind vergebens. Der Verstand geht seinen Weg, und die
-Einbildungskraft den ihrigen. Es müssen Uebungen, ordentliche Uebungen
-seyn. -- Aber das ist eine Materie, wozu ich Ihren Verstand brauche. --
-Ich schriebe gerne mehr, aber Sie möchten alsdann wirklich anfangen,
-kürzere Briefe zu wünschen, und dann sehe ich schon zum Voraus,
-würde ich trotz aller meiner Philosophie in eben den Unmuth und die
-Unzufriedenheit verfallen, die ich beschreibe. Leben Sie wohl u. s. w.
-
-
-
-
-Eilfter Brief.
-
-
- S***witz den 4. Aug.
-
-Ich wußte wohl, daß ich die Reise nach Dreßden nicht umsonst fürchtete.
-Ich habe keine Briefe von Ihnen, und das zu einer Zeit, wo ich sie am
-allermeisten nöthig gehabt hätte, um mir Muth und Entschlossenheit
-dadurch zu geben. Sie sind also noch nicht aus Dreßden zurück gewesen,
-oder Sie waren von der Reise zu müde, oder -- diese unglückliche
-Sucht Ursachen zu allem zu finden, macht daß wir jede gewöhnliche
-Begebenheit durch unsere Auslegung zur Qual für uns machen. Denn daß
-Sie noch meine Freundin sind, daß Sie es noch eben so sehr sind, als
-da ich Sie das letzte Mal in Borsdorf Thränen vergießen sah, (ein sehr
-kostbares Denkmal Ihrer Freundschaft!) das lasse ich mir selbst meine
-melancholische Einbildungskraft in ihren finstersten Stunden nicht
-ausreden. Aber warum konnte mein Freund Reitz nicht schreiben, daß Sie
-noch nicht gekommen wären? Gewiß, ich würde in ähnlichem Falle diese
-Aufmerksamkeit für ihn gehabt haben. --
-
-Mit mir sind unterdessen manche Veränderungen vorgegangen; -- nicht
-eben mit meinen Umständen, aber mit meinen Aussichten. Ich stehe seit
-einigen Tagen alles Unangenehme der Unentschlossenheit und des Zweifels
-aus. -- Gellert hat mir seit drey Posttagen drey Mal geschrieben. --
-Sie wissen, daß, als ich noch in Leipzig war, ein Hofmeister für des
-Graf F.. ältesten Sohn gesucht wurde. Gellert hielt mich dazu für
-tüchtig. Ich selbst hatte Lust. Globig aber hatte dazu schon Jemand
-erwählt, der aus Göttingen angekommen war. Dieser wurde vom Grafen
-nicht angenommen. Nach ihm wurde M. Kraft, (eben der, dem ich in
-meiner Abwesenheit meine Stube eingeräumt hatte) vorgeschlagen und
-angenommen. Dieser geht nach Petersburg als Astronom. Gellert war
-so aufmerksam, diese Gelegenheit sogleich zu ergreifen, und mich an
-Globigen mit aller seiner gütigen Partheylichkeit zu empfehlen. Vor
-acht Tagen erhalte ich einen Brief von Gellert, in welchem einer vom
-Präsidenten an ihn eingeschlossen ist. Er meldet ihm, daß der von ihm
-empfohlene Mensch wäre angenommen worden, oder auf Michaelis angenommen
-werden könnte. Der Graf verlangte dabey einen Plan zu dem Unterrichte
-seines Sohnes, der 15 Jahr alt, von guten Talenten, und nicht ohne
-Wissenschaften seyn soll.
-
-Kaum hatte ich diesen Brief beantwortet, ihm für seine Güte gedankt,
-und ihm meinen Entschluß und die Einwilligung meiner Mutter gemeldet,
-so kommt von ihm ein zweyter. Ich erwartete nichts Geringeres, als den
-Tod des Grafen; denn er ist sehr krank gewesen. Aber es war noch ein
-zweyter Vorschlag. Sie kennen die Frau von I., eine K..sche Tochter,
-und ihre zwey Söhne, von denen der älteste lahm ist. M. Hahn war bisher
-ihr Hofmeister. Dieser kommt nach Hamburg, und die Frau Obersten
-sucht einen neuen. Der junge Herr soll bald in die Collegia gehen,
-und der jüngste soll bloß der Aufsicht, nicht aber dem Unterricht des
-Hofmeisters anvertraut werden. Das Gehalt ist 150 Thaler. Wenn diese
-Stelle außer Leipzig läge, so hätte ich sie geradezu ausgeschlagen.
-Aber meine Freunde wieder zu sehen, Sie wieder zu sehen, Gellerten --
-alle, alle wieder zu sehen, bey Ihnen zu leben, -- das ist mehr als man
-braucht, um eine noch seltsamere Frau, als die Frau von J. ist, und
-einen noch beschränkteren Eleven, als ich mir ihren Sohn vorstelle,
-ertragen zu lernen.
-
-Sagen Sie mir, was hätten Sie mir gerathen, Sie und Ihr lieber Mann,
-wenn ich bey Ihnen gewesen wäre? Ich will Ihnen sagen, was ich gethan
-habe. Ich habe die Entscheidung Gellerten überlassen; ich habe ihm die
-Bewegungsgründe und die Schwierigkeiten auf beyden Seiten vorgestellt.
-Wenn alles gleich wäre, so würde ich ohne Streit F..s Haus dem J..schen
-vorziehen, von dem ich weder mehr Ansehen, noch mehr Umgang mit der
-großen Welt, noch mehr Glück aufs künftige zu erwarten habe. In beyden
-Fällen komme ich doch erst nach Leipzig, und sehe Sie wieder. --
-
-Ich schriebe gern noch mehr, aber um mich selbst zu verläugnen, und um
-Sie von meinen langen Briefen ausruhen zu lassen, sage ich kein Wort
-mehr, als daß ich u. s. w.
-
-
-
-
-Zwölfter Brief.
-
-
-Ein treuer, freundschaftlicher Rath kommt niemals zu spät, wenn er auch
-gleich eine geschehene Wahl nicht mehr ändern kann. Sie wissen, ich
-schrieb Gellerten, an eben dem Tage, da ich Ihnen die Nachricht davon
-gab. Es würde mir schwer werden, eine Entscheidung, die ich ihm einmal
-übergeben habe, wieder zurück zu nehmen. Ich bin in der That vollkommen
-Ihrer Meynung, daß es immer gefährlich ist, dem Urtheile eines andern
-(und wäre dieser andere auch der weiseste und rechtschaffenste Mann)
-eine Entscheidung zu überlassen, bey der er, wenn es möglich wäre,
-sich in uns verwandeln müßte, wenn er richtig urtheilen sollte. Dem
-ungeachtet glaube ich, daß ich es nach den Umständen, in welchen ich
-war, so machen mußte. Diese Erinnerung wird mich trösten, der Ausgang
-der Sache mag seyn, welcher er will. Um mich aber auch bey Ihnen zu
-rechtfertigen, so sollen Sie diese Umstände wissen.
-
-Sie kennen die Schwierigkeit, (oder wenigstens können Sie sich sie
-vorstellen), die es einen Menschen kostet, dessen Glück oder Unglück
-nicht ihn allein trifft, sondern sich auf Personen ausbreitet, die
-ihm theurer als sein eigen Leben sind, was es diesen Menschen, sage
-ich, kostet, einen Entschluß zu fassen, von welchem diese Personen
-glauben, daß er für sein künftiges Schicksal so wichtig ist. Wenn
-man das Unglück hat, Niemand in der Welt anzugehören und eine mit
-dem übrigen menschlichen Geschlecht nicht zusammenhängende Insel
-auszumachen, so hat man entweder Muth oder Unbesonnenheit genug,
-geschwind zu entscheiden. Neigung, und die auf eine gewisse Seite
-gerichtete Einbildungskraft geben der Wahl bald den Ausschlag. Wenn man
-aber so wie ich, als Sohn, als Verwandter, als Freund, in Verbindungen
-steht, die an unser Wohl das Wohl anderer verknüpfen, so wird ein
-Entschluß schon weit schwerer, für dessen Erfolg man so vielen Personen
-Rechenschaft zu geben hat.
-
-Setzen Sie nun noch, daß die Sache so sehr ungewiß ist, wie die
-meinige, und daß so viel andere, von uns ganz unabhängige Begebenheiten
-zusammen kommen, und uns helfen müssen, wenn sie nicht fehl schlagen
-soll: wer kann alsdann kühn genug seyn, für den Ausgang zu stehen,
-besonders wenn man durch unglückliche Beyspiele geschreckt ist. Man
-glaubt in diesen Fällen sehr leicht, daß das, wozu sich eine besondere
-Gelegenheit anbietet, mehr als ein Ruf der göttlichen Vorsehung
-angesehen werden kann, als das, wozu nichts als unser Entschluß etwas
-beygetragen hat. Vielleicht ist dieses zuweilen Vorurtheil. Aber
-scheint es uns alsdann nicht Wahrheit, wenn die Unternehmung mißlingt?
-Nach Leipzig ohne Ruf und Veranlassung zu gehen, und auf gut Glück
-Vorlesungen anzufangen, wie viel Stimmen glauben Sie wohl, daß ich hier
-dafür würde gefunden haben? Noch dazu da Leipzig außer unsers Herrn
-Ländern liegt, wo, wenn gegen die Regeln der Wahrscheinlichkeit alles
-aufs glücklichste fällt, am Ende doch immer die Schwierigkeit übrig
-bleibt, die die Versetzung einer ganzen Familie und ihres Vermögens
-in einen entfernten Ort mit sich führet. Was blieb mir also bey dem
-Wunsch und beynahe bey dem Bedürfniß, das ich hatte, nach Sachsen
-zurückzukommen, was blieb mir anders übrig, als eine Art von Beruf
-zu wünschen, die mir mehr und stärkere Ursachen verschaffte, mein
-Vaterland wieder zu verlassen, als meine bloße Neigung seyn konnte.
-
-Dieses war die erste Ursache, warum ich eine Hofmeisterstelle wünschte,
-zu der mich sonst nicht Noth noch eine sehr große Lust, Hofmeister zu
-seyn, antrieb. Diesen Gesichtspunkt einmal festgesetzt, erschien mir
-die Sache auch von andern Seiten vortheilhaft, so wie gemeiniglich,
-wenn unsere Neigung festgesetzt ist, unser Verstand die Mühe über
-sich nimmt, sie durch Gründe zu rechtfertigen, die doch nichts dazu
-beygetragen hatten, sie hervorzubringen. Ich fand als Hofmeister
-eines jungen Herrn von Stande meine Lust, die Welt, und wenn es seyn
-könnte, die große Welt etwas kennen zu lernen, befriedigt; ich sah
-in der Ferne die Aussicht zu Reisen. Endlich glaubte ich, daß, wenn
-sich durch diesen Weg die Schwierigkeiten des akademischen Lebens,
-besonders in Leipzig, etwas erleichtert hätten, wenn es dadurch für
-mich wahrscheinlicher geworden wäre glücklich zu seyn, als es für
-jeden andern ist, der mit eben so viel Zuversicht, wie ich, seine
-Vorlesungen anschlägt: daß, sage ich, ich alsdann meine Verwandten und
-Freunde durch stärkere Gründe würde bewegen können, einen beständigen
-Aufenthalt in Leipzig genehm zu halten. Dieses sind die Ursachen, warum
-ich es für nothwendig gehalten habe, unter einem von beyden Vorschlägen
-wählen zu müssen.
-
-Wenn sich keine solche Gelegenheiten angeboten, oder wenn ich sie
-ausgeschlagen hätte; wissen Sie, was für ein Entwurf an dessen Stelle
-getreten wäre? Ich würde diesen Winter in B**** geblieben seyn. (Und
-würde ich wohl diese Bitte meiner Mutter haben abschlagen können, wenn
-ich ihr weiter nichts, als bloß die Begierde lieber anderswo als bey
-ihr zu seyn, zum Bewegungsgrunde hätte vorzulegen gewußt?) Man würde
-während der Zeit Versuche auf mich gethan haben, meinen Aufenthalt in
-meinem Vaterlande beständig zu machen. Wenn ich gegen alle Vorschläge
-hartnäckig genug ausgehalten hätte, so würde ich endlich künftige
-Ostern nach Halle gegangen seyn, und zu lesen angefangen haben. Ich
-weiß, daß dieß doch vielleicht das Ende der Sache seyn wird. Aber
-genug, ich bin zufrieden, wenn es nur jetzt nicht geschieht, und wenn
-ich noch zuvor das Ziel von Geschicklichkeit und Wissenschaft an einem
-dazu weit bequemern Orte erreiche, ohne welches ich mich selbst für
-einen unwürdigen Lehrer der Akademie halten würde. --
-
-Was nun die Wahl unter beyden betrifft, so war die Zeit zur Ueberlegung
-kurz; meine Neigung durch die Vortheile der Nation des Ministers, und
-durch die Vortheile des Orts bey der andern getheilt; meine Mutter
-höchst unschlüssig, furchtsam, mich den Schwierigkeiten und Gefahren
-bloß zu stellen, die sie im Dienste der Großen für mich zu finden
-glaubte, und doch auch ungewiß, ob die Vortheile diese Gefahren nicht
-überwiegen; ich selbst nicht vermögend genug, sie von allen Umständen,
-die die J..sche Condition heruntersetzen, zu unterrichten, und nicht
-dreist genug, mir alle die Talente zuzuschreiben, die des Grafen seine
-zu erfordern schien. Was konnte ich thun, um mich und sie zugleich
-zu beruhigen, als die Entscheidung einem Manne auftragen, der beyde
-Stellen besser kennen muß, wie ich. --
-
-Noch ist von ihm keine Antwort da. Wenn er für die J..sche entscheidet,
-so bestehe ich durchaus auf der Bedingung, Collegia lesen zu dürfen.
-Ohne das wird nichts daraus; das versichere ich Sie heilig. Und nun,
-l. F., verlassen Sie mich nicht mit Ihrer Liebe, Ihrem Rathe und mit
-Ihrem Beystande. In unserer Freundschaft finde ich einen Trost, der mir
-jede Schwierigkeiten leichter überwinden, und jeden Kummer ertragen
-hilft u. s. w.
-
-
-
-
-Dreyzehnter Brief.
-
-
- S***witz den 12. Aug.
-
-Wenn Sie noch mehr solche schöne Briefe, und solche angenehme
-Erzählungen nach S**** schreiben, so werden alle meine Freunde anfangen
-auf mich neidisch zu werden. Wenn Sie nur sehen sollten, mit was für
-Begierde hier Jedermann Ihre Briefe erwartet, mit wie viel Ungeduld
-wir uns nach dem Bothen umsehen, der sie uns bringen soll, und wie
-wenig einer dem andern Zeit lassen will, sie durchzulesen. Sie können
-glauben, daß ich mir nicht wenig darauf zu Gute thue, daß an mich die
-Briefe zuerst kommen, und daß ich nicht nur dieses Vergnügen zuerst
-genieße, sondern es auch alsdann in meiner Macht habe, Gefälligkeiten
-damit auszutheilen.
-
-In der That, ich würde meine hiesigen Freunde nicht so hoch schätzen,
-wenn sie das Glück, eine solche Freundin zu besitzen, nicht für
-beneidenswerth hielten. Meine Mutter insbesondere, die jeder Beweis
-von der Rechtschaffenheit ihres Sohnes mehr als alles erfreut --
-(und welcher Beweis könnte stärker seyn, als der, daß er von solchen
-Freunden ihrer Gewogenheit werth gefunden wird?) meine Mutter ist so
-sehr von ihren Briefen eingenommen, daß ein Posttag ohne Briefe ihr
-beynahe schon eben so viel Unruhe macht, als mir selbst. Darf ich es
-Ihnen wohl erst sagen, daß uns der letzte diese Unruhe gemacht hat?
-Denn in der That hatten wir Herz genug, drey Tage nach dem Empfang
-Ihres letzten Briefes schon wieder einen neuen zu erwarten.
-
-Ich habe immer geglaubt, man müsse den Menschen aus den Gegenständen
-seines Vergnügens kennen lernen. Ich habe Leute gesehen, die in ihren
-Geschäften vernünftig genug schienen, und die sich doch nach geendigter
-Arbeit in der elendesten Gesellschaft und durch die abgeschmacktesten
-Zeitvertreibe erholen konnten. Diese Leute könnte ich nimmermehr zu
-meinen Freunden machen. Wenn ich aber Jemand, so wie meine Freundin,
-sich an dem Anblick einer tugendhaften und glücklichen Familie erfreuen
-sehe; wer durch den Anblick einer zärtlichen und sorgfältigen Mutter,
-eines gütigen Herrn, liebreicher und gutgearteter Bedienten, kurz eines
-solchen Hauses, wie Sie mir das Gärtnersche beschreiben, gerührt wird,
-für dessen Güte bin ich Bürge, und ohne ihn zu kennen, öffnet sich
-schon mein Herz gegen ihn zu sympathetischen Empfindungen.
-
-Wie gern möchte ich der Rektor von Königsbrück in dem Augenblick
-gewesen seyn, da Sie ihn in seinem Hause überraschten. Ich habe
-mich schon oft darüber gefreuet, daß das Schicksal einige unserer
-Begebenheiten eben so ähnlich gemacht hat, als es unsere Empfindungen
-sind. Ich weiß, Sie sagten mir einmal, daß Sie von allen Ihren Lehrern
-wären außerordentlich geliebt worden. Der Besuch in Königsbrück hat
-mich wieder an dieses Gespräch erinnert. Mein gütiges Schicksal hat
-mir eben so nachsehende, oder eben so liebreiche Lehrer gegeben. Alle
-sind meine Freunde gewesen, und haben mich mit einer vorzüglichen
-Gewogenheit beschenkt. Sie wissen, daß ich jetzt sogar in dem Hause
-meines Lehrers wohne, der aber noch weit mehr mein Freund ist. --
-
-Von diesem glücklichen Montage, wo Sie vergnügt waren, weil Sie andere
-vergnügt machten, habe ich Sie mit Freuden wieder zurück an die
-Stelle begleitet, wo Sie sonst oft von einem andern mehr ungestümen
-Freunde überfallen wurden, der bey Ihnen alle Mal seine Ruhe und seine
-Heiterkeit wieder fand, wenn er beydes durch seine eigene Schwäche,
-oder durch unglückliche Nachrichten von seinen Freunden, verloren
-hatte.
-
-Die Beschäftigungen der Ehegattin, der Hausfrau, der Mutter haben mir
-immer die edelsten geschienen, die ein menschliches Geschöpf einnehmen
-könnten. Sie sind mir aber jetzt noch viel mehr werth, da ich weiß, daß
-es die Beschäftigungen meiner Freundin sind. Ich stelle sie mir hundert
-Mal des Tages in jedem dieser Geschäfte vor, und entwerfe mir von ihrem
-ganzen Leben den schönsten und vortrefflichsten Plan. Von einer Stufe
-der weiblichen Vollkommenheit zur andern führe ich Ihre Wilhelmine
-bis zu dem Augenblicke, wo Sie sie einem glücklichen und tugendhaften
-Manne zuführen, für den Ihre Sorgfalt sie zubereitet hatte. Indeß, daß
-Sie in dieser Ihrer Erstgebohrnen schon alle Freuden und Belohnungen
-einer Mutter fühlen, theilen sich noch andere Kleinere in die Sorge und
-die Arbeiten einer Mutter. So erblicke ich Sie endlich am Ende Ihrer
-Laufbahn, unter der Gestalt einer ehrwürdigen Shirley, das Haupt und
-die Krone einer ganzen sich immer mehr ausbreitenden Familie, die durch
-Dankbarkeit, durch Hochachtung, durch Liebe, durch alles, was die Natur
-zärtliches hat, an Sie gebunden ist. Wenn denn von einem Winkel der
-Erde, wo Ihr Freund die Erfüllung seiner Wünsche nur aus der Ferne,
-aber doch mit der lebhaftesten Bewegung seines schon matt gewordenen
-Herzens hört, wenn er sich aus diesem Winkel einmal hervorbegiebt, um
-noch seinen letzten Tagen die Glückseligkeit zu geben, seine Freundin
-glücklich zu sehen, und sich unter den Haufen ihrer Kinder mischt --
-und ihre Hand mit den Thränen der Freude und Zärtlichkeit benetzt; --
-welchen Monarchen würde ich alsdann beneiden?
-
-Sie werden sagen, ich machte Schimären. Aber lassen Sie mich sie immer
-machen; sie sind oft viel angenehmer als die Wirklichkeiten. Und
-glücklich müssen Sie doch seyn mit den Gesinnungen und dem Herzen,
-welches Sie haben; Sie mögen es nun werden, auf was für eine Art Sie
-wollen. Und ich muß an Ihrer Glückseligkeit Theil nehmen, als Ihr
-Freund -- oder als Ihr Schutzgeist. Denn auch bis dahin führt mich
-oft meine Einbildungskraft, wenn sie in der gehörigen Mischung von
-Melancholie und Vergnügen ist. Ich prophezeihe mir ein kurzes Leben,
-und ich bin sehr damit zufrieden. Ich wäre es noch mehr, wenn ich nur
-noch zuvor etwas Gutes gethan, und eine Spur von meinem Daseyn zurück
-gelassen hätte. In allen Fällen werde ich doch nicht glauben, umsonst
-gelebt zu haben, wenn ich auch nur einen Menschen zurück lasse, den ich
-besser oder glücklicher gemacht habe. --
-
-Ich habe von Gellerten noch keine Antwort. Unterdessen habe ich ihm den
-Aufsatz geschickt. Wie gern hätte ich zuvor unsern gemeinschaftlichen
-Freund zu Rathe gezogen. Ich verwahre die Kopie für ihn, um sein
-Urtheil noch hintennach zu erfahren. --
-
-Und nun empfehle ich Sie und Ihren geliebten -- auch von mir geliebten
-guten ** der Vorsicht und der Beschützung des Himmels, und trage es
-diesem freundschaftlichen gütigen Mond auf, der eben jetzt über meinen
-Gesichtskreis kommt, Sie mit seinen Strahlen zu begrüßen -- und Sie an
-Ihren Freund zu erinnern, wenn Sie ihn unter bessern Freunden vergessen
-sollten u. s. w.
-
-
-
-
-Vierzehnter Brief.
-
-
- Breßlau den 26. Aug.
-
-Wenn der Brief in eben dem Augenblicke zu Ihnen kommen könnte, in
-welchem ich ihn schreibe, wenn ich tausend Empfindungen mit einem Worte
-ausdrücken, und die ganze Fülle meiner Seele ohne Zeichen, durch eine
-Art von Inspiration der Ihrigen mittheilen könnte, dann, glaube ich,
-würde die Ungeduld gestillt werden, mit welcher ich jetzt diesen Brief
-anfange. Die Zeit, bis er zu Ihnen gelangt, scheint mir unermeßlich;
-und ich wollte gern, daß Sie es diesen Augenblick wüßten, daß nur
-der Zufall, nicht Ihr Freund an Ihrer Unruhe schuld gewesen ist; daß
-er eben dieselbe Unruhe um der nämlichen Ursache willen ausgestanden
-hat; und daß, so gern er jeden sorgenvollen Augenblick aus Ihrem Leben
-austilgen wollte, ihm doch diese Ihre Bekümmerniß, mehr als jedes
-andere Zeichen Ihrer Freundschaft schätzbar und theuer ist.
-
-Ja in der That, l. F., das Schicksal hat sich recht bemühet, unsere
-Seelen die letzte Woche mit einerley Gedanken und mit eben denselben
-Bekümmernissen einzunehmen. Ihr Brief, (der, den ich in S**** schon vor
-acht Tagen erhalten sollte) blieb aus, und ich fand ihn nicht eher, als
-des Sonntags bey meiner Zurückkunft in B****. Ich weiß nicht, warum
-Ihre Briefe gerade da am ehesten ausbleiben müssen, wenn ich sie am
-meisten wünsche. Denken Sie nur, ich trug schon die ganze Woche vorher,
-aus Ursachen, die ich mir so wenig erklären, als ihre Wirkung aufheben
-kann, einen gewissen stillen mehr nagenden, als heftig beunruhigenden
-Verdacht mit mir herum, Sie wären mir nicht mehr so gut, als vordem.
-Sie wissen, Gründe richten sehr wenig gegen Empfindungen aus. Ich
-erwartete also Ihren nächsten Brief, um meine Furcht und mein Mißtrauen
-zu beschämen. Wir konnten den Tag, an welchem Ihre Briefe ankommen,
-keinen Boten in die Stadt schicken, und diese Briefe (so dachte ich
-damals) blieben also auf der Post bis den folgenden Tage liegen. Ein
-sehr unangenehmer Verzug, der aber die Begierde und die Erwartung noch
-mehr schärfte. Endlich hatten sich die Stunden bis zur Ankunft des
-Boten langsam und traurig genug fortgeschlichen -- und nun kam er ohne
-Briefe.
-
-Stellen Sie sich selbst vor, was eine Fehlschlagung in einer solchen
-Verfassung für Wirkungen auf ein Gemüth haben mußte, das dem Ihrigen
-ähnlich ist. Sie schienen mir blos deswegen nicht geschrieben zu
-haben, um mir zu sagen, daß ich Recht gehabt hätte mich zu fürchten.
-Ich bildete mir ein, als hätten Sie in meiner Seele eine Unruhe lesen
-können, und hätten deswegen geschwiegen, um ihren Grund zu bestätigen.
-Ich hörte schon auf, mein eigner Freund zu seyn; denn gewiß, ich
-würde mich selbst für ein nichtswürdiges Geschöpf ansehen, wenn Ihre
-Freundschaft mir in meinen Augen keinen Werth mehr gäbe.
-
-Die Seele kann in einem so unangenehmen Zustande nicht lange beharren.
-Er ist, so wie Sie sagen, und so wie meine Erfahrung mich lehrt, ein
-Stand der Unthätigkeit, der Philosophie unsers Freundes ungeachtet.
-Sie wankt also eine Zeit lang zwischen Reflexion und Gefühl, zwischen
-deutlichen Gründen und dunkeln Einbildungen hin und her; sucht eine
-Menge Beweise, um das nicht zu glauben, was sie scheut, und stürzt sich
-doch wieder, trotz aller Beweise, in ihre traurige Ueberzeugung zurück.
-Dieses Mal siegte ich aber doch endlich! denn das war ich gewiß genug,
-daß Ihre Freundschaft nicht so, wie der meisten Menschen ihre, ohne
-besondere Ursache nur erkalten kann, blos deswegen, weil die nähern
-sie immer umgebenden Gegenstände unaufhörlich einen Theil ihrer Wärme
-rauben, und sie durch diese allmählige Ausdämpfung zuletzt bis zu der
-ordentlichen Temperatur der Gleichgültigkeit zurückbringen. Aber das
-wußte ich nicht, daß Sie mich Ihrer Freundschaft immer auf gleiche Art
-würdig finden würden. Ich habe immer geglaubt, daß die Freundschaft,
-so wie die Liebe, eine gewisse Art von Verblendung erfordere; nicht
-eine solche, die die Gestalten verkehrt, sondern die, welche den guten
-Eigenschaften allein Licht giebt, und die schlechten in Schatten setzt.
-Wie wäre es nun, wenn Sie diese Verblendung gewahr geworden wären, --
-wenn Sie anfingen, mich eben so zu sehn, wie mich alle übrige Menschen
-sehn? -- Aber kurz, Sie hatten mir noch keine Veranlassung gegeben,
-diese Veränderung zu glauben. Ich konnte selbst den Ursprung dieses
-Gedankens in meiner Seele nicht ausfindig machen. Er erfüllte die Seele
-so, wie manches falsche Gerücht die Stadt, ohne daß man sagen kann, wer
-das Ding zuerst erzählt hat. Und konnten endlich Ihre Briefe nicht aus
-tausend andern Ursachen zurückgehalten werden?
-
-Aber dabey schmeichelte ich mir doch nicht, daß Sie wirklich
-geschrieben hätten, und es blos Unrichtigkeit der Post wäre, die mir
-Ihren Brief vorenthielte. Ich verließ S**** des Sonntags, nicht mit so
-viel Widerstreben, als ich sonst gethan haben würde, wenn ich nicht
-Ihre Briefe in der Stadt zu erwarten gehabt hätte. Ich fand sie, und in
-denselben die zärtlichste, gütigste Freundin, die Sie immer waren, dazu
-gemacht, das Leben nicht bloß Eines Mannes glücklich zu machen.
-
-In der That bedurfte ich dieses Trostes, um nicht allen meinen Muth
-unter der Menge unangenehmer Zufälle zu verlieren, die auf uns in der
-Stadt warteten. Meine Mutter kam halb krank nach Hause. Ihr Bruder,
-der, wie Sie wissen, im Bade gewesen ist, war kurz zuvor durch den
-Banquerout eines der ansehnlichsten hiesigen Häuser, dem er einen
-beträchtlichen Theil seines Vermögens anvertraut hatte, zurückgerufen
-worden. Ein andrer unsrer Freunde, der brave T****, sah durch eben
-diese Begebenheit eine Summe von 10000 Rthlr. auf vielleicht weit
-weniger als die Hälfte heruntergesetzt; eine andre Freundin, die Mad.
-P*** (eine von den wenigen Frauen, die Ihrer Bekanntschaft werth
-wären), war gefährlich krank, und der Arzt hatte ihr erst vor kurzem
-die Hoffnung zum Leben wiedergegeben. Meines Onkels jüngste Tochter war
-es auch. Die allgemeinen Klagen vermischten sich mit der besondern Noth
-unsrer Familie. Endlich bekam ich Gellerts Brief, und die Nachricht
-von des Grafen Tode. Mit diesem verschwand alle Aussicht auf künftigen
-Winter. Die nächsten Monate sogar hüllten sich wieder in Dunkel
-und Finsterniß ein; -- und nirgends, nirgends sahe ich irgend einen
-Schimmer eines Lichtes, der mich zu meiner Freundin wieder zurückführte.
-
-An die Stelle dieser verschwundenen Hoffnung trat eine Furcht, die ich
-schon überwunden zu haben glaubte. Während meines Aufenthalts in B***
-ist der Prorektor des hiesigen ersten Gymnasiums wegberufen worden.
-Meine Freunde dachten ganz natürlicher Weise an mich. Ich verzeihe
-Ihnen den Wunsch, mich hier zu behalten; er entspringt aus einem so
-gütigen Herzen, daß ich ihn gern mit meinem Wunsche bestätigen wollte,
-wenn es auf weiter nichts als Vergnügen dabei ankäme. Man redete also
-viel davon, man erforschte meine Gesinnungen, man ersann sich allerhand
-Möglichkeiten. Alles das war gut, so lange die Sache noch in einer
-gewissen Ferne blieb. Ich gestand, so oft die Rede davon war, meine
-vollkommene Abneigung; und ich gab, wie ich denke, Gründe davon, um ihr
-nicht den Schein des Eigensinns und des Vorurtheils zu geben. Man hörte
-endlich, da die Wahl ins Lange gezogen wurde, auf davon zu reden.
-Heftige Bestrebungen verzehren sich selbst, wenn sie nicht sogleich
-thätig werden können. Ich erklärte mich ein Mal für alle Mal, daß ich
-keinen Schritt der Sache entgegen thun würde. Eine ganz freywillige,
-unveranlaßte Anbietung dieses Amtes würde alsdenn von mir nicht ohne
-Ueberlegung verworfen werden.
-
-Ich glaubte, daß ich gewiß sehen könnte, daß dies niemals geschehen
-würde, da der hiesige Magistrat die Maxime hat, den ungestümsten
-Bittern die Aemter am ersten zu geben, und da die Jahrbücher von
-B*** noch kein Beyspiel von einem jungen Menschen haben, der, ohne
-die niedern Stufen des Schuldienstes durchkrochen zu seyn, zu dieser
-Würde erhoben worden wäre. Mitten unter diesen Sachen reiseten wir
-aufs Land, mein Onkel ins Bad. Die Briefe Gellerts brachten uns alle
-diese Gedanken aus dem Sinne, und Leipzig und Dreßden nahmen unsre
-Aufmerksamkeit so sehr ein, daß wir nicht mehr wußten, ob es einen
-Prorektor in B*** giebt. Ich kam wieder zurück mit der vollkommensten
-Sicherheit, daß diese Stelle längst würde besetzt seyn, und daß
-alles entschieden sey. Kein Mensch dachte wieder daran, bis Gellerts
-Brief dem Laufe unsrer Vorhersehungen eine neue Richtung gab. Gestern
-war ich mit meiner Mutter in einer großen und zu meinem Unglück sehr
-vermischten Gesellschaft. Einer davon, ein Herr von P***, ein Mann, dem
-große Reichthümer und viele Verbindungen eine Art von Ansehn geben,
-dem es übrigens weder an Verstande, noch einem gewissen Grade von
-Empfindung mangelt, zog mich gleich bei seinem Eintritte auf die Seite.
--- Hören Sie, sagte er, wollen Sie Prorektor seyn? -- Die Frage war
-sehr kurz, und die Antwort schien entscheidend seyn zu müssen. -- Ich
-wiederholte ihm kurz das, was ich allen meinen Freunden schon längst
-gesagt hatte. -- Ich war von Herzen froh, als ich endlich erfuhr,
-seine Frage bedeutete nichts mehr, als jede andre Frage von der Art;
-als ein Freund meines Onkels und meiner Mutter hatte er ihre Wünsche
-vorhergesehn, und wollte es bloß erfahren, ob es auch die meinigen
-wären.
-
-Unser Gespräch war noch nicht zu Ende, da es von einem Schwarme andrer
-Leute unterbrochen wurde. Ich hatte bey einem sehr vollen Tische
-den langweiligsten elendesten Abend von der Welt. Ich dachte fast
-an nichts, als an den Kontrast dieser Gesellschaft, und der kleinen
-an Ihrem Tische, in der ich so viele Stunden unter dem heitersten
-Vergnügen verlor. -- Nur einen einzigen solchen Abend, l. F., und ich
-wäre auf einen Monat zufrieden u. s. w.
-
-
-
-
-Funfzehnter Brief.
-
-
- B***, den 9. Septbr.
-
-Unerachtet mich meine Reise gehindert hat, an der besondern Lustbarkeit
-dieses Tages Theil zu nehmen, so bin ich nichts desto weniger bey
-Ihnen gewesen, so wie ich es alle Tage bin. Und vielleicht war es ein
-gewisser geheimer Einfluß, den Ihre Seelen auf die meinige hatten, der
-mich diesen Tag (es war der letzte, den ich in M*** zubrachte), beynahe
-vergnügter machte, als ich die ganze übrige Zeit gewesen war. --
-
-Eine Grille, die mir Schwedenborg, und sein Kommentator, M. Kant, in
-den Kopf gesetzt hat, kann ich mir noch nicht ausreden. -- So geht
-es; Sätze, die uns lieb sind, nimmt man gar zu leicht für Wahrheiten
-an, und das Sicherste, was ein Philosoph thun kann, um uns von seinen
-Hypothesen zu überzeugen, ist, daß er den Wunsch in uns erregt, daß
-sie wahr wären. -- Aber zur Sache selbst.
-
-Schwedenborg sagt, das Verhältniß, das die Geister gegen einander
-haben, und welches ihren Ort ausmacht, ist von dem Orte, den ihre
-Körper einnehmen, durchaus unterschieden. Die Geister machen zusammen
-eine Welt für sich aus, und die Körper, die ihren Stand bestimmen,
-in so fern sie durch Empfindungen denken, und ihre Begriffe aus dem
-sinnlichen Gebiete herholen, schränken sie doch nicht im mindesten
-ein, in so fern sie Geister sind. -- So ist es also möglich, daß zwey
-Geister ganz dicht aneinander stoßen, deren Körper hundert Meilen weit
-von einander entfernt sind. Zwischen beyden kann der vertrauteste
-Umgang seyn, der aber niemals zum Bewußtseyn kommt, -- als bey
-gewissen auserwählten Seelen, denen, wie Schwedenborg sehr deutlich
-sich ausdrückt, das Innere geöffnet ist; -- oder bey außerordentlichen
-Gelegenheiten, wo der hellere Glanz der Empfindungen, der sonst alle
-andere Ideen auslöscht, so sehr verdunkelt wird mit sammt dem ganzen
-Gefolge von Erinnerungen und Phantasien, daß jene geistigen Eindrücke
-sich aus dem Grunde der Seele herausheben. Durch dieses Mittel will
-Schwedenborg alle die wunderbaren Dinge gewußt haben, durch die er
-in den Ruf des größten Narren und des größten Wahrsagers unsrer Zeit
-gekommen ist. --
-
-Aber kurz und gut, die Theorie gefällt mir, und ich dächte also, daß
-sie wahr wäre. Meine Seele würde nichts so sehr wünschen, als um alle
-die von ihr geliebten und mit ihr verwandten Seelen so nahe zu seyn,
-daß sie die Einflüsse derselben empfangen, und auf sie wieder Eindrücke
-machen könnte. Der Körper ist bisher zu der Erreichung dieses Wunsches
-ein beschwerliches Hinderniß gewesen, jede Vereinigung forderte immer
-eine vorhergegangene Trennung, und Freunde wiederzusehen und von
-Freunden geschieden zu seyn, waren immer zwey unzertrennliche Sachen.
-Aber nun, die Theorie Schwedenborgs einmal festgesetzt, wer hindert
-mich, meine Seele an den Ort hinzubringen, wo es ihr am besten gefällt,
-und um sie herum alle die Geister zu pflanzen, deren Gemeinschaft so
-oft ihren Wunsch und ihre Sehnsucht erregt hat? Lassen Sie mich also 50
-Meilen, und -- was sind diese? lassen Sie mich um halbe Erddiameter von
-Ihnen entfernt seyn, -- und doch soll meine Seele von der Ihrigen nicht
-um ein Haar breit weiter kommen. Denken Sie, wenn unsre sterblichen
-Augen den himmlischen Anblick ertragen könnten, was es wäre, diese
-Gesellschaft von Geistern bey einander zu sehn; erst die unsrigen, wie
-sie unsichtbare Begriffe von einander annehmen und sich mittheilen,
-Begriffe, die erst in künftigen Epoquen unsers Daseyns uns selbst
-bekannt werden sollen; wie sie sich vielleicht einander aufklären,
-reinigen, bessern, und ohne unser Wissen schon die Glückseligkeit
-künftiger Zeitalter verbreiten; -- alsdann die Seelen unsrer liebsten
-Freunde, Ihres Gemahls, meiner Mutter, unsers Reizes, -- und dann,
-wenn irgendwo in der Welt eine Julie oder eine Schirley lebt, -- ein
-reizendes Mädchen, deren Schönheit die Ankündigung von Verstand und
-Unschuld ist, -- eine zärtliche Ehegattin, deren geschäftiger Fleiß,
--- so wie der Ihrige, -- den Abend eines mühsamen Tages ihrem Manne
-und ihrem Freunde mit stiller und unschuldiger Fröhlichkeit krönt, --
-eine ehrwürdige Mutter, der ein neues Geschlecht seine Tugend und seine
-Glückseligkeit dankt, -- diese alle bey uns, unsre Vertrauten, schon
-vorbereitet, uns künftig, wenn wir einander erkennen werden, zu lieben,
-und das Vergnügen einer Gemeinschaft zu fühlen, die hier nur bloß unsre
-Reflexion beschäftigte.
-
-Sie sehen, ich bin in Gefahr, vielleicht ein eben so großer Schwärmer
-zu werden, als Schwedenborg selbst. Und in der That ist ein Traum, der
-uns vergnügt macht, hundert Mal besser, als eine Wahrheit, die uns
-Kummer verursacht.
-
-Ueber ihr Gedicht und noch mehr über dessen Mittheilung bin ich von
-Herzen vergnügt gewesen. Die zwey letzten Strophen haben mir am meisten
-gefallen, vielleicht weil Sie darin an mich denken. --
-
-Ich hätte Ihnen noch so viel zu sagen, als auf diesem Blatte und
-auf zehn andern nicht Raum hätte. Aber ich bin einmal schon des
-Mißvergnügens gewohnt, meine Briefe da schließen zu müssen, wo sich
-meine Unterredung mit Ihnen erst recht anfangen sollte. Die Ideen
-drängen sich so in meinem Kopfe zusammen, sobald ich die Feder ansetze,
-an Sie zu schreiben, daß sich endlich eine aus dem Haufen hervordrängt,
--- nicht die die vornehmste und wichtigste gewesen wäre, sondern die
-sich am schnellsten der Seele und meiner Feder bemächtigen konnte. --
-Aber das muß ich Ihnen doch noch sagen, daß ich von Gellerten, seit dem
-letzten, der mir des Grafen Tod ankündigte, keine Briefe habe, und daß
-ich ohne Vorschläge von ihm, -- wenig Mittel sehe, diesen Winter mit
-Ihnen zuzubringen u. s. w.
-
-
-
-
-Sechzehnter Brief.
-
-
-Lassen Sie mich Sie immer heute zu einer ungewöhnlichen Zeit
-überfallen. Ungelegen kann es Ihnen doch nicht seyn (so zuversichtlich
-hat mich schon Ihre Freundschaft gemacht). Mein Herz ist zu voll; und
-ich weiß schon, eher wird es nicht ruhig, bis es sich ganz in das
-Ihrige ausgegossen hat. Wie sehr empfinde ich heute das Glück, eine
-Freundin zu haben, die meinen Schmerz gern mit mir theilt, und lieber
-mit mir trauert, als allein fröhlich ist. Aber erschrecken Sie nur
-nicht über diesen Anfang. Es ist nur Mitleiden, nicht eignes Unglück,
-das diese unruhige Bewegung in mir hervorbringt -- aber Mitleiden, das
-auf seinen höchsten Grad gestiegen ist, und beynahe zu eignem Gefühl
-wird. --
-
-Ich war gestern von meiner Reise den Augenblick angekommen, als man mir
-sagte, meine Mutter wäre in dem Krankenzimmer einer Freundin, und sie
-würde den Abend dort zubringen. -- Ich habe Ihnen schon mehrmals das
-P***sche Haus genannt, als eine von den Familien, die mit der unsrigen
-am genauesten verbunden ist und von mir am meisten hochgeschätzt
-wird. In der That besteht sie beynahe aus lauter hochachtungswürdigen
-Personen. Das Haupt der Familie, der alte Herr P***, ehemals ein sehr
-angesehener Kaufmann, war noch außerdem, -- was selten Kaufleute sind
--- ein empfindlicher und zärtlicher Ehemann, ein dienstfertiger Freund,
-ein gütiger Vater, und ein durch Erfahrung und vielfache Kenntnisse
-angenehmer Gesellschafter. Seine Frau, unsre Anverwandte, -- die Krone
-ihres Hauses, und beynahe auch des unsrigen, ist von der Natur und
-durch ihren Fleiß recht dazu ausgerüstet, Glückliche zu erfreuen,
-und die Unglücklichen zu trösten. Ein starker und beynahe männlicher
-Verstand, der nur durch eine beständige Uebung, nicht durch Unterricht
-ausgebildet ist; eine Gegenwart des Geistes, die selbst durch ihre
-zarte Empfindsamkeit niemals geschwächt wird; ein gewisses Feuer und
-eine Thätigkeit andern Dienste zu leisten, die die Schwierigkeiten
-überwindet, wovor die andern nur erschrecken; ein freundschaftliches
-Herz, das seine Befriedigung im Gutes thun findet, und eine gewisse
-Art von Mangel fühlt, so bald es sich zu Niemandes Besten beschäftigen
-soll; und dieses alles war zu ihrer glücklichen Zeit mit einer
-beständigen Heiterkeit der Seele, und mit so viel Lebhaftigkeit
-verbunden, daß sie gemeiniglich die Seele der Gesellschaft wurde, in
-der sie sich befand.
-
-Herr P**** hatte von seiner erstern Ehe eine Tochter, die schon
-ziemlich erwachsen war, als er sich mit unsrer Freundin vermählte, und
-die einige Jahre darauf den Halbbruder ihrer Stiefmutter heyrathete.
-Die Frau ***, so heißt diese würdige Frau, hatte von der Natur nicht so
-viel vorzügliche Gaben, aber dafür eine gewisse Sanftmuth und Stille
-in ihrem Charakter, eine tiefe und mehr durchdringende als lebhafte
-Empfindlichkeit, und ein so kindliches, gutes, freundschaftliches Herz
-bekommen, daß sie die vertrauteste Freundin und die ehrerbietigste
-Tochter ihrer Eltern zugleich war. Ihre Seele war der Seele ihrer
-neuen Mutter, oder vielmehr ihrer Schwester (denn so liebten sie sich,
-und so ist ihr Betragen gegen einander noch bis auf den heutigen Tag)
-nicht ähnlich, aber sie war dazu gemacht, dieselbe auszufüllen, und
-mit ihr ein Ganzes auszumachen. Ihr Gemahl, der Frau P**** Bruder,
-den sie schon vor drey Jahren durch eine grausame Krankheit verlor,
-hatte vielleicht unter allen die wenigsten Talente, aber er besaß
-ein so durchaus gutes Herz, er liebte seine Frau und seine Schwester
-so innigst, und er räumte ihre Vorzüge über ihn so gern ein, daß man
-ihm bloß um seiner Ehrlichkeit willen gut wurde. Und so wie er war,
-wurde er auch wieder von seiner Frau, die sonst vielleicht zu einem
-scheinbarern Glück Hoffnung gehabt hätte, so geliebt, als wenn er der
-vollkommenste aller Männer gewesen wäre. Von diesem ihrem Manne hatte
-sie zwey Kinder, einen Sohn und eine Tochter, deren Geburt nun erst
-alle Hoffnungen des Großvaters und alle Wünsche der gesammten Familie
-erfüllte.
-
-Beyde Familien wohnten in Einem Hause, aßen an demselben Tische,
-liebten sich alle unter einander mit einer Zärtlichkeit ohne Beyspiel,
-und machten das Bild einer einträchtigen und glücklichen Familie aus.
-Wenn die Geschäfte des Tages sie von einander entfernt hatten, so
-kamen sie doch gewiß am Abend alle zusammen, ihre lieben Kleinen mit;
-und dann genossen sie in einer beneidenswerthen Ruhe alle Freuden des
-häuslichen Lebens, die einzige Glückseligkeit des Menschen, wenn anders
-Menschen glücklich seyn können. Ihre äußern Umstände störten diesen
-Genuß eben so wenig. Ihr Vermögen war weit mehr als hinlänglich, ihrer
-Freunde waren viel; -- und wenn es, um ein Gut zu genießen, nothwendig
-ist, daß andre wissen, daß wir es haben; so war die allgemeine
-Hochachtung für sie eine Bestätigung ihrer Glückseligkeit und ihrer
-Verdienste.
-
-Und diese ganze Familie, dieser ganze kleine Kreis von tugendhaften
-und glücklichen Freunden, liebe Freundin, ist jetzo nur noch
-fähig, Mitleiden zu erregen; -- das ganze Gebäude ihrer häuslichen
-Glückseligkeit ist durch eine Reihe auf einander folgender
-Unglücksfälle zerstört; jede Wurzel des Vergnügens ausgerottet, und
-fast hat selbst die Zukunft für sie nichts mehr als Schrecken. Der
-Tod des Herrn B***, der vor drey Jahren zu eben der Zeit erfolgte,
-als ich hier meine Mutter besuchte, war der Anfang und gleichsam
-die Ankündigung davon. Dieser Tod war so schmerzhaft, und mit so
-traurigen Umständen begleitet, daß er auf das Gemüth aller einen sehr
-tiefen Eindruck machte -- auf das Gemüth seiner Gattin aber einen
-immerwährenden. Diese schon von Natur furchtsame und schüchterne Frau
-wurde durch den Verlust ihres Mannes beynahe zu Boden gedrückt. Nur die
-Gesellschaft und die Zärtlichkeit ihrer Mutter, der Frau P****, und die
-Sorgfalt für die Erziehung der beyden liebenswürdigen Kinder, in denen
-sie die Liebe der Mutter und der Gattin vereinigte, nur diese hatten
-sie bisher erhalten, und ihr nach und nach den Muth und die Freudigkeit
-wiedergegeben, ohne die das Leben eine Last ist.
-
-Eine andere glückliche Begebenheit schien die Freude wieder in dieses
-Haus zurückführen zu wollen. Eine Tochter der Frau P****, von einer
-erstern Ehe, ihrer Mutter bey weitem nicht gleich, aber doch auch ihrer
-nicht ganz unwürdig, heyrathete den Hrn. Z****, der lange Zeit im Felde
-Dienste geleistet hatte, ein Liebling der Vornehmsten der Armee und
-selbst des Königs gewesen war, und die glücklichsten Aussichten vor
-sich hatte. Ein Mann von vielem Verstande, von einer wahrhaft guten
-Lebensart, und der, wenn er noch nicht die richtigsten Grundsätze
-hatte, doch fähig war, sie anzunehmen. Er war damals ***, und wurde
-bald darauf ****, welches eines der ansehnlichsten Aemter in unserm
-Lande ist, und unmittelbar auf den geheimen Rath folgt. Dieser Mann
-liebte seine Frau, ob sie gleich weder ihm an Gaben gleich, noch seinen
-Erwartungen und Wünschen gemäß war. Aber vielleicht liebte er sie noch
-mehr um ihrer Mutter als um ihrer selbst willen; und beynahe glaube
-ich, daß noch bis auf diese Stunde die Hochachtung, die er für seine
-Schwiegermutter hat, die Liebe gegen seine Frau erhält.
-
-Diese Verbindung, die ihrer Familie ein neues so würdiges Glied gab,
-wurde kurz darauf die Quelle mehr als eines Jahres voll Kummer
-und Angst. Z**** empfand, nachdem er zur Ruhe kam, die Folgen der
-Ermüdungen des Krieges. Er fiel in dem ersten Jahre seines Ehestandes
-in eine gefährliche Gliederkrankheit, die ihn zuerst mit den
-grausamsten Schmerzen angriff, und alle Augenblicke seinen Tod drohte,
-bald darauf ihn des völligen Gebrauchs aller seiner Glieder beraubte,
-und ihn ganz hülflos der unaufhörlichen Pflege und Wartung seiner
-Freunde selbst in seinen kleinsten Bedürfnissen benöthigt machte.
-Diese Krankheit ist endlich, nachdem sie sechs Vierteljahre das ganze
-Haus in einer beständigen Abwechselung von Furcht und von Betrübniß
-erhalten hat, durch eine sehr beschwerliche Kur, und durch den Gebrauch
-mannigfaltiger Bäder gehoben worden. Sie wissen, daß er nur erst
-neulich mit meinem Onkel im Bade gewesen ist. --
-
-Aber dieses war noch nicht der einzige Kummer. -- Die unglücklichen
-Umstände unsers Landes haben die Handlung des Herrn P*** sehr
-geschwächt; -- aber noch würden sie ihnen wenig Schaden gethan
-haben, wenn sie nicht auch zugleich den Kopf dieses würdigen Alten
-geschwächt hätten. Dieser sonst so lebhafte und geschäftige Mann, der
-die Thätigkeit selbst war, sich immer herzhaft entschloß und klug
-ausführte, dieser versinkt in seinem Alter, von Kummer und Sorgen
-niedergedrückt, in eine völlige Unempfindlichkeit. Seine Gemüthskräfte
-erlöschen; seine Seele, die durch so viele und starke Eindrücke zu
-heftig erschüttert worden, nimmt jetzo gar keine mehr an, oder alle
-verlöschen augenblicklich auf dem Grunde, der schon völlig von den
-vergangenen Ideen eingenommen ist. So ist er für seine Familie und
-seine Freunde schon todt, ob er gleich sich noch unter ihnen bewegt;
-und seine Gattin, die sonst von ihm Ansehn und Ehre erhielt, ist jetzo
-kaum mit aller ihrer Klugheit und der zärtlichsten Sorgfalt vermögend,
-ihn vor der Verachtung der Fremden, und selbst vor der Geringschätzung
-seiner Freunde zu schützen. Denken Sie sich nun seine Tochter, die noch
-immer dieselbe kindliche, ehrerbietige Zärtlichkeit für ihn hat, und
-denken Sie, was es einem Herzen, wie das ihrige, kosten muß, ihn alle
-seine schätzbaren Eigenschaften verlieren zu sehn. --
-
-Noch war ein einziger Trost für dieses Haus übrig, aber ein sehr
-großer, und der vielen Leiden das Gegengewicht halten konnte; -- der
-Trost, zwey hoffnungsvolle und liebenswürdige Kinder in ihrem Schooße
-aufwachsen zu sehen, die die Verdienste, und, wenn es möglich wäre, die
-ehemalige Glückseligkeit ihrer Eltern erneuerten. -- Und nun liegt das
-jüngste davon, ein Knabe von ungefähr acht Jahren, die unschuldigste,
-sanftmüthigste, geduldigste Seele, das Bild und der Liebling seiner
-Mutter -- und ringt mit dem Tode.
-
-Bey seinem Bette fand ich meine Mutter. Ich bin niemals von einem
-Anblicke so gerührt, so durchdrungen worden. Die Krankheit des Kindes
-ist die allerschmerzhafteste und grausamste, glaube ich, die ich jemals
-gesehn habe: die allerentsetzlichsten Kopfschmerzen, die, wie der Arzt
-muthmaßt, aus einer Beschädigung des Gehirns entstehen, und schon vier
-Tage und Nächte ohne den geringsten Nachlaß fortdauern. Sie pressen
-dem armen liebenswürdigen Knaben, der alles, alles sonst mit der
-größesten Gelassenheit erträgt, und selbst jetzo die schmerzhaftesten
-Operationen ohne Murren mit sich vornehmen läßt, ein Geschrey aus, das
-mir bis in das Innerste der Seele geht. -- O Gott, wer muß der Unmensch
-seyn, der die Stimme des Schmerzes ertragen kann, wenn er selbst der
-Urheber davon ist! -- Mein Herz wird davon zerrissen! -- Und dann in
-dem Augenblicke einer kleinen Linderung ihn mit einer ängstlichen
-Zärtlichkeit nach seiner Mutter rufen zu hören, diese vor seinem
-Bette knien zu sehen, und dann ihn, wie er seine kleinen Arme um sie
-herumschlingt, sie fest an sich drückt, und dann mit einer gewissen
-dringenden Heftigkeit sie seiner Liebe versichert, -- dann mitten unter
-diesen Liebkosungen, von dem Schmerz überwunden, auf einmal in das
-kläglichste Geschrey ausbricht, und das zu ganzen Nächten fortsetzt
--- Gott, kaum kann ich den Gedanken davon ertragen. -- Heute ist der
-Schmerz schon Herr über sein Bewußtseyn, und er kennt nicht mehr seine
-Mutter. --
-
-Liebste Freundin, werden Sie mir es wohl vergeben, daß ich Sie mit so
-traurigen Gegenständen unterhalte? Aber mir wird meine Noth leichter,
-wenn ich denke, Sie wissen sie und nehmen daran Theil.
-
-N. S. Zu gleicher Zeit mit dem Ihrigen erhielt ich auch einen sehr
-freundschaftlichen Brief von Herrn Weise. Eine kleine Anekdote, die er
-mir von Meinhardten erzählt, kann ich Ihnen unmöglich verschweigen.
-Bey seiner Abreise von Leipzig fragte ihn der Post-Commissar Gellert:
-Ob er nicht einige günstige Aussichten hätte? O ja, sagte er, die
-glücklichste Aussicht von der Welt -- die Aussicht auf mein Grab.
-
-
-
-
-Siebenzehnter Brief.
-
-
- Den 16. September.
-
-Der Kleine, dessen Leiden ich Ihnen schilderte, hat sich gebessert. Er
-ist keines menschlichen Leidens mehr fähig. -- Für den tugendhaften
-Mann und für den Christen ist der Tod wenig; aber für den Menschen ist
-der Schmerz immer etwas sehr Großes. Neulich war mein ganzes Mitleid
-für das Kind selbst, jetzo ist es nur noch für seine Mutter. Ich will
-Ihnen nicht ihren Schmerz beschreiben, um nicht den Ihrigen rege zu
-machen. Sie wissen, was es heißt, Mutter seyn. -- Aber einen andern
-Verlust muß ich Ihnen erzählen, der nicht so schmerzhaft, -- aber
-doch für uns empfindlich ist; noch dazu einen Verlust, der die ganze
-Begierde, zu Ihnen zu kommen, bey mir wieder rege macht, da er mir die
-vortrefflichste Gelegenheit dazu verschafft hätte. Denken Sie nur,
-ich hätte in Gesellschaft eines Tralles zu Ihnen kommen können, ich
-hätte Sie gesehn, Sie hätten einen unsrer besten Freunde gesehn, die
-Hochachtung, die ich für meine Freundin habe, hätte sich noch eines
-rechtschaffenen Herzens bemeistert, und -- Aber hören Sie erst die
-Geschichte.
-
-Tralles als einen Arzt kennen Sie, glaube ich. Aber das müssen Sie
-noch wissen, daß er beynahe der würdigste Gelehrte und der beste
-Gesellschafter in B**** ist. Diese Titel werden Sie, denke ich, noch
-nicht so aufmerksam machen, (welche Eigenliebe!) als wenn ich Ihnen
-sage, daß er der älteste Freund unsers Hauses, daß er fast der einzige
-recht vertraute Freund meines Onkels ist, -- daß seine erste Frau die
-beste und die einzige Freundin war, die meiner Mutter ihr ganzes Herz
-besessen hat. Dieser Mann, der neulich nach Warschau als Leibarzt
-kommen sollte, und es aus Liebe zu seinen Freunden ausschlug, hat jetzt
-einen andern Antrag, der just in einer so unglücklichen Epoque kommen
-muß, da sich B**** bey ihm durch einen ansehnlichen Verlust, den er
-durch die Betrügerey eines Freundes leidet, verhaßt gemacht hat, daß
-er fast geneigt ist, ihn anzunehmen. Die Fürstin von Gotha verlangt
-ihn zu ihrem Beystande bey ihrer jetzigen schwachen Gesundheit, --
-und wünscht ihn als Leibarzt zu behalten. Er kam eben von einer Reise
-wieder, als er einen Brief von dem Gothaischen Hofe fand, wo man ihn
-unter den schmeichelhaftesten Hoffnungen, die man einem Menschen geben
-kann, einladet, noch diesen Herbst nach Gotha zu kommen, seine Familie
-mitzubringen, -- und den Winter dort zu bleiben. Es sollte alsdann von
-seiner Wahl und von dem Grade von Zufriedenheit abhängen, den er mit
-dem dasigen Aufenthalte, und der Art von Aufnahme, die er erhalten
-hätte, haben würde, ob er nach Breßlau zurückkehren oder bey ihnen
-sein Leben beschließen würde. Denn er ist schon sechszig Jahr. -- Er
-ist nun entschlossen, die Reise zu thun, ob er gleich ihren Erfolg
-noch nicht vorhersieht. Seine jetzige Frau wird ihn mit ihrem kleinen
-Sohne begleiten. Von zwey Töchtern aus der ersten Ehe ist die eine
-verheyrathet, und kann also ihrem Vater nicht folgen, die andre will
-zum Beystand ihrer Schwester zurückbleiben.
-
-Dieser D. Tralles nun reist auf den Sonnabend ab, -- und reist
-über Leipzig. -- Was würde ich nicht darum gegeben haben, so einen
-Gesellschafter zu finden; und wie sehr gütig war nicht seine
-Anerbietung. -- Wenn ich mitführe, sagte er, so wollte er wechselsweise
-auf dem Kutschersitze fahren, wenn er keinen andern Platz hätte.
-Demungeachtet bleibe ich hier, -- verliere einen Freund, den ich noch
-hatte, und komme zu denen nicht, die ich entbehrte. --
-
-Ich sinne schon die ganze Zeit, seitdem ich diese Reise weiß, auf
-Mittel, den D. Tralles Ihnen oder Ihrem lieben Gatten vorzustellen.
-Ich schmeichle mir, Sie würden einen Mann nicht ungern sehen, der
-erst vor wenig Tagen aus unserm Hause kommt, der uns alle kennt, der
-unser Freund ist, -- und der es verdient, auch der Ihrige zu seyn.
-Aber ich gestehe es, ich begreife noch nicht, wie die Sache zu machen
-ist. Er bleibt nur einen halben Tag und über Nacht in Leipzig. -- Er
-will Gellerten besuchen, an den ich heute schreibe, und bey dem ich
-ihn anmelde. -- Er ist ein Anverwandter von ***. Man erwartet ihn in
-diesem Hause, und man wird ihn ohne Zweifel dahin ziehn. -- Wo mir
-recht ist, so ist diese ***sche Familie nicht eben im Besitz einer sehr
-großen Achtung. Ich kenne sie nur vom Parterre aus; aber von da sah
-mir die Tochter sehr einfältig und eitel -- ihre Mutter stolz und ein
-bischen verbuhlt aus. -- Zum Glück hat Tralles eine Gabe, die uns allen
-beyden fehlt, -- sich die Narren ganz gut gefallen zu lassen. Er wird
-aus der Gesellschaft der vernünftigsten Leute in die Versammlung der
-Thoren übergehn, ohne von seiner guten Laune etwas einzubüßen.
-
-Im Vorbeygehen, -- Sie hätten meine Fehler nicht besser treffen können;
--- fast eben dieselben, die mir meine Mutter so oft vorwirft. Sie
-gesteht mir, daß sie noch so ziemlich mit mir zufrieden ist, wenn ich
-bey ihr oder bey gewissen Personen bin (und das sind noch dazu sehr
-wenig), die mir gefallen; aber daß ich der unerträglichste Mensch
-wäre unter einer Gesellschaft, die mir mißfiele. In der That verliere
-ich unter Leuten von einer gewissen Art nicht bloß meine Lustigkeit,
-sondern auch meinen gesunden Verstand; ich denke nicht mehr, ich
-vegetire nur. -- Aber wieder zu unserm Tralles zurück!
-
-Nach dem Plane seiner Reise, den er erst gestern Abend in einer
-Gesellschaft entwarf, bey der ich gegenwärtig war, wird er erst auf den
-Sonnabend über acht Tage in Leipzig ankommen. Seine Frau und sein Kind
-nöthigen ihn, langsamer zu gehen. Bis dahin kann ich Ihnen also noch
-einmal schreiben. -- Aber nun meine eigne Rückreise zu Ihnen! --
-
-Meine Mutter mag es Ihnen sagen, ob es mir leicht wird, diese
-aufzuschieben. In der That sehne ich mich zuweilen nach einer
-einzigen Viertelstunde, die ich mit Ihnen zubringen könnte, -- mit
-einer solchen Ungeduld, die im Stande wäre, mich zu Ihnen zu führen,
-wenn unsre Begierden uns Kräfte gäben. -- Aber meine Mutter wünscht
-meine Gegenwart; sie hält sie zu ihrer Gesundheit auf diesen Winter
-für nothwendig; sie thut alles, was sie kann, und sie würde noch
-mehr thun, um den Winter hindurch von einer andern Seite meinem
-Studiren gewisse Beförderungen zu verschaffen, die ich von der einen
-verliere. -- Mein Freund hat seine Gedanken recht aus meiner Seele
-herausgenommen, -- eben dieselben Vorstellungen, fast mit eben den
-Worten, mit welchen ich sie schon manchmal meiner Mutter gemacht habe.
-Bücher, Muße, Lehrer, das würde ich hier vielleicht alles haben, --
-aber Freunde, die mich aufmuntern, die mich in einer beständigen
-Bewegung erhalten, deren Seele, mit der meinigen gleich gestimmt, jeder
-von ihren Gedanken entspräche, und ihnen gleichsam zur Geburt hülfe --
-die fehlen mir durchaus.
-
-Meine Mutter sehnt sich bald so sehr nach Ihnen, als ich selbst.
-Ihr Brief hatte sie ganz aufgeheitert. O Freundschaft und kindliche
-Liebe, deinen geheiligten Banden sey meine ganze Seele gewidmet! -- --
-Aber was wäre die Freundschaft ohne Tugend, und was die Tugend ohne
-Aufopferungen? u. s. w.
-
-
-
-
-Achtzehnter Brief.
-
-
- Den 23. September.
-
-Ich werde heute einen langen Brief schreiben, das sehe ich voraus.
-Ich habe wenig Zeit dazu, ich werde ihn also geschwind und schlecht
-schreiben. Sie werden ihn also nicht lesen können, und ich werde ihn
-umsonst geschrieben haben. Aber das schadet nichts. Für die Mühe, die
-es mich kostet, einen Brief an Sie zu schreiben, bin ich schon belohnt,
-wenn er geschrieben ist. Meine Seele, die sich jeden Tag mit Ihnen,
--- und mit Niemanden lieber beschäftigt, -- heftet sich doch niemals
-so ganz, so lange, so ununterbrochen auf meine Freundin, als während
-dem ich an sie schreibe. Allen fremden Gedanken, jedem unwillkommenen
-Besuche ist in dieser Zeit der Zutritt versagt -- und ich bin so völlig
-mit meiner ganzen Seele bey Ihnen, als ich es war, wenn ich des Abends
-an Ihrem Fenster (wenn der Mond und die Nachtigall Ihres Nachbars die
-ruhige Heiterkeit und die harmonischen, aber simpeln Bewegungen unsrer
-Seele abbildeten) der Freundschaft genoß, -- und einen Augenblick
-lang, in dem ich die Sorge für die Zukunft und selbst den Wunsch nach
-derselben vergaß, sagen konnte: +Nun bin ich glücklich!+
-
-Wenn es Ihnen ganz gleichgültig wäre, daß ich nicht nach Leipzig komme,
--- so wüßte ich nicht, was mir schwerer seyn würde, als der Winter hier
-in Breßlau. Die Freundschaft ist, wie ich sehe, auch grausam. Sie will
-das Recht, den Freund vergnügt und glücklich zu machen, so ganz allein,
-so ausschließungsweise haben, daß er beynahe darüber murrt, wenn er es
-ohne sie seyn könnte. Ich habe es immer den Dichtern übel genommen,
-wenn sie ihre Verliebten so eigennützig machen, daß sie ihre Geliebte
-mit weniger Schmerz sterben, als in den Armen eines Andern leben und
-glücklich seyn sehen. -- Aber ich merke nun schon, daß unsre edelsten
-Neigungen immer so eigennützig seyn müssen. Die Liebe ist eine
-Leidenschaft. Die Freundschaft ist nur eine Gesinnung. Ihre Wirkungen
-sind nur in den Graden unterschieden, -- in ihrer Natur eben dieselben.
--- Wenn es einen Menschen gäbe, der Ihnen meine Stelle so vollkommen
-ersetzte (verzeihen Sie mir einen Stolz, den Sie mich gelehrt haben),
-daß Sie, ohne Wunsch nach meiner Zurückkunft, mich an jedem Orte der
-Welt gleich gern sähen: diesem Menschen würde ich nicht gut seyn
-können. -- Ich vermehre nun in meinen Gedanken diese Empfindung bis zu
-der Stärke, die der Leidenschaft der Liebe proportionirt ist, und ich
-sehe es ein, daß der Dichter das menschliche Herz besser versteht, als
-der Philosoph; -- und daß, so göttlich Plato auch seyn mag, Shakspeare
-doch mehr von der Liebe weiß, als er. Sie haben doch wohl Romeo und
-Juillet gesehn? Nun wohl! Glauben Sie nicht, daß Juillet ihren Romeo
-lieber vernichtet, als untreu sehen würde? -- Aber davon genug, und
-vielleicht schon zu viel, wenn ich es mit dem vergleiche, was ich noch
-zu sagen habe.
-
-Tralles, unser guter Tralles, ist mit seiner Frau und seinem Kinde am
-Sonnabend fort. -- Aber er hat keinen Brief an Sie mit. Zuerst, weil es
-hier sogar gefährlich ist, einem Reisenden andre als offne Briefe, oder
-solche, die er öffnen kann, mitzugeben. Ein neues Edikt setzt auf diese
-Vervortheilung der Posten mehr als 100 Rthlr. Strafe. Zum zweyten, weil
-ich meine Absicht, Sie und den D. Tralles zusammen zu bringen, doch
-nicht würde erreicht haben. Er hätte Ihnen den Brief zugeschickt, oder
-seine Frau hätte Ihnen Visite gemacht, -- oder Ihr lieber Gatte wäre zu
-dem D. Tralles gegangen. -- Kurz, ich sehe nicht, wie Sie eigentlich
-mit ihm in Bekanntschaft gekommen wären. Endlich will er nur über Nacht
-in Leipzig bleiben. Ich glaube, es wird nichts daraus werden, dem
-ungeachtet wollte er doch, -- und nach diesem Entschlusse nahm er hier
-seine Maßregeln. Nun hat er Verwandte in Leipzig, wie Sie schon wissen.
-Gellert, dem er von vielen Seiten empfohlen ist, wird ihn aufhalten. --
-Ludwig ist sein alter Schulfreund und sein Korrespondent. Die Zeit wird
-also selbst für seine alten Bekanntschaften zu kurz seyn. -- Und doch
-wollte ich -- ich weiß nicht wie viel dafür geben, wenn Sie ihn sähen,
-oder Ihr lieber Mann, -- oder wenn er Sie sähe. -- Er wird im blauen
-Engel wohnen. -- Schon dachte ich, ob Sie ihn vielleicht über eine
-wirkliche oder erdichtete Krankheit von sich oder Ihrem Kinde zu Rathe
-ziehen wollten; dieses würde immer für ihn schmeichelhaft, aber doch
-ein bischen seltsam seyn. Dann dachte ich wieder, ob Ihr Mann nicht den
-Tag zu Gellerten gehn könnte. -- Alles das dachte ich, und doch bin ich
-noch nicht auf das gekommen, was mir gefällt und genug thut. -- Der
-einzige Trost ist, -- er will auf dem Rückwege (denn zurückkommen wird
-er gewiß) länger in Leipzig verweilen, -- und alsdenn bin ich entweder
-schon bey Ihnen, oder ich schreibe durch Sie an Tralles. --
-
-Von Kaufleuten, die nach Leipzig gingen (Kaufleute meine ich, nicht
-Krämer), weiß ich keinen, als Herrn ****, und der geht noch dazu mit
-seiner Frau. Sie sind beyde -- eben nicht Freunde -- aber Bekannte von
-uns. Und die Frau ist noch dazu, -- oder war wenigstens als Jungfer
--- eines unsrer schönsten Gesichter. Der Mann ist wohlhabend, und hat
-den besten Garten um B***. Für die Meisten ist dies Verdienst genug,
-seine Bekanntschaft sehr angelegentlich zu suchen. Für Sie und mich ist
-es wenig. Ueberdieß geht er schon morgen ab. Mein Brief also, den ich
-heute abschicke, kommt eher an, als er, -- und was brauche ich erst
-auf Gelegenheiten zu warten, an Sie zu schreiben, so lange die Posten
-richtig gehen?
-
-Sie verlangen von mir mein Tagebuch? -- Nichts in der Welt wünschte ich
-mehr, als daß Sie alle meine Handlungen wüßten, meine ganze Aufführung
-unter jeden Umständen, bey jeglicher Veranlassung sähen, -- daß Sie die
-Aufseherin meines Herzens seyn könnten, und durch Ihren gütigen Beyfall
-das Wahre und das Gute bestätigten, -- und durch Ihren liebreichen
-Tadel meine Vorurtheile und meine Schwachheiten besiegen hülfen. --
-Aber wie kann eine kurze, unvollständige, trockne, oft Ihnen vielleicht
-langweilige Erzählung diese Absichten erreichen? -- Dem ungeachtet
-sollen Sie so viel wissen, als ich zu sagen vermag. Keinen treuern
-Geschichtschreiber sollten Sie je gesehen haben, als ich es von mir
-selbst seyn wollte. Nur vergeßlicher, mangelhafter....
-
-Ich weiß nun selbst nicht mehr, was ich mir noch alles für Schimpfnamen
-geben wollte. Man rufte mich ab, -- und nun, in den zwey Minuten, die
-mir noch übrig sind, habe ich was bessers zu thun, als auf mich zu
-schelten.
-
-Meine Lebensart also zuerst, -- wäre noch so ziemlich, wenn ich weniger
-faul, weniger zu einer anhaltenden Arbeit ungeschickt, weniger unruhig,
-und wegen meiner künftigen Aussichten ein bischen scharfsichtiger
-wäre. Ich stehe spät auf, -- ob ich mir es gleich am Abende alle
-Mal vornehme, früh aufzustehn. -- Die Theestunde bleibt immer noch
-die goldne Stunde des Tages. Ich, meine Mutter und meine Muhme,
-ein jedes durch den Schlaf erfrischt, und durch keine Arbeit noch
-entkräftet, bringt seine erste noch nicht vernutzte Munterkeit in die
-Gesellschaft. Während des Thees lese ich vor. Neulich hatten wir den
-Hausvater und den natürlichen Sohn, -- jetzo ist es der Hypochondrist.
-Der Schriftsteller wird bewundert, -- und der Vorleser bekommt auch
-etwas von dem Dank, oder nimmt sich wenigstens selbst seinen Theil
-davon, ohne erst daran erinnert zu werden.
-
-Der übrige Morgen wäre nun dazu, etwas zu arbeiten, -- wenn ich jetzt
-oft zum Arbeiten aufgelegt wäre. Wenn ich es bin, so arbeite ich
-jetzo für Herrn Weisen, in seiner Bibliothek. Essen und Kaffee ist
-wieder die gesellschaftliche Stunde. Ich spiele auf dem Klaviere,
-ich liege im Fenster, ich schwatze, ich höre, ich lese vor, eins ums
-andre, manchmal alles zugleich, zuweilen nichts von allem. Zwey oder
-drey Stunden sind auf die Art leicht hinweg geschwärmt. Sonntags sind
-öfter Freunde bey uns, als andre Tage. Den vergangenen machte ich
-eine neue Bekanntschaft. Der junge Herr v. **** besuchte mich mit
-seinem Schwager, dem H*** ***. Der erste war von seiner Familie zum
-Kaufmann bestimmt, von seinen Neigungen zum Studiren; und seine Talente
-sind wenigstens nicht wider diese Neigung. Er hat großes Geld, --
-schafft sich also eine prächtige Bibliothek, liest viel, hat prächtige
-Instrumente und Musikalien, spielt gut auf dem Flügel, und macht seine
-Person, die von Natur nicht sonderlich einnehmend ist, durch seine Mühe
-und durch seinen Fleiß wenigstens hochachtungswürdig. --
-
-Ordentlicher Weise gehe ich des Abends von fünf Uhr an spatzieren. --
-Ganz allein; und welche Gesellschaft könnte mir auch angenehmer seyn,
-als die, die ich mir alsdann aus allen vier Gegenden der Welt zusammen
-hole? Shakspeare sagt: Die Welt ist nur eine Werkeltagswelt, wo alle
-Sachen, gar nicht so, wie wir wünschen, und wie wir es einrichten
-würden, sondern ihren gewöhnlichen alltäglichen Lauf kommen, sie mögen
-nun dadurch unsern Wünschen in die Queere kommen, oder nicht. -- Um
-also diesem Mangel abzuhelfen, schaffe ich mir alsdann auf meine Hand
-eine andre, eine Feyertagswelt. In dieser Welt ist Ihr Mann kein
-Advokat mehr, seine Arbeiten unterhalten ihn nur, aber sie nehmen ihn
-nicht ganz ein, -- er lebt für den Staat nützlich, aber doch immer für
-seine Gattin mehr, als für seine Klienten, -- in dieser Welt sind Ihre
-Stunden alle heiter, alle voll Hoffnung, daß die künftige Stunde die
-gegenwärtige an Glückseligkeit noch übertreffen werde. In dieser Welt
-schreibt mein guter Reiz keine Register mehr; endlich in dieser bin ich
-bey Ihnen, -- ich bin Ihr Bruder; meine Mutter ist Ihre Mutter, wir
-machen alle nur eine Familie aus.
-
-Aber nun muß ich Sie nur schon wieder sicher zu unsrer Welt
-zurückbringen. -- Denken Sie nur, ein ganz neuer Auftritt. Heute früh,
-eben in dem Augenblicke, da ich Ihren Brief schreiben will, schreibt
-der Kriegsrath von Klöber, der ehemalige Hofmeister des ersten Sohns
-vom Minister ****, mir einen französischen Brief. -- Der jüngste Sohn
-des Ministers soll jetzo nach Halle gehn. -- Er schlägt mir vor,
-ich sollte die Stelle als Hofmeister bey ihm annehmen. Zweyhundert
-Thaler Gehalt; ein Engagement auf zwey Jahre; Hoffnung zu Reisen,
-und die Versicherung befördert zu werden. -- Was meinen Sie, daß ich
-gethan habe? Ich mußte noch denselben Morgen antworten. Die Sache war
-dringend. Ich schicke Ihnen meine Antwort mit. Leben Sie wohl u. s. w.
-
-
-
-
-Neunzehnter Brief.
-
-
- Den 30. September.
-
-Nach Ihrem Briefe zu urtheilen, hatten Sie meinen Brief noch nicht
-empfangen oder noch nicht gelesen, als Sie den Ihrigen schrieben. In
-der That habe ich es mir schon vorgeworfen, daß meine Briefe immer so
-lang und so übel geschrieben sind. Ich würde es Ihnen für übel halten,
-wenn Sie sich die Mühe nehmen wollten, sie bis ans Ende zu entziffern.
-Um es Ihnen also etwas leichter zu machen, und Ihnen doch dabey nicht
-ganz unbekannt zu werden, werde ich Ihnen von nun an nichts als
-Geschichte schreiben. Bringt der Himmel uns wieder zusammen, so werden
-wir Zeit genug haben, Betrachtungen anzustellen. --
-
-Wenn Sie also nun jetzo meinen vorigen Brief gelesen hätten, so wüßten
-Sie, daß es noch nicht so ganz gewiß ist, ob ich in Breßlau diesen
-Winter bleibe. Herr v. Klöber, bey dem ich gestern wieder gewesen
-bin, schreibt heute noch ein Mal an den Minister; und die Antwort,
-die wir künftigen Sonntag, erwarten, wird die Sache entscheiden.
--- Klöber hatte, wie er mir sagte, nicht sowohl zur Absicht, mir
-selbst diese Hofmeisterstelle vorzuschlagen, als durch mich Jemanden
-kennen zu lernen, der dazu tüchtig wäre. -- Er vermuthete, daß ich
-schon andre gewissere Aussichten hätte, und daß ich das Reisen zu
-einer nothwendigen Bedingung machen würde, das doch bey dem Sohne
-des Ministers noch ungewiß wäre. -- Ich sagte ihm, daß der Entschluß
-zu meiner künftigen Lebensart ziemlich fest, aber der Weg, den ich
-dazu wählen wollte, noch gar nicht so bestimmt wäre; daß meine größte
-Sorge sey, der Charakter des jungen Herrn oder seine Denkungsart könne
-vielleicht nicht genug mit der meinigen übereinstimmen, um die Art von
-Freundschaft und Vertraulichkeit zu errichten, die zu einer glücklichen
-Ausführung meines Geschäfts unumgänglich wäre; daß endlich mir der
-Aufenthalt auf einer Akademie noch weit lieber seyn würde, wenn ich
-während desselben schon Vorbereitungen und Uebungen auf meine künftige
-Lebensart anstellen könnte. Bey allen diesen meinen Antworten müssen
-Sie daran denken, daß ich es mit dem Minister von *** zu thun hatte,
-dessen Gewogenheit mir in jeder Verfassung von Gewicht seyn würde. --
-Ich will Ihnen nicht erst sagen, was mir Klöber antwortete. Er war
-außerordentlich gütig in der Beurtheilung meiner Fähigkeit zu einem
-solchen Posten, -- er erzählte mir sein eigen Beispiel, -- endlich
-versprach er, noch ein Mal an den Minister zu schreiben, und das, was
-ich wünschte, ihm vorzutragen. --
-
-Wenn Sie diesen v. Klöber kennten, so würden sie einen rechtschaffenen
-Mann, einen Mann von Grundsätzen, von Geschmack und von einer großen
-Belesenheit an ihm finden. Er ist sehr lange gereiset. Er spricht alle
-drey moderne Sprachen gut. Er kennt die Litteratur von jeder; aber für
-die Engländer ist er enthusiastisch. Sie sollten ihn von Shakspeare
-reden hören!
-
-Aber was machen Sie denn, beste beste Freundin? warum lassen Sie mir
-denn nichts von diesen Ihren Geschäften, von Ihren häuslichen Unruhen,
-von Ihren Bekümmernissen, von Ihren Vergnügen wissen? Warum wollen Sie
-mir denn so ganz fremd werden? -- Warum mit mir eine so allgemeine
-Sprache, die dem Kompliment so ähnlich sieht? Sie sagen mir wohl, daß
-Sie mir noch gut seyn, -- aber bald möchte ich daran zweifeln, da Sie
-mich so wenig Ihres Vertrauens würdigen. -- Wie wohl, ich bin heute
-ohne dieß unruhig. Vielleicht giebt mein Gesicht den Gegenständen die
-finstre Farbe, in der sie mir erscheinen. Ich habe endlich eine lange,
-verdrießliche Arbeit geendigt. Ich schicke heute ein ganzes Packt an
-Herrn Weisen. Von Gellerten habe ich Briefe, die mich ermahnen, hier zu
-bleiben. -- Haben Sie nichts von Tralles gesehen? -- Leben Sie wohl u.
-s. w.
-
-
-
-
-Zwanzigster Brief.
-
-
-Recht! liebe Freundin, von den Eindrücken am Morgen hängt das Vergnügen
-oder der Verdruß des ganzen Tages ab. Ich folge Ihren Regeln und ahme
-Ihrem Beispiele nach, -- und der erste meiner Gedanken ist heute für
-Sie. Warum kann ich doch den Gang dieses Briefes nicht beschleunigen,
-oder warum habe ich Ihnen nicht eher geschrieben, um Ihnen geschwind
-genug zu sagen, wie richtig Sie gemuthmaßt haben. Ja, ja, tausend Mal
-hat es mich gereuet, daß ich diesen Brief geschrieben hatte. Nicht,
-als wenn es nicht einerley Empfindungen der Freundschaft wären, die
-mir ihn damals eingaben, und die jetzt machen, daß er mich reut.
-Aber diese Empfindungen hatten sich den Tag so wunderlich mit einer
-Menge verdrießlicher Vorstellungen vermischt, daß Sie selbst diese
-Gestalt annahmen und unter einer so fremden Miene beynahe unkenntlich
-wurden. -- Ich hasse argwöhnische Freunde; ihre Zärtlichkeit besteht
-bloß in dem Verdrusse, den sie leiden oder den sie verursachen.
-Aber dem ungeachtet -- eine gewisse Art von Besorgniß begleitet die
-Zärtlichkeit, und es kann Gelegenheiten geben, wo sie wirklich in
-Argwohn ausbricht. -- So fürchtet Niemand die Verachtung mehr, als der
-die Hochachtung wünscht, und der beständige Verdacht, gering geschätzt
-zu werden, ist ein sicheres Zeichen des Stolzes.
-
-„Ja, dachte ich, sie ist wohl noch meine Freundin, aber nicht mehr
-so zärtlich, so feurig, als ehemals; sie nimmt nicht mehr an meinen
-Angelegenheiten Theil; sie läßt mich nichts mehr von den ihrigen
-wissen. -- Wer weiß, sind nicht diese gütigen Gesinnungen, von denen
-sie mich versichert, ein bloßer zurückgebliebener Schimmer von
-dem Feuer ehemaliger Empfindungen? Und warum, thörichter Mensch,
-warum sollte sie dich auch mit dem hohen Grade von Freundschaft
-lieben? Welche Verdienste hast du um sie, was für Dienste hast du
-ihr geleistet, was für Beweise von deiner Freundschaft ihr gegeben?
-Nein, nein! sie kann nicht ohne Ursache lieben; die Natur will, daß
-Empfindungen, die auf einer bloßen Verblendung beruhten, mit ihr
-zugleich aufhören. Die Einbildung schmückt zuweilen einen Gegenstand
-weit über seinen Werth aus, und leiht ihm alle die schönen glänzenden
-Farben, durch die er uns gefällt; -- aber dieser Schmuck fällt ab,
-die Farben verlöschen und der Verstand kommt zuletzt und zerstört
-die ganze Bezauberung. Ja! Abwesenheit und neue Eindrücke haben ihre
-Wirkung gethan, -- und vielleicht, was ich, was sie selbst noch für
-Zärtlichkeit hält, ist nichts als die Erinnerung, daß sie ehemals
-zärtlich gegen mich gewesen ist.“
-
-Stellen Sie sich nun meine Seele vor, die durch finstre Irrgänge von
-melancholischen Betrachtungen bis auf diesen Punkt gekommen war,
-und dann bewundern Sie die Gelassenheit, mit der ich meinen letzten
-Brief schrieb. -- Die Seele bleibt nicht lange in einem Zustande des
-Mißvergnügens, den sie sich selbst verursacht hat. Die Einbildungskraft
-nimmt bald wieder einen andern Weg; die Vernunft kehrt sich die
-lichtere Seite des Gegenstandes zu, -- und dann wundert man sich über
-die feste Gewißheit, mit der man vor wenig Augenblicken Sachen glaubte,
-die man jetzt für unmöglich hält.
-
-„Nein, -- so fing meine Seele an, sich wieder zu erheben -- nein, die
-Freundschaft kann in einer edlen Seele niemals ohne Grund entstehen;
--- und wenn sie einmal die Vernunft gebilligt hat -- kann sie alsdann
-in derselben erlöschen? Diese falsche Demuth, mit der du dich selbst
-erniedrigst, würde das Urtheil und die Wahl deiner Freundin verunehren.
-Ja, du hast Verdienste um sie: die Begierde, ihr alle mögliche Dienste
-zu leisten; ein Herz, welches sich fähig fühlt, um ihretwillen große
-Schwierigkeiten zu überwinden; ein Gefühl, welches mit dem ihrigen
-übereinstimmend und darauf gerichtet ist, sie, und wenn es möglich
-ist, mit ihr gemeinschaftlich alle Menschen glücklich zu machen; --
-dieß sind die einzigen Verdienste, die die Freundschaft verlangt, und
-mit denen sie sich beruhigt. -- Und nun, dieses festgesetzt, warum
-sollte dich ein Brief beunruhigen, der an sich voll von Gütigkeit,
--- nur deswegen dir nicht genug thut, weil er deinen Erwartungen
-nicht entspricht? Du erwartetest von ihr Rath, Beyfall, Ermunterung;
-du erhieltest dafür nur Versicherungen ihrer Freundschaft und ihres
-Wunsches, dich wieder zu sehn. Würden diese dich nicht in einer jeden
-andern Gemüthsverfassung, nur nicht in der, in welcher du warst,
-zufrieden gestellt haben? -- Und du hast ihr einen Brief schreiben
-können, der, wenn sie wirklich das wäre, was du argwöhnst, sie unwillig
-machen; und wenn sie das ist, was du wünschest, sie kränken muß.“ --
-
-Wie hätte ich in diesem Augenblicke den mit Vergnügen empfangen, der
-mir diesen Brief wieder gebracht hätte! -- Sehen Sie, so bin ich
-gestraft worden, noch ehe Sie es wünschen konnten, daß ich gestraft
-würde. -- Aber da ich nicht das Ganze rechtfertigen kann, so muß
-ich wenigstens einen Theil entschuldigen, -- wenigstens den Theil,
-wo ich wünschte, mehr von Ihren Umständen zu wissen. -- In der That
-ist das, was ich dabey dachte, was ich mir noch jetzo dabey denke,
-nur dunkel, und es wird mir schwer, es auszudrücken, -- aber doch
-empfinde ich, daß es etwas Wirkliches ist. -- Sehen Sie, mitten
-unter diesen angenehmen Kreis von Vergnügen und Beschäftigungen,
-die Ihre unschuldigen Tage ausfüllen, stehlen sich nicht oft kleine
-Gelegenheiten und Ursachen zur Bekümmerniß, zur Sorge, zur Betrübniß,
-zur Freude, zur Hoffnung? Kleine vorübergehende Wolken, die unsern
-Himmel auf eine kurze Zeit verfinstern; unvorhergesehene kleine
-Stürme, die uns von dem ordentlichen Laufe unsers Lebens auf einige
-Augenblicke verschlagen; -- dann wieder auf einmal ein lächelndes,
-schönes Ufer, eine unerwartete Aussicht, die die Krümmung des Stroms,
-auf dem wir fuhren, uns verborgen gehalten hatte. -- So sehe ich Sie
-vielleicht den einen Tag, bey einer kleinen Blässe, die Sie auf dem
-Gesichte Ihrer Wilhelmine bemerken, oder bey einer kleinen Verminderung
-ihrer gewöhnlichen Munterkeit, -- in eine ganze Reihe von sorgsamen
-und traurigen Betrachtungen gerathen, die selbst die Vergnügungen
-dieses Tages mit einem gewissen Nebel überziehn; und dann schweben
-dunkle Bilder, wie die eines schwermüthigen Traums, auf dem Grunde
-der Seele. Den andern empfing Sie vielleicht Ihre liebe Tochter mit
-einem freudigen Lächeln, vielleicht erwiederte sie auf eine mehr als
-gewöhnliche Art Ihre mütterliche Zärtlichkeit, und zeigte Ihnen von
-fern die Belohnungen Ihrer Sorgfalt, in den süßen Ergießungen einer
-kindlichen Dankbarkeit; vielleicht blickten durch ihre Bewegungen
-oder durch ihre noch unartikulirte Sprache die ersten Strahlen der
-aufgehenden Vernunft; -- und dieser Eindruck stimmte die Seele für
-diesen Tag zu lauter angenehmen Bewegungen; -- dann wieder eine
-zärtlichere Liebkosung von Ihrem Gemahl; ein unerwartetes Merkmal von
-der Hochachtung eines Freundes; -- eine auffallende und mit Ihren Ideen
-recht übereinstimmende Betrachtung eines Ihrer Schriftsteller; eine
-glücklich ausgeführte Arbeit, -- ein vollbrachtes Werk des Wohlthuns
-und der Menschenliebe: -- auf der andern Seite eine kaltsinnigere oder
-eine zerstreutere Miene auf dem Gesichte Ihres Mannes; eine kleine
-Uneinigkeit in Ihren Meinungen; selbst das Mißvergnügen über eine
-Handlung, die man wünschte ändern zu können, weil sie unsern Absichten
-und unserm Plane nicht vollkommen gemäß gewesen ist; -- alles das
-ist es, was ich oft von Ihnen zu wissen wünschte, -- und wobey sich
-mein ganzes Herz bewegen würde, wenn ich es von Ihnen hörte. -- O
-Freundschaft, wenn deine geheiligten Bande zwey tugendhafte Seelen so
-mit einander verbinden, daß alle Empfindungen und Gedanken der einen
-in die andre übergehen, -- dann verdoppeln sich ihre Kräfte, Gutes zu
-thun; ihre tugendhaften Regungen werden zu Entschlüssen; ihre Fehler
-werden ihre Lehrer; und jede fliegt mit der zusammengesetzten Kraft
-und Geschwindigkeit von beyden ihrem großen Ziele zu. Mein Herz ist zu
-voll. Ich kann nicht mehr schreiben. --
-
-Ich habe Zeit gehabt, mich von meinem Enthusiasmus wieder zu erholen.
-Die älteste Tochter des D. Tralles ist den Augenblick bey uns gewesen,
-und hat einen Brief von ihm aus Leipzig gebracht. Er hat bey O...
-gewohnt. Professor Gellert hat ihn mit einer ungemeinen Freundschaft
-aufgenommen; er hat ihm selbst wieder in dem O...schen Hause die
-Gegenvisite gemacht. D. Ludwig hat seinen alten Freund erkannt, -- und
-alle haben sich um die Wette bestrebt, ihm seinen kurzen Aufenthalt
-angenehm zu machen. Er ist mit Leipzig und seinen Einwohnern so wohl
-zufrieden, daß er ihnen beynahe auf unsre Unkosten Lobsprüche macht,
-und sie ehrt, indem er seine Breßlauischen Freunde herunter setzt. Mir
-ist bey dieser Begebenheit vorzüglich lieb, daß er mit der Aufnahme
-Gellerts vergnügt gewesen ist. Ich habe dadurch ein kleines Verdienst
-um Tralles, und einen Beweis von der Gewogenheit Gellerts.
-
-Aber daß ich von Klöber noch keine Antwort habe, daß ich noch immer in
-derselben Ungewißheit bin, in der ich meinen letzten Brief schrieb;
-daß ich gestern, da nach Klöbers Vermuthung die entscheidende Antwort
-vom Minister (der auf seinen Gütern ist) kommen sollte, gar nichts,
-weder von ihm noch dem Minister, gehört habe: alles das ist mir höchst
-verdrießlich, und bringt meine Seele in eine gewisse ungeduldige
-Bewegung, die sie zu wenig Sachen geschickt läßt. -- Ich erhalte aber
-vielleicht noch diese Woche die Antwort -- und dann will ich -- nicht
-zur Strafe -- sondern zum Ersatz der unruhigen Stunden, die mich
-Ihr und mein neulicher Brief gekostet hat, Ihnen auf den Sonnabend
-schreiben. Alsdann sollen Sie zugleich etwas von meiner jetzigen
-Lektüre hören. Denken Sie nur, ich lese die ~Fairy Queen~ von Spencer,
-einem Dichter, ohne den Milton vielleicht nicht gewesen seyn würde.
--- Ich habe nicht geglaubt, ihn in Breßlau zu bekommen; aber es sind
-einige sehr vollständige Englische Bibliotheken hier. Leben Sie wohl
-u. s. w.
-
-
-
-
-Ein und zwanzigster Brief.
-
-
- Den 4. Oktober.
-
-So wenig steht es oft in unsrer Gewalt, unsre Wünsche, oder auch unsre
-Versprechen zu erfüllen! Dieses kurzsichtige Ding, die Seele, macht
-immer Entwürfe, ohne die Hindernisse eher zu bemerken, bis sie von
-ihnen gestört wird; dann springt sie plötzlich auf, sieht um sich herum
-nach Hülfsmitteln, findet keine, und überläßt sich endlich einem trägen
-und unthätigen Mißvergnügen. Ungefähr dieß ist die Geschichte des
-Briefes, den ich an Sie schreiben wollte, und den ich nicht geschrieben
-habe.
-
-Danken Sie es meiner Bescheidenheit, daß ich Ihnen die Erzählung
-aller der kleinen Störungen und Geschäfte erspare, die jede für sich
-nichtswürdig, doch zusammen genommen zum Herrn meiner ganzen Zeit
-wurden. Ich werde mich nun hüten, Ihnen so bald wieder einen Brief
-außer den gewöhnlichen zu versprechen. Denn nichts ist verdrießlicher,
-als eine erregte Erwartung nicht befriedigen. Aber ich werde desto
-aufmerksamer seyn, die Augenblicke ausfindig zu machen, wo ich, ohne
-mich vorher angemeldet zu haben, bey meiner Freundin einen unerwarteten
-Besuch machen kann.
-
-Nun kommt Ihr Brief. -- O Sie haben also auf den meinigen gewartet!
-Jetzt komme ich mir nicht bloß unglücklich, sondern strafbar vor. Ich
-weiß, wie mir es seyn würde, hätten Sie mir ein ähnliches Versprechen
-gethan, ohne es zu halten. Lassen Sie mich geschwind von dieser
-unangenehmen Erinnerung wegeilen. Der Himmel wird schon heiter, der Weg
-gut und die Luft kalt, um Pferd und Postillion hurtig zu machen, und
-meinen Brief so geschwind als möglich zu Ihnen zu bringen.
-
-Außerdem muß ich Ihnen sagen, daß ich jetzo nicht bloß ruhiger, sondern
-auch vergnügter bin, als seit einigen Wochen. Vorgestern erhielt ich
-einen Brief von Klöber. Die Sache mag wohl ungefähr so seyn, wie ich
-vermuthete. Unterdessen weiß Klöber so wenig davon, als ich. So viel
-hat er nur durch die dritte Hand gehört, daß in dem Plane des jungen
-Herrn Veränderungen gemacht wären, daß er nach Frankfurt an der Oder
-gehen sollte, wo ihn schon sein Gouverneur erwartete. Dieser Brief
-bestätigt mein Urtheil über das Herz des Herrn von Klöber, denn in
-Ansehung seines Verstandes ist es ohnedieß schon ausgemacht. Mich
-dünkt, dieser Mann ist zu einer wahren Freundschaft gemacht. Er ist mit
-den Großen umgegangen, ohne ihre Denkungsart anzunehmen, und ehrt die
-Rechte der Menschlichkeit mehr, als alle die Unterscheidungen, die der
-Stolz oder die Sklaverey eingeführt haben. Er liebt die Engländer, und
-sein Charakter nähert sich wirklich dem ihrigen. Ich bin zufrieden, daß
-ich jetzo einen würdigen Mann mehr kenne, und seine Freundschaft ist
-für mich eine größere Akquisition, als eines Ministers Gnade. --
-
--- Das ist also die Ursache meiner Zufriedenheit. Aber das ist doch
-noch nicht Vergnügen. -- So wissen Sie denn also, daß der Himmel will,
-Sie sollen in die meisten meiner Vergnügen einen gewissen stillen aber
-wirksamen Einfluß haben. Eine gewisse Beziehung auf Sie macht eine
-Sache angenehm, die mir sonst gleichgültig wäre, und vermehrt den Werth
-einer andern. --
-
-Vor zwey Tagen tritt Herr von Grischanowsky, ein Russischer Kavalier,
-der, mit einem Griechischen Popen zum Hofmeister, in Leipzig studirte,
-in mein Zimmer. Sie müssen ihn ohne Zweifel wenigstens vom Fenster aus
-gekannt haben. Ich bin zuweilen mit ihm in Gesellschaft gewesen; und
-da mir Ebert seine Lernbegierde und seinen Fleiß rühmte, und an ihm
-selbst mir seine natürliche Offenherzigkeit gefiel, so war mir sein
-Umgang nicht ganz unangenehm, ob gleich zu einem guten Gesellschafter
-sein Kopf noch zu leer und seine Zunge zu ungebildet ist. -- Diesen
-ruft nun sein Vater, Gouverneur der Russischen Ukräne, zurück. Er reist
-hier durch, und wird sich acht Tage hier aufhalten. Ein Bekannter
-also, der vor wenig Tagen erst aus Leipzig kommt, der mit Ihnen auf
-derselben Straße gewohnt hat, der Sie vielleicht gesehen hat, ohne Sie
-zu kennen; der außerdem ein Schüler und ein Freund meines guten Eberts
-ist; ein solcher Mensch, wenn er nur halb so gut wäre, wie der Herr von
-Grischanowsky, muß mir ohne Zweifel sehr willkommen seyn. Er brachte
-mir außerdem noch einen Brief von Ebert, worin dieser mich bittet,
-seinem Freunde den Aufenthalt hier, so viel ich könnte, angenehm zu
-machen. Ich habe nun nach meiner Art Anstalten dazu gemacht. Heute
-Nachmittag kommt er zu mir, und da er die Flöte recht hübsch spielt,
-so werden wir zusammen ein kleines Duett machen. Nach drey Uhr führe
-ich ihn auf die beste unsrer Bibliotheken, und morgen zu Mittag ist
-meine Mutter auf mein Verlangen so gütig gewesen, und hat eine kleine
-Gesellschaft zum Essen gebeten, die sich ungefähr zur Gesellschaft des
-jungen Herrn und seines Hofmeisters schicken wird. Zum Glück ist unter
-meinen Verwandten ein Mann, der ehemals in Russischen Diensten als
-Officier gestanden hat, der bis zu den äußersten Gränzen des Russischen
-Reichs gegen China, den Nordpol und die Türkey gekommen ist, der
-selbst Russisch spricht, und eine große Kenntniß von diesem Reiche und
-seinen Einwohnern, und also natürlicher Weise (weil wir doch das, was
-wir uns die Mühe gegeben haben, zu untersuchen, auch unfehlbar lieben)
-auch viel Neigung für sie hat. Er ist jetzo Bau-Direktor von unsrer
-Stadt, ein Mann von einer vollkommenen Kenntniß seiner Wissenschaft,
-von einer sehr guten Einsicht in die Mathematik, und von einer
-ausgebreiteten Erfahrung. Diesen werde ich zur Gesellschaft des jungen
-Herrn bestimmen.
-
-Für den Popen ist ein hiesiger Geistlicher, Herr ***, der ein recht
-guter Gesellschafter seyn würde, wenn er seinen Kanzelton ablegen
-könnte. Wenigstens hat er doch Neubegierde genug, sich von einem
-Fremden recht viel erzählen zu lassen; -- und das ist immer schon ein
-großes Verdienst. -- Den Nachmittag wollen wir alsdann, wenn das Wetter
-günstig ist, in einem Garten zubringen, und dann des Abends wieder ein
-kleines Koncert machen.
-
-Kleinigkeiten von der Art würde ich sonst an keinen andern Menschen
-schreiben. Aber weil wir doch in so viel Stücken ähnlich denken,
-so werden wir vielleicht auch noch darin übereinstimmen, daß diese
-kleinen Umstände uns am meisten in den Stand setzen, bey unserm Freunde
-gegenwärtig zu seyn; und das ist immer für ein Herz, wie das unsrige,
-wichtig.
-
-Noch ist ein andrer von meinen Bekannten aus Leipzig, und noch dazu
-mein Landsmann, obgleich aus dem entferntesten Winkel von Schlesien,
-Herr von P****, angekommen. Er hat nach mir gefragt, und hat mich noch
-nicht gefunden. Auch ich muß ihn sprechen, um alle Gelegenheit zu
-nutzen, mich an die vergangene Zeit zu erinnern. Diese Besuche nehmen
-mir einen großen Theil meiner Zeit weg, ob ich gleich außerdem nicht so
-viel davon übrig habe. Von zehn bis zwölf habe ich meine Vorlesungen
-mit dem Herrn v. K*** angefangen. Eine Stunde ist für die Philosophie,
-die zweyte für die Römer und Griechen. Ich werde Ihnen künftig einmal
-meinen Plan schreiben, nach dem ich das Studium der Philosophie
-einrichten würde, wenn ich ganz Herr von der Einrichtung der Erziehung
-eines jungen Menschen wäre. --
-
-Jetzo muß ich auf Ihren Brief kommen. Daß Weise an mich gedacht und
-von mir vortheilhaft gesprochen hat, ist mir lieb. Aber daß er nicht
-schreibt, ist mir unbegreiflich. Ich habe ihm vor ungefähr 5 Wochen
-einige Beyträge, die er selbst in vielen Briefen so gütig war, von
-mir zu verlangen, geschickt. Ich habe ihm nach der Zeit noch ein Mal
-geschrieben, nachdem ich seine Lieder durchgelesen hatte. Auch dieser
-Brief ist schon wieder vierzehn Tage fort, und noch auf keinen eine
-Antwort. In dieser Ungewißheit hat mich Ihre kurze Nachricht wirklich
-getröstet; besonders da unser Reiz, den ich bat, noch an dem Tage zu
-Weisen zu gehn, und mir von ihm Nachricht zu geben, Hindernisse muß
-gefunden haben, meine Bitte zu erfüllen. Sagen Sie es doch unserm
-Freunde im Vertrauen, daß der Entwurf unsrer Geschäfte nicht richtig
-gemacht ist, wenn gar keine Lücken für unsre Freunde darin sind.
-
-Sie nur, meine geliebte Freundin, Sie allein ersetzen mir den Verlust,
-den mir die Arbeitsamkeit oder die Zerstreuung meiner übrigen
-Freunde verursacht. Dank sey es der Liebe, die durch Ihre heftigen
-Erschütterungen Ihrer Seele zuerst die Weiche, die Empfindlichkeit
-und die schnelle Beweglichkeit gegeben hat, die sie jetzt so sehr zur
-Freundschaft fähig macht.
-
-Sie wollen, ich soll über die Liebe philosophiren. Ich wüßte nicht
-leicht einen Gegenstand, der reicher und zugleich einnehmender wäre.
-Aber heute sollen Sie anstatt meiner Philosophie nur Einen Vers
-aus dem ältesten Englischen Dichter, dem Spencer, bekommen, der es
-werth ist, daß Sie ihn kennen lernen. Sein Werk ist eine Ariostische
-Epopee; noch unordentlicher, wenn es seyn kann. Aber einzelne
-Stellen sind ausnehmend schön. Sein Werk besteht aus sieben Büchern,
-wovon jedes eine gewisse Tugend unter einer Reihe von allegorischen
-Rittergeschichten vorstellt. So fängt er das dritte Buch an, welches
-die Keuschheit zum Gegenstande hat:
-
- ~Most sacred fire, that burnest mightily
- In living breasts, ykindled first above,
- Amongst th’ eternal spheres, and lamping sky,
- And thence pour’d into men, which men call Love;
- Not that same, which doth base affections move
- In brutish minds, and filthy lust inflame;
- But that sweet fit, that doth true beauty love,
- And chooseth vertue for his dearest dame,
- Whence spring all noble deeds, and never-dying fame.~
-
- II.
-
- ~Well did antiquity a God thee deem,
- That over mortal minds hast so great might,
- To order them, as best to thee doth seem,
- And all their actions to direct aright etc.~
-
-Von diesem Gedichte, von der Philosophie der Liebe und von meiner
-jetzigen Lektüre werden meine nächsten Briefe handeln, wofern Sie mit
-diesen Materien zufrieden sind. Lessings Dramaturgie werden Sie ohne
-Zweifel schon gelesen haben. Außerdem müßten Sie nicht einen Augenblick
-anstehen; nur müßten Sie suchen, die Stücke, die er beurtheilt, kurz
-zuvor durchzulesen u. s. w.
-
-
-
-
-Zwei und zwanzigster Brief.
-
-
- Breßlau, den 14. Oktober.
-
-Wie haben Sie es über Ihr freundschaftliches Herz bringen können, mich
-heute ohne Briefe zu lassen, da Sie es empfinden mußten, daß ich eines
-neuen Zeugnisses Ihrer Freundschaft jetzo am meisten bedürfte? Aber
-es ist nun einmal beschlossen, daß ich diese Woche in nichts ruhig
-werden soll. Weiter wäre nichts nöthig, um mich auf diese ganze Woche
-unglücklich zu machen, als daß sich in dem Innersten meiner Seele ein
-kleiner Argwohn erhübe, und mich überredete, Sie wären unwillig, oder
-welches mir noch weit unerträglicher wäre, gleichgültig. -- Denn daß
-Sie oder einer von Ihren lieben Theuern krank seyn sollten, daran kann
-ich gar nicht einmal denken. -- Aber fürchten Sie nichts. Ich arbeite
-aus allen Kräften, alle Art von Argwohn bey mir zu zerstören, oder
-ihm zuvor zu kommen. Außerdem, daß er unsern Freund beleidigt, und
-uns kränkt, ist er noch eine gewisse Folge eines schwachen Geistes.
-Ich setze nämlich zum Voraus (und ich bilde mir ein, daß das nichts
-ist, als was ausgemacht ist), daß es Stärke des Geistes sey, eine
-einmal durch Gründe erlangte Ueberzeugung, auch ohne immer neue und
-wiederholte Beweise, in ihrer ersten Zuverlässigkeit zu erhalten, und
-sie gegen die Angriffe, die die bloße Einbildungskraft auf sie thut, in
-Sicherheit zu stellen. So sehe ich manche Leute an der Religion, oder
-an der fortdauernden Existenz unsrer Seele zweifeln, nicht weil sie die
-Gründe niemals erkannt, oder falsch gefunden hätten, sondern weil sie
-zu schwach sind, vergangene Betrachtungen sich wieder gegenwärtig zu
-machen, und weil das Bild von einer gewissen Möglichkeit, daß die Sache
-anders seyn könnte, über ehemals gemachte Schlüsse die Oberhand hat. --
-Wie? -- werde ich also zu mir selbst sagen, wenn der Anfall von Argwohn
-heftig und gefährlich ist -- sollte mich dieser Brief erst lehren,
-daß sie meine Freundin ist? Oder wenn dieses auch ohne ihn schon
-ausgemacht war, kann mir alsdenn sein Ausbleiben mehr rauben, als ich
-durch seinen Empfang würde bekommen haben? Ich würde wissen, was sie
-macht, wie sie meinen Brief aufgenommen, ob sie mir vergeben hat. Das
-ist es also, was ich nicht weiß; und ob es gleich immer unangenehm
-ist, sich solche Fragen nicht eher als in vier Tagen beantworten zu
-können, so ist es doch immer nur ein kleiner Aufschub. -- Und endlich,
-konnte nicht mein feindlicher Dämon ihr eben solche Hindernisse in den
-Weg gelegt haben, als ich selbst hatte, da ich am Sonnabend schreiben
-wollte? Würde ich wünschen, daß sie das Ausbleiben meines versprochenen
-Briefes einer andern Ursache als der Unmöglichkeit zuschriebe, ihn zu
-schreiben? -- Ich will Ihnen diese Hindernisse erzählen, zuerst um
-mich zu zerstreuen, und mich also gegen einen Feind zu sichern, der
-aller meiner Entschließungen ungeachtet mich leicht überfallen könnte,
-wenn ich unverwandt den ersten Gegenstand ansähe; und zum andern, weil
-sie beynahe den wichtigsten Theil meiner Geschichte auf diese Woche
-ausmachen.
-
-Eben da ich im Begriff war, mich zum Schreiben zu setzen, kommt der
-Bediente vom Herrn von Klöber, und bittet mich, in einer halben Stunde
-zu ihm zu kommen. Es war Vormittags nach zehn. Ich ziehe mich in aller
-Geschwindigkeit an, und gehe. -- Hören Sie, sagte er, indem er mich
-empfing, der Minister ist gestern Abends unvermuthet angekommen, und
-ich soll Sie jetzo den Augenblick zu ihm führen. -- Diese Nachricht war
-mir nicht ganz unerwartet; denn da der Minister nicht antwortete, so
-wußte ich dieß keiner andern Ursache zuzuschreiben, als daß er selbst
-bald von seinen Gütern, wo er sich aufhielt, herein kommen wollte.
-Beynahe aber wäre es mir lieber gewesen, ihm zuerst durch Briefe
-bekannt zu werden, weil ich weiß, daß eine natürliche Furchtsamkeit,
-über die ich nicht Herr bin, mir bey dem ersten Besuche selbst von
-Leuten, deren Stand weit unter dem eines Ministers von Schlesien ist,
-nicht die völlige Gegenwart des Geistes läßt, ohne die man sich niemals
-von einer vortheilhaften Seite zeigen kann. Ueberdieß ist der Anblick
-von Hoheit für ein etwas edles Gemüth immer zu demüthigend, als daß
-man mit der ganzen Freyheit und Freudigkeit des Geistes handeln könnte,
-die allein unsern Reden und Handlungen Anmuth geben kann. Wir gingen
-also hin. Die Abwesenheit des Ministers hatte die Geschäfte gehäuft;
-wir waren nicht die einzigen, die auf einen Augenblick warteten, wo sie
-ihn sprechen könnten. Endlich kam der Minister aus seinem Kabinet, und
-ging auf uns zu. Herr von Klöber stellte mich ihm vor. Der Minister
-that an mich nichts als die gewöhnlichen Fragen, wer meine Eltern
-und meine Verwandten wären, wo ich studirt hätte, wie lange ich hier
-wäre; lauter Fragen, die in jedem andern Munde wenig in Verlegenheit
-setzen würden, und die doch in dem Munde eines Ministers auf gewisse
-Weise niederschlagend seyn können. Ich beantwortete sie so kurz, als
-ich konnte; -- aber das hätte ich nicht geglaubt, daß dieß alles seyn
-würde; ich hielt sie nur für eine Einleitung zu einem Gespräche, das,
-wie ich hoffte, der Hauptsache näher kommen, für den Minister wichtiger
-und mir angenehmer seyn würde. Aber in diesem Augenblicke kehrte er
-sich zu dem Bedienten, der im Zimmer stand. „Ist der Doktor noch bey
-meiner Frau?“ -- „Ja, Ihre Excellenz!“ -- „Nun, so muß ich wohl noch
-einen Augenblick zu ihr gehen; kommen Sie nur zu Tische. Sie auch, Herr
-v. Klöber.“ -- Und damit war er fort. --
-
-Wir kamen also gegen die in diesem Hause gewöhnliche Tischzeit, gegen
-zwey Uhr wieder. Die ganze Gesellschaft, die auf diesen Tag eingeladen
-war, versammelte sich nach und nach im Vorzimmer. Ich lernte bey dieser
-Gelegenheit den Graf Dönhof, einen Kriegsrath, den geheimden Rath
-Meinike und noch eine ganze Menge andrer kennen, die größtentheils
-Männer von vielem Verstande sind. Der Minister erschien nicht eher als
-um halb drey Uhr. So lange hatten ihn seine Geschäfte aufgehalten. --
-In diesem Augenblicke setzten wir uns auch zu Tische. Die Gemahlin des
-Ministers und seine noch unverheyrathetete Tochter waren die einzigen
-Damen an der Tafel. Die Damen sprachen bloß französisch. Ueberhaupt
-waren die Gespräche gleichgültig. Der Minister bestimmte selbst ihren
-Gegenstand, und da sie größtentheils Begebenheiten betrafen, die ich
-nicht wußte, so war es ganz natürlich, daß ich dabey stumm war.
-
-Die Tafel dauerte bis 5 Uhr; und so wie der Minister aufstand, so ging
-er auch ohne einen Augenblick zu warten, in sein Cabinet zurück, wo
-ihn schon wieder eine ganze Menge Leute und Geschäfte erwarteten. Wir
-unterhielten uns noch eine kleine Weile in dem Tafelzimmer. Herr von
-Klöber sagte endlich, da er sahe, daß die Hoffnung, diesen Nachmittag
-bey Sr. Excellenz vorzukommen, vergeblich wäre, daß wir uns beurlauben
-wollten, und daß er dem Bedienten aufgetragen hätte, ihn zu rufen,
-sobald der Minister nach ihm fragen würde. Von diesem Augenblicke an
-nun weiß ich wieder nichts, und die ganze Sache ist noch nicht einen
-Schritt weiter. Ich wünschte sie nur entschieden, nur auf irgend eine
-Art entschieden zu sehn; denn die Ungewißheit ist unter allen das
-schlimmste u. s. w.
-
-
-
-
-Drey und zwanzigster Brief.
-
-
- Den 28. Oktober.
-
-Allemal, wenn ich mich niedersetze, an Sie zu schreiben, ist mein
-Kopf von Gegenständen, die alle geschrieben seyn wollen, so voll, daß
-ich über der Wahl endlich den größten Theil davon vergesse, oder mein
-Brief und die Zeit schon zu Ende ist, wenn ich noch kaum über den
-ersten Punkt heraus bin. Indem ich alsdann den Brief schließe, und
-es empfinde, wie wenig ich Ihnen gesagt habe, und wie viel ich Ihnen
-noch zu sagen hätte; so ärgere ich mich über den elenden Ersatz, den
-ein kurzer kaum angefangener Brief für den Umgang mit einer solchen
-Freundin, wie Sie sind, thun soll. Ich thue mit dem Kinde in Weisens
-Liede den Wunsch:
-
- O wenn ich doch ein Vogel wär,
- So schnell und federleicht,
- Der über Berg und Thäler hin
- Im Augenblicke streicht!
- Dann flög’ ich über Land und See,
- Durchreiste jeden Ort,
-
-Wär bald -- wo denn? Gewiß nirgends, oder doch nirgends öfter, als
-bey Ihnen. Was für einen kleinen freundschaftlichen Schrecken würde
-ich Ihnen nicht abjagen, wenn ich, ehe Sie sich es versähen, den
-gegenüberstehenden Stuhl an Ihrem Fenster einnähme, indem Sie an
-dem andern sitzen. Ich sehe schon zum Voraus, ich würde kein Wort
-vorbringen können, ich würde stammeln, und wenn ich meine Stimme wieder
-hätte, so würden es nur gebrochene Laute seyn, die ich vorbrächte. --
-
-Weg, angenehme Schwärmerey, die geschwind genug meine Einbildungskraft
-ganz anfüllen, und dann aus meinem Briefe alle wichtigere Gegenstände
-verdrängen könnte! -- Nun habe ich mir in meinem Kopfe gewisse Punkte
-geordnet, unter welche dieser Brief gebracht werden soll. Aber ich sage
-sie Ihnen nicht zuvor, bis ich erst sehe, wie viel ich davon zu Stande
-bringe. Sage ich jetzo nur wenig, so können Sie immer glauben, ich
-habe nicht mehr schreiben wollen, da Sie sonst hätten denken müssen,
-ich hätte nicht mehr schreiben können. Also zur Sache:
-
-Zuerst fragen Sie mich in Ihrem vorletzten Briefe, ob ich Ihre Briefe
-aufhebe? Die Frage würde fast eine kleine Beleidigung seyn, wenn
-ich nicht, die Wahrheit zu sagen, ähnliche Beleidigungen auf meiner
-Rechnung hätte. Meine Mutter ist die Depositaria davon, so wie von
-Ihren Porträts. -- Also wollen Sie diese wirklich wieder haben? Ich bin
-in der That so unverschämt gewesen, sie schon für ein halbes Geschenk
-anzusehen. Unterdessen, wenn Sie über das Porträt Ihres Gemahls Herr
-sind, so sind Sie es doch nicht über das Ihrige. Ich werde Ihnen das
-erste zurück schicken, wenn Sie es so befehlen, aber ich werde dadurch
-mein Recht auf das andere nur verstärkt glauben. Meine Mutter, die Sie
-wahrhaftig liebt, würde an dem Schmerz Theil nehmen, den es mich kosten
-würde, dieses kleine Stück von Ihnen selbst aus den Händen zu geben.
-Indessen, wenn Sie darauf auch bestünden; so muß ich Ihnen nur sagen,
-daß die Gelegenheiten, solche Sachen zu schicken, nicht so häufig sind;
-und ich habe immer in meiner Macht, zu sagen, daß ich keine gehabt
-habe. Sehen Sie eine andere kleine Beleidigung in Ihrem vorletzten
-Briefe, die ich ungeahndet gelassen habe.
-
-Aber nun auf Ihren jetzigen zu kommen, der so voll von Freundschaft
-und gutem Herzen ist, und der mich würde zu Ihrem Freunde gemacht
-haben, wenn ich es noch nicht wäre; so muß ich nur Ihre zu große
-Demuth ein bischen schelten. Sage nur deiner Freundin, sagte meine
-Mutter, indem sie Ihren Brief las: Eine Frau, die eine so edle Freude
-an einer guten Handlung haben konnte, als die ist, die sie in ihrem
-Briefe erzählt, kann vieler andern Vorzüge entbehren. Glauben Sie
-nur, dieses Herz, welches Ihnen der Himmel gegeben hat, ist immer das
-größte Geschenk, welches er einem Sterblichen machen kann. Ohne dieses
-Herz ist der Verstand ein bloßes blendendes Licht ohne Wärme, und die
-Schönheit eine unbedeutende Form. Aber dieses Herz kann der Schönheit
-und selbst höherer Einsichten entbehren, und doch immer noch nicht
-bloß liebenswürdig sondern verehrungswerth bleiben. Wenn aber diese
-glückliche Verbindung zwischen Empfindung und Einsicht, zwischen dem
-Kopf und dem Herzen vorhanden ist, die ich in meiner Freundin finde und
-hochschätze, wenn der eine der Diener ist, die gutthätigen Absichten
-des andern auszuführen: dann kann das Glück immer seine übrigen Güter
-zurückhalten; die Natur hat ihm schon genug vorgearbeitet, um in jedem
-Umstande, in jeder Verfassung, selbst unter den Beunruhigungen, die
-eine Folge dieser Eigenschaften sind, die Person selbst glücklich, und
-andre zu ihren Verehrern und Freunden zu machen. --
-
-Um Sie nun in Ansehung meiner in Ruhe zu stellen, so muß ich Ihnen
-sagen, daß, ob ich gleich noch keine Nachricht habe, ich doch die
-Sache für entschieden halte, und auch recht zufrieden damit bin, daß
-sie entschieden ist. -- Wenn man bey einer Reise in der Nacht lange
-Zeit ohne seinen Weg zu sehen, fortgegangen ist, und nicht gewußt hat,
-ob man nicht vielleicht in fremden und unwegsamen Wüsten herumirrt;
-wenn dann auf einmal ein aufgehender heller Stern uns zeigt, daß wir,
-ohne es zu wissen, noch immer auf dem rechten Wege sind, und von einer
-unsichtbaren Hand geleitet, unvermerkt dem Ziele unsrer Bestimmung
-näher kommen: dieser Freude ist diejenige gleich, die man fühlt,
-wenn man mitten unter dem Zusammenlauf mannichfaliger und uns oft
-unangenehmer Begebenheiten einen einzigen fortgehenden Plan erblickt,
-der mitten unter diesen verschlungnen Irrgängen immer fortgesetzt
-worden ist, und durch alle die Hindernisse, die uns beunruhigten, nicht
-aufgehalten werden konnte.
-
-Ich kann Ihnen nicht das ganze Räthsel erklären, wie ich zu dieser
-Betrachtung komme. In der That aber glaube ich Ursache zu haben,
-zufrieden zu seyn, wenn ich dem Minister mißfallen habe u. s. w.
-
-
-
-
-Vier und zwanzigster Brief.
-
-
- Den 11. November.
-
-Lassen Sie uns immer einige unsrer Erwartungen fehlschlagen, der
-Himmel versorgt uns dafür wieder mit Vergnügen, auf die wir weder
-Anspruch noch Hoffnung hatten. So war der Brief, den ich gestern von
-ihrem lieben Gemahl, so die zwey Briefe, die ich zu gleicher Zeit
-von Herrn Weisen erhielt. Meiner Mutter und mir waren Ihre Briefe,
-wenn nicht eben so unerwartet, doch gewiß eben so erwünscht. Alle
-so voll von Freundschaft, Liebe, Zärtlichkeit, daß mein Herz in
-unaussprechlichen Empfindungen überfloß, und wenn der Geist Kraft
-genug hätte, diese Einschränkung des Raums und seine enge Wohnung zu
-durchbrechen, wenn er, ohne seinen schweren Gefährten, den Körper,
-mitzunehmen, mit ätherischer Leichtigkeit mit seinen Wünschen in
-gleicher Geschwindigkeit sich bewegen könnte, so wäre Ihr Wunsch und
-der meinige gestern erfüllt, ich hätte Sie alle, alle gesehn; auch ihn,
-meinen guten und zu geschäftigen Freund, dem ich für den Brief, den er
-an mich schreiben will, gern alle die erlasse, die er nicht geschrieben
-hat. Ich danke es Ihnen recht sehr, liebster Freund (ich rede jetzt mit
-Ihrem guten Manne), daß Sie für die Erhaltung meiner Freunde -- der
-größten Glückseligkeit die ich kenne, -- oder welches eben so viel ist,
-für meine Gewißheit, daß ich sie noch besitze, so viel Mühe und Sorge
-über sich nehmen. --
-
-Weise ist in der That einer von meinen schätzbarsten Freunden, und,
-Dank sey es seinem gütigen Herzen, auch von meinen zärtlichsten. Ich
-habe zwey lange Briefe von ihm bekommen, die beyde vortrefflich sind,
-wenn sie nur nicht gar zu schmeichelhaft für mich wären. Meine Mutter,
-die an meiner ganzen Correspondenz Theil nimmt, sorgt immer, meine
-Freunde werden mich verderben. Und in der That, ich glaube beynah, ihre
-Furcht ist nicht ganz ungegründet. -- Aber nun verderben oder nicht,
-so werde ich doch nimmermehr zugeben, daß selbst die übertriebenen
-Lobsprüche von Freunden mit Schmeicheleyen einerley wären. Wenn uns
-die ersten in einen kleinen Irrthum über unsre Verdienste führen, so
-sind sie zuerst selbst darin. Ihr Herz hat zuerst ihrem Verstande den
-unschuldigen, und beynahe sagte ich, zur Freundschaft nothwendigen
-Betrug gespielt; und hundertmal mehr können sie sagen, als wahr
-ist, aber niemals ein Wort mehr als sie denken. Da fängt erst die
-Schmeicheley an, wo der Ausdruck größer ist als die Gesinnung, und
-unser Verstand den Werth des andern richtiger bestimmt, als unsre
-Worte. --
-
-Der eine Brief von Weisen war schon längst vorher geschrieben, und war
-mit einem kleinen Geschenk von Büchern, das er mir bestimmte, einem
-hiesigen Buchhändler übergeben worden, der eben erst gestern ankommen
-mußte; der andre kam mit der Post, und den habe ich vielleicht zum
-Theil Ihnen zu danken.
-
-Darf ich Ihnen nun wohl noch erst sagen, daß gestern einer von meinen
-angenehmsten Tagen gewesen ist, oder vielmehr Stunden, -- denn eine
-von den größten Sonderheiten, ich weiß nicht ob der menschlichen
-Natur oder der meinigen (leider vermischen sich diese beyde nur gar
-zu oft in den Augen des Beobachters; aber genug, ich empfinde sie,
-diese Sonderheit, und wie ich sie empfinde, so will ich sie Ihnen
-ausdrücken; vielleicht entdecken wir wieder einen neuen Punkt, wo unsre
-beyden Seelen an einander gränzen); und die seltsamste Wirkung des
-Vergnügens ist gewiß Schwermuth; und demungeachtet ist es bey mir die
-gewöhnlichste, wofern das Vergnügen nur mehr empfindlich als rauschend
-ist. Wenn meine Seele nach der Befriedigung gewisser Begierden
-geschmachtet hat, und sich diese ihr endlich mit einemmale anbietet;
-so weigert sich die Seele gleichsam einen Augenblick, dieselbe
-anzunehmen; sie entzieht sich dem Genusse eines Vergnügens, das sie
-für zu schmeichelhaft hält, als daß sie sich gleich überzeugen könnte,
-daß es für sie wirklich bestimmt ist, und das Herz verschließt sich
-vor den Eindrücken, die es doch so sehnlich erwartete. Nach und nach,
-wenn die erste Bestürzung vorüber ist, wenn sich die angenehmen Bilder
-in der Einbildungskraft anhäufen, wenn die wiederholten, aber sanften
-Schläge des Vergnügens diese muthwillige Unempfindlichkeit überwunden
-haben, öffnet sich das Herz wieder; die Empfindungen strömen von allen
-Seiten zu und erfüllen es; die Bewegungen werden lebhafter, das Gesicht
-heitrer; unsre ganze Seele bekommt eine Art einer neuen Existenz, und
-diese Empfindung von der Verdoppelung ihrer Kräfte verbindet sich noch
-mit den Eindrücken des Vergnügens, um diesen glückseligen Zustand eine
-Zeitlang zu erhalten.
-
-Wer in diesen Augenblicken die Gabe zu gefallen, wenn sie auch ihm
-sonst fehlt, nicht durch die Zauberkraft des Vergnügens erhält, der mag
-es nur aufgeben, jemals zu gefallen. In der That ist ein von Vergnügen
-durchdrungnes Herz schon an sich der angenehmste Gegenstand für den
-Zuschauer; und außerdem hat der Mensch niemals mehr, als in diesen
-Zeiten, seine eignen Talente zu seinem Gebote; seine Ideen werden
-lebhafter, seine Einfälle gelingen, sein Witz verliert den Zwang und
-die Steife; und alles, was er sagt, bekommt durch die harmonischen
-Züge, mit denen sein Gesicht es bekräftigt, und durch eine gewisse
-lebhafte und doch anständige Bewegung, mit dem es begleitet wird, mehr
-Kraft und mehr Anmuth.
-
-O wenn diese glücklichen Augenblicke fortdauern könnten! Ich habe von
-der Macht des Vergnügens so große Ideen, daß ich glaube, es könnte
-Trägheit in Feuer, und Dummheit in Witz verwandeln, wenn wir erst die
-Kunst erfunden hätten, es dauernd zu machen. -- Aber so verzehrt sich
-die Freude, wie eine Flamme, durch ihre eigne Stärke. -- Die Spannung
-der Kräfte, ohne welche sie nicht entstehen würde, bereitet schon die
-Erschlaffung vor, mit der zugleich die Schwermuth zurück kehrt; der
-Genuß erfordert eine gewisse Anstrengung, die wir nicht gewahr werden,
-weil sie angenehm ist, und die uns erst die darauf folgende Erschöpfung
-entdeckt; und durch eine unausbleibliche Rückkehr, die ein Gesetz der
-ganzen Natur ist, sinkt die Seele eben so tief unter ihre gewöhnliche
-Höhe, als sie sich über dieselbe erhoben hatte.
-
-Ich sehe, ich verliere mich in einer Art von Philosophie, die für
-mich alle Mal gefährlich ist. Ich grüble vielleicht gar zu gern über
-meine eignen Empfindungen, und oft verliert sich mir der Gegenstand
-aus dem Gesichte, indem ich seine Wirkungen aufsuchen will. -- Was
-ich eigentlich zu sagen vorhatte, ist dieß. Eine so große Anzahl von
-Beweisen der Zärtlichkeit und Freundschaft der würdigsten Personen
-hatten meiner Seele eine gewisse Selbstzufriedenheit gegeben, die nicht
-Eitelkeit, -- aber doch höchst süß ist. Aber eben diese verlor sich mir
-unter der Hand, als ich sie eben erst bemerkte. Auf sie folgte eine
-gewisse Furcht, daß einmal eine Zeit kommen könnte, wo diese Freunde
-von mir richtiger oder strenger urtheilten; eine Art von Kummer, wie
-ich so vortheilhaften Meinungen und so günstigen Erwartungen, die sie
-von mir hätten, ein Gnüge leisten könnte. -- Ich schien mir unter
-einer Art von Verbindlichkeit zu erliegen, die mir ihre Gütigkeit
-auferlegt hatte, und indem ich mein eignes nichtsbedeutendes Selbst
-mit dem vergrößerten und geschmeichelten Bilde verglich, welches sie
-als ähnlich mit mir annehmen; so wurde mir angst, daß ein solcher
-Irrthum einmal vielleicht aufgehoben werden, und irgendwo ein solcher
-unglücklicher Brunnen seyn möchte, wie ihn Ariost beschreibt, der,
-wenn man ihn kostet, alle Verblendungen der Liebe heilt, und dem
-bloßen kalten Verstande alle seine Freyheit zurück giebt, zu prüfen.
-Dieser Wunsch, meinen Freunden zu zeigen, daß ich ihrer nicht unwürdig
-sey, mit der Unmöglichkeit, die ich vor mir zu sehen glaubte, ihn zu
-befriedigen, brachte eine Art von Aengstlichkeit in mich, die endlich,
-ohne ihren Gegenstand zu wissen, nach etwas suchte, was mir fehlte, und
-was sie doch nicht finden konnte.
-
-Sehen Sie nun, würde eine andre Freundin, gegen die Schwachheiten
-ihres Freundes weniger nachsichtig als Sie, eine solche Anatomie
-seiner eignen Thorheiten ertragen; besonders wenn ich darüber das
-vergesse, was Sie eigentlich von mir wissen wollten, und was ich auch
-zu schreiben im Sinne hatte? -- Herr von Grischanowsky ist beynahe
-alle Tage bey uns, wenigstens eine oder zwey Stunden. Meine Mutter ist
-ihm seines wirklich guten Herzens wegen recht gut worden. In der That
-habe ich in ihm noch weit edlere Gesinnungen entdeckt, als ich selbst
-in Leipzig in ihm kannte. -- Aber sein Hofmeister -- ob er gelehrt
-ist, das mag er selbst am besten wissen, -- aber daß er höchst grob,
-unempfindlich gegen alle Höflichkeit, bäurisch stolz, und ohne alle
-Annehmlichkeit im Umgange ist, das wissen wir leider alle, die wir ihn
-in unsrer Gesellschaft gehabt haben. Jetzo bitte ich nur immer den
-jungen Herrn ohne ihn u. s. w.
-
-
-
-
-Fünf und zwanzigster Brief.
-
-
- Den 18. November.
-
-O wenn Sie wüßten, was mich Ihr Brief für einen traurigen Tag gekostet
-hat, Sie würden ihn nicht geschrieben haben, oder Sie schrieben
-heute einen zweyten, um ihn zu widerrufen! Aber gewiß, gewiß, Sie
-werden keinen schreiben. -- Ich lese ihn wieder, Ihren Brief, und er
-beunruhigt mich noch mehr. Ich sollte weniger zärtlich gegen Sie seyn,
--- ich sollte mich dem Brunnen des Ariosts nähern, +von dem einige
-Freunde vielleicht schon getrunken haben+. Wer sind diese Freunde?
--- Setzen Sie einmal (um einen Satz, den ich nur in Absicht auf mich
-wahr hielt, auf die Freundschaft überhaupt auszudehnen), setzen Sie,
-daß eine Art von Uebertreibung dazu gehöre, um den Grad von Liebe
-hervor zu bringen, ohne den die Freundschaft kalt und die Ehe in
-kurzem beschwerlich ist; setzen Sie, daß unsre Einbildungskraft die
-Vollkommenheiten unsers Lieblings vergrößern müsse, wenn sie das Herz
-mit der gehörigen Stärke treffen sollen; setzen Sie dieß alles: so
-behaupte ich doch, daß selbst diese Verblendung Größe des Geistes
-voraus setze, und daß es Stärke des Geistes sey, sie zu erhalten.
-Achten Sie also ja nicht meine Theorie für so gefährlich, daß sie den
-Kaltsinn für eine natürliche Folge der Ueberlegung erklären sollte.
-Wenn er eine beständige Eigenschaft unsers Herzens ist, so ist es
-Kleinheit, und folgt er auf einen feurigen Anfang, so ist es Schwäche
-der Seele. -- Sie hatten neulich eine Philosophie der Liebe von mir
-verlangt. Hier sind einige kleine Züge davon, auf die mich diese
-Betrachtungen natürlicher Weise leiten.
-
-Man kann immer sicher vermuthen, daß in den Meinungen etwas Wahres
-sey, die allgemein von den Menschen angenommen werden; und die in den
-rohesten Zeiten zuerst. Die Wirkung der Natur, und die Gesinnungen,
-die unmittelbar durch den Einfluß der Dinge um uns herum hervor
-gebracht werden, erkennt man am besten in den Epoquen, wo wenig andre
-Principien der menschlichen Gedanken vorhanden sind. Nun in diesen
-Zeiten war Tapferkeit und Liebe die größte Tugend der Männer, und
-Keuschheit, oder mit einem andern Worte, Beständigkeit und Treue das
-einzige Verdienst der Frauen. Die Rittergeschichten, so ausschweifend
-sie sind, vergnügen mich demungeachtet um dieser richtigen und mit der
-Natur harmonirenden Grundsätze willen, die allenthalben durchblicken,
-und ohne die selbst diese Ausschweifungen nicht Statt gehabt hätten. --
-Wenn die Philosophie sich nun damit bemengt, den Grund dieser Gesinnung
-zu erklären, so kann es seyn, sie geräth auf falsche Ursachen; der
-Zusammenhang dieser Leidenschaft mit den wesentlichen Vollkommenheiten
-des Menschen kann vielleicht durch eine ganz andre Kette gehen, als die
-ich einsehe; -- aber sie thut demungeachtet ihr eigentliches Werk, sie
-ist in ihrem Berufe. Denn wozu soll Philosophie, wenn sie nicht die
-Meinungen und Neigungen, die die Seele einnehmen, ohne daß sie weiß,
-woher sie sie hat, als Phänomene behandelt, deren Ursprung gefunden
-werden soll? Meine Erklärung ist diese.
-
-Jede unsrer Ideen ist nach einem gewissen Eindrucke gebildet, den die
-Empfindung zuerst in unsrer Seele hervor gebracht hat. Diese Eindrücke
-zergliedern, zusammen setzen, anders ordnen, als sie zuerst in die
-Seele gekommen sind, das ist alles, was die Seele damit thun kann.
-Ideen, deren Theile nicht ursprünglich sinnliche Eindrücke wären, sind
-unmöglich. Der Umfang, die Lebhaftigkeit, kurz alle Vollkommenheiten
-unsrer Ideen (und diese machen doch wohl den eigentlichen Vorzug des
-denkenden Wesens aus) hängen von der Beschaffenheit dieser ersten
-Impressionen ab. Sind die Gepräge, die die Gegenstände in unsrer Seele
-abdrücken, richtig und vollständig, so werden ihre Kombinationen
-ebenfalls richtig seyn, und der Kopf wird helle; sind sie tief und
-stark, so werden ihre Kombinationen lebhaft und eindringend, und der
-Geist wird schön. Die Kraft zu empfinden ist also die vornehmste
-Fähigkeit der Seele, nach deren Größe sich die übrigen richten. Sie
-verschafft die Materialien, aus welchen die übrigen bauen; sie bemahlt
-zuerst die leere Fläche der Seele mit den Bildern, aus denen die
-übrigen auf eben die Art neue machen, wie Apelles seine Venus aus den
-schönsten Theilen der Mädchen von Gnidus zusammen setzte. Die Größe
-der Seele besteht in der Fähigkeit, viele und große Eindrücke auf
-einmal zu bekommen, und sie ohne Verwirrung zu erhalten. Die Stärke der
-Seele, in der Fähigkeit, einmal empfangene Eindrücke nicht durch den
-beständigen Zufluß von neuem verlöschen zu lassen, sondern sie gegen
-das unaufhörliche Reiben neuer Ideen unverletzt zu erhalten. --
-
-Sie sehen schon, wie nahe wir zu Ihrer Lieblings-Leidenschaft gekommen
-sind. Eben dieselbe Lebhaftigkeit, dasselbe Feuer der Impression, durch
-welche große Geister gebildet und große Unternehmungen vorbereitet
-werden, bringt diese reizende Tochter, die Liebe, hervor, wenn
-die Vollkommenheiten eines andern denkenden Wesens der Gegenstand
-sind. Eben diese Dauer, dieses Anhalten der Impression, welche dem
-Mathematiker die langwierigsten Untersuchungen zu Ende bringen
-hilft, und die weitaussehendsten Entwürfe durch alle Hindernisse und
-Schwierigkeiten verfolgt, bringt die Treue in der Freundschaft, und
-die Beständigkeit in der Liebe hervor. Wenn sich nun noch mit der
-Empfindung, welche Vollkommenheit und Schönheit erregen (und das ist
-alles, was bey der Freundschaft nothwendig ist), noch diese süße
-Wallung, dieses Gefühl von Lust verbindet, die das Eigenthum der Liebe
-ist; wenn der Körper, sonst ein Störer unsrer geistigen Vergnügungen,
-sie hier unterstützt, und seinem edlern Theile zu neuen Quellen von
-Empfindungen verhilft: dann steigt vom Himmel diese ehrwürdige Göttin
-herab, und knüpft zwey menschliche Wesen mit unauflöslichen Banden
-an einander; dann weist sie jedem von ihnen als den vornehmsten
-Gegenstand und die größte Uebung seiner Empfindungskraft, seinen
-Geliebten an. Von ihm soll die Seele diese ewig dauernden Einflüsse
-bekommen, die ein Beweis und eine Ausübung ihrer eignen Kraft sind.
-Durch diese Gewohnheit gestärkt, und durch diese unaufhörliche
-Uebung erhöht, soll seine Empfindung sich von da aus über das ganze
-Gebiet von Vollkommenheit und Schönheit ausbreiten; sich nach jeder
-Tugend, jeder Vortrefflichkeit ausstrecken, dieselbe umfassen, und
-durch eine untergeordnete, aber eben so unveränderliche Liebe mit
-sich verbinden. -- So wie die allgemeine Menschenliebe durch die
-beständige, aber stufenweise Erweiterung der Familienliebe entsteht;
-so wird in edlen Seelen die Tugend durch die Liebe geboren. Die in dem
-Geliebten koncentrirte Empfindung entwickelt sich, und geht von einer
-Vollkommenheit zur andern, die alle zusammen in dem Gegenstande der
-Liebe durch ein dunkles Gefühl wahrgenommen wurden. Die Seele erlangt
-die Macht, den äußern Dingen und dem Strome ihrer eignen Ideen zu
-widerstehn; sie lernt, mitten unter den beständigen Revolutionen, die
-der stets veränderte Eindruck der äußern Dinge in unsern Gesinnungen
-hervor zu bringen sucht, die Ideen, die ihr wichtig sind, aufrecht zu
-erhalten; und so lehrt die Liebe einen verständigen Geist denken, und
-ist die Vorbereitung zur Tugend für das Herz u. s. w.
-
-
-
-
-Sechs und zwanzigster Brief.
-
-
- Den 21. November.
-
-Noch ist die Sonne nicht über dem Haupte meiner schlafenden Freundin
-aufgegangen. Aber ich, von der Freundschaft und der Begierde bey ihnen
-Ihnen zu seyn aufgeweckt, empfinde ein weit süßer und höher Vergnügen,
-als Sie selbst in den Armen des Schlafs. Unter dem Schirme dieser
-stillen und ehrwürdigen Dunkelheit, die noch Ihr Schlafzimmer bedeckt,
-kann ich ungestört den angenehmen Schwärmereyen nachhängen, die von
-dem Gelärme und den Zerstreuungen des Tages verdrängt werden. Mich
-dünkt, ich sehe Sie mit der Miene der Unschuld, und mit einem gewissen
-sanften Lächeln, das durch fröhliche Träume hervor gebracht wird, an
-der Seite Ihres lieben Gatten. Wenn Ihre tugendhafte Seele, für die
-Ruhe und Glückseligkeit erschaffen, zuweilen durch die verdrießlichen
-Zufälle des Tages aus sich selbst heraus gerissen, und mit einer
-unruhigen Heftigkeit von Gegenstand zu Gegenstand umher getrieben wird,
-so kehrt sie doch des Nachts wieder zu sich selbst und zu der Wohnung
-der Zufriedenheit und der Ruhe zurück. Der Geist, der des Tages über
-oft von seinem Gefährten, dem Körper, Befehle annehmen mußte, wird
-nunmehro ganz wieder sein eigen, und bringt unter den Bildern, die
-ihm vorher aufgedrungen wurden, jetzo nur die reinsten und schönsten
-wieder hervor. O möchten Sie doch beym Erwachen diese muntre und
-fröhliche Heiterkeit, diese Erhöhung Ihrer Kräfte, diese wiedererlangte
-Leichtigkeit fühlen, die eines solchen Schlafs unausbleibliche
-Frucht ist. O möchten doch meine Wünsche über Ihren heutigen Tag den
-glücklichen Einfluß haben, daß dieses Licht, welches Sie jetzt zum
-ersten Mal erblickt, keine andern, als die Scenen der Liebe, der
-Tugend und der Freundschaft erleuchtete. Möchte der Himmel Ihnen heute
-manchen Unglücklichen in den Weg führen, dem Sie beystehen, manchen
-Rechtschaffenen, dessen Glück Sie befördern können! Möchte Ihre Seele,
-wie die Fläche des Meeres an einem stillen Morgen, von keinem Sturme
-bewegt, das Bild des Himmels in sich auffangen, und dem betrachtenden
-Zuschauer, Ihrem Gemahl oder Ihrem Freunde, in gemildertem aber
-unverfälschtem Glanze wieder zurück werfen. Nun gehe ich zu meiner
-alten Materie fort.
-
-Wenn die Metaphysik der Liebe, die in den Französischen Dichtern und
-Schriftstellern so häufig ist, ein elender Ersatz für die wirklichen
-Ergießungen der Empfindung ist, die wir in der Julie von Shakspeare
-oder Rousseau finden; so wäre sie doch immer ein sehr wichtiges Stück
-von Psychologie, wenn man nur mehr die Art, wie diese Leidenschaft
-entsteht, und die Zusammenstimmung der verschiedenen Fähigkeiten der
-Seele, die da seyn muß, wenn sie zu einem gewissen Grade gelangen soll,
-erklärte, als alle die kleinen Symptome, die sich bey ihrer Gegenwart
-äußern, und die doch so oft nur von der Galanterie erzeugt, und von der
-wahren Empfindung, wie von einem zu heftigen Feuer, verzehrt werden.
--- Man kann schon daraus, daß diese Leidenschaft so selten ist, und
-daß von tausenden, die sich mit einander verbinden, oft nur zwey von
-dieser himmlischen Göttin einander zugeführt werden, -- schon daraus
-kann man vermuthen, daß diese Eigenschaft, welche die Seele des Feuers
-der Empfindung fähig macht, eine eben so seltne Gabe sey, als die,
-welche den Verstand zur Hervorbringung neuer Ideen in den Stand setzt.
-
-Die Geschichte macht gewissen großen Männern, deren Andenken sie
-uns aufbehalten hat, eine Schwachheit aus ihrer Liebe. Aber gewiß,
-diese Geschichtschreiber waren keine Philosophen; sie verstanden es
-nicht, daß eben dieselbe Quelle die beyden Ströme der Empfindung und
-der Einsicht ausgießt; daß die Fähigkeit zu großen Leidenschaften
-die großen Männer hervor bringt; und daß Heinrich, wenn er in Nacht
-und Nebel, in einem Bauerkittel verkleidet, sich mitten durch die
-Postirungen und Wachen der Feinde zu seiner geliebten Estrées
-schleicht; wenn in dem heftigesten Anfalle körperlicher Schmerzen diese
-Emfindung dennoch bey ihm siegt, und er am Rande des Grabes seiner
-Estrées noch schreiben konnte: ~Mon premier penser est à Dieu, et le
-second à Vous~; eben dieselben Fähigkeiten des Geistes brauchte, durch
-die er der große Feldherr und der vortreffliche König wurde.
-
-Ich habe die Liebe neulich blos als eine Folge von Eindrücken
-angesehen, deren Stärke und Dauer zeigt, wie sehr die Seele fähig ist,
-lebende und bleibende Bilder der äußern Gegenstände zu empfangen. Aber
-die Seele verhält sich nicht blos leidend; es sind nicht Wirkungen,
-die nur auf sie geschehen, und denen sie nur nicht widerstehen darf.
-Ihre eigne Kraft muß diese Eindrücke beleben, sie fest halten, sie
-in diejenige Form bringen, in welcher sie ihren Einfluß noch immer
-auf dieselbe fortsetzen, wenn sie gleich selbst ihre erste Stärke
-verloren haben. Akenside macht in seinen ~Pleasures of Imagination~
-eine vortreffliche Anmerkung, die für den Moralisten, und ich denke
-auch für den Liebhaber, höchst wichtig ist. Gewisse unsrer Pflichten
-und unsrer schönsten Neigungen beruhen auf einer Art von Illusion, die
-nur durch eine starke und mächtige Einbildungskraft aufrecht erhalten
-werden kann. Von der Art ist die Vaterlandsliebe. Der Begriff von
-Societät ist viel zu allgemein und abstrakt, und die Bande, mit welchen
-wir an diesen Haufen unbekannter und uns gleichgültiger Menschen
-geknüpft sind, wären für uns viel zu schwach, um uns Gefahr und Tod für
-diese leicht zu machen: wenn nicht die Einbildungskraft an die Stelle
-dieser reellen Objekte, die zu groß und zu weit sind, als daß wir sie
-mit unsrer Empfindung umfassen könnten, ein gewisses Phantom setze,
-welches wir selbst ausschmücken, und unter dessen Bilde wir diese
-unsichtbare Gottheit, das Vaterland, anbeten. So erhitzte sich der
-Römer bey dem Anblicke seines Senats, des Kapitols oder irgend eines
-andern öffentlichen Monuments, das himmelweit von dem wahren Vaterlande
-entfernt war, und welches er doch dafür annahm, um seine Empfindung in
-eine engere Sphäre zusammen zu drängen, und sie dadurch zu beleben.
-
-Lassen Sie uns dieses auf die Liebe anwenden. Sie ist, wenn wir sie
-zergliedern, das Resultat aus den vereinigten Wirkungen des Vergnügens
-an Vortrefflichkeit, der Freundschaft und der sinnlichen Lust. Es
-ist augenscheinlich, daß, wenn die Leidenschaft nur aus einer dieser
-Quellen entsteht, sie mit derselben zugleich versiegt; und da alle
-Arten von sinnlichem Vergnügen vermöge der Natur der Seele abnehmen, so
-muß ein Feuer erkalten, welches blos durch sie angezündet war. -- Aber
-es giebt eine andere Art von bessern Seelen, die nicht blos wie Silenen
-lieben, und die die Venus, die aus dem Schaume des Meeres entstand, von
-der himmlischen, die vom Olympus entspringt, und an dem Throne Jupiters
-selbst ihren Sitz hat, unterscheiden; ihr Geist liebt in der That,
-nicht blos ihr Körper; und demungeachtet werden diese rechtschaffnen
-Liebhaber doch kalte Ehemänner. Die Gewohnheit übt über ihre Seelen
-ihre gewöhnliche Gewalt aus, und weil ihre Leidenschaft blos durch
-die Eindrücke auf sie hervor gebracht wurde, so verlischt sie, so wie
-die Zeit ein Stück nach dem andern von diesen Eindrücken verwischt,
-und sie zu der gewöhnlichen Stärke aller übrigen Begriffe in unsrer
-Seele zurück bringt. Nur eine dritte Gattung von Seelen, die an die
-Stelle ihres Freundes oder ihres Geliebten ein gewisses erhöhtes Ideal
-setzen; die aus den Vollkommenheiten, die sie wirklich in ihm gewahr
-werden, die sie aber noch verschönern, ein Ganzes zusammen setzen,
-welches wirklich vollkommner ist, als der Gegenstand selbst; die in
-sich selbst beständig eine neue Quelle von Empfindung finden, und in
-der Beschauung des Bildes, was sie sich selbst geschaffen haben, und zu
-dem ihnen das Original so zu sagen nur die ersten Striche gegeben hat,
-sich mit neuem Feuer beleben: diese sind es allein, die der Liebe ihre
-Schwingen ausreissen, und das Feuer, das sonst durch den Zufluß neuer
-Materie unterhalten werden muß, durch ihr eignes ernähren.
-
-Ich bin jetzt auf dem Wege, zu zeigen, wie eben diese Kraft der
-Imagination, ohne die niemals eine große oder dauerhafte Liebe gewesen
-ist, große Männer und vortreffliche Thaten hervor bringt. -- Aber
-dieses ist selbst für einen neuen Brief noch zu viel Materie, und man
-ruft mich schon ein Mal über das andre u. s. w.
-
-
-
-
-Sieben und zwanzigster Brief.
-
-
-Ich habe heute einen so heftigen Schnupfen und Kopfschmerzen, daß
-nichts in der Welt, als die Begierde, Ihnen auch die kleinste, und
-wenn es nur eine minutenlange Unruhe wäre, zu ersparen, mich hätte
-bewegen können, die Feder anzusetzen. Demungeachtet habe ich zwey so
-liebe werthe Briefe von Ihnen vor mir, die ich beantworten sollte;
-und die mir auch Stoff genug geben würden, wenn ich nicht heute zu
-allem, als zu einem gänzlichen Müßiggange, unaufgelegt wäre. Wenn Sie
-meine Briefe nicht verstehen, so ist es immer gewiß meine Schuld. Ich
-bringe oft meine Gedanken zur Welt, ehe sie völlig ausgebildet sind;
-und es ist natürlich, daß meine Freunde, wenn ich sie ihnen in diesem
-Zustande übergebe, nicht recht wissen, was sie mit diesen ungeformten
-Massen machen sollen. Thun Sie an diesen verunglückten Geschöpfen
-die Barmherzigkeit, die Sokrates an ähnlichen Geburten seiner Freunde
-that; wenn Sie sie nicht gleich bey der Entstehung haben retten können,
-so geben Sie ihnen wenigstens, so wie sie da sind, die erträglichste
-Figur, die sie machen können. Bilden Sie sie aus, erziehen Sie
-sie; und wenn sie es werth sind, so vermählen Sie sie mit den weit
-liebenswürdigern Kindern eines so sanften und zarten Herzens, und eines
-so richtigen Verstandes, als der Ihrige ist.
-
-Ich habe diese Materie noch nicht erschöpft. Ich habe mir die Liebe
-blos in ihrer Entstehung vorgestellt. Sie sollen nun auch meine
-Gedanken über ihre Wirkungen wissen. Ich sehe schon zum Voraus, daß ich
-in Gefahr komme, meine Schwäche sehen zu lassen, indem ich vielleicht
-mit meinen Beschreibungen bey Ihnen, die es empfinden, nicht schließen,
-was Liebe ist, ungefähr in eben den Rang kommen werde, in welchem bey
-uns Sehenden der blinde Philosoph steht, der sehr gründlich, wie er
-dachte, die rothe Farbe durch den Schall einer Trompete erklärte. --
-
-Ich sehe, ich fange an, meinen Kopfschmerz zu vergessen, indem ich mit
-Ihnen rede. Wäre der Abgang der Post nicht so nahe, so glaube ich, ich
-schriebe vier Seiten voll, ehe ich daran dächte, daß ich nur so viel
-Zeilen schreiben wollte. Erzählen Sie mir doch etwas von Ihrer jetzigen
-Lektüre u. s. w.
-
-N. S. Romeo und Julie ist nun gedruckt. -- Aber Sie müssen das Stück
-entweder schon gesehen haben, oder es noch sehen, ehe Sie es lesen.
-
-
-
-
-Acht und zwanzigster Brief.
-
-
- Den 9. December.
-
-Ich bin jetzo etwas mehr beschäftigt, als sonst; und wenn ich also
-jetzt etwas kürzere Briefe schreibe, so ist es doch gewiß wenigstens
-mit dem Wunsche, Ihnen längere schreiben zu können.
-
-Der Freundschaft, so wie der Tugend ist die nächtliche Stille heilig.
-Ich ergötzte mich schon sonst an der Vorstellung, daß sich alsdann
-vielleicht oft unsre Gedanken und Betrachtungen begegnen, und unsre
-Wünsche vereinigt zum Himmel steigen; und jetzt sehe ich, daß ich
-Ursache dazu hatte. Ja, liebe Freundin, die Tugend, diese himmlische
-Göttin, breitet ihren Glanz auf alles aus, was sie umgiebt; sie
-erleuchtet die Freundschaft, und sie erwärmt sie auch; sie verwandelt
-die Liebe, die ein blos körperliches Bedürfniß ist, in die edelste
-und erhabenste Leidenschaft, deren eine menschliche Seele fähig ist,
-und verlängert sie, die sonst mit dem Genusse zugleich unterging, bis
-an die letzten Gränzen unsrer Existenz. Durch sie wird die mütterliche
-Zärtlichkeit das Glück des menschlichen Geschlechts, und der Grund,
-worauf die Wohlfahrt und die Tugend seiner Glieder erbaut wird; sie
-endlich macht alle unsre Vergnügungen heilig, und unsre Ergötzungen zu
-so viel guten Werken.
-
-Sie haben ohne Zweifel jetzo Romeo und Julie gelesen oder gesehen.
-Wenn ich es eher bedacht hätte, so hätte ich meine ganze Philosophie
-ersparen können. Dieses Stück ist der vortrefflichste Kommentar über
-die Liebe. Alle Ausdrücke scheinen von dem Hauche dieser Leidenschaft
-beseelt; und das heftigste Feuer brennt durch und durch, und greift
-selbst die unempfindlichsten Herzen an. -- Aber sagen Sie mir,
-wenn Sie es gelesen haben, warum ist die Rührung im dritten Akte
-angenehmer, als die heftige Erschütterung im fünften? Ist es nicht,
-daß dort Pflicht mit Liebe, Tugend mit Leidenschaft streitet? Die
-vortrefflichste Seele ist zwischen der kindlichen und ehelichen
-Zärtlichkeit getheilt. Man sieht sie kämpfen, und wenn endlich die
-Liebe alle übrigen Empfindungen verschlingt, so ist sie uns doch schon
-auf einer so vortrefflichen Seite bekannt, daß wir ihr ihren Entschluß
-zum Heldenmuth anrechnen. Im fünften Akte wirkt blos die Situation,
-wenig der Charakter. Die Begebenheit auch bey jeden andern Personen
-würde eben so traurig seyn. Die beyden Verliebten zeigen nun nichts
-mehr als Liebe, mit keiner andern Empfindung, mit keiner Tugend mehr
-vermischt. So wie Fluthen des Meeres, wenn sie sich über ein Land
-ergießen, die Mannigfaltigkeiten der Natur auf ein Mal verdecken,
-und statt tausend verschiedner, ergötzender Gegenstände nur ihre
-eigne traurige, allenthalben gleiche und einförmige Fläche dem Auge
-darbieten: so löscht in diesen Augenblicken die Liebe jeden andern
-Begriff, jedes Gefühl in der Seele aus. Der Begriff von Tugend, den
-wir in die Liebe dieser Personen geheftet hatten, und der uns diese
-Liebe noch weit schöner macht, verschwindet vollends, da sie sich zu
-Ausschweifungen bringen lassen, die der Tugend so durchaus entgegen
-sind. Die ganze Scene ist theatralisch vortrefflich. Der Selbstmord mag
-nun entweder durch die heftigen Triebfedern, die in dem außerordentlich
-Schrecklichen der Begebenheit dazu enthalten sind, bey uns entschuldigt
-werden; oder er mag, wie Moses glaubt, gar nothwendig seyn, um uns von
-der Größe der Leidenschaft, auf der doch unsre ganze Rührung beruht,
-zu überzeugen. Ob ich gleich das letztre nicht recht glaube. Vergebens
-wäre der Selbstmord, um uns zu rühren, wenn wir nicht schon zuvor für
-die Person eingenommen, und von der Leidenschaft, die sie einnimmt,
-ergriffen wären. Aber im Leben wenigstens würde uns ein solches
-Schauspiel mehr Schaudern als Vergnügen erwecken. Lieber wünschte ich,
-Julien wie Heloisen in einem Kloster zu sehen. Oft würde ich dieses
-alsdann besuchen, um durch die dunkeln und einsamen Wohnungen die
-durchdringenden aber doch süßen Klagen der Schwermuth, der Liebe und
-der Sehnsucht zu hören. Gottseligkeit sollte mit der Liebe kämpfen; und
-Julie würde eine Heilige werden. --
-
-Einen Theil der Wirkungen der Liebe sehen Sie also in dem Stücke meines
-Freundes zugleich mit ihren Symptomen. Freylich nur die schrecklichsten
-und die traurigsten. Aber mich dünkt, sie sind doch sehr geschickt,
-uns auf die erfreulichen zu führen. Wie schmerzlich sollte es mir
-seyn, wenn hier meine Grundsätze von Ihren Empfindungen abwichen. Aber
-doch muß ich sie sagen; die Freymüthigkeit, die in dem Gefolge der
-Freundschaft ist, und ein gewisser Eifer, den ich in mir selbst fühle,
-Ihnen auch alle meine Vorurtheile, so lange ich sie noch für wahr
-halte, ohne Verstellung mitzutheilen, fordert es von mir.
-
-Sie sehen, ich habe schon meine Meinung gesagt. Es giebt, wie ich
-glaube, überhaupt bey jeder unsrer Neigungen eine doppelte Seite. Die
-eine will blos genießen, sie sucht den Gegenstand nur auf, hält ihn
-fest und ergötzt sich an ihm. Die andre bereitet sich den Genuß erst
-vor, indem sie den Gegenstand verschönert, vollkommener, besser, und
-wenn er dessen fähig ist, glücklicher macht. Diese schiebt den Genuß
-auf, um ihn zu erhöhen. Die Leidenschaft hat eigentlich in dem ersten
-Theile unsrer Neigung ihren Sitz. Hier gehört weniger Thätigkeit, nur
-Empfindung dazu; man empfängt blos, fühlt und genießt. Die Vernunft
-stört hier mit ihren Reflexionen die Heftigkeit der Begierde nicht;
-sie wird sogar, wenn die Empfindung heftig wird, eine Zeit lang völlig
-unthätig, -- alle Spannkräfte der Seele erschlaffen, sie sinkt in eine
-bezaubernde, aber deswegen vielleicht oft gefährliche Schwärmerey.
--- So war die Liebe der Julie in Romeo größtentheils. Wenn sie von
-dem andern Theile abgesondert ist, so geschieht das, dessen ich
-oben gedachte. Der Grund der Seele, der sonst mit einer Reihe von
-mannigfaltigen schönen und lieblichen Bildern bemahlt war, wird nun mit
-einer einzigen einförmigen Farbe überzogen; die Einbildungskraft kennt
-nunmehr keine andern Bilder, als die zu diesem Gegenstande gehören;
-und der Verstand selbst entzieht sich einer jeden andern Reflexion,
-als der, welche die Hitze ernähren oder vermehren kann. Hiervon, wenn
-sich ein trauriges Geschick mit einer solchen Leidenschaft verbindet,
-erwarte ich alle schrecklichen Folgen, die vom Anfange der Welt her so
-oft die Begleiter der Liebe gewesen sind. Ein solches Feuer verzehrt
-den Menschen, den es nur erwärmen sollte. -- Zum guten Glück sind
-auch dazu nur große Seelen fähig. Aber ist es nicht traurig, daß eben
-diese am leichtesten durch eine Leidenschaft überwältigt werden, die
-jede andre Kraft, jede Fähigkeit ihrer Seele vernichtet; alle ihre
-angebornen und erworbenen Vollkommenheiten verschlingt, oder doch für
-nichts als für sie arbeiten läßt; der Tugend selbst nur die Gestalt der
-Liebe läßt, und dieselbe zu Boden tritt, sobald sie sich ihr entgegen
-setzt.
-
-Gesetzt aber, daß das glücklichste Ende eine Liebe, die blos von
-dieser Art ist, bekrönte. Geben Sie der Julie einen Romeo, der alle
-Entzückungen der Liebe mit ihr theilt; versöhnen Sie ihre beyden
-Familien mit einander, lassen Sie sie mit dem Beyfalle des Himmels und
-ihrer Eltern Eheleute werden. Nehmen Sie der Zeit und dem beständigen
-Umgange die Gewalt, die sie sonst über die meisten Herzen haben, die
-Heftigkeit der Neigung zu mäßigen, und Feuer in Wärme zu verwandeln,
-lassen Sie sie in unaufhörlichen Ergießungen ihrer ersten Liebe ihr
-Leben zubringen. -- Glücklich können sie vielleicht dabey seyn, -- aber
-nützliche brauchbare Leute gewiß nicht; sie sind alsdann für die Welt
-verloren. Und wenn sie das erhabenste Genie und den größten Heldenmuth
-hätten, so würden sie mit allen beyden nichts weiter ausrichten, als
-die Flamme, die bey andern Menschen aus Mangel der Nahrung auslöscht,
-unterhalten; sie würden immer empfinden und genießen, -- aber niemals
-thun.
-
-Doch nun wollen wir diese unvollständige Neigung ergänzen, wollen den
-andern weniger eigennützigen Theil hinzusetzen. Wir sehen alsdann in
-unserm Gemahle oder Freunde nicht mehr blos ein Gut, das wir genießen
-sollen; sondern auch ein Eigenthum, das wir verbessern, erweitern und
-vortrefflicher machen wollen. Er ist alsdann nicht mehr ein bloßer
-Gegenstand unsers Gefühls, sondern auch unsrer Bemühungen. Dieser Theil
-der Neigung muß nothwendig ruhiger und gelassener seyn, und bey nicht
-sorgfältigen Beobachtern zuweilen den Schein der Kälte annehmen;
-zuerst, weil nach der Natur der Seele jede Neigung, die unmittelbar
-mit dem Genusse verknüpft ist, stärker seyn muß, als die, welche erst
-durch eine Kette von vielen Gliedern mit dem Genusse zusammen hängt;
-zum andern, weil wir alsdann von dem Gegenstande selbst mit unsern
-Gedanken und unsern Betrachtungen eine Zeit lang abgehen, und sie auf
-unsre Bemühungen, auf die Mittel, die wir zu unserm Zwecke wählen
-wollen, und auf die Art und Weise, wie wir sie am geschicktesten
-anwenden, richten müssen. Diese Neigung ist thätig, bringt alle Kräfte
-der Seele in Bewegung, spannt alle ihre Triebfedern, erweckt alle ihre
-Begriffe, und erhöht unsre natürliche Stärke bey jeder Handlung, durch
-den neuen Endzweck, den wir bey derselben außer dem Unmittelbaren der
-Handlung hinzusetzen. So kann der geschäftigste Mann, aus Liebe zu
-seiner Gattin, alle die Arbeiten thun, die ihr seinen Umgang entziehen.
-Weit von seiner Geliebten, kann der Jüngling sich unter einen Haufen
-gezückter Schwerdter stürzen, oder den brausenden Wellen trotzen, indem
-das Bild seiner Geliebten wie eine unsichtbare Göttin um ihn schwebt,
-seinen Arm stärker, und seinen Muth unerschrockner macht. -- Dann
-lassen Sie auf Mühseligkeit und Arbeiten, selbst auf die Entbehrung,
-der man sich aus Liebe unterzogen, eine Stunde des Genusses folgen. --
-Dann lächelt der Himmel selbst über ihre Freuden! u. s. w.
-
-
-
-
-Neun und zwanzigster Brief.
-
-
-Meine Geschäfte sind kaum von der Erheblichkeit, daß man ihnen diesen
-Namen geben kann. Demungeachtet füllen sie meine ganze Zeit aus,
-besonders, da ich manchmal viele Tage durch Zerstreuungen verhindert
-werde, daran zu denken. Außer dem, was ich zu meinem eigenen
-Unterrichte vornehme, haben Gellert und Weise von mir einige Arbeiten
-gefordert, die ich beschleunigen muß. Ich werde dazu die Zeit zu nutzen
-suchen, da Herr von K****, der mich sonst jeden Tag einige Stunden
-kostet, verreist ist. Fürchten Sie aber nichts für unsern Briefwechsel.
-Die Freundschaft kennt ihre Rechte, und sie weiß sie gegen alle andre
-Ansprüche und Forderungen zu vertheidigen. Ueberdieß ist ihre Sprache
-kurz. Man versteht sie durch Sympathie. Sie erklärt nicht sowohl ihre
-Empfindungen, sie macht nur den andern auf seine eignen aufmerksam;
-und nur indem sie des Freundes Herz in Bewegung setzt, zeigt sie ihr
-eignes. --
-
-Aber warum lassen Sie Ihre Tage durch Träume beunruhigen? -- Oder warum
-geben Sie einem Traume, der so vieler guter, glücklicher Auslegungen
-fähig ist, gerade die, welche Sie kränken muß. Ich sehe in demselben
-nichts, als Ihre eigne Zärtlichkeit, die selbst in den nächtlichen
-Gemählden, die Ihnen Ihre Einbildungskraft vorstellt, der Freude des
-Wiedersehens eine Gewalt über das Herz giebt, unter welchem dasselbe
-erliegt. -- Ich bin als Freund verpflichtet auf Mittel zu denken, die
-Ihnen diese öftern Unruhen, wenn es nicht möglich ist, ihnen zuvor zu
-kommen, wenigstens mäßigen. Ist es nicht wahr, daß eine solche Unruhe
-(ich rede nicht bloß von der letzten) unthätig und zur Verrichtung
-eines jeden Geschäftes, selbst zu dem Genusse des Vergnügens unwillig
-und unfähig macht? Und ist dieß wohl der Zustand, in dem wir oft seyn
-sollen, in dem wir am meisten Gutes zu thun hoffen können? Vermehren
-Sie den Grad, oder verlängern Sie diesen Zustand. Sie werden sehen, daß
-er nach und nach den Gebrauch jeder unsrer Fähigkeiten aufheben und
-uns zu einer Art von Schlaf bringen wird, der voll von fürchterlichen
-Träumen ist, und uns eben so viel Zeit raubt, als der natürliche, ohne
-uns dieselbe Erquickung zu geben? --
-
-Demungeachtet fühlt die Seele eine gewisse Süßigkeit darin, um deren
-willen sie sich dieser Unruhe überläßt, und sich selbst den Mitteln
-entzieht, die sie aufheben könnten. Ich kenne diesen Zustand, aber
-ich finde ihn allemal für mich schädlich, ob ich gleich nicht allemal
-so glücklich bin, mich davon zu befreien. Wenn es aber gelingt,
-so ist es niemals anders, als durch eine anhaltende und die Seele
-sehr einnehmende Beschäftigung. Man muß gleich im Anfange, wenn man
-die erste Anlage zu einer solchen Gemüths-Verfassung bemerkt, die
-Aufmerksamkeit mit Gewalt von dem Gegenstande abziehen und auf etwas
-richten, was im Stande ist, sie anzuheften und von der Rückkehr
-abzuhalten. Ein andres Frauenzimmer würde vielleicht den Mangel solcher
-Gegenstände vorwenden können; aber Sie nicht, liebe Freundin, die außer
-den Geschäften einer Hausmutter auch noch alle die für sich haben,
-die die Wissenschaften und die Lektüre verschaffen. Wählen Sie sich
-also alsdann eines von den Büchern, die Sie am meisten lieben; oder
-noch besser, arbeiten Sie selbst etwas. Sie werden sich zuerst zwingen
-müssen. Die Seele wird mit Widerwillen sich von dem neuen Gegenstande
-wegwenden. Aber nach und nach, wenn besonders der erste Anfang geglückt
-ist, wird sich der Gegenstand der Seele bemächtigen; es wird eine neue
-Leidenschaft rege; der Wunsch und die Hoffnung, die Sache, die man vor
-hat, schön zu machen. Endlich arbeitet man aus Geschmack fort, da man
-blos aus Ueberlegung angefangen hatte.
-
-Ich freue mich auf Ihre Anmerkungen über die eheliche Liebe, und wenn
-sie auch von meinen Grundsätzen abgiengen. Sie wissen nun schon,
-wenn wir Philosophen einmal ein System im Kopfe haben, so muß sich
-alles darnach richten, und entweder seine Form annehmen, oder es wird
-verworfen. Nun nach diesem Systeme finde ich allerdings zwischen der
-Liebe vor der Ehe, und in derselben, einen Unterschied. Nicht in
-dem Feuer, noch in der Delikatesse derselben; aber in der Art, sie
-auszudrücken. Ich nehme wieder meine Eintheilung zu Hülfe. Das was
-in der Liebe blos Begierde ist, und zu seinem Endzwecke den Genuß
-hat, herrscht nothwendig vor der Ehe. Das was in derselben Bestrebung
-und Eifer ist, und zum Gegenstande mehr des Andern Glück, als unser
-Vergnügen hat, sollte in der Ehe herrschen. Dem zu Folge muß nothwendig
-die Leidenschaft des Liebhabers aufwallend und ungestüm seyn, denn sie
-streckt sich erst nach einem Gute aus, welches sie erreichen will; die
-Liebe des Ehemannes ruhig und thätig, denn sie arbeitet nun an der
-Erhöhung und Verschönerung eines Gutes, das schon ihr Eigenthum ist.
-Ohne diese Einschränkung ist die eheliche Liebe in Gefahr, tändelnd
-zu werden, welches sie von ihrem wahren Zwecke beynahe eben so weit
-abbringt, als die Kälte.
-
-Ich sage Ihnen alle meine Gedanken, liebe Freundin, als einer Person,
-die zu meiner größten Vertraulichkeit und zu einer Kenntniß meiner
-innersten Gesinnungen ein Recht hat. Läutern Sie meine Grundsätze, und
-arbeiten Sie selbst an der Verbesserung Ihres Freundes u. s. w.
-
-
-
-
-Dreyßigster Brief.
-
-
-Ihr Urtheil über den Romeo, und Ihr Wunsch wegen seines Schlusses
-ist mit meiner Mutter ihrem vollkommen einerley. In der That ist der
-letzte Auftritt mehr schrecklich als rührend, Julie mehr unsinnig
-als schwärmerisch, und ihre Liebe mehr Raserey als Leidenschaft.
-Ich bin begierig, auch von den beyden übrigen Stücken, die in eben
-diesem Theile stehen, Ihr Urtheil zu wissen. Marmontels Erzählungen
-lassen sich vielleicht um desto schwerer in Dramata verwandeln, je
-ausgearbeiteter schon der Dialog ist. Man kann schwerlich verhindern,
-daß der Leser nicht die neuen angesetzten Stücke von den alten
-unterscheide; und man geht gar zu leicht aus einem Charakter heraus,
-der nicht von Anfang an unser eigen ist. So geht es, dünkt mich, mit
-der Corally ihrem, der in dem Stücke, die Freundschaft auf der Probe,
-am meisten hervor sticht, und den er zuweilen verfehlt hat. -- Aber
-ich höre, die Mademoisell Schulz verläßt das Theater. Versäumen Sie
-doch ja nicht, Romeo zu sehen, ehe sie fortgeht. Sie macht diese Rolle
-unnachahmlich schön; ich setze nur das Einzige an ihr aus, daß sie in
-den Stellen, wo ohnedieß schon der zu weit getriebene Affekt beynahe
-bis ins Widrige geht, noch einige Grade hinzu setzt.
-
-Aber genug von dieser Materie, die ohnedieß schon erschöpft ist.
-Ich hätte mehr Lust, meinen Streit mit Ihnen, als meine Kritik zu
-verlängern. Sie wissen noch nicht, wie hartnäckig ich bin, wenn ich
-mir einmal in den Kopf gesetzt habe, etwas zu behaupten. Ihr Brief hat
-mir gefallen; und mit weniger Eigensinn, als ich habe, hätten mich
-Ihre Gründe verblendet oder überzeugt. In der Verfassung, in welcher
-ich bin, kann ich noch nicht sagen, welches von beyden. Denn wenn ich
-sagte, daß ich ohne Eigensinn hätte müssen überzeugt werden, so wäre
-dieß eben so viel, als gestünde ich zu, ich hätte Unrecht.
-
-Sie wollen also zwischen dem Liebhaber und dem Ehemanne durchaus keinen
-Unterschied zulassen; und ich bildete mir ein, ich hatte es recht
-förmlich bewiesen, daß einer seyn müßte. So kann einem die Eigenliebe
-verblenden! Vielleicht richte ich durch eine Allegorie aus, was meine
-Metaphysik nicht vermochte. -- Wenn zuerst nach einer langen Dürre,
-oder am Ende des Winters, Jupiter in einem fruchtbaren Regen in den
-Schoos der mütterlichen Erde herab steigt: dann wird auf einmal die
-ganze Gestalt der Natur geändert. Blumen und Gewächse von aller Art
-bedecken die erst nackte Oberfläche; die Bäume schimmern von jungem
-Grün, das nur noch wie zartes Moos auf die kahlen Aeste gestreut ist;
-die todte Stille der Natur wird rege und lebendig; Luft und Erde
-bekommen wieder Bewohner; der Wechsel ist eben so plötzlich, als schön.
--- Aber wenn nun diese erste Rückkehr der Natur zum Leben geschehen
-ist, dann kann der ganze liebliche Sonnenschein, und die schönsten,
-erfrischendsten Regen, durch die er unterbrochen wird, nicht gleich
-große und gleich merkliche Veränderungen hervor bringen. Im Stillen,
-ungesehen, wächst nunmehr durch eben die Kraft, die ihn zuerst hervor
-brachte, der Halm zur Aehre, das Gras zur Staude, und die Blüthe zur
-Frucht heran. Noch immer empfängt die Erde dieselben wohlthätigen und
-kräftigen Einflüsse des Himmels; aber sie kann jetzt nicht mehr durch
-sie eine ganz neue Schöpfung hervor bringen, sie kann nicht mehr die
-ganze Gestalt der Natur umändern. -- Aber in ihrer geheimen Werkstatt
-empfängt und nutzt sie noch auf eben die Art den himmlischen Segen,
-sie verschließt ihn jetzt in sich, um ihn den Pflanzen ganz allein
-mitzutheilen, die sie hervor gebracht hat, und um Korn, Obst, Wein auf
-den stillern Herbst zu bereiten.
-
-Sollten alle folgenden Eindrücke dem ersten gleich seyn? -- Das ist
-wider die Natur der Seele. Sie selbst, Sie selbst, die die Natur mit
-der zärtlichsten von weiblichen Seelen beglückt, Sie würden sich blos
-selbst hintergehen, wenn Sie das als eine gemachte Erfahrung ansähen.
--- Soll die Leidenschaft niemals zum Grundsatze, zur Gesinnung werden?
--- Alsdann ist sie unnütz und gefährlich. Das stürmende Meer kann nur
-Schiffbruch und Untergang verursachen, wenn es ohne Aufhören wüthet.
-Aber wenn der heftige Sturm zu einer noch lebhaften aber ruhigern
-Bewegung gemäßigt wird, dann bringt er das Schiff mit vollen Segeln in
-den Hafen. -- Soll die Seele immer nur von einem einzigem Gegenstande
-erfüllt seyn, wie es die Seele des Liebhabers ist? -- Dann verschlingt
-und vernichtet dieser Gegenstand alle Kräfte derselben, er verbraucht
-alle ihre Fähigkeiten, und läßt für alle ihre übrigen Pflichten und
-Geschäfte nichts, als matte, unwillige und kraftlose Bestrebungen.
-
-Aber wie muß die Liebe seyn, auf deren Flügeln der Geist erhoben, und
-seiner Bestimmung und seinem Schöpfer näher gebracht wird? Die Seele,
-deren ganze Neigungen und Fähigkeiten sich in einem einzigen würdigen
-Gegenstande koncentrirt hat, muß sich von ihm aus auf alles, was gut,
-schön und vortrefflich ist, verbreiten. Er muß das Band seyn, welches
-die Seele an alle ihre Pflichten verknüpft, und sie mit Freuden an
-die Sachen anzieht, die sie sonst aus andern Bewegungsgründen nur mit
-Widerwillen, oder doch ohne Vergnügen würde gethan haben. Das Feuer der
-Liebe muß sich in eine gleiche und fortdauernde Wärme verwandeln, die
-jeder andern gutthätigen Neigung zum keimen hilft, jede tugendhafte
-Handlung empor treibt, und jeden Widerstand aus dem Wege stößt. --
-Noch ein Mal: der Liebhaber und die Geliebte wollen nichts, als sich
-sehen, sich umarmen und sich genießen. Der Ehemann und seine Gattin
-wollen sich und die Welt glücklich machen, und diesen Zwecken zu Ehren
-entbehren sie jene Vergnügungen ohne Murren u. s. w.
-
-
-
-
-Ein und dreyßigster Brief.
-
-
--- -- Ich bin außerordentlich vergnügt darüber, daß Sie meinen
-Brief vollkommen nach den Gesinnungen erklärt haben, in denen ich
-ihn geschrieben hatte. Sie haben mir eine große Probe abgelegt. Ich
-fürchtete nicht, daß Sie über meine Freymüthigkeit böse werden würden;
-aber ich erwartete doch eine kleine Empfindlichkeit über einen so
-beherzten Widerspruch. Bey jedem andern Frauenzimmer, als bey einer
-solchen Philosophin, wie Sie sind, wäre meine Erwartung ganz gewiß
-eingetroffen. -- Diese Materie ist jetzo erschöpft, oder ich will sie
-doch wenigstens dafür ansehen. Wenn Sie nur wahrhaftig glücklich sind,
-so will ich es Ihnen verzeihen, wenn Sie es auch zum Theil durch ein
-Vorurtheil wären. -- Ich habe diese Woche eine ganze Gesellschaft
-von Leuten gesehen, die es noch durch ein weit handgreiflicheres
-Vorurtheil sind, oder wenigstens vorgeben es zu seyn.
-
-Ich bin mit einer großen Gesellschaft von Frauenzimmern in einem
-Nonnenkloster gewesen, und zwar bey denen, die barmherzige Schwestern
-heißen, und sich mit der Wartung armer Kranken beschäftigen. Ein
-wirklich verehrungswürdiger Orden, der großen und beschwerlichen
-Dienste wegen, die seine Mitglieder der Gesellschaft leisten. Sie
-sind dabey arm; und da die Anzahl reicher Katholiken bey uns in B***
-immer mehr abnimmt, und die eignen Kapitalien des Klosters nicht nur
-an sich klein, sondern auch jetzt ohne Nutzen für sie sind, weil sie
-bey einem Hause ausgeliehen stehen, das im Begriff ist, banquerout
-zu machen (ehemals einem Besitzer von 500000 Thalern), so müssen die
-21 geistlichen Jungfrauen, aus denen das Kloster besteht, sich auf
-das äußerste einschränken, weil sie nicht nur sich, sondern auch ihre
-Kranken zu ernähren haben, und noch dazu Aerzte und Arzeneyen bezahlen
-müssen. Meine Mutter und verschiedene unsrer Bekannten, die ihnen
-deswegen von Zeit zu Zeit eine kleine Beysteuer schicken, werden in dem
-Kloster als große Wohlthäter angesehen. So sehr ist die Dürftigkeit
-auch für kleine Erleichterungen empfindlich.
-
-Wir wurden also sehr wohl aufgenommen. Wir tranken in der Apotheke,
-wohin auch Mannspersonen kommen dürfen, in Gesellschaft der artigsten
-und vernünftigsten Schwestern, Kaffee. Die Frauenzimmer wurden hierauf
-im ganzen Kloster, ich nur in der Kirche und im Krankenzimmer, herum
-geführt. -- Sie können nicht glauben, wie sehr mich diese Leute für
-sich interessirt haben. -- Es giebt Personen von den besten Familien,
-von gutem Verstande und von einer wirklichen Schönheit darunter.
-Besonders ist die würdige Mutter eine höchst vernünftige, gesetzte und
-von dem klösterlichen Wesen ziemlich freye Person. Ausser ihr zieht
-ein Fräulein Mucius, eine ehemalige Bekannte einer Dame aus unsrer
-Gesellschaft, die auch deswegen von der Superiorin die Erlaubniß
-erhielt, bey uns zu bleiben, die Augen auf sich. Ungeachtet sie schon
-16 Jahre im Kloster ist, so hat sie doch noch alle Züge von Schönheit.
-Ein feuriges und schönes Auge, das durch die Kopfbinde ihres Habits
-halb verdeckt, und auf eine gewisse Weise schmachtend und zugleich
-einnehmend gemacht wird; -- in ihrem Betragen eine gewisse stille und
-ruhige Zufriedenheit mit ihrem Zustande, die man bey den glücklichsten
-Personen so selten antrifft; eine Stimme, die sehr angenehm und sanft
-ist; -- und wenn man sich dieses noch junge Frauenzimmer denkt (deren
-Vater ein reicher und vornehmer Mann ist), in einem sehr schlechten
-Kleide (ob es sie gleich nicht verstellt), allen Bequemlichkeiten
-des Lebens und der Gesellschaft entzogen, zum strengsten Gehorsam
-verpflichtet, und oft mit den niedrigsten, beschwerlichsten und
-ekelhaftesten Dienstleistungen der Kranken beschäftigt: so muß man
-Hochachtung und Mitleid für sie zugleich haben u. s. w.
-
-
-
-
-Zwey und dreyßigster Brief.
-
-
- Den 9. Januar 1768.
-
-Für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre freundschaftliche Sorgfalt, mir
-Vergnügen zu machen, und es mir an dem Tage[B] zu machen, wo ich durch
-tausend andre angenehme Eindrücke mehr als gewöhnlich vorbereitet
-bin es zu genießen; dafür danke ich Ihnen aufs verbindlichste. Meine
-Mutter hat Ihren Willen sehr genau befolgt. Ich erfuhr Dienstags
-nichts davon, daß Briefe angekommen wären, und ich dachte also gewiß,
-Sie wollten Ihren Posttag verlegen, und würden von nun an Donnerstags
-schreiben. Diese Vermuthung machte, daß ich selbst nicht schrieb, und
-dabey blieb ich also ganz ruhig, bis des Donnerstags Morgens, indem
-wir alle beysammen waren, meine Mutter, die sich einen Augenblick
-entfernt hatte, mit einer sehr feyerlichen Miene, einem großen
-Kuchen in der Hand, auf dem Ihr Brief lag, und einem noch größern
-Glückwünschungs-Komplimente, das sie, wie sie sagte, von Ihnen
-auszurichten hätte, zurück kam. Die Sache war mir so unerwartet, daß
-sie mir Anfangs ein Räthsel zu seyn schien. Ich öffnete endlich Ihren
-Brief, die Schwierigkeiten wurden durch meine Mutter gehoben, und meine
-erste Ueberraschung endigte sich mit einer stillen und angenehmen
-Fröhlichkeit.
-
-So viel war auch nöthig, wenn ich an einem Tage heiter seyn sollte, wo
-ich mich von einem heftigen Schnupfen, oder wovon es sonst war, so übel
-befand, daß ich eine ernsthafte Krankheit hätte befürchten können. Ich
-schob deswegen eine kleine Solennität, die auf diesen Tag bestimmt war,
-bis auf den folgenden auf. Gestern also habe ich mir das Vegnügen, ein
-Koncert bey mir zu machen, zum zweyten Male erlaubt. Meine Mitspieler
-waren noch besser, als das erste Mal. Die Gesellschaft war, außer
-meines Onkels Familie, der Hauptmann R*** mit seiner Frau; er ein sehr
-geschickter und verständiger Mann, jetzo der Ober-Bau-Inspektor von
-B****; sie, eine Sachsin von Geburt, aus Chemnitz, das beste Herz und
-die liebreichste, zärtlichste Ehegattin; endlich eine gewisse Fräulein
-von W****, ein Frauenzimmer von sehr guter Erziehung und Lebensart,
-und von vielem Verstande. Ihr Bruder, bey dem sie lebt, steht in
-eben dem Posten, wie mein Onkel, ist ein angenehmer und allenthalben
-willkommener Gesellschafter, und verdient um desto mehr Hochachtung,
-weil er sich aus einem Stande der Dürftigkeit, in dem er und seine
-Schwester, ihres Standes ungeachtet, ihre Jugend zugebracht haben,
-durch seine Geschicklichkeit, seinen Fleiß und seine gute Wirthschaft
-hat wissen heraus zu ziehen, und sich also die bequeme und artige
-Weise, mit der er jetzo lebt, ganz allein schuldig ist. So viel von
-unsrer Gesellschaft.
-
-Unter der Musik nahmen sich die Sachen von einem gewissen Schobert,
-dem, der in Paris an Champignons gestorben ist, sehr vorzüglich aus.
-Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich mit Ihnen schon davon geredet
-habe; aber gesetzt, das wäre auch geschehen, so kann ich es, zum Dank
-für das Vergnügen, was mir des Mannes Arbeit gemacht hat, nicht oft
-genug wiederholen, daß es die schönsten Sachen sind, die jemals aufs
-Klavier sind gesetzt worden; insbesondre die Duetts, Trios und Koncerte
-von ihm. Man kann nichts Neueres und zugleich Schöneres hören. Alle
-Ideen des ganzen Stücks sind original, und zuweilen so außerordentlich
-frappirend, daß sie den unverständigsten Zuhörer treffen müssen. Sie
-erfordern aber viel Uebung. Er selbst (denn wenn eine Nachricht wahr
-ist, die hier herum geht, so habe ich den Schobert selbst hier auf
-meiner Stube mehr als ein Mal vor langen Zeiten spielen hören, er ist
-sogar einen halben Monat, oder so etwas, mein Lehrmeister gewesen),
-er selbst also, vorausgesetzt, daß es dieser ist, hat die allergrößte
-Flüchtigkeit der Hände, die ich jemals gesehen habe. Er setzt also
-seine Stücke so, wie sie für seine eignen Finger am besten sind. Aber
-sie thun eine unbeschreibliche Wirkung, wenn sie auch nur mittelmäßig
-vorgetragen werden. Seine Stücke sind selten, und ich würde sie ohne
-die Gütigkeit eines Freundes niemals zu Gesichte bekommen haben.
-
-So brachten wir also den gestrigen Tag ziemlich vergnügt zu.
-Demungeachtet befinde ich mich heute noch nicht ganz wohl. Ich schreibe
-deswegen auch nicht so viel, als ich mir vorgenommen hatte. Meine
-Mutter wird durch andre Hindernisse in einem ähnlichen Vergnügen
-gestört. Ihre Nahrung erfordert um diese Zeit viele Rechnungen, die
-sehr beschwerlich sind, und für jede andre Frau beynahe unmöglich
-wären. Aber sie verrichtet das alles mit einer Genauigkeit und
-Akkuratesse, deren ich gar nicht fähig wäre. Sie wird überdieß von
-einem Flusse im Ohre beschwert, und hört deswegen schlecht.
-
-Ich erinnere mich, daß Sie vor langer Zeit einen Plan zur Erziehung
-Ihrer Wilhelmine verlangten. -- Zu einem solchen Plane habe ich weder
-Geschicklichkeit noch Geduld genug. Aber zerstreute Anmerkungen,
-wenn Sie die haben wollen, wenn Sie sich die Mühe geben wollen, sie
-so gut zu verbinden, als sie selbst es werden zulassen, wenn Sie mir
-versprechen, die Lücken durch ihre eignen Bemerkungen auszufüllen, die
-sollen Sie von mir bekommen. Flößen Sie Ihrer Wilhelmine, wenn Sie
-können, etwas von Freundschaft gegen einen Menschen ein, den Sie selbst
-mit so vieler beehren. Lassen Sie sie wissen, daß ich eher für sie gute
-Wünsche gethan habe, als sie selbst etwas wünschen konnte u. s. w.
-
-
-Fußnote:
-
-[B] Garvens Geburtstag fällt auf den siebenten Januar.
-
-
-
-
-Drey und dreyßigster Brief.
-
-
-Das ist wirklich eine Feyer meines Geburtstages, auf die ich mir etwas
-zu gute thue. Wenn ein Freund an mich denkt, und diese Erinnerung ihm
-Vergnügen macht; wenn er mir so viel Einfluß auf sein Herz zugesteht,
-daß ich es zuweilen ruhiger, freudiger, mit sich und mit andern
-zufriedener machen kann, das ist die größte Befriedigung, die meine
-Liebe und meine Eitelkeit verlangt. Sie, liebe Freundin, verstehen
-die Kunst, sich zu vergnügen, schon recht gut. Ihre Hoffnungen darauf
-werden Ihnen weit seltner fehlschlagen, wenn Sie es, so wie Sie es
-gethan haben, ohne viele Vorbereitungen bey sich selbst suchen.
-
-Aber wenn Sie nur die Kunst, sich zu quälen, nicht zuweilen eben so gut
-verstünden. O, liebe Freundin, beynahe liegt noch das ganze Jahr mit
-allen seinen Tagen und Stunden vor Ihnen. Es scheint nun noch völlig
-in Ihrer Gewalt zu seyn, was Sie daraus machen wollen. Aber eilen Sie,
-eilen Sie, jede, schon die gegenwärtige Minute für die Glückseligkeit
-aufzuwenden. Das Vergnügen und die Tugend sind nicht blos als Wirkung
-und Ursache, sondern als zwey verschwisterte Eigenschaften der Seele
-mit einander verwandt, die gemeiniglich nicht ohne einander zu finden
-sind. -- Die Unzufriedenheit und das Mißvergnügen ist immer unthätig
-oder in Verwirrung; das Vergnügen ist zugleich ruhig und wirksam.
-Die Aufmerksamkeit der Seele ist dann jedes Mal bey dem Gegenstande
-zusammen, den sie vor hat, und ihre Kraft ist also ungetheilt, das,
-was sie thut, aufs beste zu thun. Das Vergnügen ist für die Seele,
-was die Gesundheit für den Körper ist; es macht sie zu allen ihren
-Verrichtungen aufgelegter und geschickter.
-
-Das alles ist nun recht schön und vortrefflich. Aber die Frage ist,
-was für eine Art von Diät muß man der Seele vorschreiben, um sie bey
-diesem Wohlbefinden zu erhalten? Eine Regel dazu ist uralt, aber sie
-ist wahr: man soll mit seinen Wünschen sich in der Natur der Dinge
-einschränken, und nichts begehren, was diese nicht zuläßt. Ich weiß
-nicht, ob ich Ihnen deutlich genug werde sagen können, was ich denke.
-Aber das weiß ich, in meinem Leben und in dem Leben meiner Freunde
-sehe ich den größten Theil ihres Verdrusses aus betrogenen Wünschen
-und Erwartungen entstehen, die nur deswegen betrogen wurden, weil sie
-selbst auf einen Irrthum gegründet waren. Sie z. B. (um meiner Absicht
-näher zu kommen) haben bey einem eingezogenen und ruhigen Leben, bey
-einem gutgearteten und rechtschaffenen Herzen, bey einem wohlgebildeten
-Geiste, und bey dem Genusse der vornehmsten Bequemlichkeiten des
-Lebens, wenig andre Ursachen, unzufrieden zu seyn, als die Besorgnisse,
-daß Sie von Personen, deren Liebe Sie über alles schätzen, nicht genug
-geliebt, nicht genug hochgeachtet werden. Da diese Leidenschaft, in der
-That unter den übrigen die edelste, bey Ihnen die stärkste ist, so muß
-auch natürlicher Weise aus dieser Quelle die meiste Unzufriedenheit bey
-Ihnen entstehen.
-
-Aber wenn Sie doch nun mit mir ruhig untersuchten, welches wohl
-zuweilen die Merkmale sind, aus denen Sie diesen Mangel der
-Zärtlichkeit schließen. Ohne Zweifel sind es Unterlassungen von
-Handlungen, die Sie als die unausbleiblichen Wirkungen einer solchen
-Neigung ansehen. -- Aber wie? sind sie dieses auch wirklich? Ist der
-Schluß von diesen Aeußerungen auf die Sache selbst unfehlbar, und
-können sie umgekehrt nicht ausbleiben, ohne die Gesinnung selbst
-zweifelhaft zu machen? Sie werden dieses selbst nicht denken, --
-wie würde es Ihnen sonst möglich seyn, wieder ruhig zu werden? Aber
-gehen Sie in Ihrer Untersuchung noch einen Schritt weiter. Ist es
-der Natur der Dinge und des Menschen nach möglich, daß sich die
-stärkste, die eingewurzeltste, die mit dem Wesen der Seele selbst
-verwebte Leidenschaft (ich will Ihnen zu gefallen es so nennen) immer
-durch einerley Beweise zu erkennen giebt? Um davon nur ein frappantes
-Beyspiel anzuführen, ob es gleich nicht vollkommen auf den Fall paßt:
-ist es möglich, oder wenn es möglich wäre, würde es anständig seyn,
-daß sich die Zuneigung eines Greises auf eben die Art und durch eben
-die kleinen Beweise zu erkennen gäbe, wie die Zuneigung eines jungen
-Menschen? Hier ist der Unterschied handgreiflich, und die ganze Welt
-kommt überein, den einen alten Gecken zu nennen, der selbst rechtmäßige
-Neigungen auf eine zu seinem Alter und seinen Umständen unschickliche
-Art an den Tag legt. Aber kann es nicht im menschlichen Leben eben
-solche andre Unterschiede geben, die nicht eben so in die Augen fallen,
-aber doch eben so wirklich sind? -- Und sollte es also nicht eine
-Forderung unmöglicher Dinge seyn, wenn man, allen diesen Unterschieden
-zuwider, von demselben Menschen unter den verschiedensten Umständen
-doch immer einerley Zeichen seiner Liebe verlangte? -- Ich gebe es zu,
-daß Ihr lieber Gatte Sie jetzo so liebt, wie damals, da er Bräutigam
-war. -- Aber wenn Sie verlangten, daß er Sie davon alle Augenblicke
-aufs neue mit aller der Eilfertigkeit und dem Empressement versichern
-sollte, als wenn er es Ihnen zum ersten Male sagte; wenn Sie eine
-beständige Wiederholung aller der kleinen Zeichen der Zärtlichkeit
-forderten, die bey einem Liebhaber oft nur den Mangel an Gelegenheit
-zu größern Proben ersetzen: so forderten Sie etwas, was der Natur der
-Dinge, und wo nicht dieser, doch gewiß Ihrer Ruhe und der Ruhe Ihres
-Mannes zuwider wäre.
-
-Sehen Sie, das ist der Inhalt meiner ehemaligen Theorie, und gewiß
-meine Absicht ist Ihre Glückseligkeit. Also verlange ich keine
-Abnahme der Liebe, keine Kälte, sondern nur in ihrem Ausdrucke mehr
-Ernsthaftigkeit und weniger Spielwerk. -- Wenn die Leidenschaft vor der
-Heyrath blos Leidenschaft ist, sagen Sie, so wird sie niemals Gesinnung
-werden. Vollkommen richtig! wenn Vorurtheil und sinnliche Lust die Wahl
-anstellen. Aber lassen Sie die Leidenschaft des Liebhabers auf alle
-Vollkommenheiten des Geistes und Herzens gegründet seyn: so wäre doch
-dieß die einzige Sache in der ganzen Natur, wo die erste Bekanntschaft
-mit einem gewissen Gut und der fortgesetzte Genuß desselben vollkommen
-einerley Wirkungen hätte. -- Wie? wenn Mann und Frau sich nicht
-wie Liebhaber und Geliebte gegen einander betragen, wenn sie die
-vertrautesten, die zärtlichsten Freunde von einander werden, so sollten
-sie sich keine Gefälligkeiten mehr thun können, so sollten sie sich
-einander blos nicht beleidigen? Und das wäre doch Freundschaft? -- Ich
-verstehe Sie nicht, liebe Freundin. -- Sie sagen, wenn Sie alle diese
-Dinge (diese +kleinen+ Zärtlichkeiten, Bemühungen und Opfer) wegnehmen,
-so hat die Ehe keinen wesentlichen Reiz mehr. Wie? so sollte die Ehe,
-die ehrwürdigste und heiligste Verbindung, ihren Reiz verlieren, wenn
-sich die beyden Eheleute nicht alle Augenblicke sagten, daß sie sich
-lieben; wenn sie sich nicht die Hände drückten; wenn nicht eins dem
-andern nachsähe, so oft es auf zwey Minuten von ihm geht; wenn es ihm
-nicht entgegen käme; wenn es ihm nicht auf der Stelle und mit aller
-geflissentlichen Aufmerksamkeit jede Liebkosung erwiederte, die ihm von
-dem andern gemacht worden?
-
-Ich sehe, da ich dieses noch ein Mal durchlese, nur die vertrauteste
-Freundschaft kann die Freymüthigkeit entschuldigen, mit der ich Ihnen
-geschrieben habe. Aber ich müßte Sie nicht so sehr lieben, wenn ich Sie
-nicht von Vorurtheilen frey zu machen suchte, die sonst das Elend Ihres
-Lebens seyn könnten u. s. w.
-
-
-
-
-Vier und dreyßigster Brief.
-
-
- Den 24. Januar.
-
-Ihr letzter Brief ist schön, und das Gedicht, was Sie mir abgeschrieben
-haben, recht vortrefflich. Es ist gewiß eine Ihrer besten Arbeiten von
-dieser Art. Ihr Herz ist bey dem Gegenstande gewesen, und das Herz
-führt immer den Verstand und das Genie sehr glücklich.
-
-Aber warum gehen Sie nicht nach Halle, wenn Sie schon in Crellwitz
-sind? Ich wünschte doch, daß Sie einen Ort, wo ich zwey Jahre sehr
-übel zugebracht habe, und wo ich vielleicht noch viele andre, aber
-besser, werde zubringen müssen, kennten. Der erste Anblick ist widrig,
-das gebe ich zu; aber das ist doch eben so ausgemacht, daß das Auge
-die prächtigsten Häuser und die elendesten Leimhütten gleich gut
-gewohnt wird, und daß alsdann der Verdruß über die Häßlichkeit, und das
-Vergnügen an der Schönheit, beynahe zu einer gleichen Empfindung der
-Gleichgültigkeit herunter gestimmt werden. O besetzen Sie die Hütten
-mit Freunden, die ich liebe und die ich verehre, und sie werden mir
-schöner vorkommen als Palläste. Doch auch diese habe ich in Halle noch
-nicht. Unterdessen kenne ich doch Leute, die vielleicht aufgelegt dazu
-wären es zu werden.
-
-Auf oder nach Ostern, den Tag weiß ich nicht, komme ich mit Gottes
-Hülfe nach Leipzig. Ein Brief von Gellert, voll von Gütigkeit und
-Freundschaft, hat mich erst vor fünf Tagen dazu eingeladen. Dieser
-Mann ist wahrhaftig mein Freund. -- Ist mir nun ein kleiner Stolz
-nicht zu verzeihen? -- Ich bringe hier meinen Winter sehr vergnügt zu.
-Am Freytage war ich in dem Hause eines Hrn. v. P***, dessen Fräulein
-Tochter, eine sehr gute und sehr angenehme Freundin von meiner Mutter
-und von uns allen, ein kleines Koncert machte. Sie spielt sehr gut auf
-dem Flügel. Ich spielte einige Sachen von Schobert τῷ πάνυ; lassen Sie
-sich Reizen dieses erklären. Wir waren bis um 11 Uhr recht vergnügt. --
-Gestern kam wieder eine kleine Wolke. -- Aber kurz ich bin vergnügt,
-und bin u. s. w.
-
-
-
-
-Fünf und dreyßigster Brief.
-
-
-So schmeichelhaft es mir ist, daß Sie meine Ankunft wünschen, und so
-angenehm mir also auch die Hoffnung ist, solche Freunde wieder zu
-sehen; so muß ich doch sagen, daß mich die Vorstellung des Abschieds
-erschreckt. Eine Menge alter, und einige neue Freunde, die ich hier
-besitze, machen mir meinen Aufenthalt sehr angenehm, und die Trennung
-fürchterlich. Vor allem aber ist es meine Mutter, die mir bange
-macht. Ich hinterlasse sie zwar unter einer Menge von Personen, die
-sie hochachten; aber doch kaum bey einer einzigen, die ihre vertraute
-Freundin wäre; und selbst vor dieser würde doch ihre mütterliche
-Zärtlichkeit meiner Gesellschaft noch einen Vorzug geben. Die Umstände
-unsers Landes und die häuslichen, die davon abhängen, werden immer
-trauriger; und es ist schwer zu bestimmen, wo dieser Fortgang vom
-Bösen zum Schlimmern still stehen wird. Meine Mutter empfindet dieses
-bey einem ziemlich weitläufigen Hauswesen, das ganz allein von ihrer
-Sorgfalt in Ordnung gehalten werden muß, weit mehr, als ein jedes andre
-Frauenzimmer. Ueberdieß ist sie oft kränklich, und braucht von einer
-andern Seite eine kleine Aufmunterung, wenn die Schwachheit ihres
-Körpers und ihre Umstände sie niederschlagen. Ich bedaure also beynahe
-zuweilen, daß ich meinen Plan nicht so angelegt habe, daß ich zwischen
-dem praktischen und dem akademischen Leben hätte wählen können. Meine
-Freunde hier würden für mich viel gethan haben. Nach meiner jetzigen
-Aussicht kann ihre Liebe mein Leben nur angenehmer, nicht mein
-Fortkommen leichter machen. -- Doch ich will alle diese unangenehmen
-Ideen mit freudigern abwechseln lassen.
-
-Ich habe diese Woche ein sehr empfindliches Vergnügen gehabt; das
-Vergnügen, ein neues Verdienst kennen zu lernen. An unsern D. Tralles
-war aus Lausanne von dem berühmten Tissot eine gewisse Frau von
-Wyllamons empfohlen worden, die hier durch, nach Polen, in das Haus
-des Fürsten Czartorinsky als Hofdame ging. Der Herr Tralles bat mich
-und einige Andre beyde Mal zu sich, als er sie bey sich hatte. Wenig
-Frauenzimmer habe ich in meinem Leben gesehen, die mich durch die Größe
-ihres Geistes, die Richtigkeit und die Tiefe ihres Raisonnements,
-die Genauigkeit und Schönheit des Ausdrucks, und eine gewisse
-unbeschreibliche Annehmlichkeit, mit der sie dieß alles begleitete, so
-beym ersten Besuche für sich eingenommen hätten. Sie war weder sehr
-jung, noch sehr schön, aber die Anmuth selbst. Augen, welche redeten,
-und deren Bewegungen alles, was sie sagte, unterstützten; ihre ganze
-Aktion war damit übereinstimmend; und ohne die geringste Achtsamkeit
-auf sich selbst zu zeigen, that sie doch alle Mal das, was die
-strengste Aufmerksamkeit hätte fordern können. Sie redete Französisch
-und Englisch gleich gut, das erste in einem Grade von Vortrefflichkeit,
-der auch bey Franzosen selten seyn mag; ihre Ausdrücke waren alle
-Mal edel, gewählt, beynahe philosophisch richtig, und doch so frey
-und so ungezwungen, als es zum Gespräche nothwendig ist. -- Ich habe
-wenig Stunden angenehmer zugebracht, als die, welche ich mit ihr in
-Gesellschaft war. Sie hatte viel gelesen, und urtheilte darüber nicht
-blos richtig, sondern auch fein. -- Jedermann wurde von ihr bezaubert.
-
-Alles das schreibe ich Ihnen, weil ein genossenes Vergnügen seinem
-Freunde mittheilen ein zweytes Vergnügen ist u. s. w.
-
-
-
-
-Sechs und dreyßigster Brief.
-
-
- Den 24. Februar.
-
-Auf der empfindlichsten Seite hätte mein Brief Sie angegriffen?
-Wahrhaftig, das war nicht die Absicht seines Schreibers. Selbst nicht
-einmal die kleine Bosheit, die doch noch so gut mit der Freundschaft
-bestehen kann, eine Art von Eifersucht zu erregen, um sich von neuem
-von der Liebe des Andern zu versichern. Meine Absicht war noch weit
-einfältiger und mein Bewegungsgrund noch weit unschuldiger. Ich glaubte
-nicht, daß ich an der Frau von Wyllamons Vollkommenheiten lobte, die
-Ihnen fehlten. Ich dachte blos, Ihnen ein Vergnügen durch die Erzählung
-des meinigen zu machen. Sie wissen, die Eindrücke, die das Gute oder
-das Böse von Personen oder Sachen auf uns macht, stehen nicht in unsrer
-Gewalt. Die, welche die Frau von Wyllamons gemacht hatte, waren alle
-für sie günstig. Ich schrieb diese in der Einfalt meines Herzens
-nieder, um sie in Ihnen, wenn ich könnte, auf eine schwächere Art zu
-erregen (Sie sagen selbst, Eindrücke von der Art sind angenehm). Ich
-glaubte dabey um desto weniger Behutsamkeit zu bedürfen, je ähnlicher
-diese Empfindungen denjenigen waren, die Ihre erste Bekanntschaft
-bey mir erregte. Sie konnten es wahrscheinlicher Weise nicht einmal
-wünschen, daß ich die Vorzüge, auf die sich zuerst meine Freundschaft
-und meine Hochachtung für sie gründete, bey einer andern verkennen
-oder gering schätzen sollte. -- Aber deswegen sind diese Frau und Sie
-nicht auf gleichem Fuße mit mir. Die erste ist eine bloße Bekannte, die
-ich ihrer Talente wegen hochschätzen muß, deren Herz ich noch nicht
-kenne, und von der ich bisher nichts als Vergnügen und Höflichkeiten
-erhalten habe. Sie sind meine Freundin, deren Herz ich geprüft habe,
-von deren Freundschaft ich gewiß bin, und deren Einsichten mir nicht
-blos zu dem flüchtigen Vergnügen eines Abends, sondern zu dem Glücke
-meines Lebens gereichen. Ihr heutiger Brief selbst ist voll von den
-freundschaftlichen Gesinnungen, die Ihr Herz von andern Herzen so sehr
-unterscheiden.
-
-Lassen Sie sich also die neuen Freunde nicht beunruhigen. Sie würden
-auch die Ihrigen werden, wenn Sie sie kennten. Wollten Sie wohl
-Jemanden zu Ihrem Freunde haben, den die ganze übrige Welt verschmähte?
-Und würden Sie sich nicht Ihrer Neigung schämen müssen, wenn der
-Gegenstand derselben unfähig wäre, irgend einem Andern eine ähnliche
-Neigung einzuflößen? -- Ich kenne den Werth alter Freunde, und ich
-empfinde den Vorzug, den eine bestätigte Liebe vor einer blos flüchtig
-bezeigten Gefälligkeit haben muß. Alles also, was ich noch ins Künftige
-von dem Vergnügen sagen werde, was mir meine hiesigen Freunde machen,
--- sehen Sie es niemals anders, als wie eine Aufforderung an Sie an,
-an diesem Vergnügen Theil zu nehmen, und wie ein stillschweigendes
-Versprechen, daß ich eben dieses Vergnügen, wenn es noch mit einer
-mehr gründlichen, wesentlichen Glückseligkeit verbunden ist, noch weit
-stärker empfinden werde.
-
-Meine Mutter -- wissen Sie das? -- ist auch eifersüchtig. Sie wollen
-nicht, daß ich mich vor meinem Abschiede fürchten soll? Wie kann ich
-das, wenn es nicht blos um meine eigne Glückseligkeit zu thun ist,
-sondern auch um meiner Mutter ihre? Sie müßten mich nicht für fähig
-halten, ein guter Freund zu seyn, wenn ich ein schlechter Sohn seyn
-könnte. Und wäre ich das nicht, wenn ich eine solche Mutter, wie die
-meinige, gern verlassen könnte? u. s. w.
-
-
-
-
-Sieben und dreyßigster Brief.
-
-
- Den 19. März.
-
-Wenn ich jetzt nicht mehr als gewöhnlich beschäftigt wäre, und wenn
-ich nicht den Zeitpunkt immer näher kommen sähe, in dem ich Sie wieder
-sehen soll: so würde ich mir es selbst nicht vergeben, daß ich Sie
-zuweilen auf meine Briefe einen Posttag länger warten lasse, als es
-unserm ersten Vertrage gemäß ist. Ich könnte zwar sagen, es wäre Rache.
-Aber ich finde nichts davon in meinem Herzen; und wenn Sie mir auch
-noch seltnere und noch kürzere Briefe schrieben, so würde mich doch
-mein eignes Vergnügen nöthigen, an Sie zu schreiben. Es ist also nicht
-Vorsatz, sondern Unvermögen, wenn ich mir dieses Vergnügen zuweilen
-versage. Ein Unvermögen, welches (erlauben Sie mir, das zu sagen) ich
-bey Ihnen nicht voraus setzen kann, da Sie mir selbst versichern, daß
-Ihr Umgang eingeschränkter als jemals ist, und Ihre Geschäfte sich
-doch nicht häufen können.
-
-Aber um Ihnen eine Probe von meiner Uneigennützigkeit zu geben: so
-muß ich Ihnen gestehen, daß, wenn ich gleich zuweilen dadurch eines
-Theils Ihres Andenkens, ja sogar Ihres persönlichen oder schriftlichen
-Umganges (nur nicht Ihrer Freundschaft) beraubt seyn sollte; ich Ihnen
-doch einen etwas ausgebreitetern Umgang wünschte, und zwar vornehmlich
-unter Ihrem eignen Geschlechte. --
-
-„Unter meinem eignen Geschlechte? Wie können Sie mir etwas wünschen,
-wovon ich Ihnen so oft gesagt habe, daß ich es nicht zu meiner
-Glückseligkeit rechnen würde, wenn ich es hätte?“
-
-Aber wollten Sie mir wohl noch einmal die Ursachen wiederholen, warum
-Sie es nicht darunter rechnen?
-
-„Was habe ich nöthig, Ihnen das erst zu sagen? Sollten Sie nicht
-wissen, wie leer der Umgang mit den mehresten Frauenzimmern ist; wie
-wenig sich mit --“
-
-ihnen anfangen läßt, wollen Sie sagen. Zum Unglück wahr genug!
-Aber warum wollen Sie nicht daran arbeiten helfen, daß ihr Umgang
-lehrreicher werde, daß sich mehr mit ihnen anfangen lasse? Was würde
-aus dem niedrigern Theile unsers Geschlechts, oder des menschlichen
-Geschlechts überhaupt werden, wenn sich der edlere Theil demselben
-entziehen wollte, und ihm mit seinem Umgange zugleich die Mittel
-benähme, ihm ähnlich zu werden?
-
-„Aber ich habe nicht eben den Beruf, und auch nicht das Vermögen, eine
-Verbesserin zu seyn. -- Ueberdieß, wozu bedarf ich den Umgang? Ich habe
-meinen Gatten, den liebe ich; und die Stunden, die er nicht bey mir
-ist, sind gut genug mit der Erwartung von ihm ausgefüllt; wenn noch ein
-kleines unbefriedigtes Verlangen in meinem Herzen übrig wäre, so würde
-die Freundschaft von zwey oder drey Freunden meines Mannes es doch ganz
-ausfüllen. Und endlich --“
-
-Und was endlich?
-
-„Sie wissen, ich liebe meinen Mann über alles -- ich wünsche, daß er
-mich über alles liebt --“
-
-Und was denn also --?
-
-„Ich würde es nicht leiden können, wenn eine meiner Freundinnen ihm
-eben so gut gefiele, daß ich nicht mehr gewiß genug seyn könnte, daß
-seine Frau ihm noch besser gefiele.“
-
-Mich dünkt, Sie würden (wenn Sie mir meine Freymüthigkeit vergeben
-wollen) diesen Bewegungsgrund nicht zuletzt angeführt haben, wenn Sie
-den stärksten hätten zuerst anführen wollen.
-
-„Gut! lassen Sie es seyn, daß es der stärkste ist. Ja, ich bin
-eifersüchtig; und man kann gar nicht lieben, ohne eifersüchtig zu seyn.
--- Ich kann sogar keine Freundschaft für echt halten, die ihren Freund
-so ruhig mit Vielen theilen kann. Hüten Sie sich, daß nicht Ihr Rath,
-meinen Umgang zu erweitern, mich argwohnen läßt, daß Sie ihn nicht mehr
-so eifrig für sich selbst wünschen.“
-
-Das können Sie im Ernste nicht denken; -- noch viel weniger, wenn Sie
-meine Gründe hören.
-
-„Und diese Gründe?“
-
-Nur noch einen Augenblick Geduld! Sagen Sie mir, haben Sie nicht
-gehört, daß die Natur mit jeder Neigung, die sie uns giebt, oder mit
-jedem Vergnügen, das Sie uns genießen läßt, eine andre Absicht habe,
-als dieß Vergnügen selbst?
-
-„Ums Himmels willen! so weit müssen Sie ausholen? Sie werden doch
-nimmermehr die halbe Metaphysik abschreiben müssen, um mich zu bewegen,
-daß ich ein halb Dutzend Karkassen in meiner Stube zusammen bringe.“
-
-Nun gut also, wenn ich Sie nicht mit der Ueberzeugung überraschen kann,
-so will ich sehen, ob ich mit offenbarer Gewalt gewinne. -- Sie sind
-eine Ehegattin, aber auch zugleich ein Frauenzimmer und eine Mutter.
-
-„Ja, eine Mutter! Und eben deswegen, weil ich diesen süßen, ehrwürdigen
-Namen trage, brauche ich weniger als jemals eine Gesellschaft, die mir
-blos die Zeit vertreiben soll. Meine Wilhelmine und mein Mann werden
-mir bald die Stelle der ganzen Welt ersetzen. Aber ein Frauenzimmer
-auch, sagten Sie, wäre ich; was soll das zur Sache?“
-
-Als Frauenzimmer müssen Sie nothwendig die allervertrauteste
-Freundschaft, die möglich ist, nur mit einem Frauenzimmer haben können.
-
-„Und die Ursache davon?“
-
-O hätten Sie nur erst diese Ihnen verwandte Seele unter Ihrem eignen
-Geschlechte gefunden; kennten Sie nur erst das Frauenzimmer, das würdig
-wäre, Ihre Freundin zu seyn: dann würden Sie mir die Frage selbst
-beantworten. O wie glücklich würde ich seyn! Ihre Vertraute würde auch
-meine Freundin seyn. -- Sie kennen Julie und Claire; Clarissa und Howe.
-Sagen Sie mir, wäre es möglich, daß eine von beyden an die Stelle ihrer
-Freundin einen Freund gesetzt hätte, ohne daß doch das Wesen ihrer
-Freundschaft zerstört worden wäre?
-
-„Wie? also giebts gar keine Freundschaft unter den beyden
-Geschlechtern? Also sind Sie nicht mehr mein Freund?“
-
-Nicht so hitzig, liebste Freundin! Ich denke nicht, daß ich unsre
-Freundschaft herunter setze, wenn ich sage, daß es noch eine höhere
-giebt, -- aber keine höhere, wenn die Wahl wieder auf eine Mannsperson
-fällt. -- Wenn ich aber einem Frauenzimmer den Vorrang gebe, so denke
-ich, ich bin blos großmüthig, nicht kaltsinnig.
-
-„Gut! Eine Freundin ließ ich mir gefallen, eine ganz vertraute
-Freundin, wenn ich sie hätte. Aber wozu der Umgang mit Vielen?“
-
-Um diese Eine darunter zu finden. Muß man nicht erst wählen können, ehe
-man sich entschließt?
-
-„Und dann -- als Mutter, sagten Sie auch, müßte ich mit Frauenzimmern
-Umgang haben. -- Eine beständige Zerstreuung ist wohl also ein gutes
-Mittel, seine mütterliche Pflicht zu erfüllen?“
-
-Nein, die größte Hinderniß, glaube ich. Aber nicht aller Umgang ist
-eine Zerstreuung, die schädlich wäre.
-
-„Aber sagen Sie mir doch den Nutzen, den mein Kind davon haben könnte.“
-
-Ich muß Ihnen gestehen, ich bilde mir ein, zur Erziehung eines jungen
-Frauenzimmers ist der Umgang mit Personen ihres Alters und ihres
-Geschlechts nicht blos nützlich, sondern nothwendig. -- Es wird sonst
-nicht Frauenzimmer genug; es verliert etwas von dem Charakter, und
-also auch von den Annehmlichkeiten seines Geschlechts; es nähert sich
-dem unsrigen, ohne doch dadurch mehr zu gefallen. Wie kann aber eine
-Mutter ihrer Tochter eine Gesellschaft von ihrem Alter und Geschlecht
-verschaffen, wenn sie selbst keine hat?
-
-„Meine Tochter soll in meiner Gesellschaft lieber seyn, als in der
-Gesellschaft der ganzen übrigen Welt. Mein Umgang muß ihr, wenn ich
-anders es verstehe, eine Mutter zu seyn, den sehr leicht ersetzen, den
-ich ihr nicht werde schaffen können. Und ich hoffe, mein und meiner
-Freunde Unterricht wird sie alles das lehren, was Sie sie aus dem
-Umgange wollten lernen lassen.“
-
-O liebste Freundin, wer wollte wohl daran zweifeln, daß Sie nicht
-die beste Mutter seyn würden, der Sie kennt? Ich wollte auch Ihrer
-Tochter keinen andern Lehrer zugestehen, als Sie. Aber um seine Sitten
-zu bilden; um den Menschen mit einer gewissen Dreistigkeit unter die
-Augen sehen zu können; um von allen seinen guten Eigenschaften in
-der Welt Gebrauch machen zu können, deren man sich in seinem Kabinet
-bewußt ist: dazu gehört, daß man die Menschen bey Zeiten kennen lerne;
-daß man viele Muster vor sich habe; daß man weiß, was für ein Grad
-von Vollkommenheit in der Welt gemeiniglich angetroffen und gefordert
-werde; und daß man -- soll ich es sagen? -- das Zutrauen auf sich
-selbst durch die öftern Beweise von den Schwachheiten Andrer vermehre.
-
-„Also sehe ich wohl, meine Wilhelmine wird eine Herumläuferin werden
-müssen, wenn sie Ihnen gefallen soll.“
-
-Nicht so ganz und gar. Sie verstehen mich besser, liebste Freundin, als
-Sie mir es gestehen wollen. -- Müßte ich nicht entweder Sie hochachten,
-oder sehr eigennützig seyn, wenn ich nicht einer Person, der ich
-Verdienste zuschreibe, so vielen Einfluß auf Andre, eine so große
-Sphäre ihrer Wirksamkeit, als möglich ist, wünschen sollte?
-
-Da haben Sie eine kleine Probe von einem der Gedanken-Gespräche, mit
-denen ich meine Entfernung von Ihnen zu vergessen suche. Wenn es Ihnen
-nicht ganz mißfällt, so will ich mich öfter unterstehen, Ihnen die
-Unterredungen zu erzählen, die ich ohne Ihr Wissen und Willen mit Ihnen
-gehalten habe.
-
-Gellerts Bild habe ich durch Hubern sechs Mal bekommen, und unter meine
-guten Freunde ausgetheilt. Danken Sie dem Herrn Bause dafür, wenn Sie
-ihn sehen. Er wird unser zweyter Wille werden. Und nun möchte ich doch
-wissen, ob Herr M. Reiz noch unter den Lebendigen ist. Ich glaube,
-daß ich meine Freunde öfterer aus meinem Grabe, wenn ich gestorben
-wäre, besuchen würde, als er aus seinem Kabinet es thut. -- Lesen Sie
-doch: +Vergleichung des Zustandes und der Kräfte der Menschen mit dem
-Zustande und den Kräften der Thiere+ u. s. w.
-
-
-
-
-Acht und dreyßigster Brief.
-
-
-Ich bin in der That über das Ausbleiben Ihrer Briefe ein wenig unruhig
-gewesen. Das kann Ihnen M. Reiz aus dem Briefe sagen, den ich an ihn
-beygelegt habe. In einer solchen Verfassung war es wirklich grausam, --
-doch Ihr Brief selbst ist so voll von Freundschaft und Güte, daß ich
-nicht mehr daran denken kann, wie sauer ich mir ihn verdient habe.
-
-Gellert hat den Ausspruch gethan. Ich weiß, Sie werden es selbst
-billigen, daß ich ihm diese Entscheidung übertragen, oder daß er so
-entschieden hat, sobald Sie sich in meine Verfassung setzen. Stellen
-Sie sich einen Menschen vor, der nach zwey verschiedenen Gegenden
-zugleich getrieben wird. Vor sich sieht er ein Ziel, welches er gern
-erreichen möchte, und nach welchem zu laufen er von alten Athleten,
-die seine Stärke oder Geschwindigkeit besser als er selbst zu kennen
-glauben, aufgemuntert wird. Schon ist seine Seele, schon sind seine
-Muskeln in einer Bewegung, die er noch seinen Füßen nicht hat geben
-können; er steht zitternd und unruhig, und erwartet das Zeichen des
-Aufbruchs. An beyden Seiten der Schranken sieht er Freunde, die ihm
-zurufen, ihn aufmuntern, und ihm auf alle Fälle ihre Glückwünsche oder
-ihr Mitleid versprechen. Auf der entgegengesetzten Seite sieht man
-Mutter, Onkel, alle natürlichen Freunde des jungen Kämpfers, mit einem
-ganzen Kreise von erworbenen Freunden, die sich immer weiter und weiter
-von der Laufbahn entfernen, und ihm zurufen, zu ihnen zu kommen, und
-noch für immer, oder für eine Weile, mit ihnen zu gehen. Der junge
-Mensch ist unentschlossen, verwirrt, ängstlich. Unterdessen geht
-die Zeit immer fort. Der Augenblick, wo das Zeichen zum Lauf gegeben
-werden soll, nähert sich; seine Freunde entfernen sich immer weiter
-und vermehren ihre Zurufungen. Was kann natürlicher Weise der junge
-Mensch thun? Nachdem er eine Zeit lang beydes zu vereinigen gesucht,
-bald sich nach dem Ziele ausgestreckt, bald seine Freunde zurück zu
-halten gesucht hat; und durch entgegengesetzte Bewegungen, die einander
-wechselsweise aufheben, in eine Art von Unthätigkeit und Leblosigkeit
-gekommen ist; wird er nicht alsdann einen alten Kämpfer, besonders
-den, der ihn zuerst ermuntert hat, sich in die Schranken zu stellen,
-fragen, wie lange noch Zeit zum Aufbruche sey, und wie weit er noch die
-Seinigen begleiten könne? -- Und werden die gütigen Freunde, die ihn an
-den Schranken erwarten, wohl unwillig seyn, wenn er diesem Ausspruche
-folgt, und sich aus einer solchen Verlegenheit reißt?
-
-Meine Allegorie ist viel zu lang, denn sie hat mir zwey Drittheile
-von dem Platze genommen, den ich noch zu ganz andern Sachen bestimmt
-hatte. -- Wenn ich nicht jetzo über meiner Disputation arbeitete, so
-würde mich nichts hindern, den zweiten und den dritten Bogen zu nehmen.
-Aber jetzo muß ich wirklich ein Wirthschafter mit meiner Zeit seyn.
-In drey Wochen, so viel ich jetzo voraus sehe, denke ich abzureisen.
-Erfreuen Sie mich unterdessen oft mit Ihren Briefen, und machen Sie
-mir, oder bestätigen Sie mir vielmehr die Hoffnung, daß ich Sie nicht
-nur so freundschaftlich, so zärtlich, wie Sie immer gewesen sind,
-sondern auch gesund, munter und fröhlich antreffen werde u. s. w.
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Vertraute Briefe an eine Freundin, by
-Christian Garve
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK VERTRAUTE BRIEFE AN EINE FREUNDIN ***
-
-***** This file should be named 54341-0.txt or 54341-0.zip *****
-This and all associated files of various formats will be found in:
- http://www.gutenberg.org/5/4/3/4/54341/
-
-Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned
-images of public domain material from the Google Books
-project.)
-
-
-Updated editions will replace the previous one--the old editions
-will be renamed.
-
-Creating the works from public domain print editions means that no
-one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
-(and you!) can copy and distribute it in the United States without
-permission and without paying copyright royalties. Special rules,
-set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
-copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
-protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project
-Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
-charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you
-do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
-rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose
-such as creation of derivative works, reports, performances and
-research. They may be modified and printed and given away--you may do
-practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is
-subject to the trademark license, especially commercial
-redistribution.
-
-
-
-*** START: FULL LICENSE ***
-
-THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
-PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
-
-To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
-distribution of electronic works, by using or distributing this work
-(or any other work associated in any way with the phrase "Project
-Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
-Gutenberg-tm License (available with this file or online at
-http://gutenberg.org/license).
-
-
-Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
-electronic works
-
-1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
-electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
-and accept all the terms of this license and intellectual property
-(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
-the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
-all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
-If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
-Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
-terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
-entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.
-
-1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
-used on or associated in any way with an electronic work by people who
-agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
-things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
-even without complying with the full terms of this agreement. See
-paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
-Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
-and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
-works. See paragraph 1.E below.
-
-1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
-or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
-Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
-collection are in the public domain in the United States. If an
-individual work is in the public domain in the United States and you are
-located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
-copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
-works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
-are removed. Of course, we hope that you will support the Project
-Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
-freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
-this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
-the work. You can easily comply with the terms of this agreement by
-keeping this work in the same format with its attached full Project
-Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.
-
-1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
-what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in
-a constant state of change. If you are outside the United States, check
-the laws of your country in addition to the terms of this agreement
-before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
-creating derivative works based on this work or any other Project
-Gutenberg-tm work. The Foundation makes no representations concerning
-the copyright status of any work in any country outside the United
-States.
-
-1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
-
-1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate
-access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
-whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
-phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
-Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
-copied or distributed:
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
-from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
-posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
-and distributed to anyone in the United States without paying any fees
-or charges. If you are redistributing or providing access to a work
-with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
-work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
-through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
-Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
-1.E.9.
-
-1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
-with the permission of the copyright holder, your use and distribution
-must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
-terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked
-to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
-permission of the copyright holder found at the beginning of this work.
-
-1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
-License terms from this work, or any files containing a part of this
-work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
-
-1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
-electronic work, or any part of this electronic work, without
-prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
-active links or immediate access to the full terms of the Project
-Gutenberg-tm License.
-
-1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
-compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
-word processing or hypertext form. However, if you provide access to or
-distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
-"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
-posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
-you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
-copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
-request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
-form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
-License as specified in paragraph 1.E.1.
-
-1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
-performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
-unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
-
-1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
-access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
-that
-
-- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
- the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
- you already use to calculate your applicable taxes. The fee is
- owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
- has agreed to donate royalties under this paragraph to the
- Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments
- must be paid within 60 days following each date on which you
- prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
- returns. Royalty payments should be clearly marked as such and
- sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
- address specified in Section 4, "Information about donations to
- the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
-
-- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
- you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
- does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
- License. You must require such a user to return or
- destroy all copies of the works possessed in a physical medium
- and discontinue all use of and all access to other copies of
- Project Gutenberg-tm works.
-
-- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
- money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
- electronic work is discovered and reported to you within 90 days
- of receipt of the work.
-
-- You comply with all other terms of this agreement for free
- distribution of Project Gutenberg-tm works.
-
-1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
-electronic work or group of works on different terms than are set
-forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
-both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
-Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the
-Foundation as set forth in Section 3 below.
-
-1.F.
-
-1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
-effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
-public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
-collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
-works, and the medium on which they may be stored, may contain
-"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
-corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
-property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
-computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
-your equipment.
-
-1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
-of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
-Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
-Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
-liability to you for damages, costs and expenses, including legal
-fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
-LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
-PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
-TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
-LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
-INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
-DAMAGE.
-
-1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
-defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
-receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
-written explanation to the person you received the work from. If you
-received the work on a physical medium, you must return the medium with
-your written explanation. The person or entity that provided you with
-the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
-refund. If you received the work electronically, the person or entity
-providing it to you may choose to give you a second opportunity to
-receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy
-is also defective, you may demand a refund in writing without further
-opportunities to fix the problem.
-
-1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
-in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
-WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
-WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
-
-1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
-warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
-If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
-law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
-interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
-the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
-provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
-
-1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
-trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
-providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
-with this agreement, and any volunteers associated with the production,
-promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
-harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
-that arise directly or indirectly from any of the following which you do
-or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
-work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
-Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
-
-
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
-
-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of computers
-including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
-because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
-people in all walks of life.
-
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
-To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
-and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
-
-
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
-Foundation
-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
-http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
-permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
-
-The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
-Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
-throughout numerous locations. Its business office is located at
-809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
-business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
-information can be found at the Foundation's web site and official
-page at http://pglaf.org
-
-For additional contact information:
- Dr. Gregory B. Newby
- Chief Executive and Director
- gbnewby@pglaf.org
-
-
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To
-SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
-particular state visit http://pglaf.org
-
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-
-Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations.
-To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
-
-
-Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
-works.
-
-Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
-concept of a library of electronic works that could be freely shared
-with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
-Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
-
-
-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
-unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
-keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
-
-
-Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
-
- http://www.gutenberg.org
-
-This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
diff --git a/old/54341-0.zip b/old/54341-0.zip
deleted file mode 100644
index 4d6599c..0000000
--- a/old/54341-0.zip
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/54341-h.zip b/old/54341-h.zip
deleted file mode 100644
index 1ad8795..0000000
--- a/old/54341-h.zip
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/54341-h/54341-h.htm b/old/54341-h/54341-h.htm
deleted file mode 100644
index ff45882..0000000
--- a/old/54341-h/54341-h.htm
+++ /dev/null
@@ -1,5609 +0,0 @@
-<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN"
- "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd">
-<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="de" lang="de">
- <head>
- <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=utf-8" />
- <meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" />
- <title>
- The Project Gutenberg eBook of Vertraute Briefe an eine Freundin, by Christian Garve.
- </title>
- <link rel="coverpage" href="images/cover.jpg" />
- <style type="text/css">
-
-body {
- margin-left: 10%;
- margin-right: 10%;
-}
-
-h1,h2 {
- text-align: center;
- clear: both;
- font-weight: normal;}
-
-h1,.s1 {font-size: 250%;}
-h2,.s2 {font-size: 150%;}
-.s3 {font-size: 125%;}
-.s4 {font-size: 110%;}
-.s5 {font-size: 90%;}
-.s6 {font-size: 50%;}
-
-h2 {
- page-break-before: avoid;
- padding-top: 3em;}
-
-.break-before {page-break-before: always;}
-
-div.chapter {page-break-before: always;}
-
-p {
- margin-top: .51em;
- text-align: justify;
- margin-bottom: .49em;
- text-indent: 1.5em;}
-
-p.p0,p.center {text-indent: 0;}
-
-p.gruss {
- margin-top: 1em;
- text-align: right;
- margin-right: 2em;}
-
-div.kopf {
- font-size: 90%;
- width: 50%;
- margin: 1em 0 1em 50%;
- text-align: right;}
-
-.mtop1 {margin-top: 1em;}
-.mtop3 {margin-top: 3em;}
-.mleft0_3 {margin-left: 0.3em;}
-.mleft1 {margin-left: 1em;}
-.mleft10 {margin-left: 10em;}
-
-.padtop1 {padding-top: 1em;}
-.padtop3 {padding-top: 3em;}
-.padleft3 {padding-left: 3em;}
-
-hr {
- width: 33%;
- margin-top: 2em;
- margin-bottom: 2em;
- margin-left: auto;
- margin-right: auto;
- clear: both;}
-
-hr.full {width: 95%; margin: 2.5em 2.5%;}
-hr.rtitle1 {width: 25%; margin: 5em 37.5% 8em 37.5%;}
-hr.rtitle2 {width: 65%; margin: 1em 17.5% 1em 17.5%;}
-hr.r25 {width: 25%; margin: 1.5em 37.5%;}
-
-table {
- margin-left: auto;
- margin-right: auto;}
-
-.tdr {text-align: right;}
-
-.vat {vertical-align: top;}
-.vab {vertical-align: bottom;}
-
-.pagenum {
- font-size: 70%;
- float: right;
- margin-right: -8%;
- text-align: right;
- color: #999999;}
-
-.blockquot {
- margin: 1.5em 5%;
- font-size: 90%;}
-
-.center {text-align: center;}
-
-.initial {
- font-size: 150%;
- line-height: 1em;}
-
-.gesperrt {
- letter-spacing: 0.2em;
- margin-right: -0.2em; }
-
-em.gesperrt {
- font-style: normal; }
-
-.antiqua {font-style: italic;}
-
-/* Footnotes */
-.footnotes {
- border: thin black dotted;
- background-color: #ffffcc;
- color: black;
- margin-top: 2em;}
-
-.footnote {
- margin-left: 10%;
- margin-right: 10%;
- font-size: 0.9em;}
-
-.footnote .label {
- position: absolute;
- right: 84%;
- text-align: right;}
-
-.fnanchor {
- vertical-align: top;
- font-size: 70%;
- text-decoration: none;}
-
-/* Poetry */
-.poetry-container {text-align: center;}
-
-.poetry {
- display: inline-block;
- text-align: left;}
-
-.poetry .stanza {margin: 1em auto;}
-
-.poetry .verse {
- text-indent: -3em;
- padding-left: 3em;}
-
-/* Transcriber’s notes */
-.transnote {
- background-color: #E6E6FA;
- color: black;
- font-size:smaller;
- padding:0.5em;
- margin-bottom:5em;}
-
-.htmlnoshow {display: none;}
-
-@media handheld {
-
-.htmlnoshow {display: inline;}
-
-table.toc {width: 100%;}
-
-.poetry {
- display: block;
- text-align: left;
- margin-left: 2.5em;}
-
-em.gesperrt {
- font-family: sans-serif, serif;
- font-size: 90%;
- margin-right: 0;}
-
-}
-
- </style>
- </head>
-<body>
-
-
-<pre>
-
-Project Gutenberg's Vertraute Briefe an eine Freundin, by Christian Garve
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-
-Title: Vertraute Briefe an eine Freundin
-
-Author: Christian Garve
-
-Release Date: March 11, 2017 [EBook #54341]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK VERTRAUTE BRIEFE AN EINE FREUNDIN ***
-
-
-
-
-Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned
-images of public domain material from the Google Books
-project.)
-
-
-
-
-
-
-</pre>
-
-
-<div class="transnote">
-
-<p class="s3 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
-
-<p class="p0">Der vorliegende Text wurde anhand der 1801 erschienenen
-Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben.
-Zeichensetzung und offensichtliche typographische Fehler wurden
-stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche sowie inkonsistente
-Schreibweisen wurden beibehalten, insbesondere wenn diese in der
-damaligen Zeit üblich waren oder im Text mehrfach auftreten.
-Fremdsprachige Zitate werden dem Original entsprechend unverändert
-wiedergegeben. Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter erstellt.</p>
-
-<p class="p0">Das Buch wurde in Frakturschrift gedruckt, wobei
-üblicherweise zwischen den Großbuchstaben ‚I‘ und ‚J‘ nicht
-unterschieden wird. Daher wurde in einer Passage (‚<a href="#frauvoni">Frau von I.</a>‘)
-willkürlich der erstere Buchstabe gewählt. Antiquaschrift wird in
-dieser Version <span class="antiqua">kursiv</span> dargestellt;
-Einzelbuchstaben in Antiquaschrift wurden bei der Auszeichnung aber
-nicht berücksichtigt. <span class="htmlnoshow"> Abhängig von der im
-jeweiligen Lesegerät installierten Schriftart können die im Original
-<em class="gesperrt">gesperrt</em> gedruckten Passagen gesperrt, in
-serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos als auch gesperrt
-erscheinen.</span></p>
-
-</div>
-
-<p class="s2 center break-before padtop3">Christian Garve’s</p>
-
-<h1>Vertraute Briefe<br />
-
-<span class="s6">an<br />
-
-eine Freundin.</span></h1>
-
-<hr class="rtitle1" />
-
-<hr class="rtitle2" />
-
-<p class="s4 center">L<span class="mleft0_3">e</span><span class="mleft0_3">i</span><span class="mleft0_3">p</span><span class="mleft0_3">z</span><span class="mleft0_3">i</span><span class="mleft0_3">g</span>,<br />
-bey P. Phil. Wolf und Compagnie.<br />
-1<span class="mleft0_3">8</span><span class="mleft0_3">0</span><span class="mleft0_3">1</span>.</p>
-
-<hr class="full" />
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 id="Inhalt">Inhalt.</h2>
-
-</div>
-
-<table class="toc" summary="Inhaltsverzeichnis">
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="s5 vat tdr">
- Seite
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Vorrede des Herausgebers.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Vorrede_des_Herausgebers">iii</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Erster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Erster_Brief">3</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Zweyter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Zweyter_Brief">10</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Dritter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Dritter_Brief">13</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Vierter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Vierter_Brief">18</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Fünfter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Fuenfter_Brief">28</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Sechster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Sechster_Brief">41</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Siebenter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Siebenter_Brief">51</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Achter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Achter_Brief">58</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Neunter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Neunter_Brief">60</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Zehnter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Zehnter_Brief">68</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Eilfter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Eilfter_Brief">77</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Zwölfter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Zwoelfter_Brief">81</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Dreyzehnter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Dreyzehnter_Brief">88</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Vierzehnter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Vierzehnter_Brief">95</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Funfzehnter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Funfzehnter_Brief">105</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Sechzehnter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Sechzehnter_Brief">111</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Siebenzehnter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Siebenzehnter_Brief">123</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Achtzehnter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Achtzehnter_Brief">130</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Neunzehnter Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Neunzehnter_Brief">141</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Zwanzigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Zwanzigster_Brief">145</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Ein und zwanzigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Ein_und_zwanzigster_Brief">155</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Zwei und zwanzigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Zwei_und_zwanzigster_Brief">165</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Drey und zwanzigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Drey_und_zwanzigster_Brief">172</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Vier und zwanzigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Vier_und_zwanzigster_Brief">178</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Fünf und zwanzigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Fuenf_und_zwanzigster_Brief">187</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Sechs und zwanzigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Sechs_und_zwanzigster_Brief">194</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Sieben und zwanzigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Sieben_und_zwanzigster_Brief">202</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Acht und zwanzigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Acht_und_zwanzigster_Brief">205</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Neun und zwanzigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Neun_und_zwanzigster_Brief">215</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Dreyssigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Dreyssigster_Brief">221</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Ein und dreyssigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Ein_und_dreyssigster_Brief">227</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Zwey und dreyssigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Zwey_und_dreyssigster_Brief">231</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Drey und dreyssigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Drey_und_dreyssigster_Brief">237</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Vier und dreyssigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Vier_und_dreyssigster_Brief">244</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Fünf und dreyssigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Fuenf_und_dreyssigster_Brief">246</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Sechs und dreyssigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Sechs_und_dreyssigster_Brief">250</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Sieben und dreyssigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Sieben_und_dreyssigster_Brief">254</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Acht und dreyssigster Brief.
- </td>
- <td class="vab padleft3 tdr">
- <a href="#Acht_und_dreyssigster_Brief">263</a>
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-<hr class="full" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_iii" id="Seite_iii">[S. iii]</a></span></p>
-
-<h2 id="Vorrede_des_Herausgebers">Vorrede des Herausgebers.</h2>
-
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">D</span>ie Freundin Garve’s hat bey der Herausgabe dieser Briefe keine
-andere Absicht, als mit allen Freunden und Verehrern des guten Mannes
-ein kleines, ihr sehr theures Erbtheil von ihm zu theilen. Daß
-dieser Gedanke ihrem eignen Herzen und ihrer Gesinnung gegen ihren
-verstorbenen Freund wohlthun, ist sie gern geständig. &mdash; So wenig auch
-Garve’s <em class="gesperrt">gelehrter Nachlaß</em> dadurch um ein Bedeutendes vermehrt
-werden mag, so<span class="pagenum"><a name="Seite_iv" id="Seite_iv">[S. iv]</a></span> kann doch auch der Gelehrte sich wohl dieser Briefe
-freuen; er sieht in ihnen den Geist blühen, von dem er die Früchte
-kennt und schätzt. Was man von Schriftstellern nicht heraus geben muß,
-sind taube Blüthen und unreife Früchte; von einem philosophischen
-Geiste ist die Blüthe so angenehm, als die Frucht stärkend; und
-wenn ein Mann etwas geworden ist &mdash; dann wird der Welt die Frage
-interessant: wie wurde er es? &mdash; Diese Briefe enthalten vielleicht
-manche interessante Data zur Beantwortung der Fragen: Wie war Garve,
-der Jüngling? &mdash; Wie früh war sein Geist gereift, gefaßt, in sich
-gegründet? &mdash; Wie wurde Garve, der Mann? &mdash; Wie entwickelte sich der
-Plan seines Lebens? &mdash; Wie wurde Garve, der Schriftsteller? &mdash; &mdash; Diese
-Briefe sind unmittelbar vor seiner Bearbeitung des Cicero geschrieben,
-und man<span class="pagenum"><a name="Seite_v" id="Seite_v">[S. v]</a></span> kann sie in mehr als einer Hinsicht als einen Eingang in sein
-öffentliches schriftstellerisches Leben ansehen.</p>
-
-<p>So viel für diejenigen, die in diesen Briefen Garven, den Gelehrten,
-suchen. Diese und alle gute Menschen, denen dieselben in die Hände
-kommen, mögen sich freuen &mdash; dieß ist der lebhafteste, ja ich kann
-wohl sagen, der einzige Wunsch der Herausgeberin, ihren Freund hier
-in den ersten, reinsten, natürlichsten Verhältnissen des Lebens zu
-sehen, Garven, den <em class="gesperrt">Sohn</em>, &mdash; den <em class="gesperrt">Freund</em> &mdash; und den
-<em class="gesperrt">Menschen</em>. &mdash; Hier kann ihn der Gute lieben, der den Gelehrten
-nicht kennt; und gern wird vielleicht der Gelehrte sein philosophisches
-Werk einen Augenblick hinlegen, um mit dem menschlichen Verfasser
-desselben einige Zeit im Zirkel seiner Familie, sei<span class="pagenum"><a name="Seite_vi" id="Seite_vi">[S. vi]</a></span>nes Jugendlehrers,
-und seiner Freunde, zuzubringen.</p>
-
-<p>Dieß sind die Gedanken der Freundin Garve’s bey der Herausgabe dieser
-Briefe, nach welchen sie wegen derselben von dem Publikum beurtheilt zu
-werden wünschen muß.</p>
-
-<hr class="full" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p class="s1 center mtop3">Vertraute Briefe</p>
-
-<p class="s4 center">an</p>
-
-<p class="s4 center">eine Freundin.</p>
-
-</div>
-
-<hr class="r25" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_3" id="Seite_3">[S. 3]</a></span></p>
-
-<h2 id="Erster_Brief">Erster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Dienstags Nachmittags um 3 Uhr,<br />
-den 11. May, 1767.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">E</span>ndlich bin ich wieder bey Ihnen, und vergesse in diesem Augenblicke
-alle die Schwermuth, den Verdruß, und die Langeweile, die ich seit
-unserer Trennung ausgestanden habe. Wir haben es uns hundert Mal
-gesagt, daß die empfindlichen Herzen mehr zum Leiden als zur Freude
-gemacht sind. Und wenn ich der Sympathie, die alle unsere Neigungen
-einander so gleich gemacht hat, trauen darf, wenn meine Empfindungen
-den Ihrigen ähnlich waren, so sind Sie diese drey Tage über nicht
-glücklich gewesen. Zuerst eine mehr süße als unangenehme Schwermuth,
-aber bald darauf eine finstere und traurige Melancholie,<span class="pagenum"><a name="Seite_4" id="Seite_4">[S. 4]</a></span> die alle
-Ideen der Seele in ihre Farbe kleidete, und selbst der Hoffnung nicht
-zuließ, sie zu trösten.</p>
-
-<p>Ich finde, daß ich gemeiniglich in dem Augenblicke, wenn mir ein
-Unglück widerfährt &mdash; und unsere Trennung halte ich für eins &mdash; mehr
-bestürzt als traurig bin. Die Geschwindigkeit, mit welcher es mich
-überrascht, benimmt mir die Fähigkeit darüber nachzudenken. Ich werde
-einiger Maßen fühllos, ich erstarre. Aber wenn mein Gemüth wieder ruhig
-genug ist, die Größe und die Folgen des Uebels zu überlegen; wenn es
-sich die Scenen des Vergnügens wieder vorstellt, deren es jetzt beraubt
-ist; wenn es von da sich zu den künftigen Aussichten wendet; dann wird
-erst sein ganzes Gefühl rege, und alle seine Kräfte vereinigen sich
-bloß dazu, es in der Traurigkeit zu unterhalten.</p>
-
-<p>Ich bin Ihnen noch so nahe, und es scheint mir eine unermeßliche
-Entfernung zu seyn. Und doch werde ich Ihnen in einem halben Jahre
-nicht näher kommen, &mdash; vielleicht niemals. Aber lassen Sie mich diese
-unglückliche Furcht unterdrücken. Ich sehe Sie<span class="pagenum"><a name="Seite_5" id="Seite_5">[S. 5]</a></span> wieder.... Mein Herz
-ist mir dafür Bürge, das der Himmel nicht umsonst mit dem Ihrigen so
-sympathetisch gemacht hat. Selbst unter einem entfernten Himmelsstriche
-würde ich Sie geliebt haben, ohne Sie zu kennen, &mdash; eine Person,
-die Ihnen ähnlich wäre, eine zweyte Wilhelmine. Und nun, da uns die
-Vorsicht zusammen gebracht hat, da wir uns haben kennen lernen müssen,
-da wir diesen geheimen Zug der Aehnlichkeit in uns entwickelt, unsere
-Seelen gegen einander gehalten, und sie so ähnlich gefunden haben, als
-zwey freundschaftliche Seelen seyn müssen; da wir überzeugt worden
-sind, daß dieses höchste Geschenk der Gottheit, die Freundschaft,
-für unsere Herzen gemacht ist: nun sollten wir einander auf immer
-verlassen? um wieder in der Welt nach einer uns verwandten Seele zu
-suchen und zu seufzen, und sie vielleicht nicht zu finden.</p>
-
-<p>Sie sehen, ich schreibe stolz. Ich nenne mich keck Ihren Freund;
-und zwar in der hohen Bedeutung, in welcher dieses Wort nur selten
-gebraucht wird. Aber wen sollte auch Ihre Gütigkeit nicht stolz machen.
-Mein<span class="pagenum"><a name="Seite_6" id="Seite_6">[S. 6]</a></span> Herz ist noch von derjenigen gerührt, die Sie mir den letzten
-Tag erwiesen haben. Wie oft habe ich mir nicht die Auftritte dieses
-Tages von meiner Einbildungskraft wieder vorspielen lassen! Und immer
-verweilte ich mich bey dem Augenblicke, wo ich in einer Bestürzung,
-die mich von meinen Bewegungen nicht mehr Herr seyn ließ, meinen Huth
-suchte, und Sie mir das unerwartete Vergnügen ankündigten, daß ich noch
-einen halben Tag länger bey Ihnen seyn könnte. Niemals hat man eine
-freundschaftlichere Gefälligkeit zu einer gelegenern Zeit gethan, zu
-einer so gelegenen Zeit, daß ich Ihnen die Grausamkeit vergebe, daß Sie
-mich die Angst des Abschieds haben zwey Mal empfinden lassen.</p>
-
-<p>Ich sollte Ihnen nun meine Reise beschreiben. Ich wollte sie Ihnen
-beschreiben. Ich habe jede Kleinigkeit bemerkt, von der ich hoffte,
-daß sie entweder einer kleinen Satyre fähig wäre, oder, durch Ihre
-freundschaftliche Theilnehmung an allem was mich betrifft, Ihnen
-wichtig seyn könnte. Ich hatte in meinen Gedanken eine ganz kleine
-Sammlung von solchen Zügen, und schon dachte ich mit<span class="pagenum"><a name="Seite_7" id="Seite_7">[S. 7]</a></span> Eitelkeit an
-die Reisebeschreibung, die ich daraus zusammensetzen wollte. Aber
-dieses war noch in der ersten Zeit, wo der Einfluß Ihrer noch nicht
-längst verlornen Gegenwart meiner Seele noch Muth und eine gewisse
-Munterkeit erlaubte. Aber seit diesem Zeitpunkte sind alle jene Ideen
-weggewischt worden. Der Schmerz hat sie alle so einförmig gemacht, daß
-ich sie nicht ohne Mühe, und gewiß ohne Anmuth aus ihrer Dunkelheit
-hervorziehen würde. Also will ich Ihnen nur kurz sagen, daß ich meine
-Reisegesellschaft nicht genauer kennen gelernt habe, als wir sie im
-Wirthshause schon kannten, ausgenommen, daß der Macedonier ein großer
-Schläfer war, den ich herzlich beneidete, durch die ärgsten Stöße
-niemals in seiner Ruhe gestört zu werden; daß der Herr Magister sehr
-wenig sprach, und daß dieses Wenige alle Mal etwas kraftloses und
-langweiliges war; daß mein Nachbar ein Kaufdiener, und noch ein vierter
-ein Dreßdner war.</p>
-
-<p>Ich selbst habe den Postwagen in W*** verlassen. In der That war
-es beynahe eine Unbesonnenheit, die ich beging. Die Sache<span class="pagenum"><a name="Seite_8" id="Seite_8">[S. 8]</a></span> war so.
-Der Postwagen war auf das erschrecklichste befrachtet. Eine Menge
-Geldfässer und anderer schwerer Waren! Vier elende und abgetriebene
-Pferde würden ihn mit Mühe und Noth bey dem besten Wege gezogen haben.
-Aber dieser war entsetzlich. Aus einem Loch ins andere! Ich stieg drey
-bis vier Mal ab. Ich ging zu Fuß. Aber so oft ich wieder aufstieg,
-verschlechterte sich alle Mal der Weg. Das Gewicht des Wagens machte,
-daß er bey jedem Abhange sehr stark schwankte; wir waren zwey Mal in
-der größten Gefahr gewesen, umzuwerfen. Endlich bemächtigte sich die
-Furcht meiner. Ich dachte an den schrecklichen Fall bey B***werda.
-Ich fuhr beständig in Angst. Wir erreichten endlich W***. Einer von
-der Gesellschaft, eben der Dreßdner, der eben so furchtsam wie ich
-war, nahm hier Extrapost für sich bis H****burg. Ich entschloß mich,
-ihm Gesellschaft zu leisten. In der That war es unüberlegt: denn ich
-hatte mit genauer Noth so viel Geld bey mir, als nöthig war; und meinen
-Koffer hatte ich auf der ordinären zurück gelassen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_9" id="Seite_9">[S. 9]</a></span></p>
-
-<p>Wir kamen um 9 Uhr nach H***burg. Ich fand keinen Menschen aus
-G****dorf. Man erwartete mich erst Montags. Ich wußte also von neuem
-nicht, wie ich nach G****dorf hinüber kommen sollte. Ich erwartete
-erstlich die ordinäre Post, um meinen Koffer zu haben. Ich ganz
-allein, in der Poststube, wo ein durch die jetzigen Meßexpeditionen
-abgematteter Postschreiber auf einem Stuhle schlief, bey einem kleinen
-einsamen Lämpchen, hatte alle mögliche Zeit zur Schwermuth. In der That
-brachte ich die Stunden höchst traurig zu. Endlich kam mein Koffer.
-Ich nahm noch einmal Extrapost nach G****dorf. Hier kam ich um 11 Uhr
-an. Meine Freunde, oder vielmehr mein Freund, der eben zu Bette gehen
-wollte, empfing mich liebreich.</p>
-
-<p>Hier lebe ich nun nicht mit der düstern Melancholie, die durch die
-Einsamkeit genährt wird, aber in einem gewissen Tiefsinn, den man mir
-auch anmerkt. Ich habe kaum diesen Augenblick finden können. Man ruft
-mich schon etliche Mal, und ich muß nothwendig den Brief endigen,
-ob ich gleich<span class="pagenum"><a name="Seite_10" id="Seite_10">[S. 10]</a></span> nicht den hundertsten Theil von dem gesagt habe, was
-ich Ihnen sagen wollte. Was für eine elende, unvollkommene Art der
-Unterredung ist doch ein Brief! Gott segne Sie. Von ganzem Herzen</p>
-
-<p class="gruss">der Ihrige.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 id="Zweyter_Brief">Zweyter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">G***dorf, den 28. May, 1767.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">I</span>ch reise diesen Augenblick von hier nach H****burg. Dort erwarte ich
-Hr. M.. und mit ihm &mdash; das angenehmste, was ich in meinen gegenwärtigen
-Umständen erhalten könnte, Ihre eigne Gegenwart ausgenommen.</p>
-
-<p>Ich fange an, das Leben als eine lange und oft beschwerliche Reise
-anzusehen, auf der wir von einem höhern Führer geleitet werden.<span class="pagenum"><a name="Seite_11" id="Seite_11">[S. 11]</a></span> Von
-Zeit zu Zeit kommen einige angenehme Ruheplätze, wo wir uns nur erholen
-sollen, und wo wir ganz und gar zu wohnen wünschen. Ihr Haus und ihre
-Gesellschaft war einer von diesen. Ich fing schon an in demselben zu
-vergessen, daß ich bloß zur Fortsetzung meiner Reise gestärkt werden
-sollte. Es kommt der fürchterliche Befehl zum Aufbruche. Ich verlasse
-in einer Art von Betäubung den angenehmen Aufenthalt. Endlich kommt
-meine Empfindung wieder; aber nur um mich meinen Verlust fühlen zu
-lassen. Lange, lange sehe ich mit einer zaudernden Sehnsucht nach dem
-gewünschten Orte zurück, indeß ich mich immer mehr von ihm entferne.
-Dort, dort, sage ich, ist meine Freundin, und ich reise nach der
-entgegenstehenden Gegend. <em class="gesperrt">Von einem unbefriedigten Verlangen zur
-Schwermuth ist nur ein einziger Schritt.</em> Endlich verlieren sich
-alle diese schmerzhaften Ideen in dem Gedanken an meinen großen und
-gütigen Anführer. Er ist zugleich der Führer meiner Freundin. In ihm,
-unserm gemeinschaftlichen Vater, vereinigen sich wieder unsere Seelen,
-wenn<span class="pagenum"><a name="Seite_12" id="Seite_12">[S. 12]</a></span> sie auch durch noch so weite Entfernungen von einander getrennt
-sind. <em class="gesperrt">So ist der Schmerz oft unser Lehrer; und eine menschliche
-Seele, die niemals traurig gewesen wäre, müßte gewiß lasterhaft
-seyn.</em></p>
-
-<p>Die Pferde sind angespannt, alles ist fertig. Ich schreibe mitten unter
-dem Geräusch. &mdash; Ich bin unaufhörlich</p>
-
-<p class="gruss">der Ihrige.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_13" id="Seite_13">[S. 13]</a></span></p>
-
-<h2 id="Dritter_Brief">Dritter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">B***, den 3. Juni.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">F</span>leuch, Brief, eile, so geschwind wie meine Gedanken, um es meiner
-besten Freundin zu sagen, daß ich meine Reise überstanden, daß ich
-meine Mutter wieder gesehen habe, und daß ich mich doch über beydes nur
-halb so sehr freue, als wenn sie mit daran Theil nähme.</p>
-
-<p>O meine gefühlvolle Freundin, was wäre das für eine Scene für Sie
-gewesen, da ich meine Mutter wieder sah. Denken Sie nur. Sie wußte
-nicht ein Wort davon, daß ich Sonntags kommen würde. Der Himmel hatte
-sogar zu meinem Glück den Brief unrichtig gehen lassen, worin ich es
-Ihr von G****dorf aus meldete. Sie war den Tag zuvor mit meinem alten
-Lehrer (den Sie schon kennen und hochschätzen) dem Hrn. Ringeltauben,
-vom Lande herein gekommen.<span class="pagenum"><a name="Seite_14" id="Seite_14">[S. 14]</a></span> Die Wiederkunft in die Stadt hatte
-den Schmerz über den Verlust der liebenswürdigsten Tochter wieder
-aufgeweckt. Meine Reise war ihr ein neuer Kummer. Eine Menge von andern
-unangenehmen Umständen hatte ihr Gemüth für das Vergnügen verschlossen.
-Sie stand am Fenster in einer bekümmerten und traurigen Stellung. Zu
-eben der Zeit komme ich an. Ich steige bey einem fremden Hause ab. Ich
-fliege mit einer gewissen Art von ängstlicher Eile über die Straßen.
-Ich komme an das Haus meiner Mutter, ohne daß mich ein Mensch gewahr
-wird, die Treppe hinauf, fort, fort, bis an das Zimmer meiner Mutter.
-Ich eröffne die Thüre mit Zittern. In diesem Augenblicke sehe ich meine
-Mutter mit ausgebreiteten Armen auf mich zufliegen. &mdash; Mein Sohn, mein
-allerliebster Sohn, du bist es! &mdash; Ihre Thränen ersticken das übrige.</p>
-
-<p>Ich war völlig sprachlos. Ich küßte alle, die in der Stube waren, ohne
-ihnen ein Wort zu sagen. Ich ging, wie ein Mensch in der Irre, von
-einem zum andern herum, ohne zu wissen, wer um mich war, und was<span class="pagenum"><a name="Seite_15" id="Seite_15">[S. 15]</a></span> in
-mir selbst vorging. Endlich fingen die Thränen an zu fließen. Mein
-Herz wurde leichter. Meiner Mutter ihres auch. Ein sanfter und stiller
-Schmerz über die Abwesenheit einer Person, die ich bey einem solchen
-Auftritte am liebsten würde gegenwärtig gesehen haben, vermischte
-sich mit unserer Freude, und brachte eine gewisse stille, aber nicht
-verdrießliche Schwermuth hervor, die unter allen Zuständen der Seele
-vielleicht der angenehmste ist, und den sie am längsten aushalten kann.</p>
-
-<p>O meine gütigste Freundin! Ich habe noch nicht alles gewußt, was ich
-an meiner Cousine verloren habe. Die liebenswürdigste Gestalt, ein
-richtiger und durchdringender Verstand, ein sicheres und feines Gefühl,
-Adel und Hoheit in den Empfindungen, Unschuld und Tugend im Herzen;
-das waren die Vorzüge, die jeder an ihr kannte, und jeder, der für
-Vollkommenheiten von dieser Art Augen hat, hochschätzte. Aber sie war
-für mich noch mehr. Sie war die einzige Freundin, der Trost und die
-Stütze meiner Mutter, das Band unserer Familie, die Hoffnung und die<span class="pagenum"><a name="Seite_16" id="Seite_16">[S. 16]</a></span>
-Belohnung eines Freundes, den ich verehre, und der in ihr sein Glück
-würde gefunden haben. Denken Sie, was ich dabey fühlen muß, wenn man
-mir noch die letzten Beweise ihrer Gewogenheit gegen mich erzählt,
-ihren Wunsch, mich wieder zu sehen, ihre Freude bey der Hoffnung von
-meiner nahen Zurückkunft. Ist denn alles, was gut und vortrefflich ist,
-nur bestimmt, zu leiden und zu sterben?</p>
-
-<p>Schon fange ich an, für Sie selbst zu fürchten. Eine so gute,
-rechtschaffene Frau, eine so zärtliche Freundin, eine so verständige
-Mutter, ist vielleicht nur ein Darlehn, kein Geschenk, das der Himmel
-der Erde macht. Werden Sie ja wieder gesund, oder Sie machen mich ganz
-melancholisch. Ich bin es ohnedieß schon halb; meine Mutter kränklich,
-von Schmerz und Kummer verzehrt; mein Onkel seiner geliebtesten Tochter
-beraubt; meine übrigen Freunde theils zerstreut, theils unglücklich:
-ist das nicht mehr als genug, selbst ein hartes Herz zu beunruhigen?&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Sie sehen, ich habe Ihre Briefe erhalten. Einen durch Hrn. M.., den
-andern gestern<span class="pagenum"><a name="Seite_17" id="Seite_17">[S. 17]</a></span> mit der Post. Sie sind die angenehmste unter meinen
-Ergötzungen gewesen. Was meynen Sie wohl? Herr M.. gab mir ihn erst
-in Stauchitz. Bis dahin sagte er nicht ein Wort, daß er einen Brief
-von irgend einem Menschen hätte. Glauben Sie nicht, daß mich diese
-fehlgeschlagene Hoffnung, einen Brief von Ihnen zu bekommen, den Weg
-über sehr unruhig machte? Und doch fürchtete ich mich zu fragen, weil
-ich den Zweifel für besser hielt, als einer unangenehmen Sache gewiß zu
-seyn. Endlich wagte ich es, ihn ganz leise zu fragen, ob er von Niemand
-Briefe hätte. Ja, sagte der Mensch ganz gelassen, ich habe einen von
-***. Was ist doch der Mann für eine Schlafmütze, dachte ich. Geschwind,
-geschwind her mit dem Briefe! Aber was ist denn das für eine Dame, die
-an Sie so zeitig schreibt? &mdash; Eine gute Frau, eine recht sehr gute
-Frau! Aber geben Sie mir den Brief her. Nun denken Sie sich das übrige.
-&mdash;</p>
-
-<p>Den Augenblick kommt man, und sagt, daß die Post abgeht, und ich meine
-Briefe würde hier behalten müssen. Ums Himmels<span class="pagenum"><a name="Seite_18" id="Seite_18">[S. 18]</a></span>willen, mein lieber
-Post-Sekretär, wenn ich Euch jemals eine solche Freundin, wie ich habe,
-wünschen soll, so bestellt diesen Brief an die meinige!</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 id="Vierter_Brief">Vierter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">B***, den 8. Juni.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">U</span>ngeachtet ich anfangs über die neue Einrichtung, die es Ihnen mit
-meinem Posttage vorzunehmen beliebte, ein bischen murrete, so muß
-ich Ihnen doch jetzt sagen, daß Sie es recht gut gemacht haben. Sie
-kennen die Theorie des Vergnügens. Sie wissen, wie notwendig es sey,
-seine Vergnügungen zu sparen, um sie recht zu genießen. Durch Ihre
-gegenwärtige Einrichtung haben Sie zwischen dem Vergnügen, von Ihnen
-Briefe zu bekommen, und dem beynahe eben so großen, Briefe an Sie zu
-schreiben, fast gleiche Zwischenräume gesetzt, da sie sich vorher<span class="pagenum"><a name="Seite_19" id="Seite_19">[S. 19]</a></span>
-unmittelbar auf einander drängten. Auf diese Art wird mir die Zeit von
-einem Freytage zum andern kürzer, und zwischen beyden Unterredungen,
-die ich mit Ihnen die Woche halte, bey deren einer ich Sprecher, und
-bey der andern Hörer bin, ist doch auch Raum genug, um das Verlangen
-nach einer neuen wieder recht lebhaft zu machen.</p>
-
-<p>Wissen Sie, was mir das ärgste bey dieser Art von Umgang zu seyn
-scheint? Dieses, daß ein Brief, den man (wenn unsere Freunde sehr gütig
-sind) acht Tage erwartet hat, in eben so viel Minuten zu Ende gelesen
-ist, und nach Verlauf dieser glücklichen acht Minuten, in denen man den
-Brief lieset, schon wieder die neuen acht Tage angehen, in denen man
-auf den folgenden wartet. Bey alle dem bin ich doch noch immer sehr
-glücklich, daß Sie so gütig sind, und meinem Vergnügen alle Wochen
-einen Theil Ihrer Zeit schenken. Ihre Briefe geben mir wieder in meinen
-Augen einen gewissen Werth. Und dieses ist sehr nöthig, da ich mir hier
-zuweilen in gewissen Gesellschaften recht einfältig vorkomme.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_20" id="Seite_20">[S. 20]</a></span></p>
-
-<p>Ich habe mir vorgenommen, Ihnen heute viel von mir selbst
-vorzuschwatzen. Nicht eben, daß ich mich für einen sehr guten
-Gegenstand des Gesprächs hielte; aber ich habe heute nun einmal keinen
-bessern, oder wenn ich ihn hätte, so wäre ich nicht dazu aufgelegt, ihn
-zu nutzen. Ich muß mich also schon mit mir selbst begnügen. Ueberdieß
-sind Sie selbst daran schuld, daß Sie mir die Eitelkeit in den Kopf
-gesetzt haben, als wenn alles, was mich anginge, sehr wichtige Sachen
-für Sie seyn müßten. Diese Einbildung mache ich mir also zum Vortheile
-meiner Trägheit zu Nutze, und mache getrost meine Briefe zu einem
-guten, ehrlichen Zeitungsblatte von mir selbst. Heute sollen Sie also
-erfahren, wie ich meinen Tag hier gewöhnlicher Weise zubringe; obgleich
-der Ausnahmen beynahe so viel sind, als der Fälle, die unter die Regel
-gehören.</p>
-
-<p>So wissen Sie denn, daß ich nicht bloß gewöhnlich, sondern beständig
-sehr spät aufstehe. Dieses <em class="gesperrt">spät</em> aber müssen Sie weder früher
-noch später annehmen, als acht Uhr des Morgens nach B***scher Uhr.
-Ich habe schon lange die Ursachen dieser Begeben<span class="pagenum"><a name="Seite_21" id="Seite_21">[S. 21]</a></span>heit, die mit meinen
-Entwürfen und Vorsätzen so wenig übereinstimmt, aufgesucht; ich bin
-aber noch nicht weiter als bis auf die Dunkelheit der Alkove gekommen,
-in der ich liege, und die der Sonne vor Mittag den Besuch nicht
-erlaubt. Dieses ist ein sehr gutes Mittel die fernere Untersuchung
-wenigstens aufzuschieben, die sich vermuthlich damit endigen würde, daß
-ich ein wenig faul wäre.</p>
-
-<p>Der erste Gedanke, wenn ich erwache, ist, nach einem kurzen Dank für
-das Geschenk eines neuen Tages, der Gedanke an meine Freunde. Wie
-glücklich, denke ich alsdann, bin ich, daß ich wieder in einer Welt
-erwache, in der so manches edle, vortreffliche Herz an meinem Leben
-und an meiner Wohlfahrt Theil nimmt! Ich überzähle alsdann mit aller
-der Begierde, mit der ein reicher Geitziger am frühen Morgen seine
-Summen wieder überzählt, die Anzahl dieser Freunde. Ich bin nicht
-mißvergnügt, daß ich sie so klein finde. <em class="gesperrt">Das Herz liebt desto
-stärker, je mehr es konzentrirt ist.</em> Dieser stille Genuß der
-Glückseligkeit, Freunde zu haben, bereitet mich zu einer andern vor;
-&mdash; zu der,<span class="pagenum"><a name="Seite_22" id="Seite_22">[S. 22]</a></span> ihnen Gutes zu wünschen. Wie rührt und wie erhebt mich in
-diesem Augenblicke ein Gedanke an den Herrn und den Vater, den ich mit
-allen meinen Freunden gemein habe. Er ist bey ihnen, so wie bey mir
-gegenwärtig; er regiert ihr Leben, so wie das meinige; er sorgt für
-ihre Glückseligkeit mit alle dem Eifer, mit dem ich dafür sorgen würde,
-wenn ich die Macht dazu hätte. Durch diese Erinnerung scheinen sich mir
-die weitesten Entfernungen zu verengern. Ich vereinige mich mit meinen
-Freunden. Bürger einer und derselben großen Republik, in einerley
-gemeinschaftlichen Plan von allgemeiner Glückseligkeit verflochten,
-von einerley Gesetzen regiert und von gleichen Hoffnungen belebt, sind
-unsere Geister unter einem beständigen, gemeinschaftlichen Einfluß eben
-derselben Güte!&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Ich muß mich mit Gewalt von diesen Betrachtungen losreissen. Das
-Vergnügen macht geschwätzig. Und doch sind Worte so wenig fähig,
-Vergnügungen von der Art zu beschreiben, daß man nothwendig entweder
-einem Herzen, das sie niemals empfunden hat, verdrießlich, oder einem
-solchen, das sie kennt,<span class="pagenum"><a name="Seite_23" id="Seite_23">[S. 23]</a></span> matt und kraftlos vorkommen muß. Auf diese
-geheimen Ergötzungen folgt eine andere, an der meine liebe Mutter, und
-meine Cousine, die beständig bey ihr ist, Theil nimmt. Wir trinken
-gemeinschaftlich auf einem kleinen Altan, den wir haben, und der mit
-Grünem besetzt ist, Thee. Sie wissen schon, was ich Ihnen sonst von dem
-Vergnügen der Theestunde vorgeschwatzt habe; und in der That bleibt es
-noch immer eine der schönsten Stunden des ganzen Tages. Sie können es
-auch daraus schließen, daß wir sie fast niemals vor zehn Uhr endigen.
-Ich habe mich hier zum Lekteur meiner ganzen Familie aufgeworfen, und
-man hört mich noch so ziemlich gern. Ich lese also diesem Amte zu
-Folge auch manchmal beym Thee ein Stück vor. Das gewöhnlichste aber
-ist, daß wir bloß sprechen; sehr oft von Leipzig, noch weit öfter
-von Ihnen; das können Sie denken. Um zehn Uhr gehe ich herunter, und
-diese beyden Stunden bis zu Mittage lasse ich mir ungern rauben. Mein
-Geist wird ohne eine tägliche Nahrung trocken und leer. Er ist keine
-immerbrennende Flamme, die durch ihre eigene Kraft in die Höhe<span class="pagenum"><a name="Seite_24" id="Seite_24">[S. 24]</a></span> steigt.
-Er ist wie das in Stein eingeschlossene Feuer, das nur von Zeit zu Zeit
-Funken giebt, und auch diese müssen erst heraus geschlagen werden. Ich
-lese also in diesen zwey Stunden, oder ich schreibe. Das was ich lese,
-und was ich davon denke, das sollen Sie alles nach und nach erfahren.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Aber diese zwey kostbaren Stunden sind eben jetzt vorbey; ich habe
-sie dazu angewendet, an Sie zu schreiben; und das ist gewiß der
-beste Gebrauch, den ich die ganze Woche davon mache. Dem ungeachtet
-verzweifle ich noch nicht, ehe man mich zu Tische ruft, zu Ende zu
-kommen. Das nächste also, was jetzt folgt, ist, daß ich esse. Die
-Gesellschaft eben dieselbe, die es beym Thee war. Die Gerichte sehr
-mäßig, aber sehr wohlschmeckend. Und hier kann ich nicht unterlassen,
-eine kleine Lobrede für die Schlesischen Köche und Köchinnen
-einzuschalten. Wenn ein Land durch gute Suppen, durch sehr fettes
-und derbes Rindfleisch, durch vortreffliches und wohlzugerichtetes
-Kräuterwerk glücklich würde, so wäre in der Welt nichts ungerechter,
-als die Klagen, von denen meine Ohren hier gar<span class="pagenum"><a name="Seite_25" id="Seite_25">[S. 25]</a></span> nicht ausruhen. Denn
-alles das und noch weit mehr, als ein solcher Idiot in der jetzigen
-Favorit-Wissenschaft der Welt, wie ich bin, sagen kann, das besitzt
-Schlesien. O warum kann ich nicht hier Ihren Geschmack aufbieten, mir
-Recht zu sprechen! Warum kann ich Sie nicht einmal mit dem Manne, ohne
-welchen alle mögliche Schlesische Gerichte umsonst vor Ihnen stünden,
-an unserm Tische sitzen sehen!&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Wenigstens will ich den Einfall in meinen Gedanken verfolgen. Ich werde
-den Augenblick gerufen. Wie wäre es, wenn Sie, ohne ein Wort zu sagen,
-nach B***lau gekommen wären, wenn Sie mich heute überraschen wollten,
-wenn ich Sie oben schon an unserm Tische sitzen und auf mich schmälen
-sähe, daß ich Sie so lange habe warten lassen. Ich gehe, ich gehe, &mdash;
-um meinen Traum zu vernichten.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Ich komme eben von Tische wieder, und ich habe nur noch einen
-Augenblick Zeit bis zur Post. Auf meiner Mutter Stirne saßen, wie ich
-heraufkam, einige finstere Wolken. Einige verdrießliche Geschäfte, und
-noch mehr als das, die Unruhe eines Baues, der sie<span class="pagenum"><a name="Seite_26" id="Seite_26">[S. 26]</a></span> beynahe aus ihrem
-Zimmer vertreibt, hatten diese Wolken zusammengezogen. Ich schreibe mir
-heute die Ehre zu, sie zerstreut zu haben. Wenigstens habe ich meine
-Mutter heiterer verlassen, als ich sie fand.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Um also meinen Tag vollends bis zum Abend zu bringen, so müssen Sie
-wissen, daß ich unmittelbar nach Tische eine kleine halbe Stunde den
-Flügel spiele. In meiner Mutter Stube steht ein ziemlich guter mit zwey
-Klavieren. Dann kommt der gesellschaftliche Kaffee. Sie können glauben,
-daß ich den niemals ohne meine Mutter und Cousine trinke, ausgenommen,
-wenn diese Frauenzimmerbesuch hat, den ich nicht kenne. Nichts ist
-ungewisser und unsicherer als der übrige Rest des Nachmittags. Wir
-fahren zuweilen in Gesellschaft einiger Freunde spazieren. Ein ander
-Mal gehe ich ganz allein mit einem einzigen Bekannten. Ich besuche dann
-und wann die hiesigen öffentlichen Bibliotheken; ich mache zuweilen
-Staats-Visiten, die mich ennuyiren; und dann endlich bleibe ich einmal
-zu Hause, um recht viel oder gar nichts zu thun.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_27" id="Seite_27">[S. 27]</a></span></p>
-
-<p>Der Abend ist dem Mittag vollkommen ähnlich. Ordentlicher Weise ist
-mein Onkel bey uns, der der rechtschaffenste Mann, aber fast immer
-kränklich und dann und wann ein wenig argwöhnisch ist. Leben Sie wohl.
-Ich bin&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p class="center mtop1">N. S.</p>
-
-<p>Denken Sie einmal, liebste Freundin! gestern bekomme ich von Herrn
-Weisen einen Brief, &mdash; einen sehr gütigen, freundschaftlichen
-Brief. Und dieses Vergnügen muß mir durch eine so traurige
-Nachricht verbittert werden, als die von Meinhards Tode. Ja, dieser
-rechtschaffene Mann, dieser große Gelehrte, dieser schöne und
-empfindliche Geist, dieser mein Freund &mdash; ist todt. <span class="antiqua">Peace to his
-gentle shade!</span></p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_28" id="Seite_28">[S. 28]</a></span></p>
-
-<h2 id="Fuenfter_Brief">Fünfter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">B***, den 9. und 10. Juni.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">N</span>iemals ist ein Brief mit einem so schmerzhaften Verlangen erwartet
-worden, als ich gestern den Ihrigen erwartete. Selbst in dem Schoße
-meiner Familie, und an der Seite der vortrefflichsten Mutter, empfinde
-ich dem ungeachtet, daß mir noch ein Freund und eine Freundin fehlt,
-um diesem Glück seine Vollständigkeit zu geben. Ich fühle es, daß mir
-Ihr Umgang nothwendig geworden ist; und ohne die Gütigkeit, mit welcher
-Sie mir Ihren Briefwechsel versprachen, und ohne die Beständigkeit,
-mit welcher Sie dieses Versprechen ausführen, würde ich meine
-hiesigen Freunde mit dem beständigen Anblick einer gewissen Unruhe
-beleidigt haben, die sie vielleicht auf die Rechnung eines Mangels von
-Zärtlichkeit geschrieben hätten. Aber jetzt setzt<span class="pagenum"><a name="Seite_29" id="Seite_29">[S. 29]</a></span> mich Ihre Gütigkeit
-in den Stand, zwey der angenehmsten Beschäftigungen mit einander zu
-verbinden, die Unterhaltung mit meiner Mutter und das Andenken an Sie.</p>
-
-<p>Meine Mutter kannte Sie schon als eine sehr gütige Freundin von ihrem
-Sohne, ehe ich noch Leipzig verließ. Aber nun kennt sie Sie als eine
-vortreffliche Frau, als eine zärtliche Freundin, mit einem Worte, als
-eine Person von einem solchen Geiste und einem solchen Herzen, als die
-Liebe und die Freundschaft nöthig hat, wenn sie beschlossen hat, einen
-glücklichen Ehemann und einen kleinen Kreis glücklicher Freunde zu
-machen.</p>
-
-<p>Was meynen Sie wohl? Ich zeige meiner Mutter alle Ihre Briefe. Sie
-liest sie beynahe mit eben dem Feuer, mit welchem ich sie lese. Bey
-gewissen Stellen füllen sich ihre Augen mit Thränen der Zärtlichkeit
-und der Freude. So stark wirken diese gleichgestimmten Herzen auf
-einander, selbst in der weitesten Entfernung. Glauben Sie wohl, daß
-ich es hätte aushalten können, ein ganzes halbes Jahr zuzubringen,
-ohne Jemand zu haben, mit dem ich mich von Ihnen un<span class="pagenum"><a name="Seite_30" id="Seite_30">[S. 30]</a></span>terreden könnte,
-und in dessen Schoß ich zuweilen mein volles Herz ausleerte, wenn
-Ihre Gütigkeit und die Sehnsucht nach Ihrem Umgange dasselbe mit
-zu unruhigen und stürmischen Wünschen anfüllte? Und könnte wohl
-diese Person Jemand anders als meine Mutter seyn? Sie, die an den
-kleinsten Vergnügen ihres Sohnes Theil nimmt, sollte sie nicht in der
-Glückseligkeit, die ihm der Himmel geschenkt hat, eine Freundin und
-einen Freund zu besitzen, einen Theil derjenigen wieder finden, die sie
-durch den Tod einer Tochter, die zugleich Freundin war, verloren hat?</p>
-
-<p>Ja, gütigste Freundin, schon theilt meine Mutter alle die Empfindungen
-mit mir, die mir die Bekanntschaft mit einer so edlen und zugleich
-zärtlichen Seele eingeflößt hat, und die ich, wenn es möglich ist,
-durch die Abwesenheit noch gestärkt und vermehrt finde. Unsere
-Unterredungen beleben sich am meisten, wenn sie Sie zum Gegenstand
-haben; und ohne daß wir es gewahr werden, kommen sie durch die
-wunderbarsten Irrgänge immer wieder auf diese Lieblingsmaterie zurück.
-So<span class="pagenum"><a name="Seite_31" id="Seite_31">[S. 31]</a></span> viel Gewalt hat das Herz über unsere Denkungskraft, daß die
-leichtesten und schwächsten Verbindungen schon genug sind, Ideen in die
-Seele wieder zurück zu bringen, die durch ein starkes Interesse an uns
-gebunden sind. Lassen Sie sich dieses von <em class="gesperrt">Home</em> viel besser und
-gründlicher sagen. Ich mag nicht philosophiren, ich will Ihnen bloß
-sagen, was ich empfinde.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Aber gütigste Freundin, wie haben Sie es übers Herz bringen können,
-mir mit einem so versteckten, aber für mich doch sehr fühlbaren
-Vorwurf wehe zu thun? &mdash; Oder trauten Sie es der Feinheit meines
-Gefühls nicht zu, daß ich den kleinen Ansatz von Empfindlichkeit
-gewahr werden würde, der Ihnen die Worte eingab: „Ich suchte in der
-Folge Ihres Briefes Trost, aber ich fand keinen. Sie, der Sie mit mir
-einerley Gefühl haben, Sie empfinden den Unterschied wohl, der zwischen
-der Verstorbenen und mir ist!“ Und noch dazu eine so ceremoniöse
-Vorsichtigkeit, Ihren Namen nicht zuerst zu schreiben! Ein kleiner,
-ganz kleiner Rest von Weiblichkeit! würde Onkel Selby sagen. Wie?
-glauben<span class="pagenum"><a name="Seite_32" id="Seite_32">[S. 32]</a></span> Sie wohl, daß ich meine Cousine liebte, und die Eigenschaften
-nicht von ganzem Herzen hochschätzte, die sie liebenswürdig machten?
-daß ich ihren Verlust beweinen, und mich nicht zugleich über den Besitz
-von Freunden erfreuen sollte, in denen ich ihren Geist und ihr Herz
-wieder finde? Oder können Sie so ungerecht gegen sich selbst seyn,
-diese größten Geschenke des Himmels in sich zu verkennen, und sich
-unter Ihren eigenen Werth herabzusetzen? Liebste, gütigste Freundin,
-lassen Sie sich niemals durch einen gewissen Unmuth die Erhabenheit der
-Seele schwächen, die ohne Stolz, dennoch ihre eigene Vollkommenheit
-fühlt, und indem sie die Stufe erkennt, auf welche die Güte des
-Schöpfers sie gesetzt hat, dadurch nur noch mehr Muth bekommt, höhere
-zu erreichen.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Aber lieber will ich glauben, daß Sie nur darum diese Stelle in Ihren
-Brief gesetzt haben, um mir die Gelegenheit, die ich so sehr wünsche,
-zu geben, es Ihnen noch einmal zu sagen, wie hoch ich meine Freundin
-schätze, und wie theuer sie meinem Herzen ist. Ich kann dieses, zu
-meinem eigenen Vergnügen<span class="pagenum"><a name="Seite_33" id="Seite_33">[S. 33]</a></span> nicht oft genug wiederholen. Denn welche
-Glückseligkeit ist der gleich, seinem Freunde zu sagen, daß man ihn
-liebt, wenn es nicht die Glückseligkeit ist, zu hören, daß man von ihm
-geliebt wird? Wenn ich also von meiner Cousine rede, so glauben Sie
-nur, daß keine Ideen verwandter sind und einander leichter erwecken,
-als der Gedanke an ein Gut, das man verloren, und der an ein anderes,
-das uns der Himmel noch läßt; und daß der Abgang von so theueren
-Freunden das Herz nur noch zärtlicher gegen diejenigen macht, die uns
-noch übrig sind.</p>
-
-<p>Ich glaube, ich habe Ihnen schon in Leipzig gesagt, daß ein Freund von
-mir und von unserm Hause, ein junger angehender Dichter, der jetzt
-in Halle studirt, ein Gedicht auf meine Muhme gemacht hat. Ich habe
-es hier erst zu sehen bekommen. Weil viel gute Stellen darin sind,
-obgleich manche gegen die übrigen matt, andere in der Verbindung,
-in der sie stehen, nicht richtig und zusammen hängend genug, und
-noch andere zu überhäuft und nur durch die Rechte der Poesie zu
-entschuldigen sind, so will ich es<span class="pagenum"><a name="Seite_34" id="Seite_34">[S. 34]</a></span> Ihnen abschreiben. Aber schöner,
-als das ganze Gedicht, ist meinem Urtheile nach ein Motto aus dem
-Petrarch, welches er demselben vorgesetzt hat. Wo ich nicht irre, so
-ist es eine der schönsten Stellen im ganzen Petrarch. Es ist aber zur
-Anwendung auf die Person, die der Gegenstand dieses Gedichts ist,
-nicht schicklich und angemessen genug, und überhaupt kann es nur im
-Munde eines Liebhabers und eines solchen Liebhabers als Petrarch,
-sein rechtes Verhältniß bekommen. Ich will es wagen, die Stelle zu
-übersetzen, ob ich Sie gleich zu eben der Zeit bedauren werde, daß Sie
-nicht das Original lesen können.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_35" id="Seite_35">[S. 35]</a></span></p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Wer alles sehen will, was nur die Natur und der Himmel unter den
-Menschen vermag, der komme, diese zu sehen. Aber er komme bald.
-Denn der Tod raubt zuerst die besten, und läßt die schlechtern
-stehen. Dieses in dem Reiche der Götter schon lang erwartete schöne
-und sterbliche Geschöpf geht nur vorüber, und bleibt nicht. Wenn er
-noch zu rechter Zeit kommt, so wird er jede Tugend, jede Schönheit,
-jede erhabene Eigenschaft in einem Körper mit wunderbarer Mischung
-vereinigt sehen. Aber wenn er zu lange zaudert, so wird er nur
-kommen, um beständig zu weinen“<a name="FNAnker_A_1" id="FNAnker_A_1"></a><a href="#Fussnote_A_1" class="fnanchor">[A]</a>.</p></div>
-
-<p>Ist diese Apostrophe nicht das rührendste Gemählde eines von Schmerz
-ganz durch<span class="pagenum"><a name="Seite_36" id="Seite_36">[S. 36]</a></span>drungenen Herzens? Aber nun zum Gedicht selbst. Sie sollen
-nur die besten Strophen davon bekommen.</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse mleft1">Also blühte rühmlich Doris Leben &mdash;</div>
- <div class="verse">Rühmlich mußte sie es wieder geben;</div>
- <div class="verse">Und das grosse Beyspiel im Erblassen</div>
- <div class="verse">Noch der Erde zum Vermächtniß lassen;</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse mleft1">Da ihr lieblich Auge brechen sollte,</div>
- <div class="verse">Stürmend Feuer durch die Adern rollte,</div>
- <div class="verse">Freunde sprachlos matte Hände rangen,</div>
- <div class="verse">Und die Engel froh die Flügel schwangen,</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse mleft1">Schaute sie des Todes letzten Schlägen</div>
- <div class="verse">Voll Geduld und Majestät entgegen,</div>
- <div class="verse">Ruhig, da die Trennung jetzt begonnte,</div>
- <div class="verse">Weil sie nur die Hülle wechseln konnte.</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse mleft1">Keusche Jungfraun, eilt ihr Grab zu ehren.</div>
- <div class="verse">Pflanzt Zypressen, oft benetzt mit Zähren,</div>
- <div class="verse">Und gelobet auf dem Staub der Schönen</div>
- <div class="verse">Euren Wandel einst wie sie zu krönen.</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse mleft1">Aus den Zweigen soll ein Hayn entsprießen,</div>
- <div class="verse">Junge, leicht verführte Töchter müssen</div>
- <div class="verse">Ihn besuchen, die Geschichte hören,</div>
- <div class="verse">Und erröthend sittsam wiederkehren.</div>
- </div>
-<span class="pagenum"><a name="Seite_37" id="Seite_37"></a></span>
- <div class="stanza">
- <div class="verse mleft1">Jährlich sollen freundschaftliche Reyhen,</div>
- <div class="verse">Wo sie schlummert, zarte Lilien streuen,</div>
- <div class="verse">Und das Opfer mit gedämpften Saiten</div>
- <div class="verse">Und wehmüthigem Gesang begleiten.</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse mleft1">Nie, Geliebte, nie wirst du vergessen!</div>
- <div class="verse">Deinen Nachruhm wird kein Ruhm ermessen.</div>
- <div class="verse">Laß noch Einen für die Tugend brennen,</div>
- <div class="verse">So wird er auch dich mit Ehrfurcht nennen.</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse mleft1">Und sollt’ einst auf der undankbar’n Erden</div>
- <div class="verse">Sie verkannt, gehaßt von allen werden;</div>
- <div class="verse">Darf sie nur, um alle zu entzücken,</div>
- <div class="verse">Sich mit deinem süßen Reitze schmücken.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p>Dürfte ich wohl so eigennützig seyn, und mit diesem kleinen Geschenke
-wuchern? Meine Freunde kennen Sie noch nicht als eine eben so
-empfindungsvolle Dichterin, als Sie eine gefühlvolle Ehegattin und
-Freundin sind. Einige von den kleinen Stücken, die Sie mir einmal
-vorlasen, und unter diesen auch das Hochzeit-Gedicht, das Sie für
-einen Ihrer Bekannten gemacht haben, würden mich in den Stand
-setzen, dieses Vergnügen meiner<span class="pagenum"><a name="Seite_38" id="Seite_38">[S. 38]</a></span> Mutter zu machen. Ich würde sogar
-durch die Mittheilung derselben ein gewisses Ansehen bekommen. Ich
-würde Macht haben, Gefälligkeiten auszutheilen; und ich würde gewiß
-meine Geheimnisse nicht so wohlfeil verkaufen. Sie sehen schon, daß
-ich unbescheiden genug bin, auch wohl gar eine kleine Mühe Ihnen
-aufzulegen.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Wenn ich nur dafür im Stande wäre, Ihr Tagebuch, das mich so sehr
-unterhält und mich auf einige Augenblicke wieder zu Ihnen zurück
-bringt, mit einem eben so angenehmen zu vergelten. &mdash; Aber meine
-Geschichte (ich nehme die Unterhaltung mit meiner Mutter aus, und
-die wissen Sie schon größten Theils) ist so einförmig, oft für den
-Helden derselben so langweilig, und fast immer für die Leser so wenig
-unterrichtend, daß ich alle Mal abgeschreckt werde, so oft ich daran
-denke, meine Briefe mit meinen Begebenheiten, anstatt mit meinen
-Empfindungen anzufüllen. Sie sollen unterdessen alle meine Freunde,
-die ich hier hochschätze, kennen lernen. So bald nur der Cirkel von
-Besuchen,<span class="pagenum"><a name="Seite_39" id="Seite_39">[S. 39]</a></span> in dem ich mich jetzt herumgedreht habe, durch seyn wird,
-so werde ich es mir zu einer fest gesetzten Beschäftigung machen, Sie
-ganz in unsere Familie und in unsere Bekanntschaften einzuführen, und
-mich auch zuweilen für die Langeweile, die mir einige davon machen, zu
-rächen.</p>
-
-<p>Meine Reise ist, wie Sie wissen, glücklich, aber dem ungeachtet
-ziemlich unangenehm gewesen. Meine Gesellschafter waren entweder
-Misanthropen oder Schläfer. Ich dankte unterdessen beyden für die
-Muse, die sie mir gaben, an meine Freunde zu denken. Oft in der Mitte
-der Nacht, wenn alles um mich schlief, schweifte meine durch die
-Stille noch mehr aufgeweckte Seele zu allen Wohnungen meiner Freunde
-umher, und segnete ihren sanften und ruhigen Schlaf. Bald flog ich
-unsern langsam kriechenden Pferden zuvor, warf mich in Gedanken zu den
-Füßen des Bettes meiner Mutter, küßte sanft ihre Hand um sie nicht zu
-wecken, und flehte den Beystand der sie bewachenden Engel an, sie mir
-zu beschützen. Bald überraschte ich Sie,<span class="pagenum"><a name="Seite_40" id="Seite_40">[S. 40]</a></span> weit glücklicher als mein
-Freund Reiz, in Ihrem Schlafzimmer, und gebot Ihrem Schutzgeist, Ihnen
-mitten im Schlafe die angenehmsten, fröhlichsten und schönsten Bilder
-vorzustellen, und Ihre Seele, selbst ohne ihr Wissen, noch vollkommener
-zu machen. &mdash; Alsdann &mdash; Ich freue mich, theuerste Freundin, daß unsere
-Freundschaft von der Beschaffenheit ist, daß meine Seele von dem
-Andenken an Sie, unmittelbar zu dem Gedanken an Gott, unsern großen und
-gemeinschaftlichen Freund, übergehen kann, zu dessen Verehrung solche
-Seelen, wie die Ihrige, geschaffen worden. Meine Seele steigt durch
-diese Stufen auf eine leichtere Art bis zu ihm hinauf.</p>
-
-<p>Aber ich muß, ich muß schließen u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="footnotes">
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a name="Fussnote_A_1" id="Fussnote_A_1"></a><a href="#FNAnker_A_1"><span class="label">[A]</span></a>
-Für Freunde des Originals folgt hier das ganze Sonnet:</p>
-
-<div class="poetry-container antiqua">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Chi vuol veder quantunque può natura,</div>
- <div class="verse mleft1">E’l Ciel tra noi, venga a mirar costei,</div>
- <div class="verse mleft1">Ch’è sola un Sol, non pur agli occhi miei,</div>
- <div class="verse mleft1">Ma al mondo cieco, che virtù non cura;</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse">E venga tosto, perchè morte fura</div>
- <div class="verse mleft1">Prima i migliori, e lascia stare i rei;</div>
- <div class="verse mleft1">Questa aspettata regno degli Dei</div>
- <div class="verse mleft1">Cosa bella mortal passa, e non dura.</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Vedrà s’arriva a tempo, ogni virtute,</div>
- <div class="verse mleft1">Ogni bellezza, ogni real costume</div>
- <div class="verse mleft1">Giunti in un corpo con mirabil tempre.</div>
- <div class="verse">Allor dirà, che mie rime son mute.</div>
- <div class="verse mleft1">L’ingegno offeso dal soverchio lume;</div>
- <div class="verse mleft1">Ma se più tarda, avrà da pianger sempre.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-</div>
-
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_41" id="Seite_41">[S. 41]</a></span></p>
-
-<h2 id="Sechster_Brief">Sechster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">B***, den &mdash; Juli.<br />
-1767.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">W</span>issen Sie auch wohl, daß ich Ihre Frage, ob wir noch einerley
-Empfindungen mit einander hätten, für einen Vorwurf würde angesehen,
-und daß mich dieser Vorwurf würde gekränkt haben, wenn ich nicht selbst
-in den Beyspielen, die Sie dafür anführen, eine nette Bestätigung
-dieser Gleichheit Ihrer Gesinnungen mit den meinigen, auf die ich so
-stolz bin, gefunden hätte. Ich kann mir also unmöglich helfen. Ich muß
-erst diese beyden Punkte erörtern, ehe ich ein Wort weiter schreiben
-kann, gesetzt auch, daß Ihnen indeß der Brief vor Langerweile aus der
-Hand fallen sollte.</p>
-
-<p>Zuerst also meine Unzufriedenheit bey meiner Ankunft in B****. Sollte
-ich<span class="pagenum"><a name="Seite_42" id="Seite_42">[S. 42]</a></span> Ihnen erst nöthig haben, die Quellen davon zu entdecken? Sie
-sagen, ich hatte Freunde verlassen, die mich liebten, und ich kam zu
-andern, die ich auch liebte. Haben Sie niemals diese angenehme Mischung
-von Schmerz und Vergnügen, von Verlangen und von Befriedigung, von
-Sehnsucht nach abwesenden Gütern, und von Genuß der gegenwärtigen
-empfunden? Haben sich niemals mit den Thränen, die Sie über den Anblick
-neuer Freunde vergossen, diejenigen vermischt, die Ihnen das Andenken
-an die, von denen Sie sich losgerissen hatten, ablockte? Sie, die Sie
-die menschliche Seele so gut kennen, da Sie Ihre eigene mit so vieler
-Sorgfalt studirt haben, wissen Sie nicht, wie geschickt eine gewisse
-Art von Freude ist, die traurigen Empfindungen, die eine Zeit lang in
-der Seele geschlafen haben, wieder zu erwecken, und mit ihnen vermischt
-einen gewissen Zustand der Ermattung hervorzubringen, wo die Seele, zu
-denken und zu handeln unfähig, unter der Menge von dunkeln Ideen, die
-sich in ihr zusammen drängen, erliegt. So empfand meine gute Mutter den
-Verlust ihrer<span class="pagenum"><a name="Seite_43" id="Seite_43">[S. 43]</a></span> Tochter niemals mehr, als da sie ihren Sohn wieder sah,
-und ich fühlte in den ersten Umarmungen meiner Mutter am meisten, wie
-viel ich an Freunden verloren hatte, die in diesem Augenblicke mit mir
-die Glückseligkeit einer wieder vereinigten Familie würden getheilt
-haben.</p>
-
-<p>Dieses waren die Regungen der ersten Augenblicke. Ihnen folgten andere
-eben so traurige, aber weniger angenehme. Glauben Sie ja nicht, daß
-die guten Leute immer glücklich sind. Wenn sie es wären, so bin ich
-stolz genug zu sagen: unser Haus würde mehr als einen Glücklichen
-einschließen. Aber wie weit, wie weit ist es davon entfernt, daß dieses
-ganz wahr seyn sollte? Meine Mutter, durch die natürliche Zärtlichkeit
-ihres Körpers, und durch die große Empfindlichkeit ihrer Seele, einer
-Menge von Uebeln bloß gestellt, mit denen die Natur härtere und
-fühllosere Menschen verschont hat; durch eine beynahe fortgehende Reihe
-von Unglücksfällen in einer beständigen Uebung dieser Empfindlichkeit
-unterhalten; durch eine sehr schwere und sorgen<span class="pagenum"><a name="Seite_44" id="Seite_44">[S. 44]</a></span>volle Nahrung, die
-sie seit dem Tode ihres Mannes ohne Gehülfen und Rathgeber besorgt,
-abgemattet und entkräftet, von Krankheit und der Annäherung des Alters
-bis zu dem äußersten Grade der Zärtlichkeit in ihren Nerven gebracht;
-und in diesem Zeitpunkte ihrer besten Stütze beraubt, und fast mitten
-unter ihrer Familie einsam und verlassen, &mdash; sagen Sie mir, geliebte
-Freundin, was würden Sie in meinen Umständen fühlen, wenn Sie, so wie
-ich, sich außer Stande sähen, dieser Mutter zu helfen; wenn Sie ihr
-sogar in der Zukunft keine Aussicht, wenigstens keine nahe Aussicht
-anweisen könnten, durch die Sie ihre gegenwärtigen Umstände erträglich
-machten? Sagen Sie mir, liebe Freundin, wo ist die Stelle, die für
-mich zubereitet ist, und von der ich hoffen könnte, meiner Mutter die
-ihrem gütigen Herzen so theuere Glückseligkeit zu verschaffen, in der
-Gesellschaft ihres Sohnes ihre letzten Tage in Ruhe und Zufriedenheit
-zuzubringen? Ich selbst in die Welt nur noch so hingeworfen, in die
-Welt, die, dem Himmel sey es gedankt, nicht ganz leer von Freunden
-für mich, aber viel<span class="pagenum"><a name="Seite_45" id="Seite_45">[S. 45]</a></span>leicht leer von Beförderern und dem, was man
-darin Patronen nennt, ist; ich selbst noch von einem Orte zum andern
-herumirrend, zwar nicht ganz ohne Endzweck, aber doch noch ohne große
-Mittel, diesen Endzweck auszuführen; was kann ich für meine Mutter
-thun, da ich für mich selbst nichts zu thun vermag?</p>
-
-<p>Glauben Sie wohl, daß es mir unter diesen Umständen leicht wird, daran
-zu denken, daß ich meine Mutter verlassen soll; sie so verlassen, ohne
-ihr vorher zu sagen, nach was für einem Plane ich arbeiten werde, um
-ihre Glückseligkeit mit der Erreichung meiner Wünsche zu vereinigen?
-Und doch kann ich nicht anders; ich muß sie verlassen. Alles, sie
-selbst ausgenommen, macht, daß ich diesen Augenblick beynahe wünsche.
-Die Beförderung, die mir meine Vaterstadt darbieten kann, ist, wie Sie
-wissen, nur von einer einzigen Art. Glauben Sie nicht, daß mich der
-Name und die gewöhnliche Verachtung eines Schulmannes abhalten würde,
-in einen Stand zu treten, der, wenn er recht verwaltet<span class="pagenum"><a name="Seite_46" id="Seite_46">[S. 46]</a></span> wird, ehrwürdig
-ist, und den die Vortheile und die Erleichterung, die ich meiner Mutter
-dadurch verschaffe, mir auch sogar liebenswürdig machen würden. Aber
-die Verrichtungen, die hier zuerst denen auferlegt sind, die in diesen
-Stand treten, die Unwissenheit, und noch mehr der elende Geschmack,
-der unter den meisten der hiesigen Schullehrer herrscht, und durch
-sie ohne Zweifel die Studirenden ansteckt; der durchgängige Mangel an
-guter Lebensart bey dieser ganzen Zunft Leuten, unter denen ich doch
-genöthigt würde zu leben; der Mangel an Ermunterung und Hülfsmitteln
-zur Vermehrung der Wissenschaften, die ich mehr schätze als alles;
-endlich, was darf ich es erst sagen, die Entfernung von Freunden, die
-mir theuer sind, um so viel theurer, weil ich sie nicht bloß der Natur
-und Familienverbindungen zu danken habe; &mdash; alles dieses, und was weiß
-ich noch, was für hundert dunkel damit vermischte Vorstellungen mehr,
-machen mir es ganz unmöglich, daran zu denken.</p>
-
-<p>Nun gut also. Ich gehe von B****. Aber wohin? Nach L***zig? Ja
-freilich<span class="pagenum"><a name="Seite_47" id="Seite_47">[S. 47]</a></span> ist dieß der Ort, der mich unter allen am meisten an sich
-zieht. Aber was hälfe es, wenn ich vor mir selbst es verbärge. Es
-ist nicht Hoffnung der Beförderung, sondern das Vergnügen, meine
-Freunde wieder zu sehen, welches mir diese Stadt vor allen andern so
-angenehm macht. Sie wissen selbst, und wenn Sie es nicht wissen, so
-lassen Sie sich es den braven und rechtschaffenen Ebert sagen, was für
-Geduld und Aufopferungen dazu gehören, sein Glück bey der Leipziger
-Akademie zu erwarten. Und während der Zeit, daß ich diese vielleicht
-fehl schlagende Probe machte, würde meine arme Mutter von Alter und
-Sorgen verzehrt, von ihren noch übrigen Freunden vollends entblößt,
-und stürbe, ehe sie die so lange gehoffte und so theuer errungene Ruhe
-ihres Alters gekostet hätte. Lassen Sie mich also auf eine andere
-Universität gehen, wo die Beförderung leichter und geschwinder ist.
-Setzen Sie den besten möglichen Fall. Machen Sie mich in einigen Jahren
-zum Professor in Halle, oder in irgend einem andern solchen Winkel der
-Erde. Jetzt soll ich meine Mutter in ihrem Alter aus ihrem<span class="pagenum"><a name="Seite_48" id="Seite_48">[S. 48]</a></span> natürlichen
-Boden in ein ganz fremdes Land verpflanzen, sie aus einer belebten und
-volkreichen Stadt in einen todten und finstern Flecken führen, sie aus
-dem Cirkel ihrer Freunde und ihrer Bekanntschaften, die sie von langer
-Zeit her kennen, die sie alle hochschätzen, unter ganz fremde und für
-sie noch gar nicht eingenommene Menschen bringen, &mdash; oder mir mit einem
-so groben Stolze schmeicheln, daß ich allein aller deren Stelle würde
-ersetzen können. &mdash; Ist dieses vielleicht nicht ein eben so schwerer
-und trauriger Schritt für beyde? &mdash; Und doch bey dem allen, was bleibt
-mir übrig?</p>
-
-<p>Sie sehen, liebe Freundin, wenn Sie diese Ueberlegungen machen, Sie
-werden meine Unruhe nicht schelten, so gütig Sie mich auch von Ihrer
-Gewogenheit versichert haben, und so gewiß ich von der Liebe der
-Meinigen bin. &mdash; Aber das ist noch lange nicht alles. Ich behalte mir
-dieß auf einen andern Brief vor. Ich kann nicht anders; ich muß Sie mit
-meinen eigenen Angelegenheiten unterhalten. Der Wohlstand würde dieß
-bey Personen,<span class="pagenum"><a name="Seite_49" id="Seite_49">[S. 49]</a></span> die weniger meine Freunde wären, verbieten. Aber es ist
-gar zu eine große und eine zu unentbehrliche Glückseligkeit, zuweilen
-sein volles Herz in den Schoß eines Freundes ausschütten zu können.
-Ich habe Ihnen schon oft gesagt, Sie und Ihr liebster Gemahl machen
-in meiner Einbildungskraft nur Eine Person aus. Sie sind in meinen
-Gedanken eben so unzertrennlich, als Sie es durch Ihre Liebe sind.
-Alles also, was ich Ihnen schreibe, ist zugleich für ihn geschrieben.
-Sein kurzer Brief ist mir dem ungeachtet so angenehm gewesen, als der
-längste Brief hundert anderer mir nicht seyn würde.....</p>
-
-<p>Ich sehe, ich stehe in Gefahr, meinen Brief eben so lang und so voll
-von Digressionen zu machen, als es des Tristram Shandy Roman ist. Also
-nur noch ein Wort von Klopstock und seinen Briefen, und dann nehme
-ich bis auf künftigen Freytag von Ihnen Abschied. (Können Sie wohl
-errathen, was ich da erwarte?)&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Ich wundere mich gar nicht darüber, daß Ihnen des Mannes, und mir der
-Frau ihre<span class="pagenum"><a name="Seite_50" id="Seite_50">[S. 50]</a></span> Briefe zärtlicher vorkommen. Das macht, würde Onkel Tobias
-sagen, Sie sind eine Frau, und ich ein junger Mensch. Ich habe des
-Klopstocks Briefe flüchtig gelesen, der Frau ihre recht aufmerksam. Sie
-haben vielleicht das Gegentheil gethan. Mit einem gleichen Grade der
-Aufmerksamkeit würden wir bey beyden vielleicht gleich viel empfunden
-haben. Ich wenigstens, durch die Verschiedenheit Ihres Gefühls
-aufmerksam gemacht, habe sie noch einmal gelesen, und schon habe ich
-des Klopstock Briefe viel zärtlicher gefunden. Aber, daß es ihre
-weniger sind, das wollte ich doch noch nicht gerne für wahr halten.</p>
-
-<p>Wie gern fieng’ ich noch die eilfte Seite an, um Stellen zu meiner
-Vertheidigung anzuführen! Aber es hilft nichts. Es ist jetzt ein Uhr,
-Dienstags in der Nacht. Möchten doch die gütigen Engel Ihre und Ihres
-Geliebten Ruhe beschirmen u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_51" id="Seite_51">[S. 51]</a></span></p>
-
-<h2 id="Siebenter_Brief">Siebenter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">B***, den &mdash; Juli<br />
-1767.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">W</span>ahrheiten, die uns sehr am Herzen liegen, können niemals zu oft
-bewiesen werden. So ein sophistisches Ding ist dieses Herz, daß es sich
-der Ueberzeugung von eben der Sache am meisten widersetzt, von der es
-am meisten gewiß zu seyn wünscht. Ich, zum Beyspiel, bedarf keiner
-neuen Proben mehr, um zu wissen, daß Sie meine Freundin sind. Und doch,
-mit welchem Vergnügen habe ich diejenigen aufgenommen, die Sie mir
-in Ihren letzten Briefen gegeben haben, gerade so, als wenn dieß die
-ersten gewesen wären. Sie wissen, wie schwer sich Empfindungen durch
-Beschreibungen deutlich machen lassen. Man kann nichts weiter thun,
-als diejenigen, welche ähnliche gehabt haben, an ihr eigenes Gefühl
-erinnern.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_52" id="Seite_52">[S. 52]</a></span></p>
-
-<p>So stellen Sie sich also Ihren lieben Mann, meinen Freund, an dem
-Abende eines sehr geschäftigen Tages vor. Er tritt zuerst mit einer
-etwas tiefsinnigen und zerstreuten Miene in ihr Zimmer. Seine von
-fremden Bildern ganz angefüllte Seele empfängt schon die geheimen
-Einflüsse Ihrer Gegenwart, ohne sie noch zu fühlen; selbst die ersten
-Liebkosungen verschwenden Sie an den Undankbaren vergeblich. Endlich
-thut Ihr Anblick und Ihre Zärtlichkeit ihre gehörige Wirkung; und jetzt
-schweben nur noch die Sorgen der Geschäfte auf der Oberfläche der
-Seele, wie die Nebel an einem heitern Frühlingsmorgen auf dem Gipfel
-der äußersten Berge. So gewinnt der Ehemann einen Schritt nach dem
-andern über den Geschäftsmann &mdash; bis er zuletzt nur ganz allein übrig
-bleibt. Was Ihnen in diesem Augenblicke ein stillschweigender Kuß ist,
-den er Ihnen aus vollem Herzen giebt, ein Druck seiner Hand, bey dem er
-sie zugleich seine Wilhelmine nennt, sehen Sie, das waren für mich Ihre
-Briefe. Versicherungen von Sachen, die wir lange wissen, die wir aber
-gern vergessen, an denen<span class="pagenum"><a name="Seite_53" id="Seite_53">[S. 53]</a></span> wir sogar zweifeln, aus bloßem Muthwillen, um
-sie uns noch einmal versichern zu lassen!</p>
-
-<p>Ich glaube, Sie müssen es schon bemerkt haben, daß es eins von meinen
-Steckenpferden ist, (hieraus können Sie schließen, daß ich den
-Tristram Shandy lese) über alles, was in und mich herum vorgeht, zu
-philosophiren, jede Begebenheit, wenn sie auch die natürlichste und
-gewöhnlichste von der Welt ist, zu erklären und aus Gründen zu zeigen,
-wie sie möglich gewesen ist. Wenn ich mich nicht irre, so war ich eben
-im Begriffe, einen guten Ritt darauf zu thun. Denn, anstatt Ihnen mit
-drey Worten zu sagen, liebe Freundin, Ihre Briefe waren mir herzlich
-lieb, und dann gleich zur Beantwortung ihres Inhalts fortzugehen;
-verwende ich eine und eine halbe Seite, um es zu beweisen, daß es
-möglich gewesen ist, daß ich mich über Ihre Briefe habe freuen können.
-Und doch, welcher Beweis wäre stärker gewesen, als die Aufmerksamkeit,
-mit welcher ich alle Ihre gütigen Vorschläge erwogen habe.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_54" id="Seite_54">[S. 54]</a></span></p>
-
-<p>Nach dem Wunsche, bey Ihnen zu seyn, ist keiner stärker als der, daß
-Sie es zuweilen wünschen möchten, daß ich bey Ihnen wäre. Denken
-Sie also, was es seyn muß, wenn Sie noch mehr thun, und nicht bloß
-wünschen, sondern schon Anstalten machen, mich bey sich zu behalten.
-Wenn es mir jemals schwer angekommen ist, Schwierigkeiten gegen den
-Rath meiner Freunde zu machen, so ist es gegen einen solchen, der
-die größten Wünsche meines Herzens vereiniget. Der Entwurf, den Sie
-mir machen, der freylich der natürlichste und ohne Zweifel auch der
-sicherste ist, ist dem ungeachtet viel zu weit aussehend, als daß
-ich damit meine Mutter beruhigen könnte, die bey Ihrem Alter und
-bey Ihrer Schwäche eine Glückseligkeit, auf die sie so viele Jahre
-warten muß, für gar keine hält. Und wie kann sie hoffen, diesen
-Zeitpunkt zu erleben, wenn die Zeit, die dazwischen ist, mit Sorgen
-und Mißvergnügen angefüllt seyn sollte. Gesetzt aber, ich hätte das
-Ziel erreicht, und meine Mutter wäre noch im Stande, eine so große
-Veränderung vorzunehmen; was sind es nicht für neue Be<span class="pagenum"><a name="Seite_55" id="Seite_55">[S. 55]</a></span>schwerden, die
-die Ausführung unsers Vermögens verursachen würde. &mdash; Meine Mutter
-hat bey allen Beschwerlichkeiten ihrer Nahrung doch auch den Vortheil
-gehabt, daß sich ihr Vermögen besser verinteressirt hat, als durch
-bloßes Ausleihen. Lassen Sie nun von einem nicht großen, aber doch
-für einen ehrlichen Mann hinlänglichen Vermögen das abgehen, was der
-Abzug kostet; setzen sie dazu die Verschiedenheit des Geldes und der
-Preise der Dinge in beyden Ländern, und endlich rechnen Sie noch
-die Schwierigkeiten, die mit der Errichtung einer neuen Haushaltung
-verbunden sind; und Sie werden sehen, daß meine Mutter nicht die Hälfte
-der Bequemlichkeiten würde haben können, zu denen sie hier gewohnt
-ist. Denn daß meine eigene Einnahme einen beträchtlichen Zuschuß zu
-unserer Oekonomie in wenig Jahren machen sollte, dazu sehe ich keine
-andere, als sehr unsichere Hoffnungen. Sehen Sie, so partheiisch
-ich für einen Entschluß bin, der mit meinen Neigungen so sehr
-übereinstimmt, so kann ich es mir doch nicht verhehlen, daß dieses sehr
-beträchtliche Schwierigkeiten sind;<span class="pagenum"><a name="Seite_56" id="Seite_56">[S. 56]</a></span> und was kann ich darauf antworten,
-wenn meine Mutter sie mir entgegensetzt? &mdash; Was anders, als daß die
-Schwierigkeiten für mich, in B**** zu bleiben, noch größer sind, und
-wenn sie sich auch alle auf eine einzige zurück bringen ließen, ich
-meyne diese, daß ich zu dem Stande, der für mich der einzige ist, nicht
-die geringste Neigung habe?</p>
-
-<p>Sie müssen es diesem Briefe ansehen, daß er unter sehr vielen
-Zerstreuungen geschrieben ist. Ich bin gar nicht mit ihm zufrieden.
-Denn bey alle den Schwierigkeiten, die ich mache, wollte ich doch
-nicht, daß Sie glaubten, ich hätte jetzt mehr Lust hier zu bleiben, als
-ehemals. Ich komme mit Gottes Hülfe gewiß auf Michaelis nach Leipzig,
-aber ob um beständig dort zu bleiben, das ist in den Händen der
-Vorsehung.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Ich reise morgen mit dem Herrn Oberforstmeister S**** und seiner
-Gemahlin nach S***witz, wo mein ehmaliger Lehrer und Hofmeister Pfarrer
-ist. Meine Mutter kommt auf den Freytag mit meinem<span class="pagenum"><a name="Seite_57" id="Seite_57">[S. 57]</a></span> Onkel und seiner
-Tochter nach. Dieser geht alsdann mit dem Herrn Oberforstmeister weiter
-ins Gebirge nach L***, um da die Brunnenkur zu brauchen. Wir übrigen
-bleiben in S***witz, und werden dort in einer vortrefflichen Gegend
-vier oder fünf Wochen in dem Hause meines Lehrers zubringen. Dieser
-Aufenthalt könnte mir durch nichts in der Welt unangenehm gemacht
-werden, als wenn Ihre Briefe nicht mehr so richtig einliefen, oder die
-meinigen nicht zu rechter Zeit auf die Post gegeben würden; denn das
-Dorf ist sechs Meilen von B****. Ich werde aber alles mögliche thun, um
-beydes zu verhüten.</p>
-
-<p>Diese Reise macht heute meinen Brief so kurz, und nöthigt mich, den an
-meinen lieben M. Reiz ganz aufzuschieben. Es ist jetzt 12 Uhr in der
-Nacht und morgen muß ich um 6 Uhr auf seyn. Leben Sie wohl!</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_58" id="Seite_58">[S. 58]</a></span></p>
-
-<h2 id="Achter_Brief">Achter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Mittwochs des Morgens.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">I</span>ch wende noch die Augenblicke, die ich vor dem Antritte meiner Reise
-übrig habe, dazu an, an Sie zu denken, und das, was ich gedacht
-habe, niederzuschreiben. Ich weiß, daß sich Ihre freundschaftliche
-Neubegierde nicht bloß damit beruhigen wird, zu wissen wo ich bin. Sie
-werden auch wissen wollen, was ich da mache.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Wenn ich mich nicht irre, so müssen Sie schon Herrn Ringeltauben, in
-dessen Hause ich seyn werde, aus meinen Beschreibungen kennen. Ich
-verehre ihn als meinen Lehrer; und ich liebe ihn als meinen Freund und
-meinen Bruder. Hochachtung und Dankbarkeit sind gewiß die festesten
-Bande, die die Natur hat, zwey nicht ganz unedle Seelen mit einander
-zu verbinden. Sein Haus soll sehr bequem,<span class="pagenum"><a name="Seite_59" id="Seite_59">[S. 59]</a></span> und die Gegend vortrefflich
-seyn. Meine Mutter, die das Land über alles, und den Herrn Ringeltauben
-als ihren Sohn liebt, wird sich dort wieder erholen, und das wird auf
-mich zurück wirken. Endlich werde ich Bücher genug haben, um die leeren
-Stunden auszufüllen. Der Herr Oberforstmeister, mit dem ich reise, ist
-lange im Kriege mit dem General Wobersnow in Leipzig gewesen. Er ist
-ein Mann von sehr vielem Verstande, von einer großen Erfahrung, (da er
-lange Zeit mit den Vornehmsten der Armee und einige Zeit auch mit dem
-Könige selbst umgegangen ist;) und der Mann einer Frau, die beynahe
-meine Gespielin gewesen ist. Der Weg heraus geht an der Oder, in
-einer sehr angenehmen Gegend. Ihre Briefe dürfen Sie nicht anders als
-bisher addressiren. Ich habe gemessene Ordre gestellt, sie mir gleich
-nachzuschicken.</p>
-
-<p>Erwarten Sie also ins künftige Briefe, die voll von ländlicher Unschuld
-und Einfalt, aber auch voll von ländlichem Vergnügen sind.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_60" id="Seite_60">[S. 60]</a></span></p>
-
-<h2 id="Neunter_Brief">Neunter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">S***witz den &mdash; Juli.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">E</span>s giebt gewisse Arten von Vergnügungen, die uns unempfindlich machen,
-weil sie uns berauschen. Indem alsdann die gegenwärtige Empfindung die
-ganze Seele ausfüllt, und ihre gesammten Fähigkeiten bloß in dem Genuß
-erschöpft werden, so werden alle Erinnerungen, alle Reflexionen aus der
-Seele verdrängt, und mit ihnen zugleich die feinern Vergnügungen, die
-auf dieselben gegründet sind. In diesem Zustande ist die ganze Seele
-Maschine, und sie bewegt sich ganz unwillkührlich nach der Richtung des
-Stoßes, die ihr ein so heftiger äußerer Antrieb giebt.</p>
-
-<p>Eine andere Art hingegen, die nur die Sinnen in so weit rührt, als es
-nöthig ist, durch sie die Einbildungskraft rege zu machen, eröffnet
-allen Arten von moralischen Empfindungen den Zugang. Sie macht das
-Herz<span class="pagenum"><a name="Seite_61" id="Seite_61">[S. 61]</a></span> weich, und so zu sagen &mdash; schmachtend. Die Vernunft ist dabey
-heiter genug, alle verwandten Ideen herbeyzurufen, jede angenehme
-Erinnerung mit der augenblicklichen Empfindung zu verbinden, und unter
-die Ergötzungen des Auges und des Ohres die moralischen Vergnügungen
-der Freundschaft und der Tugend zu mischen.</p>
-
-<p>Unter diese letztere Gattung gehört diejenige Art von Vergnügen, die
-ich jetzt genieße. Sie sind so still und so ruhig, wie die Fluren
-des Abends, durch die ich gehe, und eben so heiter und rein, als das
-blaue Gewölbe, das mich deckt. Alles das, was ich sehe, und was die
-Quelle des Vergnügens ist, ist zugleich ein Stoff zu Betrachtungen,
-die vielleicht noch ergötzender sind, als der sinnliche Eindruck
-selbst. Wenn ich dann auf einer großen lachenden Wiese, die von alten
-ehrwürdigen Eichen rings um eingeschlossen, und von dem schwankenden
-Schatten derselben halb überstreut ist, die mildern Einflüsse der
-Abendsonne genieße; dann versetze ich in diese Gegend alle meine
-Freunde. Ich sammle in<span class="pagenum"><a name="Seite_62" id="Seite_62">[S. 62]</a></span> Gedanken diesen kleinen aber ehrwürdigen
-Haufen von Leuten, die ich liebe und die mich wieder lieben, um mich
-herum, alle durch gegenseitige Neigungen an einander gebunden, alle
-von einerley Geiste beseelt, zu einerley Empfindungen aufgelegt, und
-mit eben denselben Arbeiten des Wohlthuns und der Mildthätigkeit
-beschäftigt. Dieses Spiel meiner Einbildungskraft treibe ich so lange
-fort, bis ich ganz von den Gegenständen, die um mich sind, entfernt in
-andern Welten und noch glücklichern Gegenden herumschwebe. Von diesem
-Fluge ermüdet kehre ich wieder zu dem Orte und dem Stande zurück, in
-welchem ich bin, und, Dank sey es meinem Geschick! ich habe bey dem
-Ende meines Traumes noch nicht alles verloren. Meine Mutter, meine
-Cousine, und mein Lehrer und Bruder, die um mich herum sind; Sie,
-die erste meiner Freundinnen, und die übrige Reihe meiner männlichen
-Freunde, die von mir entfernt, aber durch ihr Andenken, durch ihre
-guten Wünsche, und durch ihr Theilnehmen an meinem Wohl, nahe um mich
-sind, alle diese theuern Personen, die mir die gütige Vorsicht<span class="pagenum"><a name="Seite_63" id="Seite_63">[S. 63]</a></span> auf
-dem Wege des Lebens aufstoßen ließ, um durch ihre Begleitung das Rauhe
-und Unangenehme meiner Reise zu versüßen, alle diese sind wirklich
-da, sie lieben mich, sie machen mich durch ihre eigenen Verdienste
-hochachtungswürdig, und geben mir durch ihre Achtung den Werth, den ich
-mir selbst niemals erwerben würde.</p>
-
-<p>Ich habe ausfindig gemacht, (denn was für Mittel sucht man nicht
-auf, wenn man gewisse Sachen nicht verändern kann, um wenigstens uns
-eine andere Seite von ihnen zuzukehren?) daß die Abwesenheit in der
-Freundschaft zu etwas nützlich ist. Sie ist das Maß ihrer Stärke. Ich
-habe neulich im Plutarch gelesen, und wenn es nicht Plutarch gesagt
-hätte, so hätten Sie mir es sagen können, daß der Beweis einer recht
-heftigen Liebe nicht sowohl die Größe des Vergnügens sey, die einer in
-des andern Gegenwart empfindet, als vielmehr die Größe des Schmerzes,
-die ihnen die Trennung verursacht. Mich deucht, man kann eben dieses
-von der Freundschaft sagen. Das Vergnügen des freundschaftlichen
-Um<span class="pagenum"><a name="Seite_64" id="Seite_64">[S. 64]</a></span>ganges ist, ruhig, gemäßigt, und beynahe mehr Heiterkeit als
-Freude; das Verlangen aber, wenn man desselben entbehrt, ist heftig,
-zuweilen gar stürmisch. Sie können glauben, daß ich diese Erfahrung
-bloß von den Empfindungen abstrahire, die mir die Erinnerung an unsere
-ehemaligen Vergnügungen erweckt. Ich weiß also zuverlässig, wie sehr
-ich Ihr Freund bin, ich weiß, wie sehr Sie meine Freundin sind. Diese
-Ueberzeugung ist mir sehr viel werth. Soll ich Ihnen erst sagen, daß
-ich Sie nicht allein meyne, wenn ich von Ihnen rede?</p>
-
-<p>Ich habe Ihnen bisher nur meine Empfindungen erzählt. Jetzt sollen Sie
-noch etwas von meiner Geschichte wissen. Ich habe Ihre Briefe noch
-nicht. &mdash; Ich meyne die, die Sie vergangene Woche geschrieben haben,
-und die verwichenen Freytag in B*** angekommen seyn müssen. Sagen Sie
-mir, ist es nicht mir recht zum Possen, daß die Post nach B***, die die
-Briefe von B**** hierher bringt, gerade eine Stunde eher des Freytags
-abgehen muß, als die<span class="pagenum"><a name="Seite_65" id="Seite_65">[S. 65]</a></span> Ihrigen ankommen? und dann geht keine wieder
-eher, als auf den Dienstag. Ich bekomme sie also erst Mittwochs. &mdash;
-Diese Sache ist gar nicht zu ändern; ich muß also nur aufhören, daran
-zu denken.</p>
-
-<p>Meine Reise ist sehr glücklich und bequem gewesen. Der Herr *** ist ein
-durch seinen Verstand und Erfahrung angenehmer Gesellschafter. Seine
-Frau ist es etwas weniger; und da ein großer Theil ihres Werths in dem
-Range und dem Stande ihres Mannes liegt, so schlägt sie denselben auch
-ein bißchen zu hoch an. Aber das thut nichts. Gegen mich, als einen
-alten Freund und Verwandten, ist sie immer sehr gütig.</p>
-
-<p>Die zwey Tage, die bis zu meiner Mutter Ankunft verflossen,
-recognoscirten wir, ich und mein lieber Bruder, die Gegend. Sie
-können sie nicht leicht schöner jemals gesehen haben. Wir liegen sehr
-nahe an der Oder, an deren Ufer überhaupt die schönsten Gegenden von
-Schlesien sind. Dunkle, ehrfurchtsvolle Hayne, angenehme Wiesen, die
-frucht<span class="pagenum"><a name="Seite_66" id="Seite_66">[S. 66]</a></span>barsten Felder, alle Theile einer bezaubernden Landgegend
-wechseln mit einander ab. An dem einen Orte gehen wir auf einem
-erhabenen Damm, (denn deren müssen hier sehr viele der Gewalt des
-Stroms im Frühjahr entgegengesetzt werden), von dem man auf beyde
-Seiten die Aussicht auf die angrenzenden Wiesen und den dabey gelegenen
-Wald hat. Der Damm selbst ist mit Eichen besetzt, die ihre hohen
-Wipfel einander zuwehen. An einem andern Orte ist ein weitläuftiger
-Thiergarten, von drey Stunden in der Rundung, wo man den angenehmsten
-Schatten, die erfrischendste Kühle, und den erfreuenden Anblick von
-munteren, freyen und glücklichen Geschöpfen zugleich genießt. An einem
-dritten Orte ist ein dicker beynahe unwegsamer Wald, wo selbst die
-mittägliche Sonne keinen Zugang findet, und wo die melancholische
-Stille nur durch das Rauschen der Aeste, oder das entfernte Girren der
-Turteltaube, oder das Geräusch eines sich mitten im Walde durch die
-Aeste durcharbeitenden Hirsches unterbrochen wird.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_67" id="Seite_67">[S. 67]</a></span></p>
-
-<p>Hier stellen Sie sich also mich, an meiner Seite meine Mutter, meine
-Schwester (denn so habe ich meines Onkels Töchter immer betrachtet,
-und so habe ich sie geliebt) und meinen Freund vor. Da der Herr ****,
-seine Frau, und mein Onkel, in das Bad gegangen sind, so herrschen wir
-hier ganz allein. Wir stehen nicht eben sogar früh auf. Wir trinken
-gemeinschaftlich unsern Thee. Wir verdienen unsere Mittagsmahlzeit
-durch einen recht guten Spaziergang, von dem wir zuweilen unterwegs
-unter einer hohen Eiche ausruhen. Die heißen Stunden sind zur Lektüre
-und zur Arbeit bestimmt. Der Abend ist ganz zu ländlichen Vergnügungen.
-Wir schlafen ruhig und vergnügt, weil keine unsere Ergötzungen etwas
-anders als das Verlangen zurück läßt, sie zu wiederholen.</p>
-
-<p>Ich lese meiner Mutter zuweilen auf einer Rasenbank, die eine große
-Haselstaude beschattet, aus den Gedichten des <em class="gesperrt">Gisecke</em> vor. O
-diesen Mann müssen Sie lesen. Er ist der Dichter der Freundschaft und
-der ehelichen Liebe. Wer kann also ihn besser<span class="pagenum"><a name="Seite_68" id="Seite_68">[S. 68]</a></span> richten? und wessen
-Beyfall würde ihn mehr belohnen? Er ist nicht immer stark, aber er ist
-immer gut. Leben Sie tausend Mal wohl u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 id="Zehnter_Brief">Zehnter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">S***witz den 27. Juli.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">O</span>b ich gleich befürchten muß, daß meine Briefe Sie nicht in Leipzig
-treffen, so kann ich es doch nicht über mich erhalten, keine zu
-schreiben. Einen Brief an Sie schreiben, ist wenigstens halb so viel,
-als einen von Ihnen bekommen. Ich glaube, ich habe Ihnen das schon
-einmal gesagt. Aber das thut nichts. Ich fürchte es nicht, mich in
-einer Sache zu wiederholen, die auf einerley Art empfunden auch
-nur auf einerley Art ausgedrückt werden kann. Ich habe überhaupt
-gemerkt, daß wahre Empfindungen sich zwar richtiger, aber niemals so
-mannigfaltig ausdrücken lassen, als<span class="pagenum"><a name="Seite_69" id="Seite_69">[S. 69]</a></span> diejenigen, welche Geschöpfe der
-Einbildungskraft sind. Der schöne Geist und das empfindliche Herz sind
-deßwegen nicht immer beysammen, und zu gefallen und zu rühren, sind
-zwey sehr verschiedene und oft einander entgegenstehende Sachen.</p>
-
-<p>Sie sind also in Dreßden. Denn ich bin so glücklich gewesen, Ihren
-ersten Brief Mittwochs, und den andern unmittelbar darauf Freytags
-zu bekommen. Ich weiß nicht, warum mir diese Reise gar nicht recht
-war. Sie schienen nicht mir näher zu kommen, sondern sich von mir
-zu entfernen. Endlich bin ich auf die Ursache gekommen; wenigstens
-das Wahrscheinliche fürs Gewisse zu nehmen. Ich fürchtete, unser
-Briefwechsel würde gestört werden. Ueberdieß, glaube ich, weiß
-ich Sie gern zu Hause, weil ich mir den Ort, wo Sie sind, und die
-Beschäftigungen, die Sie da vornehmen, besser vorzustellen weiß. Das
-Bild ist lebhafter, weil es mehr bestimmt ist. In Dreßden können Sie
-da und da und da seyn. Aber wo Sie wirklich sind, und was Sie wirklich
-machen, das kann ich mir zu<span class="pagenum"><a name="Seite_70" id="Seite_70">[S. 70]</a></span> keiner einzigen Stunde des Tages mit
-Gewißheit denken. Ich befinde mich in einem fremden Ort, wo ich meine
-Freundin bey jedem Schritt, den sie sich von mir entfernt, verliere,
-und sie kaum mit der größten Mühe des Abends im Gasthofe wieder finde.</p>
-
-<p>Endlich, (denn Sie müssen wissen, ich suche mein Herz zu studiren,
-besonders wenn ich irgend eine ungewöhnliche Bewegung darin merke,
-und das nicht mehr bloß um meinet, sondern auch um Ihretwillen;)
-endlich also überfiel mich die bey einer wirklichen Freundschaft so
-natürliche Eifersucht. Ich weiß die eigentliche Absicht Ihrer Reise
-nicht. Aber das konnte ich mir doch vorstellen, daß Sie dort neue
-Verbindungen errichten würden, oder durch schon gemachte Verbindungen
-dazu wären veranlasset worden. Könnten eine Menge von neuen Eindrücken
-nicht die alten verdunkeln, wenn sie auch nicht im Stande wären, sie
-auszulöschen? Sie werden allenthalben, wo Sie hinkommen, und wo man
-noch Geist und Herz genug hat, um es an andern gewahr zu werden,
-Freunde finden.<span class="pagenum"><a name="Seite_71" id="Seite_71">[S. 71]</a></span> Ich müßte sehr verblendet, und mehr eitel als
-ehrgeitzig seyn, wenn ich mich überreden sollte, daß mich nicht viele
-dieser Freunde an allen Arten von Vorzügen übertreffen sollten. Und
-ist es nicht in der Natur, dachte ich, daß man das bessere dem weniger
-guten vorzieht?</p>
-
-<p>Dieser Gedanke würde mich niedergeschlagen haben (und doch bin ich
-sonst großmüthig genug, mich wie Phocion, oder wer es sonst war, zu
-freuen, daß es so viel bessere Menschen giebt als ich) aber jetzt
-würde mich dieser Gedanke niedergeschlagen haben, wenn mir nicht noch
-ein Vorzug von mir eingefallen wäre, den ich willens bin, dem größten
-Theil Ihrer Freunde, oder lieber (denn was soll ich heucheln?) allen
-Ihren Freunden streitig zu machen. Ich liebe und schätze Sie so hoch,
-&mdash; als es Ihr Bruder thun könnte. Erlauben Sie mir immer, daß ich mir
-einen Ehrennamen beylege, zu dem Sie mir selbst das Herz gegeben haben.
-Ich liebe Ihren Mann, ich liebe Ihre kleine Wilhelmine, ich liebe Ihre
-Freunde; selbst ehe ich sie noch kenne, empfehlen sie sich mir schon
-durch die<span class="pagenum"><a name="Seite_72" id="Seite_72">[S. 72]</a></span>sen Namen mehr als durch alle Lobsprüche. Ich brenne vor
-Begierde, an dem Glück und an dem Vergnügen einer solchen würdigen
-Familie zu arbeiten; selbst meiner Freundschaft wünschte ich den Segen,
-daß sie ein neues Band der ehelichen Liebe zwischen Ihnen beyden wäre,
-auf die sich Ihre ganze Glückseligkeit gründet. Ich wünschte mir
-einen größern Verstand, um Sie durch meinen Rath zu der glücklichsten
-Mutter der vollkommensten Tochter zu machen; und mehr Tugend und mehr
-Herrschaft über meine Leidenschaften, um Sie auf eben dem Wege, durch
-welchen ich gegangen wäre, zu der Ruhe und der Heiterkeit der Seele
-zu führen, die wir uns beyde so sehr wünschen, und die so oft durch
-geringe Veranlassungen unterbrochen wird. Ich bin jetzt nahe dabey,
-Ihre Frage zu beantworten, und nicht bloß Ihre, sondern auch meine
-eigene.</p>
-
-<p>Der heutige Tag, sagte ich manchmal zu mir selbst, ist vollkommen dem
-gestrigen ähnlich. Alle Umstände sind dieselben. Nicht ein einziges von
-meinen Gütern ist mir ge<span class="pagenum"><a name="Seite_73" id="Seite_73">[S. 73]</a></span>nommen. Nicht ein Wunsch ist heute von seiner
-Befriedigung weiter zurück gesetzt, als er es gestern war. Und doch
-war ich gestern vergnügt, und heute bin ich traurig und mißvergnügt.
-Ich habe diese Betrachtung erst vor wenig Tagen wiederholt, wo mein
-Zustand des Gemüths dem Ihrigen vollkommen ähnlich war; ob ich Sie
-gleich warnen muß zu glauben, daß eine gewisse Munterkeit im Ausdrucke
-ein richtiges Maß für den Grad des Vergnügens sey, den ich zu der
-Zeit genieße. Man kützelt sich zuweilen um zu lachen, eben indem man
-Schmerzen empfindet. Ich bin heute recht vergnügt, aber es würde die
-unnatürlichste Sache von der Welt für mich seyn, Lachen zu erregen.
-Also zu unsrer Untersuchung zurück! Sie wissen, daß die stärksten
-Triebfedern unsrer Seele im Dunkeln liegen. Die Wirkung wird um desto
-schwächer, je sichtbarer die Ursache ist. Das Deutliche reducirt sich
-immer auf wenige Begriffe, die bald überzählt sind, und deren Summe
-niemals etwas so großes ausmachen kann, daß man davor erschrecken
-sollte. Alles das kommt uns nur unermeßlich vor, dessen Grenzen<span class="pagenum"><a name="Seite_74" id="Seite_74">[S. 74]</a></span>
-wir nicht kennen. Sehen Sie, eben so entsteht unser Unmuth, wie an
-dem heitern Himmel sich ein kleiner schwarzer Punkt erst in eine
-kleine Wolke ausbreitet, dann sich immer mit den benachbarten Dünsten
-vermischt und endlich den ganzen Horizont ringsum verdüstert. So lassen
-Sie also in diese fröhliche Seele, deren ganze Saiten von dem Vergnügen
-ausgespannt sind, jeden Eindruck anzunehmen und zu verdoppeln,
-lassen Sie in dieselbe ein einziges Wort eines Geliebten fallen,
-eines Ehegatten, oder eines Freundes, das dem Grade der erwarteten
-Zärtlichkeit nicht entspricht; eine kleine Ungeschicklichkeit, die
-wir selbst begehen, und die in uns die Erinnerung unsrer übrigen
-Schwachheiten wieder erweckt; eine kleine Schwierigkeit bey der
-Ausführung irgend einer unsrer Absichten, selbst die Empfindung einer
-kleinen Unordnung im Körper. Auf einmal kommen die Vorstellungen von
-alle dem Unangenehmen, was in unserm ganzen Zustande ist, zu Hauf. Das
-Vergnügen hatte sie, so wie die Sonne den Nebel, nicht vernichtet,
-sondern nur aus einander getrieben. Gegenwärtiges, Vergan<span class="pagenum"><a name="Seite_75" id="Seite_75">[S. 75]</a></span>genes,
-Zukünftiges, alles drängt sich in unsere enge Seele zusammen, und macht
-darin ein solches Chaos, und so eine wilde Vermischung, daß aller unser
-Verstand, und wenn wir auch der Stoische Weise wären, nicht zureicht,
-es aus einander zu setzen. Alle Uebel werden in diesem Augenblicke
-unendlich, unaufhörlich, unvermeidlich. Altes verliert sein Maß und
-seine Grenze, weil es beständig mit etwas anderm vermischt ist, das wir
-davon nicht scheiden können oder wollen. Wenn man einmal so glücklich
-ist, so weit zu kommen, sich sein ganzes Unglück nach einander
-herzuerzählen; oder wenn man genöthiget wäre, es in diesem Augenblicke
-einem andern zu sagen, so würde man sich wundern, wie Sachen, die,
-wenn man sie sagt, so wenig betragen, doch, wenn man sie bloß dunkel
-fühlt, einen so großen Eindruck machen und so viel Verwüstung anrichten
-können. Ergänzen Sie diese Gedanken durch Ihre eigene Erfahrung.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Aber sagen Sie mir auch dazu, was ich nicht thun kann, wie man es
-anstellen muß,<span class="pagenum"><a name="Seite_76" id="Seite_76">[S. 76]</a></span> um dieser Unruhe &mdash; ich will nicht sagen, ganz los zu
-werden, denn das möchte ich nicht einmal; wenn man die Empfindlichkeit
-von seinem eigenen Uebel wegnimmt, so verliert man auch die gegen
-die Uebel anderer, &mdash; aber sie doch zu mäßigen. Bloß moralische
-Vorschriften sind vergebens. Der Verstand geht seinen Weg, und die
-Einbildungskraft den ihrigen. Es müssen Uebungen, ordentliche Uebungen
-seyn. &mdash; Aber das ist eine Materie, wozu ich Ihren Verstand brauche. &mdash;
-Ich schriebe gerne mehr, aber Sie möchten alsdann wirklich anfangen,
-kürzere Briefe zu wünschen, und dann sehe ich schon zum Voraus,
-würde ich trotz aller meiner Philosophie in eben den Unmuth und die
-Unzufriedenheit verfallen, die ich beschreibe. Leben Sie wohl u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_77" id="Seite_77">[S. 77]</a></span></p>
-
-<h2 id="Eilfter_Brief">Eilfter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">S***witz den 4. Aug.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">I</span>ch wußte wohl, daß ich die Reise nach Dreßden nicht umsonst fürchtete.
-Ich habe keine Briefe von Ihnen, und das zu einer Zeit, wo ich sie am
-allermeisten nöthig gehabt hätte, um mir Muth und Entschlossenheit
-dadurch zu geben. Sie sind also noch nicht aus Dreßden zurück gewesen,
-oder Sie waren von der Reise zu müde, oder &mdash; diese unglückliche
-Sucht Ursachen zu allem zu finden, macht daß wir jede gewöhnliche
-Begebenheit durch unsere Auslegung zur Qual für uns machen. Denn daß
-Sie noch meine Freundin sind, daß Sie es noch eben so sehr sind, als
-da ich Sie das letzte Mal in Borsdorf Thränen vergießen sah, (ein sehr
-kostbares Denkmal Ihrer Freundschaft!) das lasse ich mir selbst meine
-melancholische Einbildungskraft in ihren finstersten Stunden nicht
-ausreden. Aber warum<span class="pagenum"><a name="Seite_78" id="Seite_78">[S. 78]</a></span> konnte mein Freund Reitz nicht schreiben, daß Sie
-noch nicht gekommen wären? Gewiß, ich würde in ähnlichem Falle diese
-Aufmerksamkeit für ihn gehabt haben.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Mit mir sind unterdessen manche Veränderungen vorgegangen; &mdash; nicht
-eben mit meinen Umständen, aber mit meinen Aussichten. Ich stehe seit
-einigen Tagen alles Unangenehme der Unentschlossenheit und des Zweifels
-aus. &mdash; Gellert hat mir seit drey Posttagen drey Mal geschrieben. &mdash;
-Sie wissen, daß, als ich noch in Leipzig war, ein Hofmeister für des
-Graf F.. ältesten Sohn gesucht wurde. Gellert hielt mich dazu für
-tüchtig. Ich selbst hatte Lust. Globig aber hatte dazu schon Jemand
-erwählt, der aus Göttingen angekommen war. Dieser wurde vom Grafen
-nicht angenommen. Nach ihm wurde M. Kraft, (eben der, dem ich in
-meiner Abwesenheit meine Stube eingeräumt hatte) vorgeschlagen und
-angenommen. Dieser geht nach Petersburg als Astronom. Gellert war
-so aufmerksam, diese Gelegenheit sogleich zu ergreifen, und mich an
-Globigen<span class="pagenum"><a name="Seite_79" id="Seite_79">[S. 79]</a></span> mit aller seiner gütigen Partheylichkeit zu empfehlen. Vor
-acht Tagen erhalte ich einen Brief von Gellert, in welchem einer vom
-Präsidenten an ihn eingeschlossen ist. Er meldet ihm, daß der von ihm
-empfohlene Mensch wäre angenommen worden, oder auf Michaelis angenommen
-werden könnte. Der Graf verlangte dabey einen Plan zu dem Unterrichte
-seines Sohnes, der 15 Jahr alt, von guten Talenten, und nicht ohne
-Wissenschaften seyn soll.</p>
-
-<p>Kaum hatte ich diesen Brief beantwortet, ihm für seine Güte gedankt,
-und ihm meinen Entschluß und die Einwilligung meiner Mutter gemeldet,
-so kommt von ihm ein zweyter. Ich erwartete nichts Geringeres, als den
-Tod des Grafen; denn er ist sehr krank gewesen. Aber es war noch ein
-zweyter Vorschlag. Sie kennen die <a id="frauvoni"></a>Frau von I., eine K..sche Tochter,
-und ihre zwey Söhne, von denen der älteste lahm ist. M. Hahn war bisher
-ihr Hofmeister. Dieser kommt nach Hamburg, und die Frau Obersten
-sucht einen neuen. Der junge Herr soll bald in die<span class="pagenum"><a name="Seite_80" id="Seite_80">[S. 80]</a></span> Collegia gehen,
-und der jüngste soll bloß der Aufsicht, nicht aber dem Unterricht des
-Hofmeisters anvertraut werden. Das Gehalt ist 150 Thaler. Wenn diese
-Stelle außer Leipzig läge, so hätte ich sie geradezu ausgeschlagen.
-Aber meine Freunde wieder zu sehen, Sie wieder zu sehen, Gellerten &mdash;
-alle, alle wieder zu sehen, bey Ihnen zu leben, &mdash; das ist mehr als man
-braucht, um eine noch seltsamere Frau, als die Frau von J. ist, und
-einen noch beschränkteren Eleven, als ich mir ihren Sohn vorstelle,
-ertragen zu lernen.</p>
-
-<p>Sagen Sie mir, was hätten Sie mir gerathen, Sie und Ihr lieber Mann,
-wenn ich bey Ihnen gewesen wäre? Ich will Ihnen sagen, was ich gethan
-habe. Ich habe die Entscheidung Gellerten überlassen; ich habe ihm die
-Bewegungsgründe und die Schwierigkeiten auf beyden Seiten vorgestellt.
-Wenn alles gleich wäre, so würde ich ohne Streit F..s Haus dem J..schen
-vorziehen, von dem ich weder mehr Ansehen, noch mehr Umgang mit der
-großen Welt, noch mehr Glück aufs künftige zu erwarten habe. In<span class="pagenum"><a name="Seite_81" id="Seite_81">[S. 81]</a></span> beyden
-Fällen komme ich doch erst nach Leipzig, und sehe Sie wieder.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Ich schriebe gern noch mehr, aber um mich selbst zu verläugnen, und um
-Sie von meinen langen Briefen ausruhen zu lassen, sage ich kein Wort
-mehr, als daß ich u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 id="Zwoelfter_Brief">Zwölfter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">E</span>in treuer, freundschaftlicher Rath kommt niemals zu spät, wenn er auch
-gleich eine geschehene Wahl nicht mehr ändern kann. Sie wissen, ich
-schrieb Gellerten, an eben dem Tage, da ich Ihnen die Nachricht davon
-gab. Es würde mir schwer werden, eine Entscheidung, die ich ihm einmal
-übergeben habe, wieder zurück zu nehmen. Ich bin in der That vollkommen
-Ihrer Meynung, daß es immer gefährlich ist, dem Urtheile eines andern
-(und wäre dieser andere auch der<span class="pagenum"><a name="Seite_82" id="Seite_82">[S. 82]</a></span> weiseste und rechtschaffenste Mann)
-eine Entscheidung zu überlassen, bey der er, wenn es möglich wäre,
-sich in uns verwandeln müßte, wenn er richtig urtheilen sollte. Dem
-ungeachtet glaube ich, daß ich es nach den Umständen, in welchen ich
-war, so machen mußte. Diese Erinnerung wird mich trösten, der Ausgang
-der Sache mag seyn, welcher er will. Um mich aber auch bey Ihnen zu
-rechtfertigen, so sollen Sie diese Umstände wissen.</p>
-
-<p>Sie kennen die Schwierigkeit, (oder wenigstens können Sie sich sie
-vorstellen), die es einen Menschen kostet, dessen Glück oder Unglück
-nicht ihn allein trifft, sondern sich auf Personen ausbreitet, die
-ihm theurer als sein eigen Leben sind, was es diesen Menschen, sage
-ich, kostet, einen Entschluß zu fassen, von welchem diese Personen
-glauben, daß er für sein künftiges Schicksal so wichtig ist. Wenn
-man das Unglück hat, Niemand in der Welt anzugehören und eine mit
-dem übrigen menschlichen Geschlecht nicht zusammenhängende Insel
-auszumachen, so hat man entweder Muth oder Unbesonnenheit genug,<span class="pagenum"><a name="Seite_83" id="Seite_83">[S. 83]</a></span>
-geschwind zu entscheiden. Neigung, und die auf eine gewisse Seite
-gerichtete Einbildungskraft geben der Wahl bald den Ausschlag. Wenn man
-aber so wie ich, als Sohn, als Verwandter, als Freund, in Verbindungen
-steht, die an unser Wohl das Wohl anderer verknüpfen, so wird ein
-Entschluß schon weit schwerer, für dessen Erfolg man so vielen Personen
-Rechenschaft zu geben hat.</p>
-
-<p>Setzen Sie nun noch, daß die Sache so sehr ungewiß ist, wie die
-meinige, und daß so viel andere, von uns ganz unabhängige Begebenheiten
-zusammen kommen, und uns helfen müssen, wenn sie nicht fehl schlagen
-soll: wer kann alsdann kühn genug seyn, für den Ausgang zu stehen,
-besonders wenn man durch unglückliche Beyspiele geschreckt ist. Man
-glaubt in diesen Fällen sehr leicht, daß das, wozu sich eine besondere
-Gelegenheit anbietet, mehr als ein Ruf der göttlichen Vorsehung
-angesehen werden kann, als das, wozu nichts als unser Entschluß etwas
-beygetragen hat. Vielleicht ist dieses zuweilen Vorurtheil. Aber
-scheint es uns alsdann nicht Wahrheit, wenn<span class="pagenum"><a name="Seite_84" id="Seite_84">[S. 84]</a></span> die Unternehmung mißlingt?
-Nach Leipzig ohne Ruf und Veranlassung zu gehen, und auf gut Glück
-Vorlesungen anzufangen, wie viel Stimmen glauben Sie wohl, daß ich hier
-dafür würde gefunden haben? Noch dazu da Leipzig außer unsers Herrn
-Ländern liegt, wo, wenn gegen die Regeln der Wahrscheinlichkeit alles
-aufs glücklichste fällt, am Ende doch immer die Schwierigkeit übrig
-bleibt, die die Versetzung einer ganzen Familie und ihres Vermögens
-in einen entfernten Ort mit sich führet. Was blieb mir also bey dem
-Wunsch und beynahe bey dem Bedürfniß, das ich hatte, nach Sachsen
-zurückzukommen, was blieb mir anders übrig, als eine Art von Beruf
-zu wünschen, die mir mehr und stärkere Ursachen verschaffte, mein
-Vaterland wieder zu verlassen, als meine bloße Neigung seyn konnte.</p>
-
-<p>Dieses war die erste Ursache, warum ich eine Hofmeisterstelle wünschte,
-zu der mich sonst nicht Noth noch eine sehr große Lust, Hofmeister zu
-seyn, antrieb. Diesen Gesichtspunkt einmal festgesetzt, erschien mir
-die<span class="pagenum"><a name="Seite_85" id="Seite_85">[S. 85]</a></span> Sache auch von andern Seiten vortheilhaft, so wie gemeiniglich,
-wenn unsere Neigung festgesetzt ist, unser Verstand die Mühe über
-sich nimmt, sie durch Gründe zu rechtfertigen, die doch nichts dazu
-beygetragen hatten, sie hervorzubringen. Ich fand als Hofmeister
-eines jungen Herrn von Stande meine Lust, die Welt, und wenn es seyn
-könnte, die große Welt etwas kennen zu lernen, befriedigt; ich sah
-in der Ferne die Aussicht zu Reisen. Endlich glaubte ich, daß, wenn
-sich durch diesen Weg die Schwierigkeiten des akademischen Lebens,
-besonders in Leipzig, etwas erleichtert hätten, wenn es dadurch für
-mich wahrscheinlicher geworden wäre glücklich zu seyn, als es für
-jeden andern ist, der mit eben so viel Zuversicht, wie ich, seine
-Vorlesungen anschlägt: daß, sage ich, ich alsdann meine Verwandten und
-Freunde durch stärkere Gründe würde bewegen können, einen beständigen
-Aufenthalt in Leipzig genehm zu halten. Dieses sind die Ursachen, warum
-ich es für nothwendig gehalten habe, unter einem von beyden Vorschlägen
-wählen zu müssen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_86" id="Seite_86">[S. 86]</a></span></p>
-
-<p>Wenn sich keine solche Gelegenheiten angeboten, oder wenn ich sie
-ausgeschlagen hätte; wissen Sie, was für ein Entwurf an dessen Stelle
-getreten wäre? Ich würde diesen Winter in B**** geblieben seyn. (Und
-würde ich wohl diese Bitte meiner Mutter haben abschlagen können, wenn
-ich ihr weiter nichts, als bloß die Begierde lieber anderswo als bey
-ihr zu seyn, zum Bewegungsgrunde hätte vorzulegen gewußt?) Man würde
-während der Zeit Versuche auf mich gethan haben, meinen Aufenthalt in
-meinem Vaterlande beständig zu machen. Wenn ich gegen alle Vorschläge
-hartnäckig genug ausgehalten hätte, so würde ich endlich künftige
-Ostern nach Halle gegangen seyn, und zu lesen angefangen haben. Ich
-weiß, daß dieß doch vielleicht das Ende der Sache seyn wird. Aber
-genug, ich bin zufrieden, wenn es nur jetzt nicht geschieht, und wenn
-ich noch zuvor das Ziel von Geschicklichkeit und Wissenschaft an einem
-dazu weit bequemern Orte erreiche, ohne welches ich mich selbst für
-einen unwürdigen Lehrer der Akademie halten würde.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_87" id="Seite_87">[S. 87]</a></span></p>
-
-<p>Was nun die Wahl unter beyden betrifft, so war die Zeit zur Ueberlegung
-kurz; meine Neigung durch die Vortheile der Nation des Ministers, und
-durch die Vortheile des Orts bey der andern getheilt; meine Mutter
-höchst unschlüssig, furchtsam, mich den Schwierigkeiten und Gefahren
-bloß zu stellen, die sie im Dienste der Großen für mich zu finden
-glaubte, und doch auch ungewiß, ob die Vortheile diese Gefahren nicht
-überwiegen; ich selbst nicht vermögend genug, sie von allen Umständen,
-die die J..sche Condition heruntersetzen, zu unterrichten, und nicht
-dreist genug, mir alle die Talente zuzuschreiben, die des Grafen seine
-zu erfordern schien. Was konnte ich thun, um mich und sie zugleich
-zu beruhigen, als die Entscheidung einem Manne auftragen, der beyde
-Stellen besser kennen muß, wie ich.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Noch ist von ihm keine Antwort da. Wenn er für die J..sche entscheidet,
-so bestehe ich durchaus auf der Bedingung, Collegia lesen zu dürfen.
-Ohne das wird nichts daraus; das versichere ich Sie heilig. Und nun,<span class="pagenum"><a name="Seite_88" id="Seite_88">[S. 88]</a></span>
-l. F., verlassen Sie mich nicht mit Ihrer Liebe, Ihrem Rathe und mit
-Ihrem Beystande. In unserer Freundschaft finde ich einen Trost, der mir
-jede Schwierigkeiten leichter überwinden, und jeden Kummer ertragen
-hilft u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 id="Dreyzehnter_Brief">Dreyzehnter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">S***witz den 12. Aug.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">W</span>enn Sie noch mehr solche schöne Briefe, und solche angenehme
-Erzählungen nach S**** schreiben, so werden alle meine Freunde anfangen
-auf mich neidisch zu werden. Wenn Sie nur sehen sollten, mit was für
-Begierde hier Jedermann Ihre Briefe erwartet, mit wie viel Ungeduld
-wir uns nach dem Bothen umsehen, der sie uns bringen soll, und wie
-wenig einer dem andern Zeit lassen will, sie durchzulesen. Sie können
-glauben, daß ich mir nicht wenig darauf zu<span class="pagenum"><a name="Seite_89" id="Seite_89">[S. 89]</a></span> Gute thue, daß an mich die
-Briefe zuerst kommen, und daß ich nicht nur dieses Vergnügen zuerst
-genieße, sondern es auch alsdann in meiner Macht habe, Gefälligkeiten
-damit auszutheilen.</p>
-
-<p>In der That, ich würde meine hiesigen Freunde nicht so hoch schätzen,
-wenn sie das Glück, eine solche Freundin zu besitzen, nicht für
-beneidenswerth hielten. Meine Mutter insbesondere, die jeder Beweis
-von der Rechtschaffenheit ihres Sohnes mehr als alles erfreut &mdash;
-(und welcher Beweis könnte stärker seyn, als der, daß er von solchen
-Freunden ihrer Gewogenheit werth gefunden wird?) meine Mutter ist so
-sehr von ihren Briefen eingenommen, daß ein Posttag ohne Briefe ihr
-beynahe schon eben so viel Unruhe macht, als mir selbst. Darf ich es
-Ihnen wohl erst sagen, daß uns der letzte diese Unruhe gemacht hat?
-Denn in der That hatten wir Herz genug, drey Tage nach dem Empfang
-Ihres letzten Briefes schon wieder einen neuen zu erwarten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_90" id="Seite_90">[S. 90]</a></span></p>
-
-<p>Ich habe immer geglaubt, man müsse den Menschen aus den Gegenständen
-seines Vergnügens kennen lernen. Ich habe Leute gesehen, die in ihren
-Geschäften vernünftig genug schienen, und die sich doch nach geendigter
-Arbeit in der elendesten Gesellschaft und durch die abgeschmacktesten
-Zeitvertreibe erholen konnten. Diese Leute könnte ich nimmermehr zu
-meinen Freunden machen. Wenn ich aber Jemand, so wie meine Freundin,
-sich an dem Anblick einer tugendhaften und glücklichen Familie erfreuen
-sehe; wer durch den Anblick einer zärtlichen und sorgfältigen Mutter,
-eines gütigen Herrn, liebreicher und gutgearteter Bedienten, kurz eines
-solchen Hauses, wie Sie mir das Gärtnersche beschreiben, gerührt wird,
-für dessen Güte bin ich Bürge, und ohne ihn zu kennen, öffnet sich
-schon mein Herz gegen ihn zu sympathetischen Empfindungen.</p>
-
-<p>Wie gern möchte ich der Rektor von Königsbrück in dem Augenblick
-gewesen seyn, da Sie ihn in seinem Hause überraschten. Ich habe
-mich schon oft darüber gefreuet, daß<span class="pagenum"><a name="Seite_91" id="Seite_91">[S. 91]</a></span> das Schicksal einige unserer
-Begebenheiten eben so ähnlich gemacht hat, als es unsere Empfindungen
-sind. Ich weiß, Sie sagten mir einmal, daß Sie von allen Ihren Lehrern
-wären außerordentlich geliebt worden. Der Besuch in Königsbrück hat
-mich wieder an dieses Gespräch erinnert. Mein gütiges Schicksal hat
-mir eben so nachsehende, oder eben so liebreiche Lehrer gegeben. Alle
-sind meine Freunde gewesen, und haben mich mit einer vorzüglichen
-Gewogenheit beschenkt. Sie wissen, daß ich jetzt sogar in dem Hause
-meines Lehrers wohne, der aber noch weit mehr mein Freund ist.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Von diesem glücklichen Montage, wo Sie vergnügt waren, weil Sie andere
-vergnügt machten, habe ich Sie mit Freuden wieder zurück an die
-Stelle begleitet, wo Sie sonst oft von einem andern mehr ungestümen
-Freunde überfallen wurden, der bey Ihnen alle Mal seine Ruhe und seine
-Heiterkeit wieder fand, wenn er beydes durch seine eigene Schwäche,
-oder durch unglückliche Nachrichten von seinen Freunden, verloren
-hatte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_92" id="Seite_92">[S. 92]</a></span></p>
-
-<p>Die Beschäftigungen der Ehegattin, der Hausfrau, der Mutter haben mir
-immer die edelsten geschienen, die ein menschliches Geschöpf einnehmen
-könnten. Sie sind mir aber jetzt noch viel mehr werth, da ich weiß, daß
-es die Beschäftigungen meiner Freundin sind. Ich stelle sie mir hundert
-Mal des Tages in jedem dieser Geschäfte vor, und entwerfe mir von ihrem
-ganzen Leben den schönsten und vortrefflichsten Plan. Von einer Stufe
-der weiblichen Vollkommenheit zur andern führe ich Ihre Wilhelmine
-bis zu dem Augenblicke, wo Sie sie einem glücklichen und tugendhaften
-Manne zuführen, für den Ihre Sorgfalt sie zubereitet hatte. Indeß, daß
-Sie in dieser Ihrer Erstgebohrnen schon alle Freuden und Belohnungen
-einer Mutter fühlen, theilen sich noch andere Kleinere in die Sorge und
-die Arbeiten einer Mutter. So erblicke ich Sie endlich am Ende Ihrer
-Laufbahn, unter der Gestalt einer ehrwürdigen Shirley, das Haupt und
-die Krone einer ganzen sich immer mehr ausbreitenden Familie, die durch
-Dankbarkeit, durch Hochachtung, durch Liebe, durch alles, was die Natur
-zärtliches<span class="pagenum"><a name="Seite_93" id="Seite_93">[S. 93]</a></span> hat, an Sie gebunden ist. Wenn denn von einem Winkel der
-Erde, wo Ihr Freund die Erfüllung seiner Wünsche nur aus der Ferne,
-aber doch mit der lebhaftesten Bewegung seines schon matt gewordenen
-Herzens hört, wenn er sich aus diesem Winkel einmal hervorbegiebt, um
-noch seinen letzten Tagen die Glückseligkeit zu geben, seine Freundin
-glücklich zu sehen, und sich unter den Haufen ihrer Kinder mischt &mdash;
-und ihre Hand mit den Thränen der Freude und Zärtlichkeit benetzt; &mdash;
-welchen Monarchen würde ich alsdann beneiden?</p>
-
-<p>Sie werden sagen, ich machte Schimären. Aber lassen Sie mich sie immer
-machen; sie sind oft viel angenehmer als die Wirklichkeiten. Und
-glücklich müssen Sie doch seyn mit den Gesinnungen und dem Herzen,
-welches Sie haben; Sie mögen es nun werden, auf was für eine Art Sie
-wollen. Und ich muß an Ihrer Glückseligkeit Theil nehmen, als Ihr
-Freund &mdash; oder als Ihr Schutzgeist. Denn auch bis dahin führt mich
-oft meine Einbildungskraft, wenn sie in der gehörigen Mi<span class="pagenum"><a name="Seite_94" id="Seite_94">[S. 94]</a></span>schung von
-Melancholie und Vergnügen ist. Ich prophezeihe mir ein kurzes Leben,
-und ich bin sehr damit zufrieden. Ich wäre es noch mehr, wenn ich nur
-noch zuvor etwas Gutes gethan, und eine Spur von meinem Daseyn zurück
-gelassen hätte. In allen Fällen werde ich doch nicht glauben, umsonst
-gelebt zu haben, wenn ich auch nur einen Menschen zurück lasse, den ich
-besser oder glücklicher gemacht habe.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Ich habe von Gellerten noch keine Antwort. Unterdessen habe ich ihm den
-Aufsatz geschickt. Wie gern hätte ich zuvor unsern gemeinschaftlichen
-Freund zu Rathe gezogen. Ich verwahre die Kopie für ihn, um sein
-Urtheil noch hintennach zu erfahren.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Und nun empfehle ich Sie und Ihren geliebten &mdash; auch von mir geliebten
-guten ** der Vorsicht und der Beschützung des Himmels, und trage es
-diesem freundschaftlichen gütigen Mond auf, der eben jetzt über meinen
-Gesichtskreis kommt, Sie mit seinen Strahlen zu begrüßen &mdash; und Sie an
-Ihren Freund zu erinnern, wenn Sie ihn unter bessern Freunden vergessen
-sollten u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_95" id="Seite_95">[S. 95]</a></span></p>
-
-<h2 id="Vierzehnter_Brief">Vierzehnter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Breßlau den 26. Aug.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">W</span>enn der Brief in eben dem Augenblicke zu Ihnen kommen könnte, in
-welchem ich ihn schreibe, wenn ich tausend Empfindungen mit einem Worte
-ausdrücken, und die ganze Fülle meiner Seele ohne Zeichen, durch eine
-Art von Inspiration der Ihrigen mittheilen könnte, dann, glaube ich,
-würde die Ungeduld gestillt werden, mit welcher ich jetzt diesen Brief
-anfange. Die Zeit, bis er zu Ihnen gelangt, scheint mir unermeßlich;
-und ich wollte gern, daß Sie es diesen Augenblick wüßten, daß nur
-der Zufall, nicht Ihr Freund an Ihrer Unruhe schuld gewesen ist; daß
-er eben dieselbe Unruhe um der nämlichen Ursache willen ausgestanden
-hat; und daß, so gern er jeden sorgenvollen Augenblick aus Ihrem Leben
-austilgen wollte, ihm doch diese Ihre Bekümmerniß, mehr als jedes
-andere Zeichen Ihrer Freundschaft schätzbar und theuer ist.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_96" id="Seite_96">[S. 96]</a></span></p>
-
-<p>Ja in der That, l. F., das Schicksal hat sich recht bemühet, unsere
-Seelen die letzte Woche mit einerley Gedanken und mit eben denselben
-Bekümmernissen einzunehmen. Ihr Brief, (der, den ich in S**** schon vor
-acht Tagen erhalten sollte) blieb aus, und ich fand ihn nicht eher, als
-des Sonntags bey meiner Zurückkunft in B****. Ich weiß nicht, warum
-Ihre Briefe gerade da am ehesten ausbleiben müssen, wenn ich sie am
-meisten wünsche. Denken Sie nur, ich trug schon die ganze Woche vorher,
-aus Ursachen, die ich mir so wenig erklären, als ihre Wirkung aufheben
-kann, einen gewissen stillen mehr nagenden, als heftig beunruhigenden
-Verdacht mit mir herum, Sie wären mir nicht mehr so gut, als vordem.
-Sie wissen, Gründe richten sehr wenig gegen Empfindungen aus. Ich
-erwartete also Ihren nächsten Brief, um meine Furcht und mein Mißtrauen
-zu beschämen. Wir konnten den Tag, an welchem Ihre Briefe ankommen,
-keinen Boten in die Stadt schicken, und diese Briefe (so dachte ich
-damals) blieben also auf der Post bis den folgenden Tage liegen. Ein
-sehr<span class="pagenum"><a name="Seite_97" id="Seite_97">[S. 97]</a></span> unangenehmer Verzug, der aber die Begierde und die Erwartung noch
-mehr schärfte. Endlich hatten sich die Stunden bis zur Ankunft des
-Boten langsam und traurig genug fortgeschlichen &mdash; und nun kam er ohne
-Briefe.</p>
-
-<p>Stellen Sie sich selbst vor, was eine Fehlschlagung in einer solchen
-Verfassung für Wirkungen auf ein Gemüth haben mußte, das dem Ihrigen
-ähnlich ist. Sie schienen mir blos deswegen nicht geschrieben zu
-haben, um mir zu sagen, daß ich Recht gehabt hätte mich zu fürchten.
-Ich bildete mir ein, als hätten Sie in meiner Seele eine Unruhe lesen
-können, und hätten deswegen geschwiegen, um ihren Grund zu bestätigen.
-Ich hörte schon auf, mein eigner Freund zu seyn; denn gewiß, ich
-würde mich selbst für ein nichtswürdiges Geschöpf ansehen, wenn Ihre
-Freundschaft mir in meinen Augen keinen Werth mehr gäbe.</p>
-
-<p>Die Seele kann in einem so unangenehmen Zustande nicht lange beharren.
-Er ist, so wie Sie sagen, und so wie meine Erfahrung mich lehrt, ein
-Stand der Unthätigkeit, der<span class="pagenum"><a name="Seite_98" id="Seite_98">[S. 98]</a></span> Philosophie unsers Freundes ungeachtet.
-Sie wankt also eine Zeit lang zwischen Reflexion und Gefühl, zwischen
-deutlichen Gründen und dunkeln Einbildungen hin und her; sucht eine
-Menge Beweise, um das nicht zu glauben, was sie scheut, und stürzt sich
-doch wieder, trotz aller Beweise, in ihre traurige Ueberzeugung zurück.
-Dieses Mal siegte ich aber doch endlich! denn das war ich gewiß genug,
-daß Ihre Freundschaft nicht so, wie der meisten Menschen ihre, ohne
-besondere Ursache nur erkalten kann, blos deswegen, weil die nähern
-sie immer umgebenden Gegenstände unaufhörlich einen Theil ihrer Wärme
-rauben, und sie durch diese allmählige Ausdämpfung zuletzt bis zu der
-ordentlichen Temperatur der Gleichgültigkeit zurückbringen. Aber das
-wußte ich nicht, daß Sie mich Ihrer Freundschaft immer auf gleiche Art
-würdig finden würden. Ich habe immer geglaubt, daß die Freundschaft,
-so wie die Liebe, eine gewisse Art von Verblendung erfordere; nicht
-eine solche, die die Gestalten verkehrt, sondern die, welche den guten
-Eigenschaften allein Licht giebt, und die schlechten in Schatten setzt.
-Wie wäre es nun,<span class="pagenum"><a name="Seite_99" id="Seite_99">[S. 99]</a></span> wenn Sie diese Verblendung gewahr geworden wären, &mdash;
-wenn Sie anfingen, mich eben so zu sehn, wie mich alle übrige Menschen
-sehn? &mdash; Aber kurz, Sie hatten mir noch keine Veranlassung gegeben,
-diese Veränderung zu glauben. Ich konnte selbst den Ursprung dieses
-Gedankens in meiner Seele nicht ausfindig machen. Er erfüllte die Seele
-so, wie manches falsche Gerücht die Stadt, ohne daß man sagen kann, wer
-das Ding zuerst erzählt hat. Und konnten endlich Ihre Briefe nicht aus
-tausend andern Ursachen zurückgehalten werden?</p>
-
-<p>Aber dabey schmeichelte ich mir doch nicht, daß Sie wirklich
-geschrieben hätten, und es blos Unrichtigkeit der Post wäre, die mir
-Ihren Brief vorenthielte. Ich verließ S**** des Sonntags, nicht mit so
-viel Widerstreben, als ich sonst gethan haben würde, wenn ich nicht
-Ihre Briefe in der Stadt zu erwarten gehabt hätte. Ich fand sie, und in
-denselben die zärtlichste, gütigste Freundin, die Sie immer waren, dazu
-gemacht, das Leben nicht bloß Eines Mannes glücklich zu machen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_100" id="Seite_100">[S. 100]</a></span></p>
-
-<p>In der That bedurfte ich dieses Trostes, um nicht allen meinen Muth
-unter der Menge unangenehmer Zufälle zu verlieren, die auf uns in der
-Stadt warteten. Meine Mutter kam halb krank nach Hause. Ihr Bruder,
-der, wie Sie wissen, im Bade gewesen ist, war kurz zuvor durch den
-Banquerout eines der ansehnlichsten hiesigen Häuser, dem er einen
-beträchtlichen Theil seines Vermögens anvertraut hatte, zurückgerufen
-worden. Ein andrer unsrer Freunde, der brave T****, sah durch eben
-diese Begebenheit eine Summe von 10000 Rthlr. auf vielleicht weit
-weniger als die Hälfte heruntergesetzt; eine andre Freundin, die Mad.
-P*** (eine von den wenigen Frauen, die Ihrer Bekanntschaft werth
-wären), war gefährlich krank, und der Arzt hatte ihr erst vor kurzem
-die Hoffnung zum Leben wiedergegeben. Meines Onkels jüngste Tochter war
-es auch. Die allgemeinen Klagen vermischten sich mit der besondern Noth
-unsrer Familie. Endlich bekam ich Gellerts Brief, und die Nachricht
-von des Grafen Tode. Mit diesem verschwand alle Aussicht auf künftigen
-Winter. Die nächsten Monate<span class="pagenum"><a name="Seite_101" id="Seite_101">[S. 101]</a></span> sogar hüllten sich wieder in Dunkel
-und Finsterniß ein; &mdash; und nirgends, nirgends sahe ich irgend einen
-Schimmer eines Lichtes, der mich zu meiner Freundin wieder zurückführte.</p>
-
-<p>An die Stelle dieser verschwundenen Hoffnung trat eine Furcht, die ich
-schon überwunden zu haben glaubte. Während meines Aufenthalts in B***
-ist der Prorektor des hiesigen ersten Gymnasiums wegberufen worden.
-Meine Freunde dachten ganz natürlicher Weise an mich. Ich verzeihe
-Ihnen den Wunsch, mich hier zu behalten; er entspringt aus einem so
-gütigen Herzen, daß ich ihn gern mit meinem Wunsche bestätigen wollte,
-wenn es auf weiter nichts als Vergnügen dabei ankäme. Man redete also
-viel davon, man erforschte meine Gesinnungen, man ersann sich allerhand
-Möglichkeiten. Alles das war gut, so lange die Sache noch in einer
-gewissen Ferne blieb. Ich gestand, so oft die Rede davon war, meine
-vollkommene Abneigung; und ich gab, wie ich denke, Gründe davon, um ihr
-nicht den Schein des Eigensinns und des Vorurtheils zu geben. Man hörte
-endlich, da die Wahl ins Lange<span class="pagenum"><a name="Seite_102" id="Seite_102">[S. 102]</a></span> gezogen wurde, auf davon zu reden.
-Heftige Bestrebungen verzehren sich selbst, wenn sie nicht sogleich
-thätig werden können. Ich erklärte mich ein Mal für alle Mal, daß ich
-keinen Schritt der Sache entgegen thun würde. Eine ganz freywillige,
-unveranlaßte Anbietung dieses Amtes würde alsdenn von mir nicht ohne
-Ueberlegung verworfen werden.</p>
-
-<p>Ich glaubte, daß ich gewiß sehen könnte, daß dies niemals geschehen
-würde, da der hiesige Magistrat die Maxime hat, den ungestümsten
-Bittern die Aemter am ersten zu geben, und da die Jahrbücher von
-B*** noch kein Beyspiel von einem jungen Menschen haben, der, ohne
-die niedern Stufen des Schuldienstes durchkrochen zu seyn, zu dieser
-Würde erhoben worden wäre. Mitten unter diesen Sachen reiseten wir
-aufs Land, mein Onkel ins Bad. Die Briefe Gellerts brachten uns alle
-diese Gedanken aus dem Sinne, und Leipzig und Dreßden nahmen unsre
-Aufmerksamkeit so sehr ein, daß wir nicht mehr wußten, ob es einen
-Prorektor in B*** giebt. Ich kam wieder zurück mit der vollkommensten
-Sicherheit,<span class="pagenum"><a name="Seite_103" id="Seite_103">[S. 103]</a></span> daß diese Stelle längst würde besetzt seyn, und daß
-alles entschieden sey. Kein Mensch dachte wieder daran, bis Gellerts
-Brief dem Laufe unsrer Vorhersehungen eine neue Richtung gab. Gestern
-war ich mit meiner Mutter in einer großen und zu meinem Unglück sehr
-vermischten Gesellschaft. Einer davon, ein Herr von P***, ein Mann, dem
-große Reichthümer und viele Verbindungen eine Art von Ansehn geben,
-dem es übrigens weder an Verstande, noch einem gewissen Grade von
-Empfindung mangelt, zog mich gleich bei seinem Eintritte auf die Seite.
-&mdash; Hören Sie, sagte er, wollen Sie Prorektor seyn? &mdash; Die Frage war
-sehr kurz, und die Antwort schien entscheidend seyn zu müssen. &mdash; Ich
-wiederholte ihm kurz das, was ich allen meinen Freunden schon längst
-gesagt hatte. &mdash; Ich war von Herzen froh, als ich endlich erfuhr,
-seine Frage bedeutete nichts mehr, als jede andre Frage von der Art;
-als ein Freund meines Onkels und meiner Mutter hatte er ihre Wünsche
-vorhergesehn, und wollte es bloß erfahren, ob es auch die meinigen
-wären.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_104" id="Seite_104">[S. 104]</a></span></p>
-
-<p>Unser Gespräch war noch nicht zu Ende, da es von einem Schwarme andrer
-Leute unterbrochen wurde. Ich hatte bey einem sehr vollen Tische
-den langweiligsten elendesten Abend von der Welt. Ich dachte fast
-an nichts, als an den Kontrast dieser Gesellschaft, und der kleinen
-an Ihrem Tische, in der ich so viele Stunden unter dem heitersten
-Vergnügen verlor. &mdash; Nur einen einzigen solchen Abend, l. F., und ich
-wäre auf einen Monat zufrieden u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_105" id="Seite_105">[S. 105]</a></span></p>
-
-<h2 id="Funfzehnter_Brief">Funfzehnter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">B***, den 9. Septbr.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">U</span>nerachtet mich meine Reise gehindert hat, an der besondern Lustbarkeit
-dieses Tages Theil zu nehmen, so bin ich nichts desto weniger bey
-Ihnen gewesen, so wie ich es alle Tage bin. Und vielleicht war es ein
-gewisser geheimer Einfluß, den Ihre Seelen auf die meinige hatten, der
-mich diesen Tag (es war der letzte, den ich in M*** zubrachte), beynahe
-vergnügter machte, als ich die ganze übrige Zeit gewesen war.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Eine Grille, die mir Schwedenborg, und sein Kommentator, M. Kant, in
-den Kopf gesetzt hat, kann ich mir noch nicht ausreden. &mdash; So geht
-es; Sätze, die uns lieb sind, nimmt man gar zu leicht für Wahrheiten
-an, und das Sicherste, was ein Philosoph thun kann, um uns von seinen
-Hypothesen zu überzeugen, ist, daß er den Wunsch in uns<span class="pagenum"><a name="Seite_106" id="Seite_106">[S. 106]</a></span> erregt, daß
-sie wahr wären. &mdash; Aber zur Sache selbst.</p>
-
-<p>Schwedenborg sagt, das Verhältniß, das die Geister gegen einander
-haben, und welches ihren Ort ausmacht, ist von dem Orte, den ihre
-Körper einnehmen, durchaus unterschieden. Die Geister machen zusammen
-eine Welt für sich aus, und die Körper, die ihren Stand bestimmen,
-in so fern sie durch Empfindungen denken, und ihre Begriffe aus dem
-sinnlichen Gebiete herholen, schränken sie doch nicht im mindesten
-ein, in so fern sie Geister sind. &mdash; So ist es also möglich, daß zwey
-Geister ganz dicht aneinander stoßen, deren Körper hundert Meilen weit
-von einander entfernt sind. Zwischen beyden kann der vertrauteste
-Umgang seyn, der aber niemals zum Bewußtseyn kommt, &mdash; als bey
-gewissen auserwählten Seelen, denen, wie Schwedenborg sehr deutlich
-sich ausdrückt, das Innere geöffnet ist; &mdash; oder bey außerordentlichen
-Gelegenheiten, wo der hellere Glanz der Empfindungen, der sonst alle
-andere Ideen auslöscht, so sehr verdunkelt wird mit sammt dem ganzen
-Gefolge von<span class="pagenum"><a name="Seite_107" id="Seite_107">[S. 107]</a></span> Erinnerungen und Phantasien, daß jene geistigen Eindrücke
-sich aus dem Grunde der Seele herausheben. Durch dieses Mittel will
-Schwedenborg alle die wunderbaren Dinge gewußt haben, durch die er
-in den Ruf des größten Narren und des größten Wahrsagers unsrer Zeit
-gekommen ist.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Aber kurz und gut, die Theorie gefällt mir, und ich dächte also, daß
-sie wahr wäre. Meine Seele würde nichts so sehr wünschen, als um alle
-die von ihr geliebten und mit ihr verwandten Seelen so nahe zu seyn,
-daß sie die Einflüsse derselben empfangen, und auf sie wieder Eindrücke
-machen könnte. Der Körper ist bisher zu der Erreichung dieses Wunsches
-ein beschwerliches Hinderniß gewesen, jede Vereinigung forderte immer
-eine vorhergegangene Trennung, und Freunde wiederzusehen und von
-Freunden geschieden zu seyn, waren immer zwey unzertrennliche Sachen.
-Aber nun, die Theorie Schwedenborgs einmal festgesetzt, wer hindert
-mich, meine Seele an den Ort hinzubringen, wo es ihr am besten gefällt,
-und um sie herum alle die Geister zu pflanzen,<span class="pagenum"><a name="Seite_108" id="Seite_108">[S. 108]</a></span> deren Gemeinschaft so
-oft ihren Wunsch und ihre Sehnsucht erregt hat? Lassen Sie mich also 50
-Meilen, und &mdash; was sind diese? lassen Sie mich um halbe Erddiameter von
-Ihnen entfernt seyn, &mdash; und doch soll meine Seele von der Ihrigen nicht
-um ein Haar breit weiter kommen. Denken Sie, wenn unsre sterblichen
-Augen den himmlischen Anblick ertragen könnten, was es wäre, diese
-Gesellschaft von Geistern bey einander zu sehn; erst die unsrigen, wie
-sie unsichtbare Begriffe von einander annehmen und sich mittheilen,
-Begriffe, die erst in künftigen Epoquen unsers Daseyns uns selbst
-bekannt werden sollen; wie sie sich vielleicht einander aufklären,
-reinigen, bessern, und ohne unser Wissen schon die Glückseligkeit
-künftiger Zeitalter verbreiten; &mdash; alsdann die Seelen unsrer liebsten
-Freunde, Ihres Gemahls, meiner Mutter, unsers Reizes, &mdash; und dann,
-wenn irgendwo in der Welt eine Julie oder eine Schirley lebt, &mdash; ein
-reizendes Mädchen, deren Schönheit die Ankündigung von Verstand und
-Unschuld ist, &mdash; eine zärtliche Ehegattin, deren geschäftiger Fleiß,
-&mdash; so wie der Ihrige, &mdash; den Abend<span class="pagenum"><a name="Seite_109" id="Seite_109">[S. 109]</a></span> eines mühsamen Tages ihrem Manne
-und ihrem Freunde mit stiller und unschuldiger Fröhlichkeit krönt, &mdash;
-eine ehrwürdige Mutter, der ein neues Geschlecht seine Tugend und seine
-Glückseligkeit dankt, &mdash; diese alle bey uns, unsre Vertrauten, schon
-vorbereitet, uns künftig, wenn wir einander erkennen werden, zu lieben,
-und das Vergnügen einer Gemeinschaft zu fühlen, die hier nur bloß unsre
-Reflexion beschäftigte.</p>
-
-<p>Sie sehen, ich bin in Gefahr, vielleicht ein eben so großer Schwärmer
-zu werden, als Schwedenborg selbst. Und in der That ist ein Traum, der
-uns vergnügt macht, hundert Mal besser, als eine Wahrheit, die uns
-Kummer verursacht.</p>
-
-<p>Ueber ihr Gedicht und noch mehr über dessen Mittheilung bin ich von
-Herzen vergnügt gewesen. Die zwey letzten Strophen haben mir am meisten
-gefallen, vielleicht weil Sie darin an mich denken.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Ich hätte Ihnen noch so viel zu sagen, als auf diesem Blatte und
-auf zehn andern nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_110" id="Seite_110">[S. 110]</a></span> Raum hätte. Aber ich bin einmal schon des
-Mißvergnügens gewohnt, meine Briefe da schließen zu müssen, wo sich
-meine Unterredung mit Ihnen erst recht anfangen sollte. Die Ideen
-drängen sich so in meinem Kopfe zusammen, sobald ich die Feder ansetze,
-an Sie zu schreiben, daß sich endlich eine aus dem Haufen hervordrängt,
-&mdash; nicht die die vornehmste und wichtigste gewesen wäre, sondern die
-sich am schnellsten der Seele und meiner Feder bemächtigen konnte. &mdash;
-Aber das muß ich Ihnen doch noch sagen, daß ich von Gellerten, seit dem
-letzten, der mir des Grafen Tod ankündigte, keine Briefe habe, und daß
-ich ohne Vorschläge von ihm, &mdash; wenig Mittel sehe, diesen Winter mit
-Ihnen zuzubringen u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_111" id="Seite_111">[S. 111]</a></span></p>
-
-<h2 id="Sechzehnter_Brief">Sechzehnter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">L</span>assen Sie mich Sie immer heute zu einer ungewöhnlichen Zeit
-überfallen. Ungelegen kann es Ihnen doch nicht seyn (so zuversichtlich
-hat mich schon Ihre Freundschaft gemacht). Mein Herz ist zu voll; und
-ich weiß schon, eher wird es nicht ruhig, bis es sich ganz in das
-Ihrige ausgegossen hat. Wie sehr empfinde ich heute das Glück, eine
-Freundin zu haben, die meinen Schmerz gern mit mir theilt, und lieber
-mit mir trauert, als allein fröhlich ist. Aber erschrecken Sie nur
-nicht über diesen Anfang. Es ist nur Mitleiden, nicht eignes Unglück,
-das diese unruhige Bewegung in mir hervorbringt &mdash; aber Mitleiden, das
-auf seinen höchsten Grad gestiegen ist, und beynahe zu eignem Gefühl
-wird.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Ich war gestern von meiner Reise den Augenblick angekommen, als man mir
-sagte, meine Mutter wäre in dem Krankenzimmer<span class="pagenum"><a name="Seite_112" id="Seite_112">[S. 112]</a></span> einer Freundin, und sie
-würde den Abend dort zubringen. &mdash; Ich habe Ihnen schon mehrmals das
-P***sche Haus genannt, als eine von den Familien, die mit der unsrigen
-am genauesten verbunden ist und von mir am meisten hochgeschätzt
-wird. In der That besteht sie beynahe aus lauter hochachtungswürdigen
-Personen. Das Haupt der Familie, der alte Herr P***, ehemals ein sehr
-angesehener Kaufmann, war noch außerdem, &mdash; was selten Kaufleute sind
-&mdash; ein empfindlicher und zärtlicher Ehemann, ein dienstfertiger Freund,
-ein gütiger Vater, und ein durch Erfahrung und vielfache Kenntnisse
-angenehmer Gesellschafter. Seine Frau, unsre Anverwandte, &mdash; die Krone
-ihres Hauses, und beynahe auch des unsrigen, ist von der Natur und
-durch ihren Fleiß recht dazu ausgerüstet, Glückliche zu erfreuen,
-und die Unglücklichen zu trösten. Ein starker und beynahe männlicher
-Verstand, der nur durch eine beständige Uebung, nicht durch Unterricht
-ausgebildet ist; eine Gegenwart des Geistes, die selbst durch ihre
-zarte Empfindsamkeit niemals geschwächt wird; ein gewisses Feuer und
-eine Thätigkeit andern Dienste zu<span class="pagenum"><a name="Seite_113" id="Seite_113">[S. 113]</a></span> leisten, die die Schwierigkeiten
-überwindet, wovor die andern nur erschrecken; ein freundschaftliches
-Herz, das seine Befriedigung im Gutes thun findet, und eine gewisse
-Art von Mangel fühlt, so bald es sich zu Niemandes Besten beschäftigen
-soll; und dieses alles war zu ihrer glücklichen Zeit mit einer
-beständigen Heiterkeit der Seele, und mit so viel Lebhaftigkeit
-verbunden, daß sie gemeiniglich die Seele der Gesellschaft wurde, in
-der sie sich befand.</p>
-
-<p>Herr P**** hatte von seiner erstern Ehe eine Tochter, die schon
-ziemlich erwachsen war, als er sich mit unsrer Freundin vermählte, und
-die einige Jahre darauf den Halbbruder ihrer Stiefmutter heyrathete.
-Die Frau ***, so heißt diese würdige Frau, hatte von der Natur nicht so
-viel vorzügliche Gaben, aber dafür eine gewisse Sanftmuth und Stille
-in ihrem Charakter, eine tiefe und mehr durchdringende als lebhafte
-Empfindlichkeit, und ein so kindliches, gutes, freundschaftliches Herz
-bekommen, daß sie die vertrauteste Freundin und die ehrerbietigste
-Tochter ihrer Eltern<span class="pagenum"><a name="Seite_114" id="Seite_114">[S. 114]</a></span> zugleich war. Ihre Seele war der Seele ihrer
-neuen Mutter, oder vielmehr ihrer Schwester (denn so liebten sie sich,
-und so ist ihr Betragen gegen einander noch bis auf den heutigen Tag)
-nicht ähnlich, aber sie war dazu gemacht, dieselbe auszufüllen, und
-mit ihr ein Ganzes auszumachen. Ihr Gemahl, der Frau P**** Bruder,
-den sie schon vor drey Jahren durch eine grausame Krankheit verlor,
-hatte vielleicht unter allen die wenigsten Talente, aber er besaß
-ein so durchaus gutes Herz, er liebte seine Frau und seine Schwester
-so innigst, und er räumte ihre Vorzüge über ihn so gern ein, daß man
-ihm bloß um seiner Ehrlichkeit willen gut wurde. Und so wie er war,
-wurde er auch wieder von seiner Frau, die sonst vielleicht zu einem
-scheinbarern Glück Hoffnung gehabt hätte, so geliebt, als wenn er der
-vollkommenste aller Männer gewesen wäre. Von diesem ihrem Manne hatte
-sie zwey Kinder, einen Sohn und eine Tochter, deren Geburt nun erst
-alle Hoffnungen des Großvaters und alle Wünsche der gesammten Familie
-erfüllte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_115" id="Seite_115">[S. 115]</a></span></p>
-
-<p>Beyde Familien wohnten in Einem Hause, aßen an demselben Tische,
-liebten sich alle unter einander mit einer Zärtlichkeit ohne Beyspiel,
-und machten das Bild einer einträchtigen und glücklichen Familie aus.
-Wenn die Geschäfte des Tages sie von einander entfernt hatten, so
-kamen sie doch gewiß am Abend alle zusammen, ihre lieben Kleinen mit;
-und dann genossen sie in einer beneidenswerthen Ruhe alle Freuden des
-häuslichen Lebens, die einzige Glückseligkeit des Menschen, wenn anders
-Menschen glücklich seyn können. Ihre äußern Umstände störten diesen
-Genuß eben so wenig. Ihr Vermögen war weit mehr als hinlänglich, ihrer
-Freunde waren viel; &mdash; und wenn es, um ein Gut zu genießen, nothwendig
-ist, daß andre wissen, daß wir es haben; so war die allgemeine
-Hochachtung für sie eine Bestätigung ihrer Glückseligkeit und ihrer
-Verdienste.</p>
-
-<p>Und diese ganze Familie, dieser ganze kleine Kreis von tugendhaften
-und glücklichen Freunden, liebe Freundin, ist jetzo nur noch
-fähig, Mitleiden zu erregen; &mdash; das ganze Gebäude ihrer häuslichen
-Glückseligkeit ist<span class="pagenum"><a name="Seite_116" id="Seite_116">[S. 116]</a></span> durch eine Reihe auf einander folgender
-Unglücksfälle zerstört; jede Wurzel des Vergnügens ausgerottet, und
-fast hat selbst die Zukunft für sie nichts mehr als Schrecken. Der
-Tod des Herrn B***, der vor drey Jahren zu eben der Zeit erfolgte,
-als ich hier meine Mutter besuchte, war der Anfang und gleichsam
-die Ankündigung davon. Dieser Tod war so schmerzhaft, und mit so
-traurigen Umständen begleitet, daß er auf das Gemüth aller einen sehr
-tiefen Eindruck machte &mdash; auf das Gemüth seiner Gattin aber einen
-immerwährenden. Diese schon von Natur furchtsame und schüchterne Frau
-wurde durch den Verlust ihres Mannes beynahe zu Boden gedrückt. Nur die
-Gesellschaft und die Zärtlichkeit ihrer Mutter, der Frau P****, und die
-Sorgfalt für die Erziehung der beyden liebenswürdigen Kinder, in denen
-sie die Liebe der Mutter und der Gattin vereinigte, nur diese hatten
-sie bisher erhalten, und ihr nach und nach den Muth und die Freudigkeit
-wiedergegeben, ohne die das Leben eine Last ist.</p>
-
-<p>Eine andere glückliche Begebenheit schien die Freude wieder in dieses
-Haus zurückführen<span class="pagenum"><a name="Seite_117" id="Seite_117">[S. 117]</a></span> zu wollen. Eine Tochter der Frau P****, von einer
-erstern Ehe, ihrer Mutter bey weitem nicht gleich, aber doch auch ihrer
-nicht ganz unwürdig, heyrathete den Hrn. Z****, der lange Zeit im Felde
-Dienste geleistet hatte, ein Liebling der Vornehmsten der Armee und
-selbst des Königs gewesen war, und die glücklichsten Aussichten vor
-sich hatte. Ein Mann von vielem Verstande, von einer wahrhaft guten
-Lebensart, und der, wenn er noch nicht die richtigsten Grundsätze
-hatte, doch fähig war, sie anzunehmen. Er war damals ***, und wurde
-bald darauf ****, welches eines der ansehnlichsten Aemter in unserm
-Lande ist, und unmittelbar auf den geheimen Rath folgt. Dieser Mann
-liebte seine Frau, ob sie gleich weder ihm an Gaben gleich, noch seinen
-Erwartungen und Wünschen gemäß war. Aber vielleicht liebte er sie noch
-mehr um ihrer Mutter als um ihrer selbst willen; und beynahe glaube
-ich, daß noch bis auf diese Stunde die Hochachtung, die er für seine
-Schwiegermutter hat, die Liebe gegen seine Frau erhält.</p>
-
-<p>Diese Verbindung, die ihrer Familie ein neues so würdiges Glied gab,
-wurde kurz<span class="pagenum"><a name="Seite_118" id="Seite_118">[S. 118]</a></span> darauf die Quelle mehr als eines Jahres voll Kummer
-und Angst. Z**** empfand, nachdem er zur Ruhe kam, die Folgen der
-Ermüdungen des Krieges. Er fiel in dem ersten Jahre seines Ehestandes
-in eine gefährliche Gliederkrankheit, die ihn zuerst mit den
-grausamsten Schmerzen angriff, und alle Augenblicke seinen Tod drohte,
-bald darauf ihn des völligen Gebrauchs aller seiner Glieder beraubte,
-und ihn ganz hülflos der unaufhörlichen Pflege und Wartung seiner
-Freunde selbst in seinen kleinsten Bedürfnissen benöthigt machte.
-Diese Krankheit ist endlich, nachdem sie sechs Vierteljahre das ganze
-Haus in einer beständigen Abwechselung von Furcht und von Betrübniß
-erhalten hat, durch eine sehr beschwerliche Kur, und durch den Gebrauch
-mannigfaltiger Bäder gehoben worden. Sie wissen, daß er nur erst
-neulich mit meinem Onkel im Bade gewesen ist.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Aber dieses war noch nicht der einzige Kummer. &mdash; Die unglücklichen
-Umstände unsers Landes haben die Handlung des Herrn P*** sehr
-geschwächt; &mdash; aber noch würden<span class="pagenum"><a name="Seite_119" id="Seite_119">[S. 119]</a></span> sie ihnen wenig Schaden gethan
-haben, wenn sie nicht auch zugleich den Kopf dieses würdigen Alten
-geschwächt hätten. Dieser sonst so lebhafte und geschäftige Mann, der
-die Thätigkeit selbst war, sich immer herzhaft entschloß und klug
-ausführte, dieser versinkt in seinem Alter, von Kummer und Sorgen
-niedergedrückt, in eine völlige Unempfindlichkeit. Seine Gemüthskräfte
-erlöschen; seine Seele, die durch so viele und starke Eindrücke zu
-heftig erschüttert worden, nimmt jetzo gar keine mehr an, oder alle
-verlöschen augenblicklich auf dem Grunde, der schon völlig von den
-vergangenen Ideen eingenommen ist. So ist er für seine Familie und
-seine Freunde schon todt, ob er gleich sich noch unter ihnen bewegt;
-und seine Gattin, die sonst von ihm Ansehn und Ehre erhielt, ist jetzo
-kaum mit aller ihrer Klugheit und der zärtlichsten Sorgfalt vermögend,
-ihn vor der Verachtung der Fremden, und selbst vor der Geringschätzung
-seiner Freunde zu schützen. Denken Sie sich nun seine Tochter, die noch
-immer dieselbe kindliche, ehrerbietige Zärtlichkeit für ihn hat, und
-denken Sie, was es einem Herzen, wie das ihrige, kosten<span class="pagenum"><a name="Seite_120" id="Seite_120">[S. 120]</a></span> muß, ihn alle
-seine schätzbaren Eigenschaften verlieren zu sehn.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Noch war ein einziger Trost für dieses Haus übrig, aber ein sehr
-großer, und der vielen Leiden das Gegengewicht halten konnte; &mdash; der
-Trost, zwey hoffnungsvolle und liebenswürdige Kinder in ihrem Schooße
-aufwachsen zu sehen, die die Verdienste, und, wenn es möglich wäre, die
-ehemalige Glückseligkeit ihrer Eltern erneuerten. &mdash; Und nun liegt das
-jüngste davon, ein Knabe von ungefähr acht Jahren, die unschuldigste,
-sanftmüthigste, geduldigste Seele, das Bild und der Liebling seiner
-Mutter &mdash; und ringt mit dem Tode.</p>
-
-<p>Bey seinem Bette fand ich meine Mutter. Ich bin niemals von einem
-Anblicke so gerührt, so durchdrungen worden. Die Krankheit des Kindes
-ist die allerschmerzhafteste und grausamste, glaube ich, die ich jemals
-gesehn habe: die allerentsetzlichsten Kopfschmerzen, die, wie der Arzt
-muthmaßt, aus einer Beschädigung des Gehirns entstehen, und schon vier
-Tage und Nächte ohne den geringsten<span class="pagenum"><a name="Seite_121" id="Seite_121">[S. 121]</a></span> Nachlaß fortdauern. Sie pressen
-dem armen liebenswürdigen Knaben, der alles, alles sonst mit der
-größesten Gelassenheit erträgt, und selbst jetzo die schmerzhaftesten
-Operationen ohne Murren mit sich vornehmen läßt, ein Geschrey aus, das
-mir bis in das Innerste der Seele geht. &mdash; O Gott, wer muß der Unmensch
-seyn, der die Stimme des Schmerzes ertragen kann, wenn er selbst der
-Urheber davon ist! &mdash; Mein Herz wird davon zerrissen! &mdash; Und dann in
-dem Augenblicke einer kleinen Linderung ihn mit einer ängstlichen
-Zärtlichkeit nach seiner Mutter rufen zu hören, diese vor seinem
-Bette knien zu sehen, und dann ihn, wie er seine kleinen Arme um sie
-herumschlingt, sie fest an sich drückt, und dann mit einer gewissen
-dringenden Heftigkeit sie seiner Liebe versichert, &mdash; dann mitten unter
-diesen Liebkosungen, von dem Schmerz überwunden, auf einmal in das
-kläglichste Geschrey ausbricht, und das zu ganzen Nächten fortsetzt
-&mdash; Gott, kaum kann ich den Gedanken davon ertragen. &mdash; Heute ist der
-Schmerz schon Herr über sein Bewußtseyn, und er kennt nicht mehr seine
-Mutter.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_122" id="Seite_122">[S. 122]</a></span></p>
-
-<p>Liebste Freundin, werden Sie mir es wohl vergeben, daß ich Sie mit so
-traurigen Gegenständen unterhalte? Aber mir wird meine Noth leichter,
-wenn ich denke, Sie wissen sie und nehmen daran Theil.</p>
-
-<p>N. S. Zu gleicher Zeit mit dem Ihrigen erhielt ich auch einen sehr
-freundschaftlichen Brief von Herrn Weise. Eine kleine Anekdote, die er
-mir von Meinhardten erzählt, kann ich Ihnen unmöglich verschweigen.
-Bey seiner Abreise von Leipzig fragte ihn der Post-Commissar Gellert:
-Ob er nicht einige günstige Aussichten hätte? O ja, sagte er, die
-glücklichste Aussicht von der Welt &mdash; die Aussicht auf mein Grab.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_123" id="Seite_123">[S. 123]</a></span></p>
-
-<h2 id="Siebenzehnter_Brief">Siebenzehnter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Den 16. September.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">D</span>er Kleine, dessen Leiden ich Ihnen schilderte, hat sich gebessert. Er
-ist keines menschlichen Leidens mehr fähig. &mdash; Für den tugendhaften
-Mann und für den Christen ist der Tod wenig; aber für den Menschen ist
-der Schmerz immer etwas sehr Großes. Neulich war mein ganzes Mitleid
-für das Kind selbst, jetzo ist es nur noch für seine Mutter. Ich will
-Ihnen nicht ihren Schmerz beschreiben, um nicht den Ihrigen rege zu
-machen. Sie wissen, was es heißt, Mutter seyn. &mdash; Aber einen andern
-Verlust muß ich Ihnen erzählen, der nicht so schmerzhaft, &mdash; aber
-doch für uns empfindlich ist; noch dazu einen Verlust, der die ganze
-Begierde, zu Ihnen zu kommen, bey mir wieder rege macht, da er mir die
-vortrefflichste Gelegenheit dazu verschafft hätte. Denken Sie nur,
-ich hätte in Gesellschaft eines Tralles zu Ihnen kommen können, ich
-hätte<span class="pagenum"><a name="Seite_124" id="Seite_124">[S. 124]</a></span> Sie gesehn, Sie hätten einen unsrer besten Freunde gesehn, die
-Hochachtung, die ich für meine Freundin habe, hätte sich noch eines
-rechtschaffenen Herzens bemeistert, und &mdash; Aber hören Sie erst die
-Geschichte.</p>
-
-<p>Tralles als einen Arzt kennen Sie, glaube ich. Aber das müssen Sie
-noch wissen, daß er beynahe der würdigste Gelehrte und der beste
-Gesellschafter in B**** ist. Diese Titel werden Sie, denke ich, noch
-nicht so aufmerksam machen, (welche Eigenliebe!) als wenn ich Ihnen
-sage, daß er der älteste Freund unsers Hauses, daß er fast der einzige
-recht vertraute Freund meines Onkels ist, &mdash; daß seine erste Frau die
-beste und die einzige Freundin war, die meiner Mutter ihr ganzes Herz
-besessen hat. Dieser Mann, der neulich nach Warschau als Leibarzt
-kommen sollte, und es aus Liebe zu seinen Freunden ausschlug, hat jetzt
-einen andern Antrag, der just in einer so unglücklichen Epoque kommen
-muß, da sich B**** bey ihm durch einen ansehnlichen Verlust, den er
-durch die Betrügerey eines Freundes leidet, verhaßt gemacht hat, daß
-er<span class="pagenum"><a name="Seite_125" id="Seite_125">[S. 125]</a></span> fast geneigt ist, ihn anzunehmen. Die Fürstin von Gotha verlangt
-ihn zu ihrem Beystande bey ihrer jetzigen schwachen Gesundheit, &mdash;
-und wünscht ihn als Leibarzt zu behalten. Er kam eben von einer Reise
-wieder, als er einen Brief von dem Gothaischen Hofe fand, wo man ihn
-unter den schmeichelhaftesten Hoffnungen, die man einem Menschen geben
-kann, einladet, noch diesen Herbst nach Gotha zu kommen, seine Familie
-mitzubringen, &mdash; und den Winter dort zu bleiben. Es sollte alsdann von
-seiner Wahl und von dem Grade von Zufriedenheit abhängen, den er mit
-dem dasigen Aufenthalte, und der Art von Aufnahme, die er erhalten
-hätte, haben würde, ob er nach Breßlau zurückkehren oder bey ihnen
-sein Leben beschließen würde. Denn er ist schon sechszig Jahr. &mdash; Er
-ist nun entschlossen, die Reise zu thun, ob er gleich ihren Erfolg
-noch nicht vorhersieht. Seine jetzige Frau wird ihn mit ihrem kleinen
-Sohne begleiten. Von zwey Töchtern aus der ersten Ehe ist die eine
-verheyrathet, und kann also ihrem Vater nicht folgen, die andre will
-zum Beystand ihrer Schwester zurückbleiben.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_126" id="Seite_126">[S. 126]</a></span></p>
-
-<p>Dieser D. Tralles nun reist auf den Sonnabend ab, &mdash; und
-reist über Leipzig. &mdash; Was würde ich nicht darum gegeben haben, so
-einen Gesellschafter zu finden; und wie sehr gütig war nicht seine
-Anerbietung. &mdash; Wenn ich mitführe, sagte er, so wollte er wechselsweise
-auf dem Kutschersitze fahren, wenn er keinen andern Platz hätte.
-Demungeachtet bleibe ich hier, &mdash; verliere einen Freund, den ich noch
-hatte, und komme zu denen nicht, die ich entbehrte.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Ich sinne schon die ganze Zeit, seitdem ich diese Reise weiß,
-auf Mittel, den D. Tralles Ihnen oder Ihrem lieben Gatten
-vorzustellen. Ich schmeichle mir, Sie würden einen Mann nicht ungern
-sehen, der erst vor wenig Tagen aus unserm Hause kommt, der uns alle
-kennt, der unser Freund ist, &mdash; und der es verdient, auch der Ihrige zu
-seyn. Aber ich gestehe es, ich begreife noch nicht, wie die Sache zu
-machen ist. Er bleibt nur einen halben Tag und über Nacht in Leipzig.
-&mdash; Er will Gellerten besuchen, an den ich heute schreibe, und bey dem
-ich ihn anmelde. &mdash; Er ist ein Anverwandter<span class="pagenum"><a name="Seite_127" id="Seite_127">[S. 127]</a></span> von ***. Man erwartet ihn
-in diesem Hause, und man wird ihn ohne Zweifel dahin ziehn. &mdash; Wo mir
-recht ist, so ist diese ***sche Familie nicht eben im Besitz einer sehr
-großen Achtung. Ich kenne sie nur vom Parterre aus; aber von da sah
-mir die Tochter sehr einfältig und eitel &mdash; ihre Mutter stolz und ein
-bischen verbuhlt aus. &mdash; Zum Glück hat Tralles eine Gabe, die uns allen
-beyden fehlt, &mdash; sich die Narren ganz gut gefallen zu lassen. Er wird
-aus der Gesellschaft der vernünftigsten Leute in die Versammlung der
-Thoren übergehn, ohne von seiner guten Laune etwas einzubüßen.</p>
-
-<p>Im Vorbeygehen, &mdash; Sie hätten meine Fehler nicht besser treffen können;
-&mdash; fast eben dieselben, die mir meine Mutter so oft vorwirft. Sie
-gesteht mir, daß sie noch so ziemlich mit mir zufrieden ist, wenn ich
-bey ihr oder bey gewissen Personen bin (und das sind noch dazu sehr
-wenig), die mir gefallen; aber daß ich der unerträglichste Mensch
-wäre unter einer Gesellschaft, die mir mißfiele. In der That verliere
-ich unter Leuten von einer<span class="pagenum"><a name="Seite_128" id="Seite_128">[S. 128]</a></span> gewissen Art nicht bloß meine Lustigkeit,
-sondern auch meinen gesunden Verstand; ich denke nicht mehr, ich
-vegetire nur. &mdash; Aber wieder zu unserm Tralles zurück!</p>
-
-<p>Nach dem Plane seiner Reise, den er erst gestern Abend in einer
-Gesellschaft entwarf, bey der ich gegenwärtig war, wird er erst auf den
-Sonnabend über acht Tage in Leipzig ankommen. Seine Frau und sein Kind
-nöthigen ihn, langsamer zu gehen. Bis dahin kann ich Ihnen also noch
-einmal schreiben. &mdash; Aber nun meine eigne Rückreise zu Ihnen!&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Meine Mutter mag es Ihnen sagen, ob es mir leicht wird, diese
-aufzuschieben. In der That sehne ich mich zuweilen nach einer
-einzigen Viertelstunde, die ich mit Ihnen zubringen könnte, &mdash; mit
-einer solchen Ungeduld, die im Stande wäre, mich zu Ihnen zu führen,
-wenn unsre Begierden uns Kräfte gäben. &mdash; Aber meine Mutter wünscht
-meine Gegenwart; sie hält sie zu ihrer Gesundheit auf diesen Winter
-für nothwendig; sie thut alles, was sie kann, und sie würde noch
-mehr thun,<span class="pagenum"><a name="Seite_129" id="Seite_129">[S. 129]</a></span> um den Winter hindurch von einer andern Seite meinem
-Studiren gewisse Beförderungen zu verschaffen, die ich von der einen
-verliere. &mdash; Mein Freund hat seine Gedanken recht aus meiner Seele
-herausgenommen, &mdash; eben dieselben Vorstellungen, fast mit eben den
-Worten, mit welchen ich sie schon manchmal meiner Mutter gemacht habe.
-Bücher, Muße, Lehrer, das würde ich hier vielleicht alles haben, &mdash;
-aber Freunde, die mich aufmuntern, die mich in einer beständigen
-Bewegung erhalten, deren Seele, mit der meinigen gleich gestimmt, jeder
-von ihren Gedanken entspräche, und ihnen gleichsam zur Geburt hülfe &mdash;
-die fehlen mir durchaus.</p>
-
-<p>Meine Mutter sehnt sich bald so sehr nach Ihnen, als ich selbst.
-Ihr Brief hatte sie ganz aufgeheitert. O Freundschaft und kindliche
-Liebe, deinen geheiligten Banden sey meine ganze Seele gewidmet! &mdash; &mdash;
-Aber was wäre die Freundschaft ohne Tugend, und was die Tugend ohne
-Aufopferungen? u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_130" id="Seite_130">[S. 130]</a></span></p>
-
-<h2 id="Achtzehnter_Brief">Achtzehnter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Den 23. September.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">I</span>ch werde heute einen langen Brief schreiben, das sehe ich voraus.
-Ich habe wenig Zeit dazu, ich werde ihn also geschwind und schlecht
-schreiben. Sie werden ihn also nicht lesen können, und ich werde ihn
-umsonst geschrieben haben. Aber das schadet nichts. Für die Mühe, die
-es mich kostet, einen Brief an Sie zu schreiben, bin ich schon belohnt,
-wenn er geschrieben ist. Meine Seele, die sich jeden Tag mit Ihnen,
-&mdash; und mit Niemanden lieber beschäftigt, &mdash; heftet sich doch niemals
-so ganz, so lange, so ununterbrochen auf meine Freundin, als während
-dem ich an sie schreibe. Allen fremden Gedanken, jedem unwillkommenen
-Besuche ist in dieser Zeit der Zutritt versagt &mdash; und ich bin so völlig
-mit meiner ganzen Seele bey Ihnen, als ich es war, wenn ich des Abends
-an Ihrem Fenster (wenn der<span class="pagenum"><a name="Seite_131" id="Seite_131">[S. 131]</a></span> Mond und die Nachtigall Ihres Nachbars die
-ruhige Heiterkeit und die harmonischen, aber simpeln Bewegungen unsrer
-Seele abbildeten) der Freundschaft genoß, &mdash; und einen Augenblick
-lang, in dem ich die Sorge für die Zukunft und selbst den Wunsch nach
-derselben vergaß, sagen konnte: <em class="gesperrt">Nun bin ich glücklich!</em></p>
-
-<p>Wenn es Ihnen ganz gleichgültig wäre, daß ich nicht nach Leipzig komme,
-&mdash; so wüßte ich nicht, was mir schwerer seyn würde, als der Winter hier
-in Breßlau. Die Freundschaft ist, wie ich sehe, auch grausam. Sie will
-das Recht, den Freund vergnügt und glücklich zu machen, so ganz allein,
-so ausschließungsweise haben, daß er beynahe darüber murrt, wenn er es
-ohne sie seyn könnte. Ich habe es immer den Dichtern übel genommen,
-wenn sie ihre Verliebten so eigennützig machen, daß sie ihre Geliebte
-mit weniger Schmerz sterben, als in den Armen eines Andern leben und
-glücklich seyn sehen. &mdash; Aber ich merke nun schon, daß unsre edelsten
-Neigungen immer so eigennützig seyn müssen.<span class="pagenum"><a name="Seite_132" id="Seite_132">[S. 132]</a></span> Die Liebe ist eine
-Leidenschaft. Die Freundschaft ist nur eine Gesinnung. Ihre Wirkungen
-sind nur in den Graden unterschieden, &mdash; in ihrer Natur eben dieselben.
-&mdash; Wenn es einen Menschen gäbe, der Ihnen meine Stelle so vollkommen
-ersetzte (verzeihen Sie mir einen Stolz, den Sie mich gelehrt haben),
-daß Sie, ohne Wunsch nach meiner Zurückkunft, mich an jedem Orte der
-Welt gleich gern sähen: diesem Menschen würde ich nicht gut seyn
-können. &mdash; Ich vermehre nun in meinen Gedanken diese Empfindung bis zu
-der Stärke, die der Leidenschaft der Liebe proportionirt ist, und ich
-sehe es ein, daß der Dichter das menschliche Herz besser versteht, als
-der Philosoph; &mdash; und daß, so göttlich Plato auch seyn mag, Shakspeare
-doch mehr von der Liebe weiß, als er. Sie haben doch wohl Romeo und
-Juillet gesehn? Nun wohl! Glauben Sie nicht, daß Juillet ihren Romeo
-lieber vernichtet, als untreu sehen würde? &mdash; Aber davon genug, und
-vielleicht schon zu viel, wenn ich es mit dem vergleiche, was ich noch
-zu sagen habe.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_133" id="Seite_133">[S. 133]</a></span></p>
-
-<p>Tralles, unser guter Tralles, ist mit seiner Frau und seinem Kinde am
-Sonnabend fort. &mdash; Aber er hat keinen Brief an Sie mit. Zuerst, weil es
-hier sogar gefährlich ist, einem Reisenden andre als offne Briefe, oder
-solche, die er öffnen kann, mitzugeben. Ein neues Edikt setzt auf diese
-Vervortheilung der Posten mehr als 100 Rthlr. Strafe. Zum zweyten, weil
-ich meine Absicht, Sie und den D. Tralles zusammen zu bringen,
-doch nicht würde erreicht haben. Er hätte Ihnen den Brief zugeschickt,
-oder seine Frau hätte Ihnen Visite gemacht, &mdash; oder Ihr lieber Gatte
-wäre zu dem D. Tralles gegangen. &mdash; Kurz, ich sehe nicht, wie
-Sie eigentlich mit ihm in Bekanntschaft gekommen wären. Endlich will er
-nur über Nacht in Leipzig bleiben. Ich glaube, es wird nichts daraus
-werden, dem ungeachtet wollte er doch, &mdash; und nach diesem Entschlusse
-nahm er hier seine Maßregeln. Nun hat er Verwandte in Leipzig, wie Sie
-schon wissen. Gellert, dem er von vielen Seiten empfohlen ist, wird ihn
-aufhalten. &mdash; Ludwig ist sein alter Schulfreund und sein Korrespondent.
-Die Zeit wird also selbst für seine alten<span class="pagenum"><a name="Seite_134" id="Seite_134">[S. 134]</a></span> Bekanntschaften zu kurz
-seyn. &mdash; Und doch wollte ich &mdash; ich weiß nicht wie viel dafür geben,
-wenn Sie ihn sähen, oder Ihr lieber Mann, &mdash; oder wenn er Sie sähe.
-&mdash; Er wird im blauen Engel wohnen. &mdash; Schon dachte ich, ob Sie ihn
-vielleicht über eine wirkliche oder erdichtete Krankheit von sich
-oder Ihrem Kinde zu Rathe ziehen wollten; dieses würde immer für ihn
-schmeichelhaft, aber doch ein bischen seltsam seyn. Dann dachte ich
-wieder, ob Ihr Mann nicht den Tag zu Gellerten gehn könnte. &mdash; Alles
-das dachte ich, und doch bin ich noch nicht auf das gekommen, was mir
-gefällt und genug thut. &mdash; Der einzige Trost ist, &mdash; er will auf dem
-Rückwege (denn zurückkommen wird er gewiß) länger in Leipzig verweilen,
-&mdash; und alsdenn bin ich entweder schon bey Ihnen, oder ich schreibe
-durch Sie an Tralles.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Von Kaufleuten, die nach Leipzig gingen (Kaufleute meine ich, nicht
-Krämer), weiß ich keinen, als Herrn ****, und der geht noch dazu mit
-seiner Frau. Sie sind beyde &mdash; eben nicht Freunde &mdash; aber Bekannte von
-uns.<span class="pagenum"><a name="Seite_135" id="Seite_135">[S. 135]</a></span> Und die Frau ist noch dazu, &mdash; oder war wenigstens als Jungfer
-&mdash; eines unsrer schönsten Gesichter. Der Mann ist wohlhabend, und hat
-den besten Garten um B***. Für die Meisten ist dies Verdienst genug,
-seine Bekanntschaft sehr angelegentlich zu suchen. Für Sie und mich ist
-es wenig. Ueberdieß geht er schon morgen ab. Mein Brief also, den ich
-heute abschicke, kommt eher an, als er, &mdash; und was brauche ich erst
-auf Gelegenheiten zu warten, an Sie zu schreiben, so lange die Posten
-richtig gehen?</p>
-
-<p>Sie verlangen von mir mein Tagebuch? &mdash; Nichts in der Welt wünschte ich
-mehr, als daß Sie alle meine Handlungen wüßten, meine ganze Aufführung
-unter jeden Umständen, bey jeglicher Veranlassung sähen, &mdash; daß Sie die
-Aufseherin meines Herzens seyn könnten, und durch Ihren gütigen Beyfall
-das Wahre und das Gute bestätigten, &mdash; und durch Ihren liebreichen
-Tadel meine Vorurtheile und meine Schwachheiten besiegen hülfen. &mdash;
-Aber wie kann eine kurze, unvollständige, trockne, oft Ihnen vielleicht
-langweilige Erzählung diese<span class="pagenum"><a name="Seite_136" id="Seite_136">[S. 136]</a></span> Absichten erreichen? &mdash; Dem ungeachtet
-sollen Sie so viel wissen, als ich zu sagen vermag. Keinen treuern
-Geschichtschreiber sollten Sie je gesehen haben, als ich es von mir
-selbst seyn wollte. Nur vergeßlicher, mangelhafter....</p>
-
-<p>Ich weiß nun selbst nicht mehr, was ich mir noch alles für Schimpfnamen
-geben wollte. Man rufte mich ab, &mdash; und nun, in den zwey Minuten, die
-mir noch übrig sind, habe ich was bessers zu thun, als auf mich zu
-schelten.</p>
-
-<p>Meine Lebensart also zuerst, &mdash; wäre noch so ziemlich, wenn ich weniger
-faul, weniger zu einer anhaltenden Arbeit ungeschickt, weniger unruhig,
-und wegen meiner künftigen Aussichten ein bischen scharfsichtiger
-wäre. Ich stehe spät auf, &mdash; ob ich mir es gleich am Abende alle
-Mal vornehme, früh aufzustehn. &mdash; Die Theestunde bleibt immer noch
-die goldne Stunde des Tages. Ich, meine Mutter und meine Muhme,
-ein jedes durch den Schlaf erfrischt, und durch keine Arbeit noch
-entkräftet, bringt seine erste noch nicht vernutzte<span class="pagenum"><a name="Seite_137" id="Seite_137">[S. 137]</a></span> Munterkeit in die
-Gesellschaft. Während des Thees lese ich vor. Neulich hatten wir den
-Hausvater und den natürlichen Sohn, &mdash; jetzo ist es der Hypochondrist.
-Der Schriftsteller wird bewundert, &mdash; und der Vorleser bekommt auch
-etwas von dem Dank, oder nimmt sich wenigstens selbst seinen Theil
-davon, ohne erst daran erinnert zu werden.</p>
-
-<p>Der übrige Morgen wäre nun dazu, etwas zu arbeiten, &mdash; wenn ich jetzt
-oft zum Arbeiten aufgelegt wäre. Wenn ich es bin, so arbeite ich
-jetzo für Herrn Weisen, in seiner Bibliothek. Essen und Kaffee ist
-wieder die gesellschaftliche Stunde. Ich spiele auf dem Klaviere,
-ich liege im Fenster, ich schwatze, ich höre, ich lese vor, eins ums
-andre, manchmal alles zugleich, zuweilen nichts von allem. Zwey oder
-drey Stunden sind auf die Art leicht hinweg geschwärmt. Sonntags sind
-öfter Freunde bey uns, als andre Tage. Den vergangenen machte ich
-eine neue Bekanntschaft. Der junge Herr v. **** besuchte mich mit
-seinem Schwager, dem H*** ***. Der erste war von seiner Familie zum<span class="pagenum"><a name="Seite_138" id="Seite_138">[S. 138]</a></span>
-Kaufmann bestimmt, von seinen Neigungen zum Studiren; und seine Talente
-sind wenigstens nicht wider diese Neigung. Er hat großes Geld, &mdash;
-schafft sich also eine prächtige Bibliothek, liest viel, hat prächtige
-Instrumente und Musikalien, spielt gut auf dem Flügel, und macht seine
-Person, die von Natur nicht sonderlich einnehmend ist, durch seine Mühe
-und durch seinen Fleiß wenigstens hochachtungswürdig.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Ordentlicher Weise gehe ich des Abends von fünf Uhr an spatzieren. &mdash;
-Ganz allein; und welche Gesellschaft könnte mir auch angenehmer seyn,
-als die, die ich mir alsdann aus allen vier Gegenden der Welt zusammen
-hole? Shakspeare sagt: Die Welt ist nur eine Werkeltagswelt, wo alle
-Sachen, gar nicht so, wie wir wünschen, und wie wir es einrichten
-würden, sondern ihren gewöhnlichen alltäglichen Lauf kommen, sie mögen
-nun dadurch unsern Wünschen in die Queere kommen, oder nicht. &mdash; Um
-also diesem Mangel abzuhelfen, schaffe ich mir alsdann auf meine Hand
-eine andre, eine Feyertagswelt. In dieser Welt<span class="pagenum"><a name="Seite_139" id="Seite_139">[S. 139]</a></span> ist Ihr Mann kein
-Advokat mehr, seine Arbeiten unterhalten ihn nur, aber sie nehmen ihn
-nicht ganz ein, &mdash; er lebt für den Staat nützlich, aber doch immer für
-seine Gattin mehr, als für seine Klienten, &mdash; in dieser Welt sind Ihre
-Stunden alle heiter, alle voll Hoffnung, daß die künftige Stunde die
-gegenwärtige an Glückseligkeit noch übertreffen werde. In dieser Welt
-schreibt mein guter Reiz keine Register mehr; endlich in dieser bin ich
-bey Ihnen, &mdash; ich bin Ihr Bruder; meine Mutter ist Ihre Mutter, wir
-machen alle nur eine Familie aus.</p>
-
-<p>Aber nun muß ich Sie nur schon wieder sicher zu unsrer Welt
-zurückbringen. &mdash; Denken Sie nur, ein ganz neuer Auftritt. Heute früh,
-eben in dem Augenblicke, da ich Ihren Brief schreiben will, schreibt
-der Kriegsrath von Klöber, der ehemalige Hofmeister des ersten Sohns
-vom Minister ****, mir einen französischen Brief. &mdash; Der jüngste Sohn
-des Ministers soll jetzo nach Halle gehn. &mdash; Er schlägt mir vor,
-ich sollte die Stelle als Hofmeister bey ihm annehmen. Zweyhundert<span class="pagenum"><a name="Seite_140" id="Seite_140">[S. 140]</a></span>
-Thaler Gehalt; ein Engagement auf zwey Jahre; Hoffnung zu Reisen,
-und die Versicherung befördert zu werden. &mdash; Was meinen Sie, daß ich
-gethan habe? Ich mußte noch denselben Morgen antworten. Die Sache war
-dringend. Ich schicke Ihnen meine Antwort mit. Leben Sie wohl u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_141" id="Seite_141">[S. 141]</a></span></p>
-
-<h2 id="Neunzehnter_Brief">Neunzehnter Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Den 30. September.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">N</span>ach Ihrem Briefe zu urtheilen, hatten Sie meinen Brief noch nicht
-empfangen oder noch nicht gelesen, als Sie den Ihrigen schrieben. In
-der That habe ich es mir schon vorgeworfen, daß meine Briefe immer so
-lang und so übel geschrieben sind. Ich würde es Ihnen für übel halten,
-wenn Sie sich die Mühe nehmen wollten, sie bis ans Ende zu entziffern.
-Um es Ihnen also etwas leichter zu machen, und Ihnen doch dabey nicht
-ganz unbekannt zu werden, werde ich Ihnen von nun an nichts als
-Geschichte schreiben. Bringt der Himmel uns wieder zusammen, so werden
-wir Zeit genug haben, Betrachtungen anzustellen.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Wenn Sie also nun jetzo meinen vorigen Brief gelesen hätten, so wüßten
-Sie, daß es noch nicht so ganz gewiß ist, ob ich in Breßlau diesen
-Winter bleibe. Herr v. Klöber, bey dem<span class="pagenum"><a name="Seite_142" id="Seite_142">[S. 142]</a></span> ich gestern wieder gewesen
-bin, schreibt heute noch ein Mal an den Minister; und die Antwort,
-die wir künftigen Sonntag, erwarten, wird die Sache entscheiden.
-&mdash; Klöber hatte, wie er mir sagte, nicht sowohl zur Absicht, mir
-selbst diese Hofmeisterstelle vorzuschlagen, als durch mich Jemanden
-kennen zu lernen, der dazu tüchtig wäre. &mdash; Er vermuthete, daß ich
-schon andre gewissere Aussichten hätte, und daß ich das Reisen zu
-einer nothwendigen Bedingung machen würde, das doch bey dem Sohne
-des Ministers noch ungewiß wäre. &mdash; Ich sagte ihm, daß der Entschluß
-zu meiner künftigen Lebensart ziemlich fest, aber der Weg, den ich
-dazu wählen wollte, noch gar nicht so bestimmt wäre; daß meine größte
-Sorge sey, der Charakter des jungen Herrn oder seine Denkungsart könne
-vielleicht nicht genug mit der meinigen übereinstimmen, um die Art von
-Freundschaft und Vertraulichkeit zu errichten, die zu einer glücklichen
-Ausführung meines Geschäfts unumgänglich wäre; daß endlich mir der
-Aufenthalt auf einer Akademie noch weit lieber seyn würde, wenn ich
-während desselben schon Vorbereitungen und Uebungen auf meine<span class="pagenum"><a name="Seite_143" id="Seite_143">[S. 143]</a></span> künftige
-Lebensart anstellen könnte. Bey allen diesen meinen Antworten müssen
-Sie daran denken, daß ich es mit dem Minister von *** zu thun hatte,
-dessen Gewogenheit mir in jeder Verfassung von Gewicht seyn würde. &mdash;
-Ich will Ihnen nicht erst sagen, was mir Klöber antwortete. Er war
-außerordentlich gütig in der Beurtheilung meiner Fähigkeit zu einem
-solchen Posten, &mdash; er erzählte mir sein eigen Beispiel, &mdash; endlich
-versprach er, noch ein Mal an den Minister zu schreiben, und das, was
-ich wünschte, ihm vorzutragen.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Wenn Sie diesen v. Klöber kennten, so würden sie einen rechtschaffenen
-Mann, einen Mann von Grundsätzen, von Geschmack und von einer großen
-Belesenheit an ihm finden. Er ist sehr lange gereiset. Er spricht alle
-drey moderne Sprachen gut. Er kennt die Litteratur von jeder; aber für
-die Engländer ist er enthusiastisch. Sie sollten ihn von Shakspeare
-reden hören!</p>
-
-<p>Aber was machen Sie denn, beste beste Freundin? warum lassen Sie mir
-denn nichts von<span class="pagenum"><a name="Seite_144" id="Seite_144">[S. 144]</a></span> diesen Ihren Geschäften, von Ihren häuslichen Unruhen,
-von Ihren Bekümmernissen, von Ihren Vergnügen wissen? Warum wollen Sie
-mir denn so ganz fremd werden? &mdash; Warum mit mir eine so allgemeine
-Sprache, die dem Kompliment so ähnlich sieht? Sie sagen mir wohl, daß
-Sie mir noch gut seyn, &mdash; aber bald möchte ich daran zweifeln, da Sie
-mich so wenig Ihres Vertrauens würdigen. &mdash; Wie wohl, ich bin heute
-ohne dieß unruhig. Vielleicht giebt mein Gesicht den Gegenständen die
-finstre Farbe, in der sie mir erscheinen. Ich habe endlich eine lange,
-verdrießliche Arbeit geendigt. Ich schicke heute ein ganzes Packt an
-Herrn Weisen. Von Gellerten habe ich Briefe, die mich ermahnen, hier zu
-bleiben. &mdash; Haben Sie nichts von Tralles gesehen? &mdash; Leben Sie wohl
-u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_145" id="Seite_145">[S. 145]</a></span></p>
-
-<h2 id="Zwanzigster_Brief">Zwanzigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">R</span>echt! liebe Freundin, von den Eindrücken am Morgen hängt das Vergnügen
-oder der Verdruß des ganzen Tages ab. Ich folge Ihren Regeln und ahme
-Ihrem Beispiele nach, &mdash; und der erste meiner Gedanken ist heute für
-Sie. Warum kann ich doch den Gang dieses Briefes nicht beschleunigen,
-oder warum habe ich Ihnen nicht eher geschrieben, um Ihnen geschwind
-genug zu sagen, wie richtig Sie gemuthmaßt haben. Ja, ja, tausend Mal
-hat es mich gereuet, daß ich diesen Brief geschrieben hatte. Nicht,
-als wenn es nicht einerley Empfindungen der Freundschaft wären, die
-mir ihn damals eingaben, und die jetzt machen, daß er mich reut.
-Aber diese Empfindungen hatten sich den Tag so wunderlich mit einer
-Menge verdrießlicher Vorstellungen vermischt, daß Sie selbst diese
-Gestalt annahmen und unter einer so fremden Miene beynahe unkenntlich
-wurden. &mdash; Ich hasse argwöhnische<span class="pagenum"><a name="Seite_146" id="Seite_146">[S. 146]</a></span> Freunde; ihre Zärtlichkeit besteht
-bloß in dem Verdrusse, den sie leiden oder den sie verursachen.
-Aber dem ungeachtet &mdash; eine gewisse Art von Besorgniß begleitet die
-Zärtlichkeit, und es kann Gelegenheiten geben, wo sie wirklich in
-Argwohn ausbricht. &mdash; So fürchtet Niemand die Verachtung mehr, als der
-die Hochachtung wünscht, und der beständige Verdacht, gering geschätzt
-zu werden, ist ein sicheres Zeichen des Stolzes.</p>
-
-<p>„Ja, dachte ich, sie ist wohl noch meine Freundin, aber nicht mehr
-so zärtlich, so feurig, als ehemals; sie nimmt nicht mehr an meinen
-Angelegenheiten Theil; sie läßt mich nichts mehr von den ihrigen
-wissen. &mdash; Wer weiß, sind nicht diese gütigen Gesinnungen, von denen
-sie mich versichert, ein bloßer zurückgebliebener Schimmer von
-dem Feuer ehemaliger Empfindungen? Und warum, thörichter Mensch,
-warum sollte sie dich auch mit dem hohen Grade von Freundschaft
-lieben? Welche Verdienste hast du um sie, was für Dienste hast du
-ihr geleistet, was für Beweise von deiner Freundschaft ihr gegeben?
-Nein,<span class="pagenum"><a name="Seite_147" id="Seite_147">[S. 147]</a></span> nein! sie kann nicht ohne Ursache lieben; die Natur will, daß
-Empfindungen, die auf einer bloßen Verblendung beruhten, mit ihr
-zugleich aufhören. Die Einbildung schmückt zuweilen einen Gegenstand
-weit über seinen Werth aus, und leiht ihm alle die schönen glänzenden
-Farben, durch die er uns gefällt; &mdash; aber dieser Schmuck fällt ab,
-die Farben verlöschen und der Verstand kommt zuletzt und zerstört
-die ganze Bezauberung. Ja! Abwesenheit und neue Eindrücke haben ihre
-Wirkung gethan, &mdash; und vielleicht, was ich, was sie selbst noch für
-Zärtlichkeit hält, ist nichts als die Erinnerung, daß sie ehemals
-zärtlich gegen mich gewesen ist.“</p>
-
-<p>Stellen Sie sich nun meine Seele vor, die durch finstre Irrgänge von
-melancholischen Betrachtungen bis auf diesen Punkt gekommen war,
-und dann bewundern Sie die Gelassenheit, mit der ich meinen letzten
-Brief schrieb. &mdash; Die Seele bleibt nicht lange in einem Zustande des
-Mißvergnügens, den sie sich selbst verursacht hat. Die Einbildungskraft
-nimmt bald wieder einen andern Weg; die Vernunft<span class="pagenum"><a name="Seite_148" id="Seite_148">[S. 148]</a></span> kehrt sich die
-lichtere Seite des Gegenstandes zu, &mdash; und dann wundert man sich über
-die feste Gewißheit, mit der man vor wenig Augenblicken Sachen glaubte,
-die man jetzt für unmöglich hält.</p>
-
-<p>„Nein, &mdash; so fing meine Seele an, sich wieder zu erheben &mdash; nein, die
-Freundschaft kann in einer edlen Seele niemals ohne Grund entstehen;
-&mdash; und wenn sie einmal die Vernunft gebilligt hat &mdash; kann sie alsdann
-in derselben erlöschen? Diese falsche Demuth, mit der du dich selbst
-erniedrigst, würde das Urtheil und die Wahl deiner Freundin verunehren.
-Ja, du hast Verdienste um sie: die Begierde, ihr alle mögliche Dienste
-zu leisten; ein Herz, welches sich fähig fühlt, um ihretwillen große
-Schwierigkeiten zu überwinden; ein Gefühl, welches mit dem ihrigen
-übereinstimmend und darauf gerichtet ist, sie, und wenn es möglich
-ist, mit ihr gemeinschaftlich alle Menschen glücklich zu machen; &mdash;
-dieß sind die einzigen Verdienste, die die Freundschaft verlangt, und
-mit denen sie sich beruhigt. &mdash; Und nun, dieses festgesetzt, warum<span class="pagenum"><a name="Seite_149" id="Seite_149">[S. 149]</a></span>
-sollte dich ein Brief beunruhigen, der an sich voll von Gütigkeit,
-&mdash; nur deswegen dir nicht genug thut, weil er deinen Erwartungen
-nicht entspricht? Du erwartetest von ihr Rath, Beyfall, Ermunterung;
-du erhieltest dafür nur Versicherungen ihrer Freundschaft und ihres
-Wunsches, dich wieder zu sehn. Würden diese dich nicht in einer jeden
-andern Gemüthsverfassung, nur nicht in der, in welcher du warst,
-zufrieden gestellt haben? &mdash; Und du hast ihr einen Brief schreiben
-können, der, wenn sie wirklich das wäre, was du argwöhnst, sie unwillig
-machen; und wenn sie das ist, was du wünschest, sie kränken muß.“&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Wie hätte ich in diesem Augenblicke den mit Vergnügen empfangen, der
-mir diesen Brief wieder gebracht hätte! &mdash; Sehen Sie, so bin ich
-gestraft worden, noch ehe Sie es wünschen konnten, daß ich gestraft
-würde. &mdash; Aber da ich nicht das Ganze rechtfertigen kann, so muß
-ich wenigstens einen Theil entschuldigen, &mdash; wenigstens den Theil,
-wo ich wünschte, mehr von Ihren Umständen zu wissen. &mdash; In der That
-ist das, was ich dabey dachte, was<span class="pagenum"><a name="Seite_150" id="Seite_150">[S. 150]</a></span> ich mir noch jetzo dabey denke,
-nur dunkel, und es wird mir schwer, es auszudrücken, &mdash; aber doch
-empfinde ich, daß es etwas Wirkliches ist. &mdash; Sehen Sie, mitten
-unter diesen angenehmen Kreis von Vergnügen und Beschäftigungen,
-die Ihre unschuldigen Tage ausfüllen, stehlen sich nicht oft kleine
-Gelegenheiten und Ursachen zur Bekümmerniß, zur Sorge, zur Betrübniß,
-zur Freude, zur Hoffnung? Kleine vorübergehende Wolken, die unsern
-Himmel auf eine kurze Zeit verfinstern; unvorhergesehene kleine
-Stürme, die uns von dem ordentlichen Laufe unsers Lebens auf einige
-Augenblicke verschlagen; &mdash; dann wieder auf einmal ein lächelndes,
-schönes Ufer, eine unerwartete Aussicht, die die Krümmung des Stroms,
-auf dem wir fuhren, uns verborgen gehalten hatte. &mdash; So sehe ich Sie
-vielleicht den einen Tag, bey einer kleinen Blässe, die Sie auf dem
-Gesichte Ihrer Wilhelmine bemerken, oder bey einer kleinen Verminderung
-ihrer gewöhnlichen Munterkeit, &mdash; in eine ganze Reihe von sorgsamen
-und traurigen Betrachtungen gerathen, die selbst die Vergnügungen
-dieses Tages mit einem gewissen Nebel<span class="pagenum"><a name="Seite_151" id="Seite_151">[S. 151]</a></span> überziehn; und dann schweben
-dunkle Bilder, wie die eines schwermüthigen Traums, auf dem Grunde
-der Seele. Den andern empfing Sie vielleicht Ihre liebe Tochter mit
-einem freudigen Lächeln, vielleicht erwiederte sie auf eine mehr als
-gewöhnliche Art Ihre mütterliche Zärtlichkeit, und zeigte Ihnen von
-fern die Belohnungen Ihrer Sorgfalt, in den süßen Ergießungen einer
-kindlichen Dankbarkeit; vielleicht blickten durch ihre Bewegungen
-oder durch ihre noch unartikulirte Sprache die ersten Strahlen der
-aufgehenden Vernunft; &mdash; und dieser Eindruck stimmte die Seele für
-diesen Tag zu lauter angenehmen Bewegungen; &mdash; dann wieder eine
-zärtlichere Liebkosung von Ihrem Gemahl; ein unerwartetes Merkmal von
-der Hochachtung eines Freundes; &mdash; eine auffallende und mit Ihren Ideen
-recht übereinstimmende Betrachtung eines Ihrer Schriftsteller; eine
-glücklich ausgeführte Arbeit, &mdash; ein vollbrachtes Werk des Wohlthuns
-und der Menschenliebe: &mdash; auf der andern Seite eine kaltsinnigere oder
-eine zerstreutere Miene auf dem Gesichte Ihres Mannes; eine kleine
-Uneinigkeit in Ihren Meinungen; selbst das<span class="pagenum"><a name="Seite_152" id="Seite_152">[S. 152]</a></span> Mißvergnügen über eine
-Handlung, die man wünschte ändern zu können, weil sie unsern Absichten
-und unserm Plane nicht vollkommen gemäß gewesen ist; &mdash; alles das
-ist es, was ich oft von Ihnen zu wissen wünschte, &mdash; und wobey sich
-mein ganzes Herz bewegen würde, wenn ich es von Ihnen hörte. &mdash; O
-Freundschaft, wenn deine geheiligten Bande zwey tugendhafte Seelen so
-mit einander verbinden, daß alle Empfindungen und Gedanken der einen
-in die andre übergehen, &mdash; dann verdoppeln sich ihre Kräfte, Gutes zu
-thun; ihre tugendhaften Regungen werden zu Entschlüssen; ihre Fehler
-werden ihre Lehrer; und jede fliegt mit der zusammengesetzten Kraft
-und Geschwindigkeit von beyden ihrem großen Ziele zu. Mein Herz ist zu
-voll. Ich kann nicht mehr schreiben.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Ich habe Zeit gehabt, mich von meinem Enthusiasmus wieder zu erholen.
-Die älteste Tochter des D. Tralles ist den Augenblick bey uns
-gewesen, und hat einen Brief von ihm aus Leipzig gebracht. Er hat
-bey O... gewohnt. Professor Gellert hat ihn mit einer<span class="pagenum"><a name="Seite_153" id="Seite_153">[S. 153]</a></span> ungemeinen
-Freundschaft aufgenommen; er hat ihm selbst wieder in dem O...schen
-Hause die Gegenvisite gemacht. D. Ludwig hat seinen alten Freund
-erkannt, &mdash; und alle haben sich um die Wette bestrebt, ihm seinen
-kurzen Aufenthalt angenehm zu machen. Er ist mit Leipzig und seinen
-Einwohnern so wohl zufrieden, daß er ihnen beynahe auf unsre Unkosten
-Lobsprüche macht, und sie ehrt, indem er seine Breßlauischen Freunde
-herunter setzt. Mir ist bey dieser Begebenheit vorzüglich lieb, daß
-er mit der Aufnahme Gellerts vergnügt gewesen ist. Ich habe dadurch
-ein kleines Verdienst um Tralles, und einen Beweis von der Gewogenheit
-Gellerts.</p>
-
-<p>Aber daß ich von Klöber noch keine Antwort habe, daß ich noch immer in
-derselben Ungewißheit bin, in der ich meinen letzten Brief schrieb;
-daß ich gestern, da nach Klöbers Vermuthung die entscheidende Antwort
-vom Minister (der auf seinen Gütern ist) kommen sollte, gar nichts,
-weder von ihm noch dem Minister, gehört habe: alles das ist mir höchst
-verdrießlich, und bringt meine Seele<span class="pagenum"><a name="Seite_154" id="Seite_154">[S. 154]</a></span> in eine gewisse ungeduldige
-Bewegung, die sie zu wenig Sachen geschickt läßt. &mdash; Ich erhalte aber
-vielleicht noch diese Woche die Antwort &mdash; und dann will ich &mdash; nicht
-zur Strafe &mdash; sondern zum Ersatz der unruhigen Stunden, die mich
-Ihr und mein neulicher Brief gekostet hat, Ihnen auf den Sonnabend
-schreiben. Alsdann sollen Sie zugleich etwas von meiner jetzigen
-Lektüre hören. Denken Sie nur, ich lese die <span class="antiqua">Fairy Queen</span> von
-Spencer, einem Dichter, ohne den Milton vielleicht nicht gewesen seyn
-würde. &mdash; Ich habe nicht geglaubt, ihn in Breßlau zu bekommen; aber es
-sind einige sehr vollständige Englische Bibliotheken hier. Leben Sie
-wohl u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_155" id="Seite_155">[S. 155]</a></span></p>
-
-<h2 id="Ein_und_zwanzigster_Brief">Ein und zwanzigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Den 4. Oktober.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">S</span>o wenig steht es oft in unsrer Gewalt, unsre Wünsche, oder auch unsre
-Versprechen zu erfüllen! Dieses kurzsichtige Ding, die Seele, macht
-immer Entwürfe, ohne die Hindernisse eher zu bemerken, bis sie von
-ihnen gestört wird; dann springt sie plötzlich auf, sieht um sich herum
-nach Hülfsmitteln, findet keine, und überläßt sich endlich einem trägen
-und unthätigen Mißvergnügen. Ungefähr dieß ist die Geschichte des
-Briefes, den ich an Sie schreiben wollte, und den ich nicht geschrieben
-habe.</p>
-
-<p>Danken Sie es meiner Bescheidenheit, daß ich Ihnen die Erzählung
-aller der kleinen Störungen und Geschäfte erspare, die jede für sich
-nichtswürdig, doch zusammen genommen zum Herrn meiner ganzen Zeit
-wurden. Ich werde<span class="pagenum"><a name="Seite_156" id="Seite_156">[S. 156]</a></span> mich nun hüten, Ihnen so bald wieder einen Brief
-außer den gewöhnlichen zu versprechen. Denn nichts ist verdrießlicher,
-als eine erregte Erwartung nicht befriedigen. Aber ich werde desto
-aufmerksamer seyn, die Augenblicke ausfindig zu machen, wo ich, ohne
-mich vorher angemeldet zu haben, bey meiner Freundin einen unerwarteten
-Besuch machen kann.</p>
-
-<p>Nun kommt Ihr Brief. &mdash; O Sie haben also auf den meinigen gewartet!
-Jetzt komme ich mir nicht bloß unglücklich, sondern strafbar vor. Ich
-weiß, wie mir es seyn würde, hätten Sie mir ein ähnliches Versprechen
-gethan, ohne es zu halten. Lassen Sie mich geschwind von dieser
-unangenehmen Erinnerung wegeilen. Der Himmel wird schon heiter, der Weg
-gut und die Luft kalt, um Pferd und Postillion hurtig zu machen, und
-meinen Brief so geschwind als möglich zu Ihnen zu bringen.</p>
-
-<p>Außerdem muß ich Ihnen sagen, daß ich jetzo nicht bloß ruhiger, sondern
-auch vergnügter bin, als seit einigen Wochen. Vorgestern erhielt ich
-einen Brief von Klöber. Die Sache<span class="pagenum"><a name="Seite_157" id="Seite_157">[S. 157]</a></span> mag wohl ungefähr so seyn, wie ich
-vermuthete. Unterdessen weiß Klöber so wenig davon, als ich. So viel
-hat er nur durch die dritte Hand gehört, daß in dem Plane des jungen
-Herrn Veränderungen gemacht wären, daß er nach Frankfurt an der Oder
-gehen sollte, wo ihn schon sein Gouverneur erwartete. Dieser Brief
-bestätigt mein Urtheil über das Herz des Herrn von Klöber, denn in
-Ansehung seines Verstandes ist es ohnedieß schon ausgemacht. Mich
-dünkt, dieser Mann ist zu einer wahren Freundschaft gemacht. Er ist mit
-den Großen umgegangen, ohne ihre Denkungsart anzunehmen, und ehrt die
-Rechte der Menschlichkeit mehr, als alle die Unterscheidungen, die der
-Stolz oder die Sklaverey eingeführt haben. Er liebt die Engländer, und
-sein Charakter nähert sich wirklich dem ihrigen. Ich bin zufrieden, daß
-ich jetzo einen würdigen Mann mehr kenne, und seine Freundschaft ist
-für mich eine größere Akquisition, als eines Ministers Gnade.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>&mdash; Das ist also die Ursache meiner Zufriedenheit. Aber das ist doch
-noch nicht Vergnügen. &mdash;<span class="pagenum"><a name="Seite_158" id="Seite_158">[S. 158]</a></span> So wissen Sie denn also, daß der Himmel will,
-Sie sollen in die meisten meiner Vergnügen einen gewissen stillen aber
-wirksamen Einfluß haben. Eine gewisse Beziehung auf Sie macht eine
-Sache angenehm, die mir sonst gleichgültig wäre, und vermehrt den Werth
-einer andern.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Vor zwey Tagen tritt Herr von Grischanowsky, ein Russischer Kavalier,
-der, mit einem Griechischen Popen zum Hofmeister, in Leipzig studirte,
-in mein Zimmer. Sie müssen ihn ohne Zweifel wenigstens vom Fenster aus
-gekannt haben. Ich bin zuweilen mit ihm in Gesellschaft gewesen; und
-da mir Ebert seine Lernbegierde und seinen Fleiß rühmte, und an ihm
-selbst mir seine natürliche Offenherzigkeit gefiel, so war mir sein
-Umgang nicht ganz unangenehm, ob gleich zu einem guten Gesellschafter
-sein Kopf noch zu leer und seine Zunge zu ungebildet ist. &mdash; Diesen
-ruft nun sein Vater, Gouverneur der Russischen Ukräne, zurück. Er reist
-hier durch, und wird sich acht Tage hier aufhalten. Ein Bekannter
-also, der vor wenig Tagen erst aus Leipzig kommt, der<span class="pagenum"><a name="Seite_159" id="Seite_159">[S. 159]</a></span> mit Ihnen auf
-derselben Straße gewohnt hat, der Sie vielleicht gesehen hat, ohne Sie
-zu kennen; der außerdem ein Schüler und ein Freund meines guten Eberts
-ist; ein solcher Mensch, wenn er nur halb so gut wäre, wie der Herr von
-Grischanowsky, muß mir ohne Zweifel sehr willkommen seyn. Er brachte
-mir außerdem noch einen Brief von Ebert, worin dieser mich bittet,
-seinem Freunde den Aufenthalt hier, so viel ich könnte, angenehm zu
-machen. Ich habe nun nach meiner Art Anstalten dazu gemacht. Heute
-Nachmittag kommt er zu mir, und da er die Flöte recht hübsch spielt,
-so werden wir zusammen ein kleines Duett machen. Nach drey Uhr führe
-ich ihn auf die beste unsrer Bibliotheken, und morgen zu Mittag ist
-meine Mutter auf mein Verlangen so gütig gewesen, und hat eine kleine
-Gesellschaft zum Essen gebeten, die sich ungefähr zur Gesellschaft des
-jungen Herrn und seines Hofmeisters schicken wird. Zum Glück ist unter
-meinen Verwandten ein Mann, der ehemals in Russischen Diensten als
-Officier gestanden hat, der bis zu den äußersten Gränzen des Russischen
-Reichs gegen China, den<span class="pagenum"><a name="Seite_160" id="Seite_160">[S. 160]</a></span> Nordpol und die Türkey gekommen ist, der
-selbst Russisch spricht, und eine große Kenntniß von diesem Reiche und
-seinen Einwohnern, und also natürlicher Weise (weil wir doch das, was
-wir uns die Mühe gegeben haben, zu untersuchen, auch unfehlbar lieben)
-auch viel Neigung für sie hat. Er ist jetzo Bau-Direktor von unsrer
-Stadt, ein Mann von einer vollkommenen Kenntniß seiner Wissenschaft,
-von einer sehr guten Einsicht in die Mathematik, und von einer
-ausgebreiteten Erfahrung. Diesen werde ich zur Gesellschaft des jungen
-Herrn bestimmen.</p>
-
-<p>Für den Popen ist ein hiesiger Geistlicher, Herr ***, der ein recht
-guter Gesellschafter seyn würde, wenn er seinen Kanzelton ablegen
-könnte. Wenigstens hat er doch Neubegierde genug, sich von einem
-Fremden recht viel erzählen zu lassen; &mdash; und das ist immer schon ein
-großes Verdienst. &mdash; Den Nachmittag wollen wir alsdann, wenn das Wetter
-günstig ist, in einem Garten zubringen, und dann des Abends wieder ein
-kleines Koncert machen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_161" id="Seite_161">[S. 161]</a></span></p>
-
-<p>Kleinigkeiten von der Art würde ich sonst an keinen andern Menschen
-schreiben. Aber weil wir doch in so viel Stücken ähnlich denken,
-so werden wir vielleicht auch noch darin übereinstimmen, daß diese
-kleinen Umstände uns am meisten in den Stand setzen, bey unserm Freunde
-gegenwärtig zu seyn; und das ist immer für ein Herz, wie das unsrige,
-wichtig.</p>
-
-<p>Noch ist ein andrer von meinen Bekannten aus Leipzig, und noch dazu
-mein Landsmann, obgleich aus dem entferntesten Winkel von Schlesien,
-Herr von P****, angekommen. Er hat nach mir gefragt, und hat mich noch
-nicht gefunden. Auch ich muß ihn sprechen, um alle Gelegenheit zu
-nutzen, mich an die vergangene Zeit zu erinnern. Diese Besuche nehmen
-mir einen großen Theil meiner Zeit weg, ob ich gleich außerdem nicht so
-viel davon übrig habe. Von zehn bis zwölf habe ich meine Vorlesungen
-mit dem Herrn v. K*** angefangen. Eine Stunde ist für die Philosophie,
-die zweyte für die Römer und Griechen. Ich werde Ihnen künftig einmal
-meinen<span class="pagenum"><a name="Seite_162" id="Seite_162">[S. 162]</a></span> Plan schreiben, nach dem ich das Studium der Philosophie
-einrichten würde, wenn ich ganz Herr von der Einrichtung der Erziehung
-eines jungen Menschen wäre.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Jetzo muß ich auf Ihren Brief kommen. Daß Weise an mich gedacht und
-von mir vortheilhaft gesprochen hat, ist mir lieb. Aber daß er nicht
-schreibt, ist mir unbegreiflich. Ich habe ihm vor ungefähr 5 Wochen
-einige Beyträge, die er selbst in vielen Briefen so gütig war, von
-mir zu verlangen, geschickt. Ich habe ihm nach der Zeit noch ein Mal
-geschrieben, nachdem ich seine Lieder durchgelesen hatte. Auch dieser
-Brief ist schon wieder vierzehn Tage fort, und noch auf keinen eine
-Antwort. In dieser Ungewißheit hat mich Ihre kurze Nachricht wirklich
-getröstet; besonders da unser Reiz, den ich bat, noch an dem Tage zu
-Weisen zu gehn, und mir von ihm Nachricht zu geben, Hindernisse muß
-gefunden haben, meine Bitte zu erfüllen. Sagen Sie es doch unserm
-Freunde im Vertrauen, daß der Entwurf unsrer Geschäfte nicht richtig
-gemacht ist, wenn gar keine Lücken für unsre Freunde darin sind.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_163" id="Seite_163">[S. 163]</a></span></p>
-
-<p>Sie nur, meine geliebte Freundin, Sie allein ersetzen mir den Verlust,
-den mir die Arbeitsamkeit oder die Zerstreuung meiner übrigen
-Freunde verursacht. Dank sey es der Liebe, die durch Ihre heftigen
-Erschütterungen Ihrer Seele zuerst die Weiche, die Empfindlichkeit
-und die schnelle Beweglichkeit gegeben hat, die sie jetzt so sehr zur
-Freundschaft fähig macht.</p>
-
-<p>Sie wollen, ich soll über die Liebe philosophiren. Ich wüßte nicht
-leicht einen Gegenstand, der reicher und zugleich einnehmender wäre.
-Aber heute sollen Sie anstatt meiner Philosophie nur Einen Vers
-aus dem ältesten Englischen Dichter, dem Spencer, bekommen, der es
-werth ist, daß Sie ihn kennen lernen. Sein Werk ist eine Ariostische
-Epopee; noch unordentlicher, wenn es seyn kann. Aber einzelne
-Stellen sind ausnehmend schön. Sein Werk besteht aus sieben Büchern,
-wovon jedes eine gewisse Tugend unter einer Reihe von allegorischen
-Rittergeschichten vorstellt. So fängt er das dritte Buch an, welches
-die Keuschheit zum Gegenstande hat:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_164" id="Seite_164">[S. 164]</a></span></p>
-
-<div class="poetry-container antiqua">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse mleft1">Most sacred fire, that burnest mightily</div>
- <div class="verse">In living breasts, ykindled first above,</div>
- <div class="verse">Amongst th’eternal spheres, and lamping sky,</div>
- <div class="verse">And thence pour’d into men, which men call Love;</div>
- <div class="verse">Not that same, which doth base affections move</div>
- <div class="verse">In brutish minds, and filthy lust inflame;</div>
- <div class="verse">But that sweet fit, that doth true beauty love,</div>
- <div class="verse">And chooseth vertue for his dearest dame,</div>
- <div class="verse">Whence spring all noble deeds, and never-dying fame.</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse mleft10 padtop1">II.</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse mleft1">Well did antiquity a God thee deem,</div>
- <div class="verse">That over mortal minds hast so great might,</div>
- <div class="verse">To order them, as best to thee doth seem,</div>
- <div class="verse">And all their actions to direct aright etc.</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p>Von diesem Gedichte, von der Philosophie der Liebe und von meiner
-jetzigen Lektüre werden meine nächsten Briefe handeln, wofern Sie mit
-diesen Materien zufrieden sind. Lessings Dramaturgie werden Sie ohne
-Zweifel schon gelesen haben. Außerdem müßten Sie nicht einen Augenblick
-anstehen; nur müßten Sie suchen, die Stücke, die er beurtheilt, kurz
-zuvor durchzulesen u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_165" id="Seite_165">[S. 165]</a></span></p>
-
-<h2 id="Zwei_und_zwanzigster_Brief">Zwei und zwanzigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Breßlau, den 14. Oktober.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">W</span>ie haben Sie es über Ihr freundschaftliches Herz bringen können, mich
-heute ohne Briefe zu lassen, da Sie es empfinden mußten, daß ich eines
-neuen Zeugnisses Ihrer Freundschaft jetzo am meisten bedürfte? Aber
-es ist nun einmal beschlossen, daß ich diese Woche in nichts ruhig
-werden soll. Weiter wäre nichts nöthig, um mich auf diese ganze Woche
-unglücklich zu machen, als daß sich in dem Innersten meiner Seele ein
-kleiner Argwohn erhübe, und mich überredete, Sie wären unwillig, oder
-welches mir noch weit unerträglicher wäre, gleichgültig. &mdash; Denn daß
-Sie oder einer von Ihren lieben Theuern krank seyn sollten, daran kann
-ich gar nicht einmal denken. &mdash; Aber fürchten Sie nichts. Ich arbeite
-aus allen Kräften, alle Art von Argwohn bey mir zu zerstören, oder
-ihm zuvor<span class="pagenum"><a name="Seite_166" id="Seite_166">[S. 166]</a></span> zu kommen. Außerdem, daß er unsern Freund beleidigt, und
-uns kränkt, ist er noch eine gewisse Folge eines schwachen Geistes.
-Ich setze nämlich zum Voraus (und ich bilde mir ein, daß das nichts
-ist, als was ausgemacht ist), daß es Stärke des Geistes sey, eine
-einmal durch Gründe erlangte Ueberzeugung, auch ohne immer neue und
-wiederholte Beweise, in ihrer ersten Zuverlässigkeit zu erhalten, und
-sie gegen die Angriffe, die die bloße Einbildungskraft auf sie thut, in
-Sicherheit zu stellen. So sehe ich manche Leute an der Religion, oder
-an der fortdauernden Existenz unsrer Seele zweifeln, nicht weil sie die
-Gründe niemals erkannt, oder falsch gefunden hätten, sondern weil sie
-zu schwach sind, vergangene Betrachtungen sich wieder gegenwärtig zu
-machen, und weil das Bild von einer gewissen Möglichkeit, daß die Sache
-anders seyn könnte, über ehemals gemachte Schlüsse die Oberhand hat. &mdash;
-Wie? &mdash; werde ich also zu mir selbst sagen, wenn der Anfall von Argwohn
-heftig und gefährlich ist &mdash; sollte mich dieser Brief erst lehren,
-daß sie meine Freundin ist? Oder wenn dieses auch ohne ihn schon
-ausgemacht<span class="pagenum"><a name="Seite_167" id="Seite_167">[S. 167]</a></span> war, kann mir alsdenn sein Ausbleiben mehr rauben, als ich
-durch seinen Empfang würde bekommen haben? Ich würde wissen, was sie
-macht, wie sie meinen Brief aufgenommen, ob sie mir vergeben hat. Das
-ist es also, was ich nicht weiß; und ob es gleich immer unangenehm
-ist, sich solche Fragen nicht eher als in vier Tagen beantworten zu
-können, so ist es doch immer nur ein kleiner Aufschub. &mdash; Und endlich,
-konnte nicht mein feindlicher Dämon ihr eben solche Hindernisse in den
-Weg gelegt haben, als ich selbst hatte, da ich am Sonnabend schreiben
-wollte? Würde ich wünschen, daß sie das Ausbleiben meines versprochenen
-Briefes einer andern Ursache als der Unmöglichkeit zuschriebe, ihn zu
-schreiben? &mdash; Ich will Ihnen diese Hindernisse erzählen, zuerst um
-mich zu zerstreuen, und mich also gegen einen Feind zu sichern, der
-aller meiner Entschließungen ungeachtet mich leicht überfallen könnte,
-wenn ich unverwandt den ersten Gegenstand ansähe; und zum andern, weil
-sie beynahe den wichtigsten Theil meiner Geschichte auf diese Woche
-ausmachen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_168" id="Seite_168">[S. 168]</a></span></p>
-
-<p>Eben da ich im Begriff war, mich zum Schreiben zu setzen, kommt der
-Bediente vom Herrn von Klöber, und bittet mich, in einer halben Stunde
-zu ihm zu kommen. Es war Vormittags nach zehn. Ich ziehe mich in aller
-Geschwindigkeit an, und gehe. &mdash; Hören Sie, sagte er, indem er mich
-empfing, der Minister ist gestern Abends unvermuthet angekommen, und
-ich soll Sie jetzo den Augenblick zu ihm führen. &mdash; Diese Nachricht war
-mir nicht ganz unerwartet; denn da der Minister nicht antwortete, so
-wußte ich dieß keiner andern Ursache zuzuschreiben, als daß er selbst
-bald von seinen Gütern, wo er sich aufhielt, herein kommen wollte.
-Beynahe aber wäre es mir lieber gewesen, ihm zuerst durch Briefe
-bekannt zu werden, weil ich weiß, daß eine natürliche Furchtsamkeit,
-über die ich nicht Herr bin, mir bey dem ersten Besuche selbst von
-Leuten, deren Stand weit unter dem eines Ministers von Schlesien ist,
-nicht die völlige Gegenwart des Geistes läßt, ohne die man sich niemals
-von einer vortheilhaften Seite zeigen kann. Ueberdieß ist der Anblick
-von Hoheit für ein etwas edles Gemüth immer zu<span class="pagenum"><a name="Seite_169" id="Seite_169">[S. 169]</a></span> demüthigend, als daß
-man mit der ganzen Freyheit und Freudigkeit des Geistes handeln könnte,
-die allein unsern Reden und Handlungen Anmuth geben kann. Wir gingen
-also hin. Die Abwesenheit des Ministers hatte die Geschäfte gehäuft;
-wir waren nicht die einzigen, die auf einen Augenblick warteten, wo sie
-ihn sprechen könnten. Endlich kam der Minister aus seinem Kabinet, und
-ging auf uns zu. Herr von Klöber stellte mich ihm vor. Der Minister
-that an mich nichts als die gewöhnlichen Fragen, wer meine Eltern
-und meine Verwandten wären, wo ich studirt hätte, wie lange ich hier
-wäre; lauter Fragen, die in jedem andern Munde wenig in Verlegenheit
-setzen würden, und die doch in dem Munde eines Ministers auf gewisse
-Weise niederschlagend seyn können. Ich beantwortete sie so kurz, als
-ich konnte; &mdash; aber das hätte ich nicht geglaubt, daß dieß alles seyn
-würde; ich hielt sie nur für eine Einleitung zu einem Gespräche, das,
-wie ich hoffte, der Hauptsache näher kommen, für den Minister wichtiger
-und mir angenehmer seyn würde. Aber in diesem Augenblicke kehrte er
-sich zu dem Bedienten,<span class="pagenum"><a name="Seite_170" id="Seite_170">[S. 170]</a></span> der im Zimmer stand. „Ist der Doktor noch bey
-meiner Frau?“ &mdash; „Ja, Ihre Excellenz!“ &mdash; „Nun, so muß ich wohl noch
-einen Augenblick zu ihr gehen; kommen Sie nur zu Tische. Sie auch, Herr
-v. Klöber.“ &mdash; Und damit war er fort.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Wir kamen also gegen die in diesem Hause gewöhnliche Tischzeit, gegen
-zwey Uhr wieder. Die ganze Gesellschaft, die auf diesen Tag eingeladen
-war, versammelte sich nach und nach im Vorzimmer. Ich lernte bey dieser
-Gelegenheit den Graf Dönhof, einen Kriegsrath, den geheimden Rath
-Meinike und noch eine ganze Menge andrer kennen, die größtentheils
-Männer von vielem Verstande sind. Der Minister erschien nicht eher als
-um halb drey Uhr. So lange hatten ihn seine Geschäfte aufgehalten. &mdash;
-In diesem Augenblicke setzten wir uns auch zu Tische. Die Gemahlin des
-Ministers und seine noch unverheyrathetete Tochter waren die einzigen
-Damen an der Tafel. Die Damen sprachen bloß französisch. Ueberhaupt
-waren die Gespräche gleichgültig. Der Minister bestimmte selbst<span class="pagenum"><a name="Seite_171" id="Seite_171">[S. 171]</a></span> ihren
-Gegenstand, und da sie größtentheils Begebenheiten betrafen, die ich
-nicht wußte, so war es ganz natürlich, daß ich dabey stumm war.</p>
-
-<p>Die Tafel dauerte bis 5 Uhr; und so wie der Minister aufstand, so ging
-er auch ohne einen Augenblick zu warten, in sein Cabinet zurück, wo
-ihn schon wieder eine ganze Menge Leute und Geschäfte erwarteten. Wir
-unterhielten uns noch eine kleine Weile in dem Tafelzimmer. Herr von
-Klöber sagte endlich, da er sahe, daß die Hoffnung, diesen Nachmittag
-bey Sr. Excellenz vorzukommen, vergeblich wäre, daß wir uns beurlauben
-wollten, und daß er dem Bedienten aufgetragen hätte, ihn zu rufen,
-sobald der Minister nach ihm fragen würde. Von diesem Augenblicke an
-nun weiß ich wieder nichts, und die ganze Sache ist noch nicht einen
-Schritt weiter. Ich wünschte sie nur entschieden, nur auf irgend eine
-Art entschieden zu sehn; denn die Ungewißheit ist unter allen das
-schlimmste u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_172" id="Seite_172">[S. 172]</a></span></p>
-
-<h2 id="Drey_und_zwanzigster_Brief">Drey und zwanzigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Den 28. Oktober.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">A</span>llemal, wenn ich mich niedersetze, an Sie zu schreiben, ist mein
-Kopf von Gegenständen, die alle geschrieben seyn wollen, so voll, daß
-ich über der Wahl endlich den größten Theil davon vergesse, oder mein
-Brief und die Zeit schon zu Ende ist, wenn ich noch kaum über den
-ersten Punkt heraus bin. Indem ich alsdann den Brief schließe, und
-es empfinde, wie wenig ich Ihnen gesagt habe, und wie viel ich Ihnen
-noch zu sagen hätte; so ärgere ich mich über den elenden Ersatz, den
-ein kurzer kaum angefangener Brief für den Umgang mit einer solchen
-Freundin, wie Sie sind, thun soll. Ich thue mit dem Kinde in Weisens
-Liede den Wunsch:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_173" id="Seite_173">[S. 173]</a></span></p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">O wenn ich doch ein Vogel wär,</div>
- <div class="verse">So schnell und federleicht,</div>
- <div class="verse">Der über Berg und Thäler hin</div>
- <div class="verse">Im Augenblicke streicht!</div>
- <div class="verse">Dann flög’ ich über Land und See,</div>
- <div class="verse">Durchreiste jeden Ort,</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">Wär bald &mdash; wo denn? Gewiß nirgends, oder doch nirgends öfter, als
-bey Ihnen. Was für einen kleinen freundschaftlichen Schrecken würde
-ich Ihnen nicht abjagen, wenn ich, ehe Sie sich es versähen, den
-gegenüberstehenden Stuhl an Ihrem Fenster einnähme, indem Sie an
-dem andern sitzen. Ich sehe schon zum Voraus, ich würde kein Wort
-vorbringen können, ich würde stammeln, und wenn ich meine Stimme wieder
-hätte, so würden es nur gebrochene Laute seyn, die ich vorbrächte.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Weg, angenehme Schwärmerey, die geschwind genug meine Einbildungskraft
-ganz anfüllen, und dann aus meinem Briefe alle wichtigere Gegenstände
-verdrängen könnte! &mdash; Nun habe ich mir in meinem Kopfe gewisse Punkte
-geordnet, unter welche dieser Brief gebracht werden soll. Aber ich sage
-sie Ihnen nicht zuvor, bis ich erst sehe, wie viel ich davon zu Stande
-bringe. Sage ich jetzo nur<span class="pagenum"><a name="Seite_174" id="Seite_174">[S. 174]</a></span> wenig, so können Sie immer glauben, ich
-habe nicht mehr schreiben wollen, da Sie sonst hätten denken müssen,
-ich hätte nicht mehr schreiben können. Also zur Sache:</p>
-
-<p>Zuerst fragen Sie mich in Ihrem vorletzten Briefe, ob ich Ihre Briefe
-aufhebe? Die Frage würde fast eine kleine Beleidigung seyn, wenn
-ich nicht, die Wahrheit zu sagen, ähnliche Beleidigungen auf meiner
-Rechnung hätte. Meine Mutter ist die Depositaria davon, so wie von
-Ihren Porträts. &mdash; Also wollen Sie diese wirklich wieder haben? Ich bin
-in der That so unverschämt gewesen, sie schon für ein halbes Geschenk
-anzusehen. Unterdessen, wenn Sie über das Porträt Ihres Gemahls Herr
-sind, so sind Sie es doch nicht über das Ihrige. Ich werde Ihnen das
-erste zurück schicken, wenn Sie es so befehlen, aber ich werde dadurch
-mein Recht auf das andere nur verstärkt glauben. Meine Mutter, die Sie
-wahrhaftig liebt, würde an dem Schmerz Theil nehmen, den es mich kosten
-würde, dieses kleine Stück von Ihnen selbst aus den Händen zu geben.<span class="pagenum"><a name="Seite_175" id="Seite_175">[S. 175]</a></span>
-Indessen, wenn Sie darauf auch bestünden; so muß ich Ihnen nur sagen,
-daß die Gelegenheiten, solche Sachen zu schicken, nicht so häufig sind;
-und ich habe immer in meiner Macht, zu sagen, daß ich keine gehabt
-habe. Sehen Sie eine andere kleine Beleidigung in Ihrem vorletzten
-Briefe, die ich ungeahndet gelassen habe.</p>
-
-<p>Aber nun auf Ihren jetzigen zu kommen, der so voll von Freundschaft
-und gutem Herzen ist, und der mich würde zu Ihrem Freunde gemacht
-haben, wenn ich es noch nicht wäre; so muß ich nur Ihre zu große
-Demuth ein bischen schelten. Sage nur deiner Freundin, sagte meine
-Mutter, indem sie Ihren Brief las: Eine Frau, die eine so edle Freude
-an einer guten Handlung haben konnte, als die ist, die sie in ihrem
-Briefe erzählt, kann vieler andern Vorzüge entbehren. Glauben Sie
-nur, dieses Herz, welches Ihnen der Himmel gegeben hat, ist immer das
-größte Geschenk, welches er einem Sterblichen machen kann. Ohne dieses
-Herz ist der Verstand ein bloßes blendendes Licht<span class="pagenum"><a name="Seite_176" id="Seite_176">[S. 176]</a></span> ohne Wärme, und die
-Schönheit eine unbedeutende Form. Aber dieses Herz kann der Schönheit
-und selbst höherer Einsichten entbehren, und doch immer noch nicht
-bloß liebenswürdig sondern verehrungswerth bleiben. Wenn aber diese
-glückliche Verbindung zwischen Empfindung und Einsicht, zwischen dem
-Kopf und dem Herzen vorhanden ist, die ich in meiner Freundin finde und
-hochschätze, wenn der eine der Diener ist, die gutthätigen Absichten
-des andern auszuführen: dann kann das Glück immer seine übrigen Güter
-zurückhalten; die Natur hat ihm schon genug vorgearbeitet, um in jedem
-Umstande, in jeder Verfassung, selbst unter den Beunruhigungen, die
-eine Folge dieser Eigenschaften sind, die Person selbst glücklich, und
-andre zu ihren Verehrern und Freunden zu machen.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Um Sie nun in Ansehung meiner in Ruhe zu stellen, so muß ich Ihnen
-sagen, daß, ob ich gleich noch keine Nachricht habe, ich doch die
-Sache für entschieden halte, und auch recht zufrieden damit bin, daß
-sie entschieden ist. &mdash; Wenn man bey einer Reise in der<span class="pagenum"><a name="Seite_177" id="Seite_177">[S. 177]</a></span> Nacht lange
-Zeit ohne seinen Weg zu sehen, fortgegangen ist, und nicht gewußt hat,
-ob man nicht vielleicht in fremden und unwegsamen Wüsten herumirrt;
-wenn dann auf einmal ein aufgehender heller Stern uns zeigt, daß wir,
-ohne es zu wissen, noch immer auf dem rechten Wege sind, und von einer
-unsichtbaren Hand geleitet, unvermerkt dem Ziele unsrer Bestimmung
-näher kommen: dieser Freude ist diejenige gleich, die man fühlt,
-wenn man mitten unter dem Zusammenlauf mannichfaliger und uns oft
-unangenehmer Begebenheiten einen einzigen fortgehenden Plan erblickt,
-der mitten unter diesen verschlungnen Irrgängen immer fortgesetzt
-worden ist, und durch alle die Hindernisse, die uns beunruhigten, nicht
-aufgehalten werden konnte.</p>
-
-<p>Ich kann Ihnen nicht das ganze Räthsel erklären, wie ich zu dieser
-Betrachtung komme. In der That aber glaube ich Ursache zu haben,
-zufrieden zu seyn, wenn ich dem Minister mißfallen habe u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_178" id="Seite_178">[S. 178]</a></span></p>
-
-<h2 id="Vier_und_zwanzigster_Brief">Vier und zwanzigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Den 11. November.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">L</span>assen Sie uns immer einige unsrer Erwartungen fehlschlagen, der
-Himmel versorgt uns dafür wieder mit Vergnügen, auf die wir weder
-Anspruch noch Hoffnung hatten. So war der Brief, den ich gestern von
-ihrem lieben Gemahl, so die zwey Briefe, die ich zu gleicher Zeit
-von Herrn Weisen erhielt. Meiner Mutter und mir waren Ihre Briefe,
-wenn nicht eben so unerwartet, doch gewiß eben so erwünscht. Alle
-so voll von Freundschaft, Liebe, Zärtlichkeit, daß mein Herz in
-unaussprechlichen Empfindungen überfloß, und wenn der Geist Kraft
-genug hätte, diese Einschränkung des Raums und seine enge Wohnung zu
-durchbrechen, wenn er, ohne seinen schweren Gefährten, den Körper,
-mitzunehmen, mit ätherischer Leichtigkeit mit seinen Wünschen in
-gleicher Geschwindigkeit sich bewegen könnte,<span class="pagenum"><a name="Seite_179" id="Seite_179">[S. 179]</a></span> so wäre Ihr Wunsch und
-der meinige gestern erfüllt, ich hätte Sie alle, alle gesehn; auch ihn,
-meinen guten und zu geschäftigen Freund, dem ich für den Brief, den er
-an mich schreiben will, gern alle die erlasse, die er nicht geschrieben
-hat. Ich danke es Ihnen recht sehr, liebster Freund (ich rede jetzt mit
-Ihrem guten Manne), daß Sie für die Erhaltung meiner Freunde &mdash; der
-größten Glückseligkeit die ich kenne, &mdash; oder welches eben so viel ist,
-für meine Gewißheit, daß ich sie noch besitze, so viel Mühe und Sorge
-über sich nehmen.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Weise ist in der That einer von meinen schätzbarsten Freunden, und,
-Dank sey es seinem gütigen Herzen, auch von meinen zärtlichsten. Ich
-habe zwey lange Briefe von ihm bekommen, die beyde vortrefflich sind,
-wenn sie nur nicht gar zu schmeichelhaft für mich wären. Meine Mutter,
-die an meiner ganzen Correspondenz Theil nimmt, sorgt immer, meine
-Freunde werden mich verderben. Und in der That, ich glaube beynah, ihre
-Furcht ist nicht ganz ungegründet. &mdash; Aber<span class="pagenum"><a name="Seite_180" id="Seite_180">[S. 180]</a></span> nun verderben oder nicht,
-so werde ich doch nimmermehr zugeben, daß selbst die übertriebenen
-Lobsprüche von Freunden mit Schmeicheleyen einerley wären. Wenn uns
-die ersten in einen kleinen Irrthum über unsre Verdienste führen, so
-sind sie zuerst selbst darin. Ihr Herz hat zuerst ihrem Verstande den
-unschuldigen, und beynahe sagte ich, zur Freundschaft nothwendigen
-Betrug gespielt; und hundertmal mehr können sie sagen, als wahr
-ist, aber niemals ein Wort mehr als sie denken. Da fängt erst die
-Schmeicheley an, wo der Ausdruck größer ist als die Gesinnung, und
-unser Verstand den Werth des andern richtiger bestimmt, als unsre
-Worte.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Der eine Brief von Weisen war schon längst vorher geschrieben, und war
-mit einem kleinen Geschenk von Büchern, das er mir bestimmte, einem
-hiesigen Buchhändler übergeben worden, der eben erst gestern ankommen
-mußte; der andre kam mit der Post, und den habe ich vielleicht zum
-Theil Ihnen zu danken.</p>
-
-<p>Darf ich Ihnen nun wohl noch erst sagen, daß gestern einer von meinen
-angenehmsten Tagen gewesen ist, oder vielmehr Stun<span class="pagenum"><a name="Seite_181" id="Seite_181">[S. 181]</a></span>den, &mdash; denn eine
-von den größten Sonderheiten, ich weiß nicht ob der menschlichen
-Natur oder der meinigen (leider vermischen sich diese beyde nur gar
-zu oft in den Augen des Beobachters; aber genug, ich empfinde sie,
-diese Sonderheit, und wie ich sie empfinde, so will ich sie Ihnen
-ausdrücken; vielleicht entdecken wir wieder einen neuen Punkt, wo unsre
-beyden Seelen an einander gränzen); und die seltsamste Wirkung des
-Vergnügens ist gewiß Schwermuth; und demungeachtet ist es bey mir die
-gewöhnlichste, wofern das Vergnügen nur mehr empfindlich als rauschend
-ist. Wenn meine Seele nach der Befriedigung gewisser Begierden
-geschmachtet hat, und sich diese ihr endlich mit einemmale anbietet;
-so weigert sich die Seele gleichsam einen Augenblick, dieselbe
-anzunehmen; sie entzieht sich dem Genusse eines Vergnügens, das sie
-für zu schmeichelhaft hält, als daß sie sich gleich überzeugen könnte,
-daß es für sie wirklich bestimmt ist, und das Herz verschließt sich
-vor den Eindrücken, die es doch so sehnlich erwartete. Nach und nach,
-wenn die erste Bestürzung vorüber ist, wenn sich die angenehmen<span class="pagenum"><a name="Seite_182" id="Seite_182">[S. 182]</a></span> Bilder
-in der Einbildungskraft anhäufen, wenn die wiederholten, aber sanften
-Schläge des Vergnügens diese muthwillige Unempfindlichkeit überwunden
-haben, öffnet sich das Herz wieder; die Empfindungen strömen von allen
-Seiten zu und erfüllen es; die Bewegungen werden lebhafter, das Gesicht
-heitrer; unsre ganze Seele bekommt eine Art einer neuen Existenz, und
-diese Empfindung von der Verdoppelung ihrer Kräfte verbindet sich noch
-mit den Eindrücken des Vergnügens, um diesen glückseligen Zustand eine
-Zeitlang zu erhalten.</p>
-
-<p>Wer in diesen Augenblicken die Gabe zu gefallen, wenn sie auch ihm
-sonst fehlt, nicht durch die Zauberkraft des Vergnügens erhält, der mag
-es nur aufgeben, jemals zu gefallen. In der That ist ein von Vergnügen
-durchdrungnes Herz schon an sich der angenehmste Gegenstand für den
-Zuschauer; und außerdem hat der Mensch niemals mehr, als in diesen
-Zeiten, seine eignen Talente zu seinem Gebote; seine Ideen werden
-lebhafter, seine Einfälle gelingen, sein Witz verliert den<span class="pagenum"><a name="Seite_183" id="Seite_183">[S. 183]</a></span> Zwang und
-die Steife; und alles, was er sagt, bekommt durch die harmonischen
-Züge, mit denen sein Gesicht es bekräftigt, und durch eine gewisse
-lebhafte und doch anständige Bewegung, mit dem es begleitet wird, mehr
-Kraft und mehr Anmuth.</p>
-
-<p>O wenn diese glücklichen Augenblicke fortdauern könnten! Ich habe von
-der Macht des Vergnügens so große Ideen, daß ich glaube, es könnte
-Trägheit in Feuer, und Dummheit in Witz verwandeln, wenn wir erst die
-Kunst erfunden hätten, es dauernd zu machen. &mdash; Aber so verzehrt sich
-die Freude, wie eine Flamme, durch ihre eigne Stärke. &mdash; Die Spannung
-der Kräfte, ohne welche sie nicht entstehen würde, bereitet schon die
-Erschlaffung vor, mit der zugleich die Schwermuth zurück kehrt; der
-Genuß erfordert eine gewisse Anstrengung, die wir nicht gewahr werden,
-weil sie angenehm ist, und die uns erst die darauf folgende Erschöpfung
-entdeckt; und durch eine unausbleibliche Rückkehr, die ein Gesetz der
-ganzen Natur ist, sinkt die Seele eben so tief unter ihre gewöhnliche
-Höhe, als sie sich über dieselbe erhoben hatte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_184" id="Seite_184">[S. 184]</a></span></p>
-
-<p>Ich sehe, ich verliere mich in einer Art von Philosophie, die für
-mich alle Mal gefährlich ist. Ich grüble vielleicht gar zu gern über
-meine eignen Empfindungen, und oft verliert sich mir der Gegenstand
-aus dem Gesichte, indem ich seine Wirkungen aufsuchen will. &mdash; Was
-ich eigentlich zu sagen vorhatte, ist dieß. Eine so große Anzahl von
-Beweisen der Zärtlichkeit und Freundschaft der würdigsten Personen
-hatten meiner Seele eine gewisse Selbstzufriedenheit gegeben, die nicht
-Eitelkeit, &mdash; aber doch höchst süß ist. Aber eben diese verlor sich mir
-unter der Hand, als ich sie eben erst bemerkte. Auf sie folgte eine
-gewisse Furcht, daß einmal eine Zeit kommen könnte, wo diese Freunde
-von mir richtiger oder strenger urtheilten; eine Art von Kummer, wie
-ich so vortheilhaften Meinungen und so günstigen Erwartungen, die sie
-von mir hätten, ein Gnüge leisten könnte. &mdash; Ich schien mir unter
-einer Art von Verbindlichkeit zu erliegen, die mir ihre Gütigkeit
-auferlegt hatte, und indem ich mein eignes nichtsbedeutendes Selbst
-mit dem vergrößerten und geschmeichelten Bilde verglich, welches sie
-als ähnlich mit mir annehmen;<span class="pagenum"><a name="Seite_185" id="Seite_185">[S. 185]</a></span> so wurde mir angst, daß ein solcher
-Irrthum einmal vielleicht aufgehoben werden, und irgendwo ein solcher
-unglücklicher Brunnen seyn möchte, wie ihn Ariost beschreibt, der,
-wenn man ihn kostet, alle Verblendungen der Liebe heilt, und dem
-bloßen kalten Verstande alle seine Freyheit zurück giebt, zu prüfen.
-Dieser Wunsch, meinen Freunden zu zeigen, daß ich ihrer nicht unwürdig
-sey, mit der Unmöglichkeit, die ich vor mir zu sehen glaubte, ihn zu
-befriedigen, brachte eine Art von Aengstlichkeit in mich, die endlich,
-ohne ihren Gegenstand zu wissen, nach etwas suchte, was mir fehlte, und
-was sie doch nicht finden konnte.</p>
-
-<p>Sehen Sie nun, würde eine andre Freundin, gegen die Schwachheiten
-ihres Freundes weniger nachsichtig als Sie, eine solche Anatomie
-seiner eignen Thorheiten ertragen; besonders wenn ich darüber das
-vergesse, was Sie eigentlich von mir wissen wollten, und was ich auch
-zu schreiben im Sinne hatte? &mdash; Herr von Grischanowsky ist beynahe
-alle Tage bey uns, wenigstens eine oder zwey Stunden. Meine Mutter ist
-ihm seines wirklich guten<span class="pagenum"><a name="Seite_186" id="Seite_186">[S. 186]</a></span> Herzens wegen recht gut worden. In der That
-habe ich in ihm noch weit edlere Gesinnungen entdeckt, als ich selbst
-in Leipzig in ihm kannte. &mdash; Aber sein Hofmeister &mdash; ob er gelehrt
-ist, das mag er selbst am besten wissen, &mdash; aber daß er höchst grob,
-unempfindlich gegen alle Höflichkeit, bäurisch stolz, und ohne alle
-Annehmlichkeit im Umgange ist, das wissen wir leider alle, die wir ihn
-in unsrer Gesellschaft gehabt haben. Jetzo bitte ich nur immer den
-jungen Herrn ohne ihn u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_187" id="Seite_187">[S. 187]</a></span></p>
-
-<h2 id="Fuenf_und_zwanzigster_Brief">Fünf und zwanzigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Den 18. November.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">O</span> wenn Sie wüßten, was mich Ihr Brief für einen traurigen Tag gekostet
-hat, Sie würden ihn nicht geschrieben haben, oder Sie schrieben
-heute einen zweyten, um ihn zu widerrufen! Aber gewiß, gewiß, Sie
-werden keinen schreiben. &mdash; Ich lese ihn wieder, Ihren Brief, und
-er beunruhigt mich noch mehr. Ich sollte weniger zärtlich gegen Sie
-seyn, &mdash; ich sollte mich dem Brunnen des Ariosts nähern, <em class="gesperrt">von dem
-einige Freunde vielleicht schon getrunken haben</em>. Wer sind diese
-Freunde? &mdash; Setzen Sie einmal (um einen Satz, den ich nur in Absicht
-auf mich wahr hielt, auf die Freundschaft überhaupt auszudehnen),
-setzen Sie, daß eine Art von Uebertreibung dazu gehöre, um den Grad von
-Liebe hervor zu bringen, ohne den die Freundschaft kalt und die Ehe
-in kurzem<span class="pagenum"><a name="Seite_188" id="Seite_188">[S. 188]</a></span> beschwerlich ist; setzen Sie, daß unsre Einbildungskraft
-die Vollkommenheiten unsers Lieblings vergrößern müsse, wenn sie das
-Herz mit der gehörigen Stärke treffen sollen; setzen Sie dieß alles:
-so behaupte ich doch, daß selbst diese Verblendung Größe des Geistes
-voraus setze, und daß es Stärke des Geistes sey, sie zu erhalten.
-Achten Sie also ja nicht meine Theorie für so gefährlich, daß sie den
-Kaltsinn für eine natürliche Folge der Ueberlegung erklären sollte.
-Wenn er eine beständige Eigenschaft unsers Herzens ist, so ist es
-Kleinheit, und folgt er auf einen feurigen Anfang, so ist es Schwäche
-der Seele. &mdash; Sie hatten neulich eine Philosophie der Liebe von mir
-verlangt. Hier sind einige kleine Züge davon, auf die mich diese
-Betrachtungen natürlicher Weise leiten.</p>
-
-<p>Man kann immer sicher vermuthen, daß in den Meinungen etwas Wahres
-sey, die allgemein von den Menschen angenommen werden; und die in den
-rohesten Zeiten zuerst. Die Wirkung der Natur, und die Gesinnungen,
-die unmittelbar durch den Einfluß der<span class="pagenum"><a name="Seite_189" id="Seite_189">[S. 189]</a></span> Dinge um uns herum hervor
-gebracht werden, erkennt man am besten in den Epoquen, wo wenig andre
-Principien der menschlichen Gedanken vorhanden sind. Nun in diesen
-Zeiten war Tapferkeit und Liebe die größte Tugend der Männer, und
-Keuschheit, oder mit einem andern Worte, Beständigkeit und Treue das
-einzige Verdienst der Frauen. Die Rittergeschichten, so ausschweifend
-sie sind, vergnügen mich demungeachtet um dieser richtigen und mit der
-Natur harmonirenden Grundsätze willen, die allenthalben durchblicken,
-und ohne die selbst diese Ausschweifungen nicht Statt gehabt hätten. &mdash;
-Wenn die Philosophie sich nun damit bemengt, den Grund dieser Gesinnung
-zu erklären, so kann es seyn, sie geräth auf falsche Ursachen; der
-Zusammenhang dieser Leidenschaft mit den wesentlichen Vollkommenheiten
-des Menschen kann vielleicht durch eine ganz andre Kette gehen, als die
-ich einsehe; &mdash; aber sie thut demungeachtet ihr eigentliches Werk, sie
-ist in ihrem Berufe. Denn wozu soll Philosophie, wenn sie nicht die
-Meinungen und Neigungen, die die Seele einnehmen, ohne daß sie weiß,
-woher sie sie hat, als<span class="pagenum"><a name="Seite_190" id="Seite_190">[S. 190]</a></span> Phänomene behandelt, deren Ursprung gefunden
-werden soll? Meine Erklärung ist diese.</p>
-
-<p>Jede unsrer Ideen ist nach einem gewissen Eindrucke gebildet, den die
-Empfindung zuerst in unsrer Seele hervor gebracht hat. Diese Eindrücke
-zergliedern, zusammen setzen, anders ordnen, als sie zuerst in die
-Seele gekommen sind, das ist alles, was die Seele damit thun kann.
-Ideen, deren Theile nicht ursprünglich sinnliche Eindrücke wären, sind
-unmöglich. Der Umfang, die Lebhaftigkeit, kurz alle Vollkommenheiten
-unsrer Ideen (und diese machen doch wohl den eigentlichen Vorzug des
-denkenden Wesens aus) hängen von der Beschaffenheit dieser ersten
-Impressionen ab. Sind die Gepräge, die die Gegenstände in unsrer Seele
-abdrücken, richtig und vollständig, so werden ihre Kombinationen
-ebenfalls richtig seyn, und der Kopf wird helle; sind sie tief und
-stark, so werden ihre Kombinationen lebhaft und eindringend, und der
-Geist wird schön. Die Kraft zu empfinden ist also die vornehmste
-Fähigkeit der Seele, nach deren Größe sich die übrigen richten. Sie
-verschafft die Materialien,<span class="pagenum"><a name="Seite_191" id="Seite_191">[S. 191]</a></span> aus welchen die übrigen bauen; sie bemahlt
-zuerst die leere Fläche der Seele mit den Bildern, aus denen die
-übrigen auf eben die Art neue machen, wie Apelles seine Venus aus den
-schönsten Theilen der Mädchen von Gnidus zusammen setzte. Die Größe
-der Seele besteht in der Fähigkeit, viele und große Eindrücke auf
-einmal zu bekommen, und sie ohne Verwirrung zu erhalten. Die Stärke der
-Seele, in der Fähigkeit, einmal empfangene Eindrücke nicht durch den
-beständigen Zufluß von neuem verlöschen zu lassen, sondern sie gegen
-das unaufhörliche Reiben neuer Ideen unverletzt zu erhalten.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Sie sehen schon, wie nahe wir zu Ihrer Lieblings-Leidenschaft gekommen
-sind. Eben dieselbe Lebhaftigkeit, dasselbe Feuer der Impression, durch
-welche große Geister gebildet und große Unternehmungen vorbereitet
-werden, bringt diese reizende Tochter, die Liebe, hervor, wenn
-die Vollkommenheiten eines andern denkenden Wesens der Gegenstand
-sind. Eben diese Dauer, dieses Anhalten der Impression, welche dem
-Mathematiker die langwierigsten<span class="pagenum"><a name="Seite_192" id="Seite_192">[S. 192]</a></span> Untersuchungen zu Ende bringen
-hilft, und die weitaussehendsten Entwürfe durch alle Hindernisse und
-Schwierigkeiten verfolgt, bringt die Treue in der Freundschaft, und
-die Beständigkeit in der Liebe hervor. Wenn sich nun noch mit der
-Empfindung, welche Vollkommenheit und Schönheit erregen (und das ist
-alles, was bey der Freundschaft nothwendig ist), noch diese süße
-Wallung, dieses Gefühl von Lust verbindet, die das Eigenthum der Liebe
-ist; wenn der Körper, sonst ein Störer unsrer geistigen Vergnügungen,
-sie hier unterstützt, und seinem edlern Theile zu neuen Quellen von
-Empfindungen verhilft: dann steigt vom Himmel diese ehrwürdige Göttin
-herab, und knüpft zwey menschliche Wesen mit unauflöslichen Banden
-an einander; dann weist sie jedem von ihnen als den vornehmsten
-Gegenstand und die größte Uebung seiner Empfindungskraft, seinen
-Geliebten an. Von ihm soll die Seele diese ewig dauernden Einflüsse
-bekommen, die ein Beweis und eine Ausübung ihrer eignen Kraft sind.
-Durch diese Gewohnheit gestärkt, und durch diese unaufhörliche
-Uebung erhöht, soll seine Empfindung sich von<span class="pagenum"><a name="Seite_193" id="Seite_193">[S. 193]</a></span> da aus über das ganze
-Gebiet von Vollkommenheit und Schönheit ausbreiten; sich nach jeder
-Tugend, jeder Vortrefflichkeit ausstrecken, dieselbe umfassen, und
-durch eine untergeordnete, aber eben so unveränderliche Liebe mit
-sich verbinden. &mdash; So wie die allgemeine Menschenliebe durch die
-beständige, aber stufenweise Erweiterung der Familienliebe entsteht;
-so wird in edlen Seelen die Tugend durch die Liebe geboren. Die in dem
-Geliebten koncentrirte Empfindung entwickelt sich, und geht von einer
-Vollkommenheit zur andern, die alle zusammen in dem Gegenstande der
-Liebe durch ein dunkles Gefühl wahrgenommen wurden. Die Seele erlangt
-die Macht, den äußern Dingen und dem Strome ihrer eignen Ideen zu
-widerstehn; sie lernt, mitten unter den beständigen Revolutionen, die
-der stets veränderte Eindruck der äußern Dinge in unsern Gesinnungen
-hervor zu bringen sucht, die Ideen, die ihr wichtig sind, aufrecht zu
-erhalten; und so lehrt die Liebe einen verständigen Geist denken, und
-ist die Vorbereitung zur Tugend für das Herz u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_194" id="Seite_194">[S. 194]</a></span></p>
-
-<h2 id="Sechs_und_zwanzigster_Brief">Sechs und zwanzigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Den 21. November.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">N</span>och ist die Sonne nicht über dem Haupte meiner schlafenden Freundin
-aufgegangen. Aber ich, von der Freundschaft und der Begierde bey ihnen
-Ihnen zu seyn aufgeweckt, empfinde ein weit süßer und höher Vergnügen,
-als Sie selbst in den Armen des Schlafs. Unter dem Schirme dieser
-stillen und ehrwürdigen Dunkelheit, die noch Ihr Schlafzimmer bedeckt,
-kann ich ungestört den angenehmen Schwärmereyen nachhängen, die von
-dem Gelärme und den Zerstreuungen des Tages verdrängt werden. Mich
-dünkt, ich sehe Sie mit der Miene der Unschuld, und mit einem gewissen
-sanften Lächeln, das durch fröhliche Träume hervor gebracht wird, an
-der Seite Ihres lieben Gatten. Wenn Ihre tugendhafte Seele, für die
-Ruhe und Glückseligkeit erschaffen, zuweilen durch die verdrießlichen
-Zufälle des Tages aus<span class="pagenum"><a name="Seite_195" id="Seite_195">[S. 195]</a></span> sich selbst heraus gerissen, und mit einer
-unruhigen Heftigkeit von Gegenstand zu Gegenstand umher getrieben wird,
-so kehrt sie doch des Nachts wieder zu sich selbst und zu der Wohnung
-der Zufriedenheit und der Ruhe zurück. Der Geist, der des Tages über
-oft von seinem Gefährten, dem Körper, Befehle annehmen mußte, wird
-nunmehro ganz wieder sein eigen, und bringt unter den Bildern, die
-ihm vorher aufgedrungen wurden, jetzo nur die reinsten und schönsten
-wieder hervor. O möchten Sie doch beym Erwachen diese muntre und
-fröhliche Heiterkeit, diese Erhöhung Ihrer Kräfte, diese wiedererlangte
-Leichtigkeit fühlen, die eines solchen Schlafs unausbleibliche
-Frucht ist. O möchten doch meine Wünsche über Ihren heutigen Tag den
-glücklichen Einfluß haben, daß dieses Licht, welches Sie jetzt zum
-ersten Mal erblickt, keine andern, als die Scenen der Liebe, der
-Tugend und der Freundschaft erleuchtete. Möchte der Himmel Ihnen heute
-manchen Unglücklichen in den Weg führen, dem Sie beystehen, manchen
-Rechtschaffenen, dessen Glück Sie befördern können! Möchte Ihre Seele,
-wie die Fläche des Meeres an einem<span class="pagenum"><a name="Seite_196" id="Seite_196">[S. 196]</a></span> stillen Morgen, von keinem Sturme
-bewegt, das Bild des Himmels in sich auffangen, und dem betrachtenden
-Zuschauer, Ihrem Gemahl oder Ihrem Freunde, in gemildertem aber
-unverfälschtem Glanze wieder zurück werfen. Nun gehe ich zu meiner
-alten Materie fort.</p>
-
-<p>Wenn die Metaphysik der Liebe, die in den Französischen Dichtern und
-Schriftstellern so häufig ist, ein elender Ersatz für die wirklichen
-Ergießungen der Empfindung ist, die wir in der Julie von Shakspeare
-oder Rousseau finden; so wäre sie doch immer ein sehr wichtiges Stück
-von Psychologie, wenn man nur mehr die Art, wie diese Leidenschaft
-entsteht, und die Zusammenstimmung der verschiedenen Fähigkeiten der
-Seele, die da seyn muß, wenn sie zu einem gewissen Grade gelangen soll,
-erklärte, als alle die kleinen Symptome, die sich bey ihrer Gegenwart
-äußern, und die doch so oft nur von der Galanterie erzeugt, und von der
-wahren Empfindung, wie von einem zu heftigen Feuer, verzehrt werden.
-&mdash; Man kann schon daraus, daß diese Leidenschaft so selten ist, und
-daß von tausenden, die sich mit<span class="pagenum"><a name="Seite_197" id="Seite_197">[S. 197]</a></span> einander verbinden, oft nur zwey von
-dieser himmlischen Göttin einander zugeführt werden, &mdash; schon daraus
-kann man vermuthen, daß diese Eigenschaft, welche die Seele des Feuers
-der Empfindung fähig macht, eine eben so seltne Gabe sey, als die,
-welche den Verstand zur Hervorbringung neuer Ideen in den Stand setzt.</p>
-
-<p>Die Geschichte macht gewissen großen Männern, deren Andenken sie
-uns aufbehalten hat, eine Schwachheit aus ihrer Liebe. Aber gewiß,
-diese Geschichtschreiber waren keine Philosophen; sie verstanden es
-nicht, daß eben dieselbe Quelle die beyden Ströme der Empfindung und
-der Einsicht ausgießt; daß die Fähigkeit zu großen Leidenschaften
-die großen Männer hervor bringt; und daß Heinrich, wenn er in Nacht
-und Nebel, in einem Bauerkittel verkleidet, sich mitten durch die
-Postirungen und Wachen der Feinde zu seiner geliebten Estrées
-schleicht; wenn in dem heftigesten Anfalle körperlicher Schmerzen diese
-Emfindung dennoch bey ihm siegt, und er am Rande des Grabes seiner
-Estrées noch schreiben<span class="pagenum"><a name="Seite_198" id="Seite_198">[S. 198]</a></span> konnte: <span class="antiqua">Mon premier penser est à Dieu, et
-le second à Vous</span>; eben dieselben Fähigkeiten des Geistes brauchte,
-durch die er der große Feldherr und der vortreffliche König wurde.</p>
-
-<p>Ich habe die Liebe neulich blos als eine Folge von Eindrücken
-angesehen, deren Stärke und Dauer zeigt, wie sehr die Seele fähig ist,
-lebende und bleibende Bilder der äußern Gegenstände zu empfangen. Aber
-die Seele verhält sich nicht blos leidend; es sind nicht Wirkungen,
-die nur auf sie geschehen, und denen sie nur nicht widerstehen darf.
-Ihre eigne Kraft muß diese Eindrücke beleben, sie fest halten, sie in
-diejenige Form bringen, in welcher sie ihren Einfluß noch immer auf
-dieselbe fortsetzen, wenn sie gleich selbst ihre erste Stärke verloren
-haben. Akenside macht in seinen <span class="antiqua">Pleasures of Imagination</span> eine
-vortreffliche Anmerkung, die für den Moralisten, und ich denke auch für
-den Liebhaber, höchst wichtig ist. Gewisse unsrer Pflichten und unsrer
-schönsten Neigungen beruhen auf einer Art von Illusion, die nur durch
-eine starke und mächtige Einbildungskraft aufrecht erhalten werden<span class="pagenum"><a name="Seite_199" id="Seite_199">[S. 199]</a></span>
-kann. Von der Art ist die Vaterlandsliebe. Der Begriff von Societät
-ist viel zu allgemein und abstrakt, und die Bande, mit welchen wir an
-diesen Haufen unbekannter und uns gleichgültiger Menschen geknüpft
-sind, wären für uns viel zu schwach, um uns Gefahr und Tod für diese
-leicht zu machen: wenn nicht die Einbildungskraft an die Stelle
-dieser reellen Objekte, die zu groß und zu weit sind, als daß wir sie
-mit unsrer Empfindung umfassen könnten, ein gewisses Phantom setze,
-welches wir selbst ausschmücken, und unter dessen Bilde wir diese
-unsichtbare Gottheit, das Vaterland, anbeten. So erhitzte sich der
-Römer bey dem Anblicke seines Senats, des Kapitols oder irgend eines
-andern öffentlichen Monuments, das himmelweit von dem wahren Vaterlande
-entfernt war, und welches er doch dafür annahm, um seine Empfindung in
-eine engere Sphäre zusammen zu drängen, und sie dadurch zu beleben.</p>
-
-<p>Lassen Sie uns dieses auf die Liebe anwenden. Sie ist, wenn wir sie
-zergliedern, das Resultat aus den vereinigten Wirkungen des Vergnügens
-an Vortrefflichkeit, der Freundschaft<span class="pagenum"><a name="Seite_200" id="Seite_200">[S. 200]</a></span> und der sinnlichen Lust. Es
-ist augenscheinlich, daß, wenn die Leidenschaft nur aus einer dieser
-Quellen entsteht, sie mit derselben zugleich versiegt; und da alle
-Arten von sinnlichem Vergnügen vermöge der Natur der Seele abnehmen, so
-muß ein Feuer erkalten, welches blos durch sie angezündet war. &mdash; Aber
-es giebt eine andere Art von bessern Seelen, die nicht blos wie Silenen
-lieben, und die die Venus, die aus dem Schaume des Meeres entstand, von
-der himmlischen, die vom Olympus entspringt, und an dem Throne Jupiters
-selbst ihren Sitz hat, unterscheiden; ihr Geist liebt in der That,
-nicht blos ihr Körper; und demungeachtet werden diese rechtschaffnen
-Liebhaber doch kalte Ehemänner. Die Gewohnheit übt über ihre Seelen
-ihre gewöhnliche Gewalt aus, und weil ihre Leidenschaft blos durch
-die Eindrücke auf sie hervor gebracht wurde, so verlischt sie, so wie
-die Zeit ein Stück nach dem andern von diesen Eindrücken verwischt,
-und sie zu der gewöhnlichen Stärke aller übrigen Begriffe in unsrer
-Seele zurück bringt. Nur eine dritte Gattung von Seelen, die an die
-Stelle ihres Freundes oder ihres Geliebten ein gewisses<span class="pagenum"><a name="Seite_201" id="Seite_201">[S. 201]</a></span> erhöhtes Ideal
-setzen; die aus den Vollkommenheiten, die sie wirklich in ihm gewahr
-werden, die sie aber noch verschönern, ein Ganzes zusammen setzen,
-welches wirklich vollkommner ist, als der Gegenstand selbst; die in
-sich selbst beständig eine neue Quelle von Empfindung finden, und in
-der Beschauung des Bildes, was sie sich selbst geschaffen haben, und zu
-dem ihnen das Original so zu sagen nur die ersten Striche gegeben hat,
-sich mit neuem Feuer beleben: diese sind es allein, die der Liebe ihre
-Schwingen ausreissen, und das Feuer, das sonst durch den Zufluß neuer
-Materie unterhalten werden muß, durch ihr eignes ernähren.</p>
-
-<p>Ich bin jetzt auf dem Wege, zu zeigen, wie eben diese Kraft der
-Imagination, ohne die niemals eine große oder dauerhafte Liebe gewesen
-ist, große Männer und vortreffliche Thaten hervor bringt. &mdash; Aber
-dieses ist selbst für einen neuen Brief noch zu viel Materie, und man
-ruft mich schon ein Mal über das andre u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_202" id="Seite_202">[S. 202]</a></span></p>
-
-<h2 id="Sieben_und_zwanzigster_Brief">Sieben und zwanzigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">I</span>ch habe heute einen so heftigen Schnupfen und Kopfschmerzen, daß
-nichts in der Welt, als die Begierde, Ihnen auch die kleinste, und
-wenn es nur eine minutenlange Unruhe wäre, zu ersparen, mich hätte
-bewegen können, die Feder anzusetzen. Demungeachtet habe ich zwey so
-liebe werthe Briefe von Ihnen vor mir, die ich beantworten sollte;
-und die mir auch Stoff genug geben würden, wenn ich nicht heute zu
-allem, als zu einem gänzlichen Müßiggange, unaufgelegt wäre. Wenn Sie
-meine Briefe nicht verstehen, so ist es immer gewiß meine Schuld. Ich
-bringe oft meine Gedanken zur Welt, ehe sie völlig ausgebildet sind;
-und es ist natürlich, daß meine Freunde, wenn ich sie ihnen in diesem
-Zustande übergebe, nicht recht wissen, was sie mit diesen ungeformten
-Massen machen sollen. Thun Sie an diesen verunglückten<span class="pagenum"><a name="Seite_203" id="Seite_203">[S. 203]</a></span> Geschöpfen
-die Barmherzigkeit, die Sokrates an ähnlichen Geburten seiner Freunde
-that; wenn Sie sie nicht gleich bey der Entstehung haben retten können,
-so geben Sie ihnen wenigstens, so wie sie da sind, die erträglichste
-Figur, die sie machen können. Bilden Sie sie aus, erziehen Sie
-sie; und wenn sie es werth sind, so vermählen Sie sie mit den weit
-liebenswürdigern Kindern eines so sanften und zarten Herzens, und eines
-so richtigen Verstandes, als der Ihrige ist.</p>
-
-<p>Ich habe diese Materie noch nicht erschöpft. Ich habe mir die Liebe
-blos in ihrer Entstehung vorgestellt. Sie sollen nun auch meine
-Gedanken über ihre Wirkungen wissen. Ich sehe schon zum Voraus, daß ich
-in Gefahr komme, meine Schwäche sehen zu lassen, indem ich vielleicht
-mit meinen Beschreibungen bey Ihnen, die es empfinden, nicht schließen,
-was Liebe ist, ungefähr in eben den Rang kommen werde, in welchem bey
-uns Sehenden der blinde Philosoph steht, der sehr gründlich, wie er
-dachte, die rothe Farbe durch den Schall einer Trompete erklärte.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_204" id="Seite_204">[S. 204]</a></span></p>
-
-<p>Ich sehe, ich fange an, meinen Kopfschmerz zu vergessen, indem ich mit
-Ihnen rede. Wäre der Abgang der Post nicht so nahe, so glaube ich, ich
-schriebe vier Seiten voll, ehe ich daran dächte, daß ich nur so viel
-Zeilen schreiben wollte. Erzählen Sie mir doch etwas von Ihrer jetzigen
-Lektüre u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<p>N. S. Romeo und Julie ist nun gedruckt. &mdash; Aber Sie müssen das Stück
-entweder schon gesehen haben, oder es noch sehen, ehe Sie es lesen.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_205" id="Seite_205">[S. 205]</a></span></p>
-
-<h2 id="Acht_und_zwanzigster_Brief">Acht und zwanzigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Den 9. December.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">I</span>ch bin jetzo etwas mehr beschäftigt, als sonst; und wenn ich also
-jetzt etwas kürzere Briefe schreibe, so ist es doch gewiß wenigstens
-mit dem Wunsche, Ihnen längere schreiben zu können.</p>
-
-<p>Der Freundschaft, so wie der Tugend ist die nächtliche Stille heilig.
-Ich ergötzte mich schon sonst an der Vorstellung, daß sich alsdann
-vielleicht oft unsre Gedanken und Betrachtungen begegnen, und unsre
-Wünsche vereinigt zum Himmel steigen; und jetzt sehe ich, daß ich
-Ursache dazu hatte. Ja, liebe Freundin, die Tugend, diese himmlische
-Göttin, breitet ihren Glanz auf alles aus, was sie umgiebt; sie
-erleuchtet die Freundschaft, und sie erwärmt sie auch; sie verwandelt
-die Liebe, die ein blos körperliches Bedürfniß ist, in die<span class="pagenum"><a name="Seite_206" id="Seite_206">[S. 206]</a></span> edelste
-und erhabenste Leidenschaft, deren eine menschliche Seele fähig ist,
-und verlängert sie, die sonst mit dem Genusse zugleich unterging, bis
-an die letzten Gränzen unsrer Existenz. Durch sie wird die mütterliche
-Zärtlichkeit das Glück des menschlichen Geschlechts, und der Grund,
-worauf die Wohlfahrt und die Tugend seiner Glieder erbaut wird; sie
-endlich macht alle unsre Vergnügungen heilig, und unsre Ergötzungen zu
-so viel guten Werken.</p>
-
-<p>Sie haben ohne Zweifel jetzo Romeo und Julie gelesen oder gesehen.
-Wenn ich es eher bedacht hätte, so hätte ich meine ganze Philosophie
-ersparen können. Dieses Stück ist der vortrefflichste Kommentar über
-die Liebe. Alle Ausdrücke scheinen von dem Hauche dieser Leidenschaft
-beseelt; und das heftigste Feuer brennt durch und durch, und greift
-selbst die unempfindlichsten Herzen an. &mdash; Aber sagen Sie mir,
-wenn Sie es gelesen haben, warum ist die Rührung im dritten Akte
-angenehmer, als die heftige Erschütterung im fünften? Ist es nicht,
-daß dort Pflicht mit Liebe, Tugend mit Leidenschaft streitet? Die
-vortrefflichste Seele<span class="pagenum"><a name="Seite_207" id="Seite_207">[S. 207]</a></span> ist zwischen der kindlichen und ehelichen
-Zärtlichkeit getheilt. Man sieht sie kämpfen, und wenn endlich die
-Liebe alle übrigen Empfindungen verschlingt, so ist sie uns doch schon
-auf einer so vortrefflichen Seite bekannt, daß wir ihr ihren Entschluß
-zum Heldenmuth anrechnen. Im fünften Akte wirkt blos die Situation,
-wenig der Charakter. Die Begebenheit auch bey jeden andern Personen
-würde eben so traurig seyn. Die beyden Verliebten zeigen nun nichts
-mehr als Liebe, mit keiner andern Empfindung, mit keiner Tugend mehr
-vermischt. So wie Fluthen des Meeres, wenn sie sich über ein Land
-ergießen, die Mannigfaltigkeiten der Natur auf ein Mal verdecken,
-und statt tausend verschiedner, ergötzender Gegenstände nur ihre
-eigne traurige, allenthalben gleiche und einförmige Fläche dem Auge
-darbieten: so löscht in diesen Augenblicken die Liebe jeden andern
-Begriff, jedes Gefühl in der Seele aus. Der Begriff von Tugend, den
-wir in die Liebe dieser Personen geheftet hatten, und der uns diese
-Liebe noch weit schöner macht, verschwindet vollends, da sie sich zu
-Ausschweifungen bringen lassen, die der Tugend so durchaus<span class="pagenum"><a name="Seite_208" id="Seite_208">[S. 208]</a></span> entgegen
-sind. Die ganze Scene ist theatralisch vortrefflich. Der Selbstmord mag
-nun entweder durch die heftigen Triebfedern, die in dem außerordentlich
-Schrecklichen der Begebenheit dazu enthalten sind, bey uns entschuldigt
-werden; oder er mag, wie Moses glaubt, gar nothwendig seyn, um uns von
-der Größe der Leidenschaft, auf der doch unsre ganze Rührung beruht,
-zu überzeugen. Ob ich gleich das letztre nicht recht glaube. Vergebens
-wäre der Selbstmord, um uns zu rühren, wenn wir nicht schon zuvor für
-die Person eingenommen, und von der Leidenschaft, die sie einnimmt,
-ergriffen wären. Aber im Leben wenigstens würde uns ein solches
-Schauspiel mehr Schaudern als Vergnügen erwecken. Lieber wünschte ich,
-Julien wie Heloisen in einem Kloster zu sehen. Oft würde ich dieses
-alsdann besuchen, um durch die dunkeln und einsamen Wohnungen die
-durchdringenden aber doch süßen Klagen der Schwermuth, der Liebe und
-der Sehnsucht zu hören. Gottseligkeit sollte mit der Liebe kämpfen; und
-Julie würde eine Heilige werden.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_209" id="Seite_209">[S. 209]</a></span></p>
-
-<p>Einen Theil der Wirkungen der Liebe sehen Sie also in dem Stücke meines
-Freundes zugleich mit ihren Symptomen. Freylich nur die schrecklichsten
-und die traurigsten. Aber mich dünkt, sie sind doch sehr geschickt,
-uns auf die erfreulichen zu führen. Wie schmerzlich sollte es mir
-seyn, wenn hier meine Grundsätze von Ihren Empfindungen abwichen. Aber
-doch muß ich sie sagen; die Freymüthigkeit, die in dem Gefolge der
-Freundschaft ist, und ein gewisser Eifer, den ich in mir selbst fühle,
-Ihnen auch alle meine Vorurtheile, so lange ich sie noch für wahr
-halte, ohne Verstellung mitzutheilen, fordert es von mir.</p>
-
-<p>Sie sehen, ich habe schon meine Meinung gesagt. Es giebt, wie ich
-glaube, überhaupt bey jeder unsrer Neigungen eine doppelte Seite. Die
-eine will blos genießen, sie sucht den Gegenstand nur auf, hält ihn
-fest und ergötzt sich an ihm. Die andre bereitet sich den Genuß erst
-vor, indem sie den Gegenstand verschönert, vollkommener, besser, und
-wenn er dessen fähig ist, glücklicher macht. Diese schiebt den Genuß
-auf, um ihn zu erhöhen. Die<span class="pagenum"><a name="Seite_210" id="Seite_210">[S. 210]</a></span> Leidenschaft hat eigentlich in dem ersten
-Theile unsrer Neigung ihren Sitz. Hier gehört weniger Thätigkeit, nur
-Empfindung dazu; man empfängt blos, fühlt und genießt. Die Vernunft
-stört hier mit ihren Reflexionen die Heftigkeit der Begierde nicht;
-sie wird sogar, wenn die Empfindung heftig wird, eine Zeit lang völlig
-unthätig, &mdash; alle Spannkräfte der Seele erschlaffen, sie sinkt in eine
-bezaubernde, aber deswegen vielleicht oft gefährliche Schwärmerey.
-&mdash; So war die Liebe der Julie in Romeo größtentheils. Wenn sie von
-dem andern Theile abgesondert ist, so geschieht das, dessen ich
-oben gedachte. Der Grund der Seele, der sonst mit einer Reihe von
-mannigfaltigen schönen und lieblichen Bildern bemahlt war, wird nun mit
-einer einzigen einförmigen Farbe überzogen; die Einbildungskraft kennt
-nunmehr keine andern Bilder, als die zu diesem Gegenstande gehören;
-und der Verstand selbst entzieht sich einer jeden andern Reflexion,
-als der, welche die Hitze ernähren oder vermehren kann. Hiervon, wenn
-sich ein trauriges Geschick mit einer solchen Leidenschaft verbindet,
-erwarte ich alle schrecklichen Folgen, die vom<span class="pagenum"><a name="Seite_211" id="Seite_211">[S. 211]</a></span> Anfange der Welt her so
-oft die Begleiter der Liebe gewesen sind. Ein solches Feuer verzehrt
-den Menschen, den es nur erwärmen sollte. &mdash; Zum guten Glück sind
-auch dazu nur große Seelen fähig. Aber ist es nicht traurig, daß eben
-diese am leichtesten durch eine Leidenschaft überwältigt werden, die
-jede andre Kraft, jede Fähigkeit ihrer Seele vernichtet; alle ihre
-angebornen und erworbenen Vollkommenheiten verschlingt, oder doch für
-nichts als für sie arbeiten läßt; der Tugend selbst nur die Gestalt der
-Liebe läßt, und dieselbe zu Boden tritt, sobald sie sich ihr entgegen
-setzt.</p>
-
-<p>Gesetzt aber, daß das glücklichste Ende eine Liebe, die blos von
-dieser Art ist, bekrönte. Geben Sie der Julie einen Romeo, der alle
-Entzückungen der Liebe mit ihr theilt; versöhnen Sie ihre beyden
-Familien mit einander, lassen Sie sie mit dem Beyfalle des Himmels und
-ihrer Eltern Eheleute werden. Nehmen Sie der Zeit und dem beständigen
-Umgange die Gewalt, die sie sonst über die meisten Herzen haben, die
-Heftigkeit der Neigung zu mäßigen, und Feuer in Wärme zu verwandeln,<span class="pagenum"><a name="Seite_212" id="Seite_212">[S. 212]</a></span>
-lassen Sie sie in unaufhörlichen Ergießungen ihrer ersten Liebe ihr
-Leben zubringen. &mdash; Glücklich können sie vielleicht dabey seyn, &mdash; aber
-nützliche brauchbare Leute gewiß nicht; sie sind alsdann für die Welt
-verloren. Und wenn sie das erhabenste Genie und den größten Heldenmuth
-hätten, so würden sie mit allen beyden nichts weiter ausrichten, als
-die Flamme, die bey andern Menschen aus Mangel der Nahrung auslöscht,
-unterhalten; sie würden immer empfinden und genießen, &mdash; aber niemals
-thun.</p>
-
-<p>Doch nun wollen wir diese unvollständige Neigung ergänzen, wollen den
-andern weniger eigennützigen Theil hinzusetzen. Wir sehen alsdann in
-unserm Gemahle oder Freunde nicht mehr blos ein Gut, das wir genießen
-sollen; sondern auch ein Eigenthum, das wir verbessern, erweitern und
-vortrefflicher machen wollen. Er ist alsdann nicht mehr ein bloßer
-Gegenstand unsers Gefühls, sondern auch unsrer Bemühungen. Dieser Theil
-der Neigung muß nothwendig ruhiger und gelassener seyn, und bey nicht
-sorgfältigen Beobachtern<span class="pagenum"><a name="Seite_213" id="Seite_213">[S. 213]</a></span> zuweilen den Schein der Kälte annehmen;
-zuerst, weil nach der Natur der Seele jede Neigung, die unmittelbar
-mit dem Genusse verknüpft ist, stärker seyn muß, als die, welche erst
-durch eine Kette von vielen Gliedern mit dem Genusse zusammen hängt;
-zum andern, weil wir alsdann von dem Gegenstande selbst mit unsern
-Gedanken und unsern Betrachtungen eine Zeit lang abgehen, und sie auf
-unsre Bemühungen, auf die Mittel, die wir zu unserm Zwecke wählen
-wollen, und auf die Art und Weise, wie wir sie am geschicktesten
-anwenden, richten müssen. Diese Neigung ist thätig, bringt alle Kräfte
-der Seele in Bewegung, spannt alle ihre Triebfedern, erweckt alle ihre
-Begriffe, und erhöht unsre natürliche Stärke bey jeder Handlung, durch
-den neuen Endzweck, den wir bey derselben außer dem Unmittelbaren der
-Handlung hinzusetzen. So kann der geschäftigste Mann, aus Liebe zu
-seiner Gattin, alle die Arbeiten thun, die ihr seinen Umgang entziehen.
-Weit von seiner Geliebten, kann der Jüngling sich unter einen Haufen
-gezückter Schwerdter stürzen, oder den brausenden Wellen trotzen, indem
-das<span class="pagenum"><a name="Seite_214" id="Seite_214">[S. 214]</a></span> Bild seiner Geliebten wie eine unsichtbare Göttin um ihn schwebt,
-seinen Arm stärker, und seinen Muth unerschrockner macht. &mdash; Dann
-lassen Sie auf Mühseligkeit und Arbeiten, selbst auf die Entbehrung,
-der man sich aus Liebe unterzogen, eine Stunde des Genusses folgen. &mdash;
-Dann lächelt der Himmel selbst über ihre Freuden! u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_215" id="Seite_215">[S. 215]</a></span></p>
-
-<h2 id="Neun_und_zwanzigster_Brief">Neun und zwanzigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">M</span>eine Geschäfte sind kaum von der Erheblichkeit, daß man ihnen diesen
-Namen geben kann. Demungeachtet füllen sie meine ganze Zeit aus,
-besonders, da ich manchmal viele Tage durch Zerstreuungen verhindert
-werde, daran zu denken. Außer dem, was ich zu meinem eigenen
-Unterrichte vornehme, haben Gellert und Weise von mir einige Arbeiten
-gefordert, die ich beschleunigen muß. Ich werde dazu die Zeit zu nutzen
-suchen, da Herr von K****, der mich sonst jeden Tag einige Stunden
-kostet, verreist ist. Fürchten Sie aber nichts für unsern Briefwechsel.
-Die Freundschaft kennt ihre Rechte, und sie weiß sie gegen alle andre
-Ansprüche und Forderungen zu vertheidigen. Ueberdieß ist ihre Sprache
-kurz. Man versteht sie durch Sympathie. Sie erklärt nicht sowohl ihre
-Empfindungen,<span class="pagenum"><a name="Seite_216" id="Seite_216">[S. 216]</a></span> sie macht nur den andern auf seine eignen aufmerksam;
-und nur indem sie des Freundes Herz in Bewegung setzt, zeigt sie ihr
-eignes.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Aber warum lassen Sie Ihre Tage durch Träume beunruhigen? &mdash; Oder warum
-geben Sie einem Traume, der so vieler guter, glücklicher Auslegungen
-fähig ist, gerade die, welche Sie kränken muß. Ich sehe in demselben
-nichts, als Ihre eigne Zärtlichkeit, die selbst in den nächtlichen
-Gemählden, die Ihnen Ihre Einbildungskraft vorstellt, der Freude des
-Wiedersehens eine Gewalt über das Herz giebt, unter welchem dasselbe
-erliegt. &mdash; Ich bin als Freund verpflichtet auf Mittel zu denken, die
-Ihnen diese öftern Unruhen, wenn es nicht möglich ist, ihnen zuvor zu
-kommen, wenigstens mäßigen. Ist es nicht wahr, daß eine solche Unruhe
-(ich rede nicht bloß von der letzten) unthätig und zur Verrichtung
-eines jeden Geschäftes, selbst zu dem Genusse des Vergnügens unwillig
-und unfähig macht? Und ist dieß wohl der Zustand, in dem wir oft seyn
-sollen, in dem wir<span class="pagenum"><a name="Seite_217" id="Seite_217">[S. 217]</a></span> am meisten Gutes zu thun hoffen können? Vermehren
-Sie den Grad, oder verlängern Sie diesen Zustand. Sie werden sehen, daß
-er nach und nach den Gebrauch jeder unsrer Fähigkeiten aufheben und
-uns zu einer Art von Schlaf bringen wird, der voll von fürchterlichen
-Träumen ist, und uns eben so viel Zeit raubt, als der natürliche, ohne
-uns dieselbe Erquickung zu geben?&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>Demungeachtet fühlt die Seele eine gewisse Süßigkeit darin, um deren
-willen sie sich dieser Unruhe überläßt, und sich selbst den Mitteln
-entzieht, die sie aufheben könnten. Ich kenne diesen Zustand, aber
-ich finde ihn allemal für mich schädlich, ob ich gleich nicht allemal
-so glücklich bin, mich davon zu befreien. Wenn es aber gelingt,
-so ist es niemals anders, als durch eine anhaltende und die Seele
-sehr einnehmende Beschäftigung. Man muß gleich im Anfange, wenn man
-die erste Anlage zu einer solchen Gemüths-Verfassung bemerkt, die
-Aufmerksamkeit mit Gewalt von dem Gegenstande abziehen und auf etwas
-richten, was im Stande ist, sie anzuheften<span class="pagenum"><a name="Seite_218" id="Seite_218">[S. 218]</a></span> und von der Rückkehr
-abzuhalten. Ein andres Frauenzimmer würde vielleicht den Mangel solcher
-Gegenstände vorwenden können; aber Sie nicht, liebe Freundin, die außer
-den Geschäften einer Hausmutter auch noch alle die für sich haben,
-die die Wissenschaften und die Lektüre verschaffen. Wählen Sie sich
-also alsdann eines von den Büchern, die Sie am meisten lieben; oder
-noch besser, arbeiten Sie selbst etwas. Sie werden sich zuerst zwingen
-müssen. Die Seele wird mit Widerwillen sich von dem neuen Gegenstande
-wegwenden. Aber nach und nach, wenn besonders der erste Anfang geglückt
-ist, wird sich der Gegenstand der Seele bemächtigen; es wird eine neue
-Leidenschaft rege; der Wunsch und die Hoffnung, die Sache, die man vor
-hat, schön zu machen. Endlich arbeitet man aus Geschmack fort, da man
-blos aus Ueberlegung angefangen hatte.</p>
-
-<p>Ich freue mich auf Ihre Anmerkungen über die eheliche Liebe, und wenn
-sie auch von meinen Grundsätzen abgiengen. Sie wissen nun schon,
-wenn wir Philosophen einmal<span class="pagenum"><a name="Seite_219" id="Seite_219">[S. 219]</a></span> ein System im Kopfe haben, so muß sich
-alles darnach richten, und entweder seine Form annehmen, oder es wird
-verworfen. Nun nach diesem Systeme finde ich allerdings zwischen der
-Liebe vor der Ehe, und in derselben, einen Unterschied. Nicht in
-dem Feuer, noch in der Delikatesse derselben; aber in der Art, sie
-auszudrücken. Ich nehme wieder meine Eintheilung zu Hülfe. Das was
-in der Liebe blos Begierde ist, und zu seinem Endzwecke den Genuß
-hat, herrscht nothwendig vor der Ehe. Das was in derselben Bestrebung
-und Eifer ist, und zum Gegenstande mehr des Andern Glück, als unser
-Vergnügen hat, sollte in der Ehe herrschen. Dem zu Folge muß nothwendig
-die Leidenschaft des Liebhabers aufwallend und ungestüm seyn, denn sie
-streckt sich erst nach einem Gute aus, welches sie erreichen will; die
-Liebe des Ehemannes ruhig und thätig, denn sie arbeitet nun an der
-Erhöhung und Verschönerung eines Gutes, das schon ihr Eigenthum ist.
-Ohne diese Einschränkung ist die eheliche Liebe in Gefahr, tändelnd
-zu werden, welches sie von<span class="pagenum"><a name="Seite_220" id="Seite_220">[S. 220]</a></span> ihrem wahren Zwecke beynahe eben so weit
-abbringt, als die Kälte.</p>
-
-<p>Ich sage Ihnen alle meine Gedanken, liebe Freundin, als einer Person,
-die zu meiner größten Vertraulichkeit und zu einer Kenntniß meiner
-innersten Gesinnungen ein Recht hat. Läutern Sie meine Grundsätze, und
-arbeiten Sie selbst an der Verbesserung Ihres Freundes u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_221" id="Seite_221">[S. 221]</a></span></p>
-
-<h2 id="Dreyssigster_Brief">Dreyßigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">I</span>hr Urtheil über den Romeo, und Ihr Wunsch wegen seines Schlusses
-ist mit meiner Mutter ihrem vollkommen einerley. In der That ist der
-letzte Auftritt mehr schrecklich als rührend, Julie mehr unsinnig
-als schwärmerisch, und ihre Liebe mehr Raserey als Leidenschaft.
-Ich bin begierig, auch von den beyden übrigen Stücken, die in eben
-diesem Theile stehen, Ihr Urtheil zu wissen. Marmontels Erzählungen
-lassen sich vielleicht um desto schwerer in Dramata verwandeln, je
-ausgearbeiteter schon der Dialog ist. Man kann schwerlich verhindern,
-daß der Leser nicht die neuen angesetzten Stücke von den alten
-unterscheide; und man geht gar zu leicht aus einem Charakter heraus,
-der nicht von Anfang an unser eigen ist. So geht es, dünkt mich, mit
-der Corally ihrem, der in dem Stücke, die Freundschaft auf der Probe,
-am meisten hervor sticht,<span class="pagenum"><a name="Seite_222" id="Seite_222">[S. 222]</a></span> und den er zuweilen verfehlt hat. &mdash; Aber
-ich höre, die Mademoisell Schulz verläßt das Theater. Versäumen Sie
-doch ja nicht, Romeo zu sehen, ehe sie fortgeht. Sie macht diese Rolle
-unnachahmlich schön; ich setze nur das Einzige an ihr aus, daß sie in
-den Stellen, wo ohnedieß schon der zu weit getriebene Affekt beynahe
-bis ins Widrige geht, noch einige Grade hinzu setzt.</p>
-
-<p>Aber genug von dieser Materie, die ohnedieß schon erschöpft ist.
-Ich hätte mehr Lust, meinen Streit mit Ihnen, als meine Kritik zu
-verlängern. Sie wissen noch nicht, wie hartnäckig ich bin, wenn ich
-mir einmal in den Kopf gesetzt habe, etwas zu behaupten. Ihr Brief hat
-mir gefallen; und mit weniger Eigensinn, als ich habe, hätten mich
-Ihre Gründe verblendet oder überzeugt. In der Verfassung, in welcher
-ich bin, kann ich noch nicht sagen, welches von beyden. Denn wenn ich
-sagte, daß ich ohne Eigensinn hätte müssen überzeugt werden, so wäre
-dieß eben so viel, als gestünde ich zu, ich hätte Unrecht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_223" id="Seite_223">[S. 223]</a></span></p>
-
-<p>Sie wollen also zwischen dem Liebhaber und dem Ehemanne durchaus keinen
-Unterschied zulassen; und ich bildete mir ein, ich hatte es recht
-förmlich bewiesen, daß einer seyn müßte. So kann einem die Eigenliebe
-verblenden! Vielleicht richte ich durch eine Allegorie aus, was meine
-Metaphysik nicht vermochte. &mdash; Wenn zuerst nach einer langen Dürre,
-oder am Ende des Winters, Jupiter in einem fruchtbaren Regen in den
-Schoos der mütterlichen Erde herab steigt: dann wird auf einmal die
-ganze Gestalt der Natur geändert. Blumen und Gewächse von aller Art
-bedecken die erst nackte Oberfläche; die Bäume schimmern von jungem
-Grün, das nur noch wie zartes Moos auf die kahlen Aeste gestreut ist;
-die todte Stille der Natur wird rege und lebendig; Luft und Erde
-bekommen wieder Bewohner; der Wechsel ist eben so plötzlich, als schön.
-&mdash; Aber wenn nun diese erste Rückkehr der Natur zum Leben geschehen
-ist, dann kann der ganze liebliche Sonnenschein, und die schönsten,
-erfrischendsten Regen, durch die er unterbrochen wird, nicht gleich
-große und gleich merkliche Veränderungen hervor bringen. Im<span class="pagenum"><a name="Seite_224" id="Seite_224">[S. 224]</a></span> Stillen,
-ungesehen, wächst nunmehr durch eben die Kraft, die ihn zuerst hervor
-brachte, der Halm zur Aehre, das Gras zur Staude, und die Blüthe zur
-Frucht heran. Noch immer empfängt die Erde dieselben wohlthätigen und
-kräftigen Einflüsse des Himmels; aber sie kann jetzt nicht mehr durch
-sie eine ganz neue Schöpfung hervor bringen, sie kann nicht mehr die
-ganze Gestalt der Natur umändern. &mdash; Aber in ihrer geheimen Werkstatt
-empfängt und nutzt sie noch auf eben die Art den himmlischen Segen,
-sie verschließt ihn jetzt in sich, um ihn den Pflanzen ganz allein
-mitzutheilen, die sie hervor gebracht hat, und um Korn, Obst, Wein auf
-den stillern Herbst zu bereiten.</p>
-
-<p>Sollten alle folgenden Eindrücke dem ersten gleich seyn? &mdash; Das ist
-wider die Natur der Seele. Sie selbst, Sie selbst, die die Natur mit
-der zärtlichsten von weiblichen Seelen beglückt, Sie würden sich blos
-selbst hintergehen, wenn Sie das als eine gemachte Erfahrung ansähen.
-&mdash; Soll die Leidenschaft niemals zum Grundsatze, zur Gesinnung werden?
-&mdash;<span class="pagenum"><a name="Seite_225" id="Seite_225">[S. 225]</a></span> Alsdann ist sie unnütz und gefährlich. Das stürmende Meer kann nur
-Schiffbruch und Untergang verursachen, wenn es ohne Aufhören wüthet.
-Aber wenn der heftige Sturm zu einer noch lebhaften aber ruhigern
-Bewegung gemäßigt wird, dann bringt er das Schiff mit vollen Segeln in
-den Hafen. &mdash; Soll die Seele immer nur von einem einzigem Gegenstande
-erfüllt seyn, wie es die Seele des Liebhabers ist? &mdash; Dann verschlingt
-und vernichtet dieser Gegenstand alle Kräfte derselben, er verbraucht
-alle ihre Fähigkeiten, und läßt für alle ihre übrigen Pflichten und
-Geschäfte nichts, als matte, unwillige und kraftlose Bestrebungen.</p>
-
-<p>Aber wie muß die Liebe seyn, auf deren Flügeln der Geist erhoben, und
-seiner Bestimmung und seinem Schöpfer näher gebracht wird? Die Seele,
-deren ganze Neigungen und Fähigkeiten sich in einem einzigen würdigen
-Gegenstande koncentrirt hat, muß sich von ihm aus auf alles, was gut,
-schön und vortrefflich ist, verbreiten. Er muß das Band seyn, welches
-die Seele an alle ihre Pflichten<span class="pagenum"><a name="Seite_226" id="Seite_226">[S. 226]</a></span> verknüpft, und sie mit Freuden an
-die Sachen anzieht, die sie sonst aus andern Bewegungsgründen nur mit
-Widerwillen, oder doch ohne Vergnügen würde gethan haben. Das Feuer der
-Liebe muß sich in eine gleiche und fortdauernde Wärme verwandeln, die
-jeder andern gutthätigen Neigung zum keimen hilft, jede tugendhafte
-Handlung empor treibt, und jeden Widerstand aus dem Wege stößt. &mdash;
-Noch ein Mal: der Liebhaber und die Geliebte wollen nichts, als sich
-sehen, sich umarmen und sich genießen. Der Ehemann und seine Gattin
-wollen sich und die Welt glücklich machen, und diesen Zwecken zu Ehren
-entbehren sie jene Vergnügungen ohne Murren u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_227" id="Seite_227">[S. 227]</a></span></p>
-
-<h2 id="Ein_und_dreyssigster_Brief">Ein und dreyßigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<p class="p0">&mdash; &mdash; <span class="initial">I</span>ch bin außerordentlich vergnügt darüber, daß Sie meinen
-Brief vollkommen nach den Gesinnungen erklärt haben, in denen ich
-ihn geschrieben hatte. Sie haben mir eine große Probe abgelegt. Ich
-fürchtete nicht, daß Sie über meine Freymüthigkeit böse werden würden;
-aber ich erwartete doch eine kleine Empfindlichkeit über einen so
-beherzten Widerspruch. Bey jedem andern Frauenzimmer, als bey einer
-solchen Philosophin, wie Sie sind, wäre meine Erwartung ganz gewiß
-eingetroffen. &mdash; Diese Materie ist jetzo erschöpft, oder ich will sie
-doch wenigstens dafür ansehen. Wenn Sie nur wahrhaftig glücklich sind,
-so will ich es Ihnen verzeihen, wenn Sie es auch zum Theil durch ein
-Vorurtheil wären. &mdash; Ich habe diese Woche eine ganze Gesellschaft
-von Leuten gesehen, die es noch durch ein weit<span class="pagenum"><a name="Seite_228" id="Seite_228">[S. 228]</a></span> handgreiflicheres
-Vorurtheil sind, oder wenigstens vorgeben es zu seyn.</p>
-
-<p>Ich bin mit einer großen Gesellschaft von Frauenzimmern in einem
-Nonnenkloster gewesen, und zwar bey denen, die barmherzige Schwestern
-heißen, und sich mit der Wartung armer Kranken beschäftigen. Ein
-wirklich verehrungswürdiger Orden, der großen und beschwerlichen
-Dienste wegen, die seine Mitglieder der Gesellschaft leisten. Sie
-sind dabey arm; und da die Anzahl reicher Katholiken bey uns in B***
-immer mehr abnimmt, und die eignen Kapitalien des Klosters nicht nur
-an sich klein, sondern auch jetzt ohne Nutzen für sie sind, weil sie
-bey einem Hause ausgeliehen stehen, das im Begriff ist, banquerout
-zu machen (ehemals einem Besitzer von 500000 Thalern), so müssen die
-21 geistlichen Jungfrauen, aus denen das Kloster besteht, sich auf
-das äußerste einschränken, weil sie nicht nur sich, sondern auch ihre
-Kranken zu ernähren haben, und noch dazu Aerzte und Arzeneyen bezahlen
-müssen. Meine Mutter und verschiedene unsrer Bekannten, die ihnen<span class="pagenum"><a name="Seite_229" id="Seite_229">[S. 229]</a></span>
-deswegen von Zeit zu Zeit eine kleine Beysteuer schicken, werden in dem
-Kloster als große Wohlthäter angesehen. So sehr ist die Dürftigkeit
-auch für kleine Erleichterungen empfindlich.</p>
-
-<p>Wir wurden also sehr wohl aufgenommen. Wir tranken in der Apotheke,
-wohin auch Mannspersonen kommen dürfen, in Gesellschaft der artigsten
-und vernünftigsten Schwestern, Kaffee. Die Frauenzimmer wurden hierauf
-im ganzen Kloster, ich nur in der Kirche und im Krankenzimmer, herum
-geführt. &mdash; Sie können nicht glauben, wie sehr mich diese Leute für
-sich interessirt haben. &mdash; Es giebt Personen von den besten Familien,
-von gutem Verstande und von einer wirklichen Schönheit darunter.
-Besonders ist die würdige Mutter eine höchst vernünftige, gesetzte und
-von dem klösterlichen Wesen ziemlich freye Person. Ausser ihr zieht
-ein Fräulein Mucius, eine ehemalige Bekannte einer Dame aus unsrer
-Gesellschaft, die auch deswegen von der Superiorin die Erlaubniß
-erhielt, bey uns zu bleiben, die Augen auf sich. Ungeachtet sie schon
-16 Jahre im Kloster ist, so hat sie doch noch alle Züge<span class="pagenum"><a name="Seite_230" id="Seite_230">[S. 230]</a></span> von Schönheit.
-Ein feuriges und schönes Auge, das durch die Kopfbinde ihres Habits
-halb verdeckt, und auf eine gewisse Weise schmachtend und zugleich
-einnehmend gemacht wird; &mdash; in ihrem Betragen eine gewisse stille und
-ruhige Zufriedenheit mit ihrem Zustande, die man bey den glücklichsten
-Personen so selten antrifft; eine Stimme, die sehr angenehm und sanft
-ist; &mdash; und wenn man sich dieses noch junge Frauenzimmer denkt (deren
-Vater ein reicher und vornehmer Mann ist), in einem sehr schlechten
-Kleide (ob es sie gleich nicht verstellt), allen Bequemlichkeiten
-des Lebens und der Gesellschaft entzogen, zum strengsten Gehorsam
-verpflichtet, und oft mit den niedrigsten, beschwerlichsten und
-ekelhaftesten Dienstleistungen der Kranken beschäftigt: so muß man
-Hochachtung und Mitleid für sie zugleich haben u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_231" id="Seite_231">[S. 231]</a></span></p>
-
-<h2 id="Zwey_und_dreyssigster_Brief">Zwey und dreyßigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Den 9. Januar 1768.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">F</span>ür Ihre Aufmerksamkeit und Ihre freundschaftliche Sorgfalt, mir
-Vergnügen zu machen, und es mir an dem Tage<a name="FNAnker_B_2" id="FNAnker_B_2"></a><a href="#Fussnote_B_2" class="fnanchor">[B]</a> zu machen, wo ich durch
-tausend andre angenehme Eindrücke mehr als gewöhnlich vorbereitet
-bin es zu genießen; dafür danke ich Ihnen aufs verbindlichste. Meine
-Mutter hat Ihren Willen sehr genau befolgt. Ich erfuhr Dienstags
-nichts davon, daß Briefe angekommen wären, und ich dachte also gewiß,
-Sie wollten Ihren Posttag verlegen, und würden von nun an Donnerstags
-schreiben. Diese Vermuthung machte, daß ich selbst nicht schrieb, und
-dabey blieb ich also ganz ruhig, bis des Donnerstags Morgens, indem
-wir alle beysammen waren,<span class="pagenum"><a name="Seite_232" id="Seite_232">[S. 232]</a></span> meine Mutter, die sich einen Augenblick
-entfernt hatte, mit einer sehr feyerlichen Miene, einem großen
-Kuchen in der Hand, auf dem Ihr Brief lag, und einem noch größern
-Glückwünschungs-Komplimente, das sie, wie sie sagte, von Ihnen
-auszurichten hätte, zurück kam. Die Sache war mir so unerwartet, daß
-sie mir Anfangs ein Räthsel zu seyn schien. Ich öffnete endlich Ihren
-Brief, die Schwierigkeiten wurden durch meine Mutter gehoben, und meine
-erste Ueberraschung endigte sich mit einer stillen und angenehmen
-Fröhlichkeit.</p>
-
-<p>So viel war auch nöthig, wenn ich an einem Tage heiter seyn sollte, wo
-ich mich von einem heftigen Schnupfen, oder wovon es sonst war, so übel
-befand, daß ich eine ernsthafte Krankheit hätte befürchten können. Ich
-schob deswegen eine kleine Solennität, die auf diesen Tag bestimmt war,
-bis auf den folgenden auf. Gestern also habe ich mir das Vegnügen, ein
-Koncert bey mir zu machen, zum zweyten Male erlaubt. Meine Mitspieler
-waren noch besser, als das erste Mal. Die Gesellschaft war, außer
-meines Onkels Familie,<span class="pagenum"><a name="Seite_233" id="Seite_233">[S. 233]</a></span> der Hauptmann R*** mit seiner Frau; er ein sehr
-geschickter und verständiger Mann, jetzo der Ober-Bau-Inspektor von
-B****; sie, eine Sachsin von Geburt, aus Chemnitz, das beste Herz und
-die liebreichste, zärtlichste Ehegattin; endlich eine gewisse Fräulein
-von W****, ein Frauenzimmer von sehr guter Erziehung und Lebensart,
-und von vielem Verstande. Ihr Bruder, bey dem sie lebt, steht in
-eben dem Posten, wie mein Onkel, ist ein angenehmer und allenthalben
-willkommener Gesellschafter, und verdient um desto mehr Hochachtung,
-weil er sich aus einem Stande der Dürftigkeit, in dem er und seine
-Schwester, ihres Standes ungeachtet, ihre Jugend zugebracht haben,
-durch seine Geschicklichkeit, seinen Fleiß und seine gute Wirthschaft
-hat wissen heraus zu ziehen, und sich also die bequeme und artige
-Weise, mit der er jetzo lebt, ganz allein schuldig ist. So viel von
-unsrer Gesellschaft.</p>
-
-<p>Unter der Musik nahmen sich die Sachen von einem gewissen Schobert,
-dem, der in Paris an Champignons gestorben ist, sehr<span class="pagenum"><a name="Seite_234" id="Seite_234">[S. 234]</a></span> vorzüglich aus.
-Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich mit Ihnen schon davon geredet
-habe; aber gesetzt, das wäre auch geschehen, so kann ich es, zum Dank
-für das Vergnügen, was mir des Mannes Arbeit gemacht hat, nicht oft
-genug wiederholen, daß es die schönsten Sachen sind, die jemals aufs
-Klavier sind gesetzt worden; insbesondre die Duetts, Trios und Koncerte
-von ihm. Man kann nichts Neueres und zugleich Schöneres hören. Alle
-Ideen des ganzen Stücks sind original, und zuweilen so außerordentlich
-frappirend, daß sie den unverständigsten Zuhörer treffen müssen. Sie
-erfordern aber viel Uebung. Er selbst (denn wenn eine Nachricht wahr
-ist, die hier herum geht, so habe ich den Schobert selbst hier auf
-meiner Stube mehr als ein Mal vor langen Zeiten spielen hören, er ist
-sogar einen halben Monat, oder so etwas, mein Lehrmeister gewesen),
-er selbst also, vorausgesetzt, daß es dieser ist, hat die allergrößte
-Flüchtigkeit der Hände, die ich jemals gesehen habe. Er setzt also
-seine Stücke so, wie sie für seine eignen Finger am besten sind. Aber
-sie thun eine unbeschreibliche Wirkung, wenn sie auch<span class="pagenum"><a name="Seite_235" id="Seite_235">[S. 235]</a></span> nur mittelmäßig
-vorgetragen werden. Seine Stücke sind selten, und ich würde sie ohne
-die Gütigkeit eines Freundes niemals zu Gesichte bekommen haben.</p>
-
-<p>So brachten wir also den gestrigen Tag ziemlich vergnügt zu.
-Demungeachtet befinde ich mich heute noch nicht ganz wohl. Ich schreibe
-deswegen auch nicht so viel, als ich mir vorgenommen hatte. Meine
-Mutter wird durch andre Hindernisse in einem ähnlichen Vergnügen
-gestört. Ihre Nahrung erfordert um diese Zeit viele Rechnungen, die
-sehr beschwerlich sind, und für jede andre Frau beynahe unmöglich
-wären. Aber sie verrichtet das alles mit einer Genauigkeit und
-Akkuratesse, deren ich gar nicht fähig wäre. Sie wird überdieß von
-einem Flusse im Ohre beschwert, und hört deswegen schlecht.</p>
-
-<p>Ich erinnere mich, daß Sie vor langer Zeit einen Plan zur Erziehung
-Ihrer Wilhelmine verlangten. &mdash; Zu einem solchen Plane habe ich weder
-Geschicklichkeit noch Geduld genug. Aber zerstreute Anmerkungen,
-wenn<span class="pagenum"><a name="Seite_236" id="Seite_236">[S. 236]</a></span> Sie die haben wollen, wenn Sie sich die Mühe geben wollen, sie
-so gut zu verbinden, als sie selbst es werden zulassen, wenn Sie mir
-versprechen, die Lücken durch ihre eignen Bemerkungen auszufüllen, die
-sollen Sie von mir bekommen. Flößen Sie Ihrer Wilhelmine, wenn Sie
-können, etwas von Freundschaft gegen einen Menschen ein, den Sie selbst
-mit so vieler beehren. Lassen Sie sie wissen, daß ich eher für sie gute
-Wünsche gethan habe, als sie selbst etwas wünschen konnte u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="footnotes">
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a name="Fussnote_B_2" id="Fussnote_B_2"></a><a href="#FNAnker_B_2"><span class="label">[B]</span></a> Garvens Geburtstag fällt auf den siebenten Januar.</p>
-
-</div>
-
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_237" id="Seite_237">[S. 237]</a></span></p>
-
-<h2 id="Drey_und_dreyssigster_Brief">Drey und dreyßigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">D</span>as ist wirklich eine Feyer meines Geburtstages, auf die ich mir etwas
-zu gute thue. Wenn ein Freund an mich denkt, und diese Erinnerung ihm
-Vergnügen macht; wenn er mir so viel Einfluß auf sein Herz zugesteht,
-daß ich es zuweilen ruhiger, freudiger, mit sich und mit andern
-zufriedener machen kann, das ist die größte Befriedigung, die meine
-Liebe und meine Eitelkeit verlangt. Sie, liebe Freundin, verstehen
-die Kunst, sich zu vergnügen, schon recht gut. Ihre Hoffnungen darauf
-werden Ihnen weit seltner fehlschlagen, wenn Sie es, so wie Sie es
-gethan haben, ohne viele Vorbereitungen bey sich selbst suchen.</p>
-
-<p>Aber wenn Sie nur die Kunst, sich zu quälen, nicht zuweilen eben so gut
-verstünden. O, liebe Freundin, beynahe liegt noch das ganze Jahr mit
-allen seinen Tagen und Stunden vor<span class="pagenum"><a name="Seite_238" id="Seite_238">[S. 238]</a></span> Ihnen. Es scheint nun noch völlig
-in Ihrer Gewalt zu seyn, was Sie daraus machen wollen. Aber eilen Sie,
-eilen Sie, jede, schon die gegenwärtige Minute für die Glückseligkeit
-aufzuwenden. Das Vergnügen und die Tugend sind nicht blos als Wirkung
-und Ursache, sondern als zwey verschwisterte Eigenschaften der Seele
-mit einander verwandt, die gemeiniglich nicht ohne einander zu finden
-sind. &mdash; Die Unzufriedenheit und das Mißvergnügen ist immer unthätig
-oder in Verwirrung; das Vergnügen ist zugleich ruhig und wirksam.
-Die Aufmerksamkeit der Seele ist dann jedes Mal bey dem Gegenstande
-zusammen, den sie vor hat, und ihre Kraft ist also ungetheilt, das,
-was sie thut, aufs beste zu thun. Das Vergnügen ist für die Seele,
-was die Gesundheit für den Körper ist; es macht sie zu allen ihren
-Verrichtungen aufgelegter und geschickter.</p>
-
-<p>Das alles ist nun recht schön und vortrefflich. Aber die Frage ist,
-was für eine Art von Diät muß man der Seele vorschreiben, um sie bey
-diesem Wohlbefinden zu erhalten? Eine Regel dazu ist uralt, aber sie
-ist wahr: man soll mit seinen Wünschen sich in der Natur<span class="pagenum"><a name="Seite_239" id="Seite_239">[S. 239]</a></span> der Dinge
-einschränken, und nichts begehren, was diese nicht zuläßt. Ich weiß
-nicht, ob ich Ihnen deutlich genug werde sagen können, was ich denke.
-Aber das weiß ich, in meinem Leben und in dem Leben meiner Freunde
-sehe ich den größten Theil ihres Verdrusses aus betrogenen Wünschen
-und Erwartungen entstehen, die nur deswegen betrogen wurden, weil sie
-selbst auf einen Irrthum gegründet waren. Sie z.&nbsp;B. (um meiner Absicht
-näher zu kommen) haben bey einem eingezogenen und ruhigen Leben, bey
-einem gutgearteten und rechtschaffenen Herzen, bey einem wohlgebildeten
-Geiste, und bey dem Genusse der vornehmsten Bequemlichkeiten des
-Lebens, wenig andre Ursachen, unzufrieden zu seyn, als die Besorgnisse,
-daß Sie von Personen, deren Liebe Sie über alles schätzen, nicht genug
-geliebt, nicht genug hochgeachtet werden. Da diese Leidenschaft, in der
-That unter den übrigen die edelste, bey Ihnen die stärkste ist, so muß
-auch natürlicher Weise aus dieser Quelle die meiste Unzufriedenheit bey
-Ihnen entstehen.</p>
-
-<p>Aber wenn Sie doch nun mit mir ruhig untersuchten, welches wohl
-zuweilen die Merk<span class="pagenum"><a name="Seite_240" id="Seite_240">[S. 240]</a></span>male sind, aus denen Sie diesen Mangel der
-Zärtlichkeit schließen. Ohne Zweifel sind es Unterlassungen von
-Handlungen, die Sie als die unausbleiblichen Wirkungen einer solchen
-Neigung ansehen. &mdash; Aber wie? sind sie dieses auch wirklich? Ist der
-Schluß von diesen Aeußerungen auf die Sache selbst unfehlbar, und
-können sie umgekehrt nicht ausbleiben, ohne die Gesinnung selbst
-zweifelhaft zu machen? Sie werden dieses selbst nicht denken, &mdash;
-wie würde es Ihnen sonst möglich seyn, wieder ruhig zu werden? Aber
-gehen Sie in Ihrer Untersuchung noch einen Schritt weiter. Ist es
-der Natur der Dinge und des Menschen nach möglich, daß sich die
-stärkste, die eingewurzeltste, die mit dem Wesen der Seele selbst
-verwebte Leidenschaft (ich will Ihnen zu gefallen es so nennen) immer
-durch einerley Beweise zu erkennen giebt? Um davon nur ein frappantes
-Beyspiel anzuführen, ob es gleich nicht vollkommen auf den Fall paßt:
-ist es möglich, oder wenn es möglich wäre, würde es anständig seyn,
-daß sich die Zuneigung eines Greises auf eben die Art und durch eben
-die kleinen Beweise zu erkennen gäbe, wie die<span class="pagenum"><a name="Seite_241" id="Seite_241">[S. 241]</a></span> Zuneigung eines jungen
-Menschen? Hier ist der Unterschied handgreiflich, und die ganze Welt
-kommt überein, den einen alten Gecken zu nennen, der selbst rechtmäßige
-Neigungen auf eine zu seinem Alter und seinen Umständen unschickliche
-Art an den Tag legt. Aber kann es nicht im menschlichen Leben eben
-solche andre Unterschiede geben, die nicht eben so in die Augen fallen,
-aber doch eben so wirklich sind? &mdash; Und sollte es also nicht eine
-Forderung unmöglicher Dinge seyn, wenn man, allen diesen Unterschieden
-zuwider, von demselben Menschen unter den verschiedensten Umständen
-doch immer einerley Zeichen seiner Liebe verlangte? &mdash; Ich gebe es zu,
-daß Ihr lieber Gatte Sie jetzo so liebt, wie damals, da er Bräutigam
-war. &mdash; Aber wenn Sie verlangten, daß er Sie davon alle Augenblicke
-aufs neue mit aller der Eilfertigkeit und dem Empressement versichern
-sollte, als wenn er es Ihnen zum ersten Male sagte; wenn Sie eine
-beständige Wiederholung aller der kleinen Zeichen der Zärtlichkeit
-forderten, die bey einem Liebhaber oft nur den Mangel an Gelegenheit
-zu größern Proben ersetzen: so forderten Sie etwas, was der Na<span class="pagenum"><a name="Seite_242" id="Seite_242">[S. 242]</a></span>tur der
-Dinge, und wo nicht dieser, doch gewiß Ihrer Ruhe und der Ruhe Ihres
-Mannes zuwider wäre.</p>
-
-<p>Sehen Sie, das ist der Inhalt meiner ehemaligen Theorie, und gewiß
-meine Absicht ist Ihre Glückseligkeit. Also verlange ich keine
-Abnahme der Liebe, keine Kälte, sondern nur in ihrem Ausdrucke mehr
-Ernsthaftigkeit und weniger Spielwerk. &mdash; Wenn die Leidenschaft vor der
-Heyrath blos Leidenschaft ist, sagen Sie, so wird sie niemals Gesinnung
-werden. Vollkommen richtig! wenn Vorurtheil und sinnliche Lust die Wahl
-anstellen. Aber lassen Sie die Leidenschaft des Liebhabers auf alle
-Vollkommenheiten des Geistes und Herzens gegründet seyn: so wäre doch
-dieß die einzige Sache in der ganzen Natur, wo die erste Bekanntschaft
-mit einem gewissen Gut und der fortgesetzte Genuß desselben vollkommen
-einerley Wirkungen hätte. &mdash; Wie? wenn Mann und Frau sich nicht
-wie Liebhaber und Geliebte gegen einander betragen, wenn sie die
-vertrautesten, die zärtlichsten Freunde von einander werden, so sollten
-sie sich keine Gefälligkeiten mehr thun können, so sollten sie sich
-einander<span class="pagenum"><a name="Seite_243" id="Seite_243">[S. 243]</a></span> blos nicht beleidigen? Und das wäre doch Freundschaft? &mdash;
-Ich verstehe Sie nicht, liebe Freundin. &mdash; Sie sagen, wenn Sie alle
-diese Dinge (diese <em class="gesperrt">kleinen</em> Zärtlichkeiten, Bemühungen und Opfer)
-wegnehmen, so hat die Ehe keinen wesentlichen Reiz mehr. Wie? so
-sollte die Ehe, die ehrwürdigste und heiligste Verbindung, ihren Reiz
-verlieren, wenn sich die beyden Eheleute nicht alle Augenblicke sagten,
-daß sie sich lieben; wenn sie sich nicht die Hände drückten; wenn nicht
-eins dem andern nachsähe, so oft es auf zwey Minuten von ihm geht; wenn
-es ihm nicht entgegen käme; wenn es ihm nicht auf der Stelle und mit
-aller geflissentlichen Aufmerksamkeit jede Liebkosung erwiederte, die
-ihm von dem andern gemacht worden?</p>
-
-<p>Ich sehe, da ich dieses noch ein Mal durchlese, nur die vertrauteste
-Freundschaft kann die Freymüthigkeit entschuldigen, mit der ich Ihnen
-geschrieben habe. Aber ich müßte Sie nicht so sehr lieben, wenn ich Sie
-nicht von Vorurtheilen frey zu machen suchte, die sonst das Elend Ihres
-Lebens seyn könnten u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_244" id="Seite_244">[S. 244]</a></span></p>
-
-<h2 id="Vier_und_dreyssigster_Brief">Vier und dreyßigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Den 24. Januar.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">I</span>hr letzter Brief ist schön, und das Gedicht, was Sie mir abgeschrieben
-haben, recht vortrefflich. Es ist gewiß eine Ihrer besten Arbeiten von
-dieser Art. Ihr Herz ist bey dem Gegenstande gewesen, und das Herz
-führt immer den Verstand und das Genie sehr glücklich.</p>
-
-<p>Aber warum gehen Sie nicht nach Halle, wenn Sie schon in Crellwitz
-sind? Ich wünschte doch, daß Sie einen Ort, wo ich zwey Jahre sehr
-übel zugebracht habe, und wo ich vielleicht noch viele andre, aber
-besser, werde zubringen müssen, kennten. Der erste Anblick ist widrig,
-das gebe ich zu; aber das ist doch eben so ausgemacht, daß das Auge
-die prächtigsten Häuser und die elendesten Leimhütten gleich gut
-gewohnt wird, und daß alsdann der Verdruß über die Häßlichkeit, und das
-Vergnügen an der Schönheit, beynahe zu einer gleichen Empfindung der
-Gleichgültigkeit herunter gestimmt<span class="pagenum"><a name="Seite_245" id="Seite_245">[S. 245]</a></span> werden. O besetzen Sie die Hütten
-mit Freunden, die ich liebe und die ich verehre, und sie werden mir
-schöner vorkommen als Palläste. Doch auch diese habe ich in Halle noch
-nicht. Unterdessen kenne ich doch Leute, die vielleicht aufgelegt dazu
-wären es zu werden.</p>
-
-<p>Auf oder nach Ostern, den Tag weiß ich nicht, komme ich mit Gottes
-Hülfe nach Leipzig. Ein Brief von Gellert, voll von Gütigkeit und
-Freundschaft, hat mich erst vor fünf Tagen dazu eingeladen. Dieser
-Mann ist wahrhaftig mein Freund. &mdash; Ist mir nun ein kleiner Stolz
-nicht zu verzeihen? &mdash; Ich bringe hier meinen Winter sehr vergnügt zu.
-Am Freytage war ich in dem Hause eines Hrn. v. P***, dessen Fräulein
-Tochter, eine sehr gute und sehr angenehme Freundin von meiner Mutter
-und von uns allen, ein kleines Koncert machte. Sie spielt sehr gut auf
-dem Flügel. Ich spielte einige Sachen von Schobert τῷ πάνυ; lassen Sie
-sich Reizen dieses erklären. Wir waren bis um 11 Uhr recht vergnügt. &mdash;
-Gestern kam wieder eine kleine Wolke. &mdash; Aber kurz ich bin vergnügt,
-und bin u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_246" id="Seite_246">[S. 246]</a></span></p>
-
-<h2 id="Fuenf_und_dreyssigster_Brief">Fünf und dreyßigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">S</span>o schmeichelhaft es mir ist, daß Sie meine Ankunft wünschen, und so
-angenehm mir also auch die Hoffnung ist, solche Freunde wieder zu
-sehen; so muß ich doch sagen, daß mich die Vorstellung des Abschieds
-erschreckt. Eine Menge alter, und einige neue Freunde, die ich hier
-besitze, machen mir meinen Aufenthalt sehr angenehm, und die Trennung
-fürchterlich. Vor allem aber ist es meine Mutter, die mir bange
-macht. Ich hinterlasse sie zwar unter einer Menge von Personen, die
-sie hochachten; aber doch kaum bey einer einzigen, die ihre vertraute
-Freundin wäre; und selbst vor dieser würde doch ihre mütterliche
-Zärtlichkeit meiner Gesellschaft noch einen Vorzug geben. Die Umstände
-unsers Landes und die häuslichen, die davon abhängen, werden immer
-trauriger; und es ist schwer zu bestimmen, wo dieser Fortgang vom
-Bösen zum Schlimmern still stehen<span class="pagenum"><a name="Seite_247" id="Seite_247">[S. 247]</a></span> wird. Meine Mutter empfindet dieses
-bey einem ziemlich weitläufigen Hauswesen, das ganz allein von ihrer
-Sorgfalt in Ordnung gehalten werden muß, weit mehr, als ein jedes andre
-Frauenzimmer. Ueberdieß ist sie oft kränklich, und braucht von einer
-andern Seite eine kleine Aufmunterung, wenn die Schwachheit ihres
-Körpers und ihre Umstände sie niederschlagen. Ich bedaure also beynahe
-zuweilen, daß ich meinen Plan nicht so angelegt habe, daß ich zwischen
-dem praktischen und dem akademischen Leben hätte wählen können. Meine
-Freunde hier würden für mich viel gethan haben. Nach meiner jetzigen
-Aussicht kann ihre Liebe mein Leben nur angenehmer, nicht mein
-Fortkommen leichter machen. &mdash; Doch ich will alle diese unangenehmen
-Ideen mit freudigern abwechseln lassen.</p>
-
-<p>Ich habe diese Woche ein sehr empfindliches Vergnügen gehabt; das
-Vergnügen, ein neues Verdienst kennen zu lernen. An unsern D.
-Tralles war aus Lausanne von dem berühmten Tissot eine gewisse Frau
-von Wyllamons empfohlen worden, die hier durch, nach Polen,<span class="pagenum"><a name="Seite_248" id="Seite_248">[S. 248]</a></span> in das
-Haus des Fürsten Czartorinsky als Hofdame ging. Der Herr Tralles bat
-mich und einige Andre beyde Mal zu sich, als er sie bey sich hatte.
-Wenig Frauenzimmer habe ich in meinem Leben gesehen, die mich durch die
-Größe ihres Geistes, die Richtigkeit und die Tiefe ihres Raisonnements,
-die Genauigkeit und Schönheit des Ausdrucks, und eine gewisse
-unbeschreibliche Annehmlichkeit, mit der sie dieß alles begleitete, so
-beym ersten Besuche für sich eingenommen hätten. Sie war weder sehr
-jung, noch sehr schön, aber die Anmuth selbst. Augen, welche redeten,
-und deren Bewegungen alles, was sie sagte, unterstützten; ihre ganze
-Aktion war damit übereinstimmend; und ohne die geringste Achtsamkeit
-auf sich selbst zu zeigen, that sie doch alle Mal das, was die
-strengste Aufmerksamkeit hätte fordern können. Sie redete Französisch
-und Englisch gleich gut, das erste in einem Grade von Vortrefflichkeit,
-der auch bey Franzosen selten seyn mag; ihre Ausdrücke waren alle
-Mal edel, gewählt, beynahe philosophisch richtig, und doch so frey
-und so ungezwungen, als es zum Gespräche nothwendig ist. &mdash; Ich habe
-wenig<span class="pagenum"><a name="Seite_249" id="Seite_249">[S. 249]</a></span> Stunden angenehmer zugebracht, als die, welche ich mit ihr in
-Gesellschaft war. Sie hatte viel gelesen, und urtheilte darüber nicht
-blos richtig, sondern auch fein. &mdash; Jedermann wurde von ihr bezaubert.</p>
-
-<p>Alles das schreibe ich Ihnen, weil ein genossenes Vergnügen seinem
-Freunde mittheilen ein zweytes Vergnügen ist u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_250" id="Seite_250">[S. 250]</a></span></p>
-
-<h2 id="Sechs_und_dreyssigster_Brief">Sechs und dreyßigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Den 24. Februar.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">A</span>uf der empfindlichsten Seite hätte mein Brief Sie angegriffen?
-Wahrhaftig, das war nicht die Absicht seines Schreibers. Selbst nicht
-einmal die kleine Bosheit, die doch noch so gut mit der Freundschaft
-bestehen kann, eine Art von Eifersucht zu erregen, um sich von neuem
-von der Liebe des Andern zu versichern. Meine Absicht war noch weit
-einfältiger und mein Bewegungsgrund noch weit unschuldiger. Ich glaubte
-nicht, daß ich an der Frau von Wyllamons Vollkommenheiten lobte, die
-Ihnen fehlten. Ich dachte blos, Ihnen ein Vergnügen durch die Erzählung
-des meinigen zu machen. Sie wissen, die Eindrücke, die das Gute oder
-das Böse von Personen oder Sachen auf uns macht, stehen nicht in unsrer
-Gewalt. Die, welche die Frau von Wyllamons gemacht hatte, waren alle
-für sie günstig. Ich<span class="pagenum"><a name="Seite_251" id="Seite_251">[S. 251]</a></span> schrieb diese in der Einfalt meines Herzens
-nieder, um sie in Ihnen, wenn ich könnte, auf eine schwächere Art zu
-erregen (Sie sagen selbst, Eindrücke von der Art sind angenehm). Ich
-glaubte dabey um desto weniger Behutsamkeit zu bedürfen, je ähnlicher
-diese Empfindungen denjenigen waren, die Ihre erste Bekanntschaft
-bey mir erregte. Sie konnten es wahrscheinlicher Weise nicht einmal
-wünschen, daß ich die Vorzüge, auf die sich zuerst meine Freundschaft
-und meine Hochachtung für sie gründete, bey einer andern verkennen
-oder gering schätzen sollte. &mdash; Aber deswegen sind diese Frau und Sie
-nicht auf gleichem Fuße mit mir. Die erste ist eine bloße Bekannte, die
-ich ihrer Talente wegen hochschätzen muß, deren Herz ich noch nicht
-kenne, und von der ich bisher nichts als Vergnügen und Höflichkeiten
-erhalten habe. Sie sind meine Freundin, deren Herz ich geprüft habe,
-von deren Freundschaft ich gewiß bin, und deren Einsichten mir nicht
-blos zu dem flüchtigen Vergnügen eines Abends, sondern zu dem Glücke
-meines Lebens gereichen. Ihr heutiger Brief selbst ist voll von den<span class="pagenum"><a name="Seite_252" id="Seite_252">[S. 252]</a></span>
-freundschaftlichen Gesinnungen, die Ihr Herz von andern Herzen so sehr
-unterscheiden.</p>
-
-<p>Lassen Sie sich also die neuen Freunde nicht beunruhigen. Sie würden
-auch die Ihrigen werden, wenn Sie sie kennten. Wollten Sie wohl
-Jemanden zu Ihrem Freunde haben, den die ganze übrige Welt verschmähte?
-Und würden Sie sich nicht Ihrer Neigung schämen müssen, wenn der
-Gegenstand derselben unfähig wäre, irgend einem Andern eine ähnliche
-Neigung einzuflößen? &mdash; Ich kenne den Werth alter Freunde, und ich
-empfinde den Vorzug, den eine bestätigte Liebe vor einer blos flüchtig
-bezeigten Gefälligkeit haben muß. Alles also, was ich noch ins Künftige
-von dem Vergnügen sagen werde, was mir meine hiesigen Freunde machen,
-&mdash; sehen Sie es niemals anders, als wie eine Aufforderung an Sie an,
-an diesem Vergnügen Theil zu nehmen, und wie ein stillschweigendes
-Versprechen, daß ich eben dieses Vergnügen, wenn es noch mit einer
-mehr gründlichen, wesentlichen Glückseligkeit verbunden ist, noch weit
-stärker empfinden werde.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_253" id="Seite_253">[S. 253]</a></span></p>
-
-<p>Meine Mutter &mdash; wissen Sie das? &mdash; ist auch eifersüchtig. Sie wollen
-nicht, daß ich mich vor meinem Abschiede fürchten soll? Wie kann ich
-das, wenn es nicht blos um meine eigne Glückseligkeit zu thun ist,
-sondern auch um meiner Mutter ihre? Sie müßten mich nicht für fähig
-halten, ein guter Freund zu seyn, wenn ich ein schlechter Sohn seyn
-könnte. Und wäre ich das nicht, wenn ich eine solche Mutter, wie die
-meinige, gern verlassen könnte? u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_254" id="Seite_254">[S. 254]</a></span></p>
-
-<h2 id="Sieben_und_dreyssigster_Brief">Sieben und dreyßigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="kopf">Den 19. März.</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">W</span>enn ich jetzt nicht mehr als gewöhnlich beschäftigt wäre, und wenn
-ich nicht den Zeitpunkt immer näher kommen sähe, in dem ich Sie wieder
-sehen soll: so würde ich mir es selbst nicht vergeben, daß ich Sie
-zuweilen auf meine Briefe einen Posttag länger warten lasse, als es
-unserm ersten Vertrage gemäß ist. Ich könnte zwar sagen, es wäre Rache.
-Aber ich finde nichts davon in meinem Herzen; und wenn Sie mir auch
-noch seltnere und noch kürzere Briefe schrieben, so würde mich doch
-mein eignes Vergnügen nöthigen, an Sie zu schreiben. Es ist also nicht
-Vorsatz, sondern Unvermögen, wenn ich mir dieses Vergnügen zuweilen
-versage. Ein Unvermögen, welches (erlauben Sie mir, das zu sagen) ich
-bey Ihnen nicht voraus setzen kann, da Sie mir selbst versichern, daß
-Ihr Umgang eingeschränkter<span class="pagenum"><a name="Seite_255" id="Seite_255">[S. 255]</a></span> als jemals ist, und Ihre Geschäfte sich
-doch nicht häufen können.</p>
-
-<p>Aber um Ihnen eine Probe von meiner Uneigennützigkeit zu geben: so
-muß ich Ihnen gestehen, daß, wenn ich gleich zuweilen dadurch eines
-Theils Ihres Andenkens, ja sogar Ihres persönlichen oder schriftlichen
-Umganges (nur nicht Ihrer Freundschaft) beraubt seyn sollte; ich Ihnen
-doch einen etwas ausgebreitetern Umgang wünschte, und zwar vornehmlich
-unter Ihrem eignen Geschlechte.&nbsp;&mdash;</p>
-
-<p>„Unter meinem eignen Geschlechte? Wie können Sie mir etwas wünschen,
-wovon ich Ihnen so oft gesagt habe, daß ich es nicht zu meiner
-Glückseligkeit rechnen würde, wenn ich es hätte?“</p>
-
-<p>Aber wollten Sie mir wohl noch einmal die Ursachen wiederholen, warum
-Sie es nicht darunter rechnen?</p>
-
-<p>„Was habe ich nöthig, Ihnen das erst zu sagen? Sollten Sie nicht
-wissen, wie leer der Umgang mit den mehresten Frauenzimmern ist; wie
-wenig sich mit&nbsp;&mdash;“</p>
-
-<p>ihnen anfangen läßt, wollen Sie sagen. Zum Unglück wahr genug!
-Aber warum wollen<span class="pagenum"><a name="Seite_256" id="Seite_256">[S. 256]</a></span> Sie nicht daran arbeiten helfen, daß ihr Umgang
-lehrreicher werde, daß sich mehr mit ihnen anfangen lasse? Was würde
-aus dem niedrigern Theile unsers Geschlechts, oder des menschlichen
-Geschlechts überhaupt werden, wenn sich der edlere Theil demselben
-entziehen wollte, und ihm mit seinem Umgange zugleich die Mittel
-benähme, ihm ähnlich zu werden?</p>
-
-<p>„Aber ich habe nicht eben den Beruf, und auch nicht das Vermögen, eine
-Verbesserin zu seyn. &mdash; Ueberdieß, wozu bedarf ich den Umgang? Ich habe
-meinen Gatten, den liebe ich; und die Stunden, die er nicht bey mir
-ist, sind gut genug mit der Erwartung von ihm ausgefüllt; wenn noch ein
-kleines unbefriedigtes Verlangen in meinem Herzen übrig wäre, so würde
-die Freundschaft von zwey oder drey Freunden meines Mannes es doch ganz
-ausfüllen. Und endlich&nbsp;&mdash;“</p>
-
-<p>Und was endlich?</p>
-
-<p>„Sie wissen, ich liebe meinen Mann über alles &mdash; ich wünsche, daß er
-mich über alles liebt&nbsp;&mdash;“</p>
-
-<p>Und was denn also&nbsp;&mdash;?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_257" id="Seite_257">[S. 257]</a></span></p>
-
-<p>„Ich würde es nicht leiden können, wenn eine meiner Freundinnen ihm
-eben so gut gefiele, daß ich nicht mehr gewiß genug seyn könnte, daß
-seine Frau ihm noch besser gefiele.“</p>
-
-<p>Mich dünkt, Sie würden (wenn Sie mir meine Freymüthigkeit vergeben
-wollen) diesen Bewegungsgrund nicht zuletzt angeführt haben, wenn Sie
-den stärksten hätten zuerst anführen wollen.</p>
-
-<p>„Gut! lassen Sie es seyn, daß es der stärkste ist. Ja, ich bin
-eifersüchtig; und man kann gar nicht lieben, ohne eifersüchtig zu seyn.
-&mdash; Ich kann sogar keine Freundschaft für echt halten, die ihren Freund
-so ruhig mit Vielen theilen kann. Hüten Sie sich, daß nicht Ihr Rath,
-meinen Umgang zu erweitern, mich argwohnen läßt, daß Sie ihn nicht mehr
-so eifrig für sich selbst wünschen.“</p>
-
-<p>Das können Sie im Ernste nicht denken; &mdash; noch viel weniger, wenn Sie
-meine Gründe hören.</p>
-
-<p>„Und diese Gründe?“</p>
-
-<p>Nur noch einen Augenblick Geduld! Sagen Sie mir, haben Sie nicht
-gehört, daß die Natur mit jeder Neigung, die sie uns giebt,<span class="pagenum"><a name="Seite_258" id="Seite_258">[S. 258]</a></span> oder mit
-jedem Vergnügen, das Sie uns genießen läßt, eine andre Absicht habe,
-als dieß Vergnügen selbst?</p>
-
-<p>„Ums Himmels willen! so weit müssen Sie ausholen? Sie werden doch
-nimmermehr die halbe Metaphysik abschreiben müssen, um mich zu bewegen,
-daß ich ein halb Dutzend Karkassen in meiner Stube zusammen bringe.“</p>
-
-<p>Nun gut also, wenn ich Sie nicht mit der Ueberzeugung überraschen kann,
-so will ich sehen, ob ich mit offenbarer Gewalt gewinne. &mdash; Sie sind
-eine Ehegattin, aber auch zugleich ein Frauenzimmer und eine Mutter.</p>
-
-<p>„Ja, eine Mutter! Und eben deswegen, weil ich diesen süßen, ehrwürdigen
-Namen trage, brauche ich weniger als jemals eine Gesellschaft, die mir
-blos die Zeit vertreiben soll. Meine Wilhelmine und mein Mann werden
-mir bald die Stelle der ganzen Welt ersetzen. Aber ein Frauenzimmer
-auch, sagten Sie, wäre ich; was soll das zur Sache?“</p>
-
-<p>Als Frauenzimmer müssen Sie nothwendig die allervertrauteste
-Freundschaft, die möglich ist, nur mit einem Frauenzimmer haben können.</p>
-
-<p>„Und die Ursache davon?“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_259" id="Seite_259">[S. 259]</a></span></p>
-
-<p>O hätten Sie nur erst diese Ihnen verwandte Seele unter Ihrem eignen
-Geschlechte gefunden; kennten Sie nur erst das Frauenzimmer, das würdig
-wäre, Ihre Freundin zu seyn: dann würden Sie mir die Frage selbst
-beantworten. O wie glücklich würde ich seyn! Ihre Vertraute würde auch
-meine Freundin seyn. &mdash; Sie kennen Julie und Claire; Clarissa und Howe.
-Sagen Sie mir, wäre es möglich, daß eine von beyden an die Stelle ihrer
-Freundin einen Freund gesetzt hätte, ohne daß doch das Wesen ihrer
-Freundschaft zerstört worden wäre?</p>
-
-<p>„Wie? also giebts gar keine Freundschaft unter den beyden
-Geschlechtern? Also sind Sie nicht mehr mein Freund?“</p>
-
-<p>Nicht so hitzig, liebste Freundin! Ich denke nicht, daß ich unsre
-Freundschaft herunter setze, wenn ich sage, daß es noch eine höhere
-giebt, &mdash; aber keine höhere, wenn die Wahl wieder auf eine Mannsperson
-fällt. &mdash; Wenn ich aber einem Frauenzimmer den Vorrang gebe, so denke
-ich, ich bin blos großmüthig, nicht kaltsinnig.</p>
-
-<p>„Gut! Eine Freundin ließ ich mir gefallen, eine ganz vertraute
-Freundin, wenn ich sie hätte. Aber wozu der Umgang mit Vielen?“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_260" id="Seite_260">[S. 260]</a></span></p>
-
-<p>Um diese Eine darunter zu finden. Muß man nicht erst wählen können, ehe
-man sich entschließt?</p>
-
-<p>„Und dann &mdash; als Mutter, sagten Sie auch, müßte ich mit Frauenzimmern
-Umgang haben. &mdash; Eine beständige Zerstreuung ist wohl also ein gutes
-Mittel, seine mütterliche Pflicht zu erfüllen?“</p>
-
-<p>Nein, die größte Hinderniß, glaube ich. Aber nicht aller Umgang ist
-eine Zerstreuung, die schädlich wäre.</p>
-
-<p>„Aber sagen Sie mir doch den Nutzen, den mein Kind davon haben könnte.“</p>
-
-<p>Ich muß Ihnen gestehen, ich bilde mir ein, zur Erziehung eines jungen
-Frauenzimmers ist der Umgang mit Personen ihres Alters und ihres
-Geschlechts nicht blos nützlich, sondern nothwendig. &mdash; Es wird sonst
-nicht Frauenzimmer genug; es verliert etwas von dem Charakter, und
-also auch von den Annehmlichkeiten seines Geschlechts; es nähert sich
-dem unsrigen, ohne doch dadurch mehr zu gefallen. Wie kann aber eine
-Mutter ihrer Tochter eine Gesellschaft von ihrem Alter und Geschlecht
-verschaffen, wenn sie selbst keine hat?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_261" id="Seite_261">[S. 261]</a></span></p>
-
-<p>„Meine Tochter soll in meiner Gesellschaft lieber seyn, als in der
-Gesellschaft der ganzen übrigen Welt. Mein Umgang muß ihr, wenn ich
-anders es verstehe, eine Mutter zu seyn, den sehr leicht ersetzen, den
-ich ihr nicht werde schaffen können. Und ich hoffe, mein und meiner
-Freunde Unterricht wird sie alles das lehren, was Sie sie aus dem
-Umgange wollten lernen lassen.“</p>
-
-<p>O liebste Freundin, wer wollte wohl daran zweifeln, daß Sie nicht
-die beste Mutter seyn würden, der Sie kennt? Ich wollte auch Ihrer
-Tochter keinen andern Lehrer zugestehen, als Sie. Aber um seine Sitten
-zu bilden; um den Menschen mit einer gewissen Dreistigkeit unter die
-Augen sehen zu können; um von allen seinen guten Eigenschaften in
-der Welt Gebrauch machen zu können, deren man sich in seinem Kabinet
-bewußt ist: dazu gehört, daß man die Menschen bey Zeiten kennen lerne;
-daß man viele Muster vor sich habe; daß man weiß, was für ein Grad
-von Vollkommenheit in der Welt gemeiniglich angetroffen und gefordert
-werde; und daß man &mdash; soll ich es sagen? &mdash; das Zu<span class="pagenum"><a name="Seite_262" id="Seite_262">[S. 262]</a></span>trauen auf sich
-selbst durch die öftern Beweise von den Schwachheiten Andrer vermehre.</p>
-
-<p>„Also sehe ich wohl, meine Wilhelmine wird eine Herumläuferin werden
-müssen, wenn sie Ihnen gefallen soll.“</p>
-
-<p>Nicht so ganz und gar. Sie verstehen mich besser, liebste Freundin, als
-Sie mir es gestehen wollen. &mdash; Müßte ich nicht entweder Sie hochachten,
-oder sehr eigennützig seyn, wenn ich nicht einer Person, der ich
-Verdienste zuschreibe, so vielen Einfluß auf Andre, eine so große
-Sphäre ihrer Wirksamkeit, als möglich ist, wünschen sollte?</p>
-
-<p>Da haben Sie eine kleine Probe von einem der Gedanken-Gespräche, mit
-denen ich meine Entfernung von Ihnen zu vergessen suche. Wenn es Ihnen
-nicht ganz mißfällt, so will ich mich öfter unterstehen, Ihnen die
-Unterredungen zu erzählen, die ich ohne Ihr Wissen und Willen mit Ihnen
-gehalten habe.</p>
-
-<p>Gellerts Bild habe ich durch Hubern sechs Mal bekommen, und unter meine
-guten Freunde ausgetheilt. Danken Sie dem Herrn Bause dafür, wenn Sie
-ihn sehen. Er wird unser zweyter Wille werden. Und nun möchte ich<span class="pagenum"><a name="Seite_263" id="Seite_263">[S. 263]</a></span> doch
-wissen, ob Herr M. Reiz noch unter den Lebendigen ist. Ich glaube, daß
-ich meine Freunde öfterer aus meinem Grabe, wenn ich gestorben wäre,
-besuchen würde, als er aus seinem Kabinet es thut. &mdash; Lesen Sie doch:
-<em class="gesperrt">Vergleichung des Zustandes und der Kräfte der Menschen mit dem
-Zustande und den Kräften der Thiere</em> u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 id="Acht_und_dreyssigster_Brief">Acht und dreyßigster Brief.</h2>
-
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">I</span>ch bin in der That über das Ausbleiben Ihrer Briefe ein wenig unruhig
-gewesen. Das kann Ihnen M. Reiz aus dem Briefe sagen, den ich an ihn
-beygelegt habe. In einer solchen Verfassung war es wirklich grausam, &mdash;
-doch Ihr Brief selbst ist so voll von Freundschaft und Güte, daß ich
-nicht mehr daran denken kann, wie sauer ich mir ihn verdient habe.</p>
-
-<p>Gellert hat den Ausspruch gethan. Ich weiß, Sie werden es selbst
-billigen, daß ich<span class="pagenum"><a name="Seite_264" id="Seite_264">[S. 264]</a></span> ihm diese Entscheidung übertragen, oder daß er so
-entschieden hat, sobald Sie sich in meine Verfassung setzen. Stellen
-Sie sich einen Menschen vor, der nach zwey verschiedenen Gegenden
-zugleich getrieben wird. Vor sich sieht er ein Ziel, welches er gern
-erreichen möchte, und nach welchem zu laufen er von alten Athleten,
-die seine Stärke oder Geschwindigkeit besser als er selbst zu kennen
-glauben, aufgemuntert wird. Schon ist seine Seele, schon sind seine
-Muskeln in einer Bewegung, die er noch seinen Füßen nicht hat geben
-können; er steht zitternd und unruhig, und erwartet das Zeichen des
-Aufbruchs. An beyden Seiten der Schranken sieht er Freunde, die ihm
-zurufen, ihn aufmuntern, und ihm auf alle Fälle ihre Glückwünsche oder
-ihr Mitleid versprechen. Auf der entgegengesetzten Seite sieht man
-Mutter, Onkel, alle natürlichen Freunde des jungen Kämpfers, mit einem
-ganzen Kreise von erworbenen Freunden, die sich immer weiter und weiter
-von der Laufbahn entfernen, und ihm zurufen, zu ihnen zu kommen, und
-noch für immer, oder für eine Weile, mit ihnen zu gehen. Der junge
-Mensch ist<span class="pagenum"><a name="Seite_265" id="Seite_265">[S. 265]</a></span> unentschlossen, verwirrt, ängstlich. Unterdessen geht
-die Zeit immer fort. Der Augenblick, wo das Zeichen zum Lauf gegeben
-werden soll, nähert sich; seine Freunde entfernen sich immer weiter
-und vermehren ihre Zurufungen. Was kann natürlicher Weise der junge
-Mensch thun? Nachdem er eine Zeit lang beydes zu vereinigen gesucht,
-bald sich nach dem Ziele ausgestreckt, bald seine Freunde zurück zu
-halten gesucht hat; und durch entgegengesetzte Bewegungen, die einander
-wechselsweise aufheben, in eine Art von Unthätigkeit und Leblosigkeit
-gekommen ist; wird er nicht alsdann einen alten Kämpfer, besonders
-den, der ihn zuerst ermuntert hat, sich in die Schranken zu stellen,
-fragen, wie lange noch Zeit zum Aufbruche sey, und wie weit er noch die
-Seinigen begleiten könne? &mdash; Und werden die gütigen Freunde, die ihn an
-den Schranken erwarten, wohl unwillig seyn, wenn er diesem Ausspruche
-folgt, und sich aus einer solchen Verlegenheit reißt?</p>
-
-<p>Meine Allegorie ist viel zu lang, denn sie hat mir zwey Drittheile
-von dem Platze genommen, den ich noch zu ganz andern Sachen<span class="pagenum"><a name="Seite_266" id="Seite_266">[S. 266]</a></span> bestimmt
-hatte. &mdash; Wenn ich nicht jetzo über meiner Disputation arbeitete, so
-würde mich nichts hindern, den zweiten und den dritten Bogen zu nehmen.
-Aber jetzo muß ich wirklich ein Wirthschafter mit meiner Zeit seyn.
-In drey Wochen, so viel ich jetzo voraus sehe, denke ich abzureisen.
-Erfreuen Sie mich unterdessen oft mit Ihren Briefen, und machen Sie
-mir, oder bestätigen Sie mir vielmehr die Hoffnung, daß ich Sie nicht
-nur so freundschaftlich, so zärtlich, wie Sie immer gewesen sind,
-sondern auch gesund, munter und fröhlich antreffen werde u.&nbsp;s.&nbsp;w.</p>
-
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Vertraute Briefe an eine Freundin, by
-Christian Garve
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK VERTRAUTE BRIEFE AN EINE FREUNDIN ***
-
-***** This file should be named 54341-h.htm or 54341-h.zip *****
-This and all associated files of various formats will be found in:
- http://www.gutenberg.org/5/4/3/4/54341/
-
-Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned
-images of public domain material from the Google Books
-project.)
-
-
-Updated editions will replace the previous one--the old editions
-will be renamed.
-
-Creating the works from public domain print editions means that no
-one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
-(and you!) can copy and distribute it in the United States without
-permission and without paying copyright royalties. Special rules,
-set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
-copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
-protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project
-Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
-charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you
-do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
-rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose
-such as creation of derivative works, reports, performances and
-research. They may be modified and printed and given away--you may do
-practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is
-subject to the trademark license, especially commercial
-redistribution.
-
-
-
-*** START: FULL LICENSE ***
-
-THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
-PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
-
-To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
-distribution of electronic works, by using or distributing this work
-(or any other work associated in any way with the phrase "Project
-Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
-Gutenberg-tm License (available with this file or online at
-http://gutenberg.org/license).
-
-
-Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
-electronic works
-
-1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
-electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
-and accept all the terms of this license and intellectual property
-(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
-the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
-all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
-If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
-Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
-terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
-entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.
-
-1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
-used on or associated in any way with an electronic work by people who
-agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
-things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
-even without complying with the full terms of this agreement. See
-paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
-Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
-and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
-works. See paragraph 1.E below.
-
-1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
-or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
-Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
-collection are in the public domain in the United States. If an
-individual work is in the public domain in the United States and you are
-located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
-copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
-works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
-are removed. Of course, we hope that you will support the Project
-Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
-freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
-this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
-the work. You can easily comply with the terms of this agreement by
-keeping this work in the same format with its attached full Project
-Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.
-
-1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
-what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in
-a constant state of change. If you are outside the United States, check
-the laws of your country in addition to the terms of this agreement
-before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
-creating derivative works based on this work or any other Project
-Gutenberg-tm work. The Foundation makes no representations concerning
-the copyright status of any work in any country outside the United
-States.
-
-1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
-
-1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate
-access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
-whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
-phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
-Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
-copied or distributed:
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
-from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
-posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
-and distributed to anyone in the United States without paying any fees
-or charges. If you are redistributing or providing access to a work
-with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
-work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
-through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
-Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
-1.E.9.
-
-1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
-with the permission of the copyright holder, your use and distribution
-must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
-terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked
-to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
-permission of the copyright holder found at the beginning of this work.
-
-1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
-License terms from this work, or any files containing a part of this
-work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
-
-1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
-electronic work, or any part of this electronic work, without
-prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
-active links or immediate access to the full terms of the Project
-Gutenberg-tm License.
-
-1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
-compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
-word processing or hypertext form. However, if you provide access to or
-distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
-"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
-posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
-you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
-copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
-request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
-form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
-License as specified in paragraph 1.E.1.
-
-1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
-performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
-unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
-
-1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
-access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
-that
-
-- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
- the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
- you already use to calculate your applicable taxes. The fee is
- owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
- has agreed to donate royalties under this paragraph to the
- Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments
- must be paid within 60 days following each date on which you
- prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
- returns. Royalty payments should be clearly marked as such and
- sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
- address specified in Section 4, "Information about donations to
- the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
-
-- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
- you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
- does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
- License. You must require such a user to return or
- destroy all copies of the works possessed in a physical medium
- and discontinue all use of and all access to other copies of
- Project Gutenberg-tm works.
-
-- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
- money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
- electronic work is discovered and reported to you within 90 days
- of receipt of the work.
-
-- You comply with all other terms of this agreement for free
- distribution of Project Gutenberg-tm works.
-
-1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
-electronic work or group of works on different terms than are set
-forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
-both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
-Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the
-Foundation as set forth in Section 3 below.
-
-1.F.
-
-1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
-effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
-public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
-collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
-works, and the medium on which they may be stored, may contain
-"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
-corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
-property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
-computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
-your equipment.
-
-1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
-of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
-Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
-Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
-liability to you for damages, costs and expenses, including legal
-fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
-LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
-PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
-TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
-LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
-INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
-DAMAGE.
-
-1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
-defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
-receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
-written explanation to the person you received the work from. If you
-received the work on a physical medium, you must return the medium with
-your written explanation. The person or entity that provided you with
-the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
-refund. If you received the work electronically, the person or entity
-providing it to you may choose to give you a second opportunity to
-receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy
-is also defective, you may demand a refund in writing without further
-opportunities to fix the problem.
-
-1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
-in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
-WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
-WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
-
-1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
-warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
-If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
-law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
-interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
-the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
-provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
-
-1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
-trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
-providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
-with this agreement, and any volunteers associated with the production,
-promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
-harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
-that arise directly or indirectly from any of the following which you do
-or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
-work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
-Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
-
-
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
-
-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of computers
-including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
-because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
-people in all walks of life.
-
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
-To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
-and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
-
-
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
-Foundation
-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
-http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
-permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
-
-The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
-Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
-throughout numerous locations. Its business office is located at
-809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
-business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
-information can be found at the Foundation's web site and official
-page at http://pglaf.org
-
-For additional contact information:
- Dr. Gregory B. Newby
- Chief Executive and Director
- gbnewby@pglaf.org
-
-
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To
-SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
-particular state visit http://pglaf.org
-
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-
-Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations.
-To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
-
-
-Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
-works.
-
-Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
-concept of a library of electronic works that could be freely shared
-with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
-Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
-
-
-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
-unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
-keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
-
-
-Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
-
- http://www.gutenberg.org
-
-This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
-
-
-</pre>
-
-</body>
-</html>
diff --git a/old/54341-h/images/cover.jpg b/old/54341-h/images/cover.jpg
deleted file mode 100644
index b66baec..0000000
--- a/old/54341-h/images/cover.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ