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-The Project Gutenberg eBook of Noa Noa, by Paul Gauguin
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
-will have to check the laws of the country where you are located before
-using this eBook.
-
-Title: Noa Noa
-
-Author: Paul Gauguin
-
-Translator: Luise Wolf
-
-Release Date: August 1, 2020 [eBook #62800]
-[Most recently updated: October 16, 2021]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-Produced by: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team
-
-*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NOA NOA ***
-
-
-
-
- PAUL GAUGUIN, NOA NOA
-
-
- MIT ACHT ABBILDUNGEN
-
-
- PAUL GAUGUIN
-
-
-
-
- NOA NOA
-
-
- VERLAG VON BRUNO CASSIRER
- BERLIN
-
-
- DEUTSCH VON LUISE WOLF
-
- 9.-12. TAUSEND
-
-
-
-
-
-
- »Dites, qu'avez-vous vu?«
-
- Charles Baudelaire.
-
-Nach dreiundsechzigtägiger Überfahrt, dreiundsechzig Tagen fieberhafter
-Erwartung, bemerkten wir am 8. Juni in der Nacht seltsame Feuer, die
-sich im Zickzack auf dem Meere bewegten. Von dem dunkeln Himmel löste
-sich ein schwarzer Kegel mit zackigen Einschnitten.
-
-Wir umschifften Morea und hatten Tahiti vor uns.
-
-Einige Stunden später begann der Tag zu grauen, wir näherten uns langsam
-den Klippen, liefen in das Fahrwasser ein und landeten ohne Unfall an
-der Rhede.
-
-Der erste Anblick dieses Teils der Insel bietet nichts
-Außergewöhnliches, nichts, das sich z. B. mit der herrlichen Bucht von
-Rio de Janeiro vergleichen ließe.
-
-Es ist der Gipfel eines zur Zeit der Sintflut überschwemmten Berges. Nur
-die äußerste Spitze ragte aus der Flut hervor: eine Familie flüchtete
-sich dahin und gründete ein neues Geschlecht -- dann kletterten die
-Korallen daran empor, setzten sich rings um die Bergspitze fest und
-bildeten im Laufe der Jahrhunderte neues Land. Es dehnt sich immer noch
-aus, bewahrt aber den ursprünglichen Charakter der Einsamkeit und
-Abgeschiedenheit, die das Meer in seiner Unendlichkeit noch erhöht.
-
-Um zehn Uhr morgens stellte ich mich bei dem Gouverneur, dem Neger
-Lacascade, vor, der mich wie eine Persönlichkeit von Ansehen empfing.
-
-Ich verdankte diese Ehre meiner Mission, mit der die französische
-Regierung mich -- ich weiß nicht warum -- betraut hatte. Allerdings war
-es eine künstlerische Mission, aber in den Augen des Negers war dies
-Wort nur das offizielle Synonym für Spionage, und ich bemühte mich
-vergebens, ihn davon abzubringen. Jedermann in seiner Umgebung teilte
-seine irrige Ansicht, und als ich sagte, daß meine Mission unbezahlt
-sei, wollte mir dies niemand glauben.
-
- * * * * *
-
-Das Leben zu Papeete wurde mir bald zur Last.
-
-Das war ja Europa -- das Europa, von dem ich mich zu befreien geglaubt
-hatte! -- und dazu noch unter den erschwerenden Umständen des kolonialen
-Snobismus und der bis zur Karikatur grotesken Nachahmung unserer Sitten,
-Moden, Laster und Kulturlächerlichkeiten.
-
-Sollte ich einen so weiten Weg gemacht haben, um das zu finden, gerade
-das, dem ich entflohen war!
-
-Aber ein öffentliches Ereignis interessierte mich doch.
-
-Der König Pomare war zu dieser Zeit tödlich erkrankt, und die
-Katastrophe wurde täglich erwartet.
-
-Die Stadt hatte allmählich ein sonderbares Aussehen angenommen.
-
-Alle Europäer, Kaufleute, Beamte, Offiziere und Soldaten lachten und
-sangen wie sonst auf den Straßen, während die Eingeborenen sich mit
-ernsten Mienen und gedämpfter Stimme vor dem Palast unterhielten.
-
-An der Rhede auf dem blauen Meer mit seiner in der Sonne oft jäh
-aufblitzenden, silberfunkelnden Klippenreihe herrschte eine
-ungewöhnliche Bewegung orangefarbener Segel. Es waren die Bewohner der
-benachbarten Inseln, die herbeieilten, den letzten Augenblicken ihres
-Königs -- Frankreichs definitiver Besitznahme ihres Landes beizuwohnen.
-
-Durch Zeichen von oben hatten sie Kunde davon erhalten: denn jedesmal,
-wenn ein König im Sterben liegt, bedecken die Berge sich an bestimmten
-Stellen bei Sonnenuntergang mit dunkeln Flecken.
-
-Der König starb und ward in großer Admiralsuniform öffentlich in seinem
-Palast ausgestellt.
-
-Dort sah ich die Königin Maraü -- dies war ihr Name --, die den
-königlichen Saal mit Blumen und Stoffen schmückte. -- Als der Leiter der
-öffentlichen Arbeiten mich wegen der künstlerischen Ausstattung des
-Leichenbegängnisses um Rat fragte, wies ich ihn an die Königin, die mit
-dem schönen Instinkt ihrer Rasse überall Anmut um sich verbreitete und
-alles, was sie berührte, zu einem Kunstwerk gestaltete.
-
-Bei dieser ersten Begegnung verstand ich sie jedoch nur unvollkommen.
-Menschen und Dinge, die so verschieden von denen waren, wie ich sie
-gewünscht, hatten mich enttäuscht, ich war angewidert von dieser ganzen
-europäischen Trivialität und zu kurze Zeit im Lande, um erkennen zu
-können, wieviel sich in dieser eroberten Rasse unter der künstlichen,
-verderblichen Tünche unserer Einführungen noch von Nationalität,
-Ursprünglichkeit und primitiver Schönheit erhalten hatte, ich war in
-mancher Beziehung noch blind. Ich sah auch in dieser bereits etwas
-reifen Königin nichts als eine gewöhnliche dicke Frau mit Spuren von
-edler Schönheit. Als ich sie später wiedersah, änderte ich mein erstes
-Urteil, ich unterlag dem Reize ihres »maorischen Zaubers«. Trotz aller
-Mischung war der tahitische Typus bei ihr sehr rein. Und dann gab die
-Erinnerung an ihren Vorfahren, den großen Häuptling Tati, ihr wie ihrem
-Bruder und der ganzen Familie ein Ansehen von wahrhaft imposanter Größe.
-Sie hatte die majestätische, prachtvolle Gestalt der Rasse dort, groß
-und doch anmutig, die Arme wie die Säulen eines Tempels einfach und
-fest, und der ganze Körperbau, diese gerade horizontale Schulterlinie,
-die oben spitz auslaufende Höhe erinnerte mich unwillkürlich an das
-heilige Dreieck, das Symbol der Dreieinigkeit. -- In ihren Augen blitzte
-es zuweilen wie von vage auftauchender Leidenschaft, die sich jäh
-entzündet und alles ringsum entflammt, -- und so vielleicht sind die
-Inseln selber einst aus dem Ozean aufgetaucht und die Pflanzen darauf
-beim ersten Sonnenstrahl erblüht.
-
-Alle Tahitaner kleideten sich in Schwarz und sangen zwei Tage lang
-Trauerweisen und Totenklagen. Mir war, als hörte ich die Sonate
-Pathétique.
-
-Dann kam der Tag der Bestattung.
-
-Um zehn Uhr morgens verließ der Zug den Palast. Truppe und Behörden in
-weißem Helm und schwarzem Frack, die Eingeborenen in ihrer düstern
-Tracht. Alle Distrikte marschierten in der Reihenfolge, und der Anführer
-eines jeden trug die französische Fahne.
-
-Bei Aruë wurde haltgemacht. Dort erhebt sich ein unbeschreibliches
-Monument, ein unförmlicher Haufen mit Zement verbundener Steine, der zu
-der Umgebung und der Atmosphäre in peinlichem Kontrast steht.
-
-Lacascade hielt eine Rede nach bekanntem Muster, die ein Dolmetscher für
-die anwesenden Franzosen übersetzte. Dann folgte eine Predigt des
-protestantischen Pastors, auf die Tati, der Bruder der Königin, ein paar
-Worte erwiderte -- das war alles. Man brach auf, und die Beamten
-drängten sich in den Wagen zusammen, es erinnerte etwas an »die Rückkehr
-von einem Rennen«.
-
-Unterwegs, wo die Gleichgültigkeit der Franzosen den Ton angab, fand
-dieses seit mehreren Tagen so ernste Volk seine Fröhlichkeit wieder. Die
-Vahinas nahmen wieder den Arm ihrer Tanés, sprachen lebhaft und wiegten
-sich in den Hüften, während ihre kräftigen nackten Füße den Staub des
-Weges aufwühlten.
-
-In der Nähe des Flusses Fatüa zerstreute sich alles. Zwischen den
-Steinen versteckt, kauerten hier und dort Frauen mit bis zum Gürtel
-aufgenommenen Röcken im Wasser, um ihre Hüften und die vom Marsch und
-von der Hitze ermüdeten Beine zu erfrischen. So gereinigt machten sie
-sich, stolz den Busen tragend, über dem der dünne Musselin sich
-straffte, mit der Grazie und Elastizität junger gesunder Tiere wieder
-auf den Weg nach Papeete. Ein gemischtes, halb animalisches, halb
-pflanzliches Parfüm strömte von ihnen aus, das Parfüm ihres Blutes und
-der Gardenien -- Tiaré --, die alle in den Haaren trugen.
-
--- _Téiné merahi noa noa_ (jetzt sehr wohlriechend), sagten sie.
-
- * * * * *
-
-... Die Prinzessin trat in meine Kammer, wo ich leidend, nur mit einem
-Paréo[1] bekleidet, auf dem Bett lag. Wahrlich keine Art, eine Frau von
-Rang zu empfangen.
-
-_Ja orana_ (ich grüße dich), Gauguin, sagte sie. Du bist krank, ich
-komme, um nach dir zu sehen.
-
--- Und du heißest?
-
--- Vaïtüa.
-
-Vaïtüa war eine wirkliche Prinzessin, wenn es solche überhaupt noch
-gibt, seitdem die Europäer alles auf ihr Niveau herabgedrückt haben.
-Freilich war sie als einfache Sterbliche mit nackten Füßen, eine
-duftende Blume hinterm Ohr, in schwarzem Kleide gekommen. Sie ging in
-Trauer um den König Pomare, dessen Nichte sie war. Ihr Vater, Tamatoa,
-hatte trotz der unvermeidlichen Berührung mit Offizieren und Beamten,
-trotz der Empfänge bei dem Admiral, niemals etwas anders sein wollen als
-ein königlicher Maorie, ein gigantischer Raufbold in Momenten des
-Zornes, und bei abendlichen Orgien ein berühmter Zecher. Er war
-gestorben. Vaïtüa, behauptete man, gliche ihm sehr.
-
-Ein skeptisches Lächeln auf den Lippen, betrachtete ich diese gefallene
-Prinzessin mit der Dreistigkeit des eben auf der Insel gelandeten
-Europäers. Aber ich wollte höflich sein.
-
--- Es ist sehr freundlich von dir, daß du gekommen bist, Vaïtüa. Wollen
-wir zusammen einen Absinth trinken?
-
-Und mit dem Finger weise ich in eine Ecke der Kammer auf eine Flasche,
-die ich soeben gekauft hatte.
-
-Ohne Unmut noch Freude zu zeigen, geht sie einfach hin und bückt sich,
-um die Flasche zu nehmen. Bei dieser Bewegung spannte ihr leichtes,
-durchsichtiges Kleid sich über den Lenden, -- es waren Lenden, eine Welt
-zu tragen! O, sicherlich war es eine Prinzessin! Ihre Vorfahren? Stolze,
-tapfere Riesen. Fest saß ihr stolzer, wilder Kopf auf den breiten
-Schultern. Zuerst sah ich nur ihre Menschenfresserkiefer, ihre zum
-Zerreißen bereiten Zähne, den lauernden Blick eines grausamen, listigen
-Tieres und fand sie trotz einer schönen edlen Stirn sehr häßlich.
-
-Wenn ihr nur nicht einfiele, sich auf mein Bett zu setzen! Ein so
-schwaches Gestell könnte uns beide ja nicht tragen ...
-
-Aber gerade das tut sie.
-
-Das Bett krachte, hielt es jedoch aus.
-
-Beim Trinken wechseln wir einige Worte. Die Unterhaltung will aber nicht
-lebhaft werden. Sie ermattet schließlich, und es herrscht Schweigen. Ich
-beobachte die Prinzessin insgeheim, sie sieht mich aus einem Augenwinkel
-verstohlen an, die Zeit geht hin, und die Flasche leert sich. Vaïtüa
-trinkt tapfer. Sie dreht sich eine tahitische Zigarette und streckt sich
-auf dem Bett aus, um zu rauchen. Ihre Füße streichen ganz mechanisch
-fortwährend über das Holz unten am Fußende, ihre Züge besänftigen sich,
-werden sichtlich weich, ihre Augen glänzen -- und ein regelmäßiges
-Pfeifen entschlüpft ihren Lippen -- mir war, als hörte ich das Schnurren
-einer Katze, die auf blutige Genüsse sinnt.
-
-Da ich veränderlich bin, fand ich sie jetzt sehr schön, und als sie mit
-bewegter Stimme sagte: »Du gefällst mir«, überkam mich eine große
-Unruhe. Die Prinzessin war entschieden köstlich ...
-
-Ohne Zweifel, um mir zu gefallen, begann sie eine Fabel von La Fontaine,
-die _Grille und die Ameise_ zu erzählen -- eine Erinnerung aus der Zeit
-ihrer Kindheit bei den Schwestern, die sie unterrichtet hatten.
-
-Die ganze Zigarette war in Brand.
-
--- Weißt du, Gauguin, sagte die Prinzessin, und erhob sich, ich liebe
-deinen La Fontaine nicht.
-
--- Wie? Unsern guten La Fontaine?
-
--- Vielleicht ist er gut, aber seine Moral ist häßlich. Ameisen ... (ihr
-Mund drückte Abscheu aus). Ja, Grillen, die, ah! Singen, singen, immer
-singen!
-
-Und stolz, ohne mich anzusehen, mit leuchtenden, ins Weite blickenden
-Augen fügte sie hinzu:
-
--- Wie herrlich war unser Reich, als noch nichts verkauft wurde! Das
-ganze Jahr hindurch wurde gesungen ... Singen, immer! Immer geben! ...
-
-Und sie ging.
-
-Ich legte mich wieder auf mein Kissen zurück, und lange klangen die
-Worte: _Ja orana_, Gauguin, schmeichelnd in mir nach.
-
-Diese Episode, die mir mit dem Tode des Königs Pomare in Erinnerung
-geblieben ist, hat tiefere Spuren in meinem Gedächtnis hinterlassen als
-das Ereignis und die offizielle Feier.
-
-Die Bewohner von Papeete selber, sowohl Eingeborene wie Weiße, vergaßen
-den Verblichenen schnell. Die von den Nachbarinseln gekommen waren, um
-dem königlichen Leichenbegängnis beizuwohnen, fuhren wieder fort, noch
-einmal kreuzten Tausende von orangefarbenen Segeln das blaue Meer, und
-alles nahm wieder seinen gewohnten Gang.
-
-Es gab nur einen König weniger.
-
-Mit ihm verschwanden die letzten Spuren alter Traditionen. Mit ihm
-schloß die Geschichte der Maorie ab. Sie war zu Ende. Die Zivilisation
--- Soldaten, Handel und Beamtentum -- triumphierte, leider!
-
-Eine tiefe Traurigkeit bemächtigte sich meiner. Der Traum, welcher mich
-nach Tahiti geführt, wurde durch die Tatsachen grausam verscheucht. Ich
-liebte das Tahiti von eh, das jetzige flößte mir Grauen ein.
-
-Doch als ich die noch erhaltene physische Schönheit der Rasse sah,
-konnte ich nicht daran glauben, daß sie nichts von ihrer antiken Größe,
-von ihren persönlichen und natürlichen Sitten, von ihrem Glauben und
-ihren Legenden bewahrt haben sollte. Aber wie die Spuren dieser
-Vergangenheit, wenn sie solche hinterlassen hat, allein entdecken? wie
-sie ohne Führung erkennen? Wie das Feuer wieder entzünden, von dem
-selbst die Asche zerstreut ist?
-
-So niedergeschlagen ich auch sein mag, pflege ich mein Vorhaben doch
-niemals aufzugeben, ohne alles, selbst »das Unmögliche« versucht zu
-haben, um zum Ziele zu gelangen.
-
-Mein Entschluß war bald gefaßt. Ich beschloß, Papeete zu verlassen, mich
-von dem europäischen Mittelpunkt zu entfernen.
-
-Ich fühlte, daß, wenn ich das Leben der Eingeborenen im Busch völlig mit
-ihnen teilte, ich allmählich das Vertrauen der Maorie gewinnen und --
-sie kennenlernen würde.
-
-Und eines Morgens machte ich mich in meinem Wagen auf, den ein Offizier
-mir liebenswürdig zur Verfügung gestellt hatte, um »meine Hütte« zu
-suchen.
-
-Meine Vahina namens Titi begleitete mich. Halb englischer, halb
-tahitischer Abstammung sprach sie etwas Französisch. Für diese Fahrt
-hatte sie ihr schönstes Kleid angelegt, die Tiaré hinterm Ohr, ihren
-oben mit Band, unten mit Strohblumen und einer Garnitur orangefarbener
-Muscheln geputzten Basthut aufgesetzt und das lange schwarze Haar
-aufgelöst über die Schultern hängen. Sie war stolz, in einem Wagen zu
-fahren, stolz, so elegant und die Vahina eines Mannes zu sein, den sie
-für einflußreich und vermögend hielt, und war wirklich hübsch in ihrem
-Stolz, der nichts Lächerliches hatte, so sehr paßt die majestätische
-Miene zu dieser Rasse, die im Andenken an die weit zurückreichende
-Geschichte ihrer Herrschaft und eine unbestimmte Reihe großer Häuptlinge
-diesen herrlichen Stolz bewahrt. -- Ich wußte zwar, daß ihre sehr
-berechnete Liebe in den Augen der Pariser nicht schwerer gewogen hätte
-als die feile Gefälligkeit einer Dirne. Aber die Liebesglut einer
-maorischen Kurtisane ist etwas ganz anderes als die Passivität einer
-Pariser Kokotte -- ganz etwas anderes! Es ist ein Feuer in ihrem Blute,
-das Liebe, seine eigentliche Nahrung, erweckt, das Liebe atmet. Diese
-Augen und dieser Mund können nicht lügen, ob uneigennützig oder nicht,
-es spricht immer Liebe aus ihnen.
-
-Der Weg durch die reiche und einförmige Landschaft war bald
-zurückgelegt. Zur Rechten immer das Meer, die Korallenriffe und
-Wasserfälle, die zuweilen wie Dampf zerstoben, wenn die Wellen in zu
-ungestüme Berührung mit den Felsen kamen. Zur Linken den Busch mit der
-Aussicht auf große Wälder.
-
-Mittags hatten wir unsere fünfundvierzig Kilometer hinter uns und
-erreichten den Distrikt von Mataiëa.
-
-Ich sah mich um und fand schließlich eine leidlich hübsche Hütte, die
-der Eigentümer mir zur Miete überließ. Er baute sich daneben eine neue,
-die er bewohnen wollte.
-
-Am Abend des nächsten Tages, als wir nach Papeete zurückkehrten, fragte
-mich Titi, ob ich sie nicht mit mir nehmen wolle.
-
--- Später, in einigen Tagen, wenn ich eingerichtet sein werde, sagte
-ich.
-
-Titi hatte in Papeete einen furchtbaren Ruf, nachdem sie mehrere
-Liebhaber unter die Erde gebracht. Aber nicht das machte mich ihr
-abwendig. Sie hatte als halbe Weiße, und trotz Spuren tiefer,
-origineller und echt maorischer Eigentümlichkeiten durch zahlreiche
-Beziehungen viel von ihren »Rassemerkmalen« eingebüßt. Ich fühlte, daß
-sie mich nichts von dem lehren konnte, was ich wissen wollte, und mir
-nichts von dem erlesenen Glück gewähren, das ich begehrte.
-
-Außerdem sagte ich mir, daß ich auf dem Lande finden würde, was ich
-suchte und nur zu wählen brauchte.
-
- * * * * *
-
-Von einer Seite das Meer, an der anderen das Gebirge, zerklüftetes
-Gebirge, ein enormer Spalt, den ein an dem Felsen lehnender, hoher
-Mangobaum verdeckt.
-
-Zwischen Berg und Meer steht meine Hütte vom Holze des Bourao. Daneben
-eine zweite, die ich nicht bewohne, _die faré amu_ (Speisehütte).
-
-Morgen.
-
-Auf dem Meere nahe am Strande sehe ich eine Piroge[2] und darin eine
-halbnackte Frau. Am Strande einen Mann, ebenfalls unbekleidet. Ein
-kranker Kokosnußbaum mit verschrumpften Blättern gleicht einem
-ungeheuren Papagei, der seinen vergoldeten Schwanz herabhängen läßt und
-eine volle Traube in den Krallen hält. Mit harmonischer Gebärde hebt der
-Mann mit beiden Händen ein schweres Beil, das oben auf dem silbrigen
-Himmel eine blaue Spur, unten einen rosigen Einschnitt auf dem
-abgestorbenen Stamme hinterläßt, wo die von Tag zu Tag aufgesparte Glut
-von Jahrhunderten in den Flammen eines Augenblicks wieder aufleben wird.
-
-Lange schlangenartige Blätter von einem metallischen Gelb auf dem
-purpurnen Boden gemahnten mich an die Züge einer geheimen, religiösen,
-alten Schrift. Deutlich bildeten sie das heilige Wort australischen
-Ursprungs ATUA -- Gott -- den Taäta oder Takata oder Tathagata, der in
-ganz Indien überall herrschte. Und wie eines mystischen Zuspruchs in
-meiner schönen Einsamkeit und meiner schönen Armut erinnerte ich mich
-wieder der Worte des Weisen:
-
- In den Augen des Tathagata ist die herrlichste Pracht von Königen
- und seinen Ministern nichts als Auswurf und Staub.
-
- In seinen Augen ist Reinheit und Unreinheit wie der Tanz der sechs
- Nagas.
-
- In seinen Augen ist das Suchen nach dem Anblick des Buddha gleich
- den Blumen.
-
-In der Piroge ordnete die Frau einige Netze.
-
-Die blaue Linie des Meeres wurde häufig von dem Grün der Wogenkämme
-unterbrochen, die an den Korallenriffen brandeten.
-
-Abend.
-
-Ich war an den Strand gegangen, um eine Zigarette zu rauchen.
-
-Die rasch bis zum Horizont gesunkene Sonne versteckte sich schon zur
-Hälfte hinter der Insel Morea, die mir zur Rechten lag. In dem Zwielicht
-standen die Berge, deren Vorsprünge alten, mit Zinnen gekrönten
-Schlössern glichen, in festen schwarzen Silhouetten auf der violetten
-Glut des Himmels.
-
-Kein Wunder, daß mich vor diesen natürlichen Bauwerken
-Herrscher-Visionen verfolgen! Der Gipfel dort unten hat die Gestalt
-eines riesigen Helmes. Die Wogen ringsum, deren Rauschen wie das Lärmen
-einer gewaltigen Menge klingt, werden ihn niemals erreichen. Unter der
-Ruinenpracht steht der Helm allein, Beschützer und Zeuge, ein Nachbar
-des Himmels. Ich fühle von dem Haupte droben einen heimlichen Blick in
-die Wasser tauchen, die einst das sündige Geschlecht der Lebenden
-verschlungen hatten, und von dem weiten Spalt, der sein Mund sein
-könnte, fühle ich ein Lächeln der Ironie oder des Mitleids über das
-Wasser schweifen, wo die Vergangenheit schläft.
-
-Die Nacht brach schnell herein. Morea schlief.
-
- * * * * *
-
-Stille! Ich lernte die Stille einer tahitischen Nacht kennen.
-
-Ich vernahm nichts als das Schlagen meines Herzens in der Stille.
-
-Aber die Mondstrahlen fielen durch das in gleicher Entfernung
-voneinander stehende Bambusrohr vor meiner Hütte bis auf mein Bett. Und
-dieser gleichmäßige Schein erweckte in mir die Vorstellung eines
-Musikinstrumentes, der Rohrpfeife der Alten, die den Maories bekannt ist
-und von ihnen _Vivo_ genannt wird. Mond und Bambusrohr zeichneten es
-übertrieben: als ein Instrument, das tagsüber schweigt, aber nachts,
-dank dem Monde, dem Träumer liebe Melodien ins Gedächtnis zurückruft.
-Ich schlief bei dieser Musik ein.
-
-Zwischen dem Himmel und mir nichts als das hohe, leichte Dach von
-Pandanusblättern, in denen die Eidechsen nisten.
-
-Ich bin weit fort von jenen Gefängnissen, den europäischen Häusern!
-
-Eine maorische Hütte trennt den Menschen nicht vom Leben, von Raum und
-Unendlichkeit ...
-
-Indessen fühlte ich mich dort sehr einsam.
-
-Die Bewohner der Gegend und ich beobachteten einander gegenseitig, und
-der Abstand zwischen uns blieb der gleiche.
-
-Seit dem zweiten Tage waren meine Vorräte erschöpft. Was tun? Ich hatte
-geglaubt, für Geld alles Notwendige zu finden. Ich hatte mich jedoch
-getäuscht. Sobald man die Stadt verlassen hat, muß man sich an die Natur
-halten, um zu leben, und sie ist reich, sie ist freigebig und verweigert
-keinem einen Anteil an ihren Schätzen, die unerschöpflich an Bäumen, in
-den Bergen und im Meere aufgespeichert sind. Aber man muß verstehen, auf
-die hohen Bäume zu klettern, die Berge zu besteigen und mit schwerer
-Beute beladen zurückkehren, man muß Fische fangen, tauchen, auf dem
-Meeresgrund die fest an den Steinen haftenden Muscheln losreißen können,
--- man muß wissen, muß können.
-
-Ich, der Kulturmensch, stand in dieser Hinsicht weit hinter den Wilden
-zurück. Ich beneidete sie. Ich sah ihr glückliches, friedliches Leben um
-mich her, ohne größere Anstrengung, als die täglichen Bedürfnisse es
-erforderten -- ohne die geringste Sorge um Geld. Wem sollte man etwas
-verkaufen, wo die Erzeugnisse der Natur jedem zu Gebote stehen?
-
-Da, als ich mit leerem Magen auf der Schwelle meiner Hütte saß und
-betrübt an meine Lage und die unvorhergesehenen, vielleicht
-unüberwindlichen Hindernisse dachte, die die Natur zwischen sich und den
-Kulturmenschen stellt -- bemerkte ich einen Eingeborenen, der mir
-gestikulierend etwas zurief. Die sehr ausdrucksvollen Gebärden ersetzten
-die Worte, und ich verstand, daß mein Nachbar mich zum Essen einlud. Mit
-einem Kopfschütteln lehnte ich ab. Dann ging ich beschämt, ich glaube
-ebensosehr, weil ich das Anerbieten zurückgewiesen, wie wenn ich es
-angenommen hätte, in meine Hütte zurück.
-
-Nach einigen Minuten stellte ein kleines Mädchen, ohne etwas zu sagen,
-gekochtes Gemüse und sauber von frisch gepflückten grünen Blättern
-umhüllte Früchte vor meine Tür. Ich war hungrig. Und ebenfalls ohne ein
-Wort zu sagen, nahm ich es an.
-
-Kurz darauf ging der Mann an meiner Hütte vorüber und fragte lächelnd,
-ohne stehen zu bleiben:
-
--- Païa?
-
-Ich erriet: Bist du zufrieden?
-
-Das war der Beginn gegenseitiger Vertraulichkeit zwischen mir und den
-Wilden.
-
-»Wilde!« dieses Wort kam mir unwillkürlich über die Lippen, als ich
-diese schwarzen Wesen mit den Kannibalen-Zähnen betrachtete. Doch bald
-erkannte ich ihre echte, ihre fremdartige Anmut ... Wie jenes braune
-Köpfchen mit den sanften niedergeschlagenen Augen, jenes Kind unter
-Büschen großer Blätter des Giromon mich eines Morgens ohne mein Wissen
-beobachtete und entfloh, als mein Blick dem seinen begegnete ...
-
-Wie sie mir, war ich ihnen ein Gegenstand der Beobachtung und eine
-Ursache des Staunens, einer, dem alles neu war, der nichts kannte. Denn
-ich kannte weder ihre Sprache, noch ihre Gebräuche, selbst nicht die
-einfachsten notwendigen Handgriffe. -- Wie jeder von ihnen für mich, war
-ich für jeden von ihnen ein Wilder.
-
-Und wer von uns beiden hatte recht?
-
-Ich versuchte zu arbeiten, machte allerlei Notizen und Skizzen.
-
-Aber die Landschaft mit ihren starken, reinen Farben blendete mich,
-machte mich blind. Ich war immer unentschieden, suchte und suchte ...
-
-Und dabei war es so einfach zu malen, wie ich es sah, ohne viel
-Überlegung ein Rot neben ein Blau zu setzen! Vergoldete Gestalten in
-Bächen und am Strande entzückten mich, warum zögerte ich, diesen
-Sonnenjubel auf meine Leinwand zu bannen.
-
-Oh! diese alten europäischen Überlieferungen! die furchtsame
-Ausdrucksart entarteter Rassen!
-
-Um mich mit dem eigentümlichen Charakter eines tahitischen Gesichts
-vertraut zu machen, wollte ich das Porträt einer meiner Nachbarinnen,
-einer jungen Frau rein tahitischer Abstammung, machen. -- Eines Tages
-faßte sie sich ein Herz, in meine Hütte zu kommen und sich Photographien
-von Bildern anzusehen, mit denen ich eine Wand meiner Kammer tapeziert
-hatte. Sie betrachtete sie lange, mit ganz besonderem Interesse die
-_Olympia_.
-
--- Wie gefällt dir das? fragte ich sie. (Ich hatte in den zwei Monaten,
-wo ich nicht mehr fanzösisch sprach, ein paar tahitische Worte gelernt.)
-
-Meine Nachbarin erwiderte:
-
--- Sie ist sehr schön.
-
-Ich lächelte über diese Bemerkung, und sie rührte mich. Hatte sie denn
-Verständnis für das Schöne? Was aber würden die Professoren der Akademie
-der Schönen Künste dazu sagen?
-
-Nach einem fühlbaren Schweigen, wie es einer Gedankenfolgerung
-vorauszugehen pflegt, fügte sie plötzlich hinzu:
-
--- Ist das deine Frau?
-
--- Ja.
-
-Ich scheute diese Lüge nicht. Ich, der _Tané_ der schönen Olympia!
-
-Während sie neugierig einige religiöse Kompositionen der italienischen
-Primitiven prüfte, begann ich eilig, ohne daß sie es sah, ihr Porträt zu
-skizzieren.
-
-Sie merkte es plötzlich, rief schmollend -- Aïta! (Nein) und lief davon.
-
-Eine Stunde später war sie in einem schönen Kleid, die Tiaré hinterm
-Ohr, wieder da. -- Geschah es aus Koketterie? aus Freude, nach der
-Weigerung freiwillig nachzugeben? Oder war es einfach das Lockende der
-verbotenen Frucht, die man sich selber verwehrt? Oder noch einfacher
-vielleicht bloße Laune, ohne jeden andern Beweggrund, wie die Maories
-sie gewohnt sind?
-
-Ohne Zögern machte ich mich an die Arbeit, ohne Zögern und fieberhaft.
-Ich war mir bewußt, daß von meiner Leistung als Maler die physische und
-moralische Ergebenheit des Modells, eine rasche, stillschweigende,
-unweigerliche Einwilligung abhing.
-
-Nach unsern Regeln der Ästhetik war sie wenig schön.
-
-Aber sie war schön.
-
-Ihre Züge waren von einer raffaelischen Harmonie, und den Mund hatte ein
-Bildhauer modelliert, der es versteht, in eine einzige bewegliche Linie
-alle Freude und alles Leid zu legen.
-
-Ich arbeitete hastig und leidenschaftlich, denn ich wußte wohl, daß auf
-die Zustimmung noch nicht zu rechnen war. Ich zitterte davor, in diesen
-großen Augen Furcht zu lesen und Verlangen nach dem Unbekannten, die
-Melancholie bitterer Erfahrung, die jeder Lust zugrunde liegt, wie das
-unfreiwillige, souveräne Gefühl der Selbstbeherrschung. Solche Geschöpfe
-scheinen uns zu unterliegen, wenn sie sich uns geben, und unterliegen
-doch nur ihrem eigenen Willen. Sie beherrscht eine Kraft, die etwas
-Übermenschliches hat -- oder vielleicht etwas göttlich Animalisches.
-
- * * * * *
-
-Jetzt arbeitete ich freier, besser.
-
-Aber meine Einsamkeit quälte mich. Ich sah in dieser Gegend zwar junge
-Frauen und Mädchen mit ruhigem Blick, echte Tahitianerinnen, und einige
-darunter hätten vielleicht gern das Leben mit mir geteilt. -- Aber ich
-wagte nicht sie anzureden. Sie schüchterten mich wirklich ein mit ihrem
-sicheren Blick, der Würde ihrer Haltung und den stolzen Gebärden.
-
-Dennoch wollen alle »genommen«, buchstäblich brutal genommen sein
-(_maü_, ergreifen), ohne ein Wort. Alle haben den geheimen Wunsch nach
-Vergewaltigung: weil durch diesen Akt männlicher Autorität der Weibwille
-seine volle Unverantwortlichkeit behält -- denn so hat es ja nicht seine
-Einwilligung zum Beginn einer dauernden Liebe gegeben. Möglich, daß
-dieser erst so empörenden Gewalt ein tiefer Sinn zugrunde liegt, möglich
-auch, daß sie ihren wilden Reiz hat. Ich dachte wohl daran, aber ich
-wagte es nicht.
-
-Und dann hielt man mehrere von ihnen für krank, von jener Krankheit
-befallen, die den Wilden als erste Stufe des Kulturlebens von den
-Europäern gebracht wird ...
-
-Und wenn die Alten, auf eine von ihnen weisend, zu mir sagten:
-
--- Maü téra (nimm diese), hatte ich weder die notwendige Kühnheit noch
-Vertrauen. Ich ließ Titi sagen, daß ich sie mit Vergnügen wieder
-aufnehmen wolle.
-
-Sie kam sogleich.
-
-Der Versuch mißglückte, und an der Langeweile, die ich in der
-Gesellschaft dieser an den banalen Luxus der Beamten gewöhnten Frau
-empfand, konnte ich ermessen, welche Fortschritte ich bereits in dem
-schönen Leben der Wilden gemacht hatte.
-
-Nach Verlauf einiger Wochen schieden Titi und ich für immer voneinander.
-
-Ich war wieder allein.
-
- * * * * *
-
-Meine Nachbarn sind mir Freunde geworden. Ich esse und kleide mich wie
-sie. Wenn ich nicht arbeite, teile ich ihr Leben der Einfalt und der
-Freude, das sich zuweilen jäh in Ernst verwandelt.
-
-Abends versammelt man sich in Gruppen am Fuße der buschigen Sträucher,
-die die zerzausten Wipfel der Kokosnußbäume überragen, oder Männer und
-Frauen, Greise und Kinder vereinen sich. Die einen stammen aus Tahiti,
-andere von den Tongas- und wieder andere von den Marquesas-Inseln. Die
-matten Töne ihrer Körper stimmen harmonisch zu dem Sammet des Laubes,
-und aus ihrer kupfernen Brust steigen zitternd Melodien, die von den
-rauhen Stämmen der Kokosnußbäume gedämpft zurückgeworfen werden. Es sind
-tahitische Gesänge, die _Iménés_.
-
-Eine Frau beginnt, ihre Stimme erhebt sich gleich einem Vogel im Fluge
-und geht durch alle Töne bis zum höchsten der Tonleiter, steigt und
-singt in starken Modulationen und schwebt schließlich über den Stimmen
-der übrigen Frauen, die ihrerseits nun auffliegen, wenn man so sagen
-darf, ihr folgen und sie getreulich begleiten. Mit einem einzigen
-gutturalen, barbarischen Schrei schließen zuletzt alle Männer einstimmig
-den Gesang.
-
-Zuweilen kommt man zum Plaudern oder Singen in einer Hütte zusammen.
-
-Mit einem Gebet wird begonnen, ein Greis spricht es gewissenhaft vor,
-und alle Anwesenden wiederholen es. Dann wird gesungen, oder es werden
-lustige Geschichten erzählt. Der Inhalt dieser Erzählungen ist sehr
-zart, kaum greifbar, es sind in das Gewebe gestickte, durch ihre
-Naivität so feine Details, die sie belustigen.
-
-Seltener gibt man sich mit der Erörterung ernster Fragen oder weiser
-Vorschläge ab. Eines Abends wurde folgender gemacht, den ich nicht ohne
-Staunen hörte:
-
--- In unserm Dorf, sagte ein Greis, sieht man hier und dort zerfallene
-Häuser, geborstene Mauern und morsche halboffene Dächer, durch die Nässe
-dringt, wenn es zufällig einmal regnet. Warum? Jedermann hat das Recht,
-vor Wind und Wetter geschützt zu sein. Es fehlt weder an Holz noch an
-Laub zur Herstellung der Dächer. Ich schlage vor, gemeinschaftlich
-geräumige solide Hütten an Stelle der unbewohnbar gewordenen zu bauen.
-Wir wollen alle der Reihe nach Hand anlegen.
-
-Alle Anwesenden spendeten ihm ohne Ausnahme Beifall:
-
-Der Antrag des Greises wurde einstimmig angenommen.
-
-Ein kluges und gutes Volk, dachte ich, als ich abends nach Hause kam.
-
-Aber am folgenden Tage, als ich mich nach dem Beginn der gestern
-verabredeten Arbeit erkundigte, merkte ich, daß niemand mehr daran
-dachte. Das tägliche Leben nahm wieder seinen Gang, und die von dem
-weisen Ratgeber bezeichneten Häuser blieben zerfallen wie zuvor.
-
-Auf meine Fragen erhielt ich nur ein ausweichendes Lächeln zur Antwort.
-
-Aber gerunzelte Brauen zogen bedeutsame Linien in diese träumerischen
-Stirnen.
-
-Ich zog mich verwirrt, aber mit dem Gefühl zurück, eine tüchtige Lektion
-von meinen Wilden erhalten zu haben. Sie taten wahrlich recht, dem
-Vorschlag des Greises beizustimmen. Vielleicht hatten sie auch recht,
-dem gefaßten Entschluß nicht weiter Folge zu leisten.
-
-Wozu arbeiten? Die Götter sind da, ihren Getreuen von den Gütern der
-Natur zu spenden.
-
--- Morgen?
-
--- Vielleicht! aber was auch geschehen mag, heiter und wohltätig wird
-die Sonne morgen aufgeben, wie sie es heute getan.
-
-Ist das Sorglosigkeit, Leichtsinn, Unbeständigkeit? Oder vielleicht
-tiefe Philosophie? -- Wer weiß? Hütet euch vor dem Luxus! Hütet euch,
-unter dem Vorwande der Vorsorge Geschmack daran zu finden und ihn für
-notwendig zu halten ...
-
-Das Leben gestaltete sich täglich besser. Ich verstehe die Sprache der
-Maories jetzt ziemlich gut und werde sie bald ohne Mühe sprechen können.
-
-Meine Nachbarn -- drei ganz in der Nähe und andere zahlreiche in einiger
-Entfernung voneinander -- betrachten mich als einen der Ihren.
-
-In der fortwährenden Berührung mit den Kieselsteinen sind meine Füße
-abgehärtet und an den Boden gewöhnt. Mein fast beständig nackter Körper
-leidet nicht mehr unter der Sonne.
-
-Die Zivilisation verläßt mich allmählich.
-
-Ich fange an einfach zu denken, nur wenig Haß gegen meinen Nächsten zu
-empfinden -- eher ihn zu lieben.
-
-Ich genieße alle Freuden des Lebens -- animalische wie menschliche. Bin
-alles Erkünstelten, aller Konvention, aller Gewohnheiten ledig. Ich
-komme der Wahrheit nahe, der Natur. Mit der Gewißheit, eine Reihe
-freier, schöner Tage wie der heutige vor mir zu haben, senkt sich Friede
-auf mich herab, ich entwickle mich normal und beschäftige mich nicht mit
-unnützen Dingen.
-
-Ich habe einen Freund gewonnen.
-
-Er ist von selber zu mir gekommen, und ich darf gewiß sein, daß kein
-niedriger Eigennutz ihn dazu veranlaßt hat.
-
-Es ist einer meiner Nachbarn, ein schlichter, sehr schöner, junger
-Bursche.
-
-Meine farbigen Bilder und meine Holzschnitzereien haben seine Neugierde
-geweckt; meine Antworten auf seine Fragen haben ihn belehrt. Es vergeht
-kein Tag, an dem er mir nicht beim Malen oder Schnitzen zuschaut ...
-
-Noch jetzt, nach so langer Zeit, erinnere ich mich gern der wahren,
-echten Gefühle, die ich in dieser wahren, echten Natur erweckte.
-
-Abends, wenn ich von meiner Arbeit ausruhte, plauderten wir miteinander.
-Als neugieriger junger Wilder fragte er mich nach europäischem Leben,
-besonders nach Liebessachen, und mehr als einmal brachten seine Fragen
-mich in Verlegenheit.
-
-Aber seine Antworten waren noch naiver als seine Fragen.
-
-Eines Tages gab ich ihm meine Werkzeuge und ein Stück Holz, ich wollte,
-daß er den Versuch machte zu schnitzen. Verwirrt und schweigend schaute
-er mich erst an, dann gab er mir Holz und Werkzeug wieder zurück und
-sagte schlicht und treuherzig, ich sei nicht wie die andern, ich
-verstände Dinge, zu denen andere Menschen unfähig wären, und sei _andern
-nützlich_.
-
-Ich glaube, Jotéfa ist der erste Mensch, der mir das gesagt hat -- es
-war die Sprache des Wilden oder des Kindes, denn man muß eins von beiden
-sein, nicht wahr, um zu glauben, daß ein Künstler -- ein _nützlicher
-Mensch_ sei.
-
- * * * * *
-
-Einmal brauchte ich Rosenholz zu meiner Schnitzerei. Ich wollte einen
-festen starken Stamm und fragte Jotéfa um Rat.
-
--- Man muß in die Berge gehen, sagte er. Ich weiß an einer bestimmten
-Stelle mehrere schöne Bäume. Wenn du willst, führe ich dich hin. Wir
-fällen einen Baum, der dir zusagt, und tragen ihn zusammen her.
-
-Zeitig am Morgen brachen wir auf. Die Fußsteige auf Tahiti sind ziemlich
-beschwerlich für einen Europäer, und das Gehen im Gebirge erfordert,
-selbst für die Eingeborenen, eine Kraftanstrengung, zu der sie sich
-nicht unnötig entschließen.
-
-Zwischen zwei Bergen, zwei steilen Basaltwänden, die nicht zu erklimmen
-sind, gähnt ein Spalt, in dem das Wasser sich zwischen Felsblöcken
-hindurchwindet, die sich von der Seitenwand gelöst haben, um einer
-Quelle den Weg zu bahnen. Die zum Bach angewachsene Quelle hat an ihnen
-gerüttelt und gerückt und sie schließlich etwas weiter fortgedrängt, bis
-der Bach, zum Strom angeschwollen, sie mitgerissen und bis zum Meer
-getragen. An jeder Seite dieses Baches führt, oft von wahren Kaskaden
-unterbrochen, eine Art von Weg durch ein buntes Gemisch von Bäumen,
-Brotbäumen, Eisenbäumen, Bouraos, Kokosnußbäumen, Hibiscus, Pandanus,
-Guavabäumen und Riesenfarnen, eine tolle Vegetation, die immer wilder
-und dichter und schließlich zu einem immer undurchdringlicheren Dickicht
-wird, je weiter man zum Mittelpunkt der Insel vordringt.
-
-Wir gingen beide nackt, mit dem weißblauen Paréo umgürtet, das Beil in
-der Hand und mußten unzählige Male den Bach durchschreiten, um ein Stück
-Weges abzuschneiden, den mein Führer mehr mit dem Geruche als mit dem
-Auge zu entdecken schien, denn ein prächtiges Gewirr von Gras, Blättern
-und Blumen hatte den Boden ganz bedeckt.
-
-Es herrschte vollkommene Stille, trotz des klagenden Rauschens des
-Wassers in den Felsen, eines einförmigen Rauschens, einer sanften,
-leisen Klage -- wie die Begleitung der Stille.
-
-Und in diesem Walde, in dieser Einsamkeit, dieser Stille wir beide
-allein, -- er, ein ganz junger Mann, und ich, fast ein Greis, dem viele
-Illusionen den zarten Hauch von der Seele gestreift, viele Anstrengungen
-den Körper erschlafft und eine physisch und moralisch kranke
-Gesellschaft ihre Laster, dies alte verhängnisvolle Erbe hinterlassen!
-
-Mit der animalisch geschmeidigen Anmut seiner Androgynen-Gestalt schritt
-er vor mir her. Ich meinte die ganze Pflanzenpracht ringsum in ihm
-verkörpert zucken und leben zu sehen.
-
-War es ein Mensch, der da vor mir ging? War es der kindliche Freund, bei
-dem mich das Einfache und Komplizierte seiner Natur zugleich angezogen?
-War es nicht vielmehr der Wald selber, der lebendige Wald, geschlechtlos
-und -- verführerisch?
-
-Bei diesen nackten Völkerschaften ist der Unterschied der Geschlechter,
-wie bei den Tieren, weniger betont als in unsern Klimaten. Mit Gürtel
-und Schnürleib ist es uns gelungen, aus der Frau eine Anomalie, ein
-künstliches Wesen zu schaffen, das die Natur uns, den Gesetzen der
-Vererbung gehorchend, zu komplizieren und zu entkräften hilft, und das
-wir sorgfältig in einem Zustand nervöser Schwäche und unzulänglicher
-Muskelkraft erhalten, indem wir es vor Ermüdung bewahren und ihm die
-Gelegenheit nehmen, sich zu entwickeln. Da unsere Frauen nach einem so
-bizarren Ideal von Schlankheit geformt sind -- bei dem wir, seltsam
-genug, verharren --, haben sie nichts Gemeinsames mehr mit uns, was
-vielleicht nicht ohne ernste moralische und soziale Nachteile bleibt.
-
-Auf Tahiti kräftigt die Wald- und Meeresluft die Lungen, macht Schultern
-und Hüften breit, und weder Männer noch Frauen werden von den Strahlen
-der Sonne und den Kieselsteinen am Strande verschont. Sie verrichten
-zusammen die gleichen Arbeiten, mit demselben Fleiß oder demselben
-Gleichmut. Es ist etwas Männliches an diesen, und an jenen etwas
-Weibliches.
-
-Diese Ähnlichkeit der Geschlechter erleichtert ihre Beziehungen, und die
-stete Nacktheit gibt den Sitten eine natürliche Unschuld und vollkommene
-Reinheit, weil den Gemütern die Beschäftigung mit dem gefährlichen
-Mysterium fehlt, das einen »glücklichen Zufall« so bedeutungsvoll macht,
-und ihnen das verstohlene oder sadistische Wesen der Liebe bei den
-Kulturmenschen fremd ist. Mann und Frau, die Kameraden und mehr Freunde
-als Liebende sind, leben in Freud und Leid fast unausgesetzt zusammen,
-und selbst den Begriff des Lasters kennen sie nicht.
-
-Warum erwachte in diesem Rausch von Duft und Licht nun plötzlich bei dem
-alten Kulturmenschen, mit dem Reiz des Neuen, Unbekannten, trotz der
-geringeren sexuellen Unterschiede, jene furchtbare Begierde?
-
-Das Fieber pochte in meinen Schläfen und mir wankten die Knie.
-
-Aber der Weg war zu Ende, mein Gefährte wandte sich, um den Bach zu
-durchschreiten, und kehrte sich mir bei der Bewegung zu: der Androgyne
-war verschwunden. Es war ein wirklicher Jüngling, der vor mir schritt,
-und seine ruhigen Augen hatten die feuchte Klarheit des Wassers.
-
-Sogleich kam wieder der Friede über mich.
-
-Wir rasteten einen Augenblick, und ich empfand einen unendlichen, eher
-geistigen als sinnlichen Genuß, als ich in das frische Wasser tauchte.
-
--- Toë, toë (es ist kalt), sagte Jotéfa.
-
--- O nein! erwiderte ich. Und dieser Ausruf, der zu dem Beschluß des
-Kampfes paßte, den ich im Geiste eben gegen eine ganze verderbte
-Zivilisation bestanden hatte, weckte ein lautes Echo im Walde. Und ich
-sagte mir, daß die Natur mich hatte kämpfen sehen, daß sie mich hörte
-und mich verstand, denn jetzt antwortete sie auf meinen Siegesruf mit
-ihrer klaren Stimme, daß sie nach dieser Prüfung willig sei, mich in die
-Reihe ihrer Kinder aufzunehmen.
-
-Wir setzten unseren Weg fort, und ich drang mit leidenschaftlichem Eifer
-immer tiefer in das Dickicht, als könnte ich dadurch bis ans Herz dieser
-gewaltigen, mütterlichen Natur vordringen und mich mit ihren lebenden
-Elementen vereinen.
-
-Mit ruhigem Blick ging mein Gefährte immer gleichen Schritts vor mir
-her. Er war ohne Argwohn, ich trug die Last meines bösen Gewissens
-allein.
-
-Wir langten an unserm Ziel an.
-
-Die steilen Wände des Berges waren allmählich flacher geworden, und
-hinter einem dichten Vorhang von Bäumen dehnte sich, wohl versteckt,
-eine Art Plateau aus. Aber Jotéfa kannte die Stelle und leitete mich mit
-erstaunlicher Sicherheit hin.
-
-Ein Dutzend Rosenholzbäume breiteten dort ihr gewaltiges Geäst aus.
-
-Wir fällten den schönsten mit dem Beil und mußten ihn ganz opfern, um
-ihm einen für mein Vorhaben passenden Zweig zu rauben.
-
-Das Fällen machte mir Freude, und mit wahrem Vergnügen und freudiger
-Erregung in mir, ich weiß nicht welch göttlich rohe Begierde zu
-befriedigen, riß ich mir die Hände blutig. Nicht auf den Baum hieb ich
-ein, nicht ihn wollte ich überwältigen. Und dennoch hätte ich den Klang
-meines Beiles gern noch an andern Stämmen vernommen, als dieser am Boden
-lag.
-
-Und was mein Beil mir im Takt mit den hallenden Schlägen sagte, war
-dies:
-
- Den ganzen Wald mußt du niederschlagen!
- Den ganzen Wald des Bösen vernichten,
- Der seine Keime dir einblies mit giftigem Hauch!
- Zerstöre die Eigenliebe in dir!
- Zerstöre das Böse und reiß es heraus,
- Wie die Lotosblume im Herbst!
-
-Ja, von nun an ist der alte Kulturmensch verschwunden, tot. Ich ward
-wiedergeboren -- oder vielmehr ein anderer Mensch, ein reiner, stärkerer
-erstand in mir.
-
-Dieser furchtbare Anfall war der letzte Abschied von der Zivilisation:
-vom Bösen. Und dieser letzte Beweis verderbter Instinkte, die auf dem
-Grunde aller dekadenten Seelen schlummern, erhöhte durch den Kontrast
-die gesunde Einfachheit des Lebens, mit dem ich schon den ersten Anfang
-gemacht, bis zu einem Gefühl unsagbarer Wonne.
-
-Gierig atmete ich die herrliche, reine Luft ein. Von nun an war ich ein
-andrer Mensch: ein wahrer Wilder, ein echter Maorie.
-
-Jotéfa und ich kehrten nach Mateïéa zurück und trugen vorsichtig und
-einträchtig unsere schwere Rosenholzlast: _noa, noa_!
-
-Die Sonne war noch nicht untergegangen, als wir sehr ermüdet vor meiner
-Hütte anlangten.
-
-Jotéfa sagte zu mir:
-
--- Païa?
-
--- Ja, erwiderte ich.
-
-Und im Grunde meines Herzens wiederholte ich für mich:
-
--- Ja!
-
-Ich machte keinen Schnitt in dieses Rosenholz, ohne jedesmal stärker den
-Duft des Sieges und der Verjüngung einzuatmen: _noa, noa_!
-
-Durch das Tal von Punaru -- eine tiefe Kluft, die Tahiti in zwei Teile
-trennt -- gelangt man zu dem Plateau von Tamanoü. Von dort kann man das
-Diadem, Oroféna und Aroräï, -- den Mittelpunkt der Insel sehen.
-
-Man hatte mir davon oft wie von etwas Wunderbarem gesprochen, und ich
-hatte mir vorgenommen, allein hinzugehen und dort einige Tage zu
-verbringen.
-
--- Aber was wirst du nachts machen?
-
--- Die Tupapaüs[3] werden dich ängstigen!
-
--- Man darf die Berggeister nicht stören.
-
-... Du bist toll!
-
-Ich war es wahrscheinlich, denn diese besorgte Unruhe meiner tahitischen
-Freunde stachelte meine Neugierde nur noch mehr.
-
-In einer Nacht machte ich mich also vor Tagesanbruch auf.
-
-Etwa zwei Stunden konnte ich einen Pfad an dem einen Ufer des
-Punaru-Flusses verfolgen. Aber dann war ich mehrmals gezwungen, den Fluß
-zu überschreiten. Zu beiden Seiten ragten steile Bergwände, auf enorme
-Felsblöcke wie auf Strebepfeiler gestützt, bis in die Mitte des Wassers
-vor.
-
-Mir blieb schließlich nichts anderes übrig, als meinen Weg mitten im
-Fluß fortzusetzen. Das Wasser ging mir bis zu den Knien, zuweilen bis zu
-den Schultern.
-
-Zwischen den beiden Wänden, die mir von unten erstaunlich hoch und oben
-sehr nah aneinander schienen, war die Sonne am hellen Tage kaum
-sichtbar. Mittags unterschied ich an dem tiefblauen Himmel funkelnde
-Sterne.
-
-Gegen fünf Uhr, beim Eintritt der Dunkelheit, begann ich darüber
-nachzudenken, wo ich die Nacht zubringen sollte, als ich zur Rechten
-etwa ein Hektar fast flaches Land mit einem Gemisch von Farnen, wilden
-Bananen und Bouraos bemerkte. Ich hatte das Glück, ein paar reife
-Bananen zu finden, und machte eilig ein Holzfeuer, sie für mein Mahl zu
-kochen.
-
-Dann legte ich mich zum Schlafen, so gut es ging, auf die untersten
-Zweige eines Bananenbaumes, dessen Blätter ich ineinander geflochten
-hatte, um mich vor Regen zu schützen.
-
-Es war kalt, und ich fröstelte nach dem Marsch im Wasser.
-
-Ich schlief schlecht.
-
-Aber ich wußte, daß der Morgen nicht fern war und ich weder Menschen
-noch Tiere zu fürchten hatte. Hier auf Tahiti gibt es weder Raubtiere
-noch Reptilien. Die einzigen »wilden Tiere« sind die frei im Walde
-lebenden Schweine. Ich hatte höchstens einen Angriff auf meine Beine zu
-fürchten und behielt darum den Griff meines Beiles in der Hand.
-
-Die Nacht war finster. Unmöglich etwas zu unterscheiden, außer nahe an
-meinem Kopf eine Art phosphoreszierenden Staubes, der mich seltsam
-beunruhigte. Ich lächelte bei dem Gedanken an die Erzählungen der
-Maories von den Tupapaüs, jenen bösen Geistern, die in der Finsternis
-erwachen, um schlafende Menschen zu ängstigen. Ihr Reich ist im Herzen
-des Berges, den der Wald in ewige Schatten hüllt. Dort wimmelt es von
-ihnen, und ihre Legionen wachsen unaufhörlich durch die Geister aller
-Verstorbenen.
-
-Wehe dem Lebenden, der sich an einen von Dämonen bewohnten Ort wagt! ...
-
-Ich war dieser Tollkühne.
-
-Meine Träume waren freilich auch sehr aufregend.
-
-Jetzt weiß ich, daß dieser leuchtende Staub von einer besonderen Art
-kleiner Champignons herrührt, die an feuchten Stellen auf abgestorbenen
-Zweigen wachsen wie jene, deren ich mich zum Feueranmachen bedient
-hatte.
-
-Am folgenden Tage machte ich mich frühzeitig wieder auf den Weg.
-
-Der immer wechselvoller gestaltete Fluß, der bald Bach, bald Strom, bald
-Wasserfall war, machte seltsam launenhafte Krümmungen und schien
-zuweilen in sich selbst zurückzufließen. Ich verlor unaufhörlich den Weg
-und mußte mir von Zweig zu Zweig oft mit den Händen vorwärts helfen,
-wobei ich selten den Boden berührte. Vom Grunde des Wassers sahen Krebse
-von außerordentlicher Größe zu mir empor und schienen zu sagen: Was tust
-du hier? -- und hundertjährige Aale flohen bei meinem Nahen.
-
-Plötzlich, bei einer jähen Wendung, bemerkte ich an einen Felsvorsprung
-gelehnt, den es mit beiden Händen eher liebkoste als es sich daran
-hielt, ein junges, nacktes Mädchen. Es trank aus einer Quelle, die leise
-aus großer Höhe zwischen den Steinen rieselte.
-
-Nachdem es getrunken hatte, nahm es Wasser in beide Hände und ließ es
-zwischen den Brüsten niederrinnen. Dann -- obwohl ich nicht das
-geringste Geräusch gemacht hatte -- senkte es wie eine furchtsame
-Antilope, die instinktmäßig die Gefahr wittert, den Kopf und blickte
-forschend nach dem Dickicht, wo ich unbeweglich stand. Mein Blick
-begegnete dem ihren nicht. Aber kaum hatte sie mich erspäht, als sie mit
-dem Ruf: Taëhaë! (wütend) untertauchte.
-
-Ich stürzte an den Fluß: niemand, nichts -- nur ein riesiger Aal, der
-sich zwischen den kleinen Kieseln auf dem Grunde hinwand.
-
-Nicht ohne Schwierigkeit langte ich endlich nahe beim Aroraï, dem Gipfel
-des gefürchteten heiligen Berges, an.
-
-Es war Abend, der Mond ging auf, und als ich ihn die rauhe Stirn des
-Berges weich in seinen leichten Schimmer hüllen sah, erinnerte ich mich
-der berühmten Sage:
-
-_Paraü Hina Tefatou_ (Hina sprach zu Tefatou ...), eine uralte Sage, die
-die Mädchen abends gern erzählen und für die sie als Schauplatz gerade
-den Ort bezeichnen, wo ich mich befand.
-
-Ich glaubte es zu sehen:
-
-Den mächtigen Kopf eines Gottmenschen, das gewaltige Haupt eines Helden,
-dem die Natur das stolze Bewußtsein seiner Kraft gegeben, ein herrliches
-Riesenantlitz, wie an der Schwelle des Alls. Und eine sanfte zärtliche
-Frau, die leise das Haar des Gottes berührt und spricht:
-
--- Lasse den Menschen wieder auferstehen, wenn er gestorben ist ...
-
-Und die strengen, doch nicht grausamen Lippen des Gottes öffnen sich, um
-zu antworten:
-
-Nein, ich werde ihn nicht auferstehen lassen. Der Mensch wird sterben;
-die Pflanzen werden sterben wie sie, die sich davon nähren, die Erde
-wird untergehen, sie wird untergehen, um nicht wieder zu erstehen.
-
-Hina erwiderte:
-
--- Tue, wie es dir gefällt. Ich aber werde den Mond wieder auferstehen
-lassen.
-
-Und was Hina gehörte, fuhr fort zu leben. Was Tefatou gehörte, ging
-unter, und der Mensch mußte sterben.
-
- * * * * *
-
-Ich war seit einiger Zeit mißmutig geworden. Meine Arbeit litt darunter.
-Es fehlten mir viele wesentliche Hilfsmittel, es verstimmte mich,
-künstlerischen Aufgaben, die mich berauschten, machtlos
-gegenüberzustehen, aber hauptsächlich fehlte mir die Lust.
-
-Seit mehreren Monaten war ich von Titi getrennt, hatte seit Monaten
-nicht mehr ihr übermütig kindliches, zwitscherndes Geplauder über
-dieselben Dinge und dieselben Fragen gehört, auf die ich immer mit
-denselben Geschichten antwortete.
-
-Und diese Stille tat mir nicht gut. Ich beschloß fortzugehen, eine Fahrt
-um die Insel zu machen, für die ich kein bestimmtes Ziel festsetzte.
-
-Während ich meine Vorbereitungen traf -- ein paar leichte Pakete für die
-Bedürfnisse der Reise -- und meine Studien ordnete, schaute mein Nachbar
-und Freund Anani mir beunruhigt zu. Nach langem Zögern, begonnenen und
-wieder unterbrochenen Gebärden, deren klare Deutlichkeit mich sehr
-belustigte und zugleich rührte, entschloß er sich endlich, mich zu
-fragen, ob ich mich anschickte fortzugehen.
-
--- Nein, erwiderte ich, ich will nur einen Ausflug von mehreren Tagen
-machen.
-
-Ich komme wieder.
-
-Er glaubte mir nicht und fing an zu weinen!
-
-Sein Weib gesellte sich zu ihm und versicherte mich ihrer Zuneigung,
-sagte mir, daß ich kein Geld brauche, um unter ihnen zu leben, daß ich,
-wenn ich wollte, einst für immer _dort_ ruhen könnte -- sie wies auf
-einen mit einem Bäumchen geschmückten Grabhügel nahe bei ihrer Hütte.
-
-Und plötzlich verlangte mich danach -- dort -- zu ruhen. Da würde mich
-wenigstens in alle Ewigkeit niemand stören ...
-
--- Ihr Europäer seid seltsam, fügte das Weib des Anani hinzu. Ihr kommt,
-ihr versprecht zu bleiben, und wenn man euch lieb hat, geht ihr wieder?
-
-Ihr sagt, ihr kommt wieder, aber ihr kehrt niemals zurück!
-
--- Ich aber schwur, daß es meine Absicht sei, _diesmal_ wiederzukommen.
-
-Später (ich wagte nicht zu lügen), später wüßte ich noch nicht ...
-
-Schließlich ließen sie mich ziehen.
-
- * * * * *
-
-Ich weiche von dem Weg ab, der am Strande entlang geht, und schlage
-einen schmalen Pfad durch tiefes Dickicht ein. Der Weg führt mich so
-weit ins Gebirge, daß ich nach Verlauf einiger Stunden ein kleines Tal
-erreiche, dessen Bewohner noch nach altem maorischem Brauch leben.
-
-Sie sind still und glücklich. Sie träumen, sie lieben, schlafen und
-singen, -- sie beten, und das Christentum scheint noch nicht bis hierher
-gedrungen zu sein. Deutlich sehe ich die Statuen ihrer Gottheiten vor
-mir, obwohl sie in Wirklichkeit längst verschwunden sind, besonders die
-Statue der Hina, und die Feste zu Ehren der Mondgöttin. Das Götzenbild,
-aus einem einzigen Block, mißt zehn Fuß von einer Schulter zur andern
-und vierzig Fuß in der Höhe. Auf dem Haupte trägt sie in Gestalt einer
-Kappe einen riesigen Stein von rötlicher Farbe. Um sie herum wird nach
-altem Ritus der _Matamua_ getanzt, und das Vivo[4] stimmt seinen Ton je
-nach der Farbe der Stunde froh, heiter oder düster und traurig ...
-
-Ich setze meinen Weg fort.
-
-In Taravao -- dem weitest entfernten Distrikt von Mataïéa, am andern
-äußersten Ende der Insel -- leiht ein Gendarm mir sein Pferd, und ich
-trabe an der von Europäern wenig besuchten Küste entlang.
-
-In Faone, einem kleineren Ort vor dem bedeutenderen Itia, ruft mich ein
-Eingeborner an.
-
--- He! Mann, der Menschen macht! (er weiß, daß ich Maler bin.) _Haëré
-mai ta maha_ (Komm und iß mit uns: die tahitische Formel der
-Gastfreundschaft).
-
-Ich lasse mich nicht bitten, so anmutend und herzlich ist das die
-Einladung begleitende Lächeln.
-
-Ich steige vom Pferde. Mein Wirt nimmt das Tier am Zaum und bindet es
-ohne eine Spur von Unterwürfigkeit geschickt an einen Baum.
-
-Dann treten wir miteinander in eine Hütte, wo Männer und Frauen
-plaudernd und rauchend auf dem Boden sitzen. Um sie her spielen und
-tummeln sich die Kinder.
-
--- Wohin willst du? fragte mich eine schöne, etwa vierzigjährige Maorie.
-
-Ich will nach Itia.
-
--- Wozu?
-
-Ich weiß nicht, was mir in den Sinn kam, oder vielleicht nannte ich den
-wahren, mir bis dahin noch selber verborgenen Zweck meiner Reise.
-
--- Um dort eine Frau zu suchen, antwortete ich.
-
--- In Faone gibt es viele und hübsche. Willst du eine von ihnen?
-
--- Ja!
-
--- Wohlan! Gefällt sie dir, so will ich sie dir geben. Es ist meine
-Tochter.
-
--- Ist sie jung?
-
--- Ja.
-
--- Ist sie hübsch?
-
--- Ja.
-
--- Ist sie gesund?
-
--- Ja.
-
--- Gut. So bringe sie mir.
-
-Die Frau ging hinaus.
-
-Nach einer Viertelstunde, als das Mahl -- wilde Bananen und Krabben --
-aufgetragen wurde, kam sie in Begleitung eines jungen Mädchens wieder
-herein, das ein kleines Bündel in der Hand hielt.
-
-Durch das Gewand von sehr durchsichtigem rosa Musselin schimmerte die
-goldige Haut ihrer Schultern und Arme. Zwei Knospen hoben sich
-schwellend an ihrer Brust. Es war ein schlankes, großes, kräftiges Kind
-von wunderbarem Ebenmaß. Aber in dem schönen Gesicht fand ich nicht
-jenen Typus wieder, der mir sonst überall auf der Insel begegnet war.
-Auch das Haar war ungewöhnlich buschig und leicht gewellt. In der Sonne
-bot alles dies eine wahre Orgie von Chrom.
-
-Man sagte mir, daß sie von den Tongas abstamme.
-
-Ich begrüßte sie, sie lächelte und setzte sich neben mich.
-
--- Du hast keine Furcht vor mir? fragte ich.
-
--- Aïta (nein).
-
--- Willst du für immer in meiner Hütte wohnen?
-
--- Eha (ja).
-
--- Du bist nie krank gewesen?
-
--- Aïta.
-
-Das war alles.
-
-Mir schlug das Herz, während das Mädchen gelassen am Boden vor mir die
-Speisen auf einem großen Bananenbrett für mich anrichtete. Ich aß mit
-gutem Appetit, aber ich war zerstreut und tief erregt. Dieses Kind von
-etwa dreizehn Jahren (achtzehn bis zwanzig in Europa) entzückte mich,
-schüchterte mich ein und erschreckte mich fast. Was mochte in dieser
-Seele vorgehen? Und ich, der so alt war im Vergleich zu ihr, ich zögerte
-einen Augenblick, den so eilig abgeschlossenen Vertrag zu unterzeichnen,
-bei dem doch alle Vorteile auf meiner Seite waren!
-
-Vielleicht -- dachte ich -- gehorchte sie einem Befehl der Mutter.
-Vielleicht ist es ein Handel, den sie unter sich ausgemacht haben ...
-
-Ich beruhigte mich, als ich in den Zügen des jungen Mädchens, in seinem
-Gebaren und seiner Haltung die Zeichen wahrer Unabhängigkeit und eines
-Stolzes erkannte, die so charakteristisch für seine Rasse sind. Und mein
-Vertrauen ward vollkommen und unerschütterlich, als ich nach eingehender
-Forschung deutlich jenen Ausdruck von Heiterkeit bei ihr wahrnahm, der
-bei jungen Wesen immer eine ehrenhafte, löbliche Handlung begleitet. --
-Allein der spöttische Zug um ihren hübschen, weichen, sinnlichen Mund
-war mir eine Gewähr dafür, daß die Gefahren des Abenteuers nur für mich
-bestanden, nicht für sie ...
-
-Ich leugne nicht, daß mir in einer seltsam bedrückenden Angst ganz
-beklommen zumute war, als ich die Schwelle der Hütte überschritt.
-
-Die Stunde der Abreise war gekommen. Ich stieg zu Pferde.
-
-Das Mädchen folgte mir, von der Mutter, einem Mann und zwei jungen
-Frauen -- seinen Tanten, wie es sagte -- begleitet.
-
-Wir kehrten nach Taravao zurück, das neun Kilometer von Faone entfernt
-ist.
-
-Nach dem ersten Kilometer hieß es:
-
--- Parahi téié (hier mache Halt).
-
-Ich stieg vom Pferde, und wir traten alle sechs in eine große, sauber
-gehaltene, beinahe reiche, mit hübschen Matten ausgestattete Hütte.
-
-Ein noch junges und außerordentlich liebenswürdiges Paar bewohnte sie.
-Meine Braut setzte sich neben die Frau und stellte mich vor.
-
--- Dies ist meine Mutter, sagte sie.
-
-Dann wurde schweigend ein Becher mit frischem Wasser gefüllt, von dem
-wir alle der Reihe nach feierlich tranken, als handele es sich um einen
-alten frommen Brauch.
-
-Hierauf sagte die eben von meiner Braut als ihre Mutter bezeichnete Frau
-mit gerührtem Blick und feuchten Wimpern zu mir:
-
--- Du bist gut?
-
-Nicht ohne Verwirrung antwortete ich nach einer Prüfung meines
-Gewissens:
-
--- Ich hoffe es.
-
--- Wirst du meine Tochter glücklich machen?
-
--- Ja.
-
--- In acht Tagen muß sie wiederkommen. Wenn sie nicht glücklich ist,
-wird sie dich verlassen.
-
-Ich willigte mit einer Gebärde ein. Allgemeines Schweigen. Niemand
-schien eine Unterbrechung zu wagen.
-
-Endlich gingen wir hinaus, ich bestieg wieder mein Pferd und brach,
-immer von meinem Gefolge geleitet, von neuem auf.
-
-Unterwegs begegneten wir mehreren Personen, die meine Familie kannten.
-Sie waren bereits von dem Ereignis unterrichtet und sagten, als sie das
-Mädchen begrüßten:
-
--- Bist du jetzt wirklich die Vahina eines Franzosen? Viel Glück!
-
-Ein Punkt beunruhigte mich. Wie kam Tehura (so hieß meine Frau) zu zwei
-Müttern?
-
-Ich fragte die erste, die sie mir angeboten hatte:
-
--- Warum hast du gelogen?
-
-Die Mutter Tehuras antwortete:
-
--- Ich habe nicht gelogen. Die andere ist auch ihre Mutter, sie ist ihre
-Amme.
-
- * * * * *
-
-In Taravao gab ich dem Gendarm sein Pferd zurück, und es kam zu einem
-peinlichen Vorfall. Die Frau des Gendarmen, eine Französin, sagte zwar
-ohne Spott, aber taktlos zu mir:
-
--- Was! Sie nehmen sich eine solche Dirne mit?
-
-Und ihre boshaften Augen entkleideten das junge Mädchen, das dieser
-beleidigenden Prüfung mit vollkommener Kaltblütigkeit begegnete.
-
-Ich betrachtete einen Augenblick dies symbolische Schauspiel, das die
-beiden Frauen mir boten: Hier erste Blütezeit, Glaube und Natur, dort
-Dürre, Zwang und Künstelei. Zwei feindliche Rassen standen sich
-gegenüber, und ich schämte mich der meinigen. Ich litt darunter, sie so
-kleinlich und verständnislos zu sehen, und wandte mich schnell ab, um
-mich an dem Glanz der andern, an diesem lebenden Gold zu erfreuen und zu
-erwärmen, das ich schon liebte.
-
-In Taravao verabschiedete die Familie sich bei dem Chinesen von uns, wo
-alles zu haben ist, verfälschte Liköre und Früchte, Waffen und Stoffe,
-Männer, Frauen und Vieh.
-
-Meine Frau und ich benutzten einen Wagen, der uns 25 Kilometer weiter,
-in Mateïéa, vor meiner Hütte absetzte.
-
- * * * * *
-
-Meine Frau war nicht sehr gesprächig, heiter und melancholisch zugleich,
-vor allem aber spottlustig.
-
-Wir hörten nicht auf, uns gegenseitig zu studieren, aber sie blieb
-unergründlich, und ich war bald der Besiegte in diesem Kampf.
-
-Der gute Vorsatz, mich zu überwachen, zu beherrschen, um ein
-scharfsichtiger Beobachter zu werden, half mir wenig, meine Kraft ging
-bald zu Ende -- und ich war für Tehura in kurzer Zeit ein offenes Buch.
-
-Ich ward nun gewissermaßen auf meine Kosten und an meiner eignen Person
-der tiefen Kluft gewahr, die eine australische Seele von einer
-lateinischen und besonders einer französischen Seele trennt. Die Seele
-der Maories offenbart sich nicht sogleich. Es bedarf großer Geduld und
-eines Studiums, um ihrer habhaft zu werden. Und selbst wenn man sie von
-Grund aus zu kennen meint, bringt sie einen durch ganz unvorhergesehene
-»Sprünge« aus der Fassung. Im Anfang aber ist sie ein Rätsel oder
-vielmehr eine unendliche Reihe von Rätseln. Im Augenblick, da man sie zu
-fassen meint, ist sie fern, unerreichbar, unnahbar unter dem Mantel der
-Heiterkeit. Dann nähert sie sich vielleicht freiwillig, um abermals zu
-entschlüpfen, sobald man die geringste Gewißheit zu erkennen gibt. Und
-während man, durch dies Gebaren verwirrt, ihr innerstes Wesen sucht,
-bewahrt sie ihre unverwüstlich fröhliche Zuversicht und sorglose
-Leichtherzigkeit, die vielleicht weniger echt ist, als es den Anschein
-hat.
-
-Für mein Teil verzichtete ich bald auf Grübeleien, die mich hinderten,
-mein Leben zu genießen. Voll Vertrauen erwartete ich mit der Zeit
-Offenbarungen, die mir anfangs verwehrt blieben.
-
-Die Woche verstrich so, und ich hatte ein Gefühl von »Kindlichkeit«, das
-ich vormals nie gekannt.
-
-Ich liebte Tehura und sagte es ihr, aber es machte sie lachen: sie wußte
-es ja!
-
-Auch sie schien mich zu lieben, doch sprach sie davon nicht zu mir: --
-Aber zuweilen, in der Nacht, leuchtete das Gold von Tehuras Haut ...
-
-Am achten Tag ... mir war, als hätten wir eben erst miteinander unsere
-Hütte betreten -- bat Tehura mich um Erlaubnis, ihre Mutter in Faone zu
-besuchen. Es war eine versprochene Sache.
-
-Betrübt fügte ich mich, band einige Piaster in ihr Taschentuch, von
-denen sie die Kosten der Reise und Rum für ihren Vater bestreiten
-konnte, und begleitete sie zu dem Wagen.
-
-Ich hatte das Gefühl eines Abschieds für immer.
-
-Die folgenden Tage waren qualvoll.
-
-Die Einsamkeit trieb mich aus der Hütte, und Erinnerungen riefen mich
-dahin wieder zurück. Keine Studie vermochte meine Gedanken zu fesseln
-...
-
-Eine zweite Woche verging, und Tehura kehrte zurück.
-
-Nun fing ein vollkommen glückliches Leben an. Glück und Arbeit begannen
-zugleich mit der Sonne und strahlend wie sie. Das Gold von Tehuras
-Antlitz erhellte das Innere unserer Hütte und die Landschaft ringsum mit
-einem Schimmer von Freude und Heiterkeit. Sie studierte mich nicht mehr
-und ich nicht sie. Sie verheimlichte mir ihre Liebe nicht länger, und
-ich sprach ihr nicht mehr von der meinen. Wir lebten beide in aller
-Einfachheit.
-
-Wie wohl tat es, sich morgens im nächsten Bach zu erfrischen -- ganz wie
-ich mir denke, daß es im Paradies der erste Mann und das erste Weib
-getan!
-
-Paradies von Tahiti, _navé navé fénua_, -- köstliches Land!
-
-Und die Eva dieses Paradieses gestaltete sich immer liebevoller und
-empfänglicher. Ich bin von ihrem Duft durchdrungen: _noa, noa_! Sie ist
-zur rechten Zeit in mein Leben getreten. Früher hätte ich sie vielleicht
-nicht verstanden, und später wäre es zu spät gewesen. Jetzt verstehe ich
-sie, wie ich sie liebe, und durch sie dringe ich in Mysterien ein, die
-mir bis dahin unzugänglich waren.
-
-Allein mein Geist verarbeitet diese Entdeckungen noch nicht, ich präge
-sie noch nicht meinem Gedächtnisse ein. Alles was Tehura mir erzählt,
-erfasse ich nur mit Gefühl.
-
-In meinen Empfindungen und Eindrücken werde ich ihre Worte einst
-wiederfinden. Durch ihre täglichen Mitteilungen über ihr Leben führt sie
-mich sicherer, als es durch irgendeine andere Methode geschehen könnte,
-zum vollen Verständnis ihrer Rasse.
-
-Und ich habe kein Bewußtsein mehr von Tagen oder Stunden, von Gut und
-Böse. Das Glück ist zuweilen so seltsam, daß der Begriff davon fast
-aufgehoben wird. Ich weiß nur, daß alles gut ist, weil alles schön ist.
-
-Und Tehura stört mich nie, wenn ich arbeite oder träume. Instinktmäßig
-schweigt sie dann. Sie weiß sehr gut, wann sie sprechen kann, ohne mich
-zu belästigen.
-
-Wir unterhalten uns über Tahiti, über Europa, über Gott und Götter. Ich
-unterrichte sie und sie belehrt mich.
-
- * * * * *
-
-Ich mußte für einen Tag nach Papeete fahren.
-
-Zwar hatte ich versprochen, am selben Abend zurückzukehren, aber der
-Wagen, den ich genommen, verließ mich auf halbem Wege, ich mußte den
-Rest zu Fuß zurücklegen, und es wurde 1 Uhr morgens, ehe ich zu Hause
-anlangte.
-
-Als ich die Tür öffnete, sah ich beklommenen Herzens, daß es drinnen
-dunkel war. Dies hatte an sich nichts Merkwürdiges, denn wir besaßen
-augenblicklich nur wenig Licht, und den Vorrat zu erneuern, war mit ein
-Grund für meine Abwesenheit. Aber ich zitterte in einem plötzlichen
-Gefühl der Furcht und des Argwohns, das ich für eine Vorahnung hielt:
-der Vogel war gewiß davongeflogen ...
-
-Schnell zündete ich ein Streichholz an und sah -- Tehura reglos, nackt,
-platt hingestreckt auf dem Bett, die Augen vor Angst übermäßig weit
-geöffnet. Sie sah mich an und schien mich nicht zu erkennen. Ich selber
-blieb einige Augenblicke in seltsamer Ungewißheit stehen. Tehuras
-Entsetzen wirkte ansteckend. Mir war, als entströme ihren starr
-blickenden Augen ein Phosphorschein. Niemals hatte ich sie so schön, von
-so rührender Schönheit gesehn. Und dann fürchtete ich in diesem, für sie
-sicherlich von bedenklichen Erscheinungen belebten Halbdunkel eine
-Bewegung zu machen, die sie erschrecken und den Paroxysmus des Kindes
-steigern konnte. Wußte ich denn, was ich in diesem Augenblick für sie
-war? Ob sie mich mit meinem entsetzten Gesicht nicht für einen Dämon
-oder Geist, einen der Tupapaüs hielt, die ihren Sagen nach in
-schlaflosen Nächten erscheinen? Wußte ich, wer sie selber eigentlich
-war? Die Intensität des Entsetzens, von dem sie unter der physischen und
-moralischen Gewalt ihres Aberglaubens besessen war, machte sie zu einem
-fremden Wesen für mich, ganz verschieden von allem, was ich bisher
-gekannt!
-
-Endlich kam sie zu sich, rief mich an, und ich ermannte mich, sie zu
-schelten, zu beruhigen und zu beschwichtigen.
-
-Sie hörte mich schmollend an und sagte dann mit vor Schluchzen
-zitternder Stimme:
-
--- Laß mich nicht wieder so allein ohne Licht ...
-
-Aber kaum war die Furcht eingeschlummert, als die Eifersucht erwachte:
-
--- Was tatest du in der Stadt? Du hast Frauen besucht, solche, die auf
-Märkten tanzen und trinken, die sich Offizieren und Matrosen und jedem
-geben ...
-
-Ich ließ mich auf keinen Streit ein, und die Nacht ward süß -- süß und
-feurig, eine Tropennacht.
-
-Tehura war bald sehr liebevoll und vernünftig, bald ausgelassen und sehr
-übermütig. Zwei entgegengesetzte Wesen -- ohne viele andere unendlich
-verschiedene mitzurechnen -- in einem vereint, die sich gegenseitig
-Lügen straften und in betäubender Geschwindigkeit unvermittelt
-aufeinander folgten. Sie war nicht veränderlich, sondern doppelt,
-dreifach, hundertfach: das Kind einer _alten_ Rasse.
-
-Eines Tages kommt ein Hausierer, der ewige Jude -- er macht die Inseln
-unsicher wie das Festland -- und bringt ein Kästchen mit Schmucksachen
-aus vergoldetem Kupfer an.
-
-Er breitet seine Waren aus, und alle umringen ihn.
-
-Ein Paar Ohrringe gehen von Hand zu Hand. Die Augen der Frauen leuchten,
-jede möchte sie haben.
-
-Tehura runzelt die Brauen und sieht mich an. Ihre Augen reden sehr
-deutlich. Ich stelle mich, als ob ich sie nicht verstände.
-
-Sie zieht mich in eine Ecke:
-
--- Ich will sie haben!
-
-Ich erkläre ihr, daß dieses Zeug in Frankreich gar keinen Wert habe, daß
-sie aus _Kupfer_ seien.
-
--- Ich will sie haben!
-
--- Nicht doch! Für solche Dummheit 20 Francs bezahlen! Das wäre eine
-Torheit. Nein.
-
--- Ich will sie haben!
-
-Und mit leidenschaftlicher Zungenfertigkeit, die Augen voll Tränen,
-dringt sie in mich:
-
--- Wie, würdest du dich nicht schämen, diesen Schmuck in den Ohren einer
-andern zu sehen? Einer dort spricht schon davon, sein Pferd zu
-verkaufen, um seiner Vahina die Ohrringe zu schenken!
-
-Ich kann auf diese Torheit nicht eingehen und schlage ihr es zum
-zweitenmal ab.
-
-Tehura blickt mich starr an, ohne noch ein Wort zu verlieren, und weint.
-
-Ich gehe fort, komme wieder zurück, gebe dem Juden schließlich die
-zwanzig Francs -- und die Sonne scheint wieder.
-
-Zwei Tage später war ein Sonntag. Tehura macht große Toilette. Das Haar
-wird mit Seife gewaschen, dann in der Sonne getrocknet und schließlich
-mit duftendem Öl eingerieben. In ihrem schönsten Kleide, eins von
-_meinen_ Taschentüchern in der Hand, eine Blume hinterm Ohr und mit --
-nackten Füßen geht sie zum Tempel.
-
--- Und deine Ohrringe? frage ich.
-
-Tehura verzieht verächtlich den Mund:
-
--- Sie sind ja aus Kupfer!
-
-Und mit lautem Lachen überschreitet sie die Schwelle der Hütte und geht,
-plötzlich wieder ernst geworden, davon.
-
-Die Mittagsruhe verbringen wir, wie an jedem andern Tage, schlafend oder
-träumend nebeneinander. Vielleicht sieht Tehura in ihrem Traume andere
-Ohrringe glitzern.
-
-Ich möchte alles vergessen, was ich weiß, und immer schlafen ...
-
- * * * * *
-
-Eines Tages bei schönem Wetter -- auf Tahiti keine Ausnahme --
-beschlossen wir, uns morgens aufzumachen, um Freunde zu besuchen, deren
-Hütte zehn Kilometer von der unsrigen entfernt war.
-
-Da wir um sechs Uhr aufgebrochen waren, legten wir den Weg in der Kühle
-schnell zurück und langten schon um acht Uhr an.
-
-Wir wurden nicht erwartet: die Freude war groß, und nach beendeter
-Begrüßung machten sie sich auf die Suche nach einem Schwein, um uns ein
-Fest zu bereiten. Es wurde geschlachtet und dem Schwein noch zwei Hühner
-beigesellt. Eine prachtvolle, am Morgen gefangene Tintenschnecke, einige
-Bananen und andere Früchte vervollständigten das reichliche Mahl. Ich
-machte den Vorschlag, in der Zeit bis zum Mittagessen die Grotten von
-Mara zu besichtigen, die ich oft von fern gesehen hatte, ohne jemals die
-Gelegenheit zu finden, sie aufzusuchen.
-
-Drei junge Mädchen, ein Knabe, Tehura und ich, eine lustige kleine
-Gesellschaft, hatten das Ziel bald erreicht.
-
-Vom Wegrand aus könnte man die fast ganz von Guavabäumen verdeckte
-Grotte einfach für einen Felsenvorsprung oder eine etwas tiefere Spalte
-halten. Aber biegt man die Zweige zurück und gleitet man einen Meter
-weiter hinunter, so ist keine Sonne mehr sichtbar, man befindet sich in
-einer Art Höhle, deren Grund an eine kleine Bühne mit hochroter,
-scheinbar etwa 100 m weit entfernter Decke erinnert. Hie und da an den
-Wänden glaubt man riesige Schlangen sich langsam dehnen zu sehen, um an
-der Oberfläche des inneren Sees zu trinken. Aber es sind Wurzeln, die
-sich einen Weg durch die Felsspalten bahnen.
-
--- Ob wir ein Bad nehmen?
-
-Ich erhalte zur Antwort, daß das Wasser zu kalt sei, und abseits werden
-lange, von Lachen unterbrochene Unterhandlungen geführt, die mich
-neugierig machen.
-
-Ich gebe nicht nach, und endlich entschließen die Mädchen sich, sie
-legen ihre leichten Gewänder ab, und mit dem Paréo umgürtet, sind wir
-bald alle im Wasser.
-
--- Toë, toë! rufen alle einstimmig.
-
-Das Wasser plätschert, und ihre Rufe werden von tausend Echos
-zurückgeworfen, die das _toë, toë_ wiederholen.
-
--- Kommst du mit mir, frage ich Tehura und zeige auf den Grund.
-
-Bist du toll? Da hinunter, so weit! Und die Aale? Da hinunter wagt man
-sich nie!
-
-Und anmutig schwang sie sich leicht auf das Ufer, wie einer, der stolz
-ist, so gut schwimmen zu können. Aber ich bin auch ein guter Schwimmer,
-und obwohl ich mich nicht gern allein so weit fort wagte, steuerte ich
-auf den Grund zu.
-
-Durch welch seltsames Phänomen der Luftspiegelung mochte er sich aber
-immer mehr von mir entfernen, je angestrengter ich mich bemühte, ihn zu
-erreichen? Ich drang immer weiter vorwärts, und von allen Seiten
-blickten die großen Schlangen mich spöttisch an. Einen Augenblick
-glaubte ich eine große Schildkröte schwimmen zu sehen, ihr Kopf ragte
-aus dem Wasser, und ich unterschied zwei starre, glänzende Augen, die
-mich argwöhnisch anschauten. -- Torheit! dachte ich: die
-Meerschildkröten leben nicht in süßem Wasser. Dennoch (bin ich denn
-wirklich ein Maorie geworden?) kommen mir Zweifel, und es fehlt wenig,
-daß mir schaudert. Was sind das nur für breite, stille Wellen da vor
-mir? Aale!
-
--- Ach was, diese lähmende Empfindung von Furcht muß abgeschüttelt
-werden!
-
-Ich ließ mich senkrecht hinunter, um auf den Grund zu kommen. Doch ich
-mußte wieder hinauf, ohne daß es mir gelungen war. Vom Ufer rief Tehura
-mir zu:
-
--- Komm zurück!
-
-Ich wende mich um und sehe sie sehr weit und ganz klein.
-
-Warum geht die Entfernung auch hier bis ins Unendliche? Tehura ist nur
-noch ein schwarzer Punkt in einem leuchtenden Kreise.
-
-Ich bleibe hartnäckig und schwimme noch eine halbe Stunde: der Grund
-scheint immer in der gleichen Entfernung zu bleiben.
-
-Ein Ruhepunkt auf einem kleinen Plateau und dann wieder ein gähnendes
-Loch -- wohin mochte es führen? Ein Geheimnis, das zu ergründen ich
-aufgebe.
-
-Ich gestehe, daß ich schließlich wirklich Furcht empfand.
-
-Ich brauchte eine volle Stunde, um mein Ziel zu erreichen.
-
-Tehura allein erwartete mich. Ihre Gefährtinnen waren gleichgültig
-fortgegangen.
-
-Tehura sprach ein Gebet, und wir verließen die Grotte.
-
-Ich zitterte noch ein wenig -- vor Kälte. Aber im Freien erholte ich
-mich bald, besonders als Tehura mit einem Lächeln, das mir nicht ganz
-frei von Spott zu sein schien, fragte:
-
--- Du hast dich nicht gefürchtet?
-
-Mit Entrüstung erwiderte ich:
-
--- Wir Franzosen kennen keine Furcht.
-
-Tehura äußerte weder Mitleid noch Bewunderung. Aber ich merkte, daß sie
-aus einem Augenwinkel forschend nach mir spähte, als ich ein paar
-Schritte voranging, um eine farbige Tiaré für ihren Haarbusch zu
-pflücken.
-
-Der Weg war schön und herrlich das Meer. Vor uns erhoben sich Moreas
-stolze grandiose Berge.
-
-Wie lebt es sich gut! Und mit welchem Appetit verzehrt man nach einem
-zweistündigen Bad das lecker bereitete Schweinchen, das uns im Hause
-erwartet!
-
- * * * * *
-
-In Mataïéa fand eine große Hochzeit statt -- eine echte Hochzeit, legal
-und religiös, wie die Missionare sie den bekehrten Tahitianern
-vorschreiben.
-
-Ich war dazu eingeladen und Tehura begleitete mich.
-
-Das Mahl bildet auf Tahiti -- wie überall, glaube ich -- die Hauptfeier.
-Auf Tahiti wenigstens entfaltet man bei diesen Feierlichkeiten den
-größten kulinarischen Luxus. Auf heißen Steinen gebratene Schweinchen,
-eine unglaubliche Menge von Fischen, Bananen, Guaven, Taros u. a.
-
-Der Tisch, an dem eine ansehnliche Zahl von Gästen saß, stand unter
-einem improvisierten Dach, das anmutig mit Blumen und Blättern
-geschmückt war. Alle Verwandten und Freunde der Neuvermählten waren
-anwesend.
-
-Das junge Mädchen -- die Lehrerin des Ortes, eine Halb-Weiße -- nahm
-einen echten Maorie, den Sohn des Häuptlings von Punaauïa, zum Manne.
-Sie war in der »frommen Schule« von Papeete erzogen worden, und der
-protestantische Bischof, der sich für sie interessierte, hatte diese
-Heirat, die viele für etwas übereilt hielten, persönlich vermittelt. --
-Was der Missionar will, ist Gottes Wille, sagt man draußen ...
-
-Eine volle Stunde wird gespeist und -- viel getrunken. Dann beginnen die
-zahlreichen Reden. Sie werden der Reihe nach und mit Methode gehalten,
-es ist ein sehr komischer Wettstreit der Beredsamkeit.
-
-Nun kommt die wichtige Frage: welche der beiden Familien gibt den
-Neuvermählten einen neuen Namen? Dieser aus sehr alter Zeit stammende
-nationale Brauch bedeutet ein geschätztes, sehr begehrtes und viel
-umstrittenes Vorrecht. Nicht selten artet der Streit über diesen Punkt
-in einen blutigen Kampf aus.
-
-Diesmal kam es nicht zu einem solchen. Alles verlief fröhlich und
-friedlich. Allerdings war die Tischgesellschaft stark berauscht. Selbst
-meine arme Vahina, die nicht unter meiner Aufsicht bleiben konnte, kam,
-durch das Beispiel verleitet, in einen furchtbaren Rausch, und ich
-brachte sie nicht ohne Mühe nach Haus.
-
-Mitten am Tische thronte in bewundernswerter Würde die Frau des
-Häuptlings von Punaauïa. Ihr auffallendes, phantastisches Kleid von
-orangefarbenem Samt gab ihr ungefähr das Aussehen einer
-Jahrmarktsheldin. Aber die unverwüstliche Anmut ihrer Rasse, wie das
-Bewußtsein ihres Ranges verlieh ihrem Flitter eine unbeschreibliche
-Größe. Die Gegenwart dieser majestätischen Frau von sehr reinem Typus
-gab diesem Fest eine stärkere Würze als alles andere, und die Wirkung
-davon blieb nicht aus.
-
-Neben ihr saß eine hundertjährige Greisin, deren Hinfälligkeit durch
-eine voll erhaltene Doppelreihe Menschenfresserzähne abschreckend war.
-Sie nahm wenig teil an dem, was um sie herum geschah, und blieb
-unbeweglich starr, fast wie eine Mumie. Aber eine Tätowierung auf ihrer
-Wange, ein dunkles, in seiner Form unbestimmtes Zeichen, das an einen
-lateinischen Buchstaben erinnerte, sprach in meinen Augen für sie und
-erzählte mir ihre Geschichte. Die Tätowierung glich in nichts der der
-Wilden: sie stammte sicherlich von europäischer Hand!
-
-Ich erkundigte mich darnach.
-
-Ehemals, sagte man mir, als die Missionare gegen die Fleischeslust
-eiferten, zeichneten sie »gewisse Frauen« mit dem Stempel der
-Ehrlosigkeit, dem »Höllensiegel« -- dessen sie sich schämten, aber nicht
-etwa wegen der begangenen Sünden, sondern wegen der Lächerlichkeit und
-der Schande einer solchen »Auszeichnung«.
-
-An jenem Tage verstand ich besser denn je das Mißtrauen der Maories den
-Europäern gegenüber, ein Mißtrauen, das heute noch besteht, so milde es
-sich bei der großmütigen und gastfreundlichen Natur der australischen
-Seele auch zeigen mag.
-
-Wieviele Jahre lagen zwischen der von dem Priester gezeichneten Greisin
-und dem von dem Priester verheirateten jungen Mädchen: Das Zeichen
-bleibt unauslöschlich und zeugt von dem Niedergang der Rasse, die sich
-ihm unterwarf, und von der Niedrigkeit jener, die es ihr aufzwang.
-
-Fünf Monate später brachte die junge Frau ein wohlgebildetes Kind zur
-Welt.
-
-Entrüstet forderten die Eltern eine Scheidung. Der junge Mann
-widersetzte sich:
-
--- Was tut es, da wir uns lieben, sagte er. Ist es bei uns nicht Brauch,
-fremde Kinder anzunehmen? Ich nehme dieses an.
-
-Warum aber hatte der Bischof sich so sehr bemüht, die Trauung zu
-beschleunigen? Es wurde viel besprochen. Böse Zungen behaupteten, daß
-...
-
-Selbst auf Tahiti gibt es böse Zungen.
-
- * * * * *
-
-Abends im Bett haben wir lange Gespräche, mitunter sehr ernste.
-
-Jetzt, wo ich Tehura verstehen kann, in der der Geist ihrer Vorfahren
-noch schlummert und träumt, bemühe ich mich durch diese Kinderseele zu
-sehen und zu denken und in ihr die zwar toten, aber in vagen
-Erinnerungen noch bestehenden Spuren der fernen Vergangenheit
-wiederzufinden.
-
-Ich stelle Fragen, und sie bleiben nicht alle ohne Antwort.
-
-Die von unsern Eroberungen mehr betroffenen und von unserer Zivilisation
-stärker beeinflußten Männer haben die alten Götter vielleicht vergessen.
-Aber im Gedächtnis der Frauen haben diese sich einen Zufluchtsort
-bewahrt. Und es ist ein rührendes Schauspiel für mich, wenn unter meiner
-Einwirkung die alten nationalen Gottheiten allmählich in Tehuras
-Erinnerung erwachen und die künstlichen Schleier abwerfen, in die
-protestantische Missionare sie einhüllen zu müssen geglaubt. Im ganzen
-war das Werk der Katecheten ein sehr oberflächliches. Die Erfolge ihrer
-Tätigkeit entsprachen, besonders bei den Frauen, nur wenig ihren
-Erwartungen. Ihre Lehren sind wie eine schwache Firnisschicht, die
-schnell bei der geringsten Berührung abbröckelt und schwindet.
-
-Tehura besucht regelmäßig den Gottesdienst und befolgt die Vorschriften
-der offiziellen Religion. Aber sie weiß die Namen aller Götter des
-maorischen Olymps auswendig, und das ist keine Kleinigkeit. Sie kennt
-ihre Geschichte, sie lehrt mich, wie sie die Welt erschaffen haben, wie
-sie herrschen und wie sie geehrt sein wollen. Die strengen Lehren der
-christlichen Moral sind ihr fremd, oder sie kümmert sich nicht darum,
-denkt z. B. nicht daran zu bereuen, daß sie die Konkubine -- wie sie es
-nennen -- eines Tané ist.
-
-Ich weiß nicht recht, wie sie Jesus und Taaro in ihrem Glauben
-zueinander stellt. Ich glaube, sie verehrt alle beide.
-
-Nach und nach hat sie mir einen ganzen Kursus über tahitische Religion
-gehalten. Dafür versuche ich ihr auf Grund europäischer Kenntnisse
-einige Naturphänomene zu erklären.
-
-Die Sterne interessieren sie sehr. Sie fragt mich nach der französischen
-Benennung des Morgen-, des Abendsterns und der anderen Gestirne. Es wird
-ihr schwer zu begreifen, daß die Erde sich um die Sonne dreht ...
-
-Sie nennt mir die Sterne in ihrer Sprache, und während sie erzählt, sehe
-ich beim Schein der Gestirne, die selber Gottheiten sind, die heiligen
-Gestalten der maorischen Beherrscher der Luft, des Feuers, der Inseln
-und Meere deutlich vor mir.
-
-Die Bewohner von Tahiti haben immer, soweit man auch in ihrer Geschichte
-zurückgreift, ziemlich ausgedehnte Kenntnisse in der Astronomie
-besessen. Die periodischen Feste der Aréoïs -- Mitglieder einer geheimen
-religiösen und zugleich politischen Gesellschaft, die auf den Inseln
-herrschte -- wurden nach der Stellung der Gestirne bestimmt. Selbst die
-Natur des Mondlichtes scheint den Maories nicht unbekannt gewesen zu
-sein. Sie nehmen an, daß der Mond eine der Erde sehr ähnliche Kugel sei,
-wie diese bewohnt und reich an Produkten wie die unsrigen.
-
-Die Entfernung der Erde vom Monde schätzen sie auf ihre Weise: -- Eine
-weiße Taube brachte den Samen des Baumes Ora vom Mond auf die Erde. Sie
-brauchte _zwei Monde_, den Trabanten zu erreichen, und als sie nach
-abermals zwei Monden auf die Erde fiel, war sie federlos. -- Dieser
-Vogel hat von allen den Maories bekannten Vögeln den schnellsten Flug.
-
-Dies aber ist die tahitische Benennung der Sterne. Ich vervollständige
-Tehuras Lektion mit Hilfe des Fragments einer uralten Handschrift, die
-in Polynesien gefunden wurde.
-
-Ist es zu gewagt, darin eher die erste Andeutung eines von der
-Astronomie aufgestellten Systems, als ein zufälliges Spiel der Phantasie
-zu sehen?
-
- Roüa -- groß ist sein Stamm -- schlief mit seinem Weibe, der
- Düsteren Erde.
-
- Sie gebar ihren König, die Sonne, darauf die Dämmerung, dann die
- Nacht.
-
- Da verstieß Roüa dieses Weib.
-
- Roüa -- groß ist sein Stamm -- schlief mit der Frau, genannt »Grande
- Réunion«.
-
- Sie gebar die Königinnen des Himmels, die Gestirne, sodann den Stern
- Tahiti, den Abendstern.
-
- Der König der goldenen Himmel, der einzige König schlief mit seinem
- Weibe Fanoüi.
-
- Von ihr stammt das Gestirn Taüroüa (Venus), der Morgenstern, der
- König Taüroüa, der dem Tag und der Nacht und andern Sternen, dem
- Mond und der Sonne gebeut und den Schiffern als Führer dient.
-
- Taüroüa segelte links gen Norden, schlief dort mit seinem Weibe und
- zeugte den Roten-Stern, jenen Stern, der abends unter zwei Antlitzen
- leuchtet.
-
- Der Rote-Stern flog gegen Osten und setzte seine Piroge instand, die
- Piroge des hellen Tages, und steuerte gen Himmel. Bei Sonnenaufgang
- segelte er davon.
-
- Rehoüa tritt nun im weiten Raume auf. Er schläft mit seinem Weibe
- Oüra Tanéïpa.
-
- Sie zeugten die Zwillings-Könige, den Plejaden gegenüber.
-
- Diese Zwillings-Könige sind sicher dieselben wie unser Kastor und
- Pollux.
-
- Die erste Version der polynesischen Genesis unterliegt
- Veränderungen, die vielleicht nur Entwicklungen sind.
-
- Taaroa schlief mit der Frau, die sich Göttin des Äußeren (oder des
- Meeres) nennt.
-
- Sie zeugten die weißen Wolken, die schwarzen Wolken und den Regen.
-
- Taaroa schlief mit der Frau, die sich Göttin des Innern (oder der
- Erde) nennt.
-
- Von ihnen stammt der erste Keim. Stammt alles, was auf der
- Oberfläche der Erde wächst.
-
- Stammt der Nebel auf den Bergen.
-
- Stammt, was sich das Starke nennt.
-
- Stammt sie, die sich die Schöne nennt oder die zum
- Gefallen-Geschmückte.
-
- Mahoüi[5] steuert seine Piroge.
-
- Er setzt sich nieder auf den Boden. Ihm zur Rechten hängt der mit
- Haarsträhnen an der Leine befestigte Angelhaken.
-
- Und die Leine mit dem Angelhaken, die er in der Hand hält, läßt er
- in die Tiefe des Weltalls hinunter, um den großen Fisch (die Erde)
- zu fischen.
-
- Der Haken hat sich festgebissen.
-
- Schon kommen die Achsen zum Vorschein, schon fühlt der Gott das
- enorme Gewicht des Erdballs.
-
- Tefatou (der Gott der Erde und die Erde selber) taucht noch, im
- unermeßlichen Raume schwebend, von dem Angelhaken erfaßt, aus der
- Nacht empor.
-
- Mahoüi hat den großen Fisch gefischt, der im Raume schwimmt und den
- er nun nach Belieben lenken kann.
-
- Er hält ihn in der Hand.
-
- Mahoüi regelt auch den Lauf der Sonne, so daß Tag und Nacht von
- gleicher Dauer sind.
-
-Ich bat Tehura, mir die Götter zu nennen.
-
- -- Es schlief Taaroa mit Ohina, der Göttin der Luft.
-
- Von ihnen stammt der Regenbogen, der Mondschein, die roten Wolken
- und der rote Regen.
-
- Es schlief Taaroa mit Ohina, der Göttin des Erdbusens.
-
- Sie zeugten Tefatou, den Geist, der die Erde belebt und sich durch
- unterirdische Geräusche zu erkennen gibt.
-
- Es schlief Taaroa mit der Frau, genannt Jenseits-der-Erde.
-
- Sie zeugten die Götter Téirii und Roüanoüa.
-
- Darauf Roo, der seitwärts aus dem Leibe der Mutter kam.
-
- Und dieselbe Frau gebar noch den Zorn und den Sturm, die Rasenden
- Winde und auch den Frieden, der ihnen folgt.
-
- Und der Ursprung dieser Geister ist an dem Ort, von dem die Boten
- ausgesandt werden.
-
-Aber Tehura gibt zu, daß diese Darstellung angefochten wird. Es ist die
-orthodoxeste Klassifikation.
-
-Die Götter teilten sich in Atuas und Oromatuas.
-
-Die höheren Atuas sind alle Söhne und Enkel des Taaroa.
-
-Sie wohnen in den Himmeln -- es gibt deren sieben.
-
-Die Söhne Taaroas und seines Weibes Féii Féii Maïtéraï waren: Oro (der
-erste der Götter nach seinem Vater, der selbst zwei Söhne hatte, Tetaï
-Mati und Oüroü Téféta), Raa (Vater von sieben Söhnen), Tané (Vater von
-sechs Söhnen), Roo, Tiéri, Téfatou, Roüa Noüa, Toma Hora, Roüa Oütia,
-Moë, Toüpa, Panoüa usw. usw.
-
-Jeder dieser Götter hatte seine besonderen Abzeichen.
-
-Die Werke des Mahoüi und des Tefatou kennen wir bereits ...
-
-Tané hat den siebenten Himmel als Mund -- und dies bedeutet, daß der
-Mund dieses Gottes das äußerste Ende des Himmels ist, von wo aus das
-Licht die Erde zu erhellen beginnt.
-
-Rii trennte Himmel und Erde.
-
-Roüi wühlte die Wasser des Ozeans auf, durchbrach die feste Masse des
-Erdballs und teilte ihn in unzählige Teile, die jetzigen Inseln.
-
-Fanoüra, dessen Haupt bis zu den Wolken und dessen Füße bis zum
-Meeresgrund reichten, und Fatoühoüi, ein anderer Riese, stiegen zusammen
-nach Eïva -- einem unbekannten Lande -- hinunter, um das ungeheure
-Schwein zu bekämpfen und zu vernichten, das die Menschen verschlang.
-
-Hiro, Gott der Diebe, grub mit seinen Fingern Löcher in den Felsen. Er
-befreite eine Jungfrau, die Riesen an einem verzauberten Ort gefangen
-hielten: mit einer einzigen Hand riß er die Bäume aus, die am Tage das
-Gefängnis der Jungfrau verdeckten, und der Zauber war gebrochen ...
-
-Die Atuas niederen Ranges kümmerten sich mehr um das Leben und die
-Arbeit der Menschen, ohne ihre Gewohnheiten zu teilen.
-
-Es sind: die Atuas Maho (Götter-Haie), Schutzgeister der Seeleute: die
-Pëho, Götter und Göttinnen der Täler, Schutzgeister der Ackerbauer; die
-No Te Oüpas Oüpas, Schutzgeister der Sänger, Komödianten und Tänzer; die
-Raaoü Pava Maïs, Schutzgeister der Ärzte; die No Apas, Götter, denen
-Opfer dargebracht werden, nachdem sie jemand vor Hexerei und Zauber
-bewahrt haben; die O Tanoü, Schutzgeister der Arbeiter, die Tané Ité
-Haas, Schutzgeister der Zimmerleute und Baumeister; die Minias und
-Papéas, Schutzgeister der Dachdecker; die Matatinis, Schutzgeister der
-Netzeknüpfer.
-
-Die Oromatuas sind Hausgötter, die Laren.
-
-Es gibt wirkliche Oromatuas und Genien.
-
-Die Oromatuas strafen die Streitsüchtigen und halten den Frieden in den
-Familien aufrecht. Es sind: die Varna Taatas, Seelen verstorbener Männer
-und Frauen jeder Familie. Die Eriorios, Seelen der in frühem Alter eines
-natürlichen Todes gestorbenen Kinder. Die Poüaras, Seelen von Kindern,
-die bei der Geburt getötet wurden und in den Körper der Heuschrecke
-zurückgekehrt waren.
-
-Die Genien sind von den Menschen gemutmaßte oder vielmehr wissentlich
-erdachte Gottheiten. Sie legen irgendeinem Tiere oder einem Gegenstand,
-einem Baume z. B., ohne jeden Grund willkürlich göttliche Bedeutung bei
-und fragen ihn dann bei jedem wichtigen Anlaß um Rat. -- Vielleicht ist
-das noch eine Spur der Seelenwanderung der Inder, die die Maories höchst
-wahrscheinlich gekannt haben.
-
-Ihre historischen Gesänge sind überreich an Sagen, in denen man die
-Götter wieder die Gestalt von Tieren und Pflanzen annehmen sieht.
-
-Nach den Atuas und Oramatuas kommen in letzter Reihe der himmlischen
-Rangordnung die Tiis.
-
-Diese Söhne Taaroas und Hinas sind sehr zahlreich.
-
-Als den Göttern untergeordnete und den Menschen fernstehende Geister,
-vermitteln sie nach der Schöpfungssage der Maories zwischen organischen
-und unorganischen Wesen und verteidigen die Ansprüche und Rechte dieser
-gegen die widerrechtlichen Angriffe der anderen.
-
-Ihre Entstehung ist diese:
-
-Es schlief Taaroa mit Ani (Sehnsucht) und sie zeugten: die Sehnsucht der
-Nacht, den Boten der Finsternis und des Todes; die Sehnsucht des Tages,
-den Boten des Lichts und des Lebens; die Sehnsucht der Götter, den Boten
-des Himmlischen, und die Sehnsucht der Menschen, den Boten des
-Irdischen.
-
-Sodann zeugten sie: Tii-des-Inneren, der über Tiere und Pflanzen wacht,
-Tii-des-Äußeren, der alle Wesen und Dinge des Meeres hütet;
-Tii-des-Sandes, Tii-der-Küsten und Tii-der-lockeren Erde; Tii-der-Felsen
-und Tii-des-Festen-Landes.
-
-Später wurden noch geboren: Nachtleben, Tagesleben, Kommen und Gehen,
-Ebbe und Flut, Freudenspenden und Genießen.
-
-Die Bildnisse der Tiis waren an der Außenseite der Maraës (Tempel)
-angebracht und begrenzten das Innere des heiligen Bodens. Man sieht
-deren auf Felsen und an Küsten, und diese Götzenbilder haben die
-Aufgabe, die Grenze zwischen Erde und Meer zu bezeichnen, die Harmonie
-zwischen den beiden Elementen aufrechtzuerhalten und ihren
-wechselseitigen Eingriffen zu wehren. Reisende haben noch jetzt auf der
-Ile-de-Pâques einige Tii-Statuen gesehen. Es sind Riesendenkmäler in
-halb menschlicher, halb tierischer Gestalt, die von einem eigentümlichen
-Schönheitsbegriff und großer Geschicklichkeit in der Behandlung der
-Steine zeugen, die architektonisch in Blöcken von geschickt gewählter
-Farbenzusammenstellung übereinander getürmt sind.
-
-Die europäische Invasion und der Monotheismus haben diese Spuren einer
-einst hohen Kultur verwischt. Wenn die Tahitianer heutzutage ein
-Monument errichten, zeigen sie Wunder von schlechtem Geschmack -- wie in
-der Art des Grabmals des Pomare. Sie haben ihre ursprünglichen Instinkte
-verloren, die in dem steten Verkehr mit der Tier- und Pflanzenwelt in so
-reichem Maße bei ihnen entwickelt waren. Im Umgang mit uns, in _unserer
-Schule_ sind sie erst wahrhaft »Wilde« in jenem Sinne geworden, die der
-lateinische Okzident diesem Worte unterlegt. Sie sind schön geblieben
-wie Kunstwerke, aber sie sind (wir haben sie) moralisch und auch
-physisch unfruchtbar gemacht.
-
-Es existieren noch Spuren der Maraës. Sie waren von Mauern umgebene
-Vierecke, die durch drei Öffnungen unterbrochen wurden. Drei Seiten
-bestanden aus Steinmauern von vier bis sechs Fuß, eine weniger hohe als
-breite Pyramide bildete die vierte. Das Ganze hatte eine Breite von etwa
-hundert und eine Länge von vierzig Metern. -- Bildnisse von Tiis
-schmückten dies einfache Bauwerk.
-
-Der Mond nimmt einen wichtigen Platz in der metaphysischen Anschauung
-der Maories ein. Daß ihm zu Ehren ehemals große Feste veranstaltet
-wurden, ist schon gesagt worden. Hina wird in den überlieferten
-Erzählungen der Aréoïs oft genannt. Jedoch ist ihre Mitwirkung an der
-Weltharmonie, ihre Rolle darin eine mehr negative als positive.
-
-Dies geht deutlich aus dem oben angeführten Gespräch zwischen Hina und
-Tefatou hervor.
-
-Den Exegeten würden solche Worte den schönsten Stoff liefern, wenn sich
-die australische Bibel auffinden ließe, um sie auszulegen. Vor allem
-würden sie darin die Lehren einer Religion auf der Verehrung von
-Naturkräften aufgebaut sehen -- ein gemeinsamer Zug aller primitiven
-Religionen. Die Mehrzahl aller maorischen Götter sind eigentlich eine
-Personifikation verschiedener Elemente. Aber ein aufmerksamer Blick, der
-nicht von dem Wunsch abgelenkt und beeinflußt ist, die Überlegenheit
-unserer Philosophie über die jener »Völkerschaften« zu beweisen, wird in
-diesen Legenden sicherlich interessante und eigentümliche Züge finden.
-
-Ich möchte zwei davon anführen -- aber ich begnüge mich, darauf
-hinzuweisen. Es ist Aufgabe der Gelehrten, die Richtigkeit dieser
-Hypothesen zu bestätigen.
-
-Vor allem ist es die Klarheit, mit der die beiden einzigen und
-allgemeinen Grundideen des Lebens sich unterscheiden und offenbaren. Die
-eine, Seele und Intelligenz, Taaora, ist das Männliche, die andere,
-gewissermaßen Stoff und Körper des nämlichen Gottes, das Weibliche, und
-dies ist Hina, Ihr gehört die ganze Liebe des Menschen, ihm seine
-Ehrfurcht. -- Hina ist nicht nur der Name des Mondes; es gibt auch eine
-_Hina der Luft_, _Hina des Meeres_, eine _Hina des Inneren_, aber diese
-beiden Silben charakterisieren nur die untergeordneten Teile der
-Materie. Die Sonne, der Himmel, das Licht und sein Reich, sozusagen alle
-edlen Teile der Materie -- oder vielmehr ihre spirituellen Elemente sind
-Taaroa. Das geht deutlich aus mehr als einem Ausspruch hervor, in dem
-die Definition von Geist und Materie wieder zu erkennen ist. -- Oder was
-bedeutet wohl, wenn wir es bei dieser Definition bewenden lassen, die
-Grundlehre der maorischen Schöpfungsgeschichte:
-
- Das Weltall ist nur die Schale des Taaroa --?
-
-Bestätigt diese Lehre nicht den Urglauben an die Einheit des Stoffes;
-wie die Definition und die Trennung von Geist und Körper die Analyse der
-zwiefachen Manifestation dieses Stoffes in seiner Einheit! So selten
-solch ein philosophisches Vorausempfinden bei den Primitiven auch sein
-mag, darf doch dessen Wahrscheinlichkeit nicht bestritten werden. Es ist
-wohl zu erkennen, daß die australische Theologie in den Handlungen des
-Gottes, der die Welt erschuf und sie erhält, zwei Ziele im Auge hat: die
-erzeugende Ursache und die befruchtete Materie, die treibende Kraft und
-den verwandelten Gegenstand, Geist und Materie. Ebenso muß man in den
-beständigen Wechselwirkungen zwischen dem leuchtenden Geist und der
-empfänglichen Materie, die er belebt, in den aufeinander folgenden
-Verbindungen des Taaroa mit den verschiedenen Hina-Gestalten, den
-fortwährenden und wechselnden Einfluß der Sonne erkennen, wie in den
-Früchten dieser Verbindungen die durch eben diese Elemente
-hervorgerufenen Wandlungen von Licht und Wärme. Aber hat man dieses
-Phänomen, von dem aus die beiden Hauptströmungen sich vereinigten, erst
-einmal vor Augen, so verschmelzen in der Frucht die zeugende Ursache und
-die befruchtete Materie, in der Bewegung die treibende Kraft und der
-verwandelte Gegenstand, im Leben Geist und Materie, und das eben
-erschaffene Weltall ist nichts _als die Schale des Taaroa_!
-
-Aus dem Zwiegespräch zwischen Hina und Tefatou geht hervor, daß Mensch
-und Erde untergehen, während der Mond und die Wesen, welche ihn
-bewohnen, fortdauern. Wenn wir uns erinnern, daß Hina die Materie
-vorstellt -- in der sich einem wissenschaftlichen Ausspruch nach »alles
-verwandelt und nichts vergeht« --, werden wir annehmen müssen, daß der
-alte maorische Weise, von dem diese Sage stammt, ebensoviel davon wußte
-wie wir. Die Materie vergeht nicht, das heißt, sie verliert ihre
-sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften nicht. Der Geist dagegen und die
-»spirituelle Materie«, das Licht, sind Wandlungen unterworfen: es gibt
-Nacht und den Tod, wo die Augen sich schließen, von denen Helle
-auszustrahlen schien, die sie zurückwarfen. -- Der Geist, oder die
-höchste aktuelle Manifestation des Geistes ist der Mensch. _Und der
-Mensch muß sterben ... Er stirbt, um nicht mehr zum Leben zu erwachen._
--- Wenn aber der Mensch und die Erde, die Früchte der Verbindung von
-Taaroa mit Hina, auch untergehen, ist doch Taaroa ewig, und uns wird
-verkündet, daß Hina, die Materie, fortfahren wird zu sein. In alle
-Ewigkeit werden nun Geist und Materie, das Licht und der Gegenstand, den
-es zu erhellen strebt, von dem gemeinsamen Verlangen nach einer neuen
-Verbindung erfüllt sein, aus der ein neuer »Zustand« der unendlichen
-Evolution des Lebens hervorgehen wird.
-
-Evolution! ... Einheit des Stoffes ... Wer hätte erwartet, in den
-Vorstellungen ehemaliger Kannibalen die Beweise einer so hohen Kultur zu
-finden? Ich kann mit gutem Gewissen sagen, daß ich der Wahrheit nichts
-zugefügt habe.
-
-Tehura zweifelte zwar durchaus nicht an diesen Abstraktionen, aber sie
-war nicht davon abzubringen, in den Sternschnuppen schweifende Tupapaüs
-und trauernde Genien zu sehen. Im selben Sinne wie ihre Vorfahren Taaroa
-für den Himmel in Person und die von ihm stammende Atuas für Götter und
-Himmelskörper zugleich hielten, schrieb sie den Sternen menschliche
-Empfindungen zu. Ich weiß nicht, inwiefern diese poetischen
-Vorstellungen den Fortschritt der positivsten Wissenschaft hemmen, und
-bis zu welchem Punkt die höchste Wissenschaft sie verwerfen würde ...
-
-Von einem andern Gesichtspunkt aus wären für das Gespräch zwischen Hina
-und Tefatou verschiedene Deutungen zulässig. -- Der Rat des Mondes, der
-eine Frau ist, könnte der gefährliche Rat blinden Mitleids und
-sentimentaler Schwäche sein: der Mond und die Frauen (in der Vorstellung
-der Maories) gleichbedeutend mit Materie, brauchten nicht zu wissen, daß
-der Tod allein die Geheimnisse des Lebens birgt. -- Die Antwort des
-Tefatou könnte ein strenger, aber voraussehender und uneigennütziger
-Ausspruch von höchster Weisheit sein, die erkennt, daß die individuellen
-Äußerungen aktuellen Lebens einem höheren Wesen weichen müssen, auf daß
-es komme, und ihm geopfert werden müssen, auf daß es siege.
-
-Früher hätte diese Antwort die Bedeutung einer nationalen Prophezeiung
-von noch größerer Tragweite gehabt: ein großer Geist hätte in alter Zeit
-die Lebensfähigkeit seiner Rasse studiert und abgeschätzt, hätte die
-Todeskeime in ihrem Blut ohne die Möglichkeit einer Heilung oder
-Wiedergenesung vorausgesehen und sich gesagt:
-
- Tahiti wird aussterben, es wird aussterben, um nicht wieder zu
- erstehen.
-
- * * * * *
-
-Tehura sprach mit einer gewissen religiösen Scheu von jener Sekte oder
-geheimen Gemeinschaft der Aréoïs, die zur Zeit ihrer Herrschaft die
-Inseln regierte.
-
-Aus den verworrenen Reden des Kindes sonderte ich Erinnerungen an einen
-furchtbaren, eigentümlichen Brauch, ich ahnte eine tragische
-Vergangenheit voll unerhörter Verbrechen, in die einzudringen aber den
-Neugierigen durch ein streng gehütetes Geheimnis verwehrt war.
-
-Nachdem Tehura mir alles darüber erzählt hatte, was sie wußte, forschte
-ich überall danach.
-
-Der sagenhafte Ursprung jener mächtigen Gemeinschaft ist dieser:
-
-Oro, der Sohn des Taaroa und nach seinem Vater der höchste der Götter,
-beschloß eines Tages, unter den Sterblichen eine Gefährtin zu suchen.
-
-Es sollte eine Jungfrau sein, schön und tauglich, mit ihm unter den
-Menschen eine Rasse zu gründen, die allen bevorzugt und überlegen war.
-
-Er durchschritt also die sieben Himmel und stieg hinunter auf den Païa,
-einen hohen Berg auf der Insel Bora-Bora, wo seine Schwestern, die
-Göttinnen Téouri und Oaaoa, wohnten.
-
-Nun trat Oro in Gestalt eines jungen Kriegers und seine Schwestern in
-junge Mädchen verwandelt, eine Fahrt durch die Insel an, um dort ein
-Wesen zu suchen, das eines Gottes Kuß würdig wäre.
-
-Oro ergriff den Regenbogen, stützte ein Ende auf den Gipfel des Païa,
-das andere auf die Erde, und so schritten der Gott und die Göttinnen
-über Täler und Fluten.
-
-Auf den verschiedenen Inseln, wo man eilte sie zu empfangen, gaben die
-Reisenden prunkvolle, wunderbare Feste, zu denen alle Frauen sich
-drängten.
-
-Und Oro hielt Umschau unter ihnen. Aber sein Herz war betrübt, denn der
-Gott fand Liebe, aber er liebte nicht. Auf keiner der Menschentöchter
-weilte sein Blick lange, denn er entdeckte nicht eine der Tugenden und
-Vorzüge, von denen er geträumt.
-
-Und nachdem viele Tage unter vergeblichem Suchen verstrichen waren,
-beschloß er, in die Himmel zurückzukehren, als er zu Vaïtapé auf der
-Insel Bora-Bora eine Jungfrau von seltener Schönheit erblickte, die in
-dem schönen See von Avaï Aïa badete.
-
-Sie war von hoher Gestalt, und die Sonnenglut brannte und leuchtete auf
-ihrem herrlichen Fleisch, während der ganze Zauber der Liebe in der
-Nacht ihres Haares schlummerte.
-
-Entzückt bat Oro die Schwestern, die Jungfrau anzureden.
-
-Er selber zog sich zurück, um das Ergebnis ihrer Sendung auf dem Gipfel
-des Païa abzuwarten.
-
-Die Göttinnen redeten die Jungfrau mit einem Gruß an, priesen ihre
-Schönheit und sagten, daß sie aus Avanaü, einem Ort auf Bora-Bora,
-kämen.
-
--- Unser Bruder läßt dich fragen, ob du einwilligst, sein Weib zu
-werden.
-
-Vaïraümati -- dies war der Name der Jungfrau -- blickte die Fremden
-prüfend an und erwiderte:
-
--- Ihr seid nicht aus Avanaü. Doch ist euer Bruder ein Häuptling, ist er
-jung und schön, so mag er kommen, Vaïraümati wird sein Weib werden.
-
-Téouri und Oaaoa stiegen unverzüglich zum Païa hinauf, um ihrem Bruder
-mitzuteilen, daß er erwartet werde.
-
-Sogleich begab Oro sich wie vorher auf dem Regenbogen hinunter nach
-Vaïtapé.
-
-Vaïraümati hatte zu seinem Empfang eine mit den schönsten Früchten
-besetzte Tafel und aus den feinsten Matten und seltensten Stoffen ein
-Lager bereitet.
-
-Göttlich in ihrer Anmut und Kraft, pflegten sie der Liebe in Hain und
-Flur, am Ufer des Meeres und im Schatten des Tamaris und des Paudanus.
-Jeden Morgen stieg der Gott auf den Gipfel des Païa, und jeden Abend
-ging er hinunter, mit ihr zu schlafen.
-
-Kein anderes sterbliches Mädchen durfte ihn in irdischer Gestalt
-erblicken.
-
-Und stets diente der zwischen Païa und Vaïtapé gespannte Regenbogen ihm
-als Weg.
-
-Viele Monde hatten geleuchtet und waren wieder erloschen, seitdem die
-verödeten Sieben Himmel ohne Kunde von Oros Aufenthalt waren. Darum
-nahmen nun zwei andere Söhne des Taaroa, Orotéfa und Oürétéfa,
-menschliche Gestalt an und machten sich auf, ihren Bruder zu suchen.
-Lange irrten sie auf den Inseln umher, ohne ihn zu finden. Endlich
-jedoch entdeckten sie auf Bora-Bora den jungen Gott, der mit Vaïraümati
-im Schatten eines heiligen Mangobaumes ruhte.
-
-Sie waren voll Staunen über die Schönheit des jungen Weibes und wollten
-ihm als Zeichen ihrer Bewunderung einige Geschenke darbieten. Also
-verwandelte Orotéfa sich in eine Sau und Oürétéfa in rote Federn, nahmen
-dann gleich wieder menschliche Gestalt an, ohne daß Sau und Federn
-verschwanden, und näherten sich mit ihren Gaben den Liebenden.
-
-Erfreut empfingen Oro und Vaïraümati die beiden hohen Reisenden.
-
-In derselben Nacht warf die Sau sieben Junge, von denen das erste einer
-späteren Verwendung vorbehalten blieb; das zweite wurde den Göttern
-geopfert, das dritte der Gastfreundschaft geweiht und den Fremden
-angeboten, das vierte nannten sie: Opferschwein zu Ehren der Liebe, das
-fünfte und sechste sollte bis zur ersten Tracht verschont bleiben, um
-die Art zu mehren, und das siebente endlich wurde im ganzen auf heißen
-Steinen gebraten -- also nach maorischem Brauch göttlich geweiht -- und
-verzehrt.
-
-Die Brüder des Oro kehrten wieder in die Himmel zurück.
-
-Einige Wochen darauf sagte Vaïraümati zu Oro, daß sie sich Mutter fühle.
-
-Da nahm Oro das erste der sieben Schweine, das verschont geblieben war,
-und begab sich nach Raïatéa, zu dem großen Maraë, dem Tempel des Gottes
-Vapoa.
-
-Dort traf er einen Mann namens Mahi, dem er das Schwein übergab, und
-sprach:
-
-_Maiï maitaï oétéinéi boüaa_ (Nimm dieses Schwein und hüte es wohl).
-
-Und feierlich fuhr der Gott fort:
-
--- Es ist das heilige Schwein. In seinem Blut wird der Bund der Männer
-gefärbt sein, die von mir stammen. Denn ich bin Vater in dieser Welt.
-Sie werden sich Oréoïs nennen. Dir übermittle ich ihre Vorrechte und
-ihren Namen. Ich selber kann hier nicht länger weilen.
-
-Mahi suchte den Häuptling von Raïatéa auf und erzählte ihm sein
-Abenteuer. Aber da er das ihm anvertraute heilige Gut nicht hüten
-konnte, ohne der Freund des Häuptlings zu sein, fügte er hinzu:
-
--- Mein Name sei der deinige und dein Name der meine.
-
-Der Häuptling war es zufrieden, und sie nahmen beide den Namen
-Taramanini an.
-
-Inzwischen war Oro wieder zu Vaïraümati zurückgekehrt und verkündigte
-dieser, daß sie einen Sohn gebären würde, den er ihr Hoa Tabou të Raï
-(heiliger Freund des Himmels) zu nennen gebot.
-
-Dann sprach er:
-
--- Die Zeit ist erfüllet und ich muß dich verlassen.
-
-Er verwandelte sich sodann in eine ungeheure Feuersäule und hob sich
-majestätisch in die Lüfte bis über den Periréré, den höchsten Berg von
-Bora-Bora. Und hier entschwand er den Blicken seiner weinenden Gattin
-und des staunenden Volkes.
-
-Hoa Tabou të Raï ward ein großer Häuptling und tat den Menschen viel
-Gutes. Bei seinem Tode wurde er in den Himmel erhoben, wo Vaïraümati
-selber den Rang einer Göttin einnahm.
-
- * * * * *
-
-Oro könnte gut ein umherwandelnder Brahmine sein, der den Inseln --
-wann? die Lehre des Brahma brachte (auf deren Spuren in der
-australischen Religion ich schon hinwies).
-
-In der Reinheit dieser Lehre erwachte das maorische Genie. Geister, die
-fähig waren zu verstehen, erkannten einander und vereinigten sich, --
-natürlich völlig abgesondert vom Volk, -- um die vorgeschriebenen Riten
-auszuüben. Aufgeklärter als die übrigen ihrer Rasse, rissen sie bald die
-religiöse und politische Herrschaft über die Inseln an sich, sicherten
-sich wichtige Vorrechte und gründeten eine starke Übermacht, die in der
-Geschichte des Inselmeers die glänzendste Periode bildete.
-
-Obwohl sie des Schreibens unkundig gewesen zu sein scheinen, waren die
-Aréoïs wahre Gelehrte. Sie verbrachten ganze Nächte damit, alte
-»Aussprüche der Götter« Wort für Wort mit peinlichster Genauigkeit zu
-erforschen, und sie auszulegen erforderte eine jahrelange Arbeit. Diese
-ihnen allein zugänglichen Aussprüche der Götter, denen sie höchstens
-Kommentare beifügen durften, verschaffte den Aréoïs die Sicherheit eines
-geistigen Mittelpunkts, regte sie zu gewohnheitsmäßigem Nachdenken an,
-berechtigte sie zu einer übermenschlichen Mission und gab ihnen ein
-Ansehen, vor dem jeder sich beugte.
-
-Es gibt in unserm christlichen, lehnspflichtigen Mittelalter ganz
-ähnliche Einrichtungen wie diese, und ich kenne nichts Furchtbareres als
-jene religiöse und kriegerische Gemeinschaft, jenes Konzil, das im Namen
-Gottes Urteile fällte und allmächtig über Leben und Tod entschied.
-
-Die Aréoïs lehrten, daß Menschenopfer den Göttern wohlgefällig seien,
-und opferten selber in den Maraës alle ihre Kinder außer den
-Erstgeborenen: das Symbol dieses blutigen Ritus war die Sage von den
-sieben Schweinen, die außer dem ersten, dem »heiligen Schwein«, alle
-getötet wurden.
-
-Doch dürfen wir über diese Barbarei nicht voreilig schelten.
-
-Diese grausame Pflicht, der so viele primitive Völkerschaften sich
-unterwarfen, hatte tiefe Gründe sozialer Art und allgemeinen Interesses.
-
-Bei sehr fruchtbaren Rassen, wie es die der Maories einst war, bedrohte
-die unbegrenzte Vermehrung der Bevölkerung ihre nationale wie positive
-Existenz. Das Leben auf den Inseln war zwar mühelos, und es bedurfte
-keines großen Fleißes, um sich das Notwendige zu verschaffen. Aber das
-sehr beschränkte Gebiet, von dem unermeßlichen, den gebrechlichen
-Pirogen unzugänglichen Ozean umgeben, wäre für ein sich stetig
-vermehrendes Volk bald unzureichend geworden. Das Meer hätte nicht mehr
-genügend Fische geliefert und der Wald nicht genug Früchte. Eine
-Hungersnot wäre nicht ausgeblieben und hätte, wie sie es immer getan,
-die Anthropophagie zur Folge gehabt. -- Um Männermorde zu vermeiden,
-beschränkten die Maories sich auf Kinderopfer. Übrigens war
-Menschenfresserei bereits üblich, als die Aréoïs auftraten, und um diese
-zu bekämpfen und die Ursache aufzuheben, führten sie den Kindesmord ein,
-der vielleicht als eine Milderung der Sitten zu bezeichnen wäre, wenn
-das unheimlich Komische dieser Behauptung auch einem Possenschreiber zur
-Belustigung dienen könnte. Die Aréoïs mußten wahrscheinlich große
-Energie anwenden, um diesen Fortschritt durchzusetzen, und erreichten es
-wohl nur dadurch, daß sie sich in den Augen des Volkes die volle
-Autorität der Götter anmaßten.
-
-Schließlich wurde der Kindesmord ein mächtiges Mittel der Zuchtwahl für
-die Rasse. Das furchtbare Recht der Erstgeburt, ein Recht auf das Leben
-selber, erhielt die Kraft des Volkes unverkürzt, indem es von den
-schädlichen Folgen erschöpfter Säfte verschont blieb. Es nährte in all
-diesen Kindern auch das Bewußtsein unverwüstlichen Stolzes. Die Urkraft
-und letzte Blüte dieses Stolzes ist es auch, die wir noch bei den
-letzten Sprößlingen einer großen, im Aussterben begriffenen Rasse
-bewundern.
-
-Das beständige Beispiel und die häufige Wiederkehr des Todes war
-schließlich eine erhabene und belebende Lehre. Die Krieger lernten
-Schmerzen gering schätzen, und die ganze Nation fand eine wohltätige
-intensive Erregung dabei, die sie vor der tropischen Erschlaffung und
-entnervender Mattigkeit bei dem fortdauernden Nichtstun bewahrte. Es ist
-eine historische Tatsache, daß der Niedergang der Maories mit dem
-gesetzlichen Verbot der Opfer begann, und daß sie von da an allmählich
-jede moralische Kraft und physische Fruchtbarkeit verloren. Sollte dies
-auch nicht die Ursache davon sein, so gibt das Zusammentreffen doch zu
-denken.
-
-Und vielleicht haben die Aréoïs die tiefe Bedeutung und symbolische
-Notwendigkeit des Opfers verstanden ... Die Prostitution war ihnen eine
-heilige Pflicht. Bei uns hat sich das geändert. Auch hat sie auf Tahiti
-keineswegs aufgehört, seit wir es mit den Wohltaten unserer Zivilisation
-überhäuft haben: sie blüht fort. Aber sie ist weder Pflicht noch
-geheiligt, sondern nur ohne Größe und entschuldbar.
-
-Die geistliche Würde ging vom Vater auf den Sohn über, dessen Einweihung
-schon im Kindesalter begann.
-
-Die Gesellschaft war ursprünglich in zwölf Logen geteilt, deren
-Großmeister die zwölf obersten Aréoïs waren. Dann kamen die Würdenträger
-zweiten Ranges und endlich die Lehrjünger. Die verschiedenen Grade
-unterschieden sich durch besondere Tätowierungen auf den Armen, an den
-Seiten, den Schultern, Beinen und Knöcheln.
-
- * * * * *
-
-Der _Matamua_ der Aréoïs, eine maorische Szene bei der feierlichen
-Einsetzung eines Königs in alter Zeit:
-
-Der neue Herrscher verläßt, in prächtige Gewänder gekleidet und von den
-Vornehmsten der Inseln umgeben, seinen Palast. Vor ihm schreiten die
-Großmeister der Aréoïs mit seltenen Federn im Haar.
-
-Er begibt sich mit seinem Gefolge zum Maraë.
-
-Als die Priester, die ihn an der Schwelle erwarten, seiner ansichtig
-werden, verkünden sie unter lautem Trompetenschall und Trommelschlag,
-daß die Zeremonie beginnt.
-
-Dann beim Eintritt in den Tempel mit dem König legen sie ein
-Menschenopfer, einen Leichnam, vor das Bild des Gottes.
-
-Der König spricht und singt mit den Priestern vereint Gebete, worauf der
-Priester das Opfer beider Augen beraubt. Er bietet das rechte Auge dem
-Gotte dar und das linke dem König; dieser öffnet den Mund, wie um das
-blutige Auge zu verschlingen, aber der Priester zieht es zurück und legt
-es wieder zu dem Körper[6].
-
-Nun wird die Statue des Gottes auf eine geschnitzte, von Priestern
-getragene Bahre gestellt. Auf den Schultern der beiden Oberpriester
-sitzend, folgt der König dem Götzenbild, von den Aréoïs wie zu einer
-Abreise begleitet, bis zum Ufer des Meeres. Auf dem ganzen Wege fahren
-die Priester fort die Trompete zu blasen, die Trommel zu schlagen.
-
-Die Menge geht ehrfurchtsvoll und still hinterher.
-
-An der Bucht wiegt sich die heilige, zu dieser Feier mit grünen Zweigen
-und Blumen geschmückte Piroge. Zuerst wird das Götzenbild darin
-untergebracht, dann der König seiner Gewänder entledigt, und die
-Priester geleiten ihn in das Meer, wo die Atuas-Mao (Götter-Haie) ihn in
-den Fluten waschen und liebkosen.
-
-So zum andernmal vom Kuß des Meeres im Beisein des Gottes geweiht, wie
-zuvor das erstemal in dessen Tempel, besteigt der König die heilige
-Piroge, wo der Oberpriester ihn mit dem _maro oüroü_ umgürtet und um
-sein Haupt das _taoü mata_, die Binden der Herrschaft, windet.
-
-Vorn im Boot stehend zeigt der König sich nun dem Volk.
-
-Und dieses bricht bei dem Anblick endlich das lange Schweigen, und
-überall ertönt der feierliche Ruf:
-
--- _Maëva Arii_ (Es lebe der König)!
-
-Nachdem der erste laute Jubel sich gelegt hat, wird der König auf das
-heilige Lager gebettet, wo eben das Götzenbild geruht, und alle kehren
-auf demselben Wege, fast in derselben Reihenfolge wie vorher, zum Maraë
-zurück.
-
-Wieder tragen die Priester das Götzenbild und die Oberpriester den
-König, und der Zug wird abermals mit Musik und Tanz eröffnet.
-
-Das Volk folgt hinterher. Aber jetzt rufen sie, ihrer Freude überlassen,
-fortwährend:
-
--- Maëva Arii!
-
-Das Götzenbild wird feierlich auf seinen Altar zurückgestellt.
-
-Und damit schließt die religiöse Feier. Nun soll das Volksfest seinen
-Anfang nehmen.
-
-Wie den Göttern im Tempel und der Natur im Meer, wird der König sich dem
-Volke weihen[7]. -- Auf Matten gebettet muß der König jetzt die _höchste
-Huldigung des Volkes_ entgegennehmen.
-
-Die frenetische Huldigung eines wilden Volkes.
-
-Eine ganze Menge in Bezeigung ihrer Liebe für _einen Menschen_, und
-dieser Mensch ist der König. Großartig bis zum Schrecken, bis zum
-Entsetzen ist dieses Schauspiel zwischen der Menge und dem einen
-Menschen. Morgen wird er Herr sein, er wird nach Belieben mit Geschicken
-schalten, über die er zu bestimmen hat, und die ganze Zukunft ist sein!
-Der Menge gehört nur diese eine Stunde.
-
-Völlig nackt, in lasziven Tänzen umkreisen Männer und Frauen den König
-und bemühen sich, gewisse Teile seines Körpers mit gewissen Teilen des
-ihren zu streifen, eine Berührung ist dabei nicht immer zu vermeiden.
-Und die Raserei des Volkes steigert sich bis zur Tollheit. Die ganze
-friedliche Insel hallt von furchtbarem Geschrei wieder, und der
-hereinbrechende Abend zeigt das phantastische Bild einer verzückten
-wahnsinnigen Menge.
-
-Aber plötzlich schmettert der Klang der heiligen Trompeten und Trommeln.
-
-Die Huldigung ist zu Ende, zu Ende das Fest, das Signal zum Rückzug
-ertönt. Selbst die Rasendsten gehorchen, alles beruhigt sich, und jäh
-tritt absolute Stille ein.
-
-Der König erhebt sich und kehrt feierlich, majestätisch, von seinem
-Gefolge geleitet, in seinen Palast zurück.
-
- * * * * *
-
-Seit etwa vierzehn Tagen wimmelte es von sonst selten auftretenden
-Fliegen, die unerträglich wurden.
-
-Aber die Maories freute es, denn die Thunfische und andere Fische
-stiegen vom Grunde an die Oberfläche. Die Fliegen kündigten die Zeit des
-Fischfangs, die Zeit der Arbeit an. Man vergesse nicht, daß Arbeit auf
-Tahiti ein Vergnügen ist.
-
-Jeder prüfte die Haltbarkeit seiner Netze und seine Angeln. Frauen und
-Kinder halfen mit ungewöhnlichem Eifer Netze oder vielmehr lange Gitter
-von Kokosnußblättern an den Strand und auf die Korallenriffe zwischen
-Land und Klippen schleppen. Auf diese Art werden gewisse Köderfischchen
-gefangen, die am schmackhaftesten für die Thunfische sind.
-
-Als die Vorbereitungen beendet waren, was etwa drei Wochen in Anspruch
-genommen hatte, wurden zwei große, miteinander verbundene Pirogen aufs
-Meer gelassen, an denen vorn eine sehr lange, mit einem Angelhaken
-versehene Stange angebracht war, die mittels zweier hinten befestigter
-Taue schnell gehoben werden konnte. Sobald der Fisch angebissen hat,
-wird er sofort herausgezogen und in dem Fahrzeug untergebracht.
-
-Eines schönen Morgens zogen wir (ich war -- natürlich -- mit bei dem
-Fest) aufs Meer hinaus und hatten die Klippenreihe bald glücklich hinter
-uns. Wir wagten uns ziemlich weit hinaus. Ich sehe noch eine
-Schildkröte, die uns, den Kopf überm Wasser, im Vorüberfahren
-nachschaute.
-
-Die Fischer waren alle in fröhlicher Stimmung und ruderten eifrig.
-
-Wir kamen den _Grotten_ von _Mara_[8] gegenüber an eine Stelle,
-_Thunloch_ genannt, wo das Wasser sehr tief ist.
-
-Dort, sagt man, schlafen die Thunfische nachts in einer Tiefe, die den
-Haifischen unerreichbar ist.
-
-Nach Fischen spähend, schwebte eine Wolke von Seevögeln über dem Loch.
-Sobald einer an der Oberfläche erscheint, stoßen die Vögel mit
-unglaublicher Geschwindigkeit darauf herab und steigen mit einem Bissen
-im Schnabel wieder in die Höhe.
-
-So herrscht im Meer und in der Luft, selbst in unseren Pirogen nur der
-Gedanke an Blut und Mord.
-
-Als ich meine Gefährten fragte, warum sie nicht eine lange Angelschnur
-in das Thunloch hinunterließen, erwiderten sie, daß es unmöglich sei, es
-wäre ein geheiligter Ort:
-
--- Der Gott des Meeres wohne da.
-
-Ich vermutete eine Sage dahinter und ließ sie mir erzählen.
-
- * * * * *
-
-»Roüa Hatou, eine Art tahitischer Neptun, schlief auf dem Meeresgrund an
-dieser Stelle.
-
-Ein Maorie war einst so tollkühn dort zu fischen, und da sein Angelhaken
-sich in den Haaren des Gottes verfing, erwachte dieser.
-
-Zornig stieg er an die Oberfläche, um zu sehen, wer die Kühnheit gehabt,
-seine Ruhe zu stören, und als er sah, daß der Schuldige ein Mensch war,
-beschloß er die ganze Menschenrasse zu vertilgen, um die Ruchlosigkeit
-des einen zu sühnen.
-
-Der Strafe entging jedoch -- durch unerklärliche Nachsicht -- gerade der
-Missetäter selber.
-
-Der Gott gebot ihm, mit seiner ganzen Familie auf den _Toa Marama_ zu
-gehen, nach einigen eine Insel oder ein Berg, nach andern eine Piroge
-oder »Arche«.
-
-Als der Fischer sich mit den Seinen an den bezeichneten Ort begeben
-hatte, begannen die Wasser des Meeres zu steigen. Sie bedeckten
-allmählich selbst die höchsten Gipfel, und alles Lebende bis auf jene,
-die sich zum Toa Marama geflüchtet hatten, kam darin um.
-
-Später bevölkerten sie die Insel aufs neue[9].«
-
- * * * * *
-
-Wir ließen also das Thunloch hinter uns, und der Führer der Piroge
-bezeichnete einen Mann, der die Stange ins Meer lassen und die Angel
-auswerfen mußte.
-
-Lange Minuten wurde gewartet, kein Thunfisch biß an.
-
-Ein anderer Ruderer kam an die Reihe, und diesmal biß ein prachtvoller
-Thunfisch an und bog die Stange hinunter. Vier kräftige Arme hoben sie
-empor, indem sie die Taue hinten anzogen, und der Fisch erschien an der
-Oberfläche. Aber gleichzeitig schnellte ein riesiger Hai über die Wogen:
-ein paar furchtbare Bisse, und wir hatten nichts weiter am Angelhaken
-als einen abgetrennten Kopf.
-
-Nun gab der Führer mir ein Zeichen, und ich warf die Angel aus.
-
-Nach ganz kurzer Zeit fischten wir einen riesenhaften Thunfisch. -- Ohne
-es viel zu beachten, hörte ich meine Nachbarn unter sich kichern und
-tuscheln. -- Das durch Stockschläge auf den Kopf getötete Tier wand sich
-auf dem Boden des Fahrzeuges, und sein Leib, jetzt einem schillernden
-Spiegel gleich, entsandte tausend blitzende Strahlen.
-
-Ein zweites Mal hatte ich ebenfalls Glück.
-
-Meine Gefährten beglückwünschten mich fröhlich, nannten mich einen
-Glückspilz, und in meinem Stolz widersprach ich nicht.
-
-Aber in dem einstimmigen Lob unterschied ich, wie bei meinem ersten
-Versuch, ein unerklärliches Lachen und Getuschel.
-
-Das Fischen währte bis zum Abend. Als der Vorrat der kleinen Köderfische
-erschöpft war, entzündete die Sonne rote Flammen am Horizont, und unser
-Fahrzeug war mit zehn prächtigen Thunfischen beladen.
-
-Wir bereiteten uns zur Rückfahrt vor. Während alles instandgesetzt
-wurde, fragte ich einen jungen Burschen nach dem Sinn der ganz leise
-gewechselten Worte und nach dem Lachen, das beide Male meinen Fang
-begleitet hatte. Er weigerte sich zu antworten. Aber ich ließ nicht
-nach, denn ich wußte, wie gering die Widerstandskraft des Maorie ist und
-wie bald er energischem Drängen nachgibt.
-
-Schließlich vertraute er mir an: Wem der Thunfisch in den Angelhaken
-beißt -- und meine hatten das beide getan, -- dem ist zu Haus die Vahina
-untreu.
-
-Ich lächelte ungläubig.
-
-Und wir kehrten zurück.
-
-Die Nacht bricht in den Tropen schnell herein. Es galt ihr
-zuvorzukommen. Zweiundzwanzig muntere Pageien (schaufelartige Ruder)
-tauchten gleichzeitig ins Wasser, und um sich anzufeuern, stießen die
-Ruderer im Takt dazu laute Rufe aus. Unsere Piroge hinterließ eine
-phosphorleuchtende Furche.
-
-Mir war zumute wie auf einer tollen Flucht: die ergrimmten Herrscher des
-Ozeans verfolgten uns, und um uns schnellten, wie phantastische Scharen
-unbestimmter Gestalten, die aufgeschreckten, neugierigen Fische empor.
-
-In zwei Stunden erreichten wir die äußersten Klippen.
-
-Die Brandung ist dort gewaltig, und die Fahrt des Seegangs wegen
-gefährlich. Es ist kein Leichtes, die Piroge richtig vor die Sandbank zu
-steuern. Aber die Eingeborenen sind gewandt, und ich verfolgte mit
-lebhaftem Interesse, jedoch nicht ganz ohne Furcht, die Operation, die
-glänzend vonstatten ging.
-
-Vor uns war das Land von lohenden Feuern erhellt, -- es waren enorme
-Fackeln von Zweigen des Kokosnußbaumes. Der Anblick der auf dem Sande am
-Ufer des beleuchteten Meeres lagernden Fischerfamilien war wunderbar.
-Einige saßen reglos da, andere liefen, die Fackeln schwingend, den
-Strand entlang, die Kinder sprangen hin und her, und man vernahm in der
-Ferne ihr stilles Geschrei.
-
-Mit leichtem Schwung fuhr unsere Piroge auf den Strand, und die
-Verteilung der Beute begann sogleich.
-
-Alle Fische wurden auf die Erde gelegt, und der Anführer teilte sie in
-so viele gleiche Teile, wie die Anzahl der Personen -- Männer, Frauen
-und Kinder -- betrug, die sich am Fischfang und dem Fischen der
-Köderfischchen beteiligt hatten.
-
-Es waren 37 Teile.
-
-Ohne Zeit zu verlieren, nahm meine Vahina ein Beil, spaltete Holz damit
-und zündete ein Feuer an, während ich noch ein wenig Toilette machte und
-mich wegen der Nachtkühle einhüllte.
-
-Von unseren beiden Anteilen wurde der eine gekocht, und den anderen
-bewahrte Tehura roh auf.
-
-Dann fragte sie mich des langen und breiten über die verschiedenen
-Vorkommnisse beim Fischfang aus, und ich befriedigte willfährig ihre
-Neugierde. Genügsam und kindlich erheiterte sie sich an allem, und ich
-beobachtete sie, ohne sie meine geheimen Gedanken merken zu lassen. Im
-Grunde meiner Seele war ohne jede Ursache eine Unruhe erwacht, die nicht
-zu beschwichtigen war. Ich brannte darauf, an Tehura eine Frage zu
-stellen -- eine gewisse Frage ... und es half mir nichts, mir zu sagen:
-Wozu? Ich antwortete mir selber: Wer weiß?
-
- * * * * *
-
-Die Zeit des Schlafengehens kam heran, und als wir beide ausgestreckt
-nebeneinander lagen, fragte ich plötzlich:
-
--- Bist du vernünftig gewesen?
-
--- Ja.
-
--- Und dein Geliebter, war er nach deinem Geschmack?
-
--- Ich habe keinen Geliebten.
-
--- Du lügst, der Fisch hat es verraten.
-
-Tehura erhob sich und blickte mich starr an. Ihr Antlitz hatte einen
-seltsamen mystischen Ausdruck majestätischer Größe, der mir fremd war
-und den ich in ihren heiteren, fast kindlichen Zügen nie vermutet hätte.
-
-Die Atmosphäre in unserer kleinen Hütte hatte sich verwandelt: Ich
-fühlte, daß etwas Erhabenes sich zwischen uns erhob. Und wider Willen
-unterlag ich dem Einfluß des Glaubens und erwartete eine Botschaft von
-oben. Ich zweifelte nicht, daß sie kommen würde, obwohl die fruchtlosen
-Bedenken unseres Skeptizismus dieser glühenden, wenn auch nur einem
-Aberglauben geltenden Inbrunst gegenüber noch ihre Macht auf mich
-ausübten.
-
-Tehura schlich leise zur Tür, um sich zu vergewissern, daß sie gut
-verschlossen war, und als sie bis in die Mitte der Kammer zurückgekommen
-war, sprach sie folgendes Gebet:
-
- Rette mich! Rette mich!
- Es ist Abend, es ist Abend der Götter.
- Wache über mich, o mein Gott!
- Wache über mich, o mein Herr!
- Behüte mich vor Betörung und schlechten Ratschlägen.
- Bewahre mich vor einem plötzlichen Tode,
- Vor dem Bösen und Verwünschungen;
- Bewahre mich vor Streit um die Teilung des Landes,
- Möge Frieden herrschen unter uns!
- O mein Gott, schütze mich vor den rasenden Kriegern!
- Hüte mich vor dem, der mich bedroht,
- Den es freut zu ängstigen,
- Vor dem, dessen Haar sich beständig sträubt!
- Auf daß ich und mein Geist leben können,
- O mein Gott!
-
-An diesem Abend, wahrlich, habe ich mit Tehura gebetet.
-
-Als sie ihr Gebet beendet hatte, kam sie mit Tränen in den Augen zu mir
-hin und flehte mich an, sie zu schlagen.
-
-Und vor dem tiefen Ernst dieses Antlitzes, vor der vollkommenen
-Schönheit dieser lebenden Statue glaubte ich die von Tehura
-heraufbeschworene Gottheit selber vor mir zu sehen.
-
-Verflucht sei ewig meine Hand, wenn sie es wagte, sich gegen ein
-Meisterwerk der Natur zu erheben!
-
-Sie wiederholte ihr Flehen, sie zu schlagen.
-
--- Tust du es nicht, so zürnst du lange und wirst krank.
-
-Ich küßte sie.
-
-Und jetzt, wo ich sie ohne Mißtrauen liebe, so liebe, wie ich sie
-bewunderte, kamen mir die Worte Buddhas auf die Lippen:
-
-»Ja, durch Sanftmut muß man den Zorn besiegen, durch das Gute Böses, und
-durch Wahrheit Lüge.«
-
-Diese Nacht ward göttlich, köstlicher als die anderen alle -- und
-strahlend erwachte der Tag.
-
-Frühmorgens brachte ihre Mutter uns einige frische Kokosnüsse.
-
-Mit einem Blick befragte sie Tehura.
-
-Sie _wußte_.
-
-Mit feinem Mienenspiel sagte sie zu mir:
-
--- Du warst gestern auf dem Fischfang, ist alles gut verlaufen?
-
-Ich erwiderte:
-
--- Ich hoffe, bald wieder dabei zu sein.
-
- * * * * *
-
-Ich war genötigt, nach Frankreich zurückzukehren. Wichtige
-Familienangelegenheiten riefen mich zurück.
-
-Lebe wohl, gastfreies Land, köstliches Land, Heimat der Freiheit und der
-Schönheit!
-
-Zwei Jahre älter geworden und um zwanzig Jahre verjüngt gehe ich fort,
-_verwilderter_ als ich gekommen war und doch _gescheiter_.
-
-Die Wilden, diese Unwissenden, haben den alten Kulturmenschen vieles
-gelehrt, vieles in der Kunst zu leben und glücklich zu sein: Vor allem
-haben sie mich gelehrt, mich selber besser zu kennen, ich habe von ihnen
-nur tiefste Wahrheit gehört.
-
-War das dein Mysterium, du geheimnisvolle Welt? Du hast mir Licht
-gebracht, und ich bin gewachsen in der Bewunderung deiner antiken
-Schönheit, der unvergänglichen Jugend der Natur.
-
-Das Verständnis und die Liebe zu der Seele deiner Menschen, zu dieser
-Blume, die aufhört zu blühen, und deren Duft niemand mehr einatmen wird,
-hat mich besser gemacht.
-
- * * * * *
-
-Als ich den Quai verließ, um an Bord zu gehen, sah ich Tehura zum
-letztenmal.
-
-Sie hatte Nächte hindurch geweint, jetzt saß sie erschöpft und traurig,
-aber ruhig mit herabhängenden Beinen auf einem Stein, und ihre starken,
-festen Füße berührten das schmutzige Wasser.
-
-Die Blume, die sie am Morgen hinters Ohr gesteckt hatte, war welk auf
-ihre Knie herabgefallen.
-
-Hier und dort starrten andere, wie sie, matt, schweigend, düster,
-gedankenlos, auf den dichten Qualm des Schiffes, das uns alle für immer
-weit fort tragen sollte.
-
-Und von der Schiffsbrücke aus glaubten wir, während wir uns immer weiter
-entfernten, mit dem Fernglas auf ihren Lippen noch lange jene alten
-maorischen Verse zu lesen:
-
- Ihr leisen Winde von Süd und Ost,
- Die ein zärtlich Spiel über meinem Haupte vereint,
- Eilt schnell zur nächsten Insel hin.
- Dort findet ihr im Schatten seines Lieblingsbaumes
- Ihn, der mich verlassen hat.
- Sagt ihm, daß ihr in Tränen mich gesehn.
-
-
-
-
- Fußnoten
-
-
-[1] Paréo -- Gürtel, einziges Kleidungsstück der Eingeborenen.
-
-[2] Leichtes, aus einem Stamm gemachtes Fahrzeug der Wilden.
-
-[3] Tupapaüs -- Geister von Verstorbenen, Kobolde und Nachtgespenster.
-
-[4] Vivo -- Musikinstrument.
-
-[5] Dieser Mahoüi scheint ebenso wie Roüa, der die Sterne schuf,
-derselbe wie Taaroa. Es sind wahrscheinlich verschiedene Namen desselben
-Gottes.
-
-[6] Die symbolische Bedeutung dieses Ritus, das klare Verbot der
-Anthropophagie, ist nicht zu verkennen.
-
-[7] Es ist zu befürchten, daß die Missionare (von denen diese
-Überlieferungen stammen) zu einem leicht zu erratenden Zweck, in diesem
-wie vielen anderen Punkten, die Vorfahren ihrer Pfarrkinder verleumdet
-haben. Aber trotz alles Brutalen, Grotesken und vielleicht Abstoßenden
-wird man doch zugeben müssen, daß dieser merkwürdige Ritus nicht einer
-eigentümlichen Schönheit entbehrt.
-
-[8] Das Wort _Mara_ kommt in der Sprache der Buddhisten vor, wo es _Tod_
-bedeutet und, davon abgeleitet, _Sünde_.
-
-[9] Die Legende ist _eine_ der vielen maorischen Erklärungen der
-Sintflut.
-
-
- Neue Auflagen im Verlage Bruno Cassirer, Berlin
-
-
- OTTO BRAUN:
- AUS NACHGELASSENEN SCHRIFTEN
- EINES FRÜHVOLLENDETEN
-
- 16. bis 45. Tausend
-
-
- FEDOR DOSTOJEWSKI: DER IDIOT
-
- Erste vollständige deutsche Ausgabe von August Scholz
-
- 8. und 9. Aufl. -- In Ganzleinen gebunden mit einer Lithographie
-
-
- FEDOR DOSTOJEWSKI: DER GATTE
-
- Deutsche Ausgabe von August Scholz
-
- 6. bis 9. Tausend -- In Halbleinen gebunden
-
-
- DIE SEELE RUSSLANDS
-
- Aus den Romanen von Fedor Dostojewski herausgegeben und eingeleitet
- von Karl Scheffler, deutsch von August Scholz
-
- In Halbleinen gebunden
-
- mit einer Lithographie von Otto Müller
-
-
- VINCENT VAN GOGH: BRIEFE
-
- Mit 16 Abbildungen -- 8. und 9. Auflage
-
- In Japankreppapier gebunden
-
-
- IWAN GONTSCHAROW, GESAMMELTE WERKE
-
- Vier Bände in Ganzleinen
-
- Buchschmuck und Entwurf des Einbandes von Professor Weiß
-
-
- Band I: EINE ALLTÄGLICHE GESCHICHTE
-
-
- Band II: OBLOMOW
-
-
- Band III/IV: DIE SCHLUCHT, Zwei Bände
-
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
-Fußnoten wurden am Ende des Buches gesammelt.
-
-Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
-Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):
-
- [S. 41]:
- ... deren Bewohner noch nach altem maorischem Brauch ...
- ... dessen Bewohner noch nach altem maorischem Brauch ...
-
- [S. 60]:
- ... Hochzeit, legal und religiös, wie die Missionare so den ...
- ... Hochzeit, legal und religiös, wie die Missionare sie den ...
-
- [S. 73]:
- ... fernstehende Geister, vermitteln sie nach der Schöpfungsfrage ...
- ... fernstehende Geister, vermitteln sie nach der Schöpfungssage ...
-
-
-
-
-*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NOA NOA ***
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-Updated editions will replace the previous one--the old editions will
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-additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
-Defect you cause.
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-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
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-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
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-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
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-from people in all walks of life.
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-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
-www.gutenberg.org
-
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation
-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state's laws.
-
-The Foundation's business office is located at 809 North 1500 West,
-Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
-to date contact information can be found at the Foundation's website
-and official page at www.gutenberg.org/contact
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-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
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-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without
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-increasing the number of public domain and licensed works that can be
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-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
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-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
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-edition.
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-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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-
-
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-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
-at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. If you
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-<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: Noa Noa</div>
-<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Paul Gauguin</div>
-<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Translator: Luise Wolf</div>
-<div style='display:block; margin:1em 0'>Release Date: August 1, 2020 [eBook #62800]<br />
-[Most recently updated: October 16, 2021]</div>
-<div style='display:block; margin:1em 0'>Language: German</div>
-<div style='display:block; margin:1em 0'>Character set encoding: UTF-8</div>
-<div style='display:block; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Produced by: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team</div>
-<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NOA NOA ***</div>
-
-<div class="frontmatter chapter">
-<p class="halftitle">
-PAUL GAUGUIN, NOA NOA
-</p>
-
-</div>
-
-<div class="frontmatter chapter">
-<p class="ill">
-MIT ACHT ABBILDUNGEN
-</p>
-
-</div>
-
-<div class="frontmatter chapter">
-<div class="centerpic frontispiz">
-<img src="images/frontispiz.jpg" alt="" /></div>
-
-</div>
-
-<div class="frontmatter chapter">
-<p class="aut">
-PAUL GAUGUIN
-</p>
-
-<h1 class="title">
-NOA NOA
-</h1>
-
-<div class="centerpic logo">
-<img src="images/logo.jpg" alt="" /></div>
-
-<p class="pub">
-<span class="line1">VERLAG VON BRUNO CASSIRER</span><br />
-<span class="line2">BERLIN</span>
-</p>
-
-</div>
-
-<div class="frontmatter chapter">
-<p class="trn">
-DEUTSCH VON LUISE WOLF
-</p>
-
-<p class="run">
-9.-12. TAUSEND
-</p>
-
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<p class="blank" title="Noa Noa">
-</p>
-
-</div>
-
-<div class="epi-container">
- <div class="epi">
-<p>
-&bdquo;Dites, qu&rsquo;avez-vous vu?&ldquo;
-</p>
-
-<p class="attr">
-Charles Baudelaire.
-</p>
-
- </div>
-</div>
-
-<p class="first">
-Nach dreiundsechzigtägiger Überfahrt, dreiundsechzig
-Tagen fieberhafter Erwartung, bemerkten wir am 8. Juni
-in der Nacht seltsame Feuer, die sich im Zickzack auf
-dem Meere bewegten. Von dem dunkeln Himmel löste
-sich ein schwarzer Kegel mit zackigen Einschnitten.
-</p>
-
-<p>
-Wir umschifften Morea und hatten Tahiti vor uns.
-</p>
-
-<p>
-Einige Stunden später begann der Tag zu grauen, wir
-näherten uns langsam den Klippen, liefen in das Fahrwasser
-ein und landeten ohne Unfall an der Rhede.
-</p>
-
-<p>
-Der erste Anblick dieses Teils der Insel bietet nichts
-Außergewöhnliches, nichts, das sich z. B. mit der herrlichen
-Bucht von Rio de Janeiro vergleichen ließe.
-</p>
-
-<p>
-Es ist der Gipfel eines zur Zeit der Sintflut überschwemmten
-Berges. Nur die äußerste Spitze ragte aus der Flut
-hervor: eine Familie flüchtete sich dahin und gründete
-ein neues Geschlecht &ndash; dann kletterten die Korallen daran
-empor, setzten sich rings um die Bergspitze fest und bildeten
-im Laufe der Jahrhunderte neues Land. Es dehnt
-sich immer noch aus, bewahrt aber den ursprünglichen
-Charakter der Einsamkeit und Abgeschiedenheit, die das
-Meer in seiner Unendlichkeit noch erhöht.
-</p>
-
-<p>
-Um zehn Uhr morgens stellte ich mich bei dem Gouverneur,
-dem Neger Lacascade, vor, der mich wie eine
-Persönlichkeit von Ansehen empfing.
-</p>
-
-<p>
-Ich verdankte diese Ehre meiner Mission, mit der die
-französische Regierung mich &ndash; ich weiß nicht warum &ndash;
-betraut hatte. Allerdings war es eine künstlerische Mission,
-aber in den Augen des Negers war dies Wort nur
-das offizielle Synonym für Spionage, und ich bemühte
-mich vergebens, ihn davon abzubringen. Jedermann in
-seiner Umgebung teilte seine irrige Ansicht, und als ich
-sagte, daß meine Mission unbezahlt sei, wollte mir dies
-niemand glauben.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Das Leben zu Papeete wurde mir bald zur Last.
-</p>
-
-<p>
-Das war ja Europa &ndash; das Europa, von dem ich mich
-zu befreien geglaubt hatte! &ndash; und dazu noch unter den
-erschwerenden Umständen des kolonialen Snobismus und
-der bis zur Karikatur grotesken Nachahmung unserer Sitten,
-Moden, Laster und Kulturlächerlichkeiten.
-</p>
-
-<p>
-Sollte ich einen so weiten Weg gemacht haben, um das
-zu finden, gerade das, dem ich entflohen war!
-</p>
-
-<p>
-Aber ein öffentliches Ereignis interessierte mich doch.
-</p>
-
-<p>
-Der König Pomare war zu dieser Zeit tödlich erkrankt,
-und die Katastrophe wurde täglich erwartet.
-</p>
-
-<p>
-Die Stadt hatte allmählich ein sonderbares Aussehen
-angenommen.
-</p>
-
-<p>
-Alle Europäer, Kaufleute, Beamte, Offiziere und Soldaten
-lachten und sangen wie sonst auf den Straßen, während
-die Eingeborenen sich mit ernsten Mienen und gedämpfter
-Stimme vor dem Palast unterhielten.
-</p>
-
-<p>
-An der Rhede auf dem blauen Meer mit seiner in der
-Sonne oft jäh aufblitzenden, silberfunkelnden Klippenreihe
-herrschte eine ungewöhnliche Bewegung orangefarbener
-Segel. Es waren die Bewohner der benachbarten Inseln,
-die herbeieilten, den letzten Augenblicken ihres Königs
-&ndash; Frankreichs definitiver Besitznahme ihres Landes beizuwohnen.
-</p>
-
-<p>
-Durch Zeichen von oben hatten sie Kunde davon erhalten:
-denn jedesmal, wenn ein König im Sterben liegt,
-bedecken die Berge sich an bestimmten Stellen bei Sonnenuntergang
-mit dunkeln Flecken.
-</p>
-
-<p>
-Der König starb und ward in großer Admiralsuniform
-öffentlich in seinem Palast ausgestellt.
-</p>
-
-<p>
-Dort sah ich die Königin Maraü &ndash; dies war ihr
-Name &ndash;, die den königlichen Saal mit Blumen und Stoffen
-schmückte. &ndash; Als der Leiter der öffentlichen Arbeiten
-mich wegen der künstlerischen Ausstattung des Leichenbegängnisses
-um Rat fragte, wies ich ihn an die Königin,
-die mit dem schönen Instinkt ihrer Rasse überall Anmut
-um sich verbreitete und alles, was sie berührte, zu einem
-Kunstwerk gestaltete.
-</p>
-
-<p>
-Bei dieser ersten Begegnung verstand ich sie jedoch nur
-unvollkommen. Menschen und Dinge, die so verschieden
-von denen waren, wie ich sie gewünscht, hatten mich
-enttäuscht, ich war angewidert von dieser ganzen europäischen
-Trivialität und zu kurze Zeit im Lande, um erkennen
-zu können, wieviel sich in dieser eroberten Rasse
-unter der künstlichen, verderblichen Tünche unserer Einführungen
-noch von Nationalität, Ursprünglichkeit und
-primitiver Schönheit erhalten hatte, ich war in mancher
-Beziehung noch blind. Ich sah auch in dieser bereits etwas
-reifen Königin nichts als eine gewöhnliche dicke Frau mit
-Spuren von edler Schönheit. Als ich sie später wiedersah,
-änderte ich mein erstes Urteil, ich unterlag dem Reize
-ihres &bdquo;maorischen Zaubers&ldquo;. Trotz aller Mischung war
-der tahitische Typus bei ihr sehr rein. Und dann gab die
-Erinnerung an ihren Vorfahren, den großen Häuptling
-Tati, ihr wie ihrem Bruder und der ganzen Familie ein
-Ansehen von wahrhaft imposanter Größe. Sie hatte die
-majestätische, prachtvolle Gestalt der Rasse dort, groß und
-doch anmutig, die Arme wie die Säulen eines Tempels
-einfach und fest, und der ganze Körperbau, diese gerade
-horizontale Schulterlinie, die oben spitz auslaufende Höhe
-erinnerte mich unwillkürlich an das heilige Dreieck, das
-Symbol der Dreieinigkeit. &ndash; In ihren Augen blitzte es zuweilen
-wie von vage auftauchender Leidenschaft, die sich
-jäh entzündet und alles ringsum entflammt, &ndash; und so vielleicht
-sind die Inseln selber einst aus dem Ozean aufgetaucht
-und die Pflanzen darauf beim ersten Sonnenstrahl erblüht.
-</p>
-
-<p>
-Alle Tahitaner kleideten sich in Schwarz und sangen
-zwei Tage lang Trauerweisen und Totenklagen. Mir war,
-als hörte ich die Sonate Pathétique.
-</p>
-
-<p>
-Dann kam der Tag der Bestattung.
-</p>
-
-<p>
-Um zehn Uhr morgens verließ der Zug den Palast.
-Truppe und Behörden in weißem Helm und schwarzem
-Frack, die Eingeborenen in ihrer düstern Tracht. Alle Distrikte
-marschierten in der Reihenfolge, und der Anführer
-eines jeden trug die französische Fahne.
-</p>
-
-<p>
-Bei Aruë wurde haltgemacht. Dort erhebt sich ein
-unbeschreibliches Monument, ein unförmlicher Haufen
-mit Zement verbundener Steine, der zu der Umgebung
-und der Atmosphäre in peinlichem Kontrast steht.
-</p>
-
-<p>
-Lacascade hielt eine Rede nach bekanntem Muster, die
-ein Dolmetscher für die anwesenden Franzosen übersetzte.
-Dann folgte eine Predigt des protestantischen Pastors, auf
-die Tati, der Bruder der Königin, ein paar Worte erwiderte
-&ndash; das war alles. Man brach auf, und die Beamten drängten
-sich in den Wagen zusammen, es erinnerte etwas an &bdquo;die
-Rückkehr von einem Rennen&ldquo;.
-</p>
-
-<p>
-Unterwegs, wo die Gleichgültigkeit der Franzosen den
-Ton angab, fand dieses seit mehreren Tagen so ernste Volk
-seine Fröhlichkeit wieder. Die Vahinas nahmen wieder
-den Arm ihrer Tanés, sprachen lebhaft und wiegten sich
-in den Hüften, während ihre kräftigen nackten Füße den
-Staub des Weges aufwühlten.
-</p>
-
-<p>
-In der Nähe des Flusses Fatüa zerstreute sich alles. Zwischen
-den Steinen versteckt, kauerten hier und dort Frauen
-mit bis zum Gürtel aufgenommenen Röcken im Wasser,
-um ihre Hüften und die vom Marsch und von der Hitze
-ermüdeten Beine zu erfrischen. So gereinigt machten sie
-sich, stolz den Busen tragend, über dem der dünne Musselin
-sich straffte, mit der Grazie und Elastizität junger gesunder
-Tiere wieder auf den Weg nach Papeete. Ein gemischtes,
-halb animalisches, halb pflanzliches Parfüm strömte von
-ihnen aus, das Parfüm ihres Blutes und der Gardenien &ndash;
-Tiaré &ndash;, die alle in den Haaren trugen.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; <em>Téiné merahi noa noa</em> (jetzt sehr wohlriechend),
-sagten sie.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-... Die Prinzessin trat in meine Kammer, wo ich leidend,
-nur mit einem Paréo<a class="fnote" href="#footnote-1" id="fnote-1">[1]</a> bekleidet, auf dem Bett lag.
-Wahrlich keine Art, eine Frau von Rang zu empfangen.
-</p>
-
-<p>
-<em>Ja orana</em> (ich grüße dich), Gauguin, sagte sie. Du bist
-krank, ich komme, um nach dir zu sehen.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Und du heißest?
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Vaïtüa.
-</p>
-
-<p>
-Vaïtüa war eine wirkliche Prinzessin, wenn es solche
-überhaupt noch gibt, seitdem die Europäer alles auf ihr
-Niveau herabgedrückt haben. Freilich war sie als einfache
-Sterbliche mit nackten Füßen, eine duftende Blume hinterm
-Ohr, in schwarzem Kleide gekommen. Sie ging in Trauer
-um den König Pomare, dessen Nichte sie war. Ihr Vater,
-Tamatoa, hatte trotz der unvermeidlichen Berührung mit
-Offizieren und Beamten, trotz der Empfänge bei dem Admiral,
-niemals etwas anders sein wollen als ein königlicher
-Maorie, ein gigantischer Raufbold in Momenten des Zornes,
-und bei abendlichen Orgien ein berühmter Zecher. Er war
-gestorben. Vaïtüa, behauptete man, gliche ihm sehr.
-</p>
-
-<p>
-Ein skeptisches Lächeln auf den Lippen, betrachtete ich
-diese gefallene Prinzessin mit der Dreistigkeit des eben
-auf der Insel gelandeten Europäers. Aber ich wollte höflich
-sein.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Es ist sehr freundlich von dir, daß du gekommen bist,
-Vaïtüa. Wollen wir zusammen einen Absinth trinken?
-</p>
-
-<p>
-Und mit dem Finger weise ich in eine Ecke der Kammer
-auf eine Flasche, die ich soeben gekauft hatte.
-</p>
-
-<p>
-Ohne Unmut noch Freude zu zeigen, geht sie einfach
-hin und bückt sich, um die Flasche zu nehmen. Bei dieser
-Bewegung spannte ihr leichtes, durchsichtiges Kleid sich
-über den Lenden, &ndash; es waren Lenden, eine Welt zu tragen!
-O, sicherlich war es eine Prinzessin! Ihre Vorfahren?
-Stolze, tapfere Riesen. Fest saß ihr stolzer, wilder Kopf auf
-den breiten Schultern. Zuerst sah ich nur ihre Menschenfresserkiefer,
-ihre zum Zerreißen bereiten Zähne, den
-lauernden Blick eines grausamen, listigen Tieres und fand
-sie trotz einer schönen edlen Stirn sehr häßlich.
-</p>
-
-<p>
-Wenn ihr nur nicht einfiele, sich auf mein Bett zu setzen!
-Ein so schwaches Gestell könnte uns beide ja nicht tragen
-...
-</p>
-
-<p>
-Aber gerade das tut sie.
-</p>
-
-<p>
-Das Bett krachte, hielt es jedoch aus.
-</p>
-
-<p>
-Beim Trinken wechseln wir einige Worte. Die Unterhaltung
-will aber nicht lebhaft werden. Sie ermattet
-schließlich, und es herrscht Schweigen. Ich beobachte
-die Prinzessin insgeheim, sie sieht mich aus einem Augenwinkel
-verstohlen an, die Zeit geht hin, und die Flasche
-leert sich. Vaïtüa trinkt tapfer. Sie dreht sich eine tahitische
-Zigarette und streckt sich auf dem Bett aus, um zu
-rauchen. Ihre Füße streichen ganz mechanisch fortwährend
-über das Holz unten am Fußende, ihre Züge besänftigen
-sich, werden sichtlich weich, ihre Augen glänzen &ndash;
-und ein regelmäßiges Pfeifen entschlüpft ihren Lippen &ndash;
-mir war, als hörte ich das Schnurren einer Katze, die auf
-blutige Genüsse sinnt.
-</p>
-
-<div class="centerpic">
-<img src="images/008a.jpg" alt="" /></div>
-
-<p>
-Da ich veränderlich bin, fand ich sie jetzt sehr schön,
-und als sie mit bewegter Stimme sagte: &bdquo;Du gefällst mir&ldquo;,
-überkam mich eine große Unruhe. Die Prinzessin war
-entschieden köstlich ...
-</p>
-
-<p>
-Ohne Zweifel, um mir zu gefallen, begann sie eine
-Fabel von La Fontaine, die <em>Grille und die Ameise</em> zu
-erzählen &ndash; eine Erinnerung aus der Zeit ihrer Kindheit
-bei den Schwestern, die sie unterrichtet hatten.
-</p>
-
-<p>
-Die ganze Zigarette war in Brand.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Weißt du, Gauguin, sagte die Prinzessin, und erhob
-sich, ich liebe deinen La Fontaine nicht.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Wie? Unsern guten La Fontaine?
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Vielleicht ist er gut, aber seine Moral ist häßlich.
-Ameisen ... (ihr Mund drückte Abscheu aus). Ja, Grillen,
-die, ah! Singen, singen, immer singen!
-</p>
-
-<p>
-Und stolz, ohne mich anzusehen, mit leuchtenden, ins
-Weite blickenden Augen fügte sie hinzu:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Wie herrlich war unser Reich, als noch nichts verkauft
-wurde! Das ganze Jahr hindurch wurde gesungen
-... Singen, immer! Immer geben! ...
-</p>
-
-<p>
-Und sie ging.
-</p>
-
-<p>
-Ich legte mich wieder auf mein Kissen zurück, und
-lange klangen die Worte: <em>Ja orana</em>, Gauguin, schmeichelnd
-in mir nach.
-</p>
-
-<p>
-Diese Episode, die mir mit dem Tode des Königs Pomare
-in Erinnerung geblieben ist, hat tiefere Spuren in
-meinem Gedächtnis hinterlassen als das Ereignis und die
-offizielle Feier.
-</p>
-
-<p>
-Die Bewohner von Papeete selber, sowohl Eingeborene
-wie Weiße, vergaßen den Verblichenen schnell. Die von
-den Nachbarinseln gekommen waren, um dem königlichen
-Leichenbegängnis beizuwohnen, fuhren wieder fort, noch
-einmal kreuzten Tausende von orangefarbenen Segeln das
-blaue Meer, und alles nahm wieder seinen gewohnten
-Gang.
-</p>
-
-<p>
-Es gab nur einen König weniger.
-</p>
-
-<p>
-Mit ihm verschwanden die letzten Spuren alter Traditionen.
-Mit ihm schloß die Geschichte der Maorie ab.
-Sie war zu Ende. Die Zivilisation &ndash; Soldaten, Handel
-und Beamtentum &ndash; triumphierte, leider!
-</p>
-
-<p>
-Eine tiefe Traurigkeit bemächtigte sich meiner. Der
-Traum, welcher mich nach Tahiti geführt, wurde durch
-die Tatsachen grausam verscheucht. Ich liebte das Tahiti
-von eh, das jetzige flößte mir Grauen ein.
-</p>
-
-<p>
-Doch als ich die noch erhaltene physische Schönheit
-der Rasse sah, konnte ich nicht daran glauben, daß sie
-nichts von ihrer antiken Größe, von ihren persönlichen
-und natürlichen Sitten, von ihrem Glauben und ihren
-Legenden bewahrt haben sollte. Aber wie die Spuren
-dieser Vergangenheit, wenn sie solche hinterlassen hat,
-allein entdecken? wie sie ohne Führung erkennen? Wie
-das Feuer wieder entzünden, von dem selbst die Asche
-zerstreut ist?
-</p>
-
-<p>
-So niedergeschlagen ich auch sein mag, pflege ich mein
-Vorhaben doch niemals aufzugeben, ohne alles, selbst &bdquo;das
-Unmögliche&ldquo; versucht zu haben, um zum Ziele zu gelangen.
-</p>
-
-<p>
-Mein Entschluß war bald gefaßt. Ich beschloß, Papeete
-zu verlassen, mich von dem europäischen Mittelpunkt zu
-entfernen.
-</p>
-
-<p>
-Ich fühlte, daß, wenn ich das Leben der Eingeborenen
-im Busch völlig mit ihnen teilte, ich allmählich das Vertrauen
-der Maorie gewinnen und &ndash; sie kennenlernen
-würde.
-</p>
-
-<p>
-Und eines Morgens machte ich mich in meinem Wagen
-auf, den ein Offizier mir liebenswürdig zur Verfügung
-gestellt hatte, um &bdquo;meine Hütte&ldquo; zu suchen.
-</p>
-
-<p>
-Meine Vahina namens Titi begleitete mich. Halb englischer,
-halb tahitischer Abstammung sprach sie etwas
-Französisch. Für diese Fahrt hatte sie ihr schönstes Kleid
-angelegt, die Tiaré hinterm Ohr, ihren oben mit Band,
-unten mit Strohblumen und einer Garnitur orangefarbener
-Muscheln geputzten Basthut aufgesetzt und das lange
-schwarze Haar aufgelöst über die Schultern hängen. Sie
-war stolz, in einem Wagen zu fahren, stolz, so elegant und
-die Vahina eines Mannes zu sein, den sie für einflußreich
-und vermögend hielt, und war wirklich hübsch in ihrem
-Stolz, der nichts Lächerliches hatte, so sehr paßt die majestätische
-Miene zu dieser Rasse, die im Andenken an die
-weit zurückreichende Geschichte ihrer Herrschaft und eine
-unbestimmte Reihe großer Häuptlinge diesen herrlichen
-Stolz bewahrt. &ndash; Ich wußte zwar, daß ihre sehr berechnete
-Liebe in den Augen der Pariser nicht schwerer gewogen
-hätte als die feile Gefälligkeit einer Dirne. Aber
-die Liebesglut einer maorischen Kurtisane ist etwas ganz
-anderes als die Passivität einer Pariser Kokotte &ndash; ganz
-etwas anderes! Es ist ein Feuer in ihrem Blute, das Liebe,
-seine eigentliche Nahrung, erweckt, das Liebe atmet.
-Diese Augen und dieser Mund können nicht lügen, ob
-uneigennützig oder nicht, es spricht immer Liebe aus ihnen.
-</p>
-
-<p>
-Der Weg durch die reiche und einförmige Landschaft
-war bald zurückgelegt. Zur Rechten immer das Meer,
-die Korallenriffe und Wasserfälle, die zuweilen wie Dampf
-zerstoben, wenn die Wellen in zu ungestüme Berührung
-mit den Felsen kamen. Zur Linken den Busch mit der
-Aussicht auf große Wälder.
-</p>
-
-<p>
-Mittags hatten wir unsere fünfundvierzig Kilometer
-hinter uns und erreichten den Distrikt von Mataiëa.
-</p>
-
-<p>
-Ich sah mich um und fand schließlich eine leidlich
-hübsche Hütte, die der Eigentümer mir zur Miete überließ.
-Er baute sich daneben eine neue, die er bewohnen
-wollte.
-</p>
-
-<p>
-Am Abend des nächsten Tages, als wir nach Papeete zurückkehrten,
-fragte mich Titi, ob ich sie nicht mit mir
-nehmen wolle.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Später, in einigen Tagen, wenn ich eingerichtet sein
-werde, sagte ich.
-</p>
-
-<p>
-Titi hatte in Papeete einen furchtbaren Ruf, nachdem
-sie mehrere Liebhaber unter die Erde gebracht. Aber
-nicht das machte mich ihr abwendig. Sie hatte als halbe
-Weiße, und trotz Spuren tiefer, origineller und echt maorischer
-Eigentümlichkeiten durch zahlreiche Beziehungen
-viel von ihren &bdquo;Rassemerkmalen&ldquo; eingebüßt. Ich fühlte,
-daß sie mich nichts von dem lehren konnte, was ich wissen
-wollte, und mir nichts von dem erlesenen Glück gewähren,
-das ich begehrte.
-</p>
-
-<p>
-Außerdem sagte ich mir, daß ich auf dem Lande finden
-würde, was ich suchte und nur zu wählen brauchte.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Von einer Seite das Meer, an der anderen das Gebirge,
-zerklüftetes Gebirge, ein enormer Spalt, den ein an dem
-Felsen lehnender, hoher Mangobaum verdeckt.
-</p>
-
-<p>
-Zwischen Berg und Meer steht meine Hütte vom Holze
-des Bourao. Daneben eine zweite, die ich nicht bewohne,
-<em>die faré amu</em> (Speisehütte).
-</p>
-
-<p>
-Morgen.
-</p>
-
-<p>
-Auf dem Meere nahe am Strande sehe ich eine Piroge<a class="fnote" href="#footnote-2" id="fnote-2">[2]</a>
-und darin eine halbnackte Frau. Am Strande einen Mann,
-ebenfalls unbekleidet. Ein kranker Kokosnußbaum mit
-verschrumpften Blättern gleicht einem ungeheuren Papagei,
-der seinen vergoldeten Schwanz herabhängen läßt und
-eine volle Traube in den Krallen hält. Mit harmonischer
-Gebärde hebt der Mann mit beiden Händen ein schweres
-Beil, das oben auf dem silbrigen Himmel eine blaue Spur,
-unten einen rosigen Einschnitt auf dem abgestorbenen
-Stamme hinterläßt, wo die von Tag zu Tag aufgesparte
-Glut von Jahrhunderten in den Flammen eines Augenblicks
-wieder aufleben wird.
-</p>
-
-<p>
-Lange schlangenartige Blätter von einem metallischen
-Gelb auf dem purpurnen Boden gemahnten mich an die
-Züge einer geheimen, religiösen, alten Schrift. Deutlich
-bildeten sie das heilige Wort australischen Ursprungs ATUA
-&ndash; Gott &ndash; den Taäta oder Takata oder Tathagata, der in
-ganz Indien überall herrschte. Und wie eines mystischen
-Zuspruchs in meiner schönen Einsamkeit und meiner
-schönen Armut erinnerte ich mich wieder der Worte des
-Weisen:
-</p>
-
-<div class="em">
-<p>
-In den Augen des Tathagata ist die herrlichste
-Pracht von Königen und seinen Ministern nichts
-als Auswurf und Staub.
-</p>
-
-<p>
-In seinen Augen ist Reinheit und Unreinheit
-wie der Tanz der sechs Nagas.
-</p>
-
-<p>
-In seinen Augen ist das Suchen nach dem Anblick
-des Buddha gleich den Blumen.
-</p>
-
-</div>
-
-<p>
-In der Piroge ordnete die Frau einige Netze.
-</p>
-
-<p>
-Die blaue Linie des Meeres wurde häufig von dem Grün
-der Wogenkämme unterbrochen, die an den Korallenriffen
-brandeten.
-</p>
-
-<p>
-Abend.
-</p>
-
-<p>
-Ich war an den Strand gegangen, um eine Zigarette zu
-rauchen.
-</p>
-
-<p>
-Die rasch bis zum Horizont gesunkene Sonne versteckte
-sich schon zur Hälfte hinter der Insel Morea, die mir zur
-Rechten lag. In dem Zwielicht standen die Berge, deren
-Vorsprünge alten, mit Zinnen gekrönten Schlössern glichen,
-in festen schwarzen Silhouetten auf der violetten
-Glut des Himmels.
-</p>
-
-<p>
-Kein Wunder, daß mich vor diesen natürlichen Bauwerken
-Herrscher-Visionen verfolgen! Der Gipfel dort
-unten hat die Gestalt eines riesigen Helmes. Die Wogen
-ringsum, deren Rauschen wie das Lärmen einer gewaltigen
-Menge klingt, werden ihn niemals erreichen. Unter der
-Ruinenpracht steht der Helm allein, Beschützer und Zeuge,
-ein Nachbar des Himmels. Ich fühle von dem Haupte
-droben einen heimlichen Blick in die Wasser tauchen, die
-einst das sündige Geschlecht der Lebenden verschlungen
-hatten, und von dem weiten Spalt, der sein Mund sein
-könnte, fühle ich ein Lächeln der Ironie oder des Mitleids
-über das Wasser schweifen, wo die Vergangenheit schläft.
-</p>
-
-<p>
-Die Nacht brach schnell herein. Morea schlief.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Stille! Ich lernte die Stille einer tahitischen Nacht
-kennen.
-</p>
-
-<p>
-Ich vernahm nichts als das Schlagen meines Herzens
-in der Stille.
-</p>
-
-<p>
-Aber die Mondstrahlen fielen durch das in gleicher Entfernung
-voneinander stehende Bambusrohr vor meiner
-Hütte bis auf mein Bett. Und dieser gleichmäßige Schein
-erweckte in mir die Vorstellung eines Musikinstrumentes,
-der Rohrpfeife der Alten, die den Maories bekannt ist und
-von ihnen <em>Vivo</em> genannt wird. Mond und Bambusrohr
-zeichneten es übertrieben: als ein Instrument, das tagsüber
-schweigt, aber nachts, dank dem Monde, dem Träumer
-liebe Melodien ins Gedächtnis zurückruft. Ich schlief bei
-dieser Musik ein.
-</p>
-
-<p>
-Zwischen dem Himmel und mir nichts als das hohe,
-leichte Dach von Pandanusblättern, in denen die Eidechsen
-nisten.
-</p>
-
-<p>
-Ich bin weit fort von jenen Gefängnissen, den europäischen
-Häusern!
-</p>
-
-<p>
-Eine maorische Hütte trennt den Menschen nicht vom
-Leben, von Raum und Unendlichkeit ...
-</p>
-
-<p>
-Indessen fühlte ich mich dort sehr einsam.
-</p>
-
-<p>
-Die Bewohner der Gegend und ich beobachteten einander
-gegenseitig, und der Abstand zwischen uns blieb
-der gleiche.
-</p>
-
-<p>
-Seit dem zweiten Tage waren meine Vorräte erschöpft.
-Was tun? Ich hatte geglaubt, für Geld alles Notwendige
-zu finden. Ich hatte mich jedoch getäuscht. Sobald man
-die Stadt verlassen hat, muß man sich an die Natur halten,
-um zu leben, und sie ist reich, sie ist freigebig und verweigert
-keinem einen Anteil an ihren Schätzen, die unerschöpflich
-an Bäumen, in den Bergen und im Meere aufgespeichert
-sind. Aber man muß verstehen, auf die hohen
-Bäume zu klettern, die Berge zu besteigen und mit schwerer
-Beute beladen zurückkehren, man muß Fische fangen,
-tauchen, auf dem Meeresgrund die fest an den Steinen
-haftenden Muscheln losreißen können, &ndash; man muß wissen,
-muß können.
-</p>
-
-<p>
-Ich, der Kulturmensch, stand in dieser Hinsicht weit
-hinter den Wilden zurück. Ich beneidete sie. Ich sah
-ihr glückliches, friedliches Leben um mich her, ohne
-größere Anstrengung, als die täglichen Bedürfnisse es erforderten
-&ndash; ohne die geringste Sorge um Geld. Wem
-sollte man etwas verkaufen, wo die Erzeugnisse der Natur
-jedem zu Gebote stehen?
-</p>
-
-<p>
-Da, als ich mit leerem Magen auf der Schwelle meiner
-Hütte saß und betrübt an meine Lage und die unvorhergesehenen,
-vielleicht unüberwindlichen Hindernisse dachte,
-die die Natur zwischen sich und den Kulturmenschen
-stellt &ndash; bemerkte ich einen Eingeborenen, der mir gestikulierend
-etwas zurief. Die sehr ausdrucksvollen Gebärden
-ersetzten die Worte, und ich verstand, daß mein Nachbar
-mich zum Essen einlud. Mit einem Kopfschütteln
-lehnte ich ab. Dann ging ich beschämt, ich glaube ebensosehr,
-weil ich das Anerbieten zurückgewiesen, wie wenn
-ich es angenommen hätte, in meine Hütte zurück.
-</p>
-
-<p>
-Nach einigen Minuten stellte ein kleines Mädchen, ohne
-etwas zu sagen, gekochtes Gemüse und sauber von frisch
-gepflückten grünen Blättern umhüllte Früchte vor meine
-Tür. Ich war hungrig. Und ebenfalls ohne ein Wort zu
-sagen, nahm ich es an.
-</p>
-
-<p>
-Kurz darauf ging der Mann an meiner Hütte vorüber
-und fragte lächelnd, ohne stehen zu bleiben:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Païa?
-</p>
-
-<p>
-Ich erriet: Bist du zufrieden?
-</p>
-
-<p>
-Das war der Beginn gegenseitiger Vertraulichkeit zwischen
-mir und den Wilden.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wilde!&ldquo; dieses Wort kam mir unwillkürlich über die
-Lippen, als ich diese schwarzen Wesen mit den Kannibalen-Zähnen
-betrachtete. Doch bald erkannte ich ihre
-echte, ihre fremdartige Anmut ... Wie jenes braune Köpfchen
-mit den sanften niedergeschlagenen Augen, jenes
-Kind unter Büschen großer Blätter des Giromon mich
-eines Morgens ohne mein Wissen beobachtete und entfloh,
-als mein Blick dem seinen begegnete ...
-</p>
-
-<p>
-Wie sie mir, war ich ihnen ein Gegenstand der Beobachtung
-und eine Ursache des Staunens, einer, dem alles
-neu war, der nichts kannte. Denn ich kannte weder ihre
-Sprache, noch ihre Gebräuche, selbst nicht die einfachsten
-notwendigen Handgriffe. &ndash; Wie jeder von ihnen für mich,
-war ich für jeden von ihnen ein Wilder.
-</p>
-
-<p>
-Und wer von uns beiden hatte recht?
-</p>
-
-<p>
-Ich versuchte zu arbeiten, machte allerlei Notizen und
-Skizzen.
-</p>
-
-<p>
-Aber die Landschaft mit ihren starken, reinen Farben
-blendete mich, machte mich blind. Ich war immer unentschieden,
-suchte und suchte ...
-</p>
-
-<p>
-Und dabei war es so einfach zu malen, wie ich es sah,
-ohne viel Überlegung ein Rot neben ein Blau zu setzen!
-Vergoldete Gestalten in Bächen und am Strande entzückten
-mich, warum zögerte ich, diesen Sonnenjubel auf
-meine Leinwand zu bannen.
-</p>
-
-<p>
-Oh! diese alten europäischen Überlieferungen! die furchtsame
-Ausdrucksart entarteter Rassen!
-</p>
-
-<p>
-Um mich mit dem eigentümlichen Charakter eines tahitischen
-Gesichts vertraut zu machen, wollte ich das
-Porträt einer meiner Nachbarinnen, einer jungen Frau
-rein tahitischer Abstammung, machen. &ndash; Eines Tages
-faßte sie sich ein Herz, in meine Hütte zu kommen
-und sich Photographien von Bildern anzusehen, mit
-denen ich eine Wand meiner Kammer tapeziert hatte.
-Sie betrachtete sie lange, mit ganz besonderem Interesse
-die <em>Olympia</em>.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Wie gefällt dir das? fragte ich sie. (Ich hatte in den
-zwei Monaten, wo ich nicht mehr fanzösisch sprach, ein
-paar tahitische Worte gelernt.)
-</p>
-
-<p>
-Meine Nachbarin erwiderte:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Sie ist sehr schön.
-</p>
-
-<p>
-Ich lächelte über diese Bemerkung, und sie rührte mich.
-Hatte sie denn Verständnis für das Schöne? Was aber
-würden die Professoren der Akademie der Schönen Künste
-dazu sagen?
-</p>
-
-<p>
-Nach einem fühlbaren Schweigen, wie es einer Gedankenfolgerung
-vorauszugehen pflegt, fügte sie plötzlich hinzu:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ist das deine Frau?
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ja.
-</p>
-
-<p>
-Ich scheute diese Lüge nicht. Ich, der <em>Tané</em> der
-schönen Olympia!
-</p>
-
-<p>
-Während sie neugierig einige religiöse Kompositionen
-der italienischen Primitiven prüfte, begann ich eilig, ohne
-daß sie es sah, ihr Porträt zu skizzieren.
-</p>
-
-<p>
-Sie merkte es plötzlich, rief schmollend &ndash; Aïta! (Nein)
-und lief davon.
-</p>
-
-<p>
-Eine Stunde später war sie in einem schönen Kleid, die
-Tiaré hinterm Ohr, wieder da. &ndash; Geschah es aus Koketterie?
-aus Freude, nach der Weigerung freiwillig nachzugeben?
-Oder war es einfach das Lockende der verbotenen
-Frucht, die man sich selber verwehrt? Oder noch einfacher
-vielleicht bloße Laune, ohne jeden andern Beweggrund,
-wie die Maories sie gewohnt sind?
-</p>
-
-<p>
-Ohne Zögern machte ich mich an die Arbeit, ohne Zögern
-und fieberhaft. Ich war mir bewußt, daß von meiner
-Leistung als Maler die physische und moralische Ergebenheit
-des Modells, eine rasche, stillschweigende, unweigerliche
-Einwilligung abhing.
-</p>
-
-<p>
-Nach unsern Regeln der Ästhetik war sie wenig schön.
-</p>
-
-<p>
-Aber sie war schön.
-</p>
-
-<p>
-Ihre Züge waren von einer raffaelischen Harmonie, und
-den Mund hatte ein Bildhauer modelliert, der es versteht,
-in eine einzige bewegliche Linie alle Freude und alles
-Leid zu legen.
-</p>
-
-<p>
-Ich arbeitete hastig und leidenschaftlich, denn ich wußte
-wohl, daß auf die Zustimmung noch nicht zu rechnen
-war. Ich zitterte davor, in diesen großen Augen Furcht
-zu lesen und Verlangen nach dem Unbekannten, die Melancholie
-bitterer Erfahrung, die jeder Lust zugrunde
-liegt, wie das unfreiwillige, souveräne Gefühl der
-Selbstbeherrschung. Solche Geschöpfe scheinen uns zu
-unterliegen, wenn sie sich uns geben, und unterliegen doch
-nur ihrem eigenen Willen. Sie beherrscht eine Kraft, die
-etwas Übermenschliches hat &ndash; oder vielleicht etwas göttlich
-Animalisches.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Jetzt arbeitete ich freier, besser.
-</p>
-
-<p>
-Aber meine Einsamkeit quälte mich. Ich sah in dieser
-Gegend zwar junge Frauen und Mädchen mit ruhigem
-Blick, echte Tahitianerinnen, und einige darunter hätten
-vielleicht gern das Leben mit mir geteilt. &ndash; Aber ich wagte
-nicht sie anzureden. Sie schüchterten mich wirklich ein
-mit ihrem sicheren Blick, der Würde ihrer Haltung und
-den stolzen Gebärden.
-</p>
-
-<p>
-Dennoch wollen alle &bdquo;genommen&ldquo;, buchstäblich brutal
-genommen sein (<em>maü</em>, ergreifen), ohne ein Wort. Alle
-haben den geheimen Wunsch nach Vergewaltigung: weil
-durch diesen Akt männlicher Autorität der Weibwille seine
-volle Unverantwortlichkeit behält &ndash; denn so hat es ja
-nicht seine Einwilligung zum Beginn einer dauernden
-Liebe gegeben. Möglich, daß dieser erst so empörenden
-Gewalt ein tiefer Sinn zugrunde liegt, möglich auch, daß
-sie ihren wilden Reiz hat. Ich dachte wohl daran, aber
-ich wagte es nicht.
-</p>
-
-<p>
-Und dann hielt man mehrere von ihnen für krank, von
-jener Krankheit befallen, die den Wilden als erste Stufe
-des Kulturlebens von den Europäern gebracht wird ...
-</p>
-
-<p>
-Und wenn die Alten, auf eine von ihnen weisend, zu
-mir sagten:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Maü téra (nimm diese), hatte ich weder die notwendige
-Kühnheit noch Vertrauen. Ich ließ Titi sagen, daß
-ich sie mit Vergnügen wieder aufnehmen wolle.
-</p>
-
-<p>
-Sie kam sogleich.
-</p>
-
-<p>
-Der Versuch mißglückte, und an der Langeweile, die
-ich in der Gesellschaft dieser an den banalen Luxus der
-Beamten gewöhnten Frau empfand, konnte ich ermessen,
-welche Fortschritte ich bereits in dem schönen Leben der
-Wilden gemacht hatte.
-</p>
-
-<p>
-Nach Verlauf einiger Wochen schieden Titi und ich
-für immer voneinander.
-</p>
-
-<p>
-Ich war wieder allein.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Meine Nachbarn sind mir Freunde geworden. Ich esse
-und kleide mich wie sie. Wenn ich nicht arbeite, teile
-ich ihr Leben der Einfalt und der Freude, das sich zuweilen
-jäh in Ernst verwandelt.
-</p>
-
-<p>
-Abends versammelt man sich in Gruppen am Fuße der
-buschigen Sträucher, die die zerzausten Wipfel der Kokosnußbäume
-überragen, oder Männer und Frauen, Greise
-und Kinder vereinen sich. Die einen stammen aus Tahiti,
-andere von den Tongas- und wieder andere von den Marquesas-Inseln.
-Die matten Töne ihrer Körper stimmen
-harmonisch zu dem Sammet des Laubes, und aus ihrer
-kupfernen Brust steigen zitternd Melodien, die von den
-rauhen Stämmen der Kokosnußbäume gedämpft zurückgeworfen
-werden. Es sind tahitische Gesänge, die <em>Iménés</em>.
-</p>
-
-<p>
-Eine Frau beginnt, ihre Stimme erhebt sich gleich einem
-Vogel im Fluge und geht durch alle Töne bis zum höchsten
-der Tonleiter, steigt und singt in starken Modulationen
-und schwebt schließlich über den Stimmen der übrigen
-Frauen, die ihrerseits nun auffliegen, wenn man so sagen
-darf, ihr folgen und sie getreulich begleiten. Mit einem
-einzigen gutturalen, barbarischen Schrei schließen zuletzt
-alle Männer einstimmig den Gesang.
-</p>
-
-<p>
-Zuweilen kommt man zum Plaudern oder Singen in
-einer Hütte zusammen.
-</p>
-
-<p>
-Mit einem Gebet wird begonnen, ein Greis spricht es
-gewissenhaft vor, und alle Anwesenden wiederholen es.
-Dann wird gesungen, oder es werden lustige Geschichten
-erzählt. Der Inhalt dieser Erzählungen ist sehr zart, kaum
-greifbar, es sind in das Gewebe gestickte, durch ihre Naivität
-so feine Details, die sie belustigen.
-</p>
-
-<p>
-Seltener gibt man sich mit der Erörterung ernster Fragen
-oder weiser Vorschläge ab. Eines Abends wurde folgender
-gemacht, den ich nicht ohne Staunen hörte:
-</p>
-
-<div class="centerpic">
-<img src="images/024a.jpg" alt="" /></div>
-
-<p>
-&ndash; In unserm Dorf, sagte ein Greis, sieht man hier und
-dort zerfallene Häuser, geborstene Mauern und morsche
-halboffene Dächer, durch die Nässe dringt, wenn es zufällig
-einmal regnet. Warum? Jedermann hat das Recht,
-vor Wind und Wetter geschützt zu sein. Es fehlt weder
-an Holz noch an Laub zur Herstellung der Dächer. Ich
-schlage vor, gemeinschaftlich geräumige solide Hütten an
-Stelle der unbewohnbar gewordenen zu bauen. Wir wollen
-alle der Reihe nach Hand anlegen.
-</p>
-
-<p>
-Alle Anwesenden spendeten ihm ohne Ausnahme Beifall:
-</p>
-
-<p>
-Der Antrag des Greises wurde einstimmig angenommen.
-</p>
-
-<p>
-Ein kluges und gutes Volk, dachte ich, als ich abends
-nach Hause kam.
-</p>
-
-<p>
-Aber am folgenden Tage, als ich mich nach dem Beginn
-der gestern verabredeten Arbeit erkundigte, merkte
-ich, daß niemand mehr daran dachte. Das tägliche Leben
-nahm wieder seinen Gang, und die von dem weisen Ratgeber
-bezeichneten Häuser blieben zerfallen wie zuvor.
-</p>
-
-<p>
-Auf meine Fragen erhielt ich nur ein ausweichendes
-Lächeln zur Antwort.
-</p>
-
-<p>
-Aber gerunzelte Brauen zogen bedeutsame Linien in
-diese träumerischen Stirnen.
-</p>
-
-<p>
-Ich zog mich verwirrt, aber mit dem Gefühl zurück,
-eine tüchtige Lektion von meinen Wilden erhalten zu
-haben. Sie taten wahrlich recht, dem Vorschlag des Greises
-beizustimmen. Vielleicht hatten sie auch recht, dem gefaßten
-Entschluß nicht weiter Folge zu leisten.
-</p>
-
-<p>
-Wozu arbeiten? Die Götter sind da, ihren Getreuen
-von den Gütern der Natur zu spenden.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Morgen?
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Vielleicht! aber was auch geschehen mag, heiter
-und wohltätig wird die Sonne morgen aufgeben, wie sie
-es heute getan.
-</p>
-
-<p>
-Ist das Sorglosigkeit, Leichtsinn, Unbeständigkeit? Oder
-vielleicht tiefe Philosophie? &ndash; Wer weiß? Hütet euch vor
-dem Luxus! Hütet euch, unter dem Vorwande der Vorsorge
-Geschmack daran zu finden und ihn für notwendig
-zu halten ...
-</p>
-
-<p>
-Das Leben gestaltete sich täglich besser. Ich verstehe
-die Sprache der Maories jetzt ziemlich gut und werde sie
-bald ohne Mühe sprechen können.
-</p>
-
-<p>
-Meine Nachbarn &ndash; drei ganz in der Nähe und andere
-zahlreiche in einiger Entfernung voneinander &ndash; betrachten
-mich als einen der Ihren.
-</p>
-
-<p>
-In der fortwährenden Berührung mit den Kieselsteinen
-sind meine Füße abgehärtet und an den Boden gewöhnt.
-Mein fast beständig nackter Körper leidet nicht mehr unter
-der Sonne.
-</p>
-
-<p>
-Die Zivilisation verläßt mich allmählich.
-</p>
-
-<p>
-Ich fange an einfach zu denken, nur wenig Haß gegen
-meinen Nächsten zu empfinden &ndash; eher ihn zu lieben.
-</p>
-
-<p>
-Ich genieße alle Freuden des Lebens &ndash; animalische
-wie menschliche. Bin alles Erkünstelten, aller Konvention,
-aller Gewohnheiten ledig. Ich komme der Wahrheit nahe,
-der Natur. Mit der Gewißheit, eine Reihe freier, schöner
-Tage wie der heutige vor mir zu haben, senkt sich Friede
-auf mich herab, ich entwickle mich normal und beschäftige
-mich nicht mit unnützen Dingen.
-</p>
-
-<p>
-Ich habe einen Freund gewonnen.
-</p>
-
-<p>
-Er ist von selber zu mir gekommen, und ich darf gewiß
-sein, daß kein niedriger Eigennutz ihn dazu veranlaßt hat.
-</p>
-
-<p>
-Es ist einer meiner Nachbarn, ein schlichter, sehr schöner,
-junger Bursche.
-</p>
-
-<p>
-Meine farbigen Bilder und meine Holzschnitzereien
-haben seine Neugierde geweckt; meine Antworten auf
-seine Fragen haben ihn belehrt. Es vergeht kein Tag, an
-dem er mir nicht beim Malen oder Schnitzen zuschaut ...
-</p>
-
-<p>
-Noch jetzt, nach so langer Zeit, erinnere ich mich gern
-der wahren, echten Gefühle, die ich in dieser wahren,
-echten Natur erweckte.
-</p>
-
-<p>
-Abends, wenn ich von meiner Arbeit ausruhte, plauderten
-wir miteinander. Als neugieriger junger Wilder fragte
-er mich nach europäischem Leben, besonders nach Liebessachen,
-und mehr als einmal brachten seine Fragen mich
-in Verlegenheit.
-</p>
-
-<p>
-Aber seine Antworten waren noch naiver als seine
-Fragen.
-</p>
-
-<p>
-Eines Tages gab ich ihm meine Werkzeuge und ein
-Stück Holz, ich wollte, daß er den Versuch machte zu
-schnitzen. Verwirrt und schweigend schaute er mich erst
-an, dann gab er mir Holz und Werkzeug wieder zurück
-und sagte schlicht und treuherzig, ich sei nicht wie die
-andern, ich verstände Dinge, zu denen andere Menschen
-unfähig wären, und sei <em>andern nützlich</em>.
-</p>
-
-<p>
-Ich glaube, Jotéfa ist der erste Mensch, der mir das gesagt
-hat &ndash; es war die Sprache des Wilden oder des Kindes,
-denn man muß eins von beiden sein, nicht wahr, um zu
-glauben, daß ein Künstler &ndash; ein <em>nützlicher Mensch</em> sei.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Einmal brauchte ich Rosenholz zu meiner Schnitzerei.
-Ich wollte einen festen starken Stamm und fragte Jotéfa
-um Rat.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Man muß in die Berge gehen, sagte er. Ich weiß an
-einer bestimmten Stelle mehrere schöne Bäume. Wenn du
-willst, führe ich dich hin. Wir fällen einen Baum, der dir
-zusagt, und tragen ihn zusammen her.
-</p>
-
-<p>
-Zeitig am Morgen brachen wir auf. Die Fußsteige auf
-Tahiti sind ziemlich beschwerlich für einen Europäer, und
-das Gehen im Gebirge erfordert, selbst für die Eingeborenen,
-eine Kraftanstrengung, zu der sie sich nicht unnötig entschließen.
-</p>
-
-<p>
-Zwischen zwei Bergen, zwei steilen Basaltwänden, die
-nicht zu erklimmen sind, gähnt ein Spalt, in dem das Wasser
-sich zwischen Felsblöcken hindurchwindet, die sich von
-der Seitenwand gelöst haben, um einer Quelle den Weg
-zu bahnen. Die zum Bach angewachsene Quelle hat an
-ihnen gerüttelt und gerückt und sie schließlich etwas
-weiter fortgedrängt, bis der Bach, zum Strom angeschwollen,
-sie mitgerissen und bis zum Meer getragen. An jeder Seite
-dieses Baches führt, oft von wahren Kaskaden unterbrochen,
-eine Art von Weg durch ein buntes Gemisch von Bäumen,
-Brotbäumen, Eisenbäumen, Bouraos, Kokosnußbäumen,
-Hibiscus, Pandanus, Guavabäumen und Riesenfarnen, eine
-tolle Vegetation, die immer wilder und dichter und schließlich
-zu einem immer undurchdringlicheren Dickicht wird,
-je weiter man zum Mittelpunkt der Insel vordringt.
-</p>
-
-<p>
-Wir gingen beide nackt, mit dem weißblauen Paréo
-umgürtet, das Beil in der Hand und mußten unzählige
-Male den Bach durchschreiten, um ein Stück Weges abzuschneiden,
-den mein Führer mehr mit dem Geruche als
-mit dem Auge zu entdecken schien, denn ein prächtiges
-Gewirr von Gras, Blättern und Blumen hatte den Boden
-ganz bedeckt.
-</p>
-
-<p>
-Es herrschte vollkommene Stille, trotz des klagenden
-Rauschens des Wassers in den Felsen, eines einförmigen
-Rauschens, einer sanften, leisen Klage &ndash; wie die Begleitung
-der Stille.
-</p>
-
-<p>
-Und in diesem Walde, in dieser Einsamkeit, dieser Stille
-wir beide allein, &ndash; er, ein ganz junger Mann, und ich,
-fast ein Greis, dem viele Illusionen den zarten Hauch von
-der Seele gestreift, viele Anstrengungen den Körper erschlafft
-und eine physisch und moralisch kranke Gesellschaft
-ihre Laster, dies alte verhängnisvolle Erbe hinterlassen!
-</p>
-
-<p>
-Mit der animalisch geschmeidigen Anmut seiner Androgynen-Gestalt
-schritt er vor mir her. Ich meinte die
-ganze Pflanzenpracht ringsum in ihm verkörpert zucken
-und leben zu sehen.
-</p>
-
-<p>
-War es ein Mensch, der da vor mir ging? War es der
-kindliche Freund, bei dem mich das Einfache und Komplizierte
-seiner Natur zugleich angezogen? War es nicht
-vielmehr der Wald selber, der lebendige Wald, geschlechtlos
-und &ndash; verführerisch?
-</p>
-
-<p>
-Bei diesen nackten Völkerschaften ist der Unterschied
-der Geschlechter, wie bei den Tieren, weniger betont als
-in unsern Klimaten. Mit Gürtel und Schnürleib ist es uns
-gelungen, aus der Frau eine Anomalie, ein künstliches
-Wesen zu schaffen, das die Natur uns, den Gesetzen der
-Vererbung gehorchend, zu komplizieren und zu entkräften
-hilft, und das wir sorgfältig in einem Zustand nervöser
-Schwäche und unzulänglicher Muskelkraft erhalten, indem
-wir es vor Ermüdung bewahren und ihm die Gelegenheit
-nehmen, sich zu entwickeln. Da unsere Frauen nach einem
-so bizarren Ideal von Schlankheit geformt sind &ndash; bei dem
-wir, seltsam genug, verharren &ndash;, haben sie nichts Gemeinsames
-mehr mit uns, was vielleicht nicht ohne ernste
-moralische und soziale Nachteile bleibt.
-</p>
-
-<p>
-Auf Tahiti kräftigt die Wald- und Meeresluft die Lungen,
-macht Schultern und Hüften breit, und weder Männer
-noch Frauen werden von den Strahlen der Sonne und den
-Kieselsteinen am Strande verschont. Sie verrichten zusammen
-die gleichen Arbeiten, mit demselben Fleiß oder
-demselben Gleichmut. Es ist etwas Männliches an diesen,
-und an jenen etwas Weibliches.
-</p>
-
-<p>
-Diese Ähnlichkeit der Geschlechter erleichtert ihre Beziehungen,
-und die stete Nacktheit gibt den Sitten eine
-natürliche Unschuld und vollkommene Reinheit, weil den
-Gemütern die Beschäftigung mit dem gefährlichen Mysterium
-fehlt, das einen &bdquo;glücklichen Zufall&ldquo; so bedeutungsvoll
-macht, und ihnen das verstohlene oder sadistische
-Wesen der Liebe bei den Kulturmenschen fremd ist.
-Mann und Frau, die Kameraden und mehr Freunde als
-Liebende sind, leben in Freud und Leid fast unausgesetzt
-zusammen, und selbst den Begriff des Lasters kennen sie
-nicht.
-</p>
-
-<p>
-Warum erwachte in diesem Rausch von Duft und Licht
-nun plötzlich bei dem alten Kulturmenschen, mit dem Reiz
-des Neuen, Unbekannten, trotz der geringeren sexuellen
-Unterschiede, jene furchtbare Begierde?
-</p>
-
-<p>
-Das Fieber pochte in meinen Schläfen und mir wankten
-die Knie.
-</p>
-
-<p>
-Aber der Weg war zu Ende, mein Gefährte wandte sich,
-um den Bach zu durchschreiten, und kehrte sich mir bei
-der Bewegung zu: der Androgyne war verschwunden. Es
-war ein wirklicher Jüngling, der vor mir schritt, und seine
-ruhigen Augen hatten die feuchte Klarheit des Wassers.
-</p>
-
-<p>
-Sogleich kam wieder der Friede über mich.
-</p>
-
-<p>
-Wir rasteten einen Augenblick, und ich empfand einen
-unendlichen, eher geistigen als sinnlichen Genuß, als ich
-in das frische Wasser tauchte.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Toë, toë (es ist kalt), sagte Jotéfa.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; O nein! erwiderte ich. Und dieser Ausruf, der zu
-dem Beschluß des Kampfes paßte, den ich im Geiste eben
-gegen eine ganze verderbte Zivilisation bestanden hatte,
-weckte ein lautes Echo im Walde. Und ich sagte mir, daß
-die Natur mich hatte kämpfen sehen, daß sie mich hörte
-und mich verstand, denn jetzt antwortete sie auf meinen
-Siegesruf mit ihrer klaren Stimme, daß sie nach dieser
-Prüfung willig sei, mich in die Reihe ihrer Kinder aufzunehmen.
-</p>
-
-<p>
-Wir setzten unseren Weg fort, und ich drang mit leidenschaftlichem
-Eifer immer tiefer in das Dickicht, als könnte
-ich dadurch bis ans Herz dieser gewaltigen, mütterlichen
-Natur vordringen und mich mit ihren lebenden Elementen
-vereinen.
-</p>
-
-<p>
-Mit ruhigem Blick ging mein Gefährte immer gleichen
-Schritts vor mir her. Er war ohne Argwohn, ich trug die
-Last meines bösen Gewissens allein.
-</p>
-
-<p>
-Wir langten an unserm Ziel an.
-</p>
-
-<div class="centerpic">
-<img src="images/032a.jpg" alt="" /></div>
-
-<p>
-Die steilen Wände des Berges waren allmählich flacher
-geworden, und hinter einem dichten Vorhang von Bäumen
-dehnte sich, wohl versteckt, eine Art Plateau aus. Aber
-Jotéfa kannte die Stelle und leitete mich mit erstaunlicher
-Sicherheit hin.
-</p>
-
-<p>
-Ein Dutzend Rosenholzbäume breiteten dort ihr gewaltiges
-Geäst aus.
-</p>
-
-<p>
-Wir fällten den schönsten mit dem Beil und mußten
-ihn ganz opfern, um ihm einen für mein Vorhaben passenden
-Zweig zu rauben.
-</p>
-
-<p>
-Das Fällen machte mir Freude, und mit wahrem Vergnügen
-und freudiger Erregung in mir, ich weiß nicht
-welch göttlich rohe Begierde zu befriedigen, riß ich mir
-die Hände blutig. Nicht auf den Baum hieb ich ein, nicht
-ihn wollte ich überwältigen. Und dennoch hätte ich den
-Klang meines Beiles gern noch an andern Stämmen vernommen,
-als dieser am Boden lag.
-</p>
-
-<p>
-Und was mein Beil mir im Takt mit den hallenden
-Schlägen sagte, war dies:
-</p>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Den ganzen Wald mußt du niederschlagen!</p>
- <p class="verse">Den ganzen Wald des Bösen vernichten,</p>
- <p class="verse">Der seine Keime dir einblies mit giftigem Hauch!</p>
- <p class="verse">Zerstöre die Eigenliebe in dir!</p>
- <p class="verse">Zerstöre das Böse und reiß es heraus,</p>
- <p class="verse">Wie die Lotosblume im Herbst!</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="noindent">
-Ja, von nun an ist der alte Kulturmensch verschwunden,
-tot. Ich ward wiedergeboren &ndash; oder vielmehr ein anderer
-Mensch, ein reiner, stärkerer erstand in mir.
-</p>
-
-<p>
-Dieser furchtbare Anfall war der letzte Abschied von
-der Zivilisation: vom Bösen. Und dieser letzte Beweis
-verderbter Instinkte, die auf dem Grunde aller dekadenten
-Seelen schlummern, erhöhte durch den Kontrast die gesunde
-Einfachheit des Lebens, mit dem ich schon den
-ersten Anfang gemacht, bis zu einem Gefühl unsagbarer
-Wonne.
-</p>
-
-<p>
-Gierig atmete ich die herrliche, reine Luft ein. Von
-nun an war ich ein andrer Mensch: ein wahrer Wilder,
-ein echter Maorie.
-</p>
-
-<p>
-Jotéfa und ich kehrten nach Mateïéa zurück und trugen
-vorsichtig und einträchtig unsere schwere Rosenholzlast:
-<em>noa, noa</em>!
-</p>
-
-<p>
-Die Sonne war noch nicht untergegangen, als wir sehr
-ermüdet vor meiner Hütte anlangten.
-</p>
-
-<p>
-Jotéfa sagte zu mir:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Païa?
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ja, erwiderte ich.
-</p>
-
-<p>
-Und im Grunde meines Herzens wiederholte ich für
-mich:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ja!
-</p>
-
-<p>
-Ich machte keinen Schnitt in dieses Rosenholz, ohne
-jedesmal stärker den Duft des Sieges und der Verjüngung
-einzuatmen: <em>noa, noa</em>!
-</p>
-
-<p>
-Durch das Tal von Punaru &ndash; eine tiefe Kluft, die
-Tahiti in zwei Teile trennt &ndash; gelangt man zu dem Plateau
-von Tamanoü. Von dort kann man das Diadem, Oroféna
-und Aroräï, &ndash; den Mittelpunkt der Insel sehen.
-</p>
-
-<p>
-Man hatte mir davon oft wie von etwas Wunderbarem
-gesprochen, und ich hatte mir vorgenommen, allein hinzugehen
-und dort einige Tage zu verbringen.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Aber was wirst du nachts machen?
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Die Tupapaüs<a class="fnote" href="#footnote-3" id="fnote-3">[3]</a> werden dich ängstigen!
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Man darf die Berggeister nicht stören.
-</p>
-
-<p>
-... Du bist toll!
-</p>
-
-<p>
-Ich war es wahrscheinlich, denn diese besorgte Unruhe
-meiner tahitischen Freunde stachelte meine Neugierde
-nur noch mehr.
-</p>
-
-<p>
-In einer Nacht machte ich mich also vor Tagesanbruch
-auf.
-</p>
-
-<p>
-Etwa zwei Stunden konnte ich einen Pfad an dem einen
-Ufer des Punaru-Flusses verfolgen. Aber dann war ich
-mehrmals gezwungen, den Fluß zu überschreiten. Zu
-beiden Seiten ragten steile Bergwände, auf enorme Felsblöcke
-wie auf Strebepfeiler gestützt, bis in die Mitte des
-Wassers vor.
-</p>
-
-<p>
-Mir blieb schließlich nichts anderes übrig, als meinen
-Weg mitten im Fluß fortzusetzen. Das Wasser ging mir
-bis zu den Knien, zuweilen bis zu den Schultern.
-</p>
-
-<p>
-Zwischen den beiden Wänden, die mir von unten erstaunlich
-hoch und oben sehr nah aneinander schienen, war die
-Sonne am hellen Tage kaum sichtbar. Mittags unterschied
-ich an dem tiefblauen Himmel funkelnde Sterne.
-</p>
-
-<p>
-Gegen fünf Uhr, beim Eintritt der Dunkelheit, begann
-ich darüber nachzudenken, wo ich die Nacht zubringen
-sollte, als ich zur Rechten etwa ein Hektar fast flaches
-Land mit einem Gemisch von Farnen, wilden Bananen
-und Bouraos bemerkte. Ich hatte das Glück, ein paar reife
-Bananen zu finden, und machte eilig ein Holzfeuer, sie
-für mein Mahl zu kochen.
-</p>
-
-<p>
-Dann legte ich mich zum Schlafen, so gut es ging, auf
-die untersten Zweige eines Bananenbaumes, dessen Blätter
-ich ineinander geflochten hatte, um mich vor Regen zu
-schützen.
-</p>
-
-<p>
-Es war kalt, und ich fröstelte nach dem Marsch im Wasser.
-</p>
-
-<p>
-Ich schlief schlecht.
-</p>
-
-<p>
-Aber ich wußte, daß der Morgen nicht fern war und
-ich weder Menschen noch Tiere zu fürchten hatte. Hier
-auf Tahiti gibt es weder Raubtiere noch Reptilien. Die
-einzigen &bdquo;wilden Tiere&ldquo; sind die frei im Walde lebenden
-Schweine. Ich hatte höchstens einen Angriff auf meine
-Beine zu fürchten und behielt darum den Griff meines
-Beiles in der Hand.
-</p>
-
-<p>
-Die Nacht war finster. Unmöglich etwas zu unterscheiden,
-außer nahe an meinem Kopf eine Art phosphoreszierenden
-Staubes, der mich seltsam beunruhigte.
-Ich lächelte bei dem Gedanken an die Erzählungen der
-Maories von den Tupapaüs, jenen bösen Geistern, die in
-der Finsternis erwachen, um schlafende Menschen zu
-ängstigen. Ihr Reich ist im Herzen des Berges, den der
-Wald in ewige Schatten hüllt. Dort wimmelt es von ihnen,
-und ihre Legionen wachsen unaufhörlich durch die Geister
-aller Verstorbenen.
-</p>
-
-<p>
-Wehe dem Lebenden, der sich an einen von Dämonen
-bewohnten Ort wagt! ...
-</p>
-
-<p>
-Ich war dieser Tollkühne.
-</p>
-
-<p>
-Meine Träume waren freilich auch sehr aufregend.
-</p>
-
-<p>
-Jetzt weiß ich, daß dieser leuchtende Staub von einer
-besonderen Art kleiner Champignons herrührt, die an
-feuchten Stellen auf abgestorbenen Zweigen wachsen wie
-jene, deren ich mich zum Feueranmachen bedient hatte.
-</p>
-
-<p>
-Am folgenden Tage machte ich mich frühzeitig wieder
-auf den Weg.
-</p>
-
-<p>
-Der immer wechselvoller gestaltete Fluß, der bald Bach,
-bald Strom, bald Wasserfall war, machte seltsam launenhafte
-Krümmungen und schien zuweilen in sich selbst
-zurückzufließen. Ich verlor unaufhörlich den Weg und
-mußte mir von Zweig zu Zweig oft mit den Händen vorwärts
-helfen, wobei ich selten den Boden berührte. Vom
-Grunde des Wassers sahen Krebse von außerordentlicher
-Größe zu mir empor und schienen zu sagen: Was tust du
-hier? &ndash; und hundertjährige Aale flohen bei meinem Nahen.
-</p>
-
-<p>
-Plötzlich, bei einer jähen Wendung, bemerkte ich an
-einen Felsvorsprung gelehnt, den es mit beiden Händen
-eher liebkoste als es sich daran hielt, ein junges, nacktes
-Mädchen. Es trank aus einer Quelle, die leise aus großer
-Höhe zwischen den Steinen rieselte.
-</p>
-
-<p>
-Nachdem es getrunken hatte, nahm es Wasser in beide
-Hände und ließ es zwischen den Brüsten niederrinnen.
-Dann &ndash; obwohl ich nicht das geringste Geräusch gemacht
-hatte &ndash; senkte es wie eine furchtsame Antilope, die instinktmäßig
-die Gefahr wittert, den Kopf und blickte
-forschend nach dem Dickicht, wo ich unbeweglich stand.
-Mein Blick begegnete dem ihren nicht. Aber kaum hatte
-sie mich erspäht, als sie mit dem Ruf: Taëhaë! (wütend)
-untertauchte.
-</p>
-
-<p>
-Ich stürzte an den Fluß: niemand, nichts &ndash; nur ein
-riesiger Aal, der sich zwischen den kleinen Kieseln auf
-dem Grunde hinwand.
-</p>
-
-<p>
-Nicht ohne Schwierigkeit langte ich endlich nahe beim
-Aroraï, dem Gipfel des gefürchteten heiligen Berges, an.
-</p>
-
-<p>
-Es war Abend, der Mond ging auf, und als ich ihn die
-rauhe Stirn des Berges weich in seinen leichten Schimmer
-hüllen sah, erinnerte ich mich der berühmten Sage:
-</p>
-
-<p>
-<em>Paraü Hina Tefatou</em> (Hina sprach zu Tefatou ...),
-eine uralte Sage, die die Mädchen abends gern erzählen
-und für die sie als Schauplatz gerade den Ort bezeichnen,
-wo ich mich befand.
-</p>
-
-<p>
-Ich glaubte es zu sehen:
-</p>
-
-<p>
-Den mächtigen Kopf eines Gottmenschen, das gewaltige
-Haupt eines Helden, dem die Natur das stolze Bewußtsein
-seiner Kraft gegeben, ein herrliches Riesenantlitz,
-wie an der Schwelle des Alls. Und eine sanfte zärtliche
-Frau, die leise das Haar des Gottes berührt und spricht:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Lasse den Menschen wieder auferstehen, wenn er
-gestorben ist ...
-</p>
-
-<p>
-Und die strengen, doch nicht grausamen Lippen des
-Gottes öffnen sich, um zu antworten:
-</p>
-
-<p>
-Nein, ich werde ihn nicht auferstehen lassen. Der
-Mensch wird sterben; die Pflanzen werden sterben wie
-sie, die sich davon nähren, die Erde wird untergehen, sie
-wird untergehen, um nicht wieder zu erstehen.
-</p>
-
-<p>
-Hina erwiderte:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Tue, wie es dir gefällt. Ich aber werde den Mond
-wieder auferstehen lassen.
-</p>
-
-<p>
-Und was Hina gehörte, fuhr fort zu leben. Was Tefatou
-gehörte, ging unter, und der Mensch mußte sterben.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Ich war seit einiger Zeit mißmutig geworden. Meine
-Arbeit litt darunter. Es fehlten mir viele wesentliche
-Hilfsmittel, es verstimmte mich, künstlerischen Aufgaben,
-die mich berauschten, machtlos gegenüberzustehen,
-aber hauptsächlich fehlte mir die Lust.
-</p>
-
-<p>
-Seit mehreren Monaten war ich von Titi getrennt,
-hatte seit Monaten nicht mehr ihr übermütig kindliches,
-zwitscherndes Geplauder über dieselben Dinge und dieselben
-Fragen gehört, auf die ich immer mit denselben
-Geschichten antwortete.
-</p>
-
-<p>
-Und diese Stille tat mir nicht gut. Ich beschloß fortzugehen,
-eine Fahrt um die Insel zu machen, für die ich
-kein bestimmtes Ziel festsetzte.
-</p>
-
-<p>
-Während ich meine Vorbereitungen traf &ndash; ein paar
-leichte Pakete für die Bedürfnisse der Reise &ndash; und meine
-Studien ordnete, schaute mein Nachbar und Freund Anani
-mir beunruhigt zu. Nach langem Zögern, begonnenen
-und wieder unterbrochenen Gebärden, deren klare Deutlichkeit
-mich sehr belustigte und zugleich rührte, entschloß
-er sich endlich, mich zu fragen, ob ich mich anschickte
-fortzugehen.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Nein, erwiderte ich, ich will nur einen Ausflug von
-mehreren Tagen machen.
-</p>
-
-<p>
-Ich komme wieder.
-</p>
-
-<p>
-Er glaubte mir nicht und fing an zu weinen!
-</p>
-
-<p>
-Sein Weib gesellte sich zu ihm und versicherte mich
-ihrer Zuneigung, sagte mir, daß ich kein Geld brauche,
-um unter ihnen zu leben, daß ich, wenn ich wollte, einst
-für immer <em>dort</em> ruhen könnte &ndash; sie wies auf einen mit
-einem Bäumchen geschmückten Grabhügel nahe bei ihrer
-Hütte.
-</p>
-
-<p>
-Und plötzlich verlangte mich danach &ndash; dort &ndash; zu
-ruhen. Da würde mich wenigstens in alle Ewigkeit niemand
-stören ...
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ihr Europäer seid seltsam, fügte das Weib des Anani
-hinzu. Ihr kommt, ihr versprecht zu bleiben, und wenn
-man euch lieb hat, geht ihr wieder?
-</p>
-
-<p>
-Ihr sagt, ihr kommt wieder, aber ihr kehrt niemals
-zurück!
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ich aber schwur, daß es meine Absicht sei, <em>diesmal</em>
-wiederzukommen.
-</p>
-
-<p>
-Später (ich wagte nicht zu lügen), später wüßte ich
-noch nicht ...
-</p>
-
-<p>
-Schließlich ließen sie mich ziehen.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Ich weiche von dem Weg ab, der am Strande entlang
-geht, und schlage einen schmalen Pfad durch tiefes Dickicht
-ein. Der Weg führt mich so weit ins Gebirge, daß
-ich nach Verlauf einiger Stunden ein kleines Tal erreiche,
-<a id="corr-3"></a>dessen Bewohner noch nach altem maorischem Brauch
-leben.
-</p>
-
-<p>
-Sie sind still und glücklich. Sie träumen, sie lieben,
-schlafen und singen, &ndash; sie beten, und das Christentum
-scheint noch nicht bis hierher gedrungen zu sein. Deutlich
-sehe ich die Statuen ihrer Gottheiten vor mir, obwohl
-sie in Wirklichkeit längst verschwunden sind, besonders die
-Statue der Hina, und die Feste zu Ehren der Mondgöttin.
-Das Götzenbild, aus einem einzigen Block, mißt zehn
-Fuß von einer Schulter zur andern und vierzig Fuß in
-der Höhe. Auf dem Haupte trägt sie in Gestalt einer
-Kappe einen riesigen Stein von rötlicher Farbe. Um sie
-herum wird nach altem Ritus der <em>Matamua</em> getanzt,
-und das Vivo<a class="fnote" href="#footnote-4" id="fnote-4">[4]</a> stimmt seinen Ton je nach der Farbe der
-Stunde froh, heiter oder düster und traurig ...
-</p>
-
-<p>
-Ich setze meinen Weg fort.
-</p>
-
-<p>
-In Taravao &ndash; dem weitest entfernten Distrikt von Mataïéa,
-am andern äußersten Ende der Insel &ndash; leiht ein
-Gendarm mir sein Pferd, und ich trabe an der von Europäern
-wenig besuchten Küste entlang.
-</p>
-
-<p>
-In Faone, einem kleineren Ort vor dem bedeutenderen
-Itia, ruft mich ein Eingeborner an.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; He! Mann, der Menschen macht! (er weiß, daß ich
-Maler bin.) <em>Haëré mai ta maha</em> (Komm und iß mit
-uns: die tahitische Formel der Gastfreundschaft).
-</p>
-
-<p>
-Ich lasse mich nicht bitten, so anmutend und herzlich
-ist das die Einladung begleitende Lächeln.
-</p>
-
-<p>
-Ich steige vom Pferde. Mein Wirt nimmt das Tier am
-Zaum und bindet es ohne eine Spur von Unterwürfigkeit
-geschickt an einen Baum.
-</p>
-
-<p>
-Dann treten wir miteinander in eine Hütte, wo Männer
-und Frauen plaudernd und rauchend auf dem Boden
-sitzen. Um sie her spielen und tummeln sich die Kinder.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Wohin willst du? fragte mich eine schöne, etwa
-vierzigjährige Maorie.
-</p>
-
-<p>
-Ich will nach Itia.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Wozu?
-</p>
-
-<p>
-Ich weiß nicht, was mir in den Sinn kam, oder vielleicht
-nannte ich den wahren, mir bis dahin noch selber
-verborgenen Zweck meiner Reise.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Um dort eine Frau zu suchen, antwortete ich.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; In Faone gibt es viele und hübsche. Willst du eine
-von ihnen?
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ja!
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Wohlan! Gefällt sie dir, so will ich sie dir geben.
-Es ist meine Tochter.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ist sie jung?
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ja.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ist sie hübsch?
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ja.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ist sie gesund?
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ja.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Gut. So bringe sie mir.
-</p>
-
-<p>
-Die Frau ging hinaus.
-</p>
-
-<p>
-Nach einer Viertelstunde, als das Mahl &ndash; wilde Bananen
-und Krabben &ndash; aufgetragen wurde, kam sie in Begleitung
-eines jungen Mädchens wieder herein, das ein
-kleines Bündel in der Hand hielt.
-</p>
-
-<p>
-Durch das Gewand von sehr durchsichtigem rosa Musselin
-schimmerte die goldige Haut ihrer Schultern und
-Arme. Zwei Knospen hoben sich schwellend an ihrer
-Brust. Es war ein schlankes, großes, kräftiges Kind von
-wunderbarem Ebenmaß. Aber in dem schönen Gesicht
-fand ich nicht jenen Typus wieder, der mir sonst überall
-auf der Insel begegnet war. Auch das Haar war ungewöhnlich
-buschig und leicht gewellt. In der Sonne bot
-alles dies eine wahre Orgie von Chrom.
-</p>
-
-<p>
-Man sagte mir, daß sie von den Tongas abstamme.
-</p>
-
-<p>
-Ich begrüßte sie, sie lächelte und setzte sich neben mich.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Du hast keine Furcht vor mir? fragte ich.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Aïta (nein).
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Willst du für immer in meiner Hütte wohnen?
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Eha (ja).
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Du bist nie krank gewesen?
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Aïta.
-</p>
-
-<p>
-Das war alles.
-</p>
-
-<p>
-Mir schlug das Herz, während das Mädchen gelassen
-am Boden vor mir die Speisen auf einem großen Bananenbrett
-für mich anrichtete. Ich aß mit gutem Appetit, aber
-ich war zerstreut und tief erregt. Dieses Kind von etwa
-dreizehn Jahren (achtzehn bis zwanzig in Europa) entzückte
-mich, schüchterte mich ein und erschreckte mich
-fast. Was mochte in dieser Seele vorgehen? Und ich,
-der so alt war im Vergleich zu ihr, ich zögerte einen
-Augenblick, den so eilig abgeschlossenen Vertrag zu unterzeichnen,
-bei dem doch alle Vorteile auf meiner Seite
-waren!
-</p>
-
-<p>
-Vielleicht &ndash; dachte ich &ndash; gehorchte sie einem Befehl
-der Mutter. Vielleicht ist es ein Handel, den sie unter
-sich ausgemacht haben ...
-</p>
-
-<p>
-Ich beruhigte mich, als ich in den Zügen des jungen
-Mädchens, in seinem Gebaren und seiner Haltung die
-Zeichen wahrer Unabhängigkeit und eines Stolzes erkannte,
-die so charakteristisch für seine Rasse sind. Und mein
-Vertrauen ward vollkommen und unerschütterlich, als
-ich nach eingehender Forschung deutlich jenen Ausdruck
-von Heiterkeit bei ihr wahrnahm, der bei jungen Wesen
-immer eine ehrenhafte, löbliche Handlung begleitet. &ndash;
-Allein der spöttische Zug um ihren hübschen, weichen,
-sinnlichen Mund war mir eine Gewähr dafür, daß die
-Gefahren des Abenteuers nur für mich bestanden, nicht
-für sie ...
-</p>
-
-<p>
-Ich leugne nicht, daß mir in einer seltsam bedrückenden
-Angst ganz beklommen zumute war, als ich die
-Schwelle der Hütte überschritt.
-</p>
-
-<p>
-Die Stunde der Abreise war gekommen. Ich stieg zu
-Pferde.
-</p>
-
-<p>
-Das Mädchen folgte mir, von der Mutter, einem Mann
-und zwei jungen Frauen &ndash; seinen Tanten, wie es sagte
-&ndash; begleitet.
-</p>
-
-<p>
-Wir kehrten nach Taravao zurück, das neun Kilometer
-von Faone entfernt ist.
-</p>
-
-<p>
-Nach dem ersten Kilometer hieß es:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Parahi téié (hier mache Halt).
-</p>
-
-<p>
-Ich stieg vom Pferde, und wir traten alle sechs in eine
-große, sauber gehaltene, beinahe reiche, mit hübschen
-Matten ausgestattete Hütte.
-</p>
-
-<p>
-Ein noch junges und außerordentlich liebenswürdiges
-Paar bewohnte sie. Meine Braut setzte sich neben die
-Frau und stellte mich vor.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Dies ist meine Mutter, sagte sie.
-</p>
-
-<p>
-Dann wurde schweigend ein Becher mit frischem Wasser
-gefüllt, von dem wir alle der Reihe nach feierlich tranken,
-als handele es sich um einen alten frommen Brauch.
-</p>
-
-<p>
-Hierauf sagte die eben von meiner Braut als ihre Mutter
-bezeichnete Frau mit gerührtem Blick und feuchten Wimpern
-zu mir:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Du bist gut?
-</p>
-
-<p>
-Nicht ohne Verwirrung antwortete ich nach einer Prüfung
-meines Gewissens:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ich hoffe es.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Wirst du meine Tochter glücklich machen?
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ja.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; In acht Tagen muß sie wiederkommen. Wenn sie
-nicht glücklich ist, wird sie dich verlassen.
-</p>
-
-<p>
-Ich willigte mit einer Gebärde ein. Allgemeines Schweigen.
-Niemand schien eine Unterbrechung zu wagen.
-</p>
-
-<p>
-Endlich gingen wir hinaus, ich bestieg wieder mein
-Pferd und brach, immer von meinem Gefolge geleitet,
-von neuem auf.
-</p>
-
-<p>
-Unterwegs begegneten wir mehreren Personen, die meine
-Familie kannten. Sie waren bereits von dem Ereignis
-unterrichtet und sagten, als sie das Mädchen begrüßten:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Bist du jetzt wirklich die Vahina eines Franzosen?
-Viel Glück!
-</p>
-
-<p>
-Ein Punkt beunruhigte mich. Wie kam Tehura (so hieß
-meine Frau) zu zwei Müttern?
-</p>
-
-<p>
-Ich fragte die erste, die sie mir angeboten hatte:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Warum hast du gelogen?
-</p>
-
-<p>
-Die Mutter Tehuras antwortete:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ich habe nicht gelogen. Die andere ist auch ihre
-Mutter, sie ist ihre Amme.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-In Taravao gab ich dem Gendarm sein Pferd zurück,
-und es kam zu einem peinlichen Vorfall. Die Frau des
-Gendarmen, eine Französin, sagte zwar ohne Spott, aber
-taktlos zu mir:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Was! Sie nehmen sich eine solche Dirne mit?
-</p>
-
-<p>
-Und ihre boshaften Augen entkleideten das junge Mädchen,
-das dieser beleidigenden Prüfung mit vollkommener
-Kaltblütigkeit begegnete.
-</p>
-
-<p>
-Ich betrachtete einen Augenblick dies symbolische Schauspiel,
-das die beiden Frauen mir boten: Hier erste Blütezeit,
-Glaube und Natur, dort Dürre, Zwang und Künstelei.
-Zwei feindliche Rassen standen sich gegenüber, und ich
-schämte mich der meinigen. Ich litt darunter, sie so kleinlich
-und verständnislos zu sehen, und wandte mich schnell
-ab, um mich an dem Glanz der andern, an diesem lebenden
-Gold zu erfreuen und zu erwärmen, das ich schon
-liebte.
-</p>
-
-<p>
-In Taravao verabschiedete die Familie sich bei dem
-Chinesen von uns, wo alles zu haben ist, verfälschte Liköre
-und Früchte, Waffen und Stoffe, Männer, Frauen
-und Vieh.
-</p>
-
-<p>
-Meine Frau und ich benutzten einen Wagen, der uns
-25 Kilometer weiter, in Mateïéa, vor meiner Hütte absetzte.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Meine Frau war nicht sehr gesprächig, heiter und melancholisch
-zugleich, vor allem aber spottlustig.
-</p>
-
-<div class="centerpic">
-<img src="images/048a.jpg" alt="" /></div>
-
-<p>
-Wir hörten nicht auf, uns gegenseitig zu studieren, aber
-sie blieb unergründlich, und ich war bald der Besiegte in
-diesem Kampf.
-</p>
-
-<p>
-Der gute Vorsatz, mich zu überwachen, zu beherrschen,
-um ein scharfsichtiger Beobachter zu werden, half mir
-wenig, meine Kraft ging bald zu Ende &ndash; und ich war für
-Tehura in kurzer Zeit ein offenes Buch.
-</p>
-
-<p>
-Ich ward nun gewissermaßen auf meine Kosten und an
-meiner eignen Person der tiefen Kluft gewahr, die eine
-australische Seele von einer lateinischen und besonders
-einer französischen Seele trennt. Die Seele der Maories
-offenbart sich nicht sogleich. Es bedarf großer Geduld und
-eines Studiums, um ihrer habhaft zu werden. Und selbst
-wenn man sie von Grund aus zu kennen meint, bringt sie
-einen durch ganz unvorhergesehene &bdquo;Sprünge&ldquo; aus der
-Fassung. Im Anfang aber ist sie ein Rätsel oder vielmehr
-eine unendliche Reihe von Rätseln. Im Augenblick, da
-man sie zu fassen meint, ist sie fern, unerreichbar, unnahbar
-unter dem Mantel der Heiterkeit. Dann nähert
-sie sich vielleicht freiwillig, um abermals zu entschlüpfen,
-sobald man die geringste Gewißheit zu erkennen gibt.
-Und während man, durch dies Gebaren verwirrt, ihr innerstes
-Wesen sucht, bewahrt sie ihre unverwüstlich fröhliche
-Zuversicht und sorglose Leichtherzigkeit, die vielleicht
-weniger echt ist, als es den Anschein hat.
-</p>
-
-<p>
-Für mein Teil verzichtete ich bald auf Grübeleien, die
-mich hinderten, mein Leben zu genießen. Voll Vertrauen
-erwartete ich mit der Zeit Offenbarungen, die mir
-anfangs verwehrt blieben.
-</p>
-
-<p>
-Die Woche verstrich so, und ich hatte ein Gefühl von
-&bdquo;Kindlichkeit&ldquo;, das ich vormals nie gekannt.
-</p>
-
-<p>
-Ich liebte Tehura und sagte es ihr, aber es machte sie
-lachen: sie wußte es ja!
-</p>
-
-<p>
-Auch sie schien mich zu lieben, doch sprach sie davon
-nicht zu mir: &ndash; Aber zuweilen, in der Nacht, leuchtete
-das Gold von Tehuras Haut ...
-</p>
-
-<p>
-Am achten Tag ... mir war, als hätten wir eben erst
-miteinander unsere Hütte betreten &ndash; bat Tehura mich
-um Erlaubnis, ihre Mutter in Faone zu besuchen. Es war
-eine versprochene Sache.
-</p>
-
-<p>
-Betrübt fügte ich mich, band einige Piaster in ihr
-Taschentuch, von denen sie die Kosten der Reise und
-Rum für ihren Vater bestreiten konnte, und begleitete sie
-zu dem Wagen.
-</p>
-
-<p>
-Ich hatte das Gefühl eines Abschieds für immer.
-</p>
-
-<p>
-Die folgenden Tage waren qualvoll.
-</p>
-
-<p>
-Die Einsamkeit trieb mich aus der Hütte, und Erinnerungen
-riefen mich dahin wieder zurück. Keine Studie
-vermochte meine Gedanken zu fesseln ...
-</p>
-
-<p>
-Eine zweite Woche verging, und Tehura kehrte zurück.
-</p>
-
-<p>
-Nun fing ein vollkommen glückliches Leben an. Glück
-und Arbeit begannen zugleich mit der Sonne und strahlend
-wie sie. Das Gold von Tehuras Antlitz erhellte das
-Innere unserer Hütte und die Landschaft ringsum mit
-einem Schimmer von Freude und Heiterkeit. Sie studierte
-mich nicht mehr und ich nicht sie. Sie verheimlichte
-mir ihre Liebe nicht länger, und ich sprach ihr
-nicht mehr von der meinen. Wir lebten beide in aller
-Einfachheit.
-</p>
-
-<p>
-Wie wohl tat es, sich morgens im nächsten Bach zu
-erfrischen &ndash; ganz wie ich mir denke, daß es im Paradies
-der erste Mann und das erste Weib getan!
-</p>
-
-<p>
-Paradies von Tahiti, <em>navé navé fénua</em>, &ndash; köstliches
-Land!
-</p>
-
-<p>
-Und die Eva dieses Paradieses gestaltete sich immer
-liebevoller und empfänglicher. Ich bin von ihrem Duft
-durchdrungen: <em>noa, noa</em>! Sie ist zur rechten Zeit in mein
-Leben getreten. Früher hätte ich sie vielleicht nicht verstanden,
-und später wäre es zu spät gewesen. Jetzt verstehe
-ich sie, wie ich sie liebe, und durch sie dringe ich
-in Mysterien ein, die mir bis dahin unzugänglich waren.
-</p>
-
-<p>
-Allein mein Geist verarbeitet diese Entdeckungen noch
-nicht, ich präge sie noch nicht meinem Gedächtnisse ein.
-Alles was Tehura mir erzählt, erfasse ich nur mit Gefühl.
-</p>
-
-<p>
-In meinen Empfindungen und Eindrücken werde ich
-ihre Worte einst wiederfinden. Durch ihre täglichen Mitteilungen
-über ihr Leben führt sie mich sicherer, als es
-durch irgendeine andere Methode geschehen könnte, zum
-vollen Verständnis ihrer Rasse.
-</p>
-
-<p>
-Und ich habe kein Bewußtsein mehr von Tagen oder
-Stunden, von Gut und Böse. Das Glück ist zuweilen so
-seltsam, daß der Begriff davon fast aufgehoben wird. Ich
-weiß nur, daß alles gut ist, weil alles schön ist.
-</p>
-
-<p>
-Und Tehura stört mich nie, wenn ich arbeite oder
-träume. Instinktmäßig schweigt sie dann. Sie weiß sehr
-gut, wann sie sprechen kann, ohne mich zu belästigen.
-</p>
-
-<p>
-Wir unterhalten uns über Tahiti, über Europa, über
-Gott und Götter. Ich unterrichte sie und sie belehrt mich.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Ich mußte für einen Tag nach Papeete fahren.
-</p>
-
-<p>
-Zwar hatte ich versprochen, am selben Abend zurückzukehren,
-aber der Wagen, den ich genommen, verließ
-mich auf halbem Wege, ich mußte den Rest zu Fuß zurücklegen,
-und es wurde 1 Uhr morgens, ehe ich zu Hause
-anlangte.
-</p>
-
-<p>
-Als ich die Tür öffnete, sah ich beklommenen Herzens,
-daß es drinnen dunkel war. Dies hatte an sich nichts
-Merkwürdiges, denn wir besaßen augenblicklich nur wenig
-Licht, und den Vorrat zu erneuern, war mit ein Grund
-für meine Abwesenheit. Aber ich zitterte in einem plötzlichen
-Gefühl der Furcht und des Argwohns, das ich für
-eine Vorahnung hielt: der Vogel war gewiß davongeflogen
-...
-</p>
-
-<p>
-Schnell zündete ich ein Streichholz an und sah &ndash; Tehura
-reglos, nackt, platt hingestreckt auf dem Bett, die
-Augen vor Angst übermäßig weit geöffnet. Sie sah mich
-an und schien mich nicht zu erkennen. Ich selber blieb
-einige Augenblicke in seltsamer Ungewißheit stehen. Tehuras
-Entsetzen wirkte ansteckend. Mir war, als entströme
-ihren starr blickenden Augen ein Phosphorschein. Niemals
-hatte ich sie so schön, von so rührender Schönheit
-gesehn. Und dann fürchtete ich in diesem, für sie sicherlich
-von bedenklichen Erscheinungen belebten Halbdunkel
-eine Bewegung zu machen, die sie erschrecken
-und den Paroxysmus des Kindes steigern konnte. Wußte
-ich denn, was ich in diesem Augenblick für sie war? Ob
-sie mich mit meinem entsetzten Gesicht nicht für einen
-Dämon oder Geist, einen der Tupapaüs hielt, die ihren
-Sagen nach in schlaflosen Nächten erscheinen? Wußte
-ich, wer sie selber eigentlich war? Die Intensität des Entsetzens,
-von dem sie unter der physischen und moralischen
-Gewalt ihres Aberglaubens besessen war, machte sie zu
-einem fremden Wesen für mich, ganz verschieden von
-allem, was ich bisher gekannt!
-</p>
-
-<p>
-Endlich kam sie zu sich, rief mich an, und ich ermannte
-mich, sie zu schelten, zu beruhigen und zu beschwichtigen.
-</p>
-
-<p>
-Sie hörte mich schmollend an und sagte dann mit vor
-Schluchzen zitternder Stimme:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Laß mich nicht wieder so allein ohne Licht ...
-</p>
-
-<p>
-Aber kaum war die Furcht eingeschlummert, als die
-Eifersucht erwachte:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Was tatest du in der Stadt? Du hast Frauen besucht,
-solche, die auf Märkten tanzen und trinken, die sich Offizieren
-und Matrosen und jedem geben ...
-</p>
-
-<p>
-Ich ließ mich auf keinen Streit ein, und die Nacht ward
-süß &ndash; süß und feurig, eine Tropennacht.
-</p>
-
-<p>
-Tehura war bald sehr liebevoll und vernünftig, bald
-ausgelassen und sehr übermütig. Zwei entgegengesetzte
-Wesen &ndash; ohne viele andere unendlich verschiedene mitzurechnen
-&ndash; in einem vereint, die sich gegenseitig Lügen
-straften und in betäubender Geschwindigkeit unvermittelt
-aufeinander folgten. Sie war nicht veränderlich, sondern
-doppelt, dreifach, hundertfach: das Kind einer <em>alten</em> Rasse.
-</p>
-
-<p>
-Eines Tages kommt ein Hausierer, der ewige Jude &ndash;
-er macht die Inseln unsicher wie das Festland &ndash; und
-bringt ein Kästchen mit Schmucksachen aus vergoldetem
-Kupfer an.
-</p>
-
-<p>
-Er breitet seine Waren aus, und alle umringen ihn.
-</p>
-
-<p>
-Ein Paar Ohrringe gehen von Hand zu Hand. Die
-Augen der Frauen leuchten, jede möchte sie haben.
-</p>
-
-<p>
-Tehura runzelt die Brauen und sieht mich an. Ihre
-Augen reden sehr deutlich. Ich stelle mich, als ob ich sie
-nicht verstände.
-</p>
-
-<p>
-Sie zieht mich in eine Ecke:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ich will sie haben!
-</p>
-
-<p>
-Ich erkläre ihr, daß dieses Zeug in Frankreich gar keinen
-Wert habe, daß sie aus <em>Kupfer</em> seien.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ich will sie haben!
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Nicht doch! Für solche Dummheit 20 Francs bezahlen!
-Das wäre eine Torheit. Nein.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ich will sie haben!
-</p>
-
-<p>
-Und mit leidenschaftlicher Zungenfertigkeit, die Augen
-voll Tränen, dringt sie in mich:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Wie, würdest du dich nicht schämen, diesen Schmuck
-in den Ohren einer andern zu sehen? Einer dort spricht
-schon davon, sein Pferd zu verkaufen, um seiner Vahina
-die Ohrringe zu schenken!
-</p>
-
-<p>
-Ich kann auf diese Torheit nicht eingehen und schlage
-ihr es zum zweitenmal ab.
-</p>
-
-<p>
-Tehura blickt mich starr an, ohne noch ein Wort zu
-verlieren, und weint.
-</p>
-
-<p>
-Ich gehe fort, komme wieder zurück, gebe dem Juden
-schließlich die zwanzig Francs &ndash; und die Sonne scheint
-wieder.
-</p>
-
-<p>
-Zwei Tage später war ein Sonntag. Tehura macht große
-Toilette. Das Haar wird mit Seife gewaschen, dann in
-der Sonne getrocknet und schließlich mit duftendem Öl
-eingerieben. In ihrem schönsten Kleide, eins von <em>meinen</em>
-Taschentüchern in der Hand, eine Blume hinterm
-Ohr und mit &ndash; nackten Füßen geht sie zum Tempel.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Und deine Ohrringe? frage ich.
-</p>
-
-<p>
-Tehura verzieht verächtlich den Mund:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Sie sind ja aus Kupfer!
-</p>
-
-<p>
-Und mit lautem Lachen überschreitet sie die Schwelle
-der Hütte und geht, plötzlich wieder ernst geworden,
-davon.
-</p>
-
-<p>
-Die Mittagsruhe verbringen wir, wie an jedem andern
-Tage, schlafend oder träumend nebeneinander. Vielleicht
-sieht Tehura in ihrem Traume andere Ohrringe
-glitzern.
-</p>
-
-<p>
-Ich möchte alles vergessen, was ich weiß, und immer
-schlafen ...
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Eines Tages bei schönem Wetter &ndash; auf Tahiti keine
-Ausnahme &ndash; beschlossen wir, uns morgens aufzumachen,
-um Freunde zu besuchen, deren Hütte zehn Kilometer
-von der unsrigen entfernt war.
-</p>
-
-<p>
-Da wir um sechs Uhr aufgebrochen waren, legten wir
-den Weg in der Kühle schnell zurück und langten schon
-um acht Uhr an.
-</p>
-
-<div class="centerpic">
-<img src="images/056a.jpg" alt="" /></div>
-
-<p>
-Wir wurden nicht erwartet: die Freude war groß, und
-nach beendeter Begrüßung machten sie sich auf die
-Suche nach einem Schwein, um uns ein Fest zu bereiten.
-Es wurde geschlachtet und dem Schwein noch zwei
-Hühner beigesellt. Eine prachtvolle, am Morgen gefangene
-Tintenschnecke, einige Bananen und andere Früchte
-vervollständigten das reichliche Mahl. Ich machte den
-Vorschlag, in der Zeit bis zum Mittagessen die Grotten
-von Mara zu besichtigen, die ich oft von fern gesehen
-hatte, ohne jemals die Gelegenheit zu finden, sie aufzusuchen.
-</p>
-
-<p>
-Drei junge Mädchen, ein Knabe, Tehura und ich,
-eine lustige kleine Gesellschaft, hatten das Ziel bald
-erreicht.
-</p>
-
-<p>
-Vom Wegrand aus könnte man die fast ganz von Guavabäumen
-verdeckte Grotte einfach für einen Felsenvorsprung
-oder eine etwas tiefere Spalte halten. Aber
-biegt man die Zweige zurück und gleitet man einen
-Meter weiter hinunter, so ist keine Sonne mehr sichtbar,
-man befindet sich in einer Art Höhle, deren Grund
-an eine kleine Bühne mit hochroter, scheinbar etwa
-100 m weit entfernter Decke erinnert. Hie und da an
-den Wänden glaubt man riesige Schlangen sich langsam
-dehnen zu sehen, um an der Oberfläche des inneren Sees
-zu trinken. Aber es sind Wurzeln, die sich einen Weg
-durch die Felsspalten bahnen.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ob wir ein Bad nehmen?
-</p>
-
-<p>
-Ich erhalte zur Antwort, daß das Wasser zu kalt sei,
-und abseits werden lange, von Lachen unterbrochene
-Unterhandlungen geführt, die mich neugierig machen.
-</p>
-
-<p>
-Ich gebe nicht nach, und endlich entschließen die Mädchen
-sich, sie legen ihre leichten Gewänder ab, und mit
-dem Paréo umgürtet, sind wir bald alle im Wasser.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Toë, toë! rufen alle einstimmig.
-</p>
-
-<p>
-Das Wasser plätschert, und ihre Rufe werden von tausend
-Echos zurückgeworfen, die das <em>toë, toë</em> wiederholen.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Kommst du mit mir, frage ich Tehura und zeige auf
-den Grund.
-</p>
-
-<p>
-Bist du toll? Da hinunter, so weit! Und die Aale? Da
-hinunter wagt man sich nie!
-</p>
-
-<p>
-Und anmutig schwang sie sich leicht auf das Ufer, wie
-einer, der stolz ist, so gut schwimmen zu können. Aber
-ich bin auch ein guter Schwimmer, und obwohl ich mich
-nicht gern allein so weit fort wagte, steuerte ich auf den
-Grund zu.
-</p>
-
-<p>
-Durch welch seltsames Phänomen der Luftspiegelung
-mochte er sich aber immer mehr von mir entfernen, je
-angestrengter ich mich bemühte, ihn zu erreichen? Ich
-drang immer weiter vorwärts, und von allen Seiten blickten
-die großen Schlangen mich spöttisch an. Einen
-Augenblick glaubte ich eine große Schildkröte schwimmen
-zu sehen, ihr Kopf ragte aus dem Wasser, und ich
-unterschied zwei starre, glänzende Augen, die mich argwöhnisch
-anschauten. &ndash; Torheit! dachte ich: die Meerschildkröten
-leben nicht in süßem Wasser. Dennoch (bin
-ich denn wirklich ein Maorie geworden?) kommen mir
-Zweifel, und es fehlt wenig, daß mir schaudert. Was sind
-das nur für breite, stille Wellen da vor mir? Aale!
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ach was, diese lähmende Empfindung von Furcht
-muß abgeschüttelt werden!
-</p>
-
-<p>
-Ich ließ mich senkrecht hinunter, um auf den Grund
-zu kommen. Doch ich mußte wieder hinauf, ohne daß
-es mir gelungen war. Vom Ufer rief Tehura mir zu:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Komm zurück!
-</p>
-
-<p>
-Ich wende mich um und sehe sie sehr weit und ganz
-klein.
-</p>
-
-<p>
-Warum geht die Entfernung auch hier bis ins Unendliche?
-Tehura ist nur noch ein schwarzer Punkt in einem
-leuchtenden Kreise.
-</p>
-
-<p>
-Ich bleibe hartnäckig und schwimme noch eine halbe
-Stunde: der Grund scheint immer in der gleichen Entfernung
-zu bleiben.
-</p>
-
-<p>
-Ein Ruhepunkt auf einem kleinen Plateau und dann
-wieder ein gähnendes Loch &ndash; wohin mochte es führen?
-Ein Geheimnis, das zu ergründen ich aufgebe.
-</p>
-
-<p>
-Ich gestehe, daß ich schließlich wirklich Furcht empfand.
-</p>
-
-<p>
-Ich brauchte eine volle Stunde, um mein Ziel zu erreichen.
-</p>
-
-<p>
-Tehura allein erwartete mich. Ihre Gefährtinnen waren
-gleichgültig fortgegangen.
-</p>
-
-<p>
-Tehura sprach ein Gebet, und wir verließen die Grotte.
-</p>
-
-<p>
-Ich zitterte noch ein wenig &ndash; vor Kälte. Aber im
-Freien erholte ich mich bald, besonders als Tehura mit
-einem Lächeln, das mir nicht ganz frei von Spott zu sein
-schien, fragte:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Du hast dich nicht gefürchtet?
-</p>
-
-<p>
-Mit Entrüstung erwiderte ich:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Wir Franzosen kennen keine Furcht.
-</p>
-
-<p>
-Tehura äußerte weder Mitleid noch Bewunderung.
-Aber ich merkte, daß sie aus einem Augenwinkel forschend
-nach mir spähte, als ich ein paar Schritte voranging,
-um eine farbige Tiaré für ihren Haarbusch zu
-pflücken.
-</p>
-
-<p>
-Der Weg war schön und herrlich das Meer. Vor uns
-erhoben sich Moreas stolze grandiose Berge.
-</p>
-
-<p>
-Wie lebt es sich gut! Und mit welchem Appetit verzehrt
-man nach einem zweistündigen Bad das lecker bereitete
-Schweinchen, das uns im Hause erwartet!
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-In Mataïéa fand eine große Hochzeit statt &ndash; eine echte
-Hochzeit, legal und religiös, wie die Missionare <a id="corr-5"></a>sie den
-bekehrten Tahitianern vorschreiben.
-</p>
-
-<p>
-Ich war dazu eingeladen und Tehura begleitete mich.
-</p>
-
-<p>
-Das Mahl bildet auf Tahiti &ndash; wie überall, glaube ich
-&ndash; die Hauptfeier. Auf Tahiti wenigstens entfaltet man
-bei diesen Feierlichkeiten den größten kulinarischen
-Luxus. Auf heißen Steinen gebratene Schweinchen, eine
-unglaubliche Menge von Fischen, Bananen, Guaven,
-Taros u. a.
-</p>
-
-<p>
-Der Tisch, an dem eine ansehnliche Zahl von Gästen
-saß, stand unter einem improvisierten Dach, das anmutig
-mit Blumen und Blättern geschmückt war. Alle Verwandten
-und Freunde der Neuvermählten waren anwesend.
-</p>
-
-<p>
-Das junge Mädchen &ndash; die Lehrerin des Ortes, eine
-Halb-Weiße &ndash; nahm einen echten Maorie, den Sohn des
-Häuptlings von Punaauïa, zum Manne. Sie war in der
-&bdquo;frommen Schule&ldquo; von Papeete erzogen worden, und der
-protestantische Bischof, der sich für sie interessierte, hatte
-diese Heirat, die viele für etwas übereilt hielten, persönlich
-vermittelt. &ndash; Was der Missionar will, ist Gottes
-Wille, sagt man draußen ...
-</p>
-
-<p>
-Eine volle Stunde wird gespeist und &ndash; viel getrunken.
-Dann beginnen die zahlreichen Reden. Sie werden der
-Reihe nach und mit Methode gehalten, es ist ein sehr
-komischer Wettstreit der Beredsamkeit.
-</p>
-
-<p>
-Nun kommt die wichtige Frage: welche der beiden
-Familien gibt den Neuvermählten einen neuen Namen?
-Dieser aus sehr alter Zeit stammende nationale Brauch
-bedeutet ein geschätztes, sehr begehrtes und viel umstrittenes
-Vorrecht. Nicht selten artet der Streit über diesen
-Punkt in einen blutigen Kampf aus.
-</p>
-
-<p>
-Diesmal kam es nicht zu einem solchen. Alles verlief
-fröhlich und friedlich. Allerdings war die Tischgesellschaft
-stark berauscht. Selbst meine arme Vahina, die
-nicht unter meiner Aufsicht bleiben konnte, kam, durch
-das Beispiel verleitet, in einen furchtbaren Rausch, und
-ich brachte sie nicht ohne Mühe nach Haus.
-</p>
-
-<p>
-Mitten am Tische thronte in bewundernswerter Würde
-die Frau des Häuptlings von Punaauïa. Ihr auffallendes,
-phantastisches Kleid von orangefarbenem Samt gab ihr
-ungefähr das Aussehen einer Jahrmarktsheldin. Aber die
-unverwüstliche Anmut ihrer Rasse, wie das Bewußtsein
-ihres Ranges verlieh ihrem Flitter eine unbeschreibliche
-Größe. Die Gegenwart dieser majestätischen Frau von
-sehr reinem Typus gab diesem Fest eine stärkere Würze
-als alles andere, und die Wirkung davon blieb nicht aus.
-</p>
-
-<p>
-Neben ihr saß eine hundertjährige Greisin, deren Hinfälligkeit
-durch eine voll erhaltene Doppelreihe Menschenfresserzähne
-abschreckend war. Sie nahm wenig teil an
-dem, was um sie herum geschah, und blieb unbeweglich
-starr, fast wie eine Mumie. Aber eine Tätowierung auf
-ihrer Wange, ein dunkles, in seiner Form unbestimmtes
-Zeichen, das an einen lateinischen Buchstaben erinnerte,
-sprach in meinen Augen für sie und erzählte
-mir ihre Geschichte. Die Tätowierung glich in nichts
-der der Wilden: sie stammte sicherlich von europäischer
-Hand!
-</p>
-
-<p>
-Ich erkundigte mich darnach.
-</p>
-
-<p>
-Ehemals, sagte man mir, als die Missionare gegen die
-Fleischeslust eiferten, zeichneten sie &bdquo;gewisse Frauen&ldquo; mit
-dem Stempel der Ehrlosigkeit, dem &bdquo;Höllensiegel&ldquo; &ndash;
-dessen sie sich schämten, aber nicht etwa wegen der begangenen
-Sünden, sondern wegen der Lächerlichkeit und der
-Schande einer solchen &bdquo;Auszeichnung&ldquo;.
-</p>
-
-<p>
-An jenem Tage verstand ich besser denn je das Mißtrauen
-der Maories den Europäern gegenüber, ein Mißtrauen,
-das heute noch besteht, so milde es sich bei der
-großmütigen und gastfreundlichen Natur der australischen
-Seele auch zeigen mag.
-</p>
-
-<p>
-Wieviele Jahre lagen zwischen der von dem Priester
-gezeichneten Greisin und dem von dem Priester verheirateten
-jungen Mädchen: Das Zeichen bleibt unauslöschlich
-und zeugt von dem Niedergang der Rasse, die sich
-ihm unterwarf, und von der Niedrigkeit jener, die es ihr
-aufzwang.
-</p>
-
-<p>
-Fünf Monate später brachte die junge Frau ein wohlgebildetes
-Kind zur Welt.
-</p>
-
-<p>
-Entrüstet forderten die Eltern eine Scheidung. Der junge
-Mann widersetzte sich:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Was tut es, da wir uns lieben, sagte er. Ist es bei
-uns nicht Brauch, fremde Kinder anzunehmen? Ich
-nehme dieses an.
-</p>
-
-<p>
-Warum aber hatte der Bischof sich so sehr bemüht, die
-Trauung zu beschleunigen? Es wurde viel besprochen.
-Böse Zungen behaupteten, daß ...
-</p>
-
-<p>
-Selbst auf Tahiti gibt es böse Zungen.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Abends im Bett haben wir lange Gespräche, mitunter
-sehr ernste.
-</p>
-
-<p>
-Jetzt, wo ich Tehura verstehen kann, in der der Geist
-ihrer Vorfahren noch schlummert und träumt, bemühe
-ich mich durch diese Kinderseele zu sehen und zu denken
-und in ihr die zwar toten, aber in vagen Erinnerungen
-noch bestehenden Spuren der fernen Vergangenheit wiederzufinden.
-</p>
-
-<p>
-Ich stelle Fragen, und sie bleiben nicht alle ohne Antwort.
-</p>
-
-<p>
-Die von unsern Eroberungen mehr betroffenen und von
-unserer Zivilisation stärker beeinflußten Männer haben
-die alten Götter vielleicht vergessen. Aber im Gedächtnis
-der Frauen haben diese sich einen Zufluchtsort bewahrt.
-Und es ist ein rührendes Schauspiel für mich, wenn unter
-meiner Einwirkung die alten nationalen Gottheiten allmählich
-in Tehuras Erinnerung erwachen und die künstlichen
-Schleier abwerfen, in die protestantische Missionare
-sie einhüllen zu müssen geglaubt. Im ganzen war
-das Werk der Katecheten ein sehr oberflächliches. Die
-Erfolge ihrer Tätigkeit entsprachen, besonders bei den
-Frauen, nur wenig ihren Erwartungen. Ihre Lehren sind
-wie eine schwache Firnisschicht, die schnell bei der geringsten
-Berührung abbröckelt und schwindet.
-</p>
-
-<p>
-Tehura besucht regelmäßig den Gottesdienst und befolgt
-die Vorschriften der offiziellen Religion. Aber sie
-weiß die Namen aller Götter des maorischen Olymps auswendig,
-und das ist keine Kleinigkeit. Sie kennt ihre
-Geschichte, sie lehrt mich, wie sie die Welt erschaffen haben,
-wie sie herrschen und wie sie geehrt sein wollen. Die strengen
-Lehren der christlichen Moral sind ihr fremd, oder sie
-kümmert sich nicht darum, denkt z. B. nicht daran zu bereuen,
-daß sie die Konkubine &ndash; wie sie es nennen &ndash; eines
-Tané ist.
-</p>
-
-<p>
-Ich weiß nicht recht, wie sie Jesus und Taaro in ihrem
-Glauben zueinander stellt. Ich glaube, sie verehrt alle beide.
-</p>
-
-<p>
-Nach und nach hat sie mir einen ganzen Kursus über
-tahitische Religion gehalten. Dafür versuche ich ihr auf
-Grund europäischer Kenntnisse einige Naturphänomene zu
-erklären.
-</p>
-
-<p>
-Die Sterne interessieren sie sehr. Sie fragt mich nach
-der französischen Benennung des Morgen-, des Abendsterns
-und der anderen Gestirne. Es wird ihr schwer zu
-begreifen, daß die Erde sich um die Sonne dreht ...
-</p>
-
-<p>
-Sie nennt mir die Sterne in ihrer Sprache, und während
-sie erzählt, sehe ich beim Schein der Gestirne, die
-selber Gottheiten sind, die heiligen Gestalten der maorischen
-Beherrscher der Luft, des Feuers, der Inseln und
-Meere deutlich vor mir.
-</p>
-
-<p>
-Die Bewohner von Tahiti haben immer, soweit man
-auch in ihrer Geschichte zurückgreift, ziemlich ausgedehnte
-Kenntnisse in der Astronomie besessen. Die periodischen
-Feste der Aréoïs &ndash; Mitglieder einer geheimen
-religiösen und zugleich politischen Gesellschaft, die auf
-den Inseln herrschte &ndash; wurden nach der Stellung der
-Gestirne bestimmt. Selbst die Natur des Mondlichtes
-scheint den Maories nicht unbekannt gewesen zu sein.
-Sie nehmen an, daß der Mond eine der Erde sehr ähnliche
-Kugel sei, wie diese bewohnt und reich an Produkten wie
-die unsrigen.
-</p>
-
-<p>
-Die Entfernung der Erde vom Monde schätzen sie auf
-ihre Weise: &ndash; Eine weiße Taube brachte den Samen des
-Baumes Ora vom Mond auf die Erde. Sie brauchte <em>zwei
-Monde</em>, den Trabanten zu erreichen, und als sie nach
-abermals zwei Monden auf die Erde fiel, war sie federlos.
-&ndash; Dieser Vogel hat von allen den Maories bekannten Vögeln
-den schnellsten Flug.
-</p>
-
-<p>
-Dies aber ist die tahitische Benennung der Sterne. Ich
-vervollständige Tehuras Lektion mit Hilfe des Fragments
-einer uralten Handschrift, die in Polynesien gefunden
-wurde.
-</p>
-
-<p>
-Ist es zu gewagt, darin eher die erste Andeutung eines
-von der Astronomie aufgestellten Systems, als ein zufälliges
-Spiel der Phantasie zu sehen?
-</p>
-
-<div class="em">
-<p>
-Roüa &ndash; groß ist sein Stamm &ndash; schlief mit
-seinem Weibe, der Düsteren Erde.
-</p>
-
-<p>
-Sie gebar ihren König, die Sonne, darauf die
-Dämmerung, dann die Nacht.
-</p>
-
-<p>
-Da verstieß Roüa dieses Weib.
-</p>
-
-<p>
-Roüa &ndash; groß ist sein Stamm &ndash; schlief mit
-der Frau, genannt &bdquo;Grande Réunion&ldquo;.
-</p>
-
-<p>
-Sie gebar die Königinnen des Himmels, die
-Gestirne, sodann den Stern Tahiti, den Abendstern.
-</p>
-
-<p>
-Der König der goldenen Himmel, der einzige
-König schlief mit seinem Weibe Fanoüi.
-</p>
-
-<p>
-Von ihr stammt das Gestirn Taüroüa (Venus),
-der Morgenstern, der König Taüroüa, der dem
-Tag und der Nacht und andern Sternen, dem
-Mond und der Sonne gebeut und den Schiffern
-als Führer dient.
-</p>
-
-<p>
-Taüroüa segelte links gen Norden, schlief
-dort mit seinem Weibe und zeugte den Roten-Stern,
-jenen Stern, der abends unter zwei Antlitzen
-leuchtet.
-</p>
-
-<p>
-Der Rote-Stern flog gegen Osten und setzte
-seine Piroge instand, die Piroge des hellen Tages,
-und steuerte gen Himmel. Bei Sonnenaufgang
-segelte er davon.
-</p>
-
-<p>
-Rehoüa tritt nun im weiten Raume auf. Er
-schläft mit seinem Weibe Oüra Tanéïpa.
-</p>
-
-<p>
-Sie zeugten die Zwillings-Könige, den Plejaden
-gegenüber.
-</p>
-
-<p>
-Diese Zwillings-Könige sind sicher dieselben wie unser
-Kastor und Pollux.
-</p>
-
-<p>
-Die erste Version der polynesischen Genesis unterliegt
-Veränderungen, die vielleicht nur Entwicklungen sind.
-</p>
-
-<p>
-Taaroa schlief mit der Frau, die sich Göttin
-des Äußeren (oder des Meeres) nennt.
-</p>
-
-<p>
-Sie zeugten die weißen Wolken, die schwarzen
-Wolken und den Regen.
-</p>
-
-<p>
-Taaroa schlief mit der Frau, die sich Göttin
-des Innern (oder der Erde) nennt.
-</p>
-
-<p>
-Von ihnen stammt der erste Keim. Stammt
-alles, was auf der Oberfläche der Erde wächst.
-</p>
-
-<p>
-Stammt der Nebel auf den Bergen.
-</p>
-
-<p>
-Stammt, was sich das Starke nennt.
-</p>
-
-<p>
-Stammt sie, die sich die Schöne nennt oder
-die zum Gefallen-Geschmückte.
-</p>
-
-<p>
-Mahoüi<a class="fnote" href="#footnote-5" id="fnote-5">[5]</a> steuert seine Piroge.
-</p>
-
-<p>
-Er setzt sich nieder auf den Boden. Ihm zur
-Rechten hängt der mit Haarsträhnen an der
-Leine befestigte Angelhaken.
-</p>
-
-<p>
-Und die Leine mit dem Angelhaken, die er
-in der Hand hält, läßt er in die Tiefe des Weltalls
-hinunter, um den großen Fisch (die Erde)
-zu fischen.
-</p>
-
-<p>
-Der Haken hat sich festgebissen.
-</p>
-
-<p>
-Schon kommen die Achsen zum Vorschein,
-schon fühlt der Gott das enorme Gewicht des
-Erdballs.
-</p>
-
-<p>
-Tefatou (der Gott der Erde und die Erde selber)
-taucht noch, im unermeßlichen Raume schwebend,
-von dem Angelhaken erfaßt, aus der Nacht
-empor.
-</p>
-
-<p>
-Mahoüi hat den großen Fisch gefischt, der im
-Raume schwimmt und den er nun nach Belieben
-lenken kann.
-</p>
-
-<p>
-Er hält ihn in der Hand.
-</p>
-
-<p>
-Mahoüi regelt auch den Lauf der Sonne, so daß
-Tag und Nacht von gleicher Dauer sind.
-</p>
-
-</div>
-
-<p>
-Ich bat Tehura, mir die Götter zu nennen.
-</p>
-
-<div class="em">
-<p>
-&ndash; Es schlief Taaroa mit Ohina, der Göttin der
-Luft.
-</p>
-
-<p>
-Von ihnen stammt der Regenbogen, der Mondschein,
-die roten Wolken und der rote Regen.
-</p>
-
-<p>
-Es schlief Taaroa mit Ohina, der Göttin des
-Erdbusens.
-</p>
-
-<p>
-Sie zeugten Tefatou, den Geist, der die Erde
-belebt und sich durch unterirdische Geräusche
-zu erkennen gibt.
-</p>
-
-<p>
-Es schlief Taaroa mit der Frau, genannt Jenseits-der-Erde.
-</p>
-
-<p>
-Sie zeugten die Götter Téirii und Roüanoüa.
-</p>
-
-<p>
-Darauf Roo, der seitwärts aus dem Leibe der
-Mutter kam.
-</p>
-
-<p>
-Und dieselbe Frau gebar noch den Zorn und den
-Sturm, die Rasenden Winde und auch den Frieden,
-der ihnen folgt.
-</p>
-
-<p>
-Und der Ursprung dieser Geister ist an dem
-Ort, von dem die Boten ausgesandt werden.
-</p>
-
-</div>
-
-<p>
-Aber Tehura gibt zu, daß diese Darstellung angefochten
-wird. Es ist die orthodoxeste Klassifikation.
-</p>
-
-<p>
-Die Götter teilten sich in Atuas und Oromatuas.
-</p>
-
-<p>
-Die höheren Atuas sind alle Söhne und Enkel des
-Taaroa.
-</p>
-
-<p>
-Sie wohnen in den Himmeln &ndash; es gibt deren sieben.
-</p>
-
-<p>
-Die Söhne Taaroas und seines Weibes Féii Féii Maïtéraï
-waren: Oro (der erste der Götter nach seinem Vater,
-der selbst zwei Söhne hatte, Tetaï Mati und Oüroü Téféta),
-Raa (Vater von sieben Söhnen), Tané (Vater von sechs
-Söhnen), Roo, Tiéri, Téfatou, Roüa Noüa, Toma Hora,
-Roüa Oütia, Moë, Toüpa, Panoüa usw. usw.
-</p>
-
-<p>
-Jeder dieser Götter hatte seine besonderen Abzeichen.
-</p>
-
-<p>
-Die Werke des Mahoüi und des Tefatou kennen wir
-bereits ...
-</p>
-
-<p>
-Tané hat den siebenten Himmel als Mund &ndash; und dies
-bedeutet, daß der Mund dieses Gottes das äußerste Ende
-des Himmels ist, von wo aus das Licht die Erde zu erhellen
-beginnt.
-</p>
-
-<p>
-Rii trennte Himmel und Erde.
-</p>
-
-<p>
-Roüi wühlte die Wasser des Ozeans auf, durchbrach
-die feste Masse des Erdballs und teilte ihn in unzählige
-Teile, die jetzigen Inseln.
-</p>
-
-<p>
-Fanoüra, dessen Haupt bis zu den Wolken und dessen
-Füße bis zum Meeresgrund reichten, und Fatoühoüi, ein
-anderer Riese, stiegen zusammen nach Eïva &ndash; einem unbekannten
-Lande &ndash; hinunter, um das ungeheure Schwein
-zu bekämpfen und zu vernichten, das die Menschen verschlang.
-</p>
-
-<p>
-Hiro, Gott der Diebe, grub mit seinen Fingern Löcher
-in den Felsen. Er befreite eine Jungfrau, die Riesen an
-einem verzauberten Ort gefangen hielten: mit einer einzigen
-Hand riß er die Bäume aus, die am Tage das Gefängnis
-der Jungfrau verdeckten, und der Zauber war gebrochen
-...
-</p>
-
-<p>
-Die Atuas niederen Ranges kümmerten sich mehr um
-das Leben und die Arbeit der Menschen, ohne ihre Gewohnheiten
-zu teilen.
-</p>
-
-<p>
-Es sind: die Atuas Maho (Götter-Haie), Schutzgeister
-der Seeleute: die Pëho, Götter und Göttinnen der Täler,
-Schutzgeister der Ackerbauer; die No Te Oüpas Oüpas,
-Schutzgeister der Sänger, Komödianten und Tänzer; die
-Raaoü Pava Maïs, Schutzgeister der Ärzte; die No Apas,
-Götter, denen Opfer dargebracht werden, nachdem sie jemand
-vor Hexerei und Zauber bewahrt haben; die O Tanoü,
-Schutzgeister der Arbeiter, die Tané Ité Haas, Schutzgeister
-der Zimmerleute und Baumeister; die Minias und
-Papéas, Schutzgeister der Dachdecker; die Matatinis, Schutzgeister
-der Netzeknüpfer.
-</p>
-
-<p>
-Die Oromatuas sind Hausgötter, die Laren.
-</p>
-
-<p>
-Es gibt wirkliche Oromatuas und Genien.
-</p>
-
-<p>
-Die Oromatuas strafen die Streitsüchtigen und halten
-den Frieden in den Familien aufrecht. Es sind: die Varna
-Taatas, Seelen verstorbener Männer und Frauen jeder Familie.
-Die Eriorios, Seelen der in frühem Alter eines natürlichen
-Todes gestorbenen Kinder. Die Poüaras, Seelen
-von Kindern, die bei der Geburt getötet wurden und in
-den Körper der Heuschrecke zurückgekehrt waren.
-</p>
-
-<div class="centerpic">
-<img src="images/072a.jpg" alt="" /></div>
-
-<p>
-Die Genien sind von den Menschen gemutmaßte oder
-vielmehr wissentlich erdachte Gottheiten. Sie legen irgendeinem
-Tiere oder einem Gegenstand, einem Baume z. B.,
-ohne jeden Grund willkürlich göttliche Bedeutung bei und
-fragen ihn dann bei jedem wichtigen Anlaß um Rat. &ndash;
-Vielleicht ist das noch eine Spur der Seelenwanderung der
-Inder, die die Maories höchst wahrscheinlich gekannt
-haben.
-</p>
-
-<p>
-Ihre historischen Gesänge sind überreich an Sagen, in
-denen man die Götter wieder die Gestalt von Tieren und
-Pflanzen annehmen sieht.
-</p>
-
-<p>
-Nach den Atuas und Oramatuas kommen in letzter
-Reihe der himmlischen Rangordnung die Tiis.
-</p>
-
-<p>
-Diese Söhne Taaroas und Hinas sind sehr zahlreich.
-</p>
-
-<p>
-Als den Göttern untergeordnete und den Menschen
-fernstehende Geister, vermitteln sie nach der <a id="corr-6"></a>Schöpfungssage
-der Maories zwischen organischen und unorganischen
-Wesen und verteidigen die Ansprüche und Rechte
-dieser gegen die widerrechtlichen Angriffe der anderen.
-</p>
-
-<p>
-Ihre Entstehung ist diese:
-</p>
-
-<p>
-Es schlief Taaroa mit Ani (Sehnsucht) und sie zeugten:
-die Sehnsucht der Nacht, den Boten der Finsternis und
-des Todes; die Sehnsucht des Tages, den Boten des Lichts
-und des Lebens; die Sehnsucht der Götter, den Boten des
-Himmlischen, und die Sehnsucht der Menschen, den Boten
-des Irdischen.
-</p>
-
-<p>
-Sodann zeugten sie: Tii-des-Inneren, der über Tiere
-und Pflanzen wacht, Tii-des-Äußeren, der alle Wesen und
-Dinge des Meeres hütet; Tii-des-Sandes, Tii-der-Küsten
-und Tii-der-lockeren Erde; Tii-der-Felsen und Tii-des-Festen-Landes.
-</p>
-
-<p>
-Später wurden noch geboren: Nachtleben, Tagesleben,
-Kommen und Gehen, Ebbe und Flut, Freudenspenden
-und Genießen.
-</p>
-
-<p>
-Die Bildnisse der Tiis waren an der Außenseite der
-Maraës (Tempel) angebracht und begrenzten das Innere
-des heiligen Bodens. Man sieht deren auf Felsen und an
-Küsten, und diese Götzenbilder haben die Aufgabe, die
-Grenze zwischen Erde und Meer zu bezeichnen, die Harmonie
-zwischen den beiden Elementen aufrechtzuerhalten
-und ihren wechselseitigen Eingriffen zu wehren.
-Reisende haben noch jetzt auf der Ile-de-Pâques einige Tii-Statuen
-gesehen. Es sind Riesendenkmäler in halb menschlicher,
-halb tierischer Gestalt, die von einem eigentümlichen
-Schönheitsbegriff und großer Geschicklichkeit in
-der Behandlung der Steine zeugen, die architektonisch in
-Blöcken von geschickt gewählter Farbenzusammenstellung
-übereinander getürmt sind.
-</p>
-
-<p>
-Die europäische Invasion und der Monotheismus haben
-diese Spuren einer einst hohen Kultur verwischt. Wenn
-die Tahitianer heutzutage ein Monument errichten, zeigen
-sie Wunder von schlechtem Geschmack &ndash; wie in der
-Art des Grabmals des Pomare. Sie haben ihre ursprünglichen
-Instinkte verloren, die in dem steten Verkehr mit
-der Tier- und Pflanzenwelt in so reichem Maße bei ihnen
-entwickelt waren. Im Umgang mit uns, in <em>unserer
-Schule</em> sind sie erst wahrhaft &bdquo;Wilde&ldquo; in jenem Sinne
-geworden, die der lateinische Okzident diesem Worte unterlegt.
-Sie sind schön geblieben wie Kunstwerke, aber sie
-sind (wir haben sie) moralisch und auch physisch unfruchtbar
-gemacht.
-</p>
-
-<p>
-Es existieren noch Spuren der Maraës. Sie waren von
-Mauern umgebene Vierecke, die durch drei Öffnungen
-unterbrochen wurden. Drei Seiten bestanden aus Steinmauern
-von vier bis sechs Fuß, eine weniger hohe als
-breite Pyramide bildete die vierte. Das Ganze hatte eine
-Breite von etwa hundert und eine Länge von vierzig Metern.
-&ndash; Bildnisse von Tiis schmückten dies einfache Bauwerk.
-</p>
-
-<p>
-Der Mond nimmt einen wichtigen Platz in der metaphysischen
-Anschauung der Maories ein. Daß ihm zu
-Ehren ehemals große Feste veranstaltet wurden, ist schon
-gesagt worden. Hina wird in den überlieferten Erzählungen
-der Aréoïs oft genannt. Jedoch ist ihre Mitwirkung
-an der Weltharmonie, ihre Rolle darin eine mehr
-negative als positive.
-</p>
-
-<p>
-Dies geht deutlich aus dem oben angeführten Gespräch
-zwischen Hina und Tefatou hervor.
-</p>
-
-<p>
-Den Exegeten würden solche Worte den schönsten Stoff
-liefern, wenn sich die australische Bibel auffinden ließe,
-um sie auszulegen. Vor allem würden sie darin die Lehren
-einer Religion auf der Verehrung von Naturkräften
-aufgebaut sehen &ndash; ein gemeinsamer Zug aller primitiven
-Religionen. Die Mehrzahl aller maorischen Götter sind
-eigentlich eine Personifikation verschiedener Elemente.
-Aber ein aufmerksamer Blick, der nicht von dem Wunsch
-abgelenkt und beeinflußt ist, die Überlegenheit unserer
-Philosophie über die jener &bdquo;Völkerschaften&ldquo; zu beweisen,
-wird in diesen Legenden sicherlich interessante und eigentümliche
-Züge finden.
-</p>
-
-<p>
-Ich möchte zwei davon anführen &ndash; aber ich begnüge
-mich, darauf hinzuweisen. Es ist Aufgabe der Gelehrten,
-die Richtigkeit dieser Hypothesen zu bestätigen.
-</p>
-
-<p>
-Vor allem ist es die Klarheit, mit der die beiden einzigen
-und allgemeinen Grundideen des Lebens sich unterscheiden
-und offenbaren. Die eine, Seele und Intelligenz,
-Taaora, ist das Männliche, die andere, gewissermaßen
-Stoff und Körper des nämlichen Gottes, das Weibliche,
-und dies ist Hina, Ihr gehört die ganze Liebe des Menschen,
-ihm seine Ehrfurcht. &ndash; Hina ist nicht nur der
-Name des Mondes; es gibt auch eine <em>Hina der Luft</em>,
-<em>Hina des Meeres</em>, eine <em>Hina des Inneren</em>, aber diese
-beiden Silben charakterisieren nur die untergeordneten
-Teile der Materie. Die Sonne, der Himmel, das Licht und
-sein Reich, sozusagen alle edlen Teile der Materie &ndash; oder
-vielmehr ihre spirituellen Elemente sind Taaroa. Das
-geht deutlich aus mehr als einem Ausspruch hervor, in
-dem die Definition von Geist und Materie wieder zu erkennen
-ist. &ndash; Oder was bedeutet wohl, wenn wir es bei
-dieser Definition bewenden lassen, die Grundlehre der
-maorischen Schöpfungsgeschichte:
-</p>
-
-<div class="em">
-<p>
-Das Weltall ist nur die Schale des Taaroa &ndash;?
-</p>
-
-</div>
-
-<p>
-Bestätigt diese Lehre nicht den Urglauben an die Einheit
-des Stoffes; wie die Definition und die Trennung von
-Geist und Körper die Analyse der zwiefachen Manifestation
-dieses Stoffes in seiner Einheit! So selten solch ein
-philosophisches Vorausempfinden bei den Primitiven auch
-sein mag, darf doch dessen Wahrscheinlichkeit nicht bestritten
-werden. Es ist wohl zu erkennen, daß die australische
-Theologie in den Handlungen des Gottes, der die
-Welt erschuf und sie erhält, zwei Ziele im Auge hat: die
-erzeugende Ursache und die befruchtete Materie, die treibende
-Kraft und den verwandelten Gegenstand, Geist und
-Materie. Ebenso muß man in den beständigen Wechselwirkungen
-zwischen dem leuchtenden Geist und der empfänglichen
-Materie, die er belebt, in den aufeinander folgenden
-Verbindungen des Taaroa mit den verschiedenen
-Hina-Gestalten, den fortwährenden und wechselnden Einfluß
-der Sonne erkennen, wie in den Früchten dieser Verbindungen
-die durch eben diese Elemente hervorgerufenen
-Wandlungen von Licht und Wärme. Aber hat man dieses
-Phänomen, von dem aus die beiden Hauptströmungen
-sich vereinigten, erst einmal vor Augen, so verschmelzen
-in der Frucht die zeugende Ursache und die befruchtete
-Materie, in der Bewegung die treibende Kraft und der
-verwandelte Gegenstand, im Leben Geist und Materie,
-und das eben erschaffene Weltall ist nichts <em>als die Schale
-des Taaroa</em>!
-</p>
-
-<p>
-Aus dem Zwiegespräch zwischen Hina und Tefatou
-geht hervor, daß Mensch und Erde untergehen, während
-der Mond und die Wesen, welche ihn bewohnen, fortdauern.
-Wenn wir uns erinnern, daß Hina die Materie
-vorstellt &ndash; in der sich einem wissenschaftlichen Ausspruch
-nach &bdquo;alles verwandelt und nichts vergeht&ldquo; &ndash;, werden
-wir annehmen müssen, daß der alte maorische Weise, von
-dem diese Sage stammt, ebensoviel davon wußte wie wir.
-Die Materie vergeht nicht, das heißt, sie verliert ihre sinnlich
-wahrnehmbaren Eigenschaften nicht. Der Geist dagegen
-und die &bdquo;spirituelle Materie&ldquo;, das Licht, sind Wandlungen
-unterworfen: es gibt Nacht und den Tod, wo die
-Augen sich schließen, von denen Helle auszustrahlen
-schien, die sie zurückwarfen. &ndash; Der Geist, oder die höchste
-aktuelle Manifestation des Geistes ist der Mensch. <em>Und
-der Mensch muß sterben ... Er stirbt, um nicht
-mehr zum Leben zu erwachen.</em> &ndash; Wenn aber der
-Mensch und die Erde, die Früchte der Verbindung von
-Taaroa mit Hina, auch untergehen, ist doch Taaroa ewig,
-und uns wird verkündet, daß Hina, die Materie, fortfahren
-wird zu sein. In alle Ewigkeit werden nun Geist
-und Materie, das Licht und der Gegenstand, den es zu erhellen
-strebt, von dem gemeinsamen Verlangen nach einer
-neuen Verbindung erfüllt sein, aus der ein neuer &bdquo;Zustand&ldquo;
-der unendlichen Evolution des Lebens hervorgehen
-wird.
-</p>
-
-<p>
-Evolution! ... Einheit des Stoffes ... Wer hätte erwartet,
-in den Vorstellungen ehemaliger Kannibalen die
-Beweise einer so hohen Kultur zu finden? Ich kann mit
-gutem Gewissen sagen, daß ich der Wahrheit nichts zugefügt
-habe.
-</p>
-
-<p>
-Tehura zweifelte zwar durchaus nicht an diesen Abstraktionen,
-aber sie war nicht davon abzubringen, in den
-Sternschnuppen schweifende Tupapaüs und trauernde
-Genien zu sehen. Im selben Sinne wie ihre Vorfahren
-Taaroa für den Himmel in Person und die von ihm stammende
-Atuas für Götter und Himmelskörper zugleich
-hielten, schrieb sie den Sternen menschliche Empfindungen
-zu. Ich weiß nicht, inwiefern diese poetischen Vorstellungen
-den Fortschritt der positivsten Wissenschaft hemmen,
-und bis zu welchem Punkt die höchste Wissenschaft
-sie verwerfen würde ...
-</p>
-
-<p>
-Von einem andern Gesichtspunkt aus wären für das
-Gespräch zwischen Hina und Tefatou verschiedene Deutungen
-zulässig. &ndash; Der Rat des Mondes, der eine Frau
-ist, könnte der gefährliche Rat blinden Mitleids und sentimentaler
-Schwäche sein: der Mond und die Frauen (in
-der Vorstellung der Maories) gleichbedeutend mit Materie,
-brauchten nicht zu wissen, daß der Tod allein die Geheimnisse
-des Lebens birgt. &ndash; Die Antwort des Tefatou
-könnte ein strenger, aber voraussehender und uneigennütziger
-Ausspruch von höchster Weisheit sein, die erkennt,
-daß die individuellen Äußerungen aktuellen Lebens
-einem höheren Wesen weichen müssen, auf daß es
-komme, und ihm geopfert werden müssen, auf daß es
-siege.
-</p>
-
-<p>
-Früher hätte diese Antwort die Bedeutung einer nationalen
-Prophezeiung von noch größerer Tragweite gehabt:
-ein großer Geist hätte in alter Zeit die Lebensfähigkeit
-seiner Rasse studiert und abgeschätzt, hätte die Todeskeime
-in ihrem Blut ohne die Möglichkeit einer Heilung
-oder Wiedergenesung vorausgesehen und sich gesagt:
-</p>
-
-<div class="em">
-<p>
-Tahiti wird aussterben, es wird aussterben, um
-nicht wieder zu erstehen.
-</p>
-
-</div>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Tehura sprach mit einer gewissen religiösen Scheu von
-jener Sekte oder geheimen Gemeinschaft der Aréoïs, die
-zur Zeit ihrer Herrschaft die Inseln regierte.
-</p>
-
-<p>
-Aus den verworrenen Reden des Kindes sonderte ich
-Erinnerungen an einen furchtbaren, eigentümlichen
-Brauch, ich ahnte eine tragische Vergangenheit voll unerhörter
-Verbrechen, in die einzudringen aber den Neugierigen
-durch ein streng gehütetes Geheimnis verwehrt war.
-</p>
-
-<p>
-Nachdem Tehura mir alles darüber erzählt hatte, was
-sie wußte, forschte ich überall danach.
-</p>
-
-<p>
-Der sagenhafte Ursprung jener mächtigen Gemeinschaft
-ist dieser:
-</p>
-
-<p>
-Oro, der Sohn des Taaroa und nach seinem Vater der
-höchste der Götter, beschloß eines Tages, unter den Sterblichen
-eine Gefährtin zu suchen.
-</p>
-
-<p>
-Es sollte eine Jungfrau sein, schön und tauglich, mit
-ihm unter den Menschen eine Rasse zu gründen, die allen
-bevorzugt und überlegen war.
-</p>
-
-<p>
-Er durchschritt also die sieben Himmel und stieg hinunter
-auf den Païa, einen hohen Berg auf der Insel Bora-Bora,
-wo seine Schwestern, die Göttinnen Téouri und
-Oaaoa, wohnten.
-</p>
-
-<p>
-Nun trat Oro in Gestalt eines jungen Kriegers und seine
-Schwestern in junge Mädchen verwandelt, eine Fahrt
-durch die Insel an, um dort ein Wesen zu suchen, das
-eines Gottes Kuß würdig wäre.
-</p>
-
-<p>
-Oro ergriff den Regenbogen, stützte ein Ende auf den
-Gipfel des Païa, das andere auf die Erde, und so schritten
-der Gott und die Göttinnen über Täler und Fluten.
-</p>
-
-<p>
-Auf den verschiedenen Inseln, wo man eilte sie zu empfangen,
-gaben die Reisenden prunkvolle, wunderbare Feste,
-zu denen alle Frauen sich drängten.
-</p>
-
-<p>
-Und Oro hielt Umschau unter ihnen. Aber sein Herz
-war betrübt, denn der Gott fand Liebe, aber er liebte
-nicht. Auf keiner der Menschentöchter weilte sein Blick
-lange, denn er entdeckte nicht eine der Tugenden und
-Vorzüge, von denen er geträumt.
-</p>
-
-<p>
-Und nachdem viele Tage unter vergeblichem Suchen
-verstrichen waren, beschloß er, in die Himmel zurückzukehren,
-als er zu Vaïtapé auf der Insel Bora-Bora eine
-Jungfrau von seltener Schönheit erblickte, die in dem
-schönen See von Avaï Aïa badete.
-</p>
-
-<p>
-Sie war von hoher Gestalt, und die Sonnenglut brannte
-und leuchtete auf ihrem herrlichen Fleisch, während der
-ganze Zauber der Liebe in der Nacht ihres Haares schlummerte.
-</p>
-
-<p>
-Entzückt bat Oro die Schwestern, die Jungfrau anzureden.
-</p>
-
-<p>
-Er selber zog sich zurück, um das Ergebnis ihrer Sendung
-auf dem Gipfel des Païa abzuwarten.
-</p>
-
-<p>
-Die Göttinnen redeten die Jungfrau mit einem Gruß
-an, priesen ihre Schönheit und sagten, daß sie aus Avanaü,
-einem Ort auf Bora-Bora, kämen.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Unser Bruder läßt dich fragen, ob du einwilligst,
-sein Weib zu werden.
-</p>
-
-<p>
-Vaïraümati &ndash; dies war der Name der Jungfrau &ndash;
-blickte die Fremden prüfend an und erwiderte:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ihr seid nicht aus Avanaü. Doch ist euer Bruder
-ein Häuptling, ist er jung und schön, so mag er kommen,
-Vaïraümati wird sein Weib werden.
-</p>
-
-<p>
-Téouri und Oaaoa stiegen unverzüglich zum Païa hinauf,
-um ihrem Bruder mitzuteilen, daß er erwartet werde.
-</p>
-
-<p>
-Sogleich begab Oro sich wie vorher auf dem Regenbogen
-hinunter nach Vaïtapé.
-</p>
-
-<p>
-Vaïraümati hatte zu seinem Empfang eine mit den
-schönsten Früchten besetzte Tafel und aus den feinsten
-Matten und seltensten Stoffen ein Lager bereitet.
-</p>
-
-<p>
-Göttlich in ihrer Anmut und Kraft, pflegten sie der
-Liebe in Hain und Flur, am Ufer des Meeres und im
-Schatten des Tamaris und des Paudanus. Jeden Morgen
-stieg der Gott auf den Gipfel des Païa, und jeden Abend
-ging er hinunter, mit ihr zu schlafen.
-</p>
-
-<p>
-Kein anderes sterbliches Mädchen durfte ihn in irdischer
-Gestalt erblicken.
-</p>
-
-<p>
-Und stets diente der zwischen Païa und Vaïtapé gespannte
-Regenbogen ihm als Weg.
-</p>
-
-<p>
-Viele Monde hatten geleuchtet und waren wieder erloschen,
-seitdem die verödeten Sieben Himmel ohne Kunde
-von Oros Aufenthalt waren. Darum nahmen nun zwei
-andere Söhne des Taaroa, Orotéfa und Oürétéfa, menschliche
-Gestalt an und machten sich auf, ihren Bruder zu
-suchen. Lange irrten sie auf den Inseln umher, ohne ihn
-zu finden. Endlich jedoch entdeckten sie auf Bora-Bora
-den jungen Gott, der mit Vaïraümati im Schatten eines
-heiligen Mangobaumes ruhte.
-</p>
-
-<p>
-Sie waren voll Staunen über die Schönheit des jungen
-Weibes und wollten ihm als Zeichen ihrer Bewunderung
-einige Geschenke darbieten. Also verwandelte Orotéfa
-sich in eine Sau und Oürétéfa in rote Federn, nahmen
-dann gleich wieder menschliche Gestalt an, ohne daß Sau
-und Federn verschwanden, und näherten sich mit ihren
-Gaben den Liebenden.
-</p>
-
-<p>
-Erfreut empfingen Oro und Vaïraümati die beiden hohen
-Reisenden.
-</p>
-
-<p>
-In derselben Nacht warf die Sau sieben Junge, von
-denen das erste einer späteren Verwendung vorbehalten
-blieb; das zweite wurde den Göttern geopfert, das dritte
-der Gastfreundschaft geweiht und den Fremden angeboten,
-das vierte nannten sie: Opferschwein zu Ehren der Liebe,
-das fünfte und sechste sollte bis zur ersten Tracht verschont
-bleiben, um die Art zu mehren, und das siebente
-endlich wurde im ganzen auf heißen Steinen gebraten &ndash;
-also nach maorischem Brauch göttlich geweiht &ndash; und
-verzehrt.
-</p>
-
-<p>
-Die Brüder des Oro kehrten wieder in die Himmel
-zurück.
-</p>
-
-<p>
-Einige Wochen darauf sagte Vaïraümati zu Oro, daß
-sie sich Mutter fühle.
-</p>
-
-<p>
-Da nahm Oro das erste der sieben Schweine, das verschont
-geblieben war, und begab sich nach Raïatéa, zu
-dem großen Maraë, dem Tempel des Gottes Vapoa.
-</p>
-
-<p>
-Dort traf er einen Mann namens Mahi, dem er das
-Schwein übergab, und sprach:
-</p>
-
-<p>
-<em>Maiï maitaï oétéinéi boüaa</em> (Nimm dieses Schwein
-und hüte es wohl).
-</p>
-
-<p>
-Und feierlich fuhr der Gott fort:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Es ist das heilige Schwein. In seinem Blut wird
-der Bund der Männer gefärbt sein, die von mir stammen.
-Denn ich bin Vater in dieser Welt. Sie werden sich
-Oréoïs nennen. Dir übermittle ich ihre Vorrechte und
-ihren Namen. Ich selber kann hier nicht länger weilen.
-</p>
-
-<p>
-Mahi suchte den Häuptling von Raïatéa auf und erzählte
-ihm sein Abenteuer. Aber da er das ihm anvertraute
-heilige Gut nicht hüten konnte, ohne der Freund
-des Häuptlings zu sein, fügte er hinzu:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Mein Name sei der deinige und dein Name der meine.
-</p>
-
-<p>
-Der Häuptling war es zufrieden, und sie nahmen beide
-den Namen Taramanini an.
-</p>
-
-<p>
-Inzwischen war Oro wieder zu Vaïraümati zurückgekehrt
-und verkündigte dieser, daß sie einen Sohn gebären
-würde, den er ihr Hoa Tabou të Raï (heiliger Freund des
-Himmels) zu nennen gebot.
-</p>
-
-<p>
-Dann sprach er:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Die Zeit ist erfüllet und ich muß dich verlassen.
-</p>
-
-<p>
-Er verwandelte sich sodann in eine ungeheure Feuersäule
-und hob sich majestätisch in die Lüfte bis über den
-Periréré, den höchsten Berg von Bora-Bora. Und hier
-entschwand er den Blicken seiner weinenden Gattin und des
-staunenden Volkes.
-</p>
-
-<p>
-Hoa Tabou të Raï ward ein großer Häuptling und tat
-den Menschen viel Gutes. Bei seinem Tode wurde er in
-den Himmel erhoben, wo Vaïraümati selber den Rang
-einer Göttin einnahm.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Oro könnte gut ein umherwandelnder Brahmine sein,
-der den Inseln &ndash; wann? die Lehre des Brahma brachte
-(auf deren Spuren in der australischen Religion ich schon
-hinwies).
-</p>
-
-<p>
-In der Reinheit dieser Lehre erwachte das maorische
-Genie. Geister, die fähig waren zu verstehen, erkannten
-einander und vereinigten sich, &ndash; natürlich völlig abgesondert
-vom Volk, &ndash; um die vorgeschriebenen Riten
-auszuüben. Aufgeklärter als die übrigen ihrer Rasse,
-rissen sie bald die religiöse und politische Herrschaft über
-die Inseln an sich, sicherten sich wichtige Vorrechte und
-gründeten eine starke Übermacht, die in der Geschichte
-des Inselmeers die glänzendste Periode bildete.
-</p>
-
-<p>
-Obwohl sie des Schreibens unkundig gewesen zu sein
-scheinen, waren die Aréoïs wahre Gelehrte. Sie verbrachten
-ganze Nächte damit, alte &bdquo;Aussprüche der Götter&ldquo; Wort
-für Wort mit peinlichster Genauigkeit zu erforschen, und
-sie auszulegen erforderte eine jahrelange Arbeit. Diese
-ihnen allein zugänglichen Aussprüche der Götter, denen
-sie höchstens Kommentare beifügen durften, verschaffte
-den Aréoïs die Sicherheit eines geistigen Mittelpunkts,
-regte sie zu gewohnheitsmäßigem Nachdenken an, berechtigte
-sie zu einer übermenschlichen Mission und gab ihnen
-ein Ansehen, vor dem jeder sich beugte.
-</p>
-
-<p>
-Es gibt in unserm christlichen, lehnspflichtigen Mittelalter
-ganz ähnliche Einrichtungen wie diese, und ich kenne
-nichts Furchtbareres als jene religiöse und kriegerische
-Gemeinschaft, jenes Konzil, das im Namen Gottes Urteile
-fällte und allmächtig über Leben und Tod entschied.
-</p>
-
-<p>
-Die Aréoïs lehrten, daß Menschenopfer den Göttern
-wohlgefällig seien, und opferten selber in den Maraës alle
-ihre Kinder außer den Erstgeborenen: das Symbol dieses
-blutigen Ritus war die Sage von den sieben Schweinen,
-die außer dem ersten, dem &bdquo;heiligen Schwein&ldquo;, alle getötet
-wurden.
-</p>
-
-<p>
-Doch dürfen wir über diese Barbarei nicht voreilig schelten.
-</p>
-
-<p>
-Diese grausame Pflicht, der so viele primitive Völkerschaften
-sich unterwarfen, hatte tiefe Gründe sozialer Art
-und allgemeinen Interesses.
-</p>
-
-<p>
-Bei sehr fruchtbaren Rassen, wie es die der Maories
-einst war, bedrohte die unbegrenzte Vermehrung der Bevölkerung
-ihre nationale wie positive Existenz. Das Leben
-auf den Inseln war zwar mühelos, und es bedurfte
-keines großen Fleißes, um sich das Notwendige zu verschaffen.
-Aber das sehr beschränkte Gebiet, von dem unermeßlichen,
-den gebrechlichen Pirogen unzugänglichen
-Ozean umgeben, wäre für ein sich stetig vermehrendes
-Volk bald unzureichend geworden. Das Meer hätte nicht
-mehr genügend Fische geliefert und der Wald nicht genug
-Früchte. Eine Hungersnot wäre nicht ausgeblieben und
-hätte, wie sie es immer getan, die Anthropophagie zur
-Folge gehabt. &ndash; Um Männermorde zu vermeiden, beschränkten
-die Maories sich auf Kinderopfer. Übrigens
-war Menschenfresserei bereits üblich, als die Aréoïs auftraten,
-und um diese zu bekämpfen und die Ursache aufzuheben,
-führten sie den Kindesmord ein, der vielleicht als
-eine Milderung der Sitten zu bezeichnen wäre, wenn das
-unheimlich Komische dieser Behauptung auch einem
-Possenschreiber zur Belustigung dienen könnte. Die Aréoïs
-mußten wahrscheinlich große Energie anwenden, um diesen
-Fortschritt durchzusetzen, und erreichten es wohl nur
-dadurch, daß sie sich in den Augen des Volkes die volle
-Autorität der Götter anmaßten.
-</p>
-
-<p>
-Schließlich wurde der Kindesmord ein mächtiges Mittel
-der Zuchtwahl für die Rasse. Das furchtbare Recht der
-Erstgeburt, ein Recht auf das Leben selber, erhielt die
-Kraft des Volkes unverkürzt, indem es von den schädlichen
-Folgen erschöpfter Säfte verschont blieb. Es nährte in
-all diesen Kindern auch das Bewußtsein unverwüstlichen
-Stolzes. Die Urkraft und letzte Blüte dieses Stolzes ist es
-auch, die wir noch bei den letzten Sprößlingen einer großen,
-im Aussterben begriffenen Rasse bewundern.
-</p>
-
-<p>
-Das beständige Beispiel und die häufige Wiederkehr
-des Todes war schließlich eine erhabene und belebende
-Lehre. Die Krieger lernten Schmerzen gering schätzen,
-und die ganze Nation fand eine wohltätige intensive Erregung
-dabei, die sie vor der tropischen Erschlaffung und
-entnervender Mattigkeit bei dem fortdauernden Nichtstun
-bewahrte. Es ist eine historische Tatsache, daß der Niedergang
-der Maories mit dem gesetzlichen Verbot der
-Opfer begann, und daß sie von da an allmählich jede moralische
-Kraft und physische Fruchtbarkeit verloren. Sollte
-dies auch nicht die Ursache davon sein, so gibt das Zusammentreffen
-doch zu denken.
-</p>
-
-<p>
-Und vielleicht haben die Aréoïs die tiefe Bedeutung
-und symbolische Notwendigkeit des Opfers verstanden ...
-Die Prostitution war ihnen eine heilige Pflicht. Bei uns
-hat sich das geändert. Auch hat sie auf Tahiti keineswegs
-aufgehört, seit wir es mit den Wohltaten unserer Zivilisation
-überhäuft haben: sie blüht fort. Aber sie ist weder
-Pflicht noch geheiligt, sondern nur ohne Größe und
-entschuldbar.
-</p>
-
-<p>
-Die geistliche Würde ging vom Vater auf den Sohn
-über, dessen Einweihung schon im Kindesalter begann.
-</p>
-
-<p>
-Die Gesellschaft war ursprünglich in zwölf Logen geteilt,
-deren Großmeister die zwölf obersten Aréoïs waren.
-Dann kamen die Würdenträger zweiten Ranges und endlich
-die Lehrjünger. Die verschiedenen Grade unterschieden
-sich durch besondere Tätowierungen auf den Armen,
-an den Seiten, den Schultern, Beinen und Knöcheln.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Der <em>Matamua</em> der Aréoïs, eine maorische Szene bei
-der feierlichen Einsetzung eines Königs in alter Zeit:
-</p>
-
-<p>
-Der neue Herrscher verläßt, in prächtige Gewänder gekleidet
-und von den Vornehmsten der Inseln umgeben,
-seinen Palast. Vor ihm schreiten die Großmeister der
-Aréoïs mit seltenen Federn im Haar.
-</p>
-
-<p>
-Er begibt sich mit seinem Gefolge zum Maraë.
-</p>
-
-<p>
-Als die Priester, die ihn an der Schwelle erwarten, seiner
-ansichtig werden, verkünden sie unter lautem Trompetenschall
-und Trommelschlag, daß die Zeremonie beginnt.
-</p>
-
-<p>
-Dann beim Eintritt in den Tempel mit dem König legen
-sie ein Menschenopfer, einen Leichnam, vor das Bild
-des Gottes.
-</p>
-
-<p>
-Der König spricht und singt mit den Priestern vereint
-Gebete, worauf der Priester das Opfer beider Augen beraubt.
-Er bietet das rechte Auge dem Gotte dar und das
-linke dem König; dieser öffnet den Mund, wie um das
-blutige Auge zu verschlingen, aber der Priester zieht es
-zurück und legt es wieder zu dem Körper<a class="fnote" href="#footnote-6" id="fnote-6">[6]</a>.
-</p>
-
-<p>
-Nun wird die Statue des Gottes auf eine geschnitzte,
-von Priestern getragene Bahre gestellt. Auf den Schultern
-der beiden Oberpriester sitzend, folgt der König dem
-Götzenbild, von den Aréoïs wie zu einer Abreise begleitet,
-bis zum Ufer des Meeres. Auf dem ganzen Wege fahren
-die Priester fort die Trompete zu blasen, die Trommel zu
-schlagen.
-</p>
-
-<p>
-Die Menge geht ehrfurchtsvoll und still hinterher.
-</p>
-
-<p>
-An der Bucht wiegt sich die heilige, zu dieser Feier
-mit grünen Zweigen und Blumen geschmückte Piroge.
-Zuerst wird das Götzenbild darin untergebracht, dann der
-König seiner Gewänder entledigt, und die Priester geleiten
-ihn in das Meer, wo die Atuas-Mao (Götter-Haie) ihn in
-den Fluten waschen und liebkosen.
-</p>
-
-<p>
-So zum andernmal vom Kuß des Meeres im Beisein des
-Gottes geweiht, wie zuvor das erstemal in dessen Tempel,
-besteigt der König die heilige Piroge, wo der Oberpriester
-ihn mit dem <em>maro oüroü</em> umgürtet und um sein Haupt
-das <em>taoü mata</em>, die Binden der Herrschaft, windet.
-</p>
-
-<p>
-Vorn im Boot stehend zeigt der König sich nun dem
-Volk.
-</p>
-
-<p>
-Und dieses bricht bei dem Anblick endlich das lange
-Schweigen, und überall ertönt der feierliche Ruf:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; <em>Maëva Arii</em> (Es lebe der König)!
-</p>
-
-<p>
-Nachdem der erste laute Jubel sich gelegt hat, wird
-der König auf das heilige Lager gebettet, wo eben das
-Götzenbild geruht, und alle kehren auf demselben Wege,
-fast in derselben Reihenfolge wie vorher, zum Maraë
-zurück.
-</p>
-
-<p>
-Wieder tragen die Priester das Götzenbild und die Oberpriester
-den König, und der Zug wird abermals mit Musik
-und Tanz eröffnet.
-</p>
-
-<p>
-Das Volk folgt hinterher. Aber jetzt rufen sie, ihrer
-Freude überlassen, fortwährend:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Maëva Arii!
-</p>
-
-<p>
-Das Götzenbild wird feierlich auf seinen Altar zurückgestellt.
-</p>
-
-<p>
-Und damit schließt die religiöse Feier. Nun soll das
-Volksfest seinen Anfang nehmen.
-</p>
-
-<p>
-Wie den Göttern im Tempel und der Natur im Meer,
-wird der König sich dem Volke weihen<a class="fnote" href="#footnote-7" id="fnote-7">[7]</a>. &ndash; Auf Matten
-gebettet muß der König jetzt die <em>höchste Huldigung
-des Volkes</em> entgegennehmen.
-</p>
-
-<p>
-Die frenetische Huldigung eines wilden Volkes.
-</p>
-
-<p>
-Eine ganze Menge in Bezeigung ihrer Liebe für <em>einen
-Menschen</em>, und dieser Mensch ist der König. Großartig
-bis zum Schrecken, bis zum Entsetzen ist dieses Schauspiel
-zwischen der Menge und dem einen Menschen. Morgen
-wird er Herr sein, er wird nach Belieben mit Geschicken
-schalten, über die er zu bestimmen hat, und die
-ganze Zukunft ist sein! Der Menge gehört nur diese eine
-Stunde.
-</p>
-
-<p>
-Völlig nackt, in lasziven Tänzen umkreisen Männer
-und Frauen den König und bemühen sich, gewisse Teile
-seines Körpers mit gewissen Teilen des ihren zu streifen,
-eine Berührung ist dabei nicht immer zu vermeiden. Und
-die Raserei des Volkes steigert sich bis zur Tollheit. Die
-ganze friedliche Insel hallt von furchtbarem Geschrei wieder,
-und der hereinbrechende Abend zeigt das phantastische
-Bild einer verzückten wahnsinnigen Menge.
-</p>
-
-<p>
-Aber plötzlich schmettert der Klang der heiligen Trompeten
-und Trommeln.
-</p>
-
-<p>
-Die Huldigung ist zu Ende, zu Ende das Fest, das Signal
-zum Rückzug ertönt. Selbst die Rasendsten gehorchen,
-alles beruhigt sich, und jäh tritt absolute Stille ein.
-</p>
-
-<p>
-Der König erhebt sich und kehrt feierlich, majestätisch,
-von seinem Gefolge geleitet, in seinen Palast zurück.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Seit etwa vierzehn Tagen wimmelte es von sonst selten
-auftretenden Fliegen, die unerträglich wurden.
-</p>
-
-<p>
-Aber die Maories freute es, denn die Thunfische und
-andere Fische stiegen vom Grunde an die Oberfläche. Die
-Fliegen kündigten die Zeit des Fischfangs, die Zeit der
-Arbeit an. Man vergesse nicht, daß Arbeit auf Tahiti ein
-Vergnügen ist.
-</p>
-
-<p>
-Jeder prüfte die Haltbarkeit seiner Netze und seine
-Angeln. Frauen und Kinder halfen mit ungewöhnlichem
-Eifer Netze oder vielmehr lange Gitter von Kokosnußblättern
-an den Strand und auf die Korallenriffe zwischen
-Land und Klippen schleppen. Auf diese Art werden gewisse
-Köderfischchen gefangen, die am schmackhaftesten
-für die Thunfische sind.
-</p>
-
-<p>
-Als die Vorbereitungen beendet waren, was etwa drei
-Wochen in Anspruch genommen hatte, wurden zwei
-große, miteinander verbundene Pirogen aufs Meer gelassen,
-an denen vorn eine sehr lange, mit einem Angelhaken
-versehene Stange angebracht war, die mittels zweier hinten
-befestigter Taue schnell gehoben werden konnte. Sobald
-der Fisch angebissen hat, wird er sofort herausgezogen
-und in dem Fahrzeug untergebracht.
-</p>
-
-<p>
-Eines schönen Morgens zogen wir (ich war &ndash; natürlich
-&ndash; mit bei dem Fest) aufs Meer hinaus und hatten
-die Klippenreihe bald glücklich hinter uns. Wir wagten
-uns ziemlich weit hinaus. Ich sehe noch eine Schildkröte,
-die uns, den Kopf überm Wasser, im Vorüberfahren nachschaute.
-</p>
-
-<p>
-Die Fischer waren alle in fröhlicher Stimmung und
-ruderten eifrig.
-</p>
-
-<p>
-Wir kamen den <em>Grotten</em> von <em>Mara</em><a class="fnote" href="#footnote-8" id="fnote-8">[8]</a> gegenüber an
-eine Stelle, <em>Thunloch</em> genannt, wo das Wasser sehr
-tief ist.
-</p>
-
-<p>
-Dort, sagt man, schlafen die Thunfische nachts in einer
-Tiefe, die den Haifischen unerreichbar ist.
-</p>
-
-<p>
-Nach Fischen spähend, schwebte eine Wolke von Seevögeln
-über dem Loch. Sobald einer an der Oberfläche
-erscheint, stoßen die Vögel mit unglaublicher Geschwindigkeit
-darauf herab und steigen mit einem Bissen im
-Schnabel wieder in die Höhe.
-</p>
-
-<p>
-So herrscht im Meer und in der Luft, selbst in unseren
-Pirogen nur der Gedanke an Blut und Mord.
-</p>
-
-<p>
-Als ich meine Gefährten fragte, warum sie nicht eine
-lange Angelschnur in das Thunloch hinunterließen, erwiderten
-sie, daß es unmöglich sei, es wäre ein geheiligter
-Ort:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Der Gott des Meeres wohne da.
-</p>
-
-<p>
-Ich vermutete eine Sage dahinter und ließ sie mir erzählen.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-&bdquo;Roüa Hatou, eine Art tahitischer Neptun, schlief auf
-dem Meeresgrund an dieser Stelle.
-</p>
-
-<p>
-Ein Maorie war einst so tollkühn dort zu fischen, und
-da sein Angelhaken sich in den Haaren des Gottes verfing,
-erwachte dieser.
-</p>
-
-<p>
-Zornig stieg er an die Oberfläche, um zu sehen, wer die
-Kühnheit gehabt, seine Ruhe zu stören, und als er sah, daß
-der Schuldige ein Mensch war, beschloß er die ganze Menschenrasse
-zu vertilgen, um die Ruchlosigkeit des einen
-zu sühnen.
-</p>
-
-<p>
-Der Strafe entging jedoch &ndash; durch unerklärliche Nachsicht
-&ndash; gerade der Missetäter selber.
-</p>
-
-<p>
-Der Gott gebot ihm, mit seiner ganzen Familie auf den
-<em>Toa Marama</em> zu gehen, nach einigen eine Insel oder ein
-Berg, nach andern eine Piroge oder &bdquo;Arche&ldquo;.
-</p>
-
-<div class="centerpic">
-<img src="images/096a.jpg" alt="" /></div>
-
-<p>
-Als der Fischer sich mit den Seinen an den bezeichneten
-Ort begeben hatte, begannen die Wasser des Meeres zu
-steigen. Sie bedeckten allmählich selbst die höchsten Gipfel,
-und alles Lebende bis auf jene, die sich zum Toa Marama
-geflüchtet hatten, kam darin um.
-</p>
-
-<p>
-Später bevölkerten sie die Insel aufs neue<a class="fnote" href="#footnote-9" id="fnote-9">[9]</a>.&ldquo;
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Wir ließen also das Thunloch hinter uns, und der Führer
-der Piroge bezeichnete einen Mann, der die Stange ins
-Meer lassen und die Angel auswerfen mußte.
-</p>
-
-<p>
-Lange Minuten wurde gewartet, kein Thunfisch biß an.
-</p>
-
-<p>
-Ein anderer Ruderer kam an die Reihe, und diesmal
-biß ein prachtvoller Thunfisch an und bog die Stange
-hinunter. Vier kräftige Arme hoben sie empor, indem
-sie die Taue hinten anzogen, und der Fisch erschien an
-der Oberfläche. Aber gleichzeitig schnellte ein riesiger
-Hai über die Wogen: ein paar furchtbare Bisse, und wir
-hatten nichts weiter am Angelhaken als einen abgetrennten
-Kopf.
-</p>
-
-<p>
-Nun gab der Führer mir ein Zeichen, und ich warf die
-Angel aus.
-</p>
-
-<p>
-Nach ganz kurzer Zeit fischten wir einen riesenhaften
-Thunfisch. &ndash; Ohne es viel zu beachten, hörte ich meine
-Nachbarn unter sich kichern und tuscheln. &ndash; Das durch
-Stockschläge auf den Kopf getötete Tier wand sich auf
-dem Boden des Fahrzeuges, und sein Leib, jetzt einem
-schillernden Spiegel gleich, entsandte tausend blitzende
-Strahlen.
-</p>
-
-<p>
-Ein zweites Mal hatte ich ebenfalls Glück.
-</p>
-
-<p>
-Meine Gefährten beglückwünschten mich fröhlich,
-nannten mich einen Glückspilz, und in meinem Stolz
-widersprach ich nicht.
-</p>
-
-<p>
-Aber in dem einstimmigen Lob unterschied ich, wie
-bei meinem ersten Versuch, ein unerklärliches Lachen
-und Getuschel.
-</p>
-
-<p>
-Das Fischen währte bis zum Abend. Als der Vorrat der
-kleinen Köderfische erschöpft war, entzündete die Sonne
-rote Flammen am Horizont, und unser Fahrzeug war mit
-zehn prächtigen Thunfischen beladen.
-</p>
-
-<p>
-Wir bereiteten uns zur Rückfahrt vor. Während alles
-instandgesetzt wurde, fragte ich einen jungen Burschen
-nach dem Sinn der ganz leise gewechselten Worte und
-nach dem Lachen, das beide Male meinen Fang begleitet
-hatte. Er weigerte sich zu antworten. Aber ich ließ nicht
-nach, denn ich wußte, wie gering die Widerstandskraft
-des Maorie ist und wie bald er energischem Drängen nachgibt.
-</p>
-
-<p>
-Schließlich vertraute er mir an: Wem der Thunfisch
-in den Angelhaken beißt &ndash; und meine hatten das beide
-getan, &ndash; dem ist zu Haus die Vahina untreu.
-</p>
-
-<p>
-Ich lächelte ungläubig.
-</p>
-
-<p>
-Und wir kehrten zurück.
-</p>
-
-<p>
-Die Nacht bricht in den Tropen schnell herein. Es galt
-ihr zuvorzukommen. Zweiundzwanzig muntere Pageien
-(schaufelartige Ruder) tauchten gleichzeitig ins Wasser,
-und um sich anzufeuern, stießen die Ruderer im Takt dazu
-laute Rufe aus. Unsere Piroge hinterließ eine phosphorleuchtende
-Furche.
-</p>
-
-<p>
-Mir war zumute wie auf einer tollen Flucht: die ergrimmten
-Herrscher des Ozeans verfolgten uns, und um
-uns schnellten, wie phantastische Scharen unbestimmter
-Gestalten, die aufgeschreckten, neugierigen Fische empor.
-</p>
-
-<p>
-In zwei Stunden erreichten wir die äußersten Klippen.
-</p>
-
-<p>
-Die Brandung ist dort gewaltig, und die Fahrt des Seegangs
-wegen gefährlich. Es ist kein Leichtes, die Piroge
-richtig vor die Sandbank zu steuern. Aber die Eingeborenen
-sind gewandt, und ich verfolgte mit lebhaftem Interesse,
-jedoch nicht ganz ohne Furcht, die Operation, die
-glänzend vonstatten ging.
-</p>
-
-<p>
-Vor uns war das Land von lohenden Feuern erhellt, &ndash;
-es waren enorme Fackeln von Zweigen des Kokosnußbaumes.
-Der Anblick der auf dem Sande am Ufer des
-beleuchteten Meeres lagernden Fischerfamilien war wunderbar.
-Einige saßen reglos da, andere liefen, die Fackeln
-schwingend, den Strand entlang, die Kinder sprangen hin
-und her, und man vernahm in der Ferne ihr stilles Geschrei.
-</p>
-
-<p>
-Mit leichtem Schwung fuhr unsere Piroge auf den
-Strand, und die Verteilung der Beute begann sogleich.
-</p>
-
-<p>
-Alle Fische wurden auf die Erde gelegt, und der Anführer
-teilte sie in so viele gleiche Teile, wie die Anzahl
-der Personen &ndash; Männer, Frauen und Kinder &ndash; betrug,
-die sich am Fischfang und dem Fischen der Köderfischchen
-beteiligt hatten.
-</p>
-
-<p>
-Es waren 37 Teile.
-</p>
-
-<p>
-Ohne Zeit zu verlieren, nahm meine Vahina ein Beil,
-spaltete Holz damit und zündete ein Feuer an, während
-ich noch ein wenig Toilette machte und mich wegen der
-Nachtkühle einhüllte.
-</p>
-
-<p>
-Von unseren beiden Anteilen wurde der eine gekocht,
-und den anderen bewahrte Tehura roh auf.
-</p>
-
-<p>
-Dann fragte sie mich des langen und breiten über die
-verschiedenen Vorkommnisse beim Fischfang aus, und
-ich befriedigte willfährig ihre Neugierde. Genügsam und
-kindlich erheiterte sie sich an allem, und ich beobachtete
-sie, ohne sie meine geheimen Gedanken merken zu lassen.
-Im Grunde meiner Seele war ohne jede Ursache eine Unruhe
-erwacht, die nicht zu beschwichtigen war. Ich brannte
-darauf, an Tehura eine Frage zu stellen &ndash; eine gewisse
-Frage ... und es half mir nichts, mir zu sagen: Wozu?
-Ich antwortete mir selber: Wer weiß?
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Die Zeit des Schlafengehens kam heran, und als wir
-beide ausgestreckt nebeneinander lagen, fragte ich plötzlich:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Bist du vernünftig gewesen?
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ja.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Und dein Geliebter, war er nach deinem Geschmack?
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ich habe keinen Geliebten.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Du lügst, der Fisch hat es verraten.
-</p>
-
-<p>
-Tehura erhob sich und blickte mich starr an. Ihr Antlitz
-hatte einen seltsamen mystischen Ausdruck majestätischer
-Größe, der mir fremd war und den ich in ihren heiteren,
-fast kindlichen Zügen nie vermutet hätte.
-</p>
-
-<p>
-Die Atmosphäre in unserer kleinen Hütte hatte sich
-verwandelt: Ich fühlte, daß etwas Erhabenes sich zwischen
-uns erhob. Und wider Willen unterlag ich dem
-Einfluß des Glaubens und erwartete eine Botschaft von
-oben. Ich zweifelte nicht, daß sie kommen würde, obwohl
-die fruchtlosen Bedenken unseres Skeptizismus dieser
-glühenden, wenn auch nur einem Aberglauben geltenden
-Inbrunst gegenüber noch ihre Macht auf mich ausübten.
-</p>
-
-<p>
-Tehura schlich leise zur Tür, um sich zu vergewissern,
-daß sie gut verschlossen war, und als sie bis in die Mitte
-der Kammer zurückgekommen war, sprach sie folgendes
-Gebet:
-</p>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Rette mich! Rette mich!</p>
- <p class="verse">Es ist Abend, es ist Abend der Götter.</p>
- <p class="verse">Wache über mich, o mein Gott!</p>
- <p class="verse">Wache über mich, o mein Herr!</p>
- <p class="verse">Behüte mich vor Betörung und schlechten Ratschlägen.</p>
- <p class="verse">Bewahre mich vor einem plötzlichen Tode,</p>
- <p class="verse">Vor dem Bösen und Verwünschungen;</p>
- <p class="verse">Bewahre mich vor Streit um die Teilung des Landes,</p>
- <p class="verse">Möge Frieden herrschen unter uns!</p>
- <p class="verse">O mein Gott, schütze mich vor den rasenden Kriegern!</p>
- <p class="verse">Hüte mich vor dem, der mich bedroht,</p>
- <p class="verse">Den es freut zu ängstigen,</p>
- <p class="verse">Vor dem, dessen Haar sich beständig sträubt!</p>
- <p class="verse">Auf daß ich und mein Geist leben können,</p>
- <p class="verse">O mein Gott!</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="noindent">
-An diesem Abend, wahrlich, habe ich mit Tehura gebetet.
-</p>
-
-<p>
-Als sie ihr Gebet beendet hatte, kam sie mit Tränen in
-den Augen zu mir hin und flehte mich an, sie zu schlagen.
-</p>
-
-<p>
-Und vor dem tiefen Ernst dieses Antlitzes, vor der vollkommenen
-Schönheit dieser lebenden Statue glaubte ich
-die von Tehura heraufbeschworene Gottheit selber vor
-mir zu sehen.
-</p>
-
-<p>
-Verflucht sei ewig meine Hand, wenn sie es wagte, sich
-gegen ein Meisterwerk der Natur zu erheben!
-</p>
-
-<p>
-Sie wiederholte ihr Flehen, sie zu schlagen.
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Tust du es nicht, so zürnst du lange und wirst krank.
-</p>
-
-<p>
-Ich küßte sie.
-</p>
-
-<p>
-Und jetzt, wo ich sie ohne Mißtrauen liebe, so liebe,
-wie ich sie bewunderte, kamen mir die Worte Buddhas
-auf die Lippen:
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ja, durch Sanftmut muß man den Zorn besiegen, durch
-das Gute Böses, und durch Wahrheit Lüge.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Diese Nacht ward göttlich, köstlicher als die anderen
-alle &ndash; und strahlend erwachte der Tag.
-</p>
-
-<p>
-Frühmorgens brachte ihre Mutter uns einige frische
-Kokosnüsse.
-</p>
-
-<p>
-Mit einem Blick befragte sie Tehura.
-</p>
-
-<p>
-Sie <em>wußte</em>.
-</p>
-
-<p>
-Mit feinem Mienenspiel sagte sie zu mir:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Du warst gestern auf dem Fischfang, ist alles gut
-verlaufen?
-</p>
-
-<p>
-Ich erwiderte:
-</p>
-
-<p>
-&ndash; Ich hoffe, bald wieder dabei zu sein.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Ich war genötigt, nach Frankreich zurückzukehren.
-Wichtige Familienangelegenheiten riefen mich zurück.
-</p>
-
-<p>
-Lebe wohl, gastfreies Land, köstliches Land, Heimat
-der Freiheit und der Schönheit!
-</p>
-
-<p>
-Zwei Jahre älter geworden und um zwanzig Jahre verjüngt
-gehe ich fort, <em>verwilderter</em> als ich gekommen war
-und doch <em>gescheiter</em>.
-</p>
-
-<p>
-Die Wilden, diese Unwissenden, haben den alten Kulturmenschen
-vieles gelehrt, vieles in der Kunst zu leben
-und glücklich zu sein: Vor allem haben sie mich gelehrt,
-mich selber besser zu kennen, ich habe von ihnen nur
-tiefste Wahrheit gehört.
-</p>
-
-<p>
-War das dein Mysterium, du geheimnisvolle Welt? Du
-hast mir Licht gebracht, und ich bin gewachsen in der
-Bewunderung deiner antiken Schönheit, der unvergänglichen
-Jugend der Natur.
-</p>
-
-<p>
-Das Verständnis und die Liebe zu der Seele deiner Menschen,
-zu dieser Blume, die aufhört zu blühen, und deren
-Duft niemand mehr einatmen wird, hat mich besser gemacht.
-</p>
-
-<p class="tb">
-<span class="u">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="l">*</span>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<span class="u">*</span>
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Als ich den Quai verließ, um an Bord zu gehen, sah
-ich Tehura zum letztenmal.
-</p>
-
-<p>
-Sie hatte Nächte hindurch geweint, jetzt saß sie erschöpft
-und traurig, aber ruhig mit herabhängenden Beinen
-auf einem Stein, und ihre starken, festen Füße berührten
-das schmutzige Wasser.
-</p>
-
-<p>
-Die Blume, die sie am Morgen hinters Ohr gesteckt
-hatte, war welk auf ihre Knie herabgefallen.
-</p>
-
-<p>
-Hier und dort starrten andere, wie sie, matt, schweigend,
-düster, gedankenlos, auf den dichten Qualm des
-Schiffes, das uns alle für immer weit fort tragen sollte.
-</p>
-
-<p>
-Und von der Schiffsbrücke aus glaubten wir, während
-wir uns immer weiter entfernten, mit dem Fernglas auf
-ihren Lippen noch lange jene alten maorischen Verse zu
-lesen:
-</p>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Ihr leisen Winde von Süd und Ost,</p>
- <p class="verse">Die ein zärtlich Spiel über meinem Haupte vereint,</p>
- <p class="verse">Eilt schnell zur nächsten Insel hin.</p>
- <p class="verse">Dort findet ihr im Schatten seines Lieblingsbaumes</p>
- <p class="verse">Ihn, der mich verlassen hat.</p>
- <p class="verse">Sagt ihm, daß ihr in Tränen mich gesehn.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="footnotes" id="part-1">
-Fußnoten
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="footnote">
-<a class="footnote" href="#fnote-1" id="footnote-1">[1]</a> Paréo &ndash; Gürtel, einziges Kleidungsstück der Eingeborenen.
-</p>
-
-<p class="footnote">
-<a class="footnote" href="#fnote-2" id="footnote-2">[2]</a> Leichtes, aus einem Stamm gemachtes Fahrzeug der Wilden.
-</p>
-
-<p class="footnote">
-<a class="footnote" href="#fnote-3" id="footnote-3">[3]</a> Tupapaüs &ndash; Geister von Verstorbenen, Kobolde und Nachtgespenster.
-</p>
-
-<p class="footnote">
-<a class="footnote" href="#fnote-4" id="footnote-4">[4]</a> Vivo &ndash; Musikinstrument.
-</p>
-
-<p class="footnote">
-<a class="footnote" href="#fnote-5" id="footnote-5">[5]</a> Dieser Mahoüi scheint ebenso wie Roüa, der die Sterne
-schuf, derselbe wie Taaroa. Es sind wahrscheinlich verschiedene
-Namen desselben Gottes.
-</p>
-
-<p class="footnote">
-<a class="footnote" href="#fnote-6" id="footnote-6">[6]</a> Die symbolische Bedeutung dieses Ritus, das klare Verbot
-der Anthropophagie, ist nicht zu verkennen.
-</p>
-
-<p class="footnote">
-<a class="footnote" href="#fnote-7" id="footnote-7">[7]</a> Es ist zu befürchten, daß die Missionare (von denen diese
-Überlieferungen stammen) zu einem leicht zu erratenden Zweck,
-in diesem wie vielen anderen Punkten, die Vorfahren ihrer Pfarrkinder
-verleumdet haben. Aber trotz alles Brutalen, Grotesken und
-vielleicht Abstoßenden wird man doch zugeben müssen, daß dieser
-merkwürdige Ritus nicht einer eigentümlichen Schönheit entbehrt.
-</p>
-
-<p class="footnote">
-<a class="footnote" href="#fnote-8" id="footnote-8">[8]</a> Das Wort <em>Mara</em> kommt in der Sprache der Buddhisten
-vor, wo es <em>Tod</em> bedeutet und, davon abgeleitet, <em>Sünde</em>.
-</p>
-
-<p class="footnote">
-<a class="footnote" href="#fnote-9" id="footnote-9">[9]</a> Die Legende ist <em>eine</em> der vielen maorischen Erklärungen
-der Sintflut.
-</p>
-
-<div class="ads chapter">
-<p class="pub">
-<span class="line1">Neue Auflagen im Verlage Bruno Cassirer, Berlin</span>
-</p>
-
-<p class="book">
-OTTO BRAUN:<br />
-AUS NACHGELASSENEN SCHRIFTEN<br />
-EINES FRÜHVOLLENDETEN
-</p>
-
-<p class="run">
-16. bis 45. Tausend
-</p>
-
-<p class="book">
-FEDOR DOSTOJEWSKI: DER IDIOT
-</p>
-
-<p class="ed">
-Erste vollständige deutsche Ausgabe von <em>August Scholz</em>
-</p>
-
-<p class="run">
-8. und 9. Aufl. &ndash; In Ganzleinen gebunden mit einer Lithographie
-</p>
-
-<p class="book">
-FEDOR DOSTOJEWSKI: DER GATTE
-</p>
-
-<p class="ed">
-Deutsche Ausgabe von <em>August Scholz</em>
-</p>
-
-<p class="run">
-6. bis 9. Tausend &ndash; In Halbleinen gebunden
-</p>
-
-<p class="book">
-DIE SEELE RUSSLANDS
-</p>
-
-<p class="ed">
-Aus den Romanen von Fedor Dostojewski herausgegeben und eingeleitet
-von <em>Karl Scheffler</em>, deutsch von <em>August Scholz</em>
-</p>
-
-<p class="ed">
-In Halbleinen gebunden
-</p>
-
-<p class="ed">
-mit einer Lithographie von <em>Otto Müller</em>
-</p>
-
-<p class="book">
-VINCENT VAN GOGH: BRIEFE
-</p>
-
-<p class="run">
-Mit 16 Abbildungen &ndash; 8. und 9. Auflage
-</p>
-
-<p class="ed">
-In Japankreppapier gebunden
-</p>
-
-<p class="book">
-IWAN GONTSCHAROW, GESAMMELTE WERKE
-</p>
-
-<p class="ed">
-Vier Bände in Ganzleinen
-</p>
-
-<p class="ed">
-Buchschmuck und Entwurf des Einbandes von Professor <em>Weiß</em>
-</p>
-
-<p class="book">
-<span class="s">Band I</span>: EINE ALLTÄGLICHE GESCHICHTE
-</p>
-
-<p class="book">
-<span class="s">Band II</span>: OBLOMOW
-</p>
-
-<p class="book">
-<span class="s">Band III/IV</span>: DIE SCHLUCHT, <span class="s">Zwei Bände</span>
-</p>
-
-</div>
-
-<div class="trnote chapter">
-<p class="transnote">
-Anmerkungen zur Transkription
-</p>
-
-<p>
-Fußnoten wurden am Ende des Buches gesammelt.
-</p>
-
-<p>
-Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
-Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):
-</p>
-
-
-
-<ul>
-
-<li>
-... <span class="underline">deren</span> Bewohner noch nach altem maorischem Brauch ...<br />
-... <a href="#corr-3"><span class="underline">dessen</span></a> Bewohner noch nach altem maorischem Brauch ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... Hochzeit, legal und religiös, wie die Missionare <span class="underline">so</span> den ...<br />
-... Hochzeit, legal und religiös, wie die Missionare <a href="#corr-5"><span class="underline">sie</span></a> den ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... fernstehende Geister, vermitteln sie nach der <span class="underline">Schöpfungsfrage</span> ...<br />
-... fernstehende Geister, vermitteln sie nach der <a href="#corr-6"><span class="underline">Schöpfungssage</span></a> ...<br />
-</li>
-</ul>
-</div>
-
-<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NOA NOA ***</div>
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-
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@@ -1,3390 +0,0 @@
-The Project Gutenberg EBook of Noa Noa, by Paul Gauguin
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Noa Noa
-
-Author: Paul Gauguin
-
-Translator: Luise Wolf
-
-Release Date: August 1, 2020 [EBook #62800]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NOA NOA ***
-
-
-
-
-Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
-Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This file was
-produced from images generously made available by The
-Internet Archive.
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-
- PAUL GAUGUIN, NOA NOA
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-
- MIT ACHT ABBILDUNGEN
-
-
- PAUL GAUGUIN
-
-
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-
- NOA NOA
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- VERLAG VON BRUNO CASSIRER
- BERLIN
-
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- DEUTSCH VON LUISE WOLF
-
- 9.-12. TAUSEND
-
-
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-
-
-
- »Dites, qu'avez-vous vu?«
-
- Charles Baudelaire.
-
-Nach dreiundsechzigtägiger Überfahrt, dreiundsechzig Tagen fieberhafter
-Erwartung, bemerkten wir am 8. Juni in der Nacht seltsame Feuer, die
-sich im Zickzack auf dem Meere bewegten. Von dem dunkeln Himmel löste
-sich ein schwarzer Kegel mit zackigen Einschnitten.
-
-Wir umschifften Morea und hatten Tahiti vor uns.
-
-Einige Stunden später begann der Tag zu grauen, wir näherten uns langsam
-den Klippen, liefen in das Fahrwasser ein und landeten ohne Unfall an
-der Rhede.
-
-Der erste Anblick dieses Teils der Insel bietet nichts
-Außergewöhnliches, nichts, das sich z. B. mit der herrlichen Bucht von
-Rio de Janeiro vergleichen ließe.
-
-Es ist der Gipfel eines zur Zeit der Sintflut überschwemmten Berges. Nur
-die äußerste Spitze ragte aus der Flut hervor: eine Familie flüchtete
-sich dahin und gründete ein neues Geschlecht -- dann kletterten die
-Korallen daran empor, setzten sich rings um die Bergspitze fest und
-bildeten im Laufe der Jahrhunderte neues Land. Es dehnt sich immer noch
-aus, bewahrt aber den ursprünglichen Charakter der Einsamkeit und
-Abgeschiedenheit, die das Meer in seiner Unendlichkeit noch erhöht.
-
-Um zehn Uhr morgens stellte ich mich bei dem Gouverneur, dem Neger
-Lacascade, vor, der mich wie eine Persönlichkeit von Ansehen empfing.
-
-Ich verdankte diese Ehre meiner Mission, mit der die französische
-Regierung mich -- ich weiß nicht warum -- betraut hatte. Allerdings war
-es eine künstlerische Mission, aber in den Augen des Negers war dies
-Wort nur das offizielle Synonym für Spionage, und ich bemühte mich
-vergebens, ihn davon abzubringen. Jedermann in seiner Umgebung teilte
-seine irrige Ansicht, und als ich sagte, daß meine Mission unbezahlt
-sei, wollte mir dies niemand glauben.
-
- * * * * *
-
-Das Leben zu Papeete wurde mir bald zur Last.
-
-Das war ja Europa -- das Europa, von dem ich mich zu befreien geglaubt
-hatte! -- und dazu noch unter den erschwerenden Umständen des kolonialen
-Snobismus und der bis zur Karikatur grotesken Nachahmung unserer Sitten,
-Moden, Laster und Kulturlächerlichkeiten.
-
-Sollte ich einen so weiten Weg gemacht haben, um das zu finden, gerade
-das, dem ich entflohen war!
-
-Aber ein öffentliches Ereignis interessierte mich doch.
-
-Der König Pomare war zu dieser Zeit tödlich erkrankt, und die
-Katastrophe wurde täglich erwartet.
-
-Die Stadt hatte allmählich ein sonderbares Aussehen angenommen.
-
-Alle Europäer, Kaufleute, Beamte, Offiziere und Soldaten lachten und
-sangen wie sonst auf den Straßen, während die Eingeborenen sich mit
-ernsten Mienen und gedämpfter Stimme vor dem Palast unterhielten.
-
-An der Rhede auf dem blauen Meer mit seiner in der Sonne oft jäh
-aufblitzenden, silberfunkelnden Klippenreihe herrschte eine
-ungewöhnliche Bewegung orangefarbener Segel. Es waren die Bewohner der
-benachbarten Inseln, die herbeieilten, den letzten Augenblicken ihres
-Königs -- Frankreichs definitiver Besitznahme ihres Landes beizuwohnen.
-
-Durch Zeichen von oben hatten sie Kunde davon erhalten: denn jedesmal,
-wenn ein König im Sterben liegt, bedecken die Berge sich an bestimmten
-Stellen bei Sonnenuntergang mit dunkeln Flecken.
-
-Der König starb und ward in großer Admiralsuniform öffentlich in seinem
-Palast ausgestellt.
-
-Dort sah ich die Königin Maraü -- dies war ihr Name --, die den
-königlichen Saal mit Blumen und Stoffen schmückte. -- Als der Leiter der
-öffentlichen Arbeiten mich wegen der künstlerischen Ausstattung des
-Leichenbegängnisses um Rat fragte, wies ich ihn an die Königin, die mit
-dem schönen Instinkt ihrer Rasse überall Anmut um sich verbreitete und
-alles, was sie berührte, zu einem Kunstwerk gestaltete.
-
-Bei dieser ersten Begegnung verstand ich sie jedoch nur unvollkommen.
-Menschen und Dinge, die so verschieden von denen waren, wie ich sie
-gewünscht, hatten mich enttäuscht, ich war angewidert von dieser ganzen
-europäischen Trivialität und zu kurze Zeit im Lande, um erkennen zu
-können, wieviel sich in dieser eroberten Rasse unter der künstlichen,
-verderblichen Tünche unserer Einführungen noch von Nationalität,
-Ursprünglichkeit und primitiver Schönheit erhalten hatte, ich war in
-mancher Beziehung noch blind. Ich sah auch in dieser bereits etwas
-reifen Königin nichts als eine gewöhnliche dicke Frau mit Spuren von
-edler Schönheit. Als ich sie später wiedersah, änderte ich mein erstes
-Urteil, ich unterlag dem Reize ihres »maorischen Zaubers«. Trotz aller
-Mischung war der tahitische Typus bei ihr sehr rein. Und dann gab die
-Erinnerung an ihren Vorfahren, den großen Häuptling Tati, ihr wie ihrem
-Bruder und der ganzen Familie ein Ansehen von wahrhaft imposanter Größe.
-Sie hatte die majestätische, prachtvolle Gestalt der Rasse dort, groß
-und doch anmutig, die Arme wie die Säulen eines Tempels einfach und
-fest, und der ganze Körperbau, diese gerade horizontale Schulterlinie,
-die oben spitz auslaufende Höhe erinnerte mich unwillkürlich an das
-heilige Dreieck, das Symbol der Dreieinigkeit. -- In ihren Augen blitzte
-es zuweilen wie von vage auftauchender Leidenschaft, die sich jäh
-entzündet und alles ringsum entflammt, -- und so vielleicht sind die
-Inseln selber einst aus dem Ozean aufgetaucht und die Pflanzen darauf
-beim ersten Sonnenstrahl erblüht.
-
-Alle Tahitaner kleideten sich in Schwarz und sangen zwei Tage lang
-Trauerweisen und Totenklagen. Mir war, als hörte ich die Sonate
-Pathétique.
-
-Dann kam der Tag der Bestattung.
-
-Um zehn Uhr morgens verließ der Zug den Palast. Truppe und Behörden in
-weißem Helm und schwarzem Frack, die Eingeborenen in ihrer düstern
-Tracht. Alle Distrikte marschierten in der Reihenfolge, und der Anführer
-eines jeden trug die französische Fahne.
-
-Bei Aruë wurde haltgemacht. Dort erhebt sich ein unbeschreibliches
-Monument, ein unförmlicher Haufen mit Zement verbundener Steine, der zu
-der Umgebung und der Atmosphäre in peinlichem Kontrast steht.
-
-Lacascade hielt eine Rede nach bekanntem Muster, die ein Dolmetscher für
-die anwesenden Franzosen übersetzte. Dann folgte eine Predigt des
-protestantischen Pastors, auf die Tati, der Bruder der Königin, ein paar
-Worte erwiderte -- das war alles. Man brach auf, und die Beamten
-drängten sich in den Wagen zusammen, es erinnerte etwas an »die Rückkehr
-von einem Rennen«.
-
-Unterwegs, wo die Gleichgültigkeit der Franzosen den Ton angab, fand
-dieses seit mehreren Tagen so ernste Volk seine Fröhlichkeit wieder. Die
-Vahinas nahmen wieder den Arm ihrer Tanés, sprachen lebhaft und wiegten
-sich in den Hüften, während ihre kräftigen nackten Füße den Staub des
-Weges aufwühlten.
-
-In der Nähe des Flusses Fatüa zerstreute sich alles. Zwischen den
-Steinen versteckt, kauerten hier und dort Frauen mit bis zum Gürtel
-aufgenommenen Röcken im Wasser, um ihre Hüften und die vom Marsch und
-von der Hitze ermüdeten Beine zu erfrischen. So gereinigt machten sie
-sich, stolz den Busen tragend, über dem der dünne Musselin sich
-straffte, mit der Grazie und Elastizität junger gesunder Tiere wieder
-auf den Weg nach Papeete. Ein gemischtes, halb animalisches, halb
-pflanzliches Parfüm strömte von ihnen aus, das Parfüm ihres Blutes und
-der Gardenien -- Tiaré --, die alle in den Haaren trugen.
-
--- _Téiné merahi noa noa_ (jetzt sehr wohlriechend), sagten sie.
-
- * * * * *
-
-... Die Prinzessin trat in meine Kammer, wo ich leidend, nur mit einem
-Paréo[1] bekleidet, auf dem Bett lag. Wahrlich keine Art, eine Frau von
-Rang zu empfangen.
-
-_Ja orana_ (ich grüße dich), Gauguin, sagte sie. Du bist krank, ich
-komme, um nach dir zu sehen.
-
--- Und du heißest?
-
--- Vaïtüa.
-
-Vaïtüa war eine wirkliche Prinzessin, wenn es solche überhaupt noch
-gibt, seitdem die Europäer alles auf ihr Niveau herabgedrückt haben.
-Freilich war sie als einfache Sterbliche mit nackten Füßen, eine
-duftende Blume hinterm Ohr, in schwarzem Kleide gekommen. Sie ging in
-Trauer um den König Pomare, dessen Nichte sie war. Ihr Vater, Tamatoa,
-hatte trotz der unvermeidlichen Berührung mit Offizieren und Beamten,
-trotz der Empfänge bei dem Admiral, niemals etwas anders sein wollen als
-ein königlicher Maorie, ein gigantischer Raufbold in Momenten des
-Zornes, und bei abendlichen Orgien ein berühmter Zecher. Er war
-gestorben. Vaïtüa, behauptete man, gliche ihm sehr.
-
-Ein skeptisches Lächeln auf den Lippen, betrachtete ich diese gefallene
-Prinzessin mit der Dreistigkeit des eben auf der Insel gelandeten
-Europäers. Aber ich wollte höflich sein.
-
--- Es ist sehr freundlich von dir, daß du gekommen bist, Vaïtüa. Wollen
-wir zusammen einen Absinth trinken?
-
-Und mit dem Finger weise ich in eine Ecke der Kammer auf eine Flasche,
-die ich soeben gekauft hatte.
-
-Ohne Unmut noch Freude zu zeigen, geht sie einfach hin und bückt sich,
-um die Flasche zu nehmen. Bei dieser Bewegung spannte ihr leichtes,
-durchsichtiges Kleid sich über den Lenden, -- es waren Lenden, eine Welt
-zu tragen! O, sicherlich war es eine Prinzessin! Ihre Vorfahren? Stolze,
-tapfere Riesen. Fest saß ihr stolzer, wilder Kopf auf den breiten
-Schultern. Zuerst sah ich nur ihre Menschenfresserkiefer, ihre zum
-Zerreißen bereiten Zähne, den lauernden Blick eines grausamen, listigen
-Tieres und fand sie trotz einer schönen edlen Stirn sehr häßlich.
-
-Wenn ihr nur nicht einfiele, sich auf mein Bett zu setzen! Ein so
-schwaches Gestell könnte uns beide ja nicht tragen ...
-
-Aber gerade das tut sie.
-
-Das Bett krachte, hielt es jedoch aus.
-
-Beim Trinken wechseln wir einige Worte. Die Unterhaltung will aber nicht
-lebhaft werden. Sie ermattet schließlich, und es herrscht Schweigen. Ich
-beobachte die Prinzessin insgeheim, sie sieht mich aus einem Augenwinkel
-verstohlen an, die Zeit geht hin, und die Flasche leert sich. Vaïtüa
-trinkt tapfer. Sie dreht sich eine tahitische Zigarette und streckt sich
-auf dem Bett aus, um zu rauchen. Ihre Füße streichen ganz mechanisch
-fortwährend über das Holz unten am Fußende, ihre Züge besänftigen sich,
-werden sichtlich weich, ihre Augen glänzen -- und ein regelmäßiges
-Pfeifen entschlüpft ihren Lippen -- mir war, als hörte ich das Schnurren
-einer Katze, die auf blutige Genüsse sinnt.
-
-Da ich veränderlich bin, fand ich sie jetzt sehr schön, und als sie mit
-bewegter Stimme sagte: »Du gefällst mir«, überkam mich eine große
-Unruhe. Die Prinzessin war entschieden köstlich ...
-
-Ohne Zweifel, um mir zu gefallen, begann sie eine Fabel von La Fontaine,
-die _Grille und die Ameise_ zu erzählen -- eine Erinnerung aus der Zeit
-ihrer Kindheit bei den Schwestern, die sie unterrichtet hatten.
-
-Die ganze Zigarette war in Brand.
-
--- Weißt du, Gauguin, sagte die Prinzessin, und erhob sich, ich liebe
-deinen La Fontaine nicht.
-
--- Wie? Unsern guten La Fontaine?
-
--- Vielleicht ist er gut, aber seine Moral ist häßlich. Ameisen ... (ihr
-Mund drückte Abscheu aus). Ja, Grillen, die, ah! Singen, singen, immer
-singen!
-
-Und stolz, ohne mich anzusehen, mit leuchtenden, ins Weite blickenden
-Augen fügte sie hinzu:
-
--- Wie herrlich war unser Reich, als noch nichts verkauft wurde! Das
-ganze Jahr hindurch wurde gesungen ... Singen, immer! Immer geben! ...
-
-Und sie ging.
-
-Ich legte mich wieder auf mein Kissen zurück, und lange klangen die
-Worte: _Ja orana_, Gauguin, schmeichelnd in mir nach.
-
-Diese Episode, die mir mit dem Tode des Königs Pomare in Erinnerung
-geblieben ist, hat tiefere Spuren in meinem Gedächtnis hinterlassen als
-das Ereignis und die offizielle Feier.
-
-Die Bewohner von Papeete selber, sowohl Eingeborene wie Weiße, vergaßen
-den Verblichenen schnell. Die von den Nachbarinseln gekommen waren, um
-dem königlichen Leichenbegängnis beizuwohnen, fuhren wieder fort, noch
-einmal kreuzten Tausende von orangefarbenen Segeln das blaue Meer, und
-alles nahm wieder seinen gewohnten Gang.
-
-Es gab nur einen König weniger.
-
-Mit ihm verschwanden die letzten Spuren alter Traditionen. Mit ihm
-schloß die Geschichte der Maorie ab. Sie war zu Ende. Die Zivilisation
--- Soldaten, Handel und Beamtentum -- triumphierte, leider!
-
-Eine tiefe Traurigkeit bemächtigte sich meiner. Der Traum, welcher mich
-nach Tahiti geführt, wurde durch die Tatsachen grausam verscheucht. Ich
-liebte das Tahiti von eh, das jetzige flößte mir Grauen ein.
-
-Doch als ich die noch erhaltene physische Schönheit der Rasse sah,
-konnte ich nicht daran glauben, daß sie nichts von ihrer antiken Größe,
-von ihren persönlichen und natürlichen Sitten, von ihrem Glauben und
-ihren Legenden bewahrt haben sollte. Aber wie die Spuren dieser
-Vergangenheit, wenn sie solche hinterlassen hat, allein entdecken? wie
-sie ohne Führung erkennen? Wie das Feuer wieder entzünden, von dem
-selbst die Asche zerstreut ist?
-
-So niedergeschlagen ich auch sein mag, pflege ich mein Vorhaben doch
-niemals aufzugeben, ohne alles, selbst »das Unmögliche« versucht zu
-haben, um zum Ziele zu gelangen.
-
-Mein Entschluß war bald gefaßt. Ich beschloß, Papeete zu verlassen, mich
-von dem europäischen Mittelpunkt zu entfernen.
-
-Ich fühlte, daß, wenn ich das Leben der Eingeborenen im Busch völlig mit
-ihnen teilte, ich allmählich das Vertrauen der Maorie gewinnen und --
-sie kennenlernen würde.
-
-Und eines Morgens machte ich mich in meinem Wagen auf, den ein Offizier
-mir liebenswürdig zur Verfügung gestellt hatte, um »meine Hütte« zu
-suchen.
-
-Meine Vahina namens Titi begleitete mich. Halb englischer, halb
-tahitischer Abstammung sprach sie etwas Französisch. Für diese Fahrt
-hatte sie ihr schönstes Kleid angelegt, die Tiaré hinterm Ohr, ihren
-oben mit Band, unten mit Strohblumen und einer Garnitur orangefarbener
-Muscheln geputzten Basthut aufgesetzt und das lange schwarze Haar
-aufgelöst über die Schultern hängen. Sie war stolz, in einem Wagen zu
-fahren, stolz, so elegant und die Vahina eines Mannes zu sein, den sie
-für einflußreich und vermögend hielt, und war wirklich hübsch in ihrem
-Stolz, der nichts Lächerliches hatte, so sehr paßt die majestätische
-Miene zu dieser Rasse, die im Andenken an die weit zurückreichende
-Geschichte ihrer Herrschaft und eine unbestimmte Reihe großer Häuptlinge
-diesen herrlichen Stolz bewahrt. -- Ich wußte zwar, daß ihre sehr
-berechnete Liebe in den Augen der Pariser nicht schwerer gewogen hätte
-als die feile Gefälligkeit einer Dirne. Aber die Liebesglut einer
-maorischen Kurtisane ist etwas ganz anderes als die Passivität einer
-Pariser Kokotte -- ganz etwas anderes! Es ist ein Feuer in ihrem Blute,
-das Liebe, seine eigentliche Nahrung, erweckt, das Liebe atmet. Diese
-Augen und dieser Mund können nicht lügen, ob uneigennützig oder nicht,
-es spricht immer Liebe aus ihnen.
-
-Der Weg durch die reiche und einförmige Landschaft war bald
-zurückgelegt. Zur Rechten immer das Meer, die Korallenriffe und
-Wasserfälle, die zuweilen wie Dampf zerstoben, wenn die Wellen in zu
-ungestüme Berührung mit den Felsen kamen. Zur Linken den Busch mit der
-Aussicht auf große Wälder.
-
-Mittags hatten wir unsere fünfundvierzig Kilometer hinter uns und
-erreichten den Distrikt von Mataiëa.
-
-Ich sah mich um und fand schließlich eine leidlich hübsche Hütte, die
-der Eigentümer mir zur Miete überließ. Er baute sich daneben eine neue,
-die er bewohnen wollte.
-
-Am Abend des nächsten Tages, als wir nach Papeete zurückkehrten, fragte
-mich Titi, ob ich sie nicht mit mir nehmen wolle.
-
--- Später, in einigen Tagen, wenn ich eingerichtet sein werde, sagte
-ich.
-
-Titi hatte in Papeete einen furchtbaren Ruf, nachdem sie mehrere
-Liebhaber unter die Erde gebracht. Aber nicht das machte mich ihr
-abwendig. Sie hatte als halbe Weiße, und trotz Spuren tiefer,
-origineller und echt maorischer Eigentümlichkeiten durch zahlreiche
-Beziehungen viel von ihren »Rassemerkmalen« eingebüßt. Ich fühlte, daß
-sie mich nichts von dem lehren konnte, was ich wissen wollte, und mir
-nichts von dem erlesenen Glück gewähren, das ich begehrte.
-
-Außerdem sagte ich mir, daß ich auf dem Lande finden würde, was ich
-suchte und nur zu wählen brauchte.
-
- * * * * *
-
-Von einer Seite das Meer, an der anderen das Gebirge, zerklüftetes
-Gebirge, ein enormer Spalt, den ein an dem Felsen lehnender, hoher
-Mangobaum verdeckt.
-
-Zwischen Berg und Meer steht meine Hütte vom Holze des Bourao. Daneben
-eine zweite, die ich nicht bewohne, _die faré amu_ (Speisehütte).
-
-Morgen.
-
-Auf dem Meere nahe am Strande sehe ich eine Piroge[2] und darin eine
-halbnackte Frau. Am Strande einen Mann, ebenfalls unbekleidet. Ein
-kranker Kokosnußbaum mit verschrumpften Blättern gleicht einem
-ungeheuren Papagei, der seinen vergoldeten Schwanz herabhängen läßt und
-eine volle Traube in den Krallen hält. Mit harmonischer Gebärde hebt der
-Mann mit beiden Händen ein schweres Beil, das oben auf dem silbrigen
-Himmel eine blaue Spur, unten einen rosigen Einschnitt auf dem
-abgestorbenen Stamme hinterläßt, wo die von Tag zu Tag aufgesparte Glut
-von Jahrhunderten in den Flammen eines Augenblicks wieder aufleben wird.
-
-Lange schlangenartige Blätter von einem metallischen Gelb auf dem
-purpurnen Boden gemahnten mich an die Züge einer geheimen, religiösen,
-alten Schrift. Deutlich bildeten sie das heilige Wort australischen
-Ursprungs ATUA -- Gott -- den Taäta oder Takata oder Tathagata, der in
-ganz Indien überall herrschte. Und wie eines mystischen Zuspruchs in
-meiner schönen Einsamkeit und meiner schönen Armut erinnerte ich mich
-wieder der Worte des Weisen:
-
- In den Augen des Tathagata ist die herrlichste Pracht von Königen
- und seinen Ministern nichts als Auswurf und Staub.
-
- In seinen Augen ist Reinheit und Unreinheit wie der Tanz der sechs
- Nagas.
-
- In seinen Augen ist das Suchen nach dem Anblick des Buddha gleich
- den Blumen.
-
-In der Piroge ordnete die Frau einige Netze.
-
-Die blaue Linie des Meeres wurde häufig von dem Grün der Wogenkämme
-unterbrochen, die an den Korallenriffen brandeten.
-
-Abend.
-
-Ich war an den Strand gegangen, um eine Zigarette zu rauchen.
-
-Die rasch bis zum Horizont gesunkene Sonne versteckte sich schon zur
-Hälfte hinter der Insel Morea, die mir zur Rechten lag. In dem Zwielicht
-standen die Berge, deren Vorsprünge alten, mit Zinnen gekrönten
-Schlössern glichen, in festen schwarzen Silhouetten auf der violetten
-Glut des Himmels.
-
-Kein Wunder, daß mich vor diesen natürlichen Bauwerken
-Herrscher-Visionen verfolgen! Der Gipfel dort unten hat die Gestalt
-eines riesigen Helmes. Die Wogen ringsum, deren Rauschen wie das Lärmen
-einer gewaltigen Menge klingt, werden ihn niemals erreichen. Unter der
-Ruinenpracht steht der Helm allein, Beschützer und Zeuge, ein Nachbar
-des Himmels. Ich fühle von dem Haupte droben einen heimlichen Blick in
-die Wasser tauchen, die einst das sündige Geschlecht der Lebenden
-verschlungen hatten, und von dem weiten Spalt, der sein Mund sein
-könnte, fühle ich ein Lächeln der Ironie oder des Mitleids über das
-Wasser schweifen, wo die Vergangenheit schläft.
-
-Die Nacht brach schnell herein. Morea schlief.
-
- * * * * *
-
-Stille! Ich lernte die Stille einer tahitischen Nacht kennen.
-
-Ich vernahm nichts als das Schlagen meines Herzens in der Stille.
-
-Aber die Mondstrahlen fielen durch das in gleicher Entfernung
-voneinander stehende Bambusrohr vor meiner Hütte bis auf mein Bett. Und
-dieser gleichmäßige Schein erweckte in mir die Vorstellung eines
-Musikinstrumentes, der Rohrpfeife der Alten, die den Maories bekannt ist
-und von ihnen _Vivo_ genannt wird. Mond und Bambusrohr zeichneten es
-übertrieben: als ein Instrument, das tagsüber schweigt, aber nachts,
-dank dem Monde, dem Träumer liebe Melodien ins Gedächtnis zurückruft.
-Ich schlief bei dieser Musik ein.
-
-Zwischen dem Himmel und mir nichts als das hohe, leichte Dach von
-Pandanusblättern, in denen die Eidechsen nisten.
-
-Ich bin weit fort von jenen Gefängnissen, den europäischen Häusern!
-
-Eine maorische Hütte trennt den Menschen nicht vom Leben, von Raum und
-Unendlichkeit ...
-
-Indessen fühlte ich mich dort sehr einsam.
-
-Die Bewohner der Gegend und ich beobachteten einander gegenseitig, und
-der Abstand zwischen uns blieb der gleiche.
-
-Seit dem zweiten Tage waren meine Vorräte erschöpft. Was tun? Ich hatte
-geglaubt, für Geld alles Notwendige zu finden. Ich hatte mich jedoch
-getäuscht. Sobald man die Stadt verlassen hat, muß man sich an die Natur
-halten, um zu leben, und sie ist reich, sie ist freigebig und verweigert
-keinem einen Anteil an ihren Schätzen, die unerschöpflich an Bäumen, in
-den Bergen und im Meere aufgespeichert sind. Aber man muß verstehen, auf
-die hohen Bäume zu klettern, die Berge zu besteigen und mit schwerer
-Beute beladen zurückkehren, man muß Fische fangen, tauchen, auf dem
-Meeresgrund die fest an den Steinen haftenden Muscheln losreißen können,
--- man muß wissen, muß können.
-
-Ich, der Kulturmensch, stand in dieser Hinsicht weit hinter den Wilden
-zurück. Ich beneidete sie. Ich sah ihr glückliches, friedliches Leben um
-mich her, ohne größere Anstrengung, als die täglichen Bedürfnisse es
-erforderten -- ohne die geringste Sorge um Geld. Wem sollte man etwas
-verkaufen, wo die Erzeugnisse der Natur jedem zu Gebote stehen?
-
-Da, als ich mit leerem Magen auf der Schwelle meiner Hütte saß und
-betrübt an meine Lage und die unvorhergesehenen, vielleicht
-unüberwindlichen Hindernisse dachte, die die Natur zwischen sich und den
-Kulturmenschen stellt -- bemerkte ich einen Eingeborenen, der mir
-gestikulierend etwas zurief. Die sehr ausdrucksvollen Gebärden ersetzten
-die Worte, und ich verstand, daß mein Nachbar mich zum Essen einlud. Mit
-einem Kopfschütteln lehnte ich ab. Dann ging ich beschämt, ich glaube
-ebensosehr, weil ich das Anerbieten zurückgewiesen, wie wenn ich es
-angenommen hätte, in meine Hütte zurück.
-
-Nach einigen Minuten stellte ein kleines Mädchen, ohne etwas zu sagen,
-gekochtes Gemüse und sauber von frisch gepflückten grünen Blättern
-umhüllte Früchte vor meine Tür. Ich war hungrig. Und ebenfalls ohne ein
-Wort zu sagen, nahm ich es an.
-
-Kurz darauf ging der Mann an meiner Hütte vorüber und fragte lächelnd,
-ohne stehen zu bleiben:
-
--- Païa?
-
-Ich erriet: Bist du zufrieden?
-
-Das war der Beginn gegenseitiger Vertraulichkeit zwischen mir und den
-Wilden.
-
-»Wilde!« dieses Wort kam mir unwillkürlich über die Lippen, als ich
-diese schwarzen Wesen mit den Kannibalen-Zähnen betrachtete. Doch bald
-erkannte ich ihre echte, ihre fremdartige Anmut ... Wie jenes braune
-Köpfchen mit den sanften niedergeschlagenen Augen, jenes Kind unter
-Büschen großer Blätter des Giromon mich eines Morgens ohne mein Wissen
-beobachtete und entfloh, als mein Blick dem seinen begegnete ...
-
-Wie sie mir, war ich ihnen ein Gegenstand der Beobachtung und eine
-Ursache des Staunens, einer, dem alles neu war, der nichts kannte. Denn
-ich kannte weder ihre Sprache, noch ihre Gebräuche, selbst nicht die
-einfachsten notwendigen Handgriffe. -- Wie jeder von ihnen für mich, war
-ich für jeden von ihnen ein Wilder.
-
-Und wer von uns beiden hatte recht?
-
-Ich versuchte zu arbeiten, machte allerlei Notizen und Skizzen.
-
-Aber die Landschaft mit ihren starken, reinen Farben blendete mich,
-machte mich blind. Ich war immer unentschieden, suchte und suchte ...
-
-Und dabei war es so einfach zu malen, wie ich es sah, ohne viel
-Überlegung ein Rot neben ein Blau zu setzen! Vergoldete Gestalten in
-Bächen und am Strande entzückten mich, warum zögerte ich, diesen
-Sonnenjubel auf meine Leinwand zu bannen.
-
-Oh! diese alten europäischen Überlieferungen! die furchtsame
-Ausdrucksart entarteter Rassen!
-
-Um mich mit dem eigentümlichen Charakter eines tahitischen Gesichts
-vertraut zu machen, wollte ich das Porträt einer meiner Nachbarinnen,
-einer jungen Frau rein tahitischer Abstammung, machen. -- Eines Tages
-faßte sie sich ein Herz, in meine Hütte zu kommen und sich Photographien
-von Bildern anzusehen, mit denen ich eine Wand meiner Kammer tapeziert
-hatte. Sie betrachtete sie lange, mit ganz besonderem Interesse die
-_Olympia_.
-
--- Wie gefällt dir das? fragte ich sie. (Ich hatte in den zwei Monaten,
-wo ich nicht mehr fanzösisch sprach, ein paar tahitische Worte gelernt.)
-
-Meine Nachbarin erwiderte:
-
--- Sie ist sehr schön.
-
-Ich lächelte über diese Bemerkung, und sie rührte mich. Hatte sie denn
-Verständnis für das Schöne? Was aber würden die Professoren der Akademie
-der Schönen Künste dazu sagen?
-
-Nach einem fühlbaren Schweigen, wie es einer Gedankenfolgerung
-vorauszugehen pflegt, fügte sie plötzlich hinzu:
-
--- Ist das deine Frau?
-
--- Ja.
-
-Ich scheute diese Lüge nicht. Ich, der _Tané_ der schönen Olympia!
-
-Während sie neugierig einige religiöse Kompositionen der italienischen
-Primitiven prüfte, begann ich eilig, ohne daß sie es sah, ihr Porträt zu
-skizzieren.
-
-Sie merkte es plötzlich, rief schmollend -- Aïta! (Nein) und lief davon.
-
-Eine Stunde später war sie in einem schönen Kleid, die Tiaré hinterm
-Ohr, wieder da. -- Geschah es aus Koketterie? aus Freude, nach der
-Weigerung freiwillig nachzugeben? Oder war es einfach das Lockende der
-verbotenen Frucht, die man sich selber verwehrt? Oder noch einfacher
-vielleicht bloße Laune, ohne jeden andern Beweggrund, wie die Maories
-sie gewohnt sind?
-
-Ohne Zögern machte ich mich an die Arbeit, ohne Zögern und fieberhaft.
-Ich war mir bewußt, daß von meiner Leistung als Maler die physische und
-moralische Ergebenheit des Modells, eine rasche, stillschweigende,
-unweigerliche Einwilligung abhing.
-
-Nach unsern Regeln der Ästhetik war sie wenig schön.
-
-Aber sie war schön.
-
-Ihre Züge waren von einer raffaelischen Harmonie, und den Mund hatte ein
-Bildhauer modelliert, der es versteht, in eine einzige bewegliche Linie
-alle Freude und alles Leid zu legen.
-
-Ich arbeitete hastig und leidenschaftlich, denn ich wußte wohl, daß auf
-die Zustimmung noch nicht zu rechnen war. Ich zitterte davor, in diesen
-großen Augen Furcht zu lesen und Verlangen nach dem Unbekannten, die
-Melancholie bitterer Erfahrung, die jeder Lust zugrunde liegt, wie das
-unfreiwillige, souveräne Gefühl der Selbstbeherrschung. Solche Geschöpfe
-scheinen uns zu unterliegen, wenn sie sich uns geben, und unterliegen
-doch nur ihrem eigenen Willen. Sie beherrscht eine Kraft, die etwas
-Übermenschliches hat -- oder vielleicht etwas göttlich Animalisches.
-
- * * * * *
-
-Jetzt arbeitete ich freier, besser.
-
-Aber meine Einsamkeit quälte mich. Ich sah in dieser Gegend zwar junge
-Frauen und Mädchen mit ruhigem Blick, echte Tahitianerinnen, und einige
-darunter hätten vielleicht gern das Leben mit mir geteilt. -- Aber ich
-wagte nicht sie anzureden. Sie schüchterten mich wirklich ein mit ihrem
-sicheren Blick, der Würde ihrer Haltung und den stolzen Gebärden.
-
-Dennoch wollen alle »genommen«, buchstäblich brutal genommen sein
-(_maü_, ergreifen), ohne ein Wort. Alle haben den geheimen Wunsch nach
-Vergewaltigung: weil durch diesen Akt männlicher Autorität der Weibwille
-seine volle Unverantwortlichkeit behält -- denn so hat es ja nicht seine
-Einwilligung zum Beginn einer dauernden Liebe gegeben. Möglich, daß
-dieser erst so empörenden Gewalt ein tiefer Sinn zugrunde liegt, möglich
-auch, daß sie ihren wilden Reiz hat. Ich dachte wohl daran, aber ich
-wagte es nicht.
-
-Und dann hielt man mehrere von ihnen für krank, von jener Krankheit
-befallen, die den Wilden als erste Stufe des Kulturlebens von den
-Europäern gebracht wird ...
-
-Und wenn die Alten, auf eine von ihnen weisend, zu mir sagten:
-
--- Maü téra (nimm diese), hatte ich weder die notwendige Kühnheit noch
-Vertrauen. Ich ließ Titi sagen, daß ich sie mit Vergnügen wieder
-aufnehmen wolle.
-
-Sie kam sogleich.
-
-Der Versuch mißglückte, und an der Langeweile, die ich in der
-Gesellschaft dieser an den banalen Luxus der Beamten gewöhnten Frau
-empfand, konnte ich ermessen, welche Fortschritte ich bereits in dem
-schönen Leben der Wilden gemacht hatte.
-
-Nach Verlauf einiger Wochen schieden Titi und ich für immer voneinander.
-
-Ich war wieder allein.
-
- * * * * *
-
-Meine Nachbarn sind mir Freunde geworden. Ich esse und kleide mich wie
-sie. Wenn ich nicht arbeite, teile ich ihr Leben der Einfalt und der
-Freude, das sich zuweilen jäh in Ernst verwandelt.
-
-Abends versammelt man sich in Gruppen am Fuße der buschigen Sträucher,
-die die zerzausten Wipfel der Kokosnußbäume überragen, oder Männer und
-Frauen, Greise und Kinder vereinen sich. Die einen stammen aus Tahiti,
-andere von den Tongas- und wieder andere von den Marquesas-Inseln. Die
-matten Töne ihrer Körper stimmen harmonisch zu dem Sammet des Laubes,
-und aus ihrer kupfernen Brust steigen zitternd Melodien, die von den
-rauhen Stämmen der Kokosnußbäume gedämpft zurückgeworfen werden. Es sind
-tahitische Gesänge, die _Iménés_.
-
-Eine Frau beginnt, ihre Stimme erhebt sich gleich einem Vogel im Fluge
-und geht durch alle Töne bis zum höchsten der Tonleiter, steigt und
-singt in starken Modulationen und schwebt schließlich über den Stimmen
-der übrigen Frauen, die ihrerseits nun auffliegen, wenn man so sagen
-darf, ihr folgen und sie getreulich begleiten. Mit einem einzigen
-gutturalen, barbarischen Schrei schließen zuletzt alle Männer einstimmig
-den Gesang.
-
-Zuweilen kommt man zum Plaudern oder Singen in einer Hütte zusammen.
-
-Mit einem Gebet wird begonnen, ein Greis spricht es gewissenhaft vor,
-und alle Anwesenden wiederholen es. Dann wird gesungen, oder es werden
-lustige Geschichten erzählt. Der Inhalt dieser Erzählungen ist sehr
-zart, kaum greifbar, es sind in das Gewebe gestickte, durch ihre
-Naivität so feine Details, die sie belustigen.
-
-Seltener gibt man sich mit der Erörterung ernster Fragen oder weiser
-Vorschläge ab. Eines Abends wurde folgender gemacht, den ich nicht ohne
-Staunen hörte:
-
--- In unserm Dorf, sagte ein Greis, sieht man hier und dort zerfallene
-Häuser, geborstene Mauern und morsche halboffene Dächer, durch die Nässe
-dringt, wenn es zufällig einmal regnet. Warum? Jedermann hat das Recht,
-vor Wind und Wetter geschützt zu sein. Es fehlt weder an Holz noch an
-Laub zur Herstellung der Dächer. Ich schlage vor, gemeinschaftlich
-geräumige solide Hütten an Stelle der unbewohnbar gewordenen zu bauen.
-Wir wollen alle der Reihe nach Hand anlegen.
-
-Alle Anwesenden spendeten ihm ohne Ausnahme Beifall:
-
-Der Antrag des Greises wurde einstimmig angenommen.
-
-Ein kluges und gutes Volk, dachte ich, als ich abends nach Hause kam.
-
-Aber am folgenden Tage, als ich mich nach dem Beginn der gestern
-verabredeten Arbeit erkundigte, merkte ich, daß niemand mehr daran
-dachte. Das tägliche Leben nahm wieder seinen Gang, und die von dem
-weisen Ratgeber bezeichneten Häuser blieben zerfallen wie zuvor.
-
-Auf meine Fragen erhielt ich nur ein ausweichendes Lächeln zur Antwort.
-
-Aber gerunzelte Brauen zogen bedeutsame Linien in diese träumerischen
-Stirnen.
-
-Ich zog mich verwirrt, aber mit dem Gefühl zurück, eine tüchtige Lektion
-von meinen Wilden erhalten zu haben. Sie taten wahrlich recht, dem
-Vorschlag des Greises beizustimmen. Vielleicht hatten sie auch recht,
-dem gefaßten Entschluß nicht weiter Folge zu leisten.
-
-Wozu arbeiten? Die Götter sind da, ihren Getreuen von den Gütern der
-Natur zu spenden.
-
--- Morgen?
-
--- Vielleicht! aber was auch geschehen mag, heiter und wohltätig wird
-die Sonne morgen aufgeben, wie sie es heute getan.
-
-Ist das Sorglosigkeit, Leichtsinn, Unbeständigkeit? Oder vielleicht
-tiefe Philosophie? -- Wer weiß? Hütet euch vor dem Luxus! Hütet euch,
-unter dem Vorwande der Vorsorge Geschmack daran zu finden und ihn für
-notwendig zu halten ...
-
-Das Leben gestaltete sich täglich besser. Ich verstehe die Sprache der
-Maories jetzt ziemlich gut und werde sie bald ohne Mühe sprechen können.
-
-Meine Nachbarn -- drei ganz in der Nähe und andere zahlreiche in einiger
-Entfernung voneinander -- betrachten mich als einen der Ihren.
-
-In der fortwährenden Berührung mit den Kieselsteinen sind meine Füße
-abgehärtet und an den Boden gewöhnt. Mein fast beständig nackter Körper
-leidet nicht mehr unter der Sonne.
-
-Die Zivilisation verläßt mich allmählich.
-
-Ich fange an einfach zu denken, nur wenig Haß gegen meinen Nächsten zu
-empfinden -- eher ihn zu lieben.
-
-Ich genieße alle Freuden des Lebens -- animalische wie menschliche. Bin
-alles Erkünstelten, aller Konvention, aller Gewohnheiten ledig. Ich
-komme der Wahrheit nahe, der Natur. Mit der Gewißheit, eine Reihe
-freier, schöner Tage wie der heutige vor mir zu haben, senkt sich Friede
-auf mich herab, ich entwickle mich normal und beschäftige mich nicht mit
-unnützen Dingen.
-
-Ich habe einen Freund gewonnen.
-
-Er ist von selber zu mir gekommen, und ich darf gewiß sein, daß kein
-niedriger Eigennutz ihn dazu veranlaßt hat.
-
-Es ist einer meiner Nachbarn, ein schlichter, sehr schöner, junger
-Bursche.
-
-Meine farbigen Bilder und meine Holzschnitzereien haben seine Neugierde
-geweckt; meine Antworten auf seine Fragen haben ihn belehrt. Es vergeht
-kein Tag, an dem er mir nicht beim Malen oder Schnitzen zuschaut ...
-
-Noch jetzt, nach so langer Zeit, erinnere ich mich gern der wahren,
-echten Gefühle, die ich in dieser wahren, echten Natur erweckte.
-
-Abends, wenn ich von meiner Arbeit ausruhte, plauderten wir miteinander.
-Als neugieriger junger Wilder fragte er mich nach europäischem Leben,
-besonders nach Liebessachen, und mehr als einmal brachten seine Fragen
-mich in Verlegenheit.
-
-Aber seine Antworten waren noch naiver als seine Fragen.
-
-Eines Tages gab ich ihm meine Werkzeuge und ein Stück Holz, ich wollte,
-daß er den Versuch machte zu schnitzen. Verwirrt und schweigend schaute
-er mich erst an, dann gab er mir Holz und Werkzeug wieder zurück und
-sagte schlicht und treuherzig, ich sei nicht wie die andern, ich
-verstände Dinge, zu denen andere Menschen unfähig wären, und sei _andern
-nützlich_.
-
-Ich glaube, Jotéfa ist der erste Mensch, der mir das gesagt hat -- es
-war die Sprache des Wilden oder des Kindes, denn man muß eins von beiden
-sein, nicht wahr, um zu glauben, daß ein Künstler -- ein _nützlicher
-Mensch_ sei.
-
- * * * * *
-
-Einmal brauchte ich Rosenholz zu meiner Schnitzerei. Ich wollte einen
-festen starken Stamm und fragte Jotéfa um Rat.
-
--- Man muß in die Berge gehen, sagte er. Ich weiß an einer bestimmten
-Stelle mehrere schöne Bäume. Wenn du willst, führe ich dich hin. Wir
-fällen einen Baum, der dir zusagt, und tragen ihn zusammen her.
-
-Zeitig am Morgen brachen wir auf. Die Fußsteige auf Tahiti sind ziemlich
-beschwerlich für einen Europäer, und das Gehen im Gebirge erfordert,
-selbst für die Eingeborenen, eine Kraftanstrengung, zu der sie sich
-nicht unnötig entschließen.
-
-Zwischen zwei Bergen, zwei steilen Basaltwänden, die nicht zu erklimmen
-sind, gähnt ein Spalt, in dem das Wasser sich zwischen Felsblöcken
-hindurchwindet, die sich von der Seitenwand gelöst haben, um einer
-Quelle den Weg zu bahnen. Die zum Bach angewachsene Quelle hat an ihnen
-gerüttelt und gerückt und sie schließlich etwas weiter fortgedrängt, bis
-der Bach, zum Strom angeschwollen, sie mitgerissen und bis zum Meer
-getragen. An jeder Seite dieses Baches führt, oft von wahren Kaskaden
-unterbrochen, eine Art von Weg durch ein buntes Gemisch von Bäumen,
-Brotbäumen, Eisenbäumen, Bouraos, Kokosnußbäumen, Hibiscus, Pandanus,
-Guavabäumen und Riesenfarnen, eine tolle Vegetation, die immer wilder
-und dichter und schließlich zu einem immer undurchdringlicheren Dickicht
-wird, je weiter man zum Mittelpunkt der Insel vordringt.
-
-Wir gingen beide nackt, mit dem weißblauen Paréo umgürtet, das Beil in
-der Hand und mußten unzählige Male den Bach durchschreiten, um ein Stück
-Weges abzuschneiden, den mein Führer mehr mit dem Geruche als mit dem
-Auge zu entdecken schien, denn ein prächtiges Gewirr von Gras, Blättern
-und Blumen hatte den Boden ganz bedeckt.
-
-Es herrschte vollkommene Stille, trotz des klagenden Rauschens des
-Wassers in den Felsen, eines einförmigen Rauschens, einer sanften,
-leisen Klage -- wie die Begleitung der Stille.
-
-Und in diesem Walde, in dieser Einsamkeit, dieser Stille wir beide
-allein, -- er, ein ganz junger Mann, und ich, fast ein Greis, dem viele
-Illusionen den zarten Hauch von der Seele gestreift, viele Anstrengungen
-den Körper erschlafft und eine physisch und moralisch kranke
-Gesellschaft ihre Laster, dies alte verhängnisvolle Erbe hinterlassen!
-
-Mit der animalisch geschmeidigen Anmut seiner Androgynen-Gestalt schritt
-er vor mir her. Ich meinte die ganze Pflanzenpracht ringsum in ihm
-verkörpert zucken und leben zu sehen.
-
-War es ein Mensch, der da vor mir ging? War es der kindliche Freund, bei
-dem mich das Einfache und Komplizierte seiner Natur zugleich angezogen?
-War es nicht vielmehr der Wald selber, der lebendige Wald, geschlechtlos
-und -- verführerisch?
-
-Bei diesen nackten Völkerschaften ist der Unterschied der Geschlechter,
-wie bei den Tieren, weniger betont als in unsern Klimaten. Mit Gürtel
-und Schnürleib ist es uns gelungen, aus der Frau eine Anomalie, ein
-künstliches Wesen zu schaffen, das die Natur uns, den Gesetzen der
-Vererbung gehorchend, zu komplizieren und zu entkräften hilft, und das
-wir sorgfältig in einem Zustand nervöser Schwäche und unzulänglicher
-Muskelkraft erhalten, indem wir es vor Ermüdung bewahren und ihm die
-Gelegenheit nehmen, sich zu entwickeln. Da unsere Frauen nach einem so
-bizarren Ideal von Schlankheit geformt sind -- bei dem wir, seltsam
-genug, verharren --, haben sie nichts Gemeinsames mehr mit uns, was
-vielleicht nicht ohne ernste moralische und soziale Nachteile bleibt.
-
-Auf Tahiti kräftigt die Wald- und Meeresluft die Lungen, macht Schultern
-und Hüften breit, und weder Männer noch Frauen werden von den Strahlen
-der Sonne und den Kieselsteinen am Strande verschont. Sie verrichten
-zusammen die gleichen Arbeiten, mit demselben Fleiß oder demselben
-Gleichmut. Es ist etwas Männliches an diesen, und an jenen etwas
-Weibliches.
-
-Diese Ähnlichkeit der Geschlechter erleichtert ihre Beziehungen, und die
-stete Nacktheit gibt den Sitten eine natürliche Unschuld und vollkommene
-Reinheit, weil den Gemütern die Beschäftigung mit dem gefährlichen
-Mysterium fehlt, das einen »glücklichen Zufall« so bedeutungsvoll macht,
-und ihnen das verstohlene oder sadistische Wesen der Liebe bei den
-Kulturmenschen fremd ist. Mann und Frau, die Kameraden und mehr Freunde
-als Liebende sind, leben in Freud und Leid fast unausgesetzt zusammen,
-und selbst den Begriff des Lasters kennen sie nicht.
-
-Warum erwachte in diesem Rausch von Duft und Licht nun plötzlich bei dem
-alten Kulturmenschen, mit dem Reiz des Neuen, Unbekannten, trotz der
-geringeren sexuellen Unterschiede, jene furchtbare Begierde?
-
-Das Fieber pochte in meinen Schläfen und mir wankten die Knie.
-
-Aber der Weg war zu Ende, mein Gefährte wandte sich, um den Bach zu
-durchschreiten, und kehrte sich mir bei der Bewegung zu: der Androgyne
-war verschwunden. Es war ein wirklicher Jüngling, der vor mir schritt,
-und seine ruhigen Augen hatten die feuchte Klarheit des Wassers.
-
-Sogleich kam wieder der Friede über mich.
-
-Wir rasteten einen Augenblick, und ich empfand einen unendlichen, eher
-geistigen als sinnlichen Genuß, als ich in das frische Wasser tauchte.
-
--- Toë, toë (es ist kalt), sagte Jotéfa.
-
--- O nein! erwiderte ich. Und dieser Ausruf, der zu dem Beschluß des
-Kampfes paßte, den ich im Geiste eben gegen eine ganze verderbte
-Zivilisation bestanden hatte, weckte ein lautes Echo im Walde. Und ich
-sagte mir, daß die Natur mich hatte kämpfen sehen, daß sie mich hörte
-und mich verstand, denn jetzt antwortete sie auf meinen Siegesruf mit
-ihrer klaren Stimme, daß sie nach dieser Prüfung willig sei, mich in die
-Reihe ihrer Kinder aufzunehmen.
-
-Wir setzten unseren Weg fort, und ich drang mit leidenschaftlichem Eifer
-immer tiefer in das Dickicht, als könnte ich dadurch bis ans Herz dieser
-gewaltigen, mütterlichen Natur vordringen und mich mit ihren lebenden
-Elementen vereinen.
-
-Mit ruhigem Blick ging mein Gefährte immer gleichen Schritts vor mir
-her. Er war ohne Argwohn, ich trug die Last meines bösen Gewissens
-allein.
-
-Wir langten an unserm Ziel an.
-
-Die steilen Wände des Berges waren allmählich flacher geworden, und
-hinter einem dichten Vorhang von Bäumen dehnte sich, wohl versteckt,
-eine Art Plateau aus. Aber Jotéfa kannte die Stelle und leitete mich mit
-erstaunlicher Sicherheit hin.
-
-Ein Dutzend Rosenholzbäume breiteten dort ihr gewaltiges Geäst aus.
-
-Wir fällten den schönsten mit dem Beil und mußten ihn ganz opfern, um
-ihm einen für mein Vorhaben passenden Zweig zu rauben.
-
-Das Fällen machte mir Freude, und mit wahrem Vergnügen und freudiger
-Erregung in mir, ich weiß nicht welch göttlich rohe Begierde zu
-befriedigen, riß ich mir die Hände blutig. Nicht auf den Baum hieb ich
-ein, nicht ihn wollte ich überwältigen. Und dennoch hätte ich den Klang
-meines Beiles gern noch an andern Stämmen vernommen, als dieser am Boden
-lag.
-
-Und was mein Beil mir im Takt mit den hallenden Schlägen sagte, war
-dies:
-
- Den ganzen Wald mußt du niederschlagen!
- Den ganzen Wald des Bösen vernichten,
- Der seine Keime dir einblies mit giftigem Hauch!
- Zerstöre die Eigenliebe in dir!
- Zerstöre das Böse und reiß es heraus,
- Wie die Lotosblume im Herbst!
-
-Ja, von nun an ist der alte Kulturmensch verschwunden, tot. Ich ward
-wiedergeboren -- oder vielmehr ein anderer Mensch, ein reiner, stärkerer
-erstand in mir.
-
-Dieser furchtbare Anfall war der letzte Abschied von der Zivilisation:
-vom Bösen. Und dieser letzte Beweis verderbter Instinkte, die auf dem
-Grunde aller dekadenten Seelen schlummern, erhöhte durch den Kontrast
-die gesunde Einfachheit des Lebens, mit dem ich schon den ersten Anfang
-gemacht, bis zu einem Gefühl unsagbarer Wonne.
-
-Gierig atmete ich die herrliche, reine Luft ein. Von nun an war ich ein
-andrer Mensch: ein wahrer Wilder, ein echter Maorie.
-
-Jotéfa und ich kehrten nach Mateïéa zurück und trugen vorsichtig und
-einträchtig unsere schwere Rosenholzlast: _noa, noa_!
-
-Die Sonne war noch nicht untergegangen, als wir sehr ermüdet vor meiner
-Hütte anlangten.
-
-Jotéfa sagte zu mir:
-
--- Païa?
-
--- Ja, erwiderte ich.
-
-Und im Grunde meines Herzens wiederholte ich für mich:
-
--- Ja!
-
-Ich machte keinen Schnitt in dieses Rosenholz, ohne jedesmal stärker den
-Duft des Sieges und der Verjüngung einzuatmen: _noa, noa_!
-
-Durch das Tal von Punaru -- eine tiefe Kluft, die Tahiti in zwei Teile
-trennt -- gelangt man zu dem Plateau von Tamanoü. Von dort kann man das
-Diadem, Oroféna und Aroräï, -- den Mittelpunkt der Insel sehen.
-
-Man hatte mir davon oft wie von etwas Wunderbarem gesprochen, und ich
-hatte mir vorgenommen, allein hinzugehen und dort einige Tage zu
-verbringen.
-
--- Aber was wirst du nachts machen?
-
--- Die Tupapaüs[3] werden dich ängstigen!
-
--- Man darf die Berggeister nicht stören.
-
-... Du bist toll!
-
-Ich war es wahrscheinlich, denn diese besorgte Unruhe meiner tahitischen
-Freunde stachelte meine Neugierde nur noch mehr.
-
-In einer Nacht machte ich mich also vor Tagesanbruch auf.
-
-Etwa zwei Stunden konnte ich einen Pfad an dem einen Ufer des
-Punaru-Flusses verfolgen. Aber dann war ich mehrmals gezwungen, den Fluß
-zu überschreiten. Zu beiden Seiten ragten steile Bergwände, auf enorme
-Felsblöcke wie auf Strebepfeiler gestützt, bis in die Mitte des Wassers
-vor.
-
-Mir blieb schließlich nichts anderes übrig, als meinen Weg mitten im
-Fluß fortzusetzen. Das Wasser ging mir bis zu den Knien, zuweilen bis zu
-den Schultern.
-
-Zwischen den beiden Wänden, die mir von unten erstaunlich hoch und oben
-sehr nah aneinander schienen, war die Sonne am hellen Tage kaum
-sichtbar. Mittags unterschied ich an dem tiefblauen Himmel funkelnde
-Sterne.
-
-Gegen fünf Uhr, beim Eintritt der Dunkelheit, begann ich darüber
-nachzudenken, wo ich die Nacht zubringen sollte, als ich zur Rechten
-etwa ein Hektar fast flaches Land mit einem Gemisch von Farnen, wilden
-Bananen und Bouraos bemerkte. Ich hatte das Glück, ein paar reife
-Bananen zu finden, und machte eilig ein Holzfeuer, sie für mein Mahl zu
-kochen.
-
-Dann legte ich mich zum Schlafen, so gut es ging, auf die untersten
-Zweige eines Bananenbaumes, dessen Blätter ich ineinander geflochten
-hatte, um mich vor Regen zu schützen.
-
-Es war kalt, und ich fröstelte nach dem Marsch im Wasser.
-
-Ich schlief schlecht.
-
-Aber ich wußte, daß der Morgen nicht fern war und ich weder Menschen
-noch Tiere zu fürchten hatte. Hier auf Tahiti gibt es weder Raubtiere
-noch Reptilien. Die einzigen »wilden Tiere« sind die frei im Walde
-lebenden Schweine. Ich hatte höchstens einen Angriff auf meine Beine zu
-fürchten und behielt darum den Griff meines Beiles in der Hand.
-
-Die Nacht war finster. Unmöglich etwas zu unterscheiden, außer nahe an
-meinem Kopf eine Art phosphoreszierenden Staubes, der mich seltsam
-beunruhigte. Ich lächelte bei dem Gedanken an die Erzählungen der
-Maories von den Tupapaüs, jenen bösen Geistern, die in der Finsternis
-erwachen, um schlafende Menschen zu ängstigen. Ihr Reich ist im Herzen
-des Berges, den der Wald in ewige Schatten hüllt. Dort wimmelt es von
-ihnen, und ihre Legionen wachsen unaufhörlich durch die Geister aller
-Verstorbenen.
-
-Wehe dem Lebenden, der sich an einen von Dämonen bewohnten Ort wagt! ...
-
-Ich war dieser Tollkühne.
-
-Meine Träume waren freilich auch sehr aufregend.
-
-Jetzt weiß ich, daß dieser leuchtende Staub von einer besonderen Art
-kleiner Champignons herrührt, die an feuchten Stellen auf abgestorbenen
-Zweigen wachsen wie jene, deren ich mich zum Feueranmachen bedient
-hatte.
-
-Am folgenden Tage machte ich mich frühzeitig wieder auf den Weg.
-
-Der immer wechselvoller gestaltete Fluß, der bald Bach, bald Strom, bald
-Wasserfall war, machte seltsam launenhafte Krümmungen und schien
-zuweilen in sich selbst zurückzufließen. Ich verlor unaufhörlich den Weg
-und mußte mir von Zweig zu Zweig oft mit den Händen vorwärts helfen,
-wobei ich selten den Boden berührte. Vom Grunde des Wassers sahen Krebse
-von außerordentlicher Größe zu mir empor und schienen zu sagen: Was tust
-du hier? -- und hundertjährige Aale flohen bei meinem Nahen.
-
-Plötzlich, bei einer jähen Wendung, bemerkte ich an einen Felsvorsprung
-gelehnt, den es mit beiden Händen eher liebkoste als es sich daran
-hielt, ein junges, nacktes Mädchen. Es trank aus einer Quelle, die leise
-aus großer Höhe zwischen den Steinen rieselte.
-
-Nachdem es getrunken hatte, nahm es Wasser in beide Hände und ließ es
-zwischen den Brüsten niederrinnen. Dann -- obwohl ich nicht das
-geringste Geräusch gemacht hatte -- senkte es wie eine furchtsame
-Antilope, die instinktmäßig die Gefahr wittert, den Kopf und blickte
-forschend nach dem Dickicht, wo ich unbeweglich stand. Mein Blick
-begegnete dem ihren nicht. Aber kaum hatte sie mich erspäht, als sie mit
-dem Ruf: Taëhaë! (wütend) untertauchte.
-
-Ich stürzte an den Fluß: niemand, nichts -- nur ein riesiger Aal, der
-sich zwischen den kleinen Kieseln auf dem Grunde hinwand.
-
-Nicht ohne Schwierigkeit langte ich endlich nahe beim Aroraï, dem Gipfel
-des gefürchteten heiligen Berges, an.
-
-Es war Abend, der Mond ging auf, und als ich ihn die rauhe Stirn des
-Berges weich in seinen leichten Schimmer hüllen sah, erinnerte ich mich
-der berühmten Sage:
-
-_Paraü Hina Tefatou_ (Hina sprach zu Tefatou ...), eine uralte Sage, die
-die Mädchen abends gern erzählen und für die sie als Schauplatz gerade
-den Ort bezeichnen, wo ich mich befand.
-
-Ich glaubte es zu sehen:
-
-Den mächtigen Kopf eines Gottmenschen, das gewaltige Haupt eines Helden,
-dem die Natur das stolze Bewußtsein seiner Kraft gegeben, ein herrliches
-Riesenantlitz, wie an der Schwelle des Alls. Und eine sanfte zärtliche
-Frau, die leise das Haar des Gottes berührt und spricht:
-
--- Lasse den Menschen wieder auferstehen, wenn er gestorben ist ...
-
-Und die strengen, doch nicht grausamen Lippen des Gottes öffnen sich, um
-zu antworten:
-
-Nein, ich werde ihn nicht auferstehen lassen. Der Mensch wird sterben;
-die Pflanzen werden sterben wie sie, die sich davon nähren, die Erde
-wird untergehen, sie wird untergehen, um nicht wieder zu erstehen.
-
-Hina erwiderte:
-
--- Tue, wie es dir gefällt. Ich aber werde den Mond wieder auferstehen
-lassen.
-
-Und was Hina gehörte, fuhr fort zu leben. Was Tefatou gehörte, ging
-unter, und der Mensch mußte sterben.
-
- * * * * *
-
-Ich war seit einiger Zeit mißmutig geworden. Meine Arbeit litt darunter.
-Es fehlten mir viele wesentliche Hilfsmittel, es verstimmte mich,
-künstlerischen Aufgaben, die mich berauschten, machtlos
-gegenüberzustehen, aber hauptsächlich fehlte mir die Lust.
-
-Seit mehreren Monaten war ich von Titi getrennt, hatte seit Monaten
-nicht mehr ihr übermütig kindliches, zwitscherndes Geplauder über
-dieselben Dinge und dieselben Fragen gehört, auf die ich immer mit
-denselben Geschichten antwortete.
-
-Und diese Stille tat mir nicht gut. Ich beschloß fortzugehen, eine Fahrt
-um die Insel zu machen, für die ich kein bestimmtes Ziel festsetzte.
-
-Während ich meine Vorbereitungen traf -- ein paar leichte Pakete für die
-Bedürfnisse der Reise -- und meine Studien ordnete, schaute mein Nachbar
-und Freund Anani mir beunruhigt zu. Nach langem Zögern, begonnenen und
-wieder unterbrochenen Gebärden, deren klare Deutlichkeit mich sehr
-belustigte und zugleich rührte, entschloß er sich endlich, mich zu
-fragen, ob ich mich anschickte fortzugehen.
-
--- Nein, erwiderte ich, ich will nur einen Ausflug von mehreren Tagen
-machen.
-
-Ich komme wieder.
-
-Er glaubte mir nicht und fing an zu weinen!
-
-Sein Weib gesellte sich zu ihm und versicherte mich ihrer Zuneigung,
-sagte mir, daß ich kein Geld brauche, um unter ihnen zu leben, daß ich,
-wenn ich wollte, einst für immer _dort_ ruhen könnte -- sie wies auf
-einen mit einem Bäumchen geschmückten Grabhügel nahe bei ihrer Hütte.
-
-Und plötzlich verlangte mich danach -- dort -- zu ruhen. Da würde mich
-wenigstens in alle Ewigkeit niemand stören ...
-
--- Ihr Europäer seid seltsam, fügte das Weib des Anani hinzu. Ihr kommt,
-ihr versprecht zu bleiben, und wenn man euch lieb hat, geht ihr wieder?
-
-Ihr sagt, ihr kommt wieder, aber ihr kehrt niemals zurück!
-
--- Ich aber schwur, daß es meine Absicht sei, _diesmal_ wiederzukommen.
-
-Später (ich wagte nicht zu lügen), später wüßte ich noch nicht ...
-
-Schließlich ließen sie mich ziehen.
-
- * * * * *
-
-Ich weiche von dem Weg ab, der am Strande entlang geht, und schlage
-einen schmalen Pfad durch tiefes Dickicht ein. Der Weg führt mich so
-weit ins Gebirge, daß ich nach Verlauf einiger Stunden ein kleines Tal
-erreiche, dessen Bewohner noch nach altem maorischem Brauch leben.
-
-Sie sind still und glücklich. Sie träumen, sie lieben, schlafen und
-singen, -- sie beten, und das Christentum scheint noch nicht bis hierher
-gedrungen zu sein. Deutlich sehe ich die Statuen ihrer Gottheiten vor
-mir, obwohl sie in Wirklichkeit längst verschwunden sind, besonders die
-Statue der Hina, und die Feste zu Ehren der Mondgöttin. Das Götzenbild,
-aus einem einzigen Block, mißt zehn Fuß von einer Schulter zur andern
-und vierzig Fuß in der Höhe. Auf dem Haupte trägt sie in Gestalt einer
-Kappe einen riesigen Stein von rötlicher Farbe. Um sie herum wird nach
-altem Ritus der _Matamua_ getanzt, und das Vivo[4] stimmt seinen Ton je
-nach der Farbe der Stunde froh, heiter oder düster und traurig ...
-
-Ich setze meinen Weg fort.
-
-In Taravao -- dem weitest entfernten Distrikt von Mataïéa, am andern
-äußersten Ende der Insel -- leiht ein Gendarm mir sein Pferd, und ich
-trabe an der von Europäern wenig besuchten Küste entlang.
-
-In Faone, einem kleineren Ort vor dem bedeutenderen Itia, ruft mich ein
-Eingeborner an.
-
--- He! Mann, der Menschen macht! (er weiß, daß ich Maler bin.) _Haëré
-mai ta maha_ (Komm und iß mit uns: die tahitische Formel der
-Gastfreundschaft).
-
-Ich lasse mich nicht bitten, so anmutend und herzlich ist das die
-Einladung begleitende Lächeln.
-
-Ich steige vom Pferde. Mein Wirt nimmt das Tier am Zaum und bindet es
-ohne eine Spur von Unterwürfigkeit geschickt an einen Baum.
-
-Dann treten wir miteinander in eine Hütte, wo Männer und Frauen
-plaudernd und rauchend auf dem Boden sitzen. Um sie her spielen und
-tummeln sich die Kinder.
-
--- Wohin willst du? fragte mich eine schöne, etwa vierzigjährige Maorie.
-
-Ich will nach Itia.
-
--- Wozu?
-
-Ich weiß nicht, was mir in den Sinn kam, oder vielleicht nannte ich den
-wahren, mir bis dahin noch selber verborgenen Zweck meiner Reise.
-
--- Um dort eine Frau zu suchen, antwortete ich.
-
--- In Faone gibt es viele und hübsche. Willst du eine von ihnen?
-
--- Ja!
-
--- Wohlan! Gefällt sie dir, so will ich sie dir geben. Es ist meine
-Tochter.
-
--- Ist sie jung?
-
--- Ja.
-
--- Ist sie hübsch?
-
--- Ja.
-
--- Ist sie gesund?
-
--- Ja.
-
--- Gut. So bringe sie mir.
-
-Die Frau ging hinaus.
-
-Nach einer Viertelstunde, als das Mahl -- wilde Bananen und Krabben --
-aufgetragen wurde, kam sie in Begleitung eines jungen Mädchens wieder
-herein, das ein kleines Bündel in der Hand hielt.
-
-Durch das Gewand von sehr durchsichtigem rosa Musselin schimmerte die
-goldige Haut ihrer Schultern und Arme. Zwei Knospen hoben sich
-schwellend an ihrer Brust. Es war ein schlankes, großes, kräftiges Kind
-von wunderbarem Ebenmaß. Aber in dem schönen Gesicht fand ich nicht
-jenen Typus wieder, der mir sonst überall auf der Insel begegnet war.
-Auch das Haar war ungewöhnlich buschig und leicht gewellt. In der Sonne
-bot alles dies eine wahre Orgie von Chrom.
-
-Man sagte mir, daß sie von den Tongas abstamme.
-
-Ich begrüßte sie, sie lächelte und setzte sich neben mich.
-
--- Du hast keine Furcht vor mir? fragte ich.
-
--- Aïta (nein).
-
--- Willst du für immer in meiner Hütte wohnen?
-
--- Eha (ja).
-
--- Du bist nie krank gewesen?
-
--- Aïta.
-
-Das war alles.
-
-Mir schlug das Herz, während das Mädchen gelassen am Boden vor mir die
-Speisen auf einem großen Bananenbrett für mich anrichtete. Ich aß mit
-gutem Appetit, aber ich war zerstreut und tief erregt. Dieses Kind von
-etwa dreizehn Jahren (achtzehn bis zwanzig in Europa) entzückte mich,
-schüchterte mich ein und erschreckte mich fast. Was mochte in dieser
-Seele vorgehen? Und ich, der so alt war im Vergleich zu ihr, ich zögerte
-einen Augenblick, den so eilig abgeschlossenen Vertrag zu unterzeichnen,
-bei dem doch alle Vorteile auf meiner Seite waren!
-
-Vielleicht -- dachte ich -- gehorchte sie einem Befehl der Mutter.
-Vielleicht ist es ein Handel, den sie unter sich ausgemacht haben ...
-
-Ich beruhigte mich, als ich in den Zügen des jungen Mädchens, in seinem
-Gebaren und seiner Haltung die Zeichen wahrer Unabhängigkeit und eines
-Stolzes erkannte, die so charakteristisch für seine Rasse sind. Und mein
-Vertrauen ward vollkommen und unerschütterlich, als ich nach eingehender
-Forschung deutlich jenen Ausdruck von Heiterkeit bei ihr wahrnahm, der
-bei jungen Wesen immer eine ehrenhafte, löbliche Handlung begleitet. --
-Allein der spöttische Zug um ihren hübschen, weichen, sinnlichen Mund
-war mir eine Gewähr dafür, daß die Gefahren des Abenteuers nur für mich
-bestanden, nicht für sie ...
-
-Ich leugne nicht, daß mir in einer seltsam bedrückenden Angst ganz
-beklommen zumute war, als ich die Schwelle der Hütte überschritt.
-
-Die Stunde der Abreise war gekommen. Ich stieg zu Pferde.
-
-Das Mädchen folgte mir, von der Mutter, einem Mann und zwei jungen
-Frauen -- seinen Tanten, wie es sagte -- begleitet.
-
-Wir kehrten nach Taravao zurück, das neun Kilometer von Faone entfernt
-ist.
-
-Nach dem ersten Kilometer hieß es:
-
--- Parahi téié (hier mache Halt).
-
-Ich stieg vom Pferde, und wir traten alle sechs in eine große, sauber
-gehaltene, beinahe reiche, mit hübschen Matten ausgestattete Hütte.
-
-Ein noch junges und außerordentlich liebenswürdiges Paar bewohnte sie.
-Meine Braut setzte sich neben die Frau und stellte mich vor.
-
--- Dies ist meine Mutter, sagte sie.
-
-Dann wurde schweigend ein Becher mit frischem Wasser gefüllt, von dem
-wir alle der Reihe nach feierlich tranken, als handele es sich um einen
-alten frommen Brauch.
-
-Hierauf sagte die eben von meiner Braut als ihre Mutter bezeichnete Frau
-mit gerührtem Blick und feuchten Wimpern zu mir:
-
--- Du bist gut?
-
-Nicht ohne Verwirrung antwortete ich nach einer Prüfung meines
-Gewissens:
-
--- Ich hoffe es.
-
--- Wirst du meine Tochter glücklich machen?
-
--- Ja.
-
--- In acht Tagen muß sie wiederkommen. Wenn sie nicht glücklich ist,
-wird sie dich verlassen.
-
-Ich willigte mit einer Gebärde ein. Allgemeines Schweigen. Niemand
-schien eine Unterbrechung zu wagen.
-
-Endlich gingen wir hinaus, ich bestieg wieder mein Pferd und brach,
-immer von meinem Gefolge geleitet, von neuem auf.
-
-Unterwegs begegneten wir mehreren Personen, die meine Familie kannten.
-Sie waren bereits von dem Ereignis unterrichtet und sagten, als sie das
-Mädchen begrüßten:
-
--- Bist du jetzt wirklich die Vahina eines Franzosen? Viel Glück!
-
-Ein Punkt beunruhigte mich. Wie kam Tehura (so hieß meine Frau) zu zwei
-Müttern?
-
-Ich fragte die erste, die sie mir angeboten hatte:
-
--- Warum hast du gelogen?
-
-Die Mutter Tehuras antwortete:
-
--- Ich habe nicht gelogen. Die andere ist auch ihre Mutter, sie ist ihre
-Amme.
-
- * * * * *
-
-In Taravao gab ich dem Gendarm sein Pferd zurück, und es kam zu einem
-peinlichen Vorfall. Die Frau des Gendarmen, eine Französin, sagte zwar
-ohne Spott, aber taktlos zu mir:
-
--- Was! Sie nehmen sich eine solche Dirne mit?
-
-Und ihre boshaften Augen entkleideten das junge Mädchen, das dieser
-beleidigenden Prüfung mit vollkommener Kaltblütigkeit begegnete.
-
-Ich betrachtete einen Augenblick dies symbolische Schauspiel, das die
-beiden Frauen mir boten: Hier erste Blütezeit, Glaube und Natur, dort
-Dürre, Zwang und Künstelei. Zwei feindliche Rassen standen sich
-gegenüber, und ich schämte mich der meinigen. Ich litt darunter, sie so
-kleinlich und verständnislos zu sehen, und wandte mich schnell ab, um
-mich an dem Glanz der andern, an diesem lebenden Gold zu erfreuen und zu
-erwärmen, das ich schon liebte.
-
-In Taravao verabschiedete die Familie sich bei dem Chinesen von uns, wo
-alles zu haben ist, verfälschte Liköre und Früchte, Waffen und Stoffe,
-Männer, Frauen und Vieh.
-
-Meine Frau und ich benutzten einen Wagen, der uns 25 Kilometer weiter,
-in Mateïéa, vor meiner Hütte absetzte.
-
- * * * * *
-
-Meine Frau war nicht sehr gesprächig, heiter und melancholisch zugleich,
-vor allem aber spottlustig.
-
-Wir hörten nicht auf, uns gegenseitig zu studieren, aber sie blieb
-unergründlich, und ich war bald der Besiegte in diesem Kampf.
-
-Der gute Vorsatz, mich zu überwachen, zu beherrschen, um ein
-scharfsichtiger Beobachter zu werden, half mir wenig, meine Kraft ging
-bald zu Ende -- und ich war für Tehura in kurzer Zeit ein offenes Buch.
-
-Ich ward nun gewissermaßen auf meine Kosten und an meiner eignen Person
-der tiefen Kluft gewahr, die eine australische Seele von einer
-lateinischen und besonders einer französischen Seele trennt. Die Seele
-der Maories offenbart sich nicht sogleich. Es bedarf großer Geduld und
-eines Studiums, um ihrer habhaft zu werden. Und selbst wenn man sie von
-Grund aus zu kennen meint, bringt sie einen durch ganz unvorhergesehene
-»Sprünge« aus der Fassung. Im Anfang aber ist sie ein Rätsel oder
-vielmehr eine unendliche Reihe von Rätseln. Im Augenblick, da man sie zu
-fassen meint, ist sie fern, unerreichbar, unnahbar unter dem Mantel der
-Heiterkeit. Dann nähert sie sich vielleicht freiwillig, um abermals zu
-entschlüpfen, sobald man die geringste Gewißheit zu erkennen gibt. Und
-während man, durch dies Gebaren verwirrt, ihr innerstes Wesen sucht,
-bewahrt sie ihre unverwüstlich fröhliche Zuversicht und sorglose
-Leichtherzigkeit, die vielleicht weniger echt ist, als es den Anschein
-hat.
-
-Für mein Teil verzichtete ich bald auf Grübeleien, die mich hinderten,
-mein Leben zu genießen. Voll Vertrauen erwartete ich mit der Zeit
-Offenbarungen, die mir anfangs verwehrt blieben.
-
-Die Woche verstrich so, und ich hatte ein Gefühl von »Kindlichkeit«, das
-ich vormals nie gekannt.
-
-Ich liebte Tehura und sagte es ihr, aber es machte sie lachen: sie wußte
-es ja!
-
-Auch sie schien mich zu lieben, doch sprach sie davon nicht zu mir: --
-Aber zuweilen, in der Nacht, leuchtete das Gold von Tehuras Haut ...
-
-Am achten Tag ... mir war, als hätten wir eben erst miteinander unsere
-Hütte betreten -- bat Tehura mich um Erlaubnis, ihre Mutter in Faone zu
-besuchen. Es war eine versprochene Sache.
-
-Betrübt fügte ich mich, band einige Piaster in ihr Taschentuch, von
-denen sie die Kosten der Reise und Rum für ihren Vater bestreiten
-konnte, und begleitete sie zu dem Wagen.
-
-Ich hatte das Gefühl eines Abschieds für immer.
-
-Die folgenden Tage waren qualvoll.
-
-Die Einsamkeit trieb mich aus der Hütte, und Erinnerungen riefen mich
-dahin wieder zurück. Keine Studie vermochte meine Gedanken zu fesseln
-...
-
-Eine zweite Woche verging, und Tehura kehrte zurück.
-
-Nun fing ein vollkommen glückliches Leben an. Glück und Arbeit begannen
-zugleich mit der Sonne und strahlend wie sie. Das Gold von Tehuras
-Antlitz erhellte das Innere unserer Hütte und die Landschaft ringsum mit
-einem Schimmer von Freude und Heiterkeit. Sie studierte mich nicht mehr
-und ich nicht sie. Sie verheimlichte mir ihre Liebe nicht länger, und
-ich sprach ihr nicht mehr von der meinen. Wir lebten beide in aller
-Einfachheit.
-
-Wie wohl tat es, sich morgens im nächsten Bach zu erfrischen -- ganz wie
-ich mir denke, daß es im Paradies der erste Mann und das erste Weib
-getan!
-
-Paradies von Tahiti, _navé navé fénua_, -- köstliches Land!
-
-Und die Eva dieses Paradieses gestaltete sich immer liebevoller und
-empfänglicher. Ich bin von ihrem Duft durchdrungen: _noa, noa_! Sie ist
-zur rechten Zeit in mein Leben getreten. Früher hätte ich sie vielleicht
-nicht verstanden, und später wäre es zu spät gewesen. Jetzt verstehe ich
-sie, wie ich sie liebe, und durch sie dringe ich in Mysterien ein, die
-mir bis dahin unzugänglich waren.
-
-Allein mein Geist verarbeitet diese Entdeckungen noch nicht, ich präge
-sie noch nicht meinem Gedächtnisse ein. Alles was Tehura mir erzählt,
-erfasse ich nur mit Gefühl.
-
-In meinen Empfindungen und Eindrücken werde ich ihre Worte einst
-wiederfinden. Durch ihre täglichen Mitteilungen über ihr Leben führt sie
-mich sicherer, als es durch irgendeine andere Methode geschehen könnte,
-zum vollen Verständnis ihrer Rasse.
-
-Und ich habe kein Bewußtsein mehr von Tagen oder Stunden, von Gut und
-Böse. Das Glück ist zuweilen so seltsam, daß der Begriff davon fast
-aufgehoben wird. Ich weiß nur, daß alles gut ist, weil alles schön ist.
-
-Und Tehura stört mich nie, wenn ich arbeite oder träume. Instinktmäßig
-schweigt sie dann. Sie weiß sehr gut, wann sie sprechen kann, ohne mich
-zu belästigen.
-
-Wir unterhalten uns über Tahiti, über Europa, über Gott und Götter. Ich
-unterrichte sie und sie belehrt mich.
-
- * * * * *
-
-Ich mußte für einen Tag nach Papeete fahren.
-
-Zwar hatte ich versprochen, am selben Abend zurückzukehren, aber der
-Wagen, den ich genommen, verließ mich auf halbem Wege, ich mußte den
-Rest zu Fuß zurücklegen, und es wurde 1 Uhr morgens, ehe ich zu Hause
-anlangte.
-
-Als ich die Tür öffnete, sah ich beklommenen Herzens, daß es drinnen
-dunkel war. Dies hatte an sich nichts Merkwürdiges, denn wir besaßen
-augenblicklich nur wenig Licht, und den Vorrat zu erneuern, war mit ein
-Grund für meine Abwesenheit. Aber ich zitterte in einem plötzlichen
-Gefühl der Furcht und des Argwohns, das ich für eine Vorahnung hielt:
-der Vogel war gewiß davongeflogen ...
-
-Schnell zündete ich ein Streichholz an und sah -- Tehura reglos, nackt,
-platt hingestreckt auf dem Bett, die Augen vor Angst übermäßig weit
-geöffnet. Sie sah mich an und schien mich nicht zu erkennen. Ich selber
-blieb einige Augenblicke in seltsamer Ungewißheit stehen. Tehuras
-Entsetzen wirkte ansteckend. Mir war, als entströme ihren starr
-blickenden Augen ein Phosphorschein. Niemals hatte ich sie so schön, von
-so rührender Schönheit gesehn. Und dann fürchtete ich in diesem, für sie
-sicherlich von bedenklichen Erscheinungen belebten Halbdunkel eine
-Bewegung zu machen, die sie erschrecken und den Paroxysmus des Kindes
-steigern konnte. Wußte ich denn, was ich in diesem Augenblick für sie
-war? Ob sie mich mit meinem entsetzten Gesicht nicht für einen Dämon
-oder Geist, einen der Tupapaüs hielt, die ihren Sagen nach in
-schlaflosen Nächten erscheinen? Wußte ich, wer sie selber eigentlich
-war? Die Intensität des Entsetzens, von dem sie unter der physischen und
-moralischen Gewalt ihres Aberglaubens besessen war, machte sie zu einem
-fremden Wesen für mich, ganz verschieden von allem, was ich bisher
-gekannt!
-
-Endlich kam sie zu sich, rief mich an, und ich ermannte mich, sie zu
-schelten, zu beruhigen und zu beschwichtigen.
-
-Sie hörte mich schmollend an und sagte dann mit vor Schluchzen
-zitternder Stimme:
-
--- Laß mich nicht wieder so allein ohne Licht ...
-
-Aber kaum war die Furcht eingeschlummert, als die Eifersucht erwachte:
-
--- Was tatest du in der Stadt? Du hast Frauen besucht, solche, die auf
-Märkten tanzen und trinken, die sich Offizieren und Matrosen und jedem
-geben ...
-
-Ich ließ mich auf keinen Streit ein, und die Nacht ward süß -- süß und
-feurig, eine Tropennacht.
-
-Tehura war bald sehr liebevoll und vernünftig, bald ausgelassen und sehr
-übermütig. Zwei entgegengesetzte Wesen -- ohne viele andere unendlich
-verschiedene mitzurechnen -- in einem vereint, die sich gegenseitig
-Lügen straften und in betäubender Geschwindigkeit unvermittelt
-aufeinander folgten. Sie war nicht veränderlich, sondern doppelt,
-dreifach, hundertfach: das Kind einer _alten_ Rasse.
-
-Eines Tages kommt ein Hausierer, der ewige Jude -- er macht die Inseln
-unsicher wie das Festland -- und bringt ein Kästchen mit Schmucksachen
-aus vergoldetem Kupfer an.
-
-Er breitet seine Waren aus, und alle umringen ihn.
-
-Ein Paar Ohrringe gehen von Hand zu Hand. Die Augen der Frauen leuchten,
-jede möchte sie haben.
-
-Tehura runzelt die Brauen und sieht mich an. Ihre Augen reden sehr
-deutlich. Ich stelle mich, als ob ich sie nicht verstände.
-
-Sie zieht mich in eine Ecke:
-
--- Ich will sie haben!
-
-Ich erkläre ihr, daß dieses Zeug in Frankreich gar keinen Wert habe, daß
-sie aus _Kupfer_ seien.
-
--- Ich will sie haben!
-
--- Nicht doch! Für solche Dummheit 20 Francs bezahlen! Das wäre eine
-Torheit. Nein.
-
--- Ich will sie haben!
-
-Und mit leidenschaftlicher Zungenfertigkeit, die Augen voll Tränen,
-dringt sie in mich:
-
--- Wie, würdest du dich nicht schämen, diesen Schmuck in den Ohren einer
-andern zu sehen? Einer dort spricht schon davon, sein Pferd zu
-verkaufen, um seiner Vahina die Ohrringe zu schenken!
-
-Ich kann auf diese Torheit nicht eingehen und schlage ihr es zum
-zweitenmal ab.
-
-Tehura blickt mich starr an, ohne noch ein Wort zu verlieren, und weint.
-
-Ich gehe fort, komme wieder zurück, gebe dem Juden schließlich die
-zwanzig Francs -- und die Sonne scheint wieder.
-
-Zwei Tage später war ein Sonntag. Tehura macht große Toilette. Das Haar
-wird mit Seife gewaschen, dann in der Sonne getrocknet und schließlich
-mit duftendem Öl eingerieben. In ihrem schönsten Kleide, eins von
-_meinen_ Taschentüchern in der Hand, eine Blume hinterm Ohr und mit --
-nackten Füßen geht sie zum Tempel.
-
--- Und deine Ohrringe? frage ich.
-
-Tehura verzieht verächtlich den Mund:
-
--- Sie sind ja aus Kupfer!
-
-Und mit lautem Lachen überschreitet sie die Schwelle der Hütte und geht,
-plötzlich wieder ernst geworden, davon.
-
-Die Mittagsruhe verbringen wir, wie an jedem andern Tage, schlafend oder
-träumend nebeneinander. Vielleicht sieht Tehura in ihrem Traume andere
-Ohrringe glitzern.
-
-Ich möchte alles vergessen, was ich weiß, und immer schlafen ...
-
- * * * * *
-
-Eines Tages bei schönem Wetter -- auf Tahiti keine Ausnahme --
-beschlossen wir, uns morgens aufzumachen, um Freunde zu besuchen, deren
-Hütte zehn Kilometer von der unsrigen entfernt war.
-
-Da wir um sechs Uhr aufgebrochen waren, legten wir den Weg in der Kühle
-schnell zurück und langten schon um acht Uhr an.
-
-Wir wurden nicht erwartet: die Freude war groß, und nach beendeter
-Begrüßung machten sie sich auf die Suche nach einem Schwein, um uns ein
-Fest zu bereiten. Es wurde geschlachtet und dem Schwein noch zwei Hühner
-beigesellt. Eine prachtvolle, am Morgen gefangene Tintenschnecke, einige
-Bananen und andere Früchte vervollständigten das reichliche Mahl. Ich
-machte den Vorschlag, in der Zeit bis zum Mittagessen die Grotten von
-Mara zu besichtigen, die ich oft von fern gesehen hatte, ohne jemals die
-Gelegenheit zu finden, sie aufzusuchen.
-
-Drei junge Mädchen, ein Knabe, Tehura und ich, eine lustige kleine
-Gesellschaft, hatten das Ziel bald erreicht.
-
-Vom Wegrand aus könnte man die fast ganz von Guavabäumen verdeckte
-Grotte einfach für einen Felsenvorsprung oder eine etwas tiefere Spalte
-halten. Aber biegt man die Zweige zurück und gleitet man einen Meter
-weiter hinunter, so ist keine Sonne mehr sichtbar, man befindet sich in
-einer Art Höhle, deren Grund an eine kleine Bühne mit hochroter,
-scheinbar etwa 100 m weit entfernter Decke erinnert. Hie und da an den
-Wänden glaubt man riesige Schlangen sich langsam dehnen zu sehen, um an
-der Oberfläche des inneren Sees zu trinken. Aber es sind Wurzeln, die
-sich einen Weg durch die Felsspalten bahnen.
-
--- Ob wir ein Bad nehmen?
-
-Ich erhalte zur Antwort, daß das Wasser zu kalt sei, und abseits werden
-lange, von Lachen unterbrochene Unterhandlungen geführt, die mich
-neugierig machen.
-
-Ich gebe nicht nach, und endlich entschließen die Mädchen sich, sie
-legen ihre leichten Gewänder ab, und mit dem Paréo umgürtet, sind wir
-bald alle im Wasser.
-
--- Toë, toë! rufen alle einstimmig.
-
-Das Wasser plätschert, und ihre Rufe werden von tausend Echos
-zurückgeworfen, die das _toë, toë_ wiederholen.
-
--- Kommst du mit mir, frage ich Tehura und zeige auf den Grund.
-
-Bist du toll? Da hinunter, so weit! Und die Aale? Da hinunter wagt man
-sich nie!
-
-Und anmutig schwang sie sich leicht auf das Ufer, wie einer, der stolz
-ist, so gut schwimmen zu können. Aber ich bin auch ein guter Schwimmer,
-und obwohl ich mich nicht gern allein so weit fort wagte, steuerte ich
-auf den Grund zu.
-
-Durch welch seltsames Phänomen der Luftspiegelung mochte er sich aber
-immer mehr von mir entfernen, je angestrengter ich mich bemühte, ihn zu
-erreichen? Ich drang immer weiter vorwärts, und von allen Seiten
-blickten die großen Schlangen mich spöttisch an. Einen Augenblick
-glaubte ich eine große Schildkröte schwimmen zu sehen, ihr Kopf ragte
-aus dem Wasser, und ich unterschied zwei starre, glänzende Augen, die
-mich argwöhnisch anschauten. -- Torheit! dachte ich: die
-Meerschildkröten leben nicht in süßem Wasser. Dennoch (bin ich denn
-wirklich ein Maorie geworden?) kommen mir Zweifel, und es fehlt wenig,
-daß mir schaudert. Was sind das nur für breite, stille Wellen da vor
-mir? Aale!
-
--- Ach was, diese lähmende Empfindung von Furcht muß abgeschüttelt
-werden!
-
-Ich ließ mich senkrecht hinunter, um auf den Grund zu kommen. Doch ich
-mußte wieder hinauf, ohne daß es mir gelungen war. Vom Ufer rief Tehura
-mir zu:
-
--- Komm zurück!
-
-Ich wende mich um und sehe sie sehr weit und ganz klein.
-
-Warum geht die Entfernung auch hier bis ins Unendliche? Tehura ist nur
-noch ein schwarzer Punkt in einem leuchtenden Kreise.
-
-Ich bleibe hartnäckig und schwimme noch eine halbe Stunde: der Grund
-scheint immer in der gleichen Entfernung zu bleiben.
-
-Ein Ruhepunkt auf einem kleinen Plateau und dann wieder ein gähnendes
-Loch -- wohin mochte es führen? Ein Geheimnis, das zu ergründen ich
-aufgebe.
-
-Ich gestehe, daß ich schließlich wirklich Furcht empfand.
-
-Ich brauchte eine volle Stunde, um mein Ziel zu erreichen.
-
-Tehura allein erwartete mich. Ihre Gefährtinnen waren gleichgültig
-fortgegangen.
-
-Tehura sprach ein Gebet, und wir verließen die Grotte.
-
-Ich zitterte noch ein wenig -- vor Kälte. Aber im Freien erholte ich
-mich bald, besonders als Tehura mit einem Lächeln, das mir nicht ganz
-frei von Spott zu sein schien, fragte:
-
--- Du hast dich nicht gefürchtet?
-
-Mit Entrüstung erwiderte ich:
-
--- Wir Franzosen kennen keine Furcht.
-
-Tehura äußerte weder Mitleid noch Bewunderung. Aber ich merkte, daß sie
-aus einem Augenwinkel forschend nach mir spähte, als ich ein paar
-Schritte voranging, um eine farbige Tiaré für ihren Haarbusch zu
-pflücken.
-
-Der Weg war schön und herrlich das Meer. Vor uns erhoben sich Moreas
-stolze grandiose Berge.
-
-Wie lebt es sich gut! Und mit welchem Appetit verzehrt man nach einem
-zweistündigen Bad das lecker bereitete Schweinchen, das uns im Hause
-erwartet!
-
- * * * * *
-
-In Mataïéa fand eine große Hochzeit statt -- eine echte Hochzeit, legal
-und religiös, wie die Missionare sie den bekehrten Tahitianern
-vorschreiben.
-
-Ich war dazu eingeladen und Tehura begleitete mich.
-
-Das Mahl bildet auf Tahiti -- wie überall, glaube ich -- die Hauptfeier.
-Auf Tahiti wenigstens entfaltet man bei diesen Feierlichkeiten den
-größten kulinarischen Luxus. Auf heißen Steinen gebratene Schweinchen,
-eine unglaubliche Menge von Fischen, Bananen, Guaven, Taros u. a.
-
-Der Tisch, an dem eine ansehnliche Zahl von Gästen saß, stand unter
-einem improvisierten Dach, das anmutig mit Blumen und Blättern
-geschmückt war. Alle Verwandten und Freunde der Neuvermählten waren
-anwesend.
-
-Das junge Mädchen -- die Lehrerin des Ortes, eine Halb-Weiße -- nahm
-einen echten Maorie, den Sohn des Häuptlings von Punaauïa, zum Manne.
-Sie war in der »frommen Schule« von Papeete erzogen worden, und der
-protestantische Bischof, der sich für sie interessierte, hatte diese
-Heirat, die viele für etwas übereilt hielten, persönlich vermittelt. --
-Was der Missionar will, ist Gottes Wille, sagt man draußen ...
-
-Eine volle Stunde wird gespeist und -- viel getrunken. Dann beginnen die
-zahlreichen Reden. Sie werden der Reihe nach und mit Methode gehalten,
-es ist ein sehr komischer Wettstreit der Beredsamkeit.
-
-Nun kommt die wichtige Frage: welche der beiden Familien gibt den
-Neuvermählten einen neuen Namen? Dieser aus sehr alter Zeit stammende
-nationale Brauch bedeutet ein geschätztes, sehr begehrtes und viel
-umstrittenes Vorrecht. Nicht selten artet der Streit über diesen Punkt
-in einen blutigen Kampf aus.
-
-Diesmal kam es nicht zu einem solchen. Alles verlief fröhlich und
-friedlich. Allerdings war die Tischgesellschaft stark berauscht. Selbst
-meine arme Vahina, die nicht unter meiner Aufsicht bleiben konnte, kam,
-durch das Beispiel verleitet, in einen furchtbaren Rausch, und ich
-brachte sie nicht ohne Mühe nach Haus.
-
-Mitten am Tische thronte in bewundernswerter Würde die Frau des
-Häuptlings von Punaauïa. Ihr auffallendes, phantastisches Kleid von
-orangefarbenem Samt gab ihr ungefähr das Aussehen einer
-Jahrmarktsheldin. Aber die unverwüstliche Anmut ihrer Rasse, wie das
-Bewußtsein ihres Ranges verlieh ihrem Flitter eine unbeschreibliche
-Größe. Die Gegenwart dieser majestätischen Frau von sehr reinem Typus
-gab diesem Fest eine stärkere Würze als alles andere, und die Wirkung
-davon blieb nicht aus.
-
-Neben ihr saß eine hundertjährige Greisin, deren Hinfälligkeit durch
-eine voll erhaltene Doppelreihe Menschenfresserzähne abschreckend war.
-Sie nahm wenig teil an dem, was um sie herum geschah, und blieb
-unbeweglich starr, fast wie eine Mumie. Aber eine Tätowierung auf ihrer
-Wange, ein dunkles, in seiner Form unbestimmtes Zeichen, das an einen
-lateinischen Buchstaben erinnerte, sprach in meinen Augen für sie und
-erzählte mir ihre Geschichte. Die Tätowierung glich in nichts der der
-Wilden: sie stammte sicherlich von europäischer Hand!
-
-Ich erkundigte mich darnach.
-
-Ehemals, sagte man mir, als die Missionare gegen die Fleischeslust
-eiferten, zeichneten sie »gewisse Frauen« mit dem Stempel der
-Ehrlosigkeit, dem »Höllensiegel« -- dessen sie sich schämten, aber nicht
-etwa wegen der begangenen Sünden, sondern wegen der Lächerlichkeit und
-der Schande einer solchen »Auszeichnung«.
-
-An jenem Tage verstand ich besser denn je das Mißtrauen der Maories den
-Europäern gegenüber, ein Mißtrauen, das heute noch besteht, so milde es
-sich bei der großmütigen und gastfreundlichen Natur der australischen
-Seele auch zeigen mag.
-
-Wieviele Jahre lagen zwischen der von dem Priester gezeichneten Greisin
-und dem von dem Priester verheirateten jungen Mädchen: Das Zeichen
-bleibt unauslöschlich und zeugt von dem Niedergang der Rasse, die sich
-ihm unterwarf, und von der Niedrigkeit jener, die es ihr aufzwang.
-
-Fünf Monate später brachte die junge Frau ein wohlgebildetes Kind zur
-Welt.
-
-Entrüstet forderten die Eltern eine Scheidung. Der junge Mann
-widersetzte sich:
-
--- Was tut es, da wir uns lieben, sagte er. Ist es bei uns nicht Brauch,
-fremde Kinder anzunehmen? Ich nehme dieses an.
-
-Warum aber hatte der Bischof sich so sehr bemüht, die Trauung zu
-beschleunigen? Es wurde viel besprochen. Böse Zungen behaupteten, daß
-...
-
-Selbst auf Tahiti gibt es böse Zungen.
-
- * * * * *
-
-Abends im Bett haben wir lange Gespräche, mitunter sehr ernste.
-
-Jetzt, wo ich Tehura verstehen kann, in der der Geist ihrer Vorfahren
-noch schlummert und träumt, bemühe ich mich durch diese Kinderseele zu
-sehen und zu denken und in ihr die zwar toten, aber in vagen
-Erinnerungen noch bestehenden Spuren der fernen Vergangenheit
-wiederzufinden.
-
-Ich stelle Fragen, und sie bleiben nicht alle ohne Antwort.
-
-Die von unsern Eroberungen mehr betroffenen und von unserer Zivilisation
-stärker beeinflußten Männer haben die alten Götter vielleicht vergessen.
-Aber im Gedächtnis der Frauen haben diese sich einen Zufluchtsort
-bewahrt. Und es ist ein rührendes Schauspiel für mich, wenn unter meiner
-Einwirkung die alten nationalen Gottheiten allmählich in Tehuras
-Erinnerung erwachen und die künstlichen Schleier abwerfen, in die
-protestantische Missionare sie einhüllen zu müssen geglaubt. Im ganzen
-war das Werk der Katecheten ein sehr oberflächliches. Die Erfolge ihrer
-Tätigkeit entsprachen, besonders bei den Frauen, nur wenig ihren
-Erwartungen. Ihre Lehren sind wie eine schwache Firnisschicht, die
-schnell bei der geringsten Berührung abbröckelt und schwindet.
-
-Tehura besucht regelmäßig den Gottesdienst und befolgt die Vorschriften
-der offiziellen Religion. Aber sie weiß die Namen aller Götter des
-maorischen Olymps auswendig, und das ist keine Kleinigkeit. Sie kennt
-ihre Geschichte, sie lehrt mich, wie sie die Welt erschaffen haben, wie
-sie herrschen und wie sie geehrt sein wollen. Die strengen Lehren der
-christlichen Moral sind ihr fremd, oder sie kümmert sich nicht darum,
-denkt z. B. nicht daran zu bereuen, daß sie die Konkubine -- wie sie es
-nennen -- eines Tané ist.
-
-Ich weiß nicht recht, wie sie Jesus und Taaro in ihrem Glauben
-zueinander stellt. Ich glaube, sie verehrt alle beide.
-
-Nach und nach hat sie mir einen ganzen Kursus über tahitische Religion
-gehalten. Dafür versuche ich ihr auf Grund europäischer Kenntnisse
-einige Naturphänomene zu erklären.
-
-Die Sterne interessieren sie sehr. Sie fragt mich nach der französischen
-Benennung des Morgen-, des Abendsterns und der anderen Gestirne. Es wird
-ihr schwer zu begreifen, daß die Erde sich um die Sonne dreht ...
-
-Sie nennt mir die Sterne in ihrer Sprache, und während sie erzählt, sehe
-ich beim Schein der Gestirne, die selber Gottheiten sind, die heiligen
-Gestalten der maorischen Beherrscher der Luft, des Feuers, der Inseln
-und Meere deutlich vor mir.
-
-Die Bewohner von Tahiti haben immer, soweit man auch in ihrer Geschichte
-zurückgreift, ziemlich ausgedehnte Kenntnisse in der Astronomie
-besessen. Die periodischen Feste der Aréoïs -- Mitglieder einer geheimen
-religiösen und zugleich politischen Gesellschaft, die auf den Inseln
-herrschte -- wurden nach der Stellung der Gestirne bestimmt. Selbst die
-Natur des Mondlichtes scheint den Maories nicht unbekannt gewesen zu
-sein. Sie nehmen an, daß der Mond eine der Erde sehr ähnliche Kugel sei,
-wie diese bewohnt und reich an Produkten wie die unsrigen.
-
-Die Entfernung der Erde vom Monde schätzen sie auf ihre Weise: -- Eine
-weiße Taube brachte den Samen des Baumes Ora vom Mond auf die Erde. Sie
-brauchte _zwei Monde_, den Trabanten zu erreichen, und als sie nach
-abermals zwei Monden auf die Erde fiel, war sie federlos. -- Dieser
-Vogel hat von allen den Maories bekannten Vögeln den schnellsten Flug.
-
-Dies aber ist die tahitische Benennung der Sterne. Ich vervollständige
-Tehuras Lektion mit Hilfe des Fragments einer uralten Handschrift, die
-in Polynesien gefunden wurde.
-
-Ist es zu gewagt, darin eher die erste Andeutung eines von der
-Astronomie aufgestellten Systems, als ein zufälliges Spiel der Phantasie
-zu sehen?
-
- Roüa -- groß ist sein Stamm -- schlief mit seinem Weibe, der
- Düsteren Erde.
-
- Sie gebar ihren König, die Sonne, darauf die Dämmerung, dann die
- Nacht.
-
- Da verstieß Roüa dieses Weib.
-
- Roüa -- groß ist sein Stamm -- schlief mit der Frau, genannt »Grande
- Réunion«.
-
- Sie gebar die Königinnen des Himmels, die Gestirne, sodann den Stern
- Tahiti, den Abendstern.
-
- Der König der goldenen Himmel, der einzige König schlief mit seinem
- Weibe Fanoüi.
-
- Von ihr stammt das Gestirn Taüroüa (Venus), der Morgenstern, der
- König Taüroüa, der dem Tag und der Nacht und andern Sternen, dem
- Mond und der Sonne gebeut und den Schiffern als Führer dient.
-
- Taüroüa segelte links gen Norden, schlief dort mit seinem Weihe und
- zeugte den Roten-Stern, jenen Stern, der abends unter zwei Antlitzen
- leuchtet.
-
- Der Rote-Stern flog gegen Osten und setzte seine Piroge instand, die
- Piroge des hellen Tages, und steuerte gen Himmel. Bei Sonnenaufgang
- segelte er davon.
-
- Rehoüa tritt nun im weiten Raume auf. Er schläft mit seinem Weibe
- Oüra Tanéïpa.
-
- Sie zeugten die Zwillings-Könige, den Plejaden gegenüber.
-
- Diese Zwillings-Könige sind sicher dieselben wie unser Kastor und
- Pollux.
-
- Die erste Version der polynesischen Genesis unterliegt
- Veränderungen, die vielleicht nur Entwicklungen sind.
-
- Taaroa schlief mit der Frau, die sich Göttin des Äußeren (oder des
- Meeres) nennt.
-
- Sie zeugten die weißen Wolken, die schwarzen Wolken und den Regen.
-
- Taaroa schlief mit der Frau, die sich Göttin des Innern (oder der
- Erde) nennt.
-
- Von ihnen stammt der erste Keim. Stammt alles, was auf der
- Oberfläche der Erde wächst.
-
- Stammt der Nebel auf den Bergen.
-
- Stammt, was sich das Starke nennt.
-
- Stammt sie, die sich die Schöne nennt oder die zum
- Gefallen-Geschmückte.
-
- Mahoüi[5] steuert seine Piroge.
-
- Er setzt sich nieder auf den Boden. Ihm zur Rechten hängt der mit
- Haarsträhnen an der Leine befestigte Angelhaken.
-
- Und die Leine mit dem Angelhaken, die er in der Hand hält, läßt er
- in die Tiefe des Weltalls hinunter, um den großen Fisch (die Erde)
- zu fischen.
-
- Der Haken hat sich festgebissen.
-
- Schon kommen die Achsen zum Vorschein, schon fühlt der Gott das
- enorme Gewicht des Erdballs.
-
- Tefatou (der Gott der Erde und die Erde selber) taucht noch, im
- unermeßlichen Raume schwebend, von dem Angelhaken erfaßt, aus der
- Nacht empor.
-
- Mahoüi hat den großen Fisch gefischt, der im Raume schwimmt und den
- er nun nach Belieben lenken kann.
-
- Er hält ihn in der Hand.
-
- Mahoüi regelt auch den Lauf der Sonne, so daß Tag und Nacht von
- gleicher Dauer sind.
-
-Ich bat Tehura, mir die Götter zu nennen.
-
- -- Es schlief Taaroa mit Ohina, der Göttin der Luft.
-
- Von ihnen stammt der Regenbogen, der Mondschein, die roten Wolken
- und der rote Regen.
-
- Es schlief Taaroa mit Ohina, der Göttin des Erdbusens.
-
- Sie zeugten Tefatou, den Geist, der die Erde belebt und sich durch
- unterirdische Geräusche zu erkennen gibt.
-
- Es schlief Taaroa mit der Frau, genannt Jenseits-der-Erde.
-
- Sie zeugten die Götter Téirii und Roüanoüa.
-
- Darauf Roo, der seitwärts aus dem Leibe der Mutter kam.
-
- Und dieselbe Frau gebar noch den Zorn und den Sturm, die Rasenden
- Winde und auch den Frieden, der ihnen folgt.
-
- Und der Ursprung dieser Geister ist an dem Ort, von dem die Boten
- ausgesandt werden.
-
-Aber Tehura gibt zu, daß diese Darstellung angefochten wird. Es ist die
-orthodoxeste Klassifikation.
-
-Die Götter teilten sich in Atuas und Oromatuas.
-
-Die höheren Atuas sind alle Söhne und Enkel des Taaroa.
-
-Sie wohnen in den Himmeln -- es gibt deren sieben.
-
-Die Söhne Taaroas und seines Weibes Féii Féii Maïtéraï waren: Oro (der
-erste der Götter nach seinem Vater, der selbst zwei Söhne hatte, Tetaï
-Mati und Oüroü Téféta), Raa (Vater von sieben Söhnen), Tané (Vater von
-sechs Söhnen), Roo, Tiéri, Téfatou, Roüa Noüa, Toma Hora, Roüa Oütia,
-Moë, Toüpa, Panoüa usw. usw.
-
-Jeder dieser Götter hatte seine besonderen Abzeichen.
-
-Die Werke des Mahoüi und des Tefatou kennen wir bereits ...
-
-Tané hat den siebenten Himmel als Mund -- und dies bedeutet, daß der
-Mund dieses Gottes das äußerste Ende des Himmels ist, von wo aus das
-Licht die Erde zu erhellen beginnt.
-
-Rii trennte Himmel und Erde.
-
-Roüi wühlte die Wasser des Ozeans auf, durchbrach die feste Masse des
-Erdballs und teilte ihn in unzählige Teile, die jetzigen Inseln.
-
-Fanoüra, dessen Haupt bis zu den Wolken und dessen Füße bis zum
-Meeresgrund reichten, und Fatoühoüi, ein anderer Riese, stiegen zusammen
-nach Eïva -- einem unbekannten Lande -- hinunter, um das ungeheure
-Schwein zu bekämpfen und zu vernichten, das die Menschen verschlang.
-
-Hiro, Gott der Diebe, grub mit seinen Fingern Löcher in den Felsen. Er
-befreite eine Jungfrau, die Riesen an einem verzauberten Ort gefangen
-hielten: mit einer einzigen Hand riß er die Bäume aus, die am Tage das
-Gefängnis der Jungfrau verdeckten, und der Zauber war gebrochen ...
-
-Die Atuas niederen Ranges kümmerten sich mehr um das Leben und die
-Arbeit der Menschen, ohne ihre Gewohnheiten zu teilen.
-
-Es sind: die Atuas Maho (Götter-Haie), Schutzgeister der Seeleute: die
-Pëho, Götter und Göttinnen der Täler, Schutzgeister der Ackerbauer; die
-No Te Oüpas Oüpas, Schutzgeister der Sänger, Komödianten und Tänzer; die
-Raaoü Pava Maïs, Schutzgeister der Ärzte; die No Apas, Götter, denen
-Opfer dargebracht werden, nachdem sie jemand vor Hexerei und Zauber
-bewahrt haben; die O Tanoü, Schutzgeister der Arbeiter, die Tané Ité
-Haas, Schutzgeister der Zimmerleute und Baumeister; die Minias und
-Papéas, Schutzgeister der Dachdecker; die Matatinis, Schutzgeister der
-Netzeknüpfer.
-
-Die Oromatuas sind Hausgötter, die Laren.
-
-Es gibt wirkliche Oromatuas und Genien.
-
-Die Oromatuas strafen die Streitsüchtigen und halten den Frieden in den
-Familien aufrecht. Es sind: die Varna Taatas, Seelen verstorbener Männer
-und Frauen jeder Familie. Die Eriorios, Seelen der in frühem Alter eines
-natürlichen Todes gestorbenen Kinder. Die Poüaras, Seelen von Kindern,
-die bei der Geburt getötet wurden und in den Körper der Heuschrecke
-zurückgekehrt waren.
-
-Die Genien sind von den Menschen gemutmaßte oder vielmehr wissentlich
-erdachte Gottheiten. Sie legen irgendeinem Tiere oder einem Gegenstand,
-einem Baume z. B., ohne jeden Grund willkürlich göttliche Bedeutung bei
-und fragen ihn dann bei jedem wichtigen Anlaß um Rat. -- Vielleicht ist
-das noch eine Spur der Seelenwanderung der Inder, die die Maories höchst
-wahrscheinlich gekannt haben.
-
-Ihre historischen Gesänge sind überreich an Sagen, in denen man die
-Götter wieder die Gestalt von Tieren und Pflanzen annehmen sieht.
-
-Nach den Atuas und Oramatuas kommen in letzter Reihe der himmlischen
-Rangordnung die Tiis.
-
-Diese Söhne Taaroas und Hinas sind sehr zahlreich.
-
-Als den Göttern untergeordnete und den Menschen fernstehende Geister,
-vermitteln sie nach der Schöpfungssage der Maories zwischen organischen
-und unorganischen Wesen und verteidigen die Ansprüche und Rechte dieser
-gegen die widerrechtlichen Angriffe der anderen.
-
-Ihre Entstehung ist diese:
-
-Es schlief Taaroa mit Ani (Sehnsucht) und sie zeugten: die Sehnsucht der
-Nacht, den Boten der Finsternis und des Todes; die Sehnsucht des Tages,
-den Boten des Lichts und des Lebens; die Sehnsucht der Götter, den Boten
-des Himmlischen, und die Sehnsucht der Menschen, den Boten des
-Irdischen.
-
-Sodann zeugten sie: Tii-des-Inneren, der über Tiere und Pflanzen wacht,
-Tii-des-Äußeren, der alle Wesen und Dinge des Meeres hütet;
-Tii-des-Sandes, Tii-der-Küsten und Tii-der-lockeren Erde; Tii-der-Felsen
-und Tii-des-Festen-Landes.
-
-Später wurden noch geboren: Nachtleben, Tagesleben, Kommen und Gehen,
-Ebbe und Flut, Freudenspenden und Genießen.
-
-Die Bildnisse der Tiis waren an der Außenseite der Maraës (Tempel)
-angebracht und begrenzten das Innere des heiligen Bodens. Man sieht
-deren auf Felsen und an Küsten, und diese Götzenbilder haben die
-Aufgabe, die Grenze zwischen Erde und Meer zu bezeichnen, die Harmonie
-zwischen den beiden Elementen aufrechtzuerhalten und ihren
-wechselseitigen Eingriffen zu wehren. Reisende haben noch jetzt auf der
-Ile-de-Pâques einige Tii-Statuen gesehen. Es sind Riesendenkmäler in
-halb menschlicher, halb tierischer Gestalt, die von einem eigentümlichen
-Schönheitsbegriff und großer Geschicklichkeit in der Behandlung der
-Steine zeugen, die architektonisch in Blöcken von geschickt gewählter
-Farbenzusammenstellung übereinander getürmt sind.
-
-Die europäische Invasion und der Monotheismus haben diese Spuren einer
-einst hohen Kultur verwischt. Wenn die Tahitianer heutzutage ein
-Monument errichten, zeigen sie Wunder von schlechtem Geschmack -- wie in
-der Art des Grabmals des Pomare. Sie haben ihre ursprünglichen Instinkte
-verloren, die in dem steten Verkehr mit der Tier- und Pflanzenwelt in so
-reichem Maße bei ihnen entwickelt waren. Im Umgang mit uns, in _unserer
-Schule_ sind sie erst wahrhaft »Wilde« in jenem Sinne geworden, die der
-lateinische Okzident diesem Worte unterlegt. Sie sind schön geblieben
-wie Kunstwerke, aber sie sind (wir haben sie) moralisch und auch
-physisch unfruchtbar gemacht.
-
-Es existieren noch Spuren der Maraës. Sie waren von Mauern umgebene
-Vierecke, die durch drei Öffnungen unterbrochen wurden. Drei Seiten
-bestanden aus Steinmauern von vier bis sechs Fuß, eine weniger hohe als
-breite Pyramide bildete die vierte. Das Ganze hatte eine Breite von etwa
-hundert und eine Länge von vierzig Metern. -- Bildnisse von Tiis
-schmückten dies einfache Bauwerk.
-
-Der Mond nimmt einen wichtigen Platz in der metaphysischen Anschauung
-der Maories ein. Daß ihm zu Ehren ehemals große Feste veranstaltet
-wurden, ist schon gesagt worden. Hina wird in den überlieferten
-Erzählungen der Aréoïs oft genannt. Jedoch ist ihre Mitwirkung an der
-Weltharmonie, ihre Rolle darin eine mehr negative als positive.
-
-Dies geht deutlich aus dem oben angeführten Gespräch zwischen Hina und
-Tefatou hervor.
-
-Den Exegeten würden solche Worte den schönsten Stoff liefern, wenn sich
-die australische Bibel auffinden ließe, um sie auszulegen. Vor allem
-würden sie darin die Lehren einer Religion auf der Verehrung von
-Naturkräften aufgebaut sehen -- ein gemeinsamer Zug aller primitiven
-Religionen. Die Mehrzahl aller maorischen Götter sind eigentlich eine
-Personifikation verschiedener Elemente. Aber ein aufmerksamer Blick, der
-nicht von dem Wunsch abgelenkt und beeinflußt ist, die Überlegenheit
-unserer Philosophie über die jener »Völkerschaften« zu beweisen, wird in
-diesen Legenden sicherlich interessante und eigentümliche Züge finden.
-
-Ich möchte zwei davon anführen -- aber ich begnüge mich, darauf
-hinzuweisen. Es ist Aufgabe der Gelehrten, die Richtigkeit dieser
-Hypothesen zu bestätigen.
-
-Vor allem ist es die Klarheit, mit der die beiden einzigen und
-allgemeinen Grundideen des Lebens sich unterscheiden und offenbaren. Die
-eine, Seele und Intelligenz, Taaora, ist das Männliche, die andere,
-gewissermaßen Stoff und Körper des nämlichen Gottes, das Weibliche, und
-dies ist Hina, Ihr gehört die ganze Liebe des Menschen, ihm seine
-Ehrfurcht. -- Hina ist nicht nur der Name des Mondes; es gibt auch eine
-_Hina der Luft_, _Hina des Meeres_, eine _Hina des Inneren_, aber diese
-beiden Silben charakterisieren nur die untergeordneten Teile der
-Materie. Die Sonne, der Himmel, das Licht und sein Reich, sozusagen alle
-edlen Teile der Materie -- oder vielmehr ihre spirituellen Elemente sind
-Taaroa. Das geht deutlich aus mehr als einem Ausspruch hervor, in dem
-die Definition von Geist und Materie wieder zu erkennen ist. -- Oder was
-bedeutet wohl, wenn wir es bei dieser Definition bewenden lassen, die
-Grundlehre der maorischen Schöpfungsgeschichte:
-
- Das Weltall ist nur die Schale des Taaroa --?
-
-Bestätigt diese Lehre nicht den Urglauben an die Einheit des Stoffes;
-wie die Definition und die Trennung von Geist und Körper die Analyse der
-zwiefachen Manifestation dieses Stoffes in seiner Einheit! So selten
-solch ein philosophisches Vorausempfinden bei den Primitiven auch sein
-mag, darf doch dessen Wahrscheinlichkeit nicht bestritten werden. Es ist
-wohl zu erkennen, daß die australische Theologie in den Handlungen des
-Gottes, der die Welt erschuf und sie erhält, zwei Ziele im Auge hat: die
-erzeugende Ursache und die befruchtete Materie, die treibende Kraft und
-den verwandelten Gegenstand, Geist und Materie. Ebenso muß man in den
-beständigen Wechselwirkungen zwischen dem leuchtenden Geist und der
-empfänglichen Materie, die er belebt, in den aufeinander folgenden
-Verbindungen des Taaroa mit den verschiedenen Hina-Gestalten, den
-fortwährenden und wechselnden Einfluß der Sonne erkennen, wie in den
-Früchten dieser Verbindungen die durch eben diese Elemente
-hervorgerufenen Wandlungen von Licht und Wärme. Aber hat man dieses
-Phänomen, von dem aus die beiden Hauptströmungen sich vereinigten, erst
-einmal vor Augen, so verschmelzen in der Frucht die zeugende Ursache und
-die befruchtete Materie, in der Bewegung die treibende Kraft und der
-verwandelte Gegenstand, im Leben Geist und Materie, und das eben
-erschaffene Weltall ist nichts _als die Schale des Taaroa_!
-
-Aus dem Zwiegespräch zwischen Hina und Tefatou geht hervor, daß Mensch
-und Erde untergehen, während der Mond und die Wesen, welche ihn
-bewohnen, fortdauern. Wenn wir uns erinnern, daß Hina die Materie
-vorstellt -- in der sich einem wissenschaftlichen Ausspruch nach »alles
-verwandelt und nichts vergeht« --, werden wir annehmen müssen, daß der
-alte maorische Weise, von dem diese Sage stammt, ebensoviel davon wußte
-wie wir. Die Materie vergeht nicht, das heißt, sie verliert ihre
-sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften nicht. Der Geist dagegen und die
-»spirituelle Materie«, das Licht, sind Wandlungen unterworfen: es gibt
-Nacht und den Tod, wo die Augen sich schließen, von denen Helle
-auszustrahlen schien, die sie zurückwarfen. -- Der Geist, oder die
-höchste aktuelle Manifestation des Geistes ist der Mensch. _Und der
-Mensch muß sterben ... Er stirbt, um nicht mehr zum Leben zu erwachen._
--- Wenn aber der Mensch und die Erde, die Früchte der Verbindung von
-Taaroa mit Hina, auch untergehen, ist doch Taaroa ewig, und uns wird
-verkündet, daß Hina, die Materie, fortfahren wird zu sein. In alle
-Ewigkeit werden nun Geist und Materie, das Licht und der Gegenstand, den
-es zu erhellen strebt, von dem gemeinsamen Verlangen nach einer neuen
-Verbindung erfüllt sein, aus der ein neuer »Zustand« der unendlichen
-Evolution des Lebens hervorgehen wird.
-
-Evolution! ... Einheit des Stoffes ... Wer hätte erwartet, in den
-Vorstellungen ehemaliger Kannibalen die Beweise einer so hohen Kultur zu
-finden? Ich kann mit gutem Gewissen sagen, daß ich der Wahrheit nichts
-zugefügt habe.
-
-Tehura zweifelte zwar durchaus nicht an diesen Abstraktionen, aber sie
-war nicht davon abzubringen, in den Sternschnuppen schweifende Tupapaüs
-und trauernde Genien zu sehen. Im selben Sinne wie ihre Vorfahren Taaroa
-für den Himmel in Person und die von ihm stammende Atuas für Götter und
-Himmelskörper zugleich hielten, schrieb sie den Sternen menschliche
-Empfindungen zu. Ich weiß nicht, inwiefern diese poetischen
-Vorstellungen den Fortschritt der positivsten Wissenschaft hemmen, und
-bis zu welchem Punkt die höchste Wissenschaft sie verwerfen würde ...
-
-Von einem andern Gesichtspunkt aus wären für das Gespräch zwischen Hina
-und Tefatou verschiedene Deutungen zulässig. -- Der Rat des Mondes, der
-eine Frau ist, könnte der gefährliche Rat blinden Mitleids und
-sentimentaler Schwäche sein: der Mond und die Frauen (in der Vorstellung
-der Maories) gleichbedeutend mit Materie, brauchten nicht zu wissen, daß
-der Tod allein die Geheimnisse des Lebens birgt. -- Die Antwort des
-Tefatou könnte ein strenger, aber voraussehender und uneigennütziger
-Ausspruch von höchster Weisheit sein, die erkennt, daß die individuellen
-Äußerungen aktuellen Lebens einem höheren Wesen weichen müssen, auf daß
-es komme, und ihm geopfert werden müssen, auf daß es siege.
-
-Früher hätte diese Antwort die Bedeutung einer nationalen Prophezeiung
-von noch größerer Tragweite gehabt: ein großer Geist hätte in alter Zeit
-die Lebensfähigkeit seiner Rasse studiert und abgeschätzt, hätte die
-Todeskeime in ihrem Blut ohne die Möglichkeit einer Heilung oder
-Wiedergenesung vorausgesehen und sich gesagt:
-
- Tahiti wird aussterben, es wird aussterben, um nicht wieder zu
- erstehen.
-
- * * * * *
-
-Tehura sprach mit einer gewissen religiösen Scheu von jener Sekte oder
-geheimen Gemeinschaft der Aréoïs, die zur Zeit ihrer Herrschaft die
-Inseln regierte.
-
-Aus den verworrenen Reden des Kindes sonderte ich Erinnerungen an einen
-furchtbaren, eigentümlichen Brauch, ich ahnte eine tragische
-Vergangenheit voll unerhörter Verbrechen, in die einzudringen aber den
-Neugierigen durch ein streng gehütetes Geheimnis verwehrt war.
-
-Nachdem Tehura mir alles darüber erzählt hatte, was sie wußte, forschte
-ich überall danach.
-
-Der sagenhafte Ursprung jener mächtigen Gemeinschaft ist dieser:
-
-Oro, der Sohn des Taaroa und nach seinem Vater der höchste der Götter,
-beschloß eines Tages, unter den Sterblichen eine Gefährtin zu suchen.
-
-Es sollte eine Jungfrau sein, schön und tauglich, mit ihm unter den
-Menschen eine Rasse zu gründen, die allen bevorzugt und überlegen war.
-
-Er durchschritt also die sieben Himmel und stieg hinunter auf den Païa,
-einen hohen Berg auf der Insel Bora-Bora, wo seine Schwestern, die
-Göttinnen Téouri und Oaaoa, wohnten.
-
-Nun trat Oro in Gestalt eines jungen Kriegers und seine Schwestern in
-junge Mädchen verwandelt, eine Fahrt durch die Insel an, um dort ein
-Wesen zu suchen, das eines Gottes Kuß würdig wäre.
-
-Oro ergriff den Regenbogen, stützte ein Ende auf den Gipfel des Païa,
-das andere auf die Erde, und so schritten der Gott und die Göttinnen
-über Täler und Fluten.
-
-Auf den verschiedenen Inseln, wo man eilte sie zu empfangen, gaben die
-Reisenden prunkvolle, wunderbare Feste, zu denen alle Frauen sich
-drängten.
-
-Und Oro hielt Umschau unter ihnen. Aber sein Herz war betrübt, denn der
-Gott fand Liebe, aber er liebte nicht. Auf keiner der Menschentöchter
-weilte sein Blick lange, denn er entdeckte nicht eine der Tugenden und
-Vorzüge, von denen er geträumt.
-
-Und nachdem viele Tage unter vergeblichem Suchen verstrichen waren,
-beschloß er, in die Himmel zurückzukehren, als er zu Vaïtapé auf der
-Insel Bora-Bora eine Jungfrau von seltener Schönheit erblickte, die in
-dem schönen See von Avaï Aïa badete.
-
-Sie war von hoher Gestalt, und die Sonnenglut brannte und leuchtete auf
-ihrem herrlichen Fleisch, während der ganze Zauber der Liebe in der
-Nacht ihres Haares schlummerte.
-
-Entzückt bat Oro die Schwestern, die Jungfrau anzureden.
-
-Er selber zog sich zurück, um das Ergebnis ihrer Sendung auf dem Gipfel
-des Païa abzuwarten.
-
-Die Göttinnen redeten die Jungfrau mit einem Gruß an, priesen ihre
-Schönheit und sagten, daß sie aus Avanaü, einem Ort auf Bora-Bora,
-kämen.
-
--- Unser Bruder läßt dich fragen, ob du einwilligst, sein Weib zu
-werden.
-
-Vaïraümati -- dies war der Name der Jungfrau -- blickte die Fremden
-prüfend an und erwiderte:
-
--- Ihr seid nicht aus Avanaü. Doch ist euer Bruder ein Häuptling, ist er
-jung und schön, so mag er kommen, Vaïraümati wird sein Weib werden.
-
-Téouri und Oaaoa stiegen unverzüglich zum Païa hinauf, um ihrem Bruder
-mitzuteilen, daß er erwartet werde.
-
-Sogleich begab Oro sich wie vorher auf dem Regenbogen hinunter nach
-Vaïtapé.
-
-Vaïraümati hatte zu seinem Empfang eine mit den schönsten Früchten
-besetzte Tafel und aus den feinsten Matten und seltensten Stoffen ein
-Lager bereitet.
-
-Göttlich in ihrer Anmut und Kraft, pflegten sie der Liebe in Hain und
-Flur, am Ufer des Meeres und im Schatten des Tamaris und des Paudanus.
-Jeden Morgen stieg der Gott auf den Gipfel des Païa, und jeden Abend
-ging er hinunter, mit ihr zu schlafen.
-
-Kein anderes sterbliches Mädchen durfte ihn in irdischer Gestalt
-erblicken.
-
-Und stets diente der zwischen Païa und Vaïtapé gespannte Regenbogen ihm
-als Weg.
-
-Viele Monde hatten geleuchtet und waren wieder erloschen, seitdem die
-verödeten Sieben Himmel ohne Kunde von Oros Aufenthalt waren. Darum
-nahmen nun zwei andere Söhne des Taaroa, Orotéfa und Oürétéfa,
-menschliche Gestalt an und machten sich auf, ihren Bruder zu suchen.
-Lange irrten sie auf den Inseln umher, ohne ihn zu finden. Endlich
-jedoch entdeckten sie auf Bora-Bora den jungen Gott, der mit Vaïraümati
-im Schatten eines heiligen Mangobaumes ruhte.
-
-Sie waren voll Staunen über die Schönheit des jungen Weibes und wollten
-ihm als Zeichen ihrer Bewunderung einige Geschenke darbieten. Also
-verwandelte Orotéfa sich in eine Sau und Oürétéfa in rote Federn, nahmen
-dann gleich wieder menschliche Gestalt an, ohne daß Sau und Federn
-verschwanden, und näherten sich mit ihren Gaben den Liebenden.
-
-Erfreut empfingen Oro und Vaïraümati die beiden hohen Reisenden.
-
-In derselben Nacht warf die Sau sieben Junge, von denen das erste einer
-späteren Verwendung vorbehalten blieb; das zweite wurde den Göttern
-geopfert, das dritte der Gastfreundschaft geweiht und den Fremden
-angeboten, das vierte nannten sie: Opferschwein zu Ehren der Liebe, das
-fünfte und sechste sollte bis zur ersten Tracht verschont bleiben, um
-die Art zu mehren, und das siebente endlich wurde im ganzen auf heißen
-Steinen gebraten -- also nach maorischem Brauch göttlich geweiht -- und
-verzehrt.
-
-Die Brüder des Oro kehrten wieder in die Himmel zurück.
-
-Einige Wochen darauf sagte Vaïraümati zu Oro, daß sie sich Mutter fühle.
-
-Da nahm Oro das erste der sieben Schweine, das verschont geblieben war,
-und begab sich nach Raïatéa, zu dem großen Maraë, dem Tempel des Gottes
-Vapoa.
-
-Dort traf er einen Mann namens Mahi, dem er das Schwein übergab, und
-sprach:
-
-_Maiï maitaï oétéinéi boüaa_ (Nimm dieses Schwein und hüte es wohl).
-
-Und feierlich fuhr der Gott fort:
-
--- Es ist das heilige Schwein. In seinem Blut wird der Bund der Männer
-gefärbt sein, die von mir stammen. Denn ich bin Vater in dieser Welt.
-Sie werden sich Oréoïs nennen. Dir übermittle ich ihre Vorrechte und
-ihren Namen. Ich selber kann hier nicht länger weilen.
-
-Mahi suchte den Häuptling von Raïatéa auf und erzählte ihm sein
-Abenteuer. Aber da er das ihm anvertraute heilige Gut nicht hüten
-konnte, ohne der Freund des Häuptlings zu sein, fügte er hinzu:
-
--- Mein Name sei der deinige und dein Name der meine.
-
-Der Häuptling war es zufrieden, und sie nahmen beide den Namen
-Taramanini an.
-
-Inzwischen war Oro wieder zu Vaïraümati zurückgekehrt und verkündigte
-dieser, daß sie einen Sohn gebären würde, den er ihr Hoa Tabou të Raï
-(heiliger Freund des Himmels) zu nennen gebot.
-
-Dann sprach er:
-
--- Die Zeit ist erfüllet und ich muß dich verlassen.
-
-Er verwandelte sich sodann in eine ungeheure Feuersäule und hob sich
-majestätisch in die Lüfte bis über den Periréré, den höchsten Berg von
-Bora-Bora. Und hier entschwand er den Blicken seiner weinenden Gattin
-und des staunenden Volkes.
-
-Hoa Tabou të Raï ward ein großer Häuptling und tat den Menschen viel
-Gutes. Bei seinem Tode wurde er in den Himmel erhoben, wo Vaïraümati
-selber den Rang einer Göttin einnahm.
-
- * * * * *
-
-Oro könnte gut ein umherwandelnder Brahmine sein, der den Inseln --
-wann? die Lehre des Brahma brachte (auf deren Spuren in der
-australischen Religion ich schon hinwies).
-
-In der Reinheit dieser Lehre erwachte das maorische Genie. Geister, die
-fähig waren zu verstehen, erkannten einander und vereinigten sich, --
-natürlich völlig abgesondert vom Volk, -- um die vorgeschriebenen Riten
-auszuüben. Aufgeklärter als die übrigen ihrer Rasse, rissen sie bald die
-religiöse und politische Herrschaft über die Inseln an sich, sicherten
-sich wichtige Vorrechte und gründeten eine starke Übermacht, die in der
-Geschichte des Inselmeers die glänzendste Periode bildete.
-
-Obwohl sie des Schreibens unkundig gewesen zu sein scheinen, waren die
-Aréoïs wahre Gelehrte. Sie verbrachten ganze Nächte damit, alte
-»Aussprüche der Götter« Wort für Wort mit peinlichster Genauigkeit zu
-erforschen, und sie auszulegen erforderte eine jahrelange Arbeit. Diese
-ihnen allein zugänglichen Aussprüche der Götter, denen sie höchstens
-Kommentare beifügen durften, verschaffte den Aréoïs die Sicherheit eines
-geistigen Mittelpunkts, regte sie zu gewohnheitsmäßigem Nachdenken an,
-berechtigte sie zu einer übermenschlichen Mission und gab ihnen ein
-Ansehen, vor dem jeder sich beugte.
-
-Es gibt in unserm christlichen, lehnspflichtigen Mittelalter ganz
-ähnliche Einrichtungen wie diese, und ich kenne nichts Furchtbareres als
-jene religiöse und kriegerische Gemeinschaft, jenes Konzil, das im Namen
-Gottes Urteile fällte und allmächtig über Leben und Tod entschied.
-
-Die Aréoïs lehrten, daß Menschenopfer den Göttern wohlgefällig seien,
-und opferten selber in den Maraës alle ihre Kinder außer den
-Erstgeborenen: das Symbol dieses blutigen Ritus war die Sage von den
-sieben Schweinen, die außer dem ersten, dem »heiligen Schwein«, alle
-getötet wurden.
-
-Doch dürfen wir über diese Barbarei nicht voreilig schelten.
-
-Diese grausame Pflicht, der so viele primitive Völkerschaften sich
-unterwarfen, hatte tiefe Gründe sozialer Art und allgemeinen Interesses.
-
-Bei sehr fruchtbaren Rassen, wie es die der Maories einst war, bedrohte
-die unbegrenzte Vermehrung der Bevölkerung ihre nationale wie positive
-Existenz. Das Leben auf den Inseln war zwar mühelos, und es bedurfte
-keines großen Fleißes, um sich das Notwendige zu verschaffen. Aber das
-sehr beschränkte Gebiet, von dem unermeßlichen, den gebrechlichen
-Pirogen unzugänglichen Ozean umgeben, wäre für ein sich stetig
-vermehrendes Volk bald unzureichend geworden. Das Meer hätte nicht mehr
-genügend Fische geliefert und der Wald nicht genug Früchte. Eine
-Hungersnot wäre nicht ausgeblieben und hätte, wie sie es immer getan,
-die Anthropophagie zur Folge gehabt. -- Um Männermorde zu vermeiden,
-beschränkten die Maories sich auf Kinderopfer. Übrigens war
-Menschenfresserei bereits üblich, als die Aréoïs auftraten, und um diese
-zu bekämpfen und die Ursache aufzuheben, führten sie den Kindesmord ein,
-der vielleicht als eine Milderung der Sitten zu bezeichnen wäre, wenn
-das unheimlich Komische dieser Behauptung auch einem Possenschreiber zur
-Belustigung dienen könnte. Die Aréoïs mußten wahrscheinlich große
-Energie anwenden, um diesen Fortschritt durchzusetzen, und erreichten es
-wohl nur dadurch, daß sie sich in den Augen des Volkes die volle
-Autorität der Götter anmaßten.
-
-Schließlich wurde der Kindesmord ein mächtiges Mittel der Zuchtwahl für
-die Rasse. Das furchtbare Recht der Erstgeburt, ein Recht auf das Leben
-selber, erhielt die Kraft des Volkes unverkürzt, indem es von den
-schädlichen Folgen erschöpfter Säfte verschont blieb. Es nährte in all
-diesen Kindern auch das Bewußtsein unverwüstlichen Stolzes. Die Urkraft
-und letzte Blüte dieses Stolzes ist es auch, die wir noch bei den
-letzten Sprößlingen einer großen, im Aussterben begriffenen Rasse
-bewundern.
-
-Das beständige Beispiel und die häufige Wiederkehr des Todes war
-schließlich eine erhabene und belebende Lehre. Die Krieger lernten
-Schmerzen gering schätzen, und die ganze Nation fand eine wohltätige
-intensive Erregung dabei, die sie vor der tropischen Erschlaffung und
-entnervender Mattigkeit bei dem fortdauernden Nichtstun bewahrte. Es ist
-eine historische Tatsache, daß der Niedergang der Maories mit dem
-gesetzlichen Verbot der Opfer begann, und daß sie von da an allmählich
-jede moralische Kraft und physische Fruchtbarkeit verloren. Sollte dies
-auch nicht die Ursache davon sein, so gibt das Zusammentreffen doch zu
-denken.
-
-Und vielleicht haben die Aréoïs die tiefe Bedeutung und symbolische
-Notwendigkeit des Opfers verstanden ... Die Prostitution war ihnen eine
-heilige Pflicht. Bei uns hat sich das geändert. Auch hat sie auf Tahiti
-keineswegs aufgehört, seit wir es mit den Wohltaten unserer Zivilisation
-überhäuft haben: sie blüht fort. Aber sie ist weder Pflicht noch
-geheiligt, sondern nur ohne Größe und entschuldbar.
-
-Die geistliche Würde ging vom Vater auf den Sohn über, dessen Einweihung
-schon im Kindesalter begann.
-
-Die Gesellschaft war ursprünglich in zwölf Logen geteilt, deren
-Großmeister die zwölf obersten Aréoïs waren. Dann kamen die Würdenträger
-zweiten Ranges und endlich die Lehrjünger. Die verschiedenen Grade
-unterschieden sich durch besondere Tätowierungen auf den Armen, an den
-Seiten, den Schultern, Beinen und Knöcheln.
-
- * * * * *
-
-Der _Matamua_ der Aréoïs, eine maorische Szene bei der feierlichen
-Einsetzung eines Königs in alter Zeit:
-
-Der neue Herrscher verläßt, in prächtige Gewänder gekleidet und von den
-Vornehmsten der Inseln umgeben, seinen Palast. Vor ihm schreiten die
-Großmeister der Aréoïs mit seltenen Federn im Haar.
-
-Er begibt sich mit seinem Gefolge zum Maraë.
-
-Als die Priester, die ihn an der Schwelle erwarten, seiner ansichtig
-werden, verkünden sie unter lautem Trompetenschall und Trommelschlag,
-daß die Zeremonie beginnt.
-
-Dann beim Eintritt in den Tempel mit dem König legen sie ein
-Menschenopfer, einen Leichnam, vor das Bild des Gottes.
-
-Der König spricht und singt mit den Priestern vereint Gebete, worauf der
-Priester das Opfer beider Augen beraubt. Er bietet das rechte Auge dem
-Gotte dar und das linke dem König; dieser öffnet den Mund, wie um das
-blutige Auge zu verschlingen, aber der Priester zieht es zurück und legt
-es wieder zu dem Körper[6].
-
-Nun wird die Statue des Gottes auf eine geschnitzte, von Priestern
-getragene Bahre gestellt. Auf den Schultern der beiden Oberpriester
-sitzend, folgt der König dem Götzenbild, von den Aréoïs wie zu einer
-Abreise begleitet, bis zum Ufer des Meeres. Auf dem ganzen Wege fahren
-die Priester fort die Trompete zu blasen, die Trommel zu schlagen.
-
-Die Menge geht ehrfurchtsvoll und still hinterher.
-
-An der Bucht wiegt sich die heilige, zu dieser Feier mit grünen Zweigen
-und Blumen geschmückte Piroge. Zuerst wird das Götzenbild darin
-untergebracht, dann der König seiner Gewänder entledigt, und die
-Priester geleiten ihn in das Meer, wo die Atuas-Mao (Götter-Haie) ihn in
-den Fluten waschen und liebkosen.
-
-So zum andernmal vom Kuß des Meeres im Beisein des Gottes geweiht, wie
-zuvor das erstemal in dessen Tempel, besteigt der König die heilige
-Piroge, wo der Oberpriester ihn mit dem _maro oüroü_ umgürtet und um
-sein Haupt das _taoü mata_, die Binden der Herrschaft, windet.
-
-Vorn im Boot stehend zeigt der König sich nun dem Volk.
-
-Und dieses bricht bei dem Anblick endlich das lange Schweigen, und
-überall ertönt der feierliche Ruf:
-
--- _Maëva Arii_ (Es lebe der König)!
-
-Nachdem der erste laute Jubel sich gelegt hat, wird der König auf das
-heilige Lager gebettet, wo eben das Götzenbild geruht, und alle kehren
-auf demselben Wege, fast in derselben Reihenfolge wie vorher, zum Maraë
-zurück.
-
-Wieder tragen die Priester das Götzenbild und die Oberpriester den
-König, und der Zug wird abermals mit Musik und Tanz eröffnet.
-
-Das Volk folgt hinterher. Aber jetzt rufen sie, ihrer Freude überlassen,
-fortwährend:
-
--- Maëva Arii!
-
-Das Götzenbild wird feierlich auf seinen Altar zurückgestellt.
-
-Und damit schließt die religiöse Feier. Nun soll das Volksfest seinen
-Anfang nehmen.
-
-Wie den Göttern im Tempel und der Natur im Meer, wird der König sich dem
-Volke weihen[7]. -- Auf Matten gebettet muß der König jetzt die _höchste
-Huldigung des Volkes_ entgegennehmen.
-
-Die frenetische Huldigung eines wilden Volkes.
-
-Eine ganze Menge in Bezeigung ihrer Liebe für _einen Menschen_, und
-dieser Mensch ist der König. Großartig bis zum Schrecken, bis zum
-Entsetzen ist dieses Schauspiel zwischen der Menge und dem einen
-Menschen. Morgen wird er Herr sein, er wird nach Belieben mit Geschicken
-schalten, über die er zu bestimmen hat, und die ganze Zukunft ist sein!
-Der Menge gehört nur diese eine Stunde.
-
-Völlig nackt, in lasziven Tänzen umkreisen Männer und Frauen den König
-und bemühen sich, gewisse Teile seines Körpers mit gewissen Teilen des
-ihren zu streifen, eine Berührung ist dabei nicht immer zu vermeiden.
-Und die Raserei des Volkes steigert sich bis zur Tollheit. Die ganze
-friedliche Insel hallt von furchtbarem Geschrei wieder, und der
-hereinbrechende Abend zeigt das phantastische Bild einer verzückten
-wahnsinnigen Menge.
-
-Aber plötzlich schmettert der Klang der heiligen Trompeten und Trommeln.
-
-Die Huldigung ist zu Ende, zu Ende das Fest, das Signal zum Rückzug
-ertönt. Selbst die Rasendsten gehorchen, alles beruhigt sich, und jäh
-tritt absolute Stille ein.
-
-Der König erhebt sich und kehrt feierlich, majestätisch, von seinem
-Gefolge geleitet, in seinen Palast zurück.
-
- * * * * *
-
-Seit etwa vierzehn Tagen wimmelte es von sonst selten auftretenden
-Fliegen, die unerträglich wurden.
-
-Aber die Maories freute es, denn die Thunfische und andere Fische
-stiegen vom Grunde an die Oberfläche. Die Fliegen kündigten die Zeit des
-Fischfangs, die Zeit der Arbeit an. Man vergesse nicht, daß Arbeit auf
-Tahiti ein Vergnügen ist.
-
-Jeder prüfte die Haltbarkeit seiner Netze und seine Angeln. Frauen und
-Kinder halfen mit ungewöhnlichem Eifer Netze oder vielmehr lange Gitter
-von Kokosnußblättern an den Strand und auf die Korallenriffe zwischen
-Land und Klippen schleppen. Auf diese Art werden gewisse Köderfischchen
-gefangen, die am schmackhaftesten für die Thunfische sind.
-
-Als die Vorbereitungen beendet waren, was etwa drei Wochen in Anspruch
-genommen hatte, wurden zwei große, miteinander verbundene Pirogen aufs
-Meer gelassen, an denen vorn eine sehr lange, mit einem Angelhaken
-versehene Stange angebracht war, die mittels zweier hinten befestigter
-Taue schnell gehoben werden konnte. Sobald der Fisch angebissen hat,
-wird er sofort herausgezogen und in dem Fahrzeug untergebracht.
-
-Eines schönen Morgens zogen wir (ich war -- natürlich -- mit bei dem
-Fest) aufs Meer hinaus und hatten die Klippenreihe bald glücklich hinter
-uns. Wir wagten uns ziemlich weit hinaus. Ich sehe noch eine
-Schildkröte, die uns, den Kopf überm Wasser, im Vorüberfahren
-nachschaute.
-
-Die Fischer waren alle in fröhlicher Stimmung und ruderten eifrig.
-
-Wir kamen den _Grotten_ von _Mara_[8] gegenüber an eine Stelle,
-_Thunloch_ genannt, wo das Wasser sehr tief ist.
-
-Dort, sagt man, schlafen die Thunfische nachts in einer Tiefe, die den
-Haifischen unerreichbar ist.
-
-Nach Fischen spähend, schwebte eine Wolke von Seevögeln über dem Loch.
-Sobald einer an der Oberfläche erscheint, stoßen die Vögel mit
-unglaublicher Geschwindigkeit darauf herab und steigen mit einem Bissen
-im Schnabel wieder in die Höhe.
-
-So herrscht im Meer und in der Luft, selbst in unseren Pirogen nur der
-Gedanke an Blut und Mord.
-
-Als ich meine Gefährten fragte, warum sie nicht eine lange Angelschnur
-in das Thunloch hinunterließen, erwiderten sie, daß es unmöglich sei, es
-wäre ein geheiligter Ort:
-
--- Der Gott des Meeres wohne da.
-
-Ich vermutete eine Sage dahinter und ließ sie mir erzählen.
-
- * * * * *
-
-»Roüa Hatou, eine Art tahitischer Neptun, schlief auf dem Meeresgrund an
-dieser Stelle.
-
-Ein Maorie war einst so tollkühn dort zu fischen, und da sein Angelhaken
-sich in den Haaren des Gottes verfing, erwachte dieser.
-
-Zornig stieg er an die Oberfläche, um zu sehen, wer die Kühnheit gehabt,
-seine Ruhe zu stören, und als er sah, daß der Schuldige ein Mensch war,
-beschloß er die ganze Menschenrasse zu vertilgen, um die Ruchlosigkeit
-des einen zu sühnen.
-
-Der Strafe entging jedoch -- durch unerklärliche Nachsicht -- gerade der
-Missetäter selber.
-
-Der Gott gebot ihm, mit seiner ganzen Familie auf den _Toa Marama_ zu
-gehen, nach einigen eine Insel oder ein Berg, nach andern eine Piroge
-oder »Arche«.
-
-Als der Fischer sich mit den Seinen an den bezeichneten Ort begeben
-hatte, begannen die Wasser des Meeres zu steigen. Sie bedeckten
-allmählich selbst die höchsten Gipfel, und alles Lebende bis auf jene,
-die sich zum Toa Marama geflüchtet hatten, kam darin um.
-
-Später bevölkerten sie die Insel aufs neue[9].«
-
- * * * * *
-
-Wir ließen also das Thunloch hinter uns, und der Führer der Piroge
-bezeichnete einen Mann, der die Stange ins Meer lassen und die Angel
-auswerfen mußte.
-
-Lange Minuten wurde gewartet, kein Thunfisch biß an.
-
-Ein anderer Ruderer kam an die Reihe, und diesmal biß ein prachtvoller
-Thunfisch an und bog die Stange hinunter. Vier kräftige Arme hoben sie
-empor, indem sie die Taue hinten anzogen, und der Fisch erschien an der
-Oberfläche. Aber gleichzeitig schnellte ein riesiger Hai über die Wogen:
-ein paar furchtbare Bisse, und wir hatten nichts weiter am Angelhaken
-als einen abgetrennten Kopf.
-
-Nun gab der Führer mir ein Zeichen, und ich warf die Angel aus.
-
-Nach ganz kurzer Zeit fischten wir einen riesenhaften Thunfisch. -- Ohne
-es viel zu beachten, hörte ich meine Nachbarn unter sich kichern und
-tuscheln. -- Das durch Stockschläge auf den Kopf getötete Tier wand sich
-auf dem Boden des Fahrzeuges, und sein Leib, jetzt einem schillernden
-Spiegel gleich, entsandte tausend blitzende Strahlen.
-
-Ein zweites Mal hatte ich ebenfalls Glück.
-
-Meine Gefährten beglückwünschten mich fröhlich, nannten mich einen
-Glückspilz, und in meinem Stolz widersprach ich nicht.
-
-Aber in dem einstimmigen Lob unterschied ich, wie bei meinem ersten
-Versuch, ein unerklärliches Lachen und Getuschel.
-
-Das Fischen währte bis zum Abend. Als der Vorrat der kleinen Köderfische
-erschöpft war, entzündete die Sonne rote Flammen am Horizont, und unser
-Fahrzeug war mit zehn prächtigen Thunfischen beladen.
-
-Wir bereiteten uns zur Rückfahrt vor. Während alles instandgesetzt
-wurde, fragte ich einen jungen Burschen nach dem Sinn der ganz leise
-gewechselten Worte und nach dem Lachen, das beide Male meinen Fang
-begleitet hatte. Er weigerte sich zu antworten. Aber ich ließ nicht
-nach, denn ich wußte, wie gering die Widerstandskraft des Maorie ist und
-wie bald er energischem Drängen nachgibt.
-
-Schließlich vertraute er mir an: Wem der Thunfisch in den Angelhaken
-beißt -- und meine hatten das beide getan, -- dem ist zu Haus die Vahina
-untreu.
-
-Ich lächelte ungläubig.
-
-Und wir kehrten zurück.
-
-Die Nacht bricht in den Tropen schnell herein. Es galt ihr
-zuvorzukommen. Zweiundzwanzig muntere Pageien (schaufelartige Ruder)
-tauchten gleichzeitig ins Wasser, und um sich anzufeuern, stießen die
-Ruderer im Takt dazu laute Rufe aus. Unsere Piroge hinterließ eine
-phosphorleuchtende Furche.
-
-Mir war zumute wie auf einer tollen Flucht: die ergrimmten Herrscher des
-Ozeans verfolgten uns, und um uns schnellten, wie phantastische Scharen
-unbestimmter Gestalten, die aufgeschreckten, neugierigen Fische empor.
-
-In zwei Stunden erreichten wir die äußersten Klippen.
-
-Die Brandung ist dort gewaltig, und die Fahrt des Seegangs wegen
-gefährlich. Es ist kein Leichtes, die Piroge richtig vor die Sandbank zu
-steuern. Aber die Eingeborenen sind gewandt, und ich verfolgte mit
-lebhaftem Interesse, jedoch nicht ganz ohne Furcht, die Operation, die
-glänzend vonstatten ging.
-
-Vor uns war das Land von lohenden Feuern erhellt, -- es waren enorme
-Fackeln von Zweigen des Kokosnußbaumes. Der Anblick der auf dem Sande am
-Ufer des beleuchteten Meeres lagernden Fischerfamilien war wunderbar.
-Einige saßen reglos da, andere liefen, die Fackeln schwingend, den
-Strand entlang, die Kinder sprangen hin und her, und man vernahm in der
-Ferne ihr stilles Geschrei.
-
-Mit leichtem Schwung fuhr unsere Piroge auf den Strand, und die
-Verteilung der Beute begann sogleich.
-
-Alle Fische wurden auf die Erde gelegt, und der Anführer teilte sie in
-so viele gleiche Teile, wie die Anzahl der Personen -- Männer, Frauen
-und Kinder -- betrug, die sich am Fischfang und dem Fischen der
-Köderfischchen beteiligt hatten.
-
-Es waren 37 Teile.
-
-Ohne Zeit zu verlieren, nahm meine Vahina ein Beil, spaltete Holz damit
-und zündete ein Feuer an, während ich noch ein wenig Toilette machte und
-mich wegen der Nachtkühle einhüllte.
-
-Von unseren beiden Anteilen wurde der eine gekocht, und den anderen
-bewahrte Tehura roh auf.
-
-Dann fragte sie mich des langen und breiten über die verschiedenen
-Vorkommnisse beim Fischfang aus, und ich befriedigte willfährig ihre
-Neugierde. Genügsam und kindlich erheiterte sie sich an allem, und ich
-beobachtete sie, ohne sie meine geheimen Gedanken merken zu lassen. Im
-Grunde meiner Seele war ohne jede Ursache eine Unruhe erwacht, die nicht
-zu beschwichtigen war. Ich brannte darauf, an Tehura eine Frage zu
-stellen -- eine gewisse Frage ... und es half mir nichts, mir zu sagen:
-Wozu? Ich antwortete mir selber: Wer weiß?
-
- * * * * *
-
-Die Zeit des Schlafengehens kam heran, und als wir beide ausgestreckt
-nebeneinander lagen, fragte ich plötzlich:
-
--- Bist du vernünftig gewesen?
-
--- Ja.
-
--- Und dein Geliebter, war er nach deinem Geschmack?
-
--- Ich habe keinen Geliebten.
-
--- Du lügst, der Fisch hat es verraten.
-
-Tehura erhob sich und blickte mich starr an. Ihr Antlitz hatte einen
-seltsamen mystischen Ausdruck majestätischer Größe, der mir fremd war
-und den ich in ihren heiteren, fast kindlichen Zügen nie vermutet hätte.
-
-Die Atmosphäre in unserer kleinen Hütte hatte sich verwandelt: Ich
-fühlte, daß etwas Erhabenes sich zwischen uns erhob. Und wider Willen
-unterlag ich dem Einfluß des Glaubens und erwartete eine Botschaft von
-oben. Ich zweifelte nicht, daß sie kommen würde, obwohl die fruchtlosen
-Bedenken unseres Skeptizismus dieser glühenden, wenn auch nur einem
-Aberglauben geltenden Inbrunst gegenüber noch ihre Macht auf mich
-ausübten.
-
-Tehura schlich leise zur Tür, um sich zu vergewissern, daß sie gut
-verschlossen war, und als sie bis in die Mitte der Kammer zurückgekommen
-war, sprach sie folgendes Gebet:
-
- Rette mich! Rette mich!
- Es ist Abend, es ist Abend der Götter.
- Wache über mich, o mein Gott!
- Wache über mich, o mein Herr!
- Behüte mich vor Betörung und schlechten Ratschlägen.
- Bewahre mich vor einem plötzlichen Tode,
- Vor dem Bösen und Verwünschungen;
- Bewahre mich vor Streit um die Teilung des Landes,
- Möge Frieden herrschen unter uns!
- O mein Gott, schütze mich vor den rasenden Kriegern!
- Hüte mich vor dem, der mich bedroht,
- Den es freut zu ängstigen,
- Vor dem, dessen Haar sich beständig sträubt!
- Auf daß ich und mein Geist leben können,
- O mein Gott!
-
-An diesem Abend, wahrlich, habe ich mit Tehura gebetet.
-
-Als sie ihr Gebet beendet hatte, kam sie mit Tränen in den Augen zu mir
-hin und flehte mich an, sie zu schlagen.
-
-Und vor dem tiefen Ernst dieses Antlitzes, vor der vollkommenen
-Schönheit dieser lebenden Statue glaubte ich die von Tehura
-heraufbeschworene Gottheit selber vor mir zu sehen.
-
-Verflucht sei ewig meine Hand, wenn sie es wagte, sich gegen ein
-Meisterwerk der Natur zu erheben!
-
-Sie wiederholte ihr Flehen, sie zu schlagen.
-
--- Tust du es nicht, so zürnst du lange und wirst krank.
-
-Ich küßte sie.
-
-Und jetzt, wo ich sie ohne Mißtrauen liebe, so liebe, wie ich sie
-bewunderte, kamen mir die Worte Buddhas auf die Lippen:
-
-»Ja, durch Sanftmut muß man den Zorn besiegen, durch das Gute Böses, und
-durch Wahrheit Lüge.«
-
-Diese Nacht ward göttlich, köstlicher als die anderen alle -- und
-strahlend erwachte der Tag.
-
-Frühmorgens brachte ihre Mutter uns einige frische Kokosnüsse.
-
-Mit einem Blick befragte sie Tehura.
-
-Sie _wußte_.
-
-Mit feinem Mienenspiel sagte sie zu mir:
-
--- Du warst gestern auf dem Fischfang, ist alles gut verlaufen?
-
-Ich erwiderte:
-
--- Ich hoffe, bald wieder dabei zu sein.
-
- * * * * *
-
-Ich war genötigt, nach Frankreich zurückzukehren. Wichtige
-Familienangelegenheiten riefen mich zurück.
-
-Lebe wohl, gastfreies Land, köstliches Land, Heimat der Freiheit und der
-Schönheit!
-
-Zwei Jahre älter geworden und um zwanzig Jahre verjüngt gehe ich fort,
-_verwilderter_ als ich gekommen war und doch _gescheiter_.
-
-Die Wilden, diese Unwissenden, haben den alten Kulturmenschen vieles
-gelehrt, vieles in der Kunst zu leben und glücklich zu sein: Vor allem
-haben sie mich gelehrt, mich selber besser zu kennen, ich habe von ihnen
-nur tiefste Wahrheit gehört.
-
-War das dein Mysterium, du geheimnisvolle Welt? Du hast mir Licht
-gebracht, und ich bin gewachsen in der Bewunderung deiner antiken
-Schönheit, der unvergänglichen Jugend der Natur.
-
-Das Verständnis und die Liebe zu der Seele deiner Menschen, zu dieser
-Blume, die aufhört zu blühen, und deren Duft niemand mehr einatmen wird,
-hat mich besser gemacht.
-
- * * * * *
-
-Als ich den Quai verließ, um an Bord zu gehen, sah ich Tehura zum
-letztenmal.
-
-Sie hatte Nächte hindurch geweint, jetzt saß sie erschöpft und traurig,
-aber ruhig mit herabhängenden Beinen auf einem Stein, und ihre starken,
-festen Füße berührten das schmutzige Wasser.
-
-Die Blume, die sie am Morgen hinters Ohr gesteckt hatte, war welk auf
-ihre Knie herabgefallen.
-
-Hier und dort starrten andere, wie sie, matt, schweigend, düster,
-gedankenlos, auf den dichten Qualm des Schiffes, das uns alle für immer
-weit fort tragen sollte.
-
-Und von der Schiffsbrücke aus glaubten wir, während wir uns immer weiter
-entfernten, mit dem Fernglas auf ihren Lippen noch lange jene alten
-maorischen Verse zu lesen:
-
- Ihr leisen Winde von Süd und Ost,
- Die ein zärtlich Spiel über meinem Haupte vereint,
- Eilt schnell zur nächsten Insel hin.
- Dort findet ihr im Schatten seines Lieblingsbaumes
- Ihn, der mich verlassen hat.
- Sagt ihm, daß ihr in Tränen mich gesehn.
-
-
-
-
- Fußnoten
-
-
-[1] Paréo -- Gürtel, einziges Kleidungsstück der Eingeborenen.
-
-[2] Leichtes, aus einem Stamm gemachtes Fahrzeug der Wilden.
-
-[3] Tupapaüs -- Geister von Verstorbenen, Kobolde und Nachtgespenster.
-
-[4] Vivo -- Musikinstrument.
-
-[5] Dieser Mahoüi scheint ebenso wie Roüa, der die Sterne schuf,
-derselbe wie Taaroa. Es sind wahrscheinlich verschiedene Namen desselben
-Gottes.
-
-[6] Die symbolische Bedeutung dieses Ritus, das klare Verbot der
-Anthropophagie, ist nicht zu verkennen.
-
-[7] Es ist zu befürchten, daß die Missionare (von denen diese
-Überlieferungen stammen) zu einem leicht zu erratenden Zweck, in diesem
-wie vielen anderen Punkten, die Vorfahren ihrer Pfarrkinder verleumdet
-haben. Aber trotz alles Brutalen, Grotesken und vielleicht Abstoßenden
-wird man doch zugeben müssen, daß dieser merkwürdige Ritus nicht einer
-eigentümlichen Schönheit entbehrt.
-
-[8] Das Wort _Mara_ kommt in der Sprache der Buddhisten vor, wo es _Tod_
-bedeutet und, davon abgeleitet, _Sünde_.
-
-[9] Die Legende ist _eine_ der vielen maorischen Erklärungen der
-Sintflut.
-
-
- Neue Auflagen im Verlage Bruno Cassirer, Berlin
-
-
- OTTO BRAUN:
- AUS NACHGELASSENEN SCHRIFTEN
- EINES FRÜHVOLLENDETEN
-
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-
-
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- Erste vollständige deutsche Ausgabe von August Scholz
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-
-
- FEDOR DOSTOJEWSKI: DER GATTE
-
- Deutsche Ausgabe von August Scholz
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-
- DIE SEELE RUSSLANDS
-
- Aus den Romanen von Fedor Dostojewski herausgegeben und eingeleitet
- von Karl Scheffler, deutsch von August Scholz
-
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- mit einer Lithographie von Otto Müller
-
-
- VINCENT VAN GOGH: BRIEFE
-
- Mit 16 Abbildungen -- 8. und 9. Auflage
-
- In Japankreppapier gebunden
-
-
- IWAN GONTSCHAROW, GESAMMELTE WERKE
-
- Vier Bände in Ganzleinen
-
- Buchschmuck und Entwurf des Einbandes von Professor Weiß
-
-
- Band I: EINE ALLTÄGLICHE GESCHICHTE
-
-
- Band II: OBLOMOW
-
-
- Band III/IV: DIE SCHLUCHT, Zwei Bände
-
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
-Fußnoten wurden am Ende des Buches gesammelt.
-
-Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
-Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):
-
- [S. 41]:
- ... deren Bewohner noch nach altem maorischem Brauch ...
- ... dessen Bewohner noch nach altem maorischem Brauch ...
-
- [S. 60]:
- ... Hochzeit, legal und religiös, wie die Missionare so den ...
- ... Hochzeit, legal und religiös, wie die Missionare sie den ...
-
- [S. 73]:
- ... fernstehende Geister, vermitteln sie nach der Schöpfungsfrage ...
- ... fernstehende Geister, vermitteln sie nach der Schöpfungssage ...
-
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Noa Noa, by Paul Gauguin
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NOA NOA ***
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