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You may copy it, give it away or -re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included -with this eBook or online at www.gutenberg.org/license - - -Title: Gespräche im Zwielicht - -Author: Karin Delmar [pseud.] - Terese Robinson - -Release Date: August 23, 2020 [EBook #63021] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GESPRÄCHE IM ZWIELICHT *** - - - - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -https://www.pgdp.net - - - - - - - - - -[Illustration] - - - - - Karin Delmar - - Gespräche im Zwielicht - - - Gebrüder Enoch / Verlag / Hamburg - - - - - Alle Rechte, auch das der Übersetzung, vorbehalten - - =Amerikanisches Copyright 1924 by Gebrüder Enoch, - Hamburg. Printed in Germany= - - - Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig - - - - -Eine Einleitung, die eigentlich das letzte Gespräch ist und deshalb am -Anfang und am Schluß gelesen werden kann - -[Illustration] - - -Die Leute, die Kurt Georgi nicht näher kennen und ihm seine tadellose -Erscheinung mißgönnen, werfen gerne die nachlässige Bemerkung hin, daß -er doch in der Hauptsache nur dekorativ wirke und eine fatale Ähnlichkeit -mit den unsäglich vornehmen Dandys habe, wie sie die englischen -Familienblätter und die Plakate unserer Zigarettenfirmen schmücken. - -Ja, ich darf nicht verschweigen, daß eine junge Dame, die ihn in einem -Konzert mit verschränkten Armen an einer Säule lehnen sah, in den -erstaunten Ruf ausbrach: »Also den gibt es wirklich!« - -Aber ich darf auch nicht verschweigen, daß Kurt Georgi, als ich ihm diese -frohbewegten Worte hinterbrachte, mit einem gar nicht dandyhaften, sondern -sehr herzlichen und lauten Lachen den Kopf im Sessel hintenüberwarf und -ein übers andere Mal »Reizend!« rief. - -Denn er ist in Wirklichkeit gar kein Dandy. - -Alles dies gehört natürlich durchaus nicht hierher, es soll nur einen -Eindruck von dem jungen Manne geben, der, soeben zu mir ins Zimmer tretend, -mir mit etwas übertriebener Feierlichkeit das Manuskript der Gespräche im -Zwielicht überreicht, das ich ihm zur Durchsicht geliehen hatte. - -Die Feierlichkeit hält nicht lange stand, er streift mit einem -spitzbübischen Blick den kleinen Tisch, auf dem Kuchen und Zigaretten -aufgebaut sind und fragt mit einer leisen, aber betonten Ängstlichkeit in -der Stimme: - -»Soll ich am Ende auch unter die Zwielichtfreunde in dem Buch eingereiht -werden?« - -»Keine Sorge,« antworte ich, »der Kreis ist geschlossen. Sie müssen -zugeben, elf Freunde sind genug, das Publikum könnte die Geduld -verlieren.« - -»Und was schlimmer ist,« setzt er hinzu, »es könnte zwölf als ein -Dutzend auffassen.« - -Ich nicke. »Aber nicht wegen dieser furchtbaren Möglichkeit allein sind -Sie ausgeschaltet worden. Es mußte ja auch einer außerhalb bleiben, um -unbefangen urteilen zu können und mir dann --« - -Georgi prallt einen Schritt zurück und hebt die Hände mit einer -entsetzten Abwehrgeste hoch. Aber ich fahre unbeirrt fort: »Sie wissen -doch, was vom Merker geschrieben steht: Er werde so bestellt, daß weder -Haß noch Lieben das Urteil trüben, das er fällt. -- Und ich dachte, Ihre -wohltuend kühle Sachlichkeit --« - -»Sachlichkeit!« wiederholt er empört, »für dieses harte und ungerechte -Wort will ich mich bösartig rächen, und zwar am liebsten auf der Stelle -durch eine peinlich sachliche Kritik.« - -»Erst Kaffee trinken,« bitte ich, und er setzt schnell hinzu, während er -zufrieden den Tisch überblickt: »Wobei ich nur nebenbei bemerken möchte, -daß ich jeder Art von Bestechung zugänglich bin.« - -»Ich weiß,« antworte ich, »und habe deshalb Ihre Lieblingskeks backen -lassen, die ganz dünnen, die hauchzarten und zerbrechlichen, mit einem -Wort, die Ästheten unter den Keks.« - -»Reizend!« lacht Kurt Georgi, und seine länglich geschnittenen Augen -werden ganz schmal vor Vergnügen: - -»Diese Erzeugnisse einer überraffinierten Kultur sind gewiß so -bekömmlich, daß selbst die zarteste Dame ein Dutzend davon verschlingen -kann.« - -»Nur elf, wie Sie wissen,« berichtige ich, »und außerdem -- -verschlingen, wie vulgär! Genießen sagt man, oder auf der Zunge zergehen -lassen, wenn es sich um etwas so Ästhetisches und Delikates handelt.« - -»Wie um Ihre Gespräche hier zum Beispiel,« bemerkt er mit einer Bewegung -nach dem Manuskript hin. »Die haben entschieden etwas, was auf der Zunge -zergeht, und außerdem --« - -»O weh,« unterbreche ich ihn, »wir kommen nicht drum herum, Sie müssen -erst Ihre Kritik loswerden, vorher schmeckt's Ihnen nicht. Aber hüten Sie -sich, wer weiß, ob Sie nachher noch etwas bekommen.« - -»Ich werde nicht zu ehrlich sein,« versichert er schnell. - -»Darum möchte ich auch energisch bitten,« sage ich, »denn Sie -wissen, ich gehöre zu den seltenen Menschen, die ehrlich genug sind, -einzugestehen, daß ihnen Ehrlichkeit in den Tod verhaßt ist.« - -»Wundervoll, wie Sie mir die Aufgabe erleichtern,« antwortet Georgi. -»Aber ich hätte mir auch im anderen Fall kein Gewissen aus meiner -Unehrlichkeit gemacht. Denn es ist doch wahrhaftig ganz und gar -gleichgültig, was man in solchen Fällen sagt. Die Kritik kann noch so -verneinend sein, der andere hört von allem nur das Ja. Noch dazu, wenn der -andere eine Frau ist.« - -»Der Anfang ist verheißungsvoll,« sage ich, und decke die Mütze über -die Kaffeekanne, »kommen Sie also zur Sache!« - -»Also,« holt Kurt Georgi aus, bequem zurückgelehnt und mit beiden -Händen die Lehnen des Sessels umspannend, »fürs erste: Ich finde die -Idee des Buches nett und originell. In elf zwanglosen Plaudereien sind elf -junge Männer geschildert, die nur durch die Freundschaft zu einer Frau, -also sozusagen durch eine Art Personalunion, miteinander verbunden sind.« - -Ich nicke dankbar und er fährt fort: »Vor allem bewundere ich dabei, wie -geschickt und zartfühlend Sie es verstanden haben, in diesen Gesprächen -jede allzu prägnante Charakterschilderung der Freunde zu vermeiden. -Das Buch hätte im anderen Fall leicht die Art eines Schlüsselromans, -wenigstens für Ihren Kreis, annehmen können, und das wäre natürlich -höchst unfair gewesen.« - -Da ich diesmal kein Zeichen des Einverständnisses gebe, setzt er mit einem -schnellen Blick nach den Keks und einer kleinen Neigung des Kopfes hinzu: -»Wie gesagt, ich achte Ihre Zurückhaltung.« - -»Sehr fein,« lobe ich. »Reden Sie nur weiter. Es ist geradezu ein -exquisites Vergnügen, von Ihnen massakriert zu werden.« - -Kurt Georgi lehnt den Kopf im Sessel hintenüber und schaut einen -Augenblick sinnend zur Stubendecke hinauf. Dann spricht er vorsichtig, -beinah tastend weiter: - -»Nun könnte man ja auch sagen, und der intelligente Leser wird es -zweifellos tun und damit das Verdienst Ihrer Zurückhaltung schmälern, -man könnte sagen, daß Sie die Freunde nicht schärfer charakterisieren -konnten. Zum Teil schon deshalb nicht, weil Sie sich darauf kapriziert -haben, sie fast ohne jede Beziehung zur Außenwelt zu zeigen und alle -in der gleichen Atmosphäre und vom gleichen Gesichtswinkel aus gesehen. -Dieser Umstand hat unbedingt etwas, nun ja, sagen wir etwas Nivellierendes, -und die jungen Männer, so verschiedenartig sie sein mögen, erscheinen -daher alle wie Glieder einer --« Georgi deutet mit einer seiner -überlebensgroßen Gesten einen weiten Kreis an -- »wie Glieder einer -großen Familie.« - -»Die sie ja in einer gewissen geistigen Art auch wirklich sind,« werfe -ich ein, doch er achtet nicht darauf und spricht lebhaft weiter, den -Zeigefinger hebend: - -»Nun kommt aber eine merkwürdige Erscheinung: Zwischen all diesen -Köpfen schaut wie im Vexierbild ein Kopf hindurch; das eine Porträt wird -sichtbar, das Sie wahrscheinlich nicht zu zeichnen beabsichtigten, und -das nun, ich sage beileibe nicht ›deshalb‹, das nun das einzige von -zwingender Ähnlichkeit geworden ist: das Porträt der Frau.« - -»Lieber Freund,« sage ich, »wie ist das möglich? Nicht ein einziges -Wort spricht die Frau in dem Buch über sich und ihre Empfindungen. Sie -schweigt sich und ihr Leben ja geradezu tot, und mir scheint es jetzt -sehr bezeichnend für das Wesen der Freundschaft zu sein, daß keiner der -Freunde je diese Verschwiegenheit bemerkt.« - -»Drollig,« lächelt Kurt Georgi und streift die Asche vorsichtig von -seiner Zigarette, »drollig, daß wir oft am Schluß Tiefen in unseren -Werken finden, von denen wir selbst nichts geahnt haben. -- Aber -hoffentlich ist Ihnen diese unvermutete Tiefe nicht peinlich, gnädige -Frau, denn es ist ja sonst in dem Buch jede Spur von Gründlichkeit aufs -Sorgsamste vermieden. Alle Dinge sind nur im Flug berührt, alle Fragen nur -mit den Fingerspitzen angefaßt, alles schwebt sozusagen in der Luft. In -einer sehr angenehmen, wohltemperierten, nur wenig parfümierten Luft, in -der nicht gelacht und nicht geschrien wird, in der man nur lächelt und -plaudert. -- Und dann, gnädige Frau --« - -Er setzt sich plötzlich im Sessel aufrecht und streckt mir mit einer -verzweifelt flehenden Gebärde die Hände entgegen: »Was haben Sie sich -um Gottes willen dabei gedacht, nicht eine Spur von Pikanterie in diese -Gespräche zu mischen! Wie in aller Welt glauben Sie, ein Publikum zu -finden, wenn Sie die erotischen Probleme mit einer so geradezu minutiösen -Sauberkeit behandeln? Mein Gott, der Titel verpflichtet doch schon beinah! -Ja, wenn Sie schon berühmt, oder wenigstens auf irgendeine sensationelle -Art gestorben wären! -- Man liest ja schließlich auch die Droste und -Eichendorf und Hölderlin, und neuerdings ist bei den Obersnobs Klopstock -wieder modern geworden und wird bald so bedeutend sein wie Goethe -- aber -lebend und unberühmt und weder pikant noch pervers! -- Unmöglich!« - -Und Kurt Georgi macht eine abschließende Handbewegung, die mich erledigt, -und lehnt sich mit allen Zeichen der empörten Hoffnungslosigkeit im Sessel -zurück. - -»Vielleicht lockt der Titel,« versuche ich einzuwenden. »Oder wenn man -einen himmelschreiend neuartigen Buchdeckel machte --« - -»Nein, nein,« wehrt er ab, »uns bleibt nur zu hoffen, daß der eine -oder der andere Ihrer eventuellen Leser in dem Umgehen jeder erotischen -Pikanterie eine besonders prickelnde Nuance entdeckt. Ja, sehen Sie,« -setzt er wie neubelebt durch diesen Hoffnungsstrahl hinzu, »das halte ich -noch nicht für ganz ausgeschlossen.« - -»Diesem verständnisvollen Leser möchte ich schon im voraus dankbar die -Hand drücken,« sage ich lachend, »und ihn unter meine Freunde einreihen, -denn er hat richtig erkannt, daß die ungesprochenen Worte meist die -bedeutungsvolleren sind, daß sie noch wahrer zu reden verstehen und --« -Ich stocke, denn Kurt Georgi blickt mir, den Kopf in die Hand gestützt, -mit einem forschenden Blick in die Augen. - -»Und noch feiner zu lügen,« setzt er langsam hinzu. - -»Nein, nein,« winke ich ein bißchen nervös ab, »ehrlich werden ist -gegen die Abrede und in dieser Atmosphäre so wenig angebracht wie Schreien -oder große Worte machen in diesem Buch. Die Frau hier und dort ist nun -einmal nicht für die großen Worte geschaffen, ebensowenig wie für die -großen Erlebnisse.« - -»Das weiß Gott,« nickt Georgi elegisch. »Dazu ist sie leider -nicht trivial genug. Sie sitzt lieber wie die besonders kostbaren und -zerbrechlichen Kunstwerke in den Museen unter einer Glasglocke oder von -einer roten Schnur umgeben, die sie kaum bemerkbar, aber unüberwindlich -von der Welt abschließt. Und da sie gewohnt ist, jede Arbeit im Leben von -anderen für sich verrichten zu lassen, so läßt sie natürlich auch die -anderen für sich erleben. -- Was übrigens sicher der höchste Grad von -Vornehmheit ist.« - -»Lieber Georgi,« sage ich, »was heißt denn erleben? Müssen wir denn -immer leibhaftig mitagieren und die Bombenrolle in dem Stück spielen? Muß -es nicht auch Zuschauer geben, die entzückt oder schaudernd miterleben, -was sich auf der Bühne begiebt?« - -»Nein,« antwortet er, »auch der Zuschauer da unten muß ein eigenes -Leben haben, wie könnte er sonst Schauer und Entzücken fühlen? Nur -die Wonnen, die in unserem eigenen Empfindungsbereich liegen, können uns -erregen, und nur der Schmerz, der unserem eigenen verwandt ist, rührt uns -zu Tränen.« - -»Und so weint im Grunde genommen jeder nur um sich selbst.« - -»Und wenn ich eine Minute lang ehrlich sein darf,« fährt Georgi fort, -»ich glaube auch gar nicht an dies vollkommen selbstaufgegebene Miterleben -und an die lächelnde Gleichmäßigkeit der Frau in Ihrem Buch. Viel eher -glaube ich, daß sie in diesen Gesprächen eine schwere Enttäuschung nicht -totschweigt, wie Sie meinten, sondern totplaudert, was ja manchmal dasselbe -bedeutet. Und noch eher glaube ich, und sage es, selbst auf die Gefahr hin, -bei der Verteilung der Ästhetenkeks leer auszugehen, noch eher glaube -ich, daß sie ein ganz raffinierter kleiner Racker ist. -- Ja, ich würde -vorschlagen,« und Kurt Georgi deutet das Folgende in seiner lebhaften -Gebärdensprache an, »ich würde vorschlagen, an der roten Schnur in -Manneshöhe eine Warnungstafel für geistreiche und gemütvolle junge Leute -anzubringen: ›Hier liegen Fußangeln‹ --« - -»Scht! Scht!« winke ich erschrocken ab, und er setzt schnell hinzu: »Es -war natürlich von der Frau in dem Buch die Rede.« - -»Das versteht sich,« antworte ich, »und ich bin glücklich über Ihr -Urteil, so hart es ist. Denn daß diese Frau es vermocht hat, Furcht und -Mitleid in Ihnen zu erregen, genau nach der altgriechischen Vorschrift für -Kunstwerke, das spricht doch ungeheuer für mich und mein Buch. Es ist der -kleine süße Kern, den ich aus Ihrer bitteren Kritik herausschäle, das -Ja, daß ich trotz aller Verneinung höre. -- Und nun sollen Sie doch unter -die Freunde hier aufgenommen werden, und zwar nicht als letzter, sondern -als erster im Dutzend. Ich will unser heutiges Gespräch als Einleitung in -das Buch setzen, denn nach einem Vorwort habe ich schon lange verzweifelt -gesucht. Da weiß der Leser doch gleich, woran er ist, und die Sache hat -noch das Gute, daß die Einleitung zugleich als Schlußwort gelten kann.« - -»Gott bewahre,« sagt Kurt Georgi entsetzt, »auf so etwas hätte man -doch wenigstens vorbereitet sein müssen. -- Aber,« setzt er nachdenklich -hinzu, »wenn ich auf die ökonomische Ausschlachtung meiner geistigen -Arbeit eingehe, welche Belohnung haben Sie mir zugedacht?« - -Ich sehe ihm in die vor Schelmerei ganz schmal gewordenen Augen und muß -unwillkürlich lächeln. - -»Ja, ja,« nickt er, »hier wäre die beste Gelegenheit, eine Pikanterie -anzubringen, wenn ich Ihnen diesen literarischen Rat erteilen darf.« - -»Unmöglich!« sage ich und schiebe den kleinen Tisch mit Kaffee und -Kuchen zwischen uns. »Was sollte der Leser von uns denken!« - - - - -Das typische Erlebnis - -[Illustration] - - -Wir haben lange geschwiegen, und es ist so still im Zimmer, daß das Ticken -der Uhr schon anfängt, aufdringlich zu werden. Endlich hebt Frank Meinert -den Kopf mit dem zerwühlten schwarzen Haar, und über sein blasses, -meist etwas verdrossenes Gesicht geht langsam das halb verlegene, halb -selbstironische Lächeln, das ich sehr an ihm liebe. - -»Weiß der Himmel,« sagt er und wirft mit einer bei ihm ungewohnt -lebhaften Bewegung das Zigarettenrestchen in die Aschschale, »in dieser -fabelhaften Feiertagsstille kann ich mich unmöglich auf meine Leiden -besinnen.« - -»Schade,« antworte ich und schiebe ihm die Pralinés näher, »ich werde -auf diese Weise nie erfahren, was Sie bedrückt und weshalb Sie sich seit -ein paar Wochen so in den Wirbel des Weltlebens gestürzt haben, daß es -fast keine festliche Veranstaltung in Hamburg gibt, bei der nicht Frank -Meinert bleich, mürrisch und zerwühlt, ein Miniatur-Beethoven, in einer -Saalecke hockt. -- Oder sollte zwischen diesen Dingen kein Zusammenhang -bestehen?« - -Das Lächeln um Franks großen und nervös-beweglichen Mund wird lebhafter. -»Ja,« sagt er und sucht sich bedächtig seine Lieblingspralinés heraus, -»so ist meine Art zu leiden.« - -»Vernünftig,« lobe ich, »aber leider nicht neu. Jeder, der etwas auf -seine Leiden hält, führt sie an fashionable Betäubungsstätten. Ich -hätte von Ihnen etwas Originelleres erwartet.« -- »Ihr alter -Fehler!« bemerkt er mürrisch und fährt nach einem kurzen Schweigen mit -überraschend einsetzender Beredsamkeit und nervös flackerndem Gesicht -fort: - -»Sie leiden an einem fundamentalen Mangel an Menschenkenntnis. Ich bin -kein Originalitätsfex, wie Sie hartnäckig annehmen. Und es spricht auch -wieder einmal bedauerlich wenig für Ihren psychologischen Blick, wenn Sie -glauben, daß ich im Trocadero oder beim Bösen-Buben-Ball oder etwa bei -den Massenmorden der Harvestehuder Gesellschaft Betäubung gesucht habe.« - -Und da ich ihn erwartungsvoll ansehe, fährt er langsamer fort: »Sie haben -es wohl noch nie erfahren, wie innig man seinen Schmerz lieben kann, gerade -inmitten der Vielen, denen man so unendlich überlegen ist.« Und leise -setzt er hinzu: »Weil man zu den Auserwählten gehört, die leiden.« - -»Lieber Freund,« sage ich und stütze den Kopf in die Hand, »selbst -auf die Gefahr hin, Ihnen eine Glücksquelle zu verschütten: Glauben Sie -wirklich, daß es nur die Auserwählten sind, die leiden?« - -»Gewiß,« antwortet er eifrig, »denn zum wirklichen Unglücklichsein -gehört ein Maß von seelischer Tiefe, das nur wenigen eigen ist. Wie -natürlich zu jedem großen Gefühl. Nicht nur der Schmerz, auch das Glück -will getragen sein.« Ich nicke: »Insbesondere das der anderen. An dem -schleppen wir oft unglaublich schwer. Das eigene Glück soll sich nicht -schwer tragen, sagt man.« - -Frank Meinert ist aufgestanden und geht, seiner Gewohnheit nach heftig -rauchend und ein wenig schlurfend, im Zimmer auf und ab. - -»Aber die Fähigkeit zum Glück muß da sein,« sagt er vor sich hin, -»die ganz gemeine Begabung dazu, und die ist es, die mir fehlt. -- Das -ist das merkwürdige bei mir, und ich habe schon unendlich viel darüber -nachgedacht: Warum habe ich nur so gar kein Talent zum Leben?« - -»Nicht so schlurfen!« bitte ich ein bißchen nervös und sage dann, -während ich mir eine frische Zigarette anzünde: »Sie haben ja so -viele andere Talente,« -- und nach einer kleinen Pause -- »wie weit ist -eigentlich Ihr --.« -- Ȁ!« unterbricht er mich mit einer Gebärde des -Ekels, »glauben Sie vielleicht, daß ich jetzt arbeiten kann?« Und mit -ironisch übertriebenem Pathos die Arme reckend: »Ich bin augenblicklich -in der Periode des Erlebens!« - -»Natürlich,« nicke ich ihm zu, »die muß erst überwunden sein, und ich -bin mir schon lange darüber klar, daß Arbeit wirklich nur etwas für die -Leute ist, die nichts zu tun haben.« - -Frank lächelt nachsichtig und läßt sich auf dem Klavierstuhl nieder, den -er trotz seiner eminenten Unbequemlichkeit allen anderen Sitzgelegenheiten -vorzieht, wie überhaupt sein Wesen zwischen Trägheit und dem Hang zur -Selbstquälerei hin und her schwankt. - -»Ihr Sarkasmus trifft mich nicht,« sagt er und öffnet langsam und -zerstreut den Flügel, »es war natürlich nur von innerem, nicht von -äußerem Erleben die Rede.« -- »Ich kenne diese Unterscheidung gar -nicht,« antworte ich, »was wir nicht innerlich erleben, erleben wir doch -überhaupt nicht.« -- »Erlauben Sie, wenn ich nächstens infolge der -mangelhaften Treppenbeleuchtung in meiner Bude abstürzen und ein -Bein brechen werde, dann nenne ich das ein äußeres und kein inneres -Erlebnis.« - -»Und ich nenne das einen Beinbruch, aber ein Erlebnis nenne ich es noch -lange nicht. Dazu könnte es nicht einmal durch eine seelische Beziehung -erhoben werden, wie zum Beispiel durch die Tatsache, daß Sie sich gerade -auf den Weg nach einer gewissen kleinen Konditorei --« - -Frank, der, wie es seine Gewohnheit ist, mit gesenkten Lidern gesessen hat, -hebt plötzlich den Blick, und seine graugrünen Augen schillern feindselig -zu mir herüber. Er greift ein paar harte Akkorde und wendet sich, -plötzlich abbrechend, mit seinem spöttischsten Lächeln zu mir: - -»Ihre diplomatischen Übergänge, fabelhaft geschickt! -- Übrigens danke -ich Ihnen für die Notbrücke, denn ich bin ja natürlich gekommen, um -Ihnen zu erzählen.« - -Er nimmt seine Wanderung durchs Zimmer wieder auf, und ich warte eine Weile -vergebens. - -»Nicht nur heute,« sagt er endlich hastig, »ich war in der letzten Woche -schon ein paarmal deshalb hier. Sie wissen das natürlich! Frauen wissen -bekanntlich immer alles. -- Aber es ist jedesmal wie verhext, wenn ich hier -sitze. So, als hätte ich das alles gar nicht erlebt, wovon ich sprechen -will, oder irgendwo drüben an einem anderen Ufer. -- Die Dinge werden -ja immer unwirklich, sobald man sie ausspricht. Und ich habe auch schon -geglaubt, damit fertig zu sein. Ich konnte schon darüber lächeln. -- Ä, -das sagt nichts, man lächelt immer darüber, aber es kam schon vor, daß -ich eine Stunde lang nicht mehr daran dachte, und das ist weiß Gott schon -viel. Da sagen Sie jetzt das eine Wort von der kleinen Konditorei, und -alles ist wieder da, als wäre es niemals weg gewesen. Und es hilft kein -Sichdagegenwehren, und es macht einen schwach und muskellos, und man fragt -sich, ob man die verfluchte Quälerei nie los wird sein Leben lang.« - -Und Frank Meinert steht einen Augenblick still und starrt vor sich hin, -dann setzt er sich plötzlich ruhig und wie ausgelöscht auf seinen Stuhl. - -»Frank,« sage ich leise, »schelten Sie nicht so auf Ihre Schmerzen, Sie -fühlen doch daran, daß Sie leben.« - -»Weiß Gott, ich fühl's!« stößt er heraus. »Aber glauben Sie -vielleicht, daß ich großen Wert darauf lege?« - -Ich antworte nicht und reiche ihm die Zigaretten hinüber, und er sagt mit -einem träumerischen Blick, der sein häßliches Gesicht plötzlich schön -erscheinen läßt: »Den hätte ich kennen mögen, der zuerst von -allen Menschen den Entschluß gefaßt hat, freiwillig zu gehen. Welche -unbegreifliche Erhabenheit lag in dieser Tat, als sie zum erstenmal -geschah!« - -Ich nicke, und wir sehen beide schweigend in die Wolken unserer Zigaretten. -Endlich fährt er fort: - -»Ich muß manchmal geradezu vor mich hinlächeln, wenn ich daran denke, -daß der große Baumeister bei all seiner Klugheit eine Lücke in -seinem Gebäude gelassen hat, ein kleines Loch, durch das wir still -hinausschlüpfen können, wenn es uns da drinnen nicht mehr gefällt.« - -»Ja, Frank,« sage ich nachdenklich, »das wäre eine schöne Einrichtung, -wenn sie nicht so unvollkommen wäre. Wenn nicht die zweite Lücke fehlte, -durch die wir still wieder hineinschlüpfen können, wenn es uns da -draußen nicht gefällt.« - -»Natürlich,« antwortet er, »Sie verlangen für jede Hintertür noch -ein Hintertürchen! Ich finde, es ist schon fabelhaft tröstlich, daß man -einfach weggehen kann, wie man von einem Ball geht, der anfängt langweilig -zu werden, oder so.« - -»Ach lieber Frank Meinert,« sage ich lachend, »wann hätten Sie das je -getan? Wer sitzt bei jedem Fest bis zum Kehraus gähnend und fröstelnd und -gelangweilt in einem Klubsessel und ist nicht wegzukriegen?« - -»Nun ja,« gibt er mit einem nachsichtigen, fast zärtlichen Lächeln zu, -»ich muß mich einer Art Trägheit schuldig bekennen, eines Mangels an -körperlicher Initiative, wenn Sie wollen.« -- »Ja,« seufze ich, »daher -auch das Schlurfen. Und in Gesellschaften da sitzt sich's immer so gut im -Klubsessel und draußen ist vielleicht scheußliches Wetter, da bleibt man -eben. Und eigentlich tun Sie auch ganz recht daran, zu bleiben, denn -wer kann wissen, ob nicht am Schluß etwas unglaublich Schönes, etwas -fabelhaft Anregendes und Sensationelles kommt. Und deshalb, -- sehen Sie, -auch deshalb schon ist's besser, man wartet bis zum Schluß.« - -Wir schweigen beide, und dann sage ich in die Dämmerung hinein, die -inzwischen gekommen ist: - -»Ist es denn wirklich zu Ende mit Margot und Ihnen? Ist's nicht wieder nur -ein Hinziehen, wie schon so oft?« Er schüttelt den Kopf, und ich -spüre es wieder einmal deutlich bis zum Schmerz, daß wir nie ärmer und -hilfloser und verlogener sind, als wenn wir mit Worten trösten wollen. Und -es ist ganz still im Zimmer, bis ich endlich sage: - -»Wir erleben es alle einmal, und in jedem von uns wird etwas dadurch -geknickt oder zerschlagen. Bei den Durchschnittsmenschen da heilt es -schwer, es blutet nach innen, weil kein Ventil da ist. Aber bei Ihnen gibt -es ein Ventil, Ihr Schmerz wird ausströmen und tönen, und dann wird aus -Ihrer Arbeit erst das Werk geworden sein, das Sie uns schuldig sind. Und -Sie wachsen über Ihre Schmerzen hinaus und fühlen doch, daß es die -Schmerzen sind, die Ihr Leben reich gemacht haben.« - -Er sieht mich zerstreut an und sagt nach einem kurzen Schweigen gequält: -»Wenn ich nur wüßte, warum es immer so kommen muß.« - -Und ich weiß, daß ich umsonst geredet habe. Und versuch's doch noch -einmal: »Vielleicht gibt es einen Grund dafür, der tiefer liegt, als -Sie ihn suchen. Vielleicht sollen Sie jetzt nicht glücklich sein, Frank -Meinert, vielleicht sollen Sie nie auf die Art glücklich sein, weil Sie zu -anderem bestimmt sind als zu einem bißchen Rausch, und dann im besten -Fall zu lebenslänglichem, spießbürgerlichem Behagen. Dazu sind Sie dem -Schicksal zu schade. Und mir auch, trotz Ihrer Sauertöpfigkeit und der -verdrießlichen Grimassen, die Sie sich nicht abgewöhnen wollen.« - -Er brütet noch immer vor sich hin, aber ein bißchen wetterleuchtet's -schon in seinem unruhigen Gesicht. »Ich weiß, daß ich nie glücklich -sein werde,« sagt er, »und ich weiß, daß ich einsam bleiben muß. Das -ist merkwürdig bei mir, daß ich es von jeher gefühlt habe, schon -als Kind zwischen all den Geschwistern. Und dies immer und immer wieder -Enttäuscht- und Einsamwerden, das wird mein Schicksal bleiben, ich weiß -es. Es ist mein typisches Erlebnis, wie Nietzsche sagt.« - -Ich nicke und bin nun schon ganz beruhigt: Fürs erste hat Frank Meinert -sein Spielzeug gefunden. - -»Ob ich die Einsamkeit werde tragen können?« sagt er vor sich hin, »nur -die Größten haben es gekonnt.« - -»Es ist doch nur das äußere Einsamsein,« antworte ich. »Innerlich sind -wir ja immer allein, nur daß wir's oft nicht wissen. Aber in den lichten -Momenten, in denen wir das ganze Dasein als sinnlos, dunkel und verworren -empfinden -- denn das sind unsere lichten Momente, Frank Meinert --, da -wissen wir, daß wir einsam sind, wie ein Wanderer in sturmdunkler Nacht. -Da wissen wir auch, daß aus zweien niemals eins werden kann.« - -»Ja,« nickt Frank langsam vor sich hin, »auf uns trifft das zu, weil wir -Ganze sind. Halbe können vielleicht zu einem Ganzen verschmelzen, unsere -Bestimmung ist es, allein und wir selbst zu bleiben. -- - -Weshalb lächeln Sie?« fragt er plötzlich mißtrauisch und gereizt. -Ich bestreite, gelächelt zu haben und drehe das Licht an, um ähnlichen -Irrtümern vorzubeugen. Und Frank sagt leise, den Kopf in die Hand -gestützt: »So kommt man also früh zur Resignation.« - -Jetzt lächle ich wirklich: »Ach nein, lieber Freund, so leicht kommt man -nicht zur Resignation, wie Sie in diesem Augenblick glauben. Da müssen -noch viele bittere Schmerzen durchgebissen und überwunden werden, ehe -Sie dahin gelangen. Resignation, das ist die reifste Frucht an unserem -Lebensbaum.« - -»Und doch die bitterste,« sagt er, und wir schweigen beide. - -Plötzlich sieht er nach der Uhr, steht mit einem Ruck auf und streckt mir -seufzend die Hand hin: »Ich muß gehen. Es ist fabelhaft, wie in diesem -Zimmer die Zeit versinkt! Schon die Tapete hat so etwas unglaublich -Wohltuendes. Aber ich muß an die Arbeit.« - -Ich nicke. »Man muß sich rühren, wenn man über Wasser bleiben will.« - -Wir stehen einen Augenblick, und dann sagt Frank: - -»Ob wohl alle Menschen ihr typisches Erlebnis haben?« - -»Ich glaube wohl,« antworte ich, »aber die wenigsten sind sich dessen -bewußt. Und es gibt auch viele Menschen, deren typisches Erlebnis -›Nichterleben‹ heißt.« - -Und da er mich fragend ansieht, setze ich hinzu: »Das will ich Ihnen -noch sagen, Frank, weil es vielleicht ein Trost für Sie ist: Nicht das -Unglück, das uns trifft, schafft uns das bitterste Leid. Viel schwerer als -das traurigste Erlebnis belasten uns die unerlebten Dinge, die Ahnung der -tausend Möglichkeiten, für die wir uns bestimmt und gerüstet fühlen, -und die sich uns niemals ereignen.« - -Es ist eine Weile still im Zimmer, dann fragt Frank Meinert: - -»Wann darf ich wiederkommen?« - -»Sobald Sie wollen,« antworte ich. - -»Dann darf ich Ihnen morgen ausführlich erzählen, wie das alles kam, mit -Margot und mir?« - -»Gewiß,« antworte ich und lächle erst, nachdem die Tür sich hinter ihm -geschlossen hat. - - - - -»Hat sie wirklich so schöne Schultern?« - -[Illustration] - - -»Gnädige Frau,« sagt der sehr hübsche junge Mann, »ich möchte Ihnen -für mein Leben gerne etwas sagen. Es quält mich, seit ich hier sitze und -Sie ansehe, aber ich wage es nicht.« - -»Ist es etwas so Schlimmes?« frage ich, »dann verschweigen Sie es -lieber. Sie wissen, ich lasse mir meine Kaffeestunde nicht gerne stören.« - -»Es ist nichts Schlimmes,« antwortete er, »aber es brennt mir auf der -Zunge.« - -»Dann hoffe ich, daß es eine brennend pikante Geschichte ist. Aber ich -warne Sie, je amüsanter sie ist, um so schwerer werde ich sie für -mich behalten können. Verschwiegenheit gehört nun einmal nicht zu -den Tugenden, die ich von mir verlange, denn man muß auch sich selbst -gegenüber in seinen Ansprüchen maßvoll sein.« - -Georg Wendringer lacht: »Zum Glück beansprucht das, was ich Ihnen sagen -will, keine Diskretion. Es ist nicht einmal neu, und eigentlich ist es nur -_ein_ Satz: -- Gnädige Frau, Sie sind unglaublich schön.« - -Ich muß hell herauslachen. »Ist das alles?« - -»Ja,« sagte er, »das ist alles, und es ist eine wundervolle Befreiung, -es gesagt zu haben. Und Sie sind nicht böse?« - -»Ich weiß noch nicht,« antworte ich. »Es liegt natürlich eine -Beleidigung darin, besonders in dem ›unglaublich‹, das eine böse -Nebenbedeutung haben kann. Aber diesmal will ich's nicht so nehmen und -Ihnen sogar gestehen, daß es für eine Frau nichts Wohltuenderes und -Erwärmenderes gibt, als das Bewußtsein, schön gefunden zu werden. Alle -Bewunderung für unsere Tugenden, ja sogar für unsere Liebenswürdigkeit -und unseren Geist läßt uns kalt, denn sie ist nicht das Primäre.« - -»Ich sehe, Sie sind nicht böse,« sagt er vergnügt, »dann darf ich mehr -sagen.« - -»Davon möchte ich abraten,« antworte ich, »jedes Mehr müßte den guten -Eindruck stören, den Sie bis jetzt gemacht haben.« -- - -»So finden Sie also wirklich, daß für eine Frau Schönheit das Höchste -und Begehrenswerteste ist?« fragt er kopfschüttelnd, »von Ihnen hätte -ich das nicht gedacht.« - -»Warum nicht von mir?« frage ich ein wenig erstaunt. - -»Nun,« erklärt er mir, indem er versucht, seine langen Glieder in eine -etwas bequemere Lage zu bringen, »ich hatte bis jetzt immer gefunden, -daß nur die mehr klugen als schönen Frauen dieser Ansicht waren, während -umgekehrt die mehr schönen lieber für klug --.« Hier lache ich so -herzlich, daß er erschrocken innehält. - -»Und da komme ich nun, mehr dumm als häßlich und doch immer noch klug -genug, nicht klug sein zu wollen und werfe Ihr ganzes schönes Schema über -den Haufen.« - -»Habe ich wirklich so was Dummes gesagt?« fragte er kleinlaut. - -»Ach nein,« beruhige ich ihn, »wenn ich von dem zweifelhaften Kompliment -für mich absehe, war es sogar eine sehr feine Beobachtung; Sie dürfen -sie aber nicht jeder Frau verraten, denn sie ist ein Messer, das auf beiden -Seiten schneidet. Wahr ist es übrigens schon, die Frauen, die sich ihrer -Schönheit bewußt sind, wollen für klug gelten, denn zwei Vorzüge sind -mehr als einer, und man überschätzt bekanntlich den Wert dessen, was man -nicht hat. Die Klugen sind klüger und wollen gern schön sein, denn sie -wissen, was das bedeutet und welche Macht darin liegen kann. Kann -- sage -ich, denn es gibt sehr viel Schönheit, die ungenutzt verlorengeht.« - -»Ja,« antwortet er nachdenklich, »ich kenne zum Beispiel eine junge -Frau, die jeden Abend, wenn sie vorm Spiegel steht und ihr Haar bürstet, -›Schade, schade!‹ sagt.« - -»Ich will nicht indiskret sein,« versichere ich, »welche Bemerkung -man übrigens immer voraus schickt, wenn man eine große Indiskretion -beabsichtigt, aber ich möchte mir doch die Frage gestatten: Hat die junge -Frau Ihnen das selbst erzählt?« - -»Ich muß mit Oskar Wilde antworten,« sagt Georg Wendringer, »eine Frage -ist niemals indiskret, nur die Antwort kann es sein.« - -»Gut geantwortet, Georg Wendringer und Oskar Wilde,« sage ich. »Und da -das Fragen nicht indiskret sein kann, so frage ich also getrost weiter: Hat -sie wirklich so schöne Schultern?« - -»Ich glaube, ja,« antwortet Georg mit seinem verschmitzten Lächeln und -setzt, plötzlich ernst werdend, hinzu: Ȇbrigens sind wir nur sehr gut -befreundet ohne jeden erotischen Beigeschmack.« - -Ich muß ein wenig ungläubig dreingeschaut haben, denn er fragt schnell: -»Aber Sie glauben vielleicht nicht an Freundschaft zwischen Mann und -Frau?« - -»O Gott!« seufze ich, »seit meinem sechzehnten Jahr quält man mich mit -dieser Doktorfrage.« - -»So haben Sie gewiß genügend darüber nachgedacht und können mir das -Resultat mitteilen.« - -»Nein,« sage ich, »das werde ich nicht tun, denn ich habe mir -geschworen, auf diese Frage nicht mehr einzugehen, seitdem ein vorlauter -Jüngling mir auf meine Antwort hin die noch heiklere Frage gestellt hat: -Und was ist es also, was zwischen uns beiden besteht?« - -Georg lacht: »Ich hatte nicht die Absicht, Sie in eine solche Falle zu -locken, aber ich möchte für mein Leben gern wissen, welche Antwort der -naseweise junge Mann bekam.« - -»Die Antwort, die ich allen jungen Männern gebe, sobald sie anfangen, -naseweis zu werden. Ich habe gelacht, ihm die Zigaretten gereicht und -gefragt, ob er sich nicht zum Abschied noch bedienen wolle.« - -»Das war hart,« sagt Georg, »denn seine Frage lag so nah, die -Gelegenheit war so günstig.« - -»Was wäre denn Takt,« antworte ich, »wenn es nicht die Fähigkeit und -der Wille wäre, gute Gelegenheiten ungenützt zu lassen.« - -Georg seufzt: »Schweigen ist aber oft sehr schwer!« und sieht so -bekümmert aus, daß ich lachen muß. -- »Ja, es muß sehr schwer sein. -Allein wenn ich bedenke, wie früh man sprechen lernt und wie spät erst -schweigen.« - -Georg schüttelt den Kopf: »Das stimmt nicht ganz, so hübsch es klingt. -Denn es kann sich ja nur um das richtige Sprechen und das richtige -Schweigen handeln, und das lernt sich wohl gleich schwer und ist im Grunde -genommen dasselbe, denn eins ohne das andere ist wertlos und eben nicht das -Rechte.« - -»Natürlich,« stimme ich bei, »Ihre Gründlichkeit hat wieder mal recht, -und ich muß es zugeben, trotzdem Sie mir damit meine schöne Sentenz -einfach totgeschlagen haben. Es muß auch das rechte Schweigen sein, denn -es gibt Menschen, die nur darum für verschlossen und abgründig tief -gelten, weil sie einfach nichts zu sagen haben, und weil man sich gar nicht -vorzustellen vermag, daß jemand wirklich so gar nichts zu sagen haben -kann. Ihre ganze Klugheit besteht darin, zu verbergen, daß sie nichts zu -verbergen haben, und es kann lange dauern, bis man dahinter kommt, -daß nichts dahinter ist, und daß sie durch und durch oberflächliche -Geschöpfe sind. Denn, so paradox es klingen mag, es gibt wirklich -Menschen, die durch und durch oberflächlich sind.« - -Georg lacht: »Sie haben heute Ihren paradoxen Tag, aber es klingt wieder -sehr hübsch, und ich werde mich diesmal hüten, Ihre schönen Sentenzen zu -zerstören, so leicht und verlockend es wäre.« - -»Ich kenne aber noch eine andere Art von falschen Schweigsamen,« fahre -ich fort, »das sind die, die in Gesellschaft mürrisch und verschlossen -sind und selten den Mund auftun, außer zum Gähnen, weil es nur ein -einziges Thema für sie gibt, und das ist ihre eigene Person. Wie -gesprächig werden sie aber, wenn sie auf dies Thema kommen! Es ist ihnen -gleichgültig, wer zuhört, es liegt ihnen auch nichts daran, sich in ein -besonders gutes Licht zu setzen, ja, sie verleumden sich lieber, ehe sie -eine Gelegenheit vorbeigehen lassen, von sich zu sprechen, und sie -können in einer Viertelstunde mehr von sich preisgeben, als andere gerne -plaudernde Menschen in Jahren.« - -Georg zieht nachdenklich den Rauch seiner Zigarette ein, bläst ein paar -Ringe und fragt dann: »Steckt nicht in den meisten von uns etwas von -dieser Leidenschaft? Und bedeutet sie nicht eigentlich nur eine übergroße -Ehrlichkeit?« - -»Nun ja,« sage ich, »insoweit ein gewisser Mangel an Schamgefühl -Ehrlichkeit bedeutet.« -- »So meinte ich's nicht,« unterbricht er mich, -»ich meinte die Ehrlichkeit, die darin liegt, kein Interesse heucheln zu -wollen. Und ist es nicht fast immer Heuchelei, wenn wir vorgeben, es -könne uns irgend etwas auf der Welt mehr interessieren als unsere eigene -Person?« - -Ich muß lachen, »eine Unterhaltung zwischen mehreren solcher -Ehrlichkeitsfanatiker stelle ich mir sehr reizvoll vor. Übrigens müssen -sie doch bedenken, daß wir mit jedem Wort, das wir sprechen, von unserer -eigenen Person ausgehen und deshalb, streng genommen, immer nur von -uns reden. -- Das sollte selbst dem unersättlichsten auf diesem Gebiet -genügen.« - -Wir schweigen eine Weile, und ich sehe, daß Georg, trotzdem er scheinbar -seine Rauchringe aufmerksam verfolgt, mit einem Entschluß kämpft. -Plötzlich blickt er auf und sagt: »Verzeihen Sie, daß ich so zerstreut -bin -- aber -- ich habe eine Bitte.« - -»Zerstreutheit ist bekanntlich immer der höchste Grad von Aufmerksamkeit, -nämlich für eine andere Sache,« antworte ich, »und deshalb dachte -ich mir's gleich, daß Sie etwas auf dem Herzen haben. Also -- herunter -damit.« - -»Ja,« sagt er ein bißchen stockend, »es ist vielleicht eine sonderbare -Bitte, aber Sie werden mich nicht mißverstehen: Ich möchte Sie für mein -Leben gern mit meiner Freundin bekannt machen.« - -Ich schweige einen Augenblick und frage dann, um Zeit zu gewinnen: »Ist es -die junge Frau mit den schönen Schultern?« - -Er nickt und seine blauen Augen blicken mich treuherzig ernsthaft an. - -»Lieber Freund,« sage ich und drücke mein Zigarettenstümpfchen langsam -aus, »was versprechen Sie sich für Ihre Freundin und mich davon?« - -»Oh, sehr viel,« antwortet er lebhaft, »vor allem für Lilly. Sehen Sie, -sie hat nicht den richtigen Verkehr, -- wenigstens ich finde das, sie -ist ja leider ganz zufrieden damit, aber ich hoffe, wenn sie Sie -kennenlernt --« - -»Hat sie denn den Wunsch geäußert?« frage ich und sehe, wie eine kleine -Verlegenheit über sein ehrliches Gesicht schleicht. - -»Das nun gerade nicht,« sagt er, »es ist eigentlich mehr ein Wunsch von -mir. Aber ich bin sicher --« - -»Ganz gewiß,« antworte ich, »aber wenn die junge Frau mit ihrem Verkehr -zufrieden ist --« - -»Aber ich sage Ihnen ja, ihr Verkehr ist nicht der richtige,« unterbricht -mich Georg erregt. -- - -»Der Verkehr, mit dem man zufrieden ist, ist eigentlich immer der -richtige,« antworte ich, »und vielleicht wäre ich ganz und gar der -unrichtige. Sie überschätzen mich sicher, trotzdem Sie mir vor ein paar -Minuten den Verstand so ziemlich abgesprochen haben.« -- »Das habe ich -nicht getan,« verteidigt er sich, »Sie wissen es recht gut, und was Sie -jetzt sagen, entspringt wieder Ihrer übergroßen Bescheidenheit!« - -»Bescheidenheit ist ein Ding, das ich überhaupt nicht kenne, weder bei -mir noch bei anderen,« antworte ich, »und ich behaupte, es ist ein Wort, -dessen Inhalt nicht existiert.« - -»Das ist eine kuriose Behauptung,« kopfschüttelt Georg. - -»Sehr einfach,« erkläre ich ihm, »entweder ein Mensch kennt seine -Vorzüge nicht, dann ist seine Bescheidenheit nicht Bescheidenheit, sondern -die selbstverständliche Folge seiner Selbsteinschätzung. Oder ein Mensch -kennt seine Vorzüge, dann kann seine Bescheidenheit nichts anderes sein, -als Heuchelei, im besten Falle Anstandsgefühl oder Rücksichtnahme auf -Schwächere, alles, nur keine Bescheidenheit.« - -»Auf diese Weise läßt sich alles aus der Welt wegdisputieren,« sagt -Georg verstimmt, »aber ich bin optimistisch genug zu behaupten, --« -- -»Ich muß Sie noch weiter ärgern,« unterbreche ich ihn lachend, »und -behaupte, daß es mit dem Optimismus fast dieselbe Sache ist. So sicher -Sie nämlich in dem Moment unbescheiden sind, in dem Sie sich Ihrer -Bescheidenheit bewußt werden, so sicher sind Sie nicht mehr optimistisch -in dem Augenblick, in dem Sie sich so nennen. -- Ich will das erst -beweisen,« fahre ich fort, da er versucht, Einwendungen zu machen. - -»Optimistisch sind Sie, solange Sie die Welt schöner und besser sehen, -als sie ist. Sobald Sie aber wissen, daß Sie die Welt besser sehen, als -sie ist, wissen Sie auch, daß sie eigentlich schlechter ist, als Sie sie -sehen, und mit diesem Wissen stehen Sie schon auf der anderen Seite der -Weltanschauung und können fast für einen Pessimisten durchgehen. -- Und -jetzt dürfen Sie antworten.« - -Aber Georg ist verdrießlich: »Daß ich kein Pessimist bin, weiß ich, -trotz Ihrer philosophischen Purzelbäume, und ich verwahre mich entschieden -dagegen.« - -»Weshalb denn?« frage ich, »mir sind die Pessimisten sehr viel lieber -als die frischfröhlichen ›Lebensbejaher‹, wie es jetzt modern aber -etwas unklar heißt. Nur über eins habe ich manchmal nachgegrübelt und -weiß es nicht: Ist es das traurige oder das tröstliche Moment im Leben -der Pessimisten und Skeptiker, daß Sie zum Schluß immer recht behalten?« - -Georg sieht mich einen Augenblick schweigend an, dann sagt er: - -»Sie haben mir noch keine endgültige Antwort auf meine Bitte gegeben, und -ich müßte dümmer sein als ich bin, wenn ich nicht gemerkt hätte, daß -all Ihr Philosophieren nur den Zweck hatte, mich davon abzulenken. Aber ich -bestehe darauf, daß Sie --« - -»Lieber Herr Wendringer,« sage ich ein wenig gedehnt und greife nach -dem Zigarettenetui, das ich ihm langsam hinüberreiche, »wollen Sie -nicht --.« - -Georg ist rot geworden, er springt auf. - -»Jawohl -- zum Abschied, ich verstehe.« - -Aber schon im nächsten Augenblick geht ein spitzbübisches Lächeln über -sein Gesicht. »Liebe gnädige Frau, ich war naseweis; aber ich hoffe, Sie -machen mir das nicht zum Vorwurf, denn da bekanntlich die Bescheidenheit -ins Reich der Fabel gehört, wäre es doch unbescheiden, zu verlangen, daß -gerade ich --« -- »Jawohl,« sage ich lachend, »und ich werde bis zu -Ihrem nächsten Besuch darüber nachgrübeln, wie es kommt, daß es zwar -keine Bescheidenheit gibt, daß sich aber an Dreistigkeit vorerst noch kein -Mangel fühlbar gemacht hat.« - -»Wann darf ich annehmen, daß Sie die Frage gelöst haben?« erkundigt -sich Georg. - -»Das kommt darauf an, wie hoch Sie meinen Verstand einschätzen,« -antworte ich, und er verbeugt sich tief und sagt galant: - -»Fast so hoch wie Ihre Schönheit.« - - - - -Was man von geschmackvollen Menschen verlangen darf - -[Illustration] - - -Ich komme von Franz Lindners Trauung und steige langsam und nachdenklich -die Treppe der eleganten schwiegerelterlichen Villa hinunter. Neben, vor -und hinter mir drängt sich die Schar der übrigen Gäste, und plötzlich -sagt jemand halblaut in der Nähe meines Ohres: »Eine schöne Leich'.« - -Ich blicke ein wenig empört zur Seite und gerade in Doktor Paulsens -blasses und scharfes Gesicht. - -»Noch nicht auf der Treppe,« wehre ich ab. »Wissen Sie nicht, daß es -guter Ton ist, erst vor dem Haus anzufangen?« - -»Wohin gehen wir?« fragt er unten angelangt und sieht mir durch seinen -Kneifer ernst und erwartungsvoll ins Gesicht. Ich muß lachen. - -»Ich hatte die Absicht, allein zu gehen. Hab' allerlei durchzudenken -und durchzufühlen. Ein Freund, der einem soeben endgültig aus der Hand -geglitten ist, Sie verstehen --« - -Paulsen zuckt die Achseln. »Ich erlaube mir zu bemerken, daß uns die -Dinge meist nur aus der geöffneten Hand gleiten.« - -»Nun ja,« antworte ich, »aber manchmal rät der Verstand, die Hand -rechtzeitig zu öffnen.« - -Paulsen verzieht das Gesicht zu einer wehmütig-spöttischen Grimasse. -»Tja, ja, der Verstand!« bemerkt er tiefsinnig, und ich fahre fort: - -Ȇbrigens können Sie auch mitkommen, denn wenn ich mir's recht -überlege, sind Sie einer der wenigen Menschen, mit denen sich's fast -ebensogut geht wie allein.« - -Er zieht den Hut und streckt mir abschiednehmend die Hand hin: »Nach -diesem Hymnus auf die Einsamkeit --« - -»Ach, keine Fissimatenten,« sage ich und schiebe ihn mit dem Ellenbogen -vorwärts, »kommen Sie mit. Sie wissen ja, es ist ein schönes Ding um die -Einsamkeit, aber man muß einen haben, dem man sagen kann: ›Es ist ein -schönes Ding um die Einsamkeit‹!« - -»Gut und weise!« lobt er und geht langsam neben mir weiter. »Nur -daß Sie mich damit zum Spiegel Ihrer schönen Gefühle erniedrigen! Und -außerdem hätten Sie an Stelle des unpersönlichen Fürworts unbedingt -›die Frau‹ sagen müssen, denn wir Männer ertragen die Einsamkeit auch -ohne Spiegel.« - -»Das ist ein unliebenswürdiger Zug von euch,« behaupte ich, »und -außerdem glaube ich's nicht. Ihr braucht euer Publikum so gut wie wir.« - -»Ja,« antwortet er, »aber nur von Zeit zu Zeit. Verhältnismäßig -selten. -- Eine Frau kann aber nicht leben ohne Spiegel. Sie kann weder -Kunst noch Natur allein genießen, sie braucht immer einen, der ihre -Bewunderung bewundert. Ja, ich behaupte sogar, eine Frau allein in einem -Zimmer, in dem sie weder gehört noch gesehen werden kann, hört auf zu -existieren. Sie erlischt wie eine Kerze im luftleeren Raum.« - -»Hören Sie, Paulsen,« sage ich und bleibe stehen, »wirken Trauungen -immer so beunruhigend auf Sie? Dann hätten Sie mich doch lieber allein -gehen lassen sollen, selbst auf die Gefahr hin, daß ich wie eine Kerze im -luftleeren Raum verlösche.« - -»Man muß sich austoben,« brummt er. - -»Und damit scheint einer der seltenen Momente gekommen zu sein, in denen -selbst der Mann ein Publikum braucht. Was hat Sie übrigens, wenn ich -fragen darf, in diese erfrischende Stimmung versetzt? Vielleicht der -famose Geistliche, gegen den Franz sich noch bis zum letzten freien Atemzug -gewehrt hat und von dem er mir eben noch schnell und mit seiner wütendsten -Grimasse zuflüstern mußte, daß er ein idiotischer Wanderprediger sei! -Wobei mir nur eines unklar geblieben ist: warum gerade Wanderprediger?« - -»Es fiel ihm wohl im Moment nichts Beschimpfenderes ein,« vermutet -Paulsen. »Aber der ist ja nur nebenbei, gewissermaßen als ein Symbol -dieser ganzen irrsinnigen Heiraterei.« - -»Wieso irrsinnig?« frage ich sanft. »Ich habe noch nie eine Heirat -gesehen, die -- wenigstens von einer Seite aus -- von so idealer -Vernünftigkeit getragen war wie diese. Man könnte sagen, Herz und -Verstand halten sich bei Franz die Wage, und sieht fast die zwei -gleichstehenden Schalen vor sich. Von Gertruds Seite muß übrigens -wirklich nur leidenschaftliche Liebe vorliegen, denn soviel ich mir auch -den Kopf zerbreche, sogenannte Verstandesgründe für diese Heirat sind -nicht aufzufinden. - -Aber Paulsen, Sie können sagen, was Sie wollen und lächeln, wie Sie -wollen, für euch Männer gibt es ja allerlei Glücksmöglichkeiten und -allerlei Arten von Vernunftheiraten, aber für uns gibt es nur eine Art von -Glück und nur eine Vernunftheirat, und das ist die Heirat aus Liebe.« - -Paulsen lächelt grimmig: »Es gibt für euch Frauen nur einen absolut -sicheren Weg zum Unglücklichwerden: das ist eine Heirat aus sogenannter -leidenschaftlicher Liebe. Mit einem ungeliebten oder gleichgültigen Mann -kann eine Frau ja ein ähnliches Ziel erreichen, aber der Weg ist nicht -halb so sicher. Da gibt es noch Seitenpfade, in die sie abbiegen kann, -womit ich nicht allein die illegitimen gemeint haben will. Frauenstimmrecht -und Wohlfahrtspflege sind sogar extra dazu angelegte, gesellschaftlich -sanktionierte Nebenstraßen. Für die leidenschaftlich liebende Frau gibt -es aber keine Nebenstraßen, ihr Weg führt direkt und unbedingt in die -Hölle.« - -»Ja, Paulsen, denn eure Unzulänglichkeit schreit zu Himmel und Hölle. -Aber selbst wenn Sie die Liebe als Vernunftgrund verwerfen, so müssen -Sie doch zugeben, daß sie das einzig anständige Motiv zur Eheschließung -ist.« - -Aber Paulsen ist heute durchaus nicht in der Zugebelaune und erklärt -verbissen: - -»Ich will Ihnen etwas sagen, gnädige Frau, es gibt nur eine anständige -Art von Liebe, und das ist die, von der's im Volksliede heißt: ›Kein -Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß‹, nämlich die heimliche, von -der ›niemand nichts weiß‹. -- Und wenn zwei Menschen es über sich -gewinnen, mündlich und schriftlich und mit Blicken und Mienen stolz vor -aller Welt zu verkünden, daß sie einander leidenschaftlich lieben und -deshalb heiraten wollen, so nenne ich das eine unanständige Handlung. Von -geschmackvollen Menschen sollte man verlangen dürfen, daß sie, wenigstens -der Welt gegenüber, die Komödie der Vernunftehe aufrechterhalten.« - -Hier muß ich so herzlich lachen, daß Paulsen mich durch seinen Kneifer -erstaunt betrachtet, denn ihm ist's, wie immer, bitter ernst. - -»Paulsen,« sage ich, »haben Sie wirklich keine Ahnung davon, wie viele -Komödien uns durch diese Komödie erspart blieben? -- Aber bis jetzt haben -Sie nur um die Sache herumgeredet und mir immer noch nicht erzählt, warum -Sie gerade heute Ihre Grantigkeit so wenig bändigen konnten, daß sie -schon auf der Treppe mit Ihnen durchging? Und was sollte das heißen: -›Eine schöne Leich'‹?« - -»Nun, das soll heißen, daß wir heute unseren guten Franz Lindner mit -Harmoniumklängen und Feierreden sanft eingesargt und begraben haben. Nicht -nur für uns, was selbstverständlich und nicht von Bedeutung ist, sondern -auch für die Welt, und -- wie ich fürchte, für ihn selbst.« - -»Für einen Toten fand ich ihn unverhältnismäßig zufrieden und -glücklich aussehend,« bemerke ich etwas trivial, und Paulsen fährt denn -auch auf: »Ein Mann und noch dazu ein Künstler, der mit fünfundzwanzig -Jahren zufrieden und glücklich aussieht, der gehört unbesehen zu den -Toten, denn er ist das jämmerlichste von allen Geschöpfen.« - -»Lieber Freund,« sage ich beschwichtigend, »ich hoffe, daß das nur -einer Ihrer bekannten rethorischen Superlative ist, die wirklich immer -superlativischer und rethorischer werden.« - -Aber Paulsen schüttelt den Kopf. »Alles darf ein Künstler wollen,« sagt -er nachdrücklich, »das Höchste und das Niedrigste, das Edelste und das -Gemeinste, nur das armselige Glücklichsein, das darf er nicht wollen, -das muß er den Philistern und den Weibern überlassen, sonst hat er -ausgespielt -- versungen und vertan.« - -»Ich verstehe das nicht,« antworte ich. »Sollte eines Mannes großes, -vielleicht überschwängliches Glück nicht auch Kunstwerke schaffen -helfen?« - -»Glück!« sagt Paulsen und verzieht das Gesicht, als habe er unversehens -auf ein Pfefferkorn gebissen. »Nehmen Sie bitte das Wort einmal in die -Hand, wie Schnee wird's darin zerfließen.« - -Ich schüttle langsam den Kopf, aber er fährt fort: »Jawohl, ich kenne -allerlei angenehme Dinge, die dem Glück zum Verwechseln ähnlich -sehen. Erstens und vor allem befriedigte Eitelkeit, dann vielleicht noch -Sorglosigkeit und Behagen. Ich kenne auch allerlei Räusche, aber immer, -wenn man Glück dazu sagen will, zerfließen sie wie Schnee zu Wasser und -zu Dreck. -- Nein, das sogenannte überschwängliche Glück hat noch keine -großen Werke geschaffen, und wenn dazu überhaupt ein Empfinden helfen -kann, dann kann es nur ein überschwängliches Leid. Aber im allgemeinen -bin ich der prosaischen Ansicht, daß die großen Werke keine -Stimmungsprodukte sind, sondern Arbeitsprodukte.« - -Wir schweigen einen Augenblick, dann fügt er hinzu: »Und wer arbeiten -will, muß die Arme frei haben und ohne Verantwortung sein oder ohne -Gewissen. Und wenn Kraft dazu gehört, die Einsamkeit zu ertragen, so -gehört Größe dazu, sich als Künstler in der Zweisamkeit zu behaupten, -die man bürgerliche Ehe nennt, und die meist alles andere als nur -Zweisamkeit bedeutet.« - -»Mag sein,« antworte ich nachdenklich. »Aber glauben Sie nicht, daß -die Unzufriedenheit und innere Einsamkeit, die Ihnen zum Künstlertum -unerläßlich scheinen, bei Franz schnell wieder die Oberhand gewinnen -werden, sobald das Neue, das ihn jetzt noch berauscht wie alles Neue, -alltäglich geworden ist?« - -»Vielleicht,« nickt Paulsen. »Nur daß es dann nicht mehr die rechte -Unzufriedenheit ist und nicht mehr die rechte Einsamkeit. Nicht mehr das -Leid, das den Menschen erhebt, indem es ihn zermalmt. -- Es wird die -ganz alltägliche Qual sein, die einen feinnervigen Menschen im Zwang des -immerwährenden Beisammenseins mit einem anderen zerreiben muß. Wie ja -überhaupt die Frage, ob jemand in der Ehe unglücklich wird oder nicht, -immer nur die Frage ist, wieviel er aushalten kann, im letzten Grund also -nichts anderes als eine Nervenfrage.« - -Ich nicke und lächle vor mich hin, denn Paulsens Art, die kompliziertesten -Dinge auf die einfachste Formel zu bringen, amüsiert mich immer von neuem. - -Ȇbrigens,« fährt er fort, »ist diese Frage absolut nebensächlich, -und es ist möglich, daß wir Franzens Anpassungsgabe und Nervenstärke -unterschätzen; vielleicht wird er sich bald wohl fühlen in der -Philisterei, die er dann vornehmes Bürgertum nennen wird oder so ähnlich. -Denn Leute, die ein bißchen journalistisch verseucht sind, finden -bekanntlich immer ein rettendes Wort.« - -Wir sind an der Alster angelangt und gehen eine Weile schweigend -nebeneinander her, bis ich endlich ein wenig kleinlaut frage: »So -wäre also für den Künstler die Frage, glücklich oder unglücklich -verheiratet? immer nur die Frage nach dem kleineren Übel und eine -ungelöste, wie mir scheint.« - -Paulsen nickt zerstreut und deutet nach der sonnenglitzernden Alster und -den Gärten rechts und links, von denen der Duft herüberstreift. - -»Da ist er wieder, der große Betrüger,« sagt er, »dem wir in unserer -Dummheit jedes Jahr von neuem auf den Leim gehen.« - -Ich sehe ihn fragend an, und er fährt grimmig fort: »Oder hat Ihnen der -Frühling vielleicht schon einmal gehalten, was er Ihnen versprochen hat?« - -»Nein, Paulsen,« sage ich, »er hat mir noch nie gehalten, was er mir -versprochen hat. Aber vielleicht nur deshalb nicht, weil ich nie dumm genug -war, ihm ganz zu glauben.« - -»Tja, ja,« nickt Paulsen, und sein Gesicht verzieht sich wieder zu der -wehmütig-spöttischen Grimasse, und nach einer kleinen Pause noch einmal -langsam: »Tja, ja.« - -»Ich weiß, Paulsen,« sage ich seufzend und reiche ihm die Hand zum -Abschied, denn wir sind vor meinem Hause angelangt. »Ich weiß es schon -lange, das Dümmste, was wir haben, ist allemal unser Verstand!« - - - - -Von klugen und törichten Jungfrauen, himmelblauen Kleidern und schlechten -Gewohnheiten - -[Illustration] - - -Dufaure und ich laufen durch den Wald, das heißt wir laufen nicht so, wie -die Kinder laufen, obwohl wir's gerne möchten, aber wir gehen auch nicht -so kur- und promenadenmäßig, wie sich's für verheiratete und ernst zu -nehmende Leute ziemt. Denn wir sind beide ungeduldig. Wir haben schon viel -zu lange bei der Table d'hote stillsitzen müssen, und während die anderen -Gäste in ihren Liegestühlen schmökern und gähnen, kommt über uns -beide manchmal das fast unbezwingliche Verlangen, ziellos in der Welt -herumzulaufen. - -»Fast so, als ob wir vor etwas davonrennen müßten, dem wir doch nicht -entgehen werden,« sagt Dufaure, und ich nicke nur und spreche dann weiter -über das vorher begonnene Thema und höre plötzlich ganz erstaunt mir -selbst zu, als wär's ein fremder Mensch, der da voll Eifer Vorträge über -Kindererziehung und Volksaufklärung hält. - -Und mitten drin fragt Dufaure ruhig und sanft: »Wollen wir nicht lieber -von etwas sprechen, was Sie interessiert?« - -Da lache ich und sage: »Sie sind ein feiner Seelenkenner, Hänschen -Dufaure. Mir ist's wirklich im Moment vollkommen gleichgültig, ob das Volk -aufgeklärt wird oder dumm bleibt.« - -»Mir nicht,« sagt er, »aber ich glaube, selbst wenn Ihnen ernstlich -darum zu tun wäre, kämen wir der Lösung nicht näher, solange Sie -solchen Kuddelmuddel darüber reden wie eben jetzt. Denn -- Verzeihung, das -haben Sie wirklich getan.« - -»Ach Hänschen,« seufze ich, »es ist doch unglaublich gleichgültig, was -man redet. Wenn man nur nicht zu denken braucht.« - -»Merkwürdig,« sagt er kopfschüttelnd, »diese Maßnahme der -meisten, selbst der klügsten weiblichen Wesen, beim Sprechen das Denken -auszuschalten! Übrigens begreife ich nicht, was es für Gedanken sein -können, die Sie so quälen, denn daß Sie sich über die Kinder- und -Volkserziehung keine Sorge machen, ist mir soeben klar geworden, während -Sie so leidenschaftlich darüber sprachen.« - -Und da ich schweige, fährt er fort: »Wenn ich ganz ehrlich sein soll, -glaube ich überhaupt nicht, daß Sie sich über irgend etwas in der Welt -Kummer machen. Mir scheint es so, als ob das Leben vor und hinter Ihnen -läge wie ein schöngepflegter Park, durch den Sie in wundervollen -himmelblauen Gewändern wandeln. Und über Ihnen schwebt so etwas wie ein -Schutzgeist, der paßt auf Ihre himmelblauen Gewänder auf.« - -»Hänschen,« sage ich, »Sie sind wirklich nicht dumm.« - -»Wie hübsch, daß Sie das finden,« antwortet er, »noch hübscher, daß -Sie's so überzeugend sagen, denn ich halte mich manchmal für verzweifelt -dumm. Ja, wenn ich uns zwei so betrachte, scheint mir's immer, als wären -wir die lebendige Illustration zu der Geschichte von der klugen Jungfrau -und dem dummen Hans. -- Sie kennen doch die Geschichte?« - -»Nein,« sage ich, »aber mir scheint, Sie werden sie gleich erzählen, -sie brennt Ihnen schon auf der Zunge.« - -»Nur den Anfang,« sagt er zögernd, »denn die Geschichte hat noch keinen -Schluß.« - -»Sie wird auch keinen bekommen,« sage ich. - -Und dann sehen wir uns einen Augenblick an, und dann frage ich, ob er gute -Nachrichten von zu Hause habe. - -»Ich danke,« sagt er, »die Kinder kommen täglich an die Luft und sehen -gut aus. Und Baby hat jetzt den zweiten Zahn, und die Amme will fortgehen. -Und der Große hat gestern zweimal gehustet, aber der Doktor sagt, es ist -nichts. -- Ich nehme an, daß Sie sich hierfür brennend interessieren.« --- »Nicht so sehr für die Details,« antworte ich, und wir gehen eine -Weile schweigend nebeneinander her, bis er plötzlich fragt: - -»Wird Ihnen das Kleid nicht über, wenn Sie es immerfort tragen?« -- -»Welches Kleid?« frage ich erstaunt. -- »Das himmelblaue,« antwortet -er. - -»Mein Gott, ob es mir über wird!« seufze ich. »Aus dem himmelblauen -Gewand ist ja schon richtig eine Zwangsjacke geworden! Aber was nützt's, -wenn ich auch heraus will, mein Schutzgeist zieht mir's immer wieder über -den Kopf, und so hab' ich mich abgefunden und werde himmelblau ins Grab -steigen, verlassen Sie sich darauf, Hänschen.« - -»Daran glauben Sie also wie an ein unabwendbares Fatum, das Ihr Leben -bestimmt?« - -»Ich glaube, daß unsere Natur das Fatum ist, das unser Leben bestimmt, -- -ein unentrinnbares Fatum.« - -»Wenn man's so hört, möcht's leidlich scheinen,« zitiert er, »aber -wie wird es, wenn unsere Natur in Konflikt gerät mit der Natur und dem -tiefsten Wesen eines anderen, das doch für ihn ebenso lebenbestimmend sein -muß wie unseres für uns? Wenn zum Beispiel ein Mensch, der, sagen wir, -vom Gesetz der Trägheit regiert wird, -- ja, jetzt lachen Sie --,« -unterbricht er sich, »aber seien Sie ehrlich: Heißt das, was wir -Schutzgeist und Natur und Fatum nannten, nicht wirklich so ähnlich wie -Trägheit?« - -»Nennen Sie es so, wenn Sie wollen,« antworte ich, »und wenn Sie noch -einen Namen dafür brauchen. Die meisten Menschen finden sich ja leichter -mit einer Erscheinung ab, sobald sie erst einen Namen dafür gefunden -haben. Und so hoffe ich, daß Sie sich endlich mit meiner Trägheit -abfinden werden.« - -»Hoffen Sie das ernstlich?« fragt er, und wir stehen einen Augenblick -still und sehen einander in die Augen. - -»Ja,« sage ich. - -»Nein,« sagt er, »Sie hoffen es nicht, und Sie glauben es auch nicht. -Denn Sie wissen, ich gehöre nicht zu den Menschen, die sich abfinden und -sich abfinden lassen. --« - -»Ich hoffe es doch,« antworte ich, »denn niemand kann mit dem Kopf durch -die Wand, -- es sei denn, er gehörte zur Kategorie derer, mit denen man -Wände einrennt, und dazu habe ich Sie nie gezählt. -- Aber jetzt sagen -Sie mir bitte, wann wir heute Tennis spielen wollen. Vor sechs Uhr ist es -gewiß zu heiß und um sieben geht es schon wieder zu Tisch.« - -Statt aller Antwort fragt Dufaure: »Haben Sie eigentlich nie geritten?« - -»Nein,« antworte ich, ein bißchen erstaunt, wie immer über seine -sprunghafte Art. »Sie wissen ja, daß ich eine unnatürliche, ich möchte -fast sagen eine traumartige Angst vor Pferden habe.« -- - -»Dann kennen Sie vielleicht auch nicht die eigentümliche Scheu, die -manchmal ganz plötzlich und aus unaufgeklärten Gründen so ein Tier -befällt. -- Stellen Sie sich vor: es geht seelenruhig und brav bis zu -einer bestimmten, ganz harmlosen Stelle. Aber an dieser Stelle macht es -plötzlich kehrt, und keine Mühe, kein Schmeicheln und Drohen kann es -bewegen, weiter als bis zu diesem Punkt zu gehen.« - -»Ich habe schon davon gehört,« antworte ich, »und die Lösung dieses -Rätsels wäre vielleicht ein wertvoller Beitrag zur Erforschung des -pferdlichen Seelenlebens. Mir scheint sie übrigens nicht so schwierig wie -Ihnen. Vielleicht ist der Punkt, vor dem die Scheu besteht, doch nicht ganz -so harmlos wie Sie glauben. Es ist ja nicht gesagt, daß zwei Wesen darin -gleich empfinden müssen.« - -»Und wenn es nun gerade die Gefahr ist, die den Reiter lockt, wenn er nun -gerade den Widerstand überwinden und diese -- meinetwegen nicht harmlose -Stelle erreichen will. Was dann?« - -»Ja, was dann?« sage ich, »Sie sind ja Reiter, lieber Freund, nicht ich. -Wäre ich der Reiter, dann umginge ich vielleicht die gefährliche Stelle --- vielleicht, sage ich.« - -»Das ist kein Heldenstück,« spottet er, »weder das Umgehen noch das -Vielleichtsagen. Und wenn nun das andere ›Vielleicht‹ einträte, und -Sie nicht so besonnen und weise wären, nicht so ganz kluge Jungfrau, was -machten Sie dann?« - -»Dann, ja dann machte ich wahrscheinlich eine große Dummheit, bei der ich -den Kopf riskierte, oder doch wenigstens den Kragen, was auch peinlich sein -kann.« - -»Und das schöne himmelblaue Gewand, -- ja, das wäre bitter.« - -»Nein, Hänschen,« sage ich, »bitte zu bedenken, daß ich als Reiter -kein himmelblaues Kleid trüge und also weit weniger zu riskieren hätte -als die kluge Jungfrau, die außerdem bekanntlich noch eine kleine Öllampe -in der Hand trägt, deren Licht sie treulich hütet. Ich glaube, so etwas -kommt in der Bibel vor, und ich habe diese klugen Öllampenjungfrauen von -jeher verabscheut.« - -»Ja, nicht wahr?« sagt Dufaure ordentlich glücklich, »Sie finden also -auch, daß Lampen, die nicht im richtigen Augenblick verlöschen, so recht -eigentlich ihren Zweck verfehlt haben.« - -»Ich möchte mir hierüber noch kein abschließendes Urteil gestatten,« -antworte ich, »besonders deshalb nicht, weil der rechte Augenblick immer -eine strittige Frage sein wird. Was aber die klugen Jungfrauen im Leben -betrifft, so bin ich unbesorgt, denn ich habe die tröstliche Erfahrung -gemacht, daß es gar keine gibt. Sogar unsere Tischgenossin, die alte und -magenleidende Tante, die es so genau mit ihrer Diät nimmt, und die ich -deshalb für das Ideal einer klugen und enthaltsamen Jungfrau hielt, -hat neulich, als ihr der Lachs gereicht wurde, tief und schmerzlich -aufgeseufzt: ›Einmal im Leben möchte ich mit gutem Gewissen sündigen -dürfen.‹« - -Wir lachen beide, und Dufaure behauptet, daß er das gute Gewissen von -jeher für eine Erfindung der alten und magenleidenden Tanten gehalten -habe. - -»Haben Sie noch nicht bemerkt, daß es immer und ewig recht haben will, -genau so wie die alten Tanten?« fragt er. - -»Es hat auch immer recht,« antworte ich, »denn es spricht nur, wenn es -recht hat, und das unterscheidet es von allen alten Tanten der Welt.« - -Und nach dieser Feststellung setzen wir uns auf einen kleinen Rasenabhang -und rauchen und starren in die Luft. - -Auf einmal fragt Dufaure: »Spricht Ihr Gewissen nicht schon seit drei -Wochen unaufhörlich mit Ihnen?« - -»Nein,« sage ich und starre weiter in die Luft. - -»Dann muß es recht gut erzogen sein,« behauptet er. - -»Finden Sie, daß ich so in Sünden wate?« - -»Nun,« antwortet er, »die äußere Korrektheit bedeutet oft nichts als -die Inkorrektheit des Herzens. Aber vielleicht reagiert Ihr Gewissen nicht -auf Unterlassungssünden.« - -Ich muß unwillkürlich lächeln: »Worunter also in diesem Fall meine -unterlassenen Sünden zu verstehen wären.« - -Und da er mich schweigend und mit einem eigensinnigen Ausdruck ansieht, -kann ich nicht anders, als ein altes Kinderlied zitieren, und ich sage -leise in seine flackernden Augen hinein: »Hänschen, Hänschen, sei -gescheit!« - -»Ja,« antwortet er zwischen den Zähnen und, plötzlich aufspringend: -»Weiß auch nicht, welcher Teufel mich manchmal packt und Ihnen den -Spaziergang durch die himmelblauen Gärten stört.« - -Mir kommt plötzlich eine drollige Kindheitserinnerung, und während wir -weitergehen erzähle ich ihm: - -»Als meine Schwestern und ich noch klein waren, hatten wir mal ein -sonderbares Spielzeug. Daran muß ich jetzt denken, vielleicht weil Sie -gerade vom Teufel sprachen. Es war ein sehr hübscher, harmlos aussehender -Kasten, dessen Schloß schwer zu finden war. Und während man danach -suchte, berührte man jedesmal eine geheime Feder, der Kasten sprang auf, -und ein kleiner Teufel flog heraus. -- Und wir erschraken jedesmal zu Tod, -und einmal habe ich sogar vor Schrecken geweint. Und wir hatten es doch -vorher gewußt, daß der Teufel darin saß und hätten doch die Hände von -dem gefährlichen Spielzeug lassen können.« - -»Ja,« sagt Dufaure, »wir hätten ja die Hände von dem gefährlichen -Spielzeug lassen können. -- Daß es nicht geschah, trotz des besseren -Wissens, bestätigt mal wieder meinen schönen, aber traurigen Satz: -›Klugheit schützt vor Dummheit nicht.‹ Übrigens vermute ich, daß -Ihre Tränen schnell getrocknet waren. Es gibt ja so viele Spielsachen auf -der Welt, und der Teufel sitzt nicht in allen.« - -»Sicher war ich schnell getröstet,« antworte ich, »besonders, weil ich -als Kind oberflächlich genug war, nicht hinter jeder harmlosen Sache eine -tiefe Symbolik zu wittern.« - -»Verzeihen Sie,« sagt Dufaure, »die Symbolik lag hier so nahe. Aber -um Sie zu versöhnen, will ich Ihnen auch etwas aus meinem Kinderleben -erzählen, wenn Sie es hören wollen.« Ich nicke und er erzählt: - -»Ich hatte als Kind neben vielen schlechten Gewohnheiten eine, die -besonders fatal und gefährlich war, nämlich die Gewohnheit, mich immer -selbst zu sehen und zu hören. Ich ging immer gleichsam neben mir her und -beobachtete mich. Anfangs mag es eine gewollte Spielerei gewesen sein, aber -dann wurde es zur Gewohnheit und schließlich zum Zwang. -- Auch daß ich -mich beobachtete, beobachtete ich und so immer weiter, so daß es war, -als stünde ich zwischen zwei Spiegeln, die sich ineinanderspiegeln und in -denen man sich unheimlicherweise in einer endlosen Reihe sitzen, stehen und -bewegen sieht. Sie können sich nicht denken, wie qualvoll das war -- und -noch ist, denn es ist noch nicht vorbei. Noch keine Erregung, noch kein -Erlebnis war stark genug, mich in mir selbst zu verlöschen, mich von mir -selbst zu erlösen.« - -Dufaure schweigt einen Augenblick und setzt dann langsam hinzu: - -»Und ich sehne mich nach dieser Erlösung. Ich möchte mich selbst -verlieren, -- einmal im Leben.« - -Wir stehen auf der kleinen Brücke und sehen hinunter, und unsere Hände -liegen auf dem Gitter nahe beieinander, aber nicht so nahe, daß sie sich -berühren. Und plötzlich sage ich in die Stille hinein, fast ohne es zu -wissen und zu wollen, und meine Stimme klingt wie dünnes Glas, das im -nächsten Augenblick zerbrechen kann: - -»Ich möchte mich selbst finden, -- einmal im Leben.« - -Und dann sprechen wir gar nichts mehr. -- - - - - -Von Märchen und Masken - -[Illustration] - - -Ein unbeschreiblicher Reiz liegt über der Alster, wenn sie an warmen -Sommerabenden mit unzähligen kleinen Fahrzeugen übersät ist, wenn die -Ruder- und Segelboote, Punts und Kanus lustig durcheinanderschießen, und -junge Gestalten in bunten Sportgewändern einander zurufen und nicken und -plaudern und lachen und flirten, als wäre die Welt ein großer Festplatz -und Leben der entzückendste Sport. - -Aber ein anderer, feinerer Reiz liegt über der Alster, wenn man an lieben -Sommermorgenden langsam durch ihre stillen Kanäle fährt. Gärten rechts -und links, Weiden, deren Zweige bis ins Wasser hängen, Schwäne, die -sich langsam dem Boot nähern, und die ein leichter Ruderschlag wieder -vertreibt. Hier und da Kinder in den Gärten und ein kleiner Hund, der ans -Ufer kommt und bellt. Und wir gleiten an all dem vorbei, und es ist wie im -Märchenland. - -»Andersens Märchen,« sage ich, und Erich Halpern sieht nach dem Ufer -hinüber und nickt. Er sitzt an der Spitze des Punts, in weißem Sportanzug -mit bunter Krawatte und braunem Wildledergürtel, frisch, klug und -hamburgisch aussehend. Langsam und wie zum Spiel läßt er das leichte -Ruder durchs Wasser gleiten, während ich mir am Boden des Fahrzeuges -zwischen den unzähligen bunten Kissen und Polstern mein bequemes Lager -hergerichtet habe. -- - -»Hier müßte man Märchen erleben,« sagt er lächelnd. - -»Märchen erlebt man nicht,« antworte ich ein bißchen faul und blicke -den Wölkchen meiner Zigarette nach, »man erzählt sie höchstens seinen -Freunden.« - -»Womit Sie hoffentlich nicht sagen wollen, daß alle Erlebnisse, die man -seinen Freunden erzählt, Märchen sind?« -- »Das will ich doch hoffen,« -entgegne ich, »denn sobald sie aufhören, Märchen zu sein, sind sie schon -Indiskretionen.« - -»Müssen es denn immer Liebesgeschichten sein?« fragt er lachend. - -»Ach bitte ja,« antworte ich, »alle anderen sind doch wirklich gar -zu langweilig. Oder können Sie sich etwas Tödlicheres denken, als wenn -jemand seine Abenteuer auf anderem Gebiet zum besten gibt. Beispielsweise -Reiseerlebnisse: Man kann mir die Besteigung des Montblanc in den -glühendsten Farben schildern, man kann mir die Kämpfe mit Buschmännern -und Moskitofliegen noch so reizvoll ausmalen, es wird mich alles -gleichgültig lassen der Frage gegenüber, ob die unglückliche Liebe, -der man auf seiner Reise um die Welt entfliehen wollte, erkaltet ist oder -nicht. Aber leider ist es die traurige Eigentümlichkeit der unglücklichen -Lieben, daß sie auch in der Entfernung nicht erkalten.« - -»Haben Sie diese betrübliche Erfahrung aktiver- oder passiverweise -gemacht?« fragt Erich, »wenn es nicht indiskret ist, sich danach zu -erkundigen.« - -»Es ist indiskret,« antworte ich, »aber ich will Ihnen trotzdem -antworten, daß ich in unglücklichen Liebesfällen meistens die leidende -Form bevorzugt habe.« - -»Bei der Sie anscheinend nicht allzuviel litten,« meint er trocken. - -»Ach, ein Vergnügen ist auch das Unglücklichgeliebtwerden nicht,« -antworte ich, »und vor allem ist es bedeutend schwerer, jemanden heraus -als hinein zu verlieben.« - -»Vielleicht weil man sich dieser Arbeit nicht mit der gleichen Hingabe -unterzieht,« vermutet er, und ich kann ihm nicht ganz unrecht geben. »Es -ist eine zu langweilige und trübselige Arbeit,« nicke ich. -- - -»Und zudem eine, die mir die moralischen Kräfte einer Frau bedeutend zu -übersteigen scheint,« sagt Erich und beugt sich einen Augenblick nieder, -um unter den Weidenzweigen durchzuschlüpfen, die fast bis ins Wasser -hängen. - -»Ach, man kann es schon, wenn man ernstlich will,« antworte ich -zerstreut, denn es ist zu herrlich in der grüngoldnen Dämmerung, durch -die wir fahren, als daß ich so recht zur Unterhaltung aufgelegt sein -könnte. - -»Ja,« entgegnet Erich, »man kann bekanntlich alles, was man ernstlich -will, es fragt sich immer nur, ob man es ernstlich wollen kann. Und -- -ich muß gestehen -- ich traue einer Frau jede Selbstlosigkeit und -Opferfreudigkeit zu, nur die eine nicht, einen Anbeter wissentlich und -willentlich zu ernüchtern. Es wäre fast übermenschlich.« - -»Wenn er uns ganz gleichgültig ist,« werfe ich dazwischen; aber Erich -antwortet: »Ein Mensch, der uns anbetet, ist uns nie ganz gleichgültig, -und außerdem sind wir so eitel, daß uns sogar an der Schätzung der -Menschen, an denen uns gar nichts liegt, noch viel gelegen ist. Ich weiß -nicht, wer das einmal gesagt hat, aber es wird wohl eine Frau gewesen -sein.« - -Ich nicke. »Die Ebner-Eschenbach, und sie hatte recht. Aber unbesorgt, -die Ernüchterung wird schon selbsttätig eintreten, denn die Eitelkeit -der Männer ist so stark, daß ihre heißeste Liebe der Gleichgültigkeit -gegenüber erlischt. Und wenn es schon schwer ist, den Haß oder die Liebe -zu verkleiden, -- die Gleichgültigkeit zu verbergen, ist uns einfach -unmöglich.« - -»Heil, heil!« ruft Erich vergnügt, »eine der schwierigsten -Menschheitsfragen ist gelöst, und unglücklich liebende Männer laut -Beschluß von heute aufgehoben. O du glückliche Welt, in der sich alles so -spielend löst.« - -Ich liege auf dem Rücken, die Hände unterm Kopf, und schaue in den Himmel -und die ziehenden weißen Wolken hinein. - -»Mir scheint alles so spielend leicht, wenn ich auf dem Wasser bin,« sage -ich, »fast als ob dies Gleiten und Wiegen die Körper- und Seelenschwere -zugleich aufgehoben hätte. Und dann all die Schönheit ringsum. Nein, es -ist mir heute schlechterdings unmöglich, unglücklich liebende Männer -tragisch zu nehmen.« -- Erich lacht. »Wenn ich gewußt hätte, daß der -Wassersport auch seelisch abhärtend wirkt, dann hätte ich Ihnen nicht so -leidenschaftlich zur Anschaffung dieses Punts geraten.« - -»Was verlieren Sie dabei?« frage ich und drehe den Kopf nach ihm -hin, »Sie sind ja Gott sei Dank der einzige meiner Freunde, der nicht -unglücklich liebt, und Sie glauben nicht, wie wohltuend das auf mich -wirkt.« - -»Und auf mich erst!« lacht er. Ȇbrigens verspreche ich Ihnen, falls -mich das Malheur doch mal ereilen sollte, meinen Seelenschmerz männlich -vor Ihnen zu verschließen. Denn erstens sind Sie mitleidslos --« -- »Nur -auf dem Wasser,« werfe ich dazwischen. - -»Nun, Sie werden nicht leugnen, daß Sie auch auf dem festen Land die -Leiden anderer, und wären es die schmerzlichsten, mit bedeutend mehr -Fassung tragen als zum Beispiel --« -- »Als zum Beispiel meine eigenen, -und wären sie auch viel geringfügiger. Aber ich behaupte, damit keine -unrühmliche Ausnahme zu machen, denn -- wenn Sie mir ein unpoetisches Wort -in dieser poetischen Umgebung gestatten wollen, -- der eigne Rock ist uns -allen immer noch bedeutend näher als andrer Leute Hemd. -- Übrigens, -lieber Erich, glauben Sie ja nicht, mir jemals Ihre Seelenstimmung oder -Verstimmung verbergen zu können. Sie sind durchsichtig wie Glas --« - -»Ich werde eine undurchdringliche Maske wählen,« verspricht er. - -»Ungefähr so, wie einer meiner Bekannten, der immer wenn er -Unannehmlichkeiten erlebt hat, fröhlich trällernd zu seiner Frau -ins Zimmer kommt, um sie über seinen Seelenzustand zu täuschen. Sie -erschrickt denn auch jedesmal zu Tod, wenn sie sein Trällern hört.« - -»Wie schade,« sagt Erich, »auf diesen liebenswürdigen Trick werde ich -also schon verzichten müssen. Und ich bin nun wirklich selbst neugierig, -welche Maske ich mir vorbinden muß, um Sie zu täuschen. Was meinen Sie, -wenn ich das Raffinement so weit triebe, mir die Durchsichtigkeit als Maske -zu wählen?« - -»Eine gewisse kühle Durchsichtigkeit, ja. Das wäre ein sehr feiner Zug, -der besondere Schlauheit verrät. Sie müssen nämlich wissen, daß der -wahre Psychologe den Menschen am besten an der Maske erkennt, die er sich -wählt. Und man könnte daher den sehr veralteten Spruch mit Recht dahin -umändern: ›Ich weiß, wer du scheinen willst und sage dir, wer du -bist‹.« - -»Und damit wäre die Maske wieder nur ein Teil von uns selbst, und es -bedürfte einer zweiten und dritten, um die erste zu verbergen. Nein,« -sagt Erich energisch, »da bin ich doch schon aus Klugheits- und -Ventilationsgründen für offenes Visier.« - -»Das nützt auch nichts,« entgegne ich bekümmert, »denn es gibt -Menschenkenner, die so niederträchtig fein sind, daß sie uns selbst ohne -Maske durchschauen.« - -Erich lacht. »Sie rechnen sich dazu?« - -»Ach nein,« sage ich, »ich weiß mich frei von der Schwäche -psychologischer Neugier und danke Gott täglich, daß er den Menschen -die Gabe verliehen hat, ihre wahren Gesichter zu verbergen. Denn Erich, -wirklich, bei Licht besehen, es ist ein Pack.« - -»Und nur wir beide nicht?« fragt er. - -»Ach, wir beide auch,« antworte ich, »aber von den Anwesenden spricht -man nicht gern, und deshalb sagt man auch immer, sie sind ausgeschlossen.« - -Wir fahren eine Weile schweigend weiter, endlich sagt Erich, wie mir -scheint, etwas verdrossen: »Eins begreife ich nicht und ärgere mich -darüber, -- nämlich, was Sie zu dem abfälligen Urteil über Ihre -Mitmenschen berechtigt. Die Erfahrungen, die Sie bisher gemacht haben, -sollten doch gerade danach angetan sein --« - -»Lieber Freund,« unterbreche ich ihn, »was wissen Sie von meinen -Erfahrungen, da Sie nur die Seite von mir und meinem Leben kennen, die -Ihnen zugekehrt ist? -- Aber selbst, wenn Sie recht hätten, wäre es doch -nichts als Bestechlichkeit, wenn ich Welt und Menschen deshalb im rosigen -Schein sehen wollte, weil mir's gut geht, und weil man mich nach mancherlei -Richtung hin verwöhnt hat. Es wäre eine ziemlich oberflächliche -Bestechlichkeit, deren ich mich nicht schuldig machen will; trotzdem -ich mich ganz gewiß nicht für unbestechlich halte. -- Ebensowenig wie -irgendeinen Menschen auf der Welt.« - -Erich schüttelt ungeduldig den Kopf: »Ich weiß, daß es Ihre Gewohnheit -ist, große Worte gelassen auszusprechen, aber ich glaube, dies große -Wort von der Bestechlichkeit aller Erdenkinder werden Sie doch nicht -aufrechterhalten können. Sie werden trotz Ihrer pessimistischen -Weltanschauung zugeben müssen, daß es Menschen unter uns gibt, die -niemand bestechen kann.« - -»Ja,« sage ich, »das gebe ich ohne weiteres zu. Niemand kann sie -bestechen, weil niemand ihnen den Preis bieten kann, für den sie zu haben -wären. Ich spreche natürlich nicht von Geld, denn es gibt ja Leute genug, -die so viel Geld haben, daß sie damit nicht zu ködern sind. -- Aber wir -alle haben Wünsche, die so brennend und tief sind, daß wir für ihre -Erfüllung unsere Ehre und unsere sogenannte Seligkeit über Bord -würfen. -- Da aber ein Mensch dem anderen niemals das geben oder auch nur -versprechen kann, was dieses Opfer lohnt, so bleiben wir unbestochen bis an -unser Lebensende, Gott sei's geklagt. --« - -»Vielleicht Gott sei gelobt,« meint Erich altklug, »denn wir wissen es -ja, daß erfüllte Wünsche meist eine grausame Strafe sind. -- Und doch,« -fährt er nachdenklich fort, »Sie haben recht. Trotzdem wir es wissen, -wir gäben Ehre und Seligkeit und ein paar Jahre unseres Lebens für die -Erfüllung.« - -»Ja,« antworte ich zögernd, »Ehre und Seligkeit gewiß, -- aber ein -paar Jahre meines Lebens? -- Oder,« füge ich plötzlich ganz erleichtert -hinzu, »wenn es vielleicht ein paar aus meiner Vergangenheit sein -dürften?« - -Erich lacht herzlich. »So fassen Frauen das selbstverständlich immer auf, -wenn sie für irgend etwas Jahre ihres Lebens zu opfern bereit sind. -- -Aber sind Sie wirklich so ängstlich besorgt um die zukünftigen?« - -»Ach ja, Erich, denn es ist ohnehin immer schon später als wir glauben.« - -Erich hat das Ruder eingezogen, und wir treiben jetzt in dem kleinen, -fast ganz von Gärten eingeschlossenen See langsam im Kreise. Ich habe die -Zigarette über Bord geworfen und die Hände um die Knie geschlungen. - -»Wissen Sie, Erich,« seufze ich, »es ist sonderbar mit dem Altwerden, es -ist das leichteste und das schwerste Ding zugleich.« Er nickt. -- »Aber -mir ist's doch immer so, als müßte es nicht sein, daß fast alle Menschen -vom dreißigsten Jahr an geistig zu schrumpfen anfangen,« sagt er, »denn -leider tun sie das.« - -»Nun ja,« antworte ich, »man hält zu oft für Temperament oder -Begabung, was nur Jugend ist und schnell verschwindet, sobald der Mann -Amt und Brot, und die Frau einen Mann gefunden hat. Erst wenn ein Mensch -darüber hinaus den Schwung seines Wesens bewahrt hat, kann man sagen, daß -er echt gewesen ist. Wie ja auch die körperliche Anmut einer Frau erst -dann mehr ist als etwas zufällig Angeflogenes, wenn sie die Jugend -überdauert, weil sie sich immer wieder von innen heraus durch seelische -Kräfte erneut.« - -»Ja,« sagt Erich seufzend, »wenn es so eine Art seelische Kosmetik oder -Massage gäbe --« - -»Die gibt es sicher,« tröste ich ihn, »eine sehr gute Seelenmassage -ist zum Beispiel schon die Liebe. Aber um Himmels willen keine glückliche, -denn die bewirkt gerade das Gegenteil --, führt leicht zu Ehe, Schlafrock -und Kinderkriegen, und unmerklich aber sicher ins Himmelreich der -Philister. Aber so eine recht unglückliche Liebe, sehen Sie --« - -Ich breche erschrocken ab, denn Erich lächelt gar zu wehmütig und -schelmisch zugleich. - -»Erich,« sage ich und starre ihn entsetzt an, »um Himmels willen, Sie -auch?« - -Er wendet mir langsam sein liebes und ehrliches Gesicht zu und nickt ... - -»Wie habe ich meine Maske getragen?« fragt er leise. - - - - -»Das ist nun mal mein Fimmel --« - -[Illustration] - - -Die Mittagstafel im Sanatorium für Nervöse und Überarbeitete geht ihrem -Ende zu. Ja, der Doktor ist sogar schon aufgestanden, und während ein Teil -der Gäste noch mit dem Pudding beschäftigt ist, steht er, die Hände -auf die Lehne gestützt, hinter seinem Stuhl im Gespräch mit dem großen -Dichter und der interessanten Frau, die ihm täglich gegenüber sitzen. -Er spricht lebhaft und angeregt, bricht aber plötzlich mittendrin ab, -überfliegt die Tafel mit einem zerstreuten Blick, der scheinbar nichts -aufnimmt und zieht sich zurück, ohne sich von jemandem zu verabschieden. -Gleich darauf erheben sich auch die Gäste, und während man sich dem -Ausgang zudrängt, vermischen sich die zwei sonst streng geschiedenen -Tische, der Tisch der Geistigen und der Tisch der Harmlosen, und das -Stimmengeschwirr geht lauter hin und her. - -»Hie weise Reden, hie Gelalle, -- ich leg' mich in die Liegehalle,« sagt -jemand neben mir, und da ich den Schüttelreimfimmel des sehr gesprächigen -kleinen Assessors schon seit Wochen kenne, sage ich nur gewohnheitsmäßig: -»Schauderhaft!« und füge gleich hinzu: »Ich komme aber mit hinauf, muß -jetzt auch liegehallen.« - -Bald darauf haben wir's uns mit Hilfe von Kissen und Decken in unseren -Liegestühlen bequem gemacht, und Fritz Burmeister sagt: »Na, bei Ihnen da -drüben am Tisch der Berufenen und Auserwählten ging's ja heute wieder mal -verflucht kriegerisch zu. Mir dröhnen noch die Ohren. Um welche heiligsten -Güter wogte denn der Kampf so geräuschvoll hin und her?« - -»Sie hatten heute Dostojewsky vor,« berichte ich seufzend und streife -die Asche von meiner Zigarette. »Die Brüder Karamasow waren dran, und -sie stritten darüber, ob das Buch mehr typisch russisch oder mehr -typisch menschlich sei. Und dabei kamen sie auf das typisch Menschliche -im allgemeinen zu sprechen, und der große und der kleine Dichter gerieten -einander in die Haare, und da ich gerade zwischen den beiden sitze, geriet -ich in die Gefahr, im Interesse der typischen Menschlichkeit zerquetscht -oder erschlagen zu werden.« - -»Traurig, traurig,« sagt der kleine Assessor, »aber warum krakehlen -Sie nicht mit? Das ist gewöhnlich die einzige Rettung. Ich könnte es ja -natürlich nicht, denn ich lese keine russischen Romane. Nicht etwa aus -irgendeinem patriotischen oder moralischen Prinzip heraus, nein einfach -nur, weil ich die Namen darin nicht behalten kann. Wenn nämlich der eine -Fedor Alexandrowitsch heißt und ein anständiger Mann ist, dann heißt der -andere unfehlbar Alexander Fedorowitsch und ist ein Schurke, und ich bin -mir am Schluß des Buches immer noch unklar darüber, wer der eine und wer -der andere war. Aber Sie mit Ihrem glänzenden Namengedächtnis --« - -»Ach, darauf kommt es nicht an,« sage ich, »und Sie hätten ruhig -mitreden können. Man kann nämlich das Blödsinnigste sagen, ohne daß -einer es merkt. Heute tat ich nur deshalb nicht mit, weil ich essen -wollte.« - -»Was sicher das typisch Menschlichste an der Sache war,« entscheidet -er und fährt fort: »Ich begreife überhaupt nicht, wie man die -Geschmacklosigkeit haben kann, bei Tisch Welträtsel zu lösen!« - -»Ach, wenn die Beefsteaks so hart sind wie gestern abend, dann löse -ich gern mit,« erkläre ich ihm. »Es war einfach unerhört, die reinen -Schuhsohlen! Der große Dichter war auch empört und mußte kohlensaures -Natron hinterher nehmen.« - -Burmeister schweigt einen Augenblick, und ich sehe ihn erstaunt ob der -ungewohnten Pause an. Da hebt er aber auch schon den Zeigefinger und -deklamiert pathetisch: - -»Er sprach, ich bin kein Sohlenkauer, drauf nahm er Natron kohlensauer.« --- »Schauderhaft,« sage ich, und er antwortet mit dem treuherzigen -Sanatoriumspruch, der hier all unsere Sünden decken muß: - -»Das ist nun mal mein Fimmel, deshalb bin ich hier! -- - -Übrigens,« fährt er fort, »zeigt es sich nach Ihrer Aussage wieder -einmal deutlich, daß die Lösung des Welträtsels nur eine Magenfrage -ist, und wer weiß, wie nahe wir morgen mit Hilfe des Beefsteaks -der endgültigen Entscheidung kommen. -- Wie verhält sich aber Ihre -Tischgesellschaft zu dem schwierigen Problem der gleichzeitigen geistigen -und leiblichen Ernährung?« - -»Sie löst es spielend,« antworte ich. »Der große Dichter spricht immer -kauend, wodurch der Sinn seiner Reden nicht klarer wird, der kleine ist -für sehr reichliche Nahrungsaufnahme, aber er beeilt sich kolossal, -schiebt mir oder seiner Nachbarin zur Linken schnell seine abgegessenen -Teller hin und stürzt sich kopfüber ins Gespräch. Der Doktor ißt ja -überhaupt fast nichts aus lauter Zerstreutheit und ist zufrieden und -glücklich, wenn er, wie jener sagenhafte Heinrich, jeden Mittag wenigstens -einen Dichter im Topf hat.« - -»Erlauben Sie,« wendet Burmeister höflich ein, »es war ein Huhn, das -jener sagenhafte und ziemlich weltfremde Heinrich jeden Sonntag im Topf -seiner Untertanen zu sehen wünschte; und ich hege einen zu großen Respekt -vor allem, was sich dichtend betätigt, um diese Verwechslung gutheißen zu -können. -- Ich als simpler Bürger --« - -»Ich bitte Sie, ein preußischer Regierungsassessor,« erinnere ich ihn, -aber er wehrt nervös ab: »Ach bitte, bitte! Ich bin, wie Sie wissen, ohne -jeden Standeshochmut. Und überhaupt, preußischer Assessor, das höre ich -gern! Welche gräßlichen Vorstellungen knüpfen sich an dieses Wort! Ein -unsympathischer und streberhafter Geselle ohne Gemüt und Idealismus, so -leben wir in jedem deutschen Roman, so laufen wir durch jedes deutsche -Drama. - -Immer müssen wir die undankbaren Episodenrollen spielen, sind sozusagen -die Schlagschatten, durch die die Lichtgestalt des Helden um so leuchtender -erscheint. Und ich weiß nicht einmal, warum die Volksseele auf diese -frevelhafte Weise vergiftet wird. -- Wir sind eben die Stiefkinder der -Literatur,« setzt er in so tragischem Ton hinzu, daß ich gerührt -werde und ihm verspreche, demnächst ein Drama zu schreiben, das -eine Ehrenrettung sämtlicher Assessoren der Welt mit besonderer -Berücksichtigung Preußens werden solle. - -»Ich danke Ihnen,« antwortet er und verbeugt sich, soweit der Liegestuhl -es zuläßt. »Es wird eine befreiende Tat sein. -- Apropos befreiende -Tat,« fährt er lebhaft fort, »hat sich denn immer noch niemand im -Sanatorium dazu bereit finden können, die interessante Frau, die an Ihrer -Tischecke da oben sitzt und in eminenter Geistigkeit macht, geräuschlos -aus der Welt zu schaffen?« - -»Ach nein,« antworte ich, »Sie vergessen, daß wir leider alle noch -nicht in dem vorgeschrittenen Stadium sind, in dem der Staatsanwalt und die -Geschworenen auf Freisprechung erkennen müssen.« - -»Traurig, traurig!« sagt er und überlegt. »Was ist denn alles hier an -schönen Sachen? Vollkommene Geistesgestörtheit? Nein. Totaler Stumpfsinn? -Schon eher, aber das gibt höchstens lumpige mildernde Umstände. -Vielleicht ginge es mit sinnlosen Wutanfällen. Und ich bin sicher, vor -jedem Gerichtshof der Welt Verständnis zu finden, wenn ich behaupte, daß -diese Trägerin eminenter Geistigkeit und noch eminenterer Dummheit -mich täglich in sinnlose Wut versetzt, wenn sie ihre unkontrollierbaren -indischen und chinesischen Weisen in den Himmel hebt und mit verächtlich -herabgezogenen Mundwinkeln von dem langweiligen Moralphilister Kant, dem -verwirrten Schwätzer Nietzsche und dem salbadernden Geheimrat Goethe -spricht. Kein Gerichtshof der Welt --« - -»Tun Sie's trotzdem nicht,« unterbreche ich ihn. »Ihr Klaps ist leider -noch nicht vorgeschritten genug, um vor den Sachverständigen zu bestehen. -Und schließlich, was tut sie Schlimmes? Wenn sie nicht gerade ihre -Verachtung für alles Europäische kundgibt, oder mit dem kleinen Dichter -über Fragen des Unterbewußtseins diskutiert, ist sie harmlos. Sie spielt -die Kosmopolitin, seitdem sie mit ihrem Mann ein paar Wochen in China war -oder in Australien, was ja schließlich dasselbe ist. --« - -»Erlauben Sie mal!« fährt er entsetzt in seinem Stuhl hoch. »Ich -meine ja nur, was den Effekt betrifft,« beruhige ich ihn. -- »Und das -Unterbewußte, das ist nun einmal des kleinen Dichters Steckenpferd.« - -»Ich weiß,« sagt Burmeister bekümmert, »Ihr Tischgenosse Janssen -hat mir erzählt, daß er ihn schon zweimal mit der Frage nach seinem -unterbewußten Empfinden in die tödlichste Verlegenheit versetzt hat. -Janssen fand das gemein und anstößig, noch dazu in Gegenwart von -Damen und nennt den kleinen Dichter seitdem nur noch ›Mayer mit dem -Unterbewußten‹.« - -Hier muß ich so laut herauslachen, daß eine der Hausdamen den Kopf zur -Tür hereinsteckt und daran erinnert, daß Ruhezeit ist, und daß man uns -im ganzen Haus hören könne. - -»Das spricht für die Harmlosigkeit unserer Unterhaltung,« versichert -Burmeister treuherzig, schiebt aber mit Rücksicht auf das ganze -Haus unsere Stühle so dicht wie möglich zusammen und fragt mich im -Flüsterton, ob ich Janssens Auffassung nicht sehr berechtigt fände. - -»Mir scheint,« sage ich, »der Gute sucht sich an der ganzen Literatur -dafür zu rächen, daß die Worte ›Meine Ruh' ist hin, mein Herz ist -schwer‹ nicht in der Jungfrau von Orleans vorkommen, wie er neulich -behauptet und beinahe beschworen hat.« - -»Sie könnten auch ganz gut da vorkommen,« verteidigt der Assessor seinen -Freund. »Und überhaupt, Schiller oder Goethe, so feine Nuancen braucht -man wirklich nicht zu kennen. Mich quält aber schon seit Wochen eine -andere Frage und zwar, welchen Befähigungsnachweis Janssen erbracht hat, -um an Ihrem Tisch aufgenommen zu werden.« - -»Es war wohl hohe Protektion dabei im Spiel, wie bei mir auch,« antworte -ich. »Der Doktor glaubte, mir damit gutzutun, und dabei blicke ich doch -immer voll Sehnsucht zu Ihnen hinüber --« - -Burmeister verneigt sich. »Ich meine natürlich zu Ihrem Tisch, dem Tisch -der Harmlosen, dem Tisch der holden Gewöhnlichkeit, wie Thomas Mann alias -Tonio Kröger sagen würde. Es ist oft so abspannend bei uns.« - -»Ach, glauben Sie ja nicht, daß es bei uns leichter ist,« warnt er -eifrig. »Es ist ein aufreibendes Stück Arbeit, bis zum Beispiel jeder -Kurgast jeden Kurgast davon überzeugt hat, was für eine vornehme -Persönlichkeit er in Berlin oder Stettin oder Frankfurt ist, und ich weiß -nicht, ob die Sache dadurch einfacher oder komplizierter wird, daß jeder -nur zuhört, solange er selber redet und voll Sehnsucht diesem Moment -entgegenlebt, solange ein anderer das Wort hat.« - -»Ich finde, Sie sind ein bißchen überheblich, Burmeister,« sage ich. -»Sie müssen doch immer bedenken, daß wir uns in einem Sanatorium für -Nervöse und Überarbeitete aufhalten.« - -»Ja richtig,« antwortet er, »und dabei fällt mir ein, daß ich Sie -schon lange etwas fragen wollte, und zwar etwas sehr Plumpes und Taktloses, -wie ich vorausschicken muß. Ich fühle mich dabei lebhaft in die Zeit -meiner ersten Kinderkostümfeste versetzt, bei denen ich es, trotz -mütterlicher Ermahnungen, nie unterlassen konnte, an alle mich umgebenden -Masken mit der taktlosen Frage heranzutreten: ›Als was bist du eigentlich -hier?‹ Was die verschiedenen Spanier, Rotkäppchen und Schornsteinfeger -jedesmal in peinliche Verwirrung versetzte. Also, gnädige Frau, nehmen -Sie's nicht übel, Sie sind so staunenswert unnervös, eine Wortbildung, -die es eigentlich nicht gibt, und für die demnach kein starkes Bedürfnis -vorzuliegen scheint, und vor dem Gedanken, daß Sie sich jemals im Leben -überarbeitet haben, schreckt die kühnste Phantasie zurück. Also, ich -kann nicht anders: Als was sind Sie eigentlich hier?« - -»Lieber Herr Burmeister,« sage ich, »ich wußte natürlich, daß diese -Frage kommen würde, und habe mir während Ihrer schönen Einleitung -überlegt, ob ich sie beantworten darf. Es ist nämlich ein Geheimnis dabei -im Spiel.« - -»Oh, ein Geheimnis?« fragt er eifrig. »Rätsel zu lösen, war von jeher -meine Spezialität. Hat man etwa die Absicht, Sie langsam durch kohlensaure -Bäder, Hypnose und schwedische Heilgymnastik aus der Welt zu schaffen, um -einer ungeheuren Erbschaft oder gemeingefährlicher Dokumente willen? -Oder sind Sie vielleicht als Polizeispitzel tätig und beauftragt, einer -Eheirrung aus allerhöchsten Kreisen auf die Spur zu kommen? Oder in -diplomatischer Mission, um etwas über die Stärke unserer Militärmacht -oder über den Stand unserer auswärtigen Beziehungen auszukundschaften? -Oder hat man --« - -»Um Gottes willen Schluß!« rufe ich, »ich hänge den Hörer an. Und ich -will's Ihnen lieber anvertrauen, ehe Sie sich ganz und gar ins Reich der -unbegrenzten Möglichkeiten verlieren: Ich bin wirklich partiell gesund, -ich bin nur hier, um Studien zu machen --« - -»Ah,« macht er verständnisvoll, »für das Drama, das eine Ehrenrettung -der preußischen Justizbeamten werden soll. Ich muß gestehen, Sie hätten -sich für Ihre Studien keinen besseren Platz wählen können. Und jetzt -begreife ich auch, warum Ihr alter Freund, der Doktor, Sie mitten zwischen -die Dichter und Denker gesetzt hat. Er nimmt an, daß die Dichtkunst eine -Art ansteckender Krankheit sei, vielmehr ein Bazillus, der bei häufiger -Berührung der Ellenbogen, oder so, von einem zum anderen überspringt und -eine verheerende Wirkung ausübt. Traurig, traurig! Mich tröstet nur -die Gewißheit, daß es Menschen gibt, die gegen die entsetzlichsten -Krankheiten immun sind, und -- ohne Ihnen schmeicheln zu wollen -- ich -halte Sie für immun gegen alles, was mit Dichtkunst zusammenhängt.« - -»Traurig, traurig!« sage ich. »So könnte ich also mit Domingo aus dem -Don Carlos, oder wenn Sie lieber wollen aus der Iphigenie sprechen: ›Wir -sind vergebens hier gewesen‹.« - -Burmeister nickt: »Vergebens vielleicht, -- umsonst sicherlich nicht.« - -Und ich kann nicht umhin, diesen mehr humor- als trostvollen Ausspruch -seufzend zu bestätigen. -- - -Aber dann deute ich nach den Bergen drüben und dem sonntagstillen Tal -unten und sage: »Doch nicht vergebens, und wenn es nichts weiter war als -das.« - -»Das ist so weit,« murrt Burmeister, »und dann immer nur ansehen!« -- -»Ja,« gebe ich zu, »man fühlt sich übergroßer Schönheit gegenüber -immer so hilflos und hat das Gefühl, daß es nur zwei Arten von Erlösung -gibt: man müßte sich in das Schöne hineinstürzen oder es auffressen -können.« - -Burmeister hat den Arm auf die Lehne meines Sessels gestützt und blickt -mir von unten her ernsthaft in die Augen. - -»Sie haben recht,« antwortet er, »und ich empfinde es mit aller -Entschiedenheit, deren ich fähig bin: Der Kuß wäre augenblicklich die -einzige Lösung.« - -Ich muß lachen: »Ich glaube, in der Juristensprache nennt man so etwas -eine Unterschiebung; aber ich zweifle nicht daran, daß Sie hier im -Sanatorium allerlei Verständnis für Ihre Auffassung finden.« - -»Die Sie nicht teilen?« - -»Die ich teile, -- unter Vorbehalt natürlich.« - -»Unter welchem Vorbehalt?« - -»Nun, erstens natürlich unter dem Vorbehalt der Legitimität.« - -»Legitime Küsse!« Er schüttelt sich. »Aber zweitens?« drängt er. -»Auf erstens muß doch immer ein zweites folgen.« - -»Zweitens,« antworte ich und lehne mich soweit in meinem Liegestuhl -zurück wie es irgend möglich ist, »zweitens will ich Ihnen mal was -sagen, Burmeister: Sie sind neugierig. Ich habe Ihnen heute schon ein -Geheimnis anvertraut und diese Erinnerung macht Sie kühn, um wieder mal -aus dem Don Carlos zu zitieren.« - -»Du lieber Gott, kühn!« seufzt Burmeister. »Wenn Sie wüßten, wie -wenig kühn ich in diesem Augenblick bin!« - -»Na also, dann ist's ja gut,« sage ich, »dann setzen Sie sich wieder -bequem zurück, wie sich's gehört und bedenken Sie, daß nach Tisch von -Gottes und Doktors wegen Ruhezeit ist. Und dann will ich Ihnen das zweite -Geheimnis anvertrauen.« - -»Das Geheimnis Ihrer Unnahbarkeit?« fragt er. - -»Ja,« antworte ich, »und nun hören Sie gut zu: Die Unnahbarkeit ist -nämlich mein Fimmel --« - -»Und deshalb sind Sie hier!« stößt er mit einem so herzlichen und -lauten Jubelton heraus, daß ich ihm unbedingt den Mund zuhalten muß. - - - - -Und da ging Karl Gerhard zur Bar -- - -[Illustration] - - -»Herein,« sage ich ein wenig erstaunt und sehe nicht gerade angenehm -überrascht vom Buch auf, denn meine Kaffee- und Besuchsstunde ist längst -vorbei, und in diesem, vielleicht einzigen Punkt bin ich ein bißchen -Pedant. - -Und es schießt mir durch den Kopf, ob Karl Gerhard wirklich nur darum so -unsicher und zerknirscht aussieht, wie er da in der Türe steht, oder -ob noch etwas anderes --? Ich habe allerlei Fatales gehört in letzter -Zeit -- -- - -»Kommen Sie nur näher, wenn Sie schon mal da sind,« sage ich, -»und drehen Sie das Licht an, zum Lesen ist's schon ein bissel dunkel -geworden.« - -»Das finde ich nicht,« antwortet er, an der Tür stehenbleibend, »ich -lese sogar schon von hier aus in Ihrem Gesicht mit den hochgezogenen -Augenbrauen mein -- nun, sagen wir wenigstens -- mein gesellschaftliches -Todesurteil.« - -Ich schüttle den Kopf. »Ich habe keinerlei Urteile, am wenigsten -Todesurteile auszusprechen.« - -Er kommt langsam näher, bleibt aber beim Flügel stehen und sagt, die Arme -auf das Instrument gestützt: - -»Es sind nicht nur die ausgesprochenen Todesurteile, die töten. Und ich -habe in den letzten Tagen manchmal denken müssen, daß die Menschen auch -nicht immer an ihren eigenen Gebrechen sterben. Es ist schon mancher an der -Herzensträgheit eines anderen zugrunde gegangen.« - -»Gerhard!« sage ich. - -»Es ist nur eine theoretische Abhandlung, gnädige Frau,« antwortet er, -»und ich will Sie nicht mit Details quälen. -- Darf ich ein paar Minuten -bleiben?« - -Ich nicke. »Aber setzen Sie sich und nehmen Sie sich etwas zu tun, denn -ich möchte dies Kapitel gern noch zu Ende lesen.« - -»Darf ich mich so lange am Klavier nützlich machen, bis Sie erfahren -haben, ob der Graf sein schändliches Ziel erreichen und die Unschuld zu -Fall bringen wird?« Und er sitzt schon am Flügel und spielt aus Mahlers -Achter »Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis«. - -Ich klappe seufzend das Buch zu. - -»Ich weiß zwar noch nicht, ob der Graf sein schändliches Ziel erreichen -wird,« sage ich, »aber daß Sie's erreicht haben, ist sicher. Also lassen -Sie Mahler und das Vergängliche und erzählen Sie mir, was Sie heut so -spät noch hertreibt.« - -»Ich hoffe, Sie haben ein Zeichen ins Buch gelegt oder sich wenigstens -die Seitenzahl gemerkt,« sagt er bedächtig. »Oder vielmehr, ich hoffe -es nicht, denn es stände im Widerspruch mit meiner Anschauung von der -weiblichen Psyche. Ehe eine Frau nämlich ein Zeichen ins Buch legt oder -im Register nachsucht, blättert sie lieber eine halbe Stunde lang seufzend -hin und her.« - -»Es wird auch Frauen geben, die es anders machen,« antworte ich, »wenn -ich auch leider von mir zugeben muß --« - -»Sehen Sie,« triumphiert er mit aufgehobenem Zeigefinger, »das Zeichen -ins Buch legen ist eben ein männlicher Zug, und wenn es Frauen gibt, die -es dennoch tun, so beweist das nur, daß sie männliche Züge aufweisen und -sich vom Zwang des Geschlechts befreit haben.« - -»O Gott,« stöhne ich, »lassen Sie Weininger ruhen, wenn Sie auf meine -Freundschaft auch nur den geringsten Wert legen.« - -»Gut,« lacht Karl Gerhard, »legen wir also Weininger zu Mahler, da es -Ihnen heute so beliebt, und da die Wahl zwischen einem toten Philosophen -und einer lebendigen Freundin keine nennenswerten Kämpfe in mir weckt. --- Was haben Sie aber ernstlich gegen den guten Weininger einzuwenden? Der -Umstand, daß man ihm mit der Bezeichnung eines modernen Frauenlob -bitter unrecht täte, dürfte doch bei Ihnen nicht schwer wiegen, da Sie -eingestandenermaßen Ihr eigenes Geschlecht nur bis zum Backfischalter -erträglich finden?« - -»Vielleicht ist der weibliche Korpsgeist doch stärker in mir als man -denken sollte,« antworte ich, »vielleicht ist's aber auch nur die -Weiningersche Beweisführung, die Sie soeben auch anwandten; die erscheint -mir oft so billig, daß sie eines klugen Mannes, also auch Ihrer, nicht -würdig ist.« - -Er verbeugt sich: »Dank für die gute Meinung. -- Ich tue leider in -letzter Zeit so vielerlei, was eines klugen Mannes nicht würdig ist, daß -der harmlose Weiningersche Trick mit unterlaufen mag.« - -»Ja, ich habe so etwas gehört,« sage ich und schiebe ihm die Zigaretten -hin, da die Zöpfchen, die er aus den Fransen meiner Tischdecke flicht, -schon anfangen mich zu irritieren. Und nach einer kurzen Pause setze ich -langsam hinzu: »Gerhard, warum machen Sie auch so dumme Geschichten?« - -Er bläst ein paar Ringe in die Luft, blickt ihnen nach und fragt: - -»Sie wissen es nicht, gnädige Frau?« - -Und dann plötzlich den Kopf zu mir wendend: »Sie haben keine Ahnung, -warum ich neulich abend von Wartenbergs fortlief wie -- na, sagen wir wie -ein wildgewordener Esel, wenn es so was gibt, -- und geradeswegs in die -Bar, wo ich mit einem anderen Esel in einen etwas deutlichen Wortwechsel -geriet.« - -»Sie sollen ihn so verprügelt haben, daß der Wirt Sie hinauswerfen -ließ.« -- »O nein,« widerspricht Gerhard und drückt bedächtig seine -Zigarette aus, »ich ging ganz von selbst, nachdem ich mir ein bißchen -Luft gemacht hatte. Und ich ging stolz.« -- »Gestützt auf Emmi,« -unterbreche ich ihn. - -»Hieß sie Emmi?« fragt er, »ja richtig, gestützt auf Emmi, denn -ein Stuhlbein hatte ich doch bei der Diskussion abgekriegt. Sie sind -gut unterrichtet, gnädige Frau.« -- »Nicht besser als alle Welt,« -versichere ich ihn. - -»Und Sie wissen auch nicht besser als alle Welt, was die Veranlassung zu -all meinen Dummheiten ist?« fragt er vorgebeugt und nach seiner Gewohnheit -die Hände ums Knie geschlungen. - -»Vielleicht doch,« antworte ich, »soweit Sinnlosigkeit eine Veranlassung -haben kann. -- Aber ich habe schon zu viele Kinder gesehen, die wild um -sich schlugen und sich selbst Beulen in den Kopf rannten, weil man ihnen -einen Wunsch versagen mußte oder ihnen ein gefährliches Spielzeug aus der -Hand nahm, als daß mich Ihre Erlebnisse in der Bar und anderswo gewundert -hätten. Ich ahnte fast so etwas, als Sie so plötzlich bei Wartenbergs -verschwanden.« - -»Sie sind ja auch so klug,« lächelt er mit ironisch verzogenen -Mundwinkeln. »Aber ob es so klug war, mir mein Spielzeug aus der Hand zu -nehmen, -- ich weiß doch nicht. Denn darin haben Sie recht, wir sind alle -nur einfältige Kinder, die immer etwas zum Spielen haben müssen, damit -wir nicht schreien. Fällt uns ein Spielzeug aus der Hand, schnell ein -neues hineingesteckt, damit wir nicht schreien. Niemand von uns kann ohne -ein Spielzeug leben.« - -»Und da ging Karl Gerhard zur Bar und kaufte sich ein neues.« - -»Mein Gott,« antwortet er, »man nimmt, was man gerade findet. -Wählerisch ist man in solchen Momenten nicht.« - -»Nun, Gott sei Dank,« sage ich, »ich sehe, daß es Äquivalente für -alles gibt.« -- »Es gibt keine Äquivalente auf der Welt,« bemerkt -Gerhard, »es gibt höchstens Surrogate.« - -»Mag sein,« gebe ich zu, »aber Surrogate tun ja auch ihre -Schuldigkeit.« -- »Nein,« ruft er plötzlich heftig, steht auf und -läuft quer durchs Zimmer. - -»Nein?« frage ich ganz naiv erstaunt und sehe ihm nach. - -»Nein,« wiederholt er, »und ich will nicht, daß wir uns in diese -Bitterkeit hineinreden, aus der wir nachher nicht wieder herauskönnen. Sie -wissen so gut wie ich, daß ich kein Äquivalent und kein Surrogat gesucht -habe, daß ich einfach --« -- »Ja, ich weiß,« sage ich und wundere -mich, wie weich meine Stimme klingt. - -Er bleibt plötzlich stehen, kommt dann näher an den Tisch und fragt: - -»Darf ich noch einen Augenblick bleiben?« -- »Ja,« sage ich, und er -setzt sich und starrt vor sich hin. - -»Und ich hatte mir geschworen, nie mehr hierherzukommen!« - -»Du lieber Himmel!« sage ich, »wenn es einen Gerichtshof für all die -Meineide gäbe, die wir uns selber schwören! -- Aber vielleicht wäre es -doch besser gewesen, Sie hätten diesmal Ihren Schwur gehalten, wenigstens -ein paar Wochen lang --« - -Er sieht mich an und schüttelt langsam den Kopf. - -»Denn sehen Sie,« fahre ich fort, »es gibt außer diesem Zimmer noch so -viel Schönes auf der Welt, das zu sehen und zu genießen lohnt.« - -»Ach, ich verstehe,« sagt er, »eine kleine Reise oder so etwas, was -bessere Leute in meinem Fall immer zu unternehmen pflegen. Wenigstens steht -es so in allen schlechten Romanen der Weltliteratur, daß der unglückliche -Held eine Reise um die Welt unternimmt und gereinigt und herrlicher denn -je an die Stätte seiner früheren Leiden zurückkehrt. Manchmal bringt er -sich ein Mädchen von den Fidschiinseln mit, das an Holdheit alles Lebende -überstrahlt und die schnöde, heimische Kokette bis auf die Knochen -blamiert. -- Es kann auch eine Geisha sein, aber das ist veraltet und -sentimental, und die Fidschiinseln und Neuseeland sind sozusagen noch -unberührter Boden. Vielleicht gestatten Sie, daß ich Ihnen von da aus -eine Ansichtskarte --« - -»Gerhard,« sage ich, »wer bringt jetzt den bitteren Ton hinein?« Und -nach einer kleinen Pause: »Ich finde übrigens auch, daß eine Reise als -seelisches Heilmittel veraltet und literarisch ist. Man denkt an Goethe und -Italien, und die ganze Literaturstunde steht vor einem auf. Und ich glaube -auch, es ist gleichgültig, ob man da oder dort ist, solange man sich -selber überall mit hinschleppt.« -- »Jawohl,« sagt Gerhard, »einmal -aus der Haut fahren, das wäre noch das einzige.« - -»Nein, über sich selbst hinauswachsen, oder vielmehr bis zu sich selbst -hinwachsen, -- denn Sie wissen es ja, unser wahres Selbst liegt nicht tief -verborgen in uns, sondern hoch über uns --« - -Gerhard nickt langsam: »Nietzsche, und ein großes Wort. -- Aber, Gott -sei's geklagt, sie helfen uns nicht, die großen Worte.« - -»Nun, dann ein kleines, wenn Sie die großen nicht lieben. Wir müssen -versuchen, das In-uns zu ändern, wenn wir das Außer-uns nicht ändern -können. Wir müssen versuchen, uns anders einzustellen und an den kleinen -Dingen des Lebens Freude zu gewinnen. Glauben Sie mir, wir leben alle -von der Hand in den Mund und müssen uns aus lauter kleinen Stücken -und Stückchen etwas zurechtschneidern, was vor der schlimmsten Kälte -schützt.« - -Karl Gerhard lehnt sich im Sessel zurück, stützt die Fingerspitzen -gegeneinander und sagt bedächtig: »Gestatten Sie mir, zu bemerken, was -schon der alte Fritz Reuter richtig herausgefunden hat, daß nämlich die -Armut allemal von der Pauvreté herrührt. Wenn ich die kleinen Freuden des -Lebens genießen könnte, dann wäre ich gesund und brauchte Ihnen nicht -mit Jammertönen lästig zu fallen. -- Aber das ist's ja,« fährt er -heftig fort, »von jeher haben die satten Leute den armen hungrigen Teufeln -gesagt: ›Was klagt ihr über Hunger! Seht doch um euch und genießt die -herrliche Natur und die Schönheiten des Lebens und der Kunst!‹ -- Und -von jeher haben die armen Teufel dagegen geschrien: ›Macht uns erst -satt!‹ -- Denn wer kann Michelangelo genießen und Schuberts Unvollendete -und den Lago Maggiore, solange ihm der Hunger die Eingeweide zerreibt!« - -Und er legt den Kopf im Sessel hintenüber und schließt die Augen. - -Ich sehe ihn eine Weile schweigend an und sage dann: »Immer muß ich doch -denken, wieviel Glückliche man machen könnte mit dem Glück, das in -der Welt ungenutzt verlorengeht. Da sitzen Sie nun, jung und gesund und -unabhängig und begabt wie wenige --« - -»Wie hübsch,« unterbricht mich Gerhard lächelnd, »daß sich auch -bei Ihnen einmal weiblich ökonomische Instinkte melden! Nichts umkommen -lassen, ist ja die erste Hausfrauenregel, mögen es nun Brotkrumen sein -oder Glücksmöglichkeiten, die unter den Tisch gefallen sind.« -- »Sie -sollen nicht unter den Tisch fallen,« sage ich heftig. »Wo ist Ihr -Ehrgeiz und Ihr Glaube an sich selbst, der Glaube, von dem Sie einmal -sagten, daß es der einzige sei, der Berge versetzen könne.« - -»Ich will keine Berge mehr versetzen,« sagt Gerhard müde und steht auf. -»Ich will jetzt nur noch eins: irgendwo hingehen, wo es warm ist. Mir ist -in diesem Augenblick so erbärmlich kalt zumut. Und darin haben Sie recht, -wir müssen uns aus den Fetzen des Lebens etwas zurechtschneidern, was vor -der bittersten Kälte schützt.« - -»Ja,« antworte ich, »wir alle. Aber die Fetzen, die wir zu dem -schützenden Mantel verwenden, die zeigen, wer wir in Wahrheit sind. -Der eine geht zur Bar, um sich zu erwärmen, der andere schafft ein -unsterbliches Werk. Denn was sind alle großen Werke anderes als ein -Mantel, den ein armer frierender Mensch um seine zitternde Blöße gedeckt -hat und um seine Wunden und Male? Und was ist alle Tollheit und aller -Rausch und alle Niedrigkeit anderes, und was alles Insichversinken und -Träumen anderes als ein Schutz gegen die Kälte da draußen? Aber das -Material, das wir zu dem Mantel wählen, Gerhard, das ist's, das über uns -entscheidet.« - -Gerhard kommt plötzlich einen Schritt näher und streckt mir die Hand hin. -»Ich will wieder arbeiten,« sagt er mit so eindringlicher Plötzlichkeit, -daß ich wider Willen lächeln muß. - -»Fein,« sage ich und reiche ihm die Hand. »Ehrenwort?« - -Er zuckt die Achseln. »Für einen anständigen Menschen ist jedes gegebene -Wort ein Ehrenwort.« - -»Hören Sie, Gerhard, mit dieser Sentenz auf den Lippen müßten Sie -gehen, es wäre ein vorzüglicher Abgang.« - -Er lächelt. »Ich bin zwar nicht so effektsüchtig wie Sie glauben, aber -trotzdem, wenn es denn sein muß, -- leben Sie wohl!« - - - - -Von Seelenmalerei und einer geschwollenen Backe - -[Illustration] - - -Man hat mir so lange vorgeredet, ich müsse mich malen lassen, bis ich -selber von ungeduldigem Verlangen nach meinem Bildnis erfaßt wurde und die -Sache mit Karl Gerhard besprach. Von dem naheliegenden Gedanken, daß er -der Maler des Bildes werden solle, haben wir schnell abgesehen, denn unsere -Freundschaft ist uns zu heilig, um sie leichtsinnigerweise einer so harten -Probe auszusetzen. - -Er hat mir aber einen jungen Künstler aus seinem Bekanntenkreis empfohlen, -der sich schon mit viel Glück im Porträtieren versucht habe, ganz modern -und ein Werdender sei. Von jeher waren mir die Werdenden interessanter als -die Gewordenen, und als mir Gerhard noch erzählte, daß Artur Vollmer es -besonders gut verstehe, die Seele seines Modells zu versinnbildlichen, da -war mein Entschluß gefaßt. - -Wie wird er meine Seele malen? Diese Frage hat mich tagelang aufs -angenehmste beschäftigt. - -Auch jetzt, während ich zur Besprechung in Artur Vollmers Atelier -bin, verläßt sie mich nicht, sie hat aber inzwischen etwas leicht -Beängstigendes angenommen. - -Wir haben ein paar nebensächliche Fragen bereits erledigt, er hat mir eine -Zigarette gereicht, und ich habe versucht, mit ihm zu plaudern, da ich -mir einrede, daß er bei dieser Gelegenheit meine Seele kennenlernen will. -Vorerst scheint es ihm noch nicht sehr darum zu tun zu sein, denn er hat -bis jetzt jedes meiner Worte nur mit einem leisen Lächeln quittiert, das -genau die Mitte zwischen Höflichkeit und Unverschämtheit innehält. Ich -ziehe es daher vor, schweigend die Bilder zu betrachten, die bunt und wirr -an den Wänden hängen, und mein Blick bleibt an einem kauernden, etwas -unproportionierten Mädchen haften, das so angestrengt bemüht ist, sich -ein Strumpfband ums Bein zu binden, daß ihm die Haare wild übers Gesicht -hängen. - -Und ich kann die Frage nicht unterdrücken, warum dieses junge Mädchen -sich so leidenschaftlich um sein Strumpfband bemüht, da es doch weder -Strümpfe noch sonst etwas an Kleidung Erinnerndes auf dem Leibe hat. - -»Es ist eine Studie,« beantwortet Vollmer meine unkünstlerische Frage, -und ich bin zufrieden. - -»Dies Ding ist übrigens eines der ersten, die ich gemacht habe,« spricht -er zu meinem Erstaunen weiter, sich mit einem schwermütigen Lächeln -zu mir wendend. »Es stammt noch aus der Zeit, als ich ein junger -Springinsfeld war und mir wer weiß was vom Leben versprach.« - -Er spricht langsam und in einem sehr weichen Dialekt eigner Erfindung und -erzählt nun, einmal in Gang gekommen, ausführlich von den Enttäuschungen -des Künstlerlebens, den Intrigen der stümpernden Kollegen, der -Parteilichkeit der Ausstellungsdirektoren und der Verlogenheit der -Kunsthändler. -- Ich höre schweigend zu, und während sein sanft sonores -Organ mich weich umspült, gerate ich langsam in jenen fast hypnotischen -Zustand, der mich jedesmal überkommt, wenn die Maniküre die Fingerspitzen -meiner einen Hand sanft streichelt, während die der anderen im lauwarmen -Seifenwasser ruhen. - -»Ja,« schließt er jetzt sein Gespräch, »wenn man nicht als Künstler -geboren wäre! Lieber hätte man in seiner Jugend Holzhacken lernen sollen, -es wäre damit besser für das Alter gesorgt.« - -Ich schüttle den hypnotischen Bann so gut es geht von mir und sage, noch -ein wenig benommen: »Es ist gewiß sehr traurig, daß so viele Menschen -die erste Hälfte ihres Lebens dazu benutzen, die zweite unglücklich zu -machen.« - -Vielleicht, daß dieser sonst gute Ausspruch nicht hierhin paßt, -vielleicht auch, daß Vollmer die Abstecher ins Allgemeine nicht liebt, -jedenfalls geht er mit einem leisen, etwas unbehaglichen Räuspern darüber -hinweg, und ich setze schnell hinzu: - -»Aber die Kämpfe, die Sie mir geschildert haben, sind ja kein Unglück -zu nennen und sie bleiben wohl keinem erspart, der seine Persönlichkeit -durchsetzen will.« -- »Gewiß,« bestätigt Vollmer, »und je neuartiger -und origineller die Persönlichkeit sich äußert, um so härter sind -heutzutage die Kämpfe mit der Lauheit und der Bequemlichkeit des -Publikums.« - -»Man sagt das allgemein,« antworte ich und sehe mit Schrecken, daß -wieder ein leises Unbehagen über seine etwas verschwommenen Züge geht, -»aber ich finde, gerade das Gegenteil ist heute der Fall. Noch zu keiner -Zeit lief eine neue und eigenartige Begabung so wenig Gefahr, übersehen -oder verlacht zu werden, wie heutzutage. Wir verehren und lobhudeln ja -alles Schrullenhafte, und je absurder sich ein Künstler in seinen Werken -gebärdet, um so eifrigere Anhänger und Förderer wird er finden. Gefahr, -übersehen zu werden, laufen eigentlich nur die Stillen im Land, die -einfach schaffen, wie sie können und müssen, ohne sich um Richtungen und -Moden zu kümmern, die unliterarischen, möchte ich sagen.« - -»Die Langweiligen mit einem Wort,« lächelt Vollmer. - -»Nun ja,« antworte ich lachend, »zur Gesellschaft sind mir auch die -anderen lieber, die vielseitig Interessierten, die lebhaft Bewegten, die -eigenartig Schillernden. Aber ich glaube bestimmt, die wirklichen Künstler -kommen aus der anderen Sphäre, aus der Sphäre der Einseitigen und -Schwerfälligen, die darum in Gesellschaft langweilig sind, weil sie in -ihrer Seele zuviel Kunst haben und zuwenig Literatur.« - -Vollmer schweigt ein paar Sekunden. »Ja, ja, die Seele,« bemerkt er dann -sinnend, und mir fällt plötzlich wieder der Zweck meines Besuches ein. - -»Sie sollen ja ein ganz besonders feiner Forscher auf diesem Gebiet -sein,« sage ich, »wenigstens hat man mir berichtet, daß Ihre Bilder -wahre Seelenporträts seien, und ich muß sagen, ich bin gespannt --.« - -Artur Vollmer lächelt zurückhaltend und weist mit der Hand auf ein -großes Bild, das gleich beim Eintritt meinen Blick auf sich gelenkt -hat und das ich jetzt aufmerksam betrachte. »Porträt von H. K.« steht -darunter, und es stellt einen sorgsam und elegant gekleideten jungen Mann -von phantastischer Häßlichkeit dar, der in einer romantischen Landschaft -im Profil steht und einen Apfel, den er zwischen Daumen und Zeigefinger -hält, entsetzt betrachtet. - -»Sehr eigenartig,« sage ich höflich und überzeugt. »Ist es wirklich -ein Porträt?« - -»Sie kennen das Modell,« antwortet er und setzt nachlässig hinzu: -»Auf die äußere Ähnlichkeit haben wir allerdings verzichtet, aber Sie -müßten ihn schon an der Art erkennen, wie er den Apfel hält.« - -Ich will schon bedauernd den Kopf schütteln, denn mir fällt keiner meiner -Bekannten ein, der die Gewohnheit hat, einen Apfel mit zwei Fingern zu -halten, doch da kommt mir der rettende Gedanke: -- Seelenmalerei! Und ich -sage stolz und glücklich: »Vielleicht ist es einer, der alle Dinge im -Leben sehr vorsichtig anfaßt?« -- »Ja,« nickt Artur Vollmer, »mit -einem gewissen Abscheu sogar. Betrachten Sie den Ausdruck von Ekel in -seinem Gesicht.« - -»Nun ja,« sage ich etwas zaghaft, »aber genügt dieser eine Zug, um das -Bild Porträt zu nennen? Und warum, wenn Sie H. K. schon malen wollten, -haben Sie so vollkommen auf die Ähnlichkeit verzichtet?« - -Vollmer schweigt einen Augenblick und sagt dann mit einem zerstreuten Blick -aus dem Fenster: Ȁhnlichkeit bekommen Sie für zwanzig Mark das Dutzend -beim Photographen.« - -Und so stark ist die Suggestionskraft seiner Worte, daß mir in diesem -Augenblick die Photographen als eine durchaus minderwertige Menschengattung -erscheinen. Aber dann erwacht mein besseres und mutiges Selbst und ich -riskiere die Schreckensfrage, die Banausenfrage, die Frage, mit der man -jungen Malern das Gruseln beibringt: - -»Kann ein Porträt nicht künstlerisch und doch ähnlich sein?« - -Und Artur Vollmer antwortet denn auch mit einem leisen Klang von -Gereiztheit in seiner milden Stimme: »Sie sprechen immer von Ähnlichkeit, -gnädige Frau, und das ist in der Kunst ein so ganz verfehlter Standpunkt. -Die Hauptsache, daß das Bild ein Kunstwerk ist. Wer fragt in den Galerien -und Museen heute danach, ob die Porträts von Dürer und Rembrandt und Van -Dyk dem Modell auch ähnlich waren. Es sind Kunstwerke, und sie bleiben -bestehen, während die Ähnlichkeit von heute schon morgen nicht mehr wahr -ist.« - -»Das ist sehr richtig,« antworte ich, »nur ist es dann nicht nötig, -sich selbst malen zu lassen. Ich kann mir statt dessen irgendein berühmtes -Bild eines berühmten Meisters kaufen, dessen Wert anerkannt ist, während -es doch bei aller Hochachtung vor Ihrer Kunst noch nicht völlig sicher -ist --« - -»Daß ich Rembrandt oder Van Dyk erreiche,« unterbricht er mich, und die -Stimme umspült mich wieder sanft wie Seifenwasser. »Nein, gnädige Frau, -das ist sogar sehr unsicher, aber Sie vergessen, daß es noch eine andere -Ähnlichkeit gibt, als die rein äußerliche, von der Sie reden. Die -Ähnlichkeit, die vielleicht nur der Künstler sieht. -- Kennen Sie den -hier?« - -Und er nimmt ein Bild vom Boden, das bis jetzt mit dem Gesicht nach der -Wand gestanden hat, und stellt es auf eine Staffelei. - -»Mein Gott!« sage ich entsetzt, »Frank Meinert.« - -Es ist wirklich Frank Meinert, der mir aus einem blutigroten Hintergrund -entgegenstarrt. Frank Meinert mit einer blutigroten Krawatte, die eine -Backe geschwollen, die Züge nicht ganz unähnlich, aber ins brutal -Verbrecherische verzerrt, und mit dem bösartig lauernden Ausdruck, mit dem -die Shakespeareschen Meuchelmörder über die Bühne zu schleichen pflegen. - -»Mein Gott!« wiederhole ich nur, aber in meinem Innern setze ich hinzu: -Was wird er aus meiner Seele machen? Gott sei meiner armen Seele gnädig! - -Und nach diesem Stoßgebet frage ich gefaßt: - -»Sie sind befreundet mit Frank Meinert?« - -»Ja,« sagt er, »wir treffen uns oft des Abends im Café und auch -sonst --« - -»Und so erscheint Ihnen seine Seele?« - -»So sehe ich ihn,« antwortet er einfach. - -»Nun,« sage ich, »dann bewundere ich aufrichtig Ihren Mut. Fürchten Sie -denn gar nicht, daß er Ihnen eines Abends Strichnin oder Zyankali in den -Kaffee schüttet, oder daß er Sie auf dem Heimweg mit einem Schlagring -überfällt?« - -Vollmer lächelt melancholisch. »Nein,« sagt er, »was Sie da auf dem -Bild sehen, ruht ja ungewußt und ungehoben in den tiefsten Gründen seines -Wesens. Es wird nie zutage kommen.« - -»Das wollen wir zu Gott hoffen!« antworte ich inbrünstig. -»Lebenslängliches Zuchthaus wäre das wenigste. -- Übrigens maße ich -mir kein Urteil darüber an, ob nicht wirklich brutale Triebe in Franks -Seele schlummern. Er deutet selbst gern so etwas an, aber das ist kein -Grund dafür, es nicht zu glauben. Kein Mensch kann dem anderen bis auf -den Grund der Seele blicken, schon darum nicht, weil die Seele keinen Grund -hat. Es geht immer noch tiefer und tiefer. Und wahrscheinlich könnten -Sie jeden von uns mit dem gleichen Recht zum Verbrecher stempeln. -- Zum -mindesten freundschaftlich kann ich das Bild nicht finden.« - -»Und wie würden Sie an meiner Stelle Frank gemalt haben?« fragt Vollmer -lächelnd, indem er das Gemälde, diesmal richtig herum, an die Wand lehnt. - -»Nun,« sage ich, »da Sie die Bilderrätsel lieben, hätten Sie ihn für -mein Gefühl am besten als Narziß gemalt, schwermütig am Bach ruhend, -verliebt und versunken in sein Spiegelbild. -- Darf ich mir aber noch die -Frage erlauben, welche Bedeutung die geschwollene Backe auf dem Bild hat?« - -»Da ist doch keine geschwollene Backe,« widerspricht er zum erstenmal -wirklich gereizt und holt das Bild wieder herbei. »Ich bitte Sie, das -scheint doch nur so durch die Haltung und die Beleuchtung.« -- »Ach -so,« sage ich, froh, daß keine Beziehung zwischen Franks Seele und dieser -Schwellung besteht. - -»Und wie denken Sie sich mein Bild?« frage ich dann etwas ängstlich und -setze mich vorsichtshalber. - -»Tja,« sagt er, mich nachdenklich betrachtend, »ich dachte zuerst, als -ich Sie sah, an die Franzosen. Renoir oder so etwas. Aber ich bin davon -abgekommen. Ich möchte Sie jetzt am liebsten als Daphne malen.« -- -»Daphne?« wiederhole ich und wühle verzweifelt in den Untergründen -meiner mythologischen Erinnerungen. Leider umsonst. »Es wird nur seine -Schwierigkeiten haben,« fährt er fort, »wegen der Bekleidung und auch -sonst.« - -Ich blicke unwillkürlich zu dem Mädchen mit dem Strumpfband hinüber und -bitte dann etwas verschüchtert um Aufklärung über Daphne. - -»Daphne,« erklärt er, auf der Tischkante sitzend, mit weicher -Stimme, »war die Tochter der Gäa, zu deutsch Erde, und des arkadischen -Flußgottes Ladon. Andere behaupten zwar, daß Amyklas ihr Vater war und -noch andere nennen Pennios, aber --« -- »Lassen wir die Frage offen,« -schlage ich vor, »Sie wissen =La recherche de la paternité= --« Er -lächelt und fährt fort: - -»Apollo liebte Daphne, aber er hatte einen Nebenbuhler an Leukippos, der -ihr als Jungfrau verkleidet folgte und auf Apollos Veranlassung hin von -den Nymphen getötet würde. Nun floh Daphne auch vor Apollo, sie wurde -von ihrer Mutter aufgenommen und in einen immergrünen Lorbeerbaum -verwandelt.« - -Ich sitze ein paar Sekunden lang still, fasse mich aber allmählich und -sage: »Also alles in allem ein Mädchen von Charakter. -- Nun gestatten -Sie mir aber bitte noch ein paar Fragen: Zuerst, in welchem Stadium ihres -ereignisreichen Lebens wollen Sie Daphne malen? Zweitens, woran soll man -mich als Daphne erkennen? Und drittens und letztens, warum überhaupt -Daphne?« - -»Ich sagte es ja schon,« antwortet Artur Vollmer, »die Sache wird ihre -Schwierigkeiten haben. Aber die Idee wird mir lieb und lieber, je mehr ich -darüber nachdenke. Es liegt eine tiefe Symbolik darin: Die Frau, die sich, -vor dem Geliebten fliehend, in Lorbeer verwandelt. Man müßte natürlich -diesen Moment festhalten, noch halb Weib, halb schon Baum --.« - -Ich habe plötzlich das Gefühl, als ob ich schon halb zum Baum erstarrt -wäre und mache heimlich ein paar schlenkernde Bewegungen mit den Beinen, -um mich vom Gegenteil zu überzeugen. Dann stehe ich auf und sage: - -»Ihre Idee ist wirklich sehr interessant und sogar geistreich wie alle -Ihre Bilder. Aber ich weiß doch nicht, ob ich mich dazu entschließen -kann, Ihnen als Daphne zu sitzen. Ich glaube, daß mein tiefstes Wesen -in Ihrem Daphnebild nicht zum Ausdruck käme. Ich mache Ihnen daher einen -anderen Vorschlag: Malen Sie mich ganz einfach hier im Sessel sitzend, -möglichst bequem, das entspricht am besten einem Grundzug meines Wesens. -Und machen Sie das Bild so ähnlich wie möglich, dann wird ganz gewiß -auch etwas von meiner Seele in Ihre Farben fließen, denn ich bilde mir -ein, daß meine Seele meinem Gesicht gar nicht so unähnlich ist. -- Und -wann wollen wir anfangen?« - -Wir bestimmen die Zeit, und ich verabschiede mich von dem etwas frostig -gewordenen Künstler, und dann sitze ich im Auto und überlege mir den -Fall. - -Und je mehr ich darüber nachdenke, über die ausgeklügelt geistreichen -Bilder und über das unproportionierte Mädchen mit dem Strumpfband und -über Frank Meinerts geschwollene Backe, um so deutlicher steigt ein -schwarzer Verdacht in mir heraus, der sich nach und nach zur Gewißheit -verdichtet. - -Und ich nehme mir vor, morgen zu Karl Gerhard zu sagen: »Lieber Freund, -Ihr Protegé ist ein interessanter junger Mann, wenigstens versteht er mit -herzlich wenig Unkosten darauf zu posieren. Er hat eine einschmeichelnde -Stimme und sehr gepflegte Hände. Er ist in der Mythologie erstaunlich gut -bewandert und hat die eigenartigsten symbolischen Ideen. Er versteht, sehr -nüanciert zu lächeln, und ich bin überzeugt, daß er auch sonst noch -allerlei kann. Nur ein einziges kann er ganz bestimmt nicht, und das ist -eigentlich sehr schade: er kann nicht malen.« - - - - -»Mir scheint, Sie weiden sich an meiner Todesqual --« - -[Illustration] - - -Wir haben uns gezankt und sitzen uns nun gegenüber wie Kinder, die beide -ihre Heftigkeit bereuen und doch zu eigensinnig sind, das erste gute Wort -zu sprechen. Wir sehen einander nicht an, aber ich merke, daß seine Hand, -die die Zigarette hält, ein bißchen zittert, und wieder einmal, wie nach -jedem Streit mit Herbert Arndt, steigt in mir das Mitleid auf. - -Vielleicht habe ich ihm doch unrecht getan, als ich ihn oberflächlich -genannt, denke ich, und weiß doch zugleich, daß der scheinbar tiefe -Eindruck, den der Wortwechsel auf ihn gemacht hat, wie der Eindruck -ist, den man einem Gummiball beibringen kann. Sobald du den Finger -zurückziehst, ist alles, wie es war. - -Und dieses Wissen um Herbert Arndts stets veränderliche -Unveränderlichkeit ist es vielleicht, was mich ihm gegenüber oft zu -einer Heftigkeit hinreißt, die mir sonst ganz fremd ist und die mich im -Augenblick weit über den zufälligen Anlaß hinaus erbittert. - -Was konnte es mich zum Beispiel kümmern, daß Herbert Arndt heute fast -verächtlich von einem Menschen sprach, den er vor kurzem voll Begeisterung -einen bedeutenden Mann von seltener geistiger Anmut genannt, und für -dessen vornehm künstlerische Lebensgestaltung er eine andachtvolle -Bewunderung gezeigt hatte. - -Heute entsann er sich dessen kaum und nannte das Wesen des vor ein paar -Tagen so hoch Gepriesenen unmännlich und affektiert, im Gegensatz zu der -kraftvollen und knorrigen Einfachheit, mit der alle wirklich Großen ihr -Leben geführt. Und ich wurde gereizt und nannte es Haltlosigkeit, nie bei -einer Empfindung und einem Urteil beharren zu können und, wie die Snobs, -immerfort seine Geschmacksrichtung zu ändern, sobald von den Obersnobs -eine neue Parole ausgegeben wird. Und er nannte es Sentimentalität oder -Indolenz, an alten Erinnerungen und alten Wertschätzungen zu kleben, und -wir steigerten uns in immer größeren Zorn, und plötzlich schwiegen wir -beide, weil wir fühlten, daß wir nicht weitergehen durften. - -Und jetzt sitzen wir da und möchten uns versöhnen und wissen nicht wie. -Endlich steht Herbert auf und sagt mit etwas rauher Stimme, der man noch -die Erregung anhört: - -»Ich will Sie lieber jetzt von meiner Gegenwart befreien. Ich kann -mir denken, wie peinlich Ihnen der Anblick eines so charakterlosen und -minderwertigen Menschen ist.« - -Nun muß ich doch lachen. »Ich finde, Ihre Zerknirschung geht zu weit.« -Er verzieht den Mund: »Ich habe mich augenblicklich nur mit Ihren Augen -gesehen.« - -»Ich habe diese Worte nicht gebraucht,« antworte ich, »und Sie wissen -sehr gut, daß ich mit einem Menschen, den ich für charakterlos und -minderwertig halte, nicht fünf Minuten lang sprechen, wieviel weniger mich -in einen Streit einlassen würde.« - -»Ach so,« bemerkt er, »dann habe ich es vielleicht als Ehre aufzufassen, -daß Sie sich die Mühe nahmen, mich einen Snob und einen Menschen ohne -inneren Halt zu nennen.« - -»Mindestens als einen Beweis sehr herzlicher Freundschaftsgefühle,« -antworte ich und sehe, wie ihm wider Willen ein Lächeln um die Mundwinkel -zuckt. Und ich sage: - -»Seien Sie kein Frosch, Herbert Arndt, und setzen Sie sich noch mal hin, -denn gewöhnlich machen Sie's doch wie Wotan im letzten Akt der Walküre -und nehmen stundenlang Abschied. Und in der Zeit kann man ebensogut -vernünftig reden.« - -Er setzt sich zögernd, denn trotz des Lächelns ist sein Ärger noch nicht -überwunden, und ich schiebe ihm seine Tasse und den Kuchen näher, weil -ich finde, daß es fast nichts auf der Welt gibt, das nicht gleich ein -bißchen weniger schlimm aussieht, sobald man Kaffee und Kuchen vor sich -hat. - -Wir schweigen einen Augenblick, dann sagt Herbert: »Was mich am meisten -beleidigt, ist ja gar nicht, daß Sie meine Art, die Dinge zu sehen, -verachten. Ich kann Ihnen das nicht verwehren, denn jeder schätzt im -Grunde genommen nur seine eigene Lebensanschauung, und wenn wir von -jemandem sagen, daß er vernünftige Ansichten habe, dann hat er sicherlich -die gleichen Ansichten wie wir. Was mich beleidigt, ist, daß Sie an meine -Art, die Dinge zu sehen, überhaupt nicht glauben, daß Sie annehmen, ich -rede nur so oder so, um mich interessant zu machen, oder aus Affektiertheit -oder aus irgendeiner anderen Verlogenheit heraus.« - -»Nein,« unterbreche ich ihn, »das ist ganz gewiß nicht der Fall. Und -das ist eigentlich das Traurige an der Sache, das Hoffnungslose, möchte -ich sagen, daß Sie immer ehrlich sind.« - -»Und gerade deshalb ist der Fall hoffnungslos?« fragt er. »Wie soll ich -das verstehen?« - -»Es ist ganz einfach,« antworte ich, »und ich will's Ihnen erklären, -selbst auf die Gefahr hin, Sie noch einmal zu beleidigen und auf die -Gewißheit hin, daß es nichts nützt, denn ein Mensch, der sich immerfort -ändert, der kann sich niemals ändern.« - -Herbert hebt erstaunt den Kopf. »Und ich ändere mich immerfort,« fragt -er. - -»Und Sie wissen das gar nicht?« frage ich dagegen. »Sie wissen es gar -nicht, daß bei Ihnen immerfort ein Eindruck den anderen verwischt und -auslöscht, und daß Sie immerfort wie auf einem dünnen Seil gehen, nichts -rechts, nichts links, so daß man ordentlich schwindelig wird, wenn man -Ihnen zusieht.« -- »Ich verstehe das nicht,« sagt Herbert schroff. - -»Nun also,« antworte ich, »dann will ich Ihnen aus der leider -übergroßen Fülle der Beispiele nur eines nennen: Waren Sie nicht vor -kurzem noch ganz berauscht von den Versen Stefan Georges, den Sie nach -Goethe den einzigen deutschen Dichter nannten? Und sprachen Sie nicht ein -paar Tage darauf sehr abfällig von seiner hypermodernen Pathetik, die -doch im Grunde genommen hohl sei, wenn man einen einzigen Mörikeschen -Vers damit vergleicht? Und war nicht wieder ein paar Tage darauf Mörike -spießbürgerlich und deutsch-borniert und veraltet, weil Sie gerade bei -irgendeinem dekadenten französischen Absinthlyriker angelangt waren? -- -Und ist es nicht so auf jedem Gebiet? Die fanatische Ausschließlichkeit, -mit der Sie jeden Tag eine andere Sache anbeten und jeden Tag mit der -gleichen überzeugenden Ehrlichkeit, als gäbe es nur die eine auf der -Welt, die macht mich müde und ungeduldig zugleich.« - -Herbert schüttelt den Kopf. »Ich verstehe nicht, was Sie mir vorwerfen. -Gefühl ist doch nichts, was ein für allemal feststeht, Empfindungen, -selbst die wärmstem schwanken auf und ab. Und wären wir Menschen, wenn -wir nicht Stimmungen unterworfen wären?« - -»Ja,« nicke ich, »oft denke ich, Sie haben gar keine Empfindungen, -sondern nur Stimmungen, oder besser gesagt: Anwandlungen, und Anwandlungen -kommen nicht aus dem Gemüt, sondern aus den Nerven und der Phantasie.« --- »Und was ist Gefühl denn anderes als Betätigung der Nerven und der -Phantasie?« fragt Herbert lebhaft und schnell. »Können wir irgend etwas -empfinden, Liebe, Haß, Mitleid, Begeisterung, Freude oder Schrecken, -ohne daß unsere Nerven zucken und unsere Phantasie die Flügel hebt? Der -phantasieloseste Mensch ist der gefühlloseste zugleich, und -- so paradox -es klingen mag -- die Verstandsmenschen sind die dümmsten von allen.« - -Ich nicke ihm langsam zu: »Es ist wahr, wir sind alle nur bauernschlau, -solange es uns nicht gegeben ist, weise zu sein. Und auch das andere, was -Sie sagten, ist wahr: Es gibt kein wertvolles Gefühl ohne Phantasie. Aber -die Phantasie muß in unserem Gemüt ihren Ursprung haben, sonst ist der -Mensch wie ein Ofen, der von außen erwärmt wird statt von innen, der -heiß, vielleicht sogar überheizt erscheint, aber niemals Wärme abgibt -und verströmt.« - -»Ein sinnfälliger Vergleich!« sagt Herbert, und sein Mund verzieht sich -spöttisch. »Ich gebe allerdings zu, daß ich wenig Talent zum traulich -wärmenden Ofen habe, und offen gesagt, mein Ehrgeiz geht nicht dahin. -- -Ich gebe auch zu,« fährt er nach einem kurzen Schweigen fort, »daß ich -leicht von diesem oder jenem Eindruck überwältigt werde und leicht alles -andere darüber vergesse, aber ich schäme mich dessen nicht, im Gegenteil, -ich bin froh und glücklich darüber, denn ich selbst liebe nur Menschen, -die impulsiv und warm und stark empfindend sind.« - -»Ach, lieber Freund,« sage ich, »heute! Heute lieben Sie die Impulsiven, -vielleicht weil heute morgen oder gestern abend ein liebes Mädel in -schöner Impulsivität Ihnen die Hand hingestreckt und etwas Herzliches -gesagt hat. Und morgen lernen Sie eine interessante Frau kennen, die kühl -und geheimnisvoll und verschlossen ist, und dann erzählen Sie mir, daß -alles Impulsive doch eigentlich recht vulgär sei, und daß der wahre Reiz -eines Menschen in seiner geheimnisvollen Verschlossenheit läge.« - -»Ja,« antwortet Herbert, »und Sie erzählen mir dann, was ich Ihnen -gestern erzählt habe, und werfen mir meine Treulosigkeit gegen das liebe -Mädel vor. Aber der Reiz des Lebens liegt doch gerade darin, daß ich -heute die Impulsiven lieben darf und morgen die Verschlossenen.« - -»Ach, lassen wir's,« sage ich ein bißchen müde, »ich merke schon, wir -reden aneinander vorbei und werden uns nicht verstehen.« - -»Das ist weibliche Kriegstaktik,« antwortet Herbert, »sobald sie -nichts zu antworten wissen, ziehen sie sich hinter die männliche -Begriffsstutzigkeit zurück. Aber ich möchte jetzt meine Sache bis zu Ende -verfechten und erbitte mir Antwort darauf, weshalb es ein, -- nun sagen -wir, ein verächtlicher Zug sein soll, jeder Art und Gattung Geschmack -abgewinnen zu können.« -- »Das ist's ja nicht,« sage ich seufzend, -»und ich möchte Ihnen gerne noch einmal antworten, aber ich fürchte, die -Anklagerede wird lang.« - -»Wenn ich als Delinquent einen letzten Wunsch äußern darf,« sagt -Herbert, »dann möchte ich mir noch ein Stück Kuchen erbitten.« - -»Gewährt,« antworte ich, »und möge Ihnen das letzte Stück Kuchen -leicht werden!« -- »So leicht wie Ihnen mein Todesurteil,« erwidert er -mit einer höflichen Verbeugung und zieht sich den Teller mit Kuchen näher -heran. - -Mein Ärger ist längst verflogen, und ich muß lachen. - -»Mir scheint, Sie weiden sich an meiner Todesqual?« fragt er kauend, -»oder hat meine sieghafte Liebenswürdigkeit so schnell die Wolken von -Ihrer Stirne verjagt? -- Es wäre eigentlich schade,« setzt er hinzu, -»denn ich hatte mein ganzes Wesen schon auf Bußfertigkeit eingeschaltet, -und außerdem war es von jeher meine Leidenschaft, zuzuhören, wenn von mir -die Rede war.« -- »Ja,« sage ich, »es ist die einzige Leidenschaft, der -Sie bis jetzt treu geblieben sind.« - -Er sieht mich einen Augenblick schweigend an und sagt dann: Ȇber diesen -Punkt dürften Sie besser orientiert sein.« - -»Ich weiß,« antworte ich nach einer kleinen Pause, »aber ich finde -immer, das erotische Gebiet, denn darauf spielen Sie ja an, liegt so -abseits, daß es nicht in Betracht kommen kann, wenn von dem Charakter -eines Menschen die Rede ist. Und selbst wenn jemand hartnäckig an seiner -ersten Liebe hängen sollte --« - -»Erste Liebe,« unterbricht er mich lächelnd. - -»Oder an seiner dritten oder vierten,« antworte ich, »denn eine erste -Liebe gibt es ja eigentlich nicht, weil immer schon eine vorher dagewesen -ist. Aber es handelt sich jetzt gar nicht um die Treue gegen andere, -sondern um die Treue, die wir uns selbst schuldig sind.« - -»Uns selbst, uns selbst,« sagt Herbert ungeduldig, »wie einfach klingt -das! Aber wer von uns kennt sich und wertet sich richtig? Wir sind doch -viel zu sehr in uns selbst gefangen, um unbefangene Richter über uns zu -sein.« - -»Aber lieber Freund,« sage ich, »was hat die Treue mit der Erkenntnis zu -tun, da sie doch nichts Bewußtes ist, sondern so selbstverständlich wie -das Atemholen, und da sie aufhört zu existieren, sobald sie bewußt und -ein Willensakt geworden ist. Und wer wir selbst sind, fragen Sie? Nun, wir -sind nicht nur die, die jetzt hier sitzen und reden. Zu uns gehört alles, -was wir vor Jahren und Monaten, und was wir gestern und heute erlebt und -gefühlt haben. Und wenn wir das täglich und stündlich von uns werfen -können wie alte Kleider, dann werfen wir uns täglich und stündlich -selber weg. Wie ein Mensch ohne Schatten sind wir dann, und ich begreife -jetzt, was ich als Kind nie verstanden habe, weshalb Chamisso es als so -traurig und als so schmachvoll hinstellt, keinen Schatten zu haben.« - -Herbert ist blaß geworden. »Traurig und schmachvoll,« wiederholt er, -während er mit nervöser Hand seine Zigarette in der Schale zerdrückt. - -Dann hebt er den Kopf, und seine Augen haben den eigensinnig fanatischen -Blick, den ich kenne. - -»Vielleicht haben Sie Chamisso doch falsch verstanden,« sagt er leise, -»vielleicht war es nur deshalb so traurig und schmachvoll, keinen Schatten -zu haben, weil alle Welt einen Schatten hat, und weil alle Welt die haßt -und verachtet, die anders sind als alle Welt. - -Und jetzt will ich gehen,« sagt er aufstehend, und setzt mit einem -sonderbaren, etwas hilflosen Lächeln hinzu: »Diesmal nicht wie Wotan.« - -»Und doch wie Wotan,« sage ich und strecke ihm die Hand hin, die er -einen Augenblick sehr fest in seiner hält. »Leben Sie wohl, einäugiger -Wanderer!« - - - - -Es ist ein echt weiblicher Zug von Ihnen -- - -[Illustration] - - -Der Fünfuhrtee im Kaiserhof ist in vollem Gang, und ich sitze an einem -der kleinen, mit Blumen und Lampen geschmückten Tische und erwarte meinen -Berliner Freund, den Professor, den ich fast ein halbes Jahr lang nicht -gesehen habe. - -Ich behalte die Eingangstür im Auge, um ihm gleich zuwinken zu können, -denn ich weiß, daß es ihm, trotz einer absichtlich betonten Nonchalance, -peinlich ist, sich erst lange zwischen den eleganten Gästen und den -unsagbar vornehmen Kellnern durchwinden zu müssen. - -Und dann sehe ich doch mal nach dem sehr feschen Paar am Nebentisch -hinüber, und gerade in diesem Augenblick sagt jemand neben mir: »Guten -Abend,« und der Professor setzt sich an den Tisch, als habe er mich -gestern zuletzt gesehen. Ich reiche ihm die Hand hinüber und frage statt -aller Begrüßungszeremonien: - -»Hoffentlich hat Sie mein telephonischer Anruf gestern nicht gestört?« - -»Natürlich hat er mich gestört,« antwortet er, indem er die Blumen -vom Tisch nimmt und daran riecht. »Ich hatte gerade meinen Mittagsschlaf -angefangen.« -- »Das schadet nichts,« sage ich kühl, »welcher -ausgewachsene Mensch schläft auch am hellichten Tage?« - -»Nun, zum Beispiel ich und zum Beispiel Sie,« erwidert er, »denn Sie -wollen mir doch nicht einreden, daß heut vormittag um zehn Uhr, als ich -Sie vergeblich zu sprechen wünschte, Mitternacht war. -- Und übrigens -- -ausgewachsener Mensch! Wer ist ausgewachsen? Welche Anmaßung! Wollen Sie -etwa von sich behaupten, daß Sie ein ausgewachsener Mensch seien?« - -»Lieber Professor,« sage ich, »ich höre gern meine Jugend preisen, aber -ich finde, augenblicklich geht Ihre Höflichkeit zu weit.« - -»Und wer weiß,« fährt er fort, »ob wir nicht gerade im Schlaf am -besten wachsen?« -- »Jawohl,« werfe ich ein, »von den Säuglingen wird -das allgemein behauptet.« - -»Dummes Mädel,« fährt er mich an, »muß denn immer von körperlichen -Funktionen die Rede sein? Es ist ein echt weiblicher Zug von Ihnen, daß -Sie nie das Geistige ins Auge fassen können.« - -»Verzeihen Sie, aber der Gedanke lag mir zu fern, daß Sie als Lehrer -der Jugend den Schlaf für das beste geistige Förderungsmittel ansehen -könnten. Es sei denn, Ihre Vorlesungen -- --« - -Er schlägt mit der Hand auf den Tisch, daß das Nachbarpaar erstaunt -herübersieht und der Kellner nervös zusammenzuckt. - -»Herrgott, hat dieses Mädel ein Mundwerk! Ein wahres Glück, daß ich Sie -nicht geheiratet habe!« - -»Warum?« frage ich, »ich kann mir das reizend vorstellen, und es wäre -uns beiden sicher sehr gesund gewesen.« - -»Gesund?« antwortet er, »das wäre möglich, etwa nach der Methode, daß -man den einen nimmt und den anderen damit verprügelt.« - -»Ja, so dachte ich mir's,« bestätige ich und sehe vergnügt zu, wie er -sich zum Entsetzen des Kellners den Teller mit Kuchen belädt. Nachdem der -Befrackte endlich entlassen ist, sage ich: - -»Es ist ein echt weiblicher Zug von Ihnen, daß Sie so gern Kuchen -essen.« - -»Wer sagt Ihnen, daß ich gern Kuchen esse?« fragt er gereizt, »und wenn -Sie mich übrigens deshalb gestern am Telephon mit allen Mitteln weiblicher -Verführungskunst hierhergelockt haben, um mir anzudeuten, daß Ihnen mein -Appetit unsympathisch ist --.« -- »Wieso unsympathisch?« frage ich, -»mir ist jeder menschliche Zug an Ihnen willkommen. Ich habe Sie -aber nicht deshalb hierherbeordert --.« -- »Gefleht haben Sie.« --- »Hierherbeordert,« wiederhole ich. -- »Auf den Knien haben Sie -gelegen.« - -»Nein,« sage ich, »dazu war die Schnur zu kurz. Aber Sie sehen, ich -habe es versucht, und das genügt Ihnen hoffentlich. Also lassen Sie mich -gefälligst ausreden. Nicht deshalb, um mich an Ihrem Appetit zu erfreuen, -sondern um festzustellen, ob Sie noch immer so ein Grobian sind wie -früher. Und ich muß sagen, mein Wissensdurst ist gestillt.« - -»Nun, dann kann ich ja Gott sei Dank nach Hause gehen, wenn ich den Kuchen -aufgegessen habe, denn wenn Sie etwa glauben --« - -»Ja, das können Sie,« unterbreche ich ihn, »eine Stunde werden Sie -reichlich damit zu tun haben, und mehr Zeit habe ich ohnehin nicht für Sie -vorgesehen.« - -»Kellner!« ruft er. -- »Um Gottes willen,« flehe ich, »Sie blamieren -mich, wenn Sie sich noch mehr Kuchen nehmen. Wir werden hinausgeworfen.« --- »Werden Sie jetzt artig sein?« fragt er. »Sie sehen, ich habe Sie -in der Hand, ich kann Sie aufs tödlichste blamieren, wenn ich will. Also -geben Sie jetzt zu, daß Sie mich angefleht haben, hierherzukommen?« -- -»Ja, ja,« sage ich, denn der Kellner steht schon neben uns. - -»Reichen Sie der Dame den Kuchen,« sagt der Professor großartig. - -Ich lasse den Kellner unverrichteterdinge abziehen und sage: »Ich habe -mich vorhin schon bedient, während Sie wahrscheinlich noch mit Ihrem -geistigen Wachstum beschäftigt waren.« - -Er schnippt mit Daumen und Mittelfinger nach meiner Hand, die ich -erschrocken zurückziehe. - -»Sie haben die körperliche Züchtigung verdient,« sagt er, »denn Sie -hätten merken können, daß ich jetzt vernünftig mit Ihnen sprechen -will.« -- »Es ist mir nichts aufgefallen.« -- »Ruhig! -- Also, wie geht -es Ihnen?« - -»Auf eine so originelle Frage kann ich nur ebenso originell antworten. Es -geht mir natürlich sehr gut.« -- »Wieso natürlich?« fragt er, »ach -so, Sie meinen, einer so entzückenden Dame gegenüber kann das Schicksal -natürlich gar nicht anders als zart und galant verfahren. Sie stehen -ja auf einem so hohen Piedestal, Sie schweben so hoch über allen -Erdendingen --.« -- »Um Gottes willen,« sage ich, »was haben Sie -auf einmal?« -- »Warum?« fragt er, »war ich etwa nicht grob?« -- -»Geradezu unverschämt,« versichere ich. - -»Na also,« sagt er, »was ist da zu erschrecken! Mir scheint, Sie sind -etwas verwöhnt und verzärtelt worden seit unserem letzten Zusammensein. --- Was machen übrigens Ihre vierzig Freunde?« - -»Sie verwechseln das,« belehre ich ihn, »bei unserem letzten -Zusammensein war von Ihren dreiundvierzig Freundinnen die Rede.« - -»Nun ja, warum sollte ich nicht drei mehr haben als Sie?« fragt er, -»gönnen Sie mir die etwa nicht?« - -»Von Herzen,« sage ich. »Don Juan hatte noch mehr.« - -»Don Juan war auch kein feiner Genießer wie ich,« erklärt er. »Ich bin -nur für Auslese, und deshalb kann auch der Kreis unmöglich vergrößert -werden, so sehnsüchtig Sie darauf warten, aufgenommen zu werden.« - -»Weshalb sind Sie so grausam?« frage ich, »gehen mir vielleicht ein -paar Tugenden ab, die notwendig sind, um unter die Göttinnen eingereiht zu -werden?« - -»Alle,« erklärt er, »zuerst die wichtigste, Bescheidenheit. Sie sind -von einem ebenso unberechtigten wie unerträglichen Hochmut geradezu -geschwellt. Sie halten sich für unausstehlich gescheit --.« -- »Ganz im -Gegenteil,« versichere ich, »ich halte mich für sehr angenehm begabt.« - -»Sie sind überzeugt, daß Sie keine Fehler haben --.« -- »Auch das -nicht,« antworte ich, »aber ich habe gerade meine kleinen Untugenden von -jeher sehr reizvoll und sympathisch gefunden. -- Fahren Sie übrigens -nur fort, es gibt für mich nichts Wohltuenderes, als wenn sich jemand so -eingehend mit meiner Person beschäftigt.« - -»Für diese niedrige Eitelkeit verdienen Sie meine Verachtung,« antwortet -er, »oder ist Ihnen eine körperliche Züchtigung lieber?« - -»Ach nein,« sage ich erschrocken und verstecke die Hände unterm Tisch, -»wenn ich dann lieber um Ihre Verachtung bitten dürfte.« - -»Dacht ich mir's doch,« sagt er, »man hat Sie entsetzlich verweichlicht -im letzten halben Jahr. -- Aber jetzt ernstlich: Was machen die vierzig? -Oder sind's seitdem mehr geworden oder gar weniger?« - -Ich nicke: »Einer weniger.« - -»Verkracht?« fragt er und strahlt geradezu teuflisch. -- »Ach, wenn's -nur das wäre,« sage ich. - -»So, so, also ernstlich,« überlegt er. »War's Ihr bester?« - -»Ich weiß nicht,« antworte ich, »aber ich glaube, der, den man verloren -hat, war immer gerade der beste.« - -»Na ja,« brummt er, »das hat dann gleich so etwas vom verlorenen Sohn an -sich. Aber mit Freunden sollte es anders sein. Die man ohne eigene Schuld -verliert, an denen ist meistens nichts verloren. Und so streitsüchtig Sie -sind, ich nehme an, es war nicht Ihre Schuld.« - -Ich muß lachen. »Ach nein,« sage ich, »ich war ganz und gar unschuldig, -der Junge hat sich verheiratet.« - -»O weh, o weh!« sagt der Professor und schlenkert die Hand durch die -Luft, als habe er sich verbrannt. »Also ein fast unheilbarer Fall. Wie -konnte der Trottel nur?« - -»Trottel?« sage ich empört. »Er hat sehr vernünftig geheiratet, ideal -und nützlich zugleich.« - -»Also ein idealer Nützlichkeitstrottel,« nickt er. »Und er hat Ihnen -versprochen: Zwischen uns bleibt alles, wie es war, und unsere Freundschaft -besteht jede Probe, und so weiter?« - -»So ähnlich,« antworte ich. - -»Und Sie Schaf haben's geglaubt?« - -»Lieber Professor,« sage ich, »ich bin vielleicht geistig etwas unter -dem Durchschnitt, aber für so ein Schaf dürfen Sie mich nun doch nicht -halten.« - -»Na also,« sagt er, »und trotzdem beklagen Sie sich jetzt.« - -»Ich glaube, ich kann Ihnen mit gutem Gewissen die ehrenvolle Anrede -zurückgeben. Denken Sie Schaf vielleicht, uns schmerzen nur die Dinge, die -wir nicht vorausgesehen haben?« - -»Es war dumm, natürlich,« brummt er. »Sie haben recht. Es gibt -allerdings Menschen, denen das Vorhergewußthaben jeden Schmerz versüßt, -aber dazu gehören Sie anscheinend nicht. Wieso kam es aber zum Bruch? Hat -man Sie etwa beleidigt?« - -»Es ist gar kein Bruch, und mit Absicht hat man mich wohl nicht -beleidigt,« antworte ich, »aber haben Sie nicht schon bemerkt, daß -uns die Kränkungen am tiefsten treffen, die uns unabsichtlich zugefügt -werden?« - -»Natürlich,« sagt er, »die verfluchte Eitelkeit! Wir ertragen's -eher, daß man uns haßt und verabscheut, als daß man uns gleichgültig -gegenübersteht. -- Übrigens vermute ich, Sie verlieren nicht mehr viel -an dem Verkehr, denn wir waren uns ja von jeher darüber einig, daß -glücklich verheiratete Leute kein Umgang für Menschen von Geschmack sind. -Ob sie's wollen oder nicht, sie bringen ihr Familiensofa überall mit hin, -und man kann sie noch so entfernt voneinander placieren, immer hat man das -Gefühl, als säßen sie Hand in Hand. -- Ist übrigens noch kein Ersatz in -Sicht?« - -»Ersatz?« wiederhole ich. »Jeder ist doch ein Mensch für sich, und -einer kann den anderen nicht ersetzen.« - -»Nun,« antwortet er, »meistens ist es doch im Leben so, daß uns die -Dinge schon halb verloren sind, während wir sie noch zu halten glauben, -und während von uns ungeahnt, irgendwo aus der Flut der Erscheinungen -schon das Neue aufsteigt, das den Ersatz in sich trägt.« - -Wir schweigen eine Zeitlang, und ich schaue ein wenig gedankenlos in die -kleine rosa Lampe vor mir. Endlich sage ich: - -»Drollig, mir ist ein Wort im Ohr hängen geblieben, das Sie vorhin -sprachen. Vielleicht, weil's so widerspruchsvoll klingt. Was ist das, ein -idealer Nützlichkeitstrottel?« - -»Na,« antwortet er, »widerspruchsvoll klingt das Wort nun ganz und gar -nicht, oder doch nur für den Trägen im Geist. Im allgemeinen drücke ich -mich allerdings höflicher aus und sage: ideale Nützlichkeitsmenschen. -Das Trottel sollte vorhin nur die weitverbreitete Trottelei des Heiratens -treffen.« - -»Meine geistige Trägheit schreit wahrscheinlich zum Himmel,« antworte -ich, »aber ich kann mir auch unter der milderen Form nichts vorstellen. -Also bitte, Herr Professor --« - -Er fährt sich seufzend über den, trotz seiner Jugend, schon recht kahlen -Schädel. »Gräßlich, wenn man durch die verfluchte Galanterie auch noch -außerhalb der Vorlesungen zum Dozieren gezwungen wird. Aber nun passen Sie -wenigstens auf, sonst setzt's was. Noch einmal kommen Sie nicht mit meiner -Verachtung davon, diesmal knipse ich.« - -»Mein Denkapparat wird nur so rasseln,« versichere ich und verstecke die -Hände unterm Tisch. - -»Na also,« er denkt einen Augenblick nach, »wissen Sie noch etwas von -Lessings Hamburgischer Dramaturgie?« - -»Ja,« sage ich stolz, »sie handelt hauptsächlich von Laokoon.« - -»Ganz recht,« lobt er. »Sie meinen zwar den Laokoon von Lessing, aber -das schadet nichts.« -- - -»Nein,« sage ich, »es schadet sicher nichts. Was hat es aber mit den -idealen Nützlichkeitsmenschen zu tun?« - -»Komische Frage,« antwortet er, »was soll es ausgerechnet damit zu tun -haben? Ich muß morgen einen Vortrag über die Hamburgische Dramaturgie -halten und wollte mich von Ihnen inspirieren lassen.« - -»Und ist es geglückt?« frage ich. -- »Vollkommen,« antwortet er, »ich -bin nun so im Zug, daß ich Ihnen meinen Vortrag sofort halten werde.« - -»Ich hoffe, Sie sind nicht böse, wenn ich dabei die Augen schließe,« -frage ich, »das ist nämlich meine Gewohnheit bei Vorträgen und -vielleicht der Grund zu meiner geistigen Fortgeschrittenheit.« - -»Meinetwegen,« sagt er, »es ist mir ohnedies peinlich, wenn Sie mich so -mit den Blicken verzehren und mir jedes Wort von den Lippen saugen.« - -Ich überwinde einen krampfartigen Lachanfall, und er beginnt: - -»Lessing war der Ansicht, daß in Hamburg das Prinzip der Nützlichkeit -das überwiegende und ausschlaggebende sei. Davon steht zwar nichts in -seiner Hamburgischen Dramaturgie, aber wir dürfen das dem Mann nicht zum -Vorwurf machen, denn warum hätte er das gerade da hineinschreiben sollen? -Er war trotzdem dieser Ansicht, und wir sind es mit ihm. Nun gibt es -sowohl in, als auch außerhalb Hamburgs verschiedene Arten von -Nützlichkeitsmenschem. =Ad= 1: Die gewöhnliche Feld-, Wald- und -Wiesenpflanze, die jeder sofort erkennt, =ad= 2: die verfeinerte Sorte, -die zwar auch nicht ganz selten ist, aber nur von Denkenden und geistig -Hochstehenden erkannt und richtig eingereiht wird. - -Es sind die Glücklichen, die nie eine Überzeugung, nie eine Neigung -opfern müssen, weil ihre Überzeugung und ihre Neigung sich immer nach -dem ihnen Nützlichen dreht, wie die Magnetnadel nach Norden. So leben sie -unbeschwert von Sentiments, die nicht gerade der Augenblick in ihnen weckt, -unbeschwert vor allem von retrospektiven Störungen, denn alles ist -in ihrem Gedächtnis, oder sagen wir in dem Gedächtnis ihres Herzens -ausgelöscht, was ihnen nicht mehr nützen kann. Und man darf von ihnen als -ideal veranlagten Naturen nicht verlangen, daß sie sich nach etwas anderem -als dem Zug ihres Herzens richten. - -Sie sehen denn auch mit Verachtung auf den gewöhnlichen -Nützlichkeitsmenschen herab, der der Stimme seines Herzens zuwider handelt -und sich oft erst nach hartem Kampf mit sich selbst und mit bewußter -Kraft und Rohheit das erringen muß, was ihnen eine besonders glückliche -Veranlagung schenkt. Ihre Entschuldigung, wenn sie einer bedürfen, ist, -daß sie nichts von dieser glücklichen Veranlagung wissen und ihrer -wirklichen Überzeugung nach als ideal geartete Menschen durch die Welt -gehen. -- Kapiert?« - -»Jawohl,« sage ich. - -»Also kurz rekapitulieren!« Er sieht mich streng an, und ich sage, die -Hände krampfhaft unterm Tisch: - -»Lessings Hamburgische Dramaturgie gipfelt in der Erkenntnis, daß es -gewöhnliche und ideale Nützlichkeitsmenschen gibt. Die ersten werden zum -Beispiel nie ein armes Mädchen heiraten, die zweiten werden sich nie in -ein armes Mädchen verlieben.« - -»Basta punktum!« sagt der Professor grinsend, »da hat sich's der -Weiberkopf Gott sei Dank in seine Weibersprache übersetzt. Vom Verlieben -und Heiraten muß bei euch die Rede sein, da seid ihr zu Hause und -geborgen, da könnt ihr mitschwimmen und plätschern wie ein Fisch im -Wasser.« - -»Weshalb verallgemeinern Sie so?« frage ich sanft. »Sollten Ihre -dreiundvierzig Freundinnen am Ende ebenso trivial sein wie ich?« -- »Die -werden sich hüten,« antwortet er, »wer mit mir vom Heiraten spricht, hat -ausgespielt.« - -»Erzählen Sie ein bißchen von den dreiundvierzig,« schlage ich vor, -um ihn wieder milder zu stimmen. »Sind sie alle sanft und bescheiden oder -sind auch Wilde und Feurige dabei oder herb Verschlossene oder -hinreißend Kluge? Daß sie alle berückend schön sind, setze ich als -selbstverständlich voraus.« - -»Alles ist da,« antwortet er stolz. - -»Das muß ja unglaublich interessant und spannend sein,« schmeichle ich -ihm, und er lächelt in teuflischer Verschlagenheit vor sich hin. - -»Sie sind so verschwiegen,« beklage ich mich, »und ich habe Ihnen heute -schon so viel von mir erzählt, daß Sie sich freundschaftlicherweise -revanchieren dürften.« - -»Ja,« sagt er nach einer kleinen Pause, »ich will Ihnen erzählen: -Sie ist sanft und feurig und schelmisch und ernst und verschlossen und -mitteilsam und stolz und bescheiden und alles zugleich. Und schön ist -sie --« - -»Sie, sie!« sage ich ganz fassungslos, »ich denke, es sind -dreiundvierzig!« - -»Quatschkopf!« sagt er und schnippt nach meiner Hand. »Sie wissen doch -schon lange, daß es nur eine ist.« - - - - -Warum der kleine Dichter einen Nasenstüber bekam -- - -[Illustration] - - -»Der kleine Dichter« hieß er im Sanatorium, wo ich ihn kennenlernte, -zur Unterscheidung von dem großen, der ihn sowohl an Körperlänge, als -an Berühmtheit überragte. Aber hier in Hamburg, wo er nicht im Schatten -seines größeren Kollegen lebt, nennen wir ihn den Dichter schlechthin, -und wenn mir doch mal das Beiwort entschlüpft, dann hat es nichts mit -einer Wertung zu tun, sondern ist ein Kosewort, und er läßt sich's -behaglich schnurrend wie eine Katze gefallen. - -Er hat mich gelehrt, daß ein Genie es unsagbar schwer im Leben hat und -unter tausend Qualen leidet, von denen wir anderen nichts ahnen, und -daß es daher unsere Pflicht ist, die Genies auf jede erdenkliche Art zu -verwöhnen und ihnen so die Last ihrer Sendung zu erleichtern. Und ich habe -damit angefangen, daß ich eine eierschalendünne Tasse gekauft habe, die -er als seine Stammtasse betrachtet und aus der er ungeahnte Fluten von -Kaffee schlürft, denn er bedarf starker Stimulanzen. - -Auch Kuchen und Zigaretten sind Stimulanzen, deren er in hohem Maße -bedarf. - -Heute ist sein schmales Gesicht von Wind und Kälte gerötet, wie er bei -mir eintritt. Er reibt sich heftig die auffallend schönen Hände, so daß -das schmale goldene Armband ein wenig sichtbar wird, und dehnt sich dann -behaglich im Sessel. - -»Geradezu niederschmetternd ist es draußen,« berichtet er, »und ich -weiß wirklich nicht, ob wir es uns gefallen lassen müssen, daß man uns -unausgesetzt von oben herab mit kaltem Wasser begießt.« - -»Ganz und gar nicht,« antworte ich und reiche ihm seine Tasse. »Sie -haben ja auch Ihre Gegenmaßregel schon getroffen, die einzig wirksame, die -es gibt.« - -»Ja, ich bin hierhergeflüchtet,« sagt er, ȟbrigens nicht nur vor dem -Regen, denn ich habe ja auch zu Hause gewissermaßen ein Dach über -dem Kopf. Aber dies hier ist kein Dach, es ist eine Art Baldachin, eine -Tempelwölbung, wenn Sie wollen, und nach so etwas sehnt man sich von Zeit -zu Zeit geradezu elementar.« - -Ich blicke ihn prüfend an und entdecke, daß er müde aussieht und daß -sein schöngeschnittenes Gesicht noch etwas hagerer als sonst erscheint. - -»Sie haben zu viel gearbeitet,« sage ich. -- »Ja,« antwortet er -seufzend, »ich habe mich geschunden und abgerackert, hundert Pferdekräfte -habe ich vorgespannt, weil ich es zwingen wollte. Äh, lassen wir's jetzt! -Hier ist es schön, und der Gedanke an Arbeit liegt in nebelhafter Ferne. --- Denn sehen Sie,« fährt er lebhaft fort, »trotzdem Sie oft über -meinen irrsinnigen Fleiß schelten, und trotzdem ich manchmal arbeite wie -ein Tier, im Grund meines Wesens bin ich faul, -- ohne jede Beschönigung, -schlechthin faul.« - -»Ich weiß,« antworte ich, »und kann Sie mir sehr gut als -leidenschaftlichen Anhänger meines Lieblingsgottes vorstellen, des -göttlichsten Gottes, der das absolute Nichtstun lehrt und das süße -Versinken in sich selbst.« - -»Ja,« antwortet Robert Helström mit einer großen Geste, »und hier ist -der Tempel des Gottes Tao und seine fanatischste Priesterin. Und mir ist -fast so, als kennten wir einander von Urzeiten her, und unsere Lotosblumen -hätten einmal nahe beieinander geblüht. Ja wahrhaftig,« er stützt den -Kopf in die Hand und betrachtet mich aufmerksam, »wenn ich mich recht -besinne, gnädige Frau, Sie haben sich in den letzten zweitausend Jahren -nicht im geringsten verändert.« - -»Kleiner Dichter,« sage ich und sehe ihm in die necklustigen Augen. »Was -wollen Sie eigentlich heute von mir? Ihre Redensarten sind so süß und -glupschig wie Pralinés und haben auch das mit Pralinés gemein, daß man -nicht recht weiß, was darin steckt. Also sagen Sie's gleich: muß ich -wieder bei der Abfassung eines knifflichen Briefes an Ihren Verleger -helfen, der so ungefähr haarscharf an einer Injurienklage vorbeiführt? -Oder habe ich Sie heute mit eigener Lebensgefahr aus einer verzwickten -Liebesaffäre zu erretten? Oder was ist es sonst?« - -Aber in Robert Helströms Kopf scheint nur _ein_ Wort haften geblieben zu -sein, er macht einen langen Hals und blickt suchend auf dem Tisch umher. - -»Apropos Praliné?« murmelt er. - -Ich zeige ihm meine geöffneten Hände. »Alle,« antworte ich. - -»Unerhört,« sagt er und lehnt sich entrüstet im Sessel zurück. »Ich -werde mich beschweren!« - -»Tun Sie das,« nicke ich. »Wer sich beschwert, erleichtert sich -merkwürdigerweise, und das ist auch meist der einzige Erfolg, den er dabei -aufzuweisen hat.« - -»Gut,« sagt Robert Hellström, »diesen Splitter aus dem Auge Ihrer -Nächsten sollten Sie den Fliegenden Blättern übersenden und für den -Erlös neue Pralinés kaufen. -- Übrigens ist doch sicher nur Marke zwei -und drei ausgegangen, während Nummer eins noch beinahe unangetastet im -Schokoladenschrank ruht.« - -»Selbstverständlich,« antworte ich. »Nummer eins ist streng persönlich -und unübertragbar. Nur zur Aufheiterung meiner einsamen Stunden bestimmt -und hie und da im Theater zur geistigen Anregung.« - -Robert Helström schweigt empört, aber die tausend Qualen, die ein Genie -zu erdulden hat, stehen so deutlich auf seinem Gesicht geschrieben, daß -ich gerührt aufstehe und zum Schokoladenschrank gehe. Er bemerkt es -scheinbar nicht, sondern blickt schweigend nach der Stubendecke. Erst wie -ich mit der kleinen Schachtel an den Tisch zurückkomme, sagt er lebhaft: - -»Wir wollen sie ausschütten, der besseren Übersicht halber,« und leert -die Schachtel vorsichtig auf einen Glasteller. Dann sitzen wir ein -paar Minuten still und einträchtig zusammen, wie Kinder, die auf die -angenehmste Art beschäftigt sind. - -Endlich sage ich: »Etwas muß auch für das nächste Mal bleiben,« und -stelle den Teller aus seiner Reichweite. - -»Mir fällt übrigens ein, daß wir uns lange nicht gesehen haben.« - -»Vier Wochen fast,« antwortet er, »und es spricht weder für Sie -noch für mich, daß Ihnen das jetzt erst einfällt. Ich will zu Ihrer -Entschuldigung annehmen, daß Sie von anderer Seite genügend mit geistiger -Kost versehen wurden.« - -»Es muß wohl ausreichend gewesen sein,« antworte ich. »Meine Freunde -haben ja alle viel Zeit, und so kommt es --« - -»Ja, ja,« macht er nachdenklich und fährt dann lebhaft und mit etwas -affektierter Leichtigkeit fort: - -»Ja, das wäre doch interessant zu wissen, gnädige Frau, und ich hoffe, -Sie antworten mir ehrlich: Ist Ihnen noch nie der eine oder der andere -Ihrer Freunde gefährlich geworden? Es läge doch so nahe --« - -Ich kann's nicht ändern, ich muß dem kleinen Dichter einmal mit der Hand -übers Gesicht streichen und ihm dann einen Nasenstüber versetzen. - -»Einer?« sage ich. »Oder der andere? Was denken Sie eigentlich? Jeder -einzelne ist mir schon gefährlich gewesen, der eine auf Tage, der andere -auf Stunden und manchmal waren's auch nur Minuten, aber zum Glück hat -immer einer den anderen wieder aufgehoben, so daß die Sache hübsch im -Gleichgewicht blieb, -- =balance of power= nennt man so etwas, glaube -ich.« - -Der kleine Dichter sieht unzufrieden aus, und ich beuge mich ein wenig zu -ihm hinüber und frage: - -»Also weshalb habe ich Sie solange nicht gesehen?« - -Er weicht meinem Blick aus: »Ich wollte arbeiten, ich sagte es ja.« - -»Früher war das ein Grund mehr, zu kommen.« - -»Ja, früher!« antwortet er rätselhaft und fragt dann, unbeweglich in -den blauen Rauch starrend, der seiner Zigarette entsteigt: - -»Kennen Sie das, was einen nicht arbeiten und nicht ausruhen läßt, nicht -wachen und nicht schlafen, die Qual, die einen auffrißt bei lebendigem -Leib?« - -»Wer kennt das nicht?« antworte ich, und dann ist's eine Weile still im -Zimmer. - -Und dann frage ich: »Wissen Sie denn so genau, daß sie einen anderen -liebt?« - -»Sie ist verheiratet,« sagt er leise, und da ich ihn schweigend ansehe, -fährt er hastig fort: »Ich weiß, was Sie sagen wollen. Aber er ist der -Mann, und er hat das Recht, und ich kann den Gedanken nicht ertragen --« - -Er steht so heftig auf, daß der kleine Tisch ins Schwanken gerät, und die -eierschalendünne Tasse klirrt. - -»Und er, der Ehemann?« frage ich. »Hat er nicht mehr Grund zur -Eifersucht als Sie?« - -»Der?« lacht er. »Weshalb denn? Er ist ja seiner Sache sicher; sie ist -vernünftig, denkt er, sie wird mir schon keine Dummheiten machen. Und -darin hat er recht, Gott sei's geklagt!« - -Ich schweige, und es geht mir durch den Kopf, daß hier ein fundamentaler -Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Empfinden sein muß. Mag -sie lieben, wen sie will, denkt der Normalmann, wenn sie mir nur keine -Dummheiten macht! Mag er Dummheiten machen, wenn er will, denkt die -Normalfrau, wenn er nur keine andere so liebt wie mich! - -Und ich will schon ein bißchen stolz auf mein eigenes Geschlecht werden, -denn unser Standpunkt scheint mir der geistigere und vornehmere zu sein, -aber ehe ich dazu komme, fallen mir schon wieder hundert Für und Wider -ein, und aus diesen Erwägungen heraus frage ich Robert Helström, der mit -langen Schritten das Muster meines Teppichs auf und ab schreitet und dabei -gewisse Ornamente ängstlich zu vermeiden scheint: - -»Weshalb sagt man eigentlich, ein Mann sinkt und eine Frau fällt?« - -Er steht still und sieht mich einen Augenblick zerstreut an, dann sagt -er: »Das ist doch sehr einfach. Wir Männer sind schon unten, wir leben -sozusagen im Sumpf und können nur noch tiefer sinken und versumpfen, -langsam und allmählich. Die Frau steht auf einer stolzen Höhe, aber ein -Schritt zur Seite stürzt sie in den Abgrund.« - -»Kinder!« sage ich, »warum habt ihr uns nur auf ein so gräßlich -gefährliches Postament gestellt? Hat eine von uns vielleicht jemals nach -dieser schwindelnden Höhe verlangt?« - -Der kleine Dichter lacht. »Meiner bescheidenen Erfahrung nach nicht. Aber -Sie haben recht, _wir_ haben die Frau auf das ehrenvolle Piedestal erhoben. -Im Manne ist eine Sehnsucht nach Reinheit, eine Andacht und Ehrfurcht vor -der Unbeflecktheit des Weibes, die ihn trotz allem der Frau gegenüber -zu dem ethisch höherstehenden Wesen macht. Bedenken Sie nur, daß selbst -guterzogene und gut veranlagte Mädchen den berüchtigten Don Juan dem -Tugendhelden vorziehen, während wir, trotz aller Verirrungen, das reine, -das jungfräuliche Weib am meisten lieben.« - -»Ja, ja,« sage ich nachdenklich, »aber wie läßt sich diese -rätselhafte, höchst widerspruchsvolle Tatsache erklären, denn mit einer -höheren ethischen Veranlagung des Mannes hat sie sicher nichts zu tun.« - -»Ich finde das unrecht,« schmollt er, »nicht mal das bißchen höhere -Ethik gönnen Sie uns, doch sicher einer der am wenigsten begehrten -menschlichen Vorzüge. Oder halten Sie es vielleicht für ein Vergnügen, -moralisch zu empfinden?« - -»Sicher nicht,« antworte ich. »Ihr würdet euch sonst stärker damit -belasten. Aber ich glaube, ich habe des Rätsels Lösung gefunden: Aus -Egoismus liebt der Mann das jungfräuliche Weib, nicht aus Ehrfurcht vor -ihrer Reinheit, sondern aus dem rohen Verlangen heraus, der Erste zu sein, -der diese Reinheit besitzt und der sie zugleich zerstört. Und aus tief -ethischem Empfinden liebt die Frau den gesunkenen Mann, aus Opfer- -und Schmerzbereitschaft und aus dem Trieb heraus, ihn zu heben und zu -erlösen --« - -Ich sehe den kleinen Dichter stolz an, aber der schüttelt baß verwundert -den Kopf. - -»Ei du liebes Herrgöttle!« sagt er, »seit wann sind Sie denn so -begeistert weiblich gesinnt? Und wer sagt denn, daß wir partout eure -Reinheit zerstören wollen? Daß wir's tun, ist eine bedauerliche -Nebenerscheinung, aber doch nicht Zweck und Ziel. Im Gegenteil, es -stimmt uns traurig und läßt uns immer von neuem nach neuer Reinheit und -Unberührtheit suchen. Daher der Typ des Don Juan, der rastlos sucht und -der erst zur Ruhe kommen kann, wenn er das Ideal gefunden hat, die Frau, -deren Reinheit unzerstörbar ist, Mutter und Jungfrau zugleich. Denn das -ist nicht allein das Ideal der katholischen Kirche, der Madonnenkult lebt -in jedem Mann.« - -»Nun,« antworte ich, »ich bin sicher, sämtliche Lebejünglinge und --greise werden Ihnen Dank wissen, daß Sie aus ihrer Unersättlichkeit -die Sehnsucht nach einem Ideal, sozusagen also aus ihrer Not eine Tugend -gemacht haben. Wie auch alle abenteuerlustigen Backfische mir dankbar die -Hand küssen sollten, wenn ich ihre Sensationsgier in Opferfreudigkeit -umdichte. -- Denn man kann bekanntlich alle Dinge so und anders sehen, das -Gegenteil ist meistens ebenso richtig.« - -Der kleine Dichter hat sich wieder an den Tisch gesetzt und raucht mit -Hingebung seine Zigarette. - -»Die Weisheit der Temperamentlosen,« bemerkt er und fährt plötzlich mit -nervöser Gereiztheit fort: »Sie sollten sich nicht zu ihr bekennen. -Wer alles so und anders sehen kann, der mag sehr weise sein, aber er kann -nichts hassen und nichts lieben. Er liebt einmal hier und einmal da, und -vielleicht gibt es sogar Menschen, die hier und da zugleich lieben können. -Wer weiß es?« - -»Ja, wer weiß es?« wiederhole ich und zünde mir eine Zigarette an. Und -dann, in unseren gewohnten Neckton verfallend, füge ich lächelnd hinzu: -»Kleine Dichter müssen nicht so viel fragen. Sie kennen ja bekanntlich -die Welt durch Antizipation und brauchen unsere Weisheit nicht.« - -Aber er fährt in seinem heftigen Tone fort, und seine Augen blitzen mich -böse an: - -»Beneidenswerte Leute, die so weise sind, daß sie über alles lächeln -können. Verspielte Leute, die das Leben zwischen ihren schmalen Händen -und spitzen Fingern halten wie ein drolliges und seltsames Spielzeug und -es hin und her drehen und lächelnd betrachten. Leute, denen alles zum -Spielzeug wird, Worte und Empfindungen und Dinge und Menschen. -- Ja, -Menschen auch!« - -Er schweigt, und ich nehme seine Hand und streichle sie leise. - -»Nicht schelten,« sage ich. »Lassen Sie uns spielen! Und lassen Sie uns -die Augen wegwenden von dem Abgrund, der überall neben uns klafft, wo -wir gehen und stehen, und in den wir versinken müssen, wenn wir -hinunterschauen. Lassen Sie uns am Rand spielen, wie Kinder, die von nichts -wissen.« - -Wir schweigen einen Augenblick, dann sagt er leise, seine Wange an meine -Hand gelehnt: - -»Wissende Kinder sind es, die die Augen vor dem Abgrund verschließen -und mit ihrem eigenen Herzen spielen wie mit der ganzen Welt. -- Aber -vielleicht ist es doch wahr, daß nichts auf Erden uns so nötig ist wie -ein Frauenlächeln, und daß nichts im Leben so ernst und so heilig ist wie -das Spiel.« - -»Lieber kleiner Dichter,« sage ich und reiche ihm den Rest der Pralinés -hinüber, »weise oder nicht, für mich sind Sie ein großer Dichter.« - - - - -[ Hinweise zur Transkription - - -Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. - -Darstellung abweichender Schriftarten: _gesperrt_, =Antiqua=. - -Bei direkter Rede wurden sowohl Komma als auch Punkt vereinheitlichend -jeweils vor dem schließenden Anführungszeichen angeordnet. - -Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden -Ausnahmen, - - Seite 43: - "sie" geändert in "Sie" - (recht gut, und was Sie jetzt sagen) - - Seite 44: - "« --" eingefügt - (optimistisch genug zu behaupten, --« --) - - Seite 44: - "»" entfernt vor "Ich" - (so nennen. -- Ich will das erst beweisen) - - Seite 55: - "»" entfernt vor "Aber" - (Aber Paulsen schüttelt den Kopf.) - - Seite 81: - "»" eingefügt - (sagt Erich, »auf diesen liebenswürdigen Trick) - - Seite 114: - "»" eingefügt - (»daß sich auch bei Ihnen einmal) - - Seite 127: - "»" eingefügt - (»wir treffen uns oft des Abends im Café) - - Seite 127: - "«" eingefügt - (Es wird nie zutage kommen.«) ] - - - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Gespräche im Zwielicht, by -Karin Delmar [pseud.] and Terese Robinson - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GESPRÄCHE IM ZWIELICHT *** - -***** This file should be named 63021-0.txt or 63021-0.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/6/3/0/2/63021/ - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -https://www.pgdp.net - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions -will be renamed. - -Creating the works from public domain print editions means that no -one owns a United States copyright in these works, so the Foundation -(and you!) can copy and distribute it in the United States without -permission and without paying copyright royalties. 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You may copy it, give it away or -re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included -with this eBook or online at www.gutenberg.org/license - - -Title: Gespräche im Zwielicht - -Author: Karin Delmar [pseud.] - Terese Robinson - -Release Date: August 23, 2020 [EBook #63021] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GESPRÄCHE IM ZWIELICHT *** - - - - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -https://www.pgdp.net - - - - - - -</pre> - - - - - -<p class="pb ce ml16"><a class="pagenum" id="page_001"> </a> -<img src="images/p001i.jpg" alt="" /></p> - - -<p class="fsxl ce"><a class="pagenum" id="page_003"> </a> -<span class="ge">Karin Delmar</span></p> - -<h1>Gespräche im Zwielicht</h1> - -<p class="ce fsl mt2"><b>*</b></p> - - -<p class="ce mt4"><span class="ge"><b>Gebrüder Enoch / Verlag / Hamburg</b></span></p> - - -<p class="ce mt2"><a class="pagenum" id="page_004"> </a> -Alle Rechte, auch das der Übersetzung, vorbehalten<br /> -<i>Amerikanisches Copyright 1924 by Gebrüder Enoch,<br /> -Hamburg. Printed in Germany</i></p> - - -<p class="ce fsxs mt2">Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_005" title="5"> </a> -Eine Einleitung, die eigentlich das letzte<br /> -Gespräch ist und deshalb am Anfang und<br /> -am Schluß gelesen werden kann</h2> - -<p class="ce"><img src="images/p005i.jpg" alt="" /></p> - - -<p><a class="pagenum" id="page_007" title="7"> </a> -Die Leute, die Kurt Georgi nicht näher kennen -und ihm seine tadellose Erscheinung mißgönnen, -werfen gerne die nachlässige Bemerkung hin, daß -er doch in der Hauptsache nur dekorativ wirke und -eine fatale Ähnlichkeit mit den unsäglich vornehmen -Dandys habe, wie sie die englischen Familienblätter -und die Plakate unserer Zigarettenfirmen schmücken.</p> - -<p>Ja, ich darf nicht verschweigen, daß eine junge -Dame, die ihn in einem Konzert mit verschränkten -Armen an einer Säule lehnen sah, in den erstaunten -Ruf ausbrach: »Also den gibt es wirklich!«</p> - -<p>Aber ich darf auch nicht verschweigen, daß Kurt -Georgi, als ich ihm diese frohbewegten Worte -hinterbrachte, mit einem gar nicht dandyhaften, -sondern sehr herzlichen und lauten Lachen den -Kopf im Sessel hintenüberwarf und ein übers -andere Mal »Reizend!« rief.</p> - -<p>Denn er ist in Wirklichkeit gar kein Dandy.</p> - -<p>Alles dies gehört natürlich durchaus nicht hierher, -es soll nur einen Eindruck von dem jungen -Manne geben, der, soeben zu mir ins Zimmer -tretend, mir mit etwas übertriebener Feierlichkeit -<a class="pagenum" id="page_008" title="8"> </a> -das Manuskript der Gespräche im Zwielicht -überreicht, das ich ihm zur Durchsicht geliehen -hatte.</p> - -<p>Die Feierlichkeit hält nicht lange stand, er streift -mit einem spitzbübischen Blick den kleinen Tisch, -auf dem Kuchen und Zigaretten aufgebaut sind -und fragt mit einer leisen, aber betonten Ängstlichkeit -in der Stimme:</p> - -<p>»Soll ich am Ende auch unter die Zwielichtfreunde -in dem Buch eingereiht werden?«</p> - -<p>»Keine Sorge,« antworte ich, »der Kreis ist -geschlossen. Sie müssen zugeben, elf Freunde sind -genug, das Publikum könnte die Geduld verlieren.«</p> - -<p>»Und was schlimmer ist,« setzt er hinzu, »es -könnte zwölf als ein Dutzend auffassen.«</p> - -<p>Ich nicke. »Aber nicht wegen dieser furchtbaren -Möglichkeit allein sind Sie ausgeschaltet worden. -Es mußte ja auch einer außerhalb bleiben, um unbefangen -urteilen zu können und mir dann –«</p> - -<p>Georgi prallt einen Schritt zurück und hebt die -Hände mit einer entsetzten Abwehrgeste hoch. Aber -ich fahre unbeirrt fort: »Sie wissen doch, was vom -Merker geschrieben steht: Er werde so bestellt, daß -weder Haß noch Lieben das Urteil trüben, das er -fällt. – Und ich dachte, Ihre wohltuend kühle -Sachlichkeit –«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_009" title="9"> </a> -»Sachlichkeit!« wiederholt er empört, »für dieses -harte und ungerechte Wort will ich mich bösartig -rächen, und zwar am liebsten auf der Stelle durch -eine peinlich sachliche Kritik.«</p> - -<p>»Erst Kaffee trinken,« bitte ich, und er setzt -schnell hinzu, während er zufrieden den Tisch überblickt: -»Wobei ich nur nebenbei bemerken möchte, -daß ich jeder Art von Bestechung zugänglich bin.«</p> - -<p>»Ich weiß,« antworte ich, »und habe deshalb -Ihre Lieblingskeks backen lassen, die ganz dünnen, -die hauchzarten und zerbrechlichen, mit einem Wort, -die Ästheten unter den Keks.«</p> - -<p>»Reizend!« lacht Kurt Georgi, und seine länglich -geschnittenen Augen werden ganz schmal vor -Vergnügen:</p> - -<p>»Diese Erzeugnisse einer überraffinierten Kultur -sind gewiß so bekömmlich, daß selbst die zarteste -Dame ein Dutzend davon verschlingen kann.«</p> - -<p>»Nur elf, wie Sie wissen,« berichtige ich, »und -außerdem – verschlingen, wie vulgär! Genießen -sagt man, oder auf der Zunge zergehen lassen, -wenn es sich um etwas so Ästhetisches und Delikates -handelt.«</p> - -<p>»Wie um Ihre Gespräche hier zum Beispiel,« -bemerkt er mit einer Bewegung nach dem Manuskript -hin. »Die haben entschieden etwas, was auf -der Zunge zergeht, und außerdem –«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_010" title="10"> </a> -»O weh,« unterbreche ich ihn, »wir kommen -nicht drum herum, Sie müssen erst Ihre Kritik -loswerden, vorher schmeckt's Ihnen nicht. Aber -hüten Sie sich, wer weiß, ob Sie nachher noch -etwas bekommen.«</p> - -<p>»Ich werde nicht zu ehrlich sein,« versichert er -schnell.</p> - -<p>»Darum möchte ich auch energisch bitten,« sage -ich, »denn Sie wissen, ich gehöre zu den seltenen -Menschen, die ehrlich genug sind, einzugestehen, -daß ihnen Ehrlichkeit in den Tod verhaßt ist.«</p> - -<p>»Wundervoll, wie Sie mir die Aufgabe erleichtern,« -antwortet Georgi. »Aber ich hätte mir -auch im anderen Fall kein Gewissen aus meiner -Unehrlichkeit gemacht. Denn es ist doch wahrhaftig -ganz und gar gleichgültig, was man in -solchen Fällen sagt. Die Kritik kann noch so verneinend -sein, der andere hört von allem nur das -Ja. Noch dazu, wenn der andere eine Frau ist.«</p> - -<p>»Der Anfang ist verheißungsvoll,« sage ich, -und decke die Mütze über die Kaffeekanne, »kommen -Sie also zur Sache!«</p> - -<p>»Also,« holt Kurt Georgi aus, bequem zurückgelehnt -und mit beiden Händen die Lehnen des -Sessels umspannend, »fürs erste: Ich finde die -Idee des Buches nett und originell. In elf zwanglosen -Plaudereien sind elf junge Männer geschildert, -<a class="pagenum" id="page_011" title="11"> </a> -die nur durch die Freundschaft zu einer Frau, -also sozusagen durch eine Art Personalunion, miteinander -verbunden sind.«</p> - -<p>Ich nicke dankbar und er fährt fort: »Vor -allem bewundere ich dabei, wie geschickt und zartfühlend -Sie es verstanden haben, in diesen Gesprächen -jede allzu prägnante Charakterschilderung -der Freunde zu vermeiden. Das Buch hätte im -anderen Fall leicht die Art eines Schlüsselromans, -wenigstens für Ihren Kreis, annehmen können, -und das wäre natürlich höchst unfair gewesen.«</p> - -<p>Da ich diesmal kein Zeichen des Einverständnisses -gebe, setzt er mit einem schnellen Blick nach -den Keks und einer kleinen Neigung des Kopfes -hinzu: »Wie gesagt, ich achte Ihre Zurückhaltung.«</p> - -<p>»Sehr fein,« lobe ich. »Reden Sie nur weiter. -Es ist geradezu ein exquisites Vergnügen, von Ihnen -massakriert zu werden.«</p> - -<p>Kurt Georgi lehnt den Kopf im Sessel hintenüber -und schaut einen Augenblick sinnend zur -Stubendecke hinauf. Dann spricht er vorsichtig, -beinah tastend weiter:</p> - -<p>»Nun könnte man ja auch sagen, und der intelligente -Leser wird es zweifellos tun und damit -das Verdienst Ihrer Zurückhaltung schmälern, -man könnte sagen, daß Sie die Freunde nicht -schärfer charakterisieren konnten. Zum Teil schon -<a class="pagenum" id="page_012" title="12"> </a> -deshalb nicht, weil Sie sich darauf kapriziert -haben, sie fast ohne jede Beziehung zur Außenwelt -zu zeigen und alle in der gleichen Atmosphäre -und vom gleichen Gesichtswinkel aus gesehen. -Dieser Umstand hat unbedingt etwas, nun ja, -sagen wir etwas Nivellierendes, und die jungen -Männer, so verschiedenartig sie sein mögen, erscheinen -daher alle wie Glieder einer –« Georgi -deutet mit einer seiner überlebensgroßen Gesten -einen weiten Kreis an – »wie Glieder einer -großen Familie.«</p> - -<p>»Die sie ja in einer gewissen geistigen Art auch -wirklich sind,« werfe ich ein, doch er achtet nicht -darauf und spricht lebhaft weiter, den Zeigefinger -hebend:</p> - -<p>»Nun kommt aber eine merkwürdige Erscheinung: -Zwischen all diesen Köpfen schaut wie im -Vexierbild ein Kopf hindurch; das eine Porträt -wird sichtbar, das Sie wahrscheinlich nicht zu -zeichnen beabsichtigten, und das nun, ich sage beileibe -nicht ›deshalb‹, das nun das einzige von -zwingender Ähnlichkeit geworden ist: das Porträt -der Frau.«</p> - -<p>»Lieber Freund,« sage ich, »wie ist das möglich? -Nicht ein einziges Wort spricht die Frau in dem -Buch über sich und ihre Empfindungen. Sie schweigt -sich und ihr Leben ja geradezu tot, und mir scheint -<a class="pagenum" id="page_013" title="13"> </a> -es jetzt sehr bezeichnend für das Wesen der Freundschaft -zu sein, daß keiner der Freunde je diese Verschwiegenheit -bemerkt.«</p> - -<p>»Drollig,« lächelt Kurt Georgi und streift die -Asche vorsichtig von seiner Zigarette, »drollig, daß -wir oft am Schluß Tiefen in unseren Werken -finden, von denen wir selbst nichts geahnt haben. – -Aber hoffentlich ist Ihnen diese unvermutete Tiefe -nicht peinlich, gnädige Frau, denn es ist ja sonst -in dem Buch jede Spur von Gründlichkeit aufs -Sorgsamste vermieden. Alle Dinge sind nur im -Flug berührt, alle Fragen nur mit den Fingerspitzen -angefaßt, alles schwebt sozusagen in der -Luft. In einer sehr angenehmen, wohltemperierten, -nur wenig parfümierten Luft, in der nicht gelacht -und nicht geschrien wird, in der man nur lächelt -und plaudert. – Und dann, gnädige Frau –«</p> - -<p>Er setzt sich plötzlich im Sessel aufrecht und -streckt mir mit einer verzweifelt flehenden Gebärde -die Hände entgegen: »Was haben Sie sich um -Gottes willen dabei gedacht, nicht eine Spur von -Pikanterie in diese Gespräche zu mischen! Wie in -aller Welt glauben Sie, ein Publikum zu finden, -wenn Sie die erotischen Probleme mit einer so -geradezu minutiösen Sauberkeit behandeln? Mein -Gott, der Titel verpflichtet doch schon beinah! Ja, -wenn Sie schon berühmt, oder wenigstens auf -<a class="pagenum" id="page_014" title="14"> </a> -irgendeine sensationelle Art gestorben wären! – -Man liest ja schließlich auch die Droste und -Eichendorf und Hölderlin, und neuerdings ist bei -den Obersnobs Klopstock wieder modern geworden -und wird bald so bedeutend sein wie Goethe – -aber lebend und unberühmt und weder pikant noch -pervers! – Unmöglich!«</p> - -<p>Und Kurt Georgi macht eine abschließende Handbewegung, -die mich erledigt, und lehnt sich mit allen -Zeichen der empörten Hoffnungslosigkeit im Sessel -zurück.</p> - -<p>»Vielleicht lockt der Titel,« versuche ich einzuwenden. -»Oder wenn man einen himmelschreiend -neuartigen Buchdeckel machte –«</p> - -<p>»Nein, nein,« wehrt er ab, »uns bleibt nur zu -hoffen, daß der eine oder der andere Ihrer eventuellen -Leser in dem Umgehen jeder erotischen -Pikanterie eine besonders prickelnde Nuance entdeckt. -Ja, sehen Sie,« setzt er wie neubelebt durch -diesen Hoffnungsstrahl hinzu, »das halte ich noch -nicht für ganz ausgeschlossen.«</p> - -<p>»Diesem verständnisvollen Leser möchte ich schon -im voraus dankbar die Hand drücken,« sage ich -lachend, »und ihn unter meine Freunde einreihen, -denn er hat richtig erkannt, daß die ungesprochenen -Worte meist die bedeutungsvolleren sind, daß -sie noch wahrer zu reden verstehen und –« Ich -<a class="pagenum" id="page_015" title="15"> </a> -stocke, denn Kurt Georgi blickt mir, den Kopf in -die Hand gestützt, mit einem forschenden Blick in -die Augen.</p> - -<p>»Und noch feiner zu lügen,« setzt er langsam -hinzu.</p> - -<p>»Nein, nein,« winke ich ein bißchen nervös ab, -»ehrlich werden ist gegen die Abrede und in dieser -Atmosphäre so wenig angebracht wie Schreien oder -große Worte machen in diesem Buch. Die Frau -hier und dort ist nun einmal nicht für die großen -Worte geschaffen, ebensowenig wie für die großen -Erlebnisse.«</p> - -<p>»Das weiß Gott,« nickt Georgi elegisch. »Dazu -ist sie leider nicht trivial genug. Sie sitzt lieber -wie die besonders kostbaren und zerbrechlichen Kunstwerke -in den Museen unter einer Glasglocke oder -von einer roten Schnur umgeben, die sie kaum bemerkbar, -aber unüberwindlich von der Welt abschließt. -Und da sie gewohnt ist, jede Arbeit im -Leben von anderen für sich verrichten zu lassen, so -läßt sie natürlich auch die anderen für sich erleben. -– Was übrigens sicher der höchste Grad -von Vornehmheit ist.«</p> - -<p>»Lieber Georgi,« sage ich, »was heißt denn erleben? -Müssen wir denn immer leibhaftig mitagieren -und die Bombenrolle in dem Stück spielen? -Muß es nicht auch Zuschauer geben, die entzückt -<a class="pagenum" id="page_016" title="16"> </a> -oder schaudernd miterleben, was sich auf der Bühne -begiebt?«</p> - -<p>»Nein,« antwortet er, »auch der Zuschauer da -unten muß ein eigenes Leben haben, wie könnte -er sonst Schauer und Entzücken fühlen? Nur die -Wonnen, die in unserem eigenen Empfindungsbereich -liegen, können uns erregen, und nur der -Schmerz, der unserem eigenen verwandt ist, rührt -uns zu Tränen.«</p> - -<p>»Und so weint im Grunde genommen jeder nur -um sich selbst.«</p> - -<p>»Und wenn ich eine Minute lang ehrlich sein -darf,« fährt Georgi fort, »ich glaube auch gar nicht -an dies vollkommen selbstaufgegebene Miterleben -und an die lächelnde Gleichmäßigkeit der Frau in -Ihrem Buch. Viel eher glaube ich, daß sie in -diesen Gesprächen eine schwere Enttäuschung nicht -totschweigt, wie Sie meinten, sondern totplaudert, -was ja manchmal dasselbe bedeutet. Und noch eher -glaube ich, und sage es, selbst auf die Gefahr hin, -bei der Verteilung der Ästhetenkeks leer auszugehen, -noch eher glaube ich, daß sie ein ganz raffinierter -kleiner Racker ist. – Ja, ich würde vorschlagen,« -und Kurt Georgi deutet das Folgende -in seiner lebhaften Gebärdensprache an, »ich würde -vorschlagen, an der roten Schnur in Manneshöhe -eine Warnungstafel für geistreiche und gemütvolle -<a class="pagenum" id="page_017" title="17"> </a> -junge Leute anzubringen: ›Hier liegen Fußangeln‹ –«</p> - -<p>»Scht! Scht!« winke ich erschrocken ab, und -er setzt schnell hinzu: »Es war natürlich von der -Frau in dem Buch die Rede.«</p> - -<p>»Das versteht sich,« antworte ich, »und ich bin -glücklich über Ihr Urteil, so hart es ist. Denn -daß diese Frau es vermocht hat, Furcht und -Mitleid in Ihnen zu erregen, genau nach der altgriechischen -Vorschrift für Kunstwerke, das spricht -doch ungeheuer für mich und mein Buch. Es ist -der kleine süße Kern, den ich aus Ihrer bitteren -Kritik herausschäle, das Ja, daß ich trotz aller -Verneinung höre. – Und nun sollen Sie doch -unter die Freunde hier aufgenommen werden, -und zwar nicht als letzter, sondern als erster im -Dutzend. Ich will unser heutiges Gespräch als -Einleitung in das Buch setzen, denn nach einem -Vorwort habe ich schon lange verzweifelt gesucht. -Da weiß der Leser doch gleich, woran er -ist, und die Sache hat noch das Gute, daß -die Einleitung zugleich als Schlußwort gelten -kann.«</p> - -<p>»Gott bewahre,« sagt Kurt Georgi entsetzt, -»auf so etwas hätte man doch wenigstens vorbereitet -sein müssen. – Aber,« setzt er nachdenklich -hinzu, »wenn ich auf die ökonomische Ausschlachtung -<a class="pagenum" id="page_018" title="18"> </a> -meiner geistigen Arbeit eingehe, welche Belohnung -haben Sie mir zugedacht?«</p> - -<p>Ich sehe ihm in die vor Schelmerei ganz schmal -gewordenen Augen und muß unwillkürlich lächeln.</p> - -<p>»Ja, ja,« nickt er, »hier wäre die beste Gelegenheit, -eine Pikanterie anzubringen, wenn ich Ihnen -diesen literarischen Rat erteilen darf.«</p> - -<p>»Unmöglich!« sage ich und schiebe den kleinen -Tisch mit Kaffee und Kuchen zwischen uns. »Was -sollte der Leser von uns denken!«</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_019" title="19"> </a> -Das typische Erlebnis</h2> - -<p class="ce"><img src="images/p019i.jpg" alt="" /></p> - - -<p><a class="pagenum" id="page_021" title="21"> </a> -Wir haben lange geschwiegen, und es ist so still -im Zimmer, daß das Ticken der Uhr schon anfängt, -aufdringlich zu werden. Endlich hebt Frank -Meinert den Kopf mit dem zerwühlten schwarzen -Haar, und über sein blasses, meist etwas verdrossenes -Gesicht geht langsam das halb verlegene, -halb selbstironische Lächeln, das ich sehr an ihm -liebe.</p> - -<p>»Weiß der Himmel,« sagt er und wirft mit -einer bei ihm ungewohnt lebhaften Bewegung das -Zigarettenrestchen in die Aschschale, »in dieser -fabelhaften Feiertagsstille kann ich mich unmöglich -auf meine Leiden besinnen.«</p> - -<p>»Schade,« antworte ich und schiebe ihm die Pralinés -näher, »ich werde auf diese Weise nie erfahren, -was Sie bedrückt und weshalb Sie sich seit -ein paar Wochen so in den Wirbel des Weltlebens -gestürzt haben, daß es fast keine festliche -Veranstaltung in Hamburg gibt, bei der nicht -Frank Meinert bleich, mürrisch und zerwühlt, ein -Miniatur-Beethoven, in einer Saalecke hockt. – -<a class="pagenum" id="page_022" title="22"> </a> -Oder sollte zwischen diesen Dingen kein Zusammenhang -bestehen?«</p> - -<p>Das Lächeln um Franks großen und nervös-beweglichen -Mund wird lebhafter. »Ja,« sagt er -und sucht sich bedächtig seine Lieblingspralinés heraus, -»so ist meine Art zu leiden.«</p> - -<p>»Vernünftig,« lobe ich, »aber leider nicht neu. -Jeder, der etwas auf seine Leiden hält, führt sie -an fashionable Betäubungsstätten. Ich hätte von -Ihnen etwas Originelleres erwartet.« – »Ihr alter -Fehler!« bemerkt er mürrisch und fährt nach einem -kurzen Schweigen mit überraschend einsetzender -Beredsamkeit und nervös flackerndem Gesicht fort:</p> - -<p>»Sie leiden an einem fundamentalen Mangel an -Menschenkenntnis. Ich bin kein Originalitätsfex, -wie Sie hartnäckig annehmen. Und es spricht auch -wieder einmal bedauerlich wenig für Ihren psychologischen -Blick, wenn Sie glauben, daß ich im -Trocadero oder beim Bösen-Buben-Ball oder etwa -bei den Massenmorden der Harvestehuder Gesellschaft -Betäubung gesucht habe.«</p> - -<p>Und da ich ihn erwartungsvoll ansehe, fährt er -langsamer fort: »Sie haben es wohl noch nie erfahren, -wie innig man seinen Schmerz lieben kann, -gerade inmitten der Vielen, denen man so unendlich -überlegen ist.« Und leise setzt er hinzu: »Weil -man zu den Auserwählten gehört, die leiden.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_023" title="23"> </a> -»Lieber Freund,« sage ich und stütze den Kopf -in die Hand, »selbst auf die Gefahr hin, Ihnen -eine Glücksquelle zu verschütten: Glauben Sie -wirklich, daß es nur die Auserwählten sind, die -leiden?«</p> - -<p>»Gewiß,« antwortet er eifrig, »denn zum wirklichen -Unglücklichsein gehört ein Maß von seelischer -Tiefe, das nur wenigen eigen ist. Wie natürlich -zu jedem großen Gefühl. Nicht nur der Schmerz, -auch das Glück will getragen sein.« Ich nicke: -»Insbesondere das der anderen. An dem schleppen -wir oft unglaublich schwer. Das eigene Glück soll -sich nicht schwer tragen, sagt man.«</p> - -<p>Frank Meinert ist aufgestanden und geht, seiner -Gewohnheit nach heftig rauchend und ein wenig -schlurfend, im Zimmer auf und ab.</p> - -<p>»Aber die Fähigkeit zum Glück muß da sein,« sagt -er vor sich hin, »die ganz gemeine Begabung dazu, -und die ist es, die mir fehlt. – Das ist das merkwürdige -bei mir, und ich habe schon unendlich viel -darüber nachgedacht: Warum habe ich nur so gar -kein Talent zum Leben?«</p> - -<p>»Nicht so schlurfen!« bitte ich ein bißchen nervös -und sage dann, während ich mir eine frische Zigarette -anzünde: »Sie haben ja so viele andere Talente,« -– und nach einer kleinen Pause – »wie -weit ist eigentlich Ihr –.« – »Ä!« unterbricht er mich -<a class="pagenum" id="page_024" title="24"> </a> -mit einer Gebärde des Ekels, »glauben Sie vielleicht, -daß ich jetzt arbeiten kann?« Und mit ironisch -übertriebenem Pathos die Arme reckend: »Ich bin -augenblicklich in der Periode des Erlebens!«</p> - -<p>»Natürlich,« nicke ich ihm zu, »die muß erst -überwunden sein, und ich bin mir schon lange darüber -klar, daß Arbeit wirklich nur etwas für die -Leute ist, die nichts zu tun haben.«</p> - -<p>Frank lächelt nachsichtig und läßt sich auf dem -Klavierstuhl nieder, den er trotz seiner eminenten -Unbequemlichkeit allen anderen Sitzgelegenheiten -vorzieht, wie überhaupt sein Wesen zwischen Trägheit -und dem Hang zur Selbstquälerei hin und -her schwankt.</p> - -<p>»Ihr Sarkasmus trifft mich nicht,« sagt er und -öffnet langsam und zerstreut den Flügel, »es war -natürlich nur von innerem, nicht von äußerem Erleben -die Rede.« – »Ich kenne diese Unterscheidung -gar nicht,« antworte ich, »was wir nicht innerlich -erleben, erleben wir doch überhaupt nicht.« – -»Erlauben Sie, wenn ich nächstens infolge der -mangelhaften Treppenbeleuchtung in meiner Bude -abstürzen und ein Bein brechen werde, dann nenne -ich das ein äußeres und kein inneres Erlebnis.«</p> - -<p>»Und ich nenne das einen Beinbruch, aber ein -Erlebnis nenne ich es noch lange nicht. Dazu könnte -es nicht einmal durch eine seelische Beziehung erhoben -<a class="pagenum" id="page_025" title="25"> </a> -werden, wie zum Beispiel durch die Tatsache, -daß Sie sich gerade auf den Weg nach einer -gewissen kleinen Konditorei –«</p> - -<p>Frank, der, wie es seine Gewohnheit ist, mit gesenkten -Lidern gesessen hat, hebt plötzlich den Blick, -und seine graugrünen Augen schillern feindselig zu -mir herüber. Er greift ein paar harte Akkorde und -wendet sich, plötzlich abbrechend, mit seinem spöttischsten -Lächeln zu mir:</p> - -<p>»Ihre diplomatischen Übergänge, fabelhaft geschickt! -– Übrigens danke ich Ihnen für die Notbrücke, -denn ich bin ja natürlich gekommen, um -Ihnen zu erzählen.«</p> - -<p>Er nimmt seine Wanderung durchs Zimmer -wieder auf, und ich warte eine Weile vergebens.</p> - -<p>»Nicht nur heute,« sagt er endlich hastig, »ich -war in der letzten Woche schon ein paarmal deshalb -hier. Sie wissen das natürlich! Frauen wissen -bekanntlich immer alles. – Aber es ist jedesmal -wie verhext, wenn ich hier sitze. So, als hätte -ich das alles gar nicht erlebt, wovon ich sprechen -will, oder irgendwo drüben an einem anderen Ufer. -– Die Dinge werden ja immer unwirklich, sobald -man sie ausspricht. Und ich habe auch schon geglaubt, -damit fertig zu sein. Ich konnte schon darüber -lächeln. – Ä, das sagt nichts, man lächelt -immer darüber, aber es kam schon vor, daß ich -<a class="pagenum" id="page_026" title="26"> </a> -eine Stunde lang nicht mehr daran dachte, und -das ist weiß Gott schon viel. Da sagen Sie jetzt -das eine Wort von der kleinen Konditorei, und -alles ist wieder da, als wäre es niemals weg gewesen. -Und es hilft kein Sichdagegenwehren, und -es macht einen schwach und muskellos, und man -fragt sich, ob man die verfluchte Quälerei nie los -wird sein Leben lang.«</p> - -<p>Und Frank Meinert steht einen Augenblick still -und starrt vor sich hin, dann setzt er sich plötzlich -ruhig und wie ausgelöscht auf seinen Stuhl.</p> - -<p>»Frank,« sage ich leise, »schelten Sie nicht so -auf Ihre Schmerzen, Sie fühlen doch daran, daß -Sie leben.«</p> - -<p>»Weiß Gott, ich fühl's!« stößt er heraus. »Aber -glauben Sie vielleicht, daß ich großen Wert darauf -lege?«</p> - -<p>Ich antworte nicht und reiche ihm die Zigaretten -hinüber, und er sagt mit einem träumerischen -Blick, der sein häßliches Gesicht plötzlich schön erscheinen -läßt: »Den hätte ich kennen mögen, der -zuerst von allen Menschen den Entschluß gefaßt -hat, freiwillig zu gehen. Welche unbegreifliche Erhabenheit -lag in dieser Tat, als sie zum erstenmal -geschah!«</p> - -<p>Ich nicke, und wir sehen beide schweigend in die -Wolken unserer Zigaretten. Endlich fährt er fort:</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_027" title="27"> </a> -»Ich muß manchmal geradezu vor mich hinlächeln, -wenn ich daran denke, daß der große Baumeister -bei all seiner Klugheit eine Lücke in seinem -Gebäude gelassen hat, ein kleines Loch, durch das -wir still hinausschlüpfen können, wenn es uns da -drinnen nicht mehr gefällt.«</p> - -<p>»Ja, Frank,« sage ich nachdenklich, »das wäre -eine schöne Einrichtung, wenn sie nicht so unvollkommen -wäre. Wenn nicht die zweite Lücke fehlte, -durch die wir still wieder hineinschlüpfen können, -wenn es uns da draußen nicht gefällt.«</p> - -<p>»Natürlich,« antwortet er, »Sie verlangen für -jede Hintertür noch ein Hintertürchen! Ich finde, -es ist schon fabelhaft tröstlich, daß man einfach -weggehen kann, wie man von einem Ball geht, -der anfängt langweilig zu werden, oder so.«</p> - -<p>»Ach lieber Frank Meinert,« sage ich lachend, -»wann hätten Sie das je getan? Wer sitzt bei jedem -Fest bis zum Kehraus gähnend und fröstelnd und -gelangweilt in einem Klubsessel und ist nicht wegzukriegen?«</p> - -<p>»Nun ja,« gibt er mit einem nachsichtigen, fast -zärtlichen Lächeln zu, »ich muß mich einer Art -Trägheit schuldig bekennen, eines Mangels an körperlicher -Initiative, wenn Sie wollen.« – »Ja,« -seufze ich, »daher auch das Schlurfen. Und in Gesellschaften -da sitzt sich's immer so gut im Klubsessel -<a class="pagenum" id="page_028" title="28"> </a> -und draußen ist vielleicht scheußliches Wetter, -da bleibt man eben. Und eigentlich tun Sie auch -ganz recht daran, zu bleiben, denn wer kann wissen, -ob nicht am Schluß etwas unglaublich Schönes, -etwas fabelhaft Anregendes und Sensationelles -kommt. Und deshalb, – sehen Sie, auch deshalb -schon ist's besser, man wartet bis zum Schluß.«</p> - -<p>Wir schweigen beide, und dann sage ich in die -Dämmerung hinein, die inzwischen gekommen ist:</p> - -<p>»Ist es denn wirklich zu Ende mit Margot -und Ihnen? Ist's nicht wieder nur ein Hinziehen, -wie schon so oft?« Er schüttelt den Kopf, und ich -spüre es wieder einmal deutlich bis zum Schmerz, -daß wir nie ärmer und hilfloser und verlogener -sind, als wenn wir mit Worten trösten wollen. -Und es ist ganz still im Zimmer, bis ich endlich -sage:</p> - -<p>»Wir erleben es alle einmal, und in jedem von -uns wird etwas dadurch geknickt oder zerschlagen. -Bei den Durchschnittsmenschen da heilt es schwer, -es blutet nach innen, weil kein Ventil da ist. Aber -bei Ihnen gibt es ein Ventil, Ihr Schmerz wird -ausströmen und tönen, und dann wird aus Ihrer -Arbeit erst das Werk geworden sein, das Sie uns -schuldig sind. Und Sie wachsen über Ihre Schmerzen -hinaus und fühlen doch, daß es die Schmerzen -sind, die Ihr Leben reich gemacht haben.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_029" title="29"> </a> -Er sieht mich zerstreut an und sagt nach einem -kurzen Schweigen gequält: »Wenn ich nur wüßte, -warum es immer so kommen muß.«</p> - -<p>Und ich weiß, daß ich umsonst geredet habe. -Und versuch's doch noch einmal: »Vielleicht gibt -es einen Grund dafür, der tiefer liegt, als Sie ihn -suchen. Vielleicht sollen Sie jetzt nicht glücklich -sein, Frank Meinert, vielleicht sollen Sie nie auf -die Art glücklich sein, weil Sie zu anderem bestimmt -sind als zu einem bißchen Rausch, und dann -im besten Fall zu lebenslänglichem, spießbürgerlichem -Behagen. Dazu sind Sie dem Schicksal zu -schade. Und mir auch, trotz Ihrer Sauertöpfigkeit -und der verdrießlichen Grimassen, die Sie sich -nicht abgewöhnen wollen.«</p> - -<p>Er brütet noch immer vor sich hin, aber ein bißchen -wetterleuchtet's schon in seinem unruhigen Gesicht. -»Ich weiß, daß ich nie glücklich sein werde,« -sagt er, »und ich weiß, daß ich einsam bleiben -muß. Das ist merkwürdig bei mir, daß ich es von -jeher gefühlt habe, schon als Kind zwischen all den -Geschwistern. Und dies immer und immer wieder -Enttäuscht- und Einsamwerden, das wird mein -Schicksal bleiben, ich weiß es. Es ist mein typisches -Erlebnis, wie Nietzsche sagt.«</p> - -<p>Ich nicke und bin nun schon ganz beruhigt: Fürs -erste hat Frank Meinert sein Spielzeug gefunden.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_030" title="30"> </a> -»Ob ich die Einsamkeit werde tragen können?« -sagt er vor sich hin, »nur die Größten haben es -gekonnt.«</p> - -<p>»Es ist doch nur das äußere Einsamsein,« antworte -ich. »Innerlich sind wir ja immer allein, -nur daß wir's oft nicht wissen. Aber in den lichten -Momenten, in denen wir das ganze Dasein als sinnlos, -dunkel und verworren empfinden – denn das -sind unsere lichten Momente, Frank Meinert –, -da wissen wir, daß wir einsam sind, wie ein Wanderer -in sturmdunkler Nacht. Da wissen wir auch, -daß aus zweien niemals eins werden kann.«</p> - -<p>»Ja,« nickt Frank langsam vor sich hin, »auf -uns trifft das zu, weil wir Ganze sind. Halbe -können vielleicht zu einem Ganzen verschmelzen, -unsere Bestimmung ist es, allein und wir selbst zu -bleiben. –</p> - -<p>Weshalb lächeln Sie?« fragt er plötzlich mißtrauisch -und gereizt. Ich bestreite, gelächelt zu -haben und drehe das Licht an, um ähnlichen Irrtümern -vorzubeugen. Und Frank sagt leise, den -Kopf in die Hand gestützt: »So kommt man also -früh zur Resignation.«</p> - -<p>Jetzt lächle ich wirklich: »Ach nein, lieber Freund, -so leicht kommt man nicht zur Resignation, wie -Sie in diesem Augenblick glauben. Da müssen -noch viele bittere Schmerzen durchgebissen und -<a class="pagenum" id="page_031" title="31"> </a> -überwunden werden, ehe Sie dahin gelangen. -Resignation, das ist die reifste Frucht an unserem -Lebensbaum.«</p> - -<p>»Und doch die bitterste,« sagt er, und wir schweigen -beide.</p> - -<p>Plötzlich sieht er nach der Uhr, steht mit einem -Ruck auf und streckt mir seufzend die Hand hin: -»Ich muß gehen. Es ist fabelhaft, wie in diesem -Zimmer die Zeit versinkt! Schon die Tapete hat -so etwas unglaublich Wohltuendes. Aber ich muß -an die Arbeit.«</p> - -<p>Ich nicke. »Man muß sich rühren, wenn man -über Wasser bleiben will.«</p> - -<p>Wir stehen einen Augenblick, und dann sagt -Frank:</p> - -<p>»Ob wohl alle Menschen ihr typisches Erlebnis -haben?«</p> - -<p>»Ich glaube wohl,« antworte ich, »aber die -wenigsten sind sich dessen bewußt. Und es gibt -auch viele Menschen, deren typisches Erlebnis -›Nichterleben‹ heißt.«</p> - -<p>Und da er mich fragend ansieht, setze ich hinzu: -»Das will ich Ihnen noch sagen, Frank, weil es -vielleicht ein Trost für Sie ist: Nicht das Unglück, -das uns trifft, schafft uns das bitterste Leid. Viel -schwerer als das traurigste Erlebnis belasten uns -die unerlebten Dinge, die Ahnung der tausend -<a class="pagenum" id="page_032" title="32"> </a> -Möglichkeiten, für die wir uns bestimmt und gerüstet -fühlen, und die sich uns niemals ereignen.«</p> - -<p>Es ist eine Weile still im Zimmer, dann fragt -Frank Meinert:</p> - -<p>»Wann darf ich wiederkommen?«</p> - -<p>»Sobald Sie wollen,« antworte ich.</p> - -<p>»Dann darf ich Ihnen morgen ausführlich erzählen, -wie das alles kam, mit Margot und mir?«</p> - -<p>»Gewiß,« antworte ich und lächle erst, nachdem -die Tür sich hinter ihm geschlossen hat.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_033" title="33"> </a> -»Hat sie wirklich so schöne Schultern?«</h2> - -<p class="ce"><img src="images/p033i.jpg" alt="" /></p> - - -<p><a class="pagenum" id="page_035" title="35"> </a> -»Gnädige Frau,« sagt der sehr hübsche junge -Mann, »ich möchte Ihnen für mein Leben gerne -etwas sagen. Es quält mich, seit ich hier sitze und -Sie ansehe, aber ich wage es nicht.«</p> - -<p>»Ist es etwas so Schlimmes?« frage ich, »dann -verschweigen Sie es lieber. Sie wissen, ich lasse -mir meine Kaffeestunde nicht gerne stören.«</p> - -<p>»Es ist nichts Schlimmes,« antwortete er, »aber -es brennt mir auf der Zunge.«</p> - -<p>»Dann hoffe ich, daß es eine brennend pikante -Geschichte ist. Aber ich warne Sie, je amüsanter -sie ist, um so schwerer werde ich sie für mich behalten -können. Verschwiegenheit gehört nun einmal nicht -zu den Tugenden, die ich von mir verlange, denn -man muß auch sich selbst gegenüber in seinen Ansprüchen -maßvoll sein.«</p> - -<p>Georg Wendringer lacht: »Zum Glück beansprucht -das, was ich Ihnen sagen will, keine Diskretion. -Es ist nicht einmal neu, und eigentlich ist -es nur <em class="ge">ein</em> Satz: – Gnädige Frau, Sie sind unglaublich -schön.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_036" title="36"> </a> -Ich muß hell herauslachen. »Ist das alles?«</p> - -<p>»Ja,« sagte er, »das ist alles, und es ist eine -wundervolle Befreiung, es gesagt zu haben. Und -Sie sind nicht böse?«</p> - -<p>»Ich weiß noch nicht,« antworte ich. »Es liegt -natürlich eine Beleidigung darin, besonders in dem -›unglaublich‹, das eine böse Nebenbedeutung haben -kann. Aber diesmal will ich's nicht so nehmen und -Ihnen sogar gestehen, daß es für eine Frau nichts -Wohltuenderes und Erwärmenderes gibt, als das -Bewußtsein, schön gefunden zu werden. Alle Bewunderung -für unsere Tugenden, ja sogar für unsere -Liebenswürdigkeit und unseren Geist läßt uns -kalt, denn sie ist nicht das Primäre.«</p> - -<p>»Ich sehe, Sie sind nicht böse,« sagt er vergnügt, -»dann darf ich mehr sagen.«</p> - -<p>»Davon möchte ich abraten,« antworte ich, -»jedes Mehr müßte den guten Eindruck stören, den -Sie bis jetzt gemacht haben.« –</p> - -<p>»So finden Sie also wirklich, daß für eine Frau -Schönheit das Höchste und Begehrenswerteste ist?« -fragt er kopfschüttelnd, »von Ihnen hätte ich das -nicht gedacht.«</p> - -<p>»Warum nicht von mir?« frage ich ein wenig -erstaunt.</p> - -<p>»Nun,« erklärt er mir, indem er versucht, seine langen -Glieder in eine etwas bequemere Lage zu -<a class="pagenum" id="page_037" title="37"> </a> -bringen, »ich hatte bis jetzt immer gefunden, daß -nur die mehr klugen als schönen Frauen dieser Ansicht -waren, während umgekehrt die mehr schönen -lieber für klug –.« Hier lache ich so herzlich, daß -er erschrocken innehält.</p> - -<p>»Und da komme ich nun, mehr dumm als häßlich -und doch immer noch klug genug, nicht klug -sein zu wollen und werfe Ihr ganzes schönes -Schema über den Haufen.«</p> - -<p>»Habe ich wirklich so was Dummes gesagt?« -fragte er kleinlaut.</p> - -<p>»Ach nein,« beruhige ich ihn, »wenn ich von dem -zweifelhaften Kompliment für mich absehe, war es -sogar eine sehr feine Beobachtung; Sie dürfen sie -aber nicht jeder Frau verraten, denn sie ist ein -Messer, das auf beiden Seiten schneidet. Wahr -ist es übrigens schon, die Frauen, die sich ihrer -Schönheit bewußt sind, wollen für klug gelten, -denn zwei Vorzüge sind mehr als einer, und man -überschätzt bekanntlich den Wert dessen, was man -nicht hat. Die Klugen sind klüger und wollen gern -schön sein, denn sie wissen, was das bedeutet und -welche Macht darin liegen kann. Kann – sage ich, -denn es gibt sehr viel Schönheit, die ungenutzt verlorengeht.«</p> - -<p>»Ja,« antwortet er nachdenklich, »ich kenne -zum Beispiel eine junge Frau, die jeden Abend, -<a class="pagenum" id="page_038" title="38"> </a> -wenn sie vorm Spiegel steht und ihr Haar bürstet, -›Schade, schade!‹ sagt.«</p> - -<p>»Ich will nicht indiskret sein,« versichere ich, -»welche Bemerkung man übrigens immer voraus -schickt, wenn man eine große Indiskretion beabsichtigt, -aber ich möchte mir doch die Frage gestatten: -Hat die junge Frau Ihnen das selbst erzählt?«</p> - -<p>»Ich muß mit Oskar Wilde antworten,« sagt -Georg Wendringer, »eine Frage ist niemals indiskret, -nur die Antwort kann es sein.«</p> - -<p>»Gut geantwortet, Georg Wendringer und -Oskar Wilde,« sage ich. »Und da das Fragen -nicht indiskret sein kann, so frage ich also getrost -weiter: Hat sie wirklich so schöne Schultern?«</p> - -<p>»Ich glaube, ja,« antwortet Georg mit seinem -verschmitzten Lächeln und setzt, plötzlich ernst werdend, -hinzu: »Übrigens sind wir nur sehr gut befreundet -ohne jeden erotischen Beigeschmack.«</p> - -<p>Ich muß ein wenig ungläubig dreingeschaut -haben, denn er fragt schnell: »Aber Sie glauben -vielleicht nicht an Freundschaft zwischen Mann -und Frau?«</p> - -<p>»O Gott!« seufze ich, »seit meinem sechzehnten -Jahr quält man mich mit dieser Doktorfrage.«</p> - -<p>»So haben Sie gewiß genügend darüber nachgedacht -und können mir das Resultat mitteilen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_039" title="39"> </a> -»Nein,« sage ich, »das werde ich nicht tun, denn -ich habe mir geschworen, auf diese Frage nicht mehr -einzugehen, seitdem ein vorlauter Jüngling mir auf -meine Antwort hin die noch heiklere Frage gestellt -hat: Und was ist es also, was zwischen uns beiden -besteht?«</p> - -<p>Georg lacht: »Ich hatte nicht die Absicht, Sie -in eine solche Falle zu locken, aber ich möchte für -mein Leben gern wissen, welche Antwort der naseweise -junge Mann bekam.«</p> - -<p>»Die Antwort, die ich allen jungen Männern -gebe, sobald sie anfangen, naseweis zu werden. Ich -habe gelacht, ihm die Zigaretten gereicht und gefragt, -ob er sich nicht zum Abschied noch bedienen -wolle.«</p> - -<p>»Das war hart,« sagt Georg, »denn seine Frage -lag so nah, die Gelegenheit war so günstig.«</p> - -<p>»Was wäre denn Takt,« antworte ich, »wenn -es nicht die Fähigkeit und der Wille wäre, gute -Gelegenheiten ungenützt zu lassen.«</p> - -<p>Georg seufzt: »Schweigen ist aber oft sehr -schwer!« und sieht so bekümmert aus, daß ich lachen -muß. – »Ja, es muß sehr schwer sein. Allein wenn -ich bedenke, wie früh man sprechen lernt und wie -spät erst schweigen.«</p> - -<p>Georg schüttelt den Kopf: »Das stimmt nicht -ganz, so hübsch es klingt. Denn es kann sich ja nur -<a class="pagenum" id="page_040" title="40"> </a> -um das richtige Sprechen und das richtige Schweigen -handeln, und das lernt sich wohl gleich schwer -und ist im Grunde genommen dasselbe, denn eins -ohne das andere ist wertlos und eben nicht das -Rechte.«</p> - -<p>»Natürlich,« stimme ich bei, »Ihre Gründlichkeit -hat wieder mal recht, und ich muß es zugeben, -trotzdem Sie mir damit meine schöne Sentenz einfach -totgeschlagen haben. Es muß auch das rechte -Schweigen sein, denn es gibt Menschen, die nur -darum für verschlossen und abgründig tief gelten, -weil sie einfach nichts zu sagen haben, und weil -man sich gar nicht vorzustellen vermag, daß jemand -wirklich so gar nichts zu sagen haben kann. Ihre -ganze Klugheit besteht darin, zu verbergen, daß sie -nichts zu verbergen haben, und es kann lange -dauern, bis man dahinter kommt, daß nichts dahinter -ist, und daß sie durch und durch oberflächliche -Geschöpfe sind. Denn, so paradox es klingen -mag, es gibt wirklich Menschen, die durch und -durch oberflächlich sind.«</p> - -<p>Georg lacht: »Sie haben heute Ihren paradoxen -Tag, aber es klingt wieder sehr hübsch, und -ich werde mich diesmal hüten, Ihre schönen Sentenzen -zu zerstören, so leicht und verlockend es wäre.«</p> - -<p>»Ich kenne aber noch eine andere Art von falschen -Schweigsamen,« fahre ich fort, »das sind die, -<a class="pagenum" id="page_041" title="41"> </a> -die in Gesellschaft mürrisch und verschlossen sind -und selten den Mund auftun, außer zum Gähnen, -weil es nur ein einziges Thema für sie gibt, und -das ist ihre eigene Person. Wie gesprächig werden -sie aber, wenn sie auf dies Thema kommen! Es ist -ihnen gleichgültig, wer zuhört, es liegt ihnen auch -nichts daran, sich in ein besonders gutes Licht zu -setzen, ja, sie verleumden sich lieber, ehe sie eine -Gelegenheit vorbeigehen lassen, von sich zu sprechen, -und sie können in einer Viertelstunde mehr von -sich preisgeben, als andere gerne plaudernde Menschen -in Jahren.«</p> - -<p>Georg zieht nachdenklich den Rauch seiner Zigarette -ein, bläst ein paar Ringe und fragt dann: -»Steckt nicht in den meisten von uns etwas von -dieser Leidenschaft? Und bedeutet sie nicht eigentlich -nur eine übergroße Ehrlichkeit?«</p> - -<p>»Nun ja,« sage ich, »insoweit ein gewisser Mangel -an Schamgefühl Ehrlichkeit bedeutet.« – »So -meinte ich's nicht,« unterbricht er mich, »ich meinte -die Ehrlichkeit, die darin liegt, kein Interesse heucheln -zu wollen. Und ist es nicht fast immer Heuchelei, -wenn wir vorgeben, es könne uns irgend etwas -auf der Welt mehr interessieren als unsere eigene -Person?«</p> - -<p>Ich muß lachen, »eine Unterhaltung zwischen -mehreren solcher Ehrlichkeitsfanatiker stelle ich mir -<a class="pagenum" id="page_042" title="42"> </a> -sehr reizvoll vor. Übrigens müssen sie doch bedenken, -daß wir mit jedem Wort, das wir sprechen, von -unserer eigenen Person ausgehen und deshalb, streng -genommen, immer nur von uns reden. – Das sollte -selbst dem unersättlichsten auf diesem Gebiet genügen.«</p> - -<p>Wir schweigen eine Weile, und ich sehe, daß -Georg, trotzdem er scheinbar seine Rauchringe aufmerksam -verfolgt, mit einem Entschluß kämpft. -Plötzlich blickt er auf und sagt: »Verzeihen Sie, -daß ich so zerstreut bin – aber – ich habe eine -Bitte.«</p> - -<p>»Zerstreutheit ist bekanntlich immer der höchste -Grad von Aufmerksamkeit, nämlich für eine andere -Sache,« antworte ich, »und deshalb dachte -ich mir's gleich, daß Sie etwas auf dem Herzen -haben. Also – herunter damit.«</p> - -<p>»Ja,« sagt er ein bißchen stockend, »es ist -vielleicht eine sonderbare Bitte, aber Sie werden -mich nicht mißverstehen: Ich möchte Sie für -mein Leben gern mit meiner Freundin bekannt -machen.«</p> - -<p>Ich schweige einen Augenblick und frage dann, -um Zeit zu gewinnen: »Ist es die junge Frau mit -den schönen Schultern?«</p> - -<p>Er nickt und seine blauen Augen blicken mich -treuherzig ernsthaft an.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_043" title="43"> </a> -»Lieber Freund,« sage ich und drücke mein Zigarettenstümpfchen -langsam aus, »was versprechen -Sie sich für Ihre Freundin und mich davon?«</p> - -<p>»Oh, sehr viel,« antwortet er lebhaft, »vor allem -für Lilly. Sehen Sie, sie hat nicht den richtigen -Verkehr, – wenigstens ich finde das, sie ist ja leider -ganz zufrieden damit, aber ich hoffe, wenn sie -Sie kennenlernt –«</p> - -<p>»Hat sie denn den Wunsch geäußert?« frage -ich und sehe, wie eine kleine Verlegenheit über sein -ehrliches Gesicht schleicht.</p> - -<p>»Das nun gerade nicht,« sagt er, »es ist eigentlich -mehr ein Wunsch von mir. Aber ich bin -sicher –«</p> - -<p>»Ganz gewiß,« antworte ich, »aber wenn die -junge Frau mit ihrem Verkehr zufrieden ist –«</p> - -<p>»Aber ich sage Ihnen ja, ihr Verkehr ist nicht -der richtige,« unterbricht mich Georg erregt. –</p> - -<p>»Der Verkehr, mit dem man zufrieden ist, ist -eigentlich immer der richtige,« antworte ich, »und -vielleicht wäre ich ganz und gar der unrichtige. -Sie überschätzen mich sicher, trotzdem Sie mir vor -ein paar Minuten den Verstand so ziemlich abgesprochen -haben.« – »Das habe ich nicht getan,« -verteidigt er sich, »Sie wissen es recht gut, und -was Sie jetzt sagen, entspringt wieder Ihrer übergroßen -Bescheidenheit!«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_044" title="44"> </a> -»Bescheidenheit ist ein Ding, das ich überhaupt -nicht kenne, weder bei mir noch bei anderen,« antworte -ich, »und ich behaupte, es ist ein Wort, -dessen Inhalt nicht existiert.«</p> - -<p>»Das ist eine kuriose Behauptung,« kopfschüttelt -Georg.</p> - -<p>»Sehr einfach,« erkläre ich ihm, »entweder ein -Mensch kennt seine Vorzüge nicht, dann ist seine -Bescheidenheit nicht Bescheidenheit, sondern die -selbstverständliche Folge seiner Selbsteinschätzung. -Oder ein Mensch kennt seine Vorzüge, dann kann -seine Bescheidenheit nichts anderes sein, als Heuchelei, -im besten Falle Anstandsgefühl oder Rücksichtnahme -auf Schwächere, alles, nur keine Bescheidenheit.«</p> - -<p>»Auf diese Weise läßt sich alles aus der Welt -wegdisputieren,« sagt Georg verstimmt, »aber ich -bin optimistisch genug zu behaupten, –« – »Ich muß -Sie noch weiter ärgern,« unterbreche ich ihn lachend, -»und behaupte, daß es mit dem Optimismus fast -dieselbe Sache ist. So sicher Sie nämlich in dem -Moment unbescheiden sind, in dem Sie sich Ihrer -Bescheidenheit bewußt werden, so sicher sind Sie -nicht mehr optimistisch in dem Augenblick, in dem -Sie sich so nennen. – Ich will das erst beweisen,« -fahre ich fort, da er versucht, Einwendungen -zu machen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_045" title="45"> </a> -»Optimistisch sind Sie, solange Sie die Welt -schöner und besser sehen, als sie ist. Sobald Sie -aber wissen, daß Sie die Welt besser sehen, als -sie ist, wissen Sie auch, daß sie eigentlich schlechter -ist, als Sie sie sehen, und mit diesem Wissen stehen -Sie schon auf der anderen Seite der Weltanschauung -und können fast für einen Pessimisten -durchgehen. – Und jetzt dürfen Sie antworten.«</p> - -<p>Aber Georg ist verdrießlich: »Daß ich kein -Pessimist bin, weiß ich, trotz Ihrer philosophischen -Purzelbäume, und ich verwahre mich entschieden -dagegen.«</p> - -<p>»Weshalb denn?« frage ich, »mir sind die Pessimisten -sehr viel lieber als die frischfröhlichen ›Lebensbejaher‹, -wie es jetzt modern aber etwas unklar -heißt. Nur über eins habe ich manchmal nachgegrübelt -und weiß es nicht: Ist es das traurige -oder das tröstliche Moment im Leben der Pessimisten -und Skeptiker, daß Sie zum Schluß immer -recht behalten?«</p> - -<p>Georg sieht mich einen Augenblick schweigend -an, dann sagt er:</p> - -<p>»Sie haben mir noch keine endgültige Antwort -auf meine Bitte gegeben, und ich müßte dümmer -sein als ich bin, wenn ich nicht gemerkt hätte, daß all -Ihr Philosophieren nur den Zweck hatte, mich davon -abzulenken. Aber ich bestehe darauf, daß Sie –«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_046" title="46"> </a> -»Lieber Herr Wendringer,« sage ich ein wenig -gedehnt und greife nach dem Zigarettenetui, das -ich ihm langsam hinüberreiche, »wollen Sie -nicht –.«</p> - -<p>Georg ist rot geworden, er springt auf.</p> - -<p>»Jawohl – zum Abschied, ich verstehe.«</p> - -<p>Aber schon im nächsten Augenblick geht ein spitzbübisches -Lächeln über sein Gesicht. »Liebe gnädige -Frau, ich war naseweis; aber ich hoffe, Sie machen -mir das nicht zum Vorwurf, denn da bekanntlich -die Bescheidenheit ins Reich der Fabel gehört, wäre -es doch unbescheiden, zu verlangen, daß gerade -ich –« – »Jawohl,« sage ich lachend, »und ich -werde bis zu Ihrem nächsten Besuch darüber nachgrübeln, -wie es kommt, daß es zwar keine Bescheidenheit -gibt, daß sich aber an Dreistigkeit vorerst -noch kein Mangel fühlbar gemacht hat.«</p> - -<p>»Wann darf ich annehmen, daß Sie die Frage -gelöst haben?« erkundigt sich Georg.</p> - -<p>»Das kommt darauf an, wie hoch Sie meinen -Verstand einschätzen,« antworte ich, und er verbeugt -sich tief und sagt galant:</p> - -<p>»Fast so hoch wie Ihre Schönheit.«</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_047" title="47"> </a> -Was man von geschmackvollen Menschen<br /> -verlangen darf</h2> - -<p class="ce"><img src="images/p047i.jpg" alt="" /></p> - - -<p><a class="pagenum" id="page_049" title="49"> </a> -Ich komme von Franz Lindners Trauung und -steige langsam und nachdenklich die Treppe der eleganten -schwiegerelterlichen Villa hinunter. Neben, -vor und hinter mir drängt sich die Schar der -übrigen Gäste, und plötzlich sagt jemand halblaut -in der Nähe meines Ohres: »Eine schöne Leich'.«</p> - -<p>Ich blicke ein wenig empört zur Seite und gerade -in Doktor Paulsens blasses und scharfes Gesicht.</p> - -<p>»Noch nicht auf der Treppe,« wehre ich ab. -»Wissen Sie nicht, daß es guter Ton ist, erst vor -dem Haus anzufangen?«</p> - -<p>»Wohin gehen wir?« fragt er unten angelangt -und sieht mir durch seinen Kneifer ernst und erwartungsvoll -ins Gesicht. Ich muß lachen.</p> - -<p>»Ich hatte die Absicht, allein zu gehen. Hab' -allerlei durchzudenken und durchzufühlen. Ein -Freund, der einem soeben endgültig aus der Hand -geglitten ist, Sie verstehen –«</p> - -<p>Paulsen zuckt die Achseln. »Ich erlaube mir -zu bemerken, daß uns die Dinge meist nur aus -der geöffneten Hand gleiten.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_050" title="50"> </a> -»Nun ja,« antworte ich, »aber manchmal rät -der Verstand, die Hand rechtzeitig zu öffnen.«</p> - -<p>Paulsen verzieht das Gesicht zu einer wehmütig-spöttischen -Grimasse. »Tja, ja, der Verstand!« -bemerkt er tiefsinnig, und ich fahre fort:</p> - -<p>»Übrigens können Sie auch mitkommen, denn -wenn ich mir's recht überlege, sind Sie einer der -wenigen Menschen, mit denen sich's fast ebensogut -geht wie allein.«</p> - -<p>Er zieht den Hut und streckt mir abschiednehmend -die Hand hin: »Nach diesem Hymnus auf die -Einsamkeit –«</p> - -<p>»Ach, keine Fissimatenten,« sage ich und schiebe -ihn mit dem Ellenbogen vorwärts, »kommen Sie -mit. Sie wissen ja, es ist ein schönes Ding um -die Einsamkeit, aber man muß einen haben, dem -man sagen kann: ›Es ist ein schönes Ding um die -Einsamkeit‹!«</p> - -<p>»Gut und weise!« lobt er und geht langsam -neben mir weiter. »Nur daß Sie mich damit -zum Spiegel Ihrer schönen Gefühle erniedrigen! -Und außerdem hätten Sie an Stelle des unpersönlichen -Fürworts unbedingt ›die Frau‹ sagen müssen, -denn wir Männer ertragen die Einsamkeit auch -ohne Spiegel.«</p> - -<p>»Das ist ein unliebenswürdiger Zug von -euch,« behaupte ich, »und außerdem glaube -<a class="pagenum" id="page_051" title="51"> </a> -ich's nicht. Ihr braucht euer Publikum so gut -wie wir.«</p> - -<p>»Ja,« antwortet er, »aber nur von Zeit zu -Zeit. Verhältnismäßig selten. – Eine Frau kann -aber nicht leben ohne Spiegel. Sie kann weder -Kunst noch Natur allein genießen, sie braucht -immer einen, der ihre Bewunderung bewundert. -Ja, ich behaupte sogar, eine Frau allein in einem -Zimmer, in dem sie weder gehört noch gesehen -werden kann, hört auf zu existieren. Sie erlischt -wie eine Kerze im luftleeren Raum.«</p> - -<p>»Hören Sie, Paulsen,« sage ich und bleibe -stehen, »wirken Trauungen immer so beunruhigend -auf Sie? Dann hätten Sie mich doch lieber allein -gehen lassen sollen, selbst auf die Gefahr hin, -daß ich wie eine Kerze im luftleeren Raum verlösche.«</p> - -<p>»Man muß sich austoben,« brummt er.</p> - -<p>»Und damit scheint einer der seltenen Momente -gekommen zu sein, in denen selbst der Mann ein -Publikum braucht. Was hat Sie übrigens, wenn -ich fragen darf, in diese erfrischende Stimmung -versetzt? Vielleicht der famose Geistliche, gegen -den Franz sich noch bis zum letzten freien Atemzug -gewehrt hat und von dem er mir eben noch -schnell und mit seiner wütendsten Grimasse zuflüstern -mußte, daß er ein idiotischer Wanderprediger -<a class="pagenum" id="page_052" title="52"> </a> -sei! Wobei mir nur eines unklar geblieben -ist: warum gerade Wanderprediger?«</p> - -<p>»Es fiel ihm wohl im Moment nichts Beschimpfenderes -ein,« vermutet Paulsen. »Aber der -ist ja nur nebenbei, gewissermaßen als ein Symbol -dieser ganzen irrsinnigen Heiraterei.«</p> - -<p>»Wieso irrsinnig?« frage ich sanft. »Ich habe -noch nie eine Heirat gesehen, die – wenigstens von -einer Seite aus – von so idealer Vernünftigkeit -getragen war wie diese. Man könnte sagen, Herz -und Verstand halten sich bei Franz die Wage, -und sieht fast die zwei gleichstehenden Schalen -vor sich. Von Gertruds Seite muß übrigens wirklich -nur leidenschaftliche Liebe vorliegen, denn soviel -ich mir auch den Kopf zerbreche, sogenannte -Verstandesgründe für diese Heirat sind nicht aufzufinden.</p> - -<p>Aber Paulsen, Sie können sagen, was Sie -wollen und lächeln, wie Sie wollen, für euch -Männer gibt es ja allerlei Glücksmöglichkeiten -und allerlei Arten von Vernunftheiraten, aber -für uns gibt es nur eine Art von Glück und nur -eine Vernunftheirat, und das ist die Heirat aus -Liebe.«</p> - -<p>Paulsen lächelt grimmig: »Es gibt für euch -Frauen nur einen absolut sicheren Weg zum Unglücklichwerden: -das ist eine Heirat aus sogenannter -<a class="pagenum" id="page_053" title="53"> </a> -leidenschaftlicher Liebe. Mit einem ungeliebten -oder gleichgültigen Mann kann eine Frau ja ein -ähnliches Ziel erreichen, aber der Weg ist nicht -halb so sicher. Da gibt es noch Seitenpfade, in -die sie abbiegen kann, womit ich nicht allein die -illegitimen gemeint haben will. Frauenstimmrecht -und Wohlfahrtspflege sind sogar extra dazu angelegte, -gesellschaftlich sanktionierte Nebenstraßen. -Für die leidenschaftlich liebende Frau gibt es aber -keine Nebenstraßen, ihr Weg führt direkt und unbedingt -in die Hölle.«</p> - -<p>»Ja, Paulsen, denn eure Unzulänglichkeit schreit -zu Himmel und Hölle. Aber selbst wenn Sie die -Liebe als Vernunftgrund verwerfen, so müssen -Sie doch zugeben, daß sie das einzig anständige -Motiv zur Eheschließung ist.«</p> - -<p>Aber Paulsen ist heute durchaus nicht in der -Zugebelaune und erklärt verbissen:</p> - -<p>»Ich will Ihnen etwas sagen, gnädige Frau, -es gibt nur eine anständige Art von Liebe, und -das ist die, von der's im Volksliede heißt: ›Kein -Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß‹, nämlich -die heimliche, von der ›niemand nichts weiß‹. – -Und wenn zwei Menschen es über sich gewinnen, -mündlich und schriftlich und mit Blicken und -Mienen stolz vor aller Welt zu verkünden, daß -sie einander leidenschaftlich lieben und deshalb -<a class="pagenum" id="page_054" title="54"> </a> -heiraten wollen, so nenne ich das eine unanständige -Handlung. Von geschmackvollen Menschen -sollte man verlangen dürfen, daß sie, wenigstens -der Welt gegenüber, die Komödie der Vernunftehe -aufrechterhalten.«</p> - -<p>Hier muß ich so herzlich lachen, daß Paulsen -mich durch seinen Kneifer erstaunt betrachtet, denn -ihm ist's, wie immer, bitter ernst.</p> - -<p>»Paulsen,« sage ich, »haben Sie wirklich keine -Ahnung davon, wie viele Komödien uns durch -diese Komödie erspart blieben? – Aber bis jetzt -haben Sie nur um die Sache herumgeredet und -mir immer noch nicht erzählt, warum Sie gerade -heute Ihre Grantigkeit so wenig bändigen konnten, -daß sie schon auf der Treppe mit Ihnen -durchging? Und was sollte das heißen: ›Eine -schöne Leich'‹?«</p> - -<p>»Nun, das soll heißen, daß wir heute unseren -guten Franz Lindner mit Harmoniumklängen und -Feierreden sanft eingesargt und begraben haben. -Nicht nur für uns, was selbstverständlich und -nicht von Bedeutung ist, sondern auch für die -Welt, und – wie ich fürchte, für ihn selbst.«</p> - -<p>»Für einen Toten fand ich ihn unverhältnismäßig -zufrieden und glücklich aussehend,« bemerke -ich etwas trivial, und Paulsen fährt denn auch -auf: »Ein Mann und noch dazu ein Künstler, -<a class="pagenum" id="page_055" title="55"> </a> -der mit fünfundzwanzig Jahren zufrieden und -glücklich aussieht, der gehört unbesehen zu den -Toten, denn er ist das jämmerlichste von allen -Geschöpfen.«</p> - -<p>»Lieber Freund,« sage ich beschwichtigend, »ich -hoffe, daß das nur einer Ihrer bekannten rethorischen -Superlative ist, die wirklich immer superlativischer -und rethorischer werden.«</p> - -<p>Aber Paulsen schüttelt den Kopf. »Alles darf -ein Künstler wollen,« sagt er nachdrücklich, »das -Höchste und das Niedrigste, das Edelste und das -Gemeinste, nur das armselige Glücklichsein, das -darf er nicht wollen, das muß er den Philistern -und den Weibern überlassen, sonst hat er ausgespielt -– versungen und vertan.«</p> - -<p>»Ich verstehe das nicht,« antworte ich. »Sollte -eines Mannes großes, vielleicht überschwängliches -Glück nicht auch Kunstwerke schaffen helfen?«</p> - -<p>»Glück!« sagt Paulsen und verzieht das Gesicht, -als habe er unversehens auf ein Pfefferkorn -gebissen. »Nehmen Sie bitte das Wort einmal -in die Hand, wie Schnee wird's darin zerfließen.«</p> - -<p>Ich schüttle langsam den Kopf, aber er fährt -fort: »Jawohl, ich kenne allerlei angenehme Dinge, -die dem Glück zum Verwechseln ähnlich sehen. -Erstens und vor allem befriedigte Eitelkeit, dann -vielleicht noch Sorglosigkeit und Behagen. Ich -<a class="pagenum" id="page_056" title="56"> </a> -kenne auch allerlei Räusche, aber immer, wenn -man Glück dazu sagen will, zerfließen sie wie -Schnee zu Wasser und zu Dreck. – Nein, das -sogenannte überschwängliche Glück hat noch keine -großen Werke geschaffen, und wenn dazu überhaupt -ein Empfinden helfen kann, dann kann es -nur ein überschwängliches Leid. Aber im allgemeinen -bin ich der prosaischen Ansicht, daß die -großen Werke keine Stimmungsprodukte sind, -sondern Arbeitsprodukte.«</p> - -<p>Wir schweigen einen Augenblick, dann fügt er -hinzu: »Und wer arbeiten will, muß die Arme -frei haben und ohne Verantwortung sein oder -ohne Gewissen. Und wenn Kraft dazu gehört, die -Einsamkeit zu ertragen, so gehört Größe dazu, sich -als Künstler in der Zweisamkeit zu behaupten, die -man bürgerliche Ehe nennt, und die meist alles -andere als nur Zweisamkeit bedeutet.«</p> - -<p>»Mag sein,« antworte ich nachdenklich. »Aber -glauben Sie nicht, daß die Unzufriedenheit und -innere Einsamkeit, die Ihnen zum Künstlertum -unerläßlich scheinen, bei Franz schnell wieder die -Oberhand gewinnen werden, sobald das Neue, -das ihn jetzt noch berauscht wie alles Neue, alltäglich -geworden ist?«</p> - -<p>»Vielleicht,« nickt Paulsen. »Nur daß es dann -nicht mehr die rechte Unzufriedenheit ist und nicht -<a class="pagenum" id="page_057" title="57"> </a> -mehr die rechte Einsamkeit. Nicht mehr das Leid, -das den Menschen erhebt, indem es ihn zermalmt. -– Es wird die ganz alltägliche Qual -sein, die einen feinnervigen Menschen im Zwang -des immerwährenden Beisammenseins mit einem -anderen zerreiben muß. Wie ja überhaupt die -Frage, ob jemand in der Ehe unglücklich wird -oder nicht, immer nur die Frage ist, wieviel er -aushalten kann, im letzten Grund also nichts -anderes als eine Nervenfrage.«</p> - -<p>Ich nicke und lächle vor mich hin, denn Paulsens -Art, die kompliziertesten Dinge auf die einfachste -Formel zu bringen, amüsiert mich immer von neuem.</p> - -<p>»Übrigens,« fährt er fort, »ist diese Frage -absolut nebensächlich, und es ist möglich, daß wir -Franzens Anpassungsgabe und Nervenstärke unterschätzen; -vielleicht wird er sich bald wohl fühlen -in der Philisterei, die er dann vornehmes Bürgertum -nennen wird oder so ähnlich. Denn Leute, -die ein bißchen journalistisch verseucht sind, finden -bekanntlich immer ein rettendes Wort.«</p> - -<p>Wir sind an der Alster angelangt und gehen -eine Weile schweigend nebeneinander her, bis ich -endlich ein wenig kleinlaut frage: »So wäre also -für den Künstler die Frage, glücklich oder unglücklich -verheiratet? immer nur die Frage nach dem -kleineren Übel und eine ungelöste, wie mir scheint.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_058" title="58"> </a> -Paulsen nickt zerstreut und deutet nach der sonnenglitzernden -Alster und den Gärten rechts und links, -von denen der Duft herüberstreift.</p> - -<p>»Da ist er wieder, der große Betrüger,« sagt -er, »dem wir in unserer Dummheit jedes Jahr -von neuem auf den Leim gehen.«</p> - -<p>Ich sehe ihn fragend an, und er fährt grimmig -fort: »Oder hat Ihnen der Frühling vielleicht -schon einmal gehalten, was er Ihnen versprochen -hat?«</p> - -<p>»Nein, Paulsen,« sage ich, »er hat mir noch -nie gehalten, was er mir versprochen hat. Aber -vielleicht nur deshalb nicht, weil ich nie dumm -genug war, ihm ganz zu glauben.«</p> - -<p>»Tja, ja,« nickt Paulsen, und sein Gesicht verzieht -sich wieder zu der wehmütig-spöttischen Grimasse, -und nach einer kleinen Pause noch einmal -langsam: »Tja, ja.«</p> - -<p>»Ich weiß, Paulsen,« sage ich seufzend und -reiche ihm die Hand zum Abschied, denn wir sind -vor meinem Hause angelangt. »Ich weiß es schon -lange, das Dümmste, was wir haben, ist allemal -unser Verstand!«</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_059" title="59"> </a> -Von klugen und törichten Jungfrauen,<br /> -himmelblauen Kleidern und schlechten<br /> -Gewohnheiten</h2> - -<p class="ce"><img src="images/p059i.jpg" alt="" /></p> - - -<p><a class="pagenum" id="page_061" title="61"> </a> -Dufaure und ich laufen durch den Wald, das -heißt wir laufen nicht so, wie die Kinder laufen, -obwohl wir's gerne möchten, aber wir gehen auch -nicht so kur- und promenadenmäßig, wie sich's für -verheiratete und ernst zu nehmende Leute ziemt. -Denn wir sind beide ungeduldig. Wir haben schon -viel zu lange bei der Table d'hote stillsitzen müssen, -und während die anderen Gäste in ihren Liegestühlen -schmökern und gähnen, kommt über uns -beide manchmal das fast unbezwingliche Verlangen, -ziellos in der Welt herumzulaufen.</p> - -<p>»Fast so, als ob wir vor etwas davonrennen -müßten, dem wir doch nicht entgehen werden,« -sagt Dufaure, und ich nicke nur und spreche dann -weiter über das vorher begonnene Thema und höre -plötzlich ganz erstaunt mir selbst zu, als wär's ein -fremder Mensch, der da voll Eifer Vorträge über -Kindererziehung und Volksaufklärung hält.</p> - -<p>Und mitten drin fragt Dufaure ruhig und sanft: -»Wollen wir nicht lieber von etwas sprechen, was -Sie interessiert?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_062" title="62"> </a> -Da lache ich und sage: »Sie sind ein feiner -Seelenkenner, Hänschen Dufaure. Mir ist's wirklich -im Moment vollkommen gleichgültig, ob das -Volk aufgeklärt wird oder dumm bleibt.«</p> - -<p>»Mir nicht,« sagt er, »aber ich glaube, selbst -wenn Ihnen ernstlich darum zu tun wäre, kämen -wir der Lösung nicht näher, solange Sie solchen -Kuddelmuddel darüber reden wie eben jetzt. Denn -– Verzeihung, das haben Sie wirklich getan.«</p> - -<p>»Ach Hänschen,« seufze ich, »es ist doch unglaublich -gleichgültig, was man redet. Wenn man -nur nicht zu denken braucht.«</p> - -<p>»Merkwürdig,« sagt er kopfschüttelnd, »diese -Maßnahme der meisten, selbst der klügsten weiblichen -Wesen, beim Sprechen das Denken auszuschalten! -Übrigens begreife ich nicht, was es für -Gedanken sein können, die Sie so quälen, denn daß -Sie sich über die Kinder- und Volkserziehung keine -Sorge machen, ist mir soeben klar geworden, während -Sie so leidenschaftlich darüber sprachen.«</p> - -<p>Und da ich schweige, fährt er fort: »Wenn ich -ganz ehrlich sein soll, glaube ich überhaupt nicht, -daß Sie sich über irgend etwas in der Welt Kummer -machen. Mir scheint es so, als ob das Leben -vor und hinter Ihnen läge wie ein schöngepflegter -Park, durch den Sie in wundervollen himmelblauen -Gewändern wandeln. Und über Ihnen -<a class="pagenum" id="page_063" title="63"> </a> -schwebt so etwas wie ein Schutzgeist, der paßt auf -Ihre himmelblauen Gewänder auf.«</p> - -<p>»Hänschen,« sage ich, »Sie sind wirklich nicht -dumm.«</p> - -<p>»Wie hübsch, daß Sie das finden,« antwortet -er, »noch hübscher, daß Sie's so überzeugend sagen, -denn ich halte mich manchmal für verzweifelt -dumm. Ja, wenn ich uns zwei so betrachte, scheint -mir's immer, als wären wir die lebendige Illustration -zu der Geschichte von der klugen Jungfrau -und dem dummen Hans. – Sie kennen doch die -Geschichte?«</p> - -<p>»Nein,« sage ich, »aber mir scheint, Sie werden -sie gleich erzählen, sie brennt Ihnen schon auf -der Zunge.«</p> - -<p>»Nur den Anfang,« sagt er zögernd, »denn die -Geschichte hat noch keinen Schluß.«</p> - -<p>»Sie wird auch keinen bekommen,« sage ich.</p> - -<p>Und dann sehen wir uns einen Augenblick an, -und dann frage ich, ob er gute Nachrichten von -zu Hause habe.</p> - -<p>»Ich danke,« sagt er, »die Kinder kommen täglich -an die Luft und sehen gut aus. Und Baby -hat jetzt den zweiten Zahn, und die Amme will -fortgehen. Und der Große hat gestern zweimal gehustet, -aber der Doktor sagt, es ist nichts. – Ich -nehme an, daß Sie sich hierfür brennend interessieren.« -<a class="pagenum" id="page_064" title="64"> </a> -– »Nicht so sehr für die Details,« antworte -ich, und wir gehen eine Weile schweigend -nebeneinander her, bis er plötzlich fragt:</p> - -<p>»Wird Ihnen das Kleid nicht über, wenn Sie -es immerfort tragen?« – »Welches Kleid?« frage -ich erstaunt. – »Das himmelblaue,« antwortet er.</p> - -<p>»Mein Gott, ob es mir über wird!« seufze ich. -»Aus dem himmelblauen Gewand ist ja schon -richtig eine Zwangsjacke geworden! Aber was -nützt's, wenn ich auch heraus will, mein Schutzgeist -zieht mir's immer wieder über den Kopf, und so -hab' ich mich abgefunden und werde himmelblau ins -Grab steigen, verlassen Sie sich darauf, Hänschen.«</p> - -<p>»Daran glauben Sie also wie an ein unabwendbares -Fatum, das Ihr Leben bestimmt?«</p> - -<p>»Ich glaube, daß unsere Natur das Fatum ist, -das unser Leben bestimmt, – ein unentrinnbares -Fatum.«</p> - -<p>»Wenn man's so hört, möcht's leidlich scheinen,« -zitiert er, »aber wie wird es, wenn unsere Natur -in Konflikt gerät mit der Natur und dem tiefsten -Wesen eines anderen, das doch für ihn ebenso -lebenbestimmend sein muß wie unseres für uns? -Wenn zum Beispiel ein Mensch, der, sagen wir, -vom Gesetz der Trägheit regiert wird, – ja, jetzt -lachen Sie –,« unterbricht er sich, »aber seien Sie -ehrlich: Heißt das, was wir Schutzgeist und Natur -<a class="pagenum" id="page_065" title="65"> </a> -und Fatum nannten, nicht wirklich so ähnlich wie -Trägheit?«</p> - -<p>»Nennen Sie es so, wenn Sie wollen,« antworte -ich, »und wenn Sie noch einen Namen dafür -brauchen. Die meisten Menschen finden sich ja -leichter mit einer Erscheinung ab, sobald sie erst -einen Namen dafür gefunden haben. Und so hoffe -ich, daß Sie sich endlich mit meiner Trägheit abfinden -werden.«</p> - -<p>»Hoffen Sie das ernstlich?« fragt er, und wir -stehen einen Augenblick still und sehen einander in -die Augen.</p> - -<p>»Ja,« sage ich.</p> - -<p>»Nein,« sagt er, »Sie hoffen es nicht, und Sie -glauben es auch nicht. Denn Sie wissen, ich gehöre -nicht zu den Menschen, die sich abfinden und -sich abfinden lassen. –«</p> - -<p>»Ich hoffe es doch,« antworte ich, »denn niemand -kann mit dem Kopf durch die Wand, – es -sei denn, er gehörte zur Kategorie derer, mit denen -man Wände einrennt, und dazu habe ich Sie nie -gezählt. – Aber jetzt sagen Sie mir bitte, wann -wir heute Tennis spielen wollen. Vor sechs Uhr ist -es gewiß zu heiß und um sieben geht es schon -wieder zu Tisch.«</p> - -<p>Statt aller Antwort fragt Dufaure: »Haben -Sie eigentlich nie geritten?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_066" title="66"> </a> -»Nein,« antworte ich, ein bißchen erstaunt, wie -immer über seine sprunghafte Art. »Sie wissen ja, -daß ich eine unnatürliche, ich möchte fast sagen -eine traumartige Angst vor Pferden habe.« –</p> - -<p>»Dann kennen Sie vielleicht auch nicht die eigentümliche -Scheu, die manchmal ganz plötzlich und -aus unaufgeklärten Gründen so ein Tier befällt. – -Stellen Sie sich vor: es geht seelenruhig und brav -bis zu einer bestimmten, ganz harmlosen Stelle. -Aber an dieser Stelle macht es plötzlich kehrt, und -keine Mühe, kein Schmeicheln und Drohen kann -es bewegen, weiter als bis zu diesem Punkt zu -gehen.«</p> - -<p>»Ich habe schon davon gehört,« antworte ich, -»und die Lösung dieses Rätsels wäre vielleicht ein -wertvoller Beitrag zur Erforschung des pferdlichen -Seelenlebens. Mir scheint sie übrigens nicht so -schwierig wie Ihnen. Vielleicht ist der Punkt, vor -dem die Scheu besteht, doch nicht ganz so harmlos -wie Sie glauben. Es ist ja nicht gesagt, daß -zwei Wesen darin gleich empfinden müssen.«</p> - -<p>»Und wenn es nun gerade die Gefahr ist, die -den Reiter lockt, wenn er nun gerade den Widerstand -überwinden und diese – meinetwegen nicht -harmlose Stelle erreichen will. Was dann?«</p> - -<p>»Ja, was dann?« sage ich, »Sie sind ja Reiter, -lieber Freund, nicht ich. Wäre ich der Reiter, -<a class="pagenum" id="page_067" title="67"> </a> -dann umginge ich vielleicht die gefährliche Stelle – -vielleicht, sage ich.«</p> - -<p>»Das ist kein Heldenstück,« spottet er, »weder -das Umgehen noch das Vielleichtsagen. Und wenn -nun das andere ›Vielleicht‹ einträte, und Sie nicht -so besonnen und weise wären, nicht so ganz kluge -Jungfrau, was machten Sie dann?«</p> - -<p>»Dann, ja dann machte ich wahrscheinlich eine -große Dummheit, bei der ich den Kopf riskierte, -oder doch wenigstens den Kragen, was auch peinlich -sein kann.«</p> - -<p>»Und das schöne himmelblaue Gewand, – ja, -das wäre bitter.«</p> - -<p>»Nein, Hänschen,« sage ich, »bitte zu bedenken, -daß ich als Reiter kein himmelblaues Kleid trüge -und also weit weniger zu riskieren hätte als die -kluge Jungfrau, die außerdem bekanntlich noch -eine kleine Öllampe in der Hand trägt, deren Licht -sie treulich hütet. Ich glaube, so etwas kommt in -der Bibel vor, und ich habe diese klugen Öllampenjungfrauen -von jeher verabscheut.«</p> - -<p>»Ja, nicht wahr?« sagt Dufaure ordentlich -glücklich, »Sie finden also auch, daß Lampen, die -nicht im richtigen Augenblick verlöschen, so recht -eigentlich ihren Zweck verfehlt haben.«</p> - -<p>»Ich möchte mir hierüber noch kein abschließendes -Urteil gestatten,« antworte ich, »besonders -<a class="pagenum" id="page_068" title="68"> </a> -deshalb nicht, weil der rechte Augenblick immer -eine strittige Frage sein wird. Was aber die klugen -Jungfrauen im Leben betrifft, so bin ich unbesorgt, -denn ich habe die tröstliche Erfahrung gemacht, -daß es gar keine gibt. Sogar unsere Tischgenossin, -die alte und magenleidende Tante, die es so genau -mit ihrer Diät nimmt, und die ich deshalb für das -Ideal einer klugen und enthaltsamen Jungfrau -hielt, hat neulich, als ihr der Lachs gereicht wurde, -tief und schmerzlich aufgeseufzt: ›Einmal im Leben -möchte ich mit gutem Gewissen sündigen dürfen.‹«</p> - -<p>Wir lachen beide, und Dufaure behauptet, daß -er das gute Gewissen von jeher für eine Erfindung -der alten und magenleidenden Tanten gehalten -habe.</p> - -<p>»Haben Sie noch nicht bemerkt, daß es immer -und ewig recht haben will, genau so wie die alten -Tanten?« fragt er.</p> - -<p>»Es hat auch immer recht,« antworte ich, »denn -es spricht nur, wenn es recht hat, und das unterscheidet -es von allen alten Tanten der Welt.«</p> - -<p>Und nach dieser Feststellung setzen wir uns auf -einen kleinen Rasenabhang und rauchen und starren -in die Luft.</p> - -<p>Auf einmal fragt Dufaure: »Spricht Ihr Gewissen -nicht schon seit drei Wochen unaufhörlich -mit Ihnen?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_069" title="69"> </a> -»Nein,« sage ich und starre weiter in die Luft.</p> - -<p>»Dann muß es recht gut erzogen sein,« behauptet -er.</p> - -<p>»Finden Sie, daß ich so in Sünden wate?«</p> - -<p>»Nun,« antwortet er, »die äußere Korrektheit -bedeutet oft nichts als die Inkorrektheit des Herzens. -Aber vielleicht reagiert Ihr Gewissen nicht -auf Unterlassungssünden.«</p> - -<p>Ich muß unwillkürlich lächeln: »Worunter -also in diesem Fall meine unterlassenen Sünden -zu verstehen wären.«</p> - -<p>Und da er mich schweigend und mit einem eigensinnigen -Ausdruck ansieht, kann ich nicht anders, -als ein altes Kinderlied zitieren, und ich sage leise -in seine flackernden Augen hinein: »Hänschen, -Hänschen, sei gescheit!«</p> - -<p>»Ja,« antwortet er zwischen den Zähnen und, -plötzlich aufspringend: »Weiß auch nicht, welcher -Teufel mich manchmal packt und Ihnen den -Spaziergang durch die himmelblauen Gärten -stört.«</p> - -<p>Mir kommt plötzlich eine drollige Kindheitserinnerung, -und während wir weitergehen erzähle -ich ihm:</p> - -<p>»Als meine Schwestern und ich noch klein waren, -hatten wir mal ein sonderbares Spielzeug. Daran -muß ich jetzt denken, vielleicht weil Sie gerade -<a class="pagenum" id="page_070" title="70"> </a> -vom Teufel sprachen. Es war ein sehr hübscher, -harmlos aussehender Kasten, dessen Schloß schwer -zu finden war. Und während man danach suchte, -berührte man jedesmal eine geheime Feder, -der Kasten sprang auf, und ein kleiner Teufel flog -heraus. – Und wir erschraken jedesmal zu Tod, -und einmal habe ich sogar vor Schrecken geweint. -Und wir hatten es doch vorher gewußt, daß der -Teufel darin saß und hätten doch die Hände von -dem gefährlichen Spielzeug lassen können.«</p> - -<p>»Ja,« sagt Dufaure, »wir hätten ja die Hände -von dem gefährlichen Spielzeug lassen können. – -Daß es nicht geschah, trotz des besseren Wissens, -bestätigt mal wieder meinen schönen, aber traurigen -Satz: ›Klugheit schützt vor Dummheit nicht.‹ -Übrigens vermute ich, daß Ihre Tränen schnell -getrocknet waren. Es gibt ja so viele Spielsachen -auf der Welt, und der Teufel sitzt nicht in allen.«</p> - -<p>»Sicher war ich schnell getröstet,« antworte ich, -»besonders, weil ich als Kind oberflächlich genug -war, nicht hinter jeder harmlosen Sache eine tiefe -Symbolik zu wittern.«</p> - -<p>»Verzeihen Sie,« sagt Dufaure, »die Symbolik -lag hier so nahe. Aber um Sie zu versöhnen, will -ich Ihnen auch etwas aus meinem Kinderleben -erzählen, wenn Sie es hören wollen.« Ich nicke -und er erzählt:</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_071" title="71"> </a> -»Ich hatte als Kind neben vielen schlechten Gewohnheiten -eine, die besonders fatal und gefährlich -war, nämlich die Gewohnheit, mich immer -selbst zu sehen und zu hören. Ich ging immer -gleichsam neben mir her und beobachtete mich. Anfangs -mag es eine gewollte Spielerei gewesen sein, -aber dann wurde es zur Gewohnheit und schließlich -zum Zwang. – Auch daß ich mich beobachtete, -beobachtete ich und so immer weiter, so daß -es war, als stünde ich zwischen zwei Spiegeln, die -sich ineinanderspiegeln und in denen man sich unheimlicherweise -in einer endlosen Reihe sitzen, stehen -und bewegen sieht. Sie können sich nicht denken, -wie qualvoll das war – und noch ist, denn es -ist noch nicht vorbei. Noch keine Erregung, -noch kein Erlebnis war stark genug, mich in mir -selbst zu verlöschen, mich von mir selbst zu erlösen.«</p> - -<p>Dufaure schweigt einen Augenblick und setzt -dann langsam hinzu:</p> - -<p>»Und ich sehne mich nach dieser Erlösung. Ich -möchte mich selbst verlieren, – einmal im -Leben.«</p> - -<p>Wir stehen auf der kleinen Brücke und sehen -hinunter, und unsere Hände liegen auf dem Gitter -nahe beieinander, aber nicht so nahe, daß sie sich -berühren. Und plötzlich sage ich in die Stille hinein, -<a class="pagenum" id="page_072" title="72"> </a> -fast ohne es zu wissen und zu wollen, und -meine Stimme klingt wie dünnes Glas, das im -nächsten Augenblick zerbrechen kann:</p> - -<p>»Ich möchte mich selbst finden, – einmal im -Leben.«</p> - -<p>Und dann sprechen wir gar nichts mehr. –</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_073" title="73"> </a> -Von Märchen und Masken</h2> - -<p class="ce"><img src="images/p073i.jpg" alt="" /></p> - - -<p><a class="pagenum" id="page_075" title="75"> </a> -Ein unbeschreiblicher Reiz liegt über der Alster, -wenn sie an warmen Sommerabenden mit unzähligen -kleinen Fahrzeugen übersät ist, wenn die Ruder- -und Segelboote, Punts und Kanus lustig -durcheinanderschießen, und junge Gestalten in bunten -Sportgewändern einander zurufen und nicken -und plaudern und lachen und flirten, als wäre die -Welt ein großer Festplatz und Leben der entzückendste -Sport.</p> - -<p>Aber ein anderer, feinerer Reiz liegt über der -Alster, wenn man an lieben Sommermorgenden -langsam durch ihre stillen Kanäle fährt. Gärten -rechts und links, Weiden, deren Zweige bis ins -Wasser hängen, Schwäne, die sich langsam dem -Boot nähern, und die ein leichter Ruderschlag wieder -vertreibt. Hier und da Kinder in den Gärten -und ein kleiner Hund, der ans Ufer kommt und -bellt. Und wir gleiten an all dem vorbei, und es -ist wie im Märchenland.</p> - -<p>»Andersens Märchen,« sage ich, und Erich -Halpern sieht nach dem Ufer hinüber und nickt. -Er sitzt an der Spitze des Punts, in weißem Sportanzug -<a class="pagenum" id="page_076" title="76"> </a> -mit bunter Krawatte und braunem Wildledergürtel, -frisch, klug und hamburgisch aussehend. -Langsam und wie zum Spiel läßt er das leichte -Ruder durchs Wasser gleiten, während ich mir -am Boden des Fahrzeuges zwischen den unzähligen -bunten Kissen und Polstern mein bequemes -Lager hergerichtet habe. –</p> - -<p>»Hier müßte man Märchen erleben,« sagt er -lächelnd.</p> - -<p>»Märchen erlebt man nicht,« antworte ich ein -bißchen faul und blicke den Wölkchen meiner Zigarette -nach, »man erzählt sie höchstens seinen -Freunden.«</p> - -<p>»Womit Sie hoffentlich nicht sagen wollen, daß -alle Erlebnisse, die man seinen Freunden erzählt, -Märchen sind?« – »Das will ich doch hoffen,« -entgegne ich, »denn sobald sie aufhören, Märchen -zu sein, sind sie schon Indiskretionen.«</p> - -<p>»Müssen es denn immer Liebesgeschichten sein?« -fragt er lachend.</p> - -<p>»Ach bitte ja,« antworte ich, »alle anderen sind -doch wirklich gar zu langweilig. Oder können Sie -sich etwas Tödlicheres denken, als wenn jemand -seine Abenteuer auf anderem Gebiet zum besten -gibt. Beispielsweise Reiseerlebnisse: Man kann mir -die Besteigung des Montblanc in den glühendsten -Farben schildern, man kann mir die Kämpfe mit -<a class="pagenum" id="page_077" title="77"> </a> -Buschmännern und Moskitofliegen noch so reizvoll -ausmalen, es wird mich alles gleichgültig -lassen der Frage gegenüber, ob die unglückliche -Liebe, der man auf seiner Reise um die Welt entfliehen -wollte, erkaltet ist oder nicht. Aber leider -ist es die traurige Eigentümlichkeit der unglücklichen -Lieben, daß sie auch in der Entfernung nicht erkalten.«</p> - -<p>»Haben Sie diese betrübliche Erfahrung aktiver- -oder passiverweise gemacht?« fragt Erich, »wenn -es nicht indiskret ist, sich danach zu erkundigen.«</p> - -<p>»Es ist indiskret,« antworte ich, »aber ich will -Ihnen trotzdem antworten, daß ich in unglücklichen -Liebesfällen meistens die leidende Form bevorzugt -habe.«</p> - -<p>»Bei der Sie anscheinend nicht allzuviel litten,« -meint er trocken.</p> - -<p>»Ach, ein Vergnügen ist auch das Unglücklichgeliebtwerden -nicht,« antworte ich, »und vor allem -ist es bedeutend schwerer, jemanden heraus als -hinein zu verlieben.«</p> - -<p>»Vielleicht weil man sich dieser Arbeit nicht mit -der gleichen Hingabe unterzieht,« vermutet er, und -ich kann ihm nicht ganz unrecht geben. »Es ist -eine zu langweilige und trübselige Arbeit,« nicke -ich. –</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_078" title="78"> </a> -»Und zudem eine, die mir die moralischen Kräfte -einer Frau bedeutend zu übersteigen scheint,« sagt -Erich und beugt sich einen Augenblick nieder, um -unter den Weidenzweigen durchzuschlüpfen, die fast -bis ins Wasser hängen.</p> - -<p>»Ach, man kann es schon, wenn man ernstlich -will,« antworte ich zerstreut, denn es ist zu herrlich -in der grüngoldnen Dämmerung, durch die wir -fahren, als daß ich so recht zur Unterhaltung aufgelegt -sein könnte.</p> - -<p>»Ja,« entgegnet Erich, »man kann bekanntlich -alles, was man ernstlich will, es fragt sich immer -nur, ob man es ernstlich wollen kann. Und – ich -muß gestehen – ich traue einer Frau jede Selbstlosigkeit -und Opferfreudigkeit zu, nur die eine nicht, -einen Anbeter wissentlich und willentlich zu ernüchtern. -Es wäre fast übermenschlich.«</p> - -<p>»Wenn er uns ganz gleichgültig ist,« werfe ich -dazwischen; aber Erich antwortet: »Ein Mensch, -der uns anbetet, ist uns nie ganz gleichgültig, und -außerdem sind wir so eitel, daß uns sogar an der -Schätzung der Menschen, an denen uns gar nichts -liegt, noch viel gelegen ist. Ich weiß nicht, wer -das einmal gesagt hat, aber es wird wohl eine -Frau gewesen sein.«</p> - -<p>Ich nicke. »Die Ebner-Eschenbach, und sie hatte -recht. Aber unbesorgt, die Ernüchterung wird schon -<a class="pagenum" id="page_079" title="79"> </a> -selbsttätig eintreten, denn die Eitelkeit der Männer -ist so stark, daß ihre heißeste Liebe der Gleichgültigkeit -gegenüber erlischt. Und wenn es schon schwer -ist, den Haß oder die Liebe zu verkleiden, – die -Gleichgültigkeit zu verbergen, ist uns einfach unmöglich.«</p> - -<p>»Heil, heil!« ruft Erich vergnügt, »eine der -schwierigsten Menschheitsfragen ist gelöst, und unglücklich -liebende Männer laut Beschluß von heute -aufgehoben. O du glückliche Welt, in der sich alles -so spielend löst.«</p> - -<p>Ich liege auf dem Rücken, die Hände unterm -Kopf, und schaue in den Himmel und die ziehenden -weißen Wolken hinein.</p> - -<p>»Mir scheint alles so spielend leicht, wenn ich -auf dem Wasser bin,« sage ich, »fast als ob dies -Gleiten und Wiegen die Körper- und Seelenschwere -zugleich aufgehoben hätte. Und dann all -die Schönheit ringsum. Nein, es ist mir heute -schlechterdings unmöglich, unglücklich liebende -Männer tragisch zu nehmen.« – Erich lacht. -»Wenn ich gewußt hätte, daß der Wassersport -auch seelisch abhärtend wirkt, dann hätte ich Ihnen -nicht so leidenschaftlich zur Anschaffung dieses -Punts geraten.«</p> - -<p>»Was verlieren Sie dabei?« frage ich und drehe -den Kopf nach ihm hin, »Sie sind ja Gott sei -<a class="pagenum" id="page_080" title="80"> </a> -Dank der einzige meiner Freunde, der nicht unglücklich -liebt, und Sie glauben nicht, wie wohltuend -das auf mich wirkt.«</p> - -<p>»Und auf mich erst!« lacht er. »Übrigens verspreche -ich Ihnen, falls mich das Malheur doch -mal ereilen sollte, meinen Seelenschmerz männlich -vor Ihnen zu verschließen. Denn erstens sind Sie -mitleidslos –« – »Nur auf dem Wasser,« werfe -ich dazwischen.</p> - -<p>»Nun, Sie werden nicht leugnen, daß Sie auch -auf dem festen Land die Leiden anderer, und wären -es die schmerzlichsten, mit bedeutend mehr Fassung -tragen als zum Beispiel –« – »Als zum Beispiel -meine eigenen, und wären sie auch viel geringfügiger. -Aber ich behaupte, damit keine unrühmliche -Ausnahme zu machen, denn – wenn Sie -mir ein unpoetisches Wort in dieser poetischen Umgebung -gestatten wollen, – der eigne Rock ist uns -allen immer noch bedeutend näher als andrer Leute -Hemd. – Übrigens, lieber Erich, glauben Sie ja -nicht, mir jemals Ihre Seelenstimmung oder Verstimmung -verbergen zu können. Sie sind durchsichtig -wie Glas –«</p> - -<p>»Ich werde eine undurchdringliche Maske wählen,« -verspricht er.</p> - -<p>»Ungefähr so, wie einer meiner Bekannten, der -immer wenn er Unannehmlichkeiten erlebt hat, -<a class="pagenum" id="page_081" title="81"> </a> -fröhlich trällernd zu seiner Frau ins Zimmer kommt, -um sie über seinen Seelenzustand zu täuschen. Sie -erschrickt denn auch jedesmal zu Tod, wenn sie -sein Trällern hört.«</p> - -<p>»Wie schade,« sagt Erich, »auf diesen liebenswürdigen -Trick werde ich also schon verzichten -müssen. Und ich bin nun wirklich selbst neugierig, -welche Maske ich mir vorbinden muß, um Sie -zu täuschen. Was meinen Sie, wenn ich das -Raffinement so weit triebe, mir die Durchsichtigkeit -als Maske zu wählen?«</p> - -<p>»Eine gewisse kühle Durchsichtigkeit, ja. Das -wäre ein sehr feiner Zug, der besondere Schlauheit -verrät. Sie müssen nämlich wissen, daß der -wahre Psychologe den Menschen am besten an -der Maske erkennt, die er sich wählt. Und man -könnte daher den sehr veralteten Spruch mit Recht -dahin umändern: ›Ich weiß, wer du scheinen -willst und sage dir, wer du bist‹.«</p> - -<p>»Und damit wäre die Maske wieder nur ein -Teil von uns selbst, und es bedürfte einer zweiten -und dritten, um die erste zu verbergen. Nein,« -sagt Erich energisch, »da bin ich doch schon aus -Klugheits- und Ventilationsgründen für offenes -Visier.«</p> - -<p>»Das nützt auch nichts,« entgegne ich bekümmert, -»denn es gibt Menschenkenner, die so niederträchtig -<a class="pagenum" id="page_082" title="82"> </a> -fein sind, daß sie uns selbst ohne Maske -durchschauen.«</p> - -<p>Erich lacht. »Sie rechnen sich dazu?«</p> - -<p>»Ach nein,« sage ich, »ich weiß mich frei von -der Schwäche psychologischer Neugier und danke -Gott täglich, daß er den Menschen die Gabe verliehen -hat, ihre wahren Gesichter zu verbergen. -Denn Erich, wirklich, bei Licht besehen, es ist ein -Pack.«</p> - -<p>»Und nur wir beide nicht?« fragt er.</p> - -<p>»Ach, wir beide auch,« antworte ich, »aber -von den Anwesenden spricht man nicht gern, und -deshalb sagt man auch immer, sie sind ausgeschlossen.«</p> - -<p>Wir fahren eine Weile schweigend weiter, endlich -sagt Erich, wie mir scheint, etwas verdrossen: -»Eins begreife ich nicht und ärgere mich darüber, -– nämlich, was Sie zu dem abfälligen Urteil -über Ihre Mitmenschen berechtigt. Die Erfahrungen, -die Sie bisher gemacht haben, sollten doch -gerade danach angetan sein –«</p> - -<p>»Lieber Freund,« unterbreche ich ihn, »was -wissen Sie von meinen Erfahrungen, da Sie nur -die Seite von mir und meinem Leben kennen, die -Ihnen zugekehrt ist? – Aber selbst, wenn Sie -recht hätten, wäre es doch nichts als Bestechlichkeit, -wenn ich Welt und Menschen deshalb -<a class="pagenum" id="page_083" title="83"> </a> -im rosigen Schein sehen wollte, weil mir's -gut geht, und weil man mich nach mancherlei -Richtung hin verwöhnt hat. Es wäre eine ziemlich -oberflächliche Bestechlichkeit, deren ich mich -nicht schuldig machen will; trotzdem ich mich -ganz gewiß nicht für unbestechlich halte. – -Ebensowenig wie irgendeinen Menschen auf der -Welt.«</p> - -<p>Erich schüttelt ungeduldig den Kopf: »Ich -weiß, daß es Ihre Gewohnheit ist, große Worte -gelassen auszusprechen, aber ich glaube, dies -große Wort von der Bestechlichkeit aller Erdenkinder -werden Sie doch nicht aufrechterhalten -können. Sie werden trotz Ihrer pessimistischen -Weltanschauung zugeben müssen, daß es Menschen -unter uns gibt, die niemand bestechen -kann.«</p> - -<p>»Ja,« sage ich, »das gebe ich ohne weiteres zu. -Niemand kann sie bestechen, weil niemand ihnen -den Preis bieten kann, für den sie zu haben wären. -Ich spreche natürlich nicht von Geld, denn es gibt -ja Leute genug, die so viel Geld haben, daß sie -damit nicht zu ködern sind. – Aber wir alle haben -Wünsche, die so brennend und tief sind, daß wir -für ihre Erfüllung unsere Ehre und unsere sogenannte -Seligkeit über Bord würfen. – Da aber -ein Mensch dem anderen niemals das geben oder -<a class="pagenum" id="page_084" title="84"> </a> -auch nur versprechen kann, was dieses Opfer lohnt, -so bleiben wir unbestochen bis an unser Lebensende, -Gott sei's geklagt. –«</p> - -<p>»Vielleicht Gott sei gelobt,« meint Erich altklug, -»denn wir wissen es ja, daß erfüllte Wünsche -meist eine grausame Strafe sind. – Und doch,« -fährt er nachdenklich fort, »Sie haben recht. Trotzdem -wir es wissen, wir gäben Ehre und Seligkeit -und ein paar Jahre unseres Lebens für die Erfüllung.«</p> - -<p>»Ja,« antworte ich zögernd, »Ehre und Seligkeit -gewiß, – aber ein paar Jahre meines Lebens? -– Oder,« füge ich plötzlich ganz erleichtert hinzu, -»wenn es vielleicht ein paar aus meiner Vergangenheit -sein dürften?«</p> - -<p>Erich lacht herzlich. »So fassen Frauen das -selbstverständlich immer auf, wenn sie für irgend -etwas Jahre ihres Lebens zu opfern bereit sind. – -Aber sind Sie wirklich so ängstlich besorgt um die -zukünftigen?«</p> - -<p>»Ach ja, Erich, denn es ist ohnehin immer schon -später als wir glauben.«</p> - -<p>Erich hat das Ruder eingezogen, und wir treiben -jetzt in dem kleinen, fast ganz von Gärten eingeschlossenen -See langsam im Kreise. Ich habe die -Zigarette über Bord geworfen und die Hände um -die Knie geschlungen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_085" title="85"> </a> -»Wissen Sie, Erich,« seufze ich, »es ist sonderbar -mit dem Altwerden, es ist das leichteste und -das schwerste Ding zugleich.« Er nickt. – »Aber mir -ist's doch immer so, als müßte es nicht sein, daß -fast alle Menschen vom dreißigsten Jahr an geistig -zu schrumpfen anfangen,« sagt er, »denn leider tun -sie das.«</p> - -<p>»Nun ja,« antworte ich, »man hält zu oft für -Temperament oder Begabung, was nur Jugend -ist und schnell verschwindet, sobald der Mann Amt -und Brot, und die Frau einen Mann gefunden -hat. Erst wenn ein Mensch darüber hinaus den -Schwung seines Wesens bewahrt hat, kann man -sagen, daß er echt gewesen ist. Wie ja auch die -körperliche Anmut einer Frau erst dann mehr ist -als etwas zufällig Angeflogenes, wenn sie die Jugend -überdauert, weil sie sich immer wieder von -innen heraus durch seelische Kräfte erneut.«</p> - -<p>»Ja,« sagt Erich seufzend, »wenn es so eine Art -seelische Kosmetik oder Massage gäbe –«</p> - -<p>»Die gibt es sicher,« tröste ich ihn, »eine sehr -gute Seelenmassage ist zum Beispiel schon die -Liebe. Aber um Himmels willen keine glückliche, -denn die bewirkt gerade das Gegenteil –, führt -leicht zu Ehe, Schlafrock und Kinderkriegen, und -unmerklich aber sicher ins Himmelreich der Philister. -Aber so eine recht unglückliche Liebe, sehen Sie –«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_086" title="86"> </a> -Ich breche erschrocken ab, denn Erich lächelt gar -zu wehmütig und schelmisch zugleich.</p> - -<p>»Erich,« sage ich und starre ihn entsetzt an, »um -Himmels willen, Sie auch?«</p> - -<p>Er wendet mir langsam sein liebes und ehrliches -Gesicht zu und nickt ...</p> - -<p>»Wie habe ich meine Maske getragen?« fragt -er leise.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_087" title="87"> </a> -»Das ist nun mal mein Fimmel –«</h2> - -<p class="ce"><img src="images/p087i.jpg" alt="" /></p> - - -<p><a class="pagenum" id="page_089" title="89"> </a> -Die Mittagstafel im Sanatorium für Nervöse -und Überarbeitete geht ihrem Ende zu. Ja, der -Doktor ist sogar schon aufgestanden, und während -ein Teil der Gäste noch mit dem Pudding beschäftigt -ist, steht er, die Hände auf die Lehne gestützt, -hinter seinem Stuhl im Gespräch mit dem großen -Dichter und der interessanten Frau, die ihm täglich -gegenüber sitzen. Er spricht lebhaft und angeregt, -bricht aber plötzlich mittendrin ab, überfliegt -die Tafel mit einem zerstreuten Blick, der scheinbar -nichts aufnimmt und zieht sich zurück, ohne sich von -jemandem zu verabschieden. Gleich darauf erheben -sich auch die Gäste, und während man sich dem -Ausgang zudrängt, vermischen sich die zwei sonst -streng geschiedenen Tische, der Tisch der Geistigen -und der Tisch der Harmlosen, und das Stimmengeschwirr -geht lauter hin und her.</p> - -<p>»Hie weise Reden, hie Gelalle, – ich leg' mich -in die Liegehalle,« sagt jemand neben mir, und da -ich den Schüttelreimfimmel des sehr gesprächigen -kleinen Assessors schon seit Wochen kenne, sage ich -nur gewohnheitsmäßig: »Schauderhaft!« und füge -<a class="pagenum" id="page_090" title="90"> </a> -gleich hinzu: »Ich komme aber mit hinauf, muß -jetzt auch liegehallen.«</p> - -<p>Bald darauf haben wir's uns mit Hilfe von -Kissen und Decken in unseren Liegestühlen bequem -gemacht, und Fritz Burmeister sagt: »Na, bei -Ihnen da drüben am Tisch der Berufenen und -Auserwählten ging's ja heute wieder mal verflucht -kriegerisch zu. Mir dröhnen noch die Ohren. Um -welche heiligsten Güter wogte denn der Kampf so -geräuschvoll hin und her?«</p> - -<p>»Sie hatten heute Dostojewsky vor,« berichte -ich seufzend und streife die Asche von meiner Zigarette. -»Die Brüder Karamasow waren dran, und -sie stritten darüber, ob das Buch mehr typisch russisch -oder mehr typisch menschlich sei. Und dabei -kamen sie auf das typisch Menschliche im allgemeinen -zu sprechen, und der große und der kleine -Dichter gerieten einander in die Haare, und da ich -gerade zwischen den beiden sitze, geriet ich in die -Gefahr, im Interesse der typischen Menschlichkeit -zerquetscht oder erschlagen zu werden.«</p> - -<p>»Traurig, traurig,« sagt der kleine Assessor, -»aber warum krakehlen Sie nicht mit? Das ist -gewöhnlich die einzige Rettung. Ich könnte es ja -natürlich nicht, denn ich lese keine russischen Romane. -Nicht etwa aus irgendeinem patriotischen -oder moralischen Prinzip heraus, nein einfach nur, -<a class="pagenum" id="page_091" title="91"> </a> -weil ich die Namen darin nicht behalten kann. -Wenn nämlich der eine Fedor Alexandrowitsch -heißt und ein anständiger Mann ist, dann heißt -der andere unfehlbar Alexander Fedorowitsch und -ist ein Schurke, und ich bin mir am Schluß des -Buches immer noch unklar darüber, wer der eine -und wer der andere war. Aber Sie mit Ihrem glänzenden -Namengedächtnis –«</p> - -<p>»Ach, darauf kommt es nicht an,« sage ich, »und -Sie hätten ruhig mitreden können. Man kann -nämlich das Blödsinnigste sagen, ohne daß einer -es merkt. Heute tat ich nur deshalb nicht mit, weil -ich essen wollte.«</p> - -<p>»Was sicher das typisch Menschlichste an der -Sache war,« entscheidet er und fährt fort: »Ich -begreife überhaupt nicht, wie man die Geschmacklosigkeit -haben kann, bei Tisch Welträtsel zu -lösen!«</p> - -<p>»Ach, wenn die Beefsteaks so hart sind wie -gestern abend, dann löse ich gern mit,« erkläre ich -ihm. »Es war einfach unerhört, die reinen Schuhsohlen! -Der große Dichter war auch empört und -mußte kohlensaures Natron hinterher nehmen.«</p> - -<p>Burmeister schweigt einen Augenblick, und ich -sehe ihn erstaunt ob der ungewohnten Pause an. -Da hebt er aber auch schon den Zeigefinger und -deklamiert pathetisch:</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_092" title="92"> </a> -»Er sprach, ich bin kein Sohlenkauer, drauf nahm -er Natron kohlensauer.« – »Schauderhaft,« sage -ich, und er antwortet mit dem treuherzigen Sanatoriumspruch, -der hier all unsere Sünden decken muß:</p> - -<p>»Das ist nun mal mein Fimmel, deshalb bin -ich hier! –</p> - -<p>Übrigens,« fährt er fort, »zeigt es sich nach Ihrer -Aussage wieder einmal deutlich, daß die Lösung -des Welträtsels nur eine Magenfrage ist, und wer -weiß, wie nahe wir morgen mit Hilfe des Beefsteaks -der endgültigen Entscheidung kommen. – -Wie verhält sich aber Ihre Tischgesellschaft zu -dem schwierigen Problem der gleichzeitigen geistigen -und leiblichen Ernährung?«</p> - -<p>»Sie löst es spielend,« antworte ich. »Der -große Dichter spricht immer kauend, wodurch der -Sinn seiner Reden nicht klarer wird, der kleine -ist für sehr reichliche Nahrungsaufnahme, aber er -beeilt sich kolossal, schiebt mir oder seiner Nachbarin -zur Linken schnell seine abgegessenen Teller -hin und stürzt sich kopfüber ins Gespräch. Der -Doktor ißt ja überhaupt fast nichts aus lauter Zerstreutheit -und ist zufrieden und glücklich, wenn er, -wie jener sagenhafte Heinrich, jeden Mittag wenigstens -einen Dichter im Topf hat.«</p> - -<p>»Erlauben Sie,« wendet Burmeister höflich ein, -»es war ein Huhn, das jener sagenhafte und ziemlich -<a class="pagenum" id="page_093" title="93"> </a> -weltfremde Heinrich jeden Sonntag im Topf -seiner Untertanen zu sehen wünschte; und ich hege -einen zu großen Respekt vor allem, was sich dichtend -betätigt, um diese Verwechslung gutheißen -zu können. – Ich als simpler Bürger –«</p> - -<p>»Ich bitte Sie, ein preußischer Regierungsassessor,« -erinnere ich ihn, aber er wehrt nervös ab: -»Ach bitte, bitte! Ich bin, wie Sie wissen, ohne -jeden Standeshochmut. Und überhaupt, preußischer -Assessor, das höre ich gern! Welche gräßlichen -Vorstellungen knüpfen sich an dieses Wort! Ein -unsympathischer und streberhafter Geselle ohne Gemüt -und Idealismus, so leben wir in jedem deutschen -Roman, so laufen wir durch jedes deutsche Drama.</p> - -<p>Immer müssen wir die undankbaren Episodenrollen -spielen, sind sozusagen die Schlagschatten, -durch die die Lichtgestalt des Helden um so leuchtender -erscheint. Und ich weiß nicht einmal, warum -die Volksseele auf diese frevelhafte Weise vergiftet -wird. – Wir sind eben die Stiefkinder der Literatur,« -setzt er in so tragischem Ton hinzu, daß ich -gerührt werde und ihm verspreche, demnächst ein -Drama zu schreiben, das eine Ehrenrettung sämtlicher -Assessoren der Welt mit besonderer Berücksichtigung -Preußens werden solle.</p> - -<p>»Ich danke Ihnen,« antwortet er und verbeugt -sich, soweit der Liegestuhl es zuläßt. »Es wird eine -<a class="pagenum" id="page_094" title="94"> </a> -befreiende Tat sein. – Apropos befreiende Tat,« -fährt er lebhaft fort, »hat sich denn immer noch -niemand im Sanatorium dazu bereit finden können, -die interessante Frau, die an Ihrer Tischecke -da oben sitzt und in eminenter Geistigkeit macht, -geräuschlos aus der Welt zu schaffen?«</p> - -<p>»Ach nein,« antworte ich, »Sie vergessen, daß -wir leider alle noch nicht in dem vorgeschrittenen -Stadium sind, in dem der Staatsanwalt und -die Geschworenen auf Freisprechung erkennen -müssen.«</p> - -<p>»Traurig, traurig!« sagt er und überlegt. »Was -ist denn alles hier an schönen Sachen? Vollkommene -Geistesgestörtheit? Nein. Totaler Stumpfsinn? -Schon eher, aber das gibt höchstens lumpige -mildernde Umstände. Vielleicht ginge es mit -sinnlosen Wutanfällen. Und ich bin sicher, vor jedem -Gerichtshof der Welt Verständnis zu finden, wenn -ich behaupte, daß diese Trägerin eminenter Geistigkeit -und noch eminenterer Dummheit mich täglich -in sinnlose Wut versetzt, wenn sie ihre unkontrollierbaren -indischen und chinesischen Weisen in den -Himmel hebt und mit verächtlich herabgezogenen -Mundwinkeln von dem langweiligen Moralphilister -Kant, dem verwirrten Schwätzer Nietzsche -und dem salbadernden Geheimrat Goethe spricht. -Kein Gerichtshof der Welt –«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_095" title="95"> </a> -»Tun Sie's trotzdem nicht,« unterbreche ich ihn. -»Ihr Klaps ist leider noch nicht vorgeschritten genug, -um vor den Sachverständigen zu bestehen. -Und schließlich, was tut sie Schlimmes? Wenn -sie nicht gerade ihre Verachtung für alles Europäische -kundgibt, oder mit dem kleinen Dichter über -Fragen des Unterbewußtseins diskutiert, ist sie -harmlos. Sie spielt die Kosmopolitin, seitdem sie -mit ihrem Mann ein paar Wochen in China war -oder in Australien, was ja schließlich dasselbe ist. –«</p> - -<p>»Erlauben Sie mal!« fährt er entsetzt in seinem -Stuhl hoch. »Ich meine ja nur, was den Effekt -betrifft,« beruhige ich ihn. – »Und das Unterbewußte, -das ist nun einmal des kleinen Dichters -Steckenpferd.«</p> - -<p>»Ich weiß,« sagt Burmeister bekümmert, »Ihr -Tischgenosse Janssen hat mir erzählt, daß er ihn -schon zweimal mit der Frage nach seinem unterbewußten -Empfinden in die tödlichste Verlegenheit -versetzt hat. Janssen fand das gemein und anstößig, -noch dazu in Gegenwart von Damen und nennt -den kleinen Dichter seitdem nur noch ›Mayer mit -dem Unterbewußten‹.«</p> - -<p>Hier muß ich so laut herauslachen, daß eine der -Hausdamen den Kopf zur Tür hereinsteckt und -daran erinnert, daß Ruhezeit ist, und daß man uns -im ganzen Haus hören könne.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_096" title="96"> </a> -»Das spricht für die Harmlosigkeit unserer -Unterhaltung,« versichert Burmeister treuherzig, -schiebt aber mit Rücksicht auf das ganze Haus -unsere Stühle so dicht wie möglich zusammen und -fragt mich im Flüsterton, ob ich Janssens Auffassung -nicht sehr berechtigt fände.</p> - -<p>»Mir scheint,« sage ich, »der Gute sucht sich -an der ganzen Literatur dafür zu rächen, daß die -Worte ›Meine Ruh' ist hin, mein Herz ist schwer‹ -nicht in der Jungfrau von Orleans vorkommen, -wie er neulich behauptet und beinahe beschworen -hat.«</p> - -<p>»Sie könnten auch ganz gut da vorkommen,« -verteidigt der Assessor seinen Freund. »Und überhaupt, -Schiller oder Goethe, so feine Nuancen -braucht man wirklich nicht zu kennen. Mich quält -aber schon seit Wochen eine andere Frage und -zwar, welchen Befähigungsnachweis Janssen erbracht -hat, um an Ihrem Tisch aufgenommen zu -werden.«</p> - -<p>»Es war wohl hohe Protektion dabei im Spiel, -wie bei mir auch,« antworte ich. »Der Doktor -glaubte, mir damit gutzutun, und dabei blicke -ich doch immer voll Sehnsucht zu Ihnen hinüber –«</p> - -<p>Burmeister verneigt sich. »Ich meine natürlich -zu Ihrem Tisch, dem Tisch der Harmlosen, dem -Tisch der holden Gewöhnlichkeit, wie Thomas -<a class="pagenum" id="page_097" title="97"> </a> -Mann alias Tonio Kröger sagen würde. Es ist -oft so abspannend bei uns.«</p> - -<p>»Ach, glauben Sie ja nicht, daß es bei uns -leichter ist,« warnt er eifrig. »Es ist ein aufreibendes -Stück Arbeit, bis zum Beispiel jeder Kurgast -jeden Kurgast davon überzeugt hat, was für eine -vornehme Persönlichkeit er in Berlin oder Stettin -oder Frankfurt ist, und ich weiß nicht, ob die Sache -dadurch einfacher oder komplizierter wird, daß jeder -nur zuhört, solange er selber redet und voll Sehnsucht -diesem Moment entgegenlebt, solange ein -anderer das Wort hat.«</p> - -<p>»Ich finde, Sie sind ein bißchen überheblich, -Burmeister,« sage ich. »Sie müssen doch immer -bedenken, daß wir uns in einem Sanatorium für -Nervöse und Überarbeitete aufhalten.«</p> - -<p>»Ja richtig,« antwortet er, »und dabei fällt -mir ein, daß ich Sie schon lange etwas fragen -wollte, und zwar etwas sehr Plumpes und Taktloses, -wie ich vorausschicken muß. Ich fühle mich -dabei lebhaft in die Zeit meiner ersten Kinderkostümfeste -versetzt, bei denen ich es, trotz mütterlicher -Ermahnungen, nie unterlassen konnte, an alle -mich umgebenden Masken mit der taktlosen Frage -heranzutreten: ›Als was bist du eigentlich hier?‹ -Was die verschiedenen Spanier, Rotkäppchen und -Schornsteinfeger jedesmal in peinliche Verwirrung -<a class="pagenum" id="page_098" title="98"> </a> -versetzte. Also, gnädige Frau, nehmen Sie's nicht -übel, Sie sind so staunenswert unnervös, eine -Wortbildung, die es eigentlich nicht gibt, und für -die demnach kein starkes Bedürfnis vorzuliegen -scheint, und vor dem Gedanken, daß Sie sich jemals -im Leben überarbeitet haben, schreckt die -kühnste Phantasie zurück. Also, ich kann nicht anders: -Als was sind Sie eigentlich hier?«</p> - -<p>»Lieber Herr Burmeister,« sage ich, »ich wußte -natürlich, daß diese Frage kommen würde, und -habe mir während Ihrer schönen Einleitung überlegt, -ob ich sie beantworten darf. Es ist nämlich -ein Geheimnis dabei im Spiel.«</p> - -<p>»Oh, ein Geheimnis?« fragt er eifrig. »Rätsel zu -lösen, war von jeher meine Spezialität. Hat man -etwa die Absicht, Sie langsam durch kohlensaure -Bäder, Hypnose und schwedische Heilgymnastik -aus der Welt zu schaffen, um einer ungeheuren -Erbschaft oder gemeingefährlicher Dokumente willen? -Oder sind Sie vielleicht als Polizeispitzel tätig -und beauftragt, einer Eheirrung aus allerhöchsten -Kreisen auf die Spur zu kommen? Oder in diplomatischer -Mission, um etwas über die Stärke -unserer Militärmacht oder über den Stand unserer -auswärtigen Beziehungen auszukundschaften? Oder -hat man –«</p> - -<p>»Um Gottes willen Schluß!« rufe ich, »ich hänge -<a class="pagenum" id="page_099" title="99"> </a> -den Hörer an. Und ich will's Ihnen lieber anvertrauen, -ehe Sie sich ganz und gar ins Reich -der unbegrenzten Möglichkeiten verlieren: Ich bin -wirklich partiell gesund, ich bin nur hier, um Studien -zu machen –«</p> - -<p>»Ah,« macht er verständnisvoll, »für das Drama, -das eine Ehrenrettung der preußischen Justizbeamten -werden soll. Ich muß gestehen, Sie hätten -sich für Ihre Studien keinen besseren Platz wählen -können. Und jetzt begreife ich auch, warum Ihr -alter Freund, der Doktor, Sie mitten zwischen -die Dichter und Denker gesetzt hat. Er nimmt an, -daß die Dichtkunst eine Art ansteckender Krankheit -sei, vielmehr ein Bazillus, der bei häufiger Berührung -der Ellenbogen, oder so, von einem zum -anderen überspringt und eine verheerende Wirkung -ausübt. Traurig, traurig! Mich tröstet nur die Gewißheit, -daß es Menschen gibt, die gegen die entsetzlichsten -Krankheiten immun sind, und – ohne Ihnen -schmeicheln zu wollen – ich halte Sie für immun -gegen alles, was mit Dichtkunst zusammenhängt.«</p> - -<p>»Traurig, traurig!« sage ich. »So könnte ich -also mit Domingo aus dem Don Carlos, oder -wenn Sie lieber wollen aus der Iphigenie sprechen: -›Wir sind vergebens hier gewesen‹.«</p> - -<p>Burmeister nickt: »Vergebens vielleicht, – umsonst -sicherlich nicht.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_100" title="100"> </a> -Und ich kann nicht umhin, diesen mehr humor- -als trostvollen Ausspruch seufzend zu bestätigen. –</p> - -<p>Aber dann deute ich nach den Bergen drüben -und dem sonntagstillen Tal unten und sage: »Doch -nicht vergebens, und wenn es nichts weiter war -als das.«</p> - -<p>»Das ist so weit,« murrt Burmeister, »und -dann immer nur ansehen!« – »Ja,« gebe ich zu, -»man fühlt sich übergroßer Schönheit gegenüber -immer so hilflos und hat das Gefühl, daß es -nur zwei Arten von Erlösung gibt: man müßte -sich in das Schöne hineinstürzen oder es auffressen -können.«</p> - -<p>Burmeister hat den Arm auf die Lehne meines -Sessels gestützt und blickt mir von unten her ernsthaft -in die Augen.</p> - -<p>»Sie haben recht,« antwortet er, »und ich empfinde -es mit aller Entschiedenheit, deren ich fähig -bin: Der Kuß wäre augenblicklich die einzige -Lösung.«</p> - -<p>Ich muß lachen: »Ich glaube, in der Juristensprache -nennt man so etwas eine Unterschiebung; -aber ich zweifle nicht daran, daß Sie hier im -Sanatorium allerlei Verständnis für Ihre Auffassung -finden.«</p> - -<p>»Die Sie nicht teilen?«</p> - -<p>»Die ich teile, – unter Vorbehalt natürlich.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_101" title="101"> </a> -»Unter welchem Vorbehalt?«</p> - -<p>»Nun, erstens natürlich unter dem Vorbehalt -der Legitimität.«</p> - -<p>»Legitime Küsse!« Er schüttelt sich. »Aber zweitens?« -drängt er. »Auf erstens muß doch immer -ein zweites folgen.«</p> - -<p>»Zweitens,« antworte ich und lehne mich soweit -in meinem Liegestuhl zurück wie es irgend -möglich ist, »zweitens will ich Ihnen mal was -sagen, Burmeister: Sie sind neugierig. Ich habe -Ihnen heute schon ein Geheimnis anvertraut und -diese Erinnerung macht Sie kühn, um wieder mal -aus dem Don Carlos zu zitieren.«</p> - -<p>»Du lieber Gott, kühn!« seufzt Burmeister. -»Wenn Sie wüßten, wie wenig kühn ich in diesem -Augenblick bin!«</p> - -<p>»Na also, dann ist's ja gut,« sage ich, »dann -setzen Sie sich wieder bequem zurück, wie sich's gehört -und bedenken Sie, daß nach Tisch von Gottes -und Doktors wegen Ruhezeit ist. Und dann -will ich Ihnen das zweite Geheimnis anvertrauen.«</p> - -<p>»Das Geheimnis Ihrer Unnahbarkeit?« fragt er.</p> - -<p>»Ja,« antworte ich, »und nun hören Sie gut -zu: Die Unnahbarkeit ist nämlich mein Fimmel –«</p> - -<p>»Und deshalb sind Sie hier!« stößt er mit einem -so herzlichen und lauten Jubelton heraus, daß ich -ihm unbedingt den Mund zuhalten muß.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_103" title="103"> </a> -Und da ging Karl Gerhard zur Bar –</h2> - -<p class="ce"><img src="images/p103i.jpg" alt="" /></p> - - -<p><a class="pagenum" id="page_105" title="105"> </a> -»Herein,« sage ich ein wenig erstaunt und sehe -nicht gerade angenehm überrascht vom Buch auf, -denn meine Kaffee- und Besuchsstunde ist längst -vorbei, und in diesem, vielleicht einzigen Punkt -bin ich ein bißchen Pedant.</p> - -<p>Und es schießt mir durch den Kopf, ob Karl -Gerhard wirklich nur darum so unsicher und zerknirscht -aussieht, wie er da in der Türe steht, oder -ob noch etwas anderes –? Ich habe allerlei Fatales -gehört in letzter Zeit – –</p> - -<p>»Kommen Sie nur näher, wenn Sie schon mal -da sind,« sage ich, »und drehen Sie das Licht an, -zum Lesen ist's schon ein bissel dunkel geworden.«</p> - -<p>»Das finde ich nicht,« antwortet er, an der Tür -stehenbleibend, »ich lese sogar schon von hier aus -in Ihrem Gesicht mit den hochgezogenen Augenbrauen -mein – nun, sagen wir wenigstens – mein -gesellschaftliches Todesurteil.«</p> - -<p>Ich schüttle den Kopf. »Ich habe keinerlei Urteile, -am wenigsten Todesurteile auszusprechen.«</p> - -<p>Er kommt langsam näher, bleibt aber beim -Flügel stehen und sagt, die Arme auf das Instrument -gestützt:</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_106" title="106"> </a> -»Es sind nicht nur die ausgesprochenen Todesurteile, -die töten. Und ich habe in den letzten -Tagen manchmal denken müssen, daß die Menschen -auch nicht immer an ihren eigenen Gebrechen -sterben. Es ist schon mancher an der Herzensträgheit -eines anderen zugrunde gegangen.«</p> - -<p>»Gerhard!« sage ich.</p> - -<p>»Es ist nur eine theoretische Abhandlung, gnädige -Frau,« antwortet er, »und ich will Sie nicht -mit Details quälen. – Darf ich ein paar Minuten -bleiben?«</p> - -<p>Ich nicke. »Aber setzen Sie sich und nehmen -Sie sich etwas zu tun, denn ich möchte dies -Kapitel gern noch zu Ende lesen.«</p> - -<p>»Darf ich mich so lange am Klavier nützlich -machen, bis Sie erfahren haben, ob der Graf sein -schändliches Ziel erreichen und die Unschuld zu -Fall bringen wird?« Und er sitzt schon am Flügel -und spielt aus Mahlers Achter »Alles Vergängliche -ist nur ein Gleichnis«.</p> - -<p>Ich klappe seufzend das Buch zu.</p> - -<p>»Ich weiß zwar noch nicht, ob der Graf sein -schändliches Ziel erreichen wird,« sage ich, »aber -daß Sie's erreicht haben, ist sicher. Also lassen -Sie Mahler und das Vergängliche und erzählen -Sie mir, was Sie heut so spät noch hertreibt.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_107" title="107"> </a> -»Ich hoffe, Sie haben ein Zeichen ins Buch -gelegt oder sich wenigstens die Seitenzahl gemerkt,« -sagt er bedächtig. »Oder vielmehr, ich hoffe es -nicht, denn es stände im Widerspruch mit meiner -Anschauung von der weiblichen Psyche. Ehe eine -Frau nämlich ein Zeichen ins Buch legt oder im -Register nachsucht, blättert sie lieber eine halbe -Stunde lang seufzend hin und her.«</p> - -<p>»Es wird auch Frauen geben, die es anders -machen,« antworte ich, »wenn ich auch leider -von mir zugeben muß –«</p> - -<p>»Sehen Sie,« triumphiert er mit aufgehobenem -Zeigefinger, »das Zeichen ins Buch legen ist eben -ein männlicher Zug, und wenn es Frauen gibt, -die es dennoch tun, so beweist das nur, daß sie -männliche Züge aufweisen und sich vom Zwang -des Geschlechts befreit haben.«</p> - -<p>»O Gott,« stöhne ich, »lassen Sie Weininger -ruhen, wenn Sie auf meine Freundschaft auch nur -den geringsten Wert legen.«</p> - -<p>»Gut,« lacht Karl Gerhard, »legen wir also -Weininger zu Mahler, da es Ihnen heute so beliebt, -und da die Wahl zwischen einem toten -Philosophen und einer lebendigen Freundin keine -nennenswerten Kämpfe in mir weckt. – Was -haben Sie aber ernstlich gegen den guten Weininger -einzuwenden? Der Umstand, daß man ihm -<a class="pagenum" id="page_108" title="108"> </a> -mit der Bezeichnung eines modernen Frauenlob -bitter unrecht täte, dürfte doch bei Ihnen nicht -schwer wiegen, da Sie eingestandenermaßen Ihr -eigenes Geschlecht nur bis zum Backfischalter erträglich -finden?«</p> - -<p>»Vielleicht ist der weibliche Korpsgeist doch -stärker in mir als man denken sollte,« antworte -ich, »vielleicht ist's aber auch nur die Weiningersche -Beweisführung, die Sie soeben auch anwandten; -die erscheint mir oft so billig, daß sie -eines klugen Mannes, also auch Ihrer, nicht -würdig ist.«</p> - -<p>Er verbeugt sich: »Dank für die gute Meinung. -– Ich tue leider in letzter Zeit so vielerlei, -was eines klugen Mannes nicht würdig ist, daß der -harmlose Weiningersche Trick mit unterlaufen mag.«</p> - -<p>»Ja, ich habe so etwas gehört,« sage ich und -schiebe ihm die Zigaretten hin, da die Zöpfchen, -die er aus den Fransen meiner Tischdecke flicht, -schon anfangen mich zu irritieren. Und nach einer -kurzen Pause setze ich langsam hinzu: »Gerhard, -warum machen Sie auch so dumme Geschichten?«</p> - -<p>Er bläst ein paar Ringe in die Luft, blickt ihnen -nach und fragt:</p> - -<p>»Sie wissen es nicht, gnädige Frau?«</p> - -<p>Und dann plötzlich den Kopf zu mir wendend: -»Sie haben keine Ahnung, warum ich neulich abend -<a class="pagenum" id="page_109" title="109"> </a> -von Wartenbergs fortlief wie – na, sagen wir -wie ein wildgewordener Esel, wenn es so was gibt, – -und geradeswegs in die Bar, wo ich mit einem -anderen Esel in einen etwas deutlichen Wortwechsel -geriet.«</p> - -<p>»Sie sollen ihn so verprügelt haben, daß der -Wirt Sie hinauswerfen ließ.« – »O nein,« widerspricht -Gerhard und drückt bedächtig seine Zigarette -aus, »ich ging ganz von selbst, nachdem ich -mir ein bißchen Luft gemacht hatte. Und ich ging -stolz.« – »Gestützt auf Emmi,« unterbreche ich ihn.</p> - -<p>»Hieß sie Emmi?« fragt er, »ja richtig, gestützt -auf Emmi, denn ein Stuhlbein hatte ich doch bei -der Diskussion abgekriegt. Sie sind gut unterrichtet, -gnädige Frau.« – »Nicht besser als alle Welt,« -versichere ich ihn.</p> - -<p>»Und Sie wissen auch nicht besser als alle Welt, -was die Veranlassung zu all meinen Dummheiten -ist?« fragt er vorgebeugt und nach seiner Gewohnheit -die Hände ums Knie geschlungen.</p> - -<p>»Vielleicht doch,« antworte ich, »soweit Sinnlosigkeit -eine Veranlassung haben kann. – Aber -ich habe schon zu viele Kinder gesehen, die wild -um sich schlugen und sich selbst Beulen in den -Kopf rannten, weil man ihnen einen Wunsch versagen -mußte oder ihnen ein gefährliches Spielzeug -aus der Hand nahm, als daß mich Ihre Erlebnisse -<a class="pagenum" id="page_110" title="110"> </a> -in der Bar und anderswo gewundert hätten. -Ich ahnte fast so etwas, als Sie so plötzlich bei -Wartenbergs verschwanden.«</p> - -<p>»Sie sind ja auch so klug,« lächelt er mit ironisch -verzogenen Mundwinkeln. »Aber ob es so -klug war, mir mein Spielzeug aus der Hand zu -nehmen, – ich weiß doch nicht. Denn darin haben -Sie recht, wir sind alle nur einfältige Kinder, die -immer etwas zum Spielen haben müssen, damit wir -nicht schreien. Fällt uns ein Spielzeug aus der -Hand, schnell ein neues hineingesteckt, damit wir -nicht schreien. Niemand von uns kann ohne ein -Spielzeug leben.«</p> - -<p>»Und da ging Karl Gerhard zur Bar und -kaufte sich ein neues.«</p> - -<p>»Mein Gott,« antwortet er, »man nimmt, was -man gerade findet. Wählerisch ist man in solchen -Momenten nicht.«</p> - -<p>»Nun, Gott sei Dank,« sage ich, »ich sehe, daß -es Äquivalente für alles gibt.« – »Es gibt keine -Äquivalente auf der Welt,« bemerkt Gerhard, »es -gibt höchstens Surrogate.«</p> - -<p>»Mag sein,« gebe ich zu, »aber Surrogate tun -ja auch ihre Schuldigkeit.« – »Nein,« ruft er plötzlich -heftig, steht auf und läuft quer durchs Zimmer.</p> - -<p>»Nein?« frage ich ganz naiv erstaunt und sehe -ihm nach.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_111" title="111"> </a> -»Nein,« wiederholt er, »und ich will nicht, daß -wir uns in diese Bitterkeit hineinreden, aus der -wir nachher nicht wieder herauskönnen. Sie wissen -so gut wie ich, daß ich kein Äquivalent und kein -Surrogat gesucht habe, daß ich einfach –« – »Ja, -ich weiß,« sage ich und wundere mich, wie weich -meine Stimme klingt.</p> - -<p>Er bleibt plötzlich stehen, kommt dann näher an -den Tisch und fragt:</p> - -<p>»Darf ich noch einen Augenblick bleiben?« – -»Ja,« sage ich, und er setzt sich und starrt vor -sich hin.</p> - -<p>»Und ich hatte mir geschworen, nie mehr hierherzukommen!«</p> - -<p>»Du lieber Himmel!« sage ich, »wenn es einen -Gerichtshof für all die Meineide gäbe, die wir -uns selber schwören! – Aber vielleicht wäre es -doch besser gewesen, Sie hätten diesmal Ihren -Schwur gehalten, wenigstens ein paar Wochen -lang –«</p> - -<p>Er sieht mich an und schüttelt langsam den -Kopf.</p> - -<p>»Denn sehen Sie,« fahre ich fort, »es gibt außer -diesem Zimmer noch so viel Schönes auf der Welt, -das zu sehen und zu genießen lohnt.«</p> - -<p>»Ach, ich verstehe,« sagt er, »eine kleine Reise -oder so etwas, was bessere Leute in meinem Fall -<a class="pagenum" id="page_112" title="112"> </a> -immer zu unternehmen pflegen. Wenigstens steht -es so in allen schlechten Romanen der Weltliteratur, -daß der unglückliche Held eine Reise um die -Welt unternimmt und gereinigt und herrlicher denn -je an die Stätte seiner früheren Leiden zurückkehrt. -Manchmal bringt er sich ein Mädchen von den -Fidschiinseln mit, das an Holdheit alles Lebende -überstrahlt und die schnöde, heimische Kokette bis -auf die Knochen blamiert. – Es kann auch eine -Geisha sein, aber das ist veraltet und sentimental, -und die Fidschiinseln und Neuseeland sind sozusagen -noch unberührter Boden. Vielleicht gestatten -Sie, daß ich Ihnen von da aus eine Ansichtskarte –«</p> - -<p>»Gerhard,« sage ich, »wer bringt jetzt den bitteren -Ton hinein?« Und nach einer kleinen Pause: -»Ich finde übrigens auch, daß eine Reise als seelisches -Heilmittel veraltet und literarisch ist. Man -denkt an Goethe und Italien, und die ganze -Literaturstunde steht vor einem auf. Und ich glaube -auch, es ist gleichgültig, ob man da oder dort ist, -solange man sich selber überall mit hinschleppt.« – -»Jawohl,« sagt Gerhard, »einmal aus der Haut -fahren, das wäre noch das einzige.«</p> - -<p>»Nein, über sich selbst hinauswachsen, oder -vielmehr bis zu sich selbst hinwachsen, – denn -Sie wissen es ja, unser wahres Selbst liegt -<a class="pagenum" id="page_113" title="113"> </a> -nicht tief verborgen in uns, sondern hoch über -uns –«</p> - -<p>Gerhard nickt langsam: »Nietzsche, und ein -großes Wort. – Aber, Gott sei's geklagt, sie helfen -uns nicht, die großen Worte.«</p> - -<p>»Nun, dann ein kleines, wenn Sie die großen -nicht lieben. Wir müssen versuchen, das In-uns -zu ändern, wenn wir das Außer-uns nicht ändern -können. Wir müssen versuchen, uns anders einzustellen -und an den kleinen Dingen des Lebens -Freude zu gewinnen. Glauben Sie mir, wir leben -alle von der Hand in den Mund und müssen uns -aus lauter kleinen Stücken und Stückchen etwas -zurechtschneidern, was vor der schlimmsten Kälte -schützt.«</p> - -<p>Karl Gerhard lehnt sich im Sessel zurück, stützt -die Fingerspitzen gegeneinander und sagt bedächtig: -»Gestatten Sie mir, zu bemerken, was schon der -alte Fritz Reuter richtig herausgefunden hat, daß -nämlich die Armut allemal von der Pauvreté herrührt. -Wenn ich die kleinen Freuden des Lebens -genießen könnte, dann wäre ich gesund und brauchte -Ihnen nicht mit Jammertönen lästig zu fallen. – -Aber das ist's ja,« fährt er heftig fort, »von jeher -haben die satten Leute den armen hungrigen Teufeln -gesagt: ›Was klagt ihr über Hunger! Seht -doch um euch und genießt die herrliche Natur -<a class="pagenum" id="page_114" title="114"> </a> -und die Schönheiten des Lebens und der Kunst!‹ – -Und von jeher haben die armen Teufel dagegen -geschrien: ›Macht uns erst satt!‹ – Denn wer kann -Michelangelo genießen und Schuberts Unvollendete -und den Lago Maggiore, solange ihm der Hunger -die Eingeweide zerreibt!«</p> - -<p>Und er legt den Kopf im Sessel hintenüber -und schließt die Augen.</p> - -<p>Ich sehe ihn eine Weile schweigend an und -sage dann: »Immer muß ich doch denken, wieviel -Glückliche man machen könnte mit dem Glück, -das in der Welt ungenutzt verlorengeht. Da -sitzen Sie nun, jung und gesund und unabhängig -und begabt wie wenige –«</p> - -<p>»Wie hübsch,« unterbricht mich Gerhard lächelnd, -»daß sich auch bei Ihnen einmal weiblich ökonomische -Instinkte melden! Nichts umkommen lassen, -ist ja die erste Hausfrauenregel, mögen es nun -Brotkrumen sein oder Glücksmöglichkeiten, die -unter den Tisch gefallen sind.« – »Sie sollen -nicht unter den Tisch fallen,« sage ich heftig. »Wo -ist Ihr Ehrgeiz und Ihr Glaube an sich selbst, -der Glaube, von dem Sie einmal sagten, daß es -der einzige sei, der Berge versetzen könne.«</p> - -<p>»Ich will keine Berge mehr versetzen,« sagt -Gerhard müde und steht auf. »Ich will jetzt nur -noch eins: irgendwo hingehen, wo es warm ist. -<a class="pagenum" id="page_115" title="115"> </a> -Mir ist in diesem Augenblick so erbärmlich kalt -zumut. Und darin haben Sie recht, wir müssen -uns aus den Fetzen des Lebens etwas zurechtschneidern, -was vor der bittersten Kälte schützt.«</p> - -<p>»Ja,« antworte ich, »wir alle. Aber die Fetzen, -die wir zu dem schützenden Mantel verwenden, -die zeigen, wer wir in Wahrheit sind. Der eine -geht zur Bar, um sich zu erwärmen, der andere -schafft ein unsterbliches Werk. Denn was sind alle -großen Werke anderes als ein Mantel, den ein -armer frierender Mensch um seine zitternde Blöße -gedeckt hat und um seine Wunden und Male? -Und was ist alle Tollheit und aller Rausch und -alle Niedrigkeit anderes, und was alles Insichversinken -und Träumen anderes als ein Schutz gegen -die Kälte da draußen? Aber das Material, das -wir zu dem Mantel wählen, Gerhard, das ist's, -das über uns entscheidet.«</p> - -<p>Gerhard kommt plötzlich einen Schritt näher -und streckt mir die Hand hin. »Ich will wieder -arbeiten,« sagt er mit so eindringlicher Plötzlichkeit, -daß ich wider Willen lächeln muß.</p> - -<p>»Fein,« sage ich und reiche ihm die Hand. -»Ehrenwort?«</p> - -<p>Er zuckt die Achseln. »Für einen anständigen -Menschen ist jedes gegebene Wort ein Ehrenwort.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_116" title="116"> </a> -»Hören Sie, Gerhard, mit dieser Sentenz auf -den Lippen müßten Sie gehen, es wäre ein vorzüglicher -Abgang.«</p> - -<p>Er lächelt. »Ich bin zwar nicht so effektsüchtig -wie Sie glauben, aber trotzdem, wenn es denn -sein muß, – leben Sie wohl!«</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_117" title="117"> </a> -Von Seelenmalerei<br /> -und einer geschwollenen Backe</h2> - -<p class="ce"><img src="images/p117i.jpg" alt="" /></p> - - -<p><a class="pagenum" id="page_119" title="119"> </a> -Man hat mir so lange vorgeredet, ich müsse mich -malen lassen, bis ich selber von ungeduldigem Verlangen -nach meinem Bildnis erfaßt wurde und -die Sache mit Karl Gerhard besprach. Von dem -naheliegenden Gedanken, daß er der Maler des -Bildes werden solle, haben wir schnell abgesehen, -denn unsere Freundschaft ist uns zu heilig, um sie -leichtsinnigerweise einer so harten Probe auszusetzen.</p> - -<p>Er hat mir aber einen jungen Künstler aus seinem -Bekanntenkreis empfohlen, der sich schon mit -viel Glück im Porträtieren versucht habe, ganz -modern und ein Werdender sei. Von jeher waren -mir die Werdenden interessanter als die Gewordenen, -und als mir Gerhard noch erzählte, daß Artur -Vollmer es besonders gut verstehe, die Seele seines -Modells zu versinnbildlichen, da war mein Entschluß -gefaßt.</p> - -<p>Wie wird er meine Seele malen? Diese Frage -hat mich tagelang aufs angenehmste beschäftigt.</p> - -<p>Auch jetzt, während ich zur Besprechung in -Artur Vollmers Atelier bin, verläßt sie mich nicht, -<a class="pagenum" id="page_120" title="120"> </a> -sie hat aber inzwischen etwas leicht Beängstigendes -angenommen.</p> - -<p>Wir haben ein paar nebensächliche Fragen bereits -erledigt, er hat mir eine Zigarette gereicht, -und ich habe versucht, mit ihm zu plaudern, da -ich mir einrede, daß er bei dieser Gelegenheit meine -Seele kennenlernen will. Vorerst scheint es ihm -noch nicht sehr darum zu tun zu sein, denn er hat -bis jetzt jedes meiner Worte nur mit einem leisen -Lächeln quittiert, das genau die Mitte zwischen -Höflichkeit und Unverschämtheit innehält. Ich ziehe -es daher vor, schweigend die Bilder zu betrachten, -die bunt und wirr an den Wänden hängen, und -mein Blick bleibt an einem kauernden, etwas unproportionierten -Mädchen haften, das so angestrengt -bemüht ist, sich ein Strumpfband ums -Bein zu binden, daß ihm die Haare wild übers -Gesicht hängen.</p> - -<p>Und ich kann die Frage nicht unterdrücken, -warum dieses junge Mädchen sich so leidenschaftlich -um sein Strumpfband bemüht, da es doch -weder Strümpfe noch sonst etwas an Kleidung -Erinnerndes auf dem Leibe hat.</p> - -<p>»Es ist eine Studie,« beantwortet Vollmer -meine unkünstlerische Frage, und ich bin zufrieden.</p> - -<p>»Dies Ding ist übrigens eines der ersten, die -ich gemacht habe,« spricht er zu meinem Erstaunen -<a class="pagenum" id="page_121" title="121"> </a> -weiter, sich mit einem schwermütigen Lächeln zu -mir wendend. »Es stammt noch aus der Zeit, als -ich ein junger Springinsfeld war und mir wer -weiß was vom Leben versprach.«</p> - -<p>Er spricht langsam und in einem sehr weichen -Dialekt eigner Erfindung und erzählt nun, einmal -in Gang gekommen, ausführlich von den Enttäuschungen -des Künstlerlebens, den Intrigen der -stümpernden Kollegen, der Parteilichkeit der Ausstellungsdirektoren -und der Verlogenheit der Kunsthändler. -– Ich höre schweigend zu, und während -sein sanft sonores Organ mich weich umspült, gerate -ich langsam in jenen fast hypnotischen Zustand, -der mich jedesmal überkommt, wenn die -Maniküre die Fingerspitzen meiner einen Hand -sanft streichelt, während die der anderen im lauwarmen -Seifenwasser ruhen.</p> - -<p>»Ja,« schließt er jetzt sein Gespräch, »wenn -man nicht als Künstler geboren wäre! Lieber hätte -man in seiner Jugend Holzhacken lernen sollen, es -wäre damit besser für das Alter gesorgt.«</p> - -<p>Ich schüttle den hypnotischen Bann so gut es -geht von mir und sage, noch ein wenig benommen: -»Es ist gewiß sehr traurig, daß so viele Menschen -die erste Hälfte ihres Lebens dazu benutzen, die -zweite unglücklich zu machen.«</p> - -<p>Vielleicht, daß dieser sonst gute Ausspruch nicht -<a class="pagenum" id="page_122" title="122"> </a> -hierhin paßt, vielleicht auch, daß Vollmer die Abstecher -ins Allgemeine nicht liebt, jedenfalls geht -er mit einem leisen, etwas unbehaglichen Räuspern -darüber hinweg, und ich setze schnell hinzu:</p> - -<p>»Aber die Kämpfe, die Sie mir geschildert haben, -sind ja kein Unglück zu nennen und sie bleiben -wohl keinem erspart, der seine Persönlichkeit durchsetzen -will.« – »Gewiß,« bestätigt Vollmer, »und -je neuartiger und origineller die Persönlichkeit sich -äußert, um so härter sind heutzutage die Kämpfe -mit der Lauheit und der Bequemlichkeit des Publikums.«</p> - -<p>»Man sagt das allgemein,« antworte ich und -sehe mit Schrecken, daß wieder ein leises Unbehagen -über seine etwas verschwommenen Züge -geht, »aber ich finde, gerade das Gegenteil ist heute -der Fall. Noch zu keiner Zeit lief eine neue und -eigenartige Begabung so wenig Gefahr, übersehen -oder verlacht zu werden, wie heutzutage. Wir verehren -und lobhudeln ja alles Schrullenhafte, und -je absurder sich ein Künstler in seinen Werken gebärdet, -um so eifrigere Anhänger und Förderer wird -er finden. Gefahr, übersehen zu werden, laufen -eigentlich nur die Stillen im Land, die einfach -schaffen, wie sie können und müssen, ohne sich um -Richtungen und Moden zu kümmern, die unliterarischen, -möchte ich sagen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_123" title="123"> </a> -»Die Langweiligen mit einem Wort,« lächelt -Vollmer.</p> - -<p>»Nun ja,« antworte ich lachend, »zur Gesellschaft -sind mir auch die anderen lieber, die vielseitig -Interessierten, die lebhaft Bewegten, die eigenartig -Schillernden. Aber ich glaube bestimmt, die -wirklichen Künstler kommen aus der anderen -Sphäre, aus der Sphäre der Einseitigen und -Schwerfälligen, die darum in Gesellschaft langweilig -sind, weil sie in ihrer Seele zuviel Kunst -haben und zuwenig Literatur.«</p> - -<p>Vollmer schweigt ein paar Sekunden. »Ja, ja, -die Seele,« bemerkt er dann sinnend, und mir fällt -plötzlich wieder der Zweck meines Besuches ein.</p> - -<p>»Sie sollen ja ein ganz besonders feiner Forscher -auf diesem Gebiet sein,« sage ich, »wenigstens -hat man mir berichtet, daß Ihre Bilder wahre -Seelenporträts seien, und ich muß sagen, ich bin -gespannt –.«</p> - -<p>Artur Vollmer lächelt zurückhaltend und weist -mit der Hand auf ein großes Bild, das gleich beim -Eintritt meinen Blick auf sich gelenkt hat und das -ich jetzt aufmerksam betrachte. »Porträt von H. K.« -steht darunter, und es stellt einen sorgsam und -elegant gekleideten jungen Mann von phantastischer -Häßlichkeit dar, der in einer romantischen -Landschaft im Profil steht und einen Apfel, den er -<a class="pagenum" id="page_124" title="124"> </a> -zwischen Daumen und Zeigefinger hält, entsetzt betrachtet.</p> - -<p>»Sehr eigenartig,« sage ich höflich und überzeugt. -»Ist es wirklich ein Porträt?«</p> - -<p>»Sie kennen das Modell,« antwortet er und -setzt nachlässig hinzu: »Auf die äußere Ähnlichkeit -haben wir allerdings verzichtet, aber Sie müßten ihn -schon an der Art erkennen, wie er den Apfel hält.«</p> - -<p>Ich will schon bedauernd den Kopf schütteln, -denn mir fällt keiner meiner Bekannten ein, der -die Gewohnheit hat, einen Apfel mit zwei Fingern -zu halten, doch da kommt mir der rettende Gedanke: -– Seelenmalerei! Und ich sage stolz und -glücklich: »Vielleicht ist es einer, der alle Dinge -im Leben sehr vorsichtig anfaßt?« – »Ja,« nickt -Artur Vollmer, »mit einem gewissen Abscheu sogar. -Betrachten Sie den Ausdruck von Ekel in -seinem Gesicht.«</p> - -<p>»Nun ja,« sage ich etwas zaghaft, »aber genügt -dieser eine Zug, um das Bild Porträt zu nennen? -Und warum, wenn Sie H. K. schon malen wollten, -haben Sie so vollkommen auf die Ähnlichkeit verzichtet?«</p> - -<p>Vollmer schweigt einen Augenblick und sagt -dann mit einem zerstreuten Blick aus dem Fenster: -»Ähnlichkeit bekommen Sie für zwanzig Mark -das Dutzend beim Photographen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_125" title="125"> </a> -Und so stark ist die Suggestionskraft seiner Worte, -daß mir in diesem Augenblick die Photographen -als eine durchaus minderwertige Menschengattung -erscheinen. Aber dann erwacht mein besseres und -mutiges Selbst und ich riskiere die Schreckensfrage, -die Banausenfrage, die Frage, mit der man jungen -Malern das Gruseln beibringt:</p> - -<p>»Kann ein Porträt nicht künstlerisch und doch -ähnlich sein?«</p> - -<p>Und Artur Vollmer antwortet denn auch mit -einem leisen Klang von Gereiztheit in seiner milden -Stimme: »Sie sprechen immer von Ähnlichkeit, -gnädige Frau, und das ist in der Kunst ein so -ganz verfehlter Standpunkt. Die Hauptsache, daß -das Bild ein Kunstwerk ist. Wer fragt in den -Galerien und Museen heute danach, ob die Porträts -von Dürer und Rembrandt und Van Dyk -dem Modell auch ähnlich waren. Es sind Kunstwerke, -und sie bleiben bestehen, während die -Ähnlichkeit von heute schon morgen nicht mehr -wahr ist.«</p> - -<p>»Das ist sehr richtig,« antworte ich, »nur ist es -dann nicht nötig, sich selbst malen zu lassen. Ich -kann mir statt dessen irgendein berühmtes Bild -eines berühmten Meisters kaufen, dessen Wert anerkannt -ist, während es doch bei aller Hochachtung -vor Ihrer Kunst noch nicht völlig sicher ist –«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_126" title="126"> </a> -»Daß ich Rembrandt oder Van Dyk erreiche,« -unterbricht er mich, und die Stimme umspült mich -wieder sanft wie Seifenwasser. »Nein, gnädige -Frau, das ist sogar sehr unsicher, aber Sie vergessen, -daß es noch eine andere Ähnlichkeit gibt, -als die rein äußerliche, von der Sie reden. Die -Ähnlichkeit, die vielleicht nur der Künstler sieht. – -Kennen Sie den hier?«</p> - -<p>Und er nimmt ein Bild vom Boden, das bis -jetzt mit dem Gesicht nach der Wand gestanden -hat, und stellt es auf eine Staffelei.</p> - -<p>»Mein Gott!« sage ich entsetzt, »Frank Meinert.«</p> - -<p>Es ist wirklich Frank Meinert, der mir aus -einem blutigroten Hintergrund entgegenstarrt. Frank -Meinert mit einer blutigroten Krawatte, die eine -Backe geschwollen, die Züge nicht ganz unähnlich, -aber ins brutal Verbrecherische verzerrt, und mit dem -bösartig lauernden Ausdruck, mit dem die Shakespeareschen -Meuchelmörder über die Bühne zu -schleichen pflegen.</p> - -<p>»Mein Gott!« wiederhole ich nur, aber in meinem -Innern setze ich hinzu: Was wird er aus -meiner Seele machen? Gott sei meiner armen Seele -gnädig!</p> - -<p>Und nach diesem Stoßgebet frage ich gefaßt:</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_127" title="127"> </a> -»Sie sind befreundet mit Frank Meinert?«</p> - -<p>»Ja,« sagt er, »wir treffen uns oft des Abends -im Café und auch sonst –«</p> - -<p>»Und so erscheint Ihnen seine Seele?«</p> - -<p>»So sehe ich ihn,« antwortet er einfach.</p> - -<p>»Nun,« sage ich, »dann bewundere ich aufrichtig -Ihren Mut. Fürchten Sie denn gar nicht, daß er -Ihnen eines Abends Strichnin oder Zyankali in -den Kaffee schüttet, oder daß er Sie auf dem Heimweg -mit einem Schlagring überfällt?«</p> - -<p>Vollmer lächelt melancholisch. »Nein,« sagt er, -»was Sie da auf dem Bild sehen, ruht ja ungewußt -und ungehoben in den tiefsten Gründen seines -Wesens. Es wird nie zutage kommen.«</p> - -<p>»Das wollen wir zu Gott hoffen!« antworte -ich inbrünstig. »Lebenslängliches Zuchthaus wäre -das wenigste. – Übrigens maße ich mir kein Urteil -darüber an, ob nicht wirklich brutale Triebe -in Franks Seele schlummern. Er deutet selbst gern -so etwas an, aber das ist kein Grund dafür, es -nicht zu glauben. Kein Mensch kann dem anderen -bis auf den Grund der Seele blicken, schon darum -nicht, weil die Seele keinen Grund hat. Es geht -immer noch tiefer und tiefer. Und wahrscheinlich -könnten Sie jeden von uns mit dem gleichen Recht -zum Verbrecher stempeln. – Zum mindesten freundschaftlich -kann ich das Bild nicht finden.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_128" title="128"> </a> -»Und wie würden Sie an meiner Stelle Frank -gemalt haben?« fragt Vollmer lächelnd, indem er -das Gemälde, diesmal richtig herum, an die Wand -lehnt.</p> - -<p>»Nun,« sage ich, »da Sie die Bilderrätsel lieben, -hätten Sie ihn für mein Gefühl am besten -als Narziß gemalt, schwermütig am Bach ruhend, -verliebt und versunken in sein Spiegelbild. – Darf -ich mir aber noch die Frage erlauben, welche Bedeutung -die geschwollene Backe auf dem Bild -hat?«</p> - -<p>»Da ist doch keine geschwollene Backe,« widerspricht -er zum erstenmal wirklich gereizt und holt -das Bild wieder herbei. »Ich bitte Sie, das scheint -doch nur so durch die Haltung und die Beleuchtung.« -– »Ach so,« sage ich, froh, daß keine Beziehung -zwischen Franks Seele und dieser Schwellung -besteht.</p> - -<p>»Und wie denken Sie sich mein Bild?« frage -ich dann etwas ängstlich und setze mich vorsichtshalber.</p> - -<p>»Tja,« sagt er, mich nachdenklich betrachtend, -»ich dachte zuerst, als ich Sie sah, an die Franzosen. -Renoir oder so etwas. Aber ich bin davon abgekommen. -Ich möchte Sie jetzt am liebsten als -Daphne malen.« – »Daphne?« wiederhole ich -und wühle verzweifelt in den Untergründen meiner -<a class="pagenum" id="page_129" title="129"> </a> -mythologischen Erinnerungen. Leider umsonst. »Es -wird nur seine Schwierigkeiten haben,« fährt er -fort, »wegen der Bekleidung und auch sonst.«</p> - -<p>Ich blicke unwillkürlich zu dem Mädchen mit -dem Strumpfband hinüber und bitte dann etwas -verschüchtert um Aufklärung über Daphne.</p> - -<p>»Daphne,« erklärt er, auf der Tischkante sitzend, -mit weicher Stimme, »war die Tochter der Gäa, -zu deutsch Erde, und des arkadischen Flußgottes -Ladon. Andere behaupten zwar, daß Amyklas ihr -Vater war und noch andere nennen Pennios, -aber –« – »Lassen wir die Frage offen,« schlage -ich vor, »Sie wissen <i>La recherche de la paternité</i> –« -Er lächelt und fährt fort:</p> - -<p>»Apollo liebte Daphne, aber er hatte einen -Nebenbuhler an Leukippos, der ihr als Jungfrau -verkleidet folgte und auf Apollos Veranlassung -hin von den Nymphen getötet würde. Nun floh -Daphne auch vor Apollo, sie wurde von ihrer -Mutter aufgenommen und in einen immergrünen -Lorbeerbaum verwandelt.«</p> - -<p>Ich sitze ein paar Sekunden lang still, fasse mich -aber allmählich und sage: »Also alles in allem ein -Mädchen von Charakter. – Nun gestatten Sie -mir aber bitte noch ein paar Fragen: Zuerst, in -welchem Stadium ihres ereignisreichen Lebens -wollen Sie Daphne malen? Zweitens, woran soll -<a class="pagenum" id="page_130" title="130"> </a> -man mich als Daphne erkennen? Und drittens und -letztens, warum überhaupt Daphne?«</p> - -<p>»Ich sagte es ja schon,« antwortet Artur Vollmer, -»die Sache wird ihre Schwierigkeiten haben. -Aber die Idee wird mir lieb und lieber, je mehr -ich darüber nachdenke. Es liegt eine tiefe Symbolik -darin: Die Frau, die sich, vor dem Geliebten fliehend, -in Lorbeer verwandelt. Man müßte natürlich -diesen Moment festhalten, noch halb Weib, -halb schon Baum –.«</p> - -<p>Ich habe plötzlich das Gefühl, als ob ich schon -halb zum Baum erstarrt wäre und mache heimlich -ein paar schlenkernde Bewegungen mit den -Beinen, um mich vom Gegenteil zu überzeugen. -Dann stehe ich auf und sage:</p> - -<p>»Ihre Idee ist wirklich sehr interessant und sogar -geistreich wie alle Ihre Bilder. Aber ich weiß -doch nicht, ob ich mich dazu entschließen kann, -Ihnen als Daphne zu sitzen. Ich glaube, daß mein -tiefstes Wesen in Ihrem Daphnebild nicht zum -Ausdruck käme. Ich mache Ihnen daher einen -anderen Vorschlag: Malen Sie mich ganz einfach -hier im Sessel sitzend, möglichst bequem, das entspricht -am besten einem Grundzug meines Wesens. -Und machen Sie das Bild so ähnlich wie möglich, -dann wird ganz gewiß auch etwas von meiner -Seele in Ihre Farben fließen, denn ich bilde -<a class="pagenum" id="page_131" title="131"> </a> -mir ein, daß meine Seele meinem Gesicht gar nicht -so unähnlich ist. – Und wann wollen wir anfangen?«</p> - -<p>Wir bestimmen die Zeit, und ich verabschiede -mich von dem etwas frostig gewordenen Künstler, -und dann sitze ich im Auto und überlege mir den -Fall.</p> - -<p>Und je mehr ich darüber nachdenke, über die -ausgeklügelt geistreichen Bilder und über das unproportionierte -Mädchen mit dem Strumpfband -und über Frank Meinerts geschwollene Backe, -um so deutlicher steigt ein schwarzer Verdacht in -mir heraus, der sich nach und nach zur Gewißheit -verdichtet.</p> - -<p>Und ich nehme mir vor, morgen zu Karl Gerhard -zu sagen: »Lieber Freund, Ihr Protegé ist -ein interessanter junger Mann, wenigstens versteht -er mit herzlich wenig Unkosten darauf zu posieren. -Er hat eine einschmeichelnde Stimme und sehr gepflegte -Hände. Er ist in der Mythologie erstaunlich -gut bewandert und hat die eigenartigsten -symbolischen Ideen. Er versteht, sehr nüanciert zu -lächeln, und ich bin überzeugt, daß er auch sonst -noch allerlei kann. Nur ein einziges kann er ganz -bestimmt nicht, und das ist eigentlich sehr schade: -er kann nicht malen.«</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_133" title="133"> </a> -»Mir scheint, Sie weiden sich an meiner<br /> -Todesqual –«</h2> - -<p class="ce"><img src="images/p133i.jpg" alt="" /></p> - - -<p><a class="pagenum" id="page_135" title="135"> </a> -Wir haben uns gezankt und sitzen uns nun -gegenüber wie Kinder, die beide ihre Heftigkeit bereuen -und doch zu eigensinnig sind, das erste gute -Wort zu sprechen. Wir sehen einander nicht an, -aber ich merke, daß seine Hand, die die Zigarette -hält, ein bißchen zittert, und wieder einmal, wie -nach jedem Streit mit Herbert Arndt, steigt in -mir das Mitleid auf.</p> - -<p>Vielleicht habe ich ihm doch unrecht getan, als -ich ihn oberflächlich genannt, denke ich, und weiß -doch zugleich, daß der scheinbar tiefe Eindruck, den -der Wortwechsel auf ihn gemacht hat, wie der -Eindruck ist, den man einem Gummiball beibringen -kann. Sobald du den Finger zurückziehst, ist -alles, wie es war.</p> - -<p>Und dieses Wissen um Herbert Arndts stets -veränderliche Unveränderlichkeit ist es vielleicht, -was mich ihm gegenüber oft zu einer Heftigkeit -hinreißt, die mir sonst ganz fremd ist und die mich -im Augenblick weit über den zufälligen Anlaß -hinaus erbittert.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_136" title="136"> </a> -Was konnte es mich zum Beispiel kümmern, -daß Herbert Arndt heute fast verächtlich von einem -Menschen sprach, den er vor kurzem voll Begeisterung -einen bedeutenden Mann von seltener geistiger -Anmut genannt, und für dessen vornehm -künstlerische Lebensgestaltung er eine andachtvolle -Bewunderung gezeigt hatte.</p> - -<p>Heute entsann er sich dessen kaum und nannte -das Wesen des vor ein paar Tagen so hoch Gepriesenen -unmännlich und affektiert, im Gegensatz -zu der kraftvollen und knorrigen Einfachheit, mit -der alle wirklich Großen ihr Leben geführt. Und -ich wurde gereizt und nannte es Haltlosigkeit, nie -bei einer Empfindung und einem Urteil beharren -zu können und, wie die Snobs, immerfort seine -Geschmacksrichtung zu ändern, sobald von den -Obersnobs eine neue Parole ausgegeben wird. Und -er nannte es Sentimentalität oder Indolenz, an -alten Erinnerungen und alten Wertschätzungen zu -kleben, und wir steigerten uns in immer größeren -Zorn, und plötzlich schwiegen wir beide, weil wir -fühlten, daß wir nicht weitergehen durften.</p> - -<p>Und jetzt sitzen wir da und möchten uns versöhnen -und wissen nicht wie. Endlich steht Herbert -auf und sagt mit etwas rauher Stimme, der man -noch die Erregung anhört:</p> - -<p>»Ich will Sie lieber jetzt von meiner Gegenwart -<a class="pagenum" id="page_137" title="137"> </a> -befreien. Ich kann mir denken, wie peinlich -Ihnen der Anblick eines so charakterlosen und minderwertigen -Menschen ist.«</p> - -<p>Nun muß ich doch lachen. »Ich finde, Ihre -Zerknirschung geht zu weit.« Er verzieht den -Mund: »Ich habe mich augenblicklich nur mit -Ihren Augen gesehen.«</p> - -<p>»Ich habe diese Worte nicht gebraucht,« antworte -ich, »und Sie wissen sehr gut, daß ich mit -einem Menschen, den ich für charakterlos und -minderwertig halte, nicht fünf Minuten lang -sprechen, wieviel weniger mich in einen Streit einlassen -würde.«</p> - -<p>»Ach so,« bemerkt er, »dann habe ich es vielleicht -als Ehre aufzufassen, daß Sie sich die Mühe -nahmen, mich einen Snob und einen Menschen -ohne inneren Halt zu nennen.«</p> - -<p>»Mindestens als einen Beweis sehr herzlicher -Freundschaftsgefühle,« antworte ich und sehe, wie -ihm wider Willen ein Lächeln um die Mundwinkel -zuckt. Und ich sage:</p> - -<p>»Seien Sie kein Frosch, Herbert Arndt, und -setzen Sie sich noch mal hin, denn gewöhnlich -machen Sie's doch wie Wotan im letzten Akt -der Walküre und nehmen stundenlang Abschied. -Und in der Zeit kann man ebensogut vernünftig -reden.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_138" title="138"> </a> -Er setzt sich zögernd, denn trotz des Lächelns ist -sein Ärger noch nicht überwunden, und ich schiebe -ihm seine Tasse und den Kuchen näher, weil ich -finde, daß es fast nichts auf der Welt gibt, das -nicht gleich ein bißchen weniger schlimm aussieht, -sobald man Kaffee und Kuchen vor sich hat.</p> - -<p>Wir schweigen einen Augenblick, dann sagt -Herbert: »Was mich am meisten beleidigt, ist ja -gar nicht, daß Sie meine Art, die Dinge zu sehen, -verachten. Ich kann Ihnen das nicht verwehren, -denn jeder schätzt im Grunde genommen nur seine -eigene Lebensanschauung, und wenn wir von jemandem -sagen, daß er vernünftige Ansichten habe, dann -hat er sicherlich die gleichen Ansichten wie wir. -Was mich beleidigt, ist, daß Sie an meine Art, -die Dinge zu sehen, überhaupt nicht glauben, daß -Sie annehmen, ich rede nur so oder so, um mich -interessant zu machen, oder aus Affektiertheit oder -aus irgendeiner anderen Verlogenheit heraus.«</p> - -<p>»Nein,« unterbreche ich ihn, »das ist ganz gewiß -nicht der Fall. Und das ist eigentlich das -Traurige an der Sache, das Hoffnungslose, möchte -ich sagen, daß Sie immer ehrlich sind.«</p> - -<p>»Und gerade deshalb ist der Fall hoffnungslos?« -fragt er. »Wie soll ich das verstehen?«</p> - -<p>»Es ist ganz einfach,« antworte ich, »und ich -will's Ihnen erklären, selbst auf die Gefahr hin, -<a class="pagenum" id="page_139" title="139"> </a> -Sie noch einmal zu beleidigen und auf die Gewißheit -hin, daß es nichts nützt, denn ein Mensch, der -sich immerfort ändert, der kann sich niemals ändern.«</p> - -<p>Herbert hebt erstaunt den Kopf. »Und ich ändere -mich immerfort,« fragt er.</p> - -<p>»Und Sie wissen das gar nicht?« frage ich dagegen. -»Sie wissen es gar nicht, daß bei Ihnen -immerfort ein Eindruck den anderen verwischt und -auslöscht, und daß Sie immerfort wie auf einem -dünnen Seil gehen, nichts rechts, nichts links, so -daß man ordentlich schwindelig wird, wenn man -Ihnen zusieht.« – »Ich verstehe das nicht,« sagt -Herbert schroff.</p> - -<p>»Nun also,« antworte ich, »dann will ich Ihnen -aus der leider übergroßen Fülle der Beispiele nur -eines nennen: Waren Sie nicht vor kurzem noch -ganz berauscht von den Versen Stefan Georges, -den Sie nach Goethe den einzigen deutschen Dichter -nannten? Und sprachen Sie nicht ein paar -Tage darauf sehr abfällig von seiner hypermodernen -Pathetik, die doch im Grunde genommen hohl -sei, wenn man einen einzigen Mörikeschen Vers -damit vergleicht? Und war nicht wieder ein paar -Tage darauf Mörike spießbürgerlich und deutsch-borniert -und veraltet, weil Sie gerade bei irgendeinem -dekadenten französischen Absinthlyriker angelangt -waren? – Und ist es nicht so auf jedem -<a class="pagenum" id="page_140" title="140"> </a> -Gebiet? Die fanatische Ausschließlichkeit, mit der -Sie jeden Tag eine andere Sache anbeten und -jeden Tag mit der gleichen überzeugenden Ehrlichkeit, -als gäbe es nur die eine auf der Welt, die -macht mich müde und ungeduldig zugleich.«</p> - -<p>Herbert schüttelt den Kopf. »Ich verstehe nicht, -was Sie mir vorwerfen. Gefühl ist doch nichts, -was ein für allemal feststeht, Empfindungen, selbst -die wärmstem schwanken auf und ab. Und wären -wir Menschen, wenn wir nicht Stimmungen -unterworfen wären?«</p> - -<p>»Ja,« nicke ich, »oft denke ich, Sie haben gar -keine Empfindungen, sondern nur Stimmungen, -oder besser gesagt: Anwandlungen, und Anwandlungen -kommen nicht aus dem Gemüt, sondern -aus den Nerven und der Phantasie.« – »Und -was ist Gefühl denn anderes als Betätigung der -Nerven und der Phantasie?« fragt Herbert lebhaft -und schnell. »Können wir irgend etwas empfinden, -Liebe, Haß, Mitleid, Begeisterung, Freude -oder Schrecken, ohne daß unsere Nerven zucken -und unsere Phantasie die Flügel hebt? Der phantasieloseste -Mensch ist der gefühlloseste zugleich, -und – so paradox es klingen mag – die Verstandsmenschen -sind die dümmsten von allen.«</p> - -<p>Ich nicke ihm langsam zu: »Es ist wahr, wir -sind alle nur bauernschlau, solange es uns nicht -<a class="pagenum" id="page_141" title="141"> </a> -gegeben ist, weise zu sein. Und auch das andere, -was Sie sagten, ist wahr: Es gibt kein wertvolles -Gefühl ohne Phantasie. Aber die Phantasie muß -in unserem Gemüt ihren Ursprung haben, sonst ist -der Mensch wie ein Ofen, der von außen erwärmt -wird statt von innen, der heiß, vielleicht sogar überheizt -erscheint, aber niemals Wärme abgibt und -verströmt.«</p> - -<p>»Ein sinnfälliger Vergleich!« sagt Herbert, und -sein Mund verzieht sich spöttisch. »Ich gebe allerdings -zu, daß ich wenig Talent zum traulich wärmenden -Ofen habe, und offen gesagt, mein Ehrgeiz -geht nicht dahin. – Ich gebe auch zu,« fährt er -nach einem kurzen Schweigen fort, »daß ich leicht -von diesem oder jenem Eindruck überwältigt werde -und leicht alles andere darüber vergesse, aber ich -schäme mich dessen nicht, im Gegenteil, ich bin froh -und glücklich darüber, denn ich selbst liebe nur -Menschen, die impulsiv und warm und stark empfindend -sind.«</p> - -<p>»Ach, lieber Freund,« sage ich, »heute! Heute -lieben Sie die Impulsiven, vielleicht weil heute -morgen oder gestern abend ein liebes Mädel in -schöner Impulsivität Ihnen die Hand hingestreckt -und etwas Herzliches gesagt hat. Und morgen -lernen Sie eine interessante Frau kennen, die kühl -und geheimnisvoll und verschlossen ist, und dann -<a class="pagenum" id="page_142" title="142"> </a> -erzählen Sie mir, daß alles Impulsive doch eigentlich -recht vulgär sei, und daß der wahre Reiz eines -Menschen in seiner geheimnisvollen Verschlossenheit -läge.«</p> - -<p>»Ja,« antwortet Herbert, »und Sie erzählen -mir dann, was ich Ihnen gestern erzählt habe, und -werfen mir meine Treulosigkeit gegen das liebe -Mädel vor. Aber der Reiz des Lebens liegt doch -gerade darin, daß ich heute die Impulsiven lieben -darf und morgen die Verschlossenen.«</p> - -<p>»Ach, lassen wir's,« sage ich ein bißchen müde, -»ich merke schon, wir reden aneinander vorbei und -werden uns nicht verstehen.«</p> - -<p>»Das ist weibliche Kriegstaktik,« antwortet -Herbert, »sobald sie nichts zu antworten wissen, -ziehen sie sich hinter die männliche Begriffsstutzigkeit -zurück. Aber ich möchte jetzt meine Sache bis -zu Ende verfechten und erbitte mir Antwort darauf, -weshalb es ein, – nun sagen wir, ein verächtlicher -Zug sein soll, jeder Art und Gattung -Geschmack abgewinnen zu können.« – »Das ist's -ja nicht,« sage ich seufzend, »und ich möchte Ihnen -gerne noch einmal antworten, aber ich fürchte, die -Anklagerede wird lang.«</p> - -<p>»Wenn ich als Delinquent einen letzten Wunsch -äußern darf,« sagt Herbert, »dann möchte ich mir -noch ein Stück Kuchen erbitten.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_143" title="143"> </a> -»Gewährt,« antworte ich, »und möge Ihnen -das letzte Stück Kuchen leicht werden!« – »So -leicht wie Ihnen mein Todesurteil,« erwidert er -mit einer höflichen Verbeugung und zieht sich den -Teller mit Kuchen näher heran.</p> - -<p>Mein Ärger ist längst verflogen, und ich muß -lachen.</p> - -<p>»Mir scheint, Sie weiden sich an meiner Todesqual?« -fragt er kauend, »oder hat meine sieghafte -Liebenswürdigkeit so schnell die Wolken von Ihrer -Stirne verjagt? – Es wäre eigentlich schade,« -setzt er hinzu, »denn ich hatte mein ganzes Wesen -schon auf Bußfertigkeit eingeschaltet, und außerdem -war es von jeher meine Leidenschaft, zuzuhören, -wenn von mir die Rede war.« – »Ja,« sage ich, -»es ist die einzige Leidenschaft, der Sie bis jetzt -treu geblieben sind.«</p> - -<p>Er sieht mich einen Augenblick schweigend an -und sagt dann: »Über diesen Punkt dürften Sie -besser orientiert sein.«</p> - -<p>»Ich weiß,« antworte ich nach einer kleinen -Pause, »aber ich finde immer, das erotische Gebiet, -denn darauf spielen Sie ja an, liegt so abseits, -daß es nicht in Betracht kommen kann, wenn von -dem Charakter eines Menschen die Rede ist. Und -selbst wenn jemand hartnäckig an seiner ersten Liebe -hängen sollte –«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_144" title="144"> </a> -»Erste Liebe,« unterbricht er mich lächelnd.</p> - -<p>»Oder an seiner dritten oder vierten,« antworte -ich, »denn eine erste Liebe gibt es ja eigentlich nicht, -weil immer schon eine vorher dagewesen ist. Aber -es handelt sich jetzt gar nicht um die Treue gegen -andere, sondern um die Treue, die wir uns selbst -schuldig sind.«</p> - -<p>»Uns selbst, uns selbst,« sagt Herbert ungeduldig, -»wie einfach klingt das! Aber wer von -uns kennt sich und wertet sich richtig? Wir sind -doch viel zu sehr in uns selbst gefangen, um unbefangene -Richter über uns zu sein.«</p> - -<p>»Aber lieber Freund,« sage ich, »was hat die -Treue mit der Erkenntnis zu tun, da sie doch nichts -Bewußtes ist, sondern so selbstverständlich wie das -Atemholen, und da sie aufhört zu existieren, sobald -sie bewußt und ein Willensakt geworden -ist. Und wer wir selbst sind, fragen Sie? Nun, -wir sind nicht nur die, die jetzt hier sitzen und -reden. Zu uns gehört alles, was wir vor Jahren -und Monaten, und was wir gestern und heute -erlebt und gefühlt haben. Und wenn wir das -täglich und stündlich von uns werfen können wie -alte Kleider, dann werfen wir uns täglich und -stündlich selber weg. Wie ein Mensch ohne Schatten -sind wir dann, und ich begreife jetzt, was ich als -Kind nie verstanden habe, weshalb Chamisso es -<a class="pagenum" id="page_145" title="145"> </a> -als so traurig und als so schmachvoll hinstellt, -keinen Schatten zu haben.«</p> - -<p>Herbert ist blaß geworden. »Traurig und schmachvoll,« -wiederholt er, während er mit nervöser Hand -seine Zigarette in der Schale zerdrückt.</p> - -<p>Dann hebt er den Kopf, und seine Augen haben -den eigensinnig fanatischen Blick, den ich kenne.</p> - -<p>»Vielleicht haben Sie Chamisso doch falsch verstanden,« -sagt er leise, »vielleicht war es nur deshalb -so traurig und schmachvoll, keinen Schatten -zu haben, weil alle Welt einen Schatten hat, -und weil alle Welt die haßt und verachtet, die -anders sind als alle Welt.</p> - -<p>Und jetzt will ich gehen,« sagt er aufstehend, -und setzt mit einem sonderbaren, etwas hilflosen -Lächeln hinzu: »Diesmal nicht wie Wotan.«</p> - -<p>»Und doch wie Wotan,« sage ich und strecke -ihm die Hand hin, die er einen Augenblick sehr -fest in seiner hält. »Leben Sie wohl, einäugiger -Wanderer!«</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_147" title="147"> </a> -Es ist ein echt weiblicher Zug von Ihnen –</h2> - -<p class="ce"><img src="images/p147i.jpg" alt="" /></p> - - -<p><a class="pagenum" id="page_149" title="149"> </a> -Der Fünfuhrtee im Kaiserhof ist in vollem Gang, -und ich sitze an einem der kleinen, mit Blumen -und Lampen geschmückten Tische und erwarte meinen -Berliner Freund, den Professor, den ich fast ein -halbes Jahr lang nicht gesehen habe.</p> - -<p>Ich behalte die Eingangstür im Auge, um ihm -gleich zuwinken zu können, denn ich weiß, daß es -ihm, trotz einer absichtlich betonten Nonchalance, -peinlich ist, sich erst lange zwischen den eleganten -Gästen und den unsagbar vornehmen Kellnern -durchwinden zu müssen.</p> - -<p>Und dann sehe ich doch mal nach dem sehr -feschen Paar am Nebentisch hinüber, und gerade -in diesem Augenblick sagt jemand neben mir: -»Guten Abend,« und der Professor setzt sich an -den Tisch, als habe er mich gestern zuletzt gesehen. -Ich reiche ihm die Hand hinüber und frage statt -aller Begrüßungszeremonien:</p> - -<p>»Hoffentlich hat Sie mein telephonischer Anruf -gestern nicht gestört?«</p> - -<p>»Natürlich hat er mich gestört,« antwortet er, -indem er die Blumen vom Tisch nimmt und daran -<a class="pagenum" id="page_150" title="150"> </a> -riecht. »Ich hatte gerade meinen Mittagsschlaf -angefangen.« – »Das schadet nichts,« sage ich -kühl, »welcher ausgewachsene Mensch schläft auch -am hellichten Tage?«</p> - -<p>»Nun, zum Beispiel ich und zum Beispiel Sie,« -erwidert er, »denn Sie wollen mir doch nicht einreden, -daß heut vormittag um zehn Uhr, als ich -Sie vergeblich zu sprechen wünschte, Mitternacht -war. – Und übrigens – ausgewachsener Mensch! -Wer ist ausgewachsen? Welche Anmaßung! -Wollen Sie etwa von sich behaupten, daß Sie -ein ausgewachsener Mensch seien?«</p> - -<p>»Lieber Professor,« sage ich, »ich höre gern -meine Jugend preisen, aber ich finde, augenblicklich -geht Ihre Höflichkeit zu weit.«</p> - -<p>»Und wer weiß,« fährt er fort, »ob wir nicht -gerade im Schlaf am besten wachsen?« – »Jawohl,« -werfe ich ein, »von den Säuglingen wird -das allgemein behauptet.«</p> - -<p>»Dummes Mädel,« fährt er mich an, »muß -denn immer von körperlichen Funktionen die Rede -sein? Es ist ein echt weiblicher Zug von Ihnen, -daß Sie nie das Geistige ins Auge fassen können.«</p> - -<p>»Verzeihen Sie, aber der Gedanke lag mir zu -fern, daß Sie als Lehrer der Jugend den Schlaf -für das beste geistige Förderungsmittel ansehen -könnten. Es sei denn, Ihre Vorlesungen – –«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_151" title="151"> </a> -Er schlägt mit der Hand auf den Tisch, daß -das Nachbarpaar erstaunt herübersieht und der -Kellner nervös zusammenzuckt.</p> - -<p>»Herrgott, hat dieses Mädel ein Mundwerk! -Ein wahres Glück, daß ich Sie nicht geheiratet -habe!«</p> - -<p>»Warum?« frage ich, »ich kann mir das reizend -vorstellen, und es wäre uns beiden sicher sehr -gesund gewesen.«</p> - -<p>»Gesund?« antwortet er, »das wäre möglich, -etwa nach der Methode, daß man den einen nimmt -und den anderen damit verprügelt.«</p> - -<p>»Ja, so dachte ich mir's,« bestätige ich und -sehe vergnügt zu, wie er sich zum Entsetzen des -Kellners den Teller mit Kuchen belädt. Nachdem -der Befrackte endlich entlassen ist, sage ich:</p> - -<p>»Es ist ein echt weiblicher Zug von Ihnen, daß -Sie so gern Kuchen essen.«</p> - -<p>»Wer sagt Ihnen, daß ich gern Kuchen esse?« -fragt er gereizt, »und wenn Sie mich übrigens -deshalb gestern am Telephon mit allen Mitteln -weiblicher Verführungskunst hierhergelockt haben, -um mir anzudeuten, daß Ihnen mein Appetit unsympathisch -ist –.« – »Wieso unsympathisch?« -frage ich, »mir ist jeder menschliche Zug an Ihnen -willkommen. Ich habe Sie aber nicht deshalb -hierherbeordert –.« – »Gefleht haben Sie.« – -<a class="pagenum" id="page_152" title="152"> </a> -»Hierherbeordert,« wiederhole ich. – »Auf den -Knien haben Sie gelegen.«</p> - -<p>»Nein,« sage ich, »dazu war die Schnur zu -kurz. Aber Sie sehen, ich habe es versucht, und -das genügt Ihnen hoffentlich. Also lassen Sie -mich gefälligst ausreden. Nicht deshalb, um mich -an Ihrem Appetit zu erfreuen, sondern um festzustellen, -ob Sie noch immer so ein Grobian sind -wie früher. Und ich muß sagen, mein Wissensdurst -ist gestillt.«</p> - -<p>»Nun, dann kann ich ja Gott sei Dank nach -Hause gehen, wenn ich den Kuchen aufgegessen -habe, denn wenn Sie etwa glauben –«</p> - -<p>»Ja, das können Sie,« unterbreche ich ihn, -»eine Stunde werden Sie reichlich damit zu tun -haben, und mehr Zeit habe ich ohnehin nicht für -Sie vorgesehen.«</p> - -<p>»Kellner!« ruft er. – »Um Gottes willen,« -flehe ich, »Sie blamieren mich, wenn Sie sich -noch mehr Kuchen nehmen. Wir werden hinausgeworfen.« - – »Werden Sie jetzt artig sein?« -fragt er. »Sie sehen, ich habe Sie in der Hand, -ich kann Sie aufs tödlichste blamieren, wenn -ich will. Also geben Sie jetzt zu, daß Sie -mich angefleht haben, hierherzukommen?« – -»Ja, ja,« sage ich, denn der Kellner steht schon -neben uns.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_153" title="153"> </a> -»Reichen Sie der Dame den Kuchen,« sagt der -Professor großartig.</p> - -<p>Ich lasse den Kellner unverrichteterdinge abziehen -und sage: »Ich habe mich vorhin schon bedient, -während Sie wahrscheinlich noch mit Ihrem -geistigen Wachstum beschäftigt waren.«</p> - -<p>Er schnippt mit Daumen und Mittelfinger nach -meiner Hand, die ich erschrocken zurückziehe.</p> - -<p>»Sie haben die körperliche Züchtigung verdient,« -sagt er, »denn Sie hätten merken können, -daß ich jetzt vernünftig mit Ihnen sprechen will.« – -»Es ist mir nichts aufgefallen.« – »Ruhig! – -Also, wie geht es Ihnen?«</p> - -<p>»Auf eine so originelle Frage kann ich nur -ebenso originell antworten. Es geht mir natürlich -sehr gut.« – »Wieso natürlich?« fragt er, »ach -so, Sie meinen, einer so entzückenden Dame gegenüber -kann das Schicksal natürlich gar nicht anders -als zart und galant verfahren. Sie stehen ja -auf einem so hohen Piedestal, Sie schweben so -hoch über allen Erdendingen –.« – »Um Gottes -willen,« sage ich, »was haben Sie auf einmal?« – -»Warum?« fragt er, »war ich etwa nicht grob?« – -»Geradezu unverschämt,« versichere ich.</p> - -<p>»Na also,« sagt er, »was ist da zu erschrecken! -Mir scheint, Sie sind etwas verwöhnt und verzärtelt -worden seit unserem letzten Zusammensein. -<a class="pagenum" id="page_154" title="154"> </a> -– Was machen übrigens Ihre vierzig -Freunde?«</p> - -<p>»Sie verwechseln das,« belehre ich ihn, »bei -unserem letzten Zusammensein war von Ihren -dreiundvierzig Freundinnen die Rede.«</p> - -<p>»Nun ja, warum sollte ich nicht drei mehr -haben als Sie?« fragt er, »gönnen Sie mir die -etwa nicht?«</p> - -<p>»Von Herzen,« sage ich. »Don Juan hatte -noch mehr.«</p> - -<p>»Don Juan war auch kein feiner Genießer wie -ich,« erklärt er. »Ich bin nur für Auslese, und -deshalb kann auch der Kreis unmöglich vergrößert -werden, so sehnsüchtig Sie darauf warten, aufgenommen -zu werden.«</p> - -<p>»Weshalb sind Sie so grausam?« frage ich, -»gehen mir vielleicht ein paar Tugenden ab, die -notwendig sind, um unter die Göttinnen eingereiht -zu werden?«</p> - -<p>»Alle,« erklärt er, »zuerst die wichtigste, Bescheidenheit. -Sie sind von einem ebenso unberechtigten -wie unerträglichen Hochmut geradezu -geschwellt. Sie halten sich für unausstehlich gescheit –.« -– »Ganz im Gegenteil,« versichere -ich, »ich halte mich für sehr angenehm begabt.«</p> - -<p>»Sie sind überzeugt, - daß Sie keine Fehler -haben –.« – »Auch das nicht,« antworte ich, -<a class="pagenum" id="page_155" title="155"> </a> -»aber ich habe gerade meine kleinen Untugenden -von jeher sehr reizvoll und sympathisch gefunden. – -Fahren Sie übrigens nur fort, es gibt für mich -nichts Wohltuenderes, als wenn sich jemand so -eingehend mit meiner Person beschäftigt.«</p> - -<p>»Für diese niedrige Eitelkeit verdienen Sie meine -Verachtung,« antwortet er, »oder ist Ihnen eine -körperliche Züchtigung lieber?«</p> - -<p>»Ach nein,« sage ich erschrocken und verstecke -die Hände unterm Tisch, »wenn ich dann lieber -um Ihre Verachtung bitten dürfte.«</p> - -<p>»Dacht ich mir's doch,« sagt er, »man hat Sie -entsetzlich verweichlicht im letzten halben Jahr. – -Aber jetzt ernstlich: Was machen die vierzig? -Oder sind's seitdem mehr geworden oder gar -weniger?«</p> - -<p>Ich nicke: »Einer weniger.«</p> - -<p>»Verkracht?« fragt er und strahlt geradezu -teuflisch. – »Ach, wenn's nur das wäre,« sage ich.</p> - -<p>»So, so, also ernstlich,« überlegt er. »War's -Ihr bester?«</p> - -<p>»Ich weiß nicht,« antworte ich, »aber ich glaube, -der, den man verloren hat, war immer gerade der -beste.«</p> - -<p>»Na ja,« brummt er, »das hat dann gleich so -etwas vom verlorenen Sohn an sich. Aber mit -Freunden sollte es anders sein. Die man ohne -<a class="pagenum" id="page_156" title="156"> </a> -eigene Schuld verliert, an denen ist meistens nichts -verloren. Und so streitsüchtig Sie sind, ich nehme -an, es war nicht Ihre Schuld.«</p> - -<p>Ich muß lachen. »Ach nein,« sage ich, »ich -war ganz und gar unschuldig, der Junge hat sich -verheiratet.«</p> - -<p>»O weh, o weh!« sagt der Professor und schlenkert -die Hand durch die Luft, als habe er sich verbrannt. -»Also ein fast unheilbarer Fall. Wie -konnte der Trottel nur?«</p> - -<p>»Trottel?« sage ich empört. »Er hat sehr vernünftig -geheiratet, ideal und nützlich zugleich.«</p> - -<p>»Also ein idealer Nützlichkeitstrottel,« nickt er. -»Und er hat Ihnen versprochen: Zwischen uns -bleibt alles, wie es war, und unsere Freundschaft -besteht jede Probe, und so weiter?«</p> - -<p>»So ähnlich,« antworte ich.</p> - -<p>»Und Sie Schaf haben's geglaubt?«</p> - -<p>»Lieber Professor,« sage ich, »ich bin vielleicht -geistig etwas unter dem Durchschnitt, aber für so ein -Schaf dürfen Sie mich nun doch nicht halten.«</p> - -<p>»Na also,« sagt er, »und trotzdem beklagen -Sie sich jetzt.«</p> - -<p>»Ich glaube, ich kann Ihnen mit gutem Gewissen -die ehrenvolle Anrede zurückgeben. Denken -Sie Schaf vielleicht, uns schmerzen nur die Dinge, -die wir nicht vorausgesehen haben?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_157" title="157"> </a> -»Es war dumm, natürlich,« brummt er. »Sie -haben recht. Es gibt allerdings Menschen, denen das -Vorhergewußthaben jeden Schmerz versüßt, aber -dazu gehören Sie anscheinend nicht. Wieso kam es -aber zum Bruch? Hat man Sie etwa beleidigt?«</p> - -<p>»Es ist gar kein Bruch, und mit Absicht hat -man mich wohl nicht beleidigt,« antworte ich, -»aber haben Sie nicht schon bemerkt, daß uns -die Kränkungen am tiefsten treffen, die uns unabsichtlich -zugefügt werden?«</p> - -<p>»Natürlich,« sagt er, »die verfluchte Eitelkeit! -Wir ertragen's eher, daß man uns haßt und verabscheut, -als daß man uns gleichgültig gegenübersteht. -– Übrigens vermute ich, Sie verlieren nicht -mehr viel an dem Verkehr, denn wir waren uns -ja von jeher darüber einig, daß glücklich verheiratete -Leute kein Umgang für Menschen von Geschmack -sind. Ob sie's wollen oder nicht, sie bringen ihr -Familiensofa überall mit hin, und man kann sie -noch so entfernt voneinander placieren, immer hat -man das Gefühl, als säßen sie Hand in Hand. – -Ist übrigens noch kein Ersatz in Sicht?«</p> - -<p>»Ersatz?« wiederhole ich. »Jeder ist doch ein -Mensch für sich, und einer kann den anderen nicht -ersetzen.«</p> - -<p>»Nun,« antwortet er, »meistens ist es doch -im Leben so, daß uns die Dinge schon halb verloren -<a class="pagenum" id="page_158" title="158"> </a> -sind, während wir sie noch zu halten glauben, -und während von uns ungeahnt, irgendwo aus -der Flut der Erscheinungen schon das Neue aufsteigt, -das den Ersatz in sich trägt.«</p> - -<p>Wir schweigen eine Zeitlang, und ich schaue -ein wenig gedankenlos in die kleine rosa Lampe -vor mir. Endlich sage ich:</p> - -<p>»Drollig, mir ist ein Wort im Ohr hängen -geblieben, das Sie vorhin sprachen. Vielleicht, -weil's so widerspruchsvoll klingt. Was ist das, -ein idealer Nützlichkeitstrottel?«</p> - -<p>»Na,« antwortet er, »widerspruchsvoll klingt -das Wort nun ganz und gar nicht, oder doch -nur für den Trägen im Geist. Im allgemeinen -drücke ich mich allerdings höflicher aus und sage: -ideale Nützlichkeitsmenschen. Das Trottel sollte -vorhin nur die weitverbreitete Trottelei des Heiratens -treffen.«</p> - -<p>»Meine geistige Trägheit schreit wahrscheinlich -zum Himmel,« antworte ich, »aber ich kann mir -auch unter der milderen Form nichts vorstellen. -Also bitte, Herr Professor –«</p> - -<p>Er fährt sich seufzend über den, trotz seiner Jugend, -schon recht kahlen Schädel. »Gräßlich, wenn -man durch die verfluchte Galanterie auch noch -außerhalb der Vorlesungen zum Dozieren gezwungen -wird. Aber nun passen Sie wenigstens auf, sonst -<a class="pagenum" id="page_159" title="159"> </a> -setzt's was. Noch einmal kommen Sie nicht mit -meiner Verachtung davon, diesmal knipse ich.«</p> - -<p>»Mein Denkapparat wird nur so rasseln,« versichere -ich und verstecke die Hände unterm Tisch.</p> - -<p>»Na also,« er denkt einen Augenblick nach, -»wissen Sie noch etwas von Lessings Hamburgischer -Dramaturgie?«</p> - -<p>»Ja,« sage ich stolz, »sie handelt hauptsächlich -von Laokoon.«</p> - -<p>»Ganz recht,« lobt er. »Sie meinen zwar den -Laokoon von Lessing, aber das schadet nichts.« –</p> - -<p>»Nein,« sage ich, »es schadet sicher nichts. Was -hat es aber mit den idealen Nützlichkeitsmenschen -zu tun?«</p> - -<p>»Komische Frage,« antwortet er, »was soll es -ausgerechnet damit zu tun haben? Ich muß morgen -einen Vortrag über die Hamburgische Dramaturgie -halten und wollte mich von Ihnen inspirieren -lassen.«</p> - -<p>»Und ist es geglückt?« frage ich. – »Vollkommen,« -antwortet er, »ich bin nun so im Zug, -daß ich Ihnen meinen Vortrag sofort halten -werde.«</p> - -<p>»Ich hoffe, Sie sind nicht böse, wenn ich dabei -die Augen schließe,« frage ich, »das ist nämlich -meine Gewohnheit bei Vorträgen und vielleicht -der Grund zu meiner geistigen Fortgeschrittenheit.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_160" title="160"> </a> -»Meinetwegen,« sagt er, »es ist mir ohnedies -peinlich, wenn Sie mich so mit den Blicken verzehren -und mir jedes Wort von den Lippen saugen.«</p> - -<p>Ich überwinde einen krampfartigen Lachanfall, -und er beginnt:</p> - -<p>»Lessing war der Ansicht, daß in Hamburg das -Prinzip der Nützlichkeit das überwiegende und -ausschlaggebende sei. Davon steht zwar nichts in -seiner Hamburgischen Dramaturgie, aber wir dürfen -das dem Mann nicht zum Vorwurf machen, denn -warum hätte er das gerade da hineinschreiben -sollen? Er war trotzdem dieser Ansicht, und wir -sind es mit ihm. Nun gibt es sowohl in, als -auch außerhalb Hamburgs verschiedene Arten von -Nützlichkeitsmenschem. <i>Ad</i> 1: Die gewöhnliche Feld-, -Wald- und Wiesenpflanze, die jeder sofort erkennt, -<i>ad</i> 2: die verfeinerte Sorte, die zwar auch -nicht ganz selten ist, aber nur von Denkenden und -geistig Hochstehenden erkannt und richtig eingereiht -wird.</p> - -<p>Es sind die Glücklichen, die nie eine Überzeugung, -nie eine Neigung opfern müssen, weil ihre Überzeugung -und ihre Neigung sich immer nach dem -ihnen Nützlichen dreht, wie die Magnetnadel nach -Norden. So leben sie unbeschwert von Sentiments, -die nicht gerade der Augenblick in ihnen -weckt, unbeschwert vor allem von retrospektiven -<a class="pagenum" id="page_161" title="161"> </a> -Störungen, denn alles ist in ihrem Gedächtnis, -oder sagen wir in dem Gedächtnis ihres Herzens -ausgelöscht, was ihnen nicht mehr nützen kann. -Und man darf von ihnen als ideal veranlagten -Naturen nicht verlangen, daß sie sich nach etwas -anderem als dem Zug ihres Herzens richten.</p> - -<p>Sie sehen denn auch mit Verachtung auf den -gewöhnlichen Nützlichkeitsmenschen herab, der der -Stimme seines Herzens zuwider handelt und sich -oft erst nach hartem Kampf mit sich selbst und -mit bewußter Kraft und Rohheit das erringen -muß, was ihnen eine besonders glückliche Veranlagung -schenkt. Ihre Entschuldigung, wenn sie -einer bedürfen, ist, daß sie nichts von dieser glücklichen -Veranlagung wissen und ihrer wirklichen -Überzeugung nach als ideal geartete Menschen -durch die Welt gehen. – Kapiert?«</p> - -<p>»Jawohl,« sage ich.</p> - -<p>»Also kurz rekapitulieren!« Er sieht mich streng -an, und ich sage, die Hände krampfhaft unterm -Tisch:</p> - -<p>»Lessings Hamburgische Dramaturgie gipfelt -in der Erkenntnis, daß es gewöhnliche und ideale -Nützlichkeitsmenschen gibt. Die ersten werden zum -Beispiel nie ein armes Mädchen heiraten, die -zweiten werden sich nie in ein armes Mädchen -verlieben.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_162" title="162"> </a> -»Basta punktum!« sagt der Professor grinsend, -»da hat sich's der Weiberkopf Gott sei Dank in -seine Weibersprache übersetzt. Vom Verlieben und -Heiraten muß bei euch die Rede sein, da seid ihr -zu Hause und geborgen, da könnt ihr mitschwimmen -und plätschern wie ein Fisch im Wasser.«</p> - -<p>»Weshalb verallgemeinern Sie so?« frage ich -sanft. »Sollten Ihre dreiundvierzig Freundinnen -am Ende ebenso trivial sein wie ich?« – »Die -werden sich hüten,« antwortet er, »wer mit mir -vom Heiraten spricht, hat ausgespielt.«</p> - -<p>»Erzählen Sie ein bißchen von den dreiundvierzig,« -schlage ich vor, um ihn wieder milder zu -stimmen. »Sind sie alle sanft und bescheiden oder -sind auch Wilde und Feurige dabei oder herb -Verschlossene oder hinreißend Kluge? Daß sie alle -berückend schön sind, setze ich als selbstverständlich -voraus.«</p> - -<p>»Alles ist da,« antwortet er stolz.</p> - -<p>»Das muß ja unglaublich interessant und spannend -sein,« schmeichle ich ihm, und er lächelt in -teuflischer Verschlagenheit vor sich hin.</p> - -<p>»Sie sind so verschwiegen,« beklage ich mich, -»und ich habe Ihnen heute schon so viel von mir -erzählt, daß Sie sich freundschaftlicherweise revanchieren -dürften.«</p> - -<p>»Ja,« sagt er nach einer kleinen Pause, »ich -<a class="pagenum" id="page_163" title="163"> </a> -will Ihnen erzählen: Sie ist sanft und feurig -und schelmisch und ernst und verschlossen und -mitteilsam und stolz und bescheiden und alles zugleich. -Und schön ist sie –«</p> - -<p>»Sie, sie!« sage ich ganz fassungslos, »ich denke, -es sind dreiundvierzig!«</p> - -<p>»Quatschkopf!« sagt er und schnippt nach meiner -Hand. »Sie wissen doch schon lange, daß es nur -eine ist.«</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_165" title="165"> </a> -Warum der kleine Dichter einen Nasenstüber<br /> -bekam –</h2> - -<p class="ce"><img src="images/p165i.jpg" alt="" /></p> - - -<p><a class="pagenum" id="page_167" title="167"> </a> -»Der kleine Dichter« hieß er im Sanatorium, -wo ich ihn kennenlernte, zur Unterscheidung von -dem großen, der ihn sowohl an Körperlänge, als -an Berühmtheit überragte. Aber hier in Hamburg, -wo er nicht im Schatten seines größeren -Kollegen lebt, nennen wir ihn den Dichter schlechthin, -und wenn mir doch mal das Beiwort entschlüpft, -dann hat es nichts mit einer Wertung -zu tun, sondern ist ein Kosewort, und er läßt -sich's behaglich schnurrend wie eine Katze gefallen.</p> - -<p>Er hat mich gelehrt, daß ein Genie es unsagbar -schwer im Leben hat und unter tausend Qualen -leidet, von denen wir anderen nichts ahnen, -und daß es daher unsere Pflicht ist, die Genies -auf jede erdenkliche Art zu verwöhnen und ihnen -so die Last ihrer Sendung zu erleichtern. Und ich -habe damit angefangen, daß ich eine eierschalendünne -Tasse gekauft habe, die er als seine Stammtasse -betrachtet und aus der er ungeahnte Fluten -von Kaffee schlürft, denn er bedarf starker Stimulanzen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_168" title="168"> </a> -Auch Kuchen und Zigaretten sind Stimulanzen, -deren er in hohem Maße bedarf.</p> - -<p>Heute ist sein schmales Gesicht von Wind und -Kälte gerötet, wie er bei mir eintritt. Er reibt sich -heftig die auffallend schönen Hände, so daß das -schmale goldene Armband ein wenig sichtbar wird, -und dehnt sich dann behaglich im Sessel.</p> - -<p>»Geradezu niederschmetternd ist es draußen,« -berichtet er, »und ich weiß wirklich nicht, ob wir -es uns gefallen lassen müssen, daß man uns unausgesetzt -von oben herab mit kaltem Wasser begießt.«</p> - -<p>»Ganz und gar nicht,« antworte ich und reiche -ihm seine Tasse. »Sie haben ja auch Ihre Gegenmaßregel -schon getroffen, die einzig wirksame, die -es gibt.«</p> - -<p>»Ja, ich bin hierhergeflüchtet,« sagt er, »übrigens -nicht nur vor dem Regen, denn ich habe ja -auch zu Hause gewissermaßen ein Dach über dem -Kopf. Aber dies hier ist kein Dach, es ist eine Art -Baldachin, eine Tempelwölbung, wenn Sie wollen, -und nach so etwas sehnt man sich von Zeit zu -Zeit geradezu elementar.«</p> - -<p>Ich blicke ihn prüfend an und entdecke, daß er -müde aussieht und daß sein schöngeschnittenes -Gesicht noch etwas hagerer als sonst erscheint.</p> - -<p>»Sie haben zu viel gearbeitet,« sage ich. – -»Ja,« antwortet er seufzend, »ich habe mich geschunden -<a class="pagenum" id="page_169" title="169"> </a> -und abgerackert, hundert Pferdekräfte -habe ich vorgespannt, weil ich es zwingen wollte. -Äh, lassen wir's jetzt! Hier ist es schön, und der -Gedanke an Arbeit liegt in nebelhafter Ferne. – -Denn sehen Sie,« fährt er lebhaft fort, »trotzdem -Sie oft über meinen irrsinnigen Fleiß schelten, und -trotzdem ich manchmal arbeite wie ein Tier, im -Grund meines Wesens bin ich faul, – ohne jede -Beschönigung, schlechthin faul.«</p> - -<p>»Ich weiß,« antworte ich, »und kann Sie mir -sehr gut als leidenschaftlichen Anhänger meines -Lieblingsgottes vorstellen, des göttlichsten Gottes, -der das absolute Nichtstun lehrt und das süße -Versinken in sich selbst.«</p> - -<p>»Ja,« antwortet Robert Helström mit einer -großen Geste, »und hier ist der Tempel des Gottes -Tao und seine fanatischste Priesterin. Und mir ist -fast so, als kennten wir einander von Urzeiten -her, und unsere Lotosblumen hätten einmal nahe -beieinander geblüht. Ja wahrhaftig,« er stützt den -Kopf in die Hand und betrachtet mich aufmerksam, -»wenn ich mich recht besinne, gnädige Frau, -Sie haben sich in den letzten zweitausend Jahren -nicht im geringsten verändert.«</p> - -<p>»Kleiner Dichter,« sage ich und sehe ihm in die -necklustigen Augen. »Was wollen Sie eigentlich -heute von mir? Ihre Redensarten sind so süß und -<a class="pagenum" id="page_170" title="170"> </a> -glupschig wie Pralinés und haben auch das mit -Pralinés gemein, daß man nicht recht weiß, was -darin steckt. Also sagen Sie's gleich: muß ich -wieder bei der Abfassung eines knifflichen Briefes -an Ihren Verleger helfen, der so ungefähr haarscharf -an einer Injurienklage vorbeiführt? Oder -habe ich Sie heute mit eigener Lebensgefahr aus -einer verzwickten Liebesaffäre zu erretten? Oder -was ist es sonst?«</p> - -<p>Aber in Robert Helströms Kopf scheint nur -<em class="ge">ein</em> Wort haften geblieben zu sein, er macht einen -langen Hals und blickt suchend auf dem Tisch -umher.</p> - -<p>»Apropos Praliné?« murmelt er.</p> - -<p>Ich zeige ihm meine geöffneten Hände. »Alle,« -antworte ich.</p> - -<p>»Unerhört,« sagt er und lehnt sich entrüstet im -Sessel zurück. »Ich werde mich beschweren!«</p> - -<p>»Tun Sie das,« nicke ich. »Wer sich beschwert, -erleichtert sich merkwürdigerweise, und das ist auch -meist der einzige Erfolg, den er dabei aufzuweisen -hat.«</p> - -<p>»Gut,« sagt Robert Hellström, »diesen Splitter -aus dem Auge Ihrer Nächsten sollten Sie den -Fliegenden Blättern übersenden und für den Erlös -neue Pralinés kaufen. – Übrigens ist doch sicher -nur Marke zwei und drei ausgegangen, während -<a class="pagenum" id="page_171" title="171"> </a> -Nummer eins noch beinahe unangetastet im -Schokoladenschrank ruht.«</p> - -<p>»Selbstverständlich,« antworte ich. »Nummer -eins ist streng persönlich und unübertragbar. Nur -zur Aufheiterung meiner einsamen Stunden bestimmt -und hie und da im Theater zur geistigen -Anregung.«</p> - -<p>Robert Helström schweigt empört, aber die -tausend Qualen, die ein Genie zu erdulden hat, -stehen so deutlich auf seinem Gesicht geschrieben, -daß ich gerührt aufstehe und zum Schokoladenschrank -gehe. Er bemerkt es scheinbar nicht, sondern -blickt schweigend nach der Stubendecke. Erst wie -ich mit der kleinen Schachtel an den Tisch zurückkomme, -sagt er lebhaft:</p> - -<p>»Wir wollen sie ausschütten, der besseren -Übersicht halber,« und leert die Schachtel vorsichtig -auf einen Glasteller. Dann sitzen wir ein -paar Minuten still und einträchtig zusammen, -wie Kinder, die auf die angenehmste Art beschäftigt -sind.</p> - -<p>Endlich sage ich: »Etwas muß auch für das -nächste Mal bleiben,« und stelle den Teller aus -seiner Reichweite.</p> - -<p>»Mir fällt übrigens ein, daß wir uns lange -nicht gesehen haben.«</p> - -<p>»Vier Wochen fast,« antwortet er, »und es -<a class="pagenum" id="page_172" title="172"> </a> -spricht weder für Sie noch für mich, daß Ihnen -das jetzt erst einfällt. Ich will zu Ihrer Entschuldigung -annehmen, daß Sie von anderer Seite -genügend mit geistiger Kost versehen wurden.«</p> - -<p>»Es muß wohl ausreichend gewesen sein,« antworte -ich. »Meine Freunde haben ja alle viel -Zeit, und so kommt es –«</p> - -<p>»Ja, ja,« macht er nachdenklich und fährt -dann lebhaft und mit etwas affektierter Leichtigkeit -fort:</p> - -<p>»Ja, das wäre doch interessant zu wissen, -gnädige Frau, und ich hoffe, Sie antworten mir -ehrlich: Ist Ihnen noch nie der eine oder der -andere Ihrer Freunde gefährlich geworden? Es -läge doch so nahe –«</p> - -<p>Ich kann's nicht ändern, ich muß dem kleinen -Dichter einmal mit der Hand übers Gesicht -streichen und ihm dann einen Nasenstüber versetzen.</p> - -<p>»Einer?« sage ich. »Oder der andere? Was -denken Sie eigentlich? Jeder einzelne ist mir schon -gefährlich gewesen, der eine auf Tage, der andere -auf Stunden und manchmal waren's auch nur -Minuten, aber zum Glück hat immer einer den -anderen wieder aufgehoben, so daß die Sache hübsch -im Gleichgewicht blieb, – <i>balance of power</i> -nennt man so etwas, glaube ich.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_173" title="173"> </a> -Der kleine Dichter sieht unzufrieden aus, und -ich beuge mich ein wenig zu ihm hinüber und -frage:</p> - -<p>»Also weshalb habe ich Sie solange nicht gesehen?«</p> - -<p>Er weicht meinem Blick aus: »Ich wollte -arbeiten, ich sagte es ja.«</p> - -<p>»Früher war das ein Grund mehr, zu kommen.«</p> - -<p>»Ja, früher!« antwortet er rätselhaft und fragt -dann, unbeweglich in den blauen Rauch starrend, -der seiner Zigarette entsteigt:</p> - -<p>»Kennen Sie das, was einen nicht arbeiten und -nicht ausruhen läßt, nicht wachen und nicht schlafen, -die Qual, die einen auffrißt bei lebendigem -Leib?«</p> - -<p>»Wer kennt das nicht?« antworte ich, und -dann ist's eine Weile still im Zimmer.</p> - -<p>Und dann frage ich: »Wissen Sie denn so -genau, daß sie einen anderen liebt?«</p> - -<p>»Sie ist verheiratet,« sagt er leise, und da ich -ihn schweigend ansehe, fährt er hastig fort: »Ich -weiß, was Sie sagen wollen. Aber er ist der -Mann, und er hat das Recht, und ich kann den -Gedanken nicht ertragen –«</p> - -<p>Er steht so heftig auf, daß der kleine Tisch ins -Schwanken gerät, und die eierschalendünne Tasse -klirrt.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_174" title="174"> </a> -»Und er, der Ehemann?« frage ich. »Hat er -nicht mehr Grund zur Eifersucht als Sie?«</p> - -<p>»Der?« lacht er. »Weshalb denn? Er ist ja -seiner Sache sicher; sie ist vernünftig, denkt er, -sie wird mir schon keine Dummheiten machen. -Und darin hat er recht, Gott sei's geklagt!«</p> - -<p>Ich schweige, und es geht mir durch den Kopf, -daß hier ein fundamentaler Unterschied zwischen -männlichem und weiblichem Empfinden sein muß. -Mag sie lieben, wen sie will, denkt der Normalmann, -wenn sie mir nur keine Dummheiten -macht! Mag er Dummheiten machen, wenn er -will, denkt die Normalfrau, wenn er nur keine -andere so liebt wie mich!</p> - -<p>Und ich will schon ein bißchen stolz auf mein -eigenes Geschlecht werden, denn unser Standpunkt -scheint mir der geistigere und vornehmere zu sein, -aber ehe ich dazu komme, fallen mir schon wieder -hundert Für und Wider ein, und aus diesen Erwägungen -heraus frage ich Robert Helström, der -mit langen Schritten das Muster meines Teppichs -auf und ab schreitet und dabei gewisse Ornamente -ängstlich zu vermeiden scheint:</p> - -<p>»Weshalb sagt man eigentlich, ein Mann sinkt -und eine Frau fällt?«</p> - -<p>Er steht still und sieht mich einen Augenblick -zerstreut an, dann sagt er: »Das ist doch sehr einfach. -<a class="pagenum" id="page_175" title="175"> </a> -Wir Männer sind schon unten, wir leben -sozusagen im Sumpf und können nur noch tiefer -sinken und versumpfen, langsam und allmählich. -Die Frau steht auf einer stolzen Höhe, aber ein -Schritt zur Seite stürzt sie in den Abgrund.«</p> - -<p>»Kinder!« sage ich, »warum habt ihr uns nur -auf ein so gräßlich gefährliches Postament gestellt? -Hat eine von uns vielleicht jemals nach -dieser schwindelnden Höhe verlangt?«</p> - -<p>Der kleine Dichter lacht. »Meiner bescheidenen -Erfahrung nach nicht. Aber Sie haben recht, <em class="ge">wir</em> -haben die Frau auf das ehrenvolle Piedestal erhoben. -Im Manne ist eine Sehnsucht nach Reinheit, -eine Andacht und Ehrfurcht vor der Unbeflecktheit -des Weibes, die ihn trotz allem der -Frau gegenüber zu dem ethisch höherstehenden -Wesen macht. Bedenken Sie nur, daß selbst guterzogene -und gut veranlagte Mädchen den berüchtigten -Don Juan dem Tugendhelden vorziehen, -während wir, trotz aller Verirrungen, das -reine, das jungfräuliche Weib am meisten -lieben.«</p> - -<p>»Ja, ja,« sage ich nachdenklich, »aber wie läßt -sich diese rätselhafte, höchst widerspruchsvolle Tatsache -erklären, denn mit einer höheren ethischen -Veranlagung des Mannes hat sie sicher nichts -zu tun.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_176" title="176"> </a> -»Ich finde das unrecht,« schmollt er, »nicht -mal das bißchen höhere Ethik gönnen Sie uns, -doch sicher einer der am wenigsten begehrten -menschlichen Vorzüge. Oder halten Sie es vielleicht -für ein Vergnügen, moralisch zu empfinden?«</p> - -<p>»Sicher nicht,« antworte ich. »Ihr würdet -euch sonst stärker damit belasten. Aber ich glaube, -ich habe des Rätsels Lösung gefunden: Aus Egoismus -liebt der Mann das jungfräuliche Weib, -nicht aus Ehrfurcht vor ihrer Reinheit, sondern -aus dem rohen Verlangen heraus, der Erste zu -sein, der diese Reinheit besitzt und der sie zugleich -zerstört. Und aus tief ethischem Empfinden liebt -die Frau den gesunkenen Mann, aus Opfer- und -Schmerzbereitschaft und aus dem Trieb heraus, -ihn zu heben und zu erlösen –«</p> - -<p>Ich sehe den kleinen Dichter stolz an, aber der -schüttelt baß verwundert den Kopf.</p> - -<p>»Ei du liebes Herrgöttle!« sagt er, »seit wann -sind Sie denn so begeistert weiblich gesinnt? Und -wer sagt denn, daß wir partout eure Reinheit -zerstören wollen? Daß wir's tun, ist eine bedauerliche -Nebenerscheinung, aber doch nicht Zweck und -Ziel. Im Gegenteil, es stimmt uns traurig und -läßt uns immer von neuem nach neuer Reinheit -und Unberührtheit suchen. Daher der Typ des -Don Juan, der rastlos sucht und der erst zur -<a class="pagenum" id="page_177" title="177"> </a> -Ruhe kommen kann, wenn er das Ideal gefunden -hat, die Frau, deren Reinheit unzerstörbar ist, -Mutter und Jungfrau zugleich. Denn das ist -nicht allein das Ideal der katholischen Kirche, der -Madonnenkult lebt in jedem Mann.«</p> - -<p>»Nun,« antworte ich, »ich bin sicher, sämtliche -Lebejünglinge und -greise werden Ihnen Dank -wissen, daß Sie aus ihrer Unersättlichkeit die -Sehnsucht nach einem Ideal, sozusagen also aus -ihrer Not eine Tugend gemacht haben. Wie auch -alle abenteuerlustigen Backfische mir dankbar die -Hand küssen sollten, wenn ich ihre Sensationsgier -in Opferfreudigkeit umdichte. – Denn man -kann bekanntlich alle Dinge so und anders sehen, -das Gegenteil ist meistens ebenso richtig.«</p> - -<p>Der kleine Dichter hat sich wieder an den Tisch -gesetzt und raucht mit Hingebung seine Zigarette.</p> - -<p>»Die Weisheit der Temperamentlosen,« bemerkt -er und fährt plötzlich mit nervöser Gereiztheit fort: -»Sie sollten sich nicht zu ihr bekennen. Wer alles -so und anders sehen kann, der mag sehr weise sein, -aber er kann nichts hassen und nichts lieben. Er -liebt einmal hier und einmal da, und vielleicht -gibt es sogar Menschen, die hier und da zugleich -lieben können. Wer weiß es?«</p> - -<p>»Ja, wer weiß es?« wiederhole ich und zünde -mir eine Zigarette an. Und dann, in unseren gewohnten -<a class="pagenum" id="page_178" title="178"> </a> -Neckton verfallend, füge ich lächelnd -hinzu: »Kleine Dichter müssen nicht so viel -fragen. Sie kennen ja bekanntlich die Welt durch -Antizipation und brauchen unsere Weisheit nicht.«</p> - -<p>Aber er fährt in seinem heftigen Tone fort, und -seine Augen blitzen mich böse an:</p> - -<p>»Beneidenswerte Leute, die so weise sind, daß -sie über alles lächeln können. Verspielte Leute, -die das Leben zwischen ihren schmalen Händen -und spitzen Fingern halten wie ein drolliges und -seltsames Spielzeug und es hin und her drehen -und lächelnd betrachten. Leute, denen alles zum -Spielzeug wird, Worte und Empfindungen und -Dinge und Menschen. – Ja, Menschen auch!«</p> - -<p>Er schweigt, und ich nehme seine Hand und -streichle sie leise.</p> - -<p>»Nicht schelten,« sage ich. »Lassen Sie uns -spielen! Und lassen Sie uns die Augen wegwenden -von dem Abgrund, der überall neben -uns klafft, wo wir gehen und stehen, und in den -wir versinken müssen, wenn wir hinunterschauen. -Lassen Sie uns am Rand spielen, wie Kinder, -die von nichts wissen.«</p> - -<p>Wir schweigen einen Augenblick, dann sagt er -leise, seine Wange an meine Hand gelehnt:</p> - -<p>»Wissende Kinder sind es, die die Augen vor -dem Abgrund verschließen und mit ihrem eigenen -<a class="pagenum" id="page_179" title="179"> </a> -Herzen spielen wie mit der ganzen Welt. – Aber -vielleicht ist es doch wahr, daß nichts auf Erden -uns so nötig ist wie ein Frauenlächeln, und daß -nichts im Leben so ernst und so heilig ist wie das -Spiel.«</p> - -<p>»Lieber kleiner Dichter,« sage ich und reiche ihm -den Rest der Pralinés hinüber, »weise oder nicht, -für mich sind Sie ein großer Dichter.«</p> - - -<hr /> - - - -<h2>Hinweise zur Transkription</h2> - - -<p class="in0">Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.</p> - -<p class="in0">Darstellung abweichender Schriftarten: <em class="ge">gesperrt</em>, <i>Antiqua</i>.</p> - -<p class="in0">Bei direkter Rede wurden sowohl Komma als auch Punkt vereinheitlichend -jeweils vor dem schließenden Anführungszeichen angeordnet.</p> - -<p class="in0">Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, -mit folgenden Ausnahmen,</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_043">43</a>:<br /> -"sie" geändert in "Sie"<br /> -(recht gut, und was Sie jetzt sagen)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_044">44</a>:<br /> -"« –" eingefügt<br /> -(optimistisch genug zu behaupten, –« –)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_044">44</a>:<br /> -"»" entfernt vor "Ich"<br /> -(so nennen. – Ich will das erst beweisen)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_055">55</a>:<br /> -"»" entfernt vor "Aber"<br /> -(Aber Paulsen schüttelt den Kopf.)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_081">81</a>:<br /> -"»" eingefügt<br /> -(sagt Erich, »auf diesen liebenswürdigen Trick)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_114">114</a>:<br /> -"»" eingefügt<br /> -(»daß sich auch bei Ihnen einmal)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_127">127</a>:<br /> -"»" eingefügt<br /> -(»wir treffen uns oft des Abends im Café)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_127">127</a>:<br /> -"«" eingefügt<br /> -(Es wird nie zutage kommen.«)</p> - -<hr /> - - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Gespräche im Zwielicht, by -Karin Delmar [pseud.] and Terese Robinson - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GESPRÄCHE IM ZWIELICHT *** - -***** This file should be named 63021-h.htm or 63021-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/6/3/0/2/63021/ - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -https://www.pgdp.net - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions -will be renamed. - -Creating the works from public domain print editions means that no -one owns a United States copyright in these works, so the Foundation -(and you!) can copy and distribute it in the United States without -permission and without paying copyright royalties. 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It exists -because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from -people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. -To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation -and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 -and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive -Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at -http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent -permitted by U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. -Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered -throughout numerous locations. Its business office is located at -809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email -business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact -information can be found at the Foundation's web site and official -page at http://pglaf.org - -For additional contact information: - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To -SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any -particular state visit http://pglaf.org - -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. - -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. - -Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation -methods and addresses. Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. -To donate, please visit: http://pglaf.org/donate - - -Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic -works. - -Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm -concept of a library of electronic works that could be freely shared -with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project -Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. - - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. -unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily -keep eBooks in compliance with any particular paper edition. - - -Most people start at our Web site which has the main PG search facility: - - http://www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - - -</pre> - -</body> -</html> - - diff --git a/old/63021-h/images/cover.jpg b/old/63021-h/images/cover.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 138e9a0..0000000 --- a/old/63021-h/images/cover.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/63021-h/images/p001i.jpg b/old/63021-h/images/p001i.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 8add65f..0000000 --- a/old/63021-h/images/p001i.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/63021-h/images/p005i.jpg b/old/63021-h/images/p005i.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index acc206c..0000000 --- a/old/63021-h/images/p005i.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/63021-h/images/p019i.jpg b/old/63021-h/images/p019i.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 275d04d..0000000 --- a/old/63021-h/images/p019i.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/63021-h/images/p033i.jpg b/old/63021-h/images/p033i.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 05f0f8e..0000000 --- a/old/63021-h/images/p033i.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/63021-h/images/p047i.jpg b/old/63021-h/images/p047i.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 5f6cd6b..0000000 --- a/old/63021-h/images/p047i.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/63021-h/images/p059i.jpg b/old/63021-h/images/p059i.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index af0ba5a..0000000 --- a/old/63021-h/images/p059i.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/63021-h/images/p073i.jpg b/old/63021-h/images/p073i.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 746d7ff..0000000 --- a/old/63021-h/images/p073i.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/63021-h/images/p087i.jpg b/old/63021-h/images/p087i.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 5f6853a..0000000 --- a/old/63021-h/images/p087i.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/63021-h/images/p103i.jpg b/old/63021-h/images/p103i.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 91a5890..0000000 --- a/old/63021-h/images/p103i.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/63021-h/images/p117i.jpg b/old/63021-h/images/p117i.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 975a39a..0000000 --- a/old/63021-h/images/p117i.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/63021-h/images/p133i.jpg b/old/63021-h/images/p133i.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index ad824d2..0000000 --- a/old/63021-h/images/p133i.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/63021-h/images/p147i.jpg b/old/63021-h/images/p147i.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index cfbc60f..0000000 --- a/old/63021-h/images/p147i.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/63021-h/images/p165i.jpg b/old/63021-h/images/p165i.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 833d55e..0000000 --- a/old/63021-h/images/p165i.jpg +++ /dev/null |
