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-The Project Gutenberg EBook of Fräulein Doctor im Irrenhause, by Julie Thenen
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
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-
-Title: Fräulein Doctor im Irrenhause
- Eine Begebenheit aus unserer Zeit
-
-Author: Julie Thenen
-
-Release Date: October 31, 2020 [EBook #63589]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FRÄULEIN DOCTOR IM IRRENHAUSE ***
-
-
-
-
-Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
-https://www.pgdp.net (This file made from scans of public
-domain material at Austrian Literature Online.)
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- Fräulein Doctor im Irrenhause.
-
-
- Eine
-
- Begebenheit aus unserer Zeit
-
- von
-
- J. Thenen,
-
- Verfasser des »Wunderrabbi«.
-
-
- Der Ertrag ist der allgemeinen Poliklinik in Wien gewidmet.
-
- [Illustration]
-
- Wien.
-
- Verlag von L. Rosner.
-
- 1881.
-
-
-
-
-An einem trüben, regnerischen Herbstmorgen schritt eine Frau die breite,
-mit feinem Kiessande bestreute Allee entlang, die zur Irrenanstalt führte.
-Die Frau war groß und schlank und entwickelte in jeder Bewegung eine
-unnachahmliche Grazie, eine vollendete Symmetrie der Form. Ihr Haar war von
-einem hellen Braun, auf dem ein Goldglanz lagerte, nicht anders als ruhe
-der volle Sonnenschein auf den reichen, wogenden Locken; das Auge, lang
-geformt, dunkel und feurig, war von bogenförmig feingezeichneten Brauen
-überwölbt und von langen schwarzen Wimpern verschleiert; durch die
-lilienweiße Haut schimmerte die Rose auf den Wangen; der feingeschnittene
-Mund, die kleinen Perlenzähne und das anmuthreiche Grübchen am Kinn
-vervollständigten das harmonische Ganze. Diese Frauengestalt war wunderbar,
-entzückend schön.
-
-Ja, Zerline war schön wie die Fee eines Zaubermärchens und ebenso mächtig
-wie diese. Ein Blick ihres Glutauges, ein Wort von ihren duftigen Lippen
-vermochten es eben so leicht wie der Zauberstab einer Fee Schaaren von
-dienstbaren Geistern um sie zu versammeln. Ihre Alleinherrschaft in der
-galanten Welt war anerkannt, unbestritten, unumschränkt. Zu den demüthigen
-Zugthieren ihres Siegeswagens zählten die stolzesten Löwen des
-Tages. Zerline war eine gefeierte Schauspielerin, das brillanteste
-Decorationsstück eines Musentempels in der Provinz. Mißgünstige Rivalinnen
-behaupteten wohl, Zerline sei nur auf der Bühne des Lebens eine treffliche
-Komödiantin, im Tempel der Kunst nur eine jämmerliche Stümperin. Böse
-Zungen erzählten, daß sie durch mächtige Gönner sich ihren Platz auf den
-Brettern errungen und nur durch ihre körperlichen Reize und durch ihren
-Toilettenreichthum das Publicum blende. Alles dies vermochte aber die
-Triumphe Zerlinens nicht zu vermindern. Die Menge huldigt dem Erfolge, ohne
-sich zu kümmern, auf welche Weise dieser errungen wird.
-
-Zerline war also eine Zugkraft ersten Ranges und wurde als solche
-vom Leiter des Theaters mit einer bei diesem Herrn nicht gewöhnlichen
-Liebenswürdigkeit behandelt. Der Director war ein kluger Mann. Er wußte,
-daß eine blendende Staffage eine viel mächtigere Zugkraft sei als ein
-echtes Talent, das sich zur reinen Höhe der wahren Kunst emporgeschwungen.
-»Das Gute wird gedacht, das Schöne aber betrachtet,« philosophirte er.
-»Mein Publicum ist nicht dem Begriffe, sondern der Anschauung zugänglich,
-und die Kunst eines praktischen Directors besteht ja nur darin, dem
-Publicum den gewünschten Genuß zu verschaffen und ausverkaufte Häuser
-zu erzielen.« Zerline feierte Triumphe, wie die wirklichen Künstlerinnen
-solche nicht oft und nicht leicht erringen. Milde Kritiker räucherten sie
-in dicke Weihrauchwolken ein und nannten sie einen leuchtenden Stern am
-Firmamente der tragischen Kunst. Dies, sollte man meinen, müßte sie doch
-befriedigt haben. Dem war aber nicht so. Mit dem Erfolge wuchs ihr Ehrgeiz.
-Bald verlor die Huldigung der gutmüthigen Provinzler für Zerline jeglichen
-Reiz. Der Wirkungskreis in der Provinz erschien ihr eng und armselig und
-nur die Bühne in der Residenz ihrer würdig. In der Residenz als Tragödin
-gefeiert und umworben zu werden, dies ward fortan der süßeste Traum
-ihres Lebens. Um dies zu erreichen, war ja nur vonnöthen ein Gastspiel zu
-eröffnen. Daß sie mit ihrem ersten Auftreten das Publicum im Sturm erobere,
-dessen war sie sicher, dafür garantirten ihr ja der stürmische Beifall
-genügsamer Claqueurs und die Verzückung ihrer Gönner. Wollen und Können war
-für die gefeierte Zerline gleichbedeutend. Ein Zauberwort aus ihrem rosigen
-Mündchen setzte alsbald die Schaar ihrer Anbeter in Bewegung, und ehe
-das Tagesgestirn achtmal seinen Lauf vollendet hatte, war das schier
-Unglaubliche verwirklicht, die mächtige Fee hatte die Gewißheit, als Gast
-auf der Hofbühne der Residenz ihre Reize und die Munificenz ihrer Gönner
-bewundern zu lassen. Als Ophelia sollte sie das Gastspiel eröffnen. Um nun
-die Großstädter vollständig zu ihren Füßen zu sehen, wollte sie diese auch
-noch durch künstlerische Leistungen in athemlose Bewunderung versetzen.
-Deshalb sehen wir sie der Irrenanstalt zuschreiten. Sie will sich für den
-bevorstehenden Triumph künstlerisch vorbereiten, sie will nicht bloß die
-Empfindungen und Affecte, sondern auch die Begebenheiten, aus denen
-solche entsprangen, studiren. In der Irrenanstalt, in dieser Behausung des
-menschlichen Jammers, will sie in das große Geheimniß der tragischen Kunst
-erst recht eindringen. Hier will sie das Traurige, das Jammervolle, das
-Schreckliche, das Entsetzliche von Angesicht zu Angesicht schauen, um dann
-ihre Rolle als Geisteskranke mit solch' entsetzlicher Wahrheit zu spielen,
-daß dem Publicum darob die Haare zu Berge stehen sollten. Also versicherte
-sie ihrer Helferin in der Rüstkammer der weiblichen Toilettengeheimnisse,
-der pfiffigen Mizi.
-
-Man wähne aber ja nicht, daß dies Opfer, welches der Kunst zu bringen
-Zerline sich entschlossen hatte, ein gar leichtes war. Zuerst hatte sie
-einen mühsamen Kampf zu bestehen, bis es ihr gelang, die entsetzliche
-Furcht zu bewältigen, die bei dem Gedanken, in die Behausung des Wahnsinns
-einzudringen, sich ihrer bemächtigte. Mizi wußte ihr nicht genug des
-Gräßlichen von diesem Orte des Schreckens zu erzählen und bevölkerte die
-Phantasie der Kunstjüngerin mit den quälendsten Schreckgebilden. Schon
-stand zu befürchten, daß die heraufbeschworenen Phantome der zungenfertigen
-Mizi den Drang, das Spiel des Wahnsinns am Born desselben zu schöpfen,
-ersticken würden, als zum Glück ein am Siegeswagen Zerlinens ziehender Arzt
-ihre Angst beschwichtigte. Nun zeigte sich ein neues Hemmniß; der Leiter
-der Irrenanstalt war jedem Besuche abhold. Er fand es dem Wohle seiner
-Pflegebefohlenen zuträglich, sie vor profaner Neugier zu wahren. Diesen
-Psychiater ihrem Wunsche geneigt zu machen war schwerer, als Zerline es je
-gedacht. Trotz der mächtigen Protection ihrer Gönner gelang es ihr nicht,
-die Erlaubniß zu erlangen, die Anstalt zu besichtigen. Da verfiel der
-sie anbetende Arzt auf den sinnreichen Einfall, sie als Fräulein Doctor
-anzumelden. Einem Doctor, der sein Wissen zum Wohle der leidenden
-Menschheit bereichern wollte, durfte die Anstalt nicht verschlossen
-bleiben. Der Director, obwohl kein besonderer Freund weiblicher Doctoren,
-konnte jetzt seine Genehmigung nicht versagen. So machte sich denn Zerline
-auf den Weg, um das so sehnlich Gewünschte und doch Gefürchtete von
-Angesicht zu Angesicht zu schauen.
-
-Vom Zauber ihrer sinnberückenden Schönheit umgeben schritt Zerline der
-Anstalt zu. Ihr Auge blickte sanft und liebkosend und der schneeige Busen
-wogte ruhig und friedlich. Wer konnte ahnen, welch' bedrohliche Pläne für
-die Ruhe des starren Leiters der Anstalt sie in ihrem Innern entwarf
-und auch welch' wunderbare Curen die Phantasie dem Fräulein Doctor
-vorspiegelte! Wie oft hatte sie schon durch ihren Zauber Vernünftige in die
-Bande des Wahnsinns geschlagen, warum sollte sie nicht auch Wahnsinnige
-zur Vernunft zurückzuführen vermögen? Was war ihrem Liebreiz zu schwer? Wer
-vermochte es sich ihrer Macht zu entziehen? Solche und ähnliche Gedanken
-beschäftigten sie, bis sie am Eingange der Anstalt Halt machte. Als sie
-das Haus mit seinen vergitterten Fenstern erblickte, da begann ihr Herz zu
-pochen und zu hämmern. Alle von Mizi heraufbeschworenen Gespenster standen
-wieder vor ihrem inneren Auge. Die Kunst lief Gefahr, von der Furcht
-besiegt zu werden; Zerline war schon im Begriff die Flucht zu ergreifen, da
-erschien noch zur rechten Zeit der Thürsteher der Anstalt. Die Intervention
-dieses ungebildeten Volkssohnes ersparte der Muse eine Niederlage.
-
-Der Thürsteher, der einige Zeit stumm vor Entzücken auf die blendende
-Frauenerscheinung gesehen, riß jetzt dienstbeflissen die Thürflügel auf und
-lud sie zum Eintritte ein. Mechanisch folgte ihm Zerline in's Wartezimmer.
-Hier bat er sie, sich zu gedulden, bis er ihre Ankunft gemeldet haben
-werde, und entfernte sich unter zahllosen Bücklingen.
-
-Vom Schrecken beherrscht fiel Zerline ermattet auf einen Sitz nieder.
-Dann ließ sie ihr Auge im Raume umherschweifen. Das Zimmer war einfach und
-prunklos, sah aber ganz wohnlich aus. Auch das vergitterte Fenster erschien
-von innen nicht so abschreckend, und die Aussicht in den Park war trotz des
-trüben, regnerischen Wetters nicht ohne Reiz. Zerline begann sich allmälig
-zu beruhigen. Sie erhob sich dann von ihrem Sitze und näherte sich einem
-Spiegel, um da eine losgegangene Locke ihrer Frisur zu befestigen. Eben
-hatte sie sich des widerspänstigen Löckchens bemächtigt, als zwei Männer in
-die Stube traten.
-
-Die Neueingetretenen blieben beim Anblicke Zerlinens überrascht stehen.
-Sie wurden gleich dem Thürsteher vom mächtigen Zuge der Bewunderung
-fortgerissen, blieben aber nicht stumm, sondern stießen ein lautes »Ach!«
-des Entzückens aus.
-
-Ein Lächeln des Triumphes kräuselte die Lippen Zerlinens. Mit dem ersten
-Blicke hatte sie den Feind bezwungen, den starren, unzugänglichen Leiter
-der Anstalt. Dies war er ja doch, der großgewachsene Mann mit wallendem
-Bart und Haupthaar, und sein Begleiter war sicherlich der Doctor, der dem
-Director in der Krankenpflege treulich zur Seite stand. Also dachte die
-Siegesgewisse und wollte auch im Bewußtsein ihrer Macht recht bald ihr
-Incognito fallen lassen; als Zerline und nicht als Fräulein Doctor sollte
-er sie durch die Räume der Anstalt führen. Diese Hoffnung erwies sich
-jedoch bald als trügerisch, denn der stattliche Mann mit wallendem Bart
-und Haupthaar stellte sich ihr als Graf Roller vor, sein Begleiter war der
-Oberwärter der Anstalt.
-
-Der Letztere entschuldigte den Director, der durch Krankheit verhindert
-sei, Fräulein Doctor zu empfangen. Der Doctor der Herrenabtheilung müsse
-den Director in der Kanzlei vertreten, berichtete er, und der Doctor der
-Frauenabtheilung sei zu einer Patientin gefahren. Wenn Fräulein Doctor
-seine Rückkehr nicht abwarten wolle, so könnte sie sich getrost der Führung
-des Grafen Roller anvertrauen. Der Herr Graf sei in der ärztlichen Kunst
-bewandert und werde ihr alles Interessante in der Anstalt vorführen, fügte
-er zum Schlusse bei.
-
-Der Graf ermangelte nicht, sich mit der Artigkeit eines feinen Weltmannes
-der schönen Besucherin zur Verfügung zu stellen, und Zerline nahm mit einem
-verführerischen Lächeln sein Anerbieten an. Vom Grafen geleitet schritt sie
-durch eine helle, geräumige Vorflur einer steinernen Treppe zu.
-
-»Meiner Ansicht nach vermögen solch' äußerliche Anschauungen nur wenig die
-functionellen Störungen zu beleuchten,« begann der Graf seine Ansprache zu
-dem vermeintlichen Fräulein Doctor. »Ich halte ähnliche Beobachtungen für
-einen angehenden Arzt nicht für hinlänglich. Das vornehmste Lehrbuch ist
-der Cadaver. Nur anatomische Befunde und zumeist nach frischen Fällen
-gewonnene Befunde können dem Arzt Einblick in den Proceß gewähren. Dies ist
-meine Ansicht. Wohl meint die moderne Psychiatrie, daß wir im Vorderhirn
-die diagnosticirbaren, auffallenden Formen anatomischer Veränderungen noch
-im Leben vorfinden, sie behauptet sogar, daß der äußere Verlaufsproceß nur
-eine Spiegelung des inneren Processes sei, ich aber verfechte unerschrocken
-meine Ansicht, daß ohne den Befund im Cadaver die Wissenschaft im Finstern
-tappen muß.« Hier unterbrach er seinen gelehrten Discurs. Sie waren bei
-einer Thüre angelangt, welche ein Wärter von innen geräuschlos öffnete und
-wieder schloß. Sie traten in einen hohen, hallenden Corridor.
-
-Zerlinen war es seltsam zu Muthe. Schon der Anblick dieser Räume, die so
-viel menschliches Elend bergen sollten, machte ihr das Herz schwer. Ringsum
-herrschte eine tiefe, grabähnliche Stille, die nur von ihren und
-ihres Begleiters Schritten, welche im steingepflasterten Corridor laut
-wiederhallten, unterbrochen wurde. Um ihre Bangigkeit noch zu steigern,
-sprach der Graf ein gelehrtes Kauderwelsch, von dem sie kein Wort verstand.
-Nur das Eine meinte sie zu verstehen, daß er sie aufforderte, fleißig in
-Leichen herumzuwühlen.
-
-Hu, der Gedanke an dies Schreckliche machte ihre Füßchen schwach bis zum
-Umfallen. Jetzt kroch wieder die Furcht wie ein Alp an sie heran und
-rief ihr alle die schrecklichen Geschichten, die ihr Mizi von der
-Gefährlichkeit, von der Tobsucht und der Raserei der Wahnsinnigen erzählt
-hatte, in's Gedächtniß zurück. Bald brachte jedoch die Sucht zu glänzen,
-welche Zerline als den Drang, sich auf die wahre Höhe der tragischen Kunst
-emporzuschwingen ansah, die Einflüsterungen der Furcht zum Schweigen.
-Ja sie wollte unerschrocken das Entsetzliche von Angesicht zu Angesicht
-schauen, sie wollte allen Gefahren trotzen, um dann durch ihren meisterhaft
-gespielten Wahnsinn alle Rivalinnen vor Neid wahnsinnig zu machen. Mit
-dem Panzer dieses menschenfreundlichen Wollens umgürtet betrat sie den
-Conversationssaal der Herrenabtheilung.
-
-Sie sah neugierig und mit nicht geringem Herzklopfen umher. Dies war kein
-mit Eisengitter umgebener Käfig, wie die Schauermärchen Mizis die Räume
-einer Irrenanstalt schilderten, und auch die Personen, die sie da gewahrte,
-hatten keine Aehnlichkeit mit den gefürchteten Schreckbildern aufzuweisen.
-Etwa ein Dutzend Männer saßen auf Stühlen und studirten eifrig die
-Journale, Andere hatten sich um einen mit Nachdruck sprechenden Priester
-gruppirt und lauschten aufmerksam seinen Worten.
-
-»Dies sind Patienten, mit Melancholie, mit Manie und mit Stupor behaftet,«
-erklärte der Graf dem vermeintlichen Arzt. »Wenn Sie den Reden der
-Patienten Aufmerksamkeit schenken wollen, dann werden Sie einsehen, wie
-wenig die äußerliche Anschauung die functionellen Störungen im Innern zu
-veranschaulichen vermag.«
-
-Zerline nickte bestätigend mit dem Kopfe. Auf andere Weise wußte sie ihrem
-gelehrten Führer keine Antwort zu geben. Was begriff sie von functionellen
-Störungen und von Stupor und Manie? Bei ihren Anbetern hatte sie wohl stark
-ausgesprochene Symptome von Verwirrtheit und Imbecillität gesehen, aber
-es genügte ihr zu wissen, daß sie die Ursache und Veranlassung
-dieser Erscheinungen war, mit der Lehre von den Krankheiten und ihren
-verschiedenen Gattungen und Arten hatte sie sich nicht befaßt. Von
-dem gelehrten Unsinn des Grafen verstand sie eben nicht mehr als ihr
-Schooßhündchen Zara, wenn sie ihm eine ihrer Rollen vordeclamirte, sie
-athmete erleichtert auf, als der Graf sie zu einem Sitze führte und sich
-dann zu der Gruppe gesellte, die den Priester umgab.
-
-»Die moderne Philosophie umnebelt den Kopf der rohen Masse,« sprach der
-Priester gerade, als der Graf herzutrat. »Sie demoralisirt das Volk durch
-die Zerstörung aller alten Einrichtungen, sie entwurzelt den Glauben an
-eine ewige, rächende und richtende Gottheit, an ein Jenseits, an eine
-Unsterblichkeit, sie führt die Herrschaft der rohen Materie ein, sie
-schmäht und verspottet die Zeit, in welcher die heilige Kirche die Teufel
-aus der Menschenbrust vertrieb. Wohin, frage ich, kann und soll dies
-führen, wenn nicht zur Herrschaft des Verbrechens und zur totalen Auflösung
-aller menschlichen und gesetzlichen Bande? Vermögen all' die subtilen
-Verstandestheorien der Apostel des Unglaubens, vermag all' ihr
-sophistischer Wortprunk den Glauben, dieses Himmelslicht, zu ersetzen?
-Wodurch wollt Ihr die Menschheit für das ihr geraubte Kleinod schadlos
-halten, für das göttliche Geschenk, das den Erdensohn im Glücke vor
-Uebermuth bewahrt und im Unglücke vor Verzweiflung schützt?«
-
-Diese Worte waren an einen ältlichen Mann gerichtet, der dem Priester
-gegenüberstand und der leidenschaftlichen Rede desselben mit kalter Ruhe
-zuhörte.
-
-»Durch das Bewußtsein, daß Moral und Sittlichkeit nicht erst der Ausfluß
-einer geoffenbarten Religion sein müssen, denken wir das Verlorene zu
-ersetzen,« erwiederte der Gefragte. »Wir wollen beweisen, daß nicht in den
-rohen, materiellen Gefühlen des Fürchtens und Hoffens auf Vergeltung
-der wahre, edle Kern der Moral liege, sondern daß er in der geistigen
-Veredlung, in der Entwicklung des Rechtsgefühls, in der Unabhängigkeit und
-in der Scheu vor jedem unredlichen Beginnen zu suchen und zu finden sei.
-Die Menschheit lebt, wie Euer Heiligkeit richtig bemerkten, in einem
-materiellen Zeitalter, in welchem Hypothesen nicht mehr genügen, die
-nüchterne Menschheit verlangt jetzt Axiome. Gebt ihr solche, und sie wird
-wieder ihre Knie vor der Kirche beugen und auch ihr Geist wird anbetend vor
-Euch niederfallen.«
-
-Der Priester maß ihn mit finsteren Blicken und erwiederte dann mit
-grollender Stimme:
-
-»Wo die Ueberzeugung, da ist kein Glaube mehr. Wie die Vernunft so
-vermessen wird, mit dem Secirmesser der kalten Berechnung den Glauben
-zergliedern zu wollen, da kehrt dieser zum göttlichen Spender zurück, und
-der ruchlose Anatom sucht ihn vergebens im zerfleischten Cadaver.«
-
-»Der Befund im Cadaver muß der einzig richtige Leitfaden für den Forscher
-sein,« mischte sich nun Graf Roller in den Disput.
-
-»Der denkende Mensch will keinen blinden Glauben, er will Wahrheit, und
-zur Wahrheit kann man nur durch Forschen und Wissen, nur durch Aufklärung
-gelangen,« behauptete ein Mann mit blassen, melancholischen Zügen. »Mag die
-Wahrheit noch so grauenvoll sein, der denkende Mensch wird sie immer der
-lieblichsten Selbsttäuschung vorziehen.«
-
-»Die Corruption und all' das scheußliche Heer der Sünden hat Eure
-gepriesene Aufklärung der Menschheit gebracht,« schrie der Priester, dessen
-Augen jetzt wie zwei sprühende Feuerräder rollten. »Ihr bläht Euch mit der
-Vernunft, mit dem Wissen und bleibt doch bei jedem Schritt und Tritt vor
-unauflöslichen Problemen stehen. Mit frecher Stirn nennt Ihr sogar das
-Gehirn Erzeugungsorgan der Seele, trotzdem Euch nicht mehr als die äußere
-Anatomie der Form davon bekannt ist. Gesteht doch einer Eurer mächtigsten
-Herrscher auf dem Gebiete des Wissens, daß die Anatomie des inneren Baues
-des Gehirnes für immerdar ein mit sieben Siegeln geschlossenes und noch
-dazu in Hieroglyphen geschriebenes Buch ist.«
-
-»Meine Herren, ruhig mögt Ihr nach Herzenslust plaudern, nur nicht das Blut
-erhitzen,« ermahnte ein Wärter.
-
-Zerline war dem Disput mit großer Aufmerksamkeit gefolgt. Sie vermochte es
-kaum zu glauben, daß sie Pensionäre der Irrenanstalt reden hörte. Was ihr
-Interesse noch steigerte, war, daß sie in dem jungen, schönen Priester
-den Fastenprediger erkannte, dessen Reden sie stundenlang in lautloser
-Verzückung zu lauschen pflegte. Nach den rauschenden Freuden des Carnevals
-war es für sie eine gruselnde Wollust gewesen, von dem schönen Prediger die
-Pein, die der Sünder im Reiche Satans harrte, mit glühender Beredsamkeit
-schildern zu hören. Sie konnte das Auge von ihm nicht abwenden. Wenn er
-sprach, belebte sich das starre, bleiche Antlitz und sein dunkles Auge
-glühte und der Körper bebte und jede Muskel zuckte. Er war schön, der
-bleiche Priester, so schön, daß Zerline in seinem Anblick versunken den
-eigentlichen Zweck ihres Besuches in der Anstalt vergaß und den Grafen, der
-sie zum Weitergehen aufforderte, ersuchte, bis zur Beendigung des Disputes
-zu bleiben.
-
-»Der Priester laborirt an jener chronischen Seelenstörung, die wir
-partielle Verrücktheit nennen,« flüsterte ihr der Graf zu. »Er ist im
-Wahne, der heilige Vater zu sein und schleudert als kirchliches Oberhaupt
-alle seine Blitze gegen die Pionniere der Aufklärung. Im steten Kampfe
-ist er mit diesem Patienten.« Er bezeichnete den ältlichen Mann, der dem
-Priester kampfbereit gegenüberstand. »Dieser, im Wahne der Zeitgeist
-zu sein, sucht seinerseits jedes Bollwerk gegen Forschung und Wissen
-darniederzureißen und steht dem Fanatiker feindlich gegenüber.«
-
-Die Irren hatten ihren Wortkampf wieder aufgenommen.
-
-»Die Wissenschaft gesteht mit ehrlicher Offenheit ihre Ohnmacht,
-manches Problem zu lösen, und fordert dadurch die Menschheit zu noch
-angestrengterem Forschen auf,« sprach der Widersacher des Priesters mit
-leidenschaftsloser Ruhe.
-
-»Die Forschung ist die Pforte zur Wahrheit und das Wissen ist ihr
-Tempel,« ließ sich der Irre mit den bleichen, melancholischen Zügen wieder
-vernehmen. »Das leuchtende Antlitz dieser Gottheit verschmäht den Schleier
-der Mystik, ihre majestätische Gestalt umwallen keine Prunkgewänder; sie
-lockt nicht mit Lohn und droht nicht mit Strafe. Ernst und leidenschaftslos
-thront sie auf ihrem erhabenen Sitz und ist jedem Menschenkinde zugänglich.
-Wer ihr Antlitz schauen will, darf nicht blind glauben, der muß nur
-forschen, denn Zweifel sind die Stufen, die zur Wahrheit führen.«
-
- »Bairisch Bier und Leberwurst
- Juchheidi, juchheida,
- Und ein Kind mit runder Brust,
- Juchheidi, heida,
- Und ein Glas Krambambuli,
- Donnerwetter Parapluie,
- Juchheidi, heidi, juchheidi, juchheida,
- Juchheidi, heidi, heida, juchheidi, heida!«
-
-krächzte ein Irrer, dessen rubinrothe Nase ihn als Verehrer des Bacchus
-kennzeichnete. »Schweig', Ritter von der breiten Krämpe, oder lasse Bacchus
-leben!« rief er dem Priester zu.
-
- »Vivat Bacchus, Bacchus lebe,
- Bacchus war ein braver Mann.«
-
-»=Delirium tremens=,« flüsterte jetzt der Graf dem Fräulein Doctor zu,
-welches nur Auge und Ohr für den schönen Fastenprediger hatte.
-
-Der Eiferer ließ sich durch die triviale Unterbrechung des Säufers
-in seinem Dispute nicht stören und erwiederte dem Wahrheitssucher mit
-schneidendem Hohngelächter: »Sprecht nur den göttlichen Gesetzen Hohn,
-entsagt schamlos der Menschenwürde und pflanzt nur die Vernunft als
-Glaubensfahne auf. Die gepriesene Vernunft wird Euch zur Wahrheit
-führen, die Vernunft, welche der aufgeklärten Menschheit zur ehrenvollen
-Verwandtschaft mit dem Kletterthier verholfen hat. Und du, ihr Apostel,
-wohin hat dich deine Forschung geführt? Die Wahrheit hast du gesucht und
-das Irrenhaus hast du gefunden.«
-
-Ein Blick unsäglicher Verachtung aus dem Auge des Wahrheitssuchers fiel auf
-den Zeloten. Er wollte antworten, als ein Mann von finsterem Aussehen das
-Wort ergriff.
-
-»Ich behaupte, daß, wenn die Herren Affen nur die Macht des Wortes besäßen,
-sie gegen die noble Verwandtschaft mit dem Menschen energisch protestiren
-würden,« versicherte der Sprecher mit großer Bestimmtheit. »Die Herren
-Affen leben ruhig und friedlich in ihrem primitiven Zustande nur der
-Befriedigung ihrer natürlichen Bedürfnisse, die Herren Affen sind von allen
-Krebsschäden, die an der menschlichen Gesellschaft fressen, unberührt.
-Hochmuth, Eigendünkel, Herrschsucht, Selbstsucht, Scheinheiligkeit,
-Verleumdung, Verlogenheit, Heuchelei, Falschheit, Treulosigkeit und
-wie sonst noch das Heer menschlicher Leidenschaften heißen mag, nisten
-vorzüglich in der Menschenbrust. Jetzt frägt es sich --«
-
-»Ja, alle diese Leidenschaften nisten im Herzen des Weibes,« unterbrach ihn
-Graf Roller in sichtlicher Aufregung. »Fand ich doch alle diese geflügelten
-Ungeheuer im Herzen der Falschen.« Hier brach er ab und zuckte schmerzhaft
-zusammen.
-
-Zerline hatte nur Augen für den schönen Priester, dessen Geist trotz
-des logischen Zusammenhanges seiner Rede in der Macht des Wahnsinns sein
-sollte. Wenn dies Wahnsinn war, frug sie sich, was war gesunder Sinn zu
-nennen? Alle, die ihr zu Füßen lagen, besaßen nicht das Wissen und nicht
-die Beredsamkeit dieser Unglücklichen, die von der Außenwelt abgeschlossen
-hier ihr trauriges Dasein verbrachten.
-
-»Die wahre Pest unserer unseligen Zeit seid Ihr, die Häupter der tückischen
-Bande, die sich die Organe der öffentlichen Meinung nennen,« wendete sich
-der Eiferer wieder an einen Mann, der in ein Journal vertieft zu sein
-schien. »Ihr reißt die Welt aus den Fugen und verläugnet und kreuzigt mit
-Eurer ruchlosen Aufklärung die heilige Religion.«
-
-»Die Aufklärung verläugnet nicht die Religion,« entgegnete der Angeredete
-die Achsel zuckend. »Die Aufklärung will nur nicht diese Religion, wie
-manche Priester sie geben. Wahre Religion begehrt weder Demuth
-noch knechtische Furcht, sie verlangt Selbstständigkeit und inneres
-Durchdrungensein von ihrer Wahrheit, sie will nicht mit Zittern und Zagen,
-sie will nur mit Liebe umfaßt sein.«
-
-»Baut nur Eurem Götzen stolze Tempel und übergoldet seine Altäre mit dem
-Raube, den Ihr mit verruchter Hand an mir, dem Stellvertreter Petri, und
-auch an den Frommen der gesammten Christenheit begangen habt,« schrie der
-Zelot mit heftiger Gesticulation. »Führt nur die Bauten eures sündhaften
-Hochmuthes bis in die Wolken und sucht den Himmel zu stürmen. Thut dies,
-Ihr ruchlosen Umstürzler, thut dies, bis Ihr die Langmuth Jehovas ermüdet
-und Ihr den Lohn dafür da findet, wo ewig Heulen und Zähneklappern ist.«
-
- »Der Frosch und die Unken
- Und andere Halunken,
- Die können nur zechen
- Mit rächelndem Rachen,
- Sie schlürfen aus Bächen,
- Aus Pfützen und Lachen,
- Aus Gruben und Klüften,
- Aus Weihern und Teichen,
- Aus Gräbern und Grüften
- Und manchem dergleichen
- Und plärren im Chor,
- Auf Moder und Moor
- Nur Schnickschnack und Schnackschnack
- Und Unkunk und Quackquack,«
-
-näselte der Trunkenbold, sein Lied mit possierlichen Grimassen begleitend.
-
-Der Zeitungsschreiber hatte sich erhoben und stand in drohender Haltung dem
-Priester gegenüber. »Elender Fanatiker, mich, dessen einziges Ziel es
-ist, die Menschheit zu beglücken, den Gründer des echten, reinen Glaubens,
-zeihest du des Raubes, der schmutzigen Gewinnsucht?« rief er zornig.
-»Religion ist Gold, im urbaren Zustande dem Menschen in die Hand gegeben.
-Ich habe die leuchtende Goldfaser entdeckt, und du, Finsterling, betest die
-Schlacken an. Mein Cultus bedarf nicht der Vergoldung. Der Tempel meiner
-Religion ist jedes edle Menschenherz, ihr Altar ist die Menschenliebe, ihr
-Gebet ist Menschlichkeit und ihr Lohn ist das Bewußtsein, seine Pflicht als
-Mensch zu erfüllen. Wozu bedarf ich des Goldes, wozu der physischen
-Macht? Mein reiner Glaube will keine käuflichen Glaubensüberläufer und er
-verschmäht auch jedes Gewaltmittel zu seiner Ausbreitung.«
-
-»Warum hast du mir also mein Reich geraubt, warum hast du mir meine
-weltliche Macht genommen?« schrie der Zelot in leidenschaftlicher Erregung.
-
-»Dein Reich ist nicht von dieser Welt,« rief eine hagere, fleischlose
-Gestalt, auf den Priester zuschreitend. »Meine Lehre verbietet dir, nach
-irdischer Größe, nach sündigem Reichthum zu streben, und nach irdischer
-Macht und nach irdischem Prunk lechzt deine Seele. Sündiger Verkünder
-meiner Worte, nur du und deinesgleichen, Ihr kreuzigt meinen Glauben und
-macht alle meine Wunden auf's Neue bluten.«
-
-»Religiöser Wahnsinn,« belehrte der Graf Zerlinen und setzte ihr
-dann auseinander, wie der Unglückliche, im Wahne der Heiland zu sein,
-stundenlang mit ausgespannten Armen dastehe und wie sein kranker Geist ihn
-alle die fürchterlichen Qualen des Martyriums wirklich empfinden lasse.
-
-»Die Liebe ist der Grundstein meines Glaubens, und Liebe und Nachsicht
-muß der Kitt sein, der den Bau des Christenthums zusammenhält,« fuhr der
-eingebildete Erlöser fort. »Der echte Diener Gottes muß des Glaubens Trost
-in das wehe Menschenherz gießen, er muß den Unglücklichen aus den öden
-Steppen der Verzweiflung auf die ewig grünende Oase der Hoffnung hinführen,
-er muß an dem unversiegbaren Born der göttlichen Gnade ihn erlaben, vor dem
-verderblichen Sturm der Leidenschaften ihn warnen und Stab und Stütze
-ihm sein auf der irdischen Dornenbahn. Und sein Gebet muß nur Gnade und
-Verzeihen für die Sünder erflehen, Vertilgung aber soll es nur für die
-Sünde erbitten! So will ich die Verkünder meiner Lehre!« rief der Irre mit
-gebieterischer Handbewegung. »Durch Liebe und Duldsamkeit wird mein
-Glaube verherrlicht, durch Liebe und Duldsamkeit wird seine Macht
-unerschütterlich, und unbezwingbar steht er seinen Feinden gegenüber, wenn
-er überhaupt dann noch Feinde zählt.«
-
- »Herr Bruder, nimm dein Gläschen
- Und trink' es fröhlich aus;
- Und wirbelt's dir um's Näschen,
- So führ' ich dich nach Haus.
- Bedenk', es ist ja morgen
- Schon Alles wieder gut,
- Der Wein vertreibt die Sorgen
- Und gibt uns frohen Muth,«
-
-sang jetzt der rothnasige Zecher, auf den Erlöser zuschreitend. Er faßte
-ihn am Arm und zog ihn trotz seines Sträubens mit sanfter Gewalt aus dem
-Saale.
-
-Der streitsüchtige Priester suchte nun wieder einen Gegenstand für seine
-Disputirwuth. Er packte den Irren, welcher sich einbildete der Zeitgeist
-zu sein, und setzte ihm so hart zu, daß es ihm zuletzt gelang, diesem seine
-Gelassenheit zu rauben.
-
-»Die Zeit ist um, in der die Furcht vor unbekannten Schrecken die
-Menschheit abhielt, Eure drohenden Phantome vor das Forum der Vernunft zu
-citiren,« schrie nun der Zeitgeist zornig. »Die Menschheit will nicht mehr
-die von Euch construirte Brille tragen, die ihr nicht erlaubt über den ihr
-angewiesenen Gesichtskreis zu schauen. Ich, der mächtige Zeitgeist, habe
-Euren Himmel gestürmt, ich habe Eure morsche Zwingburg in Schutt und
-Trümmer gelegt. Mich bekämpfst du, Priester, vergebens. Du, jämmerlicher
-Pygmäe, willst hemmend in mein Schaffen und Wirken eingreifen. Ich werde
-dich mitleidslos zermalmen, wenn du mich an der glorreichen Vollendung
-meines Werkes zu hindern suchst.«
-
-»Mit wem sprichst du, Verbreiter der schändlichsten Sacrilegien?« brüllte
-der Priester. »Du schmähst mich, den unfehlbaren Stellvertreter Petri. Ich
-will dich in den Pfuhl der ewigen Verdammniß --«
-
-Hier bemächtigte sich der Wärter der geballten Fäuste des Eiferers, die
-sich in sehr bedrohlicher Weise dem Gesichte des Zeitgeistes genähert
-hatten, und führte den Erbitterten einige Schritte abseits.
-
-»Ja, es ist eine kritische Zeit, heiliger Vater,« sprach ein bis nun
-stummer Zuhörer, mit bedenklichem Kopfschütteln zum Priester, der sich
-grollend in einen Winkel zurückgezogen hatte. »Das Consortium der
-ewigen Seligkeit ist in einer argen Klemme. Unsere Actien sind durch die
-Contremine des Zeitgeistes weit unter ihren Nominalwerth herabgedrückt
-worden. Nicht die Manöver eines erhöhten Zinsfußes und nicht die lockende
-Aussicht auf eine Superdividende vermögen uns jetzt zu helfen. Der einzige
-Ausweg wäre,« fügte er im Flüstertone hinzu, »mit der gut accreditirten
-Aufklärung einen Cartelvertrag abzuschließen.«
-
-Ein Blitz unsäglicher Wuth entsprang dem Auge des Priesters. Einige nicht
-wiederzugebende Ausdrücke waren der Lohn für den wohlmeinenden Rath des
-gutherzigen Vermittlers.
-
-Zerline, ganz im Anblicke des Priesters versunken, hatte, wie schon
-erwähnt, fast den Zweck ihres Besuches in der Anstalt vergessen. Sie konnte
-und wollte nicht glauben, daß der schöne Fastenprediger geisteskrank sei.
-Als sie aber gewahrte, daß er für sie keinen Blick habe, da begann sie
-allmälig zur Erkenntniß seines Irrsinns zu gelangen. Unglaublich! Bei ihm
-schien ihr herausforderndes Lächeln, das verführerische Spiel ihrer Augen,
-kurz die ganze Musik ihrer Reizungen stumpfe Sinne zu finden. Wohl hatte
-sie von Asketen vernommen, die, mit dem Panzer der Heiligkeit umgürtet,
-jeglichem Sinnesreiz unzugänglich waren, aber diese sollen welke,
-lebensmüde Greise gewesen sein, die vielleicht gar von der Verführung
-verächtlich übersehen worden waren. Nicht so der schöne Priester. Ein
-junges, pulsirendes Leben. Und er blieb kalt und unempfindlich bei all' den
-Glutgeschossen aus dem Feuerauge der sinnberückenden Zerline. Bedurfte es
-da erst eines ärztlichen Attestes, um seine Verrücktheit zu bescheinigen?
-Ja, er war unheilbar wahnsinnig. Voll Aerger und mit dieser Ueberzeugung
-verließ sie endlich den Saal, um mit dem Grafen den Rundgang in der Anstalt
-fortzusetzen.
-
-Als sich die Thüre hinter ihnen geschlossen, meinte der Graf lächelnd,
-es sei sonderbar, daß die Himmelsinspectoren noch immer den Zins für ein
-Plätzchen im Himmel bis zur Unmenschlichkeit steigerten. Hierauf begann er
-wieder eine gelehrte Abhandlung über göttliche und irdische Liebe. Letztere
-nannte er eine =insania mentis=, und Diejenigen unwissende Thoren, die,
-ohne nach dem Befund mit dem Secirmesser im Muskelsack, =vulgo= Herz, zu
-forschen, über diesen Krankheitsproceß polemisirten. Der leitende Faden
-im Labyrinthe der Diagnostik sei, behaupte er, nicht im Verfolgen des
-Krankheitsprocesses zu suchen, und auch auf das Wesen des Processes werde
-durch das Nacheinander von Erscheinungen in acuter regressiver, acuter
-progressiver, subacut progressiver, chronisch progressiver, aufsteigender,
-absteigender Verlaufsweise kein Licht geworfen. Dies behaupte er mit
-bewußter Sicherheit und er hoffe, daß auch Zerline sich seiner Behauptung
-trotz der widersinnigen Ansichten der modernen Psychiatrie anschließe. Bei
-den letzten Worten nahm sein Antlitz einen seltsam verzerrten Ausdruck an
-und seine Augen begannen zu glühen. Zerline, deren Gedanken noch immer beim
-schönen Priester weilten, bemerkte die Veränderung im Gesichtsausdrucke des
-Grafen nicht. Sie nickte zum gelehrten Gallimathias, von dem sie kein Wort
-verstand, beifällig mit dem Kopfe, und dieser stumme Beifall verscheuchte
-alle Wolken von der Stirn ihres Führers. Bald waren sie bei einem zweiten
-Corridor angelangt. Auf das Pochen des Grafen wurde eine Thüre wie zuvor
-von innen durch einen Wärter geöffnet und sofort hinter ihnen wieder
-geschlossen.
-
-Im Gange spazierten einige Männer mit über dem Rücken oder über der Brust
-gekreuzten Armen schweigend auf und nieder.
-
-Der Graf bezeichnete sie als Apostel des Scheinwissens, der Vernünftelei,
-die das rationelle Wissen, das gründliche Forschen durch die
-rostzerfressene Waffe der Metaphysik zu bekämpfen suchen, als
-Vernunftgaukler, die auf dem schwanken Seil einer speculativen Philosophie
-ihre Künste zeigen und sich der Trugschlüsse als Balancirstange bedienen.
-»Narren, die über Liebe polemisiren,« bezeichnete er wieder zwei Männer,
-die mit sichtlicher Erregung zu einem Wärter sprachen.
-
-»Johann, gesteht es nur, vermag alle Zweifelsucht die Wunder der Liebe zu
-läugnen?« rief der Eine, die Hand des Wärters ergreifend. »Gibt es für eine
-schöne Seele ein süßeres Glück als dieses veredelnde Gefühl, das großmüthig
-alle Freuden spendet, ohne solche zu verlangen, denn reine Liebe kann
-nur geben und nicht begehren. Reine Liebe mildert die Ueberlegenheit
-des Starken, sie hilft der Schwäche aus ihrer Ohnmacht auf, sie ist die
-heiligste Empfindung, sie strömt aus der reinsten Quelle und ist göttlicher
-Natur.«
-
-»Johann, laßt Euch nicht betören,« schrie der Zweite und bemächtigte sich
-der anderen Hand des Wärters. »Die Liebe ist nur ein Sinn, der darnach
-strebt, sich mit dem Sinnlichen zu vereinbaren, eine Ueberreizung
-des inneren Sinnes, der seine krankhafte Anschauung dem äußeren Sinne
-unterschiebt. Darum der Wahn, den Gegenstand der Anbetung in einem Nimbus
-von Vollkommenheiten zu sehen, die dieser nicht besitzt. Das Grab aller
-dieser exaltirten Empfindungen ist der Besitz. Mit dem Besitz tritt die
-Vernunft wieder in ihr Recht und rächt sich, durch die ihr widerfahrene
-Vernachlässigung gekränkt, durch eine desto unumschränktere Herrschaft. Was
-geschieht also jetzt? Da sich die Trunkenheit des Geistes an dem Taumel der
-Sinneslust verflüchtigt hat, erhebt sich nun der so lange daniedergehaltene
-Geist und betrachtet nüchtern den Gegenstand, dem er eine gottgleiche
-Anbetung gezollt hat. Was findet er da? Ein mit allen Schwächen und
-Gebrechen behaftetes Wesen. Welche Wandlung tritt nun bei ihm ein? Aus dem
-Auge seines Idols, früher für ihn der Spiegel tiefster Empfindungen, gähnt
-ihn jetzt ein Meer von Inhaltslosigkeit an, das süße, ihm einst unsägliche
-Wonne spendende Lächeln wird ihm zur widrigen Grimasse und die schmelzend
-modulirende Stimme, die zuvor alle Fibern seines Herzens erzittern machte,
-wird ihm zum tremolirenden, unharmonischen Klang. Jetzt hat sich die Liebe
-in Gleichgiltigkeit oder in Widerwillen oder gar in Haß verwandelt.
-Nun beginnt die Unterwürfigkeit nach Unterjochung zu streben, und der
-demüthige, willenlose Sclave wird ein harter, grausamer Gebieter. Dies
-ist die einzig logische Erklärung vom Ursprung und vom Ende der Liebe,
-die ideale Gefühlsdusler mit einer überirdischen Strahlenglorie umgeben.
-Johann, meine Auseinandersetzung ist doch klar und faßlich. Laßt Euch
-durch den Redeschwulst eines Geisteskranken vom Wege der Vernunft nicht
-weglocken.« Die letzten Worte wurden mit einer nicht zu mißverstehenden
-Geberde auf seinen Widersacher begleitet.
-
-»Freilich sehe ich ein, daß Sie vernünftig beweisen, fünf sei eine gerade
-Zahl,« bestätigte der Kampfrichter.
-
-Bei dieser Versicherung umspielte ein Lächeln stolzer Befriedigung den Mund
-des Preisgekrönten, während sich auf der Stirne seines Gegners dräuende
-Wolken des Zornes häuften.
-
-»Du wagst es, die platonische Liebe mit dem thierischen Triebe, die reine
-Himmelstochter mit der irdischen Venus zu identificiren?« schrie der
-Platoniker wild gesticulirend. »Es ist keine Kunst, über Gefühle Meister zu
-werden, die deine schmutzige Seele nicht einmal flüchtig bestreichen. Dem
-groben Stoff ist das erhabene Gefühl, welches den Geist zwingt, vor dem
-Gegenstand seiner Anbetung niederzufallen, ein Geheimniß, das er nie
-ergründen kann. Johann, gebt dem schmutzigen Cyniker keine Macht über Euch,
-glaubt seinen Worten nicht, sie sind giftiger Mehlthau für die edelsten,
-erhabensten Blüthen, die eurer Seele entsprießen.« Hier zitterte seine
-Stimme und sein Auge ruhte flehend auf dem Wärter.
-
-»Ja, ja, Ihre Behauptung ist die richtige. Ein runder Tisch hat vier
-Ecken,« bestätigte der gutmüthige Wärter.
-
-Jetzt tänzelte eine lange, dürre Gestalt, mit allen Merkmalen eines Löwen
-der Mode ausstaffirt, auf die Streitenden zu.
-
-»Der Platoniker und der Cyniker bauen schon wieder ihre Luftgebäude
-von Sophismen,« rief er verächtlich. »Ich bin Raoul von Biber, der alle
-Frauenherzen mit eben solchem Gleichmuth wie die Austern verspeist.
-Wer wagt es über Liebe zu sprechen, ohne zuvor mein Gutachten
-hierüber einzuholen? Ich will eure Lügengebäude Kartenhäusern gleich
-zusammenschmeißen.« Und nun begann der Weiberherzenfresser wunderbare Mären
-von seinen Eroberungen zu erzählen. In seinem Siegesregister wimmelte
-es von Fürstinnen und Herzoginnen, die sich um ihn die Augen ausgeweint.
-Primadonnen und dramatische Größen hatten nur für ihn gesungen und
-gespielt und zahllose Unglückliche hatten sich aus Verzweiflung über seine
-Kaltherzigkeit die Pulsadern aufgeschnitten oder das kalte Wassergrab
-aufgesucht. Raoul behandelte, seiner Versicherung nach, die Unglücklichen,
-die nach der glänzenden Schmach, seine Sclavinnen zu sein, lechzten, mit
-kalter Grausamkeit. Er warf einfach der Bevorzugten das Schnupftuch zu und
-nahm es wieder zurück, wenn er eine Andere vor Selbstmord bewahren wollte.
-
-»Der alberne Nickvogel hat sich einen phantastischen Harem mit glutäugigen
-und antilopenäugigen Odalisken geschaffen,« flüsterte Graf Roller Zerlinen
-zu, und als sie ihren Rundgang fortsetzen, erzählte er, wie eines Tages
-die Schattengestalten, mit denen Raoul seinen selbstgeschaffenen Harem
-bevölkerte, sich plötzlich für ihn zu verkörpern begannen. In jedem Weibe
-erblickte er nur eine erlauchte Persönlichkeit und zuletzt warf er sich
-einer überreifen Tochter Libussas zu Füßen, deren vornehmste Eigenschaften
-in der geschickten Handhabung von Scheuerbesen und Aufwaschlappen
-gipfelten, und bat sie flehentlich, ihn als Prinz-Gemal zu acceptiren.
-
-Zerline hörte dem Grafen gelangweilt und mit Mühe das Gähnen unterdrückend
-zu. Der Weiberherzenfresser war für sie nicht neu und nicht interessant.
-Wie viele solche eingebildeter Frauenbezwinger zählen zu ihren Bekannten!
-Ein gutes Stück von Raouls Narrheit steckte ja sogar in ihren mächtigen
-Gönnern. Wie ganz verschieden war dies, was sie hier sah und vernahm, von
-dem, was sie erwartet hatte. Was konnte sie eigentlich aus diesem Wahnsinn
-für ihre Rolle Ersprießliches schöpfen? Sie suchte ja nur den Wahnsinn,
-der der Verzweiflung entspringt und Schrecken verbreitet. Was hatte sie bis
-jetzt im Irrenhause gefunden? Narren, die sich vernünftiger geberdeten als
-alle Anbeter, die zu ihren Füßen lagen. In diesen nicht sehr erquicklichen
-Gedanken unterbrach sie der Graf. Er machte sie auf einige Individuen
-aufmerksam, deren Antlitz einen stark ausgeprägten Zug speculativer
-Schlauheit aufzuweisen hatte. Er bezeichnete sie als Opfer der
-Börsenkatastrophe. Einen ältlichen Mann, dessen Brust eine Unzahl Orden aus
-Goldpapier schmückte, bezeichnete er als einen gewesenen Börsenmatador, der
-unermüdlich immer neue Pläne schmiede, um seine verlorenen Schätze wieder
-zu erobern. Pläne, die natürlich an Widersinn und Verrücktheit kaum ihres
-Gleichen fänden, die aber ein glänzender Beleg für seine Raffinirtheit in
-Gewinnerspähung waren. Er wendete sich nun an den Irren und frug ihn, ob er
-schon einen neuen Plan ersonnen habe, um Papier zu säen und Gold zu ernten.
-Die Antwort war bejahend. Der Geisteskranke versicherte, er habe den
-Schlüssel zur Pforte, die in das Goldland der Glücksgöttin führe, nach
-angestrengtem Suchen endlich doch gefunden. Dieser kostbare Fund habe ihm
-wieder einen Orden von einem überseeischen Serenissimus eingetragen. Dabei
-nestelte er feierlich einen papierenen Orden von seinem Wams los, drückte
-diesen ehrfurchtsvoll an seine Lippen und sein Rücken nahm nun eine
-solch' unterthänige Krümmung an, daß man schier vermeinte, er wolle
-dem überseeischen Serenissimus seine überschwängliche Kriecherei
-veranschaulichen.
-
-Der Graf bezeichnete ihn mit verächtlicher Geberde als den obligaten
-Speichellecker der Mächtigen. Dieser Schlag Menschen, behauptete er, sei
-nach Darwin ein schlagender Beweis der Accommodationsfähigkeit lebender
-Organismen. Dann wendete er sich wieder an den Irren mit der Aufforderung,
-ihnen seinen genialen Plan, um die rollende Kugel der launischen
-Glücksgöttin festzuhalten, mitzutheilen. Der Patient war gleich bereit
-diesen Wunsch zu erfüllen und begann in der weitschweifigsten Weise seinen
-Finanzplan zu entrollen.
-
-Er habe den genialen Gedanken, durch eine Drahtseilbahn in den Mond zu
-gelangen, um hier die Goldbergwerke und die Diamantenfelder auszubeuten,
-theilte er dem Grafen mit. Um nun dieses großartige Project durchzuführen,
-müsse er zuvor einige glänzende Namen an die Spitze seines Unternehmens
-stellen, und durch einige gefällige Zeitungsschreiber sein Programm als
-überaus günstig anpreisen lassen. Schon beim Beginn wolle er trachten, aus
-der Rechnung der Einrichtungsspesen den möglichst hohen Nutzen zu
-ziehen, und bei jeder Wahl werde er durch bezahlte Strohmänner sich die
-Stimmenmehrheit zu sichern wissen. Für Geld und gute Worte werde er auch
-eine freundliche Bank finden, welche bei seinen Papierembryos Pathenstelle
-vertreten und diese noch vor der Geburt im Thronsaale Fortunas einführen
-und cursfähig machen würde. Wenn diese also lancirt wären, könnte er sie
-mit einem fabelhaft hohen Agio in die Welt schicken. Natürlich würde er
-dann den Gewinn einstecken und für sich die Präsidentenstelle reserviren,
-seine Freunde jedoch zu Verwaltungsräthen machen, um das Institut, das er
-geschaffen, nach Belieben zu Grunde richten zu können. Dabei kicherte der
-Irre und rieb sich vergnügt die Hände und machte seltsame Bockssprünge, um
-seine Freude zu bezeigen, und fuhr immer fort seinen Plan zu entwickeln.
-Wenn er die Cassen mit Hilfe seiner Freunde geleert habe, sprach er weiter,
-wolle er den Köder einer Superdividende auswerfen und dann durch einen
-Cartelvertrag mit einem unter anderem Namen ebenfalls von ihm gegründeten
-Institute die dummen Actionäre wieder vertrauensselig machen. Unter der
-Vorspiegelung, das junge Unternehmen werde an dem maßlosen Gewinnste der
-Mutteranstalt participiren, könnte man sich auch leicht das Bezugsrecht
-des jungen bezahlen lassen. Sodann beginne er die Effecten seiner Schöpfung
-durch Scheinverkäufe zu contreminiren und schraube sie nach erfolgter
-Baisse durch lebhafte Nachfrage in die Höhe.
-
-Es ist selbstverständlich, daß Zerline kein Sterbenswörtlein von diesen
-genialen Finanzoperationen begriff, ebenso wenig verstand sie die
-Behauptung des Grafen, daß dieses erhaltene Maß von Intelligenz bei
-Verrückten erstaunlich sei. Dies, meinte er dann, sollte nur unter der
-Annahme verständlich sein, daß wahrscheinlich ein geregelter Ablauf im
-logischen Apparate des Vorderhirns eine minder intensive Arbeitskraft
-erfordere, als die Ausübung der Hemmungsacte. Dies wäre die Erklärung eines
-mächtigen Fürsten auf dem Gebiete der modernen Psychiatrie.
-
-Plötzlich wurde der Graf von einem Manne am Arm gefaßt und freundlich
-begrüßt. Als Professor und als ein leuchtender Stern am Firmamente des
-Wissens stellte der Graf diesen Zerlinen vor und frug sodann den Patienten,
-ob es ihm schon gelungen sei das Problem zu lösen.
-
-»Mein Werk ist vollendet, das Problem ist gelöst und vor dem unerbittlichen
-Feinde der Zoobionten ist fortan eine unübersteigliche Schranke errichtet,«
-versicherte der Professor mit wichtiger Miene. »Die Zerstörungswuth der
-grausamen Natur wird endlich lahmgelegt werden und ihre widersinnigen
-Anstrengungen, ihre herrlichsten Werke zu vernichten, werden sich an meiner
-Combination machtlos brechen. Der Mensch wird nicht mehr der Sclave seines
-Blutes sein, er wird mit starker Hand das Steuer seines Lebensschiffes
-regieren, er wird ebenso der Windstille wie der sturmgepeitschten rothen
-Wogen spotten. Der Puls darf nicht mehr der Zeiger der Lebensuhr sein, der
-Schädel nicht die Gedankenhilfe, die Nase nicht der Lungenschornstein, das
-Herz nicht das Blutreservoir und der Magen nicht der Heizungsapparat. Auch
-alle vegetativen und animalen Apparate werden durch meine Combinationen
-ihrer Functionen enthoben. Hier in dieser wundersam combinirten und aus
-reinem Protoplasma construirten Form, hier ruht das Geheimniß des Aufhörens
-der Endlichkeit der Bionten,« und bei diesen Worten zog er eine kleine
-Thonfigur hervor und zeigte sie dem Grafen und Zerlinen.
-
-»Weshalb nennen Sie die Natur grausam?« rief jetzt ein Irrer, der dem
-Vortrage des Professors aufmerksam zugehört hatte. »Warum der Natur
-Vorwürfe machen? Wenn sie ihre mit Sorgfalt herangebildeten Werke zerstört,
-so muß sie dies thun, denn dies geschieht ja nach einem ewigen Gesetze und
-sie thut es nur mit zerrissenem Herzen.«
-
-Der Professor maß den Vertheidiger der zerstörungssüchtigen Natur mit
-zornigen Blicken und erwiederte in sichtlicher Aufregung, die Natur sei
-grausam und lieblos, die Natur setze das Wesen in die Welt, ohne sich um
-sein Fortkommen zu kümmern, sie sei eine Rabenmutter, liebe ihre Kinder
-nicht mit gleicher Liebe, denn sie lasse diejenigen Wesen, die ihrer
-Auswahl nicht zusagten, erbarmungslos verkommen und verkümmern. Er allein
-liebe die Menschheit wahrhaft und deshalb werde er diese vor Tod und
-Verwesung bewahren.
-
-»Du willst also der Menschheit die Unsterblichkeit sichern und dadurch mein
-Reich entvölkern,« schrie der zweite Irre mit zornblitzenden Augen. »Meinst
-du, daß ich, der Tod, dies gutwillig dulden werde?«
-
-»Nein, nein, das darf er nicht thun, das wird der Herr Director nicht
-erlauben,« beschwichtigte ein Wärter den Aufgeregten.
-
-»Dies werde ich zum Heil der Menschheit thun, trotz des Widerstandes ihres
-erbitterten Feindes,« versicherte der Professor würdevoll und kehrte seinem
-Gegner den Rücken.
-
-Der Graf führte nun Zerline weiter und bemerkte lächelnd, der Mensch sei
-doch ein eigenthümliches Wesen mit seiner barocken Einbildung, daß er
-der bevorzugte aller Bionten und als vollendetes Meisterwerk aus der
-Künstlerhand der Natur hervorgegangen sei. Der kleinste Wurm wäre ja in
-seiner Art ein ähnliches Wunderwerk wie die menschliche Maschine. Ohne
-den complicirten Bau desselben verrichte sein Organismus alle Functionen,
-welche zu seiner Erhaltung und Fortpflanzung bedingt sind. Der einzig
-unbestreitbare Vorzug des Menschen wäre der göttliche Funke, die
-Geisteskraft. Wie oft aber entsage der Mensch diesem Erstgeburtsrechte um
-ein Geringeres noch als ein Linsengericht.
-
-Zerlinens Geduld war nun erschöpft. Sie hatte sich die Füßchen wundgelaufen
-und hatte doch nichts Interessant-Verrücktes gesehen. Die schwulstigen,
-unverständlichen Reden überschnappter Gelehrten, der Schwindelplan eines
-beutesüchtigen Geldmannes und die Vernachlässigung eines gefühllosen
-Asketen waren doch weder belehrend noch amüsant. Und doch soll eine ihrer
-Rivalinnen in der Residenz den Genius der tragischen Kunst im Irrenhause
-gesucht und auch gefunden haben. Auch sie wollte daselbst etwas apart
-Verrücktes sehen und gab zuletzt diesem Wunsche ohne Hehl Ausdruck. Der
-Graf schien darüber nicht wenig befremdet und schüttelte den Kopf. Er
-meinte, die Patienten wären doch für den Arzt sehr interessant. Sie
-wähnten sich Millionäre, Könige, Götter, Propheten, die unglücklicher Weise
-gezwungen wären, ihrer höheren Macht zu entsagen und die nach vielen Plagen
-des Verfolgungswahnes es erst erreicht, sich auf dieses Piedestal der
-Narrheit zu stellen. Er begann nun die physiologische Ursache
-eines Phänomens, welches die Laien so sehr in Erstaunen setzte, vom
-wissenschaftlichen Standpunkte aus zu beleuchten, er hielt wieder einen
-Vortrag aus der psychiatrischen Pathologie über Hysterie, Epilepsie,
-Hypochondrie und all' den daraus hervorgegangenen Formen des Irrsinns in so
-breitspuriger und confuser Weise, daß Zerlinen darob schier Hören und Sehen
-verging. Wie eine Erlösung erschien es ihr, als ein Wärter ihnen Einlaß in
-einen neuen Saal gewährte. Hier gewahrte sie Schattengestalten, die lautlos
-dasaßen und düster vor sich hinstarrten. Der Graf befragte einen dieser
-Bedauernswerthen, einen noch jungen Mann, um sein Befinden. Der Irre
-beklagte sich nun mit thränenden Augen über seinen verzweifelten Zustand.
-Im Hirn habe sich bei ihm ein Tumor ausgebildet, die obere Spitze des
-rechten Lungenlappens sei mit Tuberkeln bedeckt, dazu komme noch, daß
-die linke Herzklappe nicht mehr schließe und die Verdauungsorgane zu
-functioniren aufgehört hätten. Jeder dieser Krankheitsprocesse bedinge
-doch einen letalen Ausgang und deshalb sei auch schon bei ihm der Collapsus
-eingetreten. Als der Graf ihn zu beruhigen versuchte, riß er sein Wams auf,
-entblößte seine Brust und rief schluchzend, daß durch das Glasfenster
-an seiner Brust der Einblick in die Verwüstungen, welche die
-Krankheitsprocesse angerichtet, ermöglicht sei. Der Graf erzählte nun
-Zerlinen, daß der Unglückliche ein Arzt sei, der kurze Zeit nach seiner
-Promotion in diesen traurigen Zustand verfallen wäre. Er fügte zum Schlusse
-bei, dies wären die Accidentien des Arztes, das Bewußtsein der steten
-Gefahren, die der menschlichen Maschine drohen, und die Erkenntniß, daß
-von der vehementen Bewegung oder von der Stagnation einiger Bluttropfen der
-Mechanismus des Seins oder Nichtseins abhänge.
-
-»Trostlose Zeiten, trostlose Zustände!« schrie jetzt ein Irrer, auf den
-Grafen zuschreitend. Und als der Graf ihn frug, was ihm eigentlich so
-trostlos vorkomme, begann der Irre sein Klagelied. Alles jage jetzt dem
-leichten, mühelosen Gelderwerbe nach, der Tempel der Kunst und des Wissens
-werde immer öder und verlassener und wenn Kunst und Wissen sich jetzt nicht
-in das bunte Kleid eines Marktschreiers hüllten, müßten sie im Kampfe um's
-Dasein erliegen. Man fasle von Gerechtigkeit, Anerkennung und Humanität.
-Dies wären nur schönklingende Phrasen. Wo sei da die Gerechtigkeit, wenn
-die Protection mächtiger Gönner die Koryphäen des Wissens schaffe, wo die
-Anerkennung, wenn das Verdienst sich zum Fußschemel von Emporkömmlingen
-erniedrigen müsse, wo die Humanität, wenn die Gaben nur ostentativ
-gespendet würden, um ein Bändchen im Knopfloch zu erhaschen. Werde er nicht
-selbst um seines Wissens willen tückisch verfolgt? Suchten ihn nicht die
-Schergen der Tyrannei in Geistesfesseln zu schmieden?
-
-Der Graf bezeichnete den Zustand des Patienten als Verfolgungswahn
-und machte dann Zerline auf einen Greis aufmerksam, der jammernd und
-händeringend sein geraubtes Geld zurückverlangte. Der Irre war ein reicher
-Mann gewesen, der sein Vermögen durch den gräßlichsten Geiz gesammelt
-hatte. Der Mammon war sein süßester Genuß, sein Alles gewesen. Er verbarg
-ihn sorglich vor jedem Menschenauge. So gut verbarg er sein geliebtes Gold,
-daß er nach einer Krankheit, die ihm das Gedächtniß raubte, das Versteck
-nicht mehr zu finden wußte. Die Verzweiflung raubte ihm den Verstand.
-
-Zerline begann nun aus der Apathie zu erwachen. Die Verrücktheit, die sie
-jetzt wahrnahm, war interessant und ihrem Begriffsvermögen zugänglich. Die
-fleischlosen Jammergestalten näherten sich den Vorstellungen, die sie sich
-vom Wahnsinne gemacht hatte. Da hörte sie jammern, schluchzen, sie sah
-Thränen, die ein eingebildeter Schmerz erpreßte. Dies war der Wahnsinn,
-den sie künstlerisch darstellen wollte. Es wurde immer interessanter. Jetzt
-verlangte gar ein Irrer mit flehender Geberde ihre Geldbörse, und als sie
-sein Verlangen erfüllte, da betrachtete er prüfend jedes Geldstück
-von allen Seiten und murmelte dann traurig: »Patriciermünzen, nur
-Patriciermünzen.« Zuletzt gab er ihr die Börse wieder und entfernte sich
-mit gesenktem Haupte. Der Graf erzählte ihr nun, daß der Patient ein
-leidenschaftlicher Numismatograph gewesen sei. Eines Tages wäre er von
-der Wahnidee befallen worden, er müsse in den Besitz jener Münze gelangen,
-welche -- nach einer Mythe -- Zeus jedem Sterblichen bei seiner Geburt vom
-Olymp hinabwerfe. Diese gespendete Münze soll nun nach der Wahnidee des
-Irren, wenn sie auf das Wappen gefallen sei, einem Plebejer, wenn sie auf
-den Kopf gefallen sei, einem Patricier gespendet sein. Der Arme suchte nun
-als Plebejer seine vom Sturz aus dem Olymp an dem Wappen beschädigte Münze,
-fand aber nach seiner Versicherung nur Patriciermünzen.
-
-Der Graf führte sie nun in ein anderes Gemach, in welchem Zerline einige
-Männer in steifer Haltung, mit Brillen auf der Nase, in eifrigem Disput um
-einen Tisch herum sitzen sah. Zerline fragte ihren Führer, ob da wohl ein
-ärztliches Concilium abgehalten werde. Der Graf bejahte dieses lächelnd und
-belehrte sie dann, diese Geisteskranken wähnten sich Sanitätsräthe eines
-kranken Staatskörpers und mühten sich ab, dem Patienten, der an einem
-Neugebilde laboriren sollte, Hilfe zu bringen. Komisch genug wären die
-Heilmethoden, die da versucht werden sollten. Durch die widersinnigsten
-Versuche, durch eine Palliativcur wollten sie das Krebsgeschwür
-exstirpiren. Auf alle erdenkliche Weise zermarterten sich diese gelehrten
-Köpfe das Hirn und keiner fand den Muth, die Schneckenlinie der alten
-Therapie zu verlassen. Solch' verzopfte Sanitätsräthe, meinte der Graf,
-curiren mit ihren lächerlichen und gefährlichen Experimenten nicht selten
-ihren Patienten zu Tode, wenn dessen robuste Natur ihm nicht von selbst
-durchhelfe. Als sie einen zweiten Saal betraten, gewahrte Zerline
-Geisteskranke, die singend oder weinend auf Lehnstühlen saßen, während
-andere in toller Lustigkeit herumsprangen. Das Bild des Wahnsinns wurde
-immer ergreifender, düsterer und schauerlicher. Für Zerline ward es immer
-interessanter, spannender und, wie sie sich einbildete, für die Kunst
-nutzbringend.
-
-Jetzt bezeichnete ihr der Graf einen Greis, dessen Wehgeschrei den Raum
-durchzitterte. Zerline erfuhr nun, daß der Arme drei blühende Söhne im
-Kriege verloren und aus Schmerz hierüber irrsinnig geworden sei. Nun
-folgten vom Grafen bittere Betrachtungen über die Kriegsfurie. Wie die
-Gewalthaber es gar nicht berechnen wollten, welches Elend sie durch die
-Kriege über die Völker herabbeschwören, wie zu Gunsten Einzelner der
-Wohlstand und das Familienglück Tausender vernichtet würde und wie in
-unserer Zeit, welcher man Fortschritt und Humanität nachrühme, die Kriege
-an Barbarei und Zerstörungswuth die Gräuel der alten Zeit übertreffen. Dies
-Alles fand an Zerline keine sehr aufmerksame und theilnehmende Zuhörerin.
-Sie konnte es keinem Machthaber verargen, wenn er die Zahl seiner
-Untergebenen zu vergrößen suchte. Eroberungsgelüste waren bei ihr, der
-allmächtigen Männerbezwingerin, keineswegs verdammlich, wohl aber der
-Widerstand der zu Unterjochenden. Alle Mittel waren dann erlaubt, um
-den Sieg zu erringen. Nun führte sie der Graf zu den Isolirzellen der
-Tobsüchtigen. Ein Wärter schloß die Thüre einer Zelle auf und der Graf
-lud Zerlinen zum Eintritt in dieselbe ein. Die Tragödin wurde bleich und
-prallte erschreckt zurück. Aus der Zelle ertönte ein wildes Geheul, und
-bald antworteten Stimmen, die keinen menschlichen Klang mehr hatten, im
-schauerlichen Chor aus den benachbarten Zellen.
-
-Der Graf blickte die Erschreckte befremdet an und meinte dann, ihr fehle
-der dem Arzte nöthige Stoicismus. Nun möchte er sie am Cadaver mit dem
-Secirmesser manipuliren sehen. Er lud sie ein, ihm in die Leichenhalle zu
-folgen und sich daselbst ein beliebiges Object zu wählen. Kalter Schweiß
-bedeckte die Stirne Zerlinens. Diese Zumuthung machte ihr das Blut
-erstarren. Sie sollte eine Leiche anatomisch zerlegen und in deren Innerem
-herumwühlen. Lebende verstand sie wohl meisterhaft in Atome zu zerlegen,
-im Herzen ihrer Rivalinnen wußte sie geschickt mit dem Scalpell der Bosheit
-herumzuwühlen. Aber Leichen zerstücken, welch' ungeheuerliches Verlangen!
-Schon wollte sie ihrem empörten Gefühl Worte leihen, als sie sich noch
-rechtzeitig ihrer entlehnten Würde als Fräulein Doctor erinnerte. Jetzt
-wollte sie sich der Leitung ihres Führers unter dem ersten besten Vorwande
-entziehen, als sie plötzlich ihr Vorhaben aufgab. Der Graf erzählte ihr
-nämlich, daß er ihr in der Residenz bei ihren wissenschaftlichen Studien
-nützlich werden könne. Sein Vater bekleide eine hohe Stellung bei Hofe und
-dessen Haus sei der Sammelplatz aller hervorragenden Vertreter der Kunst
-und des Wissens. Durch diese Mittheilung gewann der Graf eine nicht geringe
-Bedeutung in ihren Augen. Sie mußte doch trachten, die Zahl ihrer Gönner
-in der Residenz zu vergrößern. Dies umsomehr, weil der Director des
-Hoftheaters ein starrnackiger Pedant war, der wohl den körperlichen Reizen
-der Kunstjüngerinnen Gerechtigkeit widerfahren ließ, solche aber als Ersatz
-für künstlerische Leistungen nicht gelten lassen wollte. Den Grafen
-mußte sie also gewinnen, um sich durch seine Fürsprache den Schutz seines
-mächtigen Vaters zu sichern. Der Plan hiefür war von Zerline in einem Nu
-entworfen und ohne Zögern schritt sie zu dessen Ausführung. Sie betrachtete
-nun aufmerksam den Grafen. Er war kein übler Mann. Sie wunderte sich, daß
-sie dies so lange übersehen hatte. Der Drang des Wissens, die Liebe zu
-ihrer Kunst hatten dies schier Unglaubliche bewirkt. Sie überblickte nun
-den Raum, in welchem sie sich befanden. Es war dies ein öder, endlos
-langer Corridor. Vor Störung war man da sicher. Nun begann die kundige
-Männerbezwingerin alle Brandraketen aus ihrem Arsenal gegen ihr argloses
-Opfer loszufeuern. Mörderische Blicke, süßes Lächeln, sanfte Händedrücke,
-berauschende stumme Verheißungen bombardirten das leicht entzündliche Herz
-des armen Grafen. Was Wunder also, daß der Ueberfallene der unvermutheten
-Attaque nicht zu widerstehen vermochte. Als noch zuletzt die geübte
-Strategin einen ihrer harmonischen, reizenden kleinen Schreie wie
-ersterbend hinhauchte und von einem plötzlichen Schwindel befallen einen
-Stützpunkt suchte und diesen Stützpunkt in den Armen des Grafen fand, da
-stimmte sie schon innerlich eine Siegeshymne an. Einige Augenblicke spielte
-sie die Bewußtlose, dann zeigte sie durch einen melodiösen Seufzer die
-Wiedererstarkung ihrer Nerven an. Ein süßer Blick und ein zarter Händedruck
-belohnten den Retter in der Noth. Da riß sich dieser plötzlich von ihr los
-und starrte sie mit unheimlich funkelnden Augen an.
-
-»Nur einmal durfte mich ein Weib betrügen,« murmelte er und fuhr sich zu
-wiederholten Malen mit der Hand über die Stirn. Nach wenigen Augenblicken
-errang er seine Fassung wieder und zeigte ihr in höflichem, kaltem Tone an,
-daß der Rundgang in der Herrenabtheilung zu Ende sei. Die Räume, welche
-die weiblichen Irren bewohnten, durfte er nicht betreten. Aergerlich und
-gedemüthigt hörte Zerline kaum, wie er ihr die Oberwärterin, welche nun das
-Führeramt übernehmen sollte, als eine alte Klatschbase schilderte, die
-sich einbilde ärztliches Wissen zu besitzen und die alle bei Fachmännern
-gebräuchlichen Ausdrücke bis zur Unkenntlichkeit verstümmle. Als nun auf
-sein Pochen die Oberwärterin die Thüre, welche zur Frauenabtheilung führte,
-von innen öffnete, empfahl er ihr eindringlich die Wissbegierde eines
-weiblichen Arztes zu befriedigen, ohne jedoch die verstümmelten Mißgeburten
-ihrer Arzneikunde an's Tageslicht zu fördern. Die Oberwärterin warf ihm
-einen Blick zu, der gekränktes Ehrgefühl, selbstbewußte Würde und auch ein
-klein wenig Geringschätzung ausdrückte und schloß hinter ihm die Thüre.
-
-
-
-
-Margarethe, die Oberwärterin, ein wohlbeleibtes Weib mit gutmüthigem
-Gesichte, stellte sich dem Fräulein Doctor als gehorsame Dienerin zur
-Verfügung. Sie versicherte, vor Freude bis in den Himmel zu wachsen,
-wenn sie eine Frau als gestudirten Doctor leibhaft vor sich sehe. Die
-aufgeblasenen Mannsbilder trügen die Nase gar so hoch. Nun wäre aber
-die gesegnete Zeit gekommen, wo sie einsehen müßten, daß das Weib ebenso
-gescheit wäre wie diese Herren Allesmir. Auch die alte Margarethe wäre ein
-Doctor geworden, sie hätte das Zeug dazu, aber man habe sie leider nicht
-gestudiren lassen.
-
-Zerline schenkte diesen Worten nur geringe Aufmerksamkeit. Ihren Aerger
-über die zweifache Niederlage, die sie in der Anstalt erlitten, die
-Vernachlässigung des Priesters und der Widerstand des Grafen, vermochte
-sie nicht so bald zu unterdrücken. Zuletzt tröstete sie sich aber mit dem
-Gedanken, daß der Graf früher oder später zu ihren Füßen liegen müsse.
-Welch' starre Felsenherzen waren vom Glutblicke ihres Feuerauges zu weichem
-Wachs geworden, und dieses Gräflein sollte ihr widerstehen? Unbezwingbar
-war er nicht, dafür hatte sie Beweise. Wenn er sie nur erst als die
-gefeierte Zerline in ihrem reizenden Boudoir sehen würde, dann --. Diese
-Siegesgewißheit verscheuchte bald die Wolken des Mißmuthes von ihrer
-schönen Stirne. Sie wendete nun ihre Aufmerksamkeit der redseligen
-Oberwärterin zu. Bald begann sie sich in deren Gesellschaft wohl und
-behaglich zu fühlen. Mit Margarethe durfte sie ohne Furcht, aus der Rolle
-des Fräulein Doctor zu fallen und ihre Unwissenheit zu demaskiren, nach
-Herzenslust reden, wie sie es verstand. Sie war nun frei und ungezwungen.
-Der erste Gebrauch, den sie von dieser köstlichen Errungenschaft machte,
-war selbstverständlich um eingehende Erkundigungen über den widerspänstigen
-Grafen einzuholen. Die Auskunft, die ihr ward, brachte sie einer wirklichen
-Ohnmacht nahe. Der Graf sei ein Patient der Anstalt, berichtete Margarethe.
-Durch eine Komödiantin, die er zu seiner Gräfin erhoben, grausam
-hintergangen, sei er aus Gram irrsinnig geworden. In einem Wuthanfalle
-habe er die Ehebrecherin ermordet. Man fand ihn im Herzen der Todten
-herumwühlend, um da zu erforschen, ob die Liebe, die sie ihm geheuchelt,
-wirklich nur Lug und Trug gewesen sei. Für jetzt sei er harmlos, nur
-das schreckliche Gelüste, in Leichen herumzuwühlen, sei bei ihm nicht
-auszurotten. Immer sei er in der Leichenkammer zu finden, allerlei
-gelehrten Krimskrams führe er im Munde und seine wunderlichste Einbildung
-sei, nur er verstehe die Arzneikunde und nur er wäre der Obergott aller
-Doctoren.
-
-Zerline war, wie schon erwähnt, einer wahren und wirklichen Ohnmacht nahe.
-Ihr Riechfläschchen und ein Glas kaltes Wasser, welches Margarethe,
-durch ihre Blässe erschreckt, eiligst herbeischaffte, machten erst ihre
-Lebensgeister wieder erstarken. Entsetzlich, einen Geisteskranken hatte man
-ihr zum Führer in der Behausung des Schreckens gegeben. Jetzt erst ward
-ihr das sonderbare Reden und das seltsame Benehmen des verrückten Grafen
-erklärlich. Ihr Zorn kehrte sich nun gegen den Oberwärter, der sie aus
-purer Bosheit dieser Gefahr preisgegeben hatte. Margarethe gab sich
-alle Mühe, die Aufgeregte zu beruhigen. Sie versicherte, daß in allen
-Irrenanstalten Kranke, welche alle äußeren Zeichen der Verrücktheit
-abgelegt haben, zu Diensten aller Art, ja sogar zur Pflege anderer Kranken
-verwendet würden. Die letzte Versicherung rief einen neuen Schreck bei der
-Geängstigten hervor. Wie leicht war es möglich, daß Margarethe zu diesen
-verrückten Pflegern zählte. Die Angst prägte sich so leserlich auf dem
-Antlitz Zerlinens aus, daß Margarethe sofort den Verdacht errieth. Die gute
-Oberwärterin suchte die Furchtsame durch alle erdenklichen Beweisgründe von
-ihrer Zurechnungsfähigkeit zu überzeugen. Nach vieler Mühe gelang ihr dies
-endlich, und Zerline vertraute sich ihrer Leitung an. Margarethe begab sich
-nun mit ihr in den Conversationssaal der zweiten Classe. Hier saßen
-Frauen verschiedenen Alters, mit Lectüre, Handarbeit und auch mit Musik
-beschäftigt. Nach der Versicherung der Oberwärterin verbrachte die Mehrzahl
-dieser armen Irren ihre Zeit in der Anstalt viel angenehmer und nützlicher,
-als sie es je in ihrem Heim gethan. »Mein Herzchen, wie weit bist du mit
-der Arbeit?« frug Margarethe ein junges Mädchen, welches mit Charpiezupfen
-beschäftigt war, worauf die Irre in klagendem Tone den Namen Egon murmelte.
-Margarethe erzählte nun Zerlinen, wie dies das einzige Wort sei, das ein
-Menschenkind von dem kranken Lamm zu hören bekomme, es sei dies der Name
-des Gewissenlosen, der das arme Kind in's Unglück gestürzt habe. Nun
-bezeichnete sie ein altes Weib als vom Wahne ergriffen, in jeder Speise
-Nadeln zu finden, eine zweite Kranke bilde sich ein, man wolle sie
-vergiften, und nur mit Mühe gelinge es, den armen Närrinnen Nahrung
-einzutrichtern. In ein Nebengemach tretend erklärte die redselige
-Oberwärterin, auf eine Patientin weisend, sie leide an »Halunkationen«,
-dieses junge Herzchen sei ein »Migroköpsalus«, ein Ohnehirn, und der
-wandelnde Flaschenkürbis, der heranrolle, sei eine Komödiantin. Diese
-Lärmtrommel würde sich schon allein präsentiren. Ihr Mundwerk gehe wie
-auf Rädern, die Thränenpumpe sei in ewiger Bewegung, Ach und Weh habe sie
-schockweise und Alles sei Lug und Trug. Sie, Margarethe, habe eine Wuth
-gegen diese Komödiantenweibsbilder, die halbnackt und mit Flitter behängt
-sich von den Mannsbildern begaffen lassen. Ihr Ferdi wolle ihr wohl
-einbilden, diese Komödiantenweiber seien nicht so schrecklich, aber sie
-wisse wohl, wie viel die Glocke geschlagen habe.
-
-Zerline überhörte die schmeichelhaften Worte, welche Margarethe ihren
-Berufsgenossinnen spendete, ihre Aufmerksamkeit war jetzt einer Person
-gewidmet, die, mit verblaßten Theaterflittern aufgeputzt, das aufgedunsene
-Gesicht mit einer dicken Schminkenschichte überstrichen, auf sie zuwackelte
-und in Thränen zerfließend sich zu ihren Füßen warf.
-
-»Sie gehören sicherlich nicht zu den Barbaren, die sich an den Zuckungen
-des menschlichen Herzens ergötzen,« rief die Irre die Hände ringend. »Sie
-werden mich retten, mich, das unglückliche Opfer der schändlichsten Cabale,
-Sie werden meine Wehschreie, die in diesen schrecklichen Mauern ungehört
-verhallen, zu den Ohren der Gerechtigkeit bringen und mich vor Wahnsinn
-oder Selbstmord bewahren. Ja, vor Wahnsinn und Selbstmord, denn ich bin
-auf dem Wege, der dahin führt. Belehren Sie die Gerechtigkeit, daß meine
-herzlosen Kinder mich aus schnöder Geldgier hier gefangen halten.« Dies und
-Aehnliches brachte sie schluchzend hervor, ihren Augen entstürzten bittere
-Thränen, ihr Körper bebte unter der Wucht erdrückender Gefühle und es
-war sichtbar, daß die Gebilde ihres kranken Geistes ihr herben Schmerz
-bereiteten. Die Gebilde ihres kranken Geistes -- denn Margarethe
-versicherte Zerlinen, daß die verlogene Komödiantin kein wahres Wort rede,
-sie habe ebensowenig Kinder geboren, wie die Fahrstraße ein Blumengarten
-sei. Sie nehme sich Komödiantengewinsel nie zu Herzen, denn sie wisse, was
-dies werth sei. Die Oberwärterin führte dann den gestudirten weiblichen
-Doctor durch viele Räume, erzählte die Krankengeschichten der Irren mit
-ermüdender Weitschweifigkeit und ließ keine Gelegenheit unbenützt, um
-fremde Worte durch komische Verrenkungen entstellt anzubringen. In einem
-Corridor angelangt bemerkte sie, hier wären die Wohnzimmer für die Kranken
-der ersten Classe. Die Reichen hätten krank oder gesund, lebend oder todt,
-immer das Beste auf dieser Welt. Der Pater Josefus versichere wohl, dem
-Armen gehöre das Himmelreich; darauf gebe aber der Bäcker kein Brod. Sie
-nahm eine Prise und schlug den Deckel der Tabaksdose heftig zu. In Nr. 85
-wohne eine Gräfin, ein Kobold an Bosheit, berichtete sie dann weiter.
-Eine Zunge habe die wie ein scharfgeschliffenes Messer. Seitdem sie in
-die Anstalt gekommen, sei Alles aus Rand und Band. Sie sei von einer Wuth
-besessen, Vereine zu schaffen und Vorträge zu halten, und habe mit ihrer
-Tollheit viele kranke Lämmer in reißende Wölfe verwandelt. Da würden
-beständig Sitzungen abgehalten, bei denen die Gräfin als Präsidentin das
-große Wort führe, da werde ein gelehrter Krimskrams zusammengedroschen,
-daß Einem der Kopf summe und brumme. Der Präsidentin stehe eine Partei
-feindlich gegenüber, an deren Spitze sich eine Sozinalkroatin befinde, eine
-schreckliche Person, die just Alles von oberst zu unterst kehren wolle, um
-gefrorenes Feuer und brennendes Eis zu haben. Sie, Margarethe, habe gegen
-die Sozinalkroatinnen eine ähnliche Wuth wie gegen die Komödiantinnen.
-Diese Weibsbilder verlangen, es sollte alles Mein und Dein aufhören. Wenn
-es nach dem Sinn dieser Tollen ginge, so hätte jede einen Theil an ihrem
-Ferdi. Auch einige Emanzipandlerinnen wären bei diesen Sitzungen und hätten
-nicht die wenigsten Raupen im Hirn. Nicht daß sie, Margarethe, gegen das
-Emanzipandeln einzuwenden hätte, im Gegentheil, sie wäre stets bereit das
-Recht der Frauen mit Mund und Faust gegen die Mannsbilder zu vertheidigen.
-Aber was zu viel, sei zu viel. Der Himmelvater sei an dem Unrecht, daß die
-Mannsbilder Alles an sich gerissen haben, unschuldig wie ein neugeborenes
-Kindlein und deshalb dürfe ihm kein Haar gekrümmt werden. Wenn das Weib dem
-Herrn Obenaus beweisen wolle, daß es ebenso viel Verstand zum Gestudiren
-habe wie sie, das lasse sie sich gefallen, aber den Herrgott aus dem Himmel
-und den Gottseibeiuns aus der Hölle dürfe das Weib nicht vertreiben. Es
-sei eine Sünde an alle die Gottlosigkeiten des ruchlosen Tarfin zu glauben.
-Haarsträubende Dinge habe eine Emanzipandlerin bei der letzten Sitzung
-von diesem Tollen erzählt. Er verstehe alle lebenden, kranken und todten
-Menschensprachen und auch die Sprache vom lieben Vieh. Durch das liebe
-Vieh habe er nun erfahren, daß unsere Großeltern wahre und wirkliche
-Affen gewesen wären. Margarethe sei fast vom Schlag getroffen worden, so
-niederschmetternd habe diese Schreckenskunde auf sie gewirkt, denn die
-Tolle wisse ihren Unsinn so vernünftig vorzutragen, daß man schier meine,
-es spreche der Herr Director zu den Gestudirten. Sie waren jetzt an
-der Thüre eines Saales, aus welchem ihnen lautes Reden entgegen tönte,
-angelangt.
-
-»Schon wieder eine Sitzung,« knurrte die Oberwärterin und öffnete die
-Thüre. In der Mitte des Saales saß vor einem mit Papieren bedeckten Tische
-eine großgewachsene Frau mit schwarzen, funkelnden Augen und mit einem
-unzarten Anflug um die rothen, fleischigen Lippen. Ihr zur Seite gewahrte
-Zerline eine welke Gestalt mit wasserblauen Augen und flachsblonden
-Schmachtlocken. Laut schwatzend und gesticulirend saßen Frauen in
-verschiedenen Gruppen. Kraus und bunt schwirrten die Stimmen durcheinand
-und machten es unmöglich, die Worte, die Margarethe an die Vorsitzende
-richtete, zu vernehmen. Das Glockenzeichen der Präsidentin machte erst Alle
-verstummen. Die Oberwärterin erbat nun für einen gestudirten weiblichen
-Arzt die Erlaubniß, der Sitzung beiwohnen zu dürfen. Dies Ersuchen
-wurde von der Vorsitzenden erst nach langem Bedenken und mit nicht sehr
-freundlicher Miene gewährt. Margarethe schob nun für Zerline einen
-Sessel nahe dem Ausgange zu und begann ihr die Mitglieder der Sitzung zu
-bezeichnen. Die Gruppe zur Rechten waren die Vereinsnärrinnen, die treuen
-Anhängerinnen der Präsidentin, die Gruppe zur Linken die Sozinalkroatinnen,
-die in der Mitte die Emanzipandlerinnen. Die schattenhafte Gestalt neben
-der Präsidentin bezeichnete Margarethe als Fräulein Rosalinde Zimperling,
-eine alte, versauerte und vertrauerte Jungfer, voll Falschheit, Bosheit,
-Tücke, Neid, Schwatzhaftigkeit, Gefallsucht und Putzsucht. Sie häufe allen
-möglichen Spott und die bitterste Verunglimpfung mit Schrift und Wort auf
-die Emanzipandlerinnen, versicherte die Oberwärterin und zweifelte auch
-nicht, daß Zerline bald erstaunen werde, wie solch ein mageres Gefäß so
-viel Gift enthalten könne.
-
-»Fahren Sie in Ihrem Vortrage fort, Fräulein Nani,« rief jetzt die
-Vorsitzende mit einer Stimme, die alle Fensterscheiben klirren machte.
-
-Ein junges, schönes Mädchen zur mittleren Gruppe gehörend, erhob sich und
-begann mit wohlklingender Stimme:
-
-»Meine freundlichen Zuhörer! Ich will Ihnen nun klar darthun, daß alle
-diese Sophismen nur dazu dienen, um den menschlichen Geist =ad absurdum=
-zu führen. =Cogito, ergo sum!= Welcher Unsinn! Ich esse, trinke und bewege
-mich, ist viel richtiger gesagt, denn dieser Beweis ist jedenfalls viel
-sicherer geliefert durch den Hinweis auf Dinge, die der realen Welt
-entstammen und unseren Sinneswahrnehmungen zugänglich sind, als durch den
-auf das Denken, der Mutter der Phantasie, die selbst ein Trugbild uns nur
-Trugbilder vorgaukelt. Möge der Mensch sich das Ebenbild des Weltgeistes
-nennen, möge er das Denken als ausschließliches Privilegium reclamiren und
-seinen Stolz dareinsetzen alleiniger Besitzer desselben zu sein, es ist
-für die Existenz keine =conditio sine qua non= und bleibt somit nur ein
-unwesentliches Attribut derselben. Wie traurig ist es überhaupt damit
-bestellt! Der Gedanke entsteht nicht in uns, wir können ihn nicht nach
-Willkür hervorzaubern oder bannen, er wird uns von außenher aufoctroyirt,
-beherrscht uns gegen unseren Willen, wir sind nicht sein Herr, sondern
-Sclave desselben, und darum bleibt es noch immer zweifelhaft, ob das Denken
-ein schönes, erhabenes Besitzthum, ob es die Quelle des Glückes und der
-Zufriedenheit, oder nicht vielmehr die alles Unheils und menschlichen
-Elends sei.« Hier machte die Sprecherin eine Pause und labte sich mit
-einem Schluck Wasser. Das Auditorium setzte alsbald die Sprachwerkzeuge
-in Bewegung, um sich für die bis nun auferlegte Enthaltsamkeit möglichst
-schadlos zu halten. Das Glockenzeichen und der Befehl, Fräulein Nani möge
-in ihrem Vortrage fortfahren, durch die gefürchtete Präsidentin gegeben,
-stellte sofort die Ruhe wieder her. Margarethe versicherte Zerlinen, Nani
-spreche gottvoll, aber wie sollte sie ihren Verstand nicht verloren haben,
-wenn solche grausliche heidnische Worte in ihrem armen Schädel spukten.
-
-»Wie manche herbe Stunde, wie manche grausame Marter wäre uns erspart, wenn
-wir uns dieses geistigen Joches entledigen könnten,« fuhr Nani in ihrem
-Vortrage fort. »Vergebens suchen wir unsere Gedanken zurechtzusetzen,
-oder ihnen eine uns beliebige Richtung zu geben. Der Impuls von außen ist
-gegeben, und keinem andern Gedanken Raum gebend, zuckt es wie Blitz auf
-Blitz in unserem Hirn und wieder und immer wieder wird der Gegenstand
-beleuchtet, den wir in Nacht und Dunkel begraben möchten.« Die letzten
-Worte sprach sie mit bebender Stimme, ihr Blick wurde trüb und umflort,
-dann preßte sie die Hände an die Brust und brach in krampfhaftes Schluchzen
-aus.
-
-»Eine schöne Bescherung! Jetzt verfällt sie in ihren Praxismus,« knurrte
-die Oberwärterin und befahl einer ihrer Untergebenen die aufgeregte Kranke
-in ihre Wohnstube zu führen. Dann wendete sie sich an Zerline und belehrte
-sie, daß die arme Nani ihren jammervollen Zustand einem Mosje Ohneherz
-verdanke. Für die Herren Allesmir sei eine gestudirte Frau Zacherls
-Schabenpulver, deshalb habe der Mosje, dem sie ihr Herz zugewendet, der
-Armen eine Mamsel Ohnehirn vorgezogen.
-
-»Die Närrin sollte nie zu einem Vortrage zugelassen werden,« eiferte die
-schmachtlockige Rosalinde. »Das Denken nennt sie ein geistiges Joch, die
-Quelle alles Elends. Gibt es ein schöneres, erhabeneres Recht für die
-Menschheit als das Denken? Der Gedanke ist nur dann verwerflich, wenn
-gewisse Personen ihn zu thörichten und verwerflichen Zwecken mißbrauchen.«
-Ein verächtlicher Blick wurde jetzt der mittleren Gruppe zugeschleudert.
-
-Die Glocke der Präsidentin ertönte bald wieder. Es wurde Fräulein
-Rosalinden das Wort ertheilt.
-
-»Na, da werden wir was Schönes zu hören bekommen,« flüsterte die
-Oberwärterin Zerlinen zu. »Dieses Reibeisen schindet immer die armen
-Emanzipandlerinnen bis auf's Blut.«
-
-Rosalinde begann nun mit schriller, kreischender Stimme eine geharnischte
-Rede gegen die furchtbarste Geißel der Jetztzeit, gegen die streitwüthigen
-Amazonen loszudonnern. Sie versicherte, nichts sei diesen Zerrbildern,
-diesen Unnaturen heilig. Das Edelste, Erhabenste werde von ihnen begeifert,
-verspottet, verlästert und in den Koth gezogen. Alle weiblichen Tugenden
-würden von ihnen lächerlich gemacht, alles Ehrwürdige mit Füßen getreten.
-Sie reden der Schamlosigkeit, der Frechheit, der Gottlosigkeit das Wort und
-wollten das Frauengeschlecht demoralisiren und zur frechsten Verhöhnung
-der göttlichen und menschlichen Gesetze aufstacheln. Da nun das Gesetzbuch
-leider keine Strafe für diese Ruchlosigkeiten habe, da man diese
-Verbrecherinnen nicht, wie sie es verdienen, mit dem Schwerte des Rechtes
-ausrotte, da man ihnen nicht die verleumderischen Zungen ausreiße, die
-räuberischen Hände nicht abhaue und sie nicht wie giftige Schlangen
-zertrete; so erhalte sie, Rosalinde, ihre Behauptung aufrecht, daß man
-dieses schändliche Treiben nicht länger dulden dürfe. Mit Wort und Schrift
-müsse man gegen dies vielköpfige Ungeheuer kämpfen. Deshalb stelle sie den
-Antrag, daß alle ihre Mitschwestern, alle wahren Hüterinnen des Palladiums
-der Weiblichkeit, sich bei der Gründung ihres proponirten Blattes
-betheiligen sollten. Dies Blatt sollte »der Feuerbrand« heißen und dadurch,
-nur dadurch würde die verderbliche Hydra ausgerottet werden. Dies Blatt
-mit den dazugehörigen Illustrationen werde sie ihren Gesinnungsgenossinnen
-sofort zur Einsicht unterbreiten. Der hohe Zweck desselben sei, durch
-sprühenden Witz und niederschmetternde Beweiskraft allen Uebergriffen der
-weiblichen Demagogie zu steuern und sie mit der Knute der Lächerlichkeit in
-die angewiesenen Schranken zurückzujagen.
-
-»Die maustolle Trude. Da werden wir etwas Apartes zu hören bekommen,«
-knurrte die Oberwärterin, den Deckel ihrer Tabaksdose heftig zuklappend.
-Zerline ihrerseits unterdrückte mühsam ihr Gähngelüst.
-
-Inzwischen hatte Rosalinde ein Papier entrollt und begann den »Feuerbrand«
-gegen die weiblichen Unnaturen zu schleudern. Das erste Bild, erklärte sie,
-sei der emancipirte weibliche Arzt am Secirtische. Die ungraziöse Gestalt
-in halbmännlicher Kleidung, das kurzgeschorene Haar, die Cigarre im
-Munde, die Aermel aufgestreift, die blutbefleckte Hand mit dem Secirmesser
-bewaffnet, habe nichts Weibliches mehr an sich. In dem Blicke, den sie
-starr auf das bloßgelegte Herz eines weiblichen Cadavers gerichtet habe,
-male sich weder Scheu noch Gemüthsbewegung, der Blick drücke nur ein tiefes
-Erstaunen über eine entdeckte Abnormität aus, die sie bei allen Cadavern
-von emancipirten Frauen entdecke, die Abnormität sei, Atrophie des Herzens.
-
-Die Oberwärterin machte ihrer Entrüstung durch einen neuen energischen
-Klaps auf den Deckel der Tabaksdose Luft und blickte dann erstaunt
-auf Zerline, die zu ihrer Bonbonnière Zuflucht genommen hatte, um das
-Gähngelüst zu bewältigen. Der gestudirte weibliche Doctor blieb ruhig bei
-den boshaften Ausfällen der mageren Giftblase. Margarethe konnte diese
-Gelassenheit nicht begreifen.
-
-Jetzt erklärte Rosalinde das zweite Bild. Dies veranschaulichte den
-weiblichen Staatsanwalt, der in der jugendlichen Verbrecherin, die vor
-den Schranken des Gerichtes erscheint, die eigene Tochter erkennt. Bis auf
-diese Stufe der moralischen Verkommenheit war das Kind durch den Mangel an
-Aufsicht von Seite der emancipirten Mutter angelangt. Nun kam Rosalinde
-zum dritten Bild, welches die moderne Philosophin skizzirte. Diese saß vor
-einer verschwenderisch besetzten Tafel und hielt einen schäumenden Pocal
-in Händen. Das rothe, aufgedunsene Gesicht, der stiere Blick und die
-verschobenen Kleider zeigten von einer emancipirten Ausschreitung und der
-sinnliche Mund stammelte: »=Ede, bibe, lude, post mortem nulla voluptas.=«
-Das vierte und letzte Bild zeigte die Zukunftstheologin auf der Kanzel. Der
-Text ihrer Predigt war die Darwinsche Theorie und die freie Liebe. »Dies
-ist das trostreiche Zukunftsbild der weiblichen Demagogen, zu solchen
-Ausschreitungen wird sie ihr unnatürliches Gelüste treiben,« schloß
-Rosalinde ihren Vortrag.
-
-Ein verkrüppeltes Wesen mit wirrem, struppigem Haar wackelte jetzt auf
-Rosalinde zu und declamirte aus einem Volksliede:
-
- »Wann d' Papageien Concerte geb'n
- Und d' Affen a Soirée,
- Die Schwalben man füttert mit Ziweb'n,
- Und die Wanzen mit Kaffee
- Und der Bandlwurm a Seiden spinnt,
- Der Esel Eisschuh schleift
- Und die Leut' auf'n Kopf gar stehen,
- Wird dös a g'schehen.«
-
-Rosalinde stieß sie unsanft von sich und wendete sich zu ihren
-Anhängerinnen, deren Gratulationen und Beifall ihr im vollsten Maße zu
-theil wurde. Die Wuth ihrer Widersacherinnen machte sich durch Zischen
-und Schmähungen Luft. Zu diesen gehörte selbstverständlich auch die
-Oberwärterin.
-
-»Erhebt sich denn gar keine Hand, um diesem Krokodil die Zähne
-auszubrechen,« knurrte sie, eine Faust im Sack machend. »Die Giftblase
-spielt jetzt die erste Geige. Wenn ich gestudirter Doctor wäre, sollte
-sie einen Denkzettel kriegen, den sie sicherlich nicht hinter den Spiegel
-stecken würde. Das boshafte Weibsbild scherwenzelt um die Herren Allesmir
-und gönnt den armen Emanzipandlerinnen nicht das bischen Freiheit, weil
-sie mannstoll ist und durch ihre Kriecherei die Männer erobern möchte. Ihre
-Krankheit ist ja die Manonymphie, die Mannsucht.«
-
-Die linke und mittlere Gruppe waren in zorniger Aufregung. Sie schrien
-und kreischten und gesticulirten, während Rosalinde, um die sich ihre
-Anhängerinnen geschaart hatten, höhnisch auf ihre Widersacherinnen
-herabsah.
-
-»Frau Pelten will reden. Na, die wird der Viper kein Kleingeld auf ihre
-Münze zurückgeben,« murmelte Margarethe, sich vergnügt die Hände reibend.
-
-Eine stattliche Frau nahm jetzt das Wort. Sie versicherte, daß die
-Geistesschärfe und Logik, mit denen die drastischen Bilder entworfen wären,
-der Spenderin dieser kostbaren Geistesperlen einen unvergänglichen Ruhm
-sicherten. Solch edle Selbstlosigkeit im Kampfe für Weiblichkeit
-und Frauenwürde könne wahrlich nur das gefühlvolle Herz einer nicht
-emancipirten Frau beseelen. Das Für und Wider der Frauenemancipation wolle
-sie hier nicht erörtern, dies sei eine Frage der Zeit. Die Zukunft werde
-lehren, ob dies wirklich ein göttliches und natürliches Recht wäre, daß das
-Weib allein unverrückbar an einem Standpunkte geschmiedet bleiben
-solle. Nur dies bleibe ihr dunkel, warum die Hüterin des Palladiums der
-Weiblichkeit behaupte, daß die Aufklärung, und das Streben nach Freiheit,
-alle zarten Blüthen der Gefühlswelt entwurzelten. Diese hätten ja erst die
-köstlichsten Blüthen zur Entwicklung gebracht. Die Aufklärung, das Denken
-über Menschenrechte und Menschenwürde könnten der Weiblichkeit nicht
-Abbruch thun und seien nicht gottlos. Die Menschenvernunft sei ja ein
-Ausfluß der Gottesvernunft und daher ihr ähnlich, sie sei das Organ des
-Verständnisses mit Gott, der Impuls zur wahren Erkenntniß und der Wegweiser
-zur reinen Religion. Die Erweiterung des geistigen Horizontes, der
-Fortschritt und die immerwährende Weiterentwicklung der Menschheit, bis sie
-die Vollendungsstufe erreiche, dies sei ja der wahre Gottesgedanke.
-Warum sollte also das urewige Wesen dem Weibe den göttlichen Funken, den
-Verstand, gegeben haben, wenn man von ihm nur stumpfe, sterile Gläubigkeit
-fordert? Sollte das große, gütige Wesen verlangen, daß die Frau nicht
-denke, nicht nach Freiheit, nach Selbstständigkeit strebe, daß sie nur an
-die höhere Befähigung und Einsicht, an die Erhabenheit und Oberhoheit des
-Mannes blindlings glaube? Dies sei das ungerechteste Verlangen, das je
-einem Menschenhirn entsprang, denn göttlich sei sein Ursprung nicht. Der
-mächtige Weltgeist verbiete keinem vernunftbegabten Wesen das Joch der
-Vorurtheile abzuschütteln, die Bande, welche den Geist umwinden und ihn
-stumpf und unfähig machen, zu sprengen. Er gebiete den Aufschwung zum
-Menschenrecht und das Emporstreben zur Freiheit.
-
-Margarethe schüttelte unzufrieden den Kopf. Dies war, wie sie Zerlinen
-zuflüsterte, die Antwort nicht, die sie dem Giftpilz gegeben wissen wollte.
-Wie Taubeneier groß sollten Hagelkörner dicht über das schuldige Haupt
-daniederschmettern, und da kam ein leichter Regenschauer mit Rosenwasser
-parfümirt. Zu Rosalinde müßte ein scharfzüngiges Höckerweib reden und nicht
-Frau Pelten, eine berühmte Bücherschreiberin. Zerline erhob sich nun von
-ihrem Sitze. Die Abhandlungen =pro= und =contra= Emancipation waren ihr
-herzlich gleichgiltig. Ein gescheites Weib, dachte sie, benöthigt keine
-officielle Anerkennung seiner Rechte. Es weiß die eingebildeten Obergötter
-in demüthige Sclaven umzuwandeln. Sie fand selbstverständlich kein
-Interesse an diesem Wahnsinn, der sich so vernünftig geberdete, und bat
-Margarethe sie zu Geisteskranken zu geleiten, die ihre Verrücktheit nicht
-mit dem Gewande der Vernunft bekleideten. Schon wollte die Oberwärterin
-ihren Wunsch erfüllen, als eine ältliche Frau mit markirten Zügen das Wort
-verlangte.
-
-»Die Sozinalkroatin will reden,« rief Margarethe aufjubelnd. »Na, da kommt
-es gesalzen und gepfeffert. Ich habe gegen die Sozinalkroatin eine Wuth,
-wenn sie aber dem Kratzeisen da die Zähne stumpf macht, will ich es ihr
-nicht vergessen.« Sie bat nun Zerlinen noch eine Weile sich zu gedulden, um
-die Genugthuung zu haben, die Schmerzensschreie Rosalinde's zu vernehmen,
-wenn die scharfen Krallen der Sozinalkroatin sich in ihr Gerippe einbohren
-würden. Während die Präsidentin die Ruhe bei dem wildaufgeregten Auditorium
-herzustellen suchte, berichtete Margarethe Zerlinen, daß Frau Pelten, die
-berühmte Bücherschreiberin, bald die Anstalt verlassen würde. Sie sei
-vor Gram tiefsinnig gewesen, weil ihr Gatte, ein gewissenloser, dummer
-Ohnehirn, die gebildete Frau schrecklich mißhandelt und ihr sogar unter
-dem Vorwande, sie habe durch das Bücherschreiben den Verstand verloren,
-die Erziehung ihres Töchterchens entzogen habe. Nun sei sie von ihm los
-und ledig, sie sei von ihm gesetzlich geschieden und könne nach Herzenslust
-berühmte Bücher schreiben. Die Sozinalkroatin bilde sich ein, fuhr sie
-dann fort, sie sei dazu berufen, die Ordnung auf der lieben Gotteswelt
-herzustellen und deshalb wolle sie Alles zu gemeinem Gut machen. Sie habe
-Margarethen erklärt, Alles müsse Allen gehören. Ihr Mund sei ein feuriges
-Schwert, versicherte die Oberwärterin, und die mustergiltigste Feuerwehr
-würde sich vergeblich anstrengen diesen Höllenbrand zu ersticken.
-
-Inzwischen hatte das Wortgefecht wieder begonnen. Die Glocke der
-Präsidentin und ihre eindringliche Stimme hatten sich endlich Gehör
-verschafft.
-
-»Auch ich will ein Bild entwerfen,« rief die Sprecherin, »ein
-wahrheitgetreues Bild von den Hüterinnen des Palladiums der Weiblichkeit
-und auch von ihrer Anführerin, der giftgeschwollenen Natter, die feig in
-die Ferse sticht und die an Bosheit, Heuchelei, Arglist und tückischen
-Ränken alle ihre Anhängerinnen überflügelt.«
-
-»Man muß ihr das Wort entziehen,« schrie Rosalinde zornglühend.
-
-»Warum nicht gar,« rief die Oberwärterin, die Hände in die Seiten stemmend.
-»Was Einem recht, muß dem Anderen billig sein. In unserer Anstalt darf
-jeder frei von der Leber weg reden. Wer nicht hören will, kann gehen.«
-
-Die dünne, lange Gestalt Rosalinde's zitterte vor Wuth. Ihr grimmig
-funkelndes Auge starrte bald die Oberwärterin, bald die Socialdemokratin
-mit unsäglichem Haß an.
-
-Die Rednerin begann nun eine drastische Schilderung dieser Kämpferinnen
-für die das Gemüth verfeinernde, verschönernde, veredelnde Weiblichkeit zu
-entwerfen. Als Mädchen, versicherte sie, blieben diese zarten Naturen Jahre
-hindurch bei der Zahl »zwanzig« stehen und erst wenn sie plötzlich unter
-den Augen gewisse ominöse Linien entdeckten, wenn der Teint gelb wie eine
-langgebrauchte Messerscheide würde, wenn das Haar sich zu lichten beginne
-und indiscrete Silberfäden auftauchten, erst dann entschließen sich die
-zarten Lianen den ersten besten Stock als Stütze zu nehmen und die Stufen
-der »Fünfundzwanzig« zu erklimmen. Als verheiratete Frauen klammern sie
-sich mit verzweifelter Anstrengung an die Zahl »dreißig«, drücken einen
-unüberwindlichen Abscheu gegen das barbarische Mittelalter aus und wollen,
-o seltsamer Widerspruch! doch nicht fortschreiten, ja sie bestreben sich
-sogar Rückschritte zu machen. Sie leben so lange im Wahne, daß sie glauben
-machen, was sie glauben machen wollen, bis die Nemesis in Gestalt mannbarer
-Töchter sie zur grausamen Wirklichkeit zurückführe. Solch sprechende
-Beweise vermögen sie nicht mehr hinwegzudisputiren. Nun höre wohl der Kampf
-gegen den schonungslosen Saturn auf und sie singen endlich ihrer längst
-dahingeschiedenen Jugend das =requiescat in pace=. Dafür aber nehmen
-sie bei der ersten Condolenzvisite des Alters sofort von all' dessen
-Privilegien Besitz und werden augenverdrehende Frömmlerinnen und
-Jüngerinnen der Medisance. Als Lady Tartuffe, die vom Scandal zum Sacrament
-gegriffen, verstehen sie es meisterhaft ihre Antecedentien mit dem
-Deckmantel der Heiligkeit zu drapiren und mit gegen Himmel gerichteten
-Blicken über die Verderbtheit der Menschheit zu jammern. Als Jüngerinnen
-der Medisance wären sie ein furchtbares Tribunal. Wehe den Unglücklichen,
-die der Macht dieser Cannibalinnen anheimfielen. Jugend, Schönheit,
-Talent, Edelsinn, Hochherzigkeit wären da verdammenswerthe Verbrechen,
-die mitleidlos geahndet würden. Um vor der Verfolgungswuth dieser Harpien
-gesichert zu sein, müsse man die höchste oder niederste Stufe auf der
-socialen Leiter einnehmen. Wer nicht gefürchtet oder übersehen werde, der
-fühle, wie diese Ungeheuer mit vereinten Kräften an dem Piedestal seines
-Glückes rüttelten, um dies gewaltsam zu zertrümmern. »Diese Weiber nun
-nennen sich die Kämpferinnen für die Weiblichkeit,« schloß die Sprecherin
-ihre Rede. »Sie verfolgen alle ihre Schwestern, die nicht ihrem Bunde
-angehören, die den Muth haben nach Freiheit, nach Menschenrecht, nach
-Selbstständigkeit zu ringen, sie begeifern Alle, welche die Schwächen der
-zarten Naturen abgestreift, das heißt, welche keine rührenden Sprüche,
-keine schönen Redensarten, keine frommen Tractätchen und keine
-gleißnerischen Thränen mögen; sie verfolgen die Zerrbilder, welche die
-Eitelkeit, die Gefallsucht, den Eigensinn, die Unbeständigkeit, die
-Klatschsucht, all' diese reizenden Attribute der zarten Naturen abgestreift
-haben, um ohne Scheu zu behaupten, daß Freiheit und Menschenrecht nicht das
-Monopol Einzelner, sondern Gemeingut sein müsse.«
-
-Ein anhaltender Beifall ihrer Parteigängerinnen begleitete die Schlußworte
-der Sprecherin. Dann aber folgte ein solch lautes, verwirrtes Gebrause
-von Stimmen, daß man nichts Deutliches mehr vernehmen konnte. Die Wuth der
-rechten Gruppe war in hellen Flammen ausgebrochen. Mit wildem Geschrei, mit
-drohend geballten Fäusten begannen sie alsbald auf ihre Widersacherinnen
-einzudringen. An ihrer Spitze gewahrte Zerline die Präsidentin die Glocke
-schwingend, um sich derselben als Wurfgeschoß zu bedienen. Ihr zur Seite
-befand sich Rosalinde mit funkelnden Augen wie eine wilde Katze, die
-mageren Hände mit den krallenartig zugespitzten Nägeln drohend erhoben.
-Ehe jedoch die zarten Naturen mit den starken Naturen handgemein werden
-konnten, hatten einige handfeste Wärterinnen sie auseinandergebracht und in
-ihren Wohnstuben internirt.
-
-Die Oberwärterin erzählte nun Zerlinen, während sie sich in eine
-andere Abtheilung begaben, der Schluß jeder Sitzung gleiche dem der nun
-stattgefundenen. Die schattenhafte Jungfer Rührmichnichtan könne keine
-Wahrheit verdauen und erwiedere diese durch Prügelargumente. Der Herr
-Doctor nenne diese Kämpfe den Frosch- und Mäusekrieg. Nun begann Margarethe
-wieder die Krankengeschichten ihrer Pfleglinge zu berichten. Auf
-Nr. 89 wohne eine gefährliche Irre, ein altes Mütterchen, das durch die
-Schlechtigkeit eines herzlosen Kindes den Verstand verloren habe. Die
-entartete Tochter habe der braven Mutter einen Schimpf zugefügt, den ein
-ehrliches Mutterherz nicht verwinden könne. Das tolle Lamm bilde sich
-nun ein, böse Geister wollten ihr Kind verleumden und kämpfe gegen diese
-Teufel. In Nr. 90, belehrte die Oberwärterin weiter, wohne eine arme
-Närrin, welche die Treulosigkeit ihres Gatten in die Anstalt gebracht habe.
-Er habe das schöne liebe Weib um einer Komödiantin willen verlassen und
-dadurch dem Wahnsinne überliefert. Jetzt weine sich die arme Närrin um das
-liederliche Tuch die Augen aus. Nach diesen Worten öffnete sie die Thüre
-von Nr. 90.
-
-Auf einem Lehnstuhle saß eine weibliche Gestalt bleich und mit
-eingesunkenen Wangen, um die das reiche dunkle Haar in aufgelösten Strähnen
-herabfiel. Die großen, düster glühenden Augen starrten in die Ferne,
-die Brust hob und senkte sich rasch und die weißen, durchsichtigen Hände
-zuckten krampfhaft, bald sich öffnend bald sich wieder zusammenziehend.
-
-»Sie denkt immer an den Gewissenlosen, der ihr um einer liederlichen
-Komödiantin willen das bitterste Herzleid zufügte,« flüsterte Margarethe
-Zerlinen zu. »Um seinetwillen hat sie sich in's Wasser gestürzt. Als man
-die Arme mit knapper Noth den Wellen entriß, mußte man sie zu uns in die
-Anstalt bringen. Diese freche Komödiantin soll der leibhafte böse Geist
-sein, schöner als alle Weiber und schlechter als alle Mannsbilder. Na, wenn
-die meinen Ferdi mit ihren schamlosen Teufelskünsten verlockt hätte, würde
-ich etwas Anderes thun, als mich in's Wasser stürzen und den Verstand
-verlieren. Meine Nägel würden ihre Larve in eine wahre Teufelsfratze
-verwandeln.«
-
-Die Irre hatte jetzt die Eintretenden bemerkt. Sie erhob sich von ihrem
-Sitze, näherte sich langsam Zerlinen und richtete ihr großes Auge mit
-unsäglicher Schwermuth auf die Besucherin.
-
-»Kommen auch Sie, Aermste, hierher, um eine Zuflucht zu suchen?« frug sie
-mitleidig. »Für ein hartgetroffenes Gemüth liegt die Heilung einzig und
-allein nur in der Abgeschiedenheit von der Welt und im Aufgeben jeglichen
-Kampfes gegen Tücke und Bosheit. Ja, Tücke und Bosheit führen das Scepter
-auf Erden und treten das Recht mit Füßen,« fuhr sie düster fort. »Was man
-uns auch vom Lohn der Tugend und von der Strafe des Lasters erzählen mag,
-dies Alles ist erdichtet. Das Böse triumphirt, das Gute wird mißhandelt.
-Einst war ich eine überspannte Träumerin,« fuhr sie nach einer Pause mit
-zuckenden Lippen fort, »einst sah ich Alles vom Glanze seliger Hoffnung
-umstrahlt. Damals erschien mir die Welt als blühender Zaubergarten,
-die Menschen sah ich als Engel an, ich lebte noch in den Träumen der
-Märchenwelt, die unsere Kindheit beglücken. Die drei Himmelslichter Glaube,
-Liebe und Hoffnung flammten hell und leuchtend in meiner Seele. Der Traum
-war voll überirdischer Wonne. Da erloschen der Glaube und die Hoffnung
-miteinander, und finstere Nacht mit all ihren Schrecknissen umgab mich.«
-Nach diesen Worten hielt sie wie von der Wucht schrecklicher Erinnerungen
-daniedergedrückt, einige Augenblicke inne.
-
-Zerline athmete kaum. Hier sah sie den Schmerz ungekünstelt und doch mit
-solch hinreißender Wahrheit ausgedrückt. So und nicht anders mußte sie als
-Ophelia sprechen, diese Bewegungen mußte sie copiren. Der Wahnsinn sollte
-von ihr mit unerreichbarer Virtuosität dargestellt werden, keine Rivalin
-sollte ihr je darin gleichkommen. Solche und ähnliche Gedanken erfüllten
-den Kopf und das Herz der Bühnen-Heroine. Sie ahnte nicht mit welch
-furchtbarer Wahrheit sie bald eine Rolle, ohne diese zu studiren, spielen
-sollte.
-
-»Gibt es einen größeren Schmerz, als vom Manne, den man über Alles liebt,
-verrathen und betrogen zu werden?« fuhr die Irre wie im Selbstgespräch
-fort. »Ein Dämon hat meine heiligsten Empfindungen, meine seligsten
-Hoffnungen mit kalter Berechnung gemeuchelt, eine farbenprächtige Natter
-hat sein Herz vergiftet und seine Liebe zu mir ertödtet. Die Welt erschien
-mir nun als Wildniß mit reißenden Thieren bevölkert, das Leben wurde mir
-eine Bürde. Mein greiser Vater suchte mich nun durch die Versicherung zu
-trösten, daß allüberall, an den glühenden Sandsteppen der Sahara, wie
-an den Eisfeldern der Polargegenden, da, wo die Menschheit im primitiven
-Zustande vegetirt, und dort, wo sie den Zenith der Cultur erreicht zu haben
-wähnt, allüberall, sagte er, werde oft Liebe und Vertrauen mit Verrath
-gelohnt. Wie vermochte aber der Schmerz anderer Verrathenen mein Weh zu
-mildern und die feurige Lohe, die in meinem Innern brennt, zu löschen.
-Diese Flammen brennen fort und verzehren meine gefolterte Seele.« Hier
-preßte sie die Hände gegen die Stirn und stöhnte laut und schmerzlich.
-
-Zerline lauschte lautlos mit zurückgehaltenem Athem. Mit Freuden würde
-sie ihren kostbarsten Schmuck geopfert haben, um dieses Mienenspiel, diese
-Handbewegung, diese erschütternden Töne ihr eigen zu nennen. Wie mußte
-solch ein Spiel das Publicum hinreißen, wenn sie, die Tragödin, davon so
-hingerissen wurde.
-
-»Sie sind ja gleich mir eine arme Schiffbrüchige,« wendete sich die Irre
-wieder an Zerline. »Sie kennen also das gräßliche Gefühl, welches der
-Unglückliche empfindet, wenn er rings um sich her die Trümmer seines
-Lebensglückes sieht und wenn ihm in der finsteren Nacht der Verzweiflung
-kein Hoffnungsschimmer mehr blinkt.« Hier blieb sie wieder einige
-Augenblicke in düsteres Sinnen verloren stehen. »Im Traume verrieth er
-sich,« begann sie dann mit gehobener Stimme. »Jene Stunde brachte mir die
-gräßliche Wahrheit, so furchtbar, so unausbleiblich wie Elend und Tod.
-Robert liebte mich nicht mehr. Da saß mit einemmale die Natter,« sie schlug
-mit der Hand auf ihr Herz, »hier sitzt sie und will nicht weichen. Da
-fühlte ich es am ersten, da schmerzt es am heftigsten, da tönt es schaurig,
-er liebt dich nicht mehr, er liebt eine Andere. Seit jener Stunde verlor
-ich mich selbst, seitdem ich seine Stimme nicht höre, seinen Puls, seinen
-Hauch nicht fühle, war ich den finsteren Mächten verfallen. Mit einemmale
-vernahm ich Stimmen aus den blauen Fluten, Stimmen, die mir geheimnißvoll
-zuflüsterten, in die stille, friedliche Tiefe zu steigen, um da meinen
-glühenden Schmerz zu stillen. Die Wellen flüsterten so süß und lockend, daß
-ich dem Syrenensang nicht zu widerstehen vermochte. Ich stieg in die Tiefe,
-um Heilung und Vergessen zu suchen. Ich fand da keine Heilung und kein
-Vergessen,« fuhr die Irre mit steigender Erregung fort. »Der Wasserspiegel
-ist ebenso falsch wie Robert. Auch er birgt in seinem Innern gefährliche
-Abgründe, treulose Klippen und gräßliche Ungeheuer.«
-
-Zerline begann jetzt ängstlich zu werden. Die Irre wurde immer aufgeregter,
-der Wahnsinn begann sich in furchtbarer Gestalt zu zeigen. Bei all' ihrer
-Opferwilligkeit für die Kunst konnte sich Zerline doch nicht enthalten
-der Oberwärterin ihren Wunsch, die unheimliche Kranke zu verlassen,
-auszudrücken. Margarethe beruhigte sie jedoch durch die Versicherung, die
-arme Närrin sei harmlos wie ein Kind und ihr Praxismus erlösche wie nasses
-Holz.
-
-Mit der Irren ging nun eine immer schrecklichere Veränderung vor. Ihr
-Antlitz bedeckte sich mit brennender Röthe, die Augen glühten in immer
-unheimlicherem Glanze, das Geberdenspiel wurde immer wilder und die Sätze
-wurden abgebrochen und mit heiserer Stimme hervorgestoßen.
-
-»Sein Kuß -- seine Liebesschwüre -- hinreißende Lügen -- Im Schlafe -- ruft
-sein Mund -- das Trugbild!« stieß sie mühsam hervor. »Da seht -- da reckt
-die Natter -- den Kamm aus dem Grase.« -- Sie bezeichnete eine Vision ihres
-kranken Geistes. »Ihre Giftzähne beißen sich -- in mein Herz ein!« schrie
-sie auf und preßte die Hand an die Brust.
-
-Zerline wurde todtenbleich und wich erschrocken bis zur Thür zurück.
-
-»Sie thut keiner Fliege was zu Leid,« versicherte Margarethe.
-
-»Der Brand in meinem Kopfe wird immer stärker,« stöhnte die Irre. Plötzlich
-blieb sie in lauschender Stellung mit zurückgehaltenem Athem stehen.
-»Robert spricht im Schlafe,« flüsterte sie und blieb dann einige
-Augenblicke regungslos horchend. Mit einemmale zuckte sie zusammen und grub
-die Nägel in ihre Brust. »Sein Mund ruft Zerline,« schrie sie mit wilder
-Wuth. »Zerline, Teufelin vom Pesthauch der Hölle erzeugt, sei verflucht!«
-
-Wäre der Blitz zu den Füßen Zerlinens eingeschlagen, dies würde kaum eine
-schrecklichere Wirkung auf sie hervorgebracht haben, als die Entdeckung,
-daß sie die Ursache vom Wahnsinn des unglücklichen Weibes sei. Sie war
-also die Komödiantin, welche das Liebesglück der zärtlichen Gattin zerstört
-hatte. Die leichtsinnige, eroberungssüchtige Männerbezwingerin vermochte
-beim Anblick der Jammergestalt, die sie vor Augen hatte, ein Gefühl,
-das sie nur selten empfand, das der Reue, nicht zu bemeistern. Ja das
-Schuldbewußtsein übermannte sie dergestalt, daß sie wie gelähmt dastand und
-mit weitaufgerissenen Augen auf die Geisteskranke starrte, deren Paroxysmus
-sich immer mehr steigerte. Schmerzensschreie eines gebrochenen Herzens
-wechselten mit flehentlichen Bitten an den Treulosen, sie nicht in Wahnsinn
-und Tod zu jagen und mit wilden Flüchen und Schmähungen gegen den Dämon,
-der ihr Glück gemeuchelt. Dies war die Agonie einer bis auf den Tod
-getroffenen Seele. In großen Tropfen perlte der Angstschweiß von der Stirn
-Zerlinens, ihre Füße waren wie am Boden festgenietet und vermochten sie
-nicht aus dem Bereiche der Schrecklichen zu tragen. Erst als dem Paroxysmus
-der Irren eine vollständige Erschöpfung folgte und die Unglückliche
-kraftlos und gebrochen zusammenbrach, erst dann wich die Erstarrung von
-Zerline.
-
-Jetzt stürzte sie der Thüre zu und wollte entfliehen, da stellte sich ihr
-aber ein Hemmniß entgegen. Eine bleiche Frau mit einer Harfe in der Hand
-stand an der offenen Thüre.
-
-»Du hier. Dich soll ich ja kennen,« murmelte die Neueingetretene und
-starrte Zerlinen mit ihren großen, seltsam glänzenden Augen an.
-
-Kalter Schweiß perlte von Zerlinens Stirn. Sie wich erschrocken von der
-Thüre zurück. Diese Züge, diese Stimme waren ihr nicht fremd.
-
-»Was willst du, Bänkelsängerin? Hier ist nicht der Ort, um deine
-unfläthigen Lieder auszukramen. Fort, Komödiantin,« knurrte Margarethe und
-unterstützte ihre Worte mit einer drohenden Geberde. Die Irre schien aber
-die Weisung der Oberwärterin nicht zu beachten, sie starrte auf Zerline,
-wie auf eine Vision und fuhr mit der Hand über die Stirn, als suche
-sie ihre Gedanken zu sammeln. »Ich weiß es jetzt,« rief sie plötzlich
-aufjauchzend. »Du bist Zerlinchen. Du kommst auch zu uns. Ha, ha, ha, die
-schöne Zerline kommt mir Gesellschaft leisten! Wir wollen lustig sein. Nur
-nicht weinerlich, Zerlinchen. Sollst ein lustig's Lied'l haben.«
-
- »Schauts außi wie's regn't,
- Und schauts außi wie's gießt,
- Und schauts außi wie der Reg'n
- Vom Dach abischießt.«
-
-»Fort, Komödiantin,« schrie die Oberwärterin, nach deren Meinung diese
-Benennung den herbsten Schimpf enthielt. Die Volkssängerin wich knurrend
-zurück und forderte Zerline auf, die Verunglimpfung ihres Standes an dem
-alten Reibeisen zu rächen. Die Oberwärterin war nicht wenig über die ihr
-beigelegte Benamsung, wie auch über die dem gestudirten weiblichen Arzt
-angethane Beleidigung empört und lieh ihrer Entrüstung derbe Worte.
-
-»Mein schönes Zerlinchen, welches alle Männer am Narrenseil führt, soll
-ein Quacksalber sein: Eine Schauspielerin ist sie. Ja das ist sie, du alte
-Truthenne, und wenn auch deine Kropfkorallen darüber braun und blau werden,
-bleibt Zerlinchen doch eine Theaterprinzessin,« kicherte die Irre zur nicht
-geringen Wuth der Oberwärterin.
-
-Die erschrockene Zerline suchte nur die Thüre zu gewinnen. Sie fühlte
-sich dem Wahnsinn nahe, sie mußte aus dieser Behausung des Entsetzlichen
-entfliehen. Schon war sie dem Ausgange nahe, als sich ihr wieder ein
-Hemmniß in den Weg stellte. Eine Hand legte sich auf ihre Achsel und eine
-Stimme, die das Blut in ihren Adern erstarren machte, frug sie: »Du bist
-also Zerline?« Die Tragödin erbebte und blickte entsetzt in das verzerrte
-Antlitz der unglücklichen Gattin Roberts. »Du bist also Zerline?«
-wiederholte diese ihre Frage mit wachsender Aufregung. Vor Schreck außer
-sich, kaum wissend was sie that, beantwortete Zerline die verhängnißvolle
-Frage mit einer bestätigenden Kopfbewegung. Die Irre stieß nun einen Schrei
-aus, der dem Wuthgebrüll eines wilden Thieres glich, und umspannte mit
-rasender Gewalt das zarte Handgelenk der Tragödin. Diese schrie vor Schmerz
-und Schrecken laut auf und rief um Hilfe. Die Oberwärterin, der es endlich
-gelungen war die Bänkelsängerin aus dem Zimmer zu entfernen, eilte sofort
-herbei und suchte Zerlinen aus der Gewalt der Geisteskranken zu befreien.
-Weder Bitten noch Vorstellungen vermochten die Irre zur Nachgiebigkeit zu
-bewegen.
-
-»Sie ist mein, die farbenprächtige Natter,« schrie sie in wilder Wuth. »Sie
-kam, um sich an meinem Todeskampfe zu weiden, um wie ein Vampyr das Blut
-aus meinem Herzen zu trinken, sie muß dafür mit mir den bösen Geistern
-verfallen. Ich will ihre Schönheit, mit der sie Handel treibt, vernichten,
-ich will ihr kaltes Herz, mit dem sie Liebe heuchelt, mit meinen Nägeln
-zerfleischen, ich will ihr die Giftzähne ausbrechen. Ein Scheusal soll sie
-äußerlich werden, wie sie es innerlich ist. Robert soll sie in ihrer wahren
-Gestalt sehen. Dann wird er sie von sich stoßen, wie er es mir gethan, und
-die feurige Lohe, die mich verzehrt, wird auch in ihrem Innern lodern.«
-
-Vergeblich suchte Margarethe die Wuth der Irren durch Versicherungen und
-Schwüre, daß die Bänkelsängerin schamlos gelogen habe, zu beschwichtigen.
-Fräulein Doctor sehe doch nicht einem frechen Komödiantenweibsbild ähnlich.
-Diesen Ungeheuern sei ja ihr schamloser Beruf deutlich genug auf der Larve
-gepinselt, behauptete die Oberwärterin. Alle diese Beweise erwiesen sich
-aber fruchtlos. Die Geisteskranke wollte ihre Gefangene nicht freigeben.
-Als zuletzt Margarethe die Hand Zerlinens aus der Umklammerung mit sanfter
-Gewalt befreien wollte, da stieß die Irre einen schrillen Schrei aus und
-schleuderte die Zudringliche mit Riesenkraft von sich.
-
-»Heilige Mutter Gottes, stehe uns bei! Sie wird tobsüchtig,« stöhnte die
-Oberwärterin. »Reizen Sie das tolle Lamm nicht, verhalten Sie sich ruhig.
-Ich will Hilfe herbeirufen,« flüsterte sie Zerlinen zu und eilte aus dem
-Zimmer.
-
-Zerline hörte sie nicht, sie stand regungslos wie ein Steinbild und starrte
-angstvoll auf die Geisteskranke. Diese schien jetzt, da man sie durch die
-Versuche ihre Gefangene zu befreien nicht mehr reizte, ruhiger zu werden.
-
-»Du bist also seine vergötterte Zerline mit der junonischen Gestalt, mit
-dem unergründlichen Feuerauge und mit dem goldenen Lockengeringel,« rief
-sie dann, die Tragödin mit den Augen verschlingend. »Ja du bist schön wie
-der Geist des Bösen, dessen verhängnißvolle Schönheit der Menschheit Jammer
-und Elend bereitet. Auch ich war einst schön, und Robert liebte mich, bis
-du Teufelin mich zu dem gemacht hast, was ich nun bin. Deine Schönheit soll
-wie die meine verderben. Auch du sollst trockene Thränen weinen, Thränen,
-die wie Gluttropfen auf die Seele fallen und sie in Brand setzen.«
-
-»Gnade, Erbarmen!« stammelte Zerline angstvoll.
-
-»Das Erbarmen, das du mit mir gehabt, will ich mit dir haben,« erwiederte
-die Geisteskranke.
-
-»Du willst mich tödten,« murmelte Zerline auf die Knie sinkend und das
-todtenbleiche Antlitz mit den Händen bedeckend.
-
-»Dich tödten? Nein. Du sollst leben und leiden und die Schale der
-Wiedervergeltung bis auf den letzten Tropfen leeren. Deine Schönheit will
-ich zerstören, und Robert soll dich von sich stoßen!« rief die Irre mit
-flammenden Blicken.
-
-Zerline bebte wie Espenlaub. Sie fühlte sich schwach und hinfällig und war
-allein mit der Wahnsinnigen, hilflos ihrer Macht preisgegeben. Ihre Sinne
-schwanden, der Boden wich unter ihren Füßen, mit einem Schreckensschrei
-sank sie zusammen.
-
-»Du darfst nicht sterben, du mußt leben und leiden, wenn Robert dich von
-sich stößt,« kreischte die Irre. Mit einemmale unterbrach sie sich und
-blieb lauschend stehen. Im Corridor ließ sich ein Geräusch von eilig
-nahenden Schritten vernehmen. Die Irre zuckte zusammen und wendete ihren
-Blick der Thüre zu. Sie sah Margarethe von zwei Wärterinnen begleitet
-in die Stube treten. Mit wilder Heftigkeit umschlang sie die bewußtlose
-Zerline und stellte sich in drohender Haltung der Oberwärterin entgegen.
-
-»Jesus, das tolle Lamm wird das Fräulein Doctor erdrosseln!« kreischte
-Margarethe. Sie suchte die Irre zu begütigen. Als aber dies fehlschlug,
-da entschloß sie sich Gewalt zu gebrauchen. Sie befahl den Wärterinnen der
-Irrsinnigen eine Decke über den Kopf zu werfen und sich dann mit Gewalt
-ihrer zu bemächtigen. Die Wuth der Geisteskranken erreichte nun den
-Höhepunkt. Ihr Auge schoß wilde Flammen; mit einem Arm hielt sie Zerline
-umschlungen, der andere war drohend gegen die Wärterinnen erhoben.
-
-Jetzt sauste die Decke durch die Luft. Die Irre, die Gefahr bemerkend, wich
-aber dem Wurfe aus. Die Lage Zerlinens wurde immer gefährlicher. Sie
-hing wie leblos in den Armen der Wahnsinnigen und gab auf alle Zurufe
-der Oberwärterin keine Antwort. Kalter Angstschweiß bedeckte die Stirne
-Margarethens. Sie befahl nun den Wärterinnen die Aufmerksamkeit der Irren
-zu beschäftigen, damit sie sich ihr unvermerkt nähern könne. Das gutherzige
-Weib flehte alle Heiligen um Hilfe in dieser Noth an. Sie wollte schon ihr
-Leben wagen, um die Wüthende zu bewältigen, wenn nur das Fräulein Doctor
-der Gefahr entrissen wurde. Ja es war mit nicht geringer Gefahr verbunden,
-der Irren ihr Opfer zu entreißen. Die Oberwärterin wußte aus Erfahrung,
-welche Riesenkraft der Wahnsinn dem schwächsten Körper verleiht. Gebete
-murmelnd spähte Margarethe auf den günstigen Moment, um ihr Vorhaben
-auszuführen, als Stimmen und eilige Schritte auf dem Corridor vernehmbar
-wurden. »Der Doctor! Wir sind gerettet!« schluchzte die Oberwärterin,
-die Hände dankend zum Himmel erhoben. Bald erschien auch der Arzt der
-Frauenabtheilung athemlos an der Thüre. Ein Blick genügte dem Psychiater,
-um das Schreckliche zu übersehen. Rasches Handeln war dringend nöthig, um
-die bewußtlose Zerline aus ihrer gefährlichen Lage zu befreien, aber die
-Irre mußte besänftigt und nicht gereizt werden. Der erfahrene Psychiater
-befahl den Anwesenden das Zimmer zu räumen und begann dann langsam sich der
-Irren zu nähern. Er sprach sanfte, beruhigende Worte, die ihr versicherten,
-daß die Verfolgerinnen die Flucht ergriffen hätten. Die Wahnsinnige, die in
-einem Winkel zusammengekauert, Zerline fest an sich drückend dasaß,
-erhob beim Klange seiner Stimme das Haupt. Als sie den Arzt erblickte,
-verstummten ihre Schreie, die wilde Wuth begann zu schwinden. Je näher der
-Psychiater kam und je sanfter seine Worte erklangen, desto mehr legte sich
-die Aufregung der Unglücklichen. Als er nun endlich ihr gegenüberstand und
-sein durchdringendes Auge fest auf das ihre heftete, da wurde sie sanft und
-ruhig. Der Ring, den ihre Hände um Zerline geschlossen hatten, wurde jetzt
-immer loser, er löste sich bald ganz, und ihre Arme sanken schlaff hinab.
-Jetzt fing der Arzt die regungslose Zerline in seinen Armen auf und begann,
-das Antlitz der Irren zugewendet, langsam der Thüre zuzuschreiten. Immer
-noch erklangen die sanften, beschwichtigenden Worte und immer haftete sein
-fascinirender Blick auf der Irren, welche ihr Auge von dem des Psychiaters
-nicht loszureißen vermochte. Nun war er der Thüre nahe, die sich
-geräuschlos von außen öffnete. Noch ein Moment namenloser Angst,
-unsäglicher Bangigkeit für Margarethe und sie sah das Fräulein Doctor außer
-dem Bereiche der Wahnsinnigen.
-
-Als Zerline zum Bewußtsein zurückkehrte, mußte sie eine niederschmetternde
-Anklage vom Arzte anhören. Das arme Weib, dessen Lebensglück sie zerstört
-hatte, war nun auch durch ihre Schuld in unheilbare Tobsucht verfallen.
-Scharf und verächtlich waren die Worte, welche der Psychiater zum Fräulein
-Doctor, das sich als die berüchtigte Zerline entpuppt hatte, sprach. Die
-empörte Oberwärterin rief ihr ihrerseits zu, die gemeine Katze, welche sich
-frech in eine Löwenhaut gesteckt, werde ihr noch einst in die Hände
-fallen, denn der Lohn für die Schlechtigkeiten der schamlosen
-Komödiantenweibsbilder sei das Spital oder das Irrenhaus. Zerline vermochte
-bei dieser trostreichen Verheißung einen Schauer nicht zu unterdrücken.
-
-Seitdem besucht die Tragödin kein Irrenhaus mehr, um da den Genius der
-tragischen Kunst zu suchen.
-
-
-_Ende._
-
-
-
-
-Druck von Johann N. Vernay, Wien, =IX.=, Mariannengasse 17.
-
-
-
-
-Verlag von L. Rosner in Wien.
-
-
-Der Wunderrabbi.
-
-Roman von #J. Thenen#.
-
-8. 293 Seiten. Preis fl. 2.-- oder M. 4.
-
-Der Reiz dieses Buches liegt in der vortrefflichen Ausführung. In Scenen
-voll dramatischen Lebens erkennen wir die Macht des Rabbi über die
-verblendeten Geister -- eine Macht, der selbst der christliche Edelmann
-im Falle der Bedrängniß huldigt; aber wir erkennen auch die ganze --
-Tiefe dieses Aberglaubens, indem wir Einblick in den Charakter des Rabbi
-erhalten, der ein wunderliches Gemisch von Selbstsucht, Aberglauben und
-Zelotismus ist. Dann führt uns die Dichterin mit gleicher Kunst in das
-elende, vom Unglücke erfüllte Haus seiner tragischen Gegner, und so reiht
-sich Bild an Bild, Scene an Scene, die uns -- die Handlung immer weiter
-leitend -- in den Charakter und Geist jener eigenthümlichen Menschen
-hineinblicken lassen. In einzelnen Capiteln erreicht die Dichterin eine
-tragische Größe; in anderen entfaltet sie herrlichen Humor. Ueberall aber
-verräth sie eine ganz intime Kenntniß nicht blos der Sitten und Gebräuche
-jener Menschen, sondern auch ihres eigenthümlichen Geistes, jener
-spiritualistischen Denkweise, die aus der völligen Durchdringung des Lebens
-durch den Glauben entstammt. Sind doch alle die Geschichten und Schicksale,
-die sie erzählt, mehr oder weniger thatsächliche Geschehnisse. Und selbst
-aus der Darstellung athmet der Geist des Volkes, der so einseitig sich
-nur dem Menschengeiste und dem Glauben zuwendete, der Natur jedoch,
-ihrer Schönheit, ihrem Genusse sich so fernhielt. In diesem Sinne ist
-es charakteristisch, daß im ganzen Buche nur zwei kleine landschaftliche
-Schilderungen vorkommen, die aber freilich recht hübsch sind. Kurz, es
-ist ein Buch, das ein männlicher Geist in einem dichterischen Frauenkopfe
-ersonnen.
-
- »Neue Freie Presse.«
-
-
-
-
-Verlag von L. Rosner in Wien.
-
-
-Der Wunderrabbi.
-
-Roman von #J. Thenen#.
-
-8. 293 Seiten. Preis fl. 2.-- oder M. 4.
-
-Die Verfasserin hat das Leben und Treiben dieses Chassiden studirt und
-hat »halb Wahrheit, halb Dichtung« wirkliche Vorkommenheiten zu einer
-spannenden Erzählung vereint, die, ohne als Culturstudie gewollt zu sein,
-den Zweck einer solchen in reichstem Maße erfüllt. Der crasse Betrug,
-die wilde Habgier, die niedrige Genußsucht, welche dem ganzen Dichten und
-Trachten dieser Chassidengemeinden Bewegung geben, sind ohne Scheu mit
-der vollsten und behaglichsten Naturwahrheit gezeichnet. Die talentvolle
-Beobachterin hat in ihrem Buche jedes Mäntelchen verschmäht und
-gibt ungeschminkt und unverhüllt die Wirklichkeit. Dieser Reiz der
-Unmittelbarkeit und des kaustischen Humors aber ist es, der unvermindert in
-den ersten Seiten fesselt und anhält bis zu jenem Punkte, wo die
-Handlung den Boden verläßt, auf dem die Wunderrabbis gedeihen, und, Jahre
-überspringend, harmonisch ausklingt. Das Buch wird von Laien um seiner
-reichbewegten Handlung und seiner farbenkräftigen Schilderungen, von dem
-Culturforscher aber deshalb mit Vergnügen gelesen werden, weil das Erzählte
-und Geschilderte wahr ist.
-
- »Presse.«
-
-
-
-
-[ Hinweise zur Transkription
-
-
-Der Schmutztitel wurde entfernt.
-
-Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.
-
-Darstellung abweichender Schriftarten: _gesperrt_, =Antiqua=, #fett#.
-
-Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden
-Ausnahmen,
-
- Seite 27:
- "Ihr" geändert in "ihr"
- (Brille tragen, die ihr nicht erlaubt)
-
- Seite 35:
- "Mähren" geändert in "Mären"
- (wunderbare Mären von seinen Eroberungen zu erzählen)
-
- Seite 36:
- "«" entfernt hinter "acceptiren."
- (ihn als Prinz-Gemal zu acceptiren.)
-
- Seite 37:
- "Wamms" geändert in "Wams"
- (Orden von seinem Wams los)
-
- Seite 50:
- "staarnackiger" geändert in "starrnackiger"
- (Director des Hoftheaters ein starrnackiger Pedant)
-
- Seite 72:
- "Rosalinda's" geändert in "Rosalinde's"
- (die Schmerzensschreie Rosalinde's zu vernehmen)
-
- Seite 73:
- "Rosalinda" geändert in "Rosalinde"
- (»Man muß ihr das Wort entziehen,« schrie Rosalinde)
-
- Seite 85:
- "«" eingefügt
- (Vom Dach abischießt.«)
-
- Seite 89:
- "." eingefügt
- (und sie in Brand setzen.«) ]
-
-
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Fräulein Doctor im Irrenhause, by Julie Thenen
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FRÄULEIN DOCTOR IM IRRENHAUSE ***
-
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-<title>The Project Gutenberg eBook of
-Fräulein Doctor im Irrenhause
-by
-Julie Thenen</title>
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-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Fräulein Doctor im Irrenhause, by Julie Thenen
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
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-
-Title: Fräulein Doctor im Irrenhause
- Eine Begebenheit aus unserer Zeit
-
-Author: Julie Thenen
-
-Release Date: October 31, 2020 [EBook #63589]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FRÄULEIN DOCTOR IM IRRENHAUSE ***
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-
-
-
-Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
-https://www.pgdp.net (This file made from scans of public
-domain material at Austrian Literature Online.)
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-</pre>
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-
-<h1>Fräulein Doctor im Irrenhause.</h1>
-
-
-<p class="ce lh2">Eine<br />
-
-<span class="fsl">Begebenheit aus unserer Zeit</span><br />
-
-<span class="fss">von</span><br />
-
-<span class="fsxl">J. Thenen,</span><br />
-
-<span class="fss">Verfasser des »Wunderrabbi«.</span></p>
-
-
-<p class="ce mt2">Der Ertrag ist der allgemeinen Poliklinik in Wien gewidmet.</p>
-
-<p class="ce"><img src="images/signet.jpg" alt="" /></p>
-
-<p class="ce lh1"><span class="fsxl ge">Wien.</span><br />
-
-<span class="fsl ge">Verlag von L. Rosner.</span><br />
-
-<span class="ge">1881.</span></p>
-
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-
-
-<p class="pb mt4"><a class="pagenum" id="page_005" title="5"> </a>
-<span><b>A</b></span>n einem trüben, regnerischen Herbstmorgen schritt
-eine Frau die breite, mit feinem Kiessande bestreute
-Allee entlang, die zur Irrenanstalt führte. Die Frau
-war groß und schlank und entwickelte in jeder Bewegung
-eine unnachahmliche Grazie, eine vollendete
-Symmetrie der Form. Ihr Haar war von einem hellen
-Braun, auf dem ein Goldglanz lagerte, nicht anders
-als ruhe der volle Sonnenschein auf den reichen, wogenden
-Locken; das Auge, lang geformt, dunkel und feurig,
-war von bogenförmig feingezeichneten Brauen überwölbt
-und von langen schwarzen Wimpern verschleiert; durch
-die lilienweiße Haut schimmerte die Rose auf den Wangen;
-der feingeschnittene Mund, die kleinen Perlenzähne und
-das anmuthreiche Grübchen am Kinn vervollständigten
-das harmonische Ganze. Diese Frauengestalt war wunderbar,
-entzückend schön.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_006" title="6"> </a>
-Ja, Zerline war schön wie die Fee eines Zaubermärchens
-und ebenso mächtig wie diese. Ein Blick ihres
-Glutauges, ein Wort von ihren duftigen Lippen vermochten
-es eben so leicht wie der Zauberstab einer Fee
-Schaaren von dienstbaren Geistern um sie zu versammeln.
-Ihre Alleinherrschaft in der galanten Welt war anerkannt,
-unbestritten, unumschränkt. Zu den demüthigen
-Zugthieren ihres Siegeswagens zählten die stolzesten
-Löwen des Tages. Zerline war eine gefeierte Schauspielerin,
-das brillanteste Decorationsstück eines Musentempels
-in der Provinz. Mißgünstige Rivalinnen behaupteten
-wohl, Zerline sei nur auf der Bühne des Lebens eine
-treffliche Komödiantin, im Tempel der Kunst nur eine
-jämmerliche Stümperin. Böse Zungen erzählten, daß sie
-durch mächtige Gönner sich ihren Platz auf den Brettern
-errungen und nur durch ihre körperlichen Reize und durch
-ihren Toilettenreichthum das Publicum blende. Alles
-dies vermochte aber die Triumphe Zerlinens nicht zu vermindern.
-Die Menge huldigt dem Erfolge, ohne sich zu
-kümmern, auf welche Weise dieser errungen wird.</p>
-
-<p>Zerline war also eine Zugkraft ersten Ranges und
-wurde als solche vom Leiter des Theaters mit einer bei
-diesem Herrn nicht gewöhnlichen Liebenswürdigkeit behandelt.
-Der Director war ein kluger Mann. Er wußte, daß eine
-blendende Staffage eine viel mächtigere Zugkraft sei als
-<a class="pagenum" id="page_007" title="7"> </a>
-ein echtes Talent, das sich zur reinen Höhe der wahren Kunst
-emporgeschwungen. »Das Gute wird gedacht, das Schöne
-aber betrachtet,« philosophirte er. »Mein Publicum ist
-nicht dem Begriffe, sondern der Anschauung zugänglich,
-und die Kunst eines praktischen Directors besteht ja nur
-darin, dem Publicum den gewünschten Genuß zu verschaffen
-und ausverkaufte Häuser zu erzielen.« Zerline
-feierte Triumphe, wie die wirklichen Künstlerinnen solche
-nicht oft und nicht leicht erringen. Milde Kritiker räucherten
-sie in dicke Weihrauchwolken ein und nannten sie einen
-leuchtenden Stern am Firmamente der tragischen Kunst.
-Dies, sollte man meinen, müßte sie doch befriedigt
-haben. Dem war aber nicht so. Mit dem Erfolge wuchs
-ihr Ehrgeiz. Bald verlor die Huldigung der gutmüthigen
-Provinzler für Zerline jeglichen Reiz. Der Wirkungskreis
-in der Provinz erschien ihr eng und armselig und nur
-die Bühne in der Residenz ihrer würdig. In der Residenz
-als Tragödin gefeiert und umworben zu werden, dies
-ward fortan der süßeste Traum ihres Lebens. Um dies
-zu erreichen, war ja nur vonnöthen ein Gastspiel zu eröffnen.
-Daß sie mit ihrem ersten Auftreten das Publicum
-im Sturm erobere, dessen war sie sicher, dafür garantirten
-ihr ja der stürmische Beifall genügsamer Claqueurs und die
-Verzückung ihrer Gönner. Wollen und Können war für
-die gefeierte Zerline gleichbedeutend. Ein Zauberwort
-<a class="pagenum" id="page_008" title="8"> </a>
-aus ihrem rosigen Mündchen setzte alsbald die Schaar
-ihrer Anbeter in Bewegung, und ehe das Tagesgestirn
-achtmal seinen Lauf vollendet hatte, war das schier
-Unglaubliche verwirklicht, die mächtige Fee hatte die
-Gewißheit, als Gast auf der Hofbühne der Residenz ihre
-Reize und die Munificenz ihrer Gönner bewundern zu
-lassen. Als Ophelia sollte sie das Gastspiel eröffnen.
-Um nun die Großstädter vollständig zu ihren Füßen zu
-sehen, wollte sie diese auch noch durch künstlerische Leistungen
-in athemlose Bewunderung versetzen. Deshalb sehen wir
-sie der Irrenanstalt zuschreiten. Sie will sich für den
-bevorstehenden Triumph künstlerisch vorbereiten, sie will
-nicht bloß die Empfindungen und Affecte, sondern auch
-die Begebenheiten, aus denen solche entsprangen, studiren.
-In der Irrenanstalt, in dieser Behausung des menschlichen
-Jammers, will sie in das große Geheimniß der
-tragischen Kunst erst recht eindringen. Hier will sie das
-Traurige, das Jammervolle, das Schreckliche, das Entsetzliche
-von Angesicht zu Angesicht schauen, um dann ihre Rolle
-als Geisteskranke mit solch' entsetzlicher Wahrheit zu spielen,
-daß dem Publicum darob die Haare zu Berge stehen sollten.
-Also versicherte sie ihrer Helferin in der Rüstkammer
-der weiblichen Toilettengeheimnisse, der pfiffigen Mizi.</p>
-
-<p>Man wähne aber ja nicht, daß dies Opfer, welches
-der Kunst zu bringen Zerline sich entschlossen hatte, ein
-<a class="pagenum" id="page_009" title="9"> </a>
-gar leichtes war. Zuerst hatte sie einen mühsamen Kampf
-zu bestehen, bis es ihr gelang, die entsetzliche Furcht
-zu bewältigen, die bei dem Gedanken, in die Behausung des
-Wahnsinns einzudringen, sich ihrer bemächtigte. Mizi
-wußte ihr nicht genug des Gräßlichen von diesem Orte
-des Schreckens zu erzählen und bevölkerte die Phantasie
-der Kunstjüngerin mit den quälendsten Schreckgebilden.
-Schon stand zu befürchten, daß die heraufbeschworenen
-Phantome der zungenfertigen Mizi den Drang, das Spiel
-des Wahnsinns am Born desselben zu schöpfen, ersticken
-würden, als zum Glück ein am Siegeswagen Zerlinens
-ziehender Arzt ihre Angst beschwichtigte. Nun zeigte sich
-ein neues Hemmniß; der Leiter der Irrenanstalt war
-jedem Besuche abhold. Er fand es dem Wohle seiner
-Pflegebefohlenen zuträglich, sie vor profaner Neugier zu
-wahren. Diesen Psychiater ihrem Wunsche geneigt zu
-machen war schwerer, als Zerline es je gedacht. Trotz
-der mächtigen Protection ihrer Gönner gelang es ihr
-nicht, die Erlaubniß zu erlangen, die Anstalt zu besichtigen.
-Da verfiel der sie anbetende Arzt auf den sinnreichen
-Einfall, sie als Fräulein Doctor anzumelden.
-Einem Doctor, der sein Wissen zum Wohle der leidenden
-Menschheit bereichern wollte, durfte die Anstalt nicht
-verschlossen bleiben. Der Director, obwohl kein besonderer
-Freund weiblicher Doctoren, konnte jetzt seine Genehmigung
-<a class="pagenum" id="page_010" title="10"> </a>
-nicht versagen. So machte sich denn Zerline auf den Weg,
-um das so sehnlich Gewünschte und doch Gefürchtete von
-Angesicht zu Angesicht zu schauen.</p>
-
-<p>Vom Zauber ihrer sinnberückenden Schönheit umgeben
-schritt Zerline der Anstalt zu. Ihr Auge blickte
-sanft und liebkosend und der schneeige Busen wogte
-ruhig und friedlich. Wer konnte ahnen, welch' bedrohliche
-Pläne für die Ruhe des starren Leiters der Anstalt sie
-in ihrem Innern entwarf und auch welch' wunderbare
-Curen die Phantasie dem Fräulein Doctor vorspiegelte!
-Wie oft hatte sie schon durch ihren Zauber Vernünftige
-in die Bande des Wahnsinns geschlagen, warum sollte
-sie nicht auch Wahnsinnige zur Vernunft zurückzuführen
-vermögen? Was war ihrem Liebreiz zu schwer? Wer
-vermochte es sich ihrer Macht zu entziehen? Solche und
-ähnliche Gedanken beschäftigten sie, bis sie am Eingange
-der Anstalt Halt machte. Als sie das Haus mit seinen
-vergitterten Fenstern erblickte, da begann ihr Herz zu
-pochen und zu hämmern. Alle von Mizi heraufbeschworenen
-Gespenster standen wieder vor ihrem inneren Auge. Die
-Kunst lief Gefahr, von der Furcht besiegt zu werden;
-Zerline war schon im Begriff die Flucht zu ergreifen,
-da erschien noch zur rechten Zeit der Thürsteher der
-Anstalt. Die Intervention dieses ungebildeten Volkssohnes
-ersparte der Muse eine Niederlage.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_011" title="11"> </a>
-Der Thürsteher, der einige Zeit stumm vor Entzücken
-auf die blendende Frauenerscheinung gesehen, riß jetzt
-dienstbeflissen die Thürflügel auf und lud sie zum Eintritte
-ein. Mechanisch folgte ihm Zerline in's Wartezimmer.
-Hier bat er sie, sich zu gedulden, bis er ihre
-Ankunft gemeldet haben werde, und entfernte sich unter
-zahllosen Bücklingen.</p>
-
-<p>Vom Schrecken beherrscht fiel Zerline ermattet auf
-einen Sitz nieder. Dann ließ sie ihr Auge im Raume
-umherschweifen. Das Zimmer war einfach und prunklos,
-sah aber ganz wohnlich aus. Auch das vergitterte Fenster
-erschien von innen nicht so abschreckend, und die Aussicht
-in den Park war trotz des trüben, regnerischen Wetters
-nicht ohne Reiz. Zerline begann sich allmälig zu beruhigen.
-Sie erhob sich dann von ihrem Sitze und näherte sich
-einem Spiegel, um da eine losgegangene Locke ihrer
-Frisur zu befestigen. Eben hatte sie sich des widerspänstigen
-Löckchens bemächtigt, als zwei Männer in die
-Stube traten.</p>
-
-<p>Die Neueingetretenen blieben beim Anblicke Zerlinens
-überrascht stehen. Sie wurden gleich dem Thürsteher vom
-mächtigen Zuge der Bewunderung fortgerissen, blieben
-aber nicht stumm, sondern stießen ein lautes »Ach!« des
-Entzückens aus.</p>
-
-<p>Ein Lächeln des Triumphes kräuselte die Lippen
-<a class="pagenum" id="page_012" title="12"> </a>
-Zerlinens. Mit dem ersten Blicke hatte sie den Feind bezwungen,
-den starren, unzugänglichen Leiter der Anstalt.
-Dies war er ja doch, der großgewachsene Mann mit
-wallendem Bart und Haupthaar, und sein Begleiter war
-sicherlich der Doctor, der dem Director in der Krankenpflege
-treulich zur Seite stand. Also dachte die Siegesgewisse
-und wollte auch im Bewußtsein ihrer Macht
-recht bald ihr Incognito fallen lassen; als Zerline und
-nicht als Fräulein Doctor sollte er sie durch die Räume
-der Anstalt führen. Diese Hoffnung erwies sich jedoch
-bald als trügerisch, denn der stattliche Mann mit wallendem
-Bart und Haupthaar stellte sich ihr als Graf Roller
-vor, sein Begleiter war der Oberwärter der Anstalt.</p>
-
-<p>Der Letztere entschuldigte den Director, der durch
-Krankheit verhindert sei, Fräulein Doctor zu empfangen.
-Der Doctor der Herrenabtheilung müsse den Director
-in der Kanzlei vertreten, berichtete er, und der Doctor
-der Frauenabtheilung sei zu einer Patientin gefahren.
-Wenn Fräulein Doctor seine Rückkehr nicht abwarten
-wolle, so könnte sie sich getrost der Führung des Grafen
-Roller anvertrauen. Der Herr Graf sei in der ärztlichen
-Kunst bewandert und werde ihr alles Interessante in
-der Anstalt vorführen, fügte er zum Schlusse bei.</p>
-
-<p>Der Graf ermangelte nicht, sich mit der Artigkeit eines
-feinen Weltmannes der schönen Besucherin zur Verfügung zu
-<a class="pagenum" id="page_013" title="13"> </a>
-stellen, und Zerline nahm mit einem verführerischen
-Lächeln sein Anerbieten an. Vom Grafen geleitet schritt
-sie durch eine helle, geräumige Vorflur einer steinernen
-Treppe zu.</p>
-
-<p>»Meiner Ansicht nach vermögen solch' äußerliche
-Anschauungen nur wenig die functionellen Störungen
-zu beleuchten,« begann der Graf seine Ansprache zu dem
-vermeintlichen Fräulein Doctor. »Ich halte ähnliche
-Beobachtungen für einen angehenden Arzt nicht für
-hinlänglich. Das vornehmste Lehrbuch ist der Cadaver.
-Nur anatomische Befunde und zumeist nach frischen Fällen
-gewonnene Befunde können dem Arzt Einblick in den
-Proceß gewähren. Dies ist meine Ansicht. Wohl meint
-die moderne Psychiatrie, daß wir im Vorderhirn die
-diagnosticirbaren, auffallenden Formen anatomischer Veränderungen
-noch im Leben vorfinden, sie behauptet
-sogar, daß der äußere Verlaufsproceß nur eine Spiegelung
-des inneren Processes sei, ich aber verfechte unerschrocken
-meine Ansicht, daß ohne den Befund im Cadaver die
-Wissenschaft im Finstern tappen muß.« Hier unterbrach
-er seinen gelehrten Discurs. Sie waren bei einer Thüre
-angelangt, welche ein Wärter von innen geräuschlos
-öffnete und wieder schloß. Sie traten in einen hohen,
-hallenden Corridor.</p>
-
-<p>Zerlinen war es seltsam zu Muthe. Schon der
-<a class="pagenum" id="page_014" title="14"> </a>
-Anblick dieser Räume, die so viel menschliches Elend
-bergen sollten, machte ihr das Herz schwer. Ringsum
-herrschte eine tiefe, grabähnliche Stille, die nur von
-ihren und ihres Begleiters Schritten, welche im steingepflasterten
-Corridor laut wiederhallten, unterbrochen
-wurde. Um ihre Bangigkeit noch zu steigern, sprach der
-Graf ein gelehrtes Kauderwelsch, von dem sie kein
-Wort verstand. Nur das Eine meinte sie zu verstehen,
-daß er sie aufforderte, fleißig in Leichen herumzuwühlen.</p>
-
-<p>Hu, der Gedanke an dies Schreckliche machte ihre
-Füßchen schwach bis zum Umfallen. Jetzt kroch wieder die
-Furcht wie ein Alp an sie heran und rief ihr alle die
-schrecklichen Geschichten, die ihr Mizi von der Gefährlichkeit,
-von der Tobsucht und der Raserei der Wahnsinnigen
-erzählt hatte, in's Gedächtniß zurück. Bald brachte jedoch
-die Sucht zu glänzen, welche Zerline als den Drang,
-sich auf die wahre Höhe der tragischen Kunst emporzuschwingen
-ansah, die Einflüsterungen der Furcht zum
-Schweigen. Ja sie wollte unerschrocken das Entsetzliche
-von Angesicht zu Angesicht schauen, sie wollte allen Gefahren
-trotzen, um dann durch ihren meisterhaft gespielten
-Wahnsinn alle Rivalinnen vor Neid wahnsinnig zu machen.
-Mit dem Panzer dieses menschenfreundlichen Wollens
-umgürtet betrat sie den Conversationssaal der Herrenabtheilung.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_015" title="15"> </a>
-Sie sah neugierig und mit nicht geringem Herzklopfen
-umher. Dies war kein mit Eisengitter umgebener
-Käfig, wie die Schauermärchen Mizis die Räume einer
-Irrenanstalt schilderten, und auch die Personen, die sie
-da gewahrte, hatten keine Aehnlichkeit mit den gefürchteten
-Schreckbildern aufzuweisen. Etwa ein Dutzend Männer
-saßen auf Stühlen und studirten eifrig die Journale,
-Andere hatten sich um einen mit Nachdruck sprechenden
-Priester gruppirt und lauschten aufmerksam seinen Worten.</p>
-
-<p>»Dies sind Patienten, mit Melancholie, mit Manie
-und mit Stupor behaftet,« erklärte der Graf dem vermeintlichen
-Arzt. »Wenn Sie den Reden der Patienten
-Aufmerksamkeit schenken wollen, dann werden Sie einsehen,
-wie wenig die äußerliche Anschauung die functionellen
-Störungen im Innern zu veranschaulichen vermag.«</p>
-
-<p>Zerline nickte bestätigend mit dem Kopfe. Auf andere
-Weise wußte sie ihrem gelehrten Führer keine Antwort zu
-geben. Was begriff sie von functionellen Störungen und
-von Stupor und Manie? Bei ihren Anbetern hatte sie
-wohl stark ausgesprochene Symptome von Verwirrtheit
-und Imbecillität gesehen, aber es genügte ihr zu wissen,
-daß sie die Ursache und Veranlassung dieser Erscheinungen
-war, mit der Lehre von den Krankheiten und ihren verschiedenen
-Gattungen und Arten hatte sie sich nicht befaßt.
-Von dem gelehrten Unsinn des Grafen verstand sie eben
-<a class="pagenum" id="page_016" title="16"> </a>
-nicht mehr als ihr Schooßhündchen Zara, wenn sie ihm eine
-ihrer Rollen vordeclamirte, sie athmete erleichtert auf,
-als der Graf sie zu einem Sitze führte und sich dann
-zu der Gruppe gesellte, die den Priester umgab.</p>
-
-<p>»Die moderne Philosophie umnebelt den Kopf der
-rohen Masse,« sprach der Priester gerade, als der Graf
-herzutrat. »Sie demoralisirt das Volk durch die Zerstörung
-aller alten Einrichtungen, sie entwurzelt den Glauben
-an eine ewige, rächende und richtende Gottheit, an ein
-Jenseits, an eine Unsterblichkeit, sie führt die Herrschaft
-der rohen Materie ein, sie schmäht und verspottet die
-Zeit, in welcher die heilige Kirche die Teufel aus der
-Menschenbrust vertrieb. Wohin, frage ich, kann und soll
-dies führen, wenn nicht zur Herrschaft des Verbrechens
-und zur totalen Auflösung aller menschlichen und gesetzlichen
-Bande? Vermögen all' die subtilen Verstandestheorien
-der Apostel des Unglaubens, vermag all' ihr
-sophistischer Wortprunk den Glauben, dieses Himmelslicht,
-zu ersetzen? Wodurch wollt Ihr die Menschheit für das
-ihr geraubte Kleinod schadlos halten, für das göttliche
-Geschenk, das den Erdensohn im Glücke vor Uebermuth
-bewahrt und im Unglücke vor Verzweiflung schützt?«</p>
-
-<p>Diese Worte waren an einen ältlichen Mann gerichtet,
-der dem Priester gegenüberstand und der leidenschaftlichen
-Rede desselben mit kalter Ruhe zuhörte.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_017" title="17"> </a>
-»Durch das Bewußtsein, daß Moral und Sittlichkeit
-nicht erst der Ausfluß einer geoffenbarten Religion
-sein müssen, denken wir das Verlorene zu ersetzen,« erwiederte
-der Gefragte. »Wir wollen beweisen, daß nicht
-in den rohen, materiellen Gefühlen des Fürchtens und
-Hoffens auf Vergeltung der wahre, edle Kern der Moral
-liege, sondern daß er in der geistigen Veredlung, in der
-Entwicklung des Rechtsgefühls, in der Unabhängigkeit
-und in der Scheu vor jedem unredlichen Beginnen zu
-suchen und zu finden sei. Die Menschheit lebt, wie Euer
-Heiligkeit richtig bemerkten, in einem materiellen Zeitalter,
-in welchem Hypothesen nicht mehr genügen, die
-nüchterne Menschheit verlangt jetzt Axiome. Gebt ihr
-solche, und sie wird wieder ihre Knie vor der Kirche
-beugen und auch ihr Geist wird anbetend vor Euch
-niederfallen.«</p>
-
-<p>Der Priester maß ihn mit finsteren Blicken und erwiederte
-dann mit grollender Stimme:</p>
-
-<p>»Wo die Ueberzeugung, da ist kein Glaube mehr.
-Wie die Vernunft so vermessen wird, mit dem Secirmesser
-der kalten Berechnung den Glauben zergliedern
-zu wollen, da kehrt dieser zum göttlichen Spender zurück,
-und der ruchlose Anatom sucht ihn vergebens im zerfleischten
-Cadaver.«</p>
-
-<p>»Der Befund im Cadaver muß der einzig richtige
-<a class="pagenum" id="page_018" title="18"> </a>
-Leitfaden für den Forscher sein,« mischte sich nun Graf
-Roller in den Disput.</p>
-
-<p>»Der denkende Mensch will keinen blinden Glauben,
-er will Wahrheit, und zur Wahrheit kann man nur durch
-Forschen und Wissen, nur durch Aufklärung gelangen,«
-behauptete ein Mann mit blassen, melancholischen Zügen.
-»Mag die Wahrheit noch so grauenvoll sein, der denkende
-Mensch wird sie immer der lieblichsten Selbsttäuschung
-vorziehen.«</p>
-
-<p>»Die Corruption und all' das scheußliche Heer der
-Sünden hat Eure gepriesene Aufklärung der Menschheit
-gebracht,« schrie der Priester, dessen Augen jetzt wie
-zwei sprühende Feuerräder rollten. »Ihr bläht Euch mit
-der Vernunft, mit dem Wissen und bleibt doch bei jedem
-Schritt und Tritt vor unauflöslichen Problemen stehen.
-Mit frecher Stirn nennt Ihr sogar das Gehirn Erzeugungsorgan
-der Seele, trotzdem Euch nicht mehr als
-die äußere Anatomie der Form davon bekannt ist. Gesteht
-doch einer Eurer mächtigsten Herrscher auf dem
-Gebiete des Wissens, daß die Anatomie des inneren
-Baues des Gehirnes für immerdar ein mit sieben Siegeln
-geschlossenes und noch dazu in Hieroglyphen geschriebenes
-Buch ist.«</p>
-
-<p>»Meine Herren, ruhig mögt Ihr nach Herzenslust
-<a class="pagenum" id="page_019" title="19"> </a>
-plaudern, nur nicht das Blut erhitzen,« ermahnte ein
-Wärter.</p>
-
-<p>Zerline war dem Disput mit großer Aufmerksamkeit
-gefolgt. Sie vermochte es kaum zu glauben, daß sie
-Pensionäre der Irrenanstalt reden hörte. Was ihr
-Interesse noch steigerte, war, daß sie in dem jungen,
-schönen Priester den Fastenprediger erkannte, dessen Reden
-sie stundenlang in lautloser Verzückung zu lauschen pflegte.
-Nach den rauschenden Freuden des Carnevals war es
-für sie eine gruselnde Wollust gewesen, von dem schönen
-Prediger die Pein, die der Sünder im Reiche Satans
-harrte, mit glühender Beredsamkeit schildern zu hören.
-Sie konnte das Auge von ihm nicht abwenden. Wenn
-er sprach, belebte sich das starre, bleiche Antlitz und sein
-dunkles Auge glühte und der Körper bebte und jede
-Muskel zuckte. Er war schön, der bleiche Priester, so
-schön, daß Zerline in seinem Anblick versunken den eigentlichen
-Zweck ihres Besuches in der Anstalt vergaß und
-den Grafen, der sie zum Weitergehen aufforderte, ersuchte,
-bis zur Beendigung des Disputes zu bleiben.</p>
-
-<p>»Der Priester laborirt an jener chronischen Seelenstörung,
-die wir partielle Verrücktheit nennen,« flüsterte
-ihr der Graf zu. »Er ist im Wahne, der heilige Vater
-zu sein und schleudert als kirchliches Oberhaupt alle
-seine Blitze gegen die Pionniere der Aufklärung. Im
-<a class="pagenum" id="page_020" title="20"> </a>
-steten Kampfe ist er mit diesem Patienten.« Er bezeichnete
-den ältlichen Mann, der dem Priester kampfbereit gegenüberstand.
-»Dieser, im Wahne der Zeitgeist zu sein, sucht
-seinerseits jedes Bollwerk gegen Forschung und Wissen
-darniederzureißen und steht dem Fanatiker feindlich gegenüber.«</p>
-
-<p>Die Irren hatten ihren Wortkampf wieder aufgenommen.</p>
-
-<p>»Die Wissenschaft gesteht mit ehrlicher Offenheit
-ihre Ohnmacht, manches Problem zu lösen, und fordert
-dadurch die Menschheit zu noch angestrengterem Forschen
-auf,« sprach der Widersacher des Priesters mit leidenschaftsloser
-Ruhe.</p>
-
-<p>»Die Forschung ist die Pforte zur Wahrheit und
-das Wissen ist ihr Tempel,« ließ sich der Irre mit den
-bleichen, melancholischen Zügen wieder vernehmen. »Das
-leuchtende Antlitz dieser Gottheit verschmäht den Schleier
-der Mystik, ihre majestätische Gestalt umwallen keine
-Prunkgewänder; sie lockt nicht mit Lohn und droht nicht
-mit Strafe. Ernst und leidenschaftslos thront sie auf
-ihrem erhabenen Sitz und ist jedem Menschenkinde zugänglich.
-Wer ihr Antlitz schauen will, darf nicht blind
-glauben, der muß nur forschen, denn Zweifel sind die
-Stufen, die zur Wahrheit führen.«</p>
-
-<table summary="" border="0" cellpadding="0">
- <tr><td class="tdl">»Bairisch Bier und Leberwurst
- <a class="pagenum" id="page_021" title="21"> </a></td></tr>
- <tr><td class="tdl">Juchheidi, juchheida,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und ein Kind mit runder Brust,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Juchheidi, heida,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und ein Glas Krambambuli,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Donnerwetter Parapluie,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Juchheidi, heidi, juchheidi, juchheida,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Juchheidi, heidi, heida, juchheidi, heida!«</td></tr>
-</table>
-
-<p class="in0">krächzte ein Irrer, dessen rubinrothe Nase ihn als Verehrer
-des Bacchus kennzeichnete. »Schweig', Ritter von
-der breiten Krämpe, oder lasse Bacchus leben!« rief er
-dem Priester zu.</p>
-
-<table summary="" border="0" cellpadding="0">
- <tr><td class="tdl">»Vivat Bacchus, Bacchus lebe,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Bacchus war ein braver Mann.«</td></tr>
-</table>
-
-<p>»<i>Delirium tremens</i>,« flüsterte jetzt der Graf dem
-Fräulein Doctor zu, welches nur Auge und Ohr für den
-schönen Fastenprediger hatte.</p>
-
-<p>Der Eiferer ließ sich durch die triviale Unterbrechung
-des Säufers in seinem Dispute nicht stören und erwiederte
-dem Wahrheitssucher mit schneidendem Hohngelächter:
-»Sprecht nur den göttlichen Gesetzen Hohn,
-entsagt schamlos der Menschenwürde und pflanzt nur
-die Vernunft als Glaubensfahne auf. Die gepriesene
-Vernunft wird Euch zur Wahrheit führen, die Vernunft,
-welche der aufgeklärten Menschheit zur ehrenvollen Verwandtschaft
-mit dem Kletterthier verholfen hat. Und du,
-ihr Apostel, wohin hat dich deine Forschung geführt?
-<a class="pagenum" id="page_022" title="22"> </a>
-Die Wahrheit hast du gesucht und das Irrenhaus hast
-du gefunden.«</p>
-
-<p>Ein Blick unsäglicher Verachtung aus dem Auge
-des Wahrheitssuchers fiel auf den Zeloten. Er wollte
-antworten, als ein Mann von finsterem Aussehen das
-Wort ergriff.</p>
-
-<p>»Ich behaupte, daß, wenn die Herren Affen nur die
-Macht des Wortes besäßen, sie gegen die noble Verwandtschaft
-mit dem Menschen energisch protestiren
-würden,« versicherte der Sprecher mit großer Bestimmtheit.
-»Die Herren Affen leben ruhig und friedlich in
-ihrem primitiven Zustande nur der Befriedigung ihrer
-natürlichen Bedürfnisse, die Herren Affen sind von allen
-Krebsschäden, die an der menschlichen Gesellschaft fressen,
-unberührt. Hochmuth, Eigendünkel, Herrschsucht, Selbstsucht,
-Scheinheiligkeit, Verleumdung, Verlogenheit,
-Heuchelei, Falschheit, Treulosigkeit und wie sonst noch
-das Heer menschlicher Leidenschaften heißen mag, nisten
-vorzüglich in der Menschenbrust. Jetzt frägt es sich&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Ja, alle diese Leidenschaften nisten im Herzen des
-Weibes,« unterbrach ihn Graf Roller in sichtlicher Aufregung.
-»Fand ich doch alle diese geflügelten Ungeheuer
-im Herzen der Falschen.« Hier brach er ab und zuckte
-schmerzhaft zusammen.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_023" title="23"> </a>
-Zerline hatte nur Augen für den schönen Priester,
-dessen Geist trotz des logischen Zusammenhanges seiner
-Rede in der Macht des Wahnsinns sein sollte. Wenn
-dies Wahnsinn war, frug sie sich, was war gesunder
-Sinn zu nennen? Alle, die ihr zu Füßen lagen, besaßen
-nicht das Wissen und nicht die Beredsamkeit dieser Unglücklichen,
-die von der Außenwelt abgeschlossen hier ihr
-trauriges Dasein verbrachten.</p>
-
-<p>»Die wahre Pest unserer unseligen Zeit seid Ihr,
-die Häupter der tückischen Bande, die sich die Organe
-der öffentlichen Meinung nennen,« wendete sich der Eiferer
-wieder an einen Mann, der in ein Journal vertieft
-zu sein schien. »Ihr reißt die Welt aus den Fugen und
-verläugnet und kreuzigt mit Eurer ruchlosen Aufklärung
-die heilige Religion.«</p>
-
-<p>»Die Aufklärung verläugnet nicht die Religion,«
-entgegnete der Angeredete die Achsel zuckend. »Die Aufklärung
-will nur nicht diese Religion, wie manche Priester
-sie geben. Wahre Religion begehrt weder Demuth noch
-knechtische Furcht, sie verlangt Selbstständigkeit und inneres
-Durchdrungensein von ihrer Wahrheit, sie will nicht mit
-Zittern und Zagen, sie will nur mit Liebe umfaßt sein.«</p>
-
-<p>»Baut nur Eurem Götzen stolze Tempel und übergoldet
-seine Altäre mit dem Raube, den Ihr mit verruchter
-Hand an mir, dem Stellvertreter Petri, und auch
-<a class="pagenum" id="page_024" title="24"> </a>
-an den Frommen der gesammten Christenheit begangen
-habt,« schrie der Zelot mit heftiger Gesticulation. »Führt
-nur die Bauten eures sündhaften Hochmuthes bis in
-die Wolken und sucht den Himmel zu stürmen. Thut
-dies, Ihr ruchlosen Umstürzler, thut dies, bis Ihr die
-Langmuth Jehovas ermüdet und Ihr den Lohn dafür da
-findet, wo ewig Heulen und Zähneklappern ist.«</p>
-
-<table summary="" border="0" cellpadding="0">
- <tr><td class="tdl">»Der Frosch und die Unken</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und andere Halunken,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Die können nur zechen</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Mit rächelndem Rachen,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Sie schlürfen aus Bächen,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Aus Pfützen und Lachen,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Aus Gruben und Klüften,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Aus Weihern und Teichen,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Aus Gräbern und Grüften</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und manchem dergleichen</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und plärren im Chor,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Auf Moder und Moor</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Nur Schnickschnack und Schnackschnack</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und Unkunk und Quackquack,«</td></tr>
-</table>
-
-<p class="in0">näselte der Trunkenbold, sein Lied mit possierlichen Grimassen
-begleitend.</p>
-
-<p>Der Zeitungsschreiber hatte sich erhoben und stand
-in drohender Haltung dem Priester gegenüber. »Elender
-Fanatiker, mich, dessen einziges Ziel es ist, die Menschheit
-zu beglücken, den Gründer des echten, reinen Glaubens,
-zeihest du des Raubes, der schmutzigen Gewinnsucht?«
-<a class="pagenum" id="page_025" title="25"> </a>
-rief er zornig. »Religion ist Gold, im urbaren Zustande
-dem Menschen in die Hand gegeben. Ich habe die leuchtende
-Goldfaser entdeckt, und du, Finsterling, betest die Schlacken
-an. Mein Cultus bedarf nicht der Vergoldung. Der
-Tempel meiner Religion ist jedes edle Menschenherz,
-ihr Altar ist die Menschenliebe, ihr Gebet ist Menschlichkeit
-und ihr Lohn ist das Bewußtsein, seine
-Pflicht als Mensch zu erfüllen. Wozu bedarf ich des
-Goldes, wozu der physischen Macht? Mein reiner
-Glaube will keine käuflichen Glaubensüberläufer und
-er verschmäht auch jedes Gewaltmittel zu seiner Ausbreitung.«</p>
-
-<p>»Warum hast du mir also mein Reich geraubt,
-warum hast du mir meine weltliche Macht genommen?«
-schrie der Zelot in leidenschaftlicher Erregung.</p>
-
-<p>»Dein Reich ist nicht von dieser Welt,« rief eine
-hagere, fleischlose Gestalt, auf den Priester zuschreitend.
-»Meine Lehre verbietet dir, nach irdischer Größe, nach
-sündigem Reichthum zu streben, und nach irdischer Macht
-und nach irdischem Prunk lechzt deine Seele. Sündiger
-Verkünder meiner Worte, nur du und deinesgleichen,
-Ihr kreuzigt meinen Glauben und macht alle meine
-Wunden auf's Neue bluten.«</p>
-
-<p>»Religiöser Wahnsinn,« belehrte der Graf Zerlinen
-<a class="pagenum" id="page_026" title="26"> </a>
-und setzte ihr dann auseinander, wie der Unglückliche,
-im Wahne der Heiland zu sein, stundenlang mit ausgespannten
-Armen dastehe und wie sein kranker Geist
-ihn alle die fürchterlichen Qualen des Martyriums
-wirklich empfinden lasse.</p>
-
-<p>»Die Liebe ist der Grundstein meines Glaubens,
-und Liebe und Nachsicht muß der Kitt sein, der den Bau
-des Christenthums zusammenhält,« fuhr der eingebildete
-Erlöser fort. »Der echte Diener Gottes muß des Glaubens
-Trost in das wehe Menschenherz gießen, er muß den
-Unglücklichen aus den öden Steppen der Verzweiflung
-auf die ewig grünende Oase der Hoffnung hinführen,
-er muß an dem unversiegbaren Born der göttlichen
-Gnade ihn erlaben, vor dem verderblichen Sturm der
-Leidenschaften ihn warnen und Stab und Stütze ihm
-sein auf der irdischen Dornenbahn. Und sein Gebet
-muß nur Gnade und Verzeihen für die Sünder
-erflehen, Vertilgung aber soll es nur für die Sünde
-erbitten! So will ich die Verkünder meiner Lehre!«
-rief der Irre mit gebieterischer Handbewegung. »Durch
-Liebe und Duldsamkeit wird mein Glaube verherrlicht,
-durch Liebe und Duldsamkeit wird seine Macht unerschütterlich,
-und unbezwingbar steht er seinen Feinden
-gegenüber, wenn er überhaupt dann noch Feinde
-zählt.«</p>
-
-<table summary="" border="0" cellpadding="0">
- <tr><td class="tdl">»Herr Bruder, nimm dein Gläschen
- <a class="pagenum" id="page_027" title="27"> </a></td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und trink' es fröhlich aus;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und wirbelt's dir um's Näschen,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">So führ' ich dich nach Haus.</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Bedenk', es ist ja morgen</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Schon Alles wieder gut,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Der Wein vertreibt die Sorgen</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und gibt uns frohen Muth,«</td></tr>
-</table>
-
-<p class="in0">sang jetzt der rothnasige Zecher, auf den Erlöser zuschreitend.
-Er faßte ihn am Arm und zog ihn trotz
-seines Sträubens mit sanfter Gewalt aus dem Saale.</p>
-
-<p>Der streitsüchtige Priester suchte nun wieder einen
-Gegenstand für seine Disputirwuth. Er packte den Irren,
-welcher sich einbildete der Zeitgeist zu sein, und setzte
-ihm so hart zu, daß es ihm zuletzt gelang, diesem seine
-Gelassenheit zu rauben.</p>
-
-<p>»Die Zeit ist um, in der die Furcht vor unbekannten
-Schrecken die Menschheit abhielt, Eure drohenden Phantome
-vor das Forum der Vernunft zu citiren,« schrie nun
-der Zeitgeist zornig. »Die Menschheit will nicht mehr
-die von Euch construirte Brille tragen, die ihr nicht
-erlaubt über den ihr angewiesenen Gesichtskreis zu
-schauen. Ich, der mächtige Zeitgeist, habe Euren Himmel
-gestürmt, ich habe Eure morsche Zwingburg in Schutt
-und Trümmer gelegt. Mich bekämpfst du, Priester, vergebens.
-Du, jämmerlicher Pygmäe, willst hemmend in
-mein Schaffen und Wirken eingreifen. Ich werde dich
-<a class="pagenum" id="page_028" title="28"> </a>
-mitleidslos zermalmen, wenn du mich an der glorreichen
-Vollendung meines Werkes zu hindern suchst.«</p>
-
-<p>»Mit wem sprichst du, Verbreiter der schändlichsten
-Sacrilegien?« brüllte der Priester. »Du schmähst mich,
-den unfehlbaren Stellvertreter Petri. Ich will dich in den
-Pfuhl der ewigen Verdammniß&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Hier bemächtigte sich der Wärter der geballten
-Fäuste des Eiferers, die sich in sehr bedrohlicher Weise
-dem Gesichte des Zeitgeistes genähert hatten, und führte
-den Erbitterten einige Schritte abseits.</p>
-
-<p>»Ja, es ist eine kritische Zeit, heiliger Vater,«
-sprach ein bis nun stummer Zuhörer, mit bedenklichem
-Kopfschütteln zum Priester, der sich grollend in einen
-Winkel zurückgezogen hatte. »Das Consortium der ewigen
-Seligkeit ist in einer argen Klemme. Unsere Actien sind
-durch die Contremine des Zeitgeistes weit unter ihren
-Nominalwerth herabgedrückt worden. Nicht die Manöver
-eines erhöhten Zinsfußes und nicht die lockende Aussicht
-auf eine Superdividende vermögen uns jetzt zu helfen.
-Der einzige Ausweg wäre,« fügte er im Flüstertone
-hinzu, »mit der gut accreditirten Aufklärung einen Cartelvertrag
-abzuschließen.«</p>
-
-<p>Ein Blitz unsäglicher Wuth entsprang dem Auge
-des Priesters. Einige nicht wiederzugebende Ausdrücke
-<a class="pagenum" id="page_029" title="29"> </a>
-waren der Lohn für den wohlmeinenden Rath des gutherzigen
-Vermittlers.</p>
-
-<p>Zerline, ganz im Anblicke des Priesters versunken,
-hatte, wie schon erwähnt, fast den Zweck ihres Besuches
-in der Anstalt vergessen. Sie konnte und wollte nicht
-glauben, daß der schöne Fastenprediger geisteskrank sei.
-Als sie aber gewahrte, daß er für sie keinen Blick habe,
-da begann sie allmälig zur Erkenntniß seines Irrsinns
-zu gelangen. Unglaublich! Bei ihm schien ihr herausforderndes
-Lächeln, das verführerische Spiel ihrer Augen,
-kurz die ganze Musik ihrer Reizungen stumpfe Sinne zu
-finden. Wohl hatte sie von Asketen vernommen, die, mit
-dem Panzer der Heiligkeit umgürtet, jeglichem Sinnesreiz
-unzugänglich waren, aber diese sollen welke, lebensmüde
-Greise gewesen sein, die vielleicht gar von der Verführung
-verächtlich übersehen worden waren. Nicht so der schöne
-Priester. Ein junges, pulsirendes Leben. Und er blieb
-kalt und unempfindlich bei all' den Glutgeschossen aus
-dem Feuerauge der sinnberückenden Zerline. Bedurfte es
-da erst eines ärztlichen Attestes, um seine Verrücktheit
-zu bescheinigen? Ja, er war unheilbar wahnsinnig. Voll
-Aerger und mit dieser Ueberzeugung verließ sie endlich
-den Saal, um mit dem Grafen den Rundgang in der
-Anstalt fortzusetzen.</p>
-
-<p>Als sich die Thüre hinter ihnen geschlossen, meinte
-<a class="pagenum" id="page_030" title="30"> </a>
-der Graf lächelnd, es sei sonderbar, daß die Himmelsinspectoren
-noch immer den Zins für ein Plätzchen im
-Himmel bis zur Unmenschlichkeit steigerten. Hierauf begann
-er wieder eine gelehrte Abhandlung über göttliche
-und irdische Liebe. Letztere nannte er eine <i>insania mentis</i>,
-und Diejenigen unwissende Thoren, die, ohne nach dem
-Befund mit dem Secirmesser im Muskelsack, <i>vulgo</i> Herz,
-zu forschen, über diesen Krankheitsproceß polemisirten.
-Der leitende Faden im Labyrinthe der Diagnostik sei,
-behaupte er, nicht im Verfolgen des Krankheitsprocesses
-zu suchen, und auch auf das Wesen des Processes werde
-durch das Nacheinander von Erscheinungen in acuter
-regressiver, acuter progressiver, subacut progressiver,
-chronisch progressiver, aufsteigender, absteigender Verlaufsweise
-kein Licht geworfen. Dies behaupte er mit bewußter
-Sicherheit und er hoffe, daß auch Zerline sich seiner
-Behauptung trotz der widersinnigen Ansichten der modernen
-Psychiatrie anschließe. Bei den letzten Worten nahm sein
-Antlitz einen seltsam verzerrten Ausdruck an und seine
-Augen begannen zu glühen. Zerline, deren Gedanken
-noch immer beim schönen Priester weilten, bemerkte die
-Veränderung im Gesichtsausdrucke des Grafen nicht. Sie
-nickte zum gelehrten Gallimathias, von dem sie kein Wort
-verstand, beifällig mit dem Kopfe, und dieser stumme
-Beifall verscheuchte alle Wolken von der Stirn ihres
-<a class="pagenum" id="page_031" title="31"> </a>
-Führers. Bald waren sie bei einem zweiten Corridor
-angelangt. Auf das Pochen des Grafen wurde eine
-Thüre wie zuvor von innen durch einen Wärter geöffnet
-und sofort hinter ihnen wieder geschlossen.</p>
-
-<p>Im Gange spazierten einige Männer mit über
-dem Rücken oder über der Brust gekreuzten Armen
-schweigend auf und nieder.</p>
-
-<p>Der Graf bezeichnete sie als Apostel des Scheinwissens,
-der Vernünftelei, die das rationelle Wissen, das
-gründliche Forschen durch die rostzerfressene Waffe der
-Metaphysik zu bekämpfen suchen, als Vernunftgaukler,
-die auf dem schwanken Seil einer speculativen Philosophie
-ihre Künste zeigen und sich der Trugschlüsse als Balancirstange
-bedienen. »Narren, die über Liebe polemisiren,«
-bezeichnete er wieder zwei Männer, die mit sichtlicher
-Erregung zu einem Wärter sprachen.</p>
-
-<p>»Johann, gesteht es nur, vermag alle Zweifelsucht
-die Wunder der Liebe zu läugnen?« rief der Eine, die
-Hand des Wärters ergreifend. »Gibt es für eine schöne
-Seele ein süßeres Glück als dieses veredelnde Gefühl,
-das großmüthig alle Freuden spendet, ohne solche zu
-verlangen, denn reine Liebe kann nur geben und nicht
-begehren. Reine Liebe mildert die Ueberlegenheit des
-Starken, sie hilft der Schwäche aus ihrer Ohnmacht auf,
-<a class="pagenum" id="page_032" title="32"> </a>
-sie ist die heiligste Empfindung, sie strömt aus der reinsten
-Quelle und ist göttlicher Natur.«</p>
-
-<p>»Johann, laßt Euch nicht betören,« schrie der
-Zweite und bemächtigte sich der anderen Hand des Wärters.
-»Die Liebe ist nur ein Sinn, der darnach strebt, sich mit
-dem Sinnlichen zu vereinbaren, eine Ueberreizung des
-inneren Sinnes, der seine krankhafte Anschauung dem
-äußeren Sinne unterschiebt. Darum der Wahn, den Gegenstand
-der Anbetung in einem Nimbus von Vollkommenheiten
-zu sehen, die dieser nicht besitzt. Das Grab aller
-dieser exaltirten Empfindungen ist der Besitz. Mit dem
-Besitz tritt die Vernunft wieder in ihr Recht und rächt
-sich, durch die ihr widerfahrene Vernachlässigung gekränkt,
-durch eine desto unumschränktere Herrschaft. Was
-geschieht also jetzt? Da sich die Trunkenheit des Geistes
-an dem Taumel der Sinneslust verflüchtigt hat, erhebt
-sich nun der so lange daniedergehaltene Geist und betrachtet
-nüchtern den Gegenstand, dem er eine gottgleiche
-Anbetung gezollt hat. Was findet er da? Ein mit allen
-Schwächen und Gebrechen behaftetes Wesen. Welche
-Wandlung tritt nun bei ihm ein? Aus dem Auge seines
-Idols, früher für ihn der Spiegel tiefster Empfindungen,
-gähnt ihn jetzt ein Meer von Inhaltslosigkeit an, das
-süße, ihm einst unsägliche Wonne spendende Lächeln
-wird ihm zur widrigen Grimasse und die schmelzend modulirende
-<a class="pagenum" id="page_033" title="33"> </a>
-Stimme, die zuvor alle Fibern seines Herzens
-erzittern machte, wird ihm zum tremolirenden, unharmonischen
-Klang. Jetzt hat sich die Liebe in Gleichgiltigkeit
-oder in Widerwillen oder gar in Haß verwandelt.
-Nun beginnt die Unterwürfigkeit nach Unterjochung zu
-streben, und der demüthige, willenlose Sclave wird ein
-harter, grausamer Gebieter. Dies ist die einzig logische
-Erklärung vom Ursprung und vom Ende der Liebe, die
-ideale Gefühlsdusler mit einer überirdischen Strahlenglorie
-umgeben. Johann, meine Auseinandersetzung ist doch
-klar und faßlich. Laßt Euch durch den Redeschwulst eines
-Geisteskranken vom Wege der Vernunft nicht weglocken.«
-Die letzten Worte wurden mit einer nicht zu
-mißverstehenden Geberde auf seinen Widersacher begleitet.</p>
-
-<p>»Freilich sehe ich ein, daß Sie vernünftig beweisen,
-fünf sei eine gerade Zahl,« bestätigte der Kampfrichter.</p>
-
-<p>Bei dieser Versicherung umspielte ein Lächeln stolzer
-Befriedigung den Mund des Preisgekrönten, während
-sich auf der Stirne seines Gegners dräuende Wolken
-des Zornes häuften.</p>
-
-<p>»Du wagst es, die platonische Liebe mit dem thierischen
-Triebe, die reine Himmelstochter mit der irdischen Venus
-<a class="pagenum" id="page_034" title="34"> </a>
-zu identificiren?« schrie der Platoniker wild gesticulirend.
-»Es ist keine Kunst, über Gefühle Meister zu werden,
-die deine schmutzige Seele nicht einmal flüchtig bestreichen.
-Dem groben Stoff ist das erhabene Gefühl, welches
-den Geist zwingt, vor dem Gegenstand seiner Anbetung
-niederzufallen, ein Geheimniß, das er nie ergründen
-kann. Johann, gebt dem schmutzigen Cyniker keine Macht
-über Euch, glaubt seinen Worten nicht, sie sind giftiger
-Mehlthau für die edelsten, erhabensten Blüthen, die
-eurer Seele entsprießen.« Hier zitterte seine Stimme
-und sein Auge ruhte flehend auf dem Wärter.</p>
-
-<p>»Ja, ja, Ihre Behauptung ist die richtige. Ein
-runder Tisch hat vier Ecken,« bestätigte der gutmüthige
-Wärter.</p>
-
-<p>Jetzt tänzelte eine lange, dürre Gestalt, mit allen
-Merkmalen eines Löwen der Mode ausstaffirt, auf die
-Streitenden zu.</p>
-
-<p>»Der Platoniker und der Cyniker bauen schon wieder
-ihre Luftgebäude von Sophismen,« rief er verächtlich.
-»Ich bin Raoul von Biber, der alle Frauenherzen mit
-eben solchem Gleichmuth wie die Austern verspeist. Wer
-wagt es über Liebe zu sprechen, ohne zuvor mein Gutachten
-hierüber einzuholen? Ich will eure Lügengebäude
-Kartenhäusern gleich zusammenschmeißen.« Und nun begann
-<a class="pagenum" id="page_035" title="35"> </a>
-der Weiberherzenfresser wunderbare Mären von
-seinen Eroberungen zu erzählen. In seinem Siegesregister
-wimmelte es von Fürstinnen und Herzoginnen, die sich um
-ihn die Augen ausgeweint. Primadonnen und dramatische
-Größen hatten nur für ihn gesungen und gespielt
-und zahllose Unglückliche hatten sich aus Verzweiflung
-über seine Kaltherzigkeit die Pulsadern aufgeschnitten
-oder das kalte Wassergrab aufgesucht. Raoul behandelte,
-seiner Versicherung nach, die Unglücklichen, die nach der
-glänzenden Schmach, seine Sclavinnen zu sein, lechzten,
-mit kalter Grausamkeit. Er warf einfach der Bevorzugten
-das Schnupftuch zu und nahm es wieder
-zurück, wenn er eine Andere vor Selbstmord bewahren
-wollte.</p>
-
-<p>»Der alberne Nickvogel hat sich einen phantastischen
-Harem mit glutäugigen und antilopenäugigen Odalisken
-geschaffen,« flüsterte Graf Roller Zerlinen zu, und als
-sie ihren Rundgang fortsetzen, erzählte er, wie eines
-Tages die Schattengestalten, mit denen Raoul seinen
-selbstgeschaffenen Harem bevölkerte, sich plötzlich für
-ihn zu verkörpern begannen. In jedem Weibe erblickte
-er nur eine erlauchte Persönlichkeit und zuletzt warf
-er sich einer überreifen Tochter Libussas zu Füßen,
-deren vornehmste Eigenschaften in der geschickten
-Handhabung von Scheuerbesen und Aufwaschlappen
-<a class="pagenum" id="page_036" title="36"> </a>
-gipfelten, und bat sie flehentlich, ihn als Prinz-Gemal
-zu acceptiren.</p>
-
-<p>Zerline hörte dem Grafen gelangweilt und mit
-Mühe das Gähnen unterdrückend zu. Der Weiberherzenfresser
-war für sie nicht neu und nicht interessant. Wie
-viele solche eingebildeter Frauenbezwinger zählen zu ihren
-Bekannten! Ein gutes Stück von Raouls Narrheit steckte
-ja sogar in ihren mächtigen Gönnern. Wie ganz verschieden
-war dies, was sie hier sah und vernahm, von dem, was
-sie erwartet hatte. Was konnte sie eigentlich aus diesem
-Wahnsinn für ihre Rolle Ersprießliches schöpfen? Sie
-suchte ja nur den Wahnsinn, der der Verzweiflung entspringt
-und Schrecken verbreitet. Was hatte sie bis jetzt
-im Irrenhause gefunden? Narren, die sich vernünftiger
-geberdeten als alle Anbeter, die zu ihren Füßen lagen.
-In diesen nicht sehr erquicklichen Gedanken unterbrach
-sie der Graf. Er machte sie auf einige Individuen aufmerksam,
-deren Antlitz einen stark ausgeprägten Zug
-speculativer Schlauheit aufzuweisen hatte. Er bezeichnete
-sie als Opfer der Börsenkatastrophe. Einen ältlichen
-Mann, dessen Brust eine Unzahl Orden aus Goldpapier
-schmückte, bezeichnete er als einen gewesenen Börsenmatador,
-der unermüdlich immer neue Pläne schmiede, um seine
-verlorenen Schätze wieder zu erobern. Pläne, die natürlich
-an Widersinn und Verrücktheit kaum ihres Gleichen
-<a class="pagenum" id="page_037" title="37"> </a>
-fänden, die aber ein glänzender Beleg für seine Raffinirtheit
-in Gewinnerspähung waren. Er wendete sich nun an
-den Irren und frug ihn, ob er schon einen neuen Plan
-ersonnen habe, um Papier zu säen und Gold zu ernten.
-Die Antwort war bejahend. Der Geisteskranke versicherte,
-er habe den Schlüssel zur Pforte, die in das Goldland der
-Glücksgöttin führe, nach angestrengtem Suchen endlich doch
-gefunden. Dieser kostbare Fund habe ihm wieder einen Orden
-von einem überseeischen Serenissimus eingetragen. Dabei
-nestelte er feierlich einen papierenen Orden von seinem Wams
-los, drückte diesen ehrfurchtsvoll an seine Lippen und
-sein Rücken nahm nun eine solch' unterthänige Krümmung
-an, daß man schier vermeinte, er wolle dem überseeischen
-Serenissimus seine überschwängliche Kriecherei veranschaulichen.</p>
-
-<p>Der Graf bezeichnete ihn mit verächtlicher Geberde
-als den obligaten Speichellecker der Mächtigen. Dieser
-Schlag Menschen, behauptete er, sei nach Darwin ein
-schlagender Beweis der Accommodationsfähigkeit lebender
-Organismen. Dann wendete er sich wieder an den Irren
-mit der Aufforderung, ihnen seinen genialen Plan, um
-die rollende Kugel der launischen Glücksgöttin festzuhalten,
-mitzutheilen. Der Patient war gleich bereit diesen Wunsch
-zu erfüllen und begann in der weitschweifigsten Weise
-seinen Finanzplan zu entrollen.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_038" title="38"> </a>
-Er habe den genialen Gedanken, durch eine Drahtseilbahn
-in den Mond zu gelangen, um hier die Goldbergwerke
-und die Diamantenfelder auszubeuten, theilte
-er dem Grafen mit. Um nun dieses großartige Project
-durchzuführen, müsse er zuvor einige glänzende Namen
-an die Spitze seines Unternehmens stellen, und durch
-einige gefällige Zeitungsschreiber sein Programm als
-überaus günstig anpreisen lassen. Schon beim Beginn
-wolle er trachten, aus der Rechnung der Einrichtungsspesen
-den möglichst hohen Nutzen zu ziehen, und bei
-jeder Wahl werde er durch bezahlte Strohmänner sich
-die Stimmenmehrheit zu sichern wissen. Für Geld und
-gute Worte werde er auch eine freundliche Bank finden,
-welche bei seinen Papierembryos Pathenstelle vertreten
-und diese noch vor der Geburt im Thronsaale Fortunas
-einführen und cursfähig machen würde. Wenn diese also
-lancirt wären, könnte er sie mit einem fabelhaft hohen
-Agio in die Welt schicken. Natürlich würde er dann den
-Gewinn einstecken und für sich die Präsidentenstelle reserviren,
-seine Freunde jedoch zu Verwaltungsräthen machen,
-um das Institut, das er geschaffen, nach Belieben zu
-Grunde richten zu können. Dabei kicherte der Irre und
-rieb sich vergnügt die Hände und machte seltsame Bockssprünge,
-um seine Freude zu bezeigen, und fuhr immer
-fort seinen Plan zu entwickeln. Wenn er die Cassen mit
-<a class="pagenum" id="page_039" title="39"> </a>
-Hilfe seiner Freunde geleert habe, sprach er weiter, wolle
-er den Köder einer Superdividende auswerfen und dann
-durch einen Cartelvertrag mit einem unter anderem
-Namen ebenfalls von ihm gegründeten Institute die
-dummen Actionäre wieder vertrauensselig machen. Unter
-der Vorspiegelung, das junge Unternehmen werde an
-dem maßlosen Gewinnste der Mutteranstalt participiren,
-könnte man sich auch leicht das Bezugsrecht des jungen
-bezahlen lassen. Sodann beginne er die Effecten seiner
-Schöpfung durch Scheinverkäufe zu contreminiren und
-schraube sie nach erfolgter Baisse durch lebhafte Nachfrage
-in die Höhe.</p>
-
-<p>Es ist selbstverständlich, daß Zerline kein Sterbenswörtlein
-von diesen genialen Finanzoperationen begriff,
-ebenso wenig verstand sie die Behauptung des Grafen,
-daß dieses erhaltene Maß von Intelligenz bei Verrückten
-erstaunlich sei. Dies, meinte er dann, sollte nur unter
-der Annahme verständlich sein, daß wahrscheinlich ein
-geregelter Ablauf im logischen Apparate des Vorderhirns
-eine minder intensive Arbeitskraft erfordere, als
-die Ausübung der Hemmungsacte. Dies wäre die Erklärung
-eines mächtigen Fürsten auf dem Gebiete der
-modernen Psychiatrie.</p>
-
-<p>Plötzlich wurde der Graf von einem Manne am Arm
-gefaßt und freundlich begrüßt. Als Professor und als
-<a class="pagenum" id="page_040" title="40"> </a>
-ein leuchtender Stern am Firmamente des Wissens stellte
-der Graf diesen Zerlinen vor und frug sodann den Patienten,
-ob es ihm schon gelungen sei das Problem zu lösen.</p>
-
-<p>»Mein Werk ist vollendet, das Problem ist gelöst
-und vor dem unerbittlichen Feinde der Zoobionten ist
-fortan eine unübersteigliche Schranke errichtet,« versicherte
-der Professor mit wichtiger Miene. »Die Zerstörungswuth
-der grausamen Natur wird endlich lahmgelegt
-werden und ihre widersinnigen Anstrengungen, ihre herrlichsten
-Werke zu vernichten, werden sich an meiner Combination
-machtlos brechen. Der Mensch wird nicht mehr
-der Sclave seines Blutes sein, er wird mit starker Hand
-das Steuer seines Lebensschiffes regieren, er wird ebenso
-der Windstille wie der sturmgepeitschten rothen Wogen
-spotten. Der Puls darf nicht mehr der Zeiger der Lebensuhr
-sein, der Schädel nicht die Gedankenhilfe, die Nase
-nicht der Lungenschornstein, das Herz nicht das Blutreservoir
-und der Magen nicht der Heizungsapparat.
-Auch alle vegetativen und animalen Apparate werden
-durch meine Combinationen ihrer Functionen enthoben.
-Hier in dieser wundersam combinirten und aus reinem
-Protoplasma construirten Form, hier ruht das Geheimniß
-des Aufhörens der Endlichkeit der Bionten,« und bei
-diesen Worten zog er eine kleine Thonfigur hervor und
-zeigte sie dem Grafen und Zerlinen.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_041" title="41"> </a>
-»Weshalb nennen Sie die Natur grausam?« rief jetzt
-ein Irrer, der dem Vortrage des Professors aufmerksam
-zugehört hatte. »Warum der Natur Vorwürfe machen?
-Wenn sie ihre mit Sorgfalt herangebildeten Werke zerstört,
-so muß sie dies thun, denn dies geschieht ja nach einem
-ewigen Gesetze und sie thut es nur mit zerrissenem
-Herzen.«</p>
-
-<p>Der Professor maß den Vertheidiger der zerstörungssüchtigen
-Natur mit zornigen Blicken und erwiederte in
-sichtlicher Aufregung, die Natur sei grausam und lieblos,
-die Natur setze das Wesen in die Welt, ohne sich um
-sein Fortkommen zu kümmern, sie sei eine Rabenmutter,
-liebe ihre Kinder nicht mit gleicher Liebe, denn sie lasse
-diejenigen Wesen, die ihrer Auswahl nicht zusagten,
-erbarmungslos verkommen und verkümmern. Er allein
-liebe die Menschheit wahrhaft und deshalb werde er
-diese vor Tod und Verwesung bewahren.</p>
-
-<p>»Du willst also der Menschheit die Unsterblichkeit
-sichern und dadurch mein Reich entvölkern,« schrie der
-zweite Irre mit zornblitzenden Augen. »Meinst du, daß
-ich, der Tod, dies gutwillig dulden werde?«</p>
-
-<p>»Nein, nein, das darf er nicht thun, das wird der
-Herr Director nicht erlauben,« beschwichtigte ein Wärter
-den Aufgeregten.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_042" title="42"> </a>
-»Dies werde ich zum Heil der Menschheit thun,
-trotz des Widerstandes ihres erbitterten Feindes,« versicherte
-der Professor würdevoll und kehrte seinem Gegner
-den Rücken.</p>
-
-<p>Der Graf führte nun Zerline weiter und bemerkte
-lächelnd, der Mensch sei doch ein eigenthümliches Wesen
-mit seiner barocken Einbildung, daß er der bevorzugte
-aller Bionten und als vollendetes Meisterwerk aus der
-Künstlerhand der Natur hervorgegangen sei. Der kleinste
-Wurm wäre ja in seiner Art ein ähnliches Wunderwerk
-wie die menschliche Maschine. Ohne den complicirten
-Bau desselben verrichte sein Organismus alle
-Functionen, welche zu seiner Erhaltung und Fortpflanzung
-bedingt sind. Der einzig unbestreitbare Vorzug des
-Menschen wäre der göttliche Funke, die Geisteskraft.
-Wie oft aber entsage der Mensch diesem Erstgeburtsrechte
-um ein Geringeres noch als ein Linsengericht.</p>
-
-<p>Zerlinens Geduld war nun erschöpft. Sie hatte sich
-die Füßchen wundgelaufen und hatte doch nichts Interessant-Verrücktes
-gesehen. Die schwulstigen, unverständlichen
-Reden überschnappter Gelehrten, der Schwindelplan eines
-beutesüchtigen Geldmannes und die Vernachlässigung eines
-gefühllosen Asketen waren doch weder belehrend noch
-amüsant. Und doch soll eine ihrer Rivalinnen in der
-Residenz den Genius der tragischen Kunst im Irrenhause
-<a class="pagenum" id="page_043" title="43"> </a>
-gesucht und auch gefunden haben. Auch sie wollte daselbst
-etwas apart Verrücktes sehen und gab zuletzt diesem
-Wunsche ohne Hehl Ausdruck. Der Graf schien darüber
-nicht wenig befremdet und schüttelte den Kopf. Er meinte,
-die Patienten wären doch für den Arzt sehr interessant.
-Sie wähnten sich Millionäre, Könige, Götter, Propheten,
-die unglücklicher Weise gezwungen wären, ihrer
-höheren Macht zu entsagen und die nach vielen Plagen
-des Verfolgungswahnes es erst erreicht, sich auf dieses
-Piedestal der Narrheit zu stellen. Er begann nun die
-physiologische Ursache eines Phänomens, welches die Laien
-so sehr in Erstaunen setzte, vom wissenschaftlichen Standpunkte
-aus zu beleuchten, er hielt wieder einen Vortrag
-aus der psychiatrischen Pathologie über Hysterie, Epilepsie,
-Hypochondrie und all' den daraus hervorgegangenen Formen
-des Irrsinns in so breitspuriger und confuser Weise,
-daß Zerlinen darob schier Hören und Sehen verging.
-Wie eine Erlösung erschien es ihr, als ein Wärter ihnen
-Einlaß in einen neuen Saal gewährte. Hier gewahrte
-sie Schattengestalten, die lautlos dasaßen und düster vor
-sich hinstarrten. Der Graf befragte einen dieser Bedauernswerthen,
-einen noch jungen Mann, um sein Befinden.
-Der Irre beklagte sich nun mit thränenden Augen
-über seinen verzweifelten Zustand. Im Hirn habe sich bei
-ihm ein Tumor ausgebildet, die obere Spitze des rechten
-<a class="pagenum" id="page_044" title="44"> </a>
-Lungenlappens sei mit Tuberkeln bedeckt, dazu komme
-noch, daß die linke Herzklappe nicht mehr schließe und
-die Verdauungsorgane zu functioniren aufgehört hätten.
-Jeder dieser Krankheitsprocesse bedinge doch einen letalen
-Ausgang und deshalb sei auch schon bei ihm der Collapsus
-eingetreten. Als der Graf ihn zu beruhigen versuchte,
-riß er sein Wams auf, entblößte seine Brust und
-rief schluchzend, daß durch das Glasfenster an seiner
-Brust der Einblick in die Verwüstungen, welche die
-Krankheitsprocesse angerichtet, ermöglicht sei. Der Graf
-erzählte nun Zerlinen, daß der Unglückliche ein Arzt sei,
-der kurze Zeit nach seiner Promotion in diesen traurigen
-Zustand verfallen wäre. Er fügte zum Schlusse bei, dies
-wären die Accidentien des Arztes, das Bewußtsein der
-steten Gefahren, die der menschlichen Maschine drohen,
-und die Erkenntniß, daß von der vehementen Bewegung
-oder von der Stagnation einiger Bluttropfen der Mechanismus
-des Seins oder Nichtseins abhänge.</p>
-
-<p>»Trostlose Zeiten, trostlose Zustände!« schrie jetzt
-ein Irrer, auf den Grafen zuschreitend. Und als der
-Graf ihn frug, was ihm eigentlich so trostlos vorkomme,
-begann der Irre sein Klagelied. Alles jage jetzt dem
-leichten, mühelosen Gelderwerbe nach, der Tempel der
-Kunst und des Wissens werde immer öder und verlassener
-und wenn Kunst und Wissen sich jetzt nicht in
-<a class="pagenum" id="page_045" title="45"> </a>
-das bunte Kleid eines Marktschreiers hüllten, müßten sie
-im Kampfe um's Dasein erliegen. Man fasle von Gerechtigkeit,
-Anerkennung und Humanität. Dies wären nur
-schönklingende Phrasen. Wo sei da die Gerechtigkeit, wenn
-die Protection mächtiger Gönner die Koryphäen des
-Wissens schaffe, wo die Anerkennung, wenn das Verdienst
-sich zum Fußschemel von Emporkömmlingen erniedrigen
-müsse, wo die Humanität, wenn die Gaben
-nur ostentativ gespendet würden, um ein Bändchen im
-Knopfloch zu erhaschen. Werde er nicht selbst um seines
-Wissens willen tückisch verfolgt? Suchten ihn nicht die
-Schergen der Tyrannei in Geistesfesseln zu schmieden?</p>
-
-<p>Der Graf bezeichnete den Zustand des Patienten als
-Verfolgungswahn und machte dann Zerline auf einen
-Greis aufmerksam, der jammernd und händeringend sein
-geraubtes Geld zurückverlangte. Der Irre war ein reicher
-Mann gewesen, der sein Vermögen durch den gräßlichsten
-Geiz gesammelt hatte. Der Mammon war sein süßester
-Genuß, sein Alles gewesen. Er verbarg ihn sorglich vor
-jedem Menschenauge. So gut verbarg er sein geliebtes
-Gold, daß er nach einer Krankheit, die ihm das Gedächtniß
-raubte, das Versteck nicht mehr zu finden wußte.
-Die Verzweiflung raubte ihm den Verstand.</p>
-
-<p>Zerline begann nun aus der Apathie zu erwachen.
-Die Verrücktheit, die sie jetzt wahrnahm, war interessant
-<a class="pagenum" id="page_046" title="46"> </a>
-und ihrem Begriffsvermögen zugänglich. Die fleischlosen
-Jammergestalten näherten sich den Vorstellungen, die sie
-sich vom Wahnsinne gemacht hatte. Da hörte sie jammern,
-schluchzen, sie sah Thränen, die ein eingebildeter Schmerz
-erpreßte. Dies war der Wahnsinn, den sie künstlerisch darstellen
-wollte. Es wurde immer interessanter. Jetzt verlangte
-gar ein Irrer mit flehender Geberde ihre
-Geldbörse, und als sie sein Verlangen erfüllte, da betrachtete
-er prüfend jedes Geldstück von allen Seiten und
-murmelte dann traurig: »Patriciermünzen, nur Patriciermünzen.«
-Zuletzt gab er ihr die Börse wieder und entfernte
-sich mit gesenktem Haupte. Der Graf erzählte ihr
-nun, daß der Patient ein leidenschaftlicher Numismatograph
-gewesen sei. Eines Tages wäre er von der Wahnidee
-befallen worden, er müsse in den Besitz jener Münze
-gelangen, welche &ndash; nach einer Mythe &ndash; Zeus jedem Sterblichen
-bei seiner Geburt vom Olymp hinabwerfe. Diese
-gespendete Münze soll nun nach der Wahnidee des Irren,
-wenn sie auf das Wappen gefallen sei, einem Plebejer,
-wenn sie auf den Kopf gefallen sei, einem Patricier gespendet
-sein. Der Arme suchte nun als Plebejer seine vom
-Sturz aus dem Olymp an dem Wappen beschädigte
-Münze, fand aber nach seiner Versicherung nur Patriciermünzen.</p>
-
-<p>Der Graf führte sie nun in ein anderes Gemach,
-<a class="pagenum" id="page_047" title="47"> </a>
-in welchem Zerline einige Männer in steifer Haltung,
-mit Brillen auf der Nase, in eifrigem Disput um einen
-Tisch herum sitzen sah. Zerline fragte ihren Führer, ob
-da wohl ein ärztliches Concilium abgehalten werde. Der
-Graf bejahte dieses lächelnd und belehrte sie dann, diese
-Geisteskranken wähnten sich Sanitätsräthe eines kranken
-Staatskörpers und mühten sich ab, dem Patienten, der
-an einem Neugebilde laboriren sollte, Hilfe zu bringen.
-Komisch genug wären die Heilmethoden, die da versucht
-werden sollten. Durch die widersinnigsten Versuche, durch
-eine Palliativcur wollten sie das Krebsgeschwür exstirpiren.
-Auf alle erdenkliche Weise zermarterten sich diese
-gelehrten Köpfe das Hirn und keiner fand den Muth,
-die Schneckenlinie der alten Therapie zu verlassen. Solch'
-verzopfte Sanitätsräthe, meinte der Graf, curiren mit
-ihren lächerlichen und gefährlichen Experimenten nicht
-selten ihren Patienten zu Tode, wenn dessen robuste Natur
-ihm nicht von selbst durchhelfe. Als sie einen zweiten
-Saal betraten, gewahrte Zerline Geisteskranke, die singend
-oder weinend auf Lehnstühlen saßen, während andere in
-toller Lustigkeit herumsprangen. Das Bild des Wahnsinns
-wurde immer ergreifender, düsterer und schauerlicher.
-Für Zerline ward es immer interessanter, spannender
-und, wie sie sich einbildete, für die Kunst nutzbringend.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_048" title="48"> </a>
-Jetzt bezeichnete ihr der Graf einen Greis, dessen
-Wehgeschrei den Raum durchzitterte. Zerline erfuhr nun,
-daß der Arme drei blühende Söhne im Kriege verloren
-und aus Schmerz hierüber irrsinnig geworden sei. Nun
-folgten vom Grafen bittere Betrachtungen über die
-Kriegsfurie. Wie die Gewalthaber es gar nicht berechnen
-wollten, welches Elend sie durch die Kriege über die
-Völker herabbeschwören, wie zu Gunsten Einzelner der
-Wohlstand und das Familienglück Tausender vernichtet
-würde und wie in unserer Zeit, welcher man Fortschritt
-und Humanität nachrühme, die Kriege an Barbarei und
-Zerstörungswuth die Gräuel der alten Zeit übertreffen.
-Dies Alles fand an Zerline keine sehr aufmerksame und
-theilnehmende Zuhörerin. Sie konnte es keinem Machthaber
-verargen, wenn er die Zahl seiner Untergebenen
-zu vergrößen suchte. Eroberungsgelüste waren bei ihr,
-der allmächtigen Männerbezwingerin, keineswegs verdammlich,
-wohl aber der Widerstand der zu Unterjochenden.
-Alle Mittel waren dann erlaubt, um den
-Sieg zu erringen. Nun führte sie der Graf zu den
-Isolirzellen der Tobsüchtigen. Ein Wärter schloß die
-Thüre einer Zelle auf und der Graf lud Zerlinen zum
-Eintritt in dieselbe ein. Die Tragödin wurde bleich und
-prallte erschreckt zurück. Aus der Zelle ertönte ein wildes
-Geheul, und bald antworteten Stimmen, die keinen
-<a class="pagenum" id="page_049" title="49"> </a>
-menschlichen Klang mehr hatten, im schauerlichen Chor
-aus den benachbarten Zellen.</p>
-
-<p>Der Graf blickte die Erschreckte befremdet an und meinte
-dann, ihr fehle der dem Arzte nöthige Stoicismus. Nun
-möchte er sie am Cadaver mit dem Secirmesser manipuliren
-sehen. Er lud sie ein, ihm in die Leichenhalle
-zu folgen und sich daselbst ein beliebiges Object zu
-wählen. Kalter Schweiß bedeckte die Stirne Zerlinens.
-Diese Zumuthung machte ihr das Blut erstarren. Sie
-sollte eine Leiche anatomisch zerlegen und in deren Innerem
-herumwühlen. Lebende verstand sie wohl meisterhaft in
-Atome zu zerlegen, im Herzen ihrer Rivalinnen wußte
-sie geschickt mit dem Scalpell der Bosheit herumzuwühlen.
-Aber Leichen zerstücken, welch' ungeheuerliches
-Verlangen! Schon wollte sie ihrem empörten Gefühl
-Worte leihen, als sie sich noch rechtzeitig ihrer entlehnten
-Würde als Fräulein Doctor erinnerte. Jetzt
-wollte sie sich der Leitung ihres Führers unter dem
-ersten besten Vorwande entziehen, als sie plötzlich ihr
-Vorhaben aufgab. Der Graf erzählte ihr nämlich, daß
-er ihr in der Residenz bei ihren wissenschaftlichen Studien
-nützlich werden könne. Sein Vater bekleide eine hohe
-Stellung bei Hofe und dessen Haus sei der Sammelplatz
-aller hervorragenden Vertreter der Kunst und des
-Wissens. Durch diese Mittheilung gewann der Graf eine
-<a class="pagenum" id="page_050" title="50"> </a>
-nicht geringe Bedeutung in ihren Augen. Sie mußte
-doch trachten, die Zahl ihrer Gönner in der Residenz
-zu vergrößern. Dies umsomehr, weil der Director des
-Hoftheaters ein starrnackiger Pedant war, der wohl den
-körperlichen Reizen der Kunstjüngerinnen Gerechtigkeit
-widerfahren ließ, solche aber als Ersatz für künstlerische
-Leistungen nicht gelten lassen wollte. Den Grafen mußte
-sie also gewinnen, um sich durch seine Fürsprache den
-Schutz seines mächtigen Vaters zu sichern. Der Plan
-hiefür war von Zerline in einem Nu entworfen und
-ohne Zögern schritt sie zu dessen Ausführung. Sie betrachtete
-nun aufmerksam den Grafen. Er war kein übler
-Mann. Sie wunderte sich, daß sie dies so lange übersehen
-hatte. Der Drang des Wissens, die Liebe zu ihrer
-Kunst hatten dies schier Unglaubliche bewirkt. Sie überblickte
-nun den Raum, in welchem sie sich befanden. Es
-war dies ein öder, endlos langer Corridor. Vor Störung
-war man da sicher. Nun begann die kundige Männerbezwingerin
-alle Brandraketen aus ihrem Arsenal gegen
-ihr argloses Opfer loszufeuern. Mörderische Blicke, süßes
-Lächeln, sanfte Händedrücke, berauschende stumme Verheißungen
-bombardirten das leicht entzündliche Herz des
-armen Grafen. Was Wunder also, daß der Ueberfallene
-der unvermutheten Attaque nicht zu widerstehen vermochte.
-Als noch zuletzt die geübte Strategin einen ihrer
-<a class="pagenum" id="page_051" title="51"> </a>
-harmonischen, reizenden kleinen Schreie wie ersterbend
-hinhauchte und von einem plötzlichen Schwindel befallen
-einen Stützpunkt suchte und diesen Stützpunkt in den
-Armen des Grafen fand, da stimmte sie schon innerlich
-eine Siegeshymne an. Einige Augenblicke spielte sie die
-Bewußtlose, dann zeigte sie durch einen melodiösen Seufzer
-die Wiedererstarkung ihrer Nerven an. Ein süßer Blick
-und ein zarter Händedruck belohnten den Retter in der
-Noth. Da riß sich dieser plötzlich von ihr los und starrte
-sie mit unheimlich funkelnden Augen an.</p>
-
-<p>»Nur einmal durfte mich ein Weib betrügen,« murmelte
-er und fuhr sich zu wiederholten Malen mit der Hand über
-die Stirn. Nach wenigen Augenblicken errang er seine Fassung
-wieder und zeigte ihr in höflichem, kaltem Tone an, daß
-der Rundgang in der Herrenabtheilung zu Ende sei.
-Die Räume, welche die weiblichen Irren bewohnten,
-durfte er nicht betreten. Aergerlich und gedemüthigt
-hörte Zerline kaum, wie er ihr die Oberwärterin, welche
-nun das Führeramt übernehmen sollte, als eine alte
-Klatschbase schilderte, die sich einbilde ärztliches Wissen
-zu besitzen und die alle bei Fachmännern gebräuchlichen
-Ausdrücke bis zur Unkenntlichkeit verstümmle. Als nun
-auf sein Pochen die Oberwärterin die Thüre, welche zur
-Frauenabtheilung führte, von innen öffnete, empfahl er
-ihr eindringlich die Wissbegierde eines weiblichen Arztes
-<a class="pagenum" id="page_052" title="52"> </a>
-zu befriedigen, ohne jedoch die verstümmelten Mißgeburten
-ihrer Arzneikunde an's Tageslicht zu fördern. Die Oberwärterin
-warf ihm einen Blick zu, der gekränktes Ehrgefühl,
-selbstbewußte Würde und auch ein klein wenig
-Geringschätzung ausdrückte und schloß hinter ihm die
-Thüre.</p>
-
-
-
-
-<p class="pb mt4"><a class="pagenum" id="page_053" title="53"> </a>
-<span><b>M</b></span>argarethe, die Oberwärterin, ein wohlbeleibtes
-Weib mit gutmüthigem Gesichte, stellte sich dem Fräulein
-Doctor als gehorsame Dienerin zur Verfügung. Sie
-versicherte, vor Freude bis in den Himmel zu wachsen,
-wenn sie eine Frau als gestudirten Doctor leibhaft vor
-sich sehe. Die aufgeblasenen Mannsbilder trügen die Nase
-gar so hoch. Nun wäre aber die gesegnete Zeit gekommen,
-wo sie einsehen müßten, daß das Weib ebenso gescheit
-wäre wie diese Herren Allesmir. Auch die alte Margarethe
-wäre ein Doctor geworden, sie hätte das Zeug
-dazu, aber man habe sie leider nicht gestudiren lassen.</p>
-
-<p>Zerline schenkte diesen Worten nur geringe Aufmerksamkeit.
-Ihren Aerger über die zweifache Niederlage,
-die sie in der Anstalt erlitten, die Vernachlässigung des
-Priesters und der Widerstand des Grafen, vermochte sie
-nicht so bald zu unterdrücken. Zuletzt tröstete sie sich
-aber mit dem Gedanken, daß der Graf früher oder später
-zu ihren Füßen liegen müsse. Welch' starre Felsenherzen
-<a class="pagenum" id="page_054" title="54"> </a>
-waren vom Glutblicke ihres Feuerauges zu weichem
-Wachs geworden, und dieses Gräflein sollte ihr widerstehen?
-Unbezwingbar war er nicht, dafür hatte sie
-Beweise. Wenn er sie nur erst als die gefeierte Zerline
-in ihrem reizenden Boudoir sehen würde, dann&nbsp;&ndash;. Diese
-Siegesgewißheit verscheuchte bald die Wolken des Mißmuthes
-von ihrer schönen Stirne. Sie wendete nun ihre
-Aufmerksamkeit der redseligen Oberwärterin zu. Bald
-begann sie sich in deren Gesellschaft wohl und behaglich
-zu fühlen. Mit Margarethe durfte sie ohne Furcht, aus
-der Rolle des Fräulein Doctor zu fallen und ihre Unwissenheit
-zu demaskiren, nach Herzenslust reden, wie sie
-es verstand. Sie war nun frei und ungezwungen. Der
-erste Gebrauch, den sie von dieser köstlichen Errungenschaft
-machte, war selbstverständlich um eingehende Erkundigungen
-über den widerspänstigen Grafen einzuholen.
-Die Auskunft, die ihr ward, brachte sie einer wirklichen
-Ohnmacht nahe. Der Graf sei ein Patient der Anstalt,
-berichtete Margarethe. Durch eine Komödiantin, die er
-zu seiner Gräfin erhoben, grausam hintergangen, sei er
-aus Gram irrsinnig geworden. In einem Wuthanfalle
-habe er die Ehebrecherin ermordet. Man fand ihn im
-Herzen der Todten herumwühlend, um da zu erforschen,
-ob die Liebe, die sie ihm geheuchelt, wirklich
-nur Lug und Trug gewesen sei. Für jetzt sei er
-<a class="pagenum" id="page_055" title="55"> </a>
-harmlos, nur das schreckliche Gelüste, in Leichen herumzuwühlen,
-sei bei ihm nicht auszurotten. Immer sei er
-in der Leichenkammer zu finden, allerlei gelehrten Krimskrams
-führe er im Munde und seine wunderlichste Einbildung
-sei, nur er verstehe die Arzneikunde und nur er
-wäre der Obergott aller Doctoren.</p>
-
-<p>Zerline war, wie schon erwähnt, einer wahren und
-wirklichen Ohnmacht nahe. Ihr Riechfläschchen und ein
-Glas kaltes Wasser, welches Margarethe, durch ihre
-Blässe erschreckt, eiligst herbeischaffte, machten erst ihre
-Lebensgeister wieder erstarken. Entsetzlich, einen Geisteskranken
-hatte man ihr zum Führer in der Behausung
-des Schreckens gegeben. Jetzt erst ward ihr das sonderbare
-Reden und das seltsame Benehmen des verrückten Grafen
-erklärlich. Ihr Zorn kehrte sich nun gegen den Oberwärter,
-der sie aus purer Bosheit dieser Gefahr preisgegeben
-hatte. Margarethe gab sich alle Mühe, die Aufgeregte zu
-beruhigen. Sie versicherte, daß in allen Irrenanstalten
-Kranke, welche alle äußeren Zeichen der Verrücktheit abgelegt
-haben, zu Diensten aller Art, ja sogar zur Pflege
-anderer Kranken verwendet würden. Die letzte Versicherung
-rief einen neuen Schreck bei der Geängstigten hervor.
-Wie leicht war es möglich, daß Margarethe zu diesen
-verrückten Pflegern zählte. Die Angst prägte sich so
-leserlich auf dem Antlitz Zerlinens aus, daß Margarethe
-<a class="pagenum" id="page_056" title="56"> </a>
-sofort den Verdacht errieth. Die gute Oberwärterin suchte
-die Furchtsame durch alle erdenklichen Beweisgründe von
-ihrer Zurechnungsfähigkeit zu überzeugen. Nach vieler
-Mühe gelang ihr dies endlich, und Zerline vertraute
-sich ihrer Leitung an. Margarethe begab sich nun mit
-ihr in den Conversationssaal der zweiten Classe. Hier
-saßen Frauen verschiedenen Alters, mit Lectüre, Handarbeit
-und auch mit Musik beschäftigt. Nach der Versicherung
-der Oberwärterin verbrachte die Mehrzahl
-dieser armen Irren ihre Zeit in der Anstalt viel angenehmer
-und nützlicher, als sie es je in ihrem Heim gethan.
-»Mein Herzchen, wie weit bist du mit der Arbeit?«
-frug Margarethe ein junges Mädchen, welches mit
-Charpiezupfen beschäftigt war, worauf die Irre in
-klagendem Tone den Namen Egon murmelte. Margarethe
-erzählte nun Zerlinen, wie dies das einzige Wort sei,
-das ein Menschenkind von dem kranken Lamm zu hören
-bekomme, es sei dies der Name des Gewissenlosen, der
-das arme Kind in's Unglück gestürzt habe. Nun bezeichnete
-sie ein altes Weib als vom Wahne ergriffen, in jeder
-Speise Nadeln zu finden, eine zweite Kranke bilde sich
-ein, man wolle sie vergiften, und nur mit Mühe gelinge
-es, den armen Närrinnen Nahrung einzutrichtern. In ein
-Nebengemach tretend erklärte die redselige Oberwärterin, auf
-eine Patientin weisend, sie leide an »Halunkationen«, dieses
-<a class="pagenum" id="page_057" title="57"> </a>
-junge Herzchen sei ein »Migroköpsalus«, ein Ohnehirn, und
-der wandelnde Flaschenkürbis, der heranrolle, sei eine
-Komödiantin. Diese Lärmtrommel würde sich schon allein
-präsentiren. Ihr Mundwerk gehe wie auf Rädern, die
-Thränenpumpe sei in ewiger Bewegung, Ach und Weh
-habe sie schockweise und Alles sei Lug und Trug. Sie,
-Margarethe, habe eine Wuth gegen diese Komödiantenweibsbilder,
-die halbnackt und mit Flitter behängt sich
-von den Mannsbildern begaffen lassen. Ihr Ferdi wolle
-ihr wohl einbilden, diese Komödiantenweiber seien nicht
-so schrecklich, aber sie wisse wohl, wie viel die Glocke geschlagen
-habe.</p>
-
-<p>Zerline überhörte die schmeichelhaften Worte, welche
-Margarethe ihren Berufsgenossinnen spendete, ihre Aufmerksamkeit
-war jetzt einer Person gewidmet, die, mit
-verblaßten Theaterflittern aufgeputzt, das aufgedunsene Gesicht
-mit einer dicken Schminkenschichte überstrichen, auf
-sie zuwackelte und in Thränen zerfließend sich zu ihren
-Füßen warf.</p>
-
-<p>»Sie gehören sicherlich nicht zu den Barbaren, die
-sich an den Zuckungen des menschlichen Herzens ergötzen,«
-rief die Irre die Hände ringend. »Sie werden mich
-retten, mich, das unglückliche Opfer der schändlichsten
-Cabale, Sie werden meine Wehschreie, die in diesen
-schrecklichen Mauern ungehört verhallen, zu den Ohren
-<a class="pagenum" id="page_058" title="58"> </a>
-der Gerechtigkeit bringen und mich vor Wahnsinn oder
-Selbstmord bewahren. Ja, vor Wahnsinn und Selbstmord,
-denn ich bin auf dem Wege, der dahin führt.
-Belehren Sie die Gerechtigkeit, daß meine herzlosen Kinder
-mich aus schnöder Geldgier hier gefangen halten.« Dies
-und Aehnliches brachte sie schluchzend hervor, ihren
-Augen entstürzten bittere Thränen, ihr Körper bebte
-unter der Wucht erdrückender Gefühle und es war sichtbar,
-daß die Gebilde ihres kranken Geistes ihr herben
-Schmerz bereiteten. Die Gebilde ihres kranken Geistes &ndash;
-denn Margarethe versicherte Zerlinen, daß die verlogene
-Komödiantin kein wahres Wort rede, sie habe ebensowenig
-Kinder geboren, wie die Fahrstraße ein Blumengarten
-sei. Sie nehme sich Komödiantengewinsel nie zu Herzen,
-denn sie wisse, was dies werth sei. Die Oberwärterin
-führte dann den gestudirten weiblichen Doctor durch
-viele Räume, erzählte die Krankengeschichten der
-Irren mit ermüdender Weitschweifigkeit und ließ keine
-Gelegenheit unbenützt, um fremde Worte durch komische
-Verrenkungen entstellt anzubringen. In einem Corridor
-angelangt bemerkte sie, hier wären die Wohnzimmer für
-die Kranken der ersten Classe. Die Reichen hätten krank
-oder gesund, lebend oder todt, immer das Beste auf
-dieser Welt. Der Pater Josefus versichere wohl, dem
-Armen gehöre das Himmelreich; darauf gebe aber der
-<a class="pagenum" id="page_059" title="59"> </a>
-Bäcker kein Brod. Sie nahm eine Prise und schlug den
-Deckel der Tabaksdose heftig zu. In Nr.&nbsp;85 wohne eine
-Gräfin, ein Kobold an Bosheit, berichtete sie dann
-weiter. Eine Zunge habe die wie ein scharfgeschliffenes
-Messer. Seitdem sie in die Anstalt gekommen, sei Alles
-aus Rand und Band. Sie sei von einer Wuth besessen,
-Vereine zu schaffen und Vorträge zu halten, und habe
-mit ihrer Tollheit viele kranke Lämmer in reißende
-Wölfe verwandelt. Da würden beständig Sitzungen abgehalten,
-bei denen die Gräfin als Präsidentin das
-große Wort führe, da werde ein gelehrter Krimskrams
-zusammengedroschen, daß Einem der Kopf summe und
-brumme. Der Präsidentin stehe eine Partei feindlich
-gegenüber, an deren Spitze sich eine Sozinalkroatin befinde,
-eine schreckliche Person, die just Alles von oberst
-zu unterst kehren wolle, um gefrorenes Feuer und brennendes
-Eis zu haben. Sie, Margarethe, habe gegen die
-Sozinalkroatinnen eine ähnliche Wuth wie gegen die
-Komödiantinnen. Diese Weibsbilder verlangen, es sollte
-alles Mein und Dein aufhören. Wenn es nach dem Sinn
-dieser Tollen ginge, so hätte jede einen Theil an ihrem
-Ferdi. Auch einige Emanzipandlerinnen wären bei diesen
-Sitzungen und hätten nicht die wenigsten Raupen im
-Hirn. Nicht daß sie, Margarethe, gegen das Emanzipandeln
-einzuwenden hätte, im Gegentheil, sie wäre stets
-<a class="pagenum" id="page_060" title="60"> </a>
-bereit das Recht der Frauen mit Mund und Faust gegen
-die Mannsbilder zu vertheidigen. Aber was zu viel, sei
-zu viel. Der Himmelvater sei an dem Unrecht, daß die
-Mannsbilder Alles an sich gerissen haben, unschuldig wie
-ein neugeborenes Kindlein und deshalb dürfe ihm kein
-Haar gekrümmt werden. Wenn das Weib dem Herrn
-Obenaus beweisen wolle, daß es ebenso viel Verstand
-zum Gestudiren habe wie sie, das lasse sie sich gefallen,
-aber den Herrgott aus dem Himmel und den Gottseibeiuns
-aus der Hölle dürfe das Weib nicht vertreiben.
-Es sei eine Sünde an alle die Gottlosigkeiten des ruchlosen
-Tarfin zu glauben. Haarsträubende Dinge habe
-eine Emanzipandlerin bei der letzten Sitzung von diesem
-Tollen erzählt. Er verstehe alle lebenden, kranken und
-todten Menschensprachen und auch die Sprache vom lieben
-Vieh. Durch das liebe Vieh habe er nun erfahren, daß
-unsere Großeltern wahre und wirkliche Affen gewesen
-wären. Margarethe sei fast vom Schlag getroffen worden,
-so niederschmetternd habe diese Schreckenskunde auf
-sie gewirkt, denn die Tolle wisse ihren Unsinn so vernünftig
-vorzutragen, daß man schier meine, es spreche
-der Herr Director zu den Gestudirten. Sie waren jetzt
-an der Thüre eines Saales, aus welchem ihnen lautes
-Reden entgegen tönte, angelangt.</p>
-
-<p>»Schon wieder eine Sitzung,« knurrte die Oberwärterin
-<a class="pagenum" id="page_061" title="61"> </a>
-und öffnete die Thüre. In der Mitte des
-Saales saß vor einem mit Papieren bedeckten Tische
-eine großgewachsene Frau mit schwarzen, funkelnden Augen
-und mit einem unzarten Anflug um die rothen, fleischigen
-Lippen. Ihr zur Seite gewahrte Zerline eine welke
-Gestalt mit wasserblauen Augen und flachsblonden
-Schmachtlocken. Laut schwatzend und gesticulirend saßen
-Frauen in verschiedenen Gruppen. Kraus und bunt
-schwirrten die Stimmen durcheinand und machten es
-unmöglich, die Worte, die Margarethe an die Vorsitzende
-richtete, zu vernehmen. Das Glockenzeichen der Präsidentin
-machte erst Alle verstummen. Die Oberwärterin
-erbat nun für einen gestudirten weiblichen Arzt die Erlaubniß,
-der Sitzung beiwohnen zu dürfen. Dies Ersuchen
-wurde von der Vorsitzenden erst nach langem Bedenken
-und mit nicht sehr freundlicher Miene gewährt.
-Margarethe schob nun für Zerline einen Sessel nahe
-dem Ausgange zu und begann ihr die Mitglieder der
-Sitzung zu bezeichnen. Die Gruppe zur Rechten waren
-die Vereinsnärrinnen, die treuen Anhängerinnen der Präsidentin,
-die Gruppe zur Linken die Sozinalkroatinnen,
-die in der Mitte die Emanzipandlerinnen. Die schattenhafte
-Gestalt neben der Präsidentin bezeichnete Margarethe
-als Fräulein Rosalinde Zimperling, eine alte,
-versauerte und vertrauerte Jungfer, voll Falschheit, Bosheit,
-<a class="pagenum" id="page_062" title="62"> </a>
-Tücke, Neid, Schwatzhaftigkeit, Gefallsucht und Putzsucht.
-Sie häufe allen möglichen Spott und die bitterste
-Verunglimpfung mit Schrift und Wort auf die Emanzipandlerinnen,
-versicherte die Oberwärterin und zweifelte
-auch nicht, daß Zerline bald erstaunen werde, wie solch
-ein mageres Gefäß so viel Gift enthalten könne.</p>
-
-<p>»Fahren Sie in Ihrem Vortrage fort, Fräulein
-Nani,« rief jetzt die Vorsitzende mit einer Stimme, die
-alle Fensterscheiben klirren machte.</p>
-
-<p>Ein junges, schönes Mädchen zur mittleren Gruppe
-gehörend, erhob sich und begann mit wohlklingender
-Stimme:</p>
-
-<p>»Meine freundlichen Zuhörer! Ich will Ihnen nun
-klar darthun, daß alle diese Sophismen nur dazu dienen,
-um den menschlichen Geist <i>ad absurdum</i> zu führen.
-<i>Cogito, ergo sum!</i> Welcher Unsinn! Ich esse, trinke und
-bewege mich, ist viel richtiger gesagt, denn dieser Beweis
-ist jedenfalls viel sicherer geliefert durch den Hinweis
-auf Dinge, die der realen Welt entstammen und unseren
-Sinneswahrnehmungen zugänglich sind, als durch den
-auf das Denken, der Mutter der Phantasie, die selbst
-ein Trugbild uns nur Trugbilder vorgaukelt. Möge der
-Mensch sich das Ebenbild des Weltgeistes nennen, möge
-er das Denken als ausschließliches Privilegium reclamiren
-und seinen Stolz dareinsetzen alleiniger Besitzer desselben
-<a class="pagenum" id="page_063" title="63"> </a>
-zu sein, es ist für die Existenz keine <i>conditio sine qua
-non</i> und bleibt somit nur ein unwesentliches Attribut
-derselben. Wie traurig ist es überhaupt damit bestellt!
-Der Gedanke entsteht nicht in uns, wir können ihn nicht
-nach Willkür hervorzaubern oder bannen, er wird uns
-von außenher aufoctroyirt, beherrscht uns gegen unseren
-Willen, wir sind nicht sein Herr, sondern Sclave desselben,
-und darum bleibt es noch immer zweifelhaft, ob
-das Denken ein schönes, erhabenes Besitzthum, ob es die
-Quelle des Glückes und der Zufriedenheit, oder nicht
-vielmehr die alles Unheils und menschlichen Elends sei.«
-Hier machte die Sprecherin eine Pause und labte sich
-mit einem Schluck Wasser. Das Auditorium setzte alsbald
-die Sprachwerkzeuge in Bewegung, um sich für die
-bis nun auferlegte Enthaltsamkeit möglichst schadlos zu
-halten. Das Glockenzeichen und der Befehl, Fräulein
-Nani möge in ihrem Vortrage fortfahren, durch die gefürchtete
-Präsidentin gegeben, stellte sofort die Ruhe
-wieder her. Margarethe versicherte Zerlinen, Nani spreche
-gottvoll, aber wie sollte sie ihren Verstand nicht verloren
-haben, wenn solche grausliche heidnische Worte in ihrem
-armen Schädel spukten.</p>
-
-<p>»Wie manche herbe Stunde, wie manche grausame
-Marter wäre uns erspart, wenn wir uns dieses geistigen
-Joches entledigen könnten,« fuhr Nani in ihrem Vortrage
-<a class="pagenum" id="page_064" title="64"> </a>
-fort. »Vergebens suchen wir unsere Gedanken zurechtzusetzen,
-oder ihnen eine uns beliebige Richtung zu geben.
-Der Impuls von außen ist gegeben, und keinem andern
-Gedanken Raum gebend, zuckt es wie Blitz auf Blitz in
-unserem Hirn und wieder und immer wieder wird der
-Gegenstand beleuchtet, den wir in Nacht und Dunkel begraben
-möchten.« Die letzten Worte sprach sie mit bebender
-Stimme, ihr Blick wurde trüb und umflort, dann preßte
-sie die Hände an die Brust und brach in krampfhaftes
-Schluchzen aus.</p>
-
-<p>»Eine schöne Bescherung! Jetzt verfällt sie in ihren
-Praxismus,« knurrte die Oberwärterin und befahl einer
-ihrer Untergebenen die aufgeregte Kranke in ihre Wohnstube
-zu führen. Dann wendete sie sich an Zerline und
-belehrte sie, daß die arme Nani ihren jammervollen Zustand
-einem Mosje Ohneherz verdanke. Für die Herren
-Allesmir sei eine gestudirte Frau Zacherls Schabenpulver,
-deshalb habe der Mosje, dem sie ihr Herz
-zugewendet, der Armen eine Mamsel Ohnehirn vorgezogen.</p>
-
-<p>»Die Närrin sollte nie zu einem Vortrage zugelassen
-werden,« eiferte die schmachtlockige Rosalinde. »Das
-Denken nennt sie ein geistiges Joch, die Quelle alles
-Elends. Gibt es ein schöneres, erhabeneres Recht für die
-Menschheit als das Denken? Der Gedanke ist nur dann
-<a class="pagenum" id="page_065" title="65"> </a>
-verwerflich, wenn gewisse Personen ihn zu thörichten
-und verwerflichen Zwecken mißbrauchen.« Ein verächtlicher
-Blick wurde jetzt der mittleren Gruppe zugeschleudert.</p>
-
-<p>Die Glocke der Präsidentin ertönte bald wieder.
-Es wurde Fräulein Rosalinden das Wort ertheilt.</p>
-
-<p>»Na, da werden wir was Schönes zu hören bekommen,«
-flüsterte die Oberwärterin Zerlinen zu. »Dieses
-Reibeisen schindet immer die armen Emanzipandlerinnen
-bis auf's Blut.«</p>
-
-<p>Rosalinde begann nun mit schriller, kreischender
-Stimme eine geharnischte Rede gegen die furchtbarste
-Geißel der Jetztzeit, gegen die streitwüthigen Amazonen
-loszudonnern. Sie versicherte, nichts sei diesen Zerrbildern,
-diesen Unnaturen heilig. Das Edelste, Erhabenste
-werde von ihnen begeifert, verspottet, verlästert und in
-den Koth gezogen. Alle weiblichen Tugenden würden von
-ihnen lächerlich gemacht, alles Ehrwürdige mit Füßen
-getreten. Sie reden der Schamlosigkeit, der Frechheit,
-der Gottlosigkeit das Wort und wollten das Frauengeschlecht
-demoralisiren und zur frechsten Verhöhnung der
-göttlichen und menschlichen Gesetze aufstacheln. Da nun
-das Gesetzbuch leider keine Strafe für diese Ruchlosigkeiten
-habe, da man diese Verbrecherinnen nicht, wie sie
-es verdienen, mit dem Schwerte des Rechtes ausrotte,
-<a class="pagenum" id="page_066" title="66"> </a>
-da man ihnen nicht die verleumderischen Zungen ausreiße,
-die räuberischen Hände nicht abhaue und sie nicht
-wie giftige Schlangen zertrete; so erhalte sie, Rosalinde,
-ihre Behauptung aufrecht, daß man dieses schändliche
-Treiben nicht länger dulden dürfe. Mit Wort und Schrift
-müsse man gegen dies vielköpfige Ungeheuer kämpfen.
-Deshalb stelle sie den Antrag, daß alle ihre Mitschwestern,
-alle wahren Hüterinnen des Palladiums der Weiblichkeit,
-sich bei der Gründung ihres proponirten Blattes
-betheiligen sollten. Dies Blatt sollte »der Feuerbrand«
-heißen und dadurch, nur dadurch würde die verderbliche
-Hydra ausgerottet werden. Dies Blatt mit den dazugehörigen
-Illustrationen werde sie ihren Gesinnungsgenossinnen
-sofort zur Einsicht unterbreiten. Der hohe
-Zweck desselben sei, durch sprühenden Witz und niederschmetternde
-Beweiskraft allen Uebergriffen der weiblichen
-Demagogie zu steuern und sie mit der Knute der
-Lächerlichkeit in die angewiesenen Schranken zurückzujagen.</p>
-
-<p>»Die maustolle Trude. Da werden wir etwas
-Apartes zu hören bekommen,« knurrte die Oberwärterin,
-den Deckel ihrer Tabaksdose heftig zuklappend. Zerline
-ihrerseits unterdrückte mühsam ihr Gähngelüst.</p>
-
-<p>Inzwischen hatte Rosalinde ein Papier entrollt und
-begann den »Feuerbrand« gegen die weiblichen Unnaturen
-zu schleudern. Das erste Bild, erklärte sie, sei der emancipirte
-<a class="pagenum" id="page_067" title="67"> </a>
-weibliche Arzt am Secirtische. Die ungraziöse
-Gestalt in halbmännlicher Kleidung, das kurzgeschorene
-Haar, die Cigarre im Munde, die Aermel aufgestreift,
-die blutbefleckte Hand mit dem Secirmesser bewaffnet,
-habe nichts Weibliches mehr an sich. In dem Blicke,
-den sie starr auf das bloßgelegte Herz eines weiblichen
-Cadavers gerichtet habe, male sich weder Scheu noch
-Gemüthsbewegung, der Blick drücke nur ein tiefes Erstaunen
-über eine entdeckte Abnormität aus, die sie bei
-allen Cadavern von emancipirten Frauen entdecke, die
-Abnormität sei, Atrophie des Herzens.</p>
-
-<p>Die Oberwärterin machte ihrer Entrüstung durch
-einen neuen energischen Klaps auf den Deckel der Tabaksdose
-Luft und blickte dann erstaunt auf Zerline, die zu
-ihrer Bonbonnière Zuflucht genommen hatte, um das
-Gähngelüst zu bewältigen. Der gestudirte weibliche
-Doctor blieb ruhig bei den boshaften Ausfällen der
-mageren Giftblase. Margarethe konnte diese Gelassenheit
-nicht begreifen.</p>
-
-<p>Jetzt erklärte Rosalinde das zweite Bild. Dies
-veranschaulichte den weiblichen Staatsanwalt, der in der
-jugendlichen Verbrecherin, die vor den Schranken des
-Gerichtes erscheint, die eigene Tochter erkennt. Bis auf
-diese Stufe der moralischen Verkommenheit war das
-Kind durch den Mangel an Aufsicht von Seite der
-<a class="pagenum" id="page_068" title="68"> </a>
-emancipirten Mutter angelangt. Nun kam Rosalinde
-zum dritten Bild, welches die moderne Philosophin
-skizzirte. Diese saß vor einer verschwenderisch besetzten
-Tafel und hielt einen schäumenden Pocal in Händen.
-Das rothe, aufgedunsene Gesicht, der stiere Blick und
-die verschobenen Kleider zeigten von einer emancipirten
-Ausschreitung und der sinnliche Mund stammelte: »<i>Ede,
-bibe, lude, post mortem nulla voluptas.</i>« Das
-vierte und letzte Bild zeigte die Zukunftstheologin auf
-der Kanzel. Der Text ihrer Predigt war die Darwinsche
-Theorie und die freie Liebe. »Dies ist das trostreiche
-Zukunftsbild der weiblichen Demagogen, zu solchen Ausschreitungen
-wird sie ihr unnatürliches Gelüste treiben,«
-schloß Rosalinde ihren Vortrag.</p>
-
-<p>Ein verkrüppeltes Wesen mit wirrem, struppigem
-Haar wackelte jetzt auf Rosalinde zu und declamirte aus
-einem Volksliede:</p>
-
-<table summary="" border="0" cellpadding="0">
- <tr><td class="tdl">»Wann d' Papageien Concerte geb'n</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und d' Affen a Soirée,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Die Schwalben man füttert mit Ziweb'n,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und die Wanzen mit Kaffee</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und der Bandlwurm a Seiden spinnt,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Der Esel Eisschuh schleift</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und die Leut' auf'n Kopf gar stehen,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wird dös a g'schehen.«</td></tr>
-</table>
-
-<p>Rosalinde stieß sie unsanft von sich und wendete
-sich zu ihren Anhängerinnen, deren Gratulationen und
-<a class="pagenum" id="page_069" title="69"> </a>
-Beifall ihr im vollsten Maße zu theil wurde. Die Wuth
-ihrer Widersacherinnen machte sich durch Zischen und
-Schmähungen Luft. Zu diesen gehörte selbstverständlich
-auch die Oberwärterin.</p>
-
-<p>»Erhebt sich denn gar keine Hand, um diesem Krokodil
-die Zähne auszubrechen,« knurrte sie, eine Faust im Sack
-machend. »Die Giftblase spielt jetzt die erste Geige. Wenn
-ich gestudirter Doctor wäre, sollte sie einen Denkzettel
-kriegen, den sie sicherlich nicht hinter den Spiegel stecken
-würde. Das boshafte Weibsbild scherwenzelt um die
-Herren Allesmir und gönnt den armen Emanzipandlerinnen
-nicht das bischen Freiheit, weil sie mannstoll ist und
-durch ihre Kriecherei die Männer erobern möchte. Ihre
-Krankheit ist ja die Manonymphie, die Mannsucht.«</p>
-
-<p>Die linke und mittlere Gruppe waren in zorniger
-Aufregung. Sie schrien und kreischten und gesticulirten,
-während Rosalinde, um die sich ihre Anhängerinnen geschaart
-hatten, höhnisch auf ihre Widersacherinnen
-herabsah.</p>
-
-<p>»Frau Pelten will reden. Na, die wird der Viper
-kein Kleingeld auf ihre Münze zurückgeben,« murmelte
-Margarethe, sich vergnügt die Hände reibend.</p>
-
-<p>Eine stattliche Frau nahm jetzt das Wort. Sie
-versicherte, daß die Geistesschärfe und Logik, mit denen
-<a class="pagenum" id="page_070" title="70"> </a>
-die drastischen Bilder entworfen wären, der Spenderin
-dieser kostbaren Geistesperlen einen unvergänglichen Ruhm
-sicherten. Solch edle Selbstlosigkeit im Kampfe für Weiblichkeit
-und Frauenwürde könne wahrlich nur das gefühlvolle
-Herz einer nicht emancipirten Frau beseelen. Das
-Für und Wider der Frauenemancipation wolle sie hier
-nicht erörtern, dies sei eine Frage der Zeit. Die Zukunft
-werde lehren, ob dies wirklich ein göttliches und natürliches
-Recht wäre, daß das Weib allein unverrückbar an
-einem Standpunkte geschmiedet bleiben solle. Nur dies
-bleibe ihr dunkel, warum die Hüterin des Palladiums
-der Weiblichkeit behaupte, daß die Aufklärung, und das
-Streben nach Freiheit, alle zarten Blüthen der Gefühlswelt
-entwurzelten. Diese hätten ja erst die köstlichsten
-Blüthen zur Entwicklung gebracht. Die Aufklärung, das
-Denken über Menschenrechte und Menschenwürde könnten
-der Weiblichkeit nicht Abbruch thun und seien nicht gottlos.
-Die Menschenvernunft sei ja ein Ausfluß der Gottesvernunft
-und daher ihr ähnlich, sie sei das Organ des
-Verständnisses mit Gott, der Impuls zur wahren Erkenntniß
-und der Wegweiser zur reinen Religion. Die
-Erweiterung des geistigen Horizontes, der Fortschritt
-und die immerwährende Weiterentwicklung der Menschheit,
-bis sie die Vollendungsstufe erreiche, dies sei ja
-der wahre Gottesgedanke. Warum sollte also das urewige
-<a class="pagenum" id="page_071" title="71"> </a>
-Wesen dem Weibe den göttlichen Funken, den Verstand,
-gegeben haben, wenn man von ihm nur stumpfe, sterile
-Gläubigkeit fordert? Sollte das große, gütige Wesen
-verlangen, daß die Frau nicht denke, nicht nach Freiheit,
-nach Selbstständigkeit strebe, daß sie nur an die höhere
-Befähigung und Einsicht, an die Erhabenheit und Oberhoheit
-des Mannes blindlings glaube? Dies sei das
-ungerechteste Verlangen, das je einem Menschenhirn
-entsprang, denn göttlich sei sein Ursprung nicht. Der
-mächtige Weltgeist verbiete keinem vernunftbegabten
-Wesen das Joch der Vorurtheile abzuschütteln, die Bande,
-welche den Geist umwinden und ihn stumpf und unfähig
-machen, zu sprengen. Er gebiete den Aufschwung zum
-Menschenrecht und das Emporstreben zur Freiheit.</p>
-
-<p>Margarethe schüttelte unzufrieden den Kopf. Dies
-war, wie sie Zerlinen zuflüsterte, die Antwort nicht, die
-sie dem Giftpilz gegeben wissen wollte. Wie Taubeneier
-groß sollten Hagelkörner dicht über das schuldige Haupt
-daniederschmettern, und da kam ein leichter Regenschauer
-mit Rosenwasser parfümirt. Zu Rosalinde müßte ein
-scharfzüngiges Höckerweib reden und nicht Frau Pelten,
-eine berühmte Bücherschreiberin. Zerline erhob sich nun
-von ihrem Sitze. Die Abhandlungen <i>pro</i> und <i>contra</i>
-Emancipation waren ihr herzlich gleichgiltig. Ein gescheites
-Weib, dachte sie, benöthigt keine officielle Anerkennung
-<a class="pagenum" id="page_072" title="72"> </a>
-seiner Rechte. Es weiß die eingebildeten Obergötter
-in demüthige Sclaven umzuwandeln. Sie fand
-selbstverständlich kein Interesse an diesem Wahnsinn, der
-sich so vernünftig geberdete, und bat Margarethe sie zu
-Geisteskranken zu geleiten, die ihre Verrücktheit nicht mit
-dem Gewande der Vernunft bekleideten. Schon wollte
-die Oberwärterin ihren Wunsch erfüllen, als eine ältliche
-Frau mit markirten Zügen das Wort verlangte.</p>
-
-<p>»Die Sozinalkroatin will reden,« rief Margarethe
-aufjubelnd. »Na, da kommt es gesalzen und gepfeffert.
-Ich habe gegen die Sozinalkroatin eine Wuth, wenn
-sie aber dem Kratzeisen da die Zähne stumpf macht, will
-ich es ihr nicht vergessen.« Sie bat nun Zerlinen noch
-eine Weile sich zu gedulden, um die Genugthuung zu
-haben, die Schmerzensschreie Rosalinde's zu vernehmen,
-wenn die scharfen Krallen der Sozinalkroatin sich in ihr
-Gerippe einbohren würden. Während die Präsidentin die
-Ruhe bei dem wildaufgeregten Auditorium herzustellen
-suchte, berichtete Margarethe Zerlinen, daß Frau Pelten,
-die berühmte Bücherschreiberin, bald die Anstalt verlassen
-würde. Sie sei vor Gram tiefsinnig gewesen, weil
-ihr Gatte, ein gewissenloser, dummer Ohnehirn, die gebildete
-Frau schrecklich mißhandelt und ihr sogar unter
-dem Vorwande, sie habe durch das Bücherschreiben den
-Verstand verloren, die Erziehung ihres Töchterchens entzogen
-<a class="pagenum" id="page_073" title="73"> </a>
-habe. Nun sei sie von ihm los und ledig, sie sei
-von ihm gesetzlich geschieden und könne nach Herzenslust
-berühmte Bücher schreiben. Die Sozinalkroatin bilde sich
-ein, fuhr sie dann fort, sie sei dazu berufen, die Ordnung
-auf der lieben Gotteswelt herzustellen und deshalb
-wolle sie Alles zu gemeinem Gut machen. Sie habe
-Margarethen erklärt, Alles müsse Allen gehören. Ihr
-Mund sei ein feuriges Schwert, versicherte die Oberwärterin,
-und die mustergiltigste Feuerwehr würde
-sich vergeblich anstrengen diesen Höllenbrand zu ersticken.</p>
-
-<p>Inzwischen hatte das Wortgefecht wieder begonnen.
-Die Glocke der Präsidentin und ihre eindringliche Stimme
-hatten sich endlich Gehör verschafft.</p>
-
-<p>»Auch ich will ein Bild entwerfen,« rief die Sprecherin,
-»ein wahrheitgetreues Bild von den Hüterinnen des
-Palladiums der Weiblichkeit und auch von ihrer Anführerin,
-der giftgeschwollenen Natter, die feig in die
-Ferse sticht und die an Bosheit, Heuchelei, Arglist und
-tückischen Ränken alle ihre Anhängerinnen überflügelt.«</p>
-
-<p>»Man muß ihr das Wort entziehen,« schrie Rosalinde
-zornglühend.</p>
-
-<p>»Warum nicht gar,« rief die Oberwärterin, die
-Hände in die Seiten stemmend. »Was Einem recht, muß
-<a class="pagenum" id="page_074" title="74"> </a>
-dem Anderen billig sein. In unserer Anstalt darf jeder
-frei von der Leber weg reden. Wer nicht hören will,
-kann gehen.«</p>
-
-<p>Die dünne, lange Gestalt Rosalinde's zitterte vor
-Wuth. Ihr grimmig funkelndes Auge starrte bald die
-Oberwärterin, bald die Socialdemokratin mit unsäglichem
-Haß an.</p>
-
-<p>Die Rednerin begann nun eine drastische Schilderung
-dieser Kämpferinnen für die das Gemüth verfeinernde,
-verschönernde, veredelnde Weiblichkeit zu entwerfen.
-Als Mädchen, versicherte sie, blieben diese zarten
-Naturen Jahre hindurch bei der Zahl »zwanzig« stehen
-und erst wenn sie plötzlich unter den Augen gewisse
-ominöse Linien entdeckten, wenn der Teint gelb wie eine
-langgebrauchte Messerscheide würde, wenn das Haar sich
-zu lichten beginne und indiscrete Silberfäden auftauchten,
-erst dann entschließen sich die zarten Lianen den ersten
-besten Stock als Stütze zu nehmen und die Stufen der
-»Fünfundzwanzig« zu erklimmen. Als verheiratete Frauen
-klammern sie sich mit verzweifelter Anstrengung an die
-Zahl »dreißig«, drücken einen unüberwindlichen Abscheu
-gegen das barbarische Mittelalter aus und wollen, o
-seltsamer Widerspruch! doch nicht fortschreiten, ja sie
-bestreben sich sogar Rückschritte zu machen. Sie leben so
-lange im Wahne, daß sie glauben machen, was sie glauben
-<a class="pagenum" id="page_075" title="75"> </a>
-machen wollen, bis die Nemesis in Gestalt mannbarer
-Töchter sie zur grausamen Wirklichkeit zurückführe.
-Solch sprechende Beweise vermögen sie nicht mehr
-hinwegzudisputiren. Nun höre wohl der Kampf gegen den
-schonungslosen Saturn auf und sie singen endlich ihrer
-längst dahingeschiedenen Jugend das <i>requiescat in pace</i>.
-Dafür aber nehmen sie bei der ersten Condolenzvisite
-des Alters sofort von all' dessen Privilegien Besitz und
-werden augenverdrehende Frömmlerinnen und Jüngerinnen
-der Medisance. Als Lady Tartuffe, die vom Scandal
-zum Sacrament gegriffen, verstehen sie es meisterhaft
-ihre Antecedentien mit dem Deckmantel der Heiligkeit zu
-drapiren und mit gegen Himmel gerichteten Blicken über
-die Verderbtheit der Menschheit zu jammern. Als Jüngerinnen
-der Medisance wären sie ein furchtbares Tribunal.
-Wehe den Unglücklichen, die der Macht dieser Cannibalinnen
-anheimfielen. Jugend, Schönheit, Talent, Edelsinn,
-Hochherzigkeit wären da verdammenswerthe Verbrechen,
-die mitleidlos geahndet würden. Um vor der
-Verfolgungswuth dieser Harpien gesichert zu sein, müsse
-man die höchste oder niederste Stufe auf der socialen
-Leiter einnehmen. Wer nicht gefürchtet oder übersehen
-werde, der fühle, wie diese Ungeheuer mit vereinten
-Kräften an dem Piedestal seines Glückes rüttelten, um
-dies gewaltsam zu zertrümmern. »Diese Weiber nun
-<a class="pagenum" id="page_076" title="76"> </a>
-nennen sich die Kämpferinnen für die Weiblichkeit,« schloß
-die Sprecherin ihre Rede. »Sie verfolgen alle ihre
-Schwestern, die nicht ihrem Bunde angehören, die den
-Muth haben nach Freiheit, nach Menschenrecht, nach
-Selbstständigkeit zu ringen, sie begeifern Alle, welche die
-Schwächen der zarten Naturen abgestreift, das heißt,
-welche keine rührenden Sprüche, keine schönen Redensarten,
-keine frommen Tractätchen und keine gleißnerischen
-Thränen mögen; sie verfolgen die Zerrbilder, welche
-die Eitelkeit, die Gefallsucht, den Eigensinn, die Unbeständigkeit,
-die Klatschsucht, all' diese reizenden Attribute
-der zarten Naturen abgestreift haben, um ohne Scheu zu
-behaupten, daß Freiheit und Menschenrecht nicht das
-Monopol Einzelner, sondern Gemeingut sein müsse.«</p>
-
-<p>Ein anhaltender Beifall ihrer Parteigängerinnen
-begleitete die Schlußworte der Sprecherin. Dann aber
-folgte ein solch lautes, verwirrtes Gebrause von Stimmen,
-daß man nichts Deutliches mehr vernehmen konnte. Die
-Wuth der rechten Gruppe war in hellen Flammen ausgebrochen.
-Mit wildem Geschrei, mit drohend geballten
-Fäusten begannen sie alsbald auf ihre Widersacherinnen
-einzudringen. An ihrer Spitze gewahrte Zerline die Präsidentin
-die Glocke schwingend, um sich derselben als Wurfgeschoß
-zu bedienen. Ihr zur Seite befand sich Rosalinde
-mit funkelnden Augen wie eine wilde Katze, die mageren
-<a class="pagenum" id="page_077" title="77"> </a>
-Hände mit den krallenartig zugespitzten Nägeln drohend
-erhoben. Ehe jedoch die zarten Naturen mit den starken
-Naturen handgemein werden konnten, hatten einige handfeste
-Wärterinnen sie auseinandergebracht und in ihren
-Wohnstuben internirt.</p>
-
-<p>Die Oberwärterin erzählte nun Zerlinen, während
-sie sich in eine andere Abtheilung begaben, der Schluß
-jeder Sitzung gleiche dem der nun stattgefundenen. Die
-schattenhafte Jungfer Rührmichnichtan könne keine Wahrheit
-verdauen und erwiedere diese durch Prügelargumente.
-Der Herr Doctor nenne diese Kämpfe den Frosch-
-und Mäusekrieg. Nun begann Margarethe wieder die
-Krankengeschichten ihrer Pfleglinge zu berichten. Auf Nr.&nbsp;89
-wohne eine gefährliche Irre, ein altes Mütterchen, das
-durch die Schlechtigkeit eines herzlosen Kindes den Verstand
-verloren habe. Die entartete Tochter habe der
-braven Mutter einen Schimpf zugefügt, den ein ehrliches
-Mutterherz nicht verwinden könne. Das tolle Lamm bilde
-sich nun ein, böse Geister wollten ihr Kind verleumden
-und kämpfe gegen diese Teufel. In Nr.&nbsp;90, belehrte die
-Oberwärterin weiter, wohne eine arme Närrin, welche
-die Treulosigkeit ihres Gatten in die Anstalt gebracht
-habe. Er habe das schöne liebe Weib um einer Komödiantin
-willen verlassen und dadurch dem Wahnsinne
-überliefert. Jetzt weine sich die arme Närrin um das
-<a class="pagenum" id="page_078" title="78"> </a>
-liederliche Tuch die Augen aus. Nach diesen Worten
-öffnete sie die Thüre von Nr.&nbsp;90.</p>
-
-<p>Auf einem Lehnstuhle saß eine weibliche Gestalt
-bleich und mit eingesunkenen Wangen, um die das reiche
-dunkle Haar in aufgelösten Strähnen herabfiel. Die
-großen, düster glühenden Augen starrten in die Ferne,
-die Brust hob und senkte sich rasch und die weißen, durchsichtigen
-Hände zuckten krampfhaft, bald sich öffnend bald
-sich wieder zusammenziehend.</p>
-
-<p>»Sie denkt immer an den Gewissenlosen, der ihr um
-einer liederlichen Komödiantin willen das bitterste Herzleid
-zufügte,« flüsterte Margarethe Zerlinen zu. »Um
-seinetwillen hat sie sich in's Wasser gestürzt. Als man
-die Arme mit knapper Noth den Wellen entriß, mußte
-man sie zu uns in die Anstalt bringen. Diese freche
-Komödiantin soll der leibhafte böse Geist sein, schöner als
-alle Weiber und schlechter als alle Mannsbilder. Na, wenn
-die meinen Ferdi mit ihren schamlosen Teufelskünsten
-verlockt hätte, würde ich etwas Anderes thun, als mich
-in's Wasser stürzen und den Verstand verlieren. Meine
-Nägel würden ihre Larve in eine wahre Teufelsfratze
-verwandeln.«</p>
-
-<p>Die Irre hatte jetzt die Eintretenden bemerkt. Sie
-erhob sich von ihrem Sitze, näherte sich langsam Zerlinen
-<a class="pagenum" id="page_079" title="79"> </a>
-und richtete ihr großes Auge mit unsäglicher Schwermuth
-auf die Besucherin.</p>
-
-<p>»Kommen auch Sie, Aermste, hierher, um eine Zuflucht
-zu suchen?« frug sie mitleidig. »Für ein hartgetroffenes
-Gemüth liegt die Heilung einzig und allein nur
-in der Abgeschiedenheit von der Welt und im Aufgeben
-jeglichen Kampfes gegen Tücke und Bosheit. Ja, Tücke
-und Bosheit führen das Scepter auf Erden und treten
-das Recht mit Füßen,« fuhr sie düster fort. »Was man
-uns auch vom Lohn der Tugend und von der Strafe
-des Lasters erzählen mag, dies Alles ist erdichtet. Das
-Böse triumphirt, das Gute wird mißhandelt. Einst war
-ich eine überspannte Träumerin,« fuhr sie nach einer
-Pause mit zuckenden Lippen fort, »einst sah ich Alles vom
-Glanze seliger Hoffnung umstrahlt. Damals erschien mir die
-Welt als blühender Zaubergarten, die Menschen sah ich als
-Engel an, ich lebte noch in den Träumen der Märchenwelt,
-die unsere Kindheit beglücken. Die drei Himmelslichter
-Glaube, Liebe und Hoffnung flammten hell und
-leuchtend in meiner Seele. Der Traum war voll überirdischer
-Wonne. Da erloschen der Glaube und die
-Hoffnung miteinander, und finstere Nacht mit all ihren
-Schrecknissen umgab mich.« Nach diesen Worten hielt sie
-wie von der Wucht schrecklicher Erinnerungen daniedergedrückt,
-einige Augenblicke inne.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_080" title="80"> </a>
-Zerline athmete kaum. Hier sah sie den Schmerz
-ungekünstelt und doch mit solch hinreißender Wahrheit
-ausgedrückt. So und nicht anders mußte sie als Ophelia
-sprechen, diese Bewegungen mußte sie copiren. Der Wahnsinn
-sollte von ihr mit unerreichbarer Virtuosität dargestellt
-werden, keine Rivalin sollte ihr je darin gleichkommen.
-Solche und ähnliche Gedanken erfüllten den
-Kopf und das Herz der Bühnen-Heroine. Sie ahnte nicht
-mit welch furchtbarer Wahrheit sie bald eine Rolle, ohne
-diese zu studiren, spielen sollte.</p>
-
-<p>»Gibt es einen größeren Schmerz, als vom Manne,
-den man über Alles liebt, verrathen und betrogen zu
-werden?« fuhr die Irre wie im Selbstgespräch fort. »Ein
-Dämon hat meine heiligsten Empfindungen, meine seligsten
-Hoffnungen mit kalter Berechnung gemeuchelt, eine
-farbenprächtige Natter hat sein Herz vergiftet und seine
-Liebe zu mir ertödtet. Die Welt erschien mir nun als
-Wildniß mit reißenden Thieren bevölkert, das Leben
-wurde mir eine Bürde. Mein greiser Vater suchte mich
-nun durch die Versicherung zu trösten, daß allüberall,
-an den glühenden Sandsteppen der Sahara, wie an den
-Eisfeldern der Polargegenden, da, wo die Menschheit
-im primitiven Zustande vegetirt, und dort, wo sie den
-Zenith der Cultur erreicht zu haben wähnt, allüberall,
-sagte er, werde oft Liebe und Vertrauen mit Verrath
-<a class="pagenum" id="page_081" title="81"> </a>
-gelohnt. Wie vermochte aber der Schmerz anderer Verrathenen
-mein Weh zu mildern und die feurige Lohe,
-die in meinem Innern brennt, zu löschen. Diese Flammen
-brennen fort und verzehren meine gefolterte Seele.« Hier
-preßte sie die Hände gegen die Stirn und stöhnte laut
-und schmerzlich.</p>
-
-<p>Zerline lauschte lautlos mit zurückgehaltenem Athem.
-Mit Freuden würde sie ihren kostbarsten Schmuck geopfert
-haben, um dieses Mienenspiel, diese Handbewegung, diese
-erschütternden Töne ihr eigen zu nennen. Wie mußte solch
-ein Spiel das Publicum hinreißen, wenn sie, die Tragödin,
-davon so hingerissen wurde.</p>
-
-<p>»Sie sind ja gleich mir eine arme Schiffbrüchige,«
-wendete sich die Irre wieder an Zerline. »Sie kennen
-also das gräßliche Gefühl, welches der Unglückliche empfindet,
-wenn er rings um sich her die Trümmer seines
-Lebensglückes sieht und wenn ihm in der finsteren Nacht
-der Verzweiflung kein Hoffnungsschimmer mehr blinkt.«
-Hier blieb sie wieder einige Augenblicke in düsteres Sinnen
-verloren stehen. »Im Traume verrieth er sich,« begann
-sie dann mit gehobener Stimme. »Jene Stunde brachte
-mir die gräßliche Wahrheit, so furchtbar, so unausbleiblich
-wie Elend und Tod. Robert liebte mich nicht mehr.
-Da saß mit einemmale die Natter,« sie schlug mit der
-Hand auf ihr Herz, »hier sitzt sie und will nicht weichen.
-<a class="pagenum" id="page_082" title="82"> </a>
-Da fühlte ich es am ersten, da schmerzt es am heftigsten,
-da tönt es schaurig, er liebt dich nicht mehr, er
-liebt eine Andere. Seit jener Stunde verlor ich mich
-selbst, seitdem ich seine Stimme nicht höre, seinen Puls,
-seinen Hauch nicht fühle, war ich den finsteren Mächten
-verfallen. Mit einemmale vernahm ich Stimmen aus den
-blauen Fluten, Stimmen, die mir geheimnißvoll zuflüsterten,
-in die stille, friedliche Tiefe zu steigen, um
-da meinen glühenden Schmerz zu stillen. Die Wellen
-flüsterten so süß und lockend, daß ich dem Syrenensang
-nicht zu widerstehen vermochte. Ich stieg in die Tiefe,
-um Heilung und Vergessen zu suchen. Ich fand da keine
-Heilung und kein Vergessen,« fuhr die Irre mit steigender
-Erregung fort. »Der Wasserspiegel ist ebenso falsch
-wie Robert. Auch er birgt in seinem Innern gefährliche
-Abgründe, treulose Klippen und gräßliche Ungeheuer.«</p>
-
-<p>Zerline begann jetzt ängstlich zu werden. Die Irre
-wurde immer aufgeregter, der Wahnsinn begann sich in
-furchtbarer Gestalt zu zeigen. Bei all' ihrer Opferwilligkeit
-für die Kunst konnte sich Zerline doch nicht enthalten
-der Oberwärterin ihren Wunsch, die unheimliche
-Kranke zu verlassen, auszudrücken. Margarethe beruhigte
-sie jedoch durch die Versicherung, die arme Närrin sei
-harmlos wie ein Kind und ihr Praxismus erlösche wie
-nasses Holz.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_083" title="83"> </a>
-Mit der Irren ging nun eine immer schrecklichere
-Veränderung vor. Ihr Antlitz bedeckte sich mit brennender
-Röthe, die Augen glühten in immer unheimlicherem Glanze,
-das Geberdenspiel wurde immer wilder und die Sätze
-wurden abgebrochen und mit heiserer Stimme hervorgestoßen.</p>
-
-<p>»Sein Kuß &ndash; seine Liebesschwüre &ndash; hinreißende
-Lügen &ndash; Im Schlafe &ndash; ruft sein Mund &ndash; das Trugbild!«
-stieß sie mühsam hervor. »Da seht &ndash; da reckt
-die Natter &ndash; den Kamm aus dem Grase.« &ndash; Sie
-bezeichnete eine Vision ihres kranken Geistes. »Ihre
-Giftzähne beißen sich &ndash; in mein Herz ein!« schrie sie
-auf und preßte die Hand an die Brust.</p>
-
-<p>Zerline wurde todtenbleich und wich erschrocken bis
-zur Thür zurück.</p>
-
-<p>»Sie thut keiner Fliege was zu Leid,« versicherte
-Margarethe.</p>
-
-<p>»Der Brand in meinem Kopfe wird immer stärker,«
-stöhnte die Irre. Plötzlich blieb sie in lauschender Stellung
-mit zurückgehaltenem Athem stehen. »Robert spricht im
-Schlafe,« flüsterte sie und blieb dann einige Augenblicke
-regungslos horchend. Mit einemmale zuckte sie zusammen
-und grub die Nägel in ihre Brust. »Sein
-Mund ruft Zerline,« schrie sie mit wilder Wuth. »Zerline,
-Teufelin vom Pesthauch der Hölle erzeugt, sei verflucht!«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_084" title="84"> </a>
-Wäre der Blitz zu den Füßen Zerlinens eingeschlagen,
-dies würde kaum eine schrecklichere Wirkung auf sie hervorgebracht
-haben, als die Entdeckung, daß sie die Ursache
-vom Wahnsinn des unglücklichen Weibes sei. Sie
-war also die Komödiantin, welche das Liebesglück der
-zärtlichen Gattin zerstört hatte. Die leichtsinnige, eroberungssüchtige
-Männerbezwingerin vermochte beim Anblick der
-Jammergestalt, die sie vor Augen hatte, ein Gefühl,
-das sie nur selten empfand, das der Reue, nicht zu bemeistern.
-Ja das Schuldbewußtsein übermannte sie dergestalt,
-daß sie wie gelähmt dastand und mit weitaufgerissenen
-Augen auf die Geisteskranke starrte, deren
-Paroxysmus sich immer mehr steigerte. Schmerzensschreie
-eines gebrochenen Herzens wechselten mit flehentlichen
-Bitten an den Treulosen, sie nicht in Wahnsinn und
-Tod zu jagen und mit wilden Flüchen und Schmähungen
-gegen den Dämon, der ihr Glück gemeuchelt. Dies war
-die Agonie einer bis auf den Tod getroffenen Seele. In
-großen Tropfen perlte der Angstschweiß von der Stirn
-Zerlinens, ihre Füße waren wie am Boden festgenietet
-und vermochten sie nicht aus dem Bereiche der Schrecklichen
-zu tragen. Erst als dem Paroxysmus der Irren
-eine vollständige Erschöpfung folgte und die Unglückliche
-kraftlos und gebrochen zusammenbrach, erst dann wich
-die Erstarrung von Zerline.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_085" title="85"> </a>
-Jetzt stürzte sie der Thüre zu und wollte entfliehen,
-da stellte sich ihr aber ein Hemmniß entgegen. Eine
-bleiche Frau mit einer Harfe in der Hand stand an der
-offenen Thüre.</p>
-
-<p>»Du hier. Dich soll ich ja kennen,« murmelte die
-Neueingetretene und starrte Zerlinen mit ihren großen,
-seltsam glänzenden Augen an.</p>
-
-<p>Kalter Schweiß perlte von Zerlinens Stirn. Sie
-wich erschrocken von der Thüre zurück. Diese Züge,
-diese Stimme waren ihr nicht fremd.</p>
-
-<p>»Was willst du, Bänkelsängerin? Hier ist nicht der
-Ort, um deine unfläthigen Lieder auszukramen. Fort,
-Komödiantin,« knurrte Margarethe und unterstützte ihre
-Worte mit einer drohenden Geberde. Die Irre schien
-aber die Weisung der Oberwärterin nicht zu beachten,
-sie starrte auf Zerline, wie auf eine Vision und fuhr
-mit der Hand über die Stirn, als suche sie ihre Gedanken
-zu sammeln. »Ich weiß es jetzt,« rief sie plötzlich
-aufjauchzend. »Du bist Zerlinchen. Du kommst auch zu
-uns. Ha, ha, ha, die schöne Zerline kommt mir Gesellschaft
-leisten! Wir wollen lustig sein. Nur nicht weinerlich,
-Zerlinchen. Sollst ein lustig's Lied'l haben.«</p>
-
-<table summary="" border="0" cellpadding="0">
- <tr><td class="tdl">»Schauts außi wie's regn't,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und schauts außi wie's gießt,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und schauts außi wie der Reg'n</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Vom Dach abischießt.«</td></tr>
-</table>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_086" title="86"> </a>
-»Fort, Komödiantin,« schrie die Oberwärterin, nach
-deren Meinung diese Benennung den herbsten Schimpf
-enthielt. Die Volkssängerin wich knurrend zurück und
-forderte Zerline auf, die Verunglimpfung ihres Standes
-an dem alten Reibeisen zu rächen. Die Oberwärterin
-war nicht wenig über die ihr beigelegte Benamsung,
-wie auch über die dem gestudirten weiblichen Arzt angethane
-Beleidigung empört und lieh ihrer Entrüstung derbe Worte.</p>
-
-<p>»Mein schönes Zerlinchen, welches alle Männer am
-Narrenseil führt, soll ein Quacksalber sein: Eine Schauspielerin
-ist sie. Ja das ist sie, du alte Truthenne, und
-wenn auch deine Kropfkorallen darüber braun und blau
-werden, bleibt Zerlinchen doch eine Theaterprinzessin,«
-kicherte die Irre zur nicht geringen Wuth der Oberwärterin.</p>
-
-<p>Die erschrockene Zerline suchte nur die Thüre zu
-gewinnen. Sie fühlte sich dem Wahnsinn nahe, sie mußte
-aus dieser Behausung des Entsetzlichen entfliehen. Schon
-war sie dem Ausgange nahe, als sich ihr wieder ein
-Hemmniß in den Weg stellte. Eine Hand legte sich auf
-ihre Achsel und eine Stimme, die das Blut in ihren
-Adern erstarren machte, frug sie: »Du bist also Zerline?«
-Die Tragödin erbebte und blickte entsetzt in das verzerrte
-Antlitz der unglücklichen Gattin Roberts. »Du bist also
-Zerline?« wiederholte diese ihre Frage mit wachsender
-<a class="pagenum" id="page_087" title="87"> </a>
-Aufregung. Vor Schreck außer sich, kaum wissend was
-sie that, beantwortete Zerline die verhängnißvolle Frage
-mit einer bestätigenden Kopfbewegung. Die Irre stieß
-nun einen Schrei aus, der dem Wuthgebrüll eines wilden
-Thieres glich, und umspannte mit rasender Gewalt das
-zarte Handgelenk der Tragödin. Diese schrie vor Schmerz
-und Schrecken laut auf und rief um Hilfe. Die Oberwärterin,
-der es endlich gelungen war die Bänkelsängerin
-aus dem Zimmer zu entfernen, eilte sofort herbei und
-suchte Zerlinen aus der Gewalt der Geisteskranken zu
-befreien. Weder Bitten noch Vorstellungen vermochten
-die Irre zur Nachgiebigkeit zu bewegen.</p>
-
-<p>»Sie ist mein, die farbenprächtige Natter,« schrie
-sie in wilder Wuth. »Sie kam, um sich an meinem
-Todeskampfe zu weiden, um wie ein Vampyr das Blut
-aus meinem Herzen zu trinken, sie muß dafür mit mir
-den bösen Geistern verfallen. Ich will ihre Schönheit,
-mit der sie Handel treibt, vernichten, ich will ihr kaltes
-Herz, mit dem sie Liebe heuchelt, mit meinen Nägeln
-zerfleischen, ich will ihr die Giftzähne ausbrechen. Ein
-Scheusal soll sie äußerlich werden, wie sie es innerlich
-ist. Robert soll sie in ihrer wahren Gestalt sehen. Dann
-wird er sie von sich stoßen, wie er es mir gethan, und
-die feurige Lohe, die mich verzehrt, wird auch in ihrem
-Innern lodern.«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_088" title="88"> </a>
-Vergeblich suchte Margarethe die Wuth der Irren
-durch Versicherungen und Schwüre, daß die Bänkelsängerin
-schamlos gelogen habe, zu beschwichtigen.
-Fräulein Doctor sehe doch nicht einem frechen Komödiantenweibsbild
-ähnlich. Diesen Ungeheuern sei ja ihr schamloser
-Beruf deutlich genug auf der Larve gepinselt, behauptete
-die Oberwärterin. Alle diese Beweise erwiesen sich aber
-fruchtlos. Die Geisteskranke wollte ihre Gefangene nicht
-freigeben. Als zuletzt Margarethe die Hand Zerlinens
-aus der Umklammerung mit sanfter Gewalt befreien
-wollte, da stieß die Irre einen schrillen Schrei aus und
-schleuderte die Zudringliche mit Riesenkraft von sich.</p>
-
-<p>»Heilige Mutter Gottes, stehe uns bei! Sie wird
-tobsüchtig,« stöhnte die Oberwärterin. »Reizen Sie das
-tolle Lamm nicht, verhalten Sie sich ruhig. Ich will
-Hilfe herbeirufen,« flüsterte sie Zerlinen zu und eilte aus
-dem Zimmer.</p>
-
-<p>Zerline hörte sie nicht, sie stand regungslos wie ein
-Steinbild und starrte angstvoll auf die Geisteskranke.
-Diese schien jetzt, da man sie durch die Versuche ihre
-Gefangene zu befreien nicht mehr reizte, ruhiger zu
-werden.</p>
-
-<p>»Du bist also seine vergötterte Zerline mit der
-junonischen Gestalt, mit dem unergründlichen Feuerauge
-und mit dem goldenen Lockengeringel,« rief sie dann,
-<a class="pagenum" id="page_089" title="89"> </a>
-die Tragödin mit den Augen verschlingend. »Ja du bist
-schön wie der Geist des Bösen, dessen verhängnißvolle
-Schönheit der Menschheit Jammer und Elend bereitet.
-Auch ich war einst schön, und Robert liebte mich, bis
-du Teufelin mich zu dem gemacht hast, was ich nun
-bin. Deine Schönheit soll wie die meine verderben. Auch
-du sollst trockene Thränen weinen, Thränen, die wie
-Gluttropfen auf die Seele fallen und sie in Brand
-setzen.«</p>
-
-<p>»Gnade, Erbarmen!« stammelte Zerline angstvoll.</p>
-
-<p>»Das Erbarmen, das du mit mir gehabt, will ich
-mit dir haben,« erwiederte die Geisteskranke.</p>
-
-<p>»Du willst mich tödten,« murmelte Zerline auf die
-Knie sinkend und das todtenbleiche Antlitz mit den Händen
-bedeckend.</p>
-
-<p>»Dich tödten? Nein. Du sollst leben und leiden und
-die Schale der Wiedervergeltung bis auf den letzten
-Tropfen leeren. Deine Schönheit will ich zerstören, und
-Robert soll dich von sich stoßen!« rief die Irre mit
-flammenden Blicken.</p>
-
-<p>Zerline bebte wie Espenlaub. Sie fühlte sich schwach
-und hinfällig und war allein mit der Wahnsinnigen,
-hilflos ihrer Macht preisgegeben. Ihre Sinne schwanden,
-der Boden wich unter ihren Füßen, mit einem Schreckensschrei
-sank sie zusammen.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_090" title="90"> </a>
-»Du darfst nicht sterben, du mußt leben und leiden,
-wenn Robert dich von sich stößt,« kreischte die Irre.
-Mit einemmale unterbrach sie sich und blieb lauschend
-stehen. Im Corridor ließ sich ein Geräusch von eilig
-nahenden Schritten vernehmen. Die Irre zuckte zusammen
-und wendete ihren Blick der Thüre zu. Sie sah Margarethe
-von zwei Wärterinnen begleitet in die Stube treten. Mit
-wilder Heftigkeit umschlang sie die bewußtlose Zerline
-und stellte sich in drohender Haltung der Oberwärterin
-entgegen.</p>
-
-<p>»Jesus, das tolle Lamm wird das Fräulein Doctor
-erdrosseln!« kreischte Margarethe. Sie suchte die Irre zu
-begütigen. Als aber dies fehlschlug, da entschloß sie sich
-Gewalt zu gebrauchen. Sie befahl den Wärterinnen der
-Irrsinnigen eine Decke über den Kopf zu werfen und
-sich dann mit Gewalt ihrer zu bemächtigen. Die Wuth
-der Geisteskranken erreichte nun den Höhepunkt. Ihr
-Auge schoß wilde Flammen; mit einem Arm hielt sie
-Zerline umschlungen, der andere war drohend gegen die
-Wärterinnen erhoben.</p>
-
-<p>Jetzt sauste die Decke durch die Luft. Die Irre,
-die Gefahr bemerkend, wich aber dem Wurfe aus. Die
-Lage Zerlinens wurde immer gefährlicher. Sie hing wie
-leblos in den Armen der Wahnsinnigen und gab auf
-alle Zurufe der Oberwärterin keine Antwort. Kalter Angstschweiß
-<a class="pagenum" id="page_091" title="91"> </a>
-bedeckte die Stirne Margarethens. Sie befahl
-nun den Wärterinnen die Aufmerksamkeit der Irren zu beschäftigen,
-damit sie sich ihr unvermerkt nähern könne. Das
-gutherzige Weib flehte alle Heiligen um Hilfe in dieser Noth
-an. Sie wollte schon ihr Leben wagen, um die Wüthende
-zu bewältigen, wenn nur das Fräulein Doctor der Gefahr
-entrissen wurde. Ja es war mit nicht geringer Gefahr
-verbunden, der Irren ihr Opfer zu entreißen. Die Oberwärterin
-wußte aus Erfahrung, welche Riesenkraft der
-Wahnsinn dem schwächsten Körper verleiht. Gebete
-murmelnd spähte Margarethe auf den günstigen Moment,
-um ihr Vorhaben auszuführen, als Stimmen und eilige
-Schritte auf dem Corridor vernehmbar wurden. »Der
-Doctor! Wir sind gerettet!« schluchzte die Oberwärterin,
-die Hände dankend zum Himmel erhoben. Bald erschien
-auch der Arzt der Frauenabtheilung athemlos an der
-Thüre. Ein Blick genügte dem Psychiater, um das
-Schreckliche zu übersehen. Rasches Handeln war dringend
-nöthig, um die bewußtlose Zerline aus ihrer gefährlichen
-Lage zu befreien, aber die Irre mußte besänftigt und
-nicht gereizt werden. Der erfahrene Psychiater befahl den
-Anwesenden das Zimmer zu räumen und begann dann
-langsam sich der Irren zu nähern. Er sprach sanfte,
-beruhigende Worte, die ihr versicherten, daß die Verfolgerinnen
-die Flucht ergriffen hätten. Die Wahnsinnige,
-<a class="pagenum" id="page_092" title="92"> </a>
-die in einem Winkel zusammengekauert, Zerline fest an sich
-drückend dasaß, erhob beim Klange seiner Stimme das
-Haupt. Als sie den Arzt erblickte, verstummten ihre
-Schreie, die wilde Wuth begann zu schwinden. Je näher
-der Psychiater kam und je sanfter seine Worte erklangen,
-desto mehr legte sich die Aufregung der Unglücklichen.
-Als er nun endlich ihr gegenüberstand und sein durchdringendes
-Auge fest auf das ihre heftete, da wurde sie
-sanft und ruhig. Der Ring, den ihre Hände um Zerline
-geschlossen hatten, wurde jetzt immer loser, er löste sich
-bald ganz, und ihre Arme sanken schlaff hinab. Jetzt
-fing der Arzt die regungslose Zerline in seinen Armen
-auf und begann, das Antlitz der Irren zugewendet,
-langsam der Thüre zuzuschreiten. Immer noch erklangen
-die sanften, beschwichtigenden Worte und immer haftete
-sein fascinirender Blick auf der Irren, welche ihr Auge
-von dem des Psychiaters nicht loszureißen vermochte.
-Nun war er der Thüre nahe, die sich geräuschlos von
-außen öffnete. Noch ein Moment namenloser Angst, unsäglicher
-Bangigkeit für Margarethe und sie sah das
-Fräulein Doctor außer dem Bereiche der Wahnsinnigen.</p>
-
-<p>Als Zerline zum Bewußtsein zurückkehrte, mußte sie
-eine niederschmetternde Anklage vom Arzte anhören. Das
-arme Weib, dessen Lebensglück sie zerstört hatte, war
-nun auch durch ihre Schuld in unheilbare Tobsucht verfallen.
-<a class="pagenum" id="page_093" title="93"> </a>
-Scharf und verächtlich waren die Worte, welche
-der Psychiater zum Fräulein Doctor, das sich als die
-berüchtigte Zerline entpuppt hatte, sprach. Die empörte
-Oberwärterin rief ihr ihrerseits zu, die gemeine Katze,
-welche sich frech in eine Löwenhaut gesteckt, werde ihr
-noch einst in die Hände fallen, denn der Lohn für die
-Schlechtigkeiten der schamlosen Komödiantenweibsbilder
-sei das Spital oder das Irrenhaus. Zerline vermochte
-bei dieser trostreichen Verheißung einen Schauer nicht zu
-unterdrücken.</p>
-
-<p>Seitdem besucht die Tragödin kein Irrenhaus mehr,
-um da den Genius der tragischen Kunst zu suchen.</p>
-
-
-<p class="mt2 ce fsl"><span class="ge">Ende.</span></p>
-
-
-
-
-<p class="mt2 ce fss"><a class="pagenum" id="page_094" title="94"> </a>
-Druck von Johann N. Vernay, Wien, <i>IX.</i>, Mariannengasse 17.</p>
-
-<hr />
-
-
-
-
-<p class="pb mt4 ce"><a class="pagenum" id="page_095" title="95"> </a>
-<span class="fsl ge">Verlag von L. Rosner in Wien.</span></p>
-
-
-<p class="ce mt2 lh1"><span class="fsxl">Der Wunderrabbi.</span><br/>
-
-<span class="fsl">Roman von <b>J. Thenen</b>.</span><br />
-
-8. 293 Seiten. Preis fl. 2.&ndash; oder M. 4.</p>
-
-<p>Der Reiz dieses Buches liegt in der vortrefflichen Ausführung.
-In Scenen voll dramatischen Lebens erkennen wir die
-Macht des Rabbi über die verblendeten Geister &ndash; eine Macht,
-der selbst der christliche Edelmann im Falle der Bedrängniß
-huldigt; aber wir erkennen auch die ganze &ndash; Tiefe dieses Aberglaubens,
-indem wir Einblick in den Charakter des Rabbi erhalten,
-der ein wunderliches Gemisch von Selbstsucht, Aberglauben und
-Zelotismus ist. Dann führt uns die Dichterin mit gleicher Kunst
-in das elende, vom Unglücke erfüllte Haus seiner tragischen Gegner,
-und so reiht sich Bild an Bild, Scene an Scene, die uns &ndash; die
-Handlung immer weiter leitend &ndash; in den Charakter und Geist
-jener eigenthümlichen Menschen hineinblicken lassen. In einzelnen
-Capiteln erreicht die Dichterin eine tragische Größe; in anderen
-entfaltet sie herrlichen Humor. Ueberall aber verräth sie eine ganz
-intime Kenntniß nicht blos der Sitten und Gebräuche jener Menschen,
-sondern auch ihres eigenthümlichen Geistes, jener spiritualistischen
-Denkweise, die aus der völligen Durchdringung des Lebens durch
-den Glauben entstammt. Sind doch alle die Geschichten und Schicksale,
-die sie erzählt, mehr oder weniger thatsächliche Geschehnisse.
-Und selbst aus der Darstellung athmet der Geist des Volkes, der
-so einseitig sich nur dem Menschengeiste und dem Glauben zuwendete,
-der Natur jedoch, ihrer Schönheit, ihrem Genusse sich so
-fernhielt. In diesem Sinne ist es charakteristisch, daß im ganzen
-Buche nur zwei kleine landschaftliche Schilderungen vorkommen,
-die aber freilich recht hübsch sind. Kurz, es ist ein Buch, das ein
-männlicher Geist in einem dichterischen Frauenkopfe ersonnen.</p>
-
-<p class="si">»Neue Freie Presse.«</p>
-
-
-
-
-<p class="pb mt4 ce"><a class="pagenum" id="page_096" title="96"> </a>
-<span class="fsl ge">Verlag von L. Rosner in Wien.</span></p>
-
-
-<p class="ce mt2 lh1"><span class="fsxl">Der Wunderrabbi.</span><br />
-
-<span class="fsl">Roman von <b>J. Thenen</b>.</span><br />
-
-8. 293 Seiten. Preis fl. 2.&ndash; oder M. 4.</p>
-
-<p>Die Verfasserin hat das Leben und Treiben dieses Chassiden
-studirt und hat »halb Wahrheit, halb Dichtung« wirkliche Vorkommenheiten
-zu einer spannenden Erzählung vereint, die, ohne
-als Culturstudie gewollt zu sein, den Zweck einer solchen in
-reichstem Maße erfüllt. Der crasse Betrug, die wilde Habgier, die
-niedrige Genußsucht, welche dem ganzen Dichten und Trachten
-dieser Chassidengemeinden Bewegung geben, sind ohne Scheu
-mit der vollsten und behaglichsten Naturwahrheit gezeichnet. Die
-talentvolle Beobachterin hat in ihrem Buche jedes Mäntelchen
-verschmäht und gibt ungeschminkt und unverhüllt die Wirklichkeit.
-Dieser Reiz der Unmittelbarkeit und des kaustischen Humors aber
-ist es, der unvermindert in den ersten Seiten fesselt und anhält
-bis zu jenem Punkte, wo die Handlung den Boden verläßt, auf
-dem die Wunderrabbis gedeihen, und, Jahre überspringend,
-harmonisch ausklingt. Das Buch wird von Laien um seiner reichbewegten
-Handlung und seiner farbenkräftigen Schilderungen, von
-dem Culturforscher aber deshalb mit Vergnügen gelesen werden,
-weil das Erzählte und Geschilderte wahr ist.</p>
-
-<p class="si">»Presse.«</p>
-
-<hr />
-
-
-
-
-<h2>Hinweise zur Transkription</h2>
-
-
-<p class="in0">Der Schmutztitel wurde entfernt.</p>
-
-<p class="in0">Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.</p>
-
-<p class="in0">Darstellung abweichender Schriftarten: <span class="ge">gesperrt</span>, <i>Antiqua</i>, <b>fett</b>.</p>
-
-<p class="in0">Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden
-Ausnahmen,</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_027">27</a>:<br />
-"Ihr" geändert in "ihr"<br />
-(Brille tragen, die ihr nicht erlaubt)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_035">35</a>:<br />
-"Mähren" geändert in "Mären"<br />
-(wunderbare Mären von seinen Eroberungen zu erzählen)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_036">36</a>:<br />
-"«" entfernt hinter "acceptiren."<br />
-(ihn als Prinz-Gemal zu acceptiren.)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_037">37</a>:<br />
-"Wamms" geändert in "Wams"<br />
-(Orden von seinem Wams los)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_050">50</a>:<br />
-"staarnackiger" geändert in "starrnackiger"<br />
-(Director des Hoftheaters ein starrnackiger Pedant)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_072">72</a>:<br />
-"Rosalinda's" geändert in "Rosalinde's"<br />
-(die Schmerzensschreie Rosalinde's zu vernehmen)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_073">73</a>:<br />
-"Rosalinda" geändert in "Rosalinde"<br />
-(»Man muß ihr das Wort entziehen,« schrie Rosalinde)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_085">85</a>:<br />
-"«" eingefügt<br />
-(Vom Dach abischießt.«)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_089">89</a>:<br />
-"." eingefügt<br />
-(und sie in Brand setzen.«)</p>
-
-<hr />
-
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Fräulein Doctor im Irrenhause, by Julie Thenen
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FRÄULEIN DOCTOR IM IRRENHAUSE ***
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-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
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