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If you are not located in the United States, you -will have to check the laws of the country where you are located before -using this eBook. - -Title: Ravachol und die Pariser Anarchisten - Außenseiter der Gesellschaft. Die Verbrechen der Gegenwart. Band - 8 - -Author: Arthur Holitscher - -Editor: Rudolf Leonhard - -Release Date: October 9, 2021 [eBook #66501] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -Produced by: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at - https://www.pgdp.net. This book was produced from images made - available by the HathiTrust Digital Library. - -*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK RAVACHOL UND DIE PARISER -ANARCHISTEN *** - - - AUSSENSEITER DER GESELLSCHAFT - – DIE VERBRECHEN DER GEGENWART – - - - - - AUSSENSEITER - DER GESELLSCHAFT - – DIE VERBRECHEN DER GEGENWART – - - - HERAUSGEGEBEN VON - RUDOLF LEONHARD - - BAND 8 - - - VERLAG DIE SCHMIEDE - BERLIN - - - - - RAVACHOL UND DIE - PARISER ANARCHISTEN - - - VON - ARTHUR HOLITSCHER - - - VERLAG DIE SCHMIEDE - BERLIN - - - EINBANDENTWURF - GEORG SALTER - BERLIN - - - Copyright 1925 by Verlag Die Schmiede Berlin - - - - -Der ewige Zwiespalt, der offenkundige unlösbare Widerspruch, der die -Theoretiker einer revolutionären politischen Richtung von Jenen trennt, -die diese Richtung in die direkte, persönlich unerbittliche Aktion -umsetzen, kam wohl selten mit solcher Vehemenz zum Ausdruck wie gerade -in der Periode „der anarchistischen Attentate“, von der hier die Rede -sein wird. - -Ich habe „anarchistisch“ gesagt, aber es ist nicht offenbar, es steht -keineswegs unumstößlich fest, es ließe sich wohl darüber streiten, ob -die Männer, die von 1891 bis 1894 in Frankreich jene Attentate verübten, -Anarchisten waren. Politische Aktionen ähnlicher Art, individuelle -Aktionen, die nur scheinbar durch ein System zusammengehalten sind, -grenzen in ihrem Wesen nahe an Verzweiflungstaten von Menschen, die aus -ihrem rein persönlichen Erleben heraus und nur bedingt aus den Motiven -einer, vom politischen Gesichtspunkt als notwendig erkannten Richtung -handeln. Wenn Aktionen dieser Art sich im Laufe der Zeiten gleichen, so -kann man doch aus der Geschichte den ewig wechselnden Namen der -politischen Richtung verfolgen, die jeweils mit diesen Aktionen -verknüpft, ihnen eine Art Rechtfertigung zu geben scheint. Die Taten der -Nihilisten in Rußland, der Sozialisten in den Anfangsjahrzehnten der -Arbeiter-Organisation, der Anarchisten in Frankreich, sie entsprangen -alle der Not des aufgewühlten Zeitgewissens. Im Grunde waren sie -Manifestationen des stetig gleichbleibenden, seit Urzeiten in die -Menschenseele versenkten revolutionären Triebes: das _Unrecht_ aus der -Welt zu schaffen. Die Auflehnung des Individuums gegen den Staat, der -Kampf gegen die Gesellschaft, die das mitgeborene Recht des Individuums -schmälert und vernichtet. - -In seinem grundlegenden Werk „_Der Anarchismus_“ gibt _Paul Eltzbacher_ -ein kurzes Résumé der theoretischen Grundlagen der anarchistischen -Lehren und ich will hier einen Abschnitt zitieren, der für den, wenn -auch losen Zusammenhang der anarchistischen Theorie mit den Taten der -Anarchisten, über die hier berichtet werden soll, wesentlich und -wissenswert ist: - -„Der Anarchismus,“ sagt Eltzbacher, „ist die rechtsphilosophische -Verneinung des Staates, d. h. diejenige Art der rechtsphilosophischen -Staatslehre, welche den Staat verneint. - -Eine anarchistische Lehre kann nicht vollständig sein, ohne anzugeben, -auf was für einer Grundlage sie ruht, was für einen Zustand sie im -Gegensatz zum Staate bejaht, und wie sie sich den Übergang zu diesem -Zustande denkt. Eine Grundlage, eine bejahende Seite und eine -Vorstellung von dem Übergang zu dem, was bejaht wird, sind notwendige -Bestandteile jeder anarchistischen Lehre. Mit Beziehung auf diese -Bestandteile lassen sich folgende _Arten des Anarchismus_ unterscheiden. - -1. Der Grundlage nach: der _genetische Anarchismus_, welcher als -höchstes Gesetz menschlichen Verhaltens nur ein _Naturgesetz_ anerkennt -und der _kritische Anarchismus_, welcher als höchstes Gesetz -menschlichen Verhaltens eine Norm betrachtet; als Unterarten des -kritischen Anarchismus der _idealistische Anarchismus_, dessen höchstes -Gesetz eine Pflicht, und der _eudämonistische Anarchismus_, dessen -höchstes Gesetz das Glück ist; und endlich als Unterarten des letzteren -der _altruistische Anarchismus_, für den das Glück der Gesamtheit, und -der _egoistische_, für den das Glück des Einzelnen höchstes Gesetz ist. - -2. Nach dem im Gegensatz zum Staat bejahten Zustande lassen sich -unterscheiden: der _föderalistische Anarchismus_, welcher für unsere -Zukunft ein geselliges Zusammenleben der Menschen nach der Rechtsnorm, -daß Verträge erfüllt werden müssen, bejaht, und der _spontanistische -Anarchismus_, welcher für unsere Zukunft ein geselliges Zusammenleben -nach einem nichtrechtlichen Gesetz bejaht. - -3. Nach der Vorstellung von dem _Übergang zu dem bejahten Zustande_ -lassen sich unterscheiden: - -Der _reformistische Anarchismus_, welcher sich den Übergang vom Staat zu -dem im Gegensatz zu ihm bejahten Zustand _ohne Rechtsbruch_ denkt, und -der _revolutionäre Anarchismus_, welcher sich diesen Übergang _als -Rechtsbruch_ denkt. Als Unterarten dieses revolutionären Anarchismus: -der _renitente Anarchismus_, der sich den Rechtsbruch ohne Anwendung von -Gewalt denkt, und der _insurgente Anarchismus_, der sich ihn unter -Anwendung von Gewalt denkt.“ - -Eltzbacher, der das Ergebnis seiner wissenschaftlichen Abhandlung -besonders aus den Schriften von sieben der hervorragendsten Theoretiker -der anarchistischen Lehre, nämlich _Godwin_, _Proudhon_, _Stirner_, -_Bakunin_, _Kropotkin_, _Tucker_ und _Tolstoj_ schöpft, schreibt zu -diesen letzteren Arten des Anarchismus, nämlich dem _renitenten_ -Anarchismus, der sich den Rechtsbruch ohne Anwendung von Gewalt denkt, -die Namen: Tucker und Tolstoj, und zu dem _insurgenten_ Anarchismus, der -sich den Rechtsbruch _aktiv_ und _unter Anwendung von Gewalt denkt_, die -Namen Stirner, Bakunin, Kropotkin. – - -Unter diesen dreien war es besonders _Kropotkin_, der sich eine klare -Vorstellung von der Anwendung der Gewalt, der Propaganda durch die Tat -gemacht hat. Es ist dies nicht weiter zu verwundern, denn Kropotkin war -es ja, neben Bakunin und Tolstoj, der die Gewalt der zaristischen -Unterdrückung, der grausamen Bekämpfung der Freiheit des Individuums am -tiefsten, am eigenen Leben, an der eigenen Seele, an der Freiheit des -Körpers und des Gedankens erfahren hat. - -In seinem Buche: „_Worte eines Empörers_“ gibt er eine klare Darstellung -des Propagandisten der Tat, wie er auch über die Notwendigkeit einer -solchen Propaganda, über das Verhältnis der Tat zur Idee, des Täters zur -Allgemeinheit, des begrenzten Ereignisses zur Zukunft Wesentliches -aussagt. Er betont, daß es Aufgabe derjenigen sei, die den Gang der -Entwicklung vorhersehen, die Geister auf die bevorstehende Revolution -vorzubereiten. - -„Die Anarchisten,“ sagt er weiter, „sind heute noch eine Minderheit, -aber ihre Zahl wächst täglich, wird immer wachsen und am Vorabend der -Revolution zur Mehrheit werden. Vor allem aber ist das Ziel der -Revolution allgemein bekannt zu machen, damit die Massen von der Idee -ergriffen werden. In Wort und Tat ist dieses Ziel zu verkünden, bis es -durchaus volkstümlich wird, so daß es am Tage der Erhebung in aller -Munde ist.“ - -„Diese Aufgabe,“ sagt Kropotkin, „ist größer und wichtiger, als man im -allgemeinen annimmt. Denn wenn das Ziel auch einigen wenigen deutlich -vor Augen steht, so ist es doch ganz anders mit den fortwährend von der -Bourgeoispresse bearbeiteten Massen.“ - -„Der Geist der Empörung,“ sagt Kropotkin ferner, „muß geweckt werden. Es -müssen das Unabhängigkeitsgefühl und die wilde Kühnheit erwachen, ohne -die keine Revolution zustande kommt. Zwischen der friedlichen Erörterung -von Übelständen und dem Aufruhr, der Empörung liegt ein Abgrund, -derselbe Abgrund, der beim größten Teil der Menschheit die Überlegung -von der Tat, den Gedanken vom Willen scheidet. Das Mittel, um diese -beiden Wirkungen zu erzielen, ist: beständiges, unablässiges Handeln -der Minderheiten, denn,“ so meint er: „Mut, Ergebenheit, -Aufopferungsfähigkeit seien ebenso ansteckend wie Feigheit, -Unterwürfigkeit und Angst.“ - -(Wie sehr Kropotkin in diesen Äußerungen sich als reiner Theoretiker -erweist, erhellt aus der Rolle, die er etwa ein Dritteljahrhundert nach -der Veröffentlichung der „Worte“ gelegentlich der großen -bolschewistischen Revolution Rußlands gespielt hat. Kropotkin hat, als -Anarchist kommunistischer Observanz, in idealistischer Weise und der -gegebenen Wirklichkeit fremd, den Bolschewismus als Mittel zur -Herbeiführung der endlichen Freiheit verkannt. Er hat den „Mut, die -Ergebenheit, die Aufopferungsfähigkeit“ der kleinen initiierenden Gruppe -der Bolschewiki nicht in voller Weise zu würdigen verstanden. Wenn er -sagt, daß diese Eigenschaften ebenso ansteckend seien wie Feigheit, -Unterwürfigkeit und Angst, so hat er im Grunde das Wesen der -bürgerlichen Seele auch nicht bis in seine Tiefen ergründet – denn er -hätte sonst jene kleine Gruppe, die in der Tat Mut, Ergebenheit und -Aufopferungsfähigkeit gegen eine Welt von Feigheit, Unterwürfigkeit und -Angst repräsentierte, wirkungsvoller durch die Macht seiner -Persönlichkeit unterstützen müssen, als er es in Wahrheit getan hat.) - -„Welche Formen soll die Propaganda annehmen?“ fragt Kropotkin weiter. -„Jede, die durch die Lage der Dinge, durch Gelegenheit und Neigung -vorgezeichnet wird. Bald mag sie ernst, bald scherzhaft, aber immer muß -sie kühn sein. Bald mag sie von einer Mehrheit, bald von einem Einzelnen -ausgehen. Niemals darf sie ein Mittel unbenutzt, niemals eine Tatsache -des öffentlichen Lebens unbeachtet lassen, um die Geister in Spannung zu -erhalten, der Unzufriedenheit Nahrung und Ausdruck zu geben, den Haß -gegen die Ausbeuter zu schüren, die Regierung lächerlich zu machen, ihre -Ohnmacht darzutun. Vor allem aber muß sie, um die Kühnheit und den Geist -der Empörung zu wecken, immerfort durch das Beispiel predigen.“ - -Und weiter heißt es: „Männer von Herz, die nicht nur reden, sondern -handeln wollen, reine Charaktere, die Gefängnis, Verbannung und Tod -einem Leben vorziehen, das ihren Grundsätzen widerspricht, kühne -Naturen, die wissen, daß man wagen muß, um zu gewinnen – das sind die -verlorenen Posten, die den Kampf eröffnen, lange, bevor die Massen reif -sind, offen die Fahne der Empörung zu erheben und mit den Waffen in der -Hand das Recht zu suchen. Mitten in dem Klagen, Schwätzen, Erörtern -erfolgt durch einen oder mehrere eine aufrührerische Tat, die die -Sehnsucht Aller verkörpert.“ - -Schließlich aber kommt Kropotkin auf die Wirkung und somit das -praktische Ergebnis dieser Propaganda zu sprechen, indem er resumiert: -„_Eine einzige Tat macht in wenigen Tagen mehr Propaganda als tausend -Broschüren._ Eine Tat gebiert die andere; Gegner schließen sich dem -Aufruhr an; die Regierung wird uneins, Härte verschärft den Streit; -Zugeständnisse kommen zu spät: _Die Revolution bricht aus._“ - - * * * * * - -Die Spannweite zwischen den angeführten Theorien des Anarchismus und den -Motiven der Propagandisten durch die Tat, wenn man die im Folgenden zu -behandelnden Individuen so nennen darf, ist eine beträchtliche; auch die -eingestandene Auffassung, die diese letzteren von ihrer anarchistischen -Gesinnungspflicht öffentlich kundgegeben haben, entfernt sich von der -eben zitierten Darstellung Kropotkins, in der wir das grundlegende -Bekenntnis eines aktiven Revolutionärs zu sehen haben. Immerhin lassen -sich bei den Geständnissen dieser Propagandisten, in der Motivierung -ihrer Taten vor Gericht, Abstufungen wahrnehmen, welche mehr oder -weniger deutlich ihre Stellung zu der Idee des Anarchismus kundgeben. -Die geringere oder weitere Entfernung ihrer emotionellen Motivierung von -jenem nüchternen und festen Gesetz der Notwendigkeit der -Propagandaaktion, wie sie Kropotkin dargelegt hat, ist weniger an dem -Temperament als an dem Bildungsgrade der Propagandisten zu messen. - -Es wäre verkehrt, die Menschen, von deren Taten ich berichten will, als -Verbrecher anzusehen. Verbrecher darf sie nur jener nennen, der sich mit -den Anschauungen der Gesellschaft, wie sie heute besteht, identifiziert. -Wer aber auf dem Standpunkt beharrt, daß die Gesellschaft, in der wir -leben, geändert werden muß, daß sie auf _revolutionäre_ Weise aus ihren -Fugen gebracht werden muß, weil eine evolutionäre die Widerstände -stärkt, statt sie zu vermindern, wer eine freiere, glücklichere, -utopistische Form der Gesellschaft in der Zukunft erkannt hat und -vorbereiten will – wird die anarchistischen Propagandisten nicht als -Verbrecher, sondern als Pioniere einschätzen müssen. Wenn auch ihre -Taten zuweilen das Draufgängertum blindwütigen, rücksichtlosen -Vernichtens von Leben und Eigentum erkennen lassen, so wurzeln diese -Taten doch in einer anderen Sphäre. Folgt man dem Ursprung der Revolte -dieser „Attentäter, Bombenwerfer, Mörder und Räuber“, dieser „Feinde der -Menschheit“, – so findet man in der Ursache ihrer Empörung die Elemente -der sozialen Ungerechtigkeit, der Unterdrückung, des Elends der -Herkunft, ebenso der ursprünglichen Blutmischung, wie der sozialen -Lebensbedingungen im Elternhaus, der Erziehung – – über all diesem aber -den _Zug der Zeit_. - -Der soziale Unfriede manifestiert sich am deutlichsten und -entscheidendsten in Charakteren, die nicht erst die langsame Disziplin -der sozialistischen Parteiorganisation durchmachen können. Er -manifestiert sich in explosiver Form. Seit den Attentaten 1891-94 hat -die revolutionäre Organisation der Massen ungeheure Fortschritte -gemacht. Durch die Organisation aber ist augenscheinlich der -revolutionäre Trieb in den Individuen zurückgedrängt worden, wenn nicht -verkümmert. Organisation bedeutet: Abwälzung der Verantwortung des -Einzelnen auf eine hinter ihm stehende, ihn schützende größere Masse, -und in diesem Sinne fragt es sich, ob die Propaganda durch die Tat des -Einzelnen heute noch stark genug sein könnte, die Organisation, d. h. -die Massen in Bewegung zu setzen. Das Ergebnis besonders der deutschen -Revolution, dieser Revolution eines überorganisierten Proletariats, -antwortet auf diese Frage: Nein. - -Besonderen Aufschluß über Wesen und Wirkung der Propagandaaktion des -Einzelnen gibt die Legende, die sich um Namen, Tat, das Leben eines -solchen Einzelnen im Volke bildet. Die Tat des Individuums, das sich von -der Gesamtheit ablöst, übt auf die Masse, in deren Interesse diese Tat -getan worden ist, einen außerordentlichen Zauber, eine starke -Suggestionskraft aus. Dies hat auch Kropotkin erkannt. Ob aber diese -Suggestion, wie Kropotkin meint, eine _aktive Tat der Gesamtheit_ -hervorrufen kann, bleibt dahingestellt. Jedenfalls bemächtigt sich das -Bedürfnis der Massen nach Romantik des Lebens des revolutionären -Propagandisten und hüllt es in eine Glorie ein. - -Der Name _Ravachol_, der hier öfters erwähnt werden wird, ist auf diese -Art, wie ein Symbol der Empörung, Sprichwort im französischen Volke -geblieben. - -Dieser Name _Ravachol_, fremdartig, einprägsam und populär, deckt eine -ganze Epoche des revolutionären Lebens Frankreichs. Man kann nach -anderen Epochen Umschau halten, Epochen, in denen sich große -Staatsaktionen, bedeutsame Erlebnisse des Volkes abgespielt haben, und -wird finden, daß diese in ihrer Gesamtwirkung bedeutsamen Zeitläufte von -keinem einzigen Namen gedeckt werden, wo die Epoche des insurgenten -Anarchismus von 1891-94 in Paris durch den Namen _Ravachol_ gedeckt ist. - -Neben diesem Namen büßen jene anderen aus derselben Epoche: Vaillant, -Henry, Caserio einen wesentlichen Teil ihrer Bedeutung ein, obzwar sie -für die Epoche von äußerster Bedeutung geblieben sind, obzwar sie sich -sogar mit den Idealen des aktiven Anarchismus (jedenfalls in dem Fall -Vaillant und Henry) inniger berühren als dies bei Ravachol der Fall ist. -Dieser aber galt und gilt als der _Initiator_, als der Erwecker jener -Epoche, als Der, dessen Tat den revolutionären Instinkt, den immer -gärenden latenten Instinkt zur Menschheitsbefreiung in dem französischen -Volke für eine Zeit entfesselt und aufgerichtet hat. - - * * * * * - -1891-94. - -Die Zeit der Attentate von Ravachol, Vaillant, Henry, Caserio. Die Zeit -des Prozesses der Dreißig. - -Die Zeit des Panama-Skandals. Eine Epoche der politischen Korruption, -der Hochkonjunktur des bürgerlichen rücksichtslosen Genußlebens, der -stärksten Konzentration von Industrie- und Finanzkapital zur Ausbeutung -der arbeitenden Massen. - -Es war die Zeit vor der Reinigung der Atmosphäre durch die Aktion für -den Kapitän Dreyfus, die Zeit der Präsidentschaft Sadi-Carnots, die das -Regime des alten Grévy abgelöst hatte. - -Jules Grévys Präsidentschaft, in deren Zeit die Beängstigung des -republikanischen Frankreichs durch den General Boulanger fiel, versank -im Sumpf des Wilson-Skandals. Kaum hatte die denkwürdige -Schnäbele-Affäre an der elsässischen Grenze die Gefahr eines Krieges -zwischen Frankreich und Deutschland für einen Augenblick aufleben -lassen, da wurde das Interesse des Volkes durch eben jenen Skandal unter -dem Namen Wilson auf den Zustand der bedrohten bürgerlichen Republik -abgelenkt. Wilson, Schwiegersohn des Präsidenten Grévy, hatte für gutes -Geld die Ehrenlegion an Leute verschachert, die alles, nur nicht die -Ehre Frankreichs repräsentierten. Als nun diese übelriechenden -Machenschaften aufgedeckt wurden, blieb Grévy, der von den Geschäften -seines Schwiegersohnes keine Ahnung hatte, nichts übrig, als zu gehen. -Er verließ seinen Posten ohne das Odium des geringsten persönlichen -Makels. - -Sadi-Carnot, sein Nachfolger aber übernahm ein so ziemlich außer Rand -und Band geratenes bürgerliches Gemeinwesen. Carnots Regierungsantritt -war durch die Notwendigkeit, mit des Generals Boulanger Agitation -aufzuräumen, belastet. Die Republik war durch den doppelten, sozusagen -konzentrischen Angriff von orleanistischer Seite wie vonseiten ihrer -eigenen bürgerlichen Korruption in schwerste Bedrängnis geraten. Wilsons -Tat deckte ja nur einen Zipfel von dem ungeheuren Schmutz auf, in dem -die Republik Frankreich zu versacken drohte. Sadi-Carnots Regierungsära -hatte außer der Aufglättung des Ehrenlegionsskandals mit üblen Affären -ähnlicher Art zu schaffen, die hervorragende Mitglieder des Pariser -Magistrates durch ihre Geschäfte mit dem Crédit Foncier, in Verbindung -mit dem Comptoir d’Escompte, kompromittierten. Zur gleichen Zeit -explodierte überdies, wie ein Kloakenrohr, die Affäre des Panamakanals -über dem öffentlichen Leben Frankreichs, und der Unflat, der sich auf -solche Weise über das politische Leben des Landes ergoß, blieb auf der -ganzen Regierungsepoche von Sadi-Carnot haften, die man mit diesem -Skandal identifizierte. - -All diese Skandalaffären verbreiteten, wie erklärlich, große Erbitterung -und Haß unter den arbeitenden Schichten der Bevölkerung, denen die -Verrottung des Bürgertums, der sie ausbeutenden Klassen, der regierenden -und der Finanz, offenbar geworden war. - -Eine Reihe von Streiks bezeichnet die beginnende Unruhe der arbeitenden -Schichten Frankreichs jener Zeit. In den Industriebezirken war diese -Unruhe natürlich am stärksten wahrzunehmen, doch schlug sie ihre Wellen -nach Paris, der Metropole, die ja von jeher das Zentrum jeder -Manifestation des französischen Volkswillens war, die den Pulsschlag der -französischen Energie in allen Phasen der Geschichte vernehmbar -aufgedeckt hat. - -Noch hatten die Streiks nicht das Stadium der akuten Revolte erreicht – -da brachte ein Ereignis sozusagen den entscheidenden Schwung in die -gesamte revolutionäre Bewegung. - -Im Mai 1890 wurde in dem kleinen Ort Le Raincy bei Paris eine Werkstatt -entdeckt, in der Russen Explosivstoffe und Höllenmaschinen hergestellt -hatten. Wenige Monate später wurde der russische General Seliwerstow, -ehemaliger Polizei-Präfekt von St. Petersburg, auf den Boulevards durch -einen Polen, namens Padlewski, getötet. Padlewski gelang es, mit Hilfe -französischer revolutionärer Sozialisten, die Flucht zu ergreifen. Diese -Tat lenkte die Aufmerksamkeit des Publikums und der Regierung auf die -unzweifelhaft gärenden Elemente der französischen Arbeiterbevölkerung, -die sich schon in den mannigfachen Streiks deutlicher werdend, an die -Oberfläche gewagt hatten. Es kam der _1. Mai 1891_, und mit diesem Datum -beginnt die Ära der anarchistischen Attentate, von der hier die Rede -sein soll. - - * * * * * - -An diesem 1. Mai 1891 fanden an vielen Orten Manifestationen ernster -Art, Zusammenstöße zwischen Arbeitern und der Polizei statt. In Lyon, -Marseille, Nantes und Charleville kam es zu Konflikten, wobei -gelegentlich die Truppen von der Polizei zu Hilfe gerufen worden waren. -Die beiden bedeutungsvollsten und für die Entwicklung der Dinge -wesentlichsten Ereignisse aber waren die von _Fourmies_ und von -_Clichy_. Man kann sagen, daß diese beiden Ereignisse, die von Fourmies -und von Clichy, den revolutionären Trieb unter den radikalen Elementen -der französischen Arbeiterschaft, vor allem unter den Propagandisten der -Tat, entfesselt haben. - -_Fourmies_ ist eine kleine Industriestadt in der Nähe von Avesnes im -Departement Nord und bildet den Mittelpunkt eines großen -Industriebezirkes, in dem hauptsächlich Glasbläsereien und Spinnereien -sich befinden. Ein lokaler Streik, der in Fourmies um die Zeit der -Maifeier ausbrach, drohte bald derartige Dimensionen anzunehmen, daß der -Unterpräfekt der Kreisstadt Avesnes, Isaac, Infanterie zur Unterdrückung -der Unruhen herbeizurufen für gut befand. Die Truppen wurden von einem -Major Chapu befehligt, der, als aus der Menge Steine gegen die Soldaten -geworfen wurden, den Befehl zum Feuern gab. Nach wenigen Augenblicken -bedeckte eine Menge von Toten und Verletzten das Pflaster. Man zählte 40 -Schwerverwundete; 2 Männer, 4 Frauen und 3 Kinder waren getötet worden. - -Um die gleiche Stunde spielte sich in Clichy, der nördlichen -Arbeitervorstadt von Paris, ein wesentlich harmloseres Ereignis ab, -welches aber, da es den revolutionären Kern Paris berührte, vielleicht -von erheblicheren Folgen begleitet war, als das Ereignis von Fourmies, -das immerhin die Geister noch lange im Banne hielt. - -Eine kleine Gruppe von Anarchisten hatte in einem kleinen Café eine -Versammlung abgehalten, bei welcher Gelegenheit die Korruption der -bürgerlichen Republik in gehöriger Weise ihre Kritik abbekam. Nach -Schluß der Versammlung begaben sich die Teilnehmer der Versammlung auf -die Straße. Es war nicht das erste Mal, daß in den Straßen von Paris -eine Gruppe von Menschen unter Vorantragung einer roten Fahne sich -vorwärts bewegte, aber diesmal schien die Polizei strenge Weisung -erhalten zu haben, jede Manifestation revolutionärer Art unnachsichtig -zu unterdrücken. An einer Straßenkreuzung stürzten sich daher die -Polizisten auf die Frau, die die Fahne trug, und auf die kleine Gruppe -von Menschen, die hinter ihr her marschierte. Revolverschüsse fielen – -von beiden Seiten – und das war das Neue an der ganzen Angelegenheit. -Die Polizei verhaftete eine Anzahl von Menschen, brachte sie auf die -Wache, wo die Gefangenen in übelster Weise zugerichtet wurden. Im -französischen Volksmund heißt diese Prozedur: „passer à tabac“, und die -Art und Weise, wie die Gefangenen bei dieser Gelegenheit „vertobakt“ -wurden, schien die Gemüter der unteren Schichten von Paris in besonders -starkem Maße aufgebracht zu haben. - -Die Polizei behielt drei der Verhafteten, die vor das Gericht gestellt, -in den nächsten Wochen abgeurteilt wurden. Während einer von den dreien -straflos entlassen wurde, erhielten die beiden anderen ungewohnt harte -Strafen, die tatsächlich in keinem Verhältnis zu dem Vergehen standen, -dessen sie beschuldigt waren, namentlich: der Arbeiter _Decamp_ 5 Jahre -Zwangsarbeit, der Arbeiter _Dardare_ 3 Jahre Zwangsarbeit. Das Urteil -der Jury fiel nach Wunsch des Staatsanwaltes aus, der für die -Angeklagten die höchste zulässige Strafe verlangt hatte. Wenn die Jury -auch mildernde Umstände in Anwendung gebracht sehen wollte, weigerte -sich der Präsident des Gerichtshofes doch, diesem Begehren stattzugeben. -Die beiden Arbeiter wanderten ins Zuchthaus, ihr Gedenken lebte in den -Gemütern der Pariser Arbeiterschaft unter dem Stichwort der „_Märtyrer -von Clichy_“ fort. - -Die öffentliche Meinung des rasch lebenden Paris hatte diese Märtyrer -und ihre Leiden, wie das Schandurteil des Gerichtes, das sie zu diesem -Leiden verurteilte, bald vergessen – aber die revolutionäre -Arbeiterschaft hatte sie nicht vergessen. Immerhin verging ein halbes -Jahr, ehe sie, und zwar auf eklatante Weise gerächt wurden. - -Im März 1892 erfolgten innerhalb weniger Tage drei Ereignisse, die mit -dem Prozesse von Decamp und Dardare zusammenhingen, und die den -sogenannten anarchistischen Terror von 1892-94 einleiteten. - -Am 11. März explodierte eine Bombe im Hause des Monsieur Benoit, -Präsidenten des Gerichtshofes, der die beiden Arbeiter verurteilt hatte; -am 15. richtete eine Explosion in der Lobau-Kaserne beträchtlichen -Schaden an; am 27. März aber flog ein Teil des Hauses, in dem Monsieur -Bulot, der Staatsanwalt, wohnte, in die Luft. Auf solche Weise rächte -die Revolution sich an den Vertretern der Staatsgewalt für den 28. -August 1891, an dem die Märtyrer von Clichy ihre ungerechte Strafe -empfangen hatten. - - * * * * * - -Besonders die Explosion bei Monsieur Benoit, der in einem vornehmen -Hause am Boulevard St. Germain wohnte, und jene andere Explosion, die in -der Rue de Clichy das Haus des Staatsanwaltes Bulot arg beschädigte, -zeigten dem aufschreckenden Volke von Paris, daß ein Wille, ein Plan -hinter diesen Attentaten steckte. Das war es, was am meisten Schrecken -unter der Bevölkerung, besonders dem Magistrat und den Personen der -Regierung verbreitete. Man sah sich plötzlich einer ungekannten, -ungreifbaren, augenscheinlich effektiven Macht gegenübergestellt, die -durch eine _Idee_ geleitet wurde, gleich jener, in deren Dienste man -selber stand. Es war die Idee der _Gewalt_, Gericht gegen Gericht, -Meinung gegen Meinung, Schicksal gegen Schicksal. Das _Volk_ hatte -gesprochen, das stumme, unterdrückte wurde in einer Folge von schrillen -Aufschreien plötzlich laut. Und diese Schreie tönten mitten durch den -Lärm des genießerischen Paris, durch die taumelnden Boulevards. Sie -verkündeten _Revolution_. - -Man mußte sich vor der Revolution schützen. Wo aber sie fassen? Die drei -Explosionen bedeuteten dem zynisch leichtlebigen, jede Beängstigung -leichtfertig zum Nervenkitzel degradierenden Paris eine Warnung und -ernste Beunruhigung. - -Rascher als man ahnte, entblößte sich die Wurzel des revolutionären -Triebes. Kaum drei Tage nach dem letzten Attentat, dem der Staatsanwalt -zum Opfer fallen sollte, wurde in einem Restaurant am Boulevard Magenta -der Täter verhaftet. Und das kam so. – - -Der Kellner des Restaurants Véry, jenes Restaurants am Boulevard -Magenta, bediente am 27. März einen Mann, der sich mit ihm in ein -Gespräch eingelassen hatte. Der Mann frug den Kellner, ob er Soldat -gewesen sei? Der Kellner antwortete „Nein“ und bemerkte, er freue sich -darüber, dem Dienst entronnen zu sein, worauf der Gast ihm den Rat gab, -fleißig anarchistische Zeitungen zu lesen und im Gespräch die Bemerkung -fallen ließ, daß sich vor einigen Stunden in der Clichy-Straße eine neue -Explosion ereignet hätte, die von größerer Wirkung als die neuliche am -Boulevard St. Germain gewesen sei. Es seien diesmal zahlreiche Personen -verwundet worden. – Kurze Zeit, nachdem der Gast gegangen war, brüllten -die Zeitungsjungen die aufregenden Einzelheiten des neuerlichen -Attentates über den Boulevard Magenta. Als der Gast drei Tage später -wieder im Restaurant Véry erschien, schickte der Kellner insgeheim nach -der Polizei. Die Polizei verhaftete den Gast des Restaurants Véry: es -war Ravachol. - - * * * * * - -Wer aber war _Ravachol_? Der Prozeß vor den Assisen, der sich kaum einen -Monat nach der Verhaftung Ravachols in Paris abspielte, setzte eine der -merkwürdigsten Gestalten des revolutionären Frankreichs ins volle Licht -der Öffentlichkeit. - -Ravachol war zur Zeit seiner Verhaftung 32 Jahre alt; ein kleiner -untersetzter Mann von enormen physischen Kräften, dabei von einer -gewissen Sentimentalität beherrscht, die sich in seinem Verhältnis zu -der Frau, mit der er zusammenlebte, wie auch in seinen Anschauungen über -die Pflicht, die der Einzelne seinen leidenden Mitmenschen, besonders -wehrlosen Frauen und hungrigen Kindern gegenüber hat, manifestierte. -Gleichzeitig mit einer aufs höchste entwickelten Zielbewußtheit und -Energie in bezug auf die Aktion, die unternommen werden mußte, um das -Unrecht, das die Gesellschaft an dem leidenden Mitmenschen verübte, aus -der Welt zu schaffen. - -Ravachol war das eheliche Kind seines Vaters. Sein richtiger Name war -Franz August Königstein, aber Ravachol hatte den Namen seiner Mutter -angenommen, weil er es ablehnte, in Frankreich als ein Deutscher -herumzulaufen. Seine Kindheit und frühen Mannesjahre spielten sich im -Geburtsort der Mutter, dem Städtchen St. Chamond ab, in dem sich -verschiedene Fabriken befinden, Stahlwerke, Glasbläsereien, Seiden- und -Bänderwirkereien, wie überhaupt dieses ganze Gebiet der oberen Loire -einen der werktätigsten Industriebezirke Frankreichs bildet. - -Ravachol, der nicht schwerer als die gesamte andere Bevölkerung unter -der Ausbeutung der Arbeiter dieser Gegend litt, betätigte sich Jahre -lang in verschiedenen Fabriken, zuletzt als Färber, wobei er sich -wahrscheinlich einige grundlegende Kenntnisse in der Chemie anzueignen -verstand. (Diese Kenntnisse hat er später bei der Vorbereitung seiner -Attentate gehörig zu verwerten gewußt.) Bald bekam er das Elendsdasein, -das die Genossen in den Fabriken allzu willig ertrugen, satt. Seinem -phantastischen und ungezügelten Temperament entsprach weder die harte -Fron, die aussichtslose stupide Folge der täglichen eintönigen -Arbeitslast, noch das langsame unabsehbare Spiel der Reformen, zu denen -die Organisationen die Arbeiterschaft zu drillen unternommen hatten. -Natürlich war seines Bleibens, da er seinem Temperament die Zügel -schießen ließ, in den Fabriken der Gegend nicht lange. - -Nach einem kleinen mißglückten Versuch, das schöne Silbergeld -Frankreichs durch eigene Stanzapparate herzustellen, unternahm Ravachol -seinen ersten Mord. Er verübte ihn an einem alten alleinstehenden -Edelmann, namens Rivollier, der mit seiner bejahrten Dienerin am Ende -eines Dorfes in der Nähe von St. Chamond hauste. Die Ausbeute an Geld -scheint bei dieser Tat nur eine geringe gewesen zu sein. Nach der Tat -kehrte er an seinen Wohnort zurück, wo er fünf weitere Jahre lebte, ehe -er seine zweite Unternehmung vollbrachte. - -Diese war von weitaus geringerer krimineller Bedeutung als die erste. -Eine der vornehmsten aristokratischen Familien der Umgebung, die Familie -der Grafen von Rochetaillée hatte eine Angehörige verloren: eine alte -Dame, von der die Sage ging, sie habe in ihrem letzten Willen den Wunsch -geäußert, mitsamt ihrem wertvollen Schmuck begraben zu werden. Einige -Wochen nach dem Begräbnis der alten Dame wurde das Gewölbe des -Erbmausoleums erbrochen gefunden, die Platten von dem Grabe waren mit -ungeheuerlicher Kraft beiseite geschoben, ein kleines Holzkreuz und eine -geweihte Medaille lagen auf dem Boden neben dem Sarkophag, in dem die -alte Dame ruhte – die, wie man bei dieser Gelegenheit erfuhr, als -einzigen Schmuck eben nur diese beiden kümmerlichen Stücke mit ins Grab -bekommen hatte. Dies war Ravachols zweite Tat. - -Die dritte, die er wenige Wochen später, und zwar Mitte Juni 1891 -ebenfalls in der Nähe seines Wohnortes verübte, war der Mord an dem -„Eremiten“. Der alte Brunel, von der Bevölkerung der Eremit genannt, -lebte vom Beten, Prophezeien und von der Weiterleitung der Wünsche der -Landbevölkerung an den lieben Gott. Er bekam für diese Betätigung von -den abergläubischen Bauern und Bäuerinnen Lebensmittel, abgelegte -Kleider und Geld. Ravachol dürfte, als er den Alten in seiner Hütte -erwürgte, in allen möglichen Behältern, Pfannen, Matratzen, in allen -Winkeln und Verstecken etwa 5000 Franken erbeutet haben. Dieser Schatz -bestand aus Gold-, Silber- und Kupfermünzen. Die Kupfermünzen ließ -Ravachol liegen, den Rest schleppte er mit, wurde aber von der -Gendarmerie nach kurzer Zeit verhaftet und konnte diesmal nur durch -einen glücklichen Zufall entwischen. - -Einige Monate später sehen wir Ravachol mitsamt seinem Freunde und einer -Freundin, bei denen er einige Zeit lang Unterkunft gefunden hatte, -seinen Weg nach Paris nehmen, und zwar nach St. Denis, einem nördlichen -Vorort, der seit langem, auch heute noch als Brennpunkt der -revolutionären Arbeiterbewegung bekannt ist. - -Ravachol, der in St. Denis unter dem Namen Louis Léger lebte, trat bald -nach seiner Ankunft mitsamt seinem Freund Jus-Béala einer Gruppe aktiver -Anarchisten bei, die die antimilitaristische Propaganda zur -hauptsächlichsten Aufgabe ihrer Aktivität gemacht hatte. Die Gedanken -dieser Gruppe faßten bald starke Wurzeln in Ravachols Hirn und Herz, und -da ihn ein Zufall binnen kurzem in den Besitz einer großen Menge von -Dynamit-Patronen brachte, unternahm er es, die Märtyrer von Clichy auf -eigene Faust zu rächen. Es war gerade die Zeit, in der das Gedächtnis -von Decamp und Dardare den revolutionären Flügel der Pariser -Arbeiterschaft besonders heftig irritierte. Mit einigen Genossen, unter -denen sich auch der spätere Judas der Gruppe befand, gelang es Ravachol, -jenen Diebstahl von Dynamit-Patronen bei einem Erdbauunternehmer namens -Couézy, in Soisy-sous-Étiolles bei Paris durchzuführen. Nach einer -Version sollen es bloß 120 Patronen gewesen sein, eine andere Version -aber spricht von 400. Jedenfalls erregte der Diebstahl bald die -Aufmerksamkeit der Polizei, die mit voller Energie in allen möglichen -Quartieren, wo Anarchisten wohnten oder vermutet wurden, rund um Paris -Haussuchungen veranstaltete. Ravachol indes war mitsamt seiner Beute -bereits nach einem anderen Vorort von Paris übersiedelt, dem Ort St. -Mandé im Osten der Stadt. Sein Plan stand fest: er war berufen, das -Leiden der ungerecht und allzu hart Verurteilten Decamp und Dardare an -den beiden Personen heimzusuchen, die als Exekutivbeamte des Staates die -größte Schuld zu tragen schienen. So kamen die Explosionen bei Benoit -und Bulot zustande. - -Die zweite in der Reihe der Explosionen, nämlich die in der -Lobau-Kaserne war, wie man später erfuhr, das Werk des Anarchisten -_Meunier_, desselben, der am Vorabend des Prozesses gegen Ravachol eine -Bombe in dem Restaurant Véry am Boulevard von Magenta niederlegte, in -dem Ravachol verhaftet worden war. (Dieses Attentat, das Meunier -zusammen mit einem jungen Genossen namens Francis unternommen hatte, -verursachte den Tod des Wirtes Véry und eines zufälligen Besuchers. Es -erregte in Paris ungeheuren Schrecken und Entsetzen, weil man in ihm, -mit Recht, die systematische Fortsetzung der durch Ravachol begonnenen -Aktionen erblickte.) - -Meunier wurde erst zwei Jahre später entdeckt, verhaftet und zu -lebenslänglicher Zwangsarbeit deportiert. – - - * * * * * - -Am 26. April 1892 begann der erste Prozeß gegen Ravachol vor dem -Schwurgericht in Paris; der zweite und letzte Prozeß gegen Ravachol aber -fand zwei Monate später vor dem Schwurgericht in Montbrison statt. - -Die Zweiteilung der Anklage hatte außer formal juristischen Gründen auch -noch andere, die angesichts der gefährdeten Lage der Pariser Bevölkerung -als motiviert angesehen werden konnten. Während nämlich in Paris nur die -Dynamit-Anschläge verhandelt wurden, jene beiden letzten Taten -Ravachols, die ja eigentlich keinen Verlust von Menschenleben verursacht -hatten und daher auch keine ausdrückliche Veranlassung zu Todesstrafen -werden mußten, wurde in Montbrison Ravachol zweier vollendeten -Morddelikte sowie des Leichenraubes an der Gräfin angeklagt, und hier -war es schon weitaus plausibler, ein Todesurteil zu fällen. - -In Paris, wo als Zeugen gerade jene beiden hohen Justizbeamten, gegen -die Ravachols Attentate gerichtet waren, vorgeladen wurden, lag die -Gefahr nahe, daß sich bei einem Todesurteil der Zündstoff des -revolutionären Hasses wieder kumulieren und zu einer Entladung drängen -könnte. Ein Todesurteil in Montbrison aber konnte sozusagen diesen Haß -und diese Gefahr von Paris geographisch ablenken. Man hat den Pariser -Assisen, als sie Ravachol zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilten, -Feigheit vorgeworfen, aber Erstaunen mischte sich mit Beruhigung. -Ravachol nicht zum Tode verurteilt? Die Rachegier des erschütterten -Bürgertums überwog diesmal nicht die Erleichterung, die man empfand; so -sehr war die öffentliche Meinung durch die Tat Ravachols und Meuniers -eingeschüchtert. Zudem wußte man ja, und es war rechtzeitig verkündet -worden, daß in Montbrison die Morde Ravachols mit dem Todesurteil -gesühnt werden sollten. Dieses Todesurteil hat dann, wie wir sehen -werden, auch wieder eine Reihe von Dynamit-Anschlägen nach sich gezogen. -Sie waren über Frankreich, die Provinz, ja das Ausland verstreut; Paris -selber blieb einstweilen von den Aktionen der Anarchisten verschont. - -Während vor dem Pariser Schwurgericht eine Reihe von Angeklagten auf der -Bank neben Ravachol Platz genommen hatte, Jus-Béala, der Freund, -Mariette Soubert, seine Geliebte, der Judas Chaumentin und ein Pariser -Lausbub, _Simon_, genannt _Biscuit_, waren in Montbrison nur Jus-Béala -und Mariette mitangeklagt – diese beiden übrigens, in Paris wie in -Montbrison, freigesprochen. - -In Paris verteidigte sich Ravachol mit Festigkeit und nicht ohne Würde. -Er sagte: Ich habe meine Taten aus folgenden Gründen verübt. Herr Benoit -hat Decamp und die anderen zu den höchsten, zulässigen Strafen -verurteilt, während die Jury die geringsten vorgeschlagen hatte. Die -Polizei hat die Verhafteten von Clichy auf schmählichste Weise -mißhandelt. All dies war unerträglich. Ich habe meine Taten begangen, um -die verantwortlichen Lenker, die Staatsjustiz zu belehren, daß ihrer -Härte _unsere_ Härte gegenübersteht. Wohl sind die unschuldigen Opfer -meiner Taten zu beklagen, und ich bin der erste, der sie beklagt, denn -mein Leben war voll von Bitternis; ich bedauere auch, daß hier auf der -Bank neben mir Menschen als Angeklagte sitzen, deren Vergehen nur darin -bestand, daß sie mich gekannt haben! Ich habe im Namen der Anarchie -gehandelt, die eines Tages die große Familie der Menschheit bedeuten -wird, und in jener Zeit wird es keine Hungernden mehr geben. Die -Schreckensakte, die ich begangen habe, sollten ein Signal für das -Bürgertum sein: _daß wir leben_, und daß man uns erkennen solle als das, -was wir sind: die einzigen Verteidiger der Unterdrückten. - -Auf die Frage nach den Dynamit-Patronen, die aus seiner Behausung -verschwunden waren, verweigerte Ravachol die Antwort. - -_Simon_ der Zwieback dagegen stellte seinen Standpunkt mit aller -Lebhaftigkeit und unbekümmerten Unverschämtheit des vorlauten Gamins -dar, wie ihn die Vorstadt jeder großen Metropole kennt. Er wurde -gleichzeitig mit Ravachol zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt und -beendete sein junges Leben einige Jahre später gelegentlich einer -Revolte in der Strafkolonie. – - -Die beiden Monate zwischen dem Pariser Rechtsverfahren und dem vor den -Assisen in Montbrison verbrachte Ravachol in einer Art Käfig, immerfort -von Wächtern umschlichen und beobachtet, körperlich mürbe gemacht, doch -in ungebrochener geistiger Energie. Das Todesurteil löste in ihm nur den -Hochruf auf die Anarchie aus, keine Schwäche. Er wies es zurück, die -Nichtigkeitsbeschwerde an die weltliche Behörde einzureichen, wie er -einige Wochen später, am 10. Juli, im Hofe vor der Guillotine die -„Segnungen der Kirche“, das heißt den Appell an die göttliche Gnade -zurückwies – das Kruzifix, das ihm der Anstaltsgeistliche vorhielt, war -ihm mehr Sinnbild des gekreuzigten Proletariats als Symbol der irdischen -Gerechtigkeit. Es wird berichtet, daß Ravachol einen populären -Gassenhauer sang, während er durch den Gefängnishof zum Blutgerüst -schritt. Die Strophe lautet: - - „Pour être heureux, nom de Dieu, - Il faut tuer les propriétaires, - Pour être heureux, nom de Dieu, - Il faut couper les curés en deux, - Pour être heureux, nom de Dieu, - Il faut mettre le bon Dieu dans la merde!“ - -Schon während des Prozesses, der Ravachol vor die Pariser Assisen -stellte, hatte sich die Legende um seinen absonderlich revolutionär -klingenden Namen gewoben. Die beflügelte, rhythmische Phantasie des -Volkes von Paris bemächtigte sich der Taten und der Gestalt des Rächers -der Armen. Nach der Melodie der „Carmagnole“ entstand um diese Zeit ein -Lied zur Verherrlichung Ravachols. „La Ravachole“. Die erste Strophe -lautet: - - „Dans la grande ville de Paris, - Y a des bourgeois bien nourris; - Y a aussi des miséreux, - Qui ont le ventre bien creux. - Ceux-là ont les dents longues – - Vive le son, vive le son, - Ceux-là ont les dents longues, - Vive le son de l’explosion!“ - -CHORUS: - - „Dansons la Ravachole, - Vive le son, vive le son, - Dansons la Ravachole, - Vive le son d’ l’explosion! - Ah, ça ira, ça ira, ça ira, - Tous les bourgeois gout’ront de la bombe! - Ah, ça ira, ça ira, ça ira, - Tous les bourgeois, on les sautera!“ - -Außerdem entstand in diesen Tagen das lebhaft stampfende, an den Tanz um -die Guillotine der Großen Revolution gemahnende „Dynamit-Lied“: - - „Danse, dynamite, - Danse, danse vite, - Dansons, chantons: - Dynamitons, dynamitons!“ - -Nach Ravachols Verhaftung, während seiner Prozesse, nach seinem Tode -erfolgte eine Reihe von Dynamit-Explosionen, und zwar waren es die -hauptsächlichsten Konzentrationspunkte Frankreichs und des Auslandes, in -denen Gruppen sympathisierender Revolutionäre existierten, die von -solchen Explosionen betroffen wurden. - -Indes, es hatte den Anschein, als wollte die Welle der anarchistischen -Aktivität abebben, bis an einem Dezembertage des folgenden Jahres, 1893, -ein neues bedeutungsvolles Attentat die Welt über die weitergehende -Gärung des revolutionären Frankreichs belehrte. - - * * * * * - -Diesmal wies der geheimnisvolle Finger der Volksjustiz auf einen Herd -der Unterdrückung, den Krebsschaden des Klassenstaates, auf das -Exekutivorgan des Willens der Minderheit gegen die großen Massen des -Volkes: das Parlament. - -Am 9. Dezember 1893 warf _August Vaillant_ von der Galerie der Pariser -Kammer, des Palais Bourbon, eine Bombe in den Saal, in dem das -Ministerium Casimir-Périer und sämtliche Abgeordnete unter dem Vorsitz -von Dupuy ihre Nachmittagssitzung abhielten. - -Die Vorgeschichte dieses Attentates ist in kurzem folgende: - -Unmittelbar nach dem Dynamit-Diebstahl in dem Pariser Vorort -Soisy-sous-Étiolles hatte die Regierung, deren Oberhaupt Emile Loubet, -nachmaliger Präsident der Republik war, der Kammer eine Gesetzesvorlage -überwiesen, kraft der jeder, der bei der Verübung eines -Dynamit-Attentates gleich jenem in der Lobau-Kaserne betroffen würde, -die Todesstrafe erleiden sollte. Wie wir gesehen haben, war diese -Gesetzesvorlage nicht imstande, die knapp darauf folgenden -Dynamitanschläge zu verhüten. Gegen Ende 1892 trat das Kabinett Loubet -zurück. Ihm folgte ein kurzlebiges unter der Führung Ribots, das schon -im März 1893 das Zeitliche segnete. - -Ribots Nachfolger war Charles Dupuy, konservativer Republikaner von -ausgesprochen reaktionärer Färbung, ein in den Kreisen der -Arbeiterschaft verrufener Mann, verhaßt vor allem wegen eines durch -nichts motivierten Vorgehens gegen die Arbeits-Börse und verschiedene -Gewerkschaftssyndikate im Lande. (Dupuys Vorgehen wurde immerhin Ursache -einer starken Vermehrung der radikalen republikanischen und -sozialistischen Parteien gelegentlich der Wahlen im August-September -1893.) - -Die Zusammensetzung der Kammer hatte diesmal den Rücktritt verschiedener -Minister aus dem Kabinett Dupuy zur Folge. Das Kabinett selbst ging in -die Brüche und der 1. Dezember 1893 sah den Aufstieg eines Ministeriums -Casimir-Périer, das sich aber in der Hauptsache infolge des -Trägheits-Gesetzes der Politik immer noch aus gemäßigten, ja -konservativen Elementen zusammensetzte. Dupuy und Casimir-Périer -tauschten nun ihre Plätze. Der letztere überließ den Stuhl des -Kammerpräsidenten dem ersteren, so daß in jener denkwürdigen Sitzung vom -9. Dezember Dupuy im Präsidentschaftssessel der Kammer saß, während auf -dem Ministerpräsidenten-Fauteuil Casimir-Périer seinen Platz eingenommen -hatte. – - -Vaillants Bombe war vor allem diesen beiden Männern zugedacht. Durch -einen Zufall explodierte sie aber nicht in dem Raum zwischen Dupuy und -der Ministerreihe, sondern an einem Seitenpfeiler des Balkons, so daß -mehr Besucher der Galerie von den umherfliegenden Nägeln, Eisenstücken -und sonstigen Projektilen verletzt wurden als Mitglieder der Kammer. Im -Augenblick, nachdem der Effekt der Detonation und des Schreckens -überwunden war, sprach Dupuy, der reglos auf dem Präsidentensessel -verharrt war, die legendär und historisch gewordenen Worte: „Die Sitzung -nimmt ihren Fortgang.“ - -Wer war dieser _Vaillant_, der den Faden zerschnitt, an dem die -Damokles-Bombe des Volkswillens über dem Haupt der Deputierten und -Minister Frankreichs hing? - -_Vaillant_, ein uneheliches Kind, hatte das elende Leben des -gesellschaftlichen Parias bis zur Neige gekostet. Mit 14 Jahren auf sich -selber angewiesen, trieb ihn die Not des Lebens von einer Arbeitsstätte -zur anderen. Auf seinen regellosen Wanderungen kam er nach Algier, dann -sogar bis Argentinien, wo er Land aufnahm, ohne sich als Farmer -irgendwie bewähren zu können. In Buenos-Aires erschien zu dieser Zeit -das Anarchistenblatt „La Liberté“, wie um 1893/94 Zentral- und -Südamerika überhaupt ein Mittelpunkt der anarchistischen Weltagitation -genannt werden konnte. Ruhelos wanderte Vaillant von Kontinent zu -Kontinent. Ohne einen Pfennig kehrte er nach Frankreich zurück, mit ihm -seine kleine Tochter Sidonie, die ihm sein frühverstorbenes Weib -hinterlassen hatte. Nach schwierigem Kampf, vom Mißgeschick mehr als -notwendig verfolgt, gelang es Vaillant endlich in Paris einen elenden -Posten in einem kleinen Laden zu ergattern. Von seinem Monatsgehalt, -ganzen 80 Franken, mußte er sich und sein Kind erhalten. Es wird -berichtet, daß er bei seinen Arbeitgebern und im Kreise seiner Genossen -als der arbeitswilligste, dabei nüchternste, rechtschaffenste, -bescheidenste Mensch bekannt gewesen sei, ein Mann von träumerischer und -zarter Veranlagung. Auch in ihm hatte die Idee des Anarchismus Fuß -gefaßt, – nicht mit der Gewaltsamkeit, wie sie das in der wilden, -muskulösen Robustheit Ravachols getan hatte, all sein Sinnen -konzentrierte sich vielmehr in einer verzweifelten Auflehnung gegen das -Unrecht, das den Armen, den Schwachen, den Zarten, den Hilflosen in -dieser Welt der schamlosen Ungerechtigkeit geschieht. - -Casimir-Périer, ein Mann von als außerordentlich anerkannten Fähigkeiten -brachte es zuwege, mit seinen politischen Funktionen den Besitz eines -der größten Grubengebiete von Frankreich zu vereinen. Dieses Gebiet von -Anzin, dessen Direktor er war, ehe er die politische Karriere einschlug, -war einer der berüchtigtsten Schauplätze des ewigen erbitterten Kampfes -zwischen den Besitzern und den Arbeitern, zwischen Kapital und -Ausgebeuteten. Und Casimir-Périer, dem man geheime Beziehungen zu den -Royalisten und den Klerikalen, also zur ausgesprochenen Reaktion in -Frankreich nachsagte, figurierte in den sozialistischen und -anarchistischen Zeitungen der Epoche unter dem giftigen Spitznamen des -„Mannes mit den 40 Millionen“ des „Blutsaugers von Anzin“. - -Casimir-Périer war es auch, der mit voller Energie zwei Tage nach dem -Attentat von Vaillant das unerbittliche Anarchistengesetz der Kammer -vorlegte und durchsetzte, laut welchem anarchistische Attentate als -gemeine Verbrechen betrachtet, anarchistische Zeitungen rücksichtslos -unterdrückt und die Pariser Polizei in effektiver Weise vermehrt werden -sollte. Zu gleicher Zeit verfügte ein Erlaß die Verhaftung einer Reihe -bekannter und berühmter Theoretiker der radikalen sozialistischen und -anarchistischen Richtung, Haussuchungen, Briefkontrollen, von der nach -den Registern jener Zeit eine Reihe außerordentlicher Menschen betroffen -wurde, unter anderem: Jean Grave, Sébastian Faure, Elisée Reclus, Paul -und Elias Reclus, Louis Delorme, Louise Michel, die in London unter dem -Namen Louise Fauvelle lebte, dann Josef Pauwels, der später die Bombe in -die Madeleine schleuderte, Ortiz, der später im „Prozeß der Dreißig“ -figurierte, Matha, der große Theoretiker des Anarchismus Karl Malato, -Errico Malatesta, und auch der große ehrwürdige Fürst Kropotkin, der -damals bei London seinen Wohnsitz hatte. - -Diese Liste, aus einer wesentlich größeren exzerpiert, zeigt so ziemlich -alle Namen auf, die um diese Zeit in der theoretischen wie der -praktischen Übung der anarchistischen Idee sich hervortaten. Am -Neujahrstage 1894 wurden von den 100 mit Verhaftung bedrohten Personen -64 eingeliefert, unter ihnen Elias und Paul Reclus, Mitglieder jener -wunderbaren und denkwürdigen Familie von Gelehrten und enthusiastischen -Vorkämpfern der Menschenbefreiung, der wahren Geistes- und -Seelenaristokratie der Welt, und schon 10 Tage nach dem Neujahrstage -begann der Prozeß gegen Vaillant vor den Assisen von Paris. - -Der Prozeß war, in der überstürzten Art, wie sein Termin angesetzt -worden war, und auch durch den ganzen Verlauf des summarischen -Verfahrens gegen den Angeklagten, eine offenkundige, empörende Infamie. -Der Protest des ursprünglich für die Verteidigung eingesetzten, -ausgezeichneten Advokaten Ajalbert verhallte ungehört: der Termin wurde -nicht verschoben. In letzter Stunde erklärte sich ein anderer -hervorragender Anwalt, der später als Verteidiger von Zola im -Dreyfus-Prozeß weltberühmt gewordene Ferdinand Labori, bereit, den -Prozeß für Vaillant zu führen. Es war ja vorauszusehen, welchen Verlauf -dieser Prozeß nehmen würde. So wurde dann Vaillant am 10. Januar 1894 in -einer einzigen Gerichtssitzung zum Tode verurteilt. - -Mit der selben sträflichen Beschleunigung wurde dann das Todesurteil -durch den Präsidenten der Republik Carnot bestätigt – der wohl kaum im -Unterbewußtsein ahnen mochte, daß er mit demselben Federstrich sein -eigenes Todesurteil unterfertigt hatte! - -Vaillant, ein Mann von sympathischer Erscheinung, ernst, einfach, Herr -seiner Worte wie seiner Gedanken, verweilte in seiner Selbstverteidigung -nur flüchtig bei seinem eigenen Schicksal, dem Unrecht und den -Brutalitäten, die er im Laufe seines bedrückten Lebens erfahren hatte. -Er erbat und erhielt die Erlaubnis, eine längere Erklärung vorzulesen, -in der er seine Theorien, seinen Standpunkt, dem Leben, der -Notwendigkeit der Freiheit und dem selbstgewählten Weg der Propaganda -gegenüber ausführte. - -„Unter den Ausgebeuteten gibt es im wesentlichen zwei Arten von -Menschen; die eine Art gibt sich keine Rechenschaft darüber, was mit ihr -geschieht, was mit ihr geschehen, und wie sie eigentlich leben sollte. -Diese Menschen nehmen das Leben, wie es ist; sie sind als Sklaven -geboren, glauben, daß es so recht ist und sind froh über den Bissen -Brot, den man ihnen für ihre Arbeit hinwirft. Die andere Art aber ist -nicht so leicht mit dem Schicksal versöhnt. Menschen dieser Art denken, -studieren, blicken mit hellen Augen um sich, sehen und erkennen die -Ursache der sozialen Ungerechtigkeit. Soll man es ihnen vorwerfen, daß -sie klar sehen und die Leiden der anderen mitfühlen? Sobald sie aber das -eingesehen haben, werfen sie sich in den Kampf und stellen als Rächer -der allgemeinen Bedrückung ihren Mann. Ich gehöre zu diesen letzteren. -Wo immer ich auch hingekommen bin, überall habe ich Elende, unter das -Joch des Kapitals Gebeugte gesehen. Überall war ich Zeuge derselben -Folterungen, derselben blutigen Tränen – bis in die Tiefen der wenig -bevölkerten Provinzen Südamerikas hinein, wo ich als ein Mensch, der an -der Zivilisation verzweifelte, glaubte unter Palmen ausruhen und die -Natur genießen zu können. Und hier wie überall habe ich das Kapital -gesehen, wie es den letzten Blutstropfen des unglücklichen Parias -vampyrgleich aussaugt. Die Meinen in so hoffnungsloser Weise leiden zu -sehen – das brachte den Kelch zum Überlaufen. Ich war dieses Leben der -Qual und der Feigheit satt. Meine Bomben warf ich unter jene, die ich -als in erster Linie verantwortlich für die Leiden der Allgemeinheit -erachte. – Aber geben Sie sich keinen Illusionen hin, die Explosion -meiner Bombe ist nicht allein das Zeichen der Verzweiflung eines -einzelnen Menschen, sie ist der Ausdruck der Not einer ganzen Klasse, -die bald den Schrei des einzelnen übertönen wird. Mit Ihrem Gesetz -werden Sie die Ideen der Denker nicht zum Schweigen verurteilen. Alle -Kräfte der regierenden Klassen vermochten es im letzten Jahrhundert -nicht, zu verhindern, daß Diderot, daß Voltaire ihre befreienden Ideen -ins Volk auswarfen; alle Gewalt der heute Regierenden wird es nicht -verhindern, daß Reclus, Darwin, Spencer, Ibsen, Mirbeau und die anderen -ihre Ideen des Rechts und der Freiheit aussäen, die Vorurteile der -unwissenden Menge aus der Welt schaffen. Diese Ideen werden die -Unglücklichen zu Akten der Empörung stacheln, wie das in mir geschehen -ist – und dies wird bis zu dem Tag sich fortsetzen, an dem _das -Verschwinden der Autorität_ allen Menschen gestatten wird, sich frei -zusammenzufinden nach Maßgabe ihrer inneren Zusammengehörigkeit. Dann -wird jeder sich der Früchte seiner Arbeit erfreuen können. Jene -Sittenkrankheit, die man Vorurteil nennt, wird in den Tagen -verschwinden. Ebenso wird es Allem, was Menschenantlitz trägt, erlaubt -sein, in Harmonie zu leben, ohne anderen Willen als dem zum Studium der -Wissenschaften und der Liebe zum Nächsten.“ - - * * * * * - -Die Verteidigung Vaillants hat nicht nur unter den Genossen seiner -eigenen Klasse, sondern in der großen, in den Tiefen des Gewissens -erschütterten Allgemeinheit Frankreichs ihre Wirkung getan. Als am 5. -Februar sein Haupt fiel, erhob sich in Paris, in Frankreich, in der Welt -ein Schrei der Empörung. - -Die Worte, die er am Fuße des Schafotts ausrief, wie berichtet wird mit -starker und jubelnder Stimme: Tod der bürgerlichen Gesellschaft, lange -lebe der Anarchismus! fanden einen Widerhall überall, wo um das -Menschenrecht gestritten wurde. - -Ich erinnere mich deutlich an die Erschütterung, die sich der radikalen -Arbeiterschaft um die Zeit der Exekution Vaillants an dem Ort, an dem -ich um diese Zeit lebte (es war in Wien), bemächtigt hatte. - -Als Vaillants Leiche in jener schmählichen „Ecke der Hingerichteten“, im -kleinen Friedhof von Ivry im Süden von Paris verscharrt worden war, -pilgerten in den nächsten Tagen Hunderte zum Grabe dieses reinen und -edlen Empörers. Es wird berichtet, daß man Blumen mit Schleifen auf dem -Grabhügel gefunden hat, Blätter, auf denen Gedichte standen. Eine Zeile: -„Ehre und Ruhm Deinem Andenken. Ich bin nur ein Kind, aber ich werde -Dich rächen!“ Ein Gedicht lautete wie folgt: - - „Puisqu’ils ont fait boire à la terre, - A l’heure du soleil naissant, - Rosée auguste et salutaire, - Les saintes gouttes de ton sang – - Sous les feuilles de cette palme, - Que t’offre le Droit outragé, - Tu peux dormir d’un sommeil calme: - O Martyr, tu seras vengé!“ - - * * * * * - -Bedeutungsvoll und charakteristisch war die Attitude der Zeitungen. -Während die Regierungsorgane nach wie vor in ihrem wilden Begehren nach -dem Kopf des Attentäters und in der Genugtuung, daß sein Kopf gefallen, -verharrten, änderten andere einflußreiche Blätter, wie z. B. der -„Figaro“ plötzlich ihren Ton und wiesen auf die offenkundige soziale -Ungerechtigkeit hin, die es verursacht hatte, daß ein Mensch von solch -starker Begabung, intensivem Seelenleben durch die unverschuldeten -Schicksale der Armen zum Schafott getrieben werden mußte. - -Die bürgerliche Gesellschaft, deren Untergang Vaillant auf seinem Wege -zur Guillotine herbeigewünscht hatte, vereinigte sich jetzt zu einer -jener bekannten scheinheiligen Massenaktionen, mit denen sie seit jeher -ihr Gewissen entlastet, mehr noch aber die Drohungen der Unterdrückten -von sich abzulenken versucht. Um die Person, das gegenwärtige und -zukünftige Schicksal des armen, hinterbliebenen Töchterchens Sidonie -betätigte sich der Wohltätigkeitssinn des französischen Bürgertums, der -mit Menschenliebe und Gerechtigkeit übertünchte gesellschaftliche Trieb -des Feudal-Adels. Kampf und Rivalitäten entbrannten darum: wer Vormund -von Sidonie Vaillant werden sollte. Das Testament ihres Vaters sprach -sie seinem Freunde, dem außerordentlichen Vorkämpfer der anarchistischen -Theorien Sebastian Faure zu. In einem ergreifenden Briefe, den der -Verurteilte aus dem Gefängnis von La Roquette an sein Kind schrieb, und -in dem er Sidonie mitteilte, daß von nun an Faure ihr wirklicher Vater -sein werde, heißt es: „ein letzter und einziger Rat: sei stets gewärtig, -meine Kleine, daß das einzige Ziel des Lebens ist, seinem Nächsten nicht -wehe zu tun; sonst aber sollte jeder frei sein, um unbehindert das zu -tun, was ihm beliebt. Lasse tun, lasse sagen. Gebe Deinem Leben ein -Ziel: das Glück der Menschheit. Arbeite an Dir, damit jene, die Dein -Wort hören und Deinen Taten zu folgen vermögen, sich Dir gesellen. Dann -wird Dein Leben gut vollendet sein, und Dich wird, wenn Du Dein Leben -lässest, dieselbe Genugtuung erfüllen, die Deinen Vater in der Stunde -seines Sterbens beherrscht, – denn ich sterbe für all jene, die man die -Verdammten in der Hölle dieser Gesellschaft nennen muß!“ - -Und in einem Tagebuchblatt, das er am Vorabend seines Attentates -geschrieben und in einem letzten Willen seinem Genossen und Freund Paul -Reclus zugedacht hatte, heißt es u. a.: „Ich sehe dem Tod gefaßt ins -Gesicht, denn er ist der Hafen der Enttäuschten. Ich werde zumindest mit -der Genugtuung sterben, daß ich für mein Teil alles getan habe, um das -Kommen einer neuen Zeit zu beschleunigen. Jetzt verlange ich nur noch -eins, das ist: daß bei der Auflösung meines Leibes alle meine Atome sich -in der Menschheit verbreiten und ihr dieses Ferment des Anarchismus -einimpfen mögen, damit die Gesellschaft der Zukunft endlich Wirklichkeit -werde.“ - - * * * * * - -Fünf Tage nach der Exekution August Vaillants wies der unsichtbare -Finger der Volksrache auf eine andere Stätte, an der sich die Moral der -herrschenden Bürgerklasse manifestierte. Nach dem Bombenwurf gegen die -Beamten der Klassenjustiz, nach dem Bombenwurf in die Kammer der -gesetzgebenden Körperschaften flog an einem Abend im Februar 1894 eine -Bombe in das große luxuriöse Caféhaus des Pariser Hôtels „Terminus“ vor -dem Bahnhof „St. Lazare“. - -In der Panik, die die Explosion unter den zahlreichen Gästen dieses -Caféhauses verursachte, – einer kam ums Leben, etliche 20 erlitten -schwerere und leichtere Verletzungen – versuchte ein junger Mensch, -offenbar der Täter, durch die Menge zu entfliehen, wurde aber -aufgehalten und gab einige Revolverschüsse auf seine Verfolger und jene, -die sich ihm entgegenwarfen, ab. Dem Untersuchungsrichter erklärte er, -sein Name sei Le Breton, bald aber gestand er seinen richtigen Namen -ein: _Emil Henry_. War Vaillant in seiner ganzen Erscheinung, seinem -Lebenslauf und den geistigen Konsequenzen, die dieser Lebenslauf hatte, -auf eine höhere, nicht nur gesellschaftlich, sondern ethisch höhere -Stufe zu stellen, als beispielsweise Ravachol, so repräsentierte der -junge Henry unzweifelhaft eine in beiden Beziehungen gehobene Position -über Vaillant, dessen Tod die Bombe im Hotel „Terminus“ rächen sollte. - -Emil Henrys Erscheinung bildet sozusagen den Übergang, die notwendige -Verbindung zwischen dem aktiven Propagandisten der anarchistischen Idee -und jenen Anarchisten, die das theoretische Ideal zu seiner höchsten -Vollendung führen, denen aber die physische Kraft zu Propagandataten -mangelt, weil sich ihre ganze Energie in der Gedankenaktion konzentriert -hat, jede materielle Energie aber durch die Arbeit des Gedankens -aufgebraucht und absorbiert wurde. - -War die Verteidigungsrede Vaillants, dem lückenhaften Bildungswege des -Verfassers entsprechend, noch nicht frei von sentimentalen oder -manifestartigen Ingredienzien, so stellt Henrys Plaidoyer ein -klassisches Beispiel der durch einen geistig hochstehenden Menschen -vollkommen verarbeiteten wissenschaftlichen Theorie dar, die sich -notwendigerweise in physische Energie und Tat um setzen mußte. - -In der Geschichte der anarchistischen Bewegung ist dieses Dokument dann -auch eine der grundlegenden Äußerungen des in bestimmter Weise -durchgeführten revolutionären Willens geblieben. Zu den theoretischen -Schriften der großen Denker des Anarchismus bildet das Manifest des -jungen Henry – er war zur Zeit seiner Tat etwas, über 21 Jahre alt – -ein, fast möchte ich sagen, _notwendiges_ Komplement, denn es beweist -die aktive Kraft, die jenen Schriften der Theoretiker innewohnt; und -damit führt dieses Manifest den Beweis, in welcher Weise Theorie, in den -geeigneten physischen Bereich verpflanzt, die notwendige Wirkung -erzeugen muß. - -Es gibt wohl in der Literatur, die sich um die Berichte der Taten des -individuellen revolutionären Willens gebildet hat, keine reinere und -wirkungsvollere Beweisführung für die Kraft des Gedankens, der sich in -junge enthusiastische Seelen versenkt, als die durch dieses Manifest des -Einundzwanzigjährigen geoffenbart ist. Ein Berichterstatter jener Epoche -charakterisiert die intellektuelle Einstellung des jungen, begabten und -gebildeten Bürgersohnes sehr originell, indem er sagt, daß Henrys Haß -gegen seine eigene Klasse weniger der Haß des Hungerleiders gegen den -Satten genannt werden kann, sondern eher mit der Verachtung verglichen -werden darf, die ein junger Maler der realistischen Schule gegenüber dem -süßlichen, verlogenen Kitsch der Schule Bouguereaus empfindet. - -Auf alle Fälle haben wir in der merkwürdigen und noch mehr denkwürdigen -Erscheinung des jungen Henry einen Vorläufer jener Generation, die wir -heute in unserer Zeit der sozialen Umwandlung, des Kataklysmus, in -dessen Mitte unsere bürgerliche Welt geraten ist, und in der sie -versinkt, entstehen und aufwachsen sehen. Ein klarer, scharfer, ohne -Zynismus, mit absoluter Sicherheit seiner Instinkte bewaffneter Geist, -der die Konsequenzen seiner Überzeugung wie ein mathematisches Exempel -in realen Faktoren zu ziehen versteht. Skepsis beirrt ihn noch nicht, -dazu ist er zu jung. Trotzdem hat seine Lebenserfahrung kraft seiner -ungemeinen Intelligenz und überlegenen Beobachtungsgabe schon die Zahl -seiner Lebensjahre Lügen gestraft. Noch einige Jahre Leben, und er wird -sich entweder zum glänzenden geistigen Anwalt seines eingeborenen -revolutionären Dranges entwickelt haben, oder ein leergebrannter, kühler -und kalter Verächter der Menschheit geworden sein. - -Die Bücher der Führer der anarchistischen Idee und die Taten der -Anarchisten in jenem Paris von 1891-93 entzündeten den Funken in dem -jungen Mann, dessen rein geistig gerichteter Drang nicht durch seinen in -der Irritation der Nerven unternommenen Fluchtversuch nach der Tat -verneint wird. - -Bei der Vernehmung Henrys ereignete sich das Überraschende: er gestand, -zugleich der Urheber eines bisher ungeklärten Attentates zu sein, das im -November 1892 gegen die Pariser Büros der Bergwerkgesellschaft Carmaux -versucht worden war. Die Bombe wurde damals rechtzeitig entdeckt und von -den Polizisten nach dem nächsten Polizeikommissariat in der Rue des Bons -Enfants gebracht, wo sie explodierte, wobei vier Polizisten getötet -wurden und eine große Zahl Anwesender schwer verletzt worden war. Henry -gestand ruhig ein, daß er nach diesem verunglückten Anschlag gegen die -Bergwerkgesellschaft sich für einige Zeit nach London begeben habe, wo -er unter Anarchisten gelebt und sich zu seiner Tat offen bekannt, ja -sich dieser Tat auch gerühmt hätte. Offenbar war es auch Henry, auf den -sich eine Äußerung in den Memoiren Rocheforts bezieht, der zu jener Zeit -in London im Exil lebte, weil er sich aktiver Beihilfe in den -boulangistischen Machenschaften schuldig gemacht hatte. Rochefort -berichtet, daß Charles Malato, der anarchistische Schriftsteller, ihm -eines Tages gesagt habe: „Hier in London geht ein junger Bursche herum, -der jene Explosion in der Rue des Bons Enfants verursacht haben will. Er -ist wahrscheinlich ein Prahlhans und will die Leute hineinlegen.“ Es -verhielt sich aber in der Tat so, der junge Prahlhans erwies sich als -Henry, der Attentäter vom Café „Terminus“. - -Henry entstammte einer Familie der höheren Bourgeoisie, die jedoch -bereits zur Zeit der Pariser Kommune einige revolutionäre Mitglieder -hervorgebracht hatte. Auch war Emils älterer Bruder _Fortuné_ selber -Anarchist. Emils außerordentliche Intelligenz wurde in dem Lyzeum in -Paris, in dem er sich hauptsächlich in der Mathematik hervortat, dadurch -anerkannt, daß er mit 16 Jahren ein Stipendium zum Eintritt in die -berühmte polytechnische Hochschule zugewiesen erhielt. Da diese Schule -aber eine militärisch organisierte und ihre Schüler für den -Offizierstand vorbereitende Institution ist, und Emil sich als -ausgesprochener Feind des Militarismus schon in frühester Jugend -bekannte und betätigte, machte er von dem sozialen Vorrecht, in jene -Hochschule einzutreten, keinen Gebrauch. Nach einigen Wanderjahren, die -ihn in Geschäftsunternehmungen seiner Verwandten in der Provinz und in -Venedig herumgeführt hatten, trat er plötzlich zu einem Uhrmacher in die -Lehre, um, wie er in seiner Aussage bekundete, sich die notwendigen -Kenntnisse in der Mechanik anzueignen, und später Höllenmaschinen selber -herstellen zu können. Um diese Zeit betätigte er sich schon als eifriger -Mitarbeiter anarchistischer Zeitungen. Das junge Leben Henrys zeigte -also bereits die entscheidende Kurve zur ernsten Verfolgung der -anarchistischen Ziele, die ihm durch Blutmischung, Familientradition und -durch das Gebot seiner früh entwickelten außergewöhnlichen Intelligenz -vorgezeichnet zu sein schien. - -Der erste Eindruck, den die bei dem Prozeß Anwesenden von dem jungen, -hübschen und besonnenen, dabei von einem schier maßlosen Idealismus -erfüllten Menschen hatten, war: hier hat man den St. Just des -Anarchismus vor sich. - -Und in der Tat, wenn man die versprengten Erscheinungen dieser -revolutionären Periode betrachtet, kann man sich der Anschauung nicht -erwehren, daß nur der Mangel einer allgemeinen Erhebung sie zu den -isolierten und sehr lose vereinten Taten geführt hatte, wo in einer -revolutionär aktiveren Zeit jeder von diesen Individualisten seinen -Platz in der allgemeinen Bewegung vorgeschrieben gefunden hätte. Jede -Zeit gebiert die Menschen oder findet sie vor, die ihre Parole -durchführen können; oft ist es aber die Zeit, die kleiner ist als die -Menschen, die in ihr leben. Nur selten und in denkwürdigen Fällen der -Freiheitsbewegung, der allgemeinen Entwicklung der Menschheitsidee deckt -sich die Zeit mit dem Individuum, das ihr Exponent ist. Wenn dann die -stupide Menge den an Energie seine Zeit überragenden Revolutionär -kurzerhand als Verbrecher stempelt, ist eine von jenen oberflächlichen -Meinungen geprägt, in deren Bann die minderwertige Allgemeinheit lange -verweilt. Die Geschichte der Menschheit scheint durch solche -Fehlurteile, Seichtigkeit des Gefühls, nicht zu Ende-denken-Können, -gefälscht zu sein. - -Nahm die Erscheinung und das Benehmen Henrys vor seinem Richter auch -gleich am Anfang für ihn ein, so verscherzte er sich die allgemeine -Sympathie durch einen zynisch klingenden, doch aus der Energie der Idee -erwachsenen Ausspruch: auf die Frage des Vorsitzenden, warum er gerade -das Café Terminus sich ausersehen hatte, antwortete Henry ruhig: weil er -möglichst viele Bürger zu töten beabsichtigte. In der Tat hatte er mit -seiner Bombe, bevor er ins Café Terminus kam, bereits einige weniger -besuchte Lokale aufgesucht. - -Unter den Verletzten im Café befanden sich aber nicht nur „Bürger“, -sondern Arbeiter oder wenigstens werktätige Menschen. „Sie sehen, -Henry,“ bemerkte der Präsident, „es sind arbeitende Menschen, die Sie -töten wollten. Sie haben sie nicht gekannt. Sie konnten sie gar nicht -hassen und trotz alledem bleiben Sie vollkommen kalt und gleichgültig -vor diesen armen Menschen, die Sie hier, verstümmelt und zu Schaden -gekommen, auf der Zeugenbank sitzen sehen!“ Darauf Henry: „Allerdings; -diese Leute sind mir vollkommen gleichgültig wie im übrigen auch Sie, -Herr Präsident. Diese Leute sind Bourgeois, die Leiden und Unglück -verursachen. Ihre Misère, was geht die mich an. Ich habe genug andere -Misère in meinem Leben gesehen, und wenn es einen Schuldigen und -Verantwortlichen dafür gibt, sind Sie es und Ihre Partei.“ Der -Präsident: „Gut. Genug. Setzen Sie sich.“ Henry, während er sich setzt: -„Das ist es, was ich tue.“ - -Der Prozeß Henrys förderte keine besonderen Überraschungen zu Tage. Er -rollte sich in den üblichen Formen des Verhörs ab; das übliche -Aufmarschieren der Zeugen erfolgte. Es wurde vom Angeklagten kein -Versuch gemacht, sich zu entlasten, und die Zeugen, die von seinem -Vorleben Kunde geben sollten, bezeichneten ihn übereinstimmend als -ernsten, gewissenhaften, nur in seinen Anschauungen und seinen -politischen Zielen überreifen und intransigenten Menschen. - -Seine Attitüde, die er vom ersten Augenblick an einnahm, blieb bis zum -Schlusse des Prozesses die gleiche. Er wußte, daß sein Leben verwirkt -war; aber dies beeinflußte seine Haltung oder die Handhabung seines -Organs keinen Augenblick lang. - -Die Kälte, die er den Opfern seines Attentates gegenüber zur Schau trug, -entsprach nur der konzentrierten geistigen Anstrengung, nicht aber der -wirklichen inneren Veranlagung Henrys. Er legte sie absichtlich an den -Tag, um den Antagonismus des revolutionären Kämpfers zur öffentlichen -Meinung darzulegen. Seine oft an Zynismus streifenden Aussprüche waren -im Grunde nur Akzente, mit denen er die Theorie, deren Konsequenzen er -vertrat, verstärkte. Fast gegen seinen Willen bekundete er bei der -Vernehmung seiner Verwandten (auf seinen ausdrücklichen Wunsch hatte man -es seiner Mutter verboten, bei der Verhandlung zu erscheinen) eine -gewisse Rücksicht und Zartgefühl. Von ihnen hatte er ja nichts wie Gutes -erfahren. Was gingen ihn aber diese intimen Eigenschaften an, wo er das -Leiden der großen Massen vor eben diesen, in ihren privaten Beziehungen -gütigen und gerechten Menschen im Auge hatte! - -Alles in diesem Prozeß schien sich auf das Plaidoyer zuzuspitzen, in dem -Henry sein Lebensbekenntnis ablegte. Und dieses Lebensbekenntnis -allerdings ist nicht nur eine Rechtfertigung der zufälligen Existenz -eines ungewöhnlichen, in vielen Beziehungen einzigen Menschen, sondern -es sichert seinem Verfasser auch eine rühmliche Stellung innerhalb der -Geschichte der großen sozialen Bewegungen aller Zeiten. - -Ehe ich einige Teile, bedeutungsvolle Bruchstücke aus seinem Plaidoyer -hier reproduziere, will ich noch rasch einige Worte über den Tod Henrys -niederschreiben. - -Anfang Februar fand die Explosion im Café Terminus statt, Ende Mai starb -Henry unter dem Messer der Guillotine. Es wird berichtet, daß er -aufrechten Ganges zum Schafott schritt, aber daß seine Stimme ihn -verriet, als er wie ins Leere ins Weltall hinaus, die Worte: „Kameraden, -Mut, es lebe die Anarchie!“ zu rufen suchte. - -Gleichviel. Es ist ja gleichgültig, wie dieser Mensch starb. Es ist fast -gleichgültig zu nennen, wie er gelebt hatte. Sein Plaidoyer, sein Werk, -das er hinterließ, ist das Wesentliche an seiner Erscheinung. - - * * * * * - -Nach der Rede des Staatsanwaltes, – es war wieder jener Bulot – in der -selbstverständlich die Todesstrafe gefordert wurde, bat der Angeklagte -um das Wort, noch ehe sich sein Verteidiger erhoben hatte. Aus dem -Dokument der Verteidigungsrede Henrys, die er am Anfang kühl und -sachlich, ohne das Schriftstück in der Hand zu halten, vortrug (erst -später, nach den einleitenden Sätzen, erbat er sich von seinem -Verteidiger das Konzept) – aus diesem denkwürdigen, ja, wie man mit Fug -sagen darf, historischen Dokument folgen hier etliche kurze Auszüge. – - -Nachdem er eine rapide Übersicht über seinen Werdegang gegeben, -präzisierte Henry seine Stellung innerhalb der sozialen Bewegung auf -folgende Weise: „Einen Augenblick lang zog mich der Sozialismus an; doch -es dauerte nicht lange, da lehnte ich diese Partei ab. Ich war viel zu -sehr von der Liebe zur Freiheit erfaßt, hatte zu große Ehrfurcht vor der -persönlichen Initiative; die Einkapselung in eine gleichgerichtete -Truppe flößte mir zu großen Widerwillen ein, als daß ich eine Nummer in -der organisierten Körperschaft des Vierten Standes hätte werden können. -Übrigens bemerkte ich gar bald, daß der Sozialismus im Grunde an dem -Stand der Dinge gar nichts ändert; er respektiert und hält das -Autoritätsprinzip aufrecht, und dieses Prinzip ist, was auch die -sogenannten Freidenker sagen mögen, nichts anderes als ein Überbleibsel -jener atavistischen Furcht vor einer höheren Vorsehung. Ich bin -Materialist und Atheist: Studium der Wissenschaften hat mich nach und -nach das Spiel der Naturgewalten erkennen lassen; ich habe bald -verstehen gelernt, daß die Hypothese, es gäbe einen Gott, durch die -moderne Wissenschaft beiseite geschoben worden ist, als unnütz und -überflüssig erkannt wurde. Infolgedessen mußten die religiöse Moral und -die Autorität, die ebenfalls auf einer falschen Voraussetzung beruhen, -verschwinden. Wo also war das milde Gesetz der Sittlichkeit zu suchen, -das in einer Harmonie mit den Naturgesetzen diese alte Welt erneuen und -eine glückliche Menschheit gebären könnte? Als ich dies erkannt hatte, -verband ich mich mit einigen Genossen, die Anarchisten waren, und die -ich heute als die besten Freunde liebe, die mir jemals begegnet sind.“ - -„In den Kampf ging ich mit einem tiefen Haß, den der tägliche, empörende -Anblick dieser Gesellschaft schürte; denn in dieser Gesellschaft ist -alles niedrig, alles feige, alles häßlich, alles ist Hindernis zur -Entfaltung der Leidenschaften des Menschen, des edlen Willens der -Herzen, des freien Aufschwunges des Gedankens. Ich wollte so hart und -auch so gerecht zuschlagen wie ich es nur vermochte.“ - -Henry gibt nun eine Darstellung seiner Freude, die ihn angesichts der -ersten Ereignisse des Streiks von Carmaux ergriffen hatte; dieser Streik -hatte zu Anfang den Anschein einer revolutionären Tat erweckt, bald aber -bemächtigten sich einige Männer der Seelen der Arbeitnehmer, und der -Streik schien abzuflauen. Was waren diese Männer? „Es waren dieselben, -die alle revolutionären Bewegungen vernichteten, aus Angst, das Volk -könnte, losgelassen, nicht mehr auf ihre Stimmen hören. Es waren -dieselben, die die Tausende der Arbeiter überreden, monatelang ihr Elend -geduldig zu ertragen und die dann auf dem Rücken der Arbeiter sich -Volkstümlichkeit und ein Deputiertenmandat ergattern. Dies waren die -Männer, die sich an die Spitze der Streikenden stellten. Mit einemmal -sah man einen Schwarm von Schönschwätzern sich über das Land -niedersenken. Die Grubenarbeiter legten alle Macht in die Hand dieses -Packs. Man weiß, was nun geschah. Der Streik drohte ins Unendliche -hinauszuwachsen. Die Arbeiter gewöhnten sich an den Hunger, ihren -täglichen Gefährten. Die kleinen Reserven ihrer Gewerkschaften und -anderer Angeschlossenen kamen ihnen zu Hilfe, waren bald aufgebraucht, -und nach zwei Monaten krochen die Armen demütig und elender als je in -ihre Gruben zurück. Es wäre einfach gewesen, die Gesellschaft, -Besitzerin des Bergwerks, gleich zu Anfang dort anzugreifen, wo sie am -leichtesten zu verwunden war: die Kohlenvorräte zu verbrennen, das -Maschinenhaus zu zerstören, die Entwässerungsanlagen zu vernichten. In -diesem Falle hätte die Gesellschaft rasch nachgegeben, doch die -Großbonzen erkennen diese Methoden nicht an, denn es sind _unsere -Methoden, der Anarchisten_.“ - -„Für mein Teil hatte ich meinen Anschlag auf das Gebäude der -Gesellschaft in Paris rasch beschlossen. Der Vorwurf gegen Ravachol: Die -unschuldigen Opfer! kam mir in den Sinn. Das Haus aber, in dem sich die -Büros der Carmaux-Gesellschaft befinden, ist ausschließlich von Bürgern -bewohnt, daher konnte es keine unschuldigen Opfer geben. Da die gesamte -Bourgeoisie der Ausbeutung der Unglücklichen teilnahmslos zusieht, muß -sie in ihrer Gesamtheit ihre Schuld büßen. Im vollen Bewußtsein der -Legitimität meines Unternehmens habe ich jene Höllenmaschine vor den -Pforten des Büros niedergelegt.“ - -„Dasselbe ist der Fall bei meinem Terminus-Attentat. Die Bourgeoisie -erkennt die Anarchisten als eine geeinte Körperschaft an. Ein einzelner -Mann, Vaillant, warf eine Bombe. Neunzehntel der Genossen kannte -Vaillant gar nicht. Das aber schadete nichts: die Anarchisten wurden in -ihrer _Gesamtheit_ verfolgt. Jeder, der nur entfernt zum Anarchismus -Beziehungen hatte, unterlag der Verfolgung. Nun, da sie die gesamte -Partei für die Tat eines einzelnen verantwortlich machen, vergelte ich -_gleiches_ mit _gleichem_.“ - -„Ihr habt in Chicago gehängt, in Deutschland geköpft, in Xeres erwürgt, -in Barcelona erschossen, in Montbrison und Paris guillotiniert – was Ihr -aber niemals werdet töten können, das ist die Anarchie. Ihre Wurzeln -reichen zu tief. Sie ist erstanden aus einer verwesenden Gesellschaft, -die sich in ihre Bestandteile auflöst. Sie erhebt sich als eine -gewaltsame Gegenbewegung gegen die Ordnung dieser Gesellschaft, sie -repräsentiert alle Sehnsucht nach Gleichheit und Befreiung, nach -Zertrümmerung der gegenwärtigen Autorität. Sie ist überall; sie ist -nirgends zu fassen; sie wird Euch alle töten. Hier, meine Herren -Geschworenen, habe ich gesagt, was ich zu sagen hatte. Sie werden nun -die Rede meines Verteidigers anhören.“ - - * * * * * - -Es kann nicht die Aufgabe dieser Abhandlung sein, _Caserios_ Attentat -auf Sadi-Carnot zu behandeln, obzwar es in organischem Zusammenhang mit -den oben berichteten Taten steht. - -Am 5. Februar war Vaillant hingerichtet worden, – am 24. Juni rächte -Santo Caserio, ein italienischer Proletarier, diesen Tod. Der Präsident -der Republik hatte in jenen Tagen in Lyon die Kolonialausstellung -besucht. Nach dem Abendessen, auf der Fahrt zum Theater, inmitten -pompöser Kavallerie, die den Prunkwagen eskortierte, traf Carnot der -Dolch des Italieners. Caserios Motive und Persönlichkeit sind in dem -Zusammenhang dieser Erörterungen von geringem Belang (so wie die Jahre -später erfolgte Ermordung Elisabeths von Österreich z. B.). Man darf -über seine Tat leicht hinweggehen, wie auch andere Taten von -Anarchisten, die sich um dieselbe Zeit in Paris ereigneten, von geringer -Bedeutung für die Idee und den zentralen Trieb der anarchistischen -Empörung sind. - - * * * * * - -Manche dieser Taten wiesen wohl darauf hin, daß sie die Ketten der -Versklavung des Geistes an bestimmten Orten zu sprengen und -durchzubrechen suchten: wie z. B. die Tat des _Pauwels_, eines Freundes -von Henry, dessen Bombe ihn selber, als er die Madeleine-Kirche in Paris -betrat, in Stücke riß. - -Andere Attentate hatten einen ausgesprochen burlesken Beigeschmack wie -das Attentat jenes Droschkenkutschers _Moore_, des „Dichterkutschers“, -der seinen Kollegen in Apoll, Lockroy, den Schwiegersohn Victor Hugos, -anschoß, weil dieser Moores Bettelbriefe schließlich nicht mehr -beantwortete. - -Auch das Attentat auf das Restaurant Foyot bot dem Pariser Witz -reichliche Nahrung: wenige Tage, ehe er gelegentlich dieses Attentates -ernstlich verletzt wurde, hatte der satyrische Dichter _Laurent -Tailhade_ in einem dithyrambischen Artikel die Tat Vaillants mit den -Worten gepriesen: „Was will der Verlust einiger gleichgültiger Opfer -besagen – wenn nur die Geste schön ist!“ - -Eine andere Tat aber prägte sich der öffentlichen Meinung tiefer ein, -das war die Tat des Schusters _Leauthier_, der in einem der bekannten -Speisehäuser von Duval den serbischen Gesandten Georgewitsch anschoß, -als einen schlemmenden Bourgeois, der noch dazu ein Ordensband im -Knopfloch trug! (Leauthier starb in der Strafkolonie während jener schon -erwähnten Revolte, gleichzeitig mit Simon, dem Zwieback, Ravachols -Gehilfen.) - - * * * * * - -Nachdem die Staatsgewalt sich der Propagandisten der Tat auf solche -Weise entledigt hatte, ging sie mit größter Energie ans Werk, die -geistigen Wurzeln der Lehre anzugreifen. Eine ganze Anzahl bedeutender -Gelehrter, Schriftsteller, Soziologen trafen diese Maßregeln. Es hatten -sich in Paris und in Frankreich zahlreiche Gruppen gebildet, die mit dem -Studium und der Verbreitung der Lehre des Anarchismus sich -beschäftigten. Solche Gruppen waren: Die Gruppe der Libertäre; Die -Avantgarde; Die Kinder der Natur; Die Antipatriotische Jugend; Der -Internationale Kreis; Die Schwarze Fahne; Die haarigen Burschen („Les -Gonzes Poilus“) von Billancourt; Der Panther von Batignolles. Diese -sämtlich in Paris. - -Von den Gruppen in der Provinz, die immerhin ihre zentrale Organisation -(ohne die selbst der Anarchismus nicht auskommt!) in Paris besaßen, -nenne ich die hauptsächlichsten: Die Zuchthäusler von Lille; Die -Vaterlandslosen von Charleville; Die Unbezähmbaren; Erde und Freiheit -von Armentières; Der Pranger von Sedan; Die Parias der Picardie, die -Organisationen der nordwestlichen Teile Frankreichs umfaßte; Die -Bereitschaft von Blois; Die Gruppe der Sozialen Forschung in Cherbourg; -Die Eber von Châlons; Die Nivellierer von Beaune; Der Yatagan von -Terre-Noire; Die Freunde Ravachols von Saint-Chamond; Die Gruppe -Erst-recht! von Vienne; Die Rächer; Die Hungrigen von Marseille; Die -Empörung; Die Bauernrevolte; Die Entschlossenen; Die Eichenherzen von -Cette und viele andere. - -Eine dieser Gruppen war von dem Sozialreformer Rousset organisiert und -hatte den Namen der „Suppen-Vorträge“. In einer Pariser Wärmehalle -sprach Rousset, während arme Hungernde von der Straße dort ihren Teller -Suppe löffelten, über soziale Probleme und wie der Not abzuhelfen wäre. -Diese Ansprachen erregten selbstverständlich die Aufmerksamkeit und -schließlich Abwehr der Behörden. Trotz dem Protest einer Anzahl -hervorragender Pariser, darunter Jules Simon, Léon Say, Floquet, de -Cassagnac, Alfons Daudet, Sarah Bernhardt und Zola, wurde Rousset vors -Gericht gestellt und zu einer empfindlichen Gefängnisstrafe verurteilt. - -In Paris wie in der Provinz erschienen Wochenblätter, Zeitschriften in -großer Zahl, die der Regierung ein Dorn im Auge waren und deren -Verfolgung beschlossen wurde. Die Namen der hauptsächlichsten -Zeitschriften dieser Art sind: - -„Le Père Peinard“, „Le Riflard“, „Der Leimtopf“, „Die Revolte“, letztere -hatte Jean Grave zum Herausgeber. Sebastien Faure gab den „Almanach -Anarchiste“ heraus, der originelle Bohémien Zo d’Axa die lebhafte und -revolutionäre Revue „L’En-Dehors“, die zu ihren Mitarbeitern neben -Malato Schriftsteller wie Octave Mirbeau und den Initiator der -Dreyfus-Revision, Bernard Lazare, einen edlen und bescheidenen -Menschenfreund, zählte. Beide, Mirbeau wie Lazare, aus der oberen -Bourgeoisie stammende Intellektuelle, bekannten sich frei und laut zum -Anarchismus und legten in den gefährlichsten Zeiten Zeugnis ab für die -seelische Integrität manches von der öffentlichen Meinung gebrandmarkten -„Mörders und Attentäters“. – - -„Der Freie Gedanke“, „Die Attacke“, „Die Libertäre Revue“ erschienen mit -Unterbrechungen weiter; eine antimilitaristische Zeitschrift, „Le -Conscrit“ hielt sich trotz härtester Verfolgung. In Marseille erschien -„Die Harmonie“, in London, nach einer anderen Version in Brüssel der -„L’International“, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die lediglich -doktrinären Anarchisten anzugreifen und dabei auch vor Grave, sogar vor -Kropotkin nicht Halt machte. Dieser „L’International“ scheint der -richtige Moniteur der Propagandisten durch die Tat gewesen zu sein. Er -brachte eine Beilage „L’Indicateur Anarchiste“, in dem praktische -Anweisung zur Verfertigung von Explosivkörpern gegeben wurde. In -früherer Zeit, lange vor dem Erscheinen des „L’International“ hatte die -„Lutte“ von Lyon ähnliches unter dem Titel „Anti-bürgerliche Produkte“ -zu geben versucht. - -Andere Zeitschriften, die die Verbreitung der Ideen des Anarchismus über -den ganzen Erdball bezweckten, waren um diese Zeit: in Belgien „La -Société Nouvelle“, „Le Libertaire“ und „Le XX. Siècle“. In London -erschien „Freedom“, eine ausgezeichnete Publikation, die noch jetzt in -dem, jedem London besuchenden Sozialisten wohlbekannten „Bomb-Shop“ des -alten Henderson, Charing Cross-Road, erhältlich ist (gegenwärtig hat sie -ausgesprochen kommunistischen Einschlag); „The Commonweal“, der durch -die Mitarbeit William Morris’ geadelt war; außerdem „The Torch“. -Ebenfalls in London, der Stadt, die um die Zeit der allgemeinen -europäischen Anarchistenverfolgungen ein sicherer Hafen für die Rebellen -aller Nationen war, erschien in hebräischen Lettern das jiddische -Anarchistenblatt „Der Fraind fun die Arbeter“, und die deutsche Zeitung -„Der Lumpenproletarier“. Andere deutsche Publikationen jener Zeit -umfassen die in Amerika erscheinenden: „Freiheit“ von Johann Most, „Die -Brandfackel“ von New York, den „Armen Teufel“ Robert Reitzels in -Detroit, „Den Vorboten“ von Chicago, die jiddische „Freie -Arbeiterstimme“, den „Anarchist“ und andere. Gustav Landauers -„Sozialist“, das bedeutendste deutsche Organ, ist noch in Aller -Erinnerung. In Italien waren der „Sempre Avanti“ von Livorno, in Spanien -„La Conquista del Pan“ von Barcelona, in Südamerika „El Oprimido“ und -„Tribuna Operaia“ die verbreitetsten Blätter der Bewegung. - - * * * * * - -Es war offenkundig, daß die Taten jener Propagandisten die Lehre des -Anarchismus in weitere Gebiete ausgestreut hatten, als friedliche -Verbreitung der Theorie dies jemals vermocht hätte. Denn die Zahl, der -Umfang der anarchistischen Zeitschriften-Literatur schwoll um die Zeit -der Jahrhundertwende in der ganzen Welt beträchtlich an. Ich erinnere -mich, welch’ tiefgehende Wirkung in den Tagen meines Pariser -Aufenthaltes, der in dieselbe Zeit fiel, zwei Bücher erregten, die von -zweien der bedeutendsten lebenden Anarchisten verfaßt waren – und die -Eltzbacher in seinem Werk nicht anführt, ja gar nicht zu kennen scheint. -Diese Bücher waren _Sebastien Faures_ „La Douleur universelle“, und -_Jean Graves_ „La Société mourante et l’Anarchie“, zu dem Octave Mirbeau -ein begeistertes Vorwort geschrieben hat. - -Es war bezeichnend für die im Grunde trotz aller Reaktion demokratische -Grundtendenz des öffentlichen Lebens von Frankreich und seiner -Hauptstadt, daß schon 1895, also kaum ein Jahr nach der Ermordung -Sadi-Carnots (und dem Prozeß gegen die Dreißig, von dem ich im -nachfolgenden sprechen will), die öffentlichen Vorträge von Sebastien -Faure monatelang ohne Störung durch die Behörden abgehalten werden -konnten. Sie gehören zu den wunderbarsten Erinnerungen, die mich an jene -Zeit gemahnen. Vor einem großen und beständigen Publikum, das sich im -wesentlichen aus Studenten und Arbeitern zusammensetzte, verkündete -Faure das System seines Aufbaus. Mit unerbittlicher Logik zergliederte -er die gegenwärtige Gesellschaft, nahm sozusagen das ganze Gebäude der -gesellschaftlichen Zusammenhänge auseinander, warf die schädlichen, -überflüssigen Teile des Gebäudes auf den Schutthaufen der Vergangenheit -und errichtete aus dem Übrigbleibenden ein einfacheres, bewohnbares, -lichtes Heim der zukünftigen Menschheit. - -Faures Rednergabe führte seine Argumente beweiskräftiger aus, als es -seinem Buch, das ich eben erwähnt habe, gelingt. Doch spricht auch in -diesem Werk der merkwürdig klare und logische Verstand, jener -spezifische französische sens commun den Leser mächtig an. - -Eine literarisch höchst zu bewertende Leistung stellt das Buch Graves -dar. Es ist eine Kampfschrift gegen den reformistischen Sozialismus, -gegen die Grundirrtümer der kapitalistischen und militaristischen -Gesellschaft. In erstaunlicher Weise hat der Autodidakt Grave sich die -wissenschaftlichen Grundlagen seiner Gewissensüberzeugung zu verschaffen -verstanden. Aus der Erkenntnis, die er sich auf solche Art erwirbt, -gelingt es ihm, überzeugend und mit hohem Schwung der Begeisterung, die -Durchführbarkeit der anarchistischen Prinzipien trotz den feindlichen -Grundinstinkten der ewig gleichbleibenden Menschenseele zu beweisen. -Auch in seinem anderen Werke „Die Gesellschaft am Tage nach der -Revolution“ gelang es Grave, den Aufbau einer utopischen Gemeinschaft in -überzeugenden Konturen festzulegen. - -Die Taten Ravachols, Vaillants, Henrys und der anderen – die Bücher -Faures und Graves: sie geben der Bewegung, dem revolutionären Beginnen -des französischen Proletariats um die Jahrhundertwende ihre Grenzen nach -dem materiellen und dem moralischen Bereich. - - * * * * * - -_Den Prozeß gegen die Dreißig_, dessen ich oben Erwähnung getan habe, -strengte die Regierung Frankreichs hauptsächlich in der Absicht an, daß -durch seinen Verlauf die Notwendigkeit einer durchaus revidierten -Gesetzgebung gegen die Feinde der Gesellschaft gerechtfertigt werde. Es -sollte zudem schon durch die Namenliste der Angeklagten die Sicherheit -in der beängstigten Bevölkerung erweckt werden, daß es nunmehr der -Regierung gelungen sei, die ganze gefährliche Gruppe der wesentlichsten -Anarchisten, sozusagen die Zentrale des Anarchismus in Frankreich -auszuheben. Die Absicht war: alle möglichen Leute, die im Geruch des -Anarchismus standen, die sich als Theoretiker der Lehre, die sich als -Propagatoren und als Ausführer anarchistischer Taten betätigten, in -einen geschlossenen Raum zusammenzutreiben, sie dort beisammen zu -behalten und möglichst endgültig zu „erledigen“. Daß in dieser Gruppe, -die man kurz als eine Vereinigung von Verbrechern bezeichnete, -hervorragende und allgemein anerkannte Gelehrte wie Paul Reclus, -Publizisten wie Jean Grave, Sébastien Faure, Alexander Cohen, Charles -Chatel, Félix Fénéon, Pouget, Matha, Ledot neben Dieben und -undurchsichtigem Gesindel figurierten, bewies nicht nur die Willkür der -Regierung, sondern barg auch die Erklärung für das Scheitern ihrer -Absicht in sich. Denn, um es vorweg zu nehmen, der Prozeß der Dreißig -endete mit einem ausgesprochenen und für die Regierung peinlichen Fiasko -der Rechtsbehörden. Wieder beantragte der sattsam bekannte Staatsanwalt -Bulot gegen die Dreißig die höchste zulässige Strafe, indem er die -Angeklagten miteinander, mit pathetischer Gebärde: - - „Vous êtes tous des misérables!“ - -apostrophierte, aber die Jury gab seinem Begehren nur in einem einzigen -Falle nach, indem sie den Mitangeklagten _Ortiz_, das Oberhaupt der -„_Bande Ortiz_“ zu langjähriger Zwangsarbeit, zwei Mitglieder der -„Bande“ aber zu geringen Freiheitsstrafen verurteilte. Die übrigen -wurden, wie recht und billig, freigesprochen. - -Artikel 265 des französischen Strafgesetzbuches besagt (in seiner -Abänderung durch das Gesetz vom 18. Dezember 1893, jenes „Gesetz -Vaillant“): „Jede Vereinigung, jedwede Gemeinschaft, die hergestellt -ist, um Verbrechen gegen Einzelindividuen vorzubereiten oder -durchzuführen, stellt ein Verbrechen gegen die öffentliche Ordnung dar.“ -Durch diese Fassung des Artikels wird ausgesprochen, daß die Theoretiker -des Anarchismus, genau so wie die Propagandisten durch die Tat, der -Gemeinschaftbildung, der Schaffung einer Vereinigung schuldig erkannt -sind. Die „Intellektuellen“ wie die „Impulsiven“, beide sind in gleichem -Maße für die Tat selbst verantwortlich, denn ohne die Kraft des -Gedankens, des Wortes, der Feder der ersteren würden die letzteren nicht -zur Tat gelangen. Die Initiative wie die Ausführung werden auf gleiche -Linie gestellt. Die Verbindung zwischen den Studiengruppen der -anarchistischen Lehre und dem tatsächlichen Verbrecher ist evident; -beide zugleich muß das Gesetz treffen, soll der Anarchismus an der -Wurzel gepackt und ausgerottet werden. - -Dieser Prozeß der Dreißig dauerte im ganzen acht Tage. Er spielte sich -in der ersten Hälfte des August 1894, gleichzeitig mit dem Prozeß gegen -den Mörder Sadi-Carnots, Caserio, ab. Das Merkwürdigste und -Bedeutungsvollste, der Umstand, der den Ausgang des Prozesses gleich am -Anfang ahnen ließ, war: daß sich keine Belastungszeugen für die Dreißig -auftreiben ließen. So hatte das rege und immer schwankende Gewissen des -französischen Volkes, der wohl aufs höchste irritierten, aber immer noch -in den Grenzen des klaren Verstandes und der lauteren Gesinnung -bleibenden öffentlichen Meinung Frankreichs von vornherein die -Überzeugung behalten, daß der ganze Prozeß ein Fehlgriff war und ein -schlechteres Licht auf die Rechtspflege des Landes werfen mußte als auf -die Mehrzahl der Angeklagten. - -Es wurden darum auch von dem großen Publikum Frankreichs die würdevollen -und selbstsicheren Verteidigungsreden von Grave und Faure mit derselben -Sympathie aufgenommen, wie die witzig ironischen Wendungen, in denen der -Kunstschriftsteller Fénéon seinerseits die Anklagen und die Behandlung -des Verdachtes gegen ihn zurückwies. Die „Gemeinschaft der Verbrecher“ -stand, wie man aus dem Fehlen von Belastungszeugen ersehen konnte, auf -schwachen Füßen. Niemand war zu finden, der irgendwie stichhaltig, ja -auch nur willkürlich bestätigen oder bejahen konnte, daß eine solche -Vereinigung in der Tat bestehe. - -Die Anklage behauptete, daß der Gelehrte Reclus die Finanzen dieser -Vereinigung oder Partei geführt habe; daß Jean Grave der Schaffung der -Studiengruppe oblag, daß die Zeitschrift Graves „La Révolte“ den -verstreuten Mitgliedern der Vereinigung die Mittel bot, sich gegenseitig -zu kennen und zu verständigen. Faure sollte die Bewegung in der -Propaganda organisieren. Er war Herausgeber einer in Marseille -erscheinenden Zeitschrift „L’Agitation“, hatte außerdem, wie -nachgewiesen werden konnte, das Kapitalverbrechen begangen, Vaillant 5 -Franken durch die Post überweisen zu lassen. Der Schriftsteller Chatel -war Begründer der „Revue anarchiste“ und Mitarbeiter verschiedener -anarchistischer Zeitschriften. Matha redigierte den „En-dehors“, er war -es auch, der Emil Henry in London bei sich aufgenommen hatte, während -Matha selber gelegentlich in Paris bei Fénéon, dem Kunstschriftsteller, -der zur Zeit Beamter des französischen Kriegsministeriums war, -zeitweilige Unterkunft gefunden hatte. Aus solchen losen Verknüpfungen -sollte das Netz sich um die Dreißig knüpfen, und in diesem Netz zappelte -zugleich die Bande um den Räuber Ortiz. - -Dieser Ortiz, ein merkwürdiger Mischtypus, Sohn eines Mexikaners und -einer Polin, stellte in seinem ganzen Wesen den idealistischen Räuber -aus sozialen Beweggründen dar, wie die romantische Literatur aller -Völker ihn aufweist. Daß dieser intelligente und gebildete Mensch sich -bei seinen Taten, die einem unzweifelhaft gemischten, undurchsichtigen -Instinkt entsprangen, anarchistischer Grundsätze rühmte und dabei -unleugbar die Freundschaft Emil Henrys und anderer reiner Verkünder der -Idee genoß, beweist: daß die verbrecherischen Instinkte der Ausbeutung -und Knechtung des Einzelnen und der Massen, wie sie sich die heutige -Gesellschaft zu schulden kommen läßt, durch gleiches Vorgehen des -Einzelnen gerächt werden müssen. Nur dem oberflächlich in den -Vorstellungen und Vorurteilen der bestehenden Gesellschaftsform träge -Verharrenden wird es, wie bereits betont, einfallen, Verbrechen, die im -Obigen als revolutionäre Taten gekennzeichnet worden sind, als -Verbrechen zu betrachten. - -Solange die Gesellschaft ihre Gesetze nicht den Geboten der Gleichheit, -Freiheit und Brüderlichkeit anzupassen oder wenigstens anzunähern -verstanden hat, wird das Verbrechen des Einzelnen, sofern es nicht eines -der aus Leidenschaft begangenen genannt werden darf, vielmehr die Rache -des Einzelnen an der Gesellschaft und rechtmäßiger Kampf des Empörers -gegen die große Ungerechtigkeit genannt werden müssen. - -Das schmähliche Scheitern des Prozesses gegen die stupid und mit -brutaler Willkür, wie bei einer Razzia zusammengetriebenen Dreißig, das -gleichzeitig mit der Verurteilung Caserios abschließende Verfahren gegen -jenen Anarchisten, dessen Hand das verantwortliche Oberhaupt der -Regierung getroffen hatte, schloß eine Periode der revolutionären -Bewegung ab, die die anarchistische Periode in der Freiheitsbewegung -Frankreichs genannt ist. - -Sie bildet, wie gesagt wurde, ein Segment in der fortschreitenden, unter -wechselnden Namen stetig gleichbleibenden Entwicklung der Freiheitsidee -der Menschheit; die Zeit ihres Geschehens ist der Vorabend des XX. -Jahrhunderts, dessen Morgen bereits solch ungeheures Vorwärtstreiben der -Idee sah; ihr Schauplatz ist Frankreich, die bürgerliche Republik der -Demokratie, des „juste milieu“. - -Nach dem 26. August 1894, an dem der arme unwissende, wirre Schädel des -italienischen Proletariers unter dem Fallbeil der bürgerlichen -Justizmaschine fiel, ebbt die Welle der anarchistischen Propaganda der -Tat in Frankreich ab. - - * * * * * - -Es scheint nunmehr, als sollte sich die anarchistische Theorie aus dem -aktivistischen mehr ins wissenschaftliche Feld zurückziehen. Der -Anarchismus wird von dem sich langsam nach links, ins radikale Gebiet -ausbreitenden Sozialismus als kleinbürgerliche Ideologie verworfen. Der -Sozialismus erhebt die Autorität der Organisation zum leitenden Prinzip -und leugnet das Recht des Individuums, aus Gründen der praktischen -Erfahrung, wie aus Anbetung der Klasse als solcher, eines Götzen auf -tönernen Füßen, sich außerhalb der Organisation, eigenwillig, -selbstherrlich und unter voller persönlicher Verantwortung sein Recht zu -suchen. Er erklärt das auf solche Weise aus der Organisation -entweichende Individuum für einen Feind des Sozialismus und das -Individuum sieht sich von dem demokratischen Sozialisten, in -Übereinstimmung mit dem reaktionärsten Bürgertum, in Acht und Bann getan -und vogelfrei erklärt. - -Der Kommunismus, wie wir ihn nach dem Krieg sich ausbreiten und seine -Grenzen erweitern sehen, zögert noch, die eigenmächtigen Energien aus -dem Bereich des eng benachbarten Syndikalismus, aus den militanten -Rängen des insurgenten Anarchismus aufzunehmen. Anzeichen deuten darauf, -daß er sie zur gegebenen Zeit wohl aufnehmen, einreihen und benutzen -wird. Denn in dem insurgenten Anarchisten brennt am leuchtendsten die -Flamme der ewigen Revolte des Menschengeschlechtes. Was verschlägts, daß -an ihrem Brand das ephemere Verordnungsblatt der Parteidisziplin rasch -verkohlt! - -In der Schicksalsstunde der höchsten Gefahr des Freiheitsgedankens, in -der Stunde, da das kämpfende und kampfbereite Proletariat am ärgsten -bedroht ist, schlägt die große Flamme aus dem Einzelnen auf die Masse -über und hüllt die Gesamtheit, Individuum, Partei, Klasse, Menschheit in -ihr Licht, ihre Glut ein. - - - - - In der Sammlung - AUSSENSEITER DER GESELLSCHAFT - – DIE VERBRECHEN DER GEGENWART. – - erscheinen in kürzester Zeit folgende Bände: - - - *Band 1: - - ALFRED DÖBLIN - DIE BEIDEN FREUNDINNEN UND IHR GIFTMORD - - *Band 2: - - EGON ERWIN KISCH - DER FALL DES GENERALSTABSCHEFS REDL - - *Band 3: - - EDUARD TRAUTNER - DER MORD AM POLIZEIAGENTEN BLAU - - *Band 4: - - ERNST WEISS - DER FALL VUKOBRANKOVICS - - *Band 5: - - IWAN GOLL - DIE ROTE JUNGFRAU GERMAINE BERTON - - *Band 6: - - THEODOR LESSING - HAARMANN, DIE GESCHICHTE EINES WERWOLFS - - *Band 7: - - KARL OTTEN - DER FALL STRAUSS - - *Band 8: - - ARTHUR HOLITSCHER - DER FALL RAVACHOL - - *Band 9/10: - - P. DREYFUS – PAUL MAYER - RECHT UND POLITIK IM FALL FECHENBACH - - Band 11[1]: - - L. LANIA – HERRMANN - DER HITLER-PROZESS - - Band 12: - - THOMAS SCHRAMEK - DER FALL EGLOFFSTEIN - - Band 13: - - HENRI BARBUSSE - DIE MATROSEN DES SCHWARZEN MEERES - - Band 14: - - OTTO KAUS - DER FALL GROSSMANN - - Band 15: - - EUGEN ORTNER - DER FALL BERNOTAT - - Band 16: - - WALTER PETRY - DER FALL NÄGLER - - Band 17: - - FRIEDRICH STERNTHAL - DER FALL DER RATHENAUMÖRDER - - Band 18: - - RENÉ SCHICKELE - DIE CAILLAUXPROZESSE - - Band 19: - - KARL FEDERN - DER FALL MURRI-BONMARTINI - - Band 20: - - KURT KERSTEN - DER PROZESS GEGEN DIE MOSKAUER SOZIALREVOLUTIONÄRE - - Band 21: - - MARTIN BERADT - DER FALL HASSELBACH - - Band 22: - - F. A. ANGERMAYER - DER FALL DER PARISER AUTOMOBILBANDITEN - - Band 23: - - WILLY HAAS - DER FALL GROSS - - Band 24: - - WALTER VON HOLLANDER - DER FALL GRUPEN - - Band 25: - - MAX FREYHAN - DER JUWELENRAUB IN DER KÖPENICKERSTRASSE - - Band 26: - - HANS REISER - DER FALL STRASSER - - Band 27: - - FRANZ THEODOR CSOKOR - DER FALL EISLER - - Band 28: - - E. I. GUMBEL - EIN POLITISCHER MORD - - Band 29: - - EDUARD TRAUTNER - DER FALL DES SCHUPOWACHTMEISTERS GERTH - - Band 30: - - ARNOLT BRONNEN - DER FALL VAQUIER - - Band 31: - - HERMANN UNGAR - DER FALL ANGERSTEIN - - Band 32: - - JOSEPH ROTH - DER FALL HOFRICHTER - - Die mit * versehenen Bände sind bereits erschienen. - - [1] Bei den folgenden noch nicht erschienenen Bänden behält sich der - Verlag Änderungen sowohl der Titel als auch der Reihenfolge usw. - ausdrücklich vor. - - Ferner Bände von: - - MAX BROD, OTTO FLAKE, WALTER HASENCLEVER, GEORG KAISER, THOMAS - MANN, LEO MATTHIAS, JAKOB WASSERMANN, ALFRED WOLFENSTEIN - und vielen Anderen. - - - Ohlenroth’sche Buchdruckerei Erfurt. - - - Anmerkungen zur Transkription - -Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere -Änderungen, teilweise unter Zuhilfenahme anderer Auflagen, sind hier -aufgeführt (vorher/nachher): - - [S. 24]: - ... Manifestation revolutionärer Art unnachsichtlich ... - ... Manifestation revolutionärer Art unnachsichtig ... - - [S. 29]: - ... herumzulaufen. Seine Kindheit und frühe ... - ... herumzulaufen. Seine Kindheit und frühen ... - - -*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK RAVACHOL UND DIE PARISER -ANARCHISTEN *** - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the -United States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. 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Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms -of the Project Gutenberg License included with this eBook or online -at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. If you -are not located in the United States, you will have to check the laws of the -country where you are located before using this eBook. -</div> - -<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: Ravachol und die Pariser Anarchisten</p> -<p style='display:block; margin-top:0; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:0;'>Außenseiter der Gesellschaft. Die Verbrechen der Gegenwart. Band 8</p> - -<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Arthur Holitscher</div> - -<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Editor: Rudolf Leonhard</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'>Release Date: October 9, 2021 [eBook #66501]</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'>Language: German</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'>Character set encoding: UTF-8</div> - -<div style='display:block; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Produced by: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This book was produced from images made available by the HathiTrust Digital Library.</div> - -<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK RAVACHOL UND DIE PARISER ANARCHISTEN ***</div> - -<div class="frontmatter chapter"> -<p class="halftitle"> -<span class="line1">AUSSENSEITER DER GESELLSCHAFT</span><br /> -<span class="line2">– DIE VERBRECHEN DER GEGENWART –</span> -</p> - -<div class="centerpic logo1"> -<img src="images/logo1.jpg" alt="" /></div> - -</div> - -<div class="frontmatter chapter"> -<p class="ser"> -<span class="line1">AUSSENSEITER</span><br /> -<span class="line2">DER GESELLSCHAFT</span><br /> -<span class="line3">– DIE VERBRECHEN DER GEGENWART –</span> -</p> - -<p class="ed"> -HERAUSGEGEBEN VON<br /> -RUDOLF LEONHARD -</p> - -<p class="vol"> -BAND 8 -</p> - -<div class="centerpic logo2"> -<img src="images/logo2.jpg" alt="" /></div> - -<p class="pub"> -VERLAG DIE SCHMIEDE<br /> -BERLIN -</p> - -</div> - -<div class="frontmatter chapter"> -<h1 class="title"> -RAVACHOL UND DIE<br /> -PARISER ANARCHISTEN -</h1> - -<p class="aut"> -VON<br /> -ARTHUR HOLITSCHER -</p> - -<div class="centerpic logo2"> -<img src="images/logo2.jpg" alt="" /></div> - -<p class="pub"> -VERLAG DIE SCHMIEDE<br /> -BERLIN -</p> - -</div> - -<div class="frontmatter chapter"> -<p class="designer"> -EINBANDENTWURF<br /> -GEORG SALTER<br /> -BERLIN -</p> - -<p class="cop"> -Copyright 1925 by Verlag Die Schmiede Berlin -</p> - -</div> - -<div class="chapter"> -<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a> -<p class="first"> -Der ewige Zwiespalt, der offenkundige unlösbare -Widerspruch, der die Theoretiker -einer revolutionären politischen Richtung von -Jenen trennt, die diese Richtung in die direkte, -persönlich unerbittliche Aktion umsetzen, -kam wohl selten mit solcher Vehemenz -zum Ausdruck wie gerade in der Periode „der -anarchistischen Attentate“, von der hier die -Rede sein wird. -</p> - -</div> - -<p> -Ich habe „anarchistisch“ gesagt, aber es -ist nicht offenbar, es steht keineswegs unumstößlich -fest, es ließe sich wohl darüber -streiten, ob die Männer, die von 1891 bis 1894 -in Frankreich jene Attentate verübten, Anarchisten -waren. Politische Aktionen ähnlicher -Art, individuelle Aktionen, die nur -scheinbar durch ein System zusammengehalten -sind, grenzen in ihrem Wesen nahe an Verzweiflungstaten -von Menschen, die aus ihrem -rein persönlichen Erleben heraus und nur -bedingt aus den Motiven einer, vom politischen -Gesichtspunkt als notwendig erkannten -Richtung handeln. Wenn Aktionen dieser -Art sich im Laufe der Zeiten gleichen, so kann -<a id="page-8" class="pagenum" title="8"></a> -man doch aus der Geschichte den ewig wechselnden -Namen der politischen Richtung verfolgen, -die jeweils mit diesen Aktionen verknüpft, -ihnen eine Art Rechtfertigung zu geben -scheint. Die Taten der Nihilisten in Rußland, -der Sozialisten in den Anfangsjahrzehnten -der Arbeiter-Organisation, der Anarchisten -in Frankreich, sie entsprangen alle -der Not des aufgewühlten Zeitgewissens. Im -Grunde waren sie Manifestationen des stetig -gleichbleibenden, seit Urzeiten in die Menschenseele -versenkten revolutionären Triebes: -das <em>Unrecht</em> aus der Welt zu schaffen. Die -Auflehnung des Individuums gegen den Staat, -der Kampf gegen die Gesellschaft, die das -mitgeborene Recht des Individuums schmälert -und vernichtet. -</p> - -<p> -In seinem grundlegenden Werk „<em>Der Anarchismus</em>“ -gibt <em>Paul Eltzbacher</em> ein -kurzes Résumé der theoretischen Grundlagen -der anarchistischen Lehren und ich will hier -einen Abschnitt zitieren, der für den, wenn -auch losen Zusammenhang der anarchistischen -Theorie mit den Taten der Anarchisten, -über die hier berichtet werden soll, wesentlich -und wissenswert ist: -</p> - -<p> -„Der Anarchismus,“ sagt Eltzbacher, „ist -die rechtsphilosophische Verneinung des Staates, -d. h. diejenige Art der rechtsphilosophischen -Staatslehre, welche den Staat verneint. -</p> - -<p> -<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a> -Eine anarchistische Lehre kann nicht vollständig -sein, ohne anzugeben, auf was für -einer Grundlage sie ruht, was für einen Zustand -sie im Gegensatz zum Staate bejaht, -und wie sie sich den Übergang zu diesem Zustande -denkt. Eine Grundlage, eine bejahende -Seite und eine Vorstellung von dem Übergang -zu dem, was bejaht wird, sind notwendige Bestandteile -jeder anarchistischen Lehre. Mit -Beziehung auf diese Bestandteile lassen sich -folgende <em>Arten des Anarchismus</em> unterscheiden. -</p> - -<p> -1. Der Grundlage nach: der <em>genetische -Anarchismus</em>, welcher als höchstes Gesetz -menschlichen Verhaltens nur ein <em>Naturgesetz</em> -anerkennt und der <em>kritische Anarchismus</em>, -welcher als höchstes Gesetz -menschlichen Verhaltens eine Norm betrachtet; -als Unterarten des kritischen Anarchismus -der <em>idealistische Anarchismus</em>, -dessen höchstes Gesetz eine Pflicht, und der -<em>eudämonistische Anarchismus</em>, dessen -höchstes Gesetz das Glück ist; und endlich -als Unterarten des letzteren der <em>altruistische -Anarchismus</em>, für den das Glück der -Gesamtheit, und der <em>egoistische</em>, für den -das Glück des Einzelnen höchstes Gesetz ist. -</p> - -<p> -2. Nach dem im Gegensatz zum Staat bejahten -Zustande lassen sich unterscheiden: -der <em>föderalistische Anarchismus</em>, welcher -<a id="page-10" class="pagenum" title="10"></a> -für unsere Zukunft ein geselliges Zusammenleben -der Menschen nach der Rechtsnorm, -daß Verträge erfüllt werden müssen, -bejaht, und der <em>spontanistische Anarchismus</em>, -welcher für unsere Zukunft ein -geselliges Zusammenleben nach einem nichtrechtlichen -Gesetz bejaht. -</p> - -<p> -3. Nach der Vorstellung von dem <em>Übergang -zu dem bejahten Zustande</em> lassen -sich unterscheiden: -</p> - -<p> -Der <em>reformistische Anarchismus</em>, welcher -sich den Übergang vom Staat zu dem im -Gegensatz zu ihm bejahten Zustand <em>ohne -Rechtsbruch</em> denkt, und der <em>revolutionäre -Anarchismus</em>, welcher sich diesen -Übergang <em>als Rechtsbruch</em> denkt. Als Unterarten -dieses revolutionären Anarchismus: -der <em>renitente Anarchismus</em>, der sich den -Rechtsbruch ohne Anwendung von Gewalt -denkt, und der <em>insurgente Anarchismus</em>, -der sich ihn unter Anwendung von Gewalt -denkt.“ -</p> - -<p> -Eltzbacher, der das Ergebnis seiner wissenschaftlichen -Abhandlung besonders aus den -Schriften von sieben der hervorragendsten -Theoretiker der anarchistischen Lehre, nämlich -<em>Godwin</em>, <em>Proudhon</em>, <em>Stirner</em>, <em>Bakunin</em>, -<em>Kropotkin</em>, <em>Tucker</em> und <em>Tolstoj</em> -schöpft, schreibt zu diesen letzteren Arten -des Anarchismus, nämlich dem <em>renitenten</em> -<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a> -Anarchismus, der sich den Rechtsbruch ohne -Anwendung von Gewalt denkt, die Namen: -Tucker und Tolstoj, und zu dem <em>insurgenten</em> -Anarchismus, der sich den Rechtsbruch -<em>aktiv</em> und <em>unter Anwendung von Gewalt -denkt</em>, die Namen Stirner, Bakunin, -Kropotkin. – -</p> - -<p> -Unter diesen dreien war es besonders <em>Kropotkin</em>, -der sich eine klare Vorstellung von -der Anwendung der Gewalt, der Propaganda -durch die Tat gemacht hat. Es ist dies nicht -weiter zu verwundern, denn Kropotkin war -es ja, neben Bakunin und Tolstoj, der die Gewalt -der zaristischen Unterdrückung, der -grausamen Bekämpfung der Freiheit des Individuums -am tiefsten, am eigenen Leben, -an der eigenen Seele, an der Freiheit des Körpers -und des Gedankens erfahren hat. -</p> - -<p> -In seinem Buche: „<em>Worte eines Empörers</em>“ -gibt er eine klare Darstellung des Propagandisten -der Tat, wie er auch über die -Notwendigkeit einer solchen Propaganda, -über das Verhältnis der Tat zur Idee, des -Täters zur Allgemeinheit, des begrenzten Ereignisses -zur Zukunft Wesentliches aussagt. -Er betont, daß es Aufgabe derjenigen sei, -die den Gang der Entwicklung vorhersehen, -die Geister auf die bevorstehende Revolution -vorzubereiten. -</p> - -<p> -„Die Anarchisten,“ sagt er weiter, „sind -<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a> -heute noch eine Minderheit, aber ihre Zahl -wächst täglich, wird immer wachsen und am -Vorabend der Revolution zur Mehrheit werden. -Vor allem aber ist das Ziel der Revolution -allgemein bekannt zu machen, damit die -Massen von der Idee ergriffen werden. In -Wort und Tat ist dieses Ziel zu verkünden, -bis es durchaus volkstümlich wird, so daß -es am Tage der Erhebung in aller Munde -ist.“ -</p> - -<p> -„Diese Aufgabe,“ sagt Kropotkin, „ist -größer und wichtiger, als man im allgemeinen -annimmt. Denn wenn das Ziel auch einigen -wenigen deutlich vor Augen steht, so ist es -doch ganz anders mit den fortwährend von -der Bourgeoispresse bearbeiteten Massen.“ -</p> - -<p> -„Der Geist der Empörung,“ sagt Kropotkin -ferner, „muß geweckt werden. Es müssen -das Unabhängigkeitsgefühl und die wilde -Kühnheit erwachen, ohne die keine Revolution -zustande kommt. Zwischen der friedlichen -Erörterung von Übelständen und dem -Aufruhr, der Empörung liegt ein Abgrund, -derselbe Abgrund, der beim größten Teil der -Menschheit die Überlegung von der Tat, den -Gedanken vom Willen scheidet. Das Mittel, -um diese beiden Wirkungen zu erzielen, ist: -beständiges, unablässiges Handeln der Minderheiten, -denn,“ so meint er: „Mut, Ergebenheit, -Aufopferungsfähigkeit seien ebenso -<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a> -ansteckend wie Feigheit, Unterwürfigkeit -und Angst.“ -</p> - -<p> -(Wie sehr Kropotkin in diesen Äußerungen -sich als reiner Theoretiker erweist, erhellt aus -der Rolle, die er etwa ein Dritteljahrhundert -nach der Veröffentlichung der „Worte“ gelegentlich -der großen bolschewistischen Revolution -Rußlands gespielt hat. Kropotkin -hat, als Anarchist kommunistischer Observanz, -in idealistischer Weise und der gegebenen -Wirklichkeit fremd, den Bolschewismus -als Mittel zur Herbeiführung der endlichen -Freiheit verkannt. Er hat den „Mut, die Ergebenheit, -die Aufopferungsfähigkeit“ der -kleinen initiierenden Gruppe der Bolschewiki -nicht in voller Weise zu würdigen verstanden. -Wenn er sagt, daß diese Eigenschaften ebenso -ansteckend seien wie Feigheit, Unterwürfigkeit -und Angst, so hat er im Grunde das -Wesen der bürgerlichen Seele auch nicht bis -in seine Tiefen ergründet – denn er hätte -sonst jene kleine Gruppe, die in der Tat Mut, -Ergebenheit und Aufopferungsfähigkeit gegen -eine Welt von Feigheit, Unterwürfigkeit und -Angst repräsentierte, wirkungsvoller durch -die Macht seiner Persönlichkeit unterstützen -müssen, als er es in Wahrheit getan hat.) -</p> - -<p> -„Welche Formen soll die Propaganda annehmen?“ -fragt Kropotkin weiter. „Jede, -die durch die Lage der Dinge, durch Gelegenheit -<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a> -und Neigung vorgezeichnet wird. Bald -mag sie ernst, bald scherzhaft, aber immer -muß sie kühn sein. Bald mag sie von einer -Mehrheit, bald von einem Einzelnen ausgehen. -Niemals darf sie ein Mittel unbenutzt, -niemals eine Tatsache des öffentlichen Lebens -unbeachtet lassen, um die Geister in Spannung -zu erhalten, der Unzufriedenheit Nahrung -und Ausdruck zu geben, den Haß gegen -die Ausbeuter zu schüren, die Regierung -lächerlich zu machen, ihre Ohnmacht darzutun. -Vor allem aber muß sie, um die Kühnheit -und den Geist der Empörung zu wecken, -immerfort durch das Beispiel predigen.“ -</p> - -<p> -Und weiter heißt es: „Männer von Herz, -die nicht nur reden, sondern handeln wollen, -reine Charaktere, die Gefängnis, Verbannung -und Tod einem Leben vorziehen, das ihren -Grundsätzen widerspricht, kühne Naturen, -die wissen, daß man wagen muß, um zu gewinnen -– das sind die verlorenen Posten, die -den Kampf eröffnen, lange, bevor die Massen -reif sind, offen die Fahne der Empörung zu -erheben und mit den Waffen in der Hand das -Recht zu suchen. Mitten in dem Klagen, -Schwätzen, Erörtern erfolgt durch einen oder -mehrere eine aufrührerische Tat, die die -Sehnsucht Aller verkörpert.“ -</p> - -<p> -Schließlich aber kommt Kropotkin auf die -Wirkung und somit das praktische Ergebnis -<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a> -dieser Propaganda zu sprechen, indem er -resumiert: „<em>Eine einzige Tat macht in -wenigen Tagen mehr Propaganda als -tausend Broschüren.</em> Eine Tat gebiert die -andere; Gegner schließen sich dem Aufruhr -an; die Regierung wird uneins, Härte verschärft -den Streit; Zugeständnisse kommen -zu spät: <em>Die Revolution bricht aus.</em>“ -</p> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -Die Spannweite zwischen den angeführten -Theorien des Anarchismus und den Motiven -der Propagandisten durch die Tat, wenn man -die im Folgenden zu behandelnden Individuen -so nennen darf, ist eine beträchtliche; auch -die eingestandene Auffassung, die diese letzteren -von ihrer anarchistischen Gesinnungspflicht -öffentlich kundgegeben haben, entfernt -sich von der eben zitierten Darstellung -Kropotkins, in der wir das grundlegende Bekenntnis -eines aktiven Revolutionärs zu -sehen haben. Immerhin lassen sich bei den -Geständnissen dieser Propagandisten, in der -Motivierung ihrer Taten vor Gericht, Abstufungen -wahrnehmen, welche mehr oder -weniger deutlich ihre Stellung zu der Idee -des Anarchismus kundgeben. Die geringere -oder weitere Entfernung ihrer emotionellen -Motivierung von jenem nüchternen und festen -Gesetz der Notwendigkeit der Propagandaaktion, -<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a> -wie sie Kropotkin dargelegt hat, ist -weniger an dem Temperament als an dem -Bildungsgrade der Propagandisten zu messen. -</p> - -<p> -Es wäre verkehrt, die Menschen, von deren -Taten ich berichten will, als Verbrecher anzusehen. -Verbrecher darf sie nur jener nennen, -der sich mit den Anschauungen der Gesellschaft, -wie sie heute besteht, identifiziert. -Wer aber auf dem Standpunkt beharrt, daß -die Gesellschaft, in der wir leben, geändert -werden muß, daß sie auf <em>revolutionäre</em> -Weise aus ihren Fugen gebracht werden muß, -weil eine evolutionäre die Widerstände stärkt, -statt sie zu vermindern, wer eine freiere, -glücklichere, utopistische Form der Gesellschaft -in der Zukunft erkannt hat und vorbereiten -will – wird die anarchistischen Propagandisten -nicht als Verbrecher, sondern als -Pioniere einschätzen müssen. Wenn auch -ihre Taten zuweilen das Draufgängertum -blindwütigen, rücksichtlosen Vernichtens von -Leben und Eigentum erkennen lassen, so -wurzeln diese Taten doch in einer anderen -Sphäre. Folgt man dem Ursprung der Revolte -dieser „Attentäter, Bombenwerfer, Mörder -und Räuber“, dieser „Feinde der Menschheit“, -– so findet man in der Ursache ihrer -Empörung die Elemente der sozialen Ungerechtigkeit, -der Unterdrückung, des Elends -der Herkunft, ebenso der ursprünglichen -<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a> -Blutmischung, wie der sozialen Lebensbedingungen -im Elternhaus, der Erziehung – – -über all diesem aber den <em>Zug der Zeit</em>. -</p> - -<p> -Der soziale Unfriede manifestiert sich am -deutlichsten und entscheidendsten in Charakteren, -die nicht erst die langsame Disziplin -der sozialistischen Parteiorganisation durchmachen -können. Er manifestiert sich in explosiver -Form. Seit den Attentaten 1891-94 -hat die revolutionäre Organisation der Massen -ungeheure Fortschritte gemacht. Durch die -Organisation aber ist augenscheinlich der revolutionäre -Trieb in den Individuen zurückgedrängt -worden, wenn nicht verkümmert. -Organisation bedeutet: Abwälzung der Verantwortung -des Einzelnen auf eine hinter -ihm stehende, ihn schützende größere Masse, -und in diesem Sinne fragt es sich, ob die Propaganda -durch die Tat des Einzelnen heute -noch stark genug sein könnte, die Organisation, -d. h. die Massen in Bewegung zu setzen. -Das Ergebnis besonders der deutschen Revolution, -dieser Revolution eines überorganisierten -Proletariats, antwortet auf diese -Frage: Nein. -</p> - -<p> -Besonderen Aufschluß über Wesen und -Wirkung der Propagandaaktion des Einzelnen -gibt die Legende, die sich um Namen, -Tat, das Leben eines solchen Einzelnen im -Volke bildet. Die Tat des Individuums, das -<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a> -sich von der Gesamtheit ablöst, übt auf die -Masse, in deren Interesse diese Tat getan -worden ist, einen außerordentlichen Zauber, -eine starke Suggestionskraft aus. Dies hat -auch Kropotkin erkannt. Ob aber diese Suggestion, -wie Kropotkin meint, eine <em>aktive -Tat der Gesamtheit</em> hervorrufen kann, -bleibt dahingestellt. Jedenfalls bemächtigt -sich das Bedürfnis der Massen nach Romantik -des Lebens des revolutionären Propagandisten -und hüllt es in eine Glorie ein. -</p> - -<p> -Der Name <em>Ravachol</em>, der hier öfters erwähnt -werden wird, ist auf diese Art, wie ein -Symbol der Empörung, Sprichwort im französischen -Volke geblieben. -</p> - -<p> -Dieser Name <em>Ravachol</em>, fremdartig, einprägsam -und populär, deckt eine ganze -Epoche des revolutionären Lebens Frankreichs. -Man kann nach anderen Epochen -Umschau halten, Epochen, in denen sich -große Staatsaktionen, bedeutsame Erlebnisse -des Volkes abgespielt haben, und wird finden, -daß diese in ihrer Gesamtwirkung bedeutsamen -Zeitläufte von keinem einzigen Namen -gedeckt werden, wo die Epoche des insurgenten -Anarchismus von 1891-94 in -Paris durch den Namen <em>Ravachol</em> gedeckt -ist. -</p> - -<p> -Neben diesem Namen büßen jene anderen -aus derselben Epoche: Vaillant, Henry, Caserio -<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a> -einen wesentlichen Teil ihrer Bedeutung -ein, obzwar sie für die Epoche von äußerster -Bedeutung geblieben sind, obzwar sie sich -sogar mit den Idealen des aktiven Anarchismus -(jedenfalls in dem Fall Vaillant und -Henry) inniger berühren als dies bei Ravachol -der Fall ist. Dieser aber galt und gilt -als der <em>Initiator</em>, als der Erwecker jener -Epoche, als Der, dessen Tat den revolutionären -Instinkt, den immer gärenden latenten -Instinkt zur Menschheitsbefreiung in -dem französischen Volke für eine Zeit entfesselt -und aufgerichtet hat. -</p> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -1891-94. -</p> - -<p> -Die Zeit der Attentate von Ravachol, -Vaillant, Henry, Caserio. Die Zeit des Prozesses -der Dreißig. -</p> - -<p> -Die Zeit des Panama-Skandals. Eine -Epoche der politischen Korruption, der Hochkonjunktur -des bürgerlichen rücksichtslosen -Genußlebens, der stärksten Konzentration -von Industrie- und Finanzkapital zur Ausbeutung -der arbeitenden Massen. -</p> - -<p> -Es war die Zeit vor der Reinigung der Atmosphäre -durch die Aktion für den Kapitän -Dreyfus, die Zeit der Präsidentschaft Sadi-Carnots, -die das Regime des alten Grévy abgelöst -hatte. -</p> - -<p> -<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a> -Jules Grévys Präsidentschaft, in deren -Zeit die Beängstigung des republikanischen -Frankreichs durch den General Boulanger -fiel, versank im Sumpf des Wilson-Skandals. -Kaum hatte die denkwürdige Schnäbele-Affäre -an der elsässischen Grenze die Gefahr -eines Krieges zwischen Frankreich und -Deutschland für einen Augenblick aufleben -lassen, da wurde das Interesse des Volkes -durch eben jenen Skandal unter dem Namen -Wilson auf den Zustand der bedrohten -bürgerlichen Republik abgelenkt. Wilson, -Schwiegersohn des Präsidenten Grévy, hatte -für gutes Geld die Ehrenlegion an Leute verschachert, -die alles, nur nicht die Ehre Frankreichs -repräsentierten. Als nun diese übelriechenden -Machenschaften aufgedeckt wurden, -blieb Grévy, der von den Geschäften -seines Schwiegersohnes keine Ahnung hatte, -nichts übrig, als zu gehen. Er verließ seinen -Posten ohne das Odium des geringsten persönlichen -Makels. -</p> - -<p> -Sadi-Carnot, sein Nachfolger aber übernahm -ein so ziemlich außer Rand und Band -geratenes bürgerliches Gemeinwesen. Carnots -Regierungsantritt war durch die Notwendigkeit, -mit des Generals Boulanger Agitation -aufzuräumen, belastet. Die Republik -war durch den doppelten, sozusagen konzentrischen -Angriff von orleanistischer Seite wie -<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a> -vonseiten ihrer eigenen bürgerlichen Korruption -in schwerste Bedrängnis geraten. -Wilsons Tat deckte ja nur einen Zipfel von -dem ungeheuren Schmutz auf, in dem die -Republik Frankreich zu versacken drohte. -Sadi-Carnots Regierungsära hatte außer der -Aufglättung des Ehrenlegionsskandals mit -üblen Affären ähnlicher Art zu schaffen, die -hervorragende Mitglieder des Pariser Magistrates -durch ihre Geschäfte mit dem Crédit -Foncier, in Verbindung mit dem Comptoir -d’Escompte, kompromittierten. Zur gleichen -Zeit explodierte überdies, wie ein Kloakenrohr, -die Affäre des Panamakanals über dem -öffentlichen Leben Frankreichs, und der -Unflat, der sich auf solche Weise über das -politische Leben des Landes ergoß, blieb auf -der ganzen Regierungsepoche von Sadi-Carnot -haften, die man mit diesem Skandal identifizierte. -</p> - -<p> -All diese Skandalaffären verbreiteten, wie -erklärlich, große Erbitterung und Haß unter -den arbeitenden Schichten der Bevölkerung, -denen die Verrottung des Bürgertums, der sie -ausbeutenden Klassen, der regierenden und -der Finanz, offenbar geworden war. -</p> - -<p> -Eine Reihe von Streiks bezeichnet die beginnende -Unruhe der arbeitenden Schichten -Frankreichs jener Zeit. In den Industriebezirken -war diese Unruhe natürlich am -<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a> -stärksten wahrzunehmen, doch schlug sie ihre -Wellen nach Paris, der Metropole, die ja von -jeher das Zentrum jeder Manifestation des -französischen Volkswillens war, die den Pulsschlag -der französischen Energie in allen Phasen -der Geschichte vernehmbar aufgedeckt hat. -</p> - -<p> -Noch hatten die Streiks nicht das Stadium -der akuten Revolte erreicht – da brachte ein Ereignis -sozusagen den entscheidenden Schwung -in die gesamte revolutionäre Bewegung. -</p> - -<p> -Im Mai 1890 wurde in dem kleinen Ort Le -Raincy bei Paris eine Werkstatt entdeckt, in -der Russen Explosivstoffe und Höllenmaschinen -hergestellt hatten. Wenige Monate später -wurde der russische General Seliwerstow, -ehemaliger Polizei-Präfekt von St. Petersburg, -auf den Boulevards durch einen Polen, -namens Padlewski, getötet. Padlewski gelang -es, mit Hilfe französischer revolutionärer -Sozialisten, die Flucht zu ergreifen. Diese Tat -lenkte die Aufmerksamkeit des Publikums -und der Regierung auf die unzweifelhaft gärenden -Elemente der französischen Arbeiterbevölkerung, -die sich schon in den mannigfachen -Streiks deutlicher werdend, an die -Oberfläche gewagt hatten. Es kam der -<em>1. Mai 1891</em>, und mit diesem Datum beginnt -die Ära der anarchistischen Attentate, von -der hier die Rede sein soll. -</p> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a> -An diesem 1. Mai 1891 fanden an vielen -Orten Manifestationen ernster Art, Zusammenstöße -zwischen Arbeitern und der Polizei -statt. In Lyon, Marseille, Nantes und -Charleville kam es zu Konflikten, wobei gelegentlich -die Truppen von der Polizei zu -Hilfe gerufen worden waren. Die beiden bedeutungsvollsten -und für die Entwicklung der -Dinge wesentlichsten Ereignisse aber waren -die von <em>Fourmies</em> und von <em>Clichy</em>. Man -kann sagen, daß diese beiden Ereignisse, die -von Fourmies und von Clichy, den revolutionären -Trieb unter den radikalen Elementen -der französischen Arbeiterschaft, vor allem -unter den Propagandisten der Tat, entfesselt -haben. -</p> - -<p> -<em>Fourmies</em> ist eine kleine Industriestadt -in der Nähe von Avesnes im Departement -Nord und bildet den Mittelpunkt eines großen -Industriebezirkes, in dem hauptsächlich Glasbläsereien -und Spinnereien sich befinden. Ein -lokaler Streik, der in Fourmies um die Zeit -der Maifeier ausbrach, drohte bald derartige -Dimensionen anzunehmen, daß der Unterpräfekt -der Kreisstadt Avesnes, Isaac, Infanterie -zur Unterdrückung der Unruhen herbeizurufen -für gut befand. Die Truppen wurden -von einem Major Chapu befehligt, der, als aus -der Menge Steine gegen die Soldaten geworfen -wurden, den Befehl zum Feuern gab. Nach -<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a> -wenigen Augenblicken bedeckte eine Menge -von Toten und Verletzten das Pflaster. Man -zählte 40 Schwerverwundete; 2 Männer, 4 -Frauen und 3 Kinder waren getötet worden. -</p> - -<p> -Um die gleiche Stunde spielte sich in Clichy, -der nördlichen Arbeitervorstadt von Paris, ein -wesentlich harmloseres Ereignis ab, welches -aber, da es den revolutionären Kern Paris berührte, -vielleicht von erheblicheren Folgen -begleitet war, als das Ereignis von Fourmies, -das immerhin die Geister noch lange im -Banne hielt. -</p> - -<p> -Eine kleine Gruppe von Anarchisten hatte -in einem kleinen Café eine Versammlung abgehalten, -bei welcher Gelegenheit die Korruption -der bürgerlichen Republik in gehöriger -Weise ihre Kritik abbekam. Nach Schluß -der Versammlung begaben sich die Teilnehmer -der Versammlung auf die Straße. Es -war nicht das erste Mal, daß in den Straßen -von Paris eine Gruppe von Menschen unter -Vorantragung einer roten Fahne sich vorwärts -bewegte, aber diesmal schien die Polizei -strenge Weisung erhalten zu haben, jede -Manifestation revolutionärer Art <a id="corr-0"></a>unnachsichtig -zu unterdrücken. An einer Straßenkreuzung -stürzten sich daher die Polizisten -auf die Frau, die die Fahne trug, und auf die -kleine Gruppe von Menschen, die hinter ihr -her marschierte. Revolverschüsse fielen – -<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a> -von beiden Seiten – und das war das Neue -an der ganzen Angelegenheit. Die Polizei verhaftete -eine Anzahl von Menschen, brachte -sie auf die Wache, wo die Gefangenen in übelster -Weise zugerichtet wurden. Im französischen -Volksmund heißt diese Prozedur: -„passer à tabac“, und die Art und Weise, wie -die Gefangenen bei dieser Gelegenheit „vertobakt“ -wurden, schien die Gemüter der unteren -Schichten von Paris in besonders starkem -Maße aufgebracht zu haben. -</p> - -<p> -Die Polizei behielt drei der Verhafteten, die -vor das Gericht gestellt, in den nächsten -Wochen abgeurteilt wurden. Während einer -von den dreien straflos entlassen wurde, erhielten -die beiden anderen ungewohnt harte -Strafen, die tatsächlich in keinem Verhältnis -zu dem Vergehen standen, dessen sie beschuldigt -waren, namentlich: der Arbeiter <em>Decamp</em> -5 Jahre Zwangsarbeit, der Arbeiter -<em>Dardare</em> 3 Jahre Zwangsarbeit. Das Urteil -der Jury fiel nach Wunsch des Staatsanwaltes -aus, der für die Angeklagten die höchste -zulässige Strafe verlangt hatte. Wenn die -Jury auch mildernde Umstände in Anwendung -gebracht sehen wollte, weigerte sich der -Präsident des Gerichtshofes doch, diesem Begehren -stattzugeben. Die beiden Arbeiter -wanderten ins Zuchthaus, ihr Gedenken lebte -in den Gemütern der Pariser Arbeiterschaft -<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a> -unter dem Stichwort der „<em>Märtyrer von -Clichy</em>“ fort. -</p> - -<p> -Die öffentliche Meinung des rasch lebenden -Paris hatte diese Märtyrer und ihre Leiden, -wie das Schandurteil des Gerichtes, das sie -zu diesem Leiden verurteilte, bald vergessen -– aber die revolutionäre Arbeiterschaft hatte -sie nicht vergessen. Immerhin verging ein -halbes Jahr, ehe sie, und zwar auf eklatante -Weise gerächt wurden. -</p> - -<p> -Im März 1892 erfolgten innerhalb weniger -Tage drei Ereignisse, die mit dem Prozesse -von Decamp und Dardare zusammenhingen, -und die den sogenannten anarchistischen -Terror von 1892-94 einleiteten. -</p> - -<p> -Am 11. März explodierte eine Bombe im -Hause des Monsieur Benoit, Präsidenten des -Gerichtshofes, der die beiden Arbeiter verurteilt -hatte; am 15. richtete eine Explosion -in der Lobau-Kaserne beträchtlichen Schaden -an; am 27. März aber flog ein Teil des -Hauses, in dem Monsieur Bulot, der Staatsanwalt, -wohnte, in die Luft. Auf solche Weise -rächte die Revolution sich an den Vertretern -der Staatsgewalt für den 28. August 1891, an -dem die Märtyrer von Clichy ihre ungerechte -Strafe empfangen hatten. -</p> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a> -Besonders die Explosion bei Monsieur Benoit, -der in einem vornehmen Hause am Boulevard -St. Germain wohnte, und jene andere -Explosion, die in der Rue de Clichy das Haus -des Staatsanwaltes Bulot arg beschädigte, -zeigten dem aufschreckenden Volke von -Paris, daß ein Wille, ein Plan hinter diesen -Attentaten steckte. Das war es, was am -meisten Schrecken unter der Bevölkerung, besonders -dem Magistrat und den Personen der -Regierung verbreitete. Man sah sich plötzlich -einer ungekannten, ungreifbaren, augenscheinlich -effektiven Macht gegenübergestellt, -die durch eine <em>Idee</em> geleitet wurde, gleich -jener, in deren Dienste man selber stand. Es -war die Idee der <em>Gewalt</em>, Gericht gegen Gericht, -Meinung gegen Meinung, Schicksal gegen -Schicksal. Das <em>Volk</em> hatte gesprochen, -das stumme, unterdrückte wurde in einer -Folge von schrillen Aufschreien plötzlich laut. -Und diese Schreie tönten mitten durch den -Lärm des genießerischen Paris, durch die -taumelnden Boulevards. Sie verkündeten -<em>Revolution</em>. -</p> - -<p> -Man mußte sich vor der Revolution schützen. -Wo aber sie fassen? Die drei Explosionen -bedeuteten dem zynisch leichtlebigen, -jede Beängstigung leichtfertig zum Nervenkitzel -degradierenden Paris eine Warnung und -ernste Beunruhigung. -</p> - -<p> -<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a> -Rascher als man ahnte, entblößte sich die -Wurzel des revolutionären Triebes. Kaum -drei Tage nach dem letzten Attentat, dem der -Staatsanwalt zum Opfer fallen sollte, wurde -in einem Restaurant am Boulevard Magenta -der Täter verhaftet. Und das kam so. – -</p> - -<p> -Der Kellner des Restaurants Véry, jenes -Restaurants am Boulevard Magenta, bediente -am 27. März einen Mann, der sich mit -ihm in ein Gespräch eingelassen hatte. Der -Mann frug den Kellner, ob er Soldat gewesen -sei? Der Kellner antwortete „Nein“ und bemerkte, -er freue sich darüber, dem Dienst entronnen -zu sein, worauf der Gast ihm den Rat -gab, fleißig anarchistische Zeitungen zu lesen -und im Gespräch die Bemerkung fallen ließ, -daß sich vor einigen Stunden in der Clichy-Straße -eine neue Explosion ereignet hätte, die -von größerer Wirkung als die neuliche am -Boulevard St. Germain gewesen sei. Es seien -diesmal zahlreiche Personen verwundet worden. -– Kurze Zeit, nachdem der Gast gegangen -war, brüllten die Zeitungsjungen die aufregenden -Einzelheiten des neuerlichen Attentates -über den Boulevard Magenta. Als der -Gast drei Tage später wieder im Restaurant -Véry erschien, schickte der Kellner insgeheim -nach der Polizei. Die Polizei verhaftete den -Gast des Restaurants Véry: es war Ravachol. -</p> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a> -Wer aber war <em>Ravachol</em>? Der Prozeß -vor den Assisen, der sich kaum einen Monat -nach der Verhaftung Ravachols in Paris abspielte, -setzte eine der merkwürdigsten Gestalten -des revolutionären Frankreichs ins -volle Licht der Öffentlichkeit. -</p> - -<p> -Ravachol war zur Zeit seiner Verhaftung -32 Jahre alt; ein kleiner untersetzter Mann -von enormen physischen Kräften, dabei von -einer gewissen Sentimentalität beherrscht, die -sich in seinem Verhältnis zu der Frau, mit der -er zusammenlebte, wie auch in seinen Anschauungen -über die Pflicht, die der Einzelne -seinen leidenden Mitmenschen, besonders -wehrlosen Frauen und hungrigen Kindern -gegenüber hat, manifestierte. Gleichzeitig mit -einer aufs höchste entwickelten Zielbewußtheit -und Energie in bezug auf die Aktion, die -unternommen werden mußte, um das Unrecht, -das die Gesellschaft an dem leidenden -Mitmenschen verübte, aus der Welt zu schaffen. -</p> - -<p> -Ravachol war das eheliche Kind seines -Vaters. Sein richtiger Name war Franz August -Königstein, aber Ravachol hatte den Namen -seiner Mutter angenommen, weil er es -ablehnte, in Frankreich als ein Deutscher -herumzulaufen. Seine Kindheit und <a id="corr-1"></a>frühen -Mannesjahre spielten sich im Geburtsort der -Mutter, dem Städtchen St. Chamond ab, in -<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a> -dem sich verschiedene Fabriken befinden, -Stahlwerke, Glasbläsereien, Seiden- und Bänderwirkereien, -wie überhaupt dieses ganze -Gebiet der oberen Loire einen der werktätigsten -Industriebezirke Frankreichs bildet. -</p> - -<p> -Ravachol, der nicht schwerer als die gesamte -andere Bevölkerung unter der Ausbeutung -der Arbeiter dieser Gegend litt, betätigte -sich Jahre lang in verschiedenen Fabriken, -zuletzt als Färber, wobei er sich -wahrscheinlich einige grundlegende Kenntnisse -in der Chemie anzueignen verstand. -(Diese Kenntnisse hat er später bei der Vorbereitung -seiner Attentate gehörig zu verwerten -gewußt.) Bald bekam er das Elendsdasein, -das die Genossen in den Fabriken allzu -willig ertrugen, satt. Seinem phantastischen -und ungezügelten Temperament entsprach -weder die harte Fron, die aussichtslose -stupide Folge der täglichen eintönigen -Arbeitslast, noch das langsame unabsehbare -Spiel der Reformen, zu denen die Organisationen -die Arbeiterschaft zu drillen unternommen -hatten. Natürlich war seines Bleibens, -da er seinem Temperament die Zügel -schießen ließ, in den Fabriken der Gegend -nicht lange. -</p> - -<p> -Nach einem kleinen mißglückten Versuch, -das schöne Silbergeld Frankreichs durch eigene -Stanzapparate herzustellen, unternahm -<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a> -Ravachol seinen ersten Mord. Er verübte ihn -an einem alten alleinstehenden Edelmann, -namens Rivollier, der mit seiner bejahrten -Dienerin am Ende eines Dorfes in der Nähe -von St. Chamond hauste. Die Ausbeute an -Geld scheint bei dieser Tat nur eine geringe -gewesen zu sein. Nach der Tat kehrte er an -seinen Wohnort zurück, wo er fünf weitere -Jahre lebte, ehe er seine zweite Unternehmung -vollbrachte. -</p> - -<p> -Diese war von weitaus geringerer krimineller -Bedeutung als die erste. Eine der vornehmsten -aristokratischen Familien der Umgebung, -die Familie der Grafen von Rochetaillée -hatte eine Angehörige verloren: eine -alte Dame, von der die Sage ging, sie habe in -ihrem letzten Willen den Wunsch geäußert, -mitsamt ihrem wertvollen Schmuck begraben -zu werden. Einige Wochen nach dem Begräbnis -der alten Dame wurde das Gewölbe -des Erbmausoleums erbrochen gefunden, die -Platten von dem Grabe waren mit ungeheuerlicher -Kraft beiseite geschoben, ein kleines -Holzkreuz und eine geweihte Medaille lagen -auf dem Boden neben dem Sarkophag, in dem -die alte Dame ruhte – die, wie man bei dieser -Gelegenheit erfuhr, als einzigen Schmuck -eben nur diese beiden kümmerlichen Stücke -mit ins Grab bekommen hatte. Dies war -Ravachols zweite Tat. -</p> - -<p> -<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a> -Die dritte, die er wenige Wochen später, -und zwar Mitte Juni 1891 ebenfalls in der -Nähe seines Wohnortes verübte, war der -Mord an dem „Eremiten“. Der alte Brunel, -von der Bevölkerung der Eremit genannt, -lebte vom Beten, Prophezeien und von der -Weiterleitung der Wünsche der Landbevölkerung -an den lieben Gott. Er bekam für -diese Betätigung von den abergläubischen -Bauern und Bäuerinnen Lebensmittel, abgelegte -Kleider und Geld. Ravachol dürfte, -als er den Alten in seiner Hütte erwürgte, in -allen möglichen Behältern, Pfannen, Matratzen, -in allen Winkeln und Verstecken -etwa 5000 Franken erbeutet haben. Dieser -Schatz bestand aus Gold-, Silber- und Kupfermünzen. -Die Kupfermünzen ließ Ravachol -liegen, den Rest schleppte er mit, wurde aber -von der Gendarmerie nach kurzer Zeit verhaftet -und konnte diesmal nur durch einen -glücklichen Zufall entwischen. -</p> - -<p> -Einige Monate später sehen wir Ravachol -mitsamt seinem Freunde und einer Freundin, -bei denen er einige Zeit lang Unterkunft gefunden -hatte, seinen Weg nach Paris nehmen, -und zwar nach St. Denis, einem nördlichen -Vorort, der seit langem, auch heute noch als -Brennpunkt der revolutionären Arbeiterbewegung -bekannt ist. -</p> - -<p> -Ravachol, der in St. Denis unter dem Namen -<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a> -Louis Léger lebte, trat bald nach seiner -Ankunft mitsamt seinem Freund Jus-Béala -einer Gruppe aktiver Anarchisten bei, die die -antimilitaristische Propaganda zur hauptsächlichsten -Aufgabe ihrer Aktivität gemacht -hatte. Die Gedanken dieser Gruppe faßten -bald starke Wurzeln in Ravachols Hirn und -Herz, und da ihn ein Zufall binnen kurzem in -den Besitz einer großen Menge von Dynamit-Patronen -brachte, unternahm er es, die Märtyrer -von Clichy auf eigene Faust zu rächen. -Es war gerade die Zeit, in der das Gedächtnis -von Decamp und Dardare den revolutionären -Flügel der Pariser Arbeiterschaft besonders -heftig irritierte. Mit einigen Genossen, unter -denen sich auch der spätere Judas der Gruppe -befand, gelang es Ravachol, jenen Diebstahl -von Dynamit-Patronen bei einem Erdbauunternehmer -namens Couézy, in Soisy-sous-Étiolles -bei Paris durchzuführen. Nach einer -Version sollen es bloß 120 Patronen gewesen -sein, eine andere Version aber spricht von -400. Jedenfalls erregte der Diebstahl bald -die Aufmerksamkeit der Polizei, die mit voller -Energie in allen möglichen Quartieren, wo -Anarchisten wohnten oder vermutet wurden, -rund um Paris Haussuchungen veranstaltete. -Ravachol indes war mitsamt seiner Beute -bereits nach einem anderen Vorort von Paris -übersiedelt, dem Ort St. Mandé im Osten der -<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a> -Stadt. Sein Plan stand fest: er war berufen, -das Leiden der ungerecht und allzu hart Verurteilten -Decamp und Dardare an den beiden -Personen heimzusuchen, die als Exekutivbeamte -des Staates die größte Schuld zu -tragen schienen. So kamen die Explosionen -bei Benoit und Bulot zustande. -</p> - -<p> -Die zweite in der Reihe der Explosionen, -nämlich die in der Lobau-Kaserne war, wie -man später erfuhr, das Werk des Anarchisten -<em>Meunier</em>, desselben, der am Vorabend des -Prozesses gegen Ravachol eine Bombe in dem -Restaurant Véry am Boulevard von Magenta -niederlegte, in dem Ravachol verhaftet -worden war. (Dieses Attentat, das Meunier -zusammen mit einem jungen Genossen namens -Francis unternommen hatte, verursachte den -Tod des Wirtes Véry und eines zufälligen -Besuchers. Es erregte in Paris ungeheuren -Schrecken und Entsetzen, weil man in ihm, -mit Recht, die systematische Fortsetzung -der durch Ravachol begonnenen Aktionen erblickte.) -</p> - -<p> -Meunier wurde erst zwei Jahre später entdeckt, -verhaftet und zu lebenslänglicher -Zwangsarbeit deportiert. – -</p> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -Am 26. April 1892 begann der erste Prozeß -gegen Ravachol vor dem Schwurgericht in -<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a> -Paris; der zweite und letzte Prozeß gegen -Ravachol aber fand zwei Monate später vor -dem Schwurgericht in Montbrison statt. -</p> - -<p> -Die Zweiteilung der Anklage hatte außer -formal juristischen Gründen auch noch andere, -die angesichts der gefährdeten Lage der -Pariser Bevölkerung als motiviert angesehen -werden konnten. Während nämlich in Paris -nur die Dynamit-Anschläge verhandelt wurden, -jene beiden letzten Taten Ravachols, -die ja eigentlich keinen Verlust von Menschenleben -verursacht hatten und daher auch keine -ausdrückliche Veranlassung zu Todesstrafen -werden mußten, wurde in Montbrison Ravachol -zweier vollendeten Morddelikte sowie -des Leichenraubes an der Gräfin angeklagt, -und hier war es schon weitaus plausibler, ein -Todesurteil zu fällen. -</p> - -<p> -In Paris, wo als Zeugen gerade jene beiden -hohen Justizbeamten, gegen die Ravachols -Attentate gerichtet waren, vorgeladen wurden, -lag die Gefahr nahe, daß sich bei einem -Todesurteil der Zündstoff des revolutionären -Hasses wieder kumulieren und zu einer Entladung -drängen könnte. Ein Todesurteil in -Montbrison aber konnte sozusagen diesen -Haß und diese Gefahr von Paris geographisch -ablenken. Man hat den Pariser Assisen, als -sie Ravachol zu lebenslänglichem Zuchthaus -verurteilten, Feigheit vorgeworfen, aber Erstaunen -<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a> -mischte sich mit Beruhigung. Ravachol -nicht zum Tode verurteilt? Die Rachegier -des erschütterten Bürgertums überwog -diesmal nicht die Erleichterung, die man empfand; -so sehr war die öffentliche Meinung -durch die Tat Ravachols und Meuniers eingeschüchtert. -Zudem wußte man ja, und es -war rechtzeitig verkündet worden, daß in -Montbrison die Morde Ravachols mit dem -Todesurteil gesühnt werden sollten. Dieses -Todesurteil hat dann, wie wir sehen werden, -auch wieder eine Reihe von Dynamit-Anschlägen -nach sich gezogen. Sie waren über -Frankreich, die Provinz, ja das Ausland verstreut; -Paris selber blieb einstweilen von den -Aktionen der Anarchisten verschont. -</p> - -<p> -Während vor dem Pariser Schwurgericht -eine Reihe von Angeklagten auf der Bank -neben Ravachol Platz genommen hatte, Jus-Béala, -der Freund, Mariette Soubert, seine -Geliebte, der Judas Chaumentin und ein -Pariser Lausbub, <em>Simon</em>, genannt <em>Biscuit</em>, -waren in Montbrison nur Jus-Béala und Mariette -mitangeklagt – diese beiden übrigens, -in Paris wie in Montbrison, freigesprochen. -</p> - -<p> -In Paris verteidigte sich Ravachol mit -Festigkeit und nicht ohne Würde. Er sagte: -Ich habe meine Taten aus folgenden Gründen -verübt. Herr Benoit hat Decamp und die anderen -zu den höchsten, zulässigen Strafen verurteilt, -<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a> -während die Jury die geringsten vorgeschlagen -hatte. Die Polizei hat die Verhafteten -von Clichy auf schmählichste Weise -mißhandelt. All dies war unerträglich. Ich -habe meine Taten begangen, um die verantwortlichen -Lenker, die Staatsjustiz zu belehren, -daß ihrer Härte <em>unsere</em> Härte gegenübersteht. -Wohl sind die unschuldigen Opfer -meiner Taten zu beklagen, und ich bin der -erste, der sie beklagt, denn mein Leben war -voll von Bitternis; ich bedauere auch, daß -hier auf der Bank neben mir Menschen als -Angeklagte sitzen, deren Vergehen nur darin -bestand, daß sie mich gekannt haben! Ich -habe im Namen der Anarchie gehandelt, die -eines Tages die große Familie der Menschheit -bedeuten wird, und in jener Zeit wird es keine -Hungernden mehr geben. Die Schreckensakte, -die ich begangen habe, sollten ein Signal -für das Bürgertum sein: <em>daß wir leben</em>, und -daß man uns erkennen solle als das, was wir -sind: die einzigen Verteidiger der Unterdrückten. -</p> - -<p> -Auf die Frage nach den Dynamit-Patronen, -die aus seiner Behausung verschwunden waren, -verweigerte Ravachol die Antwort. -</p> - -<p> -<em>Simon</em> der Zwieback dagegen stellte seinen -Standpunkt mit aller Lebhaftigkeit und unbekümmerten -Unverschämtheit des vorlauten -Gamins dar, wie ihn die Vorstadt jeder -<a id="page-38" class="pagenum" title="38"></a> -großen Metropole kennt. Er wurde gleichzeitig -mit Ravachol zu lebenslänglichem -Zuchthaus verurteilt und beendete sein junges -Leben einige Jahre später gelegentlich einer -Revolte in der Strafkolonie. – -</p> - -<p> -Die beiden Monate zwischen dem Pariser -Rechtsverfahren und dem vor den Assisen in -Montbrison verbrachte Ravachol in einer Art -Käfig, immerfort von Wächtern umschlichen -und beobachtet, körperlich mürbe gemacht, -doch in ungebrochener geistiger Energie. Das -Todesurteil löste in ihm nur den Hochruf auf -die Anarchie aus, keine Schwäche. Er wies -es zurück, die Nichtigkeitsbeschwerde an die -weltliche Behörde einzureichen, wie er einige -Wochen später, am 10. Juli, im Hofe vor der -Guillotine die „Segnungen der Kirche“, das -heißt den Appell an die göttliche Gnade zurückwies -– das Kruzifix, das ihm der Anstaltsgeistliche -vorhielt, war ihm mehr Sinnbild -des gekreuzigten Proletariats als Symbol -der irdischen Gerechtigkeit. Es wird berichtet, -daß Ravachol einen populären Gassenhauer -sang, während er durch den Gefängnishof -zum Blutgerüst schritt. Die Strophe -lautet: -</p> - -<div lang="fr"> - <div class="poem-container"> - <div class="poem"> - <div class="stanza"> - <p class="verse">„Pour être heureux, nom de Dieu,</p> - <p class="verse">Il faut tuer les propriétaires,</p> - <p class="verse">Pour être heureux, nom de Dieu,</p> - <p class="verse">Il faut couper les curés en deux,</p> -<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a> - <p class="verse">Pour être heureux, nom de Dieu,</p> - <p class="verse">Il faut mettre le bon Dieu dans la merde!“</p> - </div> - </div> - </div> -</div> - -<p> -Schon während des Prozesses, der Ravachol -vor die Pariser Assisen stellte, hatte sich die -Legende um seinen absonderlich revolutionär -klingenden Namen gewoben. Die beflügelte, -rhythmische Phantasie des Volkes von -Paris bemächtigte sich der Taten und der Gestalt -des Rächers der Armen. Nach der Melodie -der „Carmagnole“ entstand um diese -Zeit ein Lied zur Verherrlichung Ravachols. -„La Ravachole“. Die erste Strophe lautet: -</p> - -<div lang="fr"> - <div class="poem-container"> - <div class="poem"> - <div class="stanza"> - <p class="verse">„Dans la grande ville de Paris,</p> - <p class="verse">Y a des bourgeois bien nourris;</p> - <p class="verse">Y a aussi des miséreux,</p> - <p class="verse">Qui ont le ventre bien creux.</p> - <p class="verse">Ceux-là ont les dents longues –</p> - <p class="verse">Vive le son, vive le son,</p> - <p class="verse">Ceux-là ont les dents longues,</p> - <p class="verse">Vive le son de l’explosion!“</p> - </div> - </div> - </div> -</div> - -<p> -CHORUS: -</p> - -<div lang="fr"> - <div class="poem-container"> - <div class="poem"> - <div class="stanza"> - <p class="verse">„Dansons la Ravachole,</p> - <p class="verse">Vive le son, vive le son,</p> - <p class="verse">Dansons la Ravachole,</p> - <p class="verse">Vive le son d’ l’explosion!</p> - <p class="verse">Ah, ça ira, ça ira, ça ira,</p> - <p class="verse">Tous les bourgeois gout’ront de la bombe!</p> - <p class="verse">Ah, ça ira, ça ira, ça ira,</p> - <p class="verse">Tous les bourgeois, on les sautera!“</p> - </div> - </div> - </div> -</div> - -<p> -<a id="page-40" class="pagenum" title="40"></a> -Außerdem entstand in diesen Tagen das lebhaft -stampfende, an den Tanz um die Guillotine -der Großen Revolution gemahnende -„Dynamit-Lied“: -</p> - -<div lang="fr"> - <div class="poem-container"> - <div class="poem"> - <div class="stanza"> - <p class="verse">„Danse, dynamite,</p> - <p class="verse">Danse, danse vite,</p> - <p class="verse">Dansons, chantons:</p> - <p class="verse">Dynamitons, dynamitons!“</p> - </div> - </div> - </div> -</div> - -<p> -Nach Ravachols Verhaftung, während seiner -Prozesse, nach seinem Tode erfolgte eine -Reihe von Dynamit-Explosionen, und zwar -waren es die hauptsächlichsten Konzentrationspunkte -Frankreichs und des Auslandes, -in denen Gruppen sympathisierender Revolutionäre -existierten, die von solchen Explosionen -betroffen wurden. -</p> - -<p> -Indes, es hatte den Anschein, als wollte -die Welle der anarchistischen Aktivität abebben, -bis an einem Dezembertage des folgenden -Jahres, 1893, ein neues bedeutungsvolles -Attentat die Welt über die weitergehende -Gärung des revolutionären Frankreichs belehrte. -</p> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -Diesmal wies der geheimnisvolle Finger der -Volksjustiz auf einen Herd der Unterdrückung, -den Krebsschaden des Klassenstaates, auf -das Exekutivorgan des Willens der Minderheit -gegen die großen Massen des Volkes: das -Parlament. -</p> - -<p> -<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a> -Am 9. Dezember 1893 warf <em>August -Vaillant</em> von der Galerie der Pariser Kammer, -des Palais Bourbon, eine Bombe in den -Saal, in dem das Ministerium Casimir-Périer -und sämtliche Abgeordnete unter dem Vorsitz -von Dupuy ihre Nachmittagssitzung abhielten. -</p> - -<p> -Die Vorgeschichte dieses Attentates ist in -kurzem folgende: -</p> - -<p> -Unmittelbar nach dem Dynamit-Diebstahl -in dem Pariser Vorort Soisy-sous-Étiolles -hatte die Regierung, deren Oberhaupt Emile -Loubet, nachmaliger Präsident der Republik -war, der Kammer eine Gesetzesvorlage überwiesen, -kraft der jeder, der bei der Verübung -eines Dynamit-Attentates gleich jenem in der -Lobau-Kaserne betroffen würde, die Todesstrafe -erleiden sollte. Wie wir gesehen haben, -war diese Gesetzesvorlage nicht imstande, die -knapp darauf folgenden Dynamitanschläge -zu verhüten. Gegen Ende 1892 trat das Kabinett -Loubet zurück. Ihm folgte ein kurzlebiges -unter der Führung Ribots, das schon -im März 1893 das Zeitliche segnete. -</p> - -<p> -Ribots Nachfolger war Charles Dupuy, konservativer -Republikaner von ausgesprochen -reaktionärer Färbung, ein in den Kreisen der -Arbeiterschaft verrufener Mann, verhaßt vor -allem wegen eines durch nichts motivierten -Vorgehens gegen die Arbeits-Börse und verschiedene -Gewerkschaftssyndikate im Lande. -<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a> -(Dupuys Vorgehen wurde immerhin Ursache -einer starken Vermehrung der radikalen republikanischen -und sozialistischen Parteien -gelegentlich der Wahlen im August-September -1893.) -</p> - -<p> -Die Zusammensetzung der Kammer hatte -diesmal den Rücktritt verschiedener Minister -aus dem Kabinett Dupuy zur Folge. Das -Kabinett selbst ging in die Brüche und der -1. Dezember 1893 sah den Aufstieg eines Ministeriums -Casimir-Périer, das sich aber in -der Hauptsache infolge des Trägheits-Gesetzes -der Politik immer noch aus gemäßigten, -ja konservativen Elementen zusammensetzte. -Dupuy und Casimir-Périer tauschten nun -ihre Plätze. Der letztere überließ den Stuhl -des Kammerpräsidenten dem ersteren, so daß -in jener denkwürdigen Sitzung vom 9. Dezember -Dupuy im Präsidentschaftssessel der -Kammer saß, während auf dem Ministerpräsidenten-Fauteuil -Casimir-Périer seinen Platz -eingenommen hatte. – -</p> - -<p> -Vaillants Bombe war vor allem diesen beiden -Männern zugedacht. Durch einen Zufall -explodierte sie aber nicht in dem Raum zwischen -Dupuy und der Ministerreihe, sondern -an einem Seitenpfeiler des Balkons, so daß -mehr Besucher der Galerie von den umherfliegenden -Nägeln, Eisenstücken und sonstigen -Projektilen verletzt wurden als Mitglieder -<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a> -der Kammer. Im Augenblick, nachdem der -Effekt der Detonation und des Schreckens -überwunden war, sprach Dupuy, der reglos -auf dem Präsidentensessel verharrt war, die -legendär und historisch gewordenen Worte: -„Die Sitzung nimmt ihren Fortgang.“ -</p> - -<p> -Wer war dieser <em>Vaillant</em>, der den Faden -zerschnitt, an dem die Damokles-Bombe des -Volkswillens über dem Haupt der Deputierten -und Minister Frankreichs hing? -</p> - -<p> -<em>Vaillant</em>, ein uneheliches Kind, hatte das -elende Leben des gesellschaftlichen Parias -bis zur Neige gekostet. Mit 14 Jahren auf sich -selber angewiesen, trieb ihn die Not des Lebens -von einer Arbeitsstätte zur anderen. -Auf seinen regellosen Wanderungen kam er -nach Algier, dann sogar bis Argentinien, wo -er Land aufnahm, ohne sich als Farmer irgendwie -bewähren zu können. In Buenos-Aires -erschien zu dieser Zeit das Anarchistenblatt -„La Liberté“, wie um 1893/94 Zentral- und -Südamerika überhaupt ein Mittelpunkt der -anarchistischen Weltagitation genannt werden -konnte. Ruhelos wanderte Vaillant von -Kontinent zu Kontinent. Ohne einen Pfennig -kehrte er nach Frankreich zurück, mit -ihm seine kleine Tochter Sidonie, die ihm sein -frühverstorbenes Weib hinterlassen hatte. -Nach schwierigem Kampf, vom Mißgeschick -mehr als notwendig verfolgt, gelang es Vaillant -<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a> -endlich in Paris einen elenden Posten -in einem kleinen Laden zu ergattern. Von -seinem Monatsgehalt, ganzen 80 Franken, -mußte er sich und sein Kind erhalten. Es -wird berichtet, daß er bei seinen Arbeitgebern -und im Kreise seiner Genossen als der arbeitswilligste, -dabei nüchternste, rechtschaffenste, -bescheidenste Mensch bekannt gewesen sei, -ein Mann von träumerischer und zarter Veranlagung. -Auch in ihm hatte die Idee des -Anarchismus Fuß gefaßt, – nicht mit der -Gewaltsamkeit, wie sie das in der wilden, -muskulösen Robustheit Ravachols getan -hatte, all sein Sinnen konzentrierte sich vielmehr -in einer verzweifelten Auflehnung gegen -das Unrecht, das den Armen, den Schwachen, -den Zarten, den Hilflosen in dieser Welt der -schamlosen Ungerechtigkeit geschieht. -</p> - -<p> -Casimir-Périer, ein Mann von als außerordentlich -anerkannten Fähigkeiten brachte -es zuwege, mit seinen politischen Funktionen -den Besitz eines der größten Grubengebiete -von Frankreich zu vereinen. Dieses Gebiet -von Anzin, dessen Direktor er war, ehe er -die politische Karriere einschlug, war einer -der berüchtigtsten Schauplätze des ewigen -erbitterten Kampfes zwischen den Besitzern -und den Arbeitern, zwischen Kapital und -Ausgebeuteten. Und Casimir-Périer, dem man -geheime Beziehungen zu den Royalisten und -<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a> -den Klerikalen, also zur ausgesprochenen -Reaktion in Frankreich nachsagte, figurierte -in den sozialistischen und anarchistischen -Zeitungen der Epoche unter dem giftigen -Spitznamen des „Mannes mit den 40 Millionen“ -des „Blutsaugers von Anzin“. -</p> - -<p> -Casimir-Périer war es auch, der mit voller -Energie zwei Tage nach dem Attentat von -Vaillant das unerbittliche Anarchistengesetz -der Kammer vorlegte und durchsetzte, laut -welchem anarchistische Attentate als gemeine -Verbrechen betrachtet, anarchistische Zeitungen -rücksichtslos unterdrückt und die -Pariser Polizei in effektiver Weise vermehrt -werden sollte. Zu gleicher Zeit verfügte ein -Erlaß die Verhaftung einer Reihe bekannter -und berühmter Theoretiker der radikalen -sozialistischen und anarchistischen Richtung, -Haussuchungen, Briefkontrollen, von der -nach den Registern jener Zeit eine Reihe -außerordentlicher Menschen betroffen wurde, -unter anderem: Jean Grave, Sébastian Faure, -Elisée Reclus, Paul und Elias Reclus, Louis -Delorme, Louise Michel, die in London unter -dem Namen Louise Fauvelle lebte, dann -Josef Pauwels, der später die Bombe in -die Madeleine schleuderte, Ortiz, der später -im „Prozeß der Dreißig“ figurierte, Matha, -der große Theoretiker des Anarchismus Karl -Malato, Errico Malatesta, und auch der große -<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a> -ehrwürdige Fürst Kropotkin, der damals bei -London seinen Wohnsitz hatte. -</p> - -<p> -Diese Liste, aus einer wesentlich größeren -exzerpiert, zeigt so ziemlich alle Namen auf, -die um diese Zeit in der theoretischen wie der -praktischen Übung der anarchistischen Idee -sich hervortaten. Am Neujahrstage 1894 -wurden von den 100 mit Verhaftung bedrohten -Personen 64 eingeliefert, unter ihnen -Elias und Paul Reclus, Mitglieder jener wunderbaren -und denkwürdigen Familie von Gelehrten -und enthusiastischen Vorkämpfern -der Menschenbefreiung, der wahren Geistes- -und Seelenaristokratie der Welt, und schon -10 Tage nach dem Neujahrstage begann der -Prozeß gegen Vaillant vor den Assisen von -Paris. -</p> - -<p> -Der Prozeß war, in der überstürzten Art, -wie sein Termin angesetzt worden war, und -auch durch den ganzen Verlauf des summarischen -Verfahrens gegen den Angeklagten, -eine offenkundige, empörende Infamie. Der -Protest des ursprünglich für die Verteidigung -eingesetzten, ausgezeichneten Advokaten Ajalbert -verhallte ungehört: der Termin wurde -nicht verschoben. In letzter Stunde erklärte -sich ein anderer hervorragender Anwalt, -der später als Verteidiger von Zola im -Dreyfus-Prozeß weltberühmt gewordene Ferdinand -Labori, bereit, den Prozeß für Vaillant -<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a> -zu führen. Es war ja vorauszusehen, welchen -Verlauf dieser Prozeß nehmen würde. So -wurde dann Vaillant am 10. Januar 1894 in -einer einzigen Gerichtssitzung zum Tode verurteilt. -</p> - -<p> -Mit der selben sträflichen Beschleunigung -wurde dann das Todesurteil durch den -Präsidenten der Republik Carnot bestätigt -– der wohl kaum im Unterbewußtsein ahnen -mochte, daß er mit demselben Federstrich -sein eigenes Todesurteil unterfertigt hatte! -</p> - -<p> -Vaillant, ein Mann von sympathischer Erscheinung, -ernst, einfach, Herr seiner Worte -wie seiner Gedanken, verweilte in seiner -Selbstverteidigung nur flüchtig bei seinem -eigenen Schicksal, dem Unrecht und den -Brutalitäten, die er im Laufe seines bedrückten -Lebens erfahren hatte. Er erbat und erhielt -die Erlaubnis, eine längere Erklärung -vorzulesen, in der er seine Theorien, seinen -Standpunkt, dem Leben, der Notwendigkeit -der Freiheit und dem selbstgewählten Weg -der Propaganda gegenüber ausführte. -</p> - -<p> -„Unter den Ausgebeuteten gibt es im -wesentlichen zwei Arten von Menschen; die -eine Art gibt sich keine Rechenschaft darüber, -was mit ihr geschieht, was mit ihr geschehen, -und wie sie eigentlich leben sollte. Diese -Menschen nehmen das Leben, wie es ist; -sie sind als Sklaven geboren, glauben, daß es -<a id="page-48" class="pagenum" title="48"></a> -so recht ist und sind froh über den Bissen -Brot, den man ihnen für ihre Arbeit hinwirft. -Die andere Art aber ist nicht so leicht mit dem -Schicksal versöhnt. Menschen dieser Art -denken, studieren, blicken mit hellen Augen -um sich, sehen und erkennen die Ursache der -sozialen Ungerechtigkeit. Soll man es ihnen -vorwerfen, daß sie klar sehen und die Leiden -der anderen mitfühlen? Sobald sie aber das -eingesehen haben, werfen sie sich in den -Kampf und stellen als Rächer der allgemeinen -Bedrückung ihren Mann. Ich gehöre zu diesen -letzteren. Wo immer ich auch hingekommen -bin, überall habe ich Elende, unter -das Joch des Kapitals Gebeugte gesehen. -Überall war ich Zeuge derselben Folterungen, -derselben blutigen Tränen – bis in die Tiefen -der wenig bevölkerten Provinzen Südamerikas -hinein, wo ich als ein Mensch, der an der -Zivilisation verzweifelte, glaubte unter Palmen -ausruhen und die Natur genießen zu -können. Und hier wie überall habe ich das -Kapital gesehen, wie es den letzten Blutstropfen -des unglücklichen Parias vampyrgleich -aussaugt. Die Meinen in so hoffnungsloser -Weise leiden zu sehen – das brachte den -Kelch zum Überlaufen. Ich war dieses Leben -der Qual und der Feigheit satt. Meine Bomben -warf ich unter jene, die ich als in erster -Linie verantwortlich für die Leiden der Allgemeinheit -<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a> -erachte. – Aber geben Sie sich -keinen Illusionen hin, die Explosion meiner -Bombe ist nicht allein das Zeichen der Verzweiflung -eines einzelnen Menschen, sie ist -der Ausdruck der Not einer ganzen Klasse, -die bald den Schrei des einzelnen übertönen -wird. Mit Ihrem Gesetz werden Sie die Ideen -der Denker nicht zum Schweigen verurteilen. -Alle Kräfte der regierenden Klassen vermochten -es im letzten Jahrhundert nicht, zu verhindern, -daß Diderot, daß Voltaire ihre befreienden -Ideen ins Volk auswarfen; alle Gewalt -der heute Regierenden wird es nicht -verhindern, daß Reclus, Darwin, Spencer, -Ibsen, Mirbeau und die anderen ihre Ideen -des Rechts und der Freiheit aussäen, die Vorurteile -der unwissenden Menge aus der Welt -schaffen. Diese Ideen werden die Unglücklichen -zu Akten der Empörung stacheln, wie -das in mir geschehen ist – und dies wird -bis zu dem Tag sich fortsetzen, an dem <em>das -Verschwinden der Autorität</em> allen Menschen -gestatten wird, sich frei zusammenzufinden -nach Maßgabe ihrer inneren Zusammengehörigkeit. -Dann wird jeder sich der -Früchte seiner Arbeit erfreuen können. Jene -Sittenkrankheit, die man Vorurteil nennt, -wird in den Tagen verschwinden. Ebenso -wird es Allem, was Menschenantlitz trägt, erlaubt -sein, in Harmonie zu leben, ohne anderen -<a id="page-50" class="pagenum" title="50"></a> -Willen als dem zum Studium der -Wissenschaften und der Liebe zum Nächsten.“ -</p> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -Die Verteidigung Vaillants hat nicht nur -unter den Genossen seiner eigenen Klasse, -sondern in der großen, in den Tiefen des Gewissens -erschütterten Allgemeinheit Frankreichs -ihre Wirkung getan. Als am 5. Februar -sein Haupt fiel, erhob sich in Paris, in Frankreich, -in der Welt ein Schrei der Empörung. -</p> - -<p> -Die Worte, die er am Fuße des Schafotts -ausrief, wie berichtet wird mit starker und -jubelnder Stimme: Tod der bürgerlichen Gesellschaft, -lange lebe der Anarchismus! fanden -einen Widerhall überall, wo um das -Menschenrecht gestritten wurde. -</p> - -<p> -Ich erinnere mich deutlich an die Erschütterung, -die sich der radikalen Arbeiterschaft -um die Zeit der Exekution Vaillants an dem -Ort, an dem ich um diese Zeit lebte (es war in -Wien), bemächtigt hatte. -</p> - -<p> -Als Vaillants Leiche in jener schmählichen -„Ecke der Hingerichteten“, im kleinen Friedhof -von Ivry im Süden von Paris verscharrt -worden war, pilgerten in den nächsten Tagen -Hunderte zum Grabe dieses reinen und edlen -Empörers. Es wird berichtet, daß man Blumen -mit Schleifen auf dem Grabhügel gefunden -hat, Blätter, auf denen Gedichte -<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a> -standen. Eine Zeile: „Ehre und Ruhm Deinem -Andenken. Ich bin nur ein Kind, aber -ich werde Dich rächen!“ Ein Gedicht lautete -wie folgt: -</p> - -<div lang="fr"> - <div class="poem-container"> - <div class="poem"> - <div class="stanza"> - <p class="verse">„Puisqu’ils ont fait boire à la terre,</p> - <p class="verse">A l’heure du soleil naissant,</p> - <p class="verse">Rosée auguste et salutaire,</p> - <p class="verse">Les saintes gouttes de ton sang –</p> - <p class="verse">Sous les feuilles de cette palme,</p> - <p class="verse">Que t’offre le Droit outragé,</p> - <p class="verse">Tu peux dormir d’un sommeil calme:</p> - <p class="verse">O Martyr, tu seras vengé!“</p> - </div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -Bedeutungsvoll und charakteristisch war -die Attitude der Zeitungen. Während die -Regierungsorgane nach wie vor in ihrem wilden -Begehren nach dem Kopf des Attentäters -und in der Genugtuung, daß sein Kopf gefallen, -verharrten, änderten andere einflußreiche -Blätter, wie z. B. der „Figaro“ plötzlich -ihren Ton und wiesen auf die offenkundige -soziale Ungerechtigkeit hin, die es verursacht -hatte, daß ein Mensch von solch -starker Begabung, intensivem Seelenleben -durch die unverschuldeten Schicksale der -Armen zum Schafott getrieben werden mußte. -</p> - -<p> -Die bürgerliche Gesellschaft, deren Untergang -Vaillant auf seinem Wege zur Guillotine -herbeigewünscht hatte, vereinigte sich jetzt zu -<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a> -einer jener bekannten scheinheiligen Massenaktionen, -mit denen sie seit jeher ihr Gewissen -entlastet, mehr noch aber die Drohungen -der Unterdrückten von sich abzulenken -versucht. Um die Person, das gegenwärtige -und zukünftige Schicksal des armen, hinterbliebenen -Töchterchens Sidonie betätigte -sich der Wohltätigkeitssinn des französischen -Bürgertums, der mit Menschenliebe und -Gerechtigkeit übertünchte gesellschaftliche -Trieb des Feudal-Adels. Kampf und Rivalitäten -entbrannten darum: wer Vormund von -Sidonie Vaillant werden sollte. Das Testament -ihres Vaters sprach sie seinem Freunde, -dem außerordentlichen Vorkämpfer der anarchistischen -Theorien Sebastian Faure zu. In -einem ergreifenden Briefe, den der Verurteilte -aus dem Gefängnis von La Roquette -an sein Kind schrieb, und in dem er Sidonie -mitteilte, daß von nun an Faure ihr wirklicher -Vater sein werde, heißt es: „ein letzter und -einziger Rat: sei stets gewärtig, meine -Kleine, daß das einzige Ziel des Lebens ist, -seinem Nächsten nicht wehe zu tun; sonst -aber sollte jeder frei sein, um unbehindert das -zu tun, was ihm beliebt. Lasse tun, lasse -sagen. Gebe Deinem Leben ein Ziel: das -Glück der Menschheit. Arbeite an Dir, damit -jene, die Dein Wort hören und Deinen Taten -zu folgen vermögen, sich Dir gesellen. Dann -<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a> -wird Dein Leben gut vollendet sein, und Dich -wird, wenn Du Dein Leben lässest, dieselbe -Genugtuung erfüllen, die Deinen Vater in der -Stunde seines Sterbens beherrscht, – denn -ich sterbe für all jene, die man die Verdammten -in der Hölle dieser Gesellschaft nennen -muß!“ -</p> - -<p> -Und in einem Tagebuchblatt, das er am -Vorabend seines Attentates geschrieben und -in einem letzten Willen seinem Genossen und -Freund Paul Reclus zugedacht hatte, heißt -es u. a.: „Ich sehe dem Tod gefaßt ins Gesicht, -denn er ist der Hafen der Enttäuschten. -Ich werde zumindest mit der Genugtuung -sterben, daß ich für mein Teil alles getan -habe, um das Kommen einer neuen Zeit zu -beschleunigen. Jetzt verlange ich nur noch -eins, das ist: daß bei der Auflösung meines -Leibes alle meine Atome sich in der Menschheit -verbreiten und ihr dieses Ferment des -Anarchismus einimpfen mögen, damit die -Gesellschaft der Zukunft endlich Wirklichkeit -werde.“ -</p> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -Fünf Tage nach der Exekution August -Vaillants wies der unsichtbare Finger der -Volksrache auf eine andere Stätte, an der -sich die Moral der herrschenden Bürgerklasse -manifestierte. Nach dem Bombenwurf gegen -die Beamten der Klassenjustiz, nach dem -<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a> -Bombenwurf in die Kammer der gesetzgebenden -Körperschaften flog an einem -Abend im Februar 1894 eine Bombe in das -große luxuriöse Caféhaus des Pariser Hôtels -„Terminus“ vor dem Bahnhof „St. Lazare“. -</p> - -<p> -In der Panik, die die Explosion unter den -zahlreichen Gästen dieses Caféhauses verursachte, -– einer kam ums Leben, etliche -20 erlitten schwerere und leichtere Verletzungen -– versuchte ein junger Mensch, -offenbar der Täter, durch die Menge zu entfliehen, -wurde aber aufgehalten und gab -einige Revolverschüsse auf seine Verfolger -und jene, die sich ihm entgegenwarfen, ab. -Dem Untersuchungsrichter erklärte er, sein -Name sei Le Breton, bald aber gestand er -seinen richtigen Namen ein: <em>Emil Henry</em>. -War Vaillant in seiner ganzen Erscheinung, -seinem Lebenslauf und den geistigen Konsequenzen, -die dieser Lebenslauf hatte, auf -eine höhere, nicht nur gesellschaftlich, sondern -ethisch höhere Stufe zu stellen, als beispielsweise -Ravachol, so repräsentierte der -junge Henry unzweifelhaft eine in beiden Beziehungen -gehobene Position über Vaillant, -dessen Tod die Bombe im Hotel „Terminus“ -rächen sollte. -</p> - -<p> -Emil Henrys Erscheinung bildet sozusagen -den Übergang, die notwendige Verbindung -zwischen dem aktiven Propagandisten der -<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a> -anarchistischen Idee und jenen Anarchisten, -die das theoretische Ideal zu seiner höchsten -Vollendung führen, denen aber die physische -Kraft zu Propagandataten mangelt, weil sich -ihre ganze Energie in der Gedankenaktion -konzentriert hat, jede materielle Energie aber -durch die Arbeit des Gedankens aufgebraucht -und absorbiert wurde. -</p> - -<p> -War die Verteidigungsrede Vaillants, dem -lückenhaften Bildungswege des Verfassers -entsprechend, noch nicht frei von sentimentalen -oder manifestartigen Ingredienzien, so -stellt Henrys Plaidoyer ein klassisches Beispiel -der durch einen geistig hochstehenden -Menschen vollkommen verarbeiteten wissenschaftlichen -Theorie dar, die sich notwendigerweise -in physische Energie und Tat um -setzen mußte. -</p> - -<p> -In der Geschichte der anarchistischen Bewegung -ist dieses Dokument dann auch -eine der grundlegenden Äußerungen des -in bestimmter Weise durchgeführten revolutionären -Willens geblieben. Zu den theoretischen -Schriften der großen Denker des -Anarchismus bildet das Manifest des jungen -Henry – er war zur Zeit seiner Tat etwas, -über 21 Jahre alt – ein, fast möchte ich -sagen, <em>notwendiges</em> Komplement, denn es -beweist die aktive Kraft, die jenen Schriften -der Theoretiker innewohnt; und damit führt -<a id="page-56" class="pagenum" title="56"></a> -dieses Manifest den Beweis, in welcher Weise -Theorie, in den geeigneten physischen Bereich -verpflanzt, die notwendige Wirkung erzeugen -muß. -</p> - -<p> -Es gibt wohl in der Literatur, die sich um -die Berichte der Taten des individuellen -revolutionären Willens gebildet hat, keine -reinere und wirkungsvollere Beweisführung -für die Kraft des Gedankens, der sich in junge -enthusiastische Seelen versenkt, als die durch -dieses Manifest des Einundzwanzigjährigen -geoffenbart ist. Ein Berichterstatter jener -Epoche charakterisiert die intellektuelle Einstellung -des jungen, begabten und gebildeten -Bürgersohnes sehr originell, indem er sagt, -daß Henrys Haß gegen seine eigene Klasse -weniger der Haß des Hungerleiders gegen den -Satten genannt werden kann, sondern eher -mit der Verachtung verglichen werden darf, -die ein junger Maler der realistischen Schule -gegenüber dem süßlichen, verlogenen Kitsch -der Schule Bouguereaus empfindet. -</p> - -<p> -Auf alle Fälle haben wir in der merkwürdigen -und noch mehr denkwürdigen Erscheinung -des jungen Henry einen Vorläufer jener -Generation, die wir heute in unserer Zeit der -sozialen Umwandlung, des Kataklysmus, in -dessen Mitte unsere bürgerliche Welt geraten -ist, und in der sie versinkt, entstehen und -aufwachsen sehen. Ein klarer, scharfer, ohne -<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a> -Zynismus, mit absoluter Sicherheit seiner -Instinkte bewaffneter Geist, der die Konsequenzen -seiner Überzeugung wie ein mathematisches -Exempel in realen Faktoren zu -ziehen versteht. Skepsis beirrt ihn noch -nicht, dazu ist er zu jung. Trotzdem hat -seine Lebenserfahrung kraft seiner ungemeinen -Intelligenz und überlegenen Beobachtungsgabe -schon die Zahl seiner Lebensjahre -Lügen gestraft. Noch einige Jahre -Leben, und er wird sich entweder zum glänzenden -geistigen Anwalt seines eingeborenen -revolutionären Dranges entwickelt haben, -oder ein leergebrannter, kühler und kalter -Verächter der Menschheit geworden sein. -</p> - -<p> -Die Bücher der Führer der anarchistischen -Idee und die Taten der Anarchisten in jenem -Paris von 1891-93 entzündeten den Funken -in dem jungen Mann, dessen rein geistig gerichteter -Drang nicht durch seinen in der -Irritation der Nerven unternommenen Fluchtversuch -nach der Tat verneint wird. -</p> - -<p> -Bei der Vernehmung Henrys ereignete sich -das Überraschende: er gestand, zugleich der -Urheber eines bisher ungeklärten Attentates -zu sein, das im November 1892 gegen die -Pariser Büros der Bergwerkgesellschaft Carmaux -versucht worden war. Die Bombe -wurde damals rechtzeitig entdeckt und von -den Polizisten nach dem nächsten Polizeikommissariat -<a id="page-58" class="pagenum" title="58"></a> -in der Rue des Bons Enfants gebracht, -wo sie explodierte, wobei vier Polizisten -getötet wurden und eine große Zahl -Anwesender schwer verletzt worden war. -Henry gestand ruhig ein, daß er nach diesem -verunglückten Anschlag gegen die Bergwerkgesellschaft -sich für einige Zeit nach London -begeben habe, wo er unter Anarchisten gelebt -und sich zu seiner Tat offen bekannt, ja -sich dieser Tat auch gerühmt hätte. Offenbar -war es auch Henry, auf den sich eine Äußerung -in den Memoiren Rocheforts bezieht, der -zu jener Zeit in London im Exil lebte, weil er -sich aktiver Beihilfe in den boulangistischen -Machenschaften schuldig gemacht hatte. -Rochefort berichtet, daß Charles Malato, der -anarchistische Schriftsteller, ihm eines Tages -gesagt habe: „Hier in London geht ein junger -Bursche herum, der jene Explosion in der Rue -des Bons Enfants verursacht haben will. Er -ist wahrscheinlich ein Prahlhans und will die -Leute hineinlegen.“ Es verhielt sich aber -in der Tat so, der junge Prahlhans erwies -sich als Henry, der Attentäter vom Café -„Terminus“. -</p> - -<p> -Henry entstammte einer Familie der höheren -Bourgeoisie, die jedoch bereits zur Zeit -der Pariser Kommune einige revolutionäre -Mitglieder hervorgebracht hatte. Auch war -Emils älterer Bruder <em>Fortuné</em> selber Anarchist. -<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a> -Emils außerordentliche Intelligenz -wurde in dem Lyzeum in Paris, in dem er sich -hauptsächlich in der Mathematik hervortat, -dadurch anerkannt, daß er mit 16 Jahren ein -Stipendium zum Eintritt in die berühmte -polytechnische Hochschule zugewiesen erhielt. -Da diese Schule aber eine militärisch -organisierte und ihre Schüler für den Offizierstand -vorbereitende Institution ist, und Emil -sich als ausgesprochener Feind des Militarismus -schon in frühester Jugend bekannte und -betätigte, machte er von dem sozialen Vorrecht, -in jene Hochschule einzutreten, keinen -Gebrauch. Nach einigen Wanderjahren, die -ihn in Geschäftsunternehmungen seiner Verwandten -in der Provinz und in Venedig -herumgeführt hatten, trat er plötzlich zu -einem Uhrmacher in die Lehre, um, wie er in -seiner Aussage bekundete, sich die notwendigen -Kenntnisse in der Mechanik anzueignen, -und später Höllenmaschinen selber herstellen -zu können. Um diese Zeit betätigte er sich -schon als eifriger Mitarbeiter anarchistischer -Zeitungen. Das junge Leben Henrys zeigte -also bereits die entscheidende Kurve zur -ernsten Verfolgung der anarchistischen Ziele, -die ihm durch Blutmischung, Familientradition -und durch das Gebot seiner früh entwickelten -außergewöhnlichen Intelligenz vorgezeichnet -zu sein schien. -</p> - -<p> -<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a> -Der erste Eindruck, den die bei dem Prozeß -Anwesenden von dem jungen, hübschen und -besonnenen, dabei von einem schier maßlosen -Idealismus erfüllten Menschen hatten, war: -hier hat man den St. Just des Anarchismus -vor sich. -</p> - -<p> -Und in der Tat, wenn man die versprengten -Erscheinungen dieser revolutionären Periode -betrachtet, kann man sich der Anschauung -nicht erwehren, daß nur der Mangel einer allgemeinen -Erhebung sie zu den isolierten und -sehr lose vereinten Taten geführt hatte, wo -in einer revolutionär aktiveren Zeit jeder von -diesen Individualisten seinen Platz in der allgemeinen -Bewegung vorgeschrieben gefunden -hätte. Jede Zeit gebiert die Menschen oder -findet sie vor, die ihre Parole durchführen -können; oft ist es aber die Zeit, die kleiner ist -als die Menschen, die in ihr leben. Nur selten -und in denkwürdigen Fällen der Freiheitsbewegung, -der allgemeinen Entwicklung der -Menschheitsidee deckt sich die Zeit mit dem -Individuum, das ihr Exponent ist. Wenn -dann die stupide Menge den an Energie seine -Zeit überragenden Revolutionär kurzerhand -als Verbrecher stempelt, ist eine von jenen -oberflächlichen Meinungen geprägt, in deren -Bann die minderwertige Allgemeinheit lange -verweilt. Die Geschichte der Menschheit -scheint durch solche Fehlurteile, Seichtigkeit -<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a> -des Gefühls, nicht zu Ende-denken-Können, -gefälscht zu sein. -</p> - -<p> -Nahm die Erscheinung und das Benehmen -Henrys vor seinem Richter auch gleich am -Anfang für ihn ein, so verscherzte er sich die -allgemeine Sympathie durch einen zynisch -klingenden, doch aus der Energie der Idee -erwachsenen Ausspruch: auf die Frage des -Vorsitzenden, warum er gerade das Café -Terminus sich ausersehen hatte, antwortete -Henry ruhig: weil er möglichst viele Bürger zu -töten beabsichtigte. In der Tat hatte er mit -seiner Bombe, bevor er ins Café Terminus -kam, bereits einige weniger besuchte Lokale -aufgesucht. -</p> - -<p> -Unter den Verletzten im Café befanden sich -aber nicht nur „Bürger“, sondern Arbeiter -oder wenigstens werktätige Menschen. „Sie -sehen, Henry,“ bemerkte der Präsident, „es -sind arbeitende Menschen, die Sie töten -wollten. Sie haben sie nicht gekannt. Sie -konnten sie gar nicht hassen und trotz alledem -bleiben Sie vollkommen kalt und gleichgültig -vor diesen armen Menschen, die Sie -hier, verstümmelt und zu Schaden gekommen, -auf der Zeugenbank sitzen sehen!“ Darauf -Henry: „Allerdings; diese Leute sind mir -vollkommen gleichgültig wie im übrigen auch -Sie, Herr Präsident. Diese Leute sind -Bourgeois, die Leiden und Unglück verursachen. -<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a> -Ihre Misère, was geht die mich an. -Ich habe genug andere Misère in meinem -Leben gesehen, und wenn es einen Schuldigen -und Verantwortlichen dafür gibt, sind Sie es -und Ihre Partei.“ Der Präsident: „Gut. Genug. -Setzen Sie sich.“ Henry, während er -sich setzt: „Das ist es, was ich tue.“ -</p> - -<p> -Der Prozeß Henrys förderte keine besonderen -Überraschungen zu Tage. Er rollte -sich in den üblichen Formen des Verhörs ab; -das übliche Aufmarschieren der Zeugen erfolgte. -Es wurde vom Angeklagten kein Versuch -gemacht, sich zu entlasten, und die -Zeugen, die von seinem Vorleben Kunde -geben sollten, bezeichneten ihn übereinstimmend -als ernsten, gewissenhaften, nur in seinen -Anschauungen und seinen politischen Zielen -überreifen und intransigenten Menschen. -</p> - -<p> -Seine Attitüde, die er vom ersten Augenblick -an einnahm, blieb bis zum Schlusse des -Prozesses die gleiche. Er wußte, daß sein -Leben verwirkt war; aber dies beeinflußte -seine Haltung oder die Handhabung seines -Organs keinen Augenblick lang. -</p> - -<p> -Die Kälte, die er den Opfern seines Attentates -gegenüber zur Schau trug, entsprach -nur der konzentrierten geistigen Anstrengung, -nicht aber der wirklichen inneren Veranlagung -Henrys. Er legte sie absichtlich an -den Tag, um den Antagonismus des revolutionären -<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a> -Kämpfers zur öffentlichen Meinung -darzulegen. Seine oft an Zynismus streifenden -Aussprüche waren im Grunde nur Akzente, -mit denen er die Theorie, deren Konsequenzen -er vertrat, verstärkte. Fast gegen -seinen Willen bekundete er bei der Vernehmung -seiner Verwandten (auf seinen ausdrücklichen -Wunsch hatte man es seiner -Mutter verboten, bei der Verhandlung zu erscheinen) -eine gewisse Rücksicht und Zartgefühl. -Von ihnen hatte er ja nichts wie Gutes -erfahren. Was gingen ihn aber diese intimen -Eigenschaften an, wo er das Leiden der -großen Massen vor eben diesen, in ihren privaten -Beziehungen gütigen und gerechten -Menschen im Auge hatte! -</p> - -<p> -Alles in diesem Prozeß schien sich auf das -Plaidoyer zuzuspitzen, in dem Henry sein -Lebensbekenntnis ablegte. Und dieses Lebensbekenntnis -allerdings ist nicht nur eine -Rechtfertigung der zufälligen Existenz eines -ungewöhnlichen, in vielen Beziehungen einzigen -Menschen, sondern es sichert seinem -Verfasser auch eine rühmliche Stellung innerhalb -der Geschichte der großen sozialen Bewegungen -aller Zeiten. -</p> - -<p> -Ehe ich einige Teile, bedeutungsvolle -Bruchstücke aus seinem Plaidoyer hier reproduziere, -will ich noch rasch einige Worte -über den Tod Henrys niederschreiben. -</p> - -<p> -<a id="page-64" class="pagenum" title="64"></a> -Anfang Februar fand die Explosion im -Café Terminus statt, Ende Mai starb Henry -unter dem Messer der Guillotine. Es wird berichtet, -daß er aufrechten Ganges zum -Schafott schritt, aber daß seine Stimme ihn -verriet, als er wie ins Leere ins Weltall hinaus, -die Worte: „Kameraden, Mut, es lebe die -Anarchie!“ zu rufen suchte. -</p> - -<p> -Gleichviel. Es ist ja gleichgültig, wie dieser -Mensch starb. Es ist fast gleichgültig zu -nennen, wie er gelebt hatte. Sein Plaidoyer, -sein Werk, das er hinterließ, ist das Wesentliche -an seiner Erscheinung. -</p> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -Nach der Rede des Staatsanwaltes, – es -war wieder jener Bulot – in der selbstverständlich -die Todesstrafe gefordert wurde, -bat der Angeklagte um das Wort, noch ehe -sich sein Verteidiger erhoben hatte. Aus dem -Dokument der Verteidigungsrede Henrys, die -er am Anfang kühl und sachlich, ohne das -Schriftstück in der Hand zu halten, vortrug -(erst später, nach den einleitenden Sätzen, -erbat er sich von seinem Verteidiger das Konzept) -– aus diesem denkwürdigen, ja, wie man -mit Fug sagen darf, historischen Dokument -folgen hier etliche kurze Auszüge. – -</p> - -<p> -Nachdem er eine rapide Übersicht über -seinen Werdegang gegeben, präzisierte Henry -<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a> -seine Stellung innerhalb der sozialen Bewegung -auf folgende Weise: „Einen Augenblick -lang zog mich der Sozialismus an; doch -es dauerte nicht lange, da lehnte ich diese -Partei ab. Ich war viel zu sehr von der Liebe -zur Freiheit erfaßt, hatte zu große Ehrfurcht -vor der persönlichen Initiative; die Einkapselung -in eine gleichgerichtete Truppe -flößte mir zu großen Widerwillen ein, als daß -ich eine Nummer in der organisierten Körperschaft -des Vierten Standes hätte werden können. -Übrigens bemerkte ich gar bald, daß der -Sozialismus im Grunde an dem Stand der -Dinge gar nichts ändert; er respektiert und -hält das Autoritätsprinzip aufrecht, und dieses -Prinzip ist, was auch die sogenannten -Freidenker sagen mögen, nichts anderes als -ein Überbleibsel jener atavistischen Furcht -vor einer höheren Vorsehung. Ich bin Materialist -und Atheist: Studium der Wissenschaften -hat mich nach und nach das Spiel der -Naturgewalten erkennen lassen; ich habe bald -verstehen gelernt, daß die Hypothese, es gäbe -einen Gott, durch die moderne Wissenschaft -beiseite geschoben worden ist, als unnütz und -überflüssig erkannt wurde. Infolgedessen -mußten die religiöse Moral und die Autorität, -die ebenfalls auf einer falschen Voraussetzung -beruhen, verschwinden. Wo also war das -milde Gesetz der Sittlichkeit zu suchen, das -<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a> -in einer Harmonie mit den Naturgesetzen -diese alte Welt erneuen und eine glückliche -Menschheit gebären könnte? Als ich dies erkannt -hatte, verband ich mich mit einigen -Genossen, die Anarchisten waren, und die ich -heute als die besten Freunde liebe, die mir -jemals begegnet sind.“ -</p> - -<p> -„In den Kampf ging ich mit einem tiefen -Haß, den der tägliche, empörende Anblick -dieser Gesellschaft schürte; denn in dieser -Gesellschaft ist alles niedrig, alles feige, alles -häßlich, alles ist Hindernis zur Entfaltung der -Leidenschaften des Menschen, des edlen Willens -der Herzen, des freien Aufschwunges des -Gedankens. Ich wollte so hart und auch so -gerecht zuschlagen wie ich es nur vermochte.“ -</p> - -<p> -Henry gibt nun eine Darstellung seiner -Freude, die ihn angesichts der ersten Ereignisse -des Streiks von Carmaux ergriffen hatte; -dieser Streik hatte zu Anfang den Anschein -einer revolutionären Tat erweckt, bald aber -bemächtigten sich einige Männer der Seelen -der Arbeitnehmer, und der Streik schien abzuflauen. -Was waren diese Männer? „Es -waren dieselben, die alle revolutionären Bewegungen -vernichteten, aus Angst, das Volk -könnte, losgelassen, nicht mehr auf ihre -Stimmen hören. Es waren dieselben, die die -Tausende der Arbeiter überreden, monatelang -ihr Elend geduldig zu ertragen und die -<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a> -dann auf dem Rücken der Arbeiter sich Volkstümlichkeit -und ein Deputiertenmandat ergattern. -Dies waren die Männer, die sich -an die Spitze der Streikenden stellten. Mit -einemmal sah man einen Schwarm von Schönschwätzern -sich über das Land niedersenken. -Die Grubenarbeiter legten alle Macht in die -Hand dieses Packs. Man weiß, was nun -geschah. Der Streik drohte ins Unendliche -hinauszuwachsen. Die Arbeiter gewöhnten -sich an den Hunger, ihren täglichen Gefährten. -Die kleinen Reserven ihrer Gewerkschaften -und anderer Angeschlossenen kamen -ihnen zu Hilfe, waren bald aufgebraucht, und -nach zwei Monaten krochen die Armen demütig -und elender als je in ihre Gruben zurück. -Es wäre einfach gewesen, die Gesellschaft, -Besitzerin des Bergwerks, gleich zu -Anfang dort anzugreifen, wo sie am leichtesten -zu verwunden war: die Kohlenvorräte -zu verbrennen, das Maschinenhaus zu zerstören, -die Entwässerungsanlagen zu vernichten. -In diesem Falle hätte die Gesellschaft -rasch nachgegeben, doch die Großbonzen -erkennen diese Methoden nicht an, -denn es sind <em>unsere Methoden, der -Anarchisten</em>.“ -</p> - -<p> -„Für mein Teil hatte ich meinen Anschlag -auf das Gebäude der Gesellschaft in -Paris rasch beschlossen. Der Vorwurf gegen -<a id="page-68" class="pagenum" title="68"></a> -Ravachol: Die unschuldigen Opfer! kam mir -in den Sinn. Das Haus aber, in dem sich die -Büros der Carmaux-Gesellschaft befinden, ist -ausschließlich von Bürgern bewohnt, daher -konnte es keine unschuldigen Opfer geben. -Da die gesamte Bourgeoisie der Ausbeutung -der Unglücklichen teilnahmslos zusieht, muß -sie in ihrer Gesamtheit ihre Schuld büßen. -Im vollen Bewußtsein der Legitimität meines -Unternehmens habe ich jene Höllenmaschine -vor den Pforten des Büros niedergelegt.“ -</p> - -<p> -„Dasselbe ist der Fall bei meinem Terminus-Attentat. -Die Bourgeoisie erkennt die -Anarchisten als eine geeinte Körperschaft an. -Ein einzelner Mann, Vaillant, warf eine -Bombe. Neunzehntel der Genossen kannte -Vaillant gar nicht. Das aber schadete nichts: -die Anarchisten wurden in ihrer <em>Gesamtheit</em> -verfolgt. Jeder, der nur entfernt zum -Anarchismus Beziehungen hatte, unterlag der -Verfolgung. Nun, da sie die gesamte Partei -für die Tat eines einzelnen verantwortlich -machen, vergelte ich <em>gleiches</em> mit <em>gleichem</em>.“ -</p> - -<p> -„Ihr habt in Chicago gehängt, in Deutschland -geköpft, in Xeres erwürgt, in Barcelona -erschossen, in Montbrison und Paris guillotiniert -– was Ihr aber niemals werdet töten -können, das ist die Anarchie. Ihre Wurzeln -reichen zu tief. Sie ist erstanden aus einer -<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a> -verwesenden Gesellschaft, die sich in ihre -Bestandteile auflöst. Sie erhebt sich als eine -gewaltsame Gegenbewegung gegen die Ordnung -dieser Gesellschaft, sie repräsentiert alle -Sehnsucht nach Gleichheit und Befreiung, nach -Zertrümmerung der gegenwärtigen Autorität. -Sie ist überall; sie ist nirgends zu fassen; -sie wird Euch alle töten. Hier, meine Herren -Geschworenen, habe ich gesagt, was ich zu -sagen hatte. Sie werden nun die Rede meines -Verteidigers anhören.“ -</p> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -Es kann nicht die Aufgabe dieser Abhandlung -sein, <em>Caserios</em> Attentat auf Sadi-Carnot -zu behandeln, obzwar es in organischem Zusammenhang -mit den oben berichteten Taten -steht. -</p> - -<p> -Am 5. Februar war Vaillant hingerichtet -worden, – am 24. Juni rächte Santo Caserio, -ein italienischer Proletarier, diesen Tod. Der -Präsident der Republik hatte in jenen Tagen -in Lyon die Kolonialausstellung besucht. -Nach dem Abendessen, auf der Fahrt zum -Theater, inmitten pompöser Kavallerie, die -den Prunkwagen eskortierte, traf Carnot der -Dolch des Italieners. Caserios Motive und -Persönlichkeit sind in dem Zusammenhang -dieser Erörterungen von geringem Belang (so -wie die Jahre später erfolgte Ermordung -<a id="page-70" class="pagenum" title="70"></a> -Elisabeths von Österreich z. B.). Man darf -über seine Tat leicht hinweggehen, wie auch -andere Taten von Anarchisten, die sich um -dieselbe Zeit in Paris ereigneten, von geringer -Bedeutung für die Idee und den zentralen -Trieb der anarchistischen Empörung sind. -</p> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -Manche dieser Taten wiesen wohl darauf -hin, daß sie die Ketten der Versklavung des -Geistes an bestimmten Orten zu sprengen und -durchzubrechen suchten: wie z. B. die Tat -des <em>Pauwels</em>, eines Freundes von Henry, -dessen Bombe ihn selber, als er die Madeleine-Kirche -in Paris betrat, in Stücke riß. -</p> - -<p> -Andere Attentate hatten einen ausgesprochen -burlesken Beigeschmack wie das -Attentat jenes Droschkenkutschers <em>Moore</em>, -des „Dichterkutschers“, der seinen Kollegen -in Apoll, Lockroy, den Schwiegersohn -Victor Hugos, anschoß, weil dieser Moores -Bettelbriefe schließlich nicht mehr beantwortete. -</p> - -<p> -Auch das Attentat auf das Restaurant -Foyot bot dem Pariser Witz reichliche Nahrung: -wenige Tage, ehe er gelegentlich dieses -Attentates ernstlich verletzt wurde, hatte der -satyrische Dichter <em>Laurent Tailhade</em> in -einem dithyrambischen Artikel die Tat Vaillants -mit den Worten gepriesen: „Was will -<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a> -der Verlust einiger gleichgültiger Opfer besagen -– wenn nur die Geste schön ist!“ -</p> - -<p> -Eine andere Tat aber prägte sich der -öffentlichen Meinung tiefer ein, das war die -Tat des Schusters <em>Leauthier</em>, der in einem -der bekannten Speisehäuser von Duval den -serbischen Gesandten Georgewitsch anschoß, -als einen schlemmenden Bourgeois, der noch -dazu ein Ordensband im Knopfloch trug! -(Leauthier starb in der Strafkolonie während -jener schon erwähnten Revolte, gleichzeitig -mit Simon, dem Zwieback, Ravachols Gehilfen.) -</p> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -Nachdem die Staatsgewalt sich der Propagandisten -der Tat auf solche Weise entledigt -hatte, ging sie mit größter Energie ans -Werk, die geistigen Wurzeln der Lehre anzugreifen. -Eine ganze Anzahl bedeutender Gelehrter, -Schriftsteller, Soziologen trafen diese -Maßregeln. Es hatten sich in Paris und in -Frankreich zahlreiche Gruppen gebildet, die -mit dem Studium und der Verbreitung der -Lehre des Anarchismus sich beschäftigten. -Solche Gruppen waren: Die Gruppe der -Libertäre; Die Avantgarde; Die Kinder der -Natur; Die Antipatriotische Jugend; Der -Internationale Kreis; Die Schwarze Fahne; -Die haarigen Burschen („Les Gonzes Poilus“) -<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a> -von Billancourt; Der Panther von Batignolles. -Diese sämtlich in Paris. -</p> - -<p> -Von den Gruppen in der Provinz, die immerhin -ihre zentrale Organisation (ohne die -selbst der Anarchismus nicht auskommt!) in -Paris besaßen, nenne ich die hauptsächlichsten: -Die Zuchthäusler von Lille; Die Vaterlandslosen -von Charleville; Die Unbezähmbaren; -Erde und Freiheit von Armentières; -Der Pranger von Sedan; Die Parias der Picardie, -die Organisationen der nordwestlichen -Teile Frankreichs umfaßte; Die Bereitschaft -von Blois; Die Gruppe der Sozialen Forschung -in Cherbourg; Die Eber von Châlons; -Die Nivellierer von Beaune; Der Yatagan von -Terre-Noire; Die Freunde Ravachols von -Saint-Chamond; Die Gruppe Erst-recht! von -Vienne; Die Rächer; Die Hungrigen von Marseille; -Die Empörung; Die Bauernrevolte; -Die Entschlossenen; Die Eichenherzen von -Cette und viele andere. -</p> - -<p> -Eine dieser Gruppen war von dem Sozialreformer -Rousset organisiert und hatte den -Namen der „Suppen-Vorträge“. In einer Pariser -Wärmehalle sprach Rousset, während -arme Hungernde von der Straße dort ihren -Teller Suppe löffelten, über soziale Probleme -und wie der Not abzuhelfen wäre. Diese Ansprachen -erregten selbstverständlich die Aufmerksamkeit -und schließlich Abwehr der Behörden. -<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a> -Trotz dem Protest einer Anzahl hervorragender -Pariser, darunter Jules Simon, -Léon Say, Floquet, de Cassagnac, Alfons -Daudet, Sarah Bernhardt und Zola, wurde -Rousset vors Gericht gestellt und zu einer -empfindlichen Gefängnisstrafe verurteilt. -</p> - -<p> -In Paris wie in der Provinz erschienen -Wochenblätter, Zeitschriften in großer Zahl, -die der Regierung ein Dorn im Auge waren -und deren Verfolgung beschlossen wurde. Die -Namen der hauptsächlichsten Zeitschriften -dieser Art sind: -</p> - -<p> -„Le Père Peinard“, „Le Riflard“, „Der -Leimtopf“, „Die Revolte“, letztere hatte -Jean Grave zum Herausgeber. Sebastien -Faure gab den „Almanach Anarchiste“ heraus, -der originelle Bohémien Zo d’Axa die -lebhafte und revolutionäre Revue „L’En-Dehors“, -die zu ihren Mitarbeitern neben -Malato Schriftsteller wie Octave Mirbeau und -den Initiator der Dreyfus-Revision, Bernard -Lazare, einen edlen und bescheidenen Menschenfreund, -zählte. Beide, Mirbeau wie Lazare, -aus der oberen Bourgeoisie stammende -Intellektuelle, bekannten sich frei und laut -zum Anarchismus und legten in den gefährlichsten -Zeiten Zeugnis ab für die seelische -Integrität manches von der öffentlichen -Meinung gebrandmarkten „Mörders und Attentäters“. -– -</p> - -<p> -<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a> -„Der Freie Gedanke“, „Die Attacke“, -„Die Libertäre Revue“ erschienen mit Unterbrechungen -weiter; eine antimilitaristische -Zeitschrift, „Le Conscrit“ hielt sich trotz -härtester Verfolgung. In Marseille erschien -„Die Harmonie“, in London, nach einer anderen -Version in Brüssel der „L’International“, -der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, -die lediglich doktrinären Anarchisten anzugreifen -und dabei auch vor Grave, sogar vor -Kropotkin nicht Halt machte. Dieser „L’International“ -scheint der richtige Moniteur der -Propagandisten durch die Tat gewesen zu -sein. Er brachte eine Beilage „L’Indicateur -Anarchiste“, in dem praktische Anweisung -zur Verfertigung von Explosivkörpern gegeben -wurde. In früherer Zeit, lange vor -dem Erscheinen des „L’International“ hatte -die „Lutte“ von Lyon ähnliches unter dem -Titel „Anti-bürgerliche Produkte“ zu geben -versucht. -</p> - -<p> -Andere Zeitschriften, die die Verbreitung -der Ideen des Anarchismus über den ganzen -Erdball bezweckten, waren um diese Zeit: in -Belgien „La Société Nouvelle“, „Le Libertaire“ -und „Le XX. Siècle“. In London erschien -„Freedom“, eine ausgezeichnete Publikation, -die noch jetzt in dem, jedem London -besuchenden Sozialisten wohlbekannten -„Bomb-Shop“ des alten Henderson, Charing -<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a> -Cross-Road, erhältlich ist (gegenwärtig hat sie -ausgesprochen kommunistischen Einschlag); -„The Commonweal“, der durch die Mitarbeit -William Morris’ geadelt war; außerdem „The -Torch“. Ebenfalls in London, der Stadt, die -um die Zeit der allgemeinen europäischen -Anarchistenverfolgungen ein sicherer Hafen -für die Rebellen aller Nationen war, erschien -in hebräischen Lettern das jiddische Anarchistenblatt -„Der Fraind fun die Arbeter“, -und die deutsche Zeitung „Der Lumpenproletarier“. -Andere deutsche Publikationen -jener Zeit umfassen die in Amerika erscheinenden: -„Freiheit“ von Johann Most, „Die -Brandfackel“ von New York, den „Armen -Teufel“ Robert Reitzels in Detroit, „Den -Vorboten“ von Chicago, die jiddische „Freie -Arbeiterstimme“, den „Anarchist“ und andere. -Gustav Landauers „Sozialist“, das bedeutendste -deutsche Organ, ist noch in Aller -Erinnerung. In Italien waren der „Sempre -Avanti“ von Livorno, in Spanien „La Conquista -del Pan“ von Barcelona, in Südamerika -„El Oprimido“ und „Tribuna Operaia“ -die verbreitetsten Blätter der Bewegung. -</p> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -Es war offenkundig, daß die Taten jener -Propagandisten die Lehre des Anarchismus in -weitere Gebiete ausgestreut hatten, als friedliche -<a id="page-76" class="pagenum" title="76"></a> -Verbreitung der Theorie dies jemals vermocht -hätte. Denn die Zahl, der Umfang -der anarchistischen Zeitschriften-Literatur -schwoll um die Zeit der Jahrhundertwende in -der ganzen Welt beträchtlich an. Ich erinnere -mich, welch’ tiefgehende Wirkung in den -Tagen meines Pariser Aufenthaltes, der in dieselbe -Zeit fiel, zwei Bücher erregten, die von -zweien der bedeutendsten lebenden Anarchisten -verfaßt waren – und die Eltzbacher in -seinem Werk nicht anführt, ja gar nicht zu -kennen scheint. Diese Bücher waren <em>Sebastien -Faures</em> „La Douleur universelle“, -und <em>Jean Graves</em> „La Société mourante et -l’Anarchie“, zu dem Octave Mirbeau ein begeistertes -Vorwort geschrieben hat. -</p> - -<p> -Es war bezeichnend für die im Grunde trotz -aller Reaktion demokratische Grundtendenz -des öffentlichen Lebens von Frankreich und -seiner Hauptstadt, daß schon 1895, also -kaum ein Jahr nach der Ermordung Sadi-Carnots -(und dem Prozeß gegen die Dreißig, -von dem ich im nachfolgenden sprechen will), -die öffentlichen Vorträge von Sebastien -Faure monatelang ohne Störung durch die -Behörden abgehalten werden konnten. Sie -gehören zu den wunderbarsten Erinnerungen, -die mich an jene Zeit gemahnen. Vor einem -großen und beständigen Publikum, das sich -im wesentlichen aus Studenten und Arbeitern -<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a> -zusammensetzte, verkündete Faure das -System seines Aufbaus. Mit unerbittlicher -Logik zergliederte er die gegenwärtige Gesellschaft, -nahm sozusagen das ganze Gebäude -der gesellschaftlichen Zusammenhänge auseinander, -warf die schädlichen, überflüssigen -Teile des Gebäudes auf den Schutthaufen der -Vergangenheit und errichtete aus dem Übrigbleibenden -ein einfacheres, bewohnbares, lichtes -Heim der zukünftigen Menschheit. -</p> - -<p> -Faures Rednergabe führte seine Argumente -beweiskräftiger aus, als es seinem Buch, das -ich eben erwähnt habe, gelingt. Doch spricht -auch in diesem Werk der merkwürdig klare -und logische Verstand, jener spezifische -französische sens commun den Leser mächtig -an. -</p> - -<p> -Eine literarisch höchst zu bewertende Leistung -stellt das Buch Graves dar. Es ist eine -Kampfschrift gegen den reformistischen Sozialismus, -gegen die Grundirrtümer der kapitalistischen -und militaristischen Gesellschaft. -In erstaunlicher Weise hat der Autodidakt -Grave sich die wissenschaftlichen Grundlagen -seiner Gewissensüberzeugung zu verschaffen -verstanden. Aus der Erkenntnis, die er sich -auf solche Art erwirbt, gelingt es ihm, überzeugend -und mit hohem Schwung der Begeisterung, -die Durchführbarkeit der anarchistischen -Prinzipien trotz den feindlichen -<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a> -Grundinstinkten der ewig gleichbleibenden -Menschenseele zu beweisen. Auch in seinem -anderen Werke „Die Gesellschaft am Tage -nach der Revolution“ gelang es Grave, den -Aufbau einer utopischen Gemeinschaft in -überzeugenden Konturen festzulegen. -</p> - -<p> -Die Taten Ravachols, Vaillants, Henrys -und der anderen – die Bücher Faures und -Graves: sie geben der Bewegung, dem revolutionären -Beginnen des französischen Proletariats -um die Jahrhundertwende ihre -Grenzen nach dem materiellen und dem moralischen -Bereich. -</p> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -<em>Den Prozeß gegen die Dreißig</em>, dessen -ich oben Erwähnung getan habe, strengte die -Regierung Frankreichs hauptsächlich in der -Absicht an, daß durch seinen Verlauf die Notwendigkeit -einer durchaus revidierten Gesetzgebung -gegen die Feinde der Gesellschaft -gerechtfertigt werde. Es sollte zudem schon -durch die Namenliste der Angeklagten die -Sicherheit in der beängstigten Bevölkerung -erweckt werden, daß es nunmehr der Regierung -gelungen sei, die ganze gefährliche -Gruppe der wesentlichsten Anarchisten, sozusagen -die Zentrale des Anarchismus in -Frankreich auszuheben. Die Absicht war: -alle möglichen Leute, die im Geruch des -<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a> -Anarchismus standen, die sich als Theoretiker -der Lehre, die sich als Propagatoren und als -Ausführer anarchistischer Taten betätigten, -in einen geschlossenen Raum zusammenzutreiben, -sie dort beisammen zu behalten und -möglichst endgültig zu „erledigen“. Daß in -dieser Gruppe, die man kurz als eine Vereinigung -von Verbrechern bezeichnete, hervorragende -und allgemein anerkannte Gelehrte -wie Paul Reclus, Publizisten wie Jean -Grave, Sébastien Faure, Alexander Cohen, -Charles Chatel, Félix Fénéon, Pouget, Matha, -Ledot neben Dieben und undurchsichtigem -Gesindel figurierten, bewies nicht nur die -Willkür der Regierung, sondern barg auch -die Erklärung für das Scheitern ihrer Absicht -in sich. Denn, um es vorweg zu nehmen, der -Prozeß der Dreißig endete mit einem ausgesprochenen -und für die Regierung peinlichen -Fiasko der Rechtsbehörden. Wieder beantragte -der sattsam bekannte Staatsanwalt -Bulot gegen die Dreißig die höchste zulässige -Strafe, indem er die Angeklagten miteinander, -mit pathetischer Gebärde: -</p> - -<div lang="fr"> - <div class="poem-container"> - <div class="poem"> - <div class="stanza"> - <p class="verse">„Vous êtes tous des misérables!“</p> - </div> - </div> - </div> -</div> - -<p> -apostrophierte, aber die Jury gab seinem Begehren -nur in einem einzigen Falle nach, indem -sie den Mitangeklagten <em>Ortiz</em>, das Oberhaupt -der „<em>Bande Ortiz</em>“ zu langjähriger -Zwangsarbeit, zwei Mitglieder der „Bande“ -<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a> -aber zu geringen Freiheitsstrafen verurteilte. -Die übrigen wurden, wie recht und billig, -freigesprochen. -</p> - -<p> -Artikel 265 des französischen Strafgesetzbuches -besagt (in seiner Abänderung durch -das Gesetz vom 18. Dezember 1893, jenes -„Gesetz Vaillant“): „Jede Vereinigung, jedwede -Gemeinschaft, die hergestellt ist, um -Verbrechen gegen Einzelindividuen vorzubereiten -oder durchzuführen, stellt ein Verbrechen -gegen die öffentliche Ordnung dar.“ -Durch diese Fassung des Artikels wird ausgesprochen, -daß die Theoretiker des Anarchismus, -genau so wie die Propagandisten durch -die Tat, der Gemeinschaftbildung, der Schaffung -einer Vereinigung schuldig erkannt -sind. Die „Intellektuellen“ wie die „Impulsiven“, -beide sind in gleichem Maße für -die Tat selbst verantwortlich, denn ohne die -Kraft des Gedankens, des Wortes, der Feder -der ersteren würden die letzteren nicht zur -Tat gelangen. Die Initiative wie die Ausführung -werden auf gleiche Linie gestellt. Die -Verbindung zwischen den Studiengruppen der -anarchistischen Lehre und dem tatsächlichen -Verbrecher ist evident; beide zugleich muß -das Gesetz treffen, soll der Anarchismus an -der Wurzel gepackt und ausgerottet werden. -</p> - -<p> -Dieser Prozeß der Dreißig dauerte im ganzen -acht Tage. Er spielte sich in der ersten -<a id="page-81" class="pagenum" title="81"></a> -Hälfte des August 1894, gleichzeitig mit dem -Prozeß gegen den Mörder Sadi-Carnots, Caserio, -ab. Das Merkwürdigste und Bedeutungsvollste, -der Umstand, der den Ausgang -des Prozesses gleich am Anfang ahnen ließ, -war: daß sich keine Belastungszeugen für die -Dreißig auftreiben ließen. So hatte das rege -und immer schwankende Gewissen des französischen -Volkes, der wohl aufs höchste irritierten, -aber immer noch in den Grenzen des -klaren Verstandes und der lauteren Gesinnung -bleibenden öffentlichen Meinung Frankreichs -von vornherein die Überzeugung behalten, -daß der ganze Prozeß ein Fehlgriff -war und ein schlechteres Licht auf die Rechtspflege -des Landes werfen mußte als auf die -Mehrzahl der Angeklagten. -</p> - -<p> -Es wurden darum auch von dem großen -Publikum Frankreichs die würdevollen und -selbstsicheren Verteidigungsreden von Grave -und Faure mit derselben Sympathie aufgenommen, -wie die witzig ironischen Wendungen, -in denen der Kunstschriftsteller -Fénéon seinerseits die Anklagen und die Behandlung -des Verdachtes gegen ihn zurückwies. -Die „Gemeinschaft der Verbrecher“ -stand, wie man aus dem Fehlen von Belastungszeugen -ersehen konnte, auf schwachen -Füßen. Niemand war zu finden, der irgendwie -stichhaltig, ja auch nur willkürlich bestätigen -<a id="page-82" class="pagenum" title="82"></a> -oder bejahen konnte, daß eine solche -Vereinigung in der Tat bestehe. -</p> - -<p> -Die Anklage behauptete, daß der Gelehrte -Reclus die Finanzen dieser Vereinigung oder -Partei geführt habe; daß Jean Grave der -Schaffung der Studiengruppe oblag, daß die -Zeitschrift Graves „La Révolte“ den verstreuten -Mitgliedern der Vereinigung die -Mittel bot, sich gegenseitig zu kennen und zu -verständigen. Faure sollte die Bewegung in -der Propaganda organisieren. Er war Herausgeber -einer in Marseille erscheinenden Zeitschrift -„L’Agitation“, hatte außerdem, wie -nachgewiesen werden konnte, das Kapitalverbrechen -begangen, Vaillant 5 Franken -durch die Post überweisen zu lassen. Der -Schriftsteller Chatel war Begründer der „Revue -anarchiste“ und Mitarbeiter verschiedener -anarchistischer Zeitschriften. Matha -redigierte den „En-dehors“, er war es auch, -der Emil Henry in London bei sich aufgenommen -hatte, während Matha selber gelegentlich -in Paris bei Fénéon, dem Kunstschriftsteller, -der zur Zeit Beamter des französischen -Kriegsministeriums war, zeitweilige -Unterkunft gefunden hatte. Aus solchen -losen Verknüpfungen sollte das Netz sich um -die Dreißig knüpfen, und in diesem Netz -zappelte zugleich die Bande um den Räuber -Ortiz. -</p> - -<p> -<a id="page-83" class="pagenum" title="83"></a> -Dieser Ortiz, ein merkwürdiger Mischtypus, -Sohn eines Mexikaners und einer -Polin, stellte in seinem ganzen Wesen den -idealistischen Räuber aus sozialen Beweggründen -dar, wie die romantische Literatur -aller Völker ihn aufweist. Daß dieser intelligente -und gebildete Mensch sich bei -seinen Taten, die einem unzweifelhaft gemischten, -undurchsichtigen Instinkt entsprangen, -anarchistischer Grundsätze rühmte -und dabei unleugbar die Freundschaft Emil -Henrys und anderer reiner Verkünder der -Idee genoß, beweist: daß die verbrecherischen -Instinkte der Ausbeutung und Knechtung -des Einzelnen und der Massen, wie sie -sich die heutige Gesellschaft zu schulden -kommen läßt, durch gleiches Vorgehen des -Einzelnen gerächt werden müssen. Nur dem -oberflächlich in den Vorstellungen und Vorurteilen -der bestehenden Gesellschaftsform -träge Verharrenden wird es, wie bereits betont, -einfallen, Verbrechen, die im Obigen als -revolutionäre Taten gekennzeichnet worden -sind, als Verbrechen zu betrachten. -</p> - -<p> -Solange die Gesellschaft ihre Gesetze nicht -den Geboten der Gleichheit, Freiheit und -Brüderlichkeit anzupassen oder wenigstens -anzunähern verstanden hat, wird das Verbrechen -des Einzelnen, sofern es nicht eines -der aus Leidenschaft begangenen genannt -<a id="page-84" class="pagenum" title="84"></a> -werden darf, vielmehr die Rache des Einzelnen -an der Gesellschaft und rechtmäßiger -Kampf des Empörers gegen die große Ungerechtigkeit -genannt werden müssen. -</p> - -<p> -Das schmähliche Scheitern des Prozesses -gegen die stupid und mit brutaler Willkür, -wie bei einer Razzia zusammengetriebenen -Dreißig, das gleichzeitig mit der Verurteilung -Caserios abschließende Verfahren gegen jenen -Anarchisten, dessen Hand das verantwortliche -Oberhaupt der Regierung getroffen -hatte, schloß eine Periode der revolutionären -Bewegung ab, die die anarchistische Periode -in der Freiheitsbewegung Frankreichs genannt -ist. -</p> - -<p> -Sie bildet, wie gesagt wurde, ein Segment -in der fortschreitenden, unter wechselnden -Namen stetig gleichbleibenden Entwicklung -der Freiheitsidee der Menschheit; die Zeit -ihres Geschehens ist der Vorabend des XX. -Jahrhunderts, dessen Morgen bereits solch -ungeheures Vorwärtstreiben der Idee sah; ihr -Schauplatz ist Frankreich, die bürgerliche -Republik der Demokratie, des „juste milieu“. -</p> - -<p> -Nach dem 26. August 1894, an dem der -arme unwissende, wirre Schädel des italienischen -Proletariers unter dem Fallbeil der -bürgerlichen Justizmaschine fiel, ebbt die -Welle der anarchistischen Propaganda der Tat -in Frankreich ab. -</p> - -<p class="tb"> -* -</p> - -<p class="noindent"> -<a id="page-85" class="pagenum" title="85"></a> -Es scheint nunmehr, als sollte sich die -anarchistische Theorie aus dem aktivistischen -mehr ins wissenschaftliche Feld zurückziehen. -Der Anarchismus wird von dem sich langsam -nach links, ins radikale Gebiet ausbreitenden -Sozialismus als kleinbürgerliche Ideologie -verworfen. Der Sozialismus erhebt die Autorität -der Organisation zum leitenden Prinzip -und leugnet das Recht des Individuums, aus -Gründen der praktischen Erfahrung, wie aus -Anbetung der Klasse als solcher, eines Götzen -auf tönernen Füßen, sich außerhalb der Organisation, -eigenwillig, selbstherrlich und -unter voller persönlicher Verantwortung sein -Recht zu suchen. Er erklärt das auf solche -Weise aus der Organisation entweichende -Individuum für einen Feind des Sozialismus -und das Individuum sieht sich von dem demokratischen -Sozialisten, in Übereinstimmung -mit dem reaktionärsten Bürgertum, in Acht -und Bann getan und vogelfrei erklärt. -</p> - -<p> -Der Kommunismus, wie wir ihn nach dem -Krieg sich ausbreiten und seine Grenzen erweitern -sehen, zögert noch, die eigenmächtigen -Energien aus dem Bereich des eng benachbarten -Syndikalismus, aus den militanten -Rängen des insurgenten Anarchismus aufzunehmen. -Anzeichen deuten darauf, daß er -sie zur gegebenen Zeit wohl aufnehmen, einreihen -und benutzen wird. Denn in dem insurgenten -<a id="page-86" class="pagenum" title="86"></a> -Anarchisten brennt am leuchtendsten -die Flamme der ewigen Revolte des -Menschengeschlechtes. Was verschlägts, daß -an ihrem Brand das ephemere Verordnungsblatt -der Parteidisziplin rasch verkohlt! -</p> - -<p> -In der Schicksalsstunde der höchsten Gefahr -des Freiheitsgedankens, in der Stunde, -da das kämpfende und kampfbereite Proletariat -am ärgsten bedroht ist, schlägt die -große Flamme aus dem Einzelnen auf die -Masse über und hüllt die Gesamtheit, Individuum, -Partei, Klasse, Menschheit in ihr -Licht, ihre Glut ein. -</p> - -<div class="ads chapter"> -<p class="ser"> -<span class="line1">In der Sammlung</span><br /> -<span class="line2">AUSSENSEITER DER GESELLSCHAFT</span><br /> -<span class="line3">– DIE VERBRECHEN DER GEGENWART. –</span><br /> -<span class="line4">erscheinen in kürzester Zeit folgende Bände:</span> -</p> - - <div class="table"> - <div class="volumes"> - <div class="r"> -<p class="v"> -*Band 1: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">ALFRED DÖBLIN</span><br /> -DIE BEIDEN FREUNDINNEN UND IHR GIFTMORD -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -*Band 2: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">EGON ERWIN KISCH</span><br /> -DER FALL DES GENERALSTABSCHEFS REDL -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -*Band 3: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">EDUARD TRAUTNER</span><br /> -DER MORD AM POLIZEIAGENTEN BLAU -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -*Band 4: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">ERNST WEISS</span><br /> -DER FALL VUKOBRANKOVICS -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -*Band 5: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">IWAN GOLL</span><br /> -DIE ROTE JUNGFRAU GERMAINE BERTON -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -*Band 6: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">THEODOR LESSING</span><br /> -HAARMANN, DIE GESCHICHTE EINES WERWOLFS -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -*Band 7: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">KARL OTTEN</span><br /> -DER FALL STRAUSS -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -*Band 8: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">ARTHUR HOLITSCHER</span><br /> -DER FALL RAVACHOL -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -*Band 9/10: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">P. DREYFUS – PAUL MAYER</span><br /> -RECHT UND POLITIK IM FALL FECHENBACH -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 11<sup>1</sup>): -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">L. LANIA – HERRMANN</span><br /> -DER HITLER-PROZESS -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 12: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">THOMAS SCHRAMEK</span><br /> -DER FALL EGLOFFSTEIN -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 13: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">HENRI BARBUSSE</span><br /> -DIE MATROSEN DES SCHWARZEN MEERES -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 14: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">OTTO KAUS</span><br /> -DER FALL GROSSMANN -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 15: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">EUGEN ORTNER</span><br /> -DER FALL BERNOTAT -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 16: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">WALTER PETRY</span><br /> -DER FALL NÄGLER -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 17: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">FRIEDRICH STERNTHAL</span><br /> -DER FALL DER RATHENAUMÖRDER -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 18: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">RENÉ SCHICKELE</span><br /> -DIE CAILLAUXPROZESSE -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 19: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">KARL FEDERN</span><br /> -DER FALL MURRI-BONMARTINI -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 20: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">KURT KERSTEN</span><br /> -DER PROZESS GEGEN DIE MOSKAUER SOZIALREVOLUTIONÄRE -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 21: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">MARTIN BERADT</span><br /> -DER FALL HASSELBACH -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 22: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">F. A. ANGERMAYER</span><br /> -DER FALL DER PARISER AUTOMOBILBANDITEN -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 23: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">WILLY HAAS</span><br /> -DER FALL GROSS -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 24: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">WALTER VON HOLLANDER</span><br /> -DER FALL GRUPEN -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 25: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">MAX FREYHAN</span><br /> -DER JUWELENRAUB IN DER KÖPENICKERSTRASSE -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 26: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">HANS REISER</span><br /> -DER FALL STRASSER -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 27: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">FRANZ THEODOR CSOKOR</span><br /> -DER FALL EISLER -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 28: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">E. I. GUMBEL</span><br /> -EIN POLITISCHER MORD -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 29: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">EDUARD TRAUTNER</span><br /> -DER FALL DES SCHUPOWACHTMEISTERS GERTH -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 30: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">ARNOLT BRONNEN</span><br /> -DER FALL VAQUIER -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 31: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">HERMANN UNGAR</span><br /> -DER FALL ANGERSTEIN -</p> - - </div> - <div class="r"> -<p class="v"> -Band 32: -</p> - -<p class="t"> -<span class="firstline">JOSEPH ROTH</span><br /> -DER FALL HOFRICHTER -</p> - - </div> - </div> - </div> -<p class="s c"> -Die mit * versehenen Bände sind bereits erschienen. -</p> - -<p class="s"> -<sup>1</sup>) Bei den folgenden noch nicht erschienenen Bänden behält -sich der Verlag Änderungen sowohl der Titel als auch der Reihenfolge -usw. ausdrücklich vor. -</p> - -<p class="s c"> -Ferner Bände von: -</p> - -<p class="c"> -MAX BROD, OTTO FLAKE, WALTER HASENCLEVER, -GEORG KAISER, THOMAS MANN, LEO MATTHIAS, -JAKOB WASSERMANN, ALFRED WOLFENSTEIN -und vielen Anderen. -</p> - -</div> - -<div class="frontmatter chapter"> -<p class="printer"> -Ohlenroth’sche Buchdruckerei Erfurt. -</p> - -</div> - -<div class="trnote chapter"> -<p class="transnote"> -Anmerkungen zur Transkription -</p> - -<p class="skip_in_txt"> -Das Cover wurde vom Bearbeiter den ursprünglichen -Bucheinbänden der Serie nachempfunden und der <i>public domain</i> zur Verfügung gestellt. -</p> - -<p> -Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. -Weitere Änderungen, teilweise unter Zuhilfenahme anderer Auflagen, -sind hier aufgeführt (vorher/nachher): -</p> - - - -<ul> - -<li> -... Manifestation revolutionärer Art <span class="underline">unnachsichtlich</span> ...<br /> -... Manifestation revolutionärer Art <a href="#corr-0"><span class="underline">unnachsichtig</span></a> ...<br /> -</li> - -<li> -... herumzulaufen. Seine Kindheit und <span class="underline">frühe</span> ...<br /> -... herumzulaufen. Seine Kindheit und <a href="#corr-1"><span class="underline">frühen</span></a> ...<br /> -</li> -</ul> -</div> - - -<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK RAVACHOL UND DIE PARISER ANARCHISTEN ***</div> -<div style='text-align:left'> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Updated editions will replace the previous one—the old editions will -be renamed. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ -concept and trademark. 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Redistribution is subject to the trademark -license, especially commercial redistribution. -</div> - -<div style='margin:0.83em 0; font-size:1.1em; text-align:center'>START: FULL LICENSE<br /> -<span style='font-size:smaller'>THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE<br /> -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK</span> -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase “Project -Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg™ License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.A. 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Information about the Mission of Project Gutenberg™ -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s -goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg™ and future -generations. 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