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authorRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-15 05:27:55 -0700
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+The Project Gutenberg EBook of Immensee, by Theodor Storm
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
+other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
+the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
+to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
+
+Title: Immensee
+
+Author: Theodor Storm
+
+Release Date: October, 2004 [EBook #6651]
+[Most recently updated: July 30, 2020]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK IMMENSEE ***
+
+
+
+
+Produced by Delphine Lettau, Charles Franks, and the
+Online Distributed Proofreading Team.
+
+[Illustration]
+
+
+
+
+Immensee
+
+by Theodor Storm
+
+
+ DER ALTE
+ DIE KINDER
+ IM WALDE
+ DA STAND DAS KIND AM WEGE
+ DAHEIM
+ EIN BRIEF
+ IMMENSEE
+ MEINE MUTTER HAT’S GEWOLLT
+ ELISABETH
+ DER ALTE
+
+
+
+
+DER ALTE
+
+
+An einem Spätherbstnachmittage ging ein alter wohlgekleideter Mann
+langsam die Straße hinab. Er schien von einem Spaziergange nach Hause
+zurückzukehren, denn seine Schnallenschuhe, die einer vorübergegangenen
+Mode angehörten, waren bestäubt. Den langen Rohrstock mit goldenem
+Knopf trug er unter dem Arm; mit seinen dunklen Augen, in welche sich
+die ganze verlorene Jugend gerettet zu haben schien, und welche
+eigentümlich von den schneeweißen Haaren abstachen, sah er ruhig umher
+oder in die Stadt hinab, welche im Abendsonnendufte vor ihm lag.
+
+Er schien fast ein Fremder, denn von den Vorübergehenden grüßten ihn
+nur wenige, obgleich mancher unwillkürlich in diese ernsten Augen zu
+sehen gezwungen wurde. Endlich stand er vor einem hohen Giebelhause
+still, sah noch einmal in die Stadt hinaus und trat dann in die
+Hausdiele. Bei dem Schall der Türglocke wurde drinnen in der Stube von
+einem Guckfenster, welches nach der Diele hinausging, der grüne Vorhang
+weggeschoben und das Gesicht einer alten Frau dahinter sichtbar. Der
+Mann winkte ihr mit seinem Rohrstock.
+
+»Noch kein Licht!« sagte er in einem etwas südlichen Akzent, und die
+Haushälterin ließ den Vorhang wieder fallen.
+
+Der Alte ging nun über die weite Hausdiele, durch einen Pesel, wo große
+eichene Schränke mit Porzellanvasen an den Wänden standen; durch die
+gegenüberstehende Tür trat er in einen kleinen Flur, von wo aus eine
+enge Treppe zu den obern Zimmern des Hinterhauses führte. Er stieg sie
+langsam hinauf, schloß oben eine Tür auf und trat dann in ein mäßig
+großes Zimmer. Hier war es heimlich und still; die eine Wand war fast
+mit Repositorien und Bücherschränken bedeckt, an den andern hingen
+Bilder von Menschen und Gegenden; vor einem Tisch mit grüner Decke, auf
+dem einzelne aufgeschlagene Bücher umherlagen, stand ein schwerfälliger
+Lehnstuhl mit rotem Samtkissen.
+
+Nachdem der Alte Hut und Stock in die Ecke gestellt hatte, setzte er
+sich in den Lehnstuhl und schien mit gefalteten Händen von seinem
+Spaziergange auszuruhen.—Wie er so saß, wurde es allmählich dunkler;
+endlich fiel ein Mondstrahl durch die Fensterscheiben auf die Gemälde
+an der Wand, und wie der helle Streif langsam weiter rückte, folgten
+die Augen des Mannes unwillkürlich. Nun trat er über ein kleines Bild
+in schlichtem schwarzem Rahmen. »Elisabeth!« sagte der Alte leise; und
+wie er das Wort gesprochen, war die Zeit verwandelt: er war in seiner
+Jugend.
+
+
+
+
+DIE KINDER
+
+
+Bald trat die anmutige Gestalt eines kleinen Mädchens zu ihm. Sie hieß
+Elisabeth und mochte fünf Jahre zählen, er selbst war doppelt so alt.
+Um den Hals trug sie ein rotseidenes Tüchelchen; das ließ ihr hübsch zu
+den braunen Augen.
+
+»Reinhard!« rief sie, »wir haben frei, frei! den ganzen Tag keine
+Schule, und morgen auch nicht.«
+
+Reinhard stellte die Rechentafel, die er schon unterm Arm hatte, flink
+hinter die Haustür, und dann liefen beide Kinder durchs Haus in den
+Garten und durch die Gartenpforte hinaus auf die Wiese. Die
+unverhofften Ferien kamen ihnen herrlich zustatten. Reinhard hatte hier
+mit Elisabeths Hilfe ein Haus aus Rasenstücken aufgeführt; darin
+wollten sie die Sommerabende wohnen; aber es fehlte noch die Bank. Nun
+ging er gleich an die Arbeit; Nägel, Hammer und die nötigen Bretter
+waren schon bereit. Während dessen ging Elisabeth an dem Wall entlang
+und sammelte den ringförmigen Samen der wilden Malve in ihre Schürze;
+davon wollte sie sich Ketten und Halsbänder machen; und als Reinhard
+endlich trotz manches krumm geschlagenen Nagels seine Bank dennoch
+zustande gebracht hatte und nun wieder in die Sonne hinaustrat, ging
+sie schon weit davon am andern Ende der Wiese.
+
+»Elisabeth!« rief er, »Elisabeth!« und da kam sie, und ihre Locken
+flogen. »Komm,« sagte er, »nun ist unser Haus fertig. Du bist ja ganz
+heiß geworden; komm herein, wir wollen uns auf die neue Bank setzen.
+Ich erzähl’ dir etwas.«
+
+Dann gingen sie beide hinein und setzten sich auf die neue Bank.
+Elisabeth nahm ihre Ringelchen aus der Schürze und zog sie auf lange
+Bindfäden; Reinhard fing an zu erzählen: »Es waren einmal drei
+Spinnfrauen—« [Fußnote: So fängt ein wohlbekanntes Märchen von den
+Gebrüdern Grimm an.]
+
+»Ach,« sagte Elisabeth, »das weiß ich ja auswendig; du mußt auch nicht
+immer dasselbe erzählen.«
+
+Da mußte Reinhard die Geschichte von den drei Spinnfrauen stecken
+lassen, und statt dessen erzählte er die Geschichte von dem armen Mann,
+der in die Löwengrube geworfen war.
+
+»Nun war es Nacht,« sagte er, »weißt du? ganz finstere, und die Löwen
+schliefen. Mitunter aber gähnten sie im Schlaf und reckten die roten
+Zungen aus; dann schauderte der Mann und meinte, daß der Morgen komme.
+Da warf es um ihn her auf einmal einen hellen Schein, und als er
+aufsah, stand ein Engel vor ihm. Der winkte ihm mit der Hand und ging
+dann gerade in die Felsen hinein.«
+
+Elisabeth hatte aufmerksam zugehört. »Ein Engel?« sagte sie: »Hatte er
+denn Flügel?«
+
+»Es ist nur so eine Geschichte,« antwortete Reinhard; »es gibt ja gar
+keine Engel.«
+
+»O pfui, Reinhard!« sagte sie und sah ihm starr ins Gesicht.
+
+Als er sie aber finster anblickte, fragte sie ihn zweifelnd: »Warum
+sagen sie es denn immer? Mutter und Tante und auch in der Schule?«
+
+»Das weiß ich nicht,« antwortete er.
+
+»Aber du,« sagte Elisabeth, »gibt es denn auch keine Löwen?«
+
+»Löwen? Ob es Löwen gibt? In Indien; da spannen die Götzenpriester sie
+vor den Wagen und fahren mit ihnen durch die Wüste. Wenn ich groß bin,
+will ich einmal selber hin. Da ist es viel tausendmal schöner als hier
+bei uns; da gibt es gar keinen Winter. Du mußt auch mit mir. Willst
+du?«
+
+»Ja,« sagte Elisabeth; »aber Mutter muß dann auch mit, und deine Mutter
+auch.«
+
+»Nein,« sagte Reinhard, »die sind dann zu alt, die können nicht mit.«
+
+»Ich darf aber nicht allein.«
+
+»Du sollst schon dürfen; du wirst dann wirklich meine Frau, und dann
+haben die andern dir nichts zu befehlen.«
+
+»Aber meine Mutter wird weinen.«
+
+»Wir kommen ja wieder,« sagte Reinhard heftig; »sag es nur gerade
+heraus, willst du mit mir reisen? Sonst geh’ ich allein, und dann komme
+ich nimmer wieder.«
+
+Der Kleinen kam das Weinen nahe. »Mach nur nicht so böse Augen,« sagte
+sie; »ich will ja mit nach Indien.«
+
+Reinhard faßte sie mit ausgelassener Freude bei beiden Händen und zog
+sie hinaus auf die Wiese.
+
+»Nach Indien, nach Indien!« sang er und schwenkte sich mit ihr im
+Kreise, daß ihr das rote Tüchelchen vom Halse flog. Dann aber ließ er
+sie plötzlich los und sagte ernst:
+
+»Es wird doch nichts daraus werden; du hast keine Courage.«
+
+»Elisabeth! Reinhard!« rief es jetzt von der Gartenpforte. »Hier!
+Hier!« antworteten die Kinder und sprangen Hand in Hand nach Hause.
+
+
+
+
+IM WALDE
+
+
+So lebten die Kinder zusammen; sie war ihm oft zu still, er war ihr oft
+zu heftig, aber sie ließen deshalb nicht von einander; fast alle
+Freistunden teilten sie: winters in den beschränkten Zimmern ihrer
+Mütter, sommers in Busch und Feld.
+
+Als Elisabeth einmal in Reinhards Gegenwart von dem Schullehrer
+gescholten wurde, stieß er seine Tafel zornig auf den Tisch, um den
+Eifer des Mannes auf sich zu lenken. Es wurde nicht bemerkt. Aber
+Reinhard verlor alle Aufmerksamkeit an den geographischen Vorträgen;
+statt dessen verfaßte er ein langes Gedicht; darin verglich er sich
+selbst mit einem jungen Adler, den Schulmeister mit einer grauen Krähe,
+Elisabeth war die weiße Taube; der Adler gelobte an der grauen Krähe
+Rache zu nehmen, sobald ihm die Flügel gewachsen sein würden. Dem
+jungen Dichter standen die Tränen in den Augen; er kam sich sehr
+erhaben vor. Als er nach Hause gekommen war, wußte er sich einen
+kleinen Pergamentband mit vielen weißen Blättern zu verschaffen; auf
+die ersten Seiten schrieb er mit sorgsamer Hand sein erstes Gedicht.
+
+Bald darauf kam er in eine andere Schule; hier schloß er manche neue
+Kameradschaft mit Knaben seines Alters, aber sein Verkehr mit Elisabeth
+wurde dadurch nicht gestört. Von den Märchen, welche er ihr sonst
+erzählt und wieder erzählt hatte, fing er jetzt an, die, welche ihr am
+besten gefallen hatten, aufzuschreiben; dabei wandelte ihn oft die Lust
+an, etwas von seinen eigenen Gedanken hineinzudichten; aber, er wußte
+nicht weshalb, er konnte immer nicht dazu gelangen. So schrieb er sie
+genau auf, wie er sie selber gehört hatte. Dann gab er die Blätter an
+Elisabeth, die sie in einem Schubfach ihrer Schatulle sorgfältig
+aufbewahrte; und es gewährte ihm eine anmutige Befriedigung, wenn er
+sie mitunter abends diese Geschichtchen in seiner Gegenwart aus den von
+ihm geschriebenen Heften ihrer Mutter vorlesen hörte.
+
+Sieben Jahre waren vorüber. Reinhard sollte zu seiner weitern
+Ausbildung die Stadt verlassen. Elisabeth konnte sich nicht in den
+Gedanken finden, daß es nun eine Zeit ganz ohne Reinhard geben werde.
+Es freute sie, als er ihr eines Tages sagte, er werde, wie sonst,
+Märchen für sie aufschreiben; er wolle sie ihr mit den Briefen an seine
+Mutter schicken; sie müsse ihm dann wieder schreiben, wie sie ihr
+gefallen hätten. Die Abreise rückte heran; vorher aber kam noch mancher
+Reim in den Pergamentband. Das allein war für Elisabeth ein Geheimnis,
+obgleich sie die Veranlassung zu dem ganzen Buche und zu den meisten
+Liedern war, welche nach und nach fast die Hälfte der weißen Blätter
+gefüllt hatten.
+
+Es war im Juni; Reinhard sollte am andern Tage reisen. Nun wollte man
+noch einmal einen festlichen Tag zusammen begehen. Dazu wurde eine
+Landpartie nach einer der nahe gelegenen Holzungen in größerer
+Gesellschaft veranstaltet. Der stundenlange Weg bis an den Saum des
+Waldes wurde zu Wagen zurückgelegt; dann nahm man die Proviantkörbe
+herunter und marschierte weiter. Ein Tannengehölz mußte zuerst
+durchwandert werden; es war kühl und dämmerig und der Boden überall mit
+feinen Nadeln bestreut. Nach halbstündigem Wandern kam man aus dem
+Tannendunkel in eine frische Buchenwaldung; hier war alles licht und
+grün; mitunter brach ein Sonnenstrahl durch die blätterreichen Zweige;
+ein Eichkätzchen sprang über ihren Köpfen von Ast zu Ast.
+
+Auf einem Platze, über welchem uralte Buchen mit ihren Kronen zu einem
+durchsichtigen Laubgewölbe zusammenwuchsen, machte die Gesellschaft
+Halt. Elisabeths Mutter öffnete einen der Körbe; ein alter Herr warf
+sich zum Proviantmeister auf.
+
+»Alle um mich herum, ihr jungen Vögel!« rief er, »und merket genau, was
+ich euch zu sagen habe. Zum Frühstück erhält jetzt ein jeder von euch
+zwei trockene Wecken; die Butter ist zu Hause geblieben; die Zukost muß
+sich ein jeder selber suchen. Es stehen genug Erdbeeren im Walde, das
+heißt, für den, der sie zu finden weiß. Wer ungeschickt ist, muß sein
+Brot trocken essen; so geht es überall im Leben. Habt ihr meine Rede
+begriffen?«
+
+»Ja wohl!« riefen die Jungen.
+
+»Ja, seht,« sagte der Alte, »sie ist aber noch nicht zu Ende. Wir Alten
+haben uns im Leben schon genug umhergetrieben; darum bleiben wir jetzt
+zu Haus, das heißt, hier unter diesen breiten Bäumen, und schälen die
+Kartoffeln und machen Feuer und rüsten die Tafel, und wenn die Uhr
+zwölf ist, so sollen auch die Eier gekocht werden.
+
+»Dafür seid ihr uns von euren Erdbeeren die Hälfte schuldig, damit wir
+auch einen Nachtisch servieren können. Und nun geht nach Ost und West
+und seid ehrlich.«
+
+Die Jungen machten allerlei schelmische Gesichter.
+
+»Halt!« rief der alte Herr noch einmal. »Das brauche ich euch wohl
+nicht zu sagen, wer keine findet, braucht auch keine abzuliefern; aber
+das schreibt euch wohl hinter eure feinen Ohren, von uns Alten bekommt
+er auch nichts. Und nun habt ihr für diesen Tag gute Lehren genug; wenn
+ihr nun noch Erdbeeren dazu habt, so werdet ihr für heute schon durchs
+Leben kommen.«
+
+Die Jungen waren derselben Meinung und begannen sich paarweise auf die
+Fahrt zu machen.
+
+»Komm, Elisabeth,« sagte Reinhard, »ich weiß einen Erdbeerenschlag; du
+sollst kein trockenes Brot essen.«
+
+Elisabeth knüpfte die grünen Bänder ihres Strohhuts zusammen und hing
+ihn über den Arm. »So komm,« sagte sie, »der Korb ist fertig.«
+
+Dann gingen sie in den Wald hinein, tiefer und tiefer; durch feuchte
+Baumschatten, wo alles still war, nur unsichtbar über ihnen in den
+Lüften das Geschrei der Falken; dann wieder durch dichtes Gestrüpp, so
+dicht, daß Reinhard vorangehen mußte, um einen Pfad zu machen, hier
+einen Zweig zu knicken, dort eine Ranke beiseite zu biegen. Bald aber
+hörte er hinter sich Elisabeth seinen Namen rufen. Er wandte sich um.
+
+»Reinhard!« rief sie, »warte doch, Reinhard!«
+
+Er konnte sie nicht gewahr werden; endlich sah er sie in einiger
+Entfernung mit den Sträuchern kämpfen; ihr feines Köpfchen schwamm nur
+kaum über den Spitzen der Farnkräuter. Nun ging er noch einmal zurück
+und führte sie durch das Wirrnis der Kräuter und Stauden auf einen
+freien Platz hinaus, wo blaue Falter zwischen den einsamen Waldblumen
+flatterten. Reinhard strich ihr die feuchten Haare aus dem erhitzten
+Gesichtchen; dann wollte er ihr den Strohhut aufsetzen, und sie wollte
+es nicht leiden; aber dann bat er sie, und nun ließ sie es doch
+geschehen.
+
+»Wo bleiben denn aber deine Erdbeeren?« fragte sie endlich, indem sie
+stehen blieb und einen tiefen Atemzug tat.
+
+»Hier haben sie gestanden,« sagte er, »aber die Kröten sind uns
+zuvorgekommen oder die Marder oder vielleicht die Elfen.«
+
+»Ja,« sagte Elisabeth, »die Blätter stehen noch da; aber sprich hier
+nicht von Elfen. Komm nur, ich bin noch gar nicht müde; wir wollen
+weiter suchen.«
+
+Vor ihnen war ein kleiner Bach, jenseits wieder der Wald. Reinhard hob
+Elisabeth auf seine Arme und trug sie hinüber. Nach einer Weile traten
+sie aus dem schattigen Laube wieder in eine weite Lichtung hinaus.
+
+»Hier müssen Erdbeeren sein,« sagte das Mädchen, »es duftet so süß.
+
+Sie gingen suchend durch den sonnigen Raum; aber sie fanden keine.
+»Nein,« sagte Reinhard, »es ist nur der Duft des Heidekrautes.«
+
+Himbeerbüsche und Hülsendorn standen überall durcheinander, ein starker
+Geruch von Heidekräutern, welche abwechselnd mit kurzem Grase die
+freien Stellen des Bodens bedeckten, erfüllte die Luft.
+
+»Hier ist es einsam,« sagte Elisabeth; »wo mögen die andern sein?«
+
+An den Rückweg hatte Reinhard nicht gedacht.
+
+»Warte nur: woher kommt der Wind?« sagte er und hob seine Hand in die
+Höhe. Aber es kam kein Wind.
+
+»Still,« sagte Elisabeth, »mich dünkt, ich hörte sie sprechen. Rufe
+einmal dahinunter.«
+
+Reinhard rief durch die hohle Hand. »Kommt hierher!«
+
+»Hierher!« rief es zurück.
+
+»Sie antworteten!« sagte Elisabeth und klatschte in die Hände.
+
+»Nein, es war nichts, es war nur der Widerhall.«
+
+Elisabeth faßte Reinhards Hand. »Mir graut!« sagte sie.
+
+»Nein,« sagte Reinhard, »das muß es nicht. Hier ist es prächtig. Setz
+dich dort in den Schatten zwischen die Kräuter. Laß uns eine Weile
+ausruhen; wir finden die andern schon.«
+
+Elisabeth setzte sich unter eine überhängende Buche und lauschte
+aufmerksam nach allen Seiten; Reinhard saß einige Schritte davon auf
+einem Baumstumpf und sah schweigend nach ihr hinüber. Die Sonne stand
+gerade über ihnen; es war glühende Mittagshitze; kleine goldglänzende,
+stahlblaue Fliegen standen flügelschwingend in der Luft; rings um sie
+her ein feines Schwirren und Summen, und manchmal hörte man tief im
+Walde das Hämmern der Spechte und das Kreischen der andern Waldvögel.
+
+»Horch,« sagte Elisabeth, »es läutet.«
+
+»Wo?« fragte Reinhard.
+
+»Hinter uns. Hörst du? Es ist Mittag.«
+
+»Dann liegt hinter uns die Stadt, und wenn wir in dieser Richtung
+gerade durchgehen, so müssen wir die andern treffen.«
+
+So traten sie ihren Rückweg an; das Erdbeerensuchen hatten sie
+aufgegeben, denn Elisabeth war müde geworden. Endlich klang zwischen
+den Bäumen hindurch das Lachen der Gesellschaft; dann sahen sie auch
+ein weißes Tuch am Boden schimmern, das war die Tafel, und darauf
+standen Erdbeeren in Hülle und Fülle. Der alte Herr hatte eine
+Serviette im Knopfloch und hielt den Jungen die Fortsetzung seiner
+moralischen Reden, während er eifrig an einem Braten herumtranchierte.
+
+»Da sind die Nachzügler,« riefen die Jungen, als sie Reinhard und
+Elisabeth durch die Bäume kommen sahen.
+
+»Hierher!« rief der alte Herr, »Tücher ausgeleert, Hüte umgekehrt! Nun
+zeigt her, was ihr gefunden habt.«
+
+»Hunger und Durst!« sagte Reinhard.
+
+»Wenn, das alles ist,« erwiderte der Alte und hob ihnen die volle
+Schüssel entgegen, »so müßt ihr es auch behalten. Ihr kennt die Abrede;
+hier werden keine Müßiggänger gefüttert.«
+
+Endlich ließ er sich aber doch erbitten, und nun wurde Tafel gehalten;
+dazu schlug die Drossel aus den Wacholderbüschen.
+
+So ging der Tag hin.—Reinhard hatte aber doch etwas gefunden; waren es
+keine Erdbeeren, so war es doch auch im Walde gewachsen. Als er nach
+Hause gekommen war, schrieb er in seinen alten Pergamentband:
+
+ Hier an der Bergeshalde
+ Verstummet ganz der Wind;
+ Die Zweige hängen nieder,
+ Darunter sitzt das Kind
+
+ Sie sitzt im Thymiane,
+ Sie sitzt in lauter Duft;
+ Die blauen Fliegen summen
+ Und blitzen durch die Luft.
+
+ Es steht der Wald so schweigend,
+ Sie schaut so klug darein;
+ Um ihre braunen Locken
+ Hinfließt der Sonnenschein.
+
+ Der Kuckuck lacht von ferne,
+ Es geht mir durch den Sinn:
+ Sie hat die goldnen Augen
+ Der Waldeskönigin.
+
+
+So war sie nicht allein sein Schützling, sie war ihm auch der Ausdruck
+für alles Liebliche und Wunderbare seines aufgehenden Lebens.
+
+
+
+
+DA STAND DAS KIND AM WEGE
+
+
+Weihnachtsabend kam heran. Es war noch nachmittags, als Reinhard mit
+andern Studenten im Ratskeller [Fußnote: Oder Rathauskeller. In fast
+jeder großen Stadt Deutschlands ist der Rathauskeller in ein Speise-
+und Bierhaus verwandelt worden.] am alten Eichentisch zusammensaß. Die
+Lampen an den Wänden waren angezündet, denn hier unten dämmerte es
+schon; aber die Gäste waren sparsam versammelt, die Kellner lehnten
+müßig an den Mauerpfeilern. In einem Winkel des Gewölbes saßen ein
+Geigenspieler und ein Zithermädchen mit feinen zigeunerhaften Zügen;
+sie hatten ihre Instrumente auf dem Schoß liegen und schienen
+teilnahmslos vor sich hinzusehen.
+
+Am Studententische knallte ein Champagnerpfropfen. »Trinke, mein
+böhmisch Liebchen!« rief ein junger Mann von junkerhaftem Äußern, indem
+er ein volles Glas zu dem Mädchen hinüberreichte.
+
+»Ich mag nicht,« sagte sie, ohne ihre Stellung zu verändern.
+
+»So singe!« rief der Junker und warf ihr eine Silbermünze in den Schoß.
+Das Mädchen strich sich langsam mit den Fingern durch ihr schwarzes
+Haar, während der Geigenspieler ihr ins Ohr flüsterte; aber sie warf
+den Kopf zurück und stützte das Kinn auf ihre Zither.
+
+»Für den spiel’ ich nicht,« sagte sie.
+
+Reinhard sprang mit dem Glase in der Hand auf und stellte sich vor sie.
+
+»Was willst du?« fragte sie trotzig.
+
+»Deine Augen sehen.«
+
+»Was geh’n dich meine Augen an?«
+
+Reinhard sah funkelnd auf sie nieder.
+
+»Ich weiß wohl, sie sind falsch!«
+
+Sie legte ihre Wange in die flache Hand und sah ihn lauernd an.
+Reinhard hob sein Glas an den Mund.
+
+»Auf deine schönen sündhaften Augen!« sagte er und trank.
+
+Sie lachte und warf den Kopf herum.
+
+»Gib!« sagte sie, und indem sie ihre schwarzen Augen in die seinen
+heftete, trank sie langsam den Rest. Dann griff sie einen Dreiklang und
+sang mit tiefer leidenschaftlicher Stimme:
+
+ Heute, nur heute
+ Bin ich so schön
+ Morgen, ach morgen
+ Muß alles vergeh’n!
+ Nur diese Stunde
+ Bist du noch mein;
+ Sterben, ach sterben
+ Soll ich allein!
+
+
+Während der Geigenspieler in raschem Tempo das Nachspiel einsetzte,
+gesellte sich ein neuer Ankömmling zu der Gruppe.
+
+»Ich wollte dich abholen, Reinhard,« sagte er. »Du warst schon fort;
+aber das Christkind war bei dir eingekehrt.«
+
+»Das Christkind?« sagte Reinhard, »das kommt nicht mehr zu mir.«
+
+»Ei was! Dein ganzes Zimmer roch nach Tannenbaum und braunen Kuchen.«
+
+Reinhard setzte das Glas aus seiner Hand und griff nach seiner Mütze.
+
+»Was willst du?« fragte das Mädchen.
+
+»Ich komme schon wieder.«
+
+Sie runzelte die Stirn. »Bleib!« rief sie leise und sah ihn vertraulich
+an.
+
+Reinhard zögerte. »Ich kann nicht,« sagte er.
+
+Sie stieß ihn lachend mit der Fußspitze. »Geh!« sagte sie, »du taugst
+nichts; ihr taugt alle mit einander nichts.« Und während sie sich
+abwandte, stieg Reinhard langsam die Kellertreppe hinauf.
+
+Draußen auf der Straße war es tiefe Dämmerung; er fühlte die frische
+Winterluft an seiner heißen Stirn. Hier und da fiel der helle Schein
+eines brennenden Tannenbaums aus den Fenstern, dann und wann hörte man
+von drinnen das Geräusch von kleinen Pfeifen und Blechtrompeten und
+dazwischen jubelnde Kinderstimmen. Scharen von Bettelkindern gingen von
+Haus zu Haus oder stiegen auf die Treppengeländer und suchten durch die
+Fenster einen Blick in die versagte Herrlichkeit zu gewinnen. Mitunter
+wurde auch eine Tür plötzlich aufgerissen, und scheltende Stimmen
+trieben einen ganzen Schwarm solcher kleinen Gäste aus dem hellen Hause
+auf die dunkle Gasse hinaus; anderswo wurde auf dem Hausflur ein altes
+Weihnachtslied gesungen; es waren klare Mädchenstimmen darunter.
+Reinhard hörte sie nicht, er ging rasch an allem vorüber, aus einer
+Straße in die andere. Als er an seine Wohnung gekommen, war es fast
+völlig dunkel geworden; er stolperte die Treppe hinauf und trat in
+seine Stube. Ein süßer Duft schlug ihm entgegen; das heimelte ihn an,
+das roch wie zu Haus der Mutter Weihnachtsstube. Mit zitternder Hand
+zündete er sein Licht an; da lag ein mächtiges Paket auf dem Tisch, und
+als er es öffnete, fielen die wohlbekannten braunen Festkuchen heraus;
+auf einigen waren die Anfangsbuchstaben seines Namens in Zucker
+ausgestreut; das konnte niemand anders als Elisabeth getan haben. Dann
+kam ein Päckchen mit feiner gestickter Wäsche zum Vorschein, Tücher und
+Manschetten, zuletzt Briefe von der Mutter und Elisabeth. Reinhard
+öffnete zuerst den letzteren; Elisabeth schrieb:
+
+»Die schönen Zuckerbuchstaben können Dir wohl erzählen, wer bei den
+Kuchen mitgeholfen hat; dieselbe Person hat die Manschetten für Dich
+gestickt. Bei uns wird es nun am Weihnachtsabend sehr still werden;
+meine Mutter stellt immer schon um halb zehn ihr Spinnrad in die Ecke;
+es ist gar so einsam diesen Winter, wo Du nicht hier bist.
+
+»Nun ist auch vorigen Sonntag der Hänfling gestorben, den Du mir
+geschenkt hattest; ich habe sehr geweint, aber ich hab’ ihn doch immer
+gut gewartet.
+
+»Der sang sonst immer nachmittags, wenn die Sonne auf sein Bauer
+schien; Du weißt, die Mutter hing so oft ein Tuch über, um ihn zu
+geschweigen, wenn er so recht aus Kräften sang.
+
+»Da ist es nun noch stiller in der Kammer, nur daß Dein alter Freund
+Erich uns jetzt mitunter besucht. Du sagtest uns einmal, er sähe seinem
+braunen Überrock ähnlich. Daran muß ich nun immer denken, wenn er zur
+Tür hereinkommt, und es ist gar zu komisch; sag es aber nicht zur
+Mutter, sie wird dann leicht verdrießlich.
+
+»Rat, was ich Deiner Mutter zu Weihnachten schenke! Du rätst es nicht?
+Mich selber! Der Erich zeichnet mich in schwarzer Kreide; ich habe ihm
+dreimal sitzen müssen, jedesmal eine ganze Stunde.
+
+»Es war mir recht zuwider, daß der fremde Mensch mein Gesicht so
+auswendig lernte. Ich wollte auch nicht, aber die Mutter redete mir zu;
+sie sagte, es würde der guten Frau Werner eine gar große Freude machen.
+
+»Aber Du hältst nicht Wort, Reinhard. Du hast keine Märchen geschickt.
+Ich habe Dich oft bei Deiner Mutter verklagt; sie sagt dann immer, Du
+habest jetzt mehr zu tun, als solche Kindereien. Ich glaub’ es aber
+nicht; es ist wohl anders.«
+
+Nun las Reinhard auch den Brief seiner Mutter, und als er beide Briefe
+gelesen und langsam wieder zusammengefaltet und weggelegt hatte,
+überfiel ihn ein unerbittliches Heimweh. Er ging eine Zeitlang in
+seinem Zimmer auf und nieder: er sprach leise und dann halbverständlich
+zu sich selbst:
+
+ Er wäre fast verirret
+ Und wußte nicht hinaus;
+ Da stand das Kind am Wege
+ Und winkte ihm nach Haus.
+
+
+Dann trat er an sein Pult, nahm einiges Geld heraus und ging wieder auf
+die Straße hinab. Hier war es mittlerweile stiller geworden; die
+Weihnachtsbäume waren ausgebrannt, die Umzüge der Kinder hatten
+aufgehört. Der Wind fegte durch die einsamen Straßen; Alte und Junge
+saßen in ihren Häusern familienweise zusammen; der zweite Abschnitt des
+Weihnachtsabends hatte begonnen.
+
+Als Reinhard in die Nähe des Ratskellers kam, hörte er aus der Tiefe
+herauf Geigenstrich und den Gesang des Zithermädchens; nun klingelte
+unten die Kellertür, und eine dunkle Gestalt schwankte die breite, matt
+erleuchtete Treppe herauf.
+
+Reinhard trat in den Häuserschatten und ging dann rasch vorüber. Nach
+einer Weile erreichte er den erleuchteten Laden eines Juweliers, und
+nachdem er hier ein kleines Kreuz mit roten Korallen eingehandelt
+hatte, ging er auf demselben Wege, den er gekommen war, wieder zurück.
+
+Nicht weit von seiner Wohnung bemerkte er ein kleines, in klägliche
+Lumpen gehülltes Mädchen an einer hohen Haustür stehen, in vergeblicher
+Bemühung, sie zu öffnen. »Soll ich dir helfen?« sagte er. Das Kind
+erwiderte nichts, ließ aber die schwere Türklinke fahren. Reinhard
+hatte schon die Tür geöffnet. »Nein,« sagte er, »sie könnten dich
+hinausjagen; komm mit mir! ich will dir Weihnachtskuchen geben.« Dann
+machte er die Tür wieder zu und faßte das kleine Mädchen an der Hand,
+das stillschweigend mit ihm in seine Wohnung ging.
+
+Er hatte das Licht beim Weggehen brennen lassen. »Hier hast du Kuchen,«
+sagte er und gab ihr die Hälfte seines ganzen Schatzes in ihre Schürze,
+nur keine mit den Zuckerbuchstaben. »Nun geh nach Haus und gib deiner
+Mutter auch davon.« Das Kind sah mit einem scheuen Blick zu ihm hinauf;
+es schien solcher Freundlichkeit ungewohnt und nichts darauf erwidern
+zu können. Reinhard machte die Tür auf und leuchtete ihr, und nun flog
+die Kleine wie ein Vogel mit ihrem Kuchen die Treppe hinab und zum
+Hause hinaus.
+
+Reinhard schürte das Feuer in seinem Ofen an und stellte das bestaubte
+Tintenfaß auf seinen Tisch; dann setzte er sich hin und schrieb und
+schrieb die ganze Nacht Briefe an seine Mutter, an Elisabeth. Der Rest
+der Weihnachtskuchen lag unberührt neben ihm; aber die Manschetten von
+Elisabeth hatte er angeknöpft, was sich gar wunderlich zu seinem weißen
+Flausrock ausnahm. So saß er noch, als die Wintersonne auf die
+gefrorenen Fensterscheiben fiel und ihm gegenüber im Spiegel ein
+blasses, ernstes Antlitz zeigte.
+
+
+
+
+DAHEIM
+
+
+Als es Ostern geworden war, reiste Reinhard in die Heimat. Am Morgen
+nach seiner Ankunft ging er zu Elisabeth.
+
+»Wie groß du geworden bist,« sagte er, als das schöne, schmächtige
+Mädchen ihm lächelnd entgegenkam. Sie errötete, aber sie erwiderte
+nichts; ihre Hand, die er beim Willkommen in die seine genommen, suchte
+sie ihm sanft zu entziehen. Er sah sie zweifelnd an, das hatte sie
+früher nicht getan; nun war es, als trete etwas Fremdes zwischen sie.
+
+Das blieb auch, als er schon länger dagewesen, und als er Tag für Tag
+immer wiedergekommen war. Wenn sie allein zusammensaßen, entstanden
+Pausen, die ihm peinlich waren, und denen er dann ängstlich
+zuvorzukommen suchte. Um während der Ferienzeit eine bestimmte
+Unterhaltung zu haben, fing er an, Elisabeth in der Botanik zu
+unterrichten, womit er sich in den ersten Monaten seines
+Universitätslebens angelegentlich beschäftigt hatte.
+
+Elisabeth, die ihm in allem zu folgen gewohnt und überdies lehrhaft
+war, ging bereitwillig darauf ein. Nun wurden mehrere Male in der Woche
+Exkursionen ins Feld oder in die Heide gemacht, und hatten sie dann
+mittags die grüne Botanisierkapsel voll Kraut und Blumen nach Hause
+gebracht, so kam Reinhard einige Stunden später wieder, um mit
+Elisabeth den gemeinschaftlichen Fund zu teilen.
+
+In solcher Absicht trat er eines Nachmittags ins Zimmer, als Elisabeth
+am Fenster stand und ein vergoldetes Vogelbauer, das er sonst dort
+nicht gesehen, mit frischem Hühnerschwarm besteckte. Im Bauer saß ein
+Kanarienvogel, der mit den Flügeln schlug und kreischend nach
+Elisabeths Finger pickte. Sonst hatte Reinhards Vogel an dieser Stelle
+gehangen.
+
+»Hat mein armer Hänfling sich nach seinem Tode in einen Goldfinken
+verwandelt?« fragte er heiter.
+
+»Das pflegen die Hänflinge nicht,« sagte die Mutter, welche spinnend im
+Lehnstuhl saß. »Ihr Freund Erich hat ihn heut’ Mittag für Elisabeth von
+seinem Hofe hereingeschickt.«
+
+»Von welchem Hofe?«
+
+»Das wissen Sie nicht?«
+
+»Was denn?«
+
+»Daß Erich seit einem Monat den zweiten Hof seines Vaters am Immensee
+[Fußnote: Der See der Immen, d. h. der Bienen.] angetreten hat?«
+
+»Aber Sie haben mir kein Wort davon gesagt.«
+
+»Ei,« sagte die Mutter, »Sie haben sich auch noch mit keinem Worte nach
+Ihrem Freunde erkundigt. Er ist ein gar lieber, verständiger junger
+Mann.«
+
+Die Mutter ging hinaus, um den Kaffee zu besorgen; Elisabeth hatte
+Reinhard den Rücken zugewandt und war noch mit dem Bau ihrer kleinen
+Laube beschäftigt.
+
+»Bitte, nur ein kleines Weilchen,« sagte sie; »gleich bin ich fertig.«
+
+Da Reinhard wider seine Gewohnheit nicht antwortete, so wandte sie sich
+um. In seinen Augen lag ein plötzlicher Ausdruck von Kummer, den sie
+nie darin gewahrt hatte.
+
+»Was fehlt dir, Reinhard?« fragte sie, indem sie nahe zu ihm trat.
+
+»Mir?« sagte er gedankenlos und ließ seine Augen träumerisch in den
+ihren ruhen.
+
+»Du siehst so traurig aus.«
+
+»Elisabeth,« sagte er, »ich kann den gelben Vogel nicht leiden.«
+
+Sie sah ihn staunend an, sie verstand ihn nicht. »Du bist so
+sonderbar,« sagte sie.
+
+Er nahm ihre beiden Hände, die sie ruhig in den seinen ließ. Bald trat
+die Mutter wieder herein. Nach dem Kaffee setzte diese sich an ihr
+Spinnrad; Reinhard und Elisabeth gingen ins Nebenzimmer, um ihre
+Pflanzen zu ordnen.
+
+Nun wurden Staubfäden gezählt, Blätter und Blüten sorgfältig
+ausgebreitet und von jeder Art zwei Exemplare zum Trocknen zwischen die
+Blätter eines großen Folianten gelegt.
+
+Es war sonnige Nachmittagsstille; nur nebenan schnurrte der Mutter
+Spinnrad, und von Zeit zu Zeit wurde Reinhards gedämpfte Stimme gehört,
+wenn er die Ordnungen der Klassen der Pflanzen nannte oder Elisabeths
+ungeschickte Aussprache der lateinischen Namen korrigierte.
+
+»Mir fehlt noch von neulich die Maiblume,« sagte sie jetzt, als der
+ganze Fund bestimmt und geordnet war.
+
+Reinhard zog einen kleinen weißen Pergamentband aus der Tasche. »Hier
+ist ein Maiblumenstengel für dich,« sagte er, indem er die
+halbgetrocknete Pflanze herausnahm.
+
+Als Elisabeth die beschriebenen Blätter sah, fragte sie: »Hast du
+wieder Märchen gedichtet?«
+
+»Es sind keine Märchen,« antwortete er und reichte ihr das Buch.
+
+Es waren lauter Verse, die meisten füllten höchstens eine Seite.
+Elisabeth wandte ein Blatt nach dem andern um; sie schien nur die
+Überschriften zu lesen. »Als sie vom Schulmeister gescholten war.« »Als
+sie sich im Walde verirrt hatten.« »Mit dem Ostermärchen.« »Als sie mir
+zum erstenmal geschrieben hatte;« in der Weise lauteten fast alle.
+
+Reinhard blickte forschend zu ihr hin, und indem sie immer weiter
+blätterte, sah er, wie zuletzt auf ihrem klaren Antlitz ein zartes Rot
+hervorbrach und es allmählich ganz überzog. Er wollte ihre Augen sehen,
+aber Elisabeth sah nicht auf und legte das Buch am Ende schweigend vor
+ihn hin.
+
+»Gib mir es nicht so zurück!« sagte er.
+
+Sie nahm ein braunes Reis aus der Blechkapsel. »Ich will dein
+Lieblingskraut hineinlegen,« sagte sie und gab ihm das Buch in seine
+Hände.
+
+Endlich kam der letzte Tag der Ferienzeit und der Morgen der Abreise.
+Auf ihre Bitte erhielt Elisabeth von der Mutter die Erlaubnis, ihren
+Freund an den Postwagen zu begleiten, der einige Straßen von ihrer
+Wohnung seine Station hatte.
+
+Als sie vor die Haustür traten, gab Reinhard ihr den Arm; so ging er
+schweigend neben dem schlanken Mädchen her. Je näher sie ihrem Ziele
+kamen, desto mehr war es ihm, er habe ihr, ehe er auf so lange Abschied
+nehme, etwas Notwendiges mitzuteilen, etwas, wovon aller Wert und alle
+Lieblichkeit seines künftigen Lebens abhänge, und doch konnte er sich
+des erlösenden Wortes nicht bewußt werden. Das ängstigte ihn; er ging
+immer langsamer.
+
+»Du kommst zu spät,« sagte sie, »es hat schon zehn geschlagen auf St.
+Marien.«
+
+Er ging aber darum nicht schneller. Endlich sagte er stammelnd:
+
+»Elisabeth, du wirst mich nun in zwei Jahren gar nicht sehen—wirst du
+mich wohl noch eben so lieb haben wie jetzt, wenn ich wieder da bin?«
+
+Sie nickte und sah ihm freundlich ins Gesicht.
+
+»Ich habe dich auch verteidigt;« sagte sie nach einer Pause.
+
+»Mich? Gegen wen hattest du es nötig?«
+
+»Gegen meine Mutter. Wir sprachen gestern abend, als du weggegangen
+warst, noch lange über dich. Sie meinte, du seiest nicht mehr so gut,
+wie du gewesen.«
+
+Reinhard schwieg einen Augenblick; dann aber nahm er ihre Hand in die
+seine, und indem er ihr ernst in ihre Kinderaugen blickte, sagte er:
+
+»Ich bin noch eben so gut, wie ich gewesen bin; glaube du das nur fest!
+Glaubst du es, Elisabeth?«
+
+»Ja,« sagte sie.
+
+Er ließ ihre Hand los und ging rasch mit ihr durch die letzte Straße.
+Je näher ihm der Abschied kam, desto freudiger war sein Gesicht; er
+ging ihr fast zu schnell.
+
+»Was hast du, Reinhard?« fragte sie.
+
+»Ich habe ein Geheimnis, ein schönes!« sagte er und sah sie mit
+leuchtenden Augen an. »Wenn ich nach zwei Jahren wieder da bin, dann
+sollst du es erfahren.«
+
+Mittlerweile hatten sie den Postwagen erreicht; es war noch eben Zeit
+genug. Noch einmal nahm Reinhard ihre Hand. »Leb wohl!« sagte er, »leb
+wohl, Elisabeth! Vergiß es nicht!«
+
+Sie schüttelte mit dem Kopf. »Leb wohl!« sagte sie. Reinhard stieg
+hinein, und die Pferde zogen an. Als der Wagen um die Straßenecke
+rollte, sah er noch einmal ihre liebe Gestalt, wie sie langsam den Weg
+zurückging.
+
+
+
+
+EIN BRIEF
+
+
+Fast zwei Jahre nachher saß Reinhard vor seiner Lampe zwischen Büchern
+und Papieren in Erwartung eines Freundes, mit welchem er
+gemeinschaftliche Studien übte. Man kam die Treppe herauf. »Herein!« Es
+war die Wirtin. »Ein Brief für Sie, Herr Werner!« Dann entfernte sie
+sich wieder.
+
+Reinhard hatte seit seinem Besuch in der Heimat nicht an Elisabeth
+geschrieben und von ihr keinen Brief mehr erhalten. Auch dieser war
+nicht von ihr; es war die Hand seiner Mutter.
+
+Reinhard brach und las, und bald las er folgendes:
+
+»In Deinem Alter, mein liebes Kind, hat noch fast jedes Jahr sein
+eigenes Gesicht: denn die Jugend läßt sich nicht ärmer machen. Hier ist
+auch manches anders geworden, was Dir wohl erstan weh tun wird, wenn
+ich Dich sonst recht verstanden habe. Erich hat sich gestern endlich
+das Jawort von Elisabeth geholt, nachdem er in dem letzten Vierteljahr
+zweimal vergebens angefragt hatte. Sie hatte sich immer nicht dazu
+entschließen können; nun hat sie es endlich doch getan; sie ist auch
+noch gar zu jung. Die Hochzeit wird bald sein, und die Mutter wird dann
+mit ihnen fortgehen.«
+
+
+
+
+IMMENSEE
+
+
+Wiederum waren Jahre vorüber.—Auf einem abwärts führenden schattigen
+Waldwege wanderte an einem warmen Frühlingsnachmittage ein junger Mann
+mit kräftigem, gebräuntem Antlitz.
+
+Mit seinen ernsten dunkeln Augen sah er gespannt in die Ferne, als
+erwarte er endlich eine Veränderung des einförmigen Weges, die jedoch
+immer nicht eintreten wollte. Endlich kam ein Karrenfuhrwerk langsam
+von unten herauf.
+
+»Hollah! guter Freund!« rief der Wanderer dem nebengehenden Bauer zu,
+»geht’s hier recht nach Immensee?«
+
+»Immer gerad’ aus,« antwortete der Mann, und rückte an seinem Rundhute.
+
+»Hat’s denn noch weit dahin?«
+
+»Der Herr ist dicht davor. Keine halbe Pfeif’ Tabak, so haben’s den
+See; das Herrenhaus liegt hart daran.«
+
+Der Bauer fuhr vorüber; der andere ging eiliger unter den Bäumen
+entlang. Nach einer Viertelstunde hörte ihm zur Linken plötzlich der
+Schatten auf; der Weg führte an einen Abhang, aus dem die Gipfel
+hundertjähriger Eichen nur kaum hervorragten. Über sie hinweg öffnete
+sich eine weite, sonnige Landschaft. Tief unten lag der See, ruhig,
+dunkelblau, fast ringsum von grünen, sonnenbeschienenen Wäldern
+umgeben; nur an einer Stelle traten sie auseinander und gewährten eine
+tiefe Fernsicht, bis auch diese durch blaue Berge geschlossen wurde.
+Quer gegenüber, mitten in dem grünen Laub der Wälder, lag es wie Schnee
+darüber her; das waren blühende Obstbäume, und daraus hervor auf dem
+hohen Ufer erhob sich das Herrenhaus, weiß mit roten Ziegeln. Ein
+Storch flog vom Schornstein auf und kreiste langsam über dem Wasser.
+
+»Immensee!« rief der Wanderer.
+
+Es war fast, als hätte er jetzt das Ziel seiner Reise erreicht, denn er
+stand unbeweglich und sah über die Gipfel der Bäume zu seinen Füßen
+hinüber ans andere Ufer, wo das Spiegelbild des Herrenhauses leise
+schaukelnd auf dem Wasser schwamm. Dann setzte er plötzlich seinen Weg
+fort.
+
+Es ging jetzt fast steil den Berg hinab, so daß die unten stehenden
+Bäume wieder Schatten gewährten, zugleich aber die Aussicht auf den See
+verdeckten, der nur zuweilen zwischen den Lücken der Zweige
+hindurchblitzte. Bald ging es wieder sanft empor, und nun verschwand
+rechts und links die Holzung; statt dessen streckten sich dichtbelaubte
+Weinhügel am Wege entlang; zu beiden Seiten desselben standen blühende
+Obstbäume voll summender wühlender Bienen. Ein stattlicher Mann in
+braunem Überrock kam dem Wanderer entgegen. Als er ihn fast erreicht
+hatte, schwenkte er seine Mütze und rief mit heller Stimme:
+
+»Willkommen, willkommen, Bruder Reinhard! Willkommen auf Gut Immensee!«
+
+»Gott grüß’ dich, [Fußnote: Dieser Gruß wird besonders in
+Suddeutschland gebraucht.] Erich, und Dank für dein Willkommen!« rief
+ihm der andere entgegen.
+
+Dann waren sie zu einander gekommen und reichten sich die Hände.
+
+»Bist du es denn aber auch?« sagte Erich, als er so nahe in das ernste
+Gesicht seines alten Schulkameraden sah.
+
+»Freilich bin ich’s, Erich, und du bist es auch; nur siehst du fast
+noch heiterer aus, als du schon sonst immer getan hast.«
+
+Ein frohes Lächeln machte Erichs einfache Züge bei diesen Worten noch
+um vieles heiterer.
+
+»Ja, Bruder Reinhard,« sagte er, diesem noch einmal seine Hand
+reichend, »ich habe aber auch seitdem das große Los gezogen; du weißt
+es ja.«
+
+Dann rieb er sich die Hände und rief vergnügt: »Das wird eine
+Überraschung! Den erwartet sie nicht, in alle Ewigkeit nicht!«
+
+»Eine Überraschung?« fragte Reinhard. »Für wen denn?«
+
+»Für Elisabeth.«
+
+»Elisabeth! Du hast ihr nicht von meinem Besuch gesagt?«
+
+»Kein Wort, Bruder Reinhard; sie denkt nicht an dich, die Mutter auch
+nicht. Ich hab’ dich ganz im geheimen verschrieben, damit die Freude
+desto größer sei. Du weißt, ich hatte immer so meine stillen Plänchen.«
+
+Reinhard wurde nachdenklich; der Atem schien ihm schwer zu werden, je
+näher sie dem Hofe kamen.
+
+An der linken Seite des Weges hörten nun auch die Weingärten auf und
+machten einem weitläufigen Küchengarten Platz, der sich bis fast an das
+Ufer des Sees hinabzog. Der Storch hatte sich mittlerweile
+niedergelassen und spazierte gravitätisch zwischen den Gemüsebeeten
+umher.
+
+»Hollah!« rief Erich, in die Hände klatschend, »stiehlt mir der
+hochbeinige Ägypter schon wieder meine kurzen Erbsenstangen!«
+
+Der Vogel erhob sich langsam und flog auf das Dach eines neuen
+Gebäudes, das am Ende des Küchengartens lag und dessen Mauern mit
+aufgebundenen Pfirsich- und Aprikosenbäumen überzweigt waren.
+
+»Das ist die Spritfabrik,« sagte Erich; »ich habe sie erst vor zwei
+Jahren angelegt. Die Wirtschaftsgebäude hat mein seliger Vater neu
+aussetzen lassen; das Wohnhaus ist schon von meinem Großvater gebaut
+worden. So kommt man immer ein bißchen weiter.«
+
+Sie waren bei diesen Worten auf einen geräumigen Platz gekommen, der an
+den Seiten durch die ländlichen Wirtschaftsgebäude, im Hintergrunde
+durch das Herrenhaus begrenzt wurde, an dessen beide Flügel sich eine
+hohe Gartenmauer anschloß; hinter dieser sah man die Züge dunkler
+Taxuswände und hin und wieder ließen Syringenbäume ihre blühenden
+Zweige in den Hofraum hinunterhängen. Männer mit sonnen- und
+arbeitsheißen Gesichtern gingen über den Platz und grüßten die Freunde,
+während Erich dem einen oder dem andern einen Auftrag oder eine Frage
+über ihr Tagewerk entgegenrief.
+
+Dann hatten sie das Haus erreicht. Ein hoher, kühler Hausflur nahm sie
+auf, an dessen Ende sie links in einen etwas dunkleren Seitengang
+einbogen.
+
+Hier öffnete Erich eine Tür, und sie traten in einen geräumigen
+Gartensaal, der durch das Laubgedränge, welches die gegenüberliegenden
+Fenster bedeckte, zu beiden Seiten mit grüner Dämmerung erfüllt war;
+zwischen diesen aber ließen zwei hohe, weit geöffnete Flügeltüren den
+vollen Glanz der Frühlingssonne hereinfallen und gewährten die Aussicht
+in einen Garten mit gezirkelten Blumenbeeten und hohen steilen
+Laubwänden, geteilt durch einen geraden, breiten Gang, durch welchen
+man auf den See und weiter auf die gegenüberliegenden Wälder hinaussah.
+Als die Freunde hineintraten, trug die Zugluft ihnen einen Strom von
+Duft entgegen.
+
+Auf einer Terrasse vor der Gartentür saß eine weiße, mädchenhafte
+Frauengestalt. Sie stand auf und ging den Eintretenden entgegen; auf
+halbem Wege blieb sie wie angewurzelt stehen und starrte den Fremden
+unbeweglich an. Er streckte ihr lächelnd die Hand entgegen.
+
+»Reinhard!« rief sie, »Reinhard! Mein Gott, du bist es!—Wir haben uns
+lange nicht gesehen.«
+
+»Lange nicht,« sagte er und konnte nichts weiter sagen; denn als er
+ihre Stimme hörte, fühlte er einen feinen körperlichen Schmerz am
+Herzen, und wie er zu ihr aufblickte, stand sie vor ihm, dieselbe
+leichte zärtliche Gestalt, der er vor Jahren in seiner Vaterstadt
+Lebewohl gesagt hatte.
+
+Erich war mit freudestrahlendem Antlitz an der Tür zurückgeblieben.
+
+»Nun, Elisabeth?« sagte er; »gelt! den hättest du nicht erwartet, den
+in alle Ewigkeit nicht!«
+
+Elisabeth sah ihn mit schwesterlichen Augen an.
+
+»Du bist so gut, Erich!« sagte sie.
+
+Er nahm ihre schmale Hand liebkosend in die seinen. »Und nun wir ihn
+haben,« sagte er, »nun lassen wir ihn so bald nicht wieder los. Er ist
+so lange draußen gewesen; wir wollen ihn wieder heimisch machen. Schau
+nur, wie fremd und vornehm aussehend er worden ist!«
+
+Ein scheuer Blick Elisabeths streifte Reinhards Antlitz. »Es ist nur
+die Zeit, die wir nicht beisammen waren,« sagte er.
+
+In diesem Augenblick kam die Mutter, mit einem Schlüsselkörbchen am
+Arm, zur Tür herein.
+
+»Herr Werner!« sagte sie, als sie Reinhard erblickte; »ei, ein eben so
+lieber als unerwarteter Gast.«
+
+Und nun ging die Unterhaltung in Fragen und Antworten ihren ebenen
+Tritt. Die Frauen setzten sich zu ihrer Arbeit, und während Reinhard
+die für ihn bereiteten Erfrischungen genoß, hatte Erich seinen soliden
+Meerschaumkopf angebrannt und saß dampfend und diskutierend an seiner
+Seite.
+
+Am andern Tage mußte Reinhard mit ihm hinaus auf die Äcker, in die
+Weinberge, in den Hopfengarten, in die Spritfabrik. Es war alles wohl
+bestellt; die Leute, welche auf dem Felde und bei den Kesseln
+arbeiteten, hatten alle ein gesundes und zufriedenes Aussehen.
+
+Zu Mittag kam die Familie im Gartensaal zusammen, und der Tag wurde
+dann, je nach der Muße der Wirte, mehr oder minder gemeinschaftlich
+verlebt. Nur die Stunden vor dem Abendessen, wie die ersten des
+Vormittags, blieb Reinhard arbeitend auf seinem Zimmer.
+
+Er hatte seit Jahren, wo er deren habhaft werden konnte, die im Volke
+lebenden Reime und Lieder gesammelt und ging nun daran, seinen Schatz
+zu ordnen und wo möglich mit neuen Aufzeichnungen aus der Umgegend zu
+vermehren.
+
+Elisabeth war zu allen Zeiten sanft und freundlich; Erichs immer
+gleichbleibende Aufmerksamkeit nahm sie mit einer fast demütigen
+Dankbarkeit auf, und Reinhard dachte mitunter, das heitere Kind von
+ehedem habe wohl eine weniger stille Frau versprochen.
+
+Seit dem zweiten Tage seines Hierseins pflegte er abends einen
+Spaziergang an den Ufern des Sees zu machen. Der Weg führte hart unter
+dem Garten vorbei. Am Ende desselben, auf einer vorspringenden Bastei,
+stand eine Bank unter hohen Birken; die Mutter hatte sie die Abendbank
+getauft, weil der Platz gegen Abend lag und des Sonnenuntergangs halber
+um diese Zeit am meisten benutzt wurde.
+
+Von einem Spaziergange auf diesem Wege kehrte Reinhard eines Abends
+zurück, als er vom Regen überrascht wurde. Er suchte Schutz unter einer
+am Wasser stehenden Linde, aber die schweren Tropfen schlugen bald
+durch die Blätter. Durchnäßt, wie er war, ergab er sich darein und
+setzte langsam seinen Rückweg fort.
+
+Es war fast dunkel; der Regen fiel immer dichter. Als er sich der
+Abendbank näherte, glaubte er zwischen den schimmernden Birkenstämmen
+eine weiße Frauengestalt zu unterscheiden. Sie stand unbeweglich und,
+wie er beim Näherkommen zu erkennen meinte, zu ihm hingewandt, als wenn
+sie jemanden erwarte.
+
+Er glaubte, es sei Elisabeth. Als er aber rascher zuschritt, um sie zu
+erreichen und dann mit ihr zusammen durch den Garten ins Haus
+zurückzukehren, wandte sie sich langsam ab und verschwand in den
+dunkeln Seitengängen.
+
+Er konnte das nicht reimen; er war aber fast zornig auf Elisabeth, und
+dennoch zweifelte er, ob sie es gewesen sei; aber er scheute sich, sie
+darnach zu fragen; ja, er ging bei seiner Rückkehr nicht in den
+Gartensaal, nur um Elisabeth nicht etwa durch die Gartentür
+hereintreten zu sehen.
+
+
+
+
+MEINE MUTTER HAT’S GEWOLLT
+
+
+Einige Tage nachher, es ging schon gegen Abend, saß die Familie, wie
+gewöhnlich um diese Zeit, im Gartensaal zusammen. Die Türen standen
+offen; die Sonne war schon hinter den Wäldern jenseits des Sees.
+
+Reinhard wurde um die Mitteilung einiger Volkslieder gebeten, welche er
+am Nachmittage von einem auf dem Lande wohnenden Freunde geschickt
+bekommen hatte. Er ging auf sein Zimmer und kam gleich darauf mit einer
+Papierrolle zurück, welche aus einzelnen sauber geschriebenen Blättern
+zu bestehen schien.
+
+Man setzte sich an den Tisch, Elisabeth an Reinhards Seite. »Wir lesen
+auf gut Glück,« sagte er, »ich habe sie selber noch nicht
+durchgesehen.«
+
+Elisabeth rollte das Manuskript auf. »Hier sind Noten,« sagte sie, »das
+mußt du singen, Reinhard.«
+
+Und dieser las nun zuerst einige tiroler Schnaderhüpfel, [Fußnote:
+Dialektisch für »Schnitterhüpfen,« d. h. Schnitter-Tänze oder Lieder,
+die besonders in Tirol und in Bayern gesungen werden.] indem er beim
+Lesen zuweilen die lustige Melodie mit halber Stimme anklingen ließ.
+Eine allgemeine Heiterkeit bemächtigte sich der kleinen Gesellschaft.
+»Wer hat doch aber die schönen Lieder gemacht?« fragte Elisabeth.
+
+»Ei,« sagte Erich, »das hört man den Dingern schon an,
+Schneidergesellen und Friseure und derlei lustiges Gesindel.«
+
+Reinhard sagte: »Sie werden gar nicht gemacht; sie wachsen; sie fallen
+aus der Luft, sie fliegen über Land wie Mariengarn, [Fußnote: Der
+Volksglaube hat dieses feine Gewebe von Feldspinnen immer in Verbindung
+mit den Göttern gebracht. Nach Einführung des Christentums wurde es auf
+die Jungfrau Maria bezogen: aus dem feinsten Faden soll das
+Leichenkleid gewoben worden sein, worin Maria nach ihrem Tod eingehüllt
+wurde. Während ihrer Himmelfahrt wäre das Gewebe wieder von ihr
+losgebrochen.] hierhin und dorthin und werden an tausend Stellen
+zugleich gesungen. Unser eigenstes Tun und Leiden finden wir in diesen
+Liedern; es ist, als ob wir alle an ihnen mitgeholfen hätten.«
+
+Er nahm ein anderes Blatt: »Ich stand auf hohen Bergen…« [Fußnote: Ein
+altes Volkslied von einem schönen aber armen Mädchen, das den jungen
+Grafen nicht heiraten konnte, und sich in ein Kloster zurückzog.]
+
+»Das kenne ich!« rief Elisabeth. »Stimme nur an, Reinhard; ich will dir
+helfen.«
+
+Und nun sangen sie jene Melodie, die so rätselhaft ist, daß man nicht
+glauben kann, sie sei von Menschen erdacht worden; Elisabeth mit ihrer
+etwas verdeckten Altstimme dem Tenor sekundierend.
+
+Die Mutter saß inzwischen emsig an ihrer Näherei; Erich hatte die Hände
+in einander gelegt und hörte andächtig zu. Als das Lied zu Ende war,
+legte Reinhard das Blatt schweigend bei Seite. Vom Ufer des Sees herauf
+kam durch die Abendstille das Geläute der Herdenglocken; sie horchten
+unwillkürlich; da hörten sie eine klare Knabenstimme singen:
+
+ Ich stand auf hohen Bergen
+ Und sah ins tiefe Tal . . .
+
+
+Reinhard lächelte: »Hört ihr es wohl? So geht’s von Mund zu Mund.«
+
+»Es wird oft in dieser Gegend gesungen,« sagte Elisabeth.
+
+»Ja,« sagte Erich, »es ist der Hirtenkasper; er treibt die Starken
+[Fußnote: Süddialektisch für »die Färsen.«] heim.«
+
+Sie horchten noch eine Weile, bis das Geläute hinter den
+Wirtschaftsgebäuden verschwunden war. »Das sind Urtöne,« sagte
+Reinhard; »sie schlafen in Waldesgründen; Gott weiß, wer sie gefunden
+hat.«
+
+Er zog ein neues Blatt heraus.
+
+Es war schon dunkler geworden; ein roter Abendschein lag wie Schaum auf
+den Wäldern jenseits des Sees. Reinhard rollte das Blatt auf, Elisabeth
+legte an der einen Seite ihre Hand darauf und sah mit hinein. Dann las
+Reinhard:
+
+ Meine Mutter hat’s gewollt,
+ Den andern ich nehmen sollt’:
+ Was ich zuvor besessen,
+ Mein Herz sollt’ es vergessen;
+ Das hat es nicht gewollt.
+
+ Meine Mutter klag’ ich an,
+ Sie hat nicht wohl getan;
+ Was sonst in Ehren stünde,
+ Nun ist es worden Sünde.
+ Was fang’ ich an!
+
+ Für all’ mein’ Stolz und Freud’
+ Gewonnen hab’ ich Leid.
+ Ach, wär’ das nicht geschehen,
+ Ach, könnt’ ich betteln gehen
+ Über die braune Heid’!
+
+
+Während des Lesens hatte Reinhard ein unmerkliches Zittern des Papiers
+empfunden; als er zu Ende war, schob Elisabeth leise ihren Stuhl zurück
+und ging schweigend in den Garten hinab. Ein Blick der Mutter folgte
+ihr. Erich wollte nachgehen; doch die Mutter sagte: »Elisabeth hat
+draußen zu tun.« So unterblieb es.
+
+Draußen aber legte sich der Abend mehr und mehr über Garten und See;
+die Nachtschmetterlinge schossen surrend an den offenen Türen vorüber,
+durch welche der Duft der Blumen und Gesträuche immer stärker
+hereindrang; vom Wasser herauf kam das Geschrei der Frösche, unter den
+Fenstern schlug eine Nachtigall, tiefer im Garten eine andere; der Mond
+sah über die Bäume.
+
+Reinhard blickte noch eine Weile auf die Stelle, wo Elisabeths feine
+Gestalt zwischen den Laubgängen verschwunden war; dann rollte er sein
+Manuskript zusammen, grüßte die Anwesenden und ging durchs Haus an das
+Wasser hinab.
+
+Die Wälder standen schweigend und warfen ihr Dunkel weit auf den See
+hinaus, während die Mitte desselben in schwüler Mondesdämmerung lag.
+Mitunter schauerte ein leises Säuseln durch die Bäume; aber es war kein
+Wind, es war nur das Atmen der Sommernacht.
+
+Reinhard ging immer am Ufer entlang. Einen Steinwurf vom Lande konnte
+er eine weiße Wasserlilie erkennen. Auf einmal wandelte ihn die Lust
+an, sie in der Nähe zu sehen; er warf seine Kleider ab und stieg ins
+Wasser. Es war flach; scharfe Pflanzen und Steine schnitten ihn an den
+Füßen, und er kam immer nicht in die zum Schwimmen nötige Tiefe.
+
+Dann war es plötzlich unter ihm weg, die Wasser quirlten über ihm
+zusammen, und es dauerte eine Zeitlang, ehe er wieder auf die
+Oberfläche kam. Nun regte er Hand und Fuß und schwamm im Kreise umher,
+bis er sich bewußt geworden, von wo er hineingegangen war. Bald sah er
+auch die Lilie wieder; sie lag einsam zwischen den großen blanken
+Blättern.
+
+Er schwamm langsam hinaus und hob mitunter die Arme aus dem Wasser, daß
+die herabrieselnden Tropfen im Mondlichte blitzten; aber es war, als ob
+die Entfernung zwischen ihm und der Blume dieselbe bliebe; nur das Ufer
+lag, wenn er sich umblickte, in immer ungewisserem Dufte hinter ihm. Er
+gab indes sein Unternehmen nicht auf, sondern schwamm rüstig in
+derselben Richtung fort.
+
+Endlich war er der Blume so nahe gekommen, daß er die silbernen Blätter
+deutlich im Mondlicht unterscheiden konnte; zugleich aber fühlte er
+sich in einem Netze verstrickt, die glatten Stengel langten vom Grunde
+herauf und rankten sich an seine nackten Glieder.
+
+Das unbekannte Wasser lag so schwarz um ihn her, hinter sich hörte er
+das Springen eines Fisches; es wurde ihm plötzlich so unheimlich in dem
+fremden Elemente, daß er mit Gewalt das Gestrick der Pflanzen zerriß
+und in atemloser Hast dem Lande zuschwamm. Als er von hier auf den See
+zurückblickte, lag die Lilie wie zuvor fern und einsam über der dunklen
+Tiefe.
+
+Er kleidete sich an und ging langsam nach Hause zurück. Als er aus dem
+Garten in den Saal trat, fand er Erich und die Mutter in den
+Vorbereitungen einer kleinen Geschäftsreise, welche am andern Tage vor
+sich gehen sollte.
+
+»Wo sind Sie denn so spät in der Nacht gewesen?« rief ihm die Mutter
+entgegen.
+
+»Ich?« erwiderte er; »ich wollte die Wasserlilie besuchen; es ist aber
+nichts daraus geworden.«
+
+»Das versteht wieder einmal kein Mensch!« sagte Erich. »Was Tausend
+hattest du denn mit der Wasserlilie zu tun?«
+
+»Ich habe sie früher einmal gekannt,« sagte Reinhard; »es ist aber
+schon lange her.«
+
+
+
+
+ELISABETH
+
+
+Am folgenden Nachmittag wanderten Reinhard und Elisabeth jenseits des
+Sees bald durch die Holzung, bald auf dem vorspringenden Uferrande.
+Elisabeth hatte von Erich den Auftrag erhalten, während seiner und der
+Mutter Abwesenheit Reinhard mit den schönsten Aussichten der nächsten
+Umgegend, namentlich von der andern Uferseite auf den Hof selber,
+bekannt zu machen. Nun gingen sie von einem Punkt zum andern.
+
+Endlich wurde Elisabeth müde und setzte sich in den Schatten
+überhängender Zweige; Reinhard stand ihr gegenüber, an einen Baumstamm
+gelehnt; da hörte er tiefer im Walde den Kuckuck rufen, und es kam ihm
+plötzlich, dies alles sei schon einmal eben so gewesen. Er sah sie
+seltsam lächelnd an.
+
+»Wollen wir Erdbeeren suchen?« fragte er.
+
+»Es ist keine Erdbeerenzeit,« sagte sie.
+
+»Sie wird aber bald kommen.«
+
+Elisabeth schüttelte schweigend den Kopf; dann stand sie auf, und beide
+setzten ihre Wanderung fort; und wie sie so an seiner Seite ging,
+wandte sein Blick sich immer wieder nach ihr hin; denn sie ging schön,
+als wenn sie von ihren Kleidern getragen würde. Er blieb oft
+unwillkürlich einen Schritt zurück, um sie ganz und voll ins Auge
+fassen zu können.
+
+So kamen sie an einen freien, heidebewachsenen Platz mit einer weit ins
+Land reichenden Aussicht. Reinhard bückte sich und pflückte etwas von
+den am Boden wachsenden Kräutern. Als er wieder aufsah, trug sein
+Gesicht den Ausdruck leidenschaftlichen Schmerzes.
+
+»Kennst du diese Blume?« fragte er.
+
+Sie sah ihn fragend an. »Es ist eine Erika. Ich habe sie oft im Walde
+gepflückt.«
+
+»Ich habe zu Hause ein altes Buch,« sagte er; »ich pflegte sonst
+allerlei Lieder und Reime hineinzuschreiben; es ist aber lange nicht
+mehr geschehen. Zwischen den Blättern liegt auch eine Erika; aber es
+ist nur eine verwelkte. Weißt du, wer sie mir gegeben hat?«
+
+Sie nickte stumm; aber sie schlug die Augen nieder und sah nur auf das
+Kraut, das er in der Hand hielt. So standen sie lange. Als sie die
+Augen gegen ihn aufschlug, sah er, daß sie voll Tränen waren.
+
+»Elisabeth,« sagte er,—»hinter jenen blauen Bergen liegt unsere Jugend.
+Wo ist sie geblieben?«
+
+Sie sprachen nichts mehr; sie gingen stumm neben einander zum See
+hinab. Die Luft war schwül, im Westen stieg schwarzes Gewölk auf. Es
+wird gewittern,« sagte Elisabeth, indem sie ihren Schritt beeilte;
+Reinhard nickte schweigend, und beide gingen rasch am Ufer entlang, bis
+sie ihren Kahn erreicht hatten.
+
+Während der Überfahrt ließ Elisabeth ihre Hand auf dem Rande des Kahnes
+ruhen. Er blickte beim Rudern zu ihr hinüber; sie aber sah an ihm
+vorbei in die Ferne. So glitt sein Blick herunter und blieb auf ihrer
+Hand; und die blasse Hand verriet ihm, was ihr Antlitz ihm verschwiegen
+hatte.
+
+Er sah auf ihr jenen feinen Zug geheimen Schmerzes, der sich so gern
+schöner Frauenhände bemächtigt, die nachts auf krankem Herzen liegen.
+Als Elisabeth sein Auge auf ihrer Hand ruhen fühlte, ließ sie sie
+langsam über Bord ins Wasser gleiten.
+
+Auf dem Hofe angekommen trafen sie einen Scherenschleiferkarren vor dem
+Herrenhause; ein Mann mit schwarzen, niederhängenden Locken trat emsig
+das Rad und summte eine Zigeunermelodie zwischen den Zähnen, während
+ein eingeschirrter Hund schnaufend daneben lag. Auf dem Hausflur stand
+in Lumpen gehüllt ein Mädchen mit verstörten schönen Zügen und streckte
+bettelnd die Hand gegen Elisabeth aus.
+
+Reinhard griff in seine Tasche, aber Elisabeth kam ihm zuvor und
+schüttete hastig den ganzen Inhalt ihrer Börse in die offene Hand der
+Bettlerin. Dann wandte sie sich eilig ab, und Reinhard hörte, wie sie
+schluchzend die Treppe hinaufging.
+
+Er wollte sie aufhalten, aber er besann sich und blieb an der Treppe
+zurück. Das Mädchen stand noch immer auf dem Flur, unbeweglich, das
+empfangene Almosen in der Hand.
+
+»Was willst du noch?« fragte Reinhard.
+
+Sie fuhr zusammen. »Ich will nichts mehr,« sagte sie; dann den Kopf
+nach ihm zurückwendend, ihn anstarrend mit den verirrten Augen, ging
+sie langsam gegen die Tür. Er rief einen Namen aus, aber sie hörte es
+nicht mehr; mit gesenktem Haupte, mit über der Brust gekreuzten Armen
+schritt sie über den Hof hinab:
+
+ Sterben, ach! sterben
+ Soll ich allein!
+
+
+Ein altes Lied brauste ihm ins Ohr, der Atem stand ihm still; eine
+kurze Weile, dann wandte er sich ab und ging auf sein Zimmer.
+
+Er setzte sich hin, um zu arbeiten, aber er hatte keine Gedanken.
+Nachdem er es eine Stunde lang vergebens versucht hatte, ging er ins
+Familienzimmer hinab. Es war niemand da, nur kühle grüne Dämmerung; auf
+Elisabeths Nähtisch lag ein rotes Band, das sie am Nachmittag um den
+Hals getragen hatte. Er nahm es in die Hand, aber es tat ihm weh, und
+er legte es wieder hin.
+
+Er hatte keine Ruhe, er ging an den See hinab und band den Kahn los; er
+ruderte hinüber und ging noch einmal alle Wege, die er kurz vorher mit
+Elisabeth zusammen gegangen war. Als er wieder nach Hause kam, war es
+dunkel; auf dem Hofe begegnete ihm der Kutscher, der die Wagenpferde
+ins Gras bringen wollte; die Reisenden waren eben zurückgekehrt.
+
+Bei seinem Eintritt in den Hausflur hörte er Erich im Gartensaal auf
+und ab schreiten. Er ging nicht zu ihm hinein; er stand einen
+Augenblick still und stieg dann leise die Treppe hinauf nach seinem
+Zimmer. Hier setzte er sich in den Lehnstuhl ans Fenster; er tat vor
+sich selbst, als wolle er die Nachtigall hören, die unten in den
+Taxuswänden schlug; aber er hörte nur den Schlag seines eigenen
+Herzens. Unter ihm im Hause ging alles zur Ruhe, die Nacht verrann, er
+fühlte es nicht.
+
+So saß er stundenlang. Endlich stand er auf und legte sich ins offene
+Fenster. Der Nachttau rieselte zwischen den Blättern, die Nachtigall
+hatte aufgehört zu schlagen. Allmählich wurde auch das tiefe Blau des
+Nachthimmels vom Osten her durch einen blaßgelben Schimmer verdrängt;
+ein frischer Wind erhob sich und streifte Reinhards heiße Stirne; die
+erste Lerche stieg jauchzend in die Luft.
+
+Reinhard kehrte sich plötzlich um und trat an den Tisch: er tappte nach
+einem Bleistift, und als er diesen gefunden, setzte er sich und schrieb
+damit einige Zeilen auf einen weißen Bogen Papier. Nachdem er hiermit
+fertig war, nahm er Hut und Stock, und das Papier zurücklassend öffnete
+er behutsam die Tür und stieg in den Flur hinab.
+
+Die Morgendämmerung ruhte noch in allen Winkeln; die große Hauskatze
+dehnte sich auf der Strohmatte und sträubte den Rücken gegen seine
+Hand, die er gedankenlos entgegenhielt. Draußen im Garten aber
+priesterten [Fußnote: d. h. »sangen schon die Sperlinge großartig, wie
+Priester.« Das Wort scheint von Storm geschmiedet zu sein; es ist nicht
+anderswo zu finden.] schon die Sperlinge von den Zweigen und sagten es
+allen, daß die Nacht vorbei sei.
+
+Da hörte er oben im Hause eine Tür gehen; es kam die Treppe herunter,
+und als er aufsah, stand Elisabeth vor ihm. Sie legte die Hand auf
+seinen Arm, sie bewegte die Lippen, aber er hörte keine Worte.
+
+»Du kommst nicht wieder,« sagte sie endlich. »Ich weiß es, lüge nicht;
+du kommst nie wieder.«
+
+»Nie,« sagte er.
+
+Sie ließ ihre Hand sinken und sagte nichts mehr. Er ging über den Flur
+der Türe zu; dann wandte er sich noch einmal. Sie stand bewegungslos an
+derselben Stelle und sah ihn mit toten Augen an. Er tat einen Schritt
+vorwärts und streckte die Arme nach ihr aus. Dann kehrte er sich
+gewaltsam ab und ging zur Tür hinaus.
+
+Draußen lag die Welt im frischen Morgenlichte, die Tauperlen, die in
+den Spinnengeweben hingen, blitzten in den ersten Sonnenstrahlen. Er
+sah nicht rückwärts; er wanderte rasch hinaus; und mehr und mehr
+versank hinter ihm das stille Gehöft, und vor ihm auf stieg die große
+weite Welt.
+
+
+
+
+DER ALTE
+
+
+Der Mond schien nicht mehr in die Fensterscheiben; es war dunkel
+geworden; der Alte aber saß noch immer mit gefalteten Händen in seinem
+Lehnstuhl und blickte vor sich hin in den Raum des Zimmers.
+
+Allmählich verzog sich vor seinen Augen die schwarze Dämmerung um ihn
+her zu einem breiten dunkeln See; ein schwarzes Gewässer legte sich
+hinter das andere, immer tiefer und ferner, und auf dem letzten, so
+fern, daß die Augen des Alten sie kaum erreichten, schwamm einsam
+zwischen breiten Blättern eine weiße Wasserlilie.
+
+Die Stubentür ging auf, und ein heller Lichtschimmer fiel ins Zimmer.
+
+»Es ist gut, daß Sie kommen, Brigitte,« sagte der Alte. »Stellen Sie
+das Licht auf den Tisch!«
+
+Dann rückte er auch den Stuhl zum Tisch, nahm eines der aufgeschlagenen
+Bücher und vertiefte sich in Studien, an denen er einst die Kraft
+seiner Jugend geübt hatte.
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Immensee, by Theodor W. Storm
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK IMMENSEE ***
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+Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
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+<title>Immensee, by Theodor Storm</title>
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+The Project Gutenberg EBook of Immensee, by Theodor Storm
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+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
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+Title: Immensee
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+Author: Theodor Storm
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+Release Date: October, 2004 [EBook #6651]
+[Most recently updated: July 30, 2020]
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+Language: German
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+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK IMMENSEE ***
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+Produced by Delphine Lettau, Charles Franks, and the
+Online Distributed Proofreading Team.
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+<h1>Immensee</h1>
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+<h2>by Theodor Storm</h2>
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+<table summary="" style="margin-left: auto; margin-right: auto">
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap01">DER ALTE</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap02">DIE KINDER</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap03">IM WALDE</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap04">DA STAND DAS KIND AM WEGE</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap05">DAHEIM</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap06">EIN BRIEF</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap07">IMMENSEE</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap08">MEINE MUTTER HAT&rsquo;S GEWOLLT</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap09">ELISABETH</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap10">DER ALTE</a></td>
+</tr>
+
+</table>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap01"></a>DER ALTE</h2>
+
+<p>
+An einem Spätherbstnachmittage ging ein alter wohlgekleideter Mann langsam die
+Straße hinab. Er schien von einem Spaziergange nach Hause zurückzukehren, denn
+seine Schnallenschuhe, die einer vorübergegangenen Mode angehörten, waren
+bestäubt. Den langen Rohrstock mit goldenem Knopf trug er unter dem Arm; mit
+seinen dunklen Augen, in welche sich die ganze verlorene Jugend gerettet zu
+haben schien, und welche eigentümlich von den schneeweißen Haaren abstachen,
+sah er ruhig umher oder in die Stadt hinab, welche im Abendsonnendufte vor ihm
+lag.
+</p>
+
+<p>
+Er schien fast ein Fremder, denn von den Vorübergehenden grüßten ihn nur
+wenige, obgleich mancher unwillkürlich in diese ernsten Augen zu sehen
+gezwungen wurde. Endlich stand er vor einem hohen Giebelhause still, sah noch
+einmal in die Stadt hinaus und trat dann in die Hausdiele. Bei dem Schall der
+Türglocke wurde drinnen in der Stube von einem Guckfenster, welches nach der
+Diele hinausging, der grüne Vorhang weggeschoben und das Gesicht einer alten
+Frau dahinter sichtbar. Der Mann winkte ihr mit seinem Rohrstock.
+</p>
+
+<p>
+»Noch kein Licht!« sagte er in einem etwas südlichen Akzent, und die
+Haushälterin ließ den Vorhang wieder fallen.
+</p>
+
+<p>
+Der Alte ging nun über die weite Hausdiele, durch einen Pesel, wo große eichene
+Schränke mit Porzellanvasen an den Wänden standen; durch die gegenüberstehende
+Tür trat er in einen kleinen Flur, von wo aus eine enge Treppe zu den obern
+Zimmern des Hinterhauses führte. Er stieg sie langsam hinauf, schloß oben eine
+Tür auf und trat dann in ein mäßig großes Zimmer. Hier war es heimlich und
+still; die eine Wand war fast mit Repositorien und Bücherschränken bedeckt, an
+den andern hingen Bilder von Menschen und Gegenden; vor einem Tisch mit grüner
+Decke, auf dem einzelne aufgeschlagene Bücher umherlagen, stand ein
+schwerfälliger Lehnstuhl mit rotem Samtkissen.
+</p>
+
+<p>
+Nachdem der Alte Hut und Stock in die Ecke gestellt hatte, setzte er sich in
+den Lehnstuhl und schien mit gefalteten Händen von seinem Spaziergange
+auszuruhen.&mdash;Wie er so saß, wurde es allmählich dunkler; endlich fiel ein
+Mondstrahl durch die Fensterscheiben auf die Gemälde an der Wand, und wie der
+helle Streif langsam weiter rückte, folgten die Augen des Mannes unwillkürlich.
+Nun trat er über ein kleines Bild in schlichtem schwarzem Rahmen. »Elisabeth!«
+sagte der Alte leise; und wie er das Wort gesprochen, war die Zeit verwandelt:
+er war in seiner Jugend.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap02"></a>DIE KINDER</h2>
+
+<p>
+Bald trat die anmutige Gestalt eines kleinen Mädchens zu ihm. Sie hieß
+Elisabeth und mochte fünf Jahre zählen, er selbst war doppelt so alt. Um den
+Hals trug sie ein rotseidenes Tüchelchen; das ließ ihr hübsch zu den braunen
+Augen.
+</p>
+
+<p>
+»Reinhard!« rief sie, »wir haben frei, frei! den ganzen Tag keine Schule, und
+morgen auch nicht.«
+</p>
+
+<p>
+Reinhard stellte die Rechentafel, die er schon unterm Arm hatte, flink hinter
+die Haustür, und dann liefen beide Kinder durchs Haus in den Garten und durch
+die Gartenpforte hinaus auf die Wiese. Die unverhofften Ferien kamen ihnen
+herrlich zustatten. Reinhard hatte hier mit Elisabeths Hilfe ein Haus aus
+Rasenstücken aufgeführt; darin wollten sie die Sommerabende wohnen; aber es
+fehlte noch die Bank. Nun ging er gleich an die Arbeit; Nägel, Hammer und die
+nötigen Bretter waren schon bereit. Während dessen ging Elisabeth an dem Wall
+entlang und sammelte den ringförmigen Samen der wilden Malve in ihre Schürze;
+davon wollte sie sich Ketten und Halsbänder machen; und als Reinhard endlich
+trotz manches krumm geschlagenen Nagels seine Bank dennoch zustande gebracht
+hatte und nun wieder in die Sonne hinaustrat, ging sie schon weit davon am
+andern Ende der Wiese.
+</p>
+
+<p>
+»Elisabeth!« rief er, »Elisabeth!« und da kam sie, und ihre Locken flogen.
+»Komm,« sagte er, »nun ist unser Haus fertig. Du bist ja ganz heiß geworden;
+komm herein, wir wollen uns auf die neue Bank setzen. Ich erzähl&rsquo; dir
+etwas.«
+</p>
+
+<p>
+Dann gingen sie beide hinein und setzten sich auf die neue Bank. Elisabeth nahm
+ihre Ringelchen aus der Schürze und zog sie auf lange Bindfäden; Reinhard fing
+an zu erzählen: »Es waren einmal drei Spinnfrauen&mdash;« [Fußnote: So fängt
+ein wohlbekanntes Märchen von den Gebrüdern Grimm an.]
+</p>
+
+<p>
+»Ach,« sagte Elisabeth, »das weiß ich ja auswendig; du mußt auch nicht immer
+dasselbe erzählen.«
+</p>
+
+<p>
+Da mußte Reinhard die Geschichte von den drei Spinnfrauen stecken lassen, und
+statt dessen erzählte er die Geschichte von dem armen Mann, der in die
+Löwengrube geworfen war.
+</p>
+
+<p>
+»Nun war es Nacht,« sagte er, »weißt du? ganz finstere, und die Löwen
+schliefen. Mitunter aber gähnten sie im Schlaf und reckten die roten Zungen
+aus; dann schauderte der Mann und meinte, daß der Morgen komme. Da warf es um
+ihn her auf einmal einen hellen Schein, und als er aufsah, stand ein Engel vor
+ihm. Der winkte ihm mit der Hand und ging dann gerade in die Felsen hinein.«
+</p>
+
+<p>
+Elisabeth hatte aufmerksam zugehört. »Ein Engel?« sagte sie: »Hatte er denn
+Flügel?«
+</p>
+
+<p>
+»Es ist nur so eine Geschichte,« antwortete Reinhard; »es gibt ja gar keine
+Engel.«
+</p>
+
+<p>
+»O pfui, Reinhard!« sagte sie und sah ihm starr ins Gesicht.
+</p>
+
+<p>
+Als er sie aber finster anblickte, fragte sie ihn zweifelnd: »Warum sagen sie
+es denn immer? Mutter und Tante und auch in der Schule?«
+</p>
+
+<p>
+»Das weiß ich nicht,« antwortete er.
+</p>
+
+<p>
+»Aber du,« sagte Elisabeth, »gibt es denn auch keine Löwen?«
+</p>
+
+<p>
+»Löwen? Ob es Löwen gibt? In Indien; da spannen die Götzenpriester sie vor den
+Wagen und fahren mit ihnen durch die Wüste. Wenn ich groß bin, will ich einmal
+selber hin. Da ist es viel tausendmal schöner als hier bei uns; da gibt es gar
+keinen Winter. Du mußt auch mit mir. Willst du?«
+</p>
+
+<p>
+»Ja,« sagte Elisabeth; »aber Mutter muß dann auch mit, und deine Mutter auch.«
+</p>
+
+<p>
+»Nein,« sagte Reinhard, »die sind dann zu alt, die können nicht mit.«
+</p>
+
+<p>
+»Ich darf aber nicht allein.«
+</p>
+
+<p>
+»Du sollst schon dürfen; du wirst dann wirklich meine Frau, und dann haben die
+andern dir nichts zu befehlen.«
+</p>
+
+<p>
+»Aber meine Mutter wird weinen.«
+</p>
+
+<p>
+»Wir kommen ja wieder,« sagte Reinhard heftig; »sag es nur gerade heraus,
+willst du mit mir reisen? Sonst geh&rsquo; ich allein, und dann komme ich
+nimmer wieder.«
+</p>
+
+<p>
+Der Kleinen kam das Weinen nahe. »Mach nur nicht so böse Augen,« sagte sie;
+»ich will ja mit nach Indien.«
+</p>
+
+<p>
+Reinhard faßte sie mit ausgelassener Freude bei beiden Händen und zog sie
+hinaus auf die Wiese.
+</p>
+
+<p>
+»Nach Indien, nach Indien!« sang er und schwenkte sich mit ihr im Kreise, daß
+ihr das rote Tüchelchen vom Halse flog. Dann aber ließ er sie plötzlich los und
+sagte ernst:
+</p>
+
+<p>
+»Es wird doch nichts daraus werden; du hast keine Courage.«
+</p>
+
+<p>
+»Elisabeth! Reinhard!« rief es jetzt von der Gartenpforte. »Hier! Hier!«
+antworteten die Kinder und sprangen Hand in Hand nach Hause.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap03"></a>IM WALDE</h2>
+
+<p>
+So lebten die Kinder zusammen; sie war ihm oft zu still, er war ihr oft zu
+heftig, aber sie ließen deshalb nicht von einander; fast alle Freistunden
+teilten sie: winters in den beschränkten Zimmern ihrer Mütter, sommers in Busch
+und Feld.
+</p>
+
+<p>
+Als Elisabeth einmal in Reinhards Gegenwart von dem Schullehrer gescholten
+wurde, stieß er seine Tafel zornig auf den Tisch, um den Eifer des Mannes auf
+sich zu lenken. Es wurde nicht bemerkt. Aber Reinhard verlor alle
+Aufmerksamkeit an den geographischen Vorträgen; statt dessen verfaßte er ein
+langes Gedicht; darin verglich er sich selbst mit einem jungen Adler, den
+Schulmeister mit einer grauen Krähe, Elisabeth war die weiße Taube; der Adler
+gelobte an der grauen Krähe Rache zu nehmen, sobald ihm die Flügel gewachsen
+sein würden. Dem jungen Dichter standen die Tränen in den Augen; er kam sich
+sehr erhaben vor. Als er nach Hause gekommen war, wußte er sich einen kleinen
+Pergamentband mit vielen weißen Blättern zu verschaffen; auf die ersten Seiten
+schrieb er mit sorgsamer Hand sein erstes Gedicht.
+</p>
+
+<p>
+Bald darauf kam er in eine andere Schule; hier schloß er manche neue
+Kameradschaft mit Knaben seines Alters, aber sein Verkehr mit Elisabeth wurde
+dadurch nicht gestört. Von den Märchen, welche er ihr sonst erzählt und wieder
+erzählt hatte, fing er jetzt an, die, welche ihr am besten gefallen hatten,
+aufzuschreiben; dabei wandelte ihn oft die Lust an, etwas von seinen eigenen
+Gedanken hineinzudichten; aber, er wußte nicht weshalb, er konnte immer nicht
+dazu gelangen. So schrieb er sie genau auf, wie er sie selber gehört hatte.
+Dann gab er die Blätter an Elisabeth, die sie in einem Schubfach ihrer
+Schatulle sorgfältig aufbewahrte; und es gewährte ihm eine anmutige
+Befriedigung, wenn er sie mitunter abends diese Geschichtchen in seiner
+Gegenwart aus den von ihm geschriebenen Heften ihrer Mutter vorlesen hörte.
+</p>
+
+<p>
+Sieben Jahre waren vorüber. Reinhard sollte zu seiner weitern Ausbildung die
+Stadt verlassen. Elisabeth konnte sich nicht in den Gedanken finden, daß es nun
+eine Zeit ganz ohne Reinhard geben werde. Es freute sie, als er ihr eines Tages
+sagte, er werde, wie sonst, Märchen für sie aufschreiben; er wolle sie ihr mit
+den Briefen an seine Mutter schicken; sie müsse ihm dann wieder schreiben, wie
+sie ihr gefallen hätten. Die Abreise rückte heran; vorher aber kam noch mancher
+Reim in den Pergamentband. Das allein war für Elisabeth ein Geheimnis, obgleich
+sie die Veranlassung zu dem ganzen Buche und zu den meisten Liedern war, welche
+nach und nach fast die Hälfte der weißen Blätter gefüllt hatten.
+</p>
+
+<p>
+Es war im Juni; Reinhard sollte am andern Tage reisen. Nun wollte man noch
+einmal einen festlichen Tag zusammen begehen. Dazu wurde eine Landpartie nach
+einer der nahe gelegenen Holzungen in größerer Gesellschaft veranstaltet. Der
+stundenlange Weg bis an den Saum des Waldes wurde zu Wagen zurückgelegt; dann
+nahm man die Proviantkörbe herunter und marschierte weiter. Ein Tannengehölz
+mußte zuerst durchwandert werden; es war kühl und dämmerig und der Boden
+überall mit feinen Nadeln bestreut. Nach halbstündigem Wandern kam man aus dem
+Tannendunkel in eine frische Buchenwaldung; hier war alles licht und grün;
+mitunter brach ein Sonnenstrahl durch die blätterreichen Zweige; ein
+Eichkätzchen sprang über ihren Köpfen von Ast zu Ast.
+</p>
+
+<p>
+Auf einem Platze, über welchem uralte Buchen mit ihren Kronen zu einem
+durchsichtigen Laubgewölbe zusammenwuchsen, machte die Gesellschaft Halt.
+Elisabeths Mutter öffnete einen der Körbe; ein alter Herr warf sich zum
+Proviantmeister auf.
+</p>
+
+<p>
+»Alle um mich herum, ihr jungen Vögel!« rief er, »und merket genau, was ich
+euch zu sagen habe. Zum Frühstück erhält jetzt ein jeder von euch zwei trockene
+Wecken; die Butter ist zu Hause geblieben; die Zukost muß sich ein jeder selber
+suchen. Es stehen genug Erdbeeren im Walde, das heißt, für den, der sie zu
+finden weiß. Wer ungeschickt ist, muß sein Brot trocken essen; so geht es
+überall im Leben. Habt ihr meine Rede begriffen?«
+</p>
+
+<p>
+»Ja wohl!« riefen die Jungen.
+</p>
+
+<p>
+»Ja, seht,« sagte der Alte, »sie ist aber noch nicht zu Ende. Wir Alten haben
+uns im Leben schon genug umhergetrieben; darum bleiben wir jetzt zu Haus, das
+heißt, hier unter diesen breiten Bäumen, und schälen die Kartoffeln und machen
+Feuer und rüsten die Tafel, und wenn die Uhr zwölf ist, so sollen auch die Eier
+gekocht werden.
+</p>
+
+<p>
+»Dafür seid ihr uns von euren Erdbeeren die Hälfte schuldig, damit wir auch
+einen Nachtisch servieren können. Und nun geht nach Ost und West und seid
+ehrlich.«
+</p>
+
+<p>
+Die Jungen machten allerlei schelmische Gesichter.
+</p>
+
+<p>
+»Halt!« rief der alte Herr noch einmal. »Das brauche ich euch wohl nicht zu
+sagen, wer keine findet, braucht auch keine abzuliefern; aber das schreibt euch
+wohl hinter eure feinen Ohren, von uns Alten bekommt er auch nichts. Und nun
+habt ihr für diesen Tag gute Lehren genug; wenn ihr nun noch Erdbeeren dazu
+habt, so werdet ihr für heute schon durchs Leben kommen.«
+</p>
+
+<p>
+Die Jungen waren derselben Meinung und begannen sich paarweise auf die Fahrt zu
+machen.
+</p>
+
+<p>
+»Komm, Elisabeth,« sagte Reinhard, »ich weiß einen Erdbeerenschlag; du sollst
+kein trockenes Brot essen.«
+</p>
+
+<p>
+Elisabeth knüpfte die grünen Bänder ihres Strohhuts zusammen und hing ihn über
+den Arm. »So komm,« sagte sie, »der Korb ist fertig.«
+</p>
+
+<p>
+Dann gingen sie in den Wald hinein, tiefer und tiefer; durch feuchte
+Baumschatten, wo alles still war, nur unsichtbar über ihnen in den Lüften das
+Geschrei der Falken; dann wieder durch dichtes Gestrüpp, so dicht, daß Reinhard
+vorangehen mußte, um einen Pfad zu machen, hier einen Zweig zu knicken, dort
+eine Ranke beiseite zu biegen. Bald aber hörte er hinter sich Elisabeth seinen
+Namen rufen. Er wandte sich um.
+</p>
+
+<p>
+»Reinhard!« rief sie, »warte doch, Reinhard!«
+</p>
+
+<p>
+Er konnte sie nicht gewahr werden; endlich sah er sie in einiger Entfernung mit
+den Sträuchern kämpfen; ihr feines Köpfchen schwamm nur kaum über den Spitzen
+der Farnkräuter. Nun ging er noch einmal zurück und führte sie durch das
+Wirrnis der Kräuter und Stauden auf einen freien Platz hinaus, wo blaue Falter
+zwischen den einsamen Waldblumen flatterten. Reinhard strich ihr die feuchten
+Haare aus dem erhitzten Gesichtchen; dann wollte er ihr den Strohhut aufsetzen,
+und sie wollte es nicht leiden; aber dann bat er sie, und nun ließ sie es doch
+geschehen.
+</p>
+
+<p>
+»Wo bleiben denn aber deine Erdbeeren?« fragte sie endlich, indem sie stehen
+blieb und einen tiefen Atemzug tat.
+</p>
+
+<p>
+»Hier haben sie gestanden,« sagte er, »aber die Kröten sind uns zuvorgekommen
+oder die Marder oder vielleicht die Elfen.«
+</p>
+
+<p>
+»Ja,« sagte Elisabeth, »die Blätter stehen noch da; aber sprich hier nicht von
+Elfen. Komm nur, ich bin noch gar nicht müde; wir wollen weiter suchen.«
+</p>
+
+<p>
+Vor ihnen war ein kleiner Bach, jenseits wieder der Wald. Reinhard hob
+Elisabeth auf seine Arme und trug sie hinüber. Nach einer Weile traten sie aus
+dem schattigen Laube wieder in eine weite Lichtung hinaus.
+</p>
+
+<p>
+»Hier müssen Erdbeeren sein,« sagte das Mädchen, »es duftet so süß.
+</p>
+
+<p>
+Sie gingen suchend durch den sonnigen Raum; aber sie fanden keine. »Nein,«
+sagte Reinhard, »es ist nur der Duft des Heidekrautes.«
+</p>
+
+<p>
+Himbeerbüsche und Hülsendorn standen überall durcheinander, ein starker Geruch
+von Heidekräutern, welche abwechselnd mit kurzem Grase die freien Stellen des
+Bodens bedeckten, erfüllte die Luft.
+</p>
+
+<p>
+»Hier ist es einsam,« sagte Elisabeth; »wo mögen die andern sein?«
+</p>
+
+<p>
+An den Rückweg hatte Reinhard nicht gedacht.
+</p>
+
+<p>
+»Warte nur: woher kommt der Wind?« sagte er und hob seine Hand in die Höhe.
+Aber es kam kein Wind.
+</p>
+
+<p>
+»Still,« sagte Elisabeth, »mich dünkt, ich hörte sie sprechen. Rufe einmal
+dahinunter.«
+</p>
+
+<p>
+Reinhard rief durch die hohle Hand. »Kommt hierher!«
+</p>
+
+<p>
+»Hierher!« rief es zurück.
+</p>
+
+<p>
+»Sie antworteten!« sagte Elisabeth und klatschte in die Hände.
+</p>
+
+<p>
+»Nein, es war nichts, es war nur der Widerhall.«
+</p>
+
+<p>
+Elisabeth faßte Reinhards Hand. »Mir graut!« sagte sie.
+</p>
+
+<p>
+»Nein,« sagte Reinhard, »das muß es nicht. Hier ist es prächtig. Setz dich dort
+in den Schatten zwischen die Kräuter. Laß uns eine Weile ausruhen; wir finden
+die andern schon.«
+</p>
+
+<p>
+Elisabeth setzte sich unter eine überhängende Buche und lauschte aufmerksam
+nach allen Seiten; Reinhard saß einige Schritte davon auf einem Baumstumpf und
+sah schweigend nach ihr hinüber. Die Sonne stand gerade über ihnen; es war
+glühende Mittagshitze; kleine goldglänzende, stahlblaue Fliegen standen
+flügelschwingend in der Luft; rings um sie her ein feines Schwirren und Summen,
+und manchmal hörte man tief im Walde das Hämmern der Spechte und das Kreischen
+der andern Waldvögel.
+</p>
+
+<p>
+»Horch,« sagte Elisabeth, »es läutet.«
+</p>
+
+<p>
+»Wo?« fragte Reinhard.
+</p>
+
+<p>
+»Hinter uns. Hörst du? Es ist Mittag.«
+</p>
+
+<p>
+»Dann liegt hinter uns die Stadt, und wenn wir in dieser Richtung gerade
+durchgehen, so müssen wir die andern treffen.«
+</p>
+
+<p>
+So traten sie ihren Rückweg an; das Erdbeerensuchen hatten sie aufgegeben, denn
+Elisabeth war müde geworden. Endlich klang zwischen den Bäumen hindurch das
+Lachen der Gesellschaft; dann sahen sie auch ein weißes Tuch am Boden
+schimmern, das war die Tafel, und darauf standen Erdbeeren in Hülle und Fülle.
+Der alte Herr hatte eine Serviette im Knopfloch und hielt den Jungen die
+Fortsetzung seiner moralischen Reden, während er eifrig an einem Braten
+herumtranchierte.
+</p>
+
+<p>
+»Da sind die Nachzügler,« riefen die Jungen, als sie Reinhard und Elisabeth
+durch die Bäume kommen sahen.
+</p>
+
+<p>
+»Hierher!« rief der alte Herr, »Tücher ausgeleert, Hüte umgekehrt! Nun zeigt
+her, was ihr gefunden habt.«
+</p>
+
+<p>
+»Hunger und Durst!« sagte Reinhard.
+</p>
+
+<p>
+»Wenn, das alles ist,« erwiderte der Alte und hob ihnen die volle Schüssel
+entgegen, »so müßt ihr es auch behalten. Ihr kennt die Abrede; hier werden
+keine Müßiggänger gefüttert.«
+</p>
+
+<p>
+Endlich ließ er sich aber doch erbitten, und nun wurde Tafel gehalten; dazu
+schlug die Drossel aus den Wacholderbüschen.
+</p>
+
+<p>
+So ging der Tag hin.&mdash;Reinhard hatte aber doch etwas gefunden; waren es
+keine Erdbeeren, so war es doch auch im Walde gewachsen. Als er nach Hause
+gekommen war, schrieb er in seinen alten Pergamentband:
+</p>
+
+<p class="poem">
+  Hier an der Bergeshalde<br/>
+  Verstummet ganz der Wind;<br/>
+  Die Zweige hängen nieder,<br/>
+  Darunter sitzt das Kind<br/>
+<br/>
+  Sie sitzt im Thymiane,<br/>
+  Sie sitzt in lauter Duft;<br/>
+  Die blauen Fliegen summen<br/>
+  Und blitzen durch die Luft.<br/>
+<br/>
+  Es steht der Wald so schweigend,<br/>
+  Sie schaut so klug darein;<br/>
+  Um ihre braunen Locken<br/>
+  Hinfließt der Sonnenschein.<br/>
+<br/>
+  Der Kuckuck lacht von ferne,<br/>
+  Es geht mir durch den Sinn:<br/>
+  Sie hat die goldnen Augen<br/>
+  Der Waldeskönigin.
+</p>
+
+<p>
+So war sie nicht allein sein Schützling, sie war ihm auch der Ausdruck für
+alles Liebliche und Wunderbare seines aufgehenden Lebens.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap04"></a>DA STAND DAS KIND AM WEGE</h2>
+
+<p>
+Weihnachtsabend kam heran. Es war noch nachmittags, als Reinhard mit andern
+Studenten im Ratskeller [Fußnote: Oder Rathauskeller. In fast jeder großen
+Stadt Deutschlands ist der Rathauskeller in ein Speise- und Bierhaus verwandelt
+worden.] am alten Eichentisch zusammensaß. Die Lampen an den Wänden waren
+angezündet, denn hier unten dämmerte es schon; aber die Gäste waren sparsam
+versammelt, die Kellner lehnten müßig an den Mauerpfeilern. In einem Winkel des
+Gewölbes saßen ein Geigenspieler und ein Zithermädchen mit feinen
+zigeunerhaften Zügen; sie hatten ihre Instrumente auf dem Schoß liegen und
+schienen teilnahmslos vor sich hinzusehen.
+</p>
+
+<p>
+Am Studententische knallte ein Champagnerpfropfen. »Trinke, mein böhmisch
+Liebchen!« rief ein junger Mann von junkerhaftem Äußern, indem er ein volles
+Glas zu dem Mädchen hinüberreichte.
+</p>
+
+<p>
+»Ich mag nicht,« sagte sie, ohne ihre Stellung zu verändern.
+</p>
+
+<p>
+»So singe!« rief der Junker und warf ihr eine Silbermünze in den Schoß. Das
+Mädchen strich sich langsam mit den Fingern durch ihr schwarzes Haar, während
+der Geigenspieler ihr ins Ohr flüsterte; aber sie warf den Kopf zurück und
+stützte das Kinn auf ihre Zither.
+</p>
+
+<p>
+»Für den spiel&rsquo; ich nicht,« sagte sie.
+</p>
+
+<p>
+Reinhard sprang mit dem Glase in der Hand auf und stellte sich vor sie.
+</p>
+
+<p>
+»Was willst du?« fragte sie trotzig.
+</p>
+
+<p>
+»Deine Augen sehen.«
+</p>
+
+<p>
+»Was geh&rsquo;n dich meine Augen an?«
+</p>
+
+<p>
+Reinhard sah funkelnd auf sie nieder.
+</p>
+
+<p>
+»Ich weiß wohl, sie sind falsch!«
+</p>
+
+<p>
+Sie legte ihre Wange in die flache Hand und sah ihn lauernd an. Reinhard hob
+sein Glas an den Mund.
+</p>
+
+<p>
+»Auf deine schönen sündhaften Augen!« sagte er und trank.
+</p>
+
+<p>
+Sie lachte und warf den Kopf herum.
+</p>
+
+<p>
+»Gib!« sagte sie, und indem sie ihre schwarzen Augen in die seinen heftete,
+trank sie langsam den Rest. Dann griff sie einen Dreiklang und sang mit tiefer
+leidenschaftlicher Stimme:
+</p>
+
+<p class="poem">
+  Heute, nur heute<br/>
+  Bin ich so schön<br/>
+  Morgen, ach morgen<br/>
+  Muß alles vergeh&rsquo;n!<br/>
+  Nur diese Stunde<br/>
+  Bist du noch mein;<br/>
+  Sterben, ach sterben<br/>
+  Soll ich allein!
+</p>
+
+<p>
+Während der Geigenspieler in raschem Tempo das Nachspiel einsetzte, gesellte
+sich ein neuer Ankömmling zu der Gruppe.
+</p>
+
+<p>
+»Ich wollte dich abholen, Reinhard,« sagte er. »Du warst schon fort; aber das
+Christkind war bei dir eingekehrt.«
+</p>
+
+<p>
+»Das Christkind?« sagte Reinhard, »das kommt nicht mehr zu mir.«
+</p>
+
+<p>
+»Ei was! Dein ganzes Zimmer roch nach Tannenbaum und braunen Kuchen.«
+</p>
+
+<p>
+Reinhard setzte das Glas aus seiner Hand und griff nach seiner Mütze.
+</p>
+
+<p>
+»Was willst du?« fragte das Mädchen.
+</p>
+
+<p>
+»Ich komme schon wieder.«
+</p>
+
+<p>
+Sie runzelte die Stirn. »Bleib!« rief sie leise und sah ihn vertraulich an.
+</p>
+
+<p>
+Reinhard zögerte. »Ich kann nicht,« sagte er.
+</p>
+
+<p>
+Sie stieß ihn lachend mit der Fußspitze. »Geh!« sagte sie, »du taugst nichts;
+ihr taugt alle mit einander nichts.« Und während sie sich abwandte, stieg
+Reinhard langsam die Kellertreppe hinauf.
+</p>
+
+<p>
+Draußen auf der Straße war es tiefe Dämmerung; er fühlte die frische Winterluft
+an seiner heißen Stirn. Hier und da fiel der helle Schein eines brennenden
+Tannenbaums aus den Fenstern, dann und wann hörte man von drinnen das Geräusch
+von kleinen Pfeifen und Blechtrompeten und dazwischen jubelnde Kinderstimmen.
+Scharen von Bettelkindern gingen von Haus zu Haus oder stiegen auf die
+Treppengeländer und suchten durch die Fenster einen Blick in die versagte
+Herrlichkeit zu gewinnen. Mitunter wurde auch eine Tür plötzlich aufgerissen,
+und scheltende Stimmen trieben einen ganzen Schwarm solcher kleinen Gäste aus
+dem hellen Hause auf die dunkle Gasse hinaus; anderswo wurde auf dem Hausflur
+ein altes Weihnachtslied gesungen; es waren klare Mädchenstimmen darunter.
+Reinhard hörte sie nicht, er ging rasch an allem vorüber, aus einer Straße in
+die andere. Als er an seine Wohnung gekommen, war es fast völlig dunkel
+geworden; er stolperte die Treppe hinauf und trat in seine Stube. Ein süßer
+Duft schlug ihm entgegen; das heimelte ihn an, das roch wie zu Haus der Mutter
+Weihnachtsstube. Mit zitternder Hand zündete er sein Licht an; da lag ein
+mächtiges Paket auf dem Tisch, und als er es öffnete, fielen die wohlbekannten
+braunen Festkuchen heraus; auf einigen waren die Anfangsbuchstaben seines
+Namens in Zucker ausgestreut; das konnte niemand anders als Elisabeth getan
+haben. Dann kam ein Päckchen mit feiner gestickter Wäsche zum Vorschein, Tücher
+und Manschetten, zuletzt Briefe von der Mutter und Elisabeth. Reinhard öffnete
+zuerst den letzteren; Elisabeth schrieb:
+</p>
+
+<p class="p2">
+»Die schönen Zuckerbuchstaben können Dir wohl erzählen, wer bei den Kuchen
+mitgeholfen hat; dieselbe Person hat die Manschetten für Dich gestickt. Bei uns
+wird es nun am Weihnachtsabend sehr still werden; meine Mutter stellt immer
+schon um halb zehn ihr Spinnrad in die Ecke; es ist gar so einsam diesen
+Winter, wo Du nicht hier bist.
+</p>
+
+<p>
+»Nun ist auch vorigen Sonntag der Hänfling gestorben, den Du mir geschenkt
+hattest; ich habe sehr geweint, aber ich hab&rsquo; ihn doch immer gut
+gewartet.
+</p>
+
+<p>
+»Der sang sonst immer nachmittags, wenn die Sonne auf sein Bauer schien; Du
+weißt, die Mutter hing so oft ein Tuch über, um ihn zu geschweigen, wenn er so
+recht aus Kräften sang.
+</p>
+
+<p>
+»Da ist es nun noch stiller in der Kammer, nur daß Dein alter Freund Erich uns
+jetzt mitunter besucht. Du sagtest uns einmal, er sähe seinem braunen Überrock
+ähnlich. Daran muß ich nun immer denken, wenn er zur Tür hereinkommt, und es
+ist gar zu komisch; sag es aber nicht zur Mutter, sie wird dann leicht
+verdrießlich.
+</p>
+
+<p>
+»Rat, was ich Deiner Mutter zu Weihnachten schenke! Du rätst es nicht? Mich
+selber! Der Erich zeichnet mich in schwarzer Kreide; ich habe ihm dreimal
+sitzen müssen, jedesmal eine ganze Stunde.
+</p>
+
+<p>
+»Es war mir recht zuwider, daß der fremde Mensch mein Gesicht so auswendig
+lernte. Ich wollte auch nicht, aber die Mutter redete mir zu; sie sagte, es
+würde der guten Frau Werner eine gar große Freude machen.
+</p>
+
+<p>
+»Aber Du hältst nicht Wort, Reinhard. Du hast keine Märchen geschickt. Ich habe
+Dich oft bei Deiner Mutter verklagt; sie sagt dann immer, Du habest jetzt mehr
+zu tun, als solche Kindereien. Ich glaub&rsquo; es aber nicht; es ist wohl
+anders.«
+</p>
+
+<p class="p2">
+Nun las Reinhard auch den Brief seiner Mutter, und als er beide Briefe gelesen
+und langsam wieder zusammengefaltet und weggelegt hatte, überfiel ihn ein
+unerbittliches Heimweh. Er ging eine Zeitlang in seinem Zimmer auf und nieder:
+er sprach leise und dann halbverständlich zu sich selbst:
+</p>
+
+<p class="poem">
+  Er wäre fast verirret<br/>
+  Und wußte nicht hinaus;<br/>
+  Da stand das Kind am Wege<br/>
+  Und winkte ihm nach Haus.
+</p>
+
+<p>
+Dann trat er an sein Pult, nahm einiges Geld heraus und ging wieder auf die
+Straße hinab. Hier war es mittlerweile stiller geworden; die Weihnachtsbäume
+waren ausgebrannt, die Umzüge der Kinder hatten aufgehört. Der Wind fegte durch
+die einsamen Straßen; Alte und Junge saßen in ihren Häusern familienweise
+zusammen; der zweite Abschnitt des Weihnachtsabends hatte begonnen.
+</p>
+
+<p>
+Als Reinhard in die Nähe des Ratskellers kam, hörte er aus der Tiefe herauf
+Geigenstrich und den Gesang des Zithermädchens; nun klingelte unten die
+Kellertür, und eine dunkle Gestalt schwankte die breite, matt erleuchtete
+Treppe herauf.
+</p>
+
+<p>
+Reinhard trat in den Häuserschatten und ging dann rasch vorüber. Nach einer
+Weile erreichte er den erleuchteten Laden eines Juweliers, und nachdem er hier
+ein kleines Kreuz mit roten Korallen eingehandelt hatte, ging er auf demselben
+Wege, den er gekommen war, wieder zurück.
+</p>
+
+<p>
+Nicht weit von seiner Wohnung bemerkte er ein kleines, in klägliche Lumpen
+gehülltes Mädchen an einer hohen Haustür stehen, in vergeblicher Bemühung, sie
+zu öffnen. »Soll ich dir helfen?« sagte er. Das Kind erwiderte nichts, ließ
+aber die schwere Türklinke fahren. Reinhard hatte schon die Tür geöffnet.
+»Nein,« sagte er, »sie könnten dich hinausjagen; komm mit mir! ich will dir
+Weihnachtskuchen geben.« Dann machte er die Tür wieder zu und faßte das kleine
+Mädchen an der Hand, das stillschweigend mit ihm in seine Wohnung ging.
+</p>
+
+<p>
+Er hatte das Licht beim Weggehen brennen lassen. »Hier hast du Kuchen,« sagte
+er und gab ihr die Hälfte seines ganzen Schatzes in ihre Schürze, nur keine mit
+den Zuckerbuchstaben. »Nun geh nach Haus und gib deiner Mutter auch davon.« Das
+Kind sah mit einem scheuen Blick zu ihm hinauf; es schien solcher
+Freundlichkeit ungewohnt und nichts darauf erwidern zu können. Reinhard machte
+die Tür auf und leuchtete ihr, und nun flog die Kleine wie ein Vogel mit ihrem
+Kuchen die Treppe hinab und zum Hause hinaus.
+</p>
+
+<p>
+Reinhard schürte das Feuer in seinem Ofen an und stellte das bestaubte
+Tintenfaß auf seinen Tisch; dann setzte er sich hin und schrieb und schrieb die
+ganze Nacht Briefe an seine Mutter, an Elisabeth. Der Rest der Weihnachtskuchen
+lag unberührt neben ihm; aber die Manschetten von Elisabeth hatte er
+angeknöpft, was sich gar wunderlich zu seinem weißen Flausrock ausnahm. So saß
+er noch, als die Wintersonne auf die gefrorenen Fensterscheiben fiel und ihm
+gegenüber im Spiegel ein blasses, ernstes Antlitz zeigte.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap05"></a>DAHEIM</h2>
+
+<p>
+Als es Ostern geworden war, reiste Reinhard in die Heimat. Am Morgen nach
+seiner Ankunft ging er zu Elisabeth.
+</p>
+
+<p>
+»Wie groß du geworden bist,« sagte er, als das schöne, schmächtige Mädchen ihm
+lächelnd entgegenkam. Sie errötete, aber sie erwiderte nichts; ihre Hand, die
+er beim Willkommen in die seine genommen, suchte sie ihm sanft zu entziehen. Er
+sah sie zweifelnd an, das hatte sie früher nicht getan; nun war es, als trete
+etwas Fremdes zwischen sie.
+</p>
+
+<p>
+Das blieb auch, als er schon länger dagewesen, und als er Tag für Tag immer
+wiedergekommen war. Wenn sie allein zusammensaßen, entstanden Pausen, die ihm
+peinlich waren, und denen er dann ängstlich zuvorzukommen suchte. Um während
+der Ferienzeit eine bestimmte Unterhaltung zu haben, fing er an, Elisabeth in
+der Botanik zu unterrichten, womit er sich in den ersten Monaten seines
+Universitätslebens angelegentlich beschäftigt hatte.
+</p>
+
+<p>
+Elisabeth, die ihm in allem zu folgen gewohnt und überdies lehrhaft war, ging
+bereitwillig darauf ein. Nun wurden mehrere Male in der Woche Exkursionen ins
+Feld oder in die Heide gemacht, und hatten sie dann mittags die grüne
+Botanisierkapsel voll Kraut und Blumen nach Hause gebracht, so kam Reinhard
+einige Stunden später wieder, um mit Elisabeth den gemeinschaftlichen Fund zu
+teilen.
+</p>
+
+<p>
+In solcher Absicht trat er eines Nachmittags ins Zimmer, als Elisabeth am
+Fenster stand und ein vergoldetes Vogelbauer, das er sonst dort nicht gesehen,
+mit frischem Hühnerschwarm besteckte. Im Bauer saß ein Kanarienvogel, der mit
+den Flügeln schlug und kreischend nach Elisabeths Finger pickte. Sonst hatte
+Reinhards Vogel an dieser Stelle gehangen.
+</p>
+
+<p>
+»Hat mein armer Hänfling sich nach seinem Tode in einen Goldfinken verwandelt?«
+fragte er heiter.
+</p>
+
+<p>
+»Das pflegen die Hänflinge nicht,« sagte die Mutter, welche spinnend im
+Lehnstuhl saß. »Ihr Freund Erich hat ihn heut&rsquo; Mittag für Elisabeth von
+seinem Hofe hereingeschickt.«
+</p>
+
+<p>
+»Von welchem Hofe?«
+</p>
+
+<p>
+»Das wissen Sie nicht?«
+</p>
+
+<p>
+»Was denn?«
+</p>
+
+<p>
+»Daß Erich seit einem Monat den zweiten Hof seines Vaters am Immensee [Fußnote:
+Der See der Immen, d. h. der Bienen.] angetreten hat?«
+</p>
+
+<p>
+»Aber Sie haben mir kein Wort davon gesagt.«
+</p>
+
+<p>
+»Ei,« sagte die Mutter, »Sie haben sich auch noch mit keinem Worte nach Ihrem
+Freunde erkundigt. Er ist ein gar lieber, verständiger junger Mann.«
+</p>
+
+<p>
+Die Mutter ging hinaus, um den Kaffee zu besorgen; Elisabeth hatte Reinhard den
+Rücken zugewandt und war noch mit dem Bau ihrer kleinen Laube beschäftigt.
+</p>
+
+<p>
+»Bitte, nur ein kleines Weilchen,« sagte sie; »gleich bin ich fertig.«
+</p>
+
+<p>
+Da Reinhard wider seine Gewohnheit nicht antwortete, so wandte sie sich um. In
+seinen Augen lag ein plötzlicher Ausdruck von Kummer, den sie nie darin gewahrt
+hatte.
+</p>
+
+<p>
+»Was fehlt dir, Reinhard?« fragte sie, indem sie nahe zu ihm trat.
+</p>
+
+<p>
+»Mir?« sagte er gedankenlos und ließ seine Augen träumerisch in den ihren
+ruhen.
+</p>
+
+<p>
+»Du siehst so traurig aus.«
+</p>
+
+<p>
+»Elisabeth,« sagte er, »ich kann den gelben Vogel nicht leiden.«
+</p>
+
+<p>
+Sie sah ihn staunend an, sie verstand ihn nicht. »Du bist so sonderbar,« sagte
+sie.
+</p>
+
+<p>
+Er nahm ihre beiden Hände, die sie ruhig in den seinen ließ. Bald trat die
+Mutter wieder herein. Nach dem Kaffee setzte diese sich an ihr Spinnrad;
+Reinhard und Elisabeth gingen ins Nebenzimmer, um ihre Pflanzen zu ordnen.
+</p>
+
+<p>
+Nun wurden Staubfäden gezählt, Blätter und Blüten sorgfältig ausgebreitet und
+von jeder Art zwei Exemplare zum Trocknen zwischen die Blätter eines großen
+Folianten gelegt.
+</p>
+
+<p>
+Es war sonnige Nachmittagsstille; nur nebenan schnurrte der Mutter Spinnrad,
+und von Zeit zu Zeit wurde Reinhards gedämpfte Stimme gehört, wenn er die
+Ordnungen der Klassen der Pflanzen nannte oder Elisabeths ungeschickte
+Aussprache der lateinischen Namen korrigierte.
+</p>
+
+<p>
+»Mir fehlt noch von neulich die Maiblume,« sagte sie jetzt, als der ganze Fund
+bestimmt und geordnet war.
+</p>
+
+<p>
+Reinhard zog einen kleinen weißen Pergamentband aus der Tasche. »Hier ist ein
+Maiblumenstengel für dich,« sagte er, indem er die halbgetrocknete Pflanze
+herausnahm.
+</p>
+
+<p>
+Als Elisabeth die beschriebenen Blätter sah, fragte sie: »Hast du wieder
+Märchen gedichtet?«
+</p>
+
+<p>
+»Es sind keine Märchen,« antwortete er und reichte ihr das Buch.
+</p>
+
+<p>
+Es waren lauter Verse, die meisten füllten höchstens eine Seite. Elisabeth
+wandte ein Blatt nach dem andern um; sie schien nur die Überschriften zu lesen.
+»Als sie vom Schulmeister gescholten war.« »Als sie sich im Walde verirrt
+hatten.« »Mit dem Ostermärchen.« »Als sie mir zum erstenmal geschrieben hatte;«
+in der Weise lauteten fast alle.
+</p>
+
+<p>
+Reinhard blickte forschend zu ihr hin, und indem sie immer weiter blätterte,
+sah er, wie zuletzt auf ihrem klaren Antlitz ein zartes Rot hervorbrach und es
+allmählich ganz überzog. Er wollte ihre Augen sehen, aber Elisabeth sah nicht
+auf und legte das Buch am Ende schweigend vor ihn hin.
+</p>
+
+<p>
+»Gib mir es nicht so zurück!« sagte er.
+</p>
+
+<p>
+Sie nahm ein braunes Reis aus der Blechkapsel. »Ich will dein Lieblingskraut
+hineinlegen,« sagte sie und gab ihm das Buch in seine Hände.
+</p>
+
+<p>
+Endlich kam der letzte Tag der Ferienzeit und der Morgen der Abreise. Auf ihre
+Bitte erhielt Elisabeth von der Mutter die Erlaubnis, ihren Freund an den
+Postwagen zu begleiten, der einige Straßen von ihrer Wohnung seine Station
+hatte.
+</p>
+
+<p>
+Als sie vor die Haustür traten, gab Reinhard ihr den Arm; so ging er schweigend
+neben dem schlanken Mädchen her. Je näher sie ihrem Ziele kamen, desto mehr war
+es ihm, er habe ihr, ehe er auf so lange Abschied nehme, etwas Notwendiges
+mitzuteilen, etwas, wovon aller Wert und alle Lieblichkeit seines künftigen
+Lebens abhänge, und doch konnte er sich des erlösenden Wortes nicht bewußt
+werden. Das ängstigte ihn; er ging immer langsamer.
+</p>
+
+<p>
+»Du kommst zu spät,« sagte sie, »es hat schon zehn geschlagen auf St. Marien.«
+</p>
+
+<p>
+Er ging aber darum nicht schneller. Endlich sagte er stammelnd:
+</p>
+
+<p>
+»Elisabeth, du wirst mich nun in zwei Jahren gar nicht sehen&mdash;wirst du
+mich wohl noch eben so lieb haben wie jetzt, wenn ich wieder da bin?«
+</p>
+
+<p>
+Sie nickte und sah ihm freundlich ins Gesicht.
+</p>
+
+<p>
+»Ich habe dich auch verteidigt;« sagte sie nach einer Pause.
+</p>
+
+<p>
+»Mich? Gegen wen hattest du es nötig?«
+</p>
+
+<p>
+»Gegen meine Mutter. Wir sprachen gestern abend, als du weggegangen warst, noch
+lange über dich. Sie meinte, du seiest nicht mehr so gut, wie du gewesen.«
+</p>
+
+<p>
+Reinhard schwieg einen Augenblick; dann aber nahm er ihre Hand in die seine,
+und indem er ihr ernst in ihre Kinderaugen blickte, sagte er:
+</p>
+
+<p>
+»Ich bin noch eben so gut, wie ich gewesen bin; glaube du das nur fest! Glaubst
+du es, Elisabeth?«
+</p>
+
+<p>
+»Ja,« sagte sie.
+</p>
+
+<p>
+Er ließ ihre Hand los und ging rasch mit ihr durch die letzte Straße. Je näher
+ihm der Abschied kam, desto freudiger war sein Gesicht; er ging ihr fast zu
+schnell.
+</p>
+
+<p>
+»Was hast du, Reinhard?« fragte sie.
+</p>
+
+<p>
+»Ich habe ein Geheimnis, ein schönes!« sagte er und sah sie mit leuchtenden
+Augen an. »Wenn ich nach zwei Jahren wieder da bin, dann sollst du es
+erfahren.«
+</p>
+
+<p>
+Mittlerweile hatten sie den Postwagen erreicht; es war noch eben Zeit genug.
+Noch einmal nahm Reinhard ihre Hand. »Leb wohl!« sagte er, »leb wohl,
+Elisabeth! Vergiß es nicht!«
+</p>
+
+<p>
+Sie schüttelte mit dem Kopf. »Leb wohl!« sagte sie. Reinhard stieg hinein, und
+die Pferde zogen an. Als der Wagen um die Straßenecke rollte, sah er noch
+einmal ihre liebe Gestalt, wie sie langsam den Weg zurückging.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap06"></a>EIN BRIEF</h2>
+
+<p>
+Fast zwei Jahre nachher saß Reinhard vor seiner Lampe zwischen Büchern und
+Papieren in Erwartung eines Freundes, mit welchem er gemeinschaftliche Studien
+übte. Man kam die Treppe herauf. »Herein!« Es war die Wirtin. »Ein Brief für
+Sie, Herr Werner!« Dann entfernte sie sich wieder.
+</p>
+
+<p>
+Reinhard hatte seit seinem Besuch in der Heimat nicht an Elisabeth geschrieben
+und von ihr keinen Brief mehr erhalten. Auch dieser war nicht von ihr; es war
+die Hand seiner Mutter.
+</p>
+
+<p>
+Reinhard brach und las, und bald las er folgendes:
+</p>
+
+<p class="p2">
+»In Deinem Alter, mein liebes Kind, hat noch fast jedes Jahr sein eigenes
+Gesicht: denn die Jugend läßt sich nicht ärmer machen. Hier ist auch manches
+anders geworden, was Dir wohl erstan weh tun wird, wenn ich Dich sonst recht
+verstanden habe. Erich hat sich gestern endlich das Jawort von Elisabeth
+geholt, nachdem er in dem letzten Vierteljahr zweimal vergebens angefragt
+hatte. Sie hatte sich immer nicht dazu entschließen können; nun hat sie es
+endlich doch getan; sie ist auch noch gar zu jung. Die Hochzeit wird bald sein,
+und die Mutter wird dann mit ihnen fortgehen.«
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap07"></a>IMMENSEE</h2>
+
+<p>
+Wiederum waren Jahre vorüber.&mdash;Auf einem abwärts führenden schattigen
+Waldwege wanderte an einem warmen Frühlingsnachmittage ein junger Mann mit
+kräftigem, gebräuntem Antlitz.
+</p>
+
+<p>
+Mit seinen ernsten dunkeln Augen sah er gespannt in die Ferne, als erwarte er
+endlich eine Veränderung des einförmigen Weges, die jedoch immer nicht
+eintreten wollte. Endlich kam ein Karrenfuhrwerk langsam von unten herauf.
+</p>
+
+<p>
+»Hollah! guter Freund!« rief der Wanderer dem nebengehenden Bauer zu,
+»geht&rsquo;s hier recht nach Immensee?«
+</p>
+
+<p>
+»Immer gerad&rsquo; aus,« antwortete der Mann, und rückte an seinem Rundhute.
+</p>
+
+<p>
+»Hat&rsquo;s denn noch weit dahin?«
+</p>
+
+<p>
+»Der Herr ist dicht davor. Keine halbe Pfeif&rsquo; Tabak, so haben&rsquo;s den
+See; das Herrenhaus liegt hart daran.«
+</p>
+
+<p>
+Der Bauer fuhr vorüber; der andere ging eiliger unter den Bäumen entlang. Nach
+einer Viertelstunde hörte ihm zur Linken plötzlich der Schatten auf; der Weg
+führte an einen Abhang, aus dem die Gipfel hundertjähriger Eichen nur kaum
+hervorragten. Über sie hinweg öffnete sich eine weite, sonnige Landschaft. Tief
+unten lag der See, ruhig, dunkelblau, fast ringsum von grünen,
+sonnenbeschienenen Wäldern umgeben; nur an einer Stelle traten sie auseinander
+und gewährten eine tiefe Fernsicht, bis auch diese durch blaue Berge
+geschlossen wurde. Quer gegenüber, mitten in dem grünen Laub der Wälder, lag es
+wie Schnee darüber her; das waren blühende Obstbäume, und daraus hervor auf dem
+hohen Ufer erhob sich das Herrenhaus, weiß mit roten Ziegeln. Ein Storch flog
+vom Schornstein auf und kreiste langsam über dem Wasser.
+</p>
+
+<p>
+»Immensee!« rief der Wanderer.
+</p>
+
+<p>
+Es war fast, als hätte er jetzt das Ziel seiner Reise erreicht, denn er stand
+unbeweglich und sah über die Gipfel der Bäume zu seinen Füßen hinüber ans
+andere Ufer, wo das Spiegelbild des Herrenhauses leise schaukelnd auf dem
+Wasser schwamm. Dann setzte er plötzlich seinen Weg fort.
+</p>
+
+<p>
+Es ging jetzt fast steil den Berg hinab, so daß die unten stehenden Bäume
+wieder Schatten gewährten, zugleich aber die Aussicht auf den See verdeckten,
+der nur zuweilen zwischen den Lücken der Zweige hindurchblitzte.
+Bald ging es wieder sanft empor, und nun verschwand rechts und links die
+Holzung; statt dessen streckten sich dichtbelaubte Weinhügel am Wege entlang;
+zu beiden Seiten desselben standen blühende Obstbäume voll summender wühlender
+Bienen. Ein stattlicher Mann in braunem Überrock kam dem Wanderer entgegen. Als
+er ihn fast erreicht hatte, schwenkte er seine Mütze und rief mit heller
+Stimme:
+</p>
+
+<p>
+»Willkommen, willkommen, Bruder Reinhard! Willkommen auf Gut Immensee!«
+</p>
+
+<p>
+»Gott grüß&rsquo; dich, [Fußnote: Dieser Gruß wird besonders in Suddeutschland
+gebraucht.] Erich, und Dank für dein Willkommen!« rief ihm der andere entgegen.
+</p>
+
+<p>
+Dann waren sie zu einander gekommen und reichten sich die Hände.
+</p>
+
+<p>
+»Bist du es denn aber auch?« sagte Erich, als er so nahe in das ernste Gesicht
+seines alten Schulkameraden sah.
+</p>
+
+<p>
+»Freilich bin ich&rsquo;s, Erich, und du bist es auch; nur siehst du fast noch
+heiterer aus, als du schon sonst immer getan hast.«
+</p>
+
+<p>
+Ein frohes Lächeln machte Erichs einfache Züge bei diesen Worten noch um vieles
+heiterer.
+</p>
+
+<p>
+»Ja, Bruder Reinhard,« sagte er, diesem noch einmal seine Hand reichend, »ich
+habe aber auch seitdem das große Los gezogen; du weißt es ja.«
+</p>
+
+<p>
+Dann rieb er sich die Hände und rief vergnügt: »Das wird eine Überraschung! Den
+erwartet sie nicht, in alle Ewigkeit nicht!«
+</p>
+
+<p>
+»Eine Überraschung?« fragte Reinhard. »Für wen denn?«
+</p>
+
+<p>
+»Für Elisabeth.«
+</p>
+
+<p>
+»Elisabeth! Du hast ihr nicht von meinem Besuch gesagt?«
+</p>
+
+<p>
+»Kein Wort, Bruder Reinhard; sie denkt nicht an dich, die Mutter auch nicht.
+Ich hab&rsquo; dich ganz im geheimen verschrieben, damit die Freude desto
+größer sei. Du weißt, ich hatte immer so meine stillen Plänchen.«
+</p>
+
+<p>
+Reinhard wurde nachdenklich; der Atem schien ihm schwer zu werden, je näher sie
+dem Hofe kamen.
+</p>
+
+<p>
+An der linken Seite des Weges hörten nun auch die Weingärten auf und machten
+einem weitläufigen Küchengarten Platz, der sich bis fast an das Ufer des Sees
+hinabzog. Der Storch hatte sich mittlerweile niedergelassen und spazierte
+gravitätisch zwischen den Gemüsebeeten umher.
+</p>
+
+<p>
+»Hollah!« rief Erich, in die Hände klatschend, »stiehlt mir der hochbeinige
+Ägypter schon wieder meine kurzen Erbsenstangen!«
+</p>
+
+<p>
+Der Vogel erhob sich langsam und flog auf das Dach eines neuen Gebäudes, das am
+Ende des Küchengartens lag und dessen Mauern mit aufgebundenen Pfirsich- und
+Aprikosenbäumen überzweigt waren.
+</p>
+
+<p>
+»Das ist die Spritfabrik,« sagte Erich; »ich habe sie erst vor zwei Jahren
+angelegt. Die Wirtschaftsgebäude hat mein seliger Vater neu aussetzen lassen;
+das Wohnhaus ist schon von meinem Großvater gebaut worden. So kommt man immer
+ein bißchen weiter.«
+</p>
+
+<p>
+Sie waren bei diesen Worten auf einen geräumigen Platz gekommen, der an den
+Seiten durch die ländlichen Wirtschaftsgebäude, im Hintergrunde durch das
+Herrenhaus begrenzt wurde, an dessen beide Flügel sich eine hohe Gartenmauer
+anschloß; hinter dieser sah man die Züge dunkler Taxuswände und hin und wieder
+ließen Syringenbäume ihre blühenden Zweige in den Hofraum hinunterhängen.
+Männer mit sonnen- und arbeitsheißen Gesichtern gingen über den Platz und
+grüßten die Freunde, während Erich dem einen oder dem andern einen Auftrag oder
+eine Frage über ihr Tagewerk entgegenrief.
+</p>
+
+<p>
+Dann hatten sie das Haus erreicht. Ein hoher, kühler Hausflur nahm sie auf, an
+dessen Ende sie links in einen etwas dunkleren Seitengang einbogen.
+</p>
+
+<p>
+Hier öffnete Erich eine Tür, und sie traten in einen geräumigen Gartensaal, der
+durch das Laubgedränge, welches die gegenüberliegenden Fenster bedeckte, zu
+beiden Seiten mit grüner Dämmerung erfüllt war; zwischen diesen aber ließen
+zwei hohe, weit geöffnete Flügeltüren den vollen Glanz der Frühlingssonne
+hereinfallen und gewährten die Aussicht in einen Garten mit gezirkelten
+Blumenbeeten und hohen steilen Laubwänden, geteilt durch einen geraden, breiten
+Gang, durch welchen man auf den See und weiter auf die gegenüberliegenden
+Wälder hinaussah. Als die Freunde hineintraten, trug die Zugluft ihnen einen
+Strom von Duft entgegen.
+</p>
+
+<p>
+Auf einer Terrasse vor der Gartentür saß eine weiße, mädchenhafte
+Frauengestalt. Sie stand auf und ging den Eintretenden entgegen; auf halbem
+Wege blieb sie wie angewurzelt stehen und starrte den Fremden unbeweglich an.
+Er streckte ihr lächelnd die Hand entgegen.
+</p>
+
+<p>
+»Reinhard!« rief sie, »Reinhard! Mein Gott, du bist es!&mdash;Wir haben uns
+lange nicht gesehen.«
+</p>
+
+<p>
+»Lange nicht,« sagte er und konnte nichts weiter sagen; denn als er ihre Stimme
+hörte, fühlte er einen feinen körperlichen Schmerz am Herzen, und wie er zu ihr
+aufblickte, stand sie vor ihm, dieselbe leichte zärtliche Gestalt, der er vor
+Jahren in seiner Vaterstadt Lebewohl gesagt hatte.
+</p>
+
+<p>
+Erich war mit freudestrahlendem Antlitz an der Tür zurückgeblieben.
+</p>
+
+<p>
+»Nun, Elisabeth?« sagte er; »gelt! den hättest du nicht erwartet, den in alle
+Ewigkeit nicht!«
+</p>
+
+<p>
+Elisabeth sah ihn mit schwesterlichen Augen an.
+</p>
+
+<p>
+»Du bist so gut, Erich!« sagte sie.
+</p>
+
+<p>
+Er nahm ihre schmale Hand liebkosend in die seinen. »Und nun wir ihn haben,«
+sagte er, »nun lassen wir ihn so bald nicht wieder los. Er ist so lange draußen
+gewesen; wir wollen ihn wieder heimisch machen. Schau nur, wie fremd und
+vornehm aussehend er worden ist!«
+</p>
+
+<p>
+Ein scheuer Blick Elisabeths streifte Reinhards Antlitz. »Es ist nur die Zeit,
+die wir nicht beisammen waren,« sagte er.
+</p>
+
+<p>
+In diesem Augenblick kam die Mutter, mit einem Schlüsselkörbchen am Arm, zur
+Tür herein.
+</p>
+
+<p>
+»Herr Werner!« sagte sie, als sie Reinhard erblickte; »ei, ein eben so lieber
+als unerwarteter Gast.«
+</p>
+
+<p>
+Und nun ging die Unterhaltung in Fragen und Antworten ihren ebenen Tritt. Die
+Frauen setzten sich zu ihrer Arbeit, und während Reinhard die für ihn
+bereiteten Erfrischungen genoß, hatte Erich seinen soliden Meerschaumkopf
+angebrannt und saß dampfend und diskutierend an seiner Seite.
+</p>
+
+<p>
+Am andern Tage mußte Reinhard mit ihm hinaus auf die Äcker, in die Weinberge,
+in den Hopfengarten, in die Spritfabrik. Es war alles wohl bestellt; die Leute,
+welche auf dem Felde und bei den Kesseln arbeiteten, hatten alle ein gesundes
+und zufriedenes Aussehen.
+</p>
+
+<p>
+Zu Mittag kam die Familie im Gartensaal zusammen, und der Tag wurde dann, je
+nach der Muße der Wirte, mehr oder minder gemeinschaftlich verlebt. Nur die
+Stunden vor dem Abendessen, wie die ersten des Vormittags, blieb Reinhard
+arbeitend auf seinem Zimmer.
+</p>
+
+<p>
+Er hatte seit Jahren, wo er deren habhaft werden konnte, die im Volke lebenden
+Reime und Lieder gesammelt und ging nun daran, seinen Schatz zu ordnen und wo
+möglich mit neuen Aufzeichnungen aus der Umgegend zu vermehren.
+</p>
+
+<p>
+Elisabeth war zu allen Zeiten sanft und freundlich; Erichs immer
+gleichbleibende Aufmerksamkeit nahm sie mit einer fast demütigen Dankbarkeit
+auf, und Reinhard dachte mitunter, das heitere Kind von ehedem habe wohl eine
+weniger stille Frau versprochen.
+</p>
+
+<p>
+Seit dem zweiten Tage seines Hierseins pflegte er abends einen Spaziergang an
+den Ufern des Sees zu machen. Der Weg führte hart unter dem Garten vorbei. Am
+Ende desselben, auf einer vorspringenden Bastei, stand eine Bank unter hohen
+Birken; die Mutter hatte sie die Abendbank getauft, weil der Platz gegen Abend
+lag und des Sonnenuntergangs halber um diese Zeit am meisten benutzt wurde.
+</p>
+
+<p>
+Von einem Spaziergange auf diesem Wege kehrte Reinhard eines Abends zurück, als
+er vom Regen überrascht wurde. Er suchte Schutz unter einer am Wasser stehenden
+Linde, aber die schweren Tropfen schlugen bald durch die Blätter. Durchnäßt,
+wie er war, ergab er sich darein und setzte langsam seinen Rückweg fort.
+</p>
+
+<p>
+Es war fast dunkel; der Regen fiel immer dichter. Als er sich der Abendbank
+näherte, glaubte er zwischen den schimmernden Birkenstämmen eine weiße
+Frauengestalt zu unterscheiden. Sie stand unbeweglich und, wie er beim
+Näherkommen zu erkennen meinte, zu ihm hingewandt, als wenn sie jemanden
+erwarte.
+</p>
+
+<p>
+Er glaubte, es sei Elisabeth. Als er aber rascher zuschritt, um sie zu
+erreichen und dann mit ihr zusammen durch den Garten ins Haus zurückzukehren,
+wandte sie sich langsam ab und verschwand in den dunkeln Seitengängen.
+</p>
+
+<p>
+Er konnte das nicht reimen; er war aber fast zornig auf Elisabeth, und dennoch
+zweifelte er, ob sie es gewesen sei; aber er scheute sich, sie darnach zu
+fragen; ja, er ging bei seiner Rückkehr nicht in den Gartensaal, nur um
+Elisabeth nicht etwa durch die Gartentür hereintreten zu sehen.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap08"></a>MEINE MUTTER HAT&rsquo;S GEWOLLT</h2>
+
+<p>
+Einige Tage nachher, es ging schon gegen Abend, saß die Familie, wie gewöhnlich
+um diese Zeit, im Gartensaal zusammen. Die Türen standen offen; die Sonne war
+schon hinter den Wäldern jenseits des Sees.
+</p>
+
+<p>
+Reinhard wurde um die Mitteilung einiger Volkslieder gebeten, welche er am
+Nachmittage von einem auf dem Lande wohnenden Freunde geschickt bekommen hatte.
+Er ging auf sein Zimmer und kam gleich darauf mit einer Papierrolle zurück,
+welche aus einzelnen sauber geschriebenen Blättern zu bestehen schien.
+</p>
+
+<p>
+Man setzte sich an den Tisch, Elisabeth an Reinhards Seite. »Wir lesen auf gut
+Glück,« sagte er, »ich habe sie selber noch nicht durchgesehen.«
+</p>
+
+<p>
+Elisabeth rollte das Manuskript auf. »Hier sind Noten,« sagte sie, »das mußt du
+singen, Reinhard.«
+</p>
+
+<p>
+Und dieser las nun zuerst einige tiroler Schnaderhüpfel, [Fußnote: Dialektisch
+für »Schnitterhüpfen,« d. h. Schnitter-Tänze oder Lieder, die besonders in
+Tirol und in Bayern gesungen werden.] indem er beim Lesen zuweilen die lustige
+Melodie mit halber Stimme anklingen ließ. Eine allgemeine Heiterkeit
+bemächtigte sich der kleinen Gesellschaft. »Wer hat doch aber die schönen
+Lieder gemacht?« fragte Elisabeth.
+</p>
+
+<p>
+»Ei,« sagte Erich, »das hört man den Dingern schon an, Schneidergesellen und
+Friseure und derlei lustiges Gesindel.«
+</p>
+
+<p>
+Reinhard sagte: »Sie werden gar nicht gemacht; sie wachsen; sie fallen aus der
+Luft, sie fliegen über Land wie Mariengarn, [Fußnote: Der Volksglaube hat
+dieses feine Gewebe von Feldspinnen immer in Verbindung mit den Göttern
+gebracht. Nach Einführung des Christentums wurde es auf die Jungfrau Maria
+bezogen: aus dem feinsten Faden soll das Leichenkleid gewoben worden sein,
+worin Maria nach ihrem Tod eingehüllt wurde. Während ihrer Himmelfahrt wäre das
+Gewebe wieder von ihr losgebrochen.] hierhin und dorthin und werden an tausend
+Stellen zugleich gesungen. Unser eigenstes Tun und Leiden finden wir in diesen
+Liedern; es ist, als ob wir alle an ihnen mitgeholfen hätten.«
+</p>
+
+<p>
+Er nahm ein anderes Blatt: »Ich stand auf hohen Bergen…« [Fußnote: Ein altes
+Volkslied von einem schönen aber armen Mädchen, das den jungen Grafen nicht
+heiraten konnte, und sich in ein Kloster zurückzog.]
+</p>
+
+<p>
+»Das kenne ich!« rief Elisabeth. »Stimme nur an, Reinhard; ich will dir
+helfen.«
+</p>
+
+<p>
+Und nun sangen sie jene Melodie, die so rätselhaft ist, daß man nicht glauben
+kann, sie sei von Menschen erdacht worden; Elisabeth mit ihrer etwas verdeckten
+Altstimme dem Tenor sekundierend.
+</p>
+
+<p>
+Die Mutter saß inzwischen emsig an ihrer Näherei; Erich hatte die Hände in
+einander gelegt und hörte andächtig zu. Als das Lied zu Ende war, legte
+Reinhard das Blatt schweigend bei Seite. Vom Ufer des Sees herauf kam durch die
+Abendstille das Geläute der Herdenglocken; sie horchten unwillkürlich; da
+hörten sie eine klare Knabenstimme singen:
+</p>
+
+<p class="poem">
+  Ich stand auf hohen Bergen<br/>
+  Und sah ins tiefe Tal . . .
+</p>
+
+<p>
+Reinhard lächelte: »Hört ihr es wohl? So geht&rsquo;s von Mund zu Mund.«
+</p>
+
+<p>
+»Es wird oft in dieser Gegend gesungen,« sagte Elisabeth.
+</p>
+
+<p>
+»Ja,« sagte Erich, »es ist der Hirtenkasper; er treibt die Starken [Fußnote:
+Süddialektisch für »die Färsen.«] heim.«
+</p>
+
+<p>
+Sie horchten noch eine Weile, bis das Geläute hinter den Wirtschaftsgebäuden
+verschwunden war. »Das sind Urtöne,« sagte Reinhard; »sie schlafen in
+Waldesgründen; Gott weiß, wer sie gefunden hat.«
+</p>
+
+<p>
+Er zog ein neues Blatt heraus.
+</p>
+
+<p>
+Es war schon dunkler geworden; ein roter Abendschein lag wie Schaum auf den
+Wäldern jenseits des Sees. Reinhard rollte das Blatt auf, Elisabeth legte an
+der einen Seite ihre Hand darauf und sah mit hinein. Dann las Reinhard:
+</p>
+
+<p class="poem">
+  Meine Mutter hat&rsquo;s gewollt,<br/>
+  Den andern ich nehmen sollt&rsquo;:<br/>
+  Was ich zuvor besessen,<br/>
+  Mein Herz sollt&rsquo; es vergessen;<br/>
+  Das hat es nicht gewollt.<br/>
+<br/>
+  Meine Mutter klag&rsquo; ich an,<br/>
+  Sie hat nicht wohl getan;<br/>
+  Was sonst in Ehren stünde,<br/>
+  Nun ist es worden Sünde.<br/>
+  Was fang&rsquo; ich an!<br/>
+<br/>
+  Für all&rsquo; mein&rsquo; Stolz und Freud&rsquo;<br/>
+  Gewonnen hab&rsquo; ich Leid.<br/>
+  Ach, wär&rsquo; das nicht geschehen,<br/>
+  Ach, könnt&rsquo; ich betteln gehen<br/>
+  Über die braune Heid&rsquo;!
+</p>
+
+<p>
+Während des Lesens hatte Reinhard ein unmerkliches Zittern des Papiers
+empfunden; als er zu Ende war, schob Elisabeth leise ihren Stuhl zurück und
+ging schweigend in den Garten hinab. Ein Blick der Mutter folgte ihr. Erich
+wollte nachgehen; doch die Mutter sagte: »Elisabeth hat draußen zu tun.« So
+unterblieb es.
+</p>
+
+<p>
+Draußen aber legte sich der Abend mehr und mehr über Garten und See; die
+Nachtschmetterlinge schossen surrend an den offenen Türen vorüber, durch welche
+der Duft der Blumen und Gesträuche immer stärker hereindrang; vom Wasser herauf
+kam das Geschrei der Frösche, unter den Fenstern schlug eine Nachtigall, tiefer
+im Garten eine andere; der Mond sah über die Bäume.
+</p>
+
+<p>
+Reinhard blickte noch eine Weile auf die Stelle, wo Elisabeths feine Gestalt
+zwischen den Laubgängen verschwunden war; dann rollte er sein Manuskript
+zusammen, grüßte die Anwesenden und ging durchs Haus an das Wasser hinab.
+</p>
+
+<p>
+Die Wälder standen schweigend und warfen ihr Dunkel weit auf den See hinaus,
+während die Mitte desselben in schwüler Mondesdämmerung lag. Mitunter schauerte
+ein leises Säuseln durch die Bäume; aber es war kein Wind, es war nur das Atmen
+der Sommernacht.
+</p>
+
+<p>
+Reinhard ging immer am Ufer entlang. Einen Steinwurf vom Lande konnte er eine
+weiße Wasserlilie erkennen. Auf einmal wandelte ihn die Lust an, sie in der
+Nähe zu sehen; er warf seine Kleider ab und stieg ins Wasser. Es war flach;
+scharfe Pflanzen und Steine schnitten ihn an den Füßen, und er kam immer nicht
+in die zum Schwimmen nötige Tiefe.
+</p>
+
+<p>
+Dann war es plötzlich unter ihm weg, die Wasser quirlten über ihm zusammen, und
+es dauerte eine Zeitlang, ehe er wieder auf die Oberfläche kam. Nun regte er
+Hand und Fuß und schwamm im Kreise umher, bis er sich bewußt geworden, von wo
+er hineingegangen war. Bald sah er auch die Lilie wieder; sie lag einsam
+zwischen den großen blanken Blättern.
+</p>
+
+<p>
+Er schwamm langsam hinaus und hob mitunter die Arme aus dem Wasser, daß die
+herabrieselnden Tropfen im Mondlichte blitzten; aber es war, als ob die
+Entfernung zwischen ihm und der Blume dieselbe bliebe; nur das Ufer lag, wenn
+er sich umblickte, in immer ungewisserem Dufte hinter ihm. Er gab indes sein
+Unternehmen nicht auf, sondern schwamm rüstig in derselben Richtung fort.
+</p>
+
+<p>
+Endlich war er der Blume so nahe gekommen, daß er die silbernen Blätter
+deutlich im Mondlicht unterscheiden konnte; zugleich aber fühlte er sich in
+einem Netze verstrickt, die glatten Stengel langten vom Grunde herauf und
+rankten sich an seine nackten Glieder.
+</p>
+
+<p>
+Das unbekannte Wasser lag so schwarz um ihn her, hinter sich hörte er das
+Springen eines Fisches; es wurde ihm plötzlich so unheimlich in dem fremden
+Elemente, daß er mit Gewalt das Gestrick der Pflanzen zerriß und in atemloser
+Hast dem Lande zuschwamm. Als er von hier auf den See zurückblickte, lag die
+Lilie wie zuvor fern und einsam über der dunklen Tiefe.
+</p>
+
+<p>
+Er kleidete sich an und ging langsam nach Hause zurück. Als er aus dem Garten
+in den Saal trat, fand er Erich und die Mutter in den Vorbereitungen einer
+kleinen Geschäftsreise, welche am andern Tage vor sich gehen sollte.
+</p>
+
+<p>
+»Wo sind Sie denn so spät in der Nacht gewesen?« rief ihm die Mutter entgegen.
+</p>
+
+<p>
+»Ich?« erwiderte er; »ich wollte die Wasserlilie besuchen; es ist aber nichts
+daraus geworden.«
+</p>
+
+<p>
+»Das versteht wieder einmal kein Mensch!« sagte Erich. »Was Tausend hattest du
+denn mit der Wasserlilie zu tun?«
+</p>
+
+<p>
+»Ich habe sie früher einmal gekannt,« sagte Reinhard; »es ist aber schon lange
+her.«
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap09"></a>ELISABETH</h2>
+
+<p>
+Am folgenden Nachmittag wanderten Reinhard und Elisabeth jenseits des Sees bald
+durch die Holzung, bald auf dem vorspringenden Uferrande. Elisabeth hatte von
+Erich den Auftrag erhalten, während seiner und der Mutter Abwesenheit Reinhard
+mit den schönsten Aussichten der nächsten Umgegend, namentlich von der andern
+Uferseite auf den Hof selber, bekannt zu machen. Nun gingen sie von einem Punkt
+zum andern.
+</p>
+
+<p>
+Endlich wurde Elisabeth müde und setzte sich in den Schatten überhängender
+Zweige; Reinhard stand ihr gegenüber, an einen Baumstamm gelehnt; da hörte er
+tiefer im Walde den Kuckuck rufen, und es kam ihm plötzlich, dies alles sei
+schon einmal eben so gewesen. Er sah sie seltsam lächelnd an.
+</p>
+
+<p>
+»Wollen wir Erdbeeren suchen?« fragte er.
+</p>
+
+<p>
+»Es ist keine Erdbeerenzeit,« sagte sie.
+</p>
+
+<p>
+»Sie wird aber bald kommen.«
+</p>
+
+<p>
+Elisabeth schüttelte schweigend den Kopf; dann stand sie auf, und beide setzten
+ihre Wanderung fort; und wie sie so an seiner Seite ging, wandte sein Blick
+sich immer wieder nach ihr hin; denn sie ging schön, als wenn sie von ihren
+Kleidern getragen würde. Er blieb oft unwillkürlich einen Schritt zurück, um
+sie ganz und voll ins Auge fassen zu können.
+</p>
+
+<p>
+So kamen sie an einen freien, heidebewachsenen Platz mit einer weit ins Land
+reichenden Aussicht. Reinhard bückte sich und pflückte etwas von den am Boden
+wachsenden Kräutern. Als er wieder aufsah, trug sein Gesicht den Ausdruck
+leidenschaftlichen Schmerzes.
+</p>
+
+<p>
+»Kennst du diese Blume?« fragte er.
+</p>
+
+<p>
+Sie sah ihn fragend an. »Es ist eine Erika. Ich habe sie oft im Walde
+gepflückt.«
+</p>
+
+<p>
+»Ich habe zu Hause ein altes Buch,« sagte er; »ich pflegte sonst allerlei
+Lieder und Reime hineinzuschreiben; es ist aber lange nicht mehr geschehen.
+Zwischen den Blättern liegt auch eine Erika; aber es ist nur eine verwelkte.
+Weißt du, wer sie mir gegeben hat?«
+</p>
+
+<p>
+Sie nickte stumm; aber sie schlug die Augen nieder und sah nur auf das Kraut,
+das er in der Hand hielt. So standen sie lange. Als sie die Augen gegen ihn
+aufschlug, sah er, daß sie voll Tränen waren.
+</p>
+
+<p>
+»Elisabeth,« sagte er,&mdash;»hinter jenen blauen Bergen liegt unsere Jugend.
+Wo ist sie geblieben?«
+</p>
+
+<p>
+Sie sprachen nichts mehr; sie gingen stumm neben einander zum See hinab. Die
+Luft war schwül, im Westen stieg schwarzes Gewölk auf. Es wird gewittern,«
+sagte Elisabeth, indem sie ihren Schritt beeilte; Reinhard nickte schweigend,
+und beide gingen rasch am Ufer entlang, bis sie ihren Kahn erreicht hatten.
+</p>
+
+<p>
+Während der Überfahrt ließ Elisabeth ihre Hand auf dem Rande des Kahnes ruhen.
+Er blickte beim Rudern zu ihr hinüber; sie aber sah an ihm vorbei in die Ferne.
+So glitt sein Blick herunter und blieb auf ihrer Hand; und die blasse Hand
+verriet ihm, was ihr Antlitz ihm verschwiegen hatte.
+</p>
+
+<p>
+Er sah auf ihr jenen feinen Zug geheimen Schmerzes, der sich so gern schöner
+Frauenhände bemächtigt, die nachts auf krankem Herzen liegen. Als Elisabeth
+sein Auge auf ihrer Hand ruhen fühlte, ließ sie sie langsam über Bord ins
+Wasser gleiten.
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Hofe angekommen trafen sie einen Scherenschleiferkarren vor dem
+Herrenhause; ein Mann mit schwarzen, niederhängenden Locken trat emsig das Rad
+und summte eine Zigeunermelodie zwischen den Zähnen, während ein eingeschirrter
+Hund schnaufend daneben lag. Auf dem Hausflur stand in Lumpen gehüllt ein
+Mädchen mit verstörten schönen Zügen und streckte bettelnd die Hand gegen
+Elisabeth aus.
+</p>
+
+<p>
+Reinhard griff in seine Tasche, aber Elisabeth kam ihm zuvor und schüttete
+hastig den ganzen Inhalt ihrer Börse in die offene Hand der Bettlerin. Dann
+wandte sie sich eilig ab, und Reinhard hörte, wie sie schluchzend die Treppe
+hinaufging.
+</p>
+
+<p>
+Er wollte sie aufhalten, aber er besann sich und blieb an der Treppe zurück.
+Das Mädchen stand noch immer auf dem Flur, unbeweglich, das empfangene Almosen
+in der Hand.
+</p>
+
+<p>
+»Was willst du noch?« fragte Reinhard.
+</p>
+
+<p>
+Sie fuhr zusammen. »Ich will nichts mehr,« sagte sie; dann den Kopf nach ihm
+zurückwendend, ihn anstarrend mit den verirrten Augen, ging sie langsam gegen
+die Tür. Er rief einen Namen aus, aber sie hörte es nicht mehr; mit gesenktem
+Haupte, mit über der Brust gekreuzten Armen schritt sie über den Hof hinab:
+</p>
+
+<p class="poem">
+  Sterben, ach! sterben<br/>
+  Soll ich allein!
+</p>
+
+<p>
+Ein altes Lied brauste ihm ins Ohr, der Atem stand ihm still; eine kurze Weile,
+dann wandte er sich ab und ging auf sein Zimmer.
+</p>
+
+<p>
+Er setzte sich hin, um zu arbeiten, aber er hatte keine Gedanken. Nachdem er es
+eine Stunde lang vergebens versucht hatte, ging er ins Familienzimmer hinab. Es
+war niemand da, nur kühle grüne Dämmerung; auf Elisabeths Nähtisch lag ein
+rotes Band, das sie am Nachmittag um den Hals getragen hatte. Er nahm es in die
+Hand, aber es tat ihm weh, und er legte es wieder hin.
+</p>
+
+<p>
+Er hatte keine Ruhe, er ging an den See hinab und band den Kahn los; er ruderte
+hinüber und ging noch einmal alle Wege, die er kurz vorher mit Elisabeth
+zusammen gegangen war. Als er wieder nach Hause kam, war es dunkel; auf dem
+Hofe begegnete ihm der Kutscher, der die Wagenpferde ins Gras bringen wollte;
+die Reisenden waren eben zurückgekehrt.
+</p>
+
+<p>
+Bei seinem Eintritt in den Hausflur hörte er Erich im Gartensaal auf und ab
+schreiten. Er ging nicht zu ihm hinein; er stand einen Augenblick still und
+stieg dann leise die Treppe hinauf nach seinem Zimmer. Hier setzte er sich in
+den Lehnstuhl ans Fenster; er tat vor sich selbst, als wolle er die Nachtigall
+hören, die unten in den Taxuswänden schlug; aber er hörte nur den Schlag seines
+eigenen Herzens. Unter ihm im Hause ging alles zur Ruhe, die Nacht verrann, er
+fühlte es nicht.
+</p>
+
+<p>
+So saß er stundenlang. Endlich stand er auf und legte sich ins offene Fenster.
+Der Nachttau rieselte zwischen den Blättern, die Nachtigall hatte aufgehört zu
+schlagen. Allmählich wurde auch das tiefe Blau des Nachthimmels vom Osten her
+durch einen blaßgelben Schimmer verdrängt; ein frischer Wind erhob sich und
+streifte Reinhards heiße Stirne; die erste Lerche stieg jauchzend in die Luft.
+</p>
+
+<p>
+Reinhard kehrte sich plötzlich um und trat an den Tisch: er tappte nach einem
+Bleistift, und als er diesen gefunden, setzte er sich und schrieb damit einige
+Zeilen auf einen weißen Bogen Papier. Nachdem er hiermit fertig war, nahm er
+Hut und Stock, und das Papier zurücklassend öffnete er behutsam die Tür und
+stieg in den Flur hinab.
+</p>
+
+<p>
+Die Morgendämmerung ruhte noch in allen Winkeln; die große Hauskatze dehnte
+sich auf der Strohmatte und sträubte den Rücken gegen seine Hand, die er
+gedankenlos entgegenhielt. Draußen im Garten aber priesterten [Fußnote: d. h.
+»sangen schon die Sperlinge großartig, wie Priester.« Das Wort scheint von
+Storm geschmiedet zu sein; es ist nicht anderswo zu finden.] schon die
+Sperlinge von den Zweigen und sagten es allen, daß die Nacht vorbei sei.
+</p>
+
+<p>
+Da hörte er oben im Hause eine Tür gehen; es kam die Treppe herunter, und als
+er aufsah, stand Elisabeth vor ihm. Sie legte die Hand auf seinen Arm, sie
+bewegte die Lippen, aber er hörte keine Worte.
+</p>
+
+<p>
+»Du kommst nicht wieder,« sagte sie endlich. »Ich weiß es, lüge nicht; du
+kommst nie wieder.«
+</p>
+
+<p>
+»Nie,« sagte er.
+</p>
+
+<p>
+Sie ließ ihre Hand sinken und sagte nichts mehr. Er ging über den Flur der Türe
+zu; dann wandte er sich noch einmal. Sie stand bewegungslos an derselben Stelle
+und sah ihn mit toten Augen an. Er tat einen Schritt vorwärts und streckte die
+Arme nach ihr aus. Dann kehrte er sich gewaltsam ab und ging zur Tür hinaus.
+</p>
+
+<p>
+Draußen lag die Welt im frischen Morgenlichte, die Tauperlen, die in den
+Spinnengeweben hingen, blitzten in den ersten Sonnenstrahlen. Er sah nicht
+rückwärts; er wanderte rasch hinaus; und mehr und mehr versank hinter ihm das
+stille Gehöft, und vor ihm auf stieg die große weite Welt.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap10"></a>DER ALTE</h2>
+
+<p>
+Der Mond schien nicht mehr in die Fensterscheiben; es war dunkel geworden; der
+Alte aber saß noch immer mit gefalteten Händen in seinem Lehnstuhl und blickte
+vor sich hin in den Raum des Zimmers.
+</p>
+
+<p>
+Allmählich verzog sich vor seinen Augen die schwarze Dämmerung um ihn her zu
+einem breiten dunkeln See; ein schwarzes Gewässer legte sich hinter das andere,
+immer tiefer und ferner, und auf dem letzten, so fern, daß die Augen des Alten
+sie kaum erreichten, schwamm einsam zwischen breiten Blättern eine weiße
+Wasserlilie.
+</p>
+
+<p>
+Die Stubentür ging auf, und ein heller Lichtschimmer fiel ins Zimmer.
+</p>
+
+<p>
+»Es ist gut, daß Sie kommen, Brigitte,« sagte der Alte. »Stellen Sie das Licht
+auf den Tisch!«
+</p>
+
+<p>
+Dann rückte er auch den Stuhl zum Tisch, nahm eines der aufgeschlagenen Bücher
+und vertiefte sich in Studien, an denen er einst die Kraft seiner Jugend geübt
+hatte.
+</p>
+
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+End of the Project Gutenberg EBook of Immensee, by Theodor W. Storm
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+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK IMMENSEE ***
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+***** This file should be named 6651-h.htm or 6651-h.zip *****
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+Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
+law means that no one owns a United States copyright in these works,
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+royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
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+damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
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+electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
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+the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
+or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
+additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
+Defect you cause.
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of
+computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
+exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
+from people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
+generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
+Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
+www.gutenberg.org
+
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
+U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
+mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
+volunteers and employees are scattered throughout numerous
+locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
+Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
+date contact information can be found at the Foundation's web site and
+official page at www.gutenberg.org/contact
+
+For additional contact information:
+
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
+DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
+state visit www.gutenberg.org/donate
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations. To
+donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
+Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
+freely shared with anyone. For forty years, he produced and
+distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
+volunteer support.
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
+the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
+necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
+edition.
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search
+facility: www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
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+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
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