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| author | Roger Frank <rfrank@pglaf.org> | 2025-10-15 05:27:55 -0700 |
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If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Immensee + +Author: Theodor Storm + +Release Date: October, 2004 [EBook #6651] +[Most recently updated: July 30, 2020] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK IMMENSEE *** + + + + +Produced by Delphine Lettau, Charles Franks, and the +Online Distributed Proofreading Team. + +[Illustration] + + + + +Immensee + +by Theodor Storm + + + DER ALTE + DIE KINDER + IM WALDE + DA STAND DAS KIND AM WEGE + DAHEIM + EIN BRIEF + IMMENSEE + MEINE MUTTER HAT’S GEWOLLT + ELISABETH + DER ALTE + + + + +DER ALTE + + +An einem Spätherbstnachmittage ging ein alter wohlgekleideter Mann +langsam die Straße hinab. Er schien von einem Spaziergange nach Hause +zurückzukehren, denn seine Schnallenschuhe, die einer vorübergegangenen +Mode angehörten, waren bestäubt. Den langen Rohrstock mit goldenem +Knopf trug er unter dem Arm; mit seinen dunklen Augen, in welche sich +die ganze verlorene Jugend gerettet zu haben schien, und welche +eigentümlich von den schneeweißen Haaren abstachen, sah er ruhig umher +oder in die Stadt hinab, welche im Abendsonnendufte vor ihm lag. + +Er schien fast ein Fremder, denn von den Vorübergehenden grüßten ihn +nur wenige, obgleich mancher unwillkürlich in diese ernsten Augen zu +sehen gezwungen wurde. Endlich stand er vor einem hohen Giebelhause +still, sah noch einmal in die Stadt hinaus und trat dann in die +Hausdiele. Bei dem Schall der Türglocke wurde drinnen in der Stube von +einem Guckfenster, welches nach der Diele hinausging, der grüne Vorhang +weggeschoben und das Gesicht einer alten Frau dahinter sichtbar. Der +Mann winkte ihr mit seinem Rohrstock. + +»Noch kein Licht!« sagte er in einem etwas südlichen Akzent, und die +Haushälterin ließ den Vorhang wieder fallen. + +Der Alte ging nun über die weite Hausdiele, durch einen Pesel, wo große +eichene Schränke mit Porzellanvasen an den Wänden standen; durch die +gegenüberstehende Tür trat er in einen kleinen Flur, von wo aus eine +enge Treppe zu den obern Zimmern des Hinterhauses führte. Er stieg sie +langsam hinauf, schloß oben eine Tür auf und trat dann in ein mäßig +großes Zimmer. Hier war es heimlich und still; die eine Wand war fast +mit Repositorien und Bücherschränken bedeckt, an den andern hingen +Bilder von Menschen und Gegenden; vor einem Tisch mit grüner Decke, auf +dem einzelne aufgeschlagene Bücher umherlagen, stand ein schwerfälliger +Lehnstuhl mit rotem Samtkissen. + +Nachdem der Alte Hut und Stock in die Ecke gestellt hatte, setzte er +sich in den Lehnstuhl und schien mit gefalteten Händen von seinem +Spaziergange auszuruhen.—Wie er so saß, wurde es allmählich dunkler; +endlich fiel ein Mondstrahl durch die Fensterscheiben auf die Gemälde +an der Wand, und wie der helle Streif langsam weiter rückte, folgten +die Augen des Mannes unwillkürlich. Nun trat er über ein kleines Bild +in schlichtem schwarzem Rahmen. »Elisabeth!« sagte der Alte leise; und +wie er das Wort gesprochen, war die Zeit verwandelt: er war in seiner +Jugend. + + + + +DIE KINDER + + +Bald trat die anmutige Gestalt eines kleinen Mädchens zu ihm. Sie hieß +Elisabeth und mochte fünf Jahre zählen, er selbst war doppelt so alt. +Um den Hals trug sie ein rotseidenes Tüchelchen; das ließ ihr hübsch zu +den braunen Augen. + +»Reinhard!« rief sie, »wir haben frei, frei! den ganzen Tag keine +Schule, und morgen auch nicht.« + +Reinhard stellte die Rechentafel, die er schon unterm Arm hatte, flink +hinter die Haustür, und dann liefen beide Kinder durchs Haus in den +Garten und durch die Gartenpforte hinaus auf die Wiese. Die +unverhofften Ferien kamen ihnen herrlich zustatten. Reinhard hatte hier +mit Elisabeths Hilfe ein Haus aus Rasenstücken aufgeführt; darin +wollten sie die Sommerabende wohnen; aber es fehlte noch die Bank. Nun +ging er gleich an die Arbeit; Nägel, Hammer und die nötigen Bretter +waren schon bereit. Während dessen ging Elisabeth an dem Wall entlang +und sammelte den ringförmigen Samen der wilden Malve in ihre Schürze; +davon wollte sie sich Ketten und Halsbänder machen; und als Reinhard +endlich trotz manches krumm geschlagenen Nagels seine Bank dennoch +zustande gebracht hatte und nun wieder in die Sonne hinaustrat, ging +sie schon weit davon am andern Ende der Wiese. + +»Elisabeth!« rief er, »Elisabeth!« und da kam sie, und ihre Locken +flogen. »Komm,« sagte er, »nun ist unser Haus fertig. Du bist ja ganz +heiß geworden; komm herein, wir wollen uns auf die neue Bank setzen. +Ich erzähl’ dir etwas.« + +Dann gingen sie beide hinein und setzten sich auf die neue Bank. +Elisabeth nahm ihre Ringelchen aus der Schürze und zog sie auf lange +Bindfäden; Reinhard fing an zu erzählen: »Es waren einmal drei +Spinnfrauen—« [Fußnote: So fängt ein wohlbekanntes Märchen von den +Gebrüdern Grimm an.] + +»Ach,« sagte Elisabeth, »das weiß ich ja auswendig; du mußt auch nicht +immer dasselbe erzählen.« + +Da mußte Reinhard die Geschichte von den drei Spinnfrauen stecken +lassen, und statt dessen erzählte er die Geschichte von dem armen Mann, +der in die Löwengrube geworfen war. + +»Nun war es Nacht,« sagte er, »weißt du? ganz finstere, und die Löwen +schliefen. Mitunter aber gähnten sie im Schlaf und reckten die roten +Zungen aus; dann schauderte der Mann und meinte, daß der Morgen komme. +Da warf es um ihn her auf einmal einen hellen Schein, und als er +aufsah, stand ein Engel vor ihm. Der winkte ihm mit der Hand und ging +dann gerade in die Felsen hinein.« + +Elisabeth hatte aufmerksam zugehört. »Ein Engel?« sagte sie: »Hatte er +denn Flügel?« + +»Es ist nur so eine Geschichte,« antwortete Reinhard; »es gibt ja gar +keine Engel.« + +»O pfui, Reinhard!« sagte sie und sah ihm starr ins Gesicht. + +Als er sie aber finster anblickte, fragte sie ihn zweifelnd: »Warum +sagen sie es denn immer? Mutter und Tante und auch in der Schule?« + +»Das weiß ich nicht,« antwortete er. + +»Aber du,« sagte Elisabeth, »gibt es denn auch keine Löwen?« + +»Löwen? Ob es Löwen gibt? In Indien; da spannen die Götzenpriester sie +vor den Wagen und fahren mit ihnen durch die Wüste. Wenn ich groß bin, +will ich einmal selber hin. Da ist es viel tausendmal schöner als hier +bei uns; da gibt es gar keinen Winter. Du mußt auch mit mir. Willst +du?« + +»Ja,« sagte Elisabeth; »aber Mutter muß dann auch mit, und deine Mutter +auch.« + +»Nein,« sagte Reinhard, »die sind dann zu alt, die können nicht mit.« + +»Ich darf aber nicht allein.« + +»Du sollst schon dürfen; du wirst dann wirklich meine Frau, und dann +haben die andern dir nichts zu befehlen.« + +»Aber meine Mutter wird weinen.« + +»Wir kommen ja wieder,« sagte Reinhard heftig; »sag es nur gerade +heraus, willst du mit mir reisen? Sonst geh’ ich allein, und dann komme +ich nimmer wieder.« + +Der Kleinen kam das Weinen nahe. »Mach nur nicht so böse Augen,« sagte +sie; »ich will ja mit nach Indien.« + +Reinhard faßte sie mit ausgelassener Freude bei beiden Händen und zog +sie hinaus auf die Wiese. + +»Nach Indien, nach Indien!« sang er und schwenkte sich mit ihr im +Kreise, daß ihr das rote Tüchelchen vom Halse flog. Dann aber ließ er +sie plötzlich los und sagte ernst: + +»Es wird doch nichts daraus werden; du hast keine Courage.« + +»Elisabeth! Reinhard!« rief es jetzt von der Gartenpforte. »Hier! +Hier!« antworteten die Kinder und sprangen Hand in Hand nach Hause. + + + + +IM WALDE + + +So lebten die Kinder zusammen; sie war ihm oft zu still, er war ihr oft +zu heftig, aber sie ließen deshalb nicht von einander; fast alle +Freistunden teilten sie: winters in den beschränkten Zimmern ihrer +Mütter, sommers in Busch und Feld. + +Als Elisabeth einmal in Reinhards Gegenwart von dem Schullehrer +gescholten wurde, stieß er seine Tafel zornig auf den Tisch, um den +Eifer des Mannes auf sich zu lenken. Es wurde nicht bemerkt. Aber +Reinhard verlor alle Aufmerksamkeit an den geographischen Vorträgen; +statt dessen verfaßte er ein langes Gedicht; darin verglich er sich +selbst mit einem jungen Adler, den Schulmeister mit einer grauen Krähe, +Elisabeth war die weiße Taube; der Adler gelobte an der grauen Krähe +Rache zu nehmen, sobald ihm die Flügel gewachsen sein würden. Dem +jungen Dichter standen die Tränen in den Augen; er kam sich sehr +erhaben vor. Als er nach Hause gekommen war, wußte er sich einen +kleinen Pergamentband mit vielen weißen Blättern zu verschaffen; auf +die ersten Seiten schrieb er mit sorgsamer Hand sein erstes Gedicht. + +Bald darauf kam er in eine andere Schule; hier schloß er manche neue +Kameradschaft mit Knaben seines Alters, aber sein Verkehr mit Elisabeth +wurde dadurch nicht gestört. Von den Märchen, welche er ihr sonst +erzählt und wieder erzählt hatte, fing er jetzt an, die, welche ihr am +besten gefallen hatten, aufzuschreiben; dabei wandelte ihn oft die Lust +an, etwas von seinen eigenen Gedanken hineinzudichten; aber, er wußte +nicht weshalb, er konnte immer nicht dazu gelangen. So schrieb er sie +genau auf, wie er sie selber gehört hatte. Dann gab er die Blätter an +Elisabeth, die sie in einem Schubfach ihrer Schatulle sorgfältig +aufbewahrte; und es gewährte ihm eine anmutige Befriedigung, wenn er +sie mitunter abends diese Geschichtchen in seiner Gegenwart aus den von +ihm geschriebenen Heften ihrer Mutter vorlesen hörte. + +Sieben Jahre waren vorüber. Reinhard sollte zu seiner weitern +Ausbildung die Stadt verlassen. Elisabeth konnte sich nicht in den +Gedanken finden, daß es nun eine Zeit ganz ohne Reinhard geben werde. +Es freute sie, als er ihr eines Tages sagte, er werde, wie sonst, +Märchen für sie aufschreiben; er wolle sie ihr mit den Briefen an seine +Mutter schicken; sie müsse ihm dann wieder schreiben, wie sie ihr +gefallen hätten. Die Abreise rückte heran; vorher aber kam noch mancher +Reim in den Pergamentband. Das allein war für Elisabeth ein Geheimnis, +obgleich sie die Veranlassung zu dem ganzen Buche und zu den meisten +Liedern war, welche nach und nach fast die Hälfte der weißen Blätter +gefüllt hatten. + +Es war im Juni; Reinhard sollte am andern Tage reisen. Nun wollte man +noch einmal einen festlichen Tag zusammen begehen. Dazu wurde eine +Landpartie nach einer der nahe gelegenen Holzungen in größerer +Gesellschaft veranstaltet. Der stundenlange Weg bis an den Saum des +Waldes wurde zu Wagen zurückgelegt; dann nahm man die Proviantkörbe +herunter und marschierte weiter. Ein Tannengehölz mußte zuerst +durchwandert werden; es war kühl und dämmerig und der Boden überall mit +feinen Nadeln bestreut. Nach halbstündigem Wandern kam man aus dem +Tannendunkel in eine frische Buchenwaldung; hier war alles licht und +grün; mitunter brach ein Sonnenstrahl durch die blätterreichen Zweige; +ein Eichkätzchen sprang über ihren Köpfen von Ast zu Ast. + +Auf einem Platze, über welchem uralte Buchen mit ihren Kronen zu einem +durchsichtigen Laubgewölbe zusammenwuchsen, machte die Gesellschaft +Halt. Elisabeths Mutter öffnete einen der Körbe; ein alter Herr warf +sich zum Proviantmeister auf. + +»Alle um mich herum, ihr jungen Vögel!« rief er, »und merket genau, was +ich euch zu sagen habe. Zum Frühstück erhält jetzt ein jeder von euch +zwei trockene Wecken; die Butter ist zu Hause geblieben; die Zukost muß +sich ein jeder selber suchen. Es stehen genug Erdbeeren im Walde, das +heißt, für den, der sie zu finden weiß. Wer ungeschickt ist, muß sein +Brot trocken essen; so geht es überall im Leben. Habt ihr meine Rede +begriffen?« + +»Ja wohl!« riefen die Jungen. + +»Ja, seht,« sagte der Alte, »sie ist aber noch nicht zu Ende. Wir Alten +haben uns im Leben schon genug umhergetrieben; darum bleiben wir jetzt +zu Haus, das heißt, hier unter diesen breiten Bäumen, und schälen die +Kartoffeln und machen Feuer und rüsten die Tafel, und wenn die Uhr +zwölf ist, so sollen auch die Eier gekocht werden. + +»Dafür seid ihr uns von euren Erdbeeren die Hälfte schuldig, damit wir +auch einen Nachtisch servieren können. Und nun geht nach Ost und West +und seid ehrlich.« + +Die Jungen machten allerlei schelmische Gesichter. + +»Halt!« rief der alte Herr noch einmal. »Das brauche ich euch wohl +nicht zu sagen, wer keine findet, braucht auch keine abzuliefern; aber +das schreibt euch wohl hinter eure feinen Ohren, von uns Alten bekommt +er auch nichts. Und nun habt ihr für diesen Tag gute Lehren genug; wenn +ihr nun noch Erdbeeren dazu habt, so werdet ihr für heute schon durchs +Leben kommen.« + +Die Jungen waren derselben Meinung und begannen sich paarweise auf die +Fahrt zu machen. + +»Komm, Elisabeth,« sagte Reinhard, »ich weiß einen Erdbeerenschlag; du +sollst kein trockenes Brot essen.« + +Elisabeth knüpfte die grünen Bänder ihres Strohhuts zusammen und hing +ihn über den Arm. »So komm,« sagte sie, »der Korb ist fertig.« + +Dann gingen sie in den Wald hinein, tiefer und tiefer; durch feuchte +Baumschatten, wo alles still war, nur unsichtbar über ihnen in den +Lüften das Geschrei der Falken; dann wieder durch dichtes Gestrüpp, so +dicht, daß Reinhard vorangehen mußte, um einen Pfad zu machen, hier +einen Zweig zu knicken, dort eine Ranke beiseite zu biegen. Bald aber +hörte er hinter sich Elisabeth seinen Namen rufen. Er wandte sich um. + +»Reinhard!« rief sie, »warte doch, Reinhard!« + +Er konnte sie nicht gewahr werden; endlich sah er sie in einiger +Entfernung mit den Sträuchern kämpfen; ihr feines Köpfchen schwamm nur +kaum über den Spitzen der Farnkräuter. Nun ging er noch einmal zurück +und führte sie durch das Wirrnis der Kräuter und Stauden auf einen +freien Platz hinaus, wo blaue Falter zwischen den einsamen Waldblumen +flatterten. Reinhard strich ihr die feuchten Haare aus dem erhitzten +Gesichtchen; dann wollte er ihr den Strohhut aufsetzen, und sie wollte +es nicht leiden; aber dann bat er sie, und nun ließ sie es doch +geschehen. + +»Wo bleiben denn aber deine Erdbeeren?« fragte sie endlich, indem sie +stehen blieb und einen tiefen Atemzug tat. + +»Hier haben sie gestanden,« sagte er, »aber die Kröten sind uns +zuvorgekommen oder die Marder oder vielleicht die Elfen.« + +»Ja,« sagte Elisabeth, »die Blätter stehen noch da; aber sprich hier +nicht von Elfen. Komm nur, ich bin noch gar nicht müde; wir wollen +weiter suchen.« + +Vor ihnen war ein kleiner Bach, jenseits wieder der Wald. Reinhard hob +Elisabeth auf seine Arme und trug sie hinüber. Nach einer Weile traten +sie aus dem schattigen Laube wieder in eine weite Lichtung hinaus. + +»Hier müssen Erdbeeren sein,« sagte das Mädchen, »es duftet so süß. + +Sie gingen suchend durch den sonnigen Raum; aber sie fanden keine. +»Nein,« sagte Reinhard, »es ist nur der Duft des Heidekrautes.« + +Himbeerbüsche und Hülsendorn standen überall durcheinander, ein starker +Geruch von Heidekräutern, welche abwechselnd mit kurzem Grase die +freien Stellen des Bodens bedeckten, erfüllte die Luft. + +»Hier ist es einsam,« sagte Elisabeth; »wo mögen die andern sein?« + +An den Rückweg hatte Reinhard nicht gedacht. + +»Warte nur: woher kommt der Wind?« sagte er und hob seine Hand in die +Höhe. Aber es kam kein Wind. + +»Still,« sagte Elisabeth, »mich dünkt, ich hörte sie sprechen. Rufe +einmal dahinunter.« + +Reinhard rief durch die hohle Hand. »Kommt hierher!« + +»Hierher!« rief es zurück. + +»Sie antworteten!« sagte Elisabeth und klatschte in die Hände. + +»Nein, es war nichts, es war nur der Widerhall.« + +Elisabeth faßte Reinhards Hand. »Mir graut!« sagte sie. + +»Nein,« sagte Reinhard, »das muß es nicht. Hier ist es prächtig. Setz +dich dort in den Schatten zwischen die Kräuter. Laß uns eine Weile +ausruhen; wir finden die andern schon.« + +Elisabeth setzte sich unter eine überhängende Buche und lauschte +aufmerksam nach allen Seiten; Reinhard saß einige Schritte davon auf +einem Baumstumpf und sah schweigend nach ihr hinüber. Die Sonne stand +gerade über ihnen; es war glühende Mittagshitze; kleine goldglänzende, +stahlblaue Fliegen standen flügelschwingend in der Luft; rings um sie +her ein feines Schwirren und Summen, und manchmal hörte man tief im +Walde das Hämmern der Spechte und das Kreischen der andern Waldvögel. + +»Horch,« sagte Elisabeth, »es läutet.« + +»Wo?« fragte Reinhard. + +»Hinter uns. Hörst du? Es ist Mittag.« + +»Dann liegt hinter uns die Stadt, und wenn wir in dieser Richtung +gerade durchgehen, so müssen wir die andern treffen.« + +So traten sie ihren Rückweg an; das Erdbeerensuchen hatten sie +aufgegeben, denn Elisabeth war müde geworden. Endlich klang zwischen +den Bäumen hindurch das Lachen der Gesellschaft; dann sahen sie auch +ein weißes Tuch am Boden schimmern, das war die Tafel, und darauf +standen Erdbeeren in Hülle und Fülle. Der alte Herr hatte eine +Serviette im Knopfloch und hielt den Jungen die Fortsetzung seiner +moralischen Reden, während er eifrig an einem Braten herumtranchierte. + +»Da sind die Nachzügler,« riefen die Jungen, als sie Reinhard und +Elisabeth durch die Bäume kommen sahen. + +»Hierher!« rief der alte Herr, »Tücher ausgeleert, Hüte umgekehrt! Nun +zeigt her, was ihr gefunden habt.« + +»Hunger und Durst!« sagte Reinhard. + +»Wenn, das alles ist,« erwiderte der Alte und hob ihnen die volle +Schüssel entgegen, »so müßt ihr es auch behalten. Ihr kennt die Abrede; +hier werden keine Müßiggänger gefüttert.« + +Endlich ließ er sich aber doch erbitten, und nun wurde Tafel gehalten; +dazu schlug die Drossel aus den Wacholderbüschen. + +So ging der Tag hin.—Reinhard hatte aber doch etwas gefunden; waren es +keine Erdbeeren, so war es doch auch im Walde gewachsen. Als er nach +Hause gekommen war, schrieb er in seinen alten Pergamentband: + + Hier an der Bergeshalde + Verstummet ganz der Wind; + Die Zweige hängen nieder, + Darunter sitzt das Kind + + Sie sitzt im Thymiane, + Sie sitzt in lauter Duft; + Die blauen Fliegen summen + Und blitzen durch die Luft. + + Es steht der Wald so schweigend, + Sie schaut so klug darein; + Um ihre braunen Locken + Hinfließt der Sonnenschein. + + Der Kuckuck lacht von ferne, + Es geht mir durch den Sinn: + Sie hat die goldnen Augen + Der Waldeskönigin. + + +So war sie nicht allein sein Schützling, sie war ihm auch der Ausdruck +für alles Liebliche und Wunderbare seines aufgehenden Lebens. + + + + +DA STAND DAS KIND AM WEGE + + +Weihnachtsabend kam heran. Es war noch nachmittags, als Reinhard mit +andern Studenten im Ratskeller [Fußnote: Oder Rathauskeller. In fast +jeder großen Stadt Deutschlands ist der Rathauskeller in ein Speise- +und Bierhaus verwandelt worden.] am alten Eichentisch zusammensaß. Die +Lampen an den Wänden waren angezündet, denn hier unten dämmerte es +schon; aber die Gäste waren sparsam versammelt, die Kellner lehnten +müßig an den Mauerpfeilern. In einem Winkel des Gewölbes saßen ein +Geigenspieler und ein Zithermädchen mit feinen zigeunerhaften Zügen; +sie hatten ihre Instrumente auf dem Schoß liegen und schienen +teilnahmslos vor sich hinzusehen. + +Am Studententische knallte ein Champagnerpfropfen. »Trinke, mein +böhmisch Liebchen!« rief ein junger Mann von junkerhaftem Äußern, indem +er ein volles Glas zu dem Mädchen hinüberreichte. + +»Ich mag nicht,« sagte sie, ohne ihre Stellung zu verändern. + +»So singe!« rief der Junker und warf ihr eine Silbermünze in den Schoß. +Das Mädchen strich sich langsam mit den Fingern durch ihr schwarzes +Haar, während der Geigenspieler ihr ins Ohr flüsterte; aber sie warf +den Kopf zurück und stützte das Kinn auf ihre Zither. + +»Für den spiel’ ich nicht,« sagte sie. + +Reinhard sprang mit dem Glase in der Hand auf und stellte sich vor sie. + +»Was willst du?« fragte sie trotzig. + +»Deine Augen sehen.« + +»Was geh’n dich meine Augen an?« + +Reinhard sah funkelnd auf sie nieder. + +»Ich weiß wohl, sie sind falsch!« + +Sie legte ihre Wange in die flache Hand und sah ihn lauernd an. +Reinhard hob sein Glas an den Mund. + +»Auf deine schönen sündhaften Augen!« sagte er und trank. + +Sie lachte und warf den Kopf herum. + +»Gib!« sagte sie, und indem sie ihre schwarzen Augen in die seinen +heftete, trank sie langsam den Rest. Dann griff sie einen Dreiklang und +sang mit tiefer leidenschaftlicher Stimme: + + Heute, nur heute + Bin ich so schön + Morgen, ach morgen + Muß alles vergeh’n! + Nur diese Stunde + Bist du noch mein; + Sterben, ach sterben + Soll ich allein! + + +Während der Geigenspieler in raschem Tempo das Nachspiel einsetzte, +gesellte sich ein neuer Ankömmling zu der Gruppe. + +»Ich wollte dich abholen, Reinhard,« sagte er. »Du warst schon fort; +aber das Christkind war bei dir eingekehrt.« + +»Das Christkind?« sagte Reinhard, »das kommt nicht mehr zu mir.« + +»Ei was! Dein ganzes Zimmer roch nach Tannenbaum und braunen Kuchen.« + +Reinhard setzte das Glas aus seiner Hand und griff nach seiner Mütze. + +»Was willst du?« fragte das Mädchen. + +»Ich komme schon wieder.« + +Sie runzelte die Stirn. »Bleib!« rief sie leise und sah ihn vertraulich +an. + +Reinhard zögerte. »Ich kann nicht,« sagte er. + +Sie stieß ihn lachend mit der Fußspitze. »Geh!« sagte sie, »du taugst +nichts; ihr taugt alle mit einander nichts.« Und während sie sich +abwandte, stieg Reinhard langsam die Kellertreppe hinauf. + +Draußen auf der Straße war es tiefe Dämmerung; er fühlte die frische +Winterluft an seiner heißen Stirn. Hier und da fiel der helle Schein +eines brennenden Tannenbaums aus den Fenstern, dann und wann hörte man +von drinnen das Geräusch von kleinen Pfeifen und Blechtrompeten und +dazwischen jubelnde Kinderstimmen. Scharen von Bettelkindern gingen von +Haus zu Haus oder stiegen auf die Treppengeländer und suchten durch die +Fenster einen Blick in die versagte Herrlichkeit zu gewinnen. Mitunter +wurde auch eine Tür plötzlich aufgerissen, und scheltende Stimmen +trieben einen ganzen Schwarm solcher kleinen Gäste aus dem hellen Hause +auf die dunkle Gasse hinaus; anderswo wurde auf dem Hausflur ein altes +Weihnachtslied gesungen; es waren klare Mädchenstimmen darunter. +Reinhard hörte sie nicht, er ging rasch an allem vorüber, aus einer +Straße in die andere. Als er an seine Wohnung gekommen, war es fast +völlig dunkel geworden; er stolperte die Treppe hinauf und trat in +seine Stube. Ein süßer Duft schlug ihm entgegen; das heimelte ihn an, +das roch wie zu Haus der Mutter Weihnachtsstube. Mit zitternder Hand +zündete er sein Licht an; da lag ein mächtiges Paket auf dem Tisch, und +als er es öffnete, fielen die wohlbekannten braunen Festkuchen heraus; +auf einigen waren die Anfangsbuchstaben seines Namens in Zucker +ausgestreut; das konnte niemand anders als Elisabeth getan haben. Dann +kam ein Päckchen mit feiner gestickter Wäsche zum Vorschein, Tücher und +Manschetten, zuletzt Briefe von der Mutter und Elisabeth. Reinhard +öffnete zuerst den letzteren; Elisabeth schrieb: + +»Die schönen Zuckerbuchstaben können Dir wohl erzählen, wer bei den +Kuchen mitgeholfen hat; dieselbe Person hat die Manschetten für Dich +gestickt. Bei uns wird es nun am Weihnachtsabend sehr still werden; +meine Mutter stellt immer schon um halb zehn ihr Spinnrad in die Ecke; +es ist gar so einsam diesen Winter, wo Du nicht hier bist. + +»Nun ist auch vorigen Sonntag der Hänfling gestorben, den Du mir +geschenkt hattest; ich habe sehr geweint, aber ich hab’ ihn doch immer +gut gewartet. + +»Der sang sonst immer nachmittags, wenn die Sonne auf sein Bauer +schien; Du weißt, die Mutter hing so oft ein Tuch über, um ihn zu +geschweigen, wenn er so recht aus Kräften sang. + +»Da ist es nun noch stiller in der Kammer, nur daß Dein alter Freund +Erich uns jetzt mitunter besucht. Du sagtest uns einmal, er sähe seinem +braunen Überrock ähnlich. Daran muß ich nun immer denken, wenn er zur +Tür hereinkommt, und es ist gar zu komisch; sag es aber nicht zur +Mutter, sie wird dann leicht verdrießlich. + +»Rat, was ich Deiner Mutter zu Weihnachten schenke! Du rätst es nicht? +Mich selber! Der Erich zeichnet mich in schwarzer Kreide; ich habe ihm +dreimal sitzen müssen, jedesmal eine ganze Stunde. + +»Es war mir recht zuwider, daß der fremde Mensch mein Gesicht so +auswendig lernte. Ich wollte auch nicht, aber die Mutter redete mir zu; +sie sagte, es würde der guten Frau Werner eine gar große Freude machen. + +»Aber Du hältst nicht Wort, Reinhard. Du hast keine Märchen geschickt. +Ich habe Dich oft bei Deiner Mutter verklagt; sie sagt dann immer, Du +habest jetzt mehr zu tun, als solche Kindereien. Ich glaub’ es aber +nicht; es ist wohl anders.« + +Nun las Reinhard auch den Brief seiner Mutter, und als er beide Briefe +gelesen und langsam wieder zusammengefaltet und weggelegt hatte, +überfiel ihn ein unerbittliches Heimweh. Er ging eine Zeitlang in +seinem Zimmer auf und nieder: er sprach leise und dann halbverständlich +zu sich selbst: + + Er wäre fast verirret + Und wußte nicht hinaus; + Da stand das Kind am Wege + Und winkte ihm nach Haus. + + +Dann trat er an sein Pult, nahm einiges Geld heraus und ging wieder auf +die Straße hinab. Hier war es mittlerweile stiller geworden; die +Weihnachtsbäume waren ausgebrannt, die Umzüge der Kinder hatten +aufgehört. Der Wind fegte durch die einsamen Straßen; Alte und Junge +saßen in ihren Häusern familienweise zusammen; der zweite Abschnitt des +Weihnachtsabends hatte begonnen. + +Als Reinhard in die Nähe des Ratskellers kam, hörte er aus der Tiefe +herauf Geigenstrich und den Gesang des Zithermädchens; nun klingelte +unten die Kellertür, und eine dunkle Gestalt schwankte die breite, matt +erleuchtete Treppe herauf. + +Reinhard trat in den Häuserschatten und ging dann rasch vorüber. Nach +einer Weile erreichte er den erleuchteten Laden eines Juweliers, und +nachdem er hier ein kleines Kreuz mit roten Korallen eingehandelt +hatte, ging er auf demselben Wege, den er gekommen war, wieder zurück. + +Nicht weit von seiner Wohnung bemerkte er ein kleines, in klägliche +Lumpen gehülltes Mädchen an einer hohen Haustür stehen, in vergeblicher +Bemühung, sie zu öffnen. »Soll ich dir helfen?« sagte er. Das Kind +erwiderte nichts, ließ aber die schwere Türklinke fahren. Reinhard +hatte schon die Tür geöffnet. »Nein,« sagte er, »sie könnten dich +hinausjagen; komm mit mir! ich will dir Weihnachtskuchen geben.« Dann +machte er die Tür wieder zu und faßte das kleine Mädchen an der Hand, +das stillschweigend mit ihm in seine Wohnung ging. + +Er hatte das Licht beim Weggehen brennen lassen. »Hier hast du Kuchen,« +sagte er und gab ihr die Hälfte seines ganzen Schatzes in ihre Schürze, +nur keine mit den Zuckerbuchstaben. »Nun geh nach Haus und gib deiner +Mutter auch davon.« Das Kind sah mit einem scheuen Blick zu ihm hinauf; +es schien solcher Freundlichkeit ungewohnt und nichts darauf erwidern +zu können. Reinhard machte die Tür auf und leuchtete ihr, und nun flog +die Kleine wie ein Vogel mit ihrem Kuchen die Treppe hinab und zum +Hause hinaus. + +Reinhard schürte das Feuer in seinem Ofen an und stellte das bestaubte +Tintenfaß auf seinen Tisch; dann setzte er sich hin und schrieb und +schrieb die ganze Nacht Briefe an seine Mutter, an Elisabeth. Der Rest +der Weihnachtskuchen lag unberührt neben ihm; aber die Manschetten von +Elisabeth hatte er angeknöpft, was sich gar wunderlich zu seinem weißen +Flausrock ausnahm. So saß er noch, als die Wintersonne auf die +gefrorenen Fensterscheiben fiel und ihm gegenüber im Spiegel ein +blasses, ernstes Antlitz zeigte. + + + + +DAHEIM + + +Als es Ostern geworden war, reiste Reinhard in die Heimat. Am Morgen +nach seiner Ankunft ging er zu Elisabeth. + +»Wie groß du geworden bist,« sagte er, als das schöne, schmächtige +Mädchen ihm lächelnd entgegenkam. Sie errötete, aber sie erwiderte +nichts; ihre Hand, die er beim Willkommen in die seine genommen, suchte +sie ihm sanft zu entziehen. Er sah sie zweifelnd an, das hatte sie +früher nicht getan; nun war es, als trete etwas Fremdes zwischen sie. + +Das blieb auch, als er schon länger dagewesen, und als er Tag für Tag +immer wiedergekommen war. Wenn sie allein zusammensaßen, entstanden +Pausen, die ihm peinlich waren, und denen er dann ängstlich +zuvorzukommen suchte. Um während der Ferienzeit eine bestimmte +Unterhaltung zu haben, fing er an, Elisabeth in der Botanik zu +unterrichten, womit er sich in den ersten Monaten seines +Universitätslebens angelegentlich beschäftigt hatte. + +Elisabeth, die ihm in allem zu folgen gewohnt und überdies lehrhaft +war, ging bereitwillig darauf ein. Nun wurden mehrere Male in der Woche +Exkursionen ins Feld oder in die Heide gemacht, und hatten sie dann +mittags die grüne Botanisierkapsel voll Kraut und Blumen nach Hause +gebracht, so kam Reinhard einige Stunden später wieder, um mit +Elisabeth den gemeinschaftlichen Fund zu teilen. + +In solcher Absicht trat er eines Nachmittags ins Zimmer, als Elisabeth +am Fenster stand und ein vergoldetes Vogelbauer, das er sonst dort +nicht gesehen, mit frischem Hühnerschwarm besteckte. Im Bauer saß ein +Kanarienvogel, der mit den Flügeln schlug und kreischend nach +Elisabeths Finger pickte. Sonst hatte Reinhards Vogel an dieser Stelle +gehangen. + +»Hat mein armer Hänfling sich nach seinem Tode in einen Goldfinken +verwandelt?« fragte er heiter. + +»Das pflegen die Hänflinge nicht,« sagte die Mutter, welche spinnend im +Lehnstuhl saß. »Ihr Freund Erich hat ihn heut’ Mittag für Elisabeth von +seinem Hofe hereingeschickt.« + +»Von welchem Hofe?« + +»Das wissen Sie nicht?« + +»Was denn?« + +»Daß Erich seit einem Monat den zweiten Hof seines Vaters am Immensee +[Fußnote: Der See der Immen, d. h. der Bienen.] angetreten hat?« + +»Aber Sie haben mir kein Wort davon gesagt.« + +»Ei,« sagte die Mutter, »Sie haben sich auch noch mit keinem Worte nach +Ihrem Freunde erkundigt. Er ist ein gar lieber, verständiger junger +Mann.« + +Die Mutter ging hinaus, um den Kaffee zu besorgen; Elisabeth hatte +Reinhard den Rücken zugewandt und war noch mit dem Bau ihrer kleinen +Laube beschäftigt. + +»Bitte, nur ein kleines Weilchen,« sagte sie; »gleich bin ich fertig.« + +Da Reinhard wider seine Gewohnheit nicht antwortete, so wandte sie sich +um. In seinen Augen lag ein plötzlicher Ausdruck von Kummer, den sie +nie darin gewahrt hatte. + +»Was fehlt dir, Reinhard?« fragte sie, indem sie nahe zu ihm trat. + +»Mir?« sagte er gedankenlos und ließ seine Augen träumerisch in den +ihren ruhen. + +»Du siehst so traurig aus.« + +»Elisabeth,« sagte er, »ich kann den gelben Vogel nicht leiden.« + +Sie sah ihn staunend an, sie verstand ihn nicht. »Du bist so +sonderbar,« sagte sie. + +Er nahm ihre beiden Hände, die sie ruhig in den seinen ließ. Bald trat +die Mutter wieder herein. Nach dem Kaffee setzte diese sich an ihr +Spinnrad; Reinhard und Elisabeth gingen ins Nebenzimmer, um ihre +Pflanzen zu ordnen. + +Nun wurden Staubfäden gezählt, Blätter und Blüten sorgfältig +ausgebreitet und von jeder Art zwei Exemplare zum Trocknen zwischen die +Blätter eines großen Folianten gelegt. + +Es war sonnige Nachmittagsstille; nur nebenan schnurrte der Mutter +Spinnrad, und von Zeit zu Zeit wurde Reinhards gedämpfte Stimme gehört, +wenn er die Ordnungen der Klassen der Pflanzen nannte oder Elisabeths +ungeschickte Aussprache der lateinischen Namen korrigierte. + +»Mir fehlt noch von neulich die Maiblume,« sagte sie jetzt, als der +ganze Fund bestimmt und geordnet war. + +Reinhard zog einen kleinen weißen Pergamentband aus der Tasche. »Hier +ist ein Maiblumenstengel für dich,« sagte er, indem er die +halbgetrocknete Pflanze herausnahm. + +Als Elisabeth die beschriebenen Blätter sah, fragte sie: »Hast du +wieder Märchen gedichtet?« + +»Es sind keine Märchen,« antwortete er und reichte ihr das Buch. + +Es waren lauter Verse, die meisten füllten höchstens eine Seite. +Elisabeth wandte ein Blatt nach dem andern um; sie schien nur die +Überschriften zu lesen. »Als sie vom Schulmeister gescholten war.« »Als +sie sich im Walde verirrt hatten.« »Mit dem Ostermärchen.« »Als sie mir +zum erstenmal geschrieben hatte;« in der Weise lauteten fast alle. + +Reinhard blickte forschend zu ihr hin, und indem sie immer weiter +blätterte, sah er, wie zuletzt auf ihrem klaren Antlitz ein zartes Rot +hervorbrach und es allmählich ganz überzog. Er wollte ihre Augen sehen, +aber Elisabeth sah nicht auf und legte das Buch am Ende schweigend vor +ihn hin. + +»Gib mir es nicht so zurück!« sagte er. + +Sie nahm ein braunes Reis aus der Blechkapsel. »Ich will dein +Lieblingskraut hineinlegen,« sagte sie und gab ihm das Buch in seine +Hände. + +Endlich kam der letzte Tag der Ferienzeit und der Morgen der Abreise. +Auf ihre Bitte erhielt Elisabeth von der Mutter die Erlaubnis, ihren +Freund an den Postwagen zu begleiten, der einige Straßen von ihrer +Wohnung seine Station hatte. + +Als sie vor die Haustür traten, gab Reinhard ihr den Arm; so ging er +schweigend neben dem schlanken Mädchen her. Je näher sie ihrem Ziele +kamen, desto mehr war es ihm, er habe ihr, ehe er auf so lange Abschied +nehme, etwas Notwendiges mitzuteilen, etwas, wovon aller Wert und alle +Lieblichkeit seines künftigen Lebens abhänge, und doch konnte er sich +des erlösenden Wortes nicht bewußt werden. Das ängstigte ihn; er ging +immer langsamer. + +»Du kommst zu spät,« sagte sie, »es hat schon zehn geschlagen auf St. +Marien.« + +Er ging aber darum nicht schneller. Endlich sagte er stammelnd: + +»Elisabeth, du wirst mich nun in zwei Jahren gar nicht sehen—wirst du +mich wohl noch eben so lieb haben wie jetzt, wenn ich wieder da bin?« + +Sie nickte und sah ihm freundlich ins Gesicht. + +»Ich habe dich auch verteidigt;« sagte sie nach einer Pause. + +»Mich? Gegen wen hattest du es nötig?« + +»Gegen meine Mutter. Wir sprachen gestern abend, als du weggegangen +warst, noch lange über dich. Sie meinte, du seiest nicht mehr so gut, +wie du gewesen.« + +Reinhard schwieg einen Augenblick; dann aber nahm er ihre Hand in die +seine, und indem er ihr ernst in ihre Kinderaugen blickte, sagte er: + +»Ich bin noch eben so gut, wie ich gewesen bin; glaube du das nur fest! +Glaubst du es, Elisabeth?« + +»Ja,« sagte sie. + +Er ließ ihre Hand los und ging rasch mit ihr durch die letzte Straße. +Je näher ihm der Abschied kam, desto freudiger war sein Gesicht; er +ging ihr fast zu schnell. + +»Was hast du, Reinhard?« fragte sie. + +»Ich habe ein Geheimnis, ein schönes!« sagte er und sah sie mit +leuchtenden Augen an. »Wenn ich nach zwei Jahren wieder da bin, dann +sollst du es erfahren.« + +Mittlerweile hatten sie den Postwagen erreicht; es war noch eben Zeit +genug. Noch einmal nahm Reinhard ihre Hand. »Leb wohl!« sagte er, »leb +wohl, Elisabeth! Vergiß es nicht!« + +Sie schüttelte mit dem Kopf. »Leb wohl!« sagte sie. Reinhard stieg +hinein, und die Pferde zogen an. Als der Wagen um die Straßenecke +rollte, sah er noch einmal ihre liebe Gestalt, wie sie langsam den Weg +zurückging. + + + + +EIN BRIEF + + +Fast zwei Jahre nachher saß Reinhard vor seiner Lampe zwischen Büchern +und Papieren in Erwartung eines Freundes, mit welchem er +gemeinschaftliche Studien übte. Man kam die Treppe herauf. »Herein!« Es +war die Wirtin. »Ein Brief für Sie, Herr Werner!« Dann entfernte sie +sich wieder. + +Reinhard hatte seit seinem Besuch in der Heimat nicht an Elisabeth +geschrieben und von ihr keinen Brief mehr erhalten. Auch dieser war +nicht von ihr; es war die Hand seiner Mutter. + +Reinhard brach und las, und bald las er folgendes: + +»In Deinem Alter, mein liebes Kind, hat noch fast jedes Jahr sein +eigenes Gesicht: denn die Jugend läßt sich nicht ärmer machen. Hier ist +auch manches anders geworden, was Dir wohl erstan weh tun wird, wenn +ich Dich sonst recht verstanden habe. Erich hat sich gestern endlich +das Jawort von Elisabeth geholt, nachdem er in dem letzten Vierteljahr +zweimal vergebens angefragt hatte. Sie hatte sich immer nicht dazu +entschließen können; nun hat sie es endlich doch getan; sie ist auch +noch gar zu jung. Die Hochzeit wird bald sein, und die Mutter wird dann +mit ihnen fortgehen.« + + + + +IMMENSEE + + +Wiederum waren Jahre vorüber.—Auf einem abwärts führenden schattigen +Waldwege wanderte an einem warmen Frühlingsnachmittage ein junger Mann +mit kräftigem, gebräuntem Antlitz. + +Mit seinen ernsten dunkeln Augen sah er gespannt in die Ferne, als +erwarte er endlich eine Veränderung des einförmigen Weges, die jedoch +immer nicht eintreten wollte. Endlich kam ein Karrenfuhrwerk langsam +von unten herauf. + +»Hollah! guter Freund!« rief der Wanderer dem nebengehenden Bauer zu, +»geht’s hier recht nach Immensee?« + +»Immer gerad’ aus,« antwortete der Mann, und rückte an seinem Rundhute. + +»Hat’s denn noch weit dahin?« + +»Der Herr ist dicht davor. Keine halbe Pfeif’ Tabak, so haben’s den +See; das Herrenhaus liegt hart daran.« + +Der Bauer fuhr vorüber; der andere ging eiliger unter den Bäumen +entlang. Nach einer Viertelstunde hörte ihm zur Linken plötzlich der +Schatten auf; der Weg führte an einen Abhang, aus dem die Gipfel +hundertjähriger Eichen nur kaum hervorragten. Über sie hinweg öffnete +sich eine weite, sonnige Landschaft. Tief unten lag der See, ruhig, +dunkelblau, fast ringsum von grünen, sonnenbeschienenen Wäldern +umgeben; nur an einer Stelle traten sie auseinander und gewährten eine +tiefe Fernsicht, bis auch diese durch blaue Berge geschlossen wurde. +Quer gegenüber, mitten in dem grünen Laub der Wälder, lag es wie Schnee +darüber her; das waren blühende Obstbäume, und daraus hervor auf dem +hohen Ufer erhob sich das Herrenhaus, weiß mit roten Ziegeln. Ein +Storch flog vom Schornstein auf und kreiste langsam über dem Wasser. + +»Immensee!« rief der Wanderer. + +Es war fast, als hätte er jetzt das Ziel seiner Reise erreicht, denn er +stand unbeweglich und sah über die Gipfel der Bäume zu seinen Füßen +hinüber ans andere Ufer, wo das Spiegelbild des Herrenhauses leise +schaukelnd auf dem Wasser schwamm. Dann setzte er plötzlich seinen Weg +fort. + +Es ging jetzt fast steil den Berg hinab, so daß die unten stehenden +Bäume wieder Schatten gewährten, zugleich aber die Aussicht auf den See +verdeckten, der nur zuweilen zwischen den Lücken der Zweige +hindurchblitzte. Bald ging es wieder sanft empor, und nun verschwand +rechts und links die Holzung; statt dessen streckten sich dichtbelaubte +Weinhügel am Wege entlang; zu beiden Seiten desselben standen blühende +Obstbäume voll summender wühlender Bienen. Ein stattlicher Mann in +braunem Überrock kam dem Wanderer entgegen. Als er ihn fast erreicht +hatte, schwenkte er seine Mütze und rief mit heller Stimme: + +»Willkommen, willkommen, Bruder Reinhard! Willkommen auf Gut Immensee!« + +»Gott grüß’ dich, [Fußnote: Dieser Gruß wird besonders in +Suddeutschland gebraucht.] Erich, und Dank für dein Willkommen!« rief +ihm der andere entgegen. + +Dann waren sie zu einander gekommen und reichten sich die Hände. + +»Bist du es denn aber auch?« sagte Erich, als er so nahe in das ernste +Gesicht seines alten Schulkameraden sah. + +»Freilich bin ich’s, Erich, und du bist es auch; nur siehst du fast +noch heiterer aus, als du schon sonst immer getan hast.« + +Ein frohes Lächeln machte Erichs einfache Züge bei diesen Worten noch +um vieles heiterer. + +»Ja, Bruder Reinhard,« sagte er, diesem noch einmal seine Hand +reichend, »ich habe aber auch seitdem das große Los gezogen; du weißt +es ja.« + +Dann rieb er sich die Hände und rief vergnügt: »Das wird eine +Überraschung! Den erwartet sie nicht, in alle Ewigkeit nicht!« + +»Eine Überraschung?« fragte Reinhard. »Für wen denn?« + +»Für Elisabeth.« + +»Elisabeth! Du hast ihr nicht von meinem Besuch gesagt?« + +»Kein Wort, Bruder Reinhard; sie denkt nicht an dich, die Mutter auch +nicht. Ich hab’ dich ganz im geheimen verschrieben, damit die Freude +desto größer sei. Du weißt, ich hatte immer so meine stillen Plänchen.« + +Reinhard wurde nachdenklich; der Atem schien ihm schwer zu werden, je +näher sie dem Hofe kamen. + +An der linken Seite des Weges hörten nun auch die Weingärten auf und +machten einem weitläufigen Küchengarten Platz, der sich bis fast an das +Ufer des Sees hinabzog. Der Storch hatte sich mittlerweile +niedergelassen und spazierte gravitätisch zwischen den Gemüsebeeten +umher. + +»Hollah!« rief Erich, in die Hände klatschend, »stiehlt mir der +hochbeinige Ägypter schon wieder meine kurzen Erbsenstangen!« + +Der Vogel erhob sich langsam und flog auf das Dach eines neuen +Gebäudes, das am Ende des Küchengartens lag und dessen Mauern mit +aufgebundenen Pfirsich- und Aprikosenbäumen überzweigt waren. + +»Das ist die Spritfabrik,« sagte Erich; »ich habe sie erst vor zwei +Jahren angelegt. Die Wirtschaftsgebäude hat mein seliger Vater neu +aussetzen lassen; das Wohnhaus ist schon von meinem Großvater gebaut +worden. So kommt man immer ein bißchen weiter.« + +Sie waren bei diesen Worten auf einen geräumigen Platz gekommen, der an +den Seiten durch die ländlichen Wirtschaftsgebäude, im Hintergrunde +durch das Herrenhaus begrenzt wurde, an dessen beide Flügel sich eine +hohe Gartenmauer anschloß; hinter dieser sah man die Züge dunkler +Taxuswände und hin und wieder ließen Syringenbäume ihre blühenden +Zweige in den Hofraum hinunterhängen. Männer mit sonnen- und +arbeitsheißen Gesichtern gingen über den Platz und grüßten die Freunde, +während Erich dem einen oder dem andern einen Auftrag oder eine Frage +über ihr Tagewerk entgegenrief. + +Dann hatten sie das Haus erreicht. Ein hoher, kühler Hausflur nahm sie +auf, an dessen Ende sie links in einen etwas dunkleren Seitengang +einbogen. + +Hier öffnete Erich eine Tür, und sie traten in einen geräumigen +Gartensaal, der durch das Laubgedränge, welches die gegenüberliegenden +Fenster bedeckte, zu beiden Seiten mit grüner Dämmerung erfüllt war; +zwischen diesen aber ließen zwei hohe, weit geöffnete Flügeltüren den +vollen Glanz der Frühlingssonne hereinfallen und gewährten die Aussicht +in einen Garten mit gezirkelten Blumenbeeten und hohen steilen +Laubwänden, geteilt durch einen geraden, breiten Gang, durch welchen +man auf den See und weiter auf die gegenüberliegenden Wälder hinaussah. +Als die Freunde hineintraten, trug die Zugluft ihnen einen Strom von +Duft entgegen. + +Auf einer Terrasse vor der Gartentür saß eine weiße, mädchenhafte +Frauengestalt. Sie stand auf und ging den Eintretenden entgegen; auf +halbem Wege blieb sie wie angewurzelt stehen und starrte den Fremden +unbeweglich an. Er streckte ihr lächelnd die Hand entgegen. + +»Reinhard!« rief sie, »Reinhard! Mein Gott, du bist es!—Wir haben uns +lange nicht gesehen.« + +»Lange nicht,« sagte er und konnte nichts weiter sagen; denn als er +ihre Stimme hörte, fühlte er einen feinen körperlichen Schmerz am +Herzen, und wie er zu ihr aufblickte, stand sie vor ihm, dieselbe +leichte zärtliche Gestalt, der er vor Jahren in seiner Vaterstadt +Lebewohl gesagt hatte. + +Erich war mit freudestrahlendem Antlitz an der Tür zurückgeblieben. + +»Nun, Elisabeth?« sagte er; »gelt! den hättest du nicht erwartet, den +in alle Ewigkeit nicht!« + +Elisabeth sah ihn mit schwesterlichen Augen an. + +»Du bist so gut, Erich!« sagte sie. + +Er nahm ihre schmale Hand liebkosend in die seinen. »Und nun wir ihn +haben,« sagte er, »nun lassen wir ihn so bald nicht wieder los. Er ist +so lange draußen gewesen; wir wollen ihn wieder heimisch machen. Schau +nur, wie fremd und vornehm aussehend er worden ist!« + +Ein scheuer Blick Elisabeths streifte Reinhards Antlitz. »Es ist nur +die Zeit, die wir nicht beisammen waren,« sagte er. + +In diesem Augenblick kam die Mutter, mit einem Schlüsselkörbchen am +Arm, zur Tür herein. + +»Herr Werner!« sagte sie, als sie Reinhard erblickte; »ei, ein eben so +lieber als unerwarteter Gast.« + +Und nun ging die Unterhaltung in Fragen und Antworten ihren ebenen +Tritt. Die Frauen setzten sich zu ihrer Arbeit, und während Reinhard +die für ihn bereiteten Erfrischungen genoß, hatte Erich seinen soliden +Meerschaumkopf angebrannt und saß dampfend und diskutierend an seiner +Seite. + +Am andern Tage mußte Reinhard mit ihm hinaus auf die Äcker, in die +Weinberge, in den Hopfengarten, in die Spritfabrik. Es war alles wohl +bestellt; die Leute, welche auf dem Felde und bei den Kesseln +arbeiteten, hatten alle ein gesundes und zufriedenes Aussehen. + +Zu Mittag kam die Familie im Gartensaal zusammen, und der Tag wurde +dann, je nach der Muße der Wirte, mehr oder minder gemeinschaftlich +verlebt. Nur die Stunden vor dem Abendessen, wie die ersten des +Vormittags, blieb Reinhard arbeitend auf seinem Zimmer. + +Er hatte seit Jahren, wo er deren habhaft werden konnte, die im Volke +lebenden Reime und Lieder gesammelt und ging nun daran, seinen Schatz +zu ordnen und wo möglich mit neuen Aufzeichnungen aus der Umgegend zu +vermehren. + +Elisabeth war zu allen Zeiten sanft und freundlich; Erichs immer +gleichbleibende Aufmerksamkeit nahm sie mit einer fast demütigen +Dankbarkeit auf, und Reinhard dachte mitunter, das heitere Kind von +ehedem habe wohl eine weniger stille Frau versprochen. + +Seit dem zweiten Tage seines Hierseins pflegte er abends einen +Spaziergang an den Ufern des Sees zu machen. Der Weg führte hart unter +dem Garten vorbei. Am Ende desselben, auf einer vorspringenden Bastei, +stand eine Bank unter hohen Birken; die Mutter hatte sie die Abendbank +getauft, weil der Platz gegen Abend lag und des Sonnenuntergangs halber +um diese Zeit am meisten benutzt wurde. + +Von einem Spaziergange auf diesem Wege kehrte Reinhard eines Abends +zurück, als er vom Regen überrascht wurde. Er suchte Schutz unter einer +am Wasser stehenden Linde, aber die schweren Tropfen schlugen bald +durch die Blätter. Durchnäßt, wie er war, ergab er sich darein und +setzte langsam seinen Rückweg fort. + +Es war fast dunkel; der Regen fiel immer dichter. Als er sich der +Abendbank näherte, glaubte er zwischen den schimmernden Birkenstämmen +eine weiße Frauengestalt zu unterscheiden. Sie stand unbeweglich und, +wie er beim Näherkommen zu erkennen meinte, zu ihm hingewandt, als wenn +sie jemanden erwarte. + +Er glaubte, es sei Elisabeth. Als er aber rascher zuschritt, um sie zu +erreichen und dann mit ihr zusammen durch den Garten ins Haus +zurückzukehren, wandte sie sich langsam ab und verschwand in den +dunkeln Seitengängen. + +Er konnte das nicht reimen; er war aber fast zornig auf Elisabeth, und +dennoch zweifelte er, ob sie es gewesen sei; aber er scheute sich, sie +darnach zu fragen; ja, er ging bei seiner Rückkehr nicht in den +Gartensaal, nur um Elisabeth nicht etwa durch die Gartentür +hereintreten zu sehen. + + + + +MEINE MUTTER HAT’S GEWOLLT + + +Einige Tage nachher, es ging schon gegen Abend, saß die Familie, wie +gewöhnlich um diese Zeit, im Gartensaal zusammen. Die Türen standen +offen; die Sonne war schon hinter den Wäldern jenseits des Sees. + +Reinhard wurde um die Mitteilung einiger Volkslieder gebeten, welche er +am Nachmittage von einem auf dem Lande wohnenden Freunde geschickt +bekommen hatte. Er ging auf sein Zimmer und kam gleich darauf mit einer +Papierrolle zurück, welche aus einzelnen sauber geschriebenen Blättern +zu bestehen schien. + +Man setzte sich an den Tisch, Elisabeth an Reinhards Seite. »Wir lesen +auf gut Glück,« sagte er, »ich habe sie selber noch nicht +durchgesehen.« + +Elisabeth rollte das Manuskript auf. »Hier sind Noten,« sagte sie, »das +mußt du singen, Reinhard.« + +Und dieser las nun zuerst einige tiroler Schnaderhüpfel, [Fußnote: +Dialektisch für »Schnitterhüpfen,« d. h. Schnitter-Tänze oder Lieder, +die besonders in Tirol und in Bayern gesungen werden.] indem er beim +Lesen zuweilen die lustige Melodie mit halber Stimme anklingen ließ. +Eine allgemeine Heiterkeit bemächtigte sich der kleinen Gesellschaft. +»Wer hat doch aber die schönen Lieder gemacht?« fragte Elisabeth. + +»Ei,« sagte Erich, »das hört man den Dingern schon an, +Schneidergesellen und Friseure und derlei lustiges Gesindel.« + +Reinhard sagte: »Sie werden gar nicht gemacht; sie wachsen; sie fallen +aus der Luft, sie fliegen über Land wie Mariengarn, [Fußnote: Der +Volksglaube hat dieses feine Gewebe von Feldspinnen immer in Verbindung +mit den Göttern gebracht. Nach Einführung des Christentums wurde es auf +die Jungfrau Maria bezogen: aus dem feinsten Faden soll das +Leichenkleid gewoben worden sein, worin Maria nach ihrem Tod eingehüllt +wurde. Während ihrer Himmelfahrt wäre das Gewebe wieder von ihr +losgebrochen.] hierhin und dorthin und werden an tausend Stellen +zugleich gesungen. Unser eigenstes Tun und Leiden finden wir in diesen +Liedern; es ist, als ob wir alle an ihnen mitgeholfen hätten.« + +Er nahm ein anderes Blatt: »Ich stand auf hohen Bergen…« [Fußnote: Ein +altes Volkslied von einem schönen aber armen Mädchen, das den jungen +Grafen nicht heiraten konnte, und sich in ein Kloster zurückzog.] + +»Das kenne ich!« rief Elisabeth. »Stimme nur an, Reinhard; ich will dir +helfen.« + +Und nun sangen sie jene Melodie, die so rätselhaft ist, daß man nicht +glauben kann, sie sei von Menschen erdacht worden; Elisabeth mit ihrer +etwas verdeckten Altstimme dem Tenor sekundierend. + +Die Mutter saß inzwischen emsig an ihrer Näherei; Erich hatte die Hände +in einander gelegt und hörte andächtig zu. Als das Lied zu Ende war, +legte Reinhard das Blatt schweigend bei Seite. Vom Ufer des Sees herauf +kam durch die Abendstille das Geläute der Herdenglocken; sie horchten +unwillkürlich; da hörten sie eine klare Knabenstimme singen: + + Ich stand auf hohen Bergen + Und sah ins tiefe Tal . . . + + +Reinhard lächelte: »Hört ihr es wohl? So geht’s von Mund zu Mund.« + +»Es wird oft in dieser Gegend gesungen,« sagte Elisabeth. + +»Ja,« sagte Erich, »es ist der Hirtenkasper; er treibt die Starken +[Fußnote: Süddialektisch für »die Färsen.«] heim.« + +Sie horchten noch eine Weile, bis das Geläute hinter den +Wirtschaftsgebäuden verschwunden war. »Das sind Urtöne,« sagte +Reinhard; »sie schlafen in Waldesgründen; Gott weiß, wer sie gefunden +hat.« + +Er zog ein neues Blatt heraus. + +Es war schon dunkler geworden; ein roter Abendschein lag wie Schaum auf +den Wäldern jenseits des Sees. Reinhard rollte das Blatt auf, Elisabeth +legte an der einen Seite ihre Hand darauf und sah mit hinein. Dann las +Reinhard: + + Meine Mutter hat’s gewollt, + Den andern ich nehmen sollt’: + Was ich zuvor besessen, + Mein Herz sollt’ es vergessen; + Das hat es nicht gewollt. + + Meine Mutter klag’ ich an, + Sie hat nicht wohl getan; + Was sonst in Ehren stünde, + Nun ist es worden Sünde. + Was fang’ ich an! + + Für all’ mein’ Stolz und Freud’ + Gewonnen hab’ ich Leid. + Ach, wär’ das nicht geschehen, + Ach, könnt’ ich betteln gehen + Über die braune Heid’! + + +Während des Lesens hatte Reinhard ein unmerkliches Zittern des Papiers +empfunden; als er zu Ende war, schob Elisabeth leise ihren Stuhl zurück +und ging schweigend in den Garten hinab. Ein Blick der Mutter folgte +ihr. Erich wollte nachgehen; doch die Mutter sagte: »Elisabeth hat +draußen zu tun.« So unterblieb es. + +Draußen aber legte sich der Abend mehr und mehr über Garten und See; +die Nachtschmetterlinge schossen surrend an den offenen Türen vorüber, +durch welche der Duft der Blumen und Gesträuche immer stärker +hereindrang; vom Wasser herauf kam das Geschrei der Frösche, unter den +Fenstern schlug eine Nachtigall, tiefer im Garten eine andere; der Mond +sah über die Bäume. + +Reinhard blickte noch eine Weile auf die Stelle, wo Elisabeths feine +Gestalt zwischen den Laubgängen verschwunden war; dann rollte er sein +Manuskript zusammen, grüßte die Anwesenden und ging durchs Haus an das +Wasser hinab. + +Die Wälder standen schweigend und warfen ihr Dunkel weit auf den See +hinaus, während die Mitte desselben in schwüler Mondesdämmerung lag. +Mitunter schauerte ein leises Säuseln durch die Bäume; aber es war kein +Wind, es war nur das Atmen der Sommernacht. + +Reinhard ging immer am Ufer entlang. Einen Steinwurf vom Lande konnte +er eine weiße Wasserlilie erkennen. Auf einmal wandelte ihn die Lust +an, sie in der Nähe zu sehen; er warf seine Kleider ab und stieg ins +Wasser. Es war flach; scharfe Pflanzen und Steine schnitten ihn an den +Füßen, und er kam immer nicht in die zum Schwimmen nötige Tiefe. + +Dann war es plötzlich unter ihm weg, die Wasser quirlten über ihm +zusammen, und es dauerte eine Zeitlang, ehe er wieder auf die +Oberfläche kam. Nun regte er Hand und Fuß und schwamm im Kreise umher, +bis er sich bewußt geworden, von wo er hineingegangen war. Bald sah er +auch die Lilie wieder; sie lag einsam zwischen den großen blanken +Blättern. + +Er schwamm langsam hinaus und hob mitunter die Arme aus dem Wasser, daß +die herabrieselnden Tropfen im Mondlichte blitzten; aber es war, als ob +die Entfernung zwischen ihm und der Blume dieselbe bliebe; nur das Ufer +lag, wenn er sich umblickte, in immer ungewisserem Dufte hinter ihm. Er +gab indes sein Unternehmen nicht auf, sondern schwamm rüstig in +derselben Richtung fort. + +Endlich war er der Blume so nahe gekommen, daß er die silbernen Blätter +deutlich im Mondlicht unterscheiden konnte; zugleich aber fühlte er +sich in einem Netze verstrickt, die glatten Stengel langten vom Grunde +herauf und rankten sich an seine nackten Glieder. + +Das unbekannte Wasser lag so schwarz um ihn her, hinter sich hörte er +das Springen eines Fisches; es wurde ihm plötzlich so unheimlich in dem +fremden Elemente, daß er mit Gewalt das Gestrick der Pflanzen zerriß +und in atemloser Hast dem Lande zuschwamm. Als er von hier auf den See +zurückblickte, lag die Lilie wie zuvor fern und einsam über der dunklen +Tiefe. + +Er kleidete sich an und ging langsam nach Hause zurück. Als er aus dem +Garten in den Saal trat, fand er Erich und die Mutter in den +Vorbereitungen einer kleinen Geschäftsreise, welche am andern Tage vor +sich gehen sollte. + +»Wo sind Sie denn so spät in der Nacht gewesen?« rief ihm die Mutter +entgegen. + +»Ich?« erwiderte er; »ich wollte die Wasserlilie besuchen; es ist aber +nichts daraus geworden.« + +»Das versteht wieder einmal kein Mensch!« sagte Erich. »Was Tausend +hattest du denn mit der Wasserlilie zu tun?« + +»Ich habe sie früher einmal gekannt,« sagte Reinhard; »es ist aber +schon lange her.« + + + + +ELISABETH + + +Am folgenden Nachmittag wanderten Reinhard und Elisabeth jenseits des +Sees bald durch die Holzung, bald auf dem vorspringenden Uferrande. +Elisabeth hatte von Erich den Auftrag erhalten, während seiner und der +Mutter Abwesenheit Reinhard mit den schönsten Aussichten der nächsten +Umgegend, namentlich von der andern Uferseite auf den Hof selber, +bekannt zu machen. Nun gingen sie von einem Punkt zum andern. + +Endlich wurde Elisabeth müde und setzte sich in den Schatten +überhängender Zweige; Reinhard stand ihr gegenüber, an einen Baumstamm +gelehnt; da hörte er tiefer im Walde den Kuckuck rufen, und es kam ihm +plötzlich, dies alles sei schon einmal eben so gewesen. Er sah sie +seltsam lächelnd an. + +»Wollen wir Erdbeeren suchen?« fragte er. + +»Es ist keine Erdbeerenzeit,« sagte sie. + +»Sie wird aber bald kommen.« + +Elisabeth schüttelte schweigend den Kopf; dann stand sie auf, und beide +setzten ihre Wanderung fort; und wie sie so an seiner Seite ging, +wandte sein Blick sich immer wieder nach ihr hin; denn sie ging schön, +als wenn sie von ihren Kleidern getragen würde. Er blieb oft +unwillkürlich einen Schritt zurück, um sie ganz und voll ins Auge +fassen zu können. + +So kamen sie an einen freien, heidebewachsenen Platz mit einer weit ins +Land reichenden Aussicht. Reinhard bückte sich und pflückte etwas von +den am Boden wachsenden Kräutern. Als er wieder aufsah, trug sein +Gesicht den Ausdruck leidenschaftlichen Schmerzes. + +»Kennst du diese Blume?« fragte er. + +Sie sah ihn fragend an. »Es ist eine Erika. Ich habe sie oft im Walde +gepflückt.« + +»Ich habe zu Hause ein altes Buch,« sagte er; »ich pflegte sonst +allerlei Lieder und Reime hineinzuschreiben; es ist aber lange nicht +mehr geschehen. Zwischen den Blättern liegt auch eine Erika; aber es +ist nur eine verwelkte. Weißt du, wer sie mir gegeben hat?« + +Sie nickte stumm; aber sie schlug die Augen nieder und sah nur auf das +Kraut, das er in der Hand hielt. So standen sie lange. Als sie die +Augen gegen ihn aufschlug, sah er, daß sie voll Tränen waren. + +»Elisabeth,« sagte er,—»hinter jenen blauen Bergen liegt unsere Jugend. +Wo ist sie geblieben?« + +Sie sprachen nichts mehr; sie gingen stumm neben einander zum See +hinab. Die Luft war schwül, im Westen stieg schwarzes Gewölk auf. Es +wird gewittern,« sagte Elisabeth, indem sie ihren Schritt beeilte; +Reinhard nickte schweigend, und beide gingen rasch am Ufer entlang, bis +sie ihren Kahn erreicht hatten. + +Während der Überfahrt ließ Elisabeth ihre Hand auf dem Rande des Kahnes +ruhen. Er blickte beim Rudern zu ihr hinüber; sie aber sah an ihm +vorbei in die Ferne. So glitt sein Blick herunter und blieb auf ihrer +Hand; und die blasse Hand verriet ihm, was ihr Antlitz ihm verschwiegen +hatte. + +Er sah auf ihr jenen feinen Zug geheimen Schmerzes, der sich so gern +schöner Frauenhände bemächtigt, die nachts auf krankem Herzen liegen. +Als Elisabeth sein Auge auf ihrer Hand ruhen fühlte, ließ sie sie +langsam über Bord ins Wasser gleiten. + +Auf dem Hofe angekommen trafen sie einen Scherenschleiferkarren vor dem +Herrenhause; ein Mann mit schwarzen, niederhängenden Locken trat emsig +das Rad und summte eine Zigeunermelodie zwischen den Zähnen, während +ein eingeschirrter Hund schnaufend daneben lag. Auf dem Hausflur stand +in Lumpen gehüllt ein Mädchen mit verstörten schönen Zügen und streckte +bettelnd die Hand gegen Elisabeth aus. + +Reinhard griff in seine Tasche, aber Elisabeth kam ihm zuvor und +schüttete hastig den ganzen Inhalt ihrer Börse in die offene Hand der +Bettlerin. Dann wandte sie sich eilig ab, und Reinhard hörte, wie sie +schluchzend die Treppe hinaufging. + +Er wollte sie aufhalten, aber er besann sich und blieb an der Treppe +zurück. Das Mädchen stand noch immer auf dem Flur, unbeweglich, das +empfangene Almosen in der Hand. + +»Was willst du noch?« fragte Reinhard. + +Sie fuhr zusammen. »Ich will nichts mehr,« sagte sie; dann den Kopf +nach ihm zurückwendend, ihn anstarrend mit den verirrten Augen, ging +sie langsam gegen die Tür. Er rief einen Namen aus, aber sie hörte es +nicht mehr; mit gesenktem Haupte, mit über der Brust gekreuzten Armen +schritt sie über den Hof hinab: + + Sterben, ach! sterben + Soll ich allein! + + +Ein altes Lied brauste ihm ins Ohr, der Atem stand ihm still; eine +kurze Weile, dann wandte er sich ab und ging auf sein Zimmer. + +Er setzte sich hin, um zu arbeiten, aber er hatte keine Gedanken. +Nachdem er es eine Stunde lang vergebens versucht hatte, ging er ins +Familienzimmer hinab. Es war niemand da, nur kühle grüne Dämmerung; auf +Elisabeths Nähtisch lag ein rotes Band, das sie am Nachmittag um den +Hals getragen hatte. Er nahm es in die Hand, aber es tat ihm weh, und +er legte es wieder hin. + +Er hatte keine Ruhe, er ging an den See hinab und band den Kahn los; er +ruderte hinüber und ging noch einmal alle Wege, die er kurz vorher mit +Elisabeth zusammen gegangen war. Als er wieder nach Hause kam, war es +dunkel; auf dem Hofe begegnete ihm der Kutscher, der die Wagenpferde +ins Gras bringen wollte; die Reisenden waren eben zurückgekehrt. + +Bei seinem Eintritt in den Hausflur hörte er Erich im Gartensaal auf +und ab schreiten. Er ging nicht zu ihm hinein; er stand einen +Augenblick still und stieg dann leise die Treppe hinauf nach seinem +Zimmer. Hier setzte er sich in den Lehnstuhl ans Fenster; er tat vor +sich selbst, als wolle er die Nachtigall hören, die unten in den +Taxuswänden schlug; aber er hörte nur den Schlag seines eigenen +Herzens. Unter ihm im Hause ging alles zur Ruhe, die Nacht verrann, er +fühlte es nicht. + +So saß er stundenlang. Endlich stand er auf und legte sich ins offene +Fenster. Der Nachttau rieselte zwischen den Blättern, die Nachtigall +hatte aufgehört zu schlagen. Allmählich wurde auch das tiefe Blau des +Nachthimmels vom Osten her durch einen blaßgelben Schimmer verdrängt; +ein frischer Wind erhob sich und streifte Reinhards heiße Stirne; die +erste Lerche stieg jauchzend in die Luft. + +Reinhard kehrte sich plötzlich um und trat an den Tisch: er tappte nach +einem Bleistift, und als er diesen gefunden, setzte er sich und schrieb +damit einige Zeilen auf einen weißen Bogen Papier. Nachdem er hiermit +fertig war, nahm er Hut und Stock, und das Papier zurücklassend öffnete +er behutsam die Tür und stieg in den Flur hinab. + +Die Morgendämmerung ruhte noch in allen Winkeln; die große Hauskatze +dehnte sich auf der Strohmatte und sträubte den Rücken gegen seine +Hand, die er gedankenlos entgegenhielt. Draußen im Garten aber +priesterten [Fußnote: d. h. »sangen schon die Sperlinge großartig, wie +Priester.« Das Wort scheint von Storm geschmiedet zu sein; es ist nicht +anderswo zu finden.] schon die Sperlinge von den Zweigen und sagten es +allen, daß die Nacht vorbei sei. + +Da hörte er oben im Hause eine Tür gehen; es kam die Treppe herunter, +und als er aufsah, stand Elisabeth vor ihm. Sie legte die Hand auf +seinen Arm, sie bewegte die Lippen, aber er hörte keine Worte. + +»Du kommst nicht wieder,« sagte sie endlich. »Ich weiß es, lüge nicht; +du kommst nie wieder.« + +»Nie,« sagte er. + +Sie ließ ihre Hand sinken und sagte nichts mehr. Er ging über den Flur +der Türe zu; dann wandte er sich noch einmal. Sie stand bewegungslos an +derselben Stelle und sah ihn mit toten Augen an. Er tat einen Schritt +vorwärts und streckte die Arme nach ihr aus. Dann kehrte er sich +gewaltsam ab und ging zur Tür hinaus. + +Draußen lag die Welt im frischen Morgenlichte, die Tauperlen, die in +den Spinnengeweben hingen, blitzten in den ersten Sonnenstrahlen. Er +sah nicht rückwärts; er wanderte rasch hinaus; und mehr und mehr +versank hinter ihm das stille Gehöft, und vor ihm auf stieg die große +weite Welt. + + + + +DER ALTE + + +Der Mond schien nicht mehr in die Fensterscheiben; es war dunkel +geworden; der Alte aber saß noch immer mit gefalteten Händen in seinem +Lehnstuhl und blickte vor sich hin in den Raum des Zimmers. + +Allmählich verzog sich vor seinen Augen die schwarze Dämmerung um ihn +her zu einem breiten dunkeln See; ein schwarzes Gewässer legte sich +hinter das andere, immer tiefer und ferner, und auf dem letzten, so +fern, daß die Augen des Alten sie kaum erreichten, schwamm einsam +zwischen breiten Blättern eine weiße Wasserlilie. + +Die Stubentür ging auf, und ein heller Lichtschimmer fiel ins Zimmer. + +»Es ist gut, daß Sie kommen, Brigitte,« sagte der Alte. »Stellen Sie +das Licht auf den Tisch!« + +Dann rückte er auch den Stuhl zum Tisch, nahm eines der aufgeschlagenen +Bücher und vertiefte sich in Studien, an denen er einst die Kraft +seiner Jugend geübt hatte. + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Immensee, by Theodor W. Storm + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK IMMENSEE *** + +***** This file should be named 6651-0.txt or 6651-0.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/6/6/5/6651/ + +Produced by Delphine Lettau, Charles Franks, and the +Online Distributed Proofreading Team. + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part +of this license, apply to copying and distributing Project +Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm +concept and trademark. 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It +exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations +from people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future +generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see +Sections 3 and 4 and the Foundation information page at +www.gutenberg.org + + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by +U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the +mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its +volunteers and employees are scattered throughout numerous +locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt +Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to +date contact information can be found at the Foundation's web site and +official page at www.gutenberg.org/contact + +For additional contact information: + + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. 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Donations are accepted in a number of other +ways including checks, online payments and credit card donations. To +donate, please visit: www.gutenberg.org/donate + +Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. + +Professor Michael S. Hart was the originator of the Project +Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be +freely shared with anyone. For forty years, he produced and +distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of +volunteer support. + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in +the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not +necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper +edition. + +Most people start at our Web site which has the main PG search +facility: www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. + + diff --git a/6651-0.zip b/6651-0.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..1afef4f --- /dev/null +++ b/6651-0.zip diff --git a/6651-h.zip b/6651-h.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..b15266a --- /dev/null +++ b/6651-h.zip diff --git a/6651-h/6651-h.htm b/6651-h/6651-h.htm new file mode 100644 index 0000000..1ffc3ea --- /dev/null +++ b/6651-h/6651-h.htm @@ -0,0 +1,2452 @@ +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" +"http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="de" lang="de"> +<head> +<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=utf-8" /> +<meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" /> +<title>Immensee, by Theodor Storm</title> +<link rel="coverpage" href="images/cover.jpg" /> +<style type="text/css"> + +body { margin-left: 20%; + margin-right: 20%; + text-align: justify; } + +h1, h2, h3, h4, h5 {text-align: center; font-style: normal; font-weight: +normal; line-height: 1.5; margin-top: .5em; margin-bottom: .5em;} + +h1 {font-size: 300%; + margin-top: 0.6em; + margin-bottom: 0.6em; + letter-spacing: 0.12em; + word-spacing: 0.2em; + text-indent: 0em;} +h2 {font-size: 150%; margin-top: 2em; margin-bottom: 1em;} +h3 {font-size: 150%; margin-top: 2em;} +h4 {font-size: 120%;} +h5 {font-size: 110%;} + +hr {width: 80%; margin-top: 2em; margin-bottom: 2em;} + +div.chapter {page-break-before: always; margin-top: 4em;} + +p {text-indent: 1em; + margin-top: 0.25em; + margin-bottom: 0.25em; } + +.p2 {margin-top: 2em;} + +p.poem {text-indent: 0%; + margin-left: 10%; + font-size: 90%; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; } + +p.letter {text-indent: 0%; + margin-left: 10%; + margin-right: 10%; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; } + +p.footnote {font-size: 90%; + text-indent: 0%; + margin-left: 10%; + margin-right: 10%; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; } + +sup { vertical-align: top; font-size: 0.6em; } + +div.fig { display:block; + margin:0 auto; + text-align:center; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em;} + +a:link {color:blue; text-decoration:none} +a:visited {color:blue; text-decoration:none} +a:hover {color:red} + +</style> + +</head> + +<body> + +<pre> +The Project Gutenberg EBook of Immensee, by Theodor Storm + +This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most +other parts of the world at no cost and with almost no restrictions +whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of +the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Immensee + +Author: Theodor Storm + +Release Date: October, 2004 [EBook #6651] +[Most recently updated: July 30, 2020] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK IMMENSEE *** + + + + +Produced by Delphine Lettau, Charles Franks, and the +Online Distributed Proofreading Team. + + + + + + +</pre> + +<div class="fig" style="width:60%;"> +<img src="images/cover.jpg" style="width:100%;" alt="[Illustration]" /> +</div> + +<h1>Immensee</h1> + +<h2>by Theodor Storm</h2> + +<hr /> + +<table summary="" style="margin-left: auto; margin-right: auto"> + +<tr> +<td> <a href="#chap01">DER ALTE</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap02">DIE KINDER</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap03">IM WALDE</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap04">DA STAND DAS KIND AM WEGE</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap05">DAHEIM</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap06">EIN BRIEF</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap07">IMMENSEE</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap08">MEINE MUTTER HAT’S GEWOLLT</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap09">ELISABETH</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap10">DER ALTE</a></td> +</tr> + +</table> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap01"></a>DER ALTE</h2> + +<p> +An einem Spätherbstnachmittage ging ein alter wohlgekleideter Mann langsam die +Straße hinab. Er schien von einem Spaziergange nach Hause zurückzukehren, denn +seine Schnallenschuhe, die einer vorübergegangenen Mode angehörten, waren +bestäubt. Den langen Rohrstock mit goldenem Knopf trug er unter dem Arm; mit +seinen dunklen Augen, in welche sich die ganze verlorene Jugend gerettet zu +haben schien, und welche eigentümlich von den schneeweißen Haaren abstachen, +sah er ruhig umher oder in die Stadt hinab, welche im Abendsonnendufte vor ihm +lag. +</p> + +<p> +Er schien fast ein Fremder, denn von den Vorübergehenden grüßten ihn nur +wenige, obgleich mancher unwillkürlich in diese ernsten Augen zu sehen +gezwungen wurde. Endlich stand er vor einem hohen Giebelhause still, sah noch +einmal in die Stadt hinaus und trat dann in die Hausdiele. Bei dem Schall der +Türglocke wurde drinnen in der Stube von einem Guckfenster, welches nach der +Diele hinausging, der grüne Vorhang weggeschoben und das Gesicht einer alten +Frau dahinter sichtbar. Der Mann winkte ihr mit seinem Rohrstock. +</p> + +<p> +»Noch kein Licht!« sagte er in einem etwas südlichen Akzent, und die +Haushälterin ließ den Vorhang wieder fallen. +</p> + +<p> +Der Alte ging nun über die weite Hausdiele, durch einen Pesel, wo große eichene +Schränke mit Porzellanvasen an den Wänden standen; durch die gegenüberstehende +Tür trat er in einen kleinen Flur, von wo aus eine enge Treppe zu den obern +Zimmern des Hinterhauses führte. Er stieg sie langsam hinauf, schloß oben eine +Tür auf und trat dann in ein mäßig großes Zimmer. Hier war es heimlich und +still; die eine Wand war fast mit Repositorien und Bücherschränken bedeckt, an +den andern hingen Bilder von Menschen und Gegenden; vor einem Tisch mit grüner +Decke, auf dem einzelne aufgeschlagene Bücher umherlagen, stand ein +schwerfälliger Lehnstuhl mit rotem Samtkissen. +</p> + +<p> +Nachdem der Alte Hut und Stock in die Ecke gestellt hatte, setzte er sich in +den Lehnstuhl und schien mit gefalteten Händen von seinem Spaziergange +auszuruhen.—Wie er so saß, wurde es allmählich dunkler; endlich fiel ein +Mondstrahl durch die Fensterscheiben auf die Gemälde an der Wand, und wie der +helle Streif langsam weiter rückte, folgten die Augen des Mannes unwillkürlich. +Nun trat er über ein kleines Bild in schlichtem schwarzem Rahmen. »Elisabeth!« +sagte der Alte leise; und wie er das Wort gesprochen, war die Zeit verwandelt: +er war in seiner Jugend. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap02"></a>DIE KINDER</h2> + +<p> +Bald trat die anmutige Gestalt eines kleinen Mädchens zu ihm. Sie hieß +Elisabeth und mochte fünf Jahre zählen, er selbst war doppelt so alt. Um den +Hals trug sie ein rotseidenes Tüchelchen; das ließ ihr hübsch zu den braunen +Augen. +</p> + +<p> +»Reinhard!« rief sie, »wir haben frei, frei! den ganzen Tag keine Schule, und +morgen auch nicht.« +</p> + +<p> +Reinhard stellte die Rechentafel, die er schon unterm Arm hatte, flink hinter +die Haustür, und dann liefen beide Kinder durchs Haus in den Garten und durch +die Gartenpforte hinaus auf die Wiese. Die unverhofften Ferien kamen ihnen +herrlich zustatten. Reinhard hatte hier mit Elisabeths Hilfe ein Haus aus +Rasenstücken aufgeführt; darin wollten sie die Sommerabende wohnen; aber es +fehlte noch die Bank. Nun ging er gleich an die Arbeit; Nägel, Hammer und die +nötigen Bretter waren schon bereit. Während dessen ging Elisabeth an dem Wall +entlang und sammelte den ringförmigen Samen der wilden Malve in ihre Schürze; +davon wollte sie sich Ketten und Halsbänder machen; und als Reinhard endlich +trotz manches krumm geschlagenen Nagels seine Bank dennoch zustande gebracht +hatte und nun wieder in die Sonne hinaustrat, ging sie schon weit davon am +andern Ende der Wiese. +</p> + +<p> +»Elisabeth!« rief er, »Elisabeth!« und da kam sie, und ihre Locken flogen. +»Komm,« sagte er, »nun ist unser Haus fertig. Du bist ja ganz heiß geworden; +komm herein, wir wollen uns auf die neue Bank setzen. Ich erzähl’ dir +etwas.« +</p> + +<p> +Dann gingen sie beide hinein und setzten sich auf die neue Bank. Elisabeth nahm +ihre Ringelchen aus der Schürze und zog sie auf lange Bindfäden; Reinhard fing +an zu erzählen: »Es waren einmal drei Spinnfrauen—« [Fußnote: So fängt +ein wohlbekanntes Märchen von den Gebrüdern Grimm an.] +</p> + +<p> +»Ach,« sagte Elisabeth, »das weiß ich ja auswendig; du mußt auch nicht immer +dasselbe erzählen.« +</p> + +<p> +Da mußte Reinhard die Geschichte von den drei Spinnfrauen stecken lassen, und +statt dessen erzählte er die Geschichte von dem armen Mann, der in die +Löwengrube geworfen war. +</p> + +<p> +»Nun war es Nacht,« sagte er, »weißt du? ganz finstere, und die Löwen +schliefen. Mitunter aber gähnten sie im Schlaf und reckten die roten Zungen +aus; dann schauderte der Mann und meinte, daß der Morgen komme. Da warf es um +ihn her auf einmal einen hellen Schein, und als er aufsah, stand ein Engel vor +ihm. Der winkte ihm mit der Hand und ging dann gerade in die Felsen hinein.« +</p> + +<p> +Elisabeth hatte aufmerksam zugehört. »Ein Engel?« sagte sie: »Hatte er denn +Flügel?« +</p> + +<p> +»Es ist nur so eine Geschichte,« antwortete Reinhard; »es gibt ja gar keine +Engel.« +</p> + +<p> +»O pfui, Reinhard!« sagte sie und sah ihm starr ins Gesicht. +</p> + +<p> +Als er sie aber finster anblickte, fragte sie ihn zweifelnd: »Warum sagen sie +es denn immer? Mutter und Tante und auch in der Schule?« +</p> + +<p> +»Das weiß ich nicht,« antwortete er. +</p> + +<p> +»Aber du,« sagte Elisabeth, »gibt es denn auch keine Löwen?« +</p> + +<p> +»Löwen? Ob es Löwen gibt? In Indien; da spannen die Götzenpriester sie vor den +Wagen und fahren mit ihnen durch die Wüste. Wenn ich groß bin, will ich einmal +selber hin. Da ist es viel tausendmal schöner als hier bei uns; da gibt es gar +keinen Winter. Du mußt auch mit mir. Willst du?« +</p> + +<p> +»Ja,« sagte Elisabeth; »aber Mutter muß dann auch mit, und deine Mutter auch.« +</p> + +<p> +»Nein,« sagte Reinhard, »die sind dann zu alt, die können nicht mit.« +</p> + +<p> +»Ich darf aber nicht allein.« +</p> + +<p> +»Du sollst schon dürfen; du wirst dann wirklich meine Frau, und dann haben die +andern dir nichts zu befehlen.« +</p> + +<p> +»Aber meine Mutter wird weinen.« +</p> + +<p> +»Wir kommen ja wieder,« sagte Reinhard heftig; »sag es nur gerade heraus, +willst du mit mir reisen? Sonst geh’ ich allein, und dann komme ich +nimmer wieder.« +</p> + +<p> +Der Kleinen kam das Weinen nahe. »Mach nur nicht so böse Augen,« sagte sie; +»ich will ja mit nach Indien.« +</p> + +<p> +Reinhard faßte sie mit ausgelassener Freude bei beiden Händen und zog sie +hinaus auf die Wiese. +</p> + +<p> +»Nach Indien, nach Indien!« sang er und schwenkte sich mit ihr im Kreise, daß +ihr das rote Tüchelchen vom Halse flog. Dann aber ließ er sie plötzlich los und +sagte ernst: +</p> + +<p> +»Es wird doch nichts daraus werden; du hast keine Courage.« +</p> + +<p> +»Elisabeth! Reinhard!« rief es jetzt von der Gartenpforte. »Hier! Hier!« +antworteten die Kinder und sprangen Hand in Hand nach Hause. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap03"></a>IM WALDE</h2> + +<p> +So lebten die Kinder zusammen; sie war ihm oft zu still, er war ihr oft zu +heftig, aber sie ließen deshalb nicht von einander; fast alle Freistunden +teilten sie: winters in den beschränkten Zimmern ihrer Mütter, sommers in Busch +und Feld. +</p> + +<p> +Als Elisabeth einmal in Reinhards Gegenwart von dem Schullehrer gescholten +wurde, stieß er seine Tafel zornig auf den Tisch, um den Eifer des Mannes auf +sich zu lenken. Es wurde nicht bemerkt. Aber Reinhard verlor alle +Aufmerksamkeit an den geographischen Vorträgen; statt dessen verfaßte er ein +langes Gedicht; darin verglich er sich selbst mit einem jungen Adler, den +Schulmeister mit einer grauen Krähe, Elisabeth war die weiße Taube; der Adler +gelobte an der grauen Krähe Rache zu nehmen, sobald ihm die Flügel gewachsen +sein würden. Dem jungen Dichter standen die Tränen in den Augen; er kam sich +sehr erhaben vor. Als er nach Hause gekommen war, wußte er sich einen kleinen +Pergamentband mit vielen weißen Blättern zu verschaffen; auf die ersten Seiten +schrieb er mit sorgsamer Hand sein erstes Gedicht. +</p> + +<p> +Bald darauf kam er in eine andere Schule; hier schloß er manche neue +Kameradschaft mit Knaben seines Alters, aber sein Verkehr mit Elisabeth wurde +dadurch nicht gestört. Von den Märchen, welche er ihr sonst erzählt und wieder +erzählt hatte, fing er jetzt an, die, welche ihr am besten gefallen hatten, +aufzuschreiben; dabei wandelte ihn oft die Lust an, etwas von seinen eigenen +Gedanken hineinzudichten; aber, er wußte nicht weshalb, er konnte immer nicht +dazu gelangen. So schrieb er sie genau auf, wie er sie selber gehört hatte. +Dann gab er die Blätter an Elisabeth, die sie in einem Schubfach ihrer +Schatulle sorgfältig aufbewahrte; und es gewährte ihm eine anmutige +Befriedigung, wenn er sie mitunter abends diese Geschichtchen in seiner +Gegenwart aus den von ihm geschriebenen Heften ihrer Mutter vorlesen hörte. +</p> + +<p> +Sieben Jahre waren vorüber. Reinhard sollte zu seiner weitern Ausbildung die +Stadt verlassen. Elisabeth konnte sich nicht in den Gedanken finden, daß es nun +eine Zeit ganz ohne Reinhard geben werde. Es freute sie, als er ihr eines Tages +sagte, er werde, wie sonst, Märchen für sie aufschreiben; er wolle sie ihr mit +den Briefen an seine Mutter schicken; sie müsse ihm dann wieder schreiben, wie +sie ihr gefallen hätten. Die Abreise rückte heran; vorher aber kam noch mancher +Reim in den Pergamentband. Das allein war für Elisabeth ein Geheimnis, obgleich +sie die Veranlassung zu dem ganzen Buche und zu den meisten Liedern war, welche +nach und nach fast die Hälfte der weißen Blätter gefüllt hatten. +</p> + +<p> +Es war im Juni; Reinhard sollte am andern Tage reisen. Nun wollte man noch +einmal einen festlichen Tag zusammen begehen. Dazu wurde eine Landpartie nach +einer der nahe gelegenen Holzungen in größerer Gesellschaft veranstaltet. Der +stundenlange Weg bis an den Saum des Waldes wurde zu Wagen zurückgelegt; dann +nahm man die Proviantkörbe herunter und marschierte weiter. Ein Tannengehölz +mußte zuerst durchwandert werden; es war kühl und dämmerig und der Boden +überall mit feinen Nadeln bestreut. Nach halbstündigem Wandern kam man aus dem +Tannendunkel in eine frische Buchenwaldung; hier war alles licht und grün; +mitunter brach ein Sonnenstrahl durch die blätterreichen Zweige; ein +Eichkätzchen sprang über ihren Köpfen von Ast zu Ast. +</p> + +<p> +Auf einem Platze, über welchem uralte Buchen mit ihren Kronen zu einem +durchsichtigen Laubgewölbe zusammenwuchsen, machte die Gesellschaft Halt. +Elisabeths Mutter öffnete einen der Körbe; ein alter Herr warf sich zum +Proviantmeister auf. +</p> + +<p> +»Alle um mich herum, ihr jungen Vögel!« rief er, »und merket genau, was ich +euch zu sagen habe. Zum Frühstück erhält jetzt ein jeder von euch zwei trockene +Wecken; die Butter ist zu Hause geblieben; die Zukost muß sich ein jeder selber +suchen. Es stehen genug Erdbeeren im Walde, das heißt, für den, der sie zu +finden weiß. Wer ungeschickt ist, muß sein Brot trocken essen; so geht es +überall im Leben. Habt ihr meine Rede begriffen?« +</p> + +<p> +»Ja wohl!« riefen die Jungen. +</p> + +<p> +»Ja, seht,« sagte der Alte, »sie ist aber noch nicht zu Ende. Wir Alten haben +uns im Leben schon genug umhergetrieben; darum bleiben wir jetzt zu Haus, das +heißt, hier unter diesen breiten Bäumen, und schälen die Kartoffeln und machen +Feuer und rüsten die Tafel, und wenn die Uhr zwölf ist, so sollen auch die Eier +gekocht werden. +</p> + +<p> +»Dafür seid ihr uns von euren Erdbeeren die Hälfte schuldig, damit wir auch +einen Nachtisch servieren können. Und nun geht nach Ost und West und seid +ehrlich.« +</p> + +<p> +Die Jungen machten allerlei schelmische Gesichter. +</p> + +<p> +»Halt!« rief der alte Herr noch einmal. »Das brauche ich euch wohl nicht zu +sagen, wer keine findet, braucht auch keine abzuliefern; aber das schreibt euch +wohl hinter eure feinen Ohren, von uns Alten bekommt er auch nichts. Und nun +habt ihr für diesen Tag gute Lehren genug; wenn ihr nun noch Erdbeeren dazu +habt, so werdet ihr für heute schon durchs Leben kommen.« +</p> + +<p> +Die Jungen waren derselben Meinung und begannen sich paarweise auf die Fahrt zu +machen. +</p> + +<p> +»Komm, Elisabeth,« sagte Reinhard, »ich weiß einen Erdbeerenschlag; du sollst +kein trockenes Brot essen.« +</p> + +<p> +Elisabeth knüpfte die grünen Bänder ihres Strohhuts zusammen und hing ihn über +den Arm. »So komm,« sagte sie, »der Korb ist fertig.« +</p> + +<p> +Dann gingen sie in den Wald hinein, tiefer und tiefer; durch feuchte +Baumschatten, wo alles still war, nur unsichtbar über ihnen in den Lüften das +Geschrei der Falken; dann wieder durch dichtes Gestrüpp, so dicht, daß Reinhard +vorangehen mußte, um einen Pfad zu machen, hier einen Zweig zu knicken, dort +eine Ranke beiseite zu biegen. Bald aber hörte er hinter sich Elisabeth seinen +Namen rufen. Er wandte sich um. +</p> + +<p> +»Reinhard!« rief sie, »warte doch, Reinhard!« +</p> + +<p> +Er konnte sie nicht gewahr werden; endlich sah er sie in einiger Entfernung mit +den Sträuchern kämpfen; ihr feines Köpfchen schwamm nur kaum über den Spitzen +der Farnkräuter. Nun ging er noch einmal zurück und führte sie durch das +Wirrnis der Kräuter und Stauden auf einen freien Platz hinaus, wo blaue Falter +zwischen den einsamen Waldblumen flatterten. Reinhard strich ihr die feuchten +Haare aus dem erhitzten Gesichtchen; dann wollte er ihr den Strohhut aufsetzen, +und sie wollte es nicht leiden; aber dann bat er sie, und nun ließ sie es doch +geschehen. +</p> + +<p> +»Wo bleiben denn aber deine Erdbeeren?« fragte sie endlich, indem sie stehen +blieb und einen tiefen Atemzug tat. +</p> + +<p> +»Hier haben sie gestanden,« sagte er, »aber die Kröten sind uns zuvorgekommen +oder die Marder oder vielleicht die Elfen.« +</p> + +<p> +»Ja,« sagte Elisabeth, »die Blätter stehen noch da; aber sprich hier nicht von +Elfen. Komm nur, ich bin noch gar nicht müde; wir wollen weiter suchen.« +</p> + +<p> +Vor ihnen war ein kleiner Bach, jenseits wieder der Wald. Reinhard hob +Elisabeth auf seine Arme und trug sie hinüber. Nach einer Weile traten sie aus +dem schattigen Laube wieder in eine weite Lichtung hinaus. +</p> + +<p> +»Hier müssen Erdbeeren sein,« sagte das Mädchen, »es duftet so süß. +</p> + +<p> +Sie gingen suchend durch den sonnigen Raum; aber sie fanden keine. »Nein,« +sagte Reinhard, »es ist nur der Duft des Heidekrautes.« +</p> + +<p> +Himbeerbüsche und Hülsendorn standen überall durcheinander, ein starker Geruch +von Heidekräutern, welche abwechselnd mit kurzem Grase die freien Stellen des +Bodens bedeckten, erfüllte die Luft. +</p> + +<p> +»Hier ist es einsam,« sagte Elisabeth; »wo mögen die andern sein?« +</p> + +<p> +An den Rückweg hatte Reinhard nicht gedacht. +</p> + +<p> +»Warte nur: woher kommt der Wind?« sagte er und hob seine Hand in die Höhe. +Aber es kam kein Wind. +</p> + +<p> +»Still,« sagte Elisabeth, »mich dünkt, ich hörte sie sprechen. Rufe einmal +dahinunter.« +</p> + +<p> +Reinhard rief durch die hohle Hand. »Kommt hierher!« +</p> + +<p> +»Hierher!« rief es zurück. +</p> + +<p> +»Sie antworteten!« sagte Elisabeth und klatschte in die Hände. +</p> + +<p> +»Nein, es war nichts, es war nur der Widerhall.« +</p> + +<p> +Elisabeth faßte Reinhards Hand. »Mir graut!« sagte sie. +</p> + +<p> +»Nein,« sagte Reinhard, »das muß es nicht. Hier ist es prächtig. Setz dich dort +in den Schatten zwischen die Kräuter. Laß uns eine Weile ausruhen; wir finden +die andern schon.« +</p> + +<p> +Elisabeth setzte sich unter eine überhängende Buche und lauschte aufmerksam +nach allen Seiten; Reinhard saß einige Schritte davon auf einem Baumstumpf und +sah schweigend nach ihr hinüber. Die Sonne stand gerade über ihnen; es war +glühende Mittagshitze; kleine goldglänzende, stahlblaue Fliegen standen +flügelschwingend in der Luft; rings um sie her ein feines Schwirren und Summen, +und manchmal hörte man tief im Walde das Hämmern der Spechte und das Kreischen +der andern Waldvögel. +</p> + +<p> +»Horch,« sagte Elisabeth, »es läutet.« +</p> + +<p> +»Wo?« fragte Reinhard. +</p> + +<p> +»Hinter uns. Hörst du? Es ist Mittag.« +</p> + +<p> +»Dann liegt hinter uns die Stadt, und wenn wir in dieser Richtung gerade +durchgehen, so müssen wir die andern treffen.« +</p> + +<p> +So traten sie ihren Rückweg an; das Erdbeerensuchen hatten sie aufgegeben, denn +Elisabeth war müde geworden. Endlich klang zwischen den Bäumen hindurch das +Lachen der Gesellschaft; dann sahen sie auch ein weißes Tuch am Boden +schimmern, das war die Tafel, und darauf standen Erdbeeren in Hülle und Fülle. +Der alte Herr hatte eine Serviette im Knopfloch und hielt den Jungen die +Fortsetzung seiner moralischen Reden, während er eifrig an einem Braten +herumtranchierte. +</p> + +<p> +»Da sind die Nachzügler,« riefen die Jungen, als sie Reinhard und Elisabeth +durch die Bäume kommen sahen. +</p> + +<p> +»Hierher!« rief der alte Herr, »Tücher ausgeleert, Hüte umgekehrt! Nun zeigt +her, was ihr gefunden habt.« +</p> + +<p> +»Hunger und Durst!« sagte Reinhard. +</p> + +<p> +»Wenn, das alles ist,« erwiderte der Alte und hob ihnen die volle Schüssel +entgegen, »so müßt ihr es auch behalten. Ihr kennt die Abrede; hier werden +keine Müßiggänger gefüttert.« +</p> + +<p> +Endlich ließ er sich aber doch erbitten, und nun wurde Tafel gehalten; dazu +schlug die Drossel aus den Wacholderbüschen. +</p> + +<p> +So ging der Tag hin.—Reinhard hatte aber doch etwas gefunden; waren es +keine Erdbeeren, so war es doch auch im Walde gewachsen. Als er nach Hause +gekommen war, schrieb er in seinen alten Pergamentband: +</p> + +<p class="poem"> + Hier an der Bergeshalde<br/> + Verstummet ganz der Wind;<br/> + Die Zweige hängen nieder,<br/> + Darunter sitzt das Kind<br/> +<br/> + Sie sitzt im Thymiane,<br/> + Sie sitzt in lauter Duft;<br/> + Die blauen Fliegen summen<br/> + Und blitzen durch die Luft.<br/> +<br/> + Es steht der Wald so schweigend,<br/> + Sie schaut so klug darein;<br/> + Um ihre braunen Locken<br/> + Hinfließt der Sonnenschein.<br/> +<br/> + Der Kuckuck lacht von ferne,<br/> + Es geht mir durch den Sinn:<br/> + Sie hat die goldnen Augen<br/> + Der Waldeskönigin. +</p> + +<p> +So war sie nicht allein sein Schützling, sie war ihm auch der Ausdruck für +alles Liebliche und Wunderbare seines aufgehenden Lebens. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap04"></a>DA STAND DAS KIND AM WEGE</h2> + +<p> +Weihnachtsabend kam heran. Es war noch nachmittags, als Reinhard mit andern +Studenten im Ratskeller [Fußnote: Oder Rathauskeller. In fast jeder großen +Stadt Deutschlands ist der Rathauskeller in ein Speise- und Bierhaus verwandelt +worden.] am alten Eichentisch zusammensaß. Die Lampen an den Wänden waren +angezündet, denn hier unten dämmerte es schon; aber die Gäste waren sparsam +versammelt, die Kellner lehnten müßig an den Mauerpfeilern. In einem Winkel des +Gewölbes saßen ein Geigenspieler und ein Zithermädchen mit feinen +zigeunerhaften Zügen; sie hatten ihre Instrumente auf dem Schoß liegen und +schienen teilnahmslos vor sich hinzusehen. +</p> + +<p> +Am Studententische knallte ein Champagnerpfropfen. »Trinke, mein böhmisch +Liebchen!« rief ein junger Mann von junkerhaftem Äußern, indem er ein volles +Glas zu dem Mädchen hinüberreichte. +</p> + +<p> +»Ich mag nicht,« sagte sie, ohne ihre Stellung zu verändern. +</p> + +<p> +»So singe!« rief der Junker und warf ihr eine Silbermünze in den Schoß. Das +Mädchen strich sich langsam mit den Fingern durch ihr schwarzes Haar, während +der Geigenspieler ihr ins Ohr flüsterte; aber sie warf den Kopf zurück und +stützte das Kinn auf ihre Zither. +</p> + +<p> +»Für den spiel’ ich nicht,« sagte sie. +</p> + +<p> +Reinhard sprang mit dem Glase in der Hand auf und stellte sich vor sie. +</p> + +<p> +»Was willst du?« fragte sie trotzig. +</p> + +<p> +»Deine Augen sehen.« +</p> + +<p> +»Was geh’n dich meine Augen an?« +</p> + +<p> +Reinhard sah funkelnd auf sie nieder. +</p> + +<p> +»Ich weiß wohl, sie sind falsch!« +</p> + +<p> +Sie legte ihre Wange in die flache Hand und sah ihn lauernd an. Reinhard hob +sein Glas an den Mund. +</p> + +<p> +»Auf deine schönen sündhaften Augen!« sagte er und trank. +</p> + +<p> +Sie lachte und warf den Kopf herum. +</p> + +<p> +»Gib!« sagte sie, und indem sie ihre schwarzen Augen in die seinen heftete, +trank sie langsam den Rest. Dann griff sie einen Dreiklang und sang mit tiefer +leidenschaftlicher Stimme: +</p> + +<p class="poem"> + Heute, nur heute<br/> + Bin ich so schön<br/> + Morgen, ach morgen<br/> + Muß alles vergeh’n!<br/> + Nur diese Stunde<br/> + Bist du noch mein;<br/> + Sterben, ach sterben<br/> + Soll ich allein! +</p> + +<p> +Während der Geigenspieler in raschem Tempo das Nachspiel einsetzte, gesellte +sich ein neuer Ankömmling zu der Gruppe. +</p> + +<p> +»Ich wollte dich abholen, Reinhard,« sagte er. »Du warst schon fort; aber das +Christkind war bei dir eingekehrt.« +</p> + +<p> +»Das Christkind?« sagte Reinhard, »das kommt nicht mehr zu mir.« +</p> + +<p> +»Ei was! Dein ganzes Zimmer roch nach Tannenbaum und braunen Kuchen.« +</p> + +<p> +Reinhard setzte das Glas aus seiner Hand und griff nach seiner Mütze. +</p> + +<p> +»Was willst du?« fragte das Mädchen. +</p> + +<p> +»Ich komme schon wieder.« +</p> + +<p> +Sie runzelte die Stirn. »Bleib!« rief sie leise und sah ihn vertraulich an. +</p> + +<p> +Reinhard zögerte. »Ich kann nicht,« sagte er. +</p> + +<p> +Sie stieß ihn lachend mit der Fußspitze. »Geh!« sagte sie, »du taugst nichts; +ihr taugt alle mit einander nichts.« Und während sie sich abwandte, stieg +Reinhard langsam die Kellertreppe hinauf. +</p> + +<p> +Draußen auf der Straße war es tiefe Dämmerung; er fühlte die frische Winterluft +an seiner heißen Stirn. Hier und da fiel der helle Schein eines brennenden +Tannenbaums aus den Fenstern, dann und wann hörte man von drinnen das Geräusch +von kleinen Pfeifen und Blechtrompeten und dazwischen jubelnde Kinderstimmen. +Scharen von Bettelkindern gingen von Haus zu Haus oder stiegen auf die +Treppengeländer und suchten durch die Fenster einen Blick in die versagte +Herrlichkeit zu gewinnen. Mitunter wurde auch eine Tür plötzlich aufgerissen, +und scheltende Stimmen trieben einen ganzen Schwarm solcher kleinen Gäste aus +dem hellen Hause auf die dunkle Gasse hinaus; anderswo wurde auf dem Hausflur +ein altes Weihnachtslied gesungen; es waren klare Mädchenstimmen darunter. +Reinhard hörte sie nicht, er ging rasch an allem vorüber, aus einer Straße in +die andere. Als er an seine Wohnung gekommen, war es fast völlig dunkel +geworden; er stolperte die Treppe hinauf und trat in seine Stube. Ein süßer +Duft schlug ihm entgegen; das heimelte ihn an, das roch wie zu Haus der Mutter +Weihnachtsstube. Mit zitternder Hand zündete er sein Licht an; da lag ein +mächtiges Paket auf dem Tisch, und als er es öffnete, fielen die wohlbekannten +braunen Festkuchen heraus; auf einigen waren die Anfangsbuchstaben seines +Namens in Zucker ausgestreut; das konnte niemand anders als Elisabeth getan +haben. Dann kam ein Päckchen mit feiner gestickter Wäsche zum Vorschein, Tücher +und Manschetten, zuletzt Briefe von der Mutter und Elisabeth. Reinhard öffnete +zuerst den letzteren; Elisabeth schrieb: +</p> + +<p class="p2"> +»Die schönen Zuckerbuchstaben können Dir wohl erzählen, wer bei den Kuchen +mitgeholfen hat; dieselbe Person hat die Manschetten für Dich gestickt. Bei uns +wird es nun am Weihnachtsabend sehr still werden; meine Mutter stellt immer +schon um halb zehn ihr Spinnrad in die Ecke; es ist gar so einsam diesen +Winter, wo Du nicht hier bist. +</p> + +<p> +»Nun ist auch vorigen Sonntag der Hänfling gestorben, den Du mir geschenkt +hattest; ich habe sehr geweint, aber ich hab’ ihn doch immer gut +gewartet. +</p> + +<p> +»Der sang sonst immer nachmittags, wenn die Sonne auf sein Bauer schien; Du +weißt, die Mutter hing so oft ein Tuch über, um ihn zu geschweigen, wenn er so +recht aus Kräften sang. +</p> + +<p> +»Da ist es nun noch stiller in der Kammer, nur daß Dein alter Freund Erich uns +jetzt mitunter besucht. Du sagtest uns einmal, er sähe seinem braunen Überrock +ähnlich. Daran muß ich nun immer denken, wenn er zur Tür hereinkommt, und es +ist gar zu komisch; sag es aber nicht zur Mutter, sie wird dann leicht +verdrießlich. +</p> + +<p> +»Rat, was ich Deiner Mutter zu Weihnachten schenke! Du rätst es nicht? Mich +selber! Der Erich zeichnet mich in schwarzer Kreide; ich habe ihm dreimal +sitzen müssen, jedesmal eine ganze Stunde. +</p> + +<p> +»Es war mir recht zuwider, daß der fremde Mensch mein Gesicht so auswendig +lernte. Ich wollte auch nicht, aber die Mutter redete mir zu; sie sagte, es +würde der guten Frau Werner eine gar große Freude machen. +</p> + +<p> +»Aber Du hältst nicht Wort, Reinhard. Du hast keine Märchen geschickt. Ich habe +Dich oft bei Deiner Mutter verklagt; sie sagt dann immer, Du habest jetzt mehr +zu tun, als solche Kindereien. Ich glaub’ es aber nicht; es ist wohl +anders.« +</p> + +<p class="p2"> +Nun las Reinhard auch den Brief seiner Mutter, und als er beide Briefe gelesen +und langsam wieder zusammengefaltet und weggelegt hatte, überfiel ihn ein +unerbittliches Heimweh. Er ging eine Zeitlang in seinem Zimmer auf und nieder: +er sprach leise und dann halbverständlich zu sich selbst: +</p> + +<p class="poem"> + Er wäre fast verirret<br/> + Und wußte nicht hinaus;<br/> + Da stand das Kind am Wege<br/> + Und winkte ihm nach Haus. +</p> + +<p> +Dann trat er an sein Pult, nahm einiges Geld heraus und ging wieder auf die +Straße hinab. Hier war es mittlerweile stiller geworden; die Weihnachtsbäume +waren ausgebrannt, die Umzüge der Kinder hatten aufgehört. Der Wind fegte durch +die einsamen Straßen; Alte und Junge saßen in ihren Häusern familienweise +zusammen; der zweite Abschnitt des Weihnachtsabends hatte begonnen. +</p> + +<p> +Als Reinhard in die Nähe des Ratskellers kam, hörte er aus der Tiefe herauf +Geigenstrich und den Gesang des Zithermädchens; nun klingelte unten die +Kellertür, und eine dunkle Gestalt schwankte die breite, matt erleuchtete +Treppe herauf. +</p> + +<p> +Reinhard trat in den Häuserschatten und ging dann rasch vorüber. Nach einer +Weile erreichte er den erleuchteten Laden eines Juweliers, und nachdem er hier +ein kleines Kreuz mit roten Korallen eingehandelt hatte, ging er auf demselben +Wege, den er gekommen war, wieder zurück. +</p> + +<p> +Nicht weit von seiner Wohnung bemerkte er ein kleines, in klägliche Lumpen +gehülltes Mädchen an einer hohen Haustür stehen, in vergeblicher Bemühung, sie +zu öffnen. »Soll ich dir helfen?« sagte er. Das Kind erwiderte nichts, ließ +aber die schwere Türklinke fahren. Reinhard hatte schon die Tür geöffnet. +»Nein,« sagte er, »sie könnten dich hinausjagen; komm mit mir! ich will dir +Weihnachtskuchen geben.« Dann machte er die Tür wieder zu und faßte das kleine +Mädchen an der Hand, das stillschweigend mit ihm in seine Wohnung ging. +</p> + +<p> +Er hatte das Licht beim Weggehen brennen lassen. »Hier hast du Kuchen,« sagte +er und gab ihr die Hälfte seines ganzen Schatzes in ihre Schürze, nur keine mit +den Zuckerbuchstaben. »Nun geh nach Haus und gib deiner Mutter auch davon.« Das +Kind sah mit einem scheuen Blick zu ihm hinauf; es schien solcher +Freundlichkeit ungewohnt und nichts darauf erwidern zu können. Reinhard machte +die Tür auf und leuchtete ihr, und nun flog die Kleine wie ein Vogel mit ihrem +Kuchen die Treppe hinab und zum Hause hinaus. +</p> + +<p> +Reinhard schürte das Feuer in seinem Ofen an und stellte das bestaubte +Tintenfaß auf seinen Tisch; dann setzte er sich hin und schrieb und schrieb die +ganze Nacht Briefe an seine Mutter, an Elisabeth. Der Rest der Weihnachtskuchen +lag unberührt neben ihm; aber die Manschetten von Elisabeth hatte er +angeknöpft, was sich gar wunderlich zu seinem weißen Flausrock ausnahm. So saß +er noch, als die Wintersonne auf die gefrorenen Fensterscheiben fiel und ihm +gegenüber im Spiegel ein blasses, ernstes Antlitz zeigte. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap05"></a>DAHEIM</h2> + +<p> +Als es Ostern geworden war, reiste Reinhard in die Heimat. Am Morgen nach +seiner Ankunft ging er zu Elisabeth. +</p> + +<p> +»Wie groß du geworden bist,« sagte er, als das schöne, schmächtige Mädchen ihm +lächelnd entgegenkam. Sie errötete, aber sie erwiderte nichts; ihre Hand, die +er beim Willkommen in die seine genommen, suchte sie ihm sanft zu entziehen. Er +sah sie zweifelnd an, das hatte sie früher nicht getan; nun war es, als trete +etwas Fremdes zwischen sie. +</p> + +<p> +Das blieb auch, als er schon länger dagewesen, und als er Tag für Tag immer +wiedergekommen war. Wenn sie allein zusammensaßen, entstanden Pausen, die ihm +peinlich waren, und denen er dann ängstlich zuvorzukommen suchte. Um während +der Ferienzeit eine bestimmte Unterhaltung zu haben, fing er an, Elisabeth in +der Botanik zu unterrichten, womit er sich in den ersten Monaten seines +Universitätslebens angelegentlich beschäftigt hatte. +</p> + +<p> +Elisabeth, die ihm in allem zu folgen gewohnt und überdies lehrhaft war, ging +bereitwillig darauf ein. Nun wurden mehrere Male in der Woche Exkursionen ins +Feld oder in die Heide gemacht, und hatten sie dann mittags die grüne +Botanisierkapsel voll Kraut und Blumen nach Hause gebracht, so kam Reinhard +einige Stunden später wieder, um mit Elisabeth den gemeinschaftlichen Fund zu +teilen. +</p> + +<p> +In solcher Absicht trat er eines Nachmittags ins Zimmer, als Elisabeth am +Fenster stand und ein vergoldetes Vogelbauer, das er sonst dort nicht gesehen, +mit frischem Hühnerschwarm besteckte. Im Bauer saß ein Kanarienvogel, der mit +den Flügeln schlug und kreischend nach Elisabeths Finger pickte. Sonst hatte +Reinhards Vogel an dieser Stelle gehangen. +</p> + +<p> +»Hat mein armer Hänfling sich nach seinem Tode in einen Goldfinken verwandelt?« +fragte er heiter. +</p> + +<p> +»Das pflegen die Hänflinge nicht,« sagte die Mutter, welche spinnend im +Lehnstuhl saß. »Ihr Freund Erich hat ihn heut’ Mittag für Elisabeth von +seinem Hofe hereingeschickt.« +</p> + +<p> +»Von welchem Hofe?« +</p> + +<p> +»Das wissen Sie nicht?« +</p> + +<p> +»Was denn?« +</p> + +<p> +»Daß Erich seit einem Monat den zweiten Hof seines Vaters am Immensee [Fußnote: +Der See der Immen, d. h. der Bienen.] angetreten hat?« +</p> + +<p> +»Aber Sie haben mir kein Wort davon gesagt.« +</p> + +<p> +»Ei,« sagte die Mutter, »Sie haben sich auch noch mit keinem Worte nach Ihrem +Freunde erkundigt. Er ist ein gar lieber, verständiger junger Mann.« +</p> + +<p> +Die Mutter ging hinaus, um den Kaffee zu besorgen; Elisabeth hatte Reinhard den +Rücken zugewandt und war noch mit dem Bau ihrer kleinen Laube beschäftigt. +</p> + +<p> +»Bitte, nur ein kleines Weilchen,« sagte sie; »gleich bin ich fertig.« +</p> + +<p> +Da Reinhard wider seine Gewohnheit nicht antwortete, so wandte sie sich um. In +seinen Augen lag ein plötzlicher Ausdruck von Kummer, den sie nie darin gewahrt +hatte. +</p> + +<p> +»Was fehlt dir, Reinhard?« fragte sie, indem sie nahe zu ihm trat. +</p> + +<p> +»Mir?« sagte er gedankenlos und ließ seine Augen träumerisch in den ihren +ruhen. +</p> + +<p> +»Du siehst so traurig aus.« +</p> + +<p> +»Elisabeth,« sagte er, »ich kann den gelben Vogel nicht leiden.« +</p> + +<p> +Sie sah ihn staunend an, sie verstand ihn nicht. »Du bist so sonderbar,« sagte +sie. +</p> + +<p> +Er nahm ihre beiden Hände, die sie ruhig in den seinen ließ. Bald trat die +Mutter wieder herein. Nach dem Kaffee setzte diese sich an ihr Spinnrad; +Reinhard und Elisabeth gingen ins Nebenzimmer, um ihre Pflanzen zu ordnen. +</p> + +<p> +Nun wurden Staubfäden gezählt, Blätter und Blüten sorgfältig ausgebreitet und +von jeder Art zwei Exemplare zum Trocknen zwischen die Blätter eines großen +Folianten gelegt. +</p> + +<p> +Es war sonnige Nachmittagsstille; nur nebenan schnurrte der Mutter Spinnrad, +und von Zeit zu Zeit wurde Reinhards gedämpfte Stimme gehört, wenn er die +Ordnungen der Klassen der Pflanzen nannte oder Elisabeths ungeschickte +Aussprache der lateinischen Namen korrigierte. +</p> + +<p> +»Mir fehlt noch von neulich die Maiblume,« sagte sie jetzt, als der ganze Fund +bestimmt und geordnet war. +</p> + +<p> +Reinhard zog einen kleinen weißen Pergamentband aus der Tasche. »Hier ist ein +Maiblumenstengel für dich,« sagte er, indem er die halbgetrocknete Pflanze +herausnahm. +</p> + +<p> +Als Elisabeth die beschriebenen Blätter sah, fragte sie: »Hast du wieder +Märchen gedichtet?« +</p> + +<p> +»Es sind keine Märchen,« antwortete er und reichte ihr das Buch. +</p> + +<p> +Es waren lauter Verse, die meisten füllten höchstens eine Seite. Elisabeth +wandte ein Blatt nach dem andern um; sie schien nur die Überschriften zu lesen. +»Als sie vom Schulmeister gescholten war.« »Als sie sich im Walde verirrt +hatten.« »Mit dem Ostermärchen.« »Als sie mir zum erstenmal geschrieben hatte;« +in der Weise lauteten fast alle. +</p> + +<p> +Reinhard blickte forschend zu ihr hin, und indem sie immer weiter blätterte, +sah er, wie zuletzt auf ihrem klaren Antlitz ein zartes Rot hervorbrach und es +allmählich ganz überzog. Er wollte ihre Augen sehen, aber Elisabeth sah nicht +auf und legte das Buch am Ende schweigend vor ihn hin. +</p> + +<p> +»Gib mir es nicht so zurück!« sagte er. +</p> + +<p> +Sie nahm ein braunes Reis aus der Blechkapsel. »Ich will dein Lieblingskraut +hineinlegen,« sagte sie und gab ihm das Buch in seine Hände. +</p> + +<p> +Endlich kam der letzte Tag der Ferienzeit und der Morgen der Abreise. Auf ihre +Bitte erhielt Elisabeth von der Mutter die Erlaubnis, ihren Freund an den +Postwagen zu begleiten, der einige Straßen von ihrer Wohnung seine Station +hatte. +</p> + +<p> +Als sie vor die Haustür traten, gab Reinhard ihr den Arm; so ging er schweigend +neben dem schlanken Mädchen her. Je näher sie ihrem Ziele kamen, desto mehr war +es ihm, er habe ihr, ehe er auf so lange Abschied nehme, etwas Notwendiges +mitzuteilen, etwas, wovon aller Wert und alle Lieblichkeit seines künftigen +Lebens abhänge, und doch konnte er sich des erlösenden Wortes nicht bewußt +werden. Das ängstigte ihn; er ging immer langsamer. +</p> + +<p> +»Du kommst zu spät,« sagte sie, »es hat schon zehn geschlagen auf St. Marien.« +</p> + +<p> +Er ging aber darum nicht schneller. Endlich sagte er stammelnd: +</p> + +<p> +»Elisabeth, du wirst mich nun in zwei Jahren gar nicht sehen—wirst du +mich wohl noch eben so lieb haben wie jetzt, wenn ich wieder da bin?« +</p> + +<p> +Sie nickte und sah ihm freundlich ins Gesicht. +</p> + +<p> +»Ich habe dich auch verteidigt;« sagte sie nach einer Pause. +</p> + +<p> +»Mich? Gegen wen hattest du es nötig?« +</p> + +<p> +»Gegen meine Mutter. Wir sprachen gestern abend, als du weggegangen warst, noch +lange über dich. Sie meinte, du seiest nicht mehr so gut, wie du gewesen.« +</p> + +<p> +Reinhard schwieg einen Augenblick; dann aber nahm er ihre Hand in die seine, +und indem er ihr ernst in ihre Kinderaugen blickte, sagte er: +</p> + +<p> +»Ich bin noch eben so gut, wie ich gewesen bin; glaube du das nur fest! Glaubst +du es, Elisabeth?« +</p> + +<p> +»Ja,« sagte sie. +</p> + +<p> +Er ließ ihre Hand los und ging rasch mit ihr durch die letzte Straße. Je näher +ihm der Abschied kam, desto freudiger war sein Gesicht; er ging ihr fast zu +schnell. +</p> + +<p> +»Was hast du, Reinhard?« fragte sie. +</p> + +<p> +»Ich habe ein Geheimnis, ein schönes!« sagte er und sah sie mit leuchtenden +Augen an. »Wenn ich nach zwei Jahren wieder da bin, dann sollst du es +erfahren.« +</p> + +<p> +Mittlerweile hatten sie den Postwagen erreicht; es war noch eben Zeit genug. +Noch einmal nahm Reinhard ihre Hand. »Leb wohl!« sagte er, »leb wohl, +Elisabeth! Vergiß es nicht!« +</p> + +<p> +Sie schüttelte mit dem Kopf. »Leb wohl!« sagte sie. Reinhard stieg hinein, und +die Pferde zogen an. Als der Wagen um die Straßenecke rollte, sah er noch +einmal ihre liebe Gestalt, wie sie langsam den Weg zurückging. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap06"></a>EIN BRIEF</h2> + +<p> +Fast zwei Jahre nachher saß Reinhard vor seiner Lampe zwischen Büchern und +Papieren in Erwartung eines Freundes, mit welchem er gemeinschaftliche Studien +übte. Man kam die Treppe herauf. »Herein!« Es war die Wirtin. »Ein Brief für +Sie, Herr Werner!« Dann entfernte sie sich wieder. +</p> + +<p> +Reinhard hatte seit seinem Besuch in der Heimat nicht an Elisabeth geschrieben +und von ihr keinen Brief mehr erhalten. Auch dieser war nicht von ihr; es war +die Hand seiner Mutter. +</p> + +<p> +Reinhard brach und las, und bald las er folgendes: +</p> + +<p class="p2"> +»In Deinem Alter, mein liebes Kind, hat noch fast jedes Jahr sein eigenes +Gesicht: denn die Jugend läßt sich nicht ärmer machen. Hier ist auch manches +anders geworden, was Dir wohl erstan weh tun wird, wenn ich Dich sonst recht +verstanden habe. Erich hat sich gestern endlich das Jawort von Elisabeth +geholt, nachdem er in dem letzten Vierteljahr zweimal vergebens angefragt +hatte. Sie hatte sich immer nicht dazu entschließen können; nun hat sie es +endlich doch getan; sie ist auch noch gar zu jung. Die Hochzeit wird bald sein, +und die Mutter wird dann mit ihnen fortgehen.« +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap07"></a>IMMENSEE</h2> + +<p> +Wiederum waren Jahre vorüber.—Auf einem abwärts führenden schattigen +Waldwege wanderte an einem warmen Frühlingsnachmittage ein junger Mann mit +kräftigem, gebräuntem Antlitz. +</p> + +<p> +Mit seinen ernsten dunkeln Augen sah er gespannt in die Ferne, als erwarte er +endlich eine Veränderung des einförmigen Weges, die jedoch immer nicht +eintreten wollte. Endlich kam ein Karrenfuhrwerk langsam von unten herauf. +</p> + +<p> +»Hollah! guter Freund!« rief der Wanderer dem nebengehenden Bauer zu, +»geht’s hier recht nach Immensee?« +</p> + +<p> +»Immer gerad’ aus,« antwortete der Mann, und rückte an seinem Rundhute. +</p> + +<p> +»Hat’s denn noch weit dahin?« +</p> + +<p> +»Der Herr ist dicht davor. Keine halbe Pfeif’ Tabak, so haben’s den +See; das Herrenhaus liegt hart daran.« +</p> + +<p> +Der Bauer fuhr vorüber; der andere ging eiliger unter den Bäumen entlang. Nach +einer Viertelstunde hörte ihm zur Linken plötzlich der Schatten auf; der Weg +führte an einen Abhang, aus dem die Gipfel hundertjähriger Eichen nur kaum +hervorragten. Über sie hinweg öffnete sich eine weite, sonnige Landschaft. Tief +unten lag der See, ruhig, dunkelblau, fast ringsum von grünen, +sonnenbeschienenen Wäldern umgeben; nur an einer Stelle traten sie auseinander +und gewährten eine tiefe Fernsicht, bis auch diese durch blaue Berge +geschlossen wurde. Quer gegenüber, mitten in dem grünen Laub der Wälder, lag es +wie Schnee darüber her; das waren blühende Obstbäume, und daraus hervor auf dem +hohen Ufer erhob sich das Herrenhaus, weiß mit roten Ziegeln. Ein Storch flog +vom Schornstein auf und kreiste langsam über dem Wasser. +</p> + +<p> +»Immensee!« rief der Wanderer. +</p> + +<p> +Es war fast, als hätte er jetzt das Ziel seiner Reise erreicht, denn er stand +unbeweglich und sah über die Gipfel der Bäume zu seinen Füßen hinüber ans +andere Ufer, wo das Spiegelbild des Herrenhauses leise schaukelnd auf dem +Wasser schwamm. Dann setzte er plötzlich seinen Weg fort. +</p> + +<p> +Es ging jetzt fast steil den Berg hinab, so daß die unten stehenden Bäume +wieder Schatten gewährten, zugleich aber die Aussicht auf den See verdeckten, +der nur zuweilen zwischen den Lücken der Zweige hindurchblitzte. +Bald ging es wieder sanft empor, und nun verschwand rechts und links die +Holzung; statt dessen streckten sich dichtbelaubte Weinhügel am Wege entlang; +zu beiden Seiten desselben standen blühende Obstbäume voll summender wühlender +Bienen. Ein stattlicher Mann in braunem Überrock kam dem Wanderer entgegen. Als +er ihn fast erreicht hatte, schwenkte er seine Mütze und rief mit heller +Stimme: +</p> + +<p> +»Willkommen, willkommen, Bruder Reinhard! Willkommen auf Gut Immensee!« +</p> + +<p> +»Gott grüß’ dich, [Fußnote: Dieser Gruß wird besonders in Suddeutschland +gebraucht.] Erich, und Dank für dein Willkommen!« rief ihm der andere entgegen. +</p> + +<p> +Dann waren sie zu einander gekommen und reichten sich die Hände. +</p> + +<p> +»Bist du es denn aber auch?« sagte Erich, als er so nahe in das ernste Gesicht +seines alten Schulkameraden sah. +</p> + +<p> +»Freilich bin ich’s, Erich, und du bist es auch; nur siehst du fast noch +heiterer aus, als du schon sonst immer getan hast.« +</p> + +<p> +Ein frohes Lächeln machte Erichs einfache Züge bei diesen Worten noch um vieles +heiterer. +</p> + +<p> +»Ja, Bruder Reinhard,« sagte er, diesem noch einmal seine Hand reichend, »ich +habe aber auch seitdem das große Los gezogen; du weißt es ja.« +</p> + +<p> +Dann rieb er sich die Hände und rief vergnügt: »Das wird eine Überraschung! Den +erwartet sie nicht, in alle Ewigkeit nicht!« +</p> + +<p> +»Eine Überraschung?« fragte Reinhard. »Für wen denn?« +</p> + +<p> +»Für Elisabeth.« +</p> + +<p> +»Elisabeth! Du hast ihr nicht von meinem Besuch gesagt?« +</p> + +<p> +»Kein Wort, Bruder Reinhard; sie denkt nicht an dich, die Mutter auch nicht. +Ich hab’ dich ganz im geheimen verschrieben, damit die Freude desto +größer sei. Du weißt, ich hatte immer so meine stillen Plänchen.« +</p> + +<p> +Reinhard wurde nachdenklich; der Atem schien ihm schwer zu werden, je näher sie +dem Hofe kamen. +</p> + +<p> +An der linken Seite des Weges hörten nun auch die Weingärten auf und machten +einem weitläufigen Küchengarten Platz, der sich bis fast an das Ufer des Sees +hinabzog. Der Storch hatte sich mittlerweile niedergelassen und spazierte +gravitätisch zwischen den Gemüsebeeten umher. +</p> + +<p> +»Hollah!« rief Erich, in die Hände klatschend, »stiehlt mir der hochbeinige +Ägypter schon wieder meine kurzen Erbsenstangen!« +</p> + +<p> +Der Vogel erhob sich langsam und flog auf das Dach eines neuen Gebäudes, das am +Ende des Küchengartens lag und dessen Mauern mit aufgebundenen Pfirsich- und +Aprikosenbäumen überzweigt waren. +</p> + +<p> +»Das ist die Spritfabrik,« sagte Erich; »ich habe sie erst vor zwei Jahren +angelegt. Die Wirtschaftsgebäude hat mein seliger Vater neu aussetzen lassen; +das Wohnhaus ist schon von meinem Großvater gebaut worden. So kommt man immer +ein bißchen weiter.« +</p> + +<p> +Sie waren bei diesen Worten auf einen geräumigen Platz gekommen, der an den +Seiten durch die ländlichen Wirtschaftsgebäude, im Hintergrunde durch das +Herrenhaus begrenzt wurde, an dessen beide Flügel sich eine hohe Gartenmauer +anschloß; hinter dieser sah man die Züge dunkler Taxuswände und hin und wieder +ließen Syringenbäume ihre blühenden Zweige in den Hofraum hinunterhängen. +Männer mit sonnen- und arbeitsheißen Gesichtern gingen über den Platz und +grüßten die Freunde, während Erich dem einen oder dem andern einen Auftrag oder +eine Frage über ihr Tagewerk entgegenrief. +</p> + +<p> +Dann hatten sie das Haus erreicht. Ein hoher, kühler Hausflur nahm sie auf, an +dessen Ende sie links in einen etwas dunkleren Seitengang einbogen. +</p> + +<p> +Hier öffnete Erich eine Tür, und sie traten in einen geräumigen Gartensaal, der +durch das Laubgedränge, welches die gegenüberliegenden Fenster bedeckte, zu +beiden Seiten mit grüner Dämmerung erfüllt war; zwischen diesen aber ließen +zwei hohe, weit geöffnete Flügeltüren den vollen Glanz der Frühlingssonne +hereinfallen und gewährten die Aussicht in einen Garten mit gezirkelten +Blumenbeeten und hohen steilen Laubwänden, geteilt durch einen geraden, breiten +Gang, durch welchen man auf den See und weiter auf die gegenüberliegenden +Wälder hinaussah. Als die Freunde hineintraten, trug die Zugluft ihnen einen +Strom von Duft entgegen. +</p> + +<p> +Auf einer Terrasse vor der Gartentür saß eine weiße, mädchenhafte +Frauengestalt. Sie stand auf und ging den Eintretenden entgegen; auf halbem +Wege blieb sie wie angewurzelt stehen und starrte den Fremden unbeweglich an. +Er streckte ihr lächelnd die Hand entgegen. +</p> + +<p> +»Reinhard!« rief sie, »Reinhard! Mein Gott, du bist es!—Wir haben uns +lange nicht gesehen.« +</p> + +<p> +»Lange nicht,« sagte er und konnte nichts weiter sagen; denn als er ihre Stimme +hörte, fühlte er einen feinen körperlichen Schmerz am Herzen, und wie er zu ihr +aufblickte, stand sie vor ihm, dieselbe leichte zärtliche Gestalt, der er vor +Jahren in seiner Vaterstadt Lebewohl gesagt hatte. +</p> + +<p> +Erich war mit freudestrahlendem Antlitz an der Tür zurückgeblieben. +</p> + +<p> +»Nun, Elisabeth?« sagte er; »gelt! den hättest du nicht erwartet, den in alle +Ewigkeit nicht!« +</p> + +<p> +Elisabeth sah ihn mit schwesterlichen Augen an. +</p> + +<p> +»Du bist so gut, Erich!« sagte sie. +</p> + +<p> +Er nahm ihre schmale Hand liebkosend in die seinen. »Und nun wir ihn haben,« +sagte er, »nun lassen wir ihn so bald nicht wieder los. Er ist so lange draußen +gewesen; wir wollen ihn wieder heimisch machen. Schau nur, wie fremd und +vornehm aussehend er worden ist!« +</p> + +<p> +Ein scheuer Blick Elisabeths streifte Reinhards Antlitz. »Es ist nur die Zeit, +die wir nicht beisammen waren,« sagte er. +</p> + +<p> +In diesem Augenblick kam die Mutter, mit einem Schlüsselkörbchen am Arm, zur +Tür herein. +</p> + +<p> +»Herr Werner!« sagte sie, als sie Reinhard erblickte; »ei, ein eben so lieber +als unerwarteter Gast.« +</p> + +<p> +Und nun ging die Unterhaltung in Fragen und Antworten ihren ebenen Tritt. Die +Frauen setzten sich zu ihrer Arbeit, und während Reinhard die für ihn +bereiteten Erfrischungen genoß, hatte Erich seinen soliden Meerschaumkopf +angebrannt und saß dampfend und diskutierend an seiner Seite. +</p> + +<p> +Am andern Tage mußte Reinhard mit ihm hinaus auf die Äcker, in die Weinberge, +in den Hopfengarten, in die Spritfabrik. Es war alles wohl bestellt; die Leute, +welche auf dem Felde und bei den Kesseln arbeiteten, hatten alle ein gesundes +und zufriedenes Aussehen. +</p> + +<p> +Zu Mittag kam die Familie im Gartensaal zusammen, und der Tag wurde dann, je +nach der Muße der Wirte, mehr oder minder gemeinschaftlich verlebt. Nur die +Stunden vor dem Abendessen, wie die ersten des Vormittags, blieb Reinhard +arbeitend auf seinem Zimmer. +</p> + +<p> +Er hatte seit Jahren, wo er deren habhaft werden konnte, die im Volke lebenden +Reime und Lieder gesammelt und ging nun daran, seinen Schatz zu ordnen und wo +möglich mit neuen Aufzeichnungen aus der Umgegend zu vermehren. +</p> + +<p> +Elisabeth war zu allen Zeiten sanft und freundlich; Erichs immer +gleichbleibende Aufmerksamkeit nahm sie mit einer fast demütigen Dankbarkeit +auf, und Reinhard dachte mitunter, das heitere Kind von ehedem habe wohl eine +weniger stille Frau versprochen. +</p> + +<p> +Seit dem zweiten Tage seines Hierseins pflegte er abends einen Spaziergang an +den Ufern des Sees zu machen. Der Weg führte hart unter dem Garten vorbei. Am +Ende desselben, auf einer vorspringenden Bastei, stand eine Bank unter hohen +Birken; die Mutter hatte sie die Abendbank getauft, weil der Platz gegen Abend +lag und des Sonnenuntergangs halber um diese Zeit am meisten benutzt wurde. +</p> + +<p> +Von einem Spaziergange auf diesem Wege kehrte Reinhard eines Abends zurück, als +er vom Regen überrascht wurde. Er suchte Schutz unter einer am Wasser stehenden +Linde, aber die schweren Tropfen schlugen bald durch die Blätter. Durchnäßt, +wie er war, ergab er sich darein und setzte langsam seinen Rückweg fort. +</p> + +<p> +Es war fast dunkel; der Regen fiel immer dichter. Als er sich der Abendbank +näherte, glaubte er zwischen den schimmernden Birkenstämmen eine weiße +Frauengestalt zu unterscheiden. Sie stand unbeweglich und, wie er beim +Näherkommen zu erkennen meinte, zu ihm hingewandt, als wenn sie jemanden +erwarte. +</p> + +<p> +Er glaubte, es sei Elisabeth. Als er aber rascher zuschritt, um sie zu +erreichen und dann mit ihr zusammen durch den Garten ins Haus zurückzukehren, +wandte sie sich langsam ab und verschwand in den dunkeln Seitengängen. +</p> + +<p> +Er konnte das nicht reimen; er war aber fast zornig auf Elisabeth, und dennoch +zweifelte er, ob sie es gewesen sei; aber er scheute sich, sie darnach zu +fragen; ja, er ging bei seiner Rückkehr nicht in den Gartensaal, nur um +Elisabeth nicht etwa durch die Gartentür hereintreten zu sehen. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap08"></a>MEINE MUTTER HAT’S GEWOLLT</h2> + +<p> +Einige Tage nachher, es ging schon gegen Abend, saß die Familie, wie gewöhnlich +um diese Zeit, im Gartensaal zusammen. Die Türen standen offen; die Sonne war +schon hinter den Wäldern jenseits des Sees. +</p> + +<p> +Reinhard wurde um die Mitteilung einiger Volkslieder gebeten, welche er am +Nachmittage von einem auf dem Lande wohnenden Freunde geschickt bekommen hatte. +Er ging auf sein Zimmer und kam gleich darauf mit einer Papierrolle zurück, +welche aus einzelnen sauber geschriebenen Blättern zu bestehen schien. +</p> + +<p> +Man setzte sich an den Tisch, Elisabeth an Reinhards Seite. »Wir lesen auf gut +Glück,« sagte er, »ich habe sie selber noch nicht durchgesehen.« +</p> + +<p> +Elisabeth rollte das Manuskript auf. »Hier sind Noten,« sagte sie, »das mußt du +singen, Reinhard.« +</p> + +<p> +Und dieser las nun zuerst einige tiroler Schnaderhüpfel, [Fußnote: Dialektisch +für »Schnitterhüpfen,« d. h. Schnitter-Tänze oder Lieder, die besonders in +Tirol und in Bayern gesungen werden.] indem er beim Lesen zuweilen die lustige +Melodie mit halber Stimme anklingen ließ. Eine allgemeine Heiterkeit +bemächtigte sich der kleinen Gesellschaft. »Wer hat doch aber die schönen +Lieder gemacht?« fragte Elisabeth. +</p> + +<p> +»Ei,« sagte Erich, »das hört man den Dingern schon an, Schneidergesellen und +Friseure und derlei lustiges Gesindel.« +</p> + +<p> +Reinhard sagte: »Sie werden gar nicht gemacht; sie wachsen; sie fallen aus der +Luft, sie fliegen über Land wie Mariengarn, [Fußnote: Der Volksglaube hat +dieses feine Gewebe von Feldspinnen immer in Verbindung mit den Göttern +gebracht. Nach Einführung des Christentums wurde es auf die Jungfrau Maria +bezogen: aus dem feinsten Faden soll das Leichenkleid gewoben worden sein, +worin Maria nach ihrem Tod eingehüllt wurde. Während ihrer Himmelfahrt wäre das +Gewebe wieder von ihr losgebrochen.] hierhin und dorthin und werden an tausend +Stellen zugleich gesungen. Unser eigenstes Tun und Leiden finden wir in diesen +Liedern; es ist, als ob wir alle an ihnen mitgeholfen hätten.« +</p> + +<p> +Er nahm ein anderes Blatt: »Ich stand auf hohen Bergen…« [Fußnote: Ein altes +Volkslied von einem schönen aber armen Mädchen, das den jungen Grafen nicht +heiraten konnte, und sich in ein Kloster zurückzog.] +</p> + +<p> +»Das kenne ich!« rief Elisabeth. »Stimme nur an, Reinhard; ich will dir +helfen.« +</p> + +<p> +Und nun sangen sie jene Melodie, die so rätselhaft ist, daß man nicht glauben +kann, sie sei von Menschen erdacht worden; Elisabeth mit ihrer etwas verdeckten +Altstimme dem Tenor sekundierend. +</p> + +<p> +Die Mutter saß inzwischen emsig an ihrer Näherei; Erich hatte die Hände in +einander gelegt und hörte andächtig zu. Als das Lied zu Ende war, legte +Reinhard das Blatt schweigend bei Seite. Vom Ufer des Sees herauf kam durch die +Abendstille das Geläute der Herdenglocken; sie horchten unwillkürlich; da +hörten sie eine klare Knabenstimme singen: +</p> + +<p class="poem"> + Ich stand auf hohen Bergen<br/> + Und sah ins tiefe Tal . . . +</p> + +<p> +Reinhard lächelte: »Hört ihr es wohl? So geht’s von Mund zu Mund.« +</p> + +<p> +»Es wird oft in dieser Gegend gesungen,« sagte Elisabeth. +</p> + +<p> +»Ja,« sagte Erich, »es ist der Hirtenkasper; er treibt die Starken [Fußnote: +Süddialektisch für »die Färsen.«] heim.« +</p> + +<p> +Sie horchten noch eine Weile, bis das Geläute hinter den Wirtschaftsgebäuden +verschwunden war. »Das sind Urtöne,« sagte Reinhard; »sie schlafen in +Waldesgründen; Gott weiß, wer sie gefunden hat.« +</p> + +<p> +Er zog ein neues Blatt heraus. +</p> + +<p> +Es war schon dunkler geworden; ein roter Abendschein lag wie Schaum auf den +Wäldern jenseits des Sees. Reinhard rollte das Blatt auf, Elisabeth legte an +der einen Seite ihre Hand darauf und sah mit hinein. Dann las Reinhard: +</p> + +<p class="poem"> + Meine Mutter hat’s gewollt,<br/> + Den andern ich nehmen sollt’:<br/> + Was ich zuvor besessen,<br/> + Mein Herz sollt’ es vergessen;<br/> + Das hat es nicht gewollt.<br/> +<br/> + Meine Mutter klag’ ich an,<br/> + Sie hat nicht wohl getan;<br/> + Was sonst in Ehren stünde,<br/> + Nun ist es worden Sünde.<br/> + Was fang’ ich an!<br/> +<br/> + Für all’ mein’ Stolz und Freud’<br/> + Gewonnen hab’ ich Leid.<br/> + Ach, wär’ das nicht geschehen,<br/> + Ach, könnt’ ich betteln gehen<br/> + Über die braune Heid’! +</p> + +<p> +Während des Lesens hatte Reinhard ein unmerkliches Zittern des Papiers +empfunden; als er zu Ende war, schob Elisabeth leise ihren Stuhl zurück und +ging schweigend in den Garten hinab. Ein Blick der Mutter folgte ihr. Erich +wollte nachgehen; doch die Mutter sagte: »Elisabeth hat draußen zu tun.« So +unterblieb es. +</p> + +<p> +Draußen aber legte sich der Abend mehr und mehr über Garten und See; die +Nachtschmetterlinge schossen surrend an den offenen Türen vorüber, durch welche +der Duft der Blumen und Gesträuche immer stärker hereindrang; vom Wasser herauf +kam das Geschrei der Frösche, unter den Fenstern schlug eine Nachtigall, tiefer +im Garten eine andere; der Mond sah über die Bäume. +</p> + +<p> +Reinhard blickte noch eine Weile auf die Stelle, wo Elisabeths feine Gestalt +zwischen den Laubgängen verschwunden war; dann rollte er sein Manuskript +zusammen, grüßte die Anwesenden und ging durchs Haus an das Wasser hinab. +</p> + +<p> +Die Wälder standen schweigend und warfen ihr Dunkel weit auf den See hinaus, +während die Mitte desselben in schwüler Mondesdämmerung lag. Mitunter schauerte +ein leises Säuseln durch die Bäume; aber es war kein Wind, es war nur das Atmen +der Sommernacht. +</p> + +<p> +Reinhard ging immer am Ufer entlang. Einen Steinwurf vom Lande konnte er eine +weiße Wasserlilie erkennen. Auf einmal wandelte ihn die Lust an, sie in der +Nähe zu sehen; er warf seine Kleider ab und stieg ins Wasser. Es war flach; +scharfe Pflanzen und Steine schnitten ihn an den Füßen, und er kam immer nicht +in die zum Schwimmen nötige Tiefe. +</p> + +<p> +Dann war es plötzlich unter ihm weg, die Wasser quirlten über ihm zusammen, und +es dauerte eine Zeitlang, ehe er wieder auf die Oberfläche kam. Nun regte er +Hand und Fuß und schwamm im Kreise umher, bis er sich bewußt geworden, von wo +er hineingegangen war. Bald sah er auch die Lilie wieder; sie lag einsam +zwischen den großen blanken Blättern. +</p> + +<p> +Er schwamm langsam hinaus und hob mitunter die Arme aus dem Wasser, daß die +herabrieselnden Tropfen im Mondlichte blitzten; aber es war, als ob die +Entfernung zwischen ihm und der Blume dieselbe bliebe; nur das Ufer lag, wenn +er sich umblickte, in immer ungewisserem Dufte hinter ihm. Er gab indes sein +Unternehmen nicht auf, sondern schwamm rüstig in derselben Richtung fort. +</p> + +<p> +Endlich war er der Blume so nahe gekommen, daß er die silbernen Blätter +deutlich im Mondlicht unterscheiden konnte; zugleich aber fühlte er sich in +einem Netze verstrickt, die glatten Stengel langten vom Grunde herauf und +rankten sich an seine nackten Glieder. +</p> + +<p> +Das unbekannte Wasser lag so schwarz um ihn her, hinter sich hörte er das +Springen eines Fisches; es wurde ihm plötzlich so unheimlich in dem fremden +Elemente, daß er mit Gewalt das Gestrick der Pflanzen zerriß und in atemloser +Hast dem Lande zuschwamm. Als er von hier auf den See zurückblickte, lag die +Lilie wie zuvor fern und einsam über der dunklen Tiefe. +</p> + +<p> +Er kleidete sich an und ging langsam nach Hause zurück. Als er aus dem Garten +in den Saal trat, fand er Erich und die Mutter in den Vorbereitungen einer +kleinen Geschäftsreise, welche am andern Tage vor sich gehen sollte. +</p> + +<p> +»Wo sind Sie denn so spät in der Nacht gewesen?« rief ihm die Mutter entgegen. +</p> + +<p> +»Ich?« erwiderte er; »ich wollte die Wasserlilie besuchen; es ist aber nichts +daraus geworden.« +</p> + +<p> +»Das versteht wieder einmal kein Mensch!« sagte Erich. »Was Tausend hattest du +denn mit der Wasserlilie zu tun?« +</p> + +<p> +»Ich habe sie früher einmal gekannt,« sagte Reinhard; »es ist aber schon lange +her.« +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap09"></a>ELISABETH</h2> + +<p> +Am folgenden Nachmittag wanderten Reinhard und Elisabeth jenseits des Sees bald +durch die Holzung, bald auf dem vorspringenden Uferrande. Elisabeth hatte von +Erich den Auftrag erhalten, während seiner und der Mutter Abwesenheit Reinhard +mit den schönsten Aussichten der nächsten Umgegend, namentlich von der andern +Uferseite auf den Hof selber, bekannt zu machen. Nun gingen sie von einem Punkt +zum andern. +</p> + +<p> +Endlich wurde Elisabeth müde und setzte sich in den Schatten überhängender +Zweige; Reinhard stand ihr gegenüber, an einen Baumstamm gelehnt; da hörte er +tiefer im Walde den Kuckuck rufen, und es kam ihm plötzlich, dies alles sei +schon einmal eben so gewesen. Er sah sie seltsam lächelnd an. +</p> + +<p> +»Wollen wir Erdbeeren suchen?« fragte er. +</p> + +<p> +»Es ist keine Erdbeerenzeit,« sagte sie. +</p> + +<p> +»Sie wird aber bald kommen.« +</p> + +<p> +Elisabeth schüttelte schweigend den Kopf; dann stand sie auf, und beide setzten +ihre Wanderung fort; und wie sie so an seiner Seite ging, wandte sein Blick +sich immer wieder nach ihr hin; denn sie ging schön, als wenn sie von ihren +Kleidern getragen würde. Er blieb oft unwillkürlich einen Schritt zurück, um +sie ganz und voll ins Auge fassen zu können. +</p> + +<p> +So kamen sie an einen freien, heidebewachsenen Platz mit einer weit ins Land +reichenden Aussicht. Reinhard bückte sich und pflückte etwas von den am Boden +wachsenden Kräutern. Als er wieder aufsah, trug sein Gesicht den Ausdruck +leidenschaftlichen Schmerzes. +</p> + +<p> +»Kennst du diese Blume?« fragte er. +</p> + +<p> +Sie sah ihn fragend an. »Es ist eine Erika. Ich habe sie oft im Walde +gepflückt.« +</p> + +<p> +»Ich habe zu Hause ein altes Buch,« sagte er; »ich pflegte sonst allerlei +Lieder und Reime hineinzuschreiben; es ist aber lange nicht mehr geschehen. +Zwischen den Blättern liegt auch eine Erika; aber es ist nur eine verwelkte. +Weißt du, wer sie mir gegeben hat?« +</p> + +<p> +Sie nickte stumm; aber sie schlug die Augen nieder und sah nur auf das Kraut, +das er in der Hand hielt. So standen sie lange. Als sie die Augen gegen ihn +aufschlug, sah er, daß sie voll Tränen waren. +</p> + +<p> +»Elisabeth,« sagte er,—»hinter jenen blauen Bergen liegt unsere Jugend. +Wo ist sie geblieben?« +</p> + +<p> +Sie sprachen nichts mehr; sie gingen stumm neben einander zum See hinab. Die +Luft war schwül, im Westen stieg schwarzes Gewölk auf. Es wird gewittern,« +sagte Elisabeth, indem sie ihren Schritt beeilte; Reinhard nickte schweigend, +und beide gingen rasch am Ufer entlang, bis sie ihren Kahn erreicht hatten. +</p> + +<p> +Während der Überfahrt ließ Elisabeth ihre Hand auf dem Rande des Kahnes ruhen. +Er blickte beim Rudern zu ihr hinüber; sie aber sah an ihm vorbei in die Ferne. +So glitt sein Blick herunter und blieb auf ihrer Hand; und die blasse Hand +verriet ihm, was ihr Antlitz ihm verschwiegen hatte. +</p> + +<p> +Er sah auf ihr jenen feinen Zug geheimen Schmerzes, der sich so gern schöner +Frauenhände bemächtigt, die nachts auf krankem Herzen liegen. Als Elisabeth +sein Auge auf ihrer Hand ruhen fühlte, ließ sie sie langsam über Bord ins +Wasser gleiten. +</p> + +<p> +Auf dem Hofe angekommen trafen sie einen Scherenschleiferkarren vor dem +Herrenhause; ein Mann mit schwarzen, niederhängenden Locken trat emsig das Rad +und summte eine Zigeunermelodie zwischen den Zähnen, während ein eingeschirrter +Hund schnaufend daneben lag. Auf dem Hausflur stand in Lumpen gehüllt ein +Mädchen mit verstörten schönen Zügen und streckte bettelnd die Hand gegen +Elisabeth aus. +</p> + +<p> +Reinhard griff in seine Tasche, aber Elisabeth kam ihm zuvor und schüttete +hastig den ganzen Inhalt ihrer Börse in die offene Hand der Bettlerin. Dann +wandte sie sich eilig ab, und Reinhard hörte, wie sie schluchzend die Treppe +hinaufging. +</p> + +<p> +Er wollte sie aufhalten, aber er besann sich und blieb an der Treppe zurück. +Das Mädchen stand noch immer auf dem Flur, unbeweglich, das empfangene Almosen +in der Hand. +</p> + +<p> +»Was willst du noch?« fragte Reinhard. +</p> + +<p> +Sie fuhr zusammen. »Ich will nichts mehr,« sagte sie; dann den Kopf nach ihm +zurückwendend, ihn anstarrend mit den verirrten Augen, ging sie langsam gegen +die Tür. Er rief einen Namen aus, aber sie hörte es nicht mehr; mit gesenktem +Haupte, mit über der Brust gekreuzten Armen schritt sie über den Hof hinab: +</p> + +<p class="poem"> + Sterben, ach! sterben<br/> + Soll ich allein! +</p> + +<p> +Ein altes Lied brauste ihm ins Ohr, der Atem stand ihm still; eine kurze Weile, +dann wandte er sich ab und ging auf sein Zimmer. +</p> + +<p> +Er setzte sich hin, um zu arbeiten, aber er hatte keine Gedanken. Nachdem er es +eine Stunde lang vergebens versucht hatte, ging er ins Familienzimmer hinab. Es +war niemand da, nur kühle grüne Dämmerung; auf Elisabeths Nähtisch lag ein +rotes Band, das sie am Nachmittag um den Hals getragen hatte. Er nahm es in die +Hand, aber es tat ihm weh, und er legte es wieder hin. +</p> + +<p> +Er hatte keine Ruhe, er ging an den See hinab und band den Kahn los; er ruderte +hinüber und ging noch einmal alle Wege, die er kurz vorher mit Elisabeth +zusammen gegangen war. Als er wieder nach Hause kam, war es dunkel; auf dem +Hofe begegnete ihm der Kutscher, der die Wagenpferde ins Gras bringen wollte; +die Reisenden waren eben zurückgekehrt. +</p> + +<p> +Bei seinem Eintritt in den Hausflur hörte er Erich im Gartensaal auf und ab +schreiten. Er ging nicht zu ihm hinein; er stand einen Augenblick still und +stieg dann leise die Treppe hinauf nach seinem Zimmer. Hier setzte er sich in +den Lehnstuhl ans Fenster; er tat vor sich selbst, als wolle er die Nachtigall +hören, die unten in den Taxuswänden schlug; aber er hörte nur den Schlag seines +eigenen Herzens. Unter ihm im Hause ging alles zur Ruhe, die Nacht verrann, er +fühlte es nicht. +</p> + +<p> +So saß er stundenlang. Endlich stand er auf und legte sich ins offene Fenster. +Der Nachttau rieselte zwischen den Blättern, die Nachtigall hatte aufgehört zu +schlagen. Allmählich wurde auch das tiefe Blau des Nachthimmels vom Osten her +durch einen blaßgelben Schimmer verdrängt; ein frischer Wind erhob sich und +streifte Reinhards heiße Stirne; die erste Lerche stieg jauchzend in die Luft. +</p> + +<p> +Reinhard kehrte sich plötzlich um und trat an den Tisch: er tappte nach einem +Bleistift, und als er diesen gefunden, setzte er sich und schrieb damit einige +Zeilen auf einen weißen Bogen Papier. Nachdem er hiermit fertig war, nahm er +Hut und Stock, und das Papier zurücklassend öffnete er behutsam die Tür und +stieg in den Flur hinab. +</p> + +<p> +Die Morgendämmerung ruhte noch in allen Winkeln; die große Hauskatze dehnte +sich auf der Strohmatte und sträubte den Rücken gegen seine Hand, die er +gedankenlos entgegenhielt. Draußen im Garten aber priesterten [Fußnote: d. h. +»sangen schon die Sperlinge großartig, wie Priester.« Das Wort scheint von +Storm geschmiedet zu sein; es ist nicht anderswo zu finden.] schon die +Sperlinge von den Zweigen und sagten es allen, daß die Nacht vorbei sei. +</p> + +<p> +Da hörte er oben im Hause eine Tür gehen; es kam die Treppe herunter, und als +er aufsah, stand Elisabeth vor ihm. Sie legte die Hand auf seinen Arm, sie +bewegte die Lippen, aber er hörte keine Worte. +</p> + +<p> +»Du kommst nicht wieder,« sagte sie endlich. »Ich weiß es, lüge nicht; du +kommst nie wieder.« +</p> + +<p> +»Nie,« sagte er. +</p> + +<p> +Sie ließ ihre Hand sinken und sagte nichts mehr. Er ging über den Flur der Türe +zu; dann wandte er sich noch einmal. Sie stand bewegungslos an derselben Stelle +und sah ihn mit toten Augen an. Er tat einen Schritt vorwärts und streckte die +Arme nach ihr aus. Dann kehrte er sich gewaltsam ab und ging zur Tür hinaus. +</p> + +<p> +Draußen lag die Welt im frischen Morgenlichte, die Tauperlen, die in den +Spinnengeweben hingen, blitzten in den ersten Sonnenstrahlen. Er sah nicht +rückwärts; er wanderte rasch hinaus; und mehr und mehr versank hinter ihm das +stille Gehöft, und vor ihm auf stieg die große weite Welt. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap10"></a>DER ALTE</h2> + +<p> +Der Mond schien nicht mehr in die Fensterscheiben; es war dunkel geworden; der +Alte aber saß noch immer mit gefalteten Händen in seinem Lehnstuhl und blickte +vor sich hin in den Raum des Zimmers. +</p> + +<p> +Allmählich verzog sich vor seinen Augen die schwarze Dämmerung um ihn her zu +einem breiten dunkeln See; ein schwarzes Gewässer legte sich hinter das andere, +immer tiefer und ferner, und auf dem letzten, so fern, daß die Augen des Alten +sie kaum erreichten, schwamm einsam zwischen breiten Blättern eine weiße +Wasserlilie. +</p> + +<p> +Die Stubentür ging auf, und ein heller Lichtschimmer fiel ins Zimmer. +</p> + +<p> +»Es ist gut, daß Sie kommen, Brigitte,« sagte der Alte. »Stellen Sie das Licht +auf den Tisch!« +</p> + +<p> +Dann rückte er auch den Stuhl zum Tisch, nahm eines der aufgeschlagenen Bücher +und vertiefte sich in Studien, an denen er einst die Kraft seiner Jugend geübt +hatte. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Immensee, by Theodor W. Storm + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK IMMENSEE *** + +***** This file should be named 6651-h.htm or 6651-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/6/6/5/6651/ + +Produced by Delphine Lettau, Charles Franks, and the +Online Distributed Proofreading Team. + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part +of this license, apply to copying and distributing Project +Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm +concept and trademark. 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