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| author | nfenwick <nfenwick@pglaf.org> | 2025-01-22 13:03:39 -0800 |
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If you are not located in the United States, you -will have to check the laws of the country where you are located before -using this eBook. - -Title: Gabrielens Spitzen - Zwei Novellen - -Author: Grethe Auer - -Release Date: October 11, 2021 [eBook #66515] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at - https://www.pgdp.net (This book was produced from images made - available by the HathiTrust Digital Library.) - -*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GABRIELENS SPITZEN *** - - - - - Gabrielens Spitzen - - - Zwei Novellen - - von - - Grethe Auer - - [Illustration: Emblem] - - Egon Fleischel & Co. / Berlin / 1919 - - - - - Alle Rechte, besonders das - der Übersetzung, vorbehalten - Amerikanisches Copyright 1919 - by Egon Fleischel & Co., Berlin - - - - - Mit der ersten Auflage dieses Werkes - wurden fünfzig Exemplare auf - Büttenpapier gedruckt und von der - Verfasserin numeriert und gezeichnet - - - - -Inhalt - - - Seite - - Gabrielens Spitzen 1 - - Die Tugend der Sabine Ricchiari 77 - - - - -Gabrielens Spitzen - - -Die Frau, von der ich jetzt erzählen will, war eines Schreibers Tochter in -einer rheinischen Stadt, in der die Üppigkeit eines kleinen Fürstenhofes, -Kunstsinn einer altangesessenen und wohlhabenden Bürgerschaft und -natürliche Leichtlebigkeit und Anmut der unteren Bevölkerungsschichten -zusammenwirkten, um einen für jene Zeit bedeutenden Grad von Sinnenkultur -hervorzubringen. Es haben Männer aus jener Stadt später oft führende -Stimmen im Rat der hohen Kunst besessen; oft hat sie Feldherren gestellt in -den Kampf eines neuen Kunstgedankens gegen einen alten. Doch das tut -nichts zur Sache. Was uns angeht -- in jenem ersten Drittel des -achtzehnten Jahrhunderts -- ist nur eine gewisse Feinheit und Freiheit der -Lebensauffassung, eine gewisse Veredlung alles Trieblebens durch echtes -Schönheitsempfinden, die durch alle Schichten der Bevölkerung zu -bemerken waren und die es einem armen Schreiberskinde ermöglichten, eine -Künstlerin zu sein. - -Im Hause des Schreibers herrschte bei einer vielköpfigen Familie und -einfachster Lebensführung durchaus kein Mangel irgendwelcher Art. Die -nüchterne Kost genügte stets für alle, ein bescheidener Leckerbissen -krönte die Feiertage, und ein zufälliger Gast fand immer freundliche -Bewirtung. Das wenige Hausgerät, obzwar schlicht und derb, war stets in -gutem Zustande, wozu die liebevolle Behandlung, die ihm von allen Seiten -zuteil ward, nicht wenig beitrug. Da jedes Stück selbst erworben, lang -erstrebt und mühsam in langen Raten bezahlt war, so verkörperte es -gleichsam ein paar Jahre Lebensgeschichte des Erwerbers, besonders, wenn -noch eigene Kunstfertigkeit hinzutrat, die den Wert des Gerätes erhöhte. -So war das eigengesponnene Linnen der Betten durch eigengeklöppelte -Spitzen bereichert, in denen alle Feierabende und Sonntagnachmittage -sämtlicher Frauen der Familie Gestalt gewonnen hatten; die Mußestunden -der Männer hatten sich in sinnreiche Bemalung der tannenen Schränke und -Truhen, in leichtes Schnitzwerk an Bettleisten und Stuhllehnen umgesetzt; -und die Glorie einer frohen Erinnerung, der Wehmutsschleier einer trüben -schwebten und webten über jedem Dinge. Noch wurden Wohnungen nicht -gewechselt, Hauseinrichtungen nicht fertig gekauft, schnell abgenutzt, -erneut und getauscht nach Belieben. Sie entstanden unter den Schicksalen -der Menschen, trugen ihren Stempel und überlebten sie als Denkmäler ihres -Wesens. - -Wie alle Glieder der Schreibersfamilie an dem Bau, der Erhaltung und -Verschönerung ihres Heims tätig gewesen waren, so trugen auch alle zu dem -bißchen Wohlstand und Wohlleben der Familie bei, indem alle nach Kräften -erwarben. Jedes der Kinder hatte sein Talent oder seine Tüchtigkeit und, -kaum den Kinderjahren entwachsen, seinen Broterwerb. Und diejenige unter -den Töchtern, deren Geschichte ich erzählen will, war Spitzenklöpplerin -und zählte die vornehmsten Frauen der Stadt zu ihren Kundinnen. - -Es war eine kleine Person, dunkel, mit großen, aber keineswegs -schwärmerischen Augen, äußerst zarter, aber blühender Haut und dem -prächtigsten, glatten, rabenschwarzen Haar, das sie in Zöpfen unter einer -sittigen kleinen Haube verborgen trug. Ihr braunes Kleidchen sah dank ihrer -friedlichen Beschäftigung immer wie neu aus, das Busentuch stets rein und -weiß, und das goldene Kreuzchen, das sie an einem Sammetbändchen am Halse -trug, hob die Zierlichkeit ihrer Erscheinung durch sein Blinken gerade -genug, um ihrer keuschen Jugendlichkeit nichts zu nehmen. Sie hieß -Gabriele; und wie auch der Name im Munde ihrer Umgebung verdorben wurde, -sie selbst sprach ihn stets unverkürzt; und hätte sie schreiben können, -sie würde ihn auch unverkürzt geschrieben haben. - -Gabriele hatte zwar in ihrer Kindheit bei den Klosterfrauen einiges -gelernt; aber, dem ohnehin dürftigen Unterricht kaum entwachsen, hatte -sie unverzüglich alles wieder vergessen bis auf das Spitzenklöppeln und --nähen, das sie mit der Leidenschaft einer echten Künstlerin betrieb. -Nicht nur hatte sie die gewandtesten Finger; sie hatte auch Gedanken: sie -ersann Formen, veredelte und verbesserte die vorhandenen und liebte es, -ihre Muster im feinsten Faden und in der mühevollsten Technik der Klöppel -und der Nadel auszuführen; denn da sie unendlich flink arbeitete, -so geschah es nicht leicht, daß ein angefangen Stück Arbeit ihr zum -Überdruß wurde. Alles, was unter ihren Händen entstand, erfüllte sie -in seiner Sauberkeit und Regelmäßigkeit mit solcher Freude, daß sie -vergaß, wer es geschaffen und erdacht hatte, und es wie ein Geschenktes -hinnahm. War ein Stück fertig, so trippelte sie flink und glücklich nach -dem Hause der Bestellerin. Nie gab sie ihre Arbeit in Dienerhände: selbst -wollte sie sie vorlegen, selbst auf ihre Schönheit aufmerksam machen, -selbst das Lob ernten, das dem Wohlgelungenen zukam. Sie pflegte ein Stück -schwarzen Sammets bei sich zu tragen, darauf breitete sie die Spitze, ehe -sie sie vorzeigte. - -Und dann bewunderte sie ihr eigenes Werk so herzlich, unschuldig und -ehrlich, daß es niemandem einfiel, dies als Eitelkeit oder gar als -berechnete List zur Erzielung eines höheren Preises aufzufassen. - -Wie eine Mutter ihr Kind anbetet, von dem sie weiß, daß sie selbst nichts -tun konnte, als das vom Himmel Gegebene hüten und heilig halten, so betete -Gabriele ihre kleinen Kunstwerke an, ohne sich eigentlich ein Verdienst -daran beizumessen. Man hörte sie auch nie sagen: »Dies habe ich so oder -so gemacht«, sondern stets: »Dies ist gut geworden« oder »Dies ist -recht artig herausgekommen«, wobei doch jedermann empfand, daß sie -diese Worte nicht wählte, sondern unbewußt als die einzig angemessenen -vorbrachte. Deshalb mochten es die großen Damen auch gerne leiden, wenn -die kleine Klöpplerin mit ihrer Arbeit bei ihnen eintrat; sie brachte -etwas mit, was keine von ihnen verstand oder kannte, und was sie doch -anwehte wie ein Hauch aus dem Paradiese. - -Am heiligen Sonntag klöppelte Gabriele nicht. Da ging sie zur Kirche, -wobei freilich nicht verschwiegen werden darf, daß sie es weniger um -Gottes Wort zu hören tat, als einigen köstlichen Altarspitzen zuliebe, -deren Zeichnung sie in ihrem Gedächtnis nur fixierte, um sie gleich -wieder ihrer stets tätigen Phantasie zum freien Spiel zu überlassen. Den -Nachmittag aber legte sie vollends die Hände in den Schoß -- das heißt, -sie klöppelte und nähte nicht, zwang sich auch nach Möglichkeit, nicht -in Gedanken an einem Entwurf weiter zu grübeln; da gab sie sich ganz dem -Zusammensein mit Eltern und Geschwistern hin. Der Sonntag war der Tag, der -alle, die die Wochenarbeit auseinander gerissen hatte, in einem Raum und -an einem Tische vereinigte. Da war die kleine Wohnstube, die während der -ganzen Woche still und sauber aufgeräumt stand und keinen Laut vernahm -als das surrende Spinnrad der Mutter oder den leichten Elfentanzschritt von -Gabrielens Klöppeln, plötzlich belebt, übervoll und lärmend. Jeder der -Brüder, jede der Schwestern hatte eine Sonntagnachmittagspassion, sei -es, daß sie für ihre Gewandung arbeiteten, die sie während der Woche -vernachlässigen mußten, sei es, daß sie Hausgerät und Zieraten -herstellten, die sie lange begehrt hatten und nicht durch Kauf erwerben -konnten. Der hämmerte, jener brannte, einer schnitzte; jene klapperte -mit der Schere, diese mit Stricknadeln, eine dritte mit dem dampfenden -Plättsteine. Dazu rauchten die Männer, daß die Luft wie eine bläuliche -Wand zwischen den einzelnen stand, und im Ofen zischten leise die bratenden -Äpfel, Wohlgerüche mit Wohlgerüchen mengend. Alle redeten, alle lachten, -und der oder jener sang auch. Gabriele und die Mutter sorgten für die -Mahlzeiten, und die stets Emsigen nahmen diese Aufgabe für Erholung und -sonntäglichen Müßiggang, dem sie sich mit all der Schwelgerei hingaben, -die ihre kleinen Mittel erlaubten. Duftete dann die Mehlsuppe, ein -gebackener Fladen oder gar ein Stück Fleisch auf dem Tische, so trat eine -große Stille ein, und man vernahm nichts als leises Klirren der Löffel -und behagliches, langgezogenes Schlürfen. Bald aber schwirrte es um so -lustiger wieder durch die erhitzte Luft der Stube. - -Das waren Gabrielens Feste. Einmal oder zweimal im Jahr sah sie eine -Volksbelustigung, einmal oder zweimal im Jahr genoß sie eine fröhliche -Sommerfahrt in grünes Land. Das waren dann Erinnerungen, die leuchteten -lange nach. Aber die Alltäglichkeit hatte auch ihren Glanz, mochte er -auch nur geborgt sein von dem Sonnenschein in Gabrielens eigenem Wesen. -Krankheit blieb dem Hause fern; Mangel am Nötigsten hatte die tätige -Familie nie erfahren müssen, und Monate knappen Erwerbes machten nur -freudiger und erfinderischer zur Arbeit. Es waren glückliche Menschen und -Gabriele, weil die Kunstfertigste, die Glücklichste. - -Dann kamen Freier für die Schwestern, dann vermählten sich die Brüder. -An den Sonntagnachmittagen wurde die Stube enger, die Luft heißer und -dicker, der Lärm mannigfaltiger. Kinderstimmen gellten, Kinderfüße -trappten polternd dazwischen. Vielfach klangen manchmal ein kurzer, -lebhafter Streitlärm, ein Kreischen, auf den Tisch donnernde Fäuste dazu. -Aber es endete immer in Eintracht, und auch das bedeutete nur vermehrte -Freude. - -Gabriele war die letzte Unvermählte, vielleicht weil sie die Feinste und -Schönste der Familie war. Einfache Männer wagen sich nicht gern an das -Aparte, und Gabriele war apart und ein bißchen hochnäsig, insofern, als -sie derbe Scherze nicht liebte. So fröhlich sie war, das Lachen versagte -ihr oft da, wo die werbenden Männer am meisten erwarteten, es zu hören. -Das machte die Freier scheu, und schon glaubte jedermann, Gabrielen sei es -nicht bestimmt -- -- da schlug auch ihre Stunde. - -Es war an einem Sommerabend, als im Städtchen das Leben sich in allen -Gassen drängte. Duft von weißem Holunder wehte aus irgendeinem Garten. -Frauen und Greise saßen auf den Bänken vor den Häusern; Kinder, Hunde -und Spatzen tummelten sich in den Gassen, die Männer standen unter den -Türen der Werkstatt, der Boutique, der Kanzlei und warteten auf den -Feierabendschlag, schon müßig, ehe er erklang. Die milde Wärme löste -jede Spannung, jede Sorge, jeden Arbeitstrieb, weckte den Lebensgenuß, die -Sorglosigkeit, den Leichtsinn -- als ob es nie mehr einen Winter, Not und -Kälte geben sollte. - -Da kam auf Stöckelschuhen, die fast so hell und flink klapperten wie ihre -Klöppel, Gabriele durch die Gasse getrippelt. Sie hatte etwas vollendet, -was ihr besonders gefiel, und sie trug das fertige Stück seiner Bestimmung -zu. Da wollte es der Zufall, daß ein vornehmer Müßiggänger, der -ziel- und absichtslos durch die abendliche Schönheit schweifte, die -Vorstadtgasse kreuzte und das Mädchen erblickte. Er folgte ihm bis in das -stillere Quartier der Reichen, wo die Bestellerin der Spitze wohnte. Er sah -die schöne Person vor einem großen steinernen Hause haltmachen, das er -erfreut als das eines Freundes erkannte. Er trat hinter ihr ein, eilte vor -ihr die Treppen hinauf und stand neben dem Lehnstuhl der greisen Herrin -des Hauses, als die höflich knixende Gabriele unter der Tür des Gemaches -erschien. - -Das Herz der kleinen Klöpplerin, das bei der offensichtlichen Verfolgung -bereits etwas ängstlich zu pochen begonnen hatte, beruhigte sich sofort -beim Anblick des Mannes an diesem Orte. Gabriele gehörte zu den seltenen -Menschen, die jedem Ding gern die natürlichste Erklärung geben: daß -dieser Mann denselben Weg gehabt wie sie, daß er in dies Haus gehörte und -daß er mit Fug und Recht Leuten, die da aus und ein gingen, etwas scharf -ins Gesicht blicken mochte, das war eine Folgerung, mit der sich Gabriele -ohne weiteres zufriedengab. Sie knixte bescheiden und artig auch vor ihm, -dann begann sie unbefangen, ihren Sammetfleck auszubreiten und die Spitze -darauf zu entfalten. - -Es war ein feines Gebilde von Sternen und duftigen, nebelzarten -Hintergründen, aus denen sich die kräftigeren Linien eines streng -gehaltenen Musters hervorhoben. Ein blühender Kirschbaum; der Schaum -eines Wasserfalls; die windgekräuselte Fläche einer Wiese voll weißer -Sternblumen; Schneeflockentanz oder rieselnder Regen abfallender Sternchen -der Holunderdolde -- alles das konnte dem Beschauer zu Sinn kommen, der -dies reinliche Stückchen Menschenwerk sah. Und doch stand eine feste, -straff geführte Zeichnung in dem Nebelbilde. Die kleine Künstlerin selbst -faltete die Hände, wie sie drauf niederblickte, ganz versunken in die -Vollkommenheit dessen, was sie im einzelnen durchdacht und ausgeklügelt, -in seiner ganzen Wirkung aber nur eben geahnt hatte. - -Gleichfalls mit gefalteten Händen aber, und nicht weniger als sie -versunken in den Anblick einer Vollkommenheit höherer Art, stand der -Mann, der Gabriele verfolgt hatte. Die Klöpplerin hatte sich bedachtsam -so gestellt, daß ihre Figur keinen Strahl des sinkenden Lichtes von ihrem -Kunstwerke hinwegnahm; dafür traf nun sie selbst die volle Beleuchtung. -Alles Feine, Säuberliche und Zierliche an ihr kam zu voller Würdigung: -die seidige Haut, die Weichheit ihres Haares, die dunkle Glockenschweifung -ihrer langen Wimpern, die durchsichtige Zartheit der kleinen Ohren nicht -weniger als das tadellose Gefältel der Haube, die Unverbrauchtheit ihres -Anzuges, die züchtige Ordnung des Halstuches. Und vielleicht waren es -Bilder noch holderer Art, die dem Beschauer dieses Stückchens Gotteswerk -zu Sinn kamen, denn ein inniges und sehr glückliches Lächeln verbreitete -sich langsam über sein Gesicht, in dem auch nicht der Schatten eines -niedrigen Gedankens mehr zu sehen war. Er richtete mit freundlicher Stimme -einige übliche Fragen an Gabriele, und wenn sie bei der Antwort in seine -Augen blickte, was sie mit der Unerschrockenheit der Unschuld tat, so -begegnete sie dem Ausdrucke lauterster Güte. - -Als Gabriele heimwärts wandelte durch die Straßen und Gassen, in denen -nun die Dämmerung wob, mußte sie recht ernsthaft an den großen vornehmen -Mann denken, der sie so gütig angeblickt hatte. Sie verhehlte sich nicht, -daß sie einem ähnlichen Blick nie in ihrem Leben begegnet war. Sie hatte -oft genug Bewunderung und Begehren in Männeraugen gesehen, aber nur in -den Augen glücklicher Mütter etwas von dem, was dieser Fremde über sie -ausgegossen hatte. Und wie sie über das Erlebnis nachdachte, ertappte sie -sich auf dem sonderbaren Wunsche, diesem Manne als Magd zu dienen, wenn es -einmal mit dem Spitzennähen vorbei sein sollte. Gabriele wußte, daß die -Augen vieler Klöpplerinnen in noch jungen Jahren den anstrengenden Dienst -des Ausnähens versagen, und der Gedanke an diese Möglichkeit hatte sie -oft erschreckt. Jetzt sah sie in ein Zukunftsbild, wo es sich auch ohne die -gewohnte Arbeit recht annehmbar leben ließ: sah ein freudiges Schaffen aus -innerm Herzenstrieb vor sich, wie sie es bisher noch nie einer Person, nur -ihrer Kunst dargebracht hatte. - -Einige Tage nach diesem Vorfall trat der fremde Mann in Gabrielens Stube; -er bestellte Spitzen, er ließ sich Muster zeigen, er sprach viel und -fragte eingehend über die wunderlichsten Dinge. Gabriele antwortete in -wahrer Herzensfreude, schon jetzt den künftigen Gebieter in ihm verehrend, -und bemühte sich, ihr Bestes zu zeigen, um seine gute Meinung für -kommende Zeiten zu gewinnen. Darüber merkte sie nicht, wie lange er blieb -und wieviel er frug, was gar nicht zur Sache gehörte. Auf ihren stillen, -morgenlichten Lebensweg war plötzlich in goldener, breitstrahlender Fülle -der blendendste Sonnenschein gefallen; sie vermochte noch nicht, die Augen -ganz aufzuschlagen. - -Sie hatte nun erfahren, daß der Fremde ein Ratsherr war und einer der -reichsten Patrizierfamilien der Stadt angehörte. Er hatte ihr seinen Namen -genannt, hatte ihr beschrieben, wo er wohnte, und ihr befohlen, die Spitzen -dahin zu bringen. Ohne Arg sagte Gabriele zu. Schnell huschte der listige -Vorsatz durch ihr Köpfchen, sich das Haus, in dem sie einmal dienen -wollte, gut anzusehen: »ob etwas zu lernen wäre, was sie noch nicht -könnte«. Sie lächelte ein wenig bei dem Gedanken, daß sie dann etwas -anderes als Mehlsuppen würde kochen müssen. Aber was wollte sie nicht -können, wenn es diesem Herrn galt? - -Sie machte sich an die Spitzen und spann dabei an den frömmsten und -demütigsten Vorsätzen. Sie dachte an tausend kleine Verrichtungen, die -sie für Vater und Brüder zu tun gewohnt war, und ob jener Gestrenge auch -damit zufrieden sein würde. Und in der Sorge um sein Wohlgefallen schien -ihr plötzlich auch ihre Kunst arm und ihr Fleiß ungenügend. Sie warf -beiseite, was sie begonnen hatte, und fing noch einmal mit feinerem Faden -an. - -Wenn Gabriele je ein Kunstwerk geschaffen hatte, so war dies Stück Spitze -eines. Wie von leichten Winden getragen, lebte und webte das Geranke auf -dem duftklaren Grunde; jede Blüte öffnete sich in voller Wonne, jede -Knospe zitterte, schlanke Stäbe von leichtem Gitterwerk strebten -kühn nach oben und stützten die flatternde Wildheit der Zweige, und -Schmetterlinge mit ausgebreiteten Schwingen lagen ruhend auf den Wogen -der Luft. Ein ganzer Frühling, nur im lauteren Weiß eines -Schneeblumentraumes, erwachte unter den emsig spielenden Fingern. Die -Klöppel klangen wie klappernde Pantöffelchen zahlloser kleiner Elfen, die -hurtig und froh den Wunderwebstuhl bedienten; in lautloser Stille aber -zog die Nadel ihre magischen Kreise, feierlich, langsam und preziös -bedächtig, wie ihrer größeren Wichtigkeit bewußt. - -Der Ratsherr kam von Zeit zu Zeit, um den Fortschritt des Werkes zu -betrachten. Wenn er in die Stube trat, ruhten die Klöppel, denn dann -fühlte Gabriele ihre Finger kalt und unruhig und zu subtiler Arbeit -untauglich werden. Sie stand vor dem Gewaltigen auch lieber auf: schon -stehend fühlte sie sich so klein neben ihm. Und dann war er doch auch -ihr zukünftiger Herr, und Sitzen und Weiterarbeiten vor ihm wäre eine -Unziemlichkeit gewesen. - -Der Ratsherr pflegte recht ausgiebig zu loben, und Gabrielens Herz -hüpfte vor Freude, wenn sie sah, wie gut er das wahrhaft Kunstreiche und -Schwierige zu würdigen wußte. Das war ein Mann, dem edle Arbeit durch die -Finger gegangen war! Sein verständiges Lob gab Gabrielen die anfänglich -erschütterte Sicherheit zurück, sie fing wieder an, sich unverhohlen des -Gelingens zu freuen, und je mehr sie sich freute, desto schöner und holder -sah sie aus, so daß es fast eine zu harte Probe für des Mannes Liebe -wurde, das ernste Spiel nicht durch einen voreiligen Ausbruch von -Zärtlichkeit ganz zu verderben. Seine Besuche wurden immer länger, kamen -immer häufiger. Er gab ihnen eine gewisse Begründung durch allerhand -Belehrendes, was er Gabrielen zutragen zu müssen vorgab: denn wie alle -Geniemenschen trieb diese kleine Fee ihre Kunst nur nach den Geboten ihrer -eigenen Seele und ahnte nicht, daß es außerhalb dieser und dem Stückchen -ererbter Tradition noch unermeßliche Möglichkeiten gab. Sie besaß eine -Sammlung pergamentener Klöppelbriefe, die uralt waren. Die Jahreszahl -1604, die irgendwo auf dem ersten Blatte neben dem Namen des Sammlers -stand, hatte keine Bedeutung für sie; die vorhandenen Muster veränderte -und veredelte sie mit sicherem Stilgefühle. Nun kam der Ratsherr, und -plötzlich stieg aus den vergilbten Blättern ein lebendiges Bild von -Menschen- und Völkerschicksalen empor. Jedes Muster in dem alten Buche -trug den Namen eines fernen Landes, einer Stadt: von einem längst -versunkenen Kaiserreiche Byzanz, vom wogenumspülten Venedig, von der -fernen Königin der Meere, dem glorreichen Genua wußte der vielwissende -Mann die gewaltigsten Dinge zu erzählen. Dann wieder beschrieb er den -stillen Fleiß holländischer Schifferfrauen, die träumend des Liebsten -im tosenden Weltmeere denken, die höfische Pracht Frankreichs, wo der -größte aller Könige die schöne friedliche Kunst der Frauen geadelt und -gelohnt habe; die Nöte wandernder Hugenotten, die die Gottesfunken des -reinen Glaubens weitertrugen, aus Holland und Frankreich in deutsche Lande, -und mit ihm als Bild und Schild ihrer Tugend die edle Arbeit. Auch brachte -er neue Muster aus Gent oder Alençon, die vielleicht ein tüchtiges -kleines Menschenwesen wie Gabriele in die Welt geschickt hatte, vielleicht -aber auch ein großer Künstler, der eigens zu dem Zweck studiert hatte und -viel Gold und Ehre mit seiner Erfindung gewann. Gabrielens Geist erfaßte -bang und doch froh die Lehre von der Weltbedeutung der Industrie, von der -Mitarbeiterschaft stiller Frauen am Wohlstande und Ruhm ganzer Völker. -Sie versuchte auch gern die Anwendung mancher Lehre, die dem anschaulichen -Unterrichte entfloß, ahmte die neuen Muster nach, grübelte über ihre -Technik, wagte und probierte, und durfte bald ein Gelingen verzeichnen. -Den Ratsherrn beglückte die Feinheit und Richtigkeit ihres Empfindens, die -Klarheit, die sie über ihr Können und seine Grenzen besaß. - -So ging das Werk zu Ende. Gabriele wurde desto stiller, je mehr sie sich -dem Abschluß näherte, sie arbeitete auch langsamer und saß oft lange -in müßigem Träumen vor ihrem Kissen, während sie sonst wohl ein wenig -gehastet hatte, wenn es zur Vollendung ging. Es tat ihr weh, sich von -dieser Arbeit zu trennen. - -Mit Tränen löste sie die letzten Nadeln aus der Spitze, rollte ihren -Klöppelbrief zusammen und legte ihn in ein Kästchen, das einige kindliche -Reliquien barg: kein anderer sollte je dieselbe Spitze tragen. Dann machte -sie sich, diesmal mit langsamen Schritten und ganz blaß vor Leid, auf den -Weg nach dem glänzendsten Hause der Stadt. Sie hatte dem Ratsherrn die -Ablieferung für den bestimmten Tag versprochen, sonst hätte sie wohl das -geliebte Stück Arbeit noch ein Weilchen für sich behalten. - -Als sie nach dem Hause des Gestrengen kam, erschrak sie sehr. Sie sah -festlich geschmückte Menschen in der Halle, auf den Treppen, in den -Gemächern, durch die ein schweigender Diener sie führte. Einige von -diesen Menschen blickten sie lächelnd, andere erstaunt, andere ernst und -forschend an, aber kein einziger gleichgültig. - -Gabriele fühlte sich nur von dem Gedanken bedrückt, daß sie vielleicht -in dieser letzten Stunde den geliebten Mann nicht allein sehen, daß sie -seine Aufmerksamkeit mit vielen anderen teilen würde. Vielleicht würde -er gar nicht Zeit haben, die fertige Arbeit in diesem Augenblicke zu -betrachten; er würde sie beiseitelegen, vergessen, vielleicht nach vielen -Tagen zufällig darauf stoßen -- und Gabriele hätte doch so gern noch -einmal sein knappes, scharfes Urteil gehört. Sie empfand es bitter, daß -so ihrer Schaffensfreude Lohn und Krone genommen sein sollte, und schon -erwog sie, ob sie nicht umkehren und zu gelegenerer Stunde wiederkommen -sollte, als sie den Ratsherrn, von einigen würdig aussehenden Matronen -geleitet, auf sich zuschreiten sah. - -Sie erkannte schnell in den alten Damen Kundinnen und Beschützerinnen und -fühlte sich ein klein wenig versöhnt mit dem Mißgeschick der Stunde. Wie -sie aber, an einen Tisch geleitet und von vielen Neugierigen umringt, ihre -Spitze, um die alle zu wissen schienen, entfalten sollte, brach ihr fast -das Herz. Es schien ihr grausam, daß sie vor gleichgültigen Gaffern -bloßlegen sollte, was ihr das Heiligste und Liebste im Leben war. Und -nicht mit der gewohnten leuchtenden Freude stand Gabriele diesmal vor ihrer -Gabe, sondern trübe, in lautloser Ergebenheit und ganz stumpf gegen den -Beifall, der sie von allen Seiten umrauschte. Langsam verschleierten sich -ihre Augen; sie fühlte, daß sie eilen müsse, dem Getriebe zu entkommen, -und mit einer Verbeugung gegen den Hausherrn suchte sie die Türe zu -gewinnen. - -Aber schnell faßte der Ratsherr sie an der Hand und bat sie, zu verweilen -und als sein Gast dem Feste, in das sie nun einmal geraten sei, ein -Weilchen beizuwohnen. Auf Gabrielens erschrockene Abwehr hin mischten -sich auch die würdigen Damen ein, und jede hatte ein liebes Wort für das -geängstigte Kind. Die Matrone, in deren Haus jene erste kleine Begegnung -zwischen Gabrielen und dem Ratsherrn stattgefunden hatte, sprach besonders -gütig zu ihr; sie berichtete der langsam Auftauenden, es wäre zwischen -den Gästen bereits verabredet worden, Gabrielen zum Bleiben aufzufordern, -falls sie, wie erwartet, mit ihrer Spitze erscheinen sollte; und da sei -niemand so hochmütig, einer so braven und fleißigen kleinen Person den -fröhlichen Abend zu mißgönnen. Sie möge nur bleiben und sich an allem -Gebotenen gütlich tun und sich einmal recht ansehen, wie es bei den -reichen Leuten zugehe. Wenn sie sich aber dabei auch ein bißchen freuen -könne, so statte sie ihrem Gastgeber dadurch den allerliebsten Dank ab, -denn ihm sei daran gelegen, ihr für die besonders tüchtige und geduldige -Arbeit eine kleine Ehrung widerfahren zu lassen. - -Gabriele war sprachlos, aber der überglückliche Ausdruck ihres -Gesichtchens antwortete deutlich genug, daß ihr der eigentümliche -Extralohn, den der vornehme Mann ihr zugedacht, keineswegs zuwider war. Sie -stammelte nur noch etwas Undeutliches von armseliger Gewandung -- aber der -Ratsherr rief alsbald ein paar jüngere Frauen heran und bat sie, seinen -kleinen Gast nach Möglichkeit zu schmücken. - -»Nach Möglichkeit, Bruder?« rief eine große blonde Frau von heiterem -Wesen, »nach Möglichkeit ist mehr verlangt, als du von unseren -Frauenherzen billig erwarten kannst! Denn sie würde uns alle ausstechen, -wenn wir mehr als das Nötigste täten!« Gabriele wurde flammendrot und -schlug die Augen zu Boden, weil sie dachte, man spotte ihrer. Aber als sie -den Ratsherrn die wohlwollende Necklust der blonden Frau durch ein scharf -verweisendes: »Laß die Torheiten!« bestrafen hörte, tat es ihr leid, -und sie lächelte mit einer sanften Bitte um Verzeihung im Blick den -Personen zu, die sich nun an ihr zu schaffen machten. - -Die Männer wurden von den munteren Frauen ins Vorgemach gewiesen, und -alsbald sah Gabriele sich der Haube und des Busentuches beraubt. Während -eine Hand ihr Haar löste, wieder flocht und durch funkelnde Spangen in -ganz anderer, vornehmer Weise feststeckte, legte eine andere ihr die eben -vollendete, köstliche Spitze um die Schultern. Es bedurfte weiter nichts, -um die kleine Klöpplerin in eine allen anderen durchaus ebenbürtige -Erscheinung zu verwandeln; die artige Haltung ihrer feinen Figur und das -schöne Maß ihrer Bewegungen taten das übrige. - -Als Gabriele vor dem Ratsherrn stand, entschuldigte sie sich zaghaft, -daß man gewagt habe, ihr die kostbare Spitze umzulegen; er aber erwiderte -freundlich, dies sei durchaus in seinem Sinne geschehen; an ihrem Leib sei -ihm die Spitze so sicher, als läge sie in einem Reliquienschreine. Sie -versicherte eifrig und beruhigt, sie wolle die Spitze fein hüten, und -wandte sich nun der Unterhaltung zu, die das fröhliche jüngere Volk sich -schaffte. -- - -Es war tatsächlich ein Zufall gewesen, was Gabrielen in die -hochansehnliche Gesellschaft geführt hatte. Als nämlich die kleine -Künstlerin den nahen Ablieferungstermin für ihr Werk festgesetzt hatte, -war dem Mann die Antwort entglitten: »Wohl, ich werde dich erwarten, da -ich weiß, daß du deine Arbeit nur dem Besteller zu übergeben pflegst.« -Eine Minute darauf war ihm das Fest eingefallen, das am gleichen Abend in -seinem Hause stattfinden sollte: er fühlte, daß das liebe Mädchen -vor der geputzten Schar erschrecken würde, und daß der kleine Akt -der Übergabe, der ihr sonst zum Ereignis zu werden pflegte, ihr durch -Befangenheit und Scheu getrübt werden würde. Ihr -- und ihm! Er hatte -alles auf diesen Augenblick verschoben, er erwartete alles von ihm. Aber -gerade in tiefem Vorgefühl einer bedeutungsvollen Wendung verwirrte -und bedrückte ihn das unerwünschte Zusammentreffen aufs heftigste. Ihn -bedrängte die Frage, die ein Unbefangener leicht gelöst hätte: unter -welchem Vorwande er Gabrielens Kommen verschieben solle -- bedrängte ihn -heißer als manche schicksalsschwere Frage in Völkerhändeln. Es erschien -ihm hart, ihr schlechtweg zu sagen: »Du kommst mir ungelegen, denn ich -habe Gäste!« und es erschien ihm beleidigend und töricht, sie geradezu -aufzufordern: »Komme, wenn ich allein bin!« So ging der Ratsherr an -diesem Tage unentschlossen heim, und nachdem er eine unruhige Nacht voll -nutzloser Grübeleien verbracht, verfiel er auf den Ausweg, seine alte -Freundin, die auch Gabrielen wohlgesinnt war, um Rat zu fragen. - -Die würdige Frau fand gleich die natürlichste Lösung. Gabriele sei ein -Wesen, dem man wohl eine seltene Auszeichnung zuteil werden lassen dürfe. -Sie sei klug genug, um die Sache zu würdigen, wie sie gemeint sei, und -nicht Wünsche und Begierden in sich aufkommen zu lassen, die ihrem Stande -nicht angemessen wären. Sie selbst wolle Gabrielen die Sache erklären. -Jedermann sei Gabrielen gut und würde ihr die Ehre und Freude dieser -Einladung gönnen. - -Das Gesicht des Ratsherrn, als er diesen Vorschlag anhörte, verriet -der weisen Freundin, wie sehr sie das Richtige getroffen habe. Mit einem -Lächeln voll feinen Verstehens reichte sie ihm die Hand. - -Den Ratsherrn hatte zuerst nur die edle Billigkeit des Gedankens gewonnen, -und ihm gefiel die Vorurteilslosigkeit, mit der die vornehme Frau die Sache -vorbrachte. Dann aber tauchte leise eine andre Vorstellung in ihm auf, bei -der es ihm erst klar wurde, was er in Gabrielen sah. Daß die Geliebte in -seinem Hause umhergehen sollte, daß er ihr seinen Reichtum und sein -ganzes Ansehen gleichsam zu Füßen legen wollte, ja, daß am Ende gar -die ungewöhnliche Stimmung des Vorganges das Wort lösen würde, das -seit langem in seiner Seele schlummerte -- diese Möglichkeiten stiegen in -schönen, triumphierenden Bildern langsam in der Seele des Mannes auf. Der -Ratsherr sah dem Tage dieses Festes als dem entscheidendsten entgegen. - -Schöner, als er gehofft, erfüllten sich seine Erwartungen. Mit einem -Anstand ohnegleichen bewegte sich Gabriele in dem vornehmen Hause; ohne -im geringsten von ihrer Natürlichkeit abzuweichen, wußte sie Sprache und -Benehmen so sehr dem gehaltenen Tone dieser Gesellschaft anzupassen, daß -ein Uneingeweihter sie ohne Zweifel als dazugehörig eingeschätzt haben -würde. Dazu verhalf ihr in erster Linie ihre Bescheidenheit, die sie mit -einer Art religiöser Dankbarkeit über dies unverhoffte Glück erfüllte. -Nicht nur der Ratsherr selbst, sondern auch jeder Gast des Hauses -anerkannte erstaunt diese Vollkommenheit der Form. Was vorher gönnerhafte -Herablassung war, wurde wirkliches Wohlwollen, und es verging wenig mehr -als eine Stunde, so ward Gabrielen gehuldigt wie einer kleinen Königin. - -Es erschien sonderbar, daß die so unerwartet Gefeierte sich ihres -Erfolges nur lau zu freuen schien. Bei den artigsten Worten, die verzückte -Bewunderer ihr zuflüsterten, sah man sie mit gespannter Aufmerksamkeit -einem Gespräche lauschen, das zehn Schritte von ihr geführt wurde, und -ihre Erwiderung bestand meist in einer Frage, die große Lernbegier, aber -sehr geringes Verständnis der Situation des Augenblicks verriet. Einige -der Schwärmer wurden von dieser augenscheinlichen Kälte abgeschreckt; -andre um so tiefer angezogen; aber keiner verstand den Vorgang. - -Es verhielt sich mit Gabrielens Nachdenklichkeit etwas anders, als der -liebende Mann sich vorstellte. Zu wiederholten Malen im Verlauf dieses -Abends war es geschehen, daß Gabriele auf irgendeinen Gegenstand -aufmerksam gemacht wurde, der zu besonderer Ehre und Zierde des vornehmen -Hauses gehörte. Sie hörte auch von nichts anderem so oft und so eingehend -sprechen, wie von dem Wert und der Schönheit eines Gemäldes, einer -Schale, einer Figur, der Geschichte seines Erwerbes, der Art seiner -Herstellung. Die kleine Gabriele, die sich bisher nur an dem zarten -Kunstgedanken einer Spitze hatte berauschen können, bekam nun manches zu -sehen, was ihr den Atem nahm: an Goldfiligran, Holzwerk, Glas und Silber, -an Gewebtem und Gesticktem, an Leder und Pergament, an Bildnissen in Farbe -und Marmor, mehr als nach ihrer Ansicht der prunkvollste Dom aufzuweisen -hatte. Und sie, die alles, was sie sah, in Beziehung zum wirklichen -Leben bringen mußte, sie empfand wie einen Alp die Vielgestaltigkeit -der Bedürfnisse. Sie verstand, daß diese Menschen mit anderen Sinnen -empfanden als sie; daß das, was Gabriele bisher als Mittel zum Leben -angesehen: Kleidung, Nahrung und Hausgerät, ihnen als Zweck des Lebens -erschien. Und es erfaßte sie etwas wie Angst vor dem Aufwand an Zeit, den -so ein Dasein verschlang, ohne etwas anderes davonzutragen als wachsende -Fähigkeit des Verbrauches. Sie hatte sich einen Haushalt vorgestellt, wo -sie durch Fleiß und Ordnungssinn eine nennenswerte Dienstleistung bieten -konnte, und sie sah mit Schrecken, daß in diesem Betriebe der einzelne -kaum zählte. Und ihr schöner Zukunftstraum zerfiel. - -Während der Mahlzeit, wo funkelnde Schüsseln sie blendeten, ging es -ihr übel. Kaum daß noch zu erkennen war, was Fisch, was Vogel war. Und -trotzdem sah keiner von den Gästen überrascht aus, ja, wenn Gabriele -auf ihre Unterhaltung lauschte, so schien es ihr, als wäre der oder jener -nicht einmal sonderlich zufrieden. Gabriele war es, als müsse sie sich -über diesen Undank kränken; wie viele Hände mochten an dem geschaffen -haben, was da genußlos verbraucht wurde! »Sie wissen nicht, was Arbeit -ist!« fuhr es ihr durch den Sinn, und ihr Gesichtchen ward kummervoll. - -Des Ratsherrn würdige Freundin versuchte auch, sobald das Mahl zu -Ende war, mit mütterlicher List den Grund dieser unzeitigen Trauer zu -ermitteln. Gabriele war zu schlicht für diplomatische Ränke; sobald sie -nur erraten hatte, was ihre Beschützerin wollte, legte sie ihre ganze -Seele vor sie hin. Sie habe oft, so erklärte sie, in ernsten Stunden -darüber nachgedacht, was sie einmal beginnen würde, wenn ihre Augen, wie -die so vieler Genossinnen, zum Klöppeln und Ausnähen zu schwach würden. -Und wenn man Zukunftsgedanken spinne, so sei es natürlich, daß man das -Erwünschteste zuerst in Betracht ziehe. Da habe sie denn geglaubt, nichts -könne für eine arme Dirne schöner sein, denn als Magd in solch einem -Hause zu dienen; sie habe auch den festen Glauben gehabt, sie könne -backen, kochen, flicken und waschen so gut wie jede, und was sie noch nicht -könne, würde sie mit Geduld und Fleiß wohl noch gelernt haben. Aber o -Jesus! wie seien ihr heute die Schuppen von den Augen gefallen! Kaum zur -untersten Scheuermagd lange ihr Können. - -»So gering schätzest du dich ein, Gabriele?« erwiderte lächelnd die -alte Dame. »Aber mir scheint, daß du immerhin als Scheuermagd beginnen -könntest, denn du würdest es schnell genug bis zur Schaffnerin bringen. -Du brauchst ein Ding nicht mehr als einmal zu sehen, um es zu begreifen.« - -Gabriele, in ihrer Eigenliebe geschmeichelt, lächelte ein wenig vor sich -hin. »Es freut mich, daß Ihr das denkt,« sagte sie, »aber da ist noch -ein andrer Grund, warum ich traurig bin. Meine zwei Hände wären in diesem -Hause nur ein Paar unter zehn anderen Paaren, und so ist Dienen keine -Freude! Der Herr würde es nicht merken, wenn morgen ein andrer die Arbeit -täte, die heute _ich_ getan habe, und das wäre Arbeit ohne Gotteslohn, -nur um Geld.« Die Matrone ging, den Ratsherrn aufzusuchen, und berichtete -ihm unter Lachen, was Gabriele ihr soeben gestanden habe. »Ich weiß ihr -wohl eine Antwort,« sagte der Ratsherr, und sein schönes Gesicht wurde -flammend rot. Er ging, Gabrielen aufzusuchen, die nachdenklich noch immer -an der Stelle stand, wo die alte Dame sie verlassen hatte, und da er -mit Recht schloß, daß ihr Sinnen auch noch nicht wesentlich von seinem -Gegenstande verrückt sein würde, so fing er geradezu an und sprach: -»Gabriele, es gibt in diesem Hause eine Stelle, die so ist, wie du sie dir -eben gewünscht hast.« Sie blickte erschrocken auf, wollte etwas sagen, -verstummte aber vor dem strahlenden und eindringlichen Blick seiner Augen. -Er fuhr fort: »Niemandem als mir sollst du verantwortlich sein für die -Arbeit, die du tust, und da wo du stehst, kann keiner je stehen und dich -ersetzen. Dem Gesinde sollst du gebieten, aber dennoch wirst du die letzte -Magd sein, denn aller Arbeit muß in deinen Gedanken sein, und du sollst -dich nicht frei fühlen, als bis alle ihre Arbeit getan haben. Würde dir -ein solcher Dienst gefallen, Gabriele?« Dem Mädchen brauste es vor den -Ohren. Sie versuchte, wie gegen einen Wirbelwind kämpfend, auf dem Boden -stehenzubleiben, wo sie sich sicher fühlte, deshalb sagte sie leise und -mühsam: »Herr, ein solcher Dienst würde mir wohl gefallen!« »Überlege -es wohl,« fuhr der Ratsherr fort, und seine Stimme zitterte ein wenig. -»Es handelt sich um dein ganzes Selbst mit allen seinen Kräften. Du -sollst geizig sein mit Weizenkörnern und freigebig mit Talern. Die Motte -im Speicher soll dich ärgern, aber Krieg und Brand soll dich gefaßt -und stark finden. Du sollst Magd sein unter Mägden und Edelfrau unter -Edelfrauen. Du sollst jeden hören, für alle Rat haben, deine Zeit darf -dir nicht zu kostbar sein, wenn es sich um eine Kunkel voll Flachs -oder einen Korb Äpfel handelt; du mußt sechs Dinge zu gleicher Zeit -vollbringen können, und du darfst nie so aussehen, als ob du Eile -hättest. Ich frage noch einmal, würde ein solcher Dienst dir gefallen?« -Gabriele vermochte nur zu nicken. Ihre Augen standen voll Tränen. »Dann -frage ich dich also hiermit, Gabriele,« schloß der Ratsherr -- er ergriff -die Hand der Klöpplerin und küßte sie sehr inbrünstig -- »dann frage -ich dich also: willst du in diesem Hause als Hausfrau eintreten?« -- -- -Die Antwort auf diese Frage ließ sehr lange auf sich warten. Sie -erfolgte überhaupt nicht mehr an diesem denkwürdigen Abend, denn -Schicksalswendungen, wie diese, finden nur langsam Eingang in die -Vorstellung einfacher Menschen, und Gabriele mußte erst eine lange, -bange Nacht voll seliger und demütiger Gebete verbringen, ehe sie glauben -konnte, daß sie recht gehört. Am andern Tage hielt der Ratsherr förmlich -um Gabrielens Hand an und erhielt ein schluchzendes »Ja« zur Antwort. -Dann erst begann er mit der Zartheit eines Gärtners, der eine Blume in -fremdes Erdreich verpflanzt, die Betäubte in seiner Liebe und ihrem Glück -heimisch werden zu lassen. Als er Gabrielen nach zwei Monaten zum Altar -führte, war sie seiner Liebe gewiß und er der ihren. - -Wenn ich bisher ein guter Erzähler war: wenn es mir gelungen ist, das -Charakterbild zweier Menschen klar zu überliefern, so müßte mein Leser -jetzt imstande sein, nach einer einfachen logischen Gesetzmäßigkeit -das Rechenexempel zu lösen, das sich aus dem Plus und Minus ihrer -Eigenschaften ergibt. Das Resultat dieser Gleichung war ein Schicksal, ein -kleines, stilles, das wenig Aufsehen machte; und doch ein Schicksal, das -erzählt zu werden verdient, weil es vielleicht das Schicksal mancher Frau -ist. - -Ich habe Gabriele geschildert als einen Menschen, der zugleich bescheiden -und seines Wertes bewußt ist. Also wird sie nicht in den Fehler verfallen -sein, an dem Frauen, die durch Heirat emporgekommen sind, so leicht -kranken! Sie wird nicht abgewogen haben, was ihrem Rang an Ehrungen -zukam, sie wird nicht eifersüchtig gewacht haben, daß ihr nicht weniger -geschähe als der Base, der Schwägerin, der Freundin. Sie wird das -Gefühl, das ihr unmittelbar entgegenkam, ebenso erwidert haben, und wo es -ausblieb, keinen Versuch gemacht haben, es zu erzwingen. - -Ich habe auch die Sippe des Ratsherrn als eine weitherzige und redlich -gesinnte gekennzeichnet. Die treue Gesinnung der blonden Schwester des -Ratsherrn und die offenkundige Gunst der vornehmsten Matrone der Stadt -unterstützten Gabriele in jedem Falle, und das Ansehen des Gatten half -vollenden, was die Anmut der jungen Frau etwa nicht allein zu bewirken -vermocht hätte. - -Es war auch nicht das Verhältnis zu ihrer eigenen Familie, das einen -Mißklang in Gabrielens Eheharmonie hätte tragen können. Fleißig, gesund -und glücklich, wie diese einfachen Menschen waren, fühlten sie auch -insgesamt zu stolz, um irgendeinen unbilligen Vorteil aus der Heirat ihrer -Schwester ziehen zu wollen. Wo der Ratsherr zu ihren Gunsten wirken -konnte, tat er es gern, denn es war ein tüchtiges Geschlecht, das seiner -Fürsprache Ehre machte. Sie hielten sich aber immer ein wenig abseits und -riefen seine Hilfe nur da an, wo sie sagen konnten, daß Zusammenhalten -im Nutzen beider Teile läge, zum Beispiel, wenn sie sich an irgendeiner -öffentlichen Arbeit zu beteiligen wünschten, wo sie als Gegenwert die -Wahrung der Gemeindevorteils hoch hielten, den der Handwerker sonst nicht -gern anerkennt. - -Was endlich den Ratsherrn selbst betrifft, so ist er wohl als ein Mann zu -schätzen, der sein Wort an einer Frau _ganz_ erfüllt. Wie er sich durch -den Unterschied zwischen seiner und Gabrielens Erziehung nicht hatte -anfechten lassen, so wird er auch zu ihr gestanden sein, wo etwa dieser -Unterschied sich fühlbar gemacht haben mag. Er wird ihre Unwissenheit vor -anderen gedeckt, er wird ihren hellen, empfänglichen Geist gebildet -haben. Und die Saat, die er in ihre weiche Seele legte, wird Blumen stillen -Glücks für ihn und sie getragen haben. - -Und doch hatte diese Ehe ein Schicksal. - -Gabrielens Leben war zunächst ein Lernen auf jedem Gebiete. Sie war eine -redliche Frau, die das, was sie war, auch bis zur Vollkommenheit sein -wollte, und wenn sie denken mußte, sie habe es in irgendeinem Punkte an -Willen oder Fähigkeit fehlen lassen, so grämte sie sich schwer. Sie ward -in allen Punkten das, was der Ratsherr von ihr erwartet hatte, das -Herz, der Fels, das lebendige Licht des Hauses, und sie ward es nach -verhältnismäßig kurzer Zeit. Glaube nicht, daß das ein leichtes -für sie gewesen sei! Gabriele hatte zunächst die Abneigung einer -alteingesessenen Gesindeschar zu überwinden. Dann hatte sie die Arbeit -nicht mehr nach der eigenen Klugheit allein, sondern nach Zeit, Willen und -Fähigkeiten von einem Dutzend Untergebener einzuteilen. Gabriele mußte -das Tagewerk jeder Magd und jedes Knechtes im Kopfe haben, und, wenn sie -nicht Mißstimmung und ewig erneuten Widerstand erregen wollte, auch -die persönlichen Eigenheiten jedes einzelnen. Sie mußte vorsichtig und -gerecht sein in ihren Forderungen, denn verlangte sie zu viel, so riß -Unzufriedenheit, verlangte sie zu wenig, so riß Unordnung und Trägheit -ein. Sie mußte ihren Leuten schlechte Laune und Krankheit ansehen, mußte -ein scherzendes Wort gegen die eine, ein Heilmittel für die andere bereit -halten, durfte sich nicht erst bitten lassen, sollte aber auch nicht zu -rasch damit kommen und jedenfalls immer den Abstand wahren zwischen sich -und jenen Übelgesinnten. Sie durfte sich von der Schaffnerin nicht mahnen -lassen, daß die Birnen zum Mosten reif seien, vom Knecht nicht an das -Schwefeln der Fässer, und sie mußte doch beiden den Ruhm gönnen, den -Zeitpunkt der Arbeit selbst zu bestimmen. Sie mußte Jahreszeiten und -Elemente verstehen lernen, wie die Launen ihres Gesindes. Bei jedem Brot, -bei jedem Lichte, bei jeder Elle Leinwand, die sie aus Keller und Speicher -holte, mußte sie wissen, wieviel noch vorhanden war, die Würste im -Rauchfang und das Mus im Bottich, der Sirup, die Kienspäne und die kleinen -Büschelchen Schachtelhalme zum Scheuern der Zinngefäße: alles mußte -registriert sein in Gabrielens Köpfchen, und sie mußte merken lassen, -daß es das war, und durfte doch den Anschein geizigen Nachzählens nicht -haben. - -Doch war dies der bei weitem leichtere Teil ihrer Aufgabe. Weit ernster und -verantwortungsreicher erschien das Amt, das sie an ihrem Gatten zu -üben hatte. Scherzen und kosen, wenn er zum Kosen bereit war, und -beiseitestehen, wenn Wichtigeres ihn beschäftigte, ist nichts; das lernt -jede Frau über Nacht. Aber der Ratsherr stand mitten im öffentlichen -Leben, und jeder seiner Schritte hatte eine Bedeutung für viele, wurde -getadelt oder gebilligt. Und Segen wie Fluch schlug zuerst an das Ohr -seines Weibes. Da hatte Gabriele denn zu lernen, was sie verraten und was -sie verschweigen mußte; was sie auf eigene Gefahr hin schlichten oder -in rechtes Licht rücken durfte, und was sie still bei sich herumtragen -mußte, um es im gegebenen Augenblick vorzubringen und zu befürworten. Sie -hatte zu lernen, wo man horchen und wo man sich abwenden mußte; sie, die -Arglose, mußte unterscheiden können zwischen Übelwollenden, Gleißnern, -schwachen Gutwilligen und fest Erprobten; mußte wissen, wen der Ratsherr -zu Recht oder Unrecht liebte, wen er verkannte, wen er fürchtete. Sie -hatte auch zu lernen, wann sie selbst ein Anliegen vorbringen durfte, wann -ein teilnahmsvolles Fragen von ihrer Seite erwartet ward, und wann sie sich -gedulden mußte, bis des Gatten Herz und Mund sich von selber auftat zu -seiner Erleichterung. Sie mußte Wolken auf seiner Stirn sehen, die ihr -bange machten, und durfte nicht fragen: »bin _ich_ schuld?« und sie -mußte Teilnahme und oft gar Rat in Dingen finden, die sie nur halb -verstand. - -So war es zu jener Zeit, in welcher die Frauen das Wort »Bedeutung« -noch nicht kannten und doch _alles bedeuteten_ für den Kreis, in dem -sie standen: da durfte jeder Brave all diese Dinge und noch viel mehr von -seiner Frau verlangen. Es ist damals nicht leicht einem Manne eingefallen, -Rücksicht auf die Anlage einer Frau zu nehmen, und noch viel weniger einer -Frau, es zu beanspruchen. Ich glaube nicht, daß die Männer sich höher -fühlten als heute; aber sie vertraten die eiserne Notwendigkeit des -Lebens, den Kampf, die Ehre der Gemeinde, die Sicherheit des Vaterlandes. -Und dieser Notwendigkeit allein ordneten die Frauen sich unter, waren -ganz Beobachtung, ganz Anpassung, ganz Entsagung. So töricht waren wenige -Frauen, daß sie _das_ nicht begriffen hätten: des Mannes Arbeit konnte -nur gesegnet sein, wenn die aufreibenden Nichtigkeiten des täglichen -Lebens ihm erspart blieben. Die Frau war noch nicht zur Krone der -Schöpfung proklamiert, ach! aber sie war die unentbehrliche Lebenskraft -des Einzelnen wie des Ganzen. - -Und so war auch Gabriele in ihrem kleinen Reiche. Ihr Gatte fühlte wohl, -was sie ihm und dem Hause war. Hatte er sie vorher geliebt, so betete er -sie jetzt an. Er schätzte ihren Rat; die leiseste Wolke der Mißbilligung -auf ihrer klaren Stirn war ihm wie ein schwerer Tadel; eine Träne in ihren -Augen machte die seinen hellsehend und milde. Er wußte, daß ihm nichts -Unnützes, Eitles, Spielerisches von ihr kam; die Frau, der einst die -eigene Arbeit heilig war, hielt wie eine Priesterin die Arbeit ihres Gatten -hoch. - -Es kamen Kinder. Sie vermehrten Gabrielens Lasten, sie kürzten ihr den -Schlaf. Sie brachten aber auch wieder liebliche Ruhestunden, in denen -die Gatten, Hand in Hand sitzend, sich sorglos dem Anschauen ihrer Spiele -hingaben. Und jetzt hätte beider Glück vollkommen sein müssen -- wenn -nicht in Gabrielen langsam, aber stetig um sich greifend, eine heimliche -und geheimnisvolle Krankheit am Werke gewesen wäre. - -Es war nicht die Krankheit des Körpers. Die ersten Zeichen stellten sich -schon etwa zwei Jahre nach ihrer Vermählung ein und waren so subtil, daß -sie kaum Gabrielen selbst zum Bewußtsein kamen. Nur eine flackernde -Unruhe war's, etwas wie Unlust am Schaffen, etwas wie Sehnsucht, sich einem -bestimmten Gedanken einmal ganz und ungestört hingeben zu können. Was -für ein Gedanke das sein mochte, darüber nachzudenken fand Gabriele nicht -Zeit noch Muße. Unaufhaltsam drängte das geschäftige Leben mit seinen -tausend Forderungen. Aber während sie treu und emsig ihr Linnen maß, -ihre Brote zählte, ihren Haspel füllte, ihre nähenden, spinnenden und -kochenden Dienerinnen beriet, glitt es schemenhaft vor ihr her wie ein -luftiges Etwas, das sie gerne festgehalten hätte und nicht greifen konnte. -Wie ein ferner, süßer, vertrauter Ton, der leise, leise heranschwebte, -und den der Lärm der Gegenwart verschlang. Wenn sie sich eine -Viertelstunde Muße erhetzt hatte, siehe, dann war alles leer und tot in -ihr, und sie fragte sich erstaunt, wozu sie nun so geeilt hatte. Meist -freilich kam es nicht zur ersehnten Ruhepause; meist, wenn sie mit -dem letzten Griff ihres Tagewerkes das eiserne Gewand ewig gespannter -Aufmerksamkeit glaubte hinwerfen zu können, kam ein Gast, ein -Notleidender, eines ihrer Geschwister, ihr Gatte. Sagen, daß Gabriele sich -nicht gefreut hätte, daß ihr Herz und ihre Arme sich nicht in Liebe dem -Kommenden geöffnet hätten, wäre Wahnwitz; aber das geheimnisvolle Etwas, -dem sie einen Schritt näher gewesen zu sein meinte, huschte wieder vor ihr -her. Sie konnte nicht anders, als ihm nachblicken -- nachsinnen -- einen -Augenblick wenigstens! Und ihr erster Gruß klang zerstreut. - -Selbstvorwürfe vollendeten, was die nagende Unruhe begonnen hatte: -Gabrielens Äußeres zeigte die Spuren ihrer inneren Zerrissenheit. Ihr -Auge haftete nicht mehr klar und freundlich im Auge des Gatten, es irrte -suchend umher und senkte sich oft. Von ihrer Stirn wollte eine kleine böse -Falte fast nie mehr weichen. Ihre Wangen verblaßten, ihr Körper magerte -ab. Da bemerkte der Ratsherr die Veränderung, erschrak aufs tiefste und -beschwor sie, ihm zu sagen, was ihr denn fehle. - -Gabrielen traten die Tränen in die Augen, als sie ihn so ergriffen sah. -Sie legte die Arme um seinen Hals, hob ihr Antlitz zu ihm auf und sagte -ernsthaft: »Ich schwöre dir bei Gott, daß ich nicht weiß, was es ist. -Wüßte ich es, ich würde es dir längst gesagt haben, würde längst auf -Abhilfe gesonnen haben. Denn es ist mir, als brenne ein Feuer unter meinen -Füßen, das mich dahin und dorthin treibt und mich keinen Bissen Brot in -Ruhe essen läßt. Ich möchte glauben, daß ich behext bin.« - -»Gabriele,« flüsterte der Mann, indem er sie fester an sich zog, -»Gabriele, bist du nicht glücklich?« - -»O Liebster,« rief sie weinend, »ich liebe dich wie an dem Tage, da Gott -unsre Hände ineinanderfügte. Ich liebe dich noch tiefer, inniger. Jede -Stunde meines Lebens war mir eine neue Offenbarung des seligsten Wunders. -Du bist mir alles!« - -»Dann verstehe ich nicht, was dich grämt,« sagte der Ratsherr. Und nach -einer Weile fragte er wieder: »Hast du Sorgen um die Kinder?« - -»Sie blühen wie die Rosen im Hag,« rief Gabriele, und ihr Gesicht -leuchtete unter ihren Tränen. »Täglich danke ich Gott, daß er mir -solche Kinder geschenkt hat!« - -»Dann verstehe ich nicht, was dich anficht,« sagte der Ratsherr noch -einmal. Er suchte hin und her in seiner Angst und verfiel auf dieses und -jenes. »Hat dich irgendeiner meiner Sippe gekränkt? Ist von den Deinen -jemand in Not oder krank? Sind die Knechte aufsässig oder die Mägde faul? -Gehen Gerüchte über mich in der Stadt umher?« - -Da mußte Gabriele lächeln in all ihrer Bangigkeit. »Glaube mir, Lieber, -wenn die Dinge, die du da genannt hast, imstande wären, so monatelang an -meiner Ruhe zu nagen, dann müßte ich eine schlechte und törichte Frau -sein. Ich wäre ehrlich zu dir gekommen, wenn ich in Sorge um die Meinen -oder in Not mit dem Gesinde gewesen wäre. Deine Sippe ist voll Güte zu -mir, und was die Neider im Lande betrifft, so weißt du, daß ich mir ihre -Meinung nur zu Herzen nehme, wo ich weiß, daß du Nutzen draus ziehen -kannst. Nein -- das alles ist nicht, was mich quält.« - -»Vielleicht«, sagte der Ratsherr, »liegt zu vieles auf deinen -Schultern. Du bist so gewissenhaft, und ich sah noch nie, daß du dir Ruhe -gönntest.« - -»Meine Schwestern arbeiten bis in die tiefe Nacht um ihr Brot,« rief -Gabriele ein wenig erzürnt ob der Zumutung, »und ich soll das nicht -leisten können, was nur Freude und Spiel für mich ist? Nie hat mich die -Not getrieben, länger zu arbeiten, als ich es gerne tat; nie hat mir die -Arbeit den Schlaf gekürzt. Es gibt Mütter, die mehr Kinder und weniger -Gesinde haben. Ich würde mich schämen, das Wort Übermüdung nur zu -nennen.« - -»Dann,« sagte der Ratsherr in tiefer Besorgnis, »dann sehe ich nur noch -eines: dann bist du krank! Und das ist wohl das Schlimmste von allem. Denn -es zwingt uns, Hilfe außer uns zu suchen.« - -Gabriele erschrak und wehrte sich lange, denn sie empfand, so unerfahren -sie in ärztlichen Dingen auch sein mochte, dunkel die Gefahr -der Irreleitung für den Arzt, dem sie keine Krankheit, nur einen -unbeschreiblichen Seelenzustand vorführen konnte. Sie sah voraus, daß sie -nutzlos mancherlei Qualen würde ertragen müssen, und sie fürchtete sich -sehr. Denn in jener Zeit gingen Ärzte mit grausamen Mitteln ihren Kranken -zu Leibe, und alles, was wie Geistesverwirrung aussehen konnte, wurde mit -Härte ausgetrieben, als ob man die rebellische Vernunft durch strenge -Maßregeln hätte zwingen können. Gabriele bat daher ihren Gatten -flehentlich, noch ein Weilchen zu warten, ob das Übel nicht etwa von -selbst weichen wolle; und er, dem das Herz blutete bei dem Gedanken, die -liebste Frau von den Händen fühlloser Quacksalber mißhandelt zu sehen, -willigte nur zu gerne ein. - -Aber das kleine graue Schemen blieb da und rollte wie ein gespenstisches -Garnknäuel, das sich hemmend und verwirrend in tausend listigen Schlingen -abwickelt, vor Gabrielens Füßen her. Sie machte jede Anstrengung, deren -ihr sonst so starker Wille fähig war, die sonderbare Verstimmung ihres -Gemütes zu vergessen. Sie log eine gesteigerte Heiterkeit, sie suchte neue -Zerstreuung, sie berauschte sich in Festen und schmückte sich, wie sie -es vorher nie getan. Es waren traurig gewaltsame Versuche, die nach kurzer -Zeit traurig endeten. Die quälende Unruhe in ihrem Innern brannte weiter -und zehrte an ihr wie ein Fieber. - -Aber Gabriele lebte in einer Zeit, wo dem Menschen die Fähigkeit der -Reflexion, der Selbstbespiegelung in beschränkterem Maße verliehen -war, als dies heute der Fall ist. Sogar die Sprache jener Zeit ist arm -an Ausdrücken, die für solche inneren Zustände Maß und Wage geboten -hätten. Und selbst gesetzt den Fall, es hätte ein Wissender Gabrielen die -Augen öffnen können und ihr einen Einblick geben in das feine Uhrwerk -der Natur, die in jedes Würzelchen den Trieb lichtsuchenden Schaffens, in -jeden Nerv den Drang zur Tätigkeit gelegt hat, und die sich durch grimme -Unregelmäßigkeit rächt, wenn irgendwo ein Kleinstes verkümmert -- -Gabriele würde ihm nicht geglaubt haben. Ein Dasein, das vor Not und -Fährde geborgen war; ein Gatte, der sie liebte, und holde, blühende -Kinder: sie würde jeden einen Frevler genannt haben, der mehr vom -Schicksal gefordert hätte. Daß ein Organ in ihr krankte und siechte, sie -ahnte es nicht. - -Eine böse und wirre Zeit begann für Gabriele. Denn endlich mußte sie -doch in ihrer Hilflosigkeit den Rat des Arztes suchen, und, da natürlich -der eine Rat nicht das Richtige traf, einen langen Leidensweg voll -unnützer und schädlicher Versuche durchlaufen. Von den Blutegeln und -spanischen Fliegen, von den Pflastern, Salben, Tränklein, Bädern, Pillen -und Aderlassen will ich erst gar nicht anfangen zu berichten. Gabriele -hatte bei aller Zartheit einen gesunden Körper und trug keinen dauernden -Schaden davon. Aber was ihr schadete und ihren Zustand verschlimmerte, war -die anhaltend auf ihr Leiden gerichtete Aufmerksamkeit. Gabriele empfand es -als höchst lästig, über viele Dinge Auskunft geben zu müssen, auf -die sie bisher keinen Gedanken verwandt hatte; teils empörte sich -ihre Keuschheit, teils ihr gesunder Verstand, der ihr die künstlich -ausgedachten Zusammenhänge zwischen dem und jenem lächerlich erscheinen -ließ. Und es bemächtigte sich ihrer ein Gefühl hilflosen Zornes, eine -böse Ungläubigkeit, die bei jedem neuen Ratschlag sich in heftigen Launen -äußerte und die ihr ganzes Wesen in Reizbarkeit und Unfreundlichkeit -wandelte. - -Es mochten vier Jahre vergangen sein, seit diese Veränderung ihres ganzen -Selbst in Gabrielen am Werk war. Auch für den Ratsherrn war dieser Weg ein -Leidensweg gewesen. Er konnte sich nicht verhehlen, daß sie ihm manches -vorenthielt, worauf er durch süße Gewohnheit ein Recht zu haben glaubte. -Nicht mehr in beschaulicher Betrachtung des Lebens konnten die Gatten Hand -in Hand einherschreiten. Gabriele war auch hierin verändert, daß -sie schwärzer sah als vorher, sich vor Aufregungen ängstigte, daß -Mißerfolge sie schreckten, Unfreundlichkeiten sie kränkten. Auch -mußte der Ratsherr so manches für sich behalten, was er sonst -selbstverständlich auf ihre Schultern geladen hatte, weil er fürchtete, -ihrer Schwäche neue Lasten aufzubürden. Freilich entging der Frau diese -Änderung seiner Gewohnheiten nicht, und sie war klug genug, sie auf die -richtigen Ursachen zurückzuführen. Und diese Erkenntnis ward eine Quelle -der tiefsten Verzweiflung. Sie sah, daß _alles_ auf dem Spiele stand, daß -sie nur um einer unbegreiflichen Verstimmung willen, über die sie nicht -Herr werden konnte, das Beste zu verlieren im Begriffe stand. In solchen -Augenblicken schien es ihr, als müsse sie das Fürchterlichste auf sich -nehmen, um nur die einstige Gesundheit wiederzugewinnen; sie unterwarf sich -jeder Vorschrift der Ärzte, sie ward eine zahme, gewissenhafte Patientin --- bis das Stadium der Entmutigung, der Hoffnungslosigkeit, der Rebellion -wieder eintrat. - -Und so wäre Gabriele mit der Zeit wohl dem Schicksal so mancher Frau -verfallen, jener krankhaft gesteigerten Reizbarkeit und dem unfruchtbaren -Getändel mit Heilmethoden aller Art. Und es wäre ja wohl auch ihr -Eheglück schließlich dem unfaßbaren Verhängnis zum Opfer gefallen. - -Da kam Rettung in Gestalt jener treuen alten Freundin, die für Gabriele -seit den ersten Tagen ihrer Ehe wie eine Mutter gefühlt hatte. Sie hatte -die junge Frau in alle ihre Pflichten hineinwachsen sehen. Sie hatte, -vielleicht wachsameren Auges als der Ratsherr selbst, die ersten Zeichen -jener seltsamen Müdigkeit und Zerstreutheit beobachtet, die stets -wachsende Hast und Unruhe, schließlich die unbezwingliche Übellaunigkeit. -Auch sie gehörte zu den Menschen, die gern die nächste und einfachste -Ursache der Dinge annehmen, und sie hatte sich ihren Vers gemacht, lange -ehe die Ärzte mit ihren Versuchen begannen. Aber bedächtig, wie sie war, -hielt sie mit ihrem Wissen zurück, ließ sich indessen gern von Gabrielen -jede neue Erfahrung und jede neue Behandlung erzählen, freute sich -ihrer Nutzlosigkeit und gewann endlich Gabrielens Vertrauen zu einer -erschöpfenden Beichte. Und als sie die phantastische Geschichte all dieser -gestaltlosen Leiden, das wirre Bekenntnis der Willenlosigkeit und all -die Befürchtungen und Reuequalen des armen Weibes vernommen hatte, da -erwiderte sie nur mit der einfachen Frage, ob denn Gabriele nicht des Guten -zu viel tue, wenn sie so rastlos tätig sei. Wie vorher ihrem Gatten, so -antwortete Gabriele nun auch der Freundin mit Entrüstung, sie wisse nichts -von Ermüdung. - -»Man kann auch am Genuß Schaden nehmen, wenn man zu viel tut,« erwiderte -die weise Freundin. »Und du kannst nicht leugnen, daß dein Gesicht sich -verdunkelt, wenn Gäste oder Hilfeheischende kommen. Ich sage dir, sogar -gegen Mann und Kinder habe ich dich oft lässig gesehen, als ob ein -heimlicher Gedanke in dir hämmerte, daß du unausgesetzt auf ihn -horchen mußt. Ich habe auch ein großes Haus geführt, habe viele Kinder -großgezogen und meinem Gatten manche Sorge ferngehalten. Es ist mir nie zu -viel geworden, aber müde war ich oft, zum Sterben müde. Und dann, dünkt -mich, mag eine Stumpfheit, wie deine jetzt, auch mich besessen haben.« - -Sie redete lange auf Gabriele ein. »Wir sind ehrgeiziger, als wir scheinen -mögen,« sagte sie unter anderem; »meinst du, ich weiß nicht, was es -kostet, ein Haus so schmuck zu halten? Ich entsinne mich noch gut, was -du sagtest, als du diesen Teufelskram von Weltwundern und -Jahrmarktsseltenheiten, den die Mannsbilder so närrisch lieben, zum ersten -Male sahst: nicht zur Scheuermagd hieltest du dich gut genug! Und jetzt -sieh her, was du gelernt hast, was du leistest! Zähle die Schritte, die -du vom Morgen bis zum Abend vom Brotspeicher im Dach bis zum Fischbecken -im Keller tust! Das zehrt an deiner Kraft, mein Kind, und wenn du es -auch nicht wahrhaben willst, dein Leiden ist nichts als Müdigkeit und -Schwäche!« - -Das klang alles so einfach, daß Gabriele nicht zu widersprechen wagte; sie -konnte nicht leugnen, daß jede neue Forderung an ihre Zeit sie mit einem -Unlustgefühl erfüllte, das sie nur schwer bekämpfen konnte. Sie duldete -es, daß die alte Dame den Ratsherrn und den vertrautesten Arzt des Hauses -zur Stelle rufen ließ, und daß schließlich ein feierliches Konsilium -abgehalten wurde, wie man der eigensinnigen Gabriele, die von Ruhe -nichts wissen wollte, wieder zu Kräften helfen könne. Der Arzt, der der -Vernünftigen einer war, wußte Rat: »Wann schläft Euer jüngstes Kind?« -fragte er die Patientin. »Zwei Stunden um die Mitte des Tages? Nun wohl, -um diese Zeit seid Ihr entbehrlich, denn die größeren Kinder werden wohl -bei einer Schaffnerin versorgt werden können. Ihr legt Euch also still -zu dem Kleinen und schlaft, solange er schläft! Nehmt dies als eine -Verschreibung und handelt gewissenhaft danach!« - -Gabriele empörte der Gedanke, daß sie um die Mitte des Tages schlafen -solle wie eine Greisin; sie wandte auch gleich ein, daß sie gerade -diese zwei Stunden, wo das Kind ihrer entraten könne, für mancherlei -Hausgeschäfte dringend brauche. Aber der Arzt wiederholte seinen Befehl in -strengem Tone, die Freundin bestürmte sie und der Gatte bat leise, mit dem -alten Liebesblick in ihre Augen, um seiner Ruhe willen das kleine Opfer zu -bringen. Da mußte sie nachgeben und versprach, das sonderbare Mittel eine -Woche lang zu versuchen. - -Das erstemal, als Gabriele sich hinlegte, lag sie mit weit starrenden Augen -und dachte an alles, was jetzt im Hause vorgehen mochte ohne ihr Dabeisein. -Sie lauschte auf jedes Geräusch, das gedämpft in ihr geschlossenes Gemach -drang. Sie hörte die Haustüre fallen und wußte, daß jetzt die Bäuerin -vom Gutshofe gekommen war, um Eier abzuliefern, und war ärgerlich, daß -sie nicht dabei sein konnte, sie Stück um Stück durch die hohle Hand -zu prüfen. Sie hörte gelle Schreie der Kinder und wußte nicht, ob sie -Freude oder Schmerz bedeuteten. Sie wurde aufgeregter, erhob sich nach kaum -einer Viertelstunde und eilte zu ihrem Gatten, um ihn zu bitten, sie von -ihrem Versprechen zu entbinden. Diese Art von Ruhe sei keine Erholung, -hundertmal wohler wäre ihr, wenn sie wüßte, was vorginge, und nachher -nicht Fehler gutzumachen hätte, die während ihrer Abwesenheit begangen -worden seien. - -Der Ratsherr sah erst etwas böse drein, indes ein Blick in das zuckende -Gesicht seiner Frau machte ihn mitleidig. Er legte den Arm um ihre -Schultern und führte sie sanft, aber stark in das Schlafzimmer zurück, -indem er ihr voll Innigkeit und Liebe ins Gewissen redete. - -»Gabriele,« sagte er, »hast du die Zeit vergessen, wo wir die -glücklichsten Menschen auf Erden waren? Wo du heiter und weise warst, mein -Sonnenschein und mein Vertrauter, mein Ratgeber, mein besseres Selbst? Das -alles ist mir verloren, seit du krank bist; ich trage meine Sorgen allein -mit mir herum und wage nicht, sie mit dir zu teilen. Und du willst nichts -tun, um mir das Glück zurückzugewinnen? Was kann denn in diesen zwei -Stunden Schlimmes im Hause vor sich gehen, was nicht mit Geld gutzumachen -wäre? Und würde ich nicht alles Geld und Gut der Erde hingeben, um dich -wieder gesund zu sehen? Komm, tu mir's zuliebe! Leg dich hierher neben das -Kind! Sieh, wie süß es schläft!« - -Er drückte die Widerstrebende, aber schon halb Beschämte in die Kissen -nieder, legte vorsichtig das schlafende Kind neben sie, nahm ihre Hand, -ihren Zeigefinger und drückte ihn sacht in die Fläche des kleinen rosigen -Pfötchens, das sich im Augenblick der Lageveränderung ein wenig geöffnet -hatte. Augenblicklich schlossen sich die Fingerchen des Kindes um den -vertrauten Gegenstand mit jenem festen, weichen Drucke, den Mütter wohl -kennen. Gabriele mußte lächeln, so nah ihr sonst die Tränen gewesen sein -mochten. Sie ließ das Haupt mit einer Gebärde der Ergebung in die Kissen -sinken, küßte ihres Gatten liebevolle Hand und schloß die Augen. - -Da sie aber wirklich nicht schläfrig war, öffnete sie sie bald wieder und -lauschte weiter. Aber erstens durfte sie das schlafende Kind nicht wecken, -das immer noch ihren Zeigefinger festhielt, und dann lagen ihr auch die -weichen Worte ihres Gatten im Sinne, und sie dachte, daß sie es ihm -schuldig sei, jedes Mittel der Heilung zu versuchen. Deshalb bezwang -sie sich, lag still und betrachtete das liebliche Gesichtchen ihres -schlummernden Kindes. - -Und wie sie sich so recht vertiefte in den Anblick, an dem eine Mutter sich -nie satt sieht, da glitt unversehens ihr Blick über das Spitzenhäubchen -hin, das des Kindes rosiges Köpfchen umschloß. Es war einem ihrer -älteren Kinder von irgendeiner Pate geschenkt worden und mochte bei dem -ersten besten Krämer gekauft sein, denn es war von unedler, alltäglicher -Arbeit. Aber etwas in der Zeichnung der Spitze bannte Gabrielens -Aufmerksamkeit »Wie hübsch ist dieses Muster,« dachte sie, »wenn das -Ding nur besser gearbeitet wäre!« Sie begann zu sinnen, ihre Phantasie -heftete unvermerkt ihren silbernen Spinnwebfaden an dem kleinen Erlebnis -an und spann und spann, bis ein schimmerndes Netz von feinen Kunstgedanken -klar ausgearbeitet vor Gabrielens innerem Auge lag. Sie sah ein Gebilde -von tausend geduldig geknoteten Schlingen, so zart, daß ein Blumenelf -die Fingerchen gespitzt haben würde, um es anzufassen, so dicht, daß er -keinen Blütenstaub damit hätte sieben können, und so fest und straff -geädert wie ein Bienenflügel. Und als Gabrielens Auge dies sah, da fuhr -es wie ein Feuer in ihre Hand. Es war ihr, als müsse sie aufspringen -und sich an die Arbeit machen; Haussorgen und drängende Arbeit waren -vergessen. - -Aber das Kind hielt sie fest. Das feine Händchen hatte solch eisernen -Griff, daß Gabriele den umklammerten Zeigefinger kalt werden fühlte. So -ergab sich denn die Mutter für dies eine Mal, arbeitete aber im stillen an -ihrem Vorsatze weiter, in der ersten freien Minute mit der Ausführung der -Spitze zu beginnen, und überlegte, wo sie ihre Geräte haben konnte. Und -als endlich ein tiefer Atemzug neben ihr und das freiwillige Losspannen -der energischen kleinen Fingerchen ihr verriet, daß ihre Gefangenschaft zu -Ende sei -- da wunderte sich Gabriele ein wenig, wie rasch ihr diese zwei -Stunden dahingegangen. - -Der Ratsherr war klug genug, nicht gleich am ersten Tage nach der Wirkung -der Verordnung zu fragen. Er berührte mit keinem Wort Gabrielens Befinden, -und sie war glücklich darüber, denn es wäre ihr schwer geworden, ihm zu -sagen, daß sie nicht geschlafen habe. Einmal fiel ihr mitten in der -Arbeit ihr Spitzenmuster ein. Sie sah es vor sich mit einer gespenstischen -Deutlichkeit, weiß leuchtend wie Phosphor auf einem Grunde von -schwärzester Nacht, die jeden andern Gegenstand im Zimmer verhüllte. -»Noch habe ich es nicht vergessen,« dachte sie voll Freude. Dann seufzte -sie leise und schüttelte sich. Das Erwachen kam, das Besinnen auf die -tausend Notwendigkeiten des Tages, und ein mutloses Aufgeben: »Dazu komme -ich ja doch nie!« - -Am andern Tage begleitete der Gatte sie wieder ins Schlafgemach, ließ aber -auf ihre Bitte das Kind in der Wiege liegen. Ehe er das Zimmer verließ, -flüsterte er von der Türe her noch einmal ein eindringliches »Mir -zuliebe!« zurück. Die Frau wurde flammend rot. »Ja, Liebster!« hauchte -sie kaum hörbar. Sie lag einige Minuten und kämpfte mit sich, hätte gern -getan, was sie für eine Pflicht hielt, brachte es aber nicht über sich. -Sie sprang auf, verriegelte die Türe, huschte schuldbewußt ängstlich -und auf jeden nahenden Tritt lauschend im Zimmer umher, bis sie ihre -Siebensachen beisammen hatte, und saß bald über ihr Pergamentstreifchen -gebeugt, den Klöppelbrief entwerfend. - -Sie arbeitete, daß ihre Wangen brannten. Die Zeichnung war fast fertig, -als das Kleine erwachte. Als der Gatte sie später erblickte, streichelte -er ihr lächelnd das Gesicht, in dem die Röte des inneren Feuers noch -weiterglühte, und sagte mit glücklichem Ausdrucke: »Rotgeschlafen wie -ein Kind!« Sie hätte vor Beschämung in den Boden sinken mögen -- aber -wie hätte sie die Wahrheit gestehen sollen? - -Den nächsten Tag betrat Gabriele ihr Gemach mit den Gefühlen einer -Verbrecherin. Der Gatte verweilte einige Minuten, die ihr wie Stunden -erschienen, lobte zärtlich ihre Fügsamkeit und Geduld und sah die -Gebärde nicht, mit der sie sich abwandte. Kaum daß er sie verlassen, -sprang sie vom Lager, schon war das Klöppelkissen zur Stelle, und in -wenigen Handgriffen alles zur Arbeit bereit. Nun saß sie, füllte ihre -Spülchen, steckte ihre Nadeln und schrak erst beim hellen Aufschrei -des erwachenden Kindes empor, mit einem leisen Ausdruck des Bedauerns im -erregten Antlitz; sie hatte gehofft, an diesem Tage noch mit dem Klöppeln -beginnen zu können. - -Von nun an freute sie sich den ganzen Morgen, was immer sonst ihre -Hände auch schaffen mochten, auf die stille heimliche Klöppelstunde -am Nachmittag. Die eichenen Türen hielten das kleine Geheimnis wohl -verborgen. Was sie an Lärm aus Haushalt und Kinderstube etwa durchließen, -das drang nicht an Gabrielens Ohr; das leise Rollen und Klappern der -Spülchen, jener alte, süße, vertraute Elfentanzschritt, sie übertönten -alles. Und jeden Tag erschrak sie ein wenig, wenn des Kindes Weckruf -ertönte. - -Den Rest des Tages fühlte Gabriele sich leicht und frei. Daß sie eine -heimliche Sünderin war, bedrängte sie fürs erste gar nicht, wenn sie -auch ihrem Gatten gegenüber sich schuldig fühlte. - -Als die Woche um war, an die Gabriele sich mit ihrem ersten Versprechen -gebunden hatte, wagte der Ratsherr eine Frage: ob sie denn schon eine -Veränderung in ihrem Befinden bemerke? Gabriele erschrak heftig und wußte -sich nicht anders zu helfen als mit einer Gegenfrage: ob _er_ denn eine -Veränderung in ihrem Gehaben bemerke? Der Ratsherr erwiderte: »Mich -dünkt, du bist froher und gleichmäßiger, auch scheint mir, du hast -wieder eine lachende Erwartung im Gesicht wie einst. Ich wage es aber noch -nicht zu glauben!« Da antwortete die listige Frau: »So will ich noch eine -Woche versuchen, es so zu machen, wie ich es diese letzte Woche gemacht -habe.« - -Sie konnte sich indes nicht verhehlen, daß in der Tat eine -Rückveränderung zu ihrem alten Selbst mit ihr vorging. Wenn sie sich den -ganzen Morgen in der Tiefe ihres Herzens auf die kommende Stunde freute, -so freute sie sich den ganzen Abend über das, was sie in dieser Stunde -fertiggebracht hatte, und kam so einfach aus dem Freuen nicht heraus. Sie -trug es mit sich herum wie eine liebliche Melodie, die einem auf Schritt -und Tritt nachgeht. Ja, auch diese Empfindung mußte Gabriele sich -eingestehen: es glitt ihr nur so unter den Händen weg, was sie sonst mit -Unlust getan hatte; wenn ihr sonst der Tag zu kurz geschienen hatte für -alles, was er erheischte, so war er jetzt mit einem Male um vieles länger, -seit die bewußten zwei Stunden daran fehlten. Es war ihr Klarheit gekommen -über das Wesen ihrer Krankheit, als sie begriff, daß die gewohnte und -geliebte Tätigkeit ihr bisher an ihrem Glück gefehlt habe. Und wenn -sie sich auch verwunderte, wie es hatte sein können, daß eine solche -Albernheit, wie sie es nannte, ihr fast das Leben zerstört hätte, so -wußte sie doch, daß dem wirklich so war. Tief dankbar empfand sie, wie -Ruhe und Frohsinn sich täglich mehr in ihr und um sie verbreiteten, wie -ein sanftes Licht auf ihren ganzen Lebensweg fiel. - -Sie hätte gern das Wundersame und Unbegreifliche des ganzen Vorganges -verstehen mögen, und es drängte sie oft, zu ihrem Gatten zu eilen und -ihm ihr Gefühl zu äußern, ihn zu fragen, ob er eine Erklärung oder -ein Beispiel dafür kenne. Es tat ihr weh, dies Unverstandene mit sich -herumzutragen, ohne es mit ihm zu teilen, der es vielleicht verstanden -hätte. Aber sie fürchtete zu sehr das Geständnis ihres Betruges. Wenn -sie bedachte, mit welch rührender Treue er immer dafür gesorgt hatte, -daß in jenen ihrer Ruhe geweihten zwei Stunden kein Schritt ihrer Türe -sich nahe, so fand sie es unmöglich, ihm zu sagen, daß diese Sorgfalt -verschwendet, seine liebende Aufmerksamkeit mißbraucht worden war. »Wenn -er hört, daß ich ihn monatelang betrogen habe,« so dachte Gabriele oft -mit leisem Kummer, »so wird seine Liebe zu mir verlöschen. Er ist -die Wahrhaftigkeit selbst!« Und sie schwur sich zu, daß er nie um das -Geheimnis wissen sollte. - -Der Ratsherr küßte seiner alten Freundin die Hände und nannte sie -gerührt die gütige Vorsehung seines Lebens. Die gute Matrone freute sich -des Erfolges, den ihre einfache Verordnung gehabt, und Gabriele, wenn sie -es hörte, lächelte beklommen und dachte bei sich: »Auch diese darf -nie erfahren, daß ihr Rat unbefolgt geblieben ist. Wie würde sie sich -kränken!« Und ebenso schwieg sie dem Arzte gegenüber, mit weiblicher -Feinheit daran bedacht, ihm das Gefühl der Lächerlichkeit zu ersparen. - -Je weiter die Arbeit fortschritt, je köstlicher und reicher die zarte -Kunstfertigkeit der neugeübten Finger sich kundtat, desto stiller und -seliger wurde Gabriele. Alles Irdische erschien ihr klein. Denn wahre -schöpferische Kunstliebe ist nicht anders als wahrer Gottesglaube, sie -leiht der Seele schöne lichte Flügel, mit denen sie über die Erde -schwebt. - -Zwei Stunden täglich sind eine knappe Zeit, um ein großes und -allerfeinstes Werk zu Ende zu führen, und Gabriele arbeitete weit -über ein Jahr an ihrer Spitze. Es kamen natürlich auch Wochen der -Unterbrechung, sei es, daß ein Kind erkrankt war, sei es, daß unruhige -Zeiten in Stadt und Land jede Ordnung auflösten. Dann unterwarf sich -Gabriele ohne einen Schatten von Verstimmung der Entbehrung. - -Endlich war das Werk vollendet. Und wie es nun so dalag, die feste -und zarte Gestaltung des schönen Traumbildes, da ging die Freude, die -Gabrielens ganzes Wesen verklärt hatte, in einen Sturm neuer Empfindungen -auf. Mit einem heftigen Erschrecken kam es Gabrielen zum Bewußtsein, daß -es jetzt um ihr Geheimnis geschehen sei: diese Arbeit ließ sich -nicht verbergen! Wie ein Hammer pochte die Angst vor dem schmählichen -Geständnis einer monatelang durchgeführten Unredlichkeit in Gabrielens -Herzen; aber Schlag um Schlag traf einen Gegenschlag. Wie Gabriele als -Mädchen gelechzt hatte nach dem verstehenden Worte, das ihrer Arbeit -die Krone aufsetze, so brannte sie jetzt töricht und wild auf eine -Möglichkeit der Verwendung ihres Geschaffenen. Sie versuchte die Spitze -zu vergessen, aber es war ihr, als habe sie ein Kind lebendig begraben. Sie -haderte mit ihrer Natur, die sie erst zu Heimlichkeiten trieb und dann zum -Geständnis zwang; sie begriff nicht, welche Dämonen in ihr tätig sein -konnten, hielt sich vor, daß ihr Lebensglück auf dem Spiel stehe, und -gewann es über sich, vierundzwanzig Stunden nicht an die Spitze zu denken. -Dann kam der Augenblick der Mittagsruhe, des Alleinseins -- und da -saß sie, hielt die Spitze in der Hand, saugte sich mit Blick und Geist -ordentlich in jede Masche fest und fühlte, daß die Arbeit nicht fertig -sei, solange sie hier in der Verborgenheit begraben liege. Und nach einigen -Tagen aufreibenden Kampfes gab Gabriele ihn auf und sann nun nur noch auf -die erträglichste Form, ihr Schuldgeständnis darzulegen. - -Sie holte aus einem Schrank, der Abgelegtes und Ungebrauchtes barg, das -Kleid hervor, das sie in den letzten Jahren ihrer Mädchenzeit getragen, -das Kleid, in dem sie ihre Liebe und ihr Glück gefunden, das schlichte, -dünne, ärmliche braune Kleid mit dem zierlichen Halstuch und dem reinlich -gefältelten Häubchen. Sie hatte es nie übers Herz gebracht, sich von -diesem Kleide zu trennen, hatte es oft mit heimlicher Rührung betrachtet, -es sauber gehalten und vor dem Verfall bewahrt. Jetzt probierte sie es an -und änderte flugs mit geschickten, leichten Stichen Sitz und Weite. Sie -lachte ein bißchen, als sie es anzog, und freute sich, daß sie ihrem -früheren Selbst darinnen gar nicht so unähnlich sah, wie man es nach -sechsjähriger Ehe hätte meinen sollen. Ein schwarzer Sammetfleck fand -sich auch, den spannte sie fein über ein Kissen, nadelte ihre Spitze -recht anschaulich und kokett darauf und betrat, so gerüstet, ihres Mannes -Zimmer. - -An der Türe packte sie noch einmal die Angst, daß sie fast wieder -umgekehrt wäre. Sie wagte kaum, einen Fuß vor den anderen zu setzen; es -schien ihr, als müsse der Boden vor ihr nachgeben und sie hinuntergleiten -lassen in höllische Schlünde. Und so, in ihrer Zaghaftigkeit, mit den -gesenkten Wimpern und den von brennender Scham geröteten Wangen, glich sie -so sehr der demütigen kleinen Arbeiterin von einst, daß dem Ratsherrn, -der zuerst mit ungeduldigem Staunen auf die Verkleidung geblickt hatte, das -Herz weit wurde. »Gabriele,« rief er zwischen Rührung und Lachen, »was -soll diese Schelmerei? Willst du mir damit sagen, daß ich meine alte -Gabriele wiederhabe, die ich mir aus dem Winkelgäßchen geholt?« Sie aber -antwortete nicht, sondern kam langsam auf ihn zu, ohne ihn anzusehen und -immer das Kissen mit der Spitze ein wenig vor sich herstreckend, als solle -das Kunstwerk ihr Fürbitter sein. So mußte der Ratsherr es ins Auge -fassen, und als er es tat, stutzte er und erkannte sofort, daß es eine -neue und selten schöne Arbeit war; zugleich aber mußte er auch den -verworrenen und gequälten Ausdruck im Gesichte seiner Frau bemerken, und -es dämmerte ihm, daß da ein Geheimnis sich enthüllen sollte. »Hast du -diese Spitze gemacht, Gabriele?« fragte er sanft. »Du große Künstlerin, -es ist deine schönste! Aber wann und wo hast du diese Riesenarbeit -schaffen können?« - -Gabriele rang eine Weile mit ihrer erstickenden Angst, dann brachte sie -fast tonlos die Antwort hervor: »In den zwei Stunden, in denen ihr alle -dachtet, daß ich schliefe!« Dann legte sie ihr Kissen auf den nächsten -Tisch, bedeckte das Gesicht mit den Händen und begann zu weinen. Sie -dachte: jetzt kommt der Wetterstrahl, der all dein Glück zerschlägt! - -Aber der Ratsherr stand selber da, wie vom Wetter getroffen. Ein so -schneller, klarer Denker er auch sein mochte -- _diese_ Offenbarung nach -allem Vorhergegangenen verwirrte ihn. Daß Gabriele an der Überlast eines -großen Haushaltes, einer stets belebten Kinderstube und vielen neuen -Kenntnissen, in die sie erst hineinwachsen mußte, erkrankt war, hatte -er begriffen; daß ein täglicher, regelmäßiger Schlaf sie geheilt, war -natürlich. Aber jetzt --? Da sie nicht geschlafen hatte und doch geheilt -war, stand das Rätsel ihrer früheren Krankheit wieder ungelöst da, -vermehrt um ein neues, noch verwirrenderes! Es bedurfte der ganzen -weiblich-schönen Herzensgüte und auch der ganzen Selbstbeherrschung des -Mannes, um hier nicht, was er für eine äußerst verworrene und dunkle -Sache hielt, durch ein hartes Wort für immer um seine Aufklärung zu -bringen. Er wagte fürs erste überhaupt nicht zu sprechen, sondern -betrachtete nur immer mit neuem Staunen die wunderbare Spitze. Aber -die Frau, als sie nach einer langen Weile es endlich wagte, zu ihm -aufzublicken, konnte unschwer erkennen, daß er keineswegs zürnte, sondern -bloß sehr angestrengt nachdachte. Da trat sie an ihn heran, legte leise -die Hand auf seinen Arm und flüsterte: »Ich glaube es wohl, daß ich dir -verrückt erscheinen muß!« - -Er nahm ihre Hand und sagte lächelnd: »Ich will nicht leugnen, daß -ich dich nicht ganz begreife. Wie kamst du darauf, eine solche Arbeit zu -beginnen, da du doch sonst genug zu tragen hattest?« Da erzählte ihm -Gabriele, so gut sie es eben verstand, von der zwingenden Lust, die -sie dazu getrieben, und wie sie mit schlechtem Gewissen, aber doch mit -Seligkeit an dem Werke geschafft hätte und es nicht hätte lassen können. -Sie beschrieb auch ein wenig, wie ihr jede Arbeit verklärt und verschönt -erschienen sei im Freudenschimmer eines schöpferischen Siegbewußtseins, -und auch von ihrer Angst erzählte sie und wie sie schließlich gegen ihren -Willen, gleichsam durch die Macht ihres Geschaffenen selbst zum -Bekenntnis gezwungen worden sei. Es war alles ein wenig verworren und -unzusammenhängend, denn es war das erste- und wohl auch das letztemal im -Leben, daß Gabriele über sich selbst zu sprechen hatte, und es fiel ihr -gewaltig schwer. Aber der Ratsherr schien doch etwas davon zu verstehen, -wenigstens ging es wie Wechselspiel von allerlei Lichtern über sein -Gesicht. Dann fragte er sehr ernst und sehr eindringlich: »Nun sage mir -eines, Gabriele, was mir wichtiger zu wissen ist als alles übrige: bist du -mir nun tatsächlich genesen, oder ist das nur ein frommer Betrug vor dir -selbst, der deinen Ungehorsam rechtfertigen sollte, und fühlst du dich am -Ende noch kränker, als du es zeigen willst?« - -Da mußte Gabriele lachen in all ihrer Bangigkeit. »Siehst du mir das -nicht an, Liebster? Mußt du nicht glauben, daß das Rot meiner Wangen echt -ist, da es diesen Tränen widerstanden hat?« - -»Man sollte es meinen,« sagte er mit humorvoller Grimmigkeit. »Aber ihr -Weiber würdet den Teufel zum Narren machen mit eurer Verschlagenheit.« -Dann nahm er sein Weib in den Arm, liebkoste es innig und fuhr fort: »Es -war gut, daß du dieses Kleid angezogen hast, du Dreimalkluge! Denn dieses -Kleid hat mir die Augen geöffnet, wer du eigentlich bist, und jetzt weiß -ich auch, woran du erkrankt warst und wodurch du genesen bist. Nun sollst -du mir auch nicht mehr darben.« Und er küßte sie nur noch herzlicher, so -daß sie beglückt seine Güte und sein volles Verstehen empfand. -- - -Der Ratsherr hielt Wort. Wie er mit eiserner Strenge dafür zu sorgen -gewußt hatte, daß inmitten all der unberechenbaren Zufälligkeiten eines -großen Haushaltes der Schlaf seines Weibes nie ohne zwingende Not gestört -wurde, so sorgte er jetzt dafür, daß Gabriele die einmal eingeführte -Ruhestunde festhielt und sich ganz ihrer stillen Lust darin ergab. Gabriele -selbst hatte sich anfangs dagegen gewehrt, aber die einmal aufgedämmerte -Erkenntnis brach von Tag zu Tag zu neuer Klarheit durch, und bald war -Gabriele dem Gatten dankbar. Und weder er selbst, noch der Haushalt, noch -Kinder, noch Gäste kamen zu kurz durch diese Erweiterung von Gabrielens -Tätigkeit. Wie ein Gebet oder ein frommes altes Lied labte und reinigte -diese Stunde ihre Seele, stärkte sie zu neuem Lebenskampfe, machte sie -hellsehend und gütig. Alles Schwere, was an sie herantrat -- und es wurde -dessen mehr, wie die Kinder heranwuchsen und eigene Wege suchten -- löste -sich in sanfte Harmonie, sobald der leise Tanzschritt der Klöppelelfen -erklang. Die guten Gedanken tauchten aus den lichten Gebilden empor, -die Gabrielens Hand entwarf: nicht einzeln kamen sie, sondern in langen -freundlichen Reihen, und sie umschlossen Gabrielens ganzes Leben und ihr -ganzes Haus. - - - - -Die Tugend der Sabine Ricchiari - - -1. - -Ich war, als ich Sabine Ricchiari verstehen lernte -- _gekannt_ hatte ich -sie schon seit zehn oder zwölf Jahren! -- Seelsorger in einer kleinen -süddeutschen Stadt, hatte die Fünfzig überschritten und war also in eine -Lebensperiode getreten, wo man keinen mehr um seiner Sünde willen haßt, -keinen um seiner Tugend willen preist, sondern alle liebt, weil man alle -bedauert. Ist man einmal so weit, so fliegt einem das Vertrauen von selbst -entgegen, man darf dann nur den scheuen Vogel nicht durch eine hastige -Bewegung schrecken. Ich hörte manche Lebensgeschichte, dazu bedurfte ich -keines Beichtstuhles. Über die nun folgende habe ich heißer gegrübelt -als über sonst eine. - -Sabine Ricchiari brachte durch ihre Erscheinung schon Aufruhr in unsere -kleine Stadt. Sie war die Gattin eines Arztes, dessen Familie aus dem -Veltlin stammte, die aber, seit mehreren Generationen in Deutschland -ansässig, jede Erbschaft ihrer stolzen Abkunft verloren hatte, bis auf -den klingenden Namen. Dessen gegenwärtiger Träger nun war ein so -bescheidener, schlicht und nüchtern aussehender Mann, daß auch dieses -karge Erbe an ihm noch wie Verschwendung erschien; denn der schöne Name -wollte zu dem unscheinbaren Wesen übel passen. Er lebte einige Jahre in -einer größeren Stadt, lernte dort Sabine kennen und führte sie uns -zu, als er eine neue Praxis unter uns eröffnete. Nun, da ich die Frau -erblickte, freute ich mich, und zwar um ihretwillen, daß der Mann nicht -Schulze hieß. Denn Sabine saß der Name wie angeschaffen; sie trug das -trompetenhelle Wort vor sich her, wie eine kriegerische Jungfrau eine -silberne Tuba trägt; und wenn man ihre hohe Schönheit betrachtete, so -genoß man es doppelt, daß man dies seltsame und bedeutende Geschöpf -nicht mit einem gewöhnlichen oder gar übellautenden Worte benennen -mußte. - -Durch die engen und gewundenen Gassen unseres Städtchens, in denen damals -noch Handwerker- und Markttreiben sich stieß und drängte wie vor hundert -Jahren, war noch nicht zweimal Sabine Ricchiaris hohe Gestalt gewandelt, -als schon Neugier und Tadelsucht sich an ihre Fersen hefteten. Der stille -stolze Gang, womit sie die übelgepflasterten und bergigen Gäßchen -beschritt, als wären es Treppen einer Königshalle und mit den weichsten -Purpurteppichen belegt; der freie, klare Blick, den sie die Häuserreihen -hinabgleiten ließ bis an das altersgraue Stadttor, über welches Berg -und Himmel hold hereinlugten; die kecke Haltung des wohlgeformten Hauptes; -nicht zuletzt auch das helle Kleid, das alles Licht der Sonne, welches die -graue Umgebung so mürrisch hinweg wies, in sich allein gesammelt zu haben -schien -- ja, der Klang ihrer zuversichtlichen, frischen und lauten Stimme -selbst irritierte dies trippelnde, kichernde, hustende und knicksende -Geschlecht bis zum Haß. Sabine wirkte verfassungstörend. Die Frau mit -den Großstadtsitten machte die Kleinstadtgehirne toll. Alles Überkommene -drohte zu stürzen. Frauen, die dreißig Jahre lang unangefochten und -sorglos den Pantoffel geschwungen hatten, wurden plötzlich eifersüchtig -und -- aus Eifersucht -- zahm; Männer, die dreißig Jahre lang geduldig -ihr Joch getragen hatten, wurden plötzlich rebellisch. Putzmacherinnen -wurden erfinderisch und phantasiekühn. Ladendiener und Schreiberlein -salbten ihr Haar und trugen Nelken im Knopfloch. Offiziere a. D., die -längst in Biertischgemütlichkeit versunken waren, hielten plötzlich -wieder auf Taille, und Referendare wurden stumpf gegen die Reize zierlicher -Krawattenverkäuferinnen. Und weil Sabinens Schönheit es war, die also -demoralisierend wirkte, so wurde mit promptem Schlusse die Schönheit -selbst für unmoralisch erklärt, so wurde, wie auch sonst wohl -geschieht, das Unnachahmliche und Unerreichbare als nicht nachahmenswert -beiseitegeschoben. Sabine war ein Jahr lang oder zwei höchst unpopulär. -Dennoch war sie Gegenstand der Gespräche in Gasse und Kemenate: denn -männiglich wartete auf den Augenblick, wo die lästerlich schöne Fremde -zu Fall kommen würde, und sieben- bis achthundert Paar Nächstenaugen -paßten haßgeschärft auf die Vorzeichen eines solchen Falles. Aber sie -paßten umsonst. Klar wie ein Wiesenbach floß Sabinens schlichtes Leben -dahin. Stets an der Seite ihres Gatten, immer im Kreise ihrer Kinder, sah -man sie laute Vergnügungen meiden und keinen anderen Umgang pflegen, als -den so tugendhafter Frauen, wie nur kleine Städte sie aufweisen können. -Die Huldigungen der Männer wies sie lächelnd, aber nachdrucksvoll in -solche Grenzen, daß auch die bitterste Eifersucht ihr keinen Vorwurf -allzuschneller Geneigtheit machen konnte. Erregte sie Aufmerksamkeit durch -Gewandung und Erscheinung, so schien es doch, als beabsichtige sie nur, -diese Aufmerksamkeit, einmal gefesselt, auf ihr musterhaftes Betragen zu -ziehen: man sollte sie sehen, um zu sehen, daß es nichts zu sehen gäbe. -Keine kokette Gebärde, kein noch so leises Augenspiel war ihr nachzusagen. -Dazu war ihr Haushalt tadellos geführt mit geringen Mitteln; ihre Kinder -blühten. Gegen Arme war sie äußerst freigebig, sonst jedoch sparsam, -wenn auch stets auf vornehmes Auftreten bedacht. Und kurz und gut: Sabine -Ricchiari erwies sich als ein solcher Ausbund trefflicher weiblicher -Eigenschaften, daß langsam die neidischen Gemüter ihrer Mitbürger -und Mitbürgerinnen sich wandten, zur Duldung erst, dann zur Achtung, -schließlich aber zu grenzenloser und unbedingter Bewunderung. Im dritten -Jahre ihres Aufenthaltes war Sabine der Liebling unseres Städtchens, wie -sie in ihrer Heimat der Stolz des Kreises gewesen war, in welchem sie sich -bewegt hatte. Man sprach von ihrer Tugend als von etwas Heiligem, von ihrer -Treue gegen den wenig bestechenden und meist mürrischen Gatten als -von einem Wunder. Um diese Zeit geschah es nun, daß eine zufällige -Gesprächswendung mich darauf führte, Sabinen in Gegenwart ihres Gatten -von dieser verblüffenden Wandlung der öffentlichen Meinung zu reden und -ein kleines und -- wie ich glaubte -- wohlverdientes Kompliment daran zu -knüpfen. Alsobald erschrak ich jedoch über die Miene des Doktors, die -sich noch mehr als gewöhnlich verfinsterte. Von ihm hinweg zu Sabinen mich -wendend, erstaunte ich noch mehr über den Ausdruck höchsten Triumphes in -ihren Zügen. Mitten im Zimmer stehend, von der Lampe über ihrem Haupte in -einen Mantel von Licht gehüllt, strahlte ihr hochgehobenes Antlitz wie das -einer Fürstin, der man eben eine Krone zu Füßen gelegt hätte. Arglos -wie ich war, verwunderte ich mich nur darüber, daß eine so kluge Frau -so hohen Wert auf das Urteil der Menge legen mochte, denn offenbar war -sie über die Maßen geschmeichelt und erfreut. Indes mochte ich ihr diese -Schwäche wohl verzeihen; mußte aber, sechs oder acht Jahre später, mit -Schmerz an diese stumme Szene denken, deren Bedeutung ich im Augenblicke -nur halb verstanden hatte. - -Es sei hier nun gleich betont, daß ich kein so unbedingter Bewunderer der -tugendhaften Sabine Ricchiari war, wie der Chor der Basen und Nachbarinnen; -wie ich denn auch anfangs kein Verdammer ihrer Anmut gewesen war. Ich hatte -zwar -- leider hatten mich schlimme Erfahrungen dazu berechtigt -- die -auffallende Ungleichheit zwischen Mann und Frau nicht ohne Unruhe sehen -können. Denn war auch der Doktor tüchtig in seiner Kunst, pflichttreu, -redlich und von beherrschtem, würdigem Wesen, so habe ich es doch nie -erlebt, daß Frauen vor solchen Eigenschaften sonderlichen Respekt haben; -und die, denen ein Weib gerne erliegt, besaß Ricchiari nicht. Aber ich -hatte doch das gesetzte Wesen der Frau erkannt, das leidenschaftliche -Verirrungen ausschloß. Dieselbe Eigenschaft der Sabine aber, die mich ihr -zu Anfang nichts Schlechtes zutrauen ließ, hinderte mich nun daran, ihr -nur Gutes zuzutrauen: denn ganz ohne Zweifel war Sabine eine kalte -Natur, und ihre Vortrefflichkeit baute sich mehr auf Überlegung als auf -irgendwelche Herzenseigenschaften. Und wenn ich nun auch um so mehr eine -mit Ausdauer geübte Willensbeherrschung in dieser Frau bewundern mußte, -so konnte mir doch diese ganze starr festgehaltene Unfehlbarkeit im Grunde -nicht recht gefallen. Man wird mir zugeben, daß wir Männer in diesem -Punkte unlogisch sind; aber ich wette, man wird mir nachfühlen: lieben -wir es schon, daß Frauen, die wir verehren sollen, rein und stark in -ihrer Tugend seien, so lieben wir es doch auch, sie gegebenenfalls einer -Schwäche mindestens _fähig_ zu wissen. Und eben diese Fähigkeit schien -Sabinen zu fehlen. Ich hatte Gelegenheit, sie ziemlich genau zu beobachten; -war ich doch, dank meines Priesteramtes und dank der -- Korrektheit, die -Sabinens Verkehrswahl bedingte, ein vertrauter Gast im Hause des Doktors. -Und daß ich es nur gleich sage: nie habe ich Sabinen gereizt, nie -eigensinnig, nie vergnügungssüchtig, nie begehrlich nach Tand oder -Schmuck gesehen; aber auch nie in weicher Stimmung, nie in Tränen, nie in -überschwenglicher, voller, jugendlicher Freude. Ihr ganzes Wesen stellte -eine bis zum äußersten geglättete Fläche dar; aber, wenn ich das Bild -vollenden darf: nicht Marmor, der unter dem Schliff das köstliche Geäder, -sein inneres Leben, erst recht schön entfaltet, sondern irgendeinen -Kunstguß von Metall, der nur glänzt und seine reinliche Außenseite in -Wind und Wetter blank erhält; sonst aber nichts von eigener, in seiner -_Struktur_ begründeter Schönheit besitzt. Um Schillers hohe Forderung -gegen diesen seltsamen Frauencharakter auszuspielen: Sabine Ricchiari war -eine Natur, die eben unausgesetzt nötig hatte, »_edel zu wollen_«, weil -sie ganz und gar nicht imstande war, »_schön zu empfinden_«. Freilich -hatte sie es in der Anwendung dieses Wollens zu unerhörter Fertigkeit -gebracht -- das sollte mir später noch klar werden. - -Die Eindrücke, die dies mein Urteil über Sabine Ricchiari begründen, -lagen zu der Zeit, von der ich spreche, natürlich gleichsam schlummernd -in mir; ich hätte damals nicht vermocht, sie zu irgendeinem Ausdrucke -zu gestalten, ja, ich gab mir kaum Rechenschaft darüber. Ich war mir nur -eines leicht abweisenden Gefühles gegen die vielbewunderte Dame bewußt, -welches sich gerade dann regte, wenn ich sie in schwieriger Lage mit -beängstigender Sicherheit das einzig Richtige und Wohlanständige treffen -sah, das es für sie zu tun gab. So geschah es zum Beispiel öfters, daß -der Doktor in einer Anwandlung von Laune, wie sie auch bei trefflichen -Männern wohl vorkommen mag, seine Frau vor Zeugen hart anließ; dann -benahm Sabine sich mit solch einzigem Anstande, daß man ihr Bewunderung -nicht versagen konnte. Dennoch schien mir, als täte sie es ohne -Anstrengung, als erlitte sie die Kränkung von einem Fremden, dessen -Meinung ihr nichts galt, oder als eifere ein Machtloser gegen sie, der sie -in ihrer Hoheit nicht verletzen konnte. Ich, der ich den Doktor liebte, -empfand für ihn die Geringschätzung, die in dieser Sachlichkeit lag, -womit Sabine seinen Schwächen gegenübertrat; und wohler wäre mir um -seinetwillen gewesen, hätte sie sich bei solchen Gelegenheiten manchmal -kindisch, trotzig, erregbar gezeigt. Ebenso erging es mir, als Ricchiari -einmal bedenklich erkrankte: Sabine pflegte ihn mit beispielloser -Pflichttreue und Geduld. Aber ihr Aussehen veränderte sich bei dem -schwierigen Krankendienste nicht, ich sah sie nicht verhärmt, als er dem -Tode nahe schien, sah sie nicht in jubelnder Seligkeit aufblühen, als die -Rettung gewiß war. In ähnlicher unentwegter Fassung stand sie auch ihren -Kindern gegenüber, ihren kleinen Unarten, ihren allerdings unbedeutenden -Krankheiten. Und ich kam mir damals oft selbst töricht und sogar böse -vor, weil eben diese Gleichmäßigkeit ihres Wesens mir nicht recht -zusagen wollte, während doch jedermann sonst sie darum bewunderte und -verherrlichte. Aber ich kam nicht gegen mein Empfinden auf. - -Als Sabine eine mehr als zehnjährige Ehe hinter sich hatte -- sie -stand nun in der Mitte der Dreißig, trat ein Ereignis ein, welches mir -Gelegenheit gab, Sabinens Wesen und Entwicklung aus ihrem eigenen -Munde kennen zu lernen, zugleich auch mein dunkles Gefühl zum klaren -Verständnis ihrer Art auszubilden. Das Ereignis war ein solches, das die -ganze Stadt, Beteiligte und Unbeteiligte, heftig erschütterte und selbst -in den seichtesten Seelen eine Ahnung weckte von der Sturmgewalt der -Elemente, die in Tiefen toben können. Einer der jungen Rechtsgelehrten, -die dem in unserem Städtchen tagenden Gerichtshofe beigegeben waren, ein -Sohn guter Eltern, aus begüterten Kreisen stammend, aus einer größeren -Stadt zugezogen -- ein Jüngling von äußerst einnehmendem und -freundlichem Wesen, der sich großer Beliebtheit unter den besten Menschen -des Landes erfreute: wurde eines Morgens mit durchschossener Schläfe tot -in seinem Bette gefunden. Ein hinterlassener Zettel kündigte Selbstmord -aus verschmähter Liebe an, aber in so rührender Art, so schlicht zum -Herzen sprechenden Ausdrücken, daß auch der böseste Skeptiker nicht zu -lächeln gewagt hätte. Der Name des Weibes, das den armen Knaben in den -Tod getrieben, war begreiflicherweise nicht genannt; aber der Instinkt der -Menge, der in solchen Dingen fast immer richtig geht, bezeichnete Sabine -Ricchiari als die Urheberin der Tat. So wie der Vorfall sich darstellte, -schien diese Annahme allerdings glaublich: Sabine war in der Tat reizbegabt -genug, um eine verheerende und alle Fesseln sprengende Leidenschaft -zu entflammen; kein Mann wäre zu verdammen gewesen, der für dieses -Götterbild das Letzte gewagt hätte; und andererseits machte Sabinens -anerkannte Tugend jeden Wunsch von vornherein zu einem hoffnungslosen. -Das war die Erläuterung, die die öffentliche Meinung gab: entgegen ihrer -sonstigen Gewohnheit schienen alle Lästerzungen geneigt, die edelsten -Beweggründe auf beiden Seiten anzunehmen. Fama drapierte sich romantisch. -Und wenn etwas imstande war, Sabine Ricchiaris Ansehen und Beliebtheit in -der Stadt noch zu steigern, so war es dieser Vorfall, die letzten Worte -eines Todbereiten, die ihre ehrenfeste Unbesiegbarkeit mit solch tragischem -Nachdruck verkündeten. - -Die öffentliche Meinung sieht meistens richtig, aber niemals tief; -Tatsachen bleiben ihr selten verborgen, Beweggründe immer: das Ereignis -war genau so vor sich gegangen, wie der Stadtklatsch annahm -- und doch, -wie anders! wie furchtbar anders! -- - -Man hatte die Verwandten des Jünglings von dem Selbstmorde benachrichtigt, -doch gab es keine Möglichkeit ihres Eintreffens vor dem späten -Nachmittage. Weil ich das verblendete Kind lieb gehabt hatte und weil mir -das Herz blutete um sein Schicksal, so übernahm ich es, bei ihm zu bleiben -und seinen letzten Schlummer zu hüten, bis das Gebet seiner Mutter das -meinige ablösen würde. Ich ließ den Leichnam auf reinem Bette aufbahren, -setzte mich neben ihn und blickte unverwandt in das sanfte, stille Gesicht, -als könne es mir noch Antwort geben auf die bittere Frage, die mich, der -ich weniger hurtig schloß als die Menge, unablässig quälte: »Wie hat -es so weit kommen können?« Ich hatte den Jüngling als einen stäten und -tüchtigen gekannt, ohne Überspanntheit und ohne Pose. Was hatte er -leiden müssen, was erkennen, bis er diesen letzten Verzweiflungsschritt -unternommen hatte? In mir zitterte alles vor Mitleid und Schmerz, ich -fühlte die Tränen über meine Wangen rinnen, und mehr als einmal beugte -ich mich über den Toten und küßte seinen kalten Mund in einer traurigen -Hoffnung, es möchte die Seele, die diesem Leib entflohen, noch irgendwo -in der Nähe weilen, mein Leid und meine Liebe mit ansehen und als -Trost empfinden. Da geschah es, daß ich plötzlich, den Kopf von meiner -schmerzlichen Liebkosung erhebend, Sabine Ricchiari im Zimmer stehen sah. -Sie war geräuschlos eingetreten und zwischen dem Bette und dem Fenster -stehen geblieben, so daß sich nur ihr großer schwarzer Schattenriß in -unheimlicher Starrheit vor mir erhob. Ich fuhr auf mit einer Regung des -Hasses gegen sie; denn mein Gefühl, das nie unbedingt zu ihren Gunsten -gesprochen hatte, schrie in diesem Augenblicke blindlings, jede Reflexion -niederdonnernd, ein »Schuldig!« über sie. Meine Augen mußten deutlich -sprechen, was ich empfand, denn sie trat einen Schritt zurück und senkte -das Haupt langsam tiefer und tiefer. Dann hörte ich, daß sie weinte; -und weil mich das bei ihr, die ich keiner redlichen Träne für fähig -gehalten, überraschte und ergriff, wie es mich noch bei keiner Frau -ergriffen hat, so fühlte ich schnell meine Stimmung gegen sie sich -erweichen und näherte mich ihr, um ihr die Hand zu reichen. Dabei sah ich -ihr Gesicht -- und jetzt umschloß mein Mitleid sie ganz! Sie aber ergriff -meine Hand nicht, sondern meine versöhnliche Geste für ein Zeichen der -Verzeihung nehmend, das ihr freien Zutritt zu dem Toten gewährte, eilte -sie an mir vorüber nach dem Bette, über welches sie sich mit dem ganzen -Leibe warf, ihre Lippen auf die des Verblichenen pressend und mit den Armen -seine Schultern und seinen Kopf umklammernd. Es lag eine Heftigkeit der -Leidenschaft in dieser Bewegung, die grauenhaft gewirkt hätte einem -Lebenden gegenüber; an dieser fühllosen Masse, die schlaff und kalt -in ihrer Umarmung hing, stellte sich der Anblick ihrer Raserei geradezu -haarsträubend dar. Besonders entsetzlich war die Art, wie der bleiche -Kopf, den sie wiederholt emporriß, immer wieder über ihren Arm zurück -und zur Seite sank, als wolle er sich den allzuspäten Liebkosungen jetzt -verachtungsvoll abwehrend entziehen; so schien es Sabine auch zu nehmen, -denn ihre Gesten wurden wilder, ihr Weinen lauter bei jeder derartigen -Bewegung. Ich stand sprachlos dabei, fühlte Schauer um Schauer über -meinen Rücken rinnen und vermochte nicht, dem Tun der Frau zu wehren. Sie -aber, nachdem sie das Gesicht des Toten und seine Brust mit solchen -Küssen bedeckt hatte, und unter solchen Ausrufen und Seufzern, wie die -Verzweiflung fruchtloser Reue sie lehrt, erhob sich endlich rasch und -wollte aus dem Zimmer huschen, wie sie hereingekommen war. Da ereilte -ich sie an der Tür und verstellte ihr den Ausgang, denn ich dachte nicht -anders, als daß auch sie jetzt in den Tod zu rennen beabsichtige. Sie -kehrte um, setzte sich auf den nächsten Stuhl und suchte augenscheinlich -in schwerem Kampfe ihre Selbstbeherrschung wiederzugewinnen. Ich erinnere -mich nicht, ob ich ihr zugesprochen habe; mit meinem Herzen tat ich es -gewiß, aber in mir schrien so viele Stimmen durcheinander, daß ich nicht -weiß, ob ich wirklich zu Worte gelangt bin oder ob ich die Laute nur -geträumt habe, die meine bebenden Lippen zu formen suchten. Immerhin -beruhigte die entrückte Frau sich endlich und kehrte zur Wirklichkeit -zurück; ihre Augen begegneten wieder und hafteten diesmal an den meinen, -in denen sie wohl das heißeste Erbarmen lesen mußte. Dann setzte sie sich -neben das Bett, das sie nun mit einem rührenden Ausdrucke mütterlicher -Geschäftigkeit in Ordnung brachte, und schließlich begann sie in -schauerlich ruhigem Tone den Hergang der Sache zu erzählen. - - -2. - -Sabine war ein Kind von unvergleichlicher Anmut gewesen, und da war es -denn nur zu begreiflich, daß sie in Aller Mienen der Wirkung ihrer eigenen -Zauberhaftigkeit nachspürte und es zur Aufgabe ihres kleinen -Lebens machte, diese Wirkung nach Möglichkeit zu verstärken. Dabei -experimentierte sie förmlich mit der Tragfähigkeit dieses Magnets: denn -sie trug Farben und Gewandformen, die an anderen Mädchen gewagt erschienen -wären, und triumphierte innerlich, wenn ihre Schönheit das Unmöglichste -und Heterogenste zu einem gefälligen Eindrucke verband. Auch gelang es ihr -öfters, selbst die Mode zu beeinflussen, indem sie durch die Macht ihrer -Erscheinung die Augen ihrer Geschlechtsgenossinnen blendete, so daß jene -das Kleid von der Trägerin nicht mehr zu unterscheiden vermochten und -sich für schön hielten, wenn sie trugen, was an Sabine Ricchiari schön -erschien So sicher aber diese ihrer äußeren Vorzüge war und so viel sie -darauf wagen konnte, so genügte ihr dies doch keineswegs; sie hätte nun -auch gerne durch Gaben des Geistes und der Seele allen anderen Frauen den -Rang abgelaufen und empfand es höchst schmerzlich, daß ihr hervorragende -Talente versagt waren, die ihren Namen durch die Lande trügen. Deshalb -aber nicht eingeschüchtert, warf sich Sabine auf das »Fach«, in welchem -Lukretia und andere hohe Frauen der Geschichte sich mit Glück betätigt -hatten: auf die Tugend. Und sie faßte diesen Begriff in seinem weitesten -Sinne. - -Als Kind hatte Sabine Ricchiari nicht gerne gelernt. Da sie heranwuchs, -beobachtete sie, daß jedermann einen gewissen Grad von Albernheit und -Denkfaulheit als Vorrecht ausnehmend schöner Personen für zulässig zu -halten schien Das erbitterte sie sofort aufs höchste als eine Beleidigung, -die ihr mehr galt als tausend anderen, minder reizenden Frauen. Und hier -sprang nun der gefährliche Zug ihres Wesens mit einer ganz wohltuenden -Wirkung ein: denn, beharrlich und energisch, wo es ihrer Eitelkeit galt, -zwang Sabine ihren flattersüchtigen jungen Geist in eine Zucht, die alle -Welt in Erstaunen setzte. Bald erlebte sie die Freude, daß man laut und -leise ihren Fleiß und ihr ernsthaftes Streben noch höher als ihre Anmut -pries, und ehe sie achtzehn Jahre alt war, konnte sie schon mit vollem -Rechte das kühne Wort sprechen: »Müssen denn alle tüchtigen Frauen -häßlich sein und nur häßliche tüchtig? Ich denke zu beweisen, daß -man körperliche und geistige Bildung vereinigen kann!« Dabei fiel ihr das -Studium vieler Wissenszweige durchaus nicht leicht, und nur der maßlose -Ehrgeiz, ein Frauenbild von nie dagewesener Vollkommenheit darzustellen, -hielt sie in Stunden tiefer geistiger Erschöpfung aufrecht. Bei solchen -Beschäftigungen mußte sich ihr notgedrungen die Zeit kürzen, die andre -junge Mädchen ihres Kreises auf Tanz und Flirt verwendeten; jedoch empfand -Sabine dies durchaus nicht als Verlust, da ihr Siege auf diesem Felde allzu -sicher waren, und wenn sie sich unter die Spiele der Geselligen mischte, so -war's nur, um durch verspätetes Erscheinen und frühen Abgang die Leute -zu erinnern, daß sie Besseres zu tun hatte. So albern nun dies Tun an -sich erscheinen mag, so trug es doch für Sabine bessere Früchte, als sie -eigentlich verdient hätte. Denn darin ist die Wissenschaft, die Göttin, -dem sterblichen Weibe gleich, daß sie ihre Bewerber nicht leicht auf -die Redlichkeit ihrer Gesinnung prüft und auch den mit Segenshänden -beschenkt, der nur mit ihr tändelt. Was Sabine Gutes, Klares, -Großzügiges in ihrem Charakter hatte, war ihr als unverdiente und -ungewollte Beute aus der Zeit dieser Raubzüge in das reine Land des -Gedankens geblieben. - -Aber nun kam Sabine in das Alter, wo die höchsten Lebensfragen an ein -Weib herantreten, und leider machte sich auch hier wieder die Sucht, das -Ungewöhnlichste, das völlig Unerwartete zu tun, zu ihrem Schaden geltend. -Sie war -- schön, gebildet und überaus sittsam, wie sie sich stets -gezeigt hatte -- von zahlreichen Bewerbern umschwärmt und hätte unter den -Männern ihres Kreises den Besten und Begehrtesten zu ihren Füßen sehen -können. Aber Sabine bildete ihr Urteil über Männer nach eigener Art. Die -naive Siegessicherheit, mit welcher heutzutage ein Mann, der seinen Wert -kennt, ein Weib zu nehmen pflegt, erbitterte und beleidigte sie, die -sich selbst als etwas Einziges und Unvergleichliches geschätzt zu sehen -wünschte, nicht wenig. Sabine wollte Werber im Minnesängerstil. Dafür -war sie auf der anderen Seite höchst anspruchslos, denn kein äußerer -Vorzug des Mannes sollte ihre Wahl bestimmen; freie, reine Neigung beider -Herzen allein sollte den Ausschlag geben und -- Bedingung =sine qua non!= --- das _Publikum_ vor allem sollte von dieser reinen Neigung überzeugt -sein. So, damit auch ja nicht der leiseste Vorwurf einer Bestechlichkeit -erhoben werden konnte, wandte das törichte Fräulein sich sofort und -demonstrativ von allen glänzenden, angesehenen und vielbegehrten Männern -hinweg und solchen zu, die von Frauen übel behandelt, von Kritikern -verkannt, von Vorgesetzten übersehen und von rassestolzen Aristokraten -geächtet wurden. Und man konnte hinfort auf allen Festen das sonderbare -Schauspiel genießen, das schönste Mädchen der Stadt mit einem Gefolge -zweifelhafter Gestalten einherwandeln zu sehen, an denen sie eifrig und -ernsthaft ein Werk der Veredlung zu betreiben suchte, das indes sehr selten -mit einem Gelingen lohnte. Denn Männer pflegen es sehr übel aufzunehmen, -wenn ein Weib sie »zu sich emporziehen« will -- und ich weiß nicht, ob -ich ihnen darin nicht recht geben muß. - -Es konnte nicht fehlen, daß Sabine in diesem Umgange ein paar schlimme -Erfahrungen machte, die ihr indes glücklicherweise nicht so zum Verderben -ausfielen, wie es wohl hätte sein können. So befand sich unter den -Unbegehrten, die sie zu beschenken glaubte, ein junger Naturforscher von -beträchtlicher Häßlichkeit, deren Wirkung noch verstärkt wurde durch -den Hochmut, mit welchem der Mann alle gefälligen Formen in Rede, Kleidung -und Auftreten verschmähte. Er war aus Arbeiterkreisen hervorgegangen, -recht im vollsten Sinne des Wortes ein geistiger Selfmademan, und -allerdings sehr bedeutend in seinem Fache. Aber er setzte einen törichten -Stolz darein, das Plebejertum, dem er angehört hatte, auf drastische Weise -darzulegen, und scheuchte feinfühlige Frauen von sich durch die Derbheit -seiner Ausdrucksweise sowohl wie durch die Gehässigkeit, die er denen -gegenüber zur Schau trug, die sich feinerer Sitten befleißigten. Auf -ihn konnte mit Recht das drollige Wort angewendet werden, er habe »zwei -Rücken«; denn bei Gastmählern, zu denen er freilich selten genug gebeten -wurde, brachte er es fertig, seinen _beiden_ Nachbarinnen _zugleich_ den -Rücken zu kehren -- und das schlimmste war: sie zogen sein unartiges -Schweigen seiner Konversation vor. Das war ein Objekt für Sabine! Mit dem -raschen Schlußvermögen, das sie auszeichnete, stellte sie fest, daß -eben diese Gehässigkeit gegen alles Glatte und Vornehme einem tiefen -Bewußtsein eigener gesellschaftlicher Unzulänglichkeit entsprungen sei, -und daß der rauhe Mann nur deshalb nicht manierlich sein _wollte_, weil -er klar empfand, daß er es nicht sein _konnte_. Sie sagte sich, daß er -wußte -- und wahrlich nicht zu seinem Behagen wußte --, an ihm müsse -Kultur zur Karikatur werden. Deshalb hegte sie Mitleid für ihn und -beschloß, die erste zu sein, die seinem hervorragenden Verstande und -seiner wissenschaftlichen Tüchtigkeit volle Ehre antat, ohne sich durch -seine ungeschlachte Art und böse Sitten beirren zu lassen. Und sie -erwählte ihn förmlich und feierlich zu ihrem Höflinge und war -holdseliger zu ihm, als ihr dabei eigentlich ums Herz war; denn sie mußte -sich alle mögliche Gewalt antun, um den Widerwillen zu überwinden, den -seine physische Erscheinung, seine zynische Rede und häufige lästerliche -Flüche ihr einflößten. - -Aber Sabine kam übel an mit ihren Beglückungsversuchen. Denn sie mußte -einsehen, daß der erwählte Mann selbst nicht nur keine sonderliche -Dankbarkeit gegen sie empfand, sondern daß er die Bevorzugung, die -ihm widerfuhr, auf eine sehr kränkende Weise deutete. Daß seine -Häßlichkeit, über welche er sich keiner Täuschung hingab, ein so holdes -und vielbegehrtes Wesen wie Sabine anzog, erschien ihm durchaus nicht als -ein Wunder der Liebe, die ihren Gegenstand nach seinem seelischen Gehalte -schätzt -- denn so hätte Sabine es gerne gedeutet wissen wollen; vielmehr -erklärte er sich in seiner materialistischen Weltanschauung dies Wunder -einfach aus einem perversen Reiz, den Scheusale von Männern auf -Frauen auszuüben verstehen, und er schämte sich nicht, dies in wenig -verschleierten Worten anzudeuten, wobei er mit Vorliebe das Beispiel des -großen Sinnenbetörers Mirabeau zitierte. Daß Sabine seine durchaus nicht -gewählte Unterhaltung ertrug, schrieb er demselben krankhaften Gefallen am -Allzunatürlichen zu, denn er gab sich nie Mühe, in den Mienen anderer -zu lesen, und übersah deshalb den Kampf, mit welchem das wunderliche -Fräulein diese härteste Probe ihrer Gesinnungstreue zu bestehen -suchte. Daß sie endlich vor aller Welt seine Partei hielt, schien ihm -selbstverständlich, denn er wußte, daß er für eine wissenschaftliche -Größe galt und daß eine Frau an seiner Seite einer großen Zukunft -entgegenging. Und er sprach auch dies aus und verfehlte nicht, Sabine -aufmerksam zu machen, daß sie trotz ihrer Schönheit und höheren Geburt -bei einer Verbindung mit ihm der _gewinnende_ Teil wäre. Es dauerte eine -ganze Weile, bis Sabine diese seine Auffassung von der Sache ganz begriffen -hatte, denn sie hatte sich in der Rolle der Gebenden und Herablassenden zu -wohl gefallen, um leicht einer so demütigenden Erkenntnis zugänglich zu -sein. Aber der merkwürdige Galan, der seinerseits durchaus nicht geneigt -war, den Empfangenden, den Beschenkten zu spielen, versuchte endlich, ihre -Liebe, die er für höchst leidenschaftlich hielt, durch bewußte Bosheiten -auf die Probe zu stellen, bald ohne Anlaß fernbleibend, bald auch vor -Zeugen ein hämisches und tyrannisches Wesen gegen sie zur Schau tragend. -Ihre Ratlosigkeit und Verblüfftheit solchen Roheiten gegenüber hielt er -für Schmerz, und die wirklich bewunderungswürdige Geduld, mit welcher -sie verzieh, was sie einem Mangel an Besserwissen zuschrieb, deutete er als -Verliebtheit, die, selbst getreten, nicht von ihm lassen konnte. -Endlich kam aber doch der Tag der Abrechnung, und es erfolgte nun die -allerwunderlichste Auseinandersetzung, die je zwischen Liebesleuten -stattgefunden. Jeder der beiden Toren war sehr verdutzt, sich von dem -anderen nicht heißer geliebt zu sehen, jeder rechnete dem anderen sein -Gewinnen oder Verlieren mit allerliebster Offenheit vor. Bei dieser -Abschiedsszene zeigte sich schließlich der Mann noch als der -Charaktervollere von beiden, denn er war der erste, welcher der Frau mit -ihrem unerbetenen Mitleiden den Laufpaß gab, indem er erklärte, daß ihm -ein Schankmädchen, das zu ihm aufsähe, liebenswerter erscheine als eine -Königin, die sich »herablasse«. Sabine zog sich gekränkt zurück und -gewann aus der bösen Erfahrung wenigstens die Lehre, daß Mitleid vom -Weibe zum Manne vorsichtig in leisen Schuhen wandeln muß, soll nicht sein -Tritt die jungen Liebespflänzlein zermalmen. Eine Weile war sie traurig -und enttäuscht. Bald aber löste eine neue, noch sonderbarere Wahl die -Mißstimmung jenes ersten Erlebnisses. Auch dieser zweite Mann war das -Gegenteil von einem Adonis und nichts weniger als ein Gesellschaftslöwe. -Wäre er beides gewesen, so hätte er ja für Sabine keinen Reiz gehabt, -denn dann wäre es keine Kunst gewesen, ihn zu lieben; und Sabine wollte, -wie gesagt, auch hierin etwas völlig Neues leisten. Was ihre Neigung in -diesem besonderen Falle bestimmte, war hauptsächlich die bittere Armut, -in welcher der Betreffende lebte, der seines Zeichens ein unbedeutender -Musikus am Theaterorchester der Stadt war, in welcher das seltsam -wählerische Fräulein damals lebte. Sabine hatte durch Hausgenossen des -Fiedlers von seinem Elende vernommen, hatte ihn unterstützen lassen und -suchte nun seine persönliche Bekanntschaft zu machen. Sie verhalf ihm zu -Unterrichtsstunden in besseren Häusern und eröffnete damit zugleich -ihm und sich selbst einen Weg, auf welchem sie sich häufig genug ohne -Anstände begegnen konnten. Dabei geschah nun, was geschehen mußte. Hatte -der Mann schon vorher gewußt, daß er ihrem Mitleid viel verdankte, so -warfen ihre strahlende Erscheinung, ihr berückendes Lächeln und die -freundlichen Worte, die sie an ihn richtete, ihn nun ohne weiteres in eine -maßlose Leidenschaft, die er auch durchaus nicht zu verbergen strebte. -Dabei war er klug genug, weder seinen persönlichen Vorzügen noch seiner -musikalischen Begabung das Verdienst dieser Eroberung beizulegen, denn -er wußte genau, daß er von letzterer nicht viel mehr besaß als von -ersteren. Aber er empfand doch künstlerisch-naiv gerade soviel als es -brauchte, um an eine ideale Liebe zu glauben, die wahllos trifft und sich -mit gleich selbstloser Erwiderung reichlich gelohnt fühlt. Eine solche -Liebe legte er in Sabine hinein; und er selbst stattete seinen Dank für -das unverdiente Gnadengeschenk in einer Anbetung ab, an der sich Diana -hätte genügen lassen können, und die unsere kühle Heldin selbst -höchlichst befriedigte, weil sie endlich zur Erfüllung brachte, was lang -geträumt und gewünscht war. Denn nun genoß Sabine die Genugtuung, daß -die Romantik dieses Verhältnisses von alt und jung gebührend geschätzt -wurde, und wandelte einher, von Mondschein und blauen Blumen gleichsam auf -Schritt und Tritt umsponnen, wie ein mittelalterliches Burgfräulein, das -sich einem fahrenden Sänger neigt. Sie redete viel, um zu beweisen, daß -echtes Gefühl auch in unseren nüchternen und bösen Zeiten noch nicht -ganz vom Erdenrund geflohen sei, und glaubte ganz ernsthaft, die schöne -Neigung, die sie darstellte, wirklich selbst zu empfinden. Allerdings -glaubte das auch jedermann sonst; und selbst die losesten Zungen fanden -keinen schlimmeren Anlaß zu sticheln als den, daß man Sabine hinfort auch -im Getöse einer Wagneroper in der ersten Reihe des Parkettes sitzen -sah, wo sie dem Bombardement wahnsinniger Pauken- und Trompetenstöße -heldenhaft standhielt, nur um Aug' in Auge mit ihrem Geigerlein und in -seiner möglichsten Nähe den Abend zu verbringen. Dem Widerstand ihrer -Verwandten gegen diese sehr unerwünschte Verbindung setzte sie eine -siegreiche Beredsamkeit entgegen, die alle Bedenken entwaffnete und die -Zweifler beschämte. Die Entdeckung, daß ihr neuer Liebhaber einige Male -ziemlich betrunken im Orchester erschien und daß er Ring und Kette, die -sie ihm gegeben, gelegentlich versetzte, ernüchterte sie zwar ein wenig, -entmutigte sie aber keineswegs. Sie löste geduldig ihre Liebespfänder -selbst wieder aus und gab sie ihm ohne ein Wort des Vorwurfes zurück. Die -Beschämung und Reue, die der arme Kerl bei solchen Anlässen an den Tag -legte, war echt; aber die sittliche Festigkeit, die er neuen Versuchungen -gegenüber bewies, war die eines Kindes; und Sabine machte hier die -schmerzliche Schule durch, die Künstlerliebchen und -frauen selten erspart -bleibt: sie mußte sehen, daß ein Mann alles Göttliche und Hohe in seinem -Busen bewegen und doch vor einem Glase Wein zum Tiere werden kann. Aber -Sabine hatte ihre Rolle zu hoch gegriffen, um ihr selbst vor derlei -Schrecknissen untreu zu werden. Auch als ihr Bräutigam wegen der -eingetretenen Unordentlichkeit seines Lebenswandels aus dem Orchester -entlassen wurde, hielt sie noch fest zu ihm. Bereits aber war sie so -weit zur Vernunft gekommen, daß sie den Argumenten ihrer Verwandten ein -willigeres Ohr lieh als zuvor; und als man ihr geschickt vorstellte, wie -gerade die Gunst, die sie dem Musikus erwies, die unerwartete Veränderung -seiner Lage verderbenbringend geworden sei für den Mann, der bisher in -seinen dürftigen Verhältnissen arbeitsam und brav gewesen war -- da -entsagte sie, obgleich schweren Herzens und nach langem Kampfe, auch diesem -Traume. Von ihrem Anbeter kaufte sie sich los, indem sie mit Einwilligung -ihrer Angehörigen ein bescheidenes Kapitälchen für ihn anlegte, das -ihn vor äußerster Not bewahren, ihm aber keinerlei Ausschreitungen -ermöglichen sollte. Es muß zur Ehre des Mannes gesagt werden, daß er -diese Abfindung erst nach langer und rasender Gegenwehr hinnahm; denn -er liebte das schöne Mädchen, wie nur ein Musikerherz lieben kann, und -drohte sie und sich selbst zu ermorden, ehe er sie aufgäbe. Erst die -Vorstellungen desselben klugen Verwandten, der Sabine herumgebracht, -vermochten ihn zu erschüttern; denn sie brachten ihn zur Einsicht, daß er -die Heißgeliebte in ein trauriges Los herunterzöge, wenn er sie an sich -fesselte, ohne durch seinen Charakter eine Gewähr für seines Zukunft -zu geben. Er trat zurück und zeigte sich beim Abschiede so ehrenhaft -und stolz, daß Sabine fast wieder ihren Sinn zu seinen Gunsten geändert -hätte; denn es war ihr bitter, daß er sie an Entsagungsmut übertraf, -und sie konnte sich nicht verhehlen, daß er ungleich mehr opferte als sie, -weil er ungleich leidenschaftlicher geliebt hatte. Seine Pension griff er -erst viele Jahre später an, als er, wieder zur Ordnung zurückgekehrt, -eine passende Lebensgefährtin gefunden hatte, mit welcher er dann auch -leidlich glücklich wurde. -- - -Sabinens dritte Wahl fiel gleichfalls auf einen Musiker, aber weit höheren -Ranges. Dieser Mann war städtischer Domorganist, war ein wirklicher -Künstler, war weder häßlich noch arm, dafür aber blind. Sabine -hätschelte ihr eigenes törichtes Heldentum mehr denn je, als sie diesem -Manne nahetrat, mit welchem sie aber glücklicherweise kein Verlöbnis -einging. Denn -- um es kurz zu machen -- sie mußte bereits nach einiger -Zeit zur Überzeugung kommen, daß andere Frauen an derselben Wut -der Selbstaufopferung krankten wie sie, und daß der blinde Mann die -Äußerungen dieser edlen Regungen, denen er sich übrigens kaum hätte -entziehen können, rückhaltlos und recht dankbar annahm. Es gab keinen -tolleren Don Juan im Lande als ihn, und er prahlte, sein eigener Leporello, -vergnügt mit seinem Sündenregister. Das widerte die im Grunde keusche -Sabine an, und sie zog sich zurück, ehe ein bindendes Wort gesprochen -war. So war sie noch einmal mit heiler Haut davongekommen, als sie dem -Mann begegnete, der ihr Verhängnis werden sollte, ihre Strafe und -- nach -schweren Irrungen -- ihre Rettung. Dieser Mann war Ricchiari. - - -3. - -Sabine war damals vierundzwanzig Jahre alt, und ihre Schönheit hatte -den Gipfelpunkt der Entfaltung erreicht. Sie war eine so hervorragende -Erscheinung, daß die Schar ihrer Bewerber und Bewunderer sich trotz all -ihrer Torheiten nicht wesentlich vermindert hatte, und sie hätte immer -noch eine Ehe eingehen können, wie sie ihrer höchst verfeinerten und -verwöhnten Natur angemessen war. Aber _einer_ war abgefallen, von dem -sie wußte, daß er sie früher gern gesehen hatte, und dieser eine -beschäftigte nun die widerspruchsvolle Dame mehr als der ganze übrige -Hofstaat. Auch Ricchiari war kein glänzender Mann. Er war, wie bereits -erwähnt, von unansehnlicher, wiewohl durchaus nicht unangenehmer -Erscheinung, dabei trocken und knapp in seiner Rede, schlicht in seinem -Auftreten und nicht immer liebenswürdig in Frauengesellschaft. Als Arzt -war er mäßig beliebt und gerade genug beschäftigt, um eine kleine -Familie ohne Sorgen ernähren zu können, aber was man so eine Zukunft -nennt, das traute ihm niemand zu. Auch war es diesem Manne, der die Welt -kannte und wußte, nach welchen Werten ein Mensch geschätzt wird, nie zu -Sinn gekommen, um die vielbegehrte Schöne zu werben; doch war auch er -am Ende ein Wesen von Fleisch und Blut, und kein solches konnte Sabinens -unvergleichliche Anmut sehen, ohne sich an ihr zu entflammen. So ging es -auch dem armen Doktor, obgleich er sich redlich Mühe gab, seine Gefühle -zu verbergen. Sabine, deren Augen auf dergleichen Vorgänge geübt -waren, bemerkte nun wohl seine Leidenschaft; aber sie bemerkte auch seine -Zurückhaltung, und sie schätzte ihn darob; möglicherweise würde sie ihn -auch ermutigt haben, wenn der Beginn ihrer Bekanntschaft nicht gerade in -eine Zeit gefallen wäre, wo eines der früher erwähnten Opfer Sabinens -ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. - -Nun war aber auch der Doktor ein Mann von äußerst scharfen Blicken, -und er beobachtete mit innerlicher Empörung Sabinens Verhalten. Das -komplizierte und etwas krankhafte Spiel ihrer Seelenregungen lag ihm -längst offen, und was von guten Gefühlen in diesem wunderlichen Gemüte -vorhanden war, unterschätzte er keineswegs. Daß Sabine im Verhältnis zum -Manne die Gebende sein wollte, lieber als die Empfangende, das gefiel ihm -sogar; und die Beharrlichkeit, mit welcher sie alle Folgen dieses Anspruchs -auf sich nahm und ertrug, setzte ihn in Bewunderung. Aber daß sie im -allerletzten Grunde dabei um den Beifall der Menge buhlte, daß sie etwas -sein wollte, nur um es auch zu scheinen, das verdroß den Doktor, der in -allen Dingen gerade nach der entgegengesetzten Seite hinstrebte und sich -unbeachtet am wohlsten fühlte. Schmerzlich geteilt zwischen stiller, -heißer Leidenschaft und einer gewissen Verachtung lebte der Mann kein -vergnügtes Leben unter den Sonnenaugen der begehrten Frau, und kein -Wunder, daß er die Verachtung etwas schroffer zur Schau trug, als er -eigentlich wollte, da er sie wie einen schützenden Mantel um sein Herz und -seine Liebe ziehen mußte. - -Sabine bemerkte alsobald die Veränderung in Ricchiaris Betragen, und da -sie nicht ahnen konnte, wie klar der Mann sie durchschaute, und daß er -mehr von den Vorgängen in ihrer Seele wußte, als sie selbst, so störte -seine plötzliche Kälte sie und gab ihr zu denken. Sie nahm sich vor, ihn -zu erobern; und da er auch sonst ihren -- negativen Anforderungen genügte -und sie die _Illusion_, zu ihm herabgestiegen zu sein, vor sich und -anderen aufrechterhalten konnte, so gab sie ihm Zeichen ihrer Huld, die er -verstehen mußte, und bot alles auf, um ihn in ihren Bannkreis zu ziehen. -Aber mit dem Doktor ging das nicht so leicht, wie es mit den anderen -gegangen war. Je liebenswürdiger Sabine ihm entgegenkam, desto unnahbarer -zeigte er sich und ließ sie endlich in unzweideutiger und fast unartiger -Weise fühlen, daß er nichts von ihr wollte. Hätte Sabine in sein Herz -blicken können, so hätte sie erkennen müssen, daß er unter dem -Zustand der Dinge fast schwerer litt als sie, denn er konnte dem schönen -Frauenbild lange nicht so ernstlich gram sein, wie er es zu sein wünschte. -Da sie das nicht wußte, so war sie von seinem Verhalten nur aufs tiefste -gekränkt und so unglücklich, wie ein Weltkind überhaupt sein kann. So -heftig war sie von Zorn und verletzter Eitelkeit beherrscht, daß sie -aller Weiblichkeit vergaß und den Doktor bei erster Gelegenheit zur Rede -stellte. Es geschah dies auf einem einsamen Wege vor der Stadt, der -durch Gärten und Gemüsepflanzungen weiter hinaus nach einer kleinen -Privatheilanstalt führte, die Ricchiari regelmäßig besuchte. Sabine -hatte ihm aufgelauert wie ein Schulmädchen, und sein spöttisches und -abweisendes Gesicht, als er sie erblickte, brachte schnell genug zur -Entladung, was sich an Lava, Schwefel und Pech in ihrem Gemüte gesammelt -hatte. Es knallte ganz artig, als die erbitterte Heldin den Mund auftat. -In dieser Stunde redete Sabine nicht eben klug und auch nicht ganz sittsam; -aber sie redete zum ersten Male, seit er sie kannte, _nicht_ mit der -Absicht, ihrem Publikum zu imponieren. Deshalb empfand er ihren Ärger fast -als etwas Wohltuendes und vernahm ihre wirren Vorwürfe lieber, als er je -zuvor ihre wohlberechneten Sentenzen gehört hatte. Endlich versagte -ihr die Stimme, und sie lehnte sich halb weinend, ratlos und atemlos -vor Erregung an den Gartenzaun, an welchem sie gerade entlang wandelten. -Ricchiari blieb vor ihr stehen und betrachtete sie nachdenklich. Sie stand, -schön wie immer, vor der hohen grünen Sträucherhecke, in deren Zweige -sie, mit rückwärts emporgreifenden Armen, die Hände verschlungen hatte, -als wolle sie sich daran aufrechterhalten. Sonnenlicht und Schatten der -windbewegten Blätter spielten rieselnd auf ihrem Antlitz und auf ihrem -weißen Kleide, so daß ein Schleier goldener Wellchen die Erregung ihrer -Mienen und das Zittern ihrer Glieder verhüllte und ihre ganze Gestalt so -in wogendes Funkeln auflöste, daß sie, aus geringer Entfernung gesehen, -fast wie etwas Überirdisches erscheinen mußte, etwa wie eine Dryade, die -sich schemenhaft leuchtend aus dem frühlingshellen Geäste erhob. -Solch ein Naturwesen, mehr oder weniger als Mensch, tückisch, süß und -verführerisch zugleich, mußte der geblendete Doktor in diesem Augenblicke -doch zu sehen glauben, denn er erlag dem Zauber, und seine Wehrhaftigkeit -splitterte um ihn wie ein Panzer von Glas. Mag nun sein, daß die Stimmung -des blütenübersponnenen Sträßleins, das weit hinaus in freundliches -grünes Land zu führen schien, der weiche Maiduft des Himmels und -Frühlingsstimmen junger Vögel nah und fern die Wirkung des holden Bildes -verstärken halfen -- kurz, der Mann fühlte sich innig gerührt und zu -jedem Verzeihen geneigt, so daß er nähertrat und bereitwillig Rede -stand. Dabei konnte er es sich dennoch nicht versagen, ihr seine Meinung -ordentlich klarzulegen, und so kam ein gar wunderlicher Sermon zustande, -den ich aus mancher Andeutung Sabinens und aus später selbst miterlebten -Wiederholungen ähnlicher Szenen wohl zu rekonstruieren vermag. - -»Haben Sie denn«, so etwa mochte der Doktor schmälen, »je ein edles -Gefühl um seiner selbst willen gehegt? Haben Sie nicht alles, was Sie -taten, um der Leute willen getan? Haben Sie nicht früh schon durch -Kleidung und Auftreten bewiesen, daß Sie Aufmerksamkeit zu erregen -wünschten? Haben Sie nicht ein braves und anerkennenswertes Streben der -modernen Frau, das Streben nach Bildung und Wissen, dadurch erniedrigt, -daß Sie lauen Herzens und nur deshalb an den Altar der Athene getreten -sind, weil es heute noch für ungewöhnlich gilt? Dies alles wäre noch zu -verzeihen. Auch daß Sie Almosen geben, weil es zum guten Ton gehört, will -ich Ihnen nicht zu hoch anrechnen, denn ihr kurzdenkenden Frauen könnt -das Unheil nicht übersehen, das eure Wohltätigkeit =en décolleté= -anrichtet. Aber Sie haben mit dem Dinge gespielt, das jede echte Frau als -eine Offenbarung von oben in demütigen Händen empfängt. Sie haben mit -Ihrer Liebe Parade geritten vor klatschlustigen Basen, Sie haben Männer -angezogen und abgestoßen, um von sich reden zu machen, und Sie haben den, -der mit gläubigem Herzen Ihnen entgegenkam, nicht minder geäfft als die -Menge Ihrer Zuschauer, um deren Beifall es Ihnen so sehr zu tun scheint. -Denn Sie gaben ihm ein Recht, an Liebe zu glauben, und Liebe haben Sie -nie gefühlt, nur eitle Selbstüberhebung und Hochmut, die beide Tugenden -galten, von denen Sie nur den Schein besitzen. Wie dürfen Sie nun noch -Anspruch erheben auf eines ehrlichen Mannes Gefühl? Ich für mein Teil -mag keine Schauspielerin zur Frau, und so innig lieb ich Ihr schönes Bild -leider im Herzen halten muß, so wenig werde ich mich dazu hergeben, Ihren -Partner zu spielen. Denn die Rolle, die Sie mir in Ihrer Komödie eines -romantischen Ehestandes zudenken, gefällt mir nicht -- und übrigens ist -die Sache bei mir, Gott sei's geklagt! etwas mehr als Komödie!« - -So gestand der Doktor seine Liebe und verschwor sie im selben Atem, und -Sabine hing wie ein windbewegtes Blatt zwischen Himmel und Erde, -zwischen Freude und Scham, zwischen höchstem Triumphgefühl und tiefster -Erniedrigung. Tränen, halb des Zornes und halb der Rührung, traten ihr in -die Augen, und sie empfand in dieser Stunde, was auch die seichteste Frau -nicht ohne Seligkeit empfinden kann, die Herrschaft und Überlegenheit -eines starken und geradsinnigen Mannes. Wie nun auf jedes Weib diese -Erkenntnis des Untergeordnetseins viel eher beglückend als verletzend -wirkt, so ward auch für Sabine die Beschämung selbst zu einer Quelle der -Lust, und sie wünschte nichts sehnlicher, als daß der Doktor bis in alle -Ewigkeit fortfahren möchte, sie zu schelten. Er fügte auch noch ein gut -Teil bei; und sooft er aufhören wollte, sah Sabine ihn mit zwar feuchten, -aber so strahlend glücklichen Blicken an, daß er schnell wieder -einsetzte, weil ihm schien, sie sei noch lange nicht so zerknirscht und -schuldbewußt, wie sie von Rechtes wegen hätte sein müssen. Bald wurde -er dann wieder härter, als er beabsichtigt hatte, und nun faßte er ihre -Hand, um durch einen sanften Druck und etwa ein Streicheln da versöhnend -entgegenzuwirken, wo seine bitter wahren Worte zu tief verwunden mußten. -Und so zwischen Grausamkeit und Liebe schwankend, nahm er Sabinen endlich -an sein Herz und bedeckte sie mit Küssen, dazwischen hoch und teuer -schwörend, daß er sie nun und nimmer zur Frau haben wolle. Sie aber, von -einem neuen Gefühle ganz verwirrt und betäubt, ließ alles über sich -ergehen und fragte in diesem Augenblicke sogar nicht einmal, was die Leute -dazu sagen würden, die ab und zu durch das grüne Sträßlein spazierten -und mit Lachen dem wunderlichen Paare nachblickten. - -Es versteht sich von selbst, daß Ricchiari trotz all seiner grimmen -Vorsätze um Sabinens Hand warb und daß er sie erhielt. Der brave Mann -stellte sich entschieden und tapfer auf die Seite der Liebe, besiegte das -Widerstreitende in seiner Brust und verzieh dem holden Frauenbilde nicht -nur alle früheren Torheiten, er bemühte sich sogar, in noch bestehende -und fortwirkende sich zu finden oder sie wenigstens mit Anstand zu -ertragen. Ricchiari sah seine Frau hundertmal des Tages an und fühlte, -daß er sie bei jedem Blicke heißer liebte als zuvor. Er führte sie bald -darauf hinweg nach der kleineren Stadt und hoffte sie dort in der Stille -und Zurückgezogenheit in kurzer Zeit zu größerer Sinnesschlichtheit -umzubilden und das Lautere ihres Wesens, woran er nun einmal glaubte, von -anhaftendem Flitter zu reinigen. - -Leider mußte er nur zu bald erkennen, daß er sich hierin vergriffen -hatte. Die in der großen Stadt eine Rolle gespielt hatte, glaubte sich in -der kleinen noch viel mehr berechtigt, alle Augen auf sich zu ziehen. Die -Feindseligkeit und das Mißtrauen, die ihr allenthalben entgegentraten, -reizten sie nur zu neuen Künsten. Und da sie bald herausgefunden hatte, -daß dem beschränkten Geiste ihrer Mitbürger nur durch eine einzige -Eigenschaft zu imponieren war, nämlich durch Tugendhaftigkeit, so warf sie -sich mit ihrem ganzen virtuosen Anpassungsvermögen nach jener Seite hin -und stellte alle Penelopen und Kornelien der Welt durch ihre Leistungen in -Schatten. Zugleich aber begann jetzt für Sabine wie für ihren Gatten ein -Martyrium schlimmster Art; es fing damit an, daß Sabinens Gefühl für den -Doktor mit seiner Neuheit dahinging. Wohl hatte die Macht von Ricchiaris -ehrlicher Gesinnung, seine Offenheit, sein Zorn, kurz, die Äußerung -seiner Männlichkeit so überwältigend auf das Wesen mit den verschrobenen -Neigungen gewirkt, wie eben das Wahre und Gewaltige dem Gekünstelten -gegenüber wirken muß. Einer wirklichen Liebe war Sabine Ricchiari nicht -fähig, und von der angenehmen Verwirrung ihrer Sinne war nichts geblieben -als eine Empfindung höchsten Unbehagens dem Manne gegenüber, der so -scharf in jeden Winkel ihrer Seele zu leuchten wußte; denn Sabine ahnte -wohl, daß es keine wertvollen Funde in diesem Inneren aufzudecken gab. Das -Unbehagen steigerte sich nicht selten zur Angst. Und diese Angst war es, -die sie verhinderte, ihre Schauspielkunst, die sie gegen Fernerstehende -so glänzend behauptete, auch da zu versuchen, wo es am meisten gelohnt -hätte: Sabine konnte ihren Gatten nicht glauben machen, daß sie ihn -liebte. - -Den ganzen Tag wandelte sie in stumpfer Gleichgültigkeit umher. Daß -sie die Großstadt und ihren Vasallenkreis vermißte, daß Haushalt und -Kinderstube sie langweilten, daß sie hungerte nach rauschenden Festen, -wo ihre Schönheit Siege gefeiert hätte, daß der schlichte, stäte und -zuverlässige Gatte ihrem phantasievollen Köpfchen nichts zu denken gab --- Ricchiari mußte es täglich aus kalten Mienen und lässigem Gebaren -erkennen. Da er die Frau liebte, tat das ihm weh. Aber man vergegenwärtige -sich das Leiden, das für ihn anhub, sobald ein fremder Fuß das Gemach -betrat: wie durch Zauberschlag verwandelt, huschte die plötzlich -erblühende Frau als rühriges Hausmütterchen durch alle Räume; -Heiterkeit strahlte ihr von rosigen Wangen, Liebe aus leuchtenden -Augen; sie herzte ihre Kinder, sie nickte dem Gatten zu; sie redete -wirtschaftlich, prahlte mit kleinen häuslichen Kenntnissen, pries -die pastoralen Freuden ihres bescheidenen Lebens, scherzte anmutig und -überlegen über leicht verschmerzte Entbehrungen -- kurz: zeigte sich -so ganz als das, was sie nicht war und doch hätte sein sollen, daß die -Klügsten betrogen hinweggingen. Laut und leise pries alle Welt Ricchiari -als den glücklichsten Gatten; und der Doktor hörte es mit finsterem -Gesichte und verbiß seine Martern: wußte er doch aus wiederholter -Erfahrung, daß Licht und Lächeln in den Augen seiner Frau erlöschen -würden mit den letzten Lampen des Mahles, bei dem sie durch horazische -Tugenden eine Anzahl leichtgläubiger Gäste berückt hatte. - -Diese sichere und stets eintreffende Voraussicht machte, daß Ricchiari -in Gesellschaft nicht eben leidenschaftlich auf die Liebenswürdigkeiten -seiner Frau einging; dazu war er eine zu gerade Natur. Ja, er begegnete in -der Regel ihren holden Koketterien mit abweisenden Blicken und erreichte -dadurch, was er eben hatte vermeiden wollen, daß alle Leute die herrliche -Frau, die an solch einen Bären gebunden war, erst recht bewunderten und -bedauerten. Dieses Bedauern, das der unglückliche Mann in allen Mienen -lesen mußte, war seine schärfste Qual. Es war ihm unmöglich, auf die -unedle Pose einzugehen, die Sabine vor der Welt aufrechterhielt und mit -welcher sie ihm seine tiefe und wahrhafte Liebe so übel vergalt. -Jeder Versuch aber, die Komödie zu durchbrechen, prallte an Sabinens -unerschöpflicher Sanftmut und Holdheit ab, und immer blieb das gewandte -Weib im Vorteil, immer mehr vergab sich der von Leidenschaft gepeinigte -Mann in den Augen der Kurzsichtigen, die nach dem Schein urteilten. Bald -war Sabine nah und fern als eine neue Griseldis gerühmt, der Doktor als -ein Tyrann verschrien; und das ruchlose Geschöpf war wirklich erbärmlich -genug, sich an dieser Rolle zu ergötzen. Die Art und Weise, wie sie -Mitleid von sich wies und ihren Gatten zu entschuldigen suchte, war mit -Feinheit so berechnet, daß auch wieder niemand als sie selbst dabei -gewann: denn nun prunkte sie noch mit einem Edelmute, der ihr sehr ferne -lag, da sie genau wußte, daß in Wirklichkeit ihr Gatte der still Duldende -und Vergebende war. Daß ich selbst von diesem Spiele fast gefangen worden -wäre, habe ich wohl schon angedeutet. Sabinens Geständnisse am Bette -des Selbstmörders ließen mich klar in dies fürchterliche Verhältnis -blicken. Die Unselige erzählte mir selbst, daß ihr Mann sie einmal mit -Tränen in den Augen gebeten habe, ihm in Gegenwart von Leuten nicht mehr -so zärtlich zuzunicken, da sie es doch in Stunden des Alleinseins mit ihm -nicht wolle oder nicht könne. Dies habe ihr ins Herz geschnitten, und -sie habe eine Zeitlang wieder ein wärmeres Gefühl für ihn zu empfinden -geglaubt, ein solches auch mit ängstlicher Deutlichkeit an den Tag gelegt. -Ricchiaris trauriges Lächeln habe sie wohl belehrt, daß sie ihn nicht -täuschen könne, und diese Erkenntnis habe sie selbst mit Bitterkeit -erfüllt. Nach kaum einer Woche sei ihr machtloser Wille wieder erlahmt, -Leben und Umgebung hätte sie gelangweilt, das tägliche Einerlei von -Kleinem und Kleinstem die alte Verstimmung wieder wachgerufen. Vor Zeugen -aber habe sie nach wie vor ihr äußeres Scheinleben weiterführen -müssen und sich dabei selbst wie behext gefühlt; denn sie sei sich -ihrer Falschheit wohl bewußt gewesen, ohne sich ihrer jedoch erwehren zu -können. - -Ich fragte Sabinen, ob sie sich über die Empfindungen Rechenschaft geben -könne, die sie beherrschten, während sie dies verräterische und für -ihren Gatten so grausame Spiel trieb. Sie gestand mir nach einigem Sinnen, -daß sie sich immer durch das Verhalten der Leute selbst gleichsam dazu -gereizt gefühlt habe. Denn wie ein offenes Buch habe jedes Herz vor ihr -sich aufgetan, und was sie da zu lesen geglaubt, war eben die Erwartung -dessen, was mittlerweile wirklich schon eingetreten war. Jeder Blick schien -sie zu fragen: hast du die übereilte Verbindung noch nicht bereut? hält -die Romantik dem wirklichen Leben stand? sehnst du dich nicht zurück nach -dem Kreise, für den du geboren bist? Bereits glaubte sie zu hören, wie -triumphierend Nachbarin zu Nachbarin flüsterte: wir haben es vorausgesagt! -Bereits war ihr, als spitze sich jeder Beau, der huldigend ihre Hand -küßte, schon im stillen darauf, der Hausfreund der schönen Doktorsfrau -zu werden. Daß aller Augen auf ihren Fall warteten, hatte sie richtig -erraten, und sie hätte sich, wie sie sagte, lieber in Stücke reißen -lassen, als dem Volke die Freude des Rechthabens zu gönnen. - -Die Spannung zwischen den Gatten kam endlich so weit, daß Ricchiari die -Scheidung vorschlug. Ihm schien es leichter, sich der begehrten Frau -ganz und gar zu entwöhnen, als fürder unter ihren Lieblosigkeiten zu -schmachten. Dennoch mußte ihn der Vorschlag schwere Überwindung gekostet -haben, und Sabine, die es verstand, war von seinem Leiden einigermaßen -erschüttert. Aber als sie dies Anerbieten zurückwies, tat sie es dennoch -erst in _zweiter_ Linie aus Mitleid mit dem Manne; ihr erster Gedanke -war auch hier wieder: »wie würden die Leute sich freuen!« und deshalb -willigte sie nicht in die Scheidung. - -Ricchiari, der mit weißen Lippen seinen Antrag gestellt hatte, errötete -ein wenig, als sie rasch und heftig »Nein!« sprach. »Darf ich hoffen,« -fragte er mit unsicherer Stimme, »daß es dir doch ein wenig leid tun -würde, mich zu entbehren?« Sie schaute ihn an und hätte Welten darum -gegeben, hätte sie jetzt ihr Verstellungstalent zur Hand gehabt, das ihr -vor Fremden doch nie versagte. Aber vor den ehrlichen Augen dieses Mannes -war sie gelähmt, sie fand das falsche Lächeln nicht, oder vielmehr, sie -wußte, daß es ihn nicht würde betrügen können. Sie sah zur Seite, -zitterte und stammelte endlich: »Um der Kinder willen laß uns beisammen -bleiben!« und das war das einzige, was sie antworten konnte ohne direkte -Unwahrheit. Wirklich war das ein Grund, dem Ricchiari sich beugen mußte; -und wenn es für ihn irgendeinen Trost gab, so mußte es der Gedanke -sein, daß Sabine in diesem einen Punkte wenigstens durch ein braves und -natürliches Gefühl geleitet worden sei. - -So also standen die Dinge in Ricchiaris anscheinend so tadelloser -Häuslichkeit. Eine Frau von unfehlbarer Lebensführung und wertvollen -Eigenschaften verstand die bescheidene Kunst nicht, einen schlichten Mann -glücklich zu machen; und ein Mann, der jede andere Frau durch die Fülle -und Tiefe seines Empfindens hoch beglückt hätte, mußte seine köstliche -Flamme vor einem Götzenbilde von Erz verlodern sehen, und kein Zeichen -belehrte ihn, ob sein Opfer Gnade gefunden. - - -4. - -Sylva stammte aus guter, alter Familie. Er war wohlhabend und hatte -Ansehen. Aber er war auch brav, tüchtig, ernsthaft und seelenrein, wie -wenige Menschen in dieser verderbten Zeit und in den Kreisen, aus denen er -stammte. Er war dreiundzwanzig Jahre alt. - -Sabine Ricchiari war eine zu blendende Erscheinung, um von dem neuen -Ankömmling nicht alsbald bemerkt zu werden, und entzückt erkundigte er -sich sofort nach Namen und Geschichte der schönen Frau. Der Bescheid, den -er erhielt, entsprang der falschen Meinung, die Sabinens ruchloses Spiel -in den Köpfen der Leute gezeitigt hatte. Die Frau, so hieß es, sei ein -vornehmes und mit allen holden Gaben geschmücktes Wesen, an einen Mann -gekettet, der nicht wert sei, ihr die Schuhriemen zu lösen, und der das -Gotteswunder nicht zu schätzen wisse, das mit solch einem Weibe über sein -Haus gekommen. Vielmehr behandle er sie höchst lieblos, sie aber ertrage -mit engelgleicher Geduld all seine Launen, und nie habe jemand sie ein -Wort der Klage äußern hören. Ja, selbst den Mangel all des Glanzes, -zu welchem ihre Geburt sie berechtigte, habe sie mit solcher Anmut und -Heiterkeit auf sich genommen, daß alt und jung vor einem so seltenen -Frauencharakter in Bewunderung vergehe. Niemand könne an dem herrlichen -Bilde die leiseste Trübung nachweisen, und allgemein werde nur bedauert, -daß nicht ein würdiges Eheglück ihr beschieden sei. - -Solche Kunde war natürlich dazu angetan, ein Jünglingsherz zu rühren. -Sie aber ahnte nicht, welchen Quellen die scheue Verehrung entsprang, die -sie alsobald in den Augen des jungen Mannes zu lesen begann; seicht wie sie -selbst war, schloß sie nur auf seichte Leidenschaft, wie ein blühender -Frauenleib sie wohl zu wecken vermag, und wandte sich mit einem spröden -Gesichte zur Seite, so oft sie dem stillen Minnewerber begegnete. Sie -selbst gestand, daß sie damals nichts als Groll empfand, jenen alten Groll -gegen angenehme und sogenannte unwiderstehliche Männer, die jede Frau als -leichte Beute behandeln. - -Es hatte nämlich bereits die öffentliche Aufmerksamkeit sich auf Blicke -und Mienen des schmachtenden Jünglings gerichtet, und eine Schar von -solchen Geistern, die nie das Unheil zu bemessen verstehen, das sie -anrichten, ergriff sofort diese wahrlich ernste Sache als ein neues und -willkommenes Spielzeug. Keine der Freundinnen und Nachbarinnen konnte sich -das Vergnügen versagen, Sabinen die Beobachtungen zu hinterbringen, die -sie an Sylva gemacht hatten, und jene bekannten neckenden Bemerkungen daran -zu knüpfen, die bei solch kurz denkenden Wesen besseren Gesprächstoff -ersetzen. Und diese Gefühllosigkeit gab leider der gefühllosesten unter -den törichten Frauen den Anstoß, um aufs neue und tiefer als jemals in -ihr altes Laster des Posierens zu verfallen. - -Sabine wies die Neckereien der Freundinnen anscheinend mit Ernst und Würde -zurück, dabei aber verfehlte sie nicht, mit feiner Wahl des Ausdruckes -soviel Teilnahme für den stillen Anbeter zu verraten, als eine anständige -Frau ohne Furcht vor Mißdeutungen an den Tag legen darf. Noch eine Nuance -mehr Interesse, so gab sie, dessen war sie sich wohl bewußt, falschen -Vermutungen Raum. Und dennoch -- so unglaublich es scheint! -- überschritt -sie diese Linie, überschritt sie, während ihr selbst die Erkenntnis -dessen, was sie tat, kalte Schauer über den Rücken jagte. Warum sie -es tat -- Gott weiß es! Sie wollte eben wieder einmal ihre Tugend zu -allgemeiner Betrachtung aushängen. Sie arbeitete ihre Komödie mit -gewohntem Raffinement aus, und die Freundinnen gingen mit der Gewißheit -hinweg: »Sabine Ricchiari liebt den jungen Sylva. Aber mit eiserner Hand -wird sie ihre Wünsche ersticken. Ihre Tugend ist über jede Versuchung -erhaben.« - -Alles dieses wäre noch kein Verhängnis gewesen. Aber nun gingen die -schwatzenden Elstern hin und bearbeiteten den Jüngling. Sylva hatte -das Unglück, jene sanfte und weiche Schönheit zu besitzen, auf welche -ältliche Weiber besonders toll sind. Jede einzelne der müßigen -Redespinnerinnen suchte aus der eben gemachten Entdeckung einen Vorwand -zu konstruieren, um sich dem jungen Manne zu nähern, sein Vertrauen zu -gewinnen, als sympathetische Seele seinen Schmerz zu teilen und -- aber -dieser Gedanke lauerte nur ganz verborgen im Hintergrunde! -- womöglich zu -heilen. Sylva, jung und nicht übermäßig erfahren, war schnell umgarnt. -Bald hatte er drei oder vier »mütterliche Freundinnen«, die sich darin -überboten, ihm zu sagen, was er zu hören brannte. Und bald war auch er -von der Überzeugung durchdrungen, daß Sabine ihn im stillen liebe. Jetzt -erst stiegen seine Hoffnungen zu äußerster Kühnheit empor, und jetzt -erst lag sein Herz zu tiefst im Staube vor dieser Frau, die er unglücklich -glaubte und doch von siegreicher Reinheit in ihrem Unglücke. Hatte er sie -vorher schon mit heißester Glut begehrt, so betete er jetzt geradezu -die Spur ihrer Füße im Sande an, überwältigt von ihrer unantastbaren -Tugend. - -Und seine Trösterinnen sorgten dafür, daß ihm der Mut nicht sank. Jedes -Wort Sabinens wurde ihm hinterbracht; und da es die Frau in entsetzlicher -Verblendung nicht lassen konnte, ihre Rolle weiter und weiter zu verfeinern -und auszugestalten, so gab es bald ordentlich was zu hinterbringen. Die -Phantasie der Zwischenträgerinnen tat das ihre. - -Sylva schien zu glauben, daß dieser Frau gegenüber, die es verschmähte, -sich um ihr Glück zu wehren, gewaltsamere Schritte erlaubt wären. Er -suchte eine Zusammenkunft mit ihr, und die Trösterinnen rangen um den -Vorzug, sie ihm zu verschaffen. Diejenige, der in dieser edlen Konkurrenz -der Sieg zufiel, besaß einen schattigen und abgelegenen Garten, dahin lud -sie Sabinen zu einem Plauderstündchen, und Sylva erschien wie zufällig. -Nun verschwand die hilfsbereite Freundin, und das Paar stand sich -gegenüber. - -Sabinens Augen funkelten. Sie begriff sofort das Beabsichtigte der -Situation, und neben einem kleinen Ärger über die niedrige Kuppelsucht -ihrer Vertrauten, die ihr jetzt klar zum Bewußtsein kam, regte sich sofort -und übermächtig auch die Freude darüber, daß endlich für sie der -Augenblick gekommen sei, ihre sittliche Größe ganz zu zeigen. Sie -bedauerte nur die Abwesenheit der Freundin, die ihr eine willkommene Zeugin -gewesen wäre. Daß diese Freundin in sicherem Verstecke die ganze Szene -belauschte, konnte sie freilich nicht ahnen. - -Der Jüngling, ehrlich und geradeaus in seiner Liebe, ergriff alsbald das -Wort und erklärte freimütig, daß er keineswegs zufällig gekommen sei, -sondern in der bestimmten Hoffnung, Sabine allein zu sehen und zu sprechen. -Sie habe ihm diese Möglichkeit bisher versagt, obgleich sie wissen müsse, -was er für sie empfinde; doch sei er sich seines Unwertes vor ihr bewußt, -wie seiner Vermessenheit, vor sie zu treten. Dies habe er nun gewagt, weil -er den Zustand der Dinge unmöglich länger ertragen könne und lieber -ein verdammendes Urteil für alle Zeit auf sich nehmen wolle, als fürder -zwischen Hoffen und Verzweiflung zu schweben. »Und warum Hoffen?« -unterbrach ihn Sabine voll Hochmut. »Habe ich Ihnen je ein Recht dazu -gegeben?« -- »Nicht Sie,« antwortete Sylva in einiger Verwirrung, »aber -die schlimmen Verhältnisse, in denen Sie leben, und die, verzeihen Sie -mir! leider genugsam bekannt sind.« Sabinens Antlitz flammte auf, und -jetzt stand sie im Begriffe, das Lügengespinst zu zerreißen. »Was sagen -Sie?« rief sie in echter Entrüstung. »Welche Verhältnisse? Ich bitte, -sich deutlicher zu erklären!« Sie rang, von Scham eine Sekunde lang -überwältigt, nach Worten, den verhängnisvollen Irrtum zu heben, wußte -nicht, wo beginnen, wurde aufgeregt und ängstlich. Unterdessen sprach -Sylva, der ihren Zorn nach seiner Art deutete, auf sie ein, schilderte mit -Farben, die er aus der Tiefe seines gläubigen Herzens holte, ihr Bild, wie -es ihm erschien, in all der Heiligkeit entsagungsvoller Treue, in all der -Größe, Reinheit und süßen Trauer, die er ihr andichtete, und bemerkte -beglückt, daß sie ruhiger wurde und endlich in augenscheinlicher -Ergriffenheit ihm zuhörte. Wirklich dämmerte ihr etwas von dem bitteren -Ernste der Lage. War bei ihrer plötzlichen Besänftigung auch vielleicht -in erster Linie wieder das kindische Wohlgefallen an sich selbst im Spiele -gewesen, das Sylvas Worte so angenehm streichelten, so möchte ich doch -annehmen, daß der Anblick der unschuldigen, heiß flehenden Augen, die -köstlich reine Verehrung des armen Jungen etwas von ihren weiblichen -Empfindungen wachriefen und vibrieren machten. Denn von hier an kann ich -Sabinens Verhalten nicht mehr ganz als Pose auffassen. - -»Der Anblick Ihres Jammers«, so sprach Sabine, »zerreißt mir das Herz. -Wollte Gott, ich dürfte milder sein, denn Strenge wird mir schwer, wo ich -an ein echtes Gefühl glauben muß. Nicht oft im Leben ist mir ein solches -begegnet, und ich wünschte, ich müßte nicht zurückweisen, was manche -andere Frau mit Stolz und Freude annehmen würde. Aber bedenken Sie, daß -diese Liebe, die Sie mir entgegenbringen und die in ihrer hohen und edlen -Natur das Wertvollste ist, was eine Frau auf ihrem Lebenspfade finden kann, -zugleich eine erniedrigende Zumutung an mich enthält. Nein, erschrecken -Sie nicht -- ich zürne nicht, denn ich weiß, was Sie leiden! Dennoch -haben Sie es sich allzu leicht vorgestellt, das Pflichtbewußtsein -einer Frau zu überwinden. Vergaßen Sie, daß ich Kinder habe? Wenn ich -unterliege, so trifft mich kein Verlust, den eine Liebe wie die Ihre mir -nicht ersetzen könnte; aber die ganze Härte der Konsequenzen fällt auf -die unschuldigsten Häupter, die somit mein und Ihr Vergehen zu büßen -haben werden. Welches Glück könnte auf solchem Grunde aufgebaut -werden? Lassen Sie mich, um Ihrer selbst willen, an Ihr besseres Selbst -appellieren! Sie werden überwinden, Sie können es! Es gibt unfehlbare -Tröster: die Arbeit, die Kunst -- zu diesen flüchten Sie! Erhalten Sie -Ihr Leben rein, bessere Menschen als ich bin haben noch Rechte an Ihre -Zukunft. Diese erhalten Sie unbefleckt, diese opfern Sie nicht einer -vielleicht flüchtigen Leidenschaft! Seien Sie stark -- Sie sind ein Mann: -muß ich es doch sein, die ich nur ein schwaches Weib bin!« - -Sylva hatte von Sabinens Rede nichts gehört, als daß sie an seine Liebe -glaubte, und das war mehr, als er geträumt hatte. Zitternd vor Seligkeit -warf er sich vor ihr nieder, mächtig hinströmend ergoß sich sein -Gefühl, so daß es der erschrockenen Frau wohl scheinen mochte, als wankte -der Boden und die alten Stämme gewaltiger Bäume rings um sie vor -dem Anprall einer Flut, die sich rauschend und klingend durch das All -verbreitete. Wieder, wie schon einmal im Leben, stand sie dem Elemente -gegenüber und hatte die Kraft nicht, sich darüber zu erheben. Wieder -ließ sie sich hinreißen. Über solche Wellen hatte der flache Kiel -ihres Seelenschiffleins keine Gewalt. Es trieb, es schwankte und wäre -zerschellt, wenn nicht Sylva selbst in seiner Redlichkeit den Sturm -gemeistert hätte. Mehr auf die Geliebte als auf sich selbst bedacht, kam -es ihm durchaus nicht zu Sinn, ihre Verwirrung zu nützen, und bereits -hatte seine fromme Phantasie Mittel und Wege einer rechtlichen Verbindung -zwischen ihm und der angebeteten Frau gefunden. »Kein Unrecht!« so rief -er aus, »keine Schmach auf dir, du einzig Geliebte! Ich trete vor deinen -Gatten, ich stelle ihm deine Entsagung, deinen Opfermut vor, ich zeige ihm, -wie du um deiner Pflicht willen dein Herz ersticken wolltest! Ist etwas -Menschliches in ihm, so muß er dich freigeben!« - -Ernüchtert und entsetzt riß Sabine sich los. Ihr Verstand, der einige -Minuten lang geschwärmt hatte, stand plötzlich wieder auf festen Füßen, -und sie überblickte nun mit ziemlichem Schrecken den Schaden, den -sie angerichtet. Nichts konnte dieser Frau, deren Abgott das »=Qu'en -dira-t-on?=« war, unwillkommener sein, als die Aussicht, daß Sylva in -seinem Eifer bis zur ernsthaften Forderung einer Scheidung gehen könnte. -Hunderte von Fällen ähnlicher Art, an denen ja heutzutage Wirklichkeit -und Dichtung so Artiges liefern, fielen ihr ein: immer und unter allen -Umständen haftete der Frau, die einen gesicherten und geachteten Hausstand -preisgab, um sich der abenteuerlichen Liebe eines weit jüngeren Mannes -anzuvertrauen, mindestens Lächerlichkeit an. Und was fürchtete Sabine -mehr als Lächerlichkeit? Und allen Grund hatte sie, diese zu fürchten, -denn gerade _sie_ fiel furchtbar, wenn sie fiel. »_Das_ war die Tugend -Sabinens?« schallte ihr's im Ohr, hundert lachende Stimmen, hämisch, -triumphierend, fröhlich und harmlos spottend, aber _alle lachend_ schienen -aus allen Ecken des Gartens den lustig erstaunten Ruf zurückzugeben. -Flammen der Scham loderten ihr im Antlitz. Sie stieß den Jüngling von -sich, stammelte in höchster Ratlosigkeit ein paar Worte von Überlegung -und Zeit zum Sammeln und enteilte. - -Sylva, trunken und träumerisch, mag ihr nachgeblickt haben, wie ihr helles -und in seiner Flucht anmutig bewegtes Bild in der violetten Tiefe des -abenddämmrigen Gartens unterging. Dann mag es in jedem Laubengange vor -ihm hingewandelt sein, in tausend holden Erscheinungen wechselnd, bald mit -kummervollen Augen ihn abwehrend, dann wieder lockend und verheißend mit -solchem Lächeln, wie er nun bald in Wahrheit von Sabinen zu verdienen -hoffte. Der junge Mann verweilte bis tief in die Nacht im dunklen Garten, -und ich sehe ihn heute noch in Gedanken, wie er mit Sternen und Blumen -sprach, die Zweige küßte, die das Haar der fliehenden Göttin gestreift -hatten, und aufgelöst in demütiger Seligkeit vor der Rasenbank kniete, -auf der sie gesessen. Wer von uns, der jung war, sieht ihn nicht so? - -Am Tage darauf erhielt Sabine ein Briefchen, worin Sylva um eine neue -Zusammenkunft bat. Hätte die leiseste Spur von Selbstbewußtsein sich -in dem Schreiben verraten, so hätte die leichtverletzliche Schöne ohne -Zweifel eine schroffe Antwort gefunden, die alles abgeschnitten hätte. -Aber der liebende Jüngling ehrte so sehr den Kampf, den, wie er glauben -mußte, eine edle Frau zwischen Pflicht und Liebe führte, daß er kaum in -bescheidenster Weise anzudeuten wagte, zu welchen Hoffnungen ihn Sabinens -Verhalten berechtigte. Die Fassung des Briefchens rührte Sabinen, und die -Verantwortung, die diesem jungen Herzen gegenüber auf ihr lag, stellte -sich ihr drohend vor. Sie beschloß, dem Bittenden das verlangte -Wiedersehen zu gewähren, und glaubte in lauterer Absicht zu handeln: -wollte sie ihm doch nur zur Vernunft reden! Und sie antwortete in -freundlich gewährendem Sinne. -- - -In der Stunde freilich, wo Sabine in grausiger Selbstanklage gerade diesen -Teil ihrer Geschichte über das Haupt ihres toten Richters hinschrie, in -der Beichte am Bette des Geopferten, gab sie anderen Motiven schuld an -diesem letzten törichten Schritte. In Selbstzerfleischung und Reue so -maßlos, wie sonst in Selbstüberhebung und Eitelkeit, suchte sie hervor, -was sie verdammen konnte, und verschmähte, was irgend zu ihren Gunsten -sprechen mochte. »Nichts wollte ich,« so rief sie in ihrer Verzweiflung, -»als den Weihrauch atmen, den er mir streute! Nichts, als ihn wiederholen -hören, was, wie ich wußte, die Fama ihm zugeflüstert, wie groß und gut -ich sei. Um das zu hören, habe ich in der zitternden Seele vor mir alle -Stadien der Glut zu erregen gesucht und mich, ohne eigenes Verlangen, am -Gefühle der Meisterschaft berauscht, mit welcher ich das Element dämpfte -und wieder schürte: denn jedes neue Emporlodern der Flamme stellte eine -neue Verherrlichung meines Selbst dar, und immer schöner und erhabener -schien er mich zu sehen, je mehr ich ihn quälte. Sein armes, von -sehnsuchtsvoll durchwachten Nächten blasser und blasser werdendes Gesicht -war das Reklamebild meiner Tugend, und im letzten Grunde, wenn ich's recht -bedenke, habe ich ihn auch in den Tod getrieben, damit nur einmal meine -Unbesiegbarkeit durch einen öffentlichen Akt dargelegt werden -möchte.« Es liegt mir fern, der unglücklichen Frau in dieser traurigen -Übertreibung zu folgen. Vielmehr glaube ich, daß, ihr selber unbewußt, -ein neuer Trieb sie beherrscht habe, der zwar nicht minder sträflich, aber -weitaus natürlicher und menschlicher war; und diesem möchte ich gern alle -weiteren Torheiten der Armen zuschreiben. Freilich denke ich nicht an ein -solches Gefühl, das dem Sylvas auch nur im entferntesten die Wage halten -konnte: dessen war Sabine nicht fähig. Aber ein leiser Widerhall davon -muß doch vorhanden gewesen sein. Keine Frau kann eine solche Liebe sehen, -dieses Himmelsfeuer von Gottes eigenstem Altare, ohne einen Schimmer davon -mit sich herumzutragen, wie Marienkind, als es die innerste Himmelskammer -geöffnet und die heilige Dreieinigkeit im Goldglanze erblickt hatte. Und -dieser Abglanz, wenn schon nicht mehr, mußte in Sabinens Seele gefallen -sein, ein erstes, wahrscheinlich unverstandenes Regen zarter Neigung, das -sich nur noch nicht zum Erscheinen durchgekämpft hatte. Diesen Schluß zu -ziehen, berechtigt mich Sabinens Gebaren an der Leiche Sylvas, das sonst -unbegreiflich gewesen wäre. -- - -Und so geschah alles, wie es geschehen mußte. Wieder lag dämmriger -Abendschein über Lauben und Büschen des stillen Gartens. Die Allee schien -ein goldenes Gewölbe, wie schimmernde Schätze lag rötliches Laub über -den Boden gestreut. Ein scharfes gelbes Licht, von Westen her geworfen, -prallte an den Stämmen der schönen alten Bäume ab und zeichnete ihre -Schatten quer über den flimmernden Grund, daß es aussah, als hemmten -schwarze Balken das Wandeln über die kostbaren Fliesen. Mit jeder Elle, -die Sabine im frühherbstlichen Blätterfall vorwärtseilte, überschritt -sie eine dieser dunklen Schicksalsschwellen, mit jedem solchen -Überschreiten stand sie tiefer in ihrem Verhängnisse. Am Ende des Ganges -lag die Laube, wo Sylva sie erwartete. - -Als die Nacht sank und die Frau durch die Allee zurückhuschte, waren die -finsteren Schattenschwellen verschwunden. Auf den Weg zur Sünde hin hatte -das Schicksal ihr die warnenden Zeichen gelegt; jetzt war alles bleiches -Grau; den Weg zurück wies keine Hand von oben. -- - -Sabine glaubte einen Teil ihres Selbst zu retten, als sie in ihre wilde -Beichte die scheue Bemerkung einschob, Ehebruch im landläufigen Sinne des -Wortes habe sie immerhin nicht begangen. Mein Gott, das glaubte ich ihr nur -zu sehr! Wollte ich doch, um des armen Jungen willen, diese Armseligkeit -wäre weniger glaubhaft gewesen! Wie mag sie ihn hingehalten haben, wie -seine Sehnsucht gefoppt! Das sehe ich, ohne daß sie es zu schildern -brauchte, das sehe ich, wie sie spärliche Liebkosungen sich mühsam -abringen ließ, als wäre es königliche Gunst, ihre kalten Fingerspitzen -zu berühren; wie sie den äußersten Rand ihres Kleidersaumes erst nach -tausend Bitten preisgab, eine welke Blume für hundert treue und gute -Worte, und einen lauen Kuß auf die Stirne erst dann, wenn sie fürchten -mußte, den allzu Geduldigen für immer zu entmutigen. Ich sehe sie! Und -ich hätte nicht selbst einmal ein armer junger Narr sein müssen, hätte -es mich wundern sollen, daß diese Kargheit, die den Schein der Ehre für -sich hatte, den gläubigen Knaben nur fester an seine Göttin band. - -Sabinens Kunst, diese Sprödigkeit, die zum Teile in ihrem hochfahrenden -Charakter begründet lag, für das Ergebnis schwerer Seelenkämpfe, für -einen Sieg ihres Entsagungsmutes auszugeben, muß indes bis zur höchsten -Vollendung gewaltet haben. Denn nicht nur das gute fromme Kind war betrogen --- auch der Klatsch, der alles zu entstellen geneigt ist, der Klatsch im -Kaffeekranz und der weitaus schlimmere am Biertisch -- der Klatsch, -der natürlich in den treulichen Berichten der emsig lauschenden -Gartenbesitzerin seine Quelle hatte -- auch der nahm die Sache ohne -weiteres von derselben Seite. Alle Sympathien galten der Frau, den -Jüngling bedauerte man kaum, Ricchiari hätte mancher vielleicht eine -Schlappe vergönnt. Ich glaube fest, daß es Wetten gab um den Ausgang der -Sache; war dem so, so setzte die Mehrheit auf Sabine Ricchiaris Tugend. - -Der einzige Mensch, der nicht betrogen war, war Ricchiari selbst. Ihm, -dem Menschenkundigen, mußte vor allen Dingen die sonderbare Erregung -auffallen, in welcher er seine Frau jetzt öfters sah, ihre heimlichen -Gänge, ein häufiges Kommen und Gehen von Freundinnen, die stets -über Gebühr zärtlich Abschied zu nehmen pflegten -- und dergleichen -wohlbekannte Anzeichen mehr. Und da er ein Mann am Platze war, so -beherrschte er die eigene Unruhe, forschte gewandt umher, spähte, -folgerte, kombinierte -- und erriet endlich, was zu erraten war. Noch immer -freilich kannte er die ganze Hohlheit des Wesens nicht, auf das er einst -so viel gebaut; doch überraschte ihn an Sabinen, daß sie heimlicher -Leidenschaft sollte fähig sein. Er grübelte unter heftigen Schmerzen -über diese neue Wendung der Dinge nach, versuchte seine Frau bald durch -Laune, bald durch Zärtlichkeit, fand sie aber in ihrem Verhalten gegen ihn -unverändert; er wurde irrer und wirrer an ihr, als er je gewesen, und -das Rätselhafte der Erscheinung quälte ihn fast mehr, als seine -immerhin nicht geringe Eifersucht. Endlich verfiel er auf eine List von -so lächerlicher Art, daß er sich fast schämte, sie anzuwenden, eine -Niedrigkeit, die nur seinem äußerst gereizten Zustande zugute gehalten -werden muß: und siehe, da fing er die Törin! Er brachte nämlich mehrfach -das Gespräch, und zwar in Gegenwart möglichst zahlreicher Zeugen, auf das -Recht freier Liebe und auf einzelne Beispiele hypermoderner Ansichten über -diesen Punkt, wie jede Gesellschaft sie liefert; und zwar vertrat er listig -herausfordernd die Sache der frevelhaftesten Ungebundenheit. Wie er es -erwartet, so nahm Sabine höchst eifrig die Partei der strengsten Ehemoral -und rasselte förmlich mit Tugendsprüchen. Ricchiari redete von Tag zu Tag -ketzerhafter, schien sich in die Sache zu verbeißen, nannte die Ehe ein -Kulturübel und wollte jeden vernunftbegabten Menschen sich über die -erniedrigende Fessel erheben sehen; seine Zuhörer saßen ordentlich -entgeistert, denn in diesem Tone hatte man im Städtchen bislang noch nicht -reden hören, wenigstens keinen Familienvater; das aber schien den Doktor -nicht anzufechten, oder auch: er mochte wissen, daß er in der Achtung -seiner Mitbürger ohnedies als Mensch nicht mehr viel zu verlieren hatte. -Sabine dagegen nahm in der sonderbaren Sache wieder nur die Gelegenheit -wahr, sich in Szene zu setzen, und genoß das unheimliche Geplänkel -ordentlich, ohne auch nur zu ahnen, daß eine Absicht dahinterstecken -konnte. Sie sagte Dinge, die so rührend und schön waren, daß man einen -Ehestandskatechismus davon zusammenstellen konnte, und deren schlagende -Wirkung sie wahrscheinlich vorher an dem armen Sylva erprobt hatte. So -setzte sie zum Beispiel auseinander, daß die wahre Liebe -- im edelsten -Sinne Liebe! -- zwischen Mann und Weib erst dann beginnen könne, wenn die -Leidenschaft dahingegangen; denn im Jugendrausch das Geliebte anzubeten, -sei keine Kunst und kein Verdienst; wohl aber sei es edler Naturen -würdig, Schwächen und Torheiten des Gefährten geduldig und verstehend zu -ertragen, und erst, wo dieses göttliche Allesverzeihen eingetreten sei, -da könne sie, Sabine Ricchiari, von Liebe reden. Sie blickte dabei ihren -Gatten in hinreißender Weise an, und das gute Publikum war natürlich -überzeugt, daß Sabine dieses schöne Dulden nach eigener täglicher -Übung geschildert habe. Wer hätte ahnen sollen, daß sich die Sache -gerade umgekehrt verhielt? Ricchiari knirschte mit den Zähnen, aber nicht -nur ob der nun zu lang gewohnten Falschheit seiner Frau. Sein feines Ohr -unterschied in ihrer Beredsamkeit etwas mehr als den gewöhnlichen Eifer -für das Wohlanständige, aber auch etwas mehr als gewöhnliche Erfahrung. -Was für Situationen wußte Sabine plötzlich zu schildern, und wie -wußte sie in die Seelenregungen einer schwer angefochtenen und tapfer -widerstehenden Frau einzugehen! »Wirklich?« fragte sich Ricchiari -erschrocken, »hat sie solche Kämpfe durchlebt?« Es schien ihm, daß hier -nicht mehr _alles_ Phrase sein konnte; und, wie ich bereits gesagt, ich -für mein Teil möchte das am liebsten glauben und bin dankbar, daß auch -der kluge Doktor etwas von der neuen Unterströmung in dem Gemüte seiner -Frau bemerkte. Immerhin, als Ricchiari so weit gekommen war, dachte er, -nun sei es genug. Und nun begann er, die Auseinandersetzung mit seiner -Frau unter vier Augen zu führen. Die ganze Behandlung bis hierher hatte -ungefähr drei Wochen gedauert, und Sabine war in eine Leidenschaftlichkeit -der Parteinahme hineingesteigert worden, die sie alle Vorsicht vergessen -ließ. Nun brauchte der Doktor nur noch eine Frage zu tun: »Willst du mich -wirklich glauben machen, daß du unter so und so gegebenen Umständen nach -deinen Worten handeln würdest?« Sabine rief entrüstet: »Zweifelst du an -meiner Festigkeit? Liebe ich dich schon nicht, so sollst du mir doch -nichts vorzuwerfen haben!« und sprudelte in höchster Erregung die ganze -Geschichte ihrer Versuchung und musterhaften Abwehr hervor. Nach dieser -Erleichterung wandelte sie mit höchst zufriedener Miene im Zimmer auf und -ab, den schönen Kopf hoch auf steifem Nacken tragend, als wolle sie jede -beliebige Kritik gegen ihr Tun herausfordern und entwaffnen. Ich glaube -wahrhaftig, sie kam sich in dieser Stunde sehr verdienstreich vor. - -Ricchiari, ob er schon alle erdenkliche Herrschaft über sich besaß, -mußte während dieses Vorganges die Hände in den nächsten Vorhang -krallen, um nicht in Gefahr zu kommen, seine Frau zu schlagen. Ekel und -Verachtung stiegen ihm bis zum Halse, sprechen hätte er nicht können, und -er dankte Gott, daß er's nicht konnte -- denn was hätte er dieser Frau -sagen sollen? Daß er einen Fehltritt, in spontaner Leidenschaft begangen, -leichter verziehen hätte, als _diese_ Tugend? Des unglücklichen Mannes -Gehirn, von einem Wirbel häßlicher Vorstellungen ergriffen und betäubt, -vermochte in dieser Verwirrung die Anklage nicht zu formen, die sein ganzes -Selbst in rasender Empörung gegen das armselige Weib zu schreien schien. -Er fühlte nur dunkel und peinigend, daß er sie verdammen müsse, weil sie -_nicht_ schuldig geworden sei, und der Wahnwitz dieses Gedankens erfüllte -ihn mit Schrecken vor sich selbst. Er glaubte verrückt geworden zu sein, -und es dauerte mehrere Stunden, bis er soweit mit sich zurechtgekommen war, -um mit seiner Frau über den Fall zu sprechen. Er stellte ihr eindringlich -und mit wahrer Himmelsmilde die Schändlichkeit, aber auch die Gefahr eines -solchen Verhaltens vor, wie sie Sylva gegenüber an den Tag gelegt, und gab -ihr zugleich noch einmal in großmütiger Weise Freiheit, dem jungen Manne -zu folgen, wenn sie etwa Neigung für ihn empfände. »Verzeihe mir, wenn -ich dir zu nahe trete,« sagte er sanft, »aber es dünkt mich doch, der -Mann könne dir nicht ganz gleichgültig sein. Hättest du ihn solange -hingehalten und gefesselt, wenn seine Gegenwart dir nicht einen gewissen -Reiz böte? Täuscht man sich doch selbst über solche Empfindungen, -und vielleicht entspringt auch dein gedankenloses Spiel einer solchen -Selbsttäuschung, die wiederum auf deinen maßlosen Stolz gebaut ist. Ich -würde es als Segen empfangen, wenn es so wäre, wenn ich schon dabei der -Verlierende bin. Besser, es sei einer unglücklich, als drei!« Sabine -rief: »Wer sagt, daß ich unglücklich bin?« und ihr Gesicht überzog -sich mit Purpur. Ricchiari antwortete: »Mich liebst du nicht, aber ihn -liebst du vielleicht!« -- »Und wenn schon,« rief sie mit geballten -Fäusten, »so will ich doch nicht zum Kinderspott werden! Leidenschaften -treten wie Krankheiten an uns alle heran, aber ich möchte mich lieber aus -dem Fenster werfen, als so läppisch erliegen wie andere Frauen. Ich werde -mich durchkämpfen.« -- »Du bist zu klug,« sagte der Mann traurig. -»Ich weiß nicht, soll ich dich bewundern oder verachten.« Sie erwiderte -finster: »Ich dächte doch, das letztere hätte ich nicht verdient,« -worauf er voll Schmerz zurückgab: »Das ist es ja gerade, was mich -wirbelsinnig macht, daß ich das nicht weiß. Du mußt Geduld mit mir -haben.« Sie gingen auseinander, ohne daß Ricchiari um vieles klüger -geworden wäre. - -Aber für Sabine war die Sache nun doch nicht so glatt abgetan. Daß sie -sich durch ihr ruhmrediges Geständnis die Möglichkeit abgeschnitten habe, -sich ferner zu den absonderlichen Stelldicheins zu begeben, das leuchtete -ihr natürlich sofort ein. Doch fiel ihr diese gezwungene Entsagung -durchaus nicht leicht, und sie bereute heftig ihre unzeitige Offenheit, die -sie nun unerbittlich vor eine endgültige Entschließung stellte: entweder -mußte sie Sylva aufgeben, oder sich vor Gott und der ganzen Welt die Seine -nennen. Und eines kostete sie soviel wie das andere. Immerhin war der -Kampf in ihr verhältnismäßig rasch entschieden. Sie setzte sich hin und -verfaßte ein Schreiben an Sylva, worin sie ihm endgültig absagte. Den -Brief hat niemand gesehen; Sylva muß ihn sofort vernichtet haben. Er ging -alsbald hin und erschoß sich. - -Ricchiari war es, der zuerst an das Lager des Toten gerufen wurde und der -zuerst auch den rührenden kleinen Zettel las, den jener hinterlassen. -Diesen zu eskamotieren, dazu fühlte sich der Arzt indes zu sehr -beobachtet, bereits lief das verräterische Dokument durch die Hände -hilfeleistender Frauen. In begreiflicher Erregung kehrte Ricchiari heim, -und schonungslos, kopflos, zitternd und hastig teilte er Sabinen das -Grauenhafte mit. Sie blickte ihn anfangs geringschätzig an, mit einem -Schürzen der Oberlippe, als spräche er von dem Fremdesten der Fremden. -Nach drei Sekunden etwa wurde ihr Gesicht weiß und ihr Auge starr. Sie -fragte heiser: »Was sagtest du?« und als er schreiend wiederholte: -»Sylva hat sich erschossen!« schritt sie langsam, wie geistesabwesend, -durch das Gemach und begann mit nervösen Fingern ein Wollknäuel -abzurollen. Nach einer weiteren Minute drehte sie sich rasch um, faßte -nach der Lehne eines Stuhles, setzte sich hin und legte das Gesicht auf die -Arme. Der Mann sah ihren Körper schauern, vernahm jedoch kein Schluchzen. -Er wagte, da er nun sah, daß sie äußerst erschüttert war, kein Wort -weiter zu sagen, und nach einer Weile zog er sich still zurück. Eine -Stunde später trat Sabine, sehr blaß, aber anscheinend wieder ruhig, in -sein Zimmer und fragte kurz und hart: »Weiß man, warum er es tat?« Der -Doktor, da er sie gefaßt sah, erwiderte ebenso kurz: »Er hat einen Brief -hinterlassen.« -- »So? und was steht darin?« -- Ricchiari, von ihrem -Blicke, der wie Feuer brannte, gemeistert, sagte mechanisch die ersten zwei -Zeilen des Zettels her, die er im Gedächtnis behalten hatte. Sie zog dabei -die Schultern hoch, als ob Schläge darauffielen, und bewegte sich mit -gesenktem Haupte gegen die Türe, durch welche sie verschwand, ohne -das Ende des Berichtes abzuwarten. Gleich darauf stand sie in Sylvas -Totenzimmer. -- - -Es wurde nun dem Doktor an Sabinens Seite besser denn je. Wenn ein -Menschenkind allen Halt und allen Glauben an sich selbst verloren hat, -so streckt es naturgemäß die Hände dem entgegen, der sich in Güte -und Verzeihung seiner annimmt. Dazu war nun kein Mann so geschaffen, wie -Ricchiari, der jeden Winkel im Herzen der Frau mit seinem stillen Erbarmen -durchleuchtete und nichts als Friedensworte für sie hatte, selbst da, wo -er zu strafen berechtigt war. Sein Mitleid für sie war grenzenlos, und -nicht geringer war allerdings das meine. Weit entfernt, die unglückliche -Frau noch tiefer zu beugen, tat Ricchiari, und ich mit ihm, das Äußerste, -um ihr wieder einen Teil ihres Lebensmutes zurückzugeben. Sie nahm, wie -ein krankes Kind, was der unermüdliche Gatte für sie tat; dabei war sie -klug genug, das Unverdiente seiner Großmut ganz zu empfinden, und eine -innige Dankbarkeit ihrerseits mußte naturgemäß dieser Erkenntnis folgen. -Bald stellte sich zwischen den Gatten ein ganz erträgliches Verhältnis -her, und Sabine lernte ihre unerhörte Meisterschaft über sich selbst nun -in einer würdigeren Sache anwenden. Daß sie eine Natur war, die alles -konnte, was sie ernstlich erstrebte, hatte sie bewiesen, und jetzt ging -ihr Wollen dahin, ihren Gatten für manche erlittene Kränkung, die sie -reuevoll einsah, zu entschädigen. In gewissem Maße gelang ihr auch das; -wenigstens erfuhr Ricchiari nichts mehr als Liebes und Gutes von ihr, und -war schlau genug, nicht ergründen zu wollen, ob dieses Liebe und Gute -einem spontanen Herzenstriebe entsprang oder ob eiserne Willenskraft es aus -dem Bewußtsein einer nie gutzumachenden Schuld erzeugt hatte. Er begnügte -sich mit der Wirkung, und daran tat er wohl. Denn wer nach Ursachen -forscht, wird irre an Gott und Welt. Die _Menschenseele_ ist das -verschleierte Bild von Sais -- und vielleicht ist uns wohler, solange -keiner kommt, den geheimnisvollen Flor zu heben. - - - - -Druck von F. E. Haag, Melle i. H. - - - - -[Illustration: Emblem] - - - - -Curt Hamel'sche Druckerei u. Verlagsanstalt, Charlottenburg, -Spreestr. 43/44 - - - - - [ Hinweise zur Transkription - - - Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt. - - Darstellung abweichender Schriftarten: _gesperrt_, =Antiqua=. - - Der Schmutztitel wurde entfernt. Ein Verlagshinweis zu Sonderexemplaren - auf Büttenpapier wurde von der Versoseite des Schmutztitels an das - Ende der Titelei verschoben. Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Ende des - Buchtextes an den Beginn des Buchtextes verschoben. - - Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten. ] - - - -*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GABRIELENS SPITZEN *** - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the -United States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. 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Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms -of the Project Gutenberg License included with this eBook or online -at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. If you -are not located in the United States, you will have to check the laws of the -country where you are located before using this eBook. -</div> - -<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: Gabrielens Spitzen</p> -<p style='display:block; margin-top:0; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:0;'>Zwei Novellen</p> - -<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Grethe Auer</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'>Release Date: October 11, 2021 [eBook #66515]</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'>Language: German</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'>Character set encoding: UTF-8</div> - -<div style='display:block; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This book was produced from images made available by the HathiTrust Digital Library.)</div> - -<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GABRIELENS SPITZEN ***</div> - - -<h1 class="pb">Gabrielens Spitzen</h1> - - -<p class="ce lh2"><span class="fsl">Zwei Novellen</span><br /> - -von<br /> - -<span class="fsxl">Grethe Auer</span></p> - -<p class="ce mt2"><img src="images/emblem1.png" alt="" /></p> - -<p class="ce mt2 ge">Egon Fleischel & Co. / Berlin / 1919</p> - - - - -<p class="pb ce mt4 ge fss">Alle Rechte, besonders das<br /> -der Übersetzung, vorbehalten<br /> -Amerikanisches Copyright 1919<br /> -by Egon Fleischel & Co., Berlin</p> - -<p class="ce mt2">Mit der ersten Auflage dieses Werkes<br /> -wurden fünfzig Exemplare auf<br /> -Büttenpapier gedruckt und von der<br /> -Verfasserin numeriert und gezeichnet</p> - - - - -<h2>Inhalt</h2> - - -<table summary="" border="0" cellpadding="5"> - <tr> - <td> </td> - <td class="tdr fsxs">Seite</td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl"><a class="ndcbl" href="#page_001">Gabrielens Spitzen</a></td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_001">1</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl"><a class="ndcbl" href="#page_077">Die Tugend der Sabine Ricchiari</a>  </td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_077">77</a></td> - </tr> -</table> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_001" title="1"> </a> -Gabrielens Spitzen</h2> - - -<p><a class="pagenum" id="page_003" title="3"> </a> -Die Frau, von der ich jetzt erzählen will, -war eines Schreibers Tochter in einer rheinischen -Stadt, in der die Üppigkeit eines kleinen -Fürstenhofes, Kunstsinn einer altangesessenen -und wohlhabenden Bürgerschaft und natürliche -Leichtlebigkeit und Anmut der unteren -Bevölkerungsschichten zusammenwirkten, um -einen für jene Zeit bedeutenden Grad von -Sinnenkultur hervorzubringen. Es haben -Männer aus jener Stadt später oft führende -Stimmen im Rat der hohen Kunst besessen; oft -hat sie Feldherren gestellt in den Kampf eines -neuen Kunstgedankens gegen einen alten. Doch -das tut nichts zur Sache. Was uns angeht – in -jenem ersten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts -– ist nur eine gewisse Feinheit und Freiheit -der Lebensauffassung, eine gewisse Veredlung -alles Trieblebens durch echtes Schönheitsempfinden, -die durch alle Schichten der -Bevölkerung zu bemerken waren und die es -einem armen Schreiberskinde ermöglichten, eine -Künstlerin zu sein.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_004" title="4"> </a> -Im Hause des Schreibers herrschte bei einer -vielköpfigen Familie und einfachster Lebensführung -durchaus kein Mangel irgendwelcher -Art. Die nüchterne Kost genügte stets für alle, -ein bescheidener Leckerbissen krönte die Feiertage, -und ein zufälliger Gast fand immer freundliche -Bewirtung. Das wenige Hausgerät, obzwar -schlicht und derb, war stets in gutem Zustande, -wozu die liebevolle Behandlung, die -ihm von allen Seiten zuteil ward, nicht wenig -beitrug. Da jedes Stück selbst erworben, lang -erstrebt und mühsam in langen Raten bezahlt -war, so verkörperte es gleichsam ein paar Jahre -Lebensgeschichte des Erwerbers, besonders, -wenn noch eigene Kunstfertigkeit hinzutrat, die -den Wert des Gerätes erhöhte. So war das -eigengesponnene Linnen der Betten durch -eigengeklöppelte Spitzen bereichert, in denen -alle Feierabende und Sonntagnachmittage -sämtlicher Frauen der Familie Gestalt gewonnen -hatten; die Mußestunden der Männer -hatten sich in sinnreiche Bemalung der tannenen -Schränke und Truhen, in leichtes Schnitzwerk -an Bettleisten und Stuhllehnen umgesetzt; -und die Glorie einer frohen Erinnerung, -der Wehmutsschleier einer trüben schwebten und -<a class="pagenum" id="page_005" title="5"> </a> -webten über jedem Dinge. Noch wurden -Wohnungen nicht gewechselt, Hauseinrichtungen -nicht fertig gekauft, schnell abgenutzt, erneut -und getauscht nach Belieben. Sie entstanden -unter den Schicksalen der Menschen, trugen -ihren Stempel und überlebten sie als Denkmäler -ihres Wesens.</p> - -<p>Wie alle Glieder der Schreibersfamilie an -dem Bau, der Erhaltung und Verschönerung -ihres Heims tätig gewesen waren, so trugen -auch alle zu dem bißchen Wohlstand und Wohlleben -der Familie bei, indem alle nach Kräften -erwarben. Jedes der Kinder hatte sein Talent -oder seine Tüchtigkeit und, kaum den Kinderjahren -entwachsen, seinen Broterwerb. Und diejenige -unter den Töchtern, deren Geschichte ich -erzählen will, war Spitzenklöpplerin und zählte -die vornehmsten Frauen der Stadt zu ihren -Kundinnen.</p> - -<p>Es war eine kleine Person, dunkel, mit -großen, aber keineswegs schwärmerischen Augen, -äußerst zarter, aber blühender Haut und dem -prächtigsten, glatten, rabenschwarzen Haar, das -sie in Zöpfen unter einer sittigen kleinen -Haube verborgen trug. Ihr braunes Kleidchen -sah dank ihrer friedlichen Beschäftigung immer -<a class="pagenum" id="page_006" title="6"> </a> -wie neu aus, das Busentuch stets rein und -weiß, und das goldene Kreuzchen, das sie an -einem Sammetbändchen am Halse trug, hob -die Zierlichkeit ihrer Erscheinung durch sein -Blinken gerade genug, um ihrer keuschen Jugendlichkeit -nichts zu nehmen. Sie hieß Gabriele; -und wie auch der Name im Munde -ihrer Umgebung verdorben wurde, sie selbst -sprach ihn stets unverkürzt; und hätte sie schreiben -können, sie würde ihn auch unverkürzt geschrieben -haben.</p> - -<p>Gabriele hatte zwar in ihrer Kindheit bei -den Klosterfrauen einiges gelernt; aber, dem -ohnehin dürftigen Unterricht kaum entwachsen, -hatte sie unverzüglich alles wieder vergessen -bis auf das Spitzenklöppeln und -nähen, das -sie mit der Leidenschaft einer echten Künstlerin -betrieb. Nicht nur hatte sie die gewandtesten -Finger; sie hatte auch Gedanken: sie ersann -Formen, veredelte und verbesserte die vorhandenen -und liebte es, ihre Muster im feinsten -Faden und in der mühevollsten Technik der -Klöppel und der Nadel auszuführen; denn da -sie unendlich flink arbeitete, so geschah es nicht -leicht, daß ein angefangen Stück Arbeit ihr -zum Überdruß wurde. Alles, was unter ihren -<a class="pagenum" id="page_007" title="7"> </a> -Händen entstand, erfüllte sie in seiner Sauberkeit -und Regelmäßigkeit mit solcher Freude, -daß sie vergaß, wer es geschaffen und erdacht -hatte, und es wie ein Geschenktes hinnahm. -War ein Stück fertig, so trippelte sie flink und -glücklich nach dem Hause der Bestellerin. Nie -gab sie ihre Arbeit in Dienerhände: selbst -wollte sie sie vorlegen, selbst auf ihre Schönheit -aufmerksam machen, selbst das Lob ernten, -das dem Wohlgelungenen zukam. Sie pflegte -ein Stück schwarzen Sammets bei sich zu tragen, -darauf breitete sie die Spitze, ehe sie sie vorzeigte.</p> - -<p>Und dann bewunderte sie ihr eigenes Werk -so herzlich, unschuldig und ehrlich, daß es niemandem -einfiel, dies als Eitelkeit oder gar -als berechnete List zur Erzielung eines höheren -Preises aufzufassen.</p> - -<p>Wie eine Mutter ihr Kind anbetet, von -dem sie weiß, daß sie selbst nichts tun konnte, -als das vom Himmel Gegebene hüten und heilig -halten, so betete Gabriele ihre kleinen Kunstwerke -an, ohne sich eigentlich ein Verdienst -daran beizumessen. Man hörte sie auch nie -sagen: »Dies habe ich so oder so gemacht«, sondern -stets: »Dies ist gut geworden« oder »Dies -<a class="pagenum" id="page_008" title="8"> </a> -ist recht artig herausgekommen«, wobei doch -jedermann empfand, daß sie diese Worte nicht -wählte, sondern unbewußt als die einzig angemessenen -vorbrachte. Deshalb mochten es -die großen Damen auch gerne leiden, wenn die -kleine Klöpplerin mit ihrer Arbeit bei ihnen -eintrat; sie brachte etwas mit, was keine von -ihnen verstand oder kannte, und was sie doch -anwehte wie ein Hauch aus dem Paradiese.</p> - -<p>Am heiligen Sonntag klöppelte Gabriele -nicht. Da ging sie zur Kirche, wobei freilich -nicht verschwiegen werden darf, daß sie es weniger -um Gottes Wort zu hören tat, als einigen -köstlichen Altarspitzen zuliebe, deren Zeichnung -sie in ihrem Gedächtnis nur fixierte, um sie -gleich wieder ihrer stets tätigen Phantasie zum -freien Spiel zu überlassen. Den Nachmittag -aber legte sie vollends die Hände in den Schoß -– das heißt, sie klöppelte und nähte nicht, -zwang sich auch nach Möglichkeit, nicht in Gedanken -an einem Entwurf weiter zu grübeln; -da gab sie sich ganz dem Zusammensein mit -Eltern und Geschwistern hin. Der Sonntag -war der Tag, der alle, die die Wochenarbeit -auseinander gerissen hatte, in einem Raum -und an einem Tische vereinigte. Da war die -<a class="pagenum" id="page_009" title="9"> </a> -kleine Wohnstube, die während der ganzen -Woche still und sauber aufgeräumt stand und -keinen Laut vernahm als das surrende Spinnrad -der Mutter oder den leichten Elfentanzschritt -von Gabrielens Klöppeln, plötzlich belebt, -übervoll und lärmend. Jeder der Brüder, -jede der Schwestern hatte eine Sonntagnachmittagspassion, -sei es, daß sie für ihre Gewandung -arbeiteten, die sie während der Woche -vernachlässigen mußten, sei es, daß sie Hausgerät -und Zieraten herstellten, die sie lange -begehrt hatten und nicht durch Kauf erwerben -konnten. Der hämmerte, jener brannte, einer -schnitzte; jene klapperte mit der Schere, diese -mit Stricknadeln, eine dritte mit dem dampfenden -Plättsteine. Dazu rauchten die Männer, -daß die Luft wie eine bläuliche Wand zwischen -den einzelnen stand, und im Ofen zischten leise -die bratenden Äpfel, Wohlgerüche mit Wohlgerüchen -mengend. Alle redeten, alle lachten, -und der oder jener sang auch. Gabriele und -die Mutter sorgten für die Mahlzeiten, und -die stets Emsigen nahmen diese Aufgabe für -Erholung und sonntäglichen Müßiggang, dem -sie sich mit all der Schwelgerei hingaben, die -ihre kleinen Mittel erlaubten. Duftete dann -<a class="pagenum" id="page_010" title="10"> </a> -die Mehlsuppe, ein gebackener Fladen oder -gar ein Stück Fleisch auf dem Tische, so trat -eine große Stille ein, und man vernahm nichts -als leises Klirren der Löffel und behagliches, -langgezogenes Schlürfen. Bald aber schwirrte -es um so lustiger wieder durch die erhitzte -Luft der Stube.</p> - -<p>Das waren Gabrielens Feste. Einmal oder -zweimal im Jahr sah sie eine Volksbelustigung, -einmal oder zweimal im Jahr genoß sie eine -fröhliche Sommerfahrt in grünes Land. Das -waren dann Erinnerungen, die leuchteten lange -nach. Aber die Alltäglichkeit hatte auch ihren -Glanz, mochte er auch nur geborgt sein von dem -Sonnenschein in Gabrielens eigenem Wesen. -Krankheit blieb dem Hause fern; Mangel am -Nötigsten hatte die tätige Familie nie erfahren -müssen, und Monate knappen Erwerbes machten -nur freudiger und erfinderischer zur Arbeit. -Es waren glückliche Menschen und Gabriele, -weil die Kunstfertigste, die Glücklichste.</p> - -<p>Dann kamen Freier für die Schwestern, dann -vermählten sich die Brüder. An den Sonntagnachmittagen -wurde die Stube enger, die Luft -heißer und dicker, der Lärm mannigfaltiger. -Kinderstimmen gellten, Kinderfüße trappten -<a class="pagenum" id="page_011" title="11"> </a> -polternd dazwischen. Vielfach klangen manchmal -ein kurzer, lebhafter Streitlärm, ein Kreischen, -auf den Tisch donnernde Fäuste dazu. Aber -es endete immer in Eintracht, und auch das -bedeutete nur vermehrte Freude.</p> - -<p>Gabriele war die letzte Unvermählte, vielleicht -weil sie die Feinste und Schönste der Familie -war. Einfache Männer wagen sich nicht gern -an das Aparte, und Gabriele war apart und -ein bißchen hochnäsig, insofern, als sie derbe -Scherze nicht liebte. So fröhlich sie war, das -Lachen versagte ihr oft da, wo die werbenden -Männer am meisten erwarteten, es zu hören. -Das machte die Freier scheu, und schon glaubte -jedermann, Gabrielen sei es nicht bestimmt -– – da schlug auch ihre Stunde.</p> - -<p>Es war an einem Sommerabend, als im -Städtchen das Leben sich in allen Gassen -drängte. Duft von weißem Holunder wehte -aus irgendeinem Garten. Frauen und Greise -saßen auf den Bänken vor den Häusern; Kinder, -Hunde und Spatzen tummelten sich in -den Gassen, die Männer standen unter den -Türen der Werkstatt, der Boutique, der Kanzlei -und warteten auf den Feierabendschlag, schon -müßig, ehe er erklang. Die milde Wärme löste -<a class="pagenum" id="page_012" title="12"> </a> -jede Spannung, jede Sorge, jeden Arbeitstrieb, -weckte den Lebensgenuß, die Sorglosigkeit, -den Leichtsinn – als ob es nie mehr einen -Winter, Not und Kälte geben sollte.</p> - -<p>Da kam auf Stöckelschuhen, die fast so hell -und flink klapperten wie ihre Klöppel, Gabriele -durch die Gasse getrippelt. Sie hatte etwas -vollendet, was ihr besonders gefiel, und sie -trug das fertige Stück seiner Bestimmung zu. -Da wollte es der Zufall, daß ein vornehmer -Müßiggänger, der ziel- und absichtslos durch -die abendliche Schönheit schweifte, die Vorstadtgasse -kreuzte und das Mädchen erblickte. -Er folgte ihm bis in das stillere Quartier der -Reichen, wo die Bestellerin der Spitze wohnte. -Er sah die schöne Person vor einem großen -steinernen Hause haltmachen, das er erfreut -als das eines Freundes erkannte. Er trat -hinter ihr ein, eilte vor ihr die Treppen hinauf -und stand neben dem Lehnstuhl der greisen -Herrin des Hauses, als die höflich knixende -Gabriele unter der Tür des Gemaches erschien.</p> - -<p>Das Herz der kleinen Klöpplerin, das bei -der offensichtlichen Verfolgung bereits etwas -ängstlich zu pochen begonnen hatte, beruhigte -sich sofort beim Anblick des Mannes an diesem -<a class="pagenum" id="page_013" title="13"> </a> -Orte. Gabriele gehörte zu den seltenen Menschen, -die jedem Ding gern die natürlichste -Erklärung geben: daß dieser Mann denselben -Weg gehabt wie sie, daß er in dies Haus gehörte -und daß er mit Fug und Recht Leuten, -die da aus und ein gingen, etwas scharf ins -Gesicht blicken mochte, das war eine Folgerung, -mit der sich Gabriele ohne weiteres zufriedengab. -Sie knixte bescheiden und artig auch vor -ihm, dann begann sie unbefangen, ihren Sammetfleck -auszubreiten und die Spitze darauf -zu entfalten.</p> - -<p>Es war ein feines Gebilde von Sternen und -duftigen, nebelzarten Hintergründen, aus denen -sich die kräftigeren Linien eines streng gehaltenen -Musters hervorhoben. Ein blühender -Kirschbaum; der Schaum eines Wasserfalls; -die windgekräuselte Fläche einer Wiese voll -weißer Sternblumen; Schneeflockentanz oder -rieselnder Regen abfallender Sternchen der -Holunderdolde – alles das konnte dem Beschauer -zu Sinn kommen, der dies reinliche -Stückchen Menschenwerk sah. Und doch stand -eine feste, straff geführte Zeichnung in dem -Nebelbilde. Die kleine Künstlerin selbst faltete -die Hände, wie sie drauf niederblickte, -<a class="pagenum" id="page_014" title="14"> </a> -ganz versunken in die Vollkommenheit dessen, -was sie im einzelnen durchdacht und ausgeklügelt, -in seiner ganzen Wirkung aber nur -eben geahnt hatte.</p> - -<p>Gleichfalls mit gefalteten Händen aber, und -nicht weniger als sie versunken in den Anblick -einer Vollkommenheit höherer Art, stand der -Mann, der Gabriele verfolgt hatte. Die Klöpplerin -hatte sich bedachtsam so gestellt, daß ihre -Figur keinen Strahl des sinkenden Lichtes von -ihrem Kunstwerke hinwegnahm; dafür traf nun -sie selbst die volle Beleuchtung. Alles Feine, -Säuberliche und Zierliche an ihr kam zu voller -Würdigung: die seidige Haut, die Weichheit -ihres Haares, die dunkle Glockenschweifung -ihrer langen Wimpern, die durchsichtige Zartheit -der kleinen Ohren nicht weniger als das -tadellose Gefältel der Haube, die Unverbrauchtheit -ihres Anzuges, die züchtige Ordnung des -Halstuches. Und vielleicht waren es Bilder -noch holderer Art, die dem Beschauer dieses -Stückchens Gotteswerk zu Sinn kamen, denn -ein inniges und sehr glückliches Lächeln verbreitete -sich langsam über sein Gesicht, in dem -auch nicht der Schatten eines niedrigen Gedankens -mehr zu sehen war. Er richtete mit -<a class="pagenum" id="page_015" title="15"> </a> -freundlicher Stimme einige übliche Fragen an -Gabriele, und wenn sie bei der Antwort in -seine Augen blickte, was sie mit der Unerschrockenheit -der Unschuld tat, so begegnete sie -dem Ausdrucke lauterster Güte.</p> - -<p>Als Gabriele heimwärts wandelte durch die -Straßen und Gassen, in denen nun die Dämmerung -wob, mußte sie recht ernsthaft an den -großen vornehmen Mann denken, der sie so -gütig angeblickt hatte. Sie verhehlte sich nicht, -daß sie einem ähnlichen Blick nie in ihrem -Leben begegnet war. Sie hatte oft genug Bewunderung -und Begehren in Männeraugen -gesehen, aber nur in den Augen glücklicher -Mütter etwas von dem, was dieser Fremde -über sie ausgegossen hatte. Und wie sie über -das Erlebnis nachdachte, ertappte sie sich auf -dem sonderbaren Wunsche, diesem Manne als -Magd zu dienen, wenn es einmal mit dem -Spitzennähen vorbei sein sollte. Gabriele -wußte, daß die Augen vieler Klöpplerinnen -in noch jungen Jahren den anstrengenden Dienst -des Ausnähens versagen, und der Gedanke -an diese Möglichkeit hatte sie oft erschreckt. Jetzt -sah sie in ein Zukunftsbild, wo es sich auch -ohne die gewohnte Arbeit recht annehmbar -<a class="pagenum" id="page_016" title="16"> </a> -leben ließ: sah ein freudiges Schaffen aus -innerm Herzenstrieb vor sich, wie sie es bisher -noch nie einer Person, nur ihrer Kunst dargebracht -hatte.</p> - -<p>Einige Tage nach diesem Vorfall trat der -fremde Mann in Gabrielens Stube; er bestellte -Spitzen, er ließ sich Muster zeigen, er -sprach viel und fragte eingehend über die wunderlichsten -Dinge. Gabriele antwortete in -wahrer Herzensfreude, schon jetzt den künftigen -Gebieter in ihm verehrend, und bemühte sich, -ihr Bestes zu zeigen, um seine gute Meinung -für kommende Zeiten zu gewinnen. Darüber -merkte sie nicht, wie lange er blieb und wieviel -er frug, was gar nicht zur Sache gehörte. Auf -ihren stillen, morgenlichten Lebensweg war -plötzlich in goldener, breitstrahlender Fülle der -blendendste Sonnenschein gefallen; sie vermochte -noch nicht, die Augen ganz aufzuschlagen.</p> - -<p>Sie hatte nun erfahren, daß der Fremde -ein Ratsherr war und einer der reichsten Patrizierfamilien -der Stadt angehörte. Er hatte -ihr seinen Namen genannt, hatte ihr beschrieben, -wo er wohnte, und ihr befohlen, die Spitzen -dahin zu bringen. Ohne Arg sagte Gabriele -zu. Schnell huschte der listige Vorsatz durch -<a class="pagenum" id="page_017" title="17"> </a> -ihr Köpfchen, sich das Haus, in dem sie einmal -dienen wollte, gut anzusehen: »ob etwas zu -lernen wäre, was sie noch nicht könnte«. Sie -lächelte ein wenig bei dem Gedanken, daß sie -dann etwas anderes als Mehlsuppen würde -kochen müssen. Aber was wollte sie nicht können, -wenn es diesem Herrn galt?</p> - -<p>Sie machte sich an die Spitzen und spann -dabei an den frömmsten und demütigsten Vorsätzen. -Sie dachte an tausend kleine Verrichtungen, -die sie für Vater und Brüder zu tun -gewohnt war, und ob jener Gestrenge auch damit -zufrieden sein würde. Und in der Sorge -um sein Wohlgefallen schien ihr plötzlich auch -ihre Kunst arm und ihr Fleiß ungenügend. -Sie warf beiseite, was sie begonnen hatte, und -fing noch einmal mit feinerem Faden an.</p> - -<p>Wenn Gabriele je ein Kunstwerk geschaffen -hatte, so war dies Stück Spitze eines. Wie von -leichten Winden getragen, lebte und webte das -Geranke auf dem duftklaren Grunde; jede -Blüte öffnete sich in voller Wonne, jede Knospe -zitterte, schlanke Stäbe von leichtem Gitterwerk -strebten kühn nach oben und stützten die -flatternde Wildheit der Zweige, und Schmetterlinge -mit ausgebreiteten Schwingen lagen -<a class="pagenum" id="page_018" title="18"> </a> -ruhend auf den Wogen der Luft. Ein ganzer -Frühling, nur im lauteren Weiß eines Schneeblumentraumes, -erwachte unter den emsig spielenden -Fingern. Die Klöppel klangen wie klappernde -Pantöffelchen zahlloser kleiner Elfen, -die hurtig und froh den Wunderwebstuhl bedienten; -in lautloser Stille aber zog die Nadel -ihre magischen Kreise, feierlich, langsam und -preziös bedächtig, wie ihrer größeren Wichtigkeit -bewußt.</p> - -<p>Der Ratsherr kam von Zeit zu Zeit, um den -Fortschritt des Werkes zu betrachten. Wenn -er in die Stube trat, ruhten die Klöppel, denn -dann fühlte Gabriele ihre Finger kalt und unruhig -und zu subtiler Arbeit untauglich werden. -Sie stand vor dem Gewaltigen auch lieber -auf: schon stehend fühlte sie sich so klein neben -ihm. Und dann war er doch auch ihr zukünftiger -Herr, und Sitzen und Weiterarbeiten vor ihm -wäre eine Unziemlichkeit gewesen.</p> - -<p>Der Ratsherr pflegte recht ausgiebig zu -loben, und Gabrielens Herz hüpfte vor Freude, -wenn sie sah, wie gut er das wahrhaft Kunstreiche -und Schwierige zu würdigen wußte. Das -war ein Mann, dem edle Arbeit durch die -Finger gegangen war! Sein verständiges Lob -<a class="pagenum" id="page_019" title="19"> </a> -gab Gabrielen die anfänglich erschütterte Sicherheit -zurück, sie fing wieder an, sich unverhohlen -des Gelingens zu freuen, und je mehr sie sich -freute, desto schöner und holder sah sie aus, -so daß es fast eine zu harte Probe für des -Mannes Liebe wurde, das ernste Spiel nicht -durch einen voreiligen Ausbruch von Zärtlichkeit -ganz zu verderben. Seine Besuche wurden -immer länger, kamen immer häufiger. Er gab -ihnen eine gewisse Begründung durch allerhand -Belehrendes, was er Gabrielen zutragen -zu müssen vorgab: denn wie alle Geniemenschen -trieb diese kleine Fee ihre Kunst nur nach den -Geboten ihrer eigenen Seele und ahnte nicht, -daß es außerhalb dieser und dem Stückchen -ererbter Tradition noch unermeßliche Möglichkeiten -gab. Sie besaß eine Sammlung pergamentener -Klöppelbriefe, die uralt waren. Die -Jahreszahl 1604, die irgendwo auf dem ersten -Blatte neben dem Namen des Sammlers stand, -hatte keine Bedeutung für sie; die vorhandenen -Muster veränderte und veredelte sie mit sicherem -Stilgefühle. Nun kam der Ratsherr, und -plötzlich stieg aus den vergilbten Blättern ein -lebendiges Bild von Menschen- und Völkerschicksalen -empor. Jedes Muster in dem alten -<a class="pagenum" id="page_020" title="20"> </a> -Buche trug den Namen eines fernen Landes, -einer Stadt: von einem längst versunkenen -Kaiserreiche Byzanz, vom wogenumspülten Venedig, -von der fernen Königin der Meere, dem -glorreichen Genua wußte der vielwissende -Mann die gewaltigsten Dinge zu erzählen. -Dann wieder beschrieb er den stillen Fleiß -holländischer Schifferfrauen, die träumend des -Liebsten im tosenden Weltmeere denken, die -höfische Pracht Frankreichs, wo der größte aller -Könige die schöne friedliche Kunst der Frauen -geadelt und gelohnt habe; die Nöte wandernder -Hugenotten, die die Gottesfunken des reinen -Glaubens weitertrugen, aus Holland und -Frankreich in deutsche Lande, und mit ihm -als Bild und Schild ihrer Tugend die edle -Arbeit. Auch brachte er neue Muster aus -Gent oder Alençon, die vielleicht ein tüchtiges -kleines Menschenwesen wie Gabriele in -die Welt geschickt hatte, vielleicht aber auch -ein großer Künstler, der eigens zu dem Zweck -studiert hatte und viel Gold und Ehre mit -seiner Erfindung gewann. Gabrielens Geist -erfaßte bang und doch froh die Lehre von der -Weltbedeutung der Industrie, von der Mitarbeiterschaft -stiller Frauen am Wohlstande -<a class="pagenum" id="page_021" title="21"> </a> -und Ruhm ganzer Völker. Sie versuchte auch -gern die Anwendung mancher Lehre, die dem -anschaulichen Unterrichte entfloß, ahmte die -neuen Muster nach, grübelte über ihre Technik, -wagte und probierte, und durfte bald ein -Gelingen verzeichnen. Den Ratsherrn beglückte -die Feinheit und Richtigkeit ihres Empfindens, -die Klarheit, die sie über ihr Können -und seine Grenzen besaß.</p> - -<p>So ging das Werk zu Ende. Gabriele wurde -desto stiller, je mehr sie sich dem Abschluß -näherte, sie arbeitete auch langsamer und saß -oft lange in müßigem Träumen vor ihrem -Kissen, während sie sonst wohl ein wenig gehastet -hatte, wenn es zur Vollendung ging. -Es tat ihr weh, sich von dieser Arbeit zu -trennen.</p> - -<p>Mit Tränen löste sie die letzten Nadeln aus -der Spitze, rollte ihren Klöppelbrief zusammen -und legte ihn in ein Kästchen, das einige kindliche -Reliquien barg: kein anderer sollte je -dieselbe Spitze tragen. Dann machte sie sich, -diesmal mit langsamen Schritten und ganz -blaß vor Leid, auf den Weg nach dem glänzendsten -Hause der Stadt. Sie hatte dem Ratsherrn -die Ablieferung für den bestimmten Tag -<a class="pagenum" id="page_022" title="22"> </a> -versprochen, sonst hätte sie wohl das geliebte -Stück Arbeit noch ein Weilchen für sich behalten.</p> - -<p>Als sie nach dem Hause des Gestrengen -kam, erschrak sie sehr. Sie sah festlich geschmückte -Menschen in der Halle, auf den Treppen, in -den Gemächern, durch die ein schweigender -Diener sie führte. Einige von diesen Menschen -blickten sie lächelnd, andere erstaunt, andere -ernst und forschend an, aber kein einziger gleichgültig.</p> - -<p>Gabriele fühlte sich nur von dem Gedanken -bedrückt, daß sie vielleicht in dieser letzten -Stunde den geliebten Mann nicht allein sehen, -daß sie seine Aufmerksamkeit mit vielen anderen -teilen würde. Vielleicht würde er gar nicht -Zeit haben, die fertige Arbeit in diesem Augenblicke -zu betrachten; er würde sie beiseitelegen, -vergessen, vielleicht nach vielen Tagen zufällig -darauf stoßen – und Gabriele hätte doch so -gern noch einmal sein knappes, scharfes Urteil -gehört. Sie empfand es bitter, daß so ihrer -Schaffensfreude Lohn und Krone genommen -sein sollte, und schon erwog sie, ob sie nicht -umkehren und zu gelegenerer Stunde wiederkommen -sollte, als sie den Ratsherrn, von -<a class="pagenum" id="page_023" title="23"> </a> -einigen würdig aussehenden Matronen geleitet, -auf sich zuschreiten sah.</p> - -<p>Sie erkannte schnell in den alten Damen -Kundinnen und Beschützerinnen und fühlte sich -ein klein wenig versöhnt mit dem Mißgeschick -der Stunde. Wie sie aber, an einen Tisch geleitet -und von vielen Neugierigen umringt, ihre -Spitze, um die alle zu wissen schienen, entfalten -sollte, brach ihr fast das Herz. Es schien ihr -grausam, daß sie vor gleichgültigen Gaffern -bloßlegen sollte, was ihr das Heiligste und -Liebste im Leben war. Und nicht mit der gewohnten -leuchtenden Freude stand Gabriele -diesmal vor ihrer Gabe, sondern trübe, in -lautloser Ergebenheit und ganz stumpf gegen -den Beifall, der sie von allen Seiten umrauschte. -Langsam verschleierten sich ihre Augen; -sie fühlte, daß sie eilen müsse, dem Getriebe -zu entkommen, und mit einer Verbeugung gegen -den Hausherrn suchte sie die Türe zu gewinnen.</p> - -<p>Aber schnell faßte der Ratsherr sie an der -Hand und bat sie, zu verweilen und als sein -Gast dem Feste, in das sie nun einmal geraten -sei, ein Weilchen beizuwohnen. Auf Gabrielens -erschrockene Abwehr hin mischten sich auch die -würdigen Damen ein, und jede hatte ein liebes -<a class="pagenum" id="page_024" title="24"> </a> -Wort für das geängstigte Kind. Die Matrone, -in deren Haus jene erste kleine Begegnung -zwischen Gabrielen und dem Ratsherrn stattgefunden -hatte, sprach besonders gütig zu ihr; -sie berichtete der langsam Auftauenden, es -wäre zwischen den Gästen bereits verabredet -worden, Gabrielen zum Bleiben aufzufordern, -falls sie, wie erwartet, mit ihrer Spitze erscheinen -sollte; und da sei niemand so hochmütig, -einer so braven und fleißigen kleinen -Person den fröhlichen Abend zu mißgönnen. -Sie möge nur bleiben und sich an allem Gebotenen -gütlich tun und sich einmal recht ansehen, -wie es bei den reichen Leuten zugehe. -Wenn sie sich aber dabei auch ein bißchen freuen -könne, so statte sie ihrem Gastgeber dadurch -den allerliebsten Dank ab, denn ihm sei daran -gelegen, ihr für die besonders tüchtige und -geduldige Arbeit eine kleine Ehrung widerfahren -zu lassen.</p> - -<p>Gabriele war sprachlos, aber der überglückliche -Ausdruck ihres Gesichtchens antwortete -deutlich genug, daß ihr der eigentümliche Extralohn, -den der vornehme Mann ihr zugedacht, -keineswegs zuwider war. Sie stammelte nur -noch etwas Undeutliches von armseliger Gewandung -<a class="pagenum" id="page_025" title="25"> </a> -– aber der Ratsherr rief alsbald -ein paar jüngere Frauen heran und bat sie, -seinen kleinen Gast nach Möglichkeit zu -schmücken.</p> - -<p>»Nach Möglichkeit, Bruder?« rief eine große -blonde Frau von heiterem Wesen, »nach Möglichkeit -ist mehr verlangt, als du von unseren -Frauenherzen billig erwarten kannst! Denn -sie würde uns alle ausstechen, wenn wir mehr -als das Nötigste täten!« Gabriele wurde flammendrot -und schlug die Augen zu Boden, weil -sie dachte, man spotte ihrer. Aber als sie den -Ratsherrn die wohlwollende Necklust der blonden -Frau durch ein scharf verweisendes: »Laß -die Torheiten!« bestrafen hörte, tat es ihr leid, -und sie lächelte mit einer sanften Bitte um -Verzeihung im Blick den Personen zu, die -sich nun an ihr zu schaffen machten.</p> - -<p>Die Männer wurden von den munteren -Frauen ins Vorgemach gewiesen, und alsbald -sah Gabriele sich der Haube und des Busentuches -beraubt. Während eine Hand ihr Haar -löste, wieder flocht und durch funkelnde Spangen -in ganz anderer, vornehmer Weise feststeckte, -legte eine andere ihr die eben vollendete, -köstliche Spitze um die Schultern. Es bedurfte -<a class="pagenum" id="page_026" title="26"> </a> -weiter nichts, um die kleine Klöpplerin in eine -allen anderen durchaus ebenbürtige Erscheinung -zu verwandeln; die artige Haltung ihrer -feinen Figur und das schöne Maß ihrer Bewegungen -taten das übrige.</p> - -<p>Als Gabriele vor dem Ratsherrn stand, entschuldigte -sie sich zaghaft, daß man gewagt habe, -ihr die kostbare Spitze umzulegen; er aber -erwiderte freundlich, dies sei durchaus in seinem -Sinne geschehen; an ihrem Leib sei ihm die -Spitze so sicher, als läge sie in einem Reliquienschreine. -Sie versicherte eifrig und beruhigt, -sie wolle die Spitze fein hüten, und wandte -sich nun der Unterhaltung zu, die das fröhliche -jüngere Volk sich schaffte. –</p> - -<p>Es war tatsächlich ein Zufall gewesen, was -Gabrielen in die hochansehnliche Gesellschaft -geführt hatte. Als nämlich die kleine Künstlerin -den nahen Ablieferungstermin für ihr -Werk festgesetzt hatte, war dem Mann die -Antwort entglitten: »Wohl, ich werde dich erwarten, -da ich weiß, daß du deine Arbeit -nur dem Besteller zu übergeben pflegst.« Eine -Minute darauf war ihm das Fest eingefallen, -das am gleichen Abend in seinem Hause stattfinden -sollte: er fühlte, daß das liebe Mädchen -<a class="pagenum" id="page_027" title="27"> </a> -vor der geputzten Schar erschrecken würde, -und daß der kleine Akt der Übergabe, der ihr -sonst zum Ereignis zu werden pflegte, ihr durch -Befangenheit und Scheu getrübt werden würde. -Ihr – und ihm! Er hatte alles auf diesen -Augenblick verschoben, er erwartete alles von -ihm. Aber gerade in tiefem Vorgefühl einer -bedeutungsvollen Wendung verwirrte und bedrückte -ihn das unerwünschte Zusammentreffen -aufs heftigste. Ihn bedrängte die Frage, die -ein Unbefangener leicht gelöst hätte: unter welchem -Vorwande er Gabrielens Kommen verschieben -solle – bedrängte ihn heißer als manche -schicksalsschwere Frage in Völkerhändeln. Es -erschien ihm hart, ihr schlechtweg zu sagen: -»Du kommst mir ungelegen, denn ich habe -Gäste!« und es erschien ihm beleidigend und -töricht, sie geradezu aufzufordern: »Komme, -wenn ich allein bin!« So ging der Ratsherr -an diesem Tage unentschlossen heim, und nachdem -er eine unruhige Nacht voll nutzloser -Grübeleien verbracht, verfiel er auf den Ausweg, -seine alte Freundin, die auch Gabrielen -wohlgesinnt war, um Rat zu fragen.</p> - -<p>Die würdige Frau fand gleich die natürlichste -Lösung. Gabriele sei ein Wesen, dem man wohl -<a class="pagenum" id="page_028" title="28"> </a> -eine seltene Auszeichnung zuteil werden lassen -dürfe. Sie sei klug genug, um die Sache zu -würdigen, wie sie gemeint sei, und nicht Wünsche -und Begierden in sich aufkommen zu lassen, -die ihrem Stande nicht angemessen wären. Sie -selbst wolle Gabrielen die Sache erklären. -Jedermann sei Gabrielen gut und würde ihr -die Ehre und Freude dieser Einladung gönnen.</p> - -<p>Das Gesicht des Ratsherrn, als er diesen -Vorschlag anhörte, verriet der weisen Freundin, -wie sehr sie das Richtige getroffen habe. -Mit einem Lächeln voll feinen Verstehens -reichte sie ihm die Hand.</p> - -<p>Den Ratsherrn hatte zuerst nur die edle -Billigkeit des Gedankens gewonnen, und ihm -gefiel die Vorurteilslosigkeit, mit der die vornehme -Frau die Sache vorbrachte. Dann aber -tauchte leise eine andre Vorstellung in ihm -auf, bei der es ihm erst klar wurde, was er in -Gabrielen sah. Daß die Geliebte in seinem -Hause umhergehen sollte, daß er ihr seinen -Reichtum und sein ganzes Ansehen gleichsam -zu Füßen legen wollte, ja, daß am Ende gar -die ungewöhnliche Stimmung des Vorganges -das Wort lösen würde, das seit langem in -seiner Seele schlummerte – diese Möglichkeiten -<a class="pagenum" id="page_029" title="29"> </a> -stiegen in schönen, triumphierenden Bildern -langsam in der Seele des Mannes auf. -Der Ratsherr sah dem Tage dieses Festes als -dem entscheidendsten entgegen.</p> - -<p>Schöner, als er gehofft, erfüllten sich seine -Erwartungen. Mit einem Anstand ohnegleichen -bewegte sich Gabriele in dem vornehmen Hause; -ohne im geringsten von ihrer Natürlichkeit abzuweichen, -wußte sie Sprache und Benehmen -so sehr dem gehaltenen Tone dieser Gesellschaft -anzupassen, daß ein Uneingeweihter sie ohne -Zweifel als dazugehörig eingeschätzt haben -würde. Dazu verhalf ihr in erster Linie ihre -Bescheidenheit, die sie mit einer Art religiöser -Dankbarkeit über dies unverhoffte Glück erfüllte. -Nicht nur der Ratsherr selbst, sondern -auch jeder Gast des Hauses anerkannte erstaunt -diese Vollkommenheit der Form. Was -vorher gönnerhafte Herablassung war, wurde -wirkliches Wohlwollen, und es verging wenig -mehr als eine Stunde, so ward Gabrielen gehuldigt -wie einer kleinen Königin.</p> - -<p>Es erschien sonderbar, daß die so unerwartet -Gefeierte sich ihres Erfolges nur lau zu freuen -schien. Bei den artigsten Worten, die verzückte -Bewunderer ihr zuflüsterten, sah man sie mit -<a class="pagenum" id="page_030" title="30"> </a> -gespannter Aufmerksamkeit einem Gespräche -lauschen, das zehn Schritte von ihr geführt -wurde, und ihre Erwiderung bestand meist in -einer Frage, die große Lernbegier, aber sehr -geringes Verständnis der Situation des Augenblicks -verriet. Einige der Schwärmer wurden -von dieser augenscheinlichen Kälte abgeschreckt; -andre um so tiefer angezogen; aber keiner verstand -den Vorgang.</p> - -<p>Es verhielt sich mit Gabrielens Nachdenklichkeit -etwas anders, als der liebende Mann -sich vorstellte. Zu wiederholten Malen im Verlauf -dieses Abends war es geschehen, daß Gabriele -auf irgendeinen Gegenstand aufmerksam -gemacht wurde, der zu besonderer Ehre und -Zierde des vornehmen Hauses gehörte. Sie -hörte auch von nichts anderem so oft und so -eingehend sprechen, wie von dem Wert und -der Schönheit eines Gemäldes, einer Schale, -einer Figur, der Geschichte seines Erwerbes, -der Art seiner Herstellung. Die kleine Gabriele, -die sich bisher nur an dem zarten Kunstgedanken -einer Spitze hatte berauschen können, -bekam nun manches zu sehen, was ihr den -Atem nahm: an Goldfiligran, Holzwerk, Glas -und Silber, an Gewebtem und Gesticktem, an -<a class="pagenum" id="page_031" title="31"> </a> -Leder und Pergament, an Bildnissen in Farbe -und Marmor, mehr als nach ihrer Ansicht der -prunkvollste Dom aufzuweisen hatte. Und sie, -die alles, was sie sah, in Beziehung zum wirklichen -Leben bringen mußte, sie empfand wie -einen Alp die Vielgestaltigkeit der Bedürfnisse. -Sie verstand, daß diese Menschen mit anderen -Sinnen empfanden als sie; daß das, was Gabriele -bisher als Mittel zum Leben angesehen: -Kleidung, Nahrung und Hausgerät, ihnen als -Zweck des Lebens erschien. Und es erfaßte sie -etwas wie Angst vor dem Aufwand an Zeit, -den so ein Dasein verschlang, ohne etwas anderes -davonzutragen als wachsende Fähigkeit -des Verbrauches. Sie hatte sich einen Haushalt -vorgestellt, wo sie durch Fleiß und Ordnungssinn -eine nennenswerte Dienstleistung -bieten konnte, und sie sah mit Schrecken, daß -in diesem Betriebe der einzelne kaum zählte. -Und ihr schöner Zukunftstraum zerfiel.</p> - -<p>Während der Mahlzeit, wo funkelnde -Schüsseln sie blendeten, ging es ihr übel. Kaum -daß noch zu erkennen war, was Fisch, was -Vogel war. Und trotzdem sah keiner von den -Gästen überrascht aus, ja, wenn Gabriele auf -ihre Unterhaltung lauschte, so schien es ihr, -<a class="pagenum" id="page_032" title="32"> </a> -als wäre der oder jener nicht einmal sonderlich -zufrieden. Gabriele war es, als müsse sie sich -über diesen Undank kränken; wie viele Hände -mochten an dem geschaffen haben, was da genußlos -verbraucht wurde! »Sie wissen nicht, -was Arbeit ist!« fuhr es ihr durch den Sinn, -und ihr Gesichtchen ward kummervoll.</p> - -<p>Des Ratsherrn würdige Freundin versuchte -auch, sobald das Mahl zu Ende war, mit mütterlicher -List den Grund dieser unzeitigen Trauer -zu ermitteln. Gabriele war zu schlicht für diplomatische -Ränke; sobald sie nur erraten hatte, -was ihre Beschützerin wollte, legte sie ihre -ganze Seele vor sie hin. Sie habe oft, so erklärte -sie, in ernsten Stunden darüber nachgedacht, -was sie einmal beginnen würde, wenn -ihre Augen, wie die so vieler Genossinnen, zum -Klöppeln und Ausnähen zu schwach würden. -Und wenn man Zukunftsgedanken spinne, so -sei es natürlich, daß man das Erwünschteste -zuerst in Betracht ziehe. Da habe sie denn geglaubt, -nichts könne für eine arme Dirne schöner -sein, denn als Magd in solch einem Hause zu -dienen; sie habe auch den festen Glauben gehabt, -sie könne backen, kochen, flicken und -waschen so gut wie jede, und was sie noch nicht -<a class="pagenum" id="page_033" title="33"> </a> -könne, würde sie mit Geduld und Fleiß wohl -noch gelernt haben. Aber o Jesus! wie seien -ihr heute die Schuppen von den Augen gefallen! -Kaum zur untersten Scheuermagd lange -ihr Können.</p> - -<p>»So gering schätzest du dich ein, Gabriele?« -erwiderte lächelnd die alte Dame. »Aber mir -scheint, daß du immerhin als Scheuermagd -beginnen könntest, denn du würdest es schnell -genug bis zur Schaffnerin bringen. Du brauchst -ein Ding nicht mehr als einmal zu sehen, um es -zu begreifen.«</p> - -<p>Gabriele, in ihrer Eigenliebe geschmeichelt, -lächelte ein wenig vor sich hin. »Es freut mich, -daß Ihr das denkt,« sagte sie, »aber da ist noch -ein andrer Grund, warum ich traurig bin. -Meine zwei Hände wären in diesem Hause nur -ein Paar unter zehn anderen Paaren, und so -ist Dienen keine Freude! Der Herr würde es -nicht merken, wenn morgen ein andrer die -Arbeit täte, die heute <em class="ge">ich</em> getan habe, und das -wäre Arbeit ohne Gotteslohn, nur um Geld.« -Die Matrone ging, den Ratsherrn aufzusuchen, -und berichtete ihm unter Lachen, was Gabriele -ihr soeben gestanden habe. »Ich weiß ihr wohl -eine Antwort,« sagte der Ratsherr, und sein -<a class="pagenum" id="page_034" title="34"> </a> -schönes Gesicht wurde flammend rot. Er ging, -Gabrielen aufzusuchen, die nachdenklich noch -immer an der Stelle stand, wo die alte Dame -sie verlassen hatte, und da er mit Recht schloß, -daß ihr Sinnen auch noch nicht wesentlich von -seinem Gegenstande verrückt sein würde, so -fing er geradezu an und sprach: »Gabriele, -es gibt in diesem Hause eine Stelle, die so ist, -wie du sie dir eben gewünscht hast.« Sie blickte -erschrocken auf, wollte etwas sagen, verstummte -aber vor dem strahlenden und eindringlichen -Blick seiner Augen. Er fuhr fort: »Niemandem -als mir sollst du verantwortlich sein für die -Arbeit, die du tust, und da wo du stehst, kann -keiner je stehen und dich ersetzen. Dem Gesinde -sollst du gebieten, aber dennoch wirst du die -letzte Magd sein, denn aller Arbeit muß in -deinen Gedanken sein, und du sollst dich nicht -frei fühlen, als bis alle ihre Arbeit getan -haben. Würde dir ein solcher Dienst gefallen, -Gabriele?« Dem Mädchen brauste es vor den -Ohren. Sie versuchte, wie gegen einen Wirbelwind -kämpfend, auf dem Boden stehenzubleiben, -wo sie sich sicher fühlte, deshalb sagte sie -leise und mühsam: »Herr, ein solcher Dienst -würde mir wohl gefallen!« »Überlege es wohl,« -<a class="pagenum" id="page_035" title="35"> </a> -fuhr der Ratsherr fort, und seine Stimme -zitterte ein wenig. »Es handelt sich um dein -ganzes Selbst mit allen seinen Kräften. Du -sollst geizig sein mit Weizenkörnern und freigebig -mit Talern. Die Motte im Speicher soll -dich ärgern, aber Krieg und Brand soll dich -gefaßt und stark finden. Du sollst Magd sein -unter Mägden und Edelfrau unter Edelfrauen. -Du sollst jeden hören, für alle Rat haben, deine -Zeit darf dir nicht zu kostbar sein, wenn es sich -um eine Kunkel voll Flachs oder einen Korb -Äpfel handelt; du mußt sechs Dinge zu gleicher -Zeit vollbringen können, und du darfst nie -so aussehen, als ob du Eile hättest. Ich frage -noch einmal, würde ein solcher Dienst dir gefallen?« -Gabriele vermochte nur zu nicken. -Ihre Augen standen voll Tränen. »Dann frage -ich dich also hiermit, Gabriele,« schloß der -Ratsherr – er ergriff die Hand der Klöpplerin -und küßte sie sehr inbrünstig – »dann frage -ich dich also: willst du in diesem Hause als -Hausfrau eintreten?« – – Die Antwort auf -diese Frage ließ sehr lange auf sich warten. -Sie erfolgte überhaupt nicht mehr an diesem -denkwürdigen Abend, denn Schicksalswendungen, -wie diese, finden nur langsam Eingang -<a class="pagenum" id="page_036" title="36"> </a> -in die Vorstellung einfacher Menschen, und -Gabriele mußte erst eine lange, bange Nacht -voll seliger und demütiger Gebete verbringen, -ehe sie glauben konnte, daß sie recht gehört. -Am andern Tage hielt der Ratsherr förmlich -um Gabrielens Hand an und erhielt ein schluchzendes -»Ja« zur Antwort. Dann erst begann -er mit der Zartheit eines Gärtners, der eine -Blume in fremdes Erdreich verpflanzt, die Betäubte -in seiner Liebe und ihrem Glück heimisch -werden zu lassen. Als er Gabrielen nach zwei -Monaten zum Altar führte, war sie seiner Liebe -gewiß und er der ihren.</p> - -<p>Wenn ich bisher ein guter Erzähler war: -wenn es mir gelungen ist, das Charakterbild -zweier Menschen klar zu überliefern, so müßte -mein Leser jetzt imstande sein, nach einer einfachen -logischen Gesetzmäßigkeit das Rechenexempel -zu lösen, das sich aus dem Plus und -Minus ihrer Eigenschaften ergibt. Das Resultat -dieser Gleichung war ein Schicksal, ein -kleines, stilles, das wenig Aufsehen machte; -und doch ein Schicksal, das erzählt zu werden -verdient, weil es vielleicht das Schicksal mancher -Frau ist.</p> - -<p>Ich habe Gabriele geschildert als einen Menschen, -<a class="pagenum" id="page_037" title="37"> </a> -der zugleich bescheiden und seines Wertes -bewußt ist. Also wird sie nicht in den Fehler -verfallen sein, an dem Frauen, die durch Heirat -emporgekommen sind, so leicht kranken! Sie -wird nicht abgewogen haben, was ihrem Rang -an Ehrungen zukam, sie wird nicht eifersüchtig -gewacht haben, daß ihr nicht weniger geschähe -als der Base, der Schwägerin, der Freundin. -Sie wird das Gefühl, das ihr unmittelbar entgegenkam, -ebenso erwidert haben, und wo es -ausblieb, keinen Versuch gemacht haben, es -zu erzwingen.</p> - -<p>Ich habe auch die Sippe des Ratsherrn als -eine weitherzige und redlich gesinnte gekennzeichnet. -Die treue Gesinnung der blonden -Schwester des Ratsherrn und die offenkundige -Gunst der vornehmsten Matrone der Stadt -unterstützten Gabriele in jedem Falle, und das -Ansehen des Gatten half vollenden, was die -Anmut der jungen Frau etwa nicht allein zu -bewirken vermocht hätte.</p> - -<p>Es war auch nicht das Verhältnis zu ihrer -eigenen Familie, das einen Mißklang in Gabrielens -Eheharmonie hätte tragen können. -Fleißig, gesund und glücklich, wie diese einfachen -Menschen waren, fühlten sie auch insgesamt -<a class="pagenum" id="page_038" title="38"> </a> -zu stolz, um irgendeinen unbilligen Vorteil -aus der Heirat ihrer Schwester ziehen zu -wollen. Wo der Ratsherr zu ihren Gunsten -wirken konnte, tat er es gern, denn es war ein -tüchtiges Geschlecht, das seiner Fürsprache Ehre -machte. Sie hielten sich aber immer ein wenig -abseits und riefen seine Hilfe nur da an, wo -sie sagen konnten, daß Zusammenhalten im -Nutzen beider Teile läge, zum Beispiel, wenn -sie sich an irgendeiner öffentlichen Arbeit zu -beteiligen wünschten, wo sie als Gegenwert -die Wahrung der Gemeindevorteils hoch hielten, -den der Handwerker sonst nicht gern anerkennt.</p> - -<p>Was endlich den Ratsherrn selbst betrifft, -so ist er wohl als ein Mann zu schätzen, der -sein Wort an einer Frau <em class="ge">ganz</em> erfüllt. Wie -er sich durch den Unterschied zwischen seiner -und Gabrielens Erziehung nicht hatte anfechten -lassen, so wird er auch zu ihr gestanden sein, -wo etwa dieser Unterschied sich fühlbar gemacht -haben mag. Er wird ihre Unwissenheit vor anderen -gedeckt, er wird ihren hellen, empfänglichen -Geist gebildet haben. Und die Saat, die -er in ihre weiche Seele legte, wird Blumen -stillen Glücks für ihn und sie getragen haben.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_039" title="39"> </a> -Und doch hatte diese Ehe ein Schicksal.</p> - -<p>Gabrielens Leben war zunächst ein Lernen -auf jedem Gebiete. Sie war eine redliche Frau, -die das, was sie war, auch bis zur Vollkommenheit -sein wollte, und wenn sie denken mußte, -sie habe es in irgendeinem Punkte an Willen -oder Fähigkeit fehlen lassen, so grämte sie sich -schwer. Sie ward in allen Punkten das, was -der Ratsherr von ihr erwartet hatte, das Herz, -der Fels, das lebendige Licht des Hauses, -und sie ward es nach verhältnismäßig kurzer -Zeit. Glaube nicht, daß das ein leichtes für -sie gewesen sei! Gabriele hatte zunächst die -Abneigung einer alteingesessenen Gesindeschar -zu überwinden. Dann hatte sie die Arbeit nicht -mehr nach der eigenen Klugheit allein, sondern -nach Zeit, Willen und Fähigkeiten von einem -Dutzend Untergebener einzuteilen. Gabriele -mußte das Tagewerk jeder Magd und jedes -Knechtes im Kopfe haben, und, wenn sie nicht -Mißstimmung und ewig erneuten Widerstand -erregen wollte, auch die persönlichen Eigenheiten -jedes einzelnen. Sie mußte vorsichtig -und gerecht sein in ihren Forderungen, denn -verlangte sie zu viel, so riß Unzufriedenheit, -verlangte sie zu wenig, so riß Unordnung und -<a class="pagenum" id="page_040" title="40"> </a> -Trägheit ein. Sie mußte ihren Leuten schlechte -Laune und Krankheit ansehen, mußte ein scherzendes -Wort gegen die eine, ein Heilmittel -für die andere bereit halten, durfte sich nicht -erst bitten lassen, sollte aber auch nicht zu rasch -damit kommen und jedenfalls immer den Abstand -wahren zwischen sich und jenen Übelgesinnten. -Sie durfte sich von der Schaffnerin -nicht mahnen lassen, daß die Birnen zum -Mosten reif seien, vom Knecht nicht an das -Schwefeln der Fässer, und sie mußte doch beiden -den Ruhm gönnen, den Zeitpunkt der -Arbeit selbst zu bestimmen. Sie mußte Jahreszeiten -und Elemente verstehen lernen, wie die -Launen ihres Gesindes. Bei jedem Brot, bei -jedem Lichte, bei jeder Elle Leinwand, die sie -aus Keller und Speicher holte, mußte sie wissen, -wieviel noch vorhanden war, die Würste im -Rauchfang und das Mus im Bottich, der -Sirup, die Kienspäne und die kleinen Büschelchen -Schachtelhalme zum Scheuern der Zinngefäße: -alles mußte registriert sein in Gabrielens -Köpfchen, und sie mußte merken lassen, -daß es das war, und durfte doch den Anschein -geizigen Nachzählens nicht haben.</p> - -<p>Doch war dies der bei weitem leichtere Teil -<a class="pagenum" id="page_041" title="41"> </a> -ihrer Aufgabe. Weit ernster und verantwortungsreicher -erschien das Amt, das sie an ihrem -Gatten zu üben hatte. Scherzen und kosen, -wenn er zum Kosen bereit war, und beiseitestehen, -wenn Wichtigeres ihn beschäftigte, ist -nichts; das lernt jede Frau über Nacht. Aber -der Ratsherr stand mitten im öffentlichen Leben, -und jeder seiner Schritte hatte eine Bedeutung -für viele, wurde getadelt oder gebilligt. -Und Segen wie Fluch schlug zuerst an das Ohr -seines Weibes. Da hatte Gabriele denn zu -lernen, was sie verraten und was sie verschweigen -mußte; was sie auf eigene Gefahr -hin schlichten oder in rechtes Licht rücken durfte, -und was sie still bei sich herumtragen mußte, -um es im gegebenen Augenblick vorzubringen -und zu befürworten. Sie hatte zu lernen, wo -man horchen und wo man sich abwenden mußte; -sie, die Arglose, mußte unterscheiden können -zwischen Übelwollenden, Gleißnern, schwachen -Gutwilligen und fest Erprobten; mußte wissen, -wen der Ratsherr zu Recht oder Unrecht liebte, -wen er verkannte, wen er fürchtete. Sie hatte -auch zu lernen, wann sie selbst ein Anliegen -vorbringen durfte, wann ein teilnahmsvolles -Fragen von ihrer Seite erwartet ward, und -<a class="pagenum" id="page_042" title="42"> </a> -wann sie sich gedulden mußte, bis des Gatten -Herz und Mund sich von selber auftat zu seiner -Erleichterung. Sie mußte Wolken auf seiner -Stirn sehen, die ihr bange machten, und durfte -nicht fragen: »bin <em class="ge">ich</em> schuld?« und sie mußte -Teilnahme und oft gar Rat in Dingen finden, -die sie nur halb verstand.</p> - -<p>So war es zu jener Zeit, in welcher die -Frauen das Wort »Bedeutung« noch nicht -kannten und doch <em class="ge">alles bedeuteten</em> für -den Kreis, in dem sie standen: da durfte jeder -Brave all diese Dinge und noch viel mehr von -seiner Frau verlangen. Es ist damals nicht -leicht einem Manne eingefallen, Rücksicht auf -die Anlage einer Frau zu nehmen, und noch viel -weniger einer Frau, es zu beanspruchen. Ich -glaube nicht, daß die Männer sich höher fühlten -als heute; aber sie vertraten die eiserne Notwendigkeit -des Lebens, den Kampf, die Ehre -der Gemeinde, die Sicherheit des Vaterlandes. -Und dieser Notwendigkeit allein ordneten die -Frauen sich unter, waren ganz Beobachtung, -ganz Anpassung, ganz Entsagung. So töricht -waren wenige Frauen, daß sie <em class="ge">das</em> nicht begriffen -hätten: des Mannes Arbeit konnte nur -gesegnet sein, wenn die aufreibenden Nichtigkeiten -<a class="pagenum" id="page_043" title="43"> </a> -des täglichen Lebens ihm erspart blieben. -Die Frau war noch nicht zur Krone der -Schöpfung proklamiert, ach! aber sie war die -unentbehrliche Lebenskraft des Einzelnen wie -des Ganzen.</p> - -<p>Und so war auch Gabriele in ihrem kleinen -Reiche. Ihr Gatte fühlte wohl, was sie ihm -und dem Hause war. Hatte er sie vorher geliebt, -so betete er sie jetzt an. Er schätzte ihren -Rat; die leiseste Wolke der Mißbilligung auf -ihrer klaren Stirn war ihm wie ein schwerer -Tadel; eine Träne in ihren Augen machte die -seinen hellsehend und milde. Er wußte, daß -ihm nichts Unnützes, Eitles, Spielerisches von -ihr kam; die Frau, der einst die eigene Arbeit -heilig war, hielt wie eine Priesterin die Arbeit -ihres Gatten hoch.</p> - -<p>Es kamen Kinder. Sie vermehrten Gabrielens -Lasten, sie kürzten ihr den Schlaf. -Sie brachten aber auch wieder liebliche Ruhestunden, -in denen die Gatten, Hand in Hand -sitzend, sich sorglos dem Anschauen ihrer Spiele -hingaben. Und jetzt hätte beider Glück vollkommen -sein müssen – wenn nicht in Gabrielen -langsam, aber stetig um sich greifend, eine heimliche -<a class="pagenum" id="page_044" title="44"> </a> -und geheimnisvolle Krankheit am Werke -gewesen wäre.</p> - -<p>Es war nicht die Krankheit des Körpers. -Die ersten Zeichen stellten sich schon etwa zwei -Jahre nach ihrer Vermählung ein und waren -so subtil, daß sie kaum Gabrielen selbst zum -Bewußtsein kamen. Nur eine flackernde Unruhe -war's, etwas wie Unlust am Schaffen, -etwas wie Sehnsucht, sich einem bestimmten -Gedanken einmal ganz und ungestört hingeben -zu können. Was für ein Gedanke das sein -mochte, darüber nachzudenken fand Gabriele -nicht Zeit noch Muße. Unaufhaltsam drängte -das geschäftige Leben mit seinen tausend Forderungen. -Aber während sie treu und emsig -ihr Linnen maß, ihre Brote zählte, ihren Haspel -füllte, ihre nähenden, spinnenden und kochenden -Dienerinnen beriet, glitt es schemenhaft vor -ihr her wie ein luftiges Etwas, das sie gerne -festgehalten hätte und nicht greifen konnte. Wie -ein ferner, süßer, vertrauter Ton, der leise, -leise heranschwebte, und den der Lärm der -Gegenwart verschlang. Wenn sie sich eine Viertelstunde -Muße erhetzt hatte, siehe, dann war -alles leer und tot in ihr, und sie fragte sich -erstaunt, wozu sie nun so geeilt hatte. Meist -<a class="pagenum" id="page_045" title="45"> </a> -freilich kam es nicht zur ersehnten Ruhepause; -meist, wenn sie mit dem letzten Griff ihres -Tagewerkes das eiserne Gewand ewig gespannter -Aufmerksamkeit glaubte hinwerfen zu können, -kam ein Gast, ein Notleidender, eines ihrer -Geschwister, ihr Gatte. Sagen, daß Gabriele -sich nicht gefreut hätte, daß ihr Herz und ihre -Arme sich nicht in Liebe dem Kommenden geöffnet -hätten, wäre Wahnwitz; aber das geheimnisvolle -Etwas, dem sie einen Schritt näher -gewesen zu sein meinte, huschte wieder vor -ihr her. Sie konnte nicht anders, als ihm nachblicken -– nachsinnen – einen Augenblick wenigstens! -Und ihr erster Gruß klang zerstreut.</p> - -<p>Selbstvorwürfe vollendeten, was die nagende -Unruhe begonnen hatte: Gabrielens Äußeres -zeigte die Spuren ihrer inneren Zerrissenheit. -Ihr Auge haftete nicht mehr klar und freundlich -im Auge des Gatten, es irrte suchend umher -und senkte sich oft. Von ihrer Stirn wollte -eine kleine böse Falte fast nie mehr weichen. -Ihre Wangen verblaßten, ihr Körper magerte -ab. Da bemerkte der Ratsherr die Veränderung, -erschrak aufs tiefste und beschwor sie, -ihm zu sagen, was ihr denn fehle.</p> - -<p>Gabrielen traten die Tränen in die Augen, -<a class="pagenum" id="page_046" title="46"> </a> -als sie ihn so ergriffen sah. Sie legte die -Arme um seinen Hals, hob ihr Antlitz zu ihm -auf und sagte ernsthaft: »Ich schwöre dir bei -Gott, daß ich nicht weiß, was es ist. Wüßte -ich es, ich würde es dir längst gesagt haben, -würde längst auf Abhilfe gesonnen haben. Denn -es ist mir, als brenne ein Feuer unter meinen -Füßen, das mich dahin und dorthin treibt und -mich keinen Bissen Brot in Ruhe essen läßt. -Ich möchte glauben, daß ich behext bin.«</p> - -<p>»Gabriele,« flüsterte der Mann, indem er -sie fester an sich zog, »Gabriele, bist du nicht -glücklich?«</p> - -<p>»O Liebster,« rief sie weinend, »ich liebe -dich wie an dem Tage, da Gott unsre Hände -ineinanderfügte. Ich liebe dich noch tiefer, -inniger. Jede Stunde meines Lebens war mir -eine neue Offenbarung des seligsten Wunders. -Du bist mir alles!«</p> - -<p>»Dann verstehe ich nicht, was dich grämt,« -sagte der Ratsherr. Und nach einer Weile -fragte er wieder: »Hast du Sorgen um die -Kinder?«</p> - -<p>»Sie blühen wie die Rosen im Hag,« rief -Gabriele, und ihr Gesicht leuchtete unter ihren -<a class="pagenum" id="page_047" title="47"> </a> -Tränen. »Täglich danke ich Gott, daß er mir -solche Kinder geschenkt hat!«</p> - -<p>»Dann verstehe ich nicht, was dich anficht,« -sagte der Ratsherr noch einmal. Er suchte hin -und her in seiner Angst und verfiel auf dieses -und jenes. »Hat dich irgendeiner meiner Sippe -gekränkt? Ist von den Deinen jemand in Not -oder krank? Sind die Knechte aufsässig oder -die Mägde faul? Gehen Gerüchte über mich -in der Stadt umher?«</p> - -<p>Da mußte Gabriele lächeln in all ihrer Bangigkeit. -»Glaube mir, Lieber, wenn die Dinge, -die du da genannt hast, imstande wären, so -monatelang an meiner Ruhe zu nagen, dann -müßte ich eine schlechte und törichte Frau sein. -Ich wäre ehrlich zu dir gekommen, wenn ich -in Sorge um die Meinen oder in Not mit -dem Gesinde gewesen wäre. Deine Sippe ist -voll Güte zu mir, und was die Neider im -Lande betrifft, so weißt du, daß ich mir ihre -Meinung nur zu Herzen nehme, wo ich weiß, -daß du Nutzen draus ziehen kannst. Nein – -das alles ist nicht, was mich quält.«</p> - -<p>»Vielleicht«, sagte der Ratsherr, »liegt zu -vieles auf deinen Schultern. Du bist so gewissenhaft, -<a class="pagenum" id="page_048" title="48"> </a> -und ich sah noch nie, daß du dir -Ruhe gönntest.«</p> - -<p>»Meine Schwestern arbeiten bis in die tiefe -Nacht um ihr Brot,« rief Gabriele ein wenig -erzürnt ob der Zumutung, »und ich soll das -nicht leisten können, was nur Freude und Spiel -für mich ist? Nie hat mich die Not getrieben, -länger zu arbeiten, als ich es gerne tat; nie -hat mir die Arbeit den Schlaf gekürzt. Es -gibt Mütter, die mehr Kinder und weniger Gesinde -haben. Ich würde mich schämen, das -Wort Übermüdung nur zu nennen.«</p> - -<p>»Dann,« sagte der Ratsherr in tiefer Besorgnis, -»dann sehe ich nur noch eines: dann -bist du krank! Und das ist wohl das Schlimmste -von allem. Denn es zwingt uns, Hilfe außer -uns zu suchen.«</p> - -<p>Gabriele erschrak und wehrte sich lange, denn -sie empfand, so unerfahren sie in ärztlichen -Dingen auch sein mochte, dunkel die Gefahr -der Irreleitung für den Arzt, dem sie keine -Krankheit, nur einen unbeschreiblichen Seelenzustand -vorführen konnte. Sie sah voraus, daß -sie nutzlos mancherlei Qualen würde ertragen -müssen, und sie fürchtete sich sehr. Denn in -jener Zeit gingen Ärzte mit grausamen Mitteln -<a class="pagenum" id="page_049" title="49"> </a> -ihren Kranken zu Leibe, und alles, was wie -Geistesverwirrung aussehen konnte, wurde mit -Härte ausgetrieben, als ob man die rebellische -Vernunft durch strenge Maßregeln hätte zwingen -können. Gabriele bat daher ihren Gatten -flehentlich, noch ein Weilchen zu warten, ob -das Übel nicht etwa von selbst weichen wolle; -und er, dem das Herz blutete bei dem Gedanken, -die liebste Frau von den Händen fühlloser -Quacksalber mißhandelt zu sehen, willigte -nur zu gerne ein.</p> - -<p>Aber das kleine graue Schemen blieb da -und rollte wie ein gespenstisches Garnknäuel, -das sich hemmend und verwirrend in tausend -listigen Schlingen abwickelt, vor Gabrielens -Füßen her. Sie machte jede Anstrengung, deren -ihr sonst so starker Wille fähig war, die sonderbare -Verstimmung ihres Gemütes zu vergessen. -Sie log eine gesteigerte Heiterkeit, sie suchte -neue Zerstreuung, sie berauschte sich in Festen -und schmückte sich, wie sie es vorher nie getan. -Es waren traurig gewaltsame Versuche, die -nach kurzer Zeit traurig endeten. Die quälende -Unruhe in ihrem Innern brannte weiter und -zehrte an ihr wie ein Fieber.</p> - -<p>Aber Gabriele lebte in einer Zeit, wo dem -<a class="pagenum" id="page_050" title="50"> </a> -Menschen die Fähigkeit der Reflexion, der -Selbstbespiegelung in beschränkterem Maße verliehen -war, als dies heute der Fall ist. Sogar -die Sprache jener Zeit ist arm an Ausdrücken, -die für solche inneren Zustände Maß und Wage -geboten hätten. Und selbst gesetzt den Fall, -es hätte ein Wissender Gabrielen die Augen -öffnen können und ihr einen Einblick geben in -das feine Uhrwerk der Natur, die in jedes -Würzelchen den Trieb lichtsuchenden Schaffens, -in jeden Nerv den Drang zur Tätigkeit gelegt -hat, und die sich durch grimme Unregelmäßigkeit -rächt, wenn irgendwo ein Kleinstes verkümmert -– Gabriele würde ihm nicht geglaubt -haben. Ein Dasein, das vor Not und Fährde -geborgen war; ein Gatte, der sie liebte, und -holde, blühende Kinder: sie würde jeden einen -Frevler genannt haben, der mehr vom Schicksal -gefordert hätte. Daß ein Organ in ihr -krankte und siechte, sie ahnte es nicht.</p> - -<p>Eine böse und wirre Zeit begann für Gabriele. -Denn endlich mußte sie doch in ihrer -Hilflosigkeit den Rat des Arztes suchen, und, -da natürlich der eine Rat nicht das Richtige -traf, einen langen Leidensweg voll unnützer -und schädlicher Versuche durchlaufen. Von den -<a class="pagenum" id="page_051" title="51"> </a> -Blutegeln und spanischen Fliegen, von den -Pflastern, Salben, Tränklein, Bädern, Pillen -und Aderlassen will ich erst gar nicht anfangen -zu berichten. Gabriele hatte bei aller Zartheit -einen gesunden Körper und trug keinen dauernden -Schaden davon. Aber was ihr schadete -und ihren Zustand verschlimmerte, war die anhaltend -auf ihr Leiden gerichtete Aufmerksamkeit. -Gabriele empfand es als höchst lästig, -über viele Dinge Auskunft geben zu müssen, -auf die sie bisher keinen Gedanken verwandt -hatte; teils empörte sich ihre Keuschheit, teils -ihr gesunder Verstand, der ihr die künstlich -ausgedachten Zusammenhänge zwischen dem -und jenem lächerlich erscheinen ließ. Und es -bemächtigte sich ihrer ein Gefühl hilflosen Zornes, -eine böse Ungläubigkeit, die bei jedem -neuen Ratschlag sich in heftigen Launen äußerte -und die ihr ganzes Wesen in Reizbarkeit und -Unfreundlichkeit wandelte.</p> - -<p>Es mochten vier Jahre vergangen sein, seit -diese Veränderung ihres ganzen Selbst in Gabrielen -am Werk war. Auch für den Ratsherrn -war dieser Weg ein Leidensweg gewesen. -Er konnte sich nicht verhehlen, daß sie ihm -<a class="pagenum" id="page_052" title="52"> </a> -manches vorenthielt, worauf er durch süße Gewohnheit -ein Recht zu haben glaubte. Nicht -mehr in beschaulicher Betrachtung des Lebens -konnten die Gatten Hand in Hand einherschreiten. -Gabriele war auch hierin verändert, -daß sie schwärzer sah als vorher, sich vor Aufregungen -ängstigte, daß Mißerfolge sie schreckten, -Unfreundlichkeiten sie kränkten. Auch mußte -der Ratsherr so manches für sich behalten, -was er sonst selbstverständlich auf ihre Schultern -geladen hatte, weil er fürchtete, ihrer -Schwäche neue Lasten aufzubürden. Freilich -entging der Frau diese Änderung seiner Gewohnheiten -nicht, und sie war klug genug, sie -auf die richtigen Ursachen zurückzuführen. Und -diese Erkenntnis ward eine Quelle der tiefsten -Verzweiflung. Sie sah, daß <em class="ge">alles</em> auf dem -Spiele stand, daß sie nur um einer unbegreiflichen -Verstimmung willen, über die sie nicht -Herr werden konnte, das Beste zu verlieren -im Begriffe stand. In solchen Augenblicken -schien es ihr, als müsse sie das Fürchterlichste -auf sich nehmen, um nur die einstige Gesundheit -wiederzugewinnen; sie unterwarf sich jeder -Vorschrift der Ärzte, sie ward eine zahme, gewissenhafte -Patientin – bis das Stadium der -<a class="pagenum" id="page_053" title="53"> </a> -Entmutigung, der Hoffnungslosigkeit, der Rebellion -wieder eintrat.</p> - -<p>Und so wäre Gabriele mit der Zeit wohl -dem Schicksal so mancher Frau verfallen, jener -krankhaft gesteigerten Reizbarkeit und dem unfruchtbaren -Getändel mit Heilmethoden aller -Art. Und es wäre ja wohl auch ihr Eheglück -schließlich dem unfaßbaren Verhängnis zum -Opfer gefallen.</p> - -<p>Da kam Rettung in Gestalt jener treuen alten -Freundin, die für Gabriele seit den ersten -Tagen ihrer Ehe wie eine Mutter gefühlt hatte. -Sie hatte die junge Frau in alle ihre Pflichten -hineinwachsen sehen. Sie hatte, vielleicht wachsameren -Auges als der Ratsherr selbst, die -ersten Zeichen jener seltsamen Müdigkeit und -Zerstreutheit beobachtet, die stets wachsende Hast -und Unruhe, schließlich die unbezwingliche Übellaunigkeit. -Auch sie gehörte zu den Menschen, -die gern die nächste und einfachste Ursache der -Dinge annehmen, und sie hatte sich ihren Vers -gemacht, lange ehe die Ärzte mit ihren Versuchen -begannen. Aber bedächtig, wie sie war, -hielt sie mit ihrem Wissen zurück, ließ sich -indessen gern von Gabrielen jede neue Erfahrung -<a class="pagenum" id="page_054" title="54"> </a> -und jede neue Behandlung erzählen, -freute sich ihrer Nutzlosigkeit und gewann endlich -Gabrielens Vertrauen zu einer erschöpfenden -Beichte. Und als sie die phantastische Geschichte -all dieser gestaltlosen Leiden, das wirre -Bekenntnis der Willenlosigkeit und all die -Befürchtungen und Reuequalen des armen -Weibes vernommen hatte, da erwiderte sie -nur mit der einfachen Frage, ob denn Gabriele -nicht des Guten zu viel tue, wenn sie so rastlos -tätig sei. Wie vorher ihrem Gatten, so antwortete -Gabriele nun auch der Freundin mit -Entrüstung, sie wisse nichts von Ermüdung.</p> - -<p>»Man kann auch am Genuß Schaden -nehmen, wenn man zu viel tut,« erwiderte -die weise Freundin. »Und du kannst nicht -leugnen, daß dein Gesicht sich verdunkelt, wenn -Gäste oder Hilfeheischende kommen. Ich sage -dir, sogar gegen Mann und Kinder habe ich -dich oft lässig gesehen, als ob ein heimlicher -Gedanke in dir hämmerte, daß du unausgesetzt -auf ihn horchen mußt. Ich habe auch ein großes -Haus geführt, habe viele Kinder großgezogen -und meinem Gatten manche Sorge ferngehalten. -Es ist mir nie zu viel geworden, aber müde -war ich oft, zum Sterben müde. Und dann, -<a class="pagenum" id="page_055" title="55"> </a> -dünkt mich, mag eine Stumpfheit, wie deine -jetzt, auch mich besessen haben.«</p> - -<p>Sie redete lange auf Gabriele ein. »Wir -sind ehrgeiziger, als wir scheinen mögen,« sagte -sie unter anderem; »meinst du, ich weiß nicht, -was es kostet, ein Haus so schmuck zu halten? -Ich entsinne mich noch gut, was du sagtest, als -du diesen Teufelskram von Weltwundern und -Jahrmarktsseltenheiten, den die Mannsbilder -so närrisch lieben, zum ersten Male sahst: nicht -zur Scheuermagd hieltest du dich gut genug! -Und jetzt sieh her, was du gelernt hast, was -du leistest! Zähle die Schritte, die du vom -Morgen bis zum Abend vom Brotspeicher im -Dach bis zum Fischbecken im Keller tust! Das -zehrt an deiner Kraft, mein Kind, und wenn -du es auch nicht wahrhaben willst, dein Leiden -ist nichts als Müdigkeit und Schwäche!«</p> - -<p>Das klang alles so einfach, daß Gabriele -nicht zu widersprechen wagte; sie konnte nicht -leugnen, daß jede neue Forderung an ihre Zeit -sie mit einem Unlustgefühl erfüllte, das sie -nur schwer bekämpfen konnte. Sie duldete es, -daß die alte Dame den Ratsherrn und den -vertrautesten Arzt des Hauses zur Stelle rufen -ließ, und daß schließlich ein feierliches Konsilium -<a class="pagenum" id="page_056" title="56"> </a> -abgehalten wurde, wie man der eigensinnigen -Gabriele, die von Ruhe nichts wissen -wollte, wieder zu Kräften helfen könne. Der -Arzt, der der Vernünftigen einer war, wußte -Rat: »Wann schläft Euer jüngstes Kind?« fragte -er die Patientin. »Zwei Stunden um die Mitte -des Tages? Nun wohl, um diese Zeit seid -Ihr entbehrlich, denn die größeren Kinder werden -wohl bei einer Schaffnerin versorgt werden -können. Ihr legt Euch also still zu dem Kleinen -und schlaft, solange er schläft! Nehmt dies als -eine Verschreibung und handelt gewissenhaft -danach!«</p> - -<p>Gabriele empörte der Gedanke, daß sie um -die Mitte des Tages schlafen solle wie eine -Greisin; sie wandte auch gleich ein, daß sie -gerade diese zwei Stunden, wo das Kind ihrer -entraten könne, für mancherlei Hausgeschäfte -dringend brauche. Aber der Arzt wiederholte -seinen Befehl in strengem Tone, die Freundin -bestürmte sie und der Gatte bat leise, mit dem -alten Liebesblick in ihre Augen, um seiner -Ruhe willen das kleine Opfer zu bringen. Da -mußte sie nachgeben und versprach, das sonderbare -Mittel eine Woche lang zu versuchen.</p> - -<p>Das erstemal, als Gabriele sich hinlegte, lag -<a class="pagenum" id="page_057" title="57"> </a> -sie mit weit starrenden Augen und dachte an -alles, was jetzt im Hause vorgehen mochte ohne -ihr Dabeisein. Sie lauschte auf jedes Geräusch, -das gedämpft in ihr geschlossenes Gemach -drang. Sie hörte die Haustüre fallen und -wußte, daß jetzt die Bäuerin vom Gutshofe -gekommen war, um Eier abzuliefern, und war -ärgerlich, daß sie nicht dabei sein konnte, sie -Stück um Stück durch die hohle Hand zu -prüfen. Sie hörte gelle Schreie der Kinder und -wußte nicht, ob sie Freude oder Schmerz bedeuteten. -Sie wurde aufgeregter, erhob sich -nach kaum einer Viertelstunde und eilte zu -ihrem Gatten, um ihn zu bitten, sie von ihrem -Versprechen zu entbinden. Diese Art von Ruhe -sei keine Erholung, hundertmal wohler wäre -ihr, wenn sie wüßte, was vorginge, und nachher -nicht Fehler gutzumachen hätte, die während -ihrer Abwesenheit begangen worden seien.</p> - -<p>Der Ratsherr sah erst etwas böse drein, indes -ein Blick in das zuckende Gesicht seiner Frau -machte ihn mitleidig. Er legte den Arm um -ihre Schultern und führte sie sanft, aber stark -in das Schlafzimmer zurück, indem er ihr voll -Innigkeit und Liebe ins Gewissen redete.</p> - -<p>»Gabriele,« sagte er, »hast du die Zeit vergessen, -<a class="pagenum" id="page_058" title="58"> </a> -wo wir die glücklichsten Menschen auf -Erden waren? Wo du heiter und weise warst, -mein Sonnenschein und mein Vertrauter, mein -Ratgeber, mein besseres Selbst? Das alles -ist mir verloren, seit du krank bist; ich trage -meine Sorgen allein mit mir herum und wage -nicht, sie mit dir zu teilen. Und du willst nichts -tun, um mir das Glück zurückzugewinnen? Was -kann denn in diesen zwei Stunden Schlimmes -im Hause vor sich gehen, was nicht mit Geld -gutzumachen wäre? Und würde ich nicht alles -Geld und Gut der Erde hingeben, um dich -wieder gesund zu sehen? Komm, tu mir's zuliebe! -Leg dich hierher neben das Kind! Sieh, -wie süß es schläft!«</p> - -<p>Er drückte die Widerstrebende, aber schon -halb Beschämte in die Kissen nieder, legte -vorsichtig das schlafende Kind neben sie, -nahm ihre Hand, ihren Zeigefinger und drückte -ihn sacht in die Fläche des kleinen rosigen -Pfötchens, das sich im Augenblick der Lageveränderung -ein wenig geöffnet hatte. Augenblicklich -schlossen sich die Fingerchen des Kindes -um den vertrauten Gegenstand mit jenem -festen, weichen Drucke, den Mütter wohl -kennen. Gabriele mußte lächeln, so nah ihr -<a class="pagenum" id="page_059" title="59"> </a> -sonst die Tränen gewesen sein mochten. Sie -ließ das Haupt mit einer Gebärde der Ergebung -in die Kissen sinken, küßte ihres Gatten -liebevolle Hand und schloß die Augen.</p> - -<p>Da sie aber wirklich nicht schläfrig war, öffnete -sie sie bald wieder und lauschte weiter. Aber -erstens durfte sie das schlafende Kind nicht -wecken, das immer noch ihren Zeigefinger festhielt, -und dann lagen ihr auch die weichen -Worte ihres Gatten im Sinne, und sie dachte, -daß sie es ihm schuldig sei, jedes Mittel der -Heilung zu versuchen. Deshalb bezwang sie -sich, lag still und betrachtete das liebliche Gesichtchen -ihres schlummernden Kindes.</p> - -<p>Und wie sie sich so recht vertiefte in den Anblick, -an dem eine Mutter sich nie satt sieht, da -glitt unversehens ihr Blick über das Spitzenhäubchen -hin, das des Kindes rosiges Köpfchen -umschloß. Es war einem ihrer älteren Kinder -von irgendeiner Pate geschenkt worden und -mochte bei dem ersten besten Krämer gekauft -sein, denn es war von unedler, alltäglicher -Arbeit. Aber etwas in der Zeichnung der Spitze -bannte Gabrielens Aufmerksamkeit »Wie -hübsch ist dieses Muster,« dachte sie, »wenn -das Ding nur besser gearbeitet wäre!« Sie -<a class="pagenum" id="page_060" title="60"> </a> -begann zu sinnen, ihre Phantasie heftete unvermerkt -ihren silbernen Spinnwebfaden an dem -kleinen Erlebnis an und spann und spann, bis -ein schimmerndes Netz von feinen Kunstgedanken -klar ausgearbeitet vor Gabrielens innerem -Auge lag. Sie sah ein Gebilde von tausend -geduldig geknoteten Schlingen, so zart, daß -ein Blumenelf die Fingerchen gespitzt haben -würde, um es anzufassen, so dicht, daß er keinen -Blütenstaub damit hätte sieben können, und so -fest und straff geädert wie ein Bienenflügel. -Und als Gabrielens Auge dies sah, da fuhr -es wie ein Feuer in ihre Hand. Es war ihr, -als müsse sie aufspringen und sich an die Arbeit -machen; Haussorgen und drängende Arbeit -waren vergessen.</p> - -<p>Aber das Kind hielt sie fest. Das feine Händchen -hatte solch eisernen Griff, daß Gabriele -den umklammerten Zeigefinger kalt werden -fühlte. So ergab sich denn die Mutter für -dies eine Mal, arbeitete aber im stillen an -ihrem Vorsatze weiter, in der ersten freien -Minute mit der Ausführung der Spitze zu -beginnen, und überlegte, wo sie ihre Geräte -haben konnte. Und als endlich ein tiefer Atemzug -neben ihr und das freiwillige Losspannen -<a class="pagenum" id="page_061" title="61"> </a> -der energischen kleinen Fingerchen ihr verriet, -daß ihre Gefangenschaft zu Ende sei – da -wunderte sich Gabriele ein wenig, wie rasch -ihr diese zwei Stunden dahingegangen.</p> - -<p>Der Ratsherr war klug genug, nicht gleich -am ersten Tage nach der Wirkung der Verordnung -zu fragen. Er berührte mit keinem Wort -Gabrielens Befinden, und sie war glücklich -darüber, denn es wäre ihr schwer geworden, -ihm zu sagen, daß sie nicht geschlafen habe. -Einmal fiel ihr mitten in der Arbeit ihr Spitzenmuster -ein. Sie sah es vor sich mit einer gespenstischen -Deutlichkeit, weiß leuchtend wie -Phosphor auf einem Grunde von schwärzester -Nacht, die jeden andern Gegenstand im Zimmer -verhüllte. »Noch habe ich es nicht vergessen,« -dachte sie voll Freude. Dann seufzte sie leise -und schüttelte sich. Das Erwachen kam, das -Besinnen auf die tausend Notwendigkeiten des -Tages, und ein mutloses Aufgeben: »Dazu -komme ich ja doch nie!«</p> - -<p>Am andern Tage begleitete der Gatte sie -wieder ins Schlafgemach, ließ aber auf ihre -Bitte das Kind in der Wiege liegen. Ehe er -das Zimmer verließ, flüsterte er von der Türe -her noch einmal ein eindringliches »Mir zuliebe!« -<a class="pagenum" id="page_062" title="62"> </a> -zurück. Die Frau wurde flammend rot. -»Ja, Liebster!« hauchte sie kaum hörbar. Sie -lag einige Minuten und kämpfte mit sich, hätte -gern getan, was sie für eine Pflicht hielt, -brachte es aber nicht über sich. Sie sprang auf, -verriegelte die Türe, huschte schuldbewußt -ängstlich und auf jeden nahenden Tritt lauschend -im Zimmer umher, bis sie ihre Siebensachen -beisammen hatte, und saß bald über ihr -Pergamentstreifchen gebeugt, den Klöppelbrief -entwerfend.</p> - -<p>Sie arbeitete, daß ihre Wangen brannten. -Die Zeichnung war fast fertig, als das Kleine -erwachte. Als der Gatte sie später erblickte, -streichelte er ihr lächelnd das Gesicht, in dem -die Röte des inneren Feuers noch weiterglühte, -und sagte mit glücklichem Ausdrucke: »Rotgeschlafen -wie ein Kind!« Sie hätte vor Beschämung -in den Boden sinken mögen – aber -wie hätte sie die Wahrheit gestehen sollen?</p> - -<p>Den nächsten Tag betrat Gabriele ihr Gemach -mit den Gefühlen einer Verbrecherin. -Der Gatte verweilte einige Minuten, die ihr -wie Stunden erschienen, lobte zärtlich ihre Fügsamkeit -und Geduld und sah die Gebärde nicht, -mit der sie sich abwandte. Kaum daß er sie -<a class="pagenum" id="page_063" title="63"> </a> -verlassen, sprang sie vom Lager, schon war das -Klöppelkissen zur Stelle, und in wenigen Handgriffen -alles zur Arbeit bereit. Nun saß sie, -füllte ihre Spülchen, steckte ihre Nadeln und -schrak erst beim hellen Aufschrei des erwachenden -Kindes empor, mit einem leisen Ausdruck -des Bedauerns im erregten Antlitz; sie hatte -gehofft, an diesem Tage noch mit dem Klöppeln -beginnen zu können.</p> - -<p>Von nun an freute sie sich den ganzen Morgen, -was immer sonst ihre Hände auch schaffen -mochten, auf die stille heimliche Klöppelstunde -am Nachmittag. Die eichenen Türen hielten -das kleine Geheimnis wohl verborgen. Was -sie an Lärm aus Haushalt und Kinderstube -etwa durchließen, das drang nicht an Gabrielens -Ohr; das leise Rollen und Klappern -der Spülchen, jener alte, süße, vertraute Elfentanzschritt, -sie übertönten alles. Und jeden -Tag erschrak sie ein wenig, wenn des Kindes -Weckruf ertönte.</p> - -<p>Den Rest des Tages fühlte Gabriele sich -leicht und frei. Daß sie eine heimliche Sünderin -war, bedrängte sie fürs erste gar nicht, -wenn sie auch ihrem Gatten gegenüber sich -schuldig fühlte.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_064" title="64"> </a> -Als die Woche um war, an die Gabriele -sich mit ihrem ersten Versprechen gebunden -hatte, wagte der Ratsherr eine Frage: ob sie -denn schon eine Veränderung in ihrem Befinden -bemerke? Gabriele erschrak heftig und -wußte sich nicht anders zu helfen als mit einer -Gegenfrage: ob <em class="ge">er</em> denn eine Veränderung -in ihrem Gehaben bemerke? Der Ratsherr erwiderte: -»Mich dünkt, du bist froher und gleichmäßiger, -auch scheint mir, du hast wieder eine -lachende Erwartung im Gesicht wie einst. Ich -wage es aber noch nicht zu glauben!« Da antwortete -die listige Frau: »So will ich noch -eine Woche versuchen, es so zu machen, wie -ich es diese letzte Woche gemacht habe.«</p> - -<p>Sie konnte sich indes nicht verhehlen, daß -in der Tat eine Rückveränderung zu ihrem -alten Selbst mit ihr vorging. Wenn sie sich den -ganzen Morgen in der Tiefe ihres Herzens -auf die kommende Stunde freute, so freute sie -sich den ganzen Abend über das, was sie in -dieser Stunde fertiggebracht hatte, und kam -so einfach aus dem Freuen nicht heraus. Sie -trug es mit sich herum wie eine liebliche Melodie, -die einem auf Schritt und Tritt nachgeht. -Ja, auch diese Empfindung mußte Gabriele -<a class="pagenum" id="page_065" title="65"> </a> -sich eingestehen: es glitt ihr nur so unter den -Händen weg, was sie sonst mit Unlust getan -hatte; wenn ihr sonst der Tag zu kurz geschienen -hatte für alles, was er erheischte, so war er -jetzt mit einem Male um vieles länger, seit -die bewußten zwei Stunden daran fehlten. Es -war ihr Klarheit gekommen über das Wesen -ihrer Krankheit, als sie begriff, daß die gewohnte -und geliebte Tätigkeit ihr bisher an -ihrem Glück gefehlt habe. Und wenn sie sich -auch verwunderte, wie es hatte sein können, daß -eine solche Albernheit, wie sie es nannte, ihr -fast das Leben zerstört hätte, so wußte sie doch, -daß dem wirklich so war. Tief dankbar empfand -sie, wie Ruhe und Frohsinn sich täglich mehr -in ihr und um sie verbreiteten, wie ein sanftes -Licht auf ihren ganzen Lebensweg fiel.</p> - -<p>Sie hätte gern das Wundersame und Unbegreifliche -des ganzen Vorganges verstehen -mögen, und es drängte sie oft, zu ihrem Gatten -zu eilen und ihm ihr Gefühl zu äußern, ihn -zu fragen, ob er eine Erklärung oder ein Beispiel -dafür kenne. Es tat ihr weh, dies Unverstandene -mit sich herumzutragen, ohne es mit -ihm zu teilen, der es vielleicht verstanden hätte. -Aber sie fürchtete zu sehr das Geständnis ihres -<a class="pagenum" id="page_066" title="66"> </a> -Betruges. Wenn sie bedachte, mit welch rührender -Treue er immer dafür gesorgt hatte, daß -in jenen ihrer Ruhe geweihten zwei Stunden -kein Schritt ihrer Türe sich nahe, so fand sie -es unmöglich, ihm zu sagen, daß diese Sorgfalt -verschwendet, seine liebende Aufmerksamkeit -mißbraucht worden war. »Wenn er hört, -daß ich ihn monatelang betrogen habe,« so -dachte Gabriele oft mit leisem Kummer, »so -wird seine Liebe zu mir verlöschen. Er ist die -Wahrhaftigkeit selbst!« Und sie schwur sich zu, -daß er nie um das Geheimnis wissen sollte.</p> - -<p>Der Ratsherr küßte seiner alten Freundin -die Hände und nannte sie gerührt die gütige -Vorsehung seines Lebens. Die gute Matrone -freute sich des Erfolges, den ihre einfache Verordnung -gehabt, und Gabriele, wenn sie es -hörte, lächelte beklommen und dachte bei sich: -»Auch diese darf nie erfahren, daß ihr Rat -unbefolgt geblieben ist. Wie würde sie sich -kränken!« Und ebenso schwieg sie dem Arzte -gegenüber, mit weiblicher Feinheit daran bedacht, -ihm das Gefühl der Lächerlichkeit zu -ersparen.</p> - -<p>Je weiter die Arbeit fortschritt, je köstlicher -und reicher die zarte Kunstfertigkeit der neugeübten -<a class="pagenum" id="page_067" title="67"> </a> -Finger sich kundtat, desto stiller und -seliger wurde Gabriele. Alles Irdische erschien -ihr klein. Denn wahre schöpferische Kunstliebe -ist nicht anders als wahrer Gottesglaube, sie -leiht der Seele schöne lichte Flügel, mit denen -sie über die Erde schwebt.</p> - -<p>Zwei Stunden täglich sind eine knappe Zeit, -um ein großes und allerfeinstes Werk zu Ende -zu führen, und Gabriele arbeitete weit über -ein Jahr an ihrer Spitze. Es kamen natürlich -auch Wochen der Unterbrechung, sei es, daß -ein Kind erkrankt war, sei es, daß unruhige -Zeiten in Stadt und Land jede Ordnung auflösten. -Dann unterwarf sich Gabriele ohne einen -Schatten von Verstimmung der Entbehrung.</p> - -<p>Endlich war das Werk vollendet. Und wie -es nun so dalag, die feste und zarte Gestaltung -des schönen Traumbildes, da ging die Freude, -die Gabrielens ganzes Wesen verklärt hatte, -in einen Sturm neuer Empfindungen auf. Mit -einem heftigen Erschrecken kam es Gabrielen -zum Bewußtsein, daß es jetzt um ihr Geheimnis -geschehen sei: diese Arbeit ließ sich nicht -verbergen! Wie ein Hammer pochte die Angst -vor dem schmählichen Geständnis einer monatelang -durchgeführten Unredlichkeit in Gabrielens -<a class="pagenum" id="page_068" title="68"> </a> -Herzen; aber Schlag um Schlag traf einen -Gegenschlag. Wie Gabriele als Mädchen gelechzt -hatte nach dem verstehenden Worte, das -ihrer Arbeit die Krone aufsetze, so brannte sie -jetzt töricht und wild auf eine Möglichkeit der -Verwendung ihres Geschaffenen. Sie versuchte -die Spitze zu vergessen, aber es war ihr, als -habe sie ein Kind lebendig begraben. Sie haderte -mit ihrer Natur, die sie erst zu Heimlichkeiten -trieb und dann zum Geständnis -zwang; sie begriff nicht, welche Dämonen in -ihr tätig sein konnten, hielt sich vor, daß ihr -Lebensglück auf dem Spiel stehe, und gewann -es über sich, vierundzwanzig Stunden nicht -an die Spitze zu denken. Dann kam der Augenblick -der Mittagsruhe, des Alleinseins – und -da saß sie, hielt die Spitze in der Hand, saugte -sich mit Blick und Geist ordentlich in jede -Masche fest und fühlte, daß die Arbeit nicht -fertig sei, solange sie hier in der Verborgenheit -begraben liege. Und nach einigen Tagen -aufreibenden Kampfes gab Gabriele ihn auf -und sann nun nur noch auf die erträglichste -Form, ihr Schuldgeständnis darzulegen.</p> - -<p>Sie holte aus einem Schrank, der Abgelegtes -und Ungebrauchtes barg, das Kleid hervor, -<a class="pagenum" id="page_069" title="69"> </a> -das sie in den letzten Jahren ihrer Mädchenzeit -getragen, das Kleid, in dem sie ihre Liebe und -ihr Glück gefunden, das schlichte, dünne, ärmliche -braune Kleid mit dem zierlichen Halstuch -und dem reinlich gefältelten Häubchen. Sie -hatte es nie übers Herz gebracht, sich von diesem -Kleide zu trennen, hatte es oft mit heimlicher -Rührung betrachtet, es sauber gehalten und vor -dem Verfall bewahrt. Jetzt probierte sie es an -und änderte flugs mit geschickten, leichten -Stichen Sitz und Weite. Sie lachte ein bißchen, -als sie es anzog, und freute sich, daß sie ihrem -früheren Selbst darinnen gar nicht so unähnlich -sah, wie man es nach sechsjähriger Ehe hätte -meinen sollen. Ein schwarzer Sammetfleck fand -sich auch, den spannte sie fein über ein Kissen, -nadelte ihre Spitze recht anschaulich und kokett -darauf und betrat, so gerüstet, ihres Mannes -Zimmer.</p> - -<p>An der Türe packte sie noch einmal die Angst, -daß sie fast wieder umgekehrt wäre. Sie wagte -kaum, einen Fuß vor den anderen zu setzen; -es schien ihr, als müsse der Boden vor ihr -nachgeben und sie hinuntergleiten lassen in -höllische Schlünde. Und so, in ihrer Zaghaftigkeit, -mit den gesenkten Wimpern und den von -<a class="pagenum" id="page_070" title="70"> </a> -brennender Scham geröteten Wangen, glich sie -so sehr der demütigen kleinen Arbeiterin von -einst, daß dem Ratsherrn, der zuerst mit ungeduldigem -Staunen auf die Verkleidung geblickt -hatte, das Herz weit wurde. »Gabriele,« -rief er zwischen Rührung und Lachen, »was -soll diese Schelmerei? Willst du mir damit -sagen, daß ich meine alte Gabriele wiederhabe, -die ich mir aus dem Winkelgäßchen geholt?« -Sie aber antwortete nicht, sondern kam langsam -auf ihn zu, ohne ihn anzusehen und immer das -Kissen mit der Spitze ein wenig vor sich herstreckend, -als solle das Kunstwerk ihr Fürbitter -sein. So mußte der Ratsherr es ins Auge -fassen, und als er es tat, stutzte er und erkannte -sofort, daß es eine neue und selten schöne Arbeit -war; zugleich aber mußte er auch den verworrenen -und gequälten Ausdruck im Gesichte seiner -Frau bemerken, und es dämmerte ihm, daß -da ein Geheimnis sich enthüllen sollte. »Hast -du diese Spitze gemacht, Gabriele?« fragte er -sanft. »Du große Künstlerin, es ist deine -schönste! Aber wann und wo hast du diese -Riesenarbeit schaffen können?«</p> - -<p>Gabriele rang eine Weile mit ihrer erstickenden -Angst, dann brachte sie fast tonlos die -<a class="pagenum" id="page_071" title="71"> </a> -Antwort hervor: »In den zwei Stunden, in -denen ihr alle dachtet, daß ich schliefe!« Dann -legte sie ihr Kissen auf den nächsten Tisch, -bedeckte das Gesicht mit den Händen und begann -zu weinen. Sie dachte: jetzt kommt der -Wetterstrahl, der all dein Glück zerschlägt!</p> - -<p>Aber der Ratsherr stand selber da, wie vom -Wetter getroffen. Ein so schneller, klarer Denker -er auch sein mochte – <em class="ge">diese</em> Offenbarung -nach allem Vorhergegangenen verwirrte ihn. -Daß Gabriele an der Überlast eines großen -Haushaltes, einer stets belebten Kinderstube -und vielen neuen Kenntnissen, in die sie erst -hineinwachsen mußte, erkrankt war, hatte er begriffen; -daß ein täglicher, regelmäßiger Schlaf -sie geheilt, war natürlich. Aber jetzt –? Da -sie nicht geschlafen hatte und doch geheilt war, -stand das Rätsel ihrer früheren Krankheit wieder -ungelöst da, vermehrt um ein neues, noch -verwirrenderes! Es bedurfte der ganzen weiblich-schönen -Herzensgüte und auch der ganzen -Selbstbeherrschung des Mannes, um hier nicht, -was er für eine äußerst verworrene und dunkle -Sache hielt, durch ein hartes Wort für immer -um seine Aufklärung zu bringen. Er wagte -fürs erste überhaupt nicht zu sprechen, sondern -<a class="pagenum" id="page_072" title="72"> </a> -betrachtete nur immer mit neuem Staunen die -wunderbare Spitze. Aber die Frau, als sie -nach einer langen Weile es endlich wagte, zu -ihm aufzublicken, konnte unschwer erkennen, daß -er keineswegs zürnte, sondern bloß sehr angestrengt -nachdachte. Da trat sie an ihn heran, -legte leise die Hand auf seinen Arm und -flüsterte: »Ich glaube es wohl, daß ich dir -verrückt erscheinen muß!«</p> - -<p>Er nahm ihre Hand und sagte lächelnd: -»Ich will nicht leugnen, daß ich dich nicht ganz -begreife. Wie kamst du darauf, eine solche Arbeit -zu beginnen, da du doch sonst genug zu tragen -hattest?« Da erzählte ihm Gabriele, so gut -sie es eben verstand, von der zwingenden Lust, -die sie dazu getrieben, und wie sie mit schlechtem -Gewissen, aber doch mit Seligkeit an dem Werke -geschafft hätte und es nicht hätte lassen können. -Sie beschrieb auch ein wenig, wie ihr jede -Arbeit verklärt und verschönt erschienen sei -im Freudenschimmer eines schöpferischen Siegbewußtseins, -und auch von ihrer Angst erzählte -sie und wie sie schließlich gegen ihren Willen, -gleichsam durch die Macht ihres Geschaffenen -selbst zum Bekenntnis gezwungen worden sei. -Es war alles ein wenig verworren und unzusammenhängend, -<a class="pagenum" id="page_073" title="73"> </a> -denn es war das erste- und -wohl auch das letztemal im Leben, daß Gabriele -über sich selbst zu sprechen hatte, und es fiel -ihr gewaltig schwer. Aber der Ratsherr schien -doch etwas davon zu verstehen, wenigstens ging -es wie Wechselspiel von allerlei Lichtern über -sein Gesicht. Dann fragte er sehr ernst und -sehr eindringlich: »Nun sage mir eines, Gabriele, -was mir wichtiger zu wissen ist als alles -übrige: bist du mir nun tatsächlich genesen, -oder ist das nur ein frommer Betrug vor dir -selbst, der deinen Ungehorsam rechtfertigen -sollte, und fühlst du dich am Ende noch kränker, -als du es zeigen willst?«</p> - -<p>Da mußte Gabriele lachen in all ihrer Bangigkeit. -»Siehst du mir das nicht an, Liebster? -Mußt du nicht glauben, daß das Rot meiner -Wangen echt ist, da es diesen Tränen widerstanden -hat?«</p> - -<p>»Man sollte es meinen,« sagte er mit humorvoller -Grimmigkeit. »Aber ihr Weiber würdet -den Teufel zum Narren machen mit eurer -Verschlagenheit.« Dann nahm er sein Weib -in den Arm, liebkoste es innig und fuhr fort: -»Es war gut, daß du dieses Kleid angezogen -hast, du Dreimalkluge! Denn dieses Kleid hat -<a class="pagenum" id="page_074" title="74"> </a> -mir die Augen geöffnet, wer du eigentlich bist, -und jetzt weiß ich auch, woran du erkrankt warst -und wodurch du genesen bist. Nun sollst du -mir auch nicht mehr darben.« Und er küßte -sie nur noch herzlicher, so daß sie beglückt seine -Güte und sein volles Verstehen empfand. –</p> - -<p>Der Ratsherr hielt Wort. Wie er mit eiserner -Strenge dafür zu sorgen gewußt hatte, daß -inmitten all der unberechenbaren Zufälligkeiten -eines großen Haushaltes der Schlaf seines -Weibes nie ohne zwingende Not gestört wurde, -so sorgte er jetzt dafür, daß Gabriele die einmal -eingeführte Ruhestunde festhielt und sich ganz -ihrer stillen Lust darin ergab. Gabriele selbst -hatte sich anfangs dagegen gewehrt, aber die -einmal aufgedämmerte Erkenntnis brach von -Tag zu Tag zu neuer Klarheit durch, und bald -war Gabriele dem Gatten dankbar. Und weder -er selbst, noch der Haushalt, noch Kinder, noch -Gäste kamen zu kurz durch diese Erweiterung -von Gabrielens Tätigkeit. Wie ein Gebet oder -ein frommes altes Lied labte und reinigte diese -Stunde ihre Seele, stärkte sie zu neuem Lebenskampfe, -machte sie hellsehend und gütig. Alles -Schwere, was an sie herantrat – und es wurde -dessen mehr, wie die Kinder heranwuchsen und -<a class="pagenum" id="page_075" title="75"> </a> -eigene Wege suchten – löste sich in sanfte Harmonie, -sobald der leise Tanzschritt der Klöppelelfen -erklang. Die guten Gedanken tauchten -aus den lichten Gebilden empor, die Gabrielens -Hand entwarf: nicht einzeln kamen sie, sondern -in langen freundlichen Reihen, und sie umschlossen -Gabrielens ganzes Leben und ihr -ganzes Haus.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_077" title="77"> </a> -Die Tugend der Sabine Ricchiari</h2> - - -<h3><a class="pagenum" id="page_079" title="79"> </a> -1.</h3> - -<p>Ich war, als ich Sabine Ricchiari verstehen -lernte – <em class="ge">gekannt</em> hatte ich sie schon seit zehn -oder zwölf Jahren! – Seelsorger in einer -kleinen süddeutschen Stadt, hatte die Fünfzig -überschritten und war also in eine Lebensperiode -getreten, wo man keinen mehr um seiner -Sünde willen haßt, keinen um seiner Tugend -willen preist, sondern alle liebt, weil man alle -bedauert. Ist man einmal so weit, so fliegt -einem das Vertrauen von selbst entgegen, man -darf dann nur den scheuen Vogel nicht durch -eine hastige Bewegung schrecken. Ich hörte -manche Lebensgeschichte, dazu bedurfte ich keines -Beichtstuhles. Über die nun folgende habe -ich heißer gegrübelt als über sonst eine.</p> - -<p>Sabine Ricchiari brachte durch ihre Erscheinung -schon Aufruhr in unsere kleine Stadt. -Sie war die Gattin eines Arztes, dessen Familie -aus dem Veltlin stammte, die aber, seit -mehreren Generationen in Deutschland ansässig, -jede Erbschaft ihrer stolzen Abkunft verloren -hatte, bis auf den klingenden Namen. Dessen -gegenwärtiger Träger nun war ein so bescheidener, -<a class="pagenum" id="page_080" title="80"> </a> -schlicht und nüchtern aussehender Mann, -daß auch dieses karge Erbe an ihm noch wie -Verschwendung erschien; denn der schöne Name -wollte zu dem unscheinbaren Wesen übel passen. -Er lebte einige Jahre in einer größeren Stadt, -lernte dort Sabine kennen und führte sie uns -zu, als er eine neue Praxis unter uns eröffnete. -Nun, da ich die Frau erblickte, freute -ich mich, und zwar um ihretwillen, daß der -Mann nicht Schulze hieß. Denn Sabine saß -der Name wie angeschaffen; sie trug das trompetenhelle -Wort vor sich her, wie eine kriegerische -Jungfrau eine silberne Tuba trägt; und -wenn man ihre hohe Schönheit betrachtete, so -genoß man es doppelt, daß man dies seltsame -und bedeutende Geschöpf nicht mit einem gewöhnlichen -oder gar übellautenden Worte benennen -mußte.</p> - -<p>Durch die engen und gewundenen Gassen -unseres Städtchens, in denen damals noch -Handwerker- und Markttreiben sich stieß und -drängte wie vor hundert Jahren, war noch -nicht zweimal Sabine Ricchiaris hohe Gestalt -gewandelt, als schon Neugier und Tadelsucht -sich an ihre Fersen hefteten. Der stille stolze -Gang, womit sie die übelgepflasterten und bergigen -<a class="pagenum" id="page_081" title="81"> </a> -Gäßchen beschritt, als wären es Treppen -einer Königshalle und mit den weichsten Purpurteppichen -belegt; der freie, klare Blick, den -sie die Häuserreihen hinabgleiten ließ bis an -das altersgraue Stadttor, über welches Berg -und Himmel hold hereinlugten; die kecke Haltung -des wohlgeformten Hauptes; nicht zuletzt -auch das helle Kleid, das alles Licht der Sonne, -welches die graue Umgebung so mürrisch hinweg -wies, in sich allein gesammelt zu haben -schien – ja, der Klang ihrer zuversichtlichen, -frischen und lauten Stimme selbst irritierte dies -trippelnde, kichernde, hustende und knicksende -Geschlecht bis zum Haß. Sabine wirkte verfassungstörend. -Die Frau mit den Großstadtsitten -machte die Kleinstadtgehirne toll. Alles -Überkommene drohte zu stürzen. Frauen, die -dreißig Jahre lang unangefochten und sorglos -den Pantoffel geschwungen hatten, wurden -plötzlich eifersüchtig und – aus Eifersucht – -zahm; Männer, die dreißig Jahre lang geduldig -ihr Joch getragen hatten, wurden plötzlich -rebellisch. Putzmacherinnen wurden erfinderisch -und phantasiekühn. Ladendiener und -Schreiberlein salbten ihr Haar und trugen Nelken -im Knopfloch. Offiziere a. D., die längst -<a class="pagenum" id="page_082" title="82"> </a> -in Biertischgemütlichkeit versunken waren, hielten -plötzlich wieder auf Taille, und Referendare -wurden stumpf gegen die Reize zierlicher Krawattenverkäuferinnen. -Und weil Sabinens -Schönheit es war, die also demoralisierend -wirkte, so wurde mit promptem Schlusse die -Schönheit selbst für unmoralisch erklärt, so -wurde, wie auch sonst wohl geschieht, das Unnachahmliche -und Unerreichbare als nicht nachahmenswert -beiseitegeschoben. Sabine war ein -Jahr lang oder zwei höchst unpopulär. Dennoch -war sie Gegenstand der Gespräche in Gasse -und Kemenate: denn männiglich wartete auf -den Augenblick, wo die lästerlich schöne Fremde -zu Fall kommen würde, und sieben- bis achthundert -Paar Nächstenaugen paßten haßgeschärft -auf die Vorzeichen eines solchen Falles. -Aber sie paßten umsonst. Klar wie ein Wiesenbach -floß Sabinens schlichtes Leben dahin. -Stets an der Seite ihres Gatten, immer im -Kreise ihrer Kinder, sah man sie laute Vergnügungen -meiden und keinen anderen Umgang -pflegen, als den so tugendhafter Frauen, -wie nur kleine Städte sie aufweisen können. -Die Huldigungen der Männer wies sie lächelnd, -aber nachdrucksvoll in solche Grenzen, daß auch -<a class="pagenum" id="page_083" title="83"> </a> -die bitterste Eifersucht ihr keinen Vorwurf allzuschneller -Geneigtheit machen konnte. Erregte -sie Aufmerksamkeit durch Gewandung und Erscheinung, -so schien es doch, als beabsichtige -sie nur, diese Aufmerksamkeit, einmal gefesselt, -auf ihr musterhaftes Betragen zu ziehen: man -sollte sie sehen, um zu sehen, daß es nichts zu -sehen gäbe. Keine kokette Gebärde, kein noch -so leises Augenspiel war ihr nachzusagen. Dazu -war ihr Haushalt tadellos geführt mit geringen -Mitteln; ihre Kinder blühten. Gegen Arme -war sie äußerst freigebig, sonst jedoch sparsam, -wenn auch stets auf vornehmes Auftreten bedacht. -Und kurz und gut: Sabine Ricchiari -erwies sich als ein solcher Ausbund trefflicher -weiblicher Eigenschaften, daß langsam die neidischen -Gemüter ihrer Mitbürger und Mitbürgerinnen -sich wandten, zur Duldung erst, -dann zur Achtung, schließlich aber zu grenzenloser -und unbedingter Bewunderung. Im -dritten Jahre ihres Aufenthaltes war Sabine -der Liebling unseres Städtchens, wie sie in -ihrer Heimat der Stolz des Kreises gewesen -war, in welchem sie sich bewegt hatte. Man -sprach von ihrer Tugend als von etwas Heiligem, -von ihrer Treue gegen den wenig bestechenden -<a class="pagenum" id="page_084" title="84"> </a> -und meist mürrischen Gatten als -von einem Wunder. Um diese Zeit geschah -es nun, daß eine zufällige Gesprächswendung -mich darauf führte, Sabinen in Gegenwart -ihres Gatten von dieser verblüffenden Wandlung -der öffentlichen Meinung zu reden und -ein kleines und – wie ich glaubte – wohlverdientes -Kompliment daran zu knüpfen. Alsobald -erschrak ich jedoch über die Miene des Doktors, -die sich noch mehr als gewöhnlich verfinsterte. -Von ihm hinweg zu Sabinen mich wendend, -erstaunte ich noch mehr über den Ausdruck -höchsten Triumphes in ihren Zügen. Mitten -im Zimmer stehend, von der Lampe über ihrem -Haupte in einen Mantel von Licht gehüllt, -strahlte ihr hochgehobenes Antlitz wie das einer -Fürstin, der man eben eine Krone zu Füßen -gelegt hätte. Arglos wie ich war, verwunderte -ich mich nur darüber, daß eine so kluge Frau -so hohen Wert auf das Urteil der Menge legen -mochte, denn offenbar war sie über die Maßen -geschmeichelt und erfreut. Indes mochte ich -ihr diese Schwäche wohl verzeihen; mußte aber, -sechs oder acht Jahre später, mit Schmerz an -diese stumme Szene denken, deren Bedeutung -ich im Augenblicke nur halb verstanden hatte.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_085" title="85"> </a> -Es sei hier nun gleich betont, daß ich kein -so unbedingter Bewunderer der tugendhaften -Sabine Ricchiari war, wie der Chor der Basen -und Nachbarinnen; wie ich denn auch anfangs -kein Verdammer ihrer Anmut gewesen war. -Ich hatte zwar – leider hatten mich schlimme -Erfahrungen dazu berechtigt – die auffallende -Ungleichheit zwischen Mann und Frau nicht -ohne Unruhe sehen können. Denn war auch -der Doktor tüchtig in seiner Kunst, pflichttreu, -redlich und von beherrschtem, würdigem Wesen, -so habe ich es doch nie erlebt, daß Frauen vor -solchen Eigenschaften sonderlichen Respekt -haben; und die, denen ein Weib gerne erliegt, -besaß Ricchiari nicht. Aber ich hatte doch das -gesetzte Wesen der Frau erkannt, das leidenschaftliche -Verirrungen ausschloß. Dieselbe -Eigenschaft der Sabine aber, die mich ihr zu -Anfang nichts Schlechtes zutrauen ließ, hinderte -mich nun daran, ihr nur Gutes zuzutrauen: -denn ganz ohne Zweifel war Sabine -eine kalte Natur, und ihre Vortrefflichkeit baute -sich mehr auf Überlegung als auf irgendwelche -Herzenseigenschaften. Und wenn ich nun auch -um so mehr eine mit Ausdauer geübte Willensbeherrschung -in dieser Frau bewundern mußte, -<a class="pagenum" id="page_086" title="86"> </a> -so konnte mir doch diese ganze starr festgehaltene -Unfehlbarkeit im Grunde nicht recht gefallen. -Man wird mir zugeben, daß wir Männer in -diesem Punkte unlogisch sind; aber ich wette, -man wird mir nachfühlen: lieben wir es schon, -daß Frauen, die wir verehren sollen, rein und -stark in ihrer Tugend seien, so lieben wir es doch -auch, sie gegebenenfalls einer Schwäche mindestens -<em class="ge">fähig</em> zu wissen. Und eben diese -Fähigkeit schien Sabinen zu fehlen. Ich hatte -Gelegenheit, sie ziemlich genau zu beobachten; -war ich doch, dank meines Priesteramtes und -dank der – Korrektheit, die Sabinens Verkehrswahl -bedingte, ein vertrauter Gast im -Hause des Doktors. Und daß ich es nur gleich -sage: nie habe ich Sabinen gereizt, nie eigensinnig, -nie vergnügungssüchtig, nie begehrlich -nach Tand oder Schmuck gesehen; aber auch -nie in weicher Stimmung, nie in Tränen, nie -in überschwenglicher, voller, jugendlicher Freude. -Ihr ganzes Wesen stellte eine bis zum -äußersten geglättete Fläche dar; aber, wenn ich -das Bild vollenden darf: nicht Marmor, der -unter dem Schliff das köstliche Geäder, sein -inneres Leben, erst recht schön entfaltet, sondern -irgendeinen Kunstguß von Metall, der nur -<a class="pagenum" id="page_087" title="87"> </a> -glänzt und seine reinliche Außenseite in Wind -und Wetter blank erhält; sonst aber nichts von -eigener, in seiner <em class="ge">Struktur</em> begründeter -Schönheit besitzt. Um Schillers hohe Forderung -gegen diesen seltsamen Frauencharakter auszuspielen: -Sabine Ricchiari war eine Natur, -die eben unausgesetzt nötig hatte, »<em class="ge">edel zu -wollen</em>«, weil sie ganz und gar nicht imstande -war, »<em class="ge">schön zu empfinden</em>«. Freilich -hatte sie es in der Anwendung dieses -Wollens zu unerhörter Fertigkeit gebracht – -das sollte mir später noch klar werden.</p> - -<p>Die Eindrücke, die dies mein Urteil über -Sabine Ricchiari begründen, lagen zu der Zeit, -von der ich spreche, natürlich gleichsam schlummernd -in mir; ich hätte damals nicht vermocht, -sie zu irgendeinem Ausdrucke zu gestalten, ja, -ich gab mir kaum Rechenschaft darüber. Ich -war mir nur eines leicht abweisenden Gefühles -gegen die vielbewunderte Dame bewußt, welches -sich gerade dann regte, wenn ich sie in -schwieriger Lage mit beängstigender Sicherheit -das einzig Richtige und Wohlanständige treffen -sah, das es für sie zu tun gab. So geschah es -zum Beispiel öfters, daß der Doktor in einer -Anwandlung von Laune, wie sie auch bei trefflichen -<a class="pagenum" id="page_088" title="88"> </a> -Männern wohl vorkommen mag, seine -Frau vor Zeugen hart anließ; dann benahm -Sabine sich mit solch einzigem Anstande, daß -man ihr Bewunderung nicht versagen konnte. -Dennoch schien mir, als täte sie es ohne Anstrengung, -als erlitte sie die Kränkung von -einem Fremden, dessen Meinung ihr nichts galt, -oder als eifere ein Machtloser gegen sie, der -sie in ihrer Hoheit nicht verletzen konnte. Ich, -der ich den Doktor liebte, empfand für ihn die -Geringschätzung, die in dieser Sachlichkeit lag, -womit Sabine seinen Schwächen gegenübertrat; -und wohler wäre mir um seinetwillen gewesen, -hätte sie sich bei solchen Gelegenheiten manchmal -kindisch, trotzig, erregbar gezeigt. Ebenso -erging es mir, als Ricchiari einmal bedenklich -erkrankte: Sabine pflegte ihn mit beispielloser -Pflichttreue und Geduld. Aber ihr Aussehen -veränderte sich bei dem schwierigen Krankendienste -nicht, ich sah sie nicht verhärmt, als -er dem Tode nahe schien, sah sie nicht in jubelnder -Seligkeit aufblühen, als die Rettung gewiß -war. In ähnlicher unentwegter Fassung -stand sie auch ihren Kindern gegenüber, ihren -kleinen Unarten, ihren allerdings unbedeutenden -Krankheiten. Und ich kam mir damals oft -<a class="pagenum" id="page_089" title="89"> </a> -selbst töricht und sogar böse vor, weil eben diese -Gleichmäßigkeit ihres Wesens mir nicht recht -zusagen wollte, während doch jedermann sonst -sie darum bewunderte und verherrlichte. Aber -ich kam nicht gegen mein Empfinden auf.</p> - -<p>Als Sabine eine mehr als zehnjährige Ehe -hinter sich hatte – sie stand nun in der Mitte -der Dreißig, trat ein Ereignis ein, welches mir -Gelegenheit gab, Sabinens Wesen und Entwicklung -aus ihrem eigenen Munde kennen -zu lernen, zugleich auch mein dunkles Gefühl -zum klaren Verständnis ihrer Art auszubilden. -Das Ereignis war ein solches, das die ganze -Stadt, Beteiligte und Unbeteiligte, heftig erschütterte -und selbst in den seichtesten Seelen -eine Ahnung weckte von der Sturmgewalt der -Elemente, die in Tiefen toben können. Einer -der jungen Rechtsgelehrten, die dem in unserem -Städtchen tagenden Gerichtshofe beigegeben -waren, ein Sohn guter Eltern, aus begüterten -Kreisen stammend, aus einer größeren Stadt -zugezogen – ein Jüngling von äußerst einnehmendem -und freundlichem Wesen, der sich -großer Beliebtheit unter den besten Menschen -des Landes erfreute: wurde eines Morgens -mit durchschossener Schläfe tot in seinem Bette -<a class="pagenum" id="page_090" title="90"> </a> -gefunden. Ein hinterlassener Zettel kündigte -Selbstmord aus verschmähter Liebe an, aber -in so rührender Art, so schlicht zum Herzen -sprechenden Ausdrücken, daß auch der böseste -Skeptiker nicht zu lächeln gewagt hätte. Der -Name des Weibes, das den armen Knaben in -den Tod getrieben, war begreiflicherweise nicht -genannt; aber der Instinkt der Menge, der in -solchen Dingen fast immer richtig geht, bezeichnete -Sabine Ricchiari als die Urheberin der -Tat. So wie der Vorfall sich darstellte, schien -diese Annahme allerdings glaublich: Sabine -war in der Tat reizbegabt genug, um eine verheerende -und alle Fesseln sprengende Leidenschaft -zu entflammen; kein Mann wäre zu -verdammen gewesen, der für dieses Götterbild -das Letzte gewagt hätte; und andererseits -machte Sabinens anerkannte Tugend jeden -Wunsch von vornherein zu einem hoffnungslosen. -Das war die Erläuterung, die die öffentliche -Meinung gab: entgegen ihrer sonstigen -Gewohnheit schienen alle Lästerzungen geneigt, -die edelsten Beweggründe auf beiden Seiten -anzunehmen. Fama drapierte sich romantisch. -Und wenn etwas imstande war, Sabine -Ricchiaris Ansehen und Beliebtheit in der -<a class="pagenum" id="page_091" title="91"> </a> -Stadt noch zu steigern, so war es dieser Vorfall, -die letzten Worte eines Todbereiten, die -ihre ehrenfeste Unbesiegbarkeit mit solch tragischem -Nachdruck verkündeten.</p> - -<p>Die öffentliche Meinung sieht meistens richtig, -aber niemals tief; Tatsachen bleiben ihr -selten verborgen, Beweggründe immer: das -Ereignis war genau so vor sich gegangen, wie -der Stadtklatsch annahm – und doch, wie -anders! wie furchtbar anders! –</p> - -<p>Man hatte die Verwandten des Jünglings -von dem Selbstmorde benachrichtigt, doch gab -es keine Möglichkeit ihres Eintreffens vor dem -späten Nachmittage. Weil ich das verblendete -Kind lieb gehabt hatte und weil mir das Herz -blutete um sein Schicksal, so übernahm ich es, -bei ihm zu bleiben und seinen letzten Schlummer -zu hüten, bis das Gebet seiner Mutter -das meinige ablösen würde. Ich ließ den Leichnam -auf reinem Bette aufbahren, setzte mich -neben ihn und blickte unverwandt in das sanfte, -stille Gesicht, als könne es mir noch Antwort -geben auf die bittere Frage, die mich, der ich -weniger hurtig schloß als die Menge, unablässig -quälte: »Wie hat es so weit kommen -können?« Ich hatte den Jüngling als einen -<a class="pagenum" id="page_092" title="92"> </a> -stäten und tüchtigen gekannt, ohne Überspanntheit -und ohne Pose. Was hatte er leiden -müssen, was erkennen, bis er diesen letzten -Verzweiflungsschritt unternommen hatte? In -mir zitterte alles vor Mitleid und Schmerz, -ich fühlte die Tränen über meine Wangen -rinnen, und mehr als einmal beugte ich mich -über den Toten und küßte seinen kalten Mund -in einer traurigen Hoffnung, es möchte die -Seele, die diesem Leib entflohen, noch irgendwo -in der Nähe weilen, mein Leid und meine -Liebe mit ansehen und als Trost empfinden. -Da geschah es, daß ich plötzlich, den Kopf von -meiner schmerzlichen Liebkosung erhebend, Sabine -Ricchiari im Zimmer stehen sah. Sie -war geräuschlos eingetreten und zwischen dem -Bette und dem Fenster stehen geblieben, so -daß sich nur ihr großer schwarzer Schattenriß -in unheimlicher Starrheit vor mir erhob. Ich -fuhr auf mit einer Regung des Hasses gegen -sie; denn mein Gefühl, das nie unbedingt zu -ihren Gunsten gesprochen hatte, schrie in diesem -Augenblicke blindlings, jede Reflexion -niederdonnernd, ein »Schuldig!« über sie. -Meine Augen mußten deutlich sprechen, was -ich empfand, denn sie trat einen Schritt zurück -<a class="pagenum" id="page_093" title="93"> </a> -und senkte das Haupt langsam tiefer und tiefer. -Dann hörte ich, daß sie weinte; und weil mich -das bei ihr, die ich keiner redlichen Träne für -fähig gehalten, überraschte und ergriff, wie es -mich noch bei keiner Frau ergriffen hat, so -fühlte ich schnell meine Stimmung gegen sie -sich erweichen und näherte mich ihr, um ihr -die Hand zu reichen. Dabei sah ich ihr Gesicht -– und jetzt umschloß mein Mitleid sie ganz! -Sie aber ergriff meine Hand nicht, sondern -meine versöhnliche Geste für ein Zeichen der -Verzeihung nehmend, das ihr freien Zutritt -zu dem Toten gewährte, eilte sie an mir vorüber -nach dem Bette, über welches sie sich mit -dem ganzen Leibe warf, ihre Lippen auf die -des Verblichenen pressend und mit den Armen -seine Schultern und seinen Kopf umklammernd. -Es lag eine Heftigkeit der Leidenschaft in dieser -Bewegung, die grauenhaft gewirkt hätte einem -Lebenden gegenüber; an dieser fühllosen Masse, -die schlaff und kalt in ihrer Umarmung hing, -stellte sich der Anblick ihrer Raserei geradezu -haarsträubend dar. Besonders entsetzlich war -die Art, wie der bleiche Kopf, den sie wiederholt -emporriß, immer wieder über ihren Arm -zurück und zur Seite sank, als wolle er sich -<a class="pagenum" id="page_094" title="94"> </a> -den allzuspäten Liebkosungen jetzt verachtungsvoll -abwehrend entziehen; so schien es Sabine -auch zu nehmen, denn ihre Gesten wurden -wilder, ihr Weinen lauter bei jeder derartigen -Bewegung. Ich stand sprachlos dabei, fühlte -Schauer um Schauer über meinen Rücken -rinnen und vermochte nicht, dem Tun der Frau -zu wehren. Sie aber, nachdem sie das Gesicht -des Toten und seine Brust mit solchen Küssen -bedeckt hatte, und unter solchen Ausrufen und -Seufzern, wie die Verzweiflung fruchtloser -Reue sie lehrt, erhob sich endlich rasch und -wollte aus dem Zimmer huschen, wie sie hereingekommen -war. Da ereilte ich sie an der -Tür und verstellte ihr den Ausgang, denn ich -dachte nicht anders, als daß auch sie jetzt in -den Tod zu rennen beabsichtige. Sie kehrte -um, setzte sich auf den nächsten Stuhl und -suchte augenscheinlich in schwerem Kampfe ihre -Selbstbeherrschung wiederzugewinnen. Ich erinnere -mich nicht, ob ich ihr zugesprochen habe; -mit meinem Herzen tat ich es gewiß, aber in -mir schrien so viele Stimmen durcheinander, -daß ich nicht weiß, ob ich wirklich zu Worte -gelangt bin oder ob ich die Laute nur geträumt -habe, die meine bebenden Lippen zu formen -<a class="pagenum" id="page_095" title="95"> </a> -suchten. Immerhin beruhigte die entrückte Frau -sich endlich und kehrte zur Wirklichkeit zurück; -ihre Augen begegneten wieder und hafteten -diesmal an den meinen, in denen sie wohl das -heißeste Erbarmen lesen mußte. Dann setzte -sie sich neben das Bett, das sie nun mit einem -rührenden Ausdrucke mütterlicher Geschäftigkeit -in Ordnung brachte, und schließlich begann -sie in schauerlich ruhigem Tone den Hergang -der Sache zu erzählen.</p> - - -<h3>2.</h3> - -<p>Sabine war ein Kind von unvergleichlicher -Anmut gewesen, und da war es denn nur zu -begreiflich, daß sie in Aller Mienen der Wirkung -ihrer eigenen Zauberhaftigkeit nachspürte -und es zur Aufgabe ihres kleinen Lebens -machte, diese Wirkung nach Möglichkeit zu -verstärken. Dabei experimentierte sie förmlich -mit der Tragfähigkeit dieses Magnets: denn -sie trug Farben und Gewandformen, die an -anderen Mädchen gewagt erschienen wären, und -triumphierte innerlich, wenn ihre Schönheit das -Unmöglichste und Heterogenste zu einem gefälligen -Eindrucke verband. Auch gelang es -ihr öfters, selbst die Mode zu beeinflussen, -<a class="pagenum" id="page_096" title="96"> </a> -indem sie durch die Macht ihrer Erscheinung -die Augen ihrer Geschlechtsgenossinnen blendete, -so daß jene das Kleid von der Trägerin -nicht mehr zu unterscheiden vermochten und -sich für schön hielten, wenn sie trugen, was an -Sabine Ricchiari schön erschien So sicher aber -diese ihrer äußeren Vorzüge war und so viel -sie darauf wagen konnte, so genügte ihr dies -doch keineswegs; sie hätte nun auch gerne -durch Gaben des Geistes und der Seele allen -anderen Frauen den Rang abgelaufen und -empfand es höchst schmerzlich, daß ihr hervorragende -Talente versagt waren, die ihren Namen -durch die Lande trügen. Deshalb aber -nicht eingeschüchtert, warf sich Sabine auf das -»Fach«, in welchem Lukretia und andere hohe -Frauen der Geschichte sich mit Glück betätigt -hatten: auf die Tugend. Und sie faßte diesen -Begriff in seinem weitesten Sinne.</p> - -<p>Als Kind hatte Sabine Ricchiari nicht gerne -gelernt. Da sie heranwuchs, beobachtete sie, -daß jedermann einen gewissen Grad von Albernheit -und Denkfaulheit als Vorrecht ausnehmend -schöner Personen für zulässig zu halten -schien Das erbitterte sie sofort aufs höchste -als eine Beleidigung, die ihr mehr galt als -<a class="pagenum" id="page_097" title="97"> </a> -tausend anderen, minder reizenden Frauen. -Und hier sprang nun der gefährliche Zug ihres -Wesens mit einer ganz wohltuenden Wirkung -ein: denn, beharrlich und energisch, wo es -ihrer Eitelkeit galt, zwang Sabine ihren flattersüchtigen -jungen Geist in eine Zucht, die alle -Welt in Erstaunen setzte. Bald erlebte sie -die Freude, daß man laut und leise ihren Fleiß -und ihr ernsthaftes Streben noch höher als -ihre Anmut pries, und ehe sie achtzehn Jahre -alt war, konnte sie schon mit vollem Rechte -das kühne Wort sprechen: »Müssen denn alle -tüchtigen Frauen häßlich sein und nur häßliche -tüchtig? Ich denke zu beweisen, daß man körperliche -und geistige Bildung vereinigen kann!« -Dabei fiel ihr das Studium vieler Wissenszweige -durchaus nicht leicht, und nur der maßlose -Ehrgeiz, ein Frauenbild von nie dagewesener -Vollkommenheit darzustellen, hielt sie -in Stunden tiefer geistiger Erschöpfung aufrecht. -Bei solchen Beschäftigungen mußte sich ihr notgedrungen -die Zeit kürzen, die andre junge -Mädchen ihres Kreises auf Tanz und Flirt -verwendeten; jedoch empfand Sabine dies -durchaus nicht als Verlust, da ihr Siege auf -diesem Felde allzu sicher waren, und wenn sie -<a class="pagenum" id="page_098" title="98"> </a> -sich unter die Spiele der Geselligen mischte, -so war's nur, um durch verspätetes Erscheinen -und frühen Abgang die Leute zu erinnern, daß -sie Besseres zu tun hatte. So albern nun dies -Tun an sich erscheinen mag, so trug es doch -für Sabine bessere Früchte, als sie eigentlich -verdient hätte. Denn darin ist die Wissenschaft, -die Göttin, dem sterblichen Weibe gleich, -daß sie ihre Bewerber nicht leicht auf die Redlichkeit -ihrer Gesinnung prüft und auch den -mit Segenshänden beschenkt, der nur mit ihr -tändelt. Was Sabine Gutes, Klares, Großzügiges -in ihrem Charakter hatte, war ihr als -unverdiente und ungewollte Beute aus der -Zeit dieser Raubzüge in das reine Land des -Gedankens geblieben.</p> - -<p>Aber nun kam Sabine in das Alter, wo die -höchsten Lebensfragen an ein Weib herantreten, -und leider machte sich auch hier wieder die -Sucht, das Ungewöhnlichste, das völlig Unerwartete -zu tun, zu ihrem Schaden geltend. -Sie war – schön, gebildet und überaus sittsam, -wie sie sich stets gezeigt hatte – von zahlreichen -Bewerbern umschwärmt und hätte unter den -Männern ihres Kreises den Besten und Begehrtesten -zu ihren Füßen sehen können. Aber -<a class="pagenum" id="page_099" title="99"> </a> -Sabine bildete ihr Urteil über Männer nach -eigener Art. Die naive Siegessicherheit, mit -welcher heutzutage ein Mann, der seinen Wert -kennt, ein Weib zu nehmen pflegt, erbitterte -und beleidigte sie, die sich selbst als etwas -Einziges und Unvergleichliches geschätzt zu -sehen wünschte, nicht wenig. Sabine wollte -Werber im Minnesängerstil. Dafür war sie -auf der anderen Seite höchst anspruchslos, denn -kein äußerer Vorzug des Mannes sollte ihre -Wahl bestimmen; freie, reine Neigung beider -Herzen allein sollte den Ausschlag geben und -– Bedingung <i>sine qua non!</i> – das <em class="ge">Publikum</em> -vor allem sollte von dieser reinen Neigung -überzeugt sein. So, damit auch ja nicht der -leiseste Vorwurf einer Bestechlichkeit erhoben -werden konnte, wandte das törichte Fräulein -sich sofort und demonstrativ von allen glänzenden, -angesehenen und vielbegehrten Männern -hinweg und solchen zu, die von Frauen übel -behandelt, von Kritikern verkannt, von Vorgesetzten -übersehen und von rassestolzen Aristokraten -geächtet wurden. Und man konnte hinfort -auf allen Festen das sonderbare Schauspiel -genießen, das schönste Mädchen der Stadt -mit einem Gefolge zweifelhafter Gestalten einherwandeln -<a class="pagenum" id="page_100" title="100"> </a> -zu sehen, an denen sie eifrig und -ernsthaft ein Werk der Veredlung zu betreiben -suchte, das indes sehr selten mit einem Gelingen -lohnte. Denn Männer pflegen es sehr -übel aufzunehmen, wenn ein Weib sie »zu -sich emporziehen« will – und ich weiß nicht, -ob ich ihnen darin nicht recht geben muß.</p> - -<p>Es konnte nicht fehlen, daß Sabine in diesem -Umgange ein paar schlimme Erfahrungen -machte, die ihr indes glücklicherweise nicht so -zum Verderben ausfielen, wie es wohl hätte -sein können. So befand sich unter den Unbegehrten, -die sie zu beschenken glaubte, ein -junger Naturforscher von beträchtlicher Häßlichkeit, -deren Wirkung noch verstärkt wurde durch -den Hochmut, mit welchem der Mann alle gefälligen -Formen in Rede, Kleidung und Auftreten -verschmähte. Er war aus Arbeiterkreisen -hervorgegangen, recht im vollsten Sinne des -Wortes ein geistiger Selfmademan, und allerdings -sehr bedeutend in seinem Fache. Aber -er setzte einen törichten Stolz darein, das Plebejertum, -dem er angehört hatte, auf drastische -Weise darzulegen, und scheuchte feinfühlige -Frauen von sich durch die Derbheit seiner Ausdrucksweise -sowohl wie durch die Gehässigkeit, -<a class="pagenum" id="page_101" title="101"> </a> -die er denen gegenüber zur Schau trug, die sich -feinerer Sitten befleißigten. Auf ihn konnte -mit Recht das drollige Wort angewendet werden, -er habe »zwei Rücken«; denn bei Gastmählern, -zu denen er freilich selten genug gebeten wurde, -brachte er es fertig, seinen <em class="ge">beiden</em> Nachbarinnen -<em class="ge">zugleich</em> den Rücken zu kehren – -und das schlimmste war: sie zogen sein unartiges -Schweigen seiner Konversation vor. -Das war ein Objekt für Sabine! Mit dem -raschen Schlußvermögen, das sie auszeichnete, -stellte sie fest, daß eben diese Gehässigkeit gegen -alles Glatte und Vornehme einem tiefen Bewußtsein -eigener gesellschaftlicher Unzulänglichkeit -entsprungen sei, und daß der rauhe Mann -nur deshalb nicht manierlich sein <em class="ge">wollte</em>, -weil er klar empfand, daß er es nicht sein -<em class="ge">konnte</em>. Sie sagte sich, daß er wußte – und -wahrlich nicht zu seinem Behagen wußte –, -an ihm müsse Kultur zur Karikatur werden. -Deshalb hegte sie Mitleid für ihn und beschloß, -die erste zu sein, die seinem hervorragenden -Verstande und seiner wissenschaftlichen -Tüchtigkeit volle Ehre antat, ohne sich -durch seine ungeschlachte Art und böse Sitten -beirren zu lassen. Und sie erwählte ihn förmlich -<a class="pagenum" id="page_102" title="102"> </a> -und feierlich zu ihrem Höflinge und war holdseliger -zu ihm, als ihr dabei eigentlich ums -Herz war; denn sie mußte sich alle mögliche -Gewalt antun, um den Widerwillen zu überwinden, -den seine physische Erscheinung, seine -zynische Rede und häufige lästerliche Flüche -ihr einflößten.</p> - -<p>Aber Sabine kam übel an mit ihren Beglückungsversuchen. -Denn sie mußte einsehen, -daß der erwählte Mann selbst nicht nur keine -sonderliche Dankbarkeit gegen sie empfand, sondern -daß er die Bevorzugung, die ihm widerfuhr, -auf eine sehr kränkende Weise deutete. -Daß seine Häßlichkeit, über welche er sich keiner -Täuschung hingab, ein so holdes und vielbegehrtes -Wesen wie Sabine anzog, erschien -ihm durchaus nicht als ein Wunder der Liebe, -die ihren Gegenstand nach seinem seelischen -Gehalte schätzt – denn so hätte Sabine es -gerne gedeutet wissen wollen; vielmehr erklärte -er sich in seiner materialistischen Weltanschauung -dies Wunder einfach aus einem perversen -Reiz, den Scheusale von Männern auf Frauen -auszuüben verstehen, und er schämte sich nicht, -dies in wenig verschleierten Worten anzudeuten, -wobei er mit Vorliebe das Beispiel -<a class="pagenum" id="page_103" title="103"> </a> -des großen Sinnenbetörers Mirabeau zitierte. -Daß Sabine seine durchaus nicht gewählte Unterhaltung -ertrug, schrieb er demselben krankhaften -Gefallen am Allzunatürlichen zu, denn -er gab sich nie Mühe, in den Mienen anderer -zu lesen, und übersah deshalb den Kampf, -mit welchem das wunderliche Fräulein diese -härteste Probe ihrer Gesinnungstreue zu bestehen -suchte. Daß sie endlich vor aller Welt -seine Partei hielt, schien ihm selbstverständlich, -denn er wußte, daß er für eine wissenschaftliche -Größe galt und daß eine Frau an seiner Seite -einer großen Zukunft entgegenging. Und er -sprach auch dies aus und verfehlte nicht, Sabine -aufmerksam zu machen, daß sie trotz ihrer -Schönheit und höheren Geburt bei einer Verbindung -mit ihm der <em class="ge">gewinnende</em> Teil -wäre. Es dauerte eine ganze Weile, bis Sabine -diese seine Auffassung von der Sache -ganz begriffen hatte, denn sie hatte sich in der -Rolle der Gebenden und Herablassenden zu -wohl gefallen, um leicht einer so demütigenden -Erkenntnis zugänglich zu sein. Aber der merkwürdige -Galan, der seinerseits durchaus nicht -geneigt war, den Empfangenden, den Beschenkten -zu spielen, versuchte endlich, ihre Liebe, -<a class="pagenum" id="page_104" title="104"> </a> -die er für höchst leidenschaftlich hielt, durch -bewußte Bosheiten auf die Probe zu stellen, -bald ohne Anlaß fernbleibend, bald auch vor -Zeugen ein hämisches und tyrannisches Wesen -gegen sie zur Schau tragend. Ihre Ratlosigkeit -und Verblüfftheit solchen Roheiten gegenüber -hielt er für Schmerz, und die wirklich bewunderungswürdige -Geduld, mit welcher sie verzieh, -was sie einem Mangel an Besserwissen -zuschrieb, deutete er als Verliebtheit, die, selbst -getreten, nicht von ihm lassen konnte. Endlich -kam aber doch der Tag der Abrechnung, und -es erfolgte nun die allerwunderlichste Auseinandersetzung, -die je zwischen Liebesleuten -stattgefunden. Jeder der beiden Toren war -sehr verdutzt, sich von dem anderen nicht heißer -geliebt zu sehen, jeder rechnete dem anderen -sein Gewinnen oder Verlieren mit allerliebster -Offenheit vor. Bei dieser Abschiedsszene zeigte -sich schließlich der Mann noch als der Charaktervollere -von beiden, denn er war der erste, -welcher der Frau mit ihrem unerbetenen Mitleiden -den Laufpaß gab, indem er erklärte, -daß ihm ein Schankmädchen, das zu ihm aufsähe, -liebenswerter erscheine als eine Königin, -die sich »herablasse«. Sabine zog sich gekränkt -<a class="pagenum" id="page_105" title="105"> </a> -zurück und gewann aus der bösen Erfahrung -wenigstens die Lehre, daß Mitleid vom Weibe -zum Manne vorsichtig in leisen Schuhen wandeln -muß, soll nicht sein Tritt die jungen -Liebespflänzlein zermalmen. Eine Weile war -sie traurig und enttäuscht. Bald aber löste -eine neue, noch sonderbarere Wahl die Mißstimmung -jenes ersten Erlebnisses. Auch dieser -zweite Mann war das Gegenteil von einem -Adonis und nichts weniger als ein Gesellschaftslöwe. -Wäre er beides gewesen, so hätte -er ja für Sabine keinen Reiz gehabt, denn dann -wäre es keine Kunst gewesen, ihn zu lieben; -und Sabine wollte, wie gesagt, auch hierin -etwas völlig Neues leisten. Was ihre Neigung -in diesem besonderen Falle bestimmte, war -hauptsächlich die bittere Armut, in welcher der -Betreffende lebte, der seines Zeichens ein unbedeutender -Musikus am Theaterorchester der -Stadt war, in welcher das seltsam wählerische -Fräulein damals lebte. Sabine hatte durch -Hausgenossen des Fiedlers von seinem Elende -vernommen, hatte ihn unterstützen lassen und -suchte nun seine persönliche Bekanntschaft zu -machen. Sie verhalf ihm zu Unterrichtsstunden -in besseren Häusern und eröffnete damit zugleich -<a class="pagenum" id="page_106" title="106"> </a> -ihm und sich selbst einen Weg, auf welchem -sie sich häufig genug ohne Anstände begegnen -konnten. Dabei geschah nun, was geschehen -mußte. Hatte der Mann schon vorher -gewußt, daß er ihrem Mitleid viel verdankte, -so warfen ihre strahlende Erscheinung, ihr berückendes -Lächeln und die freundlichen Worte, -die sie an ihn richtete, ihn nun ohne weiteres -in eine maßlose Leidenschaft, die er auch durchaus -nicht zu verbergen strebte. Dabei war er -klug genug, weder seinen persönlichen Vorzügen -noch seiner musikalischen Begabung das -Verdienst dieser Eroberung beizulegen, denn -er wußte genau, daß er von letzterer nicht viel -mehr besaß als von ersteren. Aber er empfand -doch künstlerisch-naiv gerade soviel als es -brauchte, um an eine ideale Liebe zu glauben, -die wahllos trifft und sich mit gleich selbstloser -Erwiderung reichlich gelohnt fühlt. Eine solche -Liebe legte er in Sabine hinein; und er selbst -stattete seinen Dank für das unverdiente Gnadengeschenk -in einer Anbetung ab, an der sich -Diana hätte genügen lassen können, und die -unsere kühle Heldin selbst höchlichst befriedigte, -weil sie endlich zur Erfüllung brachte, was -lang geträumt und gewünscht war. Denn nun -<a class="pagenum" id="page_107" title="107"> </a> -genoß Sabine die Genugtuung, daß die Romantik -dieses Verhältnisses von alt und jung -gebührend geschätzt wurde, und wandelte einher, -von Mondschein und blauen Blumen -gleichsam auf Schritt und Tritt umsponnen, -wie ein mittelalterliches Burgfräulein, das sich -einem fahrenden Sänger neigt. Sie redete -viel, um zu beweisen, daß echtes Gefühl auch -in unseren nüchternen und bösen Zeiten noch -nicht ganz vom Erdenrund geflohen sei, und -glaubte ganz ernsthaft, die schöne Neigung, die -sie darstellte, wirklich selbst zu empfinden. Allerdings -glaubte das auch jedermann sonst; und -selbst die losesten Zungen fanden keinen schlimmeren -Anlaß zu sticheln als den, daß man Sabine -hinfort auch im Getöse einer Wagneroper -in der ersten Reihe des Parkettes sitzen sah, -wo sie dem Bombardement wahnsinniger Pauken- -und Trompetenstöße heldenhaft standhielt, -nur um Aug' in Auge mit ihrem Geigerlein -und in seiner möglichsten Nähe den Abend zu -verbringen. Dem Widerstand ihrer Verwandten -gegen diese sehr unerwünschte Verbindung setzte -sie eine siegreiche Beredsamkeit entgegen, die -alle Bedenken entwaffnete und die Zweifler -beschämte. Die Entdeckung, daß ihr neuer Liebhaber -<a class="pagenum" id="page_108" title="108"> </a> -einige Male ziemlich betrunken im Orchester -erschien und daß er Ring und Kette, -die sie ihm gegeben, gelegentlich versetzte, ernüchterte -sie zwar ein wenig, entmutigte sie -aber keineswegs. Sie löste geduldig ihre Liebespfänder -selbst wieder aus und gab sie ihm -ohne ein Wort des Vorwurfes zurück. Die -Beschämung und Reue, die der arme Kerl bei -solchen Anlässen an den Tag legte, war echt; -aber die sittliche Festigkeit, die er neuen Versuchungen -gegenüber bewies, war die eines -Kindes; und Sabine machte hier die schmerzliche -Schule durch, die Künstlerliebchen und --frauen selten erspart bleibt: sie mußte sehen, -daß ein Mann alles Göttliche und Hohe in -seinem Busen bewegen und doch vor einem -Glase Wein zum Tiere werden kann. Aber -Sabine hatte ihre Rolle zu hoch gegriffen, um -ihr selbst vor derlei Schrecknissen untreu zu -werden. Auch als ihr Bräutigam wegen der -eingetretenen Unordentlichkeit seines Lebenswandels -aus dem Orchester entlassen wurde, -hielt sie noch fest zu ihm. Bereits aber war sie -so weit zur Vernunft gekommen, daß sie den -Argumenten ihrer Verwandten ein willigeres -Ohr lieh als zuvor; und als man ihr geschickt -<a class="pagenum" id="page_109" title="109"> </a> -vorstellte, wie gerade die Gunst, die sie dem -Musikus erwies, die unerwartete Veränderung -seiner Lage verderbenbringend geworden sei -für den Mann, der bisher in seinen dürftigen -Verhältnissen arbeitsam und brav gewesen war -– da entsagte sie, obgleich schweren Herzens -und nach langem Kampfe, auch diesem Traume. -Von ihrem Anbeter kaufte sie sich los, indem -sie mit Einwilligung ihrer Angehörigen ein -bescheidenes Kapitälchen für ihn anlegte, das -ihn vor äußerster Not bewahren, ihm aber -keinerlei Ausschreitungen ermöglichen sollte. Es -muß zur Ehre des Mannes gesagt werden, daß -er diese Abfindung erst nach langer und rasender -Gegenwehr hinnahm; denn er liebte das -schöne Mädchen, wie nur ein Musikerherz lieben -kann, und drohte sie und sich selbst zu ermorden, -ehe er sie aufgäbe. Erst die Vorstellungen -desselben klugen Verwandten, der -Sabine herumgebracht, vermochten ihn zu erschüttern; -denn sie brachten ihn zur Einsicht, -daß er die Heißgeliebte in ein trauriges Los -herunterzöge, wenn er sie an sich fesselte, ohne -durch seinen Charakter eine Gewähr für seines -Zukunft zu geben. Er trat zurück und zeigte -sich beim Abschiede so ehrenhaft und stolz, daß -<a class="pagenum" id="page_110" title="110"> </a> -Sabine fast wieder ihren Sinn zu seinen -Gunsten geändert hätte; denn es war ihr bitter, -daß er sie an Entsagungsmut übertraf, und sie -konnte sich nicht verhehlen, daß er ungleich -mehr opferte als sie, weil er ungleich leidenschaftlicher -geliebt hatte. Seine Pension griff -er erst viele Jahre später an, als er, wieder -zur Ordnung zurückgekehrt, eine passende -Lebensgefährtin gefunden hatte, mit welcher er -dann auch leidlich glücklich wurde. –</p> - -<p>Sabinens dritte Wahl fiel gleichfalls auf -einen Musiker, aber weit höheren Ranges. -Dieser Mann war städtischer Domorganist, war -ein wirklicher Künstler, war weder häßlich noch -arm, dafür aber blind. Sabine hätschelte ihr -eigenes törichtes Heldentum mehr denn je, -als sie diesem Manne nahetrat, mit welchem -sie aber glücklicherweise kein Verlöbnis einging. -Denn – um es kurz zu machen – sie mußte -bereits nach einiger Zeit zur Überzeugung kommen, -daß andere Frauen an derselben Wut -der Selbstaufopferung krankten wie sie, und -daß der blinde Mann die Äußerungen dieser -edlen Regungen, denen er sich übrigens kaum -hätte entziehen können, rückhaltlos und recht -dankbar annahm. Es gab keinen tolleren Don -<a class="pagenum" id="page_111" title="111"> </a> -Juan im Lande als ihn, und er prahlte, sein -eigener Leporello, vergnügt mit seinem Sündenregister. -Das widerte die im Grunde keusche -Sabine an, und sie zog sich zurück, ehe ein -bindendes Wort gesprochen war. So war sie -noch einmal mit heiler Haut davongekommen, -als sie dem Mann begegnete, der ihr Verhängnis -werden sollte, ihre Strafe und – nach -schweren Irrungen – ihre Rettung. Dieser -Mann war Ricchiari.</p> - - -<h3>3.</h3> - -<p>Sabine war damals vierundzwanzig Jahre -alt, und ihre Schönheit hatte den Gipfelpunkt -der Entfaltung erreicht. Sie war eine so hervorragende -Erscheinung, daß die Schar ihrer -Bewerber und Bewunderer sich trotz all ihrer -Torheiten nicht wesentlich vermindert hatte, und -sie hätte immer noch eine Ehe eingehen können, -wie sie ihrer höchst verfeinerten und verwöhnten -Natur angemessen war. Aber <em class="ge">einer</em> war -abgefallen, von dem sie wußte, daß er sie früher -gern gesehen hatte, und dieser eine beschäftigte -nun die widerspruchsvolle Dame mehr als der -ganze übrige Hofstaat. Auch Ricchiari war -<a class="pagenum" id="page_112" title="112"> </a> -kein glänzender Mann. Er war, wie bereits -erwähnt, von unansehnlicher, wiewohl durchaus -nicht unangenehmer Erscheinung, dabei -trocken und knapp in seiner Rede, schlicht in -seinem Auftreten und nicht immer liebenswürdig -in Frauengesellschaft. Als Arzt war -er mäßig beliebt und gerade genug beschäftigt, -um eine kleine Familie ohne Sorgen ernähren -zu können, aber was man so eine Zukunft nennt, -das traute ihm niemand zu. Auch war es -diesem Manne, der die Welt kannte und wußte, -nach welchen Werten ein Mensch geschätzt -wird, nie zu Sinn gekommen, um die vielbegehrte -Schöne zu werben; doch war auch er -am Ende ein Wesen von Fleisch und Blut, und -kein solches konnte Sabinens unvergleichliche -Anmut sehen, ohne sich an ihr zu entflammen. -So ging es auch dem armen Doktor, obgleich -er sich redlich Mühe gab, seine Gefühle zu -verbergen. Sabine, deren Augen auf dergleichen -Vorgänge geübt waren, bemerkte nun -wohl seine Leidenschaft; aber sie bemerkte auch -seine Zurückhaltung, und sie schätzte ihn darob; -möglicherweise würde sie ihn auch ermutigt -haben, wenn der Beginn ihrer Bekanntschaft -nicht gerade in eine Zeit gefallen wäre, wo -<a class="pagenum" id="page_113" title="113"> </a> -eines der früher erwähnten Opfer Sabinens -ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.</p> - -<p>Nun war aber auch der Doktor ein Mann -von äußerst scharfen Blicken, und er beobachtete -mit innerlicher Empörung Sabinens Verhalten. -Das komplizierte und etwas krankhafte Spiel -ihrer Seelenregungen lag ihm längst offen, -und was von guten Gefühlen in diesem wunderlichen -Gemüte vorhanden war, unterschätzte -er keineswegs. Daß Sabine im Verhältnis -zum Manne die Gebende sein wollte, lieber -als die Empfangende, das gefiel ihm sogar; -und die Beharrlichkeit, mit welcher sie alle -Folgen dieses Anspruchs auf sich nahm und -ertrug, setzte ihn in Bewunderung. Aber daß sie -im allerletzten Grunde dabei um den Beifall -der Menge buhlte, daß sie etwas sein wollte, -nur um es auch zu scheinen, das verdroß den -Doktor, der in allen Dingen gerade nach der -entgegengesetzten Seite hinstrebte und sich unbeachtet -am wohlsten fühlte. Schmerzlich geteilt -zwischen stiller, heißer Leidenschaft und -einer gewissen Verachtung lebte der Mann kein -vergnügtes Leben unter den Sonnenaugen der -begehrten Frau, und kein Wunder, daß er die -Verachtung etwas schroffer zur Schau trug, -<a class="pagenum" id="page_114" title="114"> </a> -als er eigentlich wollte, da er sie wie einen -schützenden Mantel um sein Herz und seine -Liebe ziehen mußte.</p> - -<p>Sabine bemerkte alsobald die Veränderung -in Ricchiaris Betragen, und da sie nicht ahnen -konnte, wie klar der Mann sie durchschaute, -und daß er mehr von den Vorgängen in ihrer -Seele wußte, als sie selbst, so störte seine -plötzliche Kälte sie und gab ihr zu denken. Sie -nahm sich vor, ihn zu erobern; und da er auch -sonst ihren – negativen Anforderungen genügte -und sie die <em class="ge">Illusion</em>, zu ihm herabgestiegen -zu sein, vor sich und anderen aufrechterhalten -konnte, so gab sie ihm Zeichen ihrer -Huld, die er verstehen mußte, und bot alles -auf, um ihn in ihren Bannkreis zu ziehen. Aber -mit dem Doktor ging das nicht so leicht, wie -es mit den anderen gegangen war. Je liebenswürdiger -Sabine ihm entgegenkam, desto unnahbarer -zeigte er sich und ließ sie endlich in -unzweideutiger und fast unartiger Weise fühlen, -daß er nichts von ihr wollte. Hätte Sabine -in sein Herz blicken können, so hätte sie erkennen -müssen, daß er unter dem Zustand -der Dinge fast schwerer litt als sie, denn er -konnte dem schönen Frauenbild lange nicht -<a class="pagenum" id="page_115" title="115"> </a> -so ernstlich gram sein, wie er es zu sein wünschte. -Da sie das nicht wußte, so war sie von seinem -Verhalten nur aufs tiefste gekränkt und so -unglücklich, wie ein Weltkind überhaupt sein -kann. So heftig war sie von Zorn und verletzter -Eitelkeit beherrscht, daß sie aller Weiblichkeit -vergaß und den Doktor bei erster Gelegenheit -zur Rede stellte. Es geschah dies -auf einem einsamen Wege vor der Stadt, der -durch Gärten und Gemüsepflanzungen weiter -hinaus nach einer kleinen Privatheilanstalt -führte, die Ricchiari regelmäßig besuchte. Sabine -hatte ihm aufgelauert wie ein Schulmädchen, -und sein spöttisches und abweisendes -Gesicht, als er sie erblickte, brachte schnell genug -zur Entladung, was sich an Lava, Schwefel -und Pech in ihrem Gemüte gesammelt hatte. -Es knallte ganz artig, als die erbitterte Heldin -den Mund auftat. In dieser Stunde redete -Sabine nicht eben klug und auch nicht ganz -sittsam; aber sie redete zum ersten Male, seit -er sie kannte, <em class="ge">nicht</em> mit der Absicht, ihrem -Publikum zu imponieren. Deshalb empfand -er ihren Ärger fast als etwas Wohltuendes -und vernahm ihre wirren Vorwürfe lieber, -als er je zuvor ihre wohlberechneten Sentenzen -<a class="pagenum" id="page_116" title="116"> </a> -gehört hatte. Endlich versagte ihr die Stimme, -und sie lehnte sich halb weinend, ratlos und -atemlos vor Erregung an den Gartenzaun, an -welchem sie gerade entlang wandelten. Ricchiari -blieb vor ihr stehen und betrachtete sie nachdenklich. -Sie stand, schön wie immer, vor der -hohen grünen Sträucherhecke, in deren Zweige -sie, mit rückwärts emporgreifenden Armen, die -Hände verschlungen hatte, als wolle sie sich -daran aufrechterhalten. Sonnenlicht und -Schatten der windbewegten Blätter spielten -rieselnd auf ihrem Antlitz und auf ihrem weißen -Kleide, so daß ein Schleier goldener Wellchen -die Erregung ihrer Mienen und das Zittern -ihrer Glieder verhüllte und ihre ganze Gestalt -so in wogendes Funkeln auflöste, daß sie, -aus geringer Entfernung gesehen, fast wie -etwas Überirdisches erscheinen mußte, etwa wie -eine Dryade, die sich schemenhaft leuchtend -aus dem frühlingshellen Geäste erhob. Solch -ein Naturwesen, mehr oder weniger als Mensch, -tückisch, süß und verführerisch zugleich, mußte -der geblendete Doktor in diesem Augenblicke -doch zu sehen glauben, denn er erlag dem -Zauber, und seine Wehrhaftigkeit splitterte um -ihn wie ein Panzer von Glas. Mag nun sein, -<a class="pagenum" id="page_117" title="117"> </a> -daß die Stimmung des blütenübersponnenen -Sträßleins, das weit hinaus in freundliches -grünes Land zu führen schien, der weiche Maiduft -des Himmels und Frühlingsstimmen junger -Vögel nah und fern die Wirkung des -holden Bildes verstärken halfen – kurz, der -Mann fühlte sich innig gerührt und zu jedem -Verzeihen geneigt, so daß er nähertrat und -bereitwillig Rede stand. Dabei konnte er es -sich dennoch nicht versagen, ihr seine Meinung -ordentlich klarzulegen, und so kam ein gar -wunderlicher Sermon zustande, den ich aus -mancher Andeutung Sabinens und aus später -selbst miterlebten Wiederholungen ähnlicher -Szenen wohl zu rekonstruieren vermag.</p> - -<p>»Haben Sie denn«, so etwa mochte der -Doktor schmälen, »je ein edles Gefühl um -seiner selbst willen gehegt? Haben Sie nicht -alles, was Sie taten, um der Leute willen getan? -Haben Sie nicht früh schon durch Kleidung -und Auftreten bewiesen, daß Sie Aufmerksamkeit -zu erregen wünschten? Haben Sie -nicht ein braves und anerkennenswertes Streben -der modernen Frau, das Streben nach -Bildung und Wissen, dadurch erniedrigt, daß -Sie lauen Herzens und nur deshalb an den -<a class="pagenum" id="page_118" title="118"> </a> -Altar der Athene getreten sind, weil es heute -noch für ungewöhnlich gilt? Dies alles wäre -noch zu verzeihen. Auch daß Sie Almosen -geben, weil es zum guten Ton gehört, will ich -Ihnen nicht zu hoch anrechnen, denn ihr kurzdenkenden -Frauen könnt das Unheil nicht übersehen, -das eure Wohltätigkeit <i>en décolleté</i> anrichtet. -Aber Sie haben mit dem Dinge gespielt, -das jede echte Frau als eine Offenbarung -von oben in demütigen Händen empfängt. Sie -haben mit Ihrer Liebe Parade geritten vor -klatschlustigen Basen, Sie haben Männer angezogen -und abgestoßen, um von sich reden -zu machen, und Sie haben den, der mit gläubigem -Herzen Ihnen entgegenkam, nicht minder -geäfft als die Menge Ihrer Zuschauer, um -deren Beifall es Ihnen so sehr zu tun scheint. -Denn Sie gaben ihm ein Recht, an Liebe zu -glauben, und Liebe haben Sie nie gefühlt, nur -eitle Selbstüberhebung und Hochmut, die beide -Tugenden galten, von denen Sie nur den -Schein besitzen. Wie dürfen Sie nun noch Anspruch -erheben auf eines ehrlichen Mannes -Gefühl? Ich für mein Teil mag keine Schauspielerin -zur Frau, und so innig lieb ich Ihr -schönes Bild leider im Herzen halten muß, -<a class="pagenum" id="page_119" title="119"> </a> -so wenig werde ich mich dazu hergeben, Ihren -Partner zu spielen. Denn die Rolle, die Sie -mir in Ihrer Komödie eines romantischen Ehestandes -zudenken, gefällt mir nicht – und -übrigens ist die Sache bei mir, Gott sei's geklagt! -etwas mehr als Komödie!«</p> - -<p>So gestand der Doktor seine Liebe und verschwor -sie im selben Atem, und Sabine hing -wie ein windbewegtes Blatt zwischen Himmel -und Erde, zwischen Freude und Scham, zwischen -höchstem Triumphgefühl und tiefster Erniedrigung. -Tränen, halb des Zornes und halb -der Rührung, traten ihr in die Augen, und -sie empfand in dieser Stunde, was auch die -seichteste Frau nicht ohne Seligkeit empfinden -kann, die Herrschaft und Überlegenheit eines -starken und geradsinnigen Mannes. Wie nun -auf jedes Weib diese Erkenntnis des Untergeordnetseins -viel eher beglückend als verletzend -wirkt, so ward auch für Sabine die Beschämung -selbst zu einer Quelle der Lust, und -sie wünschte nichts sehnlicher, als daß der Doktor -bis in alle Ewigkeit fortfahren möchte, sie -zu schelten. Er fügte auch noch ein gut Teil -bei; und sooft er aufhören wollte, sah Sabine -ihn mit zwar feuchten, aber so strahlend glücklichen -<a class="pagenum" id="page_120" title="120"> </a> -Blicken an, daß er schnell wieder einsetzte, -weil ihm schien, sie sei noch lange nicht -so zerknirscht und schuldbewußt, wie sie von -Rechtes wegen hätte sein müssen. Bald wurde -er dann wieder härter, als er beabsichtigt hatte, -und nun faßte er ihre Hand, um durch einen -sanften Druck und etwa ein Streicheln da versöhnend -entgegenzuwirken, wo seine bitter -wahren Worte zu tief verwunden mußten. Und -so zwischen Grausamkeit und Liebe schwankend, -nahm er Sabinen endlich an sein Herz und -bedeckte sie mit Küssen, dazwischen hoch und -teuer schwörend, daß er sie nun und nimmer -zur Frau haben wolle. Sie aber, von einem -neuen Gefühle ganz verwirrt und betäubt, ließ -alles über sich ergehen und fragte in diesem -Augenblicke sogar nicht einmal, was die Leute -dazu sagen würden, die ab und zu durch das -grüne Sträßlein spazierten und mit Lachen dem -wunderlichen Paare nachblickten.</p> - -<p>Es versteht sich von selbst, daß Ricchiari trotz -all seiner grimmen Vorsätze um Sabinens -Hand warb und daß er sie erhielt. Der brave -Mann stellte sich entschieden und tapfer auf -die Seite der Liebe, besiegte das Widerstreitende -in seiner Brust und verzieh dem holden -<a class="pagenum" id="page_121" title="121"> </a> -Frauenbilde nicht nur alle früheren Torheiten, -er bemühte sich sogar, in noch bestehende und -fortwirkende sich zu finden oder sie wenigstens -mit Anstand zu ertragen. Ricchiari sah seine -Frau hundertmal des Tages an und fühlte, -daß er sie bei jedem Blicke heißer liebte als -zuvor. Er führte sie bald darauf hinweg nach -der kleineren Stadt und hoffte sie dort in der -Stille und Zurückgezogenheit in kurzer Zeit zu -größerer Sinnesschlichtheit umzubilden und das -Lautere ihres Wesens, woran er nun einmal -glaubte, von anhaftendem Flitter zu reinigen.</p> - -<p>Leider mußte er nur zu bald erkennen, daß -er sich hierin vergriffen hatte. Die in der -großen Stadt eine Rolle gespielt hatte, glaubte -sich in der kleinen noch viel mehr berechtigt, -alle Augen auf sich zu ziehen. Die Feindseligkeit -und das Mißtrauen, die ihr allenthalben -entgegentraten, reizten sie nur zu neuen Künsten. -Und da sie bald herausgefunden hatte, daß -dem beschränkten Geiste ihrer Mitbürger nur -durch eine einzige Eigenschaft zu imponieren -war, nämlich durch Tugendhaftigkeit, so warf -sie sich mit ihrem ganzen virtuosen Anpassungsvermögen -nach jener Seite hin und stellte alle -Penelopen und Kornelien der Welt durch ihre -<a class="pagenum" id="page_122" title="122"> </a> -Leistungen in Schatten. Zugleich aber begann -jetzt für Sabine wie für ihren Gatten ein -Martyrium schlimmster Art; es fing damit an, -daß Sabinens Gefühl für den Doktor mit -seiner Neuheit dahinging. Wohl hatte die -Macht von Ricchiaris ehrlicher Gesinnung, -seine Offenheit, sein Zorn, kurz, die Äußerung -seiner Männlichkeit so überwältigend auf das -Wesen mit den verschrobenen Neigungen gewirkt, -wie eben das Wahre und Gewaltige -dem Gekünstelten gegenüber wirken muß. Einer -wirklichen Liebe war Sabine Ricchiari nicht -fähig, und von der angenehmen Verwirrung -ihrer Sinne war nichts geblieben als eine -Empfindung höchsten Unbehagens dem Manne -gegenüber, der so scharf in jeden Winkel ihrer -Seele zu leuchten wußte; denn Sabine ahnte -wohl, daß es keine wertvollen Funde in diesem -Inneren aufzudecken gab. Das Unbehagen steigerte -sich nicht selten zur Angst. Und diese -Angst war es, die sie verhinderte, ihre Schauspielkunst, -die sie gegen Fernerstehende so glänzend -behauptete, auch da zu versuchen, wo es -am meisten gelohnt hätte: Sabine konnte ihren -Gatten nicht glauben machen, daß sie ihn liebte.</p> - -<p>Den ganzen Tag wandelte sie in stumpfer -<a class="pagenum" id="page_123" title="123"> </a> -Gleichgültigkeit umher. Daß sie die Großstadt -und ihren Vasallenkreis vermißte, daß Haushalt -und Kinderstube sie langweilten, daß sie -hungerte nach rauschenden Festen, wo ihre -Schönheit Siege gefeiert hätte, daß der schlichte, -stäte und zuverlässige Gatte ihrem phantasievollen -Köpfchen nichts zu denken gab – -Ricchiari mußte es täglich aus kalten Mienen -und lässigem Gebaren erkennen. Da er die -Frau liebte, tat das ihm weh. Aber man vergegenwärtige -sich das Leiden, das für ihn anhub, -sobald ein fremder Fuß das Gemach betrat: -wie durch Zauberschlag verwandelt, huschte -die plötzlich erblühende Frau als rühriges -Hausmütterchen durch alle Räume; Heiterkeit -strahlte ihr von rosigen Wangen, Liebe aus -leuchtenden Augen; sie herzte ihre Kinder, sie -nickte dem Gatten zu; sie redete wirtschaftlich, -prahlte mit kleinen häuslichen Kenntnissen, -pries die pastoralen Freuden ihres bescheidenen -Lebens, scherzte anmutig und überlegen -über leicht verschmerzte Entbehrungen – kurz: -zeigte sich so ganz als das, was sie nicht war -und doch hätte sein sollen, daß die Klügsten -betrogen hinweggingen. Laut und leise pries -alle Welt Ricchiari als den glücklichsten -<a class="pagenum" id="page_124" title="124"> </a> -Gatten; und der Doktor hörte es mit finsterem -Gesichte und verbiß seine Martern: wußte er -doch aus wiederholter Erfahrung, daß Licht -und Lächeln in den Augen seiner Frau erlöschen -würden mit den letzten Lampen des -Mahles, bei dem sie durch horazische Tugenden -eine Anzahl leichtgläubiger Gäste berückt hatte.</p> - -<p>Diese sichere und stets eintreffende Voraussicht -machte, daß Ricchiari in Gesellschaft nicht -eben leidenschaftlich auf die Liebenswürdigkeiten -seiner Frau einging; dazu war er eine -zu gerade Natur. Ja, er begegnete in der Regel -ihren holden Koketterien mit abweisenden -Blicken und erreichte dadurch, was er eben -hatte vermeiden wollen, daß alle Leute die -herrliche Frau, die an solch einen Bären gebunden -war, erst recht bewunderten und bedauerten. -Dieses Bedauern, das der unglückliche -Mann in allen Mienen lesen mußte, war -seine schärfste Qual. Es war ihm unmöglich, -auf die unedle Pose einzugehen, die Sabine -vor der Welt aufrechterhielt und mit welcher -sie ihm seine tiefe und wahrhafte Liebe so -übel vergalt. Jeder Versuch aber, die Komödie -zu durchbrechen, prallte an Sabinens unerschöpflicher -Sanftmut und Holdheit ab, und -<a class="pagenum" id="page_125" title="125"> </a> -immer blieb das gewandte Weib im Vorteil, -immer mehr vergab sich der von Leidenschaft -gepeinigte Mann in den Augen der Kurzsichtigen, -die nach dem Schein urteilten. Bald -war Sabine nah und fern als eine neue Griseldis -gerühmt, der Doktor als ein Tyrann -verschrien; und das ruchlose Geschöpf war wirklich -erbärmlich genug, sich an dieser Rolle zu -ergötzen. Die Art und Weise, wie sie Mitleid -von sich wies und ihren Gatten zu entschuldigen -suchte, war mit Feinheit so berechnet, daß -auch wieder niemand als sie selbst dabei gewann: -denn nun prunkte sie noch mit einem -Edelmute, der ihr sehr ferne lag, da sie genau -wußte, daß in Wirklichkeit ihr Gatte der still -Duldende und Vergebende war. Daß ich selbst -von diesem Spiele fast gefangen worden wäre, -habe ich wohl schon angedeutet. Sabinens Geständnisse -am Bette des Selbstmörders ließen -mich klar in dies fürchterliche Verhältnis blicken. -Die Unselige erzählte mir selbst, daß ihr Mann -sie einmal mit Tränen in den Augen gebeten -habe, ihm in Gegenwart von Leuten nicht mehr -so zärtlich zuzunicken, da sie es doch in Stunden -des Alleinseins mit ihm nicht wolle oder -nicht könne. Dies habe ihr ins Herz geschnitten, -<a class="pagenum" id="page_126" title="126"> </a> -und sie habe eine Zeitlang wieder ein wärmeres -Gefühl für ihn zu empfinden geglaubt, ein -solches auch mit ängstlicher Deutlichkeit an den -Tag gelegt. Ricchiaris trauriges Lächeln habe -sie wohl belehrt, daß sie ihn nicht täuschen -könne, und diese Erkenntnis habe sie selbst -mit Bitterkeit erfüllt. Nach kaum einer Woche -sei ihr machtloser Wille wieder erlahmt, Leben -und Umgebung hätte sie gelangweilt, das tägliche -Einerlei von Kleinem und Kleinstem die -alte Verstimmung wieder wachgerufen. Vor -Zeugen aber habe sie nach wie vor ihr äußeres -Scheinleben weiterführen müssen und sich dabei -selbst wie behext gefühlt; denn sie sei sich -ihrer Falschheit wohl bewußt gewesen, ohne -sich ihrer jedoch erwehren zu können.</p> - -<p>Ich fragte Sabinen, ob sie sich über die -Empfindungen Rechenschaft geben könne, die -sie beherrschten, während sie dies verräterische -und für ihren Gatten so grausame Spiel trieb. -Sie gestand mir nach einigem Sinnen, daß sie -sich immer durch das Verhalten der Leute selbst -gleichsam dazu gereizt gefühlt habe. Denn wie -ein offenes Buch habe jedes Herz vor ihr sich -aufgetan, und was sie da zu lesen geglaubt, -war eben die Erwartung dessen, was mittlerweile -<a class="pagenum" id="page_127" title="127"> </a> -wirklich schon eingetreten war. Jeder -Blick schien sie zu fragen: hast du die übereilte -Verbindung noch nicht bereut? hält die Romantik -dem wirklichen Leben stand? sehnst du dich -nicht zurück nach dem Kreise, für den du geboren -bist? Bereits glaubte sie zu hören, wie -triumphierend Nachbarin zu Nachbarin flüsterte: -wir haben es vorausgesagt! Bereits -war ihr, als spitze sich jeder Beau, der huldigend -ihre Hand küßte, schon im stillen darauf, der -Hausfreund der schönen Doktorsfrau zu werden. -Daß aller Augen auf ihren Fall warteten, hatte -sie richtig erraten, und sie hätte sich, wie sie -sagte, lieber in Stücke reißen lassen, als dem -Volke die Freude des Rechthabens zu gönnen.</p> - -<p>Die Spannung zwischen den Gatten kam -endlich so weit, daß Ricchiari die Scheidung -vorschlug. Ihm schien es leichter, sich der begehrten -Frau ganz und gar zu entwöhnen, als -fürder unter ihren Lieblosigkeiten zu schmachten. -Dennoch mußte ihn der Vorschlag schwere Überwindung -gekostet haben, und Sabine, die es -verstand, war von seinem Leiden einigermaßen -erschüttert. Aber als sie dies Anerbieten zurückwies, -tat sie es dennoch erst in <em class="ge">zweiter</em> Linie -aus Mitleid mit dem Manne; ihr erster Gedanke -<a class="pagenum" id="page_128" title="128"> </a> -war auch hier wieder: »wie würden die -Leute sich freuen!« und deshalb willigte sie -nicht in die Scheidung.</p> - -<p>Ricchiari, der mit weißen Lippen seinen Antrag -gestellt hatte, errötete ein wenig, als sie -rasch und heftig »Nein!« sprach. »Darf ich -hoffen,« fragte er mit unsicherer Stimme, »daß -es dir doch ein wenig leid tun würde, mich -zu entbehren?« Sie schaute ihn an und hätte -Welten darum gegeben, hätte sie jetzt ihr Verstellungstalent -zur Hand gehabt, das ihr vor -Fremden doch nie versagte. Aber vor den -ehrlichen Augen dieses Mannes war sie gelähmt, -sie fand das falsche Lächeln nicht, oder -vielmehr, sie wußte, daß es ihn nicht würde -betrügen können. Sie sah zur Seite, zitterte -und stammelte endlich: »Um der Kinder willen -laß uns beisammen bleiben!« und das war das -einzige, was sie antworten konnte ohne direkte -Unwahrheit. Wirklich war das ein Grund, -dem Ricchiari sich beugen mußte; und wenn -es für ihn irgendeinen Trost gab, so mußte es -der Gedanke sein, daß Sabine in diesem einen -Punkte wenigstens durch ein braves und natürliches -Gefühl geleitet worden sei.</p> - -<p>So also standen die Dinge in Ricchiaris -<a class="pagenum" id="page_129" title="129"> </a> -anscheinend so tadelloser Häuslichkeit. Eine -Frau von unfehlbarer Lebensführung und wertvollen -Eigenschaften verstand die bescheidene -Kunst nicht, einen schlichten Mann glücklich -zu machen; und ein Mann, der jede andere -Frau durch die Fülle und Tiefe seines Empfindens -hoch beglückt hätte, mußte seine köstliche -Flamme vor einem Götzenbilde von Erz verlodern -sehen, und kein Zeichen belehrte ihn, ob -sein Opfer Gnade gefunden.</p> - - -<h3>4.</h3> - -<p>Sylva stammte aus guter, alter Familie. Er -war wohlhabend und hatte Ansehen. Aber er -war auch brav, tüchtig, ernsthaft und seelenrein, -wie wenige Menschen in dieser verderbten -Zeit und in den Kreisen, aus denen er stammte. -Er war dreiundzwanzig Jahre alt.</p> - -<p>Sabine Ricchiari war eine zu blendende -Erscheinung, um von dem neuen Ankömmling -nicht alsbald bemerkt zu werden, und entzückt -erkundigte er sich sofort nach Namen und Geschichte -der schönen Frau. Der Bescheid, den -er erhielt, entsprang der falschen Meinung, -die Sabinens ruchloses Spiel in den Köpfen -der Leute gezeitigt hatte. Die Frau, so hieß -<a class="pagenum" id="page_130" title="130"> </a> -es, sei ein vornehmes und mit allen holden -Gaben geschmücktes Wesen, an einen Mann -gekettet, der nicht wert sei, ihr die Schuhriemen -zu lösen, und der das Gotteswunder nicht zu -schätzen wisse, das mit solch einem Weibe über -sein Haus gekommen. Vielmehr behandle er -sie höchst lieblos, sie aber ertrage mit engelgleicher -Geduld all seine Launen, und nie -habe jemand sie ein Wort der Klage äußern -hören. Ja, selbst den Mangel all des Glanzes, -zu welchem ihre Geburt sie berechtigte, habe -sie mit solcher Anmut und Heiterkeit auf sich -genommen, daß alt und jung vor einem so -seltenen Frauencharakter in Bewunderung vergehe. -Niemand könne an dem herrlichen Bilde -die leiseste Trübung nachweisen, und allgemein -werde nur bedauert, daß nicht ein würdiges -Eheglück ihr beschieden sei.</p> - -<p>Solche Kunde war natürlich dazu angetan, -ein Jünglingsherz zu rühren. Sie aber ahnte -nicht, welchen Quellen die scheue Verehrung -entsprang, die sie alsobald in den Augen des -jungen Mannes zu lesen begann; seicht wie -sie selbst war, schloß sie nur auf seichte Leidenschaft, -wie ein blühender Frauenleib sie wohl -zu wecken vermag, und wandte sich mit einem -<a class="pagenum" id="page_131" title="131"> </a> -spröden Gesichte zur Seite, so oft sie dem -stillen Minnewerber begegnete. Sie selbst gestand, -daß sie damals nichts als Groll empfand, -jenen alten Groll gegen angenehme und sogenannte -unwiderstehliche Männer, die jede Frau -als leichte Beute behandeln.</p> - -<p>Es hatte nämlich bereits die öffentliche Aufmerksamkeit -sich auf Blicke und Mienen des -schmachtenden Jünglings gerichtet, und eine -Schar von solchen Geistern, die nie das Unheil -zu bemessen verstehen, das sie anrichten, ergriff -sofort diese wahrlich ernste Sache als ein neues -und willkommenes Spielzeug. Keine der Freundinnen -und Nachbarinnen konnte sich das Vergnügen -versagen, Sabinen die Beobachtungen -zu hinterbringen, die sie an Sylva gemacht -hatten, und jene bekannten neckenden Bemerkungen -daran zu knüpfen, die bei solch kurz -denkenden Wesen besseren Gesprächstoff ersetzen. -Und diese Gefühllosigkeit gab leider -der gefühllosesten unter den törichten Frauen -den Anstoß, um aufs neue und tiefer als jemals -in ihr altes Laster des Posierens zu -verfallen.</p> - -<p>Sabine wies die Neckereien der Freundinnen -anscheinend mit Ernst und Würde zurück, dabei -<a class="pagenum" id="page_132" title="132"> </a> -aber verfehlte sie nicht, mit feiner Wahl -des Ausdruckes soviel Teilnahme für den -stillen Anbeter zu verraten, als eine anständige -Frau ohne Furcht vor Mißdeutungen an den -Tag legen darf. Noch eine Nuance mehr Interesse, -so gab sie, dessen war sie sich wohl bewußt, -falschen Vermutungen Raum. Und dennoch -– so unglaublich es scheint! – überschritt -sie diese Linie, überschritt sie, während ihr -selbst die Erkenntnis dessen, was sie tat, kalte -Schauer über den Rücken jagte. Warum sie -es tat – Gott weiß es! Sie wollte eben wieder -einmal ihre Tugend zu allgemeiner Betrachtung -aushängen. Sie arbeitete ihre Komödie -mit gewohntem Raffinement aus, und die -Freundinnen gingen mit der Gewißheit hinweg: -»Sabine Ricchiari liebt den jungen -Sylva. Aber mit eiserner Hand wird sie ihre -Wünsche ersticken. Ihre Tugend ist über jede -Versuchung erhaben.«</p> - -<p>Alles dieses wäre noch kein Verhängnis -gewesen. Aber nun gingen die schwatzenden -Elstern hin und bearbeiteten den Jüngling. -Sylva hatte das Unglück, jene sanfte und weiche -Schönheit zu besitzen, auf welche ältliche Weiber -besonders toll sind. Jede einzelne der -<a class="pagenum" id="page_133" title="133"> </a> -müßigen Redespinnerinnen suchte aus der eben -gemachten Entdeckung einen Vorwand zu konstruieren, -um sich dem jungen Manne zu -nähern, sein Vertrauen zu gewinnen, als sympathetische -Seele seinen Schmerz zu teilen und -– aber dieser Gedanke lauerte nur ganz verborgen -im Hintergrunde! – womöglich zu -heilen. Sylva, jung und nicht übermäßig erfahren, -war schnell umgarnt. Bald hatte er -drei oder vier »mütterliche Freundinnen«, die -sich darin überboten, ihm zu sagen, was er zu -hören brannte. Und bald war auch er von der -Überzeugung durchdrungen, daß Sabine ihn -im stillen liebe. Jetzt erst stiegen seine Hoffnungen -zu äußerster Kühnheit empor, und jetzt -erst lag sein Herz zu tiefst im Staube vor dieser -Frau, die er unglücklich glaubte und doch von -siegreicher Reinheit in ihrem Unglücke. Hatte -er sie vorher schon mit heißester Glut begehrt, -so betete er jetzt geradezu die Spur ihrer Füße -im Sande an, überwältigt von ihrer unantastbaren -Tugend.</p> - -<p>Und seine Trösterinnen sorgten dafür, daß -ihm der Mut nicht sank. Jedes Wort Sabinens -wurde ihm hinterbracht; und da es die -Frau in entsetzlicher Verblendung nicht lassen -<a class="pagenum" id="page_134" title="134"> </a> -konnte, ihre Rolle weiter und weiter zu verfeinern -und auszugestalten, so gab es bald -ordentlich was zu hinterbringen. Die Phantasie -der Zwischenträgerinnen tat das ihre.</p> - -<p>Sylva schien zu glauben, daß dieser Frau -gegenüber, die es verschmähte, sich um ihr -Glück zu wehren, gewaltsamere Schritte erlaubt -wären. Er suchte eine Zusammenkunft mit ihr, -und die Trösterinnen rangen um den Vorzug, -sie ihm zu verschaffen. Diejenige, der in dieser -edlen Konkurrenz der Sieg zufiel, besaß einen -schattigen und abgelegenen Garten, dahin lud -sie Sabinen zu einem Plauderstündchen, und -Sylva erschien wie zufällig. Nun verschwand -die hilfsbereite Freundin, und das Paar stand -sich gegenüber.</p> - -<p>Sabinens Augen funkelten. Sie begriff sofort -das Beabsichtigte der Situation, und neben -einem kleinen Ärger über die niedrige Kuppelsucht -ihrer Vertrauten, die ihr jetzt klar zum -Bewußtsein kam, regte sich sofort und übermächtig -auch die Freude darüber, daß endlich -für sie der Augenblick gekommen sei, ihre sittliche -Größe ganz zu zeigen. Sie bedauerte nur -die Abwesenheit der Freundin, die ihr eine -willkommene Zeugin gewesen wäre. Daß diese -<a class="pagenum" id="page_135" title="135"> </a> -Freundin in sicherem Verstecke die ganze Szene -belauschte, konnte sie freilich nicht ahnen.</p> - -<p>Der Jüngling, ehrlich und geradeaus in -seiner Liebe, ergriff alsbald das Wort und -erklärte freimütig, daß er keineswegs zufällig -gekommen sei, sondern in der bestimmten Hoffnung, -Sabine allein zu sehen und zu sprechen. -Sie habe ihm diese Möglichkeit bisher versagt, -obgleich sie wissen müsse, was er für -sie empfinde; doch sei er sich seines Unwertes -vor ihr bewußt, wie seiner Vermessenheit, vor -sie zu treten. Dies habe er nun gewagt, weil -er den Zustand der Dinge unmöglich länger -ertragen könne und lieber ein verdammendes -Urteil für alle Zeit auf sich nehmen wolle, als -fürder zwischen Hoffen und Verzweiflung zu -schweben. »Und warum Hoffen?« unterbrach -ihn Sabine voll Hochmut. »Habe ich Ihnen -je ein Recht dazu gegeben?« – »Nicht Sie,« -antwortete Sylva in einiger Verwirrung, »aber -die schlimmen Verhältnisse, in denen Sie leben, -und die, verzeihen Sie mir! leider genugsam -bekannt sind.« Sabinens Antlitz flammte auf, -und jetzt stand sie im Begriffe, das Lügengespinst -zu zerreißen. »Was sagen Sie?« rief -sie in echter Entrüstung. »Welche Verhältnisse? -<a class="pagenum" id="page_136" title="136"> </a> -Ich bitte, sich deutlicher zu erklären!« -Sie rang, von Scham eine Sekunde lang überwältigt, -nach Worten, den verhängnisvollen -Irrtum zu heben, wußte nicht, wo beginnen, -wurde aufgeregt und ängstlich. Unterdessen -sprach Sylva, der ihren Zorn nach seiner Art -deutete, auf sie ein, schilderte mit Farben, -die er aus der Tiefe seines gläubigen Herzens -holte, ihr Bild, wie es ihm erschien, in all der -Heiligkeit entsagungsvoller Treue, in all der -Größe, Reinheit und süßen Trauer, die er ihr -andichtete, und bemerkte beglückt, daß sie -ruhiger wurde und endlich in augenscheinlicher -Ergriffenheit ihm zuhörte. Wirklich dämmerte -ihr etwas von dem bitteren Ernste der Lage. -War bei ihrer plötzlichen Besänftigung auch -vielleicht in erster Linie wieder das kindische -Wohlgefallen an sich selbst im Spiele gewesen, -das Sylvas Worte so angenehm streichelten, -so möchte ich doch annehmen, daß der Anblick -der unschuldigen, heiß flehenden Augen, die -köstlich reine Verehrung des armen Jungen -etwas von ihren weiblichen Empfindungen -wachriefen und vibrieren machten. Denn von -hier an kann ich Sabinens Verhalten nicht -mehr ganz als Pose auffassen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_137" title="137"> </a> -»Der Anblick Ihres Jammers«, so sprach -Sabine, »zerreißt mir das Herz. Wollte Gott, -ich dürfte milder sein, denn Strenge wird -mir schwer, wo ich an ein echtes Gefühl glauben -muß. Nicht oft im Leben ist mir ein solches -begegnet, und ich wünschte, ich müßte nicht -zurückweisen, was manche andere Frau mit -Stolz und Freude annehmen würde. Aber -bedenken Sie, daß diese Liebe, die Sie mir -entgegenbringen und die in ihrer hohen und -edlen Natur das Wertvollste ist, was eine Frau -auf ihrem Lebenspfade finden kann, zugleich -eine erniedrigende Zumutung an mich enthält. -Nein, erschrecken Sie nicht – ich zürne nicht, -denn ich weiß, was Sie leiden! Dennoch haben -Sie es sich allzu leicht vorgestellt, das Pflichtbewußtsein -einer Frau zu überwinden. Vergaßen -Sie, daß ich Kinder habe? Wenn ich -unterliege, so trifft mich kein Verlust, den eine -Liebe wie die Ihre mir nicht ersetzen könnte; -aber die ganze Härte der Konsequenzen fällt -auf die unschuldigsten Häupter, die somit mein -und Ihr Vergehen zu büßen haben werden. -Welches Glück könnte auf solchem Grunde aufgebaut -werden? Lassen Sie mich, um Ihrer -selbst willen, an Ihr besseres Selbst appellieren! -<a class="pagenum" id="page_138" title="138"> </a> -Sie werden überwinden, Sie können es! -Es gibt unfehlbare Tröster: die Arbeit, die -Kunst – zu diesen flüchten Sie! Erhalten -Sie Ihr Leben rein, bessere Menschen als ich -bin haben noch Rechte an Ihre Zukunft. Diese -erhalten Sie unbefleckt, diese opfern Sie nicht -einer vielleicht flüchtigen Leidenschaft! Seien -Sie stark – Sie sind ein Mann: muß ich es -doch sein, die ich nur ein schwaches Weib bin!«</p> - -<p>Sylva hatte von Sabinens Rede nichts gehört, -als daß sie an seine Liebe glaubte, und -das war mehr, als er geträumt hatte. Zitternd -vor Seligkeit warf er sich vor ihr nieder, mächtig -hinströmend ergoß sich sein Gefühl, so daß es -der erschrockenen Frau wohl scheinen mochte, -als wankte der Boden und die alten Stämme -gewaltiger Bäume rings um sie vor dem Anprall -einer Flut, die sich rauschend und klingend -durch das All verbreitete. Wieder, wie -schon einmal im Leben, stand sie dem Elemente -gegenüber und hatte die Kraft nicht, sich darüber -zu erheben. Wieder ließ sie sich hinreißen. -Über solche Wellen hatte der flache Kiel ihres -Seelenschiffleins keine Gewalt. Es trieb, es -schwankte und wäre zerschellt, wenn nicht -Sylva selbst in seiner Redlichkeit den Sturm gemeistert -<a class="pagenum" id="page_139" title="139"> </a> -hätte. Mehr auf die Geliebte als -auf sich selbst bedacht, kam es ihm durchaus -nicht zu Sinn, ihre Verwirrung zu nützen, und -bereits hatte seine fromme Phantasie Mittel -und Wege einer rechtlichen Verbindung zwischen -ihm und der angebeteten Frau gefunden. -»Kein Unrecht!« so rief er aus, »keine Schmach -auf dir, du einzig Geliebte! Ich trete vor -deinen Gatten, ich stelle ihm deine Entsagung, -deinen Opfermut vor, ich zeige ihm, wie du -um deiner Pflicht willen dein Herz ersticken -wolltest! Ist etwas Menschliches in ihm, so -muß er dich freigeben!«</p> - -<p>Ernüchtert und entsetzt riß Sabine sich los. -Ihr Verstand, der einige Minuten lang geschwärmt -hatte, stand plötzlich wieder auf festen -Füßen, und sie überblickte nun mit ziemlichem -Schrecken den Schaden, den sie angerichtet. -Nichts konnte dieser Frau, deren Abgott das -»<i>Qu'en dira-t-on?</i>« war, unwillkommener sein, als -die Aussicht, daß Sylva in seinem Eifer bis -zur ernsthaften Forderung einer Scheidung -gehen könnte. Hunderte von Fällen ähnlicher -Art, an denen ja heutzutage Wirklichkeit und -Dichtung so Artiges liefern, fielen ihr ein: -immer und unter allen Umständen haftete der -<a class="pagenum" id="page_140" title="140"> </a> -Frau, die einen gesicherten und geachteten -Hausstand preisgab, um sich der abenteuerlichen -Liebe eines weit jüngeren Mannes anzuvertrauen, -mindestens Lächerlichkeit an. Und was -fürchtete Sabine mehr als Lächerlichkeit? Und -allen Grund hatte sie, diese zu fürchten, denn -gerade <em class="ge">sie</em> fiel furchtbar, wenn sie fiel. »<em class="ge">Das</em> -war die Tugend Sabinens?« schallte ihr's im -Ohr, hundert lachende Stimmen, hämisch, triumphierend, -fröhlich und harmlos spottend, -aber <em class="ge">alle lachend</em> schienen aus allen Ecken -des Gartens den lustig erstaunten Ruf zurückzugeben. -Flammen der Scham loderten ihr -im Antlitz. Sie stieß den Jüngling von sich, -stammelte in höchster Ratlosigkeit ein paar -Worte von Überlegung und Zeit zum Sammeln -und enteilte.</p> - -<p>Sylva, trunken und träumerisch, mag ihr -nachgeblickt haben, wie ihr helles und in seiner -Flucht anmutig bewegtes Bild in der violetten -Tiefe des abenddämmrigen Gartens unterging. -Dann mag es in jedem Laubengange vor ihm -hingewandelt sein, in tausend holden Erscheinungen -wechselnd, bald mit kummervollen -Augen ihn abwehrend, dann wieder lockend -und verheißend mit solchem Lächeln, wie er -<a class="pagenum" id="page_141" title="141"> </a> -nun bald in Wahrheit von Sabinen zu verdienen -hoffte. Der junge Mann verweilte bis -tief in die Nacht im dunklen Garten, und -ich sehe ihn heute noch in Gedanken, wie er -mit Sternen und Blumen sprach, die Zweige -küßte, die das Haar der fliehenden Göttin -gestreift hatten, und aufgelöst in demütiger -Seligkeit vor der Rasenbank kniete, auf der -sie gesessen. Wer von uns, der jung war, -sieht ihn nicht so?</p> - -<p>Am Tage darauf erhielt Sabine ein Briefchen, -worin Sylva um eine neue Zusammenkunft -bat. Hätte die leiseste Spur von Selbstbewußtsein -sich in dem Schreiben verraten, -so hätte die leichtverletzliche Schöne ohne Zweifel -eine schroffe Antwort gefunden, die alles -abgeschnitten hätte. Aber der liebende Jüngling -ehrte so sehr den Kampf, den, wie er -glauben mußte, eine edle Frau zwischen Pflicht -und Liebe führte, daß er kaum in bescheidenster -Weise anzudeuten wagte, zu welchen Hoffnungen -ihn Sabinens Verhalten berechtigte. Die -Fassung des Briefchens rührte Sabinen, und -die Verantwortung, die diesem jungen Herzen -gegenüber auf ihr lag, stellte sich ihr drohend -vor. Sie beschloß, dem Bittenden das verlangte -<a class="pagenum" id="page_142" title="142"> </a> -Wiedersehen zu gewähren, und glaubte -in lauterer Absicht zu handeln: wollte sie ihm -doch nur zur Vernunft reden! Und sie antwortete -in freundlich gewährendem Sinne. –</p> - -<p>In der Stunde freilich, wo Sabine in grausiger -Selbstanklage gerade diesen Teil ihrer -Geschichte über das Haupt ihres toten Richters -hinschrie, in der Beichte am Bette des Geopferten, -gab sie anderen Motiven schuld an -diesem letzten törichten Schritte. In Selbstzerfleischung -und Reue so maßlos, wie sonst -in Selbstüberhebung und Eitelkeit, suchte sie -hervor, was sie verdammen konnte, und verschmähte, -was irgend zu ihren Gunsten sprechen -mochte. »Nichts wollte ich,« so rief sie in ihrer -Verzweiflung, »als den Weihrauch atmen, den -er mir streute! Nichts, als ihn wiederholen -hören, was, wie ich wußte, die Fama ihm zugeflüstert, -wie groß und gut ich sei. Um das zu -hören, habe ich in der zitternden Seele vor -mir alle Stadien der Glut zu erregen gesucht -und mich, ohne eigenes Verlangen, am Gefühle -der Meisterschaft berauscht, mit welcher -ich das Element dämpfte und wieder schürte: -denn jedes neue Emporlodern der Flamme -stellte eine neue Verherrlichung meines Selbst -<a class="pagenum" id="page_143" title="143"> </a> -dar, und immer schöner und erhabener schien -er mich zu sehen, je mehr ich ihn quälte. Sein -armes, von sehnsuchtsvoll durchwachten Nächten -blasser und blasser werdendes Gesicht war das -Reklamebild meiner Tugend, und im letzten -Grunde, wenn ich's recht bedenke, habe ich ihn -auch in den Tod getrieben, damit nur einmal -meine Unbesiegbarkeit durch einen öffentlichen -Akt dargelegt werden möchte.« Es liegt mir -fern, der unglücklichen Frau in dieser traurigen -Übertreibung zu folgen. Vielmehr glaube ich, -daß, ihr selber unbewußt, ein neuer Trieb sie -beherrscht habe, der zwar nicht minder sträflich, -aber weitaus natürlicher und menschlicher -war; und diesem möchte ich gern alle weiteren -Torheiten der Armen zuschreiben. Freilich denke -ich nicht an ein solches Gefühl, das dem Sylvas -auch nur im entferntesten die Wage halten -konnte: dessen war Sabine nicht fähig. Aber -ein leiser Widerhall davon muß doch vorhanden -gewesen sein. Keine Frau kann eine -solche Liebe sehen, dieses Himmelsfeuer von -Gottes eigenstem Altare, ohne einen Schimmer -davon mit sich herumzutragen, wie Marienkind, -als es die innerste Himmelskammer geöffnet -und die heilige Dreieinigkeit im Goldglanze -<a class="pagenum" id="page_144" title="144"> </a> -erblickt hatte. Und dieser Abglanz, wenn -schon nicht mehr, mußte in Sabinens Seele -gefallen sein, ein erstes, wahrscheinlich unverstandenes -Regen zarter Neigung, das sich nur -noch nicht zum Erscheinen durchgekämpft hatte. -Diesen Schluß zu ziehen, berechtigt mich Sabinens -Gebaren an der Leiche Sylvas, das -sonst unbegreiflich gewesen wäre. –</p> - -<p>Und so geschah alles, wie es geschehen mußte. -Wieder lag dämmriger Abendschein über Lauben -und Büschen des stillen Gartens. Die -Allee schien ein goldenes Gewölbe, wie schimmernde -Schätze lag rötliches Laub über den -Boden gestreut. Ein scharfes gelbes Licht, von -Westen her geworfen, prallte an den Stämmen -der schönen alten Bäume ab und zeichnete ihre -Schatten quer über den flimmernden Grund, -daß es aussah, als hemmten schwarze Balken -das Wandeln über die kostbaren Fliesen. Mit -jeder Elle, die Sabine im frühherbstlichen -Blätterfall vorwärtseilte, überschritt sie eine -dieser dunklen Schicksalsschwellen, mit jedem -solchen Überschreiten stand sie tiefer in ihrem -Verhängnisse. Am Ende des Ganges lag die -Laube, wo Sylva sie erwartete.</p> - -<p>Als die Nacht sank und die Frau durch die -<a class="pagenum" id="page_145" title="145"> </a> -Allee zurückhuschte, waren die finsteren -Schattenschwellen verschwunden. Auf den Weg -zur Sünde hin hatte das Schicksal ihr die warnenden -Zeichen gelegt; jetzt war alles bleiches -Grau; den Weg zurück wies keine Hand von -oben. –</p> - -<p>Sabine glaubte einen Teil ihres Selbst zu -retten, als sie in ihre wilde Beichte die scheue -Bemerkung einschob, Ehebruch im landläufigen -Sinne des Wortes habe sie immerhin nicht -begangen. Mein Gott, das glaubte ich ihr nur -zu sehr! Wollte ich doch, um des armen Jungen -willen, diese Armseligkeit wäre weniger -glaubhaft gewesen! Wie mag sie ihn hingehalten -haben, wie seine Sehnsucht gefoppt! -Das sehe ich, ohne daß sie es zu schildern -brauchte, das sehe ich, wie sie spärliche Liebkosungen -sich mühsam abringen ließ, als wäre -es königliche Gunst, ihre kalten Fingerspitzen -zu berühren; wie sie den äußersten Rand ihres -Kleidersaumes erst nach tausend Bitten preisgab, -eine welke Blume für hundert treue und -gute Worte, und einen lauen Kuß auf die -Stirne erst dann, wenn sie fürchten mußte, -den allzu Geduldigen für immer zu entmutigen. -Ich sehe sie! Und ich hätte nicht selbst einmal -<a class="pagenum" id="page_146" title="146"> </a> -ein armer junger Narr sein müssen, hätte es -mich wundern sollen, daß diese Kargheit, die -den Schein der Ehre für sich hatte, den gläubigen -Knaben nur fester an seine Göttin band.</p> - -<p>Sabinens Kunst, diese Sprödigkeit, die zum -Teile in ihrem hochfahrenden Charakter begründet -lag, für das Ergebnis schwerer Seelenkämpfe, -für einen Sieg ihres Entsagungsmutes -auszugeben, muß indes bis zur höchsten Vollendung -gewaltet haben. Denn nicht nur das -gute fromme Kind war betrogen – auch der -Klatsch, der alles zu entstellen geneigt ist, der -Klatsch im Kaffeekranz und der weitaus schlimmere -am Biertisch – der Klatsch, der natürlich -in den treulichen Berichten der emsig lauschenden -Gartenbesitzerin seine Quelle hatte – -auch der nahm die Sache ohne weiteres von -derselben Seite. Alle Sympathien galten der -Frau, den Jüngling bedauerte man kaum, -Ricchiari hätte mancher vielleicht eine Schlappe -vergönnt. Ich glaube fest, daß es Wetten gab -um den Ausgang der Sache; war dem so, so -setzte die Mehrheit auf Sabine Ricchiaris -Tugend.</p> - -<p>Der einzige Mensch, der nicht betrogen war, -war Ricchiari selbst. Ihm, dem Menschenkundigen, -<a class="pagenum" id="page_147" title="147"> </a> -mußte vor allen Dingen die sonderbare -Erregung auffallen, in welcher er seine -Frau jetzt öfters sah, ihre heimlichen Gänge, -ein häufiges Kommen und Gehen von Freundinnen, -die stets über Gebühr zärtlich Abschied -zu nehmen pflegten – und dergleichen wohlbekannte -Anzeichen mehr. Und da er ein Mann -am Platze war, so beherrschte er die eigene Unruhe, -forschte gewandt umher, spähte, folgerte, -kombinierte – und erriet endlich, was zu erraten -war. Noch immer freilich kannte er die -ganze Hohlheit des Wesens nicht, auf das er -einst so viel gebaut; doch überraschte ihn an -Sabinen, daß sie heimlicher Leidenschaft sollte -fähig sein. Er grübelte unter heftigen Schmerzen -über diese neue Wendung der Dinge nach, -versuchte seine Frau bald durch Laune, bald -durch Zärtlichkeit, fand sie aber in ihrem Verhalten -gegen ihn unverändert; er wurde irrer -und wirrer an ihr, als er je gewesen, und das -Rätselhafte der Erscheinung quälte ihn fast -mehr, als seine immerhin nicht geringe Eifersucht. -Endlich verfiel er auf eine List von so -lächerlicher Art, daß er sich fast schämte, sie -anzuwenden, eine Niedrigkeit, die nur seinem -äußerst gereizten Zustande zugute gehalten werden -<a class="pagenum" id="page_148" title="148"> </a> -muß: und siehe, da fing er die Törin! -Er brachte nämlich mehrfach das Gespräch, -und zwar in Gegenwart möglichst zahlreicher -Zeugen, auf das Recht freier Liebe und auf -einzelne Beispiele hypermoderner Ansichten -über diesen Punkt, wie jede Gesellschaft sie -liefert; und zwar vertrat er listig herausfordernd -die Sache der frevelhaftesten Ungebundenheit. -Wie er es erwartet, so nahm Sabine -höchst eifrig die Partei der strengsten Ehemoral -und rasselte förmlich mit Tugendsprüchen. -Ricchiari redete von Tag zu Tag ketzerhafter, -schien sich in die Sache zu verbeißen, nannte -die Ehe ein Kulturübel und wollte jeden vernunftbegabten -Menschen sich über die erniedrigende -Fessel erheben sehen; seine Zuhörer saßen -ordentlich entgeistert, denn in diesem Tone hatte -man im Städtchen bislang noch nicht reden -hören, wenigstens keinen Familienvater; das -aber schien den Doktor nicht anzufechten, oder -auch: er mochte wissen, daß er in der Achtung -seiner Mitbürger ohnedies als Mensch nicht -mehr viel zu verlieren hatte. Sabine dagegen -nahm in der sonderbaren Sache wieder nur -die Gelegenheit wahr, sich in Szene zu setzen, -und genoß das unheimliche Geplänkel ordentlich, -<a class="pagenum" id="page_149" title="149"> </a> -ohne auch nur zu ahnen, daß eine Absicht -dahinterstecken konnte. Sie sagte Dinge, die so -rührend und schön waren, daß man einen -Ehestandskatechismus davon zusammenstellen -konnte, und deren schlagende Wirkung sie wahrscheinlich -vorher an dem armen Sylva erprobt -hatte. So setzte sie zum Beispiel auseinander, -daß die wahre Liebe – im edelsten Sinne -Liebe! – zwischen Mann und Weib erst dann -beginnen könne, wenn die Leidenschaft dahingegangen; -denn im Jugendrausch das Geliebte -anzubeten, sei keine Kunst und kein Verdienst; -wohl aber sei es edler Naturen würdig, Schwächen -und Torheiten des Gefährten geduldig -und verstehend zu ertragen, und erst, wo dieses -göttliche Allesverzeihen eingetreten sei, da -könne sie, Sabine Ricchiari, von Liebe reden. -Sie blickte dabei ihren Gatten in hinreißender -Weise an, und das gute Publikum war natürlich -überzeugt, daß Sabine dieses schöne Dulden -nach eigener täglicher Übung geschildert habe. -Wer hätte ahnen sollen, daß sich die Sache -gerade umgekehrt verhielt? Ricchiari knirschte -mit den Zähnen, aber nicht nur ob der nun zu -lang gewohnten Falschheit seiner Frau. Sein -feines Ohr unterschied in ihrer Beredsamkeit -<a class="pagenum" id="page_150" title="150"> </a> -etwas mehr als den gewöhnlichen Eifer für das -Wohlanständige, aber auch etwas mehr als -gewöhnliche Erfahrung. Was für Situationen -wußte Sabine plötzlich zu schildern, und wie -wußte sie in die Seelenregungen einer schwer -angefochtenen und tapfer widerstehenden Frau -einzugehen! »Wirklich?« fragte sich Ricchiari -erschrocken, »hat sie solche Kämpfe durchlebt?« -Es schien ihm, daß hier nicht mehr <em class="ge">alles</em> -Phrase sein konnte; und, wie ich bereits gesagt, -ich für mein Teil möchte das am liebsten glauben -und bin dankbar, daß auch der kluge -Doktor etwas von der neuen Unterströmung in -dem Gemüte seiner Frau bemerkte. Immerhin, -als Ricchiari so weit gekommen war, -dachte er, nun sei es genug. Und nun begann -er, die Auseinandersetzung mit seiner Frau -unter vier Augen zu führen. Die ganze Behandlung -bis hierher hatte ungefähr drei -Wochen gedauert, und Sabine war in eine -Leidenschaftlichkeit der Parteinahme hineingesteigert -worden, die sie alle Vorsicht vergessen -ließ. Nun brauchte der Doktor nur noch eine -Frage zu tun: »Willst du mich wirklich glauben -machen, daß du unter so und so gegebenen -Umständen nach deinen Worten handeln würdest?« -<a class="pagenum" id="page_151" title="151"> </a> -Sabine rief entrüstet: »Zweifelst du -an meiner Festigkeit? Liebe ich dich schon -nicht, so sollst du mir doch nichts vorzuwerfen -haben!« und sprudelte in höchster Erregung -die ganze Geschichte ihrer Versuchung und -musterhaften Abwehr hervor. Nach dieser Erleichterung -wandelte sie mit höchst zufriedener -Miene im Zimmer auf und ab, den schönen -Kopf hoch auf steifem Nacken tragend, als wolle -sie jede beliebige Kritik gegen ihr Tun herausfordern -und entwaffnen. Ich glaube wahrhaftig, -sie kam sich in dieser Stunde sehr verdienstreich -vor.</p> - -<p>Ricchiari, ob er schon alle erdenkliche Herrschaft -über sich besaß, mußte während dieses -Vorganges die Hände in den nächsten Vorhang -krallen, um nicht in Gefahr zu kommen, -seine Frau zu schlagen. Ekel und Verachtung -stiegen ihm bis zum Halse, sprechen hätte er -nicht können, und er dankte Gott, daß er's nicht -konnte – denn was hätte er dieser Frau sagen -sollen? Daß er einen Fehltritt, in spontaner -Leidenschaft begangen, leichter verziehen hätte, -als <em class="ge">diese</em> Tugend? Des unglücklichen Mannes -Gehirn, von einem Wirbel häßlicher Vorstellungen -ergriffen und betäubt, vermochte in -<a class="pagenum" id="page_152" title="152"> </a> -dieser Verwirrung die Anklage nicht zu formen, -die sein ganzes Selbst in rasender Empörung -gegen das armselige Weib zu schreien -schien. Er fühlte nur dunkel und peinigend, -daß er sie verdammen müsse, weil sie <em class="ge">nicht</em> -schuldig geworden sei, und der Wahnwitz dieses -Gedankens erfüllte ihn mit Schrecken vor sich -selbst. Er glaubte verrückt geworden zu sein, -und es dauerte mehrere Stunden, bis er soweit -mit sich zurechtgekommen war, um mit seiner -Frau über den Fall zu sprechen. Er stellte ihr -eindringlich und mit wahrer Himmelsmilde die -Schändlichkeit, aber auch die Gefahr eines solchen -Verhaltens vor, wie sie Sylva gegenüber -an den Tag gelegt, und gab ihr zugleich noch -einmal in großmütiger Weise Freiheit, dem -jungen Manne zu folgen, wenn sie etwa Neigung -für ihn empfände. »Verzeihe mir, wenn -ich dir zu nahe trete,« sagte er sanft, »aber es -dünkt mich doch, der Mann könne dir nicht -ganz gleichgültig sein. Hättest du ihn solange -hingehalten und gefesselt, wenn seine Gegenwart -dir nicht einen gewissen Reiz böte? -Täuscht man sich doch selbst über solche Empfindungen, -und vielleicht entspringt auch dein gedankenloses -Spiel einer solchen Selbsttäuschung, -<a class="pagenum" id="page_153" title="153"> </a> -die wiederum auf deinen maßlosen Stolz -gebaut ist. Ich würde es als Segen empfangen, -wenn es so wäre, wenn ich schon dabei der -Verlierende bin. Besser, es sei einer unglücklich, -als drei!« Sabine rief: »Wer sagt, daß -ich unglücklich bin?« und ihr Gesicht überzog -sich mit Purpur. Ricchiari antwortete: »Mich -liebst du nicht, aber ihn liebst du vielleicht!« -– »Und wenn schon,« rief sie mit geballten -Fäusten, »so will ich doch nicht zum Kinderspott -werden! Leidenschaften treten wie Krankheiten -an uns alle heran, aber ich möchte mich -lieber aus dem Fenster werfen, als so läppisch -erliegen wie andere Frauen. Ich werde mich -durchkämpfen.« – »Du bist zu klug,« sagte -der Mann traurig. »Ich weiß nicht, soll ich -dich bewundern oder verachten.« Sie erwiderte -finster: »Ich dächte doch, das letztere hätte ich -nicht verdient,« worauf er voll Schmerz zurückgab: -»Das ist es ja gerade, was mich wirbelsinnig -macht, daß ich das nicht weiß. Du mußt -Geduld mit mir haben.« Sie gingen auseinander, -ohne daß Ricchiari um vieles klüger -geworden wäre.</p> - -<p>Aber für Sabine war die Sache nun doch -nicht so glatt abgetan. Daß sie sich durch ihr -<a class="pagenum" id="page_154" title="154"> </a> -ruhmrediges Geständnis die Möglichkeit abgeschnitten -habe, sich ferner zu den absonderlichen -Stelldicheins zu begeben, das leuchtete -ihr natürlich sofort ein. Doch fiel ihr diese -gezwungene Entsagung durchaus nicht leicht, -und sie bereute heftig ihre unzeitige Offenheit, -die sie nun unerbittlich vor eine endgültige -Entschließung stellte: entweder mußte sie Sylva -aufgeben, oder sich vor Gott und der ganzen -Welt die Seine nennen. Und eines kostete sie -soviel wie das andere. Immerhin war der -Kampf in ihr verhältnismäßig rasch entschieden. -Sie setzte sich hin und verfaßte ein Schreiben -an Sylva, worin sie ihm endgültig absagte. -Den Brief hat niemand gesehen; Sylva muß -ihn sofort vernichtet haben. Er ging alsbald -hin und erschoß sich.</p> - -<p>Ricchiari war es, der zuerst an das Lager -des Toten gerufen wurde und der zuerst auch -den rührenden kleinen Zettel las, den jener -hinterlassen. Diesen zu eskamotieren, dazu -fühlte sich der Arzt indes zu sehr beobachtet, -bereits lief das verräterische Dokument durch -die Hände hilfeleistender Frauen. In begreiflicher -Erregung kehrte Ricchiari heim, und -schonungslos, kopflos, zitternd und hastig teilte -<a class="pagenum" id="page_155" title="155"> </a> -er Sabinen das Grauenhafte mit. Sie blickte -ihn anfangs geringschätzig an, mit einem -Schürzen der Oberlippe, als spräche er von -dem Fremdesten der Fremden. Nach drei Sekunden -etwa wurde ihr Gesicht weiß und ihr -Auge starr. Sie fragte heiser: »Was sagtest -du?« und als er schreiend wiederholte: »Sylva -hat sich erschossen!« schritt sie langsam, wie -geistesabwesend, durch das Gemach und begann -mit nervösen Fingern ein Wollknäuel -abzurollen. Nach einer weiteren Minute drehte -sie sich rasch um, faßte nach der Lehne eines -Stuhles, setzte sich hin und legte das Gesicht -auf die Arme. Der Mann sah ihren Körper -schauern, vernahm jedoch kein Schluchzen. Er -wagte, da er nun sah, daß sie äußerst erschüttert -war, kein Wort weiter zu sagen, und nach -einer Weile zog er sich still zurück. Eine Stunde -später trat Sabine, sehr blaß, aber anscheinend -wieder ruhig, in sein Zimmer und fragte kurz -und hart: »Weiß man, warum er es tat?« -Der Doktor, da er sie gefaßt sah, erwiderte -ebenso kurz: »Er hat einen Brief hinterlassen.« -– »So? und was steht darin?« – Ricchiari, -von ihrem Blicke, der wie Feuer brannte, gemeistert, -sagte mechanisch die ersten zwei Zeilen -<a class="pagenum" id="page_156" title="156"> </a> -des Zettels her, die er im Gedächtnis behalten -hatte. Sie zog dabei die Schultern hoch, als -ob Schläge darauffielen, und bewegte sich mit -gesenktem Haupte gegen die Türe, durch welche -sie verschwand, ohne das Ende des Berichtes -abzuwarten. Gleich darauf stand sie in Sylvas -Totenzimmer. –</p> - -<p>Es wurde nun dem Doktor an Sabinens -Seite besser denn je. Wenn ein Menschenkind -allen Halt und allen Glauben an sich selbst -verloren hat, so streckt es naturgemäß die Hände -dem entgegen, der sich in Güte und Verzeihung -seiner annimmt. Dazu war nun kein Mann -so geschaffen, wie Ricchiari, der jeden Winkel -im Herzen der Frau mit seinem stillen Erbarmen -durchleuchtete und nichts als Friedensworte -für sie hatte, selbst da, wo er zu strafen -berechtigt war. Sein Mitleid für sie war grenzenlos, -und nicht geringer war allerdings das -meine. Weit entfernt, die unglückliche Frau -noch tiefer zu beugen, tat Ricchiari, und ich -mit ihm, das Äußerste, um ihr wieder einen -Teil ihres Lebensmutes zurückzugeben. Sie -nahm, wie ein krankes Kind, was der unermüdliche -Gatte für sie tat; dabei war sie klug -genug, das Unverdiente seiner Großmut ganz -<a class="pagenum" id="page_157" title="157"> </a> -zu empfinden, und eine innige Dankbarkeit -ihrerseits mußte naturgemäß dieser Erkenntnis -folgen. Bald stellte sich zwischen den Gatten -ein ganz erträgliches Verhältnis her, und Sabine -lernte ihre unerhörte Meisterschaft über -sich selbst nun in einer würdigeren Sache anwenden. -Daß sie eine Natur war, die alles -konnte, was sie ernstlich erstrebte, hatte sie bewiesen, -und jetzt ging ihr Wollen dahin, ihren -Gatten für manche erlittene Kränkung, die sie -reuevoll einsah, zu entschädigen. In gewissem -Maße gelang ihr auch das; wenigstens erfuhr -Ricchiari nichts mehr als Liebes und Gutes -von ihr, und war schlau genug, nicht ergründen -zu wollen, ob dieses Liebe und Gute einem -spontanen Herzenstriebe entsprang oder ob -eiserne Willenskraft es aus dem Bewußtsein -einer nie gutzumachenden Schuld erzeugt -hatte. Er begnügte sich mit der Wirkung, und -daran tat er wohl. Denn wer nach Ursachen -forscht, wird irre an Gott und Welt. Die -<em class="ge">Menschenseele</em> ist das verschleierte Bild -von Sais – und vielleicht ist uns wohler, -solange keiner kommt, den geheimnisvollen Flor -zu heben.</p> - - -<p class="ce fsxs mt4 lh2"><a class="pagenum" id="page_160" title="160"> </a> -Druck von F. E. Haag, Melle i. H.<br /> - -<img src="images/emblem2.png" alt="" /><br /> - -Curt Hamel'sche Druckerei u. Verlagsanstalt, Charlottenburg, Spreestr. 43/44</p> - -<hr /> - - - - -<h2>Hinweise zur Transkription</h2> - - -<div class="mw36"> -<p class="in0">Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt.</p> - -<p class="in0">Darstellung abweichender Schriftarten: <em class="ge">gesperrt</em>, <i>Antiqua</i>.</p> - -<p class="in0">Der Schmutztitel wurde entfernt. Ein Verlagshinweis zu Sonderexemplaren -auf Büttenpapier wurde von der Versoseite des Schmutztitels -an das Ende der Titelei verschoben. Das Inhaltsverzeichnis -wurde vom Ende des Buchtextes an den Beginn des Buchtextes verschoben.</p> - -<p class="in0">Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten.</p> -</div> - -<hr /> - -<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GABRIELENS SPITZEN ***</div> -<div style='text-align:left'> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Updated editions will replace the previous one—the old editions will -be renamed. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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Redistribution is subject to the trademark -license, especially commercial redistribution. -</div> - -<div style='margin:0.83em 0; font-size:1.1em; text-align:center'>START: FULL LICENSE<br /> -<span style='font-size:smaller'>THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE<br /> -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK</span> -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase “Project -Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg™ License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.A. 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