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authornfenwick <nfenwick@pglaf.org>2025-01-22 13:03:39 -0800
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-The Project Gutenberg eBook of Gabrielens Spitzen, by Grethe Auer
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
-will have to check the laws of the country where you are located before
-using this eBook.
-
-Title: Gabrielens Spitzen
- Zwei Novellen
-
-Author: Grethe Auer
-
-Release Date: October 11, 2021 [eBook #66515]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at
- https://www.pgdp.net (This book was produced from images made
- available by the HathiTrust Digital Library.)
-
-*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GABRIELENS SPITZEN ***
-
-
-
-
- Gabrielens Spitzen
-
-
- Zwei Novellen
-
- von
-
- Grethe Auer
-
- [Illustration: Emblem]
-
- Egon Fleischel & Co. / Berlin / 1919
-
-
-
-
- Alle Rechte, besonders das
- der Übersetzung, vorbehalten
- Amerikanisches Copyright 1919
- by Egon Fleischel & Co., Berlin
-
-
-
-
- Mit der ersten Auflage dieses Werkes
- wurden fünfzig Exemplare auf
- Büttenpapier gedruckt und von der
- Verfasserin numeriert und gezeichnet
-
-
-
-
-Inhalt
-
-
- Seite
-
- Gabrielens Spitzen 1
-
- Die Tugend der Sabine Ricchiari 77
-
-
-
-
-Gabrielens Spitzen
-
-
-Die Frau, von der ich jetzt erzählen will, war eines Schreibers Tochter in
-einer rheinischen Stadt, in der die Üppigkeit eines kleinen Fürstenhofes,
-Kunstsinn einer altangesessenen und wohlhabenden Bürgerschaft und
-natürliche Leichtlebigkeit und Anmut der unteren Bevölkerungsschichten
-zusammenwirkten, um einen für jene Zeit bedeutenden Grad von Sinnenkultur
-hervorzubringen. Es haben Männer aus jener Stadt später oft führende
-Stimmen im Rat der hohen Kunst besessen; oft hat sie Feldherren gestellt in
-den Kampf eines neuen Kunstgedankens gegen einen alten. Doch das tut
-nichts zur Sache. Was uns angeht -- in jenem ersten Drittel des
-achtzehnten Jahrhunderts -- ist nur eine gewisse Feinheit und Freiheit der
-Lebensauffassung, eine gewisse Veredlung alles Trieblebens durch echtes
-Schönheitsempfinden, die durch alle Schichten der Bevölkerung zu
-bemerken waren und die es einem armen Schreiberskinde ermöglichten, eine
-Künstlerin zu sein.
-
-Im Hause des Schreibers herrschte bei einer vielköpfigen Familie und
-einfachster Lebensführung durchaus kein Mangel irgendwelcher Art. Die
-nüchterne Kost genügte stets für alle, ein bescheidener Leckerbissen
-krönte die Feiertage, und ein zufälliger Gast fand immer freundliche
-Bewirtung. Das wenige Hausgerät, obzwar schlicht und derb, war stets in
-gutem Zustande, wozu die liebevolle Behandlung, die ihm von allen Seiten
-zuteil ward, nicht wenig beitrug. Da jedes Stück selbst erworben, lang
-erstrebt und mühsam in langen Raten bezahlt war, so verkörperte es
-gleichsam ein paar Jahre Lebensgeschichte des Erwerbers, besonders, wenn
-noch eigene Kunstfertigkeit hinzutrat, die den Wert des Gerätes erhöhte.
-So war das eigengesponnene Linnen der Betten durch eigengeklöppelte
-Spitzen bereichert, in denen alle Feierabende und Sonntagnachmittage
-sämtlicher Frauen der Familie Gestalt gewonnen hatten; die Mußestunden
-der Männer hatten sich in sinnreiche Bemalung der tannenen Schränke und
-Truhen, in leichtes Schnitzwerk an Bettleisten und Stuhllehnen umgesetzt;
-und die Glorie einer frohen Erinnerung, der Wehmutsschleier einer trüben
-schwebten und webten über jedem Dinge. Noch wurden Wohnungen nicht
-gewechselt, Hauseinrichtungen nicht fertig gekauft, schnell abgenutzt,
-erneut und getauscht nach Belieben. Sie entstanden unter den Schicksalen
-der Menschen, trugen ihren Stempel und überlebten sie als Denkmäler ihres
-Wesens.
-
-Wie alle Glieder der Schreibersfamilie an dem Bau, der Erhaltung und
-Verschönerung ihres Heims tätig gewesen waren, so trugen auch alle zu dem
-bißchen Wohlstand und Wohlleben der Familie bei, indem alle nach Kräften
-erwarben. Jedes der Kinder hatte sein Talent oder seine Tüchtigkeit und,
-kaum den Kinderjahren entwachsen, seinen Broterwerb. Und diejenige unter
-den Töchtern, deren Geschichte ich erzählen will, war Spitzenklöpplerin
-und zählte die vornehmsten Frauen der Stadt zu ihren Kundinnen.
-
-Es war eine kleine Person, dunkel, mit großen, aber keineswegs
-schwärmerischen Augen, äußerst zarter, aber blühender Haut und dem
-prächtigsten, glatten, rabenschwarzen Haar, das sie in Zöpfen unter einer
-sittigen kleinen Haube verborgen trug. Ihr braunes Kleidchen sah dank ihrer
-friedlichen Beschäftigung immer wie neu aus, das Busentuch stets rein und
-weiß, und das goldene Kreuzchen, das sie an einem Sammetbändchen am Halse
-trug, hob die Zierlichkeit ihrer Erscheinung durch sein Blinken gerade
-genug, um ihrer keuschen Jugendlichkeit nichts zu nehmen. Sie hieß
-Gabriele; und wie auch der Name im Munde ihrer Umgebung verdorben wurde,
-sie selbst sprach ihn stets unverkürzt; und hätte sie schreiben können,
-sie würde ihn auch unverkürzt geschrieben haben.
-
-Gabriele hatte zwar in ihrer Kindheit bei den Klosterfrauen einiges
-gelernt; aber, dem ohnehin dürftigen Unterricht kaum entwachsen, hatte
-sie unverzüglich alles wieder vergessen bis auf das Spitzenklöppeln und
--nähen, das sie mit der Leidenschaft einer echten Künstlerin betrieb.
-Nicht nur hatte sie die gewandtesten Finger; sie hatte auch Gedanken: sie
-ersann Formen, veredelte und verbesserte die vorhandenen und liebte es,
-ihre Muster im feinsten Faden und in der mühevollsten Technik der Klöppel
-und der Nadel auszuführen; denn da sie unendlich flink arbeitete,
-so geschah es nicht leicht, daß ein angefangen Stück Arbeit ihr zum
-Überdruß wurde. Alles, was unter ihren Händen entstand, erfüllte sie
-in seiner Sauberkeit und Regelmäßigkeit mit solcher Freude, daß sie
-vergaß, wer es geschaffen und erdacht hatte, und es wie ein Geschenktes
-hinnahm. War ein Stück fertig, so trippelte sie flink und glücklich nach
-dem Hause der Bestellerin. Nie gab sie ihre Arbeit in Dienerhände: selbst
-wollte sie sie vorlegen, selbst auf ihre Schönheit aufmerksam machen,
-selbst das Lob ernten, das dem Wohlgelungenen zukam. Sie pflegte ein Stück
-schwarzen Sammets bei sich zu tragen, darauf breitete sie die Spitze, ehe
-sie sie vorzeigte.
-
-Und dann bewunderte sie ihr eigenes Werk so herzlich, unschuldig und
-ehrlich, daß es niemandem einfiel, dies als Eitelkeit oder gar als
-berechnete List zur Erzielung eines höheren Preises aufzufassen.
-
-Wie eine Mutter ihr Kind anbetet, von dem sie weiß, daß sie selbst nichts
-tun konnte, als das vom Himmel Gegebene hüten und heilig halten, so betete
-Gabriele ihre kleinen Kunstwerke an, ohne sich eigentlich ein Verdienst
-daran beizumessen. Man hörte sie auch nie sagen: »Dies habe ich so oder
-so gemacht«, sondern stets: »Dies ist gut geworden« oder »Dies ist
-recht artig herausgekommen«, wobei doch jedermann empfand, daß sie
-diese Worte nicht wählte, sondern unbewußt als die einzig angemessenen
-vorbrachte. Deshalb mochten es die großen Damen auch gerne leiden, wenn
-die kleine Klöpplerin mit ihrer Arbeit bei ihnen eintrat; sie brachte
-etwas mit, was keine von ihnen verstand oder kannte, und was sie doch
-anwehte wie ein Hauch aus dem Paradiese.
-
-Am heiligen Sonntag klöppelte Gabriele nicht. Da ging sie zur Kirche,
-wobei freilich nicht verschwiegen werden darf, daß sie es weniger um
-Gottes Wort zu hören tat, als einigen köstlichen Altarspitzen zuliebe,
-deren Zeichnung sie in ihrem Gedächtnis nur fixierte, um sie gleich
-wieder ihrer stets tätigen Phantasie zum freien Spiel zu überlassen. Den
-Nachmittag aber legte sie vollends die Hände in den Schoß -- das heißt,
-sie klöppelte und nähte nicht, zwang sich auch nach Möglichkeit, nicht
-in Gedanken an einem Entwurf weiter zu grübeln; da gab sie sich ganz dem
-Zusammensein mit Eltern und Geschwistern hin. Der Sonntag war der Tag, der
-alle, die die Wochenarbeit auseinander gerissen hatte, in einem Raum und
-an einem Tische vereinigte. Da war die kleine Wohnstube, die während der
-ganzen Woche still und sauber aufgeräumt stand und keinen Laut vernahm
-als das surrende Spinnrad der Mutter oder den leichten Elfentanzschritt von
-Gabrielens Klöppeln, plötzlich belebt, übervoll und lärmend. Jeder der
-Brüder, jede der Schwestern hatte eine Sonntagnachmittagspassion, sei
-es, daß sie für ihre Gewandung arbeiteten, die sie während der Woche
-vernachlässigen mußten, sei es, daß sie Hausgerät und Zieraten
-herstellten, die sie lange begehrt hatten und nicht durch Kauf erwerben
-konnten. Der hämmerte, jener brannte, einer schnitzte; jene klapperte
-mit der Schere, diese mit Stricknadeln, eine dritte mit dem dampfenden
-Plättsteine. Dazu rauchten die Männer, daß die Luft wie eine bläuliche
-Wand zwischen den einzelnen stand, und im Ofen zischten leise die bratenden
-Äpfel, Wohlgerüche mit Wohlgerüchen mengend. Alle redeten, alle lachten,
-und der oder jener sang auch. Gabriele und die Mutter sorgten für die
-Mahlzeiten, und die stets Emsigen nahmen diese Aufgabe für Erholung und
-sonntäglichen Müßiggang, dem sie sich mit all der Schwelgerei hingaben,
-die ihre kleinen Mittel erlaubten. Duftete dann die Mehlsuppe, ein
-gebackener Fladen oder gar ein Stück Fleisch auf dem Tische, so trat eine
-große Stille ein, und man vernahm nichts als leises Klirren der Löffel
-und behagliches, langgezogenes Schlürfen. Bald aber schwirrte es um so
-lustiger wieder durch die erhitzte Luft der Stube.
-
-Das waren Gabrielens Feste. Einmal oder zweimal im Jahr sah sie eine
-Volksbelustigung, einmal oder zweimal im Jahr genoß sie eine fröhliche
-Sommerfahrt in grünes Land. Das waren dann Erinnerungen, die leuchteten
-lange nach. Aber die Alltäglichkeit hatte auch ihren Glanz, mochte er
-auch nur geborgt sein von dem Sonnenschein in Gabrielens eigenem Wesen.
-Krankheit blieb dem Hause fern; Mangel am Nötigsten hatte die tätige
-Familie nie erfahren müssen, und Monate knappen Erwerbes machten nur
-freudiger und erfinderischer zur Arbeit. Es waren glückliche Menschen und
-Gabriele, weil die Kunstfertigste, die Glücklichste.
-
-Dann kamen Freier für die Schwestern, dann vermählten sich die Brüder.
-An den Sonntagnachmittagen wurde die Stube enger, die Luft heißer und
-dicker, der Lärm mannigfaltiger. Kinderstimmen gellten, Kinderfüße
-trappten polternd dazwischen. Vielfach klangen manchmal ein kurzer,
-lebhafter Streitlärm, ein Kreischen, auf den Tisch donnernde Fäuste dazu.
-Aber es endete immer in Eintracht, und auch das bedeutete nur vermehrte
-Freude.
-
-Gabriele war die letzte Unvermählte, vielleicht weil sie die Feinste und
-Schönste der Familie war. Einfache Männer wagen sich nicht gern an das
-Aparte, und Gabriele war apart und ein bißchen hochnäsig, insofern, als
-sie derbe Scherze nicht liebte. So fröhlich sie war, das Lachen versagte
-ihr oft da, wo die werbenden Männer am meisten erwarteten, es zu hören.
-Das machte die Freier scheu, und schon glaubte jedermann, Gabrielen sei es
-nicht bestimmt -- -- da schlug auch ihre Stunde.
-
-Es war an einem Sommerabend, als im Städtchen das Leben sich in allen
-Gassen drängte. Duft von weißem Holunder wehte aus irgendeinem Garten.
-Frauen und Greise saßen auf den Bänken vor den Häusern; Kinder, Hunde
-und Spatzen tummelten sich in den Gassen, die Männer standen unter den
-Türen der Werkstatt, der Boutique, der Kanzlei und warteten auf den
-Feierabendschlag, schon müßig, ehe er erklang. Die milde Wärme löste
-jede Spannung, jede Sorge, jeden Arbeitstrieb, weckte den Lebensgenuß, die
-Sorglosigkeit, den Leichtsinn -- als ob es nie mehr einen Winter, Not und
-Kälte geben sollte.
-
-Da kam auf Stöckelschuhen, die fast so hell und flink klapperten wie ihre
-Klöppel, Gabriele durch die Gasse getrippelt. Sie hatte etwas vollendet,
-was ihr besonders gefiel, und sie trug das fertige Stück seiner Bestimmung
-zu. Da wollte es der Zufall, daß ein vornehmer Müßiggänger, der
-ziel- und absichtslos durch die abendliche Schönheit schweifte, die
-Vorstadtgasse kreuzte und das Mädchen erblickte. Er folgte ihm bis in das
-stillere Quartier der Reichen, wo die Bestellerin der Spitze wohnte. Er sah
-die schöne Person vor einem großen steinernen Hause haltmachen, das er
-erfreut als das eines Freundes erkannte. Er trat hinter ihr ein, eilte vor
-ihr die Treppen hinauf und stand neben dem Lehnstuhl der greisen Herrin
-des Hauses, als die höflich knixende Gabriele unter der Tür des Gemaches
-erschien.
-
-Das Herz der kleinen Klöpplerin, das bei der offensichtlichen Verfolgung
-bereits etwas ängstlich zu pochen begonnen hatte, beruhigte sich sofort
-beim Anblick des Mannes an diesem Orte. Gabriele gehörte zu den seltenen
-Menschen, die jedem Ding gern die natürlichste Erklärung geben: daß
-dieser Mann denselben Weg gehabt wie sie, daß er in dies Haus gehörte und
-daß er mit Fug und Recht Leuten, die da aus und ein gingen, etwas scharf
-ins Gesicht blicken mochte, das war eine Folgerung, mit der sich Gabriele
-ohne weiteres zufriedengab. Sie knixte bescheiden und artig auch vor ihm,
-dann begann sie unbefangen, ihren Sammetfleck auszubreiten und die Spitze
-darauf zu entfalten.
-
-Es war ein feines Gebilde von Sternen und duftigen, nebelzarten
-Hintergründen, aus denen sich die kräftigeren Linien eines streng
-gehaltenen Musters hervorhoben. Ein blühender Kirschbaum; der Schaum
-eines Wasserfalls; die windgekräuselte Fläche einer Wiese voll weißer
-Sternblumen; Schneeflockentanz oder rieselnder Regen abfallender Sternchen
-der Holunderdolde -- alles das konnte dem Beschauer zu Sinn kommen, der
-dies reinliche Stückchen Menschenwerk sah. Und doch stand eine feste,
-straff geführte Zeichnung in dem Nebelbilde. Die kleine Künstlerin selbst
-faltete die Hände, wie sie drauf niederblickte, ganz versunken in die
-Vollkommenheit dessen, was sie im einzelnen durchdacht und ausgeklügelt,
-in seiner ganzen Wirkung aber nur eben geahnt hatte.
-
-Gleichfalls mit gefalteten Händen aber, und nicht weniger als sie
-versunken in den Anblick einer Vollkommenheit höherer Art, stand der
-Mann, der Gabriele verfolgt hatte. Die Klöpplerin hatte sich bedachtsam
-so gestellt, daß ihre Figur keinen Strahl des sinkenden Lichtes von ihrem
-Kunstwerke hinwegnahm; dafür traf nun sie selbst die volle Beleuchtung.
-Alles Feine, Säuberliche und Zierliche an ihr kam zu voller Würdigung:
-die seidige Haut, die Weichheit ihres Haares, die dunkle Glockenschweifung
-ihrer langen Wimpern, die durchsichtige Zartheit der kleinen Ohren nicht
-weniger als das tadellose Gefältel der Haube, die Unverbrauchtheit ihres
-Anzuges, die züchtige Ordnung des Halstuches. Und vielleicht waren es
-Bilder noch holderer Art, die dem Beschauer dieses Stückchens Gotteswerk
-zu Sinn kamen, denn ein inniges und sehr glückliches Lächeln verbreitete
-sich langsam über sein Gesicht, in dem auch nicht der Schatten eines
-niedrigen Gedankens mehr zu sehen war. Er richtete mit freundlicher Stimme
-einige übliche Fragen an Gabriele, und wenn sie bei der Antwort in seine
-Augen blickte, was sie mit der Unerschrockenheit der Unschuld tat, so
-begegnete sie dem Ausdrucke lauterster Güte.
-
-Als Gabriele heimwärts wandelte durch die Straßen und Gassen, in denen
-nun die Dämmerung wob, mußte sie recht ernsthaft an den großen vornehmen
-Mann denken, der sie so gütig angeblickt hatte. Sie verhehlte sich nicht,
-daß sie einem ähnlichen Blick nie in ihrem Leben begegnet war. Sie hatte
-oft genug Bewunderung und Begehren in Männeraugen gesehen, aber nur in
-den Augen glücklicher Mütter etwas von dem, was dieser Fremde über sie
-ausgegossen hatte. Und wie sie über das Erlebnis nachdachte, ertappte sie
-sich auf dem sonderbaren Wunsche, diesem Manne als Magd zu dienen, wenn es
-einmal mit dem Spitzennähen vorbei sein sollte. Gabriele wußte, daß die
-Augen vieler Klöpplerinnen in noch jungen Jahren den anstrengenden Dienst
-des Ausnähens versagen, und der Gedanke an diese Möglichkeit hatte sie
-oft erschreckt. Jetzt sah sie in ein Zukunftsbild, wo es sich auch ohne die
-gewohnte Arbeit recht annehmbar leben ließ: sah ein freudiges Schaffen aus
-innerm Herzenstrieb vor sich, wie sie es bisher noch nie einer Person, nur
-ihrer Kunst dargebracht hatte.
-
-Einige Tage nach diesem Vorfall trat der fremde Mann in Gabrielens Stube;
-er bestellte Spitzen, er ließ sich Muster zeigen, er sprach viel und
-fragte eingehend über die wunderlichsten Dinge. Gabriele antwortete in
-wahrer Herzensfreude, schon jetzt den künftigen Gebieter in ihm verehrend,
-und bemühte sich, ihr Bestes zu zeigen, um seine gute Meinung für
-kommende Zeiten zu gewinnen. Darüber merkte sie nicht, wie lange er blieb
-und wieviel er frug, was gar nicht zur Sache gehörte. Auf ihren stillen,
-morgenlichten Lebensweg war plötzlich in goldener, breitstrahlender Fülle
-der blendendste Sonnenschein gefallen; sie vermochte noch nicht, die Augen
-ganz aufzuschlagen.
-
-Sie hatte nun erfahren, daß der Fremde ein Ratsherr war und einer der
-reichsten Patrizierfamilien der Stadt angehörte. Er hatte ihr seinen Namen
-genannt, hatte ihr beschrieben, wo er wohnte, und ihr befohlen, die Spitzen
-dahin zu bringen. Ohne Arg sagte Gabriele zu. Schnell huschte der listige
-Vorsatz durch ihr Köpfchen, sich das Haus, in dem sie einmal dienen
-wollte, gut anzusehen: »ob etwas zu lernen wäre, was sie noch nicht
-könnte«. Sie lächelte ein wenig bei dem Gedanken, daß sie dann etwas
-anderes als Mehlsuppen würde kochen müssen. Aber was wollte sie nicht
-können, wenn es diesem Herrn galt?
-
-Sie machte sich an die Spitzen und spann dabei an den frömmsten und
-demütigsten Vorsätzen. Sie dachte an tausend kleine Verrichtungen, die
-sie für Vater und Brüder zu tun gewohnt war, und ob jener Gestrenge auch
-damit zufrieden sein würde. Und in der Sorge um sein Wohlgefallen schien
-ihr plötzlich auch ihre Kunst arm und ihr Fleiß ungenügend. Sie warf
-beiseite, was sie begonnen hatte, und fing noch einmal mit feinerem Faden
-an.
-
-Wenn Gabriele je ein Kunstwerk geschaffen hatte, so war dies Stück Spitze
-eines. Wie von leichten Winden getragen, lebte und webte das Geranke auf
-dem duftklaren Grunde; jede Blüte öffnete sich in voller Wonne, jede
-Knospe zitterte, schlanke Stäbe von leichtem Gitterwerk strebten
-kühn nach oben und stützten die flatternde Wildheit der Zweige, und
-Schmetterlinge mit ausgebreiteten Schwingen lagen ruhend auf den Wogen
-der Luft. Ein ganzer Frühling, nur im lauteren Weiß eines
-Schneeblumentraumes, erwachte unter den emsig spielenden Fingern. Die
-Klöppel klangen wie klappernde Pantöffelchen zahlloser kleiner Elfen, die
-hurtig und froh den Wunderwebstuhl bedienten; in lautloser Stille aber
-zog die Nadel ihre magischen Kreise, feierlich, langsam und preziös
-bedächtig, wie ihrer größeren Wichtigkeit bewußt.
-
-Der Ratsherr kam von Zeit zu Zeit, um den Fortschritt des Werkes zu
-betrachten. Wenn er in die Stube trat, ruhten die Klöppel, denn dann
-fühlte Gabriele ihre Finger kalt und unruhig und zu subtiler Arbeit
-untauglich werden. Sie stand vor dem Gewaltigen auch lieber auf: schon
-stehend fühlte sie sich so klein neben ihm. Und dann war er doch auch
-ihr zukünftiger Herr, und Sitzen und Weiterarbeiten vor ihm wäre eine
-Unziemlichkeit gewesen.
-
-Der Ratsherr pflegte recht ausgiebig zu loben, und Gabrielens Herz
-hüpfte vor Freude, wenn sie sah, wie gut er das wahrhaft Kunstreiche und
-Schwierige zu würdigen wußte. Das war ein Mann, dem edle Arbeit durch die
-Finger gegangen war! Sein verständiges Lob gab Gabrielen die anfänglich
-erschütterte Sicherheit zurück, sie fing wieder an, sich unverhohlen des
-Gelingens zu freuen, und je mehr sie sich freute, desto schöner und holder
-sah sie aus, so daß es fast eine zu harte Probe für des Mannes Liebe
-wurde, das ernste Spiel nicht durch einen voreiligen Ausbruch von
-Zärtlichkeit ganz zu verderben. Seine Besuche wurden immer länger, kamen
-immer häufiger. Er gab ihnen eine gewisse Begründung durch allerhand
-Belehrendes, was er Gabrielen zutragen zu müssen vorgab: denn wie alle
-Geniemenschen trieb diese kleine Fee ihre Kunst nur nach den Geboten ihrer
-eigenen Seele und ahnte nicht, daß es außerhalb dieser und dem Stückchen
-ererbter Tradition noch unermeßliche Möglichkeiten gab. Sie besaß eine
-Sammlung pergamentener Klöppelbriefe, die uralt waren. Die Jahreszahl
-1604, die irgendwo auf dem ersten Blatte neben dem Namen des Sammlers
-stand, hatte keine Bedeutung für sie; die vorhandenen Muster veränderte
-und veredelte sie mit sicherem Stilgefühle. Nun kam der Ratsherr, und
-plötzlich stieg aus den vergilbten Blättern ein lebendiges Bild von
-Menschen- und Völkerschicksalen empor. Jedes Muster in dem alten Buche
-trug den Namen eines fernen Landes, einer Stadt: von einem längst
-versunkenen Kaiserreiche Byzanz, vom wogenumspülten Venedig, von der
-fernen Königin der Meere, dem glorreichen Genua wußte der vielwissende
-Mann die gewaltigsten Dinge zu erzählen. Dann wieder beschrieb er den
-stillen Fleiß holländischer Schifferfrauen, die träumend des Liebsten
-im tosenden Weltmeere denken, die höfische Pracht Frankreichs, wo der
-größte aller Könige die schöne friedliche Kunst der Frauen geadelt und
-gelohnt habe; die Nöte wandernder Hugenotten, die die Gottesfunken des
-reinen Glaubens weitertrugen, aus Holland und Frankreich in deutsche Lande,
-und mit ihm als Bild und Schild ihrer Tugend die edle Arbeit. Auch brachte
-er neue Muster aus Gent oder Alençon, die vielleicht ein tüchtiges
-kleines Menschenwesen wie Gabriele in die Welt geschickt hatte, vielleicht
-aber auch ein großer Künstler, der eigens zu dem Zweck studiert hatte und
-viel Gold und Ehre mit seiner Erfindung gewann. Gabrielens Geist erfaßte
-bang und doch froh die Lehre von der Weltbedeutung der Industrie, von der
-Mitarbeiterschaft stiller Frauen am Wohlstande und Ruhm ganzer Völker.
-Sie versuchte auch gern die Anwendung mancher Lehre, die dem anschaulichen
-Unterrichte entfloß, ahmte die neuen Muster nach, grübelte über ihre
-Technik, wagte und probierte, und durfte bald ein Gelingen verzeichnen.
-Den Ratsherrn beglückte die Feinheit und Richtigkeit ihres Empfindens, die
-Klarheit, die sie über ihr Können und seine Grenzen besaß.
-
-So ging das Werk zu Ende. Gabriele wurde desto stiller, je mehr sie sich
-dem Abschluß näherte, sie arbeitete auch langsamer und saß oft lange
-in müßigem Träumen vor ihrem Kissen, während sie sonst wohl ein wenig
-gehastet hatte, wenn es zur Vollendung ging. Es tat ihr weh, sich von
-dieser Arbeit zu trennen.
-
-Mit Tränen löste sie die letzten Nadeln aus der Spitze, rollte ihren
-Klöppelbrief zusammen und legte ihn in ein Kästchen, das einige kindliche
-Reliquien barg: kein anderer sollte je dieselbe Spitze tragen. Dann machte
-sie sich, diesmal mit langsamen Schritten und ganz blaß vor Leid, auf den
-Weg nach dem glänzendsten Hause der Stadt. Sie hatte dem Ratsherrn die
-Ablieferung für den bestimmten Tag versprochen, sonst hätte sie wohl das
-geliebte Stück Arbeit noch ein Weilchen für sich behalten.
-
-Als sie nach dem Hause des Gestrengen kam, erschrak sie sehr. Sie sah
-festlich geschmückte Menschen in der Halle, auf den Treppen, in den
-Gemächern, durch die ein schweigender Diener sie führte. Einige von
-diesen Menschen blickten sie lächelnd, andere erstaunt, andere ernst und
-forschend an, aber kein einziger gleichgültig.
-
-Gabriele fühlte sich nur von dem Gedanken bedrückt, daß sie vielleicht
-in dieser letzten Stunde den geliebten Mann nicht allein sehen, daß sie
-seine Aufmerksamkeit mit vielen anderen teilen würde. Vielleicht würde
-er gar nicht Zeit haben, die fertige Arbeit in diesem Augenblicke zu
-betrachten; er würde sie beiseitelegen, vergessen, vielleicht nach vielen
-Tagen zufällig darauf stoßen -- und Gabriele hätte doch so gern noch
-einmal sein knappes, scharfes Urteil gehört. Sie empfand es bitter, daß
-so ihrer Schaffensfreude Lohn und Krone genommen sein sollte, und schon
-erwog sie, ob sie nicht umkehren und zu gelegenerer Stunde wiederkommen
-sollte, als sie den Ratsherrn, von einigen würdig aussehenden Matronen
-geleitet, auf sich zuschreiten sah.
-
-Sie erkannte schnell in den alten Damen Kundinnen und Beschützerinnen und
-fühlte sich ein klein wenig versöhnt mit dem Mißgeschick der Stunde. Wie
-sie aber, an einen Tisch geleitet und von vielen Neugierigen umringt, ihre
-Spitze, um die alle zu wissen schienen, entfalten sollte, brach ihr fast
-das Herz. Es schien ihr grausam, daß sie vor gleichgültigen Gaffern
-bloßlegen sollte, was ihr das Heiligste und Liebste im Leben war. Und
-nicht mit der gewohnten leuchtenden Freude stand Gabriele diesmal vor ihrer
-Gabe, sondern trübe, in lautloser Ergebenheit und ganz stumpf gegen den
-Beifall, der sie von allen Seiten umrauschte. Langsam verschleierten sich
-ihre Augen; sie fühlte, daß sie eilen müsse, dem Getriebe zu entkommen,
-und mit einer Verbeugung gegen den Hausherrn suchte sie die Türe zu
-gewinnen.
-
-Aber schnell faßte der Ratsherr sie an der Hand und bat sie, zu verweilen
-und als sein Gast dem Feste, in das sie nun einmal geraten sei, ein
-Weilchen beizuwohnen. Auf Gabrielens erschrockene Abwehr hin mischten
-sich auch die würdigen Damen ein, und jede hatte ein liebes Wort für das
-geängstigte Kind. Die Matrone, in deren Haus jene erste kleine Begegnung
-zwischen Gabrielen und dem Ratsherrn stattgefunden hatte, sprach besonders
-gütig zu ihr; sie berichtete der langsam Auftauenden, es wäre zwischen
-den Gästen bereits verabredet worden, Gabrielen zum Bleiben aufzufordern,
-falls sie, wie erwartet, mit ihrer Spitze erscheinen sollte; und da sei
-niemand so hochmütig, einer so braven und fleißigen kleinen Person den
-fröhlichen Abend zu mißgönnen. Sie möge nur bleiben und sich an allem
-Gebotenen gütlich tun und sich einmal recht ansehen, wie es bei den
-reichen Leuten zugehe. Wenn sie sich aber dabei auch ein bißchen freuen
-könne, so statte sie ihrem Gastgeber dadurch den allerliebsten Dank ab,
-denn ihm sei daran gelegen, ihr für die besonders tüchtige und geduldige
-Arbeit eine kleine Ehrung widerfahren zu lassen.
-
-Gabriele war sprachlos, aber der überglückliche Ausdruck ihres
-Gesichtchens antwortete deutlich genug, daß ihr der eigentümliche
-Extralohn, den der vornehme Mann ihr zugedacht, keineswegs zuwider war. Sie
-stammelte nur noch etwas Undeutliches von armseliger Gewandung -- aber der
-Ratsherr rief alsbald ein paar jüngere Frauen heran und bat sie, seinen
-kleinen Gast nach Möglichkeit zu schmücken.
-
-»Nach Möglichkeit, Bruder?« rief eine große blonde Frau von heiterem
-Wesen, »nach Möglichkeit ist mehr verlangt, als du von unseren
-Frauenherzen billig erwarten kannst! Denn sie würde uns alle ausstechen,
-wenn wir mehr als das Nötigste täten!« Gabriele wurde flammendrot und
-schlug die Augen zu Boden, weil sie dachte, man spotte ihrer. Aber als sie
-den Ratsherrn die wohlwollende Necklust der blonden Frau durch ein scharf
-verweisendes: »Laß die Torheiten!« bestrafen hörte, tat es ihr leid,
-und sie lächelte mit einer sanften Bitte um Verzeihung im Blick den
-Personen zu, die sich nun an ihr zu schaffen machten.
-
-Die Männer wurden von den munteren Frauen ins Vorgemach gewiesen, und
-alsbald sah Gabriele sich der Haube und des Busentuches beraubt. Während
-eine Hand ihr Haar löste, wieder flocht und durch funkelnde Spangen in
-ganz anderer, vornehmer Weise feststeckte, legte eine andere ihr die eben
-vollendete, köstliche Spitze um die Schultern. Es bedurfte weiter nichts,
-um die kleine Klöpplerin in eine allen anderen durchaus ebenbürtige
-Erscheinung zu verwandeln; die artige Haltung ihrer feinen Figur und das
-schöne Maß ihrer Bewegungen taten das übrige.
-
-Als Gabriele vor dem Ratsherrn stand, entschuldigte sie sich zaghaft,
-daß man gewagt habe, ihr die kostbare Spitze umzulegen; er aber erwiderte
-freundlich, dies sei durchaus in seinem Sinne geschehen; an ihrem Leib sei
-ihm die Spitze so sicher, als läge sie in einem Reliquienschreine. Sie
-versicherte eifrig und beruhigt, sie wolle die Spitze fein hüten, und
-wandte sich nun der Unterhaltung zu, die das fröhliche jüngere Volk sich
-schaffte. --
-
-Es war tatsächlich ein Zufall gewesen, was Gabrielen in die
-hochansehnliche Gesellschaft geführt hatte. Als nämlich die kleine
-Künstlerin den nahen Ablieferungstermin für ihr Werk festgesetzt hatte,
-war dem Mann die Antwort entglitten: »Wohl, ich werde dich erwarten, da
-ich weiß, daß du deine Arbeit nur dem Besteller zu übergeben pflegst.«
-Eine Minute darauf war ihm das Fest eingefallen, das am gleichen Abend in
-seinem Hause stattfinden sollte: er fühlte, daß das liebe Mädchen
-vor der geputzten Schar erschrecken würde, und daß der kleine Akt
-der Übergabe, der ihr sonst zum Ereignis zu werden pflegte, ihr durch
-Befangenheit und Scheu getrübt werden würde. Ihr -- und ihm! Er hatte
-alles auf diesen Augenblick verschoben, er erwartete alles von ihm. Aber
-gerade in tiefem Vorgefühl einer bedeutungsvollen Wendung verwirrte
-und bedrückte ihn das unerwünschte Zusammentreffen aufs heftigste. Ihn
-bedrängte die Frage, die ein Unbefangener leicht gelöst hätte: unter
-welchem Vorwande er Gabrielens Kommen verschieben solle -- bedrängte ihn
-heißer als manche schicksalsschwere Frage in Völkerhändeln. Es erschien
-ihm hart, ihr schlechtweg zu sagen: »Du kommst mir ungelegen, denn ich
-habe Gäste!« und es erschien ihm beleidigend und töricht, sie geradezu
-aufzufordern: »Komme, wenn ich allein bin!« So ging der Ratsherr an
-diesem Tage unentschlossen heim, und nachdem er eine unruhige Nacht voll
-nutzloser Grübeleien verbracht, verfiel er auf den Ausweg, seine alte
-Freundin, die auch Gabrielen wohlgesinnt war, um Rat zu fragen.
-
-Die würdige Frau fand gleich die natürlichste Lösung. Gabriele sei ein
-Wesen, dem man wohl eine seltene Auszeichnung zuteil werden lassen dürfe.
-Sie sei klug genug, um die Sache zu würdigen, wie sie gemeint sei, und
-nicht Wünsche und Begierden in sich aufkommen zu lassen, die ihrem Stande
-nicht angemessen wären. Sie selbst wolle Gabrielen die Sache erklären.
-Jedermann sei Gabrielen gut und würde ihr die Ehre und Freude dieser
-Einladung gönnen.
-
-Das Gesicht des Ratsherrn, als er diesen Vorschlag anhörte, verriet
-der weisen Freundin, wie sehr sie das Richtige getroffen habe. Mit einem
-Lächeln voll feinen Verstehens reichte sie ihm die Hand.
-
-Den Ratsherrn hatte zuerst nur die edle Billigkeit des Gedankens gewonnen,
-und ihm gefiel die Vorurteilslosigkeit, mit der die vornehme Frau die Sache
-vorbrachte. Dann aber tauchte leise eine andre Vorstellung in ihm auf, bei
-der es ihm erst klar wurde, was er in Gabrielen sah. Daß die Geliebte in
-seinem Hause umhergehen sollte, daß er ihr seinen Reichtum und sein
-ganzes Ansehen gleichsam zu Füßen legen wollte, ja, daß am Ende gar
-die ungewöhnliche Stimmung des Vorganges das Wort lösen würde, das
-seit langem in seiner Seele schlummerte -- diese Möglichkeiten stiegen in
-schönen, triumphierenden Bildern langsam in der Seele des Mannes auf. Der
-Ratsherr sah dem Tage dieses Festes als dem entscheidendsten entgegen.
-
-Schöner, als er gehofft, erfüllten sich seine Erwartungen. Mit einem
-Anstand ohnegleichen bewegte sich Gabriele in dem vornehmen Hause; ohne
-im geringsten von ihrer Natürlichkeit abzuweichen, wußte sie Sprache und
-Benehmen so sehr dem gehaltenen Tone dieser Gesellschaft anzupassen, daß
-ein Uneingeweihter sie ohne Zweifel als dazugehörig eingeschätzt haben
-würde. Dazu verhalf ihr in erster Linie ihre Bescheidenheit, die sie mit
-einer Art religiöser Dankbarkeit über dies unverhoffte Glück erfüllte.
-Nicht nur der Ratsherr selbst, sondern auch jeder Gast des Hauses
-anerkannte erstaunt diese Vollkommenheit der Form. Was vorher gönnerhafte
-Herablassung war, wurde wirkliches Wohlwollen, und es verging wenig mehr
-als eine Stunde, so ward Gabrielen gehuldigt wie einer kleinen Königin.
-
-Es erschien sonderbar, daß die so unerwartet Gefeierte sich ihres
-Erfolges nur lau zu freuen schien. Bei den artigsten Worten, die verzückte
-Bewunderer ihr zuflüsterten, sah man sie mit gespannter Aufmerksamkeit
-einem Gespräche lauschen, das zehn Schritte von ihr geführt wurde, und
-ihre Erwiderung bestand meist in einer Frage, die große Lernbegier, aber
-sehr geringes Verständnis der Situation des Augenblicks verriet. Einige
-der Schwärmer wurden von dieser augenscheinlichen Kälte abgeschreckt;
-andre um so tiefer angezogen; aber keiner verstand den Vorgang.
-
-Es verhielt sich mit Gabrielens Nachdenklichkeit etwas anders, als der
-liebende Mann sich vorstellte. Zu wiederholten Malen im Verlauf dieses
-Abends war es geschehen, daß Gabriele auf irgendeinen Gegenstand
-aufmerksam gemacht wurde, der zu besonderer Ehre und Zierde des vornehmen
-Hauses gehörte. Sie hörte auch von nichts anderem so oft und so eingehend
-sprechen, wie von dem Wert und der Schönheit eines Gemäldes, einer
-Schale, einer Figur, der Geschichte seines Erwerbes, der Art seiner
-Herstellung. Die kleine Gabriele, die sich bisher nur an dem zarten
-Kunstgedanken einer Spitze hatte berauschen können, bekam nun manches zu
-sehen, was ihr den Atem nahm: an Goldfiligran, Holzwerk, Glas und Silber,
-an Gewebtem und Gesticktem, an Leder und Pergament, an Bildnissen in Farbe
-und Marmor, mehr als nach ihrer Ansicht der prunkvollste Dom aufzuweisen
-hatte. Und sie, die alles, was sie sah, in Beziehung zum wirklichen
-Leben bringen mußte, sie empfand wie einen Alp die Vielgestaltigkeit
-der Bedürfnisse. Sie verstand, daß diese Menschen mit anderen Sinnen
-empfanden als sie; daß das, was Gabriele bisher als Mittel zum Leben
-angesehen: Kleidung, Nahrung und Hausgerät, ihnen als Zweck des Lebens
-erschien. Und es erfaßte sie etwas wie Angst vor dem Aufwand an Zeit, den
-so ein Dasein verschlang, ohne etwas anderes davonzutragen als wachsende
-Fähigkeit des Verbrauches. Sie hatte sich einen Haushalt vorgestellt, wo
-sie durch Fleiß und Ordnungssinn eine nennenswerte Dienstleistung bieten
-konnte, und sie sah mit Schrecken, daß in diesem Betriebe der einzelne
-kaum zählte. Und ihr schöner Zukunftstraum zerfiel.
-
-Während der Mahlzeit, wo funkelnde Schüsseln sie blendeten, ging es
-ihr übel. Kaum daß noch zu erkennen war, was Fisch, was Vogel war. Und
-trotzdem sah keiner von den Gästen überrascht aus, ja, wenn Gabriele
-auf ihre Unterhaltung lauschte, so schien es ihr, als wäre der oder jener
-nicht einmal sonderlich zufrieden. Gabriele war es, als müsse sie sich
-über diesen Undank kränken; wie viele Hände mochten an dem geschaffen
-haben, was da genußlos verbraucht wurde! »Sie wissen nicht, was Arbeit
-ist!« fuhr es ihr durch den Sinn, und ihr Gesichtchen ward kummervoll.
-
-Des Ratsherrn würdige Freundin versuchte auch, sobald das Mahl zu
-Ende war, mit mütterlicher List den Grund dieser unzeitigen Trauer zu
-ermitteln. Gabriele war zu schlicht für diplomatische Ränke; sobald sie
-nur erraten hatte, was ihre Beschützerin wollte, legte sie ihre ganze
-Seele vor sie hin. Sie habe oft, so erklärte sie, in ernsten Stunden
-darüber nachgedacht, was sie einmal beginnen würde, wenn ihre Augen, wie
-die so vieler Genossinnen, zum Klöppeln und Ausnähen zu schwach würden.
-Und wenn man Zukunftsgedanken spinne, so sei es natürlich, daß man das
-Erwünschteste zuerst in Betracht ziehe. Da habe sie denn geglaubt, nichts
-könne für eine arme Dirne schöner sein, denn als Magd in solch einem
-Hause zu dienen; sie habe auch den festen Glauben gehabt, sie könne
-backen, kochen, flicken und waschen so gut wie jede, und was sie noch nicht
-könne, würde sie mit Geduld und Fleiß wohl noch gelernt haben. Aber o
-Jesus! wie seien ihr heute die Schuppen von den Augen gefallen! Kaum zur
-untersten Scheuermagd lange ihr Können.
-
-»So gering schätzest du dich ein, Gabriele?« erwiderte lächelnd die
-alte Dame. »Aber mir scheint, daß du immerhin als Scheuermagd beginnen
-könntest, denn du würdest es schnell genug bis zur Schaffnerin bringen.
-Du brauchst ein Ding nicht mehr als einmal zu sehen, um es zu begreifen.«
-
-Gabriele, in ihrer Eigenliebe geschmeichelt, lächelte ein wenig vor sich
-hin. »Es freut mich, daß Ihr das denkt,« sagte sie, »aber da ist noch
-ein andrer Grund, warum ich traurig bin. Meine zwei Hände wären in diesem
-Hause nur ein Paar unter zehn anderen Paaren, und so ist Dienen keine
-Freude! Der Herr würde es nicht merken, wenn morgen ein andrer die Arbeit
-täte, die heute _ich_ getan habe, und das wäre Arbeit ohne Gotteslohn,
-nur um Geld.« Die Matrone ging, den Ratsherrn aufzusuchen, und berichtete
-ihm unter Lachen, was Gabriele ihr soeben gestanden habe. »Ich weiß ihr
-wohl eine Antwort,« sagte der Ratsherr, und sein schönes Gesicht wurde
-flammend rot. Er ging, Gabrielen aufzusuchen, die nachdenklich noch immer
-an der Stelle stand, wo die alte Dame sie verlassen hatte, und da er
-mit Recht schloß, daß ihr Sinnen auch noch nicht wesentlich von seinem
-Gegenstande verrückt sein würde, so fing er geradezu an und sprach:
-»Gabriele, es gibt in diesem Hause eine Stelle, die so ist, wie du sie dir
-eben gewünscht hast.« Sie blickte erschrocken auf, wollte etwas sagen,
-verstummte aber vor dem strahlenden und eindringlichen Blick seiner Augen.
-Er fuhr fort: »Niemandem als mir sollst du verantwortlich sein für die
-Arbeit, die du tust, und da wo du stehst, kann keiner je stehen und dich
-ersetzen. Dem Gesinde sollst du gebieten, aber dennoch wirst du die letzte
-Magd sein, denn aller Arbeit muß in deinen Gedanken sein, und du sollst
-dich nicht frei fühlen, als bis alle ihre Arbeit getan haben. Würde dir
-ein solcher Dienst gefallen, Gabriele?« Dem Mädchen brauste es vor den
-Ohren. Sie versuchte, wie gegen einen Wirbelwind kämpfend, auf dem Boden
-stehenzubleiben, wo sie sich sicher fühlte, deshalb sagte sie leise und
-mühsam: »Herr, ein solcher Dienst würde mir wohl gefallen!« »Überlege
-es wohl,« fuhr der Ratsherr fort, und seine Stimme zitterte ein wenig.
-»Es handelt sich um dein ganzes Selbst mit allen seinen Kräften. Du
-sollst geizig sein mit Weizenkörnern und freigebig mit Talern. Die Motte
-im Speicher soll dich ärgern, aber Krieg und Brand soll dich gefaßt
-und stark finden. Du sollst Magd sein unter Mägden und Edelfrau unter
-Edelfrauen. Du sollst jeden hören, für alle Rat haben, deine Zeit darf
-dir nicht zu kostbar sein, wenn es sich um eine Kunkel voll Flachs
-oder einen Korb Äpfel handelt; du mußt sechs Dinge zu gleicher Zeit
-vollbringen können, und du darfst nie so aussehen, als ob du Eile
-hättest. Ich frage noch einmal, würde ein solcher Dienst dir gefallen?«
-Gabriele vermochte nur zu nicken. Ihre Augen standen voll Tränen. »Dann
-frage ich dich also hiermit, Gabriele,« schloß der Ratsherr -- er ergriff
-die Hand der Klöpplerin und küßte sie sehr inbrünstig -- »dann frage
-ich dich also: willst du in diesem Hause als Hausfrau eintreten?« -- --
-Die Antwort auf diese Frage ließ sehr lange auf sich warten. Sie
-erfolgte überhaupt nicht mehr an diesem denkwürdigen Abend, denn
-Schicksalswendungen, wie diese, finden nur langsam Eingang in die
-Vorstellung einfacher Menschen, und Gabriele mußte erst eine lange,
-bange Nacht voll seliger und demütiger Gebete verbringen, ehe sie glauben
-konnte, daß sie recht gehört. Am andern Tage hielt der Ratsherr förmlich
-um Gabrielens Hand an und erhielt ein schluchzendes »Ja« zur Antwort.
-Dann erst begann er mit der Zartheit eines Gärtners, der eine Blume in
-fremdes Erdreich verpflanzt, die Betäubte in seiner Liebe und ihrem Glück
-heimisch werden zu lassen. Als er Gabrielen nach zwei Monaten zum Altar
-führte, war sie seiner Liebe gewiß und er der ihren.
-
-Wenn ich bisher ein guter Erzähler war: wenn es mir gelungen ist, das
-Charakterbild zweier Menschen klar zu überliefern, so müßte mein Leser
-jetzt imstande sein, nach einer einfachen logischen Gesetzmäßigkeit
-das Rechenexempel zu lösen, das sich aus dem Plus und Minus ihrer
-Eigenschaften ergibt. Das Resultat dieser Gleichung war ein Schicksal, ein
-kleines, stilles, das wenig Aufsehen machte; und doch ein Schicksal, das
-erzählt zu werden verdient, weil es vielleicht das Schicksal mancher Frau
-ist.
-
-Ich habe Gabriele geschildert als einen Menschen, der zugleich bescheiden
-und seines Wertes bewußt ist. Also wird sie nicht in den Fehler verfallen
-sein, an dem Frauen, die durch Heirat emporgekommen sind, so leicht
-kranken! Sie wird nicht abgewogen haben, was ihrem Rang an Ehrungen
-zukam, sie wird nicht eifersüchtig gewacht haben, daß ihr nicht weniger
-geschähe als der Base, der Schwägerin, der Freundin. Sie wird das
-Gefühl, das ihr unmittelbar entgegenkam, ebenso erwidert haben, und wo es
-ausblieb, keinen Versuch gemacht haben, es zu erzwingen.
-
-Ich habe auch die Sippe des Ratsherrn als eine weitherzige und redlich
-gesinnte gekennzeichnet. Die treue Gesinnung der blonden Schwester des
-Ratsherrn und die offenkundige Gunst der vornehmsten Matrone der Stadt
-unterstützten Gabriele in jedem Falle, und das Ansehen des Gatten half
-vollenden, was die Anmut der jungen Frau etwa nicht allein zu bewirken
-vermocht hätte.
-
-Es war auch nicht das Verhältnis zu ihrer eigenen Familie, das einen
-Mißklang in Gabrielens Eheharmonie hätte tragen können. Fleißig, gesund
-und glücklich, wie diese einfachen Menschen waren, fühlten sie auch
-insgesamt zu stolz, um irgendeinen unbilligen Vorteil aus der Heirat ihrer
-Schwester ziehen zu wollen. Wo der Ratsherr zu ihren Gunsten wirken
-konnte, tat er es gern, denn es war ein tüchtiges Geschlecht, das seiner
-Fürsprache Ehre machte. Sie hielten sich aber immer ein wenig abseits und
-riefen seine Hilfe nur da an, wo sie sagen konnten, daß Zusammenhalten
-im Nutzen beider Teile läge, zum Beispiel, wenn sie sich an irgendeiner
-öffentlichen Arbeit zu beteiligen wünschten, wo sie als Gegenwert die
-Wahrung der Gemeindevorteils hoch hielten, den der Handwerker sonst nicht
-gern anerkennt.
-
-Was endlich den Ratsherrn selbst betrifft, so ist er wohl als ein Mann zu
-schätzen, der sein Wort an einer Frau _ganz_ erfüllt. Wie er sich durch
-den Unterschied zwischen seiner und Gabrielens Erziehung nicht hatte
-anfechten lassen, so wird er auch zu ihr gestanden sein, wo etwa dieser
-Unterschied sich fühlbar gemacht haben mag. Er wird ihre Unwissenheit vor
-anderen gedeckt, er wird ihren hellen, empfänglichen Geist gebildet
-haben. Und die Saat, die er in ihre weiche Seele legte, wird Blumen stillen
-Glücks für ihn und sie getragen haben.
-
-Und doch hatte diese Ehe ein Schicksal.
-
-Gabrielens Leben war zunächst ein Lernen auf jedem Gebiete. Sie war eine
-redliche Frau, die das, was sie war, auch bis zur Vollkommenheit sein
-wollte, und wenn sie denken mußte, sie habe es in irgendeinem Punkte an
-Willen oder Fähigkeit fehlen lassen, so grämte sie sich schwer. Sie ward
-in allen Punkten das, was der Ratsherr von ihr erwartet hatte, das
-Herz, der Fels, das lebendige Licht des Hauses, und sie ward es nach
-verhältnismäßig kurzer Zeit. Glaube nicht, daß das ein leichtes
-für sie gewesen sei! Gabriele hatte zunächst die Abneigung einer
-alteingesessenen Gesindeschar zu überwinden. Dann hatte sie die Arbeit
-nicht mehr nach der eigenen Klugheit allein, sondern nach Zeit, Willen und
-Fähigkeiten von einem Dutzend Untergebener einzuteilen. Gabriele mußte
-das Tagewerk jeder Magd und jedes Knechtes im Kopfe haben, und, wenn sie
-nicht Mißstimmung und ewig erneuten Widerstand erregen wollte, auch
-die persönlichen Eigenheiten jedes einzelnen. Sie mußte vorsichtig und
-gerecht sein in ihren Forderungen, denn verlangte sie zu viel, so riß
-Unzufriedenheit, verlangte sie zu wenig, so riß Unordnung und Trägheit
-ein. Sie mußte ihren Leuten schlechte Laune und Krankheit ansehen, mußte
-ein scherzendes Wort gegen die eine, ein Heilmittel für die andere bereit
-halten, durfte sich nicht erst bitten lassen, sollte aber auch nicht zu
-rasch damit kommen und jedenfalls immer den Abstand wahren zwischen sich
-und jenen Übelgesinnten. Sie durfte sich von der Schaffnerin nicht mahnen
-lassen, daß die Birnen zum Mosten reif seien, vom Knecht nicht an das
-Schwefeln der Fässer, und sie mußte doch beiden den Ruhm gönnen, den
-Zeitpunkt der Arbeit selbst zu bestimmen. Sie mußte Jahreszeiten und
-Elemente verstehen lernen, wie die Launen ihres Gesindes. Bei jedem Brot,
-bei jedem Lichte, bei jeder Elle Leinwand, die sie aus Keller und Speicher
-holte, mußte sie wissen, wieviel noch vorhanden war, die Würste im
-Rauchfang und das Mus im Bottich, der Sirup, die Kienspäne und die kleinen
-Büschelchen Schachtelhalme zum Scheuern der Zinngefäße: alles mußte
-registriert sein in Gabrielens Köpfchen, und sie mußte merken lassen,
-daß es das war, und durfte doch den Anschein geizigen Nachzählens nicht
-haben.
-
-Doch war dies der bei weitem leichtere Teil ihrer Aufgabe. Weit ernster und
-verantwortungsreicher erschien das Amt, das sie an ihrem Gatten zu
-üben hatte. Scherzen und kosen, wenn er zum Kosen bereit war, und
-beiseitestehen, wenn Wichtigeres ihn beschäftigte, ist nichts; das lernt
-jede Frau über Nacht. Aber der Ratsherr stand mitten im öffentlichen
-Leben, und jeder seiner Schritte hatte eine Bedeutung für viele, wurde
-getadelt oder gebilligt. Und Segen wie Fluch schlug zuerst an das Ohr
-seines Weibes. Da hatte Gabriele denn zu lernen, was sie verraten und was
-sie verschweigen mußte; was sie auf eigene Gefahr hin schlichten oder
-in rechtes Licht rücken durfte, und was sie still bei sich herumtragen
-mußte, um es im gegebenen Augenblick vorzubringen und zu befürworten. Sie
-hatte zu lernen, wo man horchen und wo man sich abwenden mußte; sie, die
-Arglose, mußte unterscheiden können zwischen Übelwollenden, Gleißnern,
-schwachen Gutwilligen und fest Erprobten; mußte wissen, wen der Ratsherr
-zu Recht oder Unrecht liebte, wen er verkannte, wen er fürchtete. Sie
-hatte auch zu lernen, wann sie selbst ein Anliegen vorbringen durfte, wann
-ein teilnahmsvolles Fragen von ihrer Seite erwartet ward, und wann sie sich
-gedulden mußte, bis des Gatten Herz und Mund sich von selber auftat zu
-seiner Erleichterung. Sie mußte Wolken auf seiner Stirn sehen, die ihr
-bange machten, und durfte nicht fragen: »bin _ich_ schuld?« und sie
-mußte Teilnahme und oft gar Rat in Dingen finden, die sie nur halb
-verstand.
-
-So war es zu jener Zeit, in welcher die Frauen das Wort »Bedeutung«
-noch nicht kannten und doch _alles bedeuteten_ für den Kreis, in dem
-sie standen: da durfte jeder Brave all diese Dinge und noch viel mehr von
-seiner Frau verlangen. Es ist damals nicht leicht einem Manne eingefallen,
-Rücksicht auf die Anlage einer Frau zu nehmen, und noch viel weniger einer
-Frau, es zu beanspruchen. Ich glaube nicht, daß die Männer sich höher
-fühlten als heute; aber sie vertraten die eiserne Notwendigkeit des
-Lebens, den Kampf, die Ehre der Gemeinde, die Sicherheit des Vaterlandes.
-Und dieser Notwendigkeit allein ordneten die Frauen sich unter, waren
-ganz Beobachtung, ganz Anpassung, ganz Entsagung. So töricht waren wenige
-Frauen, daß sie _das_ nicht begriffen hätten: des Mannes Arbeit konnte
-nur gesegnet sein, wenn die aufreibenden Nichtigkeiten des täglichen
-Lebens ihm erspart blieben. Die Frau war noch nicht zur Krone der
-Schöpfung proklamiert, ach! aber sie war die unentbehrliche Lebenskraft
-des Einzelnen wie des Ganzen.
-
-Und so war auch Gabriele in ihrem kleinen Reiche. Ihr Gatte fühlte wohl,
-was sie ihm und dem Hause war. Hatte er sie vorher geliebt, so betete er
-sie jetzt an. Er schätzte ihren Rat; die leiseste Wolke der Mißbilligung
-auf ihrer klaren Stirn war ihm wie ein schwerer Tadel; eine Träne in ihren
-Augen machte die seinen hellsehend und milde. Er wußte, daß ihm nichts
-Unnützes, Eitles, Spielerisches von ihr kam; die Frau, der einst die
-eigene Arbeit heilig war, hielt wie eine Priesterin die Arbeit ihres Gatten
-hoch.
-
-Es kamen Kinder. Sie vermehrten Gabrielens Lasten, sie kürzten ihr den
-Schlaf. Sie brachten aber auch wieder liebliche Ruhestunden, in denen
-die Gatten, Hand in Hand sitzend, sich sorglos dem Anschauen ihrer Spiele
-hingaben. Und jetzt hätte beider Glück vollkommen sein müssen -- wenn
-nicht in Gabrielen langsam, aber stetig um sich greifend, eine heimliche
-und geheimnisvolle Krankheit am Werke gewesen wäre.
-
-Es war nicht die Krankheit des Körpers. Die ersten Zeichen stellten sich
-schon etwa zwei Jahre nach ihrer Vermählung ein und waren so subtil, daß
-sie kaum Gabrielen selbst zum Bewußtsein kamen. Nur eine flackernde
-Unruhe war's, etwas wie Unlust am Schaffen, etwas wie Sehnsucht, sich einem
-bestimmten Gedanken einmal ganz und ungestört hingeben zu können. Was
-für ein Gedanke das sein mochte, darüber nachzudenken fand Gabriele nicht
-Zeit noch Muße. Unaufhaltsam drängte das geschäftige Leben mit seinen
-tausend Forderungen. Aber während sie treu und emsig ihr Linnen maß,
-ihre Brote zählte, ihren Haspel füllte, ihre nähenden, spinnenden und
-kochenden Dienerinnen beriet, glitt es schemenhaft vor ihr her wie ein
-luftiges Etwas, das sie gerne festgehalten hätte und nicht greifen konnte.
-Wie ein ferner, süßer, vertrauter Ton, der leise, leise heranschwebte,
-und den der Lärm der Gegenwart verschlang. Wenn sie sich eine
-Viertelstunde Muße erhetzt hatte, siehe, dann war alles leer und tot in
-ihr, und sie fragte sich erstaunt, wozu sie nun so geeilt hatte. Meist
-freilich kam es nicht zur ersehnten Ruhepause; meist, wenn sie mit
-dem letzten Griff ihres Tagewerkes das eiserne Gewand ewig gespannter
-Aufmerksamkeit glaubte hinwerfen zu können, kam ein Gast, ein
-Notleidender, eines ihrer Geschwister, ihr Gatte. Sagen, daß Gabriele sich
-nicht gefreut hätte, daß ihr Herz und ihre Arme sich nicht in Liebe dem
-Kommenden geöffnet hätten, wäre Wahnwitz; aber das geheimnisvolle Etwas,
-dem sie einen Schritt näher gewesen zu sein meinte, huschte wieder vor ihr
-her. Sie konnte nicht anders, als ihm nachblicken -- nachsinnen -- einen
-Augenblick wenigstens! Und ihr erster Gruß klang zerstreut.
-
-Selbstvorwürfe vollendeten, was die nagende Unruhe begonnen hatte:
-Gabrielens Äußeres zeigte die Spuren ihrer inneren Zerrissenheit. Ihr
-Auge haftete nicht mehr klar und freundlich im Auge des Gatten, es irrte
-suchend umher und senkte sich oft. Von ihrer Stirn wollte eine kleine böse
-Falte fast nie mehr weichen. Ihre Wangen verblaßten, ihr Körper magerte
-ab. Da bemerkte der Ratsherr die Veränderung, erschrak aufs tiefste und
-beschwor sie, ihm zu sagen, was ihr denn fehle.
-
-Gabrielen traten die Tränen in die Augen, als sie ihn so ergriffen sah.
-Sie legte die Arme um seinen Hals, hob ihr Antlitz zu ihm auf und sagte
-ernsthaft: »Ich schwöre dir bei Gott, daß ich nicht weiß, was es ist.
-Wüßte ich es, ich würde es dir längst gesagt haben, würde längst auf
-Abhilfe gesonnen haben. Denn es ist mir, als brenne ein Feuer unter meinen
-Füßen, das mich dahin und dorthin treibt und mich keinen Bissen Brot in
-Ruhe essen läßt. Ich möchte glauben, daß ich behext bin.«
-
-»Gabriele,« flüsterte der Mann, indem er sie fester an sich zog,
-»Gabriele, bist du nicht glücklich?«
-
-»O Liebster,« rief sie weinend, »ich liebe dich wie an dem Tage, da Gott
-unsre Hände ineinanderfügte. Ich liebe dich noch tiefer, inniger. Jede
-Stunde meines Lebens war mir eine neue Offenbarung des seligsten Wunders.
-Du bist mir alles!«
-
-»Dann verstehe ich nicht, was dich grämt,« sagte der Ratsherr. Und nach
-einer Weile fragte er wieder: »Hast du Sorgen um die Kinder?«
-
-»Sie blühen wie die Rosen im Hag,« rief Gabriele, und ihr Gesicht
-leuchtete unter ihren Tränen. »Täglich danke ich Gott, daß er mir
-solche Kinder geschenkt hat!«
-
-»Dann verstehe ich nicht, was dich anficht,« sagte der Ratsherr noch
-einmal. Er suchte hin und her in seiner Angst und verfiel auf dieses und
-jenes. »Hat dich irgendeiner meiner Sippe gekränkt? Ist von den Deinen
-jemand in Not oder krank? Sind die Knechte aufsässig oder die Mägde faul?
-Gehen Gerüchte über mich in der Stadt umher?«
-
-Da mußte Gabriele lächeln in all ihrer Bangigkeit. »Glaube mir, Lieber,
-wenn die Dinge, die du da genannt hast, imstande wären, so monatelang an
-meiner Ruhe zu nagen, dann müßte ich eine schlechte und törichte Frau
-sein. Ich wäre ehrlich zu dir gekommen, wenn ich in Sorge um die Meinen
-oder in Not mit dem Gesinde gewesen wäre. Deine Sippe ist voll Güte zu
-mir, und was die Neider im Lande betrifft, so weißt du, daß ich mir ihre
-Meinung nur zu Herzen nehme, wo ich weiß, daß du Nutzen draus ziehen
-kannst. Nein -- das alles ist nicht, was mich quält.«
-
-»Vielleicht«, sagte der Ratsherr, »liegt zu vieles auf deinen
-Schultern. Du bist so gewissenhaft, und ich sah noch nie, daß du dir Ruhe
-gönntest.«
-
-»Meine Schwestern arbeiten bis in die tiefe Nacht um ihr Brot,« rief
-Gabriele ein wenig erzürnt ob der Zumutung, »und ich soll das nicht
-leisten können, was nur Freude und Spiel für mich ist? Nie hat mich die
-Not getrieben, länger zu arbeiten, als ich es gerne tat; nie hat mir die
-Arbeit den Schlaf gekürzt. Es gibt Mütter, die mehr Kinder und weniger
-Gesinde haben. Ich würde mich schämen, das Wort Übermüdung nur zu
-nennen.«
-
-»Dann,« sagte der Ratsherr in tiefer Besorgnis, »dann sehe ich nur noch
-eines: dann bist du krank! Und das ist wohl das Schlimmste von allem. Denn
-es zwingt uns, Hilfe außer uns zu suchen.«
-
-Gabriele erschrak und wehrte sich lange, denn sie empfand, so unerfahren
-sie in ärztlichen Dingen auch sein mochte, dunkel die Gefahr
-der Irreleitung für den Arzt, dem sie keine Krankheit, nur einen
-unbeschreiblichen Seelenzustand vorführen konnte. Sie sah voraus, daß sie
-nutzlos mancherlei Qualen würde ertragen müssen, und sie fürchtete sich
-sehr. Denn in jener Zeit gingen Ärzte mit grausamen Mitteln ihren Kranken
-zu Leibe, und alles, was wie Geistesverwirrung aussehen konnte, wurde mit
-Härte ausgetrieben, als ob man die rebellische Vernunft durch strenge
-Maßregeln hätte zwingen können. Gabriele bat daher ihren Gatten
-flehentlich, noch ein Weilchen zu warten, ob das Übel nicht etwa von
-selbst weichen wolle; und er, dem das Herz blutete bei dem Gedanken, die
-liebste Frau von den Händen fühlloser Quacksalber mißhandelt zu sehen,
-willigte nur zu gerne ein.
-
-Aber das kleine graue Schemen blieb da und rollte wie ein gespenstisches
-Garnknäuel, das sich hemmend und verwirrend in tausend listigen Schlingen
-abwickelt, vor Gabrielens Füßen her. Sie machte jede Anstrengung, deren
-ihr sonst so starker Wille fähig war, die sonderbare Verstimmung ihres
-Gemütes zu vergessen. Sie log eine gesteigerte Heiterkeit, sie suchte neue
-Zerstreuung, sie berauschte sich in Festen und schmückte sich, wie sie
-es vorher nie getan. Es waren traurig gewaltsame Versuche, die nach kurzer
-Zeit traurig endeten. Die quälende Unruhe in ihrem Innern brannte weiter
-und zehrte an ihr wie ein Fieber.
-
-Aber Gabriele lebte in einer Zeit, wo dem Menschen die Fähigkeit der
-Reflexion, der Selbstbespiegelung in beschränkterem Maße verliehen
-war, als dies heute der Fall ist. Sogar die Sprache jener Zeit ist arm
-an Ausdrücken, die für solche inneren Zustände Maß und Wage geboten
-hätten. Und selbst gesetzt den Fall, es hätte ein Wissender Gabrielen die
-Augen öffnen können und ihr einen Einblick geben in das feine Uhrwerk
-der Natur, die in jedes Würzelchen den Trieb lichtsuchenden Schaffens, in
-jeden Nerv den Drang zur Tätigkeit gelegt hat, und die sich durch grimme
-Unregelmäßigkeit rächt, wenn irgendwo ein Kleinstes verkümmert --
-Gabriele würde ihm nicht geglaubt haben. Ein Dasein, das vor Not und
-Fährde geborgen war; ein Gatte, der sie liebte, und holde, blühende
-Kinder: sie würde jeden einen Frevler genannt haben, der mehr vom
-Schicksal gefordert hätte. Daß ein Organ in ihr krankte und siechte, sie
-ahnte es nicht.
-
-Eine böse und wirre Zeit begann für Gabriele. Denn endlich mußte sie
-doch in ihrer Hilflosigkeit den Rat des Arztes suchen, und, da natürlich
-der eine Rat nicht das Richtige traf, einen langen Leidensweg voll
-unnützer und schädlicher Versuche durchlaufen. Von den Blutegeln und
-spanischen Fliegen, von den Pflastern, Salben, Tränklein, Bädern, Pillen
-und Aderlassen will ich erst gar nicht anfangen zu berichten. Gabriele
-hatte bei aller Zartheit einen gesunden Körper und trug keinen dauernden
-Schaden davon. Aber was ihr schadete und ihren Zustand verschlimmerte, war
-die anhaltend auf ihr Leiden gerichtete Aufmerksamkeit. Gabriele empfand es
-als höchst lästig, über viele Dinge Auskunft geben zu müssen, auf
-die sie bisher keinen Gedanken verwandt hatte; teils empörte sich
-ihre Keuschheit, teils ihr gesunder Verstand, der ihr die künstlich
-ausgedachten Zusammenhänge zwischen dem und jenem lächerlich erscheinen
-ließ. Und es bemächtigte sich ihrer ein Gefühl hilflosen Zornes, eine
-böse Ungläubigkeit, die bei jedem neuen Ratschlag sich in heftigen Launen
-äußerte und die ihr ganzes Wesen in Reizbarkeit und Unfreundlichkeit
-wandelte.
-
-Es mochten vier Jahre vergangen sein, seit diese Veränderung ihres ganzen
-Selbst in Gabrielen am Werk war. Auch für den Ratsherrn war dieser Weg ein
-Leidensweg gewesen. Er konnte sich nicht verhehlen, daß sie ihm manches
-vorenthielt, worauf er durch süße Gewohnheit ein Recht zu haben glaubte.
-Nicht mehr in beschaulicher Betrachtung des Lebens konnten die Gatten Hand
-in Hand einherschreiten. Gabriele war auch hierin verändert, daß
-sie schwärzer sah als vorher, sich vor Aufregungen ängstigte, daß
-Mißerfolge sie schreckten, Unfreundlichkeiten sie kränkten. Auch
-mußte der Ratsherr so manches für sich behalten, was er sonst
-selbstverständlich auf ihre Schultern geladen hatte, weil er fürchtete,
-ihrer Schwäche neue Lasten aufzubürden. Freilich entging der Frau diese
-Änderung seiner Gewohnheiten nicht, und sie war klug genug, sie auf die
-richtigen Ursachen zurückzuführen. Und diese Erkenntnis ward eine Quelle
-der tiefsten Verzweiflung. Sie sah, daß _alles_ auf dem Spiele stand, daß
-sie nur um einer unbegreiflichen Verstimmung willen, über die sie nicht
-Herr werden konnte, das Beste zu verlieren im Begriffe stand. In solchen
-Augenblicken schien es ihr, als müsse sie das Fürchterlichste auf sich
-nehmen, um nur die einstige Gesundheit wiederzugewinnen; sie unterwarf sich
-jeder Vorschrift der Ärzte, sie ward eine zahme, gewissenhafte Patientin
--- bis das Stadium der Entmutigung, der Hoffnungslosigkeit, der Rebellion
-wieder eintrat.
-
-Und so wäre Gabriele mit der Zeit wohl dem Schicksal so mancher Frau
-verfallen, jener krankhaft gesteigerten Reizbarkeit und dem unfruchtbaren
-Getändel mit Heilmethoden aller Art. Und es wäre ja wohl auch ihr
-Eheglück schließlich dem unfaßbaren Verhängnis zum Opfer gefallen.
-
-Da kam Rettung in Gestalt jener treuen alten Freundin, die für Gabriele
-seit den ersten Tagen ihrer Ehe wie eine Mutter gefühlt hatte. Sie hatte
-die junge Frau in alle ihre Pflichten hineinwachsen sehen. Sie hatte,
-vielleicht wachsameren Auges als der Ratsherr selbst, die ersten Zeichen
-jener seltsamen Müdigkeit und Zerstreutheit beobachtet, die stets
-wachsende Hast und Unruhe, schließlich die unbezwingliche Übellaunigkeit.
-Auch sie gehörte zu den Menschen, die gern die nächste und einfachste
-Ursache der Dinge annehmen, und sie hatte sich ihren Vers gemacht, lange
-ehe die Ärzte mit ihren Versuchen begannen. Aber bedächtig, wie sie war,
-hielt sie mit ihrem Wissen zurück, ließ sich indessen gern von Gabrielen
-jede neue Erfahrung und jede neue Behandlung erzählen, freute sich
-ihrer Nutzlosigkeit und gewann endlich Gabrielens Vertrauen zu einer
-erschöpfenden Beichte. Und als sie die phantastische Geschichte all dieser
-gestaltlosen Leiden, das wirre Bekenntnis der Willenlosigkeit und all
-die Befürchtungen und Reuequalen des armen Weibes vernommen hatte, da
-erwiderte sie nur mit der einfachen Frage, ob denn Gabriele nicht des Guten
-zu viel tue, wenn sie so rastlos tätig sei. Wie vorher ihrem Gatten, so
-antwortete Gabriele nun auch der Freundin mit Entrüstung, sie wisse nichts
-von Ermüdung.
-
-»Man kann auch am Genuß Schaden nehmen, wenn man zu viel tut,« erwiderte
-die weise Freundin. »Und du kannst nicht leugnen, daß dein Gesicht sich
-verdunkelt, wenn Gäste oder Hilfeheischende kommen. Ich sage dir, sogar
-gegen Mann und Kinder habe ich dich oft lässig gesehen, als ob ein
-heimlicher Gedanke in dir hämmerte, daß du unausgesetzt auf ihn
-horchen mußt. Ich habe auch ein großes Haus geführt, habe viele Kinder
-großgezogen und meinem Gatten manche Sorge ferngehalten. Es ist mir nie zu
-viel geworden, aber müde war ich oft, zum Sterben müde. Und dann, dünkt
-mich, mag eine Stumpfheit, wie deine jetzt, auch mich besessen haben.«
-
-Sie redete lange auf Gabriele ein. »Wir sind ehrgeiziger, als wir scheinen
-mögen,« sagte sie unter anderem; »meinst du, ich weiß nicht, was es
-kostet, ein Haus so schmuck zu halten? Ich entsinne mich noch gut, was
-du sagtest, als du diesen Teufelskram von Weltwundern und
-Jahrmarktsseltenheiten, den die Mannsbilder so närrisch lieben, zum ersten
-Male sahst: nicht zur Scheuermagd hieltest du dich gut genug! Und jetzt
-sieh her, was du gelernt hast, was du leistest! Zähle die Schritte, die
-du vom Morgen bis zum Abend vom Brotspeicher im Dach bis zum Fischbecken
-im Keller tust! Das zehrt an deiner Kraft, mein Kind, und wenn du es
-auch nicht wahrhaben willst, dein Leiden ist nichts als Müdigkeit und
-Schwäche!«
-
-Das klang alles so einfach, daß Gabriele nicht zu widersprechen wagte; sie
-konnte nicht leugnen, daß jede neue Forderung an ihre Zeit sie mit einem
-Unlustgefühl erfüllte, das sie nur schwer bekämpfen konnte. Sie duldete
-es, daß die alte Dame den Ratsherrn und den vertrautesten Arzt des Hauses
-zur Stelle rufen ließ, und daß schließlich ein feierliches Konsilium
-abgehalten wurde, wie man der eigensinnigen Gabriele, die von Ruhe
-nichts wissen wollte, wieder zu Kräften helfen könne. Der Arzt, der der
-Vernünftigen einer war, wußte Rat: »Wann schläft Euer jüngstes Kind?«
-fragte er die Patientin. »Zwei Stunden um die Mitte des Tages? Nun wohl,
-um diese Zeit seid Ihr entbehrlich, denn die größeren Kinder werden wohl
-bei einer Schaffnerin versorgt werden können. Ihr legt Euch also still
-zu dem Kleinen und schlaft, solange er schläft! Nehmt dies als eine
-Verschreibung und handelt gewissenhaft danach!«
-
-Gabriele empörte der Gedanke, daß sie um die Mitte des Tages schlafen
-solle wie eine Greisin; sie wandte auch gleich ein, daß sie gerade
-diese zwei Stunden, wo das Kind ihrer entraten könne, für mancherlei
-Hausgeschäfte dringend brauche. Aber der Arzt wiederholte seinen Befehl in
-strengem Tone, die Freundin bestürmte sie und der Gatte bat leise, mit dem
-alten Liebesblick in ihre Augen, um seiner Ruhe willen das kleine Opfer zu
-bringen. Da mußte sie nachgeben und versprach, das sonderbare Mittel eine
-Woche lang zu versuchen.
-
-Das erstemal, als Gabriele sich hinlegte, lag sie mit weit starrenden Augen
-und dachte an alles, was jetzt im Hause vorgehen mochte ohne ihr Dabeisein.
-Sie lauschte auf jedes Geräusch, das gedämpft in ihr geschlossenes Gemach
-drang. Sie hörte die Haustüre fallen und wußte, daß jetzt die Bäuerin
-vom Gutshofe gekommen war, um Eier abzuliefern, und war ärgerlich, daß
-sie nicht dabei sein konnte, sie Stück um Stück durch die hohle Hand
-zu prüfen. Sie hörte gelle Schreie der Kinder und wußte nicht, ob sie
-Freude oder Schmerz bedeuteten. Sie wurde aufgeregter, erhob sich nach kaum
-einer Viertelstunde und eilte zu ihrem Gatten, um ihn zu bitten, sie von
-ihrem Versprechen zu entbinden. Diese Art von Ruhe sei keine Erholung,
-hundertmal wohler wäre ihr, wenn sie wüßte, was vorginge, und nachher
-nicht Fehler gutzumachen hätte, die während ihrer Abwesenheit begangen
-worden seien.
-
-Der Ratsherr sah erst etwas böse drein, indes ein Blick in das zuckende
-Gesicht seiner Frau machte ihn mitleidig. Er legte den Arm um ihre
-Schultern und führte sie sanft, aber stark in das Schlafzimmer zurück,
-indem er ihr voll Innigkeit und Liebe ins Gewissen redete.
-
-»Gabriele,« sagte er, »hast du die Zeit vergessen, wo wir die
-glücklichsten Menschen auf Erden waren? Wo du heiter und weise warst, mein
-Sonnenschein und mein Vertrauter, mein Ratgeber, mein besseres Selbst? Das
-alles ist mir verloren, seit du krank bist; ich trage meine Sorgen allein
-mit mir herum und wage nicht, sie mit dir zu teilen. Und du willst nichts
-tun, um mir das Glück zurückzugewinnen? Was kann denn in diesen zwei
-Stunden Schlimmes im Hause vor sich gehen, was nicht mit Geld gutzumachen
-wäre? Und würde ich nicht alles Geld und Gut der Erde hingeben, um dich
-wieder gesund zu sehen? Komm, tu mir's zuliebe! Leg dich hierher neben das
-Kind! Sieh, wie süß es schläft!«
-
-Er drückte die Widerstrebende, aber schon halb Beschämte in die Kissen
-nieder, legte vorsichtig das schlafende Kind neben sie, nahm ihre Hand,
-ihren Zeigefinger und drückte ihn sacht in die Fläche des kleinen rosigen
-Pfötchens, das sich im Augenblick der Lageveränderung ein wenig geöffnet
-hatte. Augenblicklich schlossen sich die Fingerchen des Kindes um den
-vertrauten Gegenstand mit jenem festen, weichen Drucke, den Mütter wohl
-kennen. Gabriele mußte lächeln, so nah ihr sonst die Tränen gewesen sein
-mochten. Sie ließ das Haupt mit einer Gebärde der Ergebung in die Kissen
-sinken, küßte ihres Gatten liebevolle Hand und schloß die Augen.
-
-Da sie aber wirklich nicht schläfrig war, öffnete sie sie bald wieder und
-lauschte weiter. Aber erstens durfte sie das schlafende Kind nicht wecken,
-das immer noch ihren Zeigefinger festhielt, und dann lagen ihr auch die
-weichen Worte ihres Gatten im Sinne, und sie dachte, daß sie es ihm
-schuldig sei, jedes Mittel der Heilung zu versuchen. Deshalb bezwang
-sie sich, lag still und betrachtete das liebliche Gesichtchen ihres
-schlummernden Kindes.
-
-Und wie sie sich so recht vertiefte in den Anblick, an dem eine Mutter sich
-nie satt sieht, da glitt unversehens ihr Blick über das Spitzenhäubchen
-hin, das des Kindes rosiges Köpfchen umschloß. Es war einem ihrer
-älteren Kinder von irgendeiner Pate geschenkt worden und mochte bei dem
-ersten besten Krämer gekauft sein, denn es war von unedler, alltäglicher
-Arbeit. Aber etwas in der Zeichnung der Spitze bannte Gabrielens
-Aufmerksamkeit »Wie hübsch ist dieses Muster,« dachte sie, »wenn das
-Ding nur besser gearbeitet wäre!« Sie begann zu sinnen, ihre Phantasie
-heftete unvermerkt ihren silbernen Spinnwebfaden an dem kleinen Erlebnis
-an und spann und spann, bis ein schimmerndes Netz von feinen Kunstgedanken
-klar ausgearbeitet vor Gabrielens innerem Auge lag. Sie sah ein Gebilde
-von tausend geduldig geknoteten Schlingen, so zart, daß ein Blumenelf
-die Fingerchen gespitzt haben würde, um es anzufassen, so dicht, daß er
-keinen Blütenstaub damit hätte sieben können, und so fest und straff
-geädert wie ein Bienenflügel. Und als Gabrielens Auge dies sah, da fuhr
-es wie ein Feuer in ihre Hand. Es war ihr, als müsse sie aufspringen
-und sich an die Arbeit machen; Haussorgen und drängende Arbeit waren
-vergessen.
-
-Aber das Kind hielt sie fest. Das feine Händchen hatte solch eisernen
-Griff, daß Gabriele den umklammerten Zeigefinger kalt werden fühlte. So
-ergab sich denn die Mutter für dies eine Mal, arbeitete aber im stillen an
-ihrem Vorsatze weiter, in der ersten freien Minute mit der Ausführung der
-Spitze zu beginnen, und überlegte, wo sie ihre Geräte haben konnte. Und
-als endlich ein tiefer Atemzug neben ihr und das freiwillige Losspannen
-der energischen kleinen Fingerchen ihr verriet, daß ihre Gefangenschaft zu
-Ende sei -- da wunderte sich Gabriele ein wenig, wie rasch ihr diese zwei
-Stunden dahingegangen.
-
-Der Ratsherr war klug genug, nicht gleich am ersten Tage nach der Wirkung
-der Verordnung zu fragen. Er berührte mit keinem Wort Gabrielens Befinden,
-und sie war glücklich darüber, denn es wäre ihr schwer geworden, ihm zu
-sagen, daß sie nicht geschlafen habe. Einmal fiel ihr mitten in der
-Arbeit ihr Spitzenmuster ein. Sie sah es vor sich mit einer gespenstischen
-Deutlichkeit, weiß leuchtend wie Phosphor auf einem Grunde von
-schwärzester Nacht, die jeden andern Gegenstand im Zimmer verhüllte.
-»Noch habe ich es nicht vergessen,« dachte sie voll Freude. Dann seufzte
-sie leise und schüttelte sich. Das Erwachen kam, das Besinnen auf die
-tausend Notwendigkeiten des Tages, und ein mutloses Aufgeben: »Dazu komme
-ich ja doch nie!«
-
-Am andern Tage begleitete der Gatte sie wieder ins Schlafgemach, ließ aber
-auf ihre Bitte das Kind in der Wiege liegen. Ehe er das Zimmer verließ,
-flüsterte er von der Türe her noch einmal ein eindringliches »Mir
-zuliebe!« zurück. Die Frau wurde flammend rot. »Ja, Liebster!« hauchte
-sie kaum hörbar. Sie lag einige Minuten und kämpfte mit sich, hätte gern
-getan, was sie für eine Pflicht hielt, brachte es aber nicht über sich.
-Sie sprang auf, verriegelte die Türe, huschte schuldbewußt ängstlich
-und auf jeden nahenden Tritt lauschend im Zimmer umher, bis sie ihre
-Siebensachen beisammen hatte, und saß bald über ihr Pergamentstreifchen
-gebeugt, den Klöppelbrief entwerfend.
-
-Sie arbeitete, daß ihre Wangen brannten. Die Zeichnung war fast fertig,
-als das Kleine erwachte. Als der Gatte sie später erblickte, streichelte
-er ihr lächelnd das Gesicht, in dem die Röte des inneren Feuers noch
-weiterglühte, und sagte mit glücklichem Ausdrucke: »Rotgeschlafen wie
-ein Kind!« Sie hätte vor Beschämung in den Boden sinken mögen -- aber
-wie hätte sie die Wahrheit gestehen sollen?
-
-Den nächsten Tag betrat Gabriele ihr Gemach mit den Gefühlen einer
-Verbrecherin. Der Gatte verweilte einige Minuten, die ihr wie Stunden
-erschienen, lobte zärtlich ihre Fügsamkeit und Geduld und sah die
-Gebärde nicht, mit der sie sich abwandte. Kaum daß er sie verlassen,
-sprang sie vom Lager, schon war das Klöppelkissen zur Stelle, und in
-wenigen Handgriffen alles zur Arbeit bereit. Nun saß sie, füllte ihre
-Spülchen, steckte ihre Nadeln und schrak erst beim hellen Aufschrei
-des erwachenden Kindes empor, mit einem leisen Ausdruck des Bedauerns im
-erregten Antlitz; sie hatte gehofft, an diesem Tage noch mit dem Klöppeln
-beginnen zu können.
-
-Von nun an freute sie sich den ganzen Morgen, was immer sonst ihre
-Hände auch schaffen mochten, auf die stille heimliche Klöppelstunde
-am Nachmittag. Die eichenen Türen hielten das kleine Geheimnis wohl
-verborgen. Was sie an Lärm aus Haushalt und Kinderstube etwa durchließen,
-das drang nicht an Gabrielens Ohr; das leise Rollen und Klappern der
-Spülchen, jener alte, süße, vertraute Elfentanzschritt, sie übertönten
-alles. Und jeden Tag erschrak sie ein wenig, wenn des Kindes Weckruf
-ertönte.
-
-Den Rest des Tages fühlte Gabriele sich leicht und frei. Daß sie eine
-heimliche Sünderin war, bedrängte sie fürs erste gar nicht, wenn sie
-auch ihrem Gatten gegenüber sich schuldig fühlte.
-
-Als die Woche um war, an die Gabriele sich mit ihrem ersten Versprechen
-gebunden hatte, wagte der Ratsherr eine Frage: ob sie denn schon eine
-Veränderung in ihrem Befinden bemerke? Gabriele erschrak heftig und wußte
-sich nicht anders zu helfen als mit einer Gegenfrage: ob _er_ denn eine
-Veränderung in ihrem Gehaben bemerke? Der Ratsherr erwiderte: »Mich
-dünkt, du bist froher und gleichmäßiger, auch scheint mir, du hast
-wieder eine lachende Erwartung im Gesicht wie einst. Ich wage es aber noch
-nicht zu glauben!« Da antwortete die listige Frau: »So will ich noch eine
-Woche versuchen, es so zu machen, wie ich es diese letzte Woche gemacht
-habe.«
-
-Sie konnte sich indes nicht verhehlen, daß in der Tat eine
-Rückveränderung zu ihrem alten Selbst mit ihr vorging. Wenn sie sich den
-ganzen Morgen in der Tiefe ihres Herzens auf die kommende Stunde freute,
-so freute sie sich den ganzen Abend über das, was sie in dieser Stunde
-fertiggebracht hatte, und kam so einfach aus dem Freuen nicht heraus. Sie
-trug es mit sich herum wie eine liebliche Melodie, die einem auf Schritt
-und Tritt nachgeht. Ja, auch diese Empfindung mußte Gabriele sich
-eingestehen: es glitt ihr nur so unter den Händen weg, was sie sonst mit
-Unlust getan hatte; wenn ihr sonst der Tag zu kurz geschienen hatte für
-alles, was er erheischte, so war er jetzt mit einem Male um vieles länger,
-seit die bewußten zwei Stunden daran fehlten. Es war ihr Klarheit gekommen
-über das Wesen ihrer Krankheit, als sie begriff, daß die gewohnte und
-geliebte Tätigkeit ihr bisher an ihrem Glück gefehlt habe. Und wenn
-sie sich auch verwunderte, wie es hatte sein können, daß eine solche
-Albernheit, wie sie es nannte, ihr fast das Leben zerstört hätte, so
-wußte sie doch, daß dem wirklich so war. Tief dankbar empfand sie, wie
-Ruhe und Frohsinn sich täglich mehr in ihr und um sie verbreiteten, wie
-ein sanftes Licht auf ihren ganzen Lebensweg fiel.
-
-Sie hätte gern das Wundersame und Unbegreifliche des ganzen Vorganges
-verstehen mögen, und es drängte sie oft, zu ihrem Gatten zu eilen und
-ihm ihr Gefühl zu äußern, ihn zu fragen, ob er eine Erklärung oder
-ein Beispiel dafür kenne. Es tat ihr weh, dies Unverstandene mit sich
-herumzutragen, ohne es mit ihm zu teilen, der es vielleicht verstanden
-hätte. Aber sie fürchtete zu sehr das Geständnis ihres Betruges. Wenn
-sie bedachte, mit welch rührender Treue er immer dafür gesorgt hatte,
-daß in jenen ihrer Ruhe geweihten zwei Stunden kein Schritt ihrer Türe
-sich nahe, so fand sie es unmöglich, ihm zu sagen, daß diese Sorgfalt
-verschwendet, seine liebende Aufmerksamkeit mißbraucht worden war. »Wenn
-er hört, daß ich ihn monatelang betrogen habe,« so dachte Gabriele oft
-mit leisem Kummer, »so wird seine Liebe zu mir verlöschen. Er ist
-die Wahrhaftigkeit selbst!« Und sie schwur sich zu, daß er nie um das
-Geheimnis wissen sollte.
-
-Der Ratsherr küßte seiner alten Freundin die Hände und nannte sie
-gerührt die gütige Vorsehung seines Lebens. Die gute Matrone freute sich
-des Erfolges, den ihre einfache Verordnung gehabt, und Gabriele, wenn sie
-es hörte, lächelte beklommen und dachte bei sich: »Auch diese darf
-nie erfahren, daß ihr Rat unbefolgt geblieben ist. Wie würde sie sich
-kränken!« Und ebenso schwieg sie dem Arzte gegenüber, mit weiblicher
-Feinheit daran bedacht, ihm das Gefühl der Lächerlichkeit zu ersparen.
-
-Je weiter die Arbeit fortschritt, je köstlicher und reicher die zarte
-Kunstfertigkeit der neugeübten Finger sich kundtat, desto stiller und
-seliger wurde Gabriele. Alles Irdische erschien ihr klein. Denn wahre
-schöpferische Kunstliebe ist nicht anders als wahrer Gottesglaube, sie
-leiht der Seele schöne lichte Flügel, mit denen sie über die Erde
-schwebt.
-
-Zwei Stunden täglich sind eine knappe Zeit, um ein großes und
-allerfeinstes Werk zu Ende zu führen, und Gabriele arbeitete weit
-über ein Jahr an ihrer Spitze. Es kamen natürlich auch Wochen der
-Unterbrechung, sei es, daß ein Kind erkrankt war, sei es, daß unruhige
-Zeiten in Stadt und Land jede Ordnung auflösten. Dann unterwarf sich
-Gabriele ohne einen Schatten von Verstimmung der Entbehrung.
-
-Endlich war das Werk vollendet. Und wie es nun so dalag, die feste
-und zarte Gestaltung des schönen Traumbildes, da ging die Freude, die
-Gabrielens ganzes Wesen verklärt hatte, in einen Sturm neuer Empfindungen
-auf. Mit einem heftigen Erschrecken kam es Gabrielen zum Bewußtsein, daß
-es jetzt um ihr Geheimnis geschehen sei: diese Arbeit ließ sich
-nicht verbergen! Wie ein Hammer pochte die Angst vor dem schmählichen
-Geständnis einer monatelang durchgeführten Unredlichkeit in Gabrielens
-Herzen; aber Schlag um Schlag traf einen Gegenschlag. Wie Gabriele als
-Mädchen gelechzt hatte nach dem verstehenden Worte, das ihrer Arbeit
-die Krone aufsetze, so brannte sie jetzt töricht und wild auf eine
-Möglichkeit der Verwendung ihres Geschaffenen. Sie versuchte die Spitze
-zu vergessen, aber es war ihr, als habe sie ein Kind lebendig begraben. Sie
-haderte mit ihrer Natur, die sie erst zu Heimlichkeiten trieb und dann zum
-Geständnis zwang; sie begriff nicht, welche Dämonen in ihr tätig sein
-konnten, hielt sich vor, daß ihr Lebensglück auf dem Spiel stehe, und
-gewann es über sich, vierundzwanzig Stunden nicht an die Spitze zu denken.
-Dann kam der Augenblick der Mittagsruhe, des Alleinseins -- und da
-saß sie, hielt die Spitze in der Hand, saugte sich mit Blick und Geist
-ordentlich in jede Masche fest und fühlte, daß die Arbeit nicht fertig
-sei, solange sie hier in der Verborgenheit begraben liege. Und nach einigen
-Tagen aufreibenden Kampfes gab Gabriele ihn auf und sann nun nur noch auf
-die erträglichste Form, ihr Schuldgeständnis darzulegen.
-
-Sie holte aus einem Schrank, der Abgelegtes und Ungebrauchtes barg, das
-Kleid hervor, das sie in den letzten Jahren ihrer Mädchenzeit getragen,
-das Kleid, in dem sie ihre Liebe und ihr Glück gefunden, das schlichte,
-dünne, ärmliche braune Kleid mit dem zierlichen Halstuch und dem reinlich
-gefältelten Häubchen. Sie hatte es nie übers Herz gebracht, sich von
-diesem Kleide zu trennen, hatte es oft mit heimlicher Rührung betrachtet,
-es sauber gehalten und vor dem Verfall bewahrt. Jetzt probierte sie es an
-und änderte flugs mit geschickten, leichten Stichen Sitz und Weite. Sie
-lachte ein bißchen, als sie es anzog, und freute sich, daß sie ihrem
-früheren Selbst darinnen gar nicht so unähnlich sah, wie man es nach
-sechsjähriger Ehe hätte meinen sollen. Ein schwarzer Sammetfleck fand
-sich auch, den spannte sie fein über ein Kissen, nadelte ihre Spitze
-recht anschaulich und kokett darauf und betrat, so gerüstet, ihres Mannes
-Zimmer.
-
-An der Türe packte sie noch einmal die Angst, daß sie fast wieder
-umgekehrt wäre. Sie wagte kaum, einen Fuß vor den anderen zu setzen; es
-schien ihr, als müsse der Boden vor ihr nachgeben und sie hinuntergleiten
-lassen in höllische Schlünde. Und so, in ihrer Zaghaftigkeit, mit den
-gesenkten Wimpern und den von brennender Scham geröteten Wangen, glich sie
-so sehr der demütigen kleinen Arbeiterin von einst, daß dem Ratsherrn,
-der zuerst mit ungeduldigem Staunen auf die Verkleidung geblickt hatte, das
-Herz weit wurde. »Gabriele,« rief er zwischen Rührung und Lachen, »was
-soll diese Schelmerei? Willst du mir damit sagen, daß ich meine alte
-Gabriele wiederhabe, die ich mir aus dem Winkelgäßchen geholt?« Sie aber
-antwortete nicht, sondern kam langsam auf ihn zu, ohne ihn anzusehen und
-immer das Kissen mit der Spitze ein wenig vor sich herstreckend, als solle
-das Kunstwerk ihr Fürbitter sein. So mußte der Ratsherr es ins Auge
-fassen, und als er es tat, stutzte er und erkannte sofort, daß es eine
-neue und selten schöne Arbeit war; zugleich aber mußte er auch den
-verworrenen und gequälten Ausdruck im Gesichte seiner Frau bemerken, und
-es dämmerte ihm, daß da ein Geheimnis sich enthüllen sollte. »Hast du
-diese Spitze gemacht, Gabriele?« fragte er sanft. »Du große Künstlerin,
-es ist deine schönste! Aber wann und wo hast du diese Riesenarbeit
-schaffen können?«
-
-Gabriele rang eine Weile mit ihrer erstickenden Angst, dann brachte sie
-fast tonlos die Antwort hervor: »In den zwei Stunden, in denen ihr alle
-dachtet, daß ich schliefe!« Dann legte sie ihr Kissen auf den nächsten
-Tisch, bedeckte das Gesicht mit den Händen und begann zu weinen. Sie
-dachte: jetzt kommt der Wetterstrahl, der all dein Glück zerschlägt!
-
-Aber der Ratsherr stand selber da, wie vom Wetter getroffen. Ein so
-schneller, klarer Denker er auch sein mochte -- _diese_ Offenbarung nach
-allem Vorhergegangenen verwirrte ihn. Daß Gabriele an der Überlast eines
-großen Haushaltes, einer stets belebten Kinderstube und vielen neuen
-Kenntnissen, in die sie erst hineinwachsen mußte, erkrankt war, hatte
-er begriffen; daß ein täglicher, regelmäßiger Schlaf sie geheilt, war
-natürlich. Aber jetzt --? Da sie nicht geschlafen hatte und doch geheilt
-war, stand das Rätsel ihrer früheren Krankheit wieder ungelöst da,
-vermehrt um ein neues, noch verwirrenderes! Es bedurfte der ganzen
-weiblich-schönen Herzensgüte und auch der ganzen Selbstbeherrschung des
-Mannes, um hier nicht, was er für eine äußerst verworrene und dunkle
-Sache hielt, durch ein hartes Wort für immer um seine Aufklärung zu
-bringen. Er wagte fürs erste überhaupt nicht zu sprechen, sondern
-betrachtete nur immer mit neuem Staunen die wunderbare Spitze. Aber
-die Frau, als sie nach einer langen Weile es endlich wagte, zu ihm
-aufzublicken, konnte unschwer erkennen, daß er keineswegs zürnte, sondern
-bloß sehr angestrengt nachdachte. Da trat sie an ihn heran, legte leise
-die Hand auf seinen Arm und flüsterte: »Ich glaube es wohl, daß ich dir
-verrückt erscheinen muß!«
-
-Er nahm ihre Hand und sagte lächelnd: »Ich will nicht leugnen, daß
-ich dich nicht ganz begreife. Wie kamst du darauf, eine solche Arbeit zu
-beginnen, da du doch sonst genug zu tragen hattest?« Da erzählte ihm
-Gabriele, so gut sie es eben verstand, von der zwingenden Lust, die
-sie dazu getrieben, und wie sie mit schlechtem Gewissen, aber doch mit
-Seligkeit an dem Werke geschafft hätte und es nicht hätte lassen können.
-Sie beschrieb auch ein wenig, wie ihr jede Arbeit verklärt und verschönt
-erschienen sei im Freudenschimmer eines schöpferischen Siegbewußtseins,
-und auch von ihrer Angst erzählte sie und wie sie schließlich gegen ihren
-Willen, gleichsam durch die Macht ihres Geschaffenen selbst zum
-Bekenntnis gezwungen worden sei. Es war alles ein wenig verworren und
-unzusammenhängend, denn es war das erste- und wohl auch das letztemal im
-Leben, daß Gabriele über sich selbst zu sprechen hatte, und es fiel ihr
-gewaltig schwer. Aber der Ratsherr schien doch etwas davon zu verstehen,
-wenigstens ging es wie Wechselspiel von allerlei Lichtern über sein
-Gesicht. Dann fragte er sehr ernst und sehr eindringlich: »Nun sage mir
-eines, Gabriele, was mir wichtiger zu wissen ist als alles übrige: bist du
-mir nun tatsächlich genesen, oder ist das nur ein frommer Betrug vor dir
-selbst, der deinen Ungehorsam rechtfertigen sollte, und fühlst du dich am
-Ende noch kränker, als du es zeigen willst?«
-
-Da mußte Gabriele lachen in all ihrer Bangigkeit. »Siehst du mir das
-nicht an, Liebster? Mußt du nicht glauben, daß das Rot meiner Wangen echt
-ist, da es diesen Tränen widerstanden hat?«
-
-»Man sollte es meinen,« sagte er mit humorvoller Grimmigkeit. »Aber ihr
-Weiber würdet den Teufel zum Narren machen mit eurer Verschlagenheit.«
-Dann nahm er sein Weib in den Arm, liebkoste es innig und fuhr fort: »Es
-war gut, daß du dieses Kleid angezogen hast, du Dreimalkluge! Denn dieses
-Kleid hat mir die Augen geöffnet, wer du eigentlich bist, und jetzt weiß
-ich auch, woran du erkrankt warst und wodurch du genesen bist. Nun sollst
-du mir auch nicht mehr darben.« Und er küßte sie nur noch herzlicher, so
-daß sie beglückt seine Güte und sein volles Verstehen empfand. --
-
-Der Ratsherr hielt Wort. Wie er mit eiserner Strenge dafür zu sorgen
-gewußt hatte, daß inmitten all der unberechenbaren Zufälligkeiten eines
-großen Haushaltes der Schlaf seines Weibes nie ohne zwingende Not gestört
-wurde, so sorgte er jetzt dafür, daß Gabriele die einmal eingeführte
-Ruhestunde festhielt und sich ganz ihrer stillen Lust darin ergab. Gabriele
-selbst hatte sich anfangs dagegen gewehrt, aber die einmal aufgedämmerte
-Erkenntnis brach von Tag zu Tag zu neuer Klarheit durch, und bald war
-Gabriele dem Gatten dankbar. Und weder er selbst, noch der Haushalt, noch
-Kinder, noch Gäste kamen zu kurz durch diese Erweiterung von Gabrielens
-Tätigkeit. Wie ein Gebet oder ein frommes altes Lied labte und reinigte
-diese Stunde ihre Seele, stärkte sie zu neuem Lebenskampfe, machte sie
-hellsehend und gütig. Alles Schwere, was an sie herantrat -- und es wurde
-dessen mehr, wie die Kinder heranwuchsen und eigene Wege suchten -- löste
-sich in sanfte Harmonie, sobald der leise Tanzschritt der Klöppelelfen
-erklang. Die guten Gedanken tauchten aus den lichten Gebilden empor,
-die Gabrielens Hand entwarf: nicht einzeln kamen sie, sondern in langen
-freundlichen Reihen, und sie umschlossen Gabrielens ganzes Leben und ihr
-ganzes Haus.
-
-
-
-
-Die Tugend der Sabine Ricchiari
-
-
-1.
-
-Ich war, als ich Sabine Ricchiari verstehen lernte -- _gekannt_ hatte ich
-sie schon seit zehn oder zwölf Jahren! -- Seelsorger in einer kleinen
-süddeutschen Stadt, hatte die Fünfzig überschritten und war also in eine
-Lebensperiode getreten, wo man keinen mehr um seiner Sünde willen haßt,
-keinen um seiner Tugend willen preist, sondern alle liebt, weil man alle
-bedauert. Ist man einmal so weit, so fliegt einem das Vertrauen von selbst
-entgegen, man darf dann nur den scheuen Vogel nicht durch eine hastige
-Bewegung schrecken. Ich hörte manche Lebensgeschichte, dazu bedurfte ich
-keines Beichtstuhles. Über die nun folgende habe ich heißer gegrübelt
-als über sonst eine.
-
-Sabine Ricchiari brachte durch ihre Erscheinung schon Aufruhr in unsere
-kleine Stadt. Sie war die Gattin eines Arztes, dessen Familie aus dem
-Veltlin stammte, die aber, seit mehreren Generationen in Deutschland
-ansässig, jede Erbschaft ihrer stolzen Abkunft verloren hatte, bis auf
-den klingenden Namen. Dessen gegenwärtiger Träger nun war ein so
-bescheidener, schlicht und nüchtern aussehender Mann, daß auch dieses
-karge Erbe an ihm noch wie Verschwendung erschien; denn der schöne Name
-wollte zu dem unscheinbaren Wesen übel passen. Er lebte einige Jahre in
-einer größeren Stadt, lernte dort Sabine kennen und führte sie uns
-zu, als er eine neue Praxis unter uns eröffnete. Nun, da ich die Frau
-erblickte, freute ich mich, und zwar um ihretwillen, daß der Mann nicht
-Schulze hieß. Denn Sabine saß der Name wie angeschaffen; sie trug das
-trompetenhelle Wort vor sich her, wie eine kriegerische Jungfrau eine
-silberne Tuba trägt; und wenn man ihre hohe Schönheit betrachtete, so
-genoß man es doppelt, daß man dies seltsame und bedeutende Geschöpf
-nicht mit einem gewöhnlichen oder gar übellautenden Worte benennen
-mußte.
-
-Durch die engen und gewundenen Gassen unseres Städtchens, in denen damals
-noch Handwerker- und Markttreiben sich stieß und drängte wie vor hundert
-Jahren, war noch nicht zweimal Sabine Ricchiaris hohe Gestalt gewandelt,
-als schon Neugier und Tadelsucht sich an ihre Fersen hefteten. Der stille
-stolze Gang, womit sie die übelgepflasterten und bergigen Gäßchen
-beschritt, als wären es Treppen einer Königshalle und mit den weichsten
-Purpurteppichen belegt; der freie, klare Blick, den sie die Häuserreihen
-hinabgleiten ließ bis an das altersgraue Stadttor, über welches Berg
-und Himmel hold hereinlugten; die kecke Haltung des wohlgeformten Hauptes;
-nicht zuletzt auch das helle Kleid, das alles Licht der Sonne, welches die
-graue Umgebung so mürrisch hinweg wies, in sich allein gesammelt zu haben
-schien -- ja, der Klang ihrer zuversichtlichen, frischen und lauten Stimme
-selbst irritierte dies trippelnde, kichernde, hustende und knicksende
-Geschlecht bis zum Haß. Sabine wirkte verfassungstörend. Die Frau mit
-den Großstadtsitten machte die Kleinstadtgehirne toll. Alles Überkommene
-drohte zu stürzen. Frauen, die dreißig Jahre lang unangefochten und
-sorglos den Pantoffel geschwungen hatten, wurden plötzlich eifersüchtig
-und -- aus Eifersucht -- zahm; Männer, die dreißig Jahre lang geduldig
-ihr Joch getragen hatten, wurden plötzlich rebellisch. Putzmacherinnen
-wurden erfinderisch und phantasiekühn. Ladendiener und Schreiberlein
-salbten ihr Haar und trugen Nelken im Knopfloch. Offiziere a. D., die
-längst in Biertischgemütlichkeit versunken waren, hielten plötzlich
-wieder auf Taille, und Referendare wurden stumpf gegen die Reize zierlicher
-Krawattenverkäuferinnen. Und weil Sabinens Schönheit es war, die also
-demoralisierend wirkte, so wurde mit promptem Schlusse die Schönheit
-selbst für unmoralisch erklärt, so wurde, wie auch sonst wohl
-geschieht, das Unnachahmliche und Unerreichbare als nicht nachahmenswert
-beiseitegeschoben. Sabine war ein Jahr lang oder zwei höchst unpopulär.
-Dennoch war sie Gegenstand der Gespräche in Gasse und Kemenate: denn
-männiglich wartete auf den Augenblick, wo die lästerlich schöne Fremde
-zu Fall kommen würde, und sieben- bis achthundert Paar Nächstenaugen
-paßten haßgeschärft auf die Vorzeichen eines solchen Falles. Aber sie
-paßten umsonst. Klar wie ein Wiesenbach floß Sabinens schlichtes Leben
-dahin. Stets an der Seite ihres Gatten, immer im Kreise ihrer Kinder, sah
-man sie laute Vergnügungen meiden und keinen anderen Umgang pflegen, als
-den so tugendhafter Frauen, wie nur kleine Städte sie aufweisen können.
-Die Huldigungen der Männer wies sie lächelnd, aber nachdrucksvoll in
-solche Grenzen, daß auch die bitterste Eifersucht ihr keinen Vorwurf
-allzuschneller Geneigtheit machen konnte. Erregte sie Aufmerksamkeit durch
-Gewandung und Erscheinung, so schien es doch, als beabsichtige sie nur,
-diese Aufmerksamkeit, einmal gefesselt, auf ihr musterhaftes Betragen zu
-ziehen: man sollte sie sehen, um zu sehen, daß es nichts zu sehen gäbe.
-Keine kokette Gebärde, kein noch so leises Augenspiel war ihr nachzusagen.
-Dazu war ihr Haushalt tadellos geführt mit geringen Mitteln; ihre Kinder
-blühten. Gegen Arme war sie äußerst freigebig, sonst jedoch sparsam,
-wenn auch stets auf vornehmes Auftreten bedacht. Und kurz und gut: Sabine
-Ricchiari erwies sich als ein solcher Ausbund trefflicher weiblicher
-Eigenschaften, daß langsam die neidischen Gemüter ihrer Mitbürger
-und Mitbürgerinnen sich wandten, zur Duldung erst, dann zur Achtung,
-schließlich aber zu grenzenloser und unbedingter Bewunderung. Im dritten
-Jahre ihres Aufenthaltes war Sabine der Liebling unseres Städtchens, wie
-sie in ihrer Heimat der Stolz des Kreises gewesen war, in welchem sie sich
-bewegt hatte. Man sprach von ihrer Tugend als von etwas Heiligem, von ihrer
-Treue gegen den wenig bestechenden und meist mürrischen Gatten als
-von einem Wunder. Um diese Zeit geschah es nun, daß eine zufällige
-Gesprächswendung mich darauf führte, Sabinen in Gegenwart ihres Gatten
-von dieser verblüffenden Wandlung der öffentlichen Meinung zu reden und
-ein kleines und -- wie ich glaubte -- wohlverdientes Kompliment daran zu
-knüpfen. Alsobald erschrak ich jedoch über die Miene des Doktors, die
-sich noch mehr als gewöhnlich verfinsterte. Von ihm hinweg zu Sabinen mich
-wendend, erstaunte ich noch mehr über den Ausdruck höchsten Triumphes in
-ihren Zügen. Mitten im Zimmer stehend, von der Lampe über ihrem Haupte in
-einen Mantel von Licht gehüllt, strahlte ihr hochgehobenes Antlitz wie das
-einer Fürstin, der man eben eine Krone zu Füßen gelegt hätte. Arglos
-wie ich war, verwunderte ich mich nur darüber, daß eine so kluge Frau
-so hohen Wert auf das Urteil der Menge legen mochte, denn offenbar war
-sie über die Maßen geschmeichelt und erfreut. Indes mochte ich ihr diese
-Schwäche wohl verzeihen; mußte aber, sechs oder acht Jahre später, mit
-Schmerz an diese stumme Szene denken, deren Bedeutung ich im Augenblicke
-nur halb verstanden hatte.
-
-Es sei hier nun gleich betont, daß ich kein so unbedingter Bewunderer der
-tugendhaften Sabine Ricchiari war, wie der Chor der Basen und Nachbarinnen;
-wie ich denn auch anfangs kein Verdammer ihrer Anmut gewesen war. Ich hatte
-zwar -- leider hatten mich schlimme Erfahrungen dazu berechtigt -- die
-auffallende Ungleichheit zwischen Mann und Frau nicht ohne Unruhe sehen
-können. Denn war auch der Doktor tüchtig in seiner Kunst, pflichttreu,
-redlich und von beherrschtem, würdigem Wesen, so habe ich es doch nie
-erlebt, daß Frauen vor solchen Eigenschaften sonderlichen Respekt haben;
-und die, denen ein Weib gerne erliegt, besaß Ricchiari nicht. Aber ich
-hatte doch das gesetzte Wesen der Frau erkannt, das leidenschaftliche
-Verirrungen ausschloß. Dieselbe Eigenschaft der Sabine aber, die mich ihr
-zu Anfang nichts Schlechtes zutrauen ließ, hinderte mich nun daran, ihr
-nur Gutes zuzutrauen: denn ganz ohne Zweifel war Sabine eine kalte
-Natur, und ihre Vortrefflichkeit baute sich mehr auf Überlegung als auf
-irgendwelche Herzenseigenschaften. Und wenn ich nun auch um so mehr eine
-mit Ausdauer geübte Willensbeherrschung in dieser Frau bewundern mußte,
-so konnte mir doch diese ganze starr festgehaltene Unfehlbarkeit im Grunde
-nicht recht gefallen. Man wird mir zugeben, daß wir Männer in diesem
-Punkte unlogisch sind; aber ich wette, man wird mir nachfühlen: lieben
-wir es schon, daß Frauen, die wir verehren sollen, rein und stark in
-ihrer Tugend seien, so lieben wir es doch auch, sie gegebenenfalls einer
-Schwäche mindestens _fähig_ zu wissen. Und eben diese Fähigkeit schien
-Sabinen zu fehlen. Ich hatte Gelegenheit, sie ziemlich genau zu beobachten;
-war ich doch, dank meines Priesteramtes und dank der -- Korrektheit, die
-Sabinens Verkehrswahl bedingte, ein vertrauter Gast im Hause des Doktors.
-Und daß ich es nur gleich sage: nie habe ich Sabinen gereizt, nie
-eigensinnig, nie vergnügungssüchtig, nie begehrlich nach Tand oder
-Schmuck gesehen; aber auch nie in weicher Stimmung, nie in Tränen, nie in
-überschwenglicher, voller, jugendlicher Freude. Ihr ganzes Wesen stellte
-eine bis zum äußersten geglättete Fläche dar; aber, wenn ich das Bild
-vollenden darf: nicht Marmor, der unter dem Schliff das köstliche Geäder,
-sein inneres Leben, erst recht schön entfaltet, sondern irgendeinen
-Kunstguß von Metall, der nur glänzt und seine reinliche Außenseite in
-Wind und Wetter blank erhält; sonst aber nichts von eigener, in seiner
-_Struktur_ begründeter Schönheit besitzt. Um Schillers hohe Forderung
-gegen diesen seltsamen Frauencharakter auszuspielen: Sabine Ricchiari war
-eine Natur, die eben unausgesetzt nötig hatte, »_edel zu wollen_«, weil
-sie ganz und gar nicht imstande war, »_schön zu empfinden_«. Freilich
-hatte sie es in der Anwendung dieses Wollens zu unerhörter Fertigkeit
-gebracht -- das sollte mir später noch klar werden.
-
-Die Eindrücke, die dies mein Urteil über Sabine Ricchiari begründen,
-lagen zu der Zeit, von der ich spreche, natürlich gleichsam schlummernd
-in mir; ich hätte damals nicht vermocht, sie zu irgendeinem Ausdrucke
-zu gestalten, ja, ich gab mir kaum Rechenschaft darüber. Ich war mir nur
-eines leicht abweisenden Gefühles gegen die vielbewunderte Dame bewußt,
-welches sich gerade dann regte, wenn ich sie in schwieriger Lage mit
-beängstigender Sicherheit das einzig Richtige und Wohlanständige treffen
-sah, das es für sie zu tun gab. So geschah es zum Beispiel öfters, daß
-der Doktor in einer Anwandlung von Laune, wie sie auch bei trefflichen
-Männern wohl vorkommen mag, seine Frau vor Zeugen hart anließ; dann
-benahm Sabine sich mit solch einzigem Anstande, daß man ihr Bewunderung
-nicht versagen konnte. Dennoch schien mir, als täte sie es ohne
-Anstrengung, als erlitte sie die Kränkung von einem Fremden, dessen
-Meinung ihr nichts galt, oder als eifere ein Machtloser gegen sie, der sie
-in ihrer Hoheit nicht verletzen konnte. Ich, der ich den Doktor liebte,
-empfand für ihn die Geringschätzung, die in dieser Sachlichkeit lag,
-womit Sabine seinen Schwächen gegenübertrat; und wohler wäre mir um
-seinetwillen gewesen, hätte sie sich bei solchen Gelegenheiten manchmal
-kindisch, trotzig, erregbar gezeigt. Ebenso erging es mir, als Ricchiari
-einmal bedenklich erkrankte: Sabine pflegte ihn mit beispielloser
-Pflichttreue und Geduld. Aber ihr Aussehen veränderte sich bei dem
-schwierigen Krankendienste nicht, ich sah sie nicht verhärmt, als er dem
-Tode nahe schien, sah sie nicht in jubelnder Seligkeit aufblühen, als die
-Rettung gewiß war. In ähnlicher unentwegter Fassung stand sie auch ihren
-Kindern gegenüber, ihren kleinen Unarten, ihren allerdings unbedeutenden
-Krankheiten. Und ich kam mir damals oft selbst töricht und sogar böse
-vor, weil eben diese Gleichmäßigkeit ihres Wesens mir nicht recht
-zusagen wollte, während doch jedermann sonst sie darum bewunderte und
-verherrlichte. Aber ich kam nicht gegen mein Empfinden auf.
-
-Als Sabine eine mehr als zehnjährige Ehe hinter sich hatte -- sie
-stand nun in der Mitte der Dreißig, trat ein Ereignis ein, welches mir
-Gelegenheit gab, Sabinens Wesen und Entwicklung aus ihrem eigenen
-Munde kennen zu lernen, zugleich auch mein dunkles Gefühl zum klaren
-Verständnis ihrer Art auszubilden. Das Ereignis war ein solches, das die
-ganze Stadt, Beteiligte und Unbeteiligte, heftig erschütterte und selbst
-in den seichtesten Seelen eine Ahnung weckte von der Sturmgewalt der
-Elemente, die in Tiefen toben können. Einer der jungen Rechtsgelehrten,
-die dem in unserem Städtchen tagenden Gerichtshofe beigegeben waren, ein
-Sohn guter Eltern, aus begüterten Kreisen stammend, aus einer größeren
-Stadt zugezogen -- ein Jüngling von äußerst einnehmendem und
-freundlichem Wesen, der sich großer Beliebtheit unter den besten Menschen
-des Landes erfreute: wurde eines Morgens mit durchschossener Schläfe tot
-in seinem Bette gefunden. Ein hinterlassener Zettel kündigte Selbstmord
-aus verschmähter Liebe an, aber in so rührender Art, so schlicht zum
-Herzen sprechenden Ausdrücken, daß auch der böseste Skeptiker nicht zu
-lächeln gewagt hätte. Der Name des Weibes, das den armen Knaben in den
-Tod getrieben, war begreiflicherweise nicht genannt; aber der Instinkt der
-Menge, der in solchen Dingen fast immer richtig geht, bezeichnete Sabine
-Ricchiari als die Urheberin der Tat. So wie der Vorfall sich darstellte,
-schien diese Annahme allerdings glaublich: Sabine war in der Tat reizbegabt
-genug, um eine verheerende und alle Fesseln sprengende Leidenschaft
-zu entflammen; kein Mann wäre zu verdammen gewesen, der für dieses
-Götterbild das Letzte gewagt hätte; und andererseits machte Sabinens
-anerkannte Tugend jeden Wunsch von vornherein zu einem hoffnungslosen.
-Das war die Erläuterung, die die öffentliche Meinung gab: entgegen ihrer
-sonstigen Gewohnheit schienen alle Lästerzungen geneigt, die edelsten
-Beweggründe auf beiden Seiten anzunehmen. Fama drapierte sich romantisch.
-Und wenn etwas imstande war, Sabine Ricchiaris Ansehen und Beliebtheit in
-der Stadt noch zu steigern, so war es dieser Vorfall, die letzten Worte
-eines Todbereiten, die ihre ehrenfeste Unbesiegbarkeit mit solch tragischem
-Nachdruck verkündeten.
-
-Die öffentliche Meinung sieht meistens richtig, aber niemals tief;
-Tatsachen bleiben ihr selten verborgen, Beweggründe immer: das Ereignis
-war genau so vor sich gegangen, wie der Stadtklatsch annahm -- und doch,
-wie anders! wie furchtbar anders! --
-
-Man hatte die Verwandten des Jünglings von dem Selbstmorde benachrichtigt,
-doch gab es keine Möglichkeit ihres Eintreffens vor dem späten
-Nachmittage. Weil ich das verblendete Kind lieb gehabt hatte und weil mir
-das Herz blutete um sein Schicksal, so übernahm ich es, bei ihm zu bleiben
-und seinen letzten Schlummer zu hüten, bis das Gebet seiner Mutter das
-meinige ablösen würde. Ich ließ den Leichnam auf reinem Bette aufbahren,
-setzte mich neben ihn und blickte unverwandt in das sanfte, stille Gesicht,
-als könne es mir noch Antwort geben auf die bittere Frage, die mich, der
-ich weniger hurtig schloß als die Menge, unablässig quälte: »Wie hat
-es so weit kommen können?« Ich hatte den Jüngling als einen stäten und
-tüchtigen gekannt, ohne Überspanntheit und ohne Pose. Was hatte er
-leiden müssen, was erkennen, bis er diesen letzten Verzweiflungsschritt
-unternommen hatte? In mir zitterte alles vor Mitleid und Schmerz, ich
-fühlte die Tränen über meine Wangen rinnen, und mehr als einmal beugte
-ich mich über den Toten und küßte seinen kalten Mund in einer traurigen
-Hoffnung, es möchte die Seele, die diesem Leib entflohen, noch irgendwo
-in der Nähe weilen, mein Leid und meine Liebe mit ansehen und als
-Trost empfinden. Da geschah es, daß ich plötzlich, den Kopf von meiner
-schmerzlichen Liebkosung erhebend, Sabine Ricchiari im Zimmer stehen sah.
-Sie war geräuschlos eingetreten und zwischen dem Bette und dem Fenster
-stehen geblieben, so daß sich nur ihr großer schwarzer Schattenriß in
-unheimlicher Starrheit vor mir erhob. Ich fuhr auf mit einer Regung des
-Hasses gegen sie; denn mein Gefühl, das nie unbedingt zu ihren Gunsten
-gesprochen hatte, schrie in diesem Augenblicke blindlings, jede Reflexion
-niederdonnernd, ein »Schuldig!« über sie. Meine Augen mußten deutlich
-sprechen, was ich empfand, denn sie trat einen Schritt zurück und senkte
-das Haupt langsam tiefer und tiefer. Dann hörte ich, daß sie weinte;
-und weil mich das bei ihr, die ich keiner redlichen Träne für fähig
-gehalten, überraschte und ergriff, wie es mich noch bei keiner Frau
-ergriffen hat, so fühlte ich schnell meine Stimmung gegen sie sich
-erweichen und näherte mich ihr, um ihr die Hand zu reichen. Dabei sah ich
-ihr Gesicht -- und jetzt umschloß mein Mitleid sie ganz! Sie aber ergriff
-meine Hand nicht, sondern meine versöhnliche Geste für ein Zeichen der
-Verzeihung nehmend, das ihr freien Zutritt zu dem Toten gewährte, eilte
-sie an mir vorüber nach dem Bette, über welches sie sich mit dem ganzen
-Leibe warf, ihre Lippen auf die des Verblichenen pressend und mit den Armen
-seine Schultern und seinen Kopf umklammernd. Es lag eine Heftigkeit der
-Leidenschaft in dieser Bewegung, die grauenhaft gewirkt hätte einem
-Lebenden gegenüber; an dieser fühllosen Masse, die schlaff und kalt
-in ihrer Umarmung hing, stellte sich der Anblick ihrer Raserei geradezu
-haarsträubend dar. Besonders entsetzlich war die Art, wie der bleiche
-Kopf, den sie wiederholt emporriß, immer wieder über ihren Arm zurück
-und zur Seite sank, als wolle er sich den allzuspäten Liebkosungen jetzt
-verachtungsvoll abwehrend entziehen; so schien es Sabine auch zu nehmen,
-denn ihre Gesten wurden wilder, ihr Weinen lauter bei jeder derartigen
-Bewegung. Ich stand sprachlos dabei, fühlte Schauer um Schauer über
-meinen Rücken rinnen und vermochte nicht, dem Tun der Frau zu wehren. Sie
-aber, nachdem sie das Gesicht des Toten und seine Brust mit solchen
-Küssen bedeckt hatte, und unter solchen Ausrufen und Seufzern, wie die
-Verzweiflung fruchtloser Reue sie lehrt, erhob sich endlich rasch und
-wollte aus dem Zimmer huschen, wie sie hereingekommen war. Da ereilte
-ich sie an der Tür und verstellte ihr den Ausgang, denn ich dachte nicht
-anders, als daß auch sie jetzt in den Tod zu rennen beabsichtige. Sie
-kehrte um, setzte sich auf den nächsten Stuhl und suchte augenscheinlich
-in schwerem Kampfe ihre Selbstbeherrschung wiederzugewinnen. Ich erinnere
-mich nicht, ob ich ihr zugesprochen habe; mit meinem Herzen tat ich es
-gewiß, aber in mir schrien so viele Stimmen durcheinander, daß ich nicht
-weiß, ob ich wirklich zu Worte gelangt bin oder ob ich die Laute nur
-geträumt habe, die meine bebenden Lippen zu formen suchten. Immerhin
-beruhigte die entrückte Frau sich endlich und kehrte zur Wirklichkeit
-zurück; ihre Augen begegneten wieder und hafteten diesmal an den meinen,
-in denen sie wohl das heißeste Erbarmen lesen mußte. Dann setzte sie sich
-neben das Bett, das sie nun mit einem rührenden Ausdrucke mütterlicher
-Geschäftigkeit in Ordnung brachte, und schließlich begann sie in
-schauerlich ruhigem Tone den Hergang der Sache zu erzählen.
-
-
-2.
-
-Sabine war ein Kind von unvergleichlicher Anmut gewesen, und da war es
-denn nur zu begreiflich, daß sie in Aller Mienen der Wirkung ihrer eigenen
-Zauberhaftigkeit nachspürte und es zur Aufgabe ihres kleinen
-Lebens machte, diese Wirkung nach Möglichkeit zu verstärken. Dabei
-experimentierte sie förmlich mit der Tragfähigkeit dieses Magnets: denn
-sie trug Farben und Gewandformen, die an anderen Mädchen gewagt erschienen
-wären, und triumphierte innerlich, wenn ihre Schönheit das Unmöglichste
-und Heterogenste zu einem gefälligen Eindrucke verband. Auch gelang es ihr
-öfters, selbst die Mode zu beeinflussen, indem sie durch die Macht ihrer
-Erscheinung die Augen ihrer Geschlechtsgenossinnen blendete, so daß jene
-das Kleid von der Trägerin nicht mehr zu unterscheiden vermochten und
-sich für schön hielten, wenn sie trugen, was an Sabine Ricchiari schön
-erschien So sicher aber diese ihrer äußeren Vorzüge war und so viel sie
-darauf wagen konnte, so genügte ihr dies doch keineswegs; sie hätte nun
-auch gerne durch Gaben des Geistes und der Seele allen anderen Frauen den
-Rang abgelaufen und empfand es höchst schmerzlich, daß ihr hervorragende
-Talente versagt waren, die ihren Namen durch die Lande trügen. Deshalb
-aber nicht eingeschüchtert, warf sich Sabine auf das »Fach«, in welchem
-Lukretia und andere hohe Frauen der Geschichte sich mit Glück betätigt
-hatten: auf die Tugend. Und sie faßte diesen Begriff in seinem weitesten
-Sinne.
-
-Als Kind hatte Sabine Ricchiari nicht gerne gelernt. Da sie heranwuchs,
-beobachtete sie, daß jedermann einen gewissen Grad von Albernheit und
-Denkfaulheit als Vorrecht ausnehmend schöner Personen für zulässig zu
-halten schien Das erbitterte sie sofort aufs höchste als eine Beleidigung,
-die ihr mehr galt als tausend anderen, minder reizenden Frauen. Und hier
-sprang nun der gefährliche Zug ihres Wesens mit einer ganz wohltuenden
-Wirkung ein: denn, beharrlich und energisch, wo es ihrer Eitelkeit galt,
-zwang Sabine ihren flattersüchtigen jungen Geist in eine Zucht, die alle
-Welt in Erstaunen setzte. Bald erlebte sie die Freude, daß man laut und
-leise ihren Fleiß und ihr ernsthaftes Streben noch höher als ihre Anmut
-pries, und ehe sie achtzehn Jahre alt war, konnte sie schon mit vollem
-Rechte das kühne Wort sprechen: »Müssen denn alle tüchtigen Frauen
-häßlich sein und nur häßliche tüchtig? Ich denke zu beweisen, daß
-man körperliche und geistige Bildung vereinigen kann!« Dabei fiel ihr das
-Studium vieler Wissenszweige durchaus nicht leicht, und nur der maßlose
-Ehrgeiz, ein Frauenbild von nie dagewesener Vollkommenheit darzustellen,
-hielt sie in Stunden tiefer geistiger Erschöpfung aufrecht. Bei solchen
-Beschäftigungen mußte sich ihr notgedrungen die Zeit kürzen, die andre
-junge Mädchen ihres Kreises auf Tanz und Flirt verwendeten; jedoch empfand
-Sabine dies durchaus nicht als Verlust, da ihr Siege auf diesem Felde allzu
-sicher waren, und wenn sie sich unter die Spiele der Geselligen mischte, so
-war's nur, um durch verspätetes Erscheinen und frühen Abgang die Leute
-zu erinnern, daß sie Besseres zu tun hatte. So albern nun dies Tun an
-sich erscheinen mag, so trug es doch für Sabine bessere Früchte, als sie
-eigentlich verdient hätte. Denn darin ist die Wissenschaft, die Göttin,
-dem sterblichen Weibe gleich, daß sie ihre Bewerber nicht leicht auf
-die Redlichkeit ihrer Gesinnung prüft und auch den mit Segenshänden
-beschenkt, der nur mit ihr tändelt. Was Sabine Gutes, Klares,
-Großzügiges in ihrem Charakter hatte, war ihr als unverdiente und
-ungewollte Beute aus der Zeit dieser Raubzüge in das reine Land des
-Gedankens geblieben.
-
-Aber nun kam Sabine in das Alter, wo die höchsten Lebensfragen an ein
-Weib herantreten, und leider machte sich auch hier wieder die Sucht, das
-Ungewöhnlichste, das völlig Unerwartete zu tun, zu ihrem Schaden geltend.
-Sie war -- schön, gebildet und überaus sittsam, wie sie sich stets
-gezeigt hatte -- von zahlreichen Bewerbern umschwärmt und hätte unter den
-Männern ihres Kreises den Besten und Begehrtesten zu ihren Füßen sehen
-können. Aber Sabine bildete ihr Urteil über Männer nach eigener Art. Die
-naive Siegessicherheit, mit welcher heutzutage ein Mann, der seinen Wert
-kennt, ein Weib zu nehmen pflegt, erbitterte und beleidigte sie, die
-sich selbst als etwas Einziges und Unvergleichliches geschätzt zu sehen
-wünschte, nicht wenig. Sabine wollte Werber im Minnesängerstil. Dafür
-war sie auf der anderen Seite höchst anspruchslos, denn kein äußerer
-Vorzug des Mannes sollte ihre Wahl bestimmen; freie, reine Neigung beider
-Herzen allein sollte den Ausschlag geben und -- Bedingung =sine qua non!=
--- das _Publikum_ vor allem sollte von dieser reinen Neigung überzeugt
-sein. So, damit auch ja nicht der leiseste Vorwurf einer Bestechlichkeit
-erhoben werden konnte, wandte das törichte Fräulein sich sofort und
-demonstrativ von allen glänzenden, angesehenen und vielbegehrten Männern
-hinweg und solchen zu, die von Frauen übel behandelt, von Kritikern
-verkannt, von Vorgesetzten übersehen und von rassestolzen Aristokraten
-geächtet wurden. Und man konnte hinfort auf allen Festen das sonderbare
-Schauspiel genießen, das schönste Mädchen der Stadt mit einem Gefolge
-zweifelhafter Gestalten einherwandeln zu sehen, an denen sie eifrig und
-ernsthaft ein Werk der Veredlung zu betreiben suchte, das indes sehr selten
-mit einem Gelingen lohnte. Denn Männer pflegen es sehr übel aufzunehmen,
-wenn ein Weib sie »zu sich emporziehen« will -- und ich weiß nicht, ob
-ich ihnen darin nicht recht geben muß.
-
-Es konnte nicht fehlen, daß Sabine in diesem Umgange ein paar schlimme
-Erfahrungen machte, die ihr indes glücklicherweise nicht so zum Verderben
-ausfielen, wie es wohl hätte sein können. So befand sich unter den
-Unbegehrten, die sie zu beschenken glaubte, ein junger Naturforscher von
-beträchtlicher Häßlichkeit, deren Wirkung noch verstärkt wurde durch
-den Hochmut, mit welchem der Mann alle gefälligen Formen in Rede, Kleidung
-und Auftreten verschmähte. Er war aus Arbeiterkreisen hervorgegangen,
-recht im vollsten Sinne des Wortes ein geistiger Selfmademan, und
-allerdings sehr bedeutend in seinem Fache. Aber er setzte einen törichten
-Stolz darein, das Plebejertum, dem er angehört hatte, auf drastische Weise
-darzulegen, und scheuchte feinfühlige Frauen von sich durch die Derbheit
-seiner Ausdrucksweise sowohl wie durch die Gehässigkeit, die er denen
-gegenüber zur Schau trug, die sich feinerer Sitten befleißigten. Auf
-ihn konnte mit Recht das drollige Wort angewendet werden, er habe »zwei
-Rücken«; denn bei Gastmählern, zu denen er freilich selten genug gebeten
-wurde, brachte er es fertig, seinen _beiden_ Nachbarinnen _zugleich_ den
-Rücken zu kehren -- und das schlimmste war: sie zogen sein unartiges
-Schweigen seiner Konversation vor. Das war ein Objekt für Sabine! Mit dem
-raschen Schlußvermögen, das sie auszeichnete, stellte sie fest, daß
-eben diese Gehässigkeit gegen alles Glatte und Vornehme einem tiefen
-Bewußtsein eigener gesellschaftlicher Unzulänglichkeit entsprungen sei,
-und daß der rauhe Mann nur deshalb nicht manierlich sein _wollte_, weil
-er klar empfand, daß er es nicht sein _konnte_. Sie sagte sich, daß er
-wußte -- und wahrlich nicht zu seinem Behagen wußte --, an ihm müsse
-Kultur zur Karikatur werden. Deshalb hegte sie Mitleid für ihn und
-beschloß, die erste zu sein, die seinem hervorragenden Verstande und
-seiner wissenschaftlichen Tüchtigkeit volle Ehre antat, ohne sich durch
-seine ungeschlachte Art und böse Sitten beirren zu lassen. Und sie
-erwählte ihn förmlich und feierlich zu ihrem Höflinge und war
-holdseliger zu ihm, als ihr dabei eigentlich ums Herz war; denn sie mußte
-sich alle mögliche Gewalt antun, um den Widerwillen zu überwinden, den
-seine physische Erscheinung, seine zynische Rede und häufige lästerliche
-Flüche ihr einflößten.
-
-Aber Sabine kam übel an mit ihren Beglückungsversuchen. Denn sie mußte
-einsehen, daß der erwählte Mann selbst nicht nur keine sonderliche
-Dankbarkeit gegen sie empfand, sondern daß er die Bevorzugung, die
-ihm widerfuhr, auf eine sehr kränkende Weise deutete. Daß seine
-Häßlichkeit, über welche er sich keiner Täuschung hingab, ein so holdes
-und vielbegehrtes Wesen wie Sabine anzog, erschien ihm durchaus nicht als
-ein Wunder der Liebe, die ihren Gegenstand nach seinem seelischen Gehalte
-schätzt -- denn so hätte Sabine es gerne gedeutet wissen wollen; vielmehr
-erklärte er sich in seiner materialistischen Weltanschauung dies Wunder
-einfach aus einem perversen Reiz, den Scheusale von Männern auf
-Frauen auszuüben verstehen, und er schämte sich nicht, dies in wenig
-verschleierten Worten anzudeuten, wobei er mit Vorliebe das Beispiel des
-großen Sinnenbetörers Mirabeau zitierte. Daß Sabine seine durchaus nicht
-gewählte Unterhaltung ertrug, schrieb er demselben krankhaften Gefallen am
-Allzunatürlichen zu, denn er gab sich nie Mühe, in den Mienen anderer
-zu lesen, und übersah deshalb den Kampf, mit welchem das wunderliche
-Fräulein diese härteste Probe ihrer Gesinnungstreue zu bestehen
-suchte. Daß sie endlich vor aller Welt seine Partei hielt, schien ihm
-selbstverständlich, denn er wußte, daß er für eine wissenschaftliche
-Größe galt und daß eine Frau an seiner Seite einer großen Zukunft
-entgegenging. Und er sprach auch dies aus und verfehlte nicht, Sabine
-aufmerksam zu machen, daß sie trotz ihrer Schönheit und höheren Geburt
-bei einer Verbindung mit ihm der _gewinnende_ Teil wäre. Es dauerte eine
-ganze Weile, bis Sabine diese seine Auffassung von der Sache ganz begriffen
-hatte, denn sie hatte sich in der Rolle der Gebenden und Herablassenden zu
-wohl gefallen, um leicht einer so demütigenden Erkenntnis zugänglich zu
-sein. Aber der merkwürdige Galan, der seinerseits durchaus nicht geneigt
-war, den Empfangenden, den Beschenkten zu spielen, versuchte endlich, ihre
-Liebe, die er für höchst leidenschaftlich hielt, durch bewußte Bosheiten
-auf die Probe zu stellen, bald ohne Anlaß fernbleibend, bald auch vor
-Zeugen ein hämisches und tyrannisches Wesen gegen sie zur Schau tragend.
-Ihre Ratlosigkeit und Verblüfftheit solchen Roheiten gegenüber hielt er
-für Schmerz, und die wirklich bewunderungswürdige Geduld, mit welcher
-sie verzieh, was sie einem Mangel an Besserwissen zuschrieb, deutete er als
-Verliebtheit, die, selbst getreten, nicht von ihm lassen konnte.
-Endlich kam aber doch der Tag der Abrechnung, und es erfolgte nun die
-allerwunderlichste Auseinandersetzung, die je zwischen Liebesleuten
-stattgefunden. Jeder der beiden Toren war sehr verdutzt, sich von dem
-anderen nicht heißer geliebt zu sehen, jeder rechnete dem anderen sein
-Gewinnen oder Verlieren mit allerliebster Offenheit vor. Bei dieser
-Abschiedsszene zeigte sich schließlich der Mann noch als der
-Charaktervollere von beiden, denn er war der erste, welcher der Frau mit
-ihrem unerbetenen Mitleiden den Laufpaß gab, indem er erklärte, daß ihm
-ein Schankmädchen, das zu ihm aufsähe, liebenswerter erscheine als eine
-Königin, die sich »herablasse«. Sabine zog sich gekränkt zurück und
-gewann aus der bösen Erfahrung wenigstens die Lehre, daß Mitleid vom
-Weibe zum Manne vorsichtig in leisen Schuhen wandeln muß, soll nicht sein
-Tritt die jungen Liebespflänzlein zermalmen. Eine Weile war sie traurig
-und enttäuscht. Bald aber löste eine neue, noch sonderbarere Wahl die
-Mißstimmung jenes ersten Erlebnisses. Auch dieser zweite Mann war das
-Gegenteil von einem Adonis und nichts weniger als ein Gesellschaftslöwe.
-Wäre er beides gewesen, so hätte er ja für Sabine keinen Reiz gehabt,
-denn dann wäre es keine Kunst gewesen, ihn zu lieben; und Sabine wollte,
-wie gesagt, auch hierin etwas völlig Neues leisten. Was ihre Neigung in
-diesem besonderen Falle bestimmte, war hauptsächlich die bittere Armut,
-in welcher der Betreffende lebte, der seines Zeichens ein unbedeutender
-Musikus am Theaterorchester der Stadt war, in welcher das seltsam
-wählerische Fräulein damals lebte. Sabine hatte durch Hausgenossen des
-Fiedlers von seinem Elende vernommen, hatte ihn unterstützen lassen und
-suchte nun seine persönliche Bekanntschaft zu machen. Sie verhalf ihm zu
-Unterrichtsstunden in besseren Häusern und eröffnete damit zugleich
-ihm und sich selbst einen Weg, auf welchem sie sich häufig genug ohne
-Anstände begegnen konnten. Dabei geschah nun, was geschehen mußte. Hatte
-der Mann schon vorher gewußt, daß er ihrem Mitleid viel verdankte, so
-warfen ihre strahlende Erscheinung, ihr berückendes Lächeln und die
-freundlichen Worte, die sie an ihn richtete, ihn nun ohne weiteres in eine
-maßlose Leidenschaft, die er auch durchaus nicht zu verbergen strebte.
-Dabei war er klug genug, weder seinen persönlichen Vorzügen noch seiner
-musikalischen Begabung das Verdienst dieser Eroberung beizulegen, denn
-er wußte genau, daß er von letzterer nicht viel mehr besaß als von
-ersteren. Aber er empfand doch künstlerisch-naiv gerade soviel als es
-brauchte, um an eine ideale Liebe zu glauben, die wahllos trifft und sich
-mit gleich selbstloser Erwiderung reichlich gelohnt fühlt. Eine solche
-Liebe legte er in Sabine hinein; und er selbst stattete seinen Dank für
-das unverdiente Gnadengeschenk in einer Anbetung ab, an der sich Diana
-hätte genügen lassen können, und die unsere kühle Heldin selbst
-höchlichst befriedigte, weil sie endlich zur Erfüllung brachte, was lang
-geträumt und gewünscht war. Denn nun genoß Sabine die Genugtuung, daß
-die Romantik dieses Verhältnisses von alt und jung gebührend geschätzt
-wurde, und wandelte einher, von Mondschein und blauen Blumen gleichsam auf
-Schritt und Tritt umsponnen, wie ein mittelalterliches Burgfräulein, das
-sich einem fahrenden Sänger neigt. Sie redete viel, um zu beweisen, daß
-echtes Gefühl auch in unseren nüchternen und bösen Zeiten noch nicht
-ganz vom Erdenrund geflohen sei, und glaubte ganz ernsthaft, die schöne
-Neigung, die sie darstellte, wirklich selbst zu empfinden. Allerdings
-glaubte das auch jedermann sonst; und selbst die losesten Zungen fanden
-keinen schlimmeren Anlaß zu sticheln als den, daß man Sabine hinfort auch
-im Getöse einer Wagneroper in der ersten Reihe des Parkettes sitzen
-sah, wo sie dem Bombardement wahnsinniger Pauken- und Trompetenstöße
-heldenhaft standhielt, nur um Aug' in Auge mit ihrem Geigerlein und in
-seiner möglichsten Nähe den Abend zu verbringen. Dem Widerstand ihrer
-Verwandten gegen diese sehr unerwünschte Verbindung setzte sie eine
-siegreiche Beredsamkeit entgegen, die alle Bedenken entwaffnete und die
-Zweifler beschämte. Die Entdeckung, daß ihr neuer Liebhaber einige Male
-ziemlich betrunken im Orchester erschien und daß er Ring und Kette, die
-sie ihm gegeben, gelegentlich versetzte, ernüchterte sie zwar ein wenig,
-entmutigte sie aber keineswegs. Sie löste geduldig ihre Liebespfänder
-selbst wieder aus und gab sie ihm ohne ein Wort des Vorwurfes zurück. Die
-Beschämung und Reue, die der arme Kerl bei solchen Anlässen an den Tag
-legte, war echt; aber die sittliche Festigkeit, die er neuen Versuchungen
-gegenüber bewies, war die eines Kindes; und Sabine machte hier die
-schmerzliche Schule durch, die Künstlerliebchen und -frauen selten erspart
-bleibt: sie mußte sehen, daß ein Mann alles Göttliche und Hohe in seinem
-Busen bewegen und doch vor einem Glase Wein zum Tiere werden kann. Aber
-Sabine hatte ihre Rolle zu hoch gegriffen, um ihr selbst vor derlei
-Schrecknissen untreu zu werden. Auch als ihr Bräutigam wegen der
-eingetretenen Unordentlichkeit seines Lebenswandels aus dem Orchester
-entlassen wurde, hielt sie noch fest zu ihm. Bereits aber war sie so
-weit zur Vernunft gekommen, daß sie den Argumenten ihrer Verwandten ein
-willigeres Ohr lieh als zuvor; und als man ihr geschickt vorstellte, wie
-gerade die Gunst, die sie dem Musikus erwies, die unerwartete Veränderung
-seiner Lage verderbenbringend geworden sei für den Mann, der bisher in
-seinen dürftigen Verhältnissen arbeitsam und brav gewesen war -- da
-entsagte sie, obgleich schweren Herzens und nach langem Kampfe, auch diesem
-Traume. Von ihrem Anbeter kaufte sie sich los, indem sie mit Einwilligung
-ihrer Angehörigen ein bescheidenes Kapitälchen für ihn anlegte, das
-ihn vor äußerster Not bewahren, ihm aber keinerlei Ausschreitungen
-ermöglichen sollte. Es muß zur Ehre des Mannes gesagt werden, daß er
-diese Abfindung erst nach langer und rasender Gegenwehr hinnahm; denn
-er liebte das schöne Mädchen, wie nur ein Musikerherz lieben kann, und
-drohte sie und sich selbst zu ermorden, ehe er sie aufgäbe. Erst die
-Vorstellungen desselben klugen Verwandten, der Sabine herumgebracht,
-vermochten ihn zu erschüttern; denn sie brachten ihn zur Einsicht, daß er
-die Heißgeliebte in ein trauriges Los herunterzöge, wenn er sie an sich
-fesselte, ohne durch seinen Charakter eine Gewähr für seines Zukunft
-zu geben. Er trat zurück und zeigte sich beim Abschiede so ehrenhaft
-und stolz, daß Sabine fast wieder ihren Sinn zu seinen Gunsten geändert
-hätte; denn es war ihr bitter, daß er sie an Entsagungsmut übertraf,
-und sie konnte sich nicht verhehlen, daß er ungleich mehr opferte als sie,
-weil er ungleich leidenschaftlicher geliebt hatte. Seine Pension griff er
-erst viele Jahre später an, als er, wieder zur Ordnung zurückgekehrt,
-eine passende Lebensgefährtin gefunden hatte, mit welcher er dann auch
-leidlich glücklich wurde. --
-
-Sabinens dritte Wahl fiel gleichfalls auf einen Musiker, aber weit höheren
-Ranges. Dieser Mann war städtischer Domorganist, war ein wirklicher
-Künstler, war weder häßlich noch arm, dafür aber blind. Sabine
-hätschelte ihr eigenes törichtes Heldentum mehr denn je, als sie diesem
-Manne nahetrat, mit welchem sie aber glücklicherweise kein Verlöbnis
-einging. Denn -- um es kurz zu machen -- sie mußte bereits nach einiger
-Zeit zur Überzeugung kommen, daß andere Frauen an derselben Wut
-der Selbstaufopferung krankten wie sie, und daß der blinde Mann die
-Äußerungen dieser edlen Regungen, denen er sich übrigens kaum hätte
-entziehen können, rückhaltlos und recht dankbar annahm. Es gab keinen
-tolleren Don Juan im Lande als ihn, und er prahlte, sein eigener Leporello,
-vergnügt mit seinem Sündenregister. Das widerte die im Grunde keusche
-Sabine an, und sie zog sich zurück, ehe ein bindendes Wort gesprochen
-war. So war sie noch einmal mit heiler Haut davongekommen, als sie dem
-Mann begegnete, der ihr Verhängnis werden sollte, ihre Strafe und -- nach
-schweren Irrungen -- ihre Rettung. Dieser Mann war Ricchiari.
-
-
-3.
-
-Sabine war damals vierundzwanzig Jahre alt, und ihre Schönheit hatte
-den Gipfelpunkt der Entfaltung erreicht. Sie war eine so hervorragende
-Erscheinung, daß die Schar ihrer Bewerber und Bewunderer sich trotz all
-ihrer Torheiten nicht wesentlich vermindert hatte, und sie hätte immer
-noch eine Ehe eingehen können, wie sie ihrer höchst verfeinerten und
-verwöhnten Natur angemessen war. Aber _einer_ war abgefallen, von dem
-sie wußte, daß er sie früher gern gesehen hatte, und dieser eine
-beschäftigte nun die widerspruchsvolle Dame mehr als der ganze übrige
-Hofstaat. Auch Ricchiari war kein glänzender Mann. Er war, wie bereits
-erwähnt, von unansehnlicher, wiewohl durchaus nicht unangenehmer
-Erscheinung, dabei trocken und knapp in seiner Rede, schlicht in seinem
-Auftreten und nicht immer liebenswürdig in Frauengesellschaft. Als Arzt
-war er mäßig beliebt und gerade genug beschäftigt, um eine kleine
-Familie ohne Sorgen ernähren zu können, aber was man so eine Zukunft
-nennt, das traute ihm niemand zu. Auch war es diesem Manne, der die Welt
-kannte und wußte, nach welchen Werten ein Mensch geschätzt wird, nie zu
-Sinn gekommen, um die vielbegehrte Schöne zu werben; doch war auch er
-am Ende ein Wesen von Fleisch und Blut, und kein solches konnte Sabinens
-unvergleichliche Anmut sehen, ohne sich an ihr zu entflammen. So ging es
-auch dem armen Doktor, obgleich er sich redlich Mühe gab, seine Gefühle
-zu verbergen. Sabine, deren Augen auf dergleichen Vorgänge geübt
-waren, bemerkte nun wohl seine Leidenschaft; aber sie bemerkte auch seine
-Zurückhaltung, und sie schätzte ihn darob; möglicherweise würde sie ihn
-auch ermutigt haben, wenn der Beginn ihrer Bekanntschaft nicht gerade in
-eine Zeit gefallen wäre, wo eines der früher erwähnten Opfer Sabinens
-ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.
-
-Nun war aber auch der Doktor ein Mann von äußerst scharfen Blicken,
-und er beobachtete mit innerlicher Empörung Sabinens Verhalten. Das
-komplizierte und etwas krankhafte Spiel ihrer Seelenregungen lag ihm
-längst offen, und was von guten Gefühlen in diesem wunderlichen Gemüte
-vorhanden war, unterschätzte er keineswegs. Daß Sabine im Verhältnis zum
-Manne die Gebende sein wollte, lieber als die Empfangende, das gefiel ihm
-sogar; und die Beharrlichkeit, mit welcher sie alle Folgen dieses Anspruchs
-auf sich nahm und ertrug, setzte ihn in Bewunderung. Aber daß sie im
-allerletzten Grunde dabei um den Beifall der Menge buhlte, daß sie etwas
-sein wollte, nur um es auch zu scheinen, das verdroß den Doktor, der in
-allen Dingen gerade nach der entgegengesetzten Seite hinstrebte und sich
-unbeachtet am wohlsten fühlte. Schmerzlich geteilt zwischen stiller,
-heißer Leidenschaft und einer gewissen Verachtung lebte der Mann kein
-vergnügtes Leben unter den Sonnenaugen der begehrten Frau, und kein
-Wunder, daß er die Verachtung etwas schroffer zur Schau trug, als er
-eigentlich wollte, da er sie wie einen schützenden Mantel um sein Herz und
-seine Liebe ziehen mußte.
-
-Sabine bemerkte alsobald die Veränderung in Ricchiaris Betragen, und da
-sie nicht ahnen konnte, wie klar der Mann sie durchschaute, und daß er
-mehr von den Vorgängen in ihrer Seele wußte, als sie selbst, so störte
-seine plötzliche Kälte sie und gab ihr zu denken. Sie nahm sich vor, ihn
-zu erobern; und da er auch sonst ihren -- negativen Anforderungen genügte
-und sie die _Illusion_, zu ihm herabgestiegen zu sein, vor sich und
-anderen aufrechterhalten konnte, so gab sie ihm Zeichen ihrer Huld, die er
-verstehen mußte, und bot alles auf, um ihn in ihren Bannkreis zu ziehen.
-Aber mit dem Doktor ging das nicht so leicht, wie es mit den anderen
-gegangen war. Je liebenswürdiger Sabine ihm entgegenkam, desto unnahbarer
-zeigte er sich und ließ sie endlich in unzweideutiger und fast unartiger
-Weise fühlen, daß er nichts von ihr wollte. Hätte Sabine in sein Herz
-blicken können, so hätte sie erkennen müssen, daß er unter dem
-Zustand der Dinge fast schwerer litt als sie, denn er konnte dem schönen
-Frauenbild lange nicht so ernstlich gram sein, wie er es zu sein wünschte.
-Da sie das nicht wußte, so war sie von seinem Verhalten nur aufs tiefste
-gekränkt und so unglücklich, wie ein Weltkind überhaupt sein kann. So
-heftig war sie von Zorn und verletzter Eitelkeit beherrscht, daß sie
-aller Weiblichkeit vergaß und den Doktor bei erster Gelegenheit zur Rede
-stellte. Es geschah dies auf einem einsamen Wege vor der Stadt, der
-durch Gärten und Gemüsepflanzungen weiter hinaus nach einer kleinen
-Privatheilanstalt führte, die Ricchiari regelmäßig besuchte. Sabine
-hatte ihm aufgelauert wie ein Schulmädchen, und sein spöttisches und
-abweisendes Gesicht, als er sie erblickte, brachte schnell genug zur
-Entladung, was sich an Lava, Schwefel und Pech in ihrem Gemüte gesammelt
-hatte. Es knallte ganz artig, als die erbitterte Heldin den Mund auftat.
-In dieser Stunde redete Sabine nicht eben klug und auch nicht ganz sittsam;
-aber sie redete zum ersten Male, seit er sie kannte, _nicht_ mit der
-Absicht, ihrem Publikum zu imponieren. Deshalb empfand er ihren Ärger fast
-als etwas Wohltuendes und vernahm ihre wirren Vorwürfe lieber, als er je
-zuvor ihre wohlberechneten Sentenzen gehört hatte. Endlich versagte
-ihr die Stimme, und sie lehnte sich halb weinend, ratlos und atemlos
-vor Erregung an den Gartenzaun, an welchem sie gerade entlang wandelten.
-Ricchiari blieb vor ihr stehen und betrachtete sie nachdenklich. Sie stand,
-schön wie immer, vor der hohen grünen Sträucherhecke, in deren Zweige
-sie, mit rückwärts emporgreifenden Armen, die Hände verschlungen hatte,
-als wolle sie sich daran aufrechterhalten. Sonnenlicht und Schatten der
-windbewegten Blätter spielten rieselnd auf ihrem Antlitz und auf ihrem
-weißen Kleide, so daß ein Schleier goldener Wellchen die Erregung ihrer
-Mienen und das Zittern ihrer Glieder verhüllte und ihre ganze Gestalt so
-in wogendes Funkeln auflöste, daß sie, aus geringer Entfernung gesehen,
-fast wie etwas Überirdisches erscheinen mußte, etwa wie eine Dryade, die
-sich schemenhaft leuchtend aus dem frühlingshellen Geäste erhob.
-Solch ein Naturwesen, mehr oder weniger als Mensch, tückisch, süß und
-verführerisch zugleich, mußte der geblendete Doktor in diesem Augenblicke
-doch zu sehen glauben, denn er erlag dem Zauber, und seine Wehrhaftigkeit
-splitterte um ihn wie ein Panzer von Glas. Mag nun sein, daß die Stimmung
-des blütenübersponnenen Sträßleins, das weit hinaus in freundliches
-grünes Land zu führen schien, der weiche Maiduft des Himmels und
-Frühlingsstimmen junger Vögel nah und fern die Wirkung des holden Bildes
-verstärken halfen -- kurz, der Mann fühlte sich innig gerührt und zu
-jedem Verzeihen geneigt, so daß er nähertrat und bereitwillig Rede
-stand. Dabei konnte er es sich dennoch nicht versagen, ihr seine Meinung
-ordentlich klarzulegen, und so kam ein gar wunderlicher Sermon zustande,
-den ich aus mancher Andeutung Sabinens und aus später selbst miterlebten
-Wiederholungen ähnlicher Szenen wohl zu rekonstruieren vermag.
-
-»Haben Sie denn«, so etwa mochte der Doktor schmälen, »je ein edles
-Gefühl um seiner selbst willen gehegt? Haben Sie nicht alles, was Sie
-taten, um der Leute willen getan? Haben Sie nicht früh schon durch
-Kleidung und Auftreten bewiesen, daß Sie Aufmerksamkeit zu erregen
-wünschten? Haben Sie nicht ein braves und anerkennenswertes Streben der
-modernen Frau, das Streben nach Bildung und Wissen, dadurch erniedrigt,
-daß Sie lauen Herzens und nur deshalb an den Altar der Athene getreten
-sind, weil es heute noch für ungewöhnlich gilt? Dies alles wäre noch zu
-verzeihen. Auch daß Sie Almosen geben, weil es zum guten Ton gehört, will
-ich Ihnen nicht zu hoch anrechnen, denn ihr kurzdenkenden Frauen könnt
-das Unheil nicht übersehen, das eure Wohltätigkeit =en décolleté=
-anrichtet. Aber Sie haben mit dem Dinge gespielt, das jede echte Frau als
-eine Offenbarung von oben in demütigen Händen empfängt. Sie haben mit
-Ihrer Liebe Parade geritten vor klatschlustigen Basen, Sie haben Männer
-angezogen und abgestoßen, um von sich reden zu machen, und Sie haben den,
-der mit gläubigem Herzen Ihnen entgegenkam, nicht minder geäfft als die
-Menge Ihrer Zuschauer, um deren Beifall es Ihnen so sehr zu tun scheint.
-Denn Sie gaben ihm ein Recht, an Liebe zu glauben, und Liebe haben Sie
-nie gefühlt, nur eitle Selbstüberhebung und Hochmut, die beide Tugenden
-galten, von denen Sie nur den Schein besitzen. Wie dürfen Sie nun noch
-Anspruch erheben auf eines ehrlichen Mannes Gefühl? Ich für mein Teil
-mag keine Schauspielerin zur Frau, und so innig lieb ich Ihr schönes Bild
-leider im Herzen halten muß, so wenig werde ich mich dazu hergeben, Ihren
-Partner zu spielen. Denn die Rolle, die Sie mir in Ihrer Komödie eines
-romantischen Ehestandes zudenken, gefällt mir nicht -- und übrigens ist
-die Sache bei mir, Gott sei's geklagt! etwas mehr als Komödie!«
-
-So gestand der Doktor seine Liebe und verschwor sie im selben Atem, und
-Sabine hing wie ein windbewegtes Blatt zwischen Himmel und Erde,
-zwischen Freude und Scham, zwischen höchstem Triumphgefühl und tiefster
-Erniedrigung. Tränen, halb des Zornes und halb der Rührung, traten ihr in
-die Augen, und sie empfand in dieser Stunde, was auch die seichteste Frau
-nicht ohne Seligkeit empfinden kann, die Herrschaft und Überlegenheit
-eines starken und geradsinnigen Mannes. Wie nun auf jedes Weib diese
-Erkenntnis des Untergeordnetseins viel eher beglückend als verletzend
-wirkt, so ward auch für Sabine die Beschämung selbst zu einer Quelle der
-Lust, und sie wünschte nichts sehnlicher, als daß der Doktor bis in alle
-Ewigkeit fortfahren möchte, sie zu schelten. Er fügte auch noch ein gut
-Teil bei; und sooft er aufhören wollte, sah Sabine ihn mit zwar feuchten,
-aber so strahlend glücklichen Blicken an, daß er schnell wieder
-einsetzte, weil ihm schien, sie sei noch lange nicht so zerknirscht und
-schuldbewußt, wie sie von Rechtes wegen hätte sein müssen. Bald wurde
-er dann wieder härter, als er beabsichtigt hatte, und nun faßte er ihre
-Hand, um durch einen sanften Druck und etwa ein Streicheln da versöhnend
-entgegenzuwirken, wo seine bitter wahren Worte zu tief verwunden mußten.
-Und so zwischen Grausamkeit und Liebe schwankend, nahm er Sabinen endlich
-an sein Herz und bedeckte sie mit Küssen, dazwischen hoch und teuer
-schwörend, daß er sie nun und nimmer zur Frau haben wolle. Sie aber, von
-einem neuen Gefühle ganz verwirrt und betäubt, ließ alles über sich
-ergehen und fragte in diesem Augenblicke sogar nicht einmal, was die Leute
-dazu sagen würden, die ab und zu durch das grüne Sträßlein spazierten
-und mit Lachen dem wunderlichen Paare nachblickten.
-
-Es versteht sich von selbst, daß Ricchiari trotz all seiner grimmen
-Vorsätze um Sabinens Hand warb und daß er sie erhielt. Der brave Mann
-stellte sich entschieden und tapfer auf die Seite der Liebe, besiegte das
-Widerstreitende in seiner Brust und verzieh dem holden Frauenbilde nicht
-nur alle früheren Torheiten, er bemühte sich sogar, in noch bestehende
-und fortwirkende sich zu finden oder sie wenigstens mit Anstand zu
-ertragen. Ricchiari sah seine Frau hundertmal des Tages an und fühlte,
-daß er sie bei jedem Blicke heißer liebte als zuvor. Er führte sie bald
-darauf hinweg nach der kleineren Stadt und hoffte sie dort in der Stille
-und Zurückgezogenheit in kurzer Zeit zu größerer Sinnesschlichtheit
-umzubilden und das Lautere ihres Wesens, woran er nun einmal glaubte, von
-anhaftendem Flitter zu reinigen.
-
-Leider mußte er nur zu bald erkennen, daß er sich hierin vergriffen
-hatte. Die in der großen Stadt eine Rolle gespielt hatte, glaubte sich in
-der kleinen noch viel mehr berechtigt, alle Augen auf sich zu ziehen. Die
-Feindseligkeit und das Mißtrauen, die ihr allenthalben entgegentraten,
-reizten sie nur zu neuen Künsten. Und da sie bald herausgefunden hatte,
-daß dem beschränkten Geiste ihrer Mitbürger nur durch eine einzige
-Eigenschaft zu imponieren war, nämlich durch Tugendhaftigkeit, so warf sie
-sich mit ihrem ganzen virtuosen Anpassungsvermögen nach jener Seite hin
-und stellte alle Penelopen und Kornelien der Welt durch ihre Leistungen in
-Schatten. Zugleich aber begann jetzt für Sabine wie für ihren Gatten ein
-Martyrium schlimmster Art; es fing damit an, daß Sabinens Gefühl für den
-Doktor mit seiner Neuheit dahinging. Wohl hatte die Macht von Ricchiaris
-ehrlicher Gesinnung, seine Offenheit, sein Zorn, kurz, die Äußerung
-seiner Männlichkeit so überwältigend auf das Wesen mit den verschrobenen
-Neigungen gewirkt, wie eben das Wahre und Gewaltige dem Gekünstelten
-gegenüber wirken muß. Einer wirklichen Liebe war Sabine Ricchiari nicht
-fähig, und von der angenehmen Verwirrung ihrer Sinne war nichts geblieben
-als eine Empfindung höchsten Unbehagens dem Manne gegenüber, der so
-scharf in jeden Winkel ihrer Seele zu leuchten wußte; denn Sabine ahnte
-wohl, daß es keine wertvollen Funde in diesem Inneren aufzudecken gab. Das
-Unbehagen steigerte sich nicht selten zur Angst. Und diese Angst war es,
-die sie verhinderte, ihre Schauspielkunst, die sie gegen Fernerstehende
-so glänzend behauptete, auch da zu versuchen, wo es am meisten gelohnt
-hätte: Sabine konnte ihren Gatten nicht glauben machen, daß sie ihn
-liebte.
-
-Den ganzen Tag wandelte sie in stumpfer Gleichgültigkeit umher. Daß
-sie die Großstadt und ihren Vasallenkreis vermißte, daß Haushalt und
-Kinderstube sie langweilten, daß sie hungerte nach rauschenden Festen,
-wo ihre Schönheit Siege gefeiert hätte, daß der schlichte, stäte und
-zuverlässige Gatte ihrem phantasievollen Köpfchen nichts zu denken gab
--- Ricchiari mußte es täglich aus kalten Mienen und lässigem Gebaren
-erkennen. Da er die Frau liebte, tat das ihm weh. Aber man vergegenwärtige
-sich das Leiden, das für ihn anhub, sobald ein fremder Fuß das Gemach
-betrat: wie durch Zauberschlag verwandelt, huschte die plötzlich
-erblühende Frau als rühriges Hausmütterchen durch alle Räume;
-Heiterkeit strahlte ihr von rosigen Wangen, Liebe aus leuchtenden
-Augen; sie herzte ihre Kinder, sie nickte dem Gatten zu; sie redete
-wirtschaftlich, prahlte mit kleinen häuslichen Kenntnissen, pries
-die pastoralen Freuden ihres bescheidenen Lebens, scherzte anmutig und
-überlegen über leicht verschmerzte Entbehrungen -- kurz: zeigte sich
-so ganz als das, was sie nicht war und doch hätte sein sollen, daß die
-Klügsten betrogen hinweggingen. Laut und leise pries alle Welt Ricchiari
-als den glücklichsten Gatten; und der Doktor hörte es mit finsterem
-Gesichte und verbiß seine Martern: wußte er doch aus wiederholter
-Erfahrung, daß Licht und Lächeln in den Augen seiner Frau erlöschen
-würden mit den letzten Lampen des Mahles, bei dem sie durch horazische
-Tugenden eine Anzahl leichtgläubiger Gäste berückt hatte.
-
-Diese sichere und stets eintreffende Voraussicht machte, daß Ricchiari
-in Gesellschaft nicht eben leidenschaftlich auf die Liebenswürdigkeiten
-seiner Frau einging; dazu war er eine zu gerade Natur. Ja, er begegnete in
-der Regel ihren holden Koketterien mit abweisenden Blicken und erreichte
-dadurch, was er eben hatte vermeiden wollen, daß alle Leute die herrliche
-Frau, die an solch einen Bären gebunden war, erst recht bewunderten und
-bedauerten. Dieses Bedauern, das der unglückliche Mann in allen Mienen
-lesen mußte, war seine schärfste Qual. Es war ihm unmöglich, auf die
-unedle Pose einzugehen, die Sabine vor der Welt aufrechterhielt und mit
-welcher sie ihm seine tiefe und wahrhafte Liebe so übel vergalt.
-Jeder Versuch aber, die Komödie zu durchbrechen, prallte an Sabinens
-unerschöpflicher Sanftmut und Holdheit ab, und immer blieb das gewandte
-Weib im Vorteil, immer mehr vergab sich der von Leidenschaft gepeinigte
-Mann in den Augen der Kurzsichtigen, die nach dem Schein urteilten. Bald
-war Sabine nah und fern als eine neue Griseldis gerühmt, der Doktor als
-ein Tyrann verschrien; und das ruchlose Geschöpf war wirklich erbärmlich
-genug, sich an dieser Rolle zu ergötzen. Die Art und Weise, wie sie
-Mitleid von sich wies und ihren Gatten zu entschuldigen suchte, war mit
-Feinheit so berechnet, daß auch wieder niemand als sie selbst dabei
-gewann: denn nun prunkte sie noch mit einem Edelmute, der ihr sehr ferne
-lag, da sie genau wußte, daß in Wirklichkeit ihr Gatte der still Duldende
-und Vergebende war. Daß ich selbst von diesem Spiele fast gefangen worden
-wäre, habe ich wohl schon angedeutet. Sabinens Geständnisse am Bette
-des Selbstmörders ließen mich klar in dies fürchterliche Verhältnis
-blicken. Die Unselige erzählte mir selbst, daß ihr Mann sie einmal mit
-Tränen in den Augen gebeten habe, ihm in Gegenwart von Leuten nicht mehr
-so zärtlich zuzunicken, da sie es doch in Stunden des Alleinseins mit ihm
-nicht wolle oder nicht könne. Dies habe ihr ins Herz geschnitten, und
-sie habe eine Zeitlang wieder ein wärmeres Gefühl für ihn zu empfinden
-geglaubt, ein solches auch mit ängstlicher Deutlichkeit an den Tag gelegt.
-Ricchiaris trauriges Lächeln habe sie wohl belehrt, daß sie ihn nicht
-täuschen könne, und diese Erkenntnis habe sie selbst mit Bitterkeit
-erfüllt. Nach kaum einer Woche sei ihr machtloser Wille wieder erlahmt,
-Leben und Umgebung hätte sie gelangweilt, das tägliche Einerlei von
-Kleinem und Kleinstem die alte Verstimmung wieder wachgerufen. Vor Zeugen
-aber habe sie nach wie vor ihr äußeres Scheinleben weiterführen
-müssen und sich dabei selbst wie behext gefühlt; denn sie sei sich
-ihrer Falschheit wohl bewußt gewesen, ohne sich ihrer jedoch erwehren zu
-können.
-
-Ich fragte Sabinen, ob sie sich über die Empfindungen Rechenschaft geben
-könne, die sie beherrschten, während sie dies verräterische und für
-ihren Gatten so grausame Spiel trieb. Sie gestand mir nach einigem Sinnen,
-daß sie sich immer durch das Verhalten der Leute selbst gleichsam dazu
-gereizt gefühlt habe. Denn wie ein offenes Buch habe jedes Herz vor ihr
-sich aufgetan, und was sie da zu lesen geglaubt, war eben die Erwartung
-dessen, was mittlerweile wirklich schon eingetreten war. Jeder Blick schien
-sie zu fragen: hast du die übereilte Verbindung noch nicht bereut? hält
-die Romantik dem wirklichen Leben stand? sehnst du dich nicht zurück nach
-dem Kreise, für den du geboren bist? Bereits glaubte sie zu hören, wie
-triumphierend Nachbarin zu Nachbarin flüsterte: wir haben es vorausgesagt!
-Bereits war ihr, als spitze sich jeder Beau, der huldigend ihre Hand
-küßte, schon im stillen darauf, der Hausfreund der schönen Doktorsfrau
-zu werden. Daß aller Augen auf ihren Fall warteten, hatte sie richtig
-erraten, und sie hätte sich, wie sie sagte, lieber in Stücke reißen
-lassen, als dem Volke die Freude des Rechthabens zu gönnen.
-
-Die Spannung zwischen den Gatten kam endlich so weit, daß Ricchiari die
-Scheidung vorschlug. Ihm schien es leichter, sich der begehrten Frau
-ganz und gar zu entwöhnen, als fürder unter ihren Lieblosigkeiten zu
-schmachten. Dennoch mußte ihn der Vorschlag schwere Überwindung gekostet
-haben, und Sabine, die es verstand, war von seinem Leiden einigermaßen
-erschüttert. Aber als sie dies Anerbieten zurückwies, tat sie es dennoch
-erst in _zweiter_ Linie aus Mitleid mit dem Manne; ihr erster Gedanke
-war auch hier wieder: »wie würden die Leute sich freuen!« und deshalb
-willigte sie nicht in die Scheidung.
-
-Ricchiari, der mit weißen Lippen seinen Antrag gestellt hatte, errötete
-ein wenig, als sie rasch und heftig »Nein!« sprach. »Darf ich hoffen,«
-fragte er mit unsicherer Stimme, »daß es dir doch ein wenig leid tun
-würde, mich zu entbehren?« Sie schaute ihn an und hätte Welten darum
-gegeben, hätte sie jetzt ihr Verstellungstalent zur Hand gehabt, das ihr
-vor Fremden doch nie versagte. Aber vor den ehrlichen Augen dieses Mannes
-war sie gelähmt, sie fand das falsche Lächeln nicht, oder vielmehr, sie
-wußte, daß es ihn nicht würde betrügen können. Sie sah zur Seite,
-zitterte und stammelte endlich: »Um der Kinder willen laß uns beisammen
-bleiben!« und das war das einzige, was sie antworten konnte ohne direkte
-Unwahrheit. Wirklich war das ein Grund, dem Ricchiari sich beugen mußte;
-und wenn es für ihn irgendeinen Trost gab, so mußte es der Gedanke
-sein, daß Sabine in diesem einen Punkte wenigstens durch ein braves und
-natürliches Gefühl geleitet worden sei.
-
-So also standen die Dinge in Ricchiaris anscheinend so tadelloser
-Häuslichkeit. Eine Frau von unfehlbarer Lebensführung und wertvollen
-Eigenschaften verstand die bescheidene Kunst nicht, einen schlichten Mann
-glücklich zu machen; und ein Mann, der jede andere Frau durch die Fülle
-und Tiefe seines Empfindens hoch beglückt hätte, mußte seine köstliche
-Flamme vor einem Götzenbilde von Erz verlodern sehen, und kein Zeichen
-belehrte ihn, ob sein Opfer Gnade gefunden.
-
-
-4.
-
-Sylva stammte aus guter, alter Familie. Er war wohlhabend und hatte
-Ansehen. Aber er war auch brav, tüchtig, ernsthaft und seelenrein, wie
-wenige Menschen in dieser verderbten Zeit und in den Kreisen, aus denen er
-stammte. Er war dreiundzwanzig Jahre alt.
-
-Sabine Ricchiari war eine zu blendende Erscheinung, um von dem neuen
-Ankömmling nicht alsbald bemerkt zu werden, und entzückt erkundigte er
-sich sofort nach Namen und Geschichte der schönen Frau. Der Bescheid, den
-er erhielt, entsprang der falschen Meinung, die Sabinens ruchloses Spiel
-in den Köpfen der Leute gezeitigt hatte. Die Frau, so hieß es, sei ein
-vornehmes und mit allen holden Gaben geschmücktes Wesen, an einen Mann
-gekettet, der nicht wert sei, ihr die Schuhriemen zu lösen, und der das
-Gotteswunder nicht zu schätzen wisse, das mit solch einem Weibe über sein
-Haus gekommen. Vielmehr behandle er sie höchst lieblos, sie aber ertrage
-mit engelgleicher Geduld all seine Launen, und nie habe jemand sie ein
-Wort der Klage äußern hören. Ja, selbst den Mangel all des Glanzes,
-zu welchem ihre Geburt sie berechtigte, habe sie mit solcher Anmut und
-Heiterkeit auf sich genommen, daß alt und jung vor einem so seltenen
-Frauencharakter in Bewunderung vergehe. Niemand könne an dem herrlichen
-Bilde die leiseste Trübung nachweisen, und allgemein werde nur bedauert,
-daß nicht ein würdiges Eheglück ihr beschieden sei.
-
-Solche Kunde war natürlich dazu angetan, ein Jünglingsherz zu rühren.
-Sie aber ahnte nicht, welchen Quellen die scheue Verehrung entsprang, die
-sie alsobald in den Augen des jungen Mannes zu lesen begann; seicht wie sie
-selbst war, schloß sie nur auf seichte Leidenschaft, wie ein blühender
-Frauenleib sie wohl zu wecken vermag, und wandte sich mit einem spröden
-Gesichte zur Seite, so oft sie dem stillen Minnewerber begegnete. Sie
-selbst gestand, daß sie damals nichts als Groll empfand, jenen alten Groll
-gegen angenehme und sogenannte unwiderstehliche Männer, die jede Frau als
-leichte Beute behandeln.
-
-Es hatte nämlich bereits die öffentliche Aufmerksamkeit sich auf Blicke
-und Mienen des schmachtenden Jünglings gerichtet, und eine Schar von
-solchen Geistern, die nie das Unheil zu bemessen verstehen, das sie
-anrichten, ergriff sofort diese wahrlich ernste Sache als ein neues und
-willkommenes Spielzeug. Keine der Freundinnen und Nachbarinnen konnte sich
-das Vergnügen versagen, Sabinen die Beobachtungen zu hinterbringen, die
-sie an Sylva gemacht hatten, und jene bekannten neckenden Bemerkungen daran
-zu knüpfen, die bei solch kurz denkenden Wesen besseren Gesprächstoff
-ersetzen. Und diese Gefühllosigkeit gab leider der gefühllosesten unter
-den törichten Frauen den Anstoß, um aufs neue und tiefer als jemals in
-ihr altes Laster des Posierens zu verfallen.
-
-Sabine wies die Neckereien der Freundinnen anscheinend mit Ernst und Würde
-zurück, dabei aber verfehlte sie nicht, mit feiner Wahl des Ausdruckes
-soviel Teilnahme für den stillen Anbeter zu verraten, als eine anständige
-Frau ohne Furcht vor Mißdeutungen an den Tag legen darf. Noch eine Nuance
-mehr Interesse, so gab sie, dessen war sie sich wohl bewußt, falschen
-Vermutungen Raum. Und dennoch -- so unglaublich es scheint! -- überschritt
-sie diese Linie, überschritt sie, während ihr selbst die Erkenntnis
-dessen, was sie tat, kalte Schauer über den Rücken jagte. Warum sie
-es tat -- Gott weiß es! Sie wollte eben wieder einmal ihre Tugend zu
-allgemeiner Betrachtung aushängen. Sie arbeitete ihre Komödie mit
-gewohntem Raffinement aus, und die Freundinnen gingen mit der Gewißheit
-hinweg: »Sabine Ricchiari liebt den jungen Sylva. Aber mit eiserner Hand
-wird sie ihre Wünsche ersticken. Ihre Tugend ist über jede Versuchung
-erhaben.«
-
-Alles dieses wäre noch kein Verhängnis gewesen. Aber nun gingen die
-schwatzenden Elstern hin und bearbeiteten den Jüngling. Sylva hatte
-das Unglück, jene sanfte und weiche Schönheit zu besitzen, auf welche
-ältliche Weiber besonders toll sind. Jede einzelne der müßigen
-Redespinnerinnen suchte aus der eben gemachten Entdeckung einen Vorwand
-zu konstruieren, um sich dem jungen Manne zu nähern, sein Vertrauen zu
-gewinnen, als sympathetische Seele seinen Schmerz zu teilen und -- aber
-dieser Gedanke lauerte nur ganz verborgen im Hintergrunde! -- womöglich zu
-heilen. Sylva, jung und nicht übermäßig erfahren, war schnell umgarnt.
-Bald hatte er drei oder vier »mütterliche Freundinnen«, die sich darin
-überboten, ihm zu sagen, was er zu hören brannte. Und bald war auch er
-von der Überzeugung durchdrungen, daß Sabine ihn im stillen liebe. Jetzt
-erst stiegen seine Hoffnungen zu äußerster Kühnheit empor, und jetzt
-erst lag sein Herz zu tiefst im Staube vor dieser Frau, die er unglücklich
-glaubte und doch von siegreicher Reinheit in ihrem Unglücke. Hatte er sie
-vorher schon mit heißester Glut begehrt, so betete er jetzt geradezu
-die Spur ihrer Füße im Sande an, überwältigt von ihrer unantastbaren
-Tugend.
-
-Und seine Trösterinnen sorgten dafür, daß ihm der Mut nicht sank. Jedes
-Wort Sabinens wurde ihm hinterbracht; und da es die Frau in entsetzlicher
-Verblendung nicht lassen konnte, ihre Rolle weiter und weiter zu verfeinern
-und auszugestalten, so gab es bald ordentlich was zu hinterbringen. Die
-Phantasie der Zwischenträgerinnen tat das ihre.
-
-Sylva schien zu glauben, daß dieser Frau gegenüber, die es verschmähte,
-sich um ihr Glück zu wehren, gewaltsamere Schritte erlaubt wären. Er
-suchte eine Zusammenkunft mit ihr, und die Trösterinnen rangen um den
-Vorzug, sie ihm zu verschaffen. Diejenige, der in dieser edlen Konkurrenz
-der Sieg zufiel, besaß einen schattigen und abgelegenen Garten, dahin lud
-sie Sabinen zu einem Plauderstündchen, und Sylva erschien wie zufällig.
-Nun verschwand die hilfsbereite Freundin, und das Paar stand sich
-gegenüber.
-
-Sabinens Augen funkelten. Sie begriff sofort das Beabsichtigte der
-Situation, und neben einem kleinen Ärger über die niedrige Kuppelsucht
-ihrer Vertrauten, die ihr jetzt klar zum Bewußtsein kam, regte sich sofort
-und übermächtig auch die Freude darüber, daß endlich für sie der
-Augenblick gekommen sei, ihre sittliche Größe ganz zu zeigen. Sie
-bedauerte nur die Abwesenheit der Freundin, die ihr eine willkommene Zeugin
-gewesen wäre. Daß diese Freundin in sicherem Verstecke die ganze Szene
-belauschte, konnte sie freilich nicht ahnen.
-
-Der Jüngling, ehrlich und geradeaus in seiner Liebe, ergriff alsbald das
-Wort und erklärte freimütig, daß er keineswegs zufällig gekommen sei,
-sondern in der bestimmten Hoffnung, Sabine allein zu sehen und zu sprechen.
-Sie habe ihm diese Möglichkeit bisher versagt, obgleich sie wissen müsse,
-was er für sie empfinde; doch sei er sich seines Unwertes vor ihr bewußt,
-wie seiner Vermessenheit, vor sie zu treten. Dies habe er nun gewagt, weil
-er den Zustand der Dinge unmöglich länger ertragen könne und lieber
-ein verdammendes Urteil für alle Zeit auf sich nehmen wolle, als fürder
-zwischen Hoffen und Verzweiflung zu schweben. »Und warum Hoffen?«
-unterbrach ihn Sabine voll Hochmut. »Habe ich Ihnen je ein Recht dazu
-gegeben?« -- »Nicht Sie,« antwortete Sylva in einiger Verwirrung, »aber
-die schlimmen Verhältnisse, in denen Sie leben, und die, verzeihen Sie
-mir! leider genugsam bekannt sind.« Sabinens Antlitz flammte auf, und
-jetzt stand sie im Begriffe, das Lügengespinst zu zerreißen. »Was sagen
-Sie?« rief sie in echter Entrüstung. »Welche Verhältnisse? Ich bitte,
-sich deutlicher zu erklären!« Sie rang, von Scham eine Sekunde lang
-überwältigt, nach Worten, den verhängnisvollen Irrtum zu heben, wußte
-nicht, wo beginnen, wurde aufgeregt und ängstlich. Unterdessen sprach
-Sylva, der ihren Zorn nach seiner Art deutete, auf sie ein, schilderte mit
-Farben, die er aus der Tiefe seines gläubigen Herzens holte, ihr Bild, wie
-es ihm erschien, in all der Heiligkeit entsagungsvoller Treue, in all der
-Größe, Reinheit und süßen Trauer, die er ihr andichtete, und bemerkte
-beglückt, daß sie ruhiger wurde und endlich in augenscheinlicher
-Ergriffenheit ihm zuhörte. Wirklich dämmerte ihr etwas von dem bitteren
-Ernste der Lage. War bei ihrer plötzlichen Besänftigung auch vielleicht
-in erster Linie wieder das kindische Wohlgefallen an sich selbst im Spiele
-gewesen, das Sylvas Worte so angenehm streichelten, so möchte ich doch
-annehmen, daß der Anblick der unschuldigen, heiß flehenden Augen, die
-köstlich reine Verehrung des armen Jungen etwas von ihren weiblichen
-Empfindungen wachriefen und vibrieren machten. Denn von hier an kann ich
-Sabinens Verhalten nicht mehr ganz als Pose auffassen.
-
-»Der Anblick Ihres Jammers«, so sprach Sabine, »zerreißt mir das Herz.
-Wollte Gott, ich dürfte milder sein, denn Strenge wird mir schwer, wo ich
-an ein echtes Gefühl glauben muß. Nicht oft im Leben ist mir ein solches
-begegnet, und ich wünschte, ich müßte nicht zurückweisen, was manche
-andere Frau mit Stolz und Freude annehmen würde. Aber bedenken Sie, daß
-diese Liebe, die Sie mir entgegenbringen und die in ihrer hohen und edlen
-Natur das Wertvollste ist, was eine Frau auf ihrem Lebenspfade finden kann,
-zugleich eine erniedrigende Zumutung an mich enthält. Nein, erschrecken
-Sie nicht -- ich zürne nicht, denn ich weiß, was Sie leiden! Dennoch
-haben Sie es sich allzu leicht vorgestellt, das Pflichtbewußtsein
-einer Frau zu überwinden. Vergaßen Sie, daß ich Kinder habe? Wenn ich
-unterliege, so trifft mich kein Verlust, den eine Liebe wie die Ihre mir
-nicht ersetzen könnte; aber die ganze Härte der Konsequenzen fällt auf
-die unschuldigsten Häupter, die somit mein und Ihr Vergehen zu büßen
-haben werden. Welches Glück könnte auf solchem Grunde aufgebaut
-werden? Lassen Sie mich, um Ihrer selbst willen, an Ihr besseres Selbst
-appellieren! Sie werden überwinden, Sie können es! Es gibt unfehlbare
-Tröster: die Arbeit, die Kunst -- zu diesen flüchten Sie! Erhalten Sie
-Ihr Leben rein, bessere Menschen als ich bin haben noch Rechte an Ihre
-Zukunft. Diese erhalten Sie unbefleckt, diese opfern Sie nicht einer
-vielleicht flüchtigen Leidenschaft! Seien Sie stark -- Sie sind ein Mann:
-muß ich es doch sein, die ich nur ein schwaches Weib bin!«
-
-Sylva hatte von Sabinens Rede nichts gehört, als daß sie an seine Liebe
-glaubte, und das war mehr, als er geträumt hatte. Zitternd vor Seligkeit
-warf er sich vor ihr nieder, mächtig hinströmend ergoß sich sein
-Gefühl, so daß es der erschrockenen Frau wohl scheinen mochte, als wankte
-der Boden und die alten Stämme gewaltiger Bäume rings um sie vor
-dem Anprall einer Flut, die sich rauschend und klingend durch das All
-verbreitete. Wieder, wie schon einmal im Leben, stand sie dem Elemente
-gegenüber und hatte die Kraft nicht, sich darüber zu erheben. Wieder
-ließ sie sich hinreißen. Über solche Wellen hatte der flache Kiel
-ihres Seelenschiffleins keine Gewalt. Es trieb, es schwankte und wäre
-zerschellt, wenn nicht Sylva selbst in seiner Redlichkeit den Sturm
-gemeistert hätte. Mehr auf die Geliebte als auf sich selbst bedacht, kam
-es ihm durchaus nicht zu Sinn, ihre Verwirrung zu nützen, und bereits
-hatte seine fromme Phantasie Mittel und Wege einer rechtlichen Verbindung
-zwischen ihm und der angebeteten Frau gefunden. »Kein Unrecht!« so rief
-er aus, »keine Schmach auf dir, du einzig Geliebte! Ich trete vor deinen
-Gatten, ich stelle ihm deine Entsagung, deinen Opfermut vor, ich zeige ihm,
-wie du um deiner Pflicht willen dein Herz ersticken wolltest! Ist etwas
-Menschliches in ihm, so muß er dich freigeben!«
-
-Ernüchtert und entsetzt riß Sabine sich los. Ihr Verstand, der einige
-Minuten lang geschwärmt hatte, stand plötzlich wieder auf festen Füßen,
-und sie überblickte nun mit ziemlichem Schrecken den Schaden, den
-sie angerichtet. Nichts konnte dieser Frau, deren Abgott das »=Qu'en
-dira-t-on?=« war, unwillkommener sein, als die Aussicht, daß Sylva in
-seinem Eifer bis zur ernsthaften Forderung einer Scheidung gehen könnte.
-Hunderte von Fällen ähnlicher Art, an denen ja heutzutage Wirklichkeit
-und Dichtung so Artiges liefern, fielen ihr ein: immer und unter allen
-Umständen haftete der Frau, die einen gesicherten und geachteten Hausstand
-preisgab, um sich der abenteuerlichen Liebe eines weit jüngeren Mannes
-anzuvertrauen, mindestens Lächerlichkeit an. Und was fürchtete Sabine
-mehr als Lächerlichkeit? Und allen Grund hatte sie, diese zu fürchten,
-denn gerade _sie_ fiel furchtbar, wenn sie fiel. »_Das_ war die Tugend
-Sabinens?« schallte ihr's im Ohr, hundert lachende Stimmen, hämisch,
-triumphierend, fröhlich und harmlos spottend, aber _alle lachend_ schienen
-aus allen Ecken des Gartens den lustig erstaunten Ruf zurückzugeben.
-Flammen der Scham loderten ihr im Antlitz. Sie stieß den Jüngling von
-sich, stammelte in höchster Ratlosigkeit ein paar Worte von Überlegung
-und Zeit zum Sammeln und enteilte.
-
-Sylva, trunken und träumerisch, mag ihr nachgeblickt haben, wie ihr helles
-und in seiner Flucht anmutig bewegtes Bild in der violetten Tiefe des
-abenddämmrigen Gartens unterging. Dann mag es in jedem Laubengange vor
-ihm hingewandelt sein, in tausend holden Erscheinungen wechselnd, bald mit
-kummervollen Augen ihn abwehrend, dann wieder lockend und verheißend mit
-solchem Lächeln, wie er nun bald in Wahrheit von Sabinen zu verdienen
-hoffte. Der junge Mann verweilte bis tief in die Nacht im dunklen Garten,
-und ich sehe ihn heute noch in Gedanken, wie er mit Sternen und Blumen
-sprach, die Zweige küßte, die das Haar der fliehenden Göttin gestreift
-hatten, und aufgelöst in demütiger Seligkeit vor der Rasenbank kniete,
-auf der sie gesessen. Wer von uns, der jung war, sieht ihn nicht so?
-
-Am Tage darauf erhielt Sabine ein Briefchen, worin Sylva um eine neue
-Zusammenkunft bat. Hätte die leiseste Spur von Selbstbewußtsein sich
-in dem Schreiben verraten, so hätte die leichtverletzliche Schöne ohne
-Zweifel eine schroffe Antwort gefunden, die alles abgeschnitten hätte.
-Aber der liebende Jüngling ehrte so sehr den Kampf, den, wie er glauben
-mußte, eine edle Frau zwischen Pflicht und Liebe führte, daß er kaum in
-bescheidenster Weise anzudeuten wagte, zu welchen Hoffnungen ihn Sabinens
-Verhalten berechtigte. Die Fassung des Briefchens rührte Sabinen, und die
-Verantwortung, die diesem jungen Herzen gegenüber auf ihr lag, stellte
-sich ihr drohend vor. Sie beschloß, dem Bittenden das verlangte
-Wiedersehen zu gewähren, und glaubte in lauterer Absicht zu handeln:
-wollte sie ihm doch nur zur Vernunft reden! Und sie antwortete in
-freundlich gewährendem Sinne. --
-
-In der Stunde freilich, wo Sabine in grausiger Selbstanklage gerade diesen
-Teil ihrer Geschichte über das Haupt ihres toten Richters hinschrie, in
-der Beichte am Bette des Geopferten, gab sie anderen Motiven schuld an
-diesem letzten törichten Schritte. In Selbstzerfleischung und Reue so
-maßlos, wie sonst in Selbstüberhebung und Eitelkeit, suchte sie hervor,
-was sie verdammen konnte, und verschmähte, was irgend zu ihren Gunsten
-sprechen mochte. »Nichts wollte ich,« so rief sie in ihrer Verzweiflung,
-»als den Weihrauch atmen, den er mir streute! Nichts, als ihn wiederholen
-hören, was, wie ich wußte, die Fama ihm zugeflüstert, wie groß und gut
-ich sei. Um das zu hören, habe ich in der zitternden Seele vor mir alle
-Stadien der Glut zu erregen gesucht und mich, ohne eigenes Verlangen, am
-Gefühle der Meisterschaft berauscht, mit welcher ich das Element dämpfte
-und wieder schürte: denn jedes neue Emporlodern der Flamme stellte eine
-neue Verherrlichung meines Selbst dar, und immer schöner und erhabener
-schien er mich zu sehen, je mehr ich ihn quälte. Sein armes, von
-sehnsuchtsvoll durchwachten Nächten blasser und blasser werdendes Gesicht
-war das Reklamebild meiner Tugend, und im letzten Grunde, wenn ich's recht
-bedenke, habe ich ihn auch in den Tod getrieben, damit nur einmal meine
-Unbesiegbarkeit durch einen öffentlichen Akt dargelegt werden
-möchte.« Es liegt mir fern, der unglücklichen Frau in dieser traurigen
-Übertreibung zu folgen. Vielmehr glaube ich, daß, ihr selber unbewußt,
-ein neuer Trieb sie beherrscht habe, der zwar nicht minder sträflich, aber
-weitaus natürlicher und menschlicher war; und diesem möchte ich gern alle
-weiteren Torheiten der Armen zuschreiben. Freilich denke ich nicht an ein
-solches Gefühl, das dem Sylvas auch nur im entferntesten die Wage halten
-konnte: dessen war Sabine nicht fähig. Aber ein leiser Widerhall davon
-muß doch vorhanden gewesen sein. Keine Frau kann eine solche Liebe sehen,
-dieses Himmelsfeuer von Gottes eigenstem Altare, ohne einen Schimmer davon
-mit sich herumzutragen, wie Marienkind, als es die innerste Himmelskammer
-geöffnet und die heilige Dreieinigkeit im Goldglanze erblickt hatte. Und
-dieser Abglanz, wenn schon nicht mehr, mußte in Sabinens Seele gefallen
-sein, ein erstes, wahrscheinlich unverstandenes Regen zarter Neigung, das
-sich nur noch nicht zum Erscheinen durchgekämpft hatte. Diesen Schluß zu
-ziehen, berechtigt mich Sabinens Gebaren an der Leiche Sylvas, das sonst
-unbegreiflich gewesen wäre. --
-
-Und so geschah alles, wie es geschehen mußte. Wieder lag dämmriger
-Abendschein über Lauben und Büschen des stillen Gartens. Die Allee schien
-ein goldenes Gewölbe, wie schimmernde Schätze lag rötliches Laub über
-den Boden gestreut. Ein scharfes gelbes Licht, von Westen her geworfen,
-prallte an den Stämmen der schönen alten Bäume ab und zeichnete ihre
-Schatten quer über den flimmernden Grund, daß es aussah, als hemmten
-schwarze Balken das Wandeln über die kostbaren Fliesen. Mit jeder Elle,
-die Sabine im frühherbstlichen Blätterfall vorwärtseilte, überschritt
-sie eine dieser dunklen Schicksalsschwellen, mit jedem solchen
-Überschreiten stand sie tiefer in ihrem Verhängnisse. Am Ende des Ganges
-lag die Laube, wo Sylva sie erwartete.
-
-Als die Nacht sank und die Frau durch die Allee zurückhuschte, waren die
-finsteren Schattenschwellen verschwunden. Auf den Weg zur Sünde hin hatte
-das Schicksal ihr die warnenden Zeichen gelegt; jetzt war alles bleiches
-Grau; den Weg zurück wies keine Hand von oben. --
-
-Sabine glaubte einen Teil ihres Selbst zu retten, als sie in ihre wilde
-Beichte die scheue Bemerkung einschob, Ehebruch im landläufigen Sinne des
-Wortes habe sie immerhin nicht begangen. Mein Gott, das glaubte ich ihr nur
-zu sehr! Wollte ich doch, um des armen Jungen willen, diese Armseligkeit
-wäre weniger glaubhaft gewesen! Wie mag sie ihn hingehalten haben, wie
-seine Sehnsucht gefoppt! Das sehe ich, ohne daß sie es zu schildern
-brauchte, das sehe ich, wie sie spärliche Liebkosungen sich mühsam
-abringen ließ, als wäre es königliche Gunst, ihre kalten Fingerspitzen
-zu berühren; wie sie den äußersten Rand ihres Kleidersaumes erst nach
-tausend Bitten preisgab, eine welke Blume für hundert treue und gute
-Worte, und einen lauen Kuß auf die Stirne erst dann, wenn sie fürchten
-mußte, den allzu Geduldigen für immer zu entmutigen. Ich sehe sie! Und
-ich hätte nicht selbst einmal ein armer junger Narr sein müssen, hätte
-es mich wundern sollen, daß diese Kargheit, die den Schein der Ehre für
-sich hatte, den gläubigen Knaben nur fester an seine Göttin band.
-
-Sabinens Kunst, diese Sprödigkeit, die zum Teile in ihrem hochfahrenden
-Charakter begründet lag, für das Ergebnis schwerer Seelenkämpfe, für
-einen Sieg ihres Entsagungsmutes auszugeben, muß indes bis zur höchsten
-Vollendung gewaltet haben. Denn nicht nur das gute fromme Kind war betrogen
--- auch der Klatsch, der alles zu entstellen geneigt ist, der Klatsch im
-Kaffeekranz und der weitaus schlimmere am Biertisch -- der Klatsch,
-der natürlich in den treulichen Berichten der emsig lauschenden
-Gartenbesitzerin seine Quelle hatte -- auch der nahm die Sache ohne
-weiteres von derselben Seite. Alle Sympathien galten der Frau, den
-Jüngling bedauerte man kaum, Ricchiari hätte mancher vielleicht eine
-Schlappe vergönnt. Ich glaube fest, daß es Wetten gab um den Ausgang der
-Sache; war dem so, so setzte die Mehrheit auf Sabine Ricchiaris Tugend.
-
-Der einzige Mensch, der nicht betrogen war, war Ricchiari selbst. Ihm,
-dem Menschenkundigen, mußte vor allen Dingen die sonderbare Erregung
-auffallen, in welcher er seine Frau jetzt öfters sah, ihre heimlichen
-Gänge, ein häufiges Kommen und Gehen von Freundinnen, die stets
-über Gebühr zärtlich Abschied zu nehmen pflegten -- und dergleichen
-wohlbekannte Anzeichen mehr. Und da er ein Mann am Platze war, so
-beherrschte er die eigene Unruhe, forschte gewandt umher, spähte,
-folgerte, kombinierte -- und erriet endlich, was zu erraten war. Noch immer
-freilich kannte er die ganze Hohlheit des Wesens nicht, auf das er einst
-so viel gebaut; doch überraschte ihn an Sabinen, daß sie heimlicher
-Leidenschaft sollte fähig sein. Er grübelte unter heftigen Schmerzen
-über diese neue Wendung der Dinge nach, versuchte seine Frau bald durch
-Laune, bald durch Zärtlichkeit, fand sie aber in ihrem Verhalten gegen ihn
-unverändert; er wurde irrer und wirrer an ihr, als er je gewesen, und
-das Rätselhafte der Erscheinung quälte ihn fast mehr, als seine
-immerhin nicht geringe Eifersucht. Endlich verfiel er auf eine List von
-so lächerlicher Art, daß er sich fast schämte, sie anzuwenden, eine
-Niedrigkeit, die nur seinem äußerst gereizten Zustande zugute gehalten
-werden muß: und siehe, da fing er die Törin! Er brachte nämlich mehrfach
-das Gespräch, und zwar in Gegenwart möglichst zahlreicher Zeugen, auf das
-Recht freier Liebe und auf einzelne Beispiele hypermoderner Ansichten über
-diesen Punkt, wie jede Gesellschaft sie liefert; und zwar vertrat er listig
-herausfordernd die Sache der frevelhaftesten Ungebundenheit. Wie er es
-erwartet, so nahm Sabine höchst eifrig die Partei der strengsten Ehemoral
-und rasselte förmlich mit Tugendsprüchen. Ricchiari redete von Tag zu Tag
-ketzerhafter, schien sich in die Sache zu verbeißen, nannte die Ehe ein
-Kulturübel und wollte jeden vernunftbegabten Menschen sich über die
-erniedrigende Fessel erheben sehen; seine Zuhörer saßen ordentlich
-entgeistert, denn in diesem Tone hatte man im Städtchen bislang noch nicht
-reden hören, wenigstens keinen Familienvater; das aber schien den Doktor
-nicht anzufechten, oder auch: er mochte wissen, daß er in der Achtung
-seiner Mitbürger ohnedies als Mensch nicht mehr viel zu verlieren hatte.
-Sabine dagegen nahm in der sonderbaren Sache wieder nur die Gelegenheit
-wahr, sich in Szene zu setzen, und genoß das unheimliche Geplänkel
-ordentlich, ohne auch nur zu ahnen, daß eine Absicht dahinterstecken
-konnte. Sie sagte Dinge, die so rührend und schön waren, daß man einen
-Ehestandskatechismus davon zusammenstellen konnte, und deren schlagende
-Wirkung sie wahrscheinlich vorher an dem armen Sylva erprobt hatte. So
-setzte sie zum Beispiel auseinander, daß die wahre Liebe -- im edelsten
-Sinne Liebe! -- zwischen Mann und Weib erst dann beginnen könne, wenn die
-Leidenschaft dahingegangen; denn im Jugendrausch das Geliebte anzubeten,
-sei keine Kunst und kein Verdienst; wohl aber sei es edler Naturen
-würdig, Schwächen und Torheiten des Gefährten geduldig und verstehend zu
-ertragen, und erst, wo dieses göttliche Allesverzeihen eingetreten sei,
-da könne sie, Sabine Ricchiari, von Liebe reden. Sie blickte dabei ihren
-Gatten in hinreißender Weise an, und das gute Publikum war natürlich
-überzeugt, daß Sabine dieses schöne Dulden nach eigener täglicher
-Übung geschildert habe. Wer hätte ahnen sollen, daß sich die Sache
-gerade umgekehrt verhielt? Ricchiari knirschte mit den Zähnen, aber nicht
-nur ob der nun zu lang gewohnten Falschheit seiner Frau. Sein feines Ohr
-unterschied in ihrer Beredsamkeit etwas mehr als den gewöhnlichen Eifer
-für das Wohlanständige, aber auch etwas mehr als gewöhnliche Erfahrung.
-Was für Situationen wußte Sabine plötzlich zu schildern, und wie
-wußte sie in die Seelenregungen einer schwer angefochtenen und tapfer
-widerstehenden Frau einzugehen! »Wirklich?« fragte sich Ricchiari
-erschrocken, »hat sie solche Kämpfe durchlebt?« Es schien ihm, daß hier
-nicht mehr _alles_ Phrase sein konnte; und, wie ich bereits gesagt, ich
-für mein Teil möchte das am liebsten glauben und bin dankbar, daß auch
-der kluge Doktor etwas von der neuen Unterströmung in dem Gemüte seiner
-Frau bemerkte. Immerhin, als Ricchiari so weit gekommen war, dachte er,
-nun sei es genug. Und nun begann er, die Auseinandersetzung mit seiner
-Frau unter vier Augen zu führen. Die ganze Behandlung bis hierher hatte
-ungefähr drei Wochen gedauert, und Sabine war in eine Leidenschaftlichkeit
-der Parteinahme hineingesteigert worden, die sie alle Vorsicht vergessen
-ließ. Nun brauchte der Doktor nur noch eine Frage zu tun: »Willst du mich
-wirklich glauben machen, daß du unter so und so gegebenen Umständen nach
-deinen Worten handeln würdest?« Sabine rief entrüstet: »Zweifelst du an
-meiner Festigkeit? Liebe ich dich schon nicht, so sollst du mir doch
-nichts vorzuwerfen haben!« und sprudelte in höchster Erregung die ganze
-Geschichte ihrer Versuchung und musterhaften Abwehr hervor. Nach dieser
-Erleichterung wandelte sie mit höchst zufriedener Miene im Zimmer auf und
-ab, den schönen Kopf hoch auf steifem Nacken tragend, als wolle sie jede
-beliebige Kritik gegen ihr Tun herausfordern und entwaffnen. Ich glaube
-wahrhaftig, sie kam sich in dieser Stunde sehr verdienstreich vor.
-
-Ricchiari, ob er schon alle erdenkliche Herrschaft über sich besaß,
-mußte während dieses Vorganges die Hände in den nächsten Vorhang
-krallen, um nicht in Gefahr zu kommen, seine Frau zu schlagen. Ekel und
-Verachtung stiegen ihm bis zum Halse, sprechen hätte er nicht können, und
-er dankte Gott, daß er's nicht konnte -- denn was hätte er dieser Frau
-sagen sollen? Daß er einen Fehltritt, in spontaner Leidenschaft begangen,
-leichter verziehen hätte, als _diese_ Tugend? Des unglücklichen Mannes
-Gehirn, von einem Wirbel häßlicher Vorstellungen ergriffen und betäubt,
-vermochte in dieser Verwirrung die Anklage nicht zu formen, die sein ganzes
-Selbst in rasender Empörung gegen das armselige Weib zu schreien schien.
-Er fühlte nur dunkel und peinigend, daß er sie verdammen müsse, weil sie
-_nicht_ schuldig geworden sei, und der Wahnwitz dieses Gedankens erfüllte
-ihn mit Schrecken vor sich selbst. Er glaubte verrückt geworden zu sein,
-und es dauerte mehrere Stunden, bis er soweit mit sich zurechtgekommen war,
-um mit seiner Frau über den Fall zu sprechen. Er stellte ihr eindringlich
-und mit wahrer Himmelsmilde die Schändlichkeit, aber auch die Gefahr eines
-solchen Verhaltens vor, wie sie Sylva gegenüber an den Tag gelegt, und gab
-ihr zugleich noch einmal in großmütiger Weise Freiheit, dem jungen Manne
-zu folgen, wenn sie etwa Neigung für ihn empfände. »Verzeihe mir, wenn
-ich dir zu nahe trete,« sagte er sanft, »aber es dünkt mich doch, der
-Mann könne dir nicht ganz gleichgültig sein. Hättest du ihn solange
-hingehalten und gefesselt, wenn seine Gegenwart dir nicht einen gewissen
-Reiz böte? Täuscht man sich doch selbst über solche Empfindungen,
-und vielleicht entspringt auch dein gedankenloses Spiel einer solchen
-Selbsttäuschung, die wiederum auf deinen maßlosen Stolz gebaut ist. Ich
-würde es als Segen empfangen, wenn es so wäre, wenn ich schon dabei der
-Verlierende bin. Besser, es sei einer unglücklich, als drei!« Sabine
-rief: »Wer sagt, daß ich unglücklich bin?« und ihr Gesicht überzog
-sich mit Purpur. Ricchiari antwortete: »Mich liebst du nicht, aber ihn
-liebst du vielleicht!« -- »Und wenn schon,« rief sie mit geballten
-Fäusten, »so will ich doch nicht zum Kinderspott werden! Leidenschaften
-treten wie Krankheiten an uns alle heran, aber ich möchte mich lieber aus
-dem Fenster werfen, als so läppisch erliegen wie andere Frauen. Ich werde
-mich durchkämpfen.« -- »Du bist zu klug,« sagte der Mann traurig.
-»Ich weiß nicht, soll ich dich bewundern oder verachten.« Sie erwiderte
-finster: »Ich dächte doch, das letztere hätte ich nicht verdient,«
-worauf er voll Schmerz zurückgab: »Das ist es ja gerade, was mich
-wirbelsinnig macht, daß ich das nicht weiß. Du mußt Geduld mit mir
-haben.« Sie gingen auseinander, ohne daß Ricchiari um vieles klüger
-geworden wäre.
-
-Aber für Sabine war die Sache nun doch nicht so glatt abgetan. Daß sie
-sich durch ihr ruhmrediges Geständnis die Möglichkeit abgeschnitten habe,
-sich ferner zu den absonderlichen Stelldicheins zu begeben, das leuchtete
-ihr natürlich sofort ein. Doch fiel ihr diese gezwungene Entsagung
-durchaus nicht leicht, und sie bereute heftig ihre unzeitige Offenheit, die
-sie nun unerbittlich vor eine endgültige Entschließung stellte: entweder
-mußte sie Sylva aufgeben, oder sich vor Gott und der ganzen Welt die Seine
-nennen. Und eines kostete sie soviel wie das andere. Immerhin war der
-Kampf in ihr verhältnismäßig rasch entschieden. Sie setzte sich hin und
-verfaßte ein Schreiben an Sylva, worin sie ihm endgültig absagte. Den
-Brief hat niemand gesehen; Sylva muß ihn sofort vernichtet haben. Er ging
-alsbald hin und erschoß sich.
-
-Ricchiari war es, der zuerst an das Lager des Toten gerufen wurde und der
-zuerst auch den rührenden kleinen Zettel las, den jener hinterlassen.
-Diesen zu eskamotieren, dazu fühlte sich der Arzt indes zu sehr
-beobachtet, bereits lief das verräterische Dokument durch die Hände
-hilfeleistender Frauen. In begreiflicher Erregung kehrte Ricchiari heim,
-und schonungslos, kopflos, zitternd und hastig teilte er Sabinen das
-Grauenhafte mit. Sie blickte ihn anfangs geringschätzig an, mit einem
-Schürzen der Oberlippe, als spräche er von dem Fremdesten der Fremden.
-Nach drei Sekunden etwa wurde ihr Gesicht weiß und ihr Auge starr. Sie
-fragte heiser: »Was sagtest du?« und als er schreiend wiederholte:
-»Sylva hat sich erschossen!« schritt sie langsam, wie geistesabwesend,
-durch das Gemach und begann mit nervösen Fingern ein Wollknäuel
-abzurollen. Nach einer weiteren Minute drehte sie sich rasch um, faßte
-nach der Lehne eines Stuhles, setzte sich hin und legte das Gesicht auf die
-Arme. Der Mann sah ihren Körper schauern, vernahm jedoch kein Schluchzen.
-Er wagte, da er nun sah, daß sie äußerst erschüttert war, kein Wort
-weiter zu sagen, und nach einer Weile zog er sich still zurück. Eine
-Stunde später trat Sabine, sehr blaß, aber anscheinend wieder ruhig, in
-sein Zimmer und fragte kurz und hart: »Weiß man, warum er es tat?« Der
-Doktor, da er sie gefaßt sah, erwiderte ebenso kurz: »Er hat einen Brief
-hinterlassen.« -- »So? und was steht darin?« -- Ricchiari, von ihrem
-Blicke, der wie Feuer brannte, gemeistert, sagte mechanisch die ersten zwei
-Zeilen des Zettels her, die er im Gedächtnis behalten hatte. Sie zog dabei
-die Schultern hoch, als ob Schläge darauffielen, und bewegte sich mit
-gesenktem Haupte gegen die Türe, durch welche sie verschwand, ohne
-das Ende des Berichtes abzuwarten. Gleich darauf stand sie in Sylvas
-Totenzimmer. --
-
-Es wurde nun dem Doktor an Sabinens Seite besser denn je. Wenn ein
-Menschenkind allen Halt und allen Glauben an sich selbst verloren hat,
-so streckt es naturgemäß die Hände dem entgegen, der sich in Güte
-und Verzeihung seiner annimmt. Dazu war nun kein Mann so geschaffen, wie
-Ricchiari, der jeden Winkel im Herzen der Frau mit seinem stillen Erbarmen
-durchleuchtete und nichts als Friedensworte für sie hatte, selbst da, wo
-er zu strafen berechtigt war. Sein Mitleid für sie war grenzenlos, und
-nicht geringer war allerdings das meine. Weit entfernt, die unglückliche
-Frau noch tiefer zu beugen, tat Ricchiari, und ich mit ihm, das Äußerste,
-um ihr wieder einen Teil ihres Lebensmutes zurückzugeben. Sie nahm, wie
-ein krankes Kind, was der unermüdliche Gatte für sie tat; dabei war sie
-klug genug, das Unverdiente seiner Großmut ganz zu empfinden, und eine
-innige Dankbarkeit ihrerseits mußte naturgemäß dieser Erkenntnis folgen.
-Bald stellte sich zwischen den Gatten ein ganz erträgliches Verhältnis
-her, und Sabine lernte ihre unerhörte Meisterschaft über sich selbst nun
-in einer würdigeren Sache anwenden. Daß sie eine Natur war, die alles
-konnte, was sie ernstlich erstrebte, hatte sie bewiesen, und jetzt ging
-ihr Wollen dahin, ihren Gatten für manche erlittene Kränkung, die sie
-reuevoll einsah, zu entschädigen. In gewissem Maße gelang ihr auch das;
-wenigstens erfuhr Ricchiari nichts mehr als Liebes und Gutes von ihr, und
-war schlau genug, nicht ergründen zu wollen, ob dieses Liebe und Gute
-einem spontanen Herzenstriebe entsprang oder ob eiserne Willenskraft es aus
-dem Bewußtsein einer nie gutzumachenden Schuld erzeugt hatte. Er begnügte
-sich mit der Wirkung, und daran tat er wohl. Denn wer nach Ursachen
-forscht, wird irre an Gott und Welt. Die _Menschenseele_ ist das
-verschleierte Bild von Sais -- und vielleicht ist uns wohler, solange
-keiner kommt, den geheimnisvollen Flor zu heben.
-
-
-
-
-Druck von F. E. Haag, Melle i. H.
-
-
-
-
-[Illustration: Emblem]
-
-
-
-
-Curt Hamel'sche Druckerei u. Verlagsanstalt, Charlottenburg,
-Spreestr. 43/44
-
-
-
-
- [ Hinweise zur Transkription
-
-
- Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt.
-
- Darstellung abweichender Schriftarten: _gesperrt_, =Antiqua=.
-
- Der Schmutztitel wurde entfernt. Ein Verlagshinweis zu Sonderexemplaren
- auf Büttenpapier wurde von der Versoseite des Schmutztitels an das
- Ende der Titelei verschoben. Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Ende des
- Buchtextes an den Beginn des Buchtextes verschoben.
-
- Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten. ]
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-*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GABRIELENS SPITZEN ***
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-<div style='display:block; margin:1em 0'>Language: German</div>
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-<div style='display:block; margin:1em 0'>Character set encoding: UTF-8</div>
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-<div style='display:block; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This book was produced from images made available by the HathiTrust Digital Library.)</div>
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-<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GABRIELENS SPITZEN ***</div>
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-<h1 class="pb">Gabrielens Spitzen</h1>
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-<p class="ce lh2"><span class="fsl">Zwei Novellen</span><br />
-
-von<br />
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-<span class="fsxl">Grethe Auer</span></p>
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-<p class="ce mt2"><img src="images/emblem1.png" alt="" /></p>
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-<p class="ce mt2 ge">Egon Fleischel &amp; Co. / Berlin / 1919</p>
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-<p class="pb ce mt4 ge fss">Alle Rechte, besonders das<br />
-der Übersetzung, vorbehalten<br />
-Amerikanisches Copyright 1919<br />
-by Egon Fleischel &amp; Co., Berlin</p>
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-<p class="ce mt2">Mit der ersten Auflage dieses Werkes<br />
-wurden fünfzig Exemplare auf<br />
-Büttenpapier gedruckt und von der<br />
-Verfasserin numeriert und gezeichnet</p>
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-<h2>Inhalt</h2>
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-<table summary="" border="0" cellpadding="5">
- <tr>
- <td>&nbsp;</td>
- <td class="tdr fsxs">Seite</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl"><a class="ndcbl" href="#page_001">Gabrielens Spitzen</a></td>
- <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_001">1</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl"><a class="ndcbl" href="#page_077">Die Tugend der Sabine Ricchiari</a>&emsp;&emsp;</td>
- <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_077">77</a></td>
- </tr>
-</table>
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-
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-<h2><a class="pagenum" id="page_001" title="1"> </a>
-Gabrielens Spitzen</h2>
-
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-<p><a class="pagenum" id="page_003" title="3"> </a>
-Die Frau, von der ich jetzt erzählen will,
-war eines Schreibers Tochter in einer rheinischen
-Stadt, in der die Üppigkeit eines kleinen
-Fürstenhofes, Kunstsinn einer altangesessenen
-und wohlhabenden Bürgerschaft und natürliche
-Leichtlebigkeit und Anmut der unteren
-Bevölkerungsschichten zusammenwirkten, um
-einen für jene Zeit bedeutenden Grad von
-Sinnenkultur hervorzubringen. Es haben
-Männer aus jener Stadt später oft führende
-Stimmen im Rat der hohen Kunst besessen; oft
-hat sie Feldherren gestellt in den Kampf eines
-neuen Kunstgedankens gegen einen alten. Doch
-das tut nichts zur Sache. Was uns angeht &ndash; in
-jenem ersten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts
-&ndash; ist nur eine gewisse Feinheit und Freiheit
-der Lebensauffassung, eine gewisse Veredlung
-alles Trieblebens durch echtes Schönheitsempfinden,
-die durch alle Schichten der
-Bevölkerung zu bemerken waren und die es
-einem armen Schreiberskinde ermöglichten, eine
-Künstlerin zu sein.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_004" title="4"> </a>
-Im Hause des Schreibers herrschte bei einer
-vielköpfigen Familie und einfachster Lebensführung
-durchaus kein Mangel irgendwelcher
-Art. Die nüchterne Kost genügte stets für alle,
-ein bescheidener Leckerbissen krönte die Feiertage,
-und ein zufälliger Gast fand immer freundliche
-Bewirtung. Das wenige Hausgerät, obzwar
-schlicht und derb, war stets in gutem Zustande,
-wozu die liebevolle Behandlung, die
-ihm von allen Seiten zuteil ward, nicht wenig
-beitrug. Da jedes Stück selbst erworben, lang
-erstrebt und mühsam in langen Raten bezahlt
-war, so verkörperte es gleichsam ein paar Jahre
-Lebensgeschichte des Erwerbers, besonders,
-wenn noch eigene Kunstfertigkeit hinzutrat, die
-den Wert des Gerätes erhöhte. So war das
-eigengesponnene Linnen der Betten durch
-eigengeklöppelte Spitzen bereichert, in denen
-alle Feierabende und Sonntagnachmittage
-sämtlicher Frauen der Familie Gestalt gewonnen
-hatten; die Mußestunden der Männer
-hatten sich in sinnreiche Bemalung der tannenen
-Schränke und Truhen, in leichtes Schnitzwerk
-an Bettleisten und Stuhllehnen umgesetzt;
-und die Glorie einer frohen Erinnerung,
-der Wehmutsschleier einer trüben schwebten und
-<a class="pagenum" id="page_005" title="5"> </a>
-webten über jedem Dinge. Noch wurden
-Wohnungen nicht gewechselt, Hauseinrichtungen
-nicht fertig gekauft, schnell abgenutzt, erneut
-und getauscht nach Belieben. Sie entstanden
-unter den Schicksalen der Menschen, trugen
-ihren Stempel und überlebten sie als Denkmäler
-ihres Wesens.</p>
-
-<p>Wie alle Glieder der Schreibersfamilie an
-dem Bau, der Erhaltung und Verschönerung
-ihres Heims tätig gewesen waren, so trugen
-auch alle zu dem bißchen Wohlstand und Wohlleben
-der Familie bei, indem alle nach Kräften
-erwarben. Jedes der Kinder hatte sein Talent
-oder seine Tüchtigkeit und, kaum den Kinderjahren
-entwachsen, seinen Broterwerb. Und diejenige
-unter den Töchtern, deren Geschichte ich
-erzählen will, war Spitzenklöpplerin und zählte
-die vornehmsten Frauen der Stadt zu ihren
-Kundinnen.</p>
-
-<p>Es war eine kleine Person, dunkel, mit
-großen, aber keineswegs schwärmerischen Augen,
-äußerst zarter, aber blühender Haut und dem
-prächtigsten, glatten, rabenschwarzen Haar, das
-sie in Zöpfen unter einer sittigen kleinen
-Haube verborgen trug. Ihr braunes Kleidchen
-sah dank ihrer friedlichen Beschäftigung immer
-<a class="pagenum" id="page_006" title="6"> </a>
-wie neu aus, das Busentuch stets rein und
-weiß, und das goldene Kreuzchen, das sie an
-einem Sammetbändchen am Halse trug, hob
-die Zierlichkeit ihrer Erscheinung durch sein
-Blinken gerade genug, um ihrer keuschen Jugendlichkeit
-nichts zu nehmen. Sie hieß Gabriele;
-und wie auch der Name im Munde
-ihrer Umgebung verdorben wurde, sie selbst
-sprach ihn stets unverkürzt; und hätte sie schreiben
-können, sie würde ihn auch unverkürzt geschrieben
-haben.</p>
-
-<p>Gabriele hatte zwar in ihrer Kindheit bei
-den Klosterfrauen einiges gelernt; aber, dem
-ohnehin dürftigen Unterricht kaum entwachsen,
-hatte sie unverzüglich alles wieder vergessen
-bis auf das Spitzenklöppeln und -nähen, das
-sie mit der Leidenschaft einer echten Künstlerin
-betrieb. Nicht nur hatte sie die gewandtesten
-Finger; sie hatte auch Gedanken: sie ersann
-Formen, veredelte und verbesserte die vorhandenen
-und liebte es, ihre Muster im feinsten
-Faden und in der mühevollsten Technik der
-Klöppel und der Nadel auszuführen; denn da
-sie unendlich flink arbeitete, so geschah es nicht
-leicht, daß ein angefangen Stück Arbeit ihr
-zum Überdruß wurde. Alles, was unter ihren
-<a class="pagenum" id="page_007" title="7"> </a>
-Händen entstand, erfüllte sie in seiner Sauberkeit
-und Regelmäßigkeit mit solcher Freude,
-daß sie vergaß, wer es geschaffen und erdacht
-hatte, und es wie ein Geschenktes hinnahm.
-War ein Stück fertig, so trippelte sie flink und
-glücklich nach dem Hause der Bestellerin. Nie
-gab sie ihre Arbeit in Dienerhände: selbst
-wollte sie sie vorlegen, selbst auf ihre Schönheit
-aufmerksam machen, selbst das Lob ernten,
-das dem Wohlgelungenen zukam. Sie pflegte
-ein Stück schwarzen Sammets bei sich zu tragen,
-darauf breitete sie die Spitze, ehe sie sie vorzeigte.</p>
-
-<p>Und dann bewunderte sie ihr eigenes Werk
-so herzlich, unschuldig und ehrlich, daß es niemandem
-einfiel, dies als Eitelkeit oder gar
-als berechnete List zur Erzielung eines höheren
-Preises aufzufassen.</p>
-
-<p>Wie eine Mutter ihr Kind anbetet, von
-dem sie weiß, daß sie selbst nichts tun konnte,
-als das vom Himmel Gegebene hüten und heilig
-halten, so betete Gabriele ihre kleinen Kunstwerke
-an, ohne sich eigentlich ein Verdienst
-daran beizumessen. Man hörte sie auch nie
-sagen: »Dies habe ich so oder so gemacht«, sondern
-stets: »Dies ist gut geworden« oder »Dies
-<a class="pagenum" id="page_008" title="8"> </a>
-ist recht artig herausgekommen«, wobei doch
-jedermann empfand, daß sie diese Worte nicht
-wählte, sondern unbewußt als die einzig angemessenen
-vorbrachte. Deshalb mochten es
-die großen Damen auch gerne leiden, wenn die
-kleine Klöpplerin mit ihrer Arbeit bei ihnen
-eintrat; sie brachte etwas mit, was keine von
-ihnen verstand oder kannte, und was sie doch
-anwehte wie ein Hauch aus dem Paradiese.</p>
-
-<p>Am heiligen Sonntag klöppelte Gabriele
-nicht. Da ging sie zur Kirche, wobei freilich
-nicht verschwiegen werden darf, daß sie es weniger
-um Gottes Wort zu hören tat, als einigen
-köstlichen Altarspitzen zuliebe, deren Zeichnung
-sie in ihrem Gedächtnis nur fixierte, um sie
-gleich wieder ihrer stets tätigen Phantasie zum
-freien Spiel zu überlassen. Den Nachmittag
-aber legte sie vollends die Hände in den Schoß
-&ndash; das heißt, sie klöppelte und nähte nicht,
-zwang sich auch nach Möglichkeit, nicht in Gedanken
-an einem Entwurf weiter zu grübeln;
-da gab sie sich ganz dem Zusammensein mit
-Eltern und Geschwistern hin. Der Sonntag
-war der Tag, der alle, die die Wochenarbeit
-auseinander gerissen hatte, in einem Raum
-und an einem Tische vereinigte. Da war die
-<a class="pagenum" id="page_009" title="9"> </a>
-kleine Wohnstube, die während der ganzen
-Woche still und sauber aufgeräumt stand und
-keinen Laut vernahm als das surrende Spinnrad
-der Mutter oder den leichten Elfentanzschritt
-von Gabrielens Klöppeln, plötzlich belebt,
-übervoll und lärmend. Jeder der Brüder,
-jede der Schwestern hatte eine Sonntagnachmittagspassion,
-sei es, daß sie für ihre Gewandung
-arbeiteten, die sie während der Woche
-vernachlässigen mußten, sei es, daß sie Hausgerät
-und Zieraten herstellten, die sie lange
-begehrt hatten und nicht durch Kauf erwerben
-konnten. Der hämmerte, jener brannte, einer
-schnitzte; jene klapperte mit der Schere, diese
-mit Stricknadeln, eine dritte mit dem dampfenden
-Plättsteine. Dazu rauchten die Männer,
-daß die Luft wie eine bläuliche Wand zwischen
-den einzelnen stand, und im Ofen zischten leise
-die bratenden Äpfel, Wohlgerüche mit Wohlgerüchen
-mengend. Alle redeten, alle lachten,
-und der oder jener sang auch. Gabriele und
-die Mutter sorgten für die Mahlzeiten, und
-die stets Emsigen nahmen diese Aufgabe für
-Erholung und sonntäglichen Müßiggang, dem
-sie sich mit all der Schwelgerei hingaben, die
-ihre kleinen Mittel erlaubten. Duftete dann
-<a class="pagenum" id="page_010" title="10"> </a>
-die Mehlsuppe, ein gebackener Fladen oder
-gar ein Stück Fleisch auf dem Tische, so trat
-eine große Stille ein, und man vernahm nichts
-als leises Klirren der Löffel und behagliches,
-langgezogenes Schlürfen. Bald aber schwirrte
-es um so lustiger wieder durch die erhitzte
-Luft der Stube.</p>
-
-<p>Das waren Gabrielens Feste. Einmal oder
-zweimal im Jahr sah sie eine Volksbelustigung,
-einmal oder zweimal im Jahr genoß sie eine
-fröhliche Sommerfahrt in grünes Land. Das
-waren dann Erinnerungen, die leuchteten lange
-nach. Aber die Alltäglichkeit hatte auch ihren
-Glanz, mochte er auch nur geborgt sein von dem
-Sonnenschein in Gabrielens eigenem Wesen.
-Krankheit blieb dem Hause fern; Mangel am
-Nötigsten hatte die tätige Familie nie erfahren
-müssen, und Monate knappen Erwerbes machten
-nur freudiger und erfinderischer zur Arbeit.
-Es waren glückliche Menschen und Gabriele,
-weil die Kunstfertigste, die Glücklichste.</p>
-
-<p>Dann kamen Freier für die Schwestern, dann
-vermählten sich die Brüder. An den Sonntagnachmittagen
-wurde die Stube enger, die Luft
-heißer und dicker, der Lärm mannigfaltiger.
-Kinderstimmen gellten, Kinderfüße trappten
-<a class="pagenum" id="page_011" title="11"> </a>
-polternd dazwischen. Vielfach klangen manchmal
-ein kurzer, lebhafter Streitlärm, ein Kreischen,
-auf den Tisch donnernde Fäuste dazu. Aber
-es endete immer in Eintracht, und auch das
-bedeutete nur vermehrte Freude.</p>
-
-<p>Gabriele war die letzte Unvermählte, vielleicht
-weil sie die Feinste und Schönste der Familie
-war. Einfache Männer wagen sich nicht gern
-an das Aparte, und Gabriele war apart und
-ein bißchen hochnäsig, insofern, als sie derbe
-Scherze nicht liebte. So fröhlich sie war, das
-Lachen versagte ihr oft da, wo die werbenden
-Männer am meisten erwarteten, es zu hören.
-Das machte die Freier scheu, und schon glaubte
-jedermann, Gabrielen sei es nicht bestimmt
-&ndash;&nbsp;&ndash; da schlug auch ihre Stunde.</p>
-
-<p>Es war an einem Sommerabend, als im
-Städtchen das Leben sich in allen Gassen
-drängte. Duft von weißem Holunder wehte
-aus irgendeinem Garten. Frauen und Greise
-saßen auf den Bänken vor den Häusern; Kinder,
-Hunde und Spatzen tummelten sich in
-den Gassen, die Männer standen unter den
-Türen der Werkstatt, der Boutique, der Kanzlei
-und warteten auf den Feierabendschlag, schon
-müßig, ehe er erklang. Die milde Wärme löste
-<a class="pagenum" id="page_012" title="12"> </a>
-jede Spannung, jede Sorge, jeden Arbeitstrieb,
-weckte den Lebensgenuß, die Sorglosigkeit,
-den Leichtsinn &ndash; als ob es nie mehr einen
-Winter, Not und Kälte geben sollte.</p>
-
-<p>Da kam auf Stöckelschuhen, die fast so hell
-und flink klapperten wie ihre Klöppel, Gabriele
-durch die Gasse getrippelt. Sie hatte etwas
-vollendet, was ihr besonders gefiel, und sie
-trug das fertige Stück seiner Bestimmung zu.
-Da wollte es der Zufall, daß ein vornehmer
-Müßiggänger, der ziel- und absichtslos durch
-die abendliche Schönheit schweifte, die Vorstadtgasse
-kreuzte und das Mädchen erblickte.
-Er folgte ihm bis in das stillere Quartier der
-Reichen, wo die Bestellerin der Spitze wohnte.
-Er sah die schöne Person vor einem großen
-steinernen Hause haltmachen, das er erfreut
-als das eines Freundes erkannte. Er trat
-hinter ihr ein, eilte vor ihr die Treppen hinauf
-und stand neben dem Lehnstuhl der greisen
-Herrin des Hauses, als die höflich knixende
-Gabriele unter der Tür des Gemaches erschien.</p>
-
-<p>Das Herz der kleinen Klöpplerin, das bei
-der offensichtlichen Verfolgung bereits etwas
-ängstlich zu pochen begonnen hatte, beruhigte
-sich sofort beim Anblick des Mannes an diesem
-<a class="pagenum" id="page_013" title="13"> </a>
-Orte. Gabriele gehörte zu den seltenen Menschen,
-die jedem Ding gern die natürlichste
-Erklärung geben: daß dieser Mann denselben
-Weg gehabt wie sie, daß er in dies Haus gehörte
-und daß er mit Fug und Recht Leuten,
-die da aus und ein gingen, etwas scharf ins
-Gesicht blicken mochte, das war eine Folgerung,
-mit der sich Gabriele ohne weiteres zufriedengab.
-Sie knixte bescheiden und artig auch vor
-ihm, dann begann sie unbefangen, ihren Sammetfleck
-auszubreiten und die Spitze darauf
-zu entfalten.</p>
-
-<p>Es war ein feines Gebilde von Sternen und
-duftigen, nebelzarten Hintergründen, aus denen
-sich die kräftigeren Linien eines streng gehaltenen
-Musters hervorhoben. Ein blühender
-Kirschbaum; der Schaum eines Wasserfalls;
-die windgekräuselte Fläche einer Wiese voll
-weißer Sternblumen; Schneeflockentanz oder
-rieselnder Regen abfallender Sternchen der
-Holunderdolde &ndash; alles das konnte dem Beschauer
-zu Sinn kommen, der dies reinliche
-Stückchen Menschenwerk sah. Und doch stand
-eine feste, straff geführte Zeichnung in dem
-Nebelbilde. Die kleine Künstlerin selbst faltete
-die Hände, wie sie drauf niederblickte,
-<a class="pagenum" id="page_014" title="14"> </a>
-ganz versunken in die Vollkommenheit dessen,
-was sie im einzelnen durchdacht und ausgeklügelt,
-in seiner ganzen Wirkung aber nur
-eben geahnt hatte.</p>
-
-<p>Gleichfalls mit gefalteten Händen aber, und
-nicht weniger als sie versunken in den Anblick
-einer Vollkommenheit höherer Art, stand der
-Mann, der Gabriele verfolgt hatte. Die Klöpplerin
-hatte sich bedachtsam so gestellt, daß ihre
-Figur keinen Strahl des sinkenden Lichtes von
-ihrem Kunstwerke hinwegnahm; dafür traf nun
-sie selbst die volle Beleuchtung. Alles Feine,
-Säuberliche und Zierliche an ihr kam zu voller
-Würdigung: die seidige Haut, die Weichheit
-ihres Haares, die dunkle Glockenschweifung
-ihrer langen Wimpern, die durchsichtige Zartheit
-der kleinen Ohren nicht weniger als das
-tadellose Gefältel der Haube, die Unverbrauchtheit
-ihres Anzuges, die züchtige Ordnung des
-Halstuches. Und vielleicht waren es Bilder
-noch holderer Art, die dem Beschauer dieses
-Stückchens Gotteswerk zu Sinn kamen, denn
-ein inniges und sehr glückliches Lächeln verbreitete
-sich langsam über sein Gesicht, in dem
-auch nicht der Schatten eines niedrigen Gedankens
-mehr zu sehen war. Er richtete mit
-<a class="pagenum" id="page_015" title="15"> </a>
-freundlicher Stimme einige übliche Fragen an
-Gabriele, und wenn sie bei der Antwort in
-seine Augen blickte, was sie mit der Unerschrockenheit
-der Unschuld tat, so begegnete sie
-dem Ausdrucke lauterster Güte.</p>
-
-<p>Als Gabriele heimwärts wandelte durch die
-Straßen und Gassen, in denen nun die Dämmerung
-wob, mußte sie recht ernsthaft an den
-großen vornehmen Mann denken, der sie so
-gütig angeblickt hatte. Sie verhehlte sich nicht,
-daß sie einem ähnlichen Blick nie in ihrem
-Leben begegnet war. Sie hatte oft genug Bewunderung
-und Begehren in Männeraugen
-gesehen, aber nur in den Augen glücklicher
-Mütter etwas von dem, was dieser Fremde
-über sie ausgegossen hatte. Und wie sie über
-das Erlebnis nachdachte, ertappte sie sich auf
-dem sonderbaren Wunsche, diesem Manne als
-Magd zu dienen, wenn es einmal mit dem
-Spitzennähen vorbei sein sollte. Gabriele
-wußte, daß die Augen vieler Klöpplerinnen
-in noch jungen Jahren den anstrengenden Dienst
-des Ausnähens versagen, und der Gedanke
-an diese Möglichkeit hatte sie oft erschreckt. Jetzt
-sah sie in ein Zukunftsbild, wo es sich auch
-ohne die gewohnte Arbeit recht annehmbar
-<a class="pagenum" id="page_016" title="16"> </a>
-leben ließ: sah ein freudiges Schaffen aus
-innerm Herzenstrieb vor sich, wie sie es bisher
-noch nie einer Person, nur ihrer Kunst dargebracht
-hatte.</p>
-
-<p>Einige Tage nach diesem Vorfall trat der
-fremde Mann in Gabrielens Stube; er bestellte
-Spitzen, er ließ sich Muster zeigen, er
-sprach viel und fragte eingehend über die wunderlichsten
-Dinge. Gabriele antwortete in
-wahrer Herzensfreude, schon jetzt den künftigen
-Gebieter in ihm verehrend, und bemühte sich,
-ihr Bestes zu zeigen, um seine gute Meinung
-für kommende Zeiten zu gewinnen. Darüber
-merkte sie nicht, wie lange er blieb und wieviel
-er frug, was gar nicht zur Sache gehörte. Auf
-ihren stillen, morgenlichten Lebensweg war
-plötzlich in goldener, breitstrahlender Fülle der
-blendendste Sonnenschein gefallen; sie vermochte
-noch nicht, die Augen ganz aufzuschlagen.</p>
-
-<p>Sie hatte nun erfahren, daß der Fremde
-ein Ratsherr war und einer der reichsten Patrizierfamilien
-der Stadt angehörte. Er hatte
-ihr seinen Namen genannt, hatte ihr beschrieben,
-wo er wohnte, und ihr befohlen, die Spitzen
-dahin zu bringen. Ohne Arg sagte Gabriele
-zu. Schnell huschte der listige Vorsatz durch
-<a class="pagenum" id="page_017" title="17"> </a>
-ihr Köpfchen, sich das Haus, in dem sie einmal
-dienen wollte, gut anzusehen: »ob etwas zu
-lernen wäre, was sie noch nicht könnte«. Sie
-lächelte ein wenig bei dem Gedanken, daß sie
-dann etwas anderes als Mehlsuppen würde
-kochen müssen. Aber was wollte sie nicht können,
-wenn es diesem Herrn galt?</p>
-
-<p>Sie machte sich an die Spitzen und spann
-dabei an den frömmsten und demütigsten Vorsätzen.
-Sie dachte an tausend kleine Verrichtungen,
-die sie für Vater und Brüder zu tun
-gewohnt war, und ob jener Gestrenge auch damit
-zufrieden sein würde. Und in der Sorge
-um sein Wohlgefallen schien ihr plötzlich auch
-ihre Kunst arm und ihr Fleiß ungenügend.
-Sie warf beiseite, was sie begonnen hatte, und
-fing noch einmal mit feinerem Faden an.</p>
-
-<p>Wenn Gabriele je ein Kunstwerk geschaffen
-hatte, so war dies Stück Spitze eines. Wie von
-leichten Winden getragen, lebte und webte das
-Geranke auf dem duftklaren Grunde; jede
-Blüte öffnete sich in voller Wonne, jede Knospe
-zitterte, schlanke Stäbe von leichtem Gitterwerk
-strebten kühn nach oben und stützten die
-flatternde Wildheit der Zweige, und Schmetterlinge
-mit ausgebreiteten Schwingen lagen
-<a class="pagenum" id="page_018" title="18"> </a>
-ruhend auf den Wogen der Luft. Ein ganzer
-Frühling, nur im lauteren Weiß eines Schneeblumentraumes,
-erwachte unter den emsig spielenden
-Fingern. Die Klöppel klangen wie klappernde
-Pantöffelchen zahlloser kleiner Elfen,
-die hurtig und froh den Wunderwebstuhl bedienten;
-in lautloser Stille aber zog die Nadel
-ihre magischen Kreise, feierlich, langsam und
-preziös bedächtig, wie ihrer größeren Wichtigkeit
-bewußt.</p>
-
-<p>Der Ratsherr kam von Zeit zu Zeit, um den
-Fortschritt des Werkes zu betrachten. Wenn
-er in die Stube trat, ruhten die Klöppel, denn
-dann fühlte Gabriele ihre Finger kalt und unruhig
-und zu subtiler Arbeit untauglich werden.
-Sie stand vor dem Gewaltigen auch lieber
-auf: schon stehend fühlte sie sich so klein neben
-ihm. Und dann war er doch auch ihr zukünftiger
-Herr, und Sitzen und Weiterarbeiten vor ihm
-wäre eine Unziemlichkeit gewesen.</p>
-
-<p>Der Ratsherr pflegte recht ausgiebig zu
-loben, und Gabrielens Herz hüpfte vor Freude,
-wenn sie sah, wie gut er das wahrhaft Kunstreiche
-und Schwierige zu würdigen wußte. Das
-war ein Mann, dem edle Arbeit durch die
-Finger gegangen war! Sein verständiges Lob
-<a class="pagenum" id="page_019" title="19"> </a>
-gab Gabrielen die anfänglich erschütterte Sicherheit
-zurück, sie fing wieder an, sich unverhohlen
-des Gelingens zu freuen, und je mehr sie sich
-freute, desto schöner und holder sah sie aus,
-so daß es fast eine zu harte Probe für des
-Mannes Liebe wurde, das ernste Spiel nicht
-durch einen voreiligen Ausbruch von Zärtlichkeit
-ganz zu verderben. Seine Besuche wurden
-immer länger, kamen immer häufiger. Er gab
-ihnen eine gewisse Begründung durch allerhand
-Belehrendes, was er Gabrielen zutragen
-zu müssen vorgab: denn wie alle Geniemenschen
-trieb diese kleine Fee ihre Kunst nur nach den
-Geboten ihrer eigenen Seele und ahnte nicht,
-daß es außerhalb dieser und dem Stückchen
-ererbter Tradition noch unermeßliche Möglichkeiten
-gab. Sie besaß eine Sammlung pergamentener
-Klöppelbriefe, die uralt waren. Die
-Jahreszahl 1604, die irgendwo auf dem ersten
-Blatte neben dem Namen des Sammlers stand,
-hatte keine Bedeutung für sie; die vorhandenen
-Muster veränderte und veredelte sie mit sicherem
-Stilgefühle. Nun kam der Ratsherr, und
-plötzlich stieg aus den vergilbten Blättern ein
-lebendiges Bild von Menschen- und Völkerschicksalen
-empor. Jedes Muster in dem alten
-<a class="pagenum" id="page_020" title="20"> </a>
-Buche trug den Namen eines fernen Landes,
-einer Stadt: von einem längst versunkenen
-Kaiserreiche Byzanz, vom wogenumspülten Venedig,
-von der fernen Königin der Meere, dem
-glorreichen Genua wußte der vielwissende
-Mann die gewaltigsten Dinge zu erzählen.
-Dann wieder beschrieb er den stillen Fleiß
-holländischer Schifferfrauen, die träumend des
-Liebsten im tosenden Weltmeere denken, die
-höfische Pracht Frankreichs, wo der größte aller
-Könige die schöne friedliche Kunst der Frauen
-geadelt und gelohnt habe; die Nöte wandernder
-Hugenotten, die die Gottesfunken des reinen
-Glaubens weitertrugen, aus Holland und
-Frankreich in deutsche Lande, und mit ihm
-als Bild und Schild ihrer Tugend die edle
-Arbeit. Auch brachte er neue Muster aus
-Gent oder Alençon, die vielleicht ein tüchtiges
-kleines Menschenwesen wie Gabriele in
-die Welt geschickt hatte, vielleicht aber auch
-ein großer Künstler, der eigens zu dem Zweck
-studiert hatte und viel Gold und Ehre mit
-seiner Erfindung gewann. Gabrielens Geist
-erfaßte bang und doch froh die Lehre von der
-Weltbedeutung der Industrie, von der Mitarbeiterschaft
-stiller Frauen am Wohlstande
-<a class="pagenum" id="page_021" title="21"> </a>
-und Ruhm ganzer Völker. Sie versuchte auch
-gern die Anwendung mancher Lehre, die dem
-anschaulichen Unterrichte entfloß, ahmte die
-neuen Muster nach, grübelte über ihre Technik,
-wagte und probierte, und durfte bald ein
-Gelingen verzeichnen. Den Ratsherrn beglückte
-die Feinheit und Richtigkeit ihres Empfindens,
-die Klarheit, die sie über ihr Können
-und seine Grenzen besaß.</p>
-
-<p>So ging das Werk zu Ende. Gabriele wurde
-desto stiller, je mehr sie sich dem Abschluß
-näherte, sie arbeitete auch langsamer und saß
-oft lange in müßigem Träumen vor ihrem
-Kissen, während sie sonst wohl ein wenig gehastet
-hatte, wenn es zur Vollendung ging.
-Es tat ihr weh, sich von dieser Arbeit zu
-trennen.</p>
-
-<p>Mit Tränen löste sie die letzten Nadeln aus
-der Spitze, rollte ihren Klöppelbrief zusammen
-und legte ihn in ein Kästchen, das einige kindliche
-Reliquien barg: kein anderer sollte je
-dieselbe Spitze tragen. Dann machte sie sich,
-diesmal mit langsamen Schritten und ganz
-blaß vor Leid, auf den Weg nach dem glänzendsten
-Hause der Stadt. Sie hatte dem Ratsherrn
-die Ablieferung für den bestimmten Tag
-<a class="pagenum" id="page_022" title="22"> </a>
-versprochen, sonst hätte sie wohl das geliebte
-Stück Arbeit noch ein Weilchen für sich behalten.</p>
-
-<p>Als sie nach dem Hause des Gestrengen
-kam, erschrak sie sehr. Sie sah festlich geschmückte
-Menschen in der Halle, auf den Treppen, in
-den Gemächern, durch die ein schweigender
-Diener sie führte. Einige von diesen Menschen
-blickten sie lächelnd, andere erstaunt, andere
-ernst und forschend an, aber kein einziger gleichgültig.</p>
-
-<p>Gabriele fühlte sich nur von dem Gedanken
-bedrückt, daß sie vielleicht in dieser letzten
-Stunde den geliebten Mann nicht allein sehen,
-daß sie seine Aufmerksamkeit mit vielen anderen
-teilen würde. Vielleicht würde er gar nicht
-Zeit haben, die fertige Arbeit in diesem Augenblicke
-zu betrachten; er würde sie beiseitelegen,
-vergessen, vielleicht nach vielen Tagen zufällig
-darauf stoßen &ndash; und Gabriele hätte doch so
-gern noch einmal sein knappes, scharfes Urteil
-gehört. Sie empfand es bitter, daß so ihrer
-Schaffensfreude Lohn und Krone genommen
-sein sollte, und schon erwog sie, ob sie nicht
-umkehren und zu gelegenerer Stunde wiederkommen
-sollte, als sie den Ratsherrn, von
-<a class="pagenum" id="page_023" title="23"> </a>
-einigen würdig aussehenden Matronen geleitet,
-auf sich zuschreiten sah.</p>
-
-<p>Sie erkannte schnell in den alten Damen
-Kundinnen und Beschützerinnen und fühlte sich
-ein klein wenig versöhnt mit dem Mißgeschick
-der Stunde. Wie sie aber, an einen Tisch geleitet
-und von vielen Neugierigen umringt, ihre
-Spitze, um die alle zu wissen schienen, entfalten
-sollte, brach ihr fast das Herz. Es schien ihr
-grausam, daß sie vor gleichgültigen Gaffern
-bloßlegen sollte, was ihr das Heiligste und
-Liebste im Leben war. Und nicht mit der gewohnten
-leuchtenden Freude stand Gabriele
-diesmal vor ihrer Gabe, sondern trübe, in
-lautloser Ergebenheit und ganz stumpf gegen
-den Beifall, der sie von allen Seiten umrauschte.
-Langsam verschleierten sich ihre Augen;
-sie fühlte, daß sie eilen müsse, dem Getriebe
-zu entkommen, und mit einer Verbeugung gegen
-den Hausherrn suchte sie die Türe zu gewinnen.</p>
-
-<p>Aber schnell faßte der Ratsherr sie an der
-Hand und bat sie, zu verweilen und als sein
-Gast dem Feste, in das sie nun einmal geraten
-sei, ein Weilchen beizuwohnen. Auf Gabrielens
-erschrockene Abwehr hin mischten sich auch die
-würdigen Damen ein, und jede hatte ein liebes
-<a class="pagenum" id="page_024" title="24"> </a>
-Wort für das geängstigte Kind. Die Matrone,
-in deren Haus jene erste kleine Begegnung
-zwischen Gabrielen und dem Ratsherrn stattgefunden
-hatte, sprach besonders gütig zu ihr;
-sie berichtete der langsam Auftauenden, es
-wäre zwischen den Gästen bereits verabredet
-worden, Gabrielen zum Bleiben aufzufordern,
-falls sie, wie erwartet, mit ihrer Spitze erscheinen
-sollte; und da sei niemand so hochmütig,
-einer so braven und fleißigen kleinen
-Person den fröhlichen Abend zu mißgönnen.
-Sie möge nur bleiben und sich an allem Gebotenen
-gütlich tun und sich einmal recht ansehen,
-wie es bei den reichen Leuten zugehe.
-Wenn sie sich aber dabei auch ein bißchen freuen
-könne, so statte sie ihrem Gastgeber dadurch
-den allerliebsten Dank ab, denn ihm sei daran
-gelegen, ihr für die besonders tüchtige und
-geduldige Arbeit eine kleine Ehrung widerfahren
-zu lassen.</p>
-
-<p>Gabriele war sprachlos, aber der überglückliche
-Ausdruck ihres Gesichtchens antwortete
-deutlich genug, daß ihr der eigentümliche Extralohn,
-den der vornehme Mann ihr zugedacht,
-keineswegs zuwider war. Sie stammelte nur
-noch etwas Undeutliches von armseliger Gewandung
-<a class="pagenum" id="page_025" title="25"> </a>
-&ndash; aber der Ratsherr rief alsbald
-ein paar jüngere Frauen heran und bat sie,
-seinen kleinen Gast nach Möglichkeit zu
-schmücken.</p>
-
-<p>»Nach Möglichkeit, Bruder?« rief eine große
-blonde Frau von heiterem Wesen, »nach Möglichkeit
-ist mehr verlangt, als du von unseren
-Frauenherzen billig erwarten kannst! Denn
-sie würde uns alle ausstechen, wenn wir mehr
-als das Nötigste täten!« Gabriele wurde flammendrot
-und schlug die Augen zu Boden, weil
-sie dachte, man spotte ihrer. Aber als sie den
-Ratsherrn die wohlwollende Necklust der blonden
-Frau durch ein scharf verweisendes: »Laß
-die Torheiten!« bestrafen hörte, tat es ihr leid,
-und sie lächelte mit einer sanften Bitte um
-Verzeihung im Blick den Personen zu, die
-sich nun an ihr zu schaffen machten.</p>
-
-<p>Die Männer wurden von den munteren
-Frauen ins Vorgemach gewiesen, und alsbald
-sah Gabriele sich der Haube und des Busentuches
-beraubt. Während eine Hand ihr Haar
-löste, wieder flocht und durch funkelnde Spangen
-in ganz anderer, vornehmer Weise feststeckte,
-legte eine andere ihr die eben vollendete,
-köstliche Spitze um die Schultern. Es bedurfte
-<a class="pagenum" id="page_026" title="26"> </a>
-weiter nichts, um die kleine Klöpplerin in eine
-allen anderen durchaus ebenbürtige Erscheinung
-zu verwandeln; die artige Haltung ihrer
-feinen Figur und das schöne Maß ihrer Bewegungen
-taten das übrige.</p>
-
-<p>Als Gabriele vor dem Ratsherrn stand, entschuldigte
-sie sich zaghaft, daß man gewagt habe,
-ihr die kostbare Spitze umzulegen; er aber
-erwiderte freundlich, dies sei durchaus in seinem
-Sinne geschehen; an ihrem Leib sei ihm die
-Spitze so sicher, als läge sie in einem Reliquienschreine.
-Sie versicherte eifrig und beruhigt,
-sie wolle die Spitze fein hüten, und wandte
-sich nun der Unterhaltung zu, die das fröhliche
-jüngere Volk sich schaffte.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Es war tatsächlich ein Zufall gewesen, was
-Gabrielen in die hochansehnliche Gesellschaft
-geführt hatte. Als nämlich die kleine Künstlerin
-den nahen Ablieferungstermin für ihr
-Werk festgesetzt hatte, war dem Mann die
-Antwort entglitten: »Wohl, ich werde dich erwarten,
-da ich weiß, daß du deine Arbeit
-nur dem Besteller zu übergeben pflegst.« Eine
-Minute darauf war ihm das Fest eingefallen,
-das am gleichen Abend in seinem Hause stattfinden
-sollte: er fühlte, daß das liebe Mädchen
-<a class="pagenum" id="page_027" title="27"> </a>
-vor der geputzten Schar erschrecken würde,
-und daß der kleine Akt der Übergabe, der ihr
-sonst zum Ereignis zu werden pflegte, ihr durch
-Befangenheit und Scheu getrübt werden würde.
-Ihr &ndash; und ihm! Er hatte alles auf diesen
-Augenblick verschoben, er erwartete alles von
-ihm. Aber gerade in tiefem Vorgefühl einer
-bedeutungsvollen Wendung verwirrte und bedrückte
-ihn das unerwünschte Zusammentreffen
-aufs heftigste. Ihn bedrängte die Frage, die
-ein Unbefangener leicht gelöst hätte: unter welchem
-Vorwande er Gabrielens Kommen verschieben
-solle &ndash; bedrängte ihn heißer als manche
-schicksalsschwere Frage in Völkerhändeln. Es
-erschien ihm hart, ihr schlechtweg zu sagen:
-»Du kommst mir ungelegen, denn ich habe
-Gäste!« und es erschien ihm beleidigend und
-töricht, sie geradezu aufzufordern: »Komme,
-wenn ich allein bin!« So ging der Ratsherr
-an diesem Tage unentschlossen heim, und nachdem
-er eine unruhige Nacht voll nutzloser
-Grübeleien verbracht, verfiel er auf den Ausweg,
-seine alte Freundin, die auch Gabrielen
-wohlgesinnt war, um Rat zu fragen.</p>
-
-<p>Die würdige Frau fand gleich die natürlichste
-Lösung. Gabriele sei ein Wesen, dem man wohl
-<a class="pagenum" id="page_028" title="28"> </a>
-eine seltene Auszeichnung zuteil werden lassen
-dürfe. Sie sei klug genug, um die Sache zu
-würdigen, wie sie gemeint sei, und nicht Wünsche
-und Begierden in sich aufkommen zu lassen,
-die ihrem Stande nicht angemessen wären. Sie
-selbst wolle Gabrielen die Sache erklären.
-Jedermann sei Gabrielen gut und würde ihr
-die Ehre und Freude dieser Einladung gönnen.</p>
-
-<p>Das Gesicht des Ratsherrn, als er diesen
-Vorschlag anhörte, verriet der weisen Freundin,
-wie sehr sie das Richtige getroffen habe.
-Mit einem Lächeln voll feinen Verstehens
-reichte sie ihm die Hand.</p>
-
-<p>Den Ratsherrn hatte zuerst nur die edle
-Billigkeit des Gedankens gewonnen, und ihm
-gefiel die Vorurteilslosigkeit, mit der die vornehme
-Frau die Sache vorbrachte. Dann aber
-tauchte leise eine andre Vorstellung in ihm
-auf, bei der es ihm erst klar wurde, was er in
-Gabrielen sah. Daß die Geliebte in seinem
-Hause umhergehen sollte, daß er ihr seinen
-Reichtum und sein ganzes Ansehen gleichsam
-zu Füßen legen wollte, ja, daß am Ende gar
-die ungewöhnliche Stimmung des Vorganges
-das Wort lösen würde, das seit langem in
-seiner Seele schlummerte &ndash; diese Möglichkeiten
-<a class="pagenum" id="page_029" title="29"> </a>
-stiegen in schönen, triumphierenden Bildern
-langsam in der Seele des Mannes auf.
-Der Ratsherr sah dem Tage dieses Festes als
-dem entscheidendsten entgegen.</p>
-
-<p>Schöner, als er gehofft, erfüllten sich seine
-Erwartungen. Mit einem Anstand ohnegleichen
-bewegte sich Gabriele in dem vornehmen Hause;
-ohne im geringsten von ihrer Natürlichkeit abzuweichen,
-wußte sie Sprache und Benehmen
-so sehr dem gehaltenen Tone dieser Gesellschaft
-anzupassen, daß ein Uneingeweihter sie ohne
-Zweifel als dazugehörig eingeschätzt haben
-würde. Dazu verhalf ihr in erster Linie ihre
-Bescheidenheit, die sie mit einer Art religiöser
-Dankbarkeit über dies unverhoffte Glück erfüllte.
-Nicht nur der Ratsherr selbst, sondern
-auch jeder Gast des Hauses anerkannte erstaunt
-diese Vollkommenheit der Form. Was
-vorher gönnerhafte Herablassung war, wurde
-wirkliches Wohlwollen, und es verging wenig
-mehr als eine Stunde, so ward Gabrielen gehuldigt
-wie einer kleinen Königin.</p>
-
-<p>Es erschien sonderbar, daß die so unerwartet
-Gefeierte sich ihres Erfolges nur lau zu freuen
-schien. Bei den artigsten Worten, die verzückte
-Bewunderer ihr zuflüsterten, sah man sie mit
-<a class="pagenum" id="page_030" title="30"> </a>
-gespannter Aufmerksamkeit einem Gespräche
-lauschen, das zehn Schritte von ihr geführt
-wurde, und ihre Erwiderung bestand meist in
-einer Frage, die große Lernbegier, aber sehr
-geringes Verständnis der Situation des Augenblicks
-verriet. Einige der Schwärmer wurden
-von dieser augenscheinlichen Kälte abgeschreckt;
-andre um so tiefer angezogen; aber keiner verstand
-den Vorgang.</p>
-
-<p>Es verhielt sich mit Gabrielens Nachdenklichkeit
-etwas anders, als der liebende Mann
-sich vorstellte. Zu wiederholten Malen im Verlauf
-dieses Abends war es geschehen, daß Gabriele
-auf irgendeinen Gegenstand aufmerksam
-gemacht wurde, der zu besonderer Ehre und
-Zierde des vornehmen Hauses gehörte. Sie
-hörte auch von nichts anderem so oft und so
-eingehend sprechen, wie von dem Wert und
-der Schönheit eines Gemäldes, einer Schale,
-einer Figur, der Geschichte seines Erwerbes,
-der Art seiner Herstellung. Die kleine Gabriele,
-die sich bisher nur an dem zarten Kunstgedanken
-einer Spitze hatte berauschen können,
-bekam nun manches zu sehen, was ihr den
-Atem nahm: an Goldfiligran, Holzwerk, Glas
-und Silber, an Gewebtem und Gesticktem, an
-<a class="pagenum" id="page_031" title="31"> </a>
-Leder und Pergament, an Bildnissen in Farbe
-und Marmor, mehr als nach ihrer Ansicht der
-prunkvollste Dom aufzuweisen hatte. Und sie,
-die alles, was sie sah, in Beziehung zum wirklichen
-Leben bringen mußte, sie empfand wie
-einen Alp die Vielgestaltigkeit der Bedürfnisse.
-Sie verstand, daß diese Menschen mit anderen
-Sinnen empfanden als sie; daß das, was Gabriele
-bisher als Mittel zum Leben angesehen:
-Kleidung, Nahrung und Hausgerät, ihnen als
-Zweck des Lebens erschien. Und es erfaßte sie
-etwas wie Angst vor dem Aufwand an Zeit,
-den so ein Dasein verschlang, ohne etwas anderes
-davonzutragen als wachsende Fähigkeit
-des Verbrauches. Sie hatte sich einen Haushalt
-vorgestellt, wo sie durch Fleiß und Ordnungssinn
-eine nennenswerte Dienstleistung
-bieten konnte, und sie sah mit Schrecken, daß
-in diesem Betriebe der einzelne kaum zählte.
-Und ihr schöner Zukunftstraum zerfiel.</p>
-
-<p>Während der Mahlzeit, wo funkelnde
-Schüsseln sie blendeten, ging es ihr übel. Kaum
-daß noch zu erkennen war, was Fisch, was
-Vogel war. Und trotzdem sah keiner von den
-Gästen überrascht aus, ja, wenn Gabriele auf
-ihre Unterhaltung lauschte, so schien es ihr,
-<a class="pagenum" id="page_032" title="32"> </a>
-als wäre der oder jener nicht einmal sonderlich
-zufrieden. Gabriele war es, als müsse sie sich
-über diesen Undank kränken; wie viele Hände
-mochten an dem geschaffen haben, was da genußlos
-verbraucht wurde! »Sie wissen nicht,
-was Arbeit ist!« fuhr es ihr durch den Sinn,
-und ihr Gesichtchen ward kummervoll.</p>
-
-<p>Des Ratsherrn würdige Freundin versuchte
-auch, sobald das Mahl zu Ende war, mit mütterlicher
-List den Grund dieser unzeitigen Trauer
-zu ermitteln. Gabriele war zu schlicht für diplomatische
-Ränke; sobald sie nur erraten hatte,
-was ihre Beschützerin wollte, legte sie ihre
-ganze Seele vor sie hin. Sie habe oft, so erklärte
-sie, in ernsten Stunden darüber nachgedacht,
-was sie einmal beginnen würde, wenn
-ihre Augen, wie die so vieler Genossinnen, zum
-Klöppeln und Ausnähen zu schwach würden.
-Und wenn man Zukunftsgedanken spinne, so
-sei es natürlich, daß man das Erwünschteste
-zuerst in Betracht ziehe. Da habe sie denn geglaubt,
-nichts könne für eine arme Dirne schöner
-sein, denn als Magd in solch einem Hause zu
-dienen; sie habe auch den festen Glauben gehabt,
-sie könne backen, kochen, flicken und
-waschen so gut wie jede, und was sie noch nicht
-<a class="pagenum" id="page_033" title="33"> </a>
-könne, würde sie mit Geduld und Fleiß wohl
-noch gelernt haben. Aber o Jesus! wie seien
-ihr heute die Schuppen von den Augen gefallen!
-Kaum zur untersten Scheuermagd lange
-ihr Können.</p>
-
-<p>»So gering schätzest du dich ein, Gabriele?«
-erwiderte lächelnd die alte Dame. »Aber mir
-scheint, daß du immerhin als Scheuermagd
-beginnen könntest, denn du würdest es schnell
-genug bis zur Schaffnerin bringen. Du brauchst
-ein Ding nicht mehr als einmal zu sehen, um es
-zu begreifen.«</p>
-
-<p>Gabriele, in ihrer Eigenliebe geschmeichelt,
-lächelte ein wenig vor sich hin. »Es freut mich,
-daß Ihr das denkt,« sagte sie, »aber da ist noch
-ein andrer Grund, warum ich traurig bin.
-Meine zwei Hände wären in diesem Hause nur
-ein Paar unter zehn anderen Paaren, und so
-ist Dienen keine Freude! Der Herr würde es
-nicht merken, wenn morgen ein andrer die
-Arbeit täte, die heute <em class="ge">ich</em> getan habe, und das
-wäre Arbeit ohne Gotteslohn, nur um Geld.«
-Die Matrone ging, den Ratsherrn aufzusuchen,
-und berichtete ihm unter Lachen, was Gabriele
-ihr soeben gestanden habe. »Ich weiß ihr wohl
-eine Antwort,« sagte der Ratsherr, und sein
-<a class="pagenum" id="page_034" title="34"> </a>
-schönes Gesicht wurde flammend rot. Er ging,
-Gabrielen aufzusuchen, die nachdenklich noch
-immer an der Stelle stand, wo die alte Dame
-sie verlassen hatte, und da er mit Recht schloß,
-daß ihr Sinnen auch noch nicht wesentlich von
-seinem Gegenstande verrückt sein würde, so
-fing er geradezu an und sprach: »Gabriele,
-es gibt in diesem Hause eine Stelle, die so ist,
-wie du sie dir eben gewünscht hast.« Sie blickte
-erschrocken auf, wollte etwas sagen, verstummte
-aber vor dem strahlenden und eindringlichen
-Blick seiner Augen. Er fuhr fort: »Niemandem
-als mir sollst du verantwortlich sein für die
-Arbeit, die du tust, und da wo du stehst, kann
-keiner je stehen und dich ersetzen. Dem Gesinde
-sollst du gebieten, aber dennoch wirst du die
-letzte Magd sein, denn aller Arbeit muß in
-deinen Gedanken sein, und du sollst dich nicht
-frei fühlen, als bis alle ihre Arbeit getan
-haben. Würde dir ein solcher Dienst gefallen,
-Gabriele?« Dem Mädchen brauste es vor den
-Ohren. Sie versuchte, wie gegen einen Wirbelwind
-kämpfend, auf dem Boden stehenzubleiben,
-wo sie sich sicher fühlte, deshalb sagte sie
-leise und mühsam: »Herr, ein solcher Dienst
-würde mir wohl gefallen!« »Überlege es wohl,«
-<a class="pagenum" id="page_035" title="35"> </a>
-fuhr der Ratsherr fort, und seine Stimme
-zitterte ein wenig. »Es handelt sich um dein
-ganzes Selbst mit allen seinen Kräften. Du
-sollst geizig sein mit Weizenkörnern und freigebig
-mit Talern. Die Motte im Speicher soll
-dich ärgern, aber Krieg und Brand soll dich
-gefaßt und stark finden. Du sollst Magd sein
-unter Mägden und Edelfrau unter Edelfrauen.
-Du sollst jeden hören, für alle Rat haben, deine
-Zeit darf dir nicht zu kostbar sein, wenn es sich
-um eine Kunkel voll Flachs oder einen Korb
-Äpfel handelt; du mußt sechs Dinge zu gleicher
-Zeit vollbringen können, und du darfst nie
-so aussehen, als ob du Eile hättest. Ich frage
-noch einmal, würde ein solcher Dienst dir gefallen?«
-Gabriele vermochte nur zu nicken.
-Ihre Augen standen voll Tränen. »Dann frage
-ich dich also hiermit, Gabriele,« schloß der
-Ratsherr &ndash; er ergriff die Hand der Klöpplerin
-und küßte sie sehr inbrünstig &ndash; »dann frage
-ich dich also: willst du in diesem Hause als
-Hausfrau eintreten?« &ndash;&nbsp;&ndash; Die Antwort auf
-diese Frage ließ sehr lange auf sich warten.
-Sie erfolgte überhaupt nicht mehr an diesem
-denkwürdigen Abend, denn Schicksalswendungen,
-wie diese, finden nur langsam Eingang
-<a class="pagenum" id="page_036" title="36"> </a>
-in die Vorstellung einfacher Menschen, und
-Gabriele mußte erst eine lange, bange Nacht
-voll seliger und demütiger Gebete verbringen,
-ehe sie glauben konnte, daß sie recht gehört.
-Am andern Tage hielt der Ratsherr förmlich
-um Gabrielens Hand an und erhielt ein schluchzendes
-»Ja« zur Antwort. Dann erst begann
-er mit der Zartheit eines Gärtners, der eine
-Blume in fremdes Erdreich verpflanzt, die Betäubte
-in seiner Liebe und ihrem Glück heimisch
-werden zu lassen. Als er Gabrielen nach zwei
-Monaten zum Altar führte, war sie seiner Liebe
-gewiß und er der ihren.</p>
-
-<p>Wenn ich bisher ein guter Erzähler war:
-wenn es mir gelungen ist, das Charakterbild
-zweier Menschen klar zu überliefern, so müßte
-mein Leser jetzt imstande sein, nach einer einfachen
-logischen Gesetzmäßigkeit das Rechenexempel
-zu lösen, das sich aus dem Plus und
-Minus ihrer Eigenschaften ergibt. Das Resultat
-dieser Gleichung war ein Schicksal, ein
-kleines, stilles, das wenig Aufsehen machte;
-und doch ein Schicksal, das erzählt zu werden
-verdient, weil es vielleicht das Schicksal mancher
-Frau ist.</p>
-
-<p>Ich habe Gabriele geschildert als einen Menschen,
-<a class="pagenum" id="page_037" title="37"> </a>
-der zugleich bescheiden und seines Wertes
-bewußt ist. Also wird sie nicht in den Fehler
-verfallen sein, an dem Frauen, die durch Heirat
-emporgekommen sind, so leicht kranken! Sie
-wird nicht abgewogen haben, was ihrem Rang
-an Ehrungen zukam, sie wird nicht eifersüchtig
-gewacht haben, daß ihr nicht weniger geschähe
-als der Base, der Schwägerin, der Freundin.
-Sie wird das Gefühl, das ihr unmittelbar entgegenkam,
-ebenso erwidert haben, und wo es
-ausblieb, keinen Versuch gemacht haben, es
-zu erzwingen.</p>
-
-<p>Ich habe auch die Sippe des Ratsherrn als
-eine weitherzige und redlich gesinnte gekennzeichnet.
-Die treue Gesinnung der blonden
-Schwester des Ratsherrn und die offenkundige
-Gunst der vornehmsten Matrone der Stadt
-unterstützten Gabriele in jedem Falle, und das
-Ansehen des Gatten half vollenden, was die
-Anmut der jungen Frau etwa nicht allein zu
-bewirken vermocht hätte.</p>
-
-<p>Es war auch nicht das Verhältnis zu ihrer
-eigenen Familie, das einen Mißklang in Gabrielens
-Eheharmonie hätte tragen können.
-Fleißig, gesund und glücklich, wie diese einfachen
-Menschen waren, fühlten sie auch insgesamt
-<a class="pagenum" id="page_038" title="38"> </a>
-zu stolz, um irgendeinen unbilligen Vorteil
-aus der Heirat ihrer Schwester ziehen zu
-wollen. Wo der Ratsherr zu ihren Gunsten
-wirken konnte, tat er es gern, denn es war ein
-tüchtiges Geschlecht, das seiner Fürsprache Ehre
-machte. Sie hielten sich aber immer ein wenig
-abseits und riefen seine Hilfe nur da an, wo
-sie sagen konnten, daß Zusammenhalten im
-Nutzen beider Teile läge, zum Beispiel, wenn
-sie sich an irgendeiner öffentlichen Arbeit zu
-beteiligen wünschten, wo sie als Gegenwert
-die Wahrung der Gemeindevorteils hoch hielten,
-den der Handwerker sonst nicht gern anerkennt.</p>
-
-<p>Was endlich den Ratsherrn selbst betrifft,
-so ist er wohl als ein Mann zu schätzen, der
-sein Wort an einer Frau <em class="ge">ganz</em> erfüllt. Wie
-er sich durch den Unterschied zwischen seiner
-und Gabrielens Erziehung nicht hatte anfechten
-lassen, so wird er auch zu ihr gestanden sein,
-wo etwa dieser Unterschied sich fühlbar gemacht
-haben mag. Er wird ihre Unwissenheit vor anderen
-gedeckt, er wird ihren hellen, empfänglichen
-Geist gebildet haben. Und die Saat, die
-er in ihre weiche Seele legte, wird Blumen
-stillen Glücks für ihn und sie getragen haben.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_039" title="39"> </a>
-Und doch hatte diese Ehe ein Schicksal.</p>
-
-<p>Gabrielens Leben war zunächst ein Lernen
-auf jedem Gebiete. Sie war eine redliche Frau,
-die das, was sie war, auch bis zur Vollkommenheit
-sein wollte, und wenn sie denken mußte,
-sie habe es in irgendeinem Punkte an Willen
-oder Fähigkeit fehlen lassen, so grämte sie sich
-schwer. Sie ward in allen Punkten das, was
-der Ratsherr von ihr erwartet hatte, das Herz,
-der Fels, das lebendige Licht des Hauses,
-und sie ward es nach verhältnismäßig kurzer
-Zeit. Glaube nicht, daß das ein leichtes für
-sie gewesen sei! Gabriele hatte zunächst die
-Abneigung einer alteingesessenen Gesindeschar
-zu überwinden. Dann hatte sie die Arbeit nicht
-mehr nach der eigenen Klugheit allein, sondern
-nach Zeit, Willen und Fähigkeiten von einem
-Dutzend Untergebener einzuteilen. Gabriele
-mußte das Tagewerk jeder Magd und jedes
-Knechtes im Kopfe haben, und, wenn sie nicht
-Mißstimmung und ewig erneuten Widerstand
-erregen wollte, auch die persönlichen Eigenheiten
-jedes einzelnen. Sie mußte vorsichtig
-und gerecht sein in ihren Forderungen, denn
-verlangte sie zu viel, so riß Unzufriedenheit,
-verlangte sie zu wenig, so riß Unordnung und
-<a class="pagenum" id="page_040" title="40"> </a>
-Trägheit ein. Sie mußte ihren Leuten schlechte
-Laune und Krankheit ansehen, mußte ein scherzendes
-Wort gegen die eine, ein Heilmittel
-für die andere bereit halten, durfte sich nicht
-erst bitten lassen, sollte aber auch nicht zu rasch
-damit kommen und jedenfalls immer den Abstand
-wahren zwischen sich und jenen Übelgesinnten.
-Sie durfte sich von der Schaffnerin
-nicht mahnen lassen, daß die Birnen zum
-Mosten reif seien, vom Knecht nicht an das
-Schwefeln der Fässer, und sie mußte doch beiden
-den Ruhm gönnen, den Zeitpunkt der
-Arbeit selbst zu bestimmen. Sie mußte Jahreszeiten
-und Elemente verstehen lernen, wie die
-Launen ihres Gesindes. Bei jedem Brot, bei
-jedem Lichte, bei jeder Elle Leinwand, die sie
-aus Keller und Speicher holte, mußte sie wissen,
-wieviel noch vorhanden war, die Würste im
-Rauchfang und das Mus im Bottich, der
-Sirup, die Kienspäne und die kleinen Büschelchen
-Schachtelhalme zum Scheuern der Zinngefäße:
-alles mußte registriert sein in Gabrielens
-Köpfchen, und sie mußte merken lassen,
-daß es das war, und durfte doch den Anschein
-geizigen Nachzählens nicht haben.</p>
-
-<p>Doch war dies der bei weitem leichtere Teil
-<a class="pagenum" id="page_041" title="41"> </a>
-ihrer Aufgabe. Weit ernster und verantwortungsreicher
-erschien das Amt, das sie an ihrem
-Gatten zu üben hatte. Scherzen und kosen,
-wenn er zum Kosen bereit war, und beiseitestehen,
-wenn Wichtigeres ihn beschäftigte, ist
-nichts; das lernt jede Frau über Nacht. Aber
-der Ratsherr stand mitten im öffentlichen Leben,
-und jeder seiner Schritte hatte eine Bedeutung
-für viele, wurde getadelt oder gebilligt.
-Und Segen wie Fluch schlug zuerst an das Ohr
-seines Weibes. Da hatte Gabriele denn zu
-lernen, was sie verraten und was sie verschweigen
-mußte; was sie auf eigene Gefahr
-hin schlichten oder in rechtes Licht rücken durfte,
-und was sie still bei sich herumtragen mußte,
-um es im gegebenen Augenblick vorzubringen
-und zu befürworten. Sie hatte zu lernen, wo
-man horchen und wo man sich abwenden mußte;
-sie, die Arglose, mußte unterscheiden können
-zwischen Übelwollenden, Gleißnern, schwachen
-Gutwilligen und fest Erprobten; mußte wissen,
-wen der Ratsherr zu Recht oder Unrecht liebte,
-wen er verkannte, wen er fürchtete. Sie hatte
-auch zu lernen, wann sie selbst ein Anliegen
-vorbringen durfte, wann ein teilnahmsvolles
-Fragen von ihrer Seite erwartet ward, und
-<a class="pagenum" id="page_042" title="42"> </a>
-wann sie sich gedulden mußte, bis des Gatten
-Herz und Mund sich von selber auftat zu seiner
-Erleichterung. Sie mußte Wolken auf seiner
-Stirn sehen, die ihr bange machten, und durfte
-nicht fragen: »bin <em class="ge">ich</em> schuld?« und sie mußte
-Teilnahme und oft gar Rat in Dingen finden,
-die sie nur halb verstand.</p>
-
-<p>So war es zu jener Zeit, in welcher die
-Frauen das Wort »Bedeutung« noch nicht
-kannten und doch <em class="ge">alles bedeuteten</em> für
-den Kreis, in dem sie standen: da durfte jeder
-Brave all diese Dinge und noch viel mehr von
-seiner Frau verlangen. Es ist damals nicht
-leicht einem Manne eingefallen, Rücksicht auf
-die Anlage einer Frau zu nehmen, und noch viel
-weniger einer Frau, es zu beanspruchen. Ich
-glaube nicht, daß die Männer sich höher fühlten
-als heute; aber sie vertraten die eiserne Notwendigkeit
-des Lebens, den Kampf, die Ehre
-der Gemeinde, die Sicherheit des Vaterlandes.
-Und dieser Notwendigkeit allein ordneten die
-Frauen sich unter, waren ganz Beobachtung,
-ganz Anpassung, ganz Entsagung. So töricht
-waren wenige Frauen, daß sie <em class="ge">das</em> nicht begriffen
-hätten: des Mannes Arbeit konnte nur
-gesegnet sein, wenn die aufreibenden Nichtigkeiten
-<a class="pagenum" id="page_043" title="43"> </a>
-des täglichen Lebens ihm erspart blieben.
-Die Frau war noch nicht zur Krone der
-Schöpfung proklamiert, ach! aber sie war die
-unentbehrliche Lebenskraft des Einzelnen wie
-des Ganzen.</p>
-
-<p>Und so war auch Gabriele in ihrem kleinen
-Reiche. Ihr Gatte fühlte wohl, was sie ihm
-und dem Hause war. Hatte er sie vorher geliebt,
-so betete er sie jetzt an. Er schätzte ihren
-Rat; die leiseste Wolke der Mißbilligung auf
-ihrer klaren Stirn war ihm wie ein schwerer
-Tadel; eine Träne in ihren Augen machte die
-seinen hellsehend und milde. Er wußte, daß
-ihm nichts Unnützes, Eitles, Spielerisches von
-ihr kam; die Frau, der einst die eigene Arbeit
-heilig war, hielt wie eine Priesterin die Arbeit
-ihres Gatten hoch.</p>
-
-<p>Es kamen Kinder. Sie vermehrten Gabrielens
-Lasten, sie kürzten ihr den Schlaf.
-Sie brachten aber auch wieder liebliche Ruhestunden,
-in denen die Gatten, Hand in Hand
-sitzend, sich sorglos dem Anschauen ihrer Spiele
-hingaben. Und jetzt hätte beider Glück vollkommen
-sein müssen &ndash; wenn nicht in Gabrielen
-langsam, aber stetig um sich greifend, eine heimliche
-<a class="pagenum" id="page_044" title="44"> </a>
-und geheimnisvolle Krankheit am Werke
-gewesen wäre.</p>
-
-<p>Es war nicht die Krankheit des Körpers.
-Die ersten Zeichen stellten sich schon etwa zwei
-Jahre nach ihrer Vermählung ein und waren
-so subtil, daß sie kaum Gabrielen selbst zum
-Bewußtsein kamen. Nur eine flackernde Unruhe
-war's, etwas wie Unlust am Schaffen,
-etwas wie Sehnsucht, sich einem bestimmten
-Gedanken einmal ganz und ungestört hingeben
-zu können. Was für ein Gedanke das sein
-mochte, darüber nachzudenken fand Gabriele
-nicht Zeit noch Muße. Unaufhaltsam drängte
-das geschäftige Leben mit seinen tausend Forderungen.
-Aber während sie treu und emsig
-ihr Linnen maß, ihre Brote zählte, ihren Haspel
-füllte, ihre nähenden, spinnenden und kochenden
-Dienerinnen beriet, glitt es schemenhaft vor
-ihr her wie ein luftiges Etwas, das sie gerne
-festgehalten hätte und nicht greifen konnte. Wie
-ein ferner, süßer, vertrauter Ton, der leise,
-leise heranschwebte, und den der Lärm der
-Gegenwart verschlang. Wenn sie sich eine Viertelstunde
-Muße erhetzt hatte, siehe, dann war
-alles leer und tot in ihr, und sie fragte sich
-erstaunt, wozu sie nun so geeilt hatte. Meist
-<a class="pagenum" id="page_045" title="45"> </a>
-freilich kam es nicht zur ersehnten Ruhepause;
-meist, wenn sie mit dem letzten Griff ihres
-Tagewerkes das eiserne Gewand ewig gespannter
-Aufmerksamkeit glaubte hinwerfen zu können,
-kam ein Gast, ein Notleidender, eines ihrer
-Geschwister, ihr Gatte. Sagen, daß Gabriele
-sich nicht gefreut hätte, daß ihr Herz und ihre
-Arme sich nicht in Liebe dem Kommenden geöffnet
-hätten, wäre Wahnwitz; aber das geheimnisvolle
-Etwas, dem sie einen Schritt näher
-gewesen zu sein meinte, huschte wieder vor
-ihr her. Sie konnte nicht anders, als ihm nachblicken
-&ndash; nachsinnen &ndash; einen Augenblick wenigstens!
-Und ihr erster Gruß klang zerstreut.</p>
-
-<p>Selbstvorwürfe vollendeten, was die nagende
-Unruhe begonnen hatte: Gabrielens Äußeres
-zeigte die Spuren ihrer inneren Zerrissenheit.
-Ihr Auge haftete nicht mehr klar und freundlich
-im Auge des Gatten, es irrte suchend umher
-und senkte sich oft. Von ihrer Stirn wollte
-eine kleine böse Falte fast nie mehr weichen.
-Ihre Wangen verblaßten, ihr Körper magerte
-ab. Da bemerkte der Ratsherr die Veränderung,
-erschrak aufs tiefste und beschwor sie,
-ihm zu sagen, was ihr denn fehle.</p>
-
-<p>Gabrielen traten die Tränen in die Augen,
-<a class="pagenum" id="page_046" title="46"> </a>
-als sie ihn so ergriffen sah. Sie legte die
-Arme um seinen Hals, hob ihr Antlitz zu ihm
-auf und sagte ernsthaft: »Ich schwöre dir bei
-Gott, daß ich nicht weiß, was es ist. Wüßte
-ich es, ich würde es dir längst gesagt haben,
-würde längst auf Abhilfe gesonnen haben. Denn
-es ist mir, als brenne ein Feuer unter meinen
-Füßen, das mich dahin und dorthin treibt und
-mich keinen Bissen Brot in Ruhe essen läßt.
-Ich möchte glauben, daß ich behext bin.«</p>
-
-<p>»Gabriele,« flüsterte der Mann, indem er
-sie fester an sich zog, »Gabriele, bist du nicht
-glücklich?«</p>
-
-<p>»O Liebster,« rief sie weinend, »ich liebe
-dich wie an dem Tage, da Gott unsre Hände
-ineinanderfügte. Ich liebe dich noch tiefer,
-inniger. Jede Stunde meines Lebens war mir
-eine neue Offenbarung des seligsten Wunders.
-Du bist mir alles!«</p>
-
-<p>»Dann verstehe ich nicht, was dich grämt,«
-sagte der Ratsherr. Und nach einer Weile
-fragte er wieder: »Hast du Sorgen um die
-Kinder?«</p>
-
-<p>»Sie blühen wie die Rosen im Hag,« rief
-Gabriele, und ihr Gesicht leuchtete unter ihren
-<a class="pagenum" id="page_047" title="47"> </a>
-Tränen. »Täglich danke ich Gott, daß er mir
-solche Kinder geschenkt hat!«</p>
-
-<p>»Dann verstehe ich nicht, was dich anficht,«
-sagte der Ratsherr noch einmal. Er suchte hin
-und her in seiner Angst und verfiel auf dieses
-und jenes. »Hat dich irgendeiner meiner Sippe
-gekränkt? Ist von den Deinen jemand in Not
-oder krank? Sind die Knechte aufsässig oder
-die Mägde faul? Gehen Gerüchte über mich
-in der Stadt umher?«</p>
-
-<p>Da mußte Gabriele lächeln in all ihrer Bangigkeit.
-»Glaube mir, Lieber, wenn die Dinge,
-die du da genannt hast, imstande wären, so
-monatelang an meiner Ruhe zu nagen, dann
-müßte ich eine schlechte und törichte Frau sein.
-Ich wäre ehrlich zu dir gekommen, wenn ich
-in Sorge um die Meinen oder in Not mit
-dem Gesinde gewesen wäre. Deine Sippe ist
-voll Güte zu mir, und was die Neider im
-Lande betrifft, so weißt du, daß ich mir ihre
-Meinung nur zu Herzen nehme, wo ich weiß,
-daß du Nutzen draus ziehen kannst. Nein &ndash;
-das alles ist nicht, was mich quält.«</p>
-
-<p>»Vielleicht«, sagte der Ratsherr, »liegt zu
-vieles auf deinen Schultern. Du bist so gewissenhaft,
-<a class="pagenum" id="page_048" title="48"> </a>
-und ich sah noch nie, daß du dir
-Ruhe gönntest.«</p>
-
-<p>»Meine Schwestern arbeiten bis in die tiefe
-Nacht um ihr Brot,« rief Gabriele ein wenig
-erzürnt ob der Zumutung, »und ich soll das
-nicht leisten können, was nur Freude und Spiel
-für mich ist? Nie hat mich die Not getrieben,
-länger zu arbeiten, als ich es gerne tat; nie
-hat mir die Arbeit den Schlaf gekürzt. Es
-gibt Mütter, die mehr Kinder und weniger Gesinde
-haben. Ich würde mich schämen, das
-Wort Übermüdung nur zu nennen.«</p>
-
-<p>»Dann,« sagte der Ratsherr in tiefer Besorgnis,
-»dann sehe ich nur noch eines: dann
-bist du krank! Und das ist wohl das Schlimmste
-von allem. Denn es zwingt uns, Hilfe außer
-uns zu suchen.«</p>
-
-<p>Gabriele erschrak und wehrte sich lange, denn
-sie empfand, so unerfahren sie in ärztlichen
-Dingen auch sein mochte, dunkel die Gefahr
-der Irreleitung für den Arzt, dem sie keine
-Krankheit, nur einen unbeschreiblichen Seelenzustand
-vorführen konnte. Sie sah voraus, daß
-sie nutzlos mancherlei Qualen würde ertragen
-müssen, und sie fürchtete sich sehr. Denn in
-jener Zeit gingen Ärzte mit grausamen Mitteln
-<a class="pagenum" id="page_049" title="49"> </a>
-ihren Kranken zu Leibe, und alles, was wie
-Geistesverwirrung aussehen konnte, wurde mit
-Härte ausgetrieben, als ob man die rebellische
-Vernunft durch strenge Maßregeln hätte zwingen
-können. Gabriele bat daher ihren Gatten
-flehentlich, noch ein Weilchen zu warten, ob
-das Übel nicht etwa von selbst weichen wolle;
-und er, dem das Herz blutete bei dem Gedanken,
-die liebste Frau von den Händen fühlloser
-Quacksalber mißhandelt zu sehen, willigte
-nur zu gerne ein.</p>
-
-<p>Aber das kleine graue Schemen blieb da
-und rollte wie ein gespenstisches Garnknäuel,
-das sich hemmend und verwirrend in tausend
-listigen Schlingen abwickelt, vor Gabrielens
-Füßen her. Sie machte jede Anstrengung, deren
-ihr sonst so starker Wille fähig war, die sonderbare
-Verstimmung ihres Gemütes zu vergessen.
-Sie log eine gesteigerte Heiterkeit, sie suchte
-neue Zerstreuung, sie berauschte sich in Festen
-und schmückte sich, wie sie es vorher nie getan.
-Es waren traurig gewaltsame Versuche, die
-nach kurzer Zeit traurig endeten. Die quälende
-Unruhe in ihrem Innern brannte weiter und
-zehrte an ihr wie ein Fieber.</p>
-
-<p>Aber Gabriele lebte in einer Zeit, wo dem
-<a class="pagenum" id="page_050" title="50"> </a>
-Menschen die Fähigkeit der Reflexion, der
-Selbstbespiegelung in beschränkterem Maße verliehen
-war, als dies heute der Fall ist. Sogar
-die Sprache jener Zeit ist arm an Ausdrücken,
-die für solche inneren Zustände Maß und Wage
-geboten hätten. Und selbst gesetzt den Fall,
-es hätte ein Wissender Gabrielen die Augen
-öffnen können und ihr einen Einblick geben in
-das feine Uhrwerk der Natur, die in jedes
-Würzelchen den Trieb lichtsuchenden Schaffens,
-in jeden Nerv den Drang zur Tätigkeit gelegt
-hat, und die sich durch grimme Unregelmäßigkeit
-rächt, wenn irgendwo ein Kleinstes verkümmert
-&ndash; Gabriele würde ihm nicht geglaubt
-haben. Ein Dasein, das vor Not und Fährde
-geborgen war; ein Gatte, der sie liebte, und
-holde, blühende Kinder: sie würde jeden einen
-Frevler genannt haben, der mehr vom Schicksal
-gefordert hätte. Daß ein Organ in ihr
-krankte und siechte, sie ahnte es nicht.</p>
-
-<p>Eine böse und wirre Zeit begann für Gabriele.
-Denn endlich mußte sie doch in ihrer
-Hilflosigkeit den Rat des Arztes suchen, und,
-da natürlich der eine Rat nicht das Richtige
-traf, einen langen Leidensweg voll unnützer
-und schädlicher Versuche durchlaufen. Von den
-<a class="pagenum" id="page_051" title="51"> </a>
-Blutegeln und spanischen Fliegen, von den
-Pflastern, Salben, Tränklein, Bädern, Pillen
-und Aderlassen will ich erst gar nicht anfangen
-zu berichten. Gabriele hatte bei aller Zartheit
-einen gesunden Körper und trug keinen dauernden
-Schaden davon. Aber was ihr schadete
-und ihren Zustand verschlimmerte, war die anhaltend
-auf ihr Leiden gerichtete Aufmerksamkeit.
-Gabriele empfand es als höchst lästig,
-über viele Dinge Auskunft geben zu müssen,
-auf die sie bisher keinen Gedanken verwandt
-hatte; teils empörte sich ihre Keuschheit, teils
-ihr gesunder Verstand, der ihr die künstlich
-ausgedachten Zusammenhänge zwischen dem
-und jenem lächerlich erscheinen ließ. Und es
-bemächtigte sich ihrer ein Gefühl hilflosen Zornes,
-eine böse Ungläubigkeit, die bei jedem
-neuen Ratschlag sich in heftigen Launen äußerte
-und die ihr ganzes Wesen in Reizbarkeit und
-Unfreundlichkeit wandelte.</p>
-
-<p>Es mochten vier Jahre vergangen sein, seit
-diese Veränderung ihres ganzen Selbst in Gabrielen
-am Werk war. Auch für den Ratsherrn
-war dieser Weg ein Leidensweg gewesen.
-Er konnte sich nicht verhehlen, daß sie ihm
-<a class="pagenum" id="page_052" title="52"> </a>
-manches vorenthielt, worauf er durch süße Gewohnheit
-ein Recht zu haben glaubte. Nicht
-mehr in beschaulicher Betrachtung des Lebens
-konnten die Gatten Hand in Hand einherschreiten.
-Gabriele war auch hierin verändert,
-daß sie schwärzer sah als vorher, sich vor Aufregungen
-ängstigte, daß Mißerfolge sie schreckten,
-Unfreundlichkeiten sie kränkten. Auch mußte
-der Ratsherr so manches für sich behalten,
-was er sonst selbstverständlich auf ihre Schultern
-geladen hatte, weil er fürchtete, ihrer
-Schwäche neue Lasten aufzubürden. Freilich
-entging der Frau diese Änderung seiner Gewohnheiten
-nicht, und sie war klug genug, sie
-auf die richtigen Ursachen zurückzuführen. Und
-diese Erkenntnis ward eine Quelle der tiefsten
-Verzweiflung. Sie sah, daß <em class="ge">alles</em> auf dem
-Spiele stand, daß sie nur um einer unbegreiflichen
-Verstimmung willen, über die sie nicht
-Herr werden konnte, das Beste zu verlieren
-im Begriffe stand. In solchen Augenblicken
-schien es ihr, als müsse sie das Fürchterlichste
-auf sich nehmen, um nur die einstige Gesundheit
-wiederzugewinnen; sie unterwarf sich jeder
-Vorschrift der Ärzte, sie ward eine zahme, gewissenhafte
-Patientin &ndash; bis das Stadium der
-<a class="pagenum" id="page_053" title="53"> </a>
-Entmutigung, der Hoffnungslosigkeit, der Rebellion
-wieder eintrat.</p>
-
-<p>Und so wäre Gabriele mit der Zeit wohl
-dem Schicksal so mancher Frau verfallen, jener
-krankhaft gesteigerten Reizbarkeit und dem unfruchtbaren
-Getändel mit Heilmethoden aller
-Art. Und es wäre ja wohl auch ihr Eheglück
-schließlich dem unfaßbaren Verhängnis zum
-Opfer gefallen.</p>
-
-<p>Da kam Rettung in Gestalt jener treuen alten
-Freundin, die für Gabriele seit den ersten
-Tagen ihrer Ehe wie eine Mutter gefühlt hatte.
-Sie hatte die junge Frau in alle ihre Pflichten
-hineinwachsen sehen. Sie hatte, vielleicht wachsameren
-Auges als der Ratsherr selbst, die
-ersten Zeichen jener seltsamen Müdigkeit und
-Zerstreutheit beobachtet, die stets wachsende Hast
-und Unruhe, schließlich die unbezwingliche Übellaunigkeit.
-Auch sie gehörte zu den Menschen,
-die gern die nächste und einfachste Ursache der
-Dinge annehmen, und sie hatte sich ihren Vers
-gemacht, lange ehe die Ärzte mit ihren Versuchen
-begannen. Aber bedächtig, wie sie war,
-hielt sie mit ihrem Wissen zurück, ließ sich
-indessen gern von Gabrielen jede neue Erfahrung
-<a class="pagenum" id="page_054" title="54"> </a>
-und jede neue Behandlung erzählen,
-freute sich ihrer Nutzlosigkeit und gewann endlich
-Gabrielens Vertrauen zu einer erschöpfenden
-Beichte. Und als sie die phantastische Geschichte
-all dieser gestaltlosen Leiden, das wirre
-Bekenntnis der Willenlosigkeit und all die
-Befürchtungen und Reuequalen des armen
-Weibes vernommen hatte, da erwiderte sie
-nur mit der einfachen Frage, ob denn Gabriele
-nicht des Guten zu viel tue, wenn sie so rastlos
-tätig sei. Wie vorher ihrem Gatten, so antwortete
-Gabriele nun auch der Freundin mit
-Entrüstung, sie wisse nichts von Ermüdung.</p>
-
-<p>»Man kann auch am Genuß Schaden
-nehmen, wenn man zu viel tut,« erwiderte
-die weise Freundin. »Und du kannst nicht
-leugnen, daß dein Gesicht sich verdunkelt, wenn
-Gäste oder Hilfeheischende kommen. Ich sage
-dir, sogar gegen Mann und Kinder habe ich
-dich oft lässig gesehen, als ob ein heimlicher
-Gedanke in dir hämmerte, daß du unausgesetzt
-auf ihn horchen mußt. Ich habe auch ein großes
-Haus geführt, habe viele Kinder großgezogen
-und meinem Gatten manche Sorge ferngehalten.
-Es ist mir nie zu viel geworden, aber müde
-war ich oft, zum Sterben müde. Und dann,
-<a class="pagenum" id="page_055" title="55"> </a>
-dünkt mich, mag eine Stumpfheit, wie deine
-jetzt, auch mich besessen haben.«</p>
-
-<p>Sie redete lange auf Gabriele ein. »Wir
-sind ehrgeiziger, als wir scheinen mögen,« sagte
-sie unter anderem; »meinst du, ich weiß nicht,
-was es kostet, ein Haus so schmuck zu halten?
-Ich entsinne mich noch gut, was du sagtest, als
-du diesen Teufelskram von Weltwundern und
-Jahrmarktsseltenheiten, den die Mannsbilder
-so närrisch lieben, zum ersten Male sahst: nicht
-zur Scheuermagd hieltest du dich gut genug!
-Und jetzt sieh her, was du gelernt hast, was
-du leistest! Zähle die Schritte, die du vom
-Morgen bis zum Abend vom Brotspeicher im
-Dach bis zum Fischbecken im Keller tust! Das
-zehrt an deiner Kraft, mein Kind, und wenn
-du es auch nicht wahrhaben willst, dein Leiden
-ist nichts als Müdigkeit und Schwäche!«</p>
-
-<p>Das klang alles so einfach, daß Gabriele
-nicht zu widersprechen wagte; sie konnte nicht
-leugnen, daß jede neue Forderung an ihre Zeit
-sie mit einem Unlustgefühl erfüllte, das sie
-nur schwer bekämpfen konnte. Sie duldete es,
-daß die alte Dame den Ratsherrn und den
-vertrautesten Arzt des Hauses zur Stelle rufen
-ließ, und daß schließlich ein feierliches Konsilium
-<a class="pagenum" id="page_056" title="56"> </a>
-abgehalten wurde, wie man der eigensinnigen
-Gabriele, die von Ruhe nichts wissen
-wollte, wieder zu Kräften helfen könne. Der
-Arzt, der der Vernünftigen einer war, wußte
-Rat: »Wann schläft Euer jüngstes Kind?« fragte
-er die Patientin. »Zwei Stunden um die Mitte
-des Tages? Nun wohl, um diese Zeit seid
-Ihr entbehrlich, denn die größeren Kinder werden
-wohl bei einer Schaffnerin versorgt werden
-können. Ihr legt Euch also still zu dem Kleinen
-und schlaft, solange er schläft! Nehmt dies als
-eine Verschreibung und handelt gewissenhaft
-danach!«</p>
-
-<p>Gabriele empörte der Gedanke, daß sie um
-die Mitte des Tages schlafen solle wie eine
-Greisin; sie wandte auch gleich ein, daß sie
-gerade diese zwei Stunden, wo das Kind ihrer
-entraten könne, für mancherlei Hausgeschäfte
-dringend brauche. Aber der Arzt wiederholte
-seinen Befehl in strengem Tone, die Freundin
-bestürmte sie und der Gatte bat leise, mit dem
-alten Liebesblick in ihre Augen, um seiner
-Ruhe willen das kleine Opfer zu bringen. Da
-mußte sie nachgeben und versprach, das sonderbare
-Mittel eine Woche lang zu versuchen.</p>
-
-<p>Das erstemal, als Gabriele sich hinlegte, lag
-<a class="pagenum" id="page_057" title="57"> </a>
-sie mit weit starrenden Augen und dachte an
-alles, was jetzt im Hause vorgehen mochte ohne
-ihr Dabeisein. Sie lauschte auf jedes Geräusch,
-das gedämpft in ihr geschlossenes Gemach
-drang. Sie hörte die Haustüre fallen und
-wußte, daß jetzt die Bäuerin vom Gutshofe
-gekommen war, um Eier abzuliefern, und war
-ärgerlich, daß sie nicht dabei sein konnte, sie
-Stück um Stück durch die hohle Hand zu
-prüfen. Sie hörte gelle Schreie der Kinder und
-wußte nicht, ob sie Freude oder Schmerz bedeuteten.
-Sie wurde aufgeregter, erhob sich
-nach kaum einer Viertelstunde und eilte zu
-ihrem Gatten, um ihn zu bitten, sie von ihrem
-Versprechen zu entbinden. Diese Art von Ruhe
-sei keine Erholung, hundertmal wohler wäre
-ihr, wenn sie wüßte, was vorginge, und nachher
-nicht Fehler gutzumachen hätte, die während
-ihrer Abwesenheit begangen worden seien.</p>
-
-<p>Der Ratsherr sah erst etwas böse drein, indes
-ein Blick in das zuckende Gesicht seiner Frau
-machte ihn mitleidig. Er legte den Arm um
-ihre Schultern und führte sie sanft, aber stark
-in das Schlafzimmer zurück, indem er ihr voll
-Innigkeit und Liebe ins Gewissen redete.</p>
-
-<p>»Gabriele,« sagte er, »hast du die Zeit vergessen,
-<a class="pagenum" id="page_058" title="58"> </a>
-wo wir die glücklichsten Menschen auf
-Erden waren? Wo du heiter und weise warst,
-mein Sonnenschein und mein Vertrauter, mein
-Ratgeber, mein besseres Selbst? Das alles
-ist mir verloren, seit du krank bist; ich trage
-meine Sorgen allein mit mir herum und wage
-nicht, sie mit dir zu teilen. Und du willst nichts
-tun, um mir das Glück zurückzugewinnen? Was
-kann denn in diesen zwei Stunden Schlimmes
-im Hause vor sich gehen, was nicht mit Geld
-gutzumachen wäre? Und würde ich nicht alles
-Geld und Gut der Erde hingeben, um dich
-wieder gesund zu sehen? Komm, tu mir's zuliebe!
-Leg dich hierher neben das Kind! Sieh,
-wie süß es schläft!«</p>
-
-<p>Er drückte die Widerstrebende, aber schon
-halb Beschämte in die Kissen nieder, legte
-vorsichtig das schlafende Kind neben sie,
-nahm ihre Hand, ihren Zeigefinger und drückte
-ihn sacht in die Fläche des kleinen rosigen
-Pfötchens, das sich im Augenblick der Lageveränderung
-ein wenig geöffnet hatte. Augenblicklich
-schlossen sich die Fingerchen des Kindes
-um den vertrauten Gegenstand mit jenem
-festen, weichen Drucke, den Mütter wohl
-kennen. Gabriele mußte lächeln, so nah ihr
-<a class="pagenum" id="page_059" title="59"> </a>
-sonst die Tränen gewesen sein mochten. Sie
-ließ das Haupt mit einer Gebärde der Ergebung
-in die Kissen sinken, küßte ihres Gatten
-liebevolle Hand und schloß die Augen.</p>
-
-<p>Da sie aber wirklich nicht schläfrig war, öffnete
-sie sie bald wieder und lauschte weiter. Aber
-erstens durfte sie das schlafende Kind nicht
-wecken, das immer noch ihren Zeigefinger festhielt,
-und dann lagen ihr auch die weichen
-Worte ihres Gatten im Sinne, und sie dachte,
-daß sie es ihm schuldig sei, jedes Mittel der
-Heilung zu versuchen. Deshalb bezwang sie
-sich, lag still und betrachtete das liebliche Gesichtchen
-ihres schlummernden Kindes.</p>
-
-<p>Und wie sie sich so recht vertiefte in den Anblick,
-an dem eine Mutter sich nie satt sieht, da
-glitt unversehens ihr Blick über das Spitzenhäubchen
-hin, das des Kindes rosiges Köpfchen
-umschloß. Es war einem ihrer älteren Kinder
-von irgendeiner Pate geschenkt worden und
-mochte bei dem ersten besten Krämer gekauft
-sein, denn es war von unedler, alltäglicher
-Arbeit. Aber etwas in der Zeichnung der Spitze
-bannte Gabrielens Aufmerksamkeit »Wie
-hübsch ist dieses Muster,« dachte sie, »wenn
-das Ding nur besser gearbeitet wäre!« Sie
-<a class="pagenum" id="page_060" title="60"> </a>
-begann zu sinnen, ihre Phantasie heftete unvermerkt
-ihren silbernen Spinnwebfaden an dem
-kleinen Erlebnis an und spann und spann, bis
-ein schimmerndes Netz von feinen Kunstgedanken
-klar ausgearbeitet vor Gabrielens innerem
-Auge lag. Sie sah ein Gebilde von tausend
-geduldig geknoteten Schlingen, so zart, daß
-ein Blumenelf die Fingerchen gespitzt haben
-würde, um es anzufassen, so dicht, daß er keinen
-Blütenstaub damit hätte sieben können, und so
-fest und straff geädert wie ein Bienenflügel.
-Und als Gabrielens Auge dies sah, da fuhr
-es wie ein Feuer in ihre Hand. Es war ihr,
-als müsse sie aufspringen und sich an die Arbeit
-machen; Haussorgen und drängende Arbeit
-waren vergessen.</p>
-
-<p>Aber das Kind hielt sie fest. Das feine Händchen
-hatte solch eisernen Griff, daß Gabriele
-den umklammerten Zeigefinger kalt werden
-fühlte. So ergab sich denn die Mutter für
-dies eine Mal, arbeitete aber im stillen an
-ihrem Vorsatze weiter, in der ersten freien
-Minute mit der Ausführung der Spitze zu
-beginnen, und überlegte, wo sie ihre Geräte
-haben konnte. Und als endlich ein tiefer Atemzug
-neben ihr und das freiwillige Losspannen
-<a class="pagenum" id="page_061" title="61"> </a>
-der energischen kleinen Fingerchen ihr verriet,
-daß ihre Gefangenschaft zu Ende sei &ndash; da
-wunderte sich Gabriele ein wenig, wie rasch
-ihr diese zwei Stunden dahingegangen.</p>
-
-<p>Der Ratsherr war klug genug, nicht gleich
-am ersten Tage nach der Wirkung der Verordnung
-zu fragen. Er berührte mit keinem Wort
-Gabrielens Befinden, und sie war glücklich
-darüber, denn es wäre ihr schwer geworden,
-ihm zu sagen, daß sie nicht geschlafen habe.
-Einmal fiel ihr mitten in der Arbeit ihr Spitzenmuster
-ein. Sie sah es vor sich mit einer gespenstischen
-Deutlichkeit, weiß leuchtend wie
-Phosphor auf einem Grunde von schwärzester
-Nacht, die jeden andern Gegenstand im Zimmer
-verhüllte. »Noch habe ich es nicht vergessen,«
-dachte sie voll Freude. Dann seufzte sie leise
-und schüttelte sich. Das Erwachen kam, das
-Besinnen auf die tausend Notwendigkeiten des
-Tages, und ein mutloses Aufgeben: »Dazu
-komme ich ja doch nie!«</p>
-
-<p>Am andern Tage begleitete der Gatte sie
-wieder ins Schlafgemach, ließ aber auf ihre
-Bitte das Kind in der Wiege liegen. Ehe er
-das Zimmer verließ, flüsterte er von der Türe
-her noch einmal ein eindringliches »Mir zuliebe!«
-<a class="pagenum" id="page_062" title="62"> </a>
-zurück. Die Frau wurde flammend rot.
-»Ja, Liebster!« hauchte sie kaum hörbar. Sie
-lag einige Minuten und kämpfte mit sich, hätte
-gern getan, was sie für eine Pflicht hielt,
-brachte es aber nicht über sich. Sie sprang auf,
-verriegelte die Türe, huschte schuldbewußt
-ängstlich und auf jeden nahenden Tritt lauschend
-im Zimmer umher, bis sie ihre Siebensachen
-beisammen hatte, und saß bald über ihr
-Pergamentstreifchen gebeugt, den Klöppelbrief
-entwerfend.</p>
-
-<p>Sie arbeitete, daß ihre Wangen brannten.
-Die Zeichnung war fast fertig, als das Kleine
-erwachte. Als der Gatte sie später erblickte,
-streichelte er ihr lächelnd das Gesicht, in dem
-die Röte des inneren Feuers noch weiterglühte,
-und sagte mit glücklichem Ausdrucke: »Rotgeschlafen
-wie ein Kind!« Sie hätte vor Beschämung
-in den Boden sinken mögen &ndash; aber
-wie hätte sie die Wahrheit gestehen sollen?</p>
-
-<p>Den nächsten Tag betrat Gabriele ihr Gemach
-mit den Gefühlen einer Verbrecherin.
-Der Gatte verweilte einige Minuten, die ihr
-wie Stunden erschienen, lobte zärtlich ihre Fügsamkeit
-und Geduld und sah die Gebärde nicht,
-mit der sie sich abwandte. Kaum daß er sie
-<a class="pagenum" id="page_063" title="63"> </a>
-verlassen, sprang sie vom Lager, schon war das
-Klöppelkissen zur Stelle, und in wenigen Handgriffen
-alles zur Arbeit bereit. Nun saß sie,
-füllte ihre Spülchen, steckte ihre Nadeln und
-schrak erst beim hellen Aufschrei des erwachenden
-Kindes empor, mit einem leisen Ausdruck
-des Bedauerns im erregten Antlitz; sie hatte
-gehofft, an diesem Tage noch mit dem Klöppeln
-beginnen zu können.</p>
-
-<p>Von nun an freute sie sich den ganzen Morgen,
-was immer sonst ihre Hände auch schaffen
-mochten, auf die stille heimliche Klöppelstunde
-am Nachmittag. Die eichenen Türen hielten
-das kleine Geheimnis wohl verborgen. Was
-sie an Lärm aus Haushalt und Kinderstube
-etwa durchließen, das drang nicht an Gabrielens
-Ohr; das leise Rollen und Klappern
-der Spülchen, jener alte, süße, vertraute Elfentanzschritt,
-sie übertönten alles. Und jeden
-Tag erschrak sie ein wenig, wenn des Kindes
-Weckruf ertönte.</p>
-
-<p>Den Rest des Tages fühlte Gabriele sich
-leicht und frei. Daß sie eine heimliche Sünderin
-war, bedrängte sie fürs erste gar nicht,
-wenn sie auch ihrem Gatten gegenüber sich
-schuldig fühlte.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_064" title="64"> </a>
-Als die Woche um war, an die Gabriele
-sich mit ihrem ersten Versprechen gebunden
-hatte, wagte der Ratsherr eine Frage: ob sie
-denn schon eine Veränderung in ihrem Befinden
-bemerke? Gabriele erschrak heftig und
-wußte sich nicht anders zu helfen als mit einer
-Gegenfrage: ob <em class="ge">er</em> denn eine Veränderung
-in ihrem Gehaben bemerke? Der Ratsherr erwiderte:
-»Mich dünkt, du bist froher und gleichmäßiger,
-auch scheint mir, du hast wieder eine
-lachende Erwartung im Gesicht wie einst. Ich
-wage es aber noch nicht zu glauben!« Da antwortete
-die listige Frau: »So will ich noch
-eine Woche versuchen, es so zu machen, wie
-ich es diese letzte Woche gemacht habe.«</p>
-
-<p>Sie konnte sich indes nicht verhehlen, daß
-in der Tat eine Rückveränderung zu ihrem
-alten Selbst mit ihr vorging. Wenn sie sich den
-ganzen Morgen in der Tiefe ihres Herzens
-auf die kommende Stunde freute, so freute sie
-sich den ganzen Abend über das, was sie in
-dieser Stunde fertiggebracht hatte, und kam
-so einfach aus dem Freuen nicht heraus. Sie
-trug es mit sich herum wie eine liebliche Melodie,
-die einem auf Schritt und Tritt nachgeht.
-Ja, auch diese Empfindung mußte Gabriele
-<a class="pagenum" id="page_065" title="65"> </a>
-sich eingestehen: es glitt ihr nur so unter den
-Händen weg, was sie sonst mit Unlust getan
-hatte; wenn ihr sonst der Tag zu kurz geschienen
-hatte für alles, was er erheischte, so war er
-jetzt mit einem Male um vieles länger, seit
-die bewußten zwei Stunden daran fehlten. Es
-war ihr Klarheit gekommen über das Wesen
-ihrer Krankheit, als sie begriff, daß die gewohnte
-und geliebte Tätigkeit ihr bisher an
-ihrem Glück gefehlt habe. Und wenn sie sich
-auch verwunderte, wie es hatte sein können, daß
-eine solche Albernheit, wie sie es nannte, ihr
-fast das Leben zerstört hätte, so wußte sie doch,
-daß dem wirklich so war. Tief dankbar empfand
-sie, wie Ruhe und Frohsinn sich täglich mehr
-in ihr und um sie verbreiteten, wie ein sanftes
-Licht auf ihren ganzen Lebensweg fiel.</p>
-
-<p>Sie hätte gern das Wundersame und Unbegreifliche
-des ganzen Vorganges verstehen
-mögen, und es drängte sie oft, zu ihrem Gatten
-zu eilen und ihm ihr Gefühl zu äußern, ihn
-zu fragen, ob er eine Erklärung oder ein Beispiel
-dafür kenne. Es tat ihr weh, dies Unverstandene
-mit sich herumzutragen, ohne es mit
-ihm zu teilen, der es vielleicht verstanden hätte.
-Aber sie fürchtete zu sehr das Geständnis ihres
-<a class="pagenum" id="page_066" title="66"> </a>
-Betruges. Wenn sie bedachte, mit welch rührender
-Treue er immer dafür gesorgt hatte, daß
-in jenen ihrer Ruhe geweihten zwei Stunden
-kein Schritt ihrer Türe sich nahe, so fand sie
-es unmöglich, ihm zu sagen, daß diese Sorgfalt
-verschwendet, seine liebende Aufmerksamkeit
-mißbraucht worden war. »Wenn er hört,
-daß ich ihn monatelang betrogen habe,« so
-dachte Gabriele oft mit leisem Kummer, »so
-wird seine Liebe zu mir verlöschen. Er ist die
-Wahrhaftigkeit selbst!« Und sie schwur sich zu,
-daß er nie um das Geheimnis wissen sollte.</p>
-
-<p>Der Ratsherr küßte seiner alten Freundin
-die Hände und nannte sie gerührt die gütige
-Vorsehung seines Lebens. Die gute Matrone
-freute sich des Erfolges, den ihre einfache Verordnung
-gehabt, und Gabriele, wenn sie es
-hörte, lächelte beklommen und dachte bei sich:
-»Auch diese darf nie erfahren, daß ihr Rat
-unbefolgt geblieben ist. Wie würde sie sich
-kränken!« Und ebenso schwieg sie dem Arzte
-gegenüber, mit weiblicher Feinheit daran bedacht,
-ihm das Gefühl der Lächerlichkeit zu
-ersparen.</p>
-
-<p>Je weiter die Arbeit fortschritt, je köstlicher
-und reicher die zarte Kunstfertigkeit der neugeübten
-<a class="pagenum" id="page_067" title="67"> </a>
-Finger sich kundtat, desto stiller und
-seliger wurde Gabriele. Alles Irdische erschien
-ihr klein. Denn wahre schöpferische Kunstliebe
-ist nicht anders als wahrer Gottesglaube, sie
-leiht der Seele schöne lichte Flügel, mit denen
-sie über die Erde schwebt.</p>
-
-<p>Zwei Stunden täglich sind eine knappe Zeit,
-um ein großes und allerfeinstes Werk zu Ende
-zu führen, und Gabriele arbeitete weit über
-ein Jahr an ihrer Spitze. Es kamen natürlich
-auch Wochen der Unterbrechung, sei es, daß
-ein Kind erkrankt war, sei es, daß unruhige
-Zeiten in Stadt und Land jede Ordnung auflösten.
-Dann unterwarf sich Gabriele ohne einen
-Schatten von Verstimmung der Entbehrung.</p>
-
-<p>Endlich war das Werk vollendet. Und wie
-es nun so dalag, die feste und zarte Gestaltung
-des schönen Traumbildes, da ging die Freude,
-die Gabrielens ganzes Wesen verklärt hatte,
-in einen Sturm neuer Empfindungen auf. Mit
-einem heftigen Erschrecken kam es Gabrielen
-zum Bewußtsein, daß es jetzt um ihr Geheimnis
-geschehen sei: diese Arbeit ließ sich nicht
-verbergen! Wie ein Hammer pochte die Angst
-vor dem schmählichen Geständnis einer monatelang
-durchgeführten Unredlichkeit in Gabrielens
-<a class="pagenum" id="page_068" title="68"> </a>
-Herzen; aber Schlag um Schlag traf einen
-Gegenschlag. Wie Gabriele als Mädchen gelechzt
-hatte nach dem verstehenden Worte, das
-ihrer Arbeit die Krone aufsetze, so brannte sie
-jetzt töricht und wild auf eine Möglichkeit der
-Verwendung ihres Geschaffenen. Sie versuchte
-die Spitze zu vergessen, aber es war ihr, als
-habe sie ein Kind lebendig begraben. Sie haderte
-mit ihrer Natur, die sie erst zu Heimlichkeiten
-trieb und dann zum Geständnis
-zwang; sie begriff nicht, welche Dämonen in
-ihr tätig sein konnten, hielt sich vor, daß ihr
-Lebensglück auf dem Spiel stehe, und gewann
-es über sich, vierundzwanzig Stunden nicht
-an die Spitze zu denken. Dann kam der Augenblick
-der Mittagsruhe, des Alleinseins &ndash; und
-da saß sie, hielt die Spitze in der Hand, saugte
-sich mit Blick und Geist ordentlich in jede
-Masche fest und fühlte, daß die Arbeit nicht
-fertig sei, solange sie hier in der Verborgenheit
-begraben liege. Und nach einigen Tagen
-aufreibenden Kampfes gab Gabriele ihn auf
-und sann nun nur noch auf die erträglichste
-Form, ihr Schuldgeständnis darzulegen.</p>
-
-<p>Sie holte aus einem Schrank, der Abgelegtes
-und Ungebrauchtes barg, das Kleid hervor,
-<a class="pagenum" id="page_069" title="69"> </a>
-das sie in den letzten Jahren ihrer Mädchenzeit
-getragen, das Kleid, in dem sie ihre Liebe und
-ihr Glück gefunden, das schlichte, dünne, ärmliche
-braune Kleid mit dem zierlichen Halstuch
-und dem reinlich gefältelten Häubchen. Sie
-hatte es nie übers Herz gebracht, sich von diesem
-Kleide zu trennen, hatte es oft mit heimlicher
-Rührung betrachtet, es sauber gehalten und vor
-dem Verfall bewahrt. Jetzt probierte sie es an
-und änderte flugs mit geschickten, leichten
-Stichen Sitz und Weite. Sie lachte ein bißchen,
-als sie es anzog, und freute sich, daß sie ihrem
-früheren Selbst darinnen gar nicht so unähnlich
-sah, wie man es nach sechsjähriger Ehe hätte
-meinen sollen. Ein schwarzer Sammetfleck fand
-sich auch, den spannte sie fein über ein Kissen,
-nadelte ihre Spitze recht anschaulich und kokett
-darauf und betrat, so gerüstet, ihres Mannes
-Zimmer.</p>
-
-<p>An der Türe packte sie noch einmal die Angst,
-daß sie fast wieder umgekehrt wäre. Sie wagte
-kaum, einen Fuß vor den anderen zu setzen;
-es schien ihr, als müsse der Boden vor ihr
-nachgeben und sie hinuntergleiten lassen in
-höllische Schlünde. Und so, in ihrer Zaghaftigkeit,
-mit den gesenkten Wimpern und den von
-<a class="pagenum" id="page_070" title="70"> </a>
-brennender Scham geröteten Wangen, glich sie
-so sehr der demütigen kleinen Arbeiterin von
-einst, daß dem Ratsherrn, der zuerst mit ungeduldigem
-Staunen auf die Verkleidung geblickt
-hatte, das Herz weit wurde. »Gabriele,«
-rief er zwischen Rührung und Lachen, »was
-soll diese Schelmerei? Willst du mir damit
-sagen, daß ich meine alte Gabriele wiederhabe,
-die ich mir aus dem Winkelgäßchen geholt?«
-Sie aber antwortete nicht, sondern kam langsam
-auf ihn zu, ohne ihn anzusehen und immer das
-Kissen mit der Spitze ein wenig vor sich herstreckend,
-als solle das Kunstwerk ihr Fürbitter
-sein. So mußte der Ratsherr es ins Auge
-fassen, und als er es tat, stutzte er und erkannte
-sofort, daß es eine neue und selten schöne Arbeit
-war; zugleich aber mußte er auch den verworrenen
-und gequälten Ausdruck im Gesichte seiner
-Frau bemerken, und es dämmerte ihm, daß
-da ein Geheimnis sich enthüllen sollte. »Hast
-du diese Spitze gemacht, Gabriele?« fragte er
-sanft. »Du große Künstlerin, es ist deine
-schönste! Aber wann und wo hast du diese
-Riesenarbeit schaffen können?«</p>
-
-<p>Gabriele rang eine Weile mit ihrer erstickenden
-Angst, dann brachte sie fast tonlos die
-<a class="pagenum" id="page_071" title="71"> </a>
-Antwort hervor: »In den zwei Stunden, in
-denen ihr alle dachtet, daß ich schliefe!« Dann
-legte sie ihr Kissen auf den nächsten Tisch,
-bedeckte das Gesicht mit den Händen und begann
-zu weinen. Sie dachte: jetzt kommt der
-Wetterstrahl, der all dein Glück zerschlägt!</p>
-
-<p>Aber der Ratsherr stand selber da, wie vom
-Wetter getroffen. Ein so schneller, klarer Denker
-er auch sein mochte &ndash; <em class="ge">diese</em> Offenbarung
-nach allem Vorhergegangenen verwirrte ihn.
-Daß Gabriele an der Überlast eines großen
-Haushaltes, einer stets belebten Kinderstube
-und vielen neuen Kenntnissen, in die sie erst
-hineinwachsen mußte, erkrankt war, hatte er begriffen;
-daß ein täglicher, regelmäßiger Schlaf
-sie geheilt, war natürlich. Aber jetzt&nbsp;&ndash;? Da
-sie nicht geschlafen hatte und doch geheilt war,
-stand das Rätsel ihrer früheren Krankheit wieder
-ungelöst da, vermehrt um ein neues, noch
-verwirrenderes! Es bedurfte der ganzen weiblich-schönen
-Herzensgüte und auch der ganzen
-Selbstbeherrschung des Mannes, um hier nicht,
-was er für eine äußerst verworrene und dunkle
-Sache hielt, durch ein hartes Wort für immer
-um seine Aufklärung zu bringen. Er wagte
-fürs erste überhaupt nicht zu sprechen, sondern
-<a class="pagenum" id="page_072" title="72"> </a>
-betrachtete nur immer mit neuem Staunen die
-wunderbare Spitze. Aber die Frau, als sie
-nach einer langen Weile es endlich wagte, zu
-ihm aufzublicken, konnte unschwer erkennen, daß
-er keineswegs zürnte, sondern bloß sehr angestrengt
-nachdachte. Da trat sie an ihn heran,
-legte leise die Hand auf seinen Arm und
-flüsterte: »Ich glaube es wohl, daß ich dir
-verrückt erscheinen muß!«</p>
-
-<p>Er nahm ihre Hand und sagte lächelnd:
-»Ich will nicht leugnen, daß ich dich nicht ganz
-begreife. Wie kamst du darauf, eine solche Arbeit
-zu beginnen, da du doch sonst genug zu tragen
-hattest?« Da erzählte ihm Gabriele, so gut
-sie es eben verstand, von der zwingenden Lust,
-die sie dazu getrieben, und wie sie mit schlechtem
-Gewissen, aber doch mit Seligkeit an dem Werke
-geschafft hätte und es nicht hätte lassen können.
-Sie beschrieb auch ein wenig, wie ihr jede
-Arbeit verklärt und verschönt erschienen sei
-im Freudenschimmer eines schöpferischen Siegbewußtseins,
-und auch von ihrer Angst erzählte
-sie und wie sie schließlich gegen ihren Willen,
-gleichsam durch die Macht ihres Geschaffenen
-selbst zum Bekenntnis gezwungen worden sei.
-Es war alles ein wenig verworren und unzusammenhängend,
-<a class="pagenum" id="page_073" title="73"> </a>
-denn es war das erste- und
-wohl auch das letztemal im Leben, daß Gabriele
-über sich selbst zu sprechen hatte, und es fiel
-ihr gewaltig schwer. Aber der Ratsherr schien
-doch etwas davon zu verstehen, wenigstens ging
-es wie Wechselspiel von allerlei Lichtern über
-sein Gesicht. Dann fragte er sehr ernst und
-sehr eindringlich: »Nun sage mir eines, Gabriele,
-was mir wichtiger zu wissen ist als alles
-übrige: bist du mir nun tatsächlich genesen,
-oder ist das nur ein frommer Betrug vor dir
-selbst, der deinen Ungehorsam rechtfertigen
-sollte, und fühlst du dich am Ende noch kränker,
-als du es zeigen willst?«</p>
-
-<p>Da mußte Gabriele lachen in all ihrer Bangigkeit.
-»Siehst du mir das nicht an, Liebster?
-Mußt du nicht glauben, daß das Rot meiner
-Wangen echt ist, da es diesen Tränen widerstanden
-hat?«</p>
-
-<p>»Man sollte es meinen,« sagte er mit humorvoller
-Grimmigkeit. »Aber ihr Weiber würdet
-den Teufel zum Narren machen mit eurer
-Verschlagenheit.« Dann nahm er sein Weib
-in den Arm, liebkoste es innig und fuhr fort:
-»Es war gut, daß du dieses Kleid angezogen
-hast, du Dreimalkluge! Denn dieses Kleid hat
-<a class="pagenum" id="page_074" title="74"> </a>
-mir die Augen geöffnet, wer du eigentlich bist,
-und jetzt weiß ich auch, woran du erkrankt warst
-und wodurch du genesen bist. Nun sollst du
-mir auch nicht mehr darben.« Und er küßte
-sie nur noch herzlicher, so daß sie beglückt seine
-Güte und sein volles Verstehen empfand.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Der Ratsherr hielt Wort. Wie er mit eiserner
-Strenge dafür zu sorgen gewußt hatte, daß
-inmitten all der unberechenbaren Zufälligkeiten
-eines großen Haushaltes der Schlaf seines
-Weibes nie ohne zwingende Not gestört wurde,
-so sorgte er jetzt dafür, daß Gabriele die einmal
-eingeführte Ruhestunde festhielt und sich ganz
-ihrer stillen Lust darin ergab. Gabriele selbst
-hatte sich anfangs dagegen gewehrt, aber die
-einmal aufgedämmerte Erkenntnis brach von
-Tag zu Tag zu neuer Klarheit durch, und bald
-war Gabriele dem Gatten dankbar. Und weder
-er selbst, noch der Haushalt, noch Kinder, noch
-Gäste kamen zu kurz durch diese Erweiterung
-von Gabrielens Tätigkeit. Wie ein Gebet oder
-ein frommes altes Lied labte und reinigte diese
-Stunde ihre Seele, stärkte sie zu neuem Lebenskampfe,
-machte sie hellsehend und gütig. Alles
-Schwere, was an sie herantrat &ndash; und es wurde
-dessen mehr, wie die Kinder heranwuchsen und
-<a class="pagenum" id="page_075" title="75"> </a>
-eigene Wege suchten &ndash; löste sich in sanfte Harmonie,
-sobald der leise Tanzschritt der Klöppelelfen
-erklang. Die guten Gedanken tauchten
-aus den lichten Gebilden empor, die Gabrielens
-Hand entwarf: nicht einzeln kamen sie, sondern
-in langen freundlichen Reihen, und sie umschlossen
-Gabrielens ganzes Leben und ihr
-ganzes Haus.</p>
-
-
-
-
-<h2><a class="pagenum" id="page_077" title="77"> </a>
-Die Tugend der Sabine Ricchiari</h2>
-
-
-<h3><a class="pagenum" id="page_079" title="79"> </a>
-1.</h3>
-
-<p>Ich war, als ich Sabine Ricchiari verstehen
-lernte &ndash; <em class="ge">gekannt</em> hatte ich sie schon seit zehn
-oder zwölf Jahren! &ndash; Seelsorger in einer
-kleinen süddeutschen Stadt, hatte die Fünfzig
-überschritten und war also in eine Lebensperiode
-getreten, wo man keinen mehr um seiner
-Sünde willen haßt, keinen um seiner Tugend
-willen preist, sondern alle liebt, weil man alle
-bedauert. Ist man einmal so weit, so fliegt
-einem das Vertrauen von selbst entgegen, man
-darf dann nur den scheuen Vogel nicht durch
-eine hastige Bewegung schrecken. Ich hörte
-manche Lebensgeschichte, dazu bedurfte ich keines
-Beichtstuhles. Über die nun folgende habe
-ich heißer gegrübelt als über sonst eine.</p>
-
-<p>Sabine Ricchiari brachte durch ihre Erscheinung
-schon Aufruhr in unsere kleine Stadt.
-Sie war die Gattin eines Arztes, dessen Familie
-aus dem Veltlin stammte, die aber, seit
-mehreren Generationen in Deutschland ansässig,
-jede Erbschaft ihrer stolzen Abkunft verloren
-hatte, bis auf den klingenden Namen. Dessen
-gegenwärtiger Träger nun war ein so bescheidener,
-<a class="pagenum" id="page_080" title="80"> </a>
-schlicht und nüchtern aussehender Mann,
-daß auch dieses karge Erbe an ihm noch wie
-Verschwendung erschien; denn der schöne Name
-wollte zu dem unscheinbaren Wesen übel passen.
-Er lebte einige Jahre in einer größeren Stadt,
-lernte dort Sabine kennen und führte sie uns
-zu, als er eine neue Praxis unter uns eröffnete.
-Nun, da ich die Frau erblickte, freute
-ich mich, und zwar um ihretwillen, daß der
-Mann nicht Schulze hieß. Denn Sabine saß
-der Name wie angeschaffen; sie trug das trompetenhelle
-Wort vor sich her, wie eine kriegerische
-Jungfrau eine silberne Tuba trägt; und
-wenn man ihre hohe Schönheit betrachtete, so
-genoß man es doppelt, daß man dies seltsame
-und bedeutende Geschöpf nicht mit einem gewöhnlichen
-oder gar übellautenden Worte benennen
-mußte.</p>
-
-<p>Durch die engen und gewundenen Gassen
-unseres Städtchens, in denen damals noch
-Handwerker- und Markttreiben sich stieß und
-drängte wie vor hundert Jahren, war noch
-nicht zweimal Sabine Ricchiaris hohe Gestalt
-gewandelt, als schon Neugier und Tadelsucht
-sich an ihre Fersen hefteten. Der stille stolze
-Gang, womit sie die übelgepflasterten und bergigen
-<a class="pagenum" id="page_081" title="81"> </a>
-Gäßchen beschritt, als wären es Treppen
-einer Königshalle und mit den weichsten Purpurteppichen
-belegt; der freie, klare Blick, den
-sie die Häuserreihen hinabgleiten ließ bis an
-das altersgraue Stadttor, über welches Berg
-und Himmel hold hereinlugten; die kecke Haltung
-des wohlgeformten Hauptes; nicht zuletzt
-auch das helle Kleid, das alles Licht der Sonne,
-welches die graue Umgebung so mürrisch hinweg
-wies, in sich allein gesammelt zu haben
-schien &ndash; ja, der Klang ihrer zuversichtlichen,
-frischen und lauten Stimme selbst irritierte dies
-trippelnde, kichernde, hustende und knicksende
-Geschlecht bis zum Haß. Sabine wirkte verfassungstörend.
-Die Frau mit den Großstadtsitten
-machte die Kleinstadtgehirne toll. Alles
-Überkommene drohte zu stürzen. Frauen, die
-dreißig Jahre lang unangefochten und sorglos
-den Pantoffel geschwungen hatten, wurden
-plötzlich eifersüchtig und &ndash; aus Eifersucht &ndash;
-zahm; Männer, die dreißig Jahre lang geduldig
-ihr Joch getragen hatten, wurden plötzlich
-rebellisch. Putzmacherinnen wurden erfinderisch
-und phantasiekühn. Ladendiener und
-Schreiberlein salbten ihr Haar und trugen Nelken
-im Knopfloch. Offiziere a.&nbsp;D., die längst
-<a class="pagenum" id="page_082" title="82"> </a>
-in Biertischgemütlichkeit versunken waren, hielten
-plötzlich wieder auf Taille, und Referendare
-wurden stumpf gegen die Reize zierlicher Krawattenverkäuferinnen.
-Und weil Sabinens
-Schönheit es war, die also demoralisierend
-wirkte, so wurde mit promptem Schlusse die
-Schönheit selbst für unmoralisch erklärt, so
-wurde, wie auch sonst wohl geschieht, das Unnachahmliche
-und Unerreichbare als nicht nachahmenswert
-beiseitegeschoben. Sabine war ein
-Jahr lang oder zwei höchst unpopulär. Dennoch
-war sie Gegenstand der Gespräche in Gasse
-und Kemenate: denn männiglich wartete auf
-den Augenblick, wo die lästerlich schöne Fremde
-zu Fall kommen würde, und sieben- bis achthundert
-Paar Nächstenaugen paßten haßgeschärft
-auf die Vorzeichen eines solchen Falles.
-Aber sie paßten umsonst. Klar wie ein Wiesenbach
-floß Sabinens schlichtes Leben dahin.
-Stets an der Seite ihres Gatten, immer im
-Kreise ihrer Kinder, sah man sie laute Vergnügungen
-meiden und keinen anderen Umgang
-pflegen, als den so tugendhafter Frauen,
-wie nur kleine Städte sie aufweisen können.
-Die Huldigungen der Männer wies sie lächelnd,
-aber nachdrucksvoll in solche Grenzen, daß auch
-<a class="pagenum" id="page_083" title="83"> </a>
-die bitterste Eifersucht ihr keinen Vorwurf allzuschneller
-Geneigtheit machen konnte. Erregte
-sie Aufmerksamkeit durch Gewandung und Erscheinung,
-so schien es doch, als beabsichtige
-sie nur, diese Aufmerksamkeit, einmal gefesselt,
-auf ihr musterhaftes Betragen zu ziehen: man
-sollte sie sehen, um zu sehen, daß es nichts zu
-sehen gäbe. Keine kokette Gebärde, kein noch
-so leises Augenspiel war ihr nachzusagen. Dazu
-war ihr Haushalt tadellos geführt mit geringen
-Mitteln; ihre Kinder blühten. Gegen Arme
-war sie äußerst freigebig, sonst jedoch sparsam,
-wenn auch stets auf vornehmes Auftreten bedacht.
-Und kurz und gut: Sabine Ricchiari
-erwies sich als ein solcher Ausbund trefflicher
-weiblicher Eigenschaften, daß langsam die neidischen
-Gemüter ihrer Mitbürger und Mitbürgerinnen
-sich wandten, zur Duldung erst,
-dann zur Achtung, schließlich aber zu grenzenloser
-und unbedingter Bewunderung. Im
-dritten Jahre ihres Aufenthaltes war Sabine
-der Liebling unseres Städtchens, wie sie in
-ihrer Heimat der Stolz des Kreises gewesen
-war, in welchem sie sich bewegt hatte. Man
-sprach von ihrer Tugend als von etwas Heiligem,
-von ihrer Treue gegen den wenig bestechenden
-<a class="pagenum" id="page_084" title="84"> </a>
-und meist mürrischen Gatten als
-von einem Wunder. Um diese Zeit geschah
-es nun, daß eine zufällige Gesprächswendung
-mich darauf führte, Sabinen in Gegenwart
-ihres Gatten von dieser verblüffenden Wandlung
-der öffentlichen Meinung zu reden und
-ein kleines und &ndash; wie ich glaubte &ndash; wohlverdientes
-Kompliment daran zu knüpfen. Alsobald
-erschrak ich jedoch über die Miene des Doktors,
-die sich noch mehr als gewöhnlich verfinsterte.
-Von ihm hinweg zu Sabinen mich wendend,
-erstaunte ich noch mehr über den Ausdruck
-höchsten Triumphes in ihren Zügen. Mitten
-im Zimmer stehend, von der Lampe über ihrem
-Haupte in einen Mantel von Licht gehüllt,
-strahlte ihr hochgehobenes Antlitz wie das einer
-Fürstin, der man eben eine Krone zu Füßen
-gelegt hätte. Arglos wie ich war, verwunderte
-ich mich nur darüber, daß eine so kluge Frau
-so hohen Wert auf das Urteil der Menge legen
-mochte, denn offenbar war sie über die Maßen
-geschmeichelt und erfreut. Indes mochte ich
-ihr diese Schwäche wohl verzeihen; mußte aber,
-sechs oder acht Jahre später, mit Schmerz an
-diese stumme Szene denken, deren Bedeutung
-ich im Augenblicke nur halb verstanden hatte.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_085" title="85"> </a>
-Es sei hier nun gleich betont, daß ich kein
-so unbedingter Bewunderer der tugendhaften
-Sabine Ricchiari war, wie der Chor der Basen
-und Nachbarinnen; wie ich denn auch anfangs
-kein Verdammer ihrer Anmut gewesen war.
-Ich hatte zwar &ndash; leider hatten mich schlimme
-Erfahrungen dazu berechtigt &ndash; die auffallende
-Ungleichheit zwischen Mann und Frau nicht
-ohne Unruhe sehen können. Denn war auch
-der Doktor tüchtig in seiner Kunst, pflichttreu,
-redlich und von beherrschtem, würdigem Wesen,
-so habe ich es doch nie erlebt, daß Frauen vor
-solchen Eigenschaften sonderlichen Respekt
-haben; und die, denen ein Weib gerne erliegt,
-besaß Ricchiari nicht. Aber ich hatte doch das
-gesetzte Wesen der Frau erkannt, das leidenschaftliche
-Verirrungen ausschloß. Dieselbe
-Eigenschaft der Sabine aber, die mich ihr zu
-Anfang nichts Schlechtes zutrauen ließ, hinderte
-mich nun daran, ihr nur Gutes zuzutrauen:
-denn ganz ohne Zweifel war Sabine
-eine kalte Natur, und ihre Vortrefflichkeit baute
-sich mehr auf Überlegung als auf irgendwelche
-Herzenseigenschaften. Und wenn ich nun auch
-um so mehr eine mit Ausdauer geübte Willensbeherrschung
-in dieser Frau bewundern mußte,
-<a class="pagenum" id="page_086" title="86"> </a>
-so konnte mir doch diese ganze starr festgehaltene
-Unfehlbarkeit im Grunde nicht recht gefallen.
-Man wird mir zugeben, daß wir Männer in
-diesem Punkte unlogisch sind; aber ich wette,
-man wird mir nachfühlen: lieben wir es schon,
-daß Frauen, die wir verehren sollen, rein und
-stark in ihrer Tugend seien, so lieben wir es doch
-auch, sie gegebenenfalls einer Schwäche mindestens
-<em class="ge">fähig</em> zu wissen. Und eben diese
-Fähigkeit schien Sabinen zu fehlen. Ich hatte
-Gelegenheit, sie ziemlich genau zu beobachten;
-war ich doch, dank meines Priesteramtes und
-dank der &ndash; Korrektheit, die Sabinens Verkehrswahl
-bedingte, ein vertrauter Gast im
-Hause des Doktors. Und daß ich es nur gleich
-sage: nie habe ich Sabinen gereizt, nie eigensinnig,
-nie vergnügungssüchtig, nie begehrlich
-nach Tand oder Schmuck gesehen; aber auch
-nie in weicher Stimmung, nie in Tränen, nie
-in überschwenglicher, voller, jugendlicher Freude.
-Ihr ganzes Wesen stellte eine bis zum
-äußersten geglättete Fläche dar; aber, wenn ich
-das Bild vollenden darf: nicht Marmor, der
-unter dem Schliff das köstliche Geäder, sein
-inneres Leben, erst recht schön entfaltet, sondern
-irgendeinen Kunstguß von Metall, der nur
-<a class="pagenum" id="page_087" title="87"> </a>
-glänzt und seine reinliche Außenseite in Wind
-und Wetter blank erhält; sonst aber nichts von
-eigener, in seiner <em class="ge">Struktur</em> begründeter
-Schönheit besitzt. Um Schillers hohe Forderung
-gegen diesen seltsamen Frauencharakter auszuspielen:
-Sabine Ricchiari war eine Natur,
-die eben unausgesetzt nötig hatte, »<em class="ge">edel zu
-wollen</em>«, weil sie ganz und gar nicht imstande
-war, »<em class="ge">schön zu empfinden</em>«. Freilich
-hatte sie es in der Anwendung dieses
-Wollens zu unerhörter Fertigkeit gebracht &ndash;
-das sollte mir später noch klar werden.</p>
-
-<p>Die Eindrücke, die dies mein Urteil über
-Sabine Ricchiari begründen, lagen zu der Zeit,
-von der ich spreche, natürlich gleichsam schlummernd
-in mir; ich hätte damals nicht vermocht,
-sie zu irgendeinem Ausdrucke zu gestalten, ja,
-ich gab mir kaum Rechenschaft darüber. Ich
-war mir nur eines leicht abweisenden Gefühles
-gegen die vielbewunderte Dame bewußt, welches
-sich gerade dann regte, wenn ich sie in
-schwieriger Lage mit beängstigender Sicherheit
-das einzig Richtige und Wohlanständige treffen
-sah, das es für sie zu tun gab. So geschah es
-zum Beispiel öfters, daß der Doktor in einer
-Anwandlung von Laune, wie sie auch bei trefflichen
-<a class="pagenum" id="page_088" title="88"> </a>
-Männern wohl vorkommen mag, seine
-Frau vor Zeugen hart anließ; dann benahm
-Sabine sich mit solch einzigem Anstande, daß
-man ihr Bewunderung nicht versagen konnte.
-Dennoch schien mir, als täte sie es ohne Anstrengung,
-als erlitte sie die Kränkung von
-einem Fremden, dessen Meinung ihr nichts galt,
-oder als eifere ein Machtloser gegen sie, der
-sie in ihrer Hoheit nicht verletzen konnte. Ich,
-der ich den Doktor liebte, empfand für ihn die
-Geringschätzung, die in dieser Sachlichkeit lag,
-womit Sabine seinen Schwächen gegenübertrat;
-und wohler wäre mir um seinetwillen gewesen,
-hätte sie sich bei solchen Gelegenheiten manchmal
-kindisch, trotzig, erregbar gezeigt. Ebenso
-erging es mir, als Ricchiari einmal bedenklich
-erkrankte: Sabine pflegte ihn mit beispielloser
-Pflichttreue und Geduld. Aber ihr Aussehen
-veränderte sich bei dem schwierigen Krankendienste
-nicht, ich sah sie nicht verhärmt, als
-er dem Tode nahe schien, sah sie nicht in jubelnder
-Seligkeit aufblühen, als die Rettung gewiß
-war. In ähnlicher unentwegter Fassung
-stand sie auch ihren Kindern gegenüber, ihren
-kleinen Unarten, ihren allerdings unbedeutenden
-Krankheiten. Und ich kam mir damals oft
-<a class="pagenum" id="page_089" title="89"> </a>
-selbst töricht und sogar böse vor, weil eben diese
-Gleichmäßigkeit ihres Wesens mir nicht recht
-zusagen wollte, während doch jedermann sonst
-sie darum bewunderte und verherrlichte. Aber
-ich kam nicht gegen mein Empfinden auf.</p>
-
-<p>Als Sabine eine mehr als zehnjährige Ehe
-hinter sich hatte &ndash; sie stand nun in der Mitte
-der Dreißig, trat ein Ereignis ein, welches mir
-Gelegenheit gab, Sabinens Wesen und Entwicklung
-aus ihrem eigenen Munde kennen
-zu lernen, zugleich auch mein dunkles Gefühl
-zum klaren Verständnis ihrer Art auszubilden.
-Das Ereignis war ein solches, das die ganze
-Stadt, Beteiligte und Unbeteiligte, heftig erschütterte
-und selbst in den seichtesten Seelen
-eine Ahnung weckte von der Sturmgewalt der
-Elemente, die in Tiefen toben können. Einer
-der jungen Rechtsgelehrten, die dem in unserem
-Städtchen tagenden Gerichtshofe beigegeben
-waren, ein Sohn guter Eltern, aus begüterten
-Kreisen stammend, aus einer größeren Stadt
-zugezogen &ndash; ein Jüngling von äußerst einnehmendem
-und freundlichem Wesen, der sich
-großer Beliebtheit unter den besten Menschen
-des Landes erfreute: wurde eines Morgens
-mit durchschossener Schläfe tot in seinem Bette
-<a class="pagenum" id="page_090" title="90"> </a>
-gefunden. Ein hinterlassener Zettel kündigte
-Selbstmord aus verschmähter Liebe an, aber
-in so rührender Art, so schlicht zum Herzen
-sprechenden Ausdrücken, daß auch der böseste
-Skeptiker nicht zu lächeln gewagt hätte. Der
-Name des Weibes, das den armen Knaben in
-den Tod getrieben, war begreiflicherweise nicht
-genannt; aber der Instinkt der Menge, der in
-solchen Dingen fast immer richtig geht, bezeichnete
-Sabine Ricchiari als die Urheberin der
-Tat. So wie der Vorfall sich darstellte, schien
-diese Annahme allerdings glaublich: Sabine
-war in der Tat reizbegabt genug, um eine verheerende
-und alle Fesseln sprengende Leidenschaft
-zu entflammen; kein Mann wäre zu
-verdammen gewesen, der für dieses Götterbild
-das Letzte gewagt hätte; und andererseits
-machte Sabinens anerkannte Tugend jeden
-Wunsch von vornherein zu einem hoffnungslosen.
-Das war die Erläuterung, die die öffentliche
-Meinung gab: entgegen ihrer sonstigen
-Gewohnheit schienen alle Lästerzungen geneigt,
-die edelsten Beweggründe auf beiden Seiten
-anzunehmen. Fama drapierte sich romantisch.
-Und wenn etwas imstande war, Sabine
-Ricchiaris Ansehen und Beliebtheit in der
-<a class="pagenum" id="page_091" title="91"> </a>
-Stadt noch zu steigern, so war es dieser Vorfall,
-die letzten Worte eines Todbereiten, die
-ihre ehrenfeste Unbesiegbarkeit mit solch tragischem
-Nachdruck verkündeten.</p>
-
-<p>Die öffentliche Meinung sieht meistens richtig,
-aber niemals tief; Tatsachen bleiben ihr
-selten verborgen, Beweggründe immer: das
-Ereignis war genau so vor sich gegangen, wie
-der Stadtklatsch annahm &ndash; und doch, wie
-anders! wie furchtbar anders!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Man hatte die Verwandten des Jünglings
-von dem Selbstmorde benachrichtigt, doch gab
-es keine Möglichkeit ihres Eintreffens vor dem
-späten Nachmittage. Weil ich das verblendete
-Kind lieb gehabt hatte und weil mir das Herz
-blutete um sein Schicksal, so übernahm ich es,
-bei ihm zu bleiben und seinen letzten Schlummer
-zu hüten, bis das Gebet seiner Mutter
-das meinige ablösen würde. Ich ließ den Leichnam
-auf reinem Bette aufbahren, setzte mich
-neben ihn und blickte unverwandt in das sanfte,
-stille Gesicht, als könne es mir noch Antwort
-geben auf die bittere Frage, die mich, der ich
-weniger hurtig schloß als die Menge, unablässig
-quälte: »Wie hat es so weit kommen
-können?« Ich hatte den Jüngling als einen
-<a class="pagenum" id="page_092" title="92"> </a>
-stäten und tüchtigen gekannt, ohne Überspanntheit
-und ohne Pose. Was hatte er leiden
-müssen, was erkennen, bis er diesen letzten
-Verzweiflungsschritt unternommen hatte? In
-mir zitterte alles vor Mitleid und Schmerz,
-ich fühlte die Tränen über meine Wangen
-rinnen, und mehr als einmal beugte ich mich
-über den Toten und küßte seinen kalten Mund
-in einer traurigen Hoffnung, es möchte die
-Seele, die diesem Leib entflohen, noch irgendwo
-in der Nähe weilen, mein Leid und meine
-Liebe mit ansehen und als Trost empfinden.
-Da geschah es, daß ich plötzlich, den Kopf von
-meiner schmerzlichen Liebkosung erhebend, Sabine
-Ricchiari im Zimmer stehen sah. Sie
-war geräuschlos eingetreten und zwischen dem
-Bette und dem Fenster stehen geblieben, so
-daß sich nur ihr großer schwarzer Schattenriß
-in unheimlicher Starrheit vor mir erhob. Ich
-fuhr auf mit einer Regung des Hasses gegen
-sie; denn mein Gefühl, das nie unbedingt zu
-ihren Gunsten gesprochen hatte, schrie in diesem
-Augenblicke blindlings, jede Reflexion
-niederdonnernd, ein »Schuldig!« über sie.
-Meine Augen mußten deutlich sprechen, was
-ich empfand, denn sie trat einen Schritt zurück
-<a class="pagenum" id="page_093" title="93"> </a>
-und senkte das Haupt langsam tiefer und tiefer.
-Dann hörte ich, daß sie weinte; und weil mich
-das bei ihr, die ich keiner redlichen Träne für
-fähig gehalten, überraschte und ergriff, wie es
-mich noch bei keiner Frau ergriffen hat, so
-fühlte ich schnell meine Stimmung gegen sie
-sich erweichen und näherte mich ihr, um ihr
-die Hand zu reichen. Dabei sah ich ihr Gesicht
-&ndash; und jetzt umschloß mein Mitleid sie ganz!
-Sie aber ergriff meine Hand nicht, sondern
-meine versöhnliche Geste für ein Zeichen der
-Verzeihung nehmend, das ihr freien Zutritt
-zu dem Toten gewährte, eilte sie an mir vorüber
-nach dem Bette, über welches sie sich mit
-dem ganzen Leibe warf, ihre Lippen auf die
-des Verblichenen pressend und mit den Armen
-seine Schultern und seinen Kopf umklammernd.
-Es lag eine Heftigkeit der Leidenschaft in dieser
-Bewegung, die grauenhaft gewirkt hätte einem
-Lebenden gegenüber; an dieser fühllosen Masse,
-die schlaff und kalt in ihrer Umarmung hing,
-stellte sich der Anblick ihrer Raserei geradezu
-haarsträubend dar. Besonders entsetzlich war
-die Art, wie der bleiche Kopf, den sie wiederholt
-emporriß, immer wieder über ihren Arm
-zurück und zur Seite sank, als wolle er sich
-<a class="pagenum" id="page_094" title="94"> </a>
-den allzuspäten Liebkosungen jetzt verachtungsvoll
-abwehrend entziehen; so schien es Sabine
-auch zu nehmen, denn ihre Gesten wurden
-wilder, ihr Weinen lauter bei jeder derartigen
-Bewegung. Ich stand sprachlos dabei, fühlte
-Schauer um Schauer über meinen Rücken
-rinnen und vermochte nicht, dem Tun der Frau
-zu wehren. Sie aber, nachdem sie das Gesicht
-des Toten und seine Brust mit solchen Küssen
-bedeckt hatte, und unter solchen Ausrufen und
-Seufzern, wie die Verzweiflung fruchtloser
-Reue sie lehrt, erhob sich endlich rasch und
-wollte aus dem Zimmer huschen, wie sie hereingekommen
-war. Da ereilte ich sie an der
-Tür und verstellte ihr den Ausgang, denn ich
-dachte nicht anders, als daß auch sie jetzt in
-den Tod zu rennen beabsichtige. Sie kehrte
-um, setzte sich auf den nächsten Stuhl und
-suchte augenscheinlich in schwerem Kampfe ihre
-Selbstbeherrschung wiederzugewinnen. Ich erinnere
-mich nicht, ob ich ihr zugesprochen habe;
-mit meinem Herzen tat ich es gewiß, aber in
-mir schrien so viele Stimmen durcheinander,
-daß ich nicht weiß, ob ich wirklich zu Worte
-gelangt bin oder ob ich die Laute nur geträumt
-habe, die meine bebenden Lippen zu formen
-<a class="pagenum" id="page_095" title="95"> </a>
-suchten. Immerhin beruhigte die entrückte Frau
-sich endlich und kehrte zur Wirklichkeit zurück;
-ihre Augen begegneten wieder und hafteten
-diesmal an den meinen, in denen sie wohl das
-heißeste Erbarmen lesen mußte. Dann setzte
-sie sich neben das Bett, das sie nun mit einem
-rührenden Ausdrucke mütterlicher Geschäftigkeit
-in Ordnung brachte, und schließlich begann
-sie in schauerlich ruhigem Tone den Hergang
-der Sache zu erzählen.</p>
-
-
-<h3>2.</h3>
-
-<p>Sabine war ein Kind von unvergleichlicher
-Anmut gewesen, und da war es denn nur zu
-begreiflich, daß sie in Aller Mienen der Wirkung
-ihrer eigenen Zauberhaftigkeit nachspürte
-und es zur Aufgabe ihres kleinen Lebens
-machte, diese Wirkung nach Möglichkeit zu
-verstärken. Dabei experimentierte sie förmlich
-mit der Tragfähigkeit dieses Magnets: denn
-sie trug Farben und Gewandformen, die an
-anderen Mädchen gewagt erschienen wären, und
-triumphierte innerlich, wenn ihre Schönheit das
-Unmöglichste und Heterogenste zu einem gefälligen
-Eindrucke verband. Auch gelang es
-ihr öfters, selbst die Mode zu beeinflussen,
-<a class="pagenum" id="page_096" title="96"> </a>
-indem sie durch die Macht ihrer Erscheinung
-die Augen ihrer Geschlechtsgenossinnen blendete,
-so daß jene das Kleid von der Trägerin
-nicht mehr zu unterscheiden vermochten und
-sich für schön hielten, wenn sie trugen, was an
-Sabine Ricchiari schön erschien So sicher aber
-diese ihrer äußeren Vorzüge war und so viel
-sie darauf wagen konnte, so genügte ihr dies
-doch keineswegs; sie hätte nun auch gerne
-durch Gaben des Geistes und der Seele allen
-anderen Frauen den Rang abgelaufen und
-empfand es höchst schmerzlich, daß ihr hervorragende
-Talente versagt waren, die ihren Namen
-durch die Lande trügen. Deshalb aber
-nicht eingeschüchtert, warf sich Sabine auf das
-»Fach«, in welchem Lukretia und andere hohe
-Frauen der Geschichte sich mit Glück betätigt
-hatten: auf die Tugend. Und sie faßte diesen
-Begriff in seinem weitesten Sinne.</p>
-
-<p>Als Kind hatte Sabine Ricchiari nicht gerne
-gelernt. Da sie heranwuchs, beobachtete sie,
-daß jedermann einen gewissen Grad von Albernheit
-und Denkfaulheit als Vorrecht ausnehmend
-schöner Personen für zulässig zu halten
-schien Das erbitterte sie sofort aufs höchste
-als eine Beleidigung, die ihr mehr galt als
-<a class="pagenum" id="page_097" title="97"> </a>
-tausend anderen, minder reizenden Frauen.
-Und hier sprang nun der gefährliche Zug ihres
-Wesens mit einer ganz wohltuenden Wirkung
-ein: denn, beharrlich und energisch, wo es
-ihrer Eitelkeit galt, zwang Sabine ihren flattersüchtigen
-jungen Geist in eine Zucht, die alle
-Welt in Erstaunen setzte. Bald erlebte sie
-die Freude, daß man laut und leise ihren Fleiß
-und ihr ernsthaftes Streben noch höher als
-ihre Anmut pries, und ehe sie achtzehn Jahre
-alt war, konnte sie schon mit vollem Rechte
-das kühne Wort sprechen: »Müssen denn alle
-tüchtigen Frauen häßlich sein und nur häßliche
-tüchtig? Ich denke zu beweisen, daß man körperliche
-und geistige Bildung vereinigen kann!«
-Dabei fiel ihr das Studium vieler Wissenszweige
-durchaus nicht leicht, und nur der maßlose
-Ehrgeiz, ein Frauenbild von nie dagewesener
-Vollkommenheit darzustellen, hielt sie
-in Stunden tiefer geistiger Erschöpfung aufrecht.
-Bei solchen Beschäftigungen mußte sich ihr notgedrungen
-die Zeit kürzen, die andre junge
-Mädchen ihres Kreises auf Tanz und Flirt
-verwendeten; jedoch empfand Sabine dies
-durchaus nicht als Verlust, da ihr Siege auf
-diesem Felde allzu sicher waren, und wenn sie
-<a class="pagenum" id="page_098" title="98"> </a>
-sich unter die Spiele der Geselligen mischte,
-so war's nur, um durch verspätetes Erscheinen
-und frühen Abgang die Leute zu erinnern, daß
-sie Besseres zu tun hatte. So albern nun dies
-Tun an sich erscheinen mag, so trug es doch
-für Sabine bessere Früchte, als sie eigentlich
-verdient hätte. Denn darin ist die Wissenschaft,
-die Göttin, dem sterblichen Weibe gleich,
-daß sie ihre Bewerber nicht leicht auf die Redlichkeit
-ihrer Gesinnung prüft und auch den
-mit Segenshänden beschenkt, der nur mit ihr
-tändelt. Was Sabine Gutes, Klares, Großzügiges
-in ihrem Charakter hatte, war ihr als
-unverdiente und ungewollte Beute aus der
-Zeit dieser Raubzüge in das reine Land des
-Gedankens geblieben.</p>
-
-<p>Aber nun kam Sabine in das Alter, wo die
-höchsten Lebensfragen an ein Weib herantreten,
-und leider machte sich auch hier wieder die
-Sucht, das Ungewöhnlichste, das völlig Unerwartete
-zu tun, zu ihrem Schaden geltend.
-Sie war &ndash; schön, gebildet und überaus sittsam,
-wie sie sich stets gezeigt hatte &ndash; von zahlreichen
-Bewerbern umschwärmt und hätte unter den
-Männern ihres Kreises den Besten und Begehrtesten
-zu ihren Füßen sehen können. Aber
-<a class="pagenum" id="page_099" title="99"> </a>
-Sabine bildete ihr Urteil über Männer nach
-eigener Art. Die naive Siegessicherheit, mit
-welcher heutzutage ein Mann, der seinen Wert
-kennt, ein Weib zu nehmen pflegt, erbitterte
-und beleidigte sie, die sich selbst als etwas
-Einziges und Unvergleichliches geschätzt zu
-sehen wünschte, nicht wenig. Sabine wollte
-Werber im Minnesängerstil. Dafür war sie
-auf der anderen Seite höchst anspruchslos, denn
-kein äußerer Vorzug des Mannes sollte ihre
-Wahl bestimmen; freie, reine Neigung beider
-Herzen allein sollte den Ausschlag geben und
-&ndash; Bedingung <i>sine qua non!</i> &ndash; das <em class="ge">Publikum</em>
-vor allem sollte von dieser reinen Neigung
-überzeugt sein. So, damit auch ja nicht der
-leiseste Vorwurf einer Bestechlichkeit erhoben
-werden konnte, wandte das törichte Fräulein
-sich sofort und demonstrativ von allen glänzenden,
-angesehenen und vielbegehrten Männern
-hinweg und solchen zu, die von Frauen übel
-behandelt, von Kritikern verkannt, von Vorgesetzten
-übersehen und von rassestolzen Aristokraten
-geächtet wurden. Und man konnte hinfort
-auf allen Festen das sonderbare Schauspiel
-genießen, das schönste Mädchen der Stadt
-mit einem Gefolge zweifelhafter Gestalten einherwandeln
-<a class="pagenum" id="page_100" title="100"> </a>
-zu sehen, an denen sie eifrig und
-ernsthaft ein Werk der Veredlung zu betreiben
-suchte, das indes sehr selten mit einem Gelingen
-lohnte. Denn Männer pflegen es sehr
-übel aufzunehmen, wenn ein Weib sie »zu
-sich emporziehen« will &ndash; und ich weiß nicht,
-ob ich ihnen darin nicht recht geben muß.</p>
-
-<p>Es konnte nicht fehlen, daß Sabine in diesem
-Umgange ein paar schlimme Erfahrungen
-machte, die ihr indes glücklicherweise nicht so
-zum Verderben ausfielen, wie es wohl hätte
-sein können. So befand sich unter den Unbegehrten,
-die sie zu beschenken glaubte, ein
-junger Naturforscher von beträchtlicher Häßlichkeit,
-deren Wirkung noch verstärkt wurde durch
-den Hochmut, mit welchem der Mann alle gefälligen
-Formen in Rede, Kleidung und Auftreten
-verschmähte. Er war aus Arbeiterkreisen
-hervorgegangen, recht im vollsten Sinne des
-Wortes ein geistiger Selfmademan, und allerdings
-sehr bedeutend in seinem Fache. Aber
-er setzte einen törichten Stolz darein, das Plebejertum,
-dem er angehört hatte, auf drastische
-Weise darzulegen, und scheuchte feinfühlige
-Frauen von sich durch die Derbheit seiner Ausdrucksweise
-sowohl wie durch die Gehässigkeit,
-<a class="pagenum" id="page_101" title="101"> </a>
-die er denen gegenüber zur Schau trug, die sich
-feinerer Sitten befleißigten. Auf ihn konnte
-mit Recht das drollige Wort angewendet werden,
-er habe »zwei Rücken«; denn bei Gastmählern,
-zu denen er freilich selten genug gebeten wurde,
-brachte er es fertig, seinen <em class="ge">beiden</em> Nachbarinnen
-<em class="ge">zugleich</em> den Rücken zu kehren &ndash;
-und das schlimmste war: sie zogen sein unartiges
-Schweigen seiner Konversation vor.
-Das war ein Objekt für Sabine! Mit dem
-raschen Schlußvermögen, das sie auszeichnete,
-stellte sie fest, daß eben diese Gehässigkeit gegen
-alles Glatte und Vornehme einem tiefen Bewußtsein
-eigener gesellschaftlicher Unzulänglichkeit
-entsprungen sei, und daß der rauhe Mann
-nur deshalb nicht manierlich sein <em class="ge">wollte</em>,
-weil er klar empfand, daß er es nicht sein
-<em class="ge">konnte</em>. Sie sagte sich, daß er wußte &ndash; und
-wahrlich nicht zu seinem Behagen wußte&nbsp;&ndash;,
-an ihm müsse Kultur zur Karikatur werden.
-Deshalb hegte sie Mitleid für ihn und beschloß,
-die erste zu sein, die seinem hervorragenden
-Verstande und seiner wissenschaftlichen
-Tüchtigkeit volle Ehre antat, ohne sich
-durch seine ungeschlachte Art und böse Sitten
-beirren zu lassen. Und sie erwählte ihn förmlich
-<a class="pagenum" id="page_102" title="102"> </a>
-und feierlich zu ihrem Höflinge und war holdseliger
-zu ihm, als ihr dabei eigentlich ums
-Herz war; denn sie mußte sich alle mögliche
-Gewalt antun, um den Widerwillen zu überwinden,
-den seine physische Erscheinung, seine
-zynische Rede und häufige lästerliche Flüche
-ihr einflößten.</p>
-
-<p>Aber Sabine kam übel an mit ihren Beglückungsversuchen.
-Denn sie mußte einsehen,
-daß der erwählte Mann selbst nicht nur keine
-sonderliche Dankbarkeit gegen sie empfand, sondern
-daß er die Bevorzugung, die ihm widerfuhr,
-auf eine sehr kränkende Weise deutete.
-Daß seine Häßlichkeit, über welche er sich keiner
-Täuschung hingab, ein so holdes und vielbegehrtes
-Wesen wie Sabine anzog, erschien
-ihm durchaus nicht als ein Wunder der Liebe,
-die ihren Gegenstand nach seinem seelischen
-Gehalte schätzt &ndash; denn so hätte Sabine es
-gerne gedeutet wissen wollen; vielmehr erklärte
-er sich in seiner materialistischen Weltanschauung
-dies Wunder einfach aus einem perversen
-Reiz, den Scheusale von Männern auf Frauen
-auszuüben verstehen, und er schämte sich nicht,
-dies in wenig verschleierten Worten anzudeuten,
-wobei er mit Vorliebe das Beispiel
-<a class="pagenum" id="page_103" title="103"> </a>
-des großen Sinnenbetörers Mirabeau zitierte.
-Daß Sabine seine durchaus nicht gewählte Unterhaltung
-ertrug, schrieb er demselben krankhaften
-Gefallen am Allzunatürlichen zu, denn
-er gab sich nie Mühe, in den Mienen anderer
-zu lesen, und übersah deshalb den Kampf,
-mit welchem das wunderliche Fräulein diese
-härteste Probe ihrer Gesinnungstreue zu bestehen
-suchte. Daß sie endlich vor aller Welt
-seine Partei hielt, schien ihm selbstverständlich,
-denn er wußte, daß er für eine wissenschaftliche
-Größe galt und daß eine Frau an seiner Seite
-einer großen Zukunft entgegenging. Und er
-sprach auch dies aus und verfehlte nicht, Sabine
-aufmerksam zu machen, daß sie trotz ihrer
-Schönheit und höheren Geburt bei einer Verbindung
-mit ihm der <em class="ge">gewinnende</em> Teil
-wäre. Es dauerte eine ganze Weile, bis Sabine
-diese seine Auffassung von der Sache
-ganz begriffen hatte, denn sie hatte sich in der
-Rolle der Gebenden und Herablassenden zu
-wohl gefallen, um leicht einer so demütigenden
-Erkenntnis zugänglich zu sein. Aber der merkwürdige
-Galan, der seinerseits durchaus nicht
-geneigt war, den Empfangenden, den Beschenkten
-zu spielen, versuchte endlich, ihre Liebe,
-<a class="pagenum" id="page_104" title="104"> </a>
-die er für höchst leidenschaftlich hielt, durch
-bewußte Bosheiten auf die Probe zu stellen,
-bald ohne Anlaß fernbleibend, bald auch vor
-Zeugen ein hämisches und tyrannisches Wesen
-gegen sie zur Schau tragend. Ihre Ratlosigkeit
-und Verblüfftheit solchen Roheiten gegenüber
-hielt er für Schmerz, und die wirklich bewunderungswürdige
-Geduld, mit welcher sie verzieh,
-was sie einem Mangel an Besserwissen
-zuschrieb, deutete er als Verliebtheit, die, selbst
-getreten, nicht von ihm lassen konnte. Endlich
-kam aber doch der Tag der Abrechnung, und
-es erfolgte nun die allerwunderlichste Auseinandersetzung,
-die je zwischen Liebesleuten
-stattgefunden. Jeder der beiden Toren war
-sehr verdutzt, sich von dem anderen nicht heißer
-geliebt zu sehen, jeder rechnete dem anderen
-sein Gewinnen oder Verlieren mit allerliebster
-Offenheit vor. Bei dieser Abschiedsszene zeigte
-sich schließlich der Mann noch als der Charaktervollere
-von beiden, denn er war der erste,
-welcher der Frau mit ihrem unerbetenen Mitleiden
-den Laufpaß gab, indem er erklärte,
-daß ihm ein Schankmädchen, das zu ihm aufsähe,
-liebenswerter erscheine als eine Königin,
-die sich »herablasse«. Sabine zog sich gekränkt
-<a class="pagenum" id="page_105" title="105"> </a>
-zurück und gewann aus der bösen Erfahrung
-wenigstens die Lehre, daß Mitleid vom Weibe
-zum Manne vorsichtig in leisen Schuhen wandeln
-muß, soll nicht sein Tritt die jungen
-Liebespflänzlein zermalmen. Eine Weile war
-sie traurig und enttäuscht. Bald aber löste
-eine neue, noch sonderbarere Wahl die Mißstimmung
-jenes ersten Erlebnisses. Auch dieser
-zweite Mann war das Gegenteil von einem
-Adonis und nichts weniger als ein Gesellschaftslöwe.
-Wäre er beides gewesen, so hätte
-er ja für Sabine keinen Reiz gehabt, denn dann
-wäre es keine Kunst gewesen, ihn zu lieben;
-und Sabine wollte, wie gesagt, auch hierin
-etwas völlig Neues leisten. Was ihre Neigung
-in diesem besonderen Falle bestimmte, war
-hauptsächlich die bittere Armut, in welcher der
-Betreffende lebte, der seines Zeichens ein unbedeutender
-Musikus am Theaterorchester der
-Stadt war, in welcher das seltsam wählerische
-Fräulein damals lebte. Sabine hatte durch
-Hausgenossen des Fiedlers von seinem Elende
-vernommen, hatte ihn unterstützen lassen und
-suchte nun seine persönliche Bekanntschaft zu
-machen. Sie verhalf ihm zu Unterrichtsstunden
-in besseren Häusern und eröffnete damit zugleich
-<a class="pagenum" id="page_106" title="106"> </a>
-ihm und sich selbst einen Weg, auf welchem
-sie sich häufig genug ohne Anstände begegnen
-konnten. Dabei geschah nun, was geschehen
-mußte. Hatte der Mann schon vorher
-gewußt, daß er ihrem Mitleid viel verdankte,
-so warfen ihre strahlende Erscheinung, ihr berückendes
-Lächeln und die freundlichen Worte,
-die sie an ihn richtete, ihn nun ohne weiteres
-in eine maßlose Leidenschaft, die er auch durchaus
-nicht zu verbergen strebte. Dabei war er
-klug genug, weder seinen persönlichen Vorzügen
-noch seiner musikalischen Begabung das
-Verdienst dieser Eroberung beizulegen, denn
-er wußte genau, daß er von letzterer nicht viel
-mehr besaß als von ersteren. Aber er empfand
-doch künstlerisch-naiv gerade soviel als es
-brauchte, um an eine ideale Liebe zu glauben,
-die wahllos trifft und sich mit gleich selbstloser
-Erwiderung reichlich gelohnt fühlt. Eine solche
-Liebe legte er in Sabine hinein; und er selbst
-stattete seinen Dank für das unverdiente Gnadengeschenk
-in einer Anbetung ab, an der sich
-Diana hätte genügen lassen können, und die
-unsere kühle Heldin selbst höchlichst befriedigte,
-weil sie endlich zur Erfüllung brachte, was
-lang geträumt und gewünscht war. Denn nun
-<a class="pagenum" id="page_107" title="107"> </a>
-genoß Sabine die Genugtuung, daß die Romantik
-dieses Verhältnisses von alt und jung
-gebührend geschätzt wurde, und wandelte einher,
-von Mondschein und blauen Blumen
-gleichsam auf Schritt und Tritt umsponnen,
-wie ein mittelalterliches Burgfräulein, das sich
-einem fahrenden Sänger neigt. Sie redete
-viel, um zu beweisen, daß echtes Gefühl auch
-in unseren nüchternen und bösen Zeiten noch
-nicht ganz vom Erdenrund geflohen sei, und
-glaubte ganz ernsthaft, die schöne Neigung, die
-sie darstellte, wirklich selbst zu empfinden. Allerdings
-glaubte das auch jedermann sonst; und
-selbst die losesten Zungen fanden keinen schlimmeren
-Anlaß zu sticheln als den, daß man Sabine
-hinfort auch im Getöse einer Wagneroper
-in der ersten Reihe des Parkettes sitzen sah,
-wo sie dem Bombardement wahnsinniger Pauken-
-und Trompetenstöße heldenhaft standhielt,
-nur um Aug' in Auge mit ihrem Geigerlein
-und in seiner möglichsten Nähe den Abend zu
-verbringen. Dem Widerstand ihrer Verwandten
-gegen diese sehr unerwünschte Verbindung setzte
-sie eine siegreiche Beredsamkeit entgegen, die
-alle Bedenken entwaffnete und die Zweifler
-beschämte. Die Entdeckung, daß ihr neuer Liebhaber
-<a class="pagenum" id="page_108" title="108"> </a>
-einige Male ziemlich betrunken im Orchester
-erschien und daß er Ring und Kette,
-die sie ihm gegeben, gelegentlich versetzte, ernüchterte
-sie zwar ein wenig, entmutigte sie
-aber keineswegs. Sie löste geduldig ihre Liebespfänder
-selbst wieder aus und gab sie ihm
-ohne ein Wort des Vorwurfes zurück. Die
-Beschämung und Reue, die der arme Kerl bei
-solchen Anlässen an den Tag legte, war echt;
-aber die sittliche Festigkeit, die er neuen Versuchungen
-gegenüber bewies, war die eines
-Kindes; und Sabine machte hier die schmerzliche
-Schule durch, die Künstlerliebchen und
--frauen selten erspart bleibt: sie mußte sehen,
-daß ein Mann alles Göttliche und Hohe in
-seinem Busen bewegen und doch vor einem
-Glase Wein zum Tiere werden kann. Aber
-Sabine hatte ihre Rolle zu hoch gegriffen, um
-ihr selbst vor derlei Schrecknissen untreu zu
-werden. Auch als ihr Bräutigam wegen der
-eingetretenen Unordentlichkeit seines Lebenswandels
-aus dem Orchester entlassen wurde,
-hielt sie noch fest zu ihm. Bereits aber war sie
-so weit zur Vernunft gekommen, daß sie den
-Argumenten ihrer Verwandten ein willigeres
-Ohr lieh als zuvor; und als man ihr geschickt
-<a class="pagenum" id="page_109" title="109"> </a>
-vorstellte, wie gerade die Gunst, die sie dem
-Musikus erwies, die unerwartete Veränderung
-seiner Lage verderbenbringend geworden sei
-für den Mann, der bisher in seinen dürftigen
-Verhältnissen arbeitsam und brav gewesen war
-&ndash; da entsagte sie, obgleich schweren Herzens
-und nach langem Kampfe, auch diesem Traume.
-Von ihrem Anbeter kaufte sie sich los, indem
-sie mit Einwilligung ihrer Angehörigen ein
-bescheidenes Kapitälchen für ihn anlegte, das
-ihn vor äußerster Not bewahren, ihm aber
-keinerlei Ausschreitungen ermöglichen sollte. Es
-muß zur Ehre des Mannes gesagt werden, daß
-er diese Abfindung erst nach langer und rasender
-Gegenwehr hinnahm; denn er liebte das
-schöne Mädchen, wie nur ein Musikerherz lieben
-kann, und drohte sie und sich selbst zu ermorden,
-ehe er sie aufgäbe. Erst die Vorstellungen
-desselben klugen Verwandten, der
-Sabine herumgebracht, vermochten ihn zu erschüttern;
-denn sie brachten ihn zur Einsicht,
-daß er die Heißgeliebte in ein trauriges Los
-herunterzöge, wenn er sie an sich fesselte, ohne
-durch seinen Charakter eine Gewähr für seines
-Zukunft zu geben. Er trat zurück und zeigte
-sich beim Abschiede so ehrenhaft und stolz, daß
-<a class="pagenum" id="page_110" title="110"> </a>
-Sabine fast wieder ihren Sinn zu seinen
-Gunsten geändert hätte; denn es war ihr bitter,
-daß er sie an Entsagungsmut übertraf, und sie
-konnte sich nicht verhehlen, daß er ungleich
-mehr opferte als sie, weil er ungleich leidenschaftlicher
-geliebt hatte. Seine Pension griff
-er erst viele Jahre später an, als er, wieder
-zur Ordnung zurückgekehrt, eine passende
-Lebensgefährtin gefunden hatte, mit welcher er
-dann auch leidlich glücklich wurde.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sabinens dritte Wahl fiel gleichfalls auf
-einen Musiker, aber weit höheren Ranges.
-Dieser Mann war städtischer Domorganist, war
-ein wirklicher Künstler, war weder häßlich noch
-arm, dafür aber blind. Sabine hätschelte ihr
-eigenes törichtes Heldentum mehr denn je,
-als sie diesem Manne nahetrat, mit welchem
-sie aber glücklicherweise kein Verlöbnis einging.
-Denn &ndash; um es kurz zu machen &ndash; sie mußte
-bereits nach einiger Zeit zur Überzeugung kommen,
-daß andere Frauen an derselben Wut
-der Selbstaufopferung krankten wie sie, und
-daß der blinde Mann die Äußerungen dieser
-edlen Regungen, denen er sich übrigens kaum
-hätte entziehen können, rückhaltlos und recht
-dankbar annahm. Es gab keinen tolleren Don
-<a class="pagenum" id="page_111" title="111"> </a>
-Juan im Lande als ihn, und er prahlte, sein
-eigener Leporello, vergnügt mit seinem Sündenregister.
-Das widerte die im Grunde keusche
-Sabine an, und sie zog sich zurück, ehe ein
-bindendes Wort gesprochen war. So war sie
-noch einmal mit heiler Haut davongekommen,
-als sie dem Mann begegnete, der ihr Verhängnis
-werden sollte, ihre Strafe und &ndash; nach
-schweren Irrungen &ndash; ihre Rettung. Dieser
-Mann war Ricchiari.</p>
-
-
-<h3>3.</h3>
-
-<p>Sabine war damals vierundzwanzig Jahre
-alt, und ihre Schönheit hatte den Gipfelpunkt
-der Entfaltung erreicht. Sie war eine so hervorragende
-Erscheinung, daß die Schar ihrer
-Bewerber und Bewunderer sich trotz all ihrer
-Torheiten nicht wesentlich vermindert hatte, und
-sie hätte immer noch eine Ehe eingehen können,
-wie sie ihrer höchst verfeinerten und verwöhnten
-Natur angemessen war. Aber <em class="ge">einer</em> war
-abgefallen, von dem sie wußte, daß er sie früher
-gern gesehen hatte, und dieser eine beschäftigte
-nun die widerspruchsvolle Dame mehr als der
-ganze übrige Hofstaat. Auch Ricchiari war
-<a class="pagenum" id="page_112" title="112"> </a>
-kein glänzender Mann. Er war, wie bereits
-erwähnt, von unansehnlicher, wiewohl durchaus
-nicht unangenehmer Erscheinung, dabei
-trocken und knapp in seiner Rede, schlicht in
-seinem Auftreten und nicht immer liebenswürdig
-in Frauengesellschaft. Als Arzt war
-er mäßig beliebt und gerade genug beschäftigt,
-um eine kleine Familie ohne Sorgen ernähren
-zu können, aber was man so eine Zukunft nennt,
-das traute ihm niemand zu. Auch war es
-diesem Manne, der die Welt kannte und wußte,
-nach welchen Werten ein Mensch geschätzt
-wird, nie zu Sinn gekommen, um die vielbegehrte
-Schöne zu werben; doch war auch er
-am Ende ein Wesen von Fleisch und Blut, und
-kein solches konnte Sabinens unvergleichliche
-Anmut sehen, ohne sich an ihr zu entflammen.
-So ging es auch dem armen Doktor, obgleich
-er sich redlich Mühe gab, seine Gefühle zu
-verbergen. Sabine, deren Augen auf dergleichen
-Vorgänge geübt waren, bemerkte nun
-wohl seine Leidenschaft; aber sie bemerkte auch
-seine Zurückhaltung, und sie schätzte ihn darob;
-möglicherweise würde sie ihn auch ermutigt
-haben, wenn der Beginn ihrer Bekanntschaft
-nicht gerade in eine Zeit gefallen wäre, wo
-<a class="pagenum" id="page_113" title="113"> </a>
-eines der früher erwähnten Opfer Sabinens
-ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.</p>
-
-<p>Nun war aber auch der Doktor ein Mann
-von äußerst scharfen Blicken, und er beobachtete
-mit innerlicher Empörung Sabinens Verhalten.
-Das komplizierte und etwas krankhafte Spiel
-ihrer Seelenregungen lag ihm längst offen,
-und was von guten Gefühlen in diesem wunderlichen
-Gemüte vorhanden war, unterschätzte
-er keineswegs. Daß Sabine im Verhältnis
-zum Manne die Gebende sein wollte, lieber
-als die Empfangende, das gefiel ihm sogar;
-und die Beharrlichkeit, mit welcher sie alle
-Folgen dieses Anspruchs auf sich nahm und
-ertrug, setzte ihn in Bewunderung. Aber daß sie
-im allerletzten Grunde dabei um den Beifall
-der Menge buhlte, daß sie etwas sein wollte,
-nur um es auch zu scheinen, das verdroß den
-Doktor, der in allen Dingen gerade nach der
-entgegengesetzten Seite hinstrebte und sich unbeachtet
-am wohlsten fühlte. Schmerzlich geteilt
-zwischen stiller, heißer Leidenschaft und
-einer gewissen Verachtung lebte der Mann kein
-vergnügtes Leben unter den Sonnenaugen der
-begehrten Frau, und kein Wunder, daß er die
-Verachtung etwas schroffer zur Schau trug,
-<a class="pagenum" id="page_114" title="114"> </a>
-als er eigentlich wollte, da er sie wie einen
-schützenden Mantel um sein Herz und seine
-Liebe ziehen mußte.</p>
-
-<p>Sabine bemerkte alsobald die Veränderung
-in Ricchiaris Betragen, und da sie nicht ahnen
-konnte, wie klar der Mann sie durchschaute,
-und daß er mehr von den Vorgängen in ihrer
-Seele wußte, als sie selbst, so störte seine
-plötzliche Kälte sie und gab ihr zu denken. Sie
-nahm sich vor, ihn zu erobern; und da er auch
-sonst ihren &ndash; negativen Anforderungen genügte
-und sie die <em class="ge">Illusion</em>, zu ihm herabgestiegen
-zu sein, vor sich und anderen aufrechterhalten
-konnte, so gab sie ihm Zeichen ihrer
-Huld, die er verstehen mußte, und bot alles
-auf, um ihn in ihren Bannkreis zu ziehen. Aber
-mit dem Doktor ging das nicht so leicht, wie
-es mit den anderen gegangen war. Je liebenswürdiger
-Sabine ihm entgegenkam, desto unnahbarer
-zeigte er sich und ließ sie endlich in
-unzweideutiger und fast unartiger Weise fühlen,
-daß er nichts von ihr wollte. Hätte Sabine
-in sein Herz blicken können, so hätte sie erkennen
-müssen, daß er unter dem Zustand
-der Dinge fast schwerer litt als sie, denn er
-konnte dem schönen Frauenbild lange nicht
-<a class="pagenum" id="page_115" title="115"> </a>
-so ernstlich gram sein, wie er es zu sein wünschte.
-Da sie das nicht wußte, so war sie von seinem
-Verhalten nur aufs tiefste gekränkt und so
-unglücklich, wie ein Weltkind überhaupt sein
-kann. So heftig war sie von Zorn und verletzter
-Eitelkeit beherrscht, daß sie aller Weiblichkeit
-vergaß und den Doktor bei erster Gelegenheit
-zur Rede stellte. Es geschah dies
-auf einem einsamen Wege vor der Stadt, der
-durch Gärten und Gemüsepflanzungen weiter
-hinaus nach einer kleinen Privatheilanstalt
-führte, die Ricchiari regelmäßig besuchte. Sabine
-hatte ihm aufgelauert wie ein Schulmädchen,
-und sein spöttisches und abweisendes
-Gesicht, als er sie erblickte, brachte schnell genug
-zur Entladung, was sich an Lava, Schwefel
-und Pech in ihrem Gemüte gesammelt hatte.
-Es knallte ganz artig, als die erbitterte Heldin
-den Mund auftat. In dieser Stunde redete
-Sabine nicht eben klug und auch nicht ganz
-sittsam; aber sie redete zum ersten Male, seit
-er sie kannte, <em class="ge">nicht</em> mit der Absicht, ihrem
-Publikum zu imponieren. Deshalb empfand
-er ihren Ärger fast als etwas Wohltuendes
-und vernahm ihre wirren Vorwürfe lieber,
-als er je zuvor ihre wohlberechneten Sentenzen
-<a class="pagenum" id="page_116" title="116"> </a>
-gehört hatte. Endlich versagte ihr die Stimme,
-und sie lehnte sich halb weinend, ratlos und
-atemlos vor Erregung an den Gartenzaun, an
-welchem sie gerade entlang wandelten. Ricchiari
-blieb vor ihr stehen und betrachtete sie nachdenklich.
-Sie stand, schön wie immer, vor der
-hohen grünen Sträucherhecke, in deren Zweige
-sie, mit rückwärts emporgreifenden Armen, die
-Hände verschlungen hatte, als wolle sie sich
-daran aufrechterhalten. Sonnenlicht und
-Schatten der windbewegten Blätter spielten
-rieselnd auf ihrem Antlitz und auf ihrem weißen
-Kleide, so daß ein Schleier goldener Wellchen
-die Erregung ihrer Mienen und das Zittern
-ihrer Glieder verhüllte und ihre ganze Gestalt
-so in wogendes Funkeln auflöste, daß sie,
-aus geringer Entfernung gesehen, fast wie
-etwas Überirdisches erscheinen mußte, etwa wie
-eine Dryade, die sich schemenhaft leuchtend
-aus dem frühlingshellen Geäste erhob. Solch
-ein Naturwesen, mehr oder weniger als Mensch,
-tückisch, süß und verführerisch zugleich, mußte
-der geblendete Doktor in diesem Augenblicke
-doch zu sehen glauben, denn er erlag dem
-Zauber, und seine Wehrhaftigkeit splitterte um
-ihn wie ein Panzer von Glas. Mag nun sein,
-<a class="pagenum" id="page_117" title="117"> </a>
-daß die Stimmung des blütenübersponnenen
-Sträßleins, das weit hinaus in freundliches
-grünes Land zu führen schien, der weiche Maiduft
-des Himmels und Frühlingsstimmen junger
-Vögel nah und fern die Wirkung des
-holden Bildes verstärken halfen &ndash; kurz, der
-Mann fühlte sich innig gerührt und zu jedem
-Verzeihen geneigt, so daß er nähertrat und
-bereitwillig Rede stand. Dabei konnte er es
-sich dennoch nicht versagen, ihr seine Meinung
-ordentlich klarzulegen, und so kam ein gar
-wunderlicher Sermon zustande, den ich aus
-mancher Andeutung Sabinens und aus später
-selbst miterlebten Wiederholungen ähnlicher
-Szenen wohl zu rekonstruieren vermag.</p>
-
-<p>»Haben Sie denn«, so etwa mochte der
-Doktor schmälen, »je ein edles Gefühl um
-seiner selbst willen gehegt? Haben Sie nicht
-alles, was Sie taten, um der Leute willen getan?
-Haben Sie nicht früh schon durch Kleidung
-und Auftreten bewiesen, daß Sie Aufmerksamkeit
-zu erregen wünschten? Haben Sie
-nicht ein braves und anerkennenswertes Streben
-der modernen Frau, das Streben nach
-Bildung und Wissen, dadurch erniedrigt, daß
-Sie lauen Herzens und nur deshalb an den
-<a class="pagenum" id="page_118" title="118"> </a>
-Altar der Athene getreten sind, weil es heute
-noch für ungewöhnlich gilt? Dies alles wäre
-noch zu verzeihen. Auch daß Sie Almosen
-geben, weil es zum guten Ton gehört, will ich
-Ihnen nicht zu hoch anrechnen, denn ihr kurzdenkenden
-Frauen könnt das Unheil nicht übersehen,
-das eure Wohltätigkeit <i>en décolleté</i> anrichtet.
-Aber Sie haben mit dem Dinge gespielt,
-das jede echte Frau als eine Offenbarung
-von oben in demütigen Händen empfängt. Sie
-haben mit Ihrer Liebe Parade geritten vor
-klatschlustigen Basen, Sie haben Männer angezogen
-und abgestoßen, um von sich reden
-zu machen, und Sie haben den, der mit gläubigem
-Herzen Ihnen entgegenkam, nicht minder
-geäfft als die Menge Ihrer Zuschauer, um
-deren Beifall es Ihnen so sehr zu tun scheint.
-Denn Sie gaben ihm ein Recht, an Liebe zu
-glauben, und Liebe haben Sie nie gefühlt, nur
-eitle Selbstüberhebung und Hochmut, die beide
-Tugenden galten, von denen Sie nur den
-Schein besitzen. Wie dürfen Sie nun noch Anspruch
-erheben auf eines ehrlichen Mannes
-Gefühl? Ich für mein Teil mag keine Schauspielerin
-zur Frau, und so innig lieb ich Ihr
-schönes Bild leider im Herzen halten muß,
-<a class="pagenum" id="page_119" title="119"> </a>
-so wenig werde ich mich dazu hergeben, Ihren
-Partner zu spielen. Denn die Rolle, die Sie
-mir in Ihrer Komödie eines romantischen Ehestandes
-zudenken, gefällt mir nicht &ndash; und
-übrigens ist die Sache bei mir, Gott sei's geklagt!
-etwas mehr als Komödie!«</p>
-
-<p>So gestand der Doktor seine Liebe und verschwor
-sie im selben Atem, und Sabine hing
-wie ein windbewegtes Blatt zwischen Himmel
-und Erde, zwischen Freude und Scham, zwischen
-höchstem Triumphgefühl und tiefster Erniedrigung.
-Tränen, halb des Zornes und halb
-der Rührung, traten ihr in die Augen, und
-sie empfand in dieser Stunde, was auch die
-seichteste Frau nicht ohne Seligkeit empfinden
-kann, die Herrschaft und Überlegenheit eines
-starken und geradsinnigen Mannes. Wie nun
-auf jedes Weib diese Erkenntnis des Untergeordnetseins
-viel eher beglückend als verletzend
-wirkt, so ward auch für Sabine die Beschämung
-selbst zu einer Quelle der Lust, und
-sie wünschte nichts sehnlicher, als daß der Doktor
-bis in alle Ewigkeit fortfahren möchte, sie
-zu schelten. Er fügte auch noch ein gut Teil
-bei; und sooft er aufhören wollte, sah Sabine
-ihn mit zwar feuchten, aber so strahlend glücklichen
-<a class="pagenum" id="page_120" title="120"> </a>
-Blicken an, daß er schnell wieder einsetzte,
-weil ihm schien, sie sei noch lange nicht
-so zerknirscht und schuldbewußt, wie sie von
-Rechtes wegen hätte sein müssen. Bald wurde
-er dann wieder härter, als er beabsichtigt hatte,
-und nun faßte er ihre Hand, um durch einen
-sanften Druck und etwa ein Streicheln da versöhnend
-entgegenzuwirken, wo seine bitter
-wahren Worte zu tief verwunden mußten. Und
-so zwischen Grausamkeit und Liebe schwankend,
-nahm er Sabinen endlich an sein Herz und
-bedeckte sie mit Küssen, dazwischen hoch und
-teuer schwörend, daß er sie nun und nimmer
-zur Frau haben wolle. Sie aber, von einem
-neuen Gefühle ganz verwirrt und betäubt, ließ
-alles über sich ergehen und fragte in diesem
-Augenblicke sogar nicht einmal, was die Leute
-dazu sagen würden, die ab und zu durch das
-grüne Sträßlein spazierten und mit Lachen dem
-wunderlichen Paare nachblickten.</p>
-
-<p>Es versteht sich von selbst, daß Ricchiari trotz
-all seiner grimmen Vorsätze um Sabinens
-Hand warb und daß er sie erhielt. Der brave
-Mann stellte sich entschieden und tapfer auf
-die Seite der Liebe, besiegte das Widerstreitende
-in seiner Brust und verzieh dem holden
-<a class="pagenum" id="page_121" title="121"> </a>
-Frauenbilde nicht nur alle früheren Torheiten,
-er bemühte sich sogar, in noch bestehende und
-fortwirkende sich zu finden oder sie wenigstens
-mit Anstand zu ertragen. Ricchiari sah seine
-Frau hundertmal des Tages an und fühlte,
-daß er sie bei jedem Blicke heißer liebte als
-zuvor. Er führte sie bald darauf hinweg nach
-der kleineren Stadt und hoffte sie dort in der
-Stille und Zurückgezogenheit in kurzer Zeit zu
-größerer Sinnesschlichtheit umzubilden und das
-Lautere ihres Wesens, woran er nun einmal
-glaubte, von anhaftendem Flitter zu reinigen.</p>
-
-<p>Leider mußte er nur zu bald erkennen, daß
-er sich hierin vergriffen hatte. Die in der
-großen Stadt eine Rolle gespielt hatte, glaubte
-sich in der kleinen noch viel mehr berechtigt,
-alle Augen auf sich zu ziehen. Die Feindseligkeit
-und das Mißtrauen, die ihr allenthalben
-entgegentraten, reizten sie nur zu neuen Künsten.
-Und da sie bald herausgefunden hatte, daß
-dem beschränkten Geiste ihrer Mitbürger nur
-durch eine einzige Eigenschaft zu imponieren
-war, nämlich durch Tugendhaftigkeit, so warf
-sie sich mit ihrem ganzen virtuosen Anpassungsvermögen
-nach jener Seite hin und stellte alle
-Penelopen und Kornelien der Welt durch ihre
-<a class="pagenum" id="page_122" title="122"> </a>
-Leistungen in Schatten. Zugleich aber begann
-jetzt für Sabine wie für ihren Gatten ein
-Martyrium schlimmster Art; es fing damit an,
-daß Sabinens Gefühl für den Doktor mit
-seiner Neuheit dahinging. Wohl hatte die
-Macht von Ricchiaris ehrlicher Gesinnung,
-seine Offenheit, sein Zorn, kurz, die Äußerung
-seiner Männlichkeit so überwältigend auf das
-Wesen mit den verschrobenen Neigungen gewirkt,
-wie eben das Wahre und Gewaltige
-dem Gekünstelten gegenüber wirken muß. Einer
-wirklichen Liebe war Sabine Ricchiari nicht
-fähig, und von der angenehmen Verwirrung
-ihrer Sinne war nichts geblieben als eine
-Empfindung höchsten Unbehagens dem Manne
-gegenüber, der so scharf in jeden Winkel ihrer
-Seele zu leuchten wußte; denn Sabine ahnte
-wohl, daß es keine wertvollen Funde in diesem
-Inneren aufzudecken gab. Das Unbehagen steigerte
-sich nicht selten zur Angst. Und diese
-Angst war es, die sie verhinderte, ihre Schauspielkunst,
-die sie gegen Fernerstehende so glänzend
-behauptete, auch da zu versuchen, wo es
-am meisten gelohnt hätte: Sabine konnte ihren
-Gatten nicht glauben machen, daß sie ihn liebte.</p>
-
-<p>Den ganzen Tag wandelte sie in stumpfer
-<a class="pagenum" id="page_123" title="123"> </a>
-Gleichgültigkeit umher. Daß sie die Großstadt
-und ihren Vasallenkreis vermißte, daß Haushalt
-und Kinderstube sie langweilten, daß sie
-hungerte nach rauschenden Festen, wo ihre
-Schönheit Siege gefeiert hätte, daß der schlichte,
-stäte und zuverlässige Gatte ihrem phantasievollen
-Köpfchen nichts zu denken gab &ndash;
-Ricchiari mußte es täglich aus kalten Mienen
-und lässigem Gebaren erkennen. Da er die
-Frau liebte, tat das ihm weh. Aber man vergegenwärtige
-sich das Leiden, das für ihn anhub,
-sobald ein fremder Fuß das Gemach betrat:
-wie durch Zauberschlag verwandelt, huschte
-die plötzlich erblühende Frau als rühriges
-Hausmütterchen durch alle Räume; Heiterkeit
-strahlte ihr von rosigen Wangen, Liebe aus
-leuchtenden Augen; sie herzte ihre Kinder, sie
-nickte dem Gatten zu; sie redete wirtschaftlich,
-prahlte mit kleinen häuslichen Kenntnissen,
-pries die pastoralen Freuden ihres bescheidenen
-Lebens, scherzte anmutig und überlegen
-über leicht verschmerzte Entbehrungen &ndash; kurz:
-zeigte sich so ganz als das, was sie nicht war
-und doch hätte sein sollen, daß die Klügsten
-betrogen hinweggingen. Laut und leise pries
-alle Welt Ricchiari als den glücklichsten
-<a class="pagenum" id="page_124" title="124"> </a>
-Gatten; und der Doktor hörte es mit finsterem
-Gesichte und verbiß seine Martern: wußte er
-doch aus wiederholter Erfahrung, daß Licht
-und Lächeln in den Augen seiner Frau erlöschen
-würden mit den letzten Lampen des
-Mahles, bei dem sie durch horazische Tugenden
-eine Anzahl leichtgläubiger Gäste berückt hatte.</p>
-
-<p>Diese sichere und stets eintreffende Voraussicht
-machte, daß Ricchiari in Gesellschaft nicht
-eben leidenschaftlich auf die Liebenswürdigkeiten
-seiner Frau einging; dazu war er eine
-zu gerade Natur. Ja, er begegnete in der Regel
-ihren holden Koketterien mit abweisenden
-Blicken und erreichte dadurch, was er eben
-hatte vermeiden wollen, daß alle Leute die
-herrliche Frau, die an solch einen Bären gebunden
-war, erst recht bewunderten und bedauerten.
-Dieses Bedauern, das der unglückliche
-Mann in allen Mienen lesen mußte, war
-seine schärfste Qual. Es war ihm unmöglich,
-auf die unedle Pose einzugehen, die Sabine
-vor der Welt aufrechterhielt und mit welcher
-sie ihm seine tiefe und wahrhafte Liebe so
-übel vergalt. Jeder Versuch aber, die Komödie
-zu durchbrechen, prallte an Sabinens unerschöpflicher
-Sanftmut und Holdheit ab, und
-<a class="pagenum" id="page_125" title="125"> </a>
-immer blieb das gewandte Weib im Vorteil,
-immer mehr vergab sich der von Leidenschaft
-gepeinigte Mann in den Augen der Kurzsichtigen,
-die nach dem Schein urteilten. Bald
-war Sabine nah und fern als eine neue Griseldis
-gerühmt, der Doktor als ein Tyrann
-verschrien; und das ruchlose Geschöpf war wirklich
-erbärmlich genug, sich an dieser Rolle zu
-ergötzen. Die Art und Weise, wie sie Mitleid
-von sich wies und ihren Gatten zu entschuldigen
-suchte, war mit Feinheit so berechnet, daß
-auch wieder niemand als sie selbst dabei gewann:
-denn nun prunkte sie noch mit einem
-Edelmute, der ihr sehr ferne lag, da sie genau
-wußte, daß in Wirklichkeit ihr Gatte der still
-Duldende und Vergebende war. Daß ich selbst
-von diesem Spiele fast gefangen worden wäre,
-habe ich wohl schon angedeutet. Sabinens Geständnisse
-am Bette des Selbstmörders ließen
-mich klar in dies fürchterliche Verhältnis blicken.
-Die Unselige erzählte mir selbst, daß ihr Mann
-sie einmal mit Tränen in den Augen gebeten
-habe, ihm in Gegenwart von Leuten nicht mehr
-so zärtlich zuzunicken, da sie es doch in Stunden
-des Alleinseins mit ihm nicht wolle oder
-nicht könne. Dies habe ihr ins Herz geschnitten,
-<a class="pagenum" id="page_126" title="126"> </a>
-und sie habe eine Zeitlang wieder ein wärmeres
-Gefühl für ihn zu empfinden geglaubt, ein
-solches auch mit ängstlicher Deutlichkeit an den
-Tag gelegt. Ricchiaris trauriges Lächeln habe
-sie wohl belehrt, daß sie ihn nicht täuschen
-könne, und diese Erkenntnis habe sie selbst
-mit Bitterkeit erfüllt. Nach kaum einer Woche
-sei ihr machtloser Wille wieder erlahmt, Leben
-und Umgebung hätte sie gelangweilt, das tägliche
-Einerlei von Kleinem und Kleinstem die
-alte Verstimmung wieder wachgerufen. Vor
-Zeugen aber habe sie nach wie vor ihr äußeres
-Scheinleben weiterführen müssen und sich dabei
-selbst wie behext gefühlt; denn sie sei sich
-ihrer Falschheit wohl bewußt gewesen, ohne
-sich ihrer jedoch erwehren zu können.</p>
-
-<p>Ich fragte Sabinen, ob sie sich über die
-Empfindungen Rechenschaft geben könne, die
-sie beherrschten, während sie dies verräterische
-und für ihren Gatten so grausame Spiel trieb.
-Sie gestand mir nach einigem Sinnen, daß sie
-sich immer durch das Verhalten der Leute selbst
-gleichsam dazu gereizt gefühlt habe. Denn wie
-ein offenes Buch habe jedes Herz vor ihr sich
-aufgetan, und was sie da zu lesen geglaubt,
-war eben die Erwartung dessen, was mittlerweile
-<a class="pagenum" id="page_127" title="127"> </a>
-wirklich schon eingetreten war. Jeder
-Blick schien sie zu fragen: hast du die übereilte
-Verbindung noch nicht bereut? hält die Romantik
-dem wirklichen Leben stand? sehnst du dich
-nicht zurück nach dem Kreise, für den du geboren
-bist? Bereits glaubte sie zu hören, wie
-triumphierend Nachbarin zu Nachbarin flüsterte:
-wir haben es vorausgesagt! Bereits
-war ihr, als spitze sich jeder Beau, der huldigend
-ihre Hand küßte, schon im stillen darauf, der
-Hausfreund der schönen Doktorsfrau zu werden.
-Daß aller Augen auf ihren Fall warteten, hatte
-sie richtig erraten, und sie hätte sich, wie sie
-sagte, lieber in Stücke reißen lassen, als dem
-Volke die Freude des Rechthabens zu gönnen.</p>
-
-<p>Die Spannung zwischen den Gatten kam
-endlich so weit, daß Ricchiari die Scheidung
-vorschlug. Ihm schien es leichter, sich der begehrten
-Frau ganz und gar zu entwöhnen, als
-fürder unter ihren Lieblosigkeiten zu schmachten.
-Dennoch mußte ihn der Vorschlag schwere Überwindung
-gekostet haben, und Sabine, die es
-verstand, war von seinem Leiden einigermaßen
-erschüttert. Aber als sie dies Anerbieten zurückwies,
-tat sie es dennoch erst in <em class="ge">zweiter</em> Linie
-aus Mitleid mit dem Manne; ihr erster Gedanke
-<a class="pagenum" id="page_128" title="128"> </a>
-war auch hier wieder: »wie würden die
-Leute sich freuen!« und deshalb willigte sie
-nicht in die Scheidung.</p>
-
-<p>Ricchiari, der mit weißen Lippen seinen Antrag
-gestellt hatte, errötete ein wenig, als sie
-rasch und heftig »Nein!« sprach. »Darf ich
-hoffen,« fragte er mit unsicherer Stimme, »daß
-es dir doch ein wenig leid tun würde, mich
-zu entbehren?« Sie schaute ihn an und hätte
-Welten darum gegeben, hätte sie jetzt ihr Verstellungstalent
-zur Hand gehabt, das ihr vor
-Fremden doch nie versagte. Aber vor den
-ehrlichen Augen dieses Mannes war sie gelähmt,
-sie fand das falsche Lächeln nicht, oder
-vielmehr, sie wußte, daß es ihn nicht würde
-betrügen können. Sie sah zur Seite, zitterte
-und stammelte endlich: »Um der Kinder willen
-laß uns beisammen bleiben!« und das war das
-einzige, was sie antworten konnte ohne direkte
-Unwahrheit. Wirklich war das ein Grund,
-dem Ricchiari sich beugen mußte; und wenn
-es für ihn irgendeinen Trost gab, so mußte es
-der Gedanke sein, daß Sabine in diesem einen
-Punkte wenigstens durch ein braves und natürliches
-Gefühl geleitet worden sei.</p>
-
-<p>So also standen die Dinge in Ricchiaris
-<a class="pagenum" id="page_129" title="129"> </a>
-anscheinend so tadelloser Häuslichkeit. Eine
-Frau von unfehlbarer Lebensführung und wertvollen
-Eigenschaften verstand die bescheidene
-Kunst nicht, einen schlichten Mann glücklich
-zu machen; und ein Mann, der jede andere
-Frau durch die Fülle und Tiefe seines Empfindens
-hoch beglückt hätte, mußte seine köstliche
-Flamme vor einem Götzenbilde von Erz verlodern
-sehen, und kein Zeichen belehrte ihn, ob
-sein Opfer Gnade gefunden.</p>
-
-
-<h3>4.</h3>
-
-<p>Sylva stammte aus guter, alter Familie. Er
-war wohlhabend und hatte Ansehen. Aber er
-war auch brav, tüchtig, ernsthaft und seelenrein,
-wie wenige Menschen in dieser verderbten
-Zeit und in den Kreisen, aus denen er stammte.
-Er war dreiundzwanzig Jahre alt.</p>
-
-<p>Sabine Ricchiari war eine zu blendende
-Erscheinung, um von dem neuen Ankömmling
-nicht alsbald bemerkt zu werden, und entzückt
-erkundigte er sich sofort nach Namen und Geschichte
-der schönen Frau. Der Bescheid, den
-er erhielt, entsprang der falschen Meinung,
-die Sabinens ruchloses Spiel in den Köpfen
-der Leute gezeitigt hatte. Die Frau, so hieß
-<a class="pagenum" id="page_130" title="130"> </a>
-es, sei ein vornehmes und mit allen holden
-Gaben geschmücktes Wesen, an einen Mann
-gekettet, der nicht wert sei, ihr die Schuhriemen
-zu lösen, und der das Gotteswunder nicht zu
-schätzen wisse, das mit solch einem Weibe über
-sein Haus gekommen. Vielmehr behandle er
-sie höchst lieblos, sie aber ertrage mit engelgleicher
-Geduld all seine Launen, und nie
-habe jemand sie ein Wort der Klage äußern
-hören. Ja, selbst den Mangel all des Glanzes,
-zu welchem ihre Geburt sie berechtigte, habe
-sie mit solcher Anmut und Heiterkeit auf sich
-genommen, daß alt und jung vor einem so
-seltenen Frauencharakter in Bewunderung vergehe.
-Niemand könne an dem herrlichen Bilde
-die leiseste Trübung nachweisen, und allgemein
-werde nur bedauert, daß nicht ein würdiges
-Eheglück ihr beschieden sei.</p>
-
-<p>Solche Kunde war natürlich dazu angetan,
-ein Jünglingsherz zu rühren. Sie aber ahnte
-nicht, welchen Quellen die scheue Verehrung
-entsprang, die sie alsobald in den Augen des
-jungen Mannes zu lesen begann; seicht wie
-sie selbst war, schloß sie nur auf seichte Leidenschaft,
-wie ein blühender Frauenleib sie wohl
-zu wecken vermag, und wandte sich mit einem
-<a class="pagenum" id="page_131" title="131"> </a>
-spröden Gesichte zur Seite, so oft sie dem
-stillen Minnewerber begegnete. Sie selbst gestand,
-daß sie damals nichts als Groll empfand,
-jenen alten Groll gegen angenehme und sogenannte
-unwiderstehliche Männer, die jede Frau
-als leichte Beute behandeln.</p>
-
-<p>Es hatte nämlich bereits die öffentliche Aufmerksamkeit
-sich auf Blicke und Mienen des
-schmachtenden Jünglings gerichtet, und eine
-Schar von solchen Geistern, die nie das Unheil
-zu bemessen verstehen, das sie anrichten, ergriff
-sofort diese wahrlich ernste Sache als ein neues
-und willkommenes Spielzeug. Keine der Freundinnen
-und Nachbarinnen konnte sich das Vergnügen
-versagen, Sabinen die Beobachtungen
-zu hinterbringen, die sie an Sylva gemacht
-hatten, und jene bekannten neckenden Bemerkungen
-daran zu knüpfen, die bei solch kurz
-denkenden Wesen besseren Gesprächstoff ersetzen.
-Und diese Gefühllosigkeit gab leider
-der gefühllosesten unter den törichten Frauen
-den Anstoß, um aufs neue und tiefer als jemals
-in ihr altes Laster des Posierens zu
-verfallen.</p>
-
-<p>Sabine wies die Neckereien der Freundinnen
-anscheinend mit Ernst und Würde zurück, dabei
-<a class="pagenum" id="page_132" title="132"> </a>
-aber verfehlte sie nicht, mit feiner Wahl
-des Ausdruckes soviel Teilnahme für den
-stillen Anbeter zu verraten, als eine anständige
-Frau ohne Furcht vor Mißdeutungen an den
-Tag legen darf. Noch eine Nuance mehr Interesse,
-so gab sie, dessen war sie sich wohl bewußt,
-falschen Vermutungen Raum. Und dennoch
-&ndash; so unglaublich es scheint! &ndash; überschritt
-sie diese Linie, überschritt sie, während ihr
-selbst die Erkenntnis dessen, was sie tat, kalte
-Schauer über den Rücken jagte. Warum sie
-es tat &ndash; Gott weiß es! Sie wollte eben wieder
-einmal ihre Tugend zu allgemeiner Betrachtung
-aushängen. Sie arbeitete ihre Komödie
-mit gewohntem Raffinement aus, und die
-Freundinnen gingen mit der Gewißheit hinweg:
-»Sabine Ricchiari liebt den jungen
-Sylva. Aber mit eiserner Hand wird sie ihre
-Wünsche ersticken. Ihre Tugend ist über jede
-Versuchung erhaben.«</p>
-
-<p>Alles dieses wäre noch kein Verhängnis
-gewesen. Aber nun gingen die schwatzenden
-Elstern hin und bearbeiteten den Jüngling.
-Sylva hatte das Unglück, jene sanfte und weiche
-Schönheit zu besitzen, auf welche ältliche Weiber
-besonders toll sind. Jede einzelne der
-<a class="pagenum" id="page_133" title="133"> </a>
-müßigen Redespinnerinnen suchte aus der eben
-gemachten Entdeckung einen Vorwand zu konstruieren,
-um sich dem jungen Manne zu
-nähern, sein Vertrauen zu gewinnen, als sympathetische
-Seele seinen Schmerz zu teilen und
-&ndash; aber dieser Gedanke lauerte nur ganz verborgen
-im Hintergrunde! &ndash; womöglich zu
-heilen. Sylva, jung und nicht übermäßig erfahren,
-war schnell umgarnt. Bald hatte er
-drei oder vier »mütterliche Freundinnen«, die
-sich darin überboten, ihm zu sagen, was er zu
-hören brannte. Und bald war auch er von der
-Überzeugung durchdrungen, daß Sabine ihn
-im stillen liebe. Jetzt erst stiegen seine Hoffnungen
-zu äußerster Kühnheit empor, und jetzt
-erst lag sein Herz zu tiefst im Staube vor dieser
-Frau, die er unglücklich glaubte und doch von
-siegreicher Reinheit in ihrem Unglücke. Hatte
-er sie vorher schon mit heißester Glut begehrt,
-so betete er jetzt geradezu die Spur ihrer Füße
-im Sande an, überwältigt von ihrer unantastbaren
-Tugend.</p>
-
-<p>Und seine Trösterinnen sorgten dafür, daß
-ihm der Mut nicht sank. Jedes Wort Sabinens
-wurde ihm hinterbracht; und da es die
-Frau in entsetzlicher Verblendung nicht lassen
-<a class="pagenum" id="page_134" title="134"> </a>
-konnte, ihre Rolle weiter und weiter zu verfeinern
-und auszugestalten, so gab es bald
-ordentlich was zu hinterbringen. Die Phantasie
-der Zwischenträgerinnen tat das ihre.</p>
-
-<p>Sylva schien zu glauben, daß dieser Frau
-gegenüber, die es verschmähte, sich um ihr
-Glück zu wehren, gewaltsamere Schritte erlaubt
-wären. Er suchte eine Zusammenkunft mit ihr,
-und die Trösterinnen rangen um den Vorzug,
-sie ihm zu verschaffen. Diejenige, der in dieser
-edlen Konkurrenz der Sieg zufiel, besaß einen
-schattigen und abgelegenen Garten, dahin lud
-sie Sabinen zu einem Plauderstündchen, und
-Sylva erschien wie zufällig. Nun verschwand
-die hilfsbereite Freundin, und das Paar stand
-sich gegenüber.</p>
-
-<p>Sabinens Augen funkelten. Sie begriff sofort
-das Beabsichtigte der Situation, und neben
-einem kleinen Ärger über die niedrige Kuppelsucht
-ihrer Vertrauten, die ihr jetzt klar zum
-Bewußtsein kam, regte sich sofort und übermächtig
-auch die Freude darüber, daß endlich
-für sie der Augenblick gekommen sei, ihre sittliche
-Größe ganz zu zeigen. Sie bedauerte nur
-die Abwesenheit der Freundin, die ihr eine
-willkommene Zeugin gewesen wäre. Daß diese
-<a class="pagenum" id="page_135" title="135"> </a>
-Freundin in sicherem Verstecke die ganze Szene
-belauschte, konnte sie freilich nicht ahnen.</p>
-
-<p>Der Jüngling, ehrlich und geradeaus in
-seiner Liebe, ergriff alsbald das Wort und
-erklärte freimütig, daß er keineswegs zufällig
-gekommen sei, sondern in der bestimmten Hoffnung,
-Sabine allein zu sehen und zu sprechen.
-Sie habe ihm diese Möglichkeit bisher versagt,
-obgleich sie wissen müsse, was er für
-sie empfinde; doch sei er sich seines Unwertes
-vor ihr bewußt, wie seiner Vermessenheit, vor
-sie zu treten. Dies habe er nun gewagt, weil
-er den Zustand der Dinge unmöglich länger
-ertragen könne und lieber ein verdammendes
-Urteil für alle Zeit auf sich nehmen wolle, als
-fürder zwischen Hoffen und Verzweiflung zu
-schweben. »Und warum Hoffen?« unterbrach
-ihn Sabine voll Hochmut. »Habe ich Ihnen
-je ein Recht dazu gegeben?« &ndash; »Nicht Sie,«
-antwortete Sylva in einiger Verwirrung, »aber
-die schlimmen Verhältnisse, in denen Sie leben,
-und die, verzeihen Sie mir! leider genugsam
-bekannt sind.« Sabinens Antlitz flammte auf,
-und jetzt stand sie im Begriffe, das Lügengespinst
-zu zerreißen. »Was sagen Sie?« rief
-sie in echter Entrüstung. »Welche Verhältnisse?
-<a class="pagenum" id="page_136" title="136"> </a>
-Ich bitte, sich deutlicher zu erklären!«
-Sie rang, von Scham eine Sekunde lang überwältigt,
-nach Worten, den verhängnisvollen
-Irrtum zu heben, wußte nicht, wo beginnen,
-wurde aufgeregt und ängstlich. Unterdessen
-sprach Sylva, der ihren Zorn nach seiner Art
-deutete, auf sie ein, schilderte mit Farben,
-die er aus der Tiefe seines gläubigen Herzens
-holte, ihr Bild, wie es ihm erschien, in all der
-Heiligkeit entsagungsvoller Treue, in all der
-Größe, Reinheit und süßen Trauer, die er ihr
-andichtete, und bemerkte beglückt, daß sie
-ruhiger wurde und endlich in augenscheinlicher
-Ergriffenheit ihm zuhörte. Wirklich dämmerte
-ihr etwas von dem bitteren Ernste der Lage.
-War bei ihrer plötzlichen Besänftigung auch
-vielleicht in erster Linie wieder das kindische
-Wohlgefallen an sich selbst im Spiele gewesen,
-das Sylvas Worte so angenehm streichelten,
-so möchte ich doch annehmen, daß der Anblick
-der unschuldigen, heiß flehenden Augen, die
-köstlich reine Verehrung des armen Jungen
-etwas von ihren weiblichen Empfindungen
-wachriefen und vibrieren machten. Denn von
-hier an kann ich Sabinens Verhalten nicht
-mehr ganz als Pose auffassen.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_137" title="137"> </a>
-»Der Anblick Ihres Jammers«, so sprach
-Sabine, »zerreißt mir das Herz. Wollte Gott,
-ich dürfte milder sein, denn Strenge wird
-mir schwer, wo ich an ein echtes Gefühl glauben
-muß. Nicht oft im Leben ist mir ein solches
-begegnet, und ich wünschte, ich müßte nicht
-zurückweisen, was manche andere Frau mit
-Stolz und Freude annehmen würde. Aber
-bedenken Sie, daß diese Liebe, die Sie mir
-entgegenbringen und die in ihrer hohen und
-edlen Natur das Wertvollste ist, was eine Frau
-auf ihrem Lebenspfade finden kann, zugleich
-eine erniedrigende Zumutung an mich enthält.
-Nein, erschrecken Sie nicht &ndash; ich zürne nicht,
-denn ich weiß, was Sie leiden! Dennoch haben
-Sie es sich allzu leicht vorgestellt, das Pflichtbewußtsein
-einer Frau zu überwinden. Vergaßen
-Sie, daß ich Kinder habe? Wenn ich
-unterliege, so trifft mich kein Verlust, den eine
-Liebe wie die Ihre mir nicht ersetzen könnte;
-aber die ganze Härte der Konsequenzen fällt
-auf die unschuldigsten Häupter, die somit mein
-und Ihr Vergehen zu büßen haben werden.
-Welches Glück könnte auf solchem Grunde aufgebaut
-werden? Lassen Sie mich, um Ihrer
-selbst willen, an Ihr besseres Selbst appellieren!
-<a class="pagenum" id="page_138" title="138"> </a>
-Sie werden überwinden, Sie können es!
-Es gibt unfehlbare Tröster: die Arbeit, die
-Kunst &ndash; zu diesen flüchten Sie! Erhalten
-Sie Ihr Leben rein, bessere Menschen als ich
-bin haben noch Rechte an Ihre Zukunft. Diese
-erhalten Sie unbefleckt, diese opfern Sie nicht
-einer vielleicht flüchtigen Leidenschaft! Seien
-Sie stark &ndash; Sie sind ein Mann: muß ich es
-doch sein, die ich nur ein schwaches Weib bin!«</p>
-
-<p>Sylva hatte von Sabinens Rede nichts gehört,
-als daß sie an seine Liebe glaubte, und
-das war mehr, als er geträumt hatte. Zitternd
-vor Seligkeit warf er sich vor ihr nieder, mächtig
-hinströmend ergoß sich sein Gefühl, so daß es
-der erschrockenen Frau wohl scheinen mochte,
-als wankte der Boden und die alten Stämme
-gewaltiger Bäume rings um sie vor dem Anprall
-einer Flut, die sich rauschend und klingend
-durch das All verbreitete. Wieder, wie
-schon einmal im Leben, stand sie dem Elemente
-gegenüber und hatte die Kraft nicht, sich darüber
-zu erheben. Wieder ließ sie sich hinreißen.
-Über solche Wellen hatte der flache Kiel ihres
-Seelenschiffleins keine Gewalt. Es trieb, es
-schwankte und wäre zerschellt, wenn nicht
-Sylva selbst in seiner Redlichkeit den Sturm gemeistert
-<a class="pagenum" id="page_139" title="139"> </a>
-hätte. Mehr auf die Geliebte als
-auf sich selbst bedacht, kam es ihm durchaus
-nicht zu Sinn, ihre Verwirrung zu nützen, und
-bereits hatte seine fromme Phantasie Mittel
-und Wege einer rechtlichen Verbindung zwischen
-ihm und der angebeteten Frau gefunden.
-»Kein Unrecht!« so rief er aus, »keine Schmach
-auf dir, du einzig Geliebte! Ich trete vor
-deinen Gatten, ich stelle ihm deine Entsagung,
-deinen Opfermut vor, ich zeige ihm, wie du
-um deiner Pflicht willen dein Herz ersticken
-wolltest! Ist etwas Menschliches in ihm, so
-muß er dich freigeben!«</p>
-
-<p>Ernüchtert und entsetzt riß Sabine sich los.
-Ihr Verstand, der einige Minuten lang geschwärmt
-hatte, stand plötzlich wieder auf festen
-Füßen, und sie überblickte nun mit ziemlichem
-Schrecken den Schaden, den sie angerichtet.
-Nichts konnte dieser Frau, deren Abgott das
-»<i>Qu'en dira-t-on?</i>« war, unwillkommener sein, als
-die Aussicht, daß Sylva in seinem Eifer bis
-zur ernsthaften Forderung einer Scheidung
-gehen könnte. Hunderte von Fällen ähnlicher
-Art, an denen ja heutzutage Wirklichkeit und
-Dichtung so Artiges liefern, fielen ihr ein:
-immer und unter allen Umständen haftete der
-<a class="pagenum" id="page_140" title="140"> </a>
-Frau, die einen gesicherten und geachteten
-Hausstand preisgab, um sich der abenteuerlichen
-Liebe eines weit jüngeren Mannes anzuvertrauen,
-mindestens Lächerlichkeit an. Und was
-fürchtete Sabine mehr als Lächerlichkeit? Und
-allen Grund hatte sie, diese zu fürchten, denn
-gerade <em class="ge">sie</em> fiel furchtbar, wenn sie fiel. »<em class="ge">Das</em>
-war die Tugend Sabinens?« schallte ihr's im
-Ohr, hundert lachende Stimmen, hämisch, triumphierend,
-fröhlich und harmlos spottend,
-aber <em class="ge">alle lachend</em> schienen aus allen Ecken
-des Gartens den lustig erstaunten Ruf zurückzugeben.
-Flammen der Scham loderten ihr
-im Antlitz. Sie stieß den Jüngling von sich,
-stammelte in höchster Ratlosigkeit ein paar
-Worte von Überlegung und Zeit zum Sammeln
-und enteilte.</p>
-
-<p>Sylva, trunken und träumerisch, mag ihr
-nachgeblickt haben, wie ihr helles und in seiner
-Flucht anmutig bewegtes Bild in der violetten
-Tiefe des abenddämmrigen Gartens unterging.
-Dann mag es in jedem Laubengange vor ihm
-hingewandelt sein, in tausend holden Erscheinungen
-wechselnd, bald mit kummervollen
-Augen ihn abwehrend, dann wieder lockend
-und verheißend mit solchem Lächeln, wie er
-<a class="pagenum" id="page_141" title="141"> </a>
-nun bald in Wahrheit von Sabinen zu verdienen
-hoffte. Der junge Mann verweilte bis
-tief in die Nacht im dunklen Garten, und
-ich sehe ihn heute noch in Gedanken, wie er
-mit Sternen und Blumen sprach, die Zweige
-küßte, die das Haar der fliehenden Göttin
-gestreift hatten, und aufgelöst in demütiger
-Seligkeit vor der Rasenbank kniete, auf der
-sie gesessen. Wer von uns, der jung war,
-sieht ihn nicht so?</p>
-
-<p>Am Tage darauf erhielt Sabine ein Briefchen,
-worin Sylva um eine neue Zusammenkunft
-bat. Hätte die leiseste Spur von Selbstbewußtsein
-sich in dem Schreiben verraten,
-so hätte die leichtverletzliche Schöne ohne Zweifel
-eine schroffe Antwort gefunden, die alles
-abgeschnitten hätte. Aber der liebende Jüngling
-ehrte so sehr den Kampf, den, wie er
-glauben mußte, eine edle Frau zwischen Pflicht
-und Liebe führte, daß er kaum in bescheidenster
-Weise anzudeuten wagte, zu welchen Hoffnungen
-ihn Sabinens Verhalten berechtigte. Die
-Fassung des Briefchens rührte Sabinen, und
-die Verantwortung, die diesem jungen Herzen
-gegenüber auf ihr lag, stellte sich ihr drohend
-vor. Sie beschloß, dem Bittenden das verlangte
-<a class="pagenum" id="page_142" title="142"> </a>
-Wiedersehen zu gewähren, und glaubte
-in lauterer Absicht zu handeln: wollte sie ihm
-doch nur zur Vernunft reden! Und sie antwortete
-in freundlich gewährendem Sinne.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>In der Stunde freilich, wo Sabine in grausiger
-Selbstanklage gerade diesen Teil ihrer
-Geschichte über das Haupt ihres toten Richters
-hinschrie, in der Beichte am Bette des Geopferten,
-gab sie anderen Motiven schuld an
-diesem letzten törichten Schritte. In Selbstzerfleischung
-und Reue so maßlos, wie sonst
-in Selbstüberhebung und Eitelkeit, suchte sie
-hervor, was sie verdammen konnte, und verschmähte,
-was irgend zu ihren Gunsten sprechen
-mochte. »Nichts wollte ich,« so rief sie in ihrer
-Verzweiflung, »als den Weihrauch atmen, den
-er mir streute! Nichts, als ihn wiederholen
-hören, was, wie ich wußte, die Fama ihm zugeflüstert,
-wie groß und gut ich sei. Um das zu
-hören, habe ich in der zitternden Seele vor
-mir alle Stadien der Glut zu erregen gesucht
-und mich, ohne eigenes Verlangen, am Gefühle
-der Meisterschaft berauscht, mit welcher
-ich das Element dämpfte und wieder schürte:
-denn jedes neue Emporlodern der Flamme
-stellte eine neue Verherrlichung meines Selbst
-<a class="pagenum" id="page_143" title="143"> </a>
-dar, und immer schöner und erhabener schien
-er mich zu sehen, je mehr ich ihn quälte. Sein
-armes, von sehnsuchtsvoll durchwachten Nächten
-blasser und blasser werdendes Gesicht war das
-Reklamebild meiner Tugend, und im letzten
-Grunde, wenn ich's recht bedenke, habe ich ihn
-auch in den Tod getrieben, damit nur einmal
-meine Unbesiegbarkeit durch einen öffentlichen
-Akt dargelegt werden möchte.« Es liegt mir
-fern, der unglücklichen Frau in dieser traurigen
-Übertreibung zu folgen. Vielmehr glaube ich,
-daß, ihr selber unbewußt, ein neuer Trieb sie
-beherrscht habe, der zwar nicht minder sträflich,
-aber weitaus natürlicher und menschlicher
-war; und diesem möchte ich gern alle weiteren
-Torheiten der Armen zuschreiben. Freilich denke
-ich nicht an ein solches Gefühl, das dem Sylvas
-auch nur im entferntesten die Wage halten
-konnte: dessen war Sabine nicht fähig. Aber
-ein leiser Widerhall davon muß doch vorhanden
-gewesen sein. Keine Frau kann eine
-solche Liebe sehen, dieses Himmelsfeuer von
-Gottes eigenstem Altare, ohne einen Schimmer
-davon mit sich herumzutragen, wie Marienkind,
-als es die innerste Himmelskammer geöffnet
-und die heilige Dreieinigkeit im Goldglanze
-<a class="pagenum" id="page_144" title="144"> </a>
-erblickt hatte. Und dieser Abglanz, wenn
-schon nicht mehr, mußte in Sabinens Seele
-gefallen sein, ein erstes, wahrscheinlich unverstandenes
-Regen zarter Neigung, das sich nur
-noch nicht zum Erscheinen durchgekämpft hatte.
-Diesen Schluß zu ziehen, berechtigt mich Sabinens
-Gebaren an der Leiche Sylvas, das
-sonst unbegreiflich gewesen wäre.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und so geschah alles, wie es geschehen mußte.
-Wieder lag dämmriger Abendschein über Lauben
-und Büschen des stillen Gartens. Die
-Allee schien ein goldenes Gewölbe, wie schimmernde
-Schätze lag rötliches Laub über den
-Boden gestreut. Ein scharfes gelbes Licht, von
-Westen her geworfen, prallte an den Stämmen
-der schönen alten Bäume ab und zeichnete ihre
-Schatten quer über den flimmernden Grund,
-daß es aussah, als hemmten schwarze Balken
-das Wandeln über die kostbaren Fliesen. Mit
-jeder Elle, die Sabine im frühherbstlichen
-Blätterfall vorwärtseilte, überschritt sie eine
-dieser dunklen Schicksalsschwellen, mit jedem
-solchen Überschreiten stand sie tiefer in ihrem
-Verhängnisse. Am Ende des Ganges lag die
-Laube, wo Sylva sie erwartete.</p>
-
-<p>Als die Nacht sank und die Frau durch die
-<a class="pagenum" id="page_145" title="145"> </a>
-Allee zurückhuschte, waren die finsteren
-Schattenschwellen verschwunden. Auf den Weg
-zur Sünde hin hatte das Schicksal ihr die warnenden
-Zeichen gelegt; jetzt war alles bleiches
-Grau; den Weg zurück wies keine Hand von
-oben.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sabine glaubte einen Teil ihres Selbst zu
-retten, als sie in ihre wilde Beichte die scheue
-Bemerkung einschob, Ehebruch im landläufigen
-Sinne des Wortes habe sie immerhin nicht
-begangen. Mein Gott, das glaubte ich ihr nur
-zu sehr! Wollte ich doch, um des armen Jungen
-willen, diese Armseligkeit wäre weniger
-glaubhaft gewesen! Wie mag sie ihn hingehalten
-haben, wie seine Sehnsucht gefoppt!
-Das sehe ich, ohne daß sie es zu schildern
-brauchte, das sehe ich, wie sie spärliche Liebkosungen
-sich mühsam abringen ließ, als wäre
-es königliche Gunst, ihre kalten Fingerspitzen
-zu berühren; wie sie den äußersten Rand ihres
-Kleidersaumes erst nach tausend Bitten preisgab,
-eine welke Blume für hundert treue und
-gute Worte, und einen lauen Kuß auf die
-Stirne erst dann, wenn sie fürchten mußte,
-den allzu Geduldigen für immer zu entmutigen.
-Ich sehe sie! Und ich hätte nicht selbst einmal
-<a class="pagenum" id="page_146" title="146"> </a>
-ein armer junger Narr sein müssen, hätte es
-mich wundern sollen, daß diese Kargheit, die
-den Schein der Ehre für sich hatte, den gläubigen
-Knaben nur fester an seine Göttin band.</p>
-
-<p>Sabinens Kunst, diese Sprödigkeit, die zum
-Teile in ihrem hochfahrenden Charakter begründet
-lag, für das Ergebnis schwerer Seelenkämpfe,
-für einen Sieg ihres Entsagungsmutes
-auszugeben, muß indes bis zur höchsten Vollendung
-gewaltet haben. Denn nicht nur das
-gute fromme Kind war betrogen &ndash; auch der
-Klatsch, der alles zu entstellen geneigt ist, der
-Klatsch im Kaffeekranz und der weitaus schlimmere
-am Biertisch &ndash; der Klatsch, der natürlich
-in den treulichen Berichten der emsig lauschenden
-Gartenbesitzerin seine Quelle hatte &ndash;
-auch der nahm die Sache ohne weiteres von
-derselben Seite. Alle Sympathien galten der
-Frau, den Jüngling bedauerte man kaum,
-Ricchiari hätte mancher vielleicht eine Schlappe
-vergönnt. Ich glaube fest, daß es Wetten gab
-um den Ausgang der Sache; war dem so, so
-setzte die Mehrheit auf Sabine Ricchiaris
-Tugend.</p>
-
-<p>Der einzige Mensch, der nicht betrogen war,
-war Ricchiari selbst. Ihm, dem Menschenkundigen,
-<a class="pagenum" id="page_147" title="147"> </a>
-mußte vor allen Dingen die sonderbare
-Erregung auffallen, in welcher er seine
-Frau jetzt öfters sah, ihre heimlichen Gänge,
-ein häufiges Kommen und Gehen von Freundinnen,
-die stets über Gebühr zärtlich Abschied
-zu nehmen pflegten &ndash; und dergleichen wohlbekannte
-Anzeichen mehr. Und da er ein Mann
-am Platze war, so beherrschte er die eigene Unruhe,
-forschte gewandt umher, spähte, folgerte,
-kombinierte &ndash; und erriet endlich, was zu erraten
-war. Noch immer freilich kannte er die
-ganze Hohlheit des Wesens nicht, auf das er
-einst so viel gebaut; doch überraschte ihn an
-Sabinen, daß sie heimlicher Leidenschaft sollte
-fähig sein. Er grübelte unter heftigen Schmerzen
-über diese neue Wendung der Dinge nach,
-versuchte seine Frau bald durch Laune, bald
-durch Zärtlichkeit, fand sie aber in ihrem Verhalten
-gegen ihn unverändert; er wurde irrer
-und wirrer an ihr, als er je gewesen, und das
-Rätselhafte der Erscheinung quälte ihn fast
-mehr, als seine immerhin nicht geringe Eifersucht.
-Endlich verfiel er auf eine List von so
-lächerlicher Art, daß er sich fast schämte, sie
-anzuwenden, eine Niedrigkeit, die nur seinem
-äußerst gereizten Zustande zugute gehalten werden
-<a class="pagenum" id="page_148" title="148"> </a>
-muß: und siehe, da fing er die Törin!
-Er brachte nämlich mehrfach das Gespräch,
-und zwar in Gegenwart möglichst zahlreicher
-Zeugen, auf das Recht freier Liebe und auf
-einzelne Beispiele hypermoderner Ansichten
-über diesen Punkt, wie jede Gesellschaft sie
-liefert; und zwar vertrat er listig herausfordernd
-die Sache der frevelhaftesten Ungebundenheit.
-Wie er es erwartet, so nahm Sabine
-höchst eifrig die Partei der strengsten Ehemoral
-und rasselte förmlich mit Tugendsprüchen.
-Ricchiari redete von Tag zu Tag ketzerhafter,
-schien sich in die Sache zu verbeißen, nannte
-die Ehe ein Kulturübel und wollte jeden vernunftbegabten
-Menschen sich über die erniedrigende
-Fessel erheben sehen; seine Zuhörer saßen
-ordentlich entgeistert, denn in diesem Tone hatte
-man im Städtchen bislang noch nicht reden
-hören, wenigstens keinen Familienvater; das
-aber schien den Doktor nicht anzufechten, oder
-auch: er mochte wissen, daß er in der Achtung
-seiner Mitbürger ohnedies als Mensch nicht
-mehr viel zu verlieren hatte. Sabine dagegen
-nahm in der sonderbaren Sache wieder nur
-die Gelegenheit wahr, sich in Szene zu setzen,
-und genoß das unheimliche Geplänkel ordentlich,
-<a class="pagenum" id="page_149" title="149"> </a>
-ohne auch nur zu ahnen, daß eine Absicht
-dahinterstecken konnte. Sie sagte Dinge, die so
-rührend und schön waren, daß man einen
-Ehestandskatechismus davon zusammenstellen
-konnte, und deren schlagende Wirkung sie wahrscheinlich
-vorher an dem armen Sylva erprobt
-hatte. So setzte sie zum Beispiel auseinander,
-daß die wahre Liebe &ndash; im edelsten Sinne
-Liebe! &ndash; zwischen Mann und Weib erst dann
-beginnen könne, wenn die Leidenschaft dahingegangen;
-denn im Jugendrausch das Geliebte
-anzubeten, sei keine Kunst und kein Verdienst;
-wohl aber sei es edler Naturen würdig, Schwächen
-und Torheiten des Gefährten geduldig
-und verstehend zu ertragen, und erst, wo dieses
-göttliche Allesverzeihen eingetreten sei, da
-könne sie, Sabine Ricchiari, von Liebe reden.
-Sie blickte dabei ihren Gatten in hinreißender
-Weise an, und das gute Publikum war natürlich
-überzeugt, daß Sabine dieses schöne Dulden
-nach eigener täglicher Übung geschildert habe.
-Wer hätte ahnen sollen, daß sich die Sache
-gerade umgekehrt verhielt? Ricchiari knirschte
-mit den Zähnen, aber nicht nur ob der nun zu
-lang gewohnten Falschheit seiner Frau. Sein
-feines Ohr unterschied in ihrer Beredsamkeit
-<a class="pagenum" id="page_150" title="150"> </a>
-etwas mehr als den gewöhnlichen Eifer für das
-Wohlanständige, aber auch etwas mehr als
-gewöhnliche Erfahrung. Was für Situationen
-wußte Sabine plötzlich zu schildern, und wie
-wußte sie in die Seelenregungen einer schwer
-angefochtenen und tapfer widerstehenden Frau
-einzugehen! »Wirklich?« fragte sich Ricchiari
-erschrocken, »hat sie solche Kämpfe durchlebt?«
-Es schien ihm, daß hier nicht mehr <em class="ge">alles</em>
-Phrase sein konnte; und, wie ich bereits gesagt,
-ich für mein Teil möchte das am liebsten glauben
-und bin dankbar, daß auch der kluge
-Doktor etwas von der neuen Unterströmung in
-dem Gemüte seiner Frau bemerkte. Immerhin,
-als Ricchiari so weit gekommen war,
-dachte er, nun sei es genug. Und nun begann
-er, die Auseinandersetzung mit seiner Frau
-unter vier Augen zu führen. Die ganze Behandlung
-bis hierher hatte ungefähr drei
-Wochen gedauert, und Sabine war in eine
-Leidenschaftlichkeit der Parteinahme hineingesteigert
-worden, die sie alle Vorsicht vergessen
-ließ. Nun brauchte der Doktor nur noch eine
-Frage zu tun: »Willst du mich wirklich glauben
-machen, daß du unter so und so gegebenen
-Umständen nach deinen Worten handeln würdest?«
-<a class="pagenum" id="page_151" title="151"> </a>
-Sabine rief entrüstet: »Zweifelst du
-an meiner Festigkeit? Liebe ich dich schon
-nicht, so sollst du mir doch nichts vorzuwerfen
-haben!« und sprudelte in höchster Erregung
-die ganze Geschichte ihrer Versuchung und
-musterhaften Abwehr hervor. Nach dieser Erleichterung
-wandelte sie mit höchst zufriedener
-Miene im Zimmer auf und ab, den schönen
-Kopf hoch auf steifem Nacken tragend, als wolle
-sie jede beliebige Kritik gegen ihr Tun herausfordern
-und entwaffnen. Ich glaube wahrhaftig,
-sie kam sich in dieser Stunde sehr verdienstreich
-vor.</p>
-
-<p>Ricchiari, ob er schon alle erdenkliche Herrschaft
-über sich besaß, mußte während dieses
-Vorganges die Hände in den nächsten Vorhang
-krallen, um nicht in Gefahr zu kommen,
-seine Frau zu schlagen. Ekel und Verachtung
-stiegen ihm bis zum Halse, sprechen hätte er
-nicht können, und er dankte Gott, daß er's nicht
-konnte &ndash; denn was hätte er dieser Frau sagen
-sollen? Daß er einen Fehltritt, in spontaner
-Leidenschaft begangen, leichter verziehen hätte,
-als <em class="ge">diese</em> Tugend? Des unglücklichen Mannes
-Gehirn, von einem Wirbel häßlicher Vorstellungen
-ergriffen und betäubt, vermochte in
-<a class="pagenum" id="page_152" title="152"> </a>
-dieser Verwirrung die Anklage nicht zu formen,
-die sein ganzes Selbst in rasender Empörung
-gegen das armselige Weib zu schreien
-schien. Er fühlte nur dunkel und peinigend,
-daß er sie verdammen müsse, weil sie <em class="ge">nicht</em>
-schuldig geworden sei, und der Wahnwitz dieses
-Gedankens erfüllte ihn mit Schrecken vor sich
-selbst. Er glaubte verrückt geworden zu sein,
-und es dauerte mehrere Stunden, bis er soweit
-mit sich zurechtgekommen war, um mit seiner
-Frau über den Fall zu sprechen. Er stellte ihr
-eindringlich und mit wahrer Himmelsmilde die
-Schändlichkeit, aber auch die Gefahr eines solchen
-Verhaltens vor, wie sie Sylva gegenüber
-an den Tag gelegt, und gab ihr zugleich noch
-einmal in großmütiger Weise Freiheit, dem
-jungen Manne zu folgen, wenn sie etwa Neigung
-für ihn empfände. »Verzeihe mir, wenn
-ich dir zu nahe trete,« sagte er sanft, »aber es
-dünkt mich doch, der Mann könne dir nicht
-ganz gleichgültig sein. Hättest du ihn solange
-hingehalten und gefesselt, wenn seine Gegenwart
-dir nicht einen gewissen Reiz böte?
-Täuscht man sich doch selbst über solche Empfindungen,
-und vielleicht entspringt auch dein gedankenloses
-Spiel einer solchen Selbsttäuschung,
-<a class="pagenum" id="page_153" title="153"> </a>
-die wiederum auf deinen maßlosen Stolz
-gebaut ist. Ich würde es als Segen empfangen,
-wenn es so wäre, wenn ich schon dabei der
-Verlierende bin. Besser, es sei einer unglücklich,
-als drei!« Sabine rief: »Wer sagt, daß
-ich unglücklich bin?« und ihr Gesicht überzog
-sich mit Purpur. Ricchiari antwortete: »Mich
-liebst du nicht, aber ihn liebst du vielleicht!«
-&ndash; »Und wenn schon,« rief sie mit geballten
-Fäusten, »so will ich doch nicht zum Kinderspott
-werden! Leidenschaften treten wie Krankheiten
-an uns alle heran, aber ich möchte mich
-lieber aus dem Fenster werfen, als so läppisch
-erliegen wie andere Frauen. Ich werde mich
-durchkämpfen.« &ndash; »Du bist zu klug,« sagte
-der Mann traurig. »Ich weiß nicht, soll ich
-dich bewundern oder verachten.« Sie erwiderte
-finster: »Ich dächte doch, das letztere hätte ich
-nicht verdient,« worauf er voll Schmerz zurückgab:
-»Das ist es ja gerade, was mich wirbelsinnig
-macht, daß ich das nicht weiß. Du mußt
-Geduld mit mir haben.« Sie gingen auseinander,
-ohne daß Ricchiari um vieles klüger
-geworden wäre.</p>
-
-<p>Aber für Sabine war die Sache nun doch
-nicht so glatt abgetan. Daß sie sich durch ihr
-<a class="pagenum" id="page_154" title="154"> </a>
-ruhmrediges Geständnis die Möglichkeit abgeschnitten
-habe, sich ferner zu den absonderlichen
-Stelldicheins zu begeben, das leuchtete
-ihr natürlich sofort ein. Doch fiel ihr diese
-gezwungene Entsagung durchaus nicht leicht,
-und sie bereute heftig ihre unzeitige Offenheit,
-die sie nun unerbittlich vor eine endgültige
-Entschließung stellte: entweder mußte sie Sylva
-aufgeben, oder sich vor Gott und der ganzen
-Welt die Seine nennen. Und eines kostete sie
-soviel wie das andere. Immerhin war der
-Kampf in ihr verhältnismäßig rasch entschieden.
-Sie setzte sich hin und verfaßte ein Schreiben
-an Sylva, worin sie ihm endgültig absagte.
-Den Brief hat niemand gesehen; Sylva muß
-ihn sofort vernichtet haben. Er ging alsbald
-hin und erschoß sich.</p>
-
-<p>Ricchiari war es, der zuerst an das Lager
-des Toten gerufen wurde und der zuerst auch
-den rührenden kleinen Zettel las, den jener
-hinterlassen. Diesen zu eskamotieren, dazu
-fühlte sich der Arzt indes zu sehr beobachtet,
-bereits lief das verräterische Dokument durch
-die Hände hilfeleistender Frauen. In begreiflicher
-Erregung kehrte Ricchiari heim, und
-schonungslos, kopflos, zitternd und hastig teilte
-<a class="pagenum" id="page_155" title="155"> </a>
-er Sabinen das Grauenhafte mit. Sie blickte
-ihn anfangs geringschätzig an, mit einem
-Schürzen der Oberlippe, als spräche er von
-dem Fremdesten der Fremden. Nach drei Sekunden
-etwa wurde ihr Gesicht weiß und ihr
-Auge starr. Sie fragte heiser: »Was sagtest
-du?« und als er schreiend wiederholte: »Sylva
-hat sich erschossen!« schritt sie langsam, wie
-geistesabwesend, durch das Gemach und begann
-mit nervösen Fingern ein Wollknäuel
-abzurollen. Nach einer weiteren Minute drehte
-sie sich rasch um, faßte nach der Lehne eines
-Stuhles, setzte sich hin und legte das Gesicht
-auf die Arme. Der Mann sah ihren Körper
-schauern, vernahm jedoch kein Schluchzen. Er
-wagte, da er nun sah, daß sie äußerst erschüttert
-war, kein Wort weiter zu sagen, und nach
-einer Weile zog er sich still zurück. Eine Stunde
-später trat Sabine, sehr blaß, aber anscheinend
-wieder ruhig, in sein Zimmer und fragte kurz
-und hart: »Weiß man, warum er es tat?«
-Der Doktor, da er sie gefaßt sah, erwiderte
-ebenso kurz: »Er hat einen Brief hinterlassen.«
-&ndash; »So? und was steht darin?« &ndash; Ricchiari,
-von ihrem Blicke, der wie Feuer brannte, gemeistert,
-sagte mechanisch die ersten zwei Zeilen
-<a class="pagenum" id="page_156" title="156"> </a>
-des Zettels her, die er im Gedächtnis behalten
-hatte. Sie zog dabei die Schultern hoch, als
-ob Schläge darauffielen, und bewegte sich mit
-gesenktem Haupte gegen die Türe, durch welche
-sie verschwand, ohne das Ende des Berichtes
-abzuwarten. Gleich darauf stand sie in Sylvas
-Totenzimmer.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Es wurde nun dem Doktor an Sabinens
-Seite besser denn je. Wenn ein Menschenkind
-allen Halt und allen Glauben an sich selbst
-verloren hat, so streckt es naturgemäß die Hände
-dem entgegen, der sich in Güte und Verzeihung
-seiner annimmt. Dazu war nun kein Mann
-so geschaffen, wie Ricchiari, der jeden Winkel
-im Herzen der Frau mit seinem stillen Erbarmen
-durchleuchtete und nichts als Friedensworte
-für sie hatte, selbst da, wo er zu strafen
-berechtigt war. Sein Mitleid für sie war grenzenlos,
-und nicht geringer war allerdings das
-meine. Weit entfernt, die unglückliche Frau
-noch tiefer zu beugen, tat Ricchiari, und ich
-mit ihm, das Äußerste, um ihr wieder einen
-Teil ihres Lebensmutes zurückzugeben. Sie
-nahm, wie ein krankes Kind, was der unermüdliche
-Gatte für sie tat; dabei war sie klug
-genug, das Unverdiente seiner Großmut ganz
-<a class="pagenum" id="page_157" title="157"> </a>
-zu empfinden, und eine innige Dankbarkeit
-ihrerseits mußte naturgemäß dieser Erkenntnis
-folgen. Bald stellte sich zwischen den Gatten
-ein ganz erträgliches Verhältnis her, und Sabine
-lernte ihre unerhörte Meisterschaft über
-sich selbst nun in einer würdigeren Sache anwenden.
-Daß sie eine Natur war, die alles
-konnte, was sie ernstlich erstrebte, hatte sie bewiesen,
-und jetzt ging ihr Wollen dahin, ihren
-Gatten für manche erlittene Kränkung, die sie
-reuevoll einsah, zu entschädigen. In gewissem
-Maße gelang ihr auch das; wenigstens erfuhr
-Ricchiari nichts mehr als Liebes und Gutes
-von ihr, und war schlau genug, nicht ergründen
-zu wollen, ob dieses Liebe und Gute einem
-spontanen Herzenstriebe entsprang oder ob
-eiserne Willenskraft es aus dem Bewußtsein
-einer nie gutzumachenden Schuld erzeugt
-hatte. Er begnügte sich mit der Wirkung, und
-daran tat er wohl. Denn wer nach Ursachen
-forscht, wird irre an Gott und Welt. Die
-<em class="ge">Menschenseele</em> ist das verschleierte Bild
-von Sais &ndash; und vielleicht ist uns wohler,
-solange keiner kommt, den geheimnisvollen Flor
-zu heben.</p>
-
-
-<p class="ce fsxs mt4 lh2"><a class="pagenum" id="page_160" title="160"> </a>
-Druck von F. E. Haag, Melle i. H.<br />
-
-<img src="images/emblem2.png" alt="" /><br />
-
-Curt Hamel'sche Druckerei u. Verlagsanstalt, Charlottenburg, Spreestr. 43/44</p>
-
-<hr />
-
-
-
-
-<h2>Hinweise zur Transkription</h2>
-
-
-<div class="mw36">
-<p class="in0">Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt.</p>
-
-<p class="in0">Darstellung abweichender Schriftarten: <em class="ge">gesperrt</em>, <i>Antiqua</i>.</p>
-
-<p class="in0">Der Schmutztitel wurde entfernt. Ein Verlagshinweis zu Sonderexemplaren
-auf Büttenpapier wurde von der Versoseite des Schmutztitels
-an das Ende der Titelei verschoben. Das Inhaltsverzeichnis
-wurde vom Ende des Buchtextes an den Beginn des Buchtextes verschoben.</p>
-
-<p class="in0">Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten.</p>
-</div>
-
-<hr />
-
-<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GABRIELENS SPITZEN ***</div>
-<div style='text-align:left'>
-
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-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg&#8482;
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-Project Gutenberg&#8482; is synonymous with the free distribution of
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-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
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-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.
-</div>
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-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
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-Section 5. General Information About Project Gutenberg&#8482; electronic works
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-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg&#8482; concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg&#8482; eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
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-Project Gutenberg&#8482; eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
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