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+The Project Gutenberg EBook of Der Landprediger, by Jakob Michael Reinhold Lenz
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+Title: Der Landprediger
+
+Author: Jakob Michael Reinhold Lenz
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+Release Date: November, 2004 [EBook #6830]
+[Yes, we are more than one year ahead of schedule]
+[This file was first posted on January 28, 2003]
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+Edition: 10
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+Language: German
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+Character set encoding: iso-latin-1
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+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER LANDPREDIGER ***
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+Thanks are given to Delphine Lettau for finding a huge collection of ancient
+German books in London.
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+This Etext is in German.
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+This book content was graciously contributed by the Gutenberg
+Projekt-DE. That project is reachable at the web site http:
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+Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE"
+zur VerfÜgung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse
+http://gutenberg2000.de erreichbar.
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+Der Landprediger
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+Jakob Michael Reinhold Lenz
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+Erster Teil
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+Ich will die Geschichte eines Menschen erzÄhlen, der sich wohl unter
+allen mÖglichen Dingen dieses zuletzt vorstellte, auf den Flügeln der
+Dichtkunst unter die Gestirne getragen zu werden.
+
+Mannheim ward von seinem Vater, einem Geistlichen im Thüringischen,
+auf die Universität geschickt. Er hatte sich dem geistlichen Stande
+gewidmet, nicht sowohl um seinem Vater Freude zu machen, als weil er
+sich dazu geboren fühlte. Von Kindheit an waren alle Ergötzungen,
+die er suchte, die Ergötzungen eines alten Mannes und ihm nicht
+besser als in einer Gesellschaft, wo Tabak geraucht und über gelehrte
+Sachen disputiert wurde. Seines Vaters Predigten schrieb er aus
+eigenem Trieb nach und hielt sie insgeheim bei verschlossenen Türen,
+nachdem er seines Vaters Perücke aufgesetzt und seinen Mantel umgetan,
+dem Perückenstock und Kleiderschrank wieder vor. Er fiel halb
+ohnmächtig nieder, als sein Vater mit einer großen Gesellschaft von
+Landpfarrern ihn einmal belauscht hatte und die Tür plötzlich mit dem
+Hauptschlüssel aufmachte.
+
+Diese Freude aber ward dem guten alten Mann sehr versalzen. Er war
+ein großer Freund der Dogmatik und der Orthodoxie und hatte sich
+deswegen mit seinem kleinen Johannes sehr viel Mühe gegeben. Bei
+unsern leichtsinnigen Zeiten fürchtete er nichts so sehr, als daß
+sein Sohn, sobald er dem väterlichen Auge entrückt würde, auf den
+hohen Schulen von herrschenden freigeisterischen und sozinianischen
+Meinungen angesteckt werden möchte. Denn ob er gleich den Sozinus
+nie gelesen und nur aus Walchs Ketzerliste kannte, so hatte er doch
+einen solchen Abscheu vor ihm, daß er alle Meinungen, die mit seinen
+nicht übereinstimmten, sozinianisch nannte. Er nahm demzufolge alle
+mögliche Präkautionen und empfahl ihn zum strengsten den Lehrern, die
+er selbst gehabt hatte, oder von denen er wenigstens mit Überzeugung
+wußte, daß sie in die Fußstapfen ihrer Vorgänger getreten waren.
+Zugleich warnte er ihn, mit allen Schreckbildern, die in seiner
+Imagination waren und damals auf den jungen Zögling großen Eindruck
+machten, vor nichts so sehr als vor allen Gesellschaften junger Leute,
+besonders derer, die die Modewissenschaften trieben, empfahl ihm den
+Umgang seiner Professoren, malte ihm die Aussicht seiner Wiederkunft
+mit den reizendsten Farben, worunter sogar den schönen Augen der
+Tochter seines Propstes eine Stelle vergönnet wurde, die sich so oft
+nach dem kleinen Johannes wollte erkundigt haben und ihm beim
+Abschiede einen schönen rotseidenen Geldbeutel strickte, dem zu
+Gefallen er, seit der Zeit bis zu seiner Beförderung, immer in den
+Hosen geschlafen hat.
+
+Johannes Mannheim gab seine Empfehlungsschreiben ab, aber ach! er
+fand die Männer, an welche sie gerichtet waren, sehr unterschieden
+von dem Bilde, das ihm seine Einbildungskraft zu Hause mit so
+feierlichem Heiligenschein um sie her von ihnen vorgezaubert. Ein
+Umstand kam dazu, den ich als Geschichtschreiber nicht aus den Augen
+lassen darf, weil in der Knospe des menschlichen Lebens jeder Keim,
+jedes Zäserchen oft von unendlichen Folgen bei seiner Entwickelung
+werden kann. Und so wird die Abweichung einer halben Sekunde von dem
+vorgezeichneten Wege in der Kindheit oft im Alter eine Entfernung von
+mehr als 90 Graden, und die Entscheidung der aus den übrigen
+Voraussetzungen der Erziehung und der Umstände unerklärbarsten
+Phänomene.
+
+Damit ich also meinen Kollegen, den Philosophen über menschliche
+Natur und Wesen, manches Kopfbrechen über meinen Helden erspare, muß
+ich ihnen hier zum Vorschub sagen, daß einer von den Freunden des
+alten Mannheim nicht allein ein großer Landwirt im kleinen war,
+sondern auch gar zu gern von der Verbesserung seiner Haushaltung und
+Einkünfte allgemeine Schlüsse machte, die sich auf das Gebiet seines
+Landesherrn, und, wenn er warm ward, auf das ganze Heilige Römische
+Reich ausdehnten. Er las dannenhero zu seiner Gemütsergötzung alles,
+was jemals über Staatswirtschaft geschrieben worden war, schickte
+auch oft Verbesserungsprojekte ohne Namen, bald an den
+Premierminister, bald an den Präsidenten von der Kammer, auf welche
+er noch niemals Antwort erhalten hatte. Indessen schmeichelte er
+sich doch in heitern Stunden mit der angenehmen Hoffnung, daß sie für
+beide nicht könnten ohne Nutzen gewesen sein und daß unbemerkt zum
+Wohl des Ganzen mitzuwirken der größte Triumph des Weisen wäre.
+Dabei befand er sich um nichts desto übler. Das ewige Anspornen des
+allgemeinen Wohls machte ihn desto aufmerksamer auf sein Privatwohl,
+welches er als den verjüngten Maßstab ansah, nach welchem er jenes
+allein übersehen und beurteilen konnte.
+
+Dieser glückliche Mensch, der mit allen diesen kameralistischen
+Grillen auch einige angenehme Talente besaß, in verschiedenen
+modernen Sprachen las, zeichnete und die Harfe spielte, hatte
+besonders viel Geschmack an dem offenen Kopf und der Lernbegierigkeit
+des kleinen Johannes gefunden und ihn daher in den Schulferien zu
+ganzen und halben Monaten zu seinem einzigen Gesellschafter gemacht,
+wobei unser kleine Altkluge sich unvergleichlich wohl befand, denn im
+Grunde war auch dieser Mann reicher und wohlhäbiger als sein Vater,
+und lebte auf einem Fuß, der sich den Sinnen unsers Dogmatikers auf
+sein ganzes Leben lang einschmeichelte. Auch mußte er seinen Rambach
+immer wieder von vorne anfangen, wenn er nach Hause kam.
+
+Nun hatte er sich, wie es nicht fehlen konnte, aus alledem, was sein
+Vater jemals von Kompendien mit ihm getrieben hatte, vom Heilmann an
+bis zum Baier und Dieterikus, seine Religion nach seinem Herzen
+zusammengesetzt. Diese war, um von der glücklichen Simplizität der
+Empfindungen unsers Lieblings eine Idee zu geben, in wenig Worten
+folgende: daß Gott litte, wenn wir sündigten, und daß er auferstünde
+und gen Himmel führe, wenn wir andere glücklich machten. Wie sein
+Freund aber, der kameralistische Landpfarrer, nahm er immer sein
+eigenes Glück zum verjüngten Maßstabe desjenigen an, das er andern
+verschaffen wollte.
+
+Nach diesen einfachen Religionsbegriffen konnte es nicht fehlen, er
+mußte in den Kollegien der Herren, an die er von seinem Vater
+empfohlen war, in den ersten drei Wochen unerträgliche Langeweile
+finden. Sie machten ihn alle die Schritte zurückmessen, die er
+voraus hatte, und führten ihn durch ein entsetzlich ödes Labyrinth
+von Schlüssen von der Wahrheit zu der Wahrscheinlichkeit zurück, mit
+der er den Religionsspöttern zu Gefallen nun durchaus sich den Kopf
+nicht zerbrechen wollte, weil er in dem festen Glauben stand, daß ein
+Religionsspötter nicht bekehrt werden kann, wenn er nicht will, und
+daß sich auf den Willen durch keine Schlüsse wirken läßt. Aller
+Warnungen seines Vaters ungeachtet also ward er noch in den
+Prolegomenen seiner dogmatischen Feldherren gegen die
+Religionsspötter ein förmlicher Ausreißer, und studierte die
+Kameralwissenschaften, die Chymie und die Mathematik, deren
+praktischer Teil eigentlich seine Erholungsstunden beschäftigte.
+
+Es fanden sich sogleich Amanuenses der Herrn Professoren, die alle
+seine Gänge auskundschafteten und ihren Archonten die neue
+Einrichtung seiner Studien aufs Haar berichteten. Denen Lesern zu
+Gefallen, die die deutschen Akademien nicht kennen, muß ich den
+Ausdruck Amanuensis erklären. Es sind gewöhnlicherweise Baurensöhne,
+die den Professoren anfänglich die Füße bedienen, nach und nach aber
+durch den Einfluß der Atmosphäre, in der sie sich mit ihren Herren
+herumdrehen, einen solchen Anteil ihres Geistes erhalten, daß sie sie
+zu ihrer Hand abrichten können, die Gelder für die Kollegien
+einzusammlen, und, wenn einer von den bekannten Gesichtern in den
+Hörsälen, wo sie gemeinhin nur die Stühle einreichen, wenn Fremde
+kommen, zu fehlen anfängt, ihm so lange auf die Spur zu gehen, bis
+sie den Räuber entdeckt haben, der ihn ihrer Schule abspenstig
+gemacht hat. Alsdann wird alles angewandt, ihn wieder auf den
+rechten Weg zu bringen, Briefe an die Seinigen, bisweilen auch
+anonyme Briefe von verborgener Freundeshand, Erinnerungen am
+schwarzen Brett und in den Programmen, und, wenn nichts verschlägt,
+bei der nächsten erhaschten Veranlassung, eine Zitation durch die
+Hand des unermüdeten Pedellen.
+
+Alle diese Besorgnisse schreckten unsern Johannes nicht. Er ging den
+Gang seines Herzens und der Bannstrahl in den Briefen seines Vaters
+selbst, so innig er ihn verehrte, konnte ihn nicht davon abbringen.
+\XDCberall ward der gute arme Alte bedauret, wegen der üblen
+Nachrichten, die von seinem Sohne einliefen. Bald hieß es, er habe
+sich verheiratet, bald, er habe sich aus dem Staube gemacht:
+umgesattelt hatte er wenigstens dreimal, und, wegen lüderlicher
+Wirtschaft, Schulden und Duelle, das Consilium abeundi mehr als
+dreimal erhalten. Unterdessen hatte er sich bei einem königlichen
+Amtmann eingemietet, mit dem er von Zeit zu Zeit, so oft es seine
+Stunden erlaubten, Ausschweifungen aufs Land machte und die Ausübung
+dessen studierte, wovon ihm die Theorie der Ökonomisten doch nur sehr
+dunkle Vorstellungen gab. Dieser Amtmann hatte ein Haus in der Stadt,
+wo seine Familie wohnte, derweilen er seinen gewöhnlichen Aufenthalt
+auf dem Lande nahm und nur im Winter, wenn die meisten landwirtlichen
+Arbeiten vorbei waren, sich in dem Schoß seiner Gattin und Kinder von
+den Mühseligkeiten des Lebens erholte. Mit diesen lebte unser
+Johannes, derweil die Ungewitter des öffentlichen Rufs unbemerkt hoch
+über Ihm wegstürmten, in goldener Zufriedenheit. Auch hatte er
+Gelegenheit, bei ihnen alles zu sehen und anzunehmen, was Überfluß,
+Bequemlichkeit und Geschmack den Sitten, den Manieren und der ganzen
+Summe unserer Gefühle Feines und Gefälliges mitzuteilen pflegen.
+
+Er war einigemal mit ihnen auf Bällen gewesen und durch sie auf
+diesen in Verbindungen geraten, wo er die große Welt kennen lernen
+konnte, nicht um in ihr nach etwas zu streben, sondern um sich den
+falschen Firnis zu benehmen, den die Imagination der geringern Stände
+gemeinhin sich um die höheren lügt und der dem Gefühl ihres eigenen
+Glücks so gefährlich ist. Er lernte Personen von Verdienst unter
+diesen kennen, die sich in jeder Maske, in der die Vorsehung sie auf
+die große Schaubühne der Welt gestellt hat, immer gleichsehen, und
+sie nahmen ihm das Vorurteil, das sich zu den überspannten
+Vorstellungen, die wir vorhin angemerkt haben, so gern
+hinzuzugesellen pflegt, daß jedermann, der dem Range nach über uns
+steht, eben dadurch alle persönliche Hochachtung verlieren müsse. Er
+fühlte das große Prinzipium der Gleichheit alles dessen, was gleich
+denkt, das durch alle Stände und Verhältnisse geht, und nur dem Neide
+und der Unwissenheit durch äußere Dekorationen entzogen wird.
+
+Unterdessen erschollen zu Hause die allerunangenehmsten und
+kränkendsten Nachrichten für einen Geistlichen. Johannes, der viel
+mit Offizieren lebte, sei unter die Soldaten gegangen; andere
+versicherten, er gehe mit niemand als dem Adel um und sei willens,
+sich adeln zu lassen. Sein Vater, ohne auch nur die Unmöglichkeit
+von alledem zu ahnden, erschrak über alle diese Gerüchte, als ob sich
+an ihnen gar nicht mehr zweifeln ließe. Endlich wurden alle seine
+Befahrungen, wie durch einen Donnerschlag, durch einen Brief
+bekräftigt, den er von Johannes aus Genf erhielt, wohin er einen
+Jungen von Adel auf seinen Reisen begleitet hatte.
+
+Des Propstes Tochter hatte anfänglich eine heimliche Freude darüber.
+Luzilla, dieses war ihr Name, war bis in ihr zwölftes Jahr die
+Bewunderung und der Neid--bloß ihrer eigenen Gedanken und des
+Spiegels gewesen, das heißt, sie war auf dem Lande erzogen und kannte
+die Stadt nur aus den Romanen. Man hatte ihr nichtsdestoweniger
+Singmeister und Sprachmeister gehalten, die sich ihr Vater mit großen
+Unkosten aus der Stadt verschrieb. Alles, was sie bisher von
+Johannes aus der Fremde gehört, hatte ihr, des Wehklagens seines, und
+des teilnehmenden Bedaurens ihres Vaters ungeachtet, sehr wohl
+gefallen. Zu wissen stehet, daß ihr Vater ein alter Mann war, der
+sich, wegen Zähnemangels und aus Liebe zur Ruhe, unaufhörlich mit dem
+Gedanken trug, sich einen Gehülfen an seiner Pfarre zu nehmen. Es
+war ihm also gar nicht recht, daß unser Johannes, für dessen Glück er
+die Gewährung auf sich genommen, so lang in der Fremde blieb.
+
+Luzilla, in diesem Stück ihres Vaters wahre Tochter, hatte doch, in
+Ansehung der Art dieses Glückes und der Entwürfe zu demselbigen, von
+ihrem Vater sehr abgehende Meinungen. Ein junger Offizier wäre ihr
+in aller Absicht viel lieber gewesen, als ein junger Pfarrer.--Dieses
+währte, bis sie in die Stadt kam, da sie dann sehr geschwind das
+Subjekt mit dem Prädikat verwechseln lernte. Ich brauche diese Worte
+hier deswegen, weil ihr Vater, der ein vollkommenes Frauenzimmer aus
+ihr bilden wollte, sich alle Mühe gab, ihr die Wolfische Logik
+beizubringen, von der er zur Metaphysik und von dieser zur Moral
+übergehen wollte. Aber ach! ein unvorgesehener Zufall durchschnitt
+diesen schönen Plan. Eine Kusine von ihr in Holland fing eine
+Korrespondenz mit ihr an; es war ein Elend, daß weder Vater, noch
+Tochter, noch irgend ein andrer Gelehrter aus der ganzen Gegend ihr
+den Brief dechiffrieren konnte. Nun war kein Rat dafür, das arme
+Kind mußte Französisch lernen.
+
+Sie ward in die Stadt zu einer Französin getan, die Kostgängerinnen
+hielt, und, weil sie vermutlich ehedessen die Haushälterin eines
+mestre de camp gewesen war, sich sehr bescheiden Me. de Liancourt
+schlechtweg nennen ließ. Auch hatte alles, was von beau monde in der
+Stadt war, freien Zutritt zu ihr, worunter verschiedene Offiziere
+waren, die unsern herumschweifenden Johannes mit seinem roten
+Geldbeutel bald aus ihrer Imagination verwischten.
+
+Unterdessen flogen Täler, Seen und Gebirge bei ihm vorbei; er nutzte
+überall, so viel er konnte, seinen Aufenthalt, obgleich aber seine
+Sinnen und Verstand unaufhörlich durch neue Gegenstände und
+Kenntnisse gefesselt wurden, so blieb doch das Innre seines Herzens
+ein Heiligtum, worin für seine wunderschöne Beutelstrickerin das
+heilige Feuer unauslöschlich brannte. Er hütete sich sehr, ihr Bild
+in seiner Phantasie wieder auszumalen, weil er aus der Erfahrung
+gemerkt, daß dieses ihn zu allen seinen Arbeiten untüchtig machte,
+und also von seinem Zweck immer weiter entfernte, aber der dunkle
+verstohlne Gedanke an sie war ihm süßer, als alles Zuckerwerk, das
+die schönen Geister aus dem heiligsten Schatz der menschlichen Natur,
+aus dem Geheimnis ihres Herzens, backen. Auch schrieb er ihr nie,
+ließ sie auch niemals grüßen. Zu sehr versichert ihrer gleichen
+Seelenstimmung, war's ihm, als ob sie ihm immer bei jedem seiner
+Schritte zur Seite stund und alles wissen mußte, was er tat und
+vorhatte.
+
+Bei ihr war es anders. Ein Jahr lang, als er nach England ging,
+hatte weder ihr noch sein Vater die geringste Nachricht von ihm
+erhalten. Als es darauf wieder hieß, er sei in Deutschland, spürte
+sie gerade so viel Freude darüber, als es ihr gemacht haben würde,
+vom Achmet Effendi zu hören, er sei wieder in Berlin angekommen.
+
+Das war nun ganz natürlich; und welcher Herzens- und Mädchenkenner,
+der nicht etwa mit unserm Johannes sich im nämlichen Falle befindet,
+wird sie nicht entschuldigen?
+
+Aber Johannes Mannheim nicht also. Als er zu Jungfer Susanna Luzilla
+Bulac in die Stube trat, und einen feinen jungen Abbé zierlich
+gekleidet auf ihrem Sofa erblickte, der an ihrem Metier Spitzen
+klöpfelte, sie aber, ein saubergebundenes Buch in Taschenformat in
+der Hand, im mußlinenen Negligé nachlässig bei ihm hingegossen, wie
+sie verwundernd aufstand, ihn gleichgültig über und über, vom Haupt
+bis zu Füßen beschaute und seinen ehrerbietigen Bückling mit einem so
+schnell gezogenen Knicks, als ob er ihr schon leid täte, eh' er
+geendigt war, und den kurzen Worten beantwortete: "Was wär' Ihnen
+lieb, mein Herr?"-Erschrak er fast sehr darob und seine Mienen sanken
+zu Boden. "Mademoiselle!" sagte er, oder vielmehr er glaubte es zu
+sagen, denn in der Tat verging ihm alle Besinnung. Er hatte sich,
+als er die Zinnen der Stadt wieder zu Gesicht bekam, vorgenommen,
+eine der entzückendsten Rollen seines Lebens zu spielen. Sie würde
+ihn nicht erkennen, meinte er, und nun wollt' er, unter der Gestalt
+eines Fremdlings, jede Saite ihres Herzens mit Nachrichten von ihrem
+Johannes treffen, und sich das königliche Schauspiel geben, alle
+Widerwärtigkeiten und Gefährnisse seines Lebens zum andernmal schöner
+empfunden zu sehen, aber ach!-Das Gespenst da, das häßliche Gespenst
+in dem runden, gepuderten Haar, mit seidenem Mantel an ihrem
+Metier--wo sein Beutel geklöpfelt war--Ich muß meinen Lesern diese
+Erscheinung erklären. Es war ein junger Stadtpfarrer, der sich in
+Luzillen verliebt, um sie angehalten, ihr Jawort, ihres Vaters Jawort
+erhalten hatte--und morgen sollte die Hochzeit sein. Jedermann
+wünschte ihm Glück zu der Wahl, und ihr. Sie wären einander wert,
+sagte der Hauptmann Weidenbaum, der noch niemals was Unschönes gesagt
+hat. Der Obriste von Wangendorf selber hatte dem jungen Paar seine
+Gegenvisite gemacht. Er hatte die junge Frau Kaplänin unter das Kinn
+gefaßt, und gesagt: wenn er einen Sohn bekäme, sollte er Pfarrer
+werden. Der Herr Obristleutnant hatte ihr das Leben des _Magister
+Sebaldus Nothanker_ in englischem Bande zugeschickt und mit eigener
+Hand auf Französisch vorn in das Buch geschrieben. "Félicitez vous,
+Mademoiselle", hatte er geschrieben, "d'éviter les désastres contenus
+dans ce livre, et de faire les délices d'une ville, qui vous estime,
+au lieu d'errer de campagne à campagne, d'un village à l'autre,
+victime des préjugés de Votre état et des maux les plus affreux de
+l'indigence et de la superstition." Die sämtlichen Herren von der
+Regierung hatten ihre Visiten mit Billetten, einige auch persönlich,
+erwidert. Nichtsdestoweniger unterstund sich Herr Johannes Mannheim,
+den sie gleich auf den zweiten Blick erkannte, zu einer solchen Zeit,
+an einem solchen Ort, seine Visite zu machen. Er mußte von ihrer
+vorhabenden Vermählung wenigstens doch schon in England gehört haben.
+
+Der Herr Hofkaplan blieben ungestört am Metier sitzen.
+
+Johannes Mannheim schaute auf, stotterte, errötete: "Ich komme, um
+Ihnen viele Grüße--von einem gewissen Herrn Mannheim zu bringen."
+
+"Mein Herr, Sie sind gewiß unrecht, ich kenne so keinen Namen--"
+
+"So keinen Namen?" wiederholte Mannheim mit einem Ton, in welchen er
+alles legte, was seiner Imagination jemals von dem Ton der alten
+Redner in ihren Schranken, oder vor der Armee vorgeklungen sein
+mochte.
+
+"Mannheim!" rief der Abbé durch die Fistel, "was ist das für ein
+Name?"
+
+"Es ist--ich weiß nicht--vielleicht meinen Sie den Sohn von dem
+Pfarrer Mannheim, der ehedessen meines Vaters Nachbar war."
+
+"Ist er's nicht mehr?" fragte Johannes.
+
+"Soviel ich weiß, hat er die Pfarrei verlassen. Doch Sie können die
+beste Nachricht davon einziehen bei dem Schulkollegen Hecht, mein ich,
+da pflegt er ja sonst zu logieren. Nicht wahr, mari! hast du ihn
+nicht neulich dort angetroffen?"
+
+"Ach der Dorfpfarrer", versetzte der Abbé mitleidig. "Ja, ich
+erinnere mich. Ist er Ihnen nicht gleichgültig, mein Herr?"
+
+"Ich müßte der nichtswürdigste Stutzer sein, wenn er mir's wäre",
+antwortete Johannes außer allen Sprüngen, "es ist mein leiblicher
+Vater."
+
+"So?" kreischte mein Abbé im höchsten Kammerton, und nickte wieder
+auf seine Arbeit hin.
+
+"Sie sehen also, mein Herr! daß Sie hier unrecht sind", sagte Luzilla,
+"gehen Sie zum Schulhalter Hecht--der wird Ihnen näheren Bescheid
+geben."
+
+Johannes sah fest auf den Boden und fort.--Er kam zu seinem Vater.
+--Schon eh' er ausreiste, hatte er so viele Theologie mitgenommen,
+daß er sich zur Not hätte können examinieren lassen. Die vielseitige
+Bekanntschaft mit der Welt, die er sich nunmehr erworben, verbunden
+mit seinen andern Kenntnissen, erleichterten ihm die Mühe, ins
+Predigtamt zu kommen. Sobald er sich das erstemal öffentlich hatte
+hören lassen, freute sich jedermann, ein Werkzeug seiner Beförderung
+zu werden. Er bekam eine mittelmäßig gute Stelle. Viele meiner
+Leser werden stutzen und einen Roman zu lesen glauben, wenn sie
+finden, daß es ihm, ungeachtet seiner Inorthodoxie, doch mit seiner
+Beförderung geglückt sei. Er ließ es sich aber auch nur nicht
+einfallen, sich aus dem Eide einen Gewissensskrupel zu machen, mit
+dem er sich zu den symbolischen Büchern verband. Niemals war es sein
+Zweck gewesen, den Bauren die Theologie als Wissenschaft vorzutragen;
+es gingen sie also die Glaubenslehren der Kirche, so wenig als ihre
+Zweifel an. Das Mystische der einen, so wie das Aufgeklärte der
+andern geht weit über ihr Fassungsvermögen. Sehr wohl konnte er also
+für seine Person zu gewissen festgesetzten Lehren schwören, ohne
+welche keine äußerliche Kirche bestehen kann, und zu denen jeder den
+Schlüssel in seinem Herzen hat. Denn, im Grunde, was sind Lehren
+anders, als Vorstellungsarten, und welcher Eid kann diese binden,
+welcher Eid mich zwingen, Licht zu sehen, wenn ich im dunklen Zimmer
+stehe, oder umgekehrt? Genug, daß der Eid vorbauende Formel ist,
+keine Sachen zu _lehren_, die auf das Leben und die Handlungen der
+Zuhörer einen widerwärtigen Einfluß haben, als den die wahre Religion
+auf sie haben soll. So sagte er also seinen Zuhörern kein Wort,
+weder von der Ewigkeit der Höllenstrafen, noch von der Vereinigung
+der beiden Naturen, noch von den Geheimnissen des Abendmahls, bis sie
+selbst drauf kamen, und sich insgeheim bei ihm Rats erholten, da er
+seinen Unterricht denn jedesmal nach der besondern Beschaffenheit der
+Person, die ihn fragte, einrichtete. Aber er lehrte sie ihre
+Pflichten gegen ihre Herrschaft, gegen ihre Kinder, gegen sie selbst.
+Er wies ihnen, wie sie durch eine ordentliche Haushaltung sich den
+Druck der Abgaben erleichtern könnten, deren Notwendigkeit er ihnen
+deutlich machte. Er erzählte ihnen, wie es in andern Ländern wäre,
+und machte ihnen ihren Zustand durch die Vergleichung mit schlimmeren
+süßer. Er erzählte ihnen einzele Beispiele von Hauswirten, die durch
+ihren Fleiß und Geschicklichkeit sich emporgebracht, bewies ihnen,
+daß Arbeit und oft Mangel selbst der Samen zu all unserm zeitlichen
+Glücke sein, und daß Vereinigung ihrer Kräfte, ihrer Herden, ihrer
+Ländereien und Verträglichkeit und Freundschaft untereinander die
+Grundfeste ihrer und der ganzen bürgerlichen Wohlfahrt wären, und daß
+je wohlhäbiger sie durch gegenseitige Hülfe würden, desto weniger sie
+den Druck der Abgaben fühlten, desto weniger selbst Abgaben zu geben
+brauchten, die oft nur deswegen verwendet werden, den Kredit des
+Landes von außen emporzuhalten, weil er von innen zu sinken anfängt.
+Er bewies ihnen aus der ältern und neuern Geschichte, doch immer so,
+daß sie es fassen konnten, daß die Leidenschaften der Fürsten selbst
+immer mehr Entsehen vor dem wohlhäbigen und fleißigen, als vor dem
+dürftigen und verzagten Bürger gehabt, weil der Reichtum der Bürger
+auch ihr eigener wäre. Er warnte sie ebensowohl vor Ausschweifungen
+und Lüderlichkeiten, als vor den frühen Heiraten und den
+Zerstückelungen ihrer Grundstücke, welches alles Verwirrung und
+Armseligkeit in ihre Haushaltungen brächte. So fehlte es ihm keinen
+Sonntag an Stoff zum Reden, welchen er von einzelen Fällen hernahm,
+und konnt' er nur gar nicht dazu kommen, jemals an aristotelischen
+oder andern theologischen Spitzfindigkeiten hängenzubleiben. Die
+Vesper des Sonntags Nachmittags verwandelte er in eine ökonomische
+Gesellschaft und zwar auf folgende Art. Er hielt ein kurzes
+herzliches Gebet in der Kirche, alsdann versammlete er die Vorsteher
+und die angesehensten Bürger des Dorfs um sich herum und sprach mit
+ihnen von wirtschaftlichen Angelegenheiten. Sie mußten ihm alle ihre
+Klagen übereinander, alle ihre Bedenklichkeiten über diese und jene
+neue Einführung, alle Hindernisse ihres Güterbaues vortragen, und er
+beantwortete sie ihnen, entweder sogleich, oder nahm sie bis auf den
+folgenden Sonntag in Überlegung, mittlerweile er sich in Büchern oder
+durch Korrespondenzen mit andern Landwirten darüber Rats erholte.
+Endlich, damit er mit desto mehrerer Zuverlässigkeit von allen diesen
+Sachen mit ihnen reden könnte, ging er mit einem der wohlhäbigsten
+Bürger seines Dorfs einen Vertrag ein, vermittelst dessen jener ihm,
+gegen soundso viel Stück Vieh und Auslagen der Baukosten, einen
+verhältnismäßigen Anteil an seinem Kornacker sowohl als an seinem
+Wiesenbau zustund; zu diesem gesellte sich noch ein anderer, der
+einen Weinberg hatte, und siehe da ein kleines Landgut entstehen, das
+in sich selbst gegenseitige Unterstützung fand, weder Dung noch Holz
+zu bezahlen brauchte, und in einigen Jahren meinen Pfarrer und seine
+Mitinteressenten reich machte. Itzt beeiferte sich jeder, einen
+gleichen Vertrag mit ihm einzugehen, und, da dieses nicht wohl sein
+konnte, schlossen sie sich aneinander und ahmten seinem Beispiel nach.
+So ward in kurzer Zeit das Dorf eines der wohlhäbigsten in der
+ganzen Gegend.
+
+Der Pfarrer hatte den Vorzug, daß er die Vorteile des Handels auf
+seinen Reisen kennen gelernet. Er war unerschöpflich an neuen
+Vorschlägen, ihren Ertrag zu Gelde zu machen. Er wußte, was jede
+Stadt in der Nähe für hauptsächliche Bedürfnisse hatte, und wenn sie
+alle zusammenstunden, wie denn in kurzer Zeit ihr Zutrauen zu ihm
+unbegrenzt war, so machte das für diesen und jenen Handlungszweig was
+Beträchtliches. Er schloß sich bald mit benachbarten Edelleuten und
+ihren Dörfern an, und sein Genie, das nie rastete, teilte sich nach
+einigem Widerstande allen mit. Ein König hätte nicht inniger geehrt
+werden können, als er es von seinen Bauten ward.
+
+Sobald sein Vermögen ansehnlicher ward, richtete er alles in seinem
+Hause mit einem Geschmack ein, der die Nacheiferung des Adels selber
+erweckte. Nun war es Zeit, auf die höchste Zierde desselben zu
+denken, auf die Königin, die aller dieser Vorteile froh mit ihm
+werden sollte. \XDCber seiner rastlosen Tätigkeit hatte er den
+letzten Eindruck der Treulosen vergessen, die ihn, die Wahrheit zu
+sagen, durch eine Art Verzweiflung gespornt hatte, sich über ihre
+kränkende Geringschätzung hinauszusetzen. Er reiste also die
+Hauptstadt vorbei, und der erste Gedanke, der ihm einfiel, war der
+ehrwürdige Amtmann, dem er seine ersten Kenntnisse der Wirtschaft zu
+danken hatte. Dieser war ein Vater von mehreren Töchtern, von denen
+die beiden ältesten schon verheiratet, die beiden jüngsten und ein
+Sohn noch in seinem Hause waren. Er wußte, daß dieser Mann ihnen
+nichts mitgeben konnte, als eine vollkommen feine und geschmackvolle
+Erziehung, verbunden mit allen möglichen häuslichen
+Geschicklichkeiten, wovon er Augenzeuge gewesen war. Dieses, nebst
+seinem Wohlstande und seinem Ruf, gab ihm einige Hoffnung, so
+unglücklich seine erste Liebe gewesen war, in seinem zweiten Antrage
+mit besserem Erfolg etwas wagen zu dürfen. Er tat es. Er kam, ward
+noch immer wie der alte empfangen; die Augen der jüngsten der Töchter
+seines Freundes nahmen ihm in der ersten Stunde die Freiheit. Seine
+Unruhe war unaussprechlich, denn hier einen Korb zu bekommen, schien
+ihm unter allen Schicksalen, die er erstanden, das unerträglichste.
+Wie waren seitdem alle Vorzüge der jungen Schönen aus der Knospe
+gegangen! Aber die Entfernung, der Antrag selbst, das wenige, was er
+anzubieten hatte, gegen die Ergetzlichkeiten einer großen Stadt, wo
+sie bei keiner öffentlichen Lustbarkeit unbemerkt blieb, sein Alter
+endlich selber, seine Person, die ihm niemals so häßlich vorgekommen
+war, sein Gesicht, auf dem jeder gehabte Unfall eine Spur
+nachgelassen hatte, die Unaufmerksamkeit auf die feinern Gegenstände
+der Unterhaltung, die ihm seine bisherigen häuslichen Sorgen und
+Geschäfte zugezogen, alles das machte ihn, wenn er sich ihr gegenüber
+befand und reden wollte, so kleinmütig--soll eine solche Blume dazu
+geboren sein, an meinem Busen zu verwelken? sagte er sich
+unaufhörlich, und eine Träne trat ihm ins niedergeschlagene Auge.
+
+Er bemerkte eine besondere Eigenschaft an ihr, die ihm wieder Mut gab,
+das war ein merkbarer Hang zur Einsamkeit. Ob, weil alle äußere
+Gegenstände, die die Stadt ihr aufweisen konnte, ihr Herz nicht
+befriedigten, ob, weil sie glaubte, daß es ihr besser ließe, lasse
+ich unentschieden, genug, es liefen bisweilen Monate hin, daß sie von
+dem Landgut, wohin sie ihren Vater allein zu begleiten pflegte, auch
+nicht nach der Stadt einmal hören mochte. Alsdann aber ergab sie
+sich auch im Gegenteil bei ihrer Wiederkunft den Ergetzlichkeiten der
+Stadt mit einer ordentlichen Art von Zügellosigkeit, und überhaupt
+hatte sie die bei Frauenzimmern so seltene Eigenschaft, nichts nur
+halb zu tun oder zu wollen.
+
+"Albertine!" sagte er einsmals zu ihr, als sie eben von dem Landgut
+ihres Vaters nach der Stadt zurück fuhren--Es war ein schöner heitrer
+Wintertag gewesen und die untergehende Sonne schien eben aus
+verklärten Wolken mit ihrer letzten Kraft auf den entgegenglühenden
+Schnee; er stand hinter ihrem Schlitten und führte ihn, derweile sie
+in ihrem Pelz eingewickelt den Himmel und den Schnee an Röte
+beschämte--"Albertine", sagte er, indem er sich zu ihr herüberbog,
+"daß ich ein König wäre!" "Was fehlt Ihnen?" rief sie hinter ihrem
+Schlupfer, mit einer Stimme, deren Zauberklang er nicht länger
+widerstehen konnte. "Ach! ich habe Ihnen weiter nichts als eine
+Pfarre anzubieten", schrie er, indem er sich plötzlich vom Schlitten
+losriß und sich mitten in dem Schnee vor ihr niederwarf. Eine solche
+Erklärung auf der öffentlichen Landstraße, auf der freilich wenig
+Menschen zu vermuten waren, würde alles mögliche Beleidigende für sie
+gehabt haben, wenn nicht der Ausdruck seiner Stimme und die Tränen,
+die sie begleiteten, ihr Herz ebenso ungewöhnlich angegriffen hätten,
+als der Antrag selbst ungewöhnlich und unerwartet war. Sie konnten
+eine Weile alle beide nicht zu sich selber kommen. "Stehen Sie doch
+auf", sagte sie endlich mit schwacher Stimme. "War's denn hier
+Zeit?"--Bei diesen Worten verhüllte sie sich in ihren Pelz, und er
+bekam den ganzen Weg über von ihr nichts zu sehen noch zu hören.
+
+Ein Glück, daß er es so abgepaßt, daß der Schlitten des Vaters eben
+eine gute Viertelstunde voraus war. Er kam in der Stadt an, wie ein
+Verbrecher, der zum Gerichtsplatz geführt wird. Alles, was er sah
+und hörte, alle Fragen, die an ihn ergingen, selbst die
+Freundlichkeit, mit der der Amtmann und die Seinigen ihn aufzumuntern
+suchten, waren lauter Folterstöße für ihn. Albertine allein war
+wider alle ihre Gewohnheit, wenn sie sonst nach der Stadt zu kommen
+pflegte, ihm heut vollkommen ähnlich. Als sie so im Zirkel saßen,
+und auf beider Gesichtern Angst, sich zu verraten, mit tausend
+Empfindungen kämpfte, kam der kleine Bruder, ein rosiger Junge, von
+der Freude, so schien es, geboren, mit großem Geschrei in die Stube
+gerannt und rief: "Albertine! Dein Bräutigam ist da."
+
+Albertine antwortete anfangs nicht; als er aber es zum zweitenmal
+wiederholte und sie fragte: "wo denn?" und er antwortete: "in deiner
+Kammer!" und sie aufstund und hinausging--und in dem nämlichen
+Augenblick der Amtmann unserm Mannheim eine Berechnung des jährlichen
+Ertrages seiner Ländereien vorlegte und ihn dringend um seine Meinung
+fragte, um wieviel sie geringer oder vorzüglicher, als die in seinem
+Vaterlande wäre--so überlasse ich's dem menschenfreundlichen Leser,
+sich den Zustand des armen Johannes zu denken.
+
+"Ja--ja", sagte er, indem er das Blatt ansah, ohne etwas darauf zu
+sehen.
+
+"Was denn?" fragte der Amtmann.
+
+In dem Augenblick trat Albertine mit einem kleinen Buben aus der
+Nachbarschaft herein, den sie an der Hand führte. Mannheim sah auf
+und die Erholung von seiner Todesangst war so sichtbar, daß sich der
+Amtmann nicht entbrechen konnte, ihn zu fragen, was ihm gewesen wäre?
+"Nichts", stotterte er. Albertine begab sich hinweg. Mannheim mußte
+um Erlaubnis bitten, sich zu entfernen. Die entgegengesetzten
+Bewegungen, die seine Seele in so kurzer Zeit aufeinander erfahren
+hatte, überwältigten seinen ganzen Nervenbau; er fühlte die angenehme
+Hoffnung in seinem Innersten, er werde diesen Abend vielleicht nicht
+überleben.
+
+Der Amtmann wollte ihn nicht fortlassen. Er zwang ihn, ein Bette in
+seinem Hause anzunehmen; jedermann merkte bald, daß Mannheims
+Zerrüttung mehr als eine leichte Unpäßlichkeit war.
+
+Er verfiel wirklich in eine Krankheit, die der Arzt dem besorgten
+Amtmann noch gefährlicher abschilderte, als sie wirklich war. Der
+Amtmann und seine ganze Familie blieben den Tag traurig; Albertine
+allein nahm eine gezwungene Munterkeit an. Ihr Vater, den dies
+aufmerksam machte, ging den folgenden Tag verstohlner Weise auf ihr
+Zimmer. Er überraschte sie den Kopf in die Hand gestützt, in einem
+Meer von Tränen. "Was gibt's hier?" sagte er; "das ist ein ganz
+neuer Aufzug, Mademoiselle Albertine!" Sie sprang verwirrt von ihrem
+Stuhl auf, griff nach einem Buch, wollte Entschuldigungen
+suchen--"still nur!" sagte er; "ich habe wohl gesehen, daß du nicht
+gelesen hast. Auch kann ein Buch dich so nicht greinen machen, das
+laß ich mir nicht einreden." "Papa!" sagte sie und faßte ein Herz,
+"tun Sie mit mir, was Sie wollen", indem sie zitternd ihm nach der
+Hand griff--"ich liebe den Pfarrer Mannheim." "Ei, wenn es nichts
+mehr als das ist", sagte der Alte, "ich liebe ihn auch. Es steht
+aber dahin, ob du ihm auch so wohlgefällst, wiewohl seine Krankheit
+und eure beiden Affengesichter letzthin--ei, laß uns einmal einen
+Versuch wagen und zu ihm auf die Kammer gehen." "Nimmermehr!" sagte
+Albertine, "ich muß es Ihnen nur gestehen, Papa; er hat mir letzt
+eine Erklärung getan und das ist die Ursache seiner Krankheit."
+
+"Ei so sollst du hingehen und ihm die Gegenerklärung tun", sagte der
+Alte, indem er sie mit Nachdruck an die Hand faßte und zu Mannheim in
+das Zimmer zerrte. "Ich nehm es auf mich, es bei deiner Mutter und
+Schwester gutzumachen. Und einen ehrlichen Mann, wie den, und einen
+alten Bekannten in meinem Hause sterben zu lassen--Mädchen! Mädchen!
+wenn du mir nicht so lieb wärst--"
+
+Man kann sich vorstellen, was diese letzte Worte, die er hörte, auf
+den Kranken für einen Eindruck gemacht haben müssen. Eine himmlische
+Musik in dem Augenblick, da ihm die scheidende Seele vor die Lippen
+trat, könnte ihm nicht willkommner gewesen sein. Er mußte sich mit
+Mühe halten, daß er nicht aus dem Bette und ihnen hin zu Füßen
+stürzte. "Da hast du sie!" sagte der Alte mit den Worten unsers
+unvergleichlichen Dichters, den er seinen Töchtern allein auf dem
+Nachttisch erlaubte. Albertine mit niedergeschlagenen Augen und
+einer unabgewischten Träne auf der Wange, sagte kein Wort. Er sog an
+ihrer Hand das Leben wieder ein, das er nicht geachtet hatte; er hing
+mit seinen Lippen dran, als ob ein Augenblick Unterbrechung der
+Augenblick seines Todes wäre. Die Bewegung ihrer Hand war wie eines
+Arztes, der seinen Kranken gern wieder gesund sähe; im nächsten
+Augenblick wollte sie sie wegziehen, aber es schien, als ob ihr die
+Kraft dazu fehlte. Ihre Geschwister kamen. Der Vater entdeckte
+ihnen den Vorfall kurz und erwartete ihre Antwort nicht, sondern lief
+zur Mutter, die er in Tränen herbeiholte. Alle willigten ein. Der
+Entfernung und der andern Schwierigkeiten ward aus Schonung für den
+Kranken nicht erwähnt. Alles richtete sich ein, wie er besser wurde.
+
+
+Man erlasse mir die Beschreibung der Hochzeit. Mit meiner Leser
+Erlaubnis wollen wir uns in die Tür des Pfarrhofes stellen und unser
+junges Paar bei seinem Einzug bewillkommen.
+
+
+
+
+Zweiter Teil
+
+
+Als Albertine ihren Vater und ihre Geschwister, die sie begleitet
+hatten, aus dem Gesicht zu verlieren und von lauter fremden und
+unbekannten Gegenständen sich umgeben zu fühlen anfing, verdoppelte
+sich die Angst ihres Herzens, und folglich auch die Tränengüsse, in
+welchen diese sich von ihrer frühsten Jugend an Luft zu machen
+pflegte. Da es ihr nun itzt besonders wegen des Abschieds von den
+Ihrigen an keinem Vorwand fehlte, beschloß sie, der unbeantworteten
+bekümmerten Fragen ihres Mannes ungeachtet, sie wolle sich einmal
+recht satt weinen.
+
+Sie kamen nach einer starken Tagereise vor den Toren ihres Dorfes an.
+An dem Heck stand der Schulz des Dorfs mit entblößtem Haupte, nebst
+einigen der Angesehensten aus der Gemeine: "wir haben schon seit
+Sonnenuntergang auf Sie gewartet, Herr Pfarrer", sagten sie.
+"Tausend Glück und Segen zu Ihrer Veränderung!" Mannheim schüttelte
+jedem von ihnen die Hand, ohne daß er zu antworten imstande war. Sie
+sahen ihm die innere Bewegung seines Herzens auf dem Gesichte wohl an,
+und begleiteten ihn mit entblößtem Häuptern bis vor die Tür seiner
+Pfarrwohnung. Dieser Anblick war ein wehendes Abendlüftchen für das
+ermattete Herz unserer Albertine. Sie hoben sie beim Heraussteigen
+aus dem Wagen; ihre Freundlichkeit schlug in dem Augenblick, als die
+rauhen Kerle sie sahen, einen monarchischen Thron in ihrer aller
+Herzen auf; sie nötigte sie herein, sagte ihrer alten Haushälterin,
+die sie vor sich fand, sie möchte ihnen allen ein Abendessen machen.
+Das wäre alles schon bestellt, versetzte jene. Nur drei aus der
+Gesellschaft nahmen die Einladung der jungen Frau Pastorin an, und
+baten sie, zu ihrem nicht geringen Erstaunen, mit ihnen vorlieb zu
+nehmen. Die Gemeine hätte sich die Freiheit genommen, ihren lieben
+Herrn Pfarrer Mannheim bei einer so außerordentlichen Gelegenheit zu
+bewirten. "Hier ist mein Assoziierter", rief Mannheim, der eben mit
+dem vierten Gast, den er mit Gewalt beim Fortgehen noch von dem
+Hoftor zurückgeschleppt, in die Stube trat, "diesem wackern Mann,
+liebe Frau, haben wir alle Ordnung zu danken, die du in unsern
+Zimmern finden wirst." In der Tat hatte er während der Abwesenheit
+des Pfarrers noch verschiedene Zimmer überweißen und die Decke des
+Hauptsaals, den der Pfarrer, so wie den ganzen neuen Flügel der
+Pfarrwohnung, auf seine Kosten angelegt, von neuem gipsen lassen, und
+ihm überdem ein Dutzend sauberer neuer Stühle hineingestellt. Der
+gute Mann wußte nicht, daß sich Mannheim aus der Stadt Tapeten
+mitgebracht. Einige andere Möblen, die Albertine in die Haushaltung
+mitbekam, trugen nicht wenig zur Verschönerung des Ganzen bei, und
+das väterliche Silberzeug und Teeservice ließen sie in den ersten
+Tagen ihrer neuen Einrichtung noch immer in dem freundlichen Wahn,
+sie sei in dem Hause ihres Vaters.
+
+Die Abendmahlzeit war eine der feierlichsten, die jemals in dem Dorf
+gehalten worden. Kaum hatten sie eine Viertelstunde am Tisch
+gesessen, so kam eine große Prozession von Knaben und Mädchen, alle
+mit Wachslichtern in den Händen, in den Hof eingezogen, stellte sich
+unters Fenster und brachte der jungen Frau Pastorin eine förmliche
+Serenade mit den Musikanten, die im Dorf waren, wozu einige der
+besten Stimmen von ihnen von dem Schulmeister dazu verfertigte
+Stanzen sangen. Es ward Wein hinausgeschickt; der Schulmeister kam
+herein und brachte im Namen der ganzen Gesellschaft die Gesundheit
+des Herrn Pfarrers und der Frau Pastorin aus, wozu die draußen
+Stehenden mit einem herzlichen Hoch! einstimmten. So beschloß dieser
+erste Abend und wiegte unser junges Paar auf den Flügeln der Liebe
+ihrer Gemeine zu einer erquickenden Ruhe ein, die sie wegen der Reise
+und den mancherlei Abwechselungen so nötig hatten.
+
+Der zweite Tag schien sich ein wenig zu bewölken. Itzt mußten
+Besuche abgestattet werden, und zwar zuerst bei dem Herrn des Dorfes.
+Mannheim ließ sich bei ihm zum Nachmittage melden; er schickte
+zurück und lud sie zum Mittagsessen ein. Nun hatte die Höflichkeit
+des gnädigen Herrn, der ohnedem eine Zeitlang in französischen
+Diensten gestanden war, noch eine besondere Springfeder, die war, daß
+Mannheim mit ihm im Handel wegen einer seiner Zehenden stund, mit
+deren Einfoderung er, weil er die Kniffe der Bauren nicht kannte,
+viele Mühe hatte. Die Dame aber und das Fräulein und sein Bruder,
+welche bei ihm wohnte, nebst einem weiblosen Vetter, die alle nicht
+aus Deutschland gekommen waren, hatten noch alle das Rauhe, Herbe und
+Ungenießbare des Adelstolzes, der eben dadurch, weil er seinen Rang
+andern fühlen läßt, alle Hochachtung, die sein Rang Vernünftigen
+einflößen würde, zu Boden schlägt, und den gerechten Stolz aller
+edlen Menschen wider sich empört, die ihm in jedem Augenblick die
+große Wahrheit zurückzufühlen geben: Kein Mensch kann dafür, wie er
+geboren ist.
+
+Diese Art Leute beraubt sich aller wahren Schätze und Vorzüge des
+Lebens. Ihre Verachtung wird von denen mit ihren grenzenden Ständen
+mit Verachtung erwidert, und, weil sie vor ihren Obern nach ihrem
+angenommenen Grundsatz wieder kriechen müssen, so sind sie eigentlich
+die Allerverachtesten unter allen Menschenkindern. Rechnet man dazu
+die Leerheit in der Seele, die dieses ewige Aufblähen ihrer selbst
+verursacht, so wird man ihren Zustand, anstatt ihn zu beneiden, in
+der Tat eher zu bedauren versucht werden.
+
+Auf der andern Seite gibt es einen Stolz der niedern Stände, der
+ebenso unerträglich ist. Das heißt, wenn sie einen gewissen Trotz,
+der zu nichts führt, als alle Verhältnisse, die unter Menschen
+eingerichtet sind, einzureißen, für die notwendigste Eigenschaft
+eines braven Menschen halten, der sich, wie sie sagen, nicht
+unterdrücken läßt. Sie bedenken nicht, daß eben dieser Stoß in die
+Rechte der andern einen Gegenstoß veranlaßt, der gerade das macht,
+was sie Unterdrückung nennen, und am Ende die traurige Spalte
+zwischen den beiden Ständen, ich meine dem _Adel_ und dem _edlen
+Bürger_ zurückläßt, die einander doch so unentbehrlich sind.
+
+Wenn jeder Teil dem andern _voraus hinlegte_, was ihm gehört, würde
+jeder Teil auch seinerseits sich zu bescheiden wissen, nicht mehr zu
+fodern, und lieber aus Großmut etwas von seinen Rechten
+fahrenzulassen, die ihm der andere aus eben dieser Großmut mit Zinsen
+wieder bezahlte.
+
+Der gnädige Herr empfing unsern Pfarrer nebst seiner Frau im
+Speisesaal; die gnädige Frau nebst dem Fräulein ließen sich nicht
+eher als nach ein Uhr sehen, da sie sich denn, nach einem kurzen
+Kompliment von weitem, an ihre Plätze setzten, und überhaupt taten,
+als ob sie der Besuch nicht anginge. Der gnädige Herr, der ein
+munterer Mann war, setzte die Frau Pfarrerin zu sich; Pfarrer
+Mannheim ging und nahm ungebeten seinen Platz zwischen der gnädigen
+Frau und dem Fräulein, deren Antlitz sich mit Blut übergoß, weil eben
+dieser Platz dem Vetter vom Hause bestimmt war. Sie geruhten wenig
+über Tisch zu sprechen, aßen desto mehr, richteten das Gespräch aber
+immer an den Herrn Onkel und Herrn Vetter, die wenig zu antworten
+wußten. Pfarrer Mannheim mischte sich in alles mit seiner
+Beredsamkeit und Weltkenntnis, und hatte bei jedem dritten Wort eine
+Gans auf der Zunge. Das Wort Gans schlug so oft an die Ohren der
+gnädigen Frau, daß sie in ihrem Innersten eine dunkle beklemmende
+Ahndung zu spüren anfing, daß diese öftere Wiederholung ein und
+desselben Worts kein bloßes Werk des Zufalls sein dürfte, und, wie
+denn kein Unglück und keine Furcht allein geht, gesellte sich auch zu
+dieser ihrer Furcht eine noch viel alpmäßig drückendere, es möchten
+andere in der Gesellschaft eben dieselbe tolle Ahndung haben können;
+kurz, sie ward so geschmeidig und freundlich gegen ihren Beisitzer,
+den Pfarrer Mannheim, daß es einem Zuschauer, der von ungefähr
+dazugekommen wäre, das Werk eines halben Wunders geschienen haben
+müßte. Sobald sie einlenkte, ward Pfarrer Mannheim auch artiger, und
+gab ihr auf eine feine Art zu verstehen, daß man einem vernünftigen
+Mann es durchaus von selbst zutrauen müßte, daß er gegen das, was
+Wohlstand und Verhältnisse erfoderten, nicht verstoßen werde, daß man
+ihn aber eben dadurch, daß man dächte, er könne dies und jenes bei
+andern Gelegenheiten mißbrauchen, in die Notwendigkeit setzte, falls
+er nicht ein Pinsel wäre, sich bei allen möglichen Gelegenheiten mehr
+herauszunehmen, als er sollte. "Und überhaupt", sagte er, "gibt das
+einen peinlichen Umgang, wenn man in Gesellschaften nichts weiter zu
+tun hat, als auf seiner Hut zu sein, dem andern nicht zu viel
+einzuräumen."
+
+"Ja, wenn der andere ein vernünftiger Mann ist", sagte der Onkel mit
+einem sehr gnädigen Blick.
+
+"Von dem rede ich nur", sagte der Pfarrer. "Sie trinken heute
+nachmittag den Kaffee im Garten mit uns", sagte die gnädige Frau.
+"Haben Sie den _Almanach der Grazien_ gelesen?" fragte das Fräulein.
+
+Diese Fragen kamen so unmittelbar aufeinander, daß er sie nicht
+anders als mit einem ehrerbietigen Bückling und einem feinen Lächeln
+am Munde beantworten konnte. Er sagte, er wollte den Nachmittag die
+Gnade haben, der gnädigen Frau und dem gnädigen Fräulein einige
+Zeichnungen von seinen Reisen in der Schweiz zu weisen, worunter
+besonders die Gegenden des Pays de Vaux wären, die Rousseau in seiner
+Heloise so meisterhaft geschildert.
+
+"O Sie sind ein allerliebster Mann", sagte das Fräulein.
+
+Die Tafel ward aufgehoben. Nun war der Damm eingerissen, der bisher
+die Konversation gehemmet; alles floß in Geselligkeit und Scherz
+und--Vertraulichkeit zusammen.
+
+Eine harte Prüfung stand ihnen noch bevor. Als sie alle zusammen in
+Eintracht in der großen Sommerlaube im Garten um den Kaffeetisch
+saßen, und die schmeichelnden Frühlingslüfte den Erzählungen
+Mannheims von der französischen Schweiz einen geheimen Zauber gaben,
+der ihn mit Einstimmung aller zum Haupthelden auf der Szene
+machte--führte das Glück oder Unglück, ganz wie aus den Wolken
+gefallen, einen nicht eben allzureichen Edelmann aus der Hauptstadt
+nebst seiner Frau Gemahlin herbei, der eigentlich dort nur die sehr
+mäßigen Zinsen seines Kapitals verzehrte, auf dem Lande aber überall
+sich das Ansehn gab, als ob er einen außerordentlichen Einfluß am
+Hofe und besonders auf den Landesherrn habe, der ihn weiter nicht als
+Figuranten in der Antichambre zu kennen das Glück hatte. Diese
+Erscheinung war wie ein Hagelwetter nach einem Sonnenschein; alle
+Gesichter fielen in ihre angeborne Karikatur zurück, und Öde und
+Leere, wie ehmals im Chaos, herrschte nun in der Gesellschaft.
+Pfarrer Mannheim hielt es nicht für nötig, mit seinem Weiblein
+davonzuschleichen, so sehr ihm die Augen aller Anwesenden es zu raten
+schienen; er faßte gleich beim Eintritt des Fremden seinen Stuhl an,
+damit ihm dieser nicht etwan im Hurly Burly genommen werden könnte,
+war aber übrigens ungemein ehrerbietig und zurückgezogen bei den
+ersten Komplimenten. Kaum hatte der Fremde und der Hausherr sich
+gesetzt, so nahm er und seine Frau ihren alten Platz ein, so daß
+wahrhaftig für das gnädige Fräulein und den Herrn Vetter kein Stuhl
+mehr übrigblieb, und sie genötigt waren, den Bedienten unverzüglich
+nach einem zu schicken. "Das ist der berühmte wunderbare Herr
+Pfarrer Mannheim", sagte der Hausherr, um diese Reibung der
+Gesellschaft zu maskieren, "der aus seinen Bauren Edelleute und aus
+seiner Kirche eine Akademie der ökonomischen Wissenschaften machen
+will."
+
+Diese hohe Ankündigung sollte auf einer Seite dem neuen Gast alle
+Befremdung, einen Prediger in dieser Gesellschaft zu finden, ersparen,
+auf der andern dem Pfarrer Mannheim auf eine sehr subtile Art eine
+Erinnerung geben.
+
+Der Höfling, dessen Augen ohnehin immer zusammengezogen waren, tat,
+als ob er den Pfarrer Mannheim nicht sähe.
+
+"Es ist mir wenigstens schmeichelhaft, gnädiger Herr", sagte der
+Pfarrer Mannheim, "daß unser Landesfürst mich durch ein eignes
+gnädiges Handschreiben seines Beifalls versichert hat."
+
+Es war, als ob er eine Rakete unter die Leute geworfen; alle Augen
+waren auf ihn gerichtet.
+
+Unterdessen kamen die Stühle für das Fräulein und den Herrn Vetter an.
+
+"Und ich hoffe, daß nächstens", fuhr er fort, "auf meinen
+untertänigsten Vorschlag, in Ansehung der Austeilung der neuen
+Kopfsteuer, wie mir Se. Exzellenz der Präsident von der Kammer
+versichert haben, eine eigene Kommission von seiten der Kammer und
+eine andere von seiten unsers Oberamts niedergesetzt werden soll, um
+die eingeschlichenen Mißbräuche zu heben, die den Landmann so sehr
+beeinträchtigen, als die landesfürstliche Kasse."
+
+"Das wäre in der Tat sehr nötig", sagte der Herr vom Hause.
+
+Der Höfling maß ihn mit seinen Augen, welches der Pfarrer Mannheim
+erwiderte.
+
+Auf ihrer Seite tat Albertine alles Mögliche, um das Fräulein zu
+besänftigen, die, wegen des Vorfalls mit den Stühlen und wegen ihrer
+Entfernung von der neuangekommenen Hofdame, sich noch gar nicht
+erholen konnte. Sie sprach mit ihr von einigen neuen Kopfzeugen, die
+sie aus ihrer Vaterstadt mitgebracht, und von denen sie ihr das
+Muster schicken wollte. Das Fräulein nickte mit dem Kopf und
+lächelte, daß man geglaubt hätte, sie weinte. "Das, was die gnädige
+Frau aufhaben", fuhr Albertine sehr laut fort, "ist eben keins von
+den neuesten." Die Hofdame schlug die Augen fest vor sich nieder.
+"Indessen", sagte Albertine weiter, um sie zu trösten, "ist es nach
+meinem Auge von unendlich mehrerem Geschmack, als die neueste Art mit
+den fatalen Fledermäusen und dem Gesimse auf dem Kopf." Der Höfling
+wandte sein Auge bei diesen Worten, die mit einiger Laune
+ausgesprochen wurden, mitten in dem tiefsinnigsten Gespräch mit dem
+Herrn vom Hause, auf die Frau Pastorin.
+
+Der Pfarrer Mannheim, der schon wieder als Insel dasaß, und wohl
+merkte, daß das tiefsinnige Gespräch der beiden Herren sich auf
+nichts herumdrehte, als daß beide etwas leise gegeneinander die
+Lippen rührten, ohne daß einer von den Worten des andern das
+geringste verstund--fuhr mit einer neuen Rakete zwischen ihnen drein.
+
+"Ich muß mich sehr wundern", sagte er und richtete sich gerade an den
+Herrn vom Hofe, der ihm schon durch das allgemeine Gerücht bekannt
+war, "daß die meisten Herren von Adel ihre Kapitalien hiesigen
+Kaufleuten anvertrauen, wo sie doch so unsicher stehen, und sich
+nicht nach Holland wenden, das wir so nahe haben, und wo ich durch
+sichere Briefe weiß, daß die Konkurrenz bei gegenwärtigem Kriege viel
+größer ist."
+
+"Wie meinten Sie das", fragte der Herr vom Hofe, und rückte seinen
+Stuhl näher-Pfarrer Mannheim tat, als ob er diese Frage nicht hörte,
+sondern stand in dem nämlichen Moment vor der gnädigen Frau, von der
+er sich mit einem sehr tiefen Bückling beurlaubte, alsdann seine Frau
+an die Hand nahm und sie denen Herren zum Abschied präsentierte, die
+außerordentlich höflich waren. Der Herr Vetter, der den Augenblick
+in den besten Humor von der Welt kam, bat sich die Erlaubnis aus, sie
+nach Hause zu begleiten; Pfarrer Mannheim verbat sich's, weil
+vermutlich sein Kutscher auf ihn wartete; der junge Herr hob sie also
+in den Wagen, und so endigte sich dieser Besuch.
+
+"Wir wollen ihn einmal besuchen", sagte der Herr vom Hause, als er
+fort war. "Der Mann gefällt mir besser als die Frau", sagte die
+Hofdame. "Mir auch", widerhallte das Fräulein. Der Vetter, der
+zurückgekommen war, lächelte, wie einer, der vergnügt ist, ohne zu
+wissen warum. Alles ging wieder in betäubende Stille über.
+
+
+Als sie nach Hause gekommen waren, bat Albertine ihren Mann sehr
+ernstlich, daß sie doch heute keine Visite mehr machen wollten. Er
+bestand aber drauf, den Abend bei seinem Assoziierten zu essen,
+welches auch geschah. Beide kamen merklich vergnügter von dort nach
+Hause, als sie beim Mittagessen gewesen waren. Denn da waren sie die
+streitende Kirche, hier aber die triumphierende, und sie verbreiteten,
+durch ihre Freundlichkeit und Gesprächigkeit, so viele Freude bei
+diesem wackern Bürger, dessen Haushaltung gewiß mit so vielem
+Geschmack eingerichtet war, als die Haushaltung des wohlhäbigsten
+Kaufmanns in der Stadt es nur immer sein kann, daß er ihnen gern sein
+Herz aus dem Leibe vorgesetzt hätte.
+
+Albertine, welche ihren Mann inständigst bat, sie soviel möglich
+aller sogenannten Staatsvisiten zu überheben, fing nun an, das
+Bedürfnis nach Gesellschaft, das heißt einer Gesellschaft, die ihr
+nach Herz und Sitten gleichgestimmt war, ziemlich lebhaft zu spüren.
+Sie wollte es ihrem Manne anfangs nicht sogleich gestehen, aber alle
+ihre geheimsten Korrespondenzen nach Hause waren voll davon. Der
+Mann hatte sein Amt; er hatte vor allen Dingen seine wirtschaftlichen
+Angelegenheiten, die ihn oft den ganzen Tag foderten, so daß er nur
+wenige Abendstunden der Erholung in dem Schoße seines Weibes widmen
+konnte; sein eigen Herz flüsterte es ihm gar bald zu, daß seine Frau
+unmöglich den ganzen Tag allein bleiben könnte; er traf also ingeheim
+Verfügungen, und eben als er an einem Nachmittage seiner Frau, die
+einen Augenblick in den Garten gegangen war, ihren Salat zu besehen,
+ein Briefchen aus ihrem offenen Schreibpult stahl, in dem sie mit
+folgenden Worten ihr Herz gegen eine Freundin erleichtert:
+
+"Den besten Freund meines Lebens an meiner Seite, in einem Hause, wo
+es mir an nichts fehlt, und jeder meiner Wünsche mir durch die
+Sorgfalt meines Mannheims entgegeneilt, fehlt mir doch immer noch ein
+Herz, das mein Glück, selbst das Glück, so geliebt zu sein, als ich
+bin, mit mir teilt, sich mit mir freut, wenn ich närrisch bin, mit
+mir das Maul hängt, wenn der Himmel trüb ist: liebes Lieschen, das
+bist du---"
+
+Man stelle sich vor, wie unserm Weiblein zumut ward, als sie über ein
+Krautbeet sich emporhob, einen Wagen im Hofe rasseln hörte, unter
+ihrem Sonnenhütchen heraussah, und in dem Augenblick sich von den
+Armen eben desselben Lieschens umschlungen fühlte, an welche sie den
+obigen Brief unvollendet gelassen. Ihn mit dem offenen Briefe in der
+Hand die Treppe hinunterstürzen, sie mit ihrem lieben Lieschen an der
+Hand, als ob es von ungefähr geschehen, ihm entgegenfliegen--und
+hernach aus diesem süßen Traum mit der Empfindung aufwachen zu sehen,
+daß er ihr von ihrem Mannheim zu rechter Zeit geschickt
+war--überlasse ich dem teilnehmenden Herzen meiner Leser und
+Leserinnen sich selber abzuschildern.
+
+Das Bedürfnis seiner Frau war befriedigt; aber nachdem dieses kleine
+Trio eine Zeitlang gedauert, fühlte er, daß sich für sein Herz ein
+ähnliches anhub. Er sann also ein Befriedigungsmittel aus, das ich
+mich nicht enthalten kann zum Besten des Ganzen allgemein bekannter
+zu machen, besonders, da ich es nur, als ein sehr schlecht
+gekritzeltes Kupferblatt, von einem Originalgemälde kopiert habe, das
+zu allgemein bekannt und verehrt ist, als daß es meines Lobes
+bedürfte. Es ist das große Gemälde deiner Haushaltung, mein S—,
+das ich vor Augen habe, und von dem ich gern Modelle für alle
+mögliche Klassen von Menschen vermannigfaltigen möchte.
+
+Er wußte, welch eine unangenehme Epoke im menschlichen Leben der
+Übergang vom Jünglingsalter zu männlichern Geschäften macht, und wie
+nötig jungen Leuten, die von der Akademie kommen, oder sonst in dem
+Vorbereitungsstande zu wichtigern Geschäften stehen, ein Hafen sei,
+in welchem sie ihr Schiff takeln, kalfatern und segelfertig machen
+können, ehe sie es wagen dürfen, es vom Stapel abzulassen. Er machte
+also seine Spekulationen auf diese Vorbereitungsjahre edler Jünglinge,
+die nicht durch Kriechen, oder sich an Schürzen Hängen, sondern
+durch das Bewußtsein innrer Kräfte in Ämter, oder zu Künsten
+aufgenommen zu werden strebten, und öffnete ihnen, sobald er diesen
+Funken in ihnen entdeckte, sein Haus ohne Ausnahme, gegen keine
+andere Entschädigung, als daß sie einige Stunden von ihren täglichen
+Beschäftigungen zu dem Umgange mit ihm und seinem Hause abbrechen,
+der ihnen in allen Rücksichten nicht anders als höchst vorteilhaft
+sein konnte. Hier hatte er eine beständige Unterhaltung für seinen
+Geist und sein Herz, und schuf sich eine Menge Freunde von so
+mannigfaltigem Charakter, Talenten und äußeren Beziehungen, daß es
+eine wahre Weide für seine Seele war, sie mit all ihren Eigenheiten,
+und auszeichnenden Bestimmungen in ruhigen Stunden vor seiner
+Einbildung vorbeigehen zu lassen, und der Stoff zur Unterredung mit
+den Seinigen niemals fehlen konnte. Alle diese verschiedenen
+Menschen breiteten sich nachher bald hie bald dort hin aus, und das
+edelste Gefühl im Menschen, das unter allen am letzten unterdrückt
+werden kann, die Erkenntlichkeit, die sie von ihm mitnahmen, machte,
+daß sie, wenn sie in bessere Verfassungen gekommen waren, seiner
+weder in Briefen noch in Aufträgen, die er an sie hatte, jemals
+vergessen konnten, wodurch denn seine Korrespondenz und sein
+Wirkungskreis einer der angesehensten im Königreich war.
+
+So ward sein Haus in gewisser Art eine Akademie der Künste und
+Wissenschaften, weil sich Künstler und Gelehrte zu ihm flüchteten.
+Er hatte dabei keine weitere Unkosten, als daß er ein paar Zimmer in
+seinem Hause für sie zurichten ließ, und denen, welche mäßig waren,
+wie es echte Künstler und Gelehrte immer sind, mittags und abends
+eine Serviette mehr hinlegen ließ, welches in einer Haushaltung auf
+dem Lande kaum merklich wird. Vom Tee und Kaffee und Tabak war in
+seinem Hause niemals die Rede, wohl aber von Obst und Früchten, wie
+es die Jahrszeit mit sich brachte.
+
+Vielleicht wird es einige meiner Leser interessieren, zu erfahren,
+wie Albertine ihrem Manne den Rauchtabak, und er ihr zur Dankbarkeit
+den Kaffee abgewöhnt. Albertine hatte ihm einigemal gesagt, daß sein
+Zimmer übel röche, und daß sich der Geruch in seine Kleider zöge; er
+spottete ihrer falschen Delikatesse, nahm seine Tabaksdose, sie zu
+quälen, auf ihr Zimmer und rauchte ihr beim Vorlesen den ganzen Abend
+vor. Sie ließ es hingehen. Einen Monat mochte vom Tabak gar nicht
+wieder die Rede gewesen sein, als er auf einmal an einem Morgen
+seinen kleinen Johannes, das erste und nun schon zweijährige Söhnchen,
+das sie ihm geschenkt hatte, mit einer langen tönernen Pfeife im
+Munde gewahr ward. "Frau", sagte er, indem er rot ward und dem
+Kleinen nicht ohne Widerstand die Pfeife aus den Händen nahm, "das
+Spielwerk taugt nichts für Kinder." Die Frau verbiß ein geheimes
+Lächeln und sah emsig auf ihre Arbeit. Er kam den Abend wieder mit
+seiner Pfeife auf ihre Stube; den Morgen fand er seinen kleinen
+Jungen wieder in der nämlichen Stellung. "Was ist denn das mit der
+Pfeife?" sagte er, und konnte sich nicht enthalten zu lachen und
+zugleich noch röter zu werden. "Kann ich's ihm abgewöhnen", sagte
+sie mit der größten Sanftmut, "wenn er dich alle Abend rauchen sieht?
+Du weißt, wie die Kinder sind; alles, was die Alten tun, macht ihnen
+Freude." "Und wer hat ihm die Pfeife gekauft?" fragte Mannheim und
+versteckte seinen Kopf an ihrer Brust; hier fand sie es für gut, ihm
+aus dem Stegereif eine kleine Gardinenpredigt über das Rauchen,
+sobald es Gewohnheit wird, zu halten. "Es ist eine Kette", sagte sie,
+"an der du ziehst, die dir alle deine übrigen Vergnügungen verdirbt,
+darum nur, darum habe ich was dagegen einzuwenden. Du bist nirgends
+ruhig, wenn dich nicht die Pfeife begleitet, und du magst es dir
+verhehlen, wie du willst, es bleibt immer eine kleine Unreinlichkeit.
+Ich habe einen Menschen gekannt, der sich parfümierte, wenn er
+geraucht hatte, und er kam mir gerade so vor, wie ein Schinken, den
+man aus dem Rauch nimmt, und eine Sauce von Zitronen dran macht.
+\XDCberlassen wir das Rauchen den Unglücklichen, die keine andere
+Freude haben, den Walfischfängern in Grönland, oder den Negern in
+Zuckerplantagen, die ein Opium brauchen, um sich gegen ihr Elend zu
+betäuben, aber du, im Schoße des Glücks, in meinem Schoße"--hier
+faßte sie ihn mit unaussprechlicher Schmeichelei unter das Kinn. Er
+ging trotzig fort. Den Abend ward Pfeife und Tabak in den Ofen
+geworfen, und den Morgen ließ er sein Studierzimmer von neuem
+ausweißen und flüchtete in das Zimmer seiner Frau.
+
+Nach langer Zeit ward er inne, daß seine Frau es mit dem Kaffee hielt,
+wie er mit dem Rauchtabak. Ihr war nicht wohl, wenn sie des Morgens
+ihren Kaffee nicht genommen, und sehr oft überfiel er sie mit ihrem
+Lieschen auch des Nachmittags am Kaffeetisch, wo sie einander wie
+wahre Stadtweiber, die Schale in der Hand, mit den Neuigkeiten ihrer
+Korrespondenzen unterhielten. Sobald sein Weib oder ihr Lieschen
+übles Humors war, ward es hernach zur Gewohnheit, daß zweimal Kaffee
+getrunken werden mußte. Er wollte beide einmal auf die Probe setzen,
+und las ihnen bei Tisch einen erdichteten Brief vom Präsidenten vor
+(mit dem er wirklich korrespondierte), in welchem dieser ihm meldete,
+es würde nächstens eine landesfürstliche Verordnung bekanntgemacht
+werden, worin allen Privatpersonen ohne Ausnahme der Gebrauch des
+Kaffee bei schweren Geldstrafen untersagt werden würde, dafern sie
+sich nicht eine unmittelbare Erlaubnis vom Landesherrn durch
+Bezahlung einer dazu ausgesetzten Geldsumme auswirkten. Seine Frau
+und Lieschen sahen einander an; beide suchten die verschiedenen
+Empfindungen, die diese Neuigkeit in ihnen veranlaßte, jede auf ihre
+Art, zu verbergen, endlich konnte sich Lieschen nicht länger halten,
+und brach aus: "Werden Sie uns diese Erlaubnis denn kaufen?" Mannheim
+lächelte. "Du würdst wohl ohne Kaffee nicht leben können, aber ich
+hoffe, was meiner Frau gut ist, wird dir auch recht sein." Hierauf
+setzte er ein sehr ernsthaftes Gespräch mit einem seiner jungen
+Freunde fort. Als er vom Essen aufstand, und sie küssen wollte,
+stürzten zwei unbändige Tränen, die sie mit aller ihrer Mühe und
+Kraft beim Essen zurückgehalten hatte, ganz wider ihren Willen und
+Absicht, von den Wangen der armen Albertine den mutwilligen Lippen
+Mannheims entgegen, die sie wollüstig aufschlürften. "Und so weinst
+du denn, meine liebe Frau", sagte er laut und triumphierend, "und
+meinst, der Kaffee sei keine Kette, kein Opium, das dich für alle
+andere Vergnügungen taub und ungestimmt macht. Wenn haben unsere
+Vorfahren Kaffee getrunken, die doch auch ihre Freude hatten, und
+herzlicher als wir. Trinken wir den Kaffee, wie sie, als etwas
+Außerordentliches, als etwas, das alle Jahre einmal kommt, und bloß
+etwas zu lachen gibt, gewöhnen wir unsere Nerven aber nicht an einen
+Opiat, der viel feiner und reizender, und eben deswegen auch viel
+schädlicher ist, als der Tabak und das Opium selber. Der Kaffee ist
+in der Tat nur eine galante Unreinlichkeit, und ich bin versichert,
+daß der saubere Porzellan, in den wir ihn fassen, das meiste und
+vielleicht das einzige zu seinem Wohlgeschmack beiträgt. Können wir
+aber nicht ebensowohl von porzellanenen Kredenztellern Obst und
+andere Sachen essen, die unsern Nerven nichts schaden, und uns nicht
+zur schädlichen Gewohnheit werden?" Albertine ließ sich diesen
+Nachmittag einige Pfirsiche heraufbringen, und, wenn Fremde zu ihr
+kamen, setzte sie ihnen Wein, eingemachte Sachen und Obst vor, wobei
+die Munterkeit und das Scherzen und das Hüpfen und die Pfänderspiele
+und das Tanzen und das Jauchzen viel allgemeiner wurden. Des Morgens
+war ihr Frühstück ein Äpfelkuchen, oder ein Butterbrot, oder sonst
+etwas, wovon ihnen nur ein Gelüste durch den Kopf zog, nie aber
+banden sie sich an etwas und sie schämten sich hernach nicht wenig,
+als ihnen Mannheim sagte, der Verbot vom Kaffee sei nur eine
+Erfindung von ihm gewesen. Mannheim aber und seine Gäste
+frühstückten, nachdem es der Phantasie der Frauenzimmer beliebte.
+
+Tausend Veränderungen, tausend drollige Szenen jagten einander in
+diesem glücklichen Hause, welche, durch die Erfindungskraft der
+Frauenzimmer sowohl, als der jungen Fremden, die Mannheim herbergte,
+entstanden. Bald ward eine Komödie gespielt, bald eine Wallfahrt in
+die benachbarten Gebirge angestellt, bald eine allgemeine Verkleidung
+in Bauren und Bäuerinnen vorgenommen, die denn zur Heumachenszeit auf
+den Wiesen von Johannes Mannheim et Compagnie die nötigen Arbeiten
+meisterlich verrichteten, im Grünen ihre kalte Milch aßen und
+dergleichen. Oder, es wurden im Winter Schlittenfahrten angestellt,
+wobei Johannes Mannheim seine erste Deklaration oft wiederspielte*
+und sich dafür von der ganzen Gesellschaft weidlich auslachen ließ.
+Das größte Vergnügen hatten sie bei der Ernte, wo sie sich unter
+Schnitter und Schnitterinnen mischten, und mit ihnen hernach die
+Mahlzeit aßen.
+
+{* Siehe den ersten Teil.}
+
+Nach und nach fing der Wurm der Begierde, öffentlich bekannt zu
+werden, an, in diesem harmlosen Herzen zu wühlen. "Bin ich es denn
+nicht", sprach er zu sich selber, "durch die guten Menschen, die ich
+bei mir bewirte, durch die vielen Briefe, die ich von allen Seiten
+erhalte, durch die Reisenden selber, die meine Haushaltung zu sehen
+neugierig sind?" Aber doch der Wunsch, gemeinnützig zu werden, nicht
+eben ein Philanthrop, oder Kosmopolit, aber doch ein Mann zu sein,
+der mehrern Menschen seine Existenz zu fühlen gibt. Er trug diesen
+Wurm und drückte und unterdrückte ihn, aber doch bei gewissen
+Gelegenheiten, wenn's ihm aus den Augen verschwunden war, daß sein
+Beispiel das ganze Dorf zu einem der wohlhäbigsten im Königreich
+gemacht, und das Beispiel dieses Dorfs mit der Zeit für die
+benachbarten Dörfer, und also, wie alle Handlungen ins Unendliche
+gehen, für das ganze menschliche Geschlecht ansteckend werden
+wurde--fiel ihm dieser Lindwurm mit so unheilbaren Bissen wieder an
+das Herz, daß es ihm manche trübe Stunde machte. Niemand auf der
+Welt, selbst das Auge seiner Albertine, dem doch kein Winkel seines
+Herzens verborgen blieb, hätte wohl jemals diese geheime Springfeder
+einiger seiner üblen Launen ausfindig machen können. Kurz, es
+war--der schlimmste Sauerteig, der seit Adams Fall im menschlichen
+Herzen gegärt hat--es war der Autor, der das Haupt in ihm emporhob.
+Den ersten Keim dazu hat ein Einladungsschreiben von einem
+Journalisten, doch von Zeit zu Zeit einige Rezensionen in sein
+Journal zu fertigen, so tief in seine Seele gelegt, daß es mit all
+seiner Mannheit unmöglich war, ihn ganz auszureuten.
+
+"Wenn's auch nur eine Heilsordnung wäre", sagte er sich manchesmal.
+Denn zu Rezensionen fühlte er gleich von Anfang die größte Abneigung.
+Sein Urteil andern Menschen aufbinden zu wollen, war nie sein Fall
+gewesen. Und der Stolz, der sich da hineinmischt, war ihm eine
+peinlichere Empfindung, als die größte Demütigung, die er hätte
+erleiden müssen. "Ein solcher Mensch", sprach er zu sich selbst,
+"macht, wenn andere und besonders vernünftige und gescheute Leute
+seinem Urteil nicht beipflichten, sein Leben zur Hölle und umsonst
+hat der Mund der Wahrheit nicht gesagt: Richtet nicht, daß ihr auch
+nicht gerichtet werdet."
+
+Aber die Autorschaft--andern Leuten Brillen zu schleifen, wodurch sie
+sehen können, ohne welche ihnen tausend Sachen verborgen blieben.
+--"Es ist doch groß das", meinte er.
+
+"Vor alten Zeiten schrieben die Prediger Postillen; als der Postillen
+zu viel waren, ward darüber gelacht und gespottet, da setzten sie
+sich auf ihre Kirchhöfe (die mehrstenmale freilich nur in Gedanken)
+und lasen den unsterblichen Engländer, den erhabenen Young. Da
+erschienen _Christen bei den Gräbern, Christen in der Einsamkeit,
+Christen am Morgen, Christen am Abend, Christen am Sonntage, Christen
+am Werktage, Christen zu allen Tagen und Zeiten des Jahrs_. Die
+Buchhändler wollten deren auch nicht mehr, und warum sollte ein
+Prediger nicht auch durch Romanen und Schauspiele nützen können, wie
+durch Predigten und geistliche Lieder? Der Nutzen müßte noch weit
+größer sein, weil dergleichen Bücher in weit mehrere Hände kommen,
+weit begieriger gelesen werden, wenn es dem Verfasser an Witz nicht
+mangelt und--"
+
+Wir setzen mit Fleiß diese lange Stelle aus dem Selbstgespräch des
+ehrwürdigen Johannes Mannheim her, um unsern Lesern ein Pröbchen, wie
+weit in so kurzer Zeit durch einige Zeilen nur die verborgene Radix
+Ruhmsucht in diesem gesunden Herzen aufgegäret war und sich seinen
+edelsten Säften mitgeteilt hatte. Fast ein ganzes Vierteljahr wälzte
+er's mit sich im Bette herum, einen Roman im Geschmack des Richardson
+oder Fielding der gelehrten Welt vorzulegen; verschiedene
+Begebenheiten aus seiner eigenen Lebensgeschichte hineinzuspinnen,
+das Ganze aber etwan als die Geschichte eines Prinzen, oder eines
+Ritters, oder eines--Bauren oder eines--was weiß ich's, einzukleiden,
+das noch nicht vorgekommen wäre, nota bene. Der gute Mann bedachte
+nicht, daß durch seine freiwillige Entfernung von dem, was man große
+Welt nennt, und überhaupt von dem Gange der menschlichen
+Angelegenheiten in Städten und an Höfen, so wie von dem Ton der
+Gesellschaften und dem Hervorstechenden in Charakteren und Sitten,
+sich ihm alles nur durch das Prisma seiner Korrespondenz, oder des
+Hörensagens, oder gar gewisser Bücher, bald--dreieckig,
+bald--rautenförmig, bald--vieleckig, bald spitz, bald stumpf, bald
+platt weisen würde, was sonst schlechtweg rund oder gerade war, und
+umgekehrt. Die Begierde, ein Romanschreiber zu werden, drückte und
+folterte ihn Tag und Nacht, wo er ging; was er sah, was er anrührte,
+wollte er alles in seinen Roman bringen und der arme Mann saß
+beständig in seiner fröhlichen Gesellschaft da, wie ein Elefant mit
+einem Ring in der Nase-"Hol' der Henker Roman und alles"--schrie er
+eines Tages überlaut beim Mittagessen, als ihm kein Bissen Brots mehr
+schmeckte--seine Frau und Lieschen starrten ihn mit großen Augen
+an--und einer seiner Fremden, der durch die Sympathie was davon
+geahndet haben mochte, fing überlaut an zu lachen. "Kinder, ich muß
+euch gestehen", sagte er, und wischte sich den Schweiß von der Stirne,
+"ich bin einige Monate her nur halb bei euch gewesen--aber es ist
+vorbei, gottlob! und ich hoffe, es soll nicht wiederkommen." "Wie,
+Mann!" fing Albertine an, "du hast doch wohl keinen Roman schreiben
+wollen." "Was denn anders?" sagte Johannes Mannheim, "der Teufel hat
+mich versucht und du hast mir helfen sollen. Aber, laßt uns von was
+anders sprechen, und wer unter euch sich untersteht, mir von dem
+Roman auch nur mit einer Silbe wieder zu erwähnen, den erkläre ich
+für den allertödlichsten Feind, den ich in meinem Leben gehabt habe."
+
+Den Nachmittag war er in einer Laune, daß ihn alle die Seinigen
+hätten fressen mögen. Besonders merkte dies sein alter Assoziierter,
+der seit einiger Zeit einen so schläfrigen Gang in seinen
+Wirtschaftsgeschäften wahrgenommen, daß er hundertmal auf dem Sprung
+stand, deswegen zu ihm zu gehen, wenn ihn nicht immer die Ehrfurcht,
+mit der er ihn sonst zu behandeln gewohnt war, zurückgehalten hätte.
+"Gott tröst'" sagte er den andern Tag zu Albertinen, "was ist mit
+unserm Herrn Pfarr vorgegangen? Er ist ein ganz andrer Mensch, als
+er diese ganze Zeit über war. Ich dachte schon, er wäre krank, oder
+müßt' ihm sonst was fehlen im Unterleib. Wie es den gelehrten Herren
+zu gehen pflegt."
+
+Nichtsdestoweniger hat man nach dem Tode unsers Johannes Mannheim
+einige fürtreffliche Traktate gefunden, die in einer Sammlung seiner
+Schriften sämtlich zu Amsterdam in groß 8vo herausgekommen sind.
+Darunter war eine _Abhandlung von der Viehseuche, von den Pferdekuren,
+von dem Wieswachs und dem Nutzen der englischen Futterkräuter, von
+dem Klima_ und dessen Einfluß auf Menschen, Tiere und Pflanzen,
+besonders der _Bevölkerung_, worinnen Blicke in die Menschennatur und
+in die allgemeine organisierte Natur waren, die einem Montesquieu
+würden haben erröten machen. Er fand das große Geheimnis der
+Ähnlichkeit des Menschen mit der ganzen Schöpfung, die ihn umgibt, ja
+er fand, welches Montesquieu selbst nicht gesucht haben würde, selbst
+die Unterschiede der Regierungsform in der Natur des Bodens und dem
+Einfluß desselben auf Charaktere, Sitten und Meinungen seiner
+Bewohner. Durch diesen Schlüssel erklärte er die wunderbarsten
+Phänomene in der Geschichte und noch Erscheinungen, die heutzutage
+sich ergeben, auf eine Art, die keinen Zweifel übrigließ.
+Vorausgesetzt, daß er Handel und Veränderungen dieses Bodens und
+seiner Produkte mit zu den Ursachen rechnete, ferner, daß er
+abrechnete, was herumziehende Nationen wie z. B. die Römer selbst
+anfangs, wie hernach die Longobarden, die Goten, die Alemannen und
+Franken selber, von ihrem Boden und von ihren Sitten mitgebracht, das
+sich hernach mit der neueren Denkart vermischt. So behauptete er,
+die Römer wären eigentlich bis zu den Zeiten der Kaiser keine
+_italienische Nation_ gewesen, sondern ein Haufen Kriegsleute, der
+sich beständig zu wehren hatte und alles unter sich bringen wollte,
+weil er diese Tapferkeit und den kriegerischen Hang mitgebracht.
+Unter den Kaisern wies sich erst der Einfluß des Bodens, der sie zu
+einer Nation machte, die von der heutigen italienischen durch wenig
+Schattierungen unterschieden ist. So leitete er von den Steinkohlen
+die Melancholie der Engländer, von dieser ihren Eigensinn, ihre
+Freiheitsliebe, ihre Regierungsform: von den flüchtigen Weinen der
+Franzosen ihren Leichtsinn, von dieser ihre Sorglosigkeit für die
+öffentlichen Geschäfte, von dieser ihre Liebe zur Monarchie, wo alles
+von selbst geht und sie sich nur zu bücken und zu schmeicheln haben,
+um höher zu kommen. Von dem rauhen Klima der Deutschen und dem Bier
+ihre Festigkeit, wobei er jedoch die Einschaltung machte, daß seit
+dem häufigen Gebrauch des warmen Wassers, besonders des Kaffee, diese
+Tugend sehr abgenommen und in eine weibische Weichlichkeit und
+Unentschlossenheit ausgeartet wäre, die, wenn sie nicht noch
+bisweilen vom Boden und Himmel überstimmt würde, den ganzen
+Nationalcharakter verändern könnte. Aus dieser Festigkeit und
+Mannheit leitete er die ganze Verfassung des h. Römischen Reichs her,
+und zeigte, daß sie in ihren Grundfesten nicht zu erschüttern wäre,
+es müßten denn die Sitten der Nation ganz umgegossen werden.
+Deutschland wäre das einzige Reich in der Welt, wo sich die alte
+Lehnsverfassung noch bis auf den heutigen Tag erhalten, eine Menge
+kleiner Fürsten nebeneinander, die unter ihren Lehensleuten und
+Vasallen herrschten, nur sollte der Adel nicht ungekränkt fremde
+Dienste nehmen dürfen, weil es wider die Lehenspflicht sei. So aber,
+wenn sie lang in fremden Ländern lebten, verlören sie ihr Deutsches,
+ihre Mannheit und Festigkeit, ihren Trotz für ihre Rechte und die
+Rechte ihres Landesherrn, ihre Anhänglichkeit an ihren Boden,
+brächten weibische Unentschlossenheit statt guten Sitten zurück, und
+könnten leicht Knechte des ersten werden, der sie finde. \XDCbrigens
+gestand er selbst ein, daß nichts liebenswürdiger sei, als ein
+Deutscher, der gereist hat, ein Franzose, der alt geworden ist, und
+ein Engländer, der lange Jahre unter den Russen gewesen. Den
+Despotismus dieser Nation schrieb er der Strenge ihres Klima, der
+Kargheit ihres Bodens und dem daher rührenden Mangel des großen
+Haufens der Einwohner zu, denn überall, wo Mangel ist, ist
+Despotismus, weil der, der sich nicht zu helfen weiß, sich alles
+blindlings gefallen läßt.
+
+Alle diese Sachen aber verhehlte Johannes Mannheim sorgfältig den
+Seinigen, weil er den Schatz seiner Erfahrungen und seiner drüber
+angestellten Meditationen seinem Sohn als ein Erbstück hinterlassen
+wollte, das ihm noch nach seinem Tode zu einer Art von Führer und
+Schutzgeist durch die Welt dienen könnte. Wir werden in der Folge
+sehen, wie sein Sohn sich gegen das Andenken seines Vaters dankbar
+erwiesen.
+
+Albertine aber, anstatt sich von dem Beispiel ihres Mannes warnen zu
+lassen, ließ sich von demselben anstecken, und Gedanken, die nie in
+ihrem Herzen aufgekommen waren, verderbten auf einmal die Unschuld
+ihrer Seele.
+
+An einem schönen Sommerabend, da die kleinen gefleckten Wolken,
+wehmütig und rührend wie Engel, um die scheidende Sonne hingen,
+konnte sie ihrem Herzen nicht widerstehen; sie zitterte, nahm ihr
+Mäntelchen und ihre Kappe und ging ganz allein in die kleine Wiese
+hinten am Hause hinaus, wo der Bach sich im Widerschein des Himmels
+wollüstig langsam dahin wand. Sie warf sich in ein Gesträuch, das
+neben ihm stand, und, fast wie der Allmutter Eva, nach Geßners
+reizender Beschreibung,* ihr erster Sohn ohne Schmerzen geschenkt
+ward, ward ihr hier das erste Gedicht verliehen, das sie, mit warmem
+schlagendem Herzen und sich jagenden Tränen auf den Backen, ihrem
+Mann und ihrer Freundin machte. Sie kam nach Hause; man sah eine
+außerordentliche Bewegung ihrem Gesicht an. "Was hast du?" fragte
+der Mann, der ihr im Hoftor entgegentrat. Sie wies ihm ihre kleine
+Täfelchen (Tablettes, wie man sie in Frankreich nennt), auf die sie
+mit Bleistift ziemlich unleserlich einige Verse geschrieben hatte,
+die sein sympathetisches Gefühl sogleich entzifferte. Ein langer
+Handdruck, eine stumme Umarmung waren der ganze Dank, den er ihr gab.
+"Ich werde sie abschreiben und deiner Freundin vorlesen", sagte er,
+und steckte die Täfelchen zu sich.
+
+{* im Tode Abels.}
+
+Das geschah. Aber er löschte die Bleistift aus und gab ihr die Verse
+nicht wieder. Sie bat ihn oft drum. "Ich will's dir vorlesen",
+sagte er, wenn sie's zu arg machte.
+
+Nun fing sie an, öfter nach demselben Fleckchen zu gehn und sich dort
+in Begeisterung zu setzen. Sie machte in demselben Gesträuch ein
+Gedicht auf den Morgen, das sie ihrem Mann brachte. "Ich will's
+behalten", sagte er; "aber da, da und da hast du dieselben Gedanken
+wieder gebraucht, die im ersten waren, nur unter einem andern Kleide
+und du merkst wohl, daß das bei weitem nicht so herzlich ist.-Wenn
+ich dir raten kann, mach keine Verse mehr."
+
+"Wenn es dir keine Freude macht", sagte sie mit einem etwas finstern
+Gesicht-"Nein, es macht mir keine", versetzte er mit einem
+ungewöhnlichen Ton. Sie ging fort.
+
+Das Fleckchen ward unaufhörlich besucht, und alle Sachen, die dort
+gemacht wurden, Lieschen vorgelesen, die sie denn, wie natürlich,
+alle außerordentlich fand und sich in ein dichterisches Entzücken
+darüber versetzte. Mannheim, der sie bisweilen behorchte, grämte
+sich innerlich.
+
+Lieschen machte auch Verse. Sie wurden gegen ihn damit geheimnisvoll
+und zurückhaltend, aber sie waren es nicht gegen die Welt. Lieschen
+hatte einen Bekannten, der ein schöner Geist war. Dem wurden die
+Sächelchen zugeschickt. Er machte ein Wesens davon, daß die große
+Bühne des Himmels hätte einfallen mögen. Zu großem Glück fiel sein
+dithyrambischer Brief darüber Johannes Mannheim in die Hände. Er
+hatte ihn gerade an seine Heva gerichtet, und, da Mannheim in der
+Geschwindigkeit nicht nach der Aufschrift sah (denn er pflegte
+niemals Briefe an seine Frau aufzumachen), fiel ihm dieser
+Schlangenkopf gerade in die Augen, als er seinem Weibe den giftigen
+Apfel reichte. Er verbarg ihn in seinen Busen, ging zu seiner Frau
+aufs Zimmer und fragte, ob sie den Nachmittag spazierengehen wollte,
+er wollte sie in eine Gegend führen, wie sie in ihrem ganzen Leben
+noch nicht gesehen hätte. Nichts konnte der Frau willkommener sein,
+als ein so poetischer Antrag, wo sie neue Ideen zu einer Ode zu
+sammlen hoffte, die sie schon lange _über die Einsamkeit zu_ machen
+willens war.
+
+Alles ging erwünscht. Die Gegend war eine der furchtbarsten und
+wildesten im benachbarten Gebirge, die die schöpferische
+Einbildungskraft eines----sich je zu einem Macbethsgemälde hätte
+erfinden können. Es war ein zerstörtes Schloß auf einer Felsenhöhe,
+von der man ohne Schwindel nicht hinabsehen konnte. Die
+untenstehenden Fichten, die an ihrem Fuß unabsehbar sein mußten,
+erschienen hier wie kleine gedrückte Gebüsche. Unten stürzte sich
+ein Wasserfall von einer merklichen Höhe, dessen Rauschen hier kaum
+dem Summen eines Bienenschwarms gleichte. Albertine sah hinab und
+fühlte den Tod unter ihren Füßen. Ohne die gespannte
+Einbildungskraft, die sie mitnahm und die allen ihren Sinnen eine
+gewisse Stärke gab, würde sie diesen Anblick nimmer haben ertragen
+können. Auch sank sie von einem leichten Schwindel befallen an
+Mannheims Busen zurück, der stärker als sie in diesem Augenblick sie
+fest in seinen linken Arm schloß, mit der rechten aber das verhaßte
+Papier herauszog, es ihr vors Gesicht hielt und sie mit folgenden
+Worten anredete:
+
+"Ungetreue! in dem Augenblick, da ich dir mein ganzes Leben aufopfere,
+täglich eine Last nach der andern wegwälze, damit das Gebäude unsers
+Glücks fest und dauerhaft stehen könne, mir Ruhe und Erquickung bis
+ins Alter versage, nur damit auch nach meinem Tode du und meine
+Kinder einen Witwensitz, eine Felsenburg haben, damit die jungen
+Adler hernach mit den ererbten väterlichen Fittichen auf ihren Raub
+herabschießen können--in dem Augenblick empfängst du Briefe mit der
+schwärmerischsten unsinnigsten Leidenschaft geschrieben von einem
+Menschen, der nicht wert ist, daß er unsere Kühe melkt, von einem
+Laffen, der dich seine Muse nennt und in seinem Leben noch keine
+andere Muse als seine Aufwärterin gehabt hat, der sich deinen Phaon
+nennt, und nicht weiß, ob der Phaon ein Bub oder ein Mädchen war."
+
+Man stelle sich die Angst und das Schrecken unserer Albertine vor,
+als Mannheim ihr, nach dieser sehr ernsthaft gehaltenen Anrede, den
+auf den abgeschmacktesten dithyrambischen Stelzen gehenden Brief des
+jungen Violi vorlas, desselben, dem Lieschen ihre Oden und Lieder
+geschickt hatte, und der diese mehr als sapphischen Akkorde aufs
+schleunigste in den nächsten _Almanach_ und in das _Taschenbuch_
+einzusenden versprach. Sie konnte dem Menschen dafür nicht anders
+als gewogen sein, um so mehr befürchtete sie, die poetischen
+Ausdrücke des jungen Menschen hätten wirklich die Eifersucht des von
+Leidenschaften sonst so raschen Mannheims rege gemacht.
+
+Ihre Angst ward vermehrt, als nach Endigung dieses Briefs sie
+Mannheim fester in den Arm faßte, und, nachdem er sie ein wenig vom
+Boden aufgehoben, mit erschrecklicher Stimme rief:
+
+"Wohlan, wenn du denn die Rolle der Poetin spielen willst, so mußt du
+sie ganz spielen, wie sie ehemals die Griechin gespielt hat. Stürz
+dich herab von diesem Felsen, rufe deinen Phaon noch einmal an und
+sag ihm, daß du für ihn stirbst--"
+
+Hier hob er sie höher; Lieschen, der Sehen und Hören verging, warf
+sich hinter ihm auf die Knie, hielt ihn am Zipfel des Rocks und
+schrie mit aufgehobenen Händen: "Barbar, kennst du keine Verzeihung--"
+
+"Nein, ich kenne keine", rief er sehr nachdrücklich--indem er sich
+umkehrte und die Frau vom Berge herabtrug "weil ich niemals gezürnt
+habe." Das arme Weib war bleich und blaß, und Lieschen weinte: "Ich
+habe dich nur zur Poetin weihen wollen, Albertinchen", sagte er;
+"denn ich sehe, daß du eher nicht gescheut werden wirst, als bis du
+einen solchen Sprung getan hast. Wie gesagt, willst du unsere Sappho
+sein, so tu es ihr nach; sonst geb ich keinen Pfifferling für all
+deine Oden und Lieder. Willst du aber mein lieb Weibchen sein, so
+laß mich dem jungen Gelbschnabel seinen Brief beantworten; ich werde
+alles schon so einrichten, daß deine Reputation, auch als
+Schriftstellerin, nichts dabei verlieren soll." Albertine warf sich
+auf die Knie und bat ihn bei seiner Verzeihung, er möchte sie dieses
+Wort nicht wieder hören lassen. In ihrem Leben sei ihr kein Name
+unerträglicher vorgekommen.
+
+Nach dieser Katastrophe wurden keine Verse mehr gemacht; wohl aber
+die alten Liederchen von Hagedorn, Uz und Gleim wieder vorgenommen
+und gesungen, auch bisweilen eine Ode von Klopstock gelesen, oder
+Goethens _Erwin_ durchgespielt. Sie machten auch kleine
+Familienstücke für sich, die sie aufführten, wozu Mannheim mit seinen
+Freunden den Plan entwarf, jedes aber darnach seine Rolle selber
+ausarbeiten mußte. Hauptsächlich aber parodierten sie unnatürlich
+sentimentale Stücke auf ihre Art, wie z. E. den _Günther von
+Schwarzburg_ und dergleichen, welches denn ein unversiegbarer Quell
+von Ergötzungen für sie ward.
+
+Mannheims Söhnchen wuchs heran. Er erzog ihn selber, nicht, daß er
+ihn viel unterrichtete, sondern nur, daß er ihm die Bücher hingab,
+aus denen er lernen konnte, und ihm erlaubte, ihn zu fragen, wenn er
+nicht fortkam. Er hatte den Grundsatz, daß alles, was aus dem
+Menschen wird, aus ihm selber kommen muß, und daß seine Erzieher aufs
+Höchste nur als Stahl dienen müssen, etwas aus ihm herauszuschlagen.
+Zu dem Ende gab er wohl acht, daß der Bube in seiner Studierkammer,
+wo er ihm einige Bücher wie von ungefähr hingelegt, auch wohl gar
+diejenigen anzurühren aufs strengste verboten hatte, von denen er am
+liebsten wünschte, daß er sie läse; daß er, sage ich, auf dieser
+Stube von keinen unzeitigen Spielgesellen, oder von anderm Lärmen
+gestört wurde. Das war seine ganze Erziehung. Und sein kleiner
+Johannes, der ohnedem bei Tisch von hunderttausend Sachen sprechen
+hörte, die seine Neugier reizten, und kein Mensch, auch wenn er
+fragte, sich die Müh' gab, ihm ganz zu erklären, sondern ihn immer
+auf die Universität und die berühmten Männer verwies, die davon
+geschrieben hätten, verschlang alle Bücher, die diesen Namen auf dem
+Titel hatten, mit einer Begierde, die ihn noch in seinem Knabenalter
+zu einem neuen Beispiel frühzeitiger Gelehrten machte. Nur zu
+gewissen Stunden des Tages war es ihm erlaubt, sich Gesellschaften zu
+suchen, wie und wo er konnte; die übrige Zeit mußte er zu Hause in
+seines Vaters Studierzimmer bleiben, wo er sich beschäftigen konnte,
+wie er wollte. Besonders muß ich's rühmen, daß ihm die Bibliotheken,
+die damals so häufig in Deutschland waren, sehr vorteilhaft gewesen,
+weil er dadurch und durch den witzigen Ton, der sie auszeichnete, auf
+hundert Sachen neugierig geworden war, die er sonst auch nicht
+gekannt hätte. Wiewohl mehr als alle das die Diskurse seines Vaters
+beitrugen, alle seine mit Mühe gesammleten Kenntnisse in Blut und
+Leben zu führen. Die Sprachen lernte der Bube alle von sich selbst,
+wiewohl ihm der Vater alle nur mögliche Hülfsmittel--nie aber
+Unterricht--gab, nur von Zeit zu Zeit diskursweise erzählte, wie er's
+in seiner Jugend gemacht, was für Hülfsmittel er gebraucht u.s.f. Er
+erlaubte übrigens dem Sohn, alle nur möglichen Fragen an ihn zu tun,
+wann und wo er wollte, und der bediente sich dieses Vorrechts oft,
+weil es ihm eine solche Miene von Altklugheit und Wichtigkeit gab,
+die seine kleine Eitelkeit kützelte. Sobald diese Eitelkeit dem
+Vater merklich ward, geschah--wiewohl immer mit Worten nur und
+allezeit an die dritte Person gerichtet--eine durchdringende
+Demütigung.
+
+Dieses war derselbe Johannes Mannheim, der, nachdem er seine Rechte
+in Göttingen gemacht, mit einem jungen Herrn von seinem Hofe auf
+Reisen ging, und in Rom eine italienische Abhandlung _L'Ambassadore_
+drucken ließ, die ihm die Stelle als Sekretär seines Gesandten in
+Wien verschaffte. Weil er aber einer der ersten Köpfe seines
+Jahrhunderts war, so zeichnete er sich auch hier, nachdem einige
+Jahre Erfahrung ihm die Geschäfte des Hofes eigen gemacht und Blicke
+in die verborgensten Angelegenheiten desselben eröffnet hatten, von
+so viel empfehlenden Seiten aus, daß man ihm eine gewisse höchst
+wichtige Negoziation desselben bei den Generalstaaten ganz allein zu
+treiben übergab und ihm zu derselben den Titel eines
+außerordentlichen Abgesandten bewilligte. Das Glück und die Feinheit
+und Festigkeit, womit er dieses höchst wichtigen und zugleich äußerst
+mißlichen Auftrages, zur größten Zufriedenheit seines Hofes, sich
+entledigte, machte, daß er bei seiner Wiederkunft in den
+Freiherrenstand erhoben ward. Er erhielt Nachricht, seine Eltern
+wären krank; er kam und fand sie wirklich mit den heitersten
+Gesichtern einander gegenüber liegen und sich von Zeit zu Zeit noch
+mit den Händen winken und Küsse zuwerfen. Ihre Krankheit schien mehr
+die Ruhe zweier ermatteten Pilger, die beide unter der Last, die sie
+trugen, auf einem Wege niedergefallen. Schmerzen fühlten sie beide
+nicht; bisweilen ein wenig Angst und große Mattigkeit. Als sie ihren
+Sohn hereintreten sahen, nach dem sie beide oft heimlich geseufzet,
+und, weil es hieß, er würde eine neue Gesandtschaft antreten, seine
+Gegenwart vor ihrem Tode nicht mehr vermutet hatten, lief ein
+feuriges Rot zu gleicher Zeit über die beiden blassen Gesichter. Er
+warf sich wechselsweise, bald dem einen, bald dem andern zu Füßen;
+sie konnten nicht sprechen, sondern legten beide nur die Hand auf das
+Köpfchen, durch das so viel gegangen war, und segneten ihn mit ihren
+Blicken. Ob es die Freude über sein Wiedersehen war, sie starben
+beide desselben Tages. Johannes Sekundus konnte sich gar nicht
+trösten lassen. Er lief wie ein Verzweifelter durch alle Zimmer, wo
+er seine Kindheit zugebracht, rief ihre Namen den leeren öden Wänden
+des Hauses, allen Bäumen, Felsen und Gebirgen umher in lauter
+tränender Wehklage vergeblich zu. Lieschen, die lange Jahre vorher
+glücklich verheiratet worden, kam mit ihrem Mann, ihm klagen und die
+Leichen unter die Erde bestatten zu helfen. Bei der Eröffnung jedes
+neuen Papiers von der Hinterlassenschaft des Vaters verdoppelte sich
+sein Schmerz. \XDCberall fand er Spuren des Andenkens an ihn. Er
+drung darauf, daß die Leichen nach dem kleinen Witwensitz, den der
+alte Mannheim mit seinem Assoziierten gemeinschaftlich gebauet, und
+Johannes Sekundus sich als erb und eigen mit allem, was dazu gehörte,
+von eben diesem Assoziierten gekauft hatte, geführt werden mußten, wo
+er ihnen eine kleine Kapelle mit einem Gewölbe zum Erbbegräbnis
+anlegte. An der Türe dieser kleinen Kapelle standen die beiden
+Büsten dieses unvergleichlichen Paars aus Marmor, die er schon bei
+ihrem Leben von einem der ersten Künstler des Landes hatte
+verfertigen lassen, und die unverbesserlich ausgefallen waren. Bei
+dieser Kapelle erbauete er eine Art von Landhaus mit einem schönen
+Garten, wo er seine Tage im Frieden zuzubringen gedachte, wenn er der
+Welt müde wäre. Eine ganz besondre Art hatte er, den Todestag seiner
+Eltern zu feiern, auf die er sehr viel Kosten wendete. Alle drei
+Jahre war die große Feier; er lud zu dieser ein Vierteljahr vorher
+die berühmtesten Gelehrten, nicht allein seines Landes, sondern auch
+der benachbarten Provinzen ein, die er acht Tage lang auf die
+köstlichste Art bewirtete, da er bloß für sie ein Gasthaus, das sonst
+nie bewohnt war, mit den geräumigsten Zimmern hatte erbauen lassen,
+die Mahlzeit aber immer, weil diese Zeit gerade in die Mitte des
+Sommers fiel, in einem großen von Tannen und Wacholderstrauch
+erbauten Saal auf dem Hofe gehalten wurde, dessen Boden nur mit Rasen
+gepflastert war. Den ersten Abend nach ihrer Ankunft tat die ganze
+Gesellschaft präzis um Mitternacht, jedes einen Myrtenzweig in Händen,
+eine Wallfahrt zu der Kapelle, wo sie von einer dazu neugesetzten
+Trauermusik bewillkommt wurden. Die schwarzen Kleider, die Myrten
+und die Fackeln, die alles dieses erleuchteten, gaben der Prozession
+eine traurige Feierlichkeit, die auch die kältesten Herzen nicht
+ungerührt lassen konnte; hierzu kamen die Kräfte der Musik und der
+schmelzende Anblick kindlicher Zärtlichkeit, den ihnen Johannes
+Sekundus gab, der bei Endigung der Musik mit zerstreuten Haaren vor
+dem Bilde seines Vaters und seiner Mutter kniete, sie um ihre
+Fürbitte und um ihren Schutz und Begleitung durchs Leben mit den
+ungeschminktesten Worten ansprach, und gewiß sein konnte der Tränen,
+die die ganze Gesellschaft umher dem Andenken seiner Eltern geschenkt
+hatte. Hierauf legten sie alle ihre Myrtenzweige auf einen dazu von
+Erde erbauten Tisch und gingen alle tränenfröhlich wieder zurück,
+wiewohl den ersten Abend nur einige Erfrischungen herumgereicht, aber
+keine Mahlzeit gegeben wurde. Die andern Tage ging es desto lustiger,
+und sie wurden fürstlich bewirtet. Des achten Tages reisten alle
+fort, und nun ging die Mädchenfeier an. Er hatte nämlich ein
+Vierteljahr vorher die schönsten Mädchen, die ihm vornehmen und
+geringen Standes bekannt waren, mit ihren Müttern eingeladen; diese
+wurden auf dieselbe Art bewirtet, nur mit dem Unterschiede, daß sie
+bei der Prozession alle weiß gekleidet sein und jede einen
+Blumenkranz in Händen haben mußte. Die Feierlichkeit war dieselbe;
+nur geschahe sie nicht in der Nacht, sondern bei Sonnenuntergange.
+Die Büsten seines Vaters und seiner Mutter hatten Rosen um das Haupt
+gewunden; die Musik war fröhlicher und es ward eine Schäferkantate
+abgesungen. Das rührendste bei diesem Anblick waren zwei lange
+Ketten von Blumen, die von einer Büste zur andern gezogen, und womit
+sie gleichsam aneinander gebunden waren. Sobald die Jungfrauen
+ankamen, warfen sie ihre Kränze vor ihnen hin auf einen Haufen und
+tanzten hernach nach dem Schall der Flöten und Schalmeien um sie
+herum. Dieser Anblick war so reizend, daß er Zuschauer aus den
+entferntesten Ländern herbeizog, die sich lange vorher auf das
+_Johannisfest zu Adlersburg_, so hieß dieses Leichenbegängnis, zu
+freuen pflegten. Die Mütter schlossen einen großen Kreis um sie
+herum. Es war ein besonderes Gerüst für die Zuschauer erbauet. Nach
+Endigung dieses Tanzes, wobei jede Schöne, wie natürlich, ihre
+zaubervollsten Stellungen sehen ließ, hielt Johannes Sekundus ihnen
+eine Rede, worin er ihnen dankte, daß sie Balsam in seine Wunde
+gegossen. Sobald sie zurückgekommen waren, wurden sie, wenn es das
+Wetter nur irgend erlaubte, in einem schönen Gehölze, das er bei
+seinem Hause angelegt, unter beständiger Musik, mit Milch, Obst und
+den ausgesuchtesten Erfrischungen bewirtet und die Nacht war das
+Gehölz, das Haus, der Garten auf das herrlichste erleuchtet, wobei
+die Musik nimmer ruhig ward. Auf dem Flusse, der bei seinem Hause
+vorbeilief, warteten ihrer mit Maien geschmückte Fahrzeuge, welche
+von andern, die mit Musikanten besetzt waren, bald begegnet, bald
+verfolgt wurden. Die Illuminationen taten im Wasser herrliche
+Wirkung. Alles endigte mit Abfeurung von sechs ansehnlichen Kanonen,
+das Signal zur Ruhe. Die übrigen acht Tage dauerten die
+Feierlichkeiten fort, wenn anders nicht einige von ihnen nach Hause
+eilten. Keine Mannsperson aber ward anders als zum Zuschauer
+hinzugelassen, für die, wie besagt, ein eigenes Gerüst bei der
+Kapelle und ein anderes am Eingang des Gehölzes erbaut war, an dem
+bei jeder Reihe Bänke zwei Mann Wache mit scharfgeladenem Gewehr
+stunden, die Befehl hatten, auf jeden zu feuren, der nicht in den
+Schranken, die mit allen möglichen Bequemlichkeiten dazu erbaut waren,
+bleiben würde. Die Zuschauer marschierten auch ordentlich unter der
+Begleitung der Wache von einem Gerüste zum andern und hatten ihren
+eigenen Gasthof, aus dem sie frei bewirtet wurden. Es wurde ihnen
+nämlich in den Schranken kalte Küche, Wein und Erfrischungen
+herumgereicht, wobei freilich auf den Unterschied des Standes gesehen
+wurde, weil jeder bei seinem Eintritt sich beim Kastellan unsers
+Johannes gemeldet und von dem eine gewisse Marke seines Standes
+aufzuweisen haben mußte, nach welcher ihm hernach aufgewartet ward.
+
+Man kann sich leicht vorstellen, daß die reizendsten Schönheiten des
+Landes hier ihre Zaubereien spielen ließen, und sich oft lange vorher
+zu diesem Tage zuschickten. Weil sie alle als Schäferinnen gekleidet
+und angesehen waren, so fielen hier, während daß die Feierlichkeiten
+dauerten, alle Erinnerungen des Standes weg, und ward bloß auf die
+Reize der Person gesehen, wo jede sich bemühte, es der andern
+zuvorzutun. Johannes Sekundus tat mehrenteils einige Monate vorher
+Reisen ins Land und in die Städte umher, um Priesterinnen zu dieser
+Feierlichkeit anzuwerben, welches diese sich für eine große Ehre
+schätzten, weil dadurch der Ruf ihrer Schönheit einen merklichen
+Zuwachs erhielt.
+
+Die nachgelassenen Schriften seines Vaters und einige herzliche
+Gedichte seiner Mutter, die er zu diesem Ende unter den Papieren
+seines Vaters mit großer Sorgfalt aufgehoben fand, ließ er, mit ihren
+Bildnissen geziert, und mit einer Lebensbeschreibung, auf die er
+einen ganzen Sommer, den er sich von seinem Landesherrn ausgebeten,
+um den Brunnen zu trinken, verwendet hat, und aus welcher diese kurze
+Erzählung zusammengezogen ist, zu Amsterdam in zwei Bänden groß 8vo
+mit saubern Lettern auf schönem Papier drucken, und so endigte sich
+die Geschichte des Lebens und der Taten _Johannes Mannheim, Pfarrers
+von Großendingen_.
+
+
+Anhang
+
+
+Ich habe bei der Eilfertigkeit, mit der ich diese Geschichte aus der
+angeführten gedruckten Lebensbeschreibung zusammengezogen, einen
+Brief hineinzubringen vergessen, der in derselben gleichfalls, weil
+er nicht in Mannheims, sondern in den Papieren eines seiner
+verstorbenen Freunde sich gefunden, nur in einer Note angeführt
+worden. Es ist die Beschreibung einer Kirchenvisitation, welche der
+Spezial des verstorbenen Herrn Pfarrers das erstemal in seinem
+Kirchspiel gehalten. Ich will die interessantesten Stellen daraus
+kürzlich epitomieren.
+
+Er erschrak sehr, heißt es in demselben vom Spezialsuperintendenten,
+der übrigens als ein sehr guter braver Mann drin geschildert wird,
+der aber vielleicht ebensowohl wegen Alters und Eigensinn, als weil
+er nicht Kraft genug hatte, ein Ansehn, welches er bloß eingerosteten
+Kirchengebräuchen zu danken hatte, gegen eines aufzuopfern, das, weil
+es dem Wohl des Ganzen ungleich zuträglicher war, freilich erst im
+Glauben und Hoffnung einer bessern Zukunft eingeerntet werden mußte,
+er erschrak sehr, heißt es, als er mich in seiner Gegenwart über
+_"die beste Art die Wiesen zu wässern"_ predigen hörte. "Geht das
+alle Sonntage so", fragte er mit einem etwas herrischen Ton, als er
+in die Stube trat. Ich, der diesen Ton an keinem Menschen gewohnen
+kann, antwortete ihm mit sehr viel Zuversichtlichkeit im Blick:
+"Nicht anders, Herr Spezial!" Er, der diese wenigen Worte für Trotz
+nehmen mochte, sagte mir hierauf mit gezwungener Überhöflichkeit: Er
+werde sich genötigt sehen, diesen Vorfall ans Oberkonsistorium zu
+referieren, und es würde ihm leid tun, mich nach einem halben Jahr
+vielleicht sehr wider meinen Willen genötigt zu sehen, wieder über
+die armseligen Sonn- und Feiertagsevangelien zu predigen. Es würde
+mir leid tun, antwortete ich, jemals auch nur den geringsten Verdacht
+erweckt zu haben, daß meine gegenwärtige Art zu predigen eine
+Geringschätzung des heiligsten aller Bücher und in diesem der mit so
+schöner Auswahl für die allgemeine Andacht von der urechten
+christlichen Kirche vorgeschriebenen Stellen vermuten lassen könnte;
+auch würde mir niemand mit Recht vorwerfen, daß ich nur einen Sonntag
+unterlassen, das dafür bestimmte Evangelium abzulesen, wiewohl ich
+meine Ursachen hätte, allemal nicht nach vorgeschriebenen, sondern
+nach zufälligen Veranlassungen meine öffentlichen Reden an meine
+Gemeine einzurichten.
+
+"Ja, Ihre Gemeine wird schön in der christlichen Religion
+unterrichtet werden. Auch finde ich, daß Sie nicht das mindeste tun,
+was in der Kirchenordnung vorgeschrieben worden. Sie halten weder
+Katechismusexamina noch irgend eine andere Art von Kinderlehre des
+Sonntags, dieses kann nichts anders als die gröbste Unwissenheit, ich
+will auch nur sagen in den ersten und notwendigsten Wahrheiten unsers
+Glaubens nach sich ziehen."
+
+"Mein Herr Spezial", antwortete ich ihm, "was die Geheimnisse unserer
+Religion betrifft, so erkläre ich sie meiner Gemeine nach ihrem
+Fassungsvermögen und soweit sie erkläret werden dürfen nur an den
+hohen Feiertagen, wo ich auch hernach mit den Kindern eine
+katechetische Wiederholung darüber anstelle. Denn ich habe mir sagen
+lassen (es war derselbe Propst, dessen Tochter Johannes ehmals den
+Beutel gestrickt), daß das Subjekt _Geheimnis_ sich mit dem Prädikat
+_darüber plaudern_ nicht allzuwohl zu vertragen pflege, daß also alle
+acht Tage über Geheimnisse zu reden dem Prediger leicht das Ansehen
+eines geistlichen Scharlatans geben könne."
+
+"Mein Herr, mein Herr", sagte der Spezial, außer aller Fassung, der
+durch die Einkleidung dessen, was Mannheim ihm zu sagen hatte, schon
+halb für seine Meinung gewonnen war; itzt aber die Pille unter dem
+Honig zu fühlen anfing.
+
+"Hören Sie mich aus", fuhr ich fort, "ich habe meinen Bauren nötigere
+Sachen zu sagen--"
+
+"Was kann nötiger sein als der Weg zur Seligkeit", erwiderte er mit
+Heftigkeit. "Wenn einer die ganze Welt gewönne--"
+
+Hier hielt er inne. Ich fuhr mit Nachdruck fort: "Und litte Schaden
+an seiner Seele. Dazu aber soll es, hoffe ich, bei uns nicht kommen.
+Erlauben Sie mir, Ihnen eine Geschichte zu erzählen--"
+
+"Nein, nein, nein", sagte jener, "ich sehe schon, wer Sie sind, und
+dem muß gewehrt werden."
+
+"Ich bin Mannheim", gab ich zurück.
+
+"Dem muß gesteuert werden", versetzte er.
+
+"Meine Geschichte müssen Sie aushören", sagte ich. "Es war ein
+Mensch in einer wüsten Insel und hatte in zwei Tagen kein Wildpret
+gefangen. Bei dem heftigsten Anfall des Hungers stieß ein Brett mit
+einem Missionär ans Land, der Schiffbruch gelitten hatte, der
+Missionär freute sich, eine Seele mehr zu gewinnen, ging auf ihn zu,
+und fragte ihn über die ersten Grundsätze seines Glaubens. Er wollte
+essen, sagte der andre. Dieser fing an, ihm den katholischen
+Lehrbegriff vorzutragen, der Proselyt packte ihn und fraß ihn auf.
+So könnte es uns mutandis mutatis mit unsern Bauren gehen, wenigstens
+kann der Trost der Religion, sobald man den Leuten nicht Aussichten
+weißt, durch ihr inniges Vertrauen auf Gott die ersten und
+notwendigsten Bedürfnisse ihres Lebens zu befriedigen, nicht anders
+als höchst unkräftig sein. Wir finden auch, daß Christus und seine
+Apostel nicht so gepredigt haben. Christus fand seine Jünger, die
+die ganze Nacht nichts gefangen hatten, und ließ sie einen reichen
+Zug tun, der Apostel sagt ausdrücklich, die Gottseligkeit habe die
+Verheißung dieses--und des zukünftigen Lebens."
+
+"Schämen Sie sich nicht, Ihre Inorthodoxie noch durch die Bibel zu
+beschönigen."
+
+"Ich bin weder inorthodox, noch brauche ich etwas an mir zu
+beschönigen. Wo will sich die Religion äußern, wo soll sie ihre
+Kraft und Wirksamkeit beweisen, wenn wir sie als einen abgezogenen
+Spiritus in Flaschen verwahren und nicht sie durch unser ganzes Leben
+und Gewerbe dringen lassen. Den Bauren zu weisen, daß Religion
+geehrt und reich mache, heißt ebensoviel als Kindern Brot und
+Spielwerk hinlegen, wenn sie artig gewesen sind."
+
+"Wollen Sie die erste Quelle aller Moral verderben", sagte der
+wirklich gut meinende Spezial.
+
+"Die Stimmung des Herzens", erwiderte ich, "die alle dieser Vorteile
+entbehrt, freiwillig entbehrt, sobald ein Recht dadurch gekränkt oder
+die Gottheit dadurch beleidigt wird, kann auf keine andere Weise
+hervorgebracht, oder wenn sie da ist, geprüfet werden, als wenn ich
+bei meinen Bauren gehörige Begriffe von dem, was zeitlicher Wohlstand
+ist, gehörige Kraft und Anwendung dieser Kraft, ihn zu erreichen,
+voraussetze. Der Bettler glaubt den Himmel am allerersten und
+geschwindesten, aber es ist denn auch nur ein Himmel für Bettler.
+
+Diese Stimmung in ihnen hervorzubringen, ist meine einzige Absicht.
+Ich habe zu dem Ende ein geheimes Tribunal bei mir errichtet. Jeder,
+der etwas über seinen Nachbar zu klagen hat, kommt zu mir, und kann
+nicht allein des unverbrüchlichsten Stillschweigens bei mir
+versichert sein, sondern auch daß ich ihm viel geschwinder zu seinem
+Recht verhelfen werde, als der Advokat vor den Gerichten. Ich gehe
+zu dem Verklagten, ich gewinne ihm sein Vertrauen ab, ich höre, ob er
+nicht vielleicht ebensoviel Beschwerden gegen seinen Ankläger hat.
+Habe ich die wahre Gestalt der Sache erfahren, und alle meine
+besondern Versuche sind vergebens, den Schuldigen zu seiner Pflicht
+zurückzubringen, so bring ich die Sache unter irgend einer
+Einkleidung auf die Kanzel, und weise aus den allgemeinen Wahrheiten
+unsrer Religion das Verdammliche oder vielmehr das Schädliche dieser
+und jener Handlung in ihren Folgen. Da dünkt mich's Zeit, allgemeine
+Wahrheiten vorzutragen, und mit Erfolg. Denn entspricht hernach die
+Erfahrung der Menschen dem, was wir ihnen voraussagten, so gräbt sich
+die Religion weit tiefer in ihr Herz, als irgend etwas, so sie
+auswendig gelernt haben. Ich habe die frappantesten Beweise davon
+gehabt, und diese haben mich in dieser Methode so sehr bestätigt, daß
+ich sie vermöge meines Gewissens nimmer abändern werde, was auch die
+Obern mir darüber jemals ankündigen mögen."
+
+"Was können Sie für Beweise davon haben?"
+
+"Ich will Ihnen gleich ein ganz frisches Exempel anführen. Einer von
+unsern Bürgern ward beschuldigt, er hätte verschiedenes von den
+Gütern seines Mündels, eines guten einfachen unschuldigen Mädchens,
+veruntreut. Man konnte nicht sagen wo, es waren aber merkliche
+Anzeichen da, daß das Mädchen, das immer still und ordentlich gelebt,
+seit der Zeit seiner Vormundschaft um ein beträchtliches ärmer
+geworden. Als alle meine Kunst vergebens war, ihn selbst zu dem
+Geständnis zu bringen, erzählte ich den letztern Sonntag eine
+Geschichte, die mir noch von meiner Jugend her bekannt war, von einem
+Bedienten, der einen ohnehin armen Herrn um sein Letztes bestohlen,
+damit in fremde Länder gegangen und durch Fleiß und Ordnung ein
+großes Vermögen erworben. Er heiratete, bekam Kinder--auf einmal
+wachte sein Gewissen auf, er mußte zurück und seinem Herrn nicht
+allein das Gestohlne wiederbringen, nicht allein die Zinsen des
+Gestohlnen, sondern--alles, alles was er selbst dadurch erworben, und
+er, sein Weib und Kinder waren an den Bettelstab gebracht. Umsonst
+suchte sein Herr ihm wenigstens die Hälfte davon wieder aufzudrängen,
+er verdiente diese Strafe, sagte er, und könne nicht anders hoffen,
+seine Seele zu retten. Er wollte nun von vorn anfangen, wie er
+damals würde haben tun müssen, zu versuchen, ob er mit nichts als
+seiner Hände Arbeit etwas für seine Kinder ausrichten könnte. Diese
+Geschichte tat ihre Wirkung. Der Vormund kam und brachte mir
+folgenden Tages das unterschlagene Geld, mit Bitte, es dem Mädchen,
+das Braut war, unter fremdem Namen als ein Geschenk zuzustellen. Ich
+sah ihm ins Gesicht und warf's ihm vor die Füße. "Blutgeld", sagte
+ich, "ist's, sobald Ihr damit den Himmel wiederkaufen wollt, den Ihr
+verloren habt. Ihr habt nicht Menschen, sondern Gott gelogen."--Es
+fehlte nicht viel, so wär' er bei diesen Worten, deren er sich nicht
+versah, ohnmächtig niedergefallen. Ich ging aus dem Zimmer und ließ
+ihn allein. Erst nach einer halben Stunde war er fortgegangen. Den
+andern Tag ließ er mich zu sich rufen, er läge krank und glaubte den
+Tag nicht zu überleben. Als ich in die Stube trat, fragt' er mich
+mit gefaltenen Händen, was ich wollte, daß er tun sollte. Hier hielt
+ich's für Zeit, ihm zu predigen, daß die Gerechtigkeit nichts als die
+Austeilerin der Liebe sein darf, daß keine Liebe ohne Gerechtigkeit
+bestehen könne, daß es aber eine Gerechtigkeit ohne Liebe gebe, in
+die sich der Teufel kleidet, wenn er als Engel des Lichts erscheint.
+Gestohlnes Gut wiedererstatten, um nicht verdammt zu werden, hieße
+ebensoviel, als einem Menschen die Kehle nicht abschneiden, weil die
+Büttel hinter uns dräuten. Sich aber auf diese Wiedererstattung was
+zugute tun, hieße Gott betrügen wollen, der nicht zu betrügen ist.
+Er weinte und fragte, was er tun sollte. Ich sagte, "fragt Euer Herz
+und dann gebt Ihr mit Aufrichtigkeit ohne Furcht und ohne Zwang so
+viel, als dieses Euch heißen wird, und seid versichert, daß Gott
+nicht das Opfer ansehen werde, sondern die Gesinnung, mit der es
+geopfert ward." Er hat, wie ich höre, seitdem mit den jungen
+Eheleuten sich assoziiert, ihnen ein Stück seines Ackers zu bauen
+umsonst überlassen, und will mit aller Gewalt, daß sie auch mit ihm
+ein Haus beziehen sollen, wo er für nichts als den Tisch Bezahlung
+nehmen will."
+
+"Ja, das gelingt einmal", sagte der Spezial; "das gelingt immer",
+sagte ich. "Nur unser Unglaube an die Menschheit macht, daß sie so
+böse ist. Ohne eine gewisse Anlage zum Guten können ja die
+tierischen Operationen in dem Menschen nicht einmal vor sich gehen,
+es kommt also darauf an, daß wir diese treffen, so haben wir den
+halben Weg zu seiner Besserung gewonnen.
+
+Und welches Mittel ist kräftiger, uns über die andere Hälfte zu
+bringen, als wenn wir ihm Schaden und Vorteil zu zeigen wissen, wie
+sie in die Moralität seiner Handlungen verflochten sind. Daß alle
+Arbeit sich geschwinder fördert, wenn die Kräfte rein gestimmt sind,
+daß der Geist tausend Springfedern des Glücks entdeckt, wenn er frei
+von Furcht und Gewissensangst alles um sich hier mit Liebe ansieht,
+daß die Liebe dem Feuer der Sonne gleiche, durch welches die ganze
+Natur ihr Dasein erhält u.s.f."
+
+"Ich frage Sie nur", versetzte der Spezial, "ob Sie Seelsorger oder
+Verwalter Ihrer Gemeinen sind."
+
+"Beides", antwortete ich.
+
+"Ich frage Sie nur, ob die Seelen Ihrer Gemeine dadurch gebessert
+werden, wenn sie wissen, wie sie ihren Acker zu bestellen, ihre
+Wiesen zu wässern haben."
+
+"Wäre es auch nichts weiter, Herr Propst, als daß ich durch
+Mitteilung dieser Kenntnisse eine Herrschaft über ihre Seelen
+erlangte und heilsamern Wahrheiten den Weg bahnte, so müßte diese
+Methode schon alle Ehrfurcht verdienen. Wenn ich nun aber meiner
+Gemeine noch überdem durch mein Beispiel weise, wie die Sorge fürs
+Zeitliche mit dem Gefühl für andere und deren Glück zu vereinigen,
+und ich nicht weiter anzusehen als ein Haushalter, dem mehrere Macht
+anvertrauet worden, Menschen sowohl durch Mitteilen und Vorschuß
+meiner Güter als meiner Kenntnisse und Erfahrungen glücklicher zu
+machen, von dem also auch mehr gefodert wird, wenn ich außer den
+sonntäglichen noch alle Mittewoche und Sonnabend Versammlungen in
+meinem Hause, jedesmal von einer andern Partei Bürger halte, um auf
+ihre Sitten und Geschmack zu wirken, weil auch der Landmann, um
+glücklich zu sein, seinen Geschmack haben muß, in diesen bald etwas
+aus der Zeitung, bald etwas aus einer andern periodischen Schrift,
+das faßlich für sie ist, bald aus einem guten Roman von Goldsmith
+oder Fielding eine ihnen begreifliche Stelle vorlese, und alle
+diejenigen von dieser Gesellschaft ausschließe, die sich irgend einer
+Lieblosigkeit schuldig gemacht; wenn ich des Sonntags selbst mit
+wirtschaftlichen Dingen geistliche bald vermische, bald abwechsele,
+bald bloß in die Besserung und in den Anbau des Herzens und der Liebe
+übergehe."
+
+Hier nahm der Spezial seinen Hut und ging fort, und bis dato ist mir
+noch keine Erinnerung geschehen.
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Landprediger, von Jakob
+Michael Reinhold Lenz.
+
+
+
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER LANDPREDIGER ***
+
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+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US
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+time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours
+to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright
+searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our
+projected audience is one hundred million readers. If the value
+per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2
+million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text
+files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+
+We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002
+If they reach just 1-2% of the world's population then the total
+will reach over half a trillion eBooks given away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks!
+This is ten thousand titles each to one hundred million readers,
+which is only about 4% of the present number of computer users.
+
+Here is the briefest record of our progress (* means estimated):
+
+eBooks Year Month
+
+ 1 1971 July
+ 10 1991 January
+ 100 1994 January
+ 1000 1997 August
+ 1500 1998 October
+ 2000 1999 December
+ 2500 2000 December
+ 3000 2001 November
+ 4000 2001 October/November
+ 6000 2002 December*
+ 9000 2003 November*
+10000 2004 January*
+
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created
+to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium.
+
+We need your donations more than ever!
+
+As of February, 2002, contributions are being solicited from people
+and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut,
+Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois,
+Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts,
+Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New
+Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio,
+Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South
+Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West
+Virginia, Wisconsin, and Wyoming.
+
+We have filed in all 50 states now, but these are the only ones
+that have responded.
+
+As the requirements for other states are met, additions to this list
+will be made and fund raising will begin in the additional states.
+Please feel free to ask to check the status of your state.
+
+In answer to various questions we have received on this:
+
+We are constantly working on finishing the paperwork to legally
+request donations in all 50 states. If your state is not listed and
+you would like to know if we have added it since the list you have,
+just ask.
+
+While we cannot solicit donations from people in states where we are
+not yet registered, we know of no prohibition against accepting
+donations from donors in these states who approach us with an offer to
+donate.
+
+International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about
+how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made
+deductible, and don't have the staff to handle it even if there are
+ways.
+
+Donations by check or money order may be sent to:
+
+Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+PMB 113
+1739 University Ave.
+Oxford, MS 38655-4109
+
+Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment
+method other than by check or money order.
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by
+the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN
+[Employee Identification Number] 64-622154. Donations are
+tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising
+requirements for other states are met, additions to this list will be
+made and fund-raising will begin in the additional states.
+
+We need your donations more than ever!
+
+You can get up to date donation information online at:
+
+https://www.gutenberg.org/donation.html
+
+
+***
+
+If you can't reach Project Gutenberg,
+you can always email directly to:
+
+Michael S. Hart <hart@pobox.com>
+
+Prof. Hart will answer or forward your message.
+
+We would prefer to send you information by email.
+
+
+**The Legal Small Print**
+
+
+(Three Pages)
+
+***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START***
+Why is this "Small Print!" statement here? You know: lawyers.
+They tell us you might sue us if there is something wrong with
+your copy of this eBook, even if you got it for free from
+someone other than us, and even if what's wrong is not our
+fault. So, among other things, this "Small Print!" statement
+disclaims most of our liability to you. It also tells you how
+you may distribute copies of this eBook if you want to.
+
+*BEFORE!* YOU USE OR READ THIS EBOOK
+By using or reading any part of this PROJECT GUTENBERG-tm
+eBook, you indicate that you understand, agree to and accept
+this "Small Print!" statement. If you do not, you can receive
+a refund of the money (if any) you paid for this eBook by
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+is a "public domain" work distributed by Professor Michael S. Hart
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+ does *not* contain characters other than those
+ intended by the author of the work, although tilde
+ (~), asterisk (*) and underline (_) characters may
+ be used to convey punctuation intended by the
+ author, and additional characters may be used to
+ indicate hypertext links; OR
+
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+ form by the program that displays the eBook (as is
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+Money should be paid to the:
+"Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
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+hart@pobox.com
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+[Portions of this eBook's header and trailer may be reprinted only
+when distributed free of all fees. Copyright (C) 2001, 2002 by
+Michael S. Hart. Project Gutenberg is a TradeMark and may not be
+used in any sales of Project Gutenberg eBooks or other materials be
+they hardware or software or any other related product without
+express permission.]
+
+*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS*Ver.02/11/02*END*
+
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+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
+in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES.
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+Procedures for determining public domain status are described in
+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
+
+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
+this eBook outside of the United States should confirm copyright
+status under the laws that apply to them.
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+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
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